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German Pages 182 Year 2022
Luise Wolf Tiefenresonanz
Transdisziplinäre Popkulturstudien | Band 5
Editorial Die Reihe Transdisziplinäre Popkulturstudien ist der wissenschaftlichen Beobachtung, Analyse und Kritik populärer Kulturen gewidmet und versammelt Forschungsbeiträge, die sich aus theoretischen und methodologischen sowie empirischen, historischen und systematischen Perspektiven mit popkulturellen Themen, Phänomenen und Fragestellungen in Medien, Künsten, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft befassen. Dabei ist ein Pluralismus der Forschungsgegenstände, Theorien, Methoden und disziplinären Hintergründe für diese Reihe programmatisch, um die Vielfalt, Offenheit und Dynamiken dieser bedeutsamen kulturellen und mediengesellschaftlichen Bereiche adäquat multiperspektivisch und transdisziplinär zu erfassen und zu verstehen. Die Reihe wird herausgegeben von Beate Flath, Charis Goer, Christoph Jacke und Martin Zierold.
Luise Wolf, geb. 1989, arbeitet als freie Journalistin, Kulturwissenschaftlerin und Autorin. Ihr akademisches Interesse gilt der transdisziplinären Erforschung zeitgenössischer Ästhetiken in Kunst und Gesellschaft sowie ihres sozio-politischen Potenzials. Für ihr Audiopaper Sonosphäre wurde sie 2016 von der Gesellschaft für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung beim Best Paper Award mit einem Sonderpreis für die beste Präsentation ausgezeichnet. Sie studierte in Paderborn, Göteborg und Berlin.
Luise Wolf
Tiefenresonanz Klang, Körper und die Erfahrung sonischer Materialität von Drone Music
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2022 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Berlin Atonal 2017 © Camille Blake Lektorat: Beate Flath, Christoph Jacke Korrektorat & Beratung: Sebastian Pelz Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-6057-9 PDF-ISBN 978-3-8394-6057-3 https://doi.org/10.14361/9783839460573 Buchreihen-ISSN: 2702-4342 Buchreihen-eISSN: 2747-3554 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload
Inhalt
Geleitwort der Reihenherausgeber:innen ..................................... 7 Vorspiel: Sonosphäre........................................................ 13 1.
Einleitung.............................................................. 19
2. Spielarten der Kunstrezeption .........................................37 2.1 The Haxan Cloak: Musik an den Grenzen des Hörens .................... 38 2.2 Das Rauschen der Musik: Von der (Un-)Möglichkeit subjektiver Autonomie ................................................. 48 2.2.1 Sonische Unmittelbarkeit: Von freiwilliger Selbstaufgabe .................................. 49 2.2.2 Sonische Dominanz: Vom Sichverlieren in der Musik ............. 54 2.2.3 Das Anästhetische des Klanges: Vom Nichts-mehr-wahrnehmen-Können ......................... 56 2.3 Die Autonomie des Kunstwerks ........................................ 63 2.3.1 Affekte des Kunstwerks......................................... 64 2.3.2 Spielarten des Kunstwerks ...................................... 68 3.
Klang – Körper – Subjekt Zur Ontologie sonischer Materialität .................................... 3.1 Klangkörper ........................................................... 3.2 Körperklang ........................................................... 3.3 Klangsinn ............................................................. 3.3.1 Selbst – Resonanzen in der Raumzeit............................
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3.3.2 Klangzeit und das Ereignis der Musik ............................ 96 3.3.3 Möglichkeitssinn................................................ 101 3.4 Musikalische Erfahrung: Spielarten der Resonanz...................... 105 4. 4.1 4.2 4.3 4.4
Excavation – The Haxan Cloaks Sound ................................ 113 Höhen und Tiefen...................................................... 116 Intensität und Bewegung .............................................. 118 Alvin Lucier: Von der Kunst, Klänge sie selbst sein zu lassen ...........125 Klang, Komposition und Zeit ........................................... 131
Sonische Dominanz – Selbsterfahrung oder Selbstverlust? ........... 139 Mimesis auf Distanz – Mitschwingen zwischen Sichverlieren und Sichfinden ........................................................142 5.2 Negative Mimesis – Selbstverlust in der Resonanz ...................... 146 5.3 Idiosynkrasie – Eine eigene Spielart .................................... 151
5. 5.1
6.
Schluss ............................................................... 159
Bibliografie................................................................. 167 Diskografie ................................................................. 177 Abbildungen ................................................................ 179
Geleitwort der Reihenherausgeber:innen
Wir freuen uns, nunmehr die zweite Monographie in unserer neu konstituierten Reihe Transdisziplinäre Popkulturstudien | Transdisciplinary Studies in Popular Culture herauszugeben: Wir danken Luise Wolf ausdrücklich für ihr unermüdliches Engagement, diese hervorragende Studie zu einer Buch-Veröffentlichung zu gestalten. Die vorliegende Untersuchung begibt sich darin in die faszinierenden sonosphärischen Welten basslastiger elektronischer (Club-)Musik, ausgehend von einem konkreten Erlebnis auf dem Donaufestival in Krems, einem Auftritt des britischen Musikers, Produzenten, Klangkünstlers und Komponisten Bobby Krlic aka The Haxan Cloak. Er entwirft seine eher dunklen Tracks prominent neben Acts wie Demdike Stare, Andy Stott, Burial, Ben Frost, Lawrence English oder noch in Spuren und populärer zu erkennen bei Actress in den komplexen Klanglandschaften zwischen Techno, Dub, Dubstep, Ambient, Drone, Hauntology, Industrial, Postrock, Field Recordings und Breakbeat – mittlerweile zumeist als Filmmusik, etwa für den US-amerikanischschwedischen Folk-Horror Midsommar von 2019. Wer derartige Performances, Konzerte oder auch DJ-Sets selbst schon erfahren hat, weiß, dass das Körperliche in seiner Ent- und Eingrenzung im wahrsten Sinne umfassend (ge-)wichtig ist. Insbesondere die Bässe derartiger Musiken sprechen weit mehr als ›nur‹ den Gehörsinn an: Die Haut vibriert, die Eingeweide und das Gleichgewicht geraten ins Schwimmen, lassen sich unter der ›sonischen
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Dominanz‹1 fallen. Umfassende Sonosphären werden via Rhythmen, Bass, Distortion, Noise, Rausch(en), Flächen und vor allem gerne Schichtungen strukturiert, auf-, aus- und wieder abgebaut, mal bewusst konzeptioniert auf Seiten von Produktion, Distribution und auch Weiterverarbeitung, mal individuell erfahren und doch auch oftmals im Abgleich mit der tanzenden oder schwelgenden Gruppe. Luise Wolf berichtet und reflektiert ihre Reise(n) in diese Sphären, liest Räume, Musiken, Klänge, Menschen und Körper nah an den eigenen Erfahrungen und gießt dieses in ihre besondere Schreibweise zwischen Wissenschaft, Journalismus, Essayistik und Literatur – ganz ähnlich etwa Robert Henschels prämiertem ›Gang‹ durch den für derartige Musiken berühmten Berliner Club Berghain.2 Henschel beschreibt seinen Ansatz dabei als Text, der »keine ausgelagerte Beobachterposition einnehmen [will], sondern sich vielmehr entlang dieser Kanäle bewegen, gelegentlich innehalten, um sich schauen und versuchen [will], diejenigen Momente zu identifizieren, in denen er sich von einem ›Gefüge‹ in ein anderes bewegt, beziehungsweise in denen sich bestimmte Elemente eines Gefüges deterritorialisieren, um sich in einem anderen zu reterritorialisieren. Mit ein wenig Fantasie ließe sich also sagen, dieser Text ist Clubbesuch. Und insofern auch in formaler Hinsicht bewusst mit dem Phänomen verknotet, das er zu greifen versucht.«3 Ganz ähnlich, in einem nahezu unentwirrbaren temporären idiosynkratischen Collagieren und Assemblieren aus (Reflexionen zu) Selbsterfahrung, Selbstverlust und Selbstaufgabe erlebt Luise Wolf die Musik von The Haxan Cloak auf ihren Expeditionen eher un-esoterisch ganzheitlich und spürt, was der britische Geograph, 1
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Vgl. Julian Henriques (2010): Sonic Bodies: Reggae Sound Systems, Performance Techniques & Ways of Knowing. Goldsmiths Research Online, Zugriff am 10.02.2022 unter: http://research.gold.ac.uk/4257/1/HenriquesSonicBodiesIntro .pdf. Vgl. Robert Henschel (2015): Andere Orte, andere Körper. Zum Verhältnis von Affekt, Heterotopie und Techno und im Berghain. In: Samples. OnlinePublikation der Gesellschaft für Popularmusikforschung, 13. Jg., Zugriff am 10.02.2022 unter: http://gfpm-samples.de/Samples13/henschel.pdf. Ebd.
Geleitwort der Reihenherausgeber:innen
Marketing-Experte und Werber Ben Malbon in seinen wegweisenden Studien4 zum »Clubbing« pointiert in Sprache gegossen hat: »This is resistance found through losing your self, paradoxically to find your self.«5 Diese Selbstfindung über eine vielfältige vorübergehende gefühlte Verflüssigung nennt Wolf Selbst-Resonanz und knüpft damit an eher physikalisch-materielle Verständnisse an, zeigt sich unseres Erachtens anschlussfähig zum aktuell viel diskutierten soziologischen Konzept der Weltbeziehungen, Resonanzsphären und Resonanzachsen von Hartmut Rosa.6 Wolf entwirft im Unterschied zu Rosas Soziologie der Weltbeziehung vielleicht jedoch eher eine Philosophie der Zwischenweltbeziehung(-slosigkeit), einen mehrdimensionalen Ansatz für (drone-/club-)musikalisches Erleben zwischen klanglichem Kunstwerk und subjektabhängiger Les- und ›Belebensart‹ und untersucht damit höchst originell basale Zusammenhänge der Rezeption und Wirkung von Club-Musik im Speziellen und (Pop-)Musik im Allgemeinen: Welche Welterfahrungen öffnen sich durch die ›erlebten Hörsituationen‹? Was sind Eigenschaften dieser Musik und vor allem des akustischphysikalischen Materials, die andere Welten zwischen Voraussetzungshaftigkeit und Sinn-Freiheit erlebbar machen? Und wie kann dies wissenschaftlich beobachtet und messbar gemacht werden? Hier wären weitere Studien aufschlussreich und notwendig. Mit dieser aktualisierten und überarbeiteten Studie, die ursprünglich an der Humboldt-Universität zu Berlin im Studiengang Kulturwissenschaft als Masterthese eingereicht wurde, schließt sich auch persönlich ein vorrangig akademischer und immer auch motivierend undiszipliniert-transdisziplinärer Kreis, der von Luise Wolfs 4
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Vgl. Ben Malbon (1998): The club: clubbing: consumption, identity and the spatial practices of every-night life. In: Tracey Skelton und Gill Valentine (Hg.): Cool places: geographies of youth cultures. London und New York: Routledge und v.a. ders. (1999): Clubbing. Dancing, Ecstasy, Vitality. London und New York: Routledge. Malbon 1998, S. 281. Vgl. Hartmut Rosa (2020): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. 3. Auflage, Berlin: Suhrkamp.
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Bachelor-Studium Populäre Musik und Medien an der Universität Paderborn über das genannte Masterstudium, ihren ausgewählten und beeindruckenden Vortrag auf dem Research Networking Day des CTM – Festival for Adventurous Music & Arts 2018 bis zu dieser Publikation reicht. Luise Wolf selbst beschreibt ihren, auch aus all diesen Erlebnissen gespeisten und vor allem durch ihr Studium (un-)gezähmten und besonderen empirisch-theoretischen Blick in einer Mail an uns Herausgebende: »Der praxeologische Zugang zum Gegenstand, daher auch die konstruktive und synthetisierende Nutzung vieler unterschiedlicher Quellen und Perspektiven um alltägliche und subjektive Erfahrungen durch journalistische und wissenschaftliche Durchleuchtung tiefer oder überhaupt verständlich, vermittelbar und auf andere Weise wieder erlebbar zu machen.« Wir sind besonders glücklich, dass Luise Wolf ihre Studie in für solcherlei Publikationen schwierigen, durchkalkulierten und am Markt orientierten Zeiten bei uns veröffentlicht, die mit ihren verschiedenen Blicken und Schreibweisen durch Gattungen und Medien hindurch hervorragende Transfers zu leisten vermag und unsere Reihe schillernd erweitert!
Literatur: Henriques, Julian (2010): Sonic Bodies: Reggae Sound Systems, Performance Techniques & Ways of Knowing. Goldsmiths Research Online, Zugriff am 10.02.2022 unter: http://research.gold.ac.uk/4257/1/Henriques SonicBodiesIntro.pdf. Henschel, Robert (2015): Andere Orte, andere Körper. Zum Verhältnis von Affekt, Heterotopie und Techno und im Berghain. In: Samples. Online-Publikation der Gesellschaft für Popularmusikforschung, 13. Jg., Zugriff am 10.02.2022: http://gfpm-samples.de/Samples13/hen schel.pdf. Malbon, Ben (1998): The club: clubbing: consumption, identity and the spatial practices of every-night life. In: Tracey Skelton und Gill Valentine (Hg.): Cool places: geographies of youth cultures. London und New York: Routledge, S. 266 – 286.
Geleitwort der Reihenherausgeber:innen
Malbon, Ben (1999): Clubbing: dancing, ecstasy and vitality. London und New York: Routledge. Rosa, Hartmut (2020): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. 3. Auflage, Berlin: Suhrkamp. Beate Flath (Paderborn) Charis Goer (Utrecht) Christoph Jacke (Paderborn) Martin Zierold (Hamburg)
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Vorspiel: Sonosphäre
Donaufestival Krems, der 26. April 2013: Warten auf den nächsten Gig. Es ist schwer, wach und aufmerksam zu bleiben nach zwei Tagen laufendem Festival, dem Pendeln zurück nach Wien und dauernder Berichterstattung, dazwischen kaum Schlaf. Es folgt nun der letzte Act des Abends – The Haxan Cloak, der neben anderen Künstlern das neu gegründete Tri Angle Label aus London vertritt. Der studierte Sound Artist verschmelze laut Festivalprogramm Noise und Drone mit Techno,1 »Doom-Metal« und »Horror-Ambient« mit Chorälen und Cello.2 Die Lichter gehen aus. Bühne und DJ-Pult sind in tiefschwarzen Samt gehüllt. Auch an den Instrumenten, matt-metallischen Kästen, reflektiert kein Licht. Minutenlang ist es still und dunkel in dem flachen Containerraum, bis sich hinter dem Pult die Silhouette eines schwarzen Kapuzenumhanges abzeichnet. Niemand applaudiert. Ich frage mich, ob diese erwartende Stille zur Performance gehört. Und dann … kommt etwas, ein Sound, wie ich ihn noch nie zuvor gehört habe. Ein eigenartiges, bedrohliches, tiefes Dröhnen wird lauter, ein Rumoren, ein unheimliches Stöhnen geht auf und ab, wird mal Rauschen, mal Grollen. Weitere unerklärliche Klänge und Geräusche wie Klicken, Pulsieren oder Zucken erscheinen wie Emanationen dieses Dröhnens, als seien sie schon immer da gewesen 1
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Vgl. Remo Bitzi und Bobby Krlic (2014): The Haxan Cloak: Eine seltsame Kombination. In: Zweikommasieben Magazin. Ausg. 9, Interview, Luzern: Präsens Editionen, S. 21. Donaufestival Krems (2013): The Haxan Cloak: Tri Angle Label Night. In: Donaufestival. Programmtext, Krems-Stein/Donau: Nö-Festival-Ges.m.b.H.
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und schälten sich nun langsam aus der Sonosphäre. Sie fliehen mal in hohen Bögen steil hinaus und verklingen oder fallen schwer und abrupt in die sonore Masse zurück. Wie Wirbel eines nahenden Orkans schwillt sie dynamisch an und mit einem Schleier weißen Rauschens entfernt sie sich wieder, kreist dann im Raum. Ich lausche den Klängen wie gebannt und genieße das tiefe Dröhnen, das sich gleichmäßig über meinen Körper legt, beruhigend in meinem aufgewühlten Magen vibriert. Es ist langsam, beständig und wohlwollend. Indes, der Druck steigt … Ich versuche mir zu erklären, was ich da höre und wie es erzeugt wird. Es könnte sich um eine stark verlangsamte, tiefe Synthesizer-Melodie handeln oder das Dröhnen einer Bassgitarre oder keines von beiden. Vielleicht sind da sich um Vierteltöne verändernde Höhen, vielleicht sind es aber auch Überlagerungen einer Vielzahl von Frequenzen, von denen ich mal den höheren, mal den tieferen aufmerksamer zuhöre. Sinus-Signale, Knacken, Motorengeräusche und hektisches Ticken – immer mehr Sounds mischen sich ein, jetzt lauter und plötzlicher. Manchmal erschrecke ich. Der Sound baut sich auf zu einem einzigen Wabern; dicht, füllig und tief – Noise, sound itself, »Musik-Musik«3 . Sie klingt, als würde sie nur für sich selbst und aus sich selbst erklingen. Sie ist so unwirklich wie real gegenwärtig und diese Tatsache macht mich staunen. Ich lausche noch aufmerksamer hinein. Ich erkenne ihre Bedeutung nicht, vernehme keine Zitate oder musikalischen Gesten. Ich höre nur, dass da Klang ist und spüre wie er an mir und in mir widerhallt. Alles andere ist offen. Alles andere wäre Ablenkung davon, wie ich mir selbst bewusst werde – jetzt und hier physisch spürbar. Ich höre mir selbst beim Hören zu, beim Hinhören,
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Diedrich Diederichsen beschreibt mit dem Begriffspaar eine musikalische Stilistik Anfang der 1980er Jahre, deren Spielweise den Synthesizer »immanent« benutzte. Er meint damit die möglichst emotionsfreie, spontane Spielweise, die die Funktionsweise der Geräte ausdrücken sollte; vgl. ders. (2002): Sexbeat. Köln: Kiepenheuer & Witsch, S. 133.
Vorspiel: Sonosphäre
Zuhören, Vernehmen, immer wieder Aufhorchen und Lauschen.4 Ich höre immer mehr Facetten meines Hörens und fühle meinen Körper mitschwingen, bewegt werden. Ein Bewusstsein stellt sich mir ein, nein, vielmehr ein Dasein, das mir unbekannt war, obgleich es mir nun als Bedingung meines Selbstbewusstseins erscheint. Dieses Dasein füllt den Moment aus, die ganze Dauer des Sounds, die eine Zeit ohne Umwege ist, eine ›reine‹ Zeit, meine Zeit. Berührungen des Schalls, Gefühle und Gedanken verschwimmen in Eins. Und obgleich dieses Gespür so undurchdringlich ist, erscheint es mir, als könnte ich mehr fühlen; da ist ein Spüren an den Grenzen von Empfindungen, die bereits in andere, noch nie da gewesene übergehen. Ich komme jetzt und hier zur Ruhe, als ob sich alles Sosein der Welt zurückgezogen hätte für diesen Moment der reinen Präsenz und der bloßen Möglichkeit, diesen Moment des still-Seins im Klangwerden – »Tonus«5 . Die akustische Sphäre wird dichter, zäher, sie ist dickflüssig. Der Sound drückt sich in den Körper hinein, die Ohren, die Brust, die Bauchdecke und Organe. Meine Kehle schwillt an und der Kopf scheint hart und schwer zu werden. Das Atmen fällt schwer. Jede Bewegung strengt an. Mir wird ein wenig übel. Raum und Zeit werden träge. Bis einfahrende Bässe mich erschüttern, von innen ergreifen und schütteln und schlagen. Ich kann nicht mehr zwischen meinen Regungen und den Bewegungen der massiven Materialität der Klänge unterscheiden. Es ist, als nähmen sie alle Materialien im Raum mit sich und auch meinen Körper. Die Sonosphäre verdichtet sich zu einem Tosen, unglaublich laut, hoch, mittig und tief gleichermaßen, schwer und leicht, hart und weich. Allschwärze und gleißendes Stroboskoplicht wechseln im Millisekunden-Takt eines gewaltigen Basses, der keinen Anfang und kein Ende hat, dessen Taktwelle fließend und a-rhythmisch bebt.
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Jean-Luc Nancy differenziert zwischen diesen Hörweisen; vgl. ders. (2010): Zum Gehör. Zürich, Berlin: Diaphanes, S. 9 und 12f. Holger Schulze bezeichnet so den Körper des hörenden Subjekts, ders. (2008b): Bewegung Berührung Übertragung. Einführung in eine historische Anthropologie des Klangs. In: ders. (Hg.): Sound Studies: Traditionen – Methoden – Desiderate. Eine Einführung. Sound Studies, Bd. 1, Bielefeld: transcript, S. 149.
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Im Lichtdonner sind nur Silhouetten mir naher Körper erkennbar, bewegungslos wie meiner, die Köpfe hängen schlaff von den Schultern herab. Der Sound hetzt und verschleppt, verwirbelt und platzt herein und verwirrt alle noch bestehenden Punkte und Knoten meiner Orientierung in Zeit und Raum. Plötzlich zerstreuen die Sounds in alle Richtungen und verklingen. Weißer, süßlich duftender, kühler Pheromonnebel stößt in den Raum. Ich sehe offene Münder wie meinen, die Arme und Beine leicht aufgespannt – Körper, die nicht Widerstand sein möchten, sondern Membran, Hallraum, Zwischenraum oder Ventil. Der Körper hat sich verflüssigt, sich ›verklanglicht‹ und fühlt sich nun, da der Druck weicht, porös, weich und flexibel an. Ich spüre dem nach, spüre, wie er sich selbst wieder spürt, wo er sich seiner zuvor nie bewusst gewesen war. Mein Körper – eine Blackbox? Wie fühlen sich der Magen, die Nieren, die Augen von innen an und die Flüssigkeiten hinter der Stirn? Jede Frequenz scheint an bestimmten harten, weichen, inneren und äußeren Organen, Flächen und Substanzen des Körpers zu erklingen. Ein stampfender Bass teilt die haltlose Sonosphäre in Zeiteinheiten. Aus dem Klanggemisch quält sich ein geisterhaftes Piepen, aus dem ein heller Ton mit einer einfachen Melodie entsteht. Ich kann ihr zuhören, ihr folgen, ihren Sinn vernehmen und möchte, dass sie weiter erzählt. Noch lausche ich am Rande ihres klingenden Flüsterns, das noch wie der Luftstoß vor dem Wort ist, der Hauch, bevor der Mund zu sprechen beginnt. Ich fasse wieder klare Gedanken. Die Klangfarbe der Melodie ist seltsam, scheint mal traurig, mal freundlich und bleibt zwischen Dur und Moll im Zweifel. Mir wird diese so vertraute Form schnell fremd und unfasslich. Doch sie zieht beständig ihre Schritte durch die höheren Schichten des Klangraums und ich fühle wieder die Möglichkeit von Stille, Anfang und Ende, den festen Boden unter meinen Füßen, von Jetzt und Nachher, wenn dieser Moment Vergangenheit sein wird. Es stimmt ein Cello mit ein und mich auf die Welt, die ich kannte und nun anders erlebe; eine Welt, in der Musik Geschichte(n) erzählt. Meine Nackenhaare stellen sich auf bei der zierlichen Berührung eines Bratschentons. Streicher und Percussions rascheln und vibrieren immer schneller und dünner bis nichts mehr übrig bleibt, nur
Vorspiel: Sonosphäre
mehr ihre letzten Atemzüge im unnachgiebigen Schlagen des Basses widerhallen. Ein Bass, dessen mannigfaltiger Gestalten ich mich entsinnen kann. Sein letzter Schlag klingt noch lange aus, Sekunden, Minuten vielleicht. Und ich höre darin die Räume der letzten Minuten oder Stunden widerhallen und die weite, offene Sphäre aller Räume.
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1. Einleitung
The Haxan Cloaks Performances erzeugen eine ungekannte Intensität und Differenzialität der körperlichen Erfahrung von Sound. Der Musiker James Kelly alias Wife meint, die ›verführerisch schwarze‹ Musik seiner Szene wirke als Kompensation ›verloren gegangener Intensität‹.1 Der Journalist Remo Bitzi spricht von einem »Überdruss an ›einwandfreier, glattpolierter Musik‹«.2 Elektronische Genres aus dem Kontext der Clubkultur vermitteln vor allem Körperlichkeit und Immersion – das ist »Musik des Moments«, so Diedrich Diederichsen.3 Rhythmus und Lautheit stehen im Zentrum der Rezeption. Doch mit dieser neuen Ausformung des wohl am ehesten als ›Body Music‹4 zu bezeichnenden Stils, der sich vorwiegend zwischen Drone, Noise, Industrial und Ambient bewegt, wird das Konzept spürbar weiterentwickelt. Künstler:innen und Bands 1
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Vgl. Remo Bitzi und Samuel Savenberg (2013): The Haxan Cloak, Prurient, Wife, Oneirogen: Metal trifft Techno. In: Spex. Zugriff am 10.02.2022 unter: http://web.archive.org/web/20140614184649/www.spex.de/2013/08/23/th e-haxan-cloak-prurient-wife-oneirogen-metal-trifft-techno, S. 2. Ebd. Diedrich Diederichsen (2008): Moment und Erzählung. In: Kaspar Maase (Hg.): Die Schönheiten des Populären. Ästhetische Erfahrung der Gegenwart. Frankfurt a.M. und New York: Campus, S. 185. Die Bezeichnung Body Music ist hier von der so genannten Electronic Body Music (EBM) inspiriert, doch unterscheidet sich diese in Rezeption und Spielart doch vermutlich eklatant von der Praxis, die ich hiermit bezeichne; vgl. Joachim Gauger u.a. (Red.) (o. D.): EBM. In: Laut. Lexikoneintrag, Zugriff am 10.02.2022 unter: https://laut.de/Genres/EBM-85.
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wie The Haxan Cloak, Sunn O))) oder The Bug (be-)spielen die Körper tiefenästhetisch5 . Nicht nur Lautheit und Bässe zielen darauf ab, die körperliche Erfahrung wird in ihrer Mannigfaltigkeit und Tiefenresonanz akustisch geradezu moduliert.6 Der Körper wird von Klang dominiert, wird als ›aural-taktiles Organ‹7 spürbar. Bobby Krlic alias The Haxan Cloak komponiert eine Klangsphäre, die Hörer:innen körperlich und emotional intensiv affiziert.8 Er kreiert bis dato neue, ungehörte Klänge – das musikalische Material erscheint dabei mittels digitaler Klangsynthese unendlich und frei variierbar.9 Analog und synthetisch erzeugte Sounds werden von ihm in ihre einzelnen Klangvariablen zerlegt, variiert und zu gedehnten Clustern und Texturen ›puren‹ Sounds collagiert.10 Mit dem 2013 veröffentlichten zweiten Album Excavation11 kreiert The Haxan Cloak einen Sound, der – Kritiker:innen zufolge – Freude mit Angst paart, indem er uns mit ›Kräften‹ konfrontiert, die ›endlos‹ und ›unergründlich‹ erscheinen, die ›vor-sprachlich und unterbewusst‹ funktionierten.12 Bewegte sich The Haxan Cloaks gleichnamiges Debutalbum noch in musikalischen
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Vgl. Wolfgang Welsch (1993): Die Aktualität des Ästhetischen. München: Fink, 1993, S. 17-20. Folgend werde ich Begriffe, die ich im Sinne bestimmter Bedeutungsweisen oder Lesarten benutze, in dieser Form auszeichnen. Vgl. etwa Olivia Lucas (2014): Maximum volume yields maximum results. In: Marcel Cobussen und Vincent Meelberg (Hg.): Journal of Sonic Studies. Ausg. 7, Zugriff am 10.02.2022 unter: https://researchcatalogue.net/view/84314/8780 5 und Maya Kalev und Bobby Krlic (2013): Deeper Underground: An Interview With The Haxan Cloak. In: The Quietus. Interview, Zugriff am 10.02.2022 unter: https://thequietus.com/articles/11966-haxan-cloak-excavation-interview. Vgl. Lucas 2014, S. 7. Vgl. Kalev und Krlic 2013, S. 3. Vgl. Kalev und Krlic, S. 2-4 sowie Larry Fitzmaurice und Bobby Krlic (2013): The Haxan Cloak. In: Pitchfork. Interview, Zugriff am 10.02.2022 unter: https://pitch fork.com/features/rising/9070-the-haxan-cloak, S. 7. Vgl. Kalev und Krlic 2013, S. 2. The Haxan Cloak (2013b): Excavation. 2 LPs, CD und digital, New York: Tri Angle. Vgl. Philip Sherburne (2013): The Haxan Cloak, ›Excavation‹ (Tri Angle). In: Spin. Zugriff am 10.02.2022 unter: https://spin.com/2013/04/the-haxan-cloakexcavation-tri-angle-bobby-krlic, S. 2.
1. Einleitung
Strukturen, die durch die Verwendung von Streichern und Chorälen im Umfeld von Horror Ambient und Witch House rezipiert wurden, geht sein Nachfolgeralbum weit über alle Hörgewohnheiten und Genregrenzen hinaus.13 Es beginnt allerdings mit demselben tiefdröhnenden Rauschen, das das Vorgängeralbum abschließt; einem musikalischen Element, das zugleich Ton, akustischer Effekt und Genre-Bezeichnung seiner Musik ist; dem drone. Drone Music ist – so der Musikkritiker Mark Richardson 2007 im Pitchfork Magazin – »wenn die Fixierung auf Haltetöne einen Wendepunkt erreicht«, sodass die Interaktion zwischen Bass und Clustern ›purer‹ Töne zum musikalischen Inhalt würde.14 So strapaziere und erneuere Drone Music die Unterscheidung zwischen Musik und NichtMusik.15 Rezeptionsberichte – wie mein eigener16 – zeugen von dieser Unverortenbarkeit The Haxan Cloaks Musik in einem bestimmten Genre und von der fast gänzlichen Abwesenheit musikalisch-semantischer Konventionen, Gesten oder Motive.17 Sie findet in popmusikalischen Kontexten ebenso Aufmerksamkeit wie als zeitgenössische Avantgarde oder Sound Art.18 Die Performances kanalisieren die Hörerfahrung des
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Vgl. ebd., S. 1f. Mark Richardson (2007): Stars of the Lid: And Their Refinement of the Decline. In: Pitchfork. Zugriff am 10.02.2022 unter: https://pitchfork.com/reviews/albums/10064-and-their-refinement-of-the-decline. [Übersetzung aus d. Engl. v. L. W.] Vgl. ebd. Siehe auch meinen Konzertbericht: Luise Wolf (2013): Krèms brûlée 2 & 3. In:The Gap. Zugriff am 10.02.2022 unter: https://thegap.at/musikstories/artikel/kremsbrulee-2-3. Vgl. u.a. Sherburne 2013. Bianca Ludewig beobachtete, dass sich Genres wie Drone und Noise ausdifferenzieren, sobald den Produzent:innen bestimmte Klänge und Arrangements zu konventionell erscheinen; vgl. dies. (2014): Klänge, die weh tun. Über die Eröffnung sonischer Möglichkeitsräume in der dystopischen Musik des Hardcore Techno. In: Susanne Binas-Preisendörfer, Jochen Bonz und Martin Butler (Hg.): Pop/Wissen/Transfers. Zur Kommunikation und Explikation populärkulturellen Wissens. Berlin: LIT, S. 68. Vgl. Kalev und Krlic 2013, S. 4f. sowie Bitzi und Savenberg 2013, S. 1.
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›puren‹, scheinbar ent-referenzialisierten Sounds, die visuelle Wahrnehmung wird weitestgehend zurückgedrängt.19 Darüber hinaus erzählen Rezipient:innen von Erfahrungen, die ihnen anscheinend nur diese spezifische Musik(sub)kultur verschafft; die sinnliche und reflexive Wahrnehmung wird durch die Erfahrung klanglicher Materialität grundlegend verwandelt.20 Von einer ungewohnt intensiven Materialität der Musik ergriffen, hören Rezipient:innen in dieser Musik eine ›ganze Welt‹ oder eine ›eigene Welt‹.21 Sie wähnen sich in andere Räume und Zeiten versetzt, spüren ungekannte Körpererregungen und -spannungen, Vibrationen an spezifischen Körperstellen, die sie nie zuvor resonieren fühlten.22 Manchmal geht dies Bemerken mit einem Erschaudern, Unwohlsein oder gar Angst einher.23 The Haxan Cloak möchte mit seiner Musik »Wohlbehagen im Unbehagen« finden, wie er im Interview mit Larry Fitzmaurice vom Pitchfork Magazin sagt.24 Beim Hören von ›dunklen‹ Genres elektronischer Musik wie Drone, Noise, Hardcore oder Industrial würde die »ästhetische Belastbarkeit vermessen«, so Bianca Ludewig.25 »[S]aturating border experience« – so beschreibt Joseph Nechvatal die Erfahrung von Noise Music.26 Sie könne ein Schwanken der Wahrnehmung evozieren: sich unheimlich
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Vgl. Bitzi und Krlic 2014, S. 23f. Vgl. Kalev und Krlic 2013, Fitzmaurice und Krlic 2013 sowie Bitzi und Krlic 2014. Vgl. Nick Neyland (2013): The Haxan Cloak. Excavation. In: Pitchfork. Zugriff am 10.02.2022 unter: https://pitchfork.com/reviews/albums/17732-the-mirror-reflec ting-part-2-excavation, S. 9 und Sven Kabelitz (o. D.): The Haxan Cloak: Excavation. Mutige hören das bei voller Lautstärke und mit geschlossenen Augen. In: Laut. Zugriff am 10.02.2022 unter: https://laut.de/The-Haxan-Cloak/Alben/Exca vation-89423, S. 1. Vgl. ebd., Fitzmaurice und Krlic 2013, S. 7-10 sowie Kalev und Krlic 2013, S. 1-3. Vgl. Kalev und Krlic 2013, S. 2f. sowie Kabelitz (o. D.), S. 1. Bobby Krlic, zit.n. Fitzmaurice und Krlic 2013, S. 7. [Alle Übersetzungen aus d. Engl. v. L. W.] Ludewig 2014, S. 85. Joseph Nechvatal (2011): Immersion Into Noise. Ann Arbor: Open Humanities Press, S. 16.
1. Einleitung
nahe sein und unglaublich weit entfernt fühlen.27 Momente der Immersion und des Exzesses, der sozialen Unterbrechung, Frustration und Störung könnten im Noise gleichfalls Glücksmomente auslösen.28 Die Hörer:innen The Haxan Cloaks berichten ebenfalls von drastischen und konträren Empfindungen; sie erleben die Musik mal als ›inspirierend‹, ›berauschend‹ und ›kathartisch‹, mal als physisch ›absorbierend‹ und ›furchterregend‹.29 Sogar krankhafte Gefühle treten auf, auch beim Produzenten.30 Wie kommt es zu so unterschiedlichen Rezeptionsweisen oder -wirkungen? Wie kann das Hören ›puren‹ Sounds das Gefühl auslösen, sich selbst ganz nahe zu sein oder aber sich zu verlieren? Wie kreiert Musik, die anscheinend frei von musikalischen Codes operiert, überhaupt Bedeutung und die Erfahrung einer ›anderen Welt‹? Mich interessieren die künstlerischen und subjektiven Bedingungen, unter denen wir ein musikalisches Werk als so umfassend transformierend und drastisch erleben. Wodurch stoßen Hörer:innen auf einen Sinn für das Mögliche oder erfahren einen Verlust, einen Selbst-, Sinn- oder Sinnesverlust wie in der ›Absorption‹?
Theoretischer Kern Mitschwingen und Ergriffensein, Dissonanz und Widerständigkeit – der Klangerfahrung sind in ihrer spezifischen Medialität besondere Bedingungen und Möglichkeiten ästhetischer Erfahrung immanent. Jedem Nachvollzug von Klang liegt eine reale Bewegung, ein wirklich physisches Bewegtwerden zugrunde.31 Erst im Wiederhören prägen sich
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Vgl. ebd., S. 29. Vgl. ebd., S. 13-15. Vgl. Kalev und Krlic 2013, S. 3 sowie Neyland 2013, S. 9. Vgl. Kalev und Krlic 2013, S. 3. Vgl. Christian Grüny (2014): Kunst des Übergangs. Philosophische Konstellationen zur Musik. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft, S. 326f. Für eine Etablierung sonischer Materialität als zentrale Kategorie der Musikrezeption in der Musik-
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musikalische Konventionen aus, erst die Wiederholung eines Gedankens, einer Bezeichnung oder Handlung schafft Ordnung, Symbolisierung, Disziplinierung.32 Der Sound-Forscher Paul C. Jasen schreibt: »When bass moves bodies, it puts them at variance with themselves«.33 Der Musikethnologe Jochen Bonz schreibt, sonische Materialität könne uns »alternative Konventionen, neue kulturelle Bedeutungsartikulationen« eröffnen.34 Rezipient:innen hörten im ›puren‹ Sound – von semantischer Kodierung befreit – das Leben, »wie es sein könnte«.35 Mit dieser »Ungekanntheit des Materiellen« sei aber zunächst lediglich artikuliert, »dass da etwas ist«, so Bonz.36 Klangliche Materialität gilt mitunter als das ›Unaufschreibbare‹ und das ›Andere der Schrift‹.37 Die wissenschaftlichen Desiderate Sensory Turn und Material Turn zeigen aber einen Paradigmenwechsel in den Geistes- und Kulturwissenschaften an: Körperlichkeit und Materialität werden zunehmend als kulturell bedeutsam erkannt.38
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und Kulturwissenschaft plädieren John Shepherd und Peter Wicke (1997): Music and Cultural Theory. Cambridge: Polity Press. Vgl. Jochen Bonz (2011): Soziologie des Hörens. Akustische Konventionalität und akustische Materialität als Kategorien subjektorientierter Popkulturforschung. In: Christoph Jacke, Jens Ruchatz und Martin Zierold (Hg.): Pop, Populäres und Theorien. Forschungsansätze und Perspektiven zu einem prekären Verhältnis in der Medienkulturgesellschaft. Populäre Kultur und Medien, Bd. 2, Münster: LIT, S. 122f. und Schulze 2008b, S. 146ff. und 157ff. Paul C. Jasen (2016): Low End Theory: Bass, Bodies and the Materiality of Sonic Experience. London und New York: Bloomsbury Music, S. 22. Bonz 2011, S. 130. Ebd., S. 128. Ebd., S. 132. Vgl. Jens Gerrit Papenburg und Holger Schulze (2011): Fünf Begriffe des Klangs. Disziplinierungen und Verdichtungen der Sound Studies. In: Positionen. Texte zur aktuellen Musik. Nr. 86, Berlin: Positionen, S. 13. Vgl. David Howes (2013): The Expanding Field of Sensory Studies. In: Sensory Studies. Zugriff am 10.02.2022 unter: https://sensorystudies.org/sensorial-invest igations/the-expanding-field-of-sensory-studies und Holger Schulze (2018): The Sonic Persona. An Anthropology of Sound. New York u.a.: Bloomsbury Academic.
1. Einleitung
Meine Kernfrage lautet also: Wie genau kann sonische Materialität eine bedeutsame Erfahrung evozieren, die andere Empfindungs-, Denk- und Handlungsweisen eröffnet? Materialität ist keine Tautologie, sie hat keine luzide Bedeutung, doch auch nicht allein die Bedeutung der Materialität an sich, wie Christian Grüny auseinandersetzt.39 Wäre dem so, müsste sie im Alltagsverständnis als zugängliche, selbstverständliche Rezeptionsform verankert sein, wie Grüny bemerkt.40 Wie kann die Bewegung des Klanglichen selbst Sinn mit-transportieren – oder ist ein Ereignis, das ›andere Welten‹ eröffnet, gar nicht an semantischen Sinn geknüpft? Welcher Sinnbegriff ist für die Musikrezeption relevant? Welche Rolle spielen Höreinstellungen, -techniken und Hörerfahrungen der Rezipient:innen und ihre ganz situativen Dispositionen? Wenn die Musik, wie Hörer:innen The Haxan Cloaks es beschreiben, über sie ›hinausragt‹,41 sie unwillkürlich bewegt, der Sound etwas Mystisches oder Bedrohliches erhält, verweist dies allerdings auch auf eine Wirkkraft des Mediums, die die subjektive Wahrnehmung und Erkenntnis übersteigt. Kann Klang für sich spielen, wie Jean-Luc Nancy behauptet?42 Besitzt er autonome Kräfte? Da die leibliche Erfahrung dieser Musik die Rezeption dominiert, versuche ich in dieser Arbeit eine differenzierte Perspektive auf sonische Materialität zu entwickeln. Ich versuche herauszufinden und zu veranschaulichen, wie genau sie uns in einer erlebten Hörsituation konventionelle Voreinstellungen und Deutungen entzieht; und wie sie andere, mögliche eröffnet, was im Klang, was in den Subjekten und zwischen beiden vor sich geht. Die Durchdringungswirkung der Musik soll als mehr begreifbar werden als ein äußerer Bezugspunkt des Sagbaren oder Vermittelbaren. Was wirkt im ›Material‹ der Musik, dass sie uns eine ›andere Welt‹ erfahren lässt?
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Vgl. Grüny 2014, S. 301. Vgl. ebd. Vgl. Neyland 2013, S. 9. Vgl. Nancy 2010, S. 46ff.
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Vorschau Um an Hörerfahrungen der Leser:innen anzuknüpfen, möchte ich mich vorerst phänomenologisch mit dem Gegenstand auseinandersetzen. Phänomenologische Positionen ergründen die subjektiven Einstellungen und Wahrnehmungstechniken einer ästhetischen Erfahrung, ihre Transzendenz in der subjektiven Erfahrung und die selbstreflexive und kognitive Autonomie der Rezipient:innen gegenüber dem Kunstwerk. Diese Positionen können ein Licht darauf werfen, wie Musik uns zur ästhetischen Erfahrung werden kann, wie wir durch unsere Aufmerksamkeit und Wahrnehmungsfähigkeit neue Sinnzusammenhänge und ›andere Welten‹ erahnen können. Wie meine eigene und die Erfahrungen anderer Kritiker:innen zeigen, entzieht sich diese Musik aber zuweilen der selbstbestimmten und selbstreflexiven Rezeption und gegebenen Deutungsweisen überhaupt. Wie also ist dies Unfassbare, Widerständige der Musik zu erklären? Ich werde an dieser Stelle das Verhältnis körperlicher und reflexiver Rezeption untersuchen und die Bedingungen und Grenzen subjektiver Autonomie in der Hörsituation. Und zwar einer extremen Hörsituation in einer bestimmten Performance-Kultur, sodass also auch die praktischen, die medialtechnischen und räumlich-situativen Rezeptionsbedingungen dieser Subkultur eine Rolle spielen. Weiterhin muss auch das Konzept von Musik als ›Gegenstand‹, als ›gestaltetes Material‹ oder Medium der Vermittlung einer kritischen Befragung unterzogen werden. Wenn sie sich unserer Machbarkeit und Rezeption entzieht; hat die physischmateriale Ebene der Musik eine eigene Wirkkraft? Mit der Kunsttheorie Gilles Deleuze’ und Félix Guattaris lässt sich erahnen, dass diese »Konsistenzebene«43 der Musik autonome Kräfte besitzt, dass sie selbst transzendent werden und eigene »Spielarten«44
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Gilles Deleuze und Félix Guattari (1992): Kapitalismus und Schizophrenie. Tausend Plateaus. Berlin: Merve, S. 382ff. Gilles Deleuze und Félix Guattari (2000): Was ist Philosophie? Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 197.
1. Einleitung
ausprägen könnte. Die Philosophen vertreten die Vorstellung einer affektiven und expressiven künstlerischen Materialität, die an sich ästhetisch und potentiell transzendent sowie autonom ist; eine Zusammensetzung von materiellen Verbindungen, die selbst Gefühl sei.45 Könnten diese Spielarten auch die Resonanz zwischen Rezipient:innen und Kunstwerk beschreiben? Und können diese Prozesse ganz konkret am physikalisch-akustischen Material nachvollzogen werden? Spielt Klang Gefühle und Gedanken in uns hinein? Wie können diese Fragen wissenschaftlich beantwortet werden? Dazu bedarf es weiterer Perspektiven auf das Phänomen oder Ding Klang. In einer ontologischen Auseinandersetzung mit sonischer Materialität werde ich mich mit den tiefenästhetischen Schichten des Mediums beschäftigen. Wie genau und unter welchen Bedingungen resonieren Klang und Körper miteinander? Hier besteht nun die Möglichkeit, jene ungekannte Materialität einmal grundlegend und an und für sich zu beforschen und die ästhetische Erfahrung der Musik mit den physikalisch-akustischen und körperlichen Prozessen in Verbindung zu bringen. Autor:innen der Sound Studies, Klanganthropologie und Ästhetischen Theorie sensibilisieren für die Mannigfaltigkeit und epistemische Bedeutsamkeit materieller und leiblicher Vorgänge.46 In der Synthese ihrer Erkenntnisse mit naturwissenschaftlichen Anschauungen versuche ich einen ›tiefen‹ Blick ins Material Klang zu ermöglichen. Ich versuche eine Perspektive zu schaffen, die sowohl die physikalische Messbarkeit als auch die Unberechenbarkeiten und Eigendynamik des Sonischen und die Subjekte sowohl in ihrer leiblichen Involviertheit als auch ihrer Reaktions- und Reflexionsfähigkeit berücksichtigt. Um ein Resonanzmodell zu entwickeln, das eine ›Draufsicht‹ auf den Resonanzraum eröffnet, werde ich sowohl Klang- als auch Subjektkörper an und für
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Vgl. ebd., S. 191-196. Vgl. hierzu u.a. Schulze 2008b, S. 155ff., Karl Mertens (2011): Die Leiblichkeit des Handelns. In: Friedrich Jaeger und Jürgen Straub (Hg.): Handbuch der Kulturwissenschaften. Paradigmen und Disziplinen. Bd. 2, Stuttgart und Weimar: J.B. Metzler sowie Rick Dolphijn und Iris van der Tuin (2012): New Materialism: Interviews & Cartographies. London: Open Humanities Press.
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sich sowie in ihrer wechselseitigen Wirkkraft bzw. Handlungsfähigkeit betrachten, ihre Teilhabe und Autonomie, Schwingung und Widerständigkeit. Denn der Gegenstand an sich ist nicht greifbar, wenn er ausschließlich als Teil einer subjektiven Erfahrung theoretisiert wird. Oder mit den Worten Salomé Voegelins ausgedrückt: »Hearing does not offer a meta-position; there is no place where I am not simultaneous with the heard.«47 Erst in extremen Situationen sonischer Dominanz48 erscheint Klang als eigene, autonome Kraft – wenn der Boden schwingt oder die Bauchdecke vibriert. Und erst in polaren theoretischen Konstruktionen kann begreifbar werden, wie Affektion und Distanznahme, Sichverlieren im und Sichlösen vom Sound auseinandertreten, wie Klang Sinn und Sinne formt, wie er Zeit- und Raumerfahrung prägt, ereignishaft wird.49 Folgend können die eingeführten Theorien und Perspektiven an eine musikalische Analyse von The Haxan Cloaks Album Excavation angeschlossen werden. Ich untersuche die physikalisch-akustischen und (psycho-)akustischen Effekte der Musik und konkrete Hörsituationen. Die eingeführten Kunsttheorien finden in diesem Kapitel Anwendung und ästhetische Begriffe werden akustisch und hörphysiologisch ausgedeutet – musikalische Affekte und Spielarten, das Rauschen der musikalischen Erfahrung, das Anästhetische des Klingenden, die Autonomie des Kunstwerks. An spezifischen akustischen Quantitäten möchte ich zeigen, wie Klang und Körper in dieser Musik tatsächlich miteinander in Verbindung treten, wie akustische Effekte sinnliche Wahrnehmungen und sinnhafte Auffassungen kanalisieren, wie Hörtechniken die leibliche Erfahrung einstellen und so bestimmte Reflexionen evozieren oder verhindern. Berichte anderer Kritiker:innen unterstreichen dabei den
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Salomé Voegelin (2010): Listening to Noise and Silence. Towards a Philosophy of . York: Continuum, S. xii. , . . Sound Art. New Julian Henriques führte diesen Begriff ein; vgl. ders. (2010): Sonic Bodies: Reggae Sound Systems, Performance Techniques & Ways of Knowing. Goldsmiths Research Online, Zugriff am 10.02.2022 unter: https://research.gold.ac.uk/id/eprint/4257/ 1/HenriquesSonicBodiesIntro.pdf, S. 1. Vgl. Mertens 2011, S. 333f.
1. Einleitung
persönlichen Eindruck, sich mit bestimmten Momenten und Aspekten der Musik stärker auseinanderzusetzten und veranschaulichen zudem die Musikerfahrung für die Leser:innen.50 Natürlich werden dabei auch die Produktionsbedingungen und die Aufführungspraxis dieser Musik berücksichtigt;51 die (Re-)Produktion und Bearbeitung synthetischer Klänge mit Hilfe digitaler AudioSoftware und Drum-Machines.52 Welche ästhetischen Überschüsse produziert diese Kompositionsweise, dieser Umgang mit Klingendem als unendlich variierbarem Material?53 Sie lässt es jedenfalls nicht mehr zu, allein von konventionellen musikalischen Kategorien wie Timbre oder Melodie zu sprechen, denn sie operiert mit feineren Variablen der Akustik.54 Sie bildet das physikalisch-akustische Wirken des Klanglichen ab. Doch auch diese Produktionsweise basiert auf bestimmten Auffassungen von Klang. Was heute in Sound-Bibliotheken und Presets vorliegt, ist gestaltet und ›entdeckt‹ worden. Ein kurzer Exkurs in die Anfänge elektronischer Klangerzeugung soll dies verdeutlichen. Werke des Avantgarde-Musikers Alvin Lucier lassen bewusst werden, wie Klänge tatsächlich physikalisch-akustisch
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Obgleich ich hier die Live-Erfahrung der Musik zum Gegenstand nehme, werden auch Album-Rezensionen, Features und andere journalistische Gattungen herangezogen. Wie mit diesen Quellen umgegangen werden kann, werde ich noch an gegebener Stelle erläutern. Peter Wicke macht darauf aufmerksam, dass wissenschaftliche Auseinandersetzung mit popkulturellen Phänomenen interdisziplinär vorgehen muss, um dem Gegenstand weder Inhalte zu unterstellen noch Inhaltslosigkeit, wo es nicht um Inhalte selbst gehe. Auch sollten popkulturelle Phänomene nicht als bloße Prozesse technischer oder symbolischer Kultur verstanden werden, die selbst austauschbar wären; vgl. ders. (2002): Popmusik in der Theorie. Aspekte einer problematischen Beziehung. In: Charis Goer, Stefan Greif und Christoph Jacke (Hg.) (2013): Texte zur Theorie des Pop. Stuttgart: Reclam, S. 287f. Vgl. Kalev und Krlic 2013, S. 2f. Vgl. Adam Harper (2011): Infinite Music. Imagining the Next Millennium of Human Music-Making. Alresford: Zero Books, S. 26f. Vgl. Donald E. Hall (2008): Musikalische Akustik. Ein Handbuch. Mainz u.a.: Schott, S. 143f.
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›autonom‹ werden können und wie sie – »sich selbst überlassen«55 – in die Komposition und eine veränderte Auffassungen vom Werk und der Musik eingehen. In seinen minimalistischen Stücken tritt diese materielle Autonomie gar noch deutlicher hervor als in den überwältigenden Arrangements von The Haxan Cloak. Im letzten Kapitel geht es abschließend noch einmal um die Frage, unter welchen Bedingungen The Haxan Cloaks Musik zur Katharsis oder zur Ohnmacht für die Hörer:innen wird. Ich versuche hier ein begriffliches Repertoire zu entwickeln, das sowohl die subjektiven als auch musikalischen, die willkürlich-reflexiven als auch körperlich-unwillkürlichen Rezeptionsprozesse ausdrückt. Zumeist sind es nicht bloße Überwältigung oder rauschhaftes Ergriffensein, die die Hörerfahrungen prägen. Aus den ontologischen Betrachtungen zu Klang, Körpern und musikalischer Erfahrung und aus der Analyse der Musik und ihrer spezifischen Performance- und Rezeptionskultur ergibt sich ein mehrdimensionales Feld. Die Kritiker:innen erzählen von Erfahrungen zwischen Selbstverlust und -erfüllung, zwischen Sinn und Freiheit von Sinn. Ihre Reaktionen auf die Intensität der Musik liegen zwischen Hingabe und Distanznahme zur Musik oder in einer kreativen Überreaktion. Die Bedingungen für die so unterschiedlichen Erfahrungen liegen sowohl im Ereignis der Musik als auch der Einstellung der Hörer:innen, deren Hörerfahrungen und Bezug zur Musik in dem Moment. Ich schlage hier ein begriffliches Repertoire vor, das diese Mehrdimensionalität der musikalischen Erfahrung ausdrückt, das diese nicht allein aus den kognitiven Einstellungen und Reflexionen der Subjekte erklärt, aber auch nicht bloß Überwältigung konstatiert. Vielmehr soll verständlich werden, wie Hörer:innen vom Sound unwillkürlich ergriffen werden und sich dennoch davon distanzieren können, wie sie neue
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Alvin Lucier, zit.n. Douglas Simon und Alvin Lucier (1995a): » … Alphawellen sich selbst überlassen«. Music For Solo Performer (1965). In: Gisela Gronemeyer und Reinhard Oehlschlägel (Hg.): Alvin Lucier. Reflexionen. Interviews, Notationen, Texte 1965-1994. Interview, Köln: MusikTexte, S. 59. [Alle Übersetzungen aus d. Engl. v. Markus Trunk, Gisela Gronemeyer und Frank Gertich]
1. Einleitung
eigene Spielarten des Hörens und Bedeutens der Musik entwickeln. Eine Ästhetische Theorie der Musik sollte sowohl die reflexive Autonomie der Subjekte als auch die sonische Dominanz berücksichtigen, sie sollte sowohl die durch das Kunstwerk gestaltete Wirklichkeit ernst nehmen als auch die Fähigkeit der Subjekte, diese zu beleben.
Ansätze und Methoden Ich versuche stets einen praxeologischen Zugang zum Gegenstand zu wahren und abstraktere oder nicht Musik-bezogene Theoreme auf die gelebte Musikpraxis zu beziehen. Insbesondere Musikjournalist:innen setzten sich mitunter sehr differenziert und anschaulich mit The Haxan Cloaks Album Excavation auseinander und zudem in einem ähnlichen Kontext wie ich erstmals: als Journalistin, im Club- oder Konzertraum, zwischen emotionalem Mitgerissenwerden und distanzierter Reflexion. Zum Umgang mit diesen journalistischen Quellen: Sie fungieren als Ego-Dokumente und Reflexionen kollektiven Wissens, die Autor:innen sind zum Teil intrinsisch motivierte Fans und distanzierte Beobachter.56 In dieser Doppelfunktion oder Zwischenposition dokumentieren und veranschaulichen ihre Artikel zudem den Transfer zwischen Praxis und Theorie, zwischen subjektiver Teilhabe und sachlicher Analyse.57 Sie setzen die Erfahrung des Spezifischen und Einzelnen in eine kollektive Reichweite und schließen sie an Diskurse an, die sie selbst mitgestalten oder gar initiieren.58 Methodisch beziehe ich mich auf Christoph Jackes Analyse der Funktionen des Journalismus und seine Empfehlungen zum wissenschaftlichen Umgang mit Journalismus über
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Vgl. Christoph Jacke (2009): Einführung in Populäre Musik und Medien. Populäre Kultur und Medien, Bd. 1, Berlin: LIT, S. 118 und 123ff. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 123f.
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Pop.59 Weiterhin berücksichtige ich den Leitfaden des Medienwissenschaftlers Werner Früh. Bei einer qualitativen Inhaltsanalyse wird nicht nur das erfasst, was tatsächlich dasteht, so Früh, sondern auch Umschreibungen oder Hinweise auf die gemeinte Bedeutung, also semantische Implikationen.60 Sie transportieren die persönliche bedeutsame ästhetische Erfahrung, die journalistische Beurteilung und die Vermittlung bestimmter Werte.61 Indem ich Theoreme und Methoden verschiedener Disziplinen, wissenschaftlicher und nicht-wissenschaftlicher, an den Gegenstand herantrage, erhoffe ich mir, das Phänomen und seine ästhetische Praxis in ihrer Vielschichtigkeit zu begreifen. Es ist mir bewusst, dass die Rezeptionsweisen, die ich hier erörtere, keinen Alleingeltungsanspruch haben. Es geht mir hier auch nicht darum, den Gegenstand auf den einen oder anderen Kunstbegriff zu ›eichen‹ oder eine bestimmte wissenschaftliche Perspektive herauszustellen. Meine Arbeit zielt auf die Sensibilisierung für ein musikalisches Phänomen – das sich zudem als über E- und U-Musik-Grenzen hinaus relevant darstellt – unter dem Aspekt seiner Materialität. Gerade das Bemerken von Klang als physisch-reale, rauschende Bewegung zeigt die eigentliche Vermengung und Übergängigkeit solcher Kategorien an.62 Ich halte es deshalb für angemessen, je nach Kontext meiner Ausführungen von Sound Art oder Popmusik oder von Kunst zu sprechen. Es geht mir hier um die
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Zur Unterscheidung zwischen ›Journalismus über Pop‹ und ›Popjournalismus‹ vgl. ebd., S. 116. Vgl. Werner Früh (2007): Inhaltsanalyse. Theorie und Praxis. Konstanz: UVK Medien, S. 52-56. Vgl. ebd. Der teilweise Verlust eindeutiger Referenzen des Sounds an reale Klangquellen und -räume schlägt sich natürlich auch in den Erfahrungsberichten wieder – oft oszillieren sie zwischen Diskurs und persönlicher Befindlichkeit, zwischen Anschluss und Neologismus; vgl. Neyland 2013. Vgl. Wolfgang Hattinger (1997): Wenn das Rauschen nicht mehr aufhört. In: Otto Kolleritsch (Hg.):»Lass singen, Gesell, lass rauschen…« Zur Ästhetik und Anästhetik in der Musik. Studien zur Wertungsforschung, Bd. 32, Wien und Graz: Universal-Edition, S. 241 und Jasen 2016, S. 12f.
1. Einleitung
Möglichkeit der Öffnung oder Distanz von Rezeptionsweisen zugunsten eines körperlichen Erlebens und dessen ganz eigener, vielleicht noch ungekannter Wirkkraft und Bedeutsamkeit. Eine transdisziplinäre Vorgehensweise – von Ästhetik über Klanganthropologie und Sound Studies bis hin zur Akustik – schlage ich ein, um Fragestellungen mit möglichst ›hoher Auflösung‹ beantworten zu können. Ich pflege einen konstruktiven Umgang mit den verschiedenen Anschauungen und je spezifischen Begrifflichkeiten, da es mir in dieser Arbeit nicht um wissenschaftstheoretische oder -historische Fragen geht. Gemeinsame Fragestellungen verschiedener Disziplinen schaffen vielmehr eine Freiheit, schaffen Desiderate, aus deren Erfahrung heraus ich selbst schreibe. Sie dienen mir nicht bloß als ›Wissensvorrat‹, mit dem man freies Sampling betreiben könnte, sondern als Potentiale reflexiver Schärfung. So möchte ich hier dem Gegenstand Rechnung tragen, aber auch – und da ich mich diesem Medium ermächtige – den Texten. Dem zügigen Durchlaufen der Theoreme verschiedener Disziplinen trage ich damit Rechnung, dass ich meinen Fragen nicht bestimmte Begriffe voraussetze. Vielmehr führe ich Begriffe und Perspektiven mit und entwickle sie: Musik – Klang – Sonisches. Dadurch erhoffe ich mir, Sensibilität für historische, kontextuelle und andere Implikationen von Theoremen zu erhalten ohne Wissensein- oder -ausschlüsse konstatieren zu müssen. So können andere und die eigene Perspektive als Bezugspunkte stehen bleiben. Das spannungsreichste Verhältnis wissenschaftlicher Perspektiven in dieser Arbeit besteht wohl zwischen Ästhetik und physikalischer Akustik. Ich verstehe die subjektive Erfahrung weder als Heuristik noch als Hemmnis machbarer Aussagen, sondern als Bedingung und Zugang zum Gegenstand. Auch naturwissenschaftliche Erkenntnisse unterliegen variablen Umständen und Betrachtungsweisen. Umso höher die Auflösung physikalisch-akustischer Analysen, desto eher erscheinen Unschärfen und in dem Zusammenhang auch ästhetische Abhängigkeiten.63 Doch können physikalische Analysen »ein Licht darauf werfen […], wie oder warum gewisse Gefühle hervorgerufen 63
Vgl. Hall 2008, S. 451.
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werden«, so der Physiker und Musikwissenschaftler Donald E. Hall.64 Genauso wenig glaubt Hall, dass Ästhetik eine »ätherische Angelegenheit« ist.65 Auch er spricht sich explizit gegen einen vermeintlichen Widerspruch zwischen Akustik und Ästhetik aus.66 Ich versuche unterschiedliche Herangehensweisen also so zu ›verschalten‹, dass die Leerstellen oder Unverfügbarkeiten einer Perspektive durch eine andere wieder denkbar und erklärbar werden. Gerade die Messgrenzen, die ›harten‹ Barrieren der Beobachtung naturwissenschaftlicher Wissenstechniken eröffnen ästhetisch relevante Fragen – etwa nach der Mannigfaltigkeit und Variabilität der sinnlichen Erfahrung. Andererseits produzieren technische Geräte ästhetische Überschüsse – sie identifizieren Phänomene, für die unsere Sinne gar nicht mehr sensibel sind. So können sie sichtbar machen, was unhörbar, was anästhetisch ist.67 Sie verweisen auf das Dasein und den Fortlauf natürlicher Phänomene, auch außerhalb unserer Sinnlichkeit.
Dank Diese Arbeit wäre nicht ohne den wissenschaftlichen und persönlichen Rat von geschätzten Mentor:innen und Kolleg:innen erschienen. Diese nun aktualisierte Forschung entstand 2016 als Masterarbeit im Studiengang Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie wurde von Dr. Holger Brohm und Prof. Dr. Holger Schulze wissenschaftlich betreut und freundlich unterstützt. Bei beiden möchte ich mich herzlich für die engagierte Betreuung bedanken sowie für die vorhergehende intensive Lehre. Dank gilt auch den Herausgeber:innen dieser Reihe für die ausgezeichnete Publikationsmöglichkeit, ihre verlässliche redaktionelle Arbeit und ihre wissenschaftliche Expertise.
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Ebd. Ebd., S. 452. Ebd., S. 450-454. Zum Begriff des Anästhetischen vgl. Wolfgang Welsch (1998): Ästhetisches Denken. Stuttgart: Reclam, S. 9ff.
1. Einleitung
Auch bei der Musikwissenschaftlerin Prof. Dr. Jin Hyun Kim möchte ich mich für fachlichen Rat insbesondere zu Aspekten der Psychoakustik bedanken. Zu guter Letzt danke ich Sebastian Pelz und Benjamin Schäfer sowie dem Team des transcript Verlags, dass dieser Text in dieser Form so ansprechend erscheinen konnte.
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2. Spielarten der Kunstrezeption
Philosophen Ästhetischer Theorie zufolge, wie Martin Seel, Jean-Luc Nancy, Gilles Deleuze und Félix Guattari, könnten die unterschiedlichen Rezeptionswirkungen eines (musikalischen) Kunstwerks in der Zusammensetzung und inneren Bewegung des künstlerischen Materials liegen. Den genannten Theoretikern ist zumindest dies gemeinsam: sie beschreiben die Erfahrung des Kunstwerks als Offenbarung einer – wie auch immer – anderen Seins-, Erfahrungs- oder Empfindungsweise, als Erfahrung des Möglichen, das real werden kann.1 Sie sehen die Bedingungen dieses Zustandes aber ganz unterschiedlich begründet und sprechen, wenn sie von Transzendenz sprechen, von unterschiedlichen Phänomenen. Martin Seel macht die Bedingungen ästhetischer Erfahrung insbesondere in der Aufmerksamkeit, Einstellung und Reflexionsfähigkeit der Subjekte aus, da Kunstwerke seiner Auffassung nach keine über- oder außerkünstlerischen Prozesse zeigten.2 Deleuze und Guattari nach liegt die Transzendenz im Kunstwerk selbst begründet, dem eigene Kräfte zugesprochen werden.3
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Vgl. Martin Seel (2004): Über die Reichweite ästhetischer Erfahrung – Fünf Thesen. In: Gert Mattenklott (Hg.): Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste. Epistemische, ästhetische und religiöse Formen von Erfahrung im Vergleich. Hamburg: Felix Meiner, S. 81; siehe weiter Deleuze und Guattari 2000, S. 210 sowie Nancy 2010, S. 46f. Vgl. ebd., S. 74f. Vgl. Deleuze und Guattari 2000, S. 191-195. Nancy (2010, S. 36) benutzt den Begriff der Transzendenz nicht, legt aber eine solche Lesart nahe.
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Der Frage nach dem Möglichkeitssinn oder auch Sinn(es)verlust werde ich mich folgend durch die Auseinandersetzung mit den praktischen, subjektiven und ästhetischen Rezeptionsbedingungen nähern und insbesondere versuchen, die Bedingungen und Grenzen subjektiver Rezeptionseinstellungen und -techniken zu benennen. Wie weit reicht unser reflexives Verstehen überhaupt aus, um das Klangliche in seinem Spielen wirklich oder gänzlich nachzuvollziehen? Und vor allem, gibt es eine Autonomie des Klanges, des Kunstwerks?4 Geht sie tatsächlich vom Material selbst aus? Es bietet sich natürlich an, die Theoreme direkt auf meine Hörerfahrung mit The Haxan Cloak zu beziehen, soweit dies für die Leser:innen nachvollziehbar bleiben kann. Kommen wir allerdings zu Fragen nach dem Material der Musik, werde ich die Überlegungen vorerst auf musikalische Parameter im Allgemeinen beziehen. Es bedarf dann weiterer methodischer Sprünge und einer Analyse von The Haxan Cloaks Musik, um die ästhetischen Theorien auf das musikalische Material beziehen und die spezifische Eigenheit der Musik fassen zu können.
2.1
The Haxan Cloak: Musik an den Grenzen des Hörens
»Über die Reichweite ästhetischer Erfahrung« schreibt Martin Seel, nur sie könne uns ein Bewusstsein dafür verschaffen, dass auch das Unbestimmte bestimmt, das Unrealisierte real, das Unfassliche fasslich werden könnte.5 Sie versorge uns mit dem Erleben, dass das Sosein der Welt, wie es uns im Alltag erscheint – so funktionell und gerichtet – eigentlich offen, möglich und frei gestaltbar ist. Indem etwas geschehe, das so bisher nicht möglich erschien, würde uns dies im Leben zum Ereignis. Im Ereignis erlebten wir die Wirklichkeit als mögliche. Wir hörten das Leben, »wie es sein könnte« – wie es Jochen Bonz schon ausdrück-
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Vgl. hierzu Nancy (2010, S. 36), der bzgl. des Klanglichen auch von einem »an sich, Sich-Hören« spricht. Vgl. Seel 2004, S. 73-76 und 81. Folgend beziehe ich mich auf eben diese Seiten.
2. Spielarten der Kunstrezeption
te.6 Seel schreibt, dazu müsse man in eine »ästhetische Wahrnehmung« treten, die sich erst mit einer Aufmerksamkeit für den Gegenstand einstelle, die ungerichtet, offen, nicht kategorial oder funktionell ist. Man müsse den Gegenstand erst einmal sein lassen, bemerken, wie er »jetzt und hier für unsere Sinne anwesend ist« – also wie das Geschehende an sich und für uns eine Präsenz entwickelt. Man müsse bemerken nicht nur wie, also mit welchem Zweck, in welcher Richtung, Struktur, Aussage oder Komposition ästhetische Formen des Kunstwerks seien, sondern wie sie da seien, in der gesamten »Fülle [ihrer] Aspekte und Bezüge«, wie Seel es fasst. Indem The Haxan Cloak tendenziell ungehörte Klänge erschafft, deren Referenz unsicher erscheint, entzieht er den Hörer:innen ein auf Zwecke, Objekte, Kontexte, Strukturen oder Bedeutungen gerichtetes Hören, entzieht die Möglichkeit, die Musik zu ›entziffern‹ und narrativ zu antizipieren. Sie lässt uns in Phasen kaum etwas anderes übrig, als zu lauschen und horchen7 , also in einzelne Figuren wie Melodiestränge, Stimmen oder Geräusche hineinzuhören, an den ›Grund der Resonanz‹8 zu gehen, um noch mögliche Bezüge zu suchen. Haltetöne erscheinen lang genug, um darin Narrationen zu entfalten und wieder zu verwerfen. Während das Hören eines Klanges als Tonfolge schon eine Melodie voraushört, eine musikalische Geste erwartet, öffnet sich das Lauschen dem Klanggemisch als solchem, das Töne, Melodien oder Gesten erst hervorbringt.9 Im Spiel solcher Bewegungen in der Musik, welches das Spiel unserer sinnlichen und reflexiven Wahrnehmung evoziere, könnten wir bemerken, wie die Musik uns »erscheint« – Seels Begriff für die Anwesenheit des Kunstwerks in der subjektiven Wahr-
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Bonz 2011, S. 128. Nancy (2010, S. 14) beschreibt diese Hörweisen als solche, die sich dem noch offenen oder möglichen Sinn hingeben – ein eher spürendes als erkennendes Hören. Vgl. ebd., S. 13. Vgl. Grüny (2014, S. 144-147) zur Definition und Funktion der musikalischen Geste.
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nehmung.10 Die Offenheit und Aufmerksamkeit für das innere Spiel der Musik birgt die Möglichkeit, dass sich hierin vielfältige, noch subtilere Wahrnehmungen entfalten, derer wir uns als hier und jetzt wirklich Anwesende bewusst werden können.11 Seel spricht von nicht weniger als einer »Umpolung der Wahrnehmung« in diesem sinnlichen Prozess, wodurch sich das Geschehen selbst verwandle.12 Man erfahre einen »Rückgang«, eine »Erdung« von den Antizipationen, Abstraktionen und Retrospektiven13 – dem Vor- oder Nachhören musikalischer Grundmuster, vom schon Gedachten, schon Gesagten, von ›eingespielten‹ Hörtechniken und -einstellungen, Konventionen und Bedeutungen. Es entfalte sich eine »Zeit für den Augenblick«, ein Verweilen, in dem man sich der Zeit des Geschehens hingeben könne.14 Das ruhige Zuhören und Lauschen wird unterbrochen, wenn sich das musikalische Geschehen im Konzert von The Haxan Cloak dynamisiert, wenn die Lautheit steigt und die Klänge intensiv in den eigenen Körper drücken. Sie verlagern sich spürbar in den Innenraum des Körpers, der mitspielt und dagegenhält in einem pulsierenden Rhythmus. Im Wechsel zwischen Zuhören und Bewegtwerden, extensivem und intensivem Hören,15 ereignen sich »Risse« im Zeitempfinden16 – ein Ereignis bricht in unser Zeitempfinden ein. In den intensiven Berührungen scheint sich die Zeit zu verdichten, weil sie uns unmittelbar passiert und ein rationales, operatives Verhältnis zur Zeit wird temporär verun-
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Martin Seel (1997): Über das Rauschen innerhalb und außerhalb der Kunst. In: Otto Kolleritsch (Hg.): »Lass singen, Gesell, lass rauschen…« Zur Ästhetik und Anästhetik in der Musik. Studien zur Wertungsforschung, Bd. 32, Wien und Graz: Universal-Edition, S. 71. Vgl. hierzu Seel 2004, S. 74ff. Ebd., S. 74. Ebd. Ebd. Diese Hörweisen sind abgeleitet von Grünys (2014, S. 263ff.) Differenzierung zwischen der ›intensiven‹ und ›extensiven Zeit‹ der Musik. Seel 2004, S. 75.
2. Spielarten der Kunstrezeption
möglicht.17 Erst wenn der Druck abnimmt, können wir das Geschehen wieder im Außenraum verfolgen und ein Und-so-Weiter der Zeit wird wieder vorstellbar.18 Im körperlichen Resonieren wird Klang spürbar, als reale Bewegung fasslich, wie sie vormals möglicherweise unfasslich, unhörbar war.19 Dabei wird die synästhetische Simultanität und Momentanität der ästhetischen Erfahrung leibhaftig. 20 Denn unsere Sinne operieren nicht getrennt voneinander. Das Klangliche bringt »berührend das gesamte Regime der Sinne ins Spiel«, wie Nancy formuliert.21 Klang tangiert unsere Körper nicht erst an den »Umschaltstationen« der Axiome und Hörnervenbahnen,22 sondern ganzkörperlich, auraltaktil und kinästhetisch.23 Die Vibrationen des Schalls erschüttern unser gesamtes »vernetztes Sensorium«.24 Das Spüren der Skansionen klanglich-atmosphärischer Wellen entzieht uns die Vorstellung von der Gegenwart als »Punkt«.25 Der Rhythmus der Musik ist die »bewegende[…] Anschauung bewegter Gegenwart« – die uns Seel zufolge in der ästhetischen Erfahrung erscheint.26 Sonische Materialität vermittelt spürbar diesen Latenzzustand, der die Gegenwart ist.
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Über die leibliche Erfahrung und Konstitution von Zeit schreibt Karl Mertens, sie sei immer ein Bezug »zu etwas, gewöhnlich zu einer Handlung, die der Handelnde ausführt.« Vgl. Mertens 2011, S. 338. Vgl. hierzu auch Seel 2004, S. 75. Vgl. hierzu auch Gilles Deleuze’ Betrachtungen zur ›realen Bewegung‹ und ihrer Bedeutung im Theater, aber auch für das Lernen und die Erfahrung im Allgemeinen; ders.: (1992): Differenz und Wiederholung. München: Fink, S. 26. Vgl. Seel 2004, S. 74. Nancy 2010, S. 10. Wilfried Gruhn (2008): Der Musikverstand. Neurobiologische Grundlagen des musikalischen Denkens, Hörens und Lernens. Hildesheim, Zürich und New York: Georg Olms, S. 13. Vgl. Schulze 2008b, S. 146-149 sowie Grüny 2014, S. 94f. Schulze 2018, S. 136. [Alle Übersetzungen aus d. Engl. v. L. W.] Nancy 2010, S. 22ff., vgl. weiter S. 26f. Seel 2004, S. 76.
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Tiefenresonanz
Die ästhetische Erfahrung reiche »über alle Sicherheiten des jeweils gegenwärtigen Selbstverständnisses hinaus«, so Seel.27 Wenn aber plötzlich etwas möglich wird, das unmöglich erschien, etwas spürbar wird, das vormals unspürbar war, hörbar wird, das unhörbar war, aus welcher Sicherheit kann man dann sagen, in der Welt zu sein, in der Wirklichkeit zu leben? Sind wir uns dem Hören nach selbst fremd? Etwas als Ereignis zu erfahren, bedeutet, die gesamte Wahrnehmungsund Erkenntnisfähigkeit, Vorstellbarkeit und Geschichte in Frage stellen zu müssen und die Grenzen zwischen Möglichkeit und Unmöglichkeit, Wirklichkeit und Unwirklichkeit. Alles noch Kommende und schon Geschehene könnte aus der nun erlangten Sensibilität, Erkenntnis oder Bedeutsamkeit anders erfahren werden.28 Nichts würde mehr sein, wie es war. Verdichtet, dynamisiert oder differenziert sich dieser Ereignischarakter des Kunstwerks so sehr, dass wir in der Fülle des Geschehens nichts Konkretes mehr wahrnehmen könnten, dass einzelne Figuren und Motive nicht mehr individuierbar wären, dass gerade durch die Überfülle des Geschehens das Geschehende selbst undeutlich würde, würden wir nur mehr »Rauschen« erfahren, so Seel.29 Dabei stießen wir an die Grenze des Wahrnehmen- und Erkennenkönnens, eine »Extremform der ästhetischen Erscheinung« und ein potentieller Zustand des Kunstwerks.30 »Bloßes Rauschen«, dies akustische oder visuelle Phänomen als eigene Gestalt, in seinen Diffusionen und Transformationen, seinem inneren Spiel und eben nicht bloß als Rauschen, Stille oder Leere wahrnehmen zu können, versetze uns in einen transzendenten Zustand.31 Wir hörten dann »an der Grenze des Hörens«, verweilten im »Ausnah-
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Ebd., S. 81, vgl. auch S. 75ff. Vgl. ebd. Vgl. Seel 1997, S. 73. Ebd., S. 73. Ebd., S. 74ff.
2. Spielarten der Kunstrezeption
mezustand einer differenzlosen Gegenwart«, so Seel.32 Durch die ständige Variation und fließende Transformation der Klänge und Geräusche und das Ineinander der Stimmen evoziert The Haxan Cloak eben jenes »radikale[…] Verweilen«33 , die stetige Suche nach musikalischen Gesten und Strukturen, die sich nicht einstellen, abreißen, nur anklingen oder verfremdet erscheinen.34 Das Hören stockt, stolpert, befragt sich selbst, kann sich nicht in einem verstehenden Vernehmen oder Zuhören der Musik ›einrichten‹. Es muss sich immer wieder hingeben, etwas von den Bewegungen des unidentifizierbar Klingenden zu den Ideen oder Bedeutungen ›hinübertragen‹, anschließen oder diese wieder verwerfen. Das nach außen gerichtete Zuhören wird immer wieder durch die ergreifende Intensität und Lautheit der Musik unterbrochen, insbesondere durch den drone – ein rauschender Ton, ein an- und abschwellendes Wandern im Raum. Hörer:innen werden bewegt, haben zuweilen keine andere Wahl als »sich in der Bewegung [des] Werks zu verlieren«35 . Die atmosphärische Intensität und die Dunkelheit des Raums lassen wirklich »Hören und Sehen vergehen«36 , wie Seel das Rauschen beschreibt. In der Verkörperung des Rauschens wird der Körper Musik, wird verklanglicht. Er wird »Tonus«; seine Spannung ist die der Musik, »eine fleischliche Ausprägung des Sonus«37 , wie Holger Schulze den hörenden Körper erklärt. In diesem Embodiment 38 hören wir nicht mehr dem Spiel von Motiven und Themen zu. Wir lauschen und spüren und haben teil am »Spiel von Erscheinungen selbst«39 , den Bewegungen des Klanglichen 32 33 34 35 36 37 38
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Ebd., S. 79. Ebd., S. 78. Vgl. ebd., S. 88. Ebd., S. 73. Ebd., S. 88. Schulze 2008b, S. 149. »Embodiment« etablierte sich als Begriff und Paradigma in den Humanwissenschaften; vgl. David Howes (2019): Embodiment and the senses. In: Michael Bull (Hg.): The Routledge Companion to Sound Studies, London und New York: Routledge, S. 24-34. Seel 1997, S. 73.
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Tiefenresonanz
selbst, den Spannungen und Bewegungskurven, dem Auf- und Abfallen rhythmischer Ausprägungen, dem Oszillieren zwischen Tonhöhen, zwischen musikalischen Gesten und Rauschen als Vielheit, als Konzept oder bloßem Klingen. Es herrscht ein »Ausufern der Energien«40 . Die Musik umschließt und durchdringt den Körper, der zur »mystischen Selbsterfahrung«41 wird. Wir hören in so hoher Auflösung, dass die Gesamtstruktur, die Form oder Aussage des Werks nicht mehr Intention des Hörens und nicht mehr erkennbar sind.42 Was die Musik uns ›vorführt‹, ist lediglich der Prozess der permanenten Gestaltfindung selbst und eine Wirklichkeit, die »gestaltlos«43 scheint, nur mehr als mögliche ohne feste Orientierungspunkte. Die Musik erscheint wie ein Wesen, ein Körper, der sich eigenständig bewegt; sie scheint überall herzukommen und überall hin weiterzugehen. Die Klänge rauschen, kommen und verschwinden. Wir stehen wie in einem anderen Raum, einer ›anderen Welt‹44 . Die unfassliche Intensität übergibt unseren Körper unwillkürlich den Vibrationen der schallenden Bewegungen, um uns dann sogleich vorzuführen, wie sich die Musik wieder unvermittelt entfernt.45 Sie führt uns an die Grenze unserer Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit – wie Seel es beschreibt.46 Am Schluss des Konzerts ereignet sich wiederum ein abrupter Wechsel – von purer rauschender sonischer Materialität in das klein besetzte Ensemblestück »Raven’s Lament«47 . Besetzung und Arrangement des
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Ebd., S. 86. Ebd. Vgl. hierzu auch ebd., S. 90f. Ebd., S. 77ff. Vgl. Neyland 2013, S. 9. Vgl. Seel (1997) über die ›ästhetische Ohnmacht‹ (S. 75) und die ›Selbstaufgabe‹ (S. 78) im Rauschen. Vgl. ebd., S. 73. The Haxan Cloak (2013a): »Raven’s Lament«. Auf: ders.: The Haxan Cloak. 2 LPs, London: Aurora Borealis, Nr. 1.
2. Spielarten der Kunstrezeption
Stückes erscheinen barock48 , heutiger Musikauffassung nach höchst konventionell und affektiert. Die Musik erscheint hochgradig ›kodiert‹, ihre Bewegungen lassen sich leicht als bestimmte Bedeutungen und Gesten interpretieren.49 In dieser Wendung wird das Kunstwerk abermals – nach der dominanten ›Ergreifung‹ und Bespielung des Körpers selbst – zum »Darbietungsereignis[…]«50 im Seel’schen Sinne. Denn mit seiner Darstellung werden wir sogleich unsicher, was eigentlich dargeboten wird bzw. wurde. Das künstlerische Material vollzieht eine Bewegung derart, dass es sich als in sich differenziell darstellt, es erweitert sich in einen unfasslichen, einen unglaublichen ästhetischen Raum, der alle bisher eingeführten Bewegungen und Empfindungen noch einmal transzendiert. Nach Deleuze und Guattari ließe sich sagen, es trennt sich von sich selbst und das Publikum sich von seiner bis dahin entwickelten Höreinstellung und seinen Empfindungen.51 Aus einer zeitlichen Distanz heraus – diesem neuen Bezug der ästhetischen Elemente in »Raven’s Lament« – könnte man das schon Gehörte umhören, so Christian Grüny.52 Sein Gesamtzusammenhang könnte in einer reflexiven »rückwärtsgewandte[n] Sammelbewegung«53 eine grundlegende Verschiebung oder Umdeutung erfahren. Aber nein; in Gegenwart der ›idealen‹ musikalischen Gesten des Lamentos erscheint die ästhetische Erfahrung unwiederbringlich.54 Sie bleibt aber als Nachhall, als physischer Eindruck und dann Ausklang, als Körpergefühl spürbar, dem Hörer:innen noch nachspüren können. Dessen ›vollständige‹ Bedeutsamkeit, das Erfahren-Haben, kann nicht wiedergebracht oder vermitteln werden. Es ist wie mit der Erinnerung 48
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Der kontinuierliche Bass könnte als Basso Continuo aufgefasst werden, der entsprechend der Monodie allein die Melodiestimme begleitet; vgl. Ulrich Michels (Hg.) (2001): dtv-Atlas Musik. Systematischer Teil. Musikgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, S. 270-273. Vgl. ebd., S. 271 (Absatz »Affektenlehre«). Seel 2004, S. 76ff. Folgend beziehe ich mich auf eben diese Seiten. Vgl. Deleuze und Guattari 2000, S. 197f. Vgl. auch Grüny 2014, S. 284. Ebd. Vgl. ebd., S. 271
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Tiefenresonanz
an einen Rausch, ist sogleich unvorstellbar geworden, unnachahmlich, eine »Kunst des Vergehens«55 . Ich habe hier vorerst meine eigene Rezeptionserfahrung und meine Interpretationen von der Musik als ästhetische Erfahrung beschrieben. Diese Musik, die sich einer symbolisch-dekodierenden und systematisch-strukturellen Rezeption so stark entzieht, kann gerade unsere Wahrnehmungs- und Deutungsmuster nachhaltig verändern, unsere »kognitive Interpretationsfolie«56 von Wirklichkeit erweitern. Doch nicht nur die kognitive und selbstreflexive Einstellung und Vorstellungskraft der Hörer:innen ist betroffen. Einige der beschriebenen Erfahrungen gehen über Martin Seels phänomenologische Darstellung des Kunsterlebens hinaus. Das Ereignis ist hier weniger von Erkenntnis geprägt, der Art eines »Verstehens und Vernehmens«57 , dem Seel große Bedeutung schenkt. Es ist vielmehr ein wirkliches Geschehen, ein physisch-materielles Sichereignen.58 The Haxan Cloaks Musik erzeugt leibliche Erfahrungen, die über das subjektive Wahrnehmen und Bewusstsein hinausgehen, und auch über die Aspekte leiblicher Erfahrung, die Seel nennt, wie etwa das bloße Bemerken von Räumlichkeit oder »trainierte Wahrnehmungsfähigkeit«59 . Jenseits der Seel’schen Grenze des Hörens klingt oder vielmehr schwingt etwas weiter; ob es uns nun hörend oder tastend bewusst wird. Es entzieht sich der subjektiven Zustimmung und Reflexion. Diese Materialität ist ›ungekannt‹, und dennoch bemerken wir, »dass da etwas ist«, wie Bonz es einfach und treffend formuliert.60 Christian Grünys Begriff vom »Hören auf der Schwelle«, ein Hören zwischen 55 56 57 58
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Seel 1997, S. 88. Jacke 2009, S. 42. Seel 2004, S. 81. Vgl. hierzu auch Eugene T. Gendlins Begriff der »Er-fahrung« und seinen Begriff vom Ereignis: Donata Schoeller (2012): Die Relevanz gespürter Bedeutung in Eugene Gendlins Philosophie. In: Holger Schulze (Hg.): Gespür – Empfindung – Kleine Wahrnehmungen. Klanganthropologische Studien. Sound Studies, Bd. 3, Bielefeld: transcript, S. 52 und 56f. Seel 2004, S. 80. Vgl. auch Seel 1997, S. 73. Bonz 2011, S. 132.
2. Spielarten der Kunstrezeption
affektivem Bewegtwerden und reflexivem Nachvollzug,61 kommt dieser Erfahrung schon näher. Bei dieser Hörweise würde Hörer:innen ihre eigene konstitutive Rolle bewusst, indem sie bemerkten, wie eine Übersetzung von Klang in Deutungen und Bedeutungen stattfinden könnte.62 Diese Übersetzung muss jedoch nicht gelingen. Diese Schwelle könnte in Erfahrungsbereiche außerhalb subjektiver Machbarkeit und Erkenntnishoheit führen, in unwillkürliche Zustände.63 Seel dagegen geht von einer reflexiven Selbstbestimmtheit und -wirksamkeit der Rezipient:innen aus, also der Autonomie des Subjekts gegenüber dem Kunstwerk.64 Er vermittelt eine affirmative Auffassung von der ästhetischen Erfahrung. Trotz der Unsicherheiten und Unfasslichkeit der Darstellung, die das Kunstwerk eröffnen kann, könnten wir aus der Erfahrung im Nachhinein schöpfen, indem wir sie im größeren Kontext der Bedeutsamkeit für unser Leben einordnen.65 Rezipient:innen und selbst die Produzent:innen dieser Musik berichten allerdings auch von Leere, von Angst, Schrecken und Unbehagen, von körperlichen Reaktionen, die sie ganz und gar nicht wollten und die – solange sie aktuell vorgängig sind – Reflexion oder Kontemplation unterbinden.66 Was also, wenn sich die ästhetische Erfahrung des Rauschens nicht nur reflexiv, sondern auch leibhaftig niederschlagen würde und wenn das Unbestimmte oder Unfassliche nicht aufzulösen wäre? Wäre eine solche Erfahrung nicht wohl eher ein Sinn(es)verlust? Wie äußerte er sich, in Taubheit oder Ohnmacht? Könnte sich eine solche Verlusterfahrung ebenso ins Bewusstsein, in die Vorstellungskraft, das Wissen und Selbstverständnis ›einschreiben‹?
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Grüny 2014, S. 64. Vgl. ebd. Vgl. hierzu auch ebd., S. 68. Vgl. etwa Seel 2004, S. 73 und 80f. Vgl. ebd., S. 77 und Seel 1997, S. 88 u.a. Vgl. u.a. Kalev und Krlic 2013, S. 3.
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Tiefenresonanz
2.2
Das Rauschen der Musik: Von der (Un-)Möglichkeit subjektiver Autonomie
Was einerseits Freiheit erzeugt – die Welt spielerisch neu gewinnen, indem man sie als potentiell offen erfährt, so oder so denken, handeln oder fühlen könnte – birgt auf der ›Kehrseite‹ den Verlust subjektiver Autonomie überhaupt.67 Denn wenn sich die Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit selbst als variabel oder gar nur möglich darstellen, wie kann man dann je sicher sein in der Wirklichkeit zu leben? Überfülle schlägt ins Nichts um. Im »Sichverlieren« in andere Welten liegt auch eine Gefahr.68 Die Vielfalt des Wahrnehmenkönnens kann grausam sein, kann Leere, Ohnmacht, Orientierungslosigkeit und Angst erzeugen.69 Denn im Rauschen begegnen wir »gestaltloser Wirklichkeit«.70 Die Erfahrung der Möglichkeit könnte ins Vexierbild der Relativität kippen, das Gefühl der Selbstgewinnung könnte an Selbstaufgabe oder auch -preisgabe grenzen, wenn man Wirklichkeit und sich selbst als nicht mehr begreifbar, als fremd oder unfasslich wahrnimmt.71 Rauschen kann einen Kipppunkt der ästhetischen Erfahrung markieren. Populäre Musik des Undergrounds, solche, die noch keine konsensfähigen Hörgewohnheiten ausgeprägt hat, stellt für Seel die »Lehrmeisterin des ästhetischen Rauschens« dar.72 Er führt dies zum einen auf die Überwältigung und die Unmittelbarkeit des Hörens zurück – er spricht hier vom »passivste[n] der Sinnesorgane«.73 Der Taumel wer67 68 69 70 71
72 73
Vgl. hierzu auch Seel 1997, S. 72f. Ebd., S. 73. Seel referiert hier Friedrich Nietzsche über die Gefahr des Dionysischen, vgl. ebd., S. 72. Ebd., S. 77. Vgl. ebd., S. 72. Sonische Materialität wurde in diesem Zusammenhang auch als ›deconstructive noise‹ bezeichnet (vgl. Bonz 2011, S. 130) und als ›a-signifying semiotics‹ beschrieben (vgl. Jasen 2016, S. 35f.). Dazu in folgenden Kapiteln mehr. Seel 1997, S. 88. Ebd.
2. Spielarten der Kunstrezeption
de zum anderen durch jenes »komplexe Rauschen« ausgelöst,74 dem Verrauschen von Artikulationsweisen von Sinnlichem durch die Synthese, Transformation und Neukontextualisierung von Sounds und Stilen. Und gerade von der Rezeption populärer Musik sind drastische Rezeptionserfahrungen von Angst, Ohnmacht oder Leere bekannt, zumindest werden sie hier oft und mit Nachdruck erzählt.75 Es bestehe durchaus die Gefahr, so Grüny, sich von Musik »affektiv davonschwemmen zu lassen«, ja sogar eines Verlusts von Selbst.76 Dabei wird doch gerade die Rezeption populärer Künste, insbesondere auch elektronischer Musik, im Allgemeinen mit Bejahung, Leichtigkeit und Kompensation, mit Subjektivität, aber auch der Freiheit vom Selbstsein verbunden.77 Welches Verhältnis von Überwältigung und subjektiver Bejahung ist hier am Werk? Und vor allem; können Subjekte in Gegenwart massiver sonischer Materialität überhaupt selbstbestimmt sein? Ich möchte mich in den folgenden Kapiteln mit den Bedingungen der ästhetischer Erfahrung klanglicher Materialität auseinandersetzen und sowohl die praktischen als auch medialen Voraussetzungen daraufhin untersuchen, also die Aufführungssituation, Motivation der Hörer:innen und die ästhetisch-medialen Bedingungen. Dabei werde ich weiter an Seels Ästhetische Theorie anknüpfen. Neben meinen eigenen Beobachtungen und Erfahrungen mit der Musik fließen wissenschaftliche Untersuchungen anderer Autor:innen und Kritiker:innen dieser Performance-Kultur ein.
2.2.1
Sonische Unmittelbarkeit: Von freiwilliger Selbstaufgabe
The Haxan Cloaks Konzert begann mit einem Rauschen, einem tiefen, wummernden Ton, der mal Grollen, mal Rumoren, mal Dröhnen wur-
74 75 76 77
Ebd., S. 84f. Vgl. hierzu auch Ludewig 2014 und Nechvatal 2011, S. 11. Grüny 2014, S. 177, vgl. auch S. 344. Vgl. hierzu Diederichsen 2008, S. 189 und Jochen Bonz (2008): Subjekte des Tracks. Ethnografie einer postmodernen/anderen Subkultur. Berlin: Kadmos.
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Tiefenresonanz
de und in seinem frequenziellen Spektrum so weit gefasst war, dass es für die menschlichen Ohren ›randlos‹ wirkte und an seinen Übergängen nur mehr als Vibration spürbar war. Dieses Rauschen, das nach Martin Seel als bloßes Rauschen78 aufgefasst werden könnte, entwickelte sich stetig, zeigte sich mal eher tonal, mal eher geräuschhaft, aber durchzog als spürbares Wummern, Grundstimmung oder atmosphärischer Hintergrund das gesamte Konzert.79 Seel schreibt über die Erfahrung des Rauschens: »Faszinieren statt ängstigen kann uns das Rauschen nur, solange wir uns vom Rauschen auch abwenden können, solange es an uns liegt, ob wir ein Ereignis vorwiegend als Rauschen oder anders wahrnehmen wollen. Faszinieren […] kann es nur, wo nicht das Rauschen es ist, das (gegen unseren Willen) überwältigt, sondern wo wir es sind, die uns dem Rauschen überlassen, manchmal von ihm überwältigen lassen.«80 Seel spricht hier nicht nur ein aisthetisches Moment an, das Gehörte zu transzendieren, sondern auch ganz prinzipiell die Bedingung der Freiwilligkeit der Hörsituation. In der Praxis populärer Musikrezeption aber tritt diese zuweilen hinter andere Faktoren zurück. Die Rezeptionsintention populärer Musik stellt sich oft weniger aus einer konkreten Überzeugung ein, einem Wissen oder aufgeklärten Interesse, als oftmals mehr aus einem emotional-psychischen und physischen Bedürfnis nach Erfahrung oder einem unbestimmten Gefühl der Bedeutsamkeit.81 The Haxan Cloak etwa möchte, dass seine Mu78 79
80 81
Vgl. Seel 2004, S. 74. Ganze Publikationen widmen sich der Geschichte, Rezeption und Philosophie des Basses, der drones und anderer tief-frequenter Schallprozesse; vgl. Jasen (2016) und Harry Sword (2021): Monolithic Undertow: In Search of Sonic Oblivion. London: White Rabbit. Seel 1997, S. 77. Vgl. hierzu etwa Bonz 2011, S. 128ff. sowie Sven Schumann (2013): Eine Philosophie der körperlichen Wahrnehmung von Techno. In: Berlin Mitte Institut. Zugriff am 10.02.2022 unter: http://web.archive.org/web/20160518020014/http://w ww.berlin-mitte-institut.de/philosophie-koerperlichen-wahrnehmung-techno.
2. Spielarten der Kunstrezeption
sik »physisch als auch emotional« wirkt.82 Dazu synthetisiert er auch solche Frequenzen, die nicht mehr hörbar, aber spürbar sind.83 Er tritt gezielt in Kontexten auf, in denen er das Publikum noch unvermittelt erreicht, das eher Pop als Avantgarde hört.84 Dabei weist die konkrete Rezeptionssituation von Drone oder Noise keine einfache Hierarchie auf.85 In dieser Performance-Kultur scheint gerade die Un(ver)mittelbarkeit musikalischer Erfahrung bewusst ausgeschöpft zu werden, um die Grenzen subjektiver Autonomie aufzuzeigen und eventuell gerade dadurch eine ästhetische Erfahrung zu erzeugen.86 Akusmatisches Hören unterstützt die sonische Dominanz im Konzert. Die absolute Dunkelheit des Raums kanalisiert die Sinne in die hörende und tastende Wahrnehmung. Diese Situation lässt tatsächlich, unmittelbar physisch, Hören und Sehen vergehen. Ein ›aufschließendes‹ Verfolgen des Geschehens wird verunmöglicht. Klangquellen und die Art der Klangerzeugung sind nicht nur in elektronischen und digitalen Speichern verborgen, sie verschwinden in der Dunkelheit, ebenso wie andere Hörer:innen und der Musiker. Stroboskoplicht oder Nebel verstärken die Erfahrung der Immersion, indem sie Hörer:innen umspülen oder blenden. Die aural-taktilen Sinne sind ihrer Umgebung ›hüllenlos‹ ausgesetzt. Und indem Hören nur mit der Zeit geht, kann man ein Musikstück nicht überblicken, wie man einen Raum oder ein Bild eventuell zeitweilig überblicken kann, um sich dann erst für oder gegen eine tiefere oder nähere Rezeption des Werks zu entscheiden. Das Klangliche ist nicht fokussierbar oder rezeptiv teilbar. Es bewegt sich selbst; seine Transitivität und Ubiquität bewirken, dass es uns umschließt und da-
82 83 84 85 86
Bobby Krlic, zit.n. Kalev und Krlic 2013, S. 3. [Übersetzung aus d. Engl. v. L. W.] Vgl. ebd., S. 2. Vgl. ebd., S. 4f. Vgl. Lucas 2014, S. 5. Vgl. ebd. sowie Paul Hegarty (2013): Brace and embrace: Masochism in noise performance. In: Marie Thompson und Ian Biddle (Hg.): Sound, Music, Affect. Theorizing Sonic Experience. London u.a.: Bloomsbury, S. 134 und 137f.
51
52
Tiefenresonanz
durch eine eigene Raumzeit erzeugen kann,87 in der sich Hörer:innen also auch gefangen oder ausgesetzt fühlen könnten. Deshalb entbehrt diese Performance-Kultur eine klare Rollenaufteilung zwischen Vorführenden und Rezipient:innen. Performer:innen sind gleichfalls Rezipient:innen, indem sie ja keine andere Rezeptionsweise zur Verfügung haben als ihre ebenso fühlenden, verletzbaren Körper.88 Klangliche Intensität an sich ist nicht vermittelbar und daher erzeugt sie selbst bei Performer:innen noch einen »Adrenalinrausch«, gar »Unbehagen«, so Bobby Krlic.89 Doch dies geschieht zugunsten einer Erfahrung, die über alle Subjekte im Raum hinausgeht.90 Diese Konstellation verleiht der Musik gleichfalls etwas Mystisches und Eigenständiges, das die Berechenbarkeit von Publikum wie Produzent:innen übersteigt.91 Die Erfahrung sei laut Maya Kalev für Publikum und Performer:innen gleichermaßen ›kathartisch und berauschend‹.92 Insofern ist einzuräumen, dass sich Rezipient:innen teils freiwillig der Ungekanntheit der kommenden Erfahrung und damit einem gewissen Risiko zugunsten der Erwartung und Spannung auf die Performance aussetzen. Paul C. Jasen beschreibt die Produktions- und Rezeptionssituation anhand eines Drone-Projektes als »geometry of force« und als Einladung, sich der kommenden Ereignishaftigkeit der Erfahrung auszusetzen.93 Paul Hegarty beschreibt am Beispiel von Noise Music, dass bei Genres so extremer Intensität die sinnliche Dominanz einer Unterwerfung des Publikums gleich käme.94 Es handle sich dabei um eine freiwillige Selbstaufgabe.95 Olivia Lucas beschreibt eine ähnli87 88 89 90 91
92 93 94 95
Vgl. hierzu auch Nancy 2010, S. 11 und 22f. Vgl. hierzu auch Hegarty 2013, S. 137ff. und 140ff. Bobby Krlic, zit.n. Fitzmaurice und Krlic 2013, S. 9. Vgl. Hegarty 2013, S. 137f. und Nechvatal 2011, S. 215f. Über die Mystik und Mystifizierung liminaler sonischer Phänomene schreibt Jasen (2016) sehr eindrücklich anhand vielerlei Beispiele aus Alltag, Religion und Popkultur, darunter auch Drone Music. Vgl. Kalev und Krlic 2013, S. 3. Vgl. Jasen 2016, S. 28. Vgl. Hegarty 2013, S. 137. Vgl. ebd.
2. Spielarten der Kunstrezeption
che Erfahrung mit der Drone Band Sunn O))): »In this environment, the listener must either fight or submit, and most seem to take the latter route, letting the sound fill their bodies and gently rock them to and fro.«96 Der Genuss liege in der Erfahrung der Abwesenheit subjektiver Kontrolle und von Bedeutungen überhaupt, so Hegarty, an deren Stelle ein sensibles Spüren und Bewegtwerden durch den Sound treten würden – »still being embodied, still«.97 »This music dances you«, so Lucas.98 Der Ausdruck Sonic Bodies beschreibt diese in und durch Sound verkörperte Leiblichkeit im Kontext der Clubkultur.99 Jasen zeigt auf, wie gerade unhörbare, doch spürbare Schallprozesse den Sonic Body in eine Art ›mystische Kreatur‹ transformieren, indem sie uns daran zweifeln lassen, wie wir Sound und den eigenen Körper bemerken und verstehen können.100 Es geht in dieser Musikform also nicht in erster Linie um ein Verstehen und Vernehmen, noch entspringt die Bejahung zur Rezeption hier ausschließlich einer subjektiven oder reflexiven Bestimmtheit. Die genannten Positionen zeigen, dass Passivität zum Konzept dieser Performance-Kultur gehört, aber keinesfalls die Erfahrung bestimmt. Eher scheinen Hörer:innen durch die Unterbindung gewohnter willkürlich-reflexiver Rezeptionsweisen eine genussvolle Passibilität 101 für den Sound zu entwickeln.102 Lucas fasst dies treffend zusammen:
96 97 98
Lucas 2014, S. 5. Hegarty 2013, S. 141. Lucas 2014, S. 7. Jochen Bonz (2008, S. 95) macht im Techno ein ähnliches Phänomen aus, das er das »Tanzen im Realen« nennt. Im Techno könnten sich die Subjekte von semantischen Bezügen lösen, um diese in einem semantischen Feld spielerisch neu oder anders zu verknüpfen. 99 Vgl. Henriques 2010. 100 Vgl. Jasen 2016, S. 3f. 101 Unter »Passibilität« verstehe ich einen Zustand, in dem sich Subjekte eher von der Welt berühren lassen, sich eher von ihr ansprechen lassen, als sie aktiv anzugehen; vgl. Dieter Mersch (o. D.): Die Frage der Alterität. Chiasmus, Differenz und die Wendung des Bezugs. In: Dieter Mersch. Professor für Ästhetik und Theorie. Zugriff am 10.02.2022 unter: http://dieter-mersch.de/Texte/PDF-s, S. 13. 102 Vgl. Ludewig 2014.
53
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Tiefenresonanz
»In submitting to this sensory overtake, we are invited to free ourselves from thoughts of how and why and simply be with and in the sound.«103
2.2.2
Sonische Dominanz: Vom Sichverlieren in der Musik
Wie bereits im Ausdruck sonische Dominanz anklingt, eröffnet die spezifische Medialität von Klang Rezipient:innen nur bedingt Möglichkeiten zur Distanzierung von dieser Musik in ihrer unmittelbaren Gegenwart. Seel fasst es als Grundfähigkeit unserer Wahrnehmung auf, sich vom Rauschen lösen zu können, etwa indem man das Rauschen anders wahrnimmt, indem man bloßen Lärm oder Stille sinnlich transzendiert und darin stattfindende Bewegungen und Timbres als Fülle oder Überfülle wahrnimmt,104 wie bereits erläutert. So könne man sich auch nur manchmal von ihm überwältigen lassen. Das bloße Rauschen sei »nur Effekt eines physischen Prozesses«.105 In dieser Erkenntnis, das Rauschen so oder auch so wahrnehmen zu können, sieht Seel eine Möglichkeit zur Distanznahme: Das »Sichverlieren in diese Welt« des bloßen Rauschens sei sodann mit einem »Sichlösen« verknüpft, sobald eine Reflexion einsetzt, und zwar nicht nur von der eigenen Wahrnehmung, sondern auch vom Wahrgenommenen.106 Deleuze und Guattari beschreiben diese grundlegende Veränderung der Wirklichkeitswahrnehmung auch als Wechsel zwischen Ebenen. Zum einen gäbe es die »Konsistenzebene«, welche die wirklichen, unmittelbaren, stofflichen Substanzen und Prozesse der Materie betrifft.107 Zum anderen zeige sich uns die Welt so oft auf ihrer »Organisationsebene«, auf ihrer »Entwicklungsebene«, die sich unserem rationalen Denken doch immer erst im Nachhinein, in Form angeblich
103 104 105 106 107
Lucas 2014, S. 5. Vgl. hierzu auch Seel 1997, S. 74. Ebd., S. 85. Ebd., S. 73, vgl. auch S. 91. Deleuze und Guattari 1992, S. 382ff.
2. Spielarten der Kunstrezeption
fester und voneinander getrennter Formen oder Kategorien zeige.108 An der Stelle, an der nachvollziehendes Hören in Fühlen übergeht, stellt sich uns dieselbe Wirklichkeit, dieselbe (Teil-)Bewegung durch einen anderen Sinn oder vielmehr eine andere Verschaltung von Sinnen dar. Doch ein Nachdenken über Klang kann erst dann einsetzen, wenn die körperliche Ergriffenheit weicht.109 Denn der körperliche Nachvollzug steht quer zum reflexiven Nachvollzug, wie Grüny es herausstellt; umso stärker uns die Materialität des Klanglichen ergreift, so Grüny, desto schwieriger würde der sinnhafte Nachvollzug des Klingenden – seine Struktur, Bedeutung, seine Ganzheit als Werk oder Gattung.110 In der physischen Berührung durch intensive klangliche Materialität wird eine reflexive Distanznahme temporär verunmöglicht. Im Sichverlieren im Sound können sich Hörer:innen also nicht ohne weiteres vom Wahrnehmen und Wahrgenommenen lösen. Selbst wenn die Transzendierung des Geschehens, wie Seel konstatiert, zur Grundfähigkeit unserer Wahrnehmung gehört,111 ist sie jedenfalls nicht immer und nicht einfach so zu haben. Die Lautheit der Musik verhindert eine »normale sinnliche Perzeption« des Gegenstandes, aber auch die gewohnte Wahrnehmung des eigenen Körpers.112 Der Hörvorgang wird immer – und dies wird besonders beim Hören ästhetisch so ›belastender‹ Musik bewusst – durch eine physische Bewegung ausgelöst, ohne die Hören gar nicht möglich wäre.113 Das bloße Rauschen in der Musik ist niemals nur ein singulärer Effekt oder Rauschen »in einem rein formalen Sinn«114 , wie Seel meint. Es ist niemals nur Anlass, sondern immer auch graduell Ursache der ästhetischen Er-
108 109 110 111 112 113 114
Ebd. Vgl. hierzu auch Grüny 2014, S. 344. Vgl. ebd. Vgl. Seel 1997, S. 73. Lucas 2014, S. 5. [Übersetzung aus d. Engl. v. L. W.] Vgl. auch Nechvatal (2011, S. 16-19) über die Wirkung von Noise Music. Vgl. Grüny 2014, S. 335. Seel 1997, S. 79.
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fahrung von Musik, weil komplexes Rauschen115 immer auch im physiologischen Sinne rauscht. Die Möglichkeit zur Distanzierung ist also insbesondere in der LiveDarbietung dieser Musik weder praktisch noch aisthetisch, weder subjektiv noch reflexiv direkt gegeben. Die Bedingungen der Erfahrung sonischer Materialität liegen vielmehr quer zu bzw. sind disparat zu logisch-semantischen Konzepten, die die Musik allein als Phänomen subjektiver Erscheinung oder als »Sinnphänomen«116 auffassen. Hörer:innen werden unwillkürlich überwältigt und (vielleicht nur manchmal) aus dieser Umklammerung für die reflexive Wahrnehmung und Erkenntnissuche wieder entlassen. Selbst das Bemerken der Fusionen, Verfremdungen und Neuzusammensetzungen von Effekten, Klängen, Stilen und Sounds spielt eher eine nachfolgende Rolle. Diese Rezeptionsweise setzt gegebenenfalls erst zeitversetzt oder nach dem Konzert ein, nach der Entlassung aus dieser Situation. Es rauscht. Es rauscht also immer schon am Grunde, in einem bloßen physiologischen Sinne und ebenso an der »Grenze des bewußten Seins«117 , wo das Kunstwerk im Konzeptuellen verrauscht, also in dem Moment, wo wir erkennen, dass wir nichts mehr erkennen können. Verweist das Rauschen nicht nur auf ein Sosein unserer Erkenntnisfähigkeit, sondern womöglich auch auf ein Rauschen jenseits unserer Wahrnehmungsfähigkeit, jenseits unserer physiologischen Sensibilität? Was vermittelt diese Erfahrung den Subjekten? Was schließt sich auf, wenn sich Hörer:innen im Klangstrom verlieren, wenn sich eine reflexive Rezeptionsweise verschließt?
2.2.3
Das Anästhetische des Klanges: Vom Nichts-mehr-wahrnehmen-Können
Das mystische Gefühl des Umschlossenseins und der Teilhabe, das Seel in populärer Musikrezeption ausmacht, stellt sich für Hörer:innen nicht 115 116 117
Vgl. hierzu auch ebd., S. 73. Grüny 2014, S. 53. Seel 1997, S. 91.
2. Spielarten der Kunstrezeption
hauptsächlich durch subjektives Transzendieren der Musik ein.118 In bestimmten Genres wird Hörer:innen bewusst, dass musikalische Gestalten ihnen nicht bloß erscheinen, sondern sich als reale Bewegung physisch-greifbarer, womöglich unhörbarer, doch spürbar anwesender Prozesse etablieren. Hörer:innen wird bewusst, dass das Erscheinen nicht der Musik »ganzes Sein«119 ausmacht. Es lässt sich doch fragen, ob die physisch-materielle Natur überhaupt bloß ist, ob sie überhaupt bloß Effekte hat, oder ob sie von unserer gesamten Wahrnehmung unterschiedene, autonome Wirkmächte ausbildet, die zwar da, aber möglicherweise unerschlossen sind – »unspürbare[…] Kräfte«120 , wie sie uns die Kunst nach Deleuze und Guattari erfahren lässt. Wie ich im letzten Kapitel bereits beschrieben habe, kann die ästhetische Erfahrung, kann das Ereignis gerade auch in der Entdeckung des Physischen als Möglichem, des vorher Ungehörten liegen, einer ungekannten Berührung mit dem »außer- oder überkünstlerische[n] Prozeß des Werdens und Vergehens«121 . Hierin erfahren wir Rauschen nicht nur als Extremform ästhetischer Erfahrung – also komplexe, geistreiche Komposition,122 sondern auch als Grundform des sinnlich Wahrnehmbaren.123 Und in dieser neuerlichen Entdeckung und Dehnung der Wahrnehmungsschwelle könnte womöglich eine Tiefe liegen, die
118
Mit Transzendenz meint Seel keine überweltliche oder übernatürliche Kraft und auch kein Außerhalb des Kunstwerks, sondern einen extremen Zustand des ästhetischen Erscheinens von Objekten, eine »radikale[…] Immanenz des Erscheinens« (ebd., S. 73). Ich möchte hier lediglich am Gegenstand prüfen, inwiefern diese Transzendenz allein vom Erscheinen, also von der subjektiven Auffassung ausgehen kann. 119 Vgl. ebd. 120 Deleuze und Guattari 2000, S. 216. 121 Seel 1997, S. 85. 122 Ebd., S. 73. 123 Michel Serres spricht dem Rauschen und Klanglichen einen universellen Sinn zu, der die gesamte Kultur durchziehe und beeinflusse, er schreibt vom »Hintergrundrauschen der Welt«; vgl. Michel Serres (2015): Musik. Berlin: Merve, S. 74.
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nicht mehr wahrgenommen werden kann, die unser Spüren, Bemerken und Erfahren unterläuft.124 Ein Kunstwerk führt niemals nur Artikulationsweisen oder -verhältnisse vor, sondern immer auch einen Rest des Vor-Sprachlichen, VorGedanklichen, einen »Ort ›vor aller Ordnung‹«.125 Dieses Rauschen ist ein allgemeines Rauschen und es zeigt sich als bloßes Rauschen, als Lärm, Stille, Geräusch oder Hauch, als unauflösbarer Rest ›stoischer‹ Materialität, der nie ganz in Musik, Bedeutung, Konzept oder Sinn aufgeht, sondern immer ein »Fremdkörper« bleibt,126 wie Grüny es ausdrückt. Das Subjekt kann im Bemerken der Gegenwart dieser Kraft nur rätseln: Ist dies gar die Grundverfassung der Welt, die jeder Artikulation zugrunde liegt und sie im Zweifelsfall scheitern lässt?127 Jedenfalls ist dieses allgemeine Rauschen aus keiner Konstruktion oder Apparatur ganz zu tilgen. Es bleibt ein Widerstand.128 In der Musik zeigt dieses allgemeine Rauschen eben nicht nur eine Wirklichkeit an, die gestaltlos erscheint – wenn Themen, Strukturen oder die Dramaturgie zu verrauschen drohen – sondern eine Wirklichkeit, die wirklich ungestaltet ist, ein allgemeines Werden und Vergehen der Materie,129 das nicht geformt, nicht komponiert werden kann. Es kann uns dennoch poetisch erscheinen, denn es kann zur »Einsicht der Aussichtslosigkeit des Machbaren«130 führen, während wir zugleich daran teilhaben oder wir
124 Auch Seel (ebd., S. 90f.) spricht von einer Erfahrung vom »Anfang« der Wahrnehmung, doch nicht im physisch-physiologischen Sinne, sondern in einem rein kognitiven. 125 Richard Wagner, zit.n. Otto Kolleritsch (1997): »Laß singen, Gesell, laß rauschen…« Vorbemerkung zum Thema. In: ders. (Hg.): »Lass singen, Gesell, lass rauschen…« Zur Ästhetik und Anästhetik in der Musik. Studien zur Wertungsforschung, Bd. 32, Wien und Graz: Universal-Edition, S. 9. Vgl. auch Grüny 2014, S. 329ff. 126 Grüny 2014, S. 331. 127 Vgl. hierzu auch Kolleritsch 1997, S. 9ff. 128 Vgl. Grüny 2014, S. 329ff. 129 Vgl. Seel 1997, S. 77-85. 130 Kolleritsch 1997, S. 9.
2. Spielarten der Kunstrezeption
zumindest flüchtig erhaschen, dass es ein an sich, ein »Sich-Hören«131 des Klanglichen gibt. Und dies könnte schon alles sein; wir bemerken nur, dass da etwa ist. Dieses Rauschen könnte man das Anästhetische nennen; die Grundschicht bzw. Bedingung als auch Grenze des Ästhetischen und somit der Wahrnehmungsfähigkeit überhaupt. Sie reiche, so Wolfgang Welsch, »vom Nullphänomen bis zu einem Hyperphänomen des Ästhetischen«, vom Nichts-mehr-wahrnehmen-oder-spüren-Können bis zum Exzess, wo so viel wahrgenommen werden kann, dass es uns wiederum verschwimmt.132 Doch eine wirkliche Nullstelle gibt es auf der Wirklichkeitsebene des Physischen bzw. Materiellen nicht, wodurch uns das Anästhetische überhaupt erst erscheinen kann, wodurch wir es erst ertasten, erhaschen können. Deleuze schreibt dazu: »Allgemein läßt sich feststellen, daß es keine Nullquotienten von Frequenzen, kein wirkliches Nullpotential, keinen absoluten Nulldruck gibt; wie nach einer Regel logarithmischer Graduierung steht die Null in Richtung des Unendlichen von immer kleineren Brüchen.«133 Die Konsistenzebene; die reale Bewegung, Schwingung, das Klingen, Geräusche, das Rauschen, die Stille – all diese Vorgänge sind also übergängig, fließend. Sie sind Quantitäten, die auch da sind, wenn wir sie nicht (mehr) wahrnehmen können. Allein unsere Wahrnehmung zieht hier eine Grenze, die auch als Schwelle bewusst werden kann. Ebenso verhält es sich zum anderen Extrem hin; Exzess, Überfülle, extreme Lautheit oder schlicht Intensität.134 Auch das bloße Rauschen und die Stille haben ein Exzesspotential, eine Intensität, eine Überfülle, die nicht auf qualitative, subjektive Zuschreibungen zurückgeführt werden
131 132 133 134
Nancy 2010, S. 36. Welsch 1998, S. 11. Deleuze 1992, S. 297. Zum Verhältnis von klanglicher Quantität und Intensität vgl. auch Will Schrimshaw (2013): Non-cochlear Sound: On affect and exteriority. In: Marie Thompson und Ian Biddle (Hg.): Sound, Music, Affect. Theorizing Sonic Experience. London u.a.: Bloomsbury, S. 35f.
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kann.135 Vielmehr würde, so Deleuze, die Intensität von dieser Ebene der Wirklichkeitswahrnehmung verdeckt; die Organisationsebene verdecke die Überfülle der sinnlichen Wirklichkeit, wo diese nicht mehr empfunden werden kann.136 Deleuze nach ist diese Grenze der Intensität immanent.137 Er schreibt, es sei die innere Differenz der Intensität, die sie erst intensiv werden lasse; und zugleich sei sie auch das Unsinnliche, »was nicht mehr empfunden werden kann«.138 Sie erst erzeugt also eine Potenzierung ins Anästhetische; sei es in negativer Potenz – die ins Unwahrnehmbare führt; sei es in positiver Potenz – die uns zum Exzess wird.139 Und diese innere Differenz ist eben keine subjektive, keine qualitative Größe. Sie sei eine »Quantitätsdifferenz«, so Deleuze, eine Menge, ein reales Materielles.140 Sie sei völlig untilgbar und immer überschüssig und nur dadurch könne sie auch erst auf mögliche Differenzen verweisen – Desensibilitäten, Brüche oder Wechsel in unserer Wahrnehmung.141 Da wo nichts mehr empfunden werden kann, findet ein Ebenenwechsel statt, deshalb stehen körperlicher und reflexiver Nachvollzug quer zueinander. Stehen wir jedoch ›inmitten‹ der Resonanz, vom Sinnlichen ›erfüllt‹, kann der Wechsel in ein Nachdenken über Klang schwer fallen. Grüny macht auf diese innere Grenze in der Musik aufmerksam, die »musikalische[…] Differenz«, und spricht von Musik als »Zwischenphänomen«.142 Jeder Ton ist ein diskretes Element eines Tonsystems – des Oktavraums, der Kirchenmodi, der Pentatonik oder anderer.143 Er verweist in seinem Erklingen sogleich auf andere Töne desselben Systems. Er ist an sich schon ein »Sinnphänomen«, wie Grüny sagt, und 135 136 137 138 139 140 141 142 143
Vgl. ebd., S. 27ff. Vgl. Deleuze 1992, S. 299. Vgl. ebd. Deleuze beschäftigt sich hier ontologisch mit dem Sinnlichen. Ebd. Vgl. ebd. sowie S. 294f. Ebd. Vgl. ebd. Grüny 2014, S. 44 und 13. Vgl. hierzu ebd., S. 52f. Im folgenden Absatz beziehe ich mich auf das Kapitel »II: Ton« (S. 52-59) ohne weitere Zitation, außer ich zitiere direkt.
2. Spielarten der Kunstrezeption
kann deshalb an sich schon eine musikalische Geste darstellen.144 Die Töne des Oktavraums sind nicht nur in ihrer endlichen Zahl und periodischen Wiederkehr der Intervalle, der Distanz, in denen sie stehen, definiert. Sie weisen außerdem eine bestimmte, festgelegte Quantität von Klangfarben auf, eine rezipierbare Fülle von Timbres und so eine gemeinsame ›Wesensart‹. Sie betrifft ihre Sonanz, die Glätte oder Rauigkeit ihrer Resonanzfähigkeit.145 Töne sind euphon miteinander, sie verschmelzen tendenziell miteinander, ganz anders als das Geräusch, dass eben nicht systematisch ›funktioniert‹ und unidentifizierbar viele Klangfarben aufweist.146 Jeder Ton bringt eine Trennung vom allgemeinen Rauschen mit sich, indem er ein ausgewähltes Substrat bestimmter Klangfarben und Höhen aus einem eigentlich unendlichen Möglichkeitsraum des Klingenden extrahiert. Doch die Schwelle zum nicht-Musikalischen, zum Geräuschhaften, zur bloßen Stille und zum allgemeinen Rauschen bleibt in jedem akustischen Phänomen als Rest vorhanden – als eine untilgbare Differenz.147 Das nicht-Musikalische stellt kein Dispositiv zum Musikalischen dar.148 Es gibt keine Stille in der Welt, genauso wenig wie es das Musikalische gibt.149 Das Außermusikalische liegt nicht als Differenz zum Musikalischen vor, sondern wird erst durch das Klingen(de) erzeugt.150 Im Ausklang jedes Orchesters wird auch ein Orchester der Geräusche hörbar. Jedes sonische Ereignis produziert selbst immer diese Schwelle, diese Spannung zwischen Musik und Nicht-Musik, einem Außerhalb und
144 Ebd., S. 53. 145 Vgl. hierzu auch Oliver Schwab-Felisch (2014): Akustische Grundlagen von Tonsystemen. In: Stefan Weinzierl (Hg.): Akustische Grundlagen der Musik. Handbuch der Systematischen Musikwissenschaft, Bd. 5, Regensburg: Laaber, S. 119. 146 Vgl. hierzu auch Ivanka Stoïanova (1997): Rauschen – Urklang – Urgrund. Wolfgang Rihm: Die Eroberung von Mexiko [sic!]. In: Otto Kolleritsch (Hg.): »Lass singen, Gesell, lass rauschen…« Zur Ästhetik und Anästhetik in der Musik. Studien zur Wertungsforschung, Bd. 32, Wien und Graz: Universal-Edition, S. 152. 147 Vgl. Grüny 2014, S. 155. 148 Vgl. ebd., S. 57. 149 Vgl. auch ebd., S. 35 150 Vgl. ebd.
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Innerhalb seiner Form oder Gestalt, zwischen formal und material.151 Deshalb spricht Grüny auch vom »Vollzugscharakter der Differenz« im Klanglichen.152 Und sie äußere sich als Spannung zwischen Vermittelbarkeit oder Zugänglichkeit und Unmittelbarkeit oder Ungekanntheit, zwischen tendenziell reflexivem und körperlichem Nachvollzug.153 Musik ist ein »Ausschnitt der Wirklichkeit« des Klingenden – sie ist tendenziell ›wie für unsere Ohren gemacht‹.154 Jenseits und selbst innerhalb dieser »ideale[n] Ebene«, die sich in der musikalischen Geste verwirklicht,155 geht die sonische Bewegung weiter – sie ist schwellenlos und potentiell unendlich. Sonische Materialität – grundlegend für das Klingende – verweist auf diese Unendlichkeit und Eigenheit der Bewegungen des Klingenden. Und sie lässt sich nie ganz im subjektiven oder sinnhaften Nachvollzug auflösen; in Geist, Ausdruck, Form oder Werk; sondern bleibt eine »Konstruktion[…] eigenen Rechts, an de[r] die Rezeption sich nur abarbeiten kann, ohne sie je ganz einholen zu können«, wie Grüny zusammenfasst.156 Denn Rauschen ›spricht‹ nicht zu uns. Das Material ist ›stoisch‹. Es bildet den Grund für eine »irreduzible Alterität des Gehörten«.157 Deshalb kann es an sich als Kritik eines Soseins der Welt und subjektiv-reflexiver Autonomieansprüche aufgefasst werden. Durch Intensität auf der Konsistenzebene kann es real spürbar machen, dass auch etwas anderes möglich wäre. Es stellt Bedeutungen frei.158 Ich möchte im folgenden Kapitel eine ästhetische Theorie vorstellen, die dieser Widerständigkeit bzw. Übermäßigkeit des Kunstwerks Rechnung trägt. Gilles Deleuze und Félix Guattari führen ein begriffliches und kategoriales ›Arrangement‹ ein, das – auf die Musik bezogen – 151 152 153 154 155 156 157 158
Vgl. ebd., S. 144. Ebd., S. 44. Vgl. ebd., S. 57, 144 und 195. Stoïanova 1997, S. 159. Grüny 2014, S. 144. Ebd., S. 342. Ebd. Vgl. hierzu auch Mertens 2011, S. 334.
2. Spielarten der Kunstrezeption
nicht nur der ›stoischen‹ Materialität und inneren Differenz des Klanglichen gerecht wird, sondern diese auch als immense ästhetische Kraft in künstlerischen Werken und Rezeptionserfahrungen erklärt.
2.3
Die Autonomie des Kunstwerks
Auch Deleuze und Guattari beschreiben Kunstwerke als ästhetische Konstellationen, die neue, andere Wahrnehmungs- und Erfahrungsräume, ganze Welten der Möglichkeiten eröffnen.159 Darüber hinaus sei ihnen aber jedenfalls auch jene Unverfügbarkeit, jene Widerständigkeit gegenüber dem subjektiven Nachvollzug immanent.160 Kunstwerke können nicht allein Referenzen auf die Objekte und Deutungen der Welt sein – Kontexte, Konventionen, Zeichensysteme oder Meinungen,161 gehen sie doch darüber hinaus und zeigen sich gar als ihr Widerspruch oder verunsichernder Entzug. Gleichfalls sind sie für die beiden Philosophen aber auch mehr als ihr widerständiges Material. Deleuze und Guattari beschreiben Kunstwerke als Konstellationen ästhetischer Elemente, die sich nicht auf jenes subjektive Dazwischen unserer Erfahrungs- oder Erkenntnisfähigkeit reduzieren lassen.162 Sie gehen über jede vereinnahmende und begrifflich feststellbare Rezeption hinaus. Sie heben sich von ihrem Material, ihrem Darzustellenden, der Intention der Produzent:innen und den Rezeptionen ab, sie gingen über das Menschliche, das uns Mögliche, hinaus.163 Dies mache die Transzendenz des Kunstwerks aus, so Deleuze und Guattari.164 Und diese Transzendenz sei keine außer- oder übernatürliche Kraft und ebenso keine subjektive Fähigkeit oder Zuschreibung, sondern eine
159 160 161 162 163 164
Vgl. Deleuze und Guattari 2000, S. 192 und 210. Vgl. ebd. sowie S. 208 und 218. Vgl. ebd., S. 194. Vgl. ebd., S. 192f. Vgl. ebd., S. 191f. und 199. Vgl. ebd., S. 191-195.
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Potenzierung von Kräften und ästhetischen Bezügen im Kunstwerk an sich.165 Wie kann man sich das vorstellen? Was geschieht, nach Deleuze und Guattari gedacht, auf materialer Ebene des Kunstwerks, dass es autonom wird, dass es über sich selbst und uns hinaus geht? Ich möchte diese Frage im Folgenden an einigen Theoremen der beiden Philosophen und anhand ausgewählter Aspekte des Klanglichen erklären.
2.3.1
Affekte des Kunstwerks
Deleuze und Guattari begreifen das Kunstwerk als ein autonomes »Empfindungswesen«,166 als einen »Empfindungsblock, das heißt eine Verbindung, eine Zusammensetzung aus Perzepten und Affekten«.167 Es ließe sich gerade nicht auf die Perzeptionen und Affektionen reduzieren, die uns erscheinen, also die sich in uns vollziehenden Rezeptionsprozesse.168 »Klangblöcke« könnten Klänge, Rhythmen, Strukturen oder einzelne Töne nur sein, deren musikalisches Material eine Bewegung außerhalb bestehender Koordinaten des Systems der Musik ergreift.169 Außerhalb musikalischer Gesten und Codes könnten neue Empfindungen gefunden werden durch andere Zusammensetzungen klanglicher Intensitäten. In der Berührung dieses Außerhalb, dieses Rauschens, bilden Klangblöcke eben nicht nur unsere Fähigkeit ab, das Gegebene in der subjektiven ästhetischen Wahrnehmung zu transzendieren. Die Perzepte des Kunstwerks ließen uns vielmehr an etwas teilhaben, das vormals unspürbar war – Ungehörtes, Unhörbares.170 So kann 165 166 167 168 169 170
Vgl. ebd., S. 195-201. Ebd., S. 193. Ebd., S. 191. Vgl. ebd. Ebd., S. 226f., vgl. weiterhin S. 232f. sowie Deleuze und Guattari 1992, S. 468. Vgl. Deleuze und Guattari 2000, S. 216. Den Begriff vom »Ungehörten« hat Jens Gerrit Papenburg geprägt und er versteht darunter medienreferentielle Klänge; vgl. Jens Gerrit Papenburg (2011): Hörgeräte. Technisierung der Wahrnehmung durch Rock- und Popmusik. Dissertation, Zugriff am 10.02.2022 unter: https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/17137/papenburg.pdf?seq
2. Spielarten der Kunstrezeption
uns das Kunstwerk erfahren lassen, dass die Existenz des Klanglichen über unsere Sinne hinausgeht. Die Affekte seien Deleuze und Guattari nach das allgemeine, dem Kunstwerk immanente Potential zu affizieren, die »transformative Kraft« des Kunstwerks, wodurch es uns in ›seiner‹ Welt – seinen räumlich-zeitlichen Verläufen, Narrativen, Bewegungen – »sinnlich werden« lasse.171 Affekte und Perzepte seien die Extrakte, die Kristallisationen möglicher Empfindungen.172 Und durch die Empfindung wird musikalischer Nachvollzug erst ermöglicht.173 Das Geräusch erscheint mir als das Potential musikalischer Affekte im engeren Sinne.174 Denn es stellt das Rohmaterial des Timbres dar, jenes musikalischen Parameters, das uns am stärksten affiziert, uns als ›charakteristisch‹, ›identitätsstiftend‹, ›unnachahmlich‹ erscheint.175 Wie der Akustiker Donald E. Hall erklärt, sind es die Geräuschanteile, welche einem Ton seine charakteristische Klangfarbe verleihen und nicht – wie man annehmen könnte – die periodischen ›Optimalwellen‹.176 Es sind die unperiodischen Ein- und Ausschwingungsvorgänge, die »Übergänge« und »Transienten« im Schwingungsverhalten, welche den Tönen ›Charakter‹ verleihen – wenn der Bogen die Saite berührt oder das Rohrblatt der Klarinette leise quiekt.177 Sie erzeugen jene gefühlte ›Stimmung‹ der Musik. Geräusche und Rauschen – beides sind unperiodische Schwingungsvorgänge. Rauschen ist ein ständiges Geräusch, die ständige
171 172 173 174 175 176 177
uence=1&isAllowed=y, S. 13f. sowie Papenburg 2012, S. 73f. Ich bezeichne mit dem Begriff auch Klänge, die ungehört bleiben, weil sie unhörbar sind oder unbemerkt bleiben. Deleuze und Guattari 2000, S. 209f. Vgl. ebd., S. 191. Vgl. auch Grüny 2014, S. 76. Gemeint sind musikalische Bewegungen oder Zusammensetzungen, die mit bestimmten Gesten und Gefühlen assoziiert werden; vgl. Hall 2008, S. 429. Vgl. hierzu etwa Hall 2008, S. 114 und 124f. Vgl. ebd. Ebd., S. 124f.
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»Verflüchtigung« und die ständige »Aufhebung von Klang«.178 Geräusche und Rauschen selbst haben unendlich viele Klangfarben und deshalb erscheinen sie uns als unidentifizierbar, als das »beziehungslose Unmittelbare«, wie Grüny es ausdrückt.179 Sie sind also an sich ein Exzess, eine Überfülle materieller Bewegung und eine Überfülle von Ereignissen, die uns dadurch unspürbar, unhörbar werden, indem sie über unsere Wahrnehmungsfähigkeit hinausgehen. Dem Philosophen und Musiker Will Schrimshaw zufolge stellen Geräusche eine ›intensive Quantität‹ dar, an der mit aller größter Intensität etwas und zugleich nichts mehr empfunden werden kann.180 Der Takt ist das Potential des Rhythmus, ist »ein allgemeines Potential von Gespanntheit«, das vom sonischen Material in seinem Klingen und Zusammenspiel erzeugt wird.181 Eine Frequenz hat Wellenhügel, »Punkte höchster Verdichtung« und Wellentäler.182 Die Taktzeiten bzw. -schläge sind Ausschläge derselben Welle, ein Anschwellen der Energie des Klanges. In diesen oszillierenden Spannungsunterschieden konstituiert sich eine Taktwelle.183 Der Rhythmus selbst ist der Resonanzaffekt dieser Binnenspannungen. Rhythmus und Timbre sind nicht an sich musikalische Gesten, sondern materiale Affekte, die uns sinnlich affizieren, nicht nur als Zuschreibungen oder Übersetzungsleistungen. Ein musikalischer Sinn wird erzeugt, der sich nicht allein auf reflexiven, ›entziffernden‹ Nachvollzug reduzieren lässt, sondern eine eigene Gefühlsbewegung zwischen Rezipient:innen und der Musik ist.184 Denn erst dann, so Deleuze und Guattari, gehe die technische oder formale Ebene 178
Roland Barthes, zit.n. Stoïanova 1997, S. 152. Vgl. auch Hall 2008, S. 150ff. und 55-58. 179 Grüny 2014, S. 56. 180 Vgl. Schrimshaw 2013, S. 35f. Er nutzt diese begriffliche Konstellation in Anlehnung an Deleuze’ und Guattaris Theorem von der Intensität und dem Unaufhebbaren in ihr. 181 Grüny 2014, S. 202. 182 Hall 2008, S. 25. 183 Vgl. Grüny 2014, S. 202 sowie 190-204. 184 Vgl. hierzu auch Grüny 2014, S. 91f.
2. Spielarten der Kunstrezeption
des Kunstwerks völlig in die »ästhetische Kompositionsebene« ein, wird von dieser gänzlich absorbiert.185 Das Material würde von der Empfindung ganz ununterscheidbar.186 Der Akkord ist dann die Empfindung,187 der Rhythmus und das Geräusch sind die Empfindungen und mehr als bloß akustische Effekte oder musikalische Codes. Hierin mache das Kunstwerk eine Tiefe oder Dichte geltend – wie Deleuze und Guattari auch schreiben – die sich eben nicht auf die formale Beschaffenheit des Werks reduzieren lässt.188 Das Material, der Stoff, wird »expressiv«, es gebe einen regelrechten Exzess an Affekten.189 Damit ist nicht gemeint, das Kunstwerk müsse in seinem Ausdruck oder Stil expressiv werden; auch die Stille kann eine starke Empfindung sein, kann eine musikalische Geste sein, einen »Stand in sich«190 entwickeln – wie auch Grüny bemerkt. Das Expressiv-Werden verstehe ich als reale Bewegung sonischer Materialität, die sich potenzieren kann bzw. als intensive Quantität. Sie unterläuft oder übersteigt das subjektive Wahrnehmenkönnen. An Interferenzen akustischer Schwingungen lässt sich leicht nachvollziehen, wie das Klangliche mit sich selbst und über unsere Wahrnehmung hinaus spielen kann. Die Addierung oder Synthese zweier Frequenzen kann komplexe Frequenzspektren erzeugen.191 Bei diesem akustischen Effekt gerät das Klangliche also mit sich selbst in einen affekthaften Prozess. Es verändert sich durch sein immanentes Potential – über materielle und räumlich-zeitliche Verläufe. Auf die Interferenz trifft zu, was Jean-Luc Nancy über das Potential der Musik schreibt: »Musik spielen ist sie erklingen zu lassen«192 . Die Musik spiele selbst mit den klanglichen Ressourcen ihrer Körper, entfalte ein inneres
185 186 187 188 189 190 191 192
Deleuze und Guattari 2000, S. 323. Vgl. ebd., S. 204. Vgl. hierzu auch ebd., S. 192. Vgl. ebd., S. 232. Ebd., S. 195. Grüny 2014, S. 40. Vgl. auch Deleuze und Guattari 2000, S. 194 und 215. Vgl. Hall 2008, S. 82-86 und 100ff. Nancy 2010, S. 42.
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Spiel, so Nancy.193 Jeder Ton sei ein »Zustand einer Quasi-Präsenz«, ein Mischungsverhältnis von Sonanzen und Distanzen.194 Er ließe sich nicht in einer »abstrakten Dekomposition« zerteilen.195 Das Klangliche hat einen Eigensinn, wie auch Schrimshaw betont.196 In einer Musik, die sich gewollt als Ausschnitt unserer konventionellen Wirklichkeit darstellt, mögen diese Bewegungen kaum zutage treten, doch umso geräuschhafter das Klingende ist, also umso stärker die Materialität im Klingenden hervortritt, desto mehr Affekte treten auf.197 Deleuze und Guattari schreiben auch von der »Unvollkommenheit«, der kleinen »Anomalie«, die zu den »inneren Mitteln« des Kunstwerks gehöre.198 Deleuze’ und Guattaris Theorie vom Kunstwerk löst die innere Differenz des Musikalischen ein, durch die es über sich selbst hinausgeht und uns ungekannte ästhetische Empfindungs- und Erfahrungsräume ermöglicht. Im Folgenden möchte ich einen Blick darauf werfen, welche Strukturen die beiden Philosophen in Kunstwerke ausmachen, welche Kompositionsebenen sie wahrnehmen.
2.3.2
Spielarten des Kunstwerks
Deleuze und Guattari nach könne das Material in bestimmten Bewegungen – räumlich-zeitlichen Verläufen – und auf unterschiedlich komplexen Ebenen – Strukturen der Musik – arrangiert sein, sodass das Kunstwerk als solches in sich ›hält‹.199 Das bedeutet, dass For-
193 194 195 196 197
Vgl. ebd. Ebd., S. 24. Ebd. Vgl. Schrimshaw 2013, S. 34. Da Geräuschanteile – unperiodische Schallwellen – eigentlich unendlich viele Teilschwingungen aufweisen, ist ihr Potential mit anderen Klängen zu interferieren ungleich höher; vgl. Andre Ruschkowski und Andre Bartetzki (2014): Elektronische Klangsynthese. In: Stefan Weinzierl (Hg.): Akustische Grundlagen der Musik. Handbuch der Systematischen Musikwissenschaft, Bd. 5, Regensburg: Laaber, S. 452 sowie Hall 2008, S. 320ff. 198 Deleuze und Guattari 2000, S. 192. 199 Vgl. ebd., S. 192.
2. Spielarten der Kunstrezeption
men und Figuren so komponiert und arrangiert sind, dass ein Werk entsteht, es als solches in all seinen Themen und Teilen erkennbar wird. Was wohl auch richtig ist: Würde es jeglicher Ordnung entbehren – Deleuze und Guattari sprechen hier vom »Rahmen« oder »Territorium«200 – hörten wir keine Musik.201 Musik müsse das »Ritournell« ergreifen, eine Ordnung, die die Wiederkehr bestimmter Elemente oder Parameter bezeichnet.202 Während also der »Leib« der Musik – etwa eine allgemeine Klanglichkeit, ein spezifischer Sound, ein frequenzieller oder metrischer Umfang – das Material des Kunstwerks darstelle, bringe ein »Haus« – eine Phrase, ein Motiv oder Thema, ein Rhythmus – Ordnung in diese Parameter.203 Zum »Kosmos« erhebe sich das Werk nach Deleuze und Guattari, wenn es diese Ordnung wiederum übersteigt, sich von ihr abhebt, sie zu Ungehörtem, Ungekanntem, etwa Außermusikalischem, dehnt.204 Das Kunstwerk würde dadurch »unendlich«, dass es ästhetische Elemente einführt, die eigentlich außerhalb der etablierten Ordnung liegen und diese dadurch transzendiert.205 Auf Grundlage verschiedener Grade solcher inneren Spannungen – der Erfüllung oder Übertretung bestehender Grundbilder in der Musik – arrangierten sich Werke nach Deleuze und Guattari in drei verschiedenen »Spielarten«.206 Charakteristikum der »Schwingung« sei die »einfache[…] Empfindung«.207 Sie sei bereits eine zusammengesetzte Empfindung, etabliere Niveauunterschiede in ihrem Schwingen.
200 201 202 203 204 205
Ebd., S. 212-214. Vgl. Grüny 2014, S. 204. Deleuze und Guattari 2000, S. 219, vgl. auch Deleuze 1992, S. 410-413. Deleuze und Guattari 2000, S. 211 und 220. Ebd., S. 234. Ebd. Zum Bezug der drei Rahmungen auf die Musik vgl. auch S. 226f. Deleuze und Guattari führen hiermit ein Vokabular ein, das der Medialität des Klanglichen eher entspricht – eher räumlich-zeitliche Begriffe, als kategoriale. Im nächsten Kapitel sollte dies noch deutlicher werden. 206 Ebd., S. 197. In der folgenden Darstellung der Spielarten beziehe ich mich bis auf Weiteres auf S. 197f., direkte Zitate werden gesondert vermerkt. 207 Ebd.
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Tiefenresonanz
Schon ein einzelner Ton, ein Tonwechsel, ein Akkord oder eine Melodie könnten eine Empfindung sein208 – sowie der drone oder der Halteton bereits eine Empfindung sein können. Im einzelnen Ton schon schwingen – wie dargestellt – Resonanzen miteinander. Die Schwingung folge einem »eher nervlichen denn zerebralen Strang«.209 Auf meine Frage nach dem Zusammenspiel von Rezeptionsweisen und musikalischem Material bezogen heißt das, sie bespielt eher die Psyche und Kognition als den Körper, evoziert eher kulturelle Grundbilder, eher das Musikalische als das Außermusikalische, das Diskrete, Differenzierte und Eindeutige als das Unendliche und Rauschende. Sie erzeugt Harmonie und eine einfache körperliche Mimesis, von der sich Hörer:innen leicht wieder distanzieren können.210 Sie scheint dem ruhigen Lauschen der ästhetischen Wahrnehmung im Seel’schen Sinne verwandt, wo ein Spiel der Aspekte und Bezüge erkennbar wird, was eher ein sinnhaftes, gestisches Hören ist. Dennoch zeichnen sich hierin bereits innere Spannungen und Bewegungen der Musik ab, die bei hochauflösendem Hören als Niveauunterschiede in der »Feinstruktur«211 des Klingenden erkennbar werden – dynamisches Anschwellen, Übergänge zwischen Tönen und Geräuschen, die innere Spannung von Rhythmen. In der Spielart der »Umfassung«, dem »Ineinander von Körpern«, die das Kunstwerk kreiert, würden »zwei Empfindungen ineinander widerhallen, indem sie sich so sehr aneinanderschmiegen, und zwar in einer Verschränkung der Körper, die nur mehr aus ›Energien‹ besteht«, schreiben Deleuze und Guattari.212 Das Ineinander von Körpern in der Musik ist eine »Umklammerung«, eine »Verkopplung«, wie sie etwa das Motiv ist, weil es sowohl die Melodie anklingen lässt, als auch an den gesamten ästhetischen Raum des Kunstwerks ›anspielt‹.213
208 209 210 211 212 213
Vgl. hierzu auch ebd., S. 226. Ebd., S. 197. Zu dieser Rezeptionsweise vgl. auch Grüny 2014, S. 106. Ebd., S. 171. Deleuze und Guattari 2000, S. 197. Ebd., vgl. auch S. 226.
2. Spielarten der Kunstrezeption
Das Motiv beinhaltet das Potential, in jedem Satz oder Part des Songs in anderen Ausformungen und Tonarten gespielt zu werden. Hierin klingen zwei Empfindungen – die einfache Schwingung und ihr Kontrapunkt oder -part. In dieser Spielart könnte mal das Gestische, mal das Geräuschhafte führen, das Diskrete und das Unendliche, das Widerständige und das Harmonische, doch ohne einander zu verdrängen. In der Umklammerung zeigt das Stück die innere Differenz des Klingenden, die innere Spannung, in der jede Klanglichkeit steht – so wie der Track zwischen Wiederholung und Differenz oszilliert214 . In der Umklammerung könnten sich deutliche Ausschläge und dynamische Dramatisierungen in Rhythmus, Harmonik und Form bilden. Das Geschehen könnte sich zum Rauschen, zum Ereignis, zum Taumel dynamisieren. Und über das Spiel der Aspekte und Bezüge hinaus könnte sich ein Spiel zwischen den inneren, energetischen Kräften des Klanglichen und den Formen und Figuren, zwischen musikalischen Codes und Außermusikalischem eröffnen; ein Spiel, das eine neue, tiefere und auch prekärere Wahrnehmungs- und Erfahrungsweise eröffnet, einen Möglichkeitsraum, ein neues Territorium etabliert. Denn in der Interferenz können sich Kräfte sowohl potenzieren als auch depotenzieren oder gar auslöschen – etwa wenn sich zwei Wellen überlagern.215 In der Spielart der »Dehnung«, dem »Zurückweichen« oder der »Trennung« sei das Thema ›tonangebend‹ in der Musik, das sowohl Melodie als auch Motiv in sich aufnimmt und in seinen so unterschiedlichen Variationen und Transponierungen von sich selbst ganz und gar verfremdet erscheinen kann.216 Es schließt und öffnet das Stück gleichfalls in dem Sinne, als dass es eine neue Ebene entfaltet und die Empfindungen ganz in die ästhetische Komposition hineinzieht – eine ganze ferne Welt, einen Kosmos. Es gebe neue Spielweisen, neue Empfindungen frei.217 Im Track kann es – über verschiedene Grundmuster geführt – immer wieder ganz anders klingen, eine ganz und gar andere
214 215 216 217
Vgl. hierzu auch Bonz 2008, S. 81f. und 95f. Vgl. Hall 2008, S. 82-86 und 467. Deleuze und Guattari 2000, S. 197, vgl. auch S. 126f. Vgl. ebd., S. 234.
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Tiefenresonanz
Empfindung auslösen. Es ermöglicht, den eingeführten strukturellen musikalischen Rahmen wiederum zu entrahmen, ihn hin zu einer immer »unbegrenzteren Kompositionsebene«218 zu öffnen. Die Umklammerung zweier Empfindungen – etwa Hookline und Beat – würde regelrecht ›kompensiert‹ durch diese Öffnung, die andere und völlig neue Möglichkeitsräume, Erfahrungs- und Denkweisen eröffnet.219 In dieser Trennung des Kunstwerks von seinen eigenen ästhetischen Elementen und Strukturen berührt es die Unendlichkeit, das nur Mögliche, das Endlose220 – Rauschen als höchste Potenz körperlichapperzeptiver und reflexiver Erfahrung, Schließung und Öffnung von Wahrnehmungsebenen. Auch diese Öffnung müsste noch eine Verbindung zum Werk haben, eine Öffnung eben dieses Materials sein und keine beliebige, müsste eine Erfahrung dieses Werks aufrecht erhalten.221 Dann könnte sich das Außermusikalische, das Rauschen, von seiner Gestaltlosigkeit in eine Ungestaltetheit abheben und eine Unendlichkeit musikalischer Formen aufzeigen.222 Nach Deleuze und Guattari könnte man also sagen, dass das Kunstwerk im Spiel der ästhetischen Elemente und Ebenen in sich die Grenze zwischen Zugänglichkeit und Unverfügbarkeit, zwischen Vermittelbarkeit und Un(ver)mittelbarkeit erzeugt. Und wir ›betrachten‹ diese Bewegungsformen und Ebenenwechsel in der Musik nicht bloß, sondern empfinden sie, wir erleben diese Bewegungen, Gesten und Narrative der Musik. Was geschieht im Körper und in der Reflexion der Hörer:innen, wenn sie die Bewegungen der Musik erleben? Was spielt sich auf der Konsistenzebene ab, wenn wir selbst zu Perzepten und Affekten, zu Empfindungs-
218 219 220 221 222
Ebd., S. 226. Vgl. ebd., S. 213f. und 226f. Vgl. ebd., S. 213f. Vgl. ebd. Vgl. hierzu auch ebd., S. 226f.
2. Spielarten der Kunstrezeption
komplexen werden, wie Deleuze und Guattari schreiben?223 Exponieren sich die Spielarten der Musik auch in den Rezeptionsweisen der Hörer:innen – mehr noch – stellen sie reale Bewegungsformen zwischen ihren Körpern und der Musik dar? Womöglich kann uns Musik ganz physisch-materiell ›einstellen‹ und verändern – so wie auch neue Erkenntnisse unsere Orientierungs- und Handlungsweisen prägen. In diesem Kapitel habe ich die praktisch-medialen und ästhetisch-aisthetischen Bedingungen subjektiver Autonomie in dieser Performance-Kultur untersucht. Ich habe gezeigt, dass Hörer:innen sich nur bedingt vom Sound distanzieren oder lösen können. Sie setzen sich vielmehr freiwillig der Unberechenbarkeit und Dominanz der klanglichen Materialität aus, weil sich gerade in der körperlichen Hingabe und im Verlust reflexiver Distanz wohltuende und Bedeutungs-öffnende Erfahrungen einstellen können. Aber auch das Gegenteil kann der Fall sein – dieser Verlust, die Erfahrung des physischen Ausgesetztseins und der reflexiven Orientierungslosigkeit können auch Angst, Leere oder Ohnmacht auslösen. Im folgenden Kapitel möchte ich die Resonanz noch näher betrachten; die Körper, Wahrnehmungen, den Sound und die Beziehung zwischen beiden. In einer ontologischen Betrachtung der Resonanz möchte ich die Bedingungen und Grenzen der Affektion der Subjekte durch sonische Materialität klären und zeigen, wie körperlicher und sinnhafter Nachvollzug zustande kommen – und unter welchen Prämissen eben nicht. So kann ich mich auch der Frage annähern, unter welchen Bedingungen sonische Dominanz für die Hörer:innen zum Gewinn oder Verlust ästhetischen Erlebens werden könnte. Wie der Gegenstand nahe legt, ist es nicht immer das schon Vorgehörte oder Konventionelle, das eine intensive Erfahrung auslöst. Klangblöcke erschaffen neue Wahrnehmungs- und Erfahrungsräume, indem sie das Außerhalb des Musikalischen in eine neue, in sich haltende Empfindung transformieren. Deshalb wird es im Folgenden nicht in der Hauptsache um Musik gehen, sondern um das Sonische,
223 Vgl. wiederum ebd., S. 204.
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Tiefenresonanz
das umfassende, auch das bloße Klingen, das (technische) Rauschen, das dem Sinnphänomen Musik zugrunde liegt.224
224 Zum Begriff des Sonischen und Sounds vgl. etwa Holger Schulze (2008a): Über Klänge sprechen. Einführung. In: ders. (Hg.): Sound Studies: Traditionen – Methoden – Desiderate. Eine Einführung. Sound Studies, Bd. 1, Bielefeld: transcript, S. 9ff.; Susanne Binas-Preisendörfer (2008): Rau, süßlich, transparent oder dumpf – Sound als eine ästhetische Kategorie populärer Musikformen. Annäherung an einen populären Begriff. In: Kaspar Maase (Hg.): Die Schönheiten des Populären. Ästhetische Erfahrung der Gegenwart. Frankfurt a.M. und New York: Campus, S. 192-209 sowie Papenburg und Schulze 2011, S. 10-15.
3. Klang – Körper – Subjekt Zur Ontologie sonischer Materialität Um welches Geheimnis handelt es sich, wenn man im eigentlichen Sinne zuhört, horcht, lauscht, sprich, wenn man sich bemüht, eher die Klanglichkeit zu fassen oder zu erhaschen als die Botschaft? […] Was heißt: nach Gehör existieren, dem Hören gemäß, für es und durch es, was an Erfahrung und Wahrheit kommt darin zum Einsatz und setzt sich auf’s Spiel? Jean-Luc Nancy1
Weshalb spricht Jean-Luc Nancy hier von ›erhaschen‹, als müsste das, was klingt, erst ertappt oder eingefangen werden? Stehen wir nicht immer mit offenen Ohren in unserer klingenden, manchmal lärmenden Umwelt? Doch erleben wir in der Musik oft dieses andere Hören, eben dies ›nach Gehör existieren‹, das sich nicht allein im Vernehmen – im sinnhaften Hören – sondern vor allem im Lauschen und Horchen, im Spüren der Musik einstellt. Und Nancy macht hier eine weitere Anspielung: Ob nicht gerade jene Klanglichkeit selbst die unfassliche Kraft erzeugt, die uns das musikalische Kunstwerk erleben lässt? Ob sich nicht
1
Nancy 2010, S. 12.
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Tiefenresonanz
zugleich etwas darin ›auf’s Spiel‹ setzt? Könnte hiermit ein Bedeutungsoder Selbstverlust gemeint sein? Was also ist diese Klanglichkeit eigentlich vor oder jenseits semantisch-logischer Zuschreibung? Was ist der ›Stoff‹ der Musik, das Material der Hörer:innen, der Musiker:innen und Produzent:innen? Könnten die Formen der Musik, die Töne und Motive selbst der Stoff des Mediums sein? Ist er schlicht die Luft? Oder ist etwas Unbestimmbares, Ungestaltbares daran?2 Heutige Rezeptions- und Produktionserfahrungen lassen eher nicht darauf schließen. Die Grenzen zwischen Lärm und Musik verschwimmen, insbesondere in der Populärkultur,3 natürliche Klänge werden aufgezeichnet und zum Bestandsschutz erklärt,4 selbst analoge Klangqualitäten werden heute besser synthetisiert, als sie je natürlich erzeugt werden könnten.5 Von alltäglichen über wirtschaftliche bis hin zu alltagsfunktionellen, von künstlerischen bis hin zu militärischen Kontexten;6 Klang ist gestaltete Materialität, wie auch Holger Schulze betont.7 Nichtsdestotrotz oder gerade deshalb haben wir es beim Klanglichen mit etwas »zweifellos Wirkliche[m]« zu tun, wie Christian Grüny es for-
2 3
4
5 6 7
Zu den hier aufgezählten Fragen und ihrer möglichen Diskussion und Historisierung vgl. Grüny 2014, S. 305-325. Vgl. hierzu Martin Büsser (2004): On the Wild Side. Die wahre Geschichte der Popmusik. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt/Sabine Groenewold, S. 22ff. und Till Kniola (2017): No escape from noise: ›Geräuschmusik‹ Made in Germany. In: Michael Ahlers und Christoph Jacke (Hg.): Perspectives on German Popular Music. Ashgate Popular and Folk Music Series. London und New York: Routledge, S. 123-127. So etwa in der Disziplin der Soundscapes, vgl. Hans-Ulrich Werner (2009): EinKlang, VielKlang, AllKlang. Akustische Kreativität in Klangökologie und Soundscape-Design. In: Georg Spehr (Hg.): Funktionale Klänge. Hörbare Daten, klingende Geräte und gestaltete Hörerfahrungen. Sound Studies, Bd. 2, hg. v. Holger Schulze, Bielefeld: transcript, S. 24f. Vgl. Hall 2008, S. 160f. Vgl. hierzu auch Steve Goodman (2010): Sonic Warfare. Ecology of Fear. Cambridge, Massachusetts und London: MIT Press. Vgl. Schulze 2008a, S. 15.
3. Klang – Körper – Subjekt
muliert,8 das unseren Zugang zur Welt und unser Selbstverständnis formt. Doch das Material des Klanglichen gibt es nicht.9 Als Körper im von Luftschall durchzogenen Raum sind wir »von derselben Art« wie Klang und wie das, wovon Klang erst ausgeht; Körper.10 Erst wenn wir diese uns eigene, ›krude Stofflichkeit‹ der Körper und Materialien in die Überlegungen mit einbeziehen, können wir das Klangliche selbst erhaschen.11 Deshalb spreche ich hier von sonischer Materialität, die eben sowohl die subjektiv-leibliche Erfahrung des Sonischen als auch seine unverfügbare und widerständige Materialität bezeichnet.12 Erst im Spüren und Reflektieren der Grenzen und Schwellen dieser uns eigenen physischen Resonanz lassen sich auch etwaige Widerständigkeiten und Un(ver)mittelbarkeiten bemerken. Vielleicht geht davon die Faszination und auch Ohnmacht gegenüber dem Medium aus. Vielleicht sind wir uns in der disparaten Rolle als Subjekt und Objekt selbst unklar oder gar fremd.13 Salomé Voegelin spricht vom »phänomenologischen Zweifel« der Hörer:innen, denn wo auch immer die Klangquelle steht, der Sound ›sitzt‹ bereits in unseren Ohren, sobald er für uns anwesend ist.14 Erst aus der Betrachtung sowohl der subjektiven Rezeption – und zwar der affektiv-motorischen und psychisch-kognitiven – als auch der Behandlung des Gegenstandes an sich – soweit dies möglich ist – lassen sich annähernd allgemeingültige Aussagen über Klang und seine Wirkungen treffen.15 Naturwissenschaftliche Perspektiven bzw. von einer naturwissenschaftlichen Objektlogik informierte Perspektiven bieten einen Zugang zum Gegenstand, wo sich dieser jenseits unserer leiblichen Wahrnehmung und Nachvollziehbarkeit bewegt. Gleichfalls ist aber selbst seine Widerständigkeit nicht auf diese Perspektive beschränkt, stellt sie sich doch 8 9 10 11 12 13 14 15
Grüny 2014, S. 308. Vgl. ebd., S. 312. Ebd., S. 327. Dieter Mersch, zit.n. ebd., S. 311, vgl. auch S. 326f. Vgl. hierzu auch ebd., S. 306-312. Vgl. ebd., S. 342ff. Voegelin 2010, S. ixx. [Übersetzung aus d. Engl. v. L. W.] Vgl. hierzu auch Grüny 2014, S. 324-327.
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Tiefenresonanz
manchmal auch spürbar in und durch unsere Körper ein, sind unsere Körper in drastischen Hörsituationen Teil dieser Unverfügbarkeit. Des Weiteren ist Klang heute oft vom Menschen produziert oder verursacht und so selbst mehr und mehr durch Subjekte geformt.16 Im Folgenden werde ich also versuchen, eine – wenn auch kurze – Ontologie des Sonischen in seinen Bedingungen und Möglichkeiten der Resonanz zu formulieren, in seinem Potential, den menschlichen Körper in Schwingungen zu versetzen und seiner Widerständigkeit, nicht auf diese Eingängigkeit begrenzt zu sein.17 Wie und warum wird uns Klang körperlich intensiv und wie genau beeinflusst dies unsere Hörerfahrungen? Um diese Fragen beantworten zu können, muss erörtert werden, wie sich leiblicher und reflexiver Nachvollzug vollziehen, wie Klang und Subjekt mit- oder gegeneinander ›spielen‹. Wie gehen wir selbst leibhaftig in die Spielarten des Kunstwerks ein? Diese Ontologie soll ein tiefergreifendes Verständnis vom Hören als leiblich-reflexiven Prozess und vom Sonischen als körperlich-physikalische Kraft eröffnen.
3.1
Klangkörper
Grüny meint, dass es zur Bestimmung des Klanglichen weniger einen fertigen Begriff bräuchte als vielmehr ein Verständnis dafür, dass es sich um eine »bestimmte Dimension der Erfahrung« handle, die sich der Distanz eines vom Sehen und Logos her gedachten Sinnbegriffs entzieht.18 Auch in diesem Sinne definiert Holger Schulze das Sonische als Bewegung, Berührung und Übertragung.19 Klang entsteht in und aus der Bewegung von Materialien – ein Bogen berührt die Saite, magnetische Anziehung oder Druckunterschie-
16
17 18 19
Für eine allgemeinere ontologische Perspektive auf das Verhältnis von Subjektivität bzw. Bedeutung und Materie vgl. Karen Barad (2020): Agentieller Realismus. Berlin: Suhrkamp. Vgl. Grüny 2014, S. 342 sowie Nancy 2010, S. 23. Grüny 2014, S. 310, vgl. auch S. 343. Vgl. Schulze 2008b, S. 143f.
3. Klang – Körper – Subjekt
de in der Atmosphäre lösen Luftschall aus, eine Irritation und dann die stetige Vibration der Teilchen.20 Die Bewegungsübertragung bewirkt zeitweise Verdichtungen und Verdünnungen der Atmosphäre. Anders als beim Stofftransport kehren die Teilchen nach dieser schallenden Erschütterung in ihre Ruhelage zurück. Die Druckwellen des Schalls pflanzen sich in vielfältigen Formen, von der einfachen periodischen Schwingung bis hin zu Zacken-Formen in Geschwindigkeiten von 344 bis 350 Metern pro Sekunde durch die Luft fort, je nach Temperatur und Luftfeuchtigkeit.21 Die Welle dient seit der Aufzeichnung akustischer Signale als sinnbildliche Figur des Klanglichen,22 doch sie ist auch die wirkliche, die reale Form dieser Bewegung. »Klänge durchspannen die Materie« in der räumlich-zeitlichen Struktur der Welle.23 Diese zeige an, so Deleuze und Guattari, dass unsere Realität »bewegliche Ränder« aufweist.24 Nicht nur dem Klang, aller Materie könnten – freilich nur in bestimmten Auflösungsgraden der Beobachtung – wellenähnliche Eigenschaften zugesprochen werden.25 Elektronen weisen Bewegungsformen von Wellen auf wie Streuung, Beugung, Brechung und Interferenz – deshalb spricht der Akustiker Donald E. Hall auch von der »Wellennatur der Materie«.26 Die Welle zeige an, so Deleuze und Guattari, dass Körper eben nicht »angeblich feststehende Endzustände« sind – hart oder weich, offen oder geschlossen – sondern immer im Prozess.27 Andernfalls gebe es kein Wachsen, kein Werden, keine Entwicklung von Formen und Figuren, keine Variationen oder Mutationen.28 Körper seien mannigfaltige, komplexe Maschinerien aus unendlich vielen, indi20 21 22 23 24 25 26 27 28
Vgl. Hall 2008, S. 21-25. Vgl. ebd. sowie S. 26f. und 36ff. Vgl. Stefan Rieger (2009): Schall und Rauch. Eine Mediengeschichte der Kurve. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 7-15. Schulze 2008b, S. 151. Deleuze und Guattari 1992, S. 343. Vgl. Hall 2008, S. 76. Ebd. Vgl. Deleuze und Guattari 1992, S. 343. Vgl. ebd., S. 346-349.
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Tiefenresonanz
viduellen Zusammensetzungen und Verteilungen von Partikeln, Elementen und Gefügen.29 Auf dieser uns eigentlich wirklich umgebenden, feinstofflichen, mikrologischen oder molekularen Konsistenzebene fänden Prozesse des Werdens statt – Ausdehnungen, Berührungen und Übertragungen, »Sprünge« von Materialien und ihre Ballungen zu intensiven Verbindungen – Affekten.30 An bestimmten Punkten oder Flächen, in »Nachbarschaften« von Körpern, müsse es Übergänge, Schwellen geben, wo Körper in andere übergehen, sich transformieren, in Beziehung stehen im Sinne eines Teilseins und nicht als Gegenspieler oder Grenzfiguren31 – Resonanzen. Körper sind Deleuze und Guattari zufolge nicht in ihrer Form oder Funktion definierbar, sondern in ihrem »Wesen«, sie seien »Affekte und räumliche Bewegungen«.32 Die Formen ihres Werdens seien einzig durch »die Gesamtheit von materiellen Elementen unter bestimmten Verhältnissen von Bewegung und Ruhe, von Schnelligkeit und Langsamkeit« determiniert, die »Gesamtheit von intensiven Affekten«.33 Auch nicht Raum und Zeit seien die Determinanten eines Geschehens. Körper seien nicht – wie Markierungen in Koordinaten – in diese Leerstellen ›gesetzt‹. Vielmehr prägten sie Zeit und Raum qua ihrer Ausdehnung und »Individuation« aus.34 Das Sonische ist Affekt und Bewegung, es ist transitiv und klingt qua dieser Wellennatur der Materie in relativer Langsamkeit – die durch die Trägheit der Materialien verursacht wird und seine Widerständigkeit
29 30
31 32 33 34
Vgl. ebd. Ebd., S. 349f., 363f. und 382ff. Dieser Affekt-Begriff unterscheidet sich von dem, den Deleuze und Guattari in Was ist Philosophie? (2000, S. 204-207) in Bezug auf das Kunstwerk entwickeln. Affekt hier (S. 349-354) meint ebenfalls eine transformative Kraft, ein Übergangs- oder Übertragungspotential, doch bezieht er sich auf eine grundlegendere, mikrologische Ebene; dieser Affekt müsste demnach (noch) keine Empfindung sein. Ebd., S. 326, vgl. auch S. 342. Ebd., S. 354. Ebd. Ebd., S. 356f. Vgl. auch Schulze 2018, S. 142.
3. Klang – Körper – Subjekt
betrifft, und relativer Schnelligkeit – die seine Schwingung und Bewegung ermöglicht.35 Das Material des Sonischen ist also – ganz wie Grüny formuliert – »die Menge der materiellen Bedingungen [seiner] Erzeugung«.36 Klang ist ein Übergangs- oder »Zwischenphänomen«,37 das auf die Körper bezogen bleibt und keine endgültige Form ausbildet.38 Klang hat kein eigentliches Davor, Dahinter, Außen oder Innen, kein Verborgenes, sondern klingt allseits.39 Klingen ist eine reale Bewegung, eine Spannung durch die Körper. Sie löst eine Berührung aus – einen Aufprall oder ein Reiben der Substanzen, ein Stöhnen, Durchfahren, Pfeifen, Heulen oder Brummen, einen Affekt. Und Körper übertragen diese Spannung, in deren ›Angeln‹ erst eine Re-sonanz stattfinden kann.40 Schall macht auf immanente Weise diese Konsistenzebene der Wirklichkeit spürbar. Von Materie zu Materie weitergegeben, akkumulieren sich die Resonanzen des Schalls zu einer »ubiquitären Atmosphäre«, wie Nancy formuliert.41 Dies geschieht ständig und bereits vor der Wahrnehmung bestimmter Formen und Figuren – Alltagsgeräusche, Lärm, noise. Luftschall bringt Myriaden von Teilchen in Bewegung. Er breitet sich kugelförmig um die Schallquelle zu sogenannten Schallfeldern aus.42 Reflexionen und Interferenzen eines sonischen Ereignisses bilden Bewegungsmuster, Spannungsgefüge, Kraftfelder aus, in denen übergangsweise komplizierte Formen auftauchen – Brechungen, Polarisationen, Absorptionen und Dispersionen.43 Körper entwickeln aufgrund ihrer spezifischen Konsistenz, ihrer Zusammensetzung und Verteilung (Dichte, Temperatur, Bewegung und andere) eigene 35 36 37 38 39 40 41 42 43
Vgl. auch Hall 2008, S. 47-50. Grüny 2014, S. 327. Ebd., S. 13. Vgl. ebd., S. 333. Vgl. Nancy 2010, S. 22. Vgl. Grüny 2014, S. 326f. Nancy 2010, S. 22. Vgl. Hall 2008, S. 21-25 und 320. Vgl. ebd., S. 86.
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Tiefenresonanz
Resonanzfähigkeiten, Affektpotentiale – daher die grobe Unterteilung in Körper-, Luft und Flüssigkeitsschall.44 Sie haben selbst transformierenden Charakter auf den Schall. Widerstände reflektieren Schall und verstärken, verteilen oder verschieben ihn eventuell;45 poröse Materialien dispergieren, absorbieren oder dämpfen Schall.46 Membrane wiederum schwingen mit – eine Übertragung, Übersetzung und Transformation findet statt.47 »In einem Körper, der sich öffnet und sich zugleich schließt, der sich mit anderen disponiert und exponiert, erklingt das Geräusch seines Teilens (mit sich, mit anderen)«, so Nancy.48 Obgleich die technische Messbarkeit bestimmter sonischer Ereignisse die menschliche Sensibilität bei weitem übersteigt, ist es bis heute nicht möglich, die realen Schallbrechungs- und Hallverhältnisse eines Raums im Detail zu berechnen.49 Doch sie gestalten eine wahrnehmbare Atmosphäre, die wir »polysensorisch« empfinden.50 Der »Raumsinn [ist] im Hörsinn verortet« – daran erinnert der Klangkünstler und -forscher Sam Auinger.51 Was sich tatsächlich abspielt, wenn etwas klingt, ist eine mannigfaltige, chaotische »Syrrhese«52 . Lang anhaltende Echos, Schweigezonen, Resonanzkammern, Flüstergewölbe, Tinnitus – diese Spannungsgefüge sind nicht teilbar, berechenbar oder dekonstruierbar, »ohne ihr Wesen zu verändern«, da sich
44 45 46 47 48 49 50
51 52
Vgl. ebd., S. 21-30 und 43-51. Vgl. auch Schulze 2008 b, S. 145. Vgl. Hall 2008, S. 337 und 320-325. Vgl. ebd., S. 327f. Vgl. ebd., S. 338. Nancy 2010, S. 54. Vgl. Schulze 2008b, S. 146. Schulze 2018, S. 140. Zur emotionalen Qualität von Räumen und Atmosphäre vgl. auch Sam Auinger und Martin Schaarschmidt (2009): Wir sind die Großmeister im Nichthören. In: Sam Auinger. Interview, Zugriff am 10.02.2022 unter: http://web.archive.org/web/20161205134126/http://samauinger.de/wp-conte nt/uploads/Hearing-Stories-ArtikelSAuingerBuch.pdf, S. 8. Auinger und Schaarschmidt 2009, S. 8. Michel Serres (1998): Die fünf Sinne. Eine Philosophie der Gemenge und Gemische. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 216f.
3. Klang – Körper – Subjekt
ihre Bewegungen nicht metrisch oder homogen im Raum verteilen.53 Sie sind keine Größen, die aus x-kombinierbaren Teilgrößen bestehen, sondern Mannigfaltigkeiten, die miteinander interferieren.54 Sie bilden »glatte Räume« aus – eine Art der Verräumlichung von Partikeln und Körpern, die nicht metrisch oder modular ist, sondern eine affektive oder fließende Bewegung.55
3.2
Körperklang
Die Bewegung habe ein wesentliches Verhältnis zum Unwahrnehmbaren, so Deleuze und Guattari. Sie sei nur als Übersetzung und Entwicklung in Formen, Figuren oder Gestalten, als zeichenhafte oder semantische Übertragungen in Kategorien und Konventionen feststellbar – auf der Organisationsebene.56 Als lebende Körper in Re-sonanz hören und spüren wir die Konsistenzen des Sonischen allerdings im Moment ihrer Berührung. Wir selbst sind Menge der materiellen Bedingungen der Erzeugung und Übertragung von Klang. Doch wir sind auch Widerstand, zwischen uns und dem Klang bestehen auch ›Unstimmigkeiten‹.57 Um diese Resonanzbeziehung soll es in diesem Kapitel gehen. Unsere Körper werden berührt, bewegt und übertragen Klang in ihrer Eigenresonanz und -bewegung in sich selbst und an ihre Umgebung. Jeder Klang ist, sobald wir ihn bemerken, eine Berührung des eigenen Körpers.58 Die Berührungen des Schalls nehmen wir primär an den gespannten Oberflächen des Körpers wie Trommelfell und Bauchdecke als Druck wahr, als Kommen und Vorübergehen und
53
54 55 56 57 58
Deleuze und Guattari 1992, S. 699. Otoakustische Emissionen sind ein deutlicher Hinweis darauf, dass das Gehör selbst Empfindungen produziert; vgl. Papenburg und Schulze 2011, S. 14f. Vgl. ebd., S. 699ff. Vgl. ebd., S. 660f., 669 und 690. Vgl. ebd., S. 382ff. Vgl. auch Grüny 2014, S. 343. Vgl. Hall 2008, S. 106-109 zum Aufbau und zur Funktion des Gehörs.
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Tiefenresonanz
innerlich als Durchdringung, Ausdehnung und Zurückweichen.59 Das Ohr ist kein ›Aufschreibesystem‹ für akustische Signale. Es ist vielmehr selbst ein Instrument oder ganzes Instrumentarium; ein komplexes, weit verzweigtes Organ aus Gängen, Membranen, Kammern, Knöchelchen, Haarzellen, Flüssigkeiten und anderen Ausprägungen.60 Die Ohren haben Verbindungskanäle zum Mund; von den Ohrmuscheln im Innenohr gehen Hörnerven kreuzweise in verschiedene Hirnareale ab, berühren in divergenten und konvergenten Verschaltungen Nervenstränge anderer Sinne.61 Dabei hängt die hörende Wahrnehmung vermutlich genauso stark von den physiologischen Ausprägungen und Prozessen ab wie von der kognitiven Verarbeitung, die noch gering erforscht ist.62 Sonische Ereignisse geschehen in uns, rauschen wirklich durch uns hindurch. Klänge bespielen unser Gehör wie ein Instrument, das resoniert und ›mitspielt‹, Schwingungen materiell ertastet, verstärkt, kanalisiert, schwächt, kompensiert, übersetzt, transformiert und weitergibt.63 Was Hörnerven in den auditorischen Cortex weitergeben, ist also bereits ein Klanggemisch aus fremdem und eigenem Klang und Timbre, das Geräusch unseres Teilens. Das Ohr streckt sich nach außen aus wie es sich nach innen ausdehnt und verzweigt, entfaltet und aushöhlt. Klang- und Subjektkörper bewegen sich zusammen, auf- und füreinander gespannt, gegeneinander pressend.64 Es erscheint uns nicht nur so, es wird das Klangliche im Hören selbst sonisch und das Hören selbst ist sonisch.65 Der Körper ist Tonus – die »fleischliche Ausprägung des Sonus«.66 Das Sonische pflanzt sich auf »dynamischen Bahnen« in die
59 60 61 62 63 64 65 66
Vgl. etwa Schulze 2008b, S. 147f. und Nancy 2010, S. 21f. Vgl. Hall 2008, S. 106-109. Vgl. ebd. und Gruhn 2008, S. 13. Vgl. Hall 2008, S. 109. Vgl. hierzu ebd., S. 106-109. Eine solche wechselwirksame Genese zwischen Hörer:innen und Klang spricht auch Nancy (2010, S. 12 und 23) immer wieder an. Vgl. Nancy 2010, S. 12. Schulze 2008b, S. 149. Vgl. auch Nancy 2010, S. 16f.
3. Klang – Körper – Subjekt
»Tiefe der klingenden Körper« in vielfach in sich gefaltete Räume, in Körper im Körper fort.67 Schulze beschreibt Körper als: »poröse Übergangszonen und durchflossen von sich unaufhörlich wandelnden, fermentierenden und uns marinierenden Substanzen, Hormonen und Enzymen, vibrierend in den Druckwellen und Partikelströmen dieser nächsten Atmosphäre, hier und jetzt, wir finden uns körperlich eingehüllt in Ströme und Gase, Stoffe und Aerosole: Wir selbst sind Teil dieser Umgebungsprozesse, die uns durchlaufen als materielle, physische Spannungen.«68 Schulzes idiosynkratische Beschreibung sensibilisiert für die »subtilen Wahrnehmungen« und »kleinen Empfindungen« von Spannungsprozessen,69 eine »Unendlichkeit von Partikeln«, von der auch Deleuze und Guattari schreiben,70 aus der wir bestehen und mit der wir im Austausch stehen. Auch subtile körperliche Prozesse sind real und sie sind ›überindividuell‹ in ihrer jeweils spezifischen Zusammensetzung und Dynamik.71 Wie ungleich komplexer muss das Sonische in uns organischen, ständig werdenden Körpern im Vergleich zur unbelebten Natur sein, im Vergleich zu den Schallverhältnissen, die wir in einem Vier-Wände-Raum annähernd messen können? In hoher Auflösung und kaum bis gar nicht wahrnehmbar bildet das Sonische Flüstergewölbe72 ,
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Deleuze 1992, S. 26 und Nancy 2010, S. 36f. Deleuze’ Ausdruck übernehme ich hier aus seinen Betrachtungen über das Theater. Schulze 2008b, S. 148. Holger Schulze (2012): Empfindungsgenauigkeit. Eine Syrrhese. In: ders. (Hg.): Gespür – Empfindung – Kleine Wahrnehmungen. Klanganthropologische Studien. Sound Studies, Bd. 3, Bielefeld: transcript, S. 9-12. Deleuze und Guattari 1992, S. 346. Vgl. ebd., S. 346-349. Das menschliche Außenohr lenkt den Schall wie ein Trichter zum Trommelfell, wodurch eine Sammlung und Verstärkung der Schallsignale erreicht wird, ähnlich wie dies in einem Flüstergewölbe funktioniert; vgl. Hall 2008, S. 106.
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Echokammern73 und Schweigezonen74 in uns aus. In der sonischen Atmosphäre stehen wir als sensible, »wandlungsfähige Spannungsgebilde«, immer wieder ergriffen von anderen Verhältnissen von Spannung und Lösung, wie Schulze darstellt.75 Wir sind »Gemische und Gemenge«; unsere Körpergefüge – eine chaotische Syrrhese.76 Hören löst einen Prozess des Werdens aus. Denn »[e]s gibt keine Ideomotorik«, so Deleuze,77 es gibt nur eine reale Bewegung.78 Die Bewegung des Schwimmers zum Beispiel sei von der Welle an bestimmten Punkten ununterscheidbar. Weder würde der Körper zwar endgültig zu Wasser, noch sei er von diesem aber gänzlich zu unterscheiden.79 Die reale Bewegung setze »reine« Kräfte frei, so Deleuze, sie ließe dynamische Bahnen im Raum erfahren und sie vollziehe sich in jeder Geste, erscheint sie uns auch noch so konventionell – vom Nachahmen einer Figur über das in-Bewegung-Kommen bis hin zum freien Tanz.80 Es gibt keine »nackte Wiederholung«, so Deleuze,81 weil jede Situation eine andere ist und jede Aufführung des Selben eine »wiederholende Seele« braucht.82 So zeige die Wiederholung durch ihre Unmöglichkeit, dasselbe zu sein, das Werden selbst auf.83 Hören – reale Bewegung – löst ein reales Werden aus, Klangwerden.84 Holger Schulze denkt dieses 73
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Das menschliche Mittel- und Innenohr könnte als Echokammer bezeichnet werden, da hier bestimmte Quantitäten von Schallsignalen verstärkt und transformiert werden; vgl. ebd., S. 106-108. Schweigezonen befinden sich in Teilen der Ohrmuschel, in denen bestimmte Gruppen von Haarzellen auf nur jeweils bestimmte Frequenzen reagieren und andere somit still sind; vgl. ebd., S. 108. Schulze 2008b, S. 150, vgl. auch S. 144. Serres 1998, S. 216f. Deleuze 1992, S. 41 Vgl. ebd., S. 26. Vgl. ebd., S. 41. Ebd., S. 26. Ebd., S. 35. Ebd., S. 41. Vgl. ebd., S. 65. Vgl. auch Deleuze und Guattari 1992, S. 324ff. Eine der extremsten Formen dieses Werdens ist wohl die Metamorphose, bei der sich ein Organismus vollkommen in eine andere Lebensform verwandelt. Da-
3. Klang – Körper – Subjekt
Klangwerden weiter bis zu einem in die Lautsphäre hinein exponierten Körper, der nicht mehr dem denkenden Subjekt gehört, sondern nur mehr der sinnlichen Empfindung dessen, der nur mehr menschenartig ist, der selbst Klang und Medium seiner Ergreifung ist: »Listening is an alien corpus resonating to matter. Sensing sound is an activity realized by a medium – thus turning the listening aliens into media of resonance themselves. Multiple waves of pressure reach a humanoid’s skin, bones, flesh, his or her diaphragms, eardrums, vocal chords, and cochlea constantly throughout their existence.«85 Die beschriebenen Prozesse der Affektion und des Werdens des Körpers mit und durch Klang sind nur eine Bedingung der Resonanz, die andere ist die Trennung bzw. Widerständigkeit, die eine uns eigene Bewegung erst ermöglicht.86 Unser Körper ist weder Stoff der Musik noch ihr Adressat, sondern Teil der materiellen Bedingungen von Klang. Er wird affiziert und affiziert, schließt oder öffnet sich dieser Bewegung. Das Echo der Klänge in der Tiefe des Körpers ist kein mimetisches Nachhallen, ist kein sich wiederholendes Decrescendo, wie Nancy es metaphorisch beschreibt;87 zumindest nicht derselben Klangfarbe, Intensität und Bewegungsform. Der Körper ist auch Widerstand, relativ fest in seiner Form und Zusammensetzung und hat als autonomer Körper eine Eigendynamik.88 Die Klänge, die wir hören, sind nicht die Klänge, die im Außenraum an sich geschehen.89 Besteht der Körper aus
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bei hat weder die ursprüngliche noch die neue Lebensform einen klaren Endoder Anfangspunkt. Sie sind ununterscheidbar und in jeder ihrer Lebensformen derselbe Organismus. Man geht auch davon aus, dass Organismen die Schnelligkeit ihrer Verwandlung selbst beeinflussen in Abhängigkeit von Umweltbedingungen; vgl. David Malone (2013): Metamorphose. Faszination des Wandels. Filmische Dokumentation, Glasgow: BBC Scotland, Zugriff am 10.02.2022 unter: https://youtube.com/watch?v=8eqFaFqQUz0, Min. 4:30-8:20. Schulze 2018, S. 142. Vgl. hierzu Grüny 2014, S. 98 sowie Nancy 2010, S. 23. Vgl. Nancy 2010, S. 36. Vgl. auch Grüny 2008, S. 91f. Vgl. etwa Hall 2008, S. 392.
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real gestimmter Materie, so liegen hier Gestimmtheiten als auch Ungestimmtheiten vor.90 Die Schwingung, die Körper und Klang eingehen, spielt sich vor allem an »ausgezeichneten Punkte[n]« ab,91 wo intensive Quantitäten des Klanglichen auf sensible Stellen des Körpers treffen, an denen sich Klang und Körper ballen und beschleunigen. Das Ohr bildet einen solchen ausgezeichneten Punkt oder eher ein ausgezeichnetes Gefüge, das in sich wiederum unterschiedlich sensible Punkte, Zonen und Räume ausprägt, die Schall leiten, beschleunigen oder verlangsamen, verstärken oder auch dämpfen, wie gezeigt. Vor allem hier geraten Körper und Klang miteinander ins Spiel, hier finden höchst verdichtete Erregungen statt. Aus den Affektionen dieser Berührungen lassen sich sowohl grundlegende Gehörfunktionen als auch die Parameter der Musik ableiten – die eigentlich übergängig, fließend sind.92 Wir reagieren taktil und binaural-kinästhetisch auf Lautstärke, die Schallschnelle, die als Druck wahrgenommen wird.93 Tonhöhen nehmen wir über das Ertasten der Anzahl ankommender Schwingungen wahr. Die zeitliche Abfolge von Ereignissen höchster Verdichtung, die einen Rhythmus erzeugen, spielt 90
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Begriffe wie Stimmung oder Unstimmung werden zu stark mit Emotionen assoziiert; vgl. Grüny (2014, S. 76), der sich daher eher auf den Begriff der Resonanz konzentriert. Deleuze 1992, S. 41. Diesen Ausdruck überführe ich hier aus seinen Betrachtungen über Lern- und Erfahrungsprozesse, die er als ineinandergreifende Bewegung von Wiederholung und Differenz an solchen Punkten begreift. Vgl. hierzu auch Daniel Sterns Theorie über die Funktion von den »Vitalitätsaffekten« – amodalen Reaktions- und Strukturierungsweisen von Subjekten aufgrund wahrgenommener Bewegungsmuster der Umwelt; Grüny (2014, S. 94100) bezieht sie auf die Musik. Zu den folgend aufgezählten Funktionen vgl. auch Grüny (2014, S. 229ff.) sowie Hall (2008, S. 379-402). An Halls Darstellung zeigt sich deutlich, dass Tonhöhenwahrnehmung, Klangfarben- und Lautstärkeerkennung hoch komplizierte, psycho-physische Vorgänge sind, die bisher noch nicht vollständig erklärt werden konnten und über die noch teilweise konträr diskutiert wird. Grünys Ausführungen darüber können also lediglich einen vorläufigen und groben Konsens darüber wiederspiegeln.
3. Klang – Körper – Subjekt
in der Klangwahrnehmung eine große Rolle sowie die Bewegungsformen und -richtungen von Schall, in deren Laufbahnen wir uns räumlich orientieren. Intensität ist eine Quantität.94 Der Affekt und die Intensität seien sich strukturell gleich, da sie beide auf einen Exzess der Erfahrung bzw. des Werdens beharrten, so Will Schrimshaw.95 Intensive Quantitäten sind mehr als akustische oder musikalische Codes. Sie sind Affekte, Sprünge, transformative Kräfte von Bewegungsmustern, also Körpern, die spezifische Dynamiken und zeitliche Verläufe modulieren. Sie sind ausgezeichnete Momente oder Punkte einer fließenden oder affekthaften Bewegung.96 Auch unsere Körper kennen – solange sie leben – keinen Nullpunkt der Erfahrung. Spüren ist kontinuierlich und wird mit der sinnlichen Erfahrung, die wir erleben. Bewegungsmuster und ihre materiellen Affekte dienen uns als ›Aktivierungskonturen‹ eigener Körperreaktionen, die wie eine »gemeinsame Währung« zwischen Körpern funktionieren, so Grüny.97 Hören, das ein affektiv-motorischer Vorgang ist, mag also bis zu einem gewissen Grad unwillkürlich stattfinden, doch ist es kein bloß passives Mitschwingen, kein diffuses Angerührtsein. Es gehe darum, so Grüny, »sich ansprechen zu lassen«, »responsiv« zu werden.98 Es
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96 97 98
Vgl. Deleuze 1992, S. 294f. sowie Schrimshaw 2013, S. 35f. Vgl. Schrimshaw 2013, S. 35. Der in diesem Zusammenhang verwendete Affektbegriff meint also nicht mehr nur die Übertragung von Partikeln oder Substanzen allein, sondern eine spezifische Zusammensetzung, eine sonische Quantität solcher Potentiale, die uns an ausgezeichneten Punkten affizieren kann. Diese Wirkung ist also dem späteren Affektbegriff Deleuze’ und Guattaris (2000, S. 204f.) nahe. Ich gehe also davon aus, dass die beiden (unterschiedlichen) Affektbegriffe doch zumindest einander teilhaft sind. Ich werde die Differenzierung der Begriffe im folgenden Verlauf der Arbeit nicht weitertreiben, im Kontext meiner Auseinandersetzungen sollte aber deutlich werden, welche Bedeutung vorrangig gemeint ist. Vgl. auch Grüny 2014, S. 100f. Ebd. Ebd., S. 92.
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Tiefenresonanz
gibt ein »körperlich-apperzeptives« Hören.99 Es setzt eine gewisse Sensibilität und Vertrautheit mit dem Medium, eine Körpererfahrung voraus, um die »Innenspannungen« des Klanglichen, die Interferenzen und »energetischen Kurven« zu bemerken – Hören geschieht in unterschiedlichen »Auflösungsgraden«, wie Grüny bemerkt.100 Umso sensibler wir für die Feinstruktur des Musikalischen werden, desto deutlicher treten materielle Schwingungen und das affektive Wesen des Hörens hervor.101 Nancy etwa differenziert zwischen Hörweisen: Neben dem verstehenden Vernehmen und dem Zuhören, das ein nach Sinn suchendes Hören sei,102 wäre das Lauschen oder Horchen eher ein körperliches, ein nach dem klingenden Sinn suchendes Hören103 – Christian Grünys Hören auf der Schwelle verwandt. Lauschen bedeute, zu hören, wie etwas offen sei, möglich sei.104 Das Werden, das die gesamte sinnliche Wahrnehmung und das körperliche Lernen umfasst, folgt, so Deleuze und Guattari, nicht den Regeln der Ähnlichkeit oder Nachahmung, es sei nicht einmal an Identifikation oder ein Subjekt gebunden.105 Noch vor dem subjektiven Bewusstwerden darüber agieren die Körper in ihrer eigenen Selbstverständlichkeit, in ›Selbstverständigung‹. Wie eben angesprochen, ist die Rezeption von Klang oder Musik nicht prinzipiell, sondern nur graduell von den subjektiven Einstellungen und Entscheidungen der Hörer:innen zu trennen, ist ein Körper auch Konstituierter, wie er Konstituierender ist. Doch agiert er keinesfalls aus bloßem Automatismus, sonst könnten wir uns der Erfahrung weder bewusst werden noch unterschiedlich auf sie reagieren.106 Körper – belebte wie erzeugte – sind ›materiell-dis99 100 101 102 103 104 105 106
Ivan Polednák (1985): Zum Problem der Apperzeption der Musik. In: International Review of the Aesthetics and Sociology of Music. Ausg. 16, Nr. 1, S. 43-56. Vgl. Grüny 2014, S. 92 und 171. Vgl. ebd. Vgl. Nancy 2008, S. 9 und 12f. Vgl. ebd., S. 9-17. Vgl. ebd., S. 15ff. Vgl. Deleuze und Guattari 1992, S. 325-328. Vgl. Mertens 2011, S. 331.
3. Klang – Körper – Subjekt
kursiv‹107 . Die Leittonspannung wird in der westlichen Musikkultur als musikalisches ›Faktum‹ aufgefasst, als reale Anziehung von Quantitäten naheliegender Frequenzspektren, doch ist sie in anderen Musikkulturen nicht unbedingt hörbar.108 Affektionen werden aus musikpsychologischer und phänomenologischer Perspektive als ›unwillkürliche Reize‹ gehandelt, die sich qua ihrer sinnlichen Kontrastwirkung ›in unsere Ohren drängen‹.109 Gleichfalls können auch diese Reize mit der Zeit bekannt und gewöhnlich werden.110 Musikalische Sozialisation ist nicht nur eine Sache ›aktiver‹ oder ›passiver‹ Wahrnehmung auf einer Organisationsebene von Welt, Geist und Werk,111 sondern auch eine Sache des körperlichen Werdens auf einer Konsistenzebene der Körper, ihrer Materie und Prozesse. Qua unserer sonischen Erfahrungen bilden wir Hörtechniken und -einstellungen aus, werden Hörschwellen und Fühlgrenzen geprägt. Resonanzerfahrungen lagern sich wirklich in die Körper ein, ›stellen‹ sie ein, ›stimmen‹ sie. Nach Deleuze und Guattari wirkt das körperliche Werden unmittelbar auf den Geist ein und verbindet sich mit unserem gesamten Wissen und Verständnis und unserer Anschauung über lange Zeit hinweg.112 Der Körper, der Leib, sei der »Entwickler« der Empfindung.113 Er trage die »Urmeinung« in sich und gäbe uns »das Sein der Empfindung«.114 Ich möchte diese grundlegende körperliche Disposition des Bewusstseins in den folgenden Kapiteln genauer darlegen. Wie Karl Mertens bemerkt, treten das Sinnliche und das Sinnhafte, das passive und aktive Wahrnehmen und Handeln praktisch wohl nie ganz auseinander.115 Erst in den Extremen – in theoretisch polaren Kon107 Vgl. Dolphijn und van der Tuin 2012, S. 112. 108 Vgl. Grüny 2014, S. 76. 109 Vgl. Daniel Schmicking (2003): Hören und Klang. Empirisch phänomenologische Untersuchungen. Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 179-189. 110 Vgl. ebd., S. 180. 111 Vgl. hierzu auch ebd., S. 84ff. 112 Vgl. Deleuze und Guattari 1992, S. 349f. 113 Deleuze und Guattari 2000, S. 211. 114 Ebd. 115 Vgl. Mertens 2011, S. 333f.
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struktionen, aber auch in extremen Erfahrungssituationen – werden sie als solche deutlich oder zumindest vorstellbar.116 Deshalb möchte ich folgend solche extremen Situationen als Beispiele nutzen und die Vorstellung eines »Urklanges« einführen, des ersten Lauts, des ersten Hörens. Dabei spielt das ästhetische Ereignis der Musik eine wichtige Rolle, indem es für selbstverständlich gehaltene Verhältnisse stören und ein Erleben des Neuen, des Möglichen eröffnen kann.
3.3
Klangsinn
Was ist das Selbst, der Sinn, wenn sie uns so unverhohlen verloren gehen können, wenn die Kognition und Psyche unserem Selbst un(be)greifbar werden und der Körper sich in einer fremden Atmosphäre oder musikalisch außergewöhnlichen Erfahrung anders oder fremd empfindet? Das Selbst oder Ich ist nichts Substantielles, nichts Verfügbares an sich. Nancy erklärt, es sei ein Bezug – nicht zum Ich oder zu mir – sondern Bezug an und für sich, der ein zu mir überhaupt erst ermögliche.117 So wie die Atmosphäre sich verändert, variiert dieser Bezug. Klang ist ein Bezug – Hören ist Re-sonanz.118 Sinn und Klang teilen Nancy nach dieselbe Bedingung: »die Resonanz des Verweises« zu oder auf etwas – zu meinem Körper, anderen Körper, räumlichen und zeitlichen Dynamiken.119 Die Reflexion ist die Bewegungsform der Welle und sie ist ein Rückbezug von etwas, das uns berührt, auf uns selbst. Erst das Bemerken des Verweises zu etwas, die Betrachtungen auf etwas, dieses SichBemerken in Gegenwart von etwas, ein innerer und innerlich-äußerlicher Wi(e)derklang zu mir und zur Welt entfalte ein Selbst, so Nancy.120 Und
116 117 118
Vgl. ebd. Vgl. Nancy 2010, S. 21. Vgl. ebd., S. 20. Vgl. auch Voegelin (2010, S. 3); für sie ist Hören ein Akt der Verbindung mit der Welt. 119 Nancy 2010, S. 20. 120 Vgl. ebd., S. 20f.
3. Klang – Körper – Subjekt
Klang trage auf »augenscheinlichste Weise« diese sinnliche Bedingung in sich, nämlich »das Teilen eines Drinnen/Draußen, Teilung und Teilhabe, Entkopplung und Ansteckung.«121 Im Spüren und Bemerken dieser Bewegung liegt die Bedingung des Seins und subjektiver Autonomie überhaupt. Als Körper im schalldurchdrungenen Raum ist Hören nicht nur eine Möglichkeit eines Zugangs zur Wirklichkeit, sondern es bildet diese Wirklichkeit aus, unsere Selbstwahrnehmung und -erfahrung, unsere Gesten und Bewegungen.122 Nah oder fern, oben oder unten sind nicht faktische Abstände zum leiblich erfahrenen Körper, sondern praktische Entfernungen, mögliche Handlungs- und Erfahrungsräume, auf die sich bezogen werden kann und muss.123 Dieser Selbstbezug ist Resultat eines für uns meist »impliziten, leiblichen Aushandlungsprozesses«, wie Grüny auch bemerkt.124 Die schallenden Spannungen in der Atmosphäre etablieren reale Gravitationen, ein »Umströmen« und »Gravitationszentren« im Raum125 – ausgezeichnete Raumpunkte und Orientierungsknoten unserer Wahrnehmung. Wir können die leibliche Erfahrung darin variieren, können die Berührungen des Schalls durch unsere eigene Bewegung und Körperspannung mit-gestalten.126 Das Bemerken der Klänge, die unsere Körper durchlaufen und ›umspülen‹, ermöglicht erst das Bemerken der eigenen Figur und der eigenen Sinne – eine Bewegung zwischen Hingabe und Widerständigkeit, Bewegung und Gegenhaltung, Ergriffensein und Rück(be)zug.
121 122 123
Ebd., S. 23. Vgl. ebd., S. 20. Vgl. Mertens 2011, S. 337. Den Begriff Leib verwende ich nach Mertens (2011, S. 333) vor allem im Kontext situierter Subjekte und um die ›eigenleibliche‹ Wahrnehmung zu betonen. Dahingegen spreche ich weiterhin von Körpern, wenn es vorwiegend um gemeinsame und unterschiedene Eigenschaften mit anderen Körpern geht. 124 Grüny 2014, S. 240. 125 Ebd., S. 241ff. und 246. Vgl. auch Mertens 2011, S. 337. 126 Vgl. Grüny 2014, S. 171.
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3.3.1
Selbst – Resonanzen in der Raumzeit
Jener implizite, leibliche Aushandlungsprozess ermöglicht erst ein Empfinden von und bewusstes Handeln in Raum und Zeit. Denn am Grunde jedes Bewusstseins liege ein Spüren, so Nancy, das den Bezug zu sich überhaupt erst ermögliche.127 Ein Subjekt sei das, das sich in seinem Spüren bemerkt, ein »Sich-Spüren-Spüren«.128 Sich tasten, sich hören, sich schmecken, sich berühren – erst dieser Selbstbezug in Gegenwart von etwas anderem ermögliche ein Selbst oder Ich.129 Im Schrei des Kindes sieht Nancy die Urszene des Selbst oder Ichs: »Einer der zu sich kommt, indem er sich vernimmt«.130 Der Schrei ist ein Erwachen; dieser uns ›ureigene‹ Laut, den die gespannte Materie tief im Innern des Körpers erzeugt, durch den der Körper »von sich selbst verräumlicht«, »durchzogen und gerufen, von sich selbst geläutet und gespielt« wird.131 Der Schrei des Kindes sei der erste Selbstbezug und -verweis im Leben eines Subjekts.132 Der Schrei entfaltet sich und verteilt sich im Raum und kehrt als Widerhall in die eigenen Ohren zurück. Er ist Verweis auf unser Hören und unser Selbst. Der Schrei verräumlicht das Selbst, indem er ihm Wahrnehmungs- und Handlungsräume eröffnet. Der Schrei wird »in einem offenen Raum ›verteilt‹«133 . Der Schrei ist fließend, affekthaft, intensiv, höchst gerichtet – er bildet glatte Räume aus, sodass er erfahren lässt, dass die Konsistenzebene der Welt fließend, übergängig, weit und nicht homogen ist.134 Denn die vielfältigen Reflexionen des Schreis haben eine andere
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Vgl. Nancy 2010, S. 16. Ebd., S. 16. Deleuze (1992, S. 108) bringt außerdem einen ähnlichen Gedanken im Begriff der »Betrachtung« zum Ausdruck, der die Direktionalität dieser verweisenden Bewegung unterstreicht. 129 Vgl. ebd. 130 Ebd., S. 27. 131 Ebd., S. 31. 132 Vgl. ebd., S. 26. 133 Deleuze und Guattari 1992, S. 666. 134 Vgl. ebd., S. 663 und 668f.
3. Klang – Körper – Subjekt
Tonigkeit135 . Er trägt Verweise anderer Räume und Zeiten in den eigenen Körper hinein – die ›Raumantwort‹136 . Er ist Verweis darauf, dass wir der Welt teil und von ihr getrennt sind. Der Klang, den wir an Ort und Stelle hören, ist nur die eine, die jetzt und hier uns ›zugewandte Seite‹ des Klanges. Im Spüren oder Bemerken dieser Konstellation kann ein Kind zu sich kommen; und die Verräumlichung durch den Schrei wechselt sogleich ihr Wesen. Der Schrei kann als erste mögliche Einkerbung eines glatten, fließenden Empfindungsraums in einen »gekerbten«137 , einen geteilten, systematisierten, kategorisierten Raum aufgefasst werden. Er könnte als erster Sinn, als Urklang, als ›Urkerbung‹ aufgefasst werden. Der Schrei bildet einen Sinn aus, ist die Übersetzung eines Mangels der Materie in einen klingenden Ausdruck, eine Aussage. Der Schrei ist ein Einschlag, ein Einschnitt, der einen sinnhaften Sinn evoziert, anruft oder provoziert.138 Der Klang und sein Rückhall eröffnen einen »schwingenden Zwischenraum eines Sinnes«.139 Jeder Sinn, der nicht Maske, noch nicht Konvention, nicht Meinung oder bloße Übernahme von Begriffen ist, ist ein Ereignis.140 Er ist eine wirkliche Disparation, ein Problem – sonst hätten wir ihn nicht nötig, so Deleuze.141 Ein Subjekt ist Nancy nach folglich ein Verweisprozess, ein Geflecht oder eine Verweisstruktur.142 Es sei lediglich die Funktion oder Form des Verweises, dieses schwingenden Zwischenraums seiner Selbstwahrnehmung oder auch eine zufällige Gegebenheit, Okkurrenzen
135
Zum Begriff der »Tonigkeit«, auch als »Toneigenfarbe« oder »Toncharakter« bezeichnet, siehe Hall 2008, S. 407. 136 Vgl. Peter Androsch (2014): Schall – Raum – Macht. Klänge des Abendlandes. In: Hoerstadt – Labor für Akustik, Raum und Gesellschaft. Zugriff am 10.02.2022 unter: https://hoerstadt.at/journal/schall-raum-macht, S. 4. 137 Deleuze und Guattari 1992, S. 661ff. 138 Vgl. auch Nancy 2010, S. 37. 139 Ebd., S. 40. 140 Vgl. hierzu auch Deleuze (1992, S. 26) zur Konsistenz- und Organisationsebene und ihren Eigenschaften. 141 Vgl. ebd., S. 188. 142 Vgl. Nancy 2010, S. 16f. und 52.
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eines Zustandes.143 Das Selbst empfindet sich erst durch einen Bezug. Und in der realen Bewegung dieser Übermittlung entfalten sich ein Sinn und ein Selbst. Deshalb muss der Sinn »nicht bloß Sinn machen (oder Logos sein), sondern überdies klingen«144 . Jedem Sinn, der nicht bloß Übernahme oder Konvention ist, liegt eine sinnliche Berührung, eine wirkliche Interaktion und Spannung der materiellen Welt zugrunde bzw. wird durch diese initiiert.
3.3.2
Klangzeit und das Ereignis der Musik
Auch Zeit ist kein kognitives Konstrukt, keine rein reflexive Leistung. Sie ist ebenso körperliche Wirklichkeit, ein physisch-psychischer Synthetisierungsprozess. Der Körper ist keineswegs bloß Träger oder »Leiter«145 geistigen Willens. Die Vorstellung, der Körper sei bloß Ressource und läge in einem reinen Präsenzzustand, greift zu kurz. Wie Deleuze bemerkt, gibt es keine physische Möglichkeit einer derartigen Gegenwart.146 Der Körper an sich ist permanent in Bewegung, produziert verschiedene Verhältnisse von Schnelligkeit und Ruhe sowie Affekte.147 Deleuze unterscheidet zwischen der passiven und aktiven Synthese. Die passive, die leibliche Synthese der Zeit(en) sei bereits ein Ineinander von rezeptiven und perzeptiven Synthesen, eine organische Rhythmizität, eine: »primäre Sinnlichkeit, die wir sind. Wir sind Kontraktionen aus Wasser, Erde, Licht und Luft, nicht nur bevor wir diese erkennen und repräsentieren, sondern noch bevor wir sie empfinden. Jeder Organismus ist mit seinen rezeptiven und perzeptiven Elementen, aber auch mit seinen Eingeweiden, eine Summe von Kontraktionen, Retentionen und Erwartungen. Auf der Ebene dieser primären, vitalen Sinn143 Vgl. ebd. 144 Ebd., S. 13. 145 Henri Bergson (1991, OA 1896): Materie und Gedächtnis. Eine Abhandlung über die Beziehung zwischen Körper und Geist. Hamburg: Meiner, S. 66. 146 Vgl. Deleuze 1992, S. 107f. 147 Vgl. ebd.
3. Klang – Körper – Subjekt
lichkeit konstituiert die lebendige Gegenwart schon in der Zeit eine Vergangenheit und eine Zukunft. Diese Zukunft erscheint im Bedürfnis als organische Form der Erwartung; die Vergangenheit der Retention erscheint im Erbgut der Zellen.«148 Deleuze beschreibt hier eine Konstitution der Zeit durch die Vitalität der lebenden Materie an sich. Die Berührung durch Klänge und ihre Ausdehnung in die Hohlräume unseres Körpers, das Ausbauchen der Membrane; die gesamte Spannung unserer Physis erwartet sich, erwartet eine Entspannung zurück zum Ruhezustand ihres Daseins. In-Resonanz-Sein ist eine Bewegung zwischen Kontraktion und Relaxion.149 Dissonanz ist der Zustand der Spannung; der Körper erwartet sich wieder in Konsonanz, Entspannung.150 Beim Hören durchspannen andere Verhältnisse von Schnelligkeit und Ruhe unsere Körper. Die Pulsationen modulieren die Körper zeitlich und räumlich, pulsieren durch die Körper, skandieren die Körper.151 »Klänge speichern […] Momente« auch materiell,152 indem ihre Bewegungsmuster ›Spuren‹ im Körper hinterlassen. Sie modulieren die Spannungsmöglichkeiten unserer Körper, reale Dehnungen der Membrane, Ballungsfähigkeiten von Substanzen, Schwingungsvermögen und Widerständigkeiten – musikalische Sozialisation im grundlegendsten Sinne, unsere »psycho-organische Natur«153 . »Ausgehend von unseren [Erfahrungen] definieren sich alle unsere Rhythmen, unsere Reserven, unsere Reaktionszeiten, die tausend Verflechtungen, die Gegenwarten und Müdigkeiten, aus denen wir bestehen«, so Deleuze.154
148 149 150 151 152 153 154
Ebd. Vgl. hierzu auch Nancy 2010, S. 26 und 29f. Vgl. hierzu auch Hall 2008, S. 443f. Vgl. Nancy 2010, S. 26. Schulze 2008b, S. 149. Deleuze 1992, 102f. Ebd., S. 108. Ich habe hier den Begriff der »Erfahrungen« anstelle der »Betrachtungen« gesetzt, um den Schwerpunkt vom Visuellen und Direktionalen zum Akustischen und Ubiquitären zu lenken.
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Tiefenresonanz
Die Zeit ist Deleuze nach eine ineinandergreifende, sich wechselseitig aufgreifende Wiederholung von diesen passiven und den aktiven, den geistig-reflexiven Synthesen.155 So entstehe Gegenwart. Um selbst zu handeln, sich selbst wahrnehmen zu können, sein Selbst als ein zeitliches zu spüren, muss also ein dauernder Bezug zum körperlichen Werden, zur körperlichen Individuation geknüpft werden.156 Eine vermeintlich rein kognitive, operative oder konstruierte Zeit, auch die scheinbar kontinuierliche Dauer oder das Schreiten von einem ›ausgezeichneten Augenblick‹ zum nächsten – diese Vorstellungen seien nur die »Hülle« einer eigentlich in sich differenziellen Dauer.157 Das materielle Werden sei progressiv, ein Werden stattdessen – der Körper hat kein ›Backup‹ vergangener Zustände seiner selbst.158 Jede Erfahrung löst ein Werden aus – kein Körper gleicht sich selbst jemals wieder, kein Klang trifft je wieder genau so auf den Körper. Die aktive, geistige Synthese, die den wilden Fluss der Zeit(en) im Moment zu bannen suche, suche das »Ganze« – Körperlichkeit, Wissen und Geschichte – auf koexistierenden Ebenen zu verknüpfen und zu umfassen; Reproduktion und Reflexion, Werden und Sich-Erinnern.159 Sie suche die eigentlich inkommensurablen Zeitsynthesen – die körperliche und die geistige – zusammenzufassen.160 Sie versuche, einen Selbstbezug in der in sich differenziellen Dauer der Zeit herzustellen.161 Kann es also keine ›reine‹ Zeit geben, in der die körperlich-materielle und die geistig-reflexive Zeit miteinander vergehen? Die reale Hörsituation ist meist ein Oszillieren zwischen sinnhaftem Vernehmen oder Zuhören und dem körperlichen Mitschwingen.162 155 156
Vgl. ebd., S. 112f. und 116f. Mertens (2011, S. 338) schreibt auch, Zeit sei immer »Zeit zu etwas, gewöhnlich zu einer Handlung, die der Handelnde ausführt.« 157 Deleuze 1992, S. 39 und 34f. 158 Vgl. ebd., S. 100f. und 116f. 159 Vgl. ebd., S. 112 und 116ff. 160 Vgl. ebd. 161 Vgl. ebd. 162 Vgl. auch Grüny 2014, S. 283 und 292.
3. Klang – Körper – Subjekt
Beim intensiven Hören dominiert die Erfahrung der Materialität des Sonischen, seine Affekte und Bewegungen am und im eigenen Leib werden so intensiv, dass die Musik vor allem jetzt und hier ist, ihre Ereignishaftigkeit die Erfahrung beherrscht.163 Diese Hörerfahrung streicht die Vorstellung von Kontinuität und den Außenraum förmlich aus und die Dimensionen des Klangs schlagen in den Innenraum des Körpers um. Dagegen ist die Hörerfahrung extensiver Zeit tendenziell ein Hören, das im Vergehen der Musik die Ausdehnung des Außenraum und das Vergehen der Zeit vernimmt, indem es Distanz zum Klang einnimmt, ein Zuhören. Erst ein Weichen körperlicher Ergriffenheit ermöglicht Reflexion, ermöglicht, das sonische Geschehen kognitiv nachzuvollziehen, Assoziationen nachzugehen, die Aufmerksamkeit auf dies oder jenes zu richten, wie bereits im ersten Kapitel dargestellt. Grüny bemerkt auch, dass es unmöglich ist, den Anfang eines Stückes in dem Moment zu vernehmen, in dem er tatsächlich erklingt.164 Man kann ihn nur spüren. Im Extremfall kann man nach einer intensiven Hörerfahrung »ihr bloßes stattgefunden Haben [sic!]« festhalten, so Grüny.165 Sie verliert ihre Ganzheit, indem wir die Fähigkeit verlieren, in der Mannigfaltigkeit und Intensität der körperlichen Erfahrung das Ganze reflexiv zu rekonstruieren. An diesem Verlust der Reflexion wird deutlich, dass die leibliche Zeitsynthese zu der reflexiven quer steht.166 Die eigentliche Zeitlichkeit der Musik zeigt sich nach Grüny im Hören der inneren Differenz des Klanglichen.167 Im besten Falle höre man vom affektiven Mitgerissenwerden hin zu einer reflexiven Hörweise.168
163
In diesem Absatz beziehe ich mich auf Grünys (2014, S. 262ff.) Unterscheidung zwischen der ›intensiven‹ und der ›extensiven‹ Zeitform der Musik. Direkte Zitate werden gesondert vermerkt. 164 Vgl. Grüny 2014, S. 281f. 165 Ebd., S. 266. 166 Vgl. Deleuze 1992, S. 39. 167 Vgl. Grüny 2014, S. 292. 168 Vgl. ebd., S. 171 und 292.
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Tiefenresonanz
Auch das ästhetische Ereignis spielt sich innerhalb der Beziehung der beiden Zeitsynthesen ab.169 Es ist also kein Moment, der allein auf die reflexive oder leibliche Zeitsynthese zurückzuführen ist, auch wenn das leiblich-spürbare Sichereignen der Musik, ihre Affekte und Bewegungen eine große Rolle spielen. Das ästhetische Ereignis wird durch die Differenz im Subjekt ausgelöst, wo eine leibliche Erfahrung dem Ganzen, dem Selbstverständnis eine Veränderung entgegensetzt, wie bereits am Schrei dargestellt.170 Kairos, das Ereignis, sei jenes, wenn es wenig Chronos gibt, so Giorgio Agamben.171 Das Ereignis geschieht also, wenn das extensive Hören zurückgedrängt ist und das intensive Hören überwiegt. Das ›absolute‹ Ereignis, dem sich Agamben hier im spirituellen Kontext nähert, sei aber noch mehr, sei eine »Zäsur« zwischen den beiden Zeitsynthesen.172 Es sei eine »Zone nicht zuweisbarer Indifferenz.«173 Diese sei die ›reine‹, die wirkliche Zeit.174 Was heißt das für den musikalischen Nachvollzug? Gibt es eine Zeitform im musikalischen Nachvollzug, in der man den Moment als ewig und immer wiederkehrend empfinden kann; eine Zone, in der Physis und Reflexion befreiend unbestimmt sind? Das Ereignis hören bedeutete, im Bezug zu beiden zu stehen, Hören in Bezug zu mir als schwingendem Körper und zu mir als Zeuge der Musik, beide gleichermaßen (be)greifbar oder un(be)greifbar. Die Musik könnte dann den Charakter des Schon-stattgefunden-Habens verlieren. Das Ereignis könnte dann den Charakter einer schon verpassten Gelegenheit verlieren.175 Es könnte immer jetzt und ewig erscheinen, als würden sich Linie und Zirkel der Zeit zusammenfalten, sodass das Einzig-
169 Vgl. Giorgio Agamben (2006): Die Zeit, die bleibt. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 82ff. und 88. 170 Vgl. hierzu auch das »Gewahrwerden« und den Begriff der Bedeutsamkeit bei Eugene T. Gendlin; vgl. Schoeller 2012, S. 57f. und 64. 171 Vgl. Agamben 2006, S. 82. 172 Ebd., S. 88. 173 Ebd. 174 Vgl. ebd. und 82ff. 175 Vgl. hierzu auch Mertens 2011, S. 338f.
3. Klang – Körper – Subjekt
artige immer wiederkehren kann.176 Das Hören auf der Schwelle steht in Bezug zu beiden Zeiten, der extensiven und der intensiven Zeit, beide vergehen miteinander. Es ist ein körperlicher Nachvollzug der Musik, der sich noch vom Ergriffensein lösen kann und zugleich noch der Bildung der Gedanken lauscht, der in Spannung auf einen möglichen Sinn hin ausgerichtet ist. Wenn das musikalische Ereignis eine nie dagewesene physisch-materielle Interaktion im Körper erzeugt und so eine noch offene Bewegung zum Sinn hin evoziert, kann es eine Zone der Freiheit von diesem Sinn erzeugen. Das Selbst kann sich in der Gegenwart von Klang anders, neu spüren und ausrichten und im Prozess dieser Ausrichtung auf sich einen Moment verweilen. Dies Hören hört die Zeit der Möglichkeit, die ästhetische Erfahrung der Freiheit von Bedeutung. Dies Hören in der Zone nicht zuweisbarer Indifferenz kann jedoch auch in die absolute Differenz zu beiden Zeitformen kippen, ein Hören, das weder die intensive noch die extensive Zeit mehr begreift. Dies Hören würde Hörer:innen in ein passives ›Taumeln‹ körperlicher Spannungen und Pulsationen des Schalls versetzen, eine Taubheit im Ergriffensein. Ein extensives Hören würde verunmöglicht, da das Selbst keinen Bezug zum körperlichen Werden, keinen Moment der Synthese fände.
3.3.3
Möglichkeitssinn
Was ist der Möglichkeitssinn? Um den musikalischen Sinn bzw. die sinnhafte Empfindung der ästhetischen Erfahrung genauer zu untersuchen, möchte ich nachfolgend bereits erwähnte Aspekte wie die innere Disparation und das Gespür näher erläutern und konkretisieren. Das Denken stoße uns stets durch eine Intensität zu, so Deleuze.177 Intensiv sei, was uns in eine Differenz oder Disparation stürze.178 Diese Differenz oder Disparation ist freilich eine Sache des Grades – immer in Abhängigkeit von den individuellen Fühlgrenzen und Hörschwellen, den Skansionen des Körpers, den Hörerfahrungen und -techniken, der 176 177 178
Vgl. hierzu auch Kolleritsch 1997, S. 10. Vgl. Deleuze 1992, S. 188. Vgl. ebd., S. 297ff. Vgl. auch Nancy 2010, S. 35 und 37.
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Tiefenresonanz
momentanen Körper-Raum-Zeit-Konstellation.179 Nancy beschreibt den Sinn als »Verweis einer Präsenz auf etwas anderes als sie selbst, auf eine andere Sache […] oder die Abwesenheit von Sache.«180 Ein Körper, der seinen Selbstbezug verliert, der die Orientierung, das Zeitgefühl oder sein gewohntes Körpergefühl verliert, ist solch ein anderes, eine andere Sache, eine Abwesenheit von Sache, die Abwesenheit von Orientierungspunkten, von gewohnten Stimmungen und Widerständen, Identifikations- und Deutungsmustern, die sich in der Resonanz materialisieren. Erst eine sinnliche Differenzerfahrung macht den sinnhaften Sinn möglich und notwendig.181 Dieser Sinn – Nancy nach der Verweis eines Bezugs – ist der Versuch, diese Bruchstelle, die innere Lücke, die Zone der Fassungslosigkeit, der Unbegreiflichkeit, zu überbrücken; eine Anrufung.182 Der Sinn überwindet die Lücke mit Erkenntnis, Wissen, einer Bedeutung, kompensiert die innere Disparation. Dieser Sinn meint hier also nicht eine konkrete Bedeutung, eine bestimmte Referenz oder eine Meinung. Dieser Sinn, der am Grunde eines Sinnhaften liegt, meint eher eine vage Bedeutsamkeit, wie Grüny auch beschreibt,183 ein Gespür, ein sinnhaftes Gefühl oder unbestimmtes Empfinden, den felt sense, wie ihn der Philosoph Eugene T. Gendlin begreift.184 Er ist eine mögliche Bedeutung, ein Möglichkeitssinn185 , je-
179 180 181 182 183 184 185
Vgl. auch Nancy 2010, S. 14. Ebd., S. 35. Vgl. Deleuze 1992, S. 297ff. Vgl. ebd., S. 299 sowie Nancy 2010, S. 38ff. Vgl. Grüny 2014, S. 86f. Vgl. Schoeller 2012, S. 61ff. Der Begriff »Möglichkeitssinn« tauchte bereits 1930 in Robert Musils Werk Der Mann ohne Eigenschaften auf, der damit den Sinn für das Mögliche im Gegensatz zum Sinn für das Wirkliche bezeichnete. Er beschreibt ihn weiter als Wesensart oder Charakterzug des »Möglichkeitsmenschen«. Robert Musil: (1970): Der Mann ohne Eigenschaften. Erstes Buch. Projekt Gutenberg, Zugriff am 10.02.2022 unter: https://projekt-gutenberg.org/musil/mannohne/titlepage.html, S. 4.
3. Klang – Körper – Subjekt
doch keinesfalls irgendein beliebiger Sinn, sondern einer, der sich aus der spezifischen, individuellen Situation erst noch erweisen muss.186 Mehr noch als das bloße Bemerken, dass da etwas ist, mehr als eine Anrufung, ein Anklopfen oder eine Evokation, kann er ein »Einschlag«, eine regelrechte »Attacke«, ein Verweis von »etwas auf nichts« sein, wie Nancy schreibt.187 Dieser zeige sich in seiner radikalsten Form im Anheben zur Artikulation, die doch verstummt, im Sagen-Wollen, das noch keine Worte findet.188 In dieser von Gespür oder Empfinden erfüllten und zugleich doch so haltlosen, un(ver)mittelbaren Situation macht das Subjekt eine Geste, in der ein Selbstverweis in reinster Klanglichkeit zum Ausdruck kommt. In diesem Hauch erklingt der reinste »Verweis auf sich«, der »zugleich darin versagt«.189 Dieser Hauch – der für Roland Barthes die Seele selbst zeigt190 – ist das Geräusch des Subjekts, reine Sonanz, das Geräusch der Öffnung und zugleich wieder des Schließens des Selbst, das unidentifizierbar bleibt.191 Dieser Hauch, das ›es‹ zeigt Gendlin zufolge das »noch vordifferenzierte Ineinander« bedeutsamer Sinnbezüge, die erst noch durch die entsprechende Situation […] eine spezifische Kreuzung erfahren bzw. eine Kristallisation.«192 Es drücke die noch ›implizite Verwickeltheit‹ des Subjekts in und mit seinem Körper und dessen mannigfaltigen subtilen Empfindungen aus.193 Denn mit dem Sinn und den Worten sei es im Grunde wie mit allen anderen sinnlichen und körperlichen Vorgängen auch: »If they don’t come, we cannot make them. We have to wait.«194 186 187 188 189 190
Vgl. Schoeller 2012, S. 52 und 64. Nancy 2010, S. 35ff. Vgl. ebd. Ebd., S. 37f. Vgl. Roland Barthes (1990): Die Rauheit der Stimme. In: Karlheinz Barck u.a. (Hg.): Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Leipzig: Reclam, S. 303. 191 Vgl. Nancy 2010, S. 37 und 54f. 192 Eugene T. Gendlin, zit.n. Schoeller 2012, S. 64. [Übersetzung v. D. Schoeller] 193 Ebd., S. 63f. 194 Ebd., S. 64.
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Tiefenresonanz
Diese Sinnschicht, die sich geradewegs aus den körperlichen Erfahrungen ›schält‹, sei an unserem gesamten Sprechen und Handeln immer mit beteiligt.195 Die Worte holten immer auch diese gespürte Bedeutung in die körperlichen Handlungen mit hinein, lösten dieses mannigfaltige Gespür teilweise ein und veränderten damit – auch rückwirkend – die Bedeutung der Aussagen und Gesten sowie das Selbstverständnis der Sprechenden und Handelnden.196 Es gibt keine nackte Wiederholung, keine Ideomotorik.197 Erfahrungen lösen körperliche Bewegung und ein reales Werden aus, für das erst noch ein Bezug und ein Verweis zu unserem Verstehen und Wissen, zu einem Sinn gefunden werden muss. Die Reflexion mag sprunghaft und willkürlich sein, doch um bewusst, um getan und gesagt zu werden, um zu klingen, muss sie eine aktuelle materielle Ausprägung erlangen.198 Der Möglichkeitssinn ist fundamental mit dem körperlichen Erleben verbunden, das Sinnliche ist Entwickler dieses sinnhaften Sinns. Gendlin schreibt: »To most people what is not yet formed and known seems to be a blank. But one (can be) familiar with something that is neither known nor just unknown and also not something in between, rather something different. There is a thick directly-sensed experiencing under or behind whatever formed forms and things we think and perceive. […] Those who use […] this kind of bodily attention by whatever name find that this kind of experiencing is precisely and demandingly ordered, and yet it demands a further step that does not yet exist.«199
195 196 197 198 199
Vgl. ebd., S. 61ff. Vgl. ebd. Vgl. wiederum Deleuze 1992, S. 35 und 41. Vgl. ebd., S. 116f. Eugene T. Gendlin, zit.n. Schoeller 2012, S. 52.
3. Klang – Körper – Subjekt
3.4
Musikalische Erfahrung: Spielarten der Resonanz Vor jeder Frage […], ob und inwiefern die Musik Sinn hat, muß es darum gehen, auf welche Weise sie eine Form des Sinnes ist. Christian Grüny200
Am Anfang jeder Musikerfahrung liegt eine reale körperliche Bewegung. Musikalischer Sinn ist ein anderer als der sprachliche. Er ist eine »energetisch aufgeladene Artikuliertheit«, die sich erst im körperlichen Nachvollzug, in der Re-sonanz, offenbart.201 Diese Re-sonanz schlägt Empfindungen in uns an, sie lässt uns wirklich physisch mit dem Klang spielen – zusammen, ineinander, in sich trennender oder dehnender 202 Bewegung. Synkopische Rhythmen schlagen in uns Gefühlssprünge an; tiefere Klänge schwingen tatsächlich in tiefer liegenden Teilen unserer Ohrmuscheln.203 Musikalische Gesten können als mögliche Darstellungsweisen aufgefasst werden, doch stellen sie diese nicht unbedingt oder objektiv dar, sondern zuallererst einmal nur sich selbst.204 Sie sind Bewegungsmuster, die unsere Wahrnehmung und Erfahrung strukturieren.205 Ihre Zusammensetzung, Verhältnisse von Bewegung und Ruhe und ihre Affekte modulieren mögliche Artikulationsverhältnisse von Sinnlichem überhaupt – räumliche und zeitliche Verläufe wie Rhythmen und Richtungen, Linien und Punkte, Dichte und Verflüchtigung.206 Erst im Spüren dieser realen Konsistenz des Klanglichen, der fließenden und affekthaften, aber auch widerständigen Bewegungen werden wir uns un200 Grüny 2014, S. 351. 201 Ebd., S. 147f. 202 Vgl. wiederum Deleuze und Guattari (2000, S. 197f.) über die Spielarten von Kunstwerken. 203 Vgl. auch Hall 2008, S. 108f. 204 Vgl. Grüny 2014, S. 91f. 205 Vgl. ebd., S. 100f. 206 Vgl. ebd., S. 85.
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serer eigenen Figur bewusst. Wir können bemerken, dass wir nur mit diesem Körper an diesem Ort zu jener Zeit hören und spüren; dass wir das Klangliche nie ganz erhaschen, die Musik nie in ihrem gesamten Timbre oder Verlauf nachvollziehen können. Der Resonanz sind drei Bewegungsformen inne, die musikalischen Nachvollzug prägen und erst ermöglichen: die Teilhabe, welche die Mimesis der Körper betrifft, die Teilung, welche die Widerständigkeit betrifft; und der subjektive Bezug zu diesen Bewegungen.207 Dieser Bezug erst ermöglicht es, eine eigene, subjektive Bedeutsamkeit zur leiblichen Resonanz herzustellen.208 Die Affektionen und Perzeptionen, die die Musik bei Hörer:innen auslöst, sind eigendynamische Körpererregungen und subjektive Empfindungen.209 Gefühle und gespürte Bedeutungen sind von Affekten ausdifferenzierte Bewegungen.210 Erst im Bezug zu sich, das heißt, erst im Bemerken des Wie dieses Bezugs, dem Verweis auf bestimmte gemeinsame und unterschiedene Gefühle und Affekte, könne man, so Christian Grüny, von innerer Erfahrung sprechen und einem wirklichen Nachvollzug der Musik.211 Dieser Selbstbezug stellt also die Bedingung subjektiver Autonomie in der Musikrezeption dar. Er ermöglicht es, die Erfahrung durch körperliche und reflexive Einstellungen zu variieren und sich für diese oder jene Rezeption zu entschei-
207 Vgl. Nancy 2010, S. 23 und Grüny (2014, S. 98). Grüny schreibt, Ähnlichkeit, Differenz und Bezug bedingten die Resonanz der Hörer:innen. Eine physiologisch-akustische Perspektive auf das ›Material‹ Klang hat aber gezeigt, dass es nicht logisch-kategoriale Funktionen wie Ähnlichkeit oder Differenz sind, die Schwingung oder Widerständigkeit bedingen. Vielmehr ermöglichen oft gerade differente Ausprägungen und Funktionsweisen von Materialien hohe Reaktionsfähigkeiten, wie sich an der Bauweise des Gehörs zeigt. Deleuze und Guattari (1992, S. 219f. und 371f.) betonen auch, dass sich das Natürliche eben nicht nach dem Prinzip der Ähnlichkeit entwickelt, nicht modular oder polar funktioniert, sondern einzig im Prozess des Werdens durch Nachbarschaften und Affekte stattfindet. 208 Vgl. Grüny 2014, S. 96-100. 209 Vgl. ebd. 210 Vgl. ebd. 211 Vgl. ebd.
3. Klang – Körper – Subjekt
den. Zugleich lässt erst solch ein responsives Hören die »irreduzible[…] Alterität des Gehörten« bemerken – seine Eigenheit und Autonomie.212 Über die Arbeit von Künstler:innen schreiben Deleuze und Guattari, sie könnten nur zu den Potentialen der Kunst vordringen, wenn sie ihr »nichts mehr schulden«, wenn es nicht logisches Denken, nicht das Gedächtnis ist, das sie bearbeiten, sondern das Zusammenspiel der Empfindungen, die autonome und »sich selbst genügende[…] Wesen« sind.213 Gleichfalls kann ein Kunstwerk nicht empfunden werden, wenn diese Schuld gegenüber dem Logos bei der Rezeption nicht getilgt wird. Denn sie ist eine freie Form, die sich zwischen freien Körpern entwickelt.214 Der Genuss der ästhetischen Erfahrung kann also auch darin liegen, sich der Eigendynamik des Körpers und der Subjektivität und Variabilität unseres Musikverstehens bewusst werden zu können. Die Mannigfaltigkeit, Ubiquität und Transition des Klanglichen übersteigt unsere aktuelle, in eine Form gebrachte, an einen Körper gebundene Sinnlichkeit. Die Autonomie des Kunstwerks liegt nicht in irgendeiner logischen, möglicherweise komplexen Bedeutung und nicht in einem metaphysischen Sinn, sondern in der Eigenständigkeit seiner materiellen Ausprägungen und Interferenzen, der Eigendynamik und den Zufallskompositionen, zufälligen Tonigkeiten und Unhörbarkeiten. Sie erzeugen überhaupt erst ein Nicht(be)greifbares.215 Darüber hinaus geschieht Hören einfach, das Sonische hat eine sinnliche Dominanz. Wo intensive Ausprägungen des Klanges und ausgezeichnete Stellen unseres Körpers zusammentreffen, geschieht etwas unwillkürlich, nicht steuerbar, sondern affekthaft, sprunghaft. Klang und Subjekt sind Deleuze und Guattari zufolge als Körper zu verstehen.216 Klänge und belebte Körper sind Bewegungsmuster eines
212 213 214 215 216
Ebd., S. 342. Deleuze und Guattari 2000, S. 197. Vgl. hierzu auch Grüny 2014, S. 115. Vgl. hierzu auch ebd., S. 342ff. Vgl. Deleuze und Guattari 1992, S. 354-361.
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Spannungsgefüges, ein komplexes, eigendynamisches Empfindungsund Nervengewebe.217 Die Spielarten, die Deleuze und Guattari in der Kunst, in der Zusammensetzung und Komposition ästhetischer Elemente und Ebenen ausmachen, können als reale Bewegungen aufgefasst werden. Die Schwingung, das Ineinander und das Zurückweichen, die Dehnung oder Trennung beschreiben Bewegungen und Verhältnisse zwischen Klangkörpern und Subjektkörpern. Die Übertragung der klanglichen Spannungen auf die Subjekte ist freilich keine direkte, sie wird von den Hörer:innen mitgestaltet. Affektionen und Perzeptionen sind eigene, ausdifferenzierte und transformierte Bewegungen. Auch im Subjektkörper findet Bewegung statt: zwischen Materialien, Flächen und Punkten; zwischen körperlichem und psychisch-kognitivem Nachvollzug; zwischen der Unmittelbarkeit des klanglichen Eindrucks und dem sinnhaften Bezug zum Klingenden. Das musikalische Kunstwerk extrahiert eben solche Affekte und Perzepte, solche Verhältnisse von Spannung und Lösung aus dem Klingenden, die uns intensiv affizieren – Tonhöhensprünge, bei denen sich uns die Nackenhaare aufstellen; Bässe, die unsere Bauchdecke massieren; Schalldrücke, durch deren Vibrationen wir uns selbst spüren. Dann wird der eigene Körper zum Prozess und zum Übergang dieser Wellen, dann spielt eben dieser Rhythmus in uns, dann füllt uns eben diese Figur, dieses Motiv, diese Geste für einen Moment ganz aus.218 Der Klang geht in die Empfindung des Subjekts ein, beide schwingen ineinander, bis sie »nur mehr aus Energien«219 bestehen; sie werden an ausgezeichneten Punkten und in ausgezeichneten Augenblicken ununterscheidbar – der Körper wird Klang, die Dehnung der Flächen und Membrane ganz ertastet.220 Das Ineinander mit der Musik löst ein Werden, eine Transformation des Körper aus – Überfallenwerden und dann Hingabe an diese Verhältnisse von Spannung und Lösung; zwei ineinander spielende
217 218 219 220
Vgl. Grüny 2014, S. 76. Vgl. Deleuze und Guattari 2000, S. 192 und 204f. Ebd., S. 197. Zur Charakterisierung der Spielarten vgl. auch noch einmal S. 197f. Zum Affekt und zur Affektion durch das Kunstwerk vgl. auch ebd., S. 204.
3. Klang – Körper – Subjekt
Empfindungen – Interferenz. Schon in der Schwingung mit dem Musikstück werden feine Niveauunterschiede von Tonigkeit, Distanz und Rhythmik hörbar.221 Doch hierin überwiegt die Konsonanz mit dem Geschehenden. Die Schwingung löst eine Mimesis aus, sie ist eine harmonische Resonanzerfahrung. Harmonie entsteht, wenn die Klänge im Körper bereits eingespielte zeitlich-räumliche Verhältnisse materialisieren, Skansionen und Intensitäten, die mit Hörerfahrungen vorwiegend d’accord gehen. Die Zeiterfahrung der Schwingung ist die ruhig-bewegte Anschauung, in der die Reflexion die affektiven, körperlichen Kontraktionen immer wieder umgreift und zum ›Ganzen‹ in Beziehung setzt. Dagegen ist das Ineinander, das Umfassen und Umklammern ein noch intensiveres Hören, ein Hören auf der Schwelle des Hörens, bei dem es kaum mehr eine Grenze zwischen Klang und Körper, kaum eine Pause zwischen Jetzt und Nachher, zwischen Spüren und Nachdenken gibt. Diese Spielart ist der Ekstase nahe, die eine energetische Umklammerung mit der Musik ist.222 Wir sind dann »mitten zwischen den Dingen, in der Gesamtheit ihrer eigenen Nachbarschaft, als Präsenz einer Diesheit in einer anderen, als Ineinandergreifen der beiden oder Übergang von einer zur anderen«.223 Die Ekstase ist die »Deterritorialisierung« und das Ausufern der Sinne in die Affekte und Bewegungen der Umgebung hinein, um ganz mit ihnen zu verschmelzen.224 Anders die Trennung, die Dehnung oder das Zurückweichen; 225 sie lösen eine dissonante Bewegung im Subjekt aus, die es verstocken lässt, da sie einen Sinn, einen Bezug, der die Welt so oder so erscheinen ließ, unterbricht und öffnet. Dies ist eine wirkliche, sinnliche und sinnhafte Trennung von sich selbst, indem sich da ungeahnte, vielleicht unfassliche Schwingungen und Widerstände, ungekannte, ungehörte Pulsationen 221 Vgl. ebd., S. 197. 222 Zum Begriff und zur Erfahrung der Ekstase durch Musik vgl. Barbara Volkwein (2013): What’s Techno. Geschichte, Diskurse und musikalische Gestalt elektronischer Unterhaltungsmusik. Epos-Music, Universität Osnabrück, Zugriff am 10.02.2022 unter: https://epos.uni-osnabrueck.de/books/v/volb03/pages/index.htm, S. 43f. 223 Deleuze und Guattari 1992, S. 384. 224 Ebd. 225 Vgl. Deleuze und Guattari 2000, S. 197f. und 208ff.
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und Skansionen, Ausdehnungen und Intensitäten im Körper entfalten. Sie evoziert ein unübersetzbares Artikulationspotential und macht einen neuen Bezug zu sich selbst nötig. Doch zuerst ist da ein noch undifferenziertes, affektives Gespür, ein Möglichkeitssinn. Es ereignet sich eine zeitweilige Trennung von sich selbst, um von einem Zustand in einen anderen überzugehen, in eine andere Ebene der Wirklichkeitswahrnehmung – Innehalten, Verstummen, Nachdenken über Klang, um sich selbst wieder bewusst zu werden. Diese Hörerfahrung löst eine innere Disparation aus, eröffnet eine unsichere, unbestimmte Zone, eine Lücke in der Übersetzungsbewegung der Kräfte der Welt in unseren Sinn. In der Trennung der ästhetischen Elemente und Spielweisen von der bisher eingeführten musikalischen Ordnung klingen sonische Quantitäten, die den erwarteten Rahmen des Werks übersteigen. Sie übersteigen vielleicht auch unsere Hörerfahrungen und Sensibilitäten. Durch diese Bewegung nimmt das Kunstwerk etwas von seinem ›Außerhalb‹ in sich hinein – wodurch ein Choral ›himmlisch‹ oder ein drone ›höllisch‹ zu werden vermag. Ein Timbre oder Tiefen klingen an, die unser Hören ›ausdehnen‹ oder gar über die Hörbarkeit hinausgehen. Hierin zeigt sich die Eigenständigkeit der Musik am deutlichsten, indem sie ganz über die sinnliche Konstitution und unsere Erwartungen vom Werk hinausgeht, uns ›zu viel‹ wird oder uns teilhaben lässt an einer Wirklichkeit, die unendlich zu sein scheint. Wir gehen an dieser Grenze, wo die Intensität nicht mehr empfunden werden kann, zumeist in eine andere Wahrnehmungsebene über; zu Nachdenken, Reflexion, Rück(be)zug – auf die Organisationsebene. Wo die sonische Dominanz dies verhindert und sich das Unfassliche oder Kosmische am und im eigenen Leib materialisiert, muss dies unweigerlich zu einer temporären Dehnung oder auch Trennung von uns selbst führen; von unserem Selbstverständnis, von vertrauten Einstellungen und Deutungsmustern. Die Wahrnehmungsfähigkeit selbst wird gedehnt oder sie weicht oder schreckt vor sich zurück – wir werden ergriffen, wir werden taub, unsensibel für uns selbst, stehen in uns selbst in der Lücke, wir verlieren die Welt, um sie neu zu finden. In dieser Zone oder diesem Zwischenraum, in dem das musikalische Geschehen weder kognitiv noch sinnlich mehr ganz nachvollziehbar ist, ist der sub-
3. Klang – Körper – Subjekt
jektive Bezug zum Klingenden weder bekannt noch unbekannt, um es mit Gendlins Worten zu beschreiben. Wir stehen in Spannung, höchster Aufmerksamkeit für etwas, das nicht zwischen zwei Dingen oder Vorstellungen ist, sondern eher etwas anderes, etwas völlig neues, ganz offenes. Eine dicke und direkt spürbare Masse des leiblichen Erlebens löst dieses ästhetische Ereignis aus: die Intensität226 , die nur und nichts als empfunden werden kann und zugleich – in ihrer Übermäßigkeit – nicht mehr spürbar ist. Welche sind die Klänge, Parameter, Variablen und sonischen Effekte, die eine transformative Kraft entwickeln, die als affektive Empfindungswesen auf den menschlichen Körper wirken, Ereignisse evozieren? In welchen zeitlichen und räumlichen Parametern konstituieren Klänge Aktivierungskonturen des Sonischen, die in uns Erkenntnisse, Erinnerungen oder ein Gespür für eine Bedeutungen anspielen, ein unübersetzbares Artikulationspotential? Der Gegenstand an sich auf der einen, der menschliche Körper auf der anderen ›Seite‹ der Resonanz: Durch welche körperlichen Ausprägungen, Techniken, Handlungen oder auch reflexiven Einstellungen vernehmen oder empfinden wir diese? Wie spielt sich dies Klangwerden, Empfindungwerden auf materialer Ebene ab – welche sind die ausgezeichneten Punkte unserer Körper und wie materialisiert sich ein Selbstbezug, jene körperlichapperzeptive Responsivität? Ich werde im folgenden Kapitel die physikalisch-akustischen Prozesse auf The Haxan Cloaks Album Excavation analysieren, um den eben beschriebenen ontologischen Strukturen eine praktische Tiefe und Anschaulichkeit zu geben und den Gegenstand ›näher heranzuholen‹. Neben der Betrachtung dieses Gegenstandes an sich, kann dann erst ein Verstehen der psychoakustischen und physischen Bedingungen und Einstellungen der Hörer:innen erschließen, wie sich die Erfahrung der Musik konkret ›verleiblicht‹, wo Intensitäten und Schwellen unserer Wahrnehmung liegen.
226 Vgl. Deleuze 1992, S. 299.
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Mittels physikalischer Messung akustischer Ereignisse lässt sich ›erhaschen‹, was sich aufschließt, wenn sich die subjektive, menschlichkörperliche Wahrnehmung verschließt, an ihre Grenzen kommt. Die hohe Auflösung und die Visualisierbarkeit unsichtbarer, unhörbarer Affekte und Bewegungen durch digitale Soundanalyse macht undefinierbare, komplexe Strukturen ›teilbar‹ und anschaulich. In ihrer stoischen Mechanizität macht sie gleichfalls stoisches Material in seinem Wirken erkennbar. Physiologische und psychoakustische Erkenntnisse können verdeutlichen, wo subjektive Wahrnehmungsgrenzen liegen können. Gleichfalls muss aber damit gerechnet werden, dass das, was messbar ist, nicht unbedingt auch natürlich so vorkommt, weil es sich nicht der Linearität maschinellen Verfahrens anschließt. Subjektiv überprüfbar ist es nicht und hat dadurch ebenfalls die Dimension des Ungekannten. In dem Sinne ist der ›Sprung‹ vom Digitalen zum »kulturalisierten Schall«227 und umgekehrt kein Grund, menschliches, sensibles, subjektives Erleben hinter Maschinenlogiken zurückzustellen. Die Variabilität und Individualität körperlicher und leiblicher Prozesse sind vielmals auch empirischen und naturwissenschaftlichen Messgrößen und Methoden eingeschrieben – in Form qualitativer Auswertungen, aber auch in Zeichen und Symbolen. Hier kann eine ästhetische und kulturwissenschaftliche Perspektive wiederum anknüpfen und weiterdenken.
227 Peter Wicke, zit.n. Ludewig 2014, S. 74.
4. Excavation – The Haxan Cloaks Sound
Das Album Excavation wird als ›physisch überwältigend‹ empfunden.1 The Haxan Cloak erschaffe einen virtuellen ›ätherischen Raum‹,2 der die Vorstellung einer neuen, ›eigenen‹3 oder einer ›ganzen Welt‹4 evoziert und Kritiker:innen zu abenteuerlichen Metaphern und gar Fiktionen anregt.5 Was geschieht in diesem Raum auf der materialen Ebene der Musik, die die Körper überwältigt und andere Räume erklingen lässt? Ich möchte folgend die physikalisch-akustische Konsistenzebene der Musik und ihre Resonanzaffekte mit dem menschlichen Körper untersuchen. Wie interagieren hier akustische Bewegungen sowie physiologische und psycho-akustische Prozesse? Die expressiven Affekte des Materials, das mit sich selbst spielt; akustische Messungen müssten dann einen erkenntlichen ›Abdruck‹ solcher Binnenspannungen des Klangs darlegen. Auch die Kompositionsebene der Musik kann aus Perspektive naturwissenschaftlicher Logik und durch digitale Analyse detailliert ergründet werden; Spielarten, Klangblöcke, Ordnungsstrukturen der Musik können in ihren ästhetischen Verläufen auf einzelne musikalische Elemente bezogen werden; digitale Berechnungen ermöglichen schnelle Blickwechsel zwischen Ebenen unterschiedlicher Auflösung. Vorerst möchte ich also einzelne Variablen der Musik in Blick nehmen: Höhen- und Tiefengestaltung, Lautstärke und Bewegungsverläufe 1 2 3 4 5
Vgl. Fitzmaurice und Krlic 2013, S. 8 sowie Kalev und Krlic 2013, S. 3. Vgl. Kalev und Krlic 2013, S. 1. Vgl. Sven Kabelitz (o. D.), S. 1. Vgl. Neyland 2013, S. 9. Vgl. Kabelitz (o. D.).
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Tiefenresonanz
der Sounds bzw. Stereophonie.6 Nachher kann ein feinauflösendes Bild darüber entstehen, wie sich einzelne Variablen und Klänge zu Melodien, Strukturen oder ästhetischen Ereignissen arrangieren. Spektralanalysen geben Einblicke in das messbare sonische Material.7 Wir nehmen in diesem Kapitel also eine ›Vermessung‹ des akustischen Raums vor, gleich einer ›Ausgrabung‹ des musikalischen Materials vom Bruchstück bis hin zur komplexen Struktur – excavation. Wir haben es bei diesem Material nicht mehr mit natürlichen Klängen zu tun oder Originalen, sondern zumeist mit akustisch erzeugten und digital intensiv bearbeiteten Sounds. Auf Excavation arbeitet Bobby Krlic überwiegend mit eigenen Field Recordings und Instrumentalaufnahmen.8 Aber erst die digitale Bearbeitung der Aufnahmen bis in ihre grundlegenden akustischen Variablen hinein macht diesen Produktionsprozess und den Sound The Haxan Cloaks Musik aus; von der ›Zerteilung‹ der Sounds – »just crush them« – über ihre Modifikation bis hin zur Neukomposition – »magnifying«, »break them down and go really textural«9 . Die klanglichen Affekte dieser Musik liegen also nicht in der Natur und auch nicht auf Presets vor. Sie sind nicht einfach so ›zu haben‹. Exzessiv arbeitet Bobby Krlic auch mit Sounds, die man als »subliminale«10 Schallprozesse bezeichnen kann, welche an den Schwellen des Hörbaren liegen und darüber hinausgehen. Solche Schallprozesse
6 7
8 9 10
Zur Dequantisierung und immer höheren Auflösung musikalischer Parameter in digitalen Produktionsprozessen vgl. Harper 2011. Die Spektralanalysen wurden mit dem Open-Source-Programm Sonic Visualiser angefertigt. Chris Cannam, Christian Landone und Mark Sandler (2014): Sonic Visualiser: An Open Source Application for Viewing, Analysing, and Annotating Music Audio Files. In Proceedings of the ACM Multimedia 2010 International Conference, Software, Version 4.4, Zugriff am 10.02.2022 unter: https://sonicvisualiser .org. Vgl. Sherburne 2013, S. 2. Bobby Krlic, zit.n. ebd., S. 2. Jens Gerrit Papenburg (2012): Sonische Subliminale. Von Leibniz’ Meeresrauschen zum Rock’n’Roll Threshold. In: Holger Schulze (Hg.): Gespür – Empfindung – Kleine Wahrnehmungen. Klanganthropologische Studien. Sound Studies, Bd. 3, Bielefeld: transcript, S. 73f.
4. Excavation – The Haxan Cloaks Sound
verweisen auf ein Verständnis von Klang in dieser Subkultur, das mit geradezu wissenschaftlicher Präzision und Handwerklichkeit auf den Prozess des Hörens selbst zielt. Paul C. Jasen zeigt etwa auf, wie in sogenannten Bass Cultures ein regelrechtes »affect engineering« betrieben wird.11 Zugleich verweist diese Machbarkeit der klanglichen Affekte auf die Momente ihrer Entdeckung; die Anfänge elektroakustischer Klangerzeugung. In den Stücken des Avantgarde-Musikers Alvin Lucier treten sie zuweilen noch deutlicher hervor als in The Haxan Cloaks sehr dichten Arrangements. In Alvin Luciers Werken wird durchaus ›offensichtlich‹, wie das Material der Musik mit sich selbst spielen kann. Mein Vorgehen besitzt freilich keine Alleingültigkeit. Um diese spezifische Musikpraxis und Rezeptionskultur aber möglichst praxeologisch und vielschichtig beschreiben zu können, werde ich meine mittels (Psycho-)Akustik und Spektrografie gewonnenen Analysen in Bezug auf subjektive Höreinstellungen, -techniken und -erfahrungen aus der Szene verhandeln. Dazu werde ich die Eindrücke und Berichte anderer Hörer:innen, Kritiker:innen und des Musikers berücksichtigen.12 Sie veranschaulichen die tatsächlich erlebte Hörerfahrung und zeigen auf, welche Aspekte und Momente der Musik besondere Aufmerksamkeit verdienen. Hier liegen nun unterschiedliche Quellen vor wie Konzertberichte, Albumkritiken und Features. Die Live-Aufführung unterscheidet sich vom Album vor allem im Arrangement und natürlich in der Intensität und Räumlichkeit der leiblich-materiellen Erfahrung. Die Tracks auf der Aufnahme sind weniger dicht, erscheinen eher wie eine ›ideale‹ Ebene dieser Musik, die zwischen Tanzbarkeit und avantgardistischem Exkurs durchgeführt wird. Das Live-Arrangement stellt sich – womöglich auch qua der direkten und unwiederholbaren Hörsituation – als pausenloser Klangstrom dar, als ›Durchführung‹ in permanenter Variation, Transformation und Steigerung.13 Die Lautheit und intensive
11 12 13
Jasen 2016, S. 170. Zur Funktion und zum wissenschaftlichen Umgang mit journalistischen Quellen vgl. auch Jacke 2009, S. 118 und 123ff. Vgl. auch Bitzi und Krlic 2014, S. 23ff.
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Tiefenresonanz
Materialität, die die Live-Erfahrung so stark prägen, können selbstverständlich nur in einem vom Künstler präparierten Klangraum gestaltet werden. Dennoch möchte ich verschiedene Quellen zur Analyse und Darstellung der Musik heranziehen, da das Album der Live-Aufführung zugrunde liegt und die Musik überhaupt nur so als wiederhörbares und ›anschauliches‹ Artefakt vorliegt.
4.1
Höhen und Tiefen
Ein ›bodenloser Bass‹ löse ›versinkende‹ Gefühle aus und habe eine desorientierende Wirkung, schreibt der Kritiker Nick Neyland im Pitchfork Magazin.14 Metaphern wie ›Orbit‹ oder ›Brunnen‹15 loten die Höhen und Tiefen des Sounds sowie die Räumlichkeit der Musik aus. Man hätte das Gefühl, als stünde man mal in Kathedralen-hohen Räumen, mal in einer Höhle, wie umschlossen.16 Excavation bewegt sich zwischen Infra- und Ultrafrequenzen, die sich oft dicht, rauschhaft schichten, vermutlich als harmonische und disharmonische Obertöne.17 Töne von acht Hertz spiele Bobby Krlic – so sagt er es in einem Interview mit The Quietus – um den Hörer:innen in etwa die »sensation« zu verschaffen, die sie bei einem Erdbeben erleben würden,18 auch wenn diese Tiefen kaum hörbar sind. Doch sie sind spürbar. Obwohl es zwischen dem physischen Spüren sonischer Resonanzen und dem Hören mit den Ohren »keine klaren Grenzen« gibt, wie Grüny anmerkt,19 gibt es doch Richtwerte. Das menschliche Gehör ist ungefähr sensibel für Frequenzen zwischen 20 Hertz und 20 14 15 16 17
18 19
Vgl. Neyland 2013, S. 9 sowie Fitzmaurice und Krlic 2013, S. 8. Vgl. Neyland 2013, S. 9. Vgl. Kalev und Krlic 2013, S. 2f. Vgl. Abb. 1: Spektrogramm von »The Mirror Reflecting (Part 2)« (The Haxan Cloak 2013b, Nr. 7), Min. 0:10-0:25 sowie Abb. 2: Spektrogramm (melodischer Umfang) von »The Mirror Reflecting (Part 2)« (The Haxan Cloak 2013b, Nr. 7), Min. 0:10-0:25. Bobby Krlic, zit.n. Kalev und Krlic 2013, S. 2. Grüny 2014, S. 339.
4. Excavation – The Haxan Cloaks Sound
Tausend Hertz, mit dem Alter abnehmend.20 Diese Sensibilität variiert individuell sehr stark, auch in Abhängigkeit des Zusammenspiels bestimmter Variablen wie Lautstärke und Tonhöhe, die miteinander interferieren.21 Das Klingende ist keine homogene Masse.22 Und das Gehör ist kein Messinstrument, sondern ein sensibler Körper und Resonanzraum. Unter bestimmten Voraussetzungen ist es möglich, Sinustöne von fünf Hertz zu hören oder vielmehr spürend zu bemerken.23 Etwa unterhalb von 20 Hertz verändert sich die »Wahrnehmung von ›Hören‹ in ›Fühlen‹«, so der Akustiker und Musikwissenschaftler Donald E. Hall.24 Hörer:innen bemerken also dann, dass da etwas ist, obgleich daran »nicht recht etwas wahrzunehmen ist«, wie Martin Seel über die Erfahrung des Rauschens schreibt25 – Subliminale, Schwellen sonischer Wahrnehmung. Die Tonhöhenwahrnehmung erfolgt unter anderem über ein taktiles Spüren.26 Bei höheren Frequenzen schwingen feinere, steifere und leichtere Körpermaterialien.27 Tiefere Frequenzen versetzten das Trommelfell zwischen Außen- und Mittelohr in Schwingung.28 Für höhere Frequenzen sind Haarzellen im vorderen Bereich der Ohrmuschel sensibel, sie geraten in einen regelrechten Tanz und leiten diese Erregung an Axiome und Nervenbahnen weiter.29 Die längeren Longitudinalwellen tieferer Frequenzen erreichen den hinteren Teil der
20 21 22 23 24 25 26 27
28 29
Vgl. Hall 2008, S. 35. Vgl. ebd., S. 114-126. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 110. Ebd. Seel 1997, S. 74. Vgl. Hall 2008, S. 379-402. Jeder Schwingungszustand eines Körpers hat eine charakteristische Eigenfrequenz, die durch seine Trägheit und Steifigkeit bestimmt wird; sie beeinflussen also die Energie, die aufgewendet werden muss, um Körper zur Schwingung anzuregen; vgl. Hall 2008, S. 47-50 und 172. Vgl. ebd., S. 106f. Vgl. ebd., S. 108f.
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Tiefenresonanz
Ohrmuschel.30 Also erscheint es nicht nur so, tiefere Klänge spielen wirklich tiefer in den Körper hinein. Die ›unnachgiebige Wucht‹ der Bässe von The Haxan Cloaks Musik drückt wirklich physisch in den Körper hinein und erzeugt die Vorstellung, in einem tiefen Raum oder gar in sich selbst zu versinken.31 Der Druck, der im Mittelohr durch die Auslenkung des Trommelfells entsteht, wird über einen Kanal zur Mundöffnung hin kompensiert.32 Klang kann uns wortwörtlich die Sprache verschlagen. Ultra- und Infrafrequenzen werden allerdings erst ab bestimmten, relativ hohen Lautstärken hörbar bzw. spürbar.33 Die ›massive‹34 Wirkung der Musik gestaltet The Haxan Cloak auch durch die höchst mögliche – das heißt noch erträgliche – Lautstärke und die stetige Entwicklung der Lautheit. Sowohl die Konzerterfahrung als auch das Album Excavation zeichnen sich durch extreme dynamische Steigerungen aus; abrupte Dynamikwechsel, die Hörer:innen unvermittelt erfassen oder sich über Minuten hinweg dehnende Crescendi, die oft auch durch das Hinzutreten weiterer Stimmen erzeugt werden.35
4.2
Intensität und Bewegung
Der Schalldruckpegel, gemessen in Dezibel, beschreibt einen ›absoluten Pegel‹ – das Verhältnis eines sonischen Ereignisses zu einem definierten Referenzwert.36 Als sensible Körper in je unterschiedlicher Stim-
30 31 32 33 34 35
36
Vgl. ebd. Vgl. Neyland 2013, S. 9. Vgl. Hall 2008, S. 106f. Vgl. ebd., S. 110 und 123f. Vgl. Kalev und Krlic 2013, S. 2 sowie Bitzi und Krlic 2014, S. 22. Höre »The Mirror Reflecting (Part 2)« (The Haxan Cloak 2013b, Nr. 7) ab Min. 2:31. Vgl. auch Neyland 2013, S. 8f. Auf Effekte und Messwerte sonischer Ereignisse, die solche unwillkürlichen körperlichen Erregung und Bewegung auslösen, weisen Begriffe wie ›hypersonic effect‹ oder ›rock’n’roll threshold‹ hin; vgl. Papenburg 2012, S. 73f. Vgl. Hall 2008, S. 111ff. und 115-118.
4. Excavation – The Haxan Cloaks Sound
mung und Responsivität erfassen wir jedoch keine solchen absoluten Sinnesreize.37 Auch einen Nullpunkt der Resonanz gibt es auf dieser Konsistenzebene nicht; er bedeutete Vakuum, Tod. Spüren ist kontinuierlich. So erfassen wir Reizverhältnisse als konstantes Dasein von Lautstärke.38 Die sogenannte Lautheit (Phon) bildet die subjektive, sinnliche Lautstärkewahrnehmung näherungsweise ab.39 Sie drückt also aus, wie intensiv wir die Gegenwart von Klang wahrnehmen. Dazwischen liegt ein Prozess von ›unsicher‹, ›sicherer‹, ›ganz sicher‹ bis ›absolut sicher‹ – Rauschen40 , Selbstwahrnehmung als Prozess, sich mehr und mehr spüren-spüren. Während also abrupte dynamische Steigerungen auf Excavation die materielle Wucht und Dominanz des Sonischen deutlich werden lassen, lässt uns schwellenlose dynamische Steigerung eine Dehnung des Hörenkönnens vollziehen. Durch Mehrstimmigkeit, die in Fade-ins neuer Stimmen nach und nach aufgebaut wird, erreicht The Haxan Cloak einen sogenannten Chorus-Effekt.41 Wenn sich die Tonhöhen zweier Stimmen nahe liegen, interferieren sie miteinander und potenzieren oder depotenzieren sich zeitweise, oder ›maskieren‹ sich gegenseitig.42 Wir müssen ›tief‹ hinein hören, um sie zu identifizieren. Im Unisono oder Zusammenspiel wird aber die durchschnittliche Lautstärke über längere Zeit hinweg dennoch angehoben.43 Das heißt, obgleich mehrere Stimmen temporär wie eine Stimme wirken, etwa weil sie zusammen eine neue Klangfarbe erzeugen, addiert sich die Lautstärke.44 Absolut sicher hören wir eine dynamische Steigerung allerdings erst bei einer Vergrößerung um 15 bis 35 Prozent.45 In einer fließenden Vergröße37 38 39 40 41 42 43 44 45
Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 117f. Vgl. ebd. sowie Seel 1997, S. 84f. Höre etwa »The Mirror Reflecting (Part 2)« (The Haxan Cloak 2013b, Nr. 7) ab Min. 3:44. Zum Chorus-Effekt vgl. Hall 2008, S. 397ff. Vgl. Hall 2008, S. 397ff. und 100ff. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 113.
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rung der Lautstärke bzw. Lautheit gibt es keinen festen Referenzwert, wodurch Hörer:innen mitgenommen werden. So erlaubt das dynamische Arrangement The Haxan Cloaks uns mit extremen Intensitäten zu konfrontieren – von annähernder Stille bis hin zur Fühlschwelle oder -grenze. Diese würde, so Hall, von einem »unangenehmen Kitzelgefühl« begleitet.46 Manche Hörer:innen empfinden diese körperlichen Resonanzen allerdings als angenehm und können die Schwingungen teils sehr konkret lokalisieren: als ›Schauer entlang der Wirbelsäule‹47 oder als ein ›Kitzeln im Unterleib‹48 . Doch auch unbestimmte, unangenehme Gefühle oder krankmachende Reaktionen treten auf, insbesondere bei länger dauernder Hörsituation, davon berichtet auch der Produzent selbst.49 Die Transition des Klanglichen wird am deutlichsten in der Erfahrung der Räumlichkeit, die die Musik etabliert. Die Intensitäten, die Ausschläge und Taktwellen sind nicht überall im Raum gleich verteilt und verwirbeln zuweilen die Knotenpunkte unserer Orientierung. Sounds und Strukturen ›mäandern‹, ›tauchen auf‹, ›nahen heran‹, sind als ›wellenartig‹ hörbar, eingebettet in ›Kathedralen-hohe‹ Halleffekte, so eine Kritikerin.50 Klang wird über stereophone Abbildung im Raum verteilt.51 Bei The Haxan Cloaks Live-Konzerten können seine Bewegungsformen körperlich nachvollzogen werden; sein Kommen und Gehen, seine vielfältigen Reflexionsbewegungen im Raum. The Haxan Cloak arbeitet mit Rotations- oder Pendelbewegungen in der Stereophonie. Sie lassen Klänge und Geräusche im gesamten Hörfeld vor uns ›wandern‹, anstatt nur eine Phantomquelle zu suggerieren.52 Exzessiv setzt er 46 47 48 49 50 51 52
Hall 2008, S. 123. Vgl. Kalev und Krlic 2013, S. 1. Vgl. Fitzmaurice und Krlic 2013, S. 8. Vgl. Kalev und Krlic 2013, S. 3, Neyland 2013, S. 9 sowie Fitzmaurice und Krlic 2013, S. 8. Vgl. Kalev und Krlic 2013, S. 3. Vgl. Hall 2008, S. 373ff. Höre etwa »Consumed« (The Haxan Cloak 2013b, Nr. 1) ab Min. 0:40. Vgl. auch Kalev und Krlic 2013, S. 3. sowie Hall 2008, S. 372f.
4. Excavation – The Haxan Cloaks Sound
auch Direktschall und Nachhall ein, die eine ›Tiefenstaffelung‹ des musikalischen Geschehens bewirken.53 Schwebungen und stehende Wellen, Brechung, Dispersionen, Diffusionen und Absorption54 – diese Wellenbewegungen können als reale Bewegungen im Raum und im eigenen Körper erfahren werden, sind nicht bloß Suggestionen oder Assoziationen über Klänge. Die Bewegungen des Schalls sind nicht nur so und so druckvoll, links oder rechts, sondern im gesamten Hörfeld unterschiedlich intensiv verteilt. Sie können binaural, vestibulär55 und auch ganz-körperlich an verschiedenen Punkten und Flächen deutlich erspürt werden. Die ›transportive Natur‹ mache die ›magische Qualität‹ an diesem Album aus, so Nick Neyland.56 Sonische Materialität, Klang als Affekt und Bewegung, ist in The Haxan Cloaks Musik nicht bloß ein Nebeneffekt, sondern ein Kompositionsprinzip. Er komponiert Atmosphäre, die zur leiblichen Erfahrung wird.57 Ein akustisches Phänomen kann für diese Kompositionsweise stehen – es verleiht The Haxan Cloaks Musik seine Genre-Bezeichnung – der drone. Als drone wird das stetige An- und Abschwellen eines Daueroder Haltetons, auch eines Klanges oder Clusters bezeichnet.58 In Dauertönen können interferenzielle Effekte zwischen Variablen wie Tonhöhe, Timbre und Lautstärke dominant auftreten.59 Der drone ist ein solcher Effekt, eine Interferenz mit sich selbst. Drones entstehen durch sogenannte »stehende Wellen«60 . Wenn Schallwellen
53 54 55 56 57 58
59 60
Höre »The Mirror Reflecting (Part 2)« (The Haxan Cloak 2013b, Nr. 7), Min. 2:122:30. Vgl. auch Hall 2008, S. 340f. Vgl. auch Hall 2008, S. 86, siehe auch S. 72-86. Vgl. Jasen 2016, S. 47. Vgl. Neyland 2013, S. 9. Vgl. Kalev und Krlic 2013, S. 3. Höre »The Mirror Reflecting (Part 2)« (The Haxan Cloak 2013b, Nr. 7) ab Min. 2:30. Vgl. auch Hall 2008, S. 322. Zur Definition des Phänomens in der Musik vgl. La Monte Young (2000): Notes on The Theatre of Eternal Music and ›The Tortoise, His Dreams and Journeys‹. Mela Foundation, Zugriff am 10.02.2022 unter: https: //melafoundation.org/theatre.pdf, S. 2. Vgl. Hall 2008, S. 114-126. Vgl. Hall 2008, S. 322. Im Folgenden vgl. ebd.
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reflektieren, kann sich die Welle, deren Einfallswinkel gleich dem Ausfallswinkel ist, mit ihrer Reflexion überlagern. An den Punkten, wo sie sich überkreuzen, kommt es zur Auslöschung des Tons. Wenn aber Wellental bzw. Wellenhügel in genau unterschiedlicher Phase erreicht werden, verdoppelt sich die Intensität des Tons. Dies ist also die Bewegung einer sonischen Umklammerung mit sich selbst oder Trennung von sich selbst. Es ereignet sich dann, dass Hörer:innen je nach Position und Bewegung im Raum ein Dröhnen vernehmen – eine stetige Auslöschung und Verstärkung des sonischen Ereignisses. Die Druckund Bewegungsunterschiede, die Phasen- und Intensitätsunterschiede der Wellen sind hörbar und lassen bemerken, wie sich Sonisches hier und jetzt durch uns durch bewegt und den Körper umspült.61 Schon eine leichte Drehung des Kopfes verändert sein Klingen.62 Hörer:innen bemerken, wie Klang und Körper tatsächlich miteinander spielen, in Schwingung sind, in ineinandergreifenden und sich wiederum trennenden Bewegungen. Sie können die leibliche Erfahrung variieren, das Umströmen der Spannungen mit-gestalten.63 Nicht nur ein temporärer, unbestimmter Druck, sondern das konkrete, gestalthafte Kommen und Vorübergehen sonischer Ereignisse an bestimmten Körperpartien wird bewusst und nachvollziehbar. Insbesondere dadurch wird die Vorstellung evoziert, dass der Klangraum eigentlich endlos ist, eine ganze Welt, in der wir – mystisch umschlossen – »nur die Bewegung blicken«64 . In The Haxan Cloaks Musik wird Klang plastisch, als Bewegung und Ding65 erkennbar, als rauschende Gestalt, die sich ausdehnt, Stille mit sich führt, Stille hinterlässt. Insbesondere im Schlussstück des Konzertes wird Stille als graduelles Rauschen am Rande und im Übergang der
61 62 63 64 65
Vgl. Hall 2008, S. 340-344. Vgl. ebd. Paul C. Jasen (2016, S. 134f.) bezeichnet den Zustand dieses Effekts als »swimmingness«. Deleuze und Guattari 1992, S. 384. Vgl. Grüny 2014, S. 340f.
4. Excavation – The Haxan Cloaks Sound
Klänge hörbar. Im Ausklang lang nachhallender Bässe gewinnt Stille einen »Stand in sich«, ist »stillgestellte Übergängigkeit«,66 die als eigene musikalische Gestalt hörbar wird und den Übergang zwischen Musik und dem Unendlichen und Unhörbaren hörbar ausfüllt.67 Sie wird als innere Differenz des Klingenden hörbar.68 Nach dem Konzert ist der Körper von der Hörerfahrung so erregt, ja hypersensibel, dass selbst die profane Stille des Raums als Rauschen wahrgenommen werden kann.69 Absolute Stille gibt es nicht in dieser Welt.70 In der Stille, die spürbar anwesend ist, kann sich uns eine unbemerkte Tiefe der Konsistenzebene der Wirklichkeit aufschließen. Wir spüren, dass diese fließend ist und es Phänomene ›außerhalb‹ unseres Wahrnehmungsvermögens gibt, die uns aber dennoch berühren. Kritiker:innen schwanken zwischen Faszination und Einspruch.71 Diese Musik benötige den richtigen Moment und die richtige Stimmung und evoziere nicht das Bedürfnis der schnellen Wiederholung.72 Sie öffnet die Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit und führt in Spielräume ein: Hörbare Stille, spürbare Infra- und Ultrafrequenzen, Bewegungen des Klanglichen über Fühlgrenzen und Hörschwellen hinaus, Schwebungen und stehende Wellen – Hören ist ein Aushandlungsprozess leiblicher Einstellungen und Spannungen, ein Prozess zwischen Selbstwahrnehmung, Selbstverlust und erneuter Selbstvergewisserung, ein Sich-Spüren-Spüren. Da Hörer:innen bewegt werden, noch bevor ihnen bewusst wird, wie oder was es bedeutet, kann dies die Wirkung des Rauschens erzeugen, eines radikalen Verweilens und Sichverlierens an die Resonanzen des Klanges, doch auch ein Gefühl der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins.73 Interferenzen lassen das Mate66 67 68 69 70 71 72 73
Ebd., S. 40. Höre »Consumed« (The Haxan Cloak 2013b, Nr. 1) ab Min. 1:20 und »The Mirror Reflecting (Part 2)« (The Haxan Cloak 2013b, Nr. 7), Min. 2:12-2:30. Vgl. auch Grüny 2014, S. 44. Vgl. Neyland 2013, S. 9. Er bezeichnet die Stille hier als »steinig«. Vgl. Grüny 2014, S. 35. Vgl. Neyland 2013, S. 9. Vgl. ebd. Vgl. wiederum Seel 1997, S. 78.
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rial der Musik in einen affekthaften Prozess mit sich selbst geraten. Es bewegt sich fließend, übergängig, sprunghaft und teils unberechenbar. Bestimmte Variablen des Sounds, intensive Quantitäten, reagieren nicht nur mit den Körpern, sie regieren die Körper förmlich, vibrieren noch am Saum sensibler Flächen und Punkte, machen sie überhaupt erst wahrnehmbar, versetzen sie in ungewohnte Bewegungen. Diese materiellen Exzesse in der Musik führen uns die Autonomie des Kunstwerks vor. Wir beziehen uns auf die uns noch verbleibenden Wahrnehmungen, Deutungs- und Bedeutungsmuster, während um uns herum – und in uns – das Rauschen nicht aufhört. Die Fühlgrenzen und Hörschwellen werden gedehnt. Der Sound ›öffnet‹ uns förmlich die Ohren, ›spannt‹ sie auf. Das Unhörbare ist spürbar da – einem eher reflexiven Nachvollzug der Musik entziehen sich diese Resonanzen. Diese Musik stellt sich nicht dem Menschen oder Menschlichen dar, wie man mit Deleuze und Guattari sagen kann;74 sondern lässt Klang als solchen klingen, sound itself, ungestaltete Wirklichkeit75 , wie Martin Seel sie in der Kunst eigentlich ausschließt. Solch eine ›lärmende Stille‹ vergegenwärtige uns die ›immanente Transzendenz‹ der klanglichen Materialität, so Schrimshaw.76 Freilich sind alle bemerkbaren und benennbaren Phänomene immer auch schon Verweis auf unsere Sinne. Doch gerade da, wo die Phänomene nicht mehr hörbar, aber dennoch irgendwie bemerkbar sind, zeigt sich solch eine Eigenständigkeit des Materiellen und das Werdens des Klanglichen. Musik als die nicht für unsere Sinne allein verfasste Wirklichkeit von Sinnlichem zu begreifen, heißt nicht, dass sie nicht für irgendeinen Körper existiert, nicht Körper bräuchte, um zu existieren, nicht selbst Körper ist.77 Wir können uns eigentlich nie sicher sein, ob ein Klang so oder so nur für uns allein hörbar oder unhörbar ist, ob er nur uns in dem Moment und an diesem Ort mit eben nur diesem Körper so erscheint.
74 75 76 77
Deleuze und Guattari 2000, S. 191f. und 199. Vgl. Seel 1997, S. 79f. Vgl. Schrimshaw 2013, S. 43. Vgl. ebd.
4. Excavation – The Haxan Cloaks Sound
Zudem gehen die Sounds in The Haxan Cloaks Musik in eine dichte Komposition ein, in der intensive Quantitäten und spezifische Interferenzen wiederum miteinander ins Spiel gebracht werden und die Klangerfahrung zum komplexen Rauschen wird. Um Perzepte und Affekte aus dem Klanglichen zu extrahieren, um sie aus dem bloßen Klingen herauszukristallisieren, bedarf es einer spezifischen Methode; einer ›gewaltigen Simplifizierung‹ des Materials, so Schrimshaw.78 Avantgarde-Musiker wie Alvin Lucier, John Cage oder David Tudor arbeiteten erstmals auf diese Weise mit Klangmaterial. Seit den 1950er Jahren entdeckten und komponierten sie Klänge in ihrer Wesenheit als physikalisch-akustische Phänomene.79 Sie erhoben die Eigenschaften des Klanglichen damit selbst zu Monumenten der Kunst und prägten damit eine neue Musikästhetik, neue Kompositionsweisen und ein Verständnis von Klang,80 das auch für digitale Klangsynthese fundamental ist.
4.3
Alvin Lucier: Von der Kunst, Klänge sie selbst sein zu lassen
Alvin Lucier hat Potentiale des Klanglichen mit Hilfe elektro-akustischer Klangerzeugung entdeckt und in seinen Werken hörbar gemacht. Er hat mit den Variablen und Zusammensetzungen der Klänge experimentiert. Beim Zusammenspiel von Orchester und Sinusgeneratoren erforschte er stehende Wellen und Schwebungen, ihre Bewegungsformen und Echos; er experimentierte mit Klangfarbenveränderungen
78 79
80
Schrimshaw (ebd., S. 34f.) überträgt hier ein Theorem aus Deleuze’ und Guattaris Was ist Philosophie? auf Sonisches. Vgl. Pauline Oliveros (1995): Vorwort: Poet der elektronischen Musik. In: Gisela Gronemeyer und Reinhard Oehlschlägel (Hg.): Alvin Lucier. Reflexionen. Interviews, Notationen, Texte 1965-1994. Köln: MusikTexte, S. 13 sowie Ruschkowski und Bartetzki 2014, S. 448ff. Vgl. Oliveros 1995, S. 13ff.
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und provozierte Eigenbewegungen von Klängen.81 Er machte bis dato unhörbare Körperklänge hörbar.82 Die Produktionsverfahren der Klangsynthese der 1950er und -60er Jahre zeigen an, dass das, was heute in Presets auf Speichern für Synthesizer und Sequenzer-Programme vorliegt, eine reale, physischphysikalische Kraft ist, die jede Klangerzeugung aufwenden muss und die bei jeder Wiedergabe auf die Welt wirkt. Alvin Lucier, John Cage und David Tudor ging es – so reflektiert die Musikerin Pauline Oliveros – um die Schaffung einer »Phänomenologie des Klanges und [die] Entdeckung seiner natürlichen Eigenschaften und Prozesse«.83 Mittels Generatoren, Lautsprechern und Tonbandgeräten wurde nun erstmals elektronische Klangsynthese möglich und Klang wurde als akusmatisches Phänomen speicherbar und (re-)produzierbar.84 Lucier war in den 1950er Jahren vor allem von Cage inspiriert und dessen Konzept der Absichtslosigkeit, also der weitestgehenden Ausschaltung menschlicher Willkür im musikalischen Kompositions- und Rezeptionsprozess.85 Als Aleatorik werden Spielprozesse oder musikalische Formen bezeichnet, in denen den Interpret:innen gewisse Freiheiten eingeräumt werden, die sie quasi spontan, wie ›zufällig‹, vom Blatt weg umsetzen.86 Cage realisierte diese Idee bis hin zur Möglichkeit der Nicht-Aufführung eines Werks – so wie in seinem wohl berühmtesten Stück »4:33«.87
81
82 83 84 85 86 87
Vgl. James Tenney und Alvin Lucier (1995): »Ich bringe alles auf seine einfachste Form«. Die Instrumentalstücke seit 1982. In: Gisela Gronemeyer und Reinhard Oehlschlägel (Hg.): Alvin Lucier. Reflexionen. Interviews, Notationen, Texte 19651994. Gespräch, Köln: MusikTexte, S. 209-237. Vgl. Simon und Lucier 1995a, S. 49-61. Oliveros 1995, S. 13. Vgl. Ruschkowski und Bartetzki 2014, S. 448ff. Vgl. Alvin Lucier (2012): Music 109. Notes on Experimental Music. Wesley: Wesleyan University Press, S. 12-22. Vgl. Michels 2001, S. 519. Vgl. ebd. sowie Werner Keil (2009): Vorlesungsskript Allgemeine Musikgeschichte. Wintersemester 2009/10 und Sommersemester 2010, Universität Paderborn/ Hochschule für Musik Detmold, Detmold: Eigenverlag, S. 228f.
4. Excavation – The Haxan Cloaks Sound
Lucier fand zu diesem Diskurs, der der Erweiterung des musikalischen Werks diente,88 seiner Zeit eher einen handwerklichen, einen physikalisch-akustischen Zugang. Ihm ging es um die Erweiterung des musikalischen Materials. Er entwickelte seine Methoden und Konzepte über Musik mit der Entdeckung von Klängen und dem Experimentieren mit ihnen – die Ideen waren nicht vorgegeben.89 Auch ihm ging es um Verzicht auf Kontrolle,90 doch in einem anderen Sinne als Cage. Die Klangräume und Spielprozesse, die er zur Umsetzung seiner Werke gestaltete, waren höchst kontrolliert und bis ins kleinste Detail vorbereitet und präpariert; manchmal so präzise, dass sie Performer:innen oder Instrumentalist:innen an ihre körperlichen Grenzen brachten.91 Bei ihm konnte es geschehen, dass eine Aufführung schlicht nicht ›funktionierte‹, nicht ›erfolgreich‹ war, aber dann weil akustische Prozesse nicht verliefen wie berechnet und nicht weil Musiker:innen sich für diesen oder jenen Spielweg entschieden.92 Er arbeitete in der Zeit also nicht aleatorisch wie Cage. Lucier wandte das Konzept der Absichtslosigkeit auf das Poetische, das Semantische, das Feld der subjektiven Deutungsprozesse über Musik an.93 Er versuchte die subjektiven und konventionellen Faktoren in der Musik auszuschalten, um Klänge »sie selbst sein zu lassen«.94 Er wollte Klänge an sich bergen und klingen lassen, ihre
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Vgl. Michels 2001, S. 519. Vgl. Alvin Lucier (1995c): »Messen, Untersuchen, Erforschen. Die Werkzeuge meiner Arbeit (1981)«. In: Gisela Gronemeyer und Reinhard Oehlschlägel (Hg.): Alvin Lucier. Reflexionen. Interviews, Notationen, Texte 1965-1994. Interview, Köln: MusikTexte, S. 425-449. Vgl. Simon und Lucier 1995a, S. 59. So zum Beispiel beim Stück »Serenade«, vgl. Tenney und Lucier 1995, S. 219 sowie Alvin Lucier (1995a): Music For Solo Performer. für extrem verstärkte Gehirnwellen und Schlagzeug (1965). In: Gisela Gronemeyer und Reinhard Oehlschlägel (Hg.): Alvin Lucier. Reflexionen. Interviews, Notationen, Texte 1965-1994. Verbalnotation, Köln: MusikTexte, S. 295. Vgl. Tenney und Lucier 1995, S. 219ff. sowie Oliveros 1995, S. 15. Vgl. Simon und Lucier 1995a, S. 59ff. sowie Tenney und Lucier 1995, S. 231ff. und 237. Alvin Lucier, zit.n. Simon und Lucier 1995a, S. 59.
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Tiefenresonanz
natürlichen Wirkkräfte entfalten.95 So machte er musikalisches Material hörbar, das bisher völlig ungehört war. Für das Stück »I Am Sitting In A Room« von 1969 nahm er seine Stimme mit einem Mikrophon und zwei Tonbandgeräten der Firma Nagra auf, außerdem benutzte er einen Verstärker und einen Lautsprecher.96 Er sprach einen Text, der zugleich Instrument und Notation des Werks ist: »I am sitting in a room different from the one you are in now. […] I am recording the sound of my speaking voice and I am going to play it back into the room again and again until the resonant frequencies of the room reinforce themselves […] What you will hear, then, are the natural resonant frequencies of the room articulated by speech.«97 Der Text ist zugleich Spielanweisung des Werks: Mit jeder erneuten Aufnahme der Aufnahme wurden Töne und Geräusche der Sprache gefiltert und die Resonanzfrequenzen des Raums verstärkt. Das heißt, jene Schallwellen, die mit den Flächen und Materialien des Raums resonierten – Frequenzen, deren Phasen in den Raum ›passten‹ – wurden verstärkt, andere herausgefiltert.98 Die Sprechstimme benutzte Lucier in diesem Experiment, weil sie ihm nicht zu »komponiert« erschien.99 Was bereits bei der vierten Wiederholung dieses Wiedergabe-Aufnahme-Prozesses entstand, ist als intensiver, sphärischer, hochfrequenter Klangstrom zu vernehmen, der Assoziationen
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Vgl. Lucier 1995c, S. 424-449. Vgl. Douglas Simon und Alvin Lucier (1995b): »Jeder Raum hat seine eigene Melodie«. »I Am Sitting In A Room« (1970). In: Gisela Gronemeyer und Reinhard Oehlschlägel (Hg.): Alvin Lucier. Reflexionen. Interviews, Notationen, Texte 19651994. Interview, Köln: MusikTexte, S. 89 sowie Alvin Lucier (1995b): »I Am Sitting In A Room« für Stimme und Tonband (1970). In: ebd., Verbalnotation, S. 313. Lucier 1995b, S. 312. Höre auch Alvin Lucier (2009, OV 1970): »I Am Sitting In A Room«. Auf: Rudolph De Grood (Hg.): Source: Music of the Avant Garde. Source Records 1-6, 1968-1971. Compilation, Reissue, 3 CDs, New York: Pogus Productions, CD 2, Nr. 1. Vgl. Simon und Lucier 1995b, S. 89ff. Ebd., S. 91.
4. Excavation – The Haxan Cloaks Sound
an ein Leuchten, Synthesizer oder Kosmisches auszulösen vermag. Er klingt tatsächlich wie ›nicht von dieser Welt‹. Was wir da hören, ist die Eigenresonanz, die Akustik des Raums selbst;100 sein Echo, seine natürlichen Filter bilden sich darin ab, seine Konsistenzen und Längen ›bearbeiten‹ die Sprechstimme mit jedem neuerlichen Vollzug, bis sie vielmehr ein akustischer ›Fingerabdruck‹ des Raums ist als eine menschliche Geste. »Jeder Raum hat seine eigene Melodie, die so lange verborgen bleibt, bis sie zum Klingen gebracht wird«, sagt Lucier.101 Dieses Werk ist eine Exploration und Entdeckung von intensiven Resonanzen, wie sie in Architekturen und durch das Zusammenspiel von Klang und Technik zustande kommen, doch sonst zu leise tönen, als dass wir sie wahrnehmen könnten. Luciers Musikverständnis wandelte sich mit diesem Stück grundlegend: er wollte fortan »weg von den Metaphern hin zu den Tatsachen«.102 Er wollte Klänge »ohne Ablenkungen« zum Klingen bringen.103 Den menschlichen Körper setzte er dabei meist als bloßes Instrument oder gar nur als ›Kontrapunkt‹ zu klanglichen Kräften in Beziehung.104 Um »das Klangmaterial nach eigenen Gesetzen fließen zu lassen«,105 Klänge »expressiv« werden zu lassen, wie er sagt, und die »feinen Unterschiede« in den Interferenzen von Klängen hörbar zu machen, erforderte es einen semantischen Kontext der »Unbestimmtheit«, so Lucier.106 Etwas »Unpersönliches« beim Arbeiten sei wichtig.107 Er wollte »keine musikalische Sprache anwenden« und »ließ die Form einfach sein«.108 Bemerkenswert ist also, dass Lucier gerade durch die größtmögliche Vermeidung subjektiver Eingriffe
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Vgl. ebd., S. 89ff. Ebd., S. 93. Ebd., S. 91. Ebd., S. 93. Vgl. Tenney und Lucier 1995 sowie Simon und Lucier 1995a. Alvin Lucier 1995c, S. 443. Alvin Lucier, zit.n. Tenney und Lucier 1995, S. 233. Ebd. Luise Wolf und Alvin Lucier (2017): »Jeder Raum hat seine eigene Melodie«. In: Quer – Architektur und Leben im Urbanen Raum. Ausg. 24, Interview, S. 27.
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Tiefenresonanz
in das klangliche Material so poetische Werke schuf.109 Er entlockte den Klängen Bewegungen und Timbres, die ungekannt waren und deshalb mystisch und transzendent erschienen und das noch immer tun – Perzepte. An Luciers Kompositionen zeigt sich, dass das Extrahieren solcher Potentiale im weitest möglichen Ausstreichen der subjektiv-wertenden, willkürlichen, semantischen, schlicht der menschlichen Eingriffe liegen kann, damit nur mehr die Konsistenzebene des Klanglichen hervortritt.110 Es zeigt sich, dass es einer ›radikalen Simplifizierung‹ bedarf, auch der subjektiven und ideellen ›Voreinstellungen‹ über Musik, um Sonisches als solches zu entdecken.111 Dem entsprechend sagt Bobby Krlic über den Produktionsprozess von Excavation: »I’d have fourteen tracks going on in one song, and stripping that back to what was absolutely necessary was what took a lot of work. Seriously, it’s awful!«112 Diese radikale Simplifizierung lässt sich auf The Haxan Cloaks Album Excavation insbesondere am drone ablesen – ein einziger Halteton113 , an dessen frequenzieller und zeitlich-räumlicher Ausdehnung die sonischen Affekte als solche zutage treten. Manche Stimmen scheinen sich aus diesem Ton zu entwickeln, nach und nach, wie nach eigener Geschwindigkeit und Bewegungsform.114 The Haxan Cloak arbeitet weniger analytisch als emotional und körperlich-apperzeptiv.115 Aber er erzeugt eben solche intensiven Quantitäten, wie sie Lucier erforscht und zum Teil entdeckt hat. Beide teilen weder dasselbe Genre noch Vorgehen oder Equipment, doch ihr Zugang zu Klang als künstlerisches Material erscheint mir ähnlich; ein phänomenologisch-akustischer Zugang, um dann ›hinter‹ diese Phänomenologie zu blicken und das materiale Wesen zu extrahieren. Luciers Arbeiten erforschen klangliche In109 110 111 112 113 114 115
Vgl. ebd. sowie Oliveros 1995, S. 13. Vgl. dazu auch Schrimshaw 2013, S. 33. Vgl. ebd. Bobby Krlic, zit.n. Kalev und Krlic 2013, S. 3. Vgl. Schrimshaw (2013, S. 33ff.) über den Halteton bei La Monte Young. Höre »The Mirror Reflecting (Part 2)« (The Haxan Cloak 2013b, Nr. 7) ab Min. 2:32. Vgl. etwa Kalev und Krlic 2013, S. 3.
4. Excavation – The Haxan Cloaks Sound
tensitäten mit Hilfe von menschlichen Körpern, elektronischer Klangerzeugung und herkömmlichen Instrumenten. Bei The Haxan Cloak gehen solche Intensitäten – analog und digital erzeugt – in eine dichte, komplexe Komposition ein,116 mit der der menschliche Körper selbst wieder bespielt wird. Dadurch werden scheinbar bekannte akustische Phänomene sinnlich ›wiederbelebt‹ und auf exzessive Weise spürbar gemacht. Diese exzessiven, eindringlichen Momente sonischer Materialität werden in The Haxan Cloaks Musik weniger reflexiv-forschend rezipiert, wie bei Lucier, sondern ›treffen‹ Hörer:innen unvermittelt, sind wie bedeutsame ›Einschläge‹ in der körperlichen Erfahrung dieser Musik.117 Dadurch provoziert sie Erkenntnisse, Reflexionen und Deutungen, ohne diese selbst darzustellen oder vorauszusetzen.118
4.4
Klang, Komposition und Zeit
Folgend möchte ich die Kompositionsweise auf Excavation analysieren. Auf welchen ästhetischen Ebenen, in welchen Figuren, Spielweisen, Methoden und Strukturen ist Sound hier arrangiert? Ohne eine bestimmte Wiederkehr sonischer Ereignisse wäre Klang bloß Wahrnehmungsexperiment. Doch es gibt hier durchaus Formen, Muster und Methoden, denen man folgen kann, die Hörer:innen etwas erwarten, etwas nach- und voraushören lassen.119 Drones und Rauschen, technoide Bässe und Percussions, Synthesizer, Streicher und Gesänge sind Sounds auf Excavation. Melodien wandern – zumeist in extremen Höhen, die mit extrem tiefen drones kontrastieren – zwischen Synthesizern, Glocken, Sirenen, Streichern und
116 117 118 119
In der zeitgenössischen Kunst sehen Deleuze und Guattari (2000, S. 232) solch eine materiale Dichte als tonangebend. Vgl. Kalev und Krlic 2013, S. 3. Vgl. Bitzi und Krlic 2014, S. 21 sowie Bitzi und Savenberg 2013, S. 2. Vgl. etwa Kalev und Krlic 2013, S. 3.
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Gesangsstimmen langsam hin und her.120 Maskierungen121 treten auf, wodurch wir ›tief‹ in die Musik hinein lauschen müssen, um Stimmen folgen zu können. Durch Chorus-Effekte wird die Intensität schrittweise, dem Hörempfinden nach ›natürlich‹ potenziert.122 Das intimste Instrument – die menschliche Stimme – tritt meist in Chören als geisterhaftes Rauschen auf, als transzendenter, höhen- oder tiefen-verzerrter Klang.123 Klangfarben verwandeln sich schwellenlos und gehen in andere Töne und Geräusche über. Tonarten variieren eher in Sekunden und Terzen – Diminution oder Augmentation – die zu ›feineren‹ Stimmungsänderungen führen als eindeutigere Quarten oder Quinten.124 Während sich also das Potential einzelner sonischer Quantitäten noch relativ leicht aufschlüsseln lässt, bilden diese im Gesamtumfang und -verlauf eines Stückes oder einer Passage eine schier undurchdringliche Struktur.125 Interferenzen zwischen einzelnen Klangvariablen sind eingelassen in ein dichtes Spiel, eine Art makrointerferenzielle Ebene, die bestimmte räumliche und zeitliche Effekte ausbildet.126 Die Möglichkeiten digitaler Klangerzeugung und -modulation sind theoretisch unendlich und Bobby Krlic ist sich dessen bewusst: »it can be whatever I want. I can take whatever sound I like and just magnify it hugely and then break it down.«127 Er erzeuge ähn120 Höre etwa den Glockenspiel-artigen Sound in »Excavation (Part 2)« (The Haxan Cloak 2013b, Nr. 3) ab Min. 2:00 und »The Mirror Reflecting (Part 2)« (The Haxan Cloak 2013b, Nr. 7) ab Min. 3:50. 121 Vgl. Hall 2008, S. 398f. 122 Höre »Excavation (Part 2)« (The Haxan Cloak 2013b, Nr. 3) ab Min. 2 – die Melodie wandert in pumpender Dynamik zwischen dem Glockenspiel und dem Gesang hin und her. Zum Chorus-Effekt vgl. auch Hall 2008, S. 102. 123 Höre »Consumed« (The Haxan Cloak 2013b, Nr. 1) ab Min. 0:16 und »Miste« (The Haxan Cloak 2013b, Nr. 5). Vgl. auch Kalev und Krlic 2013, S. 2. 124 Höre »The Mirror Reflecting (Part 2)« (The Haxan Cloak 2013b, Nr. 7) ab Min. 3. Die Tonart der Melodie wechselt zwischen reinem und harmonisch Es-Moll – die ›ungewöhnlichste‹ Tonart, da sie mit Hilfe der meisten, also mit sechs Vorzeichen notiert werden muss. 125 Vgl. Kalev und Krlic 2013, S. 3. 126 Vgl. ebd. 127 Bobby Krlic, zit.n. ebd., S. 2.
4. Excavation – The Haxan Cloaks Sound
liche drones mit Aufnahmen von Streichern wie mit Presets von Drum Machines.128 Die Referenzen der Klänge bleiben den meisten Hörer:innen verschlossen. Die unzählbaren Variablen digitaler Klangsynthese erlauben eine Um- und Neugestaltung vormals homogener Klänge und Geräusche,129 erlauben eine tiefenästhetische Gestaltung der Musik. Es werden Niveauunterschiede in Parametern der Musik hörbar, die in unserer Hörerfahrung bisher ›fest‹ standen.130 Diese mikrologische Feinjustierung erlaubt es feinere »Varietäten«131 des Klanglichen, aber auch mehr und neue Sounds als musikalisch gleichwertige ästhetische Elemente zu behandeln.132 Durch zeitliche Dequantisierung und Variation von Klangfarben und Frequenzspektren erzeugt Krlic fließende, sich stetig wandelnde Timbres und Texturen.133 Die Komplexität der Musik entsteht im Prozess eines melodisch zwar stark reduzierten, aber tonal bzw. frequenziell und rhythmisch viel variierten Materials.134 Durch die ›hohe Auflösung‹ der Musik im Produktionsprozess wird die Übergängigkeit des Differenzphänomens Musik und seine innere Spannung zum Gestaltlosen, zum bloßen Klingen hörbar – ›lärmende Stille‹ oder wellenartige Bewegungen.135 Im Gesamtverlauf erscheint uns die Musik 128 Ebd. 129 Vgl. Harper 2011, S. 26f. 130 Siehe den Tonhöhen-Filter (high-cut) in Abb. 3: Spektrogramm von »The Mirror Reflecting (Part 2)« (The Haxan Cloak 2013b, Nr. 7), Min. 3:12-3:24. 131 Deleuze und Guattari 2000, S. 207. 132 Vgl. Harper 2011, S. 57. 133 Höre »The Mirror Reflecting (Part 2)« (The Haxan Cloak 2013b, Nr. 7) ab Min. 3:08. Der Bass, in der mittleren Stimme Streicher, vermutlich eine Violine sowie ein Flöten-artiger Synthesizer-Sound und eine sehr hohe, Piepton-artige Synthesizer-Stimme bilden wechselnde rhythmische und melodische Strukturen bis zum Ende des Tracks. Vgl. auch Kalev und Krlic 2013, S. 3. Zur musikalischen Praxis der Dequantisierung vgl. Harper 2011, S. 36-41 und 190ff. 134 Höre »Excavation (Part 2)« (The Haxan Cloak 2013b, Nr. 3) – jede Stimme ist Rhythmusstimme, die Melodie erscheint ausschließlich in Form von Tonhöhenunterschieden. Vgl. auch Neyland 2013, S. 9 sowie Kalev und Krlic 2013, S. 3. 135 Die Streicher in »Consumed« (The Haxan Cloak 2013b, Nr. 1) ab Min. 0:30 werden zur Geräuschkulisse und zum Rauschen verdichtet.
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zuweilen als komplexes Rauschen136 . Die vormals diskreten Elemente eines höchst »gekerbten Raum[s]«137 , des binären Systems digitaler Apparaturen, werden beim Erklingen der Musik wieder in einem glatten, einem offenen und fließenden Raum verteilt.138 Hörer:innen werden von allen nur möglichen Kräften des Klanglichen umgeben und umspült, von bloßem Rauschen, das unidentifizierbar bleibt, musikalischen Ereignissen bis hin zu einer Überfülle von Gestaltprozessen und Strukturen. Was die Musik zusammenhält, ist eine wiedererkennbare Tonigkeit, ein bestimmter Sound, der sich eben vor allem aus diesen ›nichtidealen‹ musikalischen Variablen wie Hall, Geräuschen, einem übermäßigen frequenziellen Umfang und zeitlicher Dehnung der Klänge zusammensetzt. Er bildet den Leib der Musik, wie man mit Deleuze und Guattari sagen kann, der schon ein Gefühl ist, eine Urmeinung139 in sich trägt – wie der drone. Der grundlegende Gestaltfindungsprozess, der diese Musik ist, orientiert sich an »sich wiederholenden Mustern«140 , wie Krlic im Interview sagt. Die Stücke sind als Tracks141 zu kategorisieren, die das Prozessieren von Struktur selbst vornehmen durch ein permanentes Vergrößern und Verkleinern von Quantitäten. Die Betrachtung von Musik als Bewegungsmuster, als Körper, erlaubt es, sie über Song-Strukturen und Genregrenzen hinaus zu modulieren. Gerade wenn man glaubt, eine
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Vgl. wiederum Seels (1997, S. 84f.) Begriff vom Rauschen sowie Adam Harpers (2011, S. 149ff.) ästhetische Perspektive auf digitale Musik. Höre »The Mirror Reflecting (Part 2)« (The Haxan Cloak 2013b, Nr. 7) ab Min. 5:26. 137 Deleuze und Guattari 1992, S. 666. 138 In diesem Sinne ist der reflexive ›Sprung‹ der Wahrnehmung vom Hören digitaler Signale hin zum Hören von Schall als Musik eigentlich ein doppelter; vgl. Ludewig 2014, S. 76. 139 Vgl. wiederum Deleuze und Guattari 2000, S. 211. 140 Bobby Krlic, zit.n. Bitzi und Savenberg 2013, S. 1. 141 Vgl. Bonz 2008, S. 81f. und 95f.
4. Excavation – The Haxan Cloaks Sound
musikalische Spur, eine Geste oder Entwicklung ausgemacht zu haben, verwandelt sie sich.142 Das Rauschhafte dieser Musik, das Hören auf der Schwelle, wird also zum einen durch intensive ›Bespielung‹ des Körpers mit subliminalen akustischen Ereignissen erzeugt, zum anderen aber auch durch ein ständiges Andeuten und wieder Verwerfen möglicher Gesten und Strukturen auf der Kompositionsebene der Musik. Das Prozessieren von Struktur selbst bildet die grundlegende Ordnung dieser Musik, ein Territorium, ein Haus143 . In diesem Rahmen moduliert Bobby Krlic eine permanent ineinandergreifende und sich wieder trennende Bewegung. Ständig klingt hierin die Möglichkeit eines Noch-Nicht oder NichtMehr an. Allgemeines, unidentifizierbares Rauschen, bloßes Rauschen, dem man zuhören kann, und komplexes Rauschen sind übergängig in Schichten und in ineinandergreifenden Bewegungen komponiert.144 Der Kosmos, die Öffnung des Werks ins »Unheimliche« innerhalb des Werks,145 klingt bereits im ersten Ton an – im drone. Ist er Hintergrundrauschen, Ton, Klang oder Bassfigur? Die Übermäßigkeit und Randlosigkeit der tonalen und strukturellen Ebene der Musik löst das Empfinden einer ›ganzen Welt‹146 aus. Anders als man dies von der Form des Tracks vielleicht erwarten würde, erhält hier auch der Rhythmus keine feste Ordnung aufrecht. Die zeitliche Struktur der Musik ist eigentlich mehr als dequantisiert, sie wird aus den Bewegungen der Klänge erst entfaltet, kommt hörbar aus den Wanderungen, den Intensitätsunterschieden und TimbreWechseln der Klänge erst zustande.147 Rhythmus wird als Ausschlag
142 Vgl. Kalev und Krlic 2013, S. 3. Paul Hegarty (2013, S. 142) schreibt, Noise entstehe im »Kreis zwischen Ausbrechen und Zurückkommen zur Ordnung«, im Als-Ob. [Übersetzung aus d. Engl. v. L. W.] 143 Vgl. wiederum Deleuze und Guattari 2000, S. 218. 144 Höre etwa »The Mirror Reflecting (Part 2)« (The Haxan Cloak 2013b, Nr. 7) ab Min. 3. 145 Deleuze und Guattari 2000, S. 221. 146 Vgl. Neyland 2013, S. 9. 147 Höre »Excavation (Part 2)« (The Haxan Cloak 2013b, Nr. 3).
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einer dauernden Taktwelle hörbar, als besonderer Moment eines allgemeinen Potentials von Gespanntheit.148 Die ›mäandernden Strukturen‹ auf Excavation hätten einen ›verwirrenden Effekt‹, so die Kritikerin Maya Kalev.149 Die Druckwellen des Schalls füllen den Körper in manchen Passagen beinah ununterbrochen aus.150 Die Musik realisiert sich in angehend gleicher Intensität extensiv wie intensiv, im Außenraum sowie im und am eigenen Körper.151 So scheint das Und-so-Weiter der Zeit im Laufe des Hörerlebnisses zu ›erfrieren‹,152 während sich innerhalb dieser extremen Zeitdehnung viele unterschiedlich intensive Erschütterungen und Pulsationen am und im Körper spüren lassen.153 Die Zeit wird dann als in sich höchst differenziell und affekthaft erfahrbar. Das repetitive Beben des drones lässt vielleicht bemerken, dass keine Wiederholung dieselbe Tonigkeit hat, sich zeitlich und räumlich nie gleich bewegt und verteilt, sondern auch mannigfaltig und organisch ist.154 Repetitionen machen so auf die feinen Unterschiede und das innere Oszillieren der Klänge aufmerksam. Hörer:innen können sich körperlich-apperzeptiv darauf einstellen, die Niveauunterschiede der schallenden Bewegungen immer hochauflösender hören und spüren. Die vibrierenden und stoßenden Erschütterungen können die Orientierung in Raum und Zeit und auch den inneren Rhythmus stören: die Atmung, den Puls und die Herzfunktion.155 Sie können sie regel-
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Vgl. Grüny 2014, S. 202ff. Vgl. Kalev und Krlic 2013, S. 3. Vgl. Fitzmaurice und Krlic 2013, S. 8. Vgl. auch Kalev und Krlic 2013, S. 3. Vgl. Kalev und Krlic 2013, S. 2. Vgl. Fitzmaurice und Krlic 2013, S. 8. Fitzmaurice (ebd.) schreibt von »awesomely disorienting levels of bass«. Die üblichen Tempi der Musik sind – wie auch die Zeiteinheiten der westlichen Zeitrechnung – den Techniken und Selbsttechniken, Körperfunktionen und -praxen unserer Kultur angepasst. Eine Sekunde ist eine noch nachvollziehbare Größe, eine Einheit, in der wir gerade noch bequem eine Praktik vollziehen oder eine Bewegung ausführen können, z.B. das Metrum eines ruhigen Herzschlags zählen; vgl. Hall 2008, S. 129ff.
4. Excavation – The Haxan Cloaks Sound
recht unterbrechen und lassen die Reaktionen der Zuhörer:innen verstocken.156 Doch nach und nach kann sich der Körper auch auf dieses An- und Abebben, die ungewöhnlichen räumlich-zeitlichen Verläufe einstellen, sie spürend erwarten, vorfühlen, und er wird von den Druckwellen des Schalls immer weniger überrascht.157 Die Erfahrung verändert sich, transformiert den Köper von einem, der sich ›konsumiert‹ fühlt, zu einem, der die Musik und sich selbst als ›kathartisch und berauschend‹ empfindet.158 Der Körper wird passibel-responsiv für die Spannungsverläufe der Musik, ein sensibles Spannungs- und Bewegungsgefüge und er kann mehr spüren, die Bewegungen der Musik, ihr Ineinander förmlich mitspielen und reine Empfindung sein, die unvermittelt und intensiv präsent ist. Ist dies jene zeitlich indifferente Zone? Es ist ein Zustand, in dem sich das Ereignis wirklich ereignen kann, ein Zustand höchster körperlicher Präsenz, der reflexive Bewegungen in ein fundamentales Existieren transformiert; ein Körper, der in der Bewegung und Affektion des Klingenden ein Verhältnis zu sich fühlt – nicht als Kategorie, als Abstand, Zeiteinheit oder Ausdruck, sondern als reale physische Kraft, als Wahrnehmungs- und Handlungsraum, als Orientierungs- und Bewegungsraum159 – als Möglichkeitsraum. Dieser Möglichkeitsraum – die Welt spürend erfahren – kann sich bei einem Ebenenwechsel von Konsistenz- zu Organisationsebene der Musik wiederum transformieren bzw. transponieren. Im Track »Raven’s Lament«160 wird die körperliche Verwickeltheit gelöst und der Körper nun im Kontrast zu seinem Davor wahrnehmbar. Das Territorium, die Stimmung und ›Weite‹ des Raums bleiben bestehen, doch etwas anderes spielt sich nun hierin ab. Wenige Stimmen spielen einfach identifizierbare Melodien in einem konventionellen Arrangement. Diese Tren-
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Vgl. Fitzmaurice und Krlic 2013, S. 8. Solch einen Prozess beschreibt auch Lucas 2014, S. 1-5. Vgl. Kalev und Krlic 2013, S. 3. Zur leiblichen Erfahrung von Raum und Zeit vgl. auch Mertens 2011, S. 334 und 337ff. 160 The Haxan Cloak 2013a, Nr. 1.
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nung oder Dehnung der musikalischen Ordnung von sich selbst könnte bei Hörer:innen ebenfalls zu einer Trennung oder einer Dehnung führen, nämlich von einem Zustand in einen anderen, vom körperlichen Lauschen zum Zuhören und Vernehmen der musikalischen Strukturen, dann zum Nachhören und Nachempfinden. In dieser wiedererlangten Distanz zu sich selbst und zum Gegenstand besteht nun auch die Möglichkeit, die subjektive Erfahrung, die situative Höreinstellung und individuelle Deutungsmuster zu reflektieren.
5. Sonische Dominanz – Selbsterfahrung oder Selbstverlust?
Im vorhergehenden Kapitel habe ich die Ereignishaftigkeit dieser Musik in ihrer zeitlichen Ausprägung beschrieben – das sich körperliche Ereignen. Erfahrungsberichte zeigen, dass dies ein kritischer Moment im Hörerlebnis ist, der sehr unterschiedliche Empfindungen und Reaktionen auslösen kann.1 Der als befriedigend bis kathartisch empfundenen immersiven Rezeption geht oft eine voraus oder nach, die einen Verlust des Sinnlichen evoziert.2 Rezipient:innen fühlen sich vom Sound absorbiert oder konsumiert,3 manchmal gar tyrannisiert.4 Viele Kritiker:innen regt die Musik, die sich dem Bezeichnen(den) doch so stark entzieht, auch zu assoziations- und bilderreichen Narrativen an.5 Die meisten Hörer:innen stehen im Konzert beinahe bewegungslos, wenige bewegen sich dann und wann minimal, doch expressiv zur Musik, manche verlassen den Konzertraum.6 Die Intensität der Musik, die
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2 3 4 5 6
Vgl. Kalev und Krlic 2013, S. 3. Siehe auch Lucas (2014, S. 5) zur Erfahrung der Drone Music von Sunn O))) und Hegarty (2013, S. 137f.) zur Erfahrung von Noise Music. Vgl. Kalev und Krlic 2013, S. 3 sowie Neyland 2013, S. 9. Vgl. Kalev und Krlic 2013, S. 3. Vgl. Neyland 2013, S. 9. Vgl. ebd. Diese Beobachtung entspringt meiner eigenen Erfahrung. Bestätigt wird sie von vielen anderen Rezipient:innen von Bass, Drone und Noise Music wie von Lucas 2014, S. 5 und Jasen 2016, S. 2.
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Unmittelbarkeit des Mediums und seine transitorische Wirkung bringen Hörer:innen dazu, mitzuschwingen, das reale Ineinander des Körpers mit dem Klang ist unausweichlich. Was setzen sie dabei auf’s Spiel, wenn Hörer:innen einmal entschieden, sich der Performance auszusetzen, sich der Musik in der Blackbox des Clubs hinzugeben, ja sich darin ›aufzugeben‹ – wie Paul Hegarty über Noise-Konzerte schreibt? Nachdem ich im Verlauf dieser Arbeit die subjektiven als auch musikalisch-materiellen Bedingungen ästhetischer Erfahrung erörtert habe, nachdem ich die Medialität der Musik grundlegend untersucht und ihr konkretes Material, ihre Sounds und Strukturen analysiert habe, möchte ich nun folgend noch einmal sammeln und spezifizieren, in welchen Spielarten die ästhetische Erfahrung der Musik verlaufen kann. Dazu werde ich auch wieder auf die Hörerfahrungen der Kritiker:innen zurückgreifen. Ich hoffe, auch zeigen zu können, dass bestimmte leibliche und reflexive Hörtechniken und -einstellungen bestimmte Formen des musikalischen Nachvollzugs und der Selbsterfahrung stark prägen. Ich hoffe, dass ich bisher zeigen konnte, dass nicht eine distanzierte, kognitive Transzendenz des Gegenstandes eine ästhetische Erfahrung auslöst. Gleichfalls ist es aber auch nicht ein sich bloßes Gehenlassen in einen vermeintlichen ›Urzustand‹ körperlicher Passivität. Das Erleben subjektiver Autonomie und Transzendenz in Gegenwart physisch-drastischer Musik – und damit die Möglichkeit, dieses Bewegtwerden genießen zu können – muss innerlich erreicht werden: körperlich-apperzeptiv, im Dazwischen körperlichen Mitschwingens und sinnhaften Suchens nach Bedeutungen. Dieser Zustand ist nicht schlicht Freiheit von jeglicher symbolischer Ordnung und Disziplinierung, dem würde auch die Erfahrung einer ›anderen‹ oder ›ganzen Welt‹ nicht entsprechen. Die sonischen Affekte und Bewegungen dieser Musik stören gewohnte Orientierungs-, Wahrnehmungs- und Handlungsweisen und transformieren sie. Gerade im Wechsel, im Bruch des Gewohnten und im bewussten, bewegten Erleben veränderter sinnlicher Dimensionen werden Möglichkeiten erfahren; die Öffnung semantischer Konventionen und symbolischer Ordnung, bestimmter Objektivierungen und Körperdisziplinierungen. Materialität ist nicht
5. Sonische Dominanz – Selbsterfahrung oder Selbstverlust?
schlicht das Andere der Schrift, das Unauffschreibbare, nicht nur das Bemerken, dass da etwas ist, sondern der Grund für sich weiter und weiter ausdifferenzierende Seins- und Schreibweisen überhaupt, Urmeinung7 – wie Gilles Deleuze und Félix Guattari formulieren. Ich habe die ästhetische Erfahrung The Haxan Cloaks Musik durch verschiedene Theoreme und Philosopheme geführt. Die Widerständigkeit und Autonomie sonischer Materialität und ihre transformative Kraft erscheinen mir grundlegend für das ästhetische Erleben der Musik; verschiedene Disziplinen finden hierfür je eigene, berechtigte Begriffe und Kategorien und zeigen spezifische Erfahrungsweisen auf. Martin Seels phänomenologische Perspektive reflektiert die subjektiven Bedingungen einer ästhetischen Erfahrung, sensibilisiert für spezifische Techniken und Einstellungen, die uns erst dazu in die Lage versetzen zu bemerken, wie ein Kunstwerk für uns anwesend ist. Doch selbst sein Begriff vom Rauschen, dieser Extremform ästhetischer Erfahrung, verknüpft die ästhetische Erfahrung nicht mit der Materialität des Gegenstandes, sondern nur mit der kognitiven Transzendenzleistung vermeintlich selbstbestimmter Subjekte. Anders bei Gilles Deleuze und Félix Guattari; Körper, Material und ihre ästhetischen Verhältnisse selbst können künstlerische Spielarten ausprägen, sind selbst Empfindungen, nur so ziehen sie uns in diese hinein. Klangkörper einerseits und menschliche Körper andererseits – hier eröffnet sich nun ein Spannungsfeld, das Transzendenz als ein mehrdimensionales Kräftespiel zwischen beiden Körpern erklärbar macht. Diese Spielarten geben also Denkanstöße über mögliche Bewegungsformen zwischen Klang- und Subjektkörpern. Da es aber nicht die Spielarten der Musik sind, die sich schlicht auf Subjektkörper übertragen, möchte ich im Folgenden ein anderes Begriffs-Repertoire vorschlagen, um die ästhetische Musikerfahrung zu beschreiben und zu differenzieren. In meiner Ontologie habe ich gezeigt, dass die Resonanz zwischen Klang und Hörer:innen auf drei fundamentalen Bewegungen beruht; der Teilhabe, der Teilung und dem Bezug, den wir als sinnstiftende Subjekte zu unseren Wahrnehmungen von Zeit, Raum und Körpern ziehen. 7
Vgl. Deleuze und Guattari 1992, S. 349f.
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Rezeptionsmodi, die die Erfahrung physisch-drastischer Musik annähernd vermitteln können, müssten also auf diesen realen und transkörperlichen Bewegungs- und Affektmustern beruhen. Sie müssten sowohl die künstlerisch-materielle als auch die subjektive Autonomie berücksichtigen. Es bräuchte Begriffe, die dem Spannungsfeld der Erfahrung in seinem realen physischen Wirken da seiender Kräfte gerecht werden, zugleich aber auch den Bezugsmöglichkeiten der Subjekte zum NichtDaseienden. Es bräuchte Begriffe, die das Differenzphänomen Musik als auch die innere Differenzialität der Subjekte ansprechen.
5.1
Mimesis auf Distanz – Mitschwingen zwischen Sichverlieren und Sichfinden One of the things that I always think about is how much one can find comfort within discomfort. You’re going to watch a film that terrifies you and feel horrible, but at the same time it’s such an adrenaline rush. You have to plunge yourself into it. Bobby Krlic8
Wie finden Hörer:innen ›Trost im Unbehagen‹, ja sogar im ›Schrecken‹, wie Krlic beispielhaft am Horror-Film beschreibt? Was geschieht, wenn sie in die Musik eintauchen? Nicht nur eine Andeutung, sondern gerade die Intensität dieses Unbehagens und das Gefühl der Isolation des Körpers im Musikrausch erzeugten – so Bobby Krlic – Hochgefühle.9 Auch Kritiker:innen schreiben von einem ›schönen Schauer‹, den die massive Körperlichkeit der Musik in ihnen wecke.10 Die Immersion und das
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Zit.n. Fitzmaurice und Krlic 2013, S. 9. Vgl. Fitzmaurice und Krlic 2013, S. 9 sowie Kalev und Krlic 2013, S. 1f. Vgl. u.a. Neyland 2013, S. 9 und Kalev und Krlic 2013.
5. Sonische Dominanz – Selbsterfahrung oder Selbstverlust?
Taumeln löse ›erhebende und kathartische‹ Empfindungen aus, so die Kritikerin Maya Kalev.11 Resonanz ist kein passives Mitschwingen, das zu Hörer:innen einfach ›passt‹, sondern ein aktiver Aushandlungsprozess mannigfaltiger Berührungen, für die sie auch eventuell noch keine Höreinstellungen und -techniken parat haben, wie ich im zweiten Kapitel dargestellt habe. Es ist ein Aushandlungsprozess zwischen Selbsthingabe, -aufgabe und -wiedergewinnung des Körpers,12 wie er in seiner ›Ruhelage‹ bekannt ist. Paul Hegarty beschreibt die Erfahrung als flow zwischen Selbstkontrolle und Selbstverlust.13 Dieser Selbstverlust sei für ihn doch immer noch in eine bestehende, umfassendere Selbstkontrolle integriert oder zumindest lose an diese geknüpft.14 Als Indiz für diese körperliche Aufwendung sieht Hegarty auch die Regungslosigkeit von Rezipient:innen und Performer:innen bei Noise-Konzerten.15 In Gegenwart der Intensität und des ständigen ›Als-Ob‹ der musikalischen Strukturen würden sie sich dem Sound hingeben, würden die körperliche und reflexive Kontrolle suspendieren und dennoch ›verkörpert werden‹ – von den Bewegungen der Musik.16 So würden Hörer:innen die subjektive Autonomie temporär verlieren, doch nur, um sich in sich selbst zu verlieren und sich neu zu gewinnen.17 Im intensiven Bewegtwerden können Hörer:innen ihre Körper immer feiner, deutlicher und als mannigfaltig empfinden, können ungekannte Wahrnehmungen von sich selbst
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Vgl. Kalev und Krlic 2013, S. 1. Vgl. auch Hegarty 2013, S. 141f. Vgl. ebd., S. 142. Vgl. ebd. Auch Jochen Bonz (2008, S. 81-84) spricht bei der Erfahrung von Techno von einer losen Verknüpfung der Subjektidentität mit einem Herrensignifikanten anstatt fester Referenzen. Gerade die Öffnung konkreter referenzieller Verknüpfungen und die ständige Umdeutung und Neukontextualisierung von Bedeutungen, Objekten und Gesten mache den Reiz dieser Subkultur aus. Vgl. Hegarty 2013, S. 141. Ebd., S. 141f. Vgl. ebd.
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bemerken, indem diese Musik an nie zuvor wahrgenommenen Körperpartien Widerstände hervorruft.18 Gerade Spannung, Unbehagen oder Dissonanzen erzeugen einen Zugang zu intensiven Wahrnehmungen des Körpers.19 Man kann spüren, wie der Körper gegen Klang hält, wie er ›für sich selbst steht‹, wie er ›wie von selbst‹ sogar auf unhörbare Resonanzen mit einer eigenen Bewegung reagiert. Die eigene Figur wird innerlich und äußerlich fasslich, die Musik zur innerlich-äußerlichen raumzeitlichen Ausleuchtung des Selbst.20 In diesem Prozess ist der Selbstbezug kein fester, sondern eher wie ein andauerndes Verstocken und wieder Anheben, ein Sichverlieren, das sich immer wieder spürend suchen muss, sich neu mit sich verknüpft. Das Sichverlieren in dieser Situation ermöglicht erst das Sich-Wahrnehmen, weil es bestehende Bindungen und Bezüge zu sich und zur Umwelt freistellt.21 Erst die graduelle Suspendierung subjektiver Autonomie, reflexiver (Vor-)Einstellungen und Deutungsmuster ermöglicht es, diese Musik zu erfahren und als bedeutsam zu erleben. Und dieses Erlebnis, die permanente Verwandlung und Neueinstellung der Selbsterfahrung ist dieser Rest von Selbstkontrolle, den Hegarty hier möglicherweise meint. Sie ist eine fundamentale Sinnschicht des Seins, in der man sich in Beziehung zu Raum und Zeit wieder anders spüren-spürt, ein Sich-Empfangen, wie eine sich wieder und wieder ereignende Ko-Präsenz mit sich selbst.22 Christian Grünys Ausdruck von der »Mimesis auf Distanz« beschreibt diese Rezeptionsweise treffend.23 Hörer:innen lassen sich dabei affektiv-körperlich mitreißen, sie empfinden das Kunstwerk qua mimetischer Bewegungsübertragungen, doch können sie die dabei ausgelösten Empfindungen und Körperreaktionen als eigene Bewe-
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Vgl. hierzu auch Lucas 2014, S. 2 und 5. Vgl. hierzu auch Kalev und Krlic 2013, S. 1f. Vgl. hierzu auch Mertens 2011, S. 337ff. und Nancy 2010, S. 16f. Vgl. auch Mertens 2011, S. 334. Vgl. hierzu auch ebd., S. 338 und Nancy 2010, S. 18. Grüny 2014, S. 100.
5. Sonische Dominanz – Selbsterfahrung oder Selbstverlust?
gungsdynamik bemerken.24 Die subjektiv-situative Wirklichkeit der ästhetischen Erfahrung offenbart sich erst im sinnlichen Vollzug. Doch kann das Werk niemals ganz oder an sich nachvollzogen werden.25 Es ist also eine Rezeptionsweise, die zwischen dem subjektivem Gefühl und den Affekten und Perzepten des Kunstwerks unterscheiden kann, wiederum nicht kategorial, sondern körperlich-apperzeptiv.26 Es gehört zur Resonanz wie zu jeder leiblichen Erfahrung neuer Dimension, dass das Subjekt nicht nur eine Teilhabe am Ding oder Phänomen, sondern auch eine Trennung davon verspürt,27 die innere Aushandlungsprozesse, gar eine innere Teilung oder Dehnung, zumindest ein Zurückweichen von sich selbst auslösen kann. Diese könnte etwa schon in der Spannung dazu liegen, wie sich das Subjekt zuvor noch angenommen hatte, wie es sich zuvor noch auf die raumzeitlichen Verhältnisse (rück-)bezogen hatte.28 Der Bezug zu sich und das reflexive Bemerken der Eigenheit der Körperreaktionen haben die Funktion der Extension; der Überschuss der Intensität der Musik, die doch in uns spielt, muss »gebannt, kompensiert, ausgeglichen, aufgehoben«29 werden. Hierin tilgt sich die klangliche Massivität, das unglaublich Laute, das unfasslich Nahe, der innere Druck, das Zuviel des Anderen, in dem man selbst nie ganz ›aufgehen‹ kann. Extension ist Tanz, Schrei, das freie Spiel, die Äußerung, das Ausatmen, Explikation, Entspannung, kurz: die
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25 26 27 28 29
Grüny (2014, S. 102-111) übernimmt den Begriff der Mimesis hier von Theodor W. Adorno und diskutiert dessen Theorem und Anwendung ausführlich. Grüny kritisiert Adorno für die Verallgemeinerung der subjektiven Erfahrung (108f.), die Trennung zwischen sinnlicher und reflexiver Rezeption und die Annahme, dass es eine völlig mimetische und aufschließende Rezeption des Werks geben könnte, welches eine Bedeutung oder ein Werturteil nach Adorno schon impliziert (106ff.). Vgl. hierzu auch ebd., insbes. S. 108-111. Vgl. hierzu auch ebd., insbes. S. 105 und 108f. Vgl. hierzu auch ebd., S. 99f. und 108f. Vgl. hierzu auch ebd., S. 96-100 sowie meine Ausführungen im Kapitel »Klangsinn«. Deleuze 1992, S. 295.
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Aushandlung einer Betroffenheit in eigener Sache, um eine Einstellung zu sich zu finden; sie ist die Erzeugung eines Gefühls, durch das ich bin.30 Responsive Hörer:innen sind nicht nur betroffen, sie sind sich auch ihrer Autonomie bewusst und können mit den Gravitationen der klanglichen Bewegungen spielen, können den sonischen Eindruck körperlich variieren. Darin besteht die Bejahung31 . Selbst die Grenze des Spürbaren oder Hörbaren kann dann als Verweis auf mich bemerkt und erkannt werden. Sie kann dann Erkenntnis im Sinne Martin Seels Begriff von der ästhetischen Erfahrung provozieren. Die Bedingung der Autonomie bei der Rezeption körperlich drastischer Kunstwerke liegt also auch in der Suspendierung des Anspruchs, das Kunstwerk ganz und gar nachvollziehen zu können. Weil man sich im Klangstrom eigentlich nur verlieren kann, muss man sich in sich selbst verlieren, um von sich und vom Gegenstand zurücktreten zu können, um mal den einen, mal den anderen Bezug zu ermöglichen, um mal der einen, mal der anderen Bewegung und Struktur folgen zu können.
5.2
Negative Mimesis – Selbstverlust in der Resonanz In Krlic’s world, no one can hear you scream. Larry Fitzmaurice32
Die körperliche Betroffenheit, Momente, in denen die Intensität des Sounds die Kontrolle über den Körper übernimmt, unterbricht das SichSpüren-Spüren und kann auch drastisch negative Erfahrungen evozieren. Körper sind unterschiedlich responsiv, passibel, sensibel und verletzlich. Das Ergriffenwerden kann eine verstörende Wirkung haben,
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Vgl. ebd. sowie Nancy 2010, S. 29f. Vgl. Deleuze 1992, S. 296. Fitzmaurice und Krlic 2013, S. 8.
5. Sonische Dominanz – Selbsterfahrung oder Selbstverlust?
weil man sich plötzlich fremd in der Welt, dieser Körper-Raum-ZeitErfahrung, und fremd im eigenen Körper fühlt.33 Dissonanz ist nicht allein eine Sache von schön oder unschön, sondern eine reale, mitunter unangenehme Spannung des Körpers, die immer situations- und kontextabhängig ist.34 Sie ist »unfertig«, wie Grüny bemerkt, ein »Durchgangspunkt«.35 Die Absorption ist der Energieverlust einer Welle durch deren Umwandlung – zum Beispiel in Wärme – durch ein anderes Material.36 Man sagt auch, der Schall werde ›verschluckt‹. Dieser Vorgang kann auch auf die körperlichen Empfindungen und Reaktionen der Hörer:innen zutreffen – der Schall stellt dann dieses andere Material dar. Sie könnten sich von permanenten Schalldruckwellen, die kaum oder keinen Schallschatten hinterlassen, ›absorbiert‹ fühlen,37 den fühlenden Bezug zu sich verlieren, fühlen, als würden sie sich in der Welle auflösen. Rezipient:innen müssen diese temporären (Über-)Spannungen, Auslastungen, die temporäre Taubheit in der Intensität, den Sinn(es)verlust im Exzess aushalten können, darin weiter auf sich lauern, sich erwarten, um wiederum einen Bezug zu sich finden zu können.38 Im temporären Entzug der (gewohnten) Selbstwahrnehmung könnten Hörer:innen in die Trennung ›hineinfallen‹ – so wie jemand, der im Schrecken verharrt. Olivia Lucas schreibt über ihre Erfahrung beim Konzert der Drone Band Sunn O))): »When my body stopped fighting the overload, however, and submitted, I discovered a state of freedom and relaxation so intense as to be soporific.«39 Erst mit der Selbstaufgabe in der ›Invasion‹ des Sounds stellen sich auch für Lucas mannigfaltigere Empfindungen und kleine Wahrnehmungen ein: »I 33
34 35 36 37 38 39
Vgl. hierzu auch Grüny (2008, S. 108f.), der hier Adornos Theorien referiert und dessen Beispiel für eine »negative Mimesis«: die Dissonanz-Erfahrung des Exilanten in seiner neuer Umgebung, die selbst in Kontakt mit den banalsten Dingen des Alltags eintreten könne. Vgl. Grüny 2014, S. 121 sowie Hall 2008, S. 443f. Grüny 2014, S. 121. Vgl. Hall 2008, S. 330f. und 465. Vgl. ebd., S. 342f. Vgl. hierzu auch Nancy 2010, S. 18. Lucas 2014, S. 5.
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become aware of my body as an impressive aural-tactile organ. There is a sound that manifests as a knocking on my sternum, and another that buzzes in my sinus cavity.«40 Doch was, wenn sie sich nicht einstellen, wenn die Sensibilität dazu nicht ausreicht, es für diesen Sound in diesem Moment keine solche körperliche Erfahrungsweise oder Einstellung gibt? Der Kritiker Sven Kabelitz scheint eine Art ›sonischen Schock‹ zu verarbeiten, wenn er schreibt: »Basslastig, böse und betörend stülpt ›Excavation‹ seine eigene verdorrte Welt über die reale. Das Hier und Jetzt verkommt zu einer aschfahlen Erinnerung.«41 Jean-Luc Nancy schreibt, würde die Wahrheit selbst so transitiv werden wie das Klangliche, sich also eher hören als sehen lassen, wäre sie nicht mehr »die nackte Figur, die aus dem Schacht steigt« – die Erscheinung, die Erkenntnis, die Erhellung, die Evidenz – sondern würde dann zur Resonanz dieses Schachtes verhallen.42 Und wenn man sich in der intensiven Materialität des Klanglichen nicht mehr spüren könnte, wäre man dann nicht selbst bloß mehr ein »Echo der nackten Figur in der offenen Tiefe«?43 Dann hörte man zumindest für diesen Moment oder die Dauer der Musik auf, für sich selbst identifizierbar zu sein. Es wäre ein Verstummen in und für sich selbst, das sich physisch materialisiert oder gar sedimentiert.44 Dies wäre eine vollkommene innere Disparation, der Verweis von »etwas auf nichts«45 , eine Trennung von sich selbst. Dies wäre ein wirkliches Umschlagen von Tiefe in eine Untiefe, von Möglichkeitssinn und sinnlicher
40 41 42 43 44
45
Ebd. Kabelitz (o. D.), S. 1. Vgl. auch Ludewig (2014, S. 79), die bei der Rezeption von Genres wie Noise, Drone oder Doom vom ›sonischen Schock‹ spricht. Nancy 2010, S. 11. Ebd. Unter Materialisierung und Sedimentierung verstehe ich die körperliche Ausprägung und Stabilisierung von – auch psychisch oder sozial bedingten – Erfahrungen und Einstellungen, die Sedimentierung insbesondere auch in bedingender Funktion; vgl. Judith Butler (1997): Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 32. Nancy 2010, S. 26.
5. Sonische Dominanz – Selbsterfahrung oder Selbstverlust?
Intensität in Sinn(es)verlust, in Leere.46 Die Erfahrung des Möglichen, das Erfüllt-Sein vom eigenen Gespür, von gespürter Bedeutsamkeit und die befreiende Abwesenheit kognitiv-reflexiver Zugangsbarrieren könnten sich ins Negative wenden, ins »Nichts des Seins, der Bedeutungslosigkeit der Musik, der Leere des Noise«47 . Der Kritiker Nick Neyland schreibt, insbesondere The Haxan Cloaks Musik benötige die richtige Zeit, den richtigen Ort und die entsprechende Stimmung, um zu ›funktionieren‹, eventuell auch etwas Vorbereitung, er spezifiziert diesen Gedanken jedoch nicht weiter.48 Bobby Krlic selbst räumt im Interview ein: »Being in that zone for that long can freak you out.«49 Dem Kunstwerk nichts mehr schulden50 hieße in diesem Zusammenhang auch, die eigene Responsivität und Passibilität auszuschöpfen, dass es nicht schmerzhaft wird; eine Trennung von der gewohnten (Selbst-)Wahrnehmung nur soweit zuzulassen, dass ein erneuter oder erneuerter Bezug noch selbstverständlich möglich ist – um nicht betäubt, sondern sensibilisiert aus dem Konzert zu gehen. Tatsächlich ist der Unterschied zwischen zu viel und gerade so viel, dass es ›unglaublich‹, ›großartig‹ ist, fließend und nicht immer eindeutig – eben ein flow zwischen Selbstkontrolle und -verlust, der ja gerade den Reiz solcher Performances ausmacht.51 Und obgleich The Haxan Cloaks Klänge komponiert sind, also im weiteren Sinne doch für unsere Ohren gemacht sind, sollte man nicht unterschätzen, dass sie uns gewaltigen Kräften aussetzen, die denen der Gewalt und Folter durch Musik ähnlich sind.52 »Indem der Betrof46 47
48 49 50 51 52
Vgl. hierzu Deleuze 1992, S. 294-297. Schon in Paul Hegartys (2013 S. 141) Beschreibung des Zustandes, den er als ausgewiesen positiv und befreiend darstellt, deuten diese an sich negativen Begriffe auf ein mögliches Umschlagen der Erfahrung hin. Vgl. Neyland 2013, S. 9. Ebd. Vgl. Deleuze und Guattari 2000, S. 197. Vgl. Hegarty 2013, S. 141f. Ich gehe hier von einer Vergleichbarkeit aus, da Bobby Krlic Intensitäten an der Grenze zum Schmerz produziert; vgl. Bitzi und Krlic 2014, S. 22. Zum Einsatz von Klang als Waffe und über künstlerische Strategien der Umdeutung solcher
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fene nicht anders kann, als sich in einer Weise einzuschwingen, die letztlich zur eigenen Zerstörung führt, wird die Gewalt nach innen verlagert«, so Grüny über Gewalt durch Musik.53 »Dieselbe Resonanz, die ermöglicht, daß es überhaupt Musik gibt«, könne zu einer Art »Sirenengesang« werden, dem man sich nicht sogleich entziehen könne.54 Die Erfahrung wäre eine »negative Mimesis, die die Lust des Selbstverlustes durch Schrecken ersetzt hat.«55 In dieser negativen Mimesis mit der Musik würden Hörer:innen die (Selbst-)Wahrnehmung und den Selbstbezug auf negative Weise verlieren. Sie würden die eigenen Empfindungen, die inneren Wahrnehmungen und Erfahrungen durch klangliche Dominanz verlieren.56 Die totale Mimesis bedeutet, keine Distanz zum Klingenden mehr herstellen zu können, Passivität statt Passibilität. So wie die reflexive Rezeption höchst komplexer Kunstwerke die Gefahr birgt, einen Sinnverlust zu erfahren, nichts mehr zu erkennen oder am Spiel der Erscheinungen ›irre‹ zu werden, wie Seel darstellt, liegt in der Rezeption intensiv-affektiver Kunst die Gefahr des Sinnesverlusts, der zudem einen Sinnbezug verhindert.
53 54 55 56
Klänge im Noise vgl. Goodman 2010. Auch Olivia Lucas (2014, S. 3) zieht den Vergleich von Klang als Waffe zur Musik von Sunn O))). Grüny 2014, S. 116. Ebd. Ebd. Vgl. ebd., S. 113.
5. Sonische Dominanz – Selbsterfahrung oder Selbstverlust?
5.3
Idiosynkrasie – Eine eigene Spielart »The Mirror Reflecting (Part 2)« and »The Drop« are […] both deploying lighter textures that symbolize a form of redemption from the sooty gloom that eats at the edges of the Haxan Cloak. […] It adds a resigned air to the album, a sense of accepting fate no matter how bad it may be. Krlic brings the strings into greater view once again during »The Drop«, heightening the feelings of sadness and empathy that slowly guide us away from the inky path of all-out grief and dejection. Nick Neyland57
Neben einer negativen Mimesis und der Mimesis auf Distanz scheint es noch eine weitere Rezeptionsweise zu geben. Sie führt Rezipient:innen wie Nick Neyland im Übergang von körperlicher Wahrnehmung hin zu sinnhaften Bezügen, Assoziationen und Deutungen in einen transzendenten Zustand. In einigen Rezeptionserfahrungen kommt sowohl die materiale Ebene des Klanglichen zum Tragen als auch der subjektive kreative Gehalt der Erfahrung, der ersteres zum Anlass nimmt, sich über bestehende oder angenommene Deutungsweisen hinaus zu entwickeln. Die Idiosynkrasie sei ein besonderer Typus der Resonanz, der den Zwischenraum zum Gegenstand verbrennt, ohne mit ihm zusammenzufallen, so Grüny.58 Sie zelebriere eine »Distanz in der Distanzlosig-
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Neyland 2013, S. 9. Vgl. Grüny 2014, S. 113.
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keit«, Ergriffensein, ohne gleich überwältigt zu sein.59 Diesen im allgemeinen Sprachgebrauch als hypersensible Überreaktion bezeichneten Zustand stellt Grüny als besondere ästhetische Erfahrungsweise dar.60 Er enthülle in der nur augenscheinlichen Mimesis mit dem Gegenstand ein »untilgbar Subjektives«.61 Man empfinde ein heftiges »Ergriffenoder Abgestoßenwerden« und dies sowohl körperlich als auch reflexiv.62 Die Unverhältnismäßigkeit dieser Reaktion spielt für Grüny bei der Kunstrezeption eine Schlüsselrolle – wie hier auch für die Frage nach der Autonomie der Hörer:innen in Gegenwart sonischer Dominanz. Denn die Form der Reaktion des Subjekts sei unkontrollierbar, nicht rationalisierbar und ließe sich weder auf eine logische Rezeptionsweise noch völlig auf die physischen Resonanzen zurückführen.63 Doch gerade dadurch enthülle sie ein Subjektives, also ein Selbst, das gar objektive Qualitäten entwickelte.64 Weder der Logik noch dem körperlichen Werden völlig zuzurechnen, entsteht in dieser Reaktion also etwas Überschüssiges auf Seiten der Hörer:innen.65 Diese Reaktion und Erfahrungsweise trete aus dem bloßen Aushandeln des Geschehenden – dem Gegenstand und dessen direkten Bewegungen und Affektionen – hinaus.66 Es entstehe etwas Neues, etwas für die Hörer:innen an sich selbst Unerklärbares, Überschüssiges, etwas Unverfügbares, das sonst nur im Kunstwerk selbst vermutet würde.67
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Grüny (2014, S. 111-116) übernimmt die Ausdrucksweise als Erfahrungs- und Rezeptionsweise von Kunst hier von Theodor Adorno, doch diskutiert er dessen kulturelle Annahmen und Prämissen ausführlich, insbesondere seinen Wahrheitsbegriff und bestimmte Zuschreibungen bzgl. der Rezipient:innen. Ich beziehe mich folgend auf Grünys Lesart. Vgl. ebd., S. 111. Ebd., S. 114. Ebd. Vgl. ebd., S. 113f. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 113ff. Vgl. ebd. sowie Deleuze und Guattari 2000, S. 204.
5. Sonische Dominanz – Selbsterfahrung oder Selbstverlust?
Dem Kunstwerk nichts mehr schulden hieße also, aus der körperlichen Verwickeltheit und dem Gespür ebenso mannigfaltige Exteriorisierungen zu schaffen: Regungen, Bewegungen, Einstellungen, Gesten, Assoziationen, Sprechweisen, Narrative, die hier und jetzt erlebt werden, ganz gleich, ob sie von Künstler:innen intendiert waren oder ob sie auch von anderen Rezipient:innen so aufgefasst werden.68 Neyland schreibt: »Krlic […] is, after all, building a whole world here, one full of mysterious scratch marks on walls, bloodstained carpets, or the noose tossed into view on the album’s cover.«69 Durch eine idiosynkratische Rezeption könnten Hörer:innen sich partiell vom Gegenstand trennen, mal der einen, mal der anderen Empfindung oder Vorstellung nachgehen und ihn gleichzeitig bejahen. Dieser sprunghafte, kreative Nachvollzug der Musik ist weder determiniert noch völlig willkürlich noch beliebig, sondern eine wirkliche »Zwischengestalt«, wie Grüny formuliert, eine »energiegeladene, dynamische Form«, die es »nur in der Resonanz zwischen beiden gibt«.70 Sie geht also eigentlich über ein Dazwischen zweier Wahrnehmungsebenen hinaus, betrifft eine Zone jenseits oder außerhalb des Daseienden – sie ist ein Ereignis71 , wie es Giorgio Agamben auffasst. Während sich eine mimetische Rezeptionsweise vorwiegend am und zum Gegenstand verhält und in Momenten der Um- oder Unordnung der ästhetischen Raumzeit eventuell ›verstummt‹, sich verliert, lässt sich das Subjekt im idiosynkratischen Zustand »von anderswo unterstützen«72 . So etwa kreiert Neyland selbst noch zum Verschwinden musikalischer Figuren ein Narrativ, das für ihn Sinn macht: »When ›Excavation (Part 2)‹ plunges into the quiet it feels like Krlic’s carefully constructed world faded away, only for it to segue into the queasy
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69 70 71 72
Als »audiogenesis of dance« bezeichnet Paul C. Jasen (2016, S. 137f.) solche ganz eigenen, experimentellen Bewegungen, die durch ungewöhnliche Vibrationen der Musik evoziert werden. Neyland 2013, S. 9. Grüny 2014, S. 115. Vgl. Agamben 2006, S. 90. Nancy 2010, S. 37f.
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strings that beckon in the following ›Mara‹«.73 Grüny schreibt, das Subjekt erfahre sich durch diese Wahrnehmungsweise selbst als tendenziell ›möglich‹, als unverfügbar, unberechenbar und gewinne ein Moment von Freiheit von sich selbst.74 Indem diese Rezeption so expressiv und zugleich unlogisch erscheint, hat sie einen pathologischen Charakter; wie jemand, der eine Krise hat, einen »Selbst-Anfall«75 , um einen Zugang zu sich wiederzufinden, wie Nancy es beschreibt. Doch kann gerade dieses subjektivexpressive ›Anfallen‹, ›Zugreifen‹ auf Wahrnehmungen und Bezüge, selbst wenn sie unlogisch oder unangemessen erscheinen, das Subjekt in der Erfahrung intensiver Materialität bei etwas oder sich halten, sodass es gleichfalls – wie das Kunstwerk – einen Stand in sich entwickelt. Durch die Eigenwilligkeit in der Unverhältnismäßigkeit schafft sich das Subjekt einen Spielraum, in dem es den Spielarten des Kunstwerks folgen und sie nachvollziehen kann, ohne mit ihm zusammenzufallen; es kann sich gleichfalls trennen. Oder wie Nancy sagt; die musikalische Struktur exponiert sich im Subjekt.76 Die idiosynkratische Rezeptionsweise begegnet dem Exzess des Kunstwerks mit einem Exzess möglicher Empfindungen und Deutungsweisen. Dies zeigt insbesondere die Album-Kritik von Nick Neyland im Pitchfork Magazin. Er beschreibt die Intensität und Komplexität des Albums in ganzer Drastik, bezeichnet es als Bobby Krlics ›persönliche Hölle‹ und die Stimmung als immer dunkle.77 Dann verknüpft er feinsinnige Wahrnehmungen von der Musik wie »lichtere Texturen« mit Narrativen oder Werten wie Erlösung oder Empathie.78 Seine Interpretationen sind ungezwungen und entfernen sich weit von einem scheinbar objektiv Daliegenden – und gerade dadurch stellt er 73 74 75 76 77
78
Neyland 2013, S. 9. Vgl. Grüny 2014, S. 113. Nancy 2010, S. 17f. Vgl. auch Grüny 2014, S. 111 und 113. Vgl. Nancy 2010, S. 16f. Vgl. Neyland 2013, S. 9. Vgl. auch Joseph Nechvatal (2011, S. 216f.), der schreibt, in der Rezeption von Noise Music würde das Subjekt ›re-komponiert‹ und die Identität ›repositioniert‹ werden. Ebd.
5. Sonische Dominanz – Selbsterfahrung oder Selbstverlust?
der Musik eine ›gleichwertige‹, eine ebenso energetische und affektive Rezeption, entgegen. Eine solche codiert oder projiziert das Geschehen nicht einfach in Begriffe, sondern transformiert die Empfindungen der Musik in eine eigene sprachliche ›Welt‹, in der ebenso viele Ebenen – komplexe, dichte oder feine Verhältnisse und Konstellationen – des Sinnlichen miteinander spielen. Diese Rezeptionsweise übersetzt nicht bloß, sondern überträgt die Bewegungsmuster der Musik in den eigenen Körper, in eigene, spontane Ausdrucksweisen und in eine eigene Sprache, ein Sprachwerk. Sie ist eine Spielart für sich. So ist diese Rezeptionsweise keinesfalls einem kognitiven Nachvollzug im Wege, wie auch Grüny konstatiert.79 Sie setzt vielmehr voraus, dass solche Übertragungsweisen und Bezüge in Fülle bestehen, dass etwas ›angefallen‹ ist, auf das man sich beziehen kann. Grüny schreibt, sie sei vorweg massiv mit Bedeutung aufgeladen: »Der Raum, den sie eröffnet, ist auf sehr spezifische Weise akzentuiert und gefärbt und sperrt sich insofern von vornherein der Suggestion neutraler Kenntnisnahme.«80 Diese Erfahrungsweise geht also über die kompromisslose Differenzierung körperlicher oder reflexiver Rezeption hinaus. Gerade dadurch, dass der eigene Körper in seiner ganz individuellen und subjektiven Stimmung in einen Erfahrungsraum eintritt, wird dieser auch ganz bewusst subjektiv erlebt und dadurch bedeutsam – ohne dass diese Bedeutsamkeit immer logisch oder objektiv nachvollziehbar sein müsste. Es ist also eine Rezeptionsweise vom körperlich-affektiven zum reflexiven Nachvollzug hin, deren Reiz dann gerade darin besteht, dass Sinn nicht endgültig feststellbar ist, sondern möglich.81 Es geht also nicht darum, mit den Resonanzen genau dieser Stilistik vertraut zu sein, noch mit spezifischem Wissen über die Musik. Eher geht es darum ein Gespür für die ästhetischen Verhältnisse eines Werks zu erlangen und Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu anderen Erfahrungen und zum eigenen sinnlichen Repertoire zu bemerken. Erst ein feinauflösendes Hören lässt die subtilen, auch uneindeutigen 79 80 81
Vgl. Grüny 2014, S. 114. Ebd. Vgl. hierzu auch ebd., S. 171 und Hegarty 2013, S. 141.
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Tiefenresonanz
Spannungen, Dynamiken, Teilphänomene und -prozesse, Bezüge und Sprünge weniger naheliegender Sinnphänomene bemerken, Bezüge zu möglichen musikalischen Gesten, Narrativen, Strukturen oder Kontexten. Nur, wer im massiven Dröhnen eines Basses dessen Tonhöhenspektrum und inneres Oszillieren hört, kann sich vom bloßen Dröhnen auch distanzieren. Nur, wer in der Dichte des Arrangements auch Einzelphänomene dieses Klingens ausmachen kann, findet in der klanglichen Absorption eine Stimme, der sie oder er zuhören kann: »Music is sometimes uncomfortable. It helps us feel strange, difficult things. […] It broke sound into many component parts, rumbling fundamentals and screeching overtones, and slowed down the changes of a sound over its lifespan so that I could hear them as individuals.«82 In den Zwischengestalten der musikalischen Erfahrung werden die Autonomie sowohl des Subjekts als auch des Kunstwerks erzeugt, indem sich die Reaktionen und Bezüge über das Vernommene eben weder auf dieses noch jenes völlig stützen lassen, weder mit dem bekannten Eigenen noch mit dem Gegenstand völlig zusammenfallen. In dieser Erfahrungsweise tritt sowohl die Mannigfaltigkeit der physischen Erfahrungen der Rezipient:innen als auch die Möglichkeit des Neuen zum Vorschein. Der idiosynkratische Zustand ist ein Möglichkeitsraum, der sich also nicht nur in der Dehnung und Intensivierung bestehender Wahrnehmungsebenen eröffnet, sondern auch eine temporäre und lustvolle Trennung von sich selbst und vom Gegenstand ermöglicht. Natürlich sind diese drei Rezeptionsweisen – die Mimesis auf Distanz, die negative Mimesis und die Idiosynkrasie – wiederum idealtypische Kategorien musikalischen Nachvollzugs. Wahrscheinlich könnte in jeder aufmerksamen und responsiven Rezeption jede dieser Erfahrungsweisen tendenziell auftreten. Sicherlich lässt sich vielmals auch gar nicht sagen oder beschreiben, in welcher Form und unter welchen Prämissen sich die subjektive Erfahrung in einem ästhetischen Ereignis konstituiert oder konstituiert wird. Sicherlich ist es bereits etwas ›fahrlässig‹, 82
Lucas 2014, S. 7.
5. Sonische Dominanz – Selbsterfahrung oder Selbstverlust?
überhaupt bestimmte subjektive Gefühle und Aussagen auf so umfassende Konzeptionen von Sinn und Sinnlichkeit in der Kunsterfahrung zu beziehen, zumal Rezipient:innen immer aus ihrer individuellen Verfassung, Situation, Einstellung und Erfahrung sprechen. Sicherlich hat auch immer ein für das Sprechen und Nachdenken »unauflösliche[s] Ineinander von Nähe und Distanz«83 teil an einer solchen Erfahrung. Und vielleicht ist dies der radikalste Ausdruck für die sinnliche Unverfügbarkeit oder den Überschuss eines Kunstwerks.
83
Grüny 2014, S. 114.
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6. Schluss
Physische Intensität bei der Musikrezeption ist keine leichte, kompensatorische Angelegenheit. Es setzt sich etwas darin ›auf’s Spiel‹, insbesondere wenn es die Selbstwahrnehmung und -reflexion der Hörer:innen ist, mit der gespielt wird. Die transformative Kraft der Musik, Bewegung durch die Körper zu sein, birgt die Möglichkeit und auch die Gefahr, die Wahrnehmung förmlich ›umzuarrangieren‹. Denn jedem musikalischen Nachvollzug liegt reale Bewegung zugrunde. Schallende Bewegungsmuster berühren und durchlaufen die Körper, skandieren sie und prägen ihre zeitlichen und räumlichen Sinn(es)bezüge aus, die Selbstverständnis und Orientierung erst ermöglichen. Und umso differenzierter diese Leiblichkeit erfahren werden kann, desto deutlicher wird auch, wie sich der sinnhafte Nachvollzug der Musik aus eben dieser leiblichen Erfahrung schält – den Verläufen und Distanzen von Mengen und Momenten, den fließenden und gekerbten Verräumlichungen, den Ereignissen und Exteriorisierungen, in deren Oszillieren wir stehen, wenn Gegenwart entsteht. Mitschwingen, Ineinander und Trennung sind reale Bewegungen von Körpern und Körpergefügen. Auch die Begriffe Leib, Haus und Kosmos von Gilles Deleuze und Félix Guattari können physisch-materielle Ebenen beschreiben, auf denen sich Verhältnisse von Sinnlichem auf spezifische Art und Weise arrangieren: Verhältnisgruppen oder -mengen, Repertoires, Kompositionsweisen. Sie sind übergängig und fließend. Ihre konkrete Verortung im Werk kann schwierig sein, doch sie machen auf energetische Tendenzen von Zuständen aufmerksam. Sie lassen sich vielleicht so differenziert empfinden und benennen, wie sich
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Tiefenresonanz
die Wahrnehmung im Schlaf von der im Wachzustand unterscheiden lässt; oder die beim leicht beschwingten Mitwippen zur Musik vom freien, ekstatischen Tanz. Die musikalische Struktur exponiert sich im Subjekt.1 Wir sind »von derselben Art« wie der Schall, wie Christian Grüny schreibt;2 wir sind ebenfalls Spannungsgefüge, Körper, die erst in der Resonanz ihr Timbre entwickeln. So wie Schall erst im Aufprall und Durchlaufen anderer Körper zu klingen beginnt, so werden wir uns erst im Spüren eines Bezugs zum Anderen bewusst, im Ein- und Ausatmen der Luft, die uns umgibt, in der Berührung und im Durchleben der Konsistenzen unserer Umgebung. Erst durch die sinnliche Verwicklung mit dem Geschehenden jetzt und hier vermögen wir der eigenen Vergangenheit und Geschichte, dem bereits Gehörten und Gesagten, dem Wissen und der Erfahrung etwas hinzuzufügen. Und die körperliche Resonanz ist selbst Ausdruck dieser Erfahrungen und ermöglicht erst neue Sinnzusammenhänge, die nicht bloß »vorhersagbare Referenzen eines logischen Systems«3 sind. The Haxan Cloak kreiert Werke, die im Sinne Deleuze’ und Guattaris kosmisch sind. In dieser Musik befindet man sich wirklich, physischgreifbar, in einer ›ganzen Welt‹. Sie arrangiert sich auf unterschiedlichen Ebenen und verwirft diese Arrangements und Repertoires wieder, um in eine noch ›weitere‹ Tonigkeit oder Struktur zu führen, die doch – so abwegig sie objektiv erscheinen mag – als der Musik teilhaft empfunden werden kann. Durch spezifische Kreuzungen und Zusammensetzungen von Interferenzen erweitert die Musik Hörschwellen und Fühlgrenzen, lässt Hören und Fühlen als individuell-variabel erfahrbar werden. Die Vibrationen und Widerständigkeiten intensiver klanglicher Ereignisse entfalten bei Hörer:innen eine tiefenästhetische Körperresonanz. Gleichermaßen entzieht sich das Klangliche gerade auf dieser erweiterten Ebene der Hörbarkeit sobald wieder oder dominiert den Körper unwillkürlich. So macht die Musik auch die Übergängigkeit und 1 2 3
Vgl. Nancy 2010, S. 16f. Grüny 2014, S. 327. Eugene T. Gendlin, zit.n. Schoeller 2012, S. 61ff.
6. Schluss
Autonomie des Klanglichen sinnlich bewusst. Eine mimetische Hingabe an diese Musik birgt die Gefahr, die Selbstwahrnehmung an den Grenzen des Hörens zu verlieren, einen Sinn(es)verlust zu erleben. Erst eine körperliche und reflexive Einstellung zur Musik, die noch zwischen Mitschwingen und Distanznahme oszillieren kann, ermöglicht eine genussvolle Rezeption. Diese Höreinstellung vollzieht sich in subtilen Reaktionen: dem Spüren und Gestalten der Spannung der Körpermembrane; der Öffnung oder Schließung der Luftkanäle über die sich Schall in die Tiefe bewegt; der Positionierung unserer ausgezeichneten Punkte und Flächen wie Ohren und Bauchdecke zum Einfallswinkel des Schalls. Darüber hinaus kann das responsiv-sensible Spüren sonischer Materialität eine unglaubliche Fülle an Übertragungs- und Übersetzungsmöglichkeiten im Deutungsprozess der Musik evozieren – einen Zustand der Idiosynkrasie. Die Reichweite dieser Erfahrung ist immens, weil sie grundlegend ist. Es ist eine feine und subtile Erweiterung und Verschiebung unseres sinnlichen Repertoires. Da, wo uns umgebende Prozesse vormals ›verdeckt‹ waren, werden nun reale Konsistenzen, rauschende und feinstoffliche Bewegungen spürbar – Perzepte. Und sie gehen uns wortwörtlich an, physisch-greifbar – Affekte. Da, wo zuvor noch Reflexionen und Denkweisen, vielleicht viel gröbere Formen und Strukturen von Kontexten und Meinungen die Wahrnehmung beeinflussten, wird sie nun von etwas erfasst, das ihr eigenes Wesen angeht – von Affekten und Bewegung. In Gegenwart intensiver sonischer Materialität wird »das ›materielle Selbst‹ aus dem Schatten der Interpretationsdiskurse herausgeholt«, wie Mathias Mertens über die Kraft leiblicher Erfahrungen schreibt.4 An die Stelle konventioneller Interpretationsfolien treten spürbare Verhältnisse von Sinnlichem, die Hörer:innen andere Denk- und Handlungsweisen eröffnen, weil diese nichts objektiv Daliegendes sind.
4
Mathias Mertens (2011): Prosumé über Popkultur. In: Christoph Jacke, Jens Ruchatz und Martin Zierold (Hg.): Pop, Populäres und Theorien. Forschungsansätze und Perspektiven zu einem prekären Verhältnis in der Medienkulturgesellschaft. Populäre Kultur und Medien, Bd. 2, Münster: LIT, S. 158.
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Holger Schulze fasst Idiosynkrasie als Methode wissenschaftlicher und künstlerischer Forschung auf.5 Er sensibilisiert für die ständige, ja zuweilen aufdringliche und eigentümliche Mischung von Sinneswahrnehmungen, die uns in allen Lebenssituationen und natürlich auch in der wissenschaftlichen Praxis begleitet, beeinflusst, leitet und auch stört – unspezifische Geräusche, Gespräche aus der Ferne, das Rauschen der Klimaanlage und vieles mehr. In mimetischen, differenzierten Momentbeschreibungen lotet Schulze Möglichkeiten aus, diese Einflüsse zu nutzen und unbewusste oder unbeachtete Wahrnehmungs- und Denkweisen zu hinterfragen: durch das Spüren der Verzeitlichung, Verräumlichung und des Embodiments, das uns hier und jetzt widerfährt; die Art der Vermittlung, Performance und Intervention anderer und unserer Körper.6 »You« – wir nehmen eine Beobachtung und Befragung der eigenen sinnlichen und sinnhaften Wahrnehmungs- und Deutungsmuster vor, sind selbst Anlass, Gegenstand und Frage der Auseinandersetzung: »Spatial arrangements and time structures become your second nature, maybe you are not going totally native in this field – but you manage to become very familiar with many elements in it. […] Then you take action: you can cut out elements, sections, aspects, things or situations, forms of action or of utterances, practices or personae. […] [Y]ou take new and different, exploratory and analytical, disruptive or harmonizing actions. You provoke new situated events; you generate dissent and consent, ruptures and new experiences, new conclusions and new, unfounded claims. […] You present to others – not familiar with this sensory or non-sensory field you were researching in – you present what happened to you. You tell moments and insecurities, doubts and euphoria, excess and boredom. […] You give a certain in-
5
6
Holger Schulze (2016): Idiosyncrasy As Method. Reflections on the epistemic continuum. In: Seismograf. Zugriff am 10.02.2022 unter: https://seismograf.org/ fokus/fluid-sounds/idiosyncracy-as-method. Vgl. ebd.
6. Schluss
sight in a maybe secluded and secretive aspect of contemporary cultural life.«7 Die hochauflösende Rückführung der Beobachtung auf die oder den Einzelnen an Ort und Zeit erscheint mir aus phänomenologischer Perspektive konsequent. Doch wenn wir ›kulturelles Leben‹, wie Schulze schreibt, vom einzelnen Individuum herleiten, wo kommen wir dann hin? Führt diese Auslegung eines Sensory Turn in den Wissenschaften nicht zur Implosion von Bedeutungsgenese überhaupt?8 Ich glaube, unter bestimmten Vorzeichen nicht. Ein Wort in Schulzes Zitat sticht heraus: das Adjektiv ›secretive‹ im letzten Satz. Es legt eine bestimmte Vorgehensweise nahe. Wie ich in dieser Arbeit auch zu zeigen versucht habe, sind gerade für selbstverständlich oder auch unnahbar gehaltene Phänomene an unserem körperlichen und reflexiven Nachvollzug von Dingen und Prozessen beteiligt. Musikalische Räume und akustische Umgebungen sind heute mehr und mehr von Menschen-gemachten Vibrationen und Schallereignissen durchzogen, die autonome Effekte und Schallstrukturen ausbilden, die wir allerdings kaum oder gar nicht bewusst hören können.9 Sie haben aber sublime Effekte auf uns, die größtenteils unerschlossen sind und aus wissenschaftlichen Messungen und Perspektiven überwiegend ausgeschlossen sind.10 Schließen wir sie weiterhin aus, gelangen wir eben nicht zu neuen Erkenntnissen oder mehr Objektivität, sondern lediglich zur Bestätigung bestehender Annahmen und Paradigmen in bloß anderer Zusammensetzung. Natürlich ist es ein langer Weg von der Aufmerksamkeit für das Kleine, Einzelne, Eigenartige, vielleicht auch
7 8
9 10
Ebd., S. 4. Es ist mir durchaus bewusst, dass diese Problematik auch die vorliegende Arbeit betrifft. Salomé Voegelin (2010, S. xiv) setzt sich auch mit dieser Frage auseinander und konstatiert, eine Philosophie zur Sound Art müsse selbst immer im Wandel bleiben, eine »passing theory«, und sich danach verändern, was gerade gespielt und gehört wird. Aber gilt dies nicht für jede Theoriebildung? Vgl. Jasen 2016, S. 188f. Vgl. ebd., S. 66ff.
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Flüchtige bis zur Evidenz, zur Erkenntnis, zur Gattung oder Kategorie, zum Epistemischen, zum Sagbaren überhaupt; anfällig für Kritik scheint mir diese Methode ohnehin. Doch es besteht ein Unterschied darin, ob man diese Wahrnehmung nutzt, um Wissen und Paradigmen zu bestätigen oder um zu intervenieren11 . Christiane Eichel schreibt über die veränderte Bedeutung der Metapher des Rauschens in der Kunst und der Kultur im technisch-medialen Leben.12 Heute sei das Rauschen eher zum »Symbol des InformationsOverkills geworden, eine Umschreibung des Kipppunktes von der Komplexität ins Einerlei«.13 Doch es habe sich, wo die Umwelt so stark einen Informationscharakter angenommen habe, neben dem reinen Dekodieren und dem »planvollen Vergessen« eine dritte »Rezeptionsart« entwickelt: die der »zweckentfremdenden Decodierung«, die Eichel gar als »dritte Natur« bezeichnet.14 Sie scheint der Idiosynkrasie nahe zu sein. Sie unterlaufe diesen Informationscharakter der Welt, indem sie die intendierte Information schnell erkenne, aber dann in ein sinnliches Spiel der Wahrnehmung zurücktrete, das vielmehr frei assoziiere, deute und umdeute.15 Dies sei ein sinnlicher Akt, kein analytischer, der sich zudem immer auf die eigene persönliche Situation beziehe bzw. auf diese zurück zu führen sei.16 Dieses Spiel, das uns auch in Form von Ironie oder Performanz begegne, könne natürlich zum Pastiche werden, zum Ornament, könne beliebig und oberflächlich sein, obgleich es das Besondere zu verkörpern vorgibt.17 Eichel meint aber, dass sich die-
11 12
13 14 15 16 17
Intervention ist ein zentraler Aspekt Holger Schulzes Methode; vgl. ders. 2016, S. 3. Vgl. Christine Eichel (1997): Wahrheit als Wahrnehmung des Imaginären. Vexierspiele der Selbstvergewisserung in einer »ornamentalen Kultur«. In: Otto Kolleritsch (Hg.): »Lass singen, Gesell, lass rauschen…« Zur Ästhetik und Anästhetik in der Musik. Studien zur Wertungsforschung, Bd. 32, Wien und Graz: UniversalEdition, S. 95-110. Ebd., S. 96f. Ebd., S. 103. Vgl. ebd., S. 103f. Vgl. ebd. Vgl. ebd.
6. Schluss
ser ästhetische Raum erst durch die Beziehung der Fremdheit eröffne, nicht durch die Affirmation von Annahmen.18 Die Musik von The Haxan Cloak ist ebenfalls – wie es Eichel der zivilisatorischen, technisch-medialen Umwelt zuschreibt – »ohne Unterlaß […] indiskret, bedrängend, persuasiv«19 . Doch ist sie dies eben auf einer körperlich-sinnlichen Ebene, die sonst vom Kodierten verdeckt wird. Deshalb kann sie Hörer:innen heute kompensatorische Räume eröffnen und ihnen eine ›verloren gegangene Intensität‹20 verschaffen. Das heißt natürlich nicht, dass bestimmte Narrative über diese Musik nicht dennoch wieder ›festgestellt‹, zitiert, nachgesprochen und unkritisch affirmiert werden könnten; nämlich dann, wenn sie bereits ›eingeschrieben‹ sind – in die Körper und die Artefakte dieser ästhetischen Praxis. Ich denke, deshalb musste es dieses Konzert sein, das ich hier zum Gegenstand nahm, auch wenn ich es zwar bereits 2013 erlebt habe, doch – ohne Live-Erfahrungen mit dieser Spielart bis dahin – intensiver erfuhr als jedes andere Drone-Konzert nachher. Ich konnte in dieser Nacht einen nur »durch Mythos aufgeklärten Umgang«21 mit dieser Musik erleben.
18 19 20 21
Vgl. ebd., S. 109. Ebd., S. 97. Vgl. Bitzi und Savenberg 2013, S. 2. Eichel 1997, S. 97.
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Abbildungen
Abb. 1: Spektrogramm von »The Mirror Reflecting (Part 2)« (The Haxan Cloak 2013b, Nr. 7), Min. 0:10-0:25.
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Tiefenresonanz
Abb. 2: Spektrogramm (melodischer Umfang) von »The Mirror Reflecting (Part 2)« (The Haxan Cloak 2013b, Nr. 7), Min. 0:10-0:25.
Abb. 3: Spektrogramm von »The Mirror Reflecting (Part 2)« (The Haxan Cloak 2013b, Nr. 7), Min. 3:12-3:24.
Musikwissenschaft Dagobert Höllein, Nils Lehnert, Felix Woitkowski (Hg.)
Rap – Text – Analyse Deutschsprachiger Rap seit 2000. 20 Einzeltextanalysen Februar 2020, 282 S., kart., 24 SW-Abbildungen 34,99 € (DE), 978-3-8376-4628-3 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4628-7
Helen Geyer, Kiril Georgiev, Stefan Alschner (Hg.)
Wagner – Weimar – Eisenach Richard Wagner im Spannungsfeld von Kultur und Politik Januar 2020, 220 S., kart., 6 SW-Abbildungen, 5 Farbabbildungen 34,99 € (DE), 978-3-8376-4865-2 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation, ISBN 978-3-8394-4865-6
Rainer Bayreuther
Was sind Sounds? Eine Ontologie des Klangs 2019, 250 S., kart., 5 SW-Abbildungen 27,99 € (DE), 978-3-8376-4707-5 E-Book: 24,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4707-9
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Musikwissenschaft Eva-Maria Houben
Musical Practice as a Form of Life How Making Music Can be Meaningful and Real 2019, 240 p., pb., ill. 44,99 € (DE), 978-3-8376-4573-6 E-Book: 44,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4573-0
Marianne Steffen-Wittek, Dorothea Weise, Dierk Zaiser (Hg.)
Rhythmik – Musik und Bewegung Transdisziplinäre Perspektiven 2019, 446 S., kart., 13 Farbabbildungen, 37 SW-Abbildungen 39,99 € (DE), 978-3-8376-4371-8 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4371-2
Johannes Müske, Golo Föllmer, Thomas Hengartner (verst.), Walter Leimgruber (Hg.)
Radio und Identitätspolitiken Kulturwissenschaftliche Perspektiven
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de