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German Pages VIII, 201 [210] Year 2022
Transatlantische Aufklärung
Laboratorium Aufklärung Herausgegeben von Daniel Fulda, Stefan Matuschek, Hartmut Rosa Wissenschaftlicher Beirat Frauke Berndt (Germanistik, Zürich), Fritz Breithaupt (Germanistik, Bloomington), Ralf Koerrenz (Pädagogik, Jena), Jonathan Sheehan (Geschichte, Berkeley), Heinz Thoma (Romanistik, Halle), Frederic Vandenberghe (Soziologie, Rio de Janeiro)
Band 35
Antonio Roselli, Hendrik Schlieper (Hg.)
Transatlantische Aufklärung Erfahrungen von Identität und Alterität im 18. Jahrhundert
Umschlagabbildung: Herman Moll, A New Map of the Whole World with the Trade Winds, in: Atlas Minor, London 31736
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig. © 2022 Brill Fink, Wollmarktstraße 115, D-33098 Paderborn, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. www.fink.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn ISSN 2629-7620 ISBN 978-3-7705-6636-5 (hardback) ISBN 978-3-8467-6636-1 (e-book)
Inhalt Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII 1.
Transatlantische Aufklärung. Einleitende Überlegungen . . . . . . . . 1 Antonio Roselli, Hendrik Schlieper
Sektion I: Handeln 2.
Menschenströme und Schriftverkehr. Zur transatlantischen Verschränkung von Empfindsamkeit und Kapitalismus im Frankreich des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Fabienne Imlinger
3.
Luxus und égalité. Zu einer transatlantischen Ambivalenz der Lumières (Voltaire, Buffon, Raynal) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Paul Strohmaier
4.
A „New Dispute“ of the New World. Visions of Latin America in the Malaspina Expedition (1789–1794) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Alessandro Bonvini
5.
Contradicciones del espíritu ilustrado en la Francia de las luces . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 María del Carmen Marrero Marrero
Sektion II: Schreiben 6.
Knoten/Schreiben. Graffignys Lettres d’une Péruvienne und die transatlantische Schrift-Kultur-Debatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Hendrik Schlieper
7.
Jenseits der Gewissheiten?! Das Wissen über das präkolumbianische Amerika als Herausforderung und Motivator von Aufklärung in enzyklopädischen Werken des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Susanne Greilich
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Inhalt
8.
Colonialism and Philosophy in the Histoire des deux Indes. Raynal’s Reflections on the Spanish Conquest of America . . . . . . . 147 Pierino Gallo
Sektion III: Projektionen 9.
Yarico, Pocahontas, Malinche. Das Phantasma der indianischen Frau in deutschsprachigen Texten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Michael Hofmann
10.
Tomás Antônio Gonzagas Cartas chilenas (~1789). Gemeinschaft und Transgression in der epischen Satire der brasilianischen Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Fernando Nina
11.
Transatlantic Blake . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Johannes Schlegel
Dank Ein Forschungskolloquium, das im Sommersemester 2017 an der Universität Paderborn stattgefunden hat, bildet den Ursprung des vorliegenden Bandes. Zu seiner Fertigstellung haben die folgenden Personen und Institutionen beigetragen, den allen hiermit unser herzlicher Dank ausgesprochen sei: Den Beiträger*innen danken wir für ihre Bereitschaft zur Mitwirkung und für ihre Geduld auf dem Weg zu dieser Publikation; der Universitätsgesellschaft Paderborn für ihre finanzielle Unterstützung des Forschungskolloquiums; den Reihenherausgebern Daniel Fulda, Stefan Matuschek und Hartmut Rosa für die Aufnahme unseres Bandes in das „Laboratorium Aufklärung“; den Mitar beiter*innen des Fink-Verlags Paderborn für die überaus engagierte Betreuung; Sophie Stangl für die Unterstützung bei der redaktionellen Einrichtung des Manuskripts. Ausdrücklich möchten wir schließlich auch den Studierenden danken, die es uns erlaubt haben, dieses Projekt im Rahmen der Lehrveranstaltungen Inversive Ethnographie im 18. Jahrhundert und Europa und die Neue Welt. Entdeckung und Imagination an der Universität Paderborn in einer im besten Sinne aufgeklärten Weise zu diskutieren. Antonio Roselli und Hendrik Schlieper Magdeburg und Paderborn, im Juli 2021
Transatlantische Aufklärung Einleitende Überlegungen
Antonio Roselli, Hendrik Schlieper In einem Brief vom 14. April 1951, den er aus Princeton an Thomas Mann in Pacific Palisades richtet, gibt Erich von Kahler die folgende Anekdote zum Besten: Zwei Freunde fahren über den Atlantic, der eine von Europa nach Amerika, der andere von Amerika nach Europa. In der Mitte des Ozeans treffen sich die Schiffe, fahren aneinander vorbei. Die Freunde stehn an der Reling, erkennen einander und rufen beide unisono dasselbe hinüber: „Bist du wahnsinnig?“1
Sieht man einmal davon ab, dass die Korrespondenten sie in ihrer bitterkomi schen Zweideutigkeit als Sinnbild des „Seelendrucks unsres Weltzustandes“2 begreifen müssen, so mag diese Anekdote als konzeptioneller Ausgangspunkt für die folgenden Überlegungen über eine ‚transatlantische Aufklärung‘ dienen. Die Schiffe, die den Ozean in beide Richtungen überqueren, verweisen auf die Wege, die sich im Atlantik kreuzen, und die daraus entstehenden Bewegungen und „movements of peoples, objects, images, and ideas“,3 die diesen Raum als ein heterogenes Kräftefeld prägen. Die beiden Reisenden verkörpern zwei unterschiedliche Projektionen von Wünschen, Erwartungen, Hoffnungen und Ängsten, die mit dem Eigenen und dem Fremden verbunden sind. Jeder ist davon überzeugt, auf der anderen Seite des Ozeans auf bessere Verhältnisse zu stoßen, jeder sieht im Kontinent, den er gerade verlassen hat, einen Ort, wo es sich nicht leben lässt. Die Freunde lassen sich somit als die zwei Seiten des transatlantischen Subjekts begreifen, dessen Wahrheit erst in der Mitte des Ozeans sichtbar wird und sich im gegenseitigen „Bist du wahnsinnig?“ manifestiert. Das transatlantische Subjekt: ein wahnsinniges, ein ver-rücktes Subjekt? 1 Thomas Mann – Erich von Kahler. Briefwechsel 1931–1951, hrsg. v. Michael Assmann, Hamburg: Luchterhand 1994, 124. 2 Ebd. Zur weiteren Kontextualisierung der Anekdote sei auf die Darstellung von Frido Mann, Das weiße Haus des Exils, Frankfurt am Main: Fischer 2018, verwiesen. 3 So die von Stephen Greenblatt vorgeschlagene Definition kultureller Mobilität, vgl. „A mobility studies manifesto“, in: Cultural Mobility. A Manifesto, hrsg. v. Stephen Greenblatt, Cambridge: Cambridge University Press 2010, 250–253, hier 250.
© Brill Fink, 2022 | doi:10.30965/9783846766361_002
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Die hier versammelten Beiträge zielen darauf, diese Zusammenhänge histo risch zu verorten, indem sie am Beispiel transatlantischer Bewegungen und Begegnungen im 18. Jahrhundert Erfahrungen von Identität und Alterität lesbar machen, die mit dem Projekt ‚Aufklärung‘ verbunden sind. Wir gehen dabei, wie im Folgenden ausgeführt wird, von der leitenden Überlegung aus, dass der Atlantik und die ‚Dialektik der Aufklärung‘ (im Sinne Horkheimers und Adornos) systematisch aufeinander bezogen sind. In der (trans)atlantischen Geschichte bildet das 18. Jahrhundert ein zentrales, wenngleich vielfach noch zu erforschendes Kapitel.4 Grund dieser Zentralität sind weniger geo graphische Entdeckungen oder koloniale Eroberungen, sondern vielmehr der einzigartige Versuch einer intellektuellen Durchdringung des ‚Anderen‘.5 Diese Durchdringung beruht ihrerseits auf zwei Paradigmen aufklärerischen Denkens – dem systematischen (kulturellen, anthropologischen, ethno logischen und ästhetischen) Interesse am Fremden und der zunehmenden kritischen Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst –, deren Reziprozität die Preisfrage der Académie de Lyon von 1781 beispielhaft vor Augen führt: „La découverte de l’Amérique a-t-elle été nuisible ou utile au genre humain?“6 Mit anderen Worten charakterisiert sich die Aufklärung als angewiesen auf ein ‚Anderes‘ und ein ‚Außen‘, um sich selbst zu behaupten. Diese doppelte Bewegung ist freilich nicht frei von Ambivalenzen, da sie nicht nur Projektionen als illegitim entlarvt, sondern ihrerseits neue Projektionen produziert oder andere reaktualisiert. Exemplarisch sei hier auf Jean-Jacques Rousseaus Auseinandersetzung mit der Konstruktion des Naturzustandes hin gewiesen.7 Auf der Suche nach dem Naturzustand stößt Rousseau auf bereits bestehende Überlegungen, die er etwa bei Thomas Hobbes und John Locke formuliert findet. Diesen Philosophen wirft Rousseau einen Projektionsfehler 4 Vgl. hierzu exemplarisch Thomas Benjamin, The Atlantic World. Europeans, Africans, Indians and Their Shared History, 1400–1900, Cambridge u.a.: Cambridge University Press 2009, insb. Kap. III: „A New Order of the Ages“, 465ff., Atlantic History. A Critical Appraisal, hrsg. v. Jack P. Greene, Philipp D. Morgan, Oxford u.a.: Oxford University Press 2009, und Europeans Engaging the Atlantic. Knowledge and Trade, 1500–1800, hrsg. v. Susanne Lachenicht, Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag 2014. 5 Vgl. Hans-Jürgen Lüsebrink, „Von der Faszination zur Wissenssystematisierung: die koloniale Welt im Diskurs der europäischen Aufklärung“, in: Das Europa der Aufklärung und die außereuropäische koloniale Welt, hrsg. v. Hans-Jürgen Lüsebrink, Göttingen: Wallstein 2006, 9–18, hier 11f. 6 Vgl. hierzu ausführlich Avantages et désavantages de la découverte de l’Amérique. Chastellux, Raynal et le concours de l’Académie de Lyon, hrsg. v. Hans-Jürgen Lüsebrink, Alexandre Mussard, Saint-Étienne: Publications de l’Université de Saint-Étienne 1994. 7 Die folgenden Ausführungen gehen zurück auf Antonio Roselli, Ansgar Lorenz, Jean-Jacques Rousseau. Philosophie für Einsteiger, Paderborn: Fink 2019.
Einleitende Überlegungen
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vor, der insbesondere in der Position von Hobbes greifbar wird. Wenn Hobbes mit Blick auf den Naturzustand vom Menschen als des Menschen Wolf spricht (homo homini lupus est), dann geht er davon aus, dass im Naturzustand ein Krieg aller gegen alle herrsche (bellum omnia contra omnes). Die Notwendig keit der Einrichtung eines Staates und eines Monarchen wird aus dieser Konfliktsituation abgeleitet: Erst wenn jeder Einzelne sein Gewaltmonopol entäußert, können alle zusammenleben. Rousseaus Verständnis des Natur zustandes ist weitaus differenzierter. Nach Rousseau leben die Menschen im Naturzustand bekanntlich friedlich zusammen, zu Beginn ignorieren sie sich sogar weitestgehend. Die Konflikte entstehen dagegen erst im Prozess der Ver gesellschaftung selbst, so dass die Gesellschaft nicht die Lösung der vermeint lichen Konflikte darstellt, sondern erst zu deren Katalysator wird: „Enfin tous, parlant sans cesse de besoin, d’avidité, d’oppression, de désirs et d’orgueil, ont transporté à l’état de nature des idées qu’ils avaient prises dans la société: ils parlaient de l’homme sauvage, et ils peignaient l’homme civil.“8 Gleichwohl ist auch Rousseaus Kritik nicht frei von Projektionen, so etwa in der Konstruktion des ‚Wilden‘ ohne Gedächtnis und Geschichte, worauf wiederum Immanuel Kant hinweist, wenn er der Rousseau’schen Fiktion des ‚edlen Wilden‘ jeg liche Plausibilität abspricht, da die damit einhergehende Abwesenheit von Konflikten – und sei es in der minimalsten, anthropologischen Version der „ungesellige[n] Geselligkeit“ – den Übergang vom Naturzustand zur Geschichte nicht erklären könne.9 Wie bereits das Beispiel Rousseaus zeigt, ist die intellektuelle Durchdringung des ‚Anderen‘ im 18. Jahrhundert durch Alteritätsphantasmen bestimmt, die in Figuren wie dem ‚edlen Wilden‘, dem ‚Sklaven‘ oder der ‚indianischen Frau‘ Gestalt gewinnen. Sie dienen dazu, kulturelle und historische Unterschiede zu reflektieren und zugleich grundlegende anthropologische Bestimmungen (wie etwa die Grenzziehungen zwischen ‚Mensch‘ und ‚Tier‘ bzw. die mögliche Be- und Entgrenzung des Menschen) infrage zu stellen. Als Produkte einer imaginären Ethnographie sind diese Figuren des ‚Anderen‘ einerseits Teil einer 8 So Rousseau einleitend im Zweiten Diskurs, hier zit. nach der von Kurt Weigand besorgten zweisprachigen Edition Über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen (1755), Hamburg: Felix Meiner 1995, 78f., Übersetzung: „Endlich haben alle, die unaufhörlich von Bedürfnis, Begierde, Unterdrückung, Wünschen und Ehrgeiz sprechen, die Begriffe, die sie in der Gesellschaft aufgenommen haben, auf den Naturzustand übertragen. Sie sprachen vom Wilden und zeichneten den Zivilisierten.“ Vgl. hierzu weiterführend auch Jean-Jacques Rousseau. Die beiden Diskurse zur Zivilisationskritik, hrsg. v. Johannes Rohbeck, Lieselotte Steinbrügge, Berlin, Boston: de Gruyter 2015. 9 Vgl. Immanuel Kant, „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“, in: ders., Akademieausgabe, Abt. 1, Bd. VIII, 15–31, hier 20.
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Kolonisierung des Fremden, das zur Projektionsfläche wird und somit in seiner ‚wahren‘ Form nicht sichtbar ist. Andererseits verfügen sie in literarischen Texten – etwa einer Graffigny, eines Diderot, Marmontel oder Voltaire – über fiktionale Stimmen, die die tatsächliche prise de parole der ‚Anderen‘ in unter schiedlichsten Kontexten transatlantischen ‚Begegnens‘ fortschreiben und anti zipieren. Gleichwohl ist auch diese prise de parole nicht frei von Spannungen (und läuft Gefahr, einen vereinnahmenden kolonialen Gestus zu reprodu zieren), insofern sie im Horizont der Projektionen bleibt, wobei nicht klar ist, wer am Ende spricht: die Subalternen als Sprachrohr europäischer Intellektueller oder ebendiese Intellektuellen als Medien einer Stimme, deren Körper zwar da ist, aber noch keine Sichtbarkeit bzw. Sprecherrolle auf der Bühne der Geschichte erlangt hat. Diese Überlegungen machen zugleich klar, dass jeder Perspektive auf das ‚Andere‘ ein politisches Moment eignet: Die aufklärerische Auseinandersetzung mit Identität und Alterität ist maßgeblich bestimmt von der politischen Geschichte des 18. Jahrhunderts, und es sind insbesondere die Amerikanische, Französische und Haitianische Revolution in ihren je eigenen transatlantischen Verflechtungen und Widerhallen, die das Verhältnis von ‚Alter‘ und ‚Neuer Welt‘ und die hiermit verbundenen Vor stellungen des ‚Transatlantischen‘ neu bestimmen. Wenn die Interaktion zwischen einer intellektuellen Durchdringung des ‚Anderen‘ und einer kritischen Selbstbetrachtung neue identitätsbildende Konzepte einfordert, so gilt dies auch für den Forschungsgegenstand ‚Auf klärung‘ selbst. Es herrscht in der neueren Aufklärungsforschung weitestgehende Einigkeit darüber, der Vorstellung eines Diffusionismus, d.h. einer Verbreitung von Aufklärung von einem europäischen ‚Zentrum‘ in die ‚Peripherie‘ auf der anderen Seite des Ozeans, entgegenzutreten und das Augenmerk auf globale und transnationale Zusammenhänge,10 kulturelle Mobilitäten11 und Wissens zirkulationen12 zu richten. Hiermit sind indes die Fragen aufgeworfen, ob 10
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Vgl. hierzu die Arbeiten von Ottmar Ette im Bereich der TransArea Studies, etwa TransArea. Eine literarische Globalisierungsgeschiche, Berlin, Boston: de Gruyter 2012, ferner Globalisierung in Zeiten der Aufklärung. Texte und Kontexte zur ‚Berliner Debatte‘ um die Neue Welt (17./18. Jh.), 2 Bde., hrsg. v. Vicente Bernaschina, Tobias Kraft, Anne Kraume, Frankfurt am Main: Peter Lang 2015, und das Dossier Aufklärung global – globale Aufklärungen, hrsg. v. Iwan-Michelangelo D’Aprile, in: Das achtzehnte Jahrhundert 40.2 (2016). Den Begriff verwenden wir im Sinne der zitierten Definition von Greenblatt, siehe Anm. 3. Vgl. hierzu, wenngleich mit anderer historischer Perspektivierung als der hier vor genommenen, das von Gisela Febel, Ralph Ludwig und Natascha Ueckmann geleitete DFG-Projekt Transatlantische Ideenzirkulation und -transformation: Die Wirkung der Aufklärung in den neueren frankokaribischen Literaturen, http://www.lumieres-caribeennes. uni-bremen.de/. Das heuristische Potential von Zirkulation und Multidirektionalität
Einleitende Überlegungen
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stattdessen von einer Pluralität von Aufklärungen in unterschiedlichen Kultur räumen und neuen ‚Zentren‘ der Wissensproduktion dies- und jenseits des Atlantiks auszugehen ist,13 oder ob es legitim ist, weiterhin von der Aufklärung als europäischem Phänomen zu sprechen, während man die Vorstellung ‚vergleichbarer‘ Bewegungen und Strömungen ausblendet, die allerdings nicht Emanationen einer ‚ursprünglichen‘ Aufklärung sind, sondern jene vermeintlich ursprüngliche Aufklärung immer schon beeinflusst haben und immer beein flussen werden. Mit dem Konzept einer ‚transatlantischen Aufklärung‘ verbinden wir eine alternative Perspektive auf diese Problematik. Im 18. Jahrhundert, so unsere These, stellt sich der Atlantik als ein Raum dar, in dem sich die inneren Wider sprüche der Aufklärung kreuzen. Dies hängt grundlegend damit zusammen, dass das Meer seit der Antike einen konkreten Raum der Abgrenzung, der Öffnung und des Transfers darstellt, und es zugleich eine wesentliche Denkfigur bildet für Verbindendes und Trennendes, für Erfahrungen und Imaginationen des Eigenen und Fremden. Die antike identitätsstiftende Referenz auf das Mare nostrum verschiebt sich mit den frühneuzeitlichen ‚Entdeckungen‘ auf den Atlantik, und diese – geopolitische und kulturelle – Verschiebung erfährt im 18. Jahrhundert ihren vorläufigen Höhepunkt.14 Den atlantischen Raum durchqueren in dieser Zeit materielle, menschliche und immaterielle Waren – (Luxus-)Güter, Sklaven, Herrschaftswissen und aufklärerisches Wissen (wobei eine Trennung beider nicht immer möglich ist) –, so dass hier ein Nebeneinander von Universalismus und Kolonialismus, Freiheitspathos und Sklaverei, Kampf um Autonomie und Zwang zur Heteronomie sichtbar wird. Die transatlantische Perspektive provoziert nun eine doppelte Öffnung der Aufklärung, die nicht nur geographisch, sondern auch konzeptionell zu begreifen ist, insofern sie, im Anschluss an Lyotard, von einem monolithischen hin zu einem pluralistischen und sogar zersprengten Begriff von Aufklärung führt. Kants allseits bekannte Defintion der Aufklärung als „Ausgang des
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erörtert auch Anja Bandau, „Überlegungen zu einer transatlantischen Romanistik – Trans atlantische Lektüren“, in: America Romana. Neue Perspektiven transarealer Vernetzungen, hrsg. v. Christine Felbeck, Andre Klump, Johannes Kramer, Frankfurt am Main u.a.: Lang 2015, 257–276, hier 260. Vgl. hierzu Iwan-Michelangelo D’Aprile, „Aufklärung global – globale Aufklärungen. Zur Einführung“, in: Aufklärung global – globale Aufklärungen, op. cit., 159–164, hier 160, und Stefanie Stockhorst, „Aufklärung – Epoche, Projekt und Forschungsaufgabe“, in: Epoche und Projekt. Perspektiven der Aufklärungsforschung, hrsg. v. Stefanie Stockhorst, Göttingen: Wallstein 2013, 7–23, hier 11ff. Vgl. Chris Roulston, „Between Two Worlds: The Sea and the Imaginary in the Eighteenth Century“, in: From One Shore to Another. Reflections on the Symbolism of the Bridge, hrsg. v. Sandra Badescu, Newcastle: Cambidge Scholars Publishing 2007, 43–56, hier 43f.
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Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ fügt sich ein in jenen méta récit, den Lyotard als „récit des Lumières“ bezeichnet hat, „où le héros du savoir travaille à une bonne fin éthico-politique, la paix universelle.“15 Dass dieses Narrativ gleichwohl weiterhin das Verständnis der Aufklärung aktiv bestimmt, zeigen etwa die großangelegten Studien Jonathan I. Israels. In Democratic Enlightenment. Philosophy, Revolution, and Human Rights, 1750–1790 führt Israel die folgende Definition an: Enlightenment, then, is defined here as a partly unitary phenomenon operative on both sides of the Atlantic, and eventually everywhere, consciously committed to the notion of bettering humanity in this world through a fundamental, revo lutionary transformation discarding the ideas, habits, and traditions of the past either wholly or partially […]. All Enlightenment by definition is closely linked to revolution.16
Während das Phänomen Aufklärung hier als einerseits als „partly unitary“ angesehen wird, bleibt es andererseits durch „the notion of bettering humanity“ geprägt, womit bis zu einem gewissen Grad das von Lyotard beschriebene emphatische Narrativ stillschweigend reproduziert wird.17 Israels Studie unterscheidet sich dennoch grundlegend von solchen ‚klassischen‘ Arbeiten zur Aufklärung wie Ernst Cassirers Die Philosophie der Aufklärung (1932), deren argumentative Struktur dem Modell einer Geschichts philosophie folgt, welche die Aufklärung als eine Stufe im Prozess zu einer zunehmend selbstbewussteren Menschheit auffasst. Cassirers Vorhaben besteht darin, die verschiedenen Spannungen und Widersprüche, die das 18. Jahrhundert durchkreuzen, als ein Ensemble von Phänomenen zu verstehen, die allesamt in Verbindung zu einem einheitlichen ‚Zentrum‘ der Aufklärung stehen. Eine solche Art der Ideengeschichte zeichnet ein faszinierendes 15
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Jean-François Lyotard, La condition postmoderne. Rapport sur le savoir, Paris: Éd. de Minuit 1979, 7, in der deutschen Übersetzung von Otto Pfersmann: „[…] das war die Erzählung der Aufklärung, worin der Heros der Wissenschaft an einem guten ethisch-politischen Ziel, dem universellen Frieden arbeitet“ (Jean-François Lyotard, Das postmoderne Wissen. Ein Bericht, hrsg. v. Peter Engelmann, Wien: Passagen-Verlag 1994, 13). Jonathan I. Israel, Democratic Enlightenment. Philosophy, Revolution, and Human Rights, 1750–1790, Oxford: Oxford University Press 2011 u.ö, 7. Ganz ähnlich argumentiert Israel in seiner jüngeren Studie The Enlightenment that Failed. Ideas, Revolution, and Democratic Defeat, 1748–1830, in der er einleitend die Aufklärung ganz im hier vorgestellten Sinne als „a shared trans-Atlantic experience“ auf der Folie von „geographical range and diversity“ lesbar macht, diese Perspektive zugleich aber auf „schemes and projects of amelioration aspiring to raise the level of human wellbeing by improving society’s institutions, education, and basic organization“ fokussiert (Oxford: Oxford University Press 2019, 2).
Einleitende Überlegungen
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Panorama einer Epoche und ist durchaus in der Lage, heterogene Phänomene in ein neues Licht zu rücken, indem beispielsweise Johann Gottfried Herder – dem als ‚Anti-Kantianer‘ kein rechter Ort in einer (positiven) Geschichte der Aufklärung zugewiesen werden konnte – eine Schlüsselfunktion in der „Eroberung der geschichtlichen Welt“18 zugesprochen wird. Zugleich handelt es sich aber (wie bei jeder Geschichte) um eine selektive Rekonstruktion, deren Ziel letztlich die Überführung heterogener Elemente in ein homo genes Aufklärungsnarrativ – und damit eine homogene und einheitliche Aufklärungsbewegung – ist. Die philosophiegeschichtliche Einordnung Herders als ‚Anti-Kantianer‘ verweist ihrerseits wiederum auf ein anderes monolithisches Aufklärungsbild, nämlich das der ‚Gegen-Aufklärung‘, zu der neben Herder u.a. auch Johann Georg Hamann gezählt wird. Lange Zeit schienen die Positionen, die von Herder und Hamann erarbeitet wurden, nur als Gegenbild zum hegemonialen und homogenen (Selbst-)Bild der Aufklärung Existenzrecht zu besitzen, was wiederum das prädominierende Aufklärungsnarrativ nur verstärkte und zusätzlich legitimierte. Die Herder-Forschung ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich dieses Narrativ – zugleich Aufklärungsnarrativ im Sinne eines ‚SelbstNarrativs‘ und historisches Narrativ, das wesentliche Elemente des ‚SelbstNarrativs‘ unkritisch übernimmt – verändern kann: In den vergangenen Jahren wurde Herders Philosophie zunehmend als ein Versuch der Erweiterung des Aufklärungsbegriffs durch die anthropologische Fundierung einer Einheit von Vernunft und Sinnen gedeutet und neu bewertet.19 Diese Neubewertung hat u.a. eine Verschiebung der argumentativen Achsen des Aufklärungsdiskurses zur Folge, indem sie den vormals starren Gegensatz von Rationalität und Irrationalität neu zu konfigurieren vermag. In jüngerer Zeit lässt sich eine weitere wichtige Verschiebung in der Auf klärungsforschung beobachten, die dafür plädiert, Aufklärung als polyphones Phänomen zu begreifen. Dabei geht es nicht darum (wie noch vergleichbar bei Cassirer), heterogene Elemente auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, 18 19
Ernst Cassirer, Die Philosophie der Aufklärung, hrsg. v. Claus Rosenkranz, Hamburg: Felix Meiner 2003 (Gesammelte Werke. Hamburger Ausgabe, Bd. 15), Kap. „Die Eroberung der geschichtlichen Welt“, 206ff. Vgl. u.a. Ulrich Gaier, Herders Sprachphilosophie und Erkenntniskritik, Stuttgart, Bad Cann statt: Frommann-Holzboog 1988, Hans Adler, Die Prägnanz des Dunklen. Gnoseologie – Ästhetik – Geschichtsphilosophie bei Johann Gottfried Herder, Hamburg: Meiner 1990, Marion Heinz, Sensualistischer Idealismus. Untersuchungen zur Erkenntnistheorie und Metaphysik des jungen Herder (1763–1778), Hamburg: Meiner 1994, und Der ganze Mensch. Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert. DFG-Symposion 1992, hrsg. v. Hans-Jürgen Schings, Stuttgart: Metzler 1994.
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sondern um eine dezidierte Abkehr vom Aufklärungsnarrativ als méta récit zu Gunsten einer Vielzahl konkurrierender Stimmen. Diese Fragmentierung des Gegenstandsbereichs verändert auch den Begriff der ‚Aufklärung‘, der nicht mehr das zu leisten vermag, was der Begriff qua Funktion zu leisten hat – Identität –, sondern aufgefächert wird, sich verschiebt und entgleitet. Die Folgen dieser Bewegung werden eben auch in der topologischen Ordnung des Aufklärungsdiskurses sichtbar, indem nicht mehr nur das imaginäre bzw. konstruierte ‚Zentrum‘ der Aufklärung, sondern zunehmend die vielfältigen sogenannten ‚peripheren Zonen‘ fokussiert werden, welche ihrerseits – gerade durch die Dekonstruktion des ‚Zentrums‘ – zu ‚Zentren‘ oder eher ‚Knoten punkten‘ werden, an denen sich die verschiedenen Aufklärungsströme begegnen, durchkreuzen, verbinden und wieder entzweien. In diesem Kontext hat nun das Konzept eines „Atlantic Enlightenment“ sichtbar an Bedeutung gewonnen: „[T]here was no Enlightenment without the Atlantic“, wie Susan Manning und Francis D. Cogliano zu Recht hervorheben.20 Dieses Konzept markiert nicht nur einen Wandel dessen, was traditionell als Gegenstand der Aufklärungsforschung galt, sondern auch einen Paradigmen wechsel in der Art, wie man den Begriff der Aufklärung denkt (und dies explizit in Abgrenzung zu Cassirers letztendlich essentialistischer Auffassung der Aufklärung). In einer Perspektive des Transatlantischen, so Manning und Cogliano weiter, sei es möglich to move beyond regional exceptionalist narratives (either contemporary or retrospectively imposed), to consider how much the modern world was created by the interaction of people, ideas, and commodities from Europe, Africa, and the Americas during the seventeenth and eighteenth centuries.21
Betrachtet man hiervon ausgehend den Atlantik als „crucial space that allowed for exchange, mutual influence and conflict between the peoples of four continents“,22 so sind es eben nicht mehr ‚Substanzen‘, die zueinander in Beziehung treten, sondern es wird ein Netz von (literalen und symbolischen) Relationen sichtbar, das diese ‚Substanzen‘ überhaupt erst erzeugt und somit erst sichtbar werden lässt. Als ein besonders anschauliches Beispiel für diesen Wechsel von einem substanzialistischen hin zu einem relationalen Verständ nis der Aufklärung sei hier Susan Buck-Morss’ Studie Hegel, Haiti and Universal 20 21 22
Susan Manning, Francis D. Cogliano, „Introduction. The Enlightenment and the Atlantic“, in: The Atlantic Enlightenment, hrsg. v. Susan Manning, Francis D. Cogliano, Aldershot, Burlinton: Ashgate 2008, 1–18, hier 1. Ebd., 3. Ebd.
Einleitende Überlegungen
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History genannt, die eine bemerkenswerte Umkehrung der ‚klassischen‘ euro zentrischen Perspektive auf die Geschichte vollzieht, indem sie der zentralen Frage nachgeht, „What happens when, in the spirit of dialectics, we turn the tables, and consider Haiti not as the victim of Europe, but as an agent in Europe’s construction?“23 Konzeptionell nähern sich diese Überlegungen einem Begriff der Kulturwissenschaften als ‚Verkehrswissenschaften‘ an, wie ihn Iris Därmann vorgeschlagen hat.24 Mit besonderem Nachdruck sind es die ‚verkehrswissenschaftlichen‘ Aspekte der Zirkulation, Kommunikation und Mobilität, der Begegnung und des (Gaben-)Tauschs, die ein relationales Denken und Beschreiben der Aufklärung erlauben. Diese Bewegungen, die den atlantischen Raum durchziehen, prägen zugleich historische Narrative, literarische Gattungen und historiographische Modelle. Auch hier lassen sich fundamentale Wandlungen erkennen, die am Beispiel des Umgangs mit Quellen und in der Reflexion über Zeitstrukturen deutlich werden – man denke etwa an die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“,25 an die Konzeptualisierung von ‚Gegenwart‘ und den Fortschrittsdiskurs. Das Transatlantische erweist sich bei näherer Betrachtung demnach nicht nur als eine räumliche, sondern auch als eine zeitliche Kategorie. Die Frage nach der Vergangenheit und der Zukunft – und, damit einhergehend, nach der Stellung der Gegenwart – radikalisiert sich durch die (koloniale) Erfahrung der „Gleich zeitigkeit des Ungleichzeitigen“, wobei diese Erfahrung sich nicht auf eine Projektion der ‚Vergangenheit‘ auf das fremde ‚Andere‘ reduzieren lässt (was zur begrifflichen Paradoxie einer ‚neuen‘ Welt führt, die zugleich als ‚primitiv‘ verstanden wird), sondern in der Alterität auch ein utopisches Moment zu sehen vermag – eine Antizipation des Kommenden, mag es das Kommen einer ‚realen‘ Revolution sein oder die Projektion verdrängter Sehnsüchte. Diese Entwicklungen bedingen wiederum die Struktur politischer Ereig nisse und deren transatlantische Rezeption im Lichte einer beginnenden (und daher noch zu definierenden) Universalgeschichte. Indem wir den Begriff 23 24 25
Susan Buck-Morss, Hegel, Haiti and Universal History, Pittsburgh: Pittsburgh University Press 2009, 80. Eine deutsche Übersetzung der Studie ist u.d.T. Hegel und Haiti. Für eine neue Universalgeschichte, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2011 u.ö., erschienen. Vgl. Iris Därmann, Fremde Monde der Vernunft. Die ethnologische Provokation der Philosophie, München: Fink 2005, zusammenfassend insb. das Kapitel „Rückblicke, Ausblicke, Blicke aus der Fremde“, 721ff. Vgl. Reinhart Koselleck, „‚Erfahrungsraum‘ und ‚Erwartungshorizont‘ – zwei historische Kategorien“, in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1989, 349–375. Noch vor Koselleck hat Ernst Bloch die Formel der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ für seine geschichtsphilosophischen und politischen Analysen fruchtbar gemacht, vgl. Ernst Bloch, Erbschaft dieser Zeit [1935], Frankfurt am Main: Suhrkamp 1962.
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des ‚Transatlantischen‘ fokussieren, wollen wir die Aufmerksamkeit auf eben diese Aspekte und die Formen des – realen wie symbolischen – „crossing“ lenken.26 Dies impliziert eine rückblickende Rekonfiguration des zu der Zeit entstehenden Begriffs der Universalgeschichte, wie sie Buck-Morss vorschlägt: The task is to reconfigure the enlightenment project of universal history in the context of our too-soon and not-yet global public sphere. […] The argument is simply that with global challenges on every level, from the most material to the most moral, universal history matters.27
Wie die hier versammelten Studien auf je eigene Weise deutlich machen, ist die Auflösung eurozentrischer Grenzen zu Gunsten eines solchen Geschichts verständnisses an den ‚Verkehrsraum‘ Atlantik gebunden. Er erlaubt und ver langt, die eigene kulturelle Identität fortwährend neu zu justieren – um im Ergebis zur Erkenntnis der konstitutiven Heteronomie der eigenen Identität zu gelangen, die immer schon vom Anderen besessen und somit nie autonom ist.28 Diese radikale Erfahrung der Alterität – radikal insofern, als sie der Alterität der eigenen Identität gewahr wird – stellt das ‚klassische‘ Aufklärungssubjekt grundlegend in Frage. Der transatlantische Blickwinkel erlaubt es somit, die Geschichte der Aufklärung weiter und neu zu schreiben: nicht nur als ein heterogenes ‚Narrativ‘ – bzw. genauer: als ein Netzwerk unterschiedlicher ‚Narrative‘, die sich in einem offenen Raum durchkreuzen –, sondern auch als ein Ensemble von Menschen, Dingen, Texten, Erzählungen und Gedanken, die in ihrer Zirkulation heteronome Subjekte hervorbringen. Dies führt uns noch zu einigen Anmerkungen zum Verhältnis von Aufklärung und postkolonialer Theorie. Gemeinhin stehen Aufklärung und Postcolonial Studies, wie dies etwa Aamir Mufti herausgestellt hat, in keinem spannungs freien Verhältnis, insofern auch die neuere Forschung vor der Herausforderung einer „undialectical rejection of Enlightenment as colonial domination“ (im weitesten, d.h. politischen, sozialen und kulturellen Sinn des Begriff ‚kolonial‘) steht.29 Diese „rejection“ geht von der Prämisse aus, dass ‚die‘ Aufklärung – in universalistischen und teleologischen Strukturen gedacht – mit jeglichen postkolonialen Ansätzen inkompatibel sei. Kants emphatisches „Sapere aude!“ wurde auf dieser Grundlage dekonstruiert als Ausdruck eines hegemonialen, 26 27 28 29
Vgl. auch Manning, Cogliano, „Introduction. The Enlightenment and the Atlantic“, 3. Buck-Morss, Hegel, Haiti and Universal History, 79. Vgl. hierzu auch die unter dem Schwerpunkt „Gabe und Anerkennung“ versammelten Beiträge im Journal Phänomenologie 31 (2009), darunter insb. Iris Därmann „Wie man wird, was man gibt. Marcel Mauss und die Erkenntlichkeit der Gabe“, 20–31. Aamir Mufti, Enlightenment in the Colony. The Jewish Question and the Crisis of Postcolonial Culture, Princeton: Princeton University Press 2007, 5.
Einleitende Überlegungen
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eurozentrischen Subjekts, das seine partikularen Interessen – gekoppelt an verschiedene Eigenschaften wie race, class, gender u.a.m., die stillschweigend dieses Subjekt in seiner Idealform bestimmen – unter dem Deckmantel des Universalismus verberge.30 Indes läuft auch diese fundamentale (und wichtige) Kritik Gefahr, die Aufklärung erneut als méta récit zu idealisieren, indem sie sich nur das Selbstbild der Aufklärung und dessen diskursive Über nahme vornimmt. Die Frage, wie dem Spannungsverhältnis von Aufklärung und Postcolonial Studies begegnet werden kann, ohne gewissermaßen das Kind mit dem Bade auszuschütten, führt in ein hochaktuelles und dynamisches Forschungsfeld. Profitiert haben die vorliegenden einleitenden Überlegungen insbesondere von den Beiträgen, die Daniel Carey und Lynn Festa unter dem Titel Postcolonial Enlightenment versammelt haben, um zu zeigen, dass Differenz und Pluralismus integrale und genuine Bestandteile des Aufklärungs diskurses sind.31 Gerade die transatlantische Perspektive bietet hierfür eine Reihe von eindrücklichen und paradigmatischen Anknüpfungspunkten. Aus der Fülle an Themen, die das Feld der ‚transatlantischen Aufklärung‘ prägen und strukturieren, haben wir uns für die drei Schwerpunkte ‚Handeln‘, ‚Schreiben‘ und ‚Projektionen‘ entschieden. Auch wenn die hier versammelten Beiträge diesen Schwerpunkten bzw. Sektionen zugeordnet sind, dürfte beim Lesen schnell deutlich werden, dass die Zuordnung zum Teil auch hätte anders ausfallen können. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die untersuchten Phänomene derart eng miteinander verbunden sind, dass man sie nicht abgeschottet voneinander behandeln kann (und sollte). Die drei Sektionen
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Die Konstruktion dieses hegemonialen Subjekts funktioniert, weil die Norm unsichtbar bleibt, während nur die Abweichung von der Norm markiert wird. Auch wenn große Energien darauf verwendet wurden, um das Subjekt (im emphatischen Sinne verstanden) vom empirischen Subjekt zu unterscheiden, lässt sich der Makel des Partikularen nicht gänzlich löschen – daran krankt jeder ‚naive‘ Universalismus. Interessant wären dagegen Konzepte, die die Rückbesinnung auf den partikularen, kontingenten Charakter des eigenen Subjektbegriffs nicht leugnen, sondern explizieren, um so den Raum für eine Begegnung mit dem ‚Anderen‘ auf der Basis einer doppelten reflexiven Bewegung – der Historisierung der eigenen Kategorien und dem Bewusstwerden ihrer Projektion auf fremde Kulturen – zu eröffnen, wodurch der Universalismus nicht als eine ontologische Eigenschaft des (hegemonialen) Subjekts verstanden wird, sondern als Prozess, der nur durch jene (selbst-)reflexive Begegnung mit dem Eigenen und dem Fremden voll zogen werden kann. Vgl. hierzu etwa die Konzepte des „etnocentrismo critico“ und des „umanesimo etnografico“, die Ernesto de Martino in La fine del mondo. Contributo all’analisi delle apocalissi culturali, hrsg. v. Giordana Charuty, Daniel Fabre, Marcello Massenzio, Turin: Einaudi 2019, vorstellt. Postcolonial Enlightenment. Eighteenth-Century Colonialism and Postcolonial Theory, hrsg. v. Daniel Carey, Lynn Festa, Oxford: Oxford University Press 2013.
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verstehen sich daher als Orientierungsangebote, als Schneisen durch den transatlantischen Raum, die nur in ihrer Interdependenz wirksam sind. Das titelgebende ‚Handeln‘ der ersten Sektion verweist nicht nur auf das SichVerhalten oder auf das Tätigsein in all seinen Facetten (wobei hier besonders das politische Handeln eine Rolle spielt), sondern auch auf das Handeln im Sinne ökonomischer Transaktionen im Warentausch oder im Sklavenhandel. Es sind somit nicht nur Handlungen, sondern auch der Handel mit materiellen Gütern, die den transatlantischen Raum als solchen erst konstituieren. Fabienne Imlingers Beitrag Menschenströme und Schriftverkehr. Zur transatlantischen Verschränkung von Empfindsamkeit und Kapitalismus im Frankreich des 18. Jahrhunderts geht diesen Zusammenhängen am Beispiel der Beteiligung Frankreichs am transatlantischen Dreieckshandel nach. Ausgehend von Textdokumenten, die von den armateurs négriers Joseph und Jean-Baptiste Mosneron überliefert sind, zeigt Imlinger, wie die Menschen ströme des Sklavenhandelns über Verschriftungsverfahren, die für das Jahr hundert der Aufklärung charakteristisch sind, in Waren- und Kapitalströme transformiert werden und weiterführend, wie sich ebendiese Kapitalströme am Ende des 18. Jahrhunderts von den Menschen- und Warenströmen entkoppeln. Damit wird zum einen das Jahrhundert der Aufklärung als ein zentrales Kapitel der Geschichte des globalen Kapitalismus lesbar. Zum anderen wird erkenn bar, dass die transatlantische Zirkulation konkreter ‚Waren‘ und die Zirkulation zeitgenössischer Denkfiguren konstitutiv aufeinander bezogen sind – mit dem Ergebnis einer grundsätzlichen Öffnung und Politisierung eines spezifisch auf klärerischen Konzepts wie der ‚Empfindsamkeit‘. Eine vergleichbare Öffnung führt Paul Strohmaiers Beitrag Luxus und égalité. Zu einer transatlantischen Ambivalenz der Lumières (Voltaire, Buffon, Raynal) mit Blick auf die Aufwertung des Luxus vor, die im 18. Jahrhundert als wirtschaftstheoretische Innovation diskutiert wird. Strohmaier stellt heraus, wie diese Diskussion zum einen mit dem kolonialgeographischen Bezugsraum, den die implizierten Güter voraussetzen, verflochten ist. Zum anderen konfrontiert er den Handels- und Fortschrittsoptimismus, wie er in Voltaires Lettres philosophiques greifbar wird, mit den anthropologischen Annahmen der philosophes, die implizit auf eine Rechtfertigung kolonialer Unterwerfung hinauslaufen. Damit wird ein für das aufklärerische Denken grundlegender Widerspruch erkennbar, der mit Blick auf Buffon und Raynal weiter konkretisiert wird. So werden die Charakteristiken der verschiedenen Menschenarten in der Histoire naturelle, bezogen auf einen partikularen europäischen Kulturtyp als Referenzmodell, als Legitimation kolonialer Inter vention und ‚Umerziehung‘ lesbar. Vergleichbar geraten in der Histoire des deux Indes die Zielvorstellung eines integrierten Weltmarkts und die imaginierte
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Befreiung versklavter Völker zur Unterwerfung unter eine europäisch vor gezeichnete Utopie der Produktivität. In der supponierten ignorance von Sklaven und indigenen Völkern und dem daraus abgeleiteten didaktischen Auftrag zeichnet sich bereits die ambivalente Struktur der späteren mission civilisatrice ab. Die Wirkmächtigkeit jener europäisch-eurozentrischen Perspektive zeichnet Alessandro Bonvinis Beitrag A „New Dispute“ of the New World. Visions of Latin America in the Malaspina Expedition (1789–1794) am Beispiel der MalaspinaExpedition nach. Im Auftrag der spanischen Krone leitet der Italiener Alessandro Malaspina (1754–1810) eine Expedition in die spanischen Über see-Besitzungen in Südamerika und im Pazifik, um im Sinne eines kolonialen ‚Willens zum Wissen‘ Wissensbestände in unterschiedlichen Disziplinen systematisch zu dokumentieren und zu erweitern. Hiermit verbunden sind zunächst neue Formen der wissenschaftlichen Beobachtung und Klassi fizierung. Zugleich, so arbeitet Bonvini heraus, ist Malaspinas Expedition indes ökonomischen und vor allem dezidiert politischen Ansprüchen unter worfen: Zum Ende des 18. Jahrhunderts kommt dem kolonialen Wissen eine entscheidende Rolle zu für die Legitimation der spanischen BourbonenMonarchie und deren Hegemonieansprüche im Konzert der europäischen Kolonialmächte. Der Frage nach der Politisierung aufklärerischen Wissens geht auch Carmen Marrero Marreros Beitrag Contradicciones del espíritu ilustrado en la Francia de las luces nach, der den Blick auf ein Herzstück der politischen Geschichte des 18. Jahrhunderts, nämlich die Französische Revolution bzw. genauer die Konstituante zwischen 1789 und 1791, lenkt. Marrero Marrero zeigt, wie der ‚Handel‘ im 18. Jahrhundert, der eben auch den Handel mit der ‚Ware Mensch‘ umfasst, und das aufklärerische ‚Handeln‘ in einem Spannungsverhältnis stehen, das fundamentale Widersprüche zwischen Menschen- und Bürger rechten auf der einen sowie Kolonialismus und Sklaverei auf der anderen Seite provoziert. Anschaulich greifbar wird dies im Vergleich zweier Instituionen im Umfeld der Konstituante, der Société des Amis des Noirs und dem Club Massiac: Während die Société im Geiste der Revolution die égalite von Weißen und hommes de couleur in den französischen Kolonien propagiert und sich für eine schrittweise Abschaffung des Sklavenhandels einsetzt, versammelt der Club die kolonialistische und anti-abolitionistische Lobby, die ihre Wirkmächtig keit gerade in der Auseinandersetzung mit den aufklärerischen Forderungen entfaltet. Die zweite Sektion verbindet unter dem Titel des ‚Schreibens‘ ebenfalls die Sphäre der Handlung mit einer materiellen Sphäre – der Produktion und Zirkulation von Schriftzeugnissen –, die hier eine eigene Schwerpunktsetzung
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verdient. Die aufklärerisch-intellektuelle Durchdringung des ‚Anderen‘ setzt eine transatlantische Zirkulation von Wissen in Gang bzw. genauer: von neuartigem Wissen, das im Medium der Schrift geordnet wird und zugleich andere, alternative Wissensformen generiert, die auch und gerade die Wege der Fiktion und deren Rezeption gehen. Hendrik Schliepers Beitrag Knoten/Schreiben. Graffignys Lettres d’une Péruvienne und die transatlantische Schrift-Kultur-Debatte geht diesen Zusammenhängen am Beispiel der Debatte nach, die im 18. Jahrhundert über die Khipu, das Notationssystem der präkolumbianischen Andenkulturen, geführt wird. Das Gravitationszentrum dieser Debatte bildet mit Graffignys Lettres d’une Péruvienne bezeichnenderweise ein literarischer Text. Schlieper zeigt, wie das Nebeneinander zweier Notationssysteme (Khipu und Alphabet schrift), das Graffignys Briefroman verhandelt, dazu dient, den Zusammen hang von Schrift, Kultur und Zivilisation – und damit ein zentrales Sujet der zeitgenössischen aufklärerischen Debatten – zu reflektieren. In einer trans atlantischen Denkbewegung stellen die fiktiven, zunächst in Khipu verfassten und dann von der Verfasserin selbst in die französische Sprache und Schrift übersetzten ‚Briefe einer Peruanerin‘ die kulturhistorischen Leistungen der Schrift heraus, um zugleich das europäische Wissen über das ‚zivilisatorische Eigene‘ zu problematisieren. Die Herausforderungen, die sich dahingehend ergeben, dass neuartiges und neugewonnenes Wissen in die eigenen diskursiven (und damit auch gattungs spezifischen) Ordnungen integriert werden soll, stellt Susanne Greilichs Beitrag Jenseits der Gewissheiten?! Das Wissen über das präkolumbianische Amerika als Herausforderung und Motivator von Aufklärung in enzyklopädischen Werken des 18. Jahrhunderts dar. Ebendiese Herausforderungen sind zum einen damit verbunden, dass das neue Wissen – hier am Beispiel des präkolumbianischen Amerikas in den Blick genommen – in Konkurrenz zu den überlieferten Wissensbeständen tritt. Zum anderen erweisen sich fest geschriebene Vorstellungen und Topoi über das ‚Andere‘ und die ‚Anderen‘ – so etwa über die außergewöhnliche, phantastisch anmutende Andersartigkeit amerikanischer Völker in Hinblick auf Physis, kulturelle Praktiken und Ver fasstheit ihrer Gesellschaft – als derart persistent, dass die Enzyklopädisten an die Grenzen der Ratio geraten. Die Zweifel, die sich aus der Gegenüberstellung konkurrierender Anschauungen und dem Nebeneinander von Wahrschein lichem und Unglaublichem ergeben, so legt Greilich dar, erlauben es, den enzyklopädisch-systematisierenden Umgang mit dem Wissen über Amerika als eine eigene Realisation von Aufklärung zu denken. Das Konkurrenzverhältnis besteht allerdings nicht nur zwischen überlie ferten und neuen Wissensbeständen, sondern auch zwischen historiographisch-
Einleitende Überlegungen
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wissenschaftlichem Anspruch und Emotionalisierung, wie Pierino Gallo in seinem Beitrag Colonialism and Philosophy in the Histoire des deux Indes. Raynal’s reflections on the Spanish Conquest of America nachzeichnet. Der Blick wird dabei auf die gattungsspezifische Verfasstheit der Histoire sowie auf die damit einhergehenden Schreib- bzw. Vertextungsverfahren gerichtet, die zu einer ‚Kontamination‘ der Quellen durch Umschreibung, polemische Kommentierung durch die ‚Erzählinstanz‘ und intertextuelle Bezüge führen. Diese Verfahren stehen wiederum, wie Gallo am Beispiel von Raynals Conquista-Darstellung zeigt, im Dienste der Vermittlung eines systematisierten aufklärerischen Wissens und deren anti-kolonialistischen Implikationen. Die Histoire des deux Indes ist eine inszenierte Geschichte, die das Moment der Inszenierung benötigt, um die Darstellung der Grausamkeiten der Kolonial herrschaft mit einem dezidiert erzieherischen Impetus und der Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu verbinden. Die in der dritten Sektion ‚Projektionen‘ versammelten Beiträge radikalisieren diese Frage nach dem Wissen und seinen alternativen Formen, die nicht nur Mittel der epistemologischen Absicherung und Inbesitznahme des Fremden sind, sondern auch zur Konfrontation mit Figuren des ‚Anderen‘ führen. Wie diese Figuren als Projektionen der Sehnsüchte und Schuldgefühle des kolonialen Subjekts verstanden werden können, macht Michael Hofmanns Beitrag Yarico, Pocahontas, Malinche. Das Phantasma der indianischen Frau in deutschsprachigen Texten deutlich. In einer postkolonialen und interkulturellen Perspektive betrachtet Hofmann die Konstruktion und Tradierung von Alteritätsphantasmen, die bis in die unmittelbare Gegenwart nachwirken und in der Literatur – etwa bei Gellert, Schmidt oder Wenzel – einen ambivalenten Entfaltungsraum gefunden haben. Verfolgt werden dabei die Modifikationen der drei Frauenfiguren Yarico, Pocahontas und Malinche, die im kolonialen Kontext als notwendige Helferinnen bei der Verwirklichung des männlichen Subjekts fungieren, wobei genau diese Notwendigkeit, die auf eine Schwäche des sonst hegemonialen Subjekts verweist, der Grund ist für ihre nachträg liche Verdrängung. Die postkoloniale Literatur kann diese Verweigerung eines Subjektstatus wiederum nicht einfach durch eine Restitution ‚wiedergut machen‘. Vielmehr, so zeigt Hofmann, geht es ihr um die Markierung einer Leerstelle, die wiederum auf die Projektionen kolonialer Machtphantasien und Sehnsüchte verweist, um sie auf diese Weise zum Gegenstand der Kritik zu machen. Wo der koloniale Blick im Fremden ein ‚primitives‘ Stadium sehen will, um auf diese Weise die eigene Vorherschaft und die damit einhergehende Aus beutung von Mensch und Natur zu legitimieren (auch ein Effekt der bereits erwähnten ambivalente Struktur der vermeintlichen mission civilisatrice),
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entwickeln sich Gegenstrategien, die die Struktur der kolonialen Perspektive in ihrer Eigenschaft als Ideologie und Projektion entlarven. Satire und Parodie können dabei als exemplarische Formen solcher Gegenstrategien betrachtet werden, wie Fernando Nina in seinem Aufsatz Tomás Antônio Gonzagas Cartas chilenas (~1789). Gemeinschaft und Transgression in der epischen Satire der brasilianischen Aufklärung untersucht. Die Fiktion der Cartas chilenas distanziert sich nicht nur von den historischen Repräsentationen Amerikas, die in Europa verfasst wurden, sondern macht im Modus der Satire auch die eigene Geschichte der Subalternen in Form einer alternativen historischen Repräsentation lesbar. Dieser Bewegung, die Nina als Abgrenzung beschreibt, eignet zugleich ein produktives Moment, da die (narrative, fiktionale) Delimitation wiederum – als Akt der Selbstermächtigung – ein (reales) kollektives Subjekt erzeugt. Die Cartas chilenas erweisen sich damit auch als paradigmatisches Beispiel für eine genuin lateinamerikanische Aufklärung. Dass die Projektionen nicht nur mit räumlichen, sondern auch mit zeit lichen Kategorien operieren, zeigt schließlich Johannes Schlegels Beitrag Transatlantic Blake. Mit der Analyse von William Blakes America wird die zirkuläre Bewegung der Projektionen von England über den Atlantik bis zu den ehemaligen Kolonien und wieder zurück nach England verfolgt. Zugleich wird gezeigt, dass Blake America als eine „Prophecy“ schreibt, die sich, vermittelt durch den Blick und die Worte der ‚Rebellen‘, an die Zukunft Englands richtet. Diese doppelte, räumliche und zeitliche Bewegung steht wiederum für eine innere Verstrickung von Aufklärung und Mythos, der sich im emanzipatorischen Charakter der Amerikanischen Revolution als mytho poetischem Ereignis zeigt. Gerade diese Verstrickung führt dazu, dass das Spiel der Projektionen immer auch den Gegenstand ‚Aufklärung‘ selbst betrifft, der sich bei Blake nicht auf der Seite der Ratio in die Dichotomie ‚rational/ irrational‘ einordnen lässt, sondern einen differenzierteren Blick erfordert. In der Gesamtschau ihrer transatlantischen Perspektiven stellen die hiermit in aller Kürze vorgestellten Beiträge auf je eigene Weise die inneren Wider sprüche des Aufklärungsdiskurses heraus, die es erlauben, jenen Aufklärungs diskurs in einem produktiven Sinne kritisch zu reflektieren. Ebendiese inneren Widersprüche rühren schlussendlich daher, dass der universalistische Anspruch der Aufklärung überhaupt erst die Grundlage bildet für eine moderne Idee der Gleichheit (und damit der Menschenrechte), während er zugleich als koloniales Machtdispositiv wirkt. Die Aufklärung stellt das koloniale Denken auf eine epistemologische Grundlage, und zugleich schafft sie die begrifflichen und kulturellen Voraussetzungen für eine Selbstbetrachtung aus der Außen perspektive und für die Überwindung kolonialer Strukturen. Genau diese Spanung macht die Aufklärung zu einem Konzept, das durch seine innere
Einleitende Überlegungen
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Dynamik auf Dauer gestellt wird und sich jedweder ‚Abschließung‘ entzieht. Auf einer vom Exzellenznetzwerk Aufklärung – Religion – Wissen der MartinLuther-Universität Halle-Wittenberg im August 2008 veranstalteten Tagung Formen des Nichtwissens der Aufklärung hat Ralf Simon in einem Diskussions beitrag vorgeschlagen, in Anlehnung an Blumenbergs Arbeit am Mythos auch Texte wie die Dialektik der Aufklärung als ‚Arbeit an der Aufklärung‘ zu lesen. Gerade dieser Hinweis führt eine interessante Wendung in die Beziehung zwischen Aufklärung und Mythos ein, versteht doch Blumenberg den Mythos als konstitutiv offenes Gebilde, dessen Rezeption nicht vom Mythos selbst zu lösen ist. Ähnlich lässt sich die Aufklärung als ein ‚offenes Programm‘ betrachten, das nicht in eine dogmatisch anmutende endgültige Begriffs definition münden soll, sondern gerade in der Reflexion über sie weitergeführt wird.32 Wir kommen damit noch einmal auf Horkheimers und Adornos eingangs erwähnte Dialektik der Aufklärung zurück. Trotz – bzw. eigentlich gerade wegen – ihrer Kritik an der Aufklärung bleibt diese Schrift eine entschlossene Verteidigung der Aufklärung. Horkheimer und Adorno gehen bekanntlich von der Aporie aus, dass die „Freiheit in der Gesellschaft vom aufklärenden Denken untrennbar ist“, die Aufklärung sich zugleich aber aufgrund einer ihr inhärenten Dynamik selbst zu zerstören vermag.33 Die „Einlösung der ver gangenen Hoffnung“34 setzt ein Verständnis von Freiheit als universalistischen Anspruch der Aufklärung zentral, der allerdings kontinuierlich dadurch pervertiert wird, dass die Freiheit ihre Realisierung nur in der Erfüllung partikularer Interessen eines hegemonialen Subjekts erfährt (wodurch die Nähe von Kritischer Theorie und Postcolonial Studies deutlich wird). Diese Pervertierung soll und darf aber nicht dazu führen, dass man „die Besinnung 32
33
34
In diese Richtung deutet auch Michael Hofmann Wielands Mythenrezeption im Sinne Blumenbergs und sieht in der Ironie ein Moment der kritischen Selbstreflexion der Auf klärung durch eine „undogmatische Anthropologie“, vgl. Michael Hofmann, „Ironische Arbeit am Mythos und kritische Selbstreflexion der Aufklärung. Christoph Martin Wielands Comische Erzählungen (1765)“, in: Jahrbuch der Schillergesellschaft 42 (1998), 23–41, hier 41. Eine Auseinandersetzung mit den Vorschlägen von Ralf Simon und Michael Hofmann findet sich in Antonio Roselli, „Zur Interdependenz von Wissen und Nicht wissen. Anthropologie als Aufklärungskritik bei Christoph Martin Wieland“, in: Formen des Nichtwissens der Aufklärung, hrsg. v. Hans Adler, Rainer Godel, München: Fink 2010, 421–444. Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, in: Max Horkheimer, Dialektik der Aufklärung und Schriften 1940–1950, hrsg. v. Gunzelin Schmid Noerr, Frankfurt am Main: Fischer 1987 (Gesammelte Schriften, Bd. 5), 11–290, hier 18. Ebd., 20.
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auf das Destruktive des Fortschritts seinen Feinden“35 überlässt und den Begriff der Freiheit vollends verabschiedet. Mit ihrer titelgebenden Denkfigur bildet Horkheimers und Adornos Dialektik der Aufklärung den Horizont der hier vor gestellten Überlegungen und Beiträge, und dies eingedenk der Tatsache, dass jene Studie – die zuerst im amerikanischen Exil publiziert wird,36 wo ihre Ver fasser die Perversion der Idee der Freiheit und zugleich die Hoffnung erfahren, für die die aufklärerische Idee der Freiheit steht – letztlich selbst Ausdruck einer transatlantischen Aufklärung ist.
35 36
Ebd., 19. Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Philosophische Fragmente, New York: Institute of Social Research 1944, ab 1947 u.d.T. Dialektik der Aufklärung (erstmals Amsterdam: Querido).
Sektion I Handeln
Menschenströme und Schriftverkehr
Zur transatlantischen Verschränkung von Empfindsamkeit und Kapitalismus im Frankreich des 18. Jahrhunderts Fabienne Imlinger Supposez deux cents personnes entassées dans un espace qui à peine en eût pu contenir le tiers. Supposez le vomi, les chairs à vif, les poux en sarabande, les morts affalés, les agonisants croupis. […] Vingt, trente millions, déportés pendant deux siècles et plus. L’usure, plus sempiternelle qu’une apocalypse. Mais cela n’est rien encore.1
1.
Portrait des armateur négrier als junger Mann
Als Joseph Mosneron 1804 seine Memoiren Moi, Joseph Mosneron, armateur négrier nantais schreibt, ist die Sklaverei auf den französischen Antillen abgeschafft (1794) und wieder eingeführt worden (1802). Die Französische Revolution mit ihrer Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen (1789) hat ebenso stattgefunden wie die Revolution auf Saint-Domingue (1791), mit der sich die Sklaven ihre Freiheit erkämpften, bevor sie ihnen per Dekret aus Paris erteilt wurde. Am 1. Januar 1804 erklärt Haiti nach langjährigem Krieg gegen Frankreich seine Unabhängigkeit. Von diesen politischen Umwälzungen und historischen Wirrungen bleibt der autobiographische Text eigentümlich unberührt. Erstaunlich ist das auch deshalb, weil sie unmittelbare, massive Auswirkungen auf das Leben der Familie Mosneron hatten: Der durch die Haitianische Revolution bedingte Verlust des Familienvermögens wird auf 5 500 000 Livres geschätzt.2 Wie Mosneron zu Beginn seiner Memoiren erklärt, schreibt er, um seinen Kindern von seinen Lehrjahren auf hoher See zu erzählen. Seine Lebensgeschichte, so Mosneron, ist die eines schwerarbeitenden Mannes, der sich aus bescheidenen Verhältnissen emporarbeitet, getragen von einer „ambition de faire fortune“.3 In dieser topischen Redewendung manifestiert sich das Mantra sozialer Mobilität, dessen beispielhafte Inkarnation Napoleon ist. Mosnerons 1 Édouard Glissant, Poétique de la relation, Paris: Gallimard 1990, 17f. 2 Vgl. Olivier Pétré-Grenouilleau, „Présentation“, in: Moi, Joseph Mosneron, armateur négrier nantais, hrsg. v. Olivier Pétré-Grenouilleau, Rennes: Apogée 1995, 7–20, hier 15. 3 Moi, Joseph Mosneron, 237.
© Brill Fink, 2022 | doi:10.30965/9783846766361_003
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Fabienne Imlinger
Memoiren zeugen von einer zugleich individuellen und kollektiven Erfolgsgeschichte, insofern seine Geschichte exemplarisch für den rasanten sozialen Aufstieg der französischen Handels- und Marinebourgeoisie in den letzten Jahrzehnten des Ancien Régime ist.4 Innerhalb von zwei Generationen gelingt der Familie Mosneron eine spek takuläre Akkumulation von ökonomischem und symbolischem Kapital. Als der Großvater Joseph Mosnerons, ein Marinekapitän, 1721 stirbt, vermacht er seinem Sohn Jean II 4 000 Livres. Dieser hinterlässt bei seinem Tod 1773 den drei Söhnen Jean-Baptiste, Alexis und Joseph ein florierendes Unternehmen und ein Vermögen von rund 800 000 Livres. Die Laufbahn seiner Söhne plant der Vater so strategisch wie seine Geschäfte: Der älteste Sohn und philosophe der Familie Jean-Baptiste Mosneron studiert Jura, schreibt gelehrte Abhandlungen und Theaterstücke, übersetzt Milton und ist von 1791–1792 Mitglied der Assemblée Nationale. Alexis Mosneron, der mittlere Sohn, segelt lange Jahre als Schiffskapitän auf der transatlantischen Route, bevor er sich 1769 in Saint-Domingue niederlässt und dort ein Handelskontor eröffnet. Joseph schließlich übernimmt nach seinen Lehrjahren auf See das Familienunternehmen in Nantes.5 In dem Familien- und Sittenportrait, das Moi, Joseph Mosneron zeichnet, offenbart sich die Nähe dieses Milieus „à la culture et aux Lumières“.6 Diese Nähe, so Pétré-Grenouilleaus vorsichtige Formulierung, „ne va pas sans poser quelques problèmes d’interprétation“.7 Ein nicht geringes ‚Interpretationsproblem‘ dieser Memoiren besteht darin, dass die Mosnerons allem Anschein nach überzeugte Anhänger oder zumindest Leser der Aufklärung und überzeugte Sklavenhändler sein konnten: Dans la seconde moitié du 18e siècle, la bibliothèque est […] devenue un élément habituel du train de vie négociant. Plus ou moins imposante, on la trouve partout, même dans les maisons de campagne, ce qui indique que la lecture est devenue l’un des passe-temps de ce groupe social.8
Mosnerons Selbstportrait des armateur négrier als junger Mann ist in zweierlei Hinsicht Zeugnis der bürgerlichen Bibliophilie: Sie ist die Möglichkeitsbedingung der Entstehung seines Textes, der eine Mischung aus Herzensschrift und Bildungsroman ist. 4 5 6 7 8
Vgl. Pétré-Grenouilleau, „Présentation“, 7. Vgl. ebd., 18. Ebd., 19. Ebd. Ebd.
Menschenströme und Schriftverkehr
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Joseph Mosneron erhält zunächst nur eine rudimentäre Erziehung, unternimmt er doch auf Initiative des Vaters hin bereits im Alter von 15 Jahren seine erste Reise an die Westküste Afrikas. Als er im Sommer 1767 von seiner zweiten Reise und einem Aufenthalt in Saint-Domingue zurückkehrt, unterzieht er sich einem selbst auferlegten Bildungsprogramm. Dies erscheint ihm deshalb unerlässlich, weil er sich aufgrund seiner mangelhaften Bildung in den Kreisen, in denen er verkehrt, fehl am Platz fühlt.9 Er nimmt Fecht-, Tanz- und Schreibunterricht, doch lassen ihn diese auf die Disziplinierung des Körpers abzielenden Künste unbefriedigt zurück. Er spürt, woran es ihm eigentlich mangelt, ist eine umfassende Bildung des Herzens: J’étais, quant à la connaissance des idées morales, l’homme sortant des mains de la nature qui ouvrait ses premiers regards à la lumière. La nature avait pu faire naître quelques germes heureux chez moi, mais rien n’avait encore un commencement de développement.10
Von Natur aus gut, aber zur Vervollkommnung der natürlichen Anlagen der Aufklärung und Erziehung bedürftig – Mosneron erscheint hier kaum zufällig wie eine Mischung aus Rousseaus Émile und dem Naturmenschen des Second Discours. Denn wie wir wenig später erfahren, ist Mosneron Rousseau-Leser. Während einer schweren Pockenerkrankung seines Bruders Jean-Baptiste im Winter 1767 liest Joseph ihm Rousseaus Émile und Julie ou la Nouvelle Héloïse vor. Er bezieht daraus nicht nur eine éducation sentimentale, sondern jene moralische Bildung, deren Mangel er zuvor verspürt hatte: La saine morale qui règne dans ces ouvrages me fit plus d’impressions que les sentiments voluptueux qui y sont coloriés avec toute la magie et la chaleur de cet illustre écrivain. Je me suis fait dans la suite une étude de le relire, pour m’identifier les principes dignes d’être suivis et je suis dans la forte persuasion que je lui dois quelques vertus qu’il a fortifiées chez moi – l’application des devoirs à rendre aux auteurs de mes jours –, que dans l’intérieur de ma famille il m’a conduit à sentir le prix de l’amitié, de l’union et des égards réciproques dans le commerce du monde et de la société; il m’a fait prévoir la nécessité de vivre en paix avec les hommes, à supporter leurs défauts, à mépriser enfin leurs vices dans le silence; il m’a enseigné la tempérance (et) la modestie qui sont vertus sans éclat mais qui, à la longue, disposent l’estime des hommes en votre faveur.11
Die in der Nouvelle Héloïse entworfene empfindsame communauté de Clarens als Folie für die Familie Mosneron und Anleitung zum Verkehr in der 9 10 11
Vgl. Moi, Joseph Mosneron, 160. Ebd., 161. Ebd., 166.
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Gesellschaft; die Fähigkeit, die Gemeinheiten und Schwächen der Mitmenschen stillschweigend zu verachten; ein Lob der Bescheidenheit und Enthaltsamkeit, beides Tugenden, die auf lange Sicht nicht nur die Anerkennung der Anderen, sondern auch finanziellen Erfolg versprechen – wie Christopher L. Miller feststellt, dient Rousseau Mosneron als „prop for family values […] and […] a good business sense“.12 Rousseau ist aber auch und insbesondere der Name, durch den Mosnerons Text sich in den empfindsamen Verkehr des Lesens und Schreibens von Herzensschriften einschreibt. Auf den Lektürestreifzügen durch die Bibliothek seines Bruders sind es denn auch, wie wir einige Seiten zuvor erfahren, die „ouvrages de sentiments“, die es ihm besonders angetan haben.13 Mit der Beteuerung, er schätze an Rousseau mehr die gesunde Moral (saine morale) als die ans Unschickliche grenzenden Gefühlswallungen (sentiments voluptueux), weist Mosneron sich nicht nur als Leser empfindsamer Literatur aus, sondern als Leser, der bereits um die Gefahren dieser Lektüre weiß. Mit morale (Tugend) und volupté (Wollust) wird hier nämlich nicht nur der konstitutive Gegensatz aufgerufen, um den der bürgerliche Diskurs der Empfindsamkeit kreist. In der Formulierung sentiments voluptueux zeigt sich vielmehr die grundlegende Ambivalenz der damit einhergehenden Affektmodellierungen. Zwar vollzieht sich unter dem Begriff Tugend im 18. Jahrhundert eine Umstellung „von Körperströme[n] auf Seelenströme, von Lust auf Empfindung“.14 In diesen Substitutionen bleibt allerdings ein Rest zurück.15 Das Gefühl (sentiment) unterhält zur Lust (volupté) keine äußerliche oder zufällige Beziehung; die Tugend enthält unweigerlich immer schon das Bewusstsein der Laster.16 Mehr noch: Die empfindsame Literatur, der Schriftverkehr, mittels dessen sich der (semantische) Austausch von Körper- in Seelenströme und der (kommunikative) Austausch von Seelenströmen vollzieht, kann mitunter selbst zum gefährlichen Substitut werden – schon Rousseau wusste dies nur 12 13 14 15
16
Christopher L. Miller, The French Atlantic Triangle. Literature and Culture of the Slave Trade, Durham, London: Duke University Press 2008, 70. Moi, Joseph Mosneron, 163. Albrecht Koschorke, Körperströme und Schriftverkehr. Mediologie des 18. Jahrhunderts, München: Fink 2003, 140. So sind etwa die Tränen der Rührung, die nicht nur bei Rousseau reichlich vergossen werden, einerseits manifestes Zeichen der Sittsamkeit (vgl. Koschorke, Körperströme, 95). Andererseits ist Weinen Ersatz, ein „negativer Reflex auf jene Ausgießungen, die mit Verboten belegt sind“ – allen voran der Samenerguss (ebd., 89). Diese „Verwandtschaft der Tränenergießung mit weniger edlen Ergießungen“ bleibt „mehr oder minder deutlich bewußt“, weshalb „Publikationen am Jahrhundertende […] den Empfindsamen an die Seite des Lüstlings“ rücken (ebd., 95). Vgl. Koschorke, Körperströme und Schriftverkehr, 139.
Menschenströme und Schriftverkehr
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allzu genau.17 Wenn Mosneron also Skepsis gegenüber den durch die Kunstfertigkeit des Schriftstellers hervorgerufenen sentiments voluptueux formuliert, dann schwingt darin ein Wissen um das zwiespältige „Urteil der Moralisten über die empfindsame Literatur“ mit, denen die „,Wollust der Tränen‘, der sich in der zweiten Jahrhunderthälfte eine ganze Literaturperiode verschreibt“,18 zumindest fragwürdig scheint. Entsprechend verfolgt Mosneron eine sehr spezifische, gleichsam selektive Rousseau-Lektüre, eine gewissenhafte Lektüre (une étude), die es sich zur Aufgabe macht, die moralischen Prinzipien in Rousseaus Werken zu entdecken und zu befolgen. Als Richtschnur für das eigene Handeln erlauben sie die zuvor herbeigesehnte Vervollkommnung der naturgegebenen Tugenden und bilden den Maßstab, an dem das (aufgezeichnete) Leben gemessen werden muss. So antwortet Moi, Joseph Mosneron schließlich auf jenen durch den Genfer Bürger säkularisierten Geständnisimperativ, und wie Rousseau geht auch Mosneron aus dieser Feuertaufe als tugendhafter Mann hervor.19 Dieses tugendhafte Selbstbild aber scheint mit seiner Tätigkeit als armateur négrier offenbar ohne Probleme vereinbar gewesen zu sein. 2.
Ein neuer Typ Mensch (I)
Ausgerechnet in der Nouvelle Héloïse findet sich, worauf ebenfalls Christopher Miller hinweist, die einzige direkte Kritik kolonialer Sklaverei im gesamten Werk Rousseaus.20 Nach vier Jahren von einer Reise um die Welt zurückgekehrt, schildert St. Preux in einem Brief an Madame D’Obre die abscheulichen 17 18 19
20
Siehe dazu Jacques Derrida, De la grammatologie, Paris: Éditions de Minuit 1967. Koschorke, Körperströme und Schriftverkehr, 94. So scheint die – durch Satzzeichen noch hervorgehobene – Formulierung „l’application des devoirs à rendre aux auteurs de mes jours“ wie ein Echo jener berühmten Formulierung am Anfang der Confessions: „Que la trompette du jugement dernier sonne quand elle voudra; je viendrai ce livre à la main me présenter devant le souverain juge“ (Jean-Jacques Rousseau, Confessions, in: Œuvres complètes, Bd. 1, hrsg. v. Bernard Gagnebin, Marcel Raymond, Paris: Gallimard 1959, 5). Vgl. Miller, The French Atlantic Triangle, 67. – Rousseau ist hierin keine Ausnahme. Schon 1971 konstatiert Michèle Duchet in ihrer Studie zur französischen Aufklärung: „Par rapport au volume total de l’œuvre où ils prennent place, ceux que Voltaire, par exemple, consacre à la cause des nègres esclaves, frappent par leur minceur, et, pour tout dire, par leur insignifiance.“ Michèle Duchet, Anthropologie et histoire au siècle des lumières. Buffon, Voltaire, Rousseau, Helvétius, Diderot, Paris: Maspero 1971, 140. Louis Sala-Molins spricht in diesem Zusammenhang von einem ohrenbetäubenden Schweigen (silence assourdissant), das es nicht zuletzt aufgrund der bis heute andauernden nationalen Panthéonisierung der Lumières kritisch zu beleuchten gelte. Vgl. Louis Sala-Molins, Le
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Auswüchse europäischer Herrschaft, die er in den unterschiedlichen Teilen der Welt gesehen hat, und erwähnt dabei unter anderem auch die Sklaverei: J’ai vu ces vastes et malheureuses contrées qui ne semblent destinées qu’à couvrir la terre de troupeaux d’esclaves. A leur vil aspect j’ai détourné les yeux de dédain, d’horreur et de pitié; et, voyant la quatrième partie de mes semblables changée en bêtes pour le service des autres, j’ai gémi d’être homme.21
Diese Passage findet in Mosnerons Erinnerungen keine Erwähnung. Zweifellos ist es leicht, dieses winzige Detail in dem mehrere hundert Seiten langen Roman zu übersehen – selbst wenn man sich die gewissenhafte étude der Werke Rousseaus zur Aufgabe gemacht hat. Doch kommt man angesichts der Tatsache, dass Mosneron nur wenige Monate zuvor von einer Reise zurückkehrt ist, die ihn von der Westküste Afrikas bis nach Saint-Domingue geführt hat, nicht umhin zu fragen, was die Lektüre dieser Zeilen in ihm ausgelöst haben mag. Galt ihm diese Passage als Beispiel für die saine morale im Werk Rousseaus oder für die etwas weniger geschätzten sentiments volupteux? Fühlte Mosneron sich von dem geschilderten Leiden der Sklaven berührt, um sich, wie St. Preux (und man denkt unweigerlich: wie Rousseau), in dieser Affizierbarkeit letztlich der eigenen Empfindsamkeit, Tugend und Menschlichkeit zu versichern? Solche Fragen drängen sich auch deshalb auf, weil das tatsächliche Leiden der Sklaven – das er auf seinen Reisen gesehen hat, gesehen haben muss – in Moi, Joseph Mosneron nicht vorkommt. Über die Menschenströme, die die Grundlage für den enormen Reichtum und den sozialen Aufstieg der Familie Mosneron bilden, legt sich in den Memoiren ein ‚diskretes‘ Schweigen.22 Der Selbstkonstitution des bürgerlichen Individuums im und durch das Schreiben steht eine namenlose Masse gegenüber, die, wenn überhaupt, nur in Form von Körperströmen die Wahrnehmungsschwelle Monserons überschreitet: „lorsque je quittai la mer, ma santé […] étai[t] également épuisé[e] […] par l’influence maligne et putride de l’air infect que j’ai respiré au milieu d’un grand entassement d’hommes“.23
21 22
23
Code Noir. Ou le calvaire de Canaan, Paris: Presses Universitaires des France 2012, 4, sowie den Beitrag von Paul Strohmaier in diesem Band. Jean-Jacques Rousseau, Julie ou La Nouvelle Héloïse, in: Œuvres complètes, Bd. 2, hrsg. v. Bernard Gagnebin, Marcel Raymond, Paris: Gallimard 1964, 414. Pétré-Grenouilleau zufolge behandle Mosneron die auch 1804 immer noch brisante Frage des Sklavenhandels auf ‚diskrete‘ Weise; interpretiert wird diese Diskretion als Zeichen von Gewissensbissen oder aber als Zeichen der durch die Abolitionsbewegung ‚aufgeheizten‘ Stimmung zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Vgl. Pétré-Grenouilleau, „Présentation“, 19. Moi, Joseph Mosneron, 237.
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Dass der beengte und brutale Alltag an Bord eines Sklavenschiffs in Form der schädlichen Wirkungen der Ausdünstungen der Anderen Eingang in den Text findet, lässt sich vor dem Hintergrund der im 18. Jahrhundert erfolgenden „Neumodellierung des Verhältnisses zwischen Körper und Körperumgebung“24 begreifen. Wie Albrecht Koschorke gezeigt hat, erfährt der Begriff der Sympathie im Zuge dieses Prozesses eine grundsätzliche Veränderung. Er wird „seiner magisch-korporalen Implikationen beraubt“ und „zu einer rein psychologischen Größe umfunktioniert“:25 Während die Anthropologie der zweiten Jahrhunderthälfte die sympathischen Wirkungen auf das Terrain der Empfindung verlagert und als nervlich-psychisches Geschehen entdeckt, besteht die komplementäre Leistung der Hygiene darin, die vorher dem Bereich der Sympathie zugerechneten miasmatischen Ausflüsse sei es als unangenehm, sei es als schädlich zu diskreditieren.26
Mit dieser hygienischen „Stilllegung und Entmischung der Körper“27 werden „unkontrollierte Durchlässe zu Ereignissen, die auf fundamentale Weise die Integrität des Selbst bedrohen“28 – ja, zu einer lebensgefährlichen Bedrohung des (körperlichen) Selbst werden, wie man mit Blick auf die obige Passage sagen kann. Das komplementäre Gegenstück zu dieser Passage bildet, gemäß der Neucodierung des Begriffs der Sympathie, die 1788 von der britischen Abolitionsbewegung veröffentlichte Darstellung Brookes. Description of A Slave Ship. Dort nämlich wird gerade das – nun allerdings ins Visuelle übersetzte – Ausmaß der ‚großen Anhäufung von Menschen‘ auf Sklavenschiffen als erfolgreiches Mittel im Kampf gegen den Sklavenhandel eingesetzt und an die Sympathie – nun im psychologischen Sinne einer empfindsamen Gefühlsregung – des britischen Publikums appelliert.29 Der Schiffsplan der Brookes zeigt die ‚Verstauung‘ einer ‚Fracht‘ von 454 Sklaven, die in Übereinstimmung mit dem Regulated Slave Trade Act von 1788 für jeden Sklaven eine genau bemessene Fläche vorsieht: 6 Fuß × 1 Fuß 4 Zoll für jeden Mann; 5 Fuß 10 Zoll × 1 Fuß 4 Zoll für jede Frau und 5 Fuß × 1 Fuß 2
24 25 26 27 28 29
Koschorke, Körperströme und Schriftverkehr, 42. Ebd., 47. Ebd., 48. Ebd., 42. Ebd., 46. Zum Zusammenhang von Empfindsamkeit und Abolitionismus siehe insbesondere Brycchan Carey, British Abolitionism and the Rhetoric of Sensibility. Writing, Sentiment, and Slavery 1760–1807, Basingstoke, New York: Palgrave Macmillan 2005.
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Zoll für jedes Kind.30 In dieser genauen Berechnung des Menschen und der Menschlichkeit – es handelt sich um den Versuch, die Bedingungen des Sklavenhandels ‚menschlicher‘ zu gestalten – geben sich indirekt bereits jene andere Formen der Schrift zu lesen, die Mosneron ebenso verinnerlicht hat wie seinen Rousseau: die buchhalterische Kalkulation, mit der nicht nur der angemessene Raum von Körpern, sondern der Wert von Menschen berechnet wird, bedarf der Schrift, genauer gesagt einer spezifischen Koppelung von Schrift und Schiff, von Speicher- und Transportmedien.31 Der transatlantische Sklavenhandel basiert auf der Erweiterung und Kombination bereits bestehender Textformen, die aus dem Zusammenschluss von Schiff und Schrift hervorgegangen sind, mit ökonomischen Textformen: das Bordbuch wird zum Rechnungsbuch, das Schiff zur Kapitalanlage. Mit Ian Baucom sei die Gewalt expliziert, die diesen konstitutiv schriftlich verfassten Prozessen implizit ist: [W]hat we know of the trans-Atlantic slave trade is that among the other violences it inflicted on millions of human beings was the violence of becoming a „type“: a type of person, or, terribly, not even that, a type of nonperson, a type of property, a type of commodity, a type of money.32
Die Transformation von Menschen in Nicht-Menschen, in Eigentum, in Waren und schließlich in Geld wird durch eine Koppelung von Schiff und Schrift möglich, aus der sich für einen Europäer wie Mosneron in mehrfacher Hinsicht Kapital schlagen lässt. Durch Schrift werden aus den im Atlantik zirkulierenden Menschenströmen Waren- und Kapitalströme. In Schrift werden die im Atlantik zirkulierenden Menschenströme gleich mehrfach zum Verschwinden gebracht: durch das (nachträgliche) Schweigen, das sich in der Herzensschrift über sie legt; durch ihre Transformation in Waren und in Kapital. 30 31
32
1,80 Meter × 0,41 Meter für jeden Mann; 1,78 Meter × 0,41 Meter für jede Frau; 1,5 Meter × 0,36 Meter für jedes Kind. Siehe dazu Federico Italiano, Helga Thalhofer, Robert Stockhammer, „Schiff und Schrift: Zum Verhältnis zwischen Literatur und Globalisierung. Einleitung“, in: Arcadia 51.2 (2016), 241–246. – In der Verbindung von Sklavenschiff und Schrift entsteht, so kann man sagen, eine Art Dispositiv im Kleinen: Praktiken, Wissensformen, Machttechniken und eine (Neu-)Ordnung des Raums – nicht nur des Ozeans und der Welt, sondern auch des Schiffs selbst – werden unter dem Aspekt des Ökonomischen produktiv, im Foucaultschen Sinne dieses Wortes, miteinander verzahnt. In eine ähnliche Richtung zielend, bezeichnet Marcus Rediker das Sklavenschiff deshalb auch als Mischung aus Fabrik und Gefängnis. Vgl. Marcus Rediker, Slave Ship. A human history, New York: Viking 2007, 44f. Ian Baucom, Spectres of the Atlantic. Finance Capital, Slavery, and the Philosophy of History, Durham, London: Duke University Press 2005, 11.
Menschenströme und Schriftverkehr
3.
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Ein neuer Typ Mensch (II)
„Sur le bateau négrier, le seul écrit est du livre des comptes, qui porte sur la valeur d’échange des esclaves.“33 Pointiert bringt Édouard Glissant die kaufmännische und die spekulative Dimension der Koppelung von Schiff und Schrift im 18. Jahrhundert zum Ausdruck. Das Schreiben in Rechnungsbüchern gehört zum Einmaleins des métiers eines armateur négrier. Das „Regime der doppelten Buchhaltung“, das die Form eines „Eintrags, Austrags und Übertrags von Namen (und anderen Informationen) in, aus und zwischen Listen“34 hat, ermöglicht im 18. Jahrhundert nicht nur den Transport von Menschen über den Atlantik, sondern auch ihre Transformation in ‚Frachtgut‘. Die an der Westküste Afrikas erworbenen Menschen werden nicht mit Namen in Passagierlisten geführt, sondern schlagen anhand von „anderen Informationen“ zu Buche – allen voran anhand ihres Wertes. Mit der sogenannten middle passage – die aus Sicht der Europäer, nicht aus Sicht der Sklaven das Mittelstück einer triangulären Route ist – vollzieht sich eine Wertsteigerung, die zentraler Motor der traite ist: „Moving a captive across the ocean increased his or her value, stimulating further transformation of other values“.35 Wieviel Gewinn die traite tatsächlich einbringt, gibt bis heute Anlass zu Kontroversen.36 Konservativen Schätzungen zufolge schwanken die Gewinnmargen selbst in der Blütezeit (1784–1786) der traite in Nantes zwischen −42% und +57%.37 Der Sklavenhandel ist, wie PétréGrenouilleau schlussfolgert, „un commerce aléatoire, une lottérie“;38 Miller bezeichnet ihn als „a high-risk enterprise“.39 Ein risikoreiches Unterfangen, das spektakulären Gewinn verspricht, aber auch spektakuläre Verluste birgt – in diesem spekulativen Aspekt offenbart und vollzieht sich die Transformation von Menschen- und Warenströmen in Kapitalströme und schließlich die Entkoppelung der Kapitalströme von Menschen- und Warenströmen. Ein Schiff, das auf der transatlantischen Route segelt, stellt aufgrund der hierfür notwendigen hohen und riskanten Investitionen ein Anlageobjekt dar, für 33 34 35 36
37 38 39
Glissant, Poétique de la relation, 17. Bernard Siegert, Passagiere und Papiere. Schreibakte auf der Schwelle zwischen Spanien und Amerika, München: Fink 2006, 14. Miller, The French Atlantic Triangle, 89. Unbestreitbar ist jedoch, dass die ökonomische Bedeutung des Sklavenhandels und der Sklaverei im Frankreich des 18. Jahrhunderts weitgehend unangefochten behauptet wurde – zuallererst natürlich von armateurs négriers wie den Mosnerons. Vgl. Miller, The French Atlantic Triangle, 58. Vgl. Pétré-Grenouilleau, „Présentation“, 11. Miller, The French Atlantic Triangle, 89. Ebd., 58.
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das, wie Olivier Pétré-Grenouilleau ausführt, „ont été imaginés des modes de financement capitalistes“.40 Diese neuartigen Formen kapitalistischer Finanzierung gründen in der Verschränkung unterschiedliche Formen von Schriften. Allen voran hält die oben erwähnte Praxis der doppelten Buchführung am Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert Einzug in den transatlantischen Handel: C’est l’annonce d’une pratique nouvelle, celle de la comptabilité en partie double. C’est, avec l’usage du prêt à la grosse aventure, forme dérivée de la société en participation marchande, l’affirmation du rôle de la finance et de la spéculation dans le commerce maritime. Afin que chacun puisse récupérér le bénéfice qu’il escompte, et, éventuellemnt, en contester la répartition, il faut désormais qu’une comptabilité assez stricte soit tenue […].41
Der prêt à la grosse aventure ist ein Kredit, der auf ein Schiff und/oder seine Fracht aufgenommen wird. Kehrt es von seiner transatlantischen Route zurück, wird das eingelegte Kapital mit dem vereinbarten Zins ausgezahlt. Ein solcher Kredit ist nicht nur aufgrund des hohen Investitionsvolumens, sondern auch aufgrund der langen Zeitspanne einer transatlantischen Fahrt notwendig.42 Aus der Reorganisation des französischen Handels im Atlantik am Übergang zum 18. Jahrhundert geht, so Pétré-Grenouilleau weiter, ein neuer „Typ Mensch“ hervor: [u]n nouveau type d’homme capable de maximiser l’efficacité du principe de la commandite (lequel ne se généralise guère avant les années 1720) et qui doit être capable de rassembler les investisseurs, de choisir un bâtiment approprié et un capitaine expérimenté, de procédér à l’armement du navire et d’assurer le suivi technique de l’expédition (réalisation du bénéfice par la vente des marchandises de retour, calcul et distribution des dividendes). Cet homme, c’est l’armateur, […].43
Un nouveau type d’homme – das also ist Joseph Mosneron, armateur négrier. Pétré-Grenouilleaus Formulierung gibt sich auf subtile Weise als das Gegenstück zu der zuvor mit Baucom festgestellten Gewalt zu lesen, denen die Sklaven ausgesetzt sind: becoming a type of non-person. Beide dieser Menschen-‚Typen‘ entstehen durch eine Koppelung von Schiff und Schrift, die den Atlantik als triangulären Transfer- und Verkehrsraum und das 18. Jahrhundert als ein Kapitel in der Geschichte der Globalisierung lesbar macht. 40 41 42 43
Olivier Pétré-Grenouilleau, Les négoces maritimes français. XVIIe–XXe siècle, Paris: Belin 1997, 63. Ebd., 64. Baucom, Spectres of the Atlantic, 17. Pétré-Grenouilleau, Les négoces maritimes, 64f.
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4.
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Globalisierung im 18. Jahrhundert
Christopher Miller erinnert daran, dass „[it] was rarely cash that flowed around the ocean, but [that] the exchange of valued objects – of everything from cloths and cowry shells to human beings – created the Atlantic“.44 Ian Baucom bezeichnet dies als die „major circuits of commodity culture“ des transatlantischen Dreiecks, argumentiert aber darüber hinausgehend, dass die Möglichkeitsbedingung dieser Warenströme „speculative, abstract, moneyinto-money trades“45 waren. Er schließt hier an Giovanni Arrighis Modell globaler Akkumulationszyklen an, in welchen sich die Geschichte des Kapitalismus seit der Frühen Neuzeit ereignet hat. Arrighi identifiziert vier solcher Zyklen, wobei ein Zyklus immer zwei Phasen umfasst: In phases of material expansion money capital „sets in motion“ an increasing mass of commodities (including commoditized labor-power and gifts of nature); and in phases of financial expansion an increasing mass of money capital „sets itself free“ from its commodity form, and accumulation proceeds through financial deals […].46
Entscheidend für diese Prozesse ist nicht nur die Expansionsbewegung, sondern eine Verschränkung von Expansion und Konzentration: „the concentration of power in the hands of particular blocs of government and business agencies has been […] essential to the recurrent material expansions of the capitalist worldeconomy“.47 Ian Baucom resümiert das doppelte Moment von Globalisierungsprozessen mit der prägnanten Formulierung: „the form of the global is that in which expansion contracts and contraction enriches“.48 Diese globale Form wird, wie Arrighi in seiner Studie zeigt, durch historisch und geographisch jeweils unterschiedliche Allianzen von Staat und Kapital möglich.49 Der französische Merkantilismus des späten 17. und 18. Jahrhunderts ermöglicht eine Synthese von Kapitalismus und Territorialismus, die wesentlich auf drei miteinander verschränkten Elementen beruht: Siedlerkolonialismus, Sklaverei und ökonomischer Nationalismus. Die Sklaverei ist zugleich Bedingung und Resultat des Erfolgs kolonialer Besiedlungspolitik, da die 44 45 46 47 48 49
Miller, The French Atlantic Triangle, 8. Vgl. Baucom, Spectres of the Atlantic, 53. Giovanni Arrighi, The Long Twentieth Century. Money, Power, and the Origins of Our Time, London: Verso 2000, 6. Arrighi, The Long Twentieth Century, 12. Ian Baucom, „Globalit. Inc.; or, The Cultural Logic of Global Literary Studies“, in: PMLA 116.1 (2001), 158–172, hier 162. Arrighi, The Long Twentieth Century, 11.
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Rentabilität der Kolonien vor dem 18. Jahrhundert durch einen chronischen Mangel an Arbeitskraft eingeschränkt war: This chronic labor shortage enhanced the profitability of capitalist enterprises engaged in the procurement (primarily in Africa), transport, and productive use (primarily in the Americas) of slave labor. […] The solution of the colonial labor problem, in turn, became the leading factor in the expansion of the infrastructure and of the outlets necessary to sustain the settlers’ productive efforts. […] The third key ingredient, economic nationalism, had two main aspects. The first was the endless accumulation of monetary surpluses in colonial and inter-state commerce […]. The second was national, or better, domestic economy-making.50
Für den französischen Kontext lässt sich dieser Prozess am Beispiel von SaintDomingue veranschaulichen.51 Zwischen 1700 und 1754 steigt dort die Anzahl der Sklaven, die von der Küste Westafrikas in die Kolonie verschifft werden, von 9 000 auf über 172 000 an. Motor dieser exponentiell gestiegenen ‚Nachfrage‘ ist die Zuckerrevolution: die massive Zunahme von Plantagen, die den arbeitsintensiven Zuckeranbau betreiben, einerseits, die dadurch sinkenden Zuckerpreise und die entsprechend zunehmende Nachfrage nach Zucker auf dem europäischen Kontinent andererseits. In den Jahrzehnten vor der Französischen Revolution ist Saint-Domingue Spitzenreiter im Zuckerexport und es werden zwei Mal so viele Sklaven dorthin ‚importiert‘ wie in alle nordamerikanischen Kolonien zusammengenommen.52 Grund dafür ist nicht zuletzt auch der massenhafte Verschleiß von Menschenleben. Schätzungen zufolge sterben ein Drittel bis die Hälfte aller Sklaven innerhalb von fünf Jahren nach ihrer Ankunft auf den französischen Antillen.53 Diese hohe Sterblichkeitsrate und die geringe Geburtenrate54 befeuern wiederum die Nachfrage 50 51
52 53 54
Ebd., 49f. Saint-Domingue nimmt in der Geschichte des französischen transatlantischen Dreiecks aus unterschiedlichen Gründen eine zentrale, ja paradigmatische Rolle ein: zum einen aufgrund der ökonomischen Bedeutung der Kolonie für die métropole, sodann natürlich aufgrund der symbolischen Bedeutung, welche die Insel aufgrund der Haitianischen Revolution erlangt hat. Gabriel Debien erklärt schließlich die archivarische Bedeutung Saint-Domingues: „De la Martinique et de la Guadeloupe il nous reste peu de papiers de plantation. Si on en conserve tant de Saint-Domingue, c’est que très tôt les anciens colons ont espéré obtenir une indemnité pour la perte de leurs biens et qu’il leur a paru utile de garder leurs papiers pour établir leur droit.“ Gabriel Debien, Les Esclaves aux Antilles Françaises. XVIIe–XVIIIe siècles, Gourbeyre, Fort-de-France: Société d’histoire de la Guadeloupe und Société d’histoire de la Martinique 2000, 9. Vgl. Doris Garraway, The Libertine Colony. Creolization in the Early French Caribbean, Durham, London: Duke University Press 2005, 241. Vgl. Debien, Les Esclaves aux Antilles, 343–347. Vgl. ebd., 347–349.
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nach der ‚Ware Mensch‘. Am Ende des 18. Jahrhunderts ist Saint-Domingue die profitabelste Kolonie der Welt und die Kolonie mit dem brutalsten Sklavenregime.55 Der Profit des transatlantischen Handels kommt gemäß der im 17. Jahrhundert von Colbert geprägten Doktrin des Exclusif nahezu ausschließlich der métropole zugute. Wenngleich der Exclusif und insbesondere die äußerst wechselvolle Geschichte der Compagnies des Indes eine Mischung aus gescheitertem Monopol, Programm und Ideal darstellt und zudem einen florierenden Schwarzmarkt generiert, bleibt er dennoch bis zur Revolution maßgeblich für den französischen Handel im Atlantik.56 Pétré-Grenouilleau interpretiert die „multiples allers-retours entre protectionnisme et liberté“, die kennzeichnend für die königliche Handels- und Kolonialpolitik im 17. und 18. Jahrhunderts sind, weniger als Inkonsistenz des absolutistischen Staates denn als Zeugnis „de sa capacité à changer de méthode, à l’adapter en fonction des événements, afin d’atteindre son objectif: l’essor du commerce“.57 5.
Die Empfindsamkeit des Handels
Im Februar 1790 – man beachte die Jahreszahl – hält Jean-Baptiste Mosneron de Launey, der mittlerweile in den Adelsstand erhobene Bruder Josephs, vor der Assemblée Nationale ein Plädoyer für die Beibehaltung des Sklavenhandels. In seinem Discours sur les colonies et la traite des noirs stimmt der philosophe der Familie Mosneron ein Loblied auf den commerçant an, das sich auf einer Linie mit dem aufgeklärten Diskurs über den Handel als Mittel der Völkerverständigung bewegt.58 Mit dieser Lobrede will Mosneron unter anderem das Bild zurecht rücken, das am Vortag von einem Befürworter der Abolition gezeichnet wurde. Dieser hatte den commerçant als „homme odieux“ dargestellt, faisant de la tromperie un art qui lui est propre, & s’enrichissant à proportion des progrès qu’il a fait dans cette funeste science. Si l’honorable Membre a cru que le trafic de l’usure & de l’agiotage étoient ce commerce, si c’est dans l’Avare de Molière qu’il a pris le modèle du Commerçant, certes il a eu raison; mais l’honorable Membre ignore que l’usure & l’agiotage sont incompatibles avec le commerce […].59 55 56 57 58 59
Vgl. Garraway, Libertine Colony, 241. Vgl. Miller, The French Atlantic Triangle, 24f. Pétré-Grenouilleau, Les négoces maritimes, 45. Vgl. Jean-Baptiste Mosneron de Launay, Discours sur les colonies et la traite des noirs, 5, https://archive.org/details/discourssurlesco7874mosn. Ebd., 4.
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Mosnerons Rekapitulation der Anschuldigungen, die gegen den Sklavenhandel und die Sklavenhändler vorgebracht werden, atmet den Geist des 17. Jahrhunderts: nach dem Vorbild von Molières Geizigem entworfen, ist der Händler ein in der Kunst der Verstellung bewanderter Mann, dessen Geschäft aus Wucherei (usure) und Aktienhandel (agiotage) besteht. Wer aber die Bourse in den Hafen- und Industriestädten Frankreichs kenne, so Mosneron weiter, der wisse, dass dieses Bild nur ein Trugbild, ja Fiktion sei: S’il avoit vu les Bourses de ces villes; s’il avoit été témoin de la promptitude avec laquelle se traitent les plus grandes affaires, sans intervention, sans écritures, & même sans se donner de parole; s’il savoit que ces négociations sont sacrées, & qu’un Négociant qui les violeroit seroit méprisé; s’il avait consulté les Commerçans étrangers & le respect religieux qu’ils ont pour le Commerce Français; s’il avoit réfléchi enfin que, sans cette bonne-foi inaltérable, toute relation commerciale cesseroit, je ne doute point qu’il n’eut rendu plus de justice aux Commerçans.60
Mosnerons Gegenentwurf ist darum bemüht, die spekulative Dimension der traite in Abrede zu stellen. Sein Mittel hierfür ist bemerkenswerter Weise, das Geschehen an der Börse als empfindsamen Verkehr zu beschreiben: unmittelbar, ohne Schrift(en), ja sogar ohne Worte,61 kurzum: ohne die geringste Intervention von Zeichen schließt man unter französischen Kaufleuten selbst große Geschäfte ab, was ihnen nicht zuletzt den Respekt der Händler anderer Nationen einträgt. Der Handel ist eine Kommunion und Kommunikation der Herzen; die durch die Geschäfte geschaffenen Bande sind heilig. Ohne diese Aufrichtigkeit und Offenheit, ohne diesen unerschütterlichen Glauben – all diese Bedeutungen umfasst bonne foi – gäbe es keine Handelsbeziehungen. Unfreiwillig kehrt jedoch in der bonne foi, die Mosneron hier beschwört, der spekulative Charakter der traite zurück. Denn die Logik eines Kreditgeschäfts wie dem zuvor skizzierten prêt à la grosse aventure ist auf die bonne foi der beteiligten Parteien grundsätzlich angewiesen: […] for […] a system of credit to operate both a theory of knowledge and a form of value which would secure the credibility of the system itself had to be in place. Central to that theory was a mutual and system-wide determination to credit the existence of imaginary values. […] Such value exists not because a purchase has been made and goods exchanged but because two or more parties have agreed to believe in it.62
60 61 62
Ebd., 4f. Se donner de parole bedeutet natürlich im eigentlichen Sinne ein Versprechen geben. Baucom, Spectres of the Atlantic, 17, Hervorh. durch Verf.
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Es ist, mit anderen Worten, nicht zuletzt der Glaube (an spektakuläre Gewinne), der den commerce triangulaire vorantreibt und der letztlich erlaubt, Kapitalströme zu generieren, die von den tatsächlichen Menschen- und Warenströmen weitestgehend losgelöst zirkulieren. Wie Ian Baucom an anderer Stelle ausführt, um sich darin erneut mit Mosneron zu treffen, basiert dieses Glaubenssystem auch auf der Fähigkeit der daran Teilhabenden, to read one another’s character, trustworthiness, and credibility. An accounting innovation […] was not, by itself, enough. […] A system of credit encompasses more than just a set of accounting protocols, more than just a table of debts. It demands a phenomenology of transactions, promises, character, credibility.63
In den Herzen der Anderen zu lesen und ihren Charakter zu erkennen gehört mithin ebenso zu den Fähigkeiten des nouveau type d’homme, den der armateur négrier darstellt, wie seine Geläufigkeit im System der doppelten Buchhaltung. Herzensschrift und livre des comptes bilden im transatlantischen System keinen unvereinbaren Gegensatz, sondern die komplementären Gegenstücke eines Mannes, der „la conscience d’un père de famille“ und „la morale […] en chiffres“64 haben muss.
63 64
Baucom, Spectres of the Atlantic, 64. Mosneron de Launay, Discours, 10.
Luxus und égalité
Zu einer transatlantischen Ambivalenz der Lumières (Voltaire, Buffon, Raynal) Paul Strohmaier In der Aufklärungsforschung der vergangenen Jahre ist ein verstärktes Interesse an räumlich-geographischen Fragestellungen bemerkbar. So tritt etwa die Frage nach der ‚Lokalisierung‘ von Aufklärung in den Vordergrund ebenso wie Fragen einer postkolonial orientierten Neubewertung der Epoche,1 während etwa frühere Arbeiten zwar die bedeutenden Beiträge der Lumières zum Bestand geographischen Wissens wie auch zur Konstitution der Geographie als Wissenschaft herausgearbeitet haben, die Frage nach den spezifisch geographischen Voraussetzungen von Aufklärung selbst jedoch unberücksichtigt ließen.2 Im Rahmen jener diskursiven Makrobewegung, die als „Provinzialisierung Europas“ bezeichnet worden ist,3 geht es hingegen um eben jene historisch-geographische Besonderheit der europäischen Aufklärung, auf deren Grundlage sich der vermeintliche Universalismus ihrer Ideen und Theoriegebäude entfaltet. Neben der Rückführung solch eurozentrischer Ansprüche auf globale Normativität auf ihre kontingenten und daher kritisierbaren Ursprünge tritt dabei ein weiteres Interesse: die Rolle der Aufklärungsepoche als Zeit einer zunehmend globalen Zirkulation von ebenso materiellen wie intellektuellen Gütern und Menschen, die hierin zugleich eine Schlüsseletappe auf dem Weg zu unserer globalisierten Gegenwart bildet.4 Wenn innerhalb dieser globalgeschichtlich orientierten Konzentration auf ‚Zirkulation‘ und ‚Interaktion‘ der „Raum als Kommunikationsmedium“5 in 1 Charles W. J. Withers, Placing the Enlightenment. Thinking Geographically about the Age of Reason, Chicago, London: Chicago University Press 2007; The Postcolonial Enlightenment. Eighteenth-Century Colonialism and Postcolonial Theory, hrsg. v. Daniel Carey, Lynn Festa, Oxford: Oxford University Press 2009. 2 So etwa die klassische Studie von Numa Broc, La géographie des philosophes. Géographes et voyageurs français au XVIIIe siècle, Paris: PU de Strasbourg 1975. 3 Siehe Dipesh Chakrabarty, Provincializing Europe. Postcolonial Thought and Historical Difference, Princeton: Princeton University Press 2007. 4 Vgl. Hartmann Tyrell, „Universalgeschichte, Weltverkehr, Weltgesellschaft. Begriffsgeschichtliche Anmerkungen“, in: Soziale Systeme 16 (2010), 313–338, und Rudolf Stichweh, „Weltgesellschaft“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 12, Darmstadt: WBG 2004, 486–490. 5 Wolfgang Reinhard, „Einleitung. Weltreiche, Weltmeere – und der Rest der Welt“, in: Geschichte der Welt, 6 Bde., hrsg. v. Akira Iriye, Jürgen Osterhammel, Bd. 3: Weltreiche und
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den Blick gerät, so trifft dies in besonderer Weise auf den Atlantik zu, der ab 1492 das Kontinentaldreieck Amerika, Europa und Afrika irreversibel verbindet. Die Betrachtung einer „transatlantischen Aufklärung“ kann damit Phänomene der Zirkulation und kulturellen Übersetzung von Büchern und Bildern, Begriffen und Ideen von beiden Seiten des Atlantiks in den Blick nehmen und die Bedeutung der Epoche im Rahmen einer globalen Verflechtungsgeschichte betonen.6 Dabei kann die Konstitution einer transatlantischen Gelehrtenrepublik ebenso in den Vordergrund rücken wie die ethnographische Beschäftigung mit vormals unbekannten Völkern und deren Auswirkung auf die Anthropologie der Lumières. Hier soll es jedoch um etwas anderes gehen. Sind Meere und Weltmeere neben Medien des Austauschs7 immer auch Grenzen und Garanten von Distanz, so soll ebendieser Doppelaspekt des Atlantik hier betrachtet werden, der einen intensiven Fluss von Informationen, Gütern und Menschen garantiert, in der Reflexion zahlreicher philosophes gerade wegen seiner räumlichen Distanzleistung jedoch nicht weniger zum „obstacle épistémologique“ (Bachelard) gerät, das den Universalismus der Lumières8 von seiner eigenen sozioökonomischen Grundlage und geographischen Lokalisierung her entscheidend einschränkt und problematisch werden lässt. Exemplarisch soll dies durch die Engführung der Luxusthematik im Frankreich des 18. Jahrhunderts mit dem Phänomen kolonialer Sklaverei geschehen. Während es der Wirtschaftstheorie der Lumières gelingt, Luxus – dem scheinbar Unnützen – eine eigene Form der utilité abzugewinnen, als Anreiz allgemeinen Wohlstands und ökonomischen Aufschwungs, bedingt die Natur der hierin implizierten Güter eine enge Verflechtung mit der in den transatlantischen Kolonien Weltmeere 1350–1750, hrsg. v. Wolfgang Reinhard, München: Beck 2014, 9–52, hier 36. Vgl. zudem Reinhard, „Europa und die atlantische Welt“, in: Weltreiche und Weltmeere, 669–831. 6 Siehe die Beiträge in The Atlantic Enlightenment, hrsg. v. Susan Manning, Francis D. Cogliano, Ashgate: Routledge 2008, und Atlantic History. A Critical Appraisal, hrsg. v. Jack P. Greene, Philip D. Morgan, Oxford: Oxford University Press 2009. 7 Die Rede vom Meer als „Medium“ ist nicht neu. Schon Hegel nennt das Meer „dies größte Medium der Verbindung“. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2015 (Werke, Bd. 7), 391 (§ 247). 8 Wenn hier von Lumières statt von ‚Aufklärung‘ gesprochen wird, geschieht dies nicht aus Pedanterie, sondern als Zugeständnis an den in jüngerer Zeit betonten ‚pluralen‘ Charakter der Aufklärungsepoche, die in ihren jeweiligen nationalen Kontexten sehr verschiedene Ausprägungen annehmen kann. So fallen etwa die Einlassungen Herders und Kants zum Kolonialismus oft deutlich schärfer aus als diejenigen ihrer französischen Pendants, gewiss auch deshalb, weil diese Epoche noch keine deutschen Kolonien kennt. Siehe hierzu Sankar Muthu, Enlightenment against Empire, Princeton: Princeton University Press 2003.
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praktizierten Sklaverei (Voltaire). Der Begriff der utilité, der diese theoretische Umbesetzung des Luxus leistet, gewinnt in der Anthropologie der Lumières zudem normative Kraft und erlaubt eine axiologische Differenzierung von nützlichkeitsorientierten Europäern und nichteuropäischen Völkern (Buffon). Die Folgen dieser Differenzierung treten noch in jenem Text zutage, der gerne als einer der Gründungstexte postkolonialer Theorie ante litteram angeführt wird, Raynals Histoire des deux Indes. 1.
Apologie des Luxus und Humanität durch Handel: Voltaire
Das ökonomische Denken der Lumières und die hierfür im späteren so folgenreiche Idee eines gleichsam verbindlichen Fortschritts gehen zu wesentlichen Teilen zurück auf die Umwertung des ‚Luxus‘ zu Beginn des 18. Jahrhunderts und einer daran anschließenden und das ganze Jahrhundert anhaltenden querelle du luxe.9 Diskursbegründend wirkt hier das satirische Poem Fable of the Bees: or, Private Vices, Public Benefits (1714) des Niederländers Bernard Mandeville, in dem er den Nachweis führt, dass gerade persönlicher Egoismus der insgeheime Motor sozialen Wohlstands und ökonomischer Entwicklung sei, während eine auf ein selbstgenügsames Tugendideal hin orientierte Gesellschaft notwendig in Untätigkeit darben und verkümmern müsse. In dieser Neubewertung des Luxus zeigt sich zum einen dessen Aufwertung gegenüber theologischen Verdikten christlicher Provenienz, zugleich aber auch die soziale Entgrenzung des Begriffs, der in seiner Reichweite nicht mehr wie noch im 17. Jahrhundert auf die höfische Gesellschaft beschränkt bleibt, sondern allmählich zum Analysebegriff für gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge avanciert.10 Insbesondere über Vermittlung Voltaires, der in seinen Londoner Jahren die Debatte um Mandevilles Thesen lebhaft mitverfolgen konnte, findet diese Neubewertung des Luxus auch in Frankreich Eingang.11 Zu Beginn seines Gedichts „Le Mondain“ (1736), das über das Etymon mundanus den Vorwurf der Weltlichkeit aufgreift und über eine Kritik frugaler Ursprungsmythen
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Eine konzise Übersicht bietet Till Wahnbaeck, Luxury and Public Happiness. Political Economy in the Italian Enlightenment, Oxford: Oxford University Press 2004, 20–54. Vgl. Dominique Margairaz, „Luxe“, in: Dictionnaire européen des Lumières, hrsg. v. Michel Delon, Paris: PUF 2014, 762–765, sowie Daniel Roche, Histoire des choses banales. Naissance de la société de consommation, XVIIIe–XXe siècle, Paris: Fayard 1997, 85–91. Wichtig für Voltaire und zugleich für die Verbreitung von Mandevilles Ideen in Frankreich ist ferner Jean-François Melons Essai politique sur le commerce (1734). Vgl. hierzu auch Wahnbaeck, Luxury and Public Happiness, 27–29.
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wie desjenigen des prälapsarischen Paradieses oder des Goldenen Zeitalters schließlich umkehrt, bekennt er freimütig:12 J’aime le luxe, et même la mollesse, Tous les plaisirs, les arts de toute espèce La propreté, le goût, les ornements: Tout honnête homme a de tels sentiments. (V. 9–12)
Über die Annehmlichkeiten individuellen Komforts und ästhetischen Reizes komme dem Streben nach Luxus dank „les trésors de l’onde“ (V. 18), die nicht näher bestimmt werden, ferner ein geradezu weltverbindendes Moment zu, indem es den Seehandel und die sukzessive Erschließung des Globus entscheidend befördere: „Le superflu, chose très nécessaire,/A réuni l’un et l’autre hémisphère.“ (V. 22f.) Die Verteidigung des Luxus gipfelt in der explizit antitheologischen Aufwertung materiellen Genusses: „Le paradis terrestre est où je suis.“ (V. 129) Der Prozess globalwirtschaftlicher Verflechtung, der sich in den Einzelgegenständen des Luxus nachweisen lässt, wird expliziter beleuchtet im Folgegedicht „Défense du Mondain, ou L’Apologie du luxe“ (1737). Gewandt an einen christlich argumentierenden (und zunehmend betrunkenen) Tischnachbarn bemerkt der Sprecher:13 Tout l’univers a travaillé pour vous, Afin qu’en paix, dans votre heureux courroux, Vous insultiez, pieux atrabilaire, Au monde entier épuisé pour vous plaire. (V. 45–48)
Doch nicht nur als belebendes Element globalen Handels, sondern auch binnenökonomisch seien die Vorzüge des Luxus unübersehbar, setzen sie doch auch im beschränkteren Bezugsraum eines einzelnen „État“ ungeahnte Produktivkräfte frei, da das Streben nach Komfort und Luxus zum Anreiz ökonomischen Handelns werde: Le goût du luxe entre dans tous les rangs; Le pauvre y vit des vanités des grands; Et le travail, gagé par la mollesse, S’ouvre à pas lents la route à la richesse. (V. 69–72)
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Text zit. nach Voltaire, Mélanges, hrsg. v. Jacques van den Heuvel, Paris: Gallimard 1976, 203–206. Voltaires Anverwandlung der Fable of the Bees war dem französischen Publikum noch vor Mandevilles Text verfügbar, dessen erste französische Übersetzung von 1740 stammt. Zit. nach Voltaire, Mélanges, 207–210.
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In polemisch zugespitzter Form erneuern „Le Mondain“ und sein apologetisches Folgegedicht damit eine Aufwertung kommerzieller Tätigkeit und global agierenden Profitstrebens, die Voltaire bereits in den Lettres philosophiques (1734) entwickelt hat.14 Im zehnten Brief („Sur le commerce“) wird der durch Handel erworbene Wohlstand, entwickelt am Beispiel Englands, gar zum Garanten auch politischer Freiheit. In den Errungenschaften Englands deutet sich gleichwohl die enge Verbindung an, die Handel und (potentielle) militärische Gewalt eingehen, gründet die englische Seeherrschaft doch auf der Überlegenheit der „forces navales“.15 Gleiches gilt für Voltaires Charakterisierung des prototypischen „marchand anglais“, über den er bemerkt: „il ose se comparer, non sans quelque raison, à un citoyen romain.“16 Dieser Vergleich ruft neben dem privilegierten juridischen Status des römischen Bürgers jedoch nicht weniger die Erinnerung an dessen ‚koloniale‘ Voraussetzung wach. Waren doch bis zum Erlass der Constitutio Antoniniana durch Kaiser Caracalla im Jahr 212 n. Chr. mitnichten sämtliche Bewohner des römischen Herrschaftsgebiets auch im Genuss der Rechte eines römischen Bürgers. Im Zusammenhang der hier zu angestellten Überlegungen scheint es daher kein Zufall, dass noch im selben Brief das Stichwort „esclave“ fällt, indes in einem Zusammenhang, der seinen hermeneutischen Signalwert mehr unterdrückt als ausspielt. Der zehnte Brief schließt mit der Kontrastierung eines ‚produktiven‘ (bürgerlichen) Kaufmanns, als Repräsentanten des neu angebrochenen Zeitalters, mit einem ‚unnützen‘ (adligen) Höfling: 14
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Die Apologie des Luxus wird Voltaire noch im Dictionnaire philosophique (1764) erneuern. Vgl. Voltaire, „Luxe“, in: Œuvres complètes de Voltaire, Bd. 36: Dictionnaire philosophique (II), hrsg. v. Christiane Mervaud, Oxford: Voltaire Foundation 1994, 324–329. Die Umwertung des Phänomens dokumentieren auch die entsprechenden Einträge in Wörterbüchern und Enzyklopädien. In Furetières Dictionnaire universel (1690) findet sich noch die traditionelle Verurteilung des Luxus als Quelle der Verweichlichung und Effemination und auch das Dictionnaire de Trévoux von 1721 verzeichnet im Wesentlichen die gleiche moralisierende Bedeutung. Erst vor dieser Bedeutungstradition wird die grundlegende semantische Umbesetzung deutlich, die sich zu Beginn von Saint-Lamberts Eintrag „Luxe“ im neunten Band der Encyclopédie (1765) zeigt: „LUXE, c’est l’usage qu’on fait des richesses & de l’industrie pour se procurer une existence agréable. Le luxe a pour cause premiere ce mécontentement de notre état; ce désir d’être mieux, qui est & doit être dans tous les hommes“ (Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, ENCCRE, http://enccre.academie-sciences.fr/encyclopedie/, Bd. 9, 763). Das Streben nach Luxus wird Ausweis und Antrieb menschlicher Perfektibilität. Die Gegenposition zu dieser Aufwertung des Luxus vertritt erwartungsgemäß Jean-Jacques Rousseau, „Le luxe, le commerce et les arts“, in: Œuvres complètes, Bd. 3, hrsg. v. Bernard Gagnebin, Marcel Raymond, Paris: Gallimard 1964, 516–524. Voltaire, Mélanges, 27. Ebd., 28.
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Paul Strohmaier je ne sais pourtant lequel est le plus utile à un État, ou un seigneur bien poudré qui sait précisément à quelle heure le roi se lève, à quelle heure il se couche, et qui se donne des airs de grandeur en jouant le rôle d’esclave dans l’antichambre d’un ministre, ou un négociant qui enrichit son pays, donne de son cabinet des ordres à Surate et au Caire, et contribue au bonheur du monde.17
Es fällt auf, dass der geographische Bezugsraum dieses Kaufmanns, der durch seine Aktivität anders als der servile Höfling zum „bonheur du monde“ beiträgt, mit Kairo und dem indischen Surat tatsächlich nur mit europäischen Handelsstützpunkten in Verkehr steht, nicht aber mit jenen längst vorhandenen territorial ausgedehnten Kolonien jenseits des Atlantiks oder im niederländischen Batavia, die sich einer solch humanitären Lesart des wachsenden Welthandels in einem grundlegenden Punkt widersetzen: dem Faktum der Sklaverei. Es gilt damit, hinter dem in Voltaires Text nur metaphorisch gebrauchten „esclave“ als Charakterisierung des absolutistischen Hofmanns auch jene neuen esclaves herauszulesen, mit denen die aus der scheinbaren Abgeschiedenheit seines „cabinet“ ergehenden Anweisungen des Kaufmanns in ursächlichem Zusammenhang stehen.18 Aus dem Essai sur les mœurs (1756), Voltaires Geschichte der Menschheit in philosophischer Absicht, lässt sich eine Passage anführen, aus der vermeintlich mit aller nur wünschbaren Klarheit die Verdammung der Sklaverei durch den philosophe von Ferney hervorgeht. In den Kapiteln CLI und CLII zeigt er sich zunächst bestens vertraut mit der jüngeren Geschichte der französischen Besitzungen jenseits des Atlantiks, um sodann zu der gern zitierten Diatribe anzuheben: On comptait, en 1757, dans la Saint-Domingue française, environ trente mille personnes, et cent mille esclaves nègres ou mulâtres, qui travaillent aux sucreries, aux plantations d’indigo, de cacao, et qui abrégent leur vie pour flatter nos appétits nouveaux, en remplissant nos nouveaux besoins, que nos pères ne connaissaient pas. Nous allons acheter ces nègres à la côte de Guinée, à la côte d’Or, à celle d’Ivoire. Il y a trente ans qu’on avait un beau nègre pour cinquante livres: c’est à peu près cinq fois moins qu’un bœuf gras. Cette marchandise humaine coûte aujourd’hui, en 1772, environ quinze cents livres. Nous leur disons qu’ils sont hommes comme nous, qu’ils sont rachetés du sang d’un Dieu mort pour eux, et ensuite on les fait travailler comme des bêtes de somme: on les nourrit 17 18
Ebd., 28. Liest man die sechste der Lettres philosophiques („Sur les presbytériens“) vor diesem Hintergrund, wird deutlich, dass die berühmte Schilderung der Londoner Börse und ihres interreligiösen Toleranzeffekts hinter ihrem vermeintlich globalen Anspruch ein doch sehr okzidentales Anliegen formuliert, das nicht zuletzt aus den zahlreichen Religionskriegen des vergangenen Jahrhunderts hervorgeht. Vgl. Voltaire, Mélanges, 17f.
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plus mal; s’ils veulent s’enfuir, on leur coupe une jambe, et on leur fait tourner à bras l’arbre des moulins à sucre, lorsqu’on leur a donné une jambe de bois. Après cela nous osons parler du droit des gens!19
Isoliert aus dem Gesamtzusammenhang des Essai scheint diese Passage, die im Schicksal des entlaufenen Sklaven Cacambo im 19. Kapitel des Candide (1759) ihr fiktionales Pendant findet,20 geradezu exemplarisch die Ideale humanitär inspirierter Kritik zu vertreten, die insbesondere dann bemüht werden, wenn es darum geht, unsere eigene Zeit in Kontinuität zu den Lumières zu setzen.21 Im Lichte der vorangegangenen Verteidigung des Luxus durch Voltaire fällt jedoch auf, dass hier die zuvor als Perfektibilitätsanreiz gepriesenen „appétits nouveaux“ und „nouveaux besoins“ in kausale Beziehung zu Sklavenhandel und Sklavenwirtschaft gesetzt werden, ohne dass unser Autor selbst sich dieses Widerspruchs bewusst wird. Zudem befremdet die Akribie, mit der die Preise angeführt werden. In nur dreißig Jahren habe sich der Kaufwert eines Sklaven um das Ebensovielfache gesteigert. Dadurch aber wird der Text schon in sich zweideutig, weil er neben der Anprangerung der Sklaverei diese indirekt als hochlukrative Investition präsentiert. Im Falle eines Autors wie Voltaire, über dessen eigene finanzielle Involviertheit in die traite des Nègres Uneinigkeit besteht, scheint solch ein Lapsus kein Zufall.22 Berücksichtigt man neben diesen internen Auffälligkeiten des zitierten Abschnitts den Makrotext des Essai, erweist sich die Passage gar als logischargumentativer Fremdkörper. Bereits im zweiten Kapitel („Des différentes races de l’homme“) bedient sich Voltaire der physiognomischen Methode, um die 19 20
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Voltaire, Essai sur les mœurs, 2 Bde., hrsg. v. René Pomeau, Paris: Classiques Garnier 1963, Bd. 2, 379f. Romanintern bleibt die Episode folgenlos. Pangloss und Candide ziehen weiter, ohne sich mit den lautgewordenen Missständen näher zu befassen. Auch die Sklaverei bildet damit nur einen Eintrag unter anderen im Katalog jener Übel, die zur Implausibilisierung der Leibniz’schen Rede von der besten aller Welten (oder dem, was Voltaire dafür ausgibt) angeführt werden. Vgl. etwa Tzvetan Todorov, L’esprit des Lumières, Paris: Robert Laffont 2006. Vgl. zu diesem Punkt Emeka Abanime, „Voltaire anti-esclavagiste“, in: Studies on Voltaire and the Eighteenth Century 182 (1979), 237–252, hier 248–250. Eines der ersten großen Investments des jungen Voltaire galt der Compagnie des Indes, die beinahe ein Monopol auf den transatlantischen Sklavenhandel Frankreichs hatte. Die Mär von den fabulösen Gewinnen, die Voltaire hierdurch erzielt haben soll, ist indessen eine Erfindung des späten 19. Jahrhunderts. Trotzdem kann man Abanimes Relativierung nicht recht folgen, Voltaire habe damit nicht zwingend in den Sklavenhandel investiert, da schließlich auch mit anderen Gütern gehandelt worden sei. Gerade im Zusammenhang des trikontinentalen trafic triangulaire waren hier zu einem bestimmten Zeitpunkt nahezu unumgänglich Sklaven im Spiel.
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Differenz zu markieren, die ‚Schwarze‘ von den übrigen Menschenarten, insbesondere aber den weißen Europäern grundsätzlich unterscheide: „Leurs yeux ronds, leur nez épaté, leurs lèvres toujours grosses, leurs oreilles différemment figurées, la laine de leur tête, la mesure même de leur intelligence, mettent entre eux et les autres espèces d’hommes des différences prodigieuses.“23 Im Folgekapitel wird ihnen das für die anthropologischen Debatten der Aufklärung zentrale Merkmal der Perfektibilität abgesprochen,24 um schließlich in Kapitel CXLI über die westafrikanischen Küstenregionen ganz allgemein zu befinden: „les habitants n’étaient guère au-dessus des brutes“.25 In der Behandlung Äthiopiens und Abessiniens wird Afrika zum Fallbeispiel äußerster Ignoranz, seien doch beide Reiche nicht in der Lage, sich der eigenen Bodenschätze zu bemächtigen.26 Diese behauptete Unfähigkeit der afrikanischen Völker, sich die Annehmlichkeiten zu verschaffen, die aus der gezielten Ausbeutung ihrer Rohstoffvorkommen hervorgehen könnten, suggeriert geradezu unvermeidlich die Notwendigkeit einer europäischen Intervention. Zum Ende des Kapitels beginnt Voltaire daher in Vorfühlung okzidentaler Interessen zu prospektieren: Il est à croire que le sein de l’Afrique renferme beaucoup de ce métal qui a mis en mouvement l’univers; le sable d’or qui roule dans ses rivières indique la mine dans les montagnes. Mais jusqu’à présent cette mine a été inaccessible aux recherches de la cupidité; et à force de faire des efforts en Amérique et en Asie, on s’est moins trouvé en état de faire des tentatives dans le milieu d’Afrique.27
Während er sich andernorts über den unter spanischen Konquistadoren kursierenden Mythos von Eldorado mokiert, unterscheidet sich Voltaires eigene Praxis hier in keiner Weise von dieser Form kolonialistisch motivierter Mythopöie. Die von Voltaire verzeichneten ‚Defizite‘ afrikanischer Völker kulminieren in einer klaren Hierarchisierung der verschiedenen Menschenarten, die nicht
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Voltaire, Essai sur les mœurs, Bd. 1, 6. Zur Rolle der Physiognomik in solchen Lektüren nichteuropäischer Körper siehe Kay Flavell, „Mapping Faces. National Physiognomies as Cultural Prediction“, in: Eighteenth-Century Life 18 (1994), 8–22. Voltaire, Essai sur les mœurs, Bd. 1, 10: „La plupart des Nègres, tous les Cafres, sont plongés dans la même stupidité, et y croupiront longtemps.“ Ebd., Bd. 2, 305. Ebd., Bd. 2, 327. Hier zeigt sich einigermaßen deutlich, dass die noch von Broc vertretene Deutung Voltaires als radikal ironischen Vertreters eines „double relativisme historique et géographique“ im Falle Afrikas an ihre Grenzen gelangt. Broc, La géographie des philosophes, 263. Voltaire, Essai sur les mœurs, Bd. 2, 328f.
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Produkt historisch-kontingenter Entwicklungen sei, sondern vielmehr eine Naturabsicht erkennen lasse: La membrane muqueuse des nègres, reconnue noire, et qui est la cause de leur couleur, est une preuve manifeste qu’il y a dans chaque espèce d’hommes, comme dans les plantes, un principe qui les différencie. La nature a subordonné à ce principe ces différents degrés de génie et ces caractères des nations qu’on voit si rarement changer. C’est par là que les nègres sont les esclaves des autres hommes. On les achète sur les côtes d’Afrique comme des bêtes, et les multitudes de ces noirs, transplantés dans nos colonies d’Amérique, servent un très petit nombre d’Européens.28
Das physiologischen Detail einer angeblich nur Schwarzen eignenden Hautschicht wird zum Beleg einer Polygenie der Menschheit, die hierarchisch nach génie der jeweiligen Völker gegliedert wird und in der „superiorité“29 der Europäer eine Legitimation der praktizierten Sklaverei formuliert. Alle angeführten Stellen muss eine linear verfahrende Lektüre des Essai durchlaufen haben, ehe man – durchaus unvermittelt – mit jener eingangs zitierten Verdammung der Sklaverei konfrontiert wird. Die vorangegangenen Kapitel haben in ihrem Tenor jedoch durchweg Gründe für deren Legitimität geliefert. Hier von textueller ‚Polyphonie‘ und ‚Ambiguität‘ zu sprechen ist gewiss die höflichere Variante, die wahrscheinlichere aber vermutet hierin rhetorischen Okkasionalismus, den bloßen Anlass für ein rhetorisches Bravourstück. Voltaires überraschendes Unvermögen, angesichts seines publizistischen Einflusses dezidiert Partei gegen die in den transatlantischen Kolonien praktizierte Sklaverei zu ergreifen, erscheint – im Rückgriff auf unsere einleitende Überlegung – paradigmatisch als Resultat einer dreifachen Distanz. Die erste, geographische ist offenkundig jene des Atlantiks, die das Phänomen der Sklaverei dem direkten Augenschein der philosophes entrückt und in seiner Virulenz herabsetzt.30 Die zweite, strukturelle ist diejenige der Rezeption aus 28 29
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Ebd., Bd. 2, 335. Ebd., Bd. 2, 335. Im Sprachgebrauch der Epoche werden „nègre“ und „esclave“, zumindest bis zur abolitionistischen Wende ab 1770, nahezu synonym gebraucht. Vgl. Simone Deleselle, Lucette Valensi, „Le mot ‚nègre‘ dans les dictionnaires français d’ancien régime. Histoire et lexicographie“, in: Langue française 15 (1972), 79–104. Hier muss gewiss differenziert werden. Da der Code noir nur für die kolonialen Territorien Frankreichs Gültigkeit besaß und für Frankreich das sog. „Freiheitsprinzip“ galt, demzufolge ein Sklave aus den Kolonien mit dem Betreten französischen Bodens seine Anerkennung als freier Mensch einfordern konnte, gab es im 18. Jahrhundert zahlreiche Prozesse, um eben diese durch widersprüchliche Gesetze komplizierte Sachlage zu erhellen. Siehe hierzu Sue Peabody, ‚There Are No Slaves in France‘. The Political Culture
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zweiter Hand. Mit der Angewiesenheit der philosophes auf Quellen wie Reiseberichte, Memoranda, Atlanten und naturgeschichtliche Werke partizipieren sie an deren Ausleuchtungsdefiziten, die im Falle Afrikas besonders eklatant sind, ohne dass dies den universalhistorischen Anspruch eines Voltaire dämpfen könnte. Wie der Kaufmann in den Lettres philosophiques agiert auch der philosophe in dem beschränkten Raum seines cabinet. Die dritte schließlich ist jene selbst produzierte anthropologische Differenz, welche die synchrone Varianz menschlicher Kulturen in einen diachronen Entwicklungsprozess übersetzt, an dessen avanciertestem Punkt die ‚aufgeklärten‘ Nationen selbst stehen. Diese drei Formen der Distanz sind es, die in der transatlantischen Konstellation von Luxus und Sklaverei sichtbar werden und die aufgezeigten Widersprüche erzeugen.31 Wie folgenreich diese dreifache Distanz ist, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Voltaire unter der Prämisse geographischer Nachbarschaft durchaus in der Lage ist, ganz anders zu verfahren. Paradigmatisch und in Form direkter politischer Intervention zeigt sich dies in der sog. épisode du pays de Gex.32 In Gex, nur etwa zehn Kilometer von Ferney entfernt, leben etwa 12 000 Bauern als Leibeigene benediktinischer Domherren nach mittelalterlichem Recht. Von 1770 ab richtet Voltaire, empört über die archaischen Verhältnisse, zahlreiche Eingaben an den französischen König und andere hohe Persönlichkeiten des Ancien Régime. Entscheidend dabei ist, dass die inkriminierten Praktiken, z.B. diejenige der mainmorte, explizit als esclavage bezeichnet werden und die Exis tenz von Sklaven auf französischem Territorium zur Schande erklärt wird.33
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of Race and Slavery in the Ancien Régime, Oxford: Oxford University Press 2002. Auf die ‚befreiende‘ Wirkung französischen Bodens nimmt auch der Eintrag „Esclave“ in der Encyclopédie Bezug: „présentement en France toutes personnes sont libres, & si-tôt qu’un esclave y entre, en se faisant baptiser il acquiert sa liberté, ce qui n’est établi par aucune loi, mais par un long usage qui a acquis force de loi“ (Bd. 5, 940f.). Aus Peabodys Studie geht freilich hervor, dass diese Praxis juristisch überaus umkämpft war. Vgl. den Beitrag von Fabienne Imlinger in diesem Band. Die erfolgreiche geographische ‚Entrückung‘ der Sklaverei zeigt sich noch in ihrer diffizilen Integration in den erinnerungspolitischen Diskurs des gegenwärtigen Frankreichs und dessen republikanischer Selbsterzählung. Vgl. hierzu Gilles Manceron, Marianne et les colonies. Une introduction à l’histoire coloniale de la France, Paris: La Découverte 2003, 7–44, sowie Johann Michel, Gouverner les mémoires. Les politiques mémorielles en France, Paris: PUF 2010, 119–134. Siehe hierzu Bruno Bernard, „Esclavage“, in: Dictionnaire général de Voltaire, hrsg. v. Raymon Trousson, Jeroom Vercruysse, Paris: Honoré Champion 2003, 456–459, sowie Jacques u. S. Spica, „Gex“, in: Dictionnaire général de Voltaire, 547–550. Eine analoge Gleichsetzung von mittelalterlicher Leibeigenschaft und Sklaverei unternimmt auch der Eintrag „Esclave“ in der Encyclopédie: „Il y a pourtant encore des serfs de main-morte dans quelques coûtumes, qui sont en quelque sorte esclaves“ (Bd. 5, 950).
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Voltaires bis zu seinem Tod anhaltender Einsatz für die Bauern von Gex blieb erfolglos, doch zeigt er, wie planvoll er sich seiner publizistischen Macht zur Abschaffung binneneuropäischer ‚Sklaverei‘ bedienen konnte. Ein vergleichbares Engagement für die Befreiung der Sklaven in den Kolonien jenseits des Atlantiks ist nicht bekannt. Um die hier vorgenommene Engführung von Luxus und Sklaverei und die Ableitung diskursiver Blindstellen aus dem Phänomen lebensweltlicher Distanz weiter zu stützen, lohnt es sich, einen eingangs ausgesparten Text näher zu betrachten, der für Voltaires Reflexion des Luxus nicht weniger folgenreich ist als Mandeville: Jean-François Melons Essai politique sur le commerce (1734). Melons Werk wird meist wegen seines Beitrags zur Luxusdebatte behandelt. Ausgeblendet bleibt dabei, dass der französische Ökonom im sechsten Kapitel seines Essai („De l’esclavage“) geradezu beiläufig eine Rechtfertigung der in den Kolonien Frankreichs praktizierten Sklaverei formuliert: „L’Usage des Esclaves dans nos Colonies, nous apprend que l’Esclavage n’est contraire ni à la Religion ni à la Morale: Ainsi nous pouvons examiner librement, s’il seroit plus utile de l’étendre par tout.“34 Ganz wie die in der Apologie des Luxus nobilitierten niederen Neigungen der menschlichen Seele erfährt auch die Praxis der Sklaverei im Zeichen der utilité eine moralische Aufwertung. Die Gleichheit der Menschen sei ohnehin eine „Chimäre“35 und die humanitäre Leistung des Code noir (1685) beispielhaft.36 Inmitten einer Apologie des Luxus findet sich ein unzweideutiges Lob der Sklaverei als belebendes Element für die nationale Ökonomie, das Voltaire nicht entgangen sein kann. In einer Einlassung, die eine skeptische Antiphrase des durch die philosophes vielfach reklamierten Universalismus der idées éclairées bildet, skizziert Melon ferner eine Skalierung ethischer Verbindlichkeiten am Parameter räumlicher Distanz: Les hommes ont d’heureux préjugez d’Education, que l’évidence même des spéculations, ne peuvent détruire. L’esprit philosophique d’une Législation generale, doit porter indistinctement sur tous les hommes; mais malgré nous, les Européens nous sont plus chers que les Affriquains; cela s’étend jusqu’à notre Ville, jusqu’à notre Ruë, dont nous préferons la totalité des habitants, parce que nous les connoissons, comme s’ils gagnoient à être connus.37
Melon präsentiert sich somit als anthropologischer ‚Realist‘ und formuliert prä zise die im Falle Voltaires so deutlich hervorgetretene Divergenz aufklärerischer 34 35 36 37
Jean-François Melon, Essai politique sur le commerce, Paris: s.l. 1734, 61. Ebd., 63: „L’egalité chez les hommes est une chimére […]“. Ebd., 64. Ebd., 70f.
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„Wahrheitsprogramme“.38 Der Universalismus des Naturrechts, für das die Dimension geschichtlicher Zeit irrelevant ist, kann jederzeit durchkreuzt werden durch die normative Aufwertung historischer Entwicklung, wie sie für das Paradigma der Perfektibilität grundlegend ist. 2.
Das Klima-Paradox und die Ungleichzeitigkeit der Menschen: Buffon
Die diskursive Konstruktion der dritten, anthropologischen der oben formulierten Distanzformen ist keine originäre Leistung Voltaires, vielmehr greift er dabei auf jene naturgeschichtlichen Diskurse zurück, die ab dem zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts den Menschen als Wissensobjekt in seinen geographisch variierenden Erscheinungsformen in die allgemeine Taxonomie der Mineralien, Pflanzen und Tiere überführen. So unterscheidet Linné in der ersten Auflage seines Systema naturae (1735) die Spezies Homo in vier untergeordnete Formen (varietates): „Europæus albesc[ens]“, „Americanus rubesc[ens]“, „Asiaticus fuscus“ und „Africanus nig[e]r“.39 Diese rudimentäre Ordnung leistet nicht mehr als eine Zuordnung von Kontinenten und den (vermeintlichen) Hautfarben ihrer Bewohner. In der zehnten Auflage indes wird dieses Tableau ergänzt durch das Schema der Humoraltypologie: der Americanus wird zum cholericus, der Asiaticus zum melancholicus, der Africanus zum phlegmaticus, das traditionell favorisierte Temperament des sanguineus bleibt dem Europäer vorbehalten.40 Folgenreicher aber sind die je tabellarisch beigefügten Mikrocharakteristiken der jeweiligen Menschenformen. Ist der Europäer „levis, acutissimus, inventor“, heißt es über den Bewohner Afrikas, er sei „schlau“ (vafer), „träge“ (segnis) und „sorglos“ (negligens). Auch werde er anders als der Europäer nicht nach „festen Satzungen“ regiert, sondern von bloßer „Willkür“.41 Dass der afrikanische Kontinent für die Europäer des 18. Jahrhunderts „geographisch wenig mehr als eine Küstenlinie“42 ist, hält Linné 38
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Das Konzept der programmes de vérité geht auf Paul Veynes Analysen der klassischen Mythologie und ihres Wahrheitswerts zurück. Es bezeichnet die Pluralität impliziter Wahrheitsmodelle innerhalb ein und derselben Kultur, die miteinander konfligieren können, ohne dass diese Pluralität auf ein dominantes Wahrheitsmodell reduzibel wäre. Siehe Paul Veyne, Les Grecs ont-ils cru à leurs mythes?, Paris: Seuil 1983. Carl von Linné, Systema naturæ, Leiden: Niewkoop & B. De Graaf 1735. Linné, Systema naturæ, Stockholm: Salvius 1758, 20–22. „Regitur Ritibus“ bzw. „Regitur Arbitrio“, Linné, Systema naturæ (1758), 21f. (Hervorh. im Original). Withers, Thinking Geographically, 159. Vgl. auch Jürgen Osterhammel, „Welten des Kolonialismus im Zeitalter der Aufklärung“, in: Das Europa der Aufklärung und die
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nicht davon ab, auch jenseits erschöpfender Quellenlagen weitreichende Behauptungen zu formulieren und diese wissenschaftlich festzuschreiben.43 Von den moralischen Ambivalenzen, die sich aus der Aufnahme des Menschen in die Taxonomien der Naturgeschichte und seiner geographischen Unterscheidung nach Arten ergeben, ist auch einer ihrer berühmtesten Vertreter nicht frei, der gelegentlich als Gegner der Sklaverei angeführt wird: Georges-Louis Leclerc de Buffon. Im Abschnitt „Variétés dans l’espèce humaine“ aus dem dritten Buch seiner Histoire naturelle stößt man anlässlich der Beschreibung der ‚Neger‘ tatsächlich auf folgende Passage: je ne puis écrire leur histoire sans m’attendrir sur leur état, ne sont-ils pas assez malheureux d’être réduits à la servitude, d’être obligés de toujours travailler sans pouvoir jamais rien acquérir? faut-il encore les excéder, les frapper, et les traiter comme des animaux? l’humanité se révolte contre ces traitements odieux que l’avidité du gain a mis en usage, et qu’elle renouvellerait peut-être tous les jours, si nos lois n’avaient pas mis un frein à la brutalité des maîtres, et resserré les limites de la misère de leurs esclaves.44
Im Namen der „Menschlichkeit“ ergreift Buffon gegen die Gewaltsamkeit der Sklaverei Partei. Im selben Atemzug wird der humanisierende Einfluss des Code noir betont, der – formal, jedoch mit geringer belegbarer Wirkung – Mindeststandards für die Behandlung karibischer Sklaven festlegt. Der empfindsame Europäer kann sich so noch in der Kritik einer von Europäern ausgehenden und beförderten Praxis der Gewissheit versichern, dass wiederum Europäer diese Praxis zumindest in ihren äußersten Exzessen wohlmeinend regulieren. Die „brutalité des maîtres“ und „nos lois“ verhalten sich dabei antagonistisch, als habe der Code noir mit der in dieselbe Zeit fallenden juristischen und ökonomischen Förderung der traite des Nègres unter Ludwig XIV. nichts zu tun.45
43
44 45
außereuropäische koloniale Welt, hrsg. v. Hans-Jürgen Lüsebrink, Göttingen: Wallstein 2006, 19–36, hier 27f. Zum Wissensstand der Lumières in Bezug auf Afrika siehe Ute Fendler, Susanne Greilich, „Afrika in deutschen und französischen Enzyklopädien des 18. Jahrhunderts“, in: Das Europa der Aufklärung und die außereuropäische koloniale Welt, op. cit., 113–137. Zur taxonomischen und historiographischen Eingliederung Afrikas in die Wissensbestände des 18. Jahrhunderts siehe T. Carlos Jacques, „From Savages and Barbarians to Primitives. Africa, Social Typologies, and History in Eighteenth-Century French Philosophy“, in: History and Theory 36 (1997), 190–215. Georges-Louis Leclerc de Buffon, Œuvres, hrsg. v. Stéphane Schmitt unter Mitarbeit v. Cédric Crémière, Paris: Gallimard 2007, 369. Zur traite négrière siehe Marc Ferro, „Autour de la traite et de l’esclavage“, in: Le livre noir du colonialisme. XVIe–XXIe siècle. De l’extermination à la repentance, hrsg. v. Marc Ferro, Paris: Robert Laffont 2003, 103–119.
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Doch muss auch der gern unterschlagene Beginn des Absatzes betrachtet werden. Zwar wird Schwarzen dort ein prinzipieller Gerechtigkeitssinn attestiert, doch bleibt dieser entkoppelt von einem rational abwägenden „esprit“ und im hierarchisch niederen „sentiment“ angesiedelt.46 Auf Ebene des sentiment werden die Einwohner Afrikas den Europäern weitgehend gleichgestellt, auf Ebene des esprit aber herrscht ein kategorialer Unterschied. Die Tragweite dieser vergleichenden Abwertung erschließt sich aus Buffons teleologisch zugespitztem Entwurf der Erdgeschichte in Des époques de la nature (1778). Orientiert an der Schöpfungserzählung der Genesis unterscheidet Buffon sieben Epochen, von der Entstehung der Planeten über die Spaltung der Kontinentalmassen bis hin zur Heraufkunft des Menschen, in dem die bisherigen Reiche des Lebendigen eine qualitative Überschreitung erfahren: mais pouvons-nous douter que nous ne différions prodigieusement des animaux par le rayon divin qu’il a plu au souverain Être de nous départir; ne voyons-nous pas que dans l’homme, la matière est conduite par l’esprit; il a donc pu modifier les effets de la Nature; il a trouvé le moyen de résister aux intempéries des climats; il a créé de la chaleur, lorsque le froid l’a détruite: la découverte et les usages de l’élément du feu, dus à sa seule intelligence, l’ont rendu plus fort et plus robuste qu’aucun des animaux […].47
Die differentia specifica, durch die er sich von den übrigen Tieren unterscheidet, sind damit „esprit“ und „intelligence“ sowie die aus beiden resultierende Fähigkeit zur Absicherung gegen schädliche Umwelteinflüsse, zu materialer Selbstbehauptung. Ebendieser „esprit“ wurde den Einwohnern Afrikas gleichwohl in nur sehr eingeschränktem Maße zugesprochen, ihre geringere Distanz zum Tier inbegriffen. Wenn es aber einen gleichsam anthropologisch festgeschriebenen Imperativ zur Perfektibilität gibt (vgl. „modifier les effets de la Nature“), so ist dieses vorkulturell situierte Ursprungsparadigma des Menschen zunächst nichts anderes als die anthropologische Legitimation eines partikularen, europäischen Entwicklungspfads, die sich freilich selbst als solche nicht zu erkennen gibt. Die Folgen dieser exemplarischen Festschreibung treten in der Histoire naturelle deutlich zutage und generieren, der Einlassung gegen die Sklaverei ungeachtet, Abschnitte wie diesen: Comparez en effet la Nature brute à la Nature cultivée; comparez les petites nations sauvages de l’Amérique avec nos grands peuples civilisés; comparez même celles de l’Afrique, qui ne le sont qu’à demi; voyez en même temps l’état des terres que ces nations habitent, vous jugerez aisément du peu de valeur de 46 47
Buffon, Œuvres, 368f. Ebd., 270f.
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ces hommes par le peu d’impressions que leurs mains ont faites sur leur sol: soit stupidité, soit paresse, ces hommes à demi brutes, ces nations non policées, grandes ou petites, ne font que peser sur le globe sans soulager la Terre, l’affamer sans la féconder, détruire sans édifier, tout user sans rien renouveler.48
In ihrer behaupteten Indolenz gegenüber europäischen Perfektibilitätsbestre bungen werden insbesondere die Einwohner Afrikas zu ärgerlichen Residuen der Urzeit, die „nichts tun als auf der Erdkugel zu lasten“. Offenkundig seien sie aus eigener Kraft nicht in der Lage, sich der Aufgabe des „modifier les effets de la Nature“ anzunehmen. Wenn aber der Vorwurf an diese vermeintlichen „hommes à demi brutes“ lautet, sie verständen nichts von Arbeit und Landwirtschaft, entsteht im Gegenzug die Suggestion, dass man sie an ihre doch anthropologisch vorgegebene Bestimmung heranführen müsse und sei es über das Zwischenstadium der Plantagenarbeit. Anders als Voltaire, für den die vermeintlichen „différences prodigieuses“49 zwischen Afrikanern und Europäern nur polygenetisch zu begreifen sind, ist Buffon entschiedener Vertreter der Monogenie, d.h. eines gemeinsamen Ursprungs der Menschheit trotz der Vielfalt ihrer phänotypischen Ausprägungen.50 Damit einher geht die Auffassung, dass diese Verschiedenheiten nur temporäre, durch Umwelteinflüsse bewirkte Stabilisierungen innerhalb eines umfassenden Kontinuums sind. Während im Falle Voltaires die verschiedenen Menschenarten ontologisch unterschieden sind, gründen Buffons „variétés“ der menschlichen Spezies auf prinzipiell reversiblen Anpassungen an die äußeren Lebensumstände. Um die hinter diesen akzidentiellen Verschiedenheiten gegebene Einheit hervortreten zu lassen, imaginiert Buffon eine Reihe von Experimenten. So ließe sich in Anlegung eines großzügigen Zeitrahmens nachweisen, dass ‚Weiße‘, in afrikanische Klimate transferiert, ebenso zu ‚Schwarzen‘ würden wie umgekehrt.51 Die Herabstufung der Hautfarbe zu einem kontingenten Oberflächenmerkmal führt jedoch nicht zur axiologischen Gleichordnung menschlicher Verschiedenheit. Der Faktor Klima erweist sich hierin als folgenreicher, als es Buffons gedankliche Kommutationsspiele gelegentlich suggerieren. In De la Nature, première vue entwirft Buffon die Natur als Gott unterstellte Gewalt, die in einem unablässigen Prozess beständig neue Individuen hervorbringt und die zyklischen Abläufe des unabsehbaren Universums in Gang hält. Das 48 49 50 51
Ebd., 1332f. Voltaire, Essai sur les mœurs, Bd. 1, 6. Buffon, Œuvres, 406f. Ebd., 377. Das Gegenexempel imaginiert Buffon in De la dégéneration des animaux. Ebd., 1018.
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Wirken der Natur selbst wird semantisiert als eine auf Dauer gestellte Arbeit: „la Nature est elle-même un ouvrage perpétuellement vivant, un ouvrier sans cesse actif.“52 Auch wenn Buffons Histoire naturelle die Begriffe von Mikro- und Makrokosmos nicht mehr explizit gebraucht, findet sich deren konstitutiver Analogismus einigermaßen deutlich in der Schilderung des ersten Menschen. Ist die Natur fassbar als niemals unterbrochene Arbeit, so realisiert auch der Mensch seine ‚natürliche‘ Bestimmung erst an jenem Punkt, an dem er selbst zu einem „ouvrier sans cesse actif“ wird. Im Gang durch eine unwirtliche, ja feindselige Urwaldlandschaft ereilt ihn in Buffons Erzählung daher folgende Einsicht: il rebrousse chemin et dit: la Nature brute est hideuse et mourante; c’est Moi, Moi seul qui peux la rendre agréable et vivante: desséchons ces marais, animons ces eaux mortes en les faisant couler, formons-en des ruisseaux, des canaux; employons cet élément actif et dévorant qu’on nous avait caché et que nous ne devons qu’à nous-mêmes […].53
Der Ursprung des Menschen nach Buffon ist durchzogen von einem Pathos der Urbarmachung. Eine anfangs unwirtliche Umgebung wird durch planvoll kalkulierendes Handeln sukzessive in eine „Nature nouvelle“, d.h. in eine „Nature cultivée“ transformiert.54 Doch sind nicht alle Klimate dieser Selbstrealisierung der menschlichen Natur gleichermaßen zuträglich. In den Époques de la Nature wird das Habitat der ersten Menschen, das Buffon in etwa im heutigen armenischen Hochland verortet, daher folgendermaßen skizziert: plus il [sc. l’homme] a su, plus il a pu; mais aussi, moins il a fait, moins il a su. Tout cela suppose les hommes actifs dans un climat heureux, sous un ciel pur pour l’observer, sur une terre féconde pour la cultiver, dans une contrée privilégiée, à l’abri des inondations, éloignée des volcans, plus élevée, et par conséquent plus anciennement tempérée que les autres.55
Wissen ist proportional zu tätigem Handeln und Arbeit, doch nicht alle Klimate setzen diese in gleicher Weise frei. Das Optimum seiner Wirksamkeit entfaltet der Mensch, wie auch in der Klimatheorie Montesquieus, allein in den „gemäßigten“ Zonen.56 Vor dem Hintergrund dieser anthropologi schen Ursprungsmythen wird die spätere Migration von Menschen in 52 53 54 55 56
Ebd., 985. Ebd., 991. Ebd., 991. Ebd., 1327f. Vgl. als locus classicus die Bücher XIV–XVII in Montesquieus De l’Esprit des Lois.
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die unwirtlicheren Klimazonen übermäßiger Hitze oder Kälte lesbar als Degenerationsprozess.57 Kulturelle Errungenschaften (arts et sciences) bedürfen einer ständigen Erhaltungsleistung. Die Nature cultivée steht durchweg im Begriff, von der wilden, ‚ersten‘ Natur wieder überwuchert zu werden.58 Die extremen Klimate unterlaufen diese Bemühungen jedoch, weil sie im Falle exzessiver Kälte den Menschen auf die Sicherung bloßer Subsistenz festlegen, im Falle erhöhter Hitze schon physiologisch Trägheit bewirken, die konträr steht zu dem für die Erhaltung der Kultur als ‚zweiter‘ Natur erforderlichen Quantum Arbeit. Bereits in seiner ersten Selbstanrede erweist sich der prototypische Mensch Buffons als umsichtiger Verwalter seiner eigenen Zukunft. Umso deutlicher aber tritt die Abweichung westafrikanischer Küstenvölker in Buffons Des variétés dans l’espèce humaine hervor. Über die Einwohner Sierra Leones heißt es dort, „[qu’ils] se soucient si peu de perdre ou d’employer leurs temps qu’ils ne le mesurent pas.“59 Schlechter noch ergeht es den Guineern, zitiert Buffon doch zustimmend Charlevoix’ Behauptung, „que tous les Nègres de Guinée ont l’esprit extrêmement borné, qu’il y en a même plusieurs qui paraissent être tout à fait stupides, qu’on en voit qui ne peuvent jamais compter au-delà de trois, que d’eux-mêmes ils ne pensent à rien, qu’ils n’ont point de mémoire, que le passé leur est aussi inconnu que l’avenir“.60 Einzig die Äthiopier – „peuple à demi poli“61 – haben es nach Buffons ethnographischem Panorama vermocht, einige Rudimente höherer Kultur zu erhalten. Dennoch: „ils ont très peu de connaissance des sciences et des arts, car leur langue n’a aucune règle, et leur manière d’écrire est très peu perfectionnée, il leur faut plusieurs jours pour écrire une lettre“.62 Bilden Landwirtschaft, Zeitmessung und Schrift die Fundamente der Kultur als Bestimmung der menschlichen Natur, so ist deutlich, dass Afrika und 57 58 59 60 61 62
Siehe hierzu Phillip R. Sloan, „The Idea of Racial Degeneracy in Buffon’s Histoire naturelle“, in: Racism in the Eighteenth Century, hrsg. v. Harold E. Pagliaro, Cleveland, London: Press of Case Western Reserve University 1973, 293–321. Die Drohung eines Rückfalls der Natur in ihren feindlichen Urzustand begleitet schon den ‚ersten‘ Menschen Buffons (vgl. Buffon, Œuvres, 992). Ebd., 365. Ebd., 368. Ebd., 356. Ebd., 357. Die vermeintlich ‚regellose‘ Sprache der Äthiopier und die behauptete Schwerfälligkeit ihrer Schrift sind gravierende Hindernisse für die Perfektibilität. Erschweren sie doch die für jeglichen Fortschritt unabdingbare „association d’idées“, die entscheidend ist für die anthropologische Differenz zum Tier (vgl. Buffon, Œuvres, 188). Zu der für Buffon grundlegenden Sprachkonzeption vgl. Michel Foucault, Les mots et les choses, Paris: Gallimard 1966, 92–136.
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seine Bewohner hier in sämtlichen Punkten als das Andere der Zivilisiertheit figurieren. Was die Hypothese einer Monogenie der Menschheit für die essentielle Einheit des Menschengeschlechts zunächst leistet, unterläuft die klimatheoretische Ableitung menschlicher Varianz und die Degenerationsnarrative, die sie bereithält. Auch die monogenetische Theorie über den Ursprung des Menschen ist nicht neutral. Vielmehr trägt sie in ihrem Kern die normative Festschreibung eines partikularen Kulturtyps, eben desjenigen des homo faber, in dem sich der Enthusiasmus der Lumières für Fortschritt und die unendliche Gestaltbarkeit der Natur als Realisierung der menschlichen Natur ausgibt. Abweichungen von dieser ‚natürlichen‘ Entelechie können folglich nur als Verfallserscheinungen in die Synopse der Völker und Kulturen Eingang finden. Besonders vexierend für europäische Beobachter bleibt dabei die ‚Zukunftsvergessenheit‘ insbesondere afrikanischer Völker und somit ihre Indifferenz gegenüber einem wesentlichen Legitimationsbegriff für das Erzählprojekt ‚Aufklärung‘ selbst.63 Doch erkennt die überwältigende Mehrheit ihrer Vertreter (und Forterzähler) hierin kein skeptisch stimmendes Indiz für die Grenzen des eigenen Universalismus. Vielmehr wird die Gegenwart der ‚Anderen‘ zu einer bereits abgeschlossenen Etappe der eigenen Vergangenheit erklärt und damit einhergehend der Auftrag, sie im Namen von humanité und utilité aus diesem Rückstand zu ‚befreien‘.64 Buffons naturgeschichtliche Situierung des Menschen ist durchzogen von einem unausgetragenen Paradox. So ist die Mitgift der Natur an den Menschen die Fähigkeit „de modifier les effets de la Nature“. Auch das Klima wäre für sich genommen nichts anderes als ein solcher „effet de la Nature“ und in seinem determinierenden Einfluss prinzipiell überschreitbar, doch agiert es in Buffons Entwurf zugleich als eine menschlichem Wirken entzogene Schicksalsmacht. Es scheint daher nicht vorstellbar, dass unter den Einwirkungen von Hitze und Kälte dieses originär menschliche Potential mehr leisten könnte als die Sicherung des blanken Überlebens. Ganz als ließe sich aus der mittleren Außentemperatur einer Region ein Gradmesser für die Komplexität der symbolischen Systeme ableiten, durch die ihre Einwohner ‚Welt‘ erzeugen, verhandeln und ausdeuten.65 63 64
65
Siehe Dan Edelstein, The Enlightenment. A Genealogy, Chicago: Chicago University Press 2010. Zur Rolle der maßgeblich von schottischen Denkern entwickelten Stadientheorie gesell schaftlicher Entwicklung mit ihren vier Hauptstadien des Jagens und Sammelns, des Hirtenwesens, des Ackerbaus und schließlich des Handels siehe Jacques, „From Savages and Barbarians to Primitives“, 202f. Die wiederkehrende Prädominanz des Klimas als determinierender Größe trotz jener inhärenten Überschreitungstendenz der menschlichen Natur mag auch mit den
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Antikolonialer Kolonialismus oder die Freiheit zum Markt: Raynal/Diderot
Buffons Festschreibungen der menschlichen Natur und ihrer klimageogra phischen Verfallsformen prägen mit ihren normativen Setzungen wiederum jenes Werk, das aus postkolonialer Perspektive als eines der avanciertesten der gesamten Lumières gelten darf: die Histoire philosophique et politique des établissements et du commerce des Européens dans les deux Indes (1770) des Abbé Raynal, die geradezu mustergültig die transatlantische Dimension der Lumières verkörpert. Zu Beginn des umfangreichen Werks situiert der Abbé den eigenen historiographischen Auftrag in jener durch das Schlüsseldatum 1492 bewirkten ‚Revolution‘ der allgemeinen Weltverhältnisse: Il n’y a point eu d’événement aussi intéressant pour l’espèce humaine en général, & pour les peuples de l’Europe en particulier, que la découverte du Nouveau-monde & le passage aux Indes par le cap de Bonne-Espérance. Alors a commencé une révolution dans le commerce, dans la puissance des nations, dans les mœurs, l’industrie & le gouvernement de tous les peuples.66
Zugleich handelt es sich bei der Histoire des deux Indes wegen zahlreicher unmarkierter Zitate und Paraphrasen, besonders aus Reiseberichten, Geschichtswerken und naturkundlichen Abhandlungen, um einen „polyphonen“ Text,67 als dessen Autor nur der Konvention halber auch weiterhin der Abbé genannt wird. Dabei stammt die überwältigende Mehrheit jener Passagen, dank derer sich die Histoire des deux Indes als eine Histoire philosophique et politique bezeichnen darf, aus der Feder Diderots.68 Die philosophische Dimension
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Spannungen des Zeitbegriffs in Buffons Histoire naturelle zusammenhängen und dem changierenden Potential des Faktors Zeit, in den Reichen der Natur bleibende Veränderungen zu bewirken. Siehe hierzu Hans-Jörg Rheinberger, „Buffon. Zeit, Veränderung und Geschichte“, in: History and Philosophy of the Life Sciences 12 (1990), 203–223. Guillaume-Thomas Raynal, Histoire philosophique et politique des établissements et du commerce des Européens dans les deux Indes, Bd. I, livres i-v, hrsg. v. Anthony Strugnell, Ferney-Voltaire: CIEDS 2010, 23. Die durch das Centre International d’Étude du XVIIIe Siècle (CIEDS) herausgegebene kritische Ausgabe der Histoire de deux Indes umfasst bislang nur die ersten fünf Bücher. Die Zitate aus den übrigen Büchern erfolgen daher nach der Genfer Ausgabe von 1781. Es werden jeweils Raynal (2010) bzw. Raynal (1781) als Abkürzungen benutzt. Vgl. Michèle Duchet, „L’Histoire des deux Indes. Sources et structure d’un texte polyphonique“, in: Lectures de Raynal. L’Histoire des deux Indes en Europe et en Amérique au XVIIIe siècle, hrsg. v. Hans-Jürgen Lüsebrink, Manfred Tietz, Oxford: Voltaire Foundation 1991, 9–15. Zu Diderots maßgeblichen Beiträgen in der Histoire des deux Indes siehe Michèle Duchet, Diderot et L’Histoire des deux Indes ou l’écriture fragmentaire, Paris: Nizet 1978.
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dieses historiographischen (oder zumindest kompilatorischen) Projekts artikuliert sich in unmittelbarem Anschluss in einer Reihe von Fragen über Sinn und Zweck der namhaft gemachten Schwellenereignisse und ihrer epochenbegründenden Wirkung.69 Gerade wegen dieser kritischen Befragung der Geschichte in Hinsicht auf die moralische Dimension der letzten drei Jahrhunderte und ihrer Prozesse europäischer Expansion, Kolonisierung und Unterwerfung ist die Histoire des deux Indes weit davon entfernt, ein Werk wertfreier Historiographie zu sein. Vielmehr eignet dem Text eine durchweg vernehmliche Appelstruktur,70 die den Leser immer wieder zur emotionalen Teilnahme an dem geschilderten Unrecht, den Verbrechen und Gräueln anhält, derer sich die europäischen Kolonialmächte schuldig gemacht haben. Innerhalb der Lumières, und auch dies ist vor allem das Verdienst Diderots, bildet das Werk eine in Vehemenz, Umfang und Wirkung beispiellose Anklage europäischer Vergehen gegen Natur- und Völkerrecht ebenso wie eine Verteidigung der Rechte indigener Völker, bis hin zu offenen Aufrufen zur Rebellion gegen ihre Unterdrücker. Vor diesem Hintergrund enthält insbesondere das 24. Kapitel des elften Buchs das wohl ergreifendste Plädoyer gegen die Sklaverei des gesamten 18. Jahrhunderts.71 Zu Beginn findet sich als eine auf attendrissement zielende compositio loci die exemplarische Schilderung eines Sklavenschicksals,72 doch entfalten die als bekannt gesetzten Schrecken der Sklaverei kaum Wirkung in der wachsenden Öffentlichkeit des sich aufklärenden Europas: L’Europe retentit depuis un siecle des plus saines, des plus sublimes maximes de la morale. La fraternité de tous les hommes est établie de la maniere la plus touchant dans d’immortels écrits. On s’indigne des cruautés civiles ou religieuses de nos féroces ancêtres […]. Des malheurs imaginaires, nous arrachent des larmes dans le silence du cabinet & sur-tout au théâtre. Il n’y a que la fatale destinée des 69
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„Tout est changé, & doit changer encore. Mais les révolutions passées & celles qui doivent suivre, ont-elles été, seront-elles utiles à la nature humaine? L’homme leur devra-t-il un jour plus de tranquillité, de bonheur & de plaisir? Son état sera-t-il meilleur, ou ne fera-t-il que changer?“ (Raynal (2010), 23). Siehe Michel Delon, „L’appel au lecteur dans l’Histoire des deux Indes“, in: Lectures de Raynal, op. cit., 53–66. Von einem „Schweigen der philosophes aller Länder, jedenfalls einer großen Mehrheit unter ihnen, bis sehr spät ins 18. Jahrhundert hinein zu Sklavenhandel und Sklaverei“ (Osterhammel, „Welten des Kolonialismus“, 36) kann damit keine Rede sein. Andere prominente Einlassungen gegen die Sklaverei finden sich etwa in Montesquieus Esprit des Lois (1748) (XV, 3) und Rousseaus Contrat social (1762) (I, 4) oder in fiktionalen Werken wie Marivaux’ L’île aux esclaves (1725) oder Saint-Lamberts Erzählung Ziméo (1769). Auch zahlreiche Einträge der Encyclopédie zählen hierzu. Raynal (1781), Bd. 6, 138.
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malheureux negres qui ne nous intéresse pas. On les tyrannise, on les mutile, on les brûle, on les poignarde; & nous l’entendons dire froidement & sans émotion. Les tourments d’un peuple à qui nous devons nos délices ne vont jamais jusqu’à notre cœur.73
Während die „malheurs imaginaires“ empfindsamer Romane oder Melodramen die Europäer zu Tränen rühren, begegnen sie dem Leid der Sklaven mit unbewegter Kälte und dies, obwohl, wie es der letzte Satz verdeutlicht, der Komfort und Wohlstand, der sie umgibt, für diese Grausamkeiten mit verantwortlich ist. Die befremdliche Indifferenz des europäischen Publikums gilt es daher in der Schilderung der modernen Sklaverei durch einschlägige Strategien empfindsamer Rhetorik in Anteilnahme zu verwandeln. Daher auch das folgende Portrait eines Reeders, der gewissermaßen die dunkle Variante von Voltaires Kaufmann aus der sechsten lettre philosophique darstellt: Voyez cet armateur, qui courbé sur son bureau, regle, la plume à la main, le nombre des attentats qu’il peut faire commettre sur les côtes de Guinée; qui examine à loisir, de quel nombre de fusils il aura besoin pour obtenir un negre, de chaînes pour le tenir garotté fur son navire, fouets pour le faire travailler; qui calcule, de sang-froid, combien lui vaudra chaque goute de sang, dont cet esclave arrosera son habitation […]. Vous frémissez …74
Doch beschränkt sich der Text nicht auf die Suggestion moralisch unzweideutig konnotierter Bilder, die sämtliche Profiteure der traite des Nègres als finstere Schurken und unmenschliche Sadisten brandmarken. In einer Reihe von Erwiderungen auf typische Argumente, die zur Legitimation der Sklaverei angeführt werden – einer Art Antikatechismus der Sklaverei –, treten vielmehr auch Logik und Dialektik in den Dienst der humanité. Besonders aufschlussreich im Kontext von Voltaires und Buffons Aussagen über die Natur der Schwarzen ist dabei folgender Abschnitt, der zunächst den Einwand eines Sklavenhalters formuliert: Mais les negres sont une espece d’hommes nés pour l’esclavage. Ils sont bornés, fourbes, méchans; ils conviennent eux-mêmes de la supériorité de notre intelligence, & reconnoissent presque la justice de notre empire. Les negres sont bornés, parce que l’esclavage brise tous les ressorts de l’ame. Ils sont méchans, pas assez avec vous. Ils sont fourbes, parce qu’on ne doit pas la vérité à ses tyrans. Ils reconnoissent la supériorité de notre esprit, parce que nous avons perpétué leur ignorance; la justice de notre empire, parce que nous avons abusé de leur foiblesse. Dans l’impossibilité de maintenir notre supériorité par 73 74
Ebd., 138f. Ebd., 167.
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Paul Strohmaier la force, une criminelle politique s’est rejettée sur la ruse. Vous êtes presque parvenus à leur persuader qu’ils étoient une espece singuliere, née pour l’abjection & la dépendance, pour le travail & le châtiment. Vous n’avez rien négligé, pour dégrader ces malheureux, & vous leur reprochez ensuite d’être vils.75
In einer materialistischen Dekonstruktion scheinbar essentieller Unterschiede zwischen ‚weißen‘ Europäern und ‚schwarzen‘ Afrikanern wird auch deren epistemische Zuordnung zu einer „espece singuliere“ als Instrument der Unterdrückung kenntlich gemacht. Doch gilt es, die verborgenere Dimension dieser scheinbar eindeutigen Passage herauszulesen. Auch wenn die als defizient markierten Charakteristika der Schwarzen als Folgen von Unterdrückung markiert werden, gibt es auch hier eine wichtige Ausnahme: „nous avons perpétué leur ignorance“ bedeutet eben doch, dass diese ignorance als Gegebenheit aller europäischen Landnahme und Versklavung vorausging. Ein zusätzliches Vergehen des Sklavenhalters ist es demnach, den Sklaven gegenüber seinen Bildungsauftrag als Europäer vernachlässigt zu haben. Dass sie dieser von außen intervenierenden Bildung bedürfen, bleibt aber unbestritten. Um die Wendungen, die noch diese scheinbar unmissverständliche Verdammung der Sklaverei in ihrem Fortgang nimmt, besser zu verstehen, empfiehlt es sich, im Folgenden nochmals den Anfang der Histoire des deux Indes zu bemühen. Raynals tableauförmiger Aufriss des Zeitalters der Entdeckungen und der mit diesen neu angebrochenen Epoche wird bestimmt von der impliziten Utopie eines Weltmarkts. In die entrückte Schau des unparteiisch urteilenden Historikers tritt damit schon zu Beginn folgende Vision, die in ihrer zeitlichen Zuordnung eigentümlich zwischen Gegenwart und Zukunft oszilliert: C’est là enfin que, voyant à mes pieds ces belles contrées où fleurissent les sciences & les arts, & que les ténèbres de la barbarie avoient si long-tems occupées, je me suis demandé: qui est-ce qui a creusé ces canaux ? qui est-ce qui a desséché ces plaines? qui est-ce qui a fondé ces villes? qui est-ce qui a rassemblé, vêtu, civilisé ces peuples? & qu’alors toutes les voix des hommes éclairés qui sont parmi elles m’ont répondu: c’est le commerce, c’est le commerce.76
Der Chor aufgeklärter Geister rühmt den Handel als Garanten von Zivilisation und Wohlstand, jenen Handel, in dem die transformatorische Qualität von Buffons Urmensch gewissermaßen ihre entgrenzende Überführung in eine überindividuelle Prozessgewalt erfährt. Auch dieses Lob des Handels wird wie Buffons Ursprungsskizze getragen von einem Pathos der Urbarmachung, der Transformation alles Unnützen in utilité. Trotz der vehementen Parteinahme 75 76
Ebd., 171. Raynal (2010), 24.
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für Sklaven und indigene Völker und dem daraus resultierenden Potential zur Dezentrierung der eigenen Rede, bleibt diese Leitidee eines Welthandels, der in einem noch ausstehenden Egalisierungsgeschehen die verschiedenen Völker und Nationen friedlich verbindet, nicht Gegenstand der ortsgebundenen Anschauung eines europäischen Betrachters. Vielmehr artikuliert sich in dieser imaginierten Schau aus großer Höhe, bei der Raynal sich in einem Akt epistemologischer Levitation zum unparteiischen Vermittler historischer Objektivität erhebt, die Wahrheit selbst.77 Die durch die gesamte Histoire des deux Indes mitgeführte Zielvorstellung einer umfassenden Integration der Welt durch Markt und Handel ist nicht mehr die Vision eines einzelnen Erdteils und seines Wunsches nach Generalisierung seines besonderen Entwicklungspfads, sondern der Ratschluss historischer Wahrheit selbst. Wendet man sich erneut besagtem Kapitel über die Sklaverei zu, werden die eigentümlichen Verzögerungsmomente deutlich, die einer unmittelbaren Befreiung der Sklaven, wie sie eine konsequente Forderung nach Maßgabe des Naturrechts wäre, entgegenstehen. Unter den Sklaven finden sich nunmehr gar solche, die durch lange Knechtschaft ihre Eignung zur Freiheit eingebüßt haben: Pour atteindre à ce but, regardé si généralement comme chimérique, il ne faudroit pas, selon les idées d’un homme éclairé, faire tomber les fers des malheureux qui sont nés dans la servitude, ou qui y ont vieilli. Ces hommes stupides qui n’auroient pas été préparés à un changement d’état, seroient incapables de se conduire eux-mêmes. Leur vie ne seroit qu’une indolence habituelle, ou un tissu de crimes. Le grand bienfait de la liberté doit être réservé pour leur postérité, & même avec quelques modifications.78
Hier zeigt sich eine auffällige semantische Verschiebung: ‚Freiheit‘ ist nicht mehr ein von der Natur verbrieftes ‚Recht‘, sondern eine ‚Wohltat‘ oder ein ‚Geschenk‘ (bienfait), das erst den Nachkommen jener durch die Sklaverei ruinierten Menschen zukommen könne. Diese wiederum müssten zunächst in einer Art Interim graduell und unter europäischer Kuratel an die Herausforderungen der Freiheit herangeführt werden, während der mit dieser Hoff nung einhergehende Produktivitätsschub schon vorab positive Wirkungen 77
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„Si mon ouvrage trouve encore quelques lecteurs dans les siècles à venir, je veux qu’en voyant combien j’ai été dégagé de passions & de préjugés, ils ignorent la contrée où je pris naissance […]. Le premier soin, le premier devoir, quand on traite des matières importantes au bonheur des hommes, ce doit être de purger son ame de toute crainte, de toute espérance. Elevé au-dessus de toutes les considérations humaines, c’est alors qu’on plane au-dessus de l’atmosphère, & qu’on voit le globe au-dessous de soi“ (ebd., 24). Raynal (1781), Bd. 6, 178f.
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auf die Wirtschaft haben werde.79 Im vorweggenommenen Szenario der Freilassung kommt es wiederum zu einem bezeichnenden semantischen Lapsus: En rendant à ces malheureux la liberté, ayez soin de les asservir à vois loix & à vos mœurs, de leur offrir vos superfluités. Donnez leur une patrie, des intérêts à combiner, des productions à faire naître, une consommation analogue à leurs goûts; & vos colonies ne manqueront pas de bras, qui, soulagés de leurs chaînes, en seront plus actifs & robustes.80
Befreiung und Unterwerfung gehen hier eine paradox anmutende Verbindung ein. Die neue Freiheit der ehemaligen Sklaven ist in ihrer Autonomie entscheidend eingeschränkt, geht sie doch einher mit einer erneuten Unterwerfung (vgl. „asservir“) unter Sitten und Gesetze ihrer ehemaligen Herren. Der Weg zur Entfaltung dieser Freiheit ist damit bereits vorgezeichnet: es ist die Freiheit zu Produktivität und Handel unter europäischen Vorzeichen. In Diderots sonst radikalen Einlassungen zur Sklaverei in der Histoire des deux Indes zeichnet sich ebenfalls jene Aufschubstruktur ab, die den abolitionistischen Entwürfen auch anderer philosophes ab etwa 1770 eignet und die in markantem Gegensatz steht zu manchem Eintrag der Encyclopédie.81 Der unmittelbare Drang nach Freiheit wird temperiert durch Überlegungen darüber, wie diese Freiheit zu orientieren und kanalisieren sei, um die gewünschten Resultate zu erzielen. Die Ausgestaltung dieses ‚Propädeutikums der Freiheit‘ aber bleibt Angelegenheit Europas. Die Konstruktion dieses Interims, das die Integration der neuen citoyens in die zugedachten Aufgaben gewährleisten soll, erlaubt es schließlich doch, den anfangs noch inkriminierten Komfort und Luxus Europas unter veränderten Voraussetzungen zu bewahren:
79 80 81
Ebd., 180. Ebd., 181. Vgl. insbesondere Condorcet, Réflexions sur l’esclavage des nègres, Neufchâtel: Société typographique 1781, und Laffon de Ladebat, Discours sur la nécessité et les moyens de détruire l’esclavage dans les colonies, Bordeaux: Michel Racli 1788. Unabhängig von der variierenden Ausrichtung ihrer Argumentation konvergieren beide Autoren in der Notwendigkeit eines Interims, eines Zwischenstadiums zwischen Sklaverei und Freiheit. Im Eintrag „Traite des nègres (Commerce d’Afrique)“ des Chevalier de Jaucourt heißt es zu solch dilatierenden Erwägungen recht eindeutig: „On dira peut-être qu’elles seroient bientôt ruinées ces colonies, si l’on y abolissoit l’esclavage des negres. Mais quand cela seroit, faut-il conclure de-là que le genre humain doit être horriblement lésé, pour nous enrichir ou fournir à notre luxe? […] Non … Que les colonies européennes soient donc plutôt détruites, que de faire tant de malheureux!“ (Encyclopédie (ENCCRE), Bd. 16, 533).
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Hâtons-nous donc de substituer à l’aveugle férocité de nos peres les lumieres de la raison, & les sentiments de la nature. Brisons les chaînes de tant de victimes de notre cupidité, dussions-nous renoncer à un commerce qui n’a que l’injustice pour base, & que le luxe pour objet. Mais non il n’est pas nécessaire de faire le sacrifice de productions que l’habitude nous a rendues si cheres. Vous pourriez les tirer de l’Afrique même. Les plus importantes y croissent naturellement, & il seroit facile d’y naturaliser les autres. Qui peut douter que des peuples qui vendent leurs enfans pour satisfaire quelques fantaisies passageres, ne se déterminassent à cultiver leurs terres pour jouir habituellement de tous les avantages d’une société vertueuse & bien ordonnée? Il ne seroit pas même peut-être impossible d’obtenir ces productions de vos colonies, sans les peupler d’esclaves. Ces denrées pourroient être cueillis par des mains libres, & dès-lors consommées sans remords.82
Die projektierte Abschaffung der Sklaverei führt demnach keineswegs zu einer Aufgabe der Kolonien. Stattdessen setzen die angeführten „avantages d’une société vertueuse & bien ordonnée“ neue kolonialistische Energien frei. So wird erneut Afrika zum imaginierten Empfänger europäischer Segnungen, seine kultivierende Erschließung zur nächsten Etappe auf dem Weg zu einem integrierten Weltmarkt. Gewiss ist es zu undifferenziert ist, die philosophes in ihren ambivalenten Haltungen zu Luxus, Sklaverei und Fortschritt zu Vordenkern des Kolonialismus und Imperialismus des 19. Jahrhunderts zu machen.83 Dennoch zeigen sich in diesem europäisch oktroyierten Interim, in dem indigene Völker und ehemalige Sklaven unter Kuratel zur Freiheit erst befähigt werden sollen, und der Expansion marktaffiner utilité in bislang unerschlossene Territorien, wie hier Afrika, klare Gemeinsamkeiten mit der duplizitären Struktur der späteren mission civilisatrice.84 Doch wäre dieses Kapitel Raynals kein Werk Diderots, wenn es in dieser einigermaßen unverhohlenen Behauptung europäischer Ansprüche aufginge. Neben dem gradualistischen Schema eines langsamen Übergangs in die Freiheit unter europäischer Aufsicht entwirft der Schluss des Kapitels in der Vision 82 83
84
Raynal (1781), Bd. 6, 177f. So etwa Duchet, Anthropologie et histoire au siècle des lumières. Buffon, Voltaire, Rousseau, Helvétius, Diderot, Paris: Maspero 1971, 18. Eine diesbezügliche Ehrenrettung der philosophes, welche die zahlreichen problematischen Aspekte ihrer Theoriebildung freilich übergeht, unternimmt bereits Claudine Hunting, „The Philosophes and Black Slavery. 1748–1765“, in: Journal of the History of Ideas 39 (1978), 405–418. Dipesh Chakrabarty hat diese Duplizität folgendermaßen beschrieben: „The European colonizer of the nineteenth century both preached this Enlightenment humanism at the colonized and at the same time denied it in practice“ (Chakrabarty, Provincializing Europe, 4).
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eines schwarzen Heros eine ganz andere, revolutionäre Option, in der sich eine wesentliche Verschiebung von Handlungsmacht andeutet: Où est-il, ce grand homme, que la nature doit à ses enfans vexés, opprimés, tourmentés? Où est-il? Il paroîtra, n’en doutons point, il se montrera, il levera l’étendard sacré de la liberté. Ce signal vénérable rassemblera autour de lui les compagnons de son infortune. Plus impétueux que les torrents, ils laisseront par-tout les traces ineffaçables de leur juste ressentiment. Espagnols, Portugais, Anglois, François, Hollandois, tous leurs tyrans deviendront la proie du fer & de la flamme. Les champs Américains s’enivreront avec transport d’un sang qu’ils attendoient depuis si long-tems, & les ossements de tant d’infortunés entassés depuis trois siecles, tressailliront de joie. L’ancien monde joindra ses applaudissemens au nouveau. Par-tout on bénira le nom du héros qui aura rétabli les droits de l’espece humaine, par-tout on érigera des trophées à sa gloire. Alors disparaîtra le code noir; & que le code blanc sera terrible, si le vainqueur ne consulte que le droit de représailles!85
Dieser antizipierten Gewaltphantasie mit ihrem ungenannten Helden als einer Art schwarzen Christus iudex, der Gericht über die europäischen Kolonialmächte hält, wurden im Lichte späterer historischer Ereignisse, insbesondere aber der Revolution von Saint-Domingue unter Toussaint Louverture, zuweilen prophetische Qualitäten zugeschrieben. Doch darf dabei nicht der enunziative Widerspruch übergangen werden, dass dieser Aufruf an schwarze Sklaven zur Erhebung gegen ihre Unterdrücker sich in einem Text findet, der sich – durchaus explizit und der eigenen Rezeptionsgrenzen bewusst – ausschließlich an ‚weiße‘ Leser richtet,86 während die prätendierten Akteure solcher Umwälzungen, und das gilt nicht weniger für die Aufrufe an indigene Völker, keinen Zugang zu diesem Arsenal revolutionärer Ideen haben. Dennoch bleibt die Passage bemerkenswert, weil sie die zuvor entwickelte Idee einer sukzessive von Europäern verabreichten Freiheit kassiert und nahelegt, dass diese nur gewaltsam erkämpft werden kann. Die eigentlichen Akteure von Freiheit kommen damit aber nicht mehr aus den ,aufgeklärten‘ Weltteilen, sondern gewinnen ihre Kontur in revolutionärer Auflehnung gegen sie.87 Dieses Dezentrierungsspiel, das faktisch auf den begrenzten Resonanzraum einer geneigten Leserschaft beschränkt bleibt, artikuliert damit in aller Deutlichkeit die Grenzen einer von Europa her regulierten Aufklärung der Welt. Das „tribunal de
85 86 87
Raynal (1781), Bd. 6, 182f. Vgl. Delon, „L’appel au lecteur“, 59–61. Zur Neubewertung revolutionärer Handlungsmacht von Sklaven und der Dimension einer Aufklärung ‚von unten‘ siehe Laurent Dubois, „An Enslaved Enlightenment. Rethinking the Intellectual History of the French Atlantic“, in: Social History 31 (2006), 1–14.
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la lumiere & de la justice éternelles“88, vor das Diderot die europäischen Regenten zitiert, verliert in selbstreflexiver Einschränkung beträchtlich an judikativer Gewalt. Doch hängt dies auch damit zusammen, dass noch der rhetorisch brillierende Ankläger sich einer möglichen Befangenheit bewusst ist. An einer aufschlussreichen Stelle heißt es daher: „Tout mon sang se souleve à ces images horribles. Je hais, je suis l’espece humaine, composée de victimes & de bourreaux; & si elle ne doit pas devenir meilleure, puisse-t-elle s’anéantir!“89 Der Anklageführer gerät in eine Doppelrolle. Seine Identifikation mit der gesamten Menschheit führt zur Hybrisierung seines eigenen Status als Sprecher, indem er victime und bourreau zugleich ist: victime im Sinne anteilnehmender humanité und eigener absolutistischer Unfreiheit, bourreau als unweigerlicher Profiteur der gebrandmarkten transatlantischen Asymmetrien. Demnach aber kann er nicht mehr jene entrückte Position transhistorischen Schauens beanspruchen, die Raynal in der Einleitung zur Histoire de deux Indes als Garantie ihrer Wahrheit entworfen hat. 4.
Transatlantische Grenzaufnahmen der Lumières
Der Durchgang durch das Werk dreier maßgeblicher und doch sehr verschiedener philosophes verdeutlicht, wie sehr die Lumières in ihren ökonomischen, anthropologischen, historiographischen und juridischen Entwürfen von transatlantischen Konstellationen geprägt sind. Dabei rücken gerade auch problematische Aspekte dieses maritimen Austauschgeschehens in den Vordergrund, da diese Zirkulation von Ideen und Menschen durchweg von Asymmetrien und Unfreiheit durchsetzt ist. Neben den Gipfelpunkten aufklärerischer Ideenproduktion gilt es damit auch, die „Unterwelten“90 dieses Geschehens zu berücksichtigen und deren Rückwirkungen auf und Verschränkungen mit den universalistischen Entwürfen der philosophes. Die Betrachtung einer transatlantischen Aufklärung darf damit gerade nicht zu einer idealisierenden Rückprojektion gelingender Globalität geraten. Eine kritische Revision dieser transatlantischen Verhältnisse zeigt vielmehr, dass die geographische Konstellation, in der diese Aufklärer agieren, in ihren Problemlagen und Aporien erstaunliche Ähnlichkeiten mit unserer globalisierten Gegenwart aufweist, zumindest wie sie sich aus einer okzidentalen Perspektive darstellt. 88 89 90
Raynal (1781), Bd. 6, 154. Ebd., 171. Siehe Reinhard, „Einleitung: Weltreiche, Weltmeere“, 49–51.
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Die Wahl einer transatlantischen Optik für die Epoche der Aufklärung kann damit auch begriffen werden als eine Fortsetzung ihrer Anliegen und als die Ausformulierung latent gebliebener Fragen. So lässt sich etwa im Anschluss an Michel Foucault ‚Aufklärung‘ nicht nur als Deskriptor einer bereits vergangenen Epoche und ihres Emanzipationsprojekts begreifen, sondern ebenso als Ursprung eines veränderten Sinns für Aktualität.91 In Verbindung mit einer archäologischen bzw. genealogischen Methode, die den kontingenten Fundamenten einer Gegenwart nachspürt, als Beitrag zum „travail indéfini de la liberté“, ist auch dieser getragen von jener für die philosophes und ihr Jahrhundert so bezeichnenden „impatience de la liberté“.92 Die Neuzentierung der Aufklärungsepoche um den Zirkulationsraum des Atlantik ermöglicht damit neue Fragen über die vielfältigen Grenzen der Lumières, die nicht nur die intellektuelle Unerschrockenheit ihrer Protagonisten betonen. Sie erlauben vielmehr auch eine indirekte Hermeneutik jener Gedanken, die ungewagt blieben, und Hypothesen darüber, warum.
91 92
Michel Foucault, „Qu’est-ce que les Lumières?“, in: Dits et écrits, 2 Bde., hrsg. v. Daniel Defert, François Ewald, Bd. 2, Paris: Gallimard 2001, 1381–1397, 1498–1507. Ebd., 1393, 1397.
A „New Dispute“ of the New World
Visions of Latin America in the Malaspina Expedition (1789–1794) Alessandro Bonvini 1.
Introduction
September 10, 1788, Madrid. In a letter to the naval officer of the Spanish Royal Navy, Antonio Valdés y Fernández Bazán, Alessandro Malaspina announced his Plan de viaje científico y político alrededor del mundo: Desde veinte años a esta parte, las dos naciones inglesa y francesa, con una noble emulación, han emprendido estos viajes, en los cuales la navegación, la geografía y la humanidad misma han hecho muy rápidos progresos: la historia de la sociedad se ha cimentado sobre investigaciones más generales; se ha enriquecido la Historia Natural con un número casi infinito de descubrimientos; finalmente, la conservación del hombre en diferentes climas, travesías dilatadas y entre unas tareas y riesgos casi increíbles ha sido la adquisición más interesante que ha hecho la navegación.1
With these words, the Tuscan explorer proposed the organization of an official expedition meant to increase the knowledge of Spain’s overseas possessions, paying attention to the study of astronomy, economy, cartography and observing the indigenous communities who lived there. In particular, he asked for the employment of able botanists, naturalists and painters to describe the complex „state of the Americas“. The expedition, authorized by the Prime Minister – José Moñino y Redondo, Count of Floridablanca, – had two crucial objectives for the fate of the Spanish empire: showing to the other European empires that the crown of Madrid was not in decline and improving the situation of the colonies by attentively examining coasts, roads and fortifications, as well as the political state of the overseas possessions. After all, Alessandro Malaspina 1 Archivo del Museo Naval de Madrid, Plan de viaje científico y político alrededor del mundo, ms.1826/001. Translation: „For 20 years now, Britain and France, with noble emulation, have undertaken these voyages, in which navigation, geography and humanity itself have made very rapid progress: the history of society has been based on more general investigations; natural history has been enriched with an almost infinite number of discoveries; and finally, knowledge on the preservation of man in different climates, long voyages and among almost incredible tasks and risks has been the most interesting acquisition that exploration has made.“
© Brill Fink, 2022 | doi:10.30965/9783846766361_005
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himself had often poundered the question: „Without knowing America, how is it possible to govern it?“2 During the age of Enlightenment, the circulation of viajeros and ilustrados between Europe and Americas increased considerably.3 From the half of the eighteenth century until the beginning of the nineteenth century, the European monarchies financed several expeditions enlisting not only official agents, seamen and officials, but above all scholars, scientists and painters, who benefited from modern technical instruments, new data collections and special tools.4 Among them, the Bourbon Crown was one of the most active promoters of trans-Atlantic voyages and scientific expeditions, regarding the New World as a vast laboratory for experimentation. Colonial desire and quest for knowledge provided a stimulus for this undertaking. Above all under the reign of Charles III, the Spanish court organized these expeditions with the aim of improving the relationships with its territories, transforming them into commercial colonies, and stressing its own leadership in the imperial context of the Old World. It clearly showed the strong connection between the theoretical ideals of the Spanish Enlightenment and the realization of the political ambitious programs. This essay discusses the Malaspina Expedition to the Bourbon colonies, referring to the accounts Malaspina and the members of the expedition wrote, in order to analyze how the Imperial officials – as human agencies of the Atlantic world – dealt with the ‚American question‘. Travelling the oceans altered the perception of the overseas possessions. The results of their activities offered a modern vision of the Americas, changing the political view of the colonies under the influence of Enlightenment. Not only the indigenous communities, but also the whole geographic space were examined in the perspective of a modernizing project of power. In line with this, reform and progress became the two pillars of the new concept of administration.
2 Alejandro Malaspina, Viaje político y científico a la América Meridional, a las costas del mar Pacífico y a las Islas Marianas y Filipinas, Madrid: Ediciones El Museo Universal 1984, 579–580. 3 Ronald S. Love, Maritime Exploration in the Age of Discovery, 1415–1800, Westport: Greenwood Press 2006, 85–114; Geoffrey Quilley, Empire to Nation. Art, History and the Visualization of Maritime Britain, 1768–1829, New Haven: Yale University Press 2011, 1–12; Emily Burns, „The Old World Anew. The Atlantic as the Liminal Site of Expectations“, in: Framing the Ocean, 1700 to the Present. Envisaging the Sea as Social Space, ed. Tricia Cusack, Farnham: Ashgate 2014, 37–54. 4 Rebekah Higgitt and Richard Dunn, „Introduction“, in: Navigational Enterprises in Europe and its Empires, 1730–1850, ed. Richard Dunn, Rebekah Higgit, New York: Palgrave Macmillan 2015, 1–10.
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The Rediscovery of the World. Travelling to Distant Colonies
The age of Enlightenment was a period of multiple changes and transformations in the Atlantic territories of the composite monarchies.5 Although the ‚colonial pact‘ was not questioned, Iberian overseas royal officials acted in a turbulent environment.6 New claims were emerging in the creole societies, while new questions began to circulate within the governmental apparatus. Studying, examining and surveying the foreign territories looked like a practical tack to face up the emergent modernity. That did not mean overthrowing the traditional relationships between the capital and the peripheries of the Empire, but plunging into a process of learning – in the social, political and cultural field – to strengthen the foundations of the kingdoms. Science became quickly a tool for understanding and dominating the world. The close connection between geography and Enlightenment, through the explorations of uncharted parts of the globe, soon broadened the European consciousness.7 Unlike those of the previous centuries, the modern rediscoveries were characterized by a sharing trust in the empirical method and the scientific observation, as well as the application of the theoretical principles of scientific disciplines. Material, social, and political dimensions of the acquiering of knowledge concerning the territory became – according to Marcelo Figueroa – crucial factors in the „understanding of scientific research“.8 The vessels overseas were effectively laboratories of knowledge, where books, essays and reports circulated among the members of the crews and sophisticated equipment was used in the measurement. Even more important at the end of the eighteenth century was the fact that such symbols were described by incorporating the methods, language, and practices of modern science. To summarize, the travels merged together maritime achievement and scientific progress, bringing Enlightenment on a global scale. 5 For a general overview: John H. Elliott, Empires of the Atlantic World. Britain and Spain in America, 1492–1830, New Haven: Yale University Press 2006, 255–402. 6 Gabriel Paquette, Imperial Portugal in the Age of Atlantic Revolutions. The Luso-Brazilian world, c. 1770–1850, New York: Cambridge University Press 2013, 17–83; Adrian J. Pearce, The Origins of Bourbon Reform in Spanish South America, 1700–1763, New York: Palgrave Macmillan 2014, 143–170. 7 Charles W. J. Withers, Placing the Enlightenment. Thinking Geographically about the Age of Reason, Chicago: University of Chicago Press 2007, 15. 8 Marcelo Fabián Figueroa, „Contested Locations of Knowledge. The Malaspina Expedition along the Eastern Coast of Patagonia (1789)“, in: Negotiating Knowledge in Early Modern Empires. Palgrave Studies in Cultural and Intellectual History. A Decentered View, ed. Lászlo Kontler et al., New York: Palgrave Macmillan 2014, 130.
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Another relevant innovation regarded the high level of professionalization of the voyagers. Educated at prestigious academies or recruited after a long career in the navies, these individuals – more in general men of arts and knowledge –, following collective roots of study or looking for new professional opportunities, had often crossed the oceans to spend long periods abroad and formed a real cosmopolitan elite. Their curiosity for new species of plants and animals, interest for advances in navigation, astronomy, and cartography, or fascination with native cultures showed the intellectual eclecticism of these men of science. Before long, they became the foremost experts of the colonies’ reality and the principal peddlers of the non-European territories, concurring to describe far lands and little-known regions. On the one hand, they acted like „casual reporters“ who produced illustrated chronicles, fine scientific treatises and original paintings.9 On the other hand, moving over the Atlantic or Pacific borders, they came into contact with unfamiliar places, different peoples and alternative cultures. Then, their experience was crucial both in the literary area and in the political sphere: investigations and reports offered social, ethnic, and anthropologic elements to better understand the rest of the world. As a result, especially in the artistic field, there was the birth of an ingenious visual culture which contributed in spreading the American representation. Soon, a more sophisticated consciousness of world, and of its societies and realities, became taking shape in the Old Continent’s mentality, upsetting backward clichés and rhetorical lores. Finally, the encounter between viajeros and ilustrados and the host societies enhanced the exchange of ideas and knowledge, with direct repercussions on the cultural development of European societies. What distinguished this kind of mobility was the multifaceted typology of the actors’ biographies: „merchants, captains, sailors, travelers, immigrants, students, soldiers and official diplomats were some of the categories of people who regularly played the role of cultural broker.“10 Their accounts contributed in forging an „imaginative vision“,11 shaping a charming ‚exotic curiosity‘. Thus the voyages overseas – in the form of a 9 10
11
Daniele Fiorentino, „Accidental Ethnographers. Italian Travelers and Scholars and the American Indians (1750–1900)“, in: European Review of Native American Studies 2 (1990), 31–36. Jack F. Greene, „Philip Mazzei: Cultural Broker in America and Europe in the Age of Enlightenment and Revolution“, in: Fra Toscana e Stati Uniti. Il discorso politico nell’età della costituzione americana, ed. Anna Maria Martellone, Elisabetta Vezzosi, Firenze: Olschki 1989, 89–110. Fermín del Pino-Díaz, Pascal Riviale, Juan J. R. Villarías-Robles, „Introducción“, in: Entre textos e imágenes. Representaciones antropológicas de la Ámerica indígena, Madrid: Consejo Superior de Investigaciones Cientifícas 2009, 9–10.
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‚backwards Grand Tour‘ – had the double significance of a cognitive experience and a physical meeting with the otherness that activated innovative trajectories of acculturation between Europe, Asia and America. Meanwhile, a sort of hero-worship of famous explorers such as James Cook and Jean-François de Galaup, who came under public scrutiny of the Western élites, began.12 More than others continents, the New World was the heart of scientific expeditions. The reasons were, at once, of political and cultural nature. For a long time, it represented a land of bonanza for its commodities, evoking the dream of making great fortunes: a sort of terra incognita of ancient emblems and widely-current myths. Royal aspirations entertained the aim of the conquest, while the circulation of chronicles, memories and diaries, as well as of reports and accounts tempted adventurous enterprises. From Renaissance to Romanticism, European discoveries and re-discoveries in the Americas affected the intellectual horizons of rising Western thought. Initially characterized by a conception of fascinating diversity, the imaginary of discoveries was later progressively integrated into a universal and rational vision, outlining its essential dimension of regional possession in relation with the madrepatria. It is within this environment of spatial creation of material and immaterial boundaries that, thanks to the impact of transatlantic travels, a renewed image of America emerged. In this respect, Enlightenment representations served as a marker for understanding the New World. Europeans travellers mapped the globe, imposing their own imperial values and thoughts in order to pander their courts and to make a career in the administrative or military apparatus. Getting familiar with Americas was synonymous with power and, for many explorers, a promise of individual success. But not only the foreign explorers fuelled this process: also the local élites participated in the development of knowledge, enlarging the circuits of scientific acculturation.13 In Peru, New Granada as well as in New Spain, creole intellectuals helped their European counterparts. Scholars and scientists who had been educated overseas were already elaborating an early criollo viewpoint of their identity, culture, and societies, systematizing theories and collecting data through first-hand sources. Such is the case of Spanish America, the long-term process of conquest, civilization, and assimilation mingled millennial practices of Amerindian tradition, which tried to survive over time, and European scientific goals, bringing out a syncretism 12 13
Rosella Prezzo, Paola Radaelli, America e Medio Oriente. luoghi del nostro immaginario, Milano: Bruno Mondadori 2002, 27–55. Antonio Lafuente, Leoncio López-Ocón, „Scientific Traditions and Enlightenment Expeditions in Eighteenth-century Hispanic America“, in: Science in Latin America. A History, ed. Juan José Saldaña, Austin: University of Texas Press 2006, 123–151, in particular 140–141.
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between different systems of knowledge. What sprang out, especially during the period of the Bourbon reforms, was an original mechanism of acculturation rather than just an imposition. The result produced, therefore, a genuine rise – thanks to Enlightenment influence – of mutual recognition that marked the global culture of the nineteenth century. 3.
A New View of Latin America. Plans and Strategies of Reform
In October 1788, the Spanish court accepted enthusiastically Malaspina’s plan and authorized the beginning of preparations. But who was Alessandro Malaspina? And what were his proposals? The son of an aristocratic family of the Grand Duchy of Tuscany entered the Spanish Army when he was young. Between 1775 and 1776, he took part in some important expeditions aboard the frigates Santa Teresa and Astrea, and in 1782, he served in the Great Siege of Gibraltar.14 In addition to his naval skills, the Tuscan explorer could be regarded as an ‚enlightened product‘ of his epoch. Malaspina had read the most influential philosophers of the century, like Montesquieu, Jean-Jacques Rousseau, the Abbé Raynal, and the travel notes of Louis Antoine de Bouganville, James Cook and Antonio de Ulloa. At the same time, he was profoundly influenced by the physiocratic theories, the liberal doctrine of Adam Smith, and the new French ideas on the use of geography as a „descriptive science.15 According to Malaspina, who was a supporter of the so-called „Enlightenment regeneration“, the solution to the imperial colonies’ problem was that a series of measures to start a radical turn in the Bourbon reforms needed to be carried out. In brief, Malaspina wanted to revise the conventional ideological precepts of the monarchy, marked by religious and spiritual doctrines, in exchange for an empirical method of analysis. In this regard, scientific studies could be used as a fact-finding basis to start a new phase of reform. Observing indigenous way of life, creoles’ attitudes and America’s strength were some of the most necessary requirements of a radical innovation. Recognizing the diversity seemed to be the first, and essential, condition for a radically turn in the relationships between Madrid and the vice-royalties, as well as between Bourbon officials and American subjects. In particular, Malaspina believed that it would 14 15
Dario Manfredi, Italiano in Spagna, spagnolo in Italia. Alessandro Malaspina (1754–1810) e la più importante spedizione scientifica marittima del secolo dei Lumi, Torino: ERI 1992, 16–19. Ilaria Luzzana Caraci, „Alejandro Malaspina y la Geografía“, in: Ciencia, vida y espacio en Iberoamérica, vol. 3, ed. José Luis Peset, Madrid: Consejo Superior de Investigaciones Científicas 1989, 37–48.
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have been better to civilize the Indians, to cooperate with the local societies and to support the development of their places, instead of destroying all this as the conquerors had done. „Si he llegado a demostrar que nuestro sistema de América está errado“, he wrote to Paolo Greppi, „y que admite reformas apoyadas sobre principios cierto, creo haber hecho un servicio considerable.“16 A complete and exhaustive treatment of Malaspina’s thoughts was summarized in his Political Axioms on America. Written at the end of 1788, it was a purposive list of political principles dealing with the Spanish Monarchy. Even though the legitimacy of the kingdom was never challenged, some revealing proposals were exhaustively discussed. In this essay, the Tuscan explorer set out his ideas on the Empire, criticizing some aspects of the colonial model and proposing a mix of alternative measures. The Political Axioms really represented a leading political manifesto. Intersecting economic, social, cultural, and institutional remarks, the manifesto contained a series of considerations about the so-called ‚American problem‘. According to Malaspina, its solution was subordinated to a reform of the colonial policies in the overseas dominions. For this reason, he gave priority to the relationship between the study of administration and the studies of the nature, geography, and ancient history of America. The short-term objective was to understand the internal mechanisms at heart of the colonial decomposition in order to found a modern ‚sociological legacy‘: in other words, stipulating a new pact of legitimacy for the Bourbon government.17 It is important to describe accurately the nature of Spanish dominions; the social conditions of their union; the reasons of their formation; the general quality of their status and, finally, their own solutions to gain and reach, without violence, the public [harmony].18
In his opinion, the political situation of the Spanish Empire did not have any comparisons with other European empires; it was consequently necessary to survey its territories, paying attention to the national well-being. More in general, the model of Spanish conquest – and the clash with the complex American culture – threatened to destroy the empire from within. The idea of 16 17 18
Dario Manfredi, Alessandro Malaspina e Fabio Ala Ponzone. Lettere dal Vecchio e Nuovo Mondo (1788–1803), Bologna: Il Mulino 1999, 228 („A Paolo Greppi“). David Goodman, „Science, Medicine, and Technology in Colonial Spanish America. New Interpretations, New Approaches“, in: Science in the Spanish and Portuguese Empires, 1500–1800, ed. Daniela Bleichmar et al., Stanford: Stanford University Press 2009, 21–22. José Vericat, „A la búsqueda de la felicidad perdida. La Expedición Malaspina o la interrogación sociológica del imperio“, in: Ciencia y contexto histórico nacional en las expediciones ilustradas a América, ed. Fermín del Pino Diáz, Madrid: Consejo Superior de Investigaciones Científicas 1988, 235.
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a Catholic and universal Empire, in fact, turned out to be an anachronistic construction in comparison with the modern imaginary of Enlightenment tradition. The simple replica of central government model constituted an obstacle and a dangerous limitation. For a long time, the Crown’s control blocked any kind of American evolution, created a mythological image of its population and – in consequence – limited, in Madrid as in the colonies, any possibility of renewal. Against this experience of mal gobierno, Malaspina asked for a general modernization. A different political approach would allow harmonizing the different levels of control, starting from the triangulation of nature, society, and prosperity. The solution was to look for a natural order in which all the elements of the imperial system collocate. For this reason, on his return, he promoted the publication of the expedition’s results to influence public opinion, showing the obsolescence of its system.19 The key to success of the reform proposal concerned the formulation of a new pact of governance. I understand a nation to be any number of people following the same laws, customs, and religion who unite for their prosperity and defense, and among whom the same soil and local situation are the principal cause of this inalterable confederation.20
The international context exacerbated these stances. By the second half of the eighteenth century century, the rivalry among Spain, France, and England was changing the Atlantic balances, with consequences on commerce, trade, and administration as well as their politics. In addition, the United States’ Declaration of Independence in 1776, after a bloody war against Great Britain, had a great impact on the European courts. Thereby, the idea of forming a confederation appeared to be a remedy to the possible emergence of contrasts and breaks in the colonies. Further, this reforming approach would improve the economy of New World, not only increasing the welfare of the Empire, but also strengthening the position of Hispanic American societies. Malaspina noticed in fact that Spaniards, once transferred overseas, favored their own profits instead of the general interest. Neglecting commercial and industrial activities and taking only care of the extraction of commodities and luxuries that could be bought in Europe was a mistake. Spain should have freed its colonies and created a confederation of states bound by international trade. 19 20
Monica Ricketts, Who Should Rule? Men of Arms, the Republic of Letters, and the Fall of the Spanish Empire, Oxford: Oxford University Press 2017, 84–116. Cit. by Alessandro Malaspina, in: John Kendrick, Alejandro Malaspina. A Portrait of a Visionary, Montreal: McGill-Queen’s University Press 1999, 110.
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Like other influential intellectuals of political late modern thought, he agreed circumnavigation of the globe implied opportunities of commerce, trade and, most importantly, the acquisition of tracts of land to strengthen the power of the Crown. Contrarily, the consequent disconnection of the two worlds could endanger the integrity of the monarchy, under the blows of internal revolts and economic crisis. Finally, it affected the geopolitical dimension of the Imperial rivalry, regarding especially the competition with the British navy in the maritime theater.21 And not for nothing, Malaspina’s preoccupation with the political implications of the Pacific voyages recently undertaken by the English was a recurrent theme in his correspondence with the Bourbon court and invoked the stability of the Empire, of its societies, and its borders. In particular, he illustrated with some concern the all-encompassing supremacy of the British colonies, exposing the insidiousness of their territories.22 According to the new evidences of cultural studies, the imperial area was a multilateral space of routes, in which individuals moved, commodities transited, ideas were exchanged, and all this forged a new Atlantic identity. These researches have underlined the phenomena of hybridization across multiples boundaries, tracing cultural transformations within and out the monarchies’ spaces. At the end of the century, the travellers’ reception – in a moment of evolution into the ‚composite monarchies‘ territories – activated precocious mechanisms of Atlantic learning. In this case, Malaspina’s expedition appeared as the most ambitious attempt to study, discover, and represent the colonial universe. The contrast between his vision and the government perspective set off a new dispute on the administrative model of the territories. On the one hand, the traditional approach of the Bourbon crown, characterized by a Eurocentric tendency to dominate; and on the other hand, a progressive view of the world as a patchwork of peoples, cultures, and identities, deeply influenced by Enlightenment ideas. His recommendations concerning imperial policies overturned the traditional methods but did not clash with the Imperial ambitions of the Crown. Conversely, he never kept out the possibility of expanding Spanish territories in North America or in the Pacific, supporting the royal ambitions of ministers and officials of the court.
21 22
Hunt Janin, Claiming the American wilderness. International rivalry in the Trans-Mississippi West, 1528–1803, Jefferson: McFarland & Co. 2006, 83–84. John West-Sooby, „A Case of Peripheral Vision. Early Spanish and French Perceptions of the British Colony at Port Jackson“, in: Discovery and Empire the French in the South Seas, ed. John West-Sooby, Adelaide: University of Adelaide Press 2013, 146.
74 4.
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„Knowing the Otherness“. From the Southern Cone to Mexico, and Beyond
After the approval of king Charles III, the preparation for the expedition began. Within a few months, all the participants were contracted. Among them were experienced officers, such as the Cremonese midshipman Fabio Ala Ponzone, as well as some famous scientists, such as the creole naturalist Antonio Pineda, the astronomer of Tuscan origins Juan Vernacci, the French chemist Luis Née, and the Bohemian botanist Thaddäus Haenke. Finally, some weeks before the departure, the painters Giovanni Ravenet and Ferdinando Brambilla were incorporated to the rest of the crew. It was a real cosmopolitan enterprise. In order to determine geographical positions with accuracy and to do astronomic measurements, a huge number of useful instruments were loaded on board: clocks, chronometers, astronomic quadrants, sextants, as well as barometers and capillary pipes. The library contained books on all the fields that might be of interest during the expedition. This was scientific impulse was the quintessence of the Enlightenment thinking. From this point of view, the expedition had much more in common with those of the second half of the nineteenth century. In fact, before weighing anchors, Malaspina explained: Ours was not a voyage of discovery. Its objective was to explore America, so that the country could be governed with justice and expediency using simple and unified methods.23
On July 30, 1789, the ships sailed from Cadiz and arrived in Patagonia in September. They explored the estuary of River Plate and internal regions of the Southern Cone, up the western coast of Chile and north to New Spain, before crossing the Pacific to the Philippines, New Zealand and Australia in 1792. For five years, the crew circumnavigated the whole American continent and documented their critical and comprehensive observations in demography, sociology, natural sciences, mineralogy, cartography, and numismatic. It was probably one of the most extensive explorations of the modern epoch and the most accurate attempt at examining Hispanic America’s conditions. During the expedition, Malaspina took note of his experience in a diary. Originally written in Spanish day by day, a first account – Memorias sobre las observaciones astronómicas – was published in 1809 by José Espinosa y Tello. For political reasons, the official report of its travel was published only in 1885, 23
Cit. by Alessandro Malaspina, in Frank Holl, „El científico independiente y su crítica al colonialismo“, in: Debate y perspectivas. Cuadernos de historia y ciencias sociales 1 (2000), 103.
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and translated in English some years. It is not a coincidence that the introduction of the last version presents some significant divergences from the early correspondences with the Bourbon court of 1780s. Moreover, the diary was a complete collection of the trans-oceanic and multidisciplinary research and, at the same time, a unique source to reconstruct his voyage. The results of the crew’s study had never been achieved before, realizing a meticulous exam of overseas territories, their places, natural and fabricated products, and boundaries’ capabilities to resists the enemy’s attacks. During the exploration off the coast of River Plate, the ports of Buenos Aires and Montevideo were mapped in order to offer a perspective of their relevance in the intra-imperial trade. The internal territories of Patagonia were scoured, ordered geologically, and classified on the basis of the indigenous people living there. Needing to establish a new frontier in the South, Malaspina and his crew interacted with the natives. In spite of the peaceful encounter, the natives were considered in the same way as ‚good savages‘, consolidating the hypothesis of differentiating the governance models in the American territories according to the living conditions. Later, the officers analysed the situation of Peru’s viceroyalty. From Lima to Callao, they studied the composition of the urban societies, the local economy, and geography of the territories, outlining programs for its growth. Differently from the Southern Cone, the whole region on the Pacific coasts seemed to confirm the early assumptions of the voyage. Here, ports and cities, as well as internal zones and countryside had a higher level of development, showing a ‚natural‘ suitability for an integration into the trans-imperial roots of commerce. Even the local society, intensely influenced by European culture, offered examples of progress. Above all, in Lima, churches, colleges and institutes had been forging a modern creole identity for almost half a century. For this reason, during the sojourn, a part of the crew decided to record some „contents of the Civil Archives, but also the special information on the realm“, while Malaspina set off for the capital to call on the captain general of the vice-royalty.24 Finally, the expedition arrived in Central America. Due to its ancient foundation, the exploration through New Spain territories was longest and, probably, the most attractive part of the expedition. The focus of the notes taken by Malaspina’s crew concerned the complex structure of New Spain. Mexico, Pacific coasts, and the tropical regions along the Pacific were observed and measured, the planning of a possible Panama canal in mind. Taking advantage of a brief inspection that José de Bustamante was carrying out during that 24
Ricardo Cerezo Martínez, La expedición Malaspina, 1789–1794. Diario general del viaje, vol. 2, Madrid: Museo Naval-Lunwerg 1990, 137.
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time at the coast of San Blas, Malaspina decided to spend a few days in Mexico City, meeting prominent figures of the local society, such as the viceroy Juan Vicente de Güemes, second Count of Revillagigedo, the famous astronomer Antonio de León y Gama, and the educated coal businessman Pablo Santelices. During these meetings, they dealt with special topics about colony’s status, its economic potential, and, above all, the strategic relevance of its routes towards uncharted territories. One of Malaspina’s most forward-looking ideas was, in fact, using New Spain as a logistical starting point to penetrate both the northern boundaries and the South of the territories in order to find new maritime connections to the Pacific and Atlantic coasts. For this reason, he proposed dividing the crew into two groups. The first one would be headed by Dionysus Alcalá Galiano and included Arcadio Pineda and Martín de Olavide, and had the task of making astronomical observations, compiling all kinds of information on the colony, and sending material to Spain. The second group, instead, was directed by Antonio Pineda and included the Luis Née, Jose Guío, and the notary Julián del Villar y Pardo, and was asked to analyse different branches of natural history and to study pre-Columbian civilizations, travelling through the ancient town of Guanajuato and the famous site of Teotihuacan. In the same months, Malaspina sailed with a small group of his expedition along the North American coast up to the British island of Nootka and looking for a northwest passage. It was clear that this possibility would have exceptional consequences as to who would win the naval competition for the seas between Spain and England, guaranteeing a weightier Spanish influence in the Pacific area. After almost a year of research, the exploration of the Americas was finished, and the corvettes Descubierta and Atrevida set out towards Oceania. Overall, rivers, lakes, cities, maritime and earth routes, as well as peoples, animals, plants, and constellations – often unknown in Europe – were recorded, enriching the knowledge of the crew and, in consequence, that of the Spanish élite.25 On April 27, 1792, Malaspina wrote enthusiastically wrote to Greppi: „Con esta excursión y con la bondad con que toda persona instruida me ha franqueado sus conocimientos he podido finalmente completar mi cabal idea de América.“26 According to Luis Perdices De Blas and José Luis Ramos-Gorostiza, Malaspina, as a result of his observations, came to the conclusion that the problem of 25 26
Andrés Galera Gómez, Las corbetas del rey. El viaje alrededor del mundo de Alejandro Malaspina (1789–1794), Bilbao: Fundación BBVA 2010, 33–125. Manfredi, Alessandro Malaspina e Fabio Ala Ponzone, 259. Translation: „With the kindness which every educated person showed me, I have finally been able to complete my exact idea of America.“
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Spanish-American colonies was not exclusively a foreign matter but, in particular, some internal causes related to the organization of the empire.27 After sixty-two months at sea, the two corvettes Descubierta and Atrevida came back to Andalusia, reaching Cádiz in September 1794. The whole documentary corpus, composed of astronomical relationships, cartographic maps, pictorial collections, historical memories, and botanical inventories, was considered to be of great interest from the Madrid government, and it also circulated diffusedly among the cities of the Old World. Malaspina himself worked hard to publish the vast quantity of material gathered but, at first, his attempt was not successful. Later, thinkers and politicians would use them to adjourn their own criteria to understand the reality of the New World. Vernacci’s diaries, for example, renewed European studies on the latitudinal and longitudinal subdivision of the global hemisphere. The investigations of Haenke and Née brought to light the existence of some Bolivian plants. Ravenet’s and Brambilla’s paintings, besides taking back fascinating views of Lima, Buenos Aires, and Montevideo, reproduced typical images of the customs, traditions, and daily life of the native populations – showing, for the first time, their lifestyle to the European public. Finally, Pineda’s works were entered in the most prestigious Spanish, French and German academies. It was a unique framework of the viceroyalt,y’s society, culture and development. The important innovation of Malaspina’s expedition was to interpret the centuries-old history of Spanish Empire beginning from the perspective of the American expansion, reconsidering the discovery as a piece of the Bourbon patchwork of the modernity.28 5.
Conclusions
The „dispute on the New World“ – borrowing the definition by Antonello Gerbi – was modified in the light of the great explorations.29 Malaspina’s case offers a reference to understand what ideas were circulating, how the Western intellectuals interpreted the problem of otherness and why European courts were dealing with reforms. Furthermore, his experience describes several 27
28 29
Luis Perdices De Blas, José Luis Ramos-Gorostiza, „Rediscovering America: Political Economy of Spanish Colonies According to the Explorers Juan-Ulloa, Malaspina and Humboldt“, in: Revista de Historia Económica/Journal of Iberian and Latin American Economic History 34 (2015), 138. María Dolores Higueras Rodríguez, Catálogo crítico de la documentación de la Expedición Malaspina del Museo Naval, 3 vols., Madrid: Museo Naval 1985–1994. Antonello Gerbi, La disputa del Nuovo Mondo. Storia di una polemica (1750–1900), Milano: Riccardo Ricciardi 1955.
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peculiar aspects of the Spanish Enlightenment or, more precisely, the court’s attitude towards its colonies during the so-called „age of reforms“. Both the questions can be interpreted as pivotal turning points in the intellectual history of the late modern era. In 1794, when the expedition had finished, journalists, ministers, and diplomats celebrated enthusiastically its return. Distant lands and remote oceans soon appeared as a more familiar piece of the same monarchical system. In Tuscany and in Spain, the success of the expedition was welcomed as a triumph. But paradoxically it meant the end of Malaspina’s career. When he got back into Bourbon entourage, he tried to manipulate the Spanish government with such proposals. In part as a consequence of the French Revolution, he had missed partners and contacts, and in the same royal court the suspicious was growing. Accused of belonging to conspiracy to overthrow Prime Minister Godoy, so Malaspina was arrested and imprisoned in A Coruña. Only thanks to Francesco Melzi d’Eril’s mediation, six years later, he obtained to be exiled from Spain and settled in Pontremoli (Tuscany), falling into disgrace. Nevertheless, since his travel, a new – coherent and comprehensive – conception of globality was emerging. In this way Jeremy Black has analyzed the knowledge as a marker for the formation of the modern Atlantic world.30 The outgrowths of the scientific practice, focusing also on political, cultural and natural fields, changed the grasp about material and immaterial dimensions of the empires. From one side, new boundaries across ancient lines of language, ethnicity and race were traced; from the other, a more forward vision was applied adapting traditional advances to modern problems.31 But the Malaspina’s voyage had some peculiarities that will characterize the scientific travels during the next decades. First of all, it stated the centrality of the scientific approach. Since his experience, researches and studies have become the most important instruments to gather information with political aims. According to Geoffrey Quilley, these methods offered a „more empirical“ and scientific form of „visual representation“,32 which influenced the outcome of European interpretations on the Americas. Not surprisingly, the first considerable studies on Malaspina shipment’s data and collections were conducted fifty years later, on the wave of explosion of the positivistic theories. Secondly, 30 31 32
Jeremy Black, The Power of Knowledge. How Information and Technology Made the Modern World, New Haven: Yale University Press 2014, 3–27. Patrick Manning, „Building Global Perspectives in History of Science: The Era from 1750 to 1850“, in: Global Scientific Practice in an Age of Revolutions, 1750–1850, ed. Patrick Manning, Daniel Rood, Pittsburgh: University of Pittsburgh Press 2016, 1–18. Geoffrey Quilley, „Introduction. Mapping the Art of Travel and Exploration“, in: Journal of Historical Geography 43 (2014), 2–8.
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its political background contributed to create an innovative perspective on the New World. Henceforth, the Americas were not only a simple possession, but an unavoidable portion of the Western hemisphere. High officials, parts of civil society and apparatus of the governments showed soon interest in establishing long-term relationships with overseas societies, for economic, cultural and scientific benefits. New World appeared closer, less barbarous and more Spanish. On consequence, this process was recognized as a manner to forge a stronger imperial identity, in a context of radical changes. Anyway, the enlightened interpretation of the American question had a long heritage, affecting also the liberal culture of the next decades and overturning the traditional clichés of the anti-Spanish black legend. For example, some crucial themes, regarding the institutional and administrative limits of Bourbon crown, were challenged, to justify the ideological motives of the anti-absolutist struggle. When the authorities of the new republics started the territorial construction of the nations, they used these topics as a starting point, intensifying the cultural connections between the late 18th and the early 19th century. Consequently, science became a tool of the process for nationalizing empires, defining borders and developing institutions. Malaspina’s exploration changed completely the perception of the American otherness, through an exhaustive reconnaissance of its material and immaterial structure. Researching, studying and mapping served for laying the foundations of a new order – as a product of the incipient modernity. This experience marked not only the Imperial policies but above all the imaginary of Europeans and creoles, transforming the Atlantic world into a community of politics and knowledge.
Contradicciones del espíritu ilustrado en la Francia de las luces María del Carmen Marrero Marrero Die Widersprüche des aufklärerischen Denkens werden nirgendwo so deutlich sichtbar wie in den Diskussionen, die über Menschen- und Bürgerrechte, Kolonialismus und Sklaverei geführt werden. Um diese Widersprüche aufzuzeigen, richtet der vorliegende Beitrag den Fokus auf zwei antagonistische Organisationen und ihre Protagonisten, die in Frankreich im Umfeld der Revolution bzw. genauer der Konstituante (1789–1791) agieren: die Société des Amis des Noirs und den Club Massiac. Beide spielen auf dem Weg zur (vorläufigen) Abschaffung der Sklaverei und zur Haitianischen Revolution eine zentrale Rolle. Die Société des Amis des Noirs wird 1788 nach englischem Vorbild gegründet und ist eng mit dem revolutionären Geist verbunden. Ihre Mitglieder, von denen hier Henri Grégoire, Condorcet, Mirabeau, Jean-Louis Carra und Benjamin-Sigismond Frossard ausführlicher betrachtet werden, propagieren die égalité von Weißen und hommes de couleur in den französischen Kolonien und setzen sich für die schrittweise Abschaffung des Sklavenhandels ein – wenngleich letzteres nicht frei von Widersprüchen bleibt, wie am Beispiel Mirabeaus gezeigt wird. Der im Folgejahr gegründete Club Massiac vertritt demgegenüber die Interessen der Kolonisten, insbesondere der planteurs von Saint-Domingue und den Kleinen Antillen. Die vorgestellten Club-Mitglieder – der Chevalier de Cocherel, Gouy d’Arsy, LarchevesqueThibaud, Thébaudières und Moreau de Saint-Méry – widersetzen sich sowohl der Anwendung der Déclaration des Droits de L’Homme et du Citoyen in den Kolonien als auch der Abolition. Dass mit dieser ‚antiaufklärerischen‘ Geisteshaltung komplexe ökonomische und politische Interessen verbunden sind, wird anhand der Versuche der Club-Mitglieder erörtert, sich in Organen wie den Generalständen und dem Comité colonial zu organisieren und dort eine entsprechende kolonialistische Lobby zu bilden. (Zusammenfassung der Hrsg.) Este trabajo aborda una re-lectura y un examen crítico de algunos textos escritos por diputados e intelectuales de renombre, en la Asamblea Constituyente, durante la Revolución Francesa. Pretendemos analizar y abordar, partiendo de la ley de la unidad de los contrarios, es decir mediante las contradicciones, el tema de la esclavitud en este fin de siglo XVIII, así como los problemas
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filosóficos, socio-políticos y económicos derivados del mismo. Las dos concepciones del mundo, la universalidad y la particularidad de la contradicción, puestas en valor por dos grupos de poder que cuestionaban el papel de la identidad tanto criolla como francesa, o mestiza. En este sentido, el doble cometido ha sido el de localizar y el de reconocer el valor no solo de estos discursos, sino también el de las vidas de estos hombres, fieles exponentes de las contradicciones de una época, que pretendía trazar el camino del progreso a través de la Razón. Los debates de la Asamblea Constituyente (1789–1791), primera fase de poder de la Revolución, han sido poco difundidos. Analizándolos, nos hemos percatado de cómo funcionaron las luchas por el poder económico entre clases sociales bien determinadas: la de los planteurs1 y la burguesía liberal. En definitiva, entre dos clubs políticos perfectamente localizados y establecidos: uno revolucionario y otro contrarrevolucionario: la Société des Amis des Noirs y el club Massiac, respectivamente. Asimismo, las rivalidades entre los dos grupos llevaban consigo contra dicciones flagrantes del espíritu ilustrado revolucionario guiado por la igualdad y la libertad. Estas debilidades impedían algunas reformas que desembocaron en una insurrección colonial y, por ende, en la ruina de la economía de un mundo que ambos bandos querían proteger. Sin embargo, la represión que fomentaba la esclavitud y que se intentaba mantener a toda costa, como excusa para proteger propiedades en las colonias americanas, condujo a la libertad de los esclavos, en esas mismas colonias y a reconsiderar con nuevas perspectivas, herederas del pragmatismo ilustrado, el mundo transatlántico. Conozcamos, así pues, quiénes eran y qué pretendían algunos de los componentes de ambos grupos de presión para, así, con el estudio de estas contradicciones se amplia, quizá, nuestra visión de la política y del contexto socio-económico francés de ese momento histórico, panorama que perdura, en circunstancias diferentes, en el ámbito político contemporáneo. Es innegable que, en una época de intereses antagónicos, el discurso de los miembros de uno u otro bando, ha resultado esclarecedor a la hora de establecer ciertos aspectos en estas contradicciones ilustradas. Cada bando tenía su grupo de presión entre los disputados en París. Los blancos se agrupaban junto a los armadores y a los negociantes de los puertos, vivían de la trata y eran los del club Massiac, y los mulatos (mulâtres-métis) en la Société des Citoyens de Couleur. La Society for Effecting the Abolition of the Slave Trade (Sociedad para la abolición de la trata y esclavitud de los negros) se fundó en Londres el 22 de mayo de 1787 y era continuadora del quehacer de un primer Comité que, a 1 Productores, o grandes propietarios en las colonias americanas.
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tal efecto, se remontaba a 1783. Sus fundadores fueron, entre otros, Granville Sharp, Thomas Clarkson o James Phillips relacionados con los gentiles franceses, sensibles, asimismo, a esas cuestiones: Mirabeau, Condorcet, Brissot, Clavière, etc. Señalemos, además, que, antes de la sociedad inglesa, existía una verdadera constelación de sociedades antiesclavistas americanas, tales como la de Filadelfia, por ejemplo, que se remontaba a 1775 y que incluía, entre sus ilustres promotores, a Franklin y al cuáquero Bénézet. Conviene recordar brevemente el marco intelectual y político que vio nacer a la Société des Amis des Noirs. El primer período, el de la toma de consciencia moral del carácter criminal de la trata y de la esclavitud, estuvo protagonizado por los escritos de Montesquieu, de Rousseau, de Saint-Lambert, de Prévost, de Bernardin de Saint-Pierre o de Voltaire, con las contradicciones y ambigüedades que pudiesen albergar. El mensaje de la Ilustración, por ese entonces, consistía en la afirmación de la unidad de la especie humana, más allá de las diferencias de color o de religión,2 de ello el rechazo a legitimar la esclavitud a través de una jerarquía de razas. La doctrina de la unidad de la especie humana y de la igualdad natural entre los hombres eran elementos constitutivos de la filosofía de la Société des Amis des Noirs. A partir de la segunda mitad del siglo, el discurso antiesclavista se radicaliza, Mercier por ejemplo presenta en L’an 24403 un discurso que atenta contra los intereses de los colonos y de las metrópolis. No olvidemos que el conflicto entre blancos y mulatos de Saint-Domingue desencadenó la revolución de los esclavos que estalló en la noche del 22 al 23 de agosto de 1791. Dos años y medio pasarían hasta la libertad, recordemos que la fecha de abolición de esclavitud fue el 4 de febrero de 1794. Comencemos mostrando algunos de los argumentos que, a través de discursos políticos, religiosos o sociales, generaron, en la sociedad francesa de entonces, miembros de los dos grupos de presión. Hemos estructurado este 2 A este respecto es interesante señalar aquí el artículo de Julio Alvear Téllez en la Revista de Estudios Histórico-Jurídicos XXXIII (2011), 227–272: „La libertad de conciencia y de religión en la Ilustración francesa. El modelo de Voltaire y de la Encyclopédie“ para comprender la idea de libertad religiosa. En él, el autor concluye que son „el agnosticismo religioso y el escepticismo metafísico, sellados por el furor anti-cristiano, los que vivifican el fundamento ilustrado de la libertad de conciencia y de religión. Concebida bajo apariencias neutrales (ahí radica su engaño) es en realidad una voluntad de librarse – por la fuerza si es necesario – de la conciencia cristiana y de la religión católica en la vida individual, social y política de los pueblos europeos y después hispanoamericanos. Lo que desde el ángulo político comporta la exigencia de separación entre la Iglesia y el Estado como principio axiológico-constitucional y la reducción de la religión al estatuto de mera opinión o creencia subjetiva.“ 3 Louis-Sébastien Mercier, L’an 2440, Londres: s.l. 1771, 302: „Homme! Choisis donc d’être heureux ou misérable; si tu peux encore choisir; crains la tyrannie, déteste l’esclavage, arme ton bras, meurs ou vis libre.“
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artículo en dos partes, de tal manera que, en la primera, iremos conociendo a los miembros escogidos de la Société des Amis des Noirs, presentando quiénes y cómo eran los miembros de esta sociedad antiesclavista francesa. En la segunda, haremos lo mismo, pero con los miembros del club Massiac. La Société4 adopta, desde sus comienzos, el nombre de Société des Amis des Noirs y fundada por Brissot un año después de la inglesa (el 19 de febrero de 1788) tuvo dos listas de afiliados. Parece ser que existen archivos en manos de un particular de La Martinica, pero gracias, además, a otras fuentes: las Memorias de Brissot o las del abate Grégoire, poseemos, hoy en día, más datos sobre el quehacer de dicha sociedad. En la primera lista figuraban 107 nombres (desde comienzos de 1789) y en la segunda (elaborada después de abril de 1791), 141.5 La paternidad y el apoyo inglés fue uno de sus puntos más vulnerables, pues el ataque de los colonos y de los armadores contra la Société era en ese sentido. Ellos denunciaban que, en su seno, había un agente de Inglaterra encargado de arruinar a las colonias francesas.6 Si atendemos al censo de afiliados de la Société, este nos muestra que hubo un exceso de representación por parte de los órdenes privilegiados: 49% de nobles, 5% de clérigos y 46% de miembros del tercer estado. Entre ellos muchas personalidades del mundo intelectual, masones y filántropos. Una docena de académicos y un 26% de afiliados parisinos que pertenecen a la logia del Gran Oriente: Lafayette, d’Aiguillon, los hermanos Lameth, Mercier, etc. 1.
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Comencemos mencionando, en este apartado, a los miembros más representativos de la Sociéte, que, en nuestra opinión, fueron: Clavière, Brissot, Raymond, Condorcet, Mirabeau Frossard y el abate Grégoire. Aunque nos detendremos en los que a acontinuación analizamos. El abate y filántropo Grégoire entró a formar parte de la Société, una vez esta ya había adquirido cierta fama. Destaquemos aquí su Mémoire en faveur des gens de couleur ou sang-mêlés,7 texto muy combativo, uno de los primeros en circular en Francia a favor de los mulatos. En él, este prelado continuaba 4 En adelante Société. 5 Jean-Daniel Piquet, L’émancipation des Noirs dans la Révolution Française (1789–1795), París: Karthala 2002, 48. 6 Marcel Dorigny, Bernard Gainot, La Société des Amis des Noirs, 1789–1799, París: Ed. Unesco 1998, 22. 7 Henri Grégoire, Mémoire en faveur des gens de couleur ou sang-mêlés de St. Domingue, & des autres isles françoises de l’Amérique, adressé à l’Assemblée nationale (Reprod.), París: BNF 1789.
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la idea de Mirabeau, defendía la condición humana de los sangre-mezclados (sang-mêlés), el derecho que tenían a la ciudadanía y arremetía contra los blancos oriundos de las Antillas, acusándolos de haber sido los creadores de los prejuicios hacia la Gente de Color: Quand il s’agira d’abolir la traite les planteurs crieront à l’injustice […] cet argument ne frappe pas sur la cause des sang mêlés, ils forment une classe libre […]. La loi veut donc que tous les affranchis jouissent de tous les bienfaits résultans de la liberté: mais un préjugé barbare a prévalu, des décrets rendus par les Pachas & les Cadis qui gouvernoient ou jugeoient la Colonie, ont infirmé les dispositions de l’Édit, voilà comme on a privé une portion des citoyens des droits qui leur assuroient la loi d’accord avec la nature & et l’on voit des Blancs prétendre justifier leur conduite en alléguant qu’ils ont trouvé la coutume établie comme si des abus antiques étoient des abus raisonnables & le laps de tems pût sanctionner l’oppression.8 J’observe d’abord que la traite, déjà plus difficile, ne peut plus se soutenir long-tems. La population Africaine s’épuise annuellement par des exportations nombreuses: Mais la traite aura-t-elle un terme fixé par la nécessité des circontances sans qu’on puisse en faire honneur à l’humanité des Européens, qui, pour le dire en passant, dans la disettes des Nègres, commencent à traffiquer des Indiens? […] Dignes successeurs de Les Casas, des Bénezets, Messieurs Brissot de Warville, Clarkson, […] méditent d’amener graduellement les esclaves à la liberté; leurs efforts seront couronnés du succès; encore quelques années, & dans nos annales il restera seulement, le souvenir d’un forfait dont une postérité plus sage, rougira pour les générations antérieures.9
En este texto, el abate Grégoire señala además motivos prácticos para otorgar igualdad a los Mulatos: „l’intérêt réciproque les rapprochera brusquement, & si jamais les sang-mêlés arborent l’étandard de la liberté, tous les Nègres vont s’y rallier.“10 En opinión del abate los intereses de la metrópoli son viles combinaciones del egoísmo humano.11 En su Lettre aux sang-mêlés incita a los esclavos a mantener la caridad, ausente en sus amos, texto que recoge la idea de Montesquieu de que la esclavitud es incompatible con la religión católica.12 Después del 12 de octubre de 1790 la Asamblea aprobó un decreto mediante el cual la Asamblea Nacional se prohibía a sí misma discutir sobre el „estado de 8 9 10 11 12
Ibíd., 24 y ss. Ibíd., 34. Ibíd., 33. Ibíd., 36. Montesquieu, De l’Esprit des Lois, 1748. Livre XV, chapitre V, París: Firmin-Didot frères, fils et Cie 1857, 347: „Si, parmi les différentes religions, il y en avait une à l’établissement de laquelle on eût tenté de parvenir par la voie de l’esclavage, elle y serait odieuse, parce que, comme nous jugeons des choses par les liaisons et les accessoires que nous y mettons, celle-ci ne se présenterait jamais à l’esprit avec l’idée de liberté.“
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las personas“ de las colonias (incluyendo, por supuesto, a la Gente de Color), a menos que fuese solicitado, explícitamente, por las asambleas coloniales dominadas por los plantadores locales. Esta medida fue criticada, ferozmente, por el abate, quien, en su Lettre aux philanthropes, respondiendo al decreto de Barnave, la comparó con otra Noche de San Bartolomé pues en su opinión nuevamente „… una parte de la nación había sido inmolada por los prejuicios, y la codicia de la otra“.13 Miembro destacado en este sentir sobre la esclavitud fue, igualmente, Condorcet quien en sus Réflexions sur l’esclavage des noirs, publicadas años antes de los debates de la Constituyente, pone de manifiesto en la Asamblea las contradicciones de un sistema político. En su opinión la trata negrera no es necesaria para la prosperidad de las colonias: Ce n’est donc pas l’intérêt d’augmentation de culture qui fait prendre la défense de l’esclavage des Nègres, c’est l’intérêt d’augmentation de revenu pour les colons. Ce n’est pas l’intérêt patriotique plus ou moins fondé, c’est tout simplement l’avarice et la barbarie des propriétaires. La destruction de l’esclavage ne ruinerait ni les colonies, ni le commerce; elle rendrait les colonies plus florissantes, elle augmenterait le commerce. Elle ne ferait d’autre mal que d’empêcher quelques hommes barbares de s’engraisser des sueurs et du sang de leurs frères; en un mot, la masse entière des hommes y gagnerait, tandis que quelques particuliers n’y perdraient que l’avantage de pouvoir commettre impunément un crime utile à leurs intérêts.14
Se trataba, además, para los representantes de la nación de admitir o no, en la Asamblea Nacional, en calidad de diputados, a los productores (planteurs) de Saint-Domingue, que entendían representar a su clase, a la de los mestizos y a la de los escasos negros libres, para regresar estos allí a la nación que legislaba para los hombres, los „subhombres“ y los singes. Condorcet les critica, poniendo como testigo a la Asamblea Nacional, sobre la contradicción radical entre dos creencias o profesiones de fe, la de un diputado de una nación libre y la de uno siendo productor (planteur).15
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Véase Alejandro E. Gómez, „¿Ciudadanos de color? El problema de la ciudadanía de los esclavos y Gente de Color durante las revoluciones franco-antillanas, 1788–1804“, en: Anuario de Estudios Bolivarianos 12.5 (2005), 117–158. Marie Jean Antoine Nicolas de Caritat, Marquis de Condorcet, Réflexions sur l’esclavage des nègres, Neuchâtel: La Société Typographique 1781, 12. Louis Sala-Moulins, Les misères des Lumières sous la raison l’outrage, París: Homnisphères 2008, 199.
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Pour qu’un pays jouisse d’une véritable liberté, il faut que chaque homme n’y soit soumis qu’a des lois émanées de la volonté générale des citoyens; qu’aucune personne dans l’état n’ait le pouvoir, ni de se soustraire à la loi, ni de la violer impunément; qu’enfin chaque citoyen jouisse de ses droits et qu’aucune force ne puisse les lui enlever, sans armer contre elle la force publique. […] Mais il y a une autre liberté, celle de disposer librement de sa personne, de ne pas dépendre, pour sa nourriture, pour ses sentiments, pour ses goûts, des caprices d’un homme; il n’est personne qui ne sente la perte de cette liberté, qui n’ait horreur de ce genre de servitude.16
En estas declaraciones Condorcet distinguía entre libertad civil y natural, comulgando en ello con Locke o Rousseau. En sus Réfléxions sur le commerce des bleds se hacía eco del sentir del pueblo sobre los que comercian con este cereal, contradicciones del estado que, para procurárselo, prohíbe y oprime a los que lo poseen: Le gouvernement ne peut-il donc rien pour le soulagement du peuple? Il peut assurer aux Pauvres un salaire, & de l’ouvrage, il peut sur tout attirer des subsistances en protégeant la liberté de commerce, en punissant toutes les violences, & en dédommageant des pertes que ces violences ont causées & qu’il n’a pas pû prévenir. Mais d’où vient que ce peuple a ce préjugé? […] Le peuple regarde les Marchands de bled comme ses ennemis, comme des fripons qui sont la cause de la cherté. Ce préjugé a des causes très simples. 1° Le penchant natural à tout Acheteur de regarder tout Vendeur comme son ennemi. 2° L’idée que le Marchand a fait augmenter le prix; car, il est aise au peuple de voir que la concurrence des Marchands a fait hausser le prix dans le temps où ils font leurs achats, il lui est difficile de reconnoître lorsque ce même Marchand vient à vendre, que sa concurrence empêche le bled de s’élever encore. 3° L’intérêt que le Marchand a de ne vendre que lorsqu’il y a du profit, intérêt qui dans la réalité n’est favorable qu’à l’égalisation des prix, mais qui dans l’opinion du peuple, produit le renchérissement. […] La haine du peuple pour les Marchands de bled, n’est donc que trop fondée; mais ce n’est point sur des véritables Marchands exerçans un commerce libre que porte cette haine, c’est sur des hommes qui sçavent mettre à profit la gêne que les loix prohibitives apportent à la circulation des subsistances.17
En cuanto a Honoré Gabriel Riqueti, conde de Mirabeau, miembro fundador de la Société, es sabido que destacó por su capacidad oratoria. Sin embargo, esta cualidad se contrapone con el silencio que guardó con respecto a la trata negrera, circunstancia que no se comprende muy bien en los debates de la Constituyente en 1790. Tenía a Barnave en contra, pero en el conde sorprendieron sus condenas del orgullo de blanco y, a la vez, su relación con Moreau de Saint-Méry. Como consejero secreto de Luis XVI a partir de mayo de 1790, a 16 17
Condorcet, Réflexions sur l’esclavage des nègres, 42. Condorcet, Réfléxions sur le commerce des bleds, Londres: s.l. 1776, 136 y ss.
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pesar de sus explicaciones jamás fue escuchado, por lo que el doble juego que mostró por entonces fue prontamente denunciado. Una nota de Mirabeau al pastor ginebrino Dumont prueba que ambos se pusieron en contacto con Clarkson para pedir un dossier sobre la trata y así se lo comenta este en una primera carta al conde fechada el 13 de noviembre de 1789: Mr Dumont m’ayant demandé quelques éclaircissements sur la situation des Nègres en esclavage, j’écris la lettre dont celle que j’ai l’honneur de vous envoyer est une traduction que m’a donnée un ami Français qui vient me voir […]. Je me propose, Monsieur, de vous envoyer demain les clauses que j’ai crues nécessaires à l’abolition de la traite et les jours suivants de vous communiquer les renseignements que vous m’avez fait l’honneur de me demander, afin que sans abuser de votre temps vous puissiez y faire l’attention que vous jugerez convenable.18
Mirabeau defendía la instauración de una monarquía constitucional limitada por una asamblea legislativa, inspirándose en el modelo británico y en los escritos de Montesquieu. Cuando un régimen de esas características se creó en Francia, tuvo un comportamiento contradictorio, por un lado, se hizo agente secreto de ministros y hombres de estado (actuó en secreto como consejero de Louis XVI, de quien aceptó generosos pagos) y, por otro, intentó mantener su liderazgo en la Asamblea Nacional (de la que llegó a ser presidente en 1791, muriendo poco después). Al poco tiempo se debilitaron las posibilidades de la monarquía constitucional, desbaratada por el fallido intento de la familia real de escapar del país. El discurso jamás pronunciado por Mirabeau ante la Asamblea Nacional y suavizado en el club jacobino, puede, en la actualidad, resultar sorprendente por ese carácter ambiguo, sin embargo tuvo muchas causas: 10 o 12 miembros del Comité colonial pertenecían a medios de negocios o eran vehementes defensores de los mismos. Este Comité tenía como objetivo impedir cualquier debate sobre la trata y hacer callar a Mirabeau. El anuncio de este discurso con anterioridad les permitió preparar la defensa y ganar una serie de diputados que eran partidarios de defender la prosperidad comercial del reino y estaban aterrorizados por los disturbios en los puertos de Burdeos, Le Havre o Marsella. En una carta de Mme de Roland a Bancal des Issarts, ella deplora la muerte del hombre pero también lamenta su pérfido silencio: „Il a usurpé la plus grande partie de sa réputation par des ouvrages qu’il n’avait pas faits, il a vendu son talent et la vérité à l’avarice et à l’ambition, à l’or, dont ses dérèglements lui 18
Véase Mirabeau, Les bières flottantes des négriers. Un discours non-prononcé sur l’abolition de la traite des Noirs, septembre 1789-mars 1790, ed. Marcel Dorigny, Saint-Étienne: Université de Saint-Étienne 1999, 13.
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donnaient un si grand besoin […] j’ai été indignée de son silence perfide, de ses discours contradictoires et de sa scélératesse.“19 Ahodando en estas contradicciones, Mirabeau evoca las condiciones de la travesía a borde los buques negreros en su texto Les bières flottantes: Si, d’après ces principes solennellement proclamés dans toute l’Europe, les Nègres de vos îles, hommes comme nous, ont un droit incontestable à la liberté, d’où vient que cette assemblée n’a point encore détruit les rapports de maître dans toute l’étendue de l’empire français? […] mais figurez-vous ce qu’est cette traversée de deux mille, quelquefois de trois mille lieues. Voyez le modèle d’un navire chargé de ces infortunés, et tâchez de ne pas retourner vos regards [evoca el famoso negrero británico The Brooks].20
Notemos que hasta mayo de 1790 fueron los Amis des Noirs quienes, sobre todo, dominaban la escena ‚negrófila‘ Brissot, Carra, Clavière, Condorcet, Grégoire, Lanthenas, Pétion, Mirabeau, etc. Igualmente sorprende constatar cómo años antes del estallido revolucionario, autores como Condorcet o Jean-Louis Carra, pusieran de manifiesto las contradicciones existentes en la sociedad francesa sobre el tema de la esclavitud. Este útimo por ejemplo, autor de obras científicas, exiliado en Prusia, Austria y Moldavia, a su regreso a Francia consolidó su carrera como periodista y diputado, accedió al cargo de bibliotecario del rey y, en la epístola que introduce su obra Le Système de la raison ou le prophète philosophe, anticipa la caída de los tiranos y de la monarquía 16 años antes de que sucediera: Aux Prétendus Maitres de la terre Fléaux du genre humain, illustres tyrans de vos semblables, hommes qui n’en avez que le titre, rois, princes, monarques, empereurs chefs, souverains, vous tous, enfin, qui en vous élevant sur le trône et au-dessus de vos semblables, avez perdu les idées d’égalité, d’équité, de sociabilité, de vérité, […] je vous assigne au tribunal de la raison […] s’il est possible que l’air pur de la raison puisse un instant modifier vos organes; s’il est possible que génie de la vérité puisse enflammer un moment votre cœur, chassez loin de vous, l’essaim venimeux de vos flatteurs, descendez de votre trône, et déposant sceptre et couronne, allez interroger le dernier de vos sujets; demandez lui ce qu’il aime véritablement, ce qu’il hait le plus, et ce qu’il lui faut pour vivre content […] Étudiez ensuite le Systême de la raison et le code des loix naturelles […] vous sentirez la nécessité sacrée d’une égalité civile parmi tous, d’une liberté relative, […] vous pleurerez sur les maux affreux, sur les injustices cruelles dont vous aurez accablé vos infortunés esclaves.21 19 20 21
Véase ibíd., 30–31. Ibíd., 69–70. Jean Louis Carra, Système de la raison ou Le prophète philosophe, París: Buisson 1791 (Londres: 1773), VI y ss.
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En cuanto a Frossard, intelectual de prestigio, su compromiso más importante fue el que alude a la causa abolicionista. Su texto más polémico fue: La cause des esclaves nègres et des habitants de la Guinée portée au tribunal de la Justice, de la Religion, de la Politique; ou histoire de la Traite et de l’esclavage des nègres; Preuves de leur illégitimité; Moyens de les abolir sans nuire, ni aux Colonies, ni aux Colons. Su relación con los abolicionistas ingleses le lleva a abrazar la causa de la Société y cuando esta publica, en 1790, una lista de obras recomendadas, la suya aparece como la segunda después del Essai sobre la trata de Clarkson: Arrivent-ils dans nos Colonies sans avoir pu mettre un terme à leur malheur, ils sont aussi-tôt traînés au marché, ils sont vendus à l’encan comme des pieces de bétail, sans recevoir le prix auquel on les estime; on les marque d’un fer chaud, sans qu’ils aient commis de crimes; on leur prononce l’arrêt d’une captivité éternelle, comme s’ils n’étoient pas nés aussi libres que leurs tyrans.22
El discurso que contrapone los intereses de los productores de las colonias y el de una sociedad que debe preservar con fuerza los derechos más importantes de la naturaleza es, especialmente, enérgico, vehemente, tratando de convencer a la opinión pública sobre la abolición de la trata: Il est donc nécessaire que la turpitude attachée au commerce des Nègres, & la barbarie avec laquelle ils sont traités par la plupart des cultivateurs Américains, soient portés au tribunal de l’opinion publique. Quand elle aura prononcé que cet infâme trafic est inutile, & sur-tout qu’il est injuste, ceux qui le continueront, seront regardés par tous les amis de la vérité & de la vertu comme des monstres d’autant plus odieux qu’ils sont capables de sacrifier sans honte, délicatesse, pudeur, conscience, religion même à l’appàt d’un gain souvent illusoire.23
Entre los motivos que produjeron el debilitamiento de la Société hemos esbozado algunas de las contradicciones de índole social más destacadas que miembros de la misma hacían manifiestas. Una de las primeras contradicciones (marzo de 1790) tuvo lugar cuando algunos miembros del partido patriota se fueron de la Société des Amis des noirs; se habían alineado a la izquierda de la Asamblea Constituyente: los hermanos Lameth (Alejandro, Carlos y Teodoro) el duque d’Aiguillon y Lucas de Blaire. Alejandro se afilió al club Massiac y Carlos fue acusado, en el periódico Le Patriote français, por Condorcet y Brissot, a principios de 1791, de haber 22
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Benjamin-Sigismond Frossard, La cause des esclaves nègres et des habitants de la Guinée portée au tribunal de la Justice, de la Religion, de la Politique; ou histoire de la Traite et de l’esclavage des nègres. Preuves de leur illégitimité. Moyens de les abolir sans nuire, ni aux Colonies, ni aux Colons, Lyon: Aimé de la Roche 1789, t. I, 11. Ibíd., t. I, 16.
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causado la muerte de 45 esclavos de una compra de 52 que había hecho. Sin embargo, esta información podía tener un doble objetivo, o bien relanzar un debate sobre el derecho a la propiedad de los hombres o desestabilizar a un político. Entre marzo y abril de 1790 el tema de la trata negrera estaba en el orden del día de la Asamblea. Únicamente 7 personas votaron contra su mantenimiento, Pétion (a la izquierda de la Asamblea Constituyente), uno de ellos, denunciaba su carácter deleznable y reivindicaba un debate. La Société presionaba a la Asamblea para que se creara el Comité de Colonias y así poder estudiar esta importantísima cuestión, pero el Comité incluía a comerciantes y burgueses de Burdeos, Nantes y Le Havre con intereses en el comercio de esclavos y evitaba cualquier discusión abolicionista. Un año después Le Patriote français entraba en polémica con el Journal des Amis de la Constitution de Choderlos de Laclos que guardaba silencio porque, en su espíritu, ir contra los productores era poner en juego las colonias, el comercio y la prosperidad de Francia y ponerse a su favor suponía contradecir la Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen, cuyo artículo primero (26 août 1789) proclamaba: „Tous les hommes naissent et demeurent libres et égaux en droits.“24 Señalemos que la abolición de la esclavitud se produjo en Francia el 4 de febrero de 1794. El decreto se aprobó gracias a la unión entre revolucionarios partidarios de la abolición (siendo partidario destacado el abate Gregorio) y representantes de la Revolución que había estallado en Santo Domingo en 1791.25 Entre 1789 y 1790 la expresión „Société des Noirs“ provocaba confusión entre los contrarrevolucionarios. Algunos negociantes y colonos entran en el club de los jacobinos de donde serán desalojados, en junio de 1791, y su influencia es tal que algunos jacobinos los apoyan y toman partido contra la Société, tal es el caso de por ejemplo de Camille Desmoulins. La indiferencia colonialista de Camille Desmoulins se explica porque estos hombres de color de las islas, ausentes de las jornadas revolucionarias en el verano del 89, eran, ahora, diputados gracias a sus fortunas y él, habiendo participado como ciudadano activo en las mismas, entre el 13 y el 14 de julio, y francés de origen no tendría ese derecho de diputado.26 24 25 26
Véase Piquet, L’émancipation des Noirs dans la Révolution Française, 55, y Gille Gauvin, Abécédaire de l’esclavage des Noirs, París: Dapper 2007, 112 y ss. Saint-Domingue fue el nombre con el que se conoció la colonia establecida por Francia en la isla de Española (Santo Domingo). Por un tiempo abarcó toda la isla, es decir, los países actuales de Haití y República Dominicana. Piquet, L’émancipation des Noirs dans la Révolution Française, 57.
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Club del hotel de Massiac
En los comienzos del club, el equipo que ejercía liderazgo estaba compuesto por el marqués de Galliffet, Billard27 y Cormier,28 Duval de Sanadon,29 el conde de Guitton, Belin de Villenueve,30 el vizconde de Léaumont, Barré de Saint-Venant,31 etc., entre ellos hemos retenido, en esta segunda parte, al marqués de Cocherel, a Gouy d’Arcy, a Larchevesque-Thibaud, a Thébaudières y a Méderic Louis Elie Moreau de Saint-Méry y hemos analizado algunas de sus contradicciones plasmadas en los discursos. El hotel de L’Hospital (conocido, además, como hôtel de Pomponne o de Massiac) era un hotel particular propiedad de Louis-Claude-René de Mordan, marqués de Massiac herencia desde 1770, de su tío abuelo, el ministro de la Marina y estaba situado en la plaza de las Victorias en París. La sociedad de colonos ricos de Saint-Domingue y de las Petites Antilles se instaló allí en 20 de agosto de 1789. Llegaron a suspender en las colonias la aplicación de la Déclaration des Droits de l’Homme, cuyos principios abolían la esclavitud. Su influencia también hizo que se retrasara en varios meses la creación de un Comité de las colonias en la Asamblea. Comité colonial y club Massiac estaban de acuerdo en no abolir la trata y en contra de la igualdad de los hombres de color. En lo relativo al asunto
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Propietario en Torbeck de una azucarera de 215.000 libras. Montó su plantación él mismo de otros bienes. Había regresado de la colonia y vivía en Nantes. Yves Cormier fue el secretario y luego el presidente del Club de Massiac, así como del club Monárquico, antes procurador del rey en el Présidial de Rennes. Hijo de Yves-Gille Cormier, un negociante, recaudador del obispado de Rennes, consejero de la ciudad. Yves Cormier será presidente sin ir nunca a Saint-Domingue y era colonial por su matrimonio con Suzanne de Butler de Nantes, heredera de plantaciones de Bréda en lo Alto del Cap y en Bois de Lance. Duval de Sanadon David nació en Guadalupe, hijo de un colono y una criolla, productor afincado en la colonia en Verrettes en lo alto de l’Artibonita. Llegó a París en 1788. Era, antes de la Revolución, uno de los colonos más ricos de Saint-Domingue. Se instaló en Francia donde de 1784 a 1789, defendió los intereses de los colonos. En 1792, combatió en las filas de los emigrados y fue recompensado bajo la Restauración. Véase el „Tableau de la situation actuelle des colonies“, en: Généalogie et historie de la Caraïbe 238 (juillet-août 2010), 6434. Belin era criollo. Plantó cafetales en lo alto de la Grande Rivière du Cap e inventó un molino para „malaxer l’argile qui purgeait les sucres bruts“ (Gabriel Débien, Les colons de Saint-Domingue et la Révolution. Essai sur le club Massiac (Août 1789–Août 1792), París: Librairie Armand Colin 1953, 84–85). Fue un héroe en Saint-Domingue. En 1777, el rey le concedió títulos de nobleza. Perteneció a la Cámera de agricultura del Cap y fue administrador de la casa de la Providence. Saint-Venant fue militar, administró la azucarera de Pla en quartier-Morin y se instaló en las azucareras de su tío, también miembro de la Cámara de agricultura del Cap.
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del exclusivo32 aconsejaban la prudencia, los cambios y las adaptaciones que imponen sus relaciones con los comerciantes. Reunirá, desde sus comienzos, a 70 miembros en Saint-Domingue o en las Petites Antilles, y contará con más de 400 en 1791, en la época del debate sobre las colonias, en la Asamblea. Dos movimientos de reforma dan origen al club Massiac en torno a Gouy d’Arsy y entre los colonos de Saint-Domingue con esperanzas comunes, ambos siguieron las sugerencias del comité parisino. Gouy manifestó su deseo de que la colonia deseaba estar más unida a Francia por sus diputados y para colaborar en la magna obra que suponía la próxima Constitución. Esta audacia le llevó a estar en el Jeu de Paume, había que estar en Versalles en el momento preciso, por ello se enviaron 31 diputados, de los cuales 16 se escogieron entre los productores de Saint-Domingue y 15 entre los propietarios que vivían en Francia.33 La delegación fue a Versalles y después de largos debates, habiendo sido ayudados por los hermanos Lameth, Charles y Alexandre, Barnave, el partido de los colonos blancos llegó a infiltrarse en la Asamblea Nacional, con seis escaños de los 20 que reclamaban: Cocherel, Gouy d’Arsy, Thébaudières, Larchevesque-Thibaud, Perrigny et Gérard fueron los seis diputados admitidos en sede. Cifra superior a lo que permitía la demografía de la isla, en proporción a las provincias metropolitanas, pero consentida por el peso económico de Saint-Domingue que los colonos hicieron valer para tener más representación. Los movimientos de los colonos son seguidos por la Société des Amis de Noirs y por Brissot, tomando como modelo la sociedad abolicionista inglesa fundada por Wilberforce y Clarkson, cuya actividad es regular después de la entrada de Condorcet y la vuelta de Brissot de América. La admisión de los diputados colonos en el Tercer Estado preocupa a Brissot porque están en contra de la abolición, estos parlamentarios de Saint-Domingue, dueños de esclavos, estaban mal considerados por los Amigos de los Negros, porque reclamaban, continuamente, en el ministerio de marina, la libertad de su comercio con los Estados Unidos y, en general, una entera libertad de intercambios comerciales. De la misma manera, en el complicado entramado de relaciones sociales del
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Lucien Leclerc, „La politique et l’influence du Club de l’Hôtel Massiac“, en: Annales historiques de la Révolution française 14.82 (1937), 343. El exclusif hace referencia al conjunto de prohibiciones regulando los intercambios comerciales entre Francia y las colonias, durante el Antiguo Régimen. Sistema que daba a Francia la exclusividad del transporte transatlántico a las colonias, les prohibía comerciar entre ellas y con los países extranjeros y las obligaba a orientar su actividad a productos agrícolas de gran calidad (especias, azúcar, algodón, café, etc.). Debien, Les colons de Saint-Domingue et la Révolution, 63.
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momento, el ministerio de marina y de comercio marítimo vigilaba con recelo tanto a unos, los colonos, como a otros, los de Société.34 A ello se suma que los armadores y los negociantes de los puertos temen dos cosas: la abolición de la trata y la desaparición de su monopolio económico, ya reducido, de intercambios comerciales. Para los primeros, los diputados colonos constituían una amenaza porque iban a sostener la política del gobernador de Saint-Domingue, du Chilleau, favorable a la apertura de los puertos del Sur al comercio extranjero.35 El 6 de junio de 1789, Les Amis des Noirs se descubren tras Brissot: han decidido comunicar a Necker una petición para abolir inmediatamente las ayudas acordadas por el rey a los negreros. El 8 de junio, momento en que los diputados elegidos por la colonia se presentaron en Versalles, el Tercer Estado, que deseaba la reunión de las Comunas, creyó en ellos como un posible apoyo. Sus discursos introducían nociones liberales: „despotismo ministerial“, „libertad de comercio“, al igual que los de la Société, pero sus fines eran otros. Empapados de la herencia cultural de sus contemporáneos y de las tesis fisiócratas, articulaban, basándose en ellas, los discursos económicos poniéndolos en valor. El 26 de agosto de 1789, la Asamblea vota la Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen. Julien Raimond es invitado en el club Massiac. Las ideas políticas del club fueron, en esencia, un entramado político para hacer prevalecer los intereses de sus afiliados: „Officiellement le club aussi veut paraître neutre, accueillant aux efforts des libres. Vincent Ogé est en France avec son frère. Il est beaucoup plus ardent que Raymond et celui-ci était l’une des bêtes noires du club Massiac.“36 El primero que atrae nuestra atención en este lobby colonial es Nicolas Robert marqués de Cocherel.37 El marqués pretendía hacer valer sus tesis sobre el hecho de que Saint-Domingue no era una colonia de Francia porque no fue conquistada sino donada a Louis XIV, a condición de mantener su libre comercio, sus privilegios y sus franquicias con los holandeses desde el pasado. Cocherel reclamaba para la isla una constitución mixta y la consideraba provincia franco-americana:
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Ibíd., 68. Ibíd., 69. Ibíd., 158. Véase también ibíd., 160. Apperçu sur la Constitution de Saint-Domingue par M. de Cocherel, l’un de ses Députés, París: s.l. 1789 (BNF), 2 y ss. Otros escritos: Cocherel, Projet d’un décret pour les subsistances de l’île de Saint-Domingue, par un de ses députés, París: Impr. de Clousier 1789 (BNF).
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À ce titre, elle [la province] doit avoir une constitution mixte composée de la constitution de la France à qui elle appartient par droit de donation, & d’une constitution particulière et nécessaire à sa position, qui ne peut être réglée & déterminée que par les seuls habitans résidens à Saint Domingue, qui offriront à ce sujet, à cet effet, par leurs députés à l’Assemblée Nationale, le plan d’une nouvelle formation d’Assemblée en Etats particuliers et Provinciaux […] [Les députés] solliciteront de l’Assemblée nationale, la decisión de la question des loix prohibitives, […] ils demanderont, au nom de leurs Commettans la liberté de tous les Nègres résidens en France, tant qu’ils y resteront […] ils consentiront encore à l’abolition de la Traite des Noirs faite par les Négociants Français, si c’est le vœu de l’Assemblée Nationale.
Cocherel se quejaba38 de los privilegios que tienen con Saint-Domingue „les négociants des ports de mer“ que condenaban a la hambruna a sus compatriotas por su oposición a que se vendiera harina americana en la isla, algo a lo que respondieron los diputados de las manufacturas y comercio de Francia con una moción, la Réponse des députés des manufactures et du commerce de France aux motions de MM. de Cocherel et de Raynaud, députés de l’isle de St Domingue à l’Assemblée Nationale.39 Entre estos discursos, especialmente incendiarios, que denotaban un interés extremo en frenar la gestión directa de la Francia revolucionaria en las Colonias y en sus problemas, encontramos el titulado Réclamations de M. De Cocherel relatives au travail du Comité des Douze sur le mode de convocation des Assemblées des Colonies40 en el que defiendía que la postura de los colonos era gestionar ellos mismos los asuntos de las Colonias: Des mains étrangères qui y seroient employés mal à propos ne seroient propres qu’à déranger l’ordre de l’ouvrage & à le faire écrouler, peut-être. Laissez-nous donc, messieurs, le soin de préparer nous-mêmes les premiers matériaux qui doivent servir à consolider l’édifice de notre Constitution: rapportez-vous en à vos connaissances locales, à notre expérience & à notre propre intérêt qui suppléeront à toutes les lumières dont nous manquer d’ailleurs. […] Difficulté embarrassante […] qualités requises pour être citoyen actif dans les Colonies. Deux espèces d’hommes les habitent, les libres & les esclaves. Il est décidé que les derniers ne peuvent être Citoyens actifs. Les premiers se divisent en deux classes; une des propriétaires, & l’autrre de ceux qui ne le sont pas. Il est clair que tous les propriétaires, ayant d’ailleurs les qualités requises, doivent être citoyens actifs, mais dans nos colonies, les hommes qui ne possèdent rien, leur sont absolument étrangers, suivant le proverbe du pays, ce sont des passe-volans ou des 38 39 40
Dernière Réponse de M. de Cocherel, Député de S. Domingue, a messieurs, les députés du commerce (au sujet de l’introduction des farines américaines dans les ports de SaintDomingue, Versalles: Baudouin 1789 (BNF). Versalles: Impr. de P.-D. Pierres s.d. Assemblée Constituante, 16–31 mars 1790, Publication: s.l. s.d. (BNF).
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María del Carmen Marrero Marrero oiseaux de passage: celui-là seul qui tient à la glèbe41 est le vrai colon, il a épousé la terre qu’il habite: il a donc intérêt à la féconder, à la conserver, à la défendre. À lui donc, à lui seul devoit appartenir le droit de proposer les loix nécessaires au régime de son corps, à son bonheur, à sa prospérité, qu’il doit partager.42
En sus Observations à l’Assemblée nationale, se constataba la insistencia de este miembro del club Massiac en anular la representación, en la Asamblea, des gens de couleur. Por ese entonces, ya se habían admitido allí a los diputados de Saint-Domingue, cuyo número se había establecido en función de su población: „Cependant aujourd’hui une réunion de quelques individus isolés à Paris, connus dans les colonies, sous le nom de Mulätres, & dénommés à Paris Gens de couleur, vient réclamer contre une représentation que vous avez jugéee légale […].“43 Pide al Comité de control de la Asamblea que vigile este grupo: Je demanderai ensuite comment elle est formée, est composée cette espèce de corporation? Est-ce de Colons? Ces Colons sont-ils Affranchis? De laquelle des quatorze Colonies françoises sont ces Colons? Ces Colons sont-ils propriétaires dans les Colonies? Ces Colons ont-ils des pouvoirs? sont-ils donnés par des propriétaires libres résidens dans les Colonies? […] Je demanderai encore si ces hommes, quoique Gens de couleur, ne peuvent pas être nés en France, sans avoir pour cela aucuns rapports, aucunes propriétés à Saint-Domingue? D’après toutes ces considérations, je me résume & je dis, que s’il est prouvé que les gens de couleur sont propriétaires libres des Colonies, il est prouvé par-là-même, qu’ils composent les Communes des Colonies, dont la représentation a été calculée et fixéé, par un Décret de l’Assemblée Nationale, en raison de la population des Communes des Colonies; cette population n’a pas augmentéé depuis ce Décret, qui a consacré les droits & l’admission des Députés a l’Assemblée Nationale. Les réclamations des Gens de couleur ne porroient être accueillies sans détruire votre premier Décret; & dans cette hypothèse, la députation des Colonies deviendroit tout au plus nulle; leurs députés cesseroient, […] en deux mots, ou la nomination des Députés des Colonies est légale, ou elle ne l’est pas. Si elle est légale, les Gens de couleur sont représentés parce que’ils composent les Communes, si elle ne l’est pas, les Députés des colonies doivent se retirer. Voici donc le Décret que je propose: L’Assemblée nationale, considérant la différence absolue du régime de la France à celui de ses Colonies, déclarant par cette raison, que plusieurs de ses Décrets, notamment celui des Droits de l’homme ne peut pas convenir à leur Constitution a décrété & décrète, que, toute motion relative à la constitution des colonies, seroit suspendue & renvoyée à l’époque où elle recevra du sein même de 41 42 43
Sol qui devaient cultiver les serves. Réclamations de M. De Cocherel, 6–7, 11. Observations de M. de Cocherel, député de Saint-Domingue, à l’Assemblée nationale, sur la demande des mulâtres, París: Impr. de Clousier 1789, 2.
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ses colonies, leurs voeux légalement manifestés dans un Plan de Constitution qui sera soumis à un sérieux examen de l’Assemblée Nationale, avant d’être décrété.44
Se hace necesario que citemos en este trabajo a Louis-Marthe, marquis de Gouy d’Arsy (o d’Arcy), guillotinado el 23 juillet 1794 en París después de una revuelta en las prisiones. Fue militar, general de brigada desde 1792 y diputado de la Revolución francesa por Saint-Domingue en los Estados generales en 1789. Como miembro activo del club Massiac y masón (logia de la Candeur à l’Orient de París), fue, además, autor de informes, de cartas y el más audaz agitador de entre los coloniales. Estaba casado, en segundas nupcias, con una criolla de Saint-Domingue propietaria de azucareras (Bayeux en Port-Margot) y del cafetal (la Provence en Plaisance) cuyo valor se estimaba en más de un millón de libras. Mencionamos estas alianzas porque reforzaban los lazos con la colonia y se convertían en garantes de sus acreedores.45 Hombre de gran influencia en el club por su posición intermedia entre el mundo de la nobleza y el de los negocios bancarios. Él fue el promotor de la idea de una representación colonial en los Estados Generales. De los nueve comisarios de los colonos de Francia, dirigirá el Comité colonial, convocará elecciones irregulares, parciales, en la isla desde lejos. Entre sus textos apelando a las injusticias que sufrían los colonos, durante su mandato en la Asamblea Nacional o en la Cámara de diputados destacamos una Carta,46 en la que se queja de que su correspondencia ha sido y citamos textualmente: „violada por tercera vez por los enemigos de los colonos“. Igualmente, presenta en la Asamblea una Opinion el 19 de septiembre de 1789 sobre la situación de las finanzas del reino en ese momento. Comienza recordando las palabras del ministro a este respecto y va enumerando las reticencias y desconfianzas de las naciones europeas, ante la posibilidad de conceder préstamos al reino como única vía para solucionar la bancarrota, e insistía en que ello era, únicamente, un paliativo: Le ministre des finances est venu dans cette Salle, le 7 d’août. Il vous a dit: „Voici l’état du trésor public. J’ai, d’ici au 30 septembre, 37 millions à recevoir; j’en ai 67 à payer (et il savait au plus bas): il m’en manque donc 30 pour aller jusqu’è cette époque; et à cette époque il ne me restera rien. Qu’avez-vous fait Messieurs? Vous avez décrété un emprunt de 30 millions: il n’a pas été rempli, et les recettes ont diminué, et les dépenses ont augmenté, et les besoins se sont accrus. […] Vous avez accueilli cette demande comme le seul contre-poison de cette infame Banqueroute, dont vous avez proscrit jusqu’au nom. […] Apprenez que ce modique 44 45 46
Ibíd., 11 y ss. Su primo, vizconde de Gouy también estaba casado con una criolla. París, 23 de agosto de 1791, Carta a la Asamblea Nacional.
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María del Carmen Marrero Marrero Emprunt de 40 millions, seule ressource actuelle de l’Etat, est bien loin d’être rempli. Apprenez que les avantages offerts aux prêteurs n’ont pu entamer leur méfiance. […] Apprenez que les Etrangers ont refusé de prêter à la Nation Françoise; qu’Amsterdam, Hambourg, Genes, ont dit: „Les Emprunts ont causé tous vos maux: un nouvel Emprunt ne peut que les augmenter; et s’il vous soutient quelques instans de plus, ce ne peut être qu’un palliatif qui accroît la somme de vos charges, sans diminuer la masse de vos dettes.“47
Explicó en líneas siguientes las tres grandes desgracias en materia financiera que asolaban el reino: una deuda inmensa, la falta de liquidez de efectivo necesario para la circulacion, tanto en la capital como en las provincias, y la ausencia de otro medio de circulación equivalente al servicio de especies, necesario para aliviar todas las operaciones económicas. Para paliar el déficit, Gouy d’Arsy proponía un impuesto: „Le centième, le soixante-quinzième, s’il le faut ou même le cinquantième de leur fortune, si l’Assemblée Nationale ne décrète la contribution. […] le centième denier de toutes les fortunes doive produire une somme immense.“48 Con el fin de restablecer la liquidez señalaba que: „Une quantité considérable d’argent en vaisselle dont la possession, plus superflue que jamais, dans les circonstances actuelles, serait facilement abandonnée, […] il suffira d’ouvrir à cet objet de luxe un débouché commode, lucratif, et même honorable, pour assurer de la prompte conversion en espèces, d’une masse énorme d’argenterie.“49 Pero fue en sus Idées sommaires donde Gouy d’Arsy ofreció los datos económicos sobre la isla de Saint-Domingue que nos parecen, especialmente, completos sobre la producción y relación comercial entre el reino y las colonias: Or la protection ordinaire et l’administration de toutes nos colonies dans toutes les parties du monde coutent environ douze millions. – Donc Saint-Domingue payant à elle seule, les dépenses de toutes nos possessions d’outre-mer. C’est à cette colonie que la France doit le bénéfice immense que lui rapportent toutes nos relations commerciales avec ces contrées lointaines. Ces relations commerciales ne sont autres que l’exportation des denrées ou de l’industrie de la métropole vers la colonie, à un prix très élevé. – Et l’importation exclusive et à bas prix, dans la métropole, des productions territoriales de la colonie. Pour avoir une idée du bénéfice immense que de tels échanges apportent à la métropole, il faut savoir que la France, année commune, exporte vers Saint-Domingue, 187 mille Bariques de farines 121 mille Bariques de vin, pour 47
48 49
Opinion de M. le marquis de Gouy d’Arsy, dans la séance de l’Assembléé nationale, du 19 septembre 1789, matin. Sur la situation des finances. Seguida inmediatamente de sus Moyens proposés à l’Assemblée nationale par M. le marquis de Gouy d’Arsy, pour prévenir la banqueroute de l’Etat, Versalles: Baudouin s.d., 6 y ss. Ibíd., 8. Ibíd., 10.
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deux millions de viandes et poissons salés, et une grande quantité de toiles, mousselines, draps, soyeries, meubles, modes, bijoux […]. Saint-Domingue en retour de ces exportations, qu’elle paye au prix qu’il plaît à la Métropole d’y mettre, puisqu’elle est sûre de n’y point trouver de concurrence, Saint-Domingue, dis-je, fait hommage à la France de toutes les productions de son territoire […] divisée en deux parties […] la partie française renferme environ 3.600 lieues de superficie, couvertes des productions les plus précieuses […] 200 millions pesant de sucre; 90 millions pesant de café, 2 millions d’indigo, un million de cacao; 5 millions de coton et beaucoup de bois de campèche, d’acajou, de taffias, etc.50 – Toutes ces denrées importées vers la Métropole complettent le chargement de 1.400 navires de toutes grandeurs, et sont évaluées à 250 millions de livres tournois. […] Cette immense quantité de productions, est mise en œuvre par un petit nombre de manufactures […] 450 sucreries en blanc, 350 sucreries en brut, 4000 cafféières, 2000 indigoteries, 80 cacaoteries, 600 cotoneries […].
Las contradicciones de los ilustrados eran evidentes cuando este personaje llegaba a afirmar que los siervos (500.000 negros en la colonia) tenían menos de qué quejarse que 500 mendigos franceses que podían constituir eran una vergüenza para la prosperidad del reino o 2 millones de campesinos libres que hacían el pan que se comía a diario y, sin embargo, en sus casas escaseaba. Poco a poco, refería d’Arcy, los mulatos cuarterones mestizos, nacidos libres fueron adquiriendo en las colonias tierras y esclavos y pasaron de constituir 152 en 1703 a más de 25.000 en 1791 y hoy poseen la décima parte del suelo de la colonia y alrededor de 50.000 esclavos.51 Con respecto a la Société la consideraba una secta que comenzaba a manifestar odio a las colonias,52 que no pedía susbsistencias ni un Comité colonial, y que estaba en contra de los negociantes de los puertos por tolerar la trata. En su capítulo cuarto justificaba la esclavitud planteándose que en país caluroso donde sus habitantes se inclinan a la pereza, en el que hombres blancos no cultivan el suelo, no cabe esperar tampoco que los negros libres lo cultiven, pues asocian un instrumento aratorio a una bajeza.53 En su Opinion de 1790, Gouy d’Arsy explicaba cómo se originó el deseo en la colonia de tener representantes en los estados Generales: S.-Domingue a toujours eu, jusqu’en 1787, deux Conseils Supérieurs, l’un au Port-au-Prince, l’autre au Cap. A cette époque ils furent réunis, en vertu d’un édit surpris à la religion du Roi; & cette reunión désastreuse fit le désespoir de la Province du Nord. Depuis cet instant, elle n’a cessé de réclamer avec force 50 51 52 53
Louis-Marthe de Gouy d’Arsy, Idées sommaires sur la restauration de Saint-Domingue, présentées à la nation, au roi et à la colonie, París: Impr. de Boulard 1792 (BNF), 4 y ss. Ibíd., 11. Ibíd. Ibíd., 46.
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María del Carmen Marrero Marrero contre une opération qui, sous mille rapports, trop pénibles, & trop longs à exposer dans ce moment, portoit une atteinte préjudiciable à l’existence & à la fortune des Habitans de la plus florissante partie de la Colonie. Ce grief fut une des principaux motifs qui fit désirer à Saint-Domingue d’avoir des Représentans aux Etats-Généraux.54
Presentaba, además, el extracto de una carta55 de sus conciudadanos en la que dejó constancia de que la Asamblea Provincial del Norte en Saint-Domingue, deseaba la restauración del Consejo del Cap y la destitución del ministro de la marina La Luzerne.56 Asimismo, ponía de manifiesto otra vez el empeño del ministro en perjudicar a los dueños de tierras y favorecer las insurrecciones de una clase que obtenía sus beneficios de ellos. Aunque en época actual nos parece que justificaba lo injustificable, en ese entonces, contravenía todo el argumentario abolicionista: M. de la Luzerne a plus que perdu notre confiance, il est notre ennemi: tyran d’autant plus dangereux, qu’il semble n’être venu à Saint-Domingue que pour nous nuire d’une manière plus efficace par la présomption mensongère qu’élève en faveur de ses connoissances le séjour qu’il a fait dans cette Colonie, on ne le voit occupé que du soin de pressurer, de la tourmenter & de la retenir plus fortement que jamais sous l’empire du despotisme Ministériel, lorsque toutes les provinces de France ont eu le bonheur de s’en affranchir. Il ne se borne pas là & il pousse sa perfidie jusqu’à favoriser sous main les insurrections d’une classe qui tient tout des bienfaits de ses anciens maîtres & à flatter bassement dans la correspondance avec eux, des esperances dont l’accomplissement se serait rien moins que la subversion totale de la Colonie.57
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Opinion de M. le marquis de Gouy d’Arsy, Député de Saint-Domingue, Sur le rétablissement du Conseil Supérieur du Cap, & sur le renvoi du Ministre actuel de la Marine, Prononcée à l’Assemblée Nationale, au nom de la Députation de la Colonie, le 28 mars 1790, en Assemblée Constituante, 16–31 mars 1790 (BNF), 4–5. Carta firmada por Larchevesque-Thibaud presidente de la Asamblea Provincial del Norte (en la Colonia) y los miembros de la misma. Demandas firmadas como proyecto de decreto por el marqués Gouy d’Arsy, el de Rouvray de Chabanon; el conde Reynaud de Courrejolles, el de Magallon-de Thebaudières, el Cher de Marmé-de Villeblanche, el marqués de Perrigny de Laborie, el Cher de Cocherel du Val-Monville. Opinion de M. le marquis de Gouy d’Arsy (1790), 14.
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De Larchevesque-Thibaud,58 abogado y productor, destacamos, en uno de sus informes,59 su postura ante la deportación de la que es objeto por parte de Sonthonax, en ese momento comisario civil de la República Francesa, delegado en Saint-Domingue. Este asunto se cuenta en una primera parte, en la que explica su arresto y su traslado a Francia, a bordo del buque L’Amérique. En una segunda parte, muestra su parecer sobre la independencia de las colonias, con un discurso embaucador, teñido de ciertas dosis de imaginación, para justificar la esclavitud en las colonias así: „Les Colonies sont nécessaires à la richesse, à la splendeur, à la force politique de la France. Détruisez les Colonies, ou, en d’autres termes, anéantissez l’esclavage des nègres, vous renversez donc la fortune publique, en même tems que vous ôtez le pain à des millions de François.“60 Una contradicción más, esbozada por los del club Massiac con respecto al discurso de los abolicionistas. De la misma manera, justifica la libertad, fruto de las luces y del progreso, como noción asociada al saber que hace de ella un uso digno, y añade que si no es así, se abusa de ella y se corre el riesgo de caer en lo licencioso. Teniendo esta idea como premisa declara: „N’allez pas offrir le bienfait de la liberté à des hommes bruts, qui ne reconnoissent encore que les besoins des sens, et dans la tête de qui aucune idée des rapports de l’homme en société n’a encore germé.“61 En las colonias primaban los intereses, no la condición de negro, ello era o parecía a todas luces una flagrante contradicción con lo argumentado en la declaración de derechos del hombre. Se deseaba que las asambleas coloniales fuesen las que decidieran, atribuyéndose el poder legislativo:
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„Né le 9 juillet 1745 à Saint-Pierre-de-l’Arcahaye (Saint-Domingue), décédé le 4 janvier 1817 à Pointe-à-Pitre (Guadeloupe). Mandats à l’Assemblée nationale ou à la Chambre des députés: du 4 juillet 1789 au 24 août 1789: Saint-Domingue (Province du Nord) (Colonie). Biographie extraite du dictionnaire des parlementaires français de 1789 à 1889 (Adolphe Robert et Gaston Cougny): ‚Député en 1789, né à Saint-Domingue en 1745, mort à une date inconnue, avocat et planteur au quartier de Vallière dans l’île de Saint-Domingue, il fut élu député aux états généraux par cette colonie, le 2 avril 1789, et ne signala sa présence à l’Assemblée que par les plaintes qu’il formula contre le ministre de la Marine à propos de l’administration de l’île. Impliqué dans un procès comme suspect, il fut acquitté par le tribunal révolutionnaire le 22 messidor an II, et disparut de la scène politique‘“, https:// www2.assemblee-nationale.fr/sycomore/fiche/(num_dept)/13796. Mémoire et pièces justificatives adressés à la Convention nationale par le citoyen Larchevesque-Thibaud, ancien Procureur de la Commune du Cap François, París: Impr. de Testu 1793. Ibíd., 119 y ss. Ibíd., 125.
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María del Carmen Marrero Marrero Il falloit donc trouver un moyen de le rendre, en quelque sorte, étranger à la constitution Françoise; il falloit mettre l’Assemblée Nationale dans le cas de n’avoir jamais à eu connoître, et l’Assemblée de St. Marc ne voyoit d’autre expédient pour cela que de faire attribuer aux Assemblées Coloniales le pouvoir législatif en ce qui concerne ce même régime. Elle le disoit. Qu’importe à la métropole que les Colonies fassent elles-mêmes leurs loix domestiques, ou que ces loix leurs soient dictées par l’Assemblée nationale, pourvu que les rapports commerciaux soient toujours es mêmes? […] Or, les Colonies ne peuvent être utiles à la France que par le commerce.62
Sonthonax el comisario de la república en Saint-Domingue en una carta a la Asamblea fechada en 11 febrero de 1792 comenta, en relación con este asunto, que envía a la Convención Nacional, para que den cuenta de su conducta, a tres miembros de la asamblea Colonial y al comandante de la guardia nacional del Cap, siendo los cuatro encarnizados enemigos de la ley del 4 de abril (accordant l’égalité juridique aux libres de couleur, Loi du 4 avril 1792). Añade que Larchevesque-Thibaud llega por Burdeos con Michel, en el buque L’Éclatant, mientras que D’Angy y Raboteau arriban por Marsella en los navíos La perle y La Françoise.63 Dos meses antes Sonthonax hizo llegar otra carta a París, en donde pedía refuerzos o más efectivos militares para sofocar las revueltas de esclavos; a pesar de intentar controlar la situación en las colonias, su buen juicio se contradecía con su quehacer y refería: Ne vous le dissimulez pas, messieurs, il existe encore dans la colonie, ce parti-contre-revolutionnaire dont l’unique but est de paralyser vos meilleures intentions. Déchirez le voile épais dont il cherche à vous envelopper […] et sachez que ce tems perdu pour vous et pour nous, il n’est point pour les ennemis de la chose publique, […] mal intentionné ce parti contre-révolutionnaire qui existe encore dans la Colonie […] qui emploient ce tems à nous prévenir contre les citoyens de couleur, à nous diviser, et à faire échouer par notre división une entreprise dont le succès dépend de notre bonne intelligence.64
Las ideas ilustradas de libertad entraban en la mente de muchos de estos colonos antiabolicionistas, quienes fueron evolucionando, dando pruebas de cierto pragmatismo. Es decir lo que en principio eran contradicciones en el
62 63 64
Ibíd., 126. Ibíd., 32. Ibíd., 33 y ss.
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contexto social luego fueron posiciones cambiantes y los del club Massiac se fueron adaptando a las leyes que reconocían los derechos de los mulatos.65 Thébaudières, procurador general del rey, prestó juramento en el Jeu de Paume también y como miembro del comité colonial dimitió del mismo en 1790. Agente del gobierno de Saint-Domingue, cerca de las autoridades españolas de la isla de Cuba (del 19 brumario año XII a febrero de 1809). Volvió a Francia y se hizo consejero en la corte imperial de Orléans. Era partidario de la apertura de puertos de la colonia a una potencia extranjera ajena a la metrópoli y de la creación de Asambleas Provinciales, compuestas de propietarios, de negociantes, que dirimieran los intereses de la Colonia. Quiere que no sea, únicamente, Francia la que abastezca de harina a la Colonia: „N’est-ce pas vouloir nous rendre plus esclaves que nos nègres, que de s’opposer à ce que nous recevions notre subsistance de ceux qui veulent bien nous l’apporter, lorsque la Métropole est dans l’impossibilité de le faire?“66 Atrae la atención sobre el hecho de que los comerciantes concedan importancia al comercio marítimo, pero se pregunta qué sería de este si no se trabajaran las propiedades en las colonias: Si l’Assembléee rendoit un décret qui affranchît les Noirs, qui deviendroient ces hommes libres? Les ferez-vous Propriétaires, & les Blancs esclaves? Il faut que l’une des deux classes travaille, ou qu’elles périssent toutes deux; or, comme il est reconnu que le Blanc ne peut pas travailler la terre, & que le Noir, naturellement paresseux, n’y travaille que forcément, vous condamnez donc cette terre si féconde, à la stérilité, & ses Habitans à la mort?67
Más tarde, su contradicción desemboca en argumentos desvariados pues indica que, aun cuando el estado reembolse por los negros esclavos o por las propiedades de los libres y aun diciéndoles que mil navíos los podrán reconducir entre sus hermanos, estos no querrían volver a África. Je suis ami de l’Humanité autant que les amis des Noirs; mon attachement pour elle est plus prévoyant & plus eclairé que celui dont ils se parent. Mais quoique l’existence de ma fortune tienne à mon Habitation aux Nègres qui la cultivent, je saurois en faire le sacrifice, si ce sacrifice devoit opérer le bonheur d’une partie du Monde, telle que l’Afrique. […] Cela est si vrai que de tous les Nègres affranchis, il n’y en a peu être pas un seul dans la pensée duquel il soit venu de profiter 65 66 67
Jean-Daniel Piquet, „Robespierre et la liberté des noirs en l’an II d’après les archives des comités et les papiers de la commission Courtois“, en: Annales historiques de la Révolution française 323 (2001), 69–91. M. de Thébaudières, Vues générales sur les moyens de concilier l’intérêt du Commerce national avec la prospérité des Colonies, París: Impr. de Demonville 1790 (BNF), 8. Ibíd., 15.
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María del Carmen Marrero Marrero de sa liberté, pour retourner en Afrique y découvrir se famille & y mourir dans son sein.68
En cuanto a los hombres de color, no les deja ser diputados y refuta algunos de los puntos de sus cuadernos de quejas; su relato no tiene desperdicio para defender sus intereses como colono, en contra de los de color: Ils sont non recevables à demander à députer à l’Assemblée Nationale; car la Colonie étant un composé de Propriétaires Blancs & Gens de couleur, s’ils sont Propriétaires, nous les représentons, puisque nous représentons la Colonie? Ensuite c’est une corporation sans povoirs, sans titres, & l’Assemblée Nationale ne peut admettre les députés d’une corporation. Ils demandent à jouir des droits communs à tous les Citoyens, lorsqu’ils leur sont accordés par l’édit de 1685, & qu’ils en ont toujours joui; […] Lorsque l’Assemblée Nationale a décrété que tous les François étoient égaux en droits, & aptes à exercer toutes les fonctions ecclésiastiques, civiles, & militaires, a-t-elle jugé qu’un Africain, à qui son Maitre donneroit sa liberté dans nos Isles, porroit devenir Magistrat, Évêque, Gouverneur, Intendant? Voilà cependant les conséquences que los hommes de couleur prétendent tirer d’un des articles de notre constitution. Non contens d’être nos égaux, ils veulent devenir nos supérieurs. Enfin ceux qui se disent les amis des Noirs, s’ils l’étoient véritablement, s’ils n’étoient pas aveuglés par l’ignorance, ou animés par le désir de porter le trouble dans les Colonies, d’entraîner la ruine du Commerce & de tous les ports de France, n’exposeroient pas les Noirs à des supplices cruels, à des scènes sanglantes, en les excitant à la révolte & au meurtre de leurs Maîtres; ils n’auroient point calomnié les Colons François, qui, plus humains que les Propriétaires de terre, regardent leurs esclaves comme faisant partie de leur famille, leur abandonnent des terreins, pour les cultiver à loisir, les soignent dans leurs maladies, les nourrissent dans leur vieillesse, en sont quelquefois si aimés, que la plupart d’entre eux s’exposeroient à la mort pour sauver la vie de leurs Maîtres, & ne font souvent usage de la liberté qu’ils en reçoivent, que pour se dévouer davantage à leurs intérêts.69
Tengamos en cuenta que Gouy, Larcheveste-Thibaud, o Moréau eran criollos y en cierta manera, su discurso en contra de la abolición se justificaba porque se sentían más involucrados con la población de la colonia que los mismos abolicionistas, a quienes culpaban de incitar a estos Negros a la sublevación. El último integrante del club que citamos es Méderic Louis Elie Moreau de Saint-Méry.70 Su papel fue el de inspirador y consejero del grupo de colonos 68 69 70
Ibíd., 17 y ss. Ibíd., 19 y ss. Fue elegido diputado de Martinica en 1790, y llevó muchos asuntos coloniales antes de la Asamblea Constituyente y, en 1791, fue miembro del Consejo de la Judicatura. Fue miembro de los fuldenses, Feuillants, la nueva formación política, después de la expulsión
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y como tal se ocupó en dar al club los argumentos teóricos que justificaban sus postulados a favor de la esclavitud. No era propietario en Saint-Domingue. Con sus dossiers de ley, „il était le code vivant, l’historien, el legislador de la colonia.“71 Fue abogado y miembro del Consejo Supremo de Saint-Domingue e historiador; tenía 18 años cuando se trasladó a París para inscribirse en la Guardia Real. Letrado al servicio del Parlamento, al regresar a su tierra natal halló su fortuna considerablemente menguada, por lo que, con el fin de recuperarla, marchó al Cap, donde ejerció su profesión. De nuevo en París, fue nombrado presidente de los electores de la ciudad y miembro de la Asamblea Constituyente convocada tras el triunfo de la revolución iniciada en 1789. En 1791, fanáticos antimonárquicos lo arrestaron junto al duque de la Rochefoucaud y estuvo a punto de morir en el cadalso, pero pudo escapar y huyó a los Estados Unidos. De regreso a Francia, obtuvo en 1799 el puesto de historiador de la Marina. Administrador en 1800 de los ducados de Palma, Placencia y Guastalla, su debilidad en la represión de un motín militar hizo que Napoleón Bonaparte lo destituyera del cargo. La emperatriz Josefina, pariente lejana suya, lo protegió durante un tiempo. Como otros autores franceses, Moreau de Saint-Méry no era partidario de la cesión de Santo Domingo a Francia, hecha en 1795 en virtud del Tratado de Basilea, por no encontrar en ella ninguna ventaja y sí, en cambio, numerosos obstáculos, entre ellos el de derogar grandes sumas de dinero para mantener a su población y ponerla a producir. Lo sensato, según entendía, era dejar a los españoles en posesión de su colonia y animarlos con el ejemplo de la industria francesa a salir de su apatía. Tal es lo que consideró en su Descripción de la parte española de Santo Domingo, obra en la que, como Charlevoix, refiere la vida y costumbres de sus habitantes y cuya narración emprendió por ser el primer establecimiento que los europeos fundaron en América. Denuncia, en este texto, el estado de una colonia en la que la naturaleza, en sus palabras, ha ofrecido sus riquezas al hombre y señala que el abandono de la tierra se refleja en la forma de vestir de las personas. Define el carácter de los habitantes como una mezcla de envilecimiento y orgullo, destacando el sedentarismo, el espíritu supersticioso en las prácticas religiosas, la frugalidad en la alimentación, la pobreza de las viviendas, la costumbre de la siesta, responsable según él de su longevidad, la pasión por las armas, las canciones monótonas y melancólicas y su danza favorita, el fandango, que el martiniqueño reprueba por atentar contra la moral.
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del club de los jacobinos de miembros famosos contra-revolucionarios, entre los cuales estaban los hermanos Alexandre de Lameth y Charles Malo de Lameth, Antoine Barnave. Débien, Les colons de Saint-Domingue et la Révolution, 160.
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Moreau de Saint-Méry fue quien referió que el hombre es un todo de 128 partes (todas blancas en los blancos y lo mismo en los negros). En función de los mestizajes la proporción de partes negras o blancas variaba matemáticamente por ejemplo 64%/64% o 32%/96%. Distinguía del más negro al más blanco las siguientes categorías: le sacatra, le griffe, le marabout, le mulâtre, le quarteron, le métis, le mameluco, le quarteronné, le sang-mêlé, clasificación taxómica muy propia del gusto del XVIII por clasificar las ciencias. La cifra de gente de color (negros) en metrópolis aumentó considerablemente entre 1762 y 1770 según registros de la policía. El grueso de la población se concentraba en los puertos que practicaron el comercio negrero colonial Nantes, Burdeos, la Rochelle, le Havre Marsella, Toulon, Montpellier y los alrededores de esta ciudades.72 3.
Conclusión
A modo de reflexión final apuntemos que con la Asamblea Constituyente el sistema feudal estaba herido de muerte, la ley, obra de la nación y expresión de su voluntad podía transformarse y prestarse a la necesidad de la nueva sociedad. Algunos de los decretos que van marcando la pauta del abolicionismo y que empezaron con los debates de esta Asamblea son los siguientes: En 1789 Condorcet publica un panfleto contra la petición de los colonos de Saint-Domingue quienes desean ser ellos los únicos representantes de todas las colonias: Sur l’admission des députés des planteurs de Saint-Domingue dans l’Assemblée nationale. En 1791, el 15 de mayo la Asamblea Constituyente reconoce la igualdad de los derechos para los hombres de color nacidos de libres. En 1792, el 28 de marzo, la Legislativa reconoce la igualdad de derechos para los libres de color tras la victoria de estos en Saint-Domingue. En 1794, el 4 febrero la Convención ha abolido la esclavitud en todas las colonias francesas pero, en 1802, Napoleón Bonaparte la restablece en las colonias francesas mediante el Decreto del 30 Floreal año X. En 1815, han de pasar trece años para que Bonaporte decrete la abolición de la trata a su vuelta de la isla de Elba. Después de esta fecha un largo etc. de países ha decretado la abolición de la esclavitud. Teniendo en cuenta las fases de la Revolución Francesa, durante algo más de 4 años (desde el 19 de febrero de 1788 hasta otoño de 1791), los dos grupos, esclavista y lobby colonial, se oponían y hemos conocido más ampliamente el porqué. Este período histórico nos cautivó por la fuerza del pensamiento que había en él, sus diputados dejaron huella de innumerables ideas y palabras 72
Pap Ndiaye, La Condition noire. Essai sur une minorité française, París: Calmann-Lévy 2008, 117.
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que, sobre todo, encerraban los fantasmas de esa época: la esclavitud, el despotismo y la hipocresía humana, dando el nombre de comercio triangular a un acto execrable. Finalmente, hemos querido contar una historia que contiene la información y la mirada de sus protagonistas, con una manera de relatar lo que debía contarse de la manera más directa posible, sin rodeos, buscando siempre la especificación fuerte, el impacto imbatible con una verdad que, sin duda, fue parcial, compleja y relativa. Los ilustrados del siglo XVIII potenciaron reformas en los ámbitos económico, social, educativo y cultural, su programa intentaba modernizar los estados, corregir abusos o suprimir algunos privilegios. Entre tanta reforma, sin embargo las contradicciones sociales conducían a otra evolución y cambio de parecer, entre los protagonistas de los dos grupos estudiados aquí. En este contexto tan cambiante y agitado aún quedaba mucho por hacer. Hemos analizado las contradicciones de este período según el materialismo dialéctico, según el cual la contradicción existe en los procesos de las cosas objetivas y del pensamiento subjetivo, recorriéndolos de principio a fin, concluyendo que este aspecto constituye la universalidad. Cada contradicción tiene sus respectivas características y de ello se derivan la particularidad o la relatividad de esa contradicción. Sobre la base de determinadas condiciones, entre cosas contrarias existe identidad y, por lo tanto, ambas pueden coexistir en un todo único y transformarse la una en la otra, es lo que el discurso de muchos de estos protagonistas nos ha mostrado. Aunque la lucha de los contrarios es ininterrumpida, está presente cuando los contrarios coexisten y cuando se transforman el uno en el otro y ello constituye la universalidad o carácter absoluto de la contradicción. Universalidad y particularidad de contradicción se ponen de manifiesto en las formas de lucha de los contrarios y así, quizá, podremos destruir un poco el pensamiento dogmático, perjudicial en el estudio de este período de la revolución que hemos tratado.
Sektion II Schreiben
Knoten/Schreiben
Graffignys Lettres d’une Péruvienne und die transatlantische Schrift-Kultur-Debatte Hendrik Schlieper 1.
Die „fleur“ des Chevalier de Jaucourt
Die Khipu, das Notationssystem der präkolumbianischen Andenkulturen, erfahren im Zeitalter der Aufklärung eine bemerkenswerte Aufmerksamkeit. Insbesondere in Frankreich ist eine Debatte über die Khipu auszumachen, deren Gravitationszentrum Françoise de Graffignys 1747 (und 1752 in einer erweiterten Fassung) publizierte Lettres d’une Péruvienne bilden. Dieser Briefroman setzt sich aus 39 bzw. 41 Briefen der aus Peru nach Frankreich entführten Zilia zusammen, deren Passage über den Atlantik einen Raum- und Zeitwechsel zugleich markiert, insofern sie vom Peru der Inkazeit in das gegenwärtige Frankreich der Aufklärung führt. Ebenhier durchläuft Graffignys Protagonistin einen komplexen Akkulturationsprozess, der zuallererst das Erlernen des Französischen in Wort und Schrift betrifft: Die 17 ersten Briefe an ihren in Peru verbliebenen Geliebten Aza, so erfahren wir aus dem „Avertissement“ des Romans, hat Zilia in Khipu verfasst und schließlich selbst in die Sprache und Schrift ihrer neuen europäischen Heimat übersetzt. Das Nebeneinander zweier Notationssysteme, das die Lettres d’une Péruvienne vor Augen führen, wird nun von Graffignys Zeitgenossen zum Anlass genommen, in Auseinandersetzung mit dem ‚transatlantischen Anderen‘ die Zusammenhänge von Schrift und Kultur zu reflektieren. Das Lemma „Écriture“, das der Chevalier de Jaucourt zur Encyclopédie Diderots und d’Alemberts beisteuert, führt dies unmittelbar vor Augen. Es beginnt mit den folgenden Passus: La méthode de donner de la couleur, du corps, ou pour parler plus simplement, une sorte d’existence aux pensées, dit Zilia (cette Péruvienne pleine d’esprit, si connue par ses ouvrages), se fait en traçant avec une plume, de petites figures que l’on appelle lettres, sur une matiere blanche & mince que l’on nomme papier. Ces figures ont des noms; & ces noms mêlés ensemble, représentent les sons des paroles. Développons, avec M. Warburthon, l’origine de cet art admirable, ses différentes sortes, & ses changemens progressifs jusqu’à l’invention d’un alphabet.
© Brill Fink, 2022 | doi:10.30965/9783846766361_007
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Hendrik Schlieper C’est un beau sujet philosophique, dont cependant les bornes de ce livre ne me permettent de prendre que la fleur.1
In seiner Definition von Schrift als „méthode“, den eigenen Gedanken mit Hilfe von Feder und Papier, Buchstaben und schließlich Wörtern Gestalt zu geben, beruft sich Jaucourt explizit auf Graffignys Romanfigur, deren „ouvrages“ er hier wörtlich zitiert.2 Von Zilias Schreiberfahrung ausgehend, kündigt Jaucourt an, eine Geschichte der Schrift zu skizzieren. Obschon in seiner Präsentation in der Encyclopédie auf die „fleur“ beschränkt, steht dieses Vorhaben als „beau sujet philosophique“ für den Verfasser klar im Zeichen aufklärerischer Reflexion. Es ist nun leicht erkennbar, dass Jaucourts Geschichte der Schrift progressivteleologisch von deren „origine“ zur eigenen, europäischen Schrift führt.3 Dem Leser wird somit ein Verständnis von Schrift als „art admirable“ vor Augen geführt, das Schrift und Kultur in einer für die Aufklärung konstitutiven Denkfigur korreliert. Entscheidend ist dabei, dass diese Vorstellung von ‚SchriftKultur‘, die in Jaucourts Encyclopédie-Beitrag als das ‚zivilisatorische Eigene‘ Gestalt annimmt, ihr charakteristisches Profil in Auseinandersetzung mit dem ‚Anderen‘ erhält, nämlich jenen außereuropäischen Kommunikationskulturen, für die Graffignys „Péruvienne“ hier einsteht. Vor diesem Hintergrund ergibt sich meine im Folgenden zu diskutierende These: In der von den Lettres d’une Péruvienne genährten Debatte über die Khipu wird ein Modell transatlantischer Aufklärung sichtbar, das die kulturund zivilisationshistorischen Leistungen von Schrift reflektiert und damit die Vorstellung des europäischen ‚Eigenen‘ maßgeblich mitprägt. Um dies zu plausibilisieren, werde ich im Folgenden in einem ersten Schritt kurz auf die generellen Zusammenhänge von Aufklärung, Zivilisation und Schrift(-kultur) eingehen. In einem zweiten Schritt werde ich den besonderen Stellenwert der Khipu (und allgemein der Inkakultur) in der aufklärerischen Schrift-KulturDebatte erläutern. Hierauf aufbauend werde ich dann, in einem dritten Schritt 1 Louis Chevalier de Jaucourt, Lemma „Écriture“, in: Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, ENCCRE, http://enccre.academie-sciences.fr/encyclopedie/, Bd. 5, 358–372, hier 358. 2 Jaucourt übernimmt den ersten Passus aus dem Brief XVI der Lettres d’une Péruvienne; vgl. die von Rotraud von Kulessa besorgte Edition, Paris: Classiques Garnier 2014, 113. Aus dieser Edition, der die erweiterte Ausgabe des Romans von 1752 zugrunde liegt, wird nachfolgend unter Angabe von Brief und Seitenzahl zitiert. 3 Vgl. auch Walter D. Mignolo, The Darker Side of the Renaissance. Literacy, Territoriality, and Colonization, Ann Arbor: The University of Michigan Press 22003, 77, der das „evolutionary model of writing“, wie es auch hier aufscheint, als „invention of the European Renaissance“ charakterisiert.
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und mit Blick auf Zilias Khipu, die transatlantischen Kommunikationen herausarbeiten, die in Graffignys Lettres d’une Péruvienne verhandelt werden. 2.
Aufklärung, Zivilisation und Schrift(-kultur)
Das 18. Jahrhundert charakterisiert sich bekanntlich durch die besondere Expansion einer Vorstellung von ‚Schrift-Kultur‘, die mit dem Projekt ‚Aufklärung‘ konstitutiv verbunden ist, sei es über die epistemische Ordnung und die Diskursivierung von Wissen,4 sei es über anthropologische Wandlungsprozesse im Zeichen einer Modernisierung der Affektkultur.5 In beiden Perspektiven spielt die Diskussion über das Verhältnis von gesprochener und geschriebener Sprache, Stimme und Schrift, eine zentrale Rolle, wobei eine besondere Intensität um die Jahrhundertmitte – und damit im unmittelbaren Umfeld von Graffignys Roman – auszumachen ist.6 Dies hängt auch und vor allem damit zusammen, dass diese Diskussion mit der aufklärerischen Zivilisationskritik in deren Prägung durch Rousseau zusammengeführt wird. In seinem (1754 begonnenen und 1781 posthum publizierten) Essai sur l’origine des langues7 stellt Rousseau „variation“, „force“ und „vivacité“ der gesprochen Sprache ihrer schriftlichen Fixierung gegenüber:
4 Vgl. Rudolf Behrens, „Schrift und Stimme. Illusionen der Gegenwart und ihre Zerstörung im französischen Briefroman des 18. Jahrhunderts“, in: Sinne und Verstand. Ästhetische Modellierungen der Wahrnehmung um 1800, hrsg. v. Caroline Welsh, Christina Dongowski, Susanna Lulé, Würzburg: Königshausen & Neumann 2001, 189–206, hier 189–191. 5 Vgl. hierzu im Einzelnen Albrecht Koschorke, Körperströme und Schriftverkehr. Mediologie des 18. Jahrhunderts, München: Fink 22003. 6 Vgl. im Überblick auch Brigitte Schlieben-Lange, „Geschichte der Reflexion über Schrift und Schriftlichkeit“, in: Schrift und Schriftlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch internationaler Forschung, hrsg. v. Hartmut Günther, Otto Ludwig, Berlin, New York: de Gruyter 1994, Halbbd. 1, 102–21, hier 113. 7 Die philosophische und literaturtheoretische Bedeutung dieses Textes ist mit Blick auf seine kontroversen dekonstruktivistischen Lektüren durch Jacques Derrida und Paul de Man sowie deren systemtheoretische Fortführung durch Koschorke unbestritten; vgl. hierzu auch Judith Frömmer, „Derrida liest Rousseau, de Man liest Derrida, Derrida liest de Man, de Man liest Rousseau …“, in: Kontroversen in der Literaturtheorie. Literaturtheorie in der Kontroverse, hrsg. v. Ralf Klausnitzer, Carlos Spoerhase, Frankfurt am Main: Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik 2007, 341–351, und Koschorke, Körperströme und Schriftverkehr, 218–24. Mir geht es demgegenüber im Folgenden um eine – hierzu komplementär gedachte – kulturhistorische Perspektive, welche die zivilisationshistorischen Leistungen von Schrift, wie sie in Frankreich um 1750 konkret diskutiert werden, in den Blick nimmt und die kulturellen Bedingungen der aufklärerischen Schriftkultur herausstellt.
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Hendrik Schlieper L’écriture, qui semble devoir fixer la langue, est précisément ce qui l’altère; elle n’en change pas les mots, mais le génie; […]. En écrivant, on est forcé de prendre tous les mots dans l’acceptation commune; mais celui qui parle varie les acceptations par les tons, il les détermine comme il lui plaît; moins gêné pour être clair, il donne plus la force; et il n’est pas possible qu’une langue qu’on écrit garde longtemps la vivacité de celle qui n’est que parlée.8
Dieses Zusammendenken von Schrift und ‚Kultur‘, die sich im Begriff der „acceptation commune“ manifestiert, hat für das aufklärerische Denken richtungsweisende Konsequenzen. Es begründet zum einen Ursprünglichkeitsmythen, die die Stimme als ‚natürliche‘ Artikulation des Menschen setzen und Mündlichkeit in eine ‚vorzivilisatorische‘ Sphäre verschieben.9 Gleiches gilt für außereuropäische Kommunikationskulturen und nicht-alphabetische Notationssysteme, von denen abgesetzt ein eigener, europäischer und eben zivilisatorischer Schriftbegriff konturiert wird. Dem in Jaucourts Lemma „Écriture“ angeführten William Warburton kommt hierbei insofern eine wichtige Rolle zu, als er eine Genealogie der Schriftsysteme entwirft, auf der die gesamte französische Schriftreflexion aufbaut.10 Der historische Teil des Lemmas beginnt dementsprechend mit dem „premier essai de l’écriture“ in Form einer „écriture en peinture“, die von den „Indiens“ bzw. „Mexiquains“ praktiziert worden sei; auf die ‚Bilderschrift‘ folge ein „premier degré de perfection“ in Form der ägyptischen Hieroglyphen, der „écriture hiéroglyphique & symbolique des Égyptiens“; von hier aus, so Jaucourt in Anlehnung an Warburton weiter, vollziehe sich eine progressive Entwicklung von der objekt- zur lautabbildenden Schrift, an deren Beginn die „écriture chinoise“ stehe und die ihren Gipfelpunkt schließlich im „art nouveau“ des europäischen Alphabets finde.11 Zum anderen gewinnt in der Reflexion von ‚Schrift-Kultur‘ die Erkenntnis des ‚Eigensinns‘ von Schrift Gestalt: Wie Albrecht Koschorke eingehend für das 18. Jahrhundert gezeigt hat, fixiert sich die aufklärerische Zivilisationskritik auf den „Überhang des Zeichens über seiner Repräsentationsfunktion“ – Schrift 8 9 10
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Jean-Jacques Rousseau, Essai sur l’origine des langues, in: Œuvres complètes, Bd. 5: Écrits sur la musique, la langue et le théâtre, hrsg. v. Bernard Gagnebin, Marcel Raymond, Paris: Gallimard 1995, 371–429, hier 388. Behrens, „Schrift und Stimme“, 190. Richtungsweisend ist hier Warburtons Studie The Divine Legation of Moses (London 1738–1741), die ihre Wirkung für die Schriftreflexion der europäischen Aufklärung in der französischen Teilübersetzung durch Léonard de Malpeines (Essai sur les hiéroglyphes des Égyptiens, Paris 1744) entfaltet. Vgl. hierzu auch Markus Messling, Pariser Orientlektüren. Zu Wilhelm von Humboldts Theorie der Schrift, Paderborn: Schöningh 2008, 108–117. Vgl. Jaucourt, Lemma „Écriture“, 358–361.
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ist eben niemals ‚transparent abbildend‘, sondern entwickelt „Reize“, die „‚an den Zeichen vorbei‘ in den Imaginationsprozeß eindringen“.12 Ursprünglichkeitsmythen von Stimme und Schrift, die mit der Schrift zusammengedachten zivilisatorischen Leistungen sowie die „Phantasmatisierung der Schrift“13 werden nun in besonders anschaulicher Weise in der zeitgenössischen Debatte über die Khipu erkennbar. 3.
„Parigi sospirava per il Cuzco“: Khipukult und Inkamode im 18. Jahrhundert
In ihrer Mythisierung ‚vorzivilisatorischer‘ Zeitalter und dem damit verbundenen über Europa hinausgehenden Blick entwickelt die aufklärerische Reflexion über Schrift und Kultur für die Khipu ein besonderes Interesse. Bekanntlich handelt es sich bei den Khipu um Knotenschnüre mit mehreren bedeutungstragenden Konstituenten (Material, Farbe, Knoten, Zahl und Anordnung von Schnüren und Knoten), mittels derer quantitative und nichtquantitative Informationen vermittelt werden konnten.14 Die Frage nach den konkreten Funktionen, die von den Khipu übernommen und geleistet werden konnten, beschäftigt die Forschung bis heute: Einigkeit herrscht darüber, dass die Khipu in der Inkakultur numerische und mnemotechnische Funktionen übernommen haben.15 Kontrovers diskutiert wird demgegenüber, ob Khipu darüber hinaus dokumentarische, narrative oder poetische – und d.h. der 12 13 14
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Koschorke, Körperströme und Schriftverkehr, 313, 316. Ebd., 223. Vgl. im Überblick Gary Urton, „Quipu“, in: Encyclopedia of the Incas, hrsg. v. Gary Urton, Adriana von Hagen, Lanham u.a.: Rowman & Littlefield 2015, 234–236, und Marcia Ascher, Robert Ascher, „Quipu“, in: Encyclopedia of the History of Science, Technology, and Medicine in Non-Western Cultures, hrsg. v. Helaine Selin, Dordrecht: Springer 22008, Bd. 2, 1863–1865, sowie vertiefend die Referenzstudien dieser Autoren: Marcia Ascher, Robert Ascher, Mathematics of the Incas. Code of the Quipu, Mineola, NY: Dover Publications 1997 (Repr. der 1981 unter dem Titel Code of the Quipu. A Study in Media, Mathematics and Culture publizierten Studie), und Gary Urton, Signs of the Inka Khipu. Binary Coding in the Andean Knotted-String Records, Austin: University of Texas Press 2003. Bildmaterial und weiterführende Informationen stellt darüber hinaus das von Gary Urton geleitete Khipu Database Project an der Harvard University bereit (online unter https://khipukamayuq. fas.harvard.edu/). Zur Schreibweise: Ich verwende die Quechua-Schreibweise Khipu gegenüber dem aus dem Spanischen abgeleiteten Quipu; in französischen Texten des 18. Jahrhunderts findet sich die außerdem die aus dem spanischen quipu abgeleitete Schreibweise quipos. Vgl. Ascher, Ascher, „Quipu“, 1863–1865.
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europäischen Schrift entsprechende – Funktionen übernommen haben,16 wobei die gegenwärtige Diskussion mit postkolonialem Bewusstsein dezidiert zu vermeiden versucht, einen europäischen Schriftbegriff auf die Khipukultur zu projizieren.17 Hierin besteht ein zentraler Unterschied zur Diskussion über die Khipu, die ab 1700 im Kontext der europäischen Aufklärung geführt wird und auf die Frage nach einer funktionalen Vergleichbarkeit von Khipu und alphabetischer Schrift abhebt. Diese Bewertung der Khipu nach den Maßstäben europäischer Schriftkultur und die hiermit verbundene Bewegung aufklärerischen Denkens über den Atlantik erklären sich aus dem Bedürfnis heraus, in Auseinandersetzung mit den Khipu im Besonderen und der Inkakultur im Allgemeinen einen eigenen europäischen Zivilisationsbegriff zu konturieren. Vor diesem Hintergrund fällt generell die Sonderstellung auf, die Peru bzw. das Inkareich in der Aufklärung und ihrer Beschäftigung mit der außereuropäischen Welt einnimmt. Es sind hierbei vor allem die Comentarios reales des Inca Garcilaso de la Vega, die den kulturgeschichtlichen Ruf der Inka als Hochkultur prägen. Dass dieser bereits 1609 publizierte – und seinerseits dezidiert transatlantische – Text erst mit der französischen Aufklärung seine eigentliche historische Breitenwirkung entfaltet, hat zwei Gründe. Zum einen werden die Comentarios reales im Kontext der leyenda negra und der Abgrenzung Frankreichs von Spanien als rückständigem Anderen rezipiert; gedeutet werden sie dementsprechend als Tatsachenbericht über die Zerstörung der Inkakultur, der der offiziellen, triumphalistischen Darstellung der Conquista durch die Spanier entgegengesetzt wird und dieser langfristig ein Ende bereitet. Zum anderen begründen die Übersetzungen der Comentarios reales eine regelrechte Inka-Mode: „La fama esemplare degli Incas rifioriva nel
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Vertreten wird die These einer solchen funktionalen Vergleichbarkeit von Khipu und Alphabetschrift vor allem von Gary Urton und Frank Salomon; zu Salomons Positionen vgl. im Überblick Frank Salomon, „The Twisting Paths of Recall: Khipu (Andean cord notation) as artifact“, in: Writing as Material Practice. Substance, Surface and Medium, hrsg. v. Kathryn E. Piquette, Ruth D. Whitehouse, London: Ubiquity Press 2013, 15–43, sowie weiterführend Frank Salomon, The Cord Keepers. Khipus and Cultural Life in a Peruvian Village, Durham: Duke University Press 2004. Vgl. hierzu im Überblick Robert Ascher, „Inka Writing“, in: Narrative Threads. Accounting and Recounting in Andean Khipu, hrsg. v. Jeffrey Quilter, Gary Urton, Austin: University of Texas Press 2003, 103–115, hier 105. Einen sehr guten Einblick in diese Diskussion mit ihren terminologischen und konzeptionellen Schwierigkeiten bietet außerdem der Forschungsbericht von Margot Beyersdorff, „Writing without words / Words without writing: The Culture of the Khipu“, in: Latin American Research Review 40.3 (2005), 294– 311, v.a. der Abschnitt „Poetry and Stories on a String?“.
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Settecento, e Parigi sospirava per il Cuzco.“18 Die französische Begeisterung für die Inkakultur findet auch in der Encyclopédie ein Echo, zu der wiederum Jaucourt die Lemmata „Pérou“ und „Ynca“ beisteuert, in denen er die politische Macht und die kulturelle Blüte des Inkareichs hervorhebt.19 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang außerdem der folgende Passus aus Voltaires 1756 publiziertem Essai sur les mœurs; mit Blick auf die „conquête du Pérou“ heißt es hier: C’était la nation la plus policée et la plus industrieuse du nouveau monde. […] La nation du Pérou était peut-être la plus douce de toute la terre. Enfin les plaintes réitérées de Las Casas ne furent pas inutiles. Les lois envoyées d’Europe ont un peu adouci le sort des Américains. Ils sont aujourd’hui sujets soumis, et non esclaves.20
Voltaires Text macht auf exemplarische Weise deutlich, wie das Peru der Inka zur Projektionsfläche europäischer, kulturell-zivilisatorischer Ideale stilisiert wird, die sich in den Adjektiven „policée“, „industrieuse“ und „douce“ manifestieren.21 Unangetastet indes bleibt bei aller Wertschätzung des transatlantischen Anderen die Überzeugung von der eigenen europäischen 18
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Antonello Gerbi, Il mito del Perù, Mailand: Franco Angeli 1988, 124. Aus der neueren Forschung ist hier Fernanda Macchi, Incas ilustrados. Reconstrucciones imperiales en la segunda mitad del siglo XVIII, Madrid, Frankfurt am Main: Iberoamericana, Vervuert 2009, hervorzuheben. Die erste französische Übersetzung der Comentarios reales durch Jean Baudoin erscheint 1633 (Le commentaire royal, ou L’histoire des yncas) und erfährt im frühen 18. Jahrhundert vier Neuauflagen (1704, 1706, 1715, 1737), bis sie 1744 durch Thomas François Dalibards neue Übersetzung (Histoire des Incas) abgelöst wird; vgl. hierzu im Detail Macchi, Incas ilustrados, 85–149, zur Inka-Mode im Frankreich des 18. Jahrhunderts ebd., 151–223. Unter dem Lemma „Pérou“ präsentiert Jaucourt historische Daten der Conquista und verweist an zentraler Stelle auf die „rois nommés yncas, dont la magnificence étoit étonnante, & dont les richesses étoient immenses; […].“ Lemma „Pérou“, in: Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, Bd. 12, 391. Über die yncas heißt es außerdem: „Avant l’arrivée des Espagnols, ils étoient extrémement puissans & redoutés. Les peuples les regardoient comme fils du soleil, & croyoient que les yncas du sang royal n’avaient jamais commis de faute. Ils avoient de beaux palais, des jardins superbes, des temples magnifiques, & de peuples soumis. Voyez l’histoire des yncas, par Garcilasso de la Vega.“ Lemma „Ynca“, in: Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, Bd. 17, 671. „De la conquête du Pérou“, in: Les Œuvres complètes de Voltaire, Bd. 26 A: Essai sur les mœurs et l’esprit des nations (VI). Chapitres 130–162, hrsg. v. Bruno Bernard et al., Oxford: Voltaire Foundation 2013, 233–245, hier 236. Den Zusammenhang von civilisation und douceur führt beispielhaft das Lemma „doux“ im Dictionnaire de l’Académie française, Paris: B. Brunet 41762, 563, vor Augen: „DOUX se dit aussi figurément de l’humeur & de l’esprit, & signifie, Humain, traitable, affable, bénin, clément. Et il est opposé à rude, farouche, fâcheux, sévère, violent.“
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Überlegenheit, der es eben zu verdanken sei, dass – in Reaktion auf Bartolomé de Las Casas’ virulente Kritik der spanischen Kolonisierung (in der Brevísima relación de la destrucción de las Indias, 1552) – zivilisatorische „lois“ über den Atlantik verbreitet wurden. Der transatlantische Gestus der französischen Garcilaso-Rezeption und Inka-Mode ist deutlich sichtbar. Ziel ist die Idealisierung einer fremden Hochkultur, die weniger als Vorbild denn – im Zuge einer „apropiación discursiva“22 – als Echokammer für den eigenen Aufklärungsdiskurs fungiert. Mit dieser Idealisierung mögen sich die Inka von den vielkommentierten ‚Wilden‘ des Aufklärungsdiskurses deutlich abheben, im Ergebnis werden sie allerdings ebenso asymmetrisch zum europäischen Eigenen positioniert, das seine zivilisatorischen Ideale am transatlantischen Anderen aushandelt. Von besonderem Interesse ist nun die Verknüpfung dieses Aushandlungsprozesses mit der Frage nach dem Verhältnis von Khipu und alphabetischer Schrift. Es gilt, eine Äquivalenz beider Notationssysteme und somit die Literalität der Inkakultur nachzuweisen, die dergestalt als ‚Zivilisation‘ definiert werden kann, an der sich die eigenen zivilisatorischen Ideale produktiv bemessen lassen.23 Hieraus ergibt sich die bemerkenswerte Präsenz der Khipu im Diskurs der Aufklärung – wohlgemerkt als Imaginationsobjekt, dessen Kenntnis sich weitestgehend aus der Lektüre der Comentarios reales speist.24 In Garcilasos Text sind den Khipu zwei Kapitel gewidmet.25 Das erste geht zunächst auf deren materielle Beschaffenheit („hilos“, „nudos“) und das besondere Amt des ‚Khipu-Verwalters‘, des „quipucamayu […] que tiene cargo de las cuentas“ (VI, 8, 346), ein. Das zweite Kapitel ist den konkreten Funktionen der Khipu gewidmet. Über den prominent gesetzten Begriff der „cuenta“ hebt Garcilaso die besonderen numerischen Leistungen der Khipu hervor: „[los Incas] escribían en aquellos nudos todas las cosas que consistían en cuenta de números“ (VI, 7, 347). Zugleich macht Garcilaso – und das verwendete 22 23
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Macchi, Incas ilustrados, 154. Vgl. François Rosset, „Les nœuds du langage dans les Lettres d’une Péruvienne“, in: Revue d’histoire littéraire de la France 6 (1996), 1106–1127, hier 1110f.: „[…] la question des quipos revêt une importance particulière, car démontrer la présence ou l’absence d’un code écrit élaboré revient à attribuer ou à nier la notion même de […] civilisation.“ Hierbei ist auch zu bedenken, dass ein Großteil der Khipu im Zuge der Conquista vernichtet wurde. Der Beobachtung Mignolos, „the Peruvian quipu was virtually eliminated from the perspective one can get about the materiality of reading and writing cultures“ (The Darker Side of the Renaissance, 83), würde ich allerdings angesichts der intensiven Diskussion über die Khipu, von der die hier betrachteten Texten zeugen, nur eingeschränkt folgen. Zitiert wird nachfolgend unter Angabe von Buch, Kapitel und Seite aus der von Mercedes Serna besorgten Edition der Comentarios reales, Barcelona: Castalia 2016.
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Verb „escribir“ darf hierüber nicht hinwegtäuschen – deutlich, dass abstrakte Inhalte und Ideen mit ihnen nicht vermittelt werden können: „Pero lo que contenía la embajada, ni las palabras del razonamiento ni otro suceso historial, no podían decirlo por los nudos, […] porque el nudo dice el número, mas no la palabra“ (ebd.). In seiner Darstellung besitzen die Inka eine hochentwickelte orale Erinnerungskultur, in deren Rahmen Khipu als Gedächtnisstütze – „cada hilo y nudo les traía a la memoria lo que en sí contenía“ (VI, 7, 349) – fungieren. Ihre Schriftäquivalenz bzw. das Vorhandensein einer ‚Inkaschrift‘ wird explizit und wiederholt verneint. Die Positionen über die Khipu, die sich im Vor- und Umfeld von Graffignys Lettres d’une Péruvienne abzeichnen und aus denen ich nachfolgend einige exemplarisch herausgreife, beziehen zu diesem ‚Gründungstext‘ Garcilasos nun unterschiedlich Stellung. 1. Im jesuitischen Dictionnaire de Trévoux (1740) werden die „quipos“ definiert als „[n]œuds de laine qui servent d’écriture aux Indiens de l’Amérique.“26 Hierbei fällt zum einen die Verwendung des Präsens auf, der auf einen gegenwärtigen Gebrauch der Khipu verweist, zum anderen die (ebenso unzutreffende) Generalisierung, derzufolge sich alle „Indiens de l’Amérique“ der Khipu bedienen. Die Formulierung „servent d’écriture“ suggeriert dabei eine Funktion der Khipu als Schriftersatz; im Lemma „Lettre“ wird dies explizit ausgeführt: Les Américains n’avoient point de léttres avant la découvèrte de l’Amérique. […] Au Chili pour tenir compte de leurs troupeaux, & consèrver la mémoire de leurs affaires particulières, les Indiens ont recours à cèrtains nœuds de laine qui par la variété des couleurs & des replis, leur tiennent lieu de caractère & d’écriture. […] Au Peróu ils se sèrvoient aussi des nœuds qu’ils faisoient sur une corde.27
Der Gebrauch der Khipu wird hier auffälligerweise Peru nur an zweiter Stelle (nach Chile) und in der Vergangenheitsform zugesprochen. Wie bei Garcilaso werden den Khipu numerische und dokumentarische Funktionen attestiert, über diese hinausgehend allerdings eben auch die des Schriftersatzes („leur tiennent lieu de caractère & d’écriture“) angesichts fehlender eigener „léttres“. Diese Darstellung ist insofern exemplarisch für die jesuitische Position, als hier das (auf José de Acosta zurückgehende) missionarische ethnische Einteilungssystem aufscheint, das Zivilisation an politisch-sozialen Ordnungsstrukturen
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Lemma „Quipos“, in: Dictionnaire universel françois et latin […], Nancy: Pierre Antoine 1740, 1240. Lemma „Lettre“, in: Dictionnaire universel françois et latin […], 640.
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und Literalität gleichermaßen bemisst; der Inkakultur kommt somit eine Zwischenstellung („sin letras, pero con orden estatal“) zu.28 2. Die großangelegte Histoire générale des voyages, die ab 1746 unter Federführung des Abbé Prévost erscheint, kompiliert – mit einer der Encyclopédie vergleichbaren Zielsetzung – Reiseberichte und schreibt diese ansatzweise mit den Mitteln erzählerischer Fiktion fort.29 Diese Annäherung an die Fiktion und das Erzählen mag ein Grund dafür sein, dass in der Histoire générale des voyages dokumentarische und narrative Leistungen der Khipu in einer Art und Weise hervorgehoben werden, die weit über Garcilaso und die jesuitische Position hinausgeht: Avant l’arrivée des Espagnols, ils [sc. les anciens Péruviens] n’avoient aucune connoissance de l’Ecriture. Cependant ils avoient trouvé le moïen de conserver la mémoire de l’Antiquité, & de se former une sorte d’Histoire […] par ce qu’ils nommoient Quippos. C’étoient des regîtres de cordes, où par divers nœuds & par diverses couleurs, ils exprimoient une variété surprenante de faits & de choses. […] Les Quippos étoient différens, suivant la nature du sujet, & variés si régulièrement, que les nœuds & les couleurs tenant lieu de nos 24 Lettres, on tiroit de cette invention toute l’utilité que nous tirons de l’Écriture & des Livres.30
Wie der letzte Teilsatz vor Augen stellt, werden die Khipu hier als vollauf gleichrangig mit der europäischen Schrift- und Buchkultur angesehen. 3. Die Texte, die nach der Erstveröffentlichung der Lettres d’une Péruvienne 1747 erscheinen und zu den Khipu Stellung beziehen, können dies, so scheint es, nicht mehr ohne einen direkten Verweis auf Graffignys Roman und dessen Protagonistin tun. So etwa die Lettres sur quelques écrits de ce temps (1749) des Gegenaufklärers Élie Catherine Fréron. Dem einleitenden Lob – „Madame de G*** vient de contribuer à la gloire de son sexe & de sa nation par les Lettres d’une Péruvienne“31 – stehen zahlreiche (gleichwohl von einer minutiösen 28
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Vgl. José Anadón, „Colonialismo lingüístico y defensa del indígena: el concepto ‚bárbaro‘“, in: Ruptura de la consciencia hispanoamericana, hrsg. v. José Anadón, Madrid: Fondo de Cultura Económica 1993, 173–210, hier 183: „Para Acosta, […] existen tres grados principales de barbarie, diferenciados según criterios de civilización […] Hay así pueblos letrados, como los del Oriente extremo, capaces de vivir muy políticamente; sin letras, pero con orden estatal, grado segundo en el que Acosta incluye a incas y aztecas […]; finalmente se hallan los salvajes, inclusive los de Florida y Arauco.“ Vgl. hierzu im Einzelnen Sylviane Albertan-Coppola, „L’abbé Prévost romancier et éditeur des Voyages“, in: Roman et récit de voyage, hrsg. v. Philippe Antoine, Marie-Christine Gomez-Géraud, Paris: Presse Paris Sorbonne 2001, 111–123. Histoire générale des voïages, ou Nouvelle collection de toutes les relations de voïages par mer et par terre; […], Paris: Didot 1757, 195–196. [Fréron,] „Lettre V [15.4.1749]“, in: Lettres sur quelques écrits de ce temps, Genf: s.l. 1749, Bd. 1, 73–102, hier 80. Vgl. zur Position Frérons im Zusammenhang mit den Lettres d’une
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Lektüre zeugende) Kritikpunkte gegenüber, die dem Roman literarische invraisemblance vorwerfen. Für Fréron steht fest, „que toutes les langues de l’Amérique Méridionale […] sont fort pauvres, & manquent de termes pour exprimer les idées métaphysiques & universelles.“32 Dementsprechend sei jene ‚epistolare‘ Leistung der Khipu, die Zilia vor Augen führe, als unwahrscheinlich zu verwerfen: „les Quipos n’étoient employés qu’à soulager le mémoire, & non à composer des Lettres. Les Péruviens ne connoissent point l’art d’écrire aux absens ; […] Zilia n’a donc pû faire des Quipos les interprétes de sa passion.“33 4. Das von Jaucourt für die Encyclopédie verfasste Lemma „Quipos“ definiert diese einleitend als „nœuds de laine qui servoient, & servent encore […] aux Indiens de l’Amérique pour tenir un compte de leurs affaires & de leurs denrées.“34 Auch hier wird der Gebrauch von Khipu räumlich und zeitlich generalisiert und auf numerische Funktionen im Bereich des Handels („affaires“, „denrées“) verwiesen. Im folgenden Passus ist sodann vom Schriftenersatz (im Plural) und der dokumentarischen Funktion der Khipu die Rede: „Voilà ce qu’ils [sc. tous les Indiens] nommoient des quipos; ils leur servoient d’écritures & d’annales mémoratives.“35 Die Besonderheit von Jaucourts Beitrag ergibt sich aus den direkten Zitaten aus Graffignys Roman, die mehr als zwei Drittel des gesamten Lemmas ausmachen. Die Worte der „ingénieuse Zilia“ werden – wie im Lemma „Écriture“, auf das ich zu Beginn meiner Ausführungen eingegangen bin – herangezogen, um vor Augen zu stellen, wie sehr diese „a bien sçu tirer parti de cette idée [sc. des quipos]“36. 5. Ebenfalls explizit auf Graffignys Roman bezogen ist schließlich ein Text, der aus der Debatte über die Khipu heraussticht und deren über Frankreich hinausgehende Tragweite unmittelbar augenfällig macht. 1750, drei Jahre nach dem Erscheinen der Lettres d’une Péruvienne, publiziert Raimondo di Sangro, der Principe di Sansevero, in Neapel seine Lettera apologetica, die sich, so der
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Péruvienne auch Ludwig Schrader, „Die ‚bonne sauvage‘ als Französin. Probleme des Exotismus in den Lettres d’une Péruvienne von Madame de Grafigny“, in: Französische Literatur im Zeitalter der Aufklärung, hrsg. v. Wido Hempel, Frankfurt am Main: Klostermann 1983, 313–335. [Fréron,] „Lettre V“, 82. Ebd., 84–85. Jaucourt, Lemma „Quipos“, in: Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, Bd. 13, 724–725, hier 724. Ebd., 724. Ebd. Jaucourt zitiert (in dieser Reihenfolge) aus den Briefen I (66), IV (79) und II (67) der Lettres d’une Péruvienne, legt der Protagonistin allerdings den Passus „je me suis hâtée de remplir mes quipos, & de les bien nouer, pour rendre mes sentimens éternels“ in den Mund, in dem sich die präsentierte dokumentarische Funktion der Khipu und – über das auf den Schreibakt verweisende „remplir“ – deren ‚Schriftersatz‘ kristallisieren.
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Titel weiter, als „Difesa del Libro Intitulato Lettere d’una Peruana“ und „Per rispetto alla supposizione de Quipu“ begreift.37 Konzipiert ist dieser Text als Antwort di Sangros auf das vorangestellte Schreiben einer (fiktiven) Duchessa di S***. Diese wirft den „LETTERE D’UNA PERUANA“ einer „virtuosissima Dama Francese“ Unwahrscheinlichkeit vor, indem sie ihre „detti“ dahingehend anmeldet, dass ein Teil der Briefe „a forza di soli Quipòs“ (67) verfasst worden sei. Di Sangro nutzt dies als Vorlage, um die Vergleichbarkeit von Khipu und Alphabetschrift unter Beweis zu stellen (wobei die „perfezione“ letzterer wiederum unangetastet bleibt). Im Gegensatz zu seiner imaginierten Dialogpartnerin, die hier von problematischer dichterischer Freiheit („licenza“) spricht, ist es für ihn vollkommen credibile, che abbia una giovane Peruana potuto a forza di Quipu comporre quelle elegantissime lettere, che ella [sc. Graffigny] le ha fatto comporre: ma questa sua licenza non à già tanto straordinaria e indiscreta, quanto voi la volete; poichè io son d’avviso che i Peruani, come gente saggia e industriosa che essi erano, se non saran pervenuti nel farlo a così gran perfezione, non ne sieno almeno stato troppo lontani. (165)
Di Sangro geht weit über andere zeitgenössische Positionen hinaus, indem er – drucktechnisch höchst aufwendig gestaltete – Falttafeln konzipiert, die die direkte reziproke Übersetzbarkeit zwischen Khipu und mehreren europäischen Sprachen demonstrieren sollen.38 Ihre eigentliche Brisanz gewinnt die Lettera apologetica allerdings daraus, dass di Sangro – der aus gutem Grund als eterodosso tituliert und dem Illuminismo radicale zugerechnet wird39 – seine Ausführungen über die Khipu nutzt, um sich über hochbrisante gesellschaftspolitische Themen (militärische Verteidigung, Position der Kirche) zu äußern und theologische Dogmen (etwa über den Ursprung des Menschen) infrage zu stellen. Es verwundert daher nicht, dass die Lettera apologetica mit ihrer Publikation schärfste Kritik aus dem klerikalen Lager provoziert, das den 37
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Zitiert wird im Folgenden unter Angabe der Seitenzahl aus der von Leen Spruit besorgten Edition des Textes, Neapel: alóς edizioni 2002. Auf die Lettera apologetica macht bereits Gianni Nicoletti in seiner – für die weitere Beschäftigung mit dem Roman richtungsweisenden – Edition der Lettres d’une Péruvienne, Bari: Adriatica Editrice 1967, aufmerksam; vgl. seine „Introduzione“, 11–46, hier 33–42. Auf der Seite des Museo Sansevero in Neapel sind diese Falttafeln online einsehbar (https://www.museosansevero.it/lettera-apologetica/). Vgl. die „Introduzione“ von Leen Spruit zu seiner Edition der Lettera apologetica, 9–23, hier 9–10, sowie weiterführend Stefania Buccini, The Americas in Italian Literature and Culture. 1700–1825, University Park, PA: The Pennsylvania State University Press 1997, 68–76 („The Utopia of Peru“).
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Verfasser der „massoneria“, dem „libertinaggio“ und „ateismo“ anklagt.40 1752 wird die Lettera apologetica auf den Index Librorum Prohibitorum gesetzt;41 als ihr ‚Auslöser‘ folgt ihr hierin Graffignys Roman 1756. Die Kritik, die sich an di Sangros Text entzündet, findet auch in Frankreich ein Echo,42 und es ist durchaus anzunehmen, dass Graffigny sie während der Arbeit an der zweiten, 1752 erscheinenden Auflage der Lettres d’une Péruvienne zur Kenntnis genommen hat. Vor diesem Hintergrund komme ich somit zur konkreten Rolle der Khipu bei Graffigny. 4.
Zilias Knoten/Schrift: Transatlantische Kommunikationen in den Lettres d’une Péruvienne
Graffignys Roman ist im 18. Jahrhundert ein vieldiskutierter Bestseller, der vor allem mit dem überraschenden Ende seiner Handlung Aufsehen erregt: Zilia, die aus dem Inkareich nach Frankreich entführte Protagonistin, schlägt, nachdem ihr peruanischer Verlobte Aza sie verlassen hat, das Heiratsangebot des Franzosen Déterville aus, bietet diesem ihre Freundschaft an und zieht sich in eine glückliche, erfüllte retraite zurück. Die zeitgenössischen Kritiker des Romans werden nicht müde, der Autorin einen ‚passenderen‘ Schluss – sprich die Hochzeit Zilias mit Aza oder Déterville – aufzudrängen. Keine geringe Rolle dürfte dabei die Tatsache spielen, dass die retraite Zilias eine intellektuell gesättigte ist: Sie nennt ein ansehnliches Landhaus mit einer „infinité des Livres“ (XXXV, 194) ihr eigen, in dem sie die noch in ihrem Besitz befindlichen Khipu in die französische Sprache und damit die alphabethische Schrift übersetzt. Wie wir aus einem vorangestellten „Avertissement“ erfahren, bilden diese Übersetzungen die ersten 17 Briefe des Romans: „les premières Lettres de Zilia ont été traduites par elle-même […] Nous devons cette traduction au loisir de Zilia dans sa retraite“ (56). Die feministische Literaturwissenschaft hat Zilias „traduction“ und „retraite“ aus gutem Grund biographisch und vor dem Hintergrund weiblicher
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Vgl. Nicoletti, „Introduzione“, 41–43. Vgl. die entsprechenden Dokumente im „Appendice documentaria“ der Edition von Spruit. So etwa im Journal de Trévoux, in dem 1752 eine Rezension erscheint, die, der jesuitischen Gesinnung des Mémoire entsprechend, die Lettera apologetica in ihre Schreckensvision einer „multitude de livres enfantés par l’irreligion & accueillis par le libertinage“ (296) integriert. Anon., „Recensione a Lettera apologetica (Parigi, febbraio 1752)“, zit. im „Appendice documentaria“ der Edition von Spruit, 229–235, hier 235.
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Autorschaft deuten können.43 Darüber hinaus bilden „Avertissement“ und Handlungsende des Romans einen Rahmen, der den Blick dezidiert auf die Khipu und den in Zilias Briefen verhandelten Akkulturationsprozess lenkt. Wie meine folgende Lektüre zeigt, werden die Khipu programmatisch an den neuralgischen Punkten des Romans ins Spiel gebracht.44 Die Romanhandlung beginnt spektakulär mit dem Überfall der „ville du Soleil“ (I, 63) Cuzco durch die Conquistadoren. Die Protagonistin Zilia lernen wir als eine jener „Vierges consacrées au Soleil“ kennen, die, wie wir aus einer „note de l’auteure“45 erfahren, ihr jungfräuliches Leben bis zu ihrer Heirat im Dienste des Sonnenkults verbringen46 – indes mit einer entscheidenden Pointe: Zum Zeitpunkt des Überfalls ist Zilia nämlich gerade dabei, ihre Liebesgeschichte mit dem Inka Aza in einen Khipu zu knüpfen: À peine commençait-il [sc. le jour] à paraître, qu’impatiente d’exécuter un projet que ma tendresse m’avait inspiré pendant la nuit, je courus à mes Quipos; et profitant du silence qui régnait encore dans le Temple, je me hâtai de les nouer, dans l’espérance qu’avec leur secours je rendrais immortelle l’histoire de notre amour et de notre bonheur. (I, 64)
Khipu, so wird bereits hier deutlich, haben in den Lettres d’une Péruvienne literarische Qualität, insofern Zilia in ihnen ihr Liebesglück narrativieren und
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Vgl. Nancy K. Miller, „The Knot the Letter, and the Book. Graffigny’s Peruvian Letters“, in: Subject to Change. Reading Feminist Writing, New York: Columbia University Press 1988, 125–161, sowie die von ihr und Joan DeJean besorgte Edition des Romans, New York: MLA 1993. Orientierung haben meinen Überlegungen neben Schrader, „Die ‚bonne sauvage‘ als Französin“, und Rosset, „Les nœuds du langage dans les Lettres d’une Péruvienne“, vor allem die folgenden Studien geboten: Laurence Mall, „Traduction et original dans les Lettres d’une Péruvienne de Graffigny“, in: Romance Quarterly 44.1 (1997), 13–23; Rotraud von Kulessa, Françoise de Graffigny: Lettres d’une Péruvienne. Interpretation, Genese und Rezeption eines Briefromans aus dem 18. Jahrhundert, Stuttgart: Metzler 1997; Lorraine Piroux, „The Encyclopedist and the Peruvian Princess: The Poetics of Illegibility in French Enlightenment Book Culture“, in: PMLA 121.1 (2006), 107–123; Lieselotte Steinbrügge, „Weibliche Aufklärung. Vom Leben und Schreiben der Madame de Grafigny“, in: Text – Geschichte – Anthropologie. Die Werner-Krauss-Vorlesungen Stuttgart 2003–2007, hrsg. v. Reinhard Krüger, Berlin: Weidler 2008, 103–122. So die von Rotraud von Kulessa in ihrer Edition der Lettres d’une Péruvienne verwendete Bezeichnung (vgl. 45), die allerdings, wie im Weiteren noch erläutert wird, nicht unproblematisch ist. Vgl. I, 65, n. 3: „Les Vierges consacrées au Soleil, entraient dans le Temple presque en naissant, et n’en sortaient que le jour de leur mariage.“
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ihre eigene „histoire“ festhalten will.47 Dem entspricht, dass sie an gleicher Stelle gegenüber Aza ihren Khipu eine „peinture fidèle de nos actions et de nos sentiments“ (ebd.) nennt. In actu führt Zilia damit die komplexen Leistungen vor, die den Khipu auch in den Peritexten des Romans eingeräumt werden.48 Der erste Khipu, in dem Zilia ihre Liebesgeschichte mit Aza dokumentiert, bildet nun den mehrfach verborgenen Kern des Romans. Überlagert wird er durch drei Erzählschichten, die sich – in je eigener Weise – Zilias Khipu zu eigen machen. 1. Das Material ihres ersten Khipu muss Zilia neu nutzen, um nach ihrer Gefangennahme mit Aza kommunizieren zu können. Die „peinture“ ihrer Liebe transformiert sie hiermit in ein Kommunikationsmedium, das eine dem Brief in Alphabetschrift vergleichbare Funktion ausübt. Der so neu geknüpfte Khipu dient als „interprète à ton amour comme au mien“ (I, 66), als Medium der reziproken Verständigung zwischen den Liebenden, wobei Zilia die veränderliche, physisch-erotisch erfahrbare Materialität des Khipu besonders hervorhebt, wenn sie auf deren ‚Lesen‘ und Neuknüpfen durch Aza („les mêmes nœuds qui t’apprendront mon existence, en changeant de forme entre tes mains, et m’instruiront de ton sort“, ebd.) und sie selbst („En dénouant les secrets de ton cœur, […]“, II, 67) verweist. Diese Kommunikation der Liebenden funktioniert dank eines „pitoyeux Citoyen“ (ebd.), der als heimlicher Überbringer der Khipu fungiert, jedoch nur so lange, wie sich die Gefangene noch 47
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Damit weicht Graffigny in diesem zentralen Punkt dezidiert von der Position Garcilasos ab, obgleich sich die kulturhistorischen Ausführungen ihres Romans eng an die – bereits in der „Introduction historique“ explizit aufgerufenen – Comentarios reales anlehnen. Die Auseinandersetzung Graffignys mit den Übersetzungen Baudoins und Dalibarts (von denen sie letztere präferiert) ist im Detail dargelegt von Vera L. Grayson, „The genesis and reception of Graffigny’s Lettres d’une Péruvienne and Cénie“, in: Studies on Voltaire and the Eighteenth Century 336 (1996), 1–152, hier 8–10. Die zugehörige „note de l’auteure“ (I, 64, n. 2) ist noch recht zurückhaltend, indem sie – angesichts des „défaut de l’écriture“ – eine dokumentarische Leistung der Khipu als Möglichkeit benennt („Quelques Auteurs prétendent qu’ils [sc. les Indiens] s’en servaient aussi pour transmettre à la postérité les Actions mémorables de leurs Incas“). Konkreter wird die der revidierten Neuauflage des Romans von 1752 vorangestellte „Introduction historique“, die die komplexen – dokumentarischen, mnemotechnischen, numerischen und eben (hier ansatzweise erkennbaren) narrativen – Funktionen der Khipu und deren Gleichrangigkeit mit der europäischen Schrift herausstellt: „Les Quapas ou les Quipos leur tenaient lieu de notre art d’écrire. Des cordons de coton ou de boyau, auxquels d’autres cordons de différentes couleurs étaient attachés, leur rappelaient, par des nœuds placés de distance en distance, les choses dont ils voulaient se ressouvenir. Ils leur servaient d’Annales, de Codes, de Rituels, etc. […] Les Finances, les Comptes, les Tributs, toutes les affaires, toutes les combinaisons étaient aussi aisément traités avec les Quipos qu’ils auraient pu l’être par l’usage de l’écriture“ (62).
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in Cuzco befindet. Nur auf ihren ersten Khipu erhält sie deshalb eine Antwort Azas, bevor sie per Schiff nach Europa gebracht wird. Während der Passage und von Europa aus setzt sie ihre Nachrichten an den in Peru verbleibenden Geliebten fort, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass diese folgenden Khipu nun – bar jeder Möglichkeit, ihren Adressaten Aza realiter zu erreichen – der transatlantischen Vergegenwärtigung des geliebten Anderen dienen. Erkennbar werden hierbei jene zentralen Verfahren, die für den Einsatz des Briefs als Medium im Briefroman der europäischen Aufklärung herausgearbeitet worden sind, nämlich die sukzessive „Verkörperlichung“49 der simulierten mündlichen Kommunikation mit dem abwesenden Geliebten: Die imaginierten Worte Azas werden in den Khipu bzw. unter den Händen Zilias sinnlich erfahrbar, sie nehmen ‚wörtlich‘ Gestalt an, wie dies ihre Wendung „ces nœuds qui frappent mes sens, semblent donner plus de réalité à mes pensées; la sorte de ressemblance que je m’imagine qu’ils ont avec tes paroles, me fait une illusion qui trompe ma douleur“ (IV, 79) deutlich macht. Dies geht so weit, dass wie der Brief auch der Khipu zu einer „Synekdoche des abwesenden Geliebten“50 avanciert: Der Khipu ist Aza, wenn Zilia bemerken muss, „[s]i l’excès d’accablement m’oblige d’interrompre mon Ouvrage, je gémis de ton absence“ (ebd.). 2. Die Khipu an Aza werden ihrerseits überlagert von ihrer Übersetzung in die französische Sprache und die Alphabetschrift durch Zilia selbst. Hierbei wird zunächst dem Erlernen des Französischen in Wort und Schrift breiter Raum zugestanden. Nachdem Zilia in den Briefen XVI und XVII zur Sprache gebracht hat, dass ihr Vorrat an Khipu materialiter zu Ende geht („Il me reste si peu de Quipos, mon cher Aza, qu’à peine j’ose en faire l’usage“, 113) bzw. sich schlussendlich erschöpft hat („hélas! je vois la fin de mes cordons, j’en touche les derniers fils, j’en noue les dernier nœuds“, 118), bringt ihr ein Freund Détervilles das Schreiben in Alphabetschrift bei: Le Cacique [gemeint ist Déterville, den Zilia hier noch als tonangebenden gouverneur wahrnimmt]51 m’a amené un Sauvage de cette Contrée qui vient tous les jours me donner des leçons de sa langue, et de la méthode dont on se sert ici pour donner une sorte d’éxistence aux pensées. Cela se fait en traçant avec une plume, de petites figures que l’on appelle Lettres, sur une matière blanche et mince que l’on nomme Papier; ces figures ont des noms, ces noms mêlés ensemble représentent les sons des paroles; noms et ces sons me paraissent si peu distincts les 49 50 51
Behrens, „Schrift und Stimme“, 195; vgl. auch Koschorke, Körperströme und Schriftverkehr, 240, zur „Fetischisierung des Schriftverkehrs“. Behrens, „Schrift und Stimme“, 195. Vgl. die entsprechende note im „Avertissement“: „Caciques, espèce de Gouveneurs de Province“ (62, n. 1).
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uns des autres, que si je réussis un jour à les entendre, je suis bien assurée que ce ne sera pas sans beaucoup de peines. (XVI, 113)
Dieser Passus ist aus zwei Gründen aufschlussreich: Zum einen führt er den Blick der transatlantischen Fremden vor, der die Franzosen – und mit ihnen die Leser – zum ‚Anderen‘, zum ‚Wilden‘ macht. Zum anderen ist dieser – physisch und intellektuell herausfordernde – Lernprozess just jene exemplarische Demonstration des Schreibens, die, wie wir gesehen haben, Jaucourt im Lemma „Écriture“ in der Encyclopédie zitiert. Graffignys Roman zeichnet sich somit durch eine deutlich markierte Selbstreflexion des Schreibens, der Alphabetschrift und ihrer Materialität aus, die durch ihre Kontrastierung mit den Khipu potenziert wird. In ihrer den Roman beschließenden retraite nutzt Zilia ihre Kenntnisse des Französischen, um die in ihrem Besitz verbliebenen Khipu zu übersetzen. Zu bedenken ist hierbei, dass Zilia die Übersetzung ihrer Khipu mit (selbst-)kritischer, sowohl zeitlicher als auch emotionaler Distanz zu ihren Erfahrungen seit ihrer Ankunft in Frankreich verfasst. Zwei Momente sind hierbei ausschlaggebend: Zilia ist von ihrem Geliebten Aza fallen gelassen worden, und dies ist ein Grund dafür, dass sie sich jenen „nouvelles chaînes“ (XLI, 207) verweigert, die Détervilles Heiratsangebot in ihren Augen darstellt. Kausal hiermit verbunden, steht ihre retraite ganz im Zeichen des glücklichen Erfülltseins, eines „plaisir d’être“, das sie auf die Formel „Je suis, je vis, j’existe“ (XLI, 209) bringt. In diesem Bewusstsein bietet sie Déterville ihre aufrichtige Freundschaft an. Vor diesem Hintergrund folgt ihre Übersetzung der Khipu einer doppelten Zielsetzung: Zum einen sind sie an Déterville gerichtet, dem Zilia ihre eigene Vergangenheit im Sinne eines aufgeklärten, freundschaftlich-intellektuellen Dialogs nahebringen will. Dies lässt sich daran ablesen, dass sie ihm erlaubt, die entstandenen Briefe zu behalten, die sodann den vorliegenden Roman bilden: „Nous devons cette traduction“, so der vollständige Passus des „Avertissement“, „au loisir de Zilia dans sa retraite, à la complaisance qu’elle eut de la communiquer au Chevalier Déterville, et à la permission qu’il obtint de la garder“ (56). Zum anderen kommt der Übersetzung eine selbstvergewissernde und identitätsstabilisierende Funktion zu, insofern sie Zilia erlaubt, ihren eigenen Lebensweg zu reflektieren und der Schrift zu überantworten. Graffignys Roman führt damit ein transatlantisches aller et retour vor:52 Die Protagonistin wird gegen ihren Willen nach Europa gebracht. Dies erzwingt ihre Assimilation an die französisch-europäische Kultur, die allerdings keinesfalls unhinterfragt verläuft und unvollendet bleibt: In fortwährender 52
Vgl. Mall, „Traduction et original“, 14.
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Selbstreflektion gelingt es Zilia, aus ihren privaten Erfahrungen mit Aza und aus ihrer Auseinandersetzung mit der neuen Lebensumwelt gleichermaßen gestärkt hervorzugehen.53 Mit der Übersetzung ihrer Khipu wendet sie sich an ihre peruanische Heimatkultur zurück – als selbstbewusste, unabhängige und aufgeklärte Frau, die sich dem – kulturellen und geschlechtlichen – Sonderstatus ihrer „indépendance“ und (vollauf positiv besetzten) „solitude“ (XL, 206) bewusst ist. Es ist deshalb zweifelsohne zutreffend, in Graffignys Zilia eine ‚Kulturvermittlerin‘ zu sehen, mit der das eurozentrische Projekt ‚Aufklärung‘ in eine transatlantische Dynamik gerät.54 Eine weitere Pointe ergibt sich aus Zilias Übersetzung der Khipu für die Chronologie des Romans, insofern die ersten Briefe (I–XVII), die wir lesen, die letzten sind, die Zilia in Alphabetschrift verfasst hat.55 Das Ende der Handlung führt demnach an den Anfang der Lektüre und die Alphabetschrift zu den Khipu zurück. Diejenigen, die der Autorin einen anderen Handlungsschluss als Zilias retraite aufzwängen wollten, haben demnach nicht nur den geschlechterpolitischen Impetus, sondern schlichtweg die Konzeption des Romans verkannt. 3. Im topischen Sinne einer Herausgeberfiktion beteuert im „Avertissement“ der „Éditeur de cet Ouvrage“, er präsentiere „les Lettres d’une jeune Péruvienne“ (55), die als „recueil“ (56) aus dem Besitz Détervilles zu ihm gelangt seien. In diesem Zusammenhang nimmt er zur Diskussion über die eigene ‚Zivilisation‘ und ‚Sprache‘ in deren Auseinandersetzung mit dem ‚Anderen‘ Stellung: „Mais toujours prévenus en notre faveur, nous n’accordons du mérite aux autres nations, non seulement qu’autant leurs mœurs imitent les nôtres, mais qu’autant que leur langue se rapproche de notre idiome“ (55). 53
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Eine entscheidende Rolle spielt hier Brief XXXIV, der am Beispiel von Erziehung und Ehe auf die problematische Situation der französischen Frauen eingeht und einen aufklärerischen Impetus unmittelbar vor Augen stellt; vgl. etwa: „on exige d’elle [sc. d’une jeune femme] la pratique des vertus, dont les hommes se dispensent en leur refusant les lumières et les principes nécessaires pour les pratiquer“ (XXXIV, 189, meine Hervorh.). Dass man dem titelgebenden Begriff der „Third-World Ideology“ heute nicht mehr folgen würde, ändert nichts an dem Verdienst Janet Gurkin Altmans, diese Zusammenhänge erstmals systematisch und richtungsweisend aufgezeigt zu haben; vgl. „Graffigny’s Epistemology and the Emergence of Third-World Ideology“, in: Writing the Female Voice. Essays on Epistolary Literature, hrsg. v. Elizabeth C. Goldsmith, Boston: North Eastern University Press 1989, 172–202, hier 194: „In Graffigny’s ultimate dénouement, Zilia figures as the self-determined Peruvian-now-resident in France, representing her culture to Europe as equal partner in reciprocal exchange of ideas. Graffigny’s novel simply questions the assumption that Enlightenment should travel in one direction only – outward from European minds.“ Vgl. hierzu Mall, „Traduction et original“, 14.
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Die zentrale Frage nach der Vergleichbarkeit von europäischer Sprache und alphabetischer Schrift mit außereuropäischen Kommunikationskulturen ist hiermit gleich zu Beginn des Romans kritisch aufgerufen. Quer dazu stehen nun die editorisch-korrigierenden Eingriffe in die Briefe Zilias, darunter die Briefe I bis XVII als Übersetzung ihrer Khipu, die somit durch eine dritte ‚Erzählschicht‘ überlagert werden, die den definitiven Text des Romans darstellt. Die Eingriffe des „Éditeur“ betreffen zum einen „un grand nombre de figures hors d’usage dans notre style“, die getilgt worden seien, zum anderen „certains traits métaphysiques“, denen man eine „tournure plus intelligible“ (ebd.) gegeben habe; Letzteres wird etwa in den erläuternden Fußnoten des Éditeur sichtbar. Es spricht einiges dafür, die Arbeit des Éditeur als eine „violence faite au texte“56 zu deuten (die mit jener Gewalt korrespondiert, die auf der Handlungsebene des Romans thematisch wird). Hiermit wird nicht nur Zilias „langage féminin“ einem „code patriarcal“57 unterworfen, sondern zugleich das transatlantische und kulturvermittelnde ‚Andere‘ von Zilias Text zugunsten eines europäisch-französischen ‚Eigenen‘ zurückgenommen. Das transatlantische Andere in Graffignys Roman stellt sich als – im produktiven Sinne – höchst irritierend heraus. Zu bedenken ist hierbei schlussendlich auch, dass Zilia als Verkörperung jener sincérité konzipiert ist, die den Péruviens in der „Introduction historique“ des Romans attestiert wird: „Pour donner une idées de celles [sc. des vertus] des Péruviens, il suffit de dire qu’avant la descente des Espagnols, il passait pour constant qu’un Péruvien n’avait jamais menti“ (61). Die Eingliederung Zilias in die französische Gesellschaft des 18. Jahrhunderts rührt an diese Aufrichtigkeit nicht, und so lässt Graffignys Protagonistin nicht locker, ihre Umgebung kritisch zu beobachten und deren Selbstverständnis zu hinterfragen. Eben deshalb werden der Prozess des Schreibens, die Materialität von Schrift und die Korrelierung von Schrift und Zivilisation von ihr fortwährend als solche thematisiert und reflektiert. Aus der Kontrastierung der Alphabetschrift mit den Khipu als mehrfach verborgenem, durch materielle und sprachliche Transformation überlagertem ‚Anderen‘ gewinnen die Lettres d’une Péruvienne ihre besondere ästhetische Faszination. Zugleich aber leisten sie hiermit einen ebenso einzigartigen wie herausragenden Beitrag zur aufklärerischen Diskussion über die Zusammenhänge von Schrift, Kultur und Zivilisation, der in seinem transatlantischen Zuschnitt seine volle Wirkung entfaltet. 56 57
Ebd., 17–18. Ebd., 19. Es scheint mir deshalb auch irreführend, von „notes de l’auteure“ zu sprechen (vgl. Anm. 45), da so die zusätzliche Problematisierung, die sich aus sich aus den – als solchen lesbar gemachten – Eingriffen in Zilias Text ergibt, ausgeblendet wird.
Jenseits der Gewissheiten?!
Das Wissen über das präkolumbianische Amerika als Herausforderung und Motivator von Aufklärung in enzyklopädischen Werken des 18. Jahrhunderts Susanne Greilich 1.
Einleitung
Für die westliche Hemisphäre bedeutete die Entdeckung des amerikanischen Kontinents eine der erstaunlichsten Begegnungen ihrer Geschichte, und sie stellt sich als ein Ereignis dar, das die Identität aller Europäer prägte, wie Todorov in La Conquête de l’Amérique. La question de l’autre ausgeführt hat.1 Auch das 18. Jahrhundert war sich der Außerordentlichkeit dieser Begegnung bewusst, wie ein Blick in das wohl bedeutendste kolonialgeschichtliche Werk der Zeit, nämlich Guillaume-Thomas Raynals erstmalig 1770 veröffentlichte und in den Jahren 1774 und 1780 in jeweils überarbeiteter Fassung herausgegebene Histoire philosophique et politique des établissements et du commerce des Européens dans les deux Indes, zeigt. Dort heißt es in Buch VI mit Blick auf Kolumbus’ erste Seereise: La découverte d’un nouveau monde pouvoit seule fournir des alimens à notre curiosité. Une vaste terre en friche, l’humanité réduite à la condition animale, des campagnes sans récoltes, des trésors sans possesseurs, des sociétés sans police, des hommes sans mœurs: combien un pareil spectacle n’eût-il pas été plein d’intérêt & d’instruction pour un Locke, un Buffon, un Montesquieu! Quelle lecture eût été aussi surprenante, aussi pathétique que le récit de leur voyage!2 1 Tzvetan Todorov, Die Eroberung Amerikas. Das Problem des Anderen, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1985, 13: „Gewiß, die Geschichte des Erdballs besteht durchweg aus Eroberungen und Niederlagen, aus Kolonisierungen und Entdeckungen der anderen; doch gerade die Eroberung Amerikas hat […] unsere gegenwärtige Identität vorgezeichnet und begründet. Wenngleich jedes Datum, das zwei Epochen gegeneinander abgrenzen soll, immer willkürlich bleibt, so ist doch keiner besser geeignet, den Beginn des modernen Zeitalters zu markieren, als das Jahr 1492 […]. Wir alle sind direkte Nachkommen Colóns, mit ihm beginnt unsere Genealogie […]. Seit 1492 sind wir, wie es Las Casas ausgedrückt hat, ‚in dieser so neuen und keiner anderen vergleichbaren Zeit’ […]. Seit diesem Datum ist die Welt geschlossen […]; die Menschen haben nun die Ganzheit entdeckt, deren Bestandteil sie sind, während sie bis dahin ein Teil ohne Ganzes waren.“ 2 Guillaume-Thomas Raynal, Histoire philosophique et politique des établissements et du commerce des Européens dans les deux Indes, Bd. II, hrsg. v. Andrew Brown, Hans-Jürgen Lüsebrink, Ferney-Voltaire: Centre International d’Étude du XVIIIe siècle 2018, 20.
© Brill Fink, 2022 | doi:10.30965/9783846766361_008
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Tatsächlich gerieten in der Aufklärung das Aufeinandertreffen von Alter und Neuer Welt und die Andersartigkeit des amerikanischen Kontinents und seiner Bewohner zum Kristallisationspunkt der Beschäftigung mit fundamen talen philosophischen Fragen wie etwa derjenigen nach der Legitimation des Kolonialismus und der Sklaverei oder gaben Anstoß zur Reflexion über Fragen der Staatsform, des Gemeinwesens und der politischen Ökonomie – um nur einige Beispiele zu nennen. Nicht selten dienten die präkolumbianischen Gesellschaften den französischen philosophes dabei als Gegenentwürfe zur heimischen, französischen Gesellschaft; der amerikanische bon sauvage fungierte als Spiegelfigur, angesichts derer die Defizite und Verderbtheit der Europäer evident wurden und Kritik – etwa an religiöser Intoleranz – geübt werden konnte. Die Forschung hat der Bedeutung der außereuropäischen, kolonialen Welt für die Aufklärung und den skizzierten unterschiedlichen Aspekten eine Reihe von Studien gewidmet.3 Dabei ist zuletzt auch der Zusammenhang betont worden, der sich zwischen der Faszination der Aufklärung für die koloniale Welt und ihre Andersartigkeit einerseits und der Wissenssammlung und -systematisierung als zentralen Praktiken der Aufklärung andererseits herstellen lässt. In der Einleitung zu dem von ihm herausgegebenen Band Das Europa der Aufklärung und die außereuropäische koloniale Welt spricht Hans-Jürgen Lüsebrink von einem „epistemologischen Bruch“,4 der sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Blick auf das Wissen über die koloniale Welt – und damit auch über Amerika – konstatieren lasse. Zwar war das Jahrhundert der Aufklärung keine Epoche großer Entdeckungen und Eroberungen wie vor ihm das 15. und 16. oder nach ihm das 19. Jahrhundert; der Erkenntnisgewinn an geographischem Neuland der Entdeckungs- und Forschungsreisen eines La Condamine, Alexander von Humboldt, La Pérouse, Bougainville oder Forster blieb vergleichsweise bescheiden.5 Neu jedoch waren die Praktiken 3 Vgl. etwa Urs Bitterli, Die „Wilden“ und die „Zivilisierten“. Grundzüge einer Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Beziehungen, München: Beck 1976; Jürgen Osterhammel, „Distanzerfahrung. Darstellungsweisen des Fremden im 18. Jahrhundert“, in: Der europäische Beobachter außereuropäischer Kulturen. Zur Problematik der Wirklichkeitswahrnehmung, hrsg. v. Hans-Joachim König, Wolfgang Reinhard, Reinhard Wendt, Berlin: Duncker u. Humblot 1989, 9–42; Hinrich Fink-Eitel, Die Philosophie und die Wilden. Über die Bedeutung des Fremden für die europäische Geistesgeschichte, Hamburg: Junius 1994, 118–200. 4 Hans-Jürgen Lüsebrink, „Von der Faszination zur Wissenssystematisierung: die koloniale Welt im Diskurs der europäischen Aufklärung“, in: Das Europa der Aufklärung und die außereuropäische koloniale Welt, hrsg. v. Hans-Jürgen Lüsebrink, Göttingen: Wallstein 2006, 9–18, hier 11. 5 Vgl. ebd.
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methodischer und systematischer Informationsgewinnung und -verarbeitung (auch) über die Länder und Völker der europäischen Kolonialreiche, die sich zudem in einem transnationalen Rahmen vollzogen und sowohl neue Medien und Genres (enzyklopädische Werke, Reisekompendien) hervorbrachten als auch authentische Zeugnisse europäischer Forschungsreisender und – erstmalig – der Angehörigen bzw. Nachfahren außereuropäischer Hochkulturen selbst implementierten. Für die Literatur der Aufklärung erwiesen sich die skizzierten Praktiken als folgenreich. In der Tat sind viele der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Frankreich veröffentlichten literarischen und nicht-literarischen Texte, in denen die Andersartigkeit der präkolumbianischen Gesellschaften Mittel- und Südamerikas – allen voran der Inka- und Aztekenreiche – zum Ausgangspunkt philosophischer Reflexion und Kritik an der heimischen Gesellschaft genommen wird, ohne die oben genannten, vorgängigen Praktiken der Sammlung, Systematisierung und Aktualisierung der Wissensbestände kaum denkbar. So entfachte die Südamerika-Expedition La Condamines 1735–45 das Interesse einer breiteren Öffentlichkeit an Peru neu; mit ihm richtete sich der Fokus auch auf die Comentarios Reales (1609/1617)6 des Mestizen Garcilaso Inca de la Vega als authentischem Zeugnis der Geschichte, Sitten und Gebräuche des präkolumbianischen Inkareichs Tahuatinsuyu. Nachdem der Text seit seiner französischen Erstübersetzung 1633 bzw. 1650 durch Jean Baudoin nahezu 70 Jahre lang nicht neu editiert und zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Amsterdam durch Kuyper bzw. Bernard in nur leicht modifizierter Form erneut herausgegeben worden war,7 sollten die Comentarios Reales in Frankreich 1744 – parallel zur Expedition La Condamines – in einem völlig neuen Gewand erscheinen. Der Pariser Verlag Prault fils besorgte eine Neuübersetzung der Histoire des Incas, Rois du Pérou, die zudem um verschiedene 6 Der erste Teil von Garcilaso Incas Werk, der der präkolumbianischen Geschichte und Gesellschaft Perus gewidmet ist, erschien 1609 unter dem Titel La primera parte de los Comentarios reales, que tratan del origen de los Yncas, reyes que fueron del Perú, de su idolatria, leyes y gouierno en paz y en guerra in Lissabon bei Pedro Crasbeeck. Der zweite Teil, postum 1617 publiziert und in Córdoba in der Offizin Vda de Andrés Barrera e Hijos gedruckt, fokussiert unter dem Titel Historia general del Perú auf die Geschichte Perus ab seiner „Entdeckung“ durch die Spanier. 7 Le commentaire royal, ou l’Histoire des Yncas, rois du Péru […] fidellement traduitte sur la version espagnolle par J. Baudoin, Paris: A. Courbe 1633; Histoire des guerres civiles des Espagnols dans les Indes […] mise en françois par I. Baudoin/Suite des guerres civiles des Espagnols […], traduction […] par I. Baudoin, 2 Bde., Paris: A. Courbe 1650. Die Textfassung von Kuyper/Bernard aus den Jahren 1704–1706 basiert auf der Übersetzung durch Baudoin aus dem 17. Jahrhundert.
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naturkundliche Aufsätze aus der Feder von Thomas-François Dalibard,8 einem Schüler Buffons, ergänzt wurde.9 In der Folge entwickelte sich die Histoire des Incas zu einem viel rezipierten Bestseller, der Eingang fand in Voltaires Essai sur les mœurs (1756), Raynals Histoire des deux Indes (1770ff.) und Prévosts Histoire générale des voyages (Bd. XIII, 1756) und dessen intensive Rezeption u.a. Mme de Graffignys Lettres d’une Péruvienne (1752),10 Quesnays Analyse du gouvernement des Yncas du Pérou (1767) und Marmontels Les Incas (1777) zugrunde lag.11 Das Wissen über das amerikanische Andere wirkte hier ganz offensichtlich als Motivator von Aufklärung im Sinne der Diskussion zentraler philosophischer Fragestellungen bzw. Problembereiche wie Gewissensfreiheit, religiöse Toleranz (Marmontel), Physiokratismus (Quesnay), usw. In der Auseinandersetzung mit dem Wissen über die präkolumbianischen mittel- und südamerikanischen Gesellschaften tritt zugleich ein weiterer Aspekt zutage, den es in Hinblick auf die Verbindung von aufklärerischen Praktiken der Wissenssammlung und -systematisierung und dem Wissen über das Andere bzw. den Anderen zu beachten gilt, der aber gleichwohl bisher in der 8
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Histoire des Incas, Rois du Pérou. Nouvellement traduite de l’Espagnol de Garcillasode la Vega. Et mise dans un meilleur ordre ; avec des Notes & des Additions sur l’Histoire Naturelle de ce Pays, Paris: Chez Prault fils 1744. Das Übersetzervorwort verweist auf die Ergänzungen durch Dalibard. Dort heißt es: „Le second Volume contient le détail de ce qui concerne la Religion, les Sciences, les Arts & les Opérations Mécaniques des anciens Habitans du Pérou, avec l’Histoire naturelle de cette partie du nouveau monde. L’on a cru devoir ajouter à l’original les découvertes en ce dernier genre, qui ont été faites par plusieurs Voyageurs, & recueillies par M. Dalibard, afin que le Lecteur instruit du passé le soit aussi de l’état présent de cette vaste contrée“ (ebd., Bd. I, xxj). Ein expliziter Verweis auf die Expedition La Condamines und die aus ihr hervorgegangenen wissenschaftlichen Aufsätze bzw. die nach Frankreich (ans Cabinet du Roi) geschickten naturkundlichen Präparate, die Anlass zu einer Aktualisierung der naturkundlichen Wissensbestände über die Neue Welt gegeben haben, findet sich im Vorwort zum 2. Band, v-vj. Vgl. Neil Safier, Measuring the New World. Enlightenment Science and South America, Chicago: University of Chicago Press 2008. Vgl. English Showalter, Françoise de Graffigny. Her Life and Works, Oxford: Voltaire Foundation 2004, 143. Vgl. John Renwick, „Marmontel, Les Incas, et l’expansion de l’Europe“, in: Jean-François Marmontel (1723–1799). Dix études, hrsg. v. John Renwick, Paris: Champion 2001, 245–263, und ders., „Les Incas de Marmontel, sources et enjeux: un philosophe lit les historiens et les voyageurs“, in: Les Amériques des écrivains français, hrsg. v. Sylvain Menant, Genf: Droz 2011, 161–172, sowie Susanne Greilich, „La cultura incaica en el contexto de la Ilustración europea“, in: América del Sur y el movimiento ilustrado. Actas del Congreso internacional. Asociación Argentina de Estudios del Siglo XVIII. 9, 10 y 11 de abril de 2014, hrsg. v. Maria Cecilia Barelli, Pablo Escalante Stambole, Romina Pulley, Buenos Aires: Biblioteca Nacional 2015 161–171, und dies., „Vom Anderen erzählen in den Grenzen der eigenen Narrative: Marmontels Les Incas. Der inkaische ‚Andere‘ in der Literatur der Aufklärung“, in: Die Erzählung der Aufklärung, hrsg. v. Frauke Berndt, Daniel Fulda, Hamburg: Meiner 2018, 329–337.
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Forschung keine nähere Berücksichtigung gefunden hat. Gemeint ist die Frage nach dem Umgang der Autoren bzw. Kompilatoren enzyklopädischer Werke mit ungesicherten und widersprüchlichen Wissensbeständen. Zwar waren die Regionen Mittel- und Südamerikas anders als etwa das Innere Afrikas im 18. Jahrhundert keine terra incognita mehr; über die physische und geographische Beschaffenheit, Flora, Fauna und Bodenschätze des Kontinents, über die Geschichte, Sitten und Gebräuche der indigenen Völker lagen eine Reihe von Geschichtswerken und naturkundlichen Kompendien insbesondere aus dem 16. und 17. Jahrhundert in französischer bzw. lateinischer Übersetzung vor. Es handelte sich hierbei vielfach um Texte, die zumindest partiell auf der unmittelbaren, eigenen Anschauung der Autoren basierten: Man denke – neben den Comentarios Reales Garcilaso Incas – etwa an José de Acostas Historia natural y moral de las Indias (Sevilla 1590; 1598 in frz. Sprache), eine umfassende frühmoderne Enzyklopädie über die Naturgeschichte und Kultur der indigenen Völker Perus,12 die Acosta im Anschluss an seinen insgesamt 16jährigen Aufenthalt in Südamerika verfasst hatte; an Francisco Hernández de Toledos Aufzeichnungen zur Mineralogie, Flora und Fauna Mexicos, hervorgegangen aus einer siebenjährigen Forschungsreise nach Neuspanien;13 an die Historia del descubrimiento y conquista del Perú (Antwerpen 1555; 1598 in frz. Sprache) des Buchhalters für das Vizekönigreich Peru und Tierra Firme, Agustín de Zárate; die Historia general y natural de las Indias (1535; 1555 in frz. Sprache) von Gonzalo Fernández de Oviedo, ab 1523 königlicher Berichterstatter für Westindien; oder an Bartolomé de Las Casas’ Brevissima relacion de la destruycion de las Indias (Sevilla, 1552; versch., frz. und lt. Übersetzungen seit dem 16. Jh.). Dieses frühneuzeitliche Wissen geriet im Verlauf der Epoche der Aufklärung bei den französischen philosophes jedoch aus verschiedenen Gründen immer mehr in Zweifel. Ein Vergleich der drei 1770, 1774 und 1780 herausgegebenen, permanent überarbeiteten und aktualisierten Fassungen der Histoire des deux Indes offenbart, wie an anderer Stelle gezeigt,14 dass sich die anfängliche Hochachtung der Inka- und Aztekenkultur, die auf der Grundlage entsprechender 12
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Vgl. Susanne Greilich, „Order and Organization of Knowledge on the New World in Early Modern Spanish Compilations: José de Acosta’s Historia natural y moral de las Indias (1590)“, in: Early Modern Cultural Encyclopaedias. Defining a Genre and its Agency from a Transcultural Perspective, hrsg. v. Anna Boroffka, Margit Kern, erscheint 2021. Die von Hernández verfassten Aufzeichnungen waren zwar 1671 durch einen Brand in der sie aufbewahrenden Bibliothek des Escorial zerstört worden, zirkulierten aber mittelbar in Form von Abschriften. Vgl. Susanne Greilich, „‚Et moi suis-je sur des roses?‘ L’Histoire des deux Indes entre l’historiographie espagnole, leyenda negra et discours anticolonial“, in: Raynal’s Histoire des deux Indes. Colonial writing, cultural exchange and social networks in the age of the Enlightenment, hrsg. v. Cecil P. Courtney, Jenny Mander, Oxford: Voltaire Foundation 2015, 175–185.
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Darstellungen in der spanischen Literatur des Siglo de Oro geäußert worden war, vor dem Hintergrund widersprüchlicher Darstellungen in Berichten des 18. Jahrhunderts (insbesondere denen De Pauws15 und La Condamines16) in zunehmende Skepsis verwandelte.17 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage danach, wie enzyklopädische Werke der Herausforderung begegneten, vor die sie die unsichere Informations- und Quellenlage über die Ausgestaltung der präkolumbianischen Gesellschaften und als zutiefst fremdartig empfundene, letztlich schwer erklärbare Phänomene – etwa hinsichtlich der vermeintlichen Physis mancher amerikanischer Völker (patagonische Riesen, nègres blancs, Amazonen) oder ihrer kulturellen Praktiken (Menschenopfer, Kannibalismus) – stellte. Kann in der Diskussion um Amerika und das amerikanische Andere in enzyklopädischen Werken eine spezifische, aufklärerische Praxis beobachtet werden? Fungierte – so die These – neben der Andersheit der präkolumbianischen, amerikanischen Gesellschaften als solcher die Ungewissheit über ihre tatsächliche Verfasstheit als Motivator von Aufklärung? 2.
Enzyklopädismus im 18. Jahrhundert: Wissenssammlung, -systematisierung und -disposition als Praktiken der Aufklärung
Nur wenige andere Werke werden so eng mit der französischen Aufklärung verknüpft wie das Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, kurz: die Encyclopédie Diderots und D’Alemberts. Obwohl enzyklopädische Werke bereits im 16. Jahrhundert im Zuge der Ausbreitung des Buchdrucks entstanden sind,18 nahm das Genre im 18. Jahrhundert völlig neue Dimensionen 15 16
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Recherches philosophiques sur les Américains, London, 1771–1774, Bd. III, Kap. 28: „De l’état des arts chez les Péruviens, au temps de la découverte de leur pays“, 344–357. Relation abrégée d’un voyage fait dans l’intérieur de l’Amérique mériodionale, Paris 1745; „Mémoire sur quelques anciens monumens du Pérou, du tems des Incas“, in: Histoire de l’Académie Royale des Sciences et Belles Lettres II, 1746, Berlin 1748, 435–456; Journal du voyage fait par ordre du roi à l’équateur, Paris 1751 (Supplément 1752). Vgl. Hans Wolpe, Raynal et sa machine de guerre. L’Histoire des deux Indes et ses perfectionnements, Stanford: Univ. Press 1957, 39–40. Vgl. Martin Schierbaum, Enzyklopädistik 1550–1650. Typen und Transformationen von Wissensspeichern und Medialisierungen des Wissens, Berlin, Münster: LIT 2009; Seine Welt wissen. Enzyklopädien in der Frühen Neuzeit, hrsg. v. Ulrich Johannes Schneider, Darmstadt: WBG 2006; Wissenssicherung, Wissensordnung und Wissensverarbeitung. Das europäische Modell der Enzyklopädien, hrsg. v. Theo Stammen, Wolfgang E. J. Weber, Berlin: Akademie Verlag 2004; Enzyklopädien der frühen Neuzeit. Beiträge zu ihrer Erforschung, hrsg. v. Franz M. Eybl, Wolfgang Harms, Hans-Henrik Krummacher, Tübingen: Niemeyer 1995.
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und Funktionen ein.19 Das Aufklärungszeitalter stellt die eigentliche Entstehungsepoche des modernen Genres der Enzyklopädie und zugleich seine Blütezeit dar, in der es eine seitdem nicht mehr erreichte soziale, politische und kulturelle Wirkung erzielte.20 Während bis dahin ein breiteres Publikum von der Lektüre wissenschaftlicher Bücher durch mangelnde Kenntnisse der lateinischen Sprache und der Wissenssysteme ausgeschlossen war, ersetzten die seit der Wende zum 18. Jahrhundert entstehenden Enzyklopädien das gelehrte Latein durch die Landessprachen, und an die Stelle einer Systema tisierung des Wissens in Handbuchform trat die alphabetische Ordnung, die auch wissenschaftlichen Laien das gezielte Nachschlagen bestimmter Begriffe ermöglichte. Beides beförderte die Verbreitung der Ideen der Aufklärung.21 Die eigentliche, aufklärerische Brisanz des Mediums Enzyklopädie jedoch lag in der Aufforderung zu pragmatischer Veränderung und zu grundlegend kritischer Auseinandersetzung mit tradiertem Wissen. Wer freien Zugriff auf vordem exklusives Wissen hatte, für den war der Grundstein selbstbestimmten Handelns gelegt. Zugleich führten manche enzyklopädische Werke ihren Benutzern die kritische Auseinandersetzung mit Wissensbeständen am und im Text vor, in der Absicht, sie damit zu mündigen Lesern und Bürgern zu erziehen. Dieses Prinzip findet sich etwa in Pierre Bayles Dictionnaire historique et critique (Rotterdam, 1697) verdichtet und auch in der Encyclopédie Diderots und D’Alemberts angelegt. Mit Blick auf das Verweissystem des enzyklopädischen Wörterbuchs hebt Diderot unter dem Lemma Encyclopédie hervor:
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Vgl. Pierre Rétat, „L’âge des dictionnaires“, in: Histoire de l’édition française, hrsg. v. Roger Chartier, Henri-Jean Martin, Bd. II: Le livre triomphant. 1660–1830, Paris: Promodis 1984, 186–197, und L’encyclopédie, du réseau au livre et du livre au réseau, hrsg. v. Robert Morrissey, Philippe Roger, Paris: Champion 2001. Die Verbreitung des enzyklopädischen Wörterbuchs im 18. Jahrhundert – insbesondere ausgehend von Übersetzungen deutscher, französischer und englischer Enzyklopädien in andere Vernakularsprachen – nach Süd- und Osteuropa sowie nach Übersee steht im Zentrum eines insgesamt 3jährigen DFG-Forschungsprojekts mit dem Titel „Übersetzungsdimensionen des französischen Enzyklopädismus im Aufklärungszeitalter“ (Leitung: Susanne Greilich, Hans-Jürgen Lüsebrink). Das Projekt ist Teil des DFG-SPP 2130 „Übersetzungskulturen der Frühen Neuzeit“ (R. Toepfer, P. Burschel, J. Wesche). Vgl. Manfred Geier, Aufklärung. Das europäische Projekt, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2012, 139–149, und Hans-Jürgen Lüsebrink, „Die europäische Aufklärung“, in: WBG Weltgeschichte. Eine globale Geschichte von den Anfängen bis ins 21. Jahrhundert, Bd. V: Entstehung der Moderne 1700 bis 1914, hrsg. v. Walter Demel, Hans-Ulrich Thamer, Darmstadt: WBG 2010, 95–149, hier 123–125.
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Susanne Greilich Mais quand il le faudra, [les renvois] produiront aussi un effet tout contraire ; ils opposeront les notions; ils feront contraster les principes; ils attaqueront, ébranleront, renverseront secretement quelques opinions ridicules qu’on n’oseroit insulter ouvertement. Si l’auteur est impartial, ils auront toujours la double fonction de confirmer et de réfuter; de troubler et de concilier. […] Cette maniere de détromper les hommes opere très promptement sur les bons esprits, & elle opere infailliblement & sans aucune fâcheuse conséquence, secretement & sans éclat, sur tous les esprits. […] Si ces renvois de confirmation & de réfutation sont prévus de loin, & préparés avec adresse, ils donneront à une Encyclopédie le caractere que doit avoir un bon dictionnaire; ce caractere est de changer la façon commune de penser.22
Nun sind die Desiderata und Unzulänglichkeiten in der letztlich tatsächlich erfolgten, praktischen Ausführung des Referenzsystems der Encyclopédie bekannt; sie sollen an dieser Stelle kein Thema sein. Was uns vielmehr interessiert, ist das grundsätzlich formulierte Ziel, mit der Gegenüber- bzw. Nebeneinanderstellung unterschiedlicher, durchaus konträrer Erkenntnisse zu einem Thema das kritische Denken zu befördern, „de changer“, wie es bei Diderot heißt, „la façon commune de penser“. Vor dem Hintergrund des Gesagten nimmt es nicht Wunder, dass auch die bereits genannte Histoire des deux Indes – ein Werk, das zwar nicht als Enzyklopädie im modernen Wortsinne des enzyklopädischen Lexikons, aufgrund seines universellen Anspruchs aber durchaus als ein enzyklopädisches Werk im weiteren Sinne gelten kann – von kritisch beleuchteten Widersprüchlichkeiten und Zweifeln an den vorgestellten Wissensbeständen durchzogen ist. Und dies nicht zuletzt deshalb, weil Denis Diderot seine Co-Autorschaft am Text seit der 2. Auflage 1774 deutlich intensiviert hatte.23 22
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Diderot, Lemma Encyclopédie, in: Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers. Par une sociéte des gens de lettres, Paris: Le Breton 1751–1771, Bd. V, 642. Aus der Encyclopédie wird hier und nachfolgend zitiert nach ARTFL Encyclopédie, https://encyclopedie.uchicago.edu/. Vgl. zur Co-Autorschaft Diderots an der Histoire des deux Indes u.a.: Herbert Dieckmann, „Les contributions de Diderot à la Correspondance littéraire et à l’Histoire des deux Indes“, in: Revue d’histoire littéraire de la France (51) 1951, 417–440, Michèle Duchet, „Diderot collaborateur de Raynal: à propos des ‚Fragments imprimés‘ du fonds Vandeul“, in: Revue d’histoire littéraire de la France (60) 1960, 531–556, und dies., Michèle Duchet, Diderot et l’Histoire des deux Indes ou l’écriture fragmentaire, Paris: Nizet 1978, Gianluigi Goggi, „Quelques remarques sur la collaboration de Diderot à la première édition de l’Histoire des deux Indes“, in: Lectures de Raynal. L’Histoire des deux Indes en Europe et en Amérique au XVIIIe siècle. Actes du Colloque de Wolfenbüttel, hrsg. v. Hans-Jürgen Lüsebrink, Manfred Tietz, Oxford: Voltaire Foundation 1991, 17–52, Hans-Jürgen Lüsebrink, „‚Le livre qui fait naître des Brutus …‘. Zur Verhüllung und sukzessiven Aufdeckung der Autorschaft Diderots an der Histoire des deux Indes“, in: Denis Diderot 1713–1784. Zeit, Werk, Wirkung.
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3.
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Die Wissensbestände über das amerikanische ‚Andere‘ als Auslöser und Objekt philosophischer Erörterung
Wie bereits angedeutet, stand das französische 18. Jahrhundert hinsichtlich der Informations- und Quellenlage über die Verfasstheit des präkolumbianischen Amerika vor einer Herausforderung, die zum einen aus der zeiträumlichen Distanz zum Objekt resultierte und zum anderen aus dem (zunehmenden) Misstrauen, dass die philosophes den zeitgeschichtlichen Zeugnissen spanischer Autoren entgegen brachten. In der Zurückweisung von Berichten über die Pracht, Ordnung und Machtfülle der Inka- und Aztekenreiche als erfundene, „fabelhafte“ Geschichten in den Büchern VI und VII der zweiten und dritten Auflage der Histoire des deux Indes schlägt sich eine Neubewertung tradierter Wissensbestände über das präkolumbianische Peru angesichts fehlender moderner Evidenz nieder: Wenn die Inkatempel tatsächlich so prachtvoll waren wie von den Spaniern behauptet, warum hat La Condamine dann nur wenige, klägliche Ruinen gefunden?, lässt sich das die Zweifel Diderots (und Raynals) auslösende Moment resümieren. Daneben spielt die zeitgenössische Wahrnehmung Spaniens als sich der Praxis der objektiven Betrachtung verweigerndes ‚Anderes‘ der europäischen Aufklärung hinein. So konstatiert Denis Diderot mit Blick auf das Aztekenreich und mit implizitem Verweis auf die entsprechenden Darstellungen des Jesuiten Acosta und des in den Diensten von Hernán Cortés stehenden Francisco López de Gómara (Historia general de las Indias, Zaragoza 1552; frz. Fassung 1569) in der Histoire des deux Indes: Pour croire qu’une société dont la domination étoit si étendue, dont les institutions étoient si multipliées, dont le rit étoit si régulier, avoit une origine aussi moderne qu’on l’a publié, il faudroit d’autres témoignages que ceux des féroces soldats qui n’avoient ni le talent ni la volonté de rien examiner; il faudroit d’autres garans que des prêtres fanatiques qui ne songeoient qu’à élever leur culte sur la ruine des superstitions qu’ils trouvoient établies. […] Zehn Beiträge, hrsg. v. Titus Heydenreich, Erlangen: Univ. Bund Erlangen-Nürnberg 1984, 107–126, und L’Histoire des deux Indes. Réécriture et polygraphie, hrsg. v. HansJürgen Lüsebrink, Anthony Strugnell, Oxford: Voltaire Foundation 1995. Die eindeutig Diderot zuzuschreibenden Passagen in der dritten Auflage des Werks sind in der jüngst erschienenen, kritisch-kommentierten Textausgabe (vgl. Guillaume-Thomas Raynal, Histoire philosophique et politique des établissements et du commerce des Européens dans les deux Indes, Bd. II, hrsg. v. Andrew Brown, Hans-Jürgen Lüsebrink, Bd. VI–IX, hrsg. v. Susanne Greilich, Ute Fendler, Stéphane Pujol, Hans-Jürgen Lüsebrink, Gianluigi Goggi, Didier Kahn, Ferney-Voltaire: Centre International d’Étude du XVIIIe Siècle 2018) eindeutig ausgewiesen; die Angaben beruhen auf der Forschungsarbeit des italienischen Kollegen Gianluigi Goggi.
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Susanne Greilich Quand on aura laissé pénétrer au Mexique quelques philosophes pour y déterrer, pour y déchiffrer les ruines de son histoire, que ces savans ne seront, ni des moines, ni des Espagnols, mais des Anglois, des François qui auront toute la liberté, tous les moyens de découvrir la vérité: peut-être alors la saura-t-on […].24
Die kritische Einstellung zu den spanischen Historiographen de Siglo de Oro ist einerseits durchaus nicht zeituntypisch; sie findet sich in ähnlicher Form auch bei Cornelis De Pauw und bei William Robertson.25 Darüber hinaus lassen einige Encyclopédie-Artikel Diderots eine prinzipielle Skepsis gegenüber der Verlässlichkeit von historischen Berichten erkennen, die über die Reserviertheit spezifisch spanischen Autoren gegenüber hinausgeht. Mit Blick auf die dem Dictionnaire géographique portatif Jean-Baptiste Ladvocats entnommen Informationen zum (fiktiven) afrikanischen Königreich Ansico26 und zu den dort praktizierten kannibalischen Orgien konstatiert der Verfasser: Il faut soupçonner en général tout voyageur & tout historien ordinaire d’enfler un peu les choses, à moins qu’on ne veuille s’exposer à croire les fables les plus absurdes.27
Und die Beschreibung des exotischen, doppelt-gehörnten „Abada“, die auf die Opere fisico-mediche Antonio Vallisneris zurückgeht,28 kommentiert der Enzyklopädist am Ende des entsprechenden Lemmas wie folgt:
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Raynal, Histoire, Bd. II, 58. Recherches philosophiques sur les Américains, Bd. II, 196–202, sowie Histoire de l’Amérique, Paris: Panckoucke 1778, Bd. 4, 9–12. Vgl. Ladvocat, Lemma Ansico, in: Dictionnaire géographique portatif … Par Monsieur Vosgien, Paris: Didot 1749, 31. Diderot, Lemma Ansico, in: Encyclopédie, Bd. I, 490. In den späteren Ausgaben seines Dictionnaire sollte Ladvocat die Informationen zum Kannibalismus im Königreich Ansico als unglaubwürdig zurückweisen: „[…] mais ce récit a l’air d’une fable, & il n y aucune vraisemblance que les Africains d’Ansico aient des boucheries publiques de chair humaine, ni même qu’ils mangent des hommes“ (Ladvocat, Lemma Ansico, in : Dictionnaire géographique portatif … Par Monsieur Vosgien, Paris: Les libraires associés 1767, 39). Der Eintrag in der Encyclopédie („[…] c’est, dit-on, un animal qui se trouve sur la côte méridionale du Bengale, […] qui est de la grosseur d’un poulain de deux ans [….]“, etc.) basiert ganz offensichtlich auf einer direkten Übersetzung des Eintrags in Vallisneris „Saggio alfabetico“, der sich am Ende des 3. Bandes der Opere fisico-mediche findet. Vgl. Antonio Vallisneri, Lemma Abada, „Saggio alfabetico d’istoria medica e naturale“, in: Opere fisico-mediche, Bd. III, Venezia: Coleti 1733, 367. Dort heißt es: „E’ un animale feroce del paese di Benguela nella bassa Etiopia. E’ della grandezza di un puledro di due anni […]“, etc.
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Il y auroit de la témérité sur une pareille description à douter que l’Abada ne soit un animal réel; reste à sçavoir s’il en est fait mention dans quelque Naturaliste moderne, instruit & fidele, ou si par hasard tout ceci ne seroit appuyé que sur le témoignage de quelque voyageur.29
Andererseits lassen eine Reihe von Encyclopédie-Aufsätzen zum Themenkomplex „präkolumbianisches Amerika“ aus der Feder anderer Autoren eine deutlich unkritischere Haltung gegenüber den tradierten Wissensbeständen erkennen als diejenige, die Diderot in der Histoire des deux Indes – etwa hinsichtlich der Azteken-Hauptstadt Tenochtitlán (später: Mexiko-Stadt) – zur Schau trägt. In seinem Artikel Mexico, Ville de beschreibt De Jaucourt die Pracht Tenochtitláns und stimmt damit ein in den Chor europäischer Autoren, wie Prévost oder Thomas Gage, die im Anschluss an die Beschreibungen der spanischen Historiographen Solís (Historia de la conquista de México, 1685, frz. Übersetzung 1759 in 6. Auflage), López de Gómara (Historia general y conquista de México, 1552; frz. Übersetzung 1584 in 5. Auflage)30 und Herrera (Décadas, 1601–1615, frz. Übersetzung 1660–1671), sowie des italienischen Reisenden Gemelli Careri (Giro del Mondo, 1699/1700, frz. Übersetzung 1719)31 zu einem ähnlichen Urteil kamen wie De Jaucourt selbst: „Cette ville […] offroit aux yeux le plus beau monument de l’industrie américaine“.32 Auch in Panckouckes Supplément à l’Encyclopédie von 1777 findet sich eine nahezu enthusiastische Beschreibung der Pracht Tenochtitláns. Der Verfasser Claude Courtépée33 lässt hierbei keinen Zweifel an der Richtigkeit der Beschreibung aufkommen, und dies obwohl ihm die diesbezüglichen Zweifel Diderots bekannt gewesen sein dürften, verweist er doch zum Ende des Artikels explizit auf die Histoire 29 30
31
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Diderot, Lemma Abada, in: Encyclopédie, Bd. I, 7. Eine frühere Ausgabe dieser Übersetzung war 1569 erschienen, allerdings noch ohne die Beschreibung Tenochtitláns. Prévost verweist im Avant-propos von Band XII seiner Histoire générale des voyages auf eine 1554 in Anvers erschienene spanische Ausgabe des Textes (vgl. Prévost, Histoire générale des voyages, Paris: Didot Bd. XII, 1754, viij, Fn 5). Gemelli Careri hatte im Giro del Mondo, Bd. VI (Parte Sesta. Contenente le cose più ragguardevoli vedute Nella Nuova Spagna), Buch 1, Kap. II: „Viaggio sino all’Imperial Città di Mexico, e descrizione di essa“, 16ff., eine derart positive Beschreibung Mexikos im Jahr 1697 gegeben, dass Prévost in der Histoire générale des voyages (Bd. XII, 444) Mexiko – im direkten Anschluss an Gemelli Careri – auf eine Stufe mit den schönsten Städten Italiens stellen sollte: „On peut dire que Mexico le dispose aux meilleurs Villes d’Italie, par les Edifices, & qu’il emporte, par la beauté des femmes“. De Jaucourt, Lemma Mexico, ville de, in: Encyclopédie, Bd. X, 479–480, hier 480. Claude Courtépée (1721–1781), frz. Historiker. Courtépée hatte nicht nur das Supplément à l’Encyclopédie um zahlreiche Artikel zur Geographie erweitert bzw. fehlerhafte Artikel aus der Encyclopédie Diderots und D’Alemberts für das Supplément korrigiert, sondern auch das Dictionnaire géographique portatif Ladvocats lektoriert.
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des deux Indes, genauer gesagt auf die Beschreibung der Handelswaren und Bodenschätze Mexikos in diesem Werk.34 Die skeptische Haltung Diderots gegenüber dem Wahrheitsgehalt einzelner Topoi über die Realität des präkolumbianischen Amerika (wie auch der anderer, entlegener Regionen der Welt) ist also in gewissem Maße autorspezifisch und liegt in einem generellen Misstrauen gegenüber Reisenden bzw. Reiseberichten als Quellen des Wissens einerseits und einer didaktischen Intention des Philosophen und Enzyklopädisten andererseits begründet. Spezifischer misstraut Diderot sowohl der (fehlenden) wissenschaftlichen Perspektive der Reisenden auf das Beobachtete – aus diesem Grund werden die „naturalistes“ gegenüber den „voyageurs“ in Stellung gebracht (s.o.) – als auch der Faszination der Leser für das Außergewöhnliche, für das wahrhaft Andere und Fremde. Wo der Reisende nichts Entsprechendes zu berichten finde, so mutmaßt Diderot, da könne er dazu verleitet sein, dazu zu dichten – auch um entsprechende Lesererwartungen zu erfüllen: Voici le principe sur lequel je fonde ce soupçon, c’est qu’on ne veut pas avoir pris la plume pour raconter des aventures communes, ni fait des milliers de lieues pour n’avoir vû que ce qu’on voit sans aller si loin […].35
Bemerkenswert erscheint nun die Tatsache, dass Diderot die Informationen, die ihm per se als zweifelhaft erscheinen, überhaupt in seine Artikel in der Encyclopédie bzw. in die Histoire des deux Indes aufnimmt und sie angesichts der eigenen Skepsis nicht einfach weglässt. Karen Struve hat in einem Aufsatz die von Diderot als „fables“ bezeichneten Wissensbestände als Fiktion charakterisiert und darauf verwiesen, dass diese in der Encyclopédie gerade deshalb einen Platz haben, weil sie zum Gegenstand einer philosophischen Erörterung werden können.36 Tatsächlich ist auch die Beibehaltung von im Wahrheitsgehalt zweifelhaften Wissensbeständen über die präkolumbianischen Kulturen Amerikas in der Histoire des deux Indes vor dem Hintergrund der Möglichkeit zu sehen, dass sich an ihnen die kritische, 34 35 36
„Les mines d’or, le cacao, la vanille, l’indigo, la cochenille, le riz, le coton, font une grande partie du commerce. Hist. phil. & polit. du commerce des Indes, 3e vol. 1773“ (Courtepée, Lemma Mexico, in: Supplément à l’Encyclopédie, Bd. III, 1777, 924). Diderot, Lemma Ansico, 490. Vgl. Karen Struve, „‚Toutes les fictions […] sautent aux yeux‘: Funktionen von Fiktionen in der écriture encyclopédique über den kolonialen Anderen in der Encyclopédie von Diderot und d’Alembert“, in: Écrire l’encyclopédisme, du XVIIIe siècle à nos jours, hrsg. v. Susanne Greilich, Hans-Jürgen Lüsebrink, Paris: Classiques Garnier 2020, 225–238. Vgl. zum Thema in einer breiteren Perspektive: Karen Struve, Wildes Wissen in der Encyclopédie. Koloniale Alterität, Wissen und Narration in der französischen Aufklärung, Berlin: De Gruyter 2020.
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rationale Abwägung von Tatbeständen demonstrieren lässt – und dies zumal hinsichtlich solcher Phänomene, die sich aufgrund zeiträumlicher Distanz der Empirie und eigenen Anschauung weitgehend entziehen und daher vorrangig den Prinzipien der Logik unterworfen werden müssen. Anders gesagt kann der Leser die Zweifel des Philosophen Diderot und seine kritische Abwägung divergierender Informationen über die Realitäten Mittel- und Südamerikas im Text Schritt für Schritt nachvollziehen. Ein erstes Beispiel für dieses Verfahren liefern im Buch VI der Histoire des deux Indes die Überlegungen Diderots zur Bevölkerungsdichte des präkolumbianischen Mexiko,37 an deren Ende sich das – auf den ersten Blick überraschende – Urteil findet, demgemäß die Spanier sich der Vernichtung der indigenen Völker in geringerem Umfang schuldig gemacht hätten als allgemeinhin angenommen: Sans doute, vos farouches soldats se souillèrent trop souvent d’un sang innocent […]: mais vos cruautés furent moindres que les historiens de vos ravages n’ont autorisé les nations à le penser.38
Diderot mildert hier also – im Übrigen auch veranlasst durch entsprechende Einwände der spanischen Obrigkeiten gegen die erste Fassung der Histoire des deux Indes39 – einen Topos der leyenda negra ab – nur um im gleichen Atemzug den ‚schwarzen Peter‘ für die notwendige, inhaltliche Korrektur den Spaniern des Siglo de Oro selbst zuzuschieben. Deren Behauptung, Mexiko sei zum Zeitpunkt der Eroberung ein überaus bevölkerungsreiches Land gewesen, sei nämlich zweifelhaft: „[…] quelle foi peut-on raisonnablement accorder à des annales confuses, contradictoires & remplies des plus absurdes fables qu’on n’ait jamais exposées à la crédulité humaine?“,40 fragt Diderot in rhetorischer Absicht in Richtung des europäischen Lesers. Da auch eine moderne, empirische Untersuchung keine zuverlässige Antwort auf die Frage verspricht, greift der Erzähler auf die logische Erörterung der Problemstellung zurück. Angesichts übereinstimmend berichteter Tatsachen (permanenter Kriegszustand in Mexiko, wiederholte Menschenopfer, geringe Fertilität, schlechte Versorgungslage, Hungersnöte) – so Diderot – lasse sich nur der Schluss ziehen, dass die indigene Bevölkerung Mexiko bereits zum Zeitpunkt
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Vgl. Raynal, Histoire, Bd. II, 58–59. Ebd., 58. Vgl. Manfred Tietz, „L’Espagne et l’Histoire des deux Indes de l’abbé Raynal“, in: Lectures de Raynal, op. cit., 99–130. Vgl. Raynal, Histoire, Bd. II, 58.
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der Eroberung deutlich dezimiert gewesen und die bisherige Einschätzung der spanischen Gräueltaten ergo zumindest partiell zu revidieren sei. Avant que la saine philosophie eût fixé un regard attentif sur vos étranges contradictions; […] l’univers, qui ne voyoit plus qu’un désert dans le Mexique, étoit convaincu que vous aviez précipité au tombeau des générations innombrables,41
schließt Diderot seine Argumentation, gleichzeitig einen kritischen Umgang mit Quellen und ein gesundes Misstrauen gegenüber dem bloßen Anschein eines Sachverhaltes postulierend. Das skizzierte Verfahren lässt sich – wie bereits angedeutet – an verschiedenen Stellen des Textes mit Blick auf das Wissen über die Verfasstheit der präkolumbianischen Gesellschaften konstatieren: Überlieferungen zur Pracht von Mexiko-Stadt42 werden in der Histoire des deux Indes ebenso einer kritischen Erörterung unterzogen wie (von Diderot oder Raynal) solche vom Reichtum Tenochtitláns, seinen ausgeklügelten Bewässerungsanlagen, den Kommunikationswegen und -mitteln des Inkareichs.43 Auch die These einer europäischen Abstammung der Inkas wird zum Ziel philosophischer Übungen,44 schließlich die physische Andersheit indigener Völker, etwa die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts viel diskutierte Frage nach der Existenz der sog. patagonischen Riesen (géants patagons).45 4.
Fazit
Die präkolumbianischen amerikanischen Kulturen bieten in der Histoire des deux Indes also nicht nur Anlass zur Reflexion über philosophische Fragen bzw. zur Kritik z.B. an religiöser Intoleranz oder der Verletzung der Herrscherpflichten,46 sondern sind auch Motivator einer Demonstration der kritischen Infragestellung von tradiertem Wissen und der Erörterung 41 42 43 44 45
46
Ebd. Vgl. ebd., 52–53. Vgl. ebd., 139–142. Vgl. ebd., 133. Vgl. ebd., 212–213. Die Debatte um die Existenz bzw. Nicht-Existenz einer spezifischen Rasse „patagonischer Riesen“ erfuhr ihren Höhepunkt in den 1760er et 1770er Jahren. Vgl. zu dieser Thematik spezifischer François Moureau, „L’abbé et les géants patagons ou l’,idée folle’ de Gabriel-François Coyer“, in: Le théâtre des voyages. Une scénographie de l’âge classique, hrsg. v. François Moureau, Paris: Presses de l’Univ. de Paris-Sorbonne 2005, 369–378. Vgl. z.B. Raynal, Histoire, Bd. II, 121–122.
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umstrittener Sachverhalte – mithin jener neuen Art zu denken, die Diderot im Artikel Encyclopédie des Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers postuliert.47 Während die Diskrepanz zwischen den historischen Schilderungen (der Spanier) und den modernen Berichten aufgeklärter Forscher das auslösende Moment für die kritische Revision tradierter Wissensbestände ist, so sind die Bewertungskriterien für die Wahrscheinlichkeit bzw. Unwahrscheinlichkeit des Geschilderten andere als die bloße Inaugenscheinnahme, nämlich einerseits die logische Kohärenz des geschilderten Sachverhaltes und andererseits – und wichtiger noch – die Möglichkeit seiner Parallelisierung bzw. der Analogiebildung zu als bereits gesichert geltenden Umständen und dem eigenen Erfahrungshorizont. So argumentiert Diderot mit Blick auf Tenochtitlán und das Aztekenreich: [La] fausseté [de la description espagnole du Méxique] peut être mise aisément à la portée de tous les esprits. Pour y parvenir, il ne suffiroit pas d’opposer l’état actuel du Mexique à l’état où les conquérans prétendent l’avoir trouvé. Qui ne connoît les déplorables effets d’une tyrannie destructive, d’une longue oppression? Mais qu’on se rappelle les ravages que les barbares, sortis du Nord, exercèrent autrefois dans les Gaules & en Italie. Lorsque ce torrent fut écoulé, ne restera-t-il pas sur la terre de grandes masses qui attestoient, qui attestent encore la puissance des peuples subjugués. La région qui nous occupe, offre-t-elle de ces magnifiques ruines?48
Diderot formuliert Gesetzmäßigkeiten, in deren Zusammenhang sich ein bemerkenswerter Umgang mit der Andersheit räumlich oder zeiträumlich entlegener, d.h. fremder Kulturen konstatieren lässt. Die Bewertung eines überlieferten Sachverhalts als wahrscheinlich und glaubwürdig erfolgt nämlich nur dann, wenn er mit den eigenen Diskurslogiken in Übereinstimmung gebracht werden kann. Dies führt dazu, dass Diderot in der Encyclopédie die Möglichkeit der Existenz von kannibalischen Praktiken und öffentlichen Menschen-Schlachthäusern im Königreich Ansico einräumt, auch wenn ihm die von Ladvocat überlieferten Zahlen als zu hoch gegriffen erscheinen. Wenn man nämlich annehme, so Diderot, dass die Bewohner von Ansico die Selbstopferung als Fleischvorrat für den Herrscher als Ehre betrachteten, dann sei die Praxis durchaus plausibel und der berichtete Umstand als glaubwürdig anzunehmen, schließlich fände sich ein ähnliches Phänomen in Form der (freiwilligen) Witwenverbrennungen anderswo auf der Welt49 – und Formen fanatischen Verhaltens sind auch den Europäern nicht fremd. Umgekehrt 47 48 49
Ebd., Bd. V, 642. Ebd., Bd. II, 53. Diderot, Lemma Ansico, 490.
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wird der Vorstellung einer aztekischen und inkaischen Hochkultur in der zweiten und dritten Fassung der Histoire des deux Indes durch Diderot und Raynal eine deutliche Absage erteilt, weil u.a. Eisen, Schrift, mechanische und optische Instrumente (mithin die Errungenschaften der modernen westlichen Zivilisationen) den französischen Philosophen als conditio sine qua non erscheinen;50 und es ist ihre Absenz in den Kulturen der Inkas und Azteken, die Diderot zu der Behauptung veranlasst, dass „es als bewiesen gelten muss, dass […] das berühmte Mexico-Stadt nicht mehr war als ein Marktflecken aus mehreren, bäuerlichen Hütten“.51 Der Topos der bons sauvages, genauer der tugendhaften Inkaherrscher, ihrer vernünftigen Gesetzgebung und zufriedenen Untertanen, – so wie wir ihn auch in der belletristischen Literatur des 18. Jahrhunderts finden – hingegen wird von Diderot beibehalten.52 Während die präkolumbianischen amerikanischen Kulturen dem Enzyklopädisten also einerseits umfangreichen Anlass zur Demonstration eines aus seiner Sicht aufgeklärten Umgangs mit tradierten Wissensbeständen liefern, so sind andererseits dem Wissen über Amerika und spezifischer über das Andere der amerikanischen Kulturen vor diesem Hintergrund deutliche Grenzen gesetzt.
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„Les travaux des hommes ont toujours été proportionnés à leur force & aux instrumens dont ils se servoient. Sans la science de la méchanique & l’invention de ses machines, point de grands monumens. Sans quarts de cercle & sans téléscope, point de progrès merveilleux en astronomie, nulle précision dans les observations. Sans fer, point de marteaux, point de tenailles, point d’enclumes, point de forges, point de scies, point de haches, point de coignées, aucun ouvrage en métaux qui mérite d’être regardé, nulle maçonnerie, nulle charpente, nulle menuiserie, nulle architecture, nulle gravure, nulle sculpture. […] Dépouillons le Mexique de tout ce que des récits fabuleux lui ont prêté, & nous trouverons que ce pays, fort supérieur aux contrées sauvages que les Espagnols avoient jusqu’alors parcourues dans le Nouveau-Monde, n’étoit rien en comparaison des peuples civilisés de l’ancien continent“ (Raynal, Histoire, Bd. II, 54). „Il doit […] passer pour démontré que […] la célèbre Mexico n’étoit qu’une bourgade formée d’une multitude de cabanes rustiques […]“ (ebd., 53). Vgl. ebd., 139.
Colonialism and Philosophy in the Histoire des deux Indes
Raynal’s Reflections on the Spanish Conquest of America Pierino Gallo In 1770, the Histoire philosophique et politique des établissements et du commerce des Européens dans les deux Indes1 was published anonymously „in Amsterdam“. The size of the work (six in-octavo volumes) expressed the author’s ambition to provide France with a capital work on colonisation allowing readers to reflect successively on the economic, political and philosophical aspects of overseas conquests.2 Stylistically, the abbé Raynal based his study on heterogeneous material (historical texts, travel narratives, works of fiction …) that he would rewrite and transpose in support of his arguments.3 It is particularly in the updated third version that the composite nature of the Histoire is clearly emerging. Enriched with many additions, most of which being Diderot’s work, the 1780 edition of the Histoire4 appears as the philosophically-oriented result of a sort of „intellectual sedimentation spread over a course of at least fifteen years, approximately between 1763 and 1779“.5 Besides, studying the sources * A more detailed version of this article has been published in French: „Discours historique et discours philosophique: l’Amérique espagnole de Raynal“, in: Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte / Cahiers d’Histoire des Littératures Romanes 41.3–4 (2017), 353–365. All translations are by the author, unless otherwise stated. 1 See Gilles Bancarel, „Éléments de la stratégie éditoriale de Raynal“, in: Raynal. De la polémique à l’histoire, ed. Gilles Bancarel, Gianluigi Goggi, Oxford: Voltaire Foundation 2000, 121–131. 2 „L’Histoire des Indes venait à son heure; elle satisfaisait certaines tendances qui vont s’accentuant de plus en plus au cours du XVIIIe siècle: le goût de l’exotisme, les préoccupations économiques, l’intérêt porté à la question coloniale“ (Anatole Feugère, Un précurseur de la Révolution: l’abbé Raynal (1713–1796). Documents inédits, Angoulême: Imprimerie ouvrière 1922, 233). See also Hans-Jürgen Lüsebrink, „Introduction générale“, in: Guillaume-Thomas Raynal, Histoire philosophique et politique des établissements et du commerce des Européens dans les deux Indes, ed. Anthony Strugnell, Ferney-Voltaire: Centre international d’Étude du XVIIIe Siècle 2010, vol. I, xxvii. 3 See L’Histoire des deux Indes: réécriture et polygraphie, ed. Hans-Jürgen Lüsebrink, Anthony Strugnell, Oxford: Voltaire Foundation, 1995. 4 Geneva: Jean-Léonard Pellet, 5 vol. in-4°. Hereinafter, all references will refer to this edition („H80“). 5 Yves Benot, Les Lumières, l’esclavage, la colonisation, ed. Roland Desné, Marcel Dorigny, Paris: Éd. La Découverte 2005, 108. For a study of the historical transformation of the text, see Cecil P. Courtney, „Les métamorphoses d’un best-seller: l’Histoire des deux Indes de 1770 à 1820“, in: Raynal. De la polémique à l’histoire, op. cit., 109–120. For Diderot’s contribution to
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shows clearly enough that in the third edition of the Histoire more than in any other, the review of the documentary material goes hand in hand with the use of several discursive genres:6 „the apostrophe, the oratory appeal, the manifesto but also the commentary, the philosophical anecdote, the (fictional) dialogue and, lastly, the dialectical reflection“.7 Our purpose is to highlight how, through this dual device – stylistic and ideological –, a rewriting of History is taking shape. The historical discourse and the philosophical discourse shall thus be considered as the two axes enabling us to decipher the genre, functions and objectives of the major encyclopaedic survey that the Histoire constitutes. We shall study the way these discourses intertwine while analysing Raynal’s writing devices (the re-use of the sources, the intertextual transformations, the narrator’s interventions) which contribute to making the author’s position clearer as regards the topics he deals with. This very approach will also enable us to reflect on the figure and the role of the historian and philosopher as they are emerging in the intellectual circles in the Age of Enlightenment. In the context of this abridged article, we restrict our study to the books of the Histoire dedicated to Spanish America (H80, vol. II, books VI, VII, and VIII). These books provide the reader with an abstract of the rewriting devices used in the Histoire; in addition, they join to the historiographical narrative (namely the Spanish conquest of Latin America) a critical discourse reflecting respectively the author’s personal opinion and the anti-colonial debate taking place in French society at that time. The Histoire summons „the complex and problematic image of the colonial world“8 which is constantly building up throughout the nineteen books composing the Histoire to provokingly emerge in the passages where the historian is turning into a polemicist. Thus, when giving an account of the conquest of Mexico (vol. II, book VI), Raynal enriches his narrative with varied commentaries and a far-from-impartial reinterpretation. He interrupts his narrative to let the third edition of the Histoire, see Anatole Feugère, „Raynal, Diderot et quelques autres ‚historiens des deux Indes‘“, in: Revue d’Histoire littéraire de la France 20.2 (1913), 343–378, and Michèle Duchet, Diderot et l’Histoire des deux Indes ou l’écriture fragmentaire, Paris: A.-G. Nizet 1978. 6 Ottmar Ette parle à ce propos de „théâtralisation“ du discours („‚Le tour de l’univers sur notre parquet‘: lecteurs et lectures dans l’Histoire des deux Indes“, in: Raynal. De la polémique à l’histoire, op. cit., 255–272). 7 Hans-Jürgen Lüsebrink, Anthony Strugnell, „Introduction“, in: L’Histoire des deux Indes: réécriture et polygraphie, op. cit., 3. 8 Michèle Duchet, „L’Histoire des deux Indes: sources et structure d’un texte polyphonique“, in: Lectures de Raynal. L’Histoire des deux Indes en Europe et en Amérique au XVIIIe siècle, ed. Hans-Jürgen Lüsebrink, Manfred Tietz, Oxford: Voltaire Foundation 2014, 11.
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out his anger („Il me semble que j’assiste à cette horrible expiation. Je la vois, je m’écrie: ‚Monstres exécrables, arrêtez. […]‘“9), addressing the conquerors and the Catholic priests to berate the authority of the monks in America. However, the abbé not only addresses those who made history but also a public closer in time: „Souverains, qu’est-ce que cette mauvaise honte qui vous arrête?“.10 A defender of mankind and a diplomatic adviser, the abbé „wants above all to let the mighty of his times know so that they can learn from the past if they really intend to build a better future.“11 The logical conclusion is that when faced to these intentions, the narrator can no longer react as an ‚impartial‘ historian. The Histoire stages the colonies as a „théâtre de carnage & de destruction“,12 while teaching – Raynal dares at least hope for it – a lesson for the future, a „douce espérance“13 which concludes book VI. In book VII („the Conquest of Peru by the Spaniards“), the abbé, overtly specifying his position from the start, means to vindicate the way he writes History and invite his readers to march under his banner. There is no wondering, then, that Raynal chooses his sources on the basis of their commitment: rather than drawing on pro-Spain historians (such as Francisco Lopéz de Gómara, for instance), he sketches his philosophical struggle out of the works of Bartolomé de Las Casas (Brevísima relación de la destrucción de las Indias) or Girolamo Benzoni (La Historia del Mondo Nuovo). The original character of his work mainly lies on the way he exploits his readings. Therefore, drawing on Benzoni, he conducts as he pleases an attack on Christianity and on the „[p]ontife abominable“14 Alexander VI, who had issued the Inter caetera bull in 1493, in particular. Raynal’s strategy is obvious: the voice of his predecessors that he carefully picks and chooses is rearranged throughout book VII so as to highlight the Spaniards’ fanaticism. It is no coincidence that, while following Herrera, Solís and Prévost, he ignores the passages where these authors mention the fame reportedly enjoyed by the colonists as they appeared in America for the first time. A second extraordinary fact concerns Raynal’s description of 9 10
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H80, vol. II, book VI, chap. 13, 59: „Methinks I am present at his horrible expiation. I behold it, and exclaim: ‚Stop, execrable monsters! […].‘“ H80, vol. II, book VI, chap. 25, 114: „Monarchs, what is that false shame which checks you?“ See also Michel Delon’s commentary on this strategy: „Besides the set couple formed by the torturers and their victims, the philosopher is addressing the kings and the mighty, those who can change the rules of the economic and social game and who need sound advice“ („L’appel au lecteur dans l’Histoire des deux Indes“, in: Lectures de Raynal, op. cit., 59). Heinz Klüppelholz, „La présentation de la conquête du Pérou dans l’Histoire des deux Indes“, in: L’Histoire des deux Indes: réécriture et polygraphie, op. cit., 190. H80, vol. II, book IX, chap. 28, 458 H80, vol. II, book VI, chap. 26, 122. H80, vol. II, book VII, chap. 2, 126.
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Peru and Peruvians. Gathering several sources (Garcilaso de la Vega, Agustín de Zárate), Raynal aims at emphasizing the conquerors’ faults.15 The next book („the Conquest of Chile and Paraguay by the Spaniards“) follows, while developing them, the same topics and axes: Raynal reviews the Europeans’ corruption, the atrocities of slavery and the consequences of fanaticism. Those are the very pages where, undoubtedly, the most biting part of his anti-Spanish criticism is at work. Besides, the Raynalian discourse here finds itself entwined with a kind of „tribunalisation rhétorique“16 which constantly distorts the writing of History. Three instances shall be enough to argue the case. Firstly, the abbé uses a sort of apostrophe-commentary to draw a parallel between the peaceful trade carried out by the Indians and the European merchants’ corruption: „Ce n’est pas au fond des forêts; c’est au centre des sociétés policées qu’on apprend à mépriser l’homme & à s’en méfier.“17 Secondly, the very remembrance of Spanish expansion urges Raynal to meditate not only on the murderous nature of Hispanic civilisation unleashed onto so many indigenous peoples but also on the terrible price they had had to pay and were still paying then. The reflection on slavery in book VIII bears the marks of this denounciation: from chapter twenty-two on, it is Las Casas, the very symbol of tolerance and the defender of the vanquished, who somehow becomes the author’s spokesman against the „[f]éroces Européens“.18 By drawing on his predecessor’s work, Raynal accepts the bishop’s testimony and contributes to rooting the black legend of Spanish colonisation deep into public opinion.19 In this context, the narrator does not miss the opportunity to share Las Casas’s indignation when it comes to berating religious fanaticism20 or warning the political leaders responsible for the conquests as the invocation to the Spanish monarchs at the end of book VIII shows.
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See H80, vol. II, book VII, chap. 6, 138–150, and Klüppelholz, „La représentation de la conquête du Pérou dans l’Histoire des deux Indes“, 200. Hans-Jürgen Lüsebrink, „La critique de la colonisation espagnole dans l’Histoire des deux Indes – discours, enjeux et intertexte“, in: SVEC 7 (2003), 207–208. H80, vol. II, book VIII, chap. 6, 260: „It is not from what we find in the midst of forests, but from what we observe in the centre of polished societies, that we learn to despise and to mistrust mankind.“ H80, vol. II, book VIII, chap. 22, 294. See also the eulogy on Las Casas, beginning with „Ô Las-Casas! tu fus plus grand par ton humanité que tous tes compatriotes ensemble par leurs conquêtes“, which Raynal adds to the third edition of the Histoire (H80, vol. II, book VIII, chap. 23, 298). See Lüsebrink, „La critique de la colonisation espagnole dans l’Histoire des deux Indes“, 210. H80, vol. II, book VIII, chap. 28 and 31.
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Thirdly, this appeal to the mighty sets a counter-discourse which is that of philosophical criticism, taking its distance with classic historical narratives (in this particular case, the conquest of Chile and Paraguay). Monarques Espagnols […] L’avenir ne vous pardonnera que quand les moissons germeront de tant de sang innocent dont vous avez arrosé les campagnes, & qu’il verra les espaces immenses que vous avez décvastés couverts d’habitans heureux & libres. Voulez-vous savoir l’époque à laquelle vous serez peut-être absous de tous vos forfaits? C’est lorsque ressuscitant par la pensée quelqu’un des anciens monarques du Mexique & du Pérou, & le replaçant au centre de ses possessions, vous pourrez lui dire: VOIS L’ÉTAT ACTUEL DE TON PAYS ET DE TES SUJETS; INTERROGE-LES ET JUGE VOUS.21
Raynal fulfils both the role of the prosecutor and the judge while the monarchs are put on trial and expected to atone for their crimes. A dialogical space seems nonetheless to loom between the monarchs and their victims, an imaginary transfer which would reverse the roles and the established balance of power: the violence of acts would be replaced by the violence of words and, to the European, especially Spanish, verdict sentencing the Other to silence and submission, would succeed not only his right to speak but also to have the European conquerors judged.22
Here are gathered the major axes of anti-colonialism of the Histoire, balancing between a tragic image of the past and a positive vision of the future. Moving beyond its own framework (the account of past facts), colonial history by Raynal „finds its place in the vast field of political criticism and philosophical reflection“.23 As the books about Spanish America show, the general meaning of the Histoire lies on the intertwining of several narrative levels. Under the abbé’s pen, the historical discourse is often interrupted by all sorts of interventions and debates. It is sometimes as a fierce polemicist, sometimes 21
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H80, vol. II, book VIII, chap. 35, 356: „Spanish monarchs […] Posterity will not forgive you, till harvests shall arise in those fields which you have manured with so much innocent blood; and till those immense spaces which you have laid waste shall be covered with happy and free inhabitants. If ye would know the period in which you may perhaps be absolved of all your crimes, it will be when you shall revive, in idea, some one of the ancient monarchs of Mexico and Peru, and placing him in the midst of his possessions, shall be able to say to him, BEHOLD THE PRESENT STATE OF YOUR COUNTRY AND OF YOUR SUBJECTS; INTERROGATE THEM AND FORM YOUR JUDGMENT OF US.“ Lüsebrink, „La critique de la colonisation espagnole dans l’Histoire des deux Indes“, 207. Yves Terrades, „Le discours d’historien chez Raynal“, in: Raynal et ses réseaux, ed. Gilles Bancarel, Paris: Honoré Champion 2011, 69.
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as an enlightened mentor that the author intervenes in his own work. In the pages on Spain, we are the witnesses to what Goggi describes as „the relationship between the eloquence of a history book and the staging of the past“,24 to a sort of rhetorical drama25 whose purpose is to enlighten the public and the most powerful people on Earth. On the stage of horrors, Raynal succeeded in painting the tragedy of the vanquished throughout a narrative which bends, when necessary, the historic data. The processing of sources, as we could see, embodies this tension, unveiling the narrator’s ideological orientation as regards the topics he deals with: reading amounts to primarily and widely indict the Spaniards. A coded text with a complex structure, the Histoire des deux Indes is above all the work of a philosopher outlining the main debates of anti-colonialism in the Age of Enlightenment.
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Gianluigi Goggi, „Quelques remarques sur la collaboration de Diderot à la première édition de l’Histoire des deux Indes“, in: Lectures de Raynal, op. cit., 34. Manfred Tietz describes the Histoire of 1780 as „hautement rhétorique“ and full of a „pathétique humanitaire“ („La vision corrélative de l’Espagne et du Portugal dans les trois versions de l’Histoire des deux Indes (1770, 1774, 1780)“, in: L’Histoire des deux Indes: réécriture et polygraphie, op. cit., 269).
Sektion III Projektionen
Yarico, Pocahontas, Malinche
Das Phantasma der indianischen Frau in deutschsprachigen Texten Michael Hofmann Die germanistische interkulturelle Literaturwissenschaft hat sich seit ihrer Etablierung vornehmlich mit kulturellen Konstellationen befasst, die sich auf Länder und Regionen wie die Türkei und den Nahen Osten oder Afrika beziehen. Neuere Forschungen befassen sich mit der Südsee und dem Fernen Osten und der in diesen Regionen vorzufindenden deutschen kolonialen Vergangenheit. Mit der Etablierung einer postkolonialen germanistischen Literaturwissenschaft rücken Fragen des Kolonialismus und der Beziehungen der deutschsprachigen zu außereuropäischen Kulturen in den Blickpunkt. Allerdings steht Amerika und speziell das ehemals kolonisierte Mittelund Südamerika in sehr geringem Maße im Fokus des germanistischen Interesses. Der vorliegende Beitrag will deshalb zeigen, dass gerade im Zuge der aktuellen Phase der Globalisierung auch ‚Amerika‘ unter interkulturellen und postkolonialen Gesichtspunkten von Interesse für die interkulturelle germanistische Literaturwissenschaft ist. 1.
Interkulturelle und postkoloniale Literaturwissenschaft
Der interkulturellen Literaturwissenschaft geht es um die Analyse der Gestaltung kultureller Differenzen in der Literatur.1 Kulturelle Differenzen sind ein prägendes Thema unserer globalisierten Welt und Literatur kann Modelle zur Reflexion und möglicherweise sogar zur Bewältigung von Problemen im Umgang mit kultureller Differenz bereitstellen. Dabei ist eine Überwindung homogener Kultur-Konzepte von ebenso grundlegender Bedeutung wie die Analyse kultureller Vermischungen und Hybriditäten. Indem Literatur durch eine „poetische Alterität“ (Norbert Mecklenburg) gekennzeichnet ist, bietet sie eine Einübung in die Erfahrung von Alterität und Differenz, die sie zu einer Lehrmeisterin im Umgang mit der kulturellen Differenz macht. Migrationsliteratur, Exilliteratur, Literatur kultureller Minderheiten sind privilegierte 1 Vgl. Michael Hofmann, Interkulturelle Literaturwissenschaft. Eine Einführung, Paderborn: Fink 2006, und Norbert Mecklenburg, Das Mädchen aus der Fremde. Germanistik als interkulturelle Literaturwissenschaft, München: Iudicum 2008.
© Brill Fink, 2022 | doi:10.30965/9783846766361_010
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Gegenstände der interkulturellen Literaturwissenschaft, aber auch die Analyse des interkulturellen Potentials kanonischer Literatur. Die Postkoloniale Literaturwissenschaft, die auf Anregungen der angloamerikanischen Postcolonial Studies zurückgeht, verweist darauf, dass die Begegnung zwischen Kulturen im Allgemeinen nicht auf einer gleichberechtigten Ebene erfolgt, sondern durch Herrschaft geprägt ist, die häufig auf (neo-)koloniale Konstellationen zurückgeht.2 Wichtige Fragestellungen sind und waren hier die Analyse des ‚Orientalismus‘ (Edward Said), Studien zur Hybridität, zur Mimikry und zum Dritten Raum (Homi K. Bhabha) sowie das Problem der Sprache des/der Subalternen (Gayatri Chakravorty Spivak). Postkoloniale Studien zur deutschsprachigen Literatur zeigen die Wirkungskraft des deutschen Kolonialismus vor allem für die Mentalitätsgeschichte des Kaiserreichs,3 aber auch dessen intensive Nachgeschichte im Rahmen eines „Kolonialismus ohne Kolonien“ und die Teilhabe an einem eurozentrischen implizit kolonialen Diskurs; gleichzeitig ist für die deutsche Literatur eine Öffnung gegenüber ‚orientalischen‘ Kulturen zu konstatieren (Lessing, Romantik, Goethe, Rückert). Wichtig für aktuelle Überlegungen der germanistischen Literaturwissenschaft ist die Einsicht in die Bedeutung interkultureller Konstellationen für die Analyse deutschsprachiger Literatur. Ausgangspunkt für die Entwicklung dieses Interesses waren interkulturelle Aspekte der sogenannten ‚Migrationsliteratur‘. In weitergehender Hinsicht lässt sich das Projekt einer Geschichte der deutschsprachigen Literatur in interkultureller Perspektive skizzieren, das kanonische Texte wie Wolframs Parzival, Lohensteins Türkische Trauerspiele, Goethes West-östlicher Divan, Manns Tod in Venedig und Grass’ Blechtrommel umfassen könnte. Des Weiteren finden wir im deutschsprachigen Raum ein großes Potential an postkolonialer Gegenwartsliteratur, das sich etwa in Texten wie Uwe Timms Morenga, Michael Roes’ Leeres Viertel, Iliya Trojanows Der Weltensammler und Thomas Stangls Der einzige Ort zeigt, dabei aber eine klarere Priorität für Afrika und den ‚Orient‘ erkennen lässt. Nur sporadisch, aber dann doch mit interessanten Perspektiven wird Lateinamerika in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur bei Autoren wie Hubert Fichte, Heiner Müller (Der Auftrag), Hans Christoph Buch4 und Uwe Timm (Der Schlangenbaum) behandelt. 2 Vgl. zur Diskussion in Deutschland Postkoloniale Germanistik. Bestandsaufnahme, theoretische Perspektiven, Lektüren, hrsg. v. Gabriele Dürbeck, Axel Dunker, Bielefeld: Aisthesis 2014, und Handbuch Postkolonialismus und Literatur, hrsg. v. Dirk Göttsche, Axel Dunker, Gabriele Dürbeck, Stuttgart, Weimar: Metzler 2017. 3 Vgl. Mit Deutschland um die Welt. Eine Kulturgeschichte des Fremden in der Kolonialzeit, hrsg. v. Alexander Honold, Klaus R. Scherpe, Stuttgart, Weimar: Metzler 2004. 4 Vgl. hierzu mit Bezug auf Haiti Herbert Uerlings, Poetiken der Interkulturalität. Haiti bei Kleist, Müller, Buch und Fichte, Tübingen: Niemeyer 1997.
Yarico, Pocahontas, Malinche
2.
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‚Amerika‘ und ‚Neue Welt‘ in der deutschsprachigen Literatur
In der Frühen Neuzeit lässt sich ein allgemein europäisches Interesse an der ‚Entdeckung‘ Amerikas und der Kolonialisierung des Kontinents erkennen. Dabei sind deutsche Akteure in geringem Masse beteiligt; Deutschland nimmt vornehmlich eine Art Beobachterstatus ein. Dennoch stoßen Nachrichten von ‚Entdeckungen‘ und Reisen in bisher unbekannte Länder und Regionen auch im deutschsprachigen Raum auf großes Interesse. Intensiveren Kontakt zwischen dem deutschsprachigen Raum und Amerika gab es erst durch massive deutsche Auswanderung (besonders in die USA) vor allem im 19. Jahrhundert; hier wurde die Relevanz für die Literatur (auch des Realismus) bereits von der sozialgeschichtlich orientierten Literaturwissenschaft der 1980er Jahre gut erforscht.5 Eine weitere Kontaktzone zwischen deutscher und amerikanischer Kultur ergab sich durch das antifaschistische Exil in den USA und Lateinamerika in den Jahren 1933–1945ff. Blicken wir auf kanonische Texte der deutschsprachigen Literatur mit Bezug auf Lateinamerika, so finden sich bekannte Texte wie Gellerts Inkle und Yarico, Kleists Verlobung in St. Domingo, Döblins Amazonas, Seghers’ Ausflug der toten Mädchen und Timms Der Schlangenbaum – das ist ein interessantes, aber doch überschaubares Corpus (das natürlich noch durch andere Texte ergänzt werden könnte).6 Vor diesem Hintergrund ist auch mit Blick auf die deutschsprachige Kultur und Öffentlichkeit eine postkoloniale Perspektive notwendig. Wie unser späterer Blick auf Gellerts Inkle und Yarico exemplarisch zeigt, ist der deutsche Blick auf (Mittel- und Süd-)Amerika von einer starken Ambivalenz gekennzeichnet, indem einerseits Kritik an Auswüchsen kolonialer Herrschaft geübt wird, gleichzeitig aber zumindest implizit eine Art europäische Solidarität bzw. Komplizentum deutlich wird. Und vor allem ist eine Teilhabe an europäischen ‚Männerphantasien‘ im Blick auf das hier zu untersuchende Phantasma der indianischen Frau unzweifelhaft vorhanden. Die indianische Frau – so soll gezeigt werden – ist ein Phantasma auch der deutschen Literatur, weil sich in ihm Vorstellungen von ‚Natürlichkeit‘, ‚Wildheit‘ und gleichzeitig Gefälligkeit verbinden, die offenbar insbesondere Dispositionen deutscher Männlichkeit in positiver Weise zu entsprechen vermögen.
5 Vgl. Amerika in der deutschen Literatur. Neue Welt, Nordamerika, USA, hrsg. v. Sigrid Bauschinger u.a., Stuttgart: Reclam 1982. 6 Vgl. exemplarisch die Paderborner Dissertation von Kora Busch, Paul Zechs Exilwerk. Zwischen postkolonialer Anerkennung und exotistischer Vereinnahmung indigener Völker Lateinamerikas, Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang 2017.
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Michael Hofmann
Methodische Aspekte der Postkolonialen Kritik
Methodischer Kern der Postkolonialen Kritik ist die kontrapunktische Lektüre, die Edward Said in Culture and Imperialism entwickelt und die Axel Dunker für die germanistische Literaturwissenschaft etabliert hat.7 In der kontrapunktischen Lektüre geht es zunächst darum, in scheinbar unpolitischen Texten der kanonischen europäischen Literatur Spuren kolonialen Denkens und kolonialer Mentalität herauszufiltern und dann (möglicherweise) in einem zweiten Schritt in den kolonial determinierten Texten Spuren der Stimmen, der Kultur und des Begehrens des Kolonialisierten aufzuspüren. Während der Orient-Diskurs den ‚Orient‘ als Raum alter Weisheit, aber gegenwärtiger Stagnation und Perspektivlosigkeit konstruiert, wird im Afrika-Diskurs ‚wilde Natur‘ als Kennzeichen der Afrikaner verstanden. Im Lateinamerika-Diskurs, so meine These, finden wir etwas dem Afrika-Diskurs Vergleichbares, wobei der patriarchalische Diskurs über die ‚sanften Wilden‘ diese als friedlich und weniger bedrohlich als die Afrikaner beschreibt. Eine Vereinigung von Kolonialherr und Kolonialisierten als illusionäre Harmonie wird dabei in kolonialer und Genderperspektive als eine Art „erpresste Versöhnung“ (Adorno) konstruiert. Insgesamt zeigt die Analyse von Genderperspektiven in der postkolonialen Perspektive generell eine Analogie zwischen kolonialer Herrschaft und konventionellem Genderdiskurs; so hat der ‚Orient‘ eine weibliche Konnotation und die koloniale Eroberung wird häufig als ein sexueller Akt imaginiert (hierzu finden wir Analogien in Bezug auf Afrika). Möglicherweise ist die amerikanische Perspektive besonders interessant für die Frage nach dem Verhältnis von Empfindsamkeit und Gender, indem eine Unterordnung des Weiblichen im Sinne sanfter Emotionalität der Frau bei gleichzeitiger postulierter Hochschätzung des ‚Weiblichen‘ praktiziert wird. Das Phantasma der ‚edlen Wilden‘, das wir in Bezug auf Lateinamerika finden, könnte insofern als eine Herausforderung des europäischen Denkens verstanden werden, als wir eine Ambivalenz zwischen einer Angleichung an den Empfindsamkeitsdiskurs und der Herstellung eines neuen (das ‚Wilde‘ integrierenden) Weiblichkeit-Modells (das aber hierarchisch bleibt) erkennen.
7 Vgl. Edward Said, Kultur und Imperialismus. Einbildungskraft und Politik im Zeitalter der Macht, Frankfurt am Main: Fischer 1994 (i.O. Culture and Imperialism, New Xork: Knopf 1994), und Axel Dunker, Kontrapunktische Lektüren. Koloniale Strukturen in der deutschsprachigen Literatur des 19. Jahrhunderts, München: Fink 2008.
Yarico, Pocahontas, Malinche
4.
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Christian Fürchtegott Gellert: Inkle und Yarico
Gellerts Verserzählung erschien zuerst 1746 in einer Sammlung von Fabeln und Erzählungen. Gellert berief sich auf eine Quelle, denn Richard Steele hatte die rührende Geschichte zuerst 1711 in The Spectator aufgegriffen. Damit ist die implizite Auffassung verbunden, dass wir es mit einer ‚wahren‘, durch Fakten verbürgten Geschichte zu tun haben.8 Es handelt sich also um einen populären Stoff mit Bezug zu „dem implizierten aufklärerischen Paradigma von der natürlichen ethischen Erkenntnisfähigkeit und Verhaltensdisposition des Menschen“,9 der sich in der ‚edlen Wilden‘ Yarico zeigt. Der Text gestaltet „die empfindsame Opposition zwischen Herz und Liebe auf der einen und Verstand, Berechnung, Kalkül auf der anderen Seite“,10 wobei der besondere Akzent Gellerts darin liegt, dass er die Gefühllosigkeit des Engländers betont. Bei der Darstellung Yaricos ergeben sich durchaus Fragen an das empfindsame Weiblichkeitsideal, das eher von der Keuschheit und Tugend der Frau(en) ausgeht und hier eine Sinnlichkeit und Begehren durchaus nicht verbergende weibliche Figur positiv darstellt. Der schiffbrüchige Engländer Inkle, ein Kaufmannssohn, wird auf einer einsamen Insel von Yarico gerettet: Ein plötzliches Geräusch erschreckt sein schüchtern Ohr. Ein wildes Mädchen springt aus dem Gebüsch hervor, Und sieht mit schnellem Blick den Europäer liegen. Sie stutzt. Was wird sie thun? Bestürzt zurücke fliegen? O nein! so streng und deutsch sind wilde Schönen nicht. Sie sieht den Fremdling an; sein rund und weiß Gesicht, Sein Kleid, sein lockigt Haar, die Anmuth seiner Blicke Gefällt der Schönen wohl, hält sie mit Lust zurücke. (71)
Mit einem gewissen ironischen Ton wird eine Differenz zwischen dem europäischen Empfindsamkeitsideal und der Einstellung bemerkt, welche die „wilde Schöne“ an den Tag legt. Die rhetorischen Fragen dieser Passage erhöhen die Spannung, die sich in dieser ‚first contact scene‘ ergibt, ohne dass ein bedrohliches Szenario entwickelt würde: 8
9 10
Alle Informationen und Hinweise zur Interpretation finden sich in folgender Ausgabe: Christian Fürchtegott Gellert, Gesammelte Schriften, Bd. 1: Fabeln und Erzählungen, hrsg. v. Ulrike Bardt, Bernd Witte, Berlin, New York: de Gruyter 2000, 289. Zitate aus Inkle und Yarico nachfolgend unter Angabe der Seitenzahl im fortlaufenden Text. Ebd. Ebd.
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Michael Hofmann Auch Inklen nimmt dieß Kind bei wilder Anmuth ein. Unwissend in der Kunst, durch Zwang verstellt zu seyn, Verräth sie durch den Blick die Regung ihrer Triebe; Ihr Auge sprach von Gunst, und bat um Gegenliebe. Die Indianerinn war liebenswert gebaut. Durch Mienen redt dieß Paar, durch Mienen wirds vertraut. Sie winkt ihm mit der Hand, er folget ihrem Schritte. Mit Früchten speist sie ihn in einer kleinen Hütte. (Ebd.)
Analog zu rousseauistischen Denkmustern wird die Aufrichtigkeit der ‚Wilden‘ und ihre Unfähigkeit, ihre wahren Gefühle zu verbergen, durchaus positiv bewertet. Die nonverbale Kommunikation zwischen dem europäischen Reisenden und der einheimischen Schönen verläuft unproblematisch. Es kommt dazu, dass der schiffbrüchige Europäer von der Schönen aufgenommen wird und dass sie in einem harmonischen Konkubinat zusammenleben. Dann reisen sie gemeinsam auf eine andere Insel und hier geschieht das für die empathisch gestimmten Leser (und die Leserinnen) eigentlich Unvorstellbare: Inkle denkt an das bisherige ökonomische Desaster seiner Reise und nimmt sich deshalb vor, seine Partnerin als Sklavin zu verkaufen: Wo Inkle ganz bestürzt sein Schicksal überdachte, Als schnell in seiner Brust der Kaufmannsgeist erwachte. Er kam mit leerer Hand aus Indien zurück; Dieß war für seinen Geiz ein trauriges Geschick. So hab ich, fieng er an, um arm zurück zu kommen, Die fürchterliche See, mit Müh und Angst, durchschwommen? Er stillt in kurzer Zeit den Hunger nach Gewinn, Und führt Yariko zum Sklavenhändler hin. Hier wird die Dankbarkeit in Tyranney verwandelt, Und die, die ihn erhielt, zur Sclaverey verhandelt. (72)
Es ist zu bedenken, dass sich mit der Rückkehr in die ‚Zivilisation‘ die Machtverhältnisse zwischen Inkle und Yarico in dramatischer Weise verändert haben: Als der Engländer auf das karibische Eiland der jungen Schönen kam, war er auf ihre Hilfe angewiesen. Jetzt sind sie im Reich des Seehandels und der internationalen Kontakte angekommen, in dem – wie sich herausstellt – nicht mehr die Gesetze von Sympathie und Menschlichkeit gelten, sondern die unmenschlichen Regeln des Frühkapitalismus, die auch Menschen zu Waren machen und um des Profits willen Menschen die Freiheit rauben. Yarico ihrerseits vertraut im Grunde auf die Liebe, die sich zwischen ihr und dem Fremden entwickelt hat, und bestürmt den verräterischen Partner mit Argumenten eben der Liebe und der Sympathie:
Yarico, Pocahontas, Malinche
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Sie fällt ihm um den Hals, sie fällt vor ihm aufs Knie, Sie fleht, sie weint, sie schreit. Nichts! Er verkaufet sie. Mich, die ich schwanger bin, mich! fährt sie fort zu klagen. Bewegt ihn dieß? Ach ja! Sie höher anzuschlagen. Noch drei Pfund Sterling mehr! Hier, spricht der Brite froh, Hier, Kaufmann, ist das Weib, sie heißt Yariko! (Ebd.)
Die Spannung und Dramatik der Erzählung steigern sich, indem die Leserinnen und Leser erfahren, dass Yariko ein Kind von Inkle erwartet. Die Einsicht in seine kommende Vaterschaft bewirkt aber bei dem Kaufmannssohn keine Veränderung seiner treulosen und inhumanen Haltung, sondern verstärkt diese sogar noch. Hierauf erfolgt ein deutlicher Kommentar der Erzählstimme, durch den eine klare moralische Verurteilung des Europäers erfolgt: O Inkle! du Barbar, dem keiner gleich gewesen; O möchte deinen Schimpf ein jeder Welttheil lesen! Die größte Redlichkeit, die allergrößte Treu Belohnst du, Bösewicht! noch gar mit Sklaverey? Ein Mädchen, das für dich ihr eigen Leben wagte, Das dich dem Tod entriß, und ihrem Volk entsagte, Mit dir das Meer durchstrich, und, bey der Glieder Reiz, Das beste Herz besaß, verhandelst du aus Geiz? Sey stolz! Kein Bösewicht bringt dich um deinen Namen. Nie wird es möglich seyn, dein Laster nachzuahmen. (72f.)
Wie wird also das Phantasma der indianischen Frau in diesem ersten Beispiel konstruiert und präsentiert? Auf einer ersten, vordergründigen Ebene findet sich eine Haltung, die klar gegen den Europäer Partei ergreift, ihm und nicht der ‚Wilden‘ das Schimpfwort „Barbar“ zuweist und den Sklavenhandel im Blick auf das konkrete Beispiel aus moralischen Gründen kritisiert. Ein zweiter Blick im Sinne der kontrapunktischen Lektüre kommt demgegenüber zu dem Ergebnis, dass der Text aus dem Geist einer patriarchalischen Denkweise und aus einer Haltung heraus spricht, die europäische Überlegenheit voraussetzt und die amerikanische Frau eher als Objekt europäischen Handelns und nicht als autonomes Subjekt konzipiert. Die wiedergegebene Rede der Yarico an den treulosen Inkle hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck: Wir hören von der nur zu gut nachvollziehbaren Wut und Empörung der jungen Frau; diese wird aber nicht zu einem Individuum, das wir durch eine charakteristische Rede zu identifizieren vermögen, sondern bleibt letztlich schemenhaft. Mit Bezug auf Gayatri Spivaks Frage: „Can the Subaltern speak?“ ist festzustellen, dass die nicht-europäische Frau zwar in gewissem Sinne zum Identifikationsobjekt der Leser*innen wird, dass sie aber dennoch fremd bleibt und kein
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Innenleben und erst recht kein individuelles Profil gewinnt. Sie erinnert an die tahitianischen Jungfrauen Gauguins, die freundlich, etwas melancholisch, aber letztlich unnahbar auf den Betrachter blicken. Yarico spricht nicht wirklich selbst, sondern für sie spricht der Erzähler, der anders als sie in der Lage zu sein scheint, die Kritik an Inkle argumentativ zu begründen. Yarico ihrerseits wird im Text in gewissem Sinne zur stummen Zeugin einer empfindsamen Kapitalismuskritik, die aber weniger das System der Ausbeutung denunziert als vielmehr die moralische Beschaffenheit des Einzelnen (Inkle). Sogar Sklavenhandel und Kolonialismus werden nicht als System von Ausbeutung kritisiert; vielmehr liegt der Akzent der im Text geübten Kritik an der Denunziation des individuellen Verhaltens, das der Europäer nach einer überwundenen Schwächung durch den Schiffbruch an den Tag legt. Im Hinblick auf Yarico bildet sich somit in der Erzählung eine Leerstelle, die damit zusammenhängt, dass die amerikanische ‚Wilde‘ nicht in das System des europäischen Diskurses integriert wurde und somit im Sinne Gayatri Spivaks als Subalterne stumm geblieben ist. Dies hat aber der Attraktivität von Gellerts Text keinen Abbruch getan, was darauf schließen lässt, dass zum Phantasma der indianischen Frau deren Aktivität und Wirkmächtigkeit als autonomes Subjekt gerade nicht gehört und dass eine gewisse Passivität und Unbestimmtheit gerade einen Teil dieses Faszinosums darstellt. Das Phantasma der indianischen Frau beruht nicht auf einer wirklichen Öffnung gegenüber der Fremden und einem echten Interesse an deren Lebensumständen und Erfahrungen; es ist vielmehr als Projektion des europäischen Mannes zu verstehen, der im Sinne eines exotistischen Begehrens die fremde Frau als begehrenswert imaginieren kann (wobei sie sogar weniger keusch und züchtig sein darf als die europäischen empfindsamen Frauen). Yarico bleibt eine schöne wilde Fremde, ohne dass wir etwas Genaueres über sie wissen und ohne dass sich jemand für dieses genauere Wissen über sie interessiert hätte. 5.
The Empire Writes Back. Beryl Gilroy: Inkle and Yarico (1996)
Der Fribourger Germanist Arnd Beise hat in einer überzeugenden Analyse dargelegt, dass und wie eine zeitgenössische Autorin aus der Karibik sich gerade für die Geschichte von Inkle und Yarico interessiert hat.11 Im Sinne der hier 11
Vgl. Arnd Beise, „The narrative … I cannot tell. Beril Gilroy überschreibt die Geschichte von Inkle und Yarico“, in: Räume der Hybridität. Postkoloniale Konzepte in Theorie und Literatur, hrsg. v. Christof Hamann, Cornelia Sieber, Hildesheim u.a.: Olms 2002, 213–234 (dort auch die Textzitate).
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skizzierten Logik der Sache stellt sich die karibische Autorin Beryl Gilroy in postkolonialer Perspektive der Herausforderung, dass Yarico als eine der Indigenen der karibischen Region in der europäischen Erzählung genauso dargestellt wie auch wieder verborgen erscheint.12 Yarico spricht und sie spricht doch nicht und sie ist im kulturellen Gedächtnis der Karibik nur als Leerstelle präsent. Wenn man aber nun erwarten würde, dass die mittelamerikanische Autorin von heute die Idee entwickelt hätte, eine Erzählung aus der Perspektive Yaricos zu schreiben, so unterliegt man einem fundamentalen Irrtum. Denn die indigene Bevölkerung der Karibik ist zu einem überwiegenden Teil ausgerottet worden und die heutigen Bewohner der Karibik, auch die nichteuropäischer Herkunft, können sich nicht als Nachfahren Yaricos begreifen. Auch eine Gegenwartsautorin der Karibik, so zeigt der eindrucksvolle Text von Beryl Gilroy, kann nicht die Perspektive Yaricos einnehmen; sie intensiviert vielmehr das Bedürfnis nach dem Füllen der Leerstelle. Die postkoloniale Perspektive besteht nicht in einer Wiedergewinnung des präkolonialen oder von der Kolonialisierung betroffenen Subjekts, sondern darin, die Einseitigkeit einer Überlieferung der Sieger bewusst zu machen und das Verborgene hinter den Phantasmen nicht zu erkennen, sondern zu erahnen. So ist es auch in dem zeitgenössischen Text nicht Yarico, die spricht, sondern Inkle erzählt seine Geschichte noch einmal – und die Autorin imaginiert seine karibische Karriere nach dem Verkauf der Gefährtin. Er integriert sich in die „Upperclass“ von Barbados, kann jedoch die sieben Jahre unter den Kariben nicht vergessen; ein „irreduzibler Prozess der Hybridisierung“ hat ihn geprägt: „I had learned both from my father and from the Caribes“13. Aber die persönliche Schuld und das Komplizentum im Blick auf das System der Sklaverei und des Kolonialismus haben bei ihm Spuren hinterlassen, die sich in dem Bild der verschwundenen Yarico gewissermaßen materialisieren. Das abwesende Bild der betrogenen und zum Handelsobjekt degradieren indianischen Frau verfolgt den europäischen Mann wie Hamlet der Geist seines Vaters. So ruft Inkle am Ende des Romans aus: „as for Yarico, what is she now in my scheme of things: I cannot tell, I cannot tell“.14 So zeigt die Geschichte von Inkle und Yarico mit ihrer empfindsamen Inszenierung durch den deutschen Dichter Gellert und ihrer postkolonialen Umschreibung durch die karibische Schriftstellerin Gilroy, dass das Phantasma der indianischen Frau in seiner europäischen Darstellung einerseits durchaus Aspekte der Wertschätzung und des Respekts vermittelt, dass aber die 12 13 14
Vgl. Beryl Gilroy, Inkle & Yarico, Leeds: Peepal Tree Press 1996. Ebd., 131. Ebd., 157.
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moralisierende Kritik an der ökonomischen Verdinglichung der indianischen Frau unzureichend bleibt, indem der Text nämlich die schöne Fremde ebenfalls zum Objekt macht, sich nicht für sie als Menschen interessiert und sie damit letztlich zum Objekt europäisch-männlichen Begehrens macht. Es geht dabei nicht darum, den empfindsamen Autor Gellert in seiner Verhaftung an das europäische Denken des 18. Jahrhunderts zu denunzieren; es geht nur darum, die Ambivalenz des Phantasmas der indianischen Frau und seine Verstrickung in koloniale und eurozentrische Denkmuster zu reflektieren. In methodischer Hinsicht zeigt sich, dass im Kontext einer interkulturellen und postkolonialen germanistischen Literaturwissenschaft eine Kontrastierung deutschsprachiger Texte mit relevanten Texten anderer Sprachen und Kulturen fruchtbar sein kann, weil sie unsere Einsichten in die eurozentrischen Begrenzungen unseres Kanons und auch unseres gegenwärtigen Denkens unterstützen und verstärken. Methodisch kann hier mit Leo Kreutzer von einem „Doppelblick“ gesprochen werden, der uns hilft, die Implikationen und Begrenzungen des deutschen und europäischen Blicks zu erkennen und über die Bedingungen echter Öffnung gegenüber dem Anderen zu reflektieren.15 Der karibische Text ist dabei – wie wir gezeigt haben – sehr weit von einer naiven Auffassung entfernt, die sich zutrauen würde, aus heutiger Sicht eine einfache Einfühlung in eine der Verliererinnen der Geschichte zu organisieren. Die Beschäftigung mit dem gesamten Textkomplex Inkle und Yarico, den wir hier mit den exemplarischen Texten von Gellert und Gilroy betrachtet haben, kann dazu führen, dass Europäer und Nicht-Europäer gemeinsam an einem kulturellen Gedächtnis arbeiten, das sowohl die Seiten der Faszination und Attraktion erkennt, die bei der Begegnung zwischen Europäern und Amerikaner(innen) wirksam waren, das aber die Problematik der Phantasmen und die inhumanen Aspekte der Kolonialgeschichte im Auge behält und die Leerstellen reflektiert, die aufgrund der Gewaltgeschichte in dem gemeinsamen Gedächtnis verbleiben. 6.
Pocahontas
Die Beschäftigung mit dem Phantasma der indianischen Frau führt uns im Folgenden nach Nordamerika, wo es eine hochberühmte Indianerin gibt, die im kollektiven Gedächtnis der Vereinigten Staaten und speziell des US-Staates Virginia eine bedeutende Rolle spielt und die mit der Disney-ZeichentrickVerfilmung auch in der Populärkultur eine umfassende Wirkung entfaltete. 15
Vgl. Leo Kreutzer, Goethe in Afrika. Die interkulturelle Literaturwissenschaft der ‚École de Hanovre‘ in der afrikanischen Germanistik, Hannover: Wehrhahn 2009.
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Die Rede ist von der ‚Indianerprinzessin‘ Pocahontas, die sich, so die auch in diesem Fall recht gut verbürgte Legende, gegen die Regeln ihres ‚Stammes‘ gestellt und den weißen Siedler damit vor dem Tode gerettet haben soll.16 Wir rekonstruieren kurz die historischen Grundlagen der Geschichte: 1596 wird Pocahontas als Tochter von Powhatan, einem mächtigen Regenten über mehrere indianische Gemeinschaften, geboren. 1607 rettet sie dem Siedler John Smith das Leben, als dieser von Powhatan zum Tode verurteilt wurde und mit einem Beil erschlagen werden sollte. 1613 wird sie von den Engländern als Geisel genommen, 1614/15 heiratet sie John Rolfe, einen Gefährten von John Smith, und ihr Sohn Thomas wird geboren. An diese Geburt knüpfen sich allerlei Phantasien von Hybridisierung und ‚Gründung‘ einer amerikanischen Mischbevölkerung, was zur Folge hat, dass sich heute noch viele Familien in Virginia auf die Abstammung von Pocahontas berufen. 1616 wird sie am englischen Hof empfangen; 1617 stirbt sie in England. Dass sie am britischen Hof empfangen wurde, gehört zu den hochambivalenten Seiten dieser Geschichte, denn der Respekt, der ihr gezollt wurde, soll zumindest teilweise auf der Furcht beruht haben, sie könne eben als ‚Indianerprinzessin‘ mit dem amerikanischen Siedler eine neue Dynastie gründen und damit zu einer Rivalin der britischen Krone werden. Insgesamt zeigt der Überblick über die historische Überlieferung, dass die indianische Frau in diesem Narrativ zwar besser zu erkennen ist als Yarico in der ersten Geschichte. Dass ihr die Begegnung mit den Engländern aber letztlich auch nicht gut bekommen ist, erscheint evident. Es ist auf den ersten Blick zu erkennen, dass Pocahontas wegen ihrer Rettung des weißen Siedlers bewundert wird (wobei die Legende hinzufügt, sie habe dies natürlich getan, weil sie in John Smith verliebt gewesen sei …), dass sie aber von den Weißen schlecht behandelt wurde: indem sie als Geisel genommen wurde, indem John Smith sie einem anderen Weißen ‚übergeben‘ hat (hier handelt es sich um eine erstaunliche Parallele zu der mexikanischen Malinche und deren Erfahrungen mit dem Konquistador Cortés, wie wir noch sehen werden!) und indem sie in England schließlich offenbar wegen des fremden Klimas elendig erkrankte und verstarb. Dies hinderte freilich zahlreiche Autoren nicht daran, die Figur und ihre Geschichte zu idealisieren. Wir zeigen im Folgenden, wie das Phantasma der indianischen Frau in Bezug auf Pocahontas klar an Konturen gewinnt, weil wir hinter den Legenden zumindest eine Persönlichkeit zu erkennen meinen, wie aber auch die relativ starke Figur der Pocahontas in den verschiedenen Transformationen ihrer Geschichte immer wieder männlichen 16
Vgl. zu Pocahontas umfassend Pocahontas revisited. Kulturwissenschaftliche Ansichten eines Motivkomplexes, hrsg. v. Sabine Kyora, Uwe Schwagmeiner, Bielefeld: Aisthesis 2005.
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Deutungsmustern unterliegt, die eurozentrische und kolonialistische Konnotationen nicht verbergen können. Das Textcorpus zeigt eine erstaunlich engagierte deutschsprachige Auseinandersetzung mit dem Gegenstand des Interesses; es findet sich ein deutschsprachiger amerikanischer Text und eine Pocahontas-Diskussion in der deutschsprachigen Gegenwartskultur, die hier in ihren Grundzügen skizziert werden soll. 7.
Johann Straubenmüller: Pocahontas, oder: Die Gründung von Virginien
Der erste uns interessierende Text ist wieder eine Verserzählung, die 1858 von dem Deutsch-Amerikaner Johann Straubenmüller (1814–1897) verfasst und publiziert wurde. Wir können von der affirmativen Übernahme eines patriotischen Pocahontas-Mythos in deutscher Sprache ausgehen. Der Untertitel der Verserzählung verweist darauf, dass die Rettung John Smiths als Gründungsakt von Virginia und damit tendenziell auch der USA insgesamt verstanden wird; dies bewirkt eine Mythisierung der Geschichte, die an die Legenden von der Entstehung Roms denken lässt. Wie wir bereits angedeutet haben, ist der entscheidende Aspekt der Überlieferung zunächst die Hypothese, dass Pocahontas den englischen Mann aus Liebe gerettet habe. Des Weiteren erlaubt die Anrede „hohe Jungfrau“ an Pocahontas Assoziationen mit der Jungfrau Maria, wodurch der mythisierende und pseudo-religiöse Charakter der Darstellung umso deutlicher wird: Du hohe Jungfrau von Virginia! Ich möchte es jubelnd allen Menschen sagen, Wie du in Lieb’ die neue Welt getragen, Du Schmerzensmutter von Amerika!17
Die Anspielung auf die ‚schmerzensreiche‘ Mutter des christlichen Erlösers erscheint insofern gesucht und bemüht, als Pocahontas ja nicht die Schmerzen der ‚Gottesmutter‘ mit dem Verlust eines Sohnes erleiden musste. Aber nicht nur religiös-mythische Anspielungen finden sich in dem Text; vielmehr beansprucht dieser durchaus auch, von einem aufklärerischen Geist getragen zu sein. Wir erkennen eine Anspielung an Schillers Hymne An die Freude und damit den Anspruch des Deutsch-Amerikaners, dass die amerikanische 17
Alle Textzitate nach Stephan Kraft, „Pocahontas deutsch. Von Versuchen eine Geschichte zu erzählen“, in: Pocahontas revisited, op. cit., 15–61, hier und im Folgenden 42–44.
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Allianz zwischen der Indianerin und dem weißen Siedler die Grundlage für eine Erneuerung und Weiterführung der europäischen Aufklärung darstellen könnte. Anschaulich und spannend wird der Kern der Geschichte erzählt, die Rettung des John Smith durch Pocahontas: Gesagt, gethan. – Das Steingewicht Liegt aufgethürmet zum Gericht von starken Armen roh erfaßt Führt man herbei des Weißen Last. Schon liegt sein Haupt auf dem Gestein! Schon bricht des Todes Nacht herein! Powhattan selbst mit Leidenschaft Holt aus zum Streich der Keule Kraft Da lähmt der Schrecken seinen Arm, Es wird ihm kalt, es wird ihm warm, Ihm schimmert vor den Augen wild, Er sieht ein wunderseltsam Bild: Sein Liebling ist herangesprungen Und hält den Weißen fest umschlungen, und schützt mit Armen, wund und weich, Ihn vor dem harten Todesstreich, Und hält mit thränennassem Blick Des Vaters wilden Zorn zurück, und weiß mit zaub’rischen Gebärden Des Weißen Retterin zu werden.
Wie im Inkle und Yarico-Textkomplex ist eine empfindsame Darstellung der indianischen Frau zu bemerken und ihre Liebe zu dem fremden weißen Mann. Deutlicher noch als in dem zuerst untersuchten Beispiel ist hier aber zu erkennen, dass das Phantasma der indianischen Frau auch mit einer Schwäche des weißen Mannes in der Fremde zu tun hat. Pocahontas verkörpert im Rahmen einer fremdartigen, durch unbekannte und Furcht erregende Rituale gekennzeichneten Welt eine ursprüngliche Menschlichkeit und Sympathie der Seelen, die gut zu der weltumspannenden Hymne Schillers passt (auch wenn in dieser mehr von Brüdern als von Schwestern die Rede ist). Pocahontas ist die gefühlvolle, liebende, aber auch energische Frau, die den weißen Siedler rettet, danach aber ins zweite Glied zurückgesetzt wird. Es ist auffällig, dass Yarico wie Pocahontas ein Sehnsuchtsbild verkörpert, das in den Erzählungen deutlich zum Faszinosum wird, dass sie aber nach ihrer aktiven Tat, die zu einer engen Bindung an den weißen Mann führt, gewissermaßen degradiert wird und nur eine untergeordnete Rolle spielt. Das europäische Phantasma der schönen Indianerin kann diese im Wesentlichen nur als Objekt der Betrachtung und Kontemplation (hier auch des Lobpreises) gebrauchen; wenn es dann aber an
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die für die Europäer bedeutenden Handlungen geht, wird die Bedeutung der fremden Frau stark reduziert. Es scheint, als ob die Störung des Kräfteverhältnisses, die durch die Schwäche des weißen Mannes gegeben war, durch die späteren Handlungsschritte kompensiert werden muss, durch die in kolonialer wie in Genderperspektive die erwarteten Kräfteverhältnisse wiederhergestellt werden. Bei Straubenmüller speziell wird die eigentlich aktive und tatkräftige Pocahontas durch die Maria-Parallele in die Rolle einer Leidenden gedrängt, die ihr zumindest im dramatischen Kern der Geschichte gar nicht zukommt. 8.
Arno Schmidt: Seelandschaft mit Pocahontas (1955)
Eine Aufnahme des Pocahontas-Stoffes finden wir in der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur bei Arno Schmidt.18 Hier der Plot des kurzen Romans: Der Ich-Erzähler Joachim hat am Dümmer (See bei Osnabrück) eine Urlaubsaffäre mit Selma Wientge, der er den Namen Pocahontas gibt: „‚Wieso Pocahontas‘??: ‚Ne indianische Prinzessin!‘ wie beiläufig, und die Dicke bekam sofort neidische Falten.“ Selma rettet eine Hummel auf dem Wasser und kommt mit ihrem Kopf auf etwas „Steinharte[m]“ zu liegen, dem erigierten Glied des Ich-Erzählers Joachim. Der Text lebt von ironischen Bezügen zwischen dem exotischen Mythos und der banal-heimischen Szenerie; allerdings ist die männliche Dominanz bei Schmidt mit Händen zu greifen. Indem die Figur Joachim nämlich ein Wissensmonopol im Bezug auf die Pocahontas-Geschichte hat, wird die ‚neue Pocahontas‘ zu einer fremdbestimmt Handelnden, die selbst gegenüber der Straubenmüller-Version einen subalternen Part in der Geschichte hat. Als ideologischer Kern der Geschichte ist ein freizügiges Verhältnis zur Sexualität als Protest gegen den Zeitgeist der 1950er Jahre zu bemerken. Und hier spielt die sinnliche Freizügigkeit, die wir im Phantasma der indianischen Frau bemerkt haben, eine wichtige Rolle, ohne dass Schmidt die Problematik der Unterordnung der fremden Frau in den erwähnten Hinsichten selbstkritisch reflektiert.
18
Vgl. hier und im Folgenden Arno Schmidt, Seelandschaft mit Pocahontas, in: Bargfelder Ausgabe, Bd. I/1, Zürich: Haffman 1987, 391–437, und Axel Dunker, „‚Immer diese Vergangenheiten!‘ Kolonialismus und Geschlecht in Arno Schmidts Erzählung Seelandschaft mit Pocahontas“, in: Pocahontas revisited, op. cit., 193–206.
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9.
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Schmidt und Pocahontas nach Theweleit und Dunker
Klaus Theweleit untersucht die Pocahontas-Diskurse in einer seiner Bücherserien.19 Pocahontas erscheint ihm dabei als ‚Männerphantasie‘; es komme nicht auf die historische ‚Wahrheit‘ an, sondern auf die Imaginationen, die mit dem Stoff transportiert würden. Kritisch-ironisch ist ein von ihm inspirierter Kommentar zu Schmidts Adaptation des Stoffes: „Der ehemalige Landser aus Hitlers Armee verlässt die christlichen Gefilde, um sich angstfrei mit seiner Pocanhontas aus Osnabrück heidnischen Ritualen am Dümmersee hinzugeben.“20 Auch Theweleit sieht die problematische Ambivalenz, die in der Spannung zwischen einer hierarchischen Gender-Beziehung und einer Sehnsucht nach Harmonie in der Nachkriegszeit besteht. Positiv ließe sich Schmidts Text als Bejahung von Sexualität und zumindest intendiert als subversive Verwendung der Pocahontas-Geschichte verstehen. Axel Dunker sieht Schmidts Pocahontas-Rezeption demgegenüber deutlich kritischer. Er erkennt zunächst eine Vermessung und Ästhetisierung der Natur („Bäume aus Rauch geblasen; das Dunsttrapez eines Daches; Schatten wollten unter Grasfontänen: aus heißer Grauluft die Idee einer Küste. Seelandschaft mit Pocahontas“, 414) und schließlich die Idee einer Landschaft, die mit Pocanhontas kulturell aufgeladen wird und damit eine ‚höhere‘ Bedeutung erlangt. Auch die Namensgebung vollzieht sich – wie angedeutet – als Herrschaftsakt und sie bewirkt eine Aneignung und Erhöhung der (hässlichen) Frau. Diese wird selbst zur Landschaft: „vergleichende Anatomie, und ich hatte viel zu messen und zu rühmen“ (427). Der Mann gibt den Namen, bleibt als der Erzählende der Dominierende und stilisiert sich zum Beglücker der Pocahontas (er erlöst sie aus ihrer Frustration und nicht sie ihn). Letztlich reproduziert Schmidts Text in Dunkers Perspektive somit den kolonialen und patriarchalischen Kern der Pocahontas-Geschichten.
19 20
Vgl. Klaus Theweleit, Pocahontas in Wonderland. Shakespeare on Tour. Indian Song, Frankfurt am Main u.a.: Stroemfeld, Roter Stern 1999. Kritisch Jan Süselbeck, „Work in progress? Klaus Theweleits Pocahontas-Projekt“, in: Pocahontas revisited, op. cit., 243–259. Rainer Grübel, Ralf Grüttemeier, Helmut Lethen, Orientierung Literaturwissenschaft. Was sie kann, was sie will, Reinbek: Rowohlt 2001, 169.
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Michael Hofmann
La Malinche
Die dritte indianische Jungfrau, der wir uns abschließend kurz zuwenden, ist La Malinche, von den Spaniern auch Doña Marina genannt.21 Auch hier zunächst die historischen Daten: La Malinche wurde ca. 1505 als Tochter aus indianischem Adel bei Tehuantepec geboren und im Kindesalter als Sklavin an Mayas verkauft. 1519 nach einem verlorenen Kampf schenkten Mayas dem spanischen Eroberer Cortés 20 Sklavinnen, unter ihnen Malinche. Als Cortés und seine Leute in das Gebiet der Azteken kamen, wurde Malinche zur Übersetzerin in der Sprache Nahuatl. Sie war mit den Spaniern in Schlachten unterwegs und die Übersetzerin bei der historischen Begegnung zwischen Montezuma und Cortés. Seit 1519 war sie die Geliebte Cortés’, und 1523 wurde der Sohn Martin geboren. 1524 heiratete sie einen spanischen Offizier; sie lebte mit ihm bis 1529 in Tenochtitlán. Wir erkennen viele Muster der bisher behandelten Geschichten wieder: La Malinche ist mehr noch als Yarico und Pocahontas handlungsmächtig; sie ist definitiv keine Subalterne; es heißt, dass Cortés ohne sie die Hauptstadt des Aztekenreiches nicht erobert hätte. Aber auch sie wird nach ihrer energischen Aktivität ins zweite Glied versetzt, nachdem sie zunächst zur Geliebten des spanischen Anführers geworden war, und sie verschwindet schließlich im Dunkel der Geschichte, ohne dass ihre Rolle angemessen gewürdigt wurde. Dramatischer noch, die Bewertung Malinche schwankt extrem stark: Und wenn viele sie auch als ‚Stammesmutter‘ der Mexikaner und als Begründerin der Hybridkultur der Mestizen ansehen, so steht doch der gravierende Vorwurf im Raum, sie sei eine Verräterin. Noch heute steht das Wort ‚Malinche‘ sogar für ‚Hure‘, und die Ambivalenz des mexikanischen Selbstverständnisses kann man im Bezug zu dieser Figur festmachen. In den letzten Jahren häufen sich aber in postkolonialer Perspektive Studien vor allem weiblicher Autoren, denen es darum geht, hinter das Phantasma zu schauen. 11.
Hans-Eckardt Wenzel: Malinche. Legenden von Liebe und Verrat
Im Jahre 1991, also im Kontext der ‚Wende‘ und des Endes der DDR, legt der ostdeutsche Autor Wenzel eine Sammlung von vier Erzählungen vor, die den Gesamttitel Malinche. Legende von Liebe und Verrat trägt, wobei eine der 21
Vgl. zum Malinche-Motivkomplex umfassend und mit Bezug auf amerikanische Forschungen Claudia Leitner, Der Malinche-Komplex. Conquista, Genus, Genealogien, München: Fink 2009.
Yarico, Pocahontas, Malinche
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Erzählungen ebenfalls den Titel Malinche trägt.22 Die mexikanische Figur wird aber nicht nur in diesem Text thematisiert, sondern auch in der Erzählung Legende. Die Sammlung, die zum Teil während einer Reise des Autors nach Nicaragua entstanden ist, enthält Reflexionen über Macht, Geschlecht und Verrat sowie eine zeittypische Zivilisationskritik, wobei in der historischen Perspektive eine melancholische Stimmung im Hinblick auf die Spätzeit der DDR vorherrscht. Lateinamerika erscheint als Reflexionsort von Grundlagen der Moderne, ähnlich wie in Heiner Müllers Stück Der Auftrag (1979). In der Erzählung Malinche wird folgendes Szenario entworfen: Ein Mann wacht allein an einem Strand auf (in Lateinamerika); er hat das Bewusstsein verloren und kann Traum und Realität nicht unterscheiden. Nach ein paar Tagen begegnet ihm ein Fremder; er weiß aber nicht, ob es sich um eine Einbildung oder um Realität handelt. Der Fremde stirbt nach ein paar Tagen, erzählt aber vorher „seine Geschichte“; in dieser wiederum erzählt ein junger Mann die Geschichte Malinches. Der Mann der Rahmenerzählung trifft ein schönes Mädchen, das einige Zeit bei ihm bleibt. Die Erzählung bietet zwei Versionen der Malinche-Geschichte, in denen Malinche einmal als Verräterin und einmal als unbedingt Liebende erscheint. Malinche als Verräterin wird folgendermaßen evoziert: Malinche, du schöne Tochter des Kaziken, warum nur hast du den fremden König geküsst? Sein Zauber fesselte dein Herz, und die Hütten deiner Brüder wiesest du ihm, und er kam, sie zu töten, Malinche. Hast du vergessen, wie der Himmel bemessen ward? Man legte eine Leine und dehnte sie auf den Himmel und die Erde aus, in vier Winkeln, vier Ecken. Als deine Brüder erschlagen lagen und die Schiffe aus allen vier Winkeln umherirrten, fingen sie mich, und ich sollte dein Bruder sein, schöne Malinche, du schöne Verräterin, warum hast du den fremden König geküsst? (69)
Demgegenüber die andere Version mit Malinche als der unbedingt Liebenden: Die Tochter eines Häuptlings verliebte sich in den fremden Eroberer, Cortés mit Namen. Als er vor ihr stand, […] erkannte das schöne Mädchen das Elend dieses Mannes, seine traurige Gestalt. In allem darum bemüht, wie ein König zu erscheinen und seine eigentliche Gier, seine niedrige Sucht nach den Reichtümern hinter den Worten der Verheißungen zu verstecken. Da fühlte sie Mitleid, und aus diesem Mitleid erwuchs eine Liebe, fast im gleichen Moment. […] Die Armut deines Herzens macht mich elend. So werde ich dir helfen, die äußere Armut zu überwinden, deine Gier stumpfzumachen, auf dass du meine Liebe 22
Vgl. Hans-Eckardt Wenzel, Malinche. Legenden von Liebe und Verrat, Halle an der Saale: Mitteldeutscher Verlag 1991. Zitate nachfolgend unter Angabe der Seitenzahl im fortlaufenden Text.
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Michael Hofmann kostbarer nennst als das Gold. […] Als aber Cortés genug Reichtümer gesammelt und genügend Macht genossen hatte, stieß er Malinche von sich. Die Liebe, sagte sie zu ihren Brüdern, die Liebe hat noch nicht gereicht, aber was hätten wir sonst für Möglichkeiten, diesen Fremden zu begegnen? Ihre Brüder hörten nicht. Sie gingen fort, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Verräterin, riefen sie, dein Name soll klingen wie das Wort Verräterin von nun ab. (74f.)
Im Vergleich zu den Textkomplexen Inkle und Yarico und Pocahontas fällt in der zweiten Version auf, dass auch hier die Schwäche und Hilfsbedürftigkeit des vermeintlich mächtigen europäischen Mannes dargestellt wird – und seine undankbare Haltung, als er durch die Hilfe der Fremden seine Machtstellung wieder konsolidiert hat. In Wendels Bearbeitung des Malinche-Stoffes ist eine spätmoderne Zivilisationskrise und eine generelle Müdigkeit der europäischen Kultur die Folie, vor der die Geschichte aus der Zeit der Conquista thematisiert wird. Indem der Europäer Cortés nicht als der strahlende Held und mächtige Eroberer, sondern als von Schwäche gezeichneter Reisender dargestellt wird, erscheint die Haltung der Malinche in einer kaum zu überwindenden Ambivalenz und als Reflexionsmodell einer Konstellation, in der „Liebe und Verrat“ kaum zu unterscheiden sind. In Wenzels Erzählung Legende wird der Malinche-Stoff nun mit Bezug auf zeitgenössische europäische Figuren aktualisiert. Ein anonymer Erzähler (eine Erzählerin?) gibt ein Gespräch zwischen mehreren Freundinnen wieder, die sich über Beziehungen zwischen Männern und Frauen unterhalten, die nach dem Malinche-Muster abliefen. In einer erneuten Wiedergabe der MalincheGeschichte wird wiederum Malinche einmal als Verräterin und einmal als absolut Liebende vorgestellt. Es findet sich die Erzählung einer ehemaligen Gefangenen: In der Einzelzelle wurde diese immer durch einen Spion von einem männlichen Auge beobachtet; die Beobachtung bedeutete eine Verdinglichung, die kaum zu überwinden war, wenn nicht mit dem Gedanken an „Liebe“. In einer zweiten Erzählung wird eine Frau aus der ehemaligen DDR nach der Wende von einem reichen Westler geheiratet und von ihm in einer untergeordneten Stellung gehalten; niemand verstand den Grund dafür, „daß die Frau aus A. ihrem neuen Mann mit einem Messer sieben mal in den Körper stieß.“ (90) Im Folgenden finden wir eine Deutung der Malinche-Geschichte, in der diese als Modell moderner Machtausübung und der „Verrat“ Malinches als gewissermaßen unschuldige Reaktion auf eine Welt der Intrigen und der Unterdrückung des Individuums erscheint: Die Geschichte von der Vernichtung dieses Mädchens, ihrer Brüder, Vorfahren, Nachkommen, führt die Begegnung des Mannes mit der Frau vor. Das Männliche – hoch zu Roß, gepanzert, geziert von Lanze und Schwert – mit dem
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weiblichen, dämonischen Wesen einer anderen Welt. Sind nicht am Ende alle Eroberungen, alle Entdeckungen, alle Vorstöße der Menschen diesem Vorgang vergleichbar? Ist nicht möglich, […] dass jene Verräterin die sanfte Gewalt der Liebe für mächtiger hielt als die stählerne des Besitzes, die auf falsche Ewigkeiten aus ist? (80f.)
Und: Sie konnte nicht mit dem in der anderen Welt entstandenen Egoismus rechnen, der jene Rituale ausnutzbar gemacht hatte. Einzig den anderen Zweck, den anderen Sinn, den das gleich Erscheinende in sich verbarg, konnte sie nicht entschlüsseln. Sie vertraute […] dem, was sie hörte und sah. (81f.)
12.
Fazit
Insgesamt lässt sich erkennen, dass die drei hier vorgestellten Modelle eindringlich die Bedeutung des Phantasmas der indianischen Frau demonstrieren. Es zeigt sich, dass dieses Phantasma zunächst das Bild einer fremden und wilden Schönen evoziert, die den europäischen Mann in einem Moment der Schwäche nachhaltig unterstützt und ihm ermöglicht, seine von Eroberung, Gewinnstreben und dem Wunsch, berühmt zu werden, geprägten Aktivitäten fortzusetzen. Nachdem der europäische Mann seine Phase der Schwäche überwunden hat, wird die schöne Helferin nicht belohnt, sondern in das zweite Glied versetzt und/oder völlig dem Vergessen überantwortet. Es ist, als müsste der europäische Mann die Erinnerung an seine Schwäche verdrängen und deshalb die Helferin aus dem Blickfeld nehmen. Die indianische Frau erscheint somit in allen drei Motivkomplexen als ein Phantasma, das in die Kulisse exotischer Schauplätze passt und das nur Momente einer Harmonie aufblitzen lässt, die sich jenseits von Machtstreben und Herrschaft verwirklichen könnte. Die indianische Frau wird nicht zum Subjekt; wir hören ihre Stimme nicht und die Geschichten können ihre Individualität nur schemenhaft verdeutlichen. Postkoloniale Bearbeitungen und Umschreibungen können den Verlust nicht kompensieren, der durch das Verschwinden und Verstummen der Helferin eingetreten ist; sie können aber die Leerstelle verdeutlichen, die durch die koloniale Inszenierung europäisch-amerikanischer Begegnungen offen bleibt – und sie können das Bewusstsein dafür schärfen, dass hinter dem Phantasma der indianischen Frau einerseits eine Faszination und eine Suche nach Liebe jenseits kultureller Grenzen aufscheint und andererseits eine Unterordnung und Herabwürdigung der fremden Frau zu erkennen ist, die mit dem Unglück des scheinbar siegenden Eroberers einhergeht. Diese Perspektiven des
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Phantasmas der indianischen Frau werden auch in deutschsprachigen Texten verhandelt, und so zeigt sich, dass auch die deutschsprachige Kultur mit den europäisch-amerikanischen Begegnungen verbunden ist, die zwischen Liebe und Verrat, zwischen Verbindung und Abstoßung schwanken und die das Ideal einer herrschaftsfreien Begegnung der Kulturen nur in dessen Negation enthalten.
Tomás Antônio Gonzagas Cartas chilenas (~1789) Gemeinschaft und Transgression in der epischen Satire der brasilianischen Aufklärung Fernando Nina 1.
Prolegomena
Von den Akteuren der transatlantischen Aufklärung, die für das Verständnis der genuin lateinamerikanischen Wissensproduktion des 18. Jahrhunderts zentral sind, ist der Holländer Cornelis de Pauw einer der weniger bekannten – und dies, obwohl er mit seinen Recherches philosophiques sur les Américains (1768) eine Perspektive auf Amerika zu etablieren beigetragen hatte, die man für eine ganze Epoche als paradigmatisch betrachten kann. In diesem Werk postuliert er, der Grund für die Inferiorität Amerikas und seiner Bewohner liege darin, dass der amerikanische Kontinent kalt und feucht sei. Diese These übernimmt er aus Georges-Louis Leclerc, Comte de Buffons Monumentalwerk Histoire naturelle, générale et particulière, das zwischen 1749 und 1788 in 26 Bänden erschien. Anders als Buffon, sieht De Pauw Amerika allerdings nicht als jungen Kontinent, denn die Natur könne nicht in so kurzer Zeit degeneriert sein. Die heute abstrus klingende Idee De Pauws basiert auf einer in jener Zeit wissenschaftlich anerkannten und akzeptierten Hypothese einer doppelten Sintflut, derzufolge Amerika eine zweite Sintflut nach der biblischen Sintflut erlitten habe. Seitdem seien der Kontinent feucht und das Klima streng, woraus sich wiederum die physische und mentale Inferiorität ihrer Bewohner erkläre. Das klimatologische Argument der amerikanischen Inferiorität, welches ihre Bewohner in die Nähe von Affen stellte, perpetuierte sich bis zum Werk von Kant und Hegel als unabänderliches Faktum und Fatum. Folgen wir dem kolumbianischen Philosophen Santiago Castro-Gómez, so wird […] die koloniale Ausbeutung durch ein Imaginäres [imaginario] im Denken einer Epoche legitimiert, das inkommensurable Differenzen zwischen Kolonisator und Kolonisiertem etabliert. Die Notionen von ‚Rasse‘ [raza] und ‚Kultur‘ operieren hier wie ein taxonomisches Dispositiv, das entgegengesetzte Identitäten herausbildet. Der Kolonisierte erscheint so als das ‚Andere der Vernunft‘, was die disziplinierende Machtausübung von Seiten des Kolonisators rechtfertigt.1 1 Santiago Castro-Gómez, „Ciencias sociales, violencia epistémica y la ‚invención del otro‘“, in: La Colonialidad del Saber: Eurocentrismo y ciencias sociales. Perspectivas latinoamericanas, hrsg. v. Edgardo Lander, Buenos Aires: FACES-UCV 2000, 145–161, hier 153, i.O.: „[…] la expoliación © Brill Fink, 2022 | doi:10.30965/9783846766361_011
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Diese intrinsische Beziehung zwischen der kolonialen Idee der ‚Rasse‘ und die damit einhergehenden kulturell spezifischen Formen der Wissensproduktion in Lateinamerika bedeuten für den Prozess des Denkens zwangsläufig, dass die Anerkennung des Anderen ein Prozess des ‚Anordnens‘ des Anderen ist. Dieses Zusammenspiel setzt die lateinamerikanische Wissensproduktion von jener in Europa ab. Subjektivität entsteht bei der Verhandlung des Selbst und des Anderen – in einem Prozess, der wiederum im Selbst stattfindet. Um die lateinamerikanische Aufklärung zu verstehen, ist es demnach erforderlich, diesen Prozess in seinen einzelnen Phasen herauszuarbeiten: Die erste Phase – die Emergenzphase –beschreibt die Situation der Sichtbarmachung des Anderen, die zweite Phase – die Delimitationsphase – beschreibt die gegenseitige Konstitution des Subjekts der Reflexion und des eigenen Erkenntnisgegenstandes, während die dritte Phase – die Konstitutionsphase – schließlich die Situation der Selbstbestimmtheit als Prozess selbstreflexiver Erfüllung (Öffnung) zeigt. Diese letzte Phase ist die der inkludierenden Selbstreflexivität im Sinne einer nicht-exkludierenden Rationalität, die eine amerikanische Rationalität überhaupt erst ermöglichte. Zur Emergenzphase gehören die Reisechroniken der spanischen Beamten und Kleriker Alonso Carrió de la Vandera (1715–1783), José Gumilla (1686–1750), José Joaquín Granados y Gálvez (1743–1794) und Fray Santa Rita Durão (1722–1784), zur Delimitationsphase die Geschichtsschreibung der kreolischen, aus Amerika vertriebenen Jesuiten Juan Bautista Aguirre (1725–1786), Juan de Velasco (1727–1792), Andrés Cavo Franco (1739–1803), Juan Pablo Viscardo y Guzmán (1748–1798) und Tomás Antônio Gonzaga (1744–1810), während zur Konstitutionsphase die aufgeklärten Texte der Indigenen und Mestizen Tupac Amaru (1738–1781), José Antonio de Alzate y Ramírez (1737–1797), Eugenio Espejo (1747–1795) und Silva Alvarenga (1749–1814) gehören.2 Auf den folgenden Seiten will ich die zweite Phase der lateinamerikanischen Aufklärung, die der Delimitation bzw. Abgrenzung, anhand von einigen Passagen des episch-satirischen Gedichtes Cartas chilenas von Tomás Antônio colonial es legitimada por un imaginario que establece diferencias inconmensurables entre el colonizador y el colonizado. Las nociones de ‚raza‘ y de ‚cultura‘ operan aquí como un dispositivo taxonómico que genera identidades opuestas. El colonizado aparece así como lo ‚otro de la razón‘, lo cual justifica el ejercicio de un poder disciplinario por parte del colonizador.“ Diese und alle folgenden Übersetzungen sind, soweit nicht anders angegeben, meine eigenen. 2 Diese Aufteilung der lateinamerikanischen Aufklärung nehme ich bereits in meinem folgenden Beitrag vor: „La narrativa ilustrada en América Latina: emergencia, delimitación y constitución del pensamiento latinoamericano en el siglo XVIII“, in: Utopías móviles. Nuevos caminos para la Historia intelectual en América Latina, hrsg. v. Selnich Vivas Hurtado, Bogotá: Universidad de Antioquia – Gelcil 2014, 210–245.
Tomás Antônio Gonzagas Cartas chilenas
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Gonzaga genauer darstellen. Dieser Text von 1789 zeigt uns ein Schreiben des Anderen und mit dem Anderen, das eben nicht ein Schreiben über den Anderen ist, verstanden im Sinne des von Martin Heidegger in „Wissenschaft und Besinnung“ (1953) vorgestellten Paradigmas der Aneignung von Wissen. In diesem Essay geht Heidegger bekanntlich der Bedeutung des Begriffes der Theorie als Materialisierung von Vernunft nach. Das griechische theoria übersetzt Heidegger mit „hütendes Schauen“, einem hütenden Blick, einer behütenden Ansicht. Das Konzept entstammt dem griechischem Verb theorein, welches seinerseits wiederum aus den zwei Stammwörtern thea (‚Anblick‘, ‚Aussehen‘) und horao (‚etwas ansehen, in Augenschein nehmen, besehen‘) zusammengesetzt ist. Thean horao, d.h. theorein, bedeutet, nach Heidegger, somit „den Anblick, worin das Anwesende erscheint, ansehen und durch solche Sicht bei ihm sehend verweilen“:3 Eine Theorie mit den Anderen ist also mehr thean horan, ein „hütendes Schauen der Wahrheit“, ein „sehend verweilen“, eine Achtsamkeit im Blick, ein Blick, ein Besehen, das die Wahrheit hütet, das sie nicht entblößt, sondern anhält, um den anwesenden Anderen in den Blick aufzunehmen, mit dem Blick, mit dem hütenden Blick bei ihm zu verweilen. In Anlehnung an Heidegger und im Anschluss an Ana Pizarro, die bezüglich der Diskurse am Rande der Geschichte von einer „Opazität, die eine kreative Funktion ausführt“ und von einer „intellektuelle[n] Produktivität, d.h. einer Opazität“ spricht, „die Instanzen des Verstehens mittels einer diffusen Sensibilität eröffnet“,4 habe ich an anderer Stelle bereits versucht, die lateinamerikanische Aufklärung als Opazität zu definieren.5 Das Hauptmerkmal dieser ‚opaken Aufklärung‘ besteht, so meine leitende Überlegung, darin, dass es sich um eine gegenläufige Bewegung zur Ich-Überhöhung der eurozentrischen Vernunft handelt. Die Furcht des Menschen, der sich durch die Vernunft definiert, ist die Furcht vor sich selbst als dem Anderen – und eben darin gründet das Wesen des Misophobischen im Menschen. Die Bewegung des Denkens verläuft hier im Vergleich zur Emergenzphase (vgl. hierzu bspw. die Schriften von Carrió de la Vandera, Gumilla und Granados y Gálvez) in umgekehrter Richtung: Trat die Emergenz des Anderen als Folge der Bewegung von Europa nach Amerika in Amerika selbst auf, so tritt hier als Folge einer Bewegung von Amerika nach Europa das Bewusstsein der 3 Martin Heidegger, „Wissenschaft und Besinnung“, in: Vorträge und Aufsätze, Pfullingen: Neske 1954, 45–70, hier 46. 4 Ana Pizarro, „Discursos al margen de la historia“, in: Revista Casa de las Américas 256 (2009), 94–103, hier 101. 5 Vgl. Vf., „Opacidad táctica y alteridad en los Comentarios Reales del Inca Garcilaso y en el Persiles de Cervantes“, in: Ficciones entre mundos. El Persiles de Cervantes y las novelas de aventuras áureas, hrsg. v. Jörg Dünne, Hanno Ehrlicher, Kassel: Reichenberger 2017, 237–252.
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Abspaltung Amerikas von Europa in Europa auf. Dieser Richtungswechsel schmälert nicht die Wirkung dieser Bewegung der Abspaltung und Bewusstwerdung in Amerika, vielmehr stehen die Cartas chilenas exemplarisch für eine Rückkopplung an Amerika – auch wenn im vorliegenden Fall die Besonderheit herausgestellt werden muss, dass es sich beim Verfasser Tomás Antônio Gonzaga nicht um einen Jesuiten handelt, der im Zuge der allgemeinen expulsión aus Amerika (im Jahre 1767) verstoßen wurde, sondern um ein Individuum, dass mehrmals den Atlantik überquerte und erst 1792 aus Amerika deterritorialisiert wurde. Geboren in Porto 1744, aber in Brasilien aufgewachsen und durch Jesuiten ausgebildet, kehrt Tomás Antônio Gonzaga 1761 mit seinem Vater von Rio de Janeiro nach Portugal zurück, nachdem dieser dort das Amt eines Richters im Namen der Krone innehatte, was ihn zu einem Mitglied der aristokratischen Bürokratie machte. In Coimbra studiert Gonzaga Recht und schreibt 1773 seinen Tratado de direito natural, eine Abhandlung über Naturrecht, mit dem Ziel, an dieser Universität zu dozieren. Dies gelang ihm allerdings nicht, da er seine Arbeit nicht auf Latein – der geltenden Unterrichtssprache – verfasst hatte. Seine Ausbildung genießt Gonzaga somit transkulturell und transatlantisch, zunächst in Recife und Bahia in Brasilien unter den Jesuiten und später, nach Überquerung des Atlantiks, mit seinem Jurastudium im portugiesischen Coimbra. Er kehrt dann als Kolonialbeamter nach Brasilien zurück und wird schließlich seine letzten Lebensjahre wieder auf der anderen Seite des Atlantiks, im afrikanischen Mosambik, verbringen. Zum Schluss dieser theoretischen Vorüberlegungen sei noch ein Zitat aus Kolonialität der Macht des peruanischen Soziologen Aníbal Quijano angeführt, der die Verschränkung von Sklavenhandel und Ausbeutung der kolonialen Territorien in Verbindung mit dem ökonomischen Aspekt der unentlohnten Arbeitsleistung analysiert. Die Aufteilung der Weltbevölkerung in ‚Rassen‘ wird hierbei zur Grundlage genommen, bestimmte Menschengruppen für ihre Arbeit nicht zu entlohnen, so dass die Akkumulation von Kapital nur für bestimmte Bevölkerungsgruppen möglich wird, während andere an der ökonomischen Kapitalzirkulation gar nicht teilnehmen: Die rassialisierte Klassifizierung der Bevölkerung und die frühe Assoziation der neuen rassialissierten Identitäten der Kolonisierten mit den unbezahlten, nicht entlohnten Kontrollformen über die Arbeit führte bei Europäern oder Weißen zu der besonderen Wahrnehmung, dass bezahlte Arbeit ein Privileg der Weißen sei. Die rassialisierte Minderwertigkeit der Kolonisierten bedeutete, dass sie einer Auszahlung von Lohn nicht würdig waren. Sie mussten von Natur aus zum Nutzen ihrer Herren arbeiten. Es ist auch heute nicht schwer, diese verbreitete Einstellung bei weißen Grundbesitzern überall auf der Welt zu finden. Der geringere Lohn der niedrigeren razas für die gleiche Arbeit wie die der Weißen in den heutigen kapitalistischen Zentren ließe sich zudem nicht ohne die
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rassistische gesellschaftliche Klassifizierung der Weltbevölkerung – in anderen Worten, nicht getrennt von der Kolonialität der globalen kapitalistischen Macht – erklären.6
2.
Cartas chilenas
In den Cartas chilenas wird eine satirische Denunziation in Form einer epistolaren Fiktion vorgenommen, die sich von den historischen Repräsen tationen Amerikas, die in Europa verfasst wurden, distanziert.7 Zwischen Humor und Pathos kann man eine Gegenschrift, eine Konterschrift feststellen, die sich nicht nur gegen Cornelis de Pauw, sondern auch gegen Raynal, den Verfasser der Histoire des deux Indes, wendet und die sich vor allem in ihrer Repräsentation des Missbrauchs und der Misshandlung der schwarzen Sklavenbevölkerung von den europäischen Texten unterscheidet. So bekräftigt der Historiker Kenneth Maxwell, dass zwischen den Aufständischen von 1789 (den sogenannten inconfidentes) jene Ideen zirkulierten, die Raynal in seiner Histoire über die Geschichte Brasiliens angestellt hatte.8 Die Handlung der Cartas chilenas ist schnell zusammengefasst: Critilo, Bewohner von Santiago de Chile, schreibt einige Briefe an seinen Freund Doroteu (der in Madrid lebt) und denunziert den Nepotismus und die Ignoranz des chilenischen Gouverneurs Fanfarrao Minesio. In der Widmung und im Prolog wird berichtet, dass der anonyme Übersetzer der ursprünglich auf Spanisch verfassten Briefe die Manuskripte, die an einen brasilianischen Hafen gelangt waren, von einem gewissen Ehrenmann erhalten habe, der ebenso anonym bleibt. Übersetzer und Vermittler des Textes verbleiben somit taktisch und verstohlen im Unsichtbaren. Der historische Kontext von Minas Gerais im 18. Jahrhundert lässt sich zum näheren Verständnis folgendermaßen darstellen: Es war eine Epoche der Förderung großer Mengen an Gold und Metallen, der maßlosen Bereicherung und der Migration von Menschen auf der Suche nach dem schnellen Glück, und dies unter der Führung eines ebenso bürokratischen wie despotischen und 6 Aníbal Quijano Obregón, Kolonialität der Macht, Eurozentrismus und Lateinamerika, übers. v. Alke Jenss, Stefan Pimmer, Wien, Berlin: Turia + Kant 2016, 18. 7 Aus den Cartas chilenas wird nachfolgend unter Angabe der Seitenzahl im fortlaufenden Text nach folgender Ausgabe zitiert: Tomás Antônio Gonzaga, Cartas chilenas, São Paulo: Companhia de Letras 2012. 8 Vgl. Kenneth Maxwell, A devassa da devassa. Inconfidȇncia Mineira, Brasil – Portugal, 1750–1780, übers. v. João Maia, São Paulo: Paz e Terra, 1977, 147: „Entre os inconfidentes circulava a ampla discussão de Raynal sobre a história do Brasil em sua Histoire philosophique et politique era muito apreciada.“
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kleptomanischen Kolonialapparats. Zugleich ist das 18. Jahrhundert allerdings, wie Oliveira da Silva beschreibt, eine Epoche der wachsenden Selbsterfüllung und Selbstständigkeit Brasiliens, in welcher das Mutterland, die Krone und die sie vertretende Kolonialverwaltung mit Argwohn verfolgt werden.9 Es handelt sich bei Brasilien um einen Raum, in dem sich verschiedenste ethnische Gruppen aus unterschiedlichen sozialen Klassen aufgrund der sich verändernden sozio-ökonomischen Bedingungen vermischen, was zugleich Prozesse der produktiven und resilienten ‚Kontamination‘ in Gang setzt. Die harte Kritik der Dekadenz der portugiesischen Kolonialverwaltung, spezifisch derjenigen von Minas Gerais, die nun in den Cartas chilenas sichtbar wird, kann als eine Form der brasilianischen Delimitation bzw. Abgrenzung von der portugiesischen Krone gelesen werden. Gonzagas Cartas chilenas sind die allegorische Rekonstruktion ihrer eigenen Dekonstruktion. Chile steht stellvertretend für Brasilien, und in dieser Rekonstruktion Brasiliens durch Chile wird eine Dekonstruktion ausgeführt. Um die Ereignisse in Minas Gerais zu erzählen, generiert Gonzaga also ein fiktionales Blendwerk, das Chile heißt und zu den „Américas Espanholas“ gehört. In dieser Zusammenführung der lusophonen und hispanischen Kolonialkontexte (Chile und Brasilien), die der Text vornimmt, finden wir ein frühes Indiz dafür, dass das Selbstverständnis als koloniales Territorium oder gar als Raum eine inhärente Qualität des gesamten Kontinents war. Wie wird ein Territorium zum Raum? Die Selbstdekonstruktion setzt auf der anderen Seite eine gewisse Blindheit voraus, die Unlesbarkeit Brasiliens als Chile ist eine taktische List, ein skripturaler Kniff, der dennoch die Illegibilität und die Invisibilität Brasiliens durch Chile in einen agonalen Schreibakt verwandelt, einen Akt der Konfrontation mit der Kolonialregierung und ihren obsoleten, dekadenten und nepotistischen Strukturen, insbesondere der Kolonialverwaltung von Cunha Meneses (1783–1789). Wie formt sich eine Gemeinschaft?, so lautet eine der zentralen Fragen, die dieser Text aufwirft. Konkreter: Wie bildet sich eine Gemeinschaft heraus, die weiß, wo die Grenzen des Sagbaren liegen und wo die Grenzen des Unsagbaren beginnen? Sind die Grenzen des Sagbaren und des Unsagbaren die Grenzen dieser neuen Gemeinschaft, die sich etabliert und sich delimitiert, abspaltet von der monarchischen Herrschaft, vom kolonialen sujet-asujettisement? Die epische Satire Gonzagas trägt zur Delimitation ohne oder gar mit verschleierter Dissidenz bei – ein ambivalentes Prozedere, um das Vorhandene nicht zu
9 Vgl. Dinamarque Oliveira da Silva, Poetas no tempo, pólen ao vento: Gregório de Matos/Tomás Antônio Gonzaga, s.l.: Novas Edições Acadêmicas 2014, 41: „ascendente ‚auto-suficiência‘ incômoda aos olhos da metrópole.“
Tomás Antônio Gonzagas Cartas chilenas
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zerstören und sich zugleich davon zu distanzieren. Die Grenze etabliert sich als Gemeinschaft der unruhigen Beruhigung. Diese spezifische Form der Gemeinschaft impliziert ein Spiel zwischen Klandestinität und Ruhe, es ist die Klandestinität der Kritik, die sich bis zu einem gewissen Punkt ausbreiten kann und die es erlaubt, dass sich eine Gemeinschaft herausbildet. Das rhetorische Verfahren des Sarkasmus wirkt als ‚Schutz‘, indem es die Tonalität markiert, die aus diesem sicheren Raum heraus angenommen wird. Diese besonderen Tonalität, die im kolonialen Kontext entsteht, charakterisiert sich dadurch, dass sie ein kontrapunktisches Verhältnis von Refugium und Widerstand bietet, von Einwand und Widerlegung des hegemonialen Diskurses, ohne einen gewissen Schutzraum zu verlassen. Die Satire ist ein komplexer Spott, sie ist ein intellektueller Spott, und die intellektuelle Arbeit verbirgt dabei die Kritik, macht sie opak für jene, gegen die sie sich richtet, und sichtbar für jene, die sie teilen – daher mein Vorschlag, von einer Opazität dieser Aufklärung aus Lateinamerika zu sprechen. In dieser Hinsicht ist die Tonalität ihrer Texte (und der Cartas chilenas im Besonderen) von Bedeutung, denn die Erkenntnis, die man miteinander teilt, ist immer schon ge-stimmt: man weiß und man fühlt sich in der Geborgenheit, man fühlt sich sicher und gefeit, die Sicherheit ist die Wahrheit des Verborgenen, man fühlt sich verborgen, weil man sich geborgen fühlt in dem Wissen, das man mit den anderen teilt. Es handelt sich demnach um ein schriftliches und intellektives Gestimmtsein, das zwei Parametern angepasst wird: Tonalität und Wissen. Um die Funktion der Satire oder, wie ich sie hier nennen möchte, der satirischen Tonalität des epischen Gedichts Gonzagas besser zu verstehen, müsste man sich fragen, in welcher Beziehung diese figurative Sprache zur Wahrheit steht. Welche Realität errichtet in diesem Fall die Satire mit ihrer Sprache oder besser: mit ihrer Tonalität? Es handelt sich hier um eine Konstruktion von Gemeinschaft, die eine spezifische rhythmische Struktur und vor allem eine eigene Tonalität besitzt. Das rhetorische Verfahren der Ironie ist eine Metapher der verdrehten, verformten Realität, der Verstellung, die sich als Antilogie präsentiert, die ihrerseits eine Wahrheit enthält, einen logos. Die Antilogie der Ironie ist deshalb eine Figur der paradoxen Wahrheit, die sich als Narration einer Geschichte präsentiert. Es handelt sich um eine Form der Erkenntnis, die nicht in einer begrifflichen Form zu finden ist, die jedoch weiterhin auf eine Fixierung innerhalb des Terminologischen ausgerichtet ist. Hinter der Ironie als primäre Kommunikationsform dieser Satire, findet man eine Form des Wissens und eine verborgene Wahrheit, die beide aus der Perspektive des Abjekten studiert werden müssen, aus der Perspektive derer, die unterdrückt wurden.
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Eine Gemeinschaft am Limit, an der Grenze, wird generiert durch eine kritische, durch eine satirische Gemeinschaft: Die epische Satire Gonzagas, gelesen als konstruktive Kritik zur Verspottung jener, an die sie gerichtet ist, verwendet die Ironie, um die Menschen zu einem positiven Wechsel anzustiften, zu agitieren innerhalb dieses generativen Raumes einer Gemeinschaft, in dem sich die Tonalität herausbildet. Die Tonalität setzt ein vorangehendes Wissen über die Grenzen des Sagbaren und Nicht-Sagbaren voraus. Diese Grenzen des Sagbaren sind es, die die Kritik und die Gemeinschaft abgrenzen, auf welche die Satire gerichtet ist. Es handelt sich um eine Gemeinschaft, die sich durch die Tonalität der Grenzen des Sagbaren und Nicht-Sagbaren errichtet und selbst evoziert, zwischen dem Geborgenen und dem Verborgenen, in der Verborgenheit des Geborgenen und der Geborgenheit der taktischen verborgenen Denunziation, die sich einem ‚Wilderer‘10 gleich präsentiert, nicht enthüllt, aber doch offenbart. Die Satire kann man schließlich auch als einen Verstoß gegen die vierte Stiltugend lesen, das (interne wie externe) aptum (ineptum, indecorum), wie es Aristoteles in seiner Rhetorik postuliert, als Verstoß gegen das Angemessene (to prépon) im Stil (léxis). Die angeeignete Sprache ist eine eigene, aber so, wie sie konfiguriert ist, ist sie immer angrenzend an den Anderen, sie verspottet ihn und distanziert sich von ihm, ohne ihn auszulöschen. Der Spott kann dabei eine bestimmte Grenze nicht überschreiten, denn sonst entlarvt er sich. Somit bewegt er sich entlang der Schwelle des Sagbaren und Nicht-Sagbaren. Die Artikulation dieses Spotts entlang dieser Schwelle setzt die sprachlichen Möglichkeiten der Ironie ein, um die Affekte, die mit dem Verstoß und der Anklage, der Ablehnung und der Forderung, dem Anspruch auf Veränderung einhergehen, in eine Sprache des Intellekts zu verwandeln. Im Kontext der genannten Delimitationsphase zeigt sich, wie das episch-satirische Gedicht Gonzagas eine Generierung von Bedeutung bewirkt bzw. mit sich bringt, die vereint und die zusammenführt: Die Konstruktion einer Gemeinschaft ist zugleich die Generation einer Bedeutung durch die satirische Sprache. Der Grund, auf dem dieses Wissen basiert, ist die Artikulation eines Verstoßes des prépon, die eigene elocutio ist das ineptum des prépon.
10
Vgl. zu diesem Begriff Robert Folger, Writing as poaching. Interpellation and self-fashioning in colonial relaciones de méritos y servicios, Leiden, Boston: Brill 2011.
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3.
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Gemeinschaft und Transgression
Ich will mich nun auf den dritten Brief von Gonzagas Cartas chilenas konzentrieren, in dem die „injustiças e violências que Fanfarrão executou por causa de uma Cadeia, a que deu princípio“ erzählt werden; es geht hier also um die Ungerechtigkeiten und Gewalttaten des Gouverneurs Fanfarrao (der für Cunha Meneses steht, den brasilianischen Gouverneur von Mina Gerais) im Zusammenhang mit jenem Gefängnis, das als sein großes Legat in den Cartas chilenas besungen wird. Im dritten Brief fokussiert die Kritik das defizitäre, unmenschliche Gefängnissystem von Minas Gerais und damit ein System, das als Allegorie der kolonialen Situation in seiner Gesamtheit und der Behandlung der schwarzen Bevölkerung im Besonderen gelesen werden kann. Es ist wichtig zu betonen, dass die hier artikulierte Kritik alles andere als ein Kavaliersdelikt ist, denn Gonzaga riskiert mit ihr sein eigenes Leben: Der Sitz im Leben dieses Textes ist die koloniale Situation selbst, die jede Form von Rebellion und Rauschen – verstanden als agonale, subversive Tonalität –, jegliche Destabilisierung des Regimes, so unbedeutend sie auch war, mit aller Härte verfolgte. Die Idee, ein Gefängnis zu errichten, wird von Critilo, dem Verfasser der Briefe, als ein Projekt babylonischen Ausmaßes vorgestellt. Critilo erinnert den Gouverneur jedoch daran, dass auch er ein ‚Diener‘ und eben kein ‚Herr‘ ist, insbesondere weil dieses Projekt auf derart inhumane Art und Weise vorangetrieben wird. Die ambivalente poetische Stimme Critilos macht dies anhand der Beschreibung der expliziten körperlichen Ausbeutung deutlich: Desiste, louco Chefe, dessa empresa; Um soberbo edificio levantado Sobre ossos de inocentes, construido Com lágrimas dos pobres, nunca serve De glórias ao seu autor, mas sim de opróbrio. (60)11
Gonzaga positioniert sich hier auf kritische Weise zu den Deskriptionen über Amerika von Raynal und Buffon: Seine Replik auf Raynal richtet sich gegen die positive Beschreibung der Lebensbedingungen im kolonialen Brasilien in der Histoire philosophique von 1780, während seine Replik auf Buffon impliziter auf dessen These einer Schwäche oder Unreife des amerikanischen Kontinents gerichtet ist (These der Inferiorität Amerikas), die auch zur Folge hatte, dass 11
„Lass ab, verrückter Herrscher, von diesem Vorhaben, einen stolzen Bau zu errichten, auf den Knochen von Unschuldigen gebaut, mit den Tränen der Armen, das ist nie dienlich für den Ruhm seines Urhebers, wohl aber aber für dessen öffentliche Schande.“
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der amerikanische Mensch als weniger sensibel als der europäische, als fast apathisch angesehen wurde. Critilo erwähnt außerdem, dass Fanfarrão dieses Gefängnis mit Hilfe seiner genialen Baupläne lediglich als Modell auf seinem Tisch entwirft, während unerwähnt bleibt, dass das reale Gefängnis durch die körperlichen Kräfte der ‚dekadenten‘ einheimischen Bevölkerung aufgebaut wird: Desenha o nosso Chefe sobre a banca Desta forte Cadeia o grande risco À proporção do gȇnio, e não das forças Da terra decadente, aonde habita. (60)12
Die satirische Ambivalenz und die eigene Tonalität, die sich hier zeigen, offenbaren die subtile Kritik an dem Bild eines vermeintlich degenerierten Amerikas. Wenn Fanfarrão in seiner Hybris ein gigantisches Gefängnis bauen will, so wird diese Konstruktion dem „humilde povoado, aonde os Grandes / Moram em casas de madeira a pique“ (60), dem bescheidenden Volk, wo die Großen in Holzhütten leben, entgegengestellt. Die doppelte Wendung, die hier die satirische Tonalität einnimmt, ist ‚wilderisch‘: Auf der einen Seite ist sie eine Kritik an der Maßlosigkeit und Exzessivität der Kolonialverwaltung, ein Verstoß gegen die Angemessenheit und ein Wissen um die prekären Lebensbedingungen der Bevölkerung von Minas Gerais, auf der anderen Seite erlaubt ihre Tonalität, die wahren „Grandes“ dieses Territoriums zu entdecken, also den „humilde povoado“, das bescheidene, demütige Volk. Indem sich diese doppelte Wendung gegen die Exzessivität stellt, klagt sie die „casas de madeira em pique“ an, die, wie Wiebke Röben de Alençar erwähnt, eine der stärksten Kritiken der inhumanen Behandlung und der katastrophalen Lebensbedingungen der schwarzen Sklaven sowie der Indigenen, die ohne Bewusstsein als Arbeitssklaven ausgebeutet werden, darstellt:13 E sabes, Doroteu, quem edifica Esta grande Cadeia? Não, não sabes: 12 13
„Unser Herrscher zeichnet auf seinem Tisch das Gefängnis und dessen Risiko nach den Maßstäben seines Genius und nicht nach den Kräften des dekadenten Landes, wo er lebt.“ Vgl. Wiebke Röben de Alençar, „Tomás Antônio Gonzagas Cartas chilenas: eine satirische Kritik der kolonialen Verhältnisse im brasilianischen Minas Gerais vor dem Hintergrund europäischen Aufklärungsdenkens“, in: Das Europa der Aufklärung und die außereuropäische koloniale Welt, hrsg. v. Hans-Jürgen Lüsebrink, Göttingen: Wallstein 2006, 371–387.
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Pois ouve, que eu te digo: um pobre Chefe, Que na Corte habitou em umas casas, Em que já nem se abriam as janelas. E sabes para quem? Também não sabes: Pois eu também to digo: para uns negros, Que vivem, (quanto muito), em vis cabanas, Fugidos dos Senhores lá nos matos. (61)14
Die ökonomische Ausbeutungssituation der Bewohner, der matos, wird hier deutlich evoziert. Die Korrespondenz zwischen der Bereicherung der Metro pole und der Verarmung der aldea – des Dorfes, der kolonialen Peripherie – könnte nicht poetischer und ausdrucksstärker zur Sprache gebracht werden: Não pede, Doroteu, a pobre Aldeia/ Os soberbos Palácios, nem a Corte/ Pode também sofrer as toscas choças. (62)15
In derselben Argumentationslinie bewegt sich auch die nächste Textstelle, in der nicht nur die Ausbeutung des „triste povo“ (62), des armen Volkes, erwähnt wird, sondern auch gezeigt wird, wie diese Arbeitssklaven in den quilombos gefangen genommen werden. Die quolimbos sind jene Orte in den sumpfigen Regenwaldgebieten, wo sich die geflohenen Sklaven versteckten.16 E passa maltratar o triste povo Com estas nunca usadas violȇncias. Quer cópia de forçados, que trabalhem Sem outro algum jornal, mais que o sustento, E manda a um bom Cabo, que lhe traga A quantos Quilobolas se apanharem, Em duras gargalheiras. Voa o Cabo: Agarra a um, e outro, e num instante Enche a Cadeia de alentados negros. Não se contenta o Cabo con trazer-lhe Os negros, que tȇem culpas: prende, e manda Tambȇm nas grandes levas os escravos, Que não tȇm mais delitos, que fugirem 14
15 16
„Und weißt du Doroteu [so Critilo an seinen Adressaten], wer dieses große Gefängnis erbaut? Nein, du weißt es nicht: dann höre zu, denn ich sage es dir, ein armer Herrscher, der im Amt lebte, in Gemächern, in denen man nicht mal mehr die Fenster öffnete, und weißt du, für wen? Das weißt du ebenso nicht, also sage ich es dir: für einige Schwarze, die (so gut wie möglich) in offenen Hütten leben, geflohen vor ihren Herren, dort im Urwald.“ „Es verlangt nicht, Doroteu, das arme Dorf die stolzen Paläste, noch kann der Königshof die beschädigten Hütten erleiden.“ Der Begriff quilombo (‚Unordnung‘) weist zugleich immer eine rassistische Komponente auf, vgl. Span. acholarse, vergüenza de ser cholo (mestizo, más oscuro, marcar lo epidérmico).
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Fernando Nina Às fomes, e aos castigos, que padecem No poder de Senhores desumanos. Ao bando dos cativos se acrescentam Muitos pretos já livres, e outros homens Da raça do País, e da Europeia, Que diz ao grande Chefe, são vadios, Que perturbam dos pobres o sossego. (62)17
Zunächst erkennen wir hier im Motiv der konstanten Ausbrüche der schwarzen Bevölkerung zu ihren Verstecken im Dickicht des Urwalds eine direkte, kaum sublimierte Anschuldigung: Man muss sich vor Augen führen, dass Gonzaga hier seine Aufmerksamkeit auf eine der wichtigsten Bewegungen des kolonialen Widerstandes richtet und dieser sogar eine moralische Legitimation zuerkennt. Die quilombos sind Räume der Resistenz, sie sind eine Form autonomer Organisation als Antwort auf die königliche Kolonialregierung. Die Unmenschlichkeit letzterer ist der Grund für den Hunger und die Misshandlung. Hier erscheint auch eine Gegenposition zur „nulle vivacité, nulle activité“, die Buffon den amerikanischen Menschen zuschreibt. Nachdem Gonzagas Critilo die miserablen Quartiere beschrieben hat, in denen das Volk lebt, wird die Armut als erschütterlich dargestellt, die Geborgenheit der Armen dient als Legitimation ihrer Jagd und der Gefangennahme von Menschen. Offenbar haben wir es mit einer grotesken Szene zu tun, die ein Sozialsystem in Erosion aufzeigt. Für Gonzaga, der Recht studiert und das Amt des ouvidor-geral in Vila Rica ausgeübt hat, ist ein Blick auf das Rechtssystem am besten dazu geeignet, die Implosion und Dekadenz des portugiesischen Kolonialsystems zu beschreiben. Diejenigen, die regieren, sind Männer, die „os corpos do Direito nos seus cascos“ (65), also den Rechtsköper in ihre Hütte eingeführt haben – ein eindrückliches Bild, welches die poetische Stimme Critilos verwendet. Wenn das „Direito“ dorthin zurückkehren soll wo es herkommt (auch hier sind die Syntagmen ‚Verborgenheit und Geborgenheit‘ und ‚geschützt-sein und exponiert-sein‘ zentral), so bedeutet dies, dass man 17
„Und so wird das traurige Volk misshandelt mit nie angewandter Gewalt, er [sc. der Gouverneur Fanfarrão] will eine Reproduktion der Zwangsarbeiter ohne Bezahlung außer dem Nötigen, und er schickt einen jungen Soldaten, dass er ihm bringe so viele Quilombolas er fangen könne in harten Nackenketten, der Soldat eilt, fängt den einen und den anderen, in einem Augenblick füllt er das Gefängnis mit tapferen Schwarzen, aber es reicht ihm nicht, die Schwarzen einzufangen, diejenigen, die eine Straftat begangen haben, hält er fest und sperrt sie ein, wer keine begangen hat, außer dass er geflohen ist vor Hunger, vor Strafen, die er erleiden muss von Seiten seiner unmenschlichen Herrscher, unter die Gefangenen mischen sich viele freie Sklaven und andere Menschen der ‚Rasse‘ des Landes und der europäischen, von denen der Herrscher sagt, sie seien faul, die den Armen die Ruhe nehmen.“
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sich in einer anarchischen Gesellschaftsform ohne Gesetz befindet, jedoch wird damit nicht nur die legale Macht, die im Amt ist, delegitimiert, sondern zugleich die These aufgestellt, dass der „Direito“ eben wieder heraus kann aus seinem „casco“: Das Gesetz, die Ordnung können überdacht, rekonfiguriert werden. Und dies bekräftigt die Figur des Critilo sehr deutlich, was uns erlaubt, in Gonzaga einen Dichter zu sehen, der den Anspruch hatte, sich vom Mutterland abzuspalten und sich insbesondere im Politischen abzugrenzen: Eu lamento a Conquista, a quem governa Um Chefe tão soberbo, e tão estulto, Que tendo já na testa brancas repas, Não sabe ainda que nasceu Vassalo. (65)18
Der antikoloniale Impetus ist hier nicht zu übersehen. Die Kritik ist verhalten, weil wir es mit einem Schreibsubjekt zu tun haben, das sich als Untertan, als Vasall begreift, dennoch sind die Korrespondenzen mit der brasilianischen Kolonialsituation offensichtlich. Man darf hierbei auch die satirische Tonalität der „brancas repas“ nicht außer Acht lassen, des weißen Bartes als Synonyn der Weisheit – ein Bild, das eine sozio-ethnische Mitteilung enthält, denn das Weiße wird nicht mehr als intellektuelle Reinheit gesehen, sondern es handelt sich um ein kontaminiertes Bild, das die Verbindung von ‚Rasse‘ und Intellekt überschreitet. Ebenso wird die Vasallität von einer ehrenhaften Pflicht zu einer offenen Kategorie. Es liegt eine Überschneidung von Extension und Intensität vor, und die zitierte Stelle lässt sich damit als Mikropoetik Gonzagas bzw. der Cartas chilenas begreifen. Es sind vier Dimensionen, die hier nicht getrennt voneinander betrachtet werden können: die ethnisch-‚rassische‘ (raça do Pais, negritud), die sozio-ökonomische (trabajo forzado, pobreza), die juristischlegale (Direito, castigos) und die politisch-historische (liberdade, desorden, Conquista). 4.
Pathos und Logos
Die Kritik der Weisheit mit weißem Bart wird zum Bild, das eine Revision der Eroberung Brasiliens und Amerikas suggeriert: retrospektiv wird die Conquista bedauert, weil es gegenwärtig keine aufgeklärte Regierung gibt, die mit Vernunft agiert. Das ‚Schreiben als Wildern‘ erhält zudem eine pathetische 18
„Ich bedauere die Konquista/Eroberung für diejenigen, die regiert werden von einem hochmütigen und so unfähigen Herrscher, der, obwohl er im Gesicht schon einen weißen Bart trägt, nicht weiß, dass er als Vasall geboren wurde.“
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Dimension, die als affektive Dimension der Vernunft bezeichnet werden kann: das Melos, die Tonalität, korrespondiert mit dem Melanin, der Dunkelheit des Schicksals, der Haut, der melan-colía, die im Fall der Sklaverei eine noch stärkere somatische Kraft erlangt. Das Melos des Melanins ist das Pathos, das Pathos ist der Logos, das Melos widerspricht nicht dem Logos, das Melos übersetzt es, offenbart das Melanin des Pathos in seiner doppelten Bedeutung, als Tragödie und als Ethnozid: im Pathos enthüllt sich die andere Seite des Logos. Parece, Doroteu, que temos guerras; Que para recrutar as Companhias, De toda a parte vȇm chorosas levas. Aqui, prezado Amigo, principia Esta triste tragédia: sim prepara, Prepara o branco lenço, pois não podes Ouvir o resto, sem banhar o rosto Com grossos rios de salgado pranto. Nas levas, Doroteu não vȇm somente Os culpados vadios; vem aquele, Que a divídia pediu ao Comandante; Vem aquele, que pôs impuros olhos Na sua mocetona: e vem o pobre, Que não quis emprestar-lhe algum negrinho, Para lhe ir trabalhar na roça, ou lavra. (66)19
Das melos vermenschlicht die melan-colía, und dies ist kein Gedanke, der den Anspruch erhebt, verständlich zu sein, vielmehr muss er hier als Akt der avisierten Beeinflussung gelesen werden. In dieser Hinsicht ist die eigene elocutio das ineptum des prépon und als illegitime Kausalität zu verstehen. Das Unzulässige des Kausalen eröffnet eine neue Dimension der Rationalität, die Quantifizierung des Schmerzes ist irrelevant, das logisch-rationale Denken hat den Anspruch einer Intelligibilität, das patho-logische Denken sucht einen emotionalen Zugang zum Ding an sich, das hier eine Leidenschaft, ein Affekt ist. Aber genau dies ist es eben, was hier als Verschränkung von ‚Rasse‘ und Ratio, von pathos und ethnos aufgezeigt wird. 19
„Es sieht so aus, Doroteu, als hätten wir Kriege, um die Unternehmen zu vervollständigen, es kommen von überall her leidende Hergebrachte, hier, geschätzter Freund, beginnt diese traurige Tragödie: ohne Ankündigung, bereite dein weißes Taschentuch, weil du den Rest nicht hören können wirst, ohne dein Gesicht in Tränen zu baden, unter den Gefangenen kommen nicht allein, Doroteu, die beschuldigten Nutzlosen, sondern auch jene, die der Kommandant verlangt hat, es kommen jene, die ihre unreinen Augen auf seine Frau gerichtet haben, und es kommen die Armen, die nicht einen ihrer Schwarzen hergeben wollten, damit sie in den Minen oder Plantagen arbeiten.“
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Revolutionen sind körperliche Ereignisse, der Körper bewegt sich aufgrund des Willens, und dieser existiert nicht ohne Emotion. Die Revolution ist eine Erfahrung der Affekte, des Pathos, eines Pathos, das mobilisiert, es bewegt nicht nur den Intellekt, um neue Möglichkeiten zu bedenken, sondern auch die Menschen auf die Straßen, so dass sie ihren Körper aufs Spiel setzen für eine Veränderung. Gonzaga wusste, dass das Pathos mobilisiert, bewegt, deshalb kodifizierte er in den Cartas chilenas seine Kritik an der Kolonialregierung in dieser spezifischen Form intellektuellen Spotts und kritischer Ironie. Das ist es, was auf dem Spiel steht: eine Verschränkung der Extension seiner Gemeinschaft mit der Intensität der Form, und dies wiederum in Form einer kritischen Satire – so ließe sich seine Poetik in ihrer Essenz darstellen. Die Revolutionen und die inconfidencias entstehen, wenn der Widerspruch zwischen Möglichkeit und Realität unlebbar, unerträglich und untragbar geworden ist, wenn die Macht und ihre Institutionen die Spannung zwischen beiden Sphären nicht mehr aufrechterhalten oder zwischen diesen nicht friedlich vermitteln können, wenn die inconfidentes sich im Besitz der sprachlichen und kommunikativen Mittel befinden, um diese Spannung zu artikulieren und somit aufzulösen. Das Spottgedicht der Cartas chilenas als epische Satire konstituiert eine Problematisierung des Unreinen in dessen sozio-ökonomischen, ethnobiologischen und politisch-diskursiven Dimensionen. Das Rauschen, das Murren, die delimitierende Tonalität, die Gonzaga mit seinem Werk weckt, spielt mit den Grenzen des Sagbaren in der Kolonie, seine Satire nähert sich schon gefährlich der Heterophonie, die die Regierung des Überseekönigs verurteilt, die Delimitation überwirft sich selbst – dasselbe Munkeln, das Murren verraten Gonzaga, und die Angst vor seiner Intelligenz führt dazu, dass er letztlich verurteilt und deterritorialisiert wird. So setzt er sein Leben aufs Spiel, wird noch 1789 festgenommen, man konfisziert seinen Besitz, und er wird für drei Jahre im Gefängnis von Fortaleza de Ilha das Cobras, Rio de Janeiro, inhaftiert. 1792 wird er dann an die Ostküste Afrikas verschifft, um in Mosambik eine Strafe von zehn Jahren zu verbüßen und definitiv von Brasilien getrennt zu werden. Schließlich stirbt er zwischen 1809 und 1810, nachdem er sich in seinen letzten Lebensjahren eine gute ökonomische und soziale Stellung erarbeitet und in seiner Verbannung das Amt des juez de Alfândega, des Zollamts in Mosambik, ausgeübt hat.
Transatlantic Blake Johannes Schlegel 1 To talk about the English early romanticist William Blake in the context of the Enlightenment might come as a surprise, not least when talking about transatlantic Enlightenment. For one thing, Blake spent almost his entire life in various London boroughs, except for a brief period of three years when he lived in the town of Felpham in West Sussex. What is more, his strange and eccentric works that idiosyncratically combine poetry, painting, and print-making, establishing its own hermetic mythology of the four Zoas, did not only leave his contemporaries bewildered, but are, to this day, predominantly associated with the irrational: „At first, he was the Pictor Ignotus, the neglected artist“, as Shirley Dent and Jason Whittaker sum up, „but by the end of the twentieth century Blake had been courted as an occultist, revolutionary, surrealist and prophet of the counter-culture.“1 In fact, Blake seems to distance himself from Enlightenment thinkers as represented by the triad of „Bacon & Newton & Locke,“2 the founding fathers of English Enlightenment and, metonymically, their premise of Empiricism, thus making it easy to identify Blake as an exemplary Romantic opponent of the Enlightenment. While reading Blake as an outright „Enemy of the Enlightenment“ has a long tradition and is still prevalent,3 a number of recent studies have drawn a more nuanced picture. Contributions by Donald Ault, Steve Clark, and David Fallon, for instance, have shown that Blake’s reaction to the Enlightenment, as embodied by Newton and Locke, is rather dialogic than merely hostile.4 A similar argument is put forward by Matthew Green, who shows that, in 1 Shirley Dent, Jason Whittaker, Radical Blake. Influence and Afterlife from 1827, Basingstoke: Palgrave 2002, 5. 2 The Complete Poetry and Prose by William Blake, ed. David V. Erdman, New York: Anchor 1988, 224, 15. 3 See, for instance, Laura Quinney, William Blake on Self and Soul, Cambridge: Harvard University Press 2009, 98. A similar position is voiced by Steven Goldsmith, Blake’s Agitation. Criticism and the Emotions, Baltimore: Johns Hopkins University Press 2013, 11, 36, 78. 4 Donald D. Ault, Visionary Physics. Blake’s Response to Newton, Chicago: University of Chicago Press 1974; Steve Clark, „‚Labouring at the Resolute Anvil‘. Blake’s Response to Locke“, in: Blake in the Nineties, ed. Steve Clark, David Worrall, Houndmills: Macmillan 1999; David Fallon, „William Blake’s Sensational Mind“, in: Réfléchir (sur) la sensation, vol. 2, ed. Marina Poisson, Paris: Éditions des archives contemporaines 2014.
© Brill Fink, 2022 | doi:10.30965/9783846766361_012
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Blake, religious enthusiasm in fact productively collides with philosophical empiricism.5 Moreover, the way Blake conceives of narrative at large is also shaped by direct influences of Enlightenment conjectural history as practiced by, say, David Hume, Edward Gibbon, and Voltaire.6 In a more recent article, Andrew Lincoln claims that Blake’s early prophecy America allegorizes historical events, sharing „the enlightenment historian’s interest in identifying broad patterns of social development that can be used to interpret quite different historical periods and cultural contexts.“7 By doing so, however, constitutive paradoxes of Enlightenment historiography come to the fore. Hayden White has shown how enlightened historians where at pains explaining how their progressive, that is to say reasonable point of views emerged from previously dominant forms of what they perceived as ‚unreason‘. This could be called a paradox of progress or of optimism, which Hayden White, in his Metahistory, describes as the ‚dialectics of Enlightenment historiography‘: How did rationality (as [Vico’s] own age knew it) originate in, and grow out of, the greater irrationality by which we must presume ancient man to have been governed and on the basis of which he constructed the original forms of civilized existence? The Enlighteners, because they viewed the relationship of reason to fantasy in terms of an opposition rather than as a part-whole relationship, were unable to formulate this question in a historiographically profitable way.8
In the following, this essay argues that Blake not only seems fully aware of this constitutive paradox, but in America seeks to productively develop it. From this perspective, Enlightenment can be observed as both the motor and the product of textual and intellectual movements, which in turn are triggered by the cultural mobilities of the transatlantic Enlightenment.9
5 Matthew J.A. Green, Visionary Materialism in the Early Works of William Blake. The Intersection of Enthusiasm and Empiricism, Houndmills: Palgrave 2005, 13. 6 See Andrew Lincoln, Spiritual History. A Reading of William Blake’s Vala, or the Four Zoas, Oxford: Clarendon 1996. 7 Andrew Lincoln, „Blake, America, and Enlightenment“, in: Re-Envisioning Blake, ed. Mark Crosby, Troy Patenaude, Angus Whitehead, Houndmills: Palgrave 2012, 63–64. 8 Hayden White, Metahistory. The Historical Imagination in Nineteenth-Century Europe, Baltimore: Johns Hopkins University Press 1973, 52. 9 For the concept of cultural mobility, see Stephen Greenblatt et al., Cultural Mobility. A Manifesto, Cambridge: Cambridge University Press 2010. For a critical assessment of Greenblatt’s book cf. Johannes Schlegel, „‚Microhistories of ‚Displaced‘ Things and Persons‘. Wird der New Historicism bodenständig?“, in: KulturPoetik 12.1 (2012).
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2 It does not follow from the aforesaid, however, that Blake can be seen as a veritable thinker of the Enlightenment, or as a profound and proven expert of Enlightenment thought at large.10 If Blake was familiar with, say, Kant’s philosophy at all, then only indirectly and to questionable extent: Blake was acquainted with the painter and philosopher Henry James Richter, whom René Wellek describes as an avid student of Friedrich August Nitsch.11 A disciple of Kant, he had published the first book about his Königsberg teacher in English in 1796: A General and Introductory View of Professor Kant’s Principles Concerning Man, the World and the Deity, submitted to the Consideration of the Learned. But especially in his early writings, Richter’s assessment of Kantian philosophy is at least ambivalent, which changes only in his later writings – at a time, however, when he no longer can be considered an influence on the works of Blake.12 Insisting on the relevance of the Enlightenment for Blake is worth considering nonetheless, because America establishes a transatlantic perspective from the outset, in which the Enlightenment features prominently. William Blake printed America in 1793. Not only is it the first of his so-called continental prophecies, offering an introduction to his ever-evolving mythology, but it was also his most ambitious illuminated book to date. It consists of 18 plates, 10
11 12
At least no pertinent references are indexed in Gerald E. Bentley, Blake Books, Oxford: Clarendon 1977. See also Bentley’s Blake Books Supplement, Oxford: Clarendon 1995. It should not be forgotten that Blake had, after all, no comprehensive education, let alone an academic humanist one. At the age of 14, he first began an apprenticeship with the printer James Basire and then, in 1779, enrolled at the Royal Academy of Arts, because the work of a copper engraver did not agree with Blake’s own artistic ambitions. On this and Blake’s artistic craft, see Robert N. Essick, William Blake. Printmaker, Princeton: Princeton University Press 1980. See René Wellek, Immanuel Kant in England 1793–1838, Princeton: Princeton University Press 1931, 7–8, 205–207. See Henry James Richter, „On Mr. Hume’s Account of the Origin of the Idea of Necessary Connection“, in: Monthly Magazine, and British Register 4 (1797). At the end of the letter, Richter voices his hope „that that we might have some plea for rejecting, without examination, the system of Professor Kant.“ Quoted from the complete reprint in Early Responses to Hume’s Metaphysical and Epistemological Writings Ii, ed. James Fieser, Bristol: Thoemmes Continuum 2000, 26. A more positive assessment can only be found some twenty years later. See Henry James Richter, „On German Metaphysics, or Kant’s Philosophy of the Human Mind“, in: Morning Chronicle 12.3 (1817). This article closes with an explicit reference to Nitsch. Also see Daylight. A Recent Discovery in the Art of Painting, with Hints on the Philosophy of the Fine Arts, and on That of the Human Mind, as First Dissected by Emmanuel Kant, London: Ackermann 1817. Cf. also Wellek, Immanuel Kant in England, 207–211.
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including title page and frontispiece, each of which measures approximately 23 by 17 cm, printed on folio-sized leafs. If Blake ever hoped to reach a readership whatsoever, selling copies of the printed work for 10s 6d13 rendered it unaffordable for a general audience. The book itself is a direct response to the political turmoil of the previous years, culminating in the American Revolution; and while Blake is interested in the event as such, he employs it as a means to reflect on the state of current affairs in England. For Blake, America thus functions as a symbol of liberation from tyranny, rendering the war against it a manifestation of oppression – just as the War of the First Coalition against France (1792–1797). Unlike Blake’s The French Revolution, however, published in 1791 and arguably his most directly political and historical poem, America investigates the event’s mythopoetical potential. From the outset, the prophecy proper establishes a transatlantic perspective, in which the histories of the two countries are not only seen as intertwined and interdependent, but they are transposed into a single, encompassing myth:14 „The Guardian Prince of Albion burns in his nightly tent, / Sullen fires across the Atlantic glow to America’s shore: / Piercing the souls of warlike men, who rise in silent night.“15 Here, Albion is a common poetical name for England, which, in turn, is identified as the sole aggressor of the ensuing political conflict. Washington then describes the imminent threat of war, increasing tyranny and subsequent enslavement: Friends of America look over the Atlantic sea; / A bended bow is lifted in heaven, & a heavy iron chain / Descends link by link from Albion’s cliffs across the sea to bind / brothers & sons of America, till our faces pale and yellow; / Heads deprest, voices weak, eyes downcast, hands work-bruis’d, / Feet bleeding on the sultry sands, and the furrows of the whip / Descend to generations that in future times forget. —16
Washington’s speech, which is based on a piece of historical fiction by Blake’s American contemporary Joel Barlow,17 is interrupted by the appearance of the King of England „in dragon form“.18 13 14 15 16 17 18
The Complete Poetry and Prose by William Blake, 689. For this reason, America is supplement by the prophecies Europe (1794), and ‚Africa‘ and ‚Asia‘, which, in compressed form, were printed as The Song of Los (1795). The Complete Poetry and Prose by William Blake, 51. Ibid., 52. See David V. Erdman, Blake. Prophet against Empire. A Poet’s Interpretation of the History of His Own Times, Princeton: Princeton University Press 1954, 75. See also Erdmann, „William Blake’s Debt to Joel Barlow“, in: American Literature 26.1 (1954). The Complete Poetry and Prose by William Blake, 52.
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Blake’s appropriation of historical events is interesting for at least two reasons: first, it illustrates his sensitivity to contemporary debates, and second, it illustrates a somewhat paradoxical primal scene of his myth. The contemporary American historian David Ramsey, for instance, claims in his History of the American Revolution (1789) that the colonies were fashioned as rebels by the British government itself. While the colonies in their public acts, disclaimed all views of independence, they were successively represented in parliamentary resolves, royal speeches, and addresses from Lords and commons, as being in a state of disobedience to law and government, and as having proceeded to measures subversive to the constitution, and manifesting a disposition to throw off all subordination to Great Britain.19
Not only is this a sentiment that indeed has to be seen as representative – and which only intensified after the Boston Massacre –, it also paves the way for Blake’s own paradoxical observation, as Andrew Lincoln has shown: „while the Americans’ desire for liberty arouses, and worked to intensify, that oppression it sought to escape, the fear within the sovereign power worked to create, or urge, into being, the rebellion it most dreaded.“20 In America: a Prophecy, this becomes manifest in the spectacular appearance of an embodiment and representation of revolutionary energy rising from the Atlantic: „Red rose the clouds from the Atlantic in vast wheels of blood / And in the red clouds rose a Wonder o’er the Atlantic sea; / Intense! Naked! A Human fire fierce glowing as the wedge / Of iron heated in the furnace.“21 It is important to note that, at this point, the energy is almost without identity, and does not so much speak about revolution, but, in a passage that closely echoes the Declaration of Independence, about liberation.22 This changes only after Albion’s Angel identifies the personification of this energy as „Orc, […] Blasphemous Demon, Antichrist, […] Lover of wild rebellion, and transgressor of God’s Law.“23 Paradoxically, then, it is the Angel, moved by this manifestation of energy, who first endows the fiery figure with a name and a subversive identity which the figure then accepts and lives up to: Orc, serpent formed, rebel.24 In this way, the emergent spirit of liberty is recast as a spirit of rebellion 19 20 21 22
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David Ramsey, The History of the American Revolution, vol. I, Philadelphia: Aitken 1789, 82. Lincoln, „Blake, America, and Enlightenment“, 74. The Complete Poetry and Prose by William Blake, 53. For the intellectual history of the American Declaration of Independence and, first and foremost, its relevance for the internationalizing and globalizing of the Enlightenment see David Armitage, The Declaration of Independence. A Global History, Cambridge: Harvard University Press 2007. The Complete Poetry and Prose by William Blake, 53f. Ibid., 54.
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that must be punished: as Orc, the fiery voice does speak in terms of disobedience, active political struggle, and anarchic violence that seeks to overthrow reactionary forces and the law of the old world, both established and represented by Urizen: „The fiery joy, that Urizen perverted to ten commands, / […] That stony law I stamp to dust: and scatter religion abroad / To the four winds as a torn book, & none shall gather the leaves.“ Here, Urizen is identified by Orc with the Jehovah of Exodus who is both benevolent creator yet also sovereign of the creation, governing it by the ten commandments.25 With this, however, Blake ultimately transcends the historical narrative: his authentic characters are reduced to mere bystanders, as Albion’s Angel calls for war: „For terrible men stand on the shores, & in their robes I see / Children take shelter from the lightnings, there stands Washington / And Paine and Warren with their foreheads reard toward the east / But clouds obscure my aged sight.“26 The dramatic reduction of historic characters, so to speak, is necessary for Blake to be able to rewrite American history „from the perspective of giant forms, who personify the collective psychology involved in the conflict.“27 Quite surprisingly, therefore, America: A Prophecy does not turn into a panegyric of the founding fathers of the United States, but is rather interested, on its mythopoetic level, with the fate of England. After a vain attempt to call for war – „Sound! sound! my loud war trumpets“28 – Albion’s Angel is deserted by the thirteen Angels, representing the English colonies, who throw down their robes and sceptres as the symbols of monarchic, colonial rule, thus returning them to the people and the nation. In apocalyptic images, Blake describes how Albion’s Angel then sends several plagues to destroy America. Driven by the revolutionary fires of Orc, however, the pestilence is not only fended off, but sent back to infect England: But all rush together in the night in wrath and raging fire / The red fires rag’d! the plagues recoil’d! then rolld they back with fury / On Albions Angels; then the Pestilence began in streaks of red / Across the limbs of Albions Guardian, the spotted plague smote Bristols / And the Leprosy Londons Spirit, sickening all their bands: / The millions sent up a howl of anguish and threw off their hammerd mail, / And cast their swords & spears to earth, & stood a naked multitude. / 25
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In one of the cancelled plates, Urizen is indeed described as the creator of the world: „The moon shot forth in that dread night when Urizen call’d the stars round his feet; / Then burst the center from its orb, and found a place beneath; / And Earth conglob’d, in narrow room, roll’d round its sulphur sun“ (ibid., 58). Ibid., 54. David Fallon, Blake, Myth, and Enlightenment. The Politics of Apotheosis, London: Palgrave 2017, 99. The Complete Poetry and Prose by William Blake, 54.
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Albions Guardian writhed in torment on the eastern sky / Pale quivring toward the brain his glimmering eyes, teeth chattering / Howling & shuddering his legs quivering; convuls’d each muscle & sinew / Sick’ning lay Londons Guardian, and the ancient miter’d York / Their heads on snowy hills, their ensigns sick’ning in the sky / The plagues creep on the burning winds driven by flames of Orc, / And by the fierce Americans rushing together in the night / Driven o’er the Guardians of Ireland and Scotland and Wales / They spotted with plagues forsook the frontiers & their banners seard / With fires of hell, deform their ancient heavens with shame & woe. / Hid in his eaves the Bard of Albion felt the enormous plagues. / And a cowl of flesh grew o’er his head & scales on his back & ribs; / And rough with black scales all his Angels fright their ancient heavens / The doors of marriage are open, and the Priests in rustling scales / Rush into reptile coverts, hiding from the fires of Orc, / That play around the golden roofs in wreaths of fierce desire, / Leaving the females naked and glowing with the lusts of youth / For the female spirits of the dead pining in bonds of religion; / Run from their fetters reddening, & in long drawn arches sitting: / They feel the nerves of youth renew, …29
While the King of England attempts to infect the Americans – both metaphorically and literally –, the whole process reverses: the means of punishment are turned on the punisher. In this sense, the pattern of America is both dialectical and symmetrical, and the transatlantic reference is therefore decisive and constitutive for Blake’s vision of the fate of England, which shall be liberated spiritually and corporeally. The prophecy seeks to establish a historical pattern. It begins with the birth and rising of Orc30 and concludes with the end of the American war in 1781 and the ensuing repression of the revolutionary spirit for another twelve years – that is, until the very year 1793, in which the War of the First Coalition against France seems to repeat the earlier one against America, and in which Blake’s book appeared. America thus serves as both the medium and a mediation of revolutionary energy. This is closely related to Blake’s appropriation of the Enlightenment.
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Ibid., 56. These and similar passages in Blake have prompted Northrop Frye to claim an allegedly ever-recurring narrative of revolution turning into tyranny. See Northrop Frye, Fearful Symmetry. A Study of William Blake, Toronto: University of Toronto Press 2004 (Collected Works of Northrop Frye). For a critical reassessment of Frye’s claim, however, cf. Christopher Z. Hobson, „The Myth of Blake’s ‚Orc Cycle‘“, in: Blake, Politics, and History, ed. Jackie DiSalvo, G.A. Rosso, Christopher Z. Hobson, New York: Garland 1998.
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3 The transatlantic frame of reference is indeed characteristic of English (radical) thought at the turn of the nineteenth century.31 Jeremy Bentham, for instance, claimed that the newly created nation was „one of the most enlightened, if not the most enlightened, at this day on the globe.“32 The mythopoetical interconnectedness of England and America that Blake put forward in America is thus repeated in its figuration of enlightened thought, that is, first and foremost, in Thomas Paine, who seems to be of special importance to Blake. This is not to say that Bake followed Paine in each and every argument. More often than not, Paine is employed as a means for Blake to find his own position, as can be seen, for instance, in the private marginal annotations Blake added to his copy of Paine’s The Age of Reason, in which he rejected criticism brought forward against Paine’s deistic views by Richard Watson, Bishop of Llandaff.33 Blake and Paine probably met in the circles of the liberal bookseller Joseph Johnson, for whom Blake engraved commissioned book illustrations up until the 1790s. Parts of these circles were illustrious authors and artists, including William Godwin, Mary Wollstonecraft, Henry Fuseli and Joseph Priestley. And even though Blake’s role in this group was possibly marginal,34 it can be taken for granted that he was familiar with a given set of Enlightenment ideas. In addition to possible political and/or personal sympathies between Blake and Paine, another reason why the latter features prominently in America is, I would argue, the fact that he functions as a veritable go-between, paradigmatically embodying the circulation of ideas and social energy between England, France and America: born in England in 1737, Paine, with the help of Benjamin Franklin, emigrated to the American colonies in 1774, and became a citizen of Pennsylvania. Accordingly, Blake describes Paine as „The scribe of Pensylvania“ in America, whose tool for creating a new nation is „his pen“35, thus highlighting 31 32 33
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See Roy Porter, Enlightenment. Britain and the Creation of the Modern World, London: Penguin 2000, 402–404. Jeremy Bentham, An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, London: T. Payne 1789, 346. See Florence Sandler, „Defending the Bible. Blake, Paine, and the Bishop on the Atonement“, in: Blake and His Bibles, ed. David V. Erdman, West Cornwall: Locust Hill Press 1990. See also Hazard Adams, Blake’s Margins. An Interpretative Study of the Annotations, Jefferson: McFarland 2009, 61–80. See Jon Mee, „‚The Doom of Tyrants‘. William Blake, Richard ‚Citizen‘ Lee, and the Millenarian Public Sphere“, in: Blake, Politics, and History, op. cit.; for a different perspective, cf. Robert N. Essick, „William Blake, Thomas Paine, and Biblical Revolution“, in: Studies in Romanticism 30.2 (1991). The Complete Poetry and Prose by William Blake, 56.
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his function for the mediation of Enlightenment.36 This is a powerful image of Paine, as it suggests a symmetry between Paine and Blake, as the latter’s methods of production relied not so much on a printing press and type setters, but, first and foremost, on the pen he used for etching copper plates.37 In addition, Paine advocates a very specific version of the Enlightenment, which he put forward in The Rights of Man (Part I, 1791, Part II, 1792) and which Blake, who was trained as printmaker, surely found appealing.38 The Rights of Man were written after Paine’s return to England as a direct response to Edmund Burke’s reactionary Reflections of the Revolution in France (1790). Here, Paine argued that popular political revolution is permissible when a government does not safeguard the natural rights of its people. Given the accessible language the book was written in, as well as its argument for universal adult male suffrage and a redistribution of wealth through taxation, Paine’s pamphlet appealed particularly to the „cobblers, printers, weavers and carpenters“ in England,39 who were at the core of urban radicalism, contending for change. Paine stands for a transatlantic cultural exchange or circulation of ideas, mirroring the mythopoetical interconnectedness of England and America. Unlike many of his contemporary radicals, however, Blake saw recourse to law as a problem in itself. The social problems he saw around him seemed to require a complete liberation from the existing political systems and a transformation of the sense of human potential. Blake expresses this, again, mythopoetically. When fiery Orc drives Pestilence back to England, he ultimately forces Urizen out of his hiding place in the clouds and to reveal himself: „The Heavens melted from north to south; and Urizen who sat / Above all heavens in thunders wrap’d, emerg’d his leprous head / From out his holy shrine, his 36 37
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The importance of mediation for the history of Enlightenment is emphasised by several articles in the volume This Is Enlightenment, ed. Clifford Siskin and William Warner, Chicago: University of Chicago Press 2010. For a detailed description of Blake’s technique of relief etching and the printing process, see Joseph Viscomi, Blake and the Idea of the Book, Princeton: Princeton University Press 1993. It could be speculated that Blake here observes a parallel of sorts between Paine and himself, because the ‚pen‘ might just as well refer to Blake’s own techniques of artistic production. This self-referentiality is brought to the fore, for instance, in the „Introduction“ to Blake’s early Songs of Innocence (1789): „And I pluck’d a hollow reed. // And I made a rural pen, / And stain’d the water clear, / And I wrote my happy songs / Every child my joy to hear“ (The Complete Poetry and Prose by William Blake, 7). An overview of studies on Blake and contemporary radicalism/politics is provided by Andrew Lincoln, „Blake and the History of Radicalism“, in: Palgrave Advances in William Blake Studies, ed. Nicholas M. Williams, Basingstoke: Palgrave 2006. Roy Porter, The Creation of the Modern World. The Untold Story of the British Enlightenment, New York: Norton 2000, 449.
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tears in deluge piteous / Falling into the deep sublime!“40 Urizen embodies Blake’s indictment of the Enlightenment privileging of reason as the crowning mental faculty, the most egregious perpetrator of dualism in the fallen world. Because, as we have seen earlier, he is also identified as „Creator of men“41, he fulfils a contrary, paradoxical purpose: Urizen is seen both as the condition of possibility of being and as its limiting factor. This opposite function is already expressed in his name, which can be pronounced both as ‚Your Reason‘ and as ‚Horizon‘. Of course, these two notions are intertwined: the horizon as limit of perception which is imposed by ‚your reason‘. This is, I would say, Blake’s main criticism of the Enlightenment: he disapproves not so much of the establishment of reason per se, but of the establishment of reason that imposes its law absolutely, thus confining the flow of energy. This is what happens in America, at least temporarily: „Weeping in dismal howlings before the stern Americans / Hiding the Demon red with clouds & cold mists from the earth; / Till Angels & weak men twelve years should govern o’er the strong: / And then their end should come, when France reciev’d the Demons [sic] light.“42 It is not until the visionary Revolution in France that the contained energy shall be released again. 4 The unhindered flow of energy is important as America aptly illustrates. Only this guarantees the fulfilment of one of the central tenants of continental Enlightenment thought: renewal and perfectibility.43 In Blake’s perspective, in other words, enlightened reason is part of the malady for which it proposes to be the cure. The way out of this conundrum is, to borrow a phrase from Jürgen Habermas, „to enlighten the Enlightenment about itself.“44 In order to achieve this, Blake’s prophecy combines, as I have demonstrated, myth and Enlightenment in a dynamic dialectical movement, as he imagines them as 40 41 42 43 44
The Complete Poetry and Prose by William Blake, 57. Ibid., 48. Ibid., 57. Roger Lüdeke points out that this scene illustrates Blake’s mode of divinatory narrative in America. See Roger Lüdeke, Zur Schreibkunst von William Blake. Ästhetische Souveränität und Politische Imagination, München: Fink 2013, 121–122. For an extensive overview of contemporary debates about the possibilities and limits of perfectibility in European Enlightenment, see Gottfried Hornig, „Perfektibilität“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, ed. Joachim Ritter, Darmstadt: WBG 1989. Jürgen Habermas, The Philosophical Discourse of Modernity. Twelve Lectures, transl. Frederik Lawrence, Cambridge: Polity 1990, 107.
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contraries: mutually exclusive states that, paradoxically, are always already dependent on each other.45 Instead of rigid either/or-binaries, Blakean texts operate more often than not by employing both/and-relations. By constantly unfolding these contraries, the processual work of both reason and the senses remain active. This then is a critical practise that is structurally analogous to what Horkheimer and Adorno describe as constitutive of the Modern West as a historical formation: „Myth is already enlightenment, and enlightenment reverts to mythology.“46 The Enlightenment is thus reconfigured as a constitutively open-ended form,47 necessitating ever new formation and mediation, ultimately finding its embodiment in what Andrew Burkett has recently described as Blake’s multimedia „network aesthetic.“48 The intricate decorations as well as the illustrations break up any perceived linearity, and thus constantly challenge the readers to re-consider their assumptions about both textual and pictorial representation – and the deconstruction of the difference between them. Significantly, in America this is key to the negotiation of the relation between Orc and Urizen, as outlined above. When, for instance, Albion’s Angel describes Orc as „serpent-form’d“49, the pictorial elements illustrate a revolutionary spirit that is yet to awake. On the subsequent plate, Orc is made a presence, while the text proper ostentatiously describes Urizen and his Angel, just to have him emerge from fiery flames two additional plates later. The intellectual and cultural mobility that Blake finds in transatlantic exchanges finds its equivalent in the medial form of America, which thus transcends the narrow limits of mimetic diegesis.
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Blake’s most extensive poetological reflection of the contraries can arguably be found in The Marriage of Heaven and Hell (1790–1793). Max Horkheimer and Theodor W. Adorno, Dialectic of Enlightenment. Philosophical Fragments, transl. Edmund Jephcott, Stanford: Stanford University Press 2002, xviii. See also Denise Gigante, „Blake’s Living Form“, in: Nineteenth-Century Literature 63.4 (2009). Andrew Burkett, Romantic Mediations. Media Theory and British Romanticism, Albany: SUNY 2016, 94. The Complete Poetry and Prose by William Blake, 53.