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German Pages 181 Year 1985
Theorien und Dogmen als Ursachen wirtschaftspolitischer Probleme
Von
Manfred Wulff
Duncker & Humblot . Berlin
M A N F R E D WULFF
Theorien und Dogmen als Ursachen wirtschaftspolitischer Probleme
Theorien und Dogmen als Ursachen wirtschaftspolitischer Probleme
Von
Prof. Dr. Manfred Wulff
DUNCKER
&
HUMBLOT
I
BERLIN
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Wulff, Manfred: Theorien und Dogmen als Ursachen wirtschaftspolitischer Probleme / von Manfred Wulff. — Berlin: Duncker und Humblot, 1985. ISBN 3-428-05823-2
Alle Rechte vorbehalten © 1985 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Gedruckt 1985 bei Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3-428-05823-2
Vorwort Die Wirtschaftswissenschaftler sollen die Politiker über die Ursachen der wirtschaftspolitischen Probleme und die Möglichkeiten der Lösung dieser Probleme informieren. Diese Aufgabe können sie noch nicht befriedigend lösen; es ist sogar anzunehmen, daß die Empfehlungen der Wissenschaftler eine bedeutende Ursache wirtschaftspolitischer Fehlentscheidungen darstellen, weil sie von falschen Theorien ausgehen. Das Versagen der Wirtschaftswissenschaftler als Berater der Politiker kann mit der Eigenart des Untersuchungsobjektes der Wirtschaftswissenschaft erklärt werden. Beim gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Forschung ist eine befriedigende Lösung der wirtschaftspolitischen Probleme in der nächsten Zeit kaum zu erwarten. Es spricht vieles für die These, daß sich die Wirtschaftspolitik neu orientieren muß. A m Anfang einer Neuorientierung stehen immer Zweifel und Fragen. Der Zweck der Analyse besteht in der Begründung von Zweifeln am Aussagewert der traditionellen Wirtschaftstheorie und in der Begründung von Hypothesen, die zu empirischen Untersuchungen und zu weiteren kritischen Analysen anregen sollen. Ich habe mich um eine möglichst einfache Darstellung der Theorien und Probleme bemüht, damit die Arbeit auch von Studenten gelesen werden kann, die sich mit wirtschaftspolitischen Fragen beschäftigen. Für die Durchsicht des Manuskriptes und wertvolle Anregungen danke ich Herrn Professor Dr. Dieter Cansier und Herrn Dr. rer. pol. Frank C. Englmann. Tübingen, im Oktober 1984 Manfred
Wulff
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
9 1. Kapitel Der Glaube an den „Geldschleier"
1. Die Begründung des Dogmas 2. Die Zweifel an der Richtigkeit des Dogmas
16 21
a) Die Ungewißheit über die Existenz und die Stabilität des allgemeinen Gleichgewichtszustandes
21
b) Der Zinsmechanismus als kurzfristig wirksamer Ausgleichsmechanismus
22
c) Die Abhängigkeit des Wirtschaftsprozesses von unbestimmten Reaktionen im Gütermarktungleichgewicht
33
d) Die Gefahr dauerhafter Ungleichgewichtszustände durch das Anpassungsverhalten der Marktteilnehmer
40
3. Die wirtschaftspolitischen Konsequenzen
44
2. Kapitel Das Versagen der Gleichgewichtstheorie bei der Erklärung der wirtschaftlichen Entwicklung - Versuch einer Neuorientierung 1. Der Aussagewert der Gleichgewichtstheorie
47
2. Aspekte einer Neuorientierung mit einer Ungleichgewichtstheorie
53
a) Die allgemeinen Anforderungen an die Theorie
53
b) Die Bedingungsanalyse als Grundlage der theoretischen Analyse und wirtschaftspolitischen Entscheidungen
55
3. Die Grundstruktur der konjunkturellen Bewegungen
64
Anhang
72 3. Kapitel Die Theorie der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik als Ursache wirtschaftspolitischer Probleme Versuch einer Neuorientierung
1. Die Theorie der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik als Ursache wirtscahftspolitische Probleme
79
8
Inhaltsverzeichnis
2. Versuch einer Neuorientierung
96
a) Die Aufgaben der Stabilisierungspolitik
96
b) Kompetenzen und Mittel der Stabilisierungspolitik
100
c) Alternative Lösungen der stabilisierungspolitischen Probleme der Bundesrepublik Deutschland am Ende des Jahres 1982
108
Anhang
112 4. Kapitel Die Beurteilung der Staatsverschuldung nach privatwirtschaftlichen Prinzipien - Versuch einer Neuorientierung
1. Die Prinzipien
114
2. Die Kritik an den Prinzipien - Versuch einer Neuorientierung
117
5. Kapitel Die Schwächen der „ewig" gültigen Theorie der rationalen Haushaltsplanung 1. Die Haushaltsplanung ohne Mengenrestriktionen
125
a) Die „ewig" gültige allgemeine Theorie der rationalen Haushaltsplanung
125
b) Die Entscheidungssituation bei der Anschaffung eines hochwertigen Gebrauchsgutes
130
c) Die Haushaltsplanung als Mittel zur Erreichung und Sicherung des angestrebten Konsumstandards
133
2. Die Haushaltsplanung mit Mengenrestriktionen
141
3. Die wirtschaftspolitischen Konsequenzen
144
6. Kapitel Das Dogma vom Nutzen des Wirtschaftswachstums für die individuelle Wohlfahrt
147
7. Kapitel Der Glaube an den Nutzen des kollektiven Erfolgsstrebens
151
Übersicht über die Symbole
156
Literaturverzeichnis
160
Einleitung Im Unterschied zu den Naturwissenschaften hat die Wirtschaftswissenschaft Zusammenhänge zu analysieren, die auf variablen menschlichen Verhaltensweisen beruhen. In absehbarer Zeit wird es nicht möglich sein, die Veränderung von Verhaltensweisen befriedigend zu prognostizieren, weil neue Situationen zu Lernprozessen mit unbestimmten Ergebnissen führen. Es sind auch die kreativen Leistungen der Wirtschaftssubjekte unbekannt, die die Entscheidungssituation ständig verändern. Ein weiteres Problem ergibt sich für die Wirtschaftswissenschaftler, weil sie auf Experimente zur Ermittlung von Wirkungszusammenhängen und zur Prüfung von Theorien verzichten müssen. Die Naturwissenschaftler haben oft die Möglichkeit, die Wirkungen der Veränderung einer Variablen bei Konstanz der anderen Variablen in Experimenten festzustellen, weil sie alle störenden Einflüsse beseitigen können. Die Wirtschaftswissenschaftler müssen von der tatsächlichen Entwicklung ausgehen, die sich immer aus dem Zusammenwirken von vielen Variablen ergibt. Zur Gewinnung von allgemeinen theoretischen Aussagen müssen sie deshalb Modelle konstruieren. Da der Wirtschaftsprozeß sehr kompliziert ist und nicht alle Beziehungen zwischen den Wirtschaftssubjekten im Modell erfaßt werden können, taucht bei der Analyse wirtschaftlicher Vorgänge zunächst das Problem auf, daß zwischen wesentlichen und unwesentlichen Variablen und Funktionen unterschieden werden muß. Bei der Aufnahme, der Verarbeitung und der Bewertung der zahlreichen Informationen über die Realität durch den Wissenschaftler spielen subjektive Faktoren eine bedeutende Rolle. Es ist deshalb verständlich, daß sich bei der Erklärung von wirtschaftlichen Vorgängen konkurrierende Hypothesen ergeben. Da sich verschiedene Theorien bei der Erklärung der wirtschaftlichen Vorgänge häufig gleich gut bewähren, ist es oft schwierig, die beste Theorie durch Konfrontation der Theorien mit den Fakten zu ermitteln. Die konkurrierenden Theorien haben konkurrierende wirtschaftspolitische Empfehlungen zur Folge. Die Lösung des damit verbundenen Auswahlproblems bleibt den für die Wirtschaftspolitik verantwortlichen Politikern überlassen, obwohl ihnen brauchbare Auswahlkriterien fehlen. Das bedeutet, daß man sich bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen auf die Intuition und das Verantwortungsbewußtsein der Politiker verläßt. In der nächsten Zeit kann mit besseren Ergebnissen bei der Prüfung von Theorien kaum gerechnet werden. Deshalb stellt sich die Frage, ob wenig-
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Einleitung
stens das Verfahren verbessert werden kann, das zur Entstehung von Theorien und zur Auswahl unter konkurrierenden Theorien führt. Aus der Analyse der Verfahrensmängel könnten sich vielleicht wichtige Aspekte für eine Neuorientierung ergeben. Bei der Entstehung und Auswahl der Theorien spielen die folgenden Faktoren eine wesentliche Rolle: (1) Das Streben der Wissenschaftler nach objektiv richtigen, eindeutigen und „ewig" gültigen Aussagen. (2) Die Arbeitsteilung bei der wissenschaftlichen Forschung. (3) Das Ansehen des Wissenschaftlers. (4) Die wirtschaftlichen Interessen. (5) Die Weltanschauung. (6) Die Glaubwürdigkeit der Theorien und die Erfahrungen bei der Anwendung wirtschaftspolitischer Konzeptionen. Zu (1): Als objektiv richtig wird eine Aussage dann angesehen, wenn sich die Wissenschaftler auf eine bestimmte Analysemethode geeinigt haben und bei der Anwendung dieser Methode die Richtigkeit der Aussage bestätigen. Nach diesen Kriterien haben die mathematischen und naturwissenschaftlichen Theorien den größten Aussagewert. Da die Bedingungen und Aussagen der mathematischen Theorien auch eindeutig sind, ist es verständlich, daß die Wirtschaftswissenschaftler dazu neigen, mathematische Methoden bei der Analyse wirtschaftlicher Zusammenhänge zu verwenden. Diese Neigung wird durch den Erfolg verstärkt, weil durch die Anwendung mathematischer Methoden viele bedeutende wirtschaftliche Zusammenhänge erkannt worden sind. Man kann sogar die These vertreten, daß die mathematischen Methoden bei der Analyse zahlreicher wirtschaftlicher Vorgänge unentbehrlich geworden sind. Die Mathematisierung der Wirtschaftswissenschaft hat auch die Diskussionsmöglichkeiten zwischen den Wirtschaftswissenschaftlern international verbessert, weil sich damit eine einheitliche Analysemethode durchgesetzt hat. Außerdem ist der didaktische und heuristische Nutzen der mathematischen Modelle erheblich. Die Diskussion über die Frage, ob die Anwendung dieser Methode bei der Analyse wirtschaftlicher Vorgänge sinnvoll ist, ist deshalb längst positiv entschieden. Bei der Anwendung der mathematischen Methoden ergeben sich typische Gefahren, die zwar bekannt sind, aber trotzdem zu wenig beachtet werden. So hat das Streben nach eindeutigen und leicht interpretierbaren Lösungen mathematischer Modelle zur Folge, daß unrealistische Annahmen gemacht werden. Ein Beispiel dafür ist die übliche Annahme, daß sich die Wirtschaftssubjekte rational verhalten. Es werden bestimmte Verhaltensfunktionen unterstellt, obwohl andere Funktionen nicht unwahrscheinlich sind. Lineare Funktionen werden häufig verwendet, wenn sie mit empirischen Untersuchungen nicht begründet werden können. Die Faktoren der wirtschaftlichen
Einleitung
Entwicklung, die bei einer mathematischen Analyse schwer erfaßt werden können, werden auch dann als Daten behandelt, wenn sie durch den Wirtschaftsprozeß verändert werden. Das bedeutet meist, daß sie bei der Erklärung der wirtschaftlichen Entwicklung kaum beachtet werden, obwohl sie eine wichtige Rolle spielen können. Zu den großen Mängeln der Wirtschaftstheorie gehört deshalb eine ungenügende Analyse der funktionalen Beziehungen zwischen dem Wirtschaftsprozeß und den Rahmenbedingungen dieses Prozesses. Diese verhängnisvolle Wirkung der Mathematisierung der Wirtschaftstheorie wird durch das Streben der Wissenschaftler nach „ewig" gültigen Theorien verstärkt, die wirtschaftliche Vorgänge in jedem marktwirtschaftlichen System erklären können. Viele Theoretiker, die mathematische Modelle bevorzugen, verzichten auf eine Analyse von wirtschaftlichen Vorgängen in der Realität und beschäftigen sich stattdessen mit möglichen Prozeßabläufen sowie mit den Bedingungen optimaler Prozesse. Solche Analysen können auch zu einem besseren Verständnis der Zusammenhänge in der Realität beitragen. Sie sollten aber eine geringere Bedeutung als die Analysen haben, mit denen die Erklärung der tatsächlichen wirtschaftlichen Vorgänge angestrebt wird. Man kann wohl die These vertreten, daß die Gewichte zur Zeit falsch verteilt sind. Die Abweichungen der Modelle von der Realität werden häufig zu schwach bewertet, weil Informationen über die Bedeutung dieser Abweichungen fehlen. Dadurch können wirklichkeitsfremde Theorien bei der Begründung wirtschaftspolitischer Maßnahmen eine bedeutende Rolle spielen und erhebliche Schäden verursachen, wenn die Politiker den Wissenschaftlern vertrauen. Zu (2): Die Entwicklung der Wissenschaften ist durch eine zunehmende Spezialisierung gekennzeichnet. Die damit verbundene Konzentration der Analyse auf Teilzusammenhänge komplexer Erscheinungen hat zweifellos zu einem besseren Verständnis dieser Zusammenhänge geführt. Andererseits besteht immer die Gefahr, daß die Beziehungen zwischen den Subsystemen nicht genügend analysiert werden. Eine solche negativ zu beurteilende Entwicklung ist im Bereich der Gesellschaftswissenschaften deutlich erkennbar. Es gibt nur wenige Beispiele für eine enge Kooperation von Wirtschaftswissenschaftlern, Soziologen, Politologen, Rechtswissenschaftlern und Historikern bei der wissenschaftlichen Forschung, obwohl eine umfassende Analyse gesellschaftlicher Vorgänge häufig eine interdisziplinäre Zusammenarbeit erfordert. Im Bereich der Wirtschaftswissenschaft zeigt sich dieser Mangel vor allem bei der Analyse ordnungspolitischer Probleme. Bei der deutlich erkennbaren Isolierung der Wirtschaftswissenschaft von anderen Wissenschaften, die sich mit gesellschaftlichen Vorgängen beschäftigen, spielt die Neigung der Wirtschaftswissenschaftler zur Anwendung mathematischer Methoden eine bedeutende Rolle. Die mathematische Denkweise der Wirtschaftswissenschaftler hat häufig zur Folge, daß sie sich mit Technikern
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Einleitung
und Naturwissenschaftlern enger verbunden fühlen als mit Gesellschaftswissenschaftlern, die mathematische Analysemethoden nicht verwenden. Zu (3): Ein typisches Kennzeichen eines durchschnittlichen Wirtschaftswissenschaftlers ist der Glaube an die Richtigkeit der Theorien, die angesehene Wirtschaftswissenschaftler vertreten. Dieser Glaube ersetzt die Gewißheit, die sich ergeben würde, wenn die Wissenschaftler ein Prüfungsverfahren hätten, das eine eindeutige Unterscheidung zwischen richtigen und falschen Theorien ermöglicht. Die Wirtschaftswissenschaft hat deshalb viel mit der Theologie gemeinsam. Die starke Glaubensbereitschaft der Wirtschaftswissenschaftler hat zur Folge, daß eine fundamentale Kritik am Lehrgebäude eines bedeutenden Wirtschaftswissenschaftlers selten ist. Dabei spielt sicher auch die Befürchtung eine Rolle, daß eine solche Kritik als Anmaßung empfunden werden könnte, wenn sie von einem unbekannten Wissenschaftler stammt. Das Ergebnis kreativer Leistungen sind deshalb meist unbedeutende Modellvarianten oder Präzisierungen von Modellzusammenhängen. Die Schüler der bedeutenden Nationalökonomen neigen auch dazu, die Theorien ihres Lehrers stark zu vereinfachen. Dadurch geht meist ein bedeutender Teil der originellen Leistung verloren. Die Dogmatisierung der Wirtschaftswissenschaft hat zur Folge, daß hervorragende wissenschaftliche Leistungen von Außenseitern lange Zeit nicht beachtet oder abgelehnt werden. Deshalb hat der Innovationsprozeß in der Wirtschaftswissenschaft eine wesentlich geringere Geschwindigkeit als in den Naturwissenschaften. Zu (4): Die wirtschaftswissenschaftlichen Theorien spielen bei der Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen eine wichtige Rolle. Bei der Verfolgung dieser Interessen kann man zwischen dem individuellen und dem kollektiven Erfolgsstreben unterscheiden. Das individuelle Erfolgsstreben ist vor allem bei den Wirtschaftssubjekten zu finden, die durch individuelle Marktleistung und/oder durch individuelle Marktmacht ein hohes Einkommen erzielen können. Die Wirtschaftssubjekte, die auf diesem Weg keine großen Erfolge erwarten, neigen dazu, ihr Einkommen durch Stärkung der Macht ihrer sozialen öruppe zu erhöhen. Der Interessenlage der Wirtschaftssubjekte mit individuellem Erfolgsstreben entspricht die individualistische Wirtschaftsordnung. Sie verwenden deshalb die Theorien zur „wissenschaftlichen" Fundierung ihrer Forderung nach Realisierung dieser Wirtschaftsordnung. Dazu gehört die Gleichgewichtstheorie, wenn sie zur Begründung der These dient, daß die Entwicklung in der Marktwirtschaft ohne staatliche Eingriffe zum allgemeinen Gleichgewicht führe, das mit Vollbeschäftigung aller Produktionsfaktoren verbunden sei. Die Wirtschaftssubjekte, die mit dem kollektiven Erfolgsstreben Vorteile erzielen wollen, streben eine kollektivistische Wirtschaftsordnung an und suchen nach Theorien zur „wissenschaftlichen" Begründung dieser Ordnung.
Einleitung
Mit den marxistischen Theorien wird die Forderung nach Beseitigung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung begründet. Das kollektive Erfolgsstreben kann auch zu Mischsystemen führen. Die Gewerkschaften lehnen zum Beispiel die Zentralverwaltungswirtschaft ab, weil sie in einem solchen Wirtschaftssystem keine Macht besitzen. Sie streben ein Mischsystem an, in dem sie einen starken Einfluß auf die Politik der Unternehmen und des Staates haben. Der Staat soll eine Nivellierung der Einkommens- und Vermögensverteilung anstreben und den Wirtschaftsprozeß weitgehend steuern. Zur Begründung der Forderungen, die sich aus der Interessenlage der Gewerkschaften ergeben, werden ebenfalls geeignete Theorien ausgewählt. Dazu gehört zum Beispiel die Theorie der Keynesianer, mit der die Forderung nach staatlicher Vollbeschäftigungspolitik durch globale Nachfragesteuerung begründet werden kann. Die meisten Wissenschaftler betrachten sich nicht als Vertreter partikularer wirtschaftlicher Interessen. Sie streben als Theoretiker nach einer besseren Kenntnis der wirtschaftlichen Vorgänge und als Wirtschaftspolitiker nach einer Verbesserung der Methoden zur Lösung gesamtwirtschaftlicher Probleme. Es ist wohl anzunehmen, daß die bedeutendsten Wissenschaftler zu dieser Gruppe gehören. Trotzdem spielen auch bei diesen Wissenschaftlern subjektive Faktoren bei der Auswahl der zu analysierenden Probleme, bei der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen und bei der Bewertung der gesamtwirtschaftlichen Ziele eine wesentliche Rolle. Zu den Einflüssen, denen sich der Wissenschaftler kaum entziehen kann, gehören seine Werturteile, die durch die soziale Umwelt in seiner Kindheit und damit auch durch wirtschaftliche Interessen geprägt worden sind. Diese verinnerlichten Werturteile wirken bei der wissenschaftlichen Arbeit wie ein Filter, weil sich eine Abwehr gegen die Informationen ergibt, die mit dem Weltbild des Forschers kollidieren. Viele Wirtschaftswissenschaftler sind sich der Bedeutung dieser Zusammenhänge nicht bewußt; sie glauben deshalb, daß sie in der Auseinandersetzung zwischen den Vertretern unterschiedlicher wirtschaftlicher Interessen eine neutrale Position einnehmen und zu objektiven Aussagen gelangen können. Eine bessere Analyse dieser Zusammenhänge und die Information über die Forschungsergebnisse könnten einen bedeutenden Beitrag zur Verbesserung der wirtschaftswissenschaftlichen Arbeit leisten, weil die Fähigkeit der Wissenschaftler zur Selbstkritik gestärkt würde. Die sehr enge Beziehung zwischen den Werturteilen des Wissenschaftlers und seinem Forschungsobjekt muß als bedeutendes Hindernis für den Fortschritt in allen Gesellschaftswissenschaften angesehen werden. Zu (5): Aus der Weltanschauung ergeben sich Grundvorstellungen über die Bestimmung des Menschen, über die Beziehungen zwischen den Menschen sowie über die Beziehungen des einzelnen Menschen zur Gesellschaft und zum Staat. Daraus lassen sich Prinzipien für die Gestaltung der Wirtschafts-
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Einleitung
Ordnung ableiten. Für die Weltanschauung der westlichen Welt ist die starke Bewertung der individuellen Persönlichkeit kennzeichnend, die eng mit der christlichen Weltanschauung verbunden ist. Obwohl die christliche Lehre als Glaubensbekenntnis gegenwärtig nur noch für eine kleine Minderheit verbindlich ist, spielt die christliche Weltanschauung noch eine bedeutende Rolle. Im Unterschied zur liberalen Weltanschauung ist die individuelle Freiheit nach der christlichen Weltanschauung nicht nur durch formale Regeln zum Schutz der Freiheit anderer Menschen, sondern auch durch das Gebot der Nächstenliebe beschränkt. Die Christen streben keine Gesellschaft von Egoisten an, sondern eine Gemeinschaft, in der sich jeder für seine Mitmenschen verantwortlich fühlt. Das individuelle Erwerbsstreben, das die entscheidende Motivation für die kapitalistische Produktionsweise darstellt, kollidiert deshalb mit der christlichen Weltanschauung. Die altliberale Theorie von der gesellschaftlichen Harmonie, die sich ergeben soll, wenn alle Menschen nach ihrem persönlichen Vorteil streben, kann als Versuch interpretiert werden, diesen Konflikt zu entschärfen. Besonders deutlich wird dieser Zusammenhang bei Adam Smith, der den Interessenausgleich durch den Wettbewerb als Bestandteil einer Gesellschaftsordnung beschrieben hat, die den Ordnungsvorstellungen des Weltschöpfers entspricht. Zu Beginn der kapitalistischen Produktionsweise hat der asketische Protestantismus eine wichtige Rolle gespielt, der den wirtschaftlichen Erfolg als Beweis für die religiöse Qualifikation angesehen hat. Rückblickend läßt sich feststellen, daß die kapitalistische Produktionsweise den durchschnittlichen Konsumstandard stark erhöht, die gesellschaftlichen Konflikte aber nicht beseitigt hat. Dadurch hat die liberale Harmonielehre an Überzeugungskraft verloren. Der Konflikt zwischen der liberalen Gesellschaftsauffassung und der christlichen Gemeinschaftslehre hat sich aber nicht verstärkt, weil die Bedrohung der christlichen Weltanschauung durch den Marxismus von den Christen stärker empfunden wird als die Bedrohung durch den vom Liberalismus begünstigten Materialismus. Zu (6): Die Geltungskraft der wirtschaftswissenschaftlichen Theorien und der wirtschaftspolitischen Konzeptionen hängt auch von ihrer Glaubwürdigkeit ab. Theorien, die durch die Anwendung wissenschaftlicher Prüfungsmethoden nicht falsifiziert werden können, verlieren trotzdem an Bedeutung, wenn sich bei den Wirtschaftswissenschaftlern die Auffassung durchsetzt, daß sie wesentliche Erscheinungen der wirtschaftlichen Entwicklung nicht befriedigend erklären können. So ist zum Beispiel die neoklassische Theorie als vorherrschende Lehrmeinung durch die Keynes'sche Lehre ersetzt worden, weil sie bei der Erklärung der Massenarbeitslosigkeit in der Weltwirtschaftskrise versagt hat. Die dominierende Position der Keynes'schen Lehre wurde erfolgreich vom Monetarismus bedroht, weil sie die schleichende Inflation und die Stagflation nicht ausreichend erklären konnte. Die Zweifel an
Einleitung
der Richtigkeit einer Theorie übertragen sich auf die wirtschaftspolitische Konzeption, die auf der Gültigkeit dieser Theorie beruht. Eine wirtschaftspolitische Konzeption kann auch deshalb an Bedeutung verlieren, weil die Anwendung dieser Konzeption bei der Lösung aktueller wirtschaftspolitischer Probleme nicht zu dem erwarteten Ergebnis geführt hat. Dadurch wird die Position der Wissenschaftler gestärkt, die die theoretische Basis dieser Konzeption kritisiert haben. Beispiele dafür sind die Mißerfolge der Regierungen, die die wirtschaftspolitischen Ratschläge der Keynesianer oder der Monetaristen befolgt haben. Mit diesen Mißerfolgen kann die Konzeption des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung erklärt werden, die durch Angebotssteuerung die Probleme lösen will, bei deren Lösung die Konzeption der Keynesianer versagt hat. Gleichzeitig distanziert sich der Sachverständigenrat von der „reinen" monetaristischen Lehre, indem er die Lohnpolitik der Tarifvertragsparteien als wesentliche Ursache der Inflation und der Arbeitslosigkeit bezeichnet. Aus der Analyse der Faktoren, die bei der Begründung und Auswahl der Theorien eine bedeutende Rolle spielen, ergeben sich nur sehr allgemeine Ansatzpunkte für die Verbesserung der Qualität der theoretischen Aussagen. Bei unserer Analyse werden deshalb einzelne Theorien und Dogmen als Analyseobjekte ausgewählt, mit denen wirtschaftspolitische Maßnahmen begründet werden. Anhand von solchen Beispielen soll gezeigt werden, wie sich falsche Theorien und Dogmen ergeben, die zur Entstehung wirtschaftspolitischer Probleme führen können. Außerdem sollen Ansatzpunkte für eine Neuorientierung der wissenschaftlichen Forschung gesucht werden. Dabei treten erhebliche Schwierigkeiten auf, weil häufig Annahmen gemacht werden müssen, die mit empirischen Untersuchungen nicht ausreichend begründet werden können. Es stellt sich deshalb die Aufgabe, den Realitätsbezug der Annahmen zu überprüfen.
Erstes Kapitel
Der Glaube an den „Geldschleier" 1. Die Begründung des Dogmas Das klassische makroökonomische Modell ist dreigeteilt 1 : (1) Das Arbeitsmarktgleichgewicht bestimmt die Höhe der Beschäftigung, des realen Sozialproduktes und des Reallohnes; es wird durch die Variation des Reallohnes hergestellt. (2) Das Gütermarktgleichgewicht bestimmt die Höhe der realen Ersparnis, der realen Investitionen und des realen Zinssatzes; es wird durch die Variation des realen Zinssatzes hergestellt. (3) Das Geldmarktgleichgewicht bestimmt die Höhe des nominalen Sozialproduktes und des Preisniveaus; es wird durch die Veränderung des Preisniveaus hergestellt. Die Klassiker haben eine proportionale Beziehung zwischen der Geldmenge und dem nominalen Volkseinkommen angenommen. Als „neoklassisch" soll in Anlehnung an Jarchow die Denkrichtung bezeichnet werden, „in der die Tradition der Quantitätstheorie - wie bei L. Walras, A. Marshall , K. Wickseil und A. C. Pigou - in Form der Kassenhaltungsgleichungen weitergeführt und um die von L. Walras entwickelte mikroökonomisch fundierte Totalanalyse der Gleichgewichtsbildung auf Märkten für produzierte Güter, Dienste und Faktoren erweitert wird 2 ." Durch die neoklassische Theorie werden die Aussagen der Klassiker präzisiert. Im Walras-Modell 3 bestimmen die Gleichungen des güterwirtschaftlichen Bereiches die Gleichgewichtsmengen auf allen Güter- und Faktormärkten sowie die relativen Preise. Damit sind auch die Höhe des realen Sozialproduktes und der Beschäftigung bestimmt. Die Gleichungen des monetären Bereiches bestimmen die absolute Höhe aller Preise. Die neoklassische Theorie stimmt mit der klassischen Theorie auch in der Annahme überein, daß eine Erhöhung der Geldmenge zu einer proportionalen Erhöhung des Preisniveaus (und des nominalen Sozialproduktes) führt. Die Geldmenge hat nach 1 Vgl. Ackley , Gardner: Macroeconomic Theory, Seventeenth Printing, New York Toronto 1973, S. 157 f. -Allen, R. G. D.: Makroökonomische Theorie, Eine mathematische Analyse (Übersetzung von „Macro-Economic Theory - A Mathematical Treatment", 1967), Berlin 1972, S. 148. -Morgan, Brian: Monetarists and Keynesians, Their Contribution to Monetary Theory, New York 1978, S. 9 ff. 2 Jarchow, Hans-Joachim: Theorie und Politik des Geldes. I. Geldtheorie, 5., überarbeitete und erweiterte Auflage, Göttingen 1982, S. 185. 3 Vgl. Jarchow, Hans-Joachim: Theorie und Politik des Geldes, I. Geldtheorie... S. 189 ff. - Morgan, Brian: Monetarists and Keynesians . . . S. 105 ff.
1. Die Begründung des Dogmas
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Auffassung der Klassiker keinen Einfluß auf die realen Größen; sie überdeckt diese Größen „wie ein Schleier" 4. Das Informationsproblem wird von Walras durch den Preisauktionator gelöst, der mit Hilfe eines Triai- and -Error-Verfahrens (tâtonnement) die Gleichgewichtspreise auf allen Märkten ermittelt 5 . Die Informationen über die Gleichgewichtspreise werden kostenlos weitergegeben. Die Marktteilnehmer unterliegen keinen Beschränkungen bei der Festsetzung der Mengen, die sie kaufen oder verkaufen wollen, wenn man von den Budgetrestriktionen absieht. Alle Käufe und Verkäufe erfolgen erst im Marktgleichgewicht. Die Annahmen von Walras sind offensichtlich unrealistisch 6 . Die Wirtschaftssubjekte müssen ohne Kenntnis der Gleichgewichtspreise planen, weil es keinen Preisauktionator gibt. Deshalb ist eine Theorie erforderlich, die das Verhalten der Wirtschaftssubjekte bei Ungewißheit über die Gleichgewichtspreise erklärt. Diese Aufgabe versucht die "neue" mikroökonomische Theorie zu lösen7. „The theoretical departure that is common to these otherwise neoclassical papers is their removal of the Walrasian postulate of complété information 8 ." In dieser Theorie spielen die Informations- und Veränderungskosten eine zentrale Rolle. Es wird gezeigt, daß infolge dieser Kosten das rationale Verhalten der Wirtschaftssubjekte zu unausgenutzten Ressourcen führen kann, wenn Angebots- und Nachfrageverschiebungen erfolgen. Wenn der Preis stets seine Ausgleichsfunktion erfüllen würde, ergäben sich starke Schwankungen im Marktpreis, die nicht antizipiert werden könnten. Die Folge wäre ein erheblicher Anstieg der Informationskosten. Zur Verringerung dieser Informationskosten würden die Unternehmen bei einer Änderung der Marktlage zunächst die Lager- und Auftragsbestände bei konstantem Produktpreis variieren. Die Vertreter der „neuen" mikroökonomischen Theorie nehmen deshalb an, daß infolge der Ungewißheit über die weitere Entwicklung die Mengenreaktionen vor den Preisreaktionen erfolgen. Mit den Reaktionen der Wirtschaftssubjekte bei unvollständigen Informationen wird auch die Arbeitslosigkeit erklärt.
4
Vgl. Jarchow, Hans-Joachim: Theorie und Politik des Geldes, I. Geldtheorie... S. 193. Vgl. Morgan, Brian: Monetarists and Keynesians . . . S. 107 f. - Bahadir, Sefik Alp: Allokation der Produktivkräfte und gesamtwirtschaftliche Stabilität, Ein Beitrag zur Analyse ihrer Zusammenhänge, Berlin 1978, S. 134 ff. 6 Walras konnte diese Annahmen machen, weil er nicht die Anpassungsprozesse analysieren wollte, die sich bei einem Marktungleichgewicht ergeben, sondern die Preisbildung und die Allokation der Ressourcen. Vgl. Bahadir, Sefik Alp: Allokation der Produktivkräfte . . . S. 136. 7 Vgl. Frisch, Helmut: Die neue Inflationstheorie, Göttingen 1980, S. 61 ff. - Phelps, Edmund S. u.a.: Introduction: The New Microeconomics in Employment and Inflation Theory, in: Microeconomic Foundations of Employment and Inflation Theory, LondonBasingstoke 1970, S. 1-23. 8 Phelps, Edmund S.: Introduction ... S. 4. 5
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1. Kap.: Der Glaube an den „Geldschleier"
Nach Auffassung von Leijonhufvud ist Keynes der neoklassischen Theorie zuzuordnen, wenn man in dieser Theorie den Auktionator entfernt 9 . „ I m keynesianischen Makrosystem wird die MarshalFsche Klassifizierung der Preisund Mengenanpassungsgeschwindigkeiten umgekehrt: in der kürzesten Periode sind die Produktionsmengen frei variierbar, ein oder mehrere Preise sind jedoch gegeben; dadurch wird die zulässige Variationsbreite für die restlichen Preise begrenzt. Man kann das »revolutionäre 4 Element der General Theory vielleicht nicht einfacher ausdrücken 10 ." Diese Interpretation der Theorie von Keynes durch Leijonhufvud wird aber nicht allgemein anerkannt 11 . Die „neue" mikroökonomische Theorie spielt eine entscheidende Rolle bei der monetaristischen Erklärung der Wirkungen der Geldpolitik. P. Cagan, Milton Friedman, James Tobin und Karl Brunner haben fast gleichzeitig die Bedeutung dieser Theorie für den Transmissionsmechanismus analysiert 12 . Für Friedman, Brunner und Meitzer ist der Prozeß, der sich bei einer Störung eines Gleichgewichtszustandes durch geldpolitische Maßnahmen ergibt, durch die daraus resultierenden Abweichungen zwischen den tatsächlichen und den antizipierten Größen sowie durch die Reaktionen der Wirtschaftssubjekte auf diese Abweichungen gekennzeichnet13. Es wird angenommen, daß dieser Prozeß schließlich zu einer Übereinstimmung der tatsächlichen und der antizipierten Größen führt 1 4 und sich dadurch ein neuer Gleichgewichtszustand ergibt 15 . Bei der Analyse der Wirkungen der Geldpolitik auf den Output, das Preisniveau und die Beschäftigung muß nach Auffassung der Monetaristen zwischen den Wirkungen der Wachstumsrate der Geldmenge und den Änderun9 Vgl. Leijonhufvud, Axel: Keynes und die Keynesianer, Ein Interpretationsvorschlag (Übersetzung von „Keynes and the Keynesians: A Suggested Interpretation", 1967), in: Geldtheorie, Herausgegeben von Karl Brunner, Hans G. Monissen, Manfred J. M. Neumann, Köln 1974, S. 217. 10 Leijonhufvud, Axel: Über Keynes und den Keynesianismus, Eine Studie zur monetären Theorie (Übersetzung von „On Keynesian Economics and the Economics of Keynes, A Study in Monetary Theory, 1968), Herausgegeben und mit einem Vorwort von Gérard Gäfgen, Köln 1973, S. 61. 11 Vgl. Grossman, Herschel J.: Was Keynes a „Keynesian"? A Review Article, in: The Journal of Economic Literature, Vol. 10 (1972), S. 26—30. 12 Vgl. Brunner, Karl: The „Monetarist Revolution" in Monetary Theory, in: Weltwirtschaftliches Archiv, Band 105 (1970 II), S. 4, Fußnote 1. 13 Vgl. Friedman, Milton: A Theoretical Framework for Monetary Analysis, in: Journal of Political Economy, Vol. 78 (1970), S. 223 ff. - Brunner, Karl und Meitzer, Allan H.: Ein monetaristischer Rahmen für die aggregative Analyse (Übersetzung von „A Monetarist Framework for Aggregative Analysis", 1972), in: Geldtheorie, Herausgegeben von Karl Brunner, Hans G. Monissen, Manfred J. M. Neumann, Köln 1974, S. 236 ff. 14 Vgl. Friedman, Milton: A Theoretical Framework ... S. 225, 227 f. 15 Vgl. Friedman, Milton: A Theoretical Framework ... S. 223. - Frisch, Helmut: Die neue Inflationstheorie . . . S. 112 ff.
1. Die Begründung des Dogmas
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gen dieser Wachstumsrate unterschieden werden 16 . Die Wachstumsrate der Geldmenge habe langfristig einen starken Einfluß auf die Inflationsrate und einen geringen Einfluß auf die Wachstumsrate des Outputs. Bei einer Änderung der Wachstumsrate der Geldmenge sei zunächst eine starke Wirkung auf den Output und die Beschäftigung zu erwarten. Es sei aber anzunehmen, daß diese Effekte durch eine Korrektur der Antizipationsmuster beseitigt werden. Deshalb könne es keinen dauerhaften trade-off zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit geben 17 . Nach Auffassung von H. Frisch unterscheidet sich die monetaristische Inflationstheorie von der klassischen Quantitätstheorie nur durch die Zwischenschaltung der Phillipskurve und des Satzes von Okun 1 8 . Im langfristigen Gleichgewicht ist nach Ansicht von Friedman die Quantitätstheorie in Verbindung mit dem Gleichungssystem von Walras gültig 19 . Die dann bestehende Arbeitslosigkeit bezeichnet er als „natürliche Arbeitslosigkeit". Sie wird als jenes Niveau der Arbeitslosigkeit definiert, „das sich aus dem Walrasianischen Gleichgewichtssystem ergeben würde, vorausgesetzt, die aktuellen Strukturcharakteristika der Arbeits- und Gütermärkte sind eingebaut, und zwar einschließlich Marktunvollkommenheiten, Zufallsvariabilität von Angebot und Nachfrage, Kosten der Informationsbeschaffung über freie Stellen und Arbeitsreserven, Mobilitätskosten usw 20 ." Mit dem Begriff „natürlich" will Friedman, analog zu der Verwendung des Begriffes durch Wickseil, zum Ausdruck bringen, daß monetäre Einflüsse keine Rolle spielen 21 . Diese Arbeitslosigkeit soll sich unabhängig von der Höhe der Inflationsrate einstellen, wenn die Wirtschaftssubjekte die Inflationsrate richtig antizipiert haben. Im Unterschied zu den Klassikern und Neoklassikern sind die Monetaristen demnach der Auffassung, daß sich die Geldpolitik kurzfristig auf den 16
Vgl. Brunner, Karl: The „Monetarist Revolution" ... S. 13 f. Vgl. Brunner, Karl: The „Monetarist Revolution" ... S. 24 ff. - Friedman, Milton: Die Rolle der Geldpolitik (Übersetzung von „The Role of Monetary Policy", 1968), in: Geldtheorie, Herausgegeben von Karl Brunner, Hans G. Monissen, Manfred J. M. Neumann, Köln 1974, S. 314 ff. 18 „Ein monetärer Impuls (d.h. eine unerwartete Zunahme der Wachstumsrate der Geldmenge) erhöht die aktuelle, reale Wachstumsrate über die antizipierte Rate, was zu einer Abnahme der Arbeitslosenrate führt (Satz von Okun). Die gesunkene Arbeitslosenrate erzeugt über die Phillipskurve eine Zunahme der Inflationsrate. Letztere entspricht genau dem Unterschied zwischen der Expansionsrate der Geldmenge und der Wachstumsrate der realen Produktion. Nur diesen letzten Satz haben die Quantitätstheorie und die monetäre Inflationstheorie gemeinsam. Die Verbindung der Quantitätsgleichung mit dem realen Sektor der Wirtschaft durch die Phillipskurve und den Satz von Okun charakterisiert dagegen die monetaristische Inflationstheorie." Frisch, Helmut: Die neue Inflationstheorie ... S. 103 f. 19 Friedman glaubt sogar, daß es in dieser Hinsicht keine Meinungsunterschiede gibt. Vgl. Friedman, Milton: A Theoretical Framework ... S. 222 f. 20 Friedman, Milton: Die Rolle der Geldpolitik . . . S. 321. 21 Vgl. Friedman, Milton: Die Rolle der Geldpolitik . . . S. 322. 17
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1. Kap.: Der Glaube an den „Geldschleier"
Output und die Beschäftigung auswirkt, wenn die Wirtschaftssubjekte als Folge dieser Politik Überraschungen erleben, d.h. wenn die tatsächlichen Größen von den erwarteten Größen abweichen. Friedman und Brunner berücksichtigen auch die langfristigen Wirkungen von Änderungen der Wachstumsrate der Geldmenge auf das Outputniveau. Nach Ansicht von Friedman wird der Output im langfristigen Gleichgewicht durch eine Erhöhung der Wachstumsrate der Geldmenge verringert 22 . Brunner und Meitzer glauben dagegen, daß die Geldbasis und das Realkapital langfristig Komplemente sind 23 . Die Monetaristen sind aber der Auffassung, daß die langfristige Entwicklung der realen Größen (wie Output und Beschäftigung) durch geldpolitische Maßnahmen nur unwesentlich beeinflußt wird. Sie nehmen an, daß die Geldpolitik langfristig hauptsächlich nominale Größen (wie das nominale Sozialprodukt, das Preisniveau und die Marktzinssätze) verändert 24 . Demnach kann die folgende allgemeine These begründet werden: Im Unterschied zu den (Neo)Klassikern glauben die Monetaristen nicht mehr an die Neutralität des Geldes, wenn sich als Folge einer Änderung der Wachstumsrate des Geldes Anpassungsprozesse ergeben. Sieht man aber von den Anpassungsprozessen ab und berücksichtigt nur die Gleichgewichtszustände nach der Beendigung der Prozesse, dann ergibt sich hinsichtlich der Beurteilung der Geldmengeneffekte auf reale Größen kein wesentlicher Unterschied zwischen den (Neo)Klassikern und den Monetaristen 25 . Der Glaube an den „Geldschleier" ist also immer noch nicht überwunden 26 . 22 „If equilibrium real output and the rate of growth of real output were unaffected by the monetary change ... the equilibrium path of prices would be the same as that of nominal income . . . However, equilibrium real output will not be unaffected by this monetary change. The exact effect depends on just how real output is measured, in particular whether it includes or excludes the nonpecuniary services of money. If it includes them, as in principle it should, then the level of real output will be lower after the monetary change than before. It will be lower for two reasons: first, the higher cost of holding cash balances will lead producers to substitute other resources for cash, which will lower productive efficiency; second, the flow of nonpecuniary services from money will be reduced ... For both reasons, the price level of output will have to rise more than nominal income." Friedman, Milton: A Theoretical Framework ... S. 230. 23 Brunner, Karl und Meitzer, Allan H.: An Aggregative Theory for a Closed Economy, in: Monetarism, Edited by Jerome L. Stein, Amsterdam — New York — Oxford 1976, S. 98. 24 Vgl. Andersen, Leonall C.: A Monetarist View of Demand Management: The United States Experience, in: Demand Management, Globalsteuerung, Symposium 1971, Edited by Herbert Giersch, Tübingen 1972, S. 153. 25 Vgl. Landmann, Oliver: Keynes in der heutigen Wirtschaftstheorie, in: Der Keynesianismus I, Theorie und Praxis keynesianischer Wirtschaftspolitik, Entwicklung und Stand der Diskussion, Herausgegeben von G. Bombach u.a., Berlin — Heidelberg — New York 1976, S. 195 f. 26 Eine gute Begründung dieser These enthält die folgende Aussage von Friedman: „Meine eigenen Studien zur monetären Geschichte brachten mich dazu, die folgende, oft zitierte, vielmals geschmähte und ebenso weitgehend mißverstandene Bemerkung von John Stuart Mill wärmstens zu befürworten: ,Es kann', so schrieb er,,wahrlich kein unbedeutenderes Phänomen in einer Volkswirtschaft als das Geld geben, mit Ausnahme seiner
2. Die Zweifel an der Richtigkeit des Dogmas
21
2. Die Zweifel an der Richtigkeit des Dogmas a) Die Ungewißheit über die Existenz und die Stabilität des allgemeinen Gleichgewichtszustandes Die wissenschaftliche Diskussion über den allgemeinen Gleichgewichtszustand hat zu dem Ergebnis geführt, daß ein solcher Zustand unter bestimmten Voraussetzungen existiert und auch stabil ist 27 . Ein großer Teil der Annahmen entspricht aber offensichtlich nicht der Realität. Die Frage nach der Existenz und der Stabilität eines allgemeinen Gleichgewichtszustandes in einer realen Wirtschaft ist trotz jahrzehntelanger intensiver Forschungsarbeit noch nicht beantwortet, weil sich die wissenschaftliche Forschung weniger mit den Vorgängen in der Realität als mit der Analyse der Grundannahmen des allgemeinen Gleichgewichtszustandes beschäftigt hat 28 . Wenn man den Zweck der Wirtschaftstheorie in der Erklärung wirtschaftlicher Vorgänge sieht, kann man kaum verstehen, daß hervorragende Wissenschaftler mit Akribie und Scharfsinn eine Modellwelt analysiert haben, die mit der Wirklichkeit wenig gemeinsam hat. Nach Auffassung von Kaldor ist „die starke Anziehungskraft der Denkschemata, die aus der ,Gleichgewichtsökonomie 4 stammen, ein Haupthindernis für die Entwicklung der Ökonomie als Wissenschaft geworden", wenn man von der Wissenschaft Hypothesen erwartet, die hinsichtlich der Annahmen und der Vorhersagen verifizierbar sein müssen29. Einige übliche Annahmen der Gleichgewichtstheorie können ohne Gefährdung der Existenz und der Stabilität des allgemeinen Gleichgewichtszustandes durch realistische Annahmen ersetzt werden 30 . Zu den unerläßlichen Grundannahmen gehören die folgenden Bedingungen: (1) Grenzkosten = Produktpreis; (2) steigende marginale und durchschnittliche Kosten 31 . Die erste Bedingung ist bei vollständiger Konkurrenz erfüllt, die in der Realität aber nur auf wenigen Märkten anzutreffen ist. Hicks glaubt, daß Funktion als Zeit und Arbeit sparende Erfindung. Es ist ein Mechanismus, der es ermöglicht, etwas schnell und bequem zu erledigen, was ohne ihn ohnehin, wenn auch weniger schnell und bequem erledigt würde; und ebenso wie viele andere übt dieser Mechanismus nur dann einen spezifischen und unabhängigen Einfluß aus, wenn er außer Kontrolle gerät."-Friedman, Milton: Die Rolle der Geldpolitik . . . S. 324f. -Mill JohnStuart: Principles of Political Economy, London 1929, S. 488. 27 Vgl. Debreu, Gerard: Theory of Value, An Axiomatic Analysis of Economic Equilibrium, New York — London 1959. 28 Vgl. Arrow, Kenneth J. und Hahn, F. H.: General Competitive Analysis, San Francisco — Edinburgh 1971, S. 361. 29 Vgl. Kaldor, Nicholas: Die Irrelevanz der Gleichgewichtsökonomie, in: Seminar: Politische Ökonomie, Zur Kritik der herrschenden Nationalökonomie, Herausgegeben von Winfried Vogt, Frankfurt am Main 1973, S. 80. 30 Vgl. Bahadir, Sefik Alp: Allokation der Produktivkräfte . . . S. 106 ff. 31 Vgl. Hicks, J. R.: Value and Capital, An Inquiry into some Fundamental Principles of Economic Theory, Second Edition, Oxford 1950, S. 82 f.
22
1. Kap.: Der Glaube an den „Geldschleier"
der Aussagewert des Modells erhalten bleibt, wenn auf den meisten Märkten die Abweichung vom Zustand der vollständigen Konkurrenz nicht groß ist 32 . Nach den vorliegenden Informationen über die Wettbewerbssituation in den westlichen Industrieländern ist anzunehmen, daß sich auf den meisten Märkten erhebliche Abweichungen vom Zustand der vollständigen Konkurrenz ergeben und diese Abweichungen auf den einzelnen Märkten sehr unterschiedlich sind. Bei der Preisbildung der Produkte und Produktionsfaktoren spielt die Politik von Organisationen eine bedeutende Rolle, die die wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder vertreten. Schon aus diesem Grund ist das Modell der vollständigen Konkurrenz als wirklichkeitsfremd abzulehnen. Die zweite Bedingung wird langfristig ebenfalls nicht erfüllt, weil steigende Skalenerträge häufig vorkommen. Nach Auffassung von Kaldor bezweifelt niemand, daß in der industriellen Produktion zunehmende Skalenerträge die dominierende Rolle spielen 33 . Es ist auch zu berücksichtigen, daß die Stabilität des allgemeinen Gleichgewichtszustandes durch den Arbeitsmarkt gefährdet wird, wenn bei steigendem Reallohn das Arbeitsangebot sinkt und sich oberhalb des Gleichgewichtslohnes eine Übernachfrage ergibt. Dieser Fall kann aber nur eintreten, wenn eine positive Korrelation zwischen dem ohne Mengenrestriktionen geplanten Arbeitsangebot und dem tatsächlichen Arbeitsangebot besteht. Außerdem ist die Annahme völlig unrealistisch, daß für jeden Zeitraum und jeden Umweltzustand Gegenwartsmärkte existieren. Diese Annahme bewirkt eine Verlegung der ungewissen Zukunft in die Gegenwart 34 . b) Der Zinsmechanismus als kurzfristig
wirksamer
Ausgleichsmechanismus
Es kann wohl ohne erhebliche Abweichung von der Realität angenommen werden, daß bei der Planung aller Wirtschaftssubjekte die Bilanzrestriktion gilt. Das bedeutet, daß die Summe der Differenzen, die sich zwischen den Wertsummen des geplanten Angebotes und der geplanten Nachfrage auf den einzelnen Märkten ergeben, Null beträgt. Der Arbeitseinsatz und die Löhne sind kurzfristig kaum variabel. Die Arbeitnehmer werden deshalb bei der kurzfristigen Planung der Konsumausgaben und der Ersparnis von der Annahme ausgehen, daß sich ihr Arbeitseinkommen nicht ändert. Es ist auch anzunehmen, daß die Unternehmen bei der kurzfristigen Planung einen konstanten Arbeitseinsatz und konstante Löhne zugrundelegen. Dann stimmen Vgl. Hicks. J. R.: Value and Capital ... S. 83 f. " Vgl. Kaldor, Nicholas: Die Irrelevanz der Gleichgewichtsökonomie ... S. 87. 34 Vgl. Hahn, Frank: Die allgemeine Gleichgewichtstheorie, in: Die Krise in der Wirtschaftstheorie, Herausgegeben von Daniel Bell und Irving Kristol (Übersetzung der amerikanischen Ausgabe „The Crisis in Economic Theory", 1981), Berlin — Heidelberg — New York —Tokyo 1984, S. 165 L-Arrow, Kenneth J. und Hahn, F. H.: General Competitive Analysis ... S. 33 f.
2. Die Zweifel an der Richtigkeit des Dogmas
23
die kurzfristigen Plangrößen des Arbeitsangebotes und der Arbeitsnachfrage überein. Bei der Interpretation dieses Gleichgewichtszustandes ist aber zu beachten, daß die Plangrößen erheblich von den optimalen Größen abweichen können. Im Arbeitsmarktgleichgewicht ist die Differenz zwischen den Wertsummen des geplanten Angebotes und der geplanten Nachfrage auf dem Gütermarkt so groß wie die Differenz zwischen den Wertsummen der geplanten Nachfrage und des geplanten Angebotes auf dem Vermögensmarkt. Auf Ungleichgewichtszustände reagieren die Wirtschaftssubjekte mit unterschiedlichen Maßnahmen und unterschiedlicher Geschwindigkeit. Nach Auffassung von Friedman stimmen die Quantitätstheoretiker und die Keynesianer in der These überein, daß sich in einem Ungleichgewicht die Zinssätze sofort an den neuen Gleichgewichtszustand anpassen35. In Wirklichkeit ist der Zinsmechanismus weit weniger leistungsfähig. Viel besser scheint uns die These begründet zu sein, daß der Zinsmechanismus relativ schnell wirkt, wenn man von Ausnahmen absieht. Bei dieser Aussage dient als Vergleich die Geschwindigkeit, mit der Löhne, Güterpreise und Produktionsmengen bei Ungleichgewichtszuständen in der Regel geändert werden. A m schnellsten werden Ungleichgewichtszustände auf den organisierten Märkten beseitigt, auf denen Makler täglich die Gleichgewichtspreise ermitteln und festsetzen. Dazu gehören vor allem die Wertpapier- und Devisenbörsen. Für die Banken bestehen enge Substitutionsbeziehungen zwischen den Krediten an ihre Kunden und den an der Börse gehandelten Wertpapieren mit ähnlichen Konditionen. Für einen Teil der Kreditnehmer bestehen Substitutionsbeziehungen zwischen Bankkrediten und Kapitalmarktkrediten. Für die Kapitalanleger bestehen enge Substitutionsbeziehungen zwischen Wertpapieren und Termineinlagen bei Banken mit gleicher Laufzeit. Man sollte deshalb annehmen, daß sich auch die Zinssätze für Bankkredite und Termineinlagen relativ schnell an Änderungen der Marktlage anpassen. Die Verzögerung, die sich bei der Anpassung der Kreditzinssätze an eine neue Marktsituation ergibt, kann aber kurzfristig ein erhebliches Marktungleichgewicht zur Folge haben 36 . Die Zinssätze für Sparguthaben reagieren mit einer besonders großen Verzögerung auf Änderungen der anderen Zinssätze. Dadurch entsteht aber kein Marktungleichgewicht, weil das Angebot von Spar- und Termineinlagen in bezug auf die von den Banken festgesetzten Zinssätze vollkommen elastisch ist.
35
Vgl. Friedman, Milton: A Theoretical Framework ... S. 222. Vgl. Jahresgutachten 1966 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Ziffern 149 und 150. - Pohl, Rüdiger: Die Transmissionsmechanismen der Geldpolitik, in: Jahrbuch für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 190 (1975/76), S. 4 ff. 36
24
1. Kap.: Der Glaube an den „Geldschleier"
Das längere Zeit bestehende Ungleichgewicht auf dem Vermögensmarkt setzt sich aus der Differenz zwischen den Wertsummen des Angebotes und der Nachfrage auf dem Geldmarkt und anderen Vermögensmärkten ohne kurzfristig wirksamen Ausgleichsmechanismus zusammen. Dazu gehören vor allem die Märkte für (bebaute und unbebaute) Grundstücke, für bereits bestehende Produktionsanlagen (ohne an der Börse gehandelte Aktien) und evtl. auch für Bankkredite. Die hohen Transformations- und Informationskosten der Märkte für das vorhandene Sachvermögen haben zur Folge, daß sich Renditeänderungen auf Märkten mit einem kurzfristig wirksamen Ausgleichsmechanismus innerhalb eines großen Wertebereiches kaum auf die Marktlage auswirken. Die Substitutionsbeziehung zwischen der Vermögensanlage in Geld und der Vermögensanlage in Grundstücken sowie Produktionsanlagen ist ebenfalls schwach. Änderungen der Inflationsrate haben langfristig erhebliche Auswirkungen auf die relative Nachfrage nach den Aktiva des Finanz- und Sachvermögens und damit auch auf die Ungleichgewichte der Märkte für Grundstücke und bestehende Produktionsanlagen. Wenn die Inflationsgeschwindigkeit nicht so hoch ist, daß sie in kurzer Zeit zu einem Anstieg der antizipierten Inflationsrate führt, kann das Ungleichgewicht auf den Märkten für Grundstücke und bereits vorhandene Produktionsanlagen kurzfristig als konstante Größe behandelt werden. Zur Vereinfachung der Darstellung wollen wir annehmen, daß die Ungleichgewichte auf den Märkten für Grundstücke und bereits bestehende Produktionsanlagen sowie auf anderen Märkten ohne kurzfristig wirksamen Ausgleichsmechanismus mit Ausnahme des Geldmarktes so unbedeutend sind, daß sie vernachlässigt werden können. Dann ergibt sich durch den Zinsmechanismus ein Zustand, in dem die Differenz zwischen den Wertsummen der Nachfrage und des Angebotes auf dem Gütermarkt so groß ist wie die Differenz zwischen den Wertsummen des Angebotes und der Nachfrage auf dem Geldmarkt. Zur formalen Darstellung der Zusammenhänge werden die folgenden Symbole eingeführt: A N AN NA S I Ü
= = = = = = =
Angebot Nachfrage Überangebot Übernachfrage (= - AN) Ersparnis Investitionen Nettoübertragungen.
Obere Indizes N M F V
= = = =
NettoGeldmarkt Markt für ertragbringende Vermögensobjekte Vermögensmarkt
2. Die Zweifel an der Richtigkeit des Dogmas
G A
= Gütermarkt = Arbeitsmarkt.
/ A (/) (/*)
= = = =
25
Untere Indizes Inländer Ausländer zum Zeitpunkt t in der Periode zwischen den Zeitpunkten t und /+1.
In den Gleichungen (1) bis (5) stellen alle Variablen Plangrößen dar. Bei Geltung der Bilanzrestriktion ergeben sich die folgenden Gleichungen: (1)
ANf +
(2)
a
ANf-Üj^NAj.
^ ^ A N ^ - Ü
a
= NAVa.
ANf und AN a sind annahmegemäß gleich Null. Außerdem ist -Üj-ü4 = 0. Für alle Wirtschaftssubjekte (Inländer und Ausländer) erhält man die folgende Gleichung: AN G=NA V.
(3) Zum Zeitpunkt /+1 gilt: (4.1)
¿wg+1) = V ) -
7
( i * ) - A N ^ =NA(t+irNA
F
( l + l ) +
NA%+ly
Wenn das Inland eine geschlossene Volkswirtschaft darstellt, erhält man die folgende Gleichung: (4.2)
¿Af (,+
1)
= S/(,.) - 7 ^ . ) - A N ^ t r N A y ( t + i = N A f
( t + l ) +
NAYu+ly
Zur Vereinfachung der Analyse wird angenommen, daß der Zinsmechanismus zu jedem Zeitpunkt für einen Ausgleich des Marktes für ertragbringende Vermögensanlagen sorgt. Dann ist ^ = 0 bzw. N A ^ t + 0. A n die Stelle der Gleichungen (4.1) und (4.2) treten die folgenden Gleichungen: (5.1) (5.2)
=V ) AN% +X )
= SI{ t*)
-A»{t)
-
- ANj V (t )
= NAy (t+l )
=
NA? (t+l y
Bei der nachfolgenden Darstellung der Wirkungen des Zinsmechanismus wird das Inland zugrundegelegt und angenommen, daß die Inländer eine ge-
26
1. Kap.: Der Glaube an den „Geldschleier"
schlossene Volkswirtschaft bilden. Dann sind die Gleichungen (4.2) und (5.2) relevant. Die Aussagen gelten für die Weltwirtschaft (Gleichungen (4.1) und (5.1)) analog. Die Wirkungen des Zinsmechanismus können mit den Dispositionen der Wirtschaftssubjekte auf dem Vermögensmarkt und mit der Planung der Güterkäufe und -Verkäufe erklärt werden. Bei der Erklärung mit der Vermögensplanung wird angenommen, daß die Wirtschaftssubjekte außer der Vermögensstruktur die Höhe des Reinvermögens planen. S/(f*) stellt die von den Inländern geplante Erhöhung des Reinvermögens dar. Der angebotene ReinAN vermögenszuwachs ergibt sich durch Summation von tfy*) u t l c * i{ty Wenn + ^N/(f)ist, übersteigt zum Zeitpunkt /+1 das geplante Reinvermögen das angebotene Reinvermögen. Wenn außerdem >0 und £/(,#) ~ ANY{t) • > ^ 4 / ( r + 1 ) ist die Übernachfrage auf dem gesamten Vermögensmarkt größer als die Übernachfrage auf dem Geldmarkt. Nach Gleichung (4.2) ergibt sich in diesem Fall eine Übernachfrage auf dem Markt für ertragbringende Vermögensanlagen, die durch eine Verringerung der effektiven Zinssätze annahmegemäß in kurzer Zeit beseitigt wird. Wenn das Überangebot auf dem gesamten Vermögensmarkt das Überangebot auf dem Geldmarkt übersteigt, ergibt sich ein Überangebot auf dem Markt für ertragbringende Vermögensanlagen, das durch eine Erhöhung der effektiven Zinssätze verschwindet. Wenn das Ungleichgewicht auf dem gesamten Vermögensmarkt dem Ungleichgewicht auf dem Geldmarkt entspricht, bleibt das Zinsniveau konstant. Der Zinsmechanismus führt deshalb nur dann zu einem ausgeglichenen Vermögensmarkt, wenn sich ein Gleichgewicht auf dem Geldmarkt ergibt. Der gesamte Vermögensmarkt ist zum Zeitpunkt /+1 + ausgeglichen, wenn die folgende Gleichung gilt: Dann ist auch der Gütermarkt ausgeglichen. Die -Gleichungen für die einzelnen Sektoren der Volkswirtschaft lassen erkennen, ob sie zum Zeitpunkt t+1 eine Nettogläubigerposition (M4(i+1) > 0) oder eine Nettoschuldnerposition < 0) anstreben. Die Nettogläubigerposition ist mit einem Finanzierungsüberschuß verbunden, während sich bei einer Nettoschuldnerposition ein Finanzierungsdefizit er37 Diesen Zusammenhang hat Keynes bereits erkannt, wie das folgende Zitat zeigt: „Niemand kann . . . sparen, ohne einen Vermögensbestand zu erwerben ... und niemand kann einen Vermögensbestand erwerben, den er nicht vorher besaß, ohne daß entweder ein Vermögensbestand vom gleichen Wert neu erzeugt wird oder jemand anders einen Vermögensbestand vom gleichen Wert aufgibt, den er vorher besaß. Im ersten Fall entsteht eine entsprechende neue Investition, im zweiten Fall muß jemand anders die Ersparnis einer gleichen Summe aufgelöst haben. Sein Vermögensverlust muß nämlich durch den Überschuß seines Verbrauches über sein Einkommen verursacht worden sein ... Daraus folgt, daß die Gesamtersparnis ... zusammen notwendigerweise gleich dem Betrage der laufenden Neuinvestition ist." Keynes, John Maynard: Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes (Übersetzung von „The General Theory of Employment, Interest and Money"), Berlin 1974, S. 70 f. -
2. Die Zweifel an der Richtigkeit des Dogmas
27
gibt. Wenn man die Plangrößen durch die in der zurückliegenden Periode realisierten Größen ersetzt, erhält man die Finanzierungsüberschüsse bzw. -defizite, wie sie in der Bundesbankstatistik „Die Vermögensbildung und ihre Finanzierung" regelmäßig dargestellt werden 38 . Die Summe aller in einer geschlossenen Volkswirtschaft realisierten oder geplanten Finanzierungsüberschüsse und -defizite muß immer Null ergeben. Die Wirkungen des Zinsmechanismus können auch mit der Planung der Güterkäufe und -Verkäufe erläutert werden, weil sich Änderungen der Zinssätze erst nach längerer Zeit auf die Plangrößen des Gütermarktes auswirken. Bei einer kurzfristigen Analyse kann angenommen werden, daß ANf (= NAj) konstant ist. Wenn NAJ^^) ist, muß der Zinsmechanismus nach Gleichung (5.2) bewirken, daß sich an und damit auch an AN
?(t+1) angleicht. Der durch die Annahme einer sofortigen Reaktion der Wirtschaftssubjekte auf Änderungen des Zinsniveaus stark vereinfacht dargestellte Anpassungsprozeß kann nur dann zur Beschreibung der Vorgänge in der Realität dienen, wenn sich eine Variation des Zinsniveaus nach relativ kurzer Zeit auf NA?f auswirkt. Das Geld- und Kreditangebot der Banken steigt bei einer Erhöhung des Zinsniveaus, weil die Banken ihre freie Liquiditätsreserve verringern. Die Nachfrage nach Geld als Vermögensanlage nimmt bei sinkendem Zinssatz und steigendem Volkseinkommen zu. Deshalb verringert sich N A f bei einer Zunahme des Zinsniveaus. Der Geldmarkt ist ausgeglichen, wenn A a f - 0 ist. Wenn NA?f < (>) 0 ist, besteht ein Finanzierungsüberschuß (ein Finanzierungsdefizit) des inländischen Geldmarktes. Der kurzfristige Anpassungsprozeß, der sich durch den Zinsmechanismus im Zusammenhang mit der Planung der Güterkäufe und -Verkäufe ergibt, soll mit der Abb. 1 erläutert werden. 2/ ist der durchschnittliche inländische Zinssatz. Die ANj -Kurve ergibt sich bei einem Überangebot auf dem Gütermarkt, das der Strecke OB entspricht. In gleicher Höhe besteht ein Finanzierungsüberschuß. Die NAfKurve gilt bei einer Übernachfrage auf dem Gütermarkt, die der Strecke OC entspricht. In gleicher Höhe stellt sich ein Finanzierungsdefizit ein. Die AN Kurve informiert rechts von der zj-Achse über die Höhe des Finanzierungsüberschusses und links von der zj-Achse über die Höhe des Finanzierungsdefizites des Geldmarktes. Inder Ausgangslage ist zj=OA. I m Fall (1) gilt die AN*f- Kurve und im Fall (2) die NAf- Kurve. Fall (1): Zunächst ist Njtf = OD. Da AN*} = NA Vj = NA*f + NA Fj ist, ist ANf -BD. Der Finanzierungsüberschuß des Gütermarktes ist kleiner als das Finanzierungsdefizit des Geldmarktes. Das durch den Finanzierungsüber38 Vgl. zum Beispiel Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, 34. Jahrgang Nr. 5, Mai 1982, S. 38 ff.
28
1. Kap.: Der Glaube an den „Geldschleier"
Abb. 1
schuß des Gütermarktes nicht ausgeglichene Finanzierungsdefizit des Geldmarktes hat ein entsprechendes Überangebot auf dem Markt für ertragbringende Vermögensanlagen zur Folge. Die Nichtbanken verringern ihre ertragbringenden Forderungen gegenüber den Banken, verkaufen ertragbringende Aktive an die Banken und erhöhen die Bankschulden. Diese Maßnahmen zur Geldbeschaffung erhöhen das Zinsniveau. Dadurch steigt das Geldangebot der Banken, während die Nachfrage nach Geld als Vermögensanlage sinkt, so daß sich NA*f verringert. Das Zinsniveau bleibt konstant, wenn der Punkt P 2 errreicht wird, weil dann das Finanzierungsdefizit des Geldmarktes so hoch ist wie der Finanzierungsüberschuß des Gütermarktes. In diesem Punkt gilt die Gleichung (5.2). Es besteht ein Kreditmarktgleichgewicht, weil der Markt für ertragbringende Aktiva ausgeglichen ist. Das noch bestehende Ungleichgewicht auf dem Güter- und Vermögensmarkt kann durch den Zinsmechanismus nicht beseitigt werden. Fall (2): Wie im Fall (1) ist NA*f = OD. Da NA g M i n * ist. Die graphische Darstellung der Gleichung (28) ergibt die Nachfragekurve (N-Kurve). Sie informiert über die /*(/**)-p*-Kombinationen, die sich bei normalem Auslastungsgrad der Produktionsanlage einstellen können, wenn die Preise Angebot und Nachfrage auf allen Gütermärkten ausgleichen und die Variablen konstant sind, die die Lage der Kurve bestimmen. Zur Diskussion der wirtschaftspolitischen Problembereiche werden die Angebotskurve und die Nachfragekurve im l s*-p*~Diagramm dargestellt, weil die Wirkungen von Lohn- und Preisänderungen auf die Lohnquote eine bedeutende Rolle spielen. Die Angebotskurve und die Nachfragekurve beginnen bei l s * = 0 auf der positiven /?*-Achse. Die beiden Kurven haben auch die Eigenschaft gemeinsam, daß steigenden /^-Werten zunehmende /?*-Werte zugeordnet sind. Außerdem ist anzunehmen, daß sich die Kurven schneiden. I m übrigen sind die Kurvenverläufe unbekannt. In der Abb. 14 werden Kurvenverläufe unterstellt, die sich bei Geltung plausibler Annahmen ergeben können. I m Schnittpunkt der beiden Kurven (Punkt S) ist das Preisniveau, das sich im Gütermarktgleichgewicht bei normalem Auslastungsgrad der Produktionsanlage einstellt, so hoch wie das Preisniveau, das die Unternehmen beim Absatz dieser Gütermenge mindestens verlangen.
6*
84
3. Kap.: Theorie der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik
Mit dem / s *-p*-Diagramm kann untersucht werden, wie sich die Kurven verschieben und / sowie p verändern müssen, wenn bestimmte Ziele erreicht werden sollen. Zunächst sind die Kurvenverläufe zu ermitteln. Dann ist die / s *-p*-Kombination festzustellen, die sich ergeben würde, wenn der normale Auslastungsgrad der Produktionsanlage ohne Veränderung von / und/? realiy B* siert werden könnte. Dann wärep = p * und r * = t + .Wenn diese Kombination links (rechts) von der Nachfragekurve liegt, besteht bei normalem Auslastungsgrad der Produktionsanlage eine Übernachfrage (ein Überangebot) auf dem Gütermarkt, die (das ) durch Erhöhung (Veringerung) des Güterpreisniveaus und häufig auch durch Verringerung (Erhöhung) des Lohnniveaus beseitigt werden kann. Wenn der Punkt links von der Angebotskurve liegt, kann der normale Auslastungsgrad der Produktionsanlage durch Erhöhung des Güterpreisniveaus und/oder durch Verringerung des Lohnniveaus erreicht werden. Bei allen Punkten rechts von der Angebotskurve ist der normale Auslastungsgrad der Produktionsanlage ohne Veränderung des Lohn- und Güterpreisniveaus realisierbar, wenn eine ausreichende Güternachfrage besteht; in diesem Bereich ist sogar eine Erhöhung der Lohnquote durch steigende Löhne und/oder sinkende Güterpreise möglich. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, daß der Schnittpunkt der beiden Kurven durch den Marktmechanismus realisiert wird. Die Löhne und Güterpreise werden bei Marktungleichgewichten nur allmählich verändert. Das Lohnund Güterpreisniveau ist nur nach oben flexibel. Es ist auch ungewiß, ob die Marktungleichgewichte stabil sind. Deshalb sind zur Erreichung des Schnittpunktes der beiden Kurven in der Regel wirtschaftspolitische Maßnahmen
. Theorie der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik
erforderlich. Außerdem stellt sich die Aufgabe, diesen Schnittpunkt so festzulegen, daß die Geldwertstabilität nicht gefährdet wird und sich keine unerwünschten Veränderungen der Lohnquote ergeben. Der Staat kann die Lösung dieses Problems durch den Einsatz von wirtschaftspolitischen Mitteln anstreben, die die Lage der Kurven verändern. Er wird innerhalb des Variationsbereiches der beiden Kurven sowie des Lohn- und Güterpreisniveaus zunächst den optimalen Zielpunkt und dann die geeigneten Maßnahmen ermitteln. Das l s* -p* -Diagramm ist deshalb als Entscheidungsgrundlage für die Wirtschaftspolitik geeignet. Im Unterschied zum C-AO^-Diagramm, das nur reale Größen berücksichtigt, kann das / s *-p*-Diagramm auch über die Wirkungen wirtschaftspolitischer Maßnahmen auf das Lohn- und Güterpreisniveau und die Lohnquote informieren. Der Aussagewert dieses Diagramms wird aber durch die Annahme verringert, daß bei normalem Auslastungsgrad der Produktionsanlage Vollbeschäftigung besteht. Außerdem werden im Unterschied zum C-AO^-Diagramm die Veränderungen der Produktionsanlage und des Arbeitspotentials nicht berücksichtigt. In der Abb. 14 können vier Bereiche mit verschiedenen wirtschaftspolitischen Problemen unterschieden werden. Bei den / ^ - ^ - K o m b i n a t i o n e n , die links von der Angebotskurve liegen, ergeben sich Inflation und Arbeitslosigkeit wegen zu hoher Kosten. Links von der Nachfragekurve ist mit Inflation wegen zu hoher Güternachfrage zu rechnen. Rechts von der Nachfragekurve besteht die Gefahr der Entstehung von Arbeitslosigkeit wegen zu geringer Güternachfrage. Tabelle J.-
Überblick über die wirtschaftspolitischen Probleme in den vier Bereichen des/Ä*-/?*-Diagramms Inflation Bereich
zu hohe Kosten
I
Arbeitslosigkeit
zu hohe Güternachfrage
zu hohe Kosten
zu geringe Güternachfrage
X
II
X
III
X
IV
X
X
X X
X
Die Keynesianer versuchen die konjunkturpolitischen Probleme mit der Steuerung der Güternachfrage zu lösen. Eine Rechtsverschiebung cier Nach-
86
3. Kap.: Theorie der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik
fragekurve kann durch die Erhöhung von G* und Ijj(E)* sowie durch die Verringerung von ^ ¿ * u n d ^ * e r r e i c h t werden. Die damit verbundene Erhöhung des Haushaltsdefizites bzw. Verringerung des Haushaltsüberschusses hat eine zinssteigernde Wirkung. Die Angebotskurve verschiebt sich ebenfalls nach rechts, weil k s* steigt. Die Geld- und Kreditpolitik kann eine Verschiebung der Nachfragekurve nach rechts durch Mittel erreichen, die IY(E)* erhöhen. In der Regel ergibt sich zunächst eine Verringerung von k s*, weil die effektiven Zinssätze sinken. Dann verschiebt sich die Angebotskurve nach links. Die antizyklische Finanzpolitik bewirkt demnach eine gleichgerichtete Bewegung der Nachfragekurve und der Angebotskurve, während die antizyklische Geld- und Kreditpolitik in der ersten Phase eine entgegengesetzte Bewegung dieser Kurven zur Folge hat. Der Staat kann die Angebotskurve durch die Veränderung von d ls* steuern. Die gewünschte Bewegung der Angebotskurve ist mindestens kurzfristig schwerer zu erreichen als die der Nachfragekurve. Deshalb ist eine baldige Lösung der wirtschaftspolitischen Probleme in den Bereichen I und I I leichter möglich als in den Bereichen I I I und IV, wenn der Abstand zur Angebotskurve groß ist. In diesen Bereichen kann die Nachfragesteuerung nur die Güternachfrage als Ursache der Inflation und der Arbeitslosigkeit beseitigen. Die Realisierung der Vollbeschäftigung ohne Inflation erfordert dann zusätzlich eine Verringerung des Lohnniveaus, wenn k s*, ms*, d is* und gMi n* nicht reduziert werden können. Im Bereich I I I sind die Erfolgsaussichten der Beschäftigungspolitik besser als im Bereich IV, weil die Übernachfrage auf dem Gütermarkt zu Preiserhöhungen führt, die die Lohnquote verringern, wenn l s * konstant ist oder schwächer steigt als p*. Der Staat müßte ein höheres Güterpreisniveau und die Gewerkschaften müßten eine geringere Lohnquote hinnehmen. Die Gewerkschaften werden dazu nur dann bereit sein, wenn sie das Vollbeschäftigungsziel stärker bewerten als das verteilungspolitische Ziel und annehmen, daß zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit eine höhere Gewinnquote erforderlich ist. Im Bereich IV ergeben sich besonders schwer zu lösende Probleme, weil zur Realisierung des Vollbeschäftigungszieles ohne Inflation eine Erhöhung der Güternachfrage erforderlich ist und die Gewerkschaften dazu neigen, den Nachfrageeffekt von Lohnerhöhungen stärker zu gewichten als den Kosteneffekt. Es ist deshalb zu befürchten, daß sie hohe Lohnforderungen durchsetzen und dadurch l 5 * erhöhen, obwohl l s * sinken müßte. Die Unterbewertung des Kosteneffektes von Lohnerhöhungen kann auch im Bereich I I eine expansive Lohnpolitik zur Folge haben, die in den Bereich IV führt. Die Gewerkschaften haben aber bei der Realisierung einer solchen Politik Schwierigkeiten, weil die Arbeitslosigkeit und das Überangebot auf dem Gütermarkt ihre Verhandlungsposition schwächen.
. Theorie der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik
Im Bereich I haben die Gewerkschaften eine starke Verhandlungsposition, weil die Güternachfrage das Güterangebot bei normalem Auslastungsgrad der Produktionsanlage übersteigt und Vollbeschäftigung besteht. Die Lohnpolitik kann deshalb leicht eine / s *-p*-Kombination im Bereich I I I herbeiführen. Die Gefahr einer solchen Entwicklung ist besonders groß, wenn die Tarifvertragsparteien annehmen, daß in der staatlichen Zielfunktion das Vollbeschäftigungsziel Priorität gegenüber dem Ziel der Geldwertstabilität hat, obwohl die Zentralbank nicht bereit ist, die zur Erhaltung der Vollbeschäftigung erforderliche Inflationsrate zuzulassen. Eine / l S *-p*-Kombination links von der Angebotskurve kann sich auch ergeben, wenn die Unternehmen durch wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen eine höhere Gewinnquote anstreben, weil die damit verbundene Zunahme von gMi n* die Angebotskurve nach rechts verschiebt. Außerdem ist eine Rechtsverschiebung der Angebotskurve zu erwarten, wenn der Staat die indirekten Steuern erhöht, wenn die spezifischen Kapitalkosten oder die Preise der importierten Produktionsmittel steigen. Wenn die Gewerkschaften in einem solchen Fall eine Verringerung der Lohnquote nicht hinnehmen, kann das Beschäftigungsziel nur erreicht werden, wenn der Staat das höhere Güterpreisniveau zuläßt und für die erforderliche Güternachfrage sorgt. Bei gegebener Lage der Angebotskurve sind die / i * - p ^ , w * - K o m b i n a t i o n e n bekannt, mit denen Vollbeschäftigung durch Nachfragesteuerung erreicht werden kann. Alle Kombinationen von l s * und /?*, die mit einer konstanten Lohnquote verbunden sind, liegen in der Abb. 14 auf einem Fahrstrahl durch den 0-Punkt. Der Tangens des Steigungswinkels dieses Fahrstrahls entspricht der Lohnquote. Bei konstanter Lohnquote ist die Realisierung der Vollbeschäftigung nur möglich, wenn sich ein Schnittpunkt des Fahrstrahls mit der Angebotskurve ergibt. Wenn das Lohnniveau, das Güterpreisniveau, die Lohnquote und der normale Auslastungsgrad der Produktionsanlage (bzw. die Vollbeschäftigung) die Zielgrößen darstellen, können immer nur zwei dieser Variablen frei gewählt werden, weil die anderen dann bestimmt sind. Wenn zum Beispiel der Staat das Güterpreisniveau und die Vollbeschäftigung als Zielgrößen festlegt, sind das Lohnniveau und die Lohnquote determiniert. Wenn die Gewerkschaften höhere Löhne durchsetzen, ergibt sich Arbeitslosigkeit. Die Gewerkschaften können eine bestimmte Lohnquote bei Vollbeschäftigung nur dann realisieren, wenn sie ein bestimmtes Lohnniveau erreichen und der Staat durch Nachfragesteuerung für das Güterpreisniveau sorgt, das mit Vollbeschäftigung verbunden ist. Die Lösung der wirtschaftspolitischen Probleme, die sich durch die Verteilungskämpfe ergeben, wird durch das ungelöste Diagnoseproblem erheblich erschwert. Eine effiziente Strategie kann nur ermittelt werden, wenn man mindestens weiß, in welchem Problembereich sich die Volkswirtschaft gerade befindet. Die Unterscheidung zwischen der klassischen und der keynesiani-
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3. Kap.: Theorie der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik
sehen Arbeitslosigkeit, die in der „Neuen MakroÖkonomik" eine bedeutende Rolle spielt, ist nach Auffassung von Gerfin sehr schwierig, weil erfahrungsgemäß jeder Beschäftigungsrückgang mit einer steigenden Lohnquote verbunden ist 1 . Das kann mit der verzögerten Anpassung der Beschäftigung an die sinkende Produktion erklärt werden, die sich auch bei keynesianischer Arbeitslosigkeit ergibt und eine Erhöhung der Lohnquote durch Verringerung der durchschnittlichen Arbeitsproduktivität zur Folge hat. Dieses Diagnoseproblem tritt bei unserer Analyse nicht auf, weil wir nicht von der tatsächlichen durchschnittlichen Arbeitsproduktivität, sondern von der durchschnittlichen Arbeitsproduktivität bei normalem Auslastungsgrad der Produktionsanlage ausgehen. Die Analyse der Problemsituation erfordert aber die Kenntnis der Lage der Angebotskurve und der Nachfragekurve sowie der l s*-p*-Kombination, die sich bei konstantem Lohn- und Güterpreisniveau ergeben würde. Es sollte auch bekannt sein, welche Entwicklung sich ohne staatliche Maßnahmen ergäbe und welche Wirkungen diese Maßnahmen hätten. Der Wirtschaftspolitiker sollte wenigstens wissen, ob sich die bei dem bestehenden Lohn- und Güterpreisniveau ergebende l s *~ P "-Kombination links oder rechts von der Angebotskurve befindet, weil die Lage der Nachfragekurve durch staatliche Maßnahmen kurzfristig leichter verändert werden kann als die Lage der Angebotskurve. Wenn die l s*-p*Kombination links von der Angebotskurve liegt, weiß er, daß bei konstanter Lohnquote die Ziele der Geldwertstabilität und der Vollbeschäftigung nicht gleichzeitig erreicht werden können, wenn die Verschiebung der Angebotskurve nach links nicht gelingt. Es ist anzunehmen, daß die eindeutige Ermittlung des Problembereiches auch bei unserem Modell schwierig sein kann. Die Lösung des Diagnoseproblems hätte für den Wirtschaftspolitiker neben der Möglichkeit der Ermittlung der optimalen Strategie den großen Vorteil, daß er die „öffentliche Meinung" gegen die Verteilungskämpfe der sozialen Gruppen mobilisieren könnte, die die Erreichung der gesamtwirtschaftlichen Ziele gefährden. (4)
Zweifel an der These, daß eine Erhöhung der Güterproduktion vorhergehende Erhöhung der Güternachfrage erfordert
immer eine
Die Vertreter der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik waren davon überzeugt, daß eine Erhöhung der Güternachfrage immer ein geeignetes Mittel zur Erhöhung der Güterproduktion darstellt, wenn genügend Produktionsmöglichkeiten bestehen. Die Diskussion über den Phillipskurvenzusammenhang hat die Aufmerksamkeit auf Preiserhöhungen als Folge von Lohnerhöhungen gelenkt, die den Produktionseffekt einer steigenden Güternachfrage verringern. Die Berücksichtigung der antizipierten Inflationsrate als weiterer Inflationsursache ist vor allem das Verdienst der 1
Vgl. Gerfin,
Harald: Arbeitslosigkeitstypen und Einkommensverteilung . . . S. 86 ff.
. Theorie der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik
Monetaristen. Die Neoklassiker behaupten, daß die Beseitigung der Arbeitslosigkeit stets eine Verringerung der Reallöhne erfordert. Die Vertreter der „Neuen MakroÖkonomik" vertreten dagegen die These, daß nur in einer bestimmten Situation (nämlich bei klassischer Arbeitslosigkeit), eine Reduzierung der Reallöhne das geeignete Mittel der Beschäftigungspolitik darstellt. Die optimale Strategie wird wohl häufig aus einer Kombination von Maßnahmen bestehen, die gleichzeitig eine Verringerung der Produktionskosten und eine Erhöhung der Güternachfrage bewirken. Die Annahme, daß bei Unterbeschäftigung eine Erhöhung der Güternachfrage immer zur Erhöhung der Güterproduktion führt, ist auch deshalb problematisch, weil für die Produktionsentscheidungen der Unternehmen nicht die tatsächliche, sondern die erwartete Nachfrageentwicklung relevant ist. Zum Beispiel kann eine Erhöhung der Güternachfrage mit den Mitteln der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik statt einer Produktionserhöhung eine Verringerung der Lagerbestände zur Folge haben, weil die Unternehmer annehmen, daß die staatlichen Maßnahmen keine dauerhafte Erhöhung der Güternachfrage bewirken können. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß in einer dynamischen Wirtschaft ein Teil der Produktionsfaktoren zur Produktion neuer Güter eingesetzt wird, obwohl bei Beginn der Produktion keine ausreichende Nachfrage besteht, weil die Unternehmer annehmen, daß sie die notwendige Nachfrage schaffen können. Sogar bei den Produkten, die den Konsumenten schon bekannt sind, folgt die Nachfrageerhöhung häufig der Produktionserhöhung. Die Kausalbeziehung zwischen der Produktionserhöhung und der Nachfrageerhöhung hat für die Einkommensentwicklung vielleicht die gleiche Bedeutung wie die umgekehrte Kausalbeziehung. Dieser These kann man auch dann zustimmen, wenn man die generelle Gültigkeit des Say'schen Theorems bezweifelt. Der Fall, in dem eine Zunahme der Güterproduktion trotz steigender Ersparnis die Güternachfrage so stark erhöht, daß die Mehrproduktion ohne Preissenkungen abgesetzt werden kann, ist bei einem zinselastischen Geldangebot nicht unwahrscheinlicher als der Keynes'sche Fall der Überproduktion, weil ein steigender Auslastungsgrad der Produktionskapazität die Investitionsneigung erhöht. Die Beschränkung der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik der Keynesianer auf den Einsatz von Mitteln der globalen Nachfragesteuerung kann mit der passiven Rolle erklärt werden, die die Unternehmer auch im Keynes'schen System spielen. Die starke Beachtung, die die Diskussion über die Angebotssteuerung in den letzten Jahren gefunden hat, zeigt aber, daß dieser Mangel der Keynes'schen Theorie erkannt worden ist.
90
(5)
3. Kap.: Theorie der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik
Geringer Aussagewert der Multiplikatortheorie
Mit den unrealistischen Annahmen der Keynesianer kann auch der geringe Aussagewert der Multiplikatortheorie erklärt werden, die in der Einkommenstheorie dieser Schule eine zentrale Rolle spielt. Diese Theorie läßt den Eindruck entstehen, daß die quantitativen Einkommenseffekte der privaten und staatlichen Investitionen, der direkten Steuern, der Transferzahlungen und der Exporte ermittelt werden können. Dagegen ist zunächst einzuwenden, daß die Diskussion über die Keynes'sche Konsumfunktion zu dem Ergebnis geführt hat, daß sie das Konsumverhalten nicht befriedigend erklären kann. Da die Multiplikatortheorie auf der Gültigkeit der Keynes'schen Konsumfunktion beruht, ergibt sich eine erhebliche Einschränkung des Aussagewertes dieser Theorie. Außerdem wird der Prognosewert der Multiplikatortheorie durch die Änderung der Nachfrageaggregate verringert, die von dieser Theorie als konstante Größen behandelt werden. Von allen Einwänden gegen die Multiplikatortheorie hat wohl die These die größte Bedeutung, daß diese Theorie die Einkommensentwicklung mit Plangrößen erklärt, weil für die Einkommensentwicklung in der Realität die realisierten Werte der Variablen der Multiplikatorformel entscheidend sind. Dieser Einwand wird nicht entkräftet, wenn man berücksichtigt, daß sich Abweichungen zwischen den Plangrößen und den tatsächlichen Größen auf die tatsächlichen Größen auswirken, da die Reaktionen der Wirtschaftssubjekte nicht nur zu einer Anpassung der tatsächlichen Größen an die Plangrößen, sondern auch der Plangrößen an die tatsächlichen Größen führen. Diese These soll mit einem Beispiel erläutert werden. Es wird angenommen, daß ein Einkommensgleichgewicht im Sinne von Keynes durch eine Erhöhung der Investitionsgüternachfrage der Unternehmen bei Unterauslastung der Produktionsfaktoren gestört wird. Die steigende Nachfrage kann vier verschiedene Reaktionen der Produzenten von Investitionsgütern auslösen: (1) Die gewünschten Investitionsgüter werden aus Lagerbeständen geliefert. Die Produktionsmenge und die Preise ändern sich nicht. (2) Die gewünschten Investitionsgüter werden durch Mehrproduktion bereitgestellt. Die Lagerbestände und die Preise ändern sich nicht. (3) Die Produzenten der Investitionsgüter stellen eine Lieferung der gewünschten Güter nach Ablauf einer bestimmten Frist in Aussicht. Zunächst bleiben die Produktionsmenge, die Lagerbestände und die Preise konstant. (4) Die Produzenten der Investitionsgüter lassen die Produktionsmenge, die Lagerbestände und die Lieferfristen unverändert und erhöhen die Preise für ihre Produkte so lange, bis die Güternachfrage der Güterproduktion entspricht.
. Theorie der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik
Diese Reaktionen wirken sich unterschiedlich auf das Volkseinkommen aus. Im Fall (1) ergibt sich kein Einkommenseffekt. Die Höhe aller Investitionen ändert sich nicht, wenn die Erhöhung von Anlageinvestitionen durch die Verringerung von Vorratsinvestitionen ausgeglichen wird. Die geplanten Investitionen übersteigen in diesem Fall die tatsächlichen Investitionen. Im Fall (2) ergibt sich die von der Keynes'schen Multiplikatortheorie prognostizierte Einkommensentwicklung, wenn sich die marginale Sparquote nicht ändert und alle Nachfrageaggregate außer dem privaten Konsum und den privaten Investitionen konstant sind. Die Plangrößen der Investitionen und der Ersparnis stimmen am Ende des Prozesses mit den tatsächlichen Größen überein. Im Fall (3) ergibt sich kein Einkommenseffekt, weil sich die tatsächlichen Investitionen nicht ändern. Wie im Fall (1) übersteigen die geplanten Investitionen die tatsächlichen Investitionen. Im Fall (4) ergibt sich bei unveränderter Güterproduktion kein realer Einkommenseffekt. Am Ende des Prozesses entsprechen die tatsächlichen Investitionen den geplanten Investitionen. Die nach der Multiplikatortheorie zu erwartende reale Einkommenserhöhung tritt nur im Fall (2) ein. Da die anderen Fälle nicht unwahrscheinlich sind, kann die Multiplikatortheorie den Einkommenseffekt nur in einem Spezialfall erklären. Im Fall (4) werden die geplanten Investitionen an die tatsächlichen Investitionen angepaßt, während sich im Fall (2) die tatsächlichen Investitionen an die geplanten Investitionen anpassen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß in den Fällen (1) und (3) schließlich eine Anpassung der tatsächlichen Größen an die Plangrößen erfolgt. Dann ergibt sich nur eine Verzögerung der Einkommenswirkung, die nach der Multiplikatortheorie zu erwarten ist. Eine Erhöhung der Produktionskosten und/oder der antizipierten Inflationsrate kann aber zur Folge haben, daß den Reaktionen (1) und (3) die Reaktion (4) folgt. Denkbar ist auch, daß die Lieferfrist im Fall (3) bewirkt, daß das geplante Investitionsvorhaben nicht realisiert wird; dann ergibt sich ebenfalls eine Anpassung der geplanten Investitionen an die tatsächlichen Investitionen. Es ist auch anzunehmen, daß die globale Nachfragesteuerung sektoral und regional unterschiedliche Reaktionen auslöst.
(6)
Zweifel an der Eignung der staatlichen Bauinvestitionen Konjunkturpolitik
als Mittel der
Die Anhänger der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik sind der Auffassung, daß von den Staatsausgaben im wesentlichen nur die Bauinvestitionen antizyklisch variiert werden können. Die Steuerung der Bauinvestitionen zur Erreichung konjunkturpolitischer Ziele ist aus verschiedenen Gründen problematisch: Die Verringerung dieser Investitionen gefährdet die Realisierung anderer Ziele. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß zwischen den staatlichen und den privaten Investitionen häufig komplementäre Bezie-
92
3. Kap.: Theorie der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik
hungen bestehen. Die Unterbrechung begonnener Bauprojekte kann zu einer erheblichen Erhöhung der Bau- und Unterhaltungskosten führen. Eine kurzfristige Erhöhung der Bauinvestitionen setzt voraus, daß in ausreichendem Umfang sofort realisierbare Projekte existieren. Der Entscheidung über die Durchführung eines Bauprojektes folgt zunächst ein zeitraubendes Ausschreibungsverfahren. Die antizyklische Variation der öffentlichen Bauinvestitionen ist schwer realisierbar, weil über den größten Teil dieser Investitionen die Gemeinden zu entscheiden haben, deren Bauinvestitionen bisher regelmäßig prozyklisch gewirkt haben. Außerdem ist es problematisch, daß die Bauindustrie von konjunkturpolitischen Maßnahmen stärker betroffen wird als andere Wirtschaftszweige. (7)
Abhängigkeit von der wirtschaftlichen
Entwicklung
im Ausland
Die Theorie der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik setzt eine geschlossene Volkswirtschaft voraus. Bei unbeschränktem Güterverkehr mit dem Ausland und festen Wechselkursen besteht eine enge positive Korrelation zwischen dem inländischen und dem ausländischen Preisniveau. Bei unbeschränktem Kapitalverkehr mit dem Ausland wird die Entwicklung des inländischen Zinsniveaus stark vom ausländischen Zinsniveau bestimmt; bei flexiblen Wechselkursen ist damit eine Veränderung des Außenbeitrages verbunden. Eine realistische Politik muß diese Zusammenhänge berücksichtigen. (8)
Die Vollbeschäftigungspolitik als Ursache der Inflation und der Verringerung des Wirtschaftswachstums
Die Theorie der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik berücksichtigt nicht, daß die Vollbeschäftigungspolitik mit den Mitteln der globalen Nachfragesteuerung zut Inflation führt und die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs beeinträchtigt. Die Priorität des Vollbeschäftigungszieles hat zur Folge, daß sich eine inflationistisch wirkende Übernachfrage in den Engpaßbereichen der Produktion ergibt, weil immer Diskrepanzen zwischen der Produktionsstruktur und der Nachfragestruktur bestehen und die Güterpreise nach unten kaum flexibel sind. Mit steigender gesamtwirtschaftlicher Güternachfrage erhöht sich die Inflationsrate, weil die Übernachfrage auf einzelnen Märkten zunimmt. Je höher der zur Erreichung der Vollbeschäftigung erforderliche Auslastungsgrad der Produktionsanlage ist, um so höher ist die Inflationsrate, die mit der Realisierung dieses Zieles verbunden ist. Die Vernachlässigung dieses Problems kann nur mit der Annahme erklärt werden, daß die Produktionsfaktoren überall und jederzeit zur Produktion jedes beliebigen Gutes eingesetzt werden können. Wenn das der Fall wäre, könnte zum Beispiel eine Erhöhung des privaten Konsums und/oder der staatlichen Ausgaben für Güter und Dienste die Leerkapazität in der Inve-
. Theorie der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik
stitionsgüterindustrie ohne Steigerung der Nachfrage nach Investitionsgütern beseitigen. In der Realität ist aber eine kurzfristige Änderung der Produktionsstruktur wegen der weit fortgeschrittenen Spezialisierung der Produktionsfaktoren nur noch in engen Grenzen möglich. Die zunehmende Spezialisierung der Produktionsfaktoren hat wesentlich zur Erhöhung der Produktivität beigetragen; sie hat aber auch die Anpassungsflexibilität der Unternehmen erheblich verringert. Eine weitere Ursache der geringen Anpassungsflexibilität ist die stark eingeschränkte Mobilität der Produktionsfaktoren. Die geringe Mobilität der Arbeitskräfte ist teilweise eine Folge der relativ hohen Arbeitslosenunterstützung und der Regelung der „Zumutbarkeit" einer anderen Tätigkeit. Wenn der technische Fortschritt auch in Zukunft mit einer steigenden Spezialisierung der Produktionsfaktoren verbunden ist, wird die Bedeutung dieser Inflationsursache noch zunehmen. Die globale Nachfragesteuerung hat auch eine Kosteninflation zur Folge. Eine bedeutende Ursache der Kosteninflation sind Abweichungen zwischen der Angebotsstruktur und der Nachfragestruktur auf dem Arbeitsmarkt. Da die Arbeitslosenquoten der regionalen und beruflichen Teilarbeitsmärkte sehr unterschiedlich sind, ist eine Erhöhung des gesamtwirtschaftlichen Auslastungsgrades des Arbeitspotentials mit einer zunehmenden Übernachfrage auf Teilarbeitsmärkten verbunden, die zu einem starken Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Lohnkosten vor der Realisierung des Vollbeschäftigungszieles führen kann, weil das gleichzeitig vorhandene Überangebot auf einzelnen Teilarbeitsmärkten keine Lohnsenkungen bewirkt. Es ergibt sich eine ähnliche Situation wie auf dem Gütermarkt mit den gleichen Wirkungen: Die Vollbeschäftigungspolitik konserviert kurzfristig die Angebotsstruktur und erhöht dadurch langfristig die Abweichungen zwischen der Angebotsstruktur und der Nachfragestruktur. Die zunehmende Bedeutung der Strukturprobleme und die Verringerung des Wettbewerbs haben eine Abschwächung des wirtschaftlichen Wachstums zur Folge. Die negativen Wachstumseffekte werden durch eine steigende Inflationsrate verstärkt, weil durch die damit verbundenen Verzerrungen der Preisstruktur die Informations- und Lenkungsfunktion der Preise beeinträchtigt wird. Die Priorität des Vollbeschäftigungszieles in der staatlichen Zielfunktion kann zur Folge haben, daß die Gewerkschaften bei ihrer Lohnpolitik das Risiko einer steigenden Arbeitslosigkeit als Folge von Lohnerhöhungen gering einschätzen, weil sie an den Erfolg der staatlichen Wirtschaftspolitik glauben. Wenn außerdem das Nettoeinkommen der Arbeitnehmer bei Arbeitslosigkeit kaum niedriger als bei einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist, haben die wichtigsten Gründe für eine Beschränkung gewerkschaftlicher Lohnforderungen an Bedeutung verloren. Der Glaube an die Priorität und den Erfolg der staatlichen Vollbeschäftigungspolitik erhöht
94
3. Kap.: Theorie der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik
auch die Bereitschaft der Arbeitgeberverbände, hohen Lohnforderungen der Gewerkschaften zuzustimmen, weil sich die Unternehmen darauf verlassen, daß der Staat die zur Erreichung der Vollbeschäftigung bei konstanter Gewinnquote erforderliche Zunahme der Inflationsrate zuläßt. Ergibt sich jedoch ein Anstieg der Lohnquote, weil die Erhöhung der Güterpreise in dem erwarteten Umfang nicht gelingt, nehmen die Investitionen zu, die die Kapitalintensität der Produktion, die Arbeitsproduktivität und die Arbeitslosigkeit erhöhen. Je länger die Vollbeschäftigungspolitik mit den Mitteln der globalen Nachfragesteuerung betrieben wird, um so deutlicher wird der Effizienzverlust der marktwirtschaftlichen Steuerungsmechanismen. Es kann leicht der Eindruck entstehen, daß die Fehlentwicklung in Systemmängeln der Marktwirtschaft begründet liegt. Dadurch kann die Neigung zu Reformen zunehmen, die die Marktwirtschaft allmählich in eine zentral gelenkte Planwirtschaft mit marktwirtschaftlich gesteuerten Randbereichen umwandeln. Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs wird langfristig nicht nur durch die Vollbeschäftigungspolitik, sondern auch durch die kontraktive globale Nachfragesteuerung beeinträchtigt, weil sie die kleinen Unternehmen stärker als die Großunternehmen belastet und deshalb die Unternehmenskonzentration fördert. Die multinationalen Großunternehmen sind Nutznießer einer solchen Politik, weil es ihnen in der Regel nicht schwerfällt, unangenehmen staatlichen Maßnahmen auszuweichen.
Ein kaum beachtetes Problem: Die zunehmende Diskrepanz zwischen den Auslastungsgraden der Produktionsanlage und des Arbeitspotentials als Folge der globalen Nachfragesteuerung
Über die These der Liberalen, daß die Konjunkturpolitik der Keynesianer die Unterschiede zwischen der (sektoralen und regionalen) Angebotsstruktur und der Nachfragestruktur verstärkt, ist viel diskutiert worden. Sie kann aber auch eine zunehmende Diskrepanz zwischen dem Auslastungsgrad der Produktionsanlage und dem Auslastungsgrad des Arbeitspotentials zur Folge haben. Dieser Struktureffekt der keynesianischen Konjunkturpolitik ist bisher kaum beachtet worden, obwohl damit vielleicht ein bedeutender Teil der gegenwärtigen Arbeitslosigkeit erklärt werden kann. Erstrebenswert ist eine wirtschaftliche Entwicklung bei Geltung der Gleichungen A 0
N
= A O N ( A K ) u n d C(G) = C(AK).
D a n n s i n d die P r o d u k -
tionstaktoren Arbeit und Kapital insgesamt normal ausgelastet, weil die positiven und negativen Abweichungen vom normalen Auslastungsgrad gleich groß sind. Da die konjunkturellen Bewegungen Schwankungen im gesamtwirtschaftlichen Auslastungsgrad bewirken, ergibt sich der normale Aus-
. Theorie der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik
lastungsgrad im günstigsten Fall als Durchschnittswert der Auslastungsgrade. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, daß dieser Fall eintritt. Die Grundstruktur der konjunkturellen Bewegungen kann mit den zyklischen Schwankungen von (/#(£) - IY{K)) und erklärt werden. Die Erhöhung von (/$(£) - / $ ( * ) ) bewirkt in der Abb. 6 eine Verschiebung der Produktionskurve (G-Kurve) nach oben und der Vollbeschäftigungskurve (A-Kurve) sowie der Kapazitätskurve (K-Kurve) nach unten. Die entgegengesetzten Wirkungen ergeben sich bei einer Verringerung von {IyiE) IJJIK)). A 0 N steigt bei einer Erhöhung und sinkt bei einer Verringerung von IY(K). Die Kurvenverschiebungen und die Bewegungen von IYIK) bewirken Änderungen der Auslastungsgrade der Produktionsanlage und des Arbeitspotentials. (IY (E) - IY (K)) steigt in der Rezession sowie in den Aufschwungphasen und sinkt in der Hochkonjunktur sowie in den Abschwungphasen (vgl. Tab. 1). Wenn sich die Rezession und die Aufschwungphasen stärker auf die Lage der Kurven im C-AO^-Diagramm auswirken als die Hochkonjunktur und die Abschwungphasen, verschiebt sich der Schnittpunkt der G-Kurve mit der K-Kurve langfristig nach links. Das bedeutet bei unverändertem &ON(AK), daß der normale Auslastungsgrad der Produktionsanlage bei Arbeitslosigkeit erreicht wird, wenn in der Ausgangslage AO N (GK) = AO N (AK) war, weil die A-Kurve oberhalb von der K-Kurve verläuft, wenn AO N{GK) < J\O N(AK) ist. Die entgegengesetzten Kurvenverschiebungen in der Hochkonjunktur und in den Abschwungphasen können bei gleicher Ausgangslage zur Folge haben, daß der normale Auslastungsgrad des Arbeitspotentials bei Unterauslastung der Produktionsanlage realisiert wird, weil sich AO N (GK) bei unverändertem AO N (AK) erhöht und die K-Kurve oberhalb von der AKurve verläuft, wenn LON(GK) > AON{AK) ist. Bei unverändertem Muster der Konjunkturbewegungen nimmt die Differenz zwischen den Auslastungsgraden der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital mit jedem Konjunkturzyklus zu. Es steigt die Wahrscheinlichkeit, daß die Abschwungphase bei Unterbeschäftigung beginnt, wenn AO N (GK) abnimmt und bei Unterauslastung der Produktionsanlage, wenn &ON{GK) zunimmt. Die Beendigung des konjunkturellen Expansionsprozesses bei Arbeitslosigkeit und Uberauslastung der Produktionsanlage kann auch die Folge steigender Haushaltsdefizite, steigender Ausgaben des Staates für Güter und Dienste (ohne die Personalausgaben) oder steigender Exportüberschüsse sein. Die diskretionäre antizyklische Konjunkturpolitik hat keine Auswirkungen auf die durchschnittlichen Auslastungsgrade der Produktionsanlage und des Arbeitspotentials, wenn die Wirkungen dieser Politik in allen Konjunkturphasen gleich stark sind. Es ist aber anzunehmen, daß die expansiv wirkenden konjunkturpolitischen Maßnahmen früher ergriffen und stärker dosiert werden als die kontraktiv wirkenden Maßnahmen. Die deshalb lang-
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3. Kap.: Theorie der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik
fristig steigenden Haushaltsdefizite und Staatsausgaben für Güter und Dienste (ohne Personalausgaben) verschieben im Durchschnitt der Konjunkturbewegungen die Produktionskurve nach oben und die Vollbeschäftigungskurve sowie die Kapazitätskurve nach unten. Da dadurch die Arbeitslosigkeit zunimmt, die beim Erreichen des normalen Auslastungsgrades der Produktionsanlage besteht, ist anzunehmen, daß sich auch die Arbeitslosigkeit am Anfang der Abschwungphase erhöht. Die Differenz zwischen den Investitionen, die nach der Gleichung A O N = BON(AK) bei unverändertem AON(AK) erforderlich sind und den tatsächlichen Investitionen nimmt wahrscheinlich zu. Dann verringert sich die vorhandene Produktionsanlage relativ zu der Produktionsanlage, die bei normalem Auslastungsgrad mit Vollbeschäftigung verbunden sein kann. Demnach ist zu befürchten, daß die diskretionäre antizyklische Konjunkturpolitik der Keynesianer in zweifacher Hinsicht die strukturelle Arbeitslosigkeit erhöht: (1) Die Arbeitslosigkeit steigt, weil die Angebotsstruktur immer stärker von der Nachfragestruktur abweicht. (2) Die Arbeitslosigkeit steigt, weil die Produktionsanlage relativ zum Arbeitspotential schrumpft. Die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland ist in der letzten Zeit durch eine zunehmende Bedeutung beider Arten der strukturellen Arbeitslosigkeit gekennzeichnet. Die asymmetrische diskretionäre antizyklische Konjunkturpolitik der Keynesianer aufgrund des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 1967 könnte eine wesentliche Ursache dieser Fehlentwicklung darstellen. Das wäre dann der Fall, wenn ein großer Teil der starken Zunahme der Haushaltsdefizite und der Ausgaben des Staates für Güter und Dienste (ohne die Personalausgaben) mit dieser Konjunkturpolitik erklärt werden könnte. Sicherlich spielen auch andere Faktoren eine bedeutende Rolle (z.B. die langfristige Erhöhung der Sozialleistungen und Personalausgaben des Staates).
2. Versuch einer Neuorientierung a) Die Aufgaben der Stabilisierungspolitik Dem Staat sollte die Aufgabe übertragen werden, die privaten Investitionen und damit auch die Produktionsanlage so zu steuern, daß der normale Auslastungsgrad der Produktionsanlage bei Vollbeschäftigung erreicht werden kann. Die Lösung dieser Aufgabe erfordert, daß A 0 N = &ON(AK) wird. Wenn man die Gleichungen ( 2 6 )
A0NUK)
= ^ -
( A
A
- t
S(
) - O»'
-
I
E
H U
97
2. Versuch einer Neuorientierung u n d
w n
AO = M
(8)
AON
berücksichtigt, erhält man die folgende Bedingung: (29)
/#(*)=[£
. ( A t - t ^ - i v - O » ' ]
Die Ermittlung von I$(K) setzt die Kenntnis von AR J und rr voraus. AOn
ß
—,AA,T ST,
0NR
**
Wenn der Auslastungsgrad der Produktionsanlage größer ist als der Auslastungsgrad des Arbeitspotentials, ist LON LON(AK) ist. Die antizyklische Konjunkturpolitik muß berücksichtigen, daß die Höhe der privaten Investitionen bestimmt ist, wenn die gleichzeitige Realisierung des normalen Auslastungsgrades der Produktionsanlage und des Arbeitspotentials angestrebt wird. Es ist zu beachten, daß die Erhöhung der Investitionen eine ausreichende Leerkapazität in der Investitionsgüterindustrie erfordert. Andernfalls sind Maßnahmen zur Erweiterung der Produktionsmöglichkeiten erforderlich. Im C-AO^-Diagramm muß sich die Produktionskurve nach unten und/oder die Kapazitätskurve nach oben verschieben. In Betracht kommt eine Verringerung von G und/oder von H. Die Realisierung der Investitionshöhe, die der Gleichung (29) entspricht, stellt nur eine notwendige Bedingung für die Erreichung des normalen Auslastungsgrades der Produktionsanlage und des Arbeitspotentials dar. Es muß außerdem die Bedingung C(G) = C(AK) (C = C(GAK)) erfüllt sein, damit sich ein Schnittpunkt der drei Kurven bei A 0 N = AO N (AK) ergibt. Aus den im Anhang dargestellten Gleichungen (30) und (31) für G und / / i m Schnittpunkt der drei Kurven G(GAK) und H(GAK) geht hervor, daß die Erfüllung dieser Bedingung durch die Variation von G und/oder von H erreicht werden kann. Zwischen G und H besteht eine Substitutionsbeziehung, weil eine Erhöhung von G durch eine Verringerung von H kompensiert werden kann und umgekehrt. Bei der Entscheidung, ob G oder //variiert werden soll, sind die unterschiedlichen Wirkungen auf C(GAK) zu beachten. Eine Erhöhung (Verringerung) von G, die mit einer Verringerung (Erhöhung) von H verbunden ist, bewirkt eine Abnahme (Zunahme) von C(GAK). 2
Wulff 7
98
3. Kap.: Theorie der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik
Die gleichzeitige Realisierung der normalen Auslastungsgrade der Produktionsfaktoren stellt nur eine wesentliche Voraussetzung der Geldwertstabilität dar, weil ein inflationistisch wirkender Verteilungskampf auch in dieser Situation zu befürchten ist. Die Inflation kann sich bei konstanten Importgüterpreisen vor allem als Folge von Tariflohnerhöhungen oder als Folge von Wettbewerbsbeschränkungen ergeben. Zur Beseitigung dieser Gefahr sind Maßnahmen erforderlich, die einen Anstieg der Lohnstückkosten bei normalem Auslastungsgrad der Produktionsfaktoren verhindern. Außerdem hat die Wettbewerbspolitik dafür zu sorgen, daß Wettbewerbsbeschränkungen als Inflationsursache ausscheiden. In der Regel wird es dem Staat nicht gelingen, die privaten Investitionen so erfolgreich zu steuern, daß = AO N (AK) ist. Man muß es schon als einen Erfolg der Stabilisierungspolitik ansehen, wenn durch diese Politik starke Abweichungen zwischen A 0 N und AO N (AK) verhindert werden. Das bedeutet, daß in der Regel die gleichzeitige Realisierung der normalen Auslastungsgrade der Produktionsanlage und des Arbeitspotentials nicht möglich ist und mit einem Konflikt zwischen den Zielen der Geldwertstabilität und der Vollbeschäftigung zu rechnen ist. Dieser Konflikt wird aber abgeschwächt, wenn die Differenz zwischen A OF und AO^(AK) abnimmt. Wenn A 0 N < AO N (AK) ist, können als extreme Konfliktlösungen Geldwertstabilität bei Unterbeschäftigung und normalem Auslastungsgrad der Produktionsanlage oder Vollbeschäftigung mit Inflation wegen Überauslastung der Produktionsanlage angestrebt werden. Bei der zuletzt genannten Zielsetzung muß vorausgesetzt werden, daß der maximale Auslastungsgrad der Produktionskapazität nicht schon bei Unterbeschäftigung erreicht wird. Wenn A 0 N > LON(AK) ist, wird der Lösungsbereich durch die folgenden extremen Lösungen begrenzt: Vollbeschäftigung bei Unterauslastung der Produktionsanlage und Geldwertstabilität oder normaler Auslastungsgrad der Produktionsanlage bei Überbeschäftigung und Inflation. Bei der zuletzt genannten Zielsetzung muß vorausgesetzt werden, daß die erforderliche Überstundenarbeit realisierbar ist. Zur Erreichung der angestrebten Lösung kann wieder die Steuerung von G und/oder //dienen. Die Gleichungen für G(GA) f H(GA), G(GK) und H(GK) sind im Anhang zu diesem Kapitel dargestellt. Zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs und zur Vermeidung einer stark steigenden Inflationsrate sollte der Staat auf Maßnahmen zur globalen Erhöhung des Auslastungsgrades der Produktionsfaktoren verzichten, wenn der normale Auslastungsgrad der gesamtwirtschaftlichen Produktionsanlage oder des gesamtwirtschaftlichen Arbeitspotentials erreicht ist. 2 Diese Aussage kann mit den Gleichungen für C(G) (Gleichung (14)) und C( A K ) (Gleichung (25)) begründet werden.
2. Versuch einer Neuorientierung
99
Es ist auch zu beachten, daß sich strukturelle Diskrepanzen nie völlig beseitigen lassen. Infolge der Preisstarrheit nach unten hat die Übernachfrage in Teilbereichen eine Inflation zur Folge, die man kurzfristig als unvermeidlich hinnehmen muß, wenn man eine starke Unterauslastung der Produktionsfaktoren als das größere Übel ansieht. Ein funktionsfähiger Wettbewerb verringert die Abweichungen zwischen der Angebotsstruktur und der Nachfragestruktur. Bei der Realisierung der kurzfristigen Zielfunktion durch Steuerung von G und/oder / / i s t als Nachteil zu berücksichtigen, daß auf eine stetige Entwicklung von G und/oder C verzichtet wird. Die geringe und wahrscheinlich weiterhin sinkende Anpassungsflexibilität der Produktionsfaktoren schränkt die Erfolgsaussichten einer kurzfristigen Veränderung der Angebotsstruktur so stark ein, daß schon aus diesem Grund auf eine kompensatorisch wirkende antizyklische Fiskalpolitik verzichtet werden sollte. Der Staat sollte die Relation der Staatsausgaben für Güter und Dienste (ohne die Personalausgaben) zum Bruttosozialprodukt bestimmen, die er langfristig für optimal hält. Die Höhe dieser Staatsausgaben sollte dann in jedem Haushaltsjahr so festgesetzt werden, daß sich eine stetige Entwicklung ergibt und langfristig die optimale Relation zum Bruttosozialprodukt realisiert wird. Außerdem sollte der Staat für eine stetige Entwicklung der Exporte und Importe sowie der Wohnungsbauinvestitionen sorgen. Diese Politik würde die Schwankungen des privaten Konsums und der Investitionen der Unternehmen langfristig verringern. Die Investitionspolitik sollte auf eine kurzfristige Realisierung der Bedingung A 0N =&ON(AK) zugunsten einer allmählichen Änderung der Höhe der Erweiterungsinvestitionen verzichten. Wenn kurzfristig wirksame Nachfrageeffekte erwünscht sind, ist eine Einflußnahme auf den privaten Konsum einer Veränderung der öffentlichen Investitionen vorzuziehen.3 Eine stetige Entwicklung der realen Größen des Bruttosozialproduktes (der Exporte, der Importe, des privaten Konsums, der privaten Investitionen und der Staatsausgaben für Güter und Dienste) erleichtert die Prognose der künftigen Entwicklung. Dadurch wird die langfristige Planung der Wirtschaftssubjekte und des Staates verbessert. Es ist wohl anzunehmen, daß die größere Sicherheit bei der Beurteilung der künftigen Entwicklung die Investitionsneigung der Unternehmen erhöht. Die stabilisierungspolitische Aufgabe des Staates ist dann leichter zu lösen als bei der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik der Keynesianer.
3 Vgl. Giersch, Herbert: Konjunktur- und Wachstumspolitik in der offenen Wirtschaft, Allgemeine Wirtschaftspolitik, Zweiter Band, Wiesbaden 1977, S. 239.
7*
100
3. Kap.: Theorie der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik
b) Kompetenzen und Mittel der Stabilisierungspolitik Der Bundestag sollte seine Präferenzen auch im Bereich der Stabilisierungspolitik durchsetzen können. Deshalb müßten seine Zielvorstellungen möglichst exakt formuliert werden. Die Darstellung der wirtschaftspolitischen Ziele im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz entspricht dieser Forderung nicht. Es ist auch zu berücksichtigen, daß die gleichzeitige Realisierung aller Ziele in der Regel nicht möglich ist. Deshalb ist die anzustrebende Zielkombination aus dem Bereich der realisierbaren Lösungen auszuwählen. Der Bundestag könnte dieses Problem durch eine Entscheidung in der jeweiligen Problemsituation lösen; er könnte aber auch allgemeine Regeln festsetzen, die die Ermittlung der anzustrebenden Zielkombination in jedem Konfliktfall ermöglichen. Die Bundesbank sollte für die Durchführung der Stabilisierungspolitik zuständig sein. Es ist sinnvoll, einer einzelnen Institution die Kompetenz für die Stabilisierungspolitik zu übertragen, weil dadurch der Effizienzverlust vermieden wird, der sich regelmäßig ergibt, wenn mehrere unabhängige wirtschaftspolitische Instanzen für Teilbereiche der Stabilisierungspolitik zuständig sind, weil das Koordinierungsproblem nicht befriedigend gelöst werden kann. Für die Zuständigkeit der Bundesbank spricht die Unabhängigkeit dieser Institution von den Wirtschaftsverbänden und den politischen Parteien. 4 Die vorgeschlagene Regelung ist auch für die politischen Parteien erstrebenswert, weil die Regierung die unpopulären Maßnahmen nicht mehr zu verteidigen hätte, die in der Hochkonjunktur erforderlich sind. Die Funktionsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie würde verbessert werden, weil eine Einigung über Ziele häufig leichter zu erreichen ist als eine Einigung über die einzusetzenden Mittel. Außerdem wäre der Wahlkampf nicht mehr mit der Diskussion über wirtschaftspolitische Maßnahmen belastet. Da die Mehrheit der Bürger die Wirkungen solcher Maßnahmen nicht beurteilen kann, ist eine Auseinandersetzung darüber sinnlos. Eine gute Begründung dieser These ergibt sich aus den Erfahrungen mit der Aufwertungsdiskussion im Bundestagswahlkampf 1969. Die Einflußmöglichkeiten der Bürger würden zunehmen, wenn die politischen Parteien alternative Zielfunktionen zur Wahl stellten, deren Bedeutung sie beurteilen könnten. Zur Erreichung der stabilisierungspolitischen Ziele sollte der Bundesbank das folgende Instrumentarium zur Verfügung stehen: Offenmarktpolitik, Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer, Investitionsprämie und Investitionssteuer, Festsetzung des Haushaltsdefizites bzw. Haushaltsüberschusses, Steuerung der Wechselkursentwicklung, Lohnabgabe zugunsten der Unternehmen. Es ist anzunehmen, daß dieses Instrumentarium der Bundesbank Vgl. Giersch, Herbert: Konjunktur- und Wachstumspolitik . . . S.
2 ff.
2. Versuch einer Neuorientierung
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die Möglichkeit geben würde, die stabilisierungspolitische Aufgabe befriedigend zu lösen, wenn der Wettbewerb funktionsfähig ist. Durch Devisenkäufe bzw. -Verkäufe sollte die Bundesbank die Wechselkurse so steuern, daß sich bei einer vierteljährlich ausgeglichenen Zahlungsbilanz eine stetige Entwicklung der Exporte und Importe ergibt. Außerdem sollte sie kurzfristige Schwankungen der Wechselkurse durch Interventionen am Devisenmarkt ausgleichen. Die gewünschte Entwicklung der Kapitalexporte und -importe könnte mit der Offenmarktpolitik erreicht werden. Die Bundesbank könnte die Differenz zwischen dem Zinsniveau der Finanzaktiva des Inlandes und des Auslandes so variieren, daß sich der für den Zahlungsbilanzausgleich erforderliche Saldo der Kapitalbilanz ergibt. Sie sollte beim An- und Verkauf von Wertpapieren alle Inländer gleich behandeln, damit die Effizienz der Offenmarktpolitik nicht von den Dispositionen der Banken abhängig ist. Die angestrebten Zinseffekte könnten in relativ kurzer Zeit erreicht werden, weil sich Änderungen der Rendite der Staatspapiere bald auf die Zinssätze der anderen Finanzaktiva auswirkten. Es besteht die Gefahr eines Effizienzverlustes der Offenmarktpolitik, wenn die Regierung für das debt management zuständig ist, weil eine klare Trennungslinie zwischen diesen beiden Politikbereichen nicht gezogen werden kann 5 und erfahrungsgemäß befürchtet werden muß, daß eine befriedigende Lösung des Koordinierungsproblems nicht gelingt. Die Bundesbank sollte deshalb als einzige staatliche Institution das Recht haben, Wertpapiere mit Forderungen gegen sich selbst zu emittieren 6 . Bei der Gestaltung der Bedingungen und bei der Festsetzung der Höhe der in Wertpapieren verbrieften Staatsschuld (einschließlich der Banknoten und Münzen 7 ) sollte sie keinen gesetzlichen Beschränkungen unterliegen 8 . Die Bundesbank könnte ihre Ziele unabhängig von der Entwicklung der ausländischen Zinssätze realisieren, müßte aber hinnehmen, daß die Ent5 „Die Zentralbank kann keine vernünftigen Entscheidungen über die auf Sicht laufende Verschuldung oder über andere ihrer Instrumente treffen, ohne daß sie den Aktivitäten des Finanzministeriums bezüglich des Angebots längerfristiger Schuldtitel Rechnung trägt. Genau so wenig kann das Finanzministerium seine Ziele der Schuldenpolitik, gleich welcher Art diese sind, auf intelligente Weise verfolgen, ohne zu berücksichtigen, welche Entscheidungen die Zentralbank über die am Markt zu belassende zinstragende Staatsschuld trifft." Tobin, James: Grundsätze der Geld- und Staatsschuldenpolitik . . . S. 27. 6 Vgl. Milbradt, Georg H.: Ziele und Strategien des debt management, Ein Beitrag zur Theorie der optimalen Schuldenstruktur des Staates unter Einbeziehung der Notenbank, Baden-Baden 1975, S. 189. 7 Das Münzregal sollte der Bundesbank übertragen werden. Vgl. Milbradt, Georg H.: Ziele und Strategien des debt management . . . S. 191. 8 Für die Einbeziehung langfristiger Titel in die Offenmarktpolitik hat sich auch Giersch ausgesprochen. Vgl. Giersch, Herbert: Konjunktur- und Wachstumspolitik . . . S. 226 ff.
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3. Kap.: Theorie der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik
wicklung des inländischen Zinsniveaus noch stärker als bei der gegenwärtigen Bundesbankpolitik von der Zinsentwicklung im Ausland abhängig wäre. Es entfielen die Probleme, die sich häufig ergeben haben, wenn die Bundesbank die privaten Investitionen durch Einflußnahme auf das inländische Zinsniveau zu steuern versucht hat. Von der Offenmarktpolitik abgesehen, könnte die Bundesbank auf alle geld- und kreditpolitischen Instrumente des zur Zeit geltenden Bundesbankgesetzes verzichten 9 . Damit würde auch die Behinderung der Geld- und Kreditpolitik der Bundesbank durch den Euromarkt an Bedeutung verlieren 10 . Eine stetige und an der Erreichung des Zieles A O N = AO N (AK) ausgerichtete Entwicklung der privaten Investitionen sollte die Bundesbank mit der Investitionsprämie bzw. mit der Investitionssteuer anstreben. Die Bemessungsgrundlage für die Investitionsprämie bzw. die Investitionssteuer sollten die privaten Investitionsausgaben sein. Die Prämien- bzw. Steuersätze sollten Prozentsätze sein, die die Bundesbank beliebig variieren kann. Sie sollte das Recht haben, unterschiedliche Sätze für die Investitionen der Unternehmen und die Wohnungsbauinvestitionen der privaten Haushalte festzusetzen. Eine weitergehende Differenzierung sollte ausgeschlossen werden, weil strukturpolitische Maßnahmen nicht in den Kompetenzbereich der Bundesbank fallen sollten. Die Bundesbank hätte damit die Möglichkeit, die privaten Investitionen über eine Veränderung der Rendite dieser Investitionen global zu steuern. Da die Höhe der Investitionsprämie nicht begrenzt wäre, könnte sie den gewünschten Investitionseffekt auch bei einem starken Anstieg der Zinssätze der Finanzaktiva erreichen. A u f eine Variation der steuerwirksamen Abschreibungsmöglichkeiten als Mittel der Investitionspolitik könnte man verzichten. Zur Verstetigung der Entwicklung des privaten Konsums würde der Bundesbank die (positive oder negative) Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer dienen. Bei konstantem Abgabesatz würden sich die Steuermehreinnahmen (bei einer positiven Ergänzungsabgabe) und die Steuermindereinnahmen (bei einer negativen Ergänzungsabgabe) proportional zu den Einnahmen aus der Einkommensteuer verändern. Das Recht zur Festsetzung des Abgabesatzes in beliebiger Höhe würde der Bundesbank die Möglichkeit geben, die privaten Konsumausgaben durch Veränderung des verfügbaren Einkommens zu steuern. Die Variation der Steuerbelastung der Gewinn- und Kapitaleinkommen könnte unerwünschte Investitionseffekte zur Folge 9 Der Ausbau der Offenmarktpolitik zum beherrschenden Instrument der Geldpolitik entspricht einer alten monetaristischen Forderung. Vgl. Neumann, Manfred J. M.: Stabilisierungspolitik in monetaristischer Sicht . . . S. 89. 10 Vgl. Matthes, Heinrich: Geldpolitik und Außenwirtschaft, in: Zur Theorie und Politik internationaler Wirtschaftsbeziehungen, Herausgegeben von Gottfried Bombach, Bernhard Gahlen, Alfred E. Ott, Schriftenreihe des Wirtschaftswissenschaftlichen Seminars Ottobeuren Band 10, Tübingen 1981, S. 407.
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haben, die aber durch eine Veränderung der Investitionsprämie bzw. der Investitionssteuer kompensiert werden könnten. Nach der Einführung der Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer sollte auf eine Veränderung der Steuersätze der Einkommensteuer zur Erreichung stabilisierungspolitischer Ziele verzichtet werden. Auf eine stetige Entwicklung der Staatsausgaben für Güter und Dienste (ohne die Personalausgaben) könnte die Bundesbank durch die Festlegung der Höhe des Haushaltsdefizites bzw. des Haushaltsüberschusses Einfluß nehmen. Ein Haushaltsdefizit sollte mit einer Geldschöpfung 11 , ein Haushaltsüberschuß mit einer Geldvernichtung in gleicher Höhe verbunden sein. Die Bundesbank könnte bei gegebenen Steuereinnahmen über die Höhe der jährlichen Staatsausgaben entscheiden, müßte aber in jedem Haushaltsjahr die Höhe der Staatsausgaben für Güter und Dienste (ohne Personalausgaben) finanzieren, die sich bei stetiger Entwicklung dieser Ausgaben aus der vom Bundestag langfristig festgesetzten Relation zum Sozialprodukt ergibt. Durch Variation der Sätze der Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer könnte sie bei gegebener Höhe der Staatsausgaben die gewünschte Höhe des Haushaltsdefizites bzw. Haushaltsüberschusses durchsetzen. Der Bundestag sollte bei Beachtung der Ziele der Stabilisierungspolitik weiterhin das Recht haben, über die Höhe und die Struktur der Staatsausgaben sowie der Steuereinnahmen — mit Ausnahme der Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer sowie der Investitionsprämie bzw. Investitionssteuer — zu entscheiden. Da die Bundesbank genügend Macht hätte, die Durchsetzung der stabilisierungspolitischen Ziele notfalls zu erzwingen, wäre die Finanzpolitik der Gebietskörperschaften im wesentlichen auf die Realisierung der distributions- und allokationspolitischen Ziele beschränkt. Mit der Veränderung des Haushaltsdefizites bzw. des Haushaltsüberschusses und mit dem Instrumentarium der Offenmarktpolitik könnte die Bundesbank auf die Gütermarktsituation einwirken. M i t der Offenmarktpolitik könnte sie die Lage der AN^-Kurve und mit der Veränderung des Saldos des Staatshaushaltes die Lage der NAf -Kurve beeinflussen. Die Verpflichtung der Bundesbank, für eine stetige Entwicklung der Exporte und Importe zu sorgen, hätte allerdings zur Folge, daß das Zinsniveau der inländischen Finanzaktiva weitgehend von der Zinsentwicklung der ausländischen Finanzaktiva abhinge. Trotzdem könnte sie die gewünschte Güter11 „Die Keynesianer befürworten eine weitgehende Finanzierung konjunkturpolitisch bedingter Budgetdefizite durch eine Kreditaufnahme bei der Zentralbank, also durch Geldschöpfung, vertreten aber auf der anderen Seite die These, daß auch solche fiskalpolitischen Maßnahmen positive Beschäftigungseffekte haben, die mit einer Kreditaufnahme auf dem inländischen Kapitalmarkt finanziert werden." Dieckheuer, Gustav: Möglichkeiten und Risiken einer kreditfinanzierten Stabilisierungspolitik, in: Öffentliche Verschuldung, Zusammengestellt und herausgegeben von Ewald Nowotny, Stuttgart - New York 1979, S. 44.
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3. Kap.: Theorie der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik
marktsituation durch eine gleichzeitige Verschiebung der ANJ -Kurve und der M4^-Kurve erreichen, weil sich dadurch Auswirkungen auf das inländische Zinsniveau vermeiden ließen. Besonders schwer zu lösende Probleme haben die Verteilungskämpfe zur Folge. Die Erfahrungen mit der Konzertierten Aktion zeigen, daß unverbindliche Lohnleitlinien keine geeignete Problemlösung darstellen. Sie können sogar die Erfolgsaussichten der Stabilisierungspolitik verringern, weil sie den Eindruck entstehen lassen, daß dem Staat die Fähigkeit fehlt, eine erfolgreiche Stabilisierungspolitik zu betreiben. Vielleicht könnte die vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vorgeschlagene Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer 12 die Gefahr destabilisierend wirkender Lohnerhöhungen verringern. Beachtung verdient auch der Vorschlag von Giersch, die Erhöhung der Dauerarbeitslosigkeit durch eine Gewerkschaftspolitik der Maximierung der Lohnsumme hinzunehmen, wenn die Gewerkschaften anstelle des Staates Träger des Systems der sozialen Sicherheit (insbesondere der Arbeitslosenversicherung) werden 13 . In der letzten Zeit hat der Vorschlag starke Resonanz gefunden, der Geldund Kreditpolitik die Aufgabe zu übertragen, die Geldmenge so zu steuern, daß der normale Auslastungsgrad der Produktionsanlage mittelfristig bei einer als unvermeidlich angesehenen Inflationsrate (im Idealfall bei Geldwertstabilität) realisiert werden kann, wenn bei Traifverhandlungen die Lohnleitlinie beachtet wird. Die Tarifvertragsparteien könnten auch höhere Löhne vereinbaren, wenn sie die damit verbundene höhere Arbeitslosigkeit in Kauf nehmen. Die Entscheidung über den Beschäftigungsgrad soll auf diese Weise den Tarifvertragsparteien übertragen werden 14 . Diesem Vorschlag liegt die monetaristische Vorstellung zugrunde, daß auf längere Sicht die gewünschte Entwicklung des nominalen Volkseinkommens mit einer Steuerung der Geldmenge erreicht werden kann. Durch eine stetige Entwicklung der Geldmenge soll auch eine stetige Entwicklung des nominalen Volkseinkommens gesichert werden. Im Unterschied zu den Auffassungen der Monetaristen wird vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung aber angenommen, daß sich die Lohnentwicklung weitgehend unabhängig von der Geldmengenentwicklung vollzieht und die Zunahme der durchschnittlichen Stückkosten eine wichtige originäre Inflationsursache darstellt. 12 Vgl. Jahresgutachten 1975 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Ziffer 370—374. 13 Vgl. Giersch, Herbert: Konjunktur- und Wachstumspolitik . . . S. 263. 14 Vgl. Nehring, Sighart und Soltwedel, Rüdiger: Probleme der Beschäftigungspolitik, in: Konjunkturpolitik, Zeitschrift für angewandte Konjunkturforschung, 22. Jahrgang (1976), S. 208 und S. 219. - Jahresgutachten 1980/81 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Ziffer 188.
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Bei der von uns empfohlenen Stabilisierungspolitik ist die Geldmenge kein Aktionsparameter der Bundesbank. Die Bundesbank hätte vielmehr die Aufgabe, für eine stetige Entwicklung der realen Aggregate bei Geldwertstabilität zu sorgen. Die Entwicklung der Geldmenge ergäbe sich als Folge dieser Politik. Eine stetige Entwicklung des Volkseinkommens ist in der Regel mit einer stetigen Entwicklung der Geldmenge verbunden, wenn die Zahlungsbilanz ausgeglichen ist. Eine stetige Geldmengenentwicklung stellt aber keine ausreichende Bedingung für eine erfolgreiche Stabilisierungspolitik dar. Das wäre selbst dann nicht der Fall, wenn die von den Monetaristen angenommene Kausalbeziehung zwischen der Geldmenge und dem Volkseinkommen zutreffend wäre, weil eine stetige Entwicklung der Geldmenge noch keine stetige Entwicklung der Produktionsstruktur gewährleistet und die langfristige Stabilisierungspolitik eine bestimmte Entwicklung der Investitionen erfordert. Es ist auch problematisch, den Tarifvertragsparteien die Verantwortung für den Beschäftigungsgrad zu übertragen, weil nicht gewährleistet ist, daß die Gewerkschaften auf eine expansive Lohnpolitik verzichten, die mit einem Beschäftigungsrückgang verbunden ist. Wenig erfolgversprechend und mit erheblichen Nachteilen verbunden ist auch der Vorschlag von Giersch, Indexlöhne als Mittel der Stabilisierungspolitik einzusetzen15. In einem marktwirtschaftlichen System hat der Staat dafür zu sorgen, daß die Einkommensverteilung vor allem nach dem Leistungsprinzip erfolgt, weil sonst die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftssystems gefährdet wäre. Er hat deshalb Maßnahmen zur Sicherung eines funktionsfähigen Wettbewerbs zwischen den Unternehmen zu ergreifen. Wenn sich die Bildung wettbewerbspolitisch unerwünschter Macht nicht vermeiden läßt, hat er die Aufgabe, den Mißbrauch dieser Macht zu verhindern. M i t der Anerkennung der Gewerkschaften als Tarifvertragspartei hat der Staat das marktwirtschaftliche Leistungsprinzip bei der Lohnbildung stark eingeschränkt, weil die Tariflöhne in der Regel rechtlich oder faktisch Mindestlöhne darstellen. Es ist zweifelhaft, ob durch eine Zunahme der Tariflöhne die Lohnquote langfristig erhöht werden kann. Sicher ist aber, daß Tariflohnerhöhungen die Realisierung der Ziele der Stabilisierungspolitik gefährden können 16 . Die 15 Vgl. Issing, Otmar: Indexklauseln und Inflation, Tübingen 1973. - Kuntze, OskarErich: Preiskontrollen, Lohnkontrollen und Lohn-Preis-Indexbindung in den europäischen Ländern, Die Erfahrungen mit diesen Instrumenten bei der Inflationsbekämpfung, Berlin 1973. - Ehrlicher, Werner (Hrsg.): Probleme der Indexbindung, Beihefte zu Kredit und Kapital, Heft 2, Berlin 1974. -Scherf, Harald: Indexierung von Einkommenszahlungen als Mittel der Stabilisierungspolitik, in: Stabilisierungspolitik in der Marktwirtschaft, Zweiter Halbband, Herausgegeben von Hans K. Schneider, Waldemar Wittmann, Hans Würgler, Schriften des Vereins für Socialpolitik, Neue Folge Band 85/11 (1975), S. 1239—1250.-Pichler, J. Hanns, Verhonig, Hubert, Hentschel, Norbert: Inflation und Indexierung, Theoretische Analyse, Instrumentarium, empirische Befunde und Kritik, Berlin 1979. 16 Nach Auffassung von Giersch „ergibt sich die Frage, ob das Auf und Ab der Kon*
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3. Kap.: Theorie der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik
damit verbundenen Nachteile sind für die Arbeitnehmer (einschließlich der Arbeitslosen) vermutlich noch größer als für die Unternehmer. Es ist deshalb nicht einzusehen, daß der Staat auf wirksame Maßnahmen zur Verhinderung destabilisierend wirkender Lohnerhöhungen nur deshalb verzichten soll, weil dadurch die Tarifautonomie eingeschränkt wird. Der Verzicht auf solche Maßnahmen bedeutet, daß der Staat in einem wichtigen Bereich den Mißbrauch wirtschaftlicher Macht zuläßt und damit vor partikularen Interessen kapituliert. Die Lösung dieses Problems könnte durch eine Lohnabgabe zugunsten der Unternehmen erreicht werden. Bemessungsgrundlage dieser Abgabe sollte das Arbeitseinkommen der Arbeitnehmer sein. Die Bundesbank sollte das Recht haben, den Abgabesatz (als Prozentsatz) in gleicher Höhe für alle Arbeitnehmer so hoch festzusetzen, daß sich keine Erhöhung der durchschnittlichen Lohnstückkosten bei normalem Auslastungsgrad der gesamten Produktionsanlage ergibt. Die Bundesbank könnte eine Zunahme der Konsumausgaben, wenn sie zur Realisierung der Ziele der Stabilisierungspolitik erforderlich ist, durch Verringerung des positiven Steuersatzes bzw. durch Erhöhung des negativen Steuersatzes der Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer erreichen. Wenn sich mit dem verfügbaren Einkommen die Sparquote erhöht, könnte sie den unerwünschten Nachfragerückgang durch eine stärkere Dosierung der Steuersenkung vermeiden. Die mit einer steigenden Ersparnis verbundene Zunahme des Vermögens der Arbeitnehmer wäre ein positiver Nebeneffekt der Stabilisierungspolitik. Die Gewerkschaften könnten Lohnerhöhungen nicht mehr mit der These begründen, daß sie zur Erhöhung der Güternachfrage und der Beschäftigung erforderlich seien, weil die Güternachfrage bei konstanten spezifischen Lohnkosten erhöht werden könnte. Die Wettbewerbspolitik hat zu verhindern, daß sich die zur Erreichung des normalen Auslastungsgrades der Produktionsanlage erforderliche Gewinnquote erhöht. Von den vielen ungelösten Problemen der Wettbewerbspolitik verdienen die mit der ungenügenden Kontrolle multinationaler Großunternehmen und der zunehmenden Verflechtung zwischen den großen Unternehmen verbundenen Probleme eine besonders starke Beachtung. Der Staat sollte keine Maßnahmen ergreifen, die die Großunternehmen begünstigen. Der Bundestag könnte die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs durch Anpassungssubventionen und durch Maßnahmen verbessern, die die Mobilität der Produktionsfaktoren erhöhen 17 . Die bestehenden Erhaltungssubjunktur überhaupt wirksam gedämpft werden kann, solange die organisierten Marktkräfte - vornehmlich die Tarifvertragsparteien und die Unternehmerverbände - Einfluß haben; denn solche Organisationen brauchen verteilungspolitische Erfolge, selbst wenn es sich auf mittlere Sicht nur um Pyrrhussiege handelt, und sie leben von der Hoffnung auf neue Siege, auch wenn die Hoffnung eine Illusion ist." Giersch, Herbert: Konjunktur- und Wachstumspolitik . . . S. 191. 17
Vgl. Giersch, Herbert: Konjunktur- und Wachstumspolitik . . . S. 257 ff.
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ventionen sollten allmählich abgebaut werden. Wenn auf einzelne Erhaltungssubventionen gegenwärtig nicht verzichtet werden kann, sollte die Regelung in bestimmten Abständen überprüft werden. Neue Erhaltungssubventionen sollten nur gewährt werden, wenn die gesamtwirtschaftlichen Vorteile einer Abschwächung des marktwirtschaftlichen Anpassungsprozesses stärker ins Gewicht fallen als die damit verbundenen Nachteile. Beschäftigungspolitische Ziele und das Streben nach Erhaltung der langfristig erforderlichen Produktionskapazität könnten bei dieser Entscheidung eine Rolle spielen. Alle Subventionen sollten nur befristet gewährt werden 18 . Diese Regelung ist auch bei Anpassungssubventionen sinnvoll, weil die Gefahr besteht, daß die Subventionen weitergewährt werden, wenn der angestrebte Zweck erreicht ist. Eine wesentliche Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs könnte wahrscheinlich durch die Beseitigung unnötiger gesetzlicher oder administrativer Beschränkungen der privaten Investitionen und durch den Verzicht auf eine staatliche Distributionspolitik erreicht werden, die die Leistungs- und Investitionsanreize erheblich schwächt. Die strukturelle Arbeitslosigkeit könnte durch eine stärkere Differenzierung der regelmäßigen Arbeitszeit verringert werden. Denkbar wäre die folgende Regelung: Die Tarifvertragsparteien vereinbaren weiterhin die „normale" regelmäßige Arbeitszeit. Der Bundestag beschließt mit Zustimmung des Bundesrates Grundsätze zur Verringerung der regelmäßigen Arbeitszeit für Teilarbeitsmärkte mit überdurchschnittlich großem Überangebot. Die Reduzierung der regelmäßigen Arbeitszeit erfolgt bei konstanten spezifischen Lohnkosten, so daß das Arbeitseinkommen abnimmt, wenn sich die Arbeitsproduktivität nicht erhöht. Der Beschäftigungseffekt einer solchen Arbeitszeitregelung könnte durch die Zunahme der Überstundenarbeit erheblich abgeschwächt werden. Der Bundestag sollte deshalb mit Zustimmung des Bundesrates eine Überstundensteuer für Arbeitsleistungen mit einem erheblichen Überangebot einführen. Die Steuersätze sollten um so höher sein, je größer das Überangebot ist. Da die Feststellung der offenen Stellen kaum befriedigend möglich ist, sollte geprüft werden, ob die Arbeitslosenquote als Bemessungsgrundlage für die Überstundensteuer verwendet werden kann. Für die Ermittlung der Abweichungen von der „normalen" regelmäßigen Arbeitszeit und für die Festsetzung der Steuersätze sollten die Arbeitsämter zuständig sein, weil sie die Arbeitsmarktlage in ihrem Bezirk am besten ermitteln können. Die Zuständigkeit der Arbeitsämter hätte auch den Vorteil, daß die regionalen Unterschiede berücksichtigt werden könnten. Bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten der vorgeschlagenen Maßnahmen sind außer den Wirkungen auf die Arbeitsnachfrage die Wirkungen auf das Arbeitsangebot von Bedeutung. Dabei spielen die unbekannten Abwei18
Vgl. Giersch, Herbert: Konjunktur- und Wachstumspolitik . . . S. 147.
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3. Kap.: Theorie der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik
chungen zwischen der ohne Restriktionen optimalen Arbeitszeit und der regelmäßigen Arbeitszeit eine wichtige Rolle. Wenn bei der Mehrheit der Arbeitnehmer die optimale Arbeitszeit die regelmäßige Arbeitszeit übersteigt, würde sich langfristig das Arbeitsangebot bei den Berufen mit einer relativ hohen Arbeitszeit stärker erhöhen als bei den Berufen mit einer relativ niedrigen Arbeitszeit. Dadurch würden sich die strukturellen Diskrepanzen des Arbeitsmarktes verringern. Es ist aber auch der entgegengesetzte Fall denkbar, der die Effizienz dieser Arbeitsmarktpolitik verringern würde. Bei der Analyse der voraussichtlichen Effekte der vorgeschlagenen Regelung ist zu berücksichtigen, daß sich die Bekanntgabe der unterschiedlichen Arbeitslosenquoten auf die Berufswahl und die berufliche sowie regionale Mobilität der Arbeitnehmer positiv auswirken könnte, weil sich die Markttransparenz verbessern würde. Für Arbeitnehmergruppen, die (gemessen an der Marktsituation) überhöhte Lohnforderungen durchsetzen, würde sich das Risiko einer Verringerung des Arbeitseinkommens ergeben. Dieses Risiko würde die Lohnforderungen vielleicht stärker dämpfen als das Arbeitsplatzrisiko, wenn bei Arbeitslosigkeit eine hohe Arbeitslosenunterstützung zu erwarten ist. Insgesamt ist wohl anzunehmen, daß die empfohlene Arbeitsmarktpolitik einen Beitrag zur Verringerung der strukturellen Arbeitslosigkeit und damit auch der strukturellen Diskrepanzen des Gütermarktes leisten könnte. Es könnte die Inflationsrate verringert werden, die mit einer Vollbeschäftigungspolitik verbunden ist. Außerdem würden sich die Wachstumschancen der Volkswirtschaft verbessern. Bei der Analyse der zu erwartenden Einkommensverluste ist zu beachten, daß die Abnahme der Arbeitslosigkeit eine Kürzung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zulassen würde. Deshalb könnte bei einer Arbeitszeitverkürzung mit konstantem Stundenlohn das Nettoeinkommen der Arbeitnehmer schwächer sinken als das Bruttoeinkommen.
c) Alternative Lösungen der stabilisierungspolitischen Probleme der Bundesrepublik Deutschland am Ende des Jahres 1982 Die stabilisierungspolitischen Probleme der Bundesrepublik Deutschland am Ende des Jahres 1982 sollen mit der Abb. 15 erläutert werden. Die gesamtwirtschaftliche Situation wird durch den Punkt D dargestellt. Der normale Auslastungsgrad der Produktionsfaktoren wurde nicht erreicht. Der Auslastungsgrad der Produktionsanlage war größer als der Auslastungsgrad des Arbeitspotentials. Wenn der maximale Auslastungsgrad der Produktionsanlage bei A O^ = OA realisiert worden wäre, hätte noch eine erhebliche Arbeitslosigkeit bestanden. A c F war zur Erreichung der Vollbeschäftigung zu klein, weil die Investitionen der Unternehmen in der letzten Zeit fast aus-
2. Versuch einer Neuorientierung
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schließlich Rationalisierungsinvestitionen waren, die die ,4-Kurve nach oben verschoben haben. Die Volkswirtschaft befand sich noch in einer Rezession. Der Auslastungsgrad der Produktionsanlage sank, und die Arbeitslosigkeit stieg.
Die Lösung der stabilisierungspolitischen Aufgaben erforderte die Erfüllung der folgenden Bedingungen: (1)
AOn=
(2)
C(G) = C(AK).
(3)
Keine Gefährdung der Geldwertstabilität.
A
(fiAK).
Die Stabilisierungspolitik konnte zur Erfüllung der Bedingung (1) die privatwirtschaftliche oder die staatswirtschaftliche Strategie einsetzen. Bei der privatwirtschaftlichen Strategie sind zwei Arten zu unterscheiden, nämlich die Wachstumsstrategie und die Freizeitstrategie. Die Wachstumsstrategie geht von der Annahme aus, daß eine möglichst starke Zunahme der Produktionsanlage erstrebenswert sei. Deshalb soll die Bedingung (1) durch die Anpassung von Acft an AO^ (AK) realisiert werden. Es waren demnach Maßnahmen erforderlich, die zu einem Anstieg der privaten Erweiterungsinvestitionen geführt hätten. Durch die damit verbundene Erhöhung von ( / $ ( £ ) - Iy(K)) hätte sich die G-Kurve nach oben verschoben, während sich die ^ - K u r v e und die ÄT-Kurve nach unten bewegt hätten. Diese Kurvenverschiebungen waren konjunkturpolitisch erwünscht, weil sie die Rezession abgeschwächt und evt. sogar den Aufschwung eingeleitet hätten. Zur Verstärkung dieser Wirkungen hätten Mittel zur Steigerung des
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3. Kap.: Theorie der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik
privaten Konsums eingesetzt werden können, die die Bewegung der G-Kurve nach oben beschleunigt und die Investitionsneigung der Unternehmen erhöht hätten. Zusätzliche Investitionsanreize wären durch eine Lohnpolitik geschaffen worden, die zu einer Verringerung der spezifischen Lohnkosten geführt hätte. Eine solche Lohnpolitik hätte auch zur Erfüllung der Bedingung (3) beigetragen, weil sich die Volkswirtschaft Ende 1982 vermutlich im Bereich IV des l s*-p* -Diagramms (Abb. 14) befunden hat. Die Entstehung dieser Situation kann mit dem starken Anstieg von pMi n* als Folge der Erhöhung von k s*, s s m * , / * und mit der Politik der Bundesbank erklärt werden, weil sie die Inflationsrate nicht zugelassen hat, die eine l s*-p*-Kombination auf der Angebotskurve ermöglicht hätte. Die kurzfristige Ausschöpfung der vorhandenen Produktionsmöglichkeiten hätte vielleicht zu einer Beendigung des konjunkturellen Expansionsprozesses vor der Erfüllung der Bedingung (1) geführt. Der Staat hätte deshalb nach dem Beginn des Expansionsprozesses die Aufgabe gehabt, die Produktionsmöglichkeiten für Investitionsgüter zu erhöhen. Es wäre eine Verringerung des Anstiegs des privaten Konsums durch Steuererhöhungen in Betracht gekommen. Die damit verbundene Reduzierung des Haushaltsdefizites hätte die Aufwärtsbewegung der G-Kurve mindestens abgeschwächt. Langfristig wäre eine Verringerung des Haushaltsdefizites vor allem durch eine Abnahme des Anteiles der Sozial- und Personalausgaben des Staates am Sozialprodukt sinnvoll gewesen, weil sich die Leistungsanreize verstärkt hätten. Mit einer leichten Verschiebung der ÄT-Kurve nach oben war schon durch die Erhöhung von (fr zu rechnen. Die staatlichen Maßnahmen zur Erhöhung der Produktionsmöglichkeiten hätten aber den konjunkturellen Expansionsprozeß abgeschwächt. Es bestand deshalb die Gefahr, daß bei zu starker Dosierung die Abschwungphase vor der Erfüllung der Bedingung (1) begonnen hätte. Bei der Freizeitstrategie wird eine Lösung der Probleme der Stabilisierungspolitik durch eine Verringerung des Arbeitsangebotes einer Problemlösung durch eine Erweiterung der Produktionsanlage und die damit verbundene Zunahme der Arbeitsnachfrage vorgezogen. Es wird angenommen, daß eine enge positive Korrelation zwischen der regelmäßigen Arbeitszeit und dem effektiven Arbeitsangebot besteht. Bei Geltung dieser Annahme hätte eine Verkürzung der regelmäßigen Arbeitszeit eine Verschiebung der AKurve nach unten durch Verringerung des Arbeitsangebotes bewirkt. Bei richtiger Dosierung hätte sich eine Anpassung von AO^ {AK) an ergeben. Es wären verschiedene Arten der Verkürzung der regelmäßigen Arbeitszeit in Betracht gekommen (zum Beispiel: Verkürzung der Wochenarbeitszeit, Verlängerung der Urlaubszeit sowie der Schul-, Ausbildungs- und Wehrdienstzeit, Vorverlegung des Rentenalters). Eine Verringerung des effektiven
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Arbeitsangebotes hätte sich auch durch eine Beschränkung der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer erreichen lassen. Der Beschäftigungseffekt dieser Maßnahmen hätte durch die Einführung einer Überstundensteuer und durch Differenzierung der Arbeitszeitregelung nach der Arbeitsmarktsituation verstärkt werden können. Die staatswirtschaftliche Strategie geht von der Annahme aus, daß eine Erhöhung der Zahl der Staatsbediensteten die beste Lösung der Aufgaben der Stabilisierungspolitik darstellt. Die Erfüllung der Bedingung (1) soll (wie bei der Freizeitstrategie) durch eine Anpassung von AcF (AK) an A durch Verschiebung der ^4-Kurve erreicht werden. Im Unterschied zur Freizeitstrategie soll nicht das Arbeitsangebot, sondern die Arbeitsnachfrage verändert werden. I m Unterschied zur Wachstumsstrategie soll die staatliche Arbeitsnachfrage steigen. Eine Zunahme der Arbeitsnachfrage des Staates hätte bei richtiger Dosierung die Erfüllung der Bedingung (1) durch die Verschiebung der v4-Kurve nach unten bewirken können. Nach der Durchsetzung der Bedingung (1) wäre die Realisierung der Bedingung (2) bei allen Strategien durch eine Variation des Haushaltsdefizites des Staates oder der Ausgaben des Staates für Güter und Dienste (ohne Personalausgaben) möglich gewesen. Die Bedingung (3) hätte eine Senkung der indirekten Steuern, des Wechselkurses und/oder der spezifischen Lohnkosten erfordert. Die dargestellten Strategien schließen sich nicht aus. Deshalb kann eine Lösung der Aufgaben der Stabilisierungspolitik auch mit einer gemischten Strategie angestrebt werden. Eine Kombination der Wachstumsstrategie mit der Freizeitstrategie ist sinnvoll, wenn eine größere Produktionsanlage und eine geringere Arbeitszeit erwünscht sind. Diese Kombination bietet sich auch an, wenn die Wachstumsstrategie zu einem optimalen Ergebnis führen würde, die erforderliche Erhöhung der Erweiterungsinvestitionen aber nicht erreicht werden kann.
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3. Kap.: Theorie der diskretionären antizyklischen Konjunkturpolitik
Anhang Gleichungen für G(GAK) und H(GAK) Bezeichnet man mit G(GAK) und H(GAK) die Größen von G und H, die sich bei Geltung der Gleichungen AO - A 0 N ( A K ) und C(G) = C(AK) ergeben, erhält man die folgenden Gleichungen:
YB
(1
+* H)
(1
+sH)
AR
tp — (H - Sy) ' (30)
LRB .(A tp Gq (31)
X
G(GAK) =
H(GAK)
+
A
-t
S t
)-I
E
AR m
Sy-x
= x = 1 + hH
- äff - mjj • (1 -
aH)
Q = SH +