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German Pages 315 [316] Year 1998
Linguistische Arbeiten
381
Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Herbert E. Brekle, Gerhard Heibig, Hans Jürgen Heringer, Heinz Vater und Richard Wiese
Tendenzen europäischer Linguistik Akten des 31. Linguistischen Kolloquiums, Bern 1996
Herausgegeben von Jürg Strässler
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1998
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Tendenzen europäischer Linguistik: Akten des 31. Linguistischen Kolloquiums, Bern 1996 / hrsg. von Jürg Strässler. - Tübingen : Niemeyer, 1998 (Linguistische Arbeiten ; 381) ISBN 3-484-30381-6
ISSN 0344-6727
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1998 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Buchbinder: Industriebuchbinderei Hugo Nadele, Nehren
Inhaltsverzeichnis / Contents
Vorwort Preface
XI XIII
Kirsten Adamzik Intertextualität in der wissenschaftlichen Kommunikation
1
Boteslaw Andrzejewski Das Wesen und die Funktion der Sprache im Lichte des Apriorismus
6
Hanna Biadun-Grabarek Studienpläne für die deutschsprachigen Abteilungen der polnischen Fremdsprachenkollegs ..9 Zofia Bilut-Homplewicz Zur Dialogeinbettung in der Erzählung aus textlinguistischer Sicht
13
Katrin Bischl Selbstdarstellungsstrategien von Unternehmen in Mitarbeiterzeitungen
17
Stojan Braöiö Aspekte der Intertextualität
22
Bela Brogyanyi Sprachtherapeutische Massnahmen bei Patienten mit Multipler Sklerose
27
Abraham P. ten Cate Tempus, Aspekt, Modus und Deixis
32
Käthi Dorfmüller-Karpusa Oralität - Literalität im interkulturellen Kontext
37
Hartwig Eckert Performance Analysis and Translation Exercises. Α Report on the Project Different Models of Teaching Syntax
41
Gisella Ferraresi Die Syntax des Infinitivs im Gotischen: Die Modalverben skulan und magan
46
VI
Inhaltsverzeichnis / Contents
Barbara Gillette Language Teacher Training in the United States - Α Study of Teachers' Needs versus Actual Accreditation Requirements
50
Klaus-Dieter Gottschalk Lokalkolorit in der Übersetzung. Chatwin: On the Black Hill
55
Jözef Grabarek Die Konjunktionen in den ältesten Texten der Thorner Stadtkanzlei (1363-1428)
58
Reinhold und Michaela Greisbach Untersuchungen zur Variabilität von Rechtschreibfehlern
63
Pius ten Hacken Research Programmes in Linguistics
67
Martina Häcker Why Is There No /h/-Dropping in Scots? Loss and Insertion of /h/ as a Contact Phenomenon in British English Dialects
71
Fran9oise Hammer Intertextualitätsverfahren und phraseologische Sprachspiele
76
Markus Hardenbicker Die Schwierigkeiten der linguistischen Analyse von Kundenzeitschriften
81
Eckhard Hauenherm Sprechakte und Sprachfunktionen
85
Herta Haupt-Cucuiu Herta Müllers "Diskurs des Alleinseins" - eine Stilbeschreibung
90
Ernest W.B.Hess-Lüttich Fach-Register
94
Jaromin Homa Ursachen sprachlicher Veränderungen
100
Andrzej Kaczmarek Sentence Decomposition and Transformation in the Russian-to-Polish MT System
104
Inhaltsverzeichnis / Contents
VII
Michel Kefer Kollektive und distributive Generizität
109
Isabel Alexandra Knoerrich Der Sprachatlas Oberbayern (SOB): Teilprojekt des gesamtbairischen Sprachatlasses
114
Gottfried Kolde Strategien der Begriffsexplikation in linguistischen Fachwörterbüchern
120
Mieczyslaw J. Künstler Loan-Words in Modern Standard Taiwanese
125
Susumu Kuroda Zur Struktur der /assen-Konstruktion
129
Marta Ljubeäic Spezifische Sprachentwicklungsstörung - Ergebnisse aus dem Kroatischen
134
Martina Maratschniger Simulation von α-natürlicher Sprache: Eine computerlinguistische Fragenmatrix mit (anti-)chaostheoretischer Ausrichtung
139
Irina Matitsina Some Comments on Two Types of Sentences
145
2eljka Matulina Wein, Wasser und andere Getränke in deutschen und kroatischen Sprichwörtern
149
Achim Müller Textsorte und Situation: Zur historischen Gattungsforschung am Beispiel von Psalm 7 und dem Ostrakon von Jabne Jam
154
Alan V. Murray Labialisation of Non-Postvocalic Μ in Varieties of South-Eastern English
158
Florian Panitz A Note on would + V
163
Velimir PiSkorec Sprache und Sprachwissenschaft in Kroatien 1990-1996
167
VIII
Inhaltsverzeichnis / Contents
Herbert Pütz Berichtete Rede und Textstruktur bei Übersetzungen Norwegisch-Deutsch
172
Reinhard Rapp Wortartenorientierte Suche in Translation Memories
176
Michael Rinn Rhetorique de l'indicible: Le cas des ironies
182
Elisabeth Rudolph The Different Use of Connectives in Translations of Hesse's Siddhartha
186
Robert Ruprecht Kontinuität oder Entwicklung? Zur Frage nach der Veränderung der deutschen Syntax in den letzten hundert Jahren
190
Stephan Schmid Zur Silbenstruktur in einigen italienischen Dialekten. Ein typologischer Versuch
196
Doris Schönefeld Language Perception - The Role of the Lexicon
200
Beat Siebenhaar Dialektwandel und Einstellung. Die Aarauer Stadtmundart im Spannungsverhältnis zwischen Zürcher und Berner Grossraummundart
206
Horst J. Simon What Typologists Might Be Interested to Know about the Diachrony of the German Pronouns of Address
211
Kazimierz A. Sroka Definiteness and the Dynamics of Designators in Sequence
217
Tadeusz Szczerbowski Language Games in Translation: Etymological Reinterpretation of Hierograms
221
Marian Szczodrowski Verarbeitungsvorgänge der fremdsprachlichen Informationen
225
Inhaltsverzeichnis
/ Contents
IX
Zygmunt T^cza Wie kommt das Sodadikatzat zustande? Zu Wesen und Übersetzbarkeit scherzhafter Neologismen
228
Felicitas Tesch Signalgrammatik vs. Regelgrammatik? - Eine Gegenüberstellung zweier methodischer Konzepte
232
Teresa Tomaszkiewicz Difficultes terminologiques de la traduction juridique
235
Richard Trim The Limits of Universality in Metaphor
241
Cornelia Tschichold The Treatment of English Multi-Word Lexemes in a Computational Lexicon
246
Manfred Uesseler Der Text und seine notwendige und mögliche soziolinguistische Dimension
251
Winfried Ulrich Schwerhörigkeit / Time Flies - Pointenbildung im Deutschen und Englischen - ein struktureller Vergleich
256
Marjo Vesalainen Zur Untersuchung deutscher und finnischer Werberhetorik
261
Andreas Wagner Die Prädikation im Verbal- und Nominalsatz bzw. in unterschiedlichen Nominalsatztypen aus sprechakttheoretischer Sicht (am Beispiel des Biblischen Hebräisch)
266
Ingo Warnke Considerations on Semantic Relations in Different Parts of Speech from the Aspect of Feature Semantics versus Prototype Semantics
270
Manabu Watanabe J. S. Vater über die Aufgabe des Grammatikers
276
Heinrich Weber Was leistet die Wortart "Partikel"?
280
X
Inhaltsverzeichnis / Contents
Jozef Wierzchowski Die nichtbinäre Wortbildungslehre und das Wortbildungswörterbuch
284
Lew Zybatow Slavische Sprachen im Wandel
288
Urszula Zydek-Bednarczuk Die polnischen Stereotype am Beispiel des Schlesiers
293
Teilnehmer / Participants
299
Vorwort
Das 31. Linguistische Kolloquium fand vom 12. Bis 14. September 1996 an der Universität Bern statt und wurde vom Institut für englische Sprachen und Literaturen organisiert. Damit trafen sich die Teilnehmer zum ersten Mal in der Geschichte des Kolloquiums in der Schweiz. Trotz der zum Teil recht weiten Anreise fanden sich über hundert Sprachwissenschaftler aus ganz Europa und zum Teil auch aus Übersee ein. Vor allem für die Linguisten aus den osteuropäischen Staaten sind solche Treffen eine gute Gelegenheit, um neue Kontakte zu knüpfen, und es ist zu hoffen, daß diese Tradition fortgesetzt werden kann. Der vorliegende Band enthält 64 Beiträge, die von den Tagungsteilnehmern für die Veröffentlichung überarbeitet und gekürzt wurden. Das Linguistische Kolloquium versteht sich traditionsgemäß als offenes Forum für den interdisziplinären Austausch sprachwissenschaftlicher Positionen, weshalb auf eine thematische Beschränkung verzichtet wurde. Die Autoren trugen der Tatsache Rechnung, daß es sich bei einem solchen Kolloquium nicht um eine spezialisierte Hörerschaft handelt. So zeigen die Artikel mehrheitlich grundsätzliche Überlegungen und Ansätze auf, d.h. es handelt sich um zukunftsweisende Tendenzen europäischer Linguistik. Die Beiträge stammen aus den verschiedensten Fachrichtungen. Neben den klassischen Disziplinen wie Grammatik, Syntax und Semantik ist auch die sog. Bindestrichlinguistik stark vertreten. Während des Kongresses wurden die Vorträge in sehr viele kleine Sektionen unterteilt, was den Wechsel zwischen den einzelnen Fachgebieten und damit die interdisziplinäre Diskussion förderte. In der vorliegenden Fassung wurden die Beiträge aus technischen Gründen jedoch in alphabetischer Reihenfolge abgedruckt. Die Vorträge, welche nicht in diesem Band enthalten sind, waren die folgenden: Per Baerentzen: Die Wortarten des Deutschen: Versuch einer einheitlichen Definition; Susanne Beckmann: Zur Unterscheidung von phraseologischen und nicht-phraseologischen Einheiten aus gebrauchstheoretischer Sicht; Karin Ebeling: Issues in the Present Use of English; Elke Hentschel: Kommunikation im IRC (Internet Relay Chat); Charles M. Kieffer: Interdits et obligations de langage: Le cas de l'Afghanistan; Peter-Paul König: Gesprächsverhinderungsstrategien; Steffen Krogh: Zur Formbeschreibung in der Neubearbeitung des deutschen Wörterbuchs von Jakob Grimm und Wilhelm Grimm; Andreas Lötscher: Relativsätze, textlinguistisch betrachtet; Peter Rolf Lutzeier: Inhaltsstrukturen im Kleinen und im Großen. Zwei Seiten einer Medaille; Kurt Opitz: Wortverkürzungen in der Sprache der Gegenwart: eine vergleichende Betrachtung; Norbert Reiter: Die Bedeutung von Übersetzungen für die Sprachvergleichung; Alicja Sakaguchi: Zur Ideengeschichte der morphologischen Effizienztheorie aus interlinguistischer Sicht; Helmut Wiegers: Dialogische Kundenkommunikation - ein dialoglinguistischer Beitrag zum TQM. Das Rahmenprogramm umfaßte einen Begrüßungsaperitif sowie eine Bootsfahrt auf dem Thunersee mit einem gemeinsamen Nachtessen. Zudem fand während der Tagung eine Bücherausstellung statt, bei der mehrere Verlage mit ihrem linguistischen Programm vertreten waren.
XII
Vorwort
Ein Kongreß ist vor allem das, was die Teilnehmer aus ihm machen, und ich möchte an dieser Stelle nochmals allen für die Vorträge und die Diskussionsbeiträge danken. Mein Dank gilt auch dem Rektor der Universität Bern, Herrn Prof. Dr. Christoph Schäublin, für die Eröffnungsrede, dem Dekan der philosophisch-historischen Fakultät, Herrn Prof. Dr. Iwar Werlen, für seine humorvolle Rede beim Begrüßungsaperitif, sowie Herrn Prof. Dr. Richard J. Watts für seine wertvollen Anregungen bei der Kongreßvorbereitung. Die erfolgreiche Durchführung des Linguistischen Kolloquiums wäre ohne die tatkräftige Unterstützung zahlreicher Helfer nicht möglich gewesen. Für ihren Einsatz bei der Vorbereitung, im Tagungsbüro, bei der Betreuung der Kongreßteilnehmer und für ihre Übersetzungsdienste danke ich Anne-Marie Scheidegger, Scott Gordon und den Studenten des Instituts für englische Sprachen und Literaturen, die sich freiwillig zur Verfügung stellten.
Bern, im Oktober 1997
Jürg Strässler
Preface
The 31st Colloquium of Linguistics was held at the University of Berne from the 12th to the 14th September 1996, hosted by the Department of English. In spite of the long journey, more than a hundred scientists from all over Europe and from overseas found their way to Switzerland, which for the first time was the venue of the Colloquium. Especially for the linguists from Eastern Europe, such meetings are a valuable opportunity for new contacts, and it is to be hoped that this tradition will be continued. The present volume contains 64 papers, which were revised and shortened by the participants for this publication. Traditionally the Colloquium is understood to be an open forum for interdisciplinary exchange of linguistic views, and therefore there were no thematic restrictions. The authors took into account that the audience at such a meeting is not a specialised one. Thus the papers mainly present new ideas and approaches, i.e. they show new tendencies in European linguistics. The contributions cover the various fields of linguistics. Apart from the traditional subjects such as grammar, syntax and semantics, other fields are also widely represented. At the conference the papers were grouped into various small sections, which lead to a continuous change between the different fields and to fruitful interdisciplinary discussions. However, for technical reasons, the articles in the present volume had to be arranged in alphabetical order. The following papers of the Colloquium are not contained in this publication: Per Baerentzen: Die Wortarten des Deutschen: Versuch einer einheitlichen Definition; Susanne Beckmann: Zur Unterscheidung von phraseologischen und nicht-phraseologischen Einheiten aus gebrauchstheoretischer Sicht; Karin Ebeling: Issues in the Present Use of English; Elke Hentschel: Kommunikation im IRC (Internet Relay Chat); Charles M. Kieffer: Interdits et obligations de langage: Le cas de l'Afghanistan; Peter-Paul König:
Gesprächsverhin-
derungsstrategien; Steffen Krogh: Zur Formbeschreibung in der Neubearbeitung des deutschen Wörterbuchs von Jakob Grimm und Wilhelm Grimm; Andreas Lötscher: Relativsätze, textlinguistisch betrachtet; Peter Rolf Lutzeier: Inhaltsstrukturen im Kleinen und im Großen. Zwei Seiten einer Medaille; Kurt Opitz: Wortverkürzungen in der Sprache der Gegenwart: Eine vergleichende Betrachtung; Norbert Reiter: Die Bedeutung von Übersetzungen für die Sprachvergleichung;
Alicja Sakaguchi: Zur Ideengeschichte
der morphologischen
Ef-
fizienztheorie aus interlinguistischer Sicht; Helmut Wiegers: Dialogische Kundenkommunikation - ein dialoglinguistischer Beitrag zum TQM. The social part of the programme included a reception and a boat trip on lake Thun with a dinner. Furthermore there was a book exhibition, at which several publishers presented their linguistic programmes. The success of a conference always depends on what the participants make of it and I would like to thank everybody for their presentations and their active participation in the discussions. My thanks also go to the vice-chancellor of the University of Berne, Prof. Dr. Christoph Schäublin, for his opening speech, to the Dean of the philosophical-historical
XIV
Preface
faculty, Prof. Dr. Iwar Werlen, for his humorous speech at the reception and to Prof. Dr. Richard J. Watts for his invaluable advice in the preparatory stages of the Colloquium.. The successful organisation of the Colloquium of Linguistics would not have been possible without the active help of numerous volunteers. For their great work during the preparations, at the conference desk, their care for the participants and for their translation work I would like to thank Anne-Marie Scheidegger, Scott Gordon and the students of the Department of English, who volunteered to help.
Berne, October 1997
Jürg Strässler
Kirsten Adamzik (Genf)
Intertextualität in der wissenschaftlichen Kommunikation Tout le monde imite. Tout le monde ne le dit pas (Aragon, Les yeux d'Elsa) Der Begriff Intertextualität (IT) wird, wie sich etwa den sprachwiss. Fachwörterbüchern entnehmen läßt, seit Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre in der (dt.) Linguistik verwendet und erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Geprägt wurde der Begriff - so liest es sich in literaturwiss. Nachschlagewerken - in den 60er Jahren von Julia Kristeva, die ihn im Anschluß an Michail Bachtins Dialogizitätskonzept ins Zentrum ihrer literaturtheoretischen Überlegungen stellt. Es handelt sich bei ihrem Konzept um das, was ein Interpret einen 'entgrenzten' Begriff von ΓΓ genannt hat; zu diesem Konzept gibt es keinen Gegensatz. Alle Texte sind Intertexte, Mosaike aus Zitaten, Verarbeitungen und Veränderungen anderer Texte, Antworten auf andere Texte. Damit wird zugleich die Idee eines in sich geschlossenen Textes aufgegeben und dieser bzw. das Textuniversum wird als eine offene dynamische Größe begriffen, in deren Rahmen auch Autor und Rezipienten als feste Instanzen sich auflösen. Sofern nun dieser für die poststrukturalistische Literatur und Literaturwissenschaft charakteristische außerordentlich weite Begriff von ΓΓ von Kristeva in linguistischen Zusammenhängen überhaupt (genauer und inhaltlich adäquat) berücksichtigt wird - und dies ist im Dt. eher selten der Fall - erfährt er in der Regel eine Ablehnung als zu weites und damit unbrauchbares Konzept. Aufgegriffen wird nur die terminologische Prägung, die sich anscheinend als bequemer Oberbegriff zu verschiedenen Arten von Textbezügen anbietet. Darunter subsumiert man uralte und auch nicht speziell auf die literarische Textproduktion bezogene Praktiken wie speziell das Zitieren, Parodieren, Übersetzen, Zusammenfassen usw., die auch längst Gegenstand wiss. Studien sind. Daß sich nun das von Kristeva für die Literaturtheorie und in spezieller Auseinandersetzung mit besonderen Formen modernerer Literatur entwickelte Konzept nicht eignet, umstandslos in linguistische Zusammenhänge und die Analyse wiss. Texte übernommen zu werden, ist nicht weiter erstaunlich. Man mag es allerdings als eine Ironie der Wissenschaftsgeschichte betrachten, daß ausgerechnet Kristeva eine so tangentiale Rezeption erfahren hat und der von ihr geprägte Begriff Interpretationen auf sich zieht, die mit ihrer Konzeption gänzlich unvereinbar sind, denn sie hat die 'Trivialisierung', die die Identifikation von ΓΓ-Forschung mit Quellenforschung darstellt, ausdrücklich zurückgewiesen. Interessant ist das Beispiel der Rezeption Kristevas für unseren Zusammenhang besonders deswegen, weil es augenfällig zeigt, wie eklatant Theorie und Praxis der ΓΓ in der wiss. Kommunikation auseinanderklaffen. Von einer angemessenen Rezeption (bis hin zur bibliographischen Erfassung) und Auseinandersetzung mit ihrem Konzept in der (dt.) Linguistik kann
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Kirsten Adamzik
nämlich keine Rede sein, was hier aus Platzgründen leider nicht im einzelnen nachgewiesen werden kann. Führen wir uns stattdessen zunächst einige wesentliche Punkte für die Diskussion vor Augen: ΓΓ als globales und notwendiges Merkmal von Texten anzusehen wird als zu weites Konzept abgelehnt. Und doch ist gerade in der wiss. Kommunikation IT noch viel stärker als unhintergehbares Merkmal anzusehen als in der Literatur, ist erstere doch in einem durchaus banalen Sinne notwendigerweise hochgradig auf ein vorhandenes Textuniversum angewiesen. Tatsächlich kann man (moderne) Wissenschaft einfach nicht betreiben, ohne sich auf eine ziemlich große Menge von konkreten Prätexten zu beziehen, d.h. ohne diese rezipiert und verarbeitet zu haben. Wissenschaftler ist man erst nach einer wiss. Ausbildung, und diese besteht zum großen Teil im Rezipieren von Texten. IT ist in der Wissenschaft also konstitutiv. Um ein fiktionales Werk produzieren oder rezipieren zu können, muß man dagegen keineswegs über eine (umfangreiche) literarische (Aus-)Bildung verfügen. Die Domäne der modernen Literatur und die der Wissenschaft lassen sich unter dem Gesichtspunkt der IT genauer in Bezug auf drei Merkmale unterscheiden. Sie sind alle im Rahmen der Literatur eher gering, im Bereich der Wissenschaft extrem stark ausgeprägt. • Zwang zu systematischer ΓΓ: Die Kenntnis und Einarbeitung der einschlägigen Prätexte ist eines der Kriterien für wiss. Qualität. • Zwang zur Markierung der ΓΓ: In der wiss. Kommunikation ist im Prinzip präzise anzugeben, welche Prätexte man benutzt hat. •
Die Vorstellung, daß Bezüge auf andere Texte eindeutig feststellbar sind und einzelne Gedanken und Formulierungen klar bestimmten Autoren zugeschrieben werden können: Dieses Merkmal ist deswegen stark ausgeprägt, weil der Zwang zur Markierung Eindeutigkeit und Zuschreibbarkeit voraussetzt.
Das Problem besteht nun darin, daß sich diese verschiedenen Anforderungen schwerlich miteinander vereinbaren lassen. Je mehr einschlägige Prätexte es gibt, desto unmöglicher wird es, sie vollständig zu rezipieren, zu speichern und die gesamte Textmenge zu überblicken oder gar detailliert nachzuweisen, wer wo welche Elemente bereits genauso oder anders benutzt hat. Entsprechend ist der Zwang zum Nachweis intertextueller Bezüge, die Offenlegung der benutzen Prätexte, in der Wissenschaft auch vor allem eine Sache der Theorie. Diese spiegelt sich in den expliziten Regeln für wiss. Kommunikation, wie sie zum Beispiel in Anleitungen zum Anfertigen wiss. Arbeiten niedergelegt sind. Dort wird nicht mehr und weniger gefordert, als 'jeden Gedanken, den man von irgendwo übernommen hat, durch eine Quellenangabe zu belegen'. Jeder Wissenschaftler weiß, daß diese Forderung angesichts des extrem hohen Grades quantitativer IT in der Wissenschaft eine schiere Unmöglichkeit darstellt. Weder ist nämlich vorauszusetzen, daß Wissenschaftler die gesamte einschlägige Literatur rezipieren können gerade das Beispiel Kristeva zeigt sehr schön, welchen wichtigen negativen Einfluß Sprachbarrieren und der (in diesem Fall sehr hohe) Schwierigkeitsgrad von Texten haben - noch
Intertextualität in der wissenschaftlichen
Kommunikation
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kann sinnvoll davon ausgegangen werden, daß Wissenschaftlern die vielfältigen Anregungen bewußt sind, die sie im Laufe von Jahrzehnten aus Prätexten gewonnen haben; es ist auch nicht anzunehmen, daß überhaupt sämtliche Gedanken, Konzepte und Formulierungen eindeutig bestimmten Autoren zugeschrieben werden können - sehr fraglich ist z.B., wie sinnvoll es überhaupt ist, den Begriff IT grundsätzlich auf Kristeva zurückzuführen bzw. ihren Ansatz in ganz anderen Kontexten zu erwähnen - , und schließlich stehen äußere Zwänge, wie sie sich etwa aus dem Versuch ergeben, die Informationsflut einzudämmen und z.B. Vorträge in vier Seiten zusammenzufassen, einer ausführlichen Dokumentation entgegen. Was ist angesichts dessen im Bereich der Wissenschaft zu tun? Sicherlich kann es nicht darum gehen - so wie dies (natürlich aus anderen Gründen) teilweise in literarischen Texten geschieht - , sich schlicht über die Forderung nach expliziten und offenen Nachweisen von Übernahmen hinwegzusetzen und munter abzuschreiben, ohne es zu sagen. Worauf es aber sehr wohl ankommt, und zwar nicht zuletzt für eine sinnvolle didaktische Vermittlung wiss. Arbeitsformen, ist, sich konkret darüber Rechenschaft zu geben, wie sehr oder wie wenig bestimmte Praktiken der scheinbar so einheitlichen und einfachen Theorie entsprechen. Dabei ist es besonders wichtig, sich vor Augen zu führen, daß die Formen der IT historisch, disziplinspezifisch, kulturspezifisch und textsortenspezifisch stark variieren. Als allgemeiner Annahme wird niemand dieser Auffassung widersprechen. Es gibt aber hinreichend Anzeichen dafür, daß man sich in der Praxis keineswegs darüber klar ist, wie unterschiedlich IT in der Wissenschaft funktionieren kann. Es sollen daher an dieser Stelle konkrete Hinweise auf Variation im Bereich der IT behandelt werden, wobei ich mich auf kultur- und textsortenspezifische Aspekte beschränken muß. Als aktuelles und einschlägiges Beispiel für kulturspezifisch unterschiedliche Formen sei hier die 1996 in Paris erschienene Introduction ä l'intertextualite von Nathalie Piegay-Gros herangezogen. Das insgesamt 186 Seiten umfassende Buch enthält eine Bibliographie, die zwölf kurz kommentierte Titel umfaßt. Diese Liste ist offenbar dazu gedacht, eine Übersicht über grundlegende Sekundärtexte zu geben, Empfehlungen auszusprechen. Sie ergänzt damit in sehr geeigneter Weise den knapp 30 Seiten ausmachenden Anthologie-Teil dieser Einführung (12 Autoren von Du Beilay, 1549, bis M. Butor, 1968). Sie ist stark leserorientiert und wendet sich offenkundig an wenig vorinformierte Rezipienten. Aufschluß darüber, welche Texte die Autorin herangezogen hat, kann dieses Verzeichnis allerdings nicht geben, d.h. es kann nicht die Funktion des Belegs und Nachweises der eigenen Quellen übernehmen. Selbstverständlich ist jedoch, daß die Lektüre der zwölf Texte nicht ausgereicht haben kann, um die Einführung zu verfassen. Dies wird denn auch offenkundig, wenn man das Buch liest: Innerhalb des Textes (nur in ganz seltenen Fällen in Fußnoten) werden nämlich nicht nur zahlreiche literarische Quellen zitiert, sondern auch weitere Sekundärtexte (ca. 30 Titel). Dabei handelt es sich im übrigen nicht um marginale und für das Thema nicht besonders einschlägige Werke, sondern es finden sich auch weitere Arbeiten von so wichtigen Autoren wie Bachtin, Genette, Kristeva, Riffaterre. Gemessen an der im Dt. üblichen Praxis fällt nun nicht nur die immer noch verhältnismäßig geringe Zahl von genannten wiss. Texten auf. Auch der Tatbestand, daß man sich über diese Quellen keinen schnellen Überblick verschaffen kann, da
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Kirsten Adamzik
sie in keinem abgehobenen Textteil erscheinen, entspricht nicht dt. Gepflogenheiten. Schließlich enthalten die Zitatangaben keine Seitenzahlen, das Auffinden dieser Stellen dürfte sich also schwierig gestalten. Aus diesem - keineswegs untypischen - Beispiel läßt sich zweierlei entnehmen: Einerseits ist offenkundig, daß der Zwang zur expliziten IT und ihrer detaillierten Markierung in der frz. Literaturwissenschaft und Linguistik weit weniger stark ausgeprägt ist als im Dt. Zweitens haben wir hier einen Beleg dafür, daß bestimmte IT-Typen in verschiedenen Sprach- und Kulturgemeinschaften ein unterschiedliches Gewicht haben. Pointiert gegenübergestellt kann man sagen: Im Frz. sind die Intertexte erheblich stärker in die Autorrede integriert, im Dt. dagegen können die Autoren und Titel der Intertexte, also die bibliographischen Angaben, häufiger auch als unabhängig rezipierbare Teiltexte behandelt werden. Anders formuliert - und dies trifft sich mit Hinweisen auf andere Studien - frz. wiss. Texte stellen im stärkeren Ausmaß Lesetexte dar, dt. wiss. Texte bieten sich auch zu anderem Umgang an als zur linearen Rezeption. Als Beispiel zur Erläuterung der Textsortenspezifik intertextueller Bezüge innerhalb einer Sprach-/Kulturgemeinschaft sei hier die Textsorte Grammatik gewählt. Grammatiken sind Texte, die den gesamten Bau einer Sprache erfassen sollen. Sie gehören auch zu den ersten schriftlichen Metatexten über Sprache. Entsprechend umfangreich ist bei seit langer Zeit erforschten Sprachen die Menge der relevanten Literatur. Grammatiken gehören jedoch keineswegs zu den Textsorten, bei denen die explizite IT besonders ausgeprägt wäre. Es gibt zwei typische Formen von IT in Grammatiken (wobei die organisierenden Teiltexte wie Register, Inhaltsverzeichnis, interne Verweise usw. unberücksichtigt bleiben): • Bei der ersten handelt es sich um Belegstellen und Quellenangaben. Dieser Bezug auf Prätexte im Sinne objektsprachlicher Elemente ist besonders charakteristisch für anspruchsvolle wiss. Grammatiken, er kommt aber auch z.B. in Schulgrammatiken ohne wiss. Anspruch vor. Mit Bezug auf die Grundregel der Nachweispflicht ist es bemerkenswert, daß auch wiss. Grammatiken mitunter Quellenangaben zu Originalbelegen entweder überhaupt nicht (so z.B. Flämig, Grammatik des Dt., z.B. S. 10) oder nur in rudimentärer Form, d.h. nur mit Nennung des Autornamens, bringen. Das gilt z.B. für die Duden-Grammatik und Admoni, Der dt. Sprachbau. • Wenn es sich um eine wiss. fundierte Grammatik handelt, kommt nun auch die zweite Form der ΓΓ zur Geltung. Erhebt der Autor nämlich den Anspruch, eine solche Grammatik vorzulegen, so muß er Kenntnis von einer mehr oder weniger großen Menge wiss. Studien zur Grammatik der entsprechenden Sprache haben. Diese vorauszusetzenden wiss. Prätexte können allerdings ganz unterschiedlich eingebracht werden. Im einen Extremfall kommen wiss. Prätexte überhaupt nicht explizit vor. Dieser Fall kann allerdings fast schon dazu dienen, nicht-wiss. von wiss. Grammatiken abzugrenzen. Dieses Verfahren wird nämlich meistens in solchen Grammatiken verwendet, die sich an Sprachlerner oder ein breites sprachinteressiertes Publikum wenden. Allerdings geht auch Heringer in seinen zweifellos wiss. fundierten Wegen zum verstehenden Lesen so vor.
Intertextualität in der wissenschaftlichen
Kommunikation
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Für eine Minimalform gibt es ansonsten drei Optionen: 1. Man bringt generell einen Verweis auf die Bedeutung vorliegender wiss. Literatur im Vorwort an, ohne konkrete Angaben zu machen. Dieses Verfahren dient eigentlich nur dazu, den Anspruch auf wiss. Fundiertheit zum Ausdruck zu bringen, d.h. sich gegen elementare Lernergrammatiken abzugrenzen. 2. Man weist auf genau ein anderes, größeres Werk hin, das meist vom selben Verfasser stammt. Dies tun z.B. Helbig/Buscha im Leitfaden der dt. Grammatik, der sich natürlich auf die Dt. Grammatik, Handbuch für den Ausländerunterricht, stützt. 3. Schließlich kann man eine kleine Liste einschlägiger vertiefender Literatur mit, sagen wir, 3-20 Titeln präsentieren. Dabei handelt es sich meist um andere Grammatiken, mehr oder weniger populäre allgemeine Werke zur Sprache und dergleichen. Eine häufig praktizierte Zwischenform besteht darin, eine umfangreichere Literaturliste anzuhängen, ohne jedoch im laufenden Text auf diese Titel zu verweisen. Wenn ich recht sehe, gilt dies z.B. für Weinrich, Textgrammatik der dt. Sprache, und die Grammatiken von Helbig/Buscha und Engel. Die ausgebauteste Form von IT, die den normalen Nachweisen in wiss. Texten nahekommt oder entspricht, liegt schließlich dann vor, wenn im laufenden Text oder in Anmerkungen auf wiss. Prätexte hingewiesen wird. Dies gilt etwa für die Grammatiken von Admoni, Erben, Eisenberg und die Duden-Grammatik. Gerade die hier aufgezeigten unterschiedlichen Konventionen in verschiedenen Sprachen ebenso wie die am Beispiel von Grammatiken behandelte Bandbreite der Möglichkeiten intertextueller Bezüge lassen es sinnvoll erscheinen, sich bei der Untersuchung dieses Phänomens in der Wissenschaft nicht zu sehr von vorgeblichen einheitlichen Standards leiten - oder auch irreleiten zu lassen.
Boleslaw Andrzejewski (Poznaii)
Das Wesen und die Funktion der Sprache im Lichte des Aphorismus
Der methodologische Rationalismus (oder der Apriorismus) heißt ein methodologisches Verfahren, laut welchem ein Teil unseres Wissens nicht als in der objektiven Welt und in der Erfahrung verankert, sondern als Ausdruck der inneren Kräften des Gemüts angesehen wird. Der Apriorismus hat sich in mehreren wissenschaftlichen Disziplinen ausgewirkt. Die "kopernikanische Wende" wirkte auch auf die Sprachwissenschaft, wobei er die Fragen des Wesens und der Rolle der Sprache stark beeinflußte. In vielen späteren, nachkantischen Analysen wird die Sprache als Resultat der inneren Aktivität des Menschen interpretiert. Sie ist, so z.B. Wilhelm v. Humboldt, "Emanation des Geistes", "Energeia", d.h. die unaufhörliche sprachliche Formung der sinnlichen Eindrücke. Mit Hilfe der Sprache können wir nicht zu dem objektiven Sachverhalt gelangen. Die Sprache bezeichnet nie eine reelle Wirklichkeit oder, um mit Kants Worten zu sagen, kein "Ding an sich", sondern sie gibt allein das Innere des Menschen wieder. Laut dem, durch Kant stark vertretendem und in seinem Apriorismus wurzelnden Agnostizismus, bekommt der Mensch, ausgestattet in die Anschauungsformen und in apriorische Kategorien, kein Bild von der "gegebenen" Natur. Die letzte ist uns nicht "gegeben" - sie bedeutet für den Subjekt eine "Aufgabe" und "erscheint" ihm erst im Erkenntnisprozeß. Der Mensch erkennt also nur menschlich geformte "Erscheinungen" (Phänomena). Für Humboldt ist sogar jeder Mensch mit quantitativ (wenn nicht qualitativ) anderem Geist ausgestattet, er ist, sozusagen, individuell "gestimmt". Die Leute teilen einander keine Zeichen der Dinge mit, sondern sie "berühren" nur eine entsprechende Taste des "geistigen Instruments" des Gesprächspartner. "Die Menschen verstehen einander nicht dadurch, daß sie sich gegenseitig bestimmen, genau und vollständig denselben Begriff hervorzubringen, sondern dadurch, daß sie gegenseitig einander dasselbe Glied der Kette ihrer sinnlichen Vorstellungen und inneren Begriffserzeugungen berühren, dieselbe Taste ihres geistigen Instruments anschlagen, worauf alsdann in jedem entsprechende, nicht aber dieselben Begriffe hervorspringen" (Humboldt 1973:138-139). Infolge der Reaktion auf den wörtlichen Reiz (das Anschlagen der entsprechenden lexikalischen "Taste") können daher im Gesprächspartner (oder im Leser) ganz unterschiedliche Assoziationen entstehen, sowie verschiedene Eigenschaften oder Relationen des Designats betont werden. Mit Humboldt gesagt: "jedes Verstehen ist zugleich ein Nichtverstehen", oder, um sich mehr optimistisch auszudrücken, "jedes Nichtverstehen ist zugleich ein Verstehen". Wir fitnktionieren in einer Sprachgemeinschaft, scheinen also uns gegenseitig zu verstehen. Den Aspekt der Funktion wird auch beim Ernst Cassirer, dem Schöpfer und Vertreter des gegenwärtigen kulturellen Symbolismus, betont. Für Cassirer bedeutet die Sprache ebenso
Das Wesen und die Funktion der Sprache im Lichte des Apriorismus
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kein Benennen der schon existierenden Wirklichkeit, sondern sie ist selbst Platz und Mittel der gegenständlichen Gestaltung. Seine Marburger (neukantianische) Provenienz läßt ihn nicht an die empirische Methodologie glauben. Der Mensch bildet sich, aufgrund seiner apriorischen Aktivität, eigene individuelle Symbole, "funktionelle" Konstrukte der Erscheinungswelt. Der Mensch schafft sich Symbole in jedem Bereich seiner kulturellen Tätigkeit: in der Wissenschaft, Kunst, Geschichte, Religion und auch in der Sprache. Die Sprache, anstatt die Gesprächspartner auf das objektiv existierende, intersubjektive Sein hinzuweisen, besteht allein aus Symbolen, die nur einen "logischen" und "funktionellen" Status besitzen, keineswegs aber irgendeiner "Substanz" entsprechen. Mit seiner Symbolwelt fühlt sich der Mensch von den anderen Subjekten und von der substantiellen Wirklichkeit abgegrenzt. Abgesehen davon, daß die Realität der letzten viel bedenken bei Cassirer erweckt. "Die Sprache tritt nicht in eine Welt der fertigen gegenständlichen Anschauung ein schreibt er - um hier zu den gegebenen und klar gegeneinander abgegrenzten Einzeldingen nur noch ihre "Namen" als rein äußerliche und willkürlichen Zeichen hinzufügen - sondern sie ist selbst ein Mittel der Gegenstandsbildung..., das wichtigste und vorzüglichste Instrument für die Gewinnung und den Aufbau einer reinen Gegenstands weit..." (Cassirer 1985:126). Die Ganze Wirklichkeit ist nichts als "Projektion" (Entwurf) der inneren Tätigkeit, eines Apriori des Menschen. Infolge dessen der Mensch, so wörtlich Cassirer, statt mit anderen Menschen zu sprechen und mit ihnen Verständigung zu suchen, "spricht nur mit sich selbst". Der durch Humboldt ausgearbeitete Kantsche Apriorismus und Agnostizismus fand auch bei den sog. sprachlichen Relativisten und Deterministen einen starken Widerhall. In der, durch E. Sapir und B.L. Whorf entwickelte Hypothese erscheint die Sprache als determinierender Faktor, der äußeren Wirklichkeit gegenüber. Die sprachlichen Strukturen bedingen die Art und Weise der Weltbetrachtung und -Verständigung, bieten eine besondere Weltanschauung dar. Die Sprache, die vom Apriori des Subjekts herkommt und mit den materiellen Sachen wenig zu tun hat, läßt uns die Welt spezifisch interpretieren und gedanklich organisieren. Jede Sprachgemeinschaft bekommt daher eine eigene, von anderen Gemeinschaften unterschiedliche Welteinsicht. Das Verstehen der Welt und des anderen Menschen relativiert sich zu der jeweils gebrauchten Sprache. "Wir gelangen daher - lesen wir bei Whorf - zu einem neuen Relativitätsprinzip, das besagt, daß nicht alle Beobachter durch die gleichen physikalischen Sachverhalte zu einem gleichen Weltbild geführt werden, es sei denn, ihre linguistischen Hintergründe sind ähnlich oder können in irgendeiner Weise auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden" (Whorf 1963:12). Noch stärker drückt die Hypothese des sprachlichen Relativismus und Determinismus L. Weisgerber aus. Die Muttersprache bedingt, ihm nach, unser ganzes Leben, nicht nur unseres Denken, sondern auch die ganze Kultur ("Von dem Einfüllen der Tinte in meinen Federhalter bis zum Nachschlagen des Titels eines Buches"). Es gibt in der Wirklichkeit keine Sternbilder, keine Sträucher, kein Unkraut - alles das wird durch den Menschen, mittels seiner Sprache, "geschaffen". Die Sprache bedingt sogar den Bereich des materiellen Schaffens. Vom Standpunkt der apriorischen Theorie: nomina ante res gesehen würden alle Erfindungen ("Schreibmaschine",
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Boleslaw
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"Auto", "Flugzeug", usw.) nie entstehen, ohne bevor im Kopf als Begriffe und später als sprachliche Ausdrücke "ihr Leben zu führen". Im Zusammenhang mit der apriorischen Auffassung der Sprache interessant ist die Diskussion über die Übersetzungsmöglichkeiten. Es entsteht zuerst die Frage, ob die Übersetzung vor allem treu oder vor allem schön sein soll. Die sprachlichen Aprioristen neigen zu dem ersten Vorschlag. Nach Humboldt darf man beim Übersetzen keine größeren Änderungen machen. Man darf nicht versuchen die fremde Ausdrucksweise und die fremde Weltanschauung in die eigene Denkweise zu drängen. Das kann ja, weil die Worte nicht die Dinge bezeichnen sondern ihre Symbole sind, sowieso nicht gelingen. Eine willkürliche Übersetzung bleibt nur eine "Ausschmückung" des anderen Textes, und keinesfalls die Auffassung desselben in seiner Wahrheit. Der Übersetzer darf sich keine Interpretation, keinen Kommentar erlauben, er überwindet dadurch nicht, sondern vertieft nur die "Fremdheit" des Textes. Das Ziel der Übersetzung muß die genaue Wiedergabe des Originals, d.h. das Nahebringen des Fremden zum Leser (Hörer) sein. "Solange nicht die Fremdheit, sondern das Fremde gefühlt wird, hat die Übersetzung ihre höchste Zwecke erreicht; wo aber die Fremdheit an sich erscheint und vielleicht gar das Fremde verdunkelt, da verrät der Übersetzer, daß er seinem Original nicht gewachsen ist" (W.v. Humboldt 1970:189). Nur durch die treue Übersetzung kann der Übersetzer dem Geiste seiner Nation dasjenige aneignen, was sie "nicht, oder was sie doch anders besitzt". Aus den oben skizzierten Erwägungen folgt eine gemäßigt pessimistische Stellung in der Frage der Verständigung mittels der Sprache. Die Sprache bezeichnet keine "gegebene" objektive Wirklichkeit, sondern ist Ausdruck des subjektiven Geistes und Gedanken. Die Verständigung kann daher nicht durch dieselbe Bedeutung der Worte, sondern nur dank ihrer gesellschaftlichen Funktion erfolgen. Die apriorische Methode, auch innerhalb der sprachlichen Theorien, stellt eine starke kulturelle Strömung dar. Sie soll also dementsprechend ernst und, nach dem Weglassen der äußersten Anschauungen, auch nicht ohne irgendwelche Zustimmung betrachtet werden.
Literatur
Cassirer, Ernst (1985): Die Sprache und der Aufbau der Gegenstandswelt, in: E. Cassirer: Symbol,
Technik,
Sprache, ed. E.W. Orth, J.M. Krois, J.M. Werle. - Hamburg: Meiner. Humboldt, Wilhelm von (1970): Aeshylos Agamemnon,
in: Studienausgabe, Bd.l. - Frankfurt am Main: Suhr-
kamp. -
(1973): Schriften zur Sprache. - Stuttgart: Reclam.
Whorf, Benjamin Lee (1963): Sprache, Denken, Wirklichkeit. - Hamburg: Rowohlt.
Hanna Βiaduii-Grabarek (Bydgoszcz)
Studienpläne für die deutschsprachigen Abteilungen der polnischen Fremdsprachenkollegs
Nach der Wende des Jahres 1989 verlor die russische Sprache die führende Rolle unter den in Polen unterrichteten Fremdsprachen. Daraus ergaben sich zwei große Probleme: • die Notwendigkeit der Umqualifizierung der bisherigen Russischlehrer, die etwa 80 % aller Fremdsprachenlehrer bildeten, • die Notwendigkeit der möglichst schnellen Ausbildung von Lehrern der westeuropäischen Sprachen. Beide Probleme sind bis heute nicht ganz gelöst, denn man hat weder ein akzeptables Umqualifizierungsprogramm noch ein gutes Ausbildungssystem erarbeitet. 1989 wurde berechnet, daß das Schulwesen über 15.000 Fremdsprachenlehrer braucht. Die Ausbildung einer solchen Anzahl von Lehrern würde im Rahmen des bisherigen Systems über 20 Jahre dauern. Ein starker Ausbau der neuphilologischen Fakultäten kam nicht in Frage, weil es an habilitierten Hochschullehrern mangelte. Laut Gesetz darf man eine neue Studienrichtung gründen, wenn man im Falle eines dreijährigen Fachstudiums über vier und im Falle eines fünfjährigen Magisterstudiums über acht habilitierte Hochschullehrer verfügt. Eine weitere Möglichkeit bot das Goethe-Institut an, das die Qualifizierungsprüfungen (kleines Sprachdiplom) organisierte und weiterhin organisiert. Es hat sich jedoch erwiesen, daß nur sehr wenige Kandidaten über die erforderlichen Sprachkenntnisse verfügen. Ein weiterer Lösungsvorschlag kam von Komorowska, die dem damaligen Bildungsminister die Gründung der Fremdsprachenkollegs empfahl. Diese Idee wurde akzeptiert. Statt die neuphilologischen Fakultäten auszubauen, wurden alle Kräfte für die Gründung der Kollegs aufgeboten. Dabei wurde auch die finanzielle Hilfe des Europarates und anderer Institutionen genutzt. Das Kolleg sollte zu einer modernen Fachhochschule werden, was aber nur in wenigen Fällen gelungen ist. Es wurden zwei Arten von Kollegs gegründet, Kollegs an den Hochschulen und an Kuratorien (Kuratorium - Abteilung für Bildung des Woiwodschaftsrates). Die an den Kuratorien gegründeten Kollegs mußten eine betreuende Hochschule haben. In praxi reichten zwei Deutschlehrer mit dem akademischen Grad „Magister" und ein habilitierter Hochschullehrer sowie die Zusage der Betreuung seitens seiner Hochschule, um ein Kolleg zu gründen. An die Bibliothek dachte man nur in wenigen Fällen. Es wurde auch nur selten danach gefragt, ob die ehemaligen Schullehrer imstande sind, akademische Lehrveranstaltungen zu leiten. Man hat die Lehrprogramme sehr schnell ausgearbeitet, die meist auf die geringen didaktischen Möglichkeiten der einzelnen Kollegs zugeschnitten wurden. Doch auch die so präparierten Programme wurden dann nicht immer realisiert, wovon das Wissen der später an die Hochschulen kommenden Absolventen der Kollegs zeugt. In den ad hoc vorbereiteten und schnell unterzeichneten Betreuungsverträgen wurde meist das Problem des Abschlusses nicht gelöst.
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Hanna Biadun-Grabarek
Den Absolventen der Kollegs sollte der sog.,.Fachgrad" LIZENTIAT (etwa Bachelor of Arts) verliehen werden. Das Recht zur Verleihung dieses Grades haben nur die Hochschulen. Da die Absolventen der Kollegs nicht alle von den Hochschulen geforderten Bedingungen erfüllt haben, wollten die Hochschulen den Absolventen der betreuten Kollegs diesen Grad nicht verleihen. Außerdem halten sie - mit Recht - das Studium am Kolleg für minderwertig. Das Bildungsministerium hat sein jüngstes Kind verteidigt und die Absolventen der Kollegs bekamen das Recht, die Fremdsprachen in Grund- und Oberschulen zu unterrichten. Dazu berechtigt das Abschlußzeugnis des Kollegs. Die Kollegs sind trotzdem keine Hochschulen mit akademischen Rechten. Am Rande sei hinzugefügt, daß es Kollegs gibt (z.B. das Hochschulkolleg in Gdahsk oder die Kollegs in Walcz und Przemysl), die ein volles akademisches Programm realisieren. Außer dem Abschluß war die Unifizierung der stark unterschiedlichen Lehrprogramme das wichtigste Problem der Mitarbeiter und Betreuer der Kollegs. Die Idee der Unifizierung der Lehrprogramme kam von Haiina Stasiak (Gdansk). Dank der Unterstützung des Bildungsministeriums und des Goethe-Instituts konnte ein großes Kollektiv die Arbeit an einem neuen, allgemeinpolnischen Studienprogramm beginnen. Die im Herbst 1995 präsentierten Ergebnisse erwiesen sich jedoch als nicht akzeptabel und wurden von Praktikern sowie Theoretikern kritisiert. Kritisiert wurde vor allem der zu starke Ausbau der methodisch-didaktischen Fächer und die starke Reduzierung solcher Fächer wie „Grammatik" oder „Literaturgeschichte". Die zweite, verifizierte Fassung des Curriculums, die im Winter 1996 an die Kollegs und Betreuer verschickt wurde, erwies sich auch nicht als empfehlenswert. Man blieb auch hier der alten Idee „eines neuen Weges zum Diplom" treu. Der kommunikativ orientierte Sprachunterricht und die methodisch didaktisch orientierten Fächer bildeten nach wie vor den Kern des Studienprogrammes. Es bestand die Gefahr, daß „der neue Weg" zur Sackgasse wird, denn infolge der sehr starken Abweichungen vom Studienprogramm der Hochschulgermanistik(en) hätte man das Kollegstudium an keiner Universität oder Pädagogischen Hochschule fortsetzen können. Die Absolventen der Kollegs wollen in der Regel das Studium weiterführen und den akademischen Grad ,.Magister" erwerben, denn sie fürchten, daß der Kollegabschluß in Zukunft nicht ausreicht, um an Gymnasien usw. unterrichten zu dürfen. Sie vermuten - ich glaube mit Recht -, daß die Kollegs nur eine zeitweilige Lösung sind, um die Lehrerlücke vorübergehend zu schließen. In den letzten Maitagen des Jahres 1996 fand in Gdarisk die Tagung „Das revidierte Deutschlehrerausbildungs-Curriculum für Kollegs - Stand und Perspektiven" statt. Am Anfang der Tagung wurde die dritte Version des Curriculums präsentiert, , die schon sehr stark an die Studienprogramme der Hochschulgermanistiken erinnert. Das Curriculum umfaßt vier Aspekte: die Aufnahmebedingungen (Deutschkenntnisse auf dem Niveau des Zertifikats ,.Deutsch als Fremdsprache, was m. E. nur eine Wunschvorstellung ist), die Stundenzahl für die einzelnen Fächer, die Programme der einzelnen Fächer und die Abschlußbedingungen (Verleihung des Grades „Lizentiat" in Übereinstimmung mit den betreuenden Hochschulen
Studienpläne für die deutschsprachigen Abteilungen der polnischen
Fremdsprachkollegs
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ohne Ausgleichlehrveranstaltungen und zusätzliche Prüfungen). In den Gutachten und in der Diskussion wurden f o l g e n d e Aspekte hervorgehoben: 1. 2.
Die Grammatik soll als selbständiges Fach und nicht als Bestandteil des Faches „Sprachpraxis" fungieren. Das Fach „Methodik des Deutschunterrichts" ist zu stark ausgebaut (z.B. im Vergleich mit dem Fach "Einführung in die Linguistik").
3.
Das Fach „Landeskunde" umfaßt zu viel Stoff/Gebiete (Geschichte, Kulturkunde, politisch-ökonomische Informationen usw.) und man findet keine Spezialisten für dieses Fach. „Geschichte der deutschsprachigen Länder" soll ein Fach für sich bilden.
4.
Das vorgeschlagene Programm des Faches „Einführung in die Linguistik" ist in 30 Stunden nicht realisierbar.
5.
Das Fehlen der Fächer „Einführung in die Literaturwissenschaft" und „Englisch" gehört zu den weiteren Mängeln.
Anschließend wird nur die Verteilung der Stunden auf die einzelnen Fächer präsentiert. D i e Diskussion über die Programme wird in e i n e m anderen Aufsatz dargestellt.
A. OBLIGATORISCHE FÄCHER
Stundenzahl
1. 1.1. 1.2. 1.3. 2. 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 3. 3.1. 3.2. 3.3. 4.
975- 1050
B.
Sprachausbildung Integrierte Sprachfähigkeiten Grammatik Phonetik Methodisch-pädagogische Ausbildung MethodikdesDeutschunterrichts Psychologie Pädagogik Schulpraktikum Philologische Fächer Literatur Landeskunde Einführung in die Sprachwissenschaft Andere obligatorische Fächer (zur Wahl, vom Betreuer und Kolleg vorgeschlagen, von Studenten gewählt) Insgesamt FAKULTATIVE FÄCHER (vom Betreuer und Kolleg bestimmt)
% aller Stunden 45%
25 % 390 - 435 mind. 150 435-465
20%
210-230
10%
2160-2360
100 %
210-240
V o m Standpunkt eines Linguisten und Praktikers läßt sich zu d i e s e m Plan f o l g e n d e s sagen: 0 0 • •
das Fach „Landeskunde" ist kein philologisches Fach i.e.S. und sollte zusammen mit „Geschichte" einen Komplex für sich bilden, zu trennen sind: praktische Grammatik, die im Rahmen der „Sprachpraxis" behandelt werden sollte, didaktische Grammatik, die im Rahmen der Methodik zu behandeln ist,
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Hanna •
BiaduA-Grabarek
theoretische, beschreibende Grammatik, für die eine besondere Lehrveranstaltung vorgesehen werden muß.
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für den integrierten Sprachunterricht finden die Kollegs sicherlich keine Lehrkräfte (das Wissen der dort unterrichtenden Lehrkräfte reicht nicht aus) und infolgedessen muß er profiliert werden (außer Phonetik noch: praktische Grammatik, Lexik, Stilistik, Konversation, Arbeit am Text, Translation usw.).
Nach der Berücksichtigung dieser und der auf der Tagung in Gdaήsk geäußerten kritischen Bemerkungen wäre dieses Programm für die Hochschulen zu akzeptieren. Nach einem derartigen Programm arbeiten die Studenten am Kolleg in Watcz, die dann ihr Studium an der dieses Kolleg betreuenden Pädagogischen Hochschule Bydgoszcz fortsetzen können. Das Programm für das Kolleg in Watcz wurde von zwei Mitarbeitern des Lehrstuhls für Germanistik im Laufe von wenigen Monaten erarbeitet, an dem allgemeinpolnischen Curriculum für die Kollegs haben über 70 Personen fast zwei Jahre gearbeitet. Im Gegensatz zu dem großen Kollektiv sind wir von der Frage ausgegangen, wen wir ausbilden sollen. In Walcz werden in erster Linie Lehrer für kleine Dorfschulen ausgebildet. Sie unterrichten also in erster Linie auf der Grundstufe. Die Absolventen müssen also gute Kenntnisse im Bereich des erweiterten Grundwortschatzes und der Grundgrammatik haben. Eingeführt wurde auch der erweiterte Englischunterricht. Die Absolventen können nach dem Studium die Prüfung des British Council ablegen. Unterrichtet werden in Walcz folgende Fächer (in Klammern die Anzahl der Stunden): Sprachpraxis (1050), Einführung in die Linguistik (45), Beschreibende Grammatik (180), Kontrastive Grammatik (45), Einführung in die Literaturwissenschaft (45), Literaturgeschichte (180), Pädagogik (90), Psychologie (90), Methodik des DU (150), Geschichte der deutschsprachigen Länder (60), Landeskunde (90), Philosophie (60), Latein (60), Englisch (240), Diplomseminar (60), Schulpraktikum (150). Insgesamt sind es 2595 Stunden. Nach dem Abschlußexamen (die Studenten schreiben eine Lizentiatsarbeit/Diplomarbeit) bekommen sie den Grad „Lizentiat" und können das zweijährige Aufbaustudium an der PH aufnehmen. Das Aufbaustudium endet mit der Magisterprüfung.
Zofia Bilut-Homplewicz (Rzeszow)
Zur Dialogeinbettung in der Erzählung aus textlinguistischer Sicht
Der Beitrag setzt sich zum Ziel, auf die Wichtigkeit des in der Linguistik nur am Rande behandelten literarischen Dialogs hinzuweisen. Im Mittelpunkt des Interesses steht der Dialog in der Erzählung, der sich von einer anderen Art des literarischen Dialogs, dem Dramendialog, durch seine Einbettung in den Erzähltext wesentlich unterscheidet.1 Während das dialogische Sprechen im Falle des Dramas das Textganze konstituiert, sind Dialoge in der Erzählung als Teiltexte einer größeren Ganzheit anzusehen, in die sie eingebettet sind. Als Gegenstand der Betrachtung gilt nun in diesem Aufsatz die Dialogeinbettung in der Erzählung aus textlinguistischer Sicht. Die Textlinguistik ist jedoch bekanntlich kein einheitliches Theoriegebäude. Textlinguistisch heißt in dem hier umrissenen Rahmen sowohl strukturelle und semantische als auch intentionale Aspekte der Dialogeinbettung zu erfassen, deren Darstellung hier verständlicherweise nur skizzenhaft bleiben muß. Die Besonderheit des Prosadialogs besteht darin, daß er stets auf die Narration bezogen, ihr untergeordnet, in sie eingebettet ist. Die Einbettung wird hier dagegen als eine graduierbare Eigenschaft angesehen, die von Dialog zu Dialog schwanken kann. Einen Extremfall stellen sog. relativ autonome Dialoge dar, die verständlicherweise eine Minderheit sind. Die meisten Dialoge weisen einen starken Grad der Einbettung auf, so haben wir es hier mit kontextabhängigen Dialogen zu tun, wo die sachverhaltsbetonte, formale, stilistisch oder modal geprägte Abhängigkeit in Frage kommt. Der relativ autonome Dialog kommt in Erzählungen vor, die vorwiegend dialogisch konstituiert sind und die innerhalb des untersuchten Korpus eine Minderheit darstellen. Auch in diesem Extremfall bleibt der Dialog nicht ganz autonom - ihm geht nämlich ein epischer, nicht dialogischer Einstieg voran und schließt sich ein Erzähltext an. Die Dialogbeiträge sind darüber hinaus an manchen Stellen mit Redeeinleitungen und Kommentaren durchsetzt. Als Beispiel wird eine Erzählung in fast reiner Dialogform gewählt, "Sein letzter Irrtum" von A. Polgar (1954: 86-89). Der Beleg zeigt den höchsten Grad der Dialogautonomie. Die nicht-dialogischen Elemente sind auf ein Minimum reduziert. Ihre Eliminierung würde das Verstehen des Dialogs nicht verhindern, auch wenn sie dessen Ergänzung darstellen. Ein solcher Eliminierungstest könnte als Kriterium für eine starke Dialogautonomie angesehen werden. Der Dialog in der Erzählung "Sein letzter Irrtum" ist durch die illokutive Monotonie gekennzeichnet, d.h. es kommen in ihm ständig Sprechakte desselben Typs vor. Diese Monotonie ergibt sich aus der Rollenverteilung der Figuren: die eine Figur ist Redakteur einer Zeit-
Das Korpus umfaßt Dialoge aus etwa 70 ausgewählten deutschsprachigen Erzählungen des 20. Jhs., wobei die zitierten Beispiele als Repräsentanten der hier präsentierten Dialogtypen aufzufassen sind.
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Ζofia Bilut-Homplewicz
schrift, die andere dagegen ein Schriftsteller, der bei dieser Zeitschrift publizieren will. Diese Rollenverteilung zieht eine deutliche Asymmetrie nach sich - der Redakteur übernimmt ständig das Rederecht und äußert die Sprechhandlung Kritisieren, der Schriftsteller dagegen ergreift nur gelegentlich das Wort, indem er Zwischenfragen stellt oder aber Erklärungen gibt. In den Teilthemen wird das Humoristische und Satirische gesteigert, so daß der Dialog zum Schluß teils amüsant, teils absurd wirkt. Die Steigerung der Kritik und ihre Ausrichtung auf nicht sachlich betonte Sachverhalte verursacht, daß der Schluß des Dialogs an einen Witz erinnert; 'Das Klügste wird wohl sein', sagte er mit unpassender Bitterkeit, 'ich nehme meine Manuskripte und werfe sie ins Klosett.' 'Hierzulande wirft man nichts ins Klosett, Mr. Bederich.' 'Es war nicht buchstäblich gemeint, Mr. Gladham.' 'Oh, du Lieber Himmel' wollte er rufen, zögerte aber und fragte vorsichtig erst: 'Gib es einen lieben Himmel in Amerika?' 'Darüber kann ich Ihnen keine zuverlässige Auskunft geben', erwiderte, leicht pikiert, Mr. Gladham, 'aber wenn es Sie interessiert, will ich bei unserem Research Departament anfragen.' Und er hob in den Telefonhörer ab. (Polgar, 1954: 88-89)
Die kontextabhängigen Dialoge, die eine überwiegende Mehrheit darstellen, unterscheiden sich voneinander durch den Grad und die Art der Einbettung, d.h. der Relation zum Textganzen. Der Dialog/die Dialoge einer Erzählung weisen mehrfache und unterschiedliche Bezüge zum Textganzen auf; es kann sich dabei um Bezüge zwischen einzelnen Dialogen selbst und zwischen den Dialogen und dem Erzähltext handeln. Diese Relationen ergeben sich aus der Gesamtstruktur der jeweiligen Erzählung. Im Rahmen des untersuchten Korpus werden einige Arten der Dialogeinbettung unterschieden. Als eine primäre und auffällige Art der Dialogeinbettung ist die sachverhaltsbetonte Abhängigkeit anzusehen. Sie besteht in der Anknüpfung des Dialogs an den im vorangehenden Erzähltext, Dialog oder Dialogen ausgedrückten Sachverhalt. Als Beispiel dafür sei hier S. Zweigs "Brennendes Geheimnis" (1979:7-64) angeführt, wo Erzählpassagen mit mehreren Dialogen durchsetzt sind. Am Anfang der Erzählung befindet sich ein Dialog, für den zwei Erzählteile einen Rahmen bilden. Der voranstehende Erzähltext trägt einen antizipatorischen, der nachfolgende dagegen einen resümierenden Charakter. Der voranstehende Erzählteil macht die Absichten einer der Hauptfiguren deutlich, er stellt aber auch gleichzeitig die Gemütslage einer anderen Figur dar, an die diese Absichten gerichtet sind. So ist der so vorbereitete Einstieg in den Dialog als eine Art Einführung anzusehen. In ihm finden wir einen Satz, der als Schlüsselsatz des gesamten nachfolgenden Textes gilt: "Der Bub begann ihn zu interessieren, und er fragte sich, ob ihm dieses Kind, das offenbar aus Furcht so scheu war, nicht als raschester Vermittler einer Annäherung dienen könnte" (Zweig 1979:12) und die Ergänzung "Jedenfalls er wollte es versuchen." So markiert der Erzählteil die im Dialog einzuschlagende Strategie und erfüllt somit die Funktion einer globalen Katapher. Der Dialog ist somit als Verwirklichung der so explizit genannten Absicht zu verstehen.
Zur Dialogeinbettung in der Erzählung aus textlinguistischer Sicht
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Der resümierende Charakter des nachfolgenden Erzähltextes besteht darin, daß die Realisierung der Absicht im Dialog positiv beurteilt wird. ("Der Baron staunte über seinen raschen Erfolg und beschloß das heiße Eisen zu schmieden.") (Zweig 1979:14). Dieser globalen Beurteilung schließt sich die Erzählung an, die die Chronologie der letzten Ereignisse thematisiert. Die Subsumption "rascher Erfolg" ist als Protextualisierung zu betrachten. Dieser Ausdruck knüpft nämlich auf den gesamten Dialog an als Beurteilung seines Gelingens aus der Perspektive einer Figur, d.h. des Dialogteilnehmers, der die globale Strategie entwickelt. Die sachverhaltsbetonte Abhängigkeit ist verständlicherweise mit der formalen Abhängigkeit eng verbunden. Auf die bereits thematisierten Gegenstände und Sachverhalte der Textwelt wird nämlich ständig mit Mitteln der Textverflechtung im Dialog Bezug genommen. Einen Sonderfall stellt die gerade angesprochene globale Anknüpfung (Fernanknüpfung) dar, deren Indizien nicht unbedingt an einzelne Ausdrücke gebunden sind. Es geht nämlich in diesem Fall nicht darum, einen koreferierenden Ausdruck im voranstehenden Text zu finden, sondern meistens darum, einen auf Synthese beruhenden Zusammenhang herzustellen. Es ist somit durchaus möglich, daß die Femanknüpfung schwer an einzelne Ausdrücke zu beziehen ist, sondern vielmehr eine komplizierte Interpretationsleitung verlangt. Unter stilistisch geprägter Einbettung verstehen wir eine Art der Abhängigkeit vom Erzähltext, die über die sachverhaltsbetonte Verflechtung hinausgeht und eine neue Qualität darstellt. Stilistisch markiert heißt hier somit das Neutrale überschreitend und z.B. wie es in einem Dialog in S. Zweigs "Brennendes Geheimnis" der Fall ist, emotional geprägt. In dem uns interessierenden Dialog kommt nämlich auf die weitere Gestaltung der Beziehung zwischen dem sprechenden Jungen und dem zuhörenden Baron an. Ohne den umfangreichen Erzähltext würde der Dialog nur als Ansammlung formelhafter Äußerungen wirken, die ein Erwachsener (die Mutter) dem Kind gegenüber ausspricht. Jede Aussage klingt jedoch in Verbindung mit dem erzählerischen Kleinkontext und dem Großkontext der Gesamterzählung dramatisch und wichtig und ist in die globale Spannung einbezogen. Der einfache, scheinbar banale Dialog erweist sich somit als lebendige, dynamische Größe im Klein- und Großkontext der Erzählung und ist auf ihn zurückzuführen. Dazu ein entsprechender Dialog: Edgar wurde blaß vor Schreck. Für alle Kinder ist das Zu-Bette-geschickt-Werden ein furchtbares Wort, weil es für sie die offenkundigste Demütigung vor den Erwachsenen ist, das Eingeständnis, das Stigma der Kindheit, des Kleinseins, der kindlichen Schlafbedürftigkeit. Aber wie furchtbar war solche Schmach in diesem interessanten Augenblick, da sie ihn solch unerhörte Dinge versäumen ließ. 'Nur das eine noch, Mama, von den Elefanten, nur das laB mich hören!' (...) 'Nein, es ist schon spät. Geh nur hinauf. Sois sage, Edgar. Ich erzähl dir schon all die Geschichten des Herrn Barons genau wieder.' Edgar zögerte. Sonst begleitete ihn seine Mutter immer zu Bette. Aber er wollte nicht betteln vor dem Freunde. Sein kindlicher Stolz wollte dem kläglichen Abgang wenigstens noch einen Schein von Freiwilligkeit retten. 'Aber wirklich, Mama, du erzählst mir alles, alles! Das von den Elefanten und alles andere!' Ja, mein Kind.' 'Und sofort noch heute!' 'Ja, ja, aber jetzt geh nur schlafen. Geh!' (Zweig 1979:21-22)
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Zofia
Bilut-Homplewicz
Die Modusmonotonie (ständiger Imperativgebrauch) ist als Indiz für eine starke Emotionalität des Dialogs aufzufassen, die in der hier umrissenen Situation verständlich ist. Die zur Sprache kommenden Emotionen sind jedoch darüber hinaus auf die Vorgeschichte, d.h. den Großkontext der Erzählung zurückzuführen. Unter modal geprägten Dialogen finden wir solche, die dazu dienen, Steigerung der Intensität auszudrücken. In der Erzählung "Kälteeinbruch" von K. Pisa (1988:51-68) wird in aufeinander folgenden Dialogen die Stimmung der Unruhe gesteigert, die bereits im Erzältext angedeutet wird. So haben wir es hier mit zweifacher Abhängigkeit zu tun: einerseits vom Erzähltext, andererseits von benachbarten Dialogen. Stets kommt es in den Dialogen auf die gleiche Figurenkonstellation an - wie haben es hier mit Erpressungsdialogen zu tun. Der Erpresser versucht seinen Partner einzuschüchtern und dieser versucht sich zu währen oder die Erpressungen zu bagatellisieren. Die einzelnen Dialoge weisen verschiedene Schattierungen auf - der Erpresser spricht manchmal im offiziellen, manchmal im ordinären oder vertraulichen Ton. Als Beispiel für die Steigerung der modalen Linie im Dialog sei ein folgendes Fragment angeführt: 'Ich verstehe nicht, was Sie damit meinen', bemühte er sich gelangweilt zu wirken. 'Ich glaube, Sie beginnen mich ganz gut zu verstehen', kam es ganz langsam, wie zum Mitschreiben, aus dem Hörer. 'Aber wir lassen Ihnen gerne noch ein wenig Zeit, um darüber nachzudenken. Sie werden noch von uns hören.'
(Pisa 1988:61)
Die letzte Sequenz des Dialogs ist im Kontext der Gesamterzählung als eine Drohung zu verstehen, obwohl sie in anderen Kontexten ohne weiteres als ein Versprechen interpretiert werden könnte. Die hier dargestellten Arten der Abhängigkeit erheben verständlicherweise keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sind jedoch als typisch und stellvertretend für das untersuchte Korpus anzusehen.
Literatur (Auswahl) Fritz, G./Hundsnurscher, F. (eds.) (1994): Handbuch der Dialoganalyse.-
Tübingen: Niemeyer.
Kreye, M. (1980): Intentionen in der Figurenrede literarischer Texte. - In: Weigend, E./Hundsnurscher, F. (ed.): Dialogenanalyse
II, Bd. 2, Referate der 2. Arbeitstagung
Bochum 1988, 147-161.- Tübingen: Nie-
meyer . Pisa, K. (1988): Kälteeinbruch, in K.Pisa: Der Urlaub vom Tode. Erzählungen,
51-68. - Wien: Edition Atelier,
Wiener Journal Zeitschriftenverlag. Polgar, A. (1954): Sein letzter Irrtum, in: Polgar, Α.: Im Lauf der Zeit, 86-89. - Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag. Weigend, E. (1988): Sprache
als Dialog. Sprechakttaxonomie
und kommunikative
Grammatik.-
Tübingen:
Niemeyer. Zweig, S. (1979): Brennendes Geheimnis, in: S. Zweig: Verwirrung der Gefühle und andere Erzählungen, 64. - Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch.
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Katrin Bischl (Schwetzingen)
Selbstdarstellungsstrategien von Unternehmen in Mitarbeiterzeitungen
Mitarbeiterzeitungen sind Medien der internen betrieblichen Kommunikation. Sie werden von Unternehmen für die Belegschaft herausgegeben. Regelmäßig informieren sie die Mitarbeiter über die wirtschaftliche Lage sowie Veränderungen des Betriebs, berichten von Betriebsfesten oder firmen internen Sportveranstaltungen, geben Hinweise zum Thema Arbeitssicherheit, laden zu Vorträgen ein, und teilen mit, welche Kollegen befördert wurden oder einen runden Geburtstag feiern. Mitarbeiterzeitungen scheinen ein Informationsmedium zu sein. Ein Blick in die einschlägige Literatur - BWL-Untersuchungen, PR-Ratgeber und medienwissenschaftliche Arbeiten, die Germanistik hat sich zum Medium Mitarbeiterzeitung bislang kaum geäußert - scheinen dies zu untermauern. Von "Unterrichtung" spricht Hundhausen (1969, 96). Ähnlich äußert sich der andere 'Vater' der deutschen Public Relations, Oeckl: "Sie haben ganz überwiegend eine informierende Funktion, (...)." (Oeckl 1964, 361). Von "Transparenz über das innerbetriebliche Geschehen" sprechen Köcher/Birchmeier (1992, 183). Weitere Funktionszuschreibungen lassen sich finden. Ein Medium zur Motivationssteigerung der Mitarbeiter ist die Mitarbeiterzeitung für Ulsamer (1993, 6). Persuasive Ziele bekennt Bürger (Bürger 1986, 191). "Die neuen Schlagworte für die moderne Unternehmenszeitung" heißen laut Held/Schlumberger "Information, Meinungsaustausch, Diskussion, Partnerschaft, alle in einem Boot, alle ziehen an einem Strick, im Mittelpunkt steht der Mensch." (Held/Schlumberger 1976, 10). Diese Funktionszuschreibungen haben wohl zu einem gewissen Teil Gültigkeit, den bestimmenden Wesenszug des PR-Mediums Mitarbeiterzeitung vermögen sie aber nicht zu benennen. Aufgrund meiner bisherigen Analyse der Jahrgangsausgaben 1996 von mehreren Mitarbeiterzeitungen deutscher Unternehmen, bei denen die kommunikative Funktion der Texte im Gebrauchsmedium Mitarbeiterzeitung sowie der situative Kontext, in dem diese Texte entstehen und in dem sie funktional eingesetzt werden, eine wesentliche Rolle spielen, vertrete ich folgende These: Die Mitarbeiterzeitung ist erstens und primär ein Medium der positiven unternehmerischen Selbstdarstellung und ferner ist sie ein strategisches, zielorientiertes Medium. Diese These wird plausibel, wenn man Mitarbeiterzeitungen als eine unternehmerische Reaktion auf Faktoren interpretiert, mit denen sich die Industrie konfrontiert sieht. Zum einen sind dies unternehmensexterne situative Faktoren, etwa Aktivitäten von Bürgerinitiativen und anderen Interessengruppen, kritische Medienberichte oder gesetzliche Vorgaben, zum anderen sind dies unternehmensinterne situative Faktoren, z.B. betriebswirtschaftliche Veränderungen in den Unternehmen, wie wachsende Betriebsgrößen, zunehmende Konzernverästelungen oder der Ersatz des Firmenchefs durch ein anonymes Management. In welchem Ausmaß diese
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Faktoren in der Tat als Gefahr für die Industrie zu sehen sind, soll und kann hier nicht geklärt werden. Tatsache ist aber, daß Unternehmen sich zunehmend unter Rechtfertigungs- und Akzeptanzzwang sowie mit der Notwendigkeit konfrontiert sehen, ihr Handeln zu erklären. Hier setzen die Public Relations mit ihren kommunikativen Bemühungen ein. Sie wollen den als negativ und bedrohlich empfundenen situativen Faktoren ein positives Unternehmensimage entgegensetzen. Diese Aufgabe - konstitutiv für die gesamte Branche - wird in der Mitarbeiterzeitung hinsichtlich der Teilöffentlichkeit Mitarbeiter zu realisieren gesucht. Sie bildet das primäre kommunikative Ziel des Mediums. Ein positives Bild eines Unternehmens zu entwerfen und glaubhaft zu vermitteln ist kein einmaliger Akt. Imagearbeit ist vielmehr ein beständiger, sensibler Prozeß. Konsequent muß sie verfolgt werden. Bezogen auf die Mitarbeiterzeitung heißt das: Die positive Selbstdarstellung des Unternehmens muß geplant und konsequent in jeder Ausgabe realisiert werden. Hierfür hat die PR-Branche Strategien entwickelt, die sich - so zeigt meine Untersuchung - in Mitarbeiterzeitungen nachweisen lassen.' Wollen Unternehmen ein positives Bild von sich zeichnen, so sind sie mit dem Dilemma konfrontiert, daß jeder Selbstdarstellung innewohnt: Mit dem Ziel, ein positives Image sprachlich zu gestalten und kommunikativ zu vermitteln, ist unweigerlich die Gefahr einer Tabuverletzung verknüpft (Biere 1994, 10). Wie negativ eine positive Selbstdarstellung oft bewertet wird, darauf verweist die negative Konnotierung von Begriffen, die den Akt des sich selbst Lobens benennen: sich anpreisen, sich rühmen, sich anbiedern, sich in Szene setzen, angeben, sich anbieten wie Sauerbier oder Eigenlob stinkt. Dennoch gibt es die Möglichkeit, ein positives Bild seiner selbst (Biere 1994,11) oder eines Unternehmens zu zeichnen. Die Sprache hält eine Palette von Möglichkeiten bereit. Diese werden in der PR-Branche genutzt und zu Strategien entwickelt. Kommunikative Strategien der positiven Selbstdarstellung nenne ich die in den Mitarbeiterzeitungen zu findenden intentionalen Handlungssequenzen. Ob und wann sie erfolgreich sind, kann in diesem kurzen Aufsatz nicht thematisiert werden, nur die Grundvoraussetzung soll erwähnt werden: Will ein Unternehmen glaubhaft und in seinen Aussagen wahrhaftig wirken, muß sein Handeln dem in der Mitarbeiterzeitung entworfenen Image entsprechen. Selbstbild und Fremdbild dürfen nicht zu weit voneinander abweichen. Für meine These Mitarbeiterzeitungen sind strategische Medien der positiven Selbstdarstellung von Unternehmen finden sich in dem von mir untersuchten Material - Mitarbeiterzeitungen des pharmazeutischen Konzerns Merck, des kunststoffproduzierenden Betriebs Freudenberg, des Automobilherstellers Porsche, des Softwareherstellers SAP und des Elektronikkonzerns Bosch - zahlreiche Belege. Basis der Analyse bilden nicht ausschließlich einzelne Texte, sondern das gesamte Medium. Es handelt sich folglich nicht um eine Textanalyse im
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Mit Strategie bezeichne ich unter Anlehnung an Fritz "Sequenzen von Handlungsmuster" (Fritz 1977, 49, 66). Sie kann aus mehreren Teilstrategien bestehen (Fritz 1977, 49). Zur Beschreibung von Handlungssequenzen s. Heringer (1974, 185-211). Der Begriff des strategisch-kommunikativen Handelns entspricht weitestgehend dem von Kohl (1986) und knüpft an Goffmann (1969 / dt. 1981) an.
Selbstdarstellungsstrategien
von Unternehmen in Mitarbeiterzeitungen
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engeren Sinne, deren Untersuchungsgegenstand die Einheit Text ist, sondern um eine Medienanalyse mit dem Ziel, das Charakteristische des Mediums Mitarbeiterzeitung deskriptiv zu beschreiben. Hierbei spielen textanalytische Überlegungen eine Rolle, aber auch wortsemantische Besonderheiten, syntaktische Auffälligkeiten und der strategische Einsatz von Textsorten. Einzelne Ergebnisse sollen im folgenden exemplarisch aufgelistet werden. Für alle gibt es in dem untersuchten Material Belegstellen, zumeist mehrere in den verschiedenen Medien. Einige Belegstellen werden stellvertretend angeführt. Eine Negativberichterstattung, wie sie in Tageszeitungen möglich ist, findet in Mitarbeiterzeitungen kaum statt. Konfliktäre Themen werden zugunsten von Positivmeldungen vermieden. Aufschlußreich für das strategische Vorgehen der PR-Redaktionen ist die Darstellungsweise von negativen Entwicklungen im Unternehmen. Abschwächungen und relativierende Gegenüberstellungen finden sich häufig. Negative Aspekte der Unternehmensrealität, z.B. eine sinkende Auftragslage oder stagnierende Umsätze, finden zwar Erwähnung, werden aber erklärt als Folge unbeeinflußbarer, zumeist abstrakter Größen, etwa des Weltmarktes oder der Wechselkurse. Ein weiteres Vorgehen, um das kommunikative Ziel POSITIVE SELBSTDARSTELLUNG DES UNTERNEHMENS ZU erreichen besteht darin, auf die Güte der Produkte hinzuweisen oder über ökonomische Erfolge des Unternehmens zu berichten, z.B. indem auf Gewinnsteigerungen hingewiesen wird: Der Umsatz ( ... ) stieg im Vorjahr um elf Prozent auf fast 6,3 Milliarden Mark. (...) Das Jahresergebnis nach Steuern und Fremdanteilen wurde um 38 Prozent auf 355 Millionen Mark gesteigert. (Merck informiert 7, 1) Einen überproportionalen Gewinnanstieg verzeichnete die SAP im ersten Quartal des laufenden Geschäftsjahres: Mit 117 Millionen Mark stieg der Gewinn vor Steuern gegenüber dem Vorjahresquartal (72 Millionen Mark) um 62 Prozent; der Umsatz wuchs gegenüber dem Vergleichszeitraum um 40 Prozent auf 690 Millionen Mark. (SAP inside 2-3, 2)
Oft handelt es sich bei den in der Mitarbeiterzeitung beschriebenen Unternehmenserfolgen um Expansionen: Merck hat von Hoffmann-La Roche das weltweite Geschäft mit nematischen Flüssigkristallen übernommen. (Merck informiert 7,1)
Es finden sich viele Berichte und Meldungen, in denen auf die sozialen Leistungen, die das Unternehmen seinen Mitarbeitern bietet, hingewiesen wird: eine eigene Krankenversicherung, Betriebssport, Konzerte, verbilligte Theaterkarten etc.. Hierbei handelt es sich vordergründig um neutrale Informationstexte. Durch den Kontext und die Kommunikationssituation können sie aber als Texte klassifiziert werden, in denen eine positive Selbstdarstellung realisiert wird. Eine wichtige Rolle kommt Zitaten zu. Lobende Äußerungen von Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft oder von Fachleuten sollen das von gesellschaftlicher Stigmatisierung
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bedrohte E i g e n l o b ersetzen u n d zugleich als Belege f ü r die G ü t e des U n t e r n e h m e n s dienen. S o heißt es in d e r M e l d u n g " G u t e s Beispiel": Hoher politischer Besuch: Bundeswirtschaftsminister Dr. Günter Rexrodt (..) informierte sich Ende Januar bei der SAP über ein 'gutes Beispiel an Innovation' (Rexrodt). (SAP inside 1 , 3 )
Dieselbe Funktion haben Berichte über Preisverleihungen und Ehrungen, die d e m Unternehmen oder e i n e m Unternehmensvertreter zuteil geworden sind: Der vom Bundeswirtschaftsministerium getragene 'Rat für Formgebung' hat dem Sportwagenklassiker Porsche 911 Carrera in diesem Jahr den begehrten 'Bundespreis Produktdesign' vergeben. (...) In der Begründung der Jury des 'Bundespreis Produktdesign' heißt es unter anderem: 'Mit der behutsamen, überlegten Design-Evolution verfolgt Porsche eine Strategie, die bewußt auf Langlebigkeit setzt. Sie bewahrt die Identität des 911 und läßt damit auch die vielen Wagen früherer Generationen, die zumeist noch lange gefahren werden, nicht überholt aussehen.' (Carrera 8, 2)
Ein weiteres Beispiel ist die M e l d u n g "Porsche ist 'Fabrik des Jahres 1996'": Zum fünften Mal wurde der Wettbewerb von der Fachzeitschrift 'Produktion' und der Unternehmensberatung Α. T. Kearny durchgeführt. Mit dem Titel 'Fabrik des Jahres 1996' wird der Porsche AG bescheinigt, effizienter als alle anderen Fabriken in Deutschland zu produzieren. (Carrera 8, 2)
Ein U n t e r n e h m e n positiv darstellen, heißt heute nicht mehr nur, ö k o n o m i s c h e E r f o l g e vorzuweisen. U n t e r n e h m e n sehen sich in einer Bringschuld g e g e n ü b e r der Gesellschaft und unter R e c h t f e r t i g u n g s z w a n g bezüglich ihres Handelns. Dies findet sich in der PR-Literatur ausgiebig behandelt und wird sogar in Mitarbeiterzeitungen thematisiert: Neben seinen wirtschaftlichen Kennzahlen muß sich ein Unternehmen inzwischen längst an seinen Umweltkennzahlen messen lassen. Grund genug für führende Wirtschaftsunternehmen, beim Mannheimer Umweltkongreß '96 mit dem diesjährigen Motto "Qualitätsfaktor Luft" den Grad des technisch Machbaren aufzuzeigen. (Der Freudenberger 7+8, 6)
Beides spiegelt sich in Strategien in Mitarbeiterzeitungen wider. Das k o m m u n i k a t i v e Ziel DAS UNTERNEHMEN POSITIV DARSTELLEN wird beispielsweise zu erreichen gesucht, INDEM DAS
UNTERNEHMEN
ALS
VERANTWORTUNGSVOLLES
MITGLIED
DER
GESELLSCHAFT
PRÄSENTIERT WIRD. Dies kann u.a. geschehen, I) INDEM ES ALS VERTRETER ETHISCHER NORMEN PRÄSENTIERT WIRD. Als Beispiel sei ein Bericht über sog. "Sondergeschäfte", d.h. über Warentauschaktionen, angeführt. Die Ü b e r s c h r i f t " W a f f e n sind tabu" (Merck informiert 9, 5) und der letzte Satz des Textes ' " T a b u sind W a f f e n und Militärgüter aller Art, obwohl sie durchaus angeboten werd e n . ' " - der ein Zitat des interviewten Mitarbeiters ist-, formulieren den ethischen Grundsatz, daß das U n t e r n e h m e n M e r c k keine Geschäfte mit W a f f e n macht u n d somit k o n f o r m geht mit den in Deutschland geltenden Wertvorstellungen.
Selbstdarstellungsstrategien
von Unternehmen
in
Mitarbeiterzeitungen
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2 ) INDEM AUF SEINE INVESTITIONEN IM INLAND VERWIESEN WIRD. S o w i r d in e i n e m A r t i k e l ü b e r d e n e i n m i l l i o n s t e n P o r s c h e , der in S c h w a b e n v o m B a n d l i e f , a u s der R e d e d e s V o r s t a n d s v o r s i t z e n d e n zitiert:
'Mögen andere ins Ausland schielen. Das Bekenntnis zu Zuffenhausen und damit verbunden natürlich auch zu Weissach und Ludwigsburg ist unsere klare Antwort auf die Standortfrage Deutschland.' (Carrera 7, 1) V i e l e weitere Realisierungsmöglichkeiten, denen sich die PR-Redakteure bedienen, u m ein p o s i t i v e s U n t e m e h m e n s i m a g e z u s c h a f f e n , f i n d e n s i c h in d e n u n t e r s u c h t e n M a t e r i a l i e n . D i e q u a l i t a t i v e A n a l y s e hat z u d e m g e z e i g t , d a ß in d i e s e n M e d i e n d e r b e t r i e b s i n t e r n e n P u b l i c R e lations ein N e t z von kommunikativen Strategien g e s p o n n e n wird, allesamt mit d e m Ziel, das primäre k o m m u n i k a t i v e Ziel v o n Mitarbeiterzeitungen zu verwirklichen: ein p o s i t i v e s Bild des Unternehmens zu zeichnen.
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Eigenbild
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in Gesprächen.
Zur linguistischen
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des Beziehungsaspekts.
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- Walter de Gruyter. Berlin.
Public Relations!
Konzepte,
Instrumente
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- Zürich. Verlag Industrielle Organisation. Köln.
Verlag TÜV-Rheinland. Oeckl, Albert (1964): Handbuch Deutschland -
der Public Relations.
Theorie
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der Öffentlichkeitsarbeit
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und der Welt. - München: Süddeutscher Verlag München.
(1976): PR-Praxis.
Der Schlüssel zur Öffentlichkeitsarbeit.
- Düsseldorf, Wien: Econ Verlag.
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Redaktion
Kolloquiums.
- Tübingen: Niemeyer, 477-487.
und Gestaltung.
(Werbung
und
Marketing).-.
Stojan Bracic (Ljubljana)
Aspekte der Intertextualität
1. Die Erforschung der Intertextualität ist auf die Betrachtung mindestens zweier Texte angewiesen, die eine Art Intertextualitätsgefiige (vgl. terminologische Analogie zu Weinrich 1993) darstellen, in dem der eine Text als Intertextualitätsbasis durch den später entstandenen Text als Determinante im weitesten Sinne übercodiert ("intertextuell angereichert") wird (vgl. Holthuis 1993:122). Dieses Gefüge kann durch weitere Texte ausgedehnt werden, wobei der jeweils neu hinzutretende Text die bereits existierende Basis weiterdeterminiert (Intertextualitätskette). Der springende Punkt dabei ist die Affinitiät zwischen den beiden grundlegenden Texten. Welche Faktoren entscheiden, daß zwei Texte ein Intertextualitätsgefüge bilden? Hier könnte m. E. zwischen zwei Affinitätsarten unterschieden werden: a) Es gibt Texte, die aufgrund ihres Text(sorten)charakters Ergänzungen durch determinierende Texte erfordern. Zeitungsannoncen (Heirats- und Stellenanzeigen) ohne Antwort sind unvollständig; (neu erschienene) Bücher und (Erstaufführungen von) Theaterstücke(n) werden besprochen bzw. einer Kritik unterzogen, Dissertationen und ähnliches wissenschaftliches Schrifttum wird begutachtet, auch einzelne Briefe einer Korrespondenz können als Elemente eines erweiterten Intertextualitätsgefüges betrachtet werden. Der Basistext wird hier durch den gemäß unserer kommunikativen Kompetenz zu erwartenden determinierenden Text ergänzt, so daß der Basistext ohne den determinierenden Text unvollständig scheint und daß somit u. U. von einer obligatorischen intertextuellen Valenz des Basistextes gesprochen werden kann. b) Auf der anderen Seite werden Intertextualitätsgefüge auch von solchen Texten gebildet, bei denen aufgrund ihres Text(sorten)charakters keine Ergänzung erforderlich ist. In Analogie zum Intertextualitätsgefüge unter a) spricht man in diesem Fall von freier Intertextualitätsvalenz eines (Basis)Textes. Zu solchen Texten gehören auch die beiden im folgenden zu analysierenden, der Wochenzeitschrift "Die Zeit" entnommenen Texte. Der Basistext ("Mindestens fünf Jahre verschieben", Die Zeit Nr. 14, 29. März 1996, S. 26) ist ein Interview mit Renate Ohr, Universitätsprofessorin für Wirtschaftswissenschaften in Stuttgart, die eine vehemente Streiterin wider den Euro ist und verschiedene Gründe anführt, weshalb sie die für 1999 geplante Einführung des Euro für verfrüht hält, mit zu vielen wirtschaftlichen Risiken verbunden sieht und sich daher für eine Verschiebung des vermeintlich gewagten finanziellen Experiments einsetzt. Auf diesen Referenztext bezieht sich der referierende Text, ein einundzwanzig Tage später ebenfalls in der "Zeit" erschienener offener Brief ("Fitneßprogramm für Europa", Die Zeit Nr. 17, 19. April 1996, S. 28) aus der Feder des Spitzenbankiers F. Wilhelm Christians, der Renate Ohr entschieden widerspricht, ihre Zweifel und Befürchtungen zurückweist und weiterhin für die geplante Währungsunion plädiert.
Aspekte der
Intertextualität
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Zur Affinität zwischen den beiden Texten ließe sich folgendes erörtern: Jeder Text verfügt über ein Perlokutionspotential, das ist seine Fähigkeit, bei Adressaten Reaktionen auszulösen. Dieses Perlokutionspotential ist abhängig u. a. vom Textthema, vom Textrhema, vom Textgegenstand, vom Medium und von Rezipienten. Unter Textthema verstehe ich hier nicht - wie es allgemein verbreitet ist (vgl. Braöiö 1994:15) - den begrifflichen Kern, den auf das Wesentliche reduzierten Inhalt eines Textes, sondern die Problemstellung, die im Text im Rahmen eines Kommunikationsgegenstands aufgerollt wird. In unserem konkreten Fall wäre der Kommunikationsgegenstand die Währungsunion im Rahmen der Geldpolitik der EU und des Wissensbereiches Wirtschaftswissenschaft. Das Textthema ist dann der spezielle Gesichtspunkt, unter dem dies betrachtet wird: Soll die Währungsunion verschoben werden oder nicht? 1 Das Textrhema dagegen stellt die Problemlösung dar, hier konkret den Vorschlag Renate Ohrs, die Währungsunion mindestens um fünf Jahre zu verschieben. Das Medium ist in unserem Fall die überregional verbreitete Wochenzeitschrift "Die Zeit". Wenn ein von einem bestimmten Adressatenkreis als brisant empfundenes Thema eine unerwartete Lösung (Textrhema) suggeriert, besteht große Wahrscheinlichkeit, daß das Perlokutionspotential des Textes durch eine Rezipientengruppe (oder durch Einzelrezipienten) in Form einer polemischen Antwort zum Durchbruch gelangt. 2 2. Es folgen nun einige unsystematisch ausgewählte sprachliche Zeichen aus dem determinierenden Text, deren Veflechtungscharakter in bezug auf den Basistext zu bestimmen ist. Das Verb "widerspricht" und das Syntagma "ein offener Brief" im Untertitel "Spitzenbankier F. Wilhelm Christians widerspricht der Maastricht-Gegnerin Renate Ohr - ein offener Brief" beziehen sich auf einer Metaebene (vermutlich von der Zeitschriftenredaktion stammend) in komprimierter Form auf den gesamten Basistext von Renate Ohr, sie "thematisieren" (Holthuis 1993:25) die Art des intertextuellen Bezuges, indem sie den globalen Sprechaktcharakter des determinierenden Textes (Replik), somit seine kommunikative Funktion festlegen und außerdem eine wichtige Information zu dessen Textsorte liefern. Zudem bereiten diese Intertextualitätsmerkmale den potentiellen Rezipienten auf die zu erwartenden polemischen Untertöne im determinierenden Text vor; der Untertitel als Ganzes bringt auch eine
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Überlegenswert ist, ob man neben der typologischen und referentiellen Intertextualität - vgl. Holthuis 1993 - insbesondere für Gebrauchstexte nicht noch einen dritten Typus, eine thematische Intertextualität schlechthin - realisiert im Textparadigma mit thematischer Äquivalenz als Invariante - einfuhren könnte. Zu verweisen ist dabei ζ. B. auf die zahlreichen journalistischen Beiträge zum Thema "Währungsunion ja oder nein?" aus der letzten Zeit. 2 Wissenschaftliches Schrifttum unterliegt beiden Klassifikationsvarianten: ob Begutachtetes und Rezensiertes auch über diesen obligatorischen Rahmen hinaus verwendet, sprich zitiert wird, hängt wiederum mit ihrem Perlokutionspotential zusammen, d.h. mit ihrer Informativität, ihrem Thema und Rhema, mit dem Medium (Bekanntheit der entsprechenden wissenschaftlichen Zeitschrift bzw. des Verlages), ζ. T. subjektiv auch mit der persönlichen Bekanntschaft mit potentiellen Lesern.
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Stojan Bracic
thematische Eingrenzung des Textes mit sich und somit eine Selektion des Rezipientenkreises. Die Anrede am Beginn des determinierenden Textes, "Sehr geehrte Frau Professor Ohr", und die darauf folgende erste Zeile im offenen Brief von Christians, "in einem Interview der ZEIT (Nr. 14/1996) haben Sie sich für die Verschiebung der Europäischen Währungsunion und eine lediglich lockere Koordination der Geldpolitik ausgesprochen", bedeutet eine eindeutige Bezugnahme des referierenden Textes von Christians auf den Referenztext, die Intertextualitätssignale sind explizit, Christians als Autor bringt eine Zusammenfassung der im Interview bezogenen Position von Renate Ohr. Der zweite Satz ("Ihre Argumentation basiert auf der Krönungstheorie, wie sie in der Diskussion um den ersten Plan einer gemeinsamen Währung von Pierre Werner 1972 entstand") führt einen für den Basistext wichtigen Begriff der Wirtschaftswissenschaft ein, u.zw. die sog. "Krönungstheorie". Interessanterweise hat Renate Ohr in ihrem Zeit-Interview diesen Terminus überhaupt nicht gebraucht, während F. Wilhelm Christians in seiner Replik ihn mehrmals anführt und seinen kritischen Tenor gegenüber Renate Ohr hauptsächlich darauf abstimmt, die Krönungstheorie, die eine Währungsunion ohne politische Union für unmöglich halte, als "wirklichkeitsfremd" (Spalte I), als "überwunden" (Spalte II) abzustempeln, denn sie "geht am Thema europäischer Integration vorbei" (Spalte IV). 3 Mit der antithetischen Stilfigur, der Antimetabole "Das Festhalten am Status quo mag als vermeintlicher Realismus leicht Zustimmung finden. Die Zukunft läßt sich damit nicht gewinnen.", erzielt Christians am Textschluß zwar einen rhetorischen Effekt, dies kann aber dem Korrektheitsgrad seiner Polemik insgesamt schaden, denn es handelt sich um ein Etikettieren seiner Kontrahentin als Konservative, womit Renate Ohr gewiß nicht einverstanden wäre. (Vgl. zur "positive/n/ Pflege des Adressatenimages" bei Sandig 1986:225.) Für diese Erkenntnis benötigt der Leser kein Fachwissen, notwendig ist aber die Kenntnis des Basistextes. Renate Ohr setzt sich nämlich darin nicht für ein starres Festhalten am Status quo ein, wie von Christians vorgeworfen, sondern sie schlägt eine Alternative zur Währungsunion vor in Form einer "gemeinsamen Geldpolitik auf Probe" (Spalte III), die als "eine die Märkte stabilisierende Perspektive" (ibid.) angeboten wird. 4 3. Referenzsignale an der Textoberfläche des manifesten Textes sind nichts anderes als transtextuelle Rekurrenzerscheinungen. Im Unterschied zu mrratextueller Phorik, wo variierte Wiederaufnahmen als partielle Rekurrenz in erster Linie im Dienste des Stils stehen, haben mtertextuelle Referenzsignale andere Funktionen: Sie können bewerten, kommentieren, kom-
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Der uneingeweihte Leser kann zwar den Eindruck bekommen, daß die Gedankengänge Christians schlüssig sind, das bleibt aber vorerst nur eine Hypothese, die fachlich Uberfprüft werden müßte. Die Reihenfolge einzelner Subthemen des Basistextes wird im referierenden Text nicht konsequent eingehalten. Außerdem wird in der Replik von Christians nicht auf alle Subthemen aus Renate Ohrs Basistext eingegangen. So bleiben ζ. B. die Risiken, denen die Volkswirtschaften ausgesetzt seien, sowie die nicht unwichtig erscheinenden wirtschaftlichen Parameter Haushaltsdefizit und Staatsverschuldung (Spalte IV) unberührt. Ob dies einem Zufall zuzuschreiben ist oder aus strategischen Überlegungen heraus erfolgt, kann in diesem Rahmen nicht eruiert werden.
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primieren, verdrehen, unterstellen, anspielen (vgl. Koeppel 1993:308). Durch die Art und Weise, wie Elemente aus dem Basistext im determinierenden Text wiederaufgenommen werden, läßt sich auf die Art der Beziehungen der beiden Textverfasser schließen (vgl. auch Sandig 1986:214 ff.). Hinzu kommt noch eine andere Überlegung. Explizit äußert sich Christians zu Ohrs Positionen hauptsächlich vermittels entsprechender Prädikationen: "(Ihre Argumentation) basiert auf der Krönungstheorie ...", "(/d/ie Krönungstheorie) ist wirklichkeitsfremd", " ... ist überwunden", "(/d/ie Debatte um Staatenbund und Bundesstaat... ) geht am Thema europäischer Integration vorbei", "(/d/en Franzosen die Ernsthaftigkeit ... absprechen zu wollen) halte ich ... für unredlich", "(Ihre Befürchtung)... teile ich nicht", "(Ihre Ansicht) kann ich nicht nachvollziehen", "(/e/ine Spaltung in 'ins' und 'outs') kann es gar nicht geben", "(/d/as Festhalten am Status quo) mag als vermeintlicher Realismus leicht Zustimmung finden" u.a.m. Gemäß den Prinzipien der funktionalen Satzperspektive sind diese Prädikationen im einzelnen Satzrhemata. In topikalen Positionen (vgl. oben in Klammern) stehen dagegen thematische Komponenten der einzelnen Äußerungen, also jene Äußerungskonstituenten, die auf bereits Erwähntes oder Allgemeinbekanntes referieren. Hier besteht die Gefahr einer Manipulation, wenn man einfach annimmt, daß bei Christians die einzelnen Intertextualitätsverweise korrekterweise an entsprechende Subthemen in Ohrs Basistext anknüpfen und sie wiederaufnehmen. Durch die Verweisformen mit mitunter klar festlegbaren kommunikativen Funktionen "Befürchtung" etwa soll nach Koeppel (1993:88 f.) sprechaktbezogen sein, "Ansicht" dagegen den Wahrheitswert eines Referenzsegments signalisieren - kann indirekt, fast unmerklich dem Autor des Referenztextes manches unterstellt werden, was gar nicht seinen Intentionen entspricht. Der Autor des Referenztextes muß somit zunächst von sich weisen, was ihm sozusagen in die Schuhe geschoben wird (im konkreten Fall womöglich die Krönungstheorie, mit Sicherheit aber "Das Festhalten am Status quo"). Vor diesem Hintergrund erhebt sich abschließend die Frage, ob es möglich wäre, bei einigen prototypischen Intertextualitätsgefügen rein linguistische Intertextualitätsmerkmale herauszufiltern und zu inventarisieren, mit dem Ziel, nicht nur in fachlichen und wissenschaftlichen polemischen Texten, sondern etwa auch in politischen Auseinandersetzungen, in Gerichtsverhandlungen (z.B. Verhör), in psychologischen Beratungen u.d.m. - isoliert vom speziellen (Fach)Wissen - die Glaubwürdigkeit von Aussagen objektiver beurteilen zu können. So könnte man ein feines produktives wie rezeptives Gespür für Nuancen auch in konfliktuellen Kommunikationssituationen entwickeln und somit einen weiteren Schritt zur Hebung der Sprachkultur tun.
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Stojan Bracic
Literatur Braiii, Stojan (1994): Statische und dynamische Komponenten der Textkonstitution. - In: D. W. Haiwachs, I. Stütz (Hgg.): Sprache - Sprechen - Handeln. (Akten des 28. Linguistischen Kolloqiums.Graz, Bd. 2), 15-20. Tübingen: Niemeyer. Holthuis, Susanne (1993): Intertextualität. Aspekte einer rezeptionsorientierten Konzeption. - Tübingen: Stauffenburg (= Stauffenburg Colloqium 28). Koeppel, Rolf (1993): Satzbezogene Verweisformen. - Tübingen: Narr (Tübinger Beiträge zur Linguistik 386). Sandig, Barbara (1986): Stilistik der deutschen Sprache. - Berlin, New York: de Gruyter (Göschen 2229). Weinrich, Harald (1993): Textgrammatik der deutschen Sprache. - Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich: Duden.
Bela Brogyanyi (Freiburg i. Br.)
Sprachtherapeutische Massnahmen bei Patienten mit Multipler Sklerose
0. Einleitung Die Multiple Sklerose (MS) soll hier als sprachtherapeutische Fragestellung angegangen werden. Eine Kasuistik kann in diesem Rahmen nicht geboten werden. Die Sprachtherapie ist heute zu einem unabdingbaren Faktor jeder MS-Rehabilitation geworden, auch im Bewusstsein der Patienten hat diese Anwendung einen festen Platz eingenommen. In der MS-Klinik Selzer in Schönmünzach, an der ich eine Zeitlang wird das Therapieangebot durch Ultraschallbehandlung nach der Methode Selzer ergänzt, deren Effekte auch für die Sprachtherapie nutzbar gemacht werden können.
1. Erscheinungsbild der Multiplen Sklerose Die MS ist eine der häufigsten organischen Nervenkrankheiten (vgl. hierzu Poeck 1992:329339), in Mitteleuropa weist sie eine Morbiditätsquote von 3-7 Fällen auf 10 000 Personen auf. Bei der weissen Population auf der nördlichen Hemisphäre nimmt die Erkrankungshäufigkeit mit wachsender Entfernung vom Äquator zu. Das Prädilektionsalter für die Erkrankung liegt zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr, Frauen erkranken im Verhältnis 3:2 häufiger als Männer. Die MS stellt eine Entmarkungskrankheit dar, die die weisse Substanz des gesamten Zentralnervensystems befällt. Herdförmig kommt es zu Demyelisierung der Markscheiden der Nervenbahnen, ohne deren Marksubstanz eine Nervenleitung unmöglich ist. Je nach der Lokalisation der Herde können sich dementsprechende Funktionsstörungen einstellen. Die Herde verhärten sich zu Narben, d.h. sie skierotisieren. Es sind zwei grosse Verlaufsformen der MS bekannt: 1. die schubweise und 2. die chronisch-progrediente. Auf die Schübe, die sich u.a. oft durch massive Visus- und sprechmotorische Störungen manifestieren, folgt eine Remissionsphase. Beim chronisch-progredienten Verlauf treten keine Remissionen auf. Im Fall der schubweise auftretenden MS wird die sprachtherapeutische Intervention in der Regel nach Abklingen des Schubs durchgeführt. Die Ätiologie und Pathogenese der MS sind ungeklärt, daher ist eine kausale Therapie noch nicht möglich. Heute neigt man zur Annahme einer Autoimmunerkrankung, die immunsupressiv behandelt wird. Es gibt ausserdem eine Anzahl von symptomatischen Behandlungsverfahren, deren Wert schwer zu beurteilen ist. Immer wieder tauchen alternative Methoden auf, die meistens nicht überzeugen.
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Be Ιο Brogyanyi
2. Bestimmung des Schweregrades der Multiplen Sklerose Die Funktionsausfalle bei MS-Erkrankung können systematisiert und quantitativ auf einer Skala von 0 bis 10 nach Kurtzke (K 0-10) dargestellt werden (Frick 1989:38-39). Dies ermöglicht gewisse prognostische Voraussagen über den weiteren Verlauf der Krankheit sowie den Therapieerfolg. Funktionsausfälle nach Kurtzke: 0: N o r m a l b e f u n d 1: F u n k t i o n e l l b e d e u t u n g s l o s e n e u r o l o g i s c h e N o r m a b w e i c h u n g e n 2: G e r i n g f ü g i g e S t ö r u n g e n , z . B . l e i c h t e S p a s t i k o d e r P a r e s e 3: M i t t e l s c h w e r e S t ö r u n g e n , z . B . M o n o p a r e s e n , l e i c h t e H e m i p a r e s e n , m a s s i g e A t a x i e , m a s s i g e B l a s e n s t ö r u n g e n , A u g e n s t ö r u n g e n , K o m b i n a t i o n mehrerer leichter Störungen 4: Störungen, die die Arbeitsfähigkeit und normale Lebensweise behindern, aber nicht unmöglich machen 5: V ö l l i g e A r b e i t s u n f ä h i g k e i t , m a x i m a l e G e h s t r e c k e o h n e H i l f e e t w a 5 0 0 m 6: K u r z e G e h s t r e c k e n u r m i t S t ö c k e n , K r ü c k e n o d e r S t ü t z a p p a r a t e n 7: R o l l s t u h l p a t i e n t , d e r d e n S t u h l o h n e f r e m d e H i l f e a u f s u c h e n u n d f o r t b e w e g e n k a n n 8: B e t t l ä g r i g k e i t , F u n k t i o n d e r A r m e a b e r e r h a l t e n 9: Bettlägrigkeit, völlige Hilflosigkeit 10: T o d d u r c h M S
Sprachstörungen können in allen Stadien der Erkrankung auftreten, entscheidend dafür ist der Befall der verantwortlichen Hirnregionen. Es muss betont werden, dass die Störungen in erster Linie die Sprechmotorik betreffen, d.h. sie sind dysarthrophonischer Natur. Die individuelle Variationsbreite ist gross. Patienten mit Κ 3-4 können zuweilen schon massive Störungen aufweisen, wogegen diejenigen mit Κ 7-8 überhaupt noch keine Beeinträchtigungen zeigen müssen. Der Wert dieser Skala besitzt für die Sprachtherapie nur Orientierungscharakter und dient als erste Annäherung bei der Einschätzung von Art und Umfang der erforderlichen Massnahmen.
3. Sprach- und Sprechstörungen bei MS Für die Sprachtherapie sind entscheidend Störungen 1. der Respiration, 2. der Phonation, 3. der Artikulation, 4. der Wortfindung und 5. der Kommunikation (Joosten-Weiser 1991:15-33, bes. 28-33). Als typisch für MS wird traditionell das skandierende Sprechen angeführt (seit Charcot 1877, s. Joosten-Weiser 1991:8-9). Die Behandlung der Schluckstörungen werden auch der Sprachtherapie zugeordnet. Häufig kommt es bei MS zur Schädigung der Hirnnervkerne, der sog. Bulbärparalyse. Die Sprechweise der Betroffenen (bulbäre Sprache) verlangsamt sich infolge Beeinträchtigung der Zungenmotorik, die Stimme wird durch Gaumensegelparese (hyper)nasal, durch Stimmbandlähmung heiser. Bei fortschreitender Lähmung kann es auch zur Anarthrie sowie zu massiven Kau- und Schluckstörungen kommen. Der psychische Zustand der Patienten hat für die sprachlichen Rehabilitationsmassnahmen einen wichtigen Stellenwert. In der Regel erhalten MS-Patienten bei der Bewältigung ihrer
Sprachtherapeutische Massnahmen bei Patienten mit Multipler Sklerose
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möglichen psychischen Probleme, die sehr mannigfaltig sein können, Unterstützung seitens der Psychotherapie. In vielen Fällen aber bevorzugen Patienten die Sprachtherapie als Anlaufstelle, denn sie stellt für sie sozial gesehen eine neutrale Instanz dar. Der Mitteilungsdrang vieler Patienten ist gross, sie suchen „kompetente" Zuhörer ohne gleich als Psychofälle stigmatisiert zu werden. Selbstverständlich darf sich der Sprachtherapeut nicht in die Rolle eines Psychologen begeben, aber er muss sich der entgegengebrachten Erwartung des Patienten stellen. Patienten mit hirnorganischem Psychosyndrom (HOPS) stellen ein besonderes Problem dar, oft ist bei ihnen eine systematische Sprachtherapie nicht durchführbar.
4. Sprachtherapeutischer Massnahmenkatalog Die sprachtherapeutischen Angebote können hier nur aufgelistet, auf eine Diskussion anhand von Beispielen muss verzichtet werden. Die Gewichtung bestimmter Massnahmen erfolgt nach den Bedürfnissen des jeweiligen Patienten. Entsprechend der bei MS beeinträchtigten Funktionen umfassen die Übungen hauptsächlich folgende Bereiche:
1. Atemübungen und atembegleitende Bewegungsübungen 2. Stimmübungen (Resonanz-, Modulationsübungen), 3. Übungen zu den suprasegmentalen Elementen, 4. Artiklationsübungen (Vokale, Vokalquantitäten, Konsonanten, Konsonantengruppen), 5. Lautstärke und Sprechtempo, 6. phonetische und morphologische Segmentierung von Wörtern, 7. Wortbildungsübungen 8. syntaktische Aufgabenlösungen, 9. Bewältigung längeren Sprechens, 10. Leseübungen, 11. kommunikative Aktivierung, 12. Übungen zur Verbesserung der Gesichts-, Mund- und Zungenmotorik (u.a. Kieferöffnung, Lippenkraft), 13. Schluckberatung und -Übungen.
Der Patient muss angeleitet werdenn, kontrolliert zu sprechen. Selbstverständlich kann er nicht zu einem „Phonetiker" ausgebildet werden, aber er sollte in die Lage versetzt werden, den eigenen Sprechvorgang zu kontrollieren und die artikulatorischen Bewegungsabläufe bewusst einzusetzen (vgl. auch Schalch 1985:323).
4. Ultraschallbehandlung und Sprachtherapie Der praktische Arzt Hans Selzer (1970, 1977) betrachtete die MS fälschlicherweise als eine lymphogene Enzephalomyelopathie. Nach seiner Auffassung entsteht die MS nicht primär im Zentralnervensystem, sondern hat ihren Ursprung im lymphatischen System, wo die ersten Reaktionen auf Intoxikationen und Allergien ablaufen. Gemäss Selzer soll durch Ultraschall
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Beta Brogyanyi
eine Desensibisilierung der sog. immunologisch-toxischen Lymphe wie auch ein beschleunigter Lymphabfluss von der Dura mater spinalis zu den zervikalen Lymphknoten bei gleichzeitiger Lymphangiospasmolyse erreicht werden. Die Beschallung geschieht nach dieser Methode in der Regel paravertebral und von Fall zu Fall auch am lymphatischen Rachenring. Selzer belegt seine Therapieerfolge mit zahlreichen Falldarstellungen, vielfach spricht er dabei von Heilung der MS (Selzer 1970); er führt auch an, dass Patienten mit Sprach- und Schluckstörungen (bulbärparalytisches Syndrom) eine signifikante Besserung der Symptomatik zeigten. Die „Resultate" dieser Behandlungsart konnten nicht nachvollziehbar dargelegt werden, daher erlangte diese Methode keine allgemeine Akzeptanz erlangen. Die wissenschaftlich fragliche Ultraschallbehandlung der Multiplen Sklerose nach der Methode Selzer wird von Poser-Ritter (1980:127) als unkonventionelles Therapie verfahren bezeichnet. Bei den Patienten der Neurologischen Klinik Selzer in Schönmünzach erfreut sich die Ultraschallmethode trotzdem einer grossen Beliebtheit, sie empfinden dadurch eine Minderung ihrer Beschwerden. Die Ultraschallbehandlung der MS wird aber von den Ärzten auch hier nicht mehr mit Anspruch auf Heilung eingesetzt, sondern sie steht im Rahmen eines allgemeinen Therapieangebots, das helfen soll, die MS-Symptomatik zu lindern und zu dem u.a. auch Krankengymnastik, Ergotherapie, Bäder usw. gehören. Auch wenn die Ultraschallmethode keine Heilwirkung erzielt, erhält sie im Rahmen eines ganzheitlichen Therapieansatzes als eine alternative Methode ihre Berechtigung. Schallwellen, die jenseits der Grenze der Aufnahmefähigkeit des menschlichen Ohres liegen, werden Ultraschall (> 20 kHz) genannt. Ihre Anwendung ist in der Medizin von besonderer Bedeutung (vgl. Langen 1996). Ultraschall wird von der Haut reflektiert. Um das Eindringen der Schallwellen in tieferes Gewebe zu ermöglichen, muss zwischen Schallkopf und Haut in der Regel ein wässriges Medium (z.B. Stärkegel) aufgetragen werden. An den Grenzschichten der Gewebe entsteht Wärme, die zur Verbesserung der Durchblutung, zur Beschleunigung des Lymphabflusses sowie auch zur Intensivierung des Stoffwechsels führt. Dadurch kommt es zur Schmerzlinderung, wobei die muskeltonussenkende und trophikverbessemde Wirkung der Ultraschallanwendung therapeutische Bedeutung hat. Die Beschallung der ventralen Halsregion bei MS-Patienten kann eine muskelrelaxierende Wirkung zeitigen, was temporär vielfach zu einer funktionalen Verbesserung der am Sprechen beteiligten Muskulatur führen kann. Es wurde beobachtet, dass durch den Einsatz dieser physikalischen Anwendung Spasmus, Tremor sowie Ataxie gemindert werden konnten, wodurch die sprachtherapeutischen Massnahmen günstigere Voraussetzungen erhielten. Ultraschallbehandlung von MS-Patienten kann also nur in diesem Sinne mit der Sprachtherapie in Verbindung gebracht werden.
5. Erfolgschancen sprachherapeutischer Massnahmen bei MS Der Erfolg der Sprachtherapie bei MS-Patienten ist eine Funktion der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit sowie der Motivation der Betroffenen. Eine grosse Rolle spielt dabei
Sprachtherapeutische Massnahmen bei Patienten mit Multipler Sklerose
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der soziale Rahmen, in den der jeweilige Patient eingebettet ist. Konfliktsituationen verschlechtern die Ausganglage. Das sprachtherapeutische Angebot kann keinem Patienten aufgezwungen werden. Der Patient muss die eigene Situation realistisch einschätzen können, um seine verbliebenen Reserven mit Hilfe des Therapieangebots richtig einzusetzen. Die Wiederherstellung des prämorbiden Zustande ist nicht möglich, was dem Patienten vermittelt werden muss. Nur seine dauerhafte eigenständige Mitarbeit kann die Basis für die Bewältigung der Beeinträchtigungen darstellen. Sprache besteht im Gebrauch und ihr Gebrauch muss somit ständig geübt werden.
Literatur Charcot, J.M. (1877): Lectures on the deseases of the neuron system. - London: New Sydenham Society. Franke, Ulrike (1991): Logopädisches Handlexikon. 3., Überarb. Aufl. - München, Basel: E. Reinhardt Verlag. Frick, Ewald (1989): Multiple Sklerose. 2, vollständig Uberarb. Aufl. - Weinheim, Basel: Edition Medizin, VCH. Joosten-Weiser, Dorothee (1991): Multiple Sklerose als sprachheilpädagogisches Problem. - Frankfurt am Main, Bern, New York, Paris: Peter Lang. Langen, Hubert (1996): Die therapeutische Anwendung von Ultraschall. Vortragsmanuskript vom 12.6.1996. Schönmünzach. Poeck, Klaus (1992): Neurologie. 8., Uberarb. und erw. Aufl. - Berlin, Heidelberg, New York: Springer-Verlag. Poser, Sigrid/Ritter, Gerhard (1980): Multiple Sklerose in Forschung, Klinik und Praxis. - Stuttgart, New York: F.K. Schattauer Verlag. Schalch, Friedel (1985): Sprachtherapie bei Multipler Sklerose. - Beschäftigungstherapie und Rehabilitation, 323-326. Selzer, Hans (1970): Die Multiple Sklerose. Ihre lymphogene Entstehung und ihre polyvalente Behandlung. Schopfheim: Heinrich Schwab Verlag. - (1977): Die lymphogene Erkrankung innerer Organe und des Zentralnervensystems. - Elztal: Verlag Laub.
Abraham P. ten Cate (Groningen)
Tempus, Aspekt, Modus und Deixis
1. Einleitung Dieser Beitrag erörtert die Beziehungen zwischen Tempus, Aspekt und Modus im wesentlichen im Bereich des deiktischen, bzw. perspektivischen Bezugs. Als Erstes folgt eine Auseinandersetzung mit der neuerdings geführten Diskussion um die Erweiterung des Deixisbegriffs; anschließend wird es darum gehen, was unter Tempus, Aspekt und Modus subsumiert wird und welche Beziehungen zwischen den drei Kategorien bestehen.
2. Deixis Der Deixisbegriff hat sich von der relativ restriktiven Auffassung von Lyons (1977) zu einer den ganzen Pragmatikbereich umfassenden Kategorie bei Fuchs (1988, 1993), Rauh (1988) und Haase (1994) evoluiert. Nach Lyons handelt es sich um "the location and identification of persons, objects, events, processes and activities being talked about, or referred to, in relation to the spatiotemporal context created and sustained by the act of utterance and the participation in it, typically, of a single speaker and at least one addressee" (Lyons 1977: 636). Der Begriff beschränkt sich demnach auf personaldeiktische (Demonstrativa, Personalpronomen), lokaldeiktische (Demonstrativa, Adverbien) und temporale Kategorien (Adverbia und Tempus): Aspektualität schließt Lyons ausdrücklich aus. In der Erweiterung, die der Deixisbegriff u.a. bei Fuchs erfährt, wird Aspekt wohl zu den deiktischen Kategorien gerechnet, zusammen mit u.a. der verbalen Diathese, Verb- und Satzmodus, konverse Prädikatspaare wie kaufen und verkaufen, sowie Respekt (Haase 1994) bzw. "soziale Beziehungen" (Rauh 1988: 30). Deixis umfaßt demnach ein breites Spektrum, nämlich "potentiell jede Dimension, innerhalb derer ein Sprecher qua Sprache etwas zu sich oder zu einem Aspekt einer Situation in Beziehung setzt" (Rauh 1988: 28). Kritisieren ließe sich, daß durch die Erweiterung "alle Bestandteile kommunikativ verwendeter Sprachzeichen und sämtliche ihrer grammatischen Eigenschaften als deiktisch" etiquettiert werden: Der Begriff wird dadurch "seine diskriminierende Kraft verlieren und wäre kaum noch für die praktische linguistische Arbeit tauglich" (Blühdorn 1995: 114). In dieser Arbeit wird unter Deixis der Bezug auf ein imaginäres Koordinatensystem verstanden, das von einem mit der Position des Sprechers zusammenfallenden Mittelpunkt (auch wohl 'Nullpunkt' genannt) aus das Wahrnehmungsfeld ordnet. Darin lassen sich eine zeitliche und eine lokale Dimension unterscheiden. Auf die zeitliche Dimension wird mit den geeigneten sprachlichen Mitteln (Tempus und adverbiale Modifizierung) Bezug genommen. Das Ko-
Tempus, Aspekt, Modus und Deixis
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ordinatensystem wird deshalb mit den bekannten Referenzpunkten t
...
Γ l ° — V P
v°
ti Für Modalverben bedeutet dies, daß sie nicht mehr in der VP basisgeneriert werden, so wie Vollverben mit einem vollständigen Θ-Gitter, sondern in einer höheren funktionalen Kategorie. Der syntaktische Beweis für eine Analyse dieser Verben als Vollverben ist, daß sie ein direktes Objekt regieren können, und somit auch eine externe Θ-Rolle zu vergeben haben, d.h. die Θ-Rolle des Subjekts: (2)
a.
all mag in Xristau (Phi 4:13) alles ich-vermag durch Christus ich vermag alles durch Christus
b.
hvan filu skalt fraujin meinamma? (Luk 16:5) wie viel schuldest Herrn meinem? wieviel schuldest du meinem Herrn?
Wenn skulan und magan einen Infinitiv regieren, weisen sie unterschiedliche syntaktische Strukturen auf, die der Unterscheidung in epistemische und deontische Modalverben entsprechen: Erstere drücken Notwendigkeit, Möglichkeit aus, während die letzteren Notwendigkeit, Zwang, Erlaubnis, Fähigkeit von Seiten eines Agens ausdrücken. Als epistemische Modalver-
Die Syntax des Infinitivs im Gotischen
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ben sind sie, so wie Auxiliar- und Anhebungsverben, transparent für die Eigenschaften des Verbs, das sie regieren, da sie ihrem Subjekt keine Θ-Rolle zuweisen. Unter der Standardannahme, daß Verben, die ihrem Subjekt keine Θ-Rolle zuweisen, auch keinen strukturellen Kasus zuweisen, würde man erwarten, daß auch epistemische Modalverben keinen strukturellen Kasus zuweisen können. (Burzio 1986:178, Chomsky 1986: 139.) Das ist, wie unten gezeigt wird, auch der Fall. Deontische Modalverben dagegen weisen ihrem Subjekt eine ΘRolle zu. (vgl. Thräinsson & Vikner 1995). Syntaktisch zeigt sich das wie folgt: wenn sie deontische Bedeutung haben, können sie das sogenannte "lange Passiv" bilden, wie es fürs Deutsche von Haider (1993) diskutiert wird: (3)
zu reparieren versucht wurde der Wagen/*den Wagen schon dreimal
Mit dem Passiv von einigen Kontrollverben, die diese Restrukturierung zulassen, erscheint im Deutschen das interne Argument des Infinitivs im Nominativ und nicht im Akkusativ, als Subjekt des ganzen Satzes. Das zeigt, daß das finite passive Kontrollverb und sein infinitivisches Komplement sich ein einziges Argument teilen. Im Falle der Passivierung eines Kontrollverbs, das eine Θ-Rolle ihrem Subjekt zu vergeben, wird das externe Argument neutralisiert, so daß das interne Argument des Infinitivs externalisiert werden muß. Dies bedeutet, daß das Objekt des Infinitivs im Nominativ und nicht im Akkusativ erscheint. Lange Passivierung findet man auch im Gotischen mit skulan und magan mit deontischer Bedeutung, d.h. mit den Modalverben, die ihrem Subjekt eine Θ-Rolle zuweisen. Deswegen können sie passiviert werden. Die externe Θ-Rolle wird somit neutralisiert, und an der Stelle des Subjekts erscheint das Objekt des Infinitivs im Nominativ. Das Partizip des Modalverbs kongruiert dann in Numerus und Kasus mit dem Subjekt. Um zu zeigen, daß das Gotische unabhängig von der Vorlage ist, wird hier auch der griechische Originaltext wiedergegeben, der ein infinites Passiv zeigt: (4)
a.
skal sunus mans uskusans fram sinistam wairpan (Luk 9:22) soll SohnNOM Menschen verworfen von Priestern werden der Sohn des Menschen soll von den Priestern verworfen werden
b.
skulds ist atgiban in handuns manne (Luk 9:44) όγάρ υιός μέλλει παραδίδοσθαι είς χείρας ανθρώπων weil SohnNOM Menschen gesolltPART M Sa ist geben in Hände Menschen weil des Menschen Sohn gegeben werden soll in die Hände der Menschen
c.
jah ni mahta was fram ainomehun galeikinon (Luk 8:43) ούκ ϊσχυσεν ΰπ'ούδενός θεραπενυθηναι und nicht gekonntpART war von niemandem heilen und er konnte von niemandem geheilt werden
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Gisella Ferraresi
Man vergleiche das Beispiel (a) mit (b): in (a) steht das Modalverb, wie in den modernen germanischen Sprachen, in der aktiven Form und der Infinitiv ist Passiv, in (b) wird "langes Passiv" benutzt, wo das Modalverb passiviert wird und das Infinitiv sich in der aktiven Form zeigt. In beiden Beispielen steht das Subjekt im Nominativ. Die Beispiele, wo "langes Passiv" mit skulart und magan vorkommt, haben immer nur deontische Bedeutung, was annehmen läßt, daß es nicht möglich ist, daß diese Konstruktion epistemische Bedeutung hat. Das bestätigt unsere Hypothese, nach der epistemische Modalverben dem Subjekt keine Θ-Rolle zuweisen. Die Reanalyse von skulan und magan als Modalverben erscheint in den folgenden Beispielen, wo sie, wie oben erklärt, unter einer funktionalen Kategorie generiert werden: skulan wird als epistemisches Verb in der futuristischen Periphrase (a) und als deontische Modalverb mit der Bedeutung von Zwang (b) verwendet: (7)
a.
sa ist Helias saei skulda qiman (Mat 11:14) der ist Elia der sollte kommen er ist Elia, der kommen sollte
b.
ik skal waurkjan waurstwa J>is sandjandins mik (Joh 9:4) ich muß wirken Werke des Sendenden mich ich muß wirken die Werke des, der mich gesendet hat
Das Verb magan ist epistemisch in der Bedeutung von "möglich sein". Das nächste Beispiel (a) ist besonders interessant, weil es auch ein Null-nicht-argumentales Subjekt aufweist, was bedeutet, daß das Verb in diesem Fall keine Subjekt-0-Rolle zuweist: (8)
a.
jabai magi wairfran us izwis, mij) allaim mannam gawair{)i habandans (Rom 12:18) wenn könnte0PT 3sg passierenINF von euch, mit allen Menschen Frieden habend wenn es euch möglich wäre, mit allen Menschen Frieden zu haben
b.
jabai hvas seinamma garda fauragaggan ni mag (I Tim 3:5) wenn jemand seinem Haus vorstehen^ nicht kann wenn jemand seinem Haus nicht vorstehen kann
Dasselbe Verb magan in Beispiel (b) hat die Bedeutung von "können" und ist deontisch. Indiz dafür, daß diese Modalverben nicht - wie die Vollverben - unter VP basisgeneriert werden, ist, daß sie im gesamten gotischen Text nie als Infinitive vorkommen (vgl. fürs Altenglische Roberts 1993). Andere Verben, die in den modernen germanischen Sprachen Modalverben sind, haben dagegen im Gotischen noch nicht den gleichen Wandel wie skulan und magan durchgemacht.
Die Syntax des Infinitivs im Gotischen
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So wird zum Beispiel das Verb gamotan "Platz, Freiheit haben", mit dem das deutsche Verb müssen etymologisch verwandt ist, nie mit einem Infinitiv benutzt, und es hat nur die Bedeutung eines Vollverbs: (9)
suns gaqemun managi, swaswe ju£>an ni gamostedun nih at daura (Mar 2:2) bald kamen viele, sodaß sogar nicht Raum-hatten auch-nicht vor Tür und es kamen so viele, daß sie auch vor der Tür nicht Raum hatten
Außerdem kommen die anderen Verben auch im Infinitiv vor: (10)
jah wiljan dugunnuj) af fairnin jera (Π Cor 8:10) und wollen anfingt seit vorigem Jahr und ihr angefangen habt zu wollen seit vorigem Jahr
Zusammenfassung In meinem Beitrag habe ich gezeigt, daß die gotischen Modalverben skulan und magan, im Unterschied zu den anderen Verben, die in den modernen germanischen Sprachen Modalverben sind, einen Wandel durchmachen, der dazu führt, sie von Vollverben zu Modalverben zu reanalysieren. Als Modalverben werden sie als epistemische und als deontische Modalverben benutzt. Dies ist durch die unterschiedlichen syntaktischen Strukturen bewiesen worden, in denen sie vorkommen: Epistemische Modalverben haben mit Anhebungsverben gemein, daß sie ihrem Subjekt keine Θ-Rolle zuweisen. Deontische Modalverben verhalten sich wie Kontrollverben, indem sie ihrem Subjekt eine Θ-Rolle zuweisen. Dies ist auch durch die lange Passivierung gezeigt worden, die deontische und eine Gruppe von Kontrollverben gemeinsam haben, bei denen das interne Argument des Infinitivs im Nominativ als Subjekt des passivierten Modalverbs (oder Kontrollverbs) auftritt.
Literatur Burzio, Luigi (1986): Italian Syntax.- Dordrecht: Reidel. Chomsky, Noam (1986): Knowledge of Language: Its Nature, Origin and Use.- New York: Praeger. Haider, Hubert (1993): Deutsche Syntax - Generativ. - Tübingen: Niemeyer Verlag. Roberts, Ian (1993): Verbs and Diachronic Syntax. A Comparative History of English and French. - Dordrecht: Kluwer Academic Publishers. ThräinssonHöskuldur Sten Vikner (1985): "Modals and Double Modals in the Scandinavian Languages".- In: Working Papers in Scandinavian Syntax 55.
Barbara Gillette (Delaware)
Language Teacher Training in the United States - A Study of Teachers' Needs versus Actual Accreditation Requirements
Introduction What do applied linguists have to offer future language teachers? How many and which concerns of apprentice teachers can be addressed in traditional methods courses, rooted in applied linguistics research and theory? This paper reports on a study conducted at the University of Delaware comparing the training received by foreign language teachers with their actual needs in the field. Foreign language teacher training in the United States normally involves the completion of 60 credit hours beyond basic or general university requirements. Half of these, or 30 credit hours, are spent studying the foreign language itself - mainly through literature and civilization courses. The other half consists of "professional studies," which include three courses in general education (9 credit hours), three courses in foreign language teaching methods, testing, and syllabus design (9 credit hours), and a student teaching internship in local high schools which lasts for one semester and involves a weekly meeting with University supervisors (12 credit hours). The 85-point questionnaire developed for this investigation was based in part on a survey by Lange and Sims (1990), who studied the perceptions of 480 Minnesota language teachers with respect to both quality and usefulness of their pre-professional preparation. The present study focuses on usefulness only, and asked trainees to rank various components studied as part of their teacher education program outlined above on a Likert-scale, from "least useful" (1) to "most useful" (5). 25 former student teachers of French, Spanish and German responded (12, 10, and 3 respectively). The results were analyzed through both descriptive statistics and a multivariate analysis of variance. The latter revealed no group differences among the trainees according to age, gender, teaching experience, or language taught. Unexpectedly, the needs of all the apprentice language teachers surveyed were articulated with a remarkable degree of uniformity. The 25 trainees, no matter what language they were teaching or how long they had taught it, all faced similar challenges once in the field and perceived their training in much the same way. A summary of the survey results is presented below, subdivided according to the 8 major components of the pre-professional training program in foreign language education at the University of Delaware.
Language Teacher Training in the United States
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1. Methods of Teaching Foreign Languages Students who had taken this course valued practical components such as "watching live demonstrations by experienced teachers" and "practical suggestions for teaching second language reading, writing, speaking, and listening" more highly than the background knowledge in applied linguistics presented along with them. A required research paper in that area was one of the lowest ranked or "least useful" items of the whole survey. This preference for handson information reappeared consistently in all sections of the questionnaire.
2. Methods Practicum Students expressed their eagerness to get out of academia and into their future work environment by ranking "observation of foreign language classes in local schools" most highly, followed by "preparation and presentation of practice lessons" and "visit of (former) student teachers to class." A required written analysis of classroom observations was ranked lowest by the apprentice teachers. Interestingly, trainees greatly prefer experiences which seem immediately relevant to a principled analysis of those same experiences.
3. Syllabus Design and Materials Writing The items ranked most useful in this three-credit course were "hands-on" as well. Practical materials design activities and "strategies for increasing oral communication in the classroom" were perceived as highly useful, as was "developing effective reading lessons." Every day lesson planning in general seems to be a much more pressing concern than any item including linguistic theory, such as "background information on syllabus, course and curriculum design." The surprisingly low rating of "choosing and evaluating textbooks" (3.3 out of 5) is perhaps best explained by the expectation that such matters would initially be handled by more experienced colleagues in the school district.
4. Foreign Language Testing The testing course seems to be perceived as too theoretical and generally far removed from teaching practice. While it contains statistical information crucial to a critical interpretation of research in applied linguistics, apprentice teachers only rank practical concerns such as "hands-on design of specific language tests" highly. The average usefulness values ascribed to more theoretical topics such as "uni-dimensional versus multi-dimensional test items" are among the lowest overall, with "in-class oral reports on testing from text and articles" at the bottom of the list of all 85 items and a usefulness score of only 2.2.
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Barbara Gillette
5. Student Teaching Seminar The student teaching seminar is a weekly practicum apprentice teachers participate in while student teaching, and the last component of teacher training provided by the university. Students particularly appreciated the opportunities to share successful classroom activities with peers (most highly ranked component at 4.5 out of 5) and the "opportunity to discuss and develop lesson planning skills" (4.4). Other practical matters such as "guidance in matters of classroom discipline" and "preparation of activities file" received high rankings as well. As in previous sections of the questionnaire, course components which seemed less geared towards solving immediate practical problems received the lowest ratings for usefulness - 3.1 for readings related to their experience as first-year teachers, and 3.4 for writing a student teacher journal where students recorded how they solved practical problems.
6. Student Teaching Students ranked their internships in local high schools very highly overall. "Opportunity to experiment with different teaching styles" and observing strategies used by the more experienced collaborating teachers received the highest scores for usefulness. What students were least interested in as part of their field experience were concerns outside of their own classroom, such as school administration, counseling, libraries, and the organized parental support system common in the United States.
7. Language, Civilization and Literature Courses Apprentice teachers feel that their own language skills benefit greatly from taking ten such courses (30 credit hours) and that those linguistic gains, in turn, are highly valuable elements of their teacher training. The single most useful item identified by the survey, namely "opportunities to live or study in the target culture," rated 4.9 out of a possible 5, was found in that category. While literary criticism in and of itself was not rated as overly useful (3.5 out of 5), literature and civilization courses do appear to contribute enormously in other ways. Among the indirect benefits valued the most are "development of writing skills in the target language," "development of communication through listening and speaking," "developing linguistic accuracy," and "knowledge of grammatical concepts."
8. Courses in General Education Future teachers of all high school subjects are required to take three courses in general education, administered by the College of Education. Once again, more practical items were
Language Teacher Training in the United States
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strongly preferred by trainees. Student motivation (3.9) and classroom management (3.8) were considered the most useful issues covered, followed by "instructional strategies and practices" (3.7). Many of the subject areas listed in this section, however, stayed largely in the realm of the abstract and were not viewed as particularly helpful. Lowest scorers were "historical orientation to the U.S. school system" (2.6) and "introduction to the contemporary school" (2.8).
Conclusion Apprentice teachers ranked courses in their major field of studies (French, Spanish, and German) most highly overall. This fact is due in particular to study abroad options and other opportunities for fine-tuning students' target language skills. Student teaching as well as workshop-type instruction (the two practica) were also highly valued. Courses in foreign language pedagogy, which combine both theory and practice and constitute the core of traditional teacher training, were actually rated as less useful overall than language training and teaching practica. The program components perceived as the least practical received the lowest rankings, namely courses in general education and foreign language testing. Former students were highly satisfied with the training they had received, and even the lowest scoring components of their professional preparation were ranked as "moderately useful" overall. Nonetheless, a number of concrete changes were made in the Foreign Language Education program of the University of Delaware as a result of this study. Specifically, practical skills such as daily lesson planning were given more emphasis and the theoretical background paper in applied linguistics students had been required to write as part of Methods of Teaching Foreign Languages was converted to a written case study. In that format, background knowledge has to be applied in order to solve a hypothetical problem encountered by a language teacher in the classroom. Therein lies a useful lesson for the applied linguist as a teacher trainer: Transmitting knowledge about the workings of second language acquisition and teaching methods is not enough. Apprentice teachers, according to this survey, are clearly more pre-occupied with their own language skills and daily activities in the classroom than with building a theoretical foundation for those activities. Yet, they will not be able to teach foreign languages in a principled way if applied linguists do not provide a cohesive theoretical framework to guide practical decisions. Effective language teaching is only partly an art or craft - it must also be a science. (See Freeman and Richards, 1993, for more on these conceptions of second language instruction.) Applied linguists as teacher trainers have to convince apprentice teachers of that fact, rather than just report scientific results which may be perceived as irrelevant. In spite of the clear results of this study, teacher trainers cannot surrender entirely to the urgency of apprentice teachers' practical needs either. Theory and practice must be skillfully intertwined throughout teacher training programs in order to prepare language teachers who are as aware of linguistic theory as they are of effective teaching methods.
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Barbara Gillette
References Freeman, Donald and Jack C. Richards (1993): Conceptions of Teaching and the Education of Second Language Teachers. - In: Tesol Quarterly 27, 193-216. Lange, Dale and William R. Sims (1990): Minnesota Foreign Language Teachers' Perceptions of Their PreProfessional Preparation. - In: The Modern Language Journal 74, 297-310.
Klaus-Dieter Gottschalk (Tübingen)
Lokalkolorit in der Übersetzung. Chatwin: On The Black Hill
Vortheoretisch verlangt Lokalkolorit mehr als wörtliche, semantische Übersetzung. Als Alterität vermittelt es im Originaltext das Besondere einer Gegend. Eine Übersetzung bietet Alienität, wenn Fremdartiges nicht eingedeutscht wird. Eine Fallstudie an Kamps Übersetzung zeigt, daß neben der Semantik von Wortfeldern auch Morphologie und Syntax Lokalkolorit schaffen . Chatwins Roman aus dem englisch-walisischen Grenzland lebt vom Lokalkolorit der Sprachvarianten: Der Vater, ein walisischer Bauer, wehrt sich eifersüchtig gegen jede sprachliche Entfremdung der Söhne, zumal die Mutter aus der englischen Mittelschicht stammt. Als Tochter eines anglikanischen Pfarrers lebt sie an der Religionsgrenze zwischen den Bevölkerungsgruppen. Die Übersetzung sollte die soziale Grenze von Church und Chapel zusammen mit dem Unterschied zwischen Standard English und walisischem Dialektenglisch vermitteln. Die gehobene Umgangssprache der Mutter umfaßt unauffällig medizinische Fachausdrücke; in der Übersetzung klingt aber Laminitis (E33, D37) statt Hufrehe unverständlich und überheblich. Das Titelbild des englischen Taschenbuchs wirkt familien-idyllisch wie im Film. Die deutsche Ausgabe zeigt Siedlungsgeographie, 1992 düster, 1994 freundlich. Auch der Titel stimmt ein: Waliser sollen hohe Berge Black Hills nennen. Falls Chatwin den Red Hill bei Rhulen umbenennt, dient das dem düsteren Bild von Wales. Kamp übersetzt mit dem Betonungsmuster Auf dem SCHWArzen BERG eine beschreibende NP statt dem Eigennamen SCHWARzenberg, der eher verwirren würde. Spanisch heißt der Eigenname Colina Negra, französisch bleibt er unübersetzt. Unübersetzt hätte Kamp den geographischen Rhulen Hill statt schwerfällig unüblichem Rhulen Berg (Dl6) lassen können. Eine landeskundliche Wortfeldanalyse, ob Black Hill ein Berg oder Hügel ist, erübrigt sich durch mountain (E29) im Text. Walisisch ergänzt sich die Wortkette aus dem Kymrischen zur kleinen Anhöhe the tump hin. Kamps Paraphrase Miss Fifield the Tump "vom Hügel" ( D i l ) hilft hier. Zum anglikanischen Hintergrund gehört die protokollarische Steigerung von Reverend bis Most Reverend, vom Pfarrer zum Erzbischof. Reverend statt Hochwürden vermittelt Alienität der Kirche von England. Aber Kamp tut sich schwer, wenn sie vicar richtig als Pfarrer (D18) und falsch als Vikar (D31) wiedergibt. Dies dient nicht dem Lokalkolorit. Kamp scheitert stellenweise am Gegensatz von Chapel-folk (E32) und Church-folk (E50), obwohl das Original (E32) ausdrücklich die Alterität der Nonkonformisten klärt; aber Sekten (D36) bietet eine falsche Alterität für die Alienität. Dabei bietet Kamp auch wertfrei Freikirchen (D95) und Bethaus (D54) für chapel (E48) neben dem "false friend" Kapelle (D95 für E84). Bei Church-folk, same as Amos and Mary? (E50) ist Gehn zur Kirche wie Arnos und Mary? (D57)
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Klaus-Dieter
Gottschalk
landeskundlich unergiebig; ein Einschub zur anglikanischen Kirche oder verkürzt Sind auch anglikanisch wären zu empfehlen. Unübersetzte Titel und Wörter schaffen Lokalkolorit. Aber die Häuser der Gentry (D21 ) für the homes of the gentry (Ε 19) klingt nach Eigennamen. Landadel wäre besser, wenn Adelssitze Rangunterschiede verwischt. Für das Lokalkolorit unschädlich sind manche FehlÜbersetzungen: Giftpilze (D59) /+giftig/ für toadstools (E52) /-edible/. Jedoch sind snowdrops landschaftlich-botanisch und zugleich klimatisch aufschlußreich (El6), während Kamp voreilig aus dem Novemberbegräbnis auf eine scheinbar sinnvolle Denotation Schneeflocken (Dl 8) schließt. Statt Schneeglöckchen wird derselbe Fehler (Dl93) unsinnig bei a rustic stone cross carved with a single snowdrop (El69). Jedoch ist (D209 für Ε184) richtig. Bei den Fachausdrücken läßt sich die Alterität von hogget (Ε 18) nach der Erstschur nicht wörtlich aus dem Walisischen übersetzen. Aber eine fachgerechte Übersetzung des Wortfelds HORSE könnte Lokalkolorit beisteuern, weil die englischen Bezeichnungen zum Teil ins Wortfeld PFERD übernommen wurden. So ist a Welsh bay cob (E25) ein Welsh-Cob statt einem kleinen braunen Waliser (D28), wobei bay einschränkt "mit schwarzer Mähne und Schweif". Halbblut (D46) für cob (E41) ist ungenau; die Kreuzung erfolgt nicht individuell; die Züchtung ist typisch für die Waliser Berglandschaft. Mit Bergponys (D68) für mountain ponies (E60) übergeht Kamp ebenso das Welsh-Mountain-Pony, das früher wild im Gebirge lebte. Aber eine literarische Übersetzung soll nicht pedantisch klingen. Kann sich denn die Übersetzerin auf Wörterbücher verlassen? Kamp nennt mules (E96,128,129) im selben Satz (D146) Maulesel, Esel, Maultiere. Aber hinny für Maulesel ist so wenig bekannt, daß auch Collins und Langenscheidt mule zu Maultier, Maulesel verallgemeinern. Hier geht es um das Lokalkolorit eines Kriegsschauplatzes. Bei Essen und Trinken erfordern Landesspezialitäten den englischen Ausdruck (fruitcake E32, D36 ) oder eine sorgfältige Umformulierung: Glühbier (Dl74) für mulled ale (Ε 152) bringt Alienität und Lokalkolorit, fingers of cinnamon toast (232) ergeben fingerbreiten Zimttoast (D36); der Dimensionswechsel statt fingerlang bewahrt manche Leser vor Alienität, die hier wohl nichts für das Lokalkolorit leistet. Brauchen deutsche Leser den britischen Hintergrund nicht besser zu verstehen als Amerikaner und Australier? Ty-Cradoc (E10.D10) dient der Einführung in den Roman; ein Hinweis auf Caractacus Kampf gegen die Römer wäre hilfreich. Ausländern ist auch unbekannt, daß The border of Radnor and Hereford (Ε 10) nicht nur Die Grenze zwischen den Grafschaften (D10) ist; sinnvoll wäre zwischen der walisischen Grafschaft R. und der englischen Grafschaft H. Diese Rahmenvorstellungen müssen außerhalb Britanniens geographisch und geschichtlich vermittelt werden. Kamp liest fälschlich ein Kompositum 'singing voice als Singstimme (D94) statt dem walisischen Tonfall 'singing 'voice (E83) wie sing-song voice (E93,140), das sie auch mißversteht und zwar als monotone Stimme (D106, 161). Lexika wie Collins bieten immerhin: a regular or monotonous rising and falling rhythm. Bei der Siegesfeier (E123.D140) setzt Kamp allophonisch das Graphem "ö" wie Mönschen in der trunkenen Ansprache des Brigadegenerals für [w] statt Irl wie in west. Das soziolektale
Lokalkolorit
in der Übersetzung.
Chatwin: On the Black Hill
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[w] in RP gilt präskriptiv oft als Sprachfehler (cf. Murray). Was den Walisern vielleicht eine unangemessen trunkene Aussprache scheint, schreibt die unangemessene deutsche Wortwahl fest; sie ergibt aber keinen Soziolekt. In der soziolekthaften doppelten Verneinung never did no 'arm (El28) läßt sich das in Südostwales dialektale /h/-Dropping nicht phonetisch als Dialekt übersetzen. Das ergäbe romanisches Ausländerdeutsch. Aber die doppelte Verneinung ergäbe sprachübergreifend nie nichts Böses statt Kamps nie was. Für einen Soziolekt gibt es in der Zielsprache u.U. eine Variante mit ähnlicher sozialer Funktion; bei Dialekten stimmen selten die Assoziationen zwischen den geographischen Varianten beider Sprachen überein. (Wäre früher Oberschlesisch als literarischer Grenzlanddialekt für die Übersetzung in Frage gekommen?) Im Roman gibt es einen sozialen Unterschied zwischen Arnos gemäßigtem Welsh English und dem seiner Nachbarn. Die Übersetzung Es muß Lewis sein (D282) übersieht den Stellenwert von unbetonten und unflektierten periphrastischen Formen mit do und be im Dialekt: It be Lewis (E247) ist keine modale Ellipse. Kamp blendet Dialektworte aus (D71), während der spanische Text den Dialekt mit oonts, oontitumps (E62) wie im Original thematisiert. Quantitativ entspricht der deutsche Text nicht den Abweichungen vom Standard im englischen Roman: Arnos Dialektformen wie them do say as she's a witch (E29), Vron as married his cousin, Cringlyn what the father died of drink (E26) werden Schriftdeutsch glattgebügelt; der wo und dem sein hätten seine Sprachvariante (angemessen?) markieren können. Manche Dialektformen im Welsh English gelten dialektübergreifend soziolekthaft auch für andere englische Varianten: Analogische Anpassung starker Verbformen (see'd El29), Kontraktionen (dinna Ε199), klitisches a- (a- teilin', a-lasted E130f). Deshalb wäre eine allgemeine Abweichung vom Hochdeutschen ohne Zuordnung zu einem besonderen Dialekt möglich. Englischer und deutscher Text kontrahieren (canna, I'd - hab'se, ham, warn D146) und lassen Endkonsonanten aus (ol' - nich, un). Trotz aller englischen Abweichungen von der Standardgrammatik bleibt die Übersetzung beinahe Schriftdeutsch korrekt (Jim and me, we been / We done / But her'd die if I'd be gone Ε199 - Jim und ich, wir warn / Wir ham /Aber sie stirbt, wenn ich weggehe D227f)· Gelegentlich klingt ein Satzmuster umgangssprachlich, wenn ein Nebensatz wie im Hauptsatz übersetzt wird: and that be the Smatcher nearby where I was born (E52) - Und das da ist der Smatcher, bei dem bin ich ganz in der Nähe geboren (D60).
Literatur Chatwin, Bruce - (1982,1983): On the Black Hill. - London: Picador. - (1983; 1994): Auf dem schwarzen Berg. - Frankfurt: Fischer. Hacker, Martina (1998): Why is There no h-Dropping in Scots? Loss and Insertion of /h/ as a Contact Phenomenon in British English Dialects. - In: J. Strässler (Hg.): Tendenzen europäischer Linguistik. Akten des 31. Linguistischen Kolloquiums. Bern 1996. 71-75. - Tübingen: Niemeyer (= Linguistische Arbeiten 381). Murray, Alan (1998): "You can't wesist my chawisma": Sociolinguistic Aspects of Μ Variation in British English. - In: J. Strässler (Hg.): Tendenzen europäischer Linguistik. Akten des 31. Linguistischen Kolloquiums. Bern 1996. 158-162. - Tübingen: Niemeyer (= Linguistische Arbeiten 381). Sieber, Gabriele (1995): A Linguistic Study of Translation Problems in Anna Kamp (trad.): Auf dem schwarzen Berg. - Wissenschaftliche Arbeit am Englischen Seminar der Universität Tübingen.
Jozef Grabarek (Bydgoszcz/Toruri)
Die Konjunktionen in den ältesten Texten der Thorner Stadtkanzlei (1363 - 1428)
Im ersten Jahrhundert der frühneuhochdeutschen Zeit gab es in Thorn vier Schöffengerichte (Altstadt, Neustadt, Vorstädte, das innerhalb des städtischen Patrimoniums gelegene Dorf Mockern/Mokre). Am vollständigsten sind die altstädtischen Bücher erhalten. Sie bestehen aus 2 Kladden (Protokollbücher), 51 Indukten (Reinschriften), 3 Hilfsbüchern und einem aus losen Blättern, die in anderen Büchern gefunden wurden, gebundenen Buch. Der hier analysierte Text wurde im Jahre 1936 von K. Kaczmarczyk unter dem Titel „Liber scabinorum veteris civitatis Thoruniensis" in Druck herausgegeben. Die in LSVCT gefundenen 20 (+ 2 Varianten) Konjunktionen lassen sich nach gleichen Kriterien untersuchen wie die der deutschen Gegenwartssprache.
1. Lexikalisch-morphematische Einteilung Hier ist primär zwischen Wort und Wortreihe zu unterscheiden. Die Wortreihe ist entweder kontinuierlich/adjazent oder diskontinuierlich (Distanzstellung), das Wort ein primäres Simplex oder eine Wortbildungsform (Derivat, Zusammenrückung und eventuell Kompositum). Aufgrund der mir zugänglichen Quellen und anhand des Textes läßt sich nicht feststellen, ob „ydoch" eine deadverbiale Konversion ist oder durch Erweiterung von „doch" durch „ie-/y-" entstand. Im letzten Falle wäre es als Kompositum zu betrachten (Adverb + Konjunktion). Die einzelnen Gruppen von Konjuntionen sind im Text unterschiedlich stark vertreten: •
kontunuierliche Wortgruppe (als das, als ab, bis das, wie das),
•
diskontinuierliche Konjunktion (nicht/noch... noch),
•
primäre Simplizia (abir, adir, als, das, noch, und, ab, ?bis, ?den(ne), ?wen(ne)),
•
implizite Derivate/Konversionen (sundir, ?doch, ?wend, ?wie),
•
Zusammenrückung (dywyle),
•
Kompositum (?ydoch).
Die Konjunktion „sundir" ist eine Verschmelzung von ahd. „suntar" (mhd. „sunder" - außer, ohne) und as. „an suntaron", das ins Hochdeutsche eingedrungen ist. Schon bei Otfried knüpft es Glieder an, die auf eine Negation folgen (vgl. Dal 1966, 186). Im Mittelhochdeutschen kommt der präpositionale Gebrauch hinzu. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Konjunktion und die Präposition am Anfang der frnhd. Zeit noch als deadverbiale Derivate empfunden wurden. Die subordinierende Konjunktion „dywyle" ist eine Zusammenrückung aus dem bestimmten Artikel und dem ahd. Substantiv „(h)wila". Dieses Substantiv wurde ursprünglich
Die Konjunktionen in den ältesten Texten der Thorner Stadtkanzlei
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als Akkusativ der Zeiterstreckung gebraucht, doch gegen Ende des Ahd. tritt die Verbindung von ,,di(e) wila so (do)" als Initialelement der Temporalsätze auf. Jedoch noch im Mhd. War der substantivische Charakter von „wile" bewahrt, und als Initialelement der Temporalsätze wurde damals „(al.) die wile da" gebraucht. Für Luther ist schon die Zusammenschreibung typisch (vgl. Dal 1966, 217). Es ist also anzunehmen, daß „dywyle" damals als Zusammenrückung empfunden wurde. Die Konjunktion „bis" ist aus der Fügung „bis da „ hervorgegangen (vgl. DUDEN 7 - 1989, 84). Die Konjunktion „wen(ne)" wird regelmäig mit ,,-e-" geschrieben. Die Trennung zwischen „wann" und „wenn" erfolgte erst im 19. Jh. (vgl. DUDEN 7 - 1989, 800). Deutlich ist dagegen die Trennung zwischen „dann" (Adverb) und „den(ne)" Konjunktion. Es ist weiter anzunehmen, daß „bis" damals eher als primäres Simplex denn als Zusammenrückung (ahd. „bi ze") empfunden wurde. Auch „den(ne)" wurde bestimmt nicht als deadverbiales Derivat (germ, thanna") betrachtet. Dies trifft auch für „wen(ne)" zu. Der Zusammenhang zwischen dem Frageadverb „wie" und der gleichlautenden Konjunktion war damals ganz klar, „wend" ist aus „bithiu uuanta" hervorgegangen (Kurzform).
2. Syntaktische Einteilungen Auf der synktatischen Ebene ist primär zwischen koordinierenden und subordinierenden Konjunktionen zu unterscheiden. Die beiden Gruppen lassen sich weiter nach der Art verknüpften Einheiten untergliedern. Es gibt koordinierende Konjunktionen, die Sätze und Satzteile (sundir, vnd), nur Sätze (abir, doch, ydoch), nur Satzteile (nicht/noch ... noch) verbinden. Unter den subordinierenden Konjunktionen, gibt es solche, die nur Nebensätze einleiten (ab, als ab, als das, bis, bis das, das, denne, wend, wie, wie das), und Konjunktionen, die Sätze und Satzteile einleiten (als, wenne). Es wurden keine Belege für den Gebrauch von „denne" als Initialelement der als Vergleichsbasis geltenden Satzteile nach einem Adjektiv im Komparativ gefunden. In dieser Funktion wird „wenne" gebraucht. Auch eingeleitete Infinitivsätze, die im Deutschen um das Jahr 1400 (Ackermann aus Böhmen) auftauchten (Dal 1966, 111), kommen im Text des Schöffenbuches nicht vor.
3. Semantische Einteilungen Nach der Anzahl der markierten Relationen ist primär zwischen polysemen (polyfunktionellen) und monosemen (monofunktionellen) Konjunktionen zu unterscheiden. Außerdem gibt es eine Konjunktion (das) mit verblaßter lexikalischer Bedeutung (mit grammatischer Bedeutung). Die vorhandene Relation wird hier nicht anhand der. Konjunktion, sondern aufgrund des Kontextes/Kotextes erkannt. Nicht (ganz) verblaßt ist die Bedeutung von „ab". Im weiteren wird nur ein Überblick der markierten Relationen gegeben, eine ausführliche Behandlung dieser Relationen erfolgt in einem anderen Aufsatz.
60 1. 1.2. 1.1.1
Jözef Grabarek Konjunktionen mit nicht verblaßter lexikalischer Bedeutung Kordinierende Konjunktionen Polyseme Konjunktion
sundir (adversativ, restriktiv) ..., das im van syme vater nicht wurden were, sundir van Nickele ... 7 ..., vnd die frouwe wart der schichtunge notlos geteilit, sunder VIII mr. stehn an schulden,... 861 1.1.2. Monoseme Konjunktionen aber (adversativ) ouch Lütke Rekeling ... czog sich ouch czu deme gute, das in gestorbin was von sinem bruder, aber vor dy nochmanunge bynnen jar vnd tage hat gelobit... 322 adir (alternativ/disjunktiv)
1.2. 1.2.3
... ane rechtis adir wertliches gerichtes beschirmunge. 1516 doch/ydoch (restriktiv) ... Heinrich ... vnd Hans vnderenandir schichtunge vnd teilunge gesessen haben, das en beyderseyt wol genüget, doch mit sulchir vndirscheit, das ... 1675 ... vorkauft haben, ydoch mit sulchir vndirscheit,... 1589 noch/nicht... noch (kopulativ) (einmal nur „noch") ... nicht geminret noch gemeret... 27 ... noch durch lieb, noch durch leid,... 1334 ... geistlich noch wertlich. 918 vnd/und(e) (kopulativ) Also das erbe in der stat vnd die schune vor der stat... 422 Subordinierende Konjunktionen Polyseme Konjunktionen ab (komparativ, konditional, Objekt) ... glichirwis, ab her Bernhard ... geginwortig were. 857 ..., ab die buden verbrennten, so sal die juncfrouve ... 815 ... vnd wüste nicht, ab is erbczins ist adir nicht. 687 als (temporal, komparativ, Spezifizierung) (H)annos ... quam vor uns, als ... Zarius Schultheis was ...6 ... reichte im vf syn erbe halb, als is iczund geteilt ist, ...9 ... Gotschlke vnd Hinriche ... als nesten erben ... 72 wen(ne) (konditional, temporal, komparativ) ... wen die vrouwe ir gelt... habin wil, so sullen... 13 ... vnd wenne dy geuellt, do haben sy dy helfte. 403 ... also das sy by yn nicht mer hette wen CXXX mr. ... 67 wie das (Objekt, Subjekt, Final/Attribut) ..., das Czyne ... hat becant, wie das sie vorkauft hat... 1246 Item gehedigtim dinge ist wissentlich, wie das kommen sint... 1928
Die Konjunktionen in den ältesten Texten der Thorner Stadtkanzlei
61
Wyn berichtunge ist gesehen czwuschen Pauel Karkut vnd Johannes Welwecke, wie das Welwecke entrichten sal dem ... 1735 1.2.2. Monoseme Konjunktionen als d a s ( O b j e k t )
Ouch hot Arnold ... becant, als das seyne tachter... empfangen hat... 1991 als a b ( k o m p a r a t i v )
... die vormundeschaft... zu lassen, als ab her selbir ... 294 bis ( t e m p o r a l )
... also lange, bis die beezalunge gescheen ist. 1330 denne (komparativ) ... bessir... denne meister Czesarius gelt zusaget,... 1562 dywyle (temporal) ... he ... wil raten, dywyle her lebet. 20 wend (kausal) is ist sundirlichin not, daz man sy schrybe, wend der tot, der menschen vil vorezeret. 0 wie (komparativ)
2.
Wie is die machten, do solde is bey bleyben ... 1370 Konjunktionen mit verblaßter lexikalischer Bedeutung Hierher gehört nur die Konjunktion „das" (daz, dass), die Objekt-, Subjekt-, Attribut-, Final- und Konsekutivsätze einleitet. ... vnd hat becant, das her schuldig sie ... 981 Is ist sundirlichin not, daz man sy schrybe,... 0 ... vnd were is sache, das einer dem anderen nicht geweren mochte,... 1133 ... solde ... gebin III or mr. ..., das domete alle Sachen ... bericht vnd hingelegit solden sin ... 376 ... ledig vnd los geteilt wart, das her... keine not mer dorffe lyden. 163 (Interpretation als Finalsatz nicht ausgeschlossen)
Zusammenfassung Von den frühneuhochdeutschen Neuerungen sind realisiert: • die Verdrängung von „denne" duch „als" bei Komparativsätzen, • der häufige Gebrauch von „wie das'" • der Gebrauch von „dywyle" nur bei Gleichzeitigkeit. Vom alten Gebrauch blieben erhalten: • der Gebrauch von „wend" als kausaler Konjunktion, • der Gebrauch von „dywyle" als temporaler Konjunktion, • der Gebrauch von „ab" bei Konditionalsätzen trotz starker Konkurrenz von „wen(ne)".
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Jözef Grabarek
Literatur Dal, Ingerid (1966): Kurze deutsche Syntax, 3., verbesserte Aufl. - Tübingen. DUDEN 7-1989. Etymologie. Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache, (2., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage von Günther Drosdowski). - Mannheim/Wien/Zürich: Bibliographisches Institut, Dudenverlag. Kaczmarczyk, Kazimierz (1936), Liber scabinorum veteris civitatis Thoruniensis. - Toruii/Warszawa.
Reinhold und Michaela Greisbach (Köln)
Untersuchungen zur Variabilität von Rechtschreibfehlern
Rechtschreibfehler sind Fehler, die bei der schriftlichen Kodierung von Sprache auftreten. Diese Kodierung unterliegt gewissen - in vielen Sprachen historisch gewachsenen - Regeln, die sehr oft von einer eineindeutigen Korrespondenz zwischen den Einheiten der gesprochenen Sprache, den Phonemen, und den Einheiten der geschriebenen Sprache, den Graphemen, abweicht. In unserer Gesellschaft müssen sich alle jungen Menschen diese Regeln in der Schule aneignen. Manchen gelingt dies fast vollständig - anderen jedoch nur in beschränktem Maße: Sie machen Fehler. Zur Reduktion der Fehlerzahl kann man bestimmte Trainingsprogramme neben dem oder im regulären Unterricht bereitstellen. Die Auswahl eines geeigneten Trainingsprogrammes für einen Schüler erfordert eine qualitative Analyse seiner Rechtschreibfehler. Dabei werden sehr oft Rechtschreibtests eingesetzt. Der Schüler erhält dazu einen Text vorgelegt, in dem an verschiedenen Stellen Wörter fehlen, einen sogenannten Lückentext. Dieser Text wird dann ergänzt um die fehlenden Wörter - vom Lehrer diktiert, so daß der Schüler nur die Lücken füllen muß. Diese Methode erlaubt es, in kürzester Zeit viele unterschiedliche und für eine Fehlerschwerpunktanalyse notwendige Anzahl von Wörtern abzuprüfen. Das Ergebnis eines solchen Rechtschreibtests stellt jedoch nur eine Momentaufnahme der tatsächlichen Defizite in der Aquisition der Rechtschreibregeln dar. In dieser Untersuchung interessiert deshalb die Frage: In welcher Hinsicht ist eine solche Momentaufnahme repräsentativ für die spezifischen Rechtschreibprobleme eines Schülers? - oder in allgemeinerer Hinsicht: Äußern sich Rechtschreibfehler, die durch Unkenntnis oder nur unzureichende Kenntnis einer Rechtschreibregel entstehen, durch zufällige Abweichungen von der Nonnschreibung, oder sind die Abweichungen in diesem Falle systematisch? Eine Beantwortung dieser Fragen kann sicher nur anhand der Analyse tatsächlicher Fehlschreibungen von Schülern geschehen. Deshalb wurde eine experimentelle Untersuchung der Rechtschreibfehler von Schülern der 5. Klasse einer Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Da diese Untersuchung aus schulorganisatorischen Gründen auf eine Klassenstufe, d. h. auf einen bestimmten Zeitpunkt der Schriftaquisition beschränkt war, können die im folgenden dargestellten Ergebnisse nur im Sinne einer Pilotstudie verstanden werden. Die Untersuchung fand im Rahmen eines Projektes zur Rechtschreibförderung der leistungsschwachen Kinder an dieser Schule statt. Zur Überprüfung der Effektivität des Förderprogrammes wurden die Leistungen der Schüler vor, während und nach dem Training mit einem speziellen Rechtschreibtest gemessen. Um den Einfluß des regulären Unterrichtes auf eine eventuelle Leistungsverbesserung berücksichtigen zu können, wurde zusätzlich eine Kontrollgruppe von Schülern, die am Training nicht teilnahmen, mitgetestet.
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Reinhold und Michaela Greisbach
Die Schüler erhielten dreimal innerhalb von 3 Monaten den gleichen Lückentext mit 72 Wörtern vorgelegt. Für die hier dargestellten Untersuchungen zur Variabilität werden nur die Daten der Kontrollgruppe herangezogen, also der Schüler, die nicht am Trainingsprogramm teilnahmen. Um zu beurteilen, inwieweit die Schreibung der Schüler variiert, kann man die Wortgestalten der jeweiligen Schreibungen als Ganzes vergleichen. Dadurch läßt sich zwar das Ausmaß der Variation feststellen, es ist jedoch nicht möglich, den Anteil der einzelnen Problemfelder, die für diese Variation verantwortlich sind, zu bestimmen. Es erscheint deshalb sinnvoller, die einzelnen Problemfelder der Rechtschreibung isoliert zu betrachten, wie ζ. B. - "fälschliche Kleinschreibung" - "fehlende Konsonantenverdopplung nach Kurzvokalen" Die Fehlerauswertung erfordert dann nur die Beantwortung der folgenden Fragen (für jedes Wort): - Ist ein großzuschreibendes Wort groß geschrieben: ja oder nein? - Ist ein notwendiger Doppelkonsonant gesetzt worden: ja oder nein? Bei dreimaligem Schreiben eines Wortes zu den drei Testzeitpunkten liegen also drei ja/nein-Entscheidungen für jede Frage vor: Sind diese identisch - egal ob immer ja oder immer nein - so sagen wir, die Schreibung ist konstant; weicht eine Schreibung einmal ab, so sagen wir, sie ist variabel. Zur Verdeutlichung der weiteren Arbeitsmethode werden hier exemplarisch einzelne Ergebnisse der Gesamtuntersuchung herausgegriffen. Einen ersten Einflußfaktor auf die Variabilität stellt die Person des Schülers dar. Die folgende Tabelle zeigt die Anzahl der fixen Fehlschreibungen (3 mal falsch), der variablen Fehlschreibungen (1 oder 2 mal falsch) und der fixen Normschreibungen (0 mal falsch) für 3 der getesteten 19 Schüler für die Fehlerart "falschliche Kleinschreibung" (bei 35 Wörtern): Schüler VP1 VP2 VP4
immer falsch
variabel
immer richtig
SUMME
7 29 3
15 5 11
13 1 21
35 35 35
Die Tabelle verdeutlicht beispielhaft die allgemeinen Gegebenheiten. Schreibt ein Schüler wie VP4 viele Wörter dreimal richtig (nämlich 21), dann sind seine Fehlschreibungen eher variabel (hier 11) als konstant (hier 3), schreibt er dagegen wenige Wörter immer richtig wie VP2, dann behält er im Falle einer Fehlschreibung diese eher bei (29 gegenüber 5). Diese exemplarische Beobachtung wird durch die folgende Tabelle für alle 19 analysierten Schüler bestätigt: Bei einer hohen Prozentzahl konstanter Normschreibung (d. h. Wörter, die immer richtig geschrieben werden) beobachtet man bei den meisten Schülern eher eine variable Fehlschreibung.
Untersuchungen zur Variablität von
(19 Schüler)
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Rechtschreibfehlern
Prozentsatz immer richtiger Schreibung 0% - 33% 34% - 66% 67% - 100%
immer falsch > variabel variabel > immer falsch
4 3
7
1 4
Das gleiche Resultat zeigt sich in der folgenden Tabelle auch für die "fehlende Konsonantendopplung" - wobei die Leistungen der Schüler hier durchgängig schlechter sind (kein Schüler mit mehr als 50% konstanter Normschreibung der Testwörter).
(19 Schüler)
Prozentsatz immer richtiger Schreibung 0% - 33% 34% - 66% 67% - 100%
immer falsch > variabel variabel > immer falsch
12 5
2
-
Einen weiteren Einflußfaktor auf die Variabilität repräsentiert die phonotaktische bzw. morphologische Struktur der Wörter. So lassen sich die zur Konsonantenverdopplung benutzten Testwörter in drei Arten einteilen: (1) Doppelkonsonant an Silbengrenze (2) Doppelkonsonant an Morphemgrenze vor /t/ (3) Doppelkonsonant vor Morphemgrenze in Komposita Die folgende Tabelle zeigt die Ergebnisse für vier Beispielwörter, genauer die Anzahl der Falschschreibungen durch die 19 Schüler: Art
Testwort
immer falsch
variabel
immer richtig
SUMME
(1) (2) (3) (3)
verbittert gefällt herrlich Bettlaken
4 13 18 -
9 6 1 3
6 16
19 19 19 19
So wird verbittert von 4 Schülern 3 mal (immer) falsch geschrieben, von 9 Schülern 1 oder 2 mal falsch geschrieben (variabel) und nur von 6 Schülern immer richtig. Auch hier beobachtet man das gleiche Phänomen wie für den ersten Faktor: Schreiben viele Schüler ein Wort immer richtig, dann wird es von den restlichen Schülern eher zufällig falsch geschrieben, gibt es dagegen wenige oder gar keinen Schüler, der das Wort dauerhaft beherrscht, dann schreiben es die anderen Schüler eher immer falsch. Die folgende Tabelle zeigt jedoch die Abhängigkeit dieser Aussage von der phonotaktischen bzw. morphologischen Struktur (für jede Art sind 6 bzw. 7 Testwörter vorhanden):
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Reinhold und Michaela Greisbach
Testwörter)
(1)
immer falsch > variabel variabel > immer falsch
(2)
immer falsch > variabel variabel > immer falsch
(3)
immer falsch > variabel variabel > immer falsch
Prozentsatz immer richtiger Schreibung )% - 33% 34% - 66% 67% - 100%
Bei einem allgemein geringen Prozentsatz von konstant richtigen Schreibungen für die Testwörter schreiben die Schüler (im Durchschnitt) - wohl aufgrund der komplexeren Regelanwendung - an der Morphemgrenze (2 und 3) wesentlich häufiger konstant falsch als an der Silbengrenze (1). Darüber hinaus zeigt die voraufgehende Tabelle die starke Abhängigkeit des Testergebnisses vom getesteten Wort: Während herrlich von fast jedem Schüler immer falsch geschrieben wird, ist dies bei Bettlaken genau umgekehrt: Offensichtlich spielt die Bekanntheit des Wortes oder Morphems eine entscheidende Rolle. Das hier gesammelte Datenkorpus läßt sich noch im Hinblick auf weitere Variabilitätsfaktoren analysieren, so daß sich das Ergebnis dieser Untersuchung wie folgt darstellt: Im Schrifterwerb ist ein recht hoher Anteil an variabler Schreibung einzelner Wörter bzw. einzelner Teilphänomene der Rechtschreibung in einem Wort zu erwarten. Ob sich eine fixe Fehl- oder fixe normgerechte Schreibung beim Schüler einstellt, hängt stark von der Bekanntheit des Wortes, der Komplexität der Regelanwendung, der phonotaktischen und morphologischen Struktur u. ä. Faktoren ab. Es gibt offensichtlich keine Schüler, die typisch per Zufall schreiben. Dagegen verwenden einige Schüler bestimmte "alles oder nichts"-Strategien (ζ. B. alle Testwörter groß oder alle Testwörter klein zu schreiben), die sie innerhalb kürzerer Zeit auch wechseln können. Allgemeinere Aussagen sind aufgrund der eingeschränkten Datenlage dieser Pilotstudie natürlich nicht möglich. Die oben beschriebenen Resultate scheinen jedoch darauf hinzudeuten, daß die Aneignung einer Rechtschreibregel nicht sprunghaft erfolgt, sondern kontinuierlich, von "immer falsch" über "variabel" hin zu "immer richtig". Eine Arbeitshypothese für eine Folgestudie könnte in diesem Sinne lauten: Unter "einfachen Rechtschreibbedingungen" (bekanntes Wort, einfache Rechtschreibregel, viele Schüler schreiben immer richtig usw.) sind Fehlschreibungen eher zufällig (was sich in Variabilität äußert), unter "schwierigen Rechtschreibbedingungen" (unbekanntes Wort, komplizierte Regelan Wendung, nur wenige Schüler schreiben immer richtig usw.) sind Fehlschreibungen dagegen eher systematisch.
Pius ten Hacken* (Basel) Research Programmes in Linguistics
A comparison of grammatical frameworks such as GB, LFG, and GPSG is often difficult. They each have their own set of favourite data they can account for elegantly and problematic data for which no account is available. This does not mean that they are all equally adequate as a basis for the scientific study of language. In this paper I develop the concept of research programme, which helps in the evaluation of frameworks in this respect. Theoretical linguistics as it is generally understood nowadays is an empirical science. The goal of an empirical science is to explain, for a particular domain, the observations made about the way the world is. Research is guided by the empirical cycle, as in Fig. 1.
Theories Generalizations
>
Predictions Data
J
Fig. 1: The empirical cycle.
On the basis of data gathered by observation, descriptive generalizations are made. A theory is a set of hypotheses explaining these generalizations. It can be tested by pursuing its consequences for other phenomena, i.e. its predictions, and confronting them with further observations. The empirical cycle is not by itself sufficient to guide the scientific process. Without heuristic guidelines an infinite set of generalizations can be made on the basis of the same set of data. The cycle is also insufficient as a basis for evaluating a theory, because it does not specify what counts as an acceptable explanation. A research programme is a specification of such choices. It extends the specification of the empirical cycle in a non-universal way in order to make it practically useful.1 In Chomskyan linguistics, a grammar describes the native speaker's competence, accessible mainly through grammaticality judgements. A theory of grammar (= universal grammar) describes the language faculty. These assumptions are represented in the model of Fig. 2.
* I would like to thank Jan Odijk and Cornelia Tschichold for their comments on an earlier version. They cannot be held responsible for any remaining errors, however. 1 Note that research programme is not meant in the technical sense of Lakatos (1971) here. It is closer to the rational, intellectual components of Kuhn's (1970) disciplinary matrix (paradigm]). As I explain in more detail in ten Hacken (1997), it is the set of epistemological assumptions that accounts for incommensurability.
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Fig. 2: The model of Chomskyan linguistics.
The levels 1 and 2 in Fig. 2 are both theoretical levels, because theories are formulated at a language-specific and a language-independent level in linguistics. Since Chomsky (1964:28-29) it is commonplace to refer to three levels of adequacy. These three levels can be related to Fig. 2 in a straightforward way. Observational adequacy means an adequate description of the judgements, descriptive adequacy an adequate description of the competence and explanatory adequacy an adequate description of the language faculty. The Standard Theory, GB-Theory, and the Minimalist Program are alternative theories of grammar within the same research programme. They constitute different hypotheses on what is the best way to achieve a description of the language faculty. In introducing GPSG, Gazdar et al. (1985:1-6) criticize GB-theory for its lack of explicitness, which makes it fail to qualify as a generative grammar as defined by Chomsky (1965:8). As the cause of this problem they see the lack of commitment to formalization of grammars. In their alternative proposal they diverge from Chomskyan linguistics not only in this respect, but they also commit themselves to doing linguistics without referring to psychological matters. Since the Chomskyan commitment to psychology is inextricably linked to the research programme of Fig. 2, GPSG needs a new research programme. In GPSG a grammar is a description of a language instead of a description of a mental competence, and the object described by the theory of grammar is no longer a mental language faculty but the space within which natural language grammars can be located. If we replace these terms in Fig. 2, a problem arises as to the exact relationship between language, data, and grammar. Gazdar et al. (1985:1) define language and grammar as follows: • A language is an infinite collection of (sentential and sub-sentential) expressions, whose membership is definitely and precisely specifiable.
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Research Programmes in Linguistics
• A grammar is "[a]n interpreted formal system defining the membership of the collection of linguistic expressions, and assigning a structure and an interpretation to each member". If a language is the set of data that should be used as a test of the grammar and the grammar defines the language, testing a grammar is excluded in principle. Therefore, an external source of data is necessary to break the circularity. In this role, a corpus is not appropriate, because a corpus typically contains errors, e.g. typos, that we do not want to accept as part of the language data. The only adequate authority for spotting such errors is the native speaker's judgements resulting from their competence. It is possible to integrate the competence in the research programme while respecting the postulate that the grammar and the grammatical theory ignore matters of psychology if we assume that the GPSG model is as in Fig. 3.
Fig. 3: The GPSG Model.
The research programme of GPSG as represented in Fig. 3 provides for testing theoretical constructs since they make falsifiable claims about entities at a lower level, but it does not refer to explanation. As a result, it is not possible to find a concept in GPSG parallel to explanatory adequacy. For a parallel to descriptive adequacy, the grammar, being the result of the scientific process at level 2, should correctly describe some empirically given entity. However, the language is not empirical because it is defined by the grammar and the competence, though empirical, is not directly related to the grammar. Therefore, a GPSG parallel to descriptive adequacy does not exist either. Only for observational adequacy there exists a parallel, viz. if the set of language data generated by the grammar coincides with the judgements resulting from the competence. The conclusion that GPSG can at most attain adequacy at the data level is inevitable given the assumptions Gazdar et al. (1985) make about the status of a grammar and of a theory of grammar. In the empirical cycle (Fig. 1) adequacy at the data level is not sufficient. In the absence of provisions for explanation, a theory cannot be hypothesized and the cycle cannot be completed. Therefore, GPSG linguistics is not an empirical science.
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Pius ten Hacken
It is interesting to consider which elements of the research programmes of Chomskyan linguistics and GPSG are at the basis of the diverging evaluation. A first hypothesis might be that Chomskyan linguistics has the only appropriate model for theoretical linguistics as an empirical science. This hypothesis can be falsified easily by referring to Bresnan & Kaplan's (1982) presentation of LFG. In LFG, language acquisition does not play a role comparable in importance to its place in Fig. 2. Instead, language processing is central at level 1. This choice does not affect the cycle of explanations and tests in Fig. 2, although it changes the nature of each of the entities represented. Therefore LFG and Chomskyan linguistics are equally well-equipped as research programmes in linguistics. As a second hypothesis we might conjecture that the presence of psychological entities is essential for a research programme. A look at HPSG as represented by Pollard & Sag (1994), however, shows that it is not sufficient to include psychological entities. They assume as the goal of a grammar and a theory of grammar the characterization of the shared linguistic knowledge of a language community and of humanity in general, respectively (1994:14). Substituting these types of shared knowledge for competence and language faculty in Fig. 2 is not sufficient to label the downward arrows as explanations. The problem is that one cannot explain knowledge in a way parallel to language acquisition or language processing, because no /icw-question is connected to it. Therefore the HPSG research programme is not so much inadequate as incomplete. In conclusion we can say that a research programme specifies in more detail how a particular approach to linguistics works as an empirical science. In an adequate research programme, a relation of (some) theoretical constructs to the outside reality is established. Furthermore, entities are organized so that a cycle of explanation and testing exists. Chomskyan linguistics and LFG have adequate research programmes, HPSG and GPSG lack the possibility of explanation. For HPSG it would be relatively easy to mend this, for GPSG it is a consequence of basic choices.
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zur Geschichte
der
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Martina Hacker (Odense) Why Is There No /h/-Dropping in Scots? Loss and Insertion of /h/ as a Contact Phenomenon in British English Dialects
I ought in all fairness to acknowledge that no American fault comes up to the revolting habit... of dropping or wrongly inserting the letter h.
The Stigmatisation of /h/-dropping, so strongly expressed by the Oxford scholar, Τ. K. Oliphant (1873:226) at the end of the last century has not yet died out. According to Jim Milroy (1983:40), many linguists' perception and interpretation of /h/-variation is influenced by their own negative attitudes towards /h/-dropping. Early evidence of the phenomenon is typically explained away. Thus Wyld (1920:295) states that: Norman scribes are very erratic in their use of A- in copying English manuscripts, and we therefore cannot attach much importance to thirteenth- or even to fourteenth-century omissions of the letter which occur here and there.
Similarly, the Austrian scholar Karl Luick (1964:871) discards his own evidence for early homission: Anlautendes h vor Vokal hat sich dagegen in alter Zeit durchwegs gehalten. Wenn gelegentlich in altenglischen Texten h im Anlaut fehlt oder unorganisch einem vokalisch anlautenden Wort vorausgesetzt wird, wie aefde für haefde „hatte" und andererseits hierre für ierre „Zorn", so rührt dies wohl daher, daß manche Schreiber durch das Vorbild lateinischer Manuskripte, die von Romanen herstammten und in denen eine gewisse Unsicherheit bezüglich der Setzung des h herrschte, beeinflußt waren.
Besides the psychological reason of transferring one's own prejudice to earlier generations, there was an additional reason that made scholars believe that /h/-dropping must have been a fairly late phenomenon: /h/-dropping is absent from American English. It seemed therefore logical to assume that it was unknown or at least only a marginal feature of English when the colonies were first settled. The time of first mention of /h/-dropping in grammars at the end of the eighteenth century was considered as further proof of a late date. In contrast, Jim Milroy (1983:47) comes to a different conclusion in his analysis of /h/-variation in East Anglian and East Midlands Early Middle English texts: By about 1300 there appears to have been loss of initial /h/ in the dialects of Eastern England from Kent and Surrey to Lincolnshire ... Early ME [Middle English] /h/ loss is from the regions that were amongst the most important commercially and administratively, and it comes from texts many of which are quite formal in style and learned in content.
Omission of initial /h/ must therefore have carried a certain amount of prestige, which would be in line with the findings of sociolinguistic research that changes typically start from the (upper) middle class. The /h/-less prestige variety, according to Milroy (1983:50) has most
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Martina Hacker
likely arisen from the French-English contact situation, as /h/-loss „does not seem a 'natural' change in Germanic". He concludes that even if there were sporadic tendencies to /h/-loss in OE [Old English], the French-English contact situation was the single most important influence on its rapid progress in ME.
The /h/-fullness of American English and later colonial Englishes would depend on the composition of the early settlers, whose dialects would decide the fate of Ihl in the colonial dialect. This hypothesis necessarily assumes that among the early settlers the proportion of those speaking /h/-ful dialects must have been comparatively high. Jim Milroy's analysis has reopened the question of the origins of /h/-dropping. He has pointed out the importance of considering /h/-insertion besides /h/-omission, and he has related early evidence of the phenomenon to its occurrences in modern dialects. However, if we compare the evidence of contemporary dialects to that of Late Middle English, there is one striking discrepancy: East Anglia, to be more precise Norfolk, shows strong indications of Ihllessness in Middle English according to the Linguistic Atlas of Late Middle English, (Mcintosh et al. 1986) but is /h/-ful according to the Survey of English Dialects (Orton et al. 1962-71). This questions the unidirectionality of /h/-variation. It suggests that Ihl may not only be lost, but may also be reintroduced. Reintroduction of initial /h/ is the explanation given by Trudgill (1986:138-39) for the /h/-variation found today in Australian English, New Zealand English, and, with slight reservation, Trudgill claims former /h/-lessness also for South-African English. How does Scots or Scottish English compare to other varieties in this respect? In his 1915 description of the Lowland dialect of the Strathearn district in Perthshire Wilson (1915:24) comments on the use of the phoneme Ihl: It is curious to note that in the matter of pronouncing or not pronouncing an h at the beginning of a word S [Scottish English] agrees in almost every case with Standard English [i.e. RP], so that, in this respect Standard Ε [English] has adopted the general usage of the northern dialects of English instead of the southern.
While it may be wishful thinking on Wilson's part that southern English in this one respect had taken northern English, including his own native dialect, as a model, Wilson is right in stating that both RP and Scots are /h/-ful. More interesting, however, are the few cases where he notes differences. These are: written
Standard English
versus
Scottish
it us owl
it us oul
hut hiz, huz hoolut
heritor humour
heritor hyoomur
erritur yoomur
While the last two words are of French origin and may reflect a pronunciation, generally current in earlier times, the first three are native English words. Hit is, of course, the Old and Middle English form of the pronoun, but it seems strange for the North to have retained the older form, as the North preceded the South in introducing the new plural forms with th in-
Why Is There No/h/-Dropping
in Scots?
Ti
stead of A. The other two are uncontroversial cases of /h/-insertion. The forms hit and huz occur all over Scotland (cf. Dieth 1932:113;152, Murray 1873:120 and Grant and Main-Dixon 1921:124-25), who state that the /h/-ful forms are emphatic, hit being regularly used in the expression „you are hit", which is used in games to denote the person who has to pay a penalty. The history of initial Ihl in East Anglia suggests that these instances of /h/-insertions may reflect a more varied use of initial /h/ in earlier Scots. A systematic search of the Concise Scots Dictionary (Robinson 1985) reveals that this is indeed the case. Scots shows a limited number of Α-omissions in the spelling of French loanwords, which means that the spelling of these words in Scots corresponded closely to their pronunciation, and a greater number of Ainsertions in the 15"1 to 17th century, with a peak in the 16th century. To name but a few, besides the well-known hit and huz we find for example: his haith hugly hokster hempe heild
(late 14th-16th c.) (late 14 lh -15 th c.) (late 14lh c.) (16 lil -17 th c.) (20 th c.) (15 th -16 th c.)
for is for oath for ugly for oxter (armpit) for imp for eild, elde (age)
The existence of Α-insertion in early modern times raises the question whether there is any earlier evidence in medieval manuscripts. The Linguistic Atlas of Late Medieval English does not include Scotland. Old English data has, however been analysed by Scragg (1970), who lists examples of Α-insertion and Λ-omission for West Saxon from the earliest times, but only for late Northumbrian texts, while it is absent from early Northumbrian texts. Moreover late Northumbrian texts show a considerable amount of Α-insertion, but little A-omission except in frequent typically unstressed words. This raises the question whether the Α-variation in the Northumbrian texts should be interpreted as a reflection of /h/-dropping in speech, or whether it should be seen as a different process with a different function. If, on the other hand, A in West-Saxon texts often represents a hiatus or glottal stop rather than a fricative, as Scragg suggests, this can be seen as an indication of /h/-loss. However, French cannot be adduced as the decisive factor for this early period. A further fact emerging from Scragg's analysis is that A-variation in West Saxon precedes that found in Northumbrian. This means that a difference between the Old English dialects may well have existed at the time the Angles, Saxons, and Jutes first settled Britain, which would contradict Milroy's statement of the unnaturalness of /h/-loss in Germanic languages. The Germanic languages have indeed shown a general gradual /h/-loss, which proceeded in three stages, not all of which occurred in all Germanic languages and dialects: 1. 2. 3.
It was lost before sonorants in all Germanic languages except Icelandic, i.e. /hi/, /hn/ and /hr/ were reduced to IV, /n/, and Μ respectively. It was lost before glides in all Germanic languages except Icelandic and English (i.e. Scots retained both /hw/ and /hj/, while Standard English only retained /hj/). It was lost in some English and some German dialects before vowels.
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Martina
Hücker
While this is well known of dialectal English, it is hardly known that Present-Day Lower Franconian dialects from Cologne to the dialect of Luxemburg show considerable loss of Ihl in initial position, thus eraflerof for High German „herab" (cf. Newton 1990:168). //-insertion is also attested for Early Modern High German, where it was most frequent in East and West Middle German as well as West and North Upper German (Ebert et al. 1993:126-27). An unetymological initial A occurs even where its insertion or omission in speech would lead to misunderstanding, as in erlich for „herrlich" or the variation in the prefixes her and er, as in herhören and erhören. That these misspellings do occur strongly suggests that h was not pronounced, and the distinction between the two prefixes neutralised. However, Α-variation was not absent from Old High German either, as the following statement by Behagel (1891:546) illustrates: Dem Romanen ist es schwer, vokalischen Anlaut und Anlaut mit h von einander zu scheiden; daher begegnet es im Ahd. [Althochdeutschen] nicht selten, dass h anlautend erscheint, wo es historisch keine Berechtigung hat.
A different opinion is expressed by Pope (1934:15): The laryngal sound h which disappeared from the sound system in Late Latin was reintroduced in initial position in the numerous Germanic words beginning with this sound: in the interior of words it was effaced. ... Under the influence of the German words hoh, hand the pronunciation of Latin altum, (h)asta was modified, cf. O F halt,
hauste.
This suggests that Romance influence on Old High German may have been overrated by Behagel. There may have been a genuine /h/-instability. The examples cited in Braune (1987:144) resemble those of the later period: hensti, huns, harbeiti for „ensti", „uns" and „arbeiti". This instability may have been shared by the tribes leaving the country in the fifth century for southern Britain, especially as it is also attested for Old Frisian, where it is, however, likewise explained away (Sievers: 1901:1303). In contrast to the West-Saxons the early settlers of Northern England show no tendency towards /h/-loss in the early times, if the evidence of early Northumbrian texts is to be trusted. Therefore contact with other languages, most likely Scandinavian or Celtic need to be considered as possible sources of the difference between the early and the late Northumbrian texts, unless we assume an internal change. The Celtic languages are /h/-ful up to this day with the exception of South-Eastern Welsh (cf. Russel 1995:146). However, there is no evidence that the contact between speakers of the Northumbrian dialect and their Celtic neighbours underwent a dramatic change in the relevant period. In contrast, Scandinavian influence did certainly increase between the 8 th and the 10th century. In his history of the Scandinavian languages Noreen (1901:587) mentions sporadic A-insertion as well as Α-omission for Early West Scandinavian, but only Α-insertion for Early East Scandinavian. He believes that the addition of an initial unetymological h in East Scandinavian has no function at all (Noreen 1901:605): h wird sporadisch (besonders in uppländischen Runeninschriften) vor anlautenden Vokalen zugesetzt, gewöhnlich ohne jede Konsequenz, ζ. B. (h)ut 'hinaus', (h)celska 'lieben'.
Why Is There No /h/-Dropping in Scots?
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H o w e v e r , it is rare that linguistic features are devoid of any function, and where this is the case, they will either soon disappear or develop s o m e function. Whether initial /h/ already had the function to express emphasis in Old Danish is uncertain, but it certainly d e v e l o p e d this function at s o m e stage in parts of the British Isles and traces o f it can still be seen in the variation between /h/-full and /h/-less personal pronouns in Present-Day Scots. Like Scragg, I must admit that I cannot speak the ultimate word on the beginning o f /h/dropping in English. This can only be done in a large-scale diachronic study. What I h o p e to have s h o w n is that /h/-variation is not a unidirectional process and that emphatic /h/-insertion needs to be distinguished from misspellings based on the confusion arising from a general /h/loss in speech.
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Fran9oise Hammer (Karlsruhe)
Intertextualitätsverfahren und phraseologische Sprachspiele
1. Einleitung Im folgenden Beitrag wird nach dem Spielraum des phraseologischen Sprachspiels in Presse und Werbung aus textlinguistischer Sicht gefragt. Untersuchungsgegenstand sind deutsche Paarformeln (Hammer 1993:168) und andere Phraseologismen mit binärer Struktur wie geflügelte Worte und Sprichwörter, aber auch "neue Phraseologismen unserer Zeit" (Burger 1991:14), d.h. "stabile kulturellsprachliche Wortverbindungen" (Wotjak 1994:625) wie Buch- und Filmtitel, Werbesprüche und andere zweiteilige Phraseoschablonen (Palm 1995:68f). Die Einschränkung auf binäre Formeln soll dazu verhelfen, die Rolle der syntaktischen Struktur in Abwandlungsprozessen näher zu bestimmen.
2. Begriffe Es wird von einem extensiven Begriff von Phraseologismus (Burger 1991:14) ausgegangen, der feste Wendungen jeglicher Herkunft umfaßt, sofern sie als "fertige Textbausteine" Gegenstand "bewußter, zielbezogener Änderungen und kontextbedingter Variationen" (Wotjak 1992:5-7) sein können wie: (1)
Mit Kind und Kegel Wie der Vater, so der Sohn Der Mensch denkt und Gott lenkt Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg Der Wolf und die sieben GeiBlein Der Spion, der aus der Kälte kam
Semantische und formale Abwandlungen werden nach Wotjak (1992:101) als "Sprachspiel" bezeichnet. Literaturwissenschaftlich sind Phraseologismen keine Texte. Als geschlossene, "ansprechbare Einheiten" im Bewußtsein von Sender und Empfanger können sie dennoch, so Burger (1991:17-18), als "Mini-Texte" angesehen und ihre Abwandlungen dann unter dem Aspekt der Intertextualität analysiert werden.1 Intertextualität bedeutet also hier im Sinne von Broich (1984:31ff) jeglicher bewußt hergestellte Bezug eines Textes auf andere existierende Texte. Im Kontext der Alltagskommunikation von Presse und Werbung ist damit die unmittelbare Rekuvrierung des Prätextes impli1
Ähnlich behandelt Nord (1993) Titel als Texte und Gülich / Krafft (1992) "formelhafte Texte" aus vorgefertigtem Material als Phraseologismen.
Intertextualitätsverfahren
und phraseologische
Sprachspiele
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ziert 2 Das erklärte Ziel des Textproduzenten ist es nämlich, "die Beziehung seines Textes zu anderen Texten dem Leser bewußt zu machen" (Broich 1985:32), denn auf dem Erkennen der Intertextualität und dem Einbeziehen des Referenztextes in die Interpretation des aktualisierten Textes beruht gerade der Bedeutungsmehrwert seiner Aussage.3
3. Intertextualitätsverfahren im Sprachspiel Das Gelingen des phraseologischen Sprachspiels hängt also vom Wiedererkennen einer Bezugsformel ab. Der Produzent muß daher (Karrer 1977:15ff, Broich 1984:32) einerseits das "Intertextualitätsbewußtsein seines Partners" (Broich 1984:31) voraussetzen und andererseits bei der Herstellung von Intertextualitätsbeziehungen die Rekuvrierbarkeit des Bezugstextes sichern. Das phraseologische Sprachspiel bedarf daher wie die Parodie (Karrer 1977:96) der Anwendung zweier gegensätzlicher Operationen: textverletzender, d.h. Variationen und Abwandlungen, die den Witz und Bedeutungsmehrwert der aktualisierten Formel ausmachen und textstützender d.h. Wiederholungen von Texteinheiten, die als Marker zur Rekuvrierung führen. Eine strukturelle Beschreibung solcher Mechanismen ermöglicht das im Anschluß an die rhetorischen Regeln der elocutio von Quintilian entwickelte Modell von Plett (1990:130131), das vier Änderungskategorien, Subtraktion, Addition, Permutation und Substitution, unterscheidet. Die Auswertung von mehr als 300 Belegen für phraseologische Abwandlungen führt zu folgenden Ergebnissen:4 3.1 Subtraktion In einer zweigliedrigen Formel sprengt die Subtraktion einer der Komponenten die syntaktische Struktur und verhindert damit die Rekuvrierbarkeit. Verwenden läßt sich daher das Verfahren nur in konventionell verkürzten Texten wie Überschriften: (2) Arbeitsvertragsrecht unter Fach