Tollensetal 1300 v. Chr: das älteste Schlachtfeld Europas 3806242623, 9783806242621


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Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhalt
Vorwort
Tollensetal- Helden
Einführung
Die Anfänge des Krieges
Das Tollensetal
Die aufregendste Fundstelle Deutschlands
Sumpf und Wasser
Falsche Idylle?
Schädel, Sichel, Sensationen
Auf Tauchgang in der Tollense
Überall Knochen!
Ausgrabungen auf dem Schlachtfeld
Nicht nur Zinn und Gold
Die unsichtbaren Opfer von Weltzin 32
Im Kampf verloren?
Spektakuläre Funde von Weltzin 28
Unterwegs in der Bronzezeit
Eine befestigte Straße im Tollensetal
Ungeahnter Reichtum
Ein Tal voller Bronze
Der gefiederte Tod
Waffen im Einsatz
Knochen in Bewegung?
Die Toten aus dem Tollensetal
Auf jeden Fall tödlich
Un) sichtbare Spuren der Gewalt
Im Dschungel der Methoden
Woher kamen die Kämpfer?
Krieg?
Ein Rekonstruktionsversuch
Bronze, Glas und Seide
Armer Norden – reicher Süden?
Das 13. Jahrhundert v. Chr.
Aufbruch oder Untergang?
Literatur
Autoren
Bildnachweis
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Tollensetal 1300 v. Chr: das älteste Schlachtfeld Europas
 3806242623, 9783806242621

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Tollensetal 1300 v. Chr.

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Tollensetal 1300 v. Chr.

Das älteste Schlachtfeld Europas J OAC H I M K R Ü G E R , G U N D U L A L I D K E , S E B A S T I A N LO R E N Z , THOMAS TERBERGER (HRSG.)

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Sonderheft 19/2020 Jahrgang 03/2020 der Zeitschrift »Archäologie in Deutschland«

Frontispiz: Eine in den Schädel eingedrungene Pfeilspitze, verbogen durch die Wucht des Aufpralls. Titelseite der Buchhandelsausgabe: Freilegung einer Fundkonzentration von menschlichen Überrresten an Fundplatz Weltzin 20. Links: Funde aus dem Tollensetal wie ein Schädel, kleine Goldspiralringe und eine verbogene Bronzepfeilspitze in einem Schädel. Titelseite AiD-Sonderheft: Ein Schädel von Fundstelle Weltzin 20 mit deutlichen Spuren einer durch stumpfe Gewalt entstandenen Verletzung, dahinter das Tollensetal aus der Vogelperspektive. Rückseite: Menschliche Skelettreste am Fundplatz Weltzin 20; Rekonstruktion eines Kriegers der Urnenfelderzeit; beim Schnorcheln entdeckter Unterkiefer mit vollständiger Bezahnung.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. wbg THEISS ist ein Imprint der wbg © 2020 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Gestaltung und Produktion: Verlagsbüro Wais & Partner, Stuttgart Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in EU Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-4262-1 ISSN 0176-8522

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Inhalt 5 Inhalt 7 Vorwort Tollensetal-Helden 9 Einführung Die Anfänge des Krieges 18 Das Tollensetal Die aufregendste Fundstelle Deutschlands 24 Sumpf und Wasser Falsche Idylle? 29 Schädel, Sichel, Sensationen Auf Tauchgang in der Tollense 34 Überall Knochen! Ausgrabungen auf dem Schlachtfeld 39 Nicht nur Zinn und Gold Die unsichtbaren Opfer von Weltzin 32 44 Im Kampf verloren? Spektakuläre Funde von Weltzin 28 50 Unterwegs in der Bronzezeit Eine befestigte Straße im Tollensetal 56 Ungeahnter Reichtum Ein Tal voller Bronze 63 Der gefiederte Tod Waffen im Einsatz 68 Knochen in Bewegung? Die Toten aus dem Tollensetal 73 Auf jeden Fall tödlich (Un)sichtbare Spuren der Gewalt

83 Im Dschungel der Methoden Woher kamen die Kämpfer? 89 Krieg? Ein Rekonstruktionsversuch 96 Bronze, Glas und Seide Armer Norden – reicher Süden? 102 Das 13. Jahrhundert v. Chr. Aufbruch oder Untergang?

109 Literatur 111 Autoren 112 Bildnachweis

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Vorwort Tollensetal-Helden

Manche Leser mögen beim Thema Archäologie an Abenteuer von Indiana Jones in fernen Ländern denken, doch der Arbeitsalltag in der Wissenschaft ist weniger spektakulär. Nicht jede Grabung hält eine Sensation bereit, und auch bei schlechten Witterungsbedingungen müssen die Geländearbeiten durchgeführt werden. Die wissenschaftliche Aufarbeitung findet zudem meist im Büro und im Labor statt. Archäologische Forschung ist heute vor allem mühsame Die Karte zeigt die wichtigsten Fundstellen des Tollensetals.

Frank und Sonja Nagel, Ronald Borgwardt sowie Sebastian John haben sich über viele Jahre ehrenamtlich für die Forschungen im Tollensetal eingesetzt.

Detektivarbeit. Doch manche Entdeckung führt tatsächlich direkt in das Abenteuer Archäologie, und die Forschungen zum bronzezeitlichen Schlachtfeld im Tollensetal sind zweifellos ein solcher Fall. Das unscheinbare Flusstal im Nordosten Deutschlands hat in den zurückliegenden Jahren für die Beteiligten immer wieder Überraschungen bereitgehalten, die alle Erwartungen übertroffen haben. Dabei hat das Projekt nicht nur viele Disziplinen sowie Studierende

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8 | Vorwort

und Wissenschaftler aus dem In- und Ausland zusammengeführt, sondern auch ehrenamtliche Mitstreiter gewonnen. Ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger, Helfer und Forschungstaucher haben sich weit über das übliche Maß hinaus engagiert. Seit seiner Kindheit ist Ronald Borgwardt im Tollensetal unterwegs. Er entdeckte hier früh seine Leidenschaft für die Archäologie. Seinem Spürsinn und seiner Beharrlichkeit ist die Entdeckung des Tollensetals als außergewöhnliches Fundareal der Nordischen Bronzezeit zu verdanken. Seine ersten Entdeckungen am 12. Mai 1996 bildeten den Auftakt für die Forschungen vor Ort; bis heute ist er ehrenamtlich regelmäßig im Tal unterwegs. Sollte man zufällig einmal das Tollensetal vor Ort besuchen, so bestehen gute Chancen, dort dem Entdecker bei einem seiner Einsätze zu begegnen. Tauchen im Fluss gilt vielen, die diesem Hobby nachgehen, als wenig attraktiv: Geringe Tiefen, eingeschränkte Sicht, Strömung und Schlamm lassen die meisten Sporttaucher diese Wassergefilde meiden. Dies gilt jedoch nicht für Sonja und Frank Nagel. Als der Landesverband für Unterwasserarchäologie MecklenburgVorpommern sich 2007 bereit erklärte, die Fundstellen in der Tollense unter Wasser zu erkunden, waren sie von der ersten Stunde an mit dabei. Dabei war dem Ehepaar die Archäologie nicht in die Wiege gelegt: Als Verwaltungsangestellte und IT-Unternehmer leben sie auf Rügen und entdeckten erst nach und nach ihre Begeisterung für das Tauchen und die archäologische Forschung. In den letzten Jahren haben sie als geprüfte Forschungstaucher regelmäßig viel Freizeit im Tollensetal verbracht, um bekannte Fundstellen im Fluss zu kontrollieren, neue Fundplätze zu erschließen und Entdeckungen auf hohem Niveau zu dokumentieren. Tauchgänge von bis zu drei Stunden sind keine Seltenheit, und inzwischen ist Sonja Nagel Spezialistin im Freipräparieren anspruchsvoller Befunde. Dabei hat Frank Nagel die Technik und die Sicherheit stets im Griff. So verdanken wir ihm neben

Luftaufnahmen und 3D-Modellen auch eine umfangreiche Foto- und Video-Dokumentation der Unterwasserfunde. Statt ihren Urlaub auf Mallorca oder anderswo zu verbringen, erlebten und erleben sie das Abenteuer Tollensetal mit Hunderten von Tauchstunden an einer der faszinierendsten Fundstellen Europas. Auch Sebastian John aus Altentreptow verdanken wir entscheidende Entdeckungen. Sein Wissen und seine Erfahrung im Umgang mit dem Metalldetektor hat er immer wieder ehrenamtlich für das Forschungsprojekt eingesetzt. Bei aller Freude über einen schönen Fund hat er stets den wissenschaftlichen Wert seiner Entdeckungen im Blick und dokumentiert sorgfältig alle Fundumstände. Neben den namentlich genannten Personen gibt es viele weitere Ehrenamtliche, die uns Stunden, Tage oder auch Monate mit Wissen, Einsatz und Geduld unterstützt haben. Daher soll dieses Sonderheft der Archäologie in Deutschland diesen ehrenamtlichen Helden gewidmet sein, die bei Wind und Wetter mit Herzblut das Projekt mit vorangebracht haben. Sie haben maßgeblich dazu beigetragen, dass die Fundstellen im Tollensetal nicht geplündert, sondern erforscht werden. Nur die Zusammenführung aller Informationen und Funde im Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern ermöglichte das faszinierende Gesamtbild. Daher möchten wir besonders dem Landesarchäologen Dr. Detlef Jantzen, aber auch den anderen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen dort, für die gute und fruchtbare Zusammenarbeit und Unterstützung über die vielen Jahre hinweg sehr herzlich danken. Für eine Anschubfinanzierung im Jahre 2009 ist dem Ministerium für Wissenschaft, Bildung und Kultur Mecklenburg-Vorpommern zu danken. Vor allem aber der Deutschen Forschungsgemeinschaft sind wir für die großzügige finanzielle Förderung von 2010 bis 2017 zu großem Dank verpflichtet. IM MAI 2020 JOACHIM KRÜGER, GUNDULA LIDKE, SEBASTIAN LORENZ UND THOMAS TERBERGER

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Einführung Die Anfänge des Krieges Thomas Terberger

Im Jahr 2015 fand im Landesmuseum Halle die große Ausstellung »Krieg – eine archäologische Spurensuche« statt. Das Massengrab von Lützen aus dem Dreißigjährigen Krieg gehörte zu den zentralen Exponaten.

Gewalt und Krieg hinterlassen Spuren bei jedem Menschen, der sie erlebt. So haben die schrecklichen Erlebnisse des Zweiten Weltkriegs eine ganze Generation und ihre Nachkommen geprägt. Wohl auch aus diesem Grund hat sich die archäologische Forschung lange Zeit vor allem mit Themen wie der materiellen Kultur, den Gräbern und dem Handel beschäftigt. Auf diese Weise entstand für die Bronzezeit das Narrativ einer friedlichen Gesellschaft, in der Waffen als Mittel zur Selbstdarstellung dienten. Noch im Jahr 1999 beförderte eine große vom Europarat geförderte Ausstellung das Bild von Göttern und Helden der Bronzezeit.

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10 | Einführung

Allerdings waren schon früh Zeugnisse vorgeschichtlicher Gewalt bekannt. Ein Beispiel hierfür sind 34 Kopfbestattungen aus der Zeit um 6300 v. Chr., die 1908 in der Großen Ofnethöhe in Bayern aufgedeckt wurden. Mindestens acht der Schädel zeigen tödliche Verletzungen. Bleibt die Interpretation dieser Funde als Massaker unsicher, so dürfen die Skelettreste von 34 Männern, Frauen und Kindern mit zahlreichen Verletzungsspuren aus einem Massengrab der späten Linienbandkeramik im baden-württembergischen Talheim sicher als Folge eines brutalen Überfalls gewertet werden. Die Schädelverletzungen erlaubten es dem Anthropologen Joachim Wahl, das Tatgeschehen weitreichend zu rekonstruieren. Zusammen mit weiteren Massengräbern jener Zeit werfen diese etwa 7000 Jahre alten Opfer die Frage auf, ob es zum Ende der Zeit der ersten Bauern (Linienbandkeramik) zu einer gesellschaftlichen Krise gekommen ist. Im Nordosten Deutschlands wurden bereits um 2000 v. Chr. sogenannte Vollgriffdolche (Exemplare links und rechts) nach Vorbildern aus der südlichen Aunjetitzer Kultur (Mitte) gefertigt. Handelt es sich bei den Dolchen aus dem Hort von Malchin um echte Waffen oder eher um Prestigeobjekte?

Die Bezeichnung der einzelnen Abschnitte der Bronzezeit variiert je nach geografischer Lage. Während man sich im Süden Deutschlands an den Bestattungsformen orientiert, erfolgt im Norden die Gliederung in die Perioden I bis VI.

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Das Relief zeigt den mit Pfeil und Bogen bewaffneten ägyptischen Herrscher Tuthmosis IV. auf einem Streitwagen. Darstellungen wie diese bezeugen, dass Pferdegespanne in den kriegerischen Auseinandersetzungen des 2. Jt. v. Chr. im Vorderen Orient eine wichtige Rolle spielten.

Einen weiteren Impuls zur Beschäftigung mit dem Thema Gewalt und Krieg löste das 1996 veröffentlichte Buch War Before Civilization des Anthropologen Lawrence H. Keeley aus. Obwohl z. B. seine Interpretation von linienbandkeramischen Erdwerken – wie im Wilden Westen – als Schutzforts der ersten Bauern gegen die mittelsteinzeitliche Urbevölkerung in Fachkreisen kaum Akzeptanz fand, räumte er doch mit dem Mythos friedlicher archaischer Gesellschaften auf. In den letzten Jahren haben sich verschiedene Tagungen dem Thema gewidmet. Zudem etablierte sich mit der Schlachtfeldarchäologie ein gänzlich neues Forschungsfeld (vgl. AiD-Sonderheft 2011). Spektakuläre Massengräber aus dem Dreißigjährigen Krieg wie im brandenburgischen Wittstock und in Lützen, Sachsen-Anhalt, haben mit den ihnen gewidmeten Ausstellungen das Thema Krieg in der (Vor-)Geschichte in die breite Öffentlichkeit getragen.

Waffe oder Sonntagstracht? Gehörte das Schwert nur zur Sonntagstracht bronzezeitlicher Helden? Diese Frage lässt sich heute auch mit Blick auf die frühe Metallurgie beantworten: Zu den ersten Kupferobjekten, die um 4000 v. Chr. aus Südosteuropa bis an die südliche Ostseeküste gelangten, gehören Waffen wie die kreuzschneidige Axthacke von Steinhagen in Mecklenburg-Vorpommern. Auch die berühmte Gletschermumie vom Hauslabjoch – Ötzi – aus der Zeit um 3300 v. Chr. war kein Hirte mit Jagdwaffen, der im Sturm zu Tode kam. Vielmehr war der Mann mit einem Kupferbeil, einem Silexdolch sowie Pfeil und Bogen schwer bewaffnet

unterwegs, vielleicht sogar ein Krieger seiner Zeit, der von seinen Verfolgern erschossen wurde. In reichen Männergräbern der Glockenbecherkultur gehören kleine Kupferdolche zur typischen Ausstattung. Um 2200 v. Chr. setzte mit der Bronzezeit eine rasante Entwicklung ein: Aus Stabdolchen und Vollgriffdolchen entwickeln sich im 2. Jt. v. Chr. in den metallurgischen Zentren Schwerter. Um 1500 bis 1300 v. Chr., der Periode II der Nordischen Bronzezeit, wurden dann aus importiertem Kupfer und Zinn reich verzierte Vollgriffschwerter gefertigt. Schon nach wenigen Generationen beherrschten Schmiede im Norden die anspruchsvolle Bronzetechnologie. Die Vorstellung, dass diese Waffen kaum für den Kampf taugten, haben Studien der letzten Jahre anschaulich widerlegt. Gebrauchsspuren wie Scharten an den Klingen zeugen davon, dass Stabdolche und Schwerter durchaus als effektive Waffen eingesetzt wurden. Der Archäologe Kristian Kristiansen hatte bereits in den 1980er Jahren auf die deutliche Abnutzung vieler bronzezeitlicher Schwerter aus Dänemark aufmerksam gemacht. Doch Zeugnisse von bronzezeitlichen Konflikten waren zu dieser Zeit noch nicht bekannt.

Schlacht ohne Fundort Im Vorderen Orient setzt die schriftliche Überlieferung deutlich früher ein als in Europa. Schon in Schriftzeugnissen des 3. Jt. v. Chr. finden sich Hinweise auf kriegerische Auseinandersetzungen. Mit dem 2. Jt. v. Chr. nehmen die Quellen deutlich zu; besonders anschauliche Beispiele liefern die Zeugnisse der Auseinandersetzungen zwischen den Hethitern und den Ägyptern. Im Jahr 1274 v. Chr. kommt es zur

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berühmten Schlacht von Kadešh zwischen dem ägyptischen Herrscher Ramses II. und dem HethitherKönig Muwatalli II. Keilschriften aus Hattuša sowie Quellen und bildliche Darstellungen an Tempelwänden in Luxor und Abu Simbel berichten über diese Auseinandersetzung am Orontes westlich des heutigen Homs in Syrien. Nach diesen Berichten sollen 20 000 Ägypter unter Ramses II. mit über 1000 Streitwagen gegen 37 000 Hethiter mit 2500 Streitwagen gekämpft haben. Diese Zahlen mögen überraschen, doch werden sie aus wissenschaftlicher Perspektive als durchaus plausibel angesehen. Die Reliefs geben uns auch Einblicke in die Kampfesweise: Pferde dienten in der Schlacht als Zugtiere

für die Streitwagen, auf denen zwei oder mehr Personen stehen konnten. Ramses II. wird mit einem schussbereiten Bogen in der Hand auf dem von zwei Pferden gezogenen Streitwagen dargestellt, an den Seiten sind Pfeilköcher zu sehen. Zahlreiche verwundete Opfer lassen keinen Zweifel: Pfeil und Bogen war eine wichtige Waffe in den Gewaltkonflikten dieser Zeit. Auch Keulen für den Nahkampf werden abgebildet. Zu den bemerkenswerten bildlichen Überlieferungen der Schlacht von Kadešh, die übrigens keinen eindeutigen Sieger hatte, fehlen uns bis heute die archäologischen Zeugnisse. Auch sonst bleiben die archäologischen Nachweise der überlieferten antiken

Massengräber zeugen von der schriftlich überlieferten Schlacht von Himera, die um 480 v. Chr. auf Sizilien stattfand.

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Konflikte im Mittelmeerraum bescheiden. Eine der Ausnahmen bildet die Schlacht von Himera auf Sizilien: Im Jahr 480 v. Chr. traf ca. 50 km östlich der heutigen Stadt Palermo eine griechisch-sizilische Allianz auf ein karthagisches Heer unter Hamilkar. Hier lassen sich nicht nur die Lager und der Ablauf des Geschehens annäherungsweise rekonstruieren, sondern Massengräber zeugen unmittelbar von den Opfern der Kampfhandlungen. Ihre Untersuchung gibt Aufschluss über die Toten, und die Verletzungen erlauben Rückschlüsse auf die Kampfesweise. Demgegenüber bleiben die Spuren des sagenhaften Krieges um Troja im westlichen Kleinasien jenseits der frühen Schriftquellen vage.

Kriegsschiffe der Bronzezeit? Für die europäische Bronzezeit verfügen wir über keine solchen Schriftquellen. Erst in der zweiten Hälfte des 1. Jt. v. Chr. setzen solche Zeugnisse vermehrt ein. Unter ihnen ist der Bericht De bello Gallico von Gaius Julius Caesar über den 58 bis 50 v. Chr geführten Gallischen Krieg wohl die bekannteste Schrift. Daher bilden die skandinavischen Felsbilder für die Bronzezeit eine besonders wertvolle Quelle. In der schwedischen Region Bohuslän etwa finden sich auf den Felsen immer wieder Männer mit Waffen: Sie tragen Schwerter und halten Äxte oder eine Lanze in der Hand; mitunter kämpfen zwei Männer miteinander.

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14 | Einführung

Häufig sind auch Darstellungen der typischen Boote mit nach oben gebogenen Steven. Strichfolgen deuten allem Anschein nach jeweils die Schiffsbesatzung an. Häufig sind bis zu 14 Personen dargestellt, aber es finden sich auch Felsbilder mit bis zu 50 Paddlern. Johann Ling aus Göteborg hat wenig Zweifel, dass auf den Felsen bronzezeitliche Kriegsschiffe abgebildet sind. Das bekannte Hjortspring-Boot aus einem Opferplatz des 4. Jh. v. Chr (vorrömische Eisenzeit) auf der dänischen Insel Als stand diesen Booten noch nahe; Nachbauten dieses gut erhaltenen Fundes zeigen die Seetauglichkeit solcher Schiffe. Die Bedrohung durch bootsgestütze Gruppen entlang der Küsten und Flüsse dürfte in der Bronzezeit sehr real gewesen sein. Der Befund von Hjortspring, aus dem auch zahlreiche Waffenreste geborgen wurden, erlaubt einen ersten Rückschluss auf die Organisation solcher Gruppen: Danach hatte im 4. Jh. v. Chr. der gewöhnliche Krieger Lanze und Speer als wesentliche Waffen, während höhergestellte Krieger und Anführer einer Bootsmannschaft wahrscheinlich über Schwerter verfügten. Als Schutzwaffen sind Schilde überliefert. Auch wenn sich dieses Ergebnis nicht direkt auf die Zeit um 1300 v. Chr. in Norddeutschland übertragen lässt, so dürften (feindliche) Schiffsbesatzungen

auch für das Gebiet südlich der Ostsee eine Rolle gespielt haben. Dafür spricht das bekannte Horn von Wismar. Auf den Bronzeteilen des Blasinstruments sind acht Boote mit Besatzung und zwei Personen mit Schild und Lanze eingraviert. Das ungewöhnliche Horn dürfte in die Zeit um 1300 v. Chr. bis 1100 v. Chr., also Periode III, datieren und somit zeitlich den Ereignissen im Tollensetal nahestehen.

Die Spuren des Schwertes Auch Skelettreste können einen Beitrag zur Erforschung der Rolle von Gewalt leisten. Allerdings sind die Erhaltungsbedingungen für Knochen regional sehr unterschiedlich. Für das heutige Nordwestdeutschland liegen kaum verwertbare Skelettreste der Bronzezeit vor. Darüber hinaus haben natürlich auch die Bestattungssitten einen Einfluss auf die Überlieferung. Mit der Einführung der Brandbestattung um ca. 1200 v. Chr. liegt zumeist nur noch Leichenbrand vor, der nur selten Hinweise zur Todesursache liefert. Auch im Norden hält die Brandbestattung um diese Zeit langsam Einzug, sodass Aussagen zur konkreten Todesursache in der Zeit nach 1200 v. Chr. nur noch eingeschränkt möglich sind. Gleichwohl können

Bronzezeitliche Felsbilder Skandinaviens zeigen immer wieder Boote und Gewaltszenen. Die hier abgebildeten Darstellungen wurden am Fundplatz Tanum im schwedischen Bohuslän dokumentiert.

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Das Horn von Wismar, von dem sich nur die bronzenen Teile erhalten haben, ist u. a. mit zwei stilisierten Kriegern (rechts unten) und acht Booten verziert.

Brandbestattungen indirekte Hinweise zur Rolle von Gewalt durch die Geschlechterverteilung oder das Fehlen einer Altersgruppe liefern. Zu den eher seltenen Belegen massiver Gewalt gehört ein Fund aus einem Hügelgrab bei Wiligrad in Mecklenburg-Vorpommern. An dem Schädel des Verstorbenen aus der Zeit um 1700 v. Chr. ist eine deutliche Hiebmarke zu erkennen. Vermutlich ein Beilhieb hat einen Teil des Schädelknochens abgetrennt, fehlende Heilungsreaktionen weisen auf eine unmittelbar tödliche Verletzung hin. In anderen Fällen erlauben Pfeilspitzen auf eine tödliche Auseinandersetzung zu schließen, wobei im Einzelfall auch ein Unfall als Ursache in Betracht zu ziehen ist. Im Fall des Mehrfachgrabes von Wassenaar in den Niederlanden, ebenfalls aus der Zeit um 1700 v. Chr., scheidet diese Möglichkeit aus. Hier dürfte ein Überfall den Tod der Bestatteten bedingt haben (S. 94). Einen weiteren Befund mit Skelettresten von mindestens 22 Individuen, die verschiedene Verletzungen zeigen, liefert die norwegische Fundstelle Sund. Auch hier ist ein Gewaltereignis als Todesursache sehr wahrscheinlich.

Gräberfelder ermöglichen eine Aussage zur Rolle von Gewalt auf Basis einer größeren Zahl von Individuen. Ein anschauliches Beispiel dafür liefert das Gräberfeld der Aunjetitzer Kultur (19./ 18. Jh. v. Chr.) von Ludanice in der Slowakei, wo die Anthropologin Kristina Scheelen an 14 der 78 gut erhaltenen Schädelreste (18 Prozent) deutliche Verletzungen beobachten konnte. Die Mehrzahl der Verletzten sind Männer, aber in etwa einem Viertel der Fälle sind auch Frauen betroffen. Wiederholt sind mehrfache Verletzungen durch Keulen oder hammerartige Waffen sowie gelegentliche Pfeilschüsse überliefert. Dieses Gräberfeld zeigt damit ein hohes Gewaltpotenzial mit zumeist tödlichen Folgen. In einer epochenübergreifenden Studie konnte die Prähistorikerin Heidi Peter-Röcher hingegen keine auffallende Verletzungshäufigkeit an menschlichen Überresten der Bronzezeit feststellen. Für eine fundierte Bewertung bedarf es weiterer gut erhaltener Skelettserien.

Heunischenburg und Co. Befestigungsanlagen werden häufig als Folge einer Bedrohungslage angesehen. So lohnt eine nähere Auseinandersetzung mit den bronzezeitlichen Bur-

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16 | Einführung Die Funde aus dem Tollensetal mit zahlreichen Menschenresten haben entscheidende neue Hinweise zur Rolle von Gewalt und Krieg in der Bronzezeit geliefert.

gen. Doch viele der bekannten Anlagen Mitteleuropas, die wie die berühmte Lehmziegelmauer der Heuneburg an der oberen Donau das Bild prähistorischer Befestigungen bestimmen, wurden erst in der älteren Eisenzeit errichtet. Diese hallstattzeitlichen »Fürstensitze« haben allerdings Vorläufer; so wurde an der Heuneburg schon um die Mitte des 2. Jt. v. Chr. eine Holz-Erde-Mauer errichtet. Eine ähnliche Konstruktion einer später abgebrannten Mauer konnte auch in Bernstorf nachgewiesen werden. Die Universität Frankfurt am Main führt neue Forschungen an bronzezeitlichen Befestigungen zwischen dem Taunus und den Karpaten durch. Die Arbeiten wurden u. a. am Sängersberg bei Fulda belohnt: Überraschend konnten hier vor den Resten der Befestigungsmauer mehr als 20 bronzene Pfeilspitzen nachgewiesen werden, die offensichtlich auf einen Angriff im 13./ 12. Jh. v. Chr. zurückgehen. Die Heunischenburg bei Kronach zeigt, dass dies kein Einzelfall ist: Der während der Urnenfelderzeit im 9. Jh. v. Chr. mit einer Steinmauer gesicherte Geländesporn wurde den zahlreichen Funden von Bronzepfeilspitzen vor der Toranlage zufolge vermutlich mehrmals angegriffen. Solche Nachweise gelingen allerdings nur selten. Viele Befestigungen mögen niemals Kampfhandlungen erlebt haben. Das Vorkommen solcher Anlagen allein darf kaum als Beleg für eine Krisenzeit verstanden werden. Vielmehr können Befestigungen neben einem Schutzbedürfnis auch von Macht und Wohlstand zeugen sowie zentralört-

liche Funktionen übernehmen. Daher sollte das Fehlen von Burgen während der älteren Bronzezeit in Norddeutschland auch nicht als Anzeichen einer friedlichen Zeit gewertet werden; das Tollensetal liefert dafür einen anschaulichen Beleg. Befestigte Anlagen wie die Kratzeburg in Mecklenburg-Vorpommern entstehen dort erst im 12. Jh. v. Chr. unter südlichem Einfluss. Der Forschungsstand zu den bronzezeitlichen Befestigungsanlagen in Nordostdeutschland ist allerdings bescheiden. So verfügen wir nur über wenige Informationen zur Bauweise und Nutzung solcher Anlagen. Die große Bedeutung einer Befestigung lässt sich beispielhaft an der Hünenburg in Niedersachsen nachzeichnen. Im Harzvorland entstand ab dem 12. Jh. v. Chr. neben der Burganlage allmählich eine Siedlung von unerwartetem Ausmaß, in der auch anspruchsvolles Handwerk beheimatet war. In diesem »Troja des Nordens« dürften im frühen 1. Jt. v. Chr. bis zu 3000 Menschen gelebt haben (vgl. S. 106).

Von Kalkriese zum Harzhorn Bis vor wenigen Jahren galten die Entdeckungen nahe des Ortes Kalkriese am Teutoburger Wald in Niedersachsen als einzige archäologische Nachweise eines Kampfgeschehens. Ausgelöst durch erste Detektorfunde im Jahr 1987 konnten hier neben römischen Münzen auch Ausrüstungsteile römischer Le-

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Von Kalkriese zum Harzhorn |

gionäre sowie Wallreste freigelegt werden, die für den Überfall auf die römische Armee genutzt wurden. Vieles spricht für eine Verknüpfung des Fundplatzes mit der berühmten Varusschlacht im Jahr 9 n. Chr., in der die Germanen unter Arminius ein römisches Heer geschlagen haben. Inzwischen liegen vom Harzhorn Zeugnisse eines weiteren Schlachtfeldes in Niedersachsen vor, das al-

lerdings auf eine spätere Auseinandersetzung zwischen Römern und Germanen um 230 n. Chr. zurückgeht. Hier kann der Ablauf des Kampfgeschehens weitgehend rekonstruiert werden. Das Tollensetal liefert nun erstmals Zeugnisse einer Auseinandersetzung aus deutlich früherer Zeit, die völlig neue Einblicke in die Rolle von Gewalt in der Bronzezeit gewähren.

Römer im Hinterhalt – ein 1800 Jahre altes Schlachtfeld am Harzhorn Tobias Uhlig

Solche Katapultbolzen gehören zu Geschützen, die von den römischen Truppen eingesetzt wurden. Ein seit 2016 laufendes, von der DFG finanziell gefördertes Forschungsprojekt unter der Leitung von Petra Lönne, Michael Meyer und Michael Geschwinde liefert bis heute neue Funde und Ergebnisse.

Ein europaweit einzigartiges Schlachtfeld der römischen Antike ist inzwischen am Harzhorn in Südniedersachsen bezeugt. Sondengänger fanden hier eine Reihe römischer Relikte, darunter einen eisernen Schuh, der einst die Hufe eines römischen Trosstieres schützte. Als diese Hipposandale 2008 der Kreisarchäologin Petra Lönne vorgelegt wurde, war ihr die große wissenschaftliche Bedeutung sofort klar. Systematische Prospektionen und Ausgrabungen in den Folgejahren sollten den Verdacht von Kampfhandlungen unter Beteiligung römischer Truppen weit nördlich des Limes bestätigen: Sie lieferten einen Korpus römischer Metallobjekte, der neben Militaria auch allerlei Objekte des Alltags, wie Werkzeug, Wagenbestandteile und Münzen enthielt. Letztere erlaubten, zusammen mit der typologischen Einordnung von Waffenteilen und Radiokarbondaten hölzerner Schaftreste römischer Geschosse, eine Einordnung in das erste Viertel des 3. Jh.

n. Chr. Diese Entdeckungen lassen eine Reihe von antiken Schriftquellen in neuem Licht erscheinen, die von römischen Feldzügen dieser Zeit in die Germania Magna berichten. Mit großer Wahrscheinlichkeit stehen die Ereignisse am Harzhorn in Zusammenhang mit dem Feldzug des römischen Kaisers Maximinius Thrax, den er 235 bis 236 n. Chr. von Mogontiacum, dem heutigen Mainz, aus unternahm. Doch was geschah genau am Harzhorn? Die archäologische Rekonstruktion beruht vor allem auf drei Quellengattungen. Eine Untersuchung der damaligen Landschaft zeigte, dass das Harzhorn als felsiger Grat in einer durch sumpfige Täler geprägten, weitgehend siedlungsleeren Waldlandschaft einen idealen Marschweg für die Kolonnen der Legionäre und Hilfstruppen darstellte. Gleichzeitig bildete es aber auch einen Engpass, der für einen Hinterhalt geeignet war – vermutlich auch weil sich die angreifenden germanischen Stammesangehörigen in der Unterzahl befanden. Ein wichtiges Anliegen des Überfalls wird das Plündern des römischen Trosses gewesen sein: Eine breite Streuung von beiseite geworfenen Alltagsobjekten des römischen Heeres und Teile zerstörter Transportwagen im Bereich des Hauptkamms zeugen davon, dass die Germanen dieses Ziel zumindest teilweise erreichten. Über den Verlauf der Kämpfe geben zahlreiche römische Geschossspitzen Auskunft. Sie stammen von sogenannten Torsionsgeschützen und Bogenschützen aus dem vorderen Orient, die als Hilfstruppen dienten. Die exakt verorteten Stücke erlauben unter Zuhilfenahme ballistischer Berechnungen, die Kampfrichtung und die Position verschiedener Akteure annäherungsweise zu rekonstruieren. Die Fundstreuung verläuft von Norden nach Süden. Das römische Heer war wahrscheinlich bereits auf dem Rückweg an den Limes und versuchte sich seinen Rückweg freizukämpfen. Nahezu unsichtbar bleiben hingegen die Spuren der germanischen Kombattanten.

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Das Tollensetal Die aufregendste Fundstelle Deutschlands Thomas Terberger

Diesen Tag wird Ronald Borgwardt in seinem Leben nicht vergessen: Am 12. Mai 1996 kehrte sein Vater von einer sonntäglichen Bootstour auf der Tollense zurück und erzählte ihm von Knochen, die er im Ufersaum nahe Weltzin beobachtet hatte. Nach dieser Nachricht hielt es den engagierten ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger nicht im Haus. Schon wenig später standen Vater und Sohn im Wasser und sicherten zahlreiche menschliche Überreste aus Torfablagerungen der Uferkante. In den Morgenstunden des kommenden Tages fuhr Ronald Borgwardt erneut zu der fundreichen Stelle am Fluss. Er ahnte, dass ihm eine besondere Entdeckung gelungen war, zumal er zwischen den Knochen auch ein zugerichtetes Holz

fand. Bei näherer Untersuchung stellte sich das 78 cm lange Holz als schlanke Keule heraus, die mit ihrem verdickten Kopf fast wie ein moderner Baseballschläger aussah. Auch die vom Torf braun gefärbten Knochen hielten eine Überraschung bereit: In einem Oberarmknochen steckte eine Flintpfeilspitze. Damit lagen erste Anhaltspunkte für einen Zusammenhang mit prähistorischer Gewalt vor. Die spektakuläre Entdeckung meldete er dem damaligen Landesamt für Bodendenkmalpflege und bald darauf wurde eine Sondierung durch die Prähistorikerin Christine Gasser organisiert. Vom 27. Juni bis zum 01. Juli 1996 konnte mit wenigen Grabungsschnitten eine fundreiche Schicht mit über 200 Kno-

Die Tollense fließt mäandrierend nach Norden. Seit den 1980er Jahren wurden entlang der Ufer immer wieder Menschenreste und Bronzen entdeckt. Im Vordergrund liegt die Fundstelle Weltzin 20, die zur Entdeckung der Überreste eines Gewaltkonflikts durch den ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger Ronald Borgwardt geführt hat.

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Gräberfeld, Kultplatz oder Schlachtfeld? |

Im Zuge einer ersten Sondierung an der Fundstelle Weltzin 20 im Jahr 1996 konnte die Prähistorikerin Christine Gasser verstreute Knochenreste von Mensch und Pferd ca. 1 m unter der Geländeoberfläche dokumentieren. Zwei menschliche Oberschenkelknochen liegen noch in anatomisch korrekter Position.

chen in 1 bis 1,3 m Tiefe unter der Grasnarbe dokumentiert werden. Neben menschlichen Überresten gehörten auch Pferdeknochen zur Fundstreuung. Die Knochen befanden sich zumeist nicht mehr im Verband und nur vereinzelt lagen Skelettteile noch in anatomisch korrekter Lage. Besonders auffällig waren zwei Oberschenkel direkt im Ufersaum, die auf einen Toten in Bauchlage schließen ließen. Die Sondierung lieferte einen weiteren Hinweis auf einen gewaltsamen Entstehungskontext: Ein Schädelfragment zeigte eine schwere tödliche Verletzung, die durch einen Schlag auf den Stirnbereich verursacht wurde. Waren es Spuren einer Hinrichtung?

Ende eines Dornröschenschlafs Mit der Sondierung war der außergewöhnliche Charakter der Fundstelle mit der Bezeichnung Weltzin 20 bestätigt. Ein erstes Radiokarbondatum erlaubte, die Fundschicht in die Bronzezeit um 1300 v. Chr. einzuordnen. Ronald Borgwardt behielt bei seinen regel-

mäßigen Begehungen die Fundstelle im Auge und im Frühjahr 1999 wurde seine Beharrlichkeit belohnt. Wieder ragten Menschenknochen aus der Uferkante. Zwischen mehr als 250 Gebeinen identifizierte er eine weitere Holzkeule in originaler Fundlage. Nie zuvor waren in Norddeutschland Menschenreste der Bronzezeit zusammen mit zwei Holzkeulen entdeckt worden. Gleichwohl erlaubte der denkmalpflegerische Alltag keine gründliche Untersuchung des Fundplatzes durch das Landesamt für Bodendenkmalpflege. Die spektakulären Funde waren also nur einem kleinen Kreis bekannt. Um eine Erosion der Fundstelle zu verhindern, erfolgte eine Sicherung der Uferkante. Erst 2006 konnte der Dornröschenschlaf beendet werden, als Detlef Jantzen und Thomas Terberger, damals an der Universität Greifswald tätig, sich entschlossen, gemeinsam eine Erforschung des Fundplatzes anzugehen. Am 9. November 2006 war es schließlich so weit: Als der Verfasser den Arbeitsraum in Schloss Wiligrad betrat, standen nicht weniger als 16 große Kartons bereit. Die zahlreichen Menschenreste waren sehr gut erhalten; nach wenigen Minuten hielt er die Knochen mit den schweren Verletzungen in den Händen. Die anschließende Sichtung der Ortsakten lieferte weitere Überraschungen: Die Durchsicht ergab, dass neben üblichen Siedlungs- und Gewässerfunden aus der Gemarkung über die Jahre wiederholt auch Bronzefunde gemeldet worden waren. So fand sich z. B. 1989 ein schweres Lappenbeil auf dem Fundplatz Weltzin 17. Weitere Begehungen lieferten von der nahegelegenen Stelle Weltzin 24 im Jahr 1999 zunächst eine große Spindlersfelder Fibel und 2004 eine prächtige Gürteldose mit Deckel, die in die Zeit um 1300 v. Chr. (Periode III) gehören (S. 22, 56). Auch menschliche Schädelknochen wurden seit 1978 vereinzelt gemeldet. Im Mai 1988 fielen dem Naturkundler Wolfgang Ziessen zahlreiche Knochen und ein angespitzter Stock in erodierten Uferprofilen auf.

Gräberfeld, Kultplatz oder Schlachtfeld? Eine Vorstellung der Funde auf einer regionalen Tagung im Mai 2007 warf mehr Fragen auf, als Antworten gegeben werden konnten. Sollten die Bronzefunde und alle diese menschlichen Überreste, die mit Funden aus der Sondierung und verschiedenen Bergungen insgesamt etwa 20 Individuen repräsentieren, miteinander in Zusammenhang stehen? Für Überreste eines Gräberfeldes war die Lage in einem Flusstal nicht passend. Bei der Aktendurchsicht fiel auf, dass sich die Funde über einen längeren Abschnitt des Flusstals verteilten. Auch passten die nicht im anato-

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mischen Verband liegenden Knochen und das Fehlen typischer Grabbeigaben wie Keramikgefäße kaum zu einer solchen Überlegung. Wenn in der Archäologie die Interpretation Probleme bereitet, wird häufig eine kultische Deutung von Befunden und Funden in Betracht gezogen. Aus Opfermooren der Römischen Kaiserzeit (ca. 0– 400 n. Chr.) wie Thorsberg und Nydam kennen wir umfangreiche Niederlegungen von Kriegsbeute, zu denen Waffen und auch viele Ausrüstungsgegenstände gehören. Menschenreste sind allerdings in der Regel nicht Bestandteil solcher Fundstreuungen. Eine Ausnahme bildet der dänische Fundplatz Alken Enge westlich von Skanderborg nahe des kaiserzeitlichen Opfermoors von Illerup Ådal. Dort wurde, neben Ausrüstungsgegenständen wie einem Holzschild, auch eine größere Anzahl von Menschenresten in den Ablagerungen eines ehemaligen Seeufers freigelegt. Dazu gehörten Schädel mit schweren Verletzungen. Auch ein Stock mit aufgesteckten Beckenschaufeln wurde entdeckt. Die Funde lassen vermuten, dass hier nach Feldzügen die Knochen Gefallener rituell deponiert worden sind. Aus der Bronzezeit sind solche Opferplätze von Kriegsbeute bislang unbekannt. Gleichwohl kennen wir viele Funde aus Flüssen, ehemaligen Seen und Mooren, die häufig mit Opferhandlungen dieser Zeit in Verbindungen gebracht werden. Ein bekanntes Beispiel ist der bronzezeitliche Fundplatz BerlinSpandau, wo zahlreiche Bronzen im Umfeld eines Holzstegs entdeckt wurden. Auch reiche Deponierungen wie der Fund einiger Stabdolche nahe Melz bei Röbel in Mecklenburg-Vorpommern zeugen von solchen Gaben an die Götter. Die ersten Entdeckungen im Tollensetal lieferten allerdings keine unmittelbaren Beifunde zu den Skelettresten wie Keramikgefäße, Bronzefunde oder gar Kriegsbeute. Vielmehr führte die Dominanz menschlicher Skelettreste von Männern, die Fundsituation mit Skeletten nur teilweise im Verband, die schweren Verletzungen und der Nachweis von Pfeil und Bogen sowie Holzwaffen schon früh zu der Hypothese, es könne sich um die Überreste eines Gewaltereignisses handeln. Um der ungewöhnlichen Herausforderung buchstäblich auf den Grund zu gehen, fand sich eine Arbeitsgruppe aus Fachwissenschaftlern und ehrenamtlichen Bodendenkmalpflegern zusammen, die sich die interdisziplinäre Erforschung des Tollensetals zum Ziel setzte. Im Jahr 2009 förderte das Land Mecklenburg-Vorpommern zunächst diese Arbeiten, von 2010 bis 2017 bewilligte die Deutsche Forschungsgemeinschaft erhebliche finanzielle Mittel. Ohne den fortwährenden ehrenamtlichen Einsatz wä-

ren allerdings weder der Umfang geleisteter Arbeiten noch die gewonnenen Ergebnisse möglich gewesen. Um die Situation im Flusstal besser zu verstehen, bot sich eine zweigeteilte Forschungsstrategie an: Zum einen galt es, die schon vorliegenden Funde aus dem Flusstal systematisch zu erfassen und auszuwerten, zum anderen waren Geländearbeiten notwendig, um das Einsetzen der Funde von menschlichen Skelettresten im Flusslauf zu identifizieren, die Fundstellen von Menschenresten im Tal näher zu verorten sowie die Häufigkeit von Knochen und anderen Funden mit Grabungen zu erfassen. Zugleich war ein besseres Verständnis der bronzezeitlichen Flusslandschaft notwendig: Wo verlief die Tollense vor 3000 Jahren und wie sahen das Tal und seine Umgebung zu dieser Zeit aus? Auf der Suche nach Antworten verbrachten bis 2019 u. a. die Forschungstaucher weit über 1000 Stunden im Fluss, es fanden unzählige Begehungen mit Metalldetektoren statt, es wurden über 500 m2 Fundschicht jeweils an Land und im Wasser untersucht, zahlreiche Bohrungen im Flusstal niedergebracht und mehr als 200 Profile aufgenommen. Auch umfangreiche naturwissenschaftliche Analysen waren erforderlich, um den Funden mehr Informationen zu entlocken.

Mit Entdeckergeist, Geduld und Technik Es ist ein lang bekanntes Phänomen, dass unsere Kenntnisse über die Vergangenheit in hohem Maße vom Forschungsstand der Bodendenkmalpflege und der jeweiligen regionalen Aktivität abhängig sind; dies gilt auch für das Tollensetal. Obwohl schon vor 1996 wiederholt Begehungen im Flusstal stattfanden,

Im Jahr 1999 wurde Ronald Borgwardt erneut an der Fundstelle Weltzin 20 fündig: In der Uferkante entdeckte er eine hammerartige Holzkeule.

Dank wiederholter Begehungen mit Metalldetektoren konnten zahlreichen Bronzeobjekte aus dem Tollensetal für die Wissenschaft gerettet werden. Auf dem Foto aus dem Jahr 2010 sind die ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger Mario Hollnecker mit einer Pfeilspitze (links) und Sebastian John mit einem Armring (Mitte) zu sehen. Auch Roman Buhl (rechts) sollte bald fündig werden.

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Mit Entdeckergeist, Geduld und Technik |

so lösten die ersten Vorstellungen des Fundplatzes auf regionalen Tagungen doch neue Aktivitäten aus. Am 23. März 2007 besuchte der erfahrene Bodendenkmalpfleger Karl Rausch aus Wusterhusen die Universität Greifswald, um seine neusten Entdeckungen vorzustellen. Begehungen mit einem Metalldetektor im Tollensetal hatten ihm neue Funde beschert. Dazu gehörten ein Tüllenbeil aus der späten Bronzezeit und eine große Lanzenspitze. Bei einem Besuch im Januar 2008 konnte er weitere Funde präsentieren. Schon zu diesem Zeitpunkt fiel der ungewöhnliche Reichtum an Bronzen des 13. Jh. v. Chr. (Periode III) auf. Wie war dieser Bronzereichtum zu erklären? Wiederholte Baggerungen in der Tollense seit den 1980er Jahren dienten dazu, die Fließgeschwindigkeit zu erhöhen und die Wiesen zu entwässern. Das Baggergut aus dem Fluss wurde jeweils entlang des Ufers verteilt. In diesen Sedimenten ließen sich die Metallfunde aus dem Fluss mit der Sonde leicht orten. Allerdings ist der ursprüngliche Zusammenhang der Funde gestört und zusammengehöriges Gut auseinandergerissen. Zunächst standen die leicht zu ortenden schweren Metallobjekte im Mittelpunkt. Erst mit der Zeit gab das Tal weitere Geheimnisse preis. Sebastian John ist seit seiner Jugend ehrenamtlich mit dem Detektor un-

terwegs und das Land Mecklenburg-Vorpommern verdankt ihm manche spektakuläre Entdeckung. Am 17. September 2010 trafen wir anlässlich eines kleinen Vortrags in der Burg Klempenow im Tollensetal zusammen. Nachdem die letzte Frage endlich beantwortet war, öffnete er einen kleinen Karton, in dem er die Resultate seiner in einer Urlaubswoche durchgeführten Begehungen im Tollensetal aufbewahrte. Die Sonde gibt je nach der Art des Metalls und der Objektgröße ein spezifisches Signal. Als der Detektor nur schwach anschlug, dachte er zunächst, im Boden seien etwa Folienreste der Verschlüsse alter DDR-Milchflaschen verborgen. Doch als erneut ein solches Signal ertönte, ging Sebastian John der Sache auf den Grund. Kurz darauf hatte er zu seinem Erstaunen eine bronzene Tüllenpfeilspitze in der Hand. In den Folgetagen blieb er der wichtigsten Waffe im Tollensetal dicht auf den Fersen – in dem Karton fanden sich mehr als 15 Pfeilspitzen. Damit war ein bedeutender Baustein zum Verständnis des Fundplatzes gewonnen. Passte zunächst die Seltenheit von Waffen unter den Funden aus dem Tollensetal nicht zur Hypothese eines Gewaltkonflikts, so wurde nun schlagartig klar, dass die 2 bis 3 g schweren Pfeilspitzen nur mit großer Erfahrung, Geduld und moderner Technik zu orten waren.

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Diese Funde bildeten den Auftakt zu zahlreichen Begehungen von Spezialisten. Die enge Kooperation von Ehrenamt und Facharchäologie ermöglichte die Sicherung zahlreicher Funde im Flusstal. So blieb der Schaden durch illegale Sondengänger begrenzt. Nur deshalb verfügen wir heute über ein aussagekräftiges Bild der Metallfunde aus dieser einmaligen Fundlandschaft. Betrachtet man die Gesamtverteilung der über 300 Metallfunde im Tal, so fällt der Reichtum in

zwei Bereichen auf: Zum einen konzentrieren sich die Funde im Süden, wo auch über 12 000 Menschenreste entdeckt und ausgegraben wurden. Eine weitere Häufung von Bronzefunden ist etwa 2 km weiter flussabwärts zu beobachten, wo bronzezeitliche Menschenreste (bislang) kaum entdeckt wurden (S. 57). Wie sind diese beiden Zonen mit zahlreichen Bronzen zu erklären? Die folgenden Beiträge geben auch dazu Aufschluss.

Zu den Bronzefunden, die in Baggergut aus der Tollense entdeckt wurden, gehört diese Gürteldose. Sie wurde einst als Behältnis am Gürtel getragen. Pfeilspitzen lassen sich nur mit Übung und Geduld bei Begehungen entdecken. Sie sind für das Verständnis der Fundstreuung im Tal von großer Bedeutung. Der wissenschaftliche Austausch ist für das Verständnis der Funde und aufgedeckten Befunde sehr wichtig. Hier wird ein bronzenes Absatzbeil vom Experimentalarchäologen Harm Paulsen und dem Schleswiger Archäologen Sönke Hartz mit den Mitgliedern des Tollenseteams Joachim Krüger (vorne von links nach rechts), Gundula Lidke und Anne Dombrowsky (hinten) diskutiert.

Ab 2010 fanden im Tollensetal umfangreiche Grabungen unter Beteiligung von Studierenden aus ganz Europa und Ehrenamtlichen statt.

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Sumpf und Wasser Falsche Idylle? Sebastian Lorenz

Wer heute nahe Weltzin die Randhöhe zur Tollense hinabläuft, erblickt ein von Wiesen und Weiden bestimmtes Tal, in dem der kleine Fluss malerisch mäandriert. Auch die Hänge des Talabschnitts sind von Grünländern bestimmt, die durch Feldhecken, Gehölzgruppen und kleine Tälchen strukturiert werden. Lediglich auf der Ostseite des Tollensetals bildet der Wodarger Forst ein größeres Waldgebiet, das zum Teil durch von Bächen durchflossene Tälchen gegliedert wird. Die Tollense selbst fließt in einem wenige 100 m breiten Tal, welches von einem Moor eingenommen

wird und sich auf den ersten Blick als weitgehend eben darstellt. Heutzutage deuten nur noch tiefschwarze Maulwurfshaufen und torfige Ablagerungen in den Uferböschungen der Tollense auf das Vorhandensein eines Moores unterhalb der Wiesen hin. Statt ausgedehnten Feuchtwiesen mit Sauergräsern bestimmt ein mit Traktoren befahrbares Saatgrünland die heutige Vegetation. Die Gründe dafür liegen in Maßnahmen zur besseren landwirtschaftlichen Nutzung des Tals. Spätestens seit der Mitte des 19. Jh. gehörte dazu eine gezielte Entwässerung des Talmoors: Gräben am Talrand sammelten das von den Hängen

Das Flusssystem im äußersten Nordosten Deutschlands mit dem Tollensetal. Im untersuchten Talabschnitt zwischen Kessin und Weltzin verläuft die Tollense tief eingeschnitten in die umgebenden Grundmoränen.

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Kleiner Fluss in großem Tal |

Trockental (periglaziale Hangkerbe) z. T. mit Bach erkennbarer Schwemmfächer (periglazial) Fließ- und Standgewässer Flusstalmoor fluvial unbeeinflusst Flusstalmoor fluvial beeinflusst Kanten späteiszeitlicher Flussterrasse (oberes/unteres Niveau) Wegetrasse Auftrag von Baggergut

Geomorphologische Karte des untersuchten Talabschnitts zwischen Kessin und Weltzin. Die Schraffur kennzeichnet die Flächen, auf denen die aus dem Fluss gebaggerten Sedimente abgekippt und planiert wurden. Die Erklärung der Farben ergibt sich aus der Legende.

kommende Wasser und leiteten es auf direktem Weg in die Tollense. Später wurden auch im Moor in regelmäßigen Abständen Gräben gezogen und Drainagen aus Tonröhren verlegt. Zugleich sorgten Baggerungen im Fluss und Begradigungen des Laufs für eine Erhöhung der Fließgeschwindigkeit sowie ein tieferes Einschneiden der Tollense. So gelangten die oberen Bereiche des Talmoors oberhalb des Grundwasserspiegels und fielen nach und nach trocken. Der heutige Schein trügt also und noch vor 150 Jahren war das Tal deutlich nasser als heute. Das Entwässern der Mooroberflächen wurde auch durch deutliche Sackungserscheinungen begleitet, die bis in die Gegenwart andauern und ein erkennbares Feinrelief in den Wiesen hinterlassen. Die nicht mehr vom Wasser erfüllten Torfe zersetzen sich und lassen das Moor in sich zusammensinken; ein Umstand, der für den Erhalt von Moorfundplätzen von großer Bedeutung ist. Um die Landschaft der Vergangenheit zu rekonstruieren, bedient sich die Geowissenschaft bewährter Methoden: Für die jüngere Vergangenheit spielen historische Kartenwerke, wie die um 1788 entstande-

ne Schmettausche Karte und das Preußische Urmesstischblatt von um 1888, eine wichtige Rolle, denn auf diesen systematisch angelegten Werken ist der Zustand der Landschaft mit großer Genauigkeit kartiert. So lassen sich die Entwicklung des Gewässernetzes und seiner Nutzung, die Landnutzung sowie die Erschließung der Landschaft mit Wegenetzen und Siedlungen für die letzten drei Jahrhunderte rekonstruieren. Nur in seltenen Fällen repräsentieren die historischen Karten den natürlichen Zustand, denn der Mensch wirkt schon lange auf die Landschaft. Aber die alten Karten spiegeln ein deutlich weniger von der menschlichen Nutzung geprägtes Bild, was die Interpretation der Landschaft für weiter zurückliegende Zeiten erleichtert. Wer allerdings die bronzezeitliche Landschaft rekonstruieren will, muss auch Spaten und Bohrgerät einsetzen. Im Tollensetal zwischen Kessin und Demmin wurden in den letzten zwölf Jahren etwa 300 Bohrungen abgeteuft und mit ihrem Schichtaufbau dokumentiert. Davon entfallen etwa 210 alleine auf den rund 1,5 km langen Talabschnitt bei Weltzin. Darüber hinaus wurden zahlreiche Geoprofile in den Ausgrabungsflächen an Land und unter Wasser erfasst. Aus der Vielzahl an Schichtfolgen ist es u. a. gelungen, den eiszeitlichen Talgrund mit dem Gerinne der Ur-Tollense sowie die Verbreitung nacheiszeitlicher Gerinne der Tollense abzuleiten. Sedimentproben erlauben mit den enthaltenen Resten von Pflanzen und Tieren auch die Entstehung der Ablagerungen zu verstehen. Dazu gehören Aussagen zur Fließgeschwindigkeit des Gewässers, zur Nährstoffversorgung des Bodens oder Gewässers oder auch der frühere Einfluss des Grundwassers. Darüber hinaus enthalten die Torfablagerungen Pflanzen- und Holzreste, die uns Informationen zum Vegetationsbild der Bronzezeit liefern.

Kleiner Fluss in großem Tal Wer die Tollense im heutigen Tal fließen sieht, mag sich wundern, wie ein so kleiner Fluss ein so breites und tief in die Landschaft eingeschnittenes Tal erschaffen konnte. Tatsächlich hat der Fluss Tollense mit der ursprünglichen Talentstehung nichts zu tun. Diese geht auf die enorme Formungskraft des unter dem Inlandeis der ausgehenden Eiszeit abfließenden Schmelzwassers zurück. Das Tollensetal ist Bestandteil eines Talnetzes, das den Nordosten MecklenburgVorpommerns durchzieht. Die gitterartig in NordostSüdwest- und Nordwest-Südost-Ausrichtung orientierten Täler spiegeln die Bewegung und Entwässerung der Inlandgletscher sowie des Gletschervorfelds

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vor etwa 16 000 Jahren wider. Die im Verhältnis zu den heutigen Fließgewässern überdimensional erscheinenden Talungen entstanden mit dem Zerfall des Inlandeises in den Spalten der niedertauenden Toteisfelder. Davon zeugen alte Terrassenkanten an den heutigen Talhängen weit über dem heutigen Talboden. Sie sind letzte Zeugnisse hochgelegener Talböden, in die sich die Schmelzwasserströme sukzessive einschnitten. Auch im Binnenland erfolgte die Eintiefung streckenweise bis unterhalb des heutigen Meeresspiegelniveaus. Mit dem Tieferlegen der Talböden setzen erosive Prozesse an den Talhängen ein, wobei sich Kerbtälchen bildeten. Das dabei erodierte Material wurde in Schwemmfächern auf dem Talboden abgelagert, die mitunter noch heute als gewölbte und mit Steinen bestreute Oberfläche erkennbar sind. Die ältesten organischen Ablagerungen im Tollensetal stammen aus kleinen Mooren und Seen, die sich in der frühen Nacheiszeit vor etwa 10 000 Jahren am Grund der Schmelzwasserrinnen bildeten. Zu dieser Zeit lag der Weltmeeresspiegel noch etwa 20 m unter dem heutigen Niveau. Vor rund 7000 Jahren befand

sich der Meeresspiegel der Ostsee nur noch etwa 5 m unter dem heutigen Niveau und erlangte mit zunehmendem Anstieg Einfluss auf die tiefen Rinnen im Talnetz des Binnenlandes. Die bis dahin bestehenden Seen, Moore und Fließgewässer gelangten mit dem Rückstau des ansteigenden Meeresspiegels unter den Einfluss steigender Grundwasserstände – die Bildung großflächiger Talmoore begann. Je nach Talbreite und der Höhenlage der Rinnen entwickelten sich unterschiedlich mächtige Moorkörper, welche die einstigen Seen und Moore überwuchsen und die ehemaligen Schmelzwasserrinnen allmählich auffüllten. Die Flüsse erhielten sich aber stets in den Tälern, da sie weiterhin für die Entwässerung der Landschaft sorgten. Aufgrund der geringen Talgefälle und der mitgeführten Sedimente entwickelten die Flussläufe ihren typischen Mäandergrundriss. Erst im späten Mittelalter nahmen die menschlichen Einflüsse auf die Tal- und Gewässernetzentwicklung mit Weidenutzung, erster Torfgewinnung, Wassermühlenbau und wasserbaulichen Maßnahmen erheblich zu.

Das Tollensetal wurde im Bereich der Fundplätze Weltzin und Wodarg mit über 200 bis zu 6 m tiefen Bohrungen in seinem Aufbau erkundet.

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Nicht weit gekommen – die Tollense während der Bronzezeit |

Nicht weit gekommen – die Tollense während der Bronzezeit

Ein Schichtprofil in der Grabungsfläche an Fundplatz Weltzin 32 wird aufgenommen.

Die zahlreichen Bohrungen erlauben die Verbreitung und den Schichtaufbau des Talmoors detailliert zu beschreiben. Generell zeigt sich im obersten Meter ein durch die Entwässerung stark zersetzter Torf mit Konkretionen aus Brauneisen. Zusätzlich ist durch einstigen Grünlandumbruch und in Flussnähe durch das Auftragen von Baggergut aus der Tollense von einer Störung der oberen ca. 50 Profilzentimeter auszugehen. Weite Bereiche des Talmoors wurden nie direkt durch den Fluss oder seine Ablagerungen beeinflusst. Ihre Schichtfolgen werden durch gleichmäßige dunkelbraune bis schwärzliche und muschelfreie Schilf-

Seggentorfe aufgebaut. Diese entstanden durch Versumpfung und wuchsen nacheiszeitlich mit dem steigenden Grundwasserspiegel auf maximal 2 m Mächtigkeit auf. Hinweise auf Hochwässer in Form von Sanden oder Fossilien lassen sich nicht finden. Holzreste waren im Torf nur selten vorhanden. Große Bereiche östlich der Tollense zeigen also die Ablagerungen eines vom Fluss unbeeinflussten Talmoors, welches auch frei von archäologischen Funden ist. Im Gegensatz dazu sind in enger Nachbarschaft zum heutigen Tollenselauf Schichtfolgen anzutreffen, die maßgeblich durch Ablagerungen des Flusses aufgebaut werden. Unter dem zersetzten Torf an der Oberfläche ist bis zu 4 m mächtig eine Wechsellage aus Sanden und sogenannten Mudden mit zahlreichen Holzresten nachweisbar, die auch viele Muschelund Schneckenschalen (Mollusken) enthalten. Diese organogenen Ablagerungen können auf vorwiegend langsam fließendes oder stehendes Wasser (z. B. Gerinnerand oder Altarm) zurückgeführt werden, während die eingeschalteten sandigen Schichten von einer Ablagerung im schneller fließenden Wasser (Sandbänke im Gerinne selbst) zeugen. Die geringe Verbreitung der Ablagerungen markiert das vom Fluss beeinflusste Talmoor, welches die heutige Tollense wie einen Korridor umgibt. Zugleich verdeutlicht sie, dass die Tollense ihren Lauf innerhalb des Tals nur wenig verlagert hat. Genau aus den markanten Sand-Mudde-Wechsellagerungen liegen zahlreiche Nachweise von Hölzern und archäologischen Funden vor – insbesondere Knochen und einige Metallfunde. Dabei wurden viele Funde unter Wasser, tief in den Böschungskanten des Gerinnes, entdeckt, wo sie durch die Erosion freigespült oder zum Teil auch umgelagert wurden. Ein Beispiel für diese Situation ist der Fundplatz Weltzin 32, dessen Sedimente für eine Ablagerung inmitten des Flusses sprechen. An der Basis der Flussablagerungen erfolgt in etwa 5 m Tiefe ein scharfer Übergang in sandige bis kiesige Substrate des Talbodens (S. 28; 39). Die zuvor beschriebenen Schwemmfächer führten zur Verlängerung der Talhänge in Richtung Talmitte und beeinflussten damit stellenweise den Gerinneverlauf im Tal. An einer solchen exponierten Lage des Talrandes befindet sich der Fundplatz Weltzin 20. Die Verbreitung und der Nachweis potenziell fundführender Schichten sind also eng an Sedimente geknüpft, die von der Tollense abgelagert bzw. umgelagert wurden. Je nach Position im Fluss – am seichten Ufersaum oder im schnellfließenden Stromstrich der tieferen Gewässermitte – konnten zeitgleich Ablagerungen oder Umlagerungen in unterschiedlicher Höhenlage erfolgen, sodass es die eine charakteristische Fundschicht im Tollensetal nicht gibt und archäolo-

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28 | Sumpf und Wasser Das Schichtprofil an Fundplatz Weltzin 32 ist über 2 m mächtig. Die bronzezeitliche Fundschicht befindet sich an der Basis in den von Muscheln und Schnecken durchsetzten Sedimenten.

gische Funde in vielfältigen Sedimenten auftreten können. Heutzutage wird die Erosion von Böschungskanten durch den sich weiter eintiefenden Flusslauf begünstigt.

Dicht der Wald und nass das Moor Pollen- und Pflanzenrestanalysen an Moorablagerungen des Tollensetals geben Auskunft zum Landschaftsbild während der Bronzezeit, das erheblich von der heutigen Situation abweicht. Das betrifft insbesondere den Wasserhaushalt des Talmoors und die davon abhängige Vegetation. Die erbohrten holzfreien Torfe lassen auf ein gehölzfreies, durch Großseggen und Schilf geprägtes Talmoor in der Bronzezeit schließen, das wahrscheinlich nur periodisch überstaut wurde. Die trockenen Standorte der Talhänge und Hochflächen wurden durch Wälder aus Eichen, Linden, Ulmen und Eschen geprägt, in welchen die Buche sporadisch vorkam. Die lichtliebende Hasel ist kaum im Pollenspektrum vertreten, was für dichte Wälder mit nur kleinen Rodungsinseln spricht. Verschiedene Typen von Getreidepollen sowie der Lein deuten auf Ackerbau und Getreideanbau in der Nähe hin. Sie

spiegeln die bekannten Nutzpflanzen der Bronzezeit wider. Die Tollense stellt sich für die Bronzezeit als im Vergleich zu heute flacheres und breiteres Gewässer dar, welches nahezu keine Eintiefung in den Moorkörper zeigte. Die enge Nachbarschaft von sandigen und organogenen Sedimenten lässt auf variierende, aber geringe Fließgeschwindigkeiten schließen. Das Gewässer war stark mit Wasserpflanzen bewachsen, randliche Bereiche im Gerinne hatten schlickigen Charakter. Die Mooroberfläche lag vor etwa 3300 Jahren noch etwa 1 m tiefer, sodass sich die Schwemmfächer als Sporne noch deutlich im Tal abzeichneten. Sie waren im Fall hoher Wasserstände Hindernisse, an denen sich Treibgut des Flusses ansammeln konnte. Davon zeugt auch der Fundplatz Weltzin 20 mit (jüngeren) Holzfunden. Knochen und Waffen gelangten in einem durch Wasserpflanzen und offene Wasserflächen geprägten Bereich zur Ablagerung. Vermutlich kamen Skelette und Skelettreste in anmoorigen Verhältnissen zur Ablagerung, verblieben im feuchten bis nassen Milieu, wurden jedoch kleinräumig verlagert, sodass die übergroße Zahl der Knochen nicht im Skelettverbund verblieb. Allmählich wurden die archäologischen Funde durch jüngere Flussablagerungen und Torf überdeckt und konserviert.

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Schädel, Sichel, Sensationen Auf Tauchgang in der Tollense Joachim Krüger, Frank Nagel und Sonja Nagel

Seit Beginn der systematischen Arbeiten im Tal war ein Team von Forschungstauchern des Landesverbandes für Unterwasserarchäologie Mecklenburg-Vorpommern eng eingebunden. Für die ehrenamtliche Crew war allerdings nicht abzusehen, dass eine für wenige Wochenenden geplante Tauchprospektion sich zum Eckpfeiler eines langjährigen Projekts entwickeln sollte. Der Fluss entspringt im Tollensesee südlich von Neubrandenburg und fließt einige Kilometer nach Norden, bevor er bei Klempenow nach Westen abbiegt. Zwischen Altentreptow und der Burg Klempenow mäandriert die Tollense noch weitgehend in ihrem ursprünglichen Flussbett (S. 24). Auf den ersten Blick könnte man die Arbeit im Fluss für einen regel-

Einsatzplanung vor dem Tauchgang: Grabungstechniker Andreas Grundmann bespricht mit Forschungstaucherin Sonja Nagel die Aufgabe.

rechten Tauchspaziergang halten, doch die Unterwasserarchäologie in der Tollense ist anspruchsvoll. Im Winterhalbjahr herrscht starke Strömung und zwischen Oktober und Mai ist ein gefahrloses Tauchen kaum möglich. Zudem sind die Sichtverhältnisse in dieser Jahreszeit stark eingeschränkt. Ab Mai lässt die Strömungsgeschwindigkeit nach, das Wasser klart auf und mit Sichtweiten von 3 bis 4 m liegen bei einer Wassertiefe von 1 bis 4 m zumeist sehr gute Verhältnisse für norddeutsche Binnengewässer vor. Die Bedingungen unterliegen einem ständigen Wandel, denn das Flussbett ist gekennzeichnet von Prallhängen und Strömungsrinnen, sich verlagernden Sandbänken, Furten sowie ausgespülten Strömungslöchern. Torfpakete wechseln mit pleistozänen Mergelkuppen,

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die mit ihren Feldsteinen in den Fluss ragen. Daneben gibt es sandige Bereiche sowie ruhige Wasserzonen mit feinen Muddeablagerungen, die schon bei geringer Bewegung die Taucher minutenlang in Dunkelheit hüllen. Aufgrund der verschiedenen naturräumlichen Gegebenheiten muss daher jeweils geprüft werden, ob sich archäologische Befunde und Funde in einer ungestörten Situation befinden oder verlagert sind. Eine wichtige Aufgabe der Taucheinsätze besteht in der Überwachung bekannter Unterwasserfundstellen (Monitoring), die durch Erosion gefährdet sind. Im Rahmen der Kontrollen ist es immer wieder erforderlich, Funde in ihrem Schichtkontext zu dokumentieren und zu bergen. Die Verlagerung von Sandbänken und aktive Strömungsrinnen legen immer wieder neue fundführende Schichten frei, sodass auch bislang fundfreie Flussabschnitte wiederholt gezielt abgesucht werden müssen. Trotz der moderaten Temperaturen kommen für diese Arbeiten Trockentauchanzüge zum Einsatz, um den Körper bei den bis zu zweistündigen Tauchgängen vor Auskühlung zu schützen. Bei Prospektionen bewegen sich die Taucher zumeist mit der Strömung und werden dabei von Land aus oder mit dem Schlauchboot begleitet. Neue Funde und Befunde werden gleich von Land aus mittels eines GPS-Geräts eingemessen und mit einer Fundnummer versehen. Bei ihrer Arbeit werden die Taucher mit Bojen markiert, um Kollisionen mit Paddelbooten zu vermei-

den. Bei starker Strömung kann auch eine Sicherung der Taucher mit einer Leine erforderlich sein. Bei solchen Bedingungen kostet es viel Kraft, zum Ausgangspunkt zurückzugelangen. Auch beim Ein- und Ausstieg werden die Taucher mit ihrer bis zu 30 kg schweren Ausrüstung und neuen Funden im Gepäck immer durch Helfer unterstützt. Wie erfolgreich dieses methodische Vorgehen ist, zeigt der Fundplatz Wodarg 32: An Land konnten hier in Sedimenten aus früheren Flussbaggerungen einige Bronzepfeilspitzen und wenige menschliche Überreste dokumentiert werden, die auf das Vorhandensein einer bronzezeitlichen Fundschicht hinwiesen. Nach jahrelangen Tauchprospektionen ermöglichte erst eine neue Strömungsrinne im Jahr 2016 tatsächlich die Entdeckung der fundführenden Sedimente in diesem Flussabschnitt. An ausgewählten Stellen im Fluss werden auch Unterwassergrabungen erforderlich. Dann werden, wie an Land, Messpunkte markiert und mit den üblichen Werkzeugen wie Kelle und Spatel die Fundschicht freigelegt. Bei größeren Flächen kommt zur Entfernung des aufliegenden Sediments auch der sogenannte Airlift zum Einsatz. Die Dokumentation erfolgt auf klassische Weise mit Zeichnungen und Unterwasser-Fotografie sowie Videoaufzeichnungen. Ein ständiger Begleiter ist ein unter Wasser einsetzbarer Metalldetektor, mit dem sich auch kleinste Metallobjekte orten lassen.

Die Forschungstaucher bringen am Fundplatz Weltzin zahlreiche Funde an die Oberfläche: Sonja Nagel eine Bronzenadel, Joachim Krüger einen menschlichen Oberschenkelknochen, Frank Nagel einen menschlichen Schädel.

Alle in der Tollense entdeckten Funde werden möglichst genau eingemessen. Wenn es die Wassertiefe zulässt, erfolgt eine 3D-Erfassung der Funde.

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Tödlich verletzt – die Schädel von Weltzin 20 |

Tödlich verletzt – die Schädel von Weltzin 20 Von besonderer Bedeutung im Tollensetal ist der Fundplatz Weltzin 20 (S. 18; 34). Die Grabungsschnitte grenzen hier am Westufer direkt an den Fluss. Während der Tauchprospektionen lagen dort immer wieder auch Menschenreste und zunächst wurde vermutet, die Gebeine seien ausschließlich durch die Ufererosion in den Fluss gelangt; dies sollte sich als Irrtum erweisen. Frank Nagel konnte 2011 einen ersten Metallfund aus dem Fluss bergen. Der Bronzearmring mit rillenverzierten Enden zeigte, dass hier – im Gegensatz zu der höher liegenden Fundschicht der benachbarten Grabungsflächen an Land mit nur kleinen Metallobjekten – im Fluss auch mit massiven Bronzen zu rechnen ist. Nachdem die Strömung eine Sandbank abgebaut hatte, wurde im Sommer 2015 eine dreiwöchige Unterwasser-Grabung im Flussbett erforderlich. Dabei entdeckte Sonja Nagel u. a. zwei Schädel mit tödlichen Impressionsfrakturen. Die Befunde zeigen, dass sich die Fundschicht im Fluss fortsetzt, und die Schädel mit den schweren Verletzungen erlauben auch Vermutungen zum Ablauf des Kampfgeschehens (S. 38, 89).

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32 | Schädel, Sichel, Sensationen

Zu den herausragenden Funden aus dem Tollensetal gehört ohne Zweifel ein Schädelrest vom Fundplatz Weltzin 20 (Nord), der sich etwa 200 m flussabwärts der Hauptgrabungsfläche befindet. Eher zufällig wurde das Schädelfragment während einer Prospektion im Juni 2013 durch Joachim Krüger in einer frisch entstandenen Strömungsrinne entdeckt. Schädelreste gehören zum typischen Fundgut der Taucher, doch dieses Objekt hielt eine Überraschung bereit: Während des Freipräparierens kam die Tülle einer bronzenen Pfeilspitze zum Vorschein, die fest im Hinterhauptbein des Schädels steckt. Eine anschließende Grabung im Flussbett führte zur Entdeckung weiterer menschlicher Gebeine. Die Pfeilspitze lässt einen Schuss auf einen Flüchtenden vermuten. Der spektakuläre Fund bot die Möglichkeit, zwei unterschiedliche Materialien von einem Objekt mit der Radiokarbonmethode zu datieren. Die Ergebnisse einer Knochenprobe und einer Probe aus dem Holzschaftrest der Pfeilspitze weichen Jahrzehnte voneinander ab, überschneiden sich aber in ihren methodisch bedingten Plus-Minus-Werten (Standardabweichung). Die Ergebnisse bestätigen eine Einordnung des Fundes in die erste Hälfte des 13. Jh. v. Chr. Sie führen vor

Augen, dass verschiedene Probenmaterialien eindeutig zeitgleich abgelagerter Objekte zu abweichenden Radiokarbondaten führen können. Die Methode erlaubt also eine zeitliche Eingrenzung, aber keine exakte Datierung der Ereignisse.

Weltzin 32 – ein außergewöhnlicher Fundplatz Wetterkapriolen führten im Jahr 2011 im Tollensetal zu einem ungewöhnlichen Anblick: Heftige Regenfälle verursachten ein Sommerhochwasser, von dem das Tal zeitweilig fast völlig überflutet wurde. Die damit einhergehende heftige Strömung beschränkte die Tauchmöglichkeiten, doch anstatt mit Tauchanzug, Luftflasche und schweren Gewichten mühsam in die Tollense zu krabbeln, genügten zu dieser Zeit wenige Schritte, um in den Fluss einzutauchen. Die nicht ungefährlichen Hochwassereinsätze sollten am Westufer des Fundplatzes Weltzin 32 belohnt werden: Ungefähr 2,5 m unter der Geländeoberkante konnte unter Wasser eine Fundschicht von bis dahin unbekannten Ausmaßen freigelegt werden. Über eine Strecke von 30 m verteilt lagen immer wieder menschliche Knochen,

Diesen Schädel konnte Joachim Krüger am Flussgrund in originaler Fundlage freilegen. Dabei entdeckte er eine bronzene Pfeilspitze, die noch im Knochen steckt.

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Altes Holz |

Der Schädel eröffnete die Möglichkeit, zwei Radiokarbondatierungen an unterschiedlichem Probenmaterial durchzuführen. Das am Knochen ermittelte Datum fällt jünger aus als das Datum für den hölzernen Pfeilschaftrest aus der Pfeilspitzentülle. Die Abweichungen spiegeln methodische Probleme wider und der Schädel gehört ohne Zweifel zu der Fundschicht aus dem frühen 13. Jh. v. Chr.

Holzschaftrest ca.1290 ± 60 v. Chr.

Schädel ca. 1208 ± 55 v. Chr.

darunter 17 Schädel (S. 39). In der Folgezeit gelang die Dokumentation des Uferprofils auf einer Länge von über 70 m, und auch vom gegenüberliegenden Ufer liegen inzwischen Funde vor. Erst nach Jahren eines kontinuierlichen Monitorings zeigt sich die enorme Dimension dieses Fundbereichs. Vermutlich gehen die zahlreichen Skelettreste auf einen Altarm des Flusses zurück, in dem die Leichen nach der Schlacht rasch abgesunken sind und so einer Plünderung entgingen. Nur deshalb dürften hier auch besondere Funde wie ein Goldspiralring überliefert worden sein (S. 39).

Altes Holz Das Augenmerk des Tauchteams liegt jedoch nicht nur auf glänzenden Metallfunden und Menschenresten. Genauso wichtig sind die zahlreichen Befunde; so wurden über die Jahre viele Pfahlsetzungen und Holzkonstruktionen aus unterschiedlichen Zeiten dokumentiert. Mindestens zwei dieser Anlagen datieren nach Radiokarbondaten und dendrochronologischen Ergebnissen in das 14. bis 13. Jh. v. Chr. und dürften mit dem Zeithorizont der Gewaltereignisse in Ver-

bindung stehen. Die südlichere der beiden Konstruktionen am Fundplatz Weltzin 13 gehört wahrscheinlich zu einer Talquerung, die schon in der Frühbronzezeit gebaut wurde und der Ausgangspunkt des Konflikts sein könnte (S. 50). In den letzten Jahren ist eine Fundstelle etwa 5 km flussabwärts bei Tauchuntersuchungen in den Fokus gerückt. Dort liegt eine aus gespaltenen Stämmen und behauenen Bohlen aufgeschichtete schmale Konstruktion vor, die vom Ufer aus in den Fluss hineinragt. Noch ist unklar, um was für eine Konstruktion es sich hier handelt, und auch das Umfeld – die Fundstelle befindet sich deutlich abseits der Fundstreuung mit den zahlreichen Menschenknochen – ist bislang kaum erforscht. Insofern bleibt der Charakter dieser Entdeckung vorläufig unklar. Die Tollense war in der Vorgeschichte sicher ein wichtiger Verkehrsweg. Dies bezeugen auch verschiedene Einbaumfunde, von denen einer – nahe Fundplatz Weltzin 20 – zumindest in die jüngere Bronzezeit datiert. Auch wenn noch viele Fragen offen sind – der Einsatz von Forschungstauchern hat wesentlich dazu beigetragen, die Geschehnisse im Tollensetal vor etwa 3300 Jahren besser einordnen zu können.

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Überall Knochen! Ausgrabungen auf dem Schlachtfeld Gundula Lidke

Bereits kurz nach den ersten Entdeckungen, darunter ein Oberarmknochen mit darin steckender Feuersteinpfeilspitze und eine Holzkeule, in der Uferkante der Tollense am mittlerweile berühmten Fundplatz Weltzin 20 im Jahr 1996 (S. 18) fanden erste Sondierungen auf der angrenzenden Wiese statt. Mit etwa 1 m breiten Schnitten wurde der Bereich an mehreren Stellen näher erkundet. Dabei konnten zahlreiche verstreut liegende, überwiegend nicht mehr im anatomischen Verband befindliche Knochen von Menschen, seltener solche von Pferden, dokumentiert werden. Sie lagen in etwa 1 m Tiefe unter der Geländeoberkante unterhalb einer Torfschicht. Das erklärt den insgesamt sehr guten Erhaltungszustand der Knochen (S. 24). Andere Objekte, die Hinweise auf den Ursprung dieser ungewöhnlichen Fundschicht hätten geben können, wurden nicht gefunden. Bei der Untersuchung der Menschenknochen zeigte sich dann, dass diese überwiegend jungen Männern zuzuordnen waren. Bereits der Armknochen mit eingeschossener Pfeilspitze hatte auf eine Gewalthandlung hingedeutet. Im ergrabenen Knochenmaterial fanden sich nun weitere Hinweise auf Verletzungen, darunter eine eingedrückte Fraktur an einem Schädel. Insgesamt deutete sich so eine bislang kaum überlieferte Situation an – die Überreste eines Kampfes, wenn nicht sogar einer regelrechten Schlacht. Ein erstes Radiokarbondatum stellte das Fundensemble in das 13. Jh. v. Chr., also in die Nordische Bronzezeit. Auch die eingeschossene Flintpfeilspitze passte dazu. Tauchprospektionen führten in der Folgezeit an diversen Fundstellen zur Entdeckung weiterer menschlicher Skelettreste im Fluss. 2009 starteten umfangreiche Ausgrabungen, die bis zum Jahr 2015 fortgesetzt wurden. Die Geländearbeiten konzentrierten sich überwiegend auf den Fundplatz Weltzin 20, um dort die Fundschicht auf größerer Fläche zu erschließen. Den Untersuchungen kam entgegen, dass die Fundschicht hier im Uferbereich des bronzezeitlichen Flusses mit einer Tiefe von etwa 0,9 m bis 1,7 m unter der heutigen Oberfläche relativ gut zugänglich ist. So war die Freilegung der höhergelegenen Fundschicht in der Regel trockenen Fußes möglich, in den tieferen Bereichen musste aber oft auch eine Pumpe zum Einsatz kommen. Im Sommer 2011 stand die Grabungs-

fläche nach heftigen Niederschlägen wochenlang unter Wasser. Im Laufe der weiteren Forschungen zeigte sich, dass an anderen Stellen des Tals menschliche Knochen des Schlachtfeldhorizonts teils mehr als 2,5 m unter der Geländeoberkante und damit deutlich unter dem heutigen Wasserspiegel der Tollense liegen (S. 39). Trotz dieser tiefen Lage wurden im Laufe der Jahre beidseits des Flusses auch an solchen Stellen Sondagen angelegt. Dabei zeigte sich, dass die Skelettrestfundschicht in der Regel eng an den Uferbereich gebunden ist und nach wenigen Metern in den angrenzenden Wiesen ausstreicht. In einer Sondage wurde dabei nur ein einziger menschlicher Knochen entdeckt, der sich über die Radiokarbondatierung aber ebenfalls als zum Schlachtfeldhorizont gehörig erwies, in einer weiteren fanden sich wenige Skelettreste und eine Flintpfeilspitze. Fundplatz Weltzin 20 repräsentiert in dieser Hinsicht eine Ausnahme, denn hier konnte die Knochenfundschicht bis zu 15 m vom heutigen Flusslauf entfernt dokumentiert werden. Dieses Areal am Westufer der Tollense bietet somit sehr gute Voraussetzungen zur großflächigen Erforschung der Fundschicht.

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Nachdem eine größere Fläche an Fundplatz Weltzin 20 untersucht war (untere Bildgrenze), wurde ein langer Schnitt nach Süden angelegt. Darin lagen teilweise zahlreiche menschliche Gebeine beieinander.

Zu den ersten Entdeckungen an der Fundstelle Weltzin 20 gehörte dieser Oberarmknochen mit eingeschossener Pfeilspitze.

Weit und breit nur Knochen? Um die ungewöhnliche Fundschicht mit den durcheinander liegenden Skelettresten möglichst genau zu dokumentieren, wurde der Boden zunächst mit Muskelkraft und Spaten abgetragen. Mit Erreichen der Knochenfundschicht kam dann nur noch feines Gerät wie Kelle, Spatel und Pinsel zum Einsatz. Diese vorsichtige Vorgehensweise hat sich bewährt, denn so konnte nicht nur eine genaue Dokumentation aus Zeichnungen und Fotos erstellt werden, sondern auch jeder Knochen bzw. Fund wurde in seiner Lage genau erfasst und mit einer Fundnummer versehen. Da die Knochen oft übereinanderlagen und die Fundschicht eine Mächtigkeit von teils mehr als 30 cm erreichte, war eine zeitaufwendige Dokumentation von mindestens zwei Niveaus notwendig. Selbst kleine Pfeilspitzen konnten in ihrer exakten Position erfasst werden. Eine besonders fundreiche Fläche wurde 2013 gescannnt, um eine spätere 3D-Rekonstruktion zu ermöglichen.

Am Fundplatz Weltzin 20 konnten insgesamt etwa 460 m2 freigelegt werden. Die Arbeiten konzentrierten sich zunächst auf das Umfeld der früheren Sondagen. Um das Vorhandensein der bronzezeitlichen Fundschicht im weiteren Umfeld zu erkunden, wurde dann 2013 und 2014 ein über 70 m langer, etwa 2 m breiter Schnitt quer über die Wiese der Flussschleife angelegt. Dieser lieferte teilweise eine völlig unerwartete Dichte an menschlichen Gebeinen mit zahlreichen Schädeln. Insgesamt kamen bei den Grabungen Tausende einzelne Kochenfunde zutage. Diese sind hauptsächlich menschlichen Individuen zuzuweisen, nur in wenigen Fällen wurden weitere Tierknochen, meist vom Pferd, entdeckt. Allein von Fundplatz 20 liegen mindestens 94 menschliche Individuen vor, die einen Großteil der bislang 144 für den Schlachtfeldhorizont insgesamt nachgewiesenen Individuen aus dem Tollensetal repräsentieren (S. 68). Die Pferdeknochen liegen – ebenso desartikuliert wie die der Menschen – in kleineren Bereichen der Fläche beieinander. Ihre An-

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36 | Überall Knochen!

zahl ist insgesamt aber deutlich geringer, wie auch die der daraus rekonstruierbaren (vier) Individuen. Die an Fundplatz Weltzin 20 freigelegte Fundschicht mit menschlichen Skelettresten ähnelt den übrigen im Tal erforschten Flächen, an denen menschliche Knochen auftraten. Es handelt sich größtenteils um nicht mehr im anatomischen Verband liegende Knochen. Teils liegen die Knochen unterhalb des Torfs auf einer Sandfläche, teils liegen sie aber auch in Torfschichten eingebettet. Dabei kann sich die Knochendichte pro Quadratmeter deutlich unterscheiden, ebenso wie die Zusammensetzung der jeweils repräsentierten Skelettreste. Auch die Fundhöhe der am Fundplatz Weltzin 20 in situ dokumentierten Skelettreste schwankte erheblich zwischen 5,15 m und 4,20 m NHN. Dies zeigt, dass das bronzezeitliche Relief des Tals wesentlich abwechslungsreicher war als das heutige, das durch späteres Torfwachstum verflacht wurde. Die am höchsten gelegenen Überreste kamen auf einem vom Talhang zum Fluss führenden Schwemmfächer zutage. Richtung Süden und Norden fällt die Fundschicht deutlich ab.

Pfeilspitzen im Knochen-Mikado Es handelt sich überwiegend um eine reine Knochenfundschicht; nur ausnahmsweise befanden sich auch andere Objekte wie eine kleine Knochennadel mit dreieckigem, durchlochtem Kopf und zwei runde Knochenplättchen, eins davon durchlocht, darin. Neben diesen Trachtbestandteilen wurde auch ein rillenverzierter bronzener Fingerring inmitten der Skelettreste entdeckt. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Waffenfunde: Sechs Flintpfeilspitzen, zwei bronzene Tüllenpfeilspitzen und eine bronzene Schaftdornpfeilspitze lagen lose zwischen den Knochen; größere Waffen oder andere Bronzeobjekte fanden sich nicht. Die Projektile lagen sämtlich lose in der Fundschicht, oft aber im Bereich dichter Knochenkonzentrationen. In einem Fall steckte eine Flintspitze neben Elle und Speiche eines Unterarms im Boden. Insgesamt fällt auf, dass ausschließlich kleine und wenig wertvolle Objekte mit den Knochen vergesellschaftet sind. Dies spricht für eine Plünderung der Leichen nach der Schlacht. Der gründlichen Suche

Die menschlichen Überreste bildeten an Fundstelle Weltzin 20 immer wieder solche Konzentrationen. Zwischen diesen Knochen lag auch eine Pfeilspitze aus Feuerstein, die vermutlich in einem Opfer steckte (links oben).

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Viele Fundplätze – ein Ereignis? |

größeren Knochen der Gliedmaßen und des Brustkorbs unterrepräsentiert. In einigen Fällen zeigten sich schon während der Ausgrabung anatomische Zusammenhänge, die auf das Vorhandensein von Teilkörpern hinweisen. So konnten etwa ein linker Arm und auch zusammengehörige Teile einer Wirbelsäule und eines Brustkorbs identifiziert werden (S. 68). Zusätzlich stellte sich heraus, dass insbesondere im Bereich der kompakten Knochenschicht mehr individuelle Zusammenhänge vorlagen als zunächst angenommen. Erwähnt sei hier z. B. ein Bereich mit Hunderten von Knochen, darunter mehr als zehn Schädeln, der 2013 auf etwa 8 m2 freigelegt wurde. Dort sind jeweils fast alle Skelettelemente der Personen im näheren Umkreis vorhanden; allerdings liegen sie miteinander vermischt vor und die Individuen sind daher nur schwer zu rekonstruieren. Leichter fällt die Zuordnung einiger im Jahr 2015 in einer Sondage erfasster Skelettreste: Vom Schädel mit Unterkiefer über Armknochen, Brustkorb, Becken, Bein- und diverse Kleinknochen lagen hier die Überreste eines Mannes, allerdings erneut ohne anatomischen Zusammenhang. Diese Beobachtungen lassen geringe Wasserenergie als Ursache der Verlagerung nach der Skelettierung der Opfer vermuten.

Viele Fundplätze – ein Ereignis?

50 m

Der Plan zeigt die Grabungsflächen und die Position der weiteren bronzezeitlichen Funde aus dem Fluss und der Uferkante.

nach Wertgegenständen entgingen wohl nur kleine, vielleicht auch als unbedeutend angesehene Gegenstände – und in den Körpern steckende Projektile. Die Forschungen an anderen Stellen im Tal mit interessanten Objekten zwischen den menschlichen Gebeinen sollten diese Hypothese später bestätigen (S. 39, 44). Die Skelettreste in der Fundschicht liegen überwiegend desartikuliert, also nicht mehr im anatomischen Verband vor. Das erschwert die Rekonstruktion der Individuen, d. h. der Schlachtbeteiligten. Die Verbreitung der Knochen in der Fläche ist dabei durchaus unterschiedlich – in einigen Bereichen lagen nur wenige, einzelne Knochen, in anderen Bereichen dagegen traten sie in einer kompakten Schicht dicht gepackt auf. Alle Skelettelemente des menschlichen Körpers sind vertreten, vom Schädel bis zu kleinen Fuß- oder Handknochen. Letztere sind durch die Zerfalls- und Verlagerungsprozesse während der Ausbildung der Fundschicht allerdings im Gegensatz zu

Parallel zu den Grabungen fanden Begehungen mit Metalldetektoren statt. Der Aushub alter Ausbaggerungen der Tollense enthielt häufiger Reste der bronzezeitlichen Fundschicht – darunter eine erstaunliche Anzahl bronzener Tüllenpfeilspitzen (S. 56, 63). Auf der Suche nach diesen zum Schlachtfeldhorizont gehörigen Objekten wurden in den entsprechenden Sedimenten immer wieder auch Skelettreste entdeckt. In manchen Fällen lagen die Kochen dabei so dicht, dass diese – verlagerten – Überreste der in Originallage beobachteten Fundschicht ähnelten. Diese Funde lassen auf die ursprünglich vorhandene Fortsetzung einer kompakten Fundschicht im Bereich der heutigen Tollense schließen. Auch an anderen Stellen wurden nach und nach flache Sondierungen in solchen Baggeraushubschichten durchgeführt. Neben stark fragmentierten Knochen kamen dabei gut erhaltene Gebeine sowie bronzene Tüllenpfeilspitzen und in einem Fall auch eine weitere Flintpfeilspitze zutage. Im Jahr 2011 entdeckten die Taucher am Fundplatz Weltzin 32, der etwa 300 m (Luftlinie) südlich von Weltzin 20 liegt, nicht nur ungewöhnlich viele menschliche Skelettreste im Westufer des Flusses, sondern auch ganz besondere Funde (S. 39). Um die

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38 Dieser Schädel wurde im Fluss entdeckt. Er zeigt eine schwere Verletzung, die durch eine stumpfe Waffe, vermutlich eine Keule, entstanden ist.

Fundsituation dort landseitig zu klären – vielleicht sind hier in größerer Tiefe auch Reste von Kleidung, Ausrüstung und Bewaffnung erhalten – erfolgten dort 2012 ebenfalls erste Grabungen. Hier lag die Fundschicht der Bronzezeit allerdings so tief, dass eine kontrollierte Grabung kaum möglich war. Gleichwohl zeigte sich mit desartikulierten menschlichen Skelettresten ein ähnliches Fundbild wie an Fundstelle Weltzin 20. Die an den unterschiedlichen Fund-

plätzen immer wieder sehr ähnlich beobachtete Fundschicht, die im gleichen Erhaltungszustand aufgefundenen Skelettreste wie auch das überwiegende Fehlen weiterer Objekte in der Fundschicht sprechen im Zusammenspiel mit den Resultaten der Radiokarbondatierungen und den Ergebnissen der osteoarchäologischen Untersuchungen dafür, dass das Material der verschiedenen Fundstellen letztlich Überreste eines großen Gewaltereignisses repräsentiert (S. 89).

Nur wenige Meter vom heutigen Fluss entfernt bilden die menschlichen Skelettreste an Fundplatz Weltzin 20 eine besondere Fundkonzentration. Die Analyse der Knochen spricht dafür, dass sie nur kleinräumig verlagert wurden.

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Nicht nur Zinn und Gold Die unsichtbaren Opfer von Weltzin 32 Joachim Krüger, Gundula Lidke und Thomas Terberger

Im Juli und August 2011 überfluteten schwere Regenfälle das gesamte Tollensetal. Der Flussverlauf war nicht mehr zu erkennen.

Extreme Niederschläge führten im Sommer 2011 zu einem ungewöhnlichen Naturereignis: Weite Bereiche des Tollensetals wurden über Wochen teils meterhoch überschwemmt und die laufende Grabung am Fundplatz Weltzin 20 musste eingestellt werden. Auch das Tauchteam hatte mit den Bedingungen zu kämpfen, denn die starke Strömung machte an vielen Flussabschnitten ein sicheres Tauchen unmöglich. Daher konzentrierten sich die Untersuchungen auf den Fundplatz Weltzin 32, den Sonja Nagel kurz zuvor im Westufer neu entdeckt hatte. Hier lagen menschliche Überreste knapp über der Sohle des Flussbetts in einer Tiefe von 2,5 bis 3 m unter der Geländeoberfläche. Die Fundsituation stellte sich damit deutlich anders dar als an der ca. 400 m weiter flussabwärts gelegenen Hauptfundstelle Weltzin 20, wo die Gebeine bei Grabungen an Land meist mit trockenen Füßen freigelegt werden konnten (S. 34).

Schon während der ersten Tauchgänge zeigte sich, dass auch hier die Gebeine nicht mehr im anatomischen Verband lagen. Da die verschiedenen menschlichen Körperteile inklusive der kleinen Hand- und Fußknochen in der Schicht auftraten, dürften die Skelettreste im Zerfallsprozess nur kleinräumig umgelagert worden sein. Geowissenschaftliche Untersuchungen der Profile und Radiokarbondaten sprechen für die Überlieferung eines bronzezeitlichen Fundzusammenhangs in einem alten Flussbett. Die fundführenden Sedimente ließen sich im Profil auf einer Länge von ca. 70 m mit verschiedenen »Knochennestern« nachweisen, die durch fundleere Bereiche getrennt waren. Da sich die Fundschicht unmittelbar im Uferbereich befand, war eine Flächengrabung hier nicht möglich. Die starke Strömung erodierte zunehmend das Profil, und so wurde eine Bergung der Funde erforderlich. Daher erfolgte Meter für Meter eine um-

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sichtige Entnahme des Skelettmaterials. Insgesamt konnte so eine außergewöhnliche Menge an menschlichen Gebeinen gesichert werden, darunter u. a. 17 Schädel inklusive Fragmente dieser. Die Fundschicht konnte auch im Ostufer nachgewiesen werden. Dort wurde 2014 ein kleines Profil unter Wasser angelegt. Dabei fiel auf, dass die fundführenden Sedimente dort stratigrafisch etwa 1,5 m höher als im Westufer liegen. Neben menschlichen Knochen wurde auch die abgetrennte Krone eines Rothirschgeweihs entdeckt. Insgesamt deutet sich über weite Strecken dieses Abschnitts der Tollense eine beinah flächendeckende Verbreitung der knochenführenden Fundschicht des Schlachtfeldhorizonts an.

Goldglanz im Fluss Was nach dem schwierigen Saisonauftakt kaum zu erwarten war: Der Sommer 2011 sollte sich zu einer besonders erfolgreichen Kampagne der Tauchcrew entwickeln. Denn bei den Untersuchungen im Fluss wurden neben den Knochenansammlungen auch Funde

von außerordentlicher Qualität entdeckt. Zunächst fand Sonja Nagel in einer Ansammlung menschlicher Zähne eine Flintpfeilspitze mit Resten eines mit Birkenpech festgeklebten Holzschafts. Damit gelang erneut der Nachweis des Zusammenhangs von Waffen und menschlichen Überresten in der Fundschicht. Den kostbarsten Fund entdeckte Frank Nagel im August in Profilmeter 10. In einer Knochenanhäufung befand sich direkt neben einem Schädel ein goldener Spiralring, ein sogenannter geschlossener Noppenring. Der 9,97 g schwere Ring hat eine Länge von 2,9 cm und einen maximalen Durchmesser von 1,7 cm. Das dünn gehämmerte Material wurde zunächst zu einem Kreis verlötet, dann zu einem doppelten Draht zusammengedrückt und schließlich zu einer Art Spule mit 7,5 Windungen gewickelt. An einem der beiden Noppenenden ist der Ring gedreht (tordiert). Im Tollensetal sind noch drei weitere solche Goldspiralringe entdeckt worden (S. 87), doch nur der hier vorgestellte liegt aus originalem Fundkontext vor. Nach Untersuchungen des Bronzezeitspezialisten Jens-Peter Schmidt ist dieser Typ von goldenen Spiralringen mit insgesamt 44 Exemplaren aus Mecklenburg-Vor-

An Fundstelle Weltzin 32 lagen zahlreiche Menschenreste in einer mit Muscheln durchsetzten Schicht, die der Fluss in der Bronzezeit abgelagert hatte.

An dieser Flintpfeilspitze von Fundstelle Weltzin 32 haben sich Reste des Pfeilschafts und dunkle Klebemasse erhalten.

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Goldglanz im Fluss |

Auf dem Plan ist die flächige Verteilung der Fundschicht zu erkennen.

50 m

Den erfahrenen Forschungstauchern gelang an Fundplatz Weltzin 32 – trotz starker Strömung – die Bergung eines feinen Goldspiralrings.

pommern gut belegt. Soweit der Fundzusammenhang dokumentiert ist, können sie der Periode III zugewiesen werden; dieser zeitliche Ansatz passt hervorragend zu der Datierung der Funde aus dem Tollensetal ins frühe 13. Jh. v. Chr. Er wird auch durch ein Radiokarbondatum der Flintpfeilspitze mit Holzschaftrest bestätigt. Eine intentionelle Deponierung

des Rings vom Fundplatz Weltzin 32 erscheint aufgrund der Fundumstände ausgeschlossen, eher dürfte es sich um den Trachtschmuck oder persönlichen Besitz eines Opfers handeln, der hier tief im Fluss liegend einer Plünderung entgangen ist. Dabei muss es sich nicht zwingend um einen Fingerring handeln, auch wenn der Durchmesser passend erscheint. Vielmehr weisen viele Grabfunde im nord- und mitteldeutschen Raum darauf hin, dass solche Ringe einzeln oder paarig im Haar oder an einer Art Kopfbedeckung getragen worden sind. Nur in Ausnahmefällen wurden sie auch im Bereich der Hände angetroffen. Die Ringe kommen in reichen Männer- und Frauengräbern vor. Der Fund des goldenen Noppenrings widerspricht also nicht dem anthropologischen Befund, wonach fast ausschließlich Männer im Tollensetal zu Tode gekommen sind. Der Ring legt aber nahe, dass sich unter den Opfern auch sozial hochstehende Personen befanden. In den folgenden Tagen gelang die Bergung weiterer spektakulärer Metallfunde. Die Taucher entdeckten in Profilmeter 30, wiederum direkt mit Skelettresten vergesellschaftet, einen kleinen Komplex aus vier bronzenen Spiralröllchen und zwei größeren Spiralringen, sogenannte Noppenringe, aus einem silbrig-grauen Material. Noch am selben Abend führten die Entdecker zur Materialbestimmung eine einfache

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42 | Nicht nur Zinn und Gold

Dichtemessung durch: Zunächst wurde die Masse eines der beiden Ringe mit einer Feinwaage bestimmt. Anschießend erfolgte eine Volumenmessung in einem geeichten, mit Wasser gefüllten Glas. Die Masse dividiert durch das Volumen ergibt den Wert der Dichte, der in diesem Fall bei 7,7 g pro cm3 liegt. Das Ergebnis stellte eine große Überraschung dar, denn dieser Wert liegt nahe dem des archäologisch höchst selten überlieferten Metalls Zinn (7,31 g pro cm3). Spätere Labormessungen bestätigten das Ergebnis und zeigten, dass das Zinn auch ca. 1,5 Prozent Blei enthält, das als natürliche Verunreinigung den höheren Dichtewert der Ringe erklärt. Beide Ringe sind aus einem ca. 0,4 cm starken Draht gefertigt, und die letzte Windung ist in Form einer Noppe umgebogen. Die Ringe sind entgegengesetzt gewunden; ihr Gewicht ist mit 22,85 g und 23,26 g nahezu identisch. Die übereinstimmende Fertigungsweise und das ähnliche Gewicht sprechen für ein Ring-Paar. Aufgrund der Dicke des Materials kann eine Funktion als Schmuck wohl ausgeschlossen werden. Vielmehr dürfte es sich um eine Art Barren handeln. Zinn war ein wertvolles Rohmaterial, das für die Fertigung von Bronzen mit etwa 10 Prozent Anteil unentbehrlich war. Auch die Bronzeröllchen passen gut in den bronzezeitlichen Kontext. Sie haben jeweils elf Windungen, ihre Länge schwankt zwischen 1,6 und 2,3 cm, und sie wiegen zwischen 0,82 und 1,81 g. Aufgrund der dokumentierten Fundlage ist eine Zugehörigkeit zur knochenführenden Fundschicht gesichert. Auch in diesem Fall bestätigt die Radiokarbondatierung eines nahegelegenen Knochens die Einordnung in die Zeit um 1300 bis 1250 v. Chr.

Oben: In dem Profil von Fundstelle Weltzin 32 ist die Position der wertvollen Zinnringe und Bronzespiralröllchen tief im Fluss zu erkennen.

Zu den bemerkenswerten Entdeckungen an Fundstelle Weltzin 32 gehören auch diese Bronzespiralröllchen.

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Fundschicht auch an Land? |

Die beiden Zinnringe wiegen je ca. 23 g. Zusammen mit den vier kleinen Bronzespiralen bildeten sie vermutlich den Besitz eines Opfers. Zinn ist nur sehr selten aus der Bronzezeit überliefert. Die genaue Herkunft des wichtigen Rohstoffs für die Bronzeproduktion konnte bislang nicht ermittelt werden.

Die sechs Gegenstände lagen eng beisammen; vermutlich befanden sie sich in einem Beutel aus organischem Material wie z. B. Leder. Auch eine Auffädelung auf einer Schnur und eine Trageweise als Kette sind denkbar. Mit einem Gesamtgewicht von nicht ganz 50 g erscheint eine rituelle Deponierung unwahrscheinlich. Vielmehr dürfte es sich auch hier um den persönlichen Besitz eines Opfers gehandelt haben, das seine Wertsachen am Körper getragen hat, die – wie der Goldring – einer Plünderung entgangen sind. Insgesamt erlaubte die anthropologische Auswertung der an Land und unter Wasser geborgenen Skelettreste die Bestimmung von ca. 30 Individuen.

Fundschicht auch an Land? Die Ergebnisse der Taucharbeiten deuteten auf eine ausgedehnte Fundschicht mit besonderen Objekten hin und dies ließ – trotz der großen Tiefe der fundführenden Ablagerungen – eine landseitige Ausgrabung lohnenswert erscheinen. Vielleicht waren hier mehr Hinweise auf Ausrüstung und Kleidung der Schlachtteilnehmer zu entdecken? Die deutlich unterhalb des Wasserspiegels der Tollense liegende Fundschicht war allerdings eine Herausforderung. Da die Zinn- und Bronzespiralen noch am höchsten, »nur« in einer Tiefe von über 2 m unter Geländeoberkante lagen, wurde dort eine ca. 20 m2 große Gra-

bungsfläche benachbart am Ufer geöffnet (S. 34). Zunächst zeigten sich hier jüngere Strukturen wie etwa Fischfangzäune aus der Römischen Kaiserzeit. Die tiefer liegende bronzezeitliche Fundschicht mit den Skelettresten fiel landseitig weiter ab und das eindringende Wasser erschwerte eine qualitätsvolle Dokumentation. Gleichwohl konnten einige verstreute Skelettreste aus dem Schlamm geborgen werden, aber die Funddichte war geringer als erwartet. Hier lässt sich das Umfeld nur mit großem technischen Aufwand untersuchen. Eine flache Sondierung in dem Aushub früherer Flussbaggerungen, der schon zahlreiche Bronzepfeilspitzen geliefert hatte, förderte neben einigen Skelettresten auch eine kleine Flintpfeilspitze zutage. Auch am gegenüberliegen Ostufer ergaben die Tauchprospektionen vor der Flussbiegung eine fundreiche Situation im Uferprofil von Fundplatz Wodarg 25. Eine unmittelbar in Ufernähe angelegte Sondage lieferte neben desartikulierten Skelettresten auch eine Flintpfeilspitze in situ. Insgesamt scheint ein größerer Teil der ehemals vorhandenen Fundschicht am Fundplatz Weltzin 32 bereits den Flussausbaggerungen der 1980er Jahre zum Opfer gefallen zu sein. Daher konnten auch einige Pfeilspitzen aus Bronze am Westufer mit Detektoren unter der Grasnarbe aufgespürt werden. Gleichwohl ist in diesem Flussabschnitt noch von ungestörten Flächenbereichen auszugehen, deren weitere Erforschung eine besondere Herausforderung darstellt.

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Im Kampf verloren? Spektakuläre Funde von Weltzin 28 Tobias Uhlig, Joachim Krüger und Thomas Terberger

Die Tollense ist ein kleiner, aber sehr dynamischer Fluss. Durch die Strömung kommt es immer wieder zu Erosion und Verlagerungsprozessen. Daher ist die regelmäßige Kontrolle der Uferkanten durch das Tauchteam notwendig (S. 29). Im Sommer 2016 erfolgte ein solcher Einsatz an der Fundstelle Weltzin 28, die sich etwa 200 m flussabwärts von einer bronzezeitlichen Wegtrasse durch das Tal befindet, an der vermutlich der Konflikt seinen Ausgangspunkt hatte. An diesem Fundplatz beschreibt die Tollense eine scharfe Biegung nach Westen. Zuvor war hier nur eine Reihe von Bronzefunden, vor allem Nadeln, aus dem Baggeraushub alter Flussausbaggerungen bekannt geworden, während Menschenreste kaum geborgen wurden. Gleich mit dem ersten Tauchgang gelang im trüben Wasser ein sensationeller Fund: Im schlammigen Untergrund schimmerte eine größere Bronze, die sich bei der Bergung als flaches Gefäß mit einem Falzdeckel zu erkennen gab. Am Rand und auf der Mitte des Deckels sind Ösen angebracht. Die sogenannte Gür-

teldose hat einen Durchmesser von 11,5 cm, ist etwa 490 g schwer und reich verziert. Auf dem Boden befindet sich zentral ein Sternornament, das von kreisförmig angeordneten Ornamenten und feinen Gravuren umgeben ist. Dank der hervorragenden Erhaltung hat sich in den Vertiefungen eine schwarze harzartige Masse erhalten, welche die Verzierungen kontrastreich hervortreten lässt. Solche Dosen sind selten. Der hier vorliegende Typ Dabel datiert ca. in das 13. Jh. v. Chr. und kommt von Mecklenburg bis ins Odergebiet vor. Die Herstellung der Gefäße im Bronzegussverfahren erfolgte offensichtlich im Norden. Die Dosen wurden zumeist an einem durch die Ösen gezogenen Lederriemen getragen, sodass der verzierte Boden gut sichtbar war. Es handelt sich um einen Trachtbestandteil, der aus reichen Gräbern und Hortfunden bekannt ist. Drei Gürteldosen aus dem Gebiet östlich der Oder weisen auf eine Funktion als Schatulle für wertvolles Gut wie Goldringe hin. Gürteldosen werden eher der weiblichen Sphäre zugeordnet, können aber auch von Männern genutzt wor-

Sensationeller Fund an Fundplatz Weltzin 28: Im Flussbett wurde eine prächtige Gürteldose in Originallage entdeckt. Der satte Goldton der Bronze hat sich nach über 3000 Jahren im Fluss noch erhalten. Zu erkennen sind auch Ösen, die zur Befestigung der Dose am Gürtel dienten.

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Die Gürteldose von Fundplatz Weltzin 28 ist reich verziert und das Ornament mit dunkler harzartiger Masse ausgelegt.

den sein. So stand im Grab von Dabel ein solches Bronzebehältnis direkt neben dem Schädel eines Mannes. Im Umkreis der Gürteldose wurden mehrere menschliche Knochen und eine bronzene Pfeilspitze gefunden, wie sie typisch für die Fundschicht im Tollensetal ist. Auch verschiedene Nadeln, die Einflüsse der frühen Lausitzer Kultur zeigen, konnten hier in

Am Flussgrund wurden an Fundstelle Weltzin 28 neben einigen Menschenknochen verschiedene spektakuläre Bronzefunde entdeckt. Die Meterangaben beziehen sich auf die Höhe über Meeresspiegel (NN).

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originaler Fundlage dokumentiert werden. Zusammen mit den früher gefundenen Exemplaren liegen Nadeln mit insgesamt acht Exemplaren vergleichsweise häufig aus diesem Flussbereich vor. Ihre Datierung in die Periode III lässt einen Zusammenhang mit dem Schlachtfeldhorizont im frühen 13. Jh. v. Chr. gut möglich erscheinen, aber auch mit jüngeren Votivgaben ist grundsätzlich zu rechnen. Für einen

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Zusammenhang mit dem Gewaltkonflikt spricht allerdings die Tatsache, dass Nadeln nicht nur von Frauen getragen, sondern offensichtlich als Gewandverschluss auch von Kriegern geschätzt wurden. Interessant ist auch das Hauptverbreitungsgebiet der verschiedenen Nadeltypen (S. 86).

Dicht gepackt: 250 g Bronze Im Oktober 2016 fanden die Tauchaktivitäten eine Fortsetzung. Bei dieser Prospektion gelang eine weitere spektakuläre Entdeckung: Am Ostufer konnte ein kleiner Bronzehort in seiner originalen Fundlage aufgespürt werden. Das Ensemble lag dicht gepackt, was auf eine organische Umhüllung wie einen Beutel oder Ähnliches schließen lässt, in der die Bronzen zusammen in den Fluss gelangten. In unmittelbarer Nähe wurde eine weitere bronzene Pfeilspitze mit Teilen des Holzschafts gefunden (S. 65), die wohl mit dem Schlachtgeschehen im Zusammenhang steht. Sollte auch das etwa 250 g schwere Metalldepot in diesen Zeithorizont gehören? Die geborgenen Bronzegegenstände zeigen eine besondere Zusammensetzung: Neben drei intakten Werkzeugen – einem Pfriem mit erhaltenem und verzierten Holzgriff, einem Messer und einem quadratischen Meißel – enthielt der Komplex auch Bronzeschrott. Dazu gehören Fragmente von Bronzeobjekten und -blechen, die keinen praktischen Nutzen mehr besaßen. Ungewöhnlich waren hierbei drei kleine Barren aus Rohkupfer und zwölf, überwiegend stark fragmentierte, Bronzeblechfragmente. Deponierungen wie diese sind der Forschung seit Langem bekannt und wurden ursprünglich als Vorrat fahrender Händler interpretiert, die ihren Verwahrfund später nicht wieder bergen konnten. Forschungsgeschichtlich hat sich für solche Funde der Begriff Brucherz eingebürgert, doch eigentlich handelt es sich um recyclingfähiges Material. Dazu passt auch, dass solche Hortfunde oft auch Werkzeug, Gussformen oder Gussabfälle enthalten. Heute geht die Forschung meist nicht mehr von Verwahrfunden von Händlern, sondern von einem Votivcharakter solcher Materialdeponierungen aus. Die Fragmente werden dabei weniger als Altmetall angesehen, sondern im Zuge eines Wandels der Wertvorstellungen soll das Material das intakte Objekt als Wertträger abgelöst haben. Die guten Erhaltungsbedingungen erlaubten an den Objekten eine Untersuchung von Fertigungsund Gebrauchsmerkmalen. Guss, Zuarbeiten und Nutzung hinterlassen Spuren, die oftmals erst unter dem Mikroskop sichtbar werden und so die Rekon-

struktion regelrechter Objektbiografien erlauben. So verließ das enthaltene Bronzemesser die Gussform ursprünglich als Sichel. Als die Sichel beschädigt wurde, erfolgte eine Trennung in zwei Teile. Aus der vorderen Hälfte wurde nun ein Messer gefertigt. Die Griffangel wurde durch das Heraustrennen eines

In der Übersicht des Fundkomplexes sind eine Messerklinge (aus einer Sichel), zwei intakte Werkzeuge und drei Blechzylinder erkennbar, während weitere Objekte verbogen, zerteilt oder an-

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Dicht gepackt: 250 g Bronze |

gebrannt sind. Ein Fehlguss (vorne rechts) und ein Gusszapfen (vorne links) weisen mit weiteren Objekten auf einen Zusammenhang mit dem Metallhandwerk hin.

Klingenstücks und mechanische Stauchung erzeugt. Auf der Klinge finden sich ältere senkrecht zur Schneide verlaufende Schleifspuren, die von jüngeren parallel zur Schneide laufenden überlagert werden. Sogenannte Sichelmesser treten in ganz Mitteleuropa auf und liegen vor allem als Einzelfunde vor.

Sie vermitteln den Eindruck von Notlösungen und spielten als Grabbeigaben oder Hortbestandteil keine nennenswerte Rolle. Dies kann auch für den massiven Bronzemeißel gelten: Es handelt sich um einen einfachen Werkzeugtyp, der bereits im Neolithikum aus Kupfer auf-

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Zylinder aus Bronzeblech

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Barren Meißel

Eine herausragende Entdeckung war ein kleiner ca. 250 g schwerer Brucherz-Fundkomplex in originaler Fundlage. Die dicht gepackten Objekte lassen vermuten, dass sie sich ursprünglich in einem organischen Behälter befanden. Gut zu erkennen sind ein Meißel (links), ein Blechzylinder (mittig, oben), sowie ein Kupferbarren (rechts).

Blechfragment Messer (Fehlguss)

tritt und bis in die jüngere Bronzezeit als Einzelfund oder mitunter auch als Beigabe in Männergräbern vorkommt. Diese Gräber zeigen wiederholt eine Kombination solcher Meißel mit Messer und Pfriem, was auf ein Werkzeugset als persönliche Ausstattung hinweist. Kann es sich bei dem kleinen Fundkomplex von Fundplatz Weltzin 28 ebenfalls um ein Werkzeugset als Teil der persönlichen Ausstattung handeln? Unmittelbar mit den Opfern zu verbindende Objekte sind im Tollensetal bisher nur in tieferen Schichten gefunden worden, wo sie vor Plünderung geschützt waren (S. 39). Eine solche Situation scheint auch im Fall von Fundplatz Weltzin 28 vorzuliegen.

Handwerker und Krieger? Während die Kombination von Messer, Meißel und Pfriem zur persönlichen (Grab-)Ausstattung eines wohlhabenden Mannes gehörte, die er z. B. in einer Gürteltasche mit sich führte, sind die in Weltzin 28 mitgefundenen Materialfragmente aus Gräbern nicht bekannt. Mit etwa 200 g handelt es sich um eine kleine Menge, die erheblich geringer ausfällt als bei den bekannten Brucherz- bzw. Bronzeschrotthorten, die normalerweise zwischen 6 und 42 kg wiegen. Daher entspricht die Deponierung aus wenigen Werkzeugen und 200 g Bronzefragmenten nicht dem Muster bekannter Votivgaben, sondern dies passt besser zur Interpretation als Teil einer Ausstattung »am Mann«. Drei im Hort enthaltene zylindrische Blechrollen mit Nietlöchern an den Schmalseiten und Punzverzierungen, die sich auf der Innenseite der Objekte befinden, verdienen nähere Aufmerksamkeit. Die aus dünnem Blech geformten Objekte mit einem Durchmesser vom ca. 2,5 cm sind in ihrer Form gut erhal-

ten. Für die Zylinderform lassen sich regional keine Parallelen anführen, doch eine Entsprechung in kleinerer Form findet sich im südlichen Mitteleuropa: Im 13. Jh. v. Chr. wurden dort herausgehobenen Verstorbenen Holzschachteln mit ins Grab gegeben, die mithilfe von Blechzylindern und einem kleinen Holzstab verschlossen wurden. Diese Schachteln enthalten wiederholt Werkzeugsets aus Messer, Pfriem und Meißel, wobei auch Pinzetten und Feuerschlagsteine vorkommen. Neben den Bronzegeräten finden sich dort auch Bronzefragmente, Bernstein und Gold. Damit ergeben sich für den Fundkomplex von Weltzin 28 funktionale Gemeinsamkeiten mit dem in solchen Behältnissen verwahrten Besitz der Verstorbenen. Die Menge an Bronzebruch könnte für einen Metallhandwerker als ursprünglichen Eigentümer sprechen. Aus dem Tollensetal liegen verschiedene Hinweise auf das Metallhandwerk vor. So stammen aus dem Bereich der Talquerung aus gestörtem Kontext vermutlich die Überreste eines Schrotthorts. Auch ca. 6 km flussabwärts bei Golchen wurde ein gestörter Hortfund mit Bezug zum Metallhandwerk nach und nach geborgen. In beiden Fällen handelt es sich vermutlich um Votivgaben an bedeutsamen Orten. Dies trifft nicht zu für die Funde vom Fundplatz Weltzin 32: Dort konnten zwei Zinnringe mit einem Gewicht von je ca. 23 g unmittelbar neben menschlichen Überresten geborgen werden. Zinn musste als wichtiger Rohstoff für die Bronzeherstellung aus entfernten Gebieten importiert werden (S. 39). Für die Fertigung eines größeren Objekts – etwa eines Schwertes – reichten 44 g. Dabei möchte man – wie im Fall des hier vorgestellten Fundkomplexes – an die Überreste einer persönlichen Ausstattung denken. Angesichts der jeweiligen Vergesellschaftung mit Menschenresten erscheint es in beiden Fällen plausi-

Durch die Lagerung im feuchten Torf blieb dieser Pfriem mit seinem reich verzierten hölzernen Griff erhalten. Die Schnitzereien verweisen auf lokale Einflüsse. Möglicherweise war er Teil eines Werkzeugsets.

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Beute oder Verlust? |

Diese drei Zylinder messen ca. 2,5 cm im Durchmesser und sind in ihrer Form intakt. Möglicherweise dienten sie als Schließmechanismus eines organischen Behälters.

bel, die Metallfunde als den Besitz von Kampfteilnehmern zu interpretieren. In diesem Fall wäre das Metall nicht nur als Rohstoff für die Bronzeproduktion und/ oder -reparaturen anzusehen, sondern auch als werthaltiges Material, das leicht eingetauscht werden konnte. Hier sind noch einmal die Kästchen aus den Gräbern der süddeutschen und ostfranzösischen Bronzezeit zu erwähnen. Einige von ihnen enthielten bronzene Waagbalken und Gewichte; den Verstorbenen wird daher eine Rolle im Warenaustausch zugeschrieben. Die ersten Waagen und Gewichte treten nahezu gleichzeitig mit dem flächigen Vorkommen von Brucherz auf. Daher liegt es nahe, die Fragmentierung in verschiedene Gewichtsklassen als Indikator für eine Funktion als vormünzliche Währung zu sehen.

Beute oder Verlust? Das Fundensemble von Weltzin 28 liefert einen wichtigen Baustein zur Rekonstruktion der bronzezeitlichen Ereignisse im Tal. Die Zusammensetzung der

Metallobjekte spricht gegen einen klassischen Brucherzhort und eine Votivgabe. Vielmehr gibt es gute Argumente für eine Ansprache als persönlicher Besitz eines Kriegers oder Handwerkers und Kriegers. Der Fundkomplex und die übrigen an Fundplatz Weltzin 28 geborgenen Funde lassen sich typologisch der Periode III zuordnen. Das wird auch durch Radiokarbondaten der Bronzedeponierung und zweier Pfeilschaftreste bestätigt, die auf einen Zusammenhang mit dem 13. Jh. v. Chr hinweisen. Insofern können die Hinterlassenschaften aus diesem Flussabschnitt – hier ist auch an die verschiedenen Nadeln zu erinnern – mit dem Gewaltereignis unmittelbar in Zusammenhang stehen. In diesem Falle wäre z. B. ein Behältnis mit seinem Inhalt während des Kampfgeschehens oder auf der Flucht mit einem getöteten Akteur in den Fluss gelangt. Alternativ ist ebenfalls eine spätere Opferung von Beute durch die Sieger an dieser Stelle denkbar. Zugleich lassen sich aus dem kleinen Fundkomplex sowie auch den Nadeln gewisse Hinweise auf eine südliche Herkunft eines Teils der beteiligten Kämpfer ableiten (S. 83).

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Unterwegs in der Bronzezeit Eine befestigte Straße im Tollensetal Joachim Krüger, Gundula Lidke, Sebastian Lorenz und Thomas Terberger

Auch wenn das Tollensetal seit Jahrzehnten für die landwirtschaftliche Nutzung trockengelegt wird, so können noch heute einige Regentage das Flusstal in eine sumpfige Landschaft verwandeln. Dann steht das Wasser auf den Wiesen und nur dort, wo der Wiesengrund durch den Auftrag von Sediment entlang der Ufer erhöht wurde, bleiben die Füße trocken. Wirklich nur dort? Bei näherer Betrachtung gibt sich auch ein unscheinbarer Streifen an der südlichen Fundstelle Kessin 12 zu erkennen, der sich im Gelände einige Zentimeter von seiner Umgebung abhebt. Erst im Laufe der Forschungen sollte sich herausstellen, dass es sich hier um einen bronzezeitlichen Damm handelt. Von Beginn der systematischen Forschungen an kam der Frage nach der Ausdehnung der bronzezeitlichen Fundschicht(en) und vor allem dem Einsetzen der Funde flussaufwärts große Bedeutung zu. Einen Anhaltspunkt lieferte ein 2008 entdeckter Holzpfahl im Fluss. Mithilfe der Dendrochronologie konnte das

Jahr 1301 v. Chr. als Fälljahr des Baums ermittelt werden. Zwischen 2012 und 2015 erfolgte eine umfangreiche Untersuchung dieses Fundplatzes (Weltzin 13) durch das Tauchteam (S. 29). Dabei wurde eine Fläche von ca. 400 m2 auf dem Grund des Flusses freigelegt und dokumentiert. Von Süden kommend, verbreitert sich hier die Tollense von ca. 14 m auf 20 m. Das westliche Ufer steigt um 1,5 bis 2 m an. Vom Westufer aus reicht eine heute teils überspülte Mergelkuppe, die sich durch zahlreiche Feldsteine am Flussgrund zu erkennen gibt, bis weit in das Flussbett der Tollense. Am Ostufer stehen Niedermoortorfe an. Hier konnten auf einer Länge von ca. 20 m Pfähle und liegende Hölzer mit Bearbeitungsspuren im Uferprofil erfasst werden. Die Konstruktionen reichen bis in die Flussmitte und stellenweise befinden sich die Hölzer noch im Verband. Dabei handelt es sich um Spaltbohlen, die zum Teil kantig zugerichtet worden sind. Verschiedene Pfahlreihen verlaufen diagonal durch das heutige Flussbett.

Die taucharchäologischen Arbeiten an Fundstelle Weltzin 13 werden an Land von Andreas Grundmann (gebeugt) und Frank Nagel unterstützt. Gegraben wird mithilfe eines sogenannten Airlifts, der durch eine Pumpe an Land angetrieben wird.

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Eine befestigte Straße im Tollensetal |

Neben den Hölzern gelang es, hier auch vereinzelte Menschenreste und bedeutende Bronzefunde zu bergen. Der Flusspegel reichte den Tauchern 2012 gerade bis zu den Knien, und so konnte sich Forschungstaucher Joachim Krüger bei einem aufmerksamen Spaziergang in der Tollense zunächst einen Überblick verschaffen. Dabei entdeckte er am Flussgrund völlig unerwartet ein böhmisches Absatzbeil aus Bronze. Anhaftende Holzreste erlaubten eine absolute Datierung in das späte 14. Jh. v. Chr., sodass ein Zusammenhang mit dem Gewaltereignis wahrscheinlich ist. In der Folgezeit kamen wenige Meter entfernt auch eine viereckige Tülle, ein halbierter Armring, das Fragment einer Knopfsichel sowie die Nadel einer Fibel ans Tageslicht. Diese Funde dürften zu weiteren Bronzen gehören, die in der Nähe bei Begehungen entlang des Ufers entdeckt wurden. Zusammen ergeben sie wahrscheinlich einen Hortfund der Periode III, der durch frühere Baggerarbeiten auseinandergerissen wurde (S. 60). Ein böhmisches Absatzbeil in Fundlage im Fluss an Fundplatz Weltzin 13.

Bei den Taucharbeiten konnten neben einigen bemerkenswerten Bronzen auch hölzerne Pfähle und Konstruktionen aus der Bronzezeit dokumentiert werden.

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52 Eine Holzkonstruktion aus der Spätbronzezeit am Ostufer der Fundstelle Weltzin 13.

Die dokumentierten Befunde und Funde weisen auf eine bemerkenswerte Konzentration an dieser Stelle hin: Die naturräumlich günstige Stelle wurde über einen langen Zeitraum hinweg als Teil einer Flussquerung genutzt. Die ältesten Funde wie leiterbandverzierte Keramikscherben, aber auch einige Skelettreste, stammen aus dem Neolithikum. Aus der Bronzezeit liegen verschiedene 14C-datierte Menschenreste aus der Zeit des 13. Jh. v. Chr. vor, die vermutlich auf das Gewaltereignis im Tal zurückgehen. Das zuvor erwähnte Fälldatum des Holzpfahls von 1301 v. Chr. erfährt durch ein Dendrodatum von 1320 v. Chr. von einem anderen Holz eine Ergänzung. Drei weitere Hölzer aus diesem Flussabschnitt weisen mit ihren Dendrodaten von ca. 1228 bis 1218 v. Chr. auf etwa 100 Jahre später erfolgte Arbeiten hin. Radiokarbondaten legen auch eine Nutzung während der ausgehenden Bronzezeit (7. Jh. v. Chr.) nahe. Vielleicht gehören zwei in der Nähe bzw. zwischen den Hölzern im Fluss gefundene Keramikgefäße ebenfalls in diese Phase. Das jüngste Datum eines Pfahls zeigt mittelalterliche Aktivitäten (11. Jh. n. Chr.) an, was durch den Fund einer slawischen Eisenaxt bestätigt wird. Damit ergibt sich für den Fundplatz Weltzin 13 eine lange Nutzungszeit einer Untiefe oder Furt im Tal. In der älteren Bronzezeit lassen Pfähle auf eine Holzkonstruktion schließen, die nach etwa 100 Jahren wahrscheinlich repariert wurde. Nach den geowissenschaftlichen Ergebnissen verlief die Tollense allerdings während der Bronzezeit einige Meter weiter östlich, sodass mit dieser Holzkonstruktion vermutlich sumpfiges Gelände überquert wurde. Die Hölzer der Spätbronzezeit aus dem Ostufer weisen auf eine Konstruktion mit aufgelegten Hölzern hin. Es könnte sich um einen Steg oder eine Brücke über ein sumpfiges Areal handeln, auch eine Plattform kommt in Betracht.

Da die Taucher weiter flussaufwärts bislang keine weiteren Menschenreste bergen konnten, scheinen die mit dem Gewaltkonflikt in Zusammenhang stehenden Funde tatsächlich hier ihren Ausgangspunkt zu nehmen. Doch finden die Holzpfähle und -konstruktionen eine Fortsetzung?

Schwarz auf Weiß Mithilfe von Knut Rassmann und Roman Scholz von der Römisch-Germanischen Kommission wurden parallel zu den Taucharbeiten größere Flächen geomagnetisch prospektiert. Mit der Geomagnetik lassen sich in hoher Auflösung Anomalien des Erdmagnetfeldes durch Sedimente oder Materialwechsel mit eigenen magnetischen Eigenschaften – beispielsweise Minerale, Metalle und Metalloxide – feststellen und so unsichtbare Strukturen dicht unter der Oberfläche identifizieren. Unmittelbar im Umfeld des Flusses am Fundplatz Weltzin 13 lieferte die Geomagnetik ein diffuses Bild, das keine Rückschlüsse auf eindeutige Strukturen erlaubte. Ganz anders sah es am östlichen Talrand aus: Dort zeichneten sich zwei parallel verlaufende Anomalien im Untergrund ab. Die beiden Reihen lassen sich auf etwa 112 m linear in Richtung Fluss verfolgen. Eine erste Inspektion vor Ort führte an dieser Stelle zu der Identifikation einer leichten Erhöhung im Gelände. Um die Art der Anomalie zu identifizieren, erfolgte 2013 eine erste Sondierung. Diese 15 m2 große Sondage wurde nahe des östlichen Talrands angelegt. Schon etwa 0,25 cm unter der Grasnarbe kamen Steine und erste Hölzer zum Vorschein, die aufgrund der oberflächennahen Lagerung schlecht erhalten waren. Randlich konnten in einer Tiefe von 0,5 m unter der Oberfläche dann zwei Reihen aus massiven Feldsteinen mit einem Abstand von ca. 3 m beobachtet wer-

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Solide gebaut |

den, die den Damm einfassten. Der Zwischenraum war mit sandigem Sediment und Grassoden aufgefüllt, auf denen lange Eichenhölzer in Längsrichtung aufgelegt wurden. Die mit den Hölzern stabilisierte Aufschüttung wurde abschließend wohl mit querliegenden Hölzern versehen, von denen sich allerdings nur Reste erhalten hatten. Insgesamt ergibt sich eine massiv erbaute Trasse, die mit einer Breite von etwa 3,2 m vermutlich eine ganzjährige Querung des Tales ermöglichte. Da keine Funde zwischen den Hölzern lagen, dachte das Team zunächst an eine mittelalterliche bis neuzeitliche Wegetrasse. So war die Überraschung groß, als ein erstes Radiokarbondatum vorlag: Der Bau erfolgte eindeutig in der Bronzezeit.

Solide gebaut Um Konstruktionsweise und Alter dieser Trasse besser ansprechen zu können, erfolgte 2014 eine zweite Sondierung ca. 80 m weiter westlich, zur Talmitte hin, wo nach dem Befund in der Geomagnetik keine Steinreihen zu erwarten waren. Dies sollte sich in der 5 × 5 m großen Grabungsfläche bestätigen. Die Trasse konnte in ihrer linearen Fortsetzung erfasst wer-

den, wobei die seitliche Befestigung hier mit Holzpfosten erfolgte. Dicht beieinander wurden Pfähle wahrscheinlich mit einzelnen aufgefundenen Feldsteinen in den Boden gerammt, wovon gestauchte Pfahlköpfe zeugen. Der 3 bis 3,2 m breite Raum zwischen den Pfahlreihen wurde wiederum mit Sandboden und Grassoden aufgefüllt, sodass ein stabiler Untergrund entstand. Der Aufbau der eigentlichen Wegetrasse erfolgte allem Anschein nach zum Teil wie in der zuvor beschrieben Weise aus Längs- und Querhölzern. Als bevorzugtes Bauholz bestätigte sich wiederum die Eiche. Eine Reihe von Hölzern erlaubte die Messung weiterer Radiokarbonproben. Die ältesten Daten weisen in die Zeit von etwa 2000 bis 1900 v. Chr., aber hier handelt es sich um Proben von größeren Hölzern, die vermutlich die Wachstumszeit des Baums datieren; man spricht hier von einem Altholzeffekt. Einen verlässlicheren Indikator für die Konstruktionszeit liefert das Datum eines dünneren Holzes, das für einen Bau der Trasse im 19. Jh. v. Chr. spricht. Dies wird auch durch ein Dendrodatum von 1828 v. Chr. bestätigt. Eine zwischen liegenden Hölzern gefundene Kupferflachaxt passt zu der frühbronzezeitlichen Datierung.

Trasse 19. Jh. v. Chr. Fläche 2 Fläche 1

UW-Grabung Trasse 13. Jh. v. Chr.?

Umfangreiche geomagnetische Prospektionen ermöglichten zusammen mit Sondierungen (Fläche 1–2) eine erste Rekonstruktion der Talquerung. Der Verlauf der Trasse aus dem 19. Jh. v. Chr. ist gesichert, während die jüngeren Trassenverläufe bislang nur als Möglichkeiten anzusehen sind.

Trasse jüngere Bronzezeit?

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Einzelne jüngere Daten sprechen möglicherweise für Reparaturen in den beiden folgenden Jahrhunderten. Es besteht kein Zweifel, dass die Trasse über Jahrhunderte in Nutzung war und wahrscheinlich über lange Zeit auf geradem Weg durch das Tal führte. Im heutigen Fluss sind in der Verlängerung dieser Trasse keine Befunde und Hölzer zu finden. Die oben beschriebenen Holzbefunde und Bronzefunde aus der heutigen Tollense sprechen vielmehr dafür, dass vermutlich um 1320 v. Chr. die Wegetrasse in ihrem westlichen Teil in südwestlicher Richtung verlegt wurde und dann zu der im Fluss dokumentierten Stelle führte. Ursache dafür war wahrscheinlich eine Verlagerung des Flussbetts und/ oder eine Zerstörung der vorhandenen Trasse im westlichen Talbereich. Der genaue Verlauf der Wegeführung ist noch unklar und bedarf der Prüfung. Es besteht allerdings kein Zweifel, dass der mit den Sondagen erschlossene Wegabschnitt noch zur Zeit des Gewaltereignisses genutzt wurde, denn auf der Trasse geborgene Pferdezähne konnten in das 13. Jh. v. Chr. 14C-datiert werden. Die Trasse hat also über mehr als 500 Jahre bestanden, und wir vermuten sogar, dass hier der Ausgangspunkt des Gewaltgeschehens zu suchen ist (S. 89).

Straße der Bronzezeit Die Talquerung weist auf eine alte etablierte OstWest-Verbindung hin, die sicher auch für den Handel genutzt wurde. Bislang können wir die Fortsetzung

der Straße an den Talflanken nicht eindeutig nachweisen. Zwar sind unter aufgespültem Bodenmaterial an den Unterhängen alte Oberflächen konserviert, aber ein eindeutiger Wegebefund liegt bislang nicht vor. Da von einer Nutzung der Talquerung auch mit von Rind oder Pferd gezogenen Wagen zu rechnen ist, konnten die recht steilen Hänge vermutlich nicht in kürzester Linie befahren werden. Wahrscheinlich ist mit einer Wegeführung entlang benachbarter Taleinschnitte zu rechnen. Die Nutzung von Holzwagen zu dieser Zeit belegen Funde verschiedener Wagenräder aus Norddeutschland. Lange bekannt sind die vier relativ kleinen Scheibenräder von Glum mit einem Durchmesser von 60 cm, die für einen zweiachsigen Wagen sprechen. Darüber hinaus ist an die Holzräder von Kühlungsborn zu erinnern, die 1983 an der Ostseeküste aus ca. 2,5 m Tiefe geborgen wurden. Sie datieren in die Jungbronzezeit um 900 v. Chr. und können als Scheibenräder klassifiziert werden. Ähnlich alt sind die vier bronzenen Speichenräder von Stade mit einem Durchmesser von 58 cm (ohne Felgenholz), die eine fortgeschrittene Radtechnologie dokumentieren und zeitgleiche Parallelen im heutigen Frankreich finden. Die Nutzung von Wagen lässt sich zudem aus Felsbildern Skandinaviens erschließen. Die Technologie des vierrädrigen Wagens belegt auch der berühmte Kultwagen aus dem Grab der Periode III von Peckatel in Mecklenburg-Vorpommern. Jenseits des Tollensetals dürfte der Weg über den sogenannten Werder nach Osten Richtung Oder geführt haben, die als eine der wichtigen Süd-Nord-

In einem Planum der Fläche 1 am Fundplatz Kessin 12 sind die beiden Trassenbegrenzungen aus Feldsteinen zu erkennen. Von der Unterkonstruktion der ca. 3 m breiten Wegetrasse haben sich nur Teile der Eichenhölzer erhalten.

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In Fläche 2 zur Talmitte hin wird die bronzezeitliche Trasse von Holzpfosten begrenzt.

Der bronzezeitliche Damm in Fläche 2 wurde aus Sand und Grassoden aufgeschüttet.

Verbindungen Mitteleuropas gelten darf. Das Odermündungsgebiet mit dem heutigen Stettiner Haff liegt ca. 40 km östlich vom Tollensetal. Zugleich war die Tollense wohl Teil einer Wasserverbindung, um über Trebel und Recknitz – mit Unterbrechungen – auf möglichst kurzem Weg nach Nordwesten Richtung Südskandinavien zu gelangen. Ob unmittelbar an der Tollense mit einer Brücke und/ oder Anlegestelle zu rechnen ist, bleibt vorerst unklar. Gut erhaltene bronzezeitliche Wegetrassen und Brücken sind bislang nur selten überliefert. Kürzlich wurden in Bad Buchau, Baden-Württemberg, Über-

reste einer Brücke aus dem 15. Jh. v. Chr. nachgewiesen. Auch zu der bekannten Wasserburg Buchau führte schon in der Bronzezeit eine Brücke. In Nordwestdeutschland liegen aus der Bronzezeit vereinzelte Bohlenwege vor. Vermutlich führten die wichtigen Straßen immer wieder auch entlang von Grabhügelreihen, die an die Ahnen erinnerten und als Landmarken den Weg wiesen. Es besteht kein Zweifel, dass sich in der Bronzezeit ein überregionales Kommunikationsnetzwerk etabliert hatte. Die Befunde aus dem Tollensetal zeigen, dass mit einer deutlich besseren Infrastruktur zu rechnen ist als bislang gedacht.

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Ungeahnter Reichtum Ein Tal voller Bronze Joachim Krüger und Thomas Terberger

Schon im 19. Jh. wurden erste Bronzen im Tollensetal entdeckt und bereits lange vor Beginn der systematischen Untersuchungen war das Tal für seinen Reichtum an Metallfunden der Bronzezeit bekannt. Ein beachtlicher Teil der Funde wurde bei landwirtschaftlichen Tätigkeiten zutage gefördert. Nachdem erste Vorträge das Flusstal in den Blickpunkt der Forschung rückten, nahmen die ehrenamtlichen Aktivitäten besonders im Rahmen der Tauch- und Detektorprospektion zu (S. 18). Bis einschließlich 2010 lag die stattliche Zahl von 148 Fundkomplexen mit 188 Bronzen vor. Doch dies sollte erst der Anfang sein: Begehungen von Einzelgängern und auch Gruppeneinsätze ehrenamtlicher Bodendenkmalpfleger unter der Leitung des Prähistorikers Carl Michael Schirren führten auf den Flächen mit planiertem Baggergut aus dem Fluss allein im Jahr 2012 zu einem Zuwachs von 89 Objekten. Zur systematischen Vorgehensweise gehörten auch Einsätze auf benachbarten Gemarkungen im Süden und Norden, um zu prüfen, inwieweit sich die Häufung von Bronzefunden aus dem Fluss fortsetzt. Maschinelle Grundräumungen der

Tollense südlich von Altentreptow und im Bereich von Klempenow-Tückhude führten in den Jahren 2015 bis 2017 schließlich zur Anlage neuer Spülfelder. Auch diese Flächen wurden erfolgreich begangen. Inzwischen liegt für die mittlere Tollense die bemerkenswerte Zahl von etwa 330 bronzezeitlichen Metallfunden vor, die zum Teil auf größere Fundkomplexe zurückgehen. Drei Viertel der bronzezeitlichen Metallgegenstände stammt aus dem Baggeraushub und damit aus sekundärem Kontext. Allerdings besteht wenig Zweifel, dass alle diese Funde ursprünglich in Flusssedimenten lagerten. Die bei den planmäßigen Ausgrabungen an Land entdeckten Metallfunde gewähren hingegen einen konkreten Einblick in den Fundzusammenhang (S. 34). Aber vor allem den Tauchprospektionen verdanken wir ein besseres Verständnis der Fundsituationen, denn 72 Bronzen konnten in ihrem originalen Schichtzusammenhang am Flussgrund dokumentiert werden (S. 29; 44). Eine erste Auswertug der Funde verdanken wir der Prähistorikerin Anne Dombrowsky.

Einer der ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger hat soeben ein kleines bronzenes Tüllenbeil aus dem 9. Jh. v. Chr. entdeckt.

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Über Jahrhunderte genutzt

Auf mehreren Kilometern häufen sich die Funde von Bronzen im Tollenstal. Die südliche Fundhäufung befindet sich genau dort, wo auch die Menschenreste zahlreich auftreten.

Die Metallfunde repräsentieren die gesamte Epoche der Nordischen Bronzezeit (ca. 2000– 600 v. Chr.). Ein Flachbeil, das auf der im 19. Jh. v. Chr. gebauten Wegtrasse der Talquerung am Fundplatz Kessin zwischen Resten von Holzpfählen entdeckt worden ist, zählt zu den ältesten dieser Funde. Als Material diente nahezu reines Kupfer, was für die frühe Metallurgie typisch ist. Möglicherweise wurde das Beil schon im ausgehenden Neolithikum gefertigt. Eine eindeutige zeitliche Zuordnung der Metallfunde ist nicht immer möglich. Insbesondere langlebige Formen lassen sich ohne Fundkontext zeitlich kaum näher fassen. Die Mehrzahl der Objekte kann jedoch aufgrund ihrer Form typologisch einer der Perioden der Nordischen Bronzezeit zugewiesen werden. Zudem erlauben Holzschaftreste an einer Reihe der Bronzen auch direkte Datierungen mit der Radiokarbonmethode. Hierbei sticht die von etwa 1300 bis 1100 v. Chr. andauernde Periode III hervor. Noch deutlicher sichtbar wird die Häufung bronzezeitlicher Metallfunde dieser Zeit, wenn die der Perioden II bis III (1700–1300 v. Chr.) oder der Perioden III bis IV (1300–900 v. Chr.) zugewiesenen Bronzen miteinbezogen werden. Viele ebendieser Bronzen können vermutlich mit dem Schlachtfeldhorizont in Verbindung gebracht werden, aber auch darüber hinaus scheint das mittlere Tollensetal in Periode III eine bedeutende Region gewesen zu sein. Das lässt sich an der räumlichen Verteilung der Gegenstände ablesen: Einerseits liegen viele Bronzen aus dem Bereich vor, der auch durch zahlreiche menschliche Skelettreste charakterisiert wird; andererseits tritt ein Stück weiter flussabwärts ein weiterer Bereich durch zahlreiche Bronzen hervor. Die beiden Fundkonzentrationen der Periode III unterscheiden sich dabei im Hinblick auf die Fundzusammensetzung: Im nördlichen Teil dominieren Schmuckobjekte, während im südlichen Abschnitt mit den Menschenresten überwiegend Waffenfunde vergesellschaftet sind. Inzwischen zeichnet sich – nicht zuletzt dank der neuen Spülfelder – südlich von Altentreptow ein weiterer kleiner Hotspot von Metallfunden ab; allerdings ist noch unklar, in welchem Verhältnis diese Konzentration zu der Fundsituation nahe Weltzin steht. Zeitlich gesehen ist eine weitere Häufung von Metallobjekten mit der Periode V verknüpft. Auch nach dem großen Gewaltereignis im frühen 13. Jh. v. Chr. wurde z. B. die Talquerung – wie etwa Dendrodaten zeigen – vermutlich repariert und weiter genutzt; der Talabschnitt war im 9. Jh. v. Chr. also ganz offensichtlich erneut von Bedeutung.

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58 | Ungeahnter Reichtum

Von Nadel bis Schwert Unter den Metallfunden aus dem Tal bilden Schmuckgegenstände die häufigste Fundgattung, allerdings nicht für Periode I. Im Fundgut der Periode III erreicht der Anteil von Körper- und Trachtschmuck deutlich über 50 Prozent. Unter den Bronzefunden dominieren die Halsringe, die allerdings vorwiegend in die jüngeren Phasen der Bronzezeit datieren. Hingegen überwiegen mit fünf von sieben Fibeln inklusive Fragmente derselben solche aus der Periode III. Neben einheimischen Fibeln mit Kreuzbalkenkopf und einer Mecklenburgischen Plattenfibel, deren Name schon auf ihren nördlichen Ursprung hinweist, ist auch eine sogenannte Spindlersfelder Fibel vertreten. Das große prächtige Exemplar steht in Vorpommern isoliert. Die Art der Verzierung findet ihre Parallelen im mährischen Gebiet in Tschechien. Die im Tollensetal gefundenen Fibeln repräsentieren damit teils besondere Funde, die – anders als die noch zu besprechenden Nadeln – zum Bestandteil der Frauentracht gehören. Vermutlich dienten sie dazu, ein über die Schultern gelegtes Obergewand zu verschließen. Eine weitere wichtige Gruppe bilden Nadeln mit nahezu 30 Exemplaren, von denen vier bei den Tauchuntersuchungen in originaler Fundlage geborgen worden sind (S. 56). Diese Nadeln lassen sich zusammen mit mehreren weiteren Exemplaren in die Periode III einordnen. Sie repräsentieren typischen Gewandschmuck, der sowohl von Frauen als auch von Männern genutzt wurde. In reichen Männergräbern gehören Nadeln neben Waffen zu den typischen Beigaben; sie können damit als Merkmal von Kriegerausstattungen gelten. So stellt sich die Frage, ob

hier ein Bezug zwischen den Bronzenadeln und einem Teil der am Kampfgeschehen beteiligten Opfer hergestellt werden kann. In diesem Zusammenhang ist bedeutend, dass diese Nadeltypen vor allem im südöstlichen Mitteleuropa verbreitet sind (S. 86). Zu den wertvollsten Schmuckfunden gehören vier Spiralringe bzw. Noppenringe aus Gold, von denen drei bei den Detektorbegehungen und ein Exemplar bei den Tauchuntersuchungen gefunden wurden. Auch Goldspiralringe können als Schmuckbestandteile reicher Individuen gelten. Im Norden kamen diese allerdings auch als Opfergabe in den Boden, wie Funde von Gürteldosen mit bis zu fünf darin liegen-

Frank Nagel hat an Fundstelle Weltzin 20 den ersten Bronzefund im Fluss entdeckt: einen Armring.

Die prachtvolle etwa 30 cm lange Spindlersfelder Fibel wurde schon vor einigen Jahren im Tollensetal entdeckt. Sie gehörte zur Frauentracht des 13. Jh. v. Chr, insbesondere in weiter südlichen Gebieten.

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Von Nadel bis Schwert |

Im Tollensetal wurden Bronzen aus unterschiedlichen Perioden geborgen. Zu den Funden gehören neben Trachtschmuck wie Fibeln, Nadeln und Gürteldosen auch zahlreiche Waffen und waffenfähige Geräte wie Pfeil- und Lanzenspitzen und Tüllenbeile.

den Spiralringen nahelegen. Parallelen für die im Tollensetal entdeckten Exemplare liegen nach Untersuchungen des Prähistorikers Jens-Peter Schmidt aus dem südlichen Mitteleuropa vor. Waffen und waffenfähige Geräte sind – wenig überraschend – vor allem unter den Funden der Periode III gut vertreten. Unter den Bronzen der späten Bronzezeit sind sie hingegen eher selten. Als waffenfähige Geräte werden hier Formen wie Beile, Messer und auch Sicheln zusammengefasst, die als Waffe genutzt worden sein können. Eine Sichel aus dem Fundkomplex von Weltzin 28 ist zu einem Messer umgearbeitet worden. Unter den Waffenfunden dominieren mit 55 Exemplaren kleine Pfeilspitzen aus Bronze. Bis auf eine Schaftdornpfeilspitze handelt es sich um etwa 2 bis 5 g schwere, zweiflügelige Tüllenpfeilspitzen. Das Spektrum reicht von blattförmigen Pfeilspitzen mit symmetrischen Flügeln über Dreiecksformen mit leicht eingezogener Basis bis hin zu eindeutigen

Kriegspfeilspitzen mit unterschiedlich gestalteten Widerhaken. Zwei Exemplare mit einseitigem Widerhakendorn finden in Behringersdorf bei Nürnberg eine gute Parallele (S. 63, 85). In vielen Tüllenpfeilspitzen haben sich geringe hölzerne Schaftreste erhalten, die eine 14C-Datierung ermöglichten. Die Ergebnisse bestätigen den engen Zusammenhang der Pfeilspitzen mit dem Schlachtfeldhorizont im frühen 13. Jh. v. Chr., aber einzelne Daten sprechen auch für die späte Periode II oder die Periode IV. Der Schädelfund mit eingeschossener Pfeilspitze aus der Tollense nördlich von Fundplatz Weltzin 20 zeigt allerdings mit zwei unterschiedlichen Daten von einem Fund, dass wir wenige Jahrzehnte abweichende 14C-Ergebnisse vorsichtig bewerten müssen (S. 33). Insgesamt besteht kein Zweifel, dass Pfeil und Bogen bei den Auseinandersetzungen im Tal eine bedeutende Waffe waren. Andere Waffen treten demgegenüber deutlich in den Hintergrund. So liegen nur zwölf Lanzenspitzen inklusive Fragmenten derselben aus dem gesamten

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60 | Ungeahnter Reichtum Waffen waffenfähige Geräte Geräte Schmuck Sonstiges Die Bronzefunde häufen sich besonders in Periode III (ca. 1300– 1100 v. Chr.) und während der jüngeren Bronzezeit (Periode V, ca. 950–720 v. Chr.).

mittleren Tollensegebiet vor, die zeitlich weit streuen. Auch das Schwert – die eindrucksvollste Waffe der Bronzezeit – ist in dieser Region mit nur sieben Exemplaren vertreten: Neben wenigen vollständigen Schwertern gehören dazu kaum näher zu bestimmende Fragmente. Dabei handelt es sich bis auf ein Exemplar um Alt- und Baggerfunde, meist um Griffzungen-/ Griffplattenschwerter und Vollgriffschwerter nordischer

Provenienz. Die frühesten Formen datieren in Periode II bis III. Allerdings sind auch zwei Griffangelschwerter aus der Periode IV bekannt. Nur ein Schwert konnte in den letzten Jahren neu in der Tollense entdeckt werden: Ein Schwert vom Typ Riegsee, der vor allem in Süddeutschland verbreitet ist. Das mit weiteren Bronzen im Fluss entdeckte Exemplar dürfte wohl auf eine Votivgabe zurückgehen. Dieser Fund

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Dieser Meißel wurde in einer kleinen Konzentration von Metallobjekten an Fundplatz Weltzin 28 entdeckt.

hält vor Augen, dass die Bronzen aus unterschiedlichen Gründen in den Fluss gelangt sind. Keines der Schwerter war unmittelbar mit den Knochenresten vergesellschaftet.

Schrotthändler?

Ursprünglich gehörten diese Bronzen wahrscheinlich zu einem Hortfund in der Tollense, der durch Baggerungen auseinandergerissen wurde. Es handelt sich vornehmlich um Fragmente und aufgebogene Armringe, die recycelt werden konnten. Auch zwei Teile eines hammerartigen Geräts (Mitte rechts) für die Metallbearbeitung (?) gehören dazu.

Auffällig ist die Präsenz von fragmentiertem Altmetall, das in unterschiedlichen Mengen zwischen Weltzin und Kessin geborgen wurde. Soweit bestimmbar bzw. aufgrund der Lage in der Fundschicht gehören diese Fundkomplexe in die Periode III, was auch durch einzelne 14C-Analysen bestätigt wird. Das Gewicht der Schrottfunde variiert erheblich: Ein Sichelbruchstück und ein kleiner rundstabiger Ring von Fundstelle Weltzin 32 wiegen nur 13 g, während vier kleine Fragmente von Fundplatz Weltzin 12 mit ca. 25 g nahezu das doppelte Gewicht erreichen. Der aus 31 Stücken bestehende Brucherz-Komplex von Fundplatz Weltzin 28 ist mit ca. 250 g deutlich schwerer, fällt aber immer noch in den Gewichtsbereich einer persönlichen Ausstattung (S. 44). Bei den Untersuchungen am Fundplatz Weltzin 13 sowie bei Begehungen auf dem landseitig östlich anschließenden

Fundplatz Kessin 12 wurden nach und nach die Reste eines wohl ursprünglich zusammengehörigen Depots bestehend aus wenigstens zwei Paaren aufgebogener Armringe, einem halbierten Armring, einer Fibel, Sichelbruchstücken und weiteren Fragmenten verschiedener Bronzegeräte und -waffen entdeckt. Die Fundumstände legen eine Interpretation als deponierter Weihefund nahe. Ohne Zweifel spielte Altmetall in einer Region ohne eigene Metallvorkommen eine wichtige Rolle als Rohstoff. Auch die Zinnringe von Fundplatz Weltzin 32 weisen auf eine Verbindung zur Metallverarbeitung hin. Es ist ein in Europa seltener Rohstoff mit wichtigen Vorkommen im Südwesten der britischen Insel und im Erzgebirge. Zinn wird bei der Verarbeitung von Rohkupfer benötigt, aber auch beim Einschmelzen von Altbronze, um den entstehenden Materialverlust auszugleichen. Ob sich im unmittelbaren Umfeld des Tollensetals eine größere Siedlung mit einer Bronzegießerwerkstatt befand, ist bislang ungeklärt. Ein weiteres Indiz für die Bronzeverarbeitung in der näheren Umgebung liefert auch ein ab 2007 entdeckter älterbronzezeitlicher Werkzeughort, der weiter flussabwärts auf dem Fundplatz Golchen 18 geborgen wurde. Dieser Hort besteht aus mehreren

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Dieses Messer wurde allem Anschein nach aus einem verzierten Armring gefertigt. Das umgearbeitete Stück wurde mit einem Knochengriff versehen.

Bronzen, die wohl ursprünglich zu einer Deponierung im Fluss gehört haben. Die Analyse der Funde hat einen engen Bezug zum Bronzehandwerk ergeben: Zur Metallverarbeitung dienten Tüllenhämmer, Punzen und ein kleiner Amboss. Auch der zuvor erwähnte Schrottfund von Fundplatz Weltzin 28 enthält einen Meißel und das Bruchstück eines Schmalmeißels. Für die Bronzefragmente muss neben einer Funktion als Altmetall auch eine Verwendung als wertbeständiges Tauschmittel, eine frühe Form der Währung, in Betracht gezogen werden. Aus dem 13. Jh. v. Chr. kennen wir aus Gräberfeldern wie Miegennes in Ostfrankreich Funde von kleinen Waagebalken, und so ist davon auszugehen, dass in dieser Zeit das Abwiegen von Wertgegenständen schon üblich war. Die weit verbreitete Bronze bot sich als allgemein anerkannter Wertmesser an.

Aus alt mach neu Im Fall kriegerischer Auseinandersetzungen ist allerdings auch mit einem hohen Bedarf an Waffen und Projektilen zu rechnen. Grabfunden nach zu urteilen führten bronzezeitliche Krieger üblicherweise etwa zwischen sieben und 14 Pfeile mit sich. Bei einem Kampfeinsatz ist diese Menge schnell verschossen, und selbst wenn die Krieger aus dem Tollensetal von einem Tross begleitet worden sein sollten, bestand bald ein Bedarf an Nachschub. Flintpfeilspitzen ließen sich aus dem im Norden gut verfügbaren Rohmaterial Feuerstein leicht herstellen. Wer jedoch den

Einsatz von Bronzepfeilspitzen gewohnt war, wie sie von der Mittelgebirgszone bis zu den Alpen weit verbreitet waren, musste unterwegs unter Feldbedingungen aus mitgeführter oder erbeuteter Bronze neue Exemplare fertigen. Ob dafür Spezialisten erforderlich waren oder Kenntnis und Ausrüstung zur Fertigung einfacher Bronzen unter Kriegern weit verbreitet waren, bleibt unklar. Aus dem Fundmaterial lassen sich Beispiele für wiederverwendetes Material und Improvisation anführen. So lässt sich ein Messer von Fundplatz Weltzin 28 keinem bekannten Typ zuordnen. Der erhaltene Knochengriff wurde vermutlich auf eine Griffzunge geschoben und mit Birkenpech und einer Umwicklung fixiert. Das Messer hat eine Gesamtlänge von 11,6 cm, wovon 5 cm auf den Griff entfallen. Die Bronzeklinge ist auf einer Seite in ungewöhnlicher Weise flächig verziert. Das Dekor besteht aus diagonal verlaufenden Leiterbändern, die durch parallele Striche voneinander getrennt sind. Die Leiterbänder werden von Gruppen mit Strichbündeln unterbrochen. Solche Verzierungen sind von Armringen der Periode III bekannt; offensichtlich ist hier ein Armring umgearbeitet und die unverzierte Seite geschliffen worden. Der Griff wurde nur grob aus einer Tierrippe gefertigt. Vielleicht traf hier ein schönes bronzezeitliches Schmuckstück auf einen Pragmatiker. Eine zusammenfassende Bearbeitung des in den letzten 30 Jahren entdeckten bronzezeitlichen Fundmaterials in Mecklenburg-Vorpommern steht noch aus. Aber bereits jetzt wird deutlich, dass das Tollensetal keinen Randbereich des Nordischen Kreises oder der Mecklenburger Gruppe darstellt, sondern dass hier mit einem bronzezeitlichen Zentrum gerechnet werden muss, das in das Fernhandelsnetz und damit in die Konflikte vor 3300 Jahren eingebunden gewesen ist.

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Der gefiederte Tod Waffen im Einsatz Thomas Terberger und Joachim Krüger

Die zahlreichen Bronzepfeilspitzen mit Tülle zeugen vom intensiven Einsatz der Bogenwaffe.

Ein Messer kann ein nützliches Werkzeug, aber auch eine tödliche Waffe sein. Daher erscheint eine Einteilung der Bronzefunde in Waffen, waffenfähige Geräte und Geräte oder Werkzeuge sowie Schmuck sinnvoll. Zu Letzteren gehören beispielsweise Nadeln, die zum Verschließen der Kleidung genutzt wurden. Weniger eindeutig in ihrer Funktion sind Geräte wie Messer, Beil und Hammer, die im alltäglichen Handwerk oder auch als Waffe genutzt werden konnten. Dolche, Schwerter, Lanzen- und Pfeilspitzen wurden hingegen sicher als Waffen hergestellt, die im Falle der Bogenwaffe auch für die Jagd eingesetzt werden konnte. Im Tollensetal sprechen die Fundumstände dafür, Waffen und waffenfähige Geräte als Zeugnisse des Gewaltkonfliktes zu interpretieren. Für die Rekonstruktion der Bewaffnung sind die Erhaltungsbedingungen zu berücksichtigen. Zu den ersten Waffenfunden gehörte eine Holzkeule von Fundplatz Weltzin 20. Die an dieser und anderen Fundstellen später freigelegten Pfeilspitzen hatten hingegen kaum erhaltene Holzschaftreste. Kleinere

Hölzer haben hier die Zeit also nicht überdauert. Nur an Fundplatz Weltzin 28 haben sich am Flussgrund Teile eines Pfeilschafts erhalten. Das Überlieferungsbild der Ausrüstung aus organischem Material ist also lückenhaft. Auch die Auffindbarkeit von Objekten ist zu berücksichtigen: So können ursprünglich im Fluss gelagerte Bronzewaffen nur dort aufgespürt werden, wo infolge von Baggerungen Flusssediment entlang des Ufers gelagert wurde. Dabei bedarf es keiner Erklärung, dass für größere Bronzeobjekte eine bessere Chance besteht, mit dem Detektor entdeckt zu werden als für die ca. 2,5 g schweren Pfeilspitzen. Feuersteinprojektile können aus diesem Grund nur bei Grabungen und Taucheinsätzen lokalisiert werden und sind deshalb auch ganz sicher unterrepräsentiert. Darüber hinaus ist vor allem im Bereich der nach der Schlacht besser zugänglichen Fundstelle Weltzin 20 mit Plünderungen von Bronzewaffen zu rechnen; dort sind bislang nur kleine Bronzefunde überliefert (S. 34).

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64 | Der gefiederte Tod

Tödliche Präzision Vor dem dargelegten Hintergrund dominieren unter den insgesamt ca. 80 Waffen und waffenfähigen Geräten die kleinen Projektile: Neben mehr als 55 Pfeilspitzen aus Bronze liegen auch 13 Flintpfeilspitzen vor. Berücksichtigt man das in der Grabungsfläche Fundstelle Weltzin 20 ermittelte Verhältnis von sechs Flint- zu drei Bronzepfeilspitzen, so sollten Feuersteinspitzen doppelt so häufig vorhanden sein wie solche aus Bronze. Insgesamt dürften noch zahlreiche Projektile auf ihre Entdeckung warten. Leider sind im Tollensetal bislang keine Bogenreste gefunden worden. Prähistorische Bogenwaffen sind in den letzten Jahren wiederholt an abschmelzenden Eisfeldern der Alpen und in Norwegen entdeckt worden. Vom Schnidejoch und dem Lötschenpass in der Schweiz sind allein sieben Bogenwaffen und 15 Pfeile überliefert, die überwiegend in das Neolithikum datieren. Ein gut erhaltenes, um 2800 v. Chr. datiertes Exemplar aus Eibe vom Schnidejoch hat eine Gesamtlänge von ca. 1,6 m. Experimente mit einem nachgebauten Bogen dieses Typs ergaben mit einem 20 g schweren Pfeil Anfangsgeschwindigkeiten von 170 bis 200 km/h bei einer Reichweite von 200 m. Die vor Jahrzehnten von einem Maler entdeckten frühbronzezeitlichen Bögen vom Lötschenpass sind aus Eiben- und Ulmenholz gefertigt. Mit Längen von ca. 1,65 bis 1,75 m, ihren relativ breiten Bogenenden und den sehr schmalen Handgriffen sind sie eher auf Präzision und nicht auf Schussweite ausgelegt. Auch der frühbronzezeitliche Eibenbogen von De Zilk in den Niederlanden entspricht diesem Technokonzept. Ein ähnlicher, aber kürzerer Bogen aus Fiavé-Carera in Italien, der aus dem Holz eines starken Hartriegeloder Schneeballgewächses gefertigt wurde, verdeutlicht eine gegenüber früheren Epochen größere Variation der verwendeten Rohmaterialien. Ein Bogenfund von der Fundstelle Breheimen in Norwegen aus der Zeit um 1300 v. Chr. weicht in seiner Bauweise ab: Er ist mit einer Länge von 131 cm nicht nur deutlich kürzer, sondern es fehlt auch der eingezogene schmale Handgriff. Als Bogensehne kamen Pflanzenfasern und auch Tiersehnen zum Einsatz. Auch wenn sich im Tollensetal nur ein größerer Teil eines Pfeilschaftes erhalten hat, so erlauben Reste aus den Tüllen bronzener Pfeilspitzen Rückschlüsse auf die verwendeten Holzarten: Die Botanikerin Manuela Schult konnte mit Esche und Hartriegel typische Schafthölzer bestimmen. Die Pfeillänge lässt sich mit den Funden aus dem Tollensetal nicht ermitteln, doch Exemplare aus den Alpen lassen für die Frühbronzezeit auf bis zu ca. 1 m lange Pfeile schließen.

Es mag naheliegend erscheinen, aus den Rohstoffen der Projektile eine Herkunft der Kämpfer abzuleiten: Feuerstein könnte für eine nördliche Verortung sprechen, während die bronzenen Pfeilspitzen gute Parallelen im Gebiet von der Mittelgebirgszone bis ins südöstliche Mitteleuropa finden. Dabei ist allerdings Vorsicht geboten, denn die Flintpfeilspitzen sind mit ca. 3,5 g etwas schwerer als die bronzenen etwa 2,5 g schweren Exemplare. Folglich können auch funktionale Ursachen für das unterschiedliche Rohmaterial verantwortlich sein (S. 83). Beigaben aus einem Grab von Neu Grebs in Mecklenburg-Vorpommern belegen zudem, dass um 1300 v. Chr. im Norden Bronzeund Flintpfeilspitzen parallel genutzt wurden. Die verschiedenen Varianten der Bronzepfeilspitzen treten auch an Fundstellen wie dem Sängersberg in Hessen sowie der Heunischenburg und der Rachelsburg in Bayern nebeneinander auf.

Mann gegen Mann Die Zahl der übrigen Waffen fällt demgegenüber bislang überschaubar aus. Die wenigen Speer- und Lanzenspitzen mögen auf kurze Distanz eingesetzt worden sein, aber mit Bronzemesser, -beil und -schwert liegen auch echte Nahkampfwaffen vor. Ein vollständiges Schwert wurde ein Stück nördlich der Verbreitung der Knochenreste aus der Tollense geborgen;

Auch einige Feuersteinpfeilspitzen wurden bei den Grabungen bzw. in einem Knochen entdeckt. Sie dürften im Norden gefertigt worden sein.

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Mann gegen Mann |

Schlank und schnell – ein Pfeilschaftfragment von Fundplatz Weltzin 28 Joachim Krüger

Pfeilschaft mit Spitze von Fundplatz Weltzin 28.

Das Absatzbeil (böhmischer Typ) wurde an Fundplatz Weltzin 13 am Grund der Tollense entdeckt. Es konnte als gefährliche Waffe eingesetzt werden.

Aus der europäischen Bronzezeit sind bislang nur etwa 20 Pfeile inklusive Fragmente derselben überliefert. Davon gehen allein sieben auf den Fundplatz Behringersdorf bei Nürnberg zurück. Vor diesem Hintergrund kommt einem Pfeilschaftfragment vom Fundplatz Weltzin 28 im Tollensetal große Bedeutung zu. Der Schaftrest ist mit seiner Spitze auf einer Gesamtlänge von ca. 24 cm erhalten, wobei die Bronzespitze 3,3 cm lang ist. Bei dem Projektil handelt es sich um eine blattförmige Tüllenpfeilspitze ohne Widerhaken. Der Schaft selbst besteht aus einem Hartriegelschössling und hat einen Durchmesser von nur maximal 8 mm. Die Oberfläche ist sorgfältig geglättet und zur Spitze hin rautenförmig zugerichtet. Der Schaft scheint alt gebrochen zu sein. Der Pfeil kam demnach beschädigt in den moorigen Untergrund. Zur Befiederung sind daher keine Aussagen möglich. Der Schaftrest findet eine gute Parallele im Gräberfeld von Behringersdorf: Dort wurde in einem Grab ein um 1300 v. Chr. datierter Köcherrest mit sieben Pfeilfragmenten entdeckt. Mindestens ein Schaft ist auf die gleiche Art und Weise zugerichtet worden wie das Exem-

plar aus der Tollense. Die in diesem Grab überlieferte Pfeiltechnologie verdeutlicht die zunehmende militärische Bedeutung der Bogenwaffe: Unterhalb einer Pfeilspitze wurden lange Naturdornen aus Holz als Widerhaken in das Schäftungspech gedrückt und umwickelt. Solche Geschosse richteten sich, wie auch bronzene Pfeilspitzen mit mitgegossenen Widerhaken, eindeutig gegen Menschen, da die Dornen beim Versuch, die Spitze aus einer Wunde zu ziehen, abbrechen und so eine lebensbedrohliche Entzündung hervorrufen können. Bei den Ausgrabungen im Tollensetal ist bisher eine bronzene Schaftdornpfeilspitze gefunden worden, die dem Behringersdorfer Exemplar ähnlich ist. Erhaltungsbedingt lässt sich allerdings nicht sagen, ob auch hier Spitzen mit Widerhaken aus Naturdornen versehen waren. Aus dem Tollensetal liegen auch zwei bronzene Tüllenpfeilspitzen mit einzelnen Widerhakendornen vor, die jeweils an die Tüllenbasis angegossen wurden. Eines dieser Exemplare wurde ebenfalls an Fundplatz Weltzin 28 unweit des beschriebenen Schaftrests entdeckt. Auch dieser Typ findet im Pfeilköcher von Behringersdorf eine unmittelbare Parallele. Damit lassen der Schaftrest sowie auch die Pfeilspitzen aus dem Tollensetal konkrete Verbindungen nach Süden erkennen (S. 83).

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vermutlich handelt es sich um eine versenkte Weihegabe. Das Schwert vom Typ Riegsee datiert in Periode III; dies spricht für einen Zusammenhang mit dem Gewaltereignis. Schwerter dieses Typs haben – wie ein böhmisches Absatzbeil – ihre Hauptverbreitung von Süddeutschland bis Mähren. Einige Verletzungen im Skelettmaterial zeugen zudem vom Schwerteinsatz im Kampf. Eine wichtige Waffe war die Holzkeule: Aus einem begrenzten Talbereich der Tollense liegen hiervon inzwischen vier Exemplare vor. Die erste, 1996 gefundene Keule hat eine Länge von ca. 73 cm und wurde aus dem Stammholz einer Esche gefertigt. Sie ist fast wie ein moderner Baseballschläger geformt: Das untere Ende ist verdickt, während die etwa 18 bis 23 mm dicke Griffpartie etwas dünner als ein Besenstiel ausgearbeitet ist. Den maximalen Durchmesser von 35 mm erreichte die Schlagwaffe in ihrem oberen Drittel. Die zweite, etwa 63 cm lange Keule ist aus einem Stück Schlehenholz hergestellt. Der tonnenförmige Kopf besteht aus Stammholz, während der Stiel aus Astholz gearbeitet wurde. Auf dem 25 bis 29 mm dicken und 57 cm langen Stiel sitzt der 17,5 cm lange, leicht abgewinkelte Kopf. Die beiden übrigen Keulen, die dem Typ Baseballschläger zuzuordnen sind, befinden sich zurzeit in der Konservierung. Keulen waren einfach zu fertigende Waffen und auch ihr Einsatz – vor allem gegen den Kopf – war z. B. mit dem ca. 550 g schweren Baseballschläger leicht zu erlernen. Schwere Impressionsfrakturen an Schädeln von Weltzin 20 passen zu Verletzungen, die solche Keulen verursachen können. Keulen sind schon aus steinzeitlichem Fundkontext bekannt und u. a. aus Nordwestdeutschland und Dänemark überliefert.

Ungeschützt verfolgt? Der Bogen war eine wichtige Distanzwaffe mit hoher Präzision. Von ihrem erfolgreichen Einsatz zeugen verschiedene Verletzungen (S. 73). Wiederholte Einschüsse im Rückenbereich und auch der Oberarmknochen sowie der Schädel mit eingeschossenen Projektilen lassen auf eine Verfolgung Flüchtender schließen. Am Fluss scheint es dann an verschiedenen Stellen zu Nahkämpfen gekommen zu sein, in denen neben Holzkeulen wohl auch Schwerter, Messer oder Dolche zum Einsatz kamen (S. 89). Unklar ist bislang, ob die Kämpfer über eine Schutzausrüstung verfügten. Ab der Mitte des 2. Jt. v. Chr. lassen sich in Europa erste Bronzeschutzwaffen fassen. An der griechischen Fundstelle Dendra wurde um 1450 v. Chr. ein Mann mit mehrteiligem Panzer, einem mit Eberzahnlamel-

Die hammerartige Holzkeule von Fundplatz Weltzin 20 besteht aus einem Stück Schlehenholz. Auf dem ca. 57 cm langen Stiel sitzt ein ca. 17 cm langer tonnenförmiger Kopf. Diese Holzkeule von Fundplatz Weltzin 20 erinnert an einen modernen Baseballschläger. Die aus Esche gefertigte Waffe ist etwa 73 cm lang.

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Ungeschützt verfolgt? |

Der an Fundplatz Weltzin 20 gefundene Schädel zeigt eine rundliche Impressionsfraktur. Die schwere Verletzung mag durch eine Holzkeule mit tonnenförmigem Kopf verursacht worden sein.

len besetzten Helm und vermutlich einem Schild aus organischem Material beigesetzt. Ab etwa 1300 v. Chr. treten dann Bronzehelme auch in West- und Osteuropa auf. Zu den frühen östlichen Kappenhelmen gehört auch ein Exemplar von Sehlsdorf in Mecklenburg-Vorpommern. Ebenfalls ab etwa 1300 v. Chr. lassen sich Schilde in Südosteuropa nachweisen. Dazu passen die gravierten Krieger mit Lanze und Schild auf dem Horn von Wismar (S. 15). Die Verteilung der Verletzungen durch Schussund Stichwaffen aus dem Tollensetal erlaubt keinen klaren Rückschluss auf Defensivwaffen; wiederholte Schädelverletzungen sprechen gegen einen regelhaften Kopfschutz etwa durch einen Helm. Wie dargelegt fällt das Gewaltereignis im Tollensetal in eine Zeit, in der sich Schutzwaffen aus Bronze in Mittel-

europa gerade etablierten. Allerdings hatten die metallenen Schutzelemente sicher Vorläufer aus organischem Material. So besteht ein bronzezeitlicher Schild vom irischen Fundort Clonbrin aus schwerem Leder. Ein Nachbau des in das 11. Jh. v. Chr. datierenden Lederschilds wiegt nicht einmal 200 g. Kürzlich wurde ein eisenzeitlicher Schild von der Fundstelle Enderby in Großbritannien vorgestellt, der aus Baumrinde gefertigt und mit Holzlatten verstärkt wurde. Der Handschutz des ca. 67 × 37 cm großen Schildes aus dem 4. bis 3. Jh. v. Chr. bestand aus geflochtener Weide. Insofern dürfen wir für das Kampfgeschehen im Tollensetal durchaus mit Schutzwaffen aus Leder, Rinde und Holz rechnen. Erst in der Urnenfelderzeit nach 1200 v. Chr. gehörten bronzene Schutzwaffen zur prestigereichen Ausrüstung vornehmer Krieger.

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Knochen in Bewegung? Die Toten aus dem Tollensetal Ute Brinker und Gundula Lidke

Seit den ersten Entdeckungen waren die Knochen das auffälligste Fundgut im Tollensetal. Mittlerweile liegen über 12 000 Skelettreste von Menschen, aber in einigen Fällen auch von Pferden vor. Die Knochen wurden in der Regel einzeln und ohne anatomischen Kontext angetroffen. Daher bestand eine wichtige Aufgabe der osteoarchäologischen Analyse darin, zu klären, wie diese Fundsituation entstanden ist. Unter dem Begriff Taphonomie werden alle Vorgänge vom Zeitpunkt des Todes eines Lebewesens bis zur Auffindung seiner Überreste zusammengefasst. Diese müssen entlang der Zeitschiene auf Merkmale hin genau analysiert werden. Sind die Oberflächen der Knochen verwittert oder gut erhalten? Finden sich Bissspuren von Raubtieren, die an Leichen gefressen haben? Lagen ursprünglich vollständige Skelette vor, die durch den Fluss verlagert wurden oder haben vielleicht auch menschliche Aktivitäten das ungewöhnliche Überlieferungsbild verursacht?

Um diesen Fragen nachzugehen, wurden alle Knochen nach einem Merkmalsschema erfasst. Zur Klärung der ursprünglichen Ablagerung der Leichname war die Beobachtung wichtig, dass in den Knochenansammlungen in wenigen Fällen doch anatomische Zusammenhänge von Teilkörpern in der Grabungsfläche sichtbar waren. Schon in dem ersten Suchschnitt 1996 lagen z. B. die zueinander gehörenden Beinknochen eines Individuums, das auf dem Bauch abgelagert wurde, nebeneinander. In anderen Fällen lagen Armknochen beisammen oder die zusammengehörigen Rippen eines Brustkorbs bzw. mehrere Wirbel einer Wirbelsäule. Diese Beobachtung spricht für die Ablagerung vollständiger Individuen nach der Schlacht. Üblicherweise lockt der Verwesungsgeruch von Leichnamen Raubtiere an, sodass zumeist schon nach wenigen Tagen große Teile eines Körpers fehlen. Erstaunlicherweise hat die systematische Aufnahme der

Die menschlichen Skelettreste aus dem Tollensetal liegen als einzelne Knochen ohne anatomischen Verband vor, sind aber in sehr gutem Erhaltungszustand. Lisa Borgwardt hat beim Schnorcheln einen Unterkiefer mit vollständiger Bezahnung geborgen.

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Die menschlichen Gebeine lagen vor allem an Fundplatz Weltzin 20 wiederholt in solchen Konzentrationen beisammen. Ein Teil der Knochen lässt sich einzelnen Individuen zuordnen.

Knochen aus dem Tal insgesamt keinen Verbiss durch Raubtiere ergeben. Dies lässt vermuten, dass die Leichen nicht oder kaum für diese Tiere zugänglich waren. Dies könnte etwa darauf zurückgehen, dass die Opfer – auch im Uferbereich – im Wasser lagen. Mit einer Einlagerung im Wassermilieu lässt sich auch der fehlende Skelettverband erklären. Nachdem Weichteile wie Haut und Muskeln vergangen waren, wurden die übrig gebliebenen Gebeine durch den Fluss bewegt. Die Frage ist allerdings, welches Ausmaß solche Umlagerungen gehabt haben? Um sich dieser Frage zu nähern, kann die Rekonstruktion einzelner (Teil-)Individuen helfen.

Vom Knochenhaufen zur einzelnen Person Das Erkennen zusammengehöriger Skelettelemente oder gar einzelner Individuen ist u. a. über die Analyse morphologischer Ähnlichkeiten von paarigen Knochen wie Arm- und Beinknochen möglich. Als Merkmale dafür dienen etwa die Länge, die Robustizität, die Ausprägung der Muskelansatzmarken, die Symmetrie, der Erhaltungszustand sowie Alter und Geschlecht. Im nächsten Schritt wird versucht, über die Beschaffenheit von Gelenkflächen weitere zu ein-

zelnen Individuen gehörende Knochen zu identifizieren. Hierbei handelt es sich um Methoden, die auch bei der Aufarbeitung vermischter Knocheninventare, wie etwa Massengräber ohne klare Zuordnung der Individuen, angewandt werden. So können z. B. über das Kiefergelenk Schädel und Unterkiefer, über das Ellenbogengelenk Ober- und Unterarme angepasst, oder auch Teile der Wirbelsäule mit einer Wahrscheinlichkeit von 60 bis 90 Prozent rekonstruiert werden. Auf diese Weise ließ sich in einer Knochenkonzentration vom Fundplatz Weltzin 20 neben einzelnen Teilkörpern von Personen verschiedener Altersstufen auch ein nahezu vollständiges Individuum identifizieren. Doch zugleich liegen dort auch viele umgelagerte Einzelknochen vor. Die Zusammensetzung des Knochenspektrums variiert bereits an einem einzelnen Fundort innerhalb weniger Quadratmeter. Dichte Anhäufungen von Knochen, die in der Analyse teils Individualzusammenhänge zeigen, liegen neben Einzelknochen verschiedener Individuen. Das Muster der Knochenkonzentrationen spricht – im Einklang mit den in situ erhaltenen Körperteilen – für eine in der Regel nur kleinräumige Verlagerung der Skelettreste. In keinem Fall konnten zusammengehörige Skelettteile aus weiter voneinander entfernten Fundsituationen identifiziert werden. Vermutlich

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wurden also einige Zeit nach dem Vergehen der im Wasser lagernden Leichen deren Skelettreste in Phasen stärkerer Strömung über kurze Strecken von wenigen Metern bewegt. Dabei scheinen sich die Knochen an vorhandenen Hindernissen angesammelt zu haben. Auch ein allmählicher Zerfall in Flachwasserbereichen, verbunden mit Verlagerungsprozessen und dem Abschwemmen kleinerer Skelettelemente sowie der Ansammlung von Knochen in tieferen Bereichen der Uferzone, ist denkbar. Dies würde die Bildung der insbesondere bei den Grabungen an Fundplatz Weltzin 20 dokumentierten Knochenanhäufungen erklären. Möglicherweise wurden im Rahmen der Plünderung von Toten nach der Schlacht auch Leichen an bestimmten Stellen zusammengetragen.

Teils lassen sich auch spätere Ereignisse nachweisen. So wurde am selben Fundplatz direkt im Bereich der heutigen Uferzone ein Teil eines Rinderkadavers abgelagert: Die Rinderknochen lagen eindeutig oberhalb bzw. auf den menschlichen Gebeinen. Ein Radiokarbondatum datiert das Ereignis in eine Zeit mehr als 100 Jahre nach dem Gewaltkonflikt. Auch wurden wiederholt Hölzer beobachtet, die Jahrhunderte später – wahrscheinlich nach Hochwasserphasen – nur wenige Zentimeter über den Knochen abgelagert wurden. Erst anschließend setzte sich das Torfwachstum über Jahrhunderte ungestört fort. Insgesamt scheinen die Leichname der Opfer an Fundplatz Weltzin 20 im (Flach-)Wasser zerfallen zu sein. Nach ihrer Skeletttierung wurden sie durch den

Mitunter liegen noch Teile der Skelettreste in anatomischem Verband. Im Bild ist ein linkes Schulterblatt mit den dazugehörigen Knochen des verdreht liegenden Arms zu erkennen. Oben links liegen auch einige Rippen und Wirbel beieinander. Ob diese zu demselben Individuum gehören, ist unklar.

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Knochenpuzzle – wer starb im Tollensetal? |

Über der Fundschicht des Schlachtfeldhorizonts wurden wiederholt Hölzer aufgefunden, die Jahrhunderte jünger sind. Sie wurden wahrscheinlich nach Hochwasserereignissen abgelagert.

Fluss kleinräumig verlagert. Die Sedimente sprechen für eine Einlagerung in einem Stillwasserbereich, z. B. einem Altarm oder einem überfluteten Areal auf größerer Fläche (S. 24; 34). An anderen Stellen endeten die Opfer hingegen in tieferen Bereichen des Flusses (S. 39).

Knochenpuzzle – wer starb im Tollensetal? Die Auswertung der zahlreichen menschlichen Gebeine ist eine außerordentliche Herausforderung. Üblicherweise liegen – z. B. von einem Bestattungsplatz – einzelne Individuen vor, deren Alter und Geschlecht anhand verschiedener Merkmale bestimmt werden können. So fällt der Schädel eines Mannes tendenziell robuster aus als der einer Frau, aber eine relativ sichere Geschlechtsbestimmung erlaubt nur das Becken. Zur Bestimmung des Alters können dann das Gebiss und der Zustand der Gelenkenden herangezogen werden. Die Einzelknochen aus dem Tollensetal erlauben jedoch die Kombination solcher Merkmale nicht. Eine erste Aufgabe besteht in der Bestimmung der Individuenanzahl. Im vorliegenden Fall wurde die Häufigkeit der verschiedenen Skelettelemente erfasst; danach bestimmt die am häufigsten überlieferte Knochenart die mindestens vorhandene Zahl von Individuen. Zusätzlich können Alters- und Geschlechtsun-

terschiede Hinweise geben. Am häufigsten ist insgesamt der linke Oberschenkelknochen (Femur) repräsentiert, sodass – in Kombination mit wenigen rechten Femora, die keinem linken Gegenstück zuzuordnen sind – mindestens 144 Individuen (Stand 2018) von allen bronzezeitlichen Fundplätzen im Tollensetal vorliegen. Allein 94 Oberschenkelknochen stammen vom Fundplatz Weltzin 20, wo sich die größte ergrabene Fläche befindet. Von diesem Fundplatz liegen auch etwa 70 Schädel und über 130 linke und rechte Hüftbeine vor. Weniger häufig sind kleinere, vom Wasser leicht zu verlagernde Elemente wie Fingerund Fußknochen vertreten. Für die Geschlechtsbestimmung können neben den morphologischen Unterschieden, die am Knochen zu erkennen sind, inzwischen auch die Resultate paläogenetischer Analysen herangezogen werden. Einige Schädel, die aufgrund ihrer femininen Merkmale ursprünglich als »vermutlich weiblich« bestimmt wurden, konnten durch den Abgleich mit den Ergebnissen der genetischen Geschlechtsbestimmung als die männlicher Individuen identifiziert werden. Die Anzahl der im Skelettmaterial aus dem Tollensetal möglicherweise letztlich enthaltenen Frauen dürfte sehr klein sein. Ein eindeutig weiblicher Beckenknochen wurde in der sicher dem Schlachtfeldhorizont zuzuweisenden Fundschicht bislang nicht entdeckt. Während man in einer lebenden Population ein etwa ausgewogenes Geschlechterverhältnis erwarten darf,

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weichen die Ergebnisse der Knochenbestimmungen im Tollensetal in dieser Hinsicht völlig ab: Bei mehr als 97 Prozent der Knochen bzw. Individuen handelt es sich um Männer, die überwiegend der frühadulten/ adulten Altersstufe von 19 bis 40 Jahren angehören. Diese ausgeprägte Männerdominanz spricht gegen eine gewöhnliche Sterbepopulation z. B. einer ländlichen Siedlung. Vielmehr passen die im kampffähigen Alter Verstorbenen zur Hypothese eines Gewaltkonflikts. Dabei zeigen die verschiedenen Fundstellen am Fluss auch in dieser Hinsicht ein übereinstimmendes Bild. Dies ist ein weiteres Argument dafür, dass alle Opfer letztlich auf ein Ereignis zurückgehen (S. 89). Die Knochen der Opfer lassen auf kräftige junge Männer schließen, die – soweit die Einzelknochen die Rekonstruktion erlauben – durchschnittlich etwa 1,66 m groß gewesen sein dürften. Damit entsprechen sie der üblichen männlichen Körperhöhe dieser Zeit. Das größte Individuum erreichte eine Körperhöhe von 1,73 m. Die Ausprägung der Muskelansätze an den Knochen kann Auskunft über Bewegungsmuster und besondere Belastungen von Körperteilen geben. So wird z. B. ein rechtshändiger Paddler mit der Zeit eine ausgeprägtere Muskulatur am entsprechenden Oberarm entwickeln, die sich auch am Knochen feststellen lässt. Aber es ist Vorsicht geboten: Niemand paddelt nur und andere Belastungen können zu ähnlichen Ausprägungen führen. Die muskuläre Belastung beim Bogenschießen und beim Werfen eines Speers ist jeweils unterschiedlich, und doch werden dabei teils dieselben Muskeln beansprucht. Nach derzeitigem Kenntnisstand gibt es im Knochenmaterial aus dem Tollensetal keine eindeutigen anthropologischen Befunde, welche auf professionelles Bogenschießen oder Reiten schließen lassen.

Das Weltziner Knochenmaterial zeigt keine gravierenden arthritischen Veränderungen, jedoch konnten Läsionen diagnostiziert werden, wie sie heute bei jungen, in Wurfsportarten sehr aktiven Menschen auftreten. Insgesamt weisen die langen Extremitätenknochen viele morphologische Ähnlichkeiten auf, die auf gleiche Aktivitätsmuster hindeuten könnten. Es ist davon auszugehen, dass die Männer insgesamt körperlich sehr aktiv, aber nicht dauerhaft übermäßigen Belastungen ausgesetzt waren. Die ungewöhnliche Zusammensetzung der »Männer«-Population gibt bereits den entscheidenden Hinweis auf eine spezielle, zu einem bestimmten Zweck zusammengekommene Gruppe. Auch wenn die Knochenmerkmale selbst keine eindeutigen Hinweise auf professionelle Krieger liefern, so zeigen doch verheilte Verletzungen, dass zumindest einige der Opfer der Schlacht nicht zum ersten Mal in ihrem Leben an gewaltsamen Aktivitäten beteiligt waren.

männlich weiblich unbestimmt

Die Alters- und Geschlechtsverteilung von 65 linken Hüftbeinen von Fundplatz Weltzin 20 liefert ein klares Bild: Unter den eindeutig bestimmten Exemplaren liegen ausschließlich männliche Individuen im kampffähigen Alter vor. Die Altersklassen werden in der Osteoanthropologie in juvenil (ca. 13–19 Jahre), adult (ca. 20–39 Jahre), adultmatur (ca. 20–59 Jahre) und matur (ca. 40–59 Jahre) eingeteilt. Adult-matur bedeutet, dass hier keine genauere Zuweisung möglich ist. Die Altersbestimmung umfasst somit die Gruppen adult und matur, da prinzipiell beide infrage kommen.

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Auf jeden Fall tödlich (Un)sichtbare Spuren der Gewalt Ute Brinker und Gundula Lidke

Dieser Schädel von Fundstelle Weltzin 20 zeigt die typischen Bruchmuster einer Verletzung durch stumpfe Gewalt.

Unmittelbar neben den Unterarmknochen (Elle und Speiche) steckt eine Flintpfeilspitze im Boden. Das Projektil befand sich vermutlich ursprünglich im Arm des Opfers.

Mit einer großen Beschädigung der Stirnpartie wurde eines der ersten menschlichen Schädelfragmente aus der Sondierung 1996 geborgen. Es bestand kein Zweifel: Hier musste ein Schlag die Verletzung verursacht haben. Deutlich waren die nach innen geneigten Bruchränder zu sehen, wie sie typisch für solche Impressionen sind. Doch nicht immer ist eine Diagnose so einfach. Daher ist es eine Herausforderung für die Osteoarchäologie, die Verletzungen von natürlich verursachten Beschädigungen, die erst nach dem Tod an den Knochen entstanden sind, verlässlich zu unterscheiden. Schließlich kann eine unscheinbare feine Einkerbung an einer Rippe ein genauso wichtiges Zeugnis der Gewalt sein wie ein im Knochen steckendes Projektil. Ferner ist zu berücksichtigen, dass nicht wenige Verwundungen keine Spuren am Knochen hinterlassen: Ein Pfeilschuss mit einer Beschädigung eines großen Blutgefäßes lässt ein Opfer rasch verbluten. Ein Beispiel dafür liefert vielleicht eine Flintpfeilspitze, die 2010 auf einer größeren Anhäufung von Skelettresten entdeckt wurde. Eine weitere Flintpfeilspitze, die 2011 neben Elle und Speiche eines Unterarms im Boden steckte, könnte ebenfalls auf ein eingeschossenes Projektil in einem Arm zurückgehen. Inzwischen können an den aufgefundenen Knochen zahlreiche Hinweise auf Gewalteinwirkung

identifiziert werden. Dabei hilft die nähere Begutachtung der Beschädigung, denn Knochen reagiert in frischem Zustand anders als nach einer Austrocknung. Um die Verletzungsspuren näher zu charakterisieren und Hinweise auf den Ein- bzw. Austritt sowie die Größe und Form eingedrungener Objekte zu erhalten, erfolgen u. a. mikroskopische Analysen am Skelettmaterial. Zur Identifizierung des Waffentypus, der bestimmte Läsionen verursachte, werden die bei

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Von Pfeil und Bogen bis Beil und Schwert – Feldversuche zur Rekonstruktion von Verletzungen Gundula Lidke Im Hinblick auf Verletzungen standen im Laufe der Untersuchungen der Skelettreste aus der bronzezeitlichen Fundschicht zuerst die offensichtlichen Traumata wie etwa großflächige Impressionsfrakturen an Schädeln im Blickpunkt. Immer häufiger wurden jedoch auch unscheinbare Spuren wie feine Schnittlinien oder kleine rautenförmige oder dreieckige Verletzungen an den Knochen beobachtet. Da zugleich vermehrt Pfeilspitzenfunde – aus Bronze wie auch aus Feuerstein – mit der Fundschicht des Schlachtfeldhorizonts in Verbindung gebracht wurden, stellte sich die Frage, ob diese Waffen für die unauffälligen Spuren an den Knochen verantwortlich sein könnten. Zudem traten im Skelettmaterial immer wieder auch untypisch erscheinende Verletzungsmuster auf, die nicht mithilfe der medizinischen Fachliteratur bestimmt werden konnten. Um diesen Fragen nachzugehen, wurde der Experimentalarchäologe Harm Paulsen aus Schleswig gewonnen. Dieser erzeugte mit Repliken bronzezeitlicher Waffen Verletzungsmuster an rezenten Schweineknochen, die dann mit dem Skelettmaterial aus der Fundschicht verglichen werden konnten. Dabei ging es nicht um Experimente unter Laborbedingungen mit einer exakten Erfassung aller Daten, sondern um Feldversuche, die zwischen 2013 und 2016 unter Freiluftbedingungen weitgehend im Tollensetal vorgenommen wurden. Als Ziele wurden handelsübliche Schweinehälften verwendet, teils mit Vorder- und Hinterlaufpartie, um Verletzungen an Rippen, Becken- und Gliedmaßenknochen erzeugen zu können. Als Waffen kamen von Harm Paulsen bereitgestellte, zum Teil speziell für diese Versuche angefertigte Repliken zum Einsatz. Bronzebeile, Flint- und Bronzepfeilspitzen, bronzene Dolch-, Messer- und Schwertklingen, bronzene Lanzenspitzen, Geweih- und Steinäxte und Knochenlanzenspitzen decken ein breites Spektrum der potenziell im

Tollensetal um 1300 v. Chr. eingesetzten Waffentypen ab. Auch Repliken der im Tal entdeckten Holzkeulen wurden getestet, die Ronald Borgwardt, der Entdecker des Fundplatzes, zur Verfügung gestellt hat. Um die an den Knochen erzeugten Verletzungen sichtbar zu machen, wurden die Fleischstücke dankenswerterweise von Hans Knut Weidemann vom Zoologischen Institut der Universität Greifswald mazeriert.

Knochentreffer? Selten! Am häufigsten wurden Feldversuche mit Pfeilspitzen durchgeführt, wobei Schussentfernung und Eindringbzw. Durchdringungstiefe festgehalten wurden. Die Ergebnisse waren überraschend: Flint- und Bronzeprojektile unterscheiden sich in ihrer Wirksamkeit nicht voneinander. Entgegen der Erwartung zeigen Flintpfeilspitzen aufgrund ihrer leicht gezähnten Kanten sogar eine bessere Schnittwirkung, was zu einer höheren Ein- bzw. Durchdringtiefe führt. Direkte Knochentreffer blieben im Rahmen der Versuche die Ausnahme. Die Wahrscheinlichkeit eines Steckschusses erhöhte sich mit der Entfernung zum Ziel. Bei geringerer Schussdistanz kam es besonders im Rippenbereich eher zu Frakturen mit gesplitterten Enden. Das ist eine interessante Beobachtung, da auch im bronzezeitlichen Skelettmaterial ähnlich beschädigte Rippen vorkommen. In mehreren Fällen wurden Fleischsteckschüsse erzeugt, d. h. die Pfeilspitze ließ sich nach dem Schussversuch nicht aus dem Fleischstück lösen – dies passierte besonders oft bei Pfeilspitzen mit Widerhaken. Bei der Zerlegung zeigte sich dann, dass es sich nicht um Knochentreffer handelte, sondern das Projektil zwischen Muskeln, Sehnen und Fleisch verkeilt war und sich daher erst im Mazerierungsprozess löste. Auch dieses Ergebnis lässt sich in der bronzezeitlichen Fundschicht nachvollziehen:

Der Einsatz einer Holzkeule wurde mit einem nachgeschnitzten Exemplar an einer Wassermelone getestet. Die Bruchmuster an der Aufprallstelle sind denen an Knochen aus der Fundschicht erstaunlich ähnlich. Der Experimentalarchäologe Harm Paulsen testet mit einer Replik den Einsatz eines Absatzbeils aus Bronze an einer Schweinehälfte. Diese große Verletzung wurde durch den Schlag mit einem nachgegossenen Bronzebeil erzeugt.

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Der Experimentalarchäologe Harm Paulsen bereitet sich auf Schussversuche mit seiner nachgebauten Pfeilund Bogenwaffe vor.

In mehreren Fällen lagen Pfeilspitzen lose zwischen Knochen in der Grabungsfläche. Hier ist davon auszugehen, dass die Projektile einst in den Leichen steckend abgelagert wurden. Schließlich lassen sich auch zahlreiche feine Schnittlinien und trichterförmig einziehende Läsionen an den Versuchsknochen gut mit den am bronzezeitlichen Material beobachteten Spuren vergleichen.

Harte Schale, weicher Kern

Die Schussversuche wurden mit verschiedenen nachgebauten Pfeilen absolviert, um die Wirkungsweise der verschiedenen Projektile zu testen. Nur selten trifft der Pfeil direkt auf eine Rippe und spaltet diese.

Weitere direkt im Schlachtfeldhorizont des Tollensetals nachgewiesene Waffen sind Holzkeulen, und zwar in Baseballschlägerform aus Eschenholz sowie als Hammerkeule aus Schlehenholz. Repliken der Keulen wurden an Kokosnüssen und Wassermelonen getestet, da mit diesen das Prinzip »harte Schale, weicher Kern« – ähnlich einem menschlichen Schädel – recht einfach simuliert werden kann. Im Resultat der Schlagversuche ließen sich sowohl Impressionsfrakturen als auch den Schädel umlaufende Frakturlinien dokumentieren; beide Verletzungstypen treten auch im bronzezeitlichen Material auf. Zusätzlich zu Pfeil und Bogen kamen in weiteren Versuchsreihen auch bronzene und knöcherne Lanzenspitzen, Bronzebeile, Schwert-, Dolch- und Messerklingen sowie Äxte aus Stein und Geweih zum Einsatz. Mit Bronzebeilen wurden scharfe Verletzungen in Form größerer Knochenschäden erzeugt. Diese lassen sich mit einigen am bronzezeitlichen Knochenmaterial beobachteten Läsionen, die nicht einzuordnen waren, gut vergleichen. Es zeigte sich zudem, dass Verletzungen durch verschiedene Klingenwaffen nicht immer sicher zu unterscheiden sind. Stärke und Ausprägung einzelner Schnittlinien können hier wichtige Hinweise geben. Stumpfe Waffen wie Nackenbereiche von Äxten aus Geweih und Stein können ähnliche Verletzungen erzeugen wie Holzkeulen. Die experimentellen Versuche liefern somit keinen Katalog, aus dem Waffe und Verletzung einfach passend einander zugeordnet werden können. Aber sie bereichern das Wissen über das Erscheinungsbild diverser Traumata erheblich und helfen, auch ungewöhnliche Verletzungsmuster besser zu erklären.

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76 | Auf jeden Fall tödlich In den computertomografischen Aufnahmen der Verletzungen am Skelettmaterial ist neben schweren Impressionen (a), Schussverletzungen (b, e-f) und verheilten Verletzungen (c) auch ein gespaltener Oberschenkel (d) zu sehen.

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(Un)sichtbare Spuren der Gewalt |

Dieser Schädel lässt deutlich eine verheilte Verletzung im Stirnbereich erkennen.

archäologischen Experimenten erzielten Bruchmuster unter anderem durch Pfeilschüsse und Stichwaffen (S. 74) mit den im bronzezeitlichen Knochenmaterial vorliegenden Verletzungen verglichen. Auch in Steckmoos, das sonst in der Floristik verwendet wird, erzeugte Negativabdrücke bekannter bronzezeitlicher Waffen aus dem Tollensetal sind hilfreich, um die Querschnitte mit denen der vorliegenden Verletzungen abzugleichen. Ergänzend erfolgen MikroCTAnalysen an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung in Berlin, um z. B. Einschusskanäle genau nachzuvollziehen, im Knochen steckende Projektile und Waffenspitzen oder mögliche Heilungsreaktionen am Knochen zu erkennen. Viele Knochen zeigen sogenannte perimortale Läsionen, die unmittelbar vor oder nach dem Sterben

des Individuums erfolgt sind bzw. dessen Tod verursacht haben. Das Vorliegen von Einzelknochen erschwert die Möglichkeit, auch Mehrfachverletzungen eines Individuums zu rekonstruieren. Darüber hinaus gibt es auch eine beachtliche Zahl verheilter Verletzungen: Den bislang an Knochen aus dem Tal identifizierten 90 unverheilten stehen 40 verheilte Traumata gegenüber. Letztere sind allerdings teils unspezifische Rippen- und Schlüsselbeinfrakturen, Frakturen an Arm-, Bein-, Hand- und Fußknochen oder Kompressionsfrakturen an Wirbeln, die eher durch Unfälle verursacht sein mögen. Doch etwa ein Drittel der verheilten Läsionen wurde nachweislich durch Waffeneinsatz verursacht und ist auf zwischenmenschliche Gewalt zurückzuführen. Dazu zählen Impressionsfrakturen am Schädel durch stumpfe Gegenstände

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78 | Auf jeden Fall tödlich

wie Keulen, Verletzungen durch Pfeil- und Lanzenspitzen oder einzelne Knochenbrüche an Unterarmknochen, die wohl auf Abwehrreaktionen mit dem Arm zurückgehen, sogenannte Parierfrakturen.

Der Kopf als erstes Ziel? Die verheilten Verletzungen finden sich überwiegend auf der vorderen Körperseite im Bereich des Oberkörpers und am Schädel. Sie zeigen damit eine ähnliche Verteilung am Skelett wie die unverheilten Läsionen. Insgesamt deutet das Spektrum der verheilten Läsionen darauf hin, dass ein Teil dieser Individuen bereits zuvor an gewaltsamen Auseinandersetzungen beteiligt war. Ein anschauliches Beispiel liefert ein Schädel von der Fundstelle Weltzin 32 mit einer verheilten Impression im Stirnbereich. Bislang wurden vor allem die 79 perimortalen Verletzungen der 94 Individuen von Fundplatz Weltzin 20 näher analysiert. Sie umfassen im Wesentlichen Stich- und Pfeilschussverletzungen. Daneben treten Hieb- und Schnittverletzungen sowie Verletzungen durch stumpfe Gewalteinwirkung auf. Die Läsionen reichen von noch in Knochen steckenden Pfeilspitzen über schwere Impressionsfrakturen bis hin zu feinen Schnittspuren und kleinen trichterförmigen Verletzungen, die mit ihrer dreieckigen oder rhombischen Form vor allem auf Pfeilschüsse zurückgehen dürften. Letztere zeigen häufig typische Merkmale von Schussverletzungen, wie etwa eingedrückte Knochenfragmente an den Eintrittsseiten, charakteristische Bruchlinien wie z. B. Scharnierfrakturen, trichterförmige Erweiterungen bzw. Knochen-

absprengungen am Ein- und Austritt. Im Fall einer Oberschenkelfraktur, bei der anfänglich ein Reitunfall als mögliche Ursache angenommen wurde, lassen biomechanische Untersuchungen inzwischen auf das Eindringen einer Lanzenspitze als Grund der schweren Verletzung schließen (S. 76 (d), 80). Damit wird diese Waffe nicht nur unter den Bronzefunden, sondern auch im Verletzungsspektrum bezeugt. Die Ergebnisse der archäologischen Feldversuche (S. 74) erlauben Vergleiche der an den Schweineknochen erzeugten Verletzungsspuren mit den Läsionen an den bronzezeitlichen Knochen. Insgesamt gehen die am Knochenmaterial aus dem Tollensetal beobachteten Verletzungen auf unterschiedliche Waffen zurück. Pfeilschussverletzungen sowie Stichverletzungen durch Dolche und/ oder Messer oder Lanzenspitzen treten am häufigsten auf, dazu kommen Hieb- und Schnittverletzungen. Verletzungen durch Schwert- und Axthiebe sind ebenfalls möglich. Mehr als 50 Prozent der perimortalen Verletzungen sind im Brustkorbbereich lokalisiert, doch finden sie sich insgesamt in beinahe allen Körperbereichen. Überwiegend ist die vordere Körperhälfte betroffen, doch sind Verletzungen durch Pfeilschuss häufiger auch im rückwärtigen Körperbereich zu beobachten. Das deutet für die Opfer von Fundstelle Weltzin 20 auf den Beschuss Fliehender hin. Der Schädel mit einer eingeschossenen bronzenen Tüllenpfeilspitze im Hinterhauptbein lässt ebenfalls auf eine solche Situation schließen (S. 33). Hinweise auf stumpfe Gewalt, also Schläge mit stumpfen Waffen wie etwa Keulen oder den Nacken von Stein- oder Geweihäxten, wurden bislang vor allem am Schädel nachgewiesen. Gewalteinwirkungen

Diese Pfeilschutzverletzung im Stirnbereich hat nur eine kleine Läsion am Knochen hinterlassen, die Heilungsspuren zeigt. Im vergrößerten Ausschnitt (links oben) sind die Brüche um das Einschussloch zu sehen.

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Der Kopf als erstes Ziel? |

Die Grafik zeigt die Rekonstruktion der Entstehung einer Hüftbeinverletzung.

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Paläomechanik – Neue Methoden zum Verständnis alter Verletzungen Hella Harten-Buga Steckt eine Pfeilspitze noch in einem menschlichen Knochen, so bedarf die Verletzung kaum einer weiteren Erläuterung ihrer Ursache. Doch nicht immer ist die Waffe so leicht zu bestimmen. Aber auch im Fall der noch vorhandenen Pfeilspitze ergeben sich weitere Fragen: Aus welcher Distanz wurde der Schuss abgegeben, und in welchem Winkel traf der Pfeil das Individuum? Wurde das Opfer eher im Laufen oder am Boden liegend attackiert? Mithilfe der Paläomechanik und 3D-Rekonstruktionen lassen sich solche für die Rekonstruktion der Geschehnisse wichtigen Fragen besser beantworten, denn der Flugwinkel eines Pfeils oder seine Aufprallenergie lassen sich physikalisch berechnen. Dazu ist nicht Intuition, sondern handfestes Ingenieurwissen gefragt: Welche Kräfte wirkten wie auf den menschlichen Körper bzw. die Knochen, und welche Spuren hat dies an Waffe und Knochen hinterlassen? Melanie Schwinning und die Autorin von der Universität Hamburg haben sich diesem neuen Forschungsgebiet verschrieben, um den Opfern aus dem Tollensetal mehr Informationen zum Ablauf der Gewalthandlungen zu entlocken. Dazu kommen auch 3D-Mikroskopie und Micro-Computertomografie zum Einsatz, um auch unscheinbare feine Spuren verlässlich bewerten zu können.

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Dabei beschränken sich ihre Untersuchungen nicht nur auf die Folgen des Einsatzes von Pfeil und Bogen, die Analysen können auch wichtige Hinweise auf die Ursache für unklare Verletzungsmuster geben. Schon bei den ersten Grabungen wurde ein menschlicher Oberschenkel entdeckt, von dem ein ebenfalls erhaltener Teil des Gelenkkopfes abgebrochen war. Nach einer ersten Untersuchung im Rahmen einer klinischen Computertomografie lautete die vorläufige Diagnose, es könne sich um die Folge eines Sturzes handeln, denn die Verletzung ähnelte im Befund dem Muster eines Hochenergietraumas, das sich Menschen heute bei Stürzen bei hoher Geschwindigkeit zuziehen, etwa beim Motorradfahren. So entstand die Vorstellung, hier sei vielleicht ein Reiter durch einen Sturz vom Pferd verletzt worden. Diese erste Einschätzung konnte durch die paläomechanische Analyse korrigiert werden: Der gebrochene Oberschenkelkopf geht vielmehr auf einen Lanzen- oder Speerstoß zurück; der Knochen brach danach spätestens, als der Angreifer die Waffe wieder aus der Wunde löste. Auch bei der Unterscheidung von Waffentypen, die eine Knochenverletzung verursacht haben können, sind biomechanische Methoden einsetzbar. Basierend auf Messwerten der Ein- und Austrittsöffnung und der Länge des Verletzungskanals kann etwa der Einsatz von unterschiedlichen Bronzepfeilspitzen und einer Lanzenspitze aus dem Fundspektrum des Tollensetals digital simuliert werden.

Die in den Schädel eingedrungene Pfeilspitze ist durch den Aufprall verbogen. Dies spricht für eine beachtliche Aufprallenergie.

Digitaler Waffenabgleich mit 3D-Modellen eines Projektils und eines Beckenknochens mit Verletzung vom Fundort Tollensetal: a) – e) Ermittlung des Eintrittswinkels sowie der möglichen Form und Größe der verursachenden Waffe mittels Vektoren.

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Ein gewaltiges Ausmaß |

Die an den menschlichen Überresten von Weltzin 20 dokumentierten perimortalen Verletzungen sind hier auf ein Skelett projeziert.

auf den Kopf gelten allgemein als Hinweise auf Kampfgeschehen und lassen auf eine Tötungsabsicht schließen. Dies bezeugt Nahkampfsituationen und passt zum Nachweis von Holzkeulen an Fundplatz Weltzin 20. Es ist aber auch denkbar, dass besiegte, verletzte Gegner nach der Schlacht mit diesen Waffen getötet wurden. Insgesamt erlauben die Überreste von Fundplatz Weltzin 20 eine erste Einschätzung zum Ablauf: Die Pfeilschussverletzungen im Rückenbereich von Individuen lassen auf eine Fluchtsituation schließen. Die Kämpfer wurden dann am Fluss allem Anschein nach in einen Nahkampf verwickelt, bei dem auch Waffen wie Holzkeulen zum Einsatz kamen.

Ein gewaltiges Ausmaß Die Zahl der dokumentierten Traumata allein weist schon auf Gewalthandlungen von ungewöhnlichem Ausmaß hin. Da zahlreiche Verletzungen keine Spuren an den Knochen hinterlassen, dürfte die »Dunkelziffer« hoch sein. So ist auch die Anzahl der Pfeilschussläsionen nur als Minimalwert zu betrachten,

denn historischen und experimentellen Studien zufolge hinterlässt nur etwa jeder dritte Treffer mit einem Pfeil auch tatsächlich Spuren am Skelett. Auch beim Einsatz von Beilen, Schwertern oder Messern ist mit zahlreichen, wahrscheinlich auch häufig tödlichen Verwundungen zu rechnen, die keine Spuren am Knochenmaterial hinterlassen haben. Eine zu Beginn des Projekts geäußerte Hypothese, die Kampfhandlungen könnten sich über einen längeren Zeitraum erstreckt haben, beruhte auf der Interpretation klinischer Computertomografie-Aufnahmen des Oberarmknochens mit eingeschossener Flintpfeilspitze (S. 34). Die Aufnahmen zeigten angrenzend an das Flintprojektil eine strahlendichte Zone, die als erste Heilungsreaktionen des Knochens interpretiert wurde. Deutlich höher aufgelöste Mikro-CT-Aufnahmen zeigen aber, dass keine solche stattfand; diese Pfeilschussverletzung ist daher als weitere perimortale Läsion anzusprechen. Der Zustand und die Zusammensetzung des bislang geborgenen Skelettmaterials vom Fundplatz Weltzin 32, wo die Knochen hauptsächlich in einem Profil unter Wasser dokumentiert wurden, sind dem Fundplatz 20 sehr ähnlich; dies gilt auch für die Ver-

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82 | Auf jeden Fall tödlich Die Abbildung zeigt Schussverletzungen mit den typischen Bruchmustern am Knochen (a–c) und die entsprechenden Beschädigungen in den MikroCT-Aufnahmen (d–f).

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teilung der Verletzungen. Eine ursächliche und unmittelbare zeitliche Verbindung der Fundschichtentstehung an diesen Plätzen ist daher – wie auch für andere Fundstellen im Tal – trotz der unterschiedlichen Sedimentierung anzunehmen. Insgesamt bestätigen die zahlreichen unverheilten Verletzungen an den menschlichen Skelettresten die Hypothese, dass die Fundsituationen im Tollensetal durch ein Gewaltereignis entstanden sind. Die An-

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zahl der bislang rekonstruierten Individuen in Verbindung mit den zahlreichen Traumata gibt nur einen Mindestwert wieder. Bisher konnten nur vergleichsweise kleine Flächen erforscht werden, doch in Anbetracht der großen Ausdehnung des Fundareals im Tollensetal dürfte der dort ausgetragene Konflikt von beträchtlichem (wenn nicht gewaltigem) Ausmaß und keineswegs nur lokaler Natur gewesen sein.

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Im Dschungel der Methoden Woher kamen die Kämpfer? Thomas Terberger, Gundula Lidke und Joachim Krüger

In dem bekannten Baumsarg von Egtved in Jütland, Dänemark, waren neben den Skelettresten auch Haare und Fingernägel einer verstorbenen jungen Frau erhalten. Sie bieten sehr gute Voraussetzungen für die Anwendung neuer naturwissenschaftlicher Methoden.

Die Herkunft der im Tollensetal aufgefundenen Opfer des Gewaltkonflikts gehört zu den zentralen Fragen des Forschungsprojekts. Die große Zahl an gut erhaltenen Menschenresten von über 140 überwiegend männlichen Individuen (S. 68) ist einmalig in Norddeutschland. Es bestand die Hoffnung, mithilfe der menschlichen Überreste Anhaltspunkte zur Herkunft der Individuen zu erhalten. Doch lassen sich Schädel nach ihrer Form unterteilen und erlauben sie gar Rückschlüsse auf ihre regionale Herkunft? Oder helfen eher andere naturwissenschaftliche Methoden bei der Verortung der Individuen? In der Archäologie wird mitunter von der archäometrischen Revolution gesprochen. Es ist bemerkenswert, welche neuen Einblicke in die Vergangenheit wir in den letzten Jahren neuen Methoden verdanken. Ein anschauliches Beispiel hierfür liefert die bekannte Bestattung der jungen Frau von Egtved in Jütland, Dänemark, die in der Zeit um 1370 v. Chr. in einem Baumsarg beigesetzt wurde. Neben materiellen Beigaben aus Bronze und Holz haben sich ebenfalls organische Überreste wie Haut, Nägel und Haare der Toten erhalten, die hervorragende Möglichkeiten für die Strontium-Isotopenanalysen bieten. Das lokale Strontium-Signal gelangt über die Nahrung sowie das Trinkwasser in den menschlichen Körper und wird dort gespeichert, wobei Fingernägel oder Haare die Werte der letzten Wochen bis Monate und Zähne die Bildungszeit in der Kindheit angeben. Auf der Basis der Resultate verschiedener Probenmaterialien postulierte eine Arbeitsgruppe die Rekonstruktion einer Mobilitäts-Biografie der Toten: Die junge Frau soll viel gereist sein und sich nur wenige Wochen vor ihrem Tod – nicht zum ersten Mal – vermutlich im Schwarzwald aufgehalten haben. Der Schwarzwald lässt sich durch sein auffälliges Strontium-Signal gut identifizieren, doch im bronzezeitlichen Mitteleuropa ist diese Region bislang nicht durch weiträumige Verbindungen besonders aufgefallen. Nach großer Aufmerksamkeit für diese Studie macht sich inzwischen Ernüchterung breit: Ein kritischer Beitrag hat die Einflüsse der modernen Landwirtschaft auf die heutigen Referenzwerte herausgearbeitet. Die Reiseziele der jungen Frau sehen die Autoren jener Studie daher eher im regionalen Umfeld des Bestattungsortes.

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84 | Im Dschungel der Methoden Mit der Strontium-Isotopenanalyse können durch den Vergleich der Werte der lokalen Fauna und von menschlichen Skelettresten Rückschlüsse auf lokale oder fremde Herkunft von Individuen gezogen werden. Doch Vorsicht, eine konkrete Bestimmung der Herkunft ist schwierig und die Basis für Vergleichsdaten ist noch unzureichend.

Hirse-Esser Auch für einige Opfer aus dem Tollensetal wurden Strontium-Iosotpenanalysen durch den amerikanischen Archäologen Theron Douglas Price durchgeführt. Da hier keine vollständigen Skelette vorliegen, wurden jeweils nur einzelne Zahnproben gemessen. Daher waren nur Aussagen zu den Aufenthaltsorten der Opfer lange Zeit vor ihrem Tod zu erwarten. Das örtliche Strontium-Signal wurde mit Proben von Tierresten ermittelt. Die Ergebnisse zeigen ein heterogenes Bild: Neben Individuen, deren Werte gut mit denen der lokalen Fauna übereinstimmen, gibt es einige Opfer, die mit höheren oder niedrigeren Werten deutlich vom lokalen Strontium-Signal abweichen. Auch wenn die Werte keine nähere Verortung dieser Opfer ermöglichen, spricht das Ergebnis für eine Herkunft eines Teils der beteiligten Kämpfer aus fremden bzw. weiter entfernten Gebieten. Das Muster der Strontium-Werte der Toten aus dem Tollensetal zeigt überraschende Parallelen zu den Opfern aus dem Massengrab des Dreißigjährigen Krieges von Wittstock. In Wittstock konnte die Herkunft eines Teils der Toten aus verschiedenen Ländern auch dank schriftlicher Quellen rekonstruiert werden. Diese Ergebnisse dürfen auf die Individuen aus dem Tollensetal nicht direkt übertragen werden, aber sie passen zu der Hypothese von Opfern unterschiedlicher Herkunft aus zum Teil weiter entfernten Regionen. Weitere Informationen zur Herkunft kann auch die Analyse des Kohlenstoff-Isotops 13C und des Stickstoff- Isotops 15N liefern, da beide Aufschluss über die Ernährung bieten. Während hohe 13C-Werte zwischen –13 und –17 Promille auf marine Nah-

rungsanteile schließen lassen, weisen Werte unter –19 Promille auf terrestrische Nahrungskomponenten hin. Mithilfe von Analysen der Stickstoffisotope lassen sich hingegen lange und kurze Nahrungsketten identifizieren, denn mit jeder Nahrungsstufe eines Lebewesens reichert sich der 15N-Wert um ca. 3 Promille an. Ein Fleischfresser wie der Wolf hat mit ca. 9 Promille also einen höheren 15N-Wert als ein von ihm verzehrtes Schaf mit ca. 6 Promille. Die längere Nahrungskette im Wasser ermöglicht mit dem 15N-Wert auch Individuen mit einem hohen Anteil an mariner Nahrung zu identifizieren. Da die Toten aus dem Tollensetal relativ hohe 13C-Werte zeigen, könnte man geneigt sein, eine Herkunft aus einem Küstengebiet zu vermuten. Doch die zugleich niedrigen 15N-Werte sprechen gegen eine Ernährung mit Meeresfisch. Vielmehr gibt es eine prähistorische Nahrungspflanze, die als Grund in Betracht kommt: Die Hirse kann bei häufigem Konsum hohe 13C-Werte bei zugleich niedrigen 15N-Werten in Menschenknochen verursachen. Allem Anschein nach haben einige der untersuchten Toten aus dem Tollensetal also regelmäßig Hirse konsumiert. Dieses Getreide gilt im Norden als neue Nahrungspflanze der Bronzezeit mit interessanten Eigenschaften: Rispenhirse ist relativ anspruchslos. Der römische Gelehrte Plinius der Ältere berichtete im 1. Jh. n. Chr., dass sie schon nach 40 Tagen gereift sei; heutige Hirse benötigt dazu 60 bis 90 Tage. Neben einer Verwendung als Grundnahrungsmittel kann sie auch zur Bierherstellung dienen. Diese Eigenschaften machten die Hirse – auch für mobile Gruppen – interessant; in der Spätbronzezeit bildete sie eine wichtige Nahrungskomponente. Die ursprünglich aus

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Nadeln als Wegweiser? |

Asien stammende Pflanze breitete sich in Europa von Süden nach Norden aus. In Norddeutschland etabliert sie sich spätestens im ausgehenden 13. Jh. v. Chr., also bald nach dem Gewaltereignis im Tollensetal. Insofern besteht die Frage, ob die Opfer aus dem Tollensetal mit deutlichem Hirsekonsum oder reichlich Genuss von Hirsebier auf eine südliche Herkunft hinweisen. Doch Vorsicht: Hirse ist durch Ausgrabungen botanisch schwer nachzuweisen und einzelne Funde lassen auch einen früheren Beginn der Hirsenutzung im Norden möglich erscheinen. Laufende Forschungen der Universität Kiel versprechen zukünftig mehr Klarheit zur Ausbreitung der Hirse als neue Nutzpflanze im Norden.

Naturwissenschaft versus Typologie

Die zahlreichen Bronzepfeilspitzen aus dem Tollensetal finden ihre Parallelen in einem Gebiet von der Mittelgebirgszone bis nach Mähren. Das abgebildete Exemplar mit Seitendorn an der Schafttülle findet seine direkte Parallele im Grab von Behringersdorf bei Nürnberg.

Die bisherigen Ergebnisse haben Indizien auf eine fremde oder gar südliche Herkunft eines Teils der beteiligten Kämpfer ergeben, doch sie liefern keine eindeutigen Aussagen. Auch erste paläogenetische Daten der Arbeitsgruppe von Joachim Burger an der Universität Mainz erlauben keine Auftrennung der untersuchten Individuen in zwei oder mehr Gruppen oder gar eine Verortung von Individuen. Vielmehr weisen die bisherigen Ergebnisse auf eine genetisch relativ homogene Gruppe hin. Doch was bedeutet dies für eine Population vor 3300 Jahren? Die Analyse der Skelettreste und eine Vermessung von mehr als 60 Schädeln hat bislang ebenfalls keine Gruppenbildung ergeben. Auch wenn sich die Schädelform in Zeit und Raum tendenziell leicht verändert, so bleibt es – angesichts der individuellen Variabilität und der bescheidenen Menge an Vergleichsmaterial der Bronzezeit aus Mecklenburg-Vorpommern – doch eine Herausforderung, Individuen anhand der Schädelmaße als Einheimische oder Fremde in der Bronzezeit zu identifizieren. Schließlich können auch Metallanalysen zur Herkunftsbestimmung beitragen. So konnten z. B. die Lagerstätten des Materials der Goldsterne auf der berühmten Himmelsscheibe von Nebra ermittelt werden. Jüngst ist es gelungen, das Zinn der Bronzefunde im Vorderen Orient, das lange Zeit auf östliche Rohstoffquellen zurückgeführt wurde, aus europäischen Lagerstätten herzuleiten. Eine Auswahl von Bronzen aus dem Tollensetal weist mit ihren Blei-Isotopenwerten auf eine Herkunft des Kupfers aus Lagerstätten im südöstlichen Mitteleuropa hin. Doch die Rohstoffherkunft muss nicht dem Ort der Produktion entsprechen und sowohl Rohmaterial als auch fertige Objekte können verhandelt worden sein. Für die beiden Zinnringe aus der Tollense ist bisher

leider keine Identifikation der Lagerstätte gelungen (S. 42). Vor dem Hintergrund der ernüchternden Ergebnisbilanz der bisher durchgeführten naturwissenschaftlichen Analysen erscheint eine Besinnung auf archäologische Methoden sinnvoll: Was sagt uns die typologische Bestimmung der Funde über die Herkunft der Opfer?

Nadeln als Wegweiser? Die meisten der ca. 330 Bronzefunde aus dem Tollensetal stammen aus einem Flussabschnitt von weniger als 5 km Länge. Sie gehören zu unterschiedlichen Kategorien und auch zeitlich repräsentieren sie verschiedene Abschnitte der Bronzezeit (S. 56). Daher können nur die Funde aus Periode III bzw. der Zeit um 1300 bis 1250 v. Chr. potenziell mit dem Gewaltereignis in Verbindung gebracht werden. Unter diesen Funden nehmen Waffen einen prominenten Anteil ein. Hier sind zunächst die zahlreichen bronzenen Pfeilspitzen zu nennen, die im Tollensetal überwiegend mit Tülle und einmal auch mit Schaftdorn gestaltet sind. Die Pfeilspitzenformen sind langlebig und daher erfasst eine Kartierung Funde mit einer zeitlichen Tiefe. Dennoch lassen sich eindeutige Verteilungstrends ablesen: Aus Südskandinavien liegen

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200 km

solche Bronzepfeilspitzen bislang kaum vor und in Norddeutschland sind sie eher selten. Gelegentlich treten sie als Beigabe in reichen männlichen Bestattungen wie in Peckatel oder in Neu Grebs, Mecklenburg-Vorpommern, auf (S. 63). In größerer Zahl sind sie weiter südlich vom Rheinland bis in die östliche Mittelgebirgszone zu finden, etwa an Fundstellen wie dem Sängersberg in Hessen oder der Heunischenburg in der Nähe von Coburg in Bayern. Auch weiter südlich im Alpenraum sind sie z. B. an der Rachelsburg im Inntal, Bayern, in größerer Zahl überliefert. Doch ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich bis nach Mähren, wo den Pfeilspitzen aus dem Tollensetal ähnliche Typen z. B. an der bekannten Fundstelle Velim in Tschechien zahlreich vorkommen. Ohne Zweifel waren Bronzepfeilspitzen und die Bewaffnung mit Pfeil und Bogen typisch für das Gebiet von der Mittelgebirgszone bis nach Mähren. Dies kann als Indiz für eine Verbindung in diese südlichen Regionen gewertet werden. Allerdings ist es möglich, dass – wie die genannten Grabfunde nahelegen – die Pfeilspitzen über Handelsverbindungen bis nach Nordostdeutsch-

land gelangten. Die im Tollensetal belegte Anzahl von über 50 Exemplaren ist jedoch bislang einmalig in der nördlichen Tiefebene. Als weitere prominente Waffe ist ein aus der Tollense geborgenes Schwert vom Typ Riegsee zu nennen. Dieser Schwerttyp hat seine Hauptverbreitung von Franken bis nach Ungarn; seine Entwicklung ist wahrscheinlich im Gebiet des heutigen Bayerns zu verorten. Weiter nördlich tritt der Typ Riegsee nur vereinzelt auf: Neben dem Tollensetal sind ein Einzelfund aus Löwenberg nahe der Havel in Brandenburg und ein Grabfund aus Trevad in Nordjütland in Dänemark zu nennen. Vor diesem Hintergrund erscheint Handel als Erklärung für den isolierten Fund aus der Tollense wenig wahrscheinlich. Vielmehr kann dieses Schwert – auch wenn es zu einem Hortfund gehört – vermutlich ebenfalls als Hinweis für beteiligte Kämpfer aus der südlichen Mittelgebirgszone oder dem südlichen Mitteleuropa dienen. Als weiterer nicht lokaler Waffentyp sei ein böhmisches Absatzbeil genannt, das im Bereich der Talquerung im Fluss entdeckt wurde (S. 51). Zeitlich ge-

Die Karte fasst die Herkunftsregionen verschiedener Fundkategorien aus dem Tollensetal zusammmen. Es gibt eine wachsende Zahl von Hinweisen auf eine südliche Herkunft eines Teils der Opfer. Die Sterne zeigen Exemplare der jeweiligen Fundkategorie außerhalb des Hauptverbreitungsgebietes an.

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Nadeln als Wegweiser? |

hört es in die Periode III. Ein Zusammenhang mit den Überresten des Gewaltkonflikts ist daher wahrscheinlich. Schon sein Name weist auf eine Herkunft aus dem Südosten hin. Im Norden ist das böhmische Absatzbeil – wie es der deutsche Prähistoriker Hermanfrid Schubart vor Jahren formulierte – »als Fremdling nur in wenigen Exemplaren eingedrungen«. Auch wenn ein Weg des Beils in den Norden durch Handel möglich ist, so erscheint eine Interpretation als Teil einer persönlichen Kriegerausrüstung naheliegender. Während Waffen vor allem unter Gesichtspunkten wie Funktionalität, Herstellungsaufwand und Verfügbarkeit zu betrachten sind, galten für persönliche Trachtbestandteile sicher andere Regeln: Kleidung war nicht nur Witterungsschutz, sondern bildete zusammen mit dem Trachtschmuck auch ein wichtiges Element der (Selbst-)Darstellung von Status und Herkunft. Als Teil der Identität konnten Tracht und Schmuck nicht einfach durch fremde Bestandteile ersetzt werden. Insofern sind sie geeignet, etwas über die Herkunft von Personen zu verraten. Vor allem den Nadeln, die zahlreich aus dem Tollensetal vorliegen, kommt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle zu. Vier Nadeln wurden allein im Fluss an der Fundstelle Weltzin 28 entdeckt (S. 30, 45); ihre Fundlage weist auf einen unmittelbaren Zusammenhang mit den wenigen dort entdeckten Menschenresten hin. Nadeln dienen zum Schließen des Gewands; sie finden sich in der Hügelgräberbronzezeit und Ur-

Von verschiedenen Stellen im Tollensetal liegen Gewandnadeln vor. Die abgebildete Nadel ist im Norden fremd und ihr Hauptverbreitungsgebiet liegt im südöstlichen Mitteleuropa.

Im Tollensetal wurde wenige Goldspiralringe entdeckt. Nach Untersuchungen von Jens-Peter Schmidt finden diese Formen mit tordierten Enden ihre besten typologischen Parallelen im südlichen Mitteleuropa.

nenfelderzeit in Frauen- und Männerbestattungen als Beigabe. Interessant ist ihre prominente Rolle in dem bekannten Männerfriedhof von Neckarsulm, BadenWürttemberg aus dem 12. Jh. v. Chr., der als Kriegerfriedhof interpretiert wird. Hier kommen Nadeln in acht von 52 Gräbern vor. Auch im Kriegergrab von Worms– Herrnsheim gehört neben Schwert, Messer und einem Satz bronzener Schaftdorn- und Tüllenpfeilspitzen eine Nadel zur Ausstattung. Die Zuweisung der Exemplare aus dem Tollensetal zur Kriegertracht erscheint vor diesem Hintergrund plausibel. Die meisten der dort gefundenen Nadeln haben ihr Hauptverbreitungsgebiet jeweils im südöstlichen Mitteleuropa von Bayern bis Mähren. Die Funde aus dem Tollensetal gehören jeweils zu den nördlichsten Vertretern. Am deutlichsten weisen also vielleicht die Nadeln auf eine Herkunft beteiligter Kämpfer aus dem Süden bzw. Südosten hin. Dabei ist es für unsere Frage nicht entscheidend, ob sie unmittelbar mit den Opfern oder im Rahmen von Opferhandlungen später in den Fluss gelangten. Kürzlich konnte der Bronzezeitspezialist Jens- Peter Schmidt zeigen, dass die im Tollensetal an verschiedenen Stellen entdeckten Goldspiralringe (S. 39, 58) ebenfalls gute Entsprechungen im südlichen Mitteleuropa finden. Insgesamt gibt es eine wachsende Zahl von Argumenten für eine Auseinandersetzung von regionalen Kräften mit einer großen fremden Gruppe, zu der allem Anschein nach Krieger aus dem südlichen Mitteleuropa gehörten. Damit spricht vieles für eine überregionale Dimension des Konflikts (S. 89).

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Krieg? Ein Rekonstruktionsversuch Joachim Krüger, Sebastian Lorenz, Gundula Lidke und Thomas Terberger

Hunderte Männer stürmen mit Lanzen und Holzknüppeln bewaffnet der Brücke entgegen, auf der ein behelmter Mann mit erhobenem Schwert der Meute entgegenreitet. Auch Bogenschützen und von Pfeilen durchbohrte Opfer sind zu sehen. Karol Schauer verdanken wir diese eindrucksvolle Rekonstruktion auf der Basis der wissenschaftlichen Ergebnisse. Doch Vorsicht: Das Bild darf nur als ein erster Versuch gewertet werden, denn können wir überhaupt auf Basis der bisherigen archäologischen Funde einen größeren Konflikt an einer Brücke rekonstruieren? Die Auswertung bezeugt eine besondere Zusammensetzung der Gruppe der Verstorbenen: Bei den mindestens 144 Individuen handelt es sich nahezu ausschließlich um Männer im Alter von etwa 18 bis 40 Jahren. Im Zusammenspiel mit der hohen Zahl an Verletzungen muss an einem Gewaltereignis als Ursache für die zahlreichen Menschenknochen und Bronzeobjekte/ -waffen nicht mehr gezweifelt werden. Die Untersuchungen zur Fundschichtentstehung deuten auf kleinräumige Verlagerungen der Skelettreste nach der Zersetzung von Wasserleichen hin und die Opfer scheinen annähernd dort verblieben zu sein, wo sie vor nahezu 3300 Jahren ihren Tod gefunden haben (S. 68, 73). Die Lagerung der Leichen im feuchten Milieu als Voraussetzung für die Erhaltung der Knochen wurde schon erläutert. Insofern hatten abseits des Flusses verbliebene Opfer keine Chance der Überlieferung. Die siegreiche Partei wird ferner ihre Toten – soweit möglich – an anderer Stelle ehrenhaft bestattet haben. Für die Rekonstruktion der Geschehnisse sind solche Überlieferungsfilter zu berücksichtigen.

Die Talquerung als Ausgangpunkt?

Diese Rekonstruktion des Kampfgeschehens von Karol Schauer basiert auf verschiedenen wissenschaftlichen Ergebnissen, bleibt aber natürlich subjektiv.

Zu Beginn der Forschungen war zunächst unklar, ob die an verschiedenen Stellen gefundenen Menschenreste miteinander in Verbindung stehen. Im Tollensetal befinden sich im Umfeld neben einem Burgwall aus slawischer Zeit auch die mittelalterliche Burgruine Conerow, eine niederadlige Burg in der Gemarkung Kölln, und die Burg Klempenow. Insofern muss es nicht überraschen, dass mittelalterliche Funde – darunter auch menschliche Überreste mit Verletzun-

gen – auftreten. Der Zusammenhang mit der Bronzezeit musste für manchen Fund aus dem Tal daher erst nachgewiesen werden. Im Fall der Metallfunde war die Bestimmung unproblematisch: Die Bronzeobjekte lassen sich auffallend häufig mit Periode III der Nordischen Bronzezeit (1300– 1100 v. Chr.) in Verbindung bringen (S. 57). Wenige dendrochronologische Bestimmungen weisen – dazu passend – an Fundstelle Weltzin 13 Holzbauaktivitäten um 1320 und 1220 v. Chr nach (S. 52). Mehr als 100 Radiokarbondaten von Knochenund Holzproben fallen überwiegend ebenfalls in die Zeit von ca. 1350 bis 1200 v. Chr. Die Daten werden mit einem Plus-/ Minuswert angegeben, der methodenbedingt einen Zeitraum umschreibt, in den das Datum sehr wahrscheinlich hineingehört. Eine jahrgenaue Bestimmung eines Fundes ist mit der Radiokarbonmethode nicht möglich, zumal die Ergebnisse für Menschenknochen auch durch bestimmte Nahrungsmittel leicht verfälscht sein können. Die besten Radiokarbondaten aus dem Tollensetal verdanken wir hölzernen Pfeilschaftresten aus den Tüllen bronzener Pfeilspitzen. Hier fällt das Ergebnis überzeugend aus: Die Daten der Pfeilspitzen von unterschiedlichen Stellen stimmen sehr gut überein und sprechen – im Einklang mit den übrigen Ergebnissen – für eine Datierung der Kampfhandlungen in den Zeitraum von 1300 bis 1250 v. Chr. Wenn wir die bronzezeitlichen Menschenreste in ihrer Gesamtheit auf ein bestimmtes Ereignis zurückführen, so können wir dafür nicht primär die Datierungen anführen, sondern andere Argumente: Auch wenn die Fundschicht an den verschiedenen Stellen in unterschiedlichen Sedimenten liegt, ist die Erhaltung der Überreste (inklusive Verlagerung und Fehlen von Verbissspuren) jeweils sehr ähnlich. Die Zusammensetzung der Alters- und Geschlechtsverteilung der nachgewiesenen menschlichen Individuen zeigt ebenfalls große Übereinstimmung. Hinzu kommen die übereinstimmenden Verletzungsmuster und Waffenfunde, die auf Pfeil und Bogen als wichtigen Bestandteil der Kampfausrüstung hinweisen. Auch die Verteilung der Funde über eine größere Strecke des Flusses erscheint uns mit einem Ereignis besser erklärbar zu sein. Eine Verteilung über eine

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größere Fläche kennen wir u. a. auch von den römerzeitlichen Schlachten von Kalkriese und vom Harzhorn (S. 17). Nach heutigem Kenntnisstand liegen flussaufwärts die ersten Menschenknochen aus der Zeit um 1300 v. Chr. in Höhe der Talquerung vor. Es sind die Überreste von vergleichsweise wenigen Individuen von Fundstelle Weltzin 13. Auch haben die Sondierungen im Bereich der Trasse zumindest Pferdezähne aus der Zeit um 1300 v. Chr. geliefert. Obwohl wir noch nicht wissen, ob sich im Bereich der Talquerung – wie auf der Rekonstruktion dargestellt – eine Brücke befunden hat, so handelt es sich doch um einen zum Zeitpunkt des Gewaltereignisses seit etwa 500 Jahren genutzten Weg mit der Flussquerung als Nadelöhr. Es liegt nahe, hier den Ausgangspunkt der Kampfhandlungen zu vermuten, zumal die Flussquerung auch die Möglichkeit bot, eine größere Gruppe zu teilen und ihr den Rückweg zu versperren.

Ob sich allerdings eine Gruppe von Westen oder Osten her genähert hat, ist aufgrund der begrenzten Ausgrabungen noch unsicher. Da die Skelettreste vor allem auf der Westseite aufgedeckt wurden, ist für diese Uferseite ein intensives Kampfgeschehen anzunehmen. Allerdings haben die Tauchprospektionen auch immer wieder menschliche Gebeine im Ostufer der Tollense lokalisiert. Die Annäherung einer größeren Gruppe von Westen ist daher als Arbeitshypothese anzusehen.

Blick über das Tollensetal nach Norden. Im Vordergrund lag die bronzezeitliche Talquerung. Der Rekonstruktion nach hat sich das Kampfgeschehen von dort ausgehend in Blickrichtung entlang des Flusses etwa bis zur Höhe des Rapsfeldes (links) abgespielt.

Ungeahnte Dimension Eines der wenigen schon länger bekannten Zeugnisse bronzezeitlicher Gewalt verdanken wir einer Entdeckung in den Niederlanden. Bei Wassenaar wurde im Rahmen einer Notgrabung ein Mehrfachgrab mit 12 Individuen aus der Zeit um 1700 v. Chr. entdeckt.

Die Verletzungen der Opfer von Fundplatz Weltzin 20 gehen in größerer Zahl auf rückwärtigen Pfeilbeschuss zurück.

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Überfall am Fluss |

Deutliche Spuren von Gewalt lassen einen Überfall als Ursache für das Grab vermuten (S. 94). Dieser ungewöhnliche Befund veranlasste den niederländischen Prähistoriker Leendert Louwe-Kooijmanns 1993 von einer bis dahin ungeahnten Dimension von Gewalt zu sprechen. Vor dem Hintergrund des heutigen Kenntnisstandes erscheint die Zahl von 12 Individuen überschaubar, denn aus dem Tollensetal ist inzwischen die zwölffache Opferzahl nachgewiesen. Dabei gibt es gute Gründe, von einer deutlich größeren Anzahl beteiligter Kämpfer auszugehen. Bislang wurde mit ca. 500 m2 nur ein Ausschnitt der Flächen mit erhaltener Fundschicht untersucht. Abgesehen von den bereits durch den Fluss und Baggerungen zerstörten Arealen lassen sich nicht nur an Fundplatz Weltzin 20 aus der Verbreitung der Funde weitere größere Flächen mit Skelettresten flussaufwärts und -abwärts erschließen. Nimmt man an, dass bislang etwa ein Drittel aller erhaltenen Opfer aufgefunden wurde, dann ergibt sich eine Gesamtzahl von ca. 430 Individuen im Tal. Berücksichtigt man dann nach den Kampfhandlungen geborgene Individuen sowie die nicht erhaltenen Leichen, kann die Opferzahl auch deutlich höher gewesen sein. Ebenso könnte man gegenteilig argumentieren, dass die bislang entdeckten Menschenreste schon einen wesentlichen Teil der Opfer repräsentieren und kaum noch Knochen unentdeckt im Tal lagern; angesichts der in den letzten Jahren von den Tauchern neu entdeckten Gebeine erscheint dies allerdings als ein wenig wahrscheinliches Szenario. Nimmt man also insgesamt ca. 430 Individuen (33 Prozent aller erhaltenen Opfer) oder ca. 570 Individuen (25 Prozent aller erhaltenen Opfer) an, dann

ist zur Bestimmung der beteiligten Kämpfer im nächsten Schritt die Todesrate zu berücksichtigen. Geht man von einer Todesrate von 25 Prozent bei den Kampfhandlungen aus – ein durchaus plausibler Wert für Kampfhandlungen mit Pfeil und Bogen –, so ergeben sich ca. 1700 bis ca. 2300 Beteiligte. Bei einer deutlich höheren Todesrate von 50 Prozent halbiert sich diese Zahl auf 850 bis 1150 Kämpfer. Aufgrund der zuvor genannten Erhaltungsfilter gibt es jedoch auch Argumente für eine deutlich höhere Zahl von bis zu 4000 Kämpfern (1000 Opfer, Todesrate 25 Prozent).

Überfall am Fluss Unabhängig von der Frage, welcher Hochrechnung der Opferzahlen man zuneigt – die Funde aus dem Tollensetal gehen erheblich über das Niveau eines lokalen Überfalls, wie er sich wahrscheinlich in Wassenaar widerspiegelt, hinaus. Gehen wir von zwei feindlich aufeinandertreffenden Gruppen und der Flussquerung als Ausgangspunkt aus, so näherten sich Hunderte von Bewaffneten dieser Stelle. Die zahlreichen Schussverletzungen führen uns zu der Vermutung eines Pfeilhagels auf eine große Gruppe während oder kurz vor der Querung des Flusstals. Das Flusstal und die Querung sind strategisch günstig gelegen, da diese Engstelle wenig Platz bietet und von den Randhöhen aus grundsätzlich einsehbar ist. Die Vegetation der Talhänge lässt sich allerdings nicht eindeutig rekonstruieren; vermutlich waren die Hänge verbuscht oder licht bewaldet. Es ist gut möglich, dass der Angriff auf der westlichen Flussseite von Süden her erfolgte und zugleich auch von Osten her Angreifer auf dem Talhang heranstürmten und so eine Flucht über den Damm verhinderten. Die Bedrohten mussten entlang des Flusses nach Norden flüchten, wo sie von Bogenschützen vom Talhang aus leicht beschossen werden konnten. Die Verfolgten versuchen im sumpfigen Tal Richtung Osten zu entkommen und erreichen an verschiedenen Stellen den Fluss. Vielversprechend für die Flucht erschien der Bereich an Fundstelle Weltzin 20, wo das Terrain durch einen Schwemmfächer vom Talhang her etwas erhöht liegt. Doch die Tollense bildet eine Barriere, und so wurden die Flüchtenden für die Angreifer ein noch leichteres Ziel. Hier kam es zu rückwärtigen Pfeilschussverletzungen in Oberarm und Hinterkopf. Am Fluss wurden schließlich auch Nahkampfwaffen wie Lanzen und Holzkeulen eingesetzt, wovon die hölzernen Waffen und Schädel mit schweren Impressionen zeugen (S. 38, 73). Ob ein Teil der Flüchtenden über die Tollense entkam, bleibt unklar. Zahlreiche Funde aus

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dem Fluss bezeugen vermutlich Kampfhandlungen bis in das Gewässer hinein. Nach dem hier postulierten Szenario war der Ablauf der Geschehnisse an den anderen (Fund-)Stellen ähnlich. Nach den Kampfhandlungen ist es denkbar, dass es zu Hinrichtungen und Opferungen gekommen ist. Zugängliche Leichen wurden – insbesondere an Fundplatz Weltzin 20 – geplündert. Aus Kriegsereignissen in neuerer Zeit, beispielsweise dem Dreißigjährigen Krieg, weiß man, dass den Toten selbst Kleidung und Stiefel abgenommen wurden. Möglicherweise trug man im Tollensetal auch Opfer an bestimmten Stellen zusammen und/ oder warf Leichen ins Wasser. Auch Opferungen erbeuteter Ausrüstungsgegenstände sind in Betracht zu ziehen, wie wir sie aus der Römischen Kaiserzeit (ca. 0– 400 n. Chr.) von Fundstellen wie dem schleswig-holsteinischen Thorsberg oder von Nydam und Illerup Ǻdal in Dänemark kennen. Wir sind uns bewusst, dass die vor-

liegenden Daten auch andere Rekonstruktionen der Geschehnisse zulassen und zukünftige Ergebnisse mögen die Interpretation verändern. Unklar ist auch noch, welche Rolle die Pferde spielten, und ob die Krieger tatsächlich mit Mänteln aus Wolle oder Leder bekleidet waren, wie es die anfangs erwähnte zeichnerische Rekonstruktion zeigt. Aus bronzezeitlichen Baumsargbestattungen kennen wir erhaltene Wollmäntel und -kappen, die seit Jahrzehnten die Rekonstruktion der Kleidung der Menschen jener Epoche prägen. Kleidung aus Wolle und Leder dürfte weit verbreitet gewesen sein und leichte Schutzwaffen und -ausrüstung aus Holz und Leder sind anzunehmen. Die zahlreichen Verletzungen im Brust- und Rückenbereich sprechen jedoch gegen einen effektiven Körperschutz. Auch die Verwendung von Lederkappen oder einzelnen Bronzehelmen ist denkbar, die schwere Verletzungen jedoch nicht unbedingt verhindert haben (S. 73, 102). Schließlich ist

Plünderungen, wie sie für den Dreißigjährigen Krieg in Gemälden festgehalten sind, dürften auch im Tollensetal stattgefunden haben. Nur so lässt sich das Fehlen von Bronzefunden an Fundplatz Weltzin 20 erklären, während an anderen Fundstellen durchaus wertvolle Metallobjekte offensichtlich nicht zugänglicher Opfer überliefert sind.

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Konfliktursachen in der Diskussion |

Die zahlreichen Menschenreste von Fundstelle Weltzin 20 gehen wahrscheinlich auf ein Kampfgeschehen mit über 1500 beteiligten Kämpfern zurück.

die Verwendung von Pferden als Reittieren infrage zu stellen, denn bronzezeitliche Objekte wie der berühmte Sonnenwagen von Trundholm aus Dänemark und auch Felsbilder zeigen Pferde als Zugtiere. Mit einem Stockmaß von etwa 1,45 m handelte es sich um große Ponys, die allerdings durchaus als wendige Reittiere dienen können.

Konfliktursachen in der Diskussion Die Suche nach den Ursachen für den Konflikt ist so wichtig wie spekulativ. Geht man von zwei Konfliktparteien aus, so erscheint für eine Gruppe ein regionaler Ursprung wahrscheinlich, der sich allerdings im Fundmaterial bis heute nicht eindeutig nachweisen lässt, auch wenn Flintpfeilspitzen sicher regionale Produkte sind. Zumindest für einen Teil der beteiligten Kämpfer lässt sich vor allem durch typologische Über-

legungen inzwischen eine Herkunft aus dem südlichen Mitteleuropa wahrscheinlich machen (S. 83). Dies passt zu der beachtlichen rekonstruierten Dimension, die gegen einen lokalen Konflikt um Vieh oder Land spricht. Zudem weist der Männerfriedhof von Neckarsulm in Baden-Württemberg auf die Entwicklung von Kriegergemeinschaften als neues Element der bronzezeitlichen Gesellschaft im 13./12. Jh. v. Chr. hin. Wenn unsere Annahme stimmt, dass die zur Zeit der Schlacht im Tal seit 500 Jahren genutzte Talquerung einen alten Ost-West-Handelsweg von der Oder zur mecklenburgischen Seenplatte markiert und zugleich die Tollense als Nord-Süd-Verbindung in Richtung Ostsee diente, dann handelte es sich um eine wichtige Kreuzung, deren Kontrolle von strategischer Bedeutung war. Für den östlichen Mittelmeerraum kann mit dem Schiffswrack von Uluburun für die Zeit des späten 14. Jh. v. Chr. der beachtliche Umfang und Wert einer Schiffsladung veranschau-

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licht werden. Vor diesem Hintergrund sollten wir uns den Handel in Mitteleuropa nicht zu kleinteilig vorstellen. Dieser dürfte weniger von Einzelpersonen oder Kleingruppen als vielmehr von ganzen Gruppen mit zahlreichen Packtieren getragen worden sein, um die Nachfrage nach Rohstoffen wie Kupfer und Zinn, aber auch Wolle und Gold zu decken (S. 96). Solche Expeditionen bedurften des Schutzes vor Plünderungen. Es muss attraktiv gewesen sein, solche Wegkreuzungen zu kontrollieren und wirtschaftlich zu nutzen, sei es über den Handel mit Gütern selbst oder über Abgaben und Dienstleistungen. Vor diesem Hintergrund überrascht es, dass es bislang nicht gelungen ist, eine größere Siedlung im unmittelbaren Umfeld der Talquerung zu lokalisieren. Im wenige Kilometer weiter nördlich gelegenen Golchener Forst weisen größere Gruppen erhaltener Grabhügel auf eine ursprünglich intensive Besiedlung der Umgebung des Tollensetals hin. Aus neuzeitlichen Quellen gibt es für die Region zudem Hinweise auf die Nutzung von Salzquellen, was sich für die Bronzezeit aber in keiner Form nachweisen lässt. Die Erforschung der regionalen bronzezeitlichen Besiedlung und Umweltbedingungen ist daher eine Aufgabe für weitere Forschungen. Handelt es sich im Tollensetal um den ersten Kriegsschauplatz der Bronzezeit? Das ist eine Frage der Definition. Für den Begriff des Krieges wird häufig ein Mindestmaß an professioneller militärischer Organisation vorausgesetzt, die wir aus den bisherigen Kenntnissen zur bronzezeitlichen Gesellschaft in Mittel- und Nordeuropa nicht ableiten können. Für die unerwartete Dimension des Konfliktes können aber auch Warlords mit ihren regionalen Gefolgschaften verantwortlich sein, die sich z. B. für den Schutz von Händlern oder eben Raubzüge und/ oder für Landraub als Zweckgemeinschaft vorübergehend zusammengeschlossen haben; einer Zentralmacht bedarf ein solches Bündnis nicht. Spätestens hier wird deutlich, dass die Ergebnisse aus dem Tollensetal auch zur Reflektion über die bronzezeitliche Gesellschaftsordnung beitragen. Das traditionelle Bild einer bäuerlichen Gesellschaft, die in Weilern ohne zentralen Ort, wie etwa eine Burg oder eine Großsiedlung, in Norddeutschland lebte, passt nicht gut zur Rekonstruktion eines Gewaltkonflikts im Tollensetal mit größeren Konfliktparteien oder gar überregionalen Machtkämpfen. Sehr wahrscheinlich war der Konflikt von historischer Dimension, der Eingang in das kulturelle Gedächtnis der bronzezeitlichen Menschen im Norden gefunden hat. Auch wenn wir die Siegerpartei nicht kennen, so wird das Tollensetal für Jahrhunderte ein Ort des Schreckens oder zumindest des Gedenkens gewesen sein.

Wassenaar – ein ungewöhnliches Grab aus der Zeit um 1700 v. Chr. Leendert Louwe Kooijmanns Eine kleine Notgrabung bei Wassenaar nördlich von Den Haag führte Anfang der 1990er Jahre unerwartet zur Entdeckung eines außergewöhnlichen Grabes von zwölf Personen unterschiedlichen Geschlechts und verschiedener Altersstufen. Während sonst nur selten menschliche Skelettreste im sandigen Boden der Niederlande überliefert sind, waren hier die Knochen, aufgrund der Lage des Fundplatzes auf einer kleinen Düne in einer vermoorten Strandebene, im Feuchtboden noch ziemlich gut erhalten. Es handelt sich um sechs erwachsene Männer, zwei junge Frauen, zwei Jugendliche und zwei kleine, nur anderthalb und dreieinhalb Jahre alte Kinder. Die Toten waren mit großer Sorgfalt in einer großen Grube zusammen bestattet worden. Die Position und Lage der Verstorbenen zeigt ein nach Alter und Geschlecht differenziertes Muster. Die sechs Männer liegen alle in Rückenlage: Zwei in zentraler Position mit gestreckten Beinen, die vier daneben liegenden Individuen hingegen mit angezogenen Beinen. Am nördlichen Rand der Gruppe liegt eine junge Frau in Bauchlage mit einem (ihrem?) jungen Kind. Am südlichen Rand befindet sich das schlecht erhaltene Skelett einer zweiten Person in Bauchlage, wahrscheinlich eine weitere Frau. Daneben liegen schließlich noch zwei Jugendliche in Seitenlage. Offensichtlich sind die Verstorbenen als Verwandte oder Gruppenmitglieder beerdigt worden. Das Grab ist daher als eine Mehrfach- oder Gruppenbestattung anzusehen und nicht als ein Massengrab mit ungeordnet in eine Grube geworfenen Toten. Fünf Individuen wurden eindeutig Opfer von Gewalt. Im Brustkorbbereich von Individuum 10 lag eine Feuersteinpfeilspitze, die auf einen tödlichen Schuss zurückgehen dürfte. Drei der Skelette zeigen unverheilte Hiebverletzungen am Oberarm. Bei dem Kleinkind wurde der Kopf getrennt im Arm eines erwachsenen Mannes begraben. Die Todesursache lässt sich nicht an allen Skeletten nachweisen, aber der ungewöhnliche Befund und die verschiedenen Spuren von Gewalt sprechen dafür, dass es sich insgesamt um Opfer eines Gewaltereignisses handelt; vermutlich gehen die Toten auf einen Überfall auf eine kleine Bauerngemeinschaft zurück. Die Typologie Die in Individuum 10 von der Pfeilspitze datiert das Ereignis an den Übergang von Wassenaar gefundene der Frühen zur Mittleren Bronzezeit und eine 14C-Datie- Feuersteinpfeilspitze. rung erlaubt eine nähere Eingrenzung auf die Zeit um 1700 v. Chr. Die kleinen offenen Siedlungen mit langen Wohnstallhäusern haben lange das Bild einer friedlichen Bauerngesellschaft in den Niederlande während der Bronzezeit geprägt. Mit der Entdeckung des Grabes von Wassenaar hat sich diese Vorstellung deutlich verändert. Die seltenen Waffenbeigaben in den Gräbern und Waffendeponierungen erscheinen heute in neuem Licht. Dieses

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50 cm

Das Mehrfachgrab von Wassenaar geht allem Anschein nach auf einen Überfall zurück, denn es waren Männer, Frauen und Kinder von der Gewalt betroffen.

Zeugnis von Gewalt war auch deshalb unerwartet, weil in dieser Zeit keine Befestigungsanlagen gebaut wurden. Offensichtich boten nur die großen Häuser in den Siedlungen einen gewissen Schutz. Die Frage nach dem Motiv dieser Gewalt ist nicht leicht zu beantworten. Alles weist auf einen brutalen, rücksichtlosen Angriff hin, bei dem Frauen und Kinder nicht verschont wurden. Dieses Merkmal spricht für einen überraschenden Raubüberfall. Bei den Tätern dürfte es sich nicht um die unmittelbaren Nachbarn handeln, sondern eher um Fremde, die einige Tagesreisen entfernt lebten. Auf welche Beute es die Täter in Wassenaar abgesehen hatten, lässt sich nicht erschließen. Wir können allerdings feststellen, dass zwei junge Frauen getötet und nicht entführt wurden. Insofern könnte gut das Vieh die Beute in dieser Viehzüchtergesellschaft gewesen sein. Wassenaar befindet sich in einem Gebiet mit ausgedehnten, nur schwierig zu durchquerenden Mooren des Niederrheinischen Mündungsgebietes. Wahrscheinlich kamen die Angreifer daher aus anderen Teilen des nie-

derländischen Küstenbereichs, vermutlich weniger als 100 km entfernt. Die Erkenntnisse aus dem Tollensetal und von Wassenaar liefern uns ein unterschiedliches Bild eines im Wesen gleichen Aspekts der bronzezeitlichen Gesellschaft: ein gewalttätiger Angriff von einer auf eine andere Gemeinschaft. Im Fall der Funde aus dem Tollensetal sehen wir die Überreste des Tatorts bzw. des Schlachtfeldes mit den Überresten der menschlichen Opfer, soweit diese nicht geborgen werden konnten oder sollten. Im Fall von Wassenaar handelt es sich um eine formelle Beerdigung der Toten, die wahrscheinlich in der überfallenen Siedlung geborgen wurden. Neben dem zeitlichen Abstand von etwa 400 Jahren gibt es auch einen wichtigen Unterschied in geografischer Hinsicht: Im Tollensetal war es ein interregionaler und in Wassenaar eher ein intraregionaler Konflikt. Die beiden einzigartigen Befunde werfen schließlich die Frage auf, ob und inwieweit diese Zeugnisse von Gewalt repräsentativ für die Verhältnisse in der Bronzezeit sind.

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Bronze, Glas und Seide Armer Norden – reicher Süden? Thomas Terberger

In Deutschland gelten momentan die südlichen Bundesländer als reich und der Norden als eher arm. Wohlstand darf jedoch nicht mit Lebenszufriedenheit verwechselt werden, die bekanntlich heute vor allem in Skandinavien zu Hause ist. Das Glück des bronzezeitlichen Menschen lässt sich kaum erschließen, aber archäologische Methoden ermöglichen uns Einblicke in die wirtschaftliche Entwicklung. Die Basis bildete in der Bronzezeit nach wie vor die Landwirtschaft, wobei vor allem in Südskandinavien um die Mitte des 2. Jt. erstmals Häuser aufkommen, in denen das Vieh in Boxen aufgestallt wurde. Neben dem Rind gehörten Schwein sowie Schaf und Ziege zum Haustierbestand. Unter den Nutzpflanzen treten neben den altbekannten Getreidesorten die Pferdebohne und die Hirse als neue Elemente auf, wobei sich Letztere erst ab ca. 1300 v. Chr. im Norden verbreitet. Erst in den letzten Jahren sind wirtschaftliche Fragen wieder verstärkt in den Blickpunkt der Bronzezeitforschung gerückt, und moderne Methoden helfen uns, neue Einblicke in die Herkunft von Rohstoffen, Objekten und Menschen zu bekommen (S. 83). Dabei sind jedoch auch Grenzen nicht zu übersehen, denn organische Materialien oder Stoffe wie Salz sind als mögliche Handelsgüter kaum nachzuweisen. Die Diskussion zum Handel dominieren daher vor allem die Metallfunde. Nicht ohne Grund verleiht der neue Werkstoff der Bronzezeit ihren Namen: Ab 2200 v. Chr. verbreitet sich die Legierung aus Kupfer (ca. 90 Prozent) und Zinn (ca. 10 Prozent) nach und nach über ganz Europa. So entstand – wie es die dänische Forscherin Helle Vandkilde ausdrückt – eine frühe »bronzisierte« oder globalisierte Gesellschaft. Weitreichende Kontaktnetzwerke lassen sich schon für eiszeitliche Jäger-Sammler vor über 25 000 Jahren anhand kleiner Schmuckschnecken nachweisen, die vom Mittelmeer bis zum Linsenberg im Stadtgebiet von Mainz gelangten. Auch in der Jungsteinzeit wurden etwa Flint oder andere Rohstoffe über weite Strecken verbreitet. Doch in der Bronzezeit gewinnt der Austausch eine neue Qualität. Dafür war insbesondere die ungleiche Verteilung der Rohstoffe verantwortlich, und mit dem Aufkommen von Metall gewinnt auch das Spezialwissen von Menschen weiter an Bedeutung. Kupfervorkommen finden sich auf der Iberischen Halbinsel, in Südosteuropa, im Alpen-

raum und auch im Erzgebirge. Solche Lagerstätten begünstigten die Entstehung früher bronzezeitlicher Gesellschaften wie der Aunjetitzer Kultur im Gebiet von Mitteldeutschland bis nach Böhmen. Das seltene Zinn konnte wahrscheinlich ebenfalls im Erzgebirge gewonnen werden, doch bedeutende Zinnlagerstätten der Bronzezeit scheinen vor allem in Cornwall, Südwest-England, gelegen zu haben. Im Norden gibt es keine Zinn- und nur geringe Kupfervorkommen auf der Insel Helgoland, die erst im Mittelalter ausgebeutet wurden. Für Norddeutschland ist dann der Harz zu erwähnen, der bislang ebenfalls keine Nachweise für bronzezeitliche Kupfergewinnung geliefert hat. Bronze und ihre Rohstoffe müssen demnach durch Handel in den Norden gelangt sein. Daher mag es überraschen, dass das Bronzehandwerk im 2. Jt. v. Chr. in Norddeutschland und Südskandinavien eine sehr dynamische Entwicklung nahm. Gehen die ersten im Norden verwendeten Bronzen noch auf südliche und westliche Importe zurück, so entwickelt sich rasch ein Bronzehandwerk mit eigenen Formen und Traditionen. Die neuen Verbindungen beförderten die Entstehung neuen Wissens und veränderten die Gesellschaft. Daher sprechen wir vom sogenannten Nordischen Kreis der Bronzezeit.

Mit Schiff und Wagen In einer globalisierten Welt spielen Infrastruktur und Logistik eine wichtige Rolle. In der Bronzezeit standen dafür etwa Boot und Wagen zur Verfügung. Die zahlreichen Bootsdarstellungen auf Felsbildern der Nordischen Bronzezeit zeugen von der großen Bedeutung der Fortbewegung über das Wasser. Die Konstruktion solcher Fahrzeuge ist durch den allerdings schon eisenzeitlichen Bootsfund vom Moorfundplatz von Hjortspring auf der dänischen Insel Als aus dem 4. Jh. v. Chr. gut bezeugt. Rekonstruktionen zeigen die Ostseetauglichkeit des Hjortspring-Bootstyps. Ein außergewöhnliches Zeugnis der bronzezeitlichen Schifffahrt verdanken wir zwei Funden, die vor Jahrzehnten an der südtürkischen Küste entdeckt wurden. Das berühmte Wrack von Uluburun ist mit seiner umfangreichen Ladung erhalten und kann

Im 2 Jt. v. Chr. gewinnt der überregionale Handel an Bedeutung. Sogenannte Ochsenhaut-Barren dienten im Mittelmeerraum zum Kupferhandel. Die abgebildeten Exemplare gehörten zur Ladung des Schiffs von Uluburun, das im späten 14. Jh. v. Chr. vor der südtürkischen Küste gesunken ist.

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Mit Schiff und Wagen |

Im Tollensetal wurden auch Reste von Einbäumen aus der Bronzezeit entdeckt. Das abgebildete Exemplar datiert in das 10. Jh. v. Chr.

dendrochronologisch in das späte 14. Jh. v. Chr. datiert werden. Die Ladung gewährt einen Einblick in die Handelsgüter dieser Zeit, zu denen Kupfer- und Zinnbarren, Glasbarren, Öllampen sowie besondere Materialien wie Gold, Elfenbein und Straußeneier gehörten. Das Schiff kam vermutlich von Zypern oder von der levantinischen Küste und war auf dem Weg in die Ägäis. Nicht zuletzt einige Gewichte lassen kaum Zweifel, dass das Schiff auf einer organisierten überregionalen Handelsfahrt gesunken ist. Die Nachweise für bronzezeitliche Wasserfahrzeuge sind im europäischen Raum weniger eindrucksvoll; im Norden dominieren bislang vor allem Einbäume das Bild. In der Tollense wurde z. B. bei Tauchuntersuchungen das Fragment eines Einbaums aus dem 10. Jh. v. Chr. entdeckt. Schon länger sind allerdings auch größere bronzezeitliche Boote von North Ferriby in Großbritannien bekannt, die von Transporten über Binnengewässer zeugen. Vor einigen Jahren wurden bronzezeitliche Funde aus der Salcombe Bay vor der Südwestküste Englands gemeldet,

die wahrscheinlich auf ein Schiffswrack zurückgehen und auf die Seefahrt zwischen der Insel und dem Kontinent hinweisen. Der Schiffskörper ist nicht erhalten, aber 280 Kupfer- und 40 Zinnbarren sprechen für einen beachtlichen Umfang der Handelsladung, die zwischen 1300 und 1150 v. Chr. oder zwischen 1000 und 800 v. Chr. auf den Nordseegrund gesunken ist. Ohne dass wir das Erscheinungsbild dieses Schiffs kennen, spricht der Fund zusammen mit dem sogenannten Dover-Boot aus dem 16. Jh. v. Chr. für einen regen bronzezeitlichen Schiffsverkehr entlang der Küsten und über das Meer. Auf den Transport von Waren auf Tierrücken und Wagen weisen neben den Darstellungen auf Felsbildern auch bronzezeitliche Rad- und Wagenfunde aus Nord- und Süddeutschland. Hier ist z. B. auf die jungbronzezeitlichen Holzräder von Kühlungsborn hinzuweisen. Indirekt erlauben auch gut ausgebaute Wege wie die Talquerung im Tollensetal auf ein Netz aus Handelswegen zu schließen (S. 50). Seit Langem werden auch Reihen von Hügelgräbern als Begleit-

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98 | Bronze, Glas und Seide Das in Dover gefundene Wrack ist 9,5 m lang erhalten und datiert in das 16. Jh. v. Chr. Es bezeugt den Bau von größeren seetüchtigen Booten in der Bronzezeit.

erscheinungen der bronzezeitlichen Wege angesehen, die ihre Wurzeln im Neolithikum hatten. Die Wagen wurden vermutlich von Ochsen oder Pferden gezogen. Auf einer Darstellung aus dem bekannten Königsgrab von Kivik im schwedischen Schonen ist ein einachsiger Wagen zu sehen, der von zwei Pferden gezogen und einem Menschen gelenkt wird. In diesem Zusammenhang ist an die Pferdeskelettreste von insgesamt fünf Individuen aus dem Tollensetal zu erinnern, die vermutlich eher als Trage- oder Zugtiere und nicht als Reitpferde genutzt wurden. Im Nordosten Deutschlands dürften vor allem die Flüsse Oder, Recknitz und Warnow als Nord-Süd-

Verbindung gedient haben. Tollense, Trebel und Peene erscheinen aus heutiger Perspektive als wenig bedeutende Wasserwege. Allerdings erlauben sie, den Weg von der Oder und Havel kommend nach Skandinavien abzukürzen. Die im Tal nachgewiesene Talquerung bezeugt eine Ost-West-Route, die das Odertal mit der mecklenburgischen Seenplatte verbunden haben wird. Das Kampfgeschehen im Tollensetal mag also gut in Verbindung mit dem Handel zu sehen sein, und die Kontrolle über die Tollense und insbesondere den ausgebauten Flussübergang erscheint aus heutiger Sicht als lohnenswert (S. 89).

Bronze, Gold und Glas Was wurde nun zu Land und zu Wasser in den Norden transportiert? Die Bedeutung von Bronze bzw. seinen Rohstoffen Kupfer und Zinn wurde schon erläutert. Das Metall wird Jahr für Jahr in erheblichen Mengen in den Norden gebracht worden sein. Ebenso war Gold aus Südosteuropa und Irland ein begehrter Rohstoff, der als Material für kleine Spiralringe und selten für Objekte wie Armringe eine untergeordnete Bedeutung für den Handel mit dem Norden gehabt haben dürfte. Allerdings finden sich in der älteren Bronzezeit auch Ausnahmen: Im Jahr 2011 wurde bei Gessel nahe Syke im Landkreis Verden, Niedersachsen, im Umfeld einer Siedlung bei planmäßigen Untersuchungen ein 117 Objekte um-

In über 2 m Wassertiefe wurden zwei hölzerne Scheibenräder vor der Küste von Kühlungsborn (M-V) entdeckt. Die Scheibenräder datieren in die Zeit um 900 v. Chr.

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Im Luftbild hebt sich die im 19. Jh. v. Chr. erbaute Trasse im Grünland des Tollensetals durch eine hellere Farbe ab (siehe Pfeil). Die unterwasserarchäologisch untersuchte Stelle ist mit einem roten Kreis markiert. Die Talquerung verlief in Ost-West-Richtung und gehörte sicher zu einem jahrhundertelang genutzten Handelsweg.

fassender Hortfund entdeckt, der mit einem Gewicht von ca. 1,7 kg einen außergewöhnlichen Goldfund repräsentiert. Er wurde vermutlich von einer Gemeinschaft in der Zeit um 1300 v. Chr. geopfert, die vielleicht durch einträgliche Handels- und Transitgeschäfte zu außerordentlichem Reichtum gelangt war. Besonders glückliche Umstände haben uns auch aus dem Raum Neustrelitz einige Kilometer südlich des Tollensesees einen wichtigen Hortfund der Periode III mit nahezu 900 Objekten in einem Tongefäß überliefert. Das Fundensemble besteht vor allem aus Bronzen (ca. 2,7 kg): Neben reichem Körperschmuck einer Frau liegen auch ca. 650 kleine Bronzeblechscheiben und -buckel vor, die wohl auf den Besatz eines prächtigen Gewandes zurückgehen. Aufmerk-

samkeit verdienen auch 20 Bernsteinperlen und etwa 180 kleine Glasperlen. Glas ist ein Schmuckrohstoff, der im 2. Jt. v. Chr. im Mittelmeerraum neu auftritt. Eine chemische Analyse ausgewählter Glasperlen aus dem Hort erlaubt im Vergleich mit anderen Glasperlen dieses Zeitabschnitts aus Südskandinavien, Mitteleuropa und Norditalien auf eine Herstellung der Glasmasse im Nahen Osten (Mesopotamien, Ägypten) zu schließen. Norditalien scheint eine wichtige Mittlerrolle für den neuen Rohstoff eingenommen zu haben; aus der Siedlung Frattesina nahe Rovigo ca. 50 km südlich von Venedig liegt sogar der Nachweis einer Glaswerkstatt aus dem späten 2. Jt. v. Chr. vor. Glasperlen im Norden zeugen also von weiträumigen Handelsnetzwerken. Für die bronzezeitliche »GlasStraße« – wie sie der dänische Forscher Fleming Kaul

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100 Der 2011 entdeckte Hortfund von Gessel bei Syke in Niedersachsen repräsentiert einen der größten Goldfunde der Bronzezeit. Geht dieser Reichtum auf den Handel zwischen Nord und Süd zurück?

nennt – spielte auch der Weg über die Alpen eine wichtige Rolle. Einen weiteren exotischen Fund, der Kontakte bis in den östlichen Mittelmeerraum bezeugt, verdanken wir einem Grab der Periode III von Thürkow nahe Teterow in Mecklenburg-Vorpommern. An einem sogenannten Halskragen, der als typischer Frauenschmuck dieser Zeit gelten kann, fanden sich ankorrodierte Reste eines feinen Stoffs. Die Ausprägung des Fadens spricht für Seide als Material, die zu dieser Zeit als Wildseide im ägäischen Gebiet bekannt gewesen ist. Dieser unscheinbare Fund ist der älteste Nachweis von Seide im Norden und darf als weiterer Hinweis gewertet werden, dass neben Rohstoffen für Werkzeuge und Waffen gerade auch Schmuck- und Luxusobjekte aus dem Süden über die großen (und kleinen) Flüsse weiträumig in den Norden verhandelt wurden.

Gabe und Gegengabe Im archäologischen Fundgut erscheinen das Mittelmeergebiet, Südosteuropa sowie auch Südengland und die Bretagne als Liefergebiete von Rohstoff und Wissen, also vor allem als Gebende. Doch der Norden muss im Gegenzug ebenfalls attraktive Ware angeboten haben; der prominenteste vorgeschichtliche Rohstoff des Nordens ist Bernstein. Schon aus dem Mittelneolithikum sind große Hortfunde mit Tausenden von Bernsteinperlen aus Dänemark überliefert und die Westküste Jütlands kann als reiches Liefergebiet gelten. In der Bronzezeit war Bernstein in der Tat ein sehr begehrter Schmuckrohstoff, der seinen Weg bis nach Ägypten gefunden hat. Auch in dem zuvor erwähnten Hortfund von Neustrelitz sind 20 max. 3 cm große Bernsteinperlen deponiert worden. Bern-

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Fahrende Händler oder Karawanen? |

stein findet sich in ganz Mitteleuropa in bronzezeitlichem Kontext, sodass es sich um ein sehr wichtiges Handelsgut des Nordens handelte. Neben den südskandinavischen Küsten ist hier allerdings an das Baltikum und insbesondere die Region um die Kurische Nehrung als weitere wichtige Herkunftsgebiete von Bernstein zu erinnern. Über Bernstein hinaus ist es schwierig, konkrete Handelswaren des Nordens zu identifizieren. Es mag naheliegen, an Naturprodukte wie Wolle zu denken. Neue Forschungen zeigen jedoch, dass die Intensivierung der Wollproduktion im 2. Jt. v. Chr. vom Mittelmeerraum aus über Südosteuropa nach Mitteleuropa gelangt ist. Selbst die bekannten Kleidungsstücke aus den Baumsargbestattungen Jütlands wurden vermutlich nicht aus heimischer Wolle gefertigt. Insofern ist Wolle als nördlicher Exportschlager der Bronzezeit unwahrscheinlich.

Fahrende Händler oder Karawanen? Was bleibt also neben Bernstein als Handelsgut des Nordens? Eine unsichtbare Ware sind Menschen, die als Sklaven verhandelt wurden. Sie sind im archäologischen Material kaum zu fassen. So bleibt diese Überlegung sehr spekulativ. Naheliegender mag die Bedeutung einer weiteren unsichtbaren Ware sein: Wissen und Fähigkeiten. Hier kommen Menschen mit Erfahrungen in der Bronzemetallurgie oder im Bootsbau in Betracht, die an anderen Orten wertvolle Dienste leisten konnten. Die Ergebnisse der Forschungen im Tollensetal zeigen auch, dass Kenntnisse im Kampf- und Kriegswesen von Bedeutung gewesen sein dürften und mit frühen Söldnern in dieser Zeit zu rechnen ist.

Im bronzezeitlichen Hortfund von Neustrelitz (M-V) aus Periode III wurden auch zahlreiche Glasperlen entdeckt, die sicher auf Handelsverbindungen in das südliche Europa zurückgehen.

Abschließend stellt sich die Frage, wie der Handel der Bronzezeit organisiert gewesen sein dürfte. War es ein Handel von persönlich miteinander verbundenen Häuptlingen und die ausführenden Personen lediglich Beauftragte, die mit Karawanen aus Wagen, Packtieren und einer Schutzbegleitung große Strecken zurücklegten? Oder waren es freie Händler, die auf eigene Rechnung mit einem Wagen oder Boot unterwegs waren? In der älteren Bronzezeit fassen wir bislang im Norden Deutschlands keine großen Siedlungen, die auf eine Elite mit größerem Herrschaftsgebiet schließen lassen. Erst im 12. Jh. v. Chr. entwickeln sich befestigte Burgen, die in der Folgezeit zum Nukleus großer zentralörtlicher Siedlungen mit einer Verwaltung und spezialisierten Handwerkern werden. Ein anschauliches Beispiel dafür liefert die Hünenburg bei Watenstedt südlich von Helmstedt in Niedersachsen (S. 106). Soweit Siedlungen der älteren Bronzezeit dokumentiert sind, lassen die Häuser keine ausgeprägte Hierarchisierung erkennen. Am ehesten zeichnen sich regionale Eliten noch in Gräbern wie von Peckatel oder Sellin auf Rügen ab, die sich durch ihre Beigaben abheben. Solche Häuptlinge mögen für die Organisation des Handels und den Schutz der Ware eine wichtige Rolle gespielt haben, denn ohne sichernde Begleitung bestand die Gefahr von Raubüberfällen und Plünderung. So konnten auch die Gesellschaften entlang der Routen vom Handel profitieren. Der Handel der Bronzezeit dürfte deutlich professioneller organisiert gewesen sein, als noch vor einigen Jahren gedacht. Dafür sprechen auch neue Forschungen, die für die Zeit ab etwa 1300 v. Chr. einen auf Bronze als Zahlungsmittel und standardisierten Gewichten basierenden Handel mindestens für Teile Europas nachweisen.

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Das 13. Jahrhundert v. Chr. Aufbruch oder Untergang? Thomas Terberger

Innerhalb der mitteleuropäischen Bronzezeit bildet der Beginn der Urnenfelderzeit oder -kultur (jüngere Bronzezeit) einen markanten Einschnitt: Wurden zuvor Teile der Bevölkerung – vermutlich sozial höher gestellte Personen – in großen Tumuli beigesetzt, die der Hügelgräberbronzezeit ihren Namen geben, so kommt im 13. Jh. v. Chr. die Brandbestattung und die Beisetzung in Urnenfeldern als neuer Totenritus auf. Es ist anzunehmen, dass diese Veränderung im Totenbrauchtum mit einem grundlegenderen Wandel der Jenseitsvorstellungen und der religiös-ideologischen Werte einhergeht. Dafür liefert auch die Einführung neuer Symbole wie das Wasservogelmotiv und die Sonnenbarke Anhaltspunkte. Damit gehen weitere gesellschaftliche Veränderungen einher: Es treten nun verstärkt Höhensiedlungen auf und im Norden kommt es im 12. Jh. v. Chr. zum Bau von Burgen. Die Hünenburg bei Watenstedt in Niedersachsen, die sich zu einem Machtzentrum mit einer Vorburgsiedlung entwickelt, liefert dafür ein anschauliches Beispiel (S. 106). Auch die Deponierung von Metallobjekten nimmt zu, und in der Ökonomie gewinnt allem Anschein nach der Handel mit Metall als Währung eine wachsende Bedeutung (S. 96). Auch die materielle Kultur zeigt vielfältige Veränderungen inklusive der Bewaffnung. Aus dem Schwertträger der älteren Bronzezeit wird der schwer

Kammhelme wie der von Auxonne in Frankreich gehörten zur Ausstattung herausgehobener Krieger der Urnenfelderzeit.

bewaffnete und im Idealfall mit Defensivwaffen ausgestattete urnenfelderzeitliche Krieger; davon zeugen z. B. Bronzehelme und -harnische. Funde wie die bronzenen Speichenräder von Stade aus dem 9. Jh. v. Chr. lassen auch auf Innovationen im Wagenbau schließen. Wagengräber wie die von Poing in Bayern zeugen von einer neuen Form der repräsentativen Bestattung der Elite. Deponierungen von Toten oder

Etwa so können wir uns einen Krieger der Urnenfelderzeit mit idealtypischer Ausstattung vorstellen.

Die Bronzeharnische von Marmesse (Frankreich) sind besonders eindrucksvolle Zeugnisse der urnenfelderzeitlichen Kriegerausstattung. Mitunter vorhandene Beschädigungen bezeugen, dass sie tatsächlich im Kampf getragen wurden.

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104 | Das 13. Jahrhundert v. Chr.

Teilen von Toten in Höhlen der nördlichen Mittelgebirgszone von Thüringen bis Niedersachsen belegen auch ungewöhnliche neue Bestattungsformen. Die Ursachen für diese Veränderungen wurden in der älteren Forschung von Vertretern wie Wolfgang Kimmig in umfangreichen Migrationen gesehen, die letztendlich auf Umwälzungen im östlichen Mittelmeerraum basierten. Aber diese Hypothese beruhte auf ungenauen Datierungen; so wurden Ereignisse miteinander verknüpft, die aus heutiger Sicht zeitlich nicht zusammenhängen. Vielmehr lässt sich das 13. Jh. v. Chr. in Mitteleuropa als eine Übergangsphase erkennen, in der die Brandbestattung neu eingeführt wurde und zunächst noch neben der Körperbestattung existierte. Dies spricht eher für einen Wandel und gegen abrupte Veränderungen in der Bevölkerung. Die großen Migrationsbewegungen, die inzwischen auf der Basis paläogenetischer Ergebnisse für das frühe 3. Jt. v. Chr. (Schnurkeramik, Spätneolithikum) rekonstruiert werden, lagen zu dieser Zeit schon mehr als 1400 Jahre zurück. Für die Veränderungen sind also primär Prozesse innerhalb der bronzezeitlichen Gesellschaft anzunehmen. Hier ist an den Männerfriedhof von Neckarsulm zu erinnern, der für die Zeit um 1200 v. Chr. erstmals Krieger als eine eigene Statusgruppe erkennen lässt. Diese Sichtweise schließt jedoch äußere Impulse nicht aus, im Gegenteil: Der Aufstieg neuer Eliten, wie er z. B. in den süddeutschen Wagengräbern zum Ausdruck kommt, dürfte auf südliche Einflüsse zurückgehen. Im Laufe der Bronzezeit gewinnt der Kontakt zur mediterranen Welt an Bedeutung und im frühen 1. Jt. v. Chr. gehen wichtige Impulse auf das Gebiet nördlich der Alpen auf den Einfluss der Villa-

nova-Kultur als Vorläufer der Etrusker in Mittelitalien zurück. Davon zeugen z. B. verzierte Bronzeblechgefäße, die unter südlichem Einfluss hergestellt werden. Besonders bekannt ist die Bronzeblechamphore aus dem Königsgrab von Seddin in Brandenburg. Das im 9. Jh. v. Chr. unter einem monumentalen Hügel angelegte Grab mit rot bemalten Wänden und reichen Beigaben zeugt von einer neuen Qualität der elitären Repräsentation.

Unruhige Zeiten Die Veränderungen am Übergang zur Urnenfelderzeit in Mitteleuropa sind vor dem Hintergrund der Entwicklungen im ostmediterranen Gebiet zu sehen. In frühen Schriftquellen wird für das 13. Jh. v. Chr. von Auseinandersetzungen zwischen den Ägyptern und den Hethitern berichtet, die in der Schlacht von Kadešh im heutigen Syrien im Jahr 1274 v. Chr. mit großen Heeren aufeinandertrafen (S. 11). Als weitere Veränderung ist der Niedergang der mykenischen Palastkultur zu erwähnen. Während die Zerstörung der Anlage von Knossos auf Kreta schon im 14. Jh. v. Chr. erfolgte, kommt es auf dem Festland erst um 1200 v. Chr. zum Untergang von Palästen wie Mykene; es ist das Ende der dortigen Bronzezeit. Als Ursachen werden Invasoren oder innere Revolten diskutiert. Es kommt nicht zu einem Wiederaufbau der Palastanlagen, sondern es folgen die Dark Ages der frühen Eisenzeit. In die Zeit um 1200 v. Chr. fällt auch ein Zerstörungshorizont im antiken Troja nahe des heutigen Hisarlik im Westen der Türkei. Wenn der in der Ilias

Die Bronzeräder von Stade aus der Urnenfelderzeit (Durchmesser: ca. 58 cm) zeugen von Neuerungen im Bronzeguss und im Wagenbau. Sie gehörten vermutlich zu zweirädrigen Kultwagen und wurden vermutlich in Westeuropa gefertigt.

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Unruhige Zeiten |

Die Grabbeigaben aus dem sogenannten Königsgrab von Seddin in der Prignitz (Brandenburg) sind ebenso wie der riesige Grabhügel außergewöhnlich. Das mit Buckeln verzierte Bronzeblechgefäß diente als Behältnis für den Leichenbrand. Parallelen sprechen für eine Fertigung im Norden unter südlichem Einfluss.

beschriebene trojanische Krieg tatsächlich stattgefunden hat, dann dürfte die Eroberung in diesen zeitlichen Kontext gehören. Eine weitere Ursache für unruhige Zeiten liefern die Hinweise auf die sogenannten Seevölker, die von Ägypten über die Levante bis nach Griechenland mit Überfällen im 12. Jh. v. Chr. in Verbindung gebracht werden. Unter dem Titel 1177 v. Chr. Der erste Untergang der Zivilisation hat Eric H. Cline dieser dunklen Zeit ein eigenes Buch gewidmet. Die Unruhen und Veränderungen zwischen 1300 und 1100 v. Chr. im Mittelmeergebiet haben sicher Auswirkungen auf die Gesellschaft, den Handel und

den Kontakt mit Zentraleuropa gehabt, deren Ausmaß und Begleitumstände noch näher zu konturieren sind. Die Ereignisse im Tollensetal scheinen zeitlich am Beginn der großen Umwälzungen im östlichen Mittelmeergebiet stattgefunden zu haben. Aber nach unserer Meinung sind sie im Zusammenhang mit den religiös-ideologischen und wahrscheinlich auch politischen Umbrüchen in der Zeit des Übergangs zur Urnenfelderzeit zu sehen, die ganz Europa um 1300 v. Chr. erfasst haben. Insofern dürfen wir von dem Fundplatz in dem unscheinbaren Flusstal in Mecklenburg-Vorpommern weitere wichtige Erkenntnisse für die europäische Bronzezeitforschung erwarten.

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Erst verteidigen, dann präsentieren! – Eine bronzezeitliche Burg am Nordrand des Harzes im Wandel Immo Heske In der Zeit der Gewaltereignisse im Tollensetal lebte die Bevölkerung der Nordischen Bronzezeit in unbefestigten Siedlungen mit einzelnen Höfen oder kleinen Gehöftgruppen. Der Befestigungsbau war den Bevölkerungsgruppen der norddeutschen Tiefebene in der älteren Nordischen Bronzezeit weitgehend fremd. Erst ab dem 11. Jh. waren bisher bronzezeitliche Burgen in der Mittelgebirgszone nachweisbar. Die Hünenburg bei Watenstedt nördlich des Harzes bietet die seltene Gelegenheit, die Entwicklung einer bronzezeitlichen Befestigung und der daran angegliederten Infrastruktur über Jahrhunderte nachzuvollziehen. Eine ausgedehnte Unterstadt, ein weiträumiges Kultareal an einem Wasserlauf und Bestattungsplätze verdeutlichen mit ihren Funden anschaulich die weiträumige Einbindung sowie die technologischen und rituellen Verbindungen dieses Zentrums. Spätestens im 10. Jh. v. Chr. entstand eine Befestigung, die vor allem der Repräsentation oberhalb der weitläufigen Unterstadt und kaum wirklich der Verteidigung diente. Angreifer hätten sich zunächst durch die Unterstadt mit einer Ausdehnung von mindestens 600 m kämpfen müssen, um bis vor die Tore der Hünenburg zu gelangen. Die Bewaffnung der Verteidiger wurde vor Ort hergestellt, wie Gießformen für Lanzenspitzen und Schwerter belegen. Ihr Einsatz im unmittelbaren Umfeld kann nur ausnahmsweise mit dem Klingenfragment eines zerbrochenen Schwertes nachgewiesen werden. In den zurückliegen-

Aus der Frühphase der Hünenburg bei Watenstedt liegt auch das Fragment eines bronzenen Rundschildes vor, das auf eine bronzezeitliche Kriegerelite hinweist. Im Bild ist ein solcher vollständiger Schild aus dem Rhein bei Bingen zu sehen.

den Jahren konzentrierten sich die Untersuchungen vor allem auf die Erforschung der Unterstadt, nachdem um die Jahrtausendwende der eigentliche Burgbereich bzw. der Befestigungswall erstmalig untersucht wurde. Danach wurde die Burg selbst über Jahre kaum in die Geländearbeiten einbezogen, galt es doch, ab dem Jahr 2005 die erste bronzezeitliche Befestigung mit einer zeitgleichen Außensiedlung bzw. Unterstadt in Mitteleuropa zu erforschen. Neue Forschungen verdeutlichen nun, dass in einer frühen Phase der Hünenburg der Schutzaspekt und die Abwehr von Angreifern eine sehr wichtige Rolle spielten. Geomagnetische Un-

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Der auf einer Breite von 5 m negativ ausgenommene Befestigungsgraben nach vollständiger Freilegung.

Rekonstruktion der Hünenburg mit prestigeträchtiger Steinmauer um ca. 1000 v. Chr.

tersuchungen in der Befestigung zeigten einen mächtigen Graben, der sich innerhalb des jungbronzezeitlichen Walls befindet, der im ausgehenden 12. und frühen 11. Jh. v. Chr. errichtet worden war, und teilweise bis auf 15 m an den Graben heranreichte. Als weitere Überraschung ergab sich, dass in diesen abgegrenzten Bereich von ca. 200 m × ca. 150 m keine Zuwegung in Form einer Erdbrücke führte. Die bisher durchgeführten Ausgrabungen bezeugen einen gewaltigen Graben mit einer Breite von bis zu 8 m. Die ersten Bohrungen, die im roten Mergelschiefer stecken geblieben waren, sollten sich mit einer Tiefe von ca. 1,5 m als großer Irrtum erweisen: Erst bei über 3 m erreichte die Ausgrabung die Sohle des Grabens. Die steil abfallenden Wände lassen keinen Zweifel, dass hier keine Person herein- und erst recht nicht herauskommen sollte. Zunächst wurde der Graben immer ordentlich gereinigt. Dann wurde er unmittelbar vor der Errichtung des weiter außen verlaufenden Walles zielgerichtet bis zur Hälfte verfüllt. Dank der Einbringung von Siedlungsmaterial kurz vor der Verfüllung kann der mächtige Graben vor die Zeit des späten 12. und frühen 11. Jh. v. Chr. datiert werden. Nach der Verfüllung blieb der Graben als flache muldenförmige Grenze innerhalb der Burg im Gelände bestehen. Mit einer weiteren Grabung konnte eine mögliche Zugangssituation im Westen der Anlage ermittelt werden. Sie liegt unmittelbar vor dem steil abfallenden Geländesporn; von einem ehemaligen Tor kann hier nicht gesprochen werden. Die Erdbrücke hat hier nur eine Breite von 1,6 m. Da die jeweils gegenüberliegenden Grabenköpfe in den anstehenden Fels eingetieft waren, sollte man besser von einer Felsbrücke sprechen. Die rechteckigen Felsblöcke geben in diesem Grabenbereich der Verteidigungslinie ein martialisches Aussehen. Am äußeren Rand des Grabens waren zudem noch Pfosten eingetieft, welche vielleicht einem weiteren Annäherungshindernis als Unterbau dienten. Da der steil abfallende Geländesporn keine Nutzung mit Wagen bzw.

Fuhrwerken erlaubte, dürfte es sich an dieser Stelle um eine Ausfallpforte handeln. Eine Nadel aus dem Laufhorizont vor dem Graben stellt einen der wenigen Bronzefunde dar. Der mächtige Verteidigungsgraben und der vorgelagerte hohe Wall verdeutlichen in ihrem zeitlichen und räumlichen Zusammenspiel einen grundlegenden Wandel in der Bedeutung der bronzezeitlichen Burg auf dem Plateau: In der Gründungsphase mit ihrer schütteren Siedlung auf dem vorgelagerten Südhang hatte der Graben einen deutlichen Schutzcharakter, und auch die fehlende ständige Zuwegung lässt in dieser Zeit an eine Nutzung als Fluchtburg denken, die mit ihrer geringen Größe und Lage hervorragend zu verteidigen war. Mit der deutlichen Erweiterung des Umfeldes ab 1080 v. Chr. findet ein grundlegender Funktionswandel der Burg statt. Der Graben wird teilweise verfüllt; er dient auch weiterhin als Grenze im Gelände, die jedoch einfach zu durchschreiten wäre. Dahinter gibt es keine Hinweise auf einen Wall. Dieser befindet sich nun völlig neu angelegt in einer Entfernung von nur 15 m davor. Zuerst mag der Wall eine gewisse Schutzfunktion gehabt haben, bis ein Feuer Teile der Einbauten im 11. Jh. v. Chr. vernichtet hat. Es lässt sich nicht eindeutig beurteilen, ob das Feuer auf einen Angriff hindeutet oder durch einen Fehler selbst ausgelöst wurde. Eine angekohlte Geschossspitze spricht allerdings eher für einen Angriff. Danach erfolgt ab 1030 v. Chr. eine deutliche Erweiterung der Verteidigungslinie, die an Breite und Höhe gewinnend, nach außen mit einer steinernen Verblendwand abgeschlossen worden war. Damit wird deutlich, dass neben dem Schutz nun auch die Repräsentation von Macht an Bedeutung gewonnen hatte: Vor den Mauern befanden sich schließlich nicht mehr einzelne Gehöfte, sondern für die Bronzezeit eine wahrlich gigantische Siedlung mit einem Häusermeer. Hier war ein mächtiger, herausragender Ort im Siedlungsgefüge entstanden, was auch Fragmente eines bronzezeitlichen Kampfschildes von der Hünenburg verdeutlichen.

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Literatur

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Schädel, Sichel, Sensationen – auf Tauchgang in der Tollense

Unterwegs in der Bronzezeit – eine befestigte Straße im Tollensetal

Sumpf und Wasser – falsche Idylle? Studierende legen an der Fundstelle Weltzin 20 die Fundschicht mit zahlreichen Menschenresten frei. Die Knochen lagen hier wenige Meter von der Tollense entfernt in einer unerwarteten Dichte beisammen.

chen Menschenfunde im Tollensetal bei Weltzin, Mecklenburg-Vorpommern – ein Vorbericht. Nachrichtenblatt Arbeitskreis Unterwasserarchäologie 16, 2010, 41–47.

U. Brinker, J. Krüger, H. Lübke, Taucharchäologische Untersuchungen zur Frage der Herkunft der bronzezeitli-

D. Jantzen, G. Lidke, J. Dräger, J. Krüger, K. Rassmann, S. Lorenz, T. Terberger, An early Bronze Age causeway in the

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Autoren |

Bronze, Glas und Seide: Armer Norden – reicher Süden D. Jantzen, J.-P. Schmidt, Ein Hortfund der Periode III aus Neustrelitz, Lkr. Mecklenburg-Strelitz. Jahrbuch Bodendenkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern 47, 2000, 7– 127. Y. Ünsal (Hrsg.), Das Schiff von Uluburun: Welthandel vor 3000 Jahren. Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum 138 (Bochum 2005). H. Vandkilde, Bronzization: The Bronze Age as Pre-Modern Globalization. Prähistorische Zeitschrift 91, 2016, 103–123. M. Wemhoff, M. Rind (Hrsg.), Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland (Berlin 2018).

Autoren Ute Brinker M. A., Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern Dipl.-Ing. Hella Harten-Buga M.A., Institut für vor- und frühgeschichtliche Archäologie, Universität Hamburg Dr. Immo Heske, Seminar für Vor- und Frühgeschichte, Universität Göttingen Prof. Dr. Leendert Louwe Kooijmans, Eerbeek, Emeritus Universität Leiden, Niederlande PD Dr. habil. Joachim Krüger, Historisches Institut, Universität Greifswald/Landesverband für Unterwasserarchäologie Mecklenburg-Vorpommern e.V. Dr. Gundula Lidke, Archäologin, Berlin Dr. Sebastian Lorenz, Institut für Geographie und Geologie, Universität Greifswald Frank Nagel, Forschungstaucher, Landesverband für Unterwasserarchäologie MecklenburgVorpommern e.V. Sonja Nagel, Forschungstaucherin, Landesverband für Unterwasserarchäologie MecklenburgVorpommern e.V. Prof. Dr. Thomas Terberger, Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege/ Seminar für Vor- und Frühgeschichte, Universität Göttingen Tobias Uhlig M. A., Seminar für Vor- und Frühgeschichte, Universität Göttingen

Das 13. Jahrhundert v. Chr. – Aufbruch oder Untergang? E. H. Cline, 1177 v. Chr.: Der erste Untergang der Zivilisation (Darmstadt 2018). E. Banffy, C. Hoffmann, Ph. von Rummel (Hrsg.), Spuren des Menschen (Darmstadt 2019). I. Heske, Das bronzezeitliche Herrschaftszentrum der Hünenburg bei Watenstedt (Niedersachsen) zwischen regionaler Entwicklung und europäischer Einbindung. In: Der Grabhügel von Seddin im norddeutschen und südskandinavischen Kontext. Internationale Konferenz Brandenburg, Juni 2014. Arbeitsberichte zur Bodendenkmalpflege in Brandenburg 33 (Brandenburg 2018) 127– 138.

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Bildnachweis U1 AiD-Sonderheft, F. Ruchhöft (Landschaft), S. Suhr (Schädel); U1 Buchhandelsausgabe ol u. or St. Sauer/ Landesamt für Kultur und Denkmalpflege M-V; Mitte l S. Suhr/ Landesamt für Kultur und Denkmalpflege M-V; ul V. Minkus.; U4 St. Sauer, K. Schauer/Landesmuseum Halle, R. Borgwardt; S2 V. Minkus; S6 Grafik S. Lorenz/T. Terberger auf Basis DGM M-V; S7 J. Krüger, S. Nagel, T. Terberger; S9 Landesmuseum Halle, J. Liptak; S10 S. Suhr, T. Terberger (Grafik) verändert nach K. Rassmann; S11 verändert nach H. Müller Karpe 1980; S12–13 Soprintendenza Beni Culturali e Ambientali di Palermo; S14 picture-alliance/ Helga Lade Fotoagentur GmbH, Ger/Rainer Binder; S15 Horn nach K. Rassmann, RGK, Foto S. Suhr/Landesamt für Kultur und Denkmalpflege M-V; S16 St. Sauer; S17 C. S. Fuchs, Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege; S18 F. Ruchhöft; S19 Ch. Gasser, Landesamt für Kultur und Denkmalpflege M-V; S20 R. Borgwardt; S21 G. Lidke; S. 22 (alle) T. Terberger; S. 23 St. Sauer/Landesamt für Kultur und Denkmalpflege M-V; S24 Grafik S. Lorenz; S25 Grafik S. Lorenz; S26 Arbeitsgruppe Physische Geographie, Universität Greifswald; S27 S. Lorenz; S28 S. Lorenz; S29 J. Krüger; S30 J. Krüger, T. Terberger; S31 J. Krüger, J. Krüger; S32 J. Krüger; S33 V. Minkus (Foto)/T. Terberger (Grafik); S34 S. Suhr/Landesamt für Kultur und Denkmalpflege M-V; S35 St. Sauer/Landesamt für Kultur und Denkmalpflege M-V; S36 G. Lidke; S37 Grafik T. Terberger auf Basis DGM M-V; S38o S. Nagel; S38u St. Sauer/Landesamt für Kultur und Denkmalpflege M-V; S39 T. Terberger; S40o F. Nagel; S40u J. Krüger; S41o Grafik T. Terberger auf Basis DGM M-V; S41u J. Krüger; S42o Grafik J. Krüger/T. Terberger; S42u–45o J. Krüger; S45u Plan J. Krüger/T. Uhlig/ T. Terberger; S46–47 V. Minkus; S48o Plan F. Nagel/T. Uhlig; S48u J. Krüger; S49 V. Minkus; S50 J. Krüger; S51o J. Krüger; S51u J. Krüger/J. Dräger/T. Terberger; S52 A. Grundmann/Landesamt für Kultur und Denkmalpflege M-V; S53 K. Rassmann/T. Scholz/T. Terberger nach Jantzen et al. 2017; S54–55 G. Lidke/Landesamt für Kultur und Denkmalpflege M-V; S56 T. Terberger; S57 A. Dombrowsky/T. Terberger; S58 (alle) T. Terberger; S59 verändert nach Jantzen et al. 2011; S60o A. Dombrowsky; S60u

G. Lidke; S61 V. Minkus; S62 J. Krüger; S63 S. Suhr/Landesamt für Kultur und Denkmalpflege M-V; S64 T. Terberger; S65 (alle) J. Krüger; S66 S. Suhr/Landesamt für Kultur und Denkmalpflege M-V; S67 S. Nagel; S68 R. Borgwardt; S69–71 G. Lidke/Landesamt für Kultur und Denkmalpflege M-V; S72 Grafik U. Brinker/Landesamt für Kultur und Denkmalpflege M-V; S73o T. Terberger; 73u–S75 (alle) G. Lidke/Landesamt für Kultur und Denkmalpflege M-V; S76 nach Jantzen et al. 2011; S77 J. Krüger; S78 B. Jungklaus, Anthropologiebüro; S79 H. Harten-Buga/Arbeitsgruppe Paläomechanik, Universität Hamburg; S80o V. Minkus; S80u H. Harten-Buga/Arbeitsgruppe Paläomechanik, Universität Hamburg; S81 verändert nach U. Brinker/Landesamt für Kultur und Denkmalpflege M-V; S82 nach U. Brinker et al. 2018; S83 Nationalmuseum Kopenhagen; S84 nach T.D. Price et al. 2018; S85 J. Krüger; S86 Karte T. Terberger; S87ol V. Minkus; S87u S. Suhr/Landesamt für Kultur und Denkmalpflege M-V; S88 K. Schauer/Landesmuseum Halle; S90 F. Nagel; S91 Grafik U. Brinker/T. Terberger; S92 akg-images /Erich Lessing; S93 St. Sauer/Landesamt für Kultur und Denkmalpflege M-V; S94 L. Louwe Kooijmans/Universität Leiden; S95 L. Louwe Kooijmans/Universität Leiden; S96 T. Terberger; S97 J. Krüger; S98o verändert nach Wikipedia Commons (Dover Boat); S97u nach U. Heußner 1985; S99 F. Nagel; S100 V. Minkus/Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege; S101 S. Suhr/Landesamt für Kultur und Denkmalpflege M-V; S102 T. Terberger; S103 K: Schauer/Landesmuseum Halle; S104 Wikipedia Bronzeräder Stade/Museen Stade; S105 Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Landesmuseum für Vorgeschichte; S106o Seminar für Ur- und Frühgeschichte, Universität Göttingen; 106m U. Rudischer, Landesmuseum Mainz; 106u Idee: S. Most, I. Heske, Grafik. P. Lüth; S107 Seminar für Urund Frühgeschichte, Universität Göttingen; S108 St. Sauer/Landesamt für Kultur und Denkmalpflege M-V. Leider ist es uns nicht immer möglich, den Rechtsinhaber ausfindig zu machen. Berechtigte Ansprüche werden selbstverständlich im Rahmen der üblichen Vereinbarungen abgegolten.