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German Pages 542 [540] Year 1991
Neue Fragen der Linguistik Akten des 25. Linguistischen Kolloquiums, Paderborn 1990 Band 2: Innovation und Anwendung
Herausgegeben von Elisabeth Feldbusch, Reiner Pogarell und Cornelia Weiß
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1991
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Neue Fragen der Linguistik : Akten des 25. Linguistischen Kolloquiums, Paderborn 1990 / hrsg. von Elisabeth Feldbusch ... - Tübingen : Niemeyer NE: Feldbusch, Elisabeth [Hrsg.]; Linguistisches Kolloquium Bd. 2. Innovation und Anwendung. - 1991 (Linguistische Arbeiten ; 271) NE:GT ISBN 3-484-30271-2
ISSN 0344-6727
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1991 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Hugo Nadele, Nehren
INHALT BAND 2: 1. Kommunikation und sprachliches Handeln Helmut Wiegers Propositionaler Sinn. Eine konstruktive Kritik des Searleschen Propositionsbegriffs Ping-ge Li Sprechhandlungsstruktur in deutschen Bittbriefen Elzbieta Tabakowska On Markers and Functions of Polyphony in Language Sabine Frilling / Peter-Paul König Gegenvorwürfe, Gegenfragen, Gegenvorschläge. Überlegungen zum sequentiellen Status von Echosprechakten Ulrike Sayatz Zur illokutiven Interpretation von Deklarativsätzen mit Modalverben und Infinitivkonstruktionen mit "haben (...) zu + Infinitiv" und "sein (...) zu + Infinitiv" in Gesetzestexten Cornelia Hensel Textmuster und Illokutionsstruktur Johannes Aßheuer Stilrelevanz sprachlicher Formmerkmale in Schüleraufsätzen Ergebnisse einer quantitativen Analyse Eva Jakobs Intertextualität und Wissen Christiane Nord Literarisches Übersetzen zwischen Kopf und Bauch Gerhard Tschauder Wenn Personennamen nicht auf Personen referieren. Metapher und Vergleich als Übersetzungsproblem Elisabeth Rudolph Argumentative Strukturen in literarischen Dialogen Susanne Beckmann "So wie man is, is man". Zur Funktion von Phraseologismen in argumentativen Zusammenhängen
2. Sprache und Gesellschaft Ursula Weber Überlegungen zur Beziehung zwischen Linguistik und Soziologie, dargestellt an "Ideologie und Wahrheit" von Theodor Geiger Shi Xu Social Representation and Discourse Production. Positive Outgroup Presentation of the Dutch by Chinese
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VI
Susanne Günthner Chinesische Redensarten in interkulturellen Kommunikationssituationen Peter Rosenberg
Deutsch in der Sowjetunion
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125
Thomas Stehl § et Homog6n6ito: Le Probleme de la Norme dans la Dialectologie Urbaine Wilhelm Trampe Sprache und ökologische Krise. Aus dem Wörterbuch der industriellen Landwirtschaft Roland Kischkel Äußerungsdelikte: Die juristische Beschreibung von Sprache Harriet Hoffmann / Ulrike Ahrens Die "Trümmerfrau" und ihre Enkelin: Eine empirische Studie zum Gesprächsverhalten älterer und jüngerer Berlinerinnen Iris Schneider / Klaus P. Schneider "Ach Kindchen, davon verstehen Sie nichts!" Über den sexistischen Gebrauch deutscher Diminutivformen
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3. Sprache - Körper - Psyche
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Fritz Pasierbsky Heilende Wirkungen von Sprache Anton Leischner Die Aphasien bei Künstlern Reimer Hinrichs Roy Schafers "Neue Sprache für die Psychoanalyse" aus psychoanalytischer Sicht Uwe Hinrichs Roy Schafers "Neue Sprache für die Psychoanalyse" aus linguistischer Sicht Michael Bamberg / Nancy Budwig The Voices of Health Care and Research, and the Therapeutic Misconception. A Discourse Analytic Approach to Informed Consent Madeline Lutjeharms Gedächtnisprozesse und Valenztheorie. Zur Frage der Teilkomponenten oder Ebenen bei der Sprachverarbeitung Manfred Wettler Assoziative Prozesse bei der Satzbildung Jürgen Tesak / Jürgen Dittmann Syntaktische Strukturen und Ellipsen in deutschen Telegrammen Reinhold Greisbach / Michaela Benölken Phonetische Aspekte des lauten Lesens von lese-rechtschreibschwachen Schülern
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VII
4. Betriebslinguistik Wolf Gewehr Europa auf der Suche nach neuen Konzepten für den Fremdsprachenunterricht Ingrid Simonnaes Fremdsprachen an norwegischen Handelshochschulen Friedrich Lenz Interkulturelle Probleme in Verhandlungen zwischen Deutschen und Finnen? Anne-Marie Henke Die Notwendigkeit skandinavischer Sprachkenntnisse für die deutsche exportorientierte Industrie Yashovardhan Language and Trade in India Andrea Kärolyi Sprachliche Entscheidungen und Besonderheiten im Handel Ungarns mit den Ländern des deutschen Sprachgebietes Claus Köhler Zur Rolle des Deutschen im osteuropäischen Handel Schlußfolgerungen aus der bisherigen Praxis von fünf Dresdener Großbetrieben Vagn Andersen Intercultural Communication: Danish-German Trade Sabine Schneider Foreign Language Requirements in an Export-Oriented Concern. A Report from Practice Gabriele Bock Technikdokumentation als Berufsfeld für interdisziplinäre Zusammenarbeit Jan van der Staak Zum Erklären von Fachwörtern in wissenschaftsexternen Texten Egbert Woudstra Writing an Illustrated Popular Science Text. A Functional Approach Martin Koldau Fachausdruck - ja oder nein? Barbara Steigüber Mit leisen Flüchen: Ihr Sachbearbeiter. Korrespondenzen in Industriebetrieben Claus Noack Technischer Redakteur: Ein neuer Beruf stellt sich vor Anke Guder / Reiner Pogarell Wertminderung von Hochtechnologieprodukten durch sprachliche Mängel der Begleitdokumentation
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VIII
Hermann Jörissen Das Produkthaftpflicht-Risiko aus fehlerhaften Gebrauchsanweisungen, Instruktionen und Warnhinweisen Michael U. Krause Zur Nützlichkeit des Hamburger Verständlichkeitsmodells bei technischen Anleitungen Walter Dick Online-Dokumentation. Sprachliche Bedingungen eines neuen Dokumentationsmediums Klaus Leister Sprache als strategisches Instrument von Unternehmensethik
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5. Fachsprachenforschung
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Manfred Gerbert Fachkommunikation aus der Sicht des Benennungsbedarfs und Ausdrucksangebots Eva Stahlheber LSP Text Corpus Establishment. 35 Years after T.B.W. Reid: A Plea for the Deductive, rather than Inductive, Establishment of LSP Text Corpora Klaus-Dieter Gpttschalk ESP Semantics: Food Reduction Processes Eckhard Roos Aspects of the Interpretation of Puns in Newspaper Advertisements Judith Murath Die Leistung verbaler Wendungen in deutschen und ungarischen Wirtschaftstexten
6. Computerlinguistik Milos" Länsky Elemente der Generativen Grammatik in Prolog Bardo Herzig Definite Clause Grammars (DCG'S) zur Sprachanalyse. Eine Einführung in GRAMCOM, eine Benutzeroberfläche zur Analyse formaler und natürlicher Sprachen mit Hilfe von DCG's Zygmunt Vetulani Some Aspects of Natural Language Processing in the System EXP/ERT Elke Hildenbrand / Ulrich Heid Ansätze zur Ermittlung der linguistischen Leistungsfähigkeit von maschinellen Übersetzungssystemen. Zur Entwicklung von französisch-deutschem Testmaterial für SYSTRAN
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IX
Uta Seewald Morpho-semantische Analyse des französischen Wortschatzes der Datenverarbeitung. Linguistische Grundlagen zur Konzipierung eines maschinellen Verfahrens Gorard Ligozat / Michael Zock Generating Temporal Expressions from Icons Kenneth Holmqvist Handling Grammar in a Cognitive Grammar Parser
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Verzeichnis der Verfasser und Herausgeber
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INHALT BAND 1: Vorwort
XV
Wilfried Kürschner 25 Jahre Linguistisches Kolloquium Mit einem Bericht über den Stand der Arbeit am "Linguisten-Handbuch"
1. Sprachwissenschaftsgeschichte Jan De Clercq / Pierre Swiggers L'Histoire de la Linguistique: "L'autre Histoire" et l'Histoire d'une Histoire Peter Schmitter Zurück zum Historismus? Bemerkungen und Daten zu einigen gegenwärtigen Tendenzen in der Historiographie der Linguistik Klaus D. Dutz Models of Models of Meaning. Representation, Knowledge and Communication in Cognitive Linguistics and in Leibniz Heike Hülzer-Vogt Semantischer Pluralismus in den Grenzen eines ökonomischüberschaubaren Wortvorrats.
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Von den Lambertschen "WurzelWörtern" hin zu den Aspekten der Konzeptualisierung und "Verdichtung" bei Moritz Lazarus Lefteris Roussos Die Grenzen der Wirksamkeit des Staates. Bemerkungen zu den staatstheoretischen Voraussetzungen der Sprachphilosophie Wilhelm von Humboldts Jan Noordegraaf Hendrik J. Pos (1898 - 1955) and the History of Linguistics
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2. Sprachtheorie
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Manfred Geier Grammatische Probleme / Sprachtheoretische Rätsel. Oder: Ist Sprache grammatisch "analysierbar"? Pieter A.M. Seuren Formalism and Ecology in Linguistics Andreas Musolff Towards a Theoretical Model of Communicative Creativity: Karl Bühler's Concept of Two Language-Fields ("Zweifelderlehre") Klaus-Peter Lange Die Urteilsarten Kants aus linguistischer Sicht. Alte Antworten auf neue Fragen
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XI
Aleksej Krivonosov Zum logischen Wesen der kausalen Konjunktionen Norbert Reiter Ist Eurolinguistik Gotteslästerung?
3. Semantik
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115
Hans Günter Still Semiophänomenale Invarianten und die Differenzierung kategorialer Implikaturen Werner Abraham Aktionsartsemantik und Auxiliarisierung im Deutschen Bram ten Gate Funktionsverben als Hilfsverben der Aktionsaft? Hiltraud Dupuy-Engelhardt Zur semantischen und syntaktischen Valenz akustischer Prozesse im Deutschen Lew Zybatow Stereotyp und sprachliche Bedeutung (an Beispielen eines neuen politischen Diskurses der sowjetischen Presse) Cordula Krahl Zum Kollokationsverhalten englischer Temperaturadjektive. Adjektiv-Substantiv-Kollokationen Gabriele Birken-Silverman Wertende ethnische Appellativa Johannes Helmbrecht Funktionale Aspekte der Konnotation und Sprachtabu. Vorschläge für eine prozessuale Beschreibung
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4. Sprachgeschichte
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Arne Dittmer Topologie der Spannsätze / Nebensätze (NS) der althochdeutschen Tatianübersetzung Otfrid Ehrismann Übersetzung mittelhochdeutscher Dichtung zu Beginn des 19. Jahrhunderts Oliver Pfefferkorn Texttraditionen in den Erbauungsschriften Georg Philipp Harsdörffers Udo Sachse Zur semi-oralen Spezifik von Texttraditionen früher deutscher moralischer Wochenschriften
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XII
5. Grammatik Jürgen Erich Schmidt Konvergenzen zwischen neueren Grammatiktheorien und Deskriptionsgrammatiken? Zum Verhältnis von Konstituenz, Rektion (Government), Valenz und Dependenz Hans-Werner Eroms Valenzbindung und Valenzschichtung im Satz Kensei Sugayama English Verb Valency Reconsidered Alexandre Veiga Compound Tenses and Verbal System Structure. A Functional Approach from Modern Spanish Olga Rösch Gibt es ein Medium im Deutschen der Gegenwart? Ivan Duridanov Die Rolle der Syntax bei morphologischen Veränderungen Robert J. Pittner Der Wortbildungstyp "Kopulativkomposition" im heutigen Deutsch Jörn Albrecht Pseudoreflexiva im Substandard einiger europäischer Sprachen Norbert Fries Zur Grammatik von Interjektionen Herbert Pütz Es im Mittelfeld in Kopulasätzen mit prädikativem Adjektiv und folgendem Subjektsatz Heinrich Weber Erweiterte Attribute zwischen Grammatik und Pragmatik. Probleme bei der Erklärung syntaktischen Wandels Thomas Diße-Runte Lexikalische und grammatische Mittel zur Markierung des rhetorischen Gebrauchs von W-Fragesätzen im Deutschen Hanna Biadurf-Grabarek Zur Bestimmung und Abgrenzung der präpositionsartigen Präpositionalphrasen Jitf Nekvapil The Syntactic Processes of Parcellation and Supplementation and their Results: Parcellated Formations and Supplemented Formations Peter R. Lutzeier Ansätze einer relationalen Komponente in komplexen Sätzen Karin Pittner Freie Relativsätze und die Kasushierarchie Harry C. B. Perridon Can Word-Order Express Case Relations? The Case of Pre- and Postposition in Dutch
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XIII
Jozef Grabarek Die Ebenen und Mittel des sprachlichen Ausdrucks der Grund-Folge-Beziehung und die Grundlagen des Erkennens dieser Relation Gotthard Schreiter Das Zusammenwirken von Regeln der Satz- und Textkonstitution am Beispiel der Parenthese Eberhard Klein Das Format einer didaktischen Grammatik als Funktion linguistischer und didaktischer Postulate, dargestellt am Beispiel der englischen Konditionalsätze
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6. Kontrastive Linguistik
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Hans Glinz Ein Stück höherer Syntax, gewonnen in vergleichender Betrachtung lateinischer, französischer, englischer und deutscher Fassungen des gleichen Textes Lisbeth Falster Jakobsen Auf der Suche nach einem funktionierenden Tertium Comparationis in der Kontrastiven Linguistik. Ist Simon C. Diks Functional Grammar eine Antwort? Pavel Petkov Über die Möglichkeiten zur Einbeziehung von textlinguistischen Einsichten in den konfrontativen Sprachvergleich Jozef Darski Ist eine übereinzelsprachliche Definition des "Finitums" möglich? Jana Hol&novä Zu einigen Aktivitäten des Dolmetschers in bilateralen Gesprächen Jifina van Leeuwen-Turnovcovä Semantische Besonderheiten einiger Geldbezeichnungen im deutschen und tschechischen Substandard Agnija Desnitzkaja Noch einmal die Frage der nördlichen Herkunft des Albanischen. Die alten albanisch-baltischen und albanisch-germanischen Sprachbeziehungen Jürgen Schellenberger Was hat der "russische" Name PusTän mit der deutschen Büchse gemein? Überlegungen zu sprachlichen Gemeinsamkeiten des Deutschen und einiger slawischer Sprachen Stanka Stojanova-Jovceva Restriktivität im Satzgefüge in der deutschen und bulgarischen Sprache der Gegenwart Manford Hanowell Aspects of the Behaviour of English can and German kann: Outlines of a Contrastive and Historical Analysis
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XIV
Günter Rohdenburg Weitere Aspekte einer vergleichenden Typologie des Englischen und Deutschen Martin Haase Tempus und Aspekt im Sprachkontakt (Baskisch-Gaskognisch-Französisch) Luzian Okpn Passe" Simple und Passato Remote im modernen Sprachgebrauch
7. Gesprochene und geschriebene Sprache Denise Schmandt-Besserat / Elisabeth Feldbusch Clay Tokens as Forerunner of Writing: The Linguistic Significance Pierre Swiggers / Willy Van Hoecke f Aspects Th&mques de la Langue Ecrite Georgij Pocheptsov Semiotics of Visual / Spoken Civilizations Rumiana Siarova Interaktion zwischen schriftlicher und schriftloser Kultur: Linguistisches und Historisches in den thrakischen Glossen Jörg Diekneite ISDN: Speech? Writing? Communication! Rolf Müller Die Funktionsprinzipien der Schrift in der gegenwärtigen Orthographie des Deutschen. Veränderung der Perspektive der graphem(at)i sehen Theorie Manfred Kohrt Deutsche 'Dentalepithese' und 'Auslautverhärtung'. Phonologische, morphologische und orthographische Aspekte, sowohl synchron als auch diachron Peter Gallmann Die Großschreibung von Substantiven und Eigennamen Renate Baudusch Interpunktion und Intonation ist ein "Pausenkomma" im Deutschen möglich? Ilse Rahnenführer Zur Funktion von Parenthesen in der geschriebenen Sprache
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1. KOMMUNIKATION UND SPRACHLICHES HANDELN
PROPOSITIONALER SINN Eine konstruktive Kritik des Searleschen Propositionsbegriffs Helmut Wiegers
0. Einleitung In meinem Beitrag soll der Versuch unternommen werden, einen angemessenen sprechakttheoretischen Begriff der Proposition vorzubereiten. Indem Searle selbst das Gegebensein von Satz- und Wortbedeutung theoretisch voraussetzt (vgl. Searle 1979a), begibt er sich in die unglückliche Lage, bei einem vorpragmatischen und vortheoretischen Verständnis propositionaler Bedeutung stehenzubleiben, was ihm nicht nur viel berechtigte Kritik eingetragen hat , sondern ihn auch zu fragwürdigen Positionen wie der der Annahme "indirekter Sprechakte" (vgl. Searle 1979b), der Unanalysierbarkeit von Gesprächen (vgl Searle 1986) und Metaphern (vgl Searle 1979c) führt. Schließlich - und das ist die fundamentale Schwäche der Searleschen Theorie, auf der all die anderen angedeuteten Unzulänglichkeiten beruhen - setzt sich Searle außerstande, den Zusammenhang zwischen Äußerungsformen und Sprechakten zu rekonstruieren.
1. Searles vor pragmatischer Propositionsbegriff Searle entwickelt keinen pragmatisch-handlungstheoretischen Begriff der Proposition; er geht nicht einmal davon aus, daß Propositionen gemacht werden bzw. als Handlungen oder Handlungsresultate zu analysieren sind. Vielmehr geht er davon aus, daß sie lediglich "ausgedrückt" werden: Ein propositionaler Akt ist nach Searle (1969/dt. 1971: 48) ein "Ausdruck einer Proposition". Offenkundig setzt er - in der Tradition Freges - voraus, daß es gar nicht notwendig ist, Propositionen herzustellen, daß sie vielmehr irgendwie (vor-) gefunden würden, (vor-)gegeben seien. 1.1. Propositionen als "objektive Satzbedeutung" Aus Searles einführenden Erläuterungen geht hervor, daß er der Meinung ist, daß Propositionen in Sätzen (vor-)gegeben, als "Satzbedeutungen" (vor-)gefunden werden (Searle 1969/ dt. 1971: 49ff.). Er setzt also nicht nur das Vorgegebensein, die Objektivität von Propositionen voraus, sondern darüber hinaus auch das Vorgegebensein, die Objektivität von Sätzen und deren "Bedeutungen" als Propositionen. Das ist für einen Linguisten, zumal für einen pragmatisch orientierten, eine unhaltbare Position: daß "Sätze" und deren "Bedeutungen" nicht irgendwie objektiv gegeben sind, sondern subjektiv generiert, gemacht werden, kann ernsthaft nicht bestritten werden.
Wenn man mit Searle der Auffassung ist, daß Sprache pragmatisch, d.h. als sprachliches Handeln zu analysieren ist, dann ist es unumgänglich, auch die Produktion (nicht nur) satzförmiger Ausdrücke und ihrer "Bedeutungen" handlungstheoretisch zu rekonstruieren. Von einer linguistischen Sprechakttheorie ist zu fordern, daß sie Propositionen nicht einfach als vorfindliche "Bedeutungen" gegenständlich gegebener "Sätze" theoretisch voraussetzt, sondern (nicht nur) satzförmige Ausdrücke und deren "Bedeutungen" sprechhandlungstheoretisch rekonstruiert. Da eine solche sprechakttheoretische Teiltheorie der "Propositionssemantik" nicht vom Vorurteil der Objektivität satzförmiger Ausdrücke und ihrer "Bedeutungen" als gegebener Propositionen ausgehen kann, muß sie eine scheinbar selbstverständliche Grundannahme, nämlich die, daß Propositionen "Satzbedeutungen" sind und daß "Satzbedeutungen" Propositionen sind, aufgeben. Es ist zunächst fraglich, ob Propositionen nicht auch "Bedeutungen" nicht-satzförmiger Ausdrücke sein können. Anders formuliert: Das vorpragmatische Dogma vom kategorialen Unterschied zwischen "Wörtern" und "Sätzen" und dem ihrer jeweiligen semantischen Struktur kann - nach Wittgenstein, der in § 49 seiner "Philosophischen Untersuchungen" zeigt, daß "Sätze" wie "Wörter" und "Wörter wie "Sätze" verwendet werden können - nicht ungeprüft übernommen werden. 1.2. Referenz und Prädikation Dadurch, daß man aus sprechakttheoretischer Sicht nicht naiv davon ausgehen kann, daß Propositionalität die semantische Struktur ausschließlich satzförmiger Ausdrücke sei, ist auch Searles Analyse der Binnenstruktur von Propositionen als Nexus von Referenz und Prädikation zunächst die Grundlage entzogen, denn die Analyse beruht im wesentlichen auf dem Fehlschluß von der grammatischen Satzteilform auf eine schon im vorhinein unterstellte pragmatisch-semantische Funktion. Anstatt zu fragen, was unter einem propositionalen Akt zu verstehen sei, bietet Searle einen Analysevorschlag der Proposition als "Satzbedeutung", die sich am traditionellen formalen syntaktischen Schema des einfachen Satzes orientiert. Sein Ansatz stellt einen Versuch dar, traditionelle syntaktische Begriffe pragmatisch-semantisch zu reformulieren. Dabei spricht Searle - statt mit syntaktischen Ausdrücken wie "Satzgegenstand'V'-subjekt" und "Satzprädikat" zu arbeiten - von Referenz und Prädikation. Dadurch bringt er den syntaktischen Begriff des Prädikats mit dem im Kern traditionell wortsemantischen Begriff der Referenz in Zusammenhang, ohne zu klären, worin dieser Nexus besteht. 1.2.1. Referenz In der Diskussion der Prädikation kommt Searle (1969/dt. 1971: 188) zu dem Ergebnis, daß "Referenz" im Gegensatz zur "Prädikation" - obzwar wie die Prädikation ein nur analytisch-abstrakter Aspekt eines Sprechakts, der nicht unabhängig vom ganzen Sprechakt zu denken sei - doch ein selbständiger Sprechakt sei. Zu diesem Ergebnis kommt er, weil er von vornherein nicht den propositionalen Akt zum Analysegegenstand macht, sondern satzförmige Ausdrücke und deren Komponenten, die er als R-(Referenz-) und P-(Prädikations-) Ausdrücke benennt, im Kern also eine Satzteilsemantik betreibt, deren implizite Basis eine Referenztheorie der "Wortbedeutung" ist. Der Ausdruck "Referenz" wird lediglich terminologisch "pragmatisiert", wenn Searle (1969/dt. 1971: 49ff.) "referierende" Ausdrücke als "hinweisend" und "identifizierend" bezeichnet. Dies ist sicherlich als eine verkürzte Rede-
weise interpretierbar, die für "'hinweisend' oder 'identifizierend' verwendete Ausdrücke" steht und daher nicht den Schluß zuläßt, Searle meine, Satzteile könnten handeln. Ein solches Verständnis ist schon deshalb ausgeschlossen, weil Searle (1969/dt. 1971: 49) ausdrücklich darauf hinweist, daß "Sätze" nicht handeln können. Folglich wird er von Satzteilen nicht das Gegenteil annehmen. Dennoch bleibt er die Erklärung seiner Redeweise schuldig. Schließlich ersetzt er sie durch den Ausdruck "identifizierende Beschreibung" (Searle 1969/dt. 1971: 135). Dieser Terminus ist jedoch keine geeignete Bezeichnung für Ausdrükke oder Satzteile und kann erst recht nicht für einen Teilakt des Propositionsaktes verwendet werden, der ja seinerseits nur als Teilakt eines Gesamtsprechakts begreifbar ist. Vielmehr wird mit dem neu eingeführten Begriff die Beschreibungsebene gewechselt: Selbst wenn man "identifizieren" nicht als illokutionsbezeichnendes Verb versteht, ist doch für "hinweisen" und "beschreiben" kaum eine andere Interpretation möglich. Searle ist demnach vorzuhalten, daß er den von ihm selbst vorausgesetzten kategorialen Unterschied zwischen Illokution und Referenz durch seine Terminologie verwischt: Er scheint sein ursprüngliches Analyseziel, Differenz und Zusammenhang zwischen Illokution und Referenz aufzuzeigen, aus den Augen zu verlieren. Dabei nimmt er eine Vermischung von Kategorien in Kauf, die es eigentlich zu unterscheiden gilt. Wenn "Referenz" eine Komponente oder ein Aspekt der Proposition sein soll, also in die Klammer der Formel "F(p)M gehört, ist die Bedeutung des Ausdrucks "p" nicht dadurch explizierbar, daß man einen Aspekt von "p" wiederum als ein bestimmtes "F(p)n ausweist, d.h. "Referenz" als Illokution HINWEISEN oder BESCHREIBEN auffaßt. 1.2.2. Prädikation
Sicher ist Searle (1969/dt. 1971: 188) zuzustimmen, wenn er ausführt, daß eine Prädikation weder unabhängig von einer Referenz noch isoliert von einem illokutionären Akt denkbar ist. Seine Überlegungen kranken jedoch an der impliziten Annahme, daß ein vollständiger Sprechakt nur durch die Äußerung eines satzförmigen Ausdrucks realisiert werden könne. Abgesehen davon, daß eine solche These nicht beobachtungsadäquat ist, erscheint sie auch in theoretischer Hinsicht als wenig sinnvoll: Sie wäre nur dann notwendig, wenn man mit Frege davon ausginge, Bedeutungen seien als Propositionen, diese wiederum ausschließlich als Bedeutungen wohlgeformter Sätze gegeben. Mit der Übernahme dieses Dogmas aber würde man einer Semantik das Wort reden, die hinter den pragmatischen Standpunkt zurückfällt. Dennoch scheint sich Searle (1969/dt. 1971: 193) in seiner Bedingung 5 der Prädikation auf eine entsprechende Prämisse zu stützen. Darüber hinaus unterstellt er hier, daß Wörter nur in Sätzen "Bedeutungen" hätten und daß diese "Wortbedeutungen" objektiv gegebene Entitäten seien: Obwohl Searle festlegt, zum Vollzug einer Prädikation müsse es logisch möglich sein, daß der Inhalt des Prädikatausdrucks dem Gegenstand, auf den die "identifizierende Beschreibung" X "hinweist", entweder zukommt oder nicht, begründet er die Einführung dieser Bedingung wie folgt: Das Korrelat eines jeden gegebenen Prädikats ist eine Kategorie oder ein Typus von Gegenständen, von denen jenes Prädikat wahrheitsgemäß oder nicht wahrheitsgemäß prädiziert werden kann. [...] 'Ist rot' kann nur von Objekten prädiziert werden, die farbig oder färbbar sind. (Searle 1969/dt. 1971: 193)
Demnach ist es für Searle offenbar doch keine Frage der Logik, welche Ausdrücke unter welchen Bedingungen mit welchen anderen Ausdrücken regelhaft verknüpft werden können. Vielmehr scheint er von einem ontologischen Standpunkt auszugehen. Auch eine solche Sichtweise wäre jedoch zu verwerfen, denn auch sie setzt das Explikandum als bereits erklärt voraus, nämlich das Gegebensein von Prädikatskorrelaten, d.h. Wortbedeutungen. Die oben genannte Frage kann nur im Rahmen der Semantik einer Einzelsprache, nämlich auf der Basis ihrer Kollokationsregeln beantwortet werden. So liegt eine durchaus regelhafte Verknüpfung zweier Ausdrücke vor, wenn im Deutschen von "grünen Witwen" gesprochen wird (vgl. Hundsnurscher 1988: 96). Auch die von Searle selbst gewählten Beispiele für satzförmige Ausdrücke, in denen bestimmte Beschreibungen nicht-referentiell verwendet werden ("He left me in the lurch." "I did it for his sake." Searle 1969/dt. 1971: 115) illustrieren, daß weder der propositionale Bedeutungsaspekt eines ganzen satzförmigen Ausdrucks noch der seiner Komponenten - Referenz und Prädikation - syntaxtheoretisch und/ oder referenzsemantisch-ontologisch beschreibbar ist. Die Rede von der Wahrheitsgemäßheit/Unwahrheitsgemäßheit des Korrelats einer Prädikation zeigt ferner, daß Searle auch satzsemantisch einer Referenztheorie anhängt, die der Position Wittgensteins im "Tractatus" ähnelt und zugespitzt auf die Formel gebracht werden könnte, daß Satzbedeutungen Propositionen und Propositionen Sachverhalte sind, die entweder gegeben oder nicht gegeben sind. Gegebene Sachverhalte wären dann als Tatsachen, nicht gegebene Sachverhalte als mögliche Tatsachen aufzufassen. Vor dem Hintergrund der bisher erläuterten Überlegungen ergibt sich, daß es unumgänglich ist, bei der Rekonstruktion des Teilsprechakts "Proposition" neu anzusetzen, ohne dabei implizit von vorpragmatischen Axiomen zur Wort- und Satzsemantik auszugehen.
2. Propositionaler Sinn Wie oben ausgeführt worden ist, vertritt Searle - zumindest implizit - einen vorpragmatischen Propositionsbegriff, der seiner ansonsten handlungstheoretisch orientierten Sichtweise von Sprache nicht gerecht werden kann. Angesichts dieses Befunds liegt es nahe, vorläufig nur an der Unterscheidung zwischen dem illokutionalen und dem propositionalen Handlungsaspekt von Sprechakten festzuhalten, alle nicht-sprechakttheoretischen Voraussetzungen - insbesondere solche der Wort- und Satzsemantik - jedoch fallenzulassen. In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, den Handlungsbegriff Webers zugrunde zu legen, d.h. unter "Handeln ein menschliches Verhalten zu verstehen, mit dem der Handelnde selbst einen subjektiven Sinn verbindet" (Weber 192l/ 1976: 8). Hiervon ausgehend wird es zunächst möglich, zwischen dem subjektiven illokutionalen und dem subjektiven propositionalen Sinnaspekt einer sprachlichen Handlung zu unterscheiden. In einem weiteren Schritt können dann die von Searle nur vortheoretisch verwendeten Ausdrücke "Referieren" und "Prädizieren" sprechakttheoretisch expliziert werden. Der Vorteil eines solchen an Weber orientierten Vorgehens liegt vor allem darin, daß es erlaubt, den vorpragmatisch belasteten Begriff der "Bedeutung" vorläufig auszuklammern
und ihn - solange er noch nicht sprechakttheoretisch expliziert ist - durch den pragmatischen Begriff des "Handlungssinns" zu ersetzen. Spricht man vom subjektiven propositionalen Sinnaspekt des Vollzugs sprachlicher Handlungen, wird damit gleichzeitig das zentrale Problem einer pragmatischen Linguistik, d.h. der linguistischen Sprechakttheorie, fokussiert: Die "Gretchen-Frage" nach dem Zusammenhang zwischen sog. "Bedeutungen" sprachlicher Ausdrücke und dem Sinn ihrer Äußerung (vgl. Bierwisch 1979) tritt in den Vordergrund. In diesem Kontext ermöglicht die Webersche Perspektive eine Problemformulierung, die Lösungswege eröffnet. In Rekurs auf Weber stellt sich die Differenz zwischen der "Semantik" sprachlicher Ausdrücke und der ihrer Äußerung als der Unterschied zwischen dem intersubjektiven (sozialen) Sinn sprachlicher Ausdrücke und dem subjektiven (privaten) Sinn von Äußerungen dar. Demgemäß ist das o.g. Problem formulierbar als Frage nach dem Zusammenhang zwischen a) subjektivem propositionalen Sinn einer Äußerung eines sprachlichen Ausdrucks und b) intersubjektivem propositionalen Sinn eines sprachlichen Ausdrucks. Natürlich wird auch mit dieser Formulierung der pragmatischen Gretchenfrage das Gegebensein von etwas unterstellt, das man mit Ausdrücken wie "Wort-" und/oder "Satzbedeutungen" bezeichnen und erfassen zu können glaubte. Möglicherweise entsteht sogar zunächst der Eindruck, daß die These a), nach der Propositionalität Äußerungen zuzuschreiben ist, der Annahme b) widerspricht, derzufolge Propositionalität als Eigenschaft sprachlicher Ausdrücke gelten muß. Entsprechende Bedenken lassen sich jedoch ausräumen, wenn man darauf hinweist, daß Ausdruckssinn hier nicht theoretisch vorausgesetzt wird. Die Annahme von Ausdrücken mit intersubjektivem propositionalen Sinn trägt vielmehr der Tatsache Rechnung, daß der subjektive Sinn der Äußerung eines sprachlichen Ausdrucks verstanden wird und mithin intersubjektiv ist. Die These vom Gegebensein intersubjektiven propositionalen Sinns sprachlicher Ausdrücke beansprucht mithin hier - anders als bei Searle - keine Erklärungs-, sondern lediglich Beobachtungsadäquatheit. Die beobachtbare Tatsache der Verständlichkeit, d.h. der Intersubjektivität des subjektiven Sinns einer Verwendung eines sprachlichen Ausdrucks wird also nicht mit dem metaphysischen Konzept von der objektiven Bedeutung von Wörtern oder Sätzen verwechselt. "Objektivität von Bedeutung" ist in einer Sprechakttheorie, die das Konzept des intersubjektiven propositiponalen Sinns integriert und entwickelt, weder möglich noch notwendig. Die Aufgabe einer solchen sprechakttheoretischen Theorie propositionalen Sinns kann so gesehen nur darin bestehen, die Intersubjektivität - nicht die Objektivität - propositionalen Sinns sprachlicher Ausdrücke zu erklären. Dabei stellt sich vor allem die Frage, wie aus dem subjektiven Sinn einer Äußerung der intersubjektive Sinn eines sprachlichen Ausdrucks werden kann, anstatt traditionell umgekehrt danach zu fragen, wie aus der "objektiven Bedeutung" eines sprachlichen Ausdrucks der subjektive Sinn seiner Äußerung entsteht. Dieser Prozeß ist grundsätzlich als die erfolgreiche Einführung eines subjektiven propositionalen Sinns in die konkrete kommunikative Praxis einer Sprachgemeinschaft aufzufassen: Der subjektive Sinn der Äußerung eines individuellen Sprechers wird durch Konventionalisierung zum intersubjektiven Sinn eines sprachlichen Ausdrucks, der fortan den Mitgliedern der Sprachgemeinschaft in gleicher Weise zur Verfügung steht.
Anmerkung l Jüngst in konstruktiver Absicht Rolf (1990)
Literatur Bierwisch, Manfred (1979): "Wörtliche Bedeutung - eine pragmatische Gretchenfrage". - In: Rosengren, Inger (Hrsg.): Sprache und Pragmatik. Lunder Symposium 1978 (Malmö: CWK Gleerup) 63-85. Hundsnurscher, Franz (1988): "Über den Zusammenhang des Gebrauchs der Wörter. Eine methodologische Untersuchung anhand des deutschen Adjektivs GRÜN". - In: Poetica 28, 75-103. Rolf, Eckard (1990): "On the concept of action in illocutionary logic". - In: Burckhardt, Arnim (ed.): Speech acts, meaning and intentions. Critical approaches to the philosophy of John R. Searle (Berlin etc.: de Gruyter) 147-165. Searle, John R. (1969): Speech acts. - Cambridge: University Press. - Übers.: Sprechakte. Ein sprachphilosophischer Essay. - Frankfurt am Main: Suhrkamp 1971. - (1979): Expression and meaning. Studies in the theory of speech acts. - Cambridge: University Press. - (1979a): "Literal meaning". - In: Searle (1979) 117-137. - (1979b): "Indirect speech acts". - In: Searle (1979) 30-57. - (1979c): "Metaphors". - In: Searle (1979) 76-116. - (1986): "Notes on conversation". - In: Ellis, Donald G./Donohue, W() A. (eds.): Contemporary issues in language and discourse processes (Hillsdale, New Jersey) 7-19. Weber, Max (1921): Wirtschaft und Gesellschaft. - Tübingen: Mohr. - Wieder in: Weber, Max (1976): Soziologische Grundbegriffe. - Tübingen: Mohr, 3.A. (Teilabdruck). Wittgenstein, Ludwig (1958): Philosophical investigations. - Cambridge: B lackwell. - Übers.: Philosophische Untersuchungen - Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1971.
SPRECHHANDLUNGSSTRUKTUR IN DEUTSCHEN BITTBRIEFEN Ping-ge Li Zunächst möchte ich kurz auf das Untersuchungsmaterial und den Begriff Sprechhandlungsstruktur eingehen (1). Danach komme ich zur Beschreibung der Sprechhandlungsstruktur (2). Zum Schluß folgt eine Zusammenfassung (3).
1. Einleitung Für die Untersuchung habe ich einige Briefesteller, Anleitungsbücher zum Brief schreiben, zwischen 1976-1986 herangezogen. Insgesamt werden 30 Briefe untersucht. Unter der Sprechhandlungsstruktur verstehe ich sowohl die einzelnen Handlungen wie die Bitte oder den Dank als auch deren Relationen zueinander. Im Bittbrief stellt z.B. die Bitte die Haupthandlung dar, während ein Dank dafür als Nebenhandlung die Bitte unterstützt (vgl. Brandt et al. 1983, Härtung 1983, Sager 1981, Li 1991). Die verschiedenen Relationen in Bittbriefen möchte ich in der folgenden Beschreibung darlegen.
2. Sprechhandlungsstruktur in deutschen Bittbriefen Hier gehe ich zunächst auf die Sender-Empfänger-Beziehung, dann auf die Sprechhandlungen und ihre Relationen ein. Zum Schluß möchte ich die Sprechhandlungsstruktur im Zusammenhang mit ihren Beziehungen thematisieren. 2.1. Beschreibung der Beziehung zwischen Sender und Empfänger Diese Beziehung wird in Briefen teilweise klar angegeben (19, 30, u.a. N=17). Dazu gehören erstens Briefe an den Bekanntenkreis: an Kollegen sowie an Personen wie den Chef, Professor (4, 8, 27), die gegenüber dem Sender eine höhere Position innehaben; zweitens Briefe an Institutionen, sei es an eine Person (3, 8, 15) oder unpersönlich gerichtet (l, 2023, 29). 2.2. Beschreibung der Sprechhandlungsstruktur Zur Veranschaulichung der Beschreibung nehme ich zunächst einen Brief als Beispiel, in dem der Sender um Überlassen eines Hauses für den Urlaub bittet (6): "Lieber Günther! Ill Wäre es Dir wohl möglich, meine Frau und mich im September für etwa zwei Wochen in Deinem Sommerhaus unterzubringen? 121 Meine Frau ist sehr erholungsbedürftig, /3/ und daß wir keine Kur bezahlen können, weißt Du ja. /4/ Ihr benutzt das Häuschen wohl nur bis Ende August, /S/ nicht wahr? 161 Du weißt, daß Haus und Einrichtung von uns pfleglich behandelt werden. Vielleicht können wir uns in irgendeiner Form erkenntlich zeigen, /8/ ich habe schon gedacht, daß ich vielleicht im Winter wieder im Büro aushelfen könnte.
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/9/ Wir hoffen sehr, keine Fehlbitte getan zu haben /10/ und grüßen Dich und Deine Familie herzlich. Dein Oskar' (6)Z
In diesem Brief beginnt Oskar mit einer Frage nach der Möglichkeit, ein Haus für seinen Urlaub zu bekommen /!/. Diese Frage drückt seine Absicht bzw. Haupthandlung aus. Danach geht er zur Begründung über 12-51 und erklärt, warum er sich gerade an diesen Empfänger wendet. Die Begründung wird zwischendurch mittels "Du weißt ja..." bekräftigt /3/ (vgl. auch /6/). Eine Handlung, die andere Handlungen nachdrücklich bestätigt, nenne ich Bekräftigung. Nach der Begründung versucht der Sender einerseits die Bitte sicherzustellen, etwa durch das Versichern der guten Pflege des Hauses /6/ und durch einen Vorschlag einer Wiedergutmachungsmaßnahme /7-8/. Diese Handlungen, die das Gelingen der Bitte absichern, nenne ich Sicherung. Nach der Begründung äußert er andererseits aus der Haupthandlung ein Hoffen, keine Fehlbitte getan zu haben 191. Diese Handlungen, die die Konsequenz aus der Bitte ansprechen, nenne ich Schlußfolgerung. Zum Schluß fügt der Sender der Haupthandlung noch einen schönen Gruß an den Empfänger und seine Familie hinzu /IQ/. Diese Art Handlungen, die der Haupthandlung hinzugefügt werden, wird Ergänzung genannt. Die Relationen in diesem Brief - Haupthandlung, Begründung, Schlußfolgerung, Sicherung, Bekräftigung und Ergänzung - kommen auch in sonstigen Briefen vor. Darüber hinaus fangen manche Briefe nicht wie der Beispieltext sofort mit der Haupthandlung an III, sondern bereiten kurz darauf vor, etwa durch die Anknüpfung an die Post des Empfängers. Allgemein gelten die Haupthandlung Bitte und deren Begründung als die wichtigsten Relationen, die jeder Brief explizit ausspricht. Von sonstigen Relationen werden die Schlußfolgerung und die Bekräftigung in etwa der Hälfte der Briefe verwendet (Seh.: 6, 9, u.a., N=14; Bek.: 11, 14, u.a. N=13), die Sicherung in einem Drittel (l, 3, u.a. N=10) und die Vorbereitung in einem Viertel (l, 3, 4, 7, 15-17, 30, N=8). Die Ergänzung erscheint lediglich in einem Brief (6). Diese allgemeine Textstruktur ist wie folgt darzustellen: - Haupthandlung - Begründung - Schlußfolgerung - Bekräftigung - Sicherung - Vorbereitung - Ergänzung. Die Relationen möchte ich nun anhand der Einzelhandlungen konkretisieren. Die H a u p t h a n d l u n g deutscher Bittbriefe vollzieht sich meist vorsichtig durch die explizite Bitte (l, 2, u.a. N=13) und wie im Beispieltext durch eine Frage I I I . Die Bitte wird auch rücksichtsvoll durch die Beschreibung der Dankbarkeit mittels "ich wäre dankbar" eingeleitet (8, 13). Ansonsten tritt sie als Aufforderung auf, die durch "bitte" abgeschwächt wird, etwa: "Bitte rechnen Sie mir aus,..." (20), oder sie wird sachlich durch eine Mitteilung ersetzt, etwa: "Dazu benötige ich dringend den entsprechenden Wert...." (23). Diese Einzelhandlungen, die die Haupthandlung vollziehen , lassen sich wie folgt skizzieren:
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Haupthandlung -Bitte (l, 2, u.a. N=13) - Frage (4, 6, 9, 10, 12, 15, 18, 28) - Aufforderung mit "bitte" (20-22, 24, 25) - Beschreibung der Dankbarkeit (8, 13) - Mitteilung (23).
In der B e g r ü n d u n g pflegt der Sender zunächst etwas über sich mitzuteilen. Er stellt seine Situation dar, um die Bitte zu rechtfertigen, etwa Unser Mietvertrag wird zum 31.10.77 auslaufen (...). Die Konsequenz: Wir müssen uns eine neue Wohnung suchen. (18);
Auf ähnliche Weise kann er seine Schwierigkeit /2 - 3/, Einstellung und dergleichen (10, 13, u.a. N = l l ) mitteilen. Die Mitteilung über sich stellt er öfter der Situation des Empfangers entgegen, indem er diese konstatiert /4/. Wirksam erscheint auch der Weg, auf die gute Beziehung zum Empfänger einzugehen, z.B. durch eine Feststellung, daß er nett zum Sender war (2). Die Begründung im Text kann wie folgt gefaßt werden: Begründung - Mitteilung eigener Situation (23, 30 u.a. N= 15) - Mitteilung eigener Schwierigkeit (6, 17 u.a. N= 11) - Mitteilung eigener Einstellung u.a. (10, 13, u.a. N= 11) - Feststellung der Situation des Empfängers (6, 9, 14, 15, 20, 24) - Feststellung, daß der Empfänger nett zum Sender war (2)
Die S c h l u ß f o l g e r u n g äußert sich meist durch einen expliziten Dank (2, 14, u.a. N= 13) oder wie im Beispieltext durch einen Ausdruck des schlechten Gewissens mittels einer Hoffnung, keine Fehlbitte getan zu haben /9/. Die Schlußfolgerung ist wie folgt zu skizzieren: Schlußfolgerung -Dank(2, 14, u.a. N=13) - Hoffen, daß der Sender keine Fehlbitte getan hat (6)
Die S i c h e r u n g beruft sich häufig auf die Mitteilung der Zahlungsbereitschaft (19, 24, 30), sei es im extremen Fall durch die Verzinsung oder durch ein Pfand (19). Dabei vermag der Sender direkt oder vorsichtig vorgehen. Als direkte Art fordert er den Empfänger zur Zahlungsvereinbarung auf (17), wobei die Aufforderung durch "bitte" abgeschwächt wird. Als vorsichtige Art zieht er Vorschläge vor, etwa zur Zahlungsvereinbarung (5) oder sonstige Wiedergutmachungsarbeit (6). Ähnlich erscheint auch das Versichern des eigenen korrekten Verhaltens wie im Beispieltext bezüglich der Pflege des Hauses 161. Geht es um eine nicht materielle Angelegenheit wie Auskunft über eine weitere Person, pflegt der Sender zu versichern, die Sache nicht zu verraten (12, 13). Handelt es sich um die Hilfe bei der Haussuche, so versichert er seine eigenen Bemühungen (18). Bei einer schwerwiegenden Bitte wie um Haftaufschub gibt er sogar eine doppelte Zusicherung ab: die Beweise, die ihm einen Haftaufschub ermöglichen sollen, und die Mitteilung des Termins für den Strafantritt (1). Über diese Sicherung der Vorbedingungen für die Bitte hinaus geht der Sender noch auf die Anwort des Empfängers ein, um sich der Hilfe seitens des Empfängers zu vergewissern,
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etwa: "Ich erwarte voller Hoffnung Ihren Bescheid..." (3). Die Sicherungshandlungen sind wie folgt zu skizzieren: Sicherung - Mitteilung der Geldrückgabe oder -Zahlung (19, 24, 30) - Mitteilung eines Pfands und der Verzinsung (19) - Aufforderung (mit "bitte") der Zahlungsvereinbarung (17) - Vorschlag der Vereinbarung der Zahlung oder Wiedergutmachungsarbeit (5, 6) - Versichern des korrekten Verhaltens (6) - Versichern, nichts zu verraten (12, 13) - Versichern eigener Bemühung trotz der Bitte um Hilfe (10) - Mitteilung des Beweises und Termins für eine verschobene Angelegenheit (1). - Erwarten der Antwort des Empfängers (3).
Die V o r b e r e i t u n g ist meist zielgerichtet. Der Sender knüpft dabei kurz an die Informationsquelle, die vorherige Situation (3, 15-17, 30) oder Post des Empfängers (l, 7) an, woraus die Bitte entsteht. Überdies vermag ein vorsichtiger Sender kurz durch eine Frage seine Bitte vorzubereiten (4): ...darf ich auch in diesem Jahr wieder in Erinnerung bringen anläßlich der Weihnachtsspende (...) ?.
Selten teilt ein Sender anderes als notwendige Dinge mit. Geschieht es doch, dient auch diese Mitteilung nur als ein kurzer Übergang zur eigentlichen Bitte, etwa: "Seit einigen Tagen mache ich Urlaub in Rimini und genieße Sonne und Strand Ich schreibe Ihnen jedoch nicht, um Ihnen von meinen Ferien zu erzählen, sondern..." (30).
Diese Vorbereitungshandlungen sind wie folgt zu skizzieren: Vorbereitung - Mitteilung «fcr Informationsquelle oder einer betreffenden Situation (3, 15-17, 30) - Anknüpfung an die Post des Empfangers (1,7) - Frage (4) - Kurze Mitteilung der eigenen allgemeinen Situation (30).
Die E r g ä n z u n g kommt äußerst selten vor, und zwar wie erwähnt nur als Gruß im Beispieltext /IQ/. Ergänzung - Gruß an den Empfänger und seine Familie (6).
Die B e k r ä f t i g u n g bedient sich öfter der Handlungen, die die Empfindung sowie Kenntnis des Empfängers ansprechen wie im Beispieltext "Du weißt, daß..." /3, 6/, oder mittels der Anrede im laufenden Text, um die vertrauliche Beziehung zum Empfänger hervorzuheben. Zu diesem Zweck dient ebenso eine Mitteilung, daß der Empfänger ihm mit der Hilfe einen Gefallen tue (11, 13, 16, 30). Eine bekräftigende Funktion hat überdies eine Wiederholung (11, 19) oder eine nachdrücklich geäußerte Hoffnung, daß der Empfänger auf die Bitte eingehen möge (8). Schließlich unterstreichen Ausrufe durch ihre Emotionalität die jeweiligen Äußerungen (11, 14).
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Bekräftigung - Ansprechen der Empfindung, der Kenntnis und dergleichen des Empfängers (6, 7, 9, 13, 14, 16, 17) - Anrede im laufenden Text (2, 19, 27) - Mitteilung der Hilfe als Gefälligkeitserweis (11, 13, 16, 30) - Hoffen, daß der Empfänger auf die Bitte eingeht (8) -Wiederholung (l l, 19) -Ausrufe (l l, 14).
2.3. Sprechhandlungstruktur im Zusammenhang der Sender-Empfänger-Beziehungen Beziehungsbezogen sind zunächst Unterschiede im Relationsgebrauch festzustellen. Während einige Relationen in allen Gruppen vorkommen, entfallt die Bekräftigung in Briefen an Institutionen völlig (l, 3, 15, 20-23, 28, 29). Im weiteren bleibt die Schlußfolgerung in unpersönlichen Briefen an Institutionen aus (l, 20-23, 29). Es ist also eine Neigung zur Knappheit und Sachlichkeit im Umgang mit Institutionen festzustellen. Auch in Einzelhandlungen sind gewisse gruppenspezifische Phänomene erkennbar. Sie finden sich vor allem in der Haupthandlung. Briefe, die sich anonym an Institutionen richten, gebrauchen z.B. statt der expliziten Bitte die sachliche Mitteilung und Aufforderung mit "bitte" (20-23). Anders ist es in Briefen an den Chef, Professor und Pfarrer. Dort enfällt die Aufforderung jeglicher Art. Diese verschiedenen Gebrauchsmodalitäten verweisen einerseits auf die sachliche Orientierung im Umgang mit Institutionen, andererseits auf die vorsichtige Umgangsart mit Personen, die eine höhere Position innehaben.
3. Zusammenfassung Aus der Untersuchung deutscher Bittbriefe ergibt sich folgendes Bild: Sie werden in erster Linie bei einer größeren Distanz zwischen Sender und Empfänger verwendet. Engere Beziehungen wie zu Verwandten und Freunden sind in Briefstellern nicht registriert. Bezüglich der Sprechhandlungsstruktur werden die Haupthandlung und Begründung in jedem Brief explizit ausgesprochen, während die sonstigen Relationen nicht regelmäßig erscheinen. Allgemein fällt beim Umgang mit Institutionen die Tendenz zur Sachlichkeit und Knappheit auf. Diese Tendenz steht auf der anderen Seite dem überlieferten vorsichtigen Verhalten gegenüber Autoritätspersonen entgegen.
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Quelle der Beipiele Nr.6
Buch
S.
Bsp.
Nr.
Buch
S.
Bsp.
Nr.
Buch
S.
Bsp.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
l 2 2 2 2 2 2 2 3 3
196 90 90 91 91 92 92 92 149 148
0 l 2 l 2 l 2 3 l 2
11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
3 3 3 3 3 3 3 4 4 4
150 151 154 156 159 159 160 150 151 193
l 2 l l l 2 l l 0 l
21 22 23 24 25 26 27 28 29 30
4 4 4 4 4 5 5 5 5 5
195 197 218 255 258 20 33f 34f 35 54
0 l 2 2 2 0 0 0 0 0
Buch 1: Manekeller, F. W. (1979) Buch 2: Wolter-Rosendorf, I. (2.A. 1982) Buch 3: Manekeller, W. (5.A. 1980) Buch 4: Lubbers, B. (1978) Buch 5: Heintz-Schuppmannn/Halm (3.A. 1978)
Anmerkungen 1 Der weitere Teil läßt sich erst aus Anredeformen erahnen (6, 9, u.a.N=13). Die Zahlen in "( )" sind die Numerierung der untersuchten Briefe. Die Entschlüsselung dieser Nummer wird in der "Quelle der Beispiele" als Anhang aufgeführt. 2 Die Numerierung im Text mit "//" stammt vom Verfasser, um die einzelnen Sprechhandlungen zu kennzeichnen. 3 Die folgende Darstellung erfolgt allgemein in der Reihenfolge. Lediglich die Bekräftigung, die die sonstigen Relationen unterstützt, wird zum Schluß dargestellt. 4 Als Einzelhandlung, die die Bitte präzisiert, bleibt die Frage als beliebte Form (2, 3, 11, 14, 17, 19, 20, 30). Gleichzeitig werden öfter Details mitgeteilt (l l, 12, 16, 18, 20, 25, 30). 5 Wegen der Vielfalt der Mitteilungen wird hier nur diejenige Art, die mindestens in zwei Briefen vorgekommen ist, erwähnt. 6 Die Nummer steht für die Beispielnummer im Vortrag.
Literatur Brandt, M() et al. (1983): "Der Einfluß der kommunikativen Strategie auf die Textstruktur - dargestellt am Beispiel des Geschäftsbriefs". - In: Rosengren, 105-136. Härtung, Wolfdietrich (1983): "Briefstrategien und Briefstruktur - oder: Warum schreibt man Briefe?". - In: Rosengren, 215-218. Heintz-Schuppmann, Karin/Halm, Wolfgang (1978): Briefe schreiben - leicht gemacht. - München: Hueber, 3.A. Klein, Eberhard et al. (Hrsg.) (im Druck): Betriebslinguistik und Linguistikbetrieb I, II. Akten des 24. Linguistischen Kolloquiums, Bremen 1989 (Tübingen: Niemeyer) Li, Ping-ge (im Druck):" Sprechhandlungsstruktur in Brieftexten." - In: Klein, Eberhard et al. (Hrsg.): Betriebslinguistik und Linguistikbetrieb I, II. Akten des 24. Linguistischen Kolloquiums, Bremen 1989 (Tübingen: Niemeyer).
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Lubbers, Bernd (1978): Persönliche und geschäftliche Briefe im Privatleben. - München: mvg-Verlag. Manekeller, Frank W. (1979): Das große Handbuch der Musterbriefe für Privat- und Geschäftskorrespondenz: mit Kommentaren und Stilvariationen. Unter Mitarbeit von B. Hersfeld. - München: mgv-Verlag. Manekeller, Wolfgang (1980): Persönliche Briefe im Geschäftsleben. 333 Musterbriefe für jeden Anlaß. München: Verlag moderne Industrie, S.A. Rosengren, Inger (Hrsg.) (1983): Sprache und Pragmatik 3. Länder Symposium 1982. - Stockholm: Almqvist & Wiksell International. Sager, Sven Frederik (1981): Sprache und Beziehung. Linguistische Untersuchungen zum Zusammenhang von sprachlicher Kommunikation und zwischenmenschlicher Beziehung. - Tübingen: Niemeyer. Wolter-Rosendorf, Inngard (1982): Der neue Briefsteller. Musterbriefe für alle Angelegenheiten. - Niedernhausen/Ts.: Falken-Verlag, 2.A.
ON MARKERS AND FUNCTIONS OF POLYPHONY IN LANGUAGE Elzbieta Tabakowska Looking at references to publications by linguists of pragmatic orientation one can now frequently come across classical works of Michail Bakhtin. The fact that contemporary linguistics should rediscover a literary critic from the 30's is not all surprising to those who become acquainted with his writings, and in particular, with his theory of "raznoreiivost"', or the internal dialogism of "slovo", i.e. the linguistic utterance. In his book on Dostoyevsky's novels (Bachtin 1929) he explicated for the first time this then revolutionary concept of polyphony: the word used by a speaker cannot be ascribed to that speaker alone; an utterance is a drama, property of two or more dramatis personae. It is the means of expression of numerous subjects, who through discourse enter a network of dialogic relations. Thus an utterance may become a confrontation of various, or differing, points of view. According to Bakhtin the (written) discourse of a polyphonic novel constitutes a part of a general ideological discussion: it gives answers to questions, it accepts, rejects or anticipates rejoinders and accusations, it seeks support. From the point of view of a linguist, Bakhtin's stance may be considered as that of a linguistic pragmatist: when he talks about language, his interest lies rather in the usage, in the actual practice of utterance production than in an abstract system of sentences: interactive properties of untterances are just as significant as inherent properties of sentences. Although originally applied to literary analysis of a novel, Bakhtin's ideas clearly correspond to those of modern pragmatics, notably the theory of speech acts. But like all standard theories of natural language, SA theory uses as its framework a tripartite model in which "Speaker", "Message" and "Hearer" constitute three monolithic corners of a triad. While maintaining the distinction between propositions and attitudes (which corresponds to Charles Bally's earlier distinction between dictum and modus (cf. Bally 1950: 36), pragmatics does not in general admit the possibility that the two elements need not come from a single "Speaker". This is the moot point of Bakhtin's theory: he claims that while "the traditional scholar (...) transposes a symphonic (orchestrated) theme onto the piano keyboard" (Bakhtin 1983: 263), an ostensibly one-speaker discourse may in fact be a "concentrated dialogue of two voices, two word views, two languages" (Bakhtin 1983: 324). The idea of a complex character of the notion of "Speaker" underlies the theory of linguistic polyphony as developed by Oswald Ducrot (Ducrot 1984). For Ducrot, the voice of the individual referred to as "Speaker" is to be seen as a trio of voices consisting of the voice of the actual "suject parlant" (SP) i.e. the producer of an utterance in the physical sense, the voice of the "locuter" (L), i.e. the person responsible for the wording and the semantic meaning ("sens") of an utterance, and, finally, the voice of the "ononciateur" (E), or the author of the SA, i.e. the person responsible for the communicative value ("valeur") of what is being said. Not only need not the trio sing in unison, but each of the three voices can be further "split" into a duet, or even a chorus. The split between SP and L (E) appears regularly - and trivially in recitation, direct quotation, etc.. Although in themselves worth the attention of a linguist, such cases will not
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be dealt with at this point. True polyphony emerges out of the discrepancy between the L on the one hand and the E on the other: it appears whenever the L introduces onto the stage an E (or E's) non-identical with himself (Ducrot/Anscombre 1983: 178). This pragmatic phenomenon is one of the most important - and most widely used - communivative strategies. Moreover, in the course of the development of language decontextualization of polyphony may lead to its grammaticalization into context-independent syntactic and/or lexical markers. Polyphony results from the ascription by L of a configuration of epistemic attitudes to a single proposition. The particular E with whom L chooses to identify may either abstain from an explicit expression of his own attitude, or else confirm or disagree with the attitude expressed by some other E: the listener or a third party somehow relevant for the discourse. The ultimate source of "polyphonic" attitudes is the basically "monophonic" attitude of assertion. But assertion need not entail any of the epistemic attitudes of knowledge, belief or doubt. When I say (1) I feel great today,
I will be most probably willing to take full responsibility for the truth of this assertion. But the S may also choose to perform an inherently polyphonic act of n o n - c o m m i t m e n t (term from Lyons 1977: 802) by abstaining from revealing his own attitude. When saying (2) Hepatitis B cure possible (news headline),
the journalist asserts a fact without necessarily making any epistemic or axiological commitments. But the S may also c o n f i r m a proposition by corroborating an assertion which is the responsibility of some other E: (3) Sure, it is fun to go fast (the opening sentence, Time magazine; cf. "It is surely fun ...") or deny it: (4) It's plainly not true that playwrights cut themselves off other genres, (a university lecture; cf. "...do not cut...")
Within each of the three basic "polyphonic" attitudes it is possible to distinguish a plethora of undertones and shades: non - commitment may imply doubt or suspicion; confirmation may vary as to the degree of conviction or willingness to accept things; denial may imply resistance, refusal or opposition. It is of course possible - at least in languages like English - to express all those attitudes verbally: we can say "I am not in a position to pass judgement on that", "I quite agree with you", "I doubt this", "I strongly reject his stance", etc.. Why, then, resort to polyphony, which achieves the same purpose in a roundabout, indirect way? The answer lies in what Brown and Levinson (1978) refer to as "a universal sociological principle": appeal to various strategies of face redress - one's own face, or somebody else's. Evading responibility (or, in any case, sole responsibility) for what we say "pays
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off in nearly all types of social interaction. In other words, should things go wrong, it is communicatively desirable to be able to say "It was not me who said that", or to leave an analogous option to one's addressees. In impromptu discourse principles of politeness require that the S (in his function of E) remains "safely vague" (Brown and Levinson 1978: 116) as to his attitude - a typical example in English would be to impersonalize the utterance in order to imply that the E is different from the L, or at least possibly different from the L; thus for instance, in performing a "face threatening act" (term from Brown and Levinson 1978: 190) the Speaker in his function of the L as a principle avoids impinging on the addressee: 5) The passengers are kindly requested to proceed to gate 12. (airport announcement)
But, in the same type of discourse, the same strategy may be used as the means of "argumentation par authorito" (cf. Ducrot 1980b), where indirect appeal is made to some anonymous - but powerful - authority: (6) Children should eat vegetables, (mother to child; cf. "I believe that...", "All doctors say", etc.)
The strategy of "argumentation par authorito" may be stretched to serve the purposes of linguistic manipulation, and notably propaganda. On the one hand, the effect of verisimilitude is created , on the other - the L protects himself from the accusation of manipulating his readers (for a discussion, see Petitjean 1987): (7) Istnieje jednak potrzeba jednolitego dziatania wszystkich ogniw frontu ideologicznego ("And still there is a need for uniform action by all elements of the ideologocal front", (documents of VII PLenum of the PUWP, quoted after Bralczyk 1985: 106)
When combined with an (alleged) appeal to some unquestionable authority, abstaining from taking responsibility for attitudes expressed in an utterance constitutes a basic characteristic of newspeek of totalitarian propaganda. Like politeness and argumentation, propaganda may involve creating the effect of false solidarity: the existence of a fake chorus, in which those who persuade and those who are being persuaded are shown as singing in unison: (8) Now, have we taken our medicine? (doctor to patient, quoted after Brown and Levinson 1978: 120) (9) Wrogom socjalizmu odpowiadamy wytejjona. praca. ("our strenuous work is our answer to the enemies of socialism"; a newspaper heading)
As the "polyphonic" communicative strategies correspond to the main human attitudes as distinguished in psychology (the positive attitude, i.e. expression of solidarity, the negative attitude, i.e. the expression of restraint, and the attitude of non-commitment, i.e. avoidance of unequivocal impositions (Mika 1984); it would be natural to expect that conventionalization, and possibly grammaticalization, would affect those areas in which a given attitude is ascribed - bona or mala fide - to an E non-identical with the L, with a definite pragmatic goal, such as politeness, persuasion, or propaganda. Each of those may be either Speaker or Hearer oriented, but the ultimate mechanism is always the principle of face redress. Predictably, different languages conventionally express polyphony by different means and devices. Basically, at least in such languages as English or Polish, makers of polyphony seem to fall within three groups: syntactic structures, grammatical categories and lexical items.
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Within the first class, English passive constructions with agent deletion are typically chosen to enhance polyphonic interpretation; their Polish counterparts are impersonal (subjektless) utterances with modal predicates of the type (10) Trzeba pomagagac' slabszym. ("one has/it is necessary to help the weak ones"; cf. "II faut...") (11) Mozna juz wstad od stohi. ("Is one allowed to leave the table yet?", cf. "Est-ce-qu'on peut...")
In both (10) and (11) L suggests that he is not the E, or at least not the sole E of the utterance: (10) exemplifies "argumentation par authoritd", (11) - avoidance of a "face threatening act". One of the most obvious "polyphonic devices", at least in such languages as English, Polish or French, is double negation. Its polemic nature has long been acknowledged by linguists and philosophers (cf. e.g. Bralczyk 1982, Antas 1986, Ducrot 1980c). It appears that structures like (12) It does not displease me.
are justified by pragmatic rather than structural reasons: they imply the E's disagreement with the opposite judgement, held by some other E. Cf. also Ducrot's classical (13) Ce mur n'est pas blanc. (Ducrot 1894: 38, cf. "ce mur est noir")
External, or sentence negation functions in the same way - cf. again example (4) above. The inherently polemic character of both types of negation justifies their occurrence mainly in ostensibly dialogic discourse. Cristallisation, or to use Ducrot's name, "telescoping" of a dialogue into a monologic text, is what polyphony is ultimately about. Typically, such a polyphonic text includes echo questions or echoic utterances, which may perform differing functions. In (14) Phra Boonma ... has dedicated his life to non violence and inner peace. He is a Buddhist monk. An odd career for a man who followos the Middle Way? (Time magazine)
the L attributes the judgement implied in the question to the reader; that he himself rejects it becomes obvious only further in the course of the text. While devices conventionally used to express polyphony perform their prototypical functions in other forms of discours - notably in full-fledged dialogue - languages may also grammaticalize polyphony. One of the much discussed cas celebres is auditivus - a category of the verb used to express events which the speaker did not witness - in Bulgarian. Other languages use for the same purpose the so-called "hearsay particles" (for discussion and references see Blass 1987). Polish, in particular, offers to its speakers a rich choice of such particles, which express differing levels of epistemic commitment on the part of the L (for discussion see Tabakowska 1989). Any detailed listing of polyphonic lexical items - for any language - would deserve a lengthy monograph. In this place, let me just quote one more example from Polish. Among the conjunctions which are used to combine clauses within a conditional structure it has a pair of items: "skoro" and "jesli". While the former inherently imposes the polyphonic interpretation, the latter one does not. Thus in
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(15) Radi sobie sama, skoro jestei take samodzielna. ("Try and manage things on your own, since you are so independent", Kobieta i zycie magazine)
the "duet" of voices "sings" in discord (E=L: "you are not independent", E="she": "I am independent"). But replacing "skoro" with "jesli" removes the polyphonic effect: (15a) Radi sobie sama, jesli jestes' taka samodzielna. ("Because you are so independent, try and manage things on your own")
The translation into English show that a similar distinction exists between the poyphonic "since" and the non-polyphonic "because" (cf. also the discussion on the opposition between French "puisque" and "car" in Ducrot 1980d: 47). But polyphony - although easily detectable - is often achieved through means that are neither conventionalized nor grammaticalized. These envolve the so-called quasiquotations and utterances that are called - after Bakhtin - hybrids. A hybrid is "an utterance that belongs, by its grammatical (syntactic) and compositional markers to a single speaker, but actually contains mixed within it two utterances, two speech manners, two styles, two "languages", two semantic and axioliogical belief systems" (Bakhtin 1983: 303). In this type of polyphony S may (but need not) take responsibility for a given proposition, but not for its actual wording. An illustrative example is provided in Philip Howard's dicussion of slang: "Take, for example, the word "mum" for mother in England. Because the word is loaded with class connotations, mainly Non-U to use an older categorization, the young protect themselves against the pitfalls of saying "mum" by placing themselves at a slight distance from the word, either by their tone or voice, or by planning the context carefully. When the young say "My mum told me", they are apt to use an accent which is not quite their own, so hunting both with the hare and with the hounds" (Howard 1984: 34). Hybrids and quasi-quotations exemplify the kind of polyphony that is most obviously contextual: it is enhanced by elements of the given speech-situation, based on the common knowledge shared by the participants in the given discourse. Polyphony induced by linguistic conventions (the plural of solidarity, impersonalization, etc.), is more context-free, even though non-polyphonic interpretations are not precluded. Finally, grammaticalization of polyphony represents the highest level of specification: situated at the very top of the hierarchic arrangement, it does not non-polyphonic interpretations as default readings. The existence of this scale enables S's to choose among various communicative strategies. Polyphonic readings may be strongly induced by lexical markers, but they may also be as much as enhanced by using any of the conventional means. The S may purposefully maintain potential ambiguity between the polyphonic and the non-polyphonic readings. Finally, he may explicitly remove potential polyphony by overt verbalization of relevant attitudes. As Bakhtin would have it, polyphony is the gist of literary narration, the mechanism behind what Prince calls "different degrees of obviousness" of the narrator's attitude towards the narration (Prince 1982: lOff.). As an exponent of subjectivity in language, it deserves join attention from linguists and literary critics. The recognition of all voices making up an orchestra behind what has been traditionally considered as a soloist's performance opens new vistas of research. One of them is a new perspective from which to look at the so
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called "stylistic variants", which appear to be well motivated instrumental arrangements of a single tune rather than mere options, easily dismissed as "free variants".
References Antas, Jolanta (1986): Pragmatyczne operatory presupozycji wobec zagadnienia negacji. - Unpublished paper. Bachtin, Michail ([1929] 1970): Problemy poetyki Dostojewskiego. - Warszawa: PWN. Bakhtin, Michail (1983): The dialogic imagination. - Austin: University of Texas Press. Bally, Charles (1950): Linguistique geneYale et linguistique francaise. - Berne: Francke, 3me 6d. Blass, Renate (1987): "The grammaticalisation of interpretive use. - the case of re in Sissala". - Unpublished paper. Bralczyk, Jerzy (1982): "o je.zyku w polityce. Podwojna negacja i presupozycja". - In: Zeszyty Prasoznwcze 1/2, 57-64. Brown, Penelope/Levinson, Stephen C. (1978): Politeness. Some universale in language use. - Cambridge: Cambridge University Press. Chiss, J( )-L./Filliolet, J ( ) (eds.) (1987): La typologie des discours. - Paris: Larousse (= Langue Fnuu;aise 74). Ducrot, Oswald (1980a): Les ochelles argumentatives. - Paris: Les Editions de Minuit. - (1980b): Dire et ne pas dire. Principes de se'mantique linguistique. - Paris: Collection Savoir-Hermann. - (1980c): Les mots du discours. - Paris: Les Editions des Minuit. - (1984): Le dire et le dit. - Paris: Les Editions de Minuit. - /Anscombre, Claude (1983): L'Argumentation dans la langue. - Bruxelles: Madraga. Howard, Philip (1984): The state of the language. English observed by Philip Howard. - London: Hamilton. Lyons, John (1977): Semantics. - Cambridge: Cambridge University Press. Mika, Stanislaw (1984): Psychologia spoleczna. - Warszawa: PWN. Petitjean, Andr6 (1987): "Les fails divers: polyphonic ononciative et hot£rogen&to textuelle". - In: Chiss, J( )L./Filliolet, J() (eds.): 73-98. Prince, Gerald (1982): Narratology. - Berlin: de Gruyter. Rokoszowa, Jolanta/Twardzik, Waclaw (eds) (1981): Nowo-mowa. Materialy z sesji naukowej pos'wiejionej problemom wspolczesnego je.zyka polskiego odbytej na Uniwersytecie Jagelloriskim w dniach 16 i 17 stycznia. - London: Polonia. Tabakowska, Elzbieta (1989): "Lexical markers of subjective modality and translation equivalence in English and Polish". - In: Multilingua 8/1, 21-36.
GEGENVORWÜRFE, GEGENFRAGEN, GEGENVORSCHLÄGE Überlegungen zum sequentiellen Status von Echosprechakten Sabine Frilling / Peter-Paul König
1. Einleitung Sprachlichen Handlungen wie Gegenfragen, Gegenvorwürfen, Gegenbehauptungen, Gegenbitten oder Gegengrüßen ist gemeinsam, daß sie an Sprechakte mit jeweils identischer illokutionärer Rolle anschließen. Zieht man die offenkundige Ähnlichkeit der für solche "Echosprechakte" lexikalisierten Bezeichnungen in Betracht, könnte es naheliegen, zwischen ihnen und ihren vorgängigen Bezugshandlungen einen systematischen Zusammenhang zu vermuten, der einheitlich bestimmbar ist. Eine entsprechende Annahme vertritt etwa Franke (1990), der illokutionäre Akte wie die hier fokussierten als "gegen-initiative" Handlungen des zweiten Zugs charakterisiert und damit - zumindest implizit - eine regelhafte Beziehung zur jeweiligen Sprechhandlung des ersten Zugs unterstellt. Tatsächlich lassen sich eine Reihe von Beispielen ins Feld führen, die diese Einschätzung zu rechtfertigen scheinen. So ist z.B. bei Zugfolgen wie Gruß-Gegengruß das Bestehen eines konventionellen Zusammenhangs zwischen Echosprechakt und initialer Bezugshandlung nicht von der Hand zu weisen. In vielen anderen Fällen jedoch erweist sich der Nachweis solcher Beziehungen als problematisch. Eine Gegenbitte stellt beispielsweise offensichtlich keine regelhafte Reaktion auf eine initiale Bitte dar: Sie setzt zwar voraus, daß irgendwann im bisherigen Gesprächsverlauf eine Bitte geäußert wurde, schließt aber konventionell nicht unmittelbar daran an. Weitere Schwierigkeiten ergeben sich aus dem Umstand, daß zu einigen illokutionären Akten, die im ersten Zug einer Sequenz realisierbar sind, keine Echosprechakte konstruiert werden können. So verhält es sich etwa bei den Deklarativa und bei verschiedenen Untermustern der direktiven Sprechakte. Demnach kann die These, nach der initiale Sprechhandlungen und ihnen gemäße Echosprechakte regelhaft strukturierte Sequenzzusammenhänge bilden, nicht uneingeschränkt aufrechterhalten werden. Zu dieser Einschätzung gelangt man auch dann, wenn man nur einen einzigen Echosprechakt - z.B. den Gegenvorwurf - in den Blick nimmt. Auf der einen Seite ist es fraglos möglich, mit einem Gegenvorwurf auf einen zuvor geäußerten Vorwurf einzugehen, d.h. einen Echosprechakt zu realisieren, der in einer sequentiellen Beziehung zur initialen Sprechhandlung steht. Als Beispiel kann die Zugfolge in (1) angeführt werden: (1) Spl: Du hast in diesem Monat deinen Vereinsbeitrag nicht bezahlt. Sp2: Du bist doch selbst schon drei Monate im Rückstand.
Der Gegenvorwurf von Sp2 stellt in diesem Zusammenhang eine durchaus konventionelle Reaktionshandlung dar, die dazu geeignet ist, einen Vorwurf zurückzuweisen, zu dessen Äußerung Spl nach Ansicht von Sp2 nicht berechtigt war. Auf der anderen Seite sind jedoch ebenso Fälle denkbar, in denen ein im zweiten Zug realisierter Gegenvorwurf kaum
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etwas mit dem Vorwurf des ersten Zugs zu tun hat. Ein Beispiel hierfür bildet die folgende Sequenz: (2) Spl: Du tust dein Zimmer mal wieder nicht aufgeräumt. Sp2: Und du hast letzte Woche Opa nicht zum Geburtstag gratuliert.
Sp2 gibt hier durch die Äußerung eines Gegenvorwurfs zu verstehen, daß er nicht dazu bereit ist, sich auf die von seinem Partner begonnene Vorwurfsinteraktion einzulassen. Sein Gegenvorwurf nimmt keinen Bezug auf die initiale Vorwurfshandlung von Spl, sondern übergeht sie und initiiert an ihrer Stelle eine neue Vorwurfssequenz. Die angeführten Beispiele zeigen, daß es nicht ohne weiteres möglich ist, den sequentiellen Status von Gegenvorwürfen einheitlich zu bestimmen.
2. Zum Stand der linguistischen Diskussion über Gegenvorwürfe Wohl aufgrund der bereits angesprochenen Probleme, die mit einer eindeutigen linguistischen Charakterisierung von Gegenvorwürfen verbunden sind, liegen in der sprechhandlungstheoretisch orientierten Forschungsliteratur nicht weniger als vier verschiedene Ansätze zu der Frage vor, wie die Beziehung zwischen initialen Vorwurfshandlungen und daran anschließenden Gegenvorwürfen einzuschätzen ist. Den in diesem Zusammenhang u. a. relevanten Positionen von Brinker/Sager (1989), Fritz/Hundsnurscher (1975) und Franke (1990) ist dabei gemeinsam, daß sie die einheitliche Bestimmung des sequentiellen Stellenwerts von Gegenvorwürfen als grundsätzlich möglich voraussetzen. Hiervon ausgehend gelangen die genannten Autoren allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen. So vertreten Brinker/Sager die These, daß zwischen einem Gegenvorwurf und einer ihm vorausgegangenen Vorwurfshandlung kein regelhafter Sequenzzusammenhang bestehen könne. Dem "Prinzip der bedingten Erwartbarkeit"^ folgend, sei als konventionelle Reaktion auf einen Vorwurf nur "Bestreiten", "Sich-Entschuldigen" oder "Sich-Rechtfertigen" möglich. Entsprechend müsse die Realisierung eines Gegenvorwurfs stets als Verstoß gegen fundamentale Interaktionsregeln gelten und könne daher unter Umständen eine Konflikteskalation oder den Gesprächsabbruch nach sich ziehen (vgl. Brinker/Sager 1989: 82). Im Gegensatz zu dieser Auffassung steht die eingangs erwähnte Position Frankes, nach der Echosprechakte eine gesonderte Gruppe von Reaktionshandlungen bilden, die aufgrund ihrer spezifischen Beziehung zum jeweils sequenzeröffnenden Sprechakt als "gegen-initiativ" charakterisierbar sind: Ein Sprecher, der auf eine Behauptung mit einer Gegenbehauptung oder auf einen Vorschlag mit einem Gegenvorschlag antwortet, gibt Franke (1990: 20/24f.) zufolge noch kein klares Votum für oder wider das Handlungsziel seines Partners ab, sondern bringt zunächst sein eigenes Ziel ins Spiel, über das im weiteren ebenso beschieden werden muß wie über die Initiative von Spl. Die Chancen auf letztendliche Zieldurchsetzung stehen damit - zumindest vorläufig - für beide Partner gleich günstig: Als Resultat des "gegen-initiativen" Zugs bleibt der offene Charakter der Sequenz gewahrt. Ein entsprechendes Ergebnis wird nach Ansicht Frankes auch durch die Äußerung eines Gegenvorwurfs im Anschluß an einen Vorwurf erreicht. Demgemäß ist der Gegenvorwurf grund-
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sätzlich als "gegen-initiative" Handlung des zweiten Zugs aufzufassen. Anders als bei Brinker/Sager wird damit unterstellt, daß die Realisierung eines Gegenvorwurfs zu den konventionell möglichen Reaktionen auf einen initialen Vorwurf gehört. Einen dritten Vorschlag zur Einordnung von Gegenvorwürfen haben Fritz/Hundsnurscher vorgelegt. Im Unterschied zu Franke und Brinker/Sager gehen sie weder davon aus, daß ein im zweiten Zug geäußerter Gegenvorwurf den Vorwurf des ersten Zugs vollständig übergeht, noch zählen sie den Gegenvorwurf zu den Reaktionsmöglichkeiten, die sich explizit auf einen initialen Vorwurf zurückbeziehen. Jemand, der einen Gegenvorwurf macht, wählt nach Fritz/Hundsnurscher (1975: 85f.) eine Art Mittelweg: Er geht auf gewisse Aspekte der vorausgegangenen VorwurfBehandlung ein, hinsichtlich anderer Aspekte aber ignoriert er sie. Im Rahmen einer kritischen Gesamteinschätzung der drei bisher skizzierten Ansätze bleibt anzumerken, daß jeder von ihnen mindestens eine der möglichen Varianten des Gegenvorwurfs ausblendet. Um den sequentiellen Status von Gegenvorwürfen eindeutig fixieren zu können, müssen sich die Autoren für eine der gängigen Spielarten entscheiden und andere ignorieren. Der vierte hier relevante Vorschlag zur Behandlung von Gegenvorwürfen scheint diesem Dilemma zu entgehen. In den Arbeiten von Rehbein (1972) und Frankenberg (1979) wird vorausgesetzt, daß es nicht nur eine, sondern zwei mögliche Relationen gibt, in denen Gegenvorwürfe zu initialen Vorwürfen stehen können. Auf der einen Seite können Gegenvorwürfe reine Ausweichmanöver sein, mit denen sich ein Sprecher 2 dem von Spl initiierten Vorwurfsspiel zu entziehen versucht. In diesem Fall besteht zwischen Vorwurf und Gegenvorwurf keine erkennbare Sequenzbeziehung. Auf der anderen Seite gibt es nach Rehbein und Frankenberg jedoch eine weitere Spielart des Gegenvorwurfs, bei der sich der zweite Sprecher auf den vorgängigen Vorwurf seines Partners zurückbezieht. Dieser Fall liegt vor, wenn Sp2 mit Hilfe eines Gegenvorwurfs geltend macht, daß er Spl' Autorisierung zur Vorwurfsäußerung nicht anerkennt. Während das Ausweichmanöver eine versteckte Regelwidrigkeit ist, ein sog. "Pseudo-Account", sind Gegenvorwürfe, die die Nicht-Anerkennung der Vorwurfsautorisierung ausdrücken, als "Accounts", d.h. als konventionell mögliche Spielzüge, zu betrachten. Obwohl dieses Modell die beiden zentralen Varianten der Reaktionshandlung Gegenvorwurf erfaßt, gibt es doch gewisse Probleme auf: Weder Rehbein noch Frankenberg liefern ein methodisches Instrumentarium, das eine klare Unterscheidung zwischen Accounts und Pseudo-Accounts ermöglichen würde. Die Frage, in welcher Hinsicht die "Nicht-Anerkennung der Vorwurfsautorisierung" eigentlich auf einen initialen Vorwurf Bezug nimmt bzw. unter welchen Voraussetzungen von einem fehlenden Zusammenhang zwischen Vorwurf und Gegenvorwurf gesprochen werden kann, bleibt deshalb offen.
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3. Die Bedingungen des einleitenden Sprechakts als Bezugspunkte für regelhafte Anschlußhandlungen 3.1. Bedingungen des Sprechakts Vorwurf Bei der Suche nach Kriterien, die eine klare Unterscheidung zwischen regelhaften und regelwidrigen Reaktionshandlungen ermöglichen, kommt es darauf an, eine präzise Vorstellung vom "Wesen" der konventionellen Bezüge zu entwickeln, in denen die Sprechakte einer Sequenz zueinander stehen. Als hilfreich erweist sich in diesem Zusammenhang der keineswegs neue, bisher allerdings nicht konsequent verfolgte Gedanke, daß die Bedingungen des einleitenden Sprechakts die Bezugspunkte für regelhafte Reaktionshandlungen bilden (Vgl. Frilling 1991, König 1991). Ein systematischer Überblick über solche Bedingungen kann unter Rückgriff auf Überlegungen von Sökeland (1980) und Motsch/Pasch (1987) gewonnen werden, die eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen Gelingens-, Akzeptanz und Erfüllungsbedingungen vorschlagen. Als Gelingensbedingungen sind danach jene Bedingungen aufzufassen, die erfüllt sein müssen, damit eine Äußerung als Vollzug eines bestimmten illokutionären Akts verstanden wird. Hält der Angesprochene eine der Gelingensbedingungen für verletzt, so kann er durch Verständnis- oder Detailfragen versuchen, die erforderliche Klärung herbeizuführen. Die Akzeptanzbedingungen beziehen sich auf die Aufrichtigkeit des Vorwurfs und die Legitimation von Sprecher 1. Hält der Vorwurfsadressat eine der Akzeptanzbedingungen für verletzt, so kann er den Vorwurf hinterfragen oder aber zurückweisen. Schließlich sind die Erfüllungsbedingungen zu nennen; nur wenn auch diese erfüllt sind, wird der konventionelle Zweck eines Vorwurfs - das Schuldeingeständnis des Adressaten - erreicht. Hält der Vorwurfsadressat eine der Erfüllungsbedingungen für verletzt, so kann er der Schuldzuweisung widersprechen, z.B. indem er leugnet, ausgeführt zu haben, die Verantwortlichkeit bestreitet oder die Norm angreift. Die Gelingens-, Akzeptanz- und Erfüllungsbedingungen für Vorwürfe sind in der Abbildung auf der folgenden Seite aufgeführt.
3.2. Der sequentielle Status von Gegenvorwürfen Um die Frage nach dem sequentiellen Status von Gegenvorwürfen zu beantworten, muß geklärt werden, ob sich Gegenvorwürfe auf Bedingungen des initialen Vorwurfs beziehen lassen und - sofern dies der Fall ist - an welche Bedingungen diese anknüpfen.
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Abb. l
VORWURF
Gelingensbedingungen: 1. Aus der Äußerung im gegebenen Kontext wird erkennbar, daß Spl Sp2 vorwirft. 2. Die Äußerungsform im gegebenen Kontext ist zum Vollzug eines Vorwurfs geeignet. 3. Es ist nicht offensichtlich, daß Sp2 bei normalem Verlauf der Ereignisse erkennen würde, daß er ge-xt hat. daß er für verantwortlich ist und daß er nicht hätte x-en sollen. 4. Es ist nicht offensichtlich, daß eine der Akzeptanz- oder Erfüllungsbedingungen verletzt ist. Akzeptanzbedingungen: 5. Spl glaubt, daß Sp2 ge-xt hat. für verantwortlich ist und nicht hätte x-en sollen. 6. Spl ist berechtigt Sp2 vorzuwerfen. Erfüllungsbedingungen: 7. Sp2 glaubt/hält für hergeleitet, daß er ge-xt hat. 8. Sp2 glaubt/hält für hergeleitet, daß er für verantwortlich ist. 9. Sp2 glaubt/hält für hergeleitet, daß er nicht hätte x-en sollen.
DETAILFRAGE
VERSTÄNDNISFRAGE
(+)
HINTERFRAGEN
(+)
ZURÜCKWEISEN
+( + )
POS. BESCHEID NEG. BESCHEID +
ÜBERGEHEN
Für manche Gegenvorwürfe läßt sich kein Bezug zu den Bedingungen des einleitenden Sprechakts herstellen.4 Für sie gilt, was Brinker/Sager (1989: 82) für alle Gegenvorwürfe unterstellen: sie "sprengen (...) die mit einem Vorwurf etablierten Verbindlichkeiten1* und sind als Pseudo-Accounts im Sinne Rehbeins und Frankenbergs zu werten. Als Beispiel kann der in (2) angeführte Gegenvorwurf genannt werden. Mit dem Gegenvorwurf übergeht Sprecher 2 den Vorwurf seines Gesprächspartners. Die beiden Vorwürfe können völlig unabhängig voneinander behandelt werden; ein Schuldeingeständnis von Sprecher l auf den Gegenvorwurf hat keinen unmittelbaren Einfluß auf die Verhandlung des an Sprecher 2 gerichteten Vorwurfs und umgekehrt. Mit anderen Gegenvorwürfen dagegen läßt sich der Sprecher durchaus auf das durch den einleitenden Vorwurf eröffnete Spiel ein. In (3) entspricht der Gegenvorwurf einem negativen Bescheid auf den initialen Vorwurf im Anschluß an die Erfüllungsbedingung 8. Sprecher 2 weist die Verantwortlichkeit zurück, indem er sie - zumindest teilweise - seinem Gesprächspartner zuschreibt. (3) Spl: Sie haben mir auf den Fuß getreten! Sp2: Sie haben sich mir in den Weg gestellt!
Sprecher 2 geht mit seinem Vorwurf auf den an ihn adressierten Vorwurf ein. Die Verhandlung des Gegenvorwurfs hat wesentlichen Einfluß auf die Abarbeitung des initialen Vorwurfs: Gibt Sprecher l dem Gegenvorwurf nach, kann er seinen Vorwurf nicht aufrechterhalten und muß den negativen Bescheid von Sp2 akzeptieren. Auch in Fällen wie (1) besteht ein sequentieller Zusammenhang zwischen einleitendem Vorwurf und Gegenvorwurf. Durch seinen Gegenvorwurf gibt Sprecher 2 zu erkennen, daß er den Vorwurf seines Gesprächspartners nicht akzeptiert; er hält Sprecher l nicht für berechtigt, den vorgebrachten Vorwurf ihm gegenüber zu vertreten. Der Gegenvorwurf in (1) rekurriert auf die Akzeptanzbedingung 6. Bezogen auf den initialen Sprechakt ist der Gegenvorwurf funktional äquivalent zur Zurückweisung. Man könnte hier von einem "partiellen Nichteingehen" im Sinne Fritz/Hundsnurschers (1975: 85) sprechen. Wie im
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vorher angesprochenen Fall hängt die Weiterverfolgung des einleitenden Vorwurfs vom Ergebnis der Verhandlung um den Gegenvorwurf ab. Stimmt Sprecher l dem an ihn adressierten Vorwurf zu, so muß er seinen Vorwurf zurücknehmen. Es kommt allerdings zu keiner Klärung der Schuldfrage bezüglich des initialen Vorwurfs. Man könnte von einer dritten Gruppe von Gegenvorwürfen sprechen: Gegenvorwürfen, in denen Sprecher 2 seinem Gegenüber vorwirft, den initialen Vorwurf gemacht zu haben bzw. so gemacht zu haben, indem er ihn auf eine Verletzung einer Gelingens- oder Akzeptanzbedingung anspricht. (4) Sp2: Du druckst dich total unverständlich aus! (5) Sp2: Daran glaubst du doch selber nicht!
Sofern solche metakommunikativen Gegenvorwürfe auf eine der Gelingensbedingungen rekurrieren, hat ihr Ausgang allerdings keinen maßgeblichen Einfluß auf die Verhandlung des initialen Vorwurfs. Sprecher l kann seinen Vorwurf weiterverfolgen, auch wenn er z.B. eingesteht, diesen unverständlich formuliert zu haben. Bezieht sich der Vorwurf im 2. Zug dagegen auf eine Akzeptanzbedingung, so muß Sprecher l - gibt er dem Vorwurf seines Gesprächspartners Recht - seinen Vorwurf zurücknehmen. Die Schuldfrage bezüglich des einleitenden Vorwurfs bleibt auch in diesem Fall ungeklärt. Die Untersuchungsergebnisse zum Gegenvorwurf lassen sich wie folgt zusammenfassen: Ein Teil der Gegenvorwürfe knüpft in keiner Weise an die vorgängigen Vorwürfe an; der Sprecher bedient sich ihrer, um den initialen Sprechakt zu übergehen und eine neue Sequenz einzuleiten. Andere Gegenvorwürfe setzen die durch den Vorwurf eingeleitete Sequenz fort; der Sprecher bedient sich ihrer, um die Sprechaktsequenz durch einen negativen Bescheid abzuschließen oder die Verhandlung der Schuldfrage durch die Zurückweisung der Vorwurfsberechtigung auszusetzen. Von den sequenzgebundenen Vorwürfen im engeren Sinne können metakommunikative Vorwürfe im 2. Zug unterschieden werden; diese sind nicht nur auf Vorwürfe, sondern analog auch auf andere Sprechakte hin möglich. 3.3. Der sequentielle Status von Echosprechakten: Gegenfrage, Gegenvorschlag, Gegenbehauptung, Gegenbitte, Gegengruß Einige Varianten der Gegenfrage beziehen sich auf keine der Bedingungen für eine initiale Frage; sie kommen einem Übergehen gleich und sind als Initiierung einer neuen, nicht als Fortsetzung der vorgängigen Sprechaktsequenz zu betrachten. Ein Beispiel für diesen Typ findet sich in (6): (6) Spl: Wie war's im Urlaub? Sp2: Wie war's bei dir im Urlaub?
Andere Gegenfragen dagegen rekurrieren auf vorausgehende Fragen: Hier sind zunächst Gegenfragen wie (7) zu nennen, die an die Einleitungsbedingung 8 von Fragen anknüpfen; diese treten an die Sequenzposition des negativen Bescheids. Wie bei den Vorwürfen läßt sich daneben eine Gruppe metakommunikativer Echosprechakte ausmachen: Fragen, die sich direkt auf die Frage im 1. Zug beziehen. Verständnisfragen wie (8) haben ihren Bezugspunkt in den Gelingensbedingungen 2-4, Detailfragen wie (9) in der Gelingensbedingung l von Fragen.
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Gegenfragen wie (10) rekurrieren auf die Aufrichtigkeitsbedingungen 5 bzw. 6. Mit Gegenfragen wie (11) schließlich thematisiert der Sprecher den Aspekt der Berechtigung im Sinne der Akzeptanzbedingung 7. (7) Spl: Weißt du eigentlich, wo Kuala Lumpur liegt? Sp2: Weißt du, wo es liegt? (8) Spl: Weißt du, wo Kuala Lumpur liegt? Sp2: Ist das eine Stadt? (9) Spl: Wie war's mit einem Kaffee? Sp2: Soll das eine Frage oder eine Aufforderung sein? (10) Spl: Wie fühlst du dich heute? Sp2: Willst du das wirklich wissen? (11) Spl: Ist ihre Firma wieder aus den roten Zahlen? Sp2: Was erlauben sie sich?
Im Unterschied zum Vorwurf gibt es bei der Frage neben den angeführten metakommunikativen Fragen keine Echosprechakte im engeren Sinne, die an Akzeptanzbedingungen zurückgebunden sind. Bis auf diese Abweichung entsprechen die möglichen Relationen zwischen Frage und Gegenfrage jedoch den sequentiellen Bezügen zwischen Vorwurf und Gegenvorwurf (vgl. Abb. 2).
Abb. 2
FRAGE
Gelingensbedingungen: 1. Aus der Äußerung im gegebenen Kontext wird erkennbar, daB Spl Sp2 nach fragt. 2. Die Äußerungsform im gegebenen Kontext ist zum Vollzug einer Frage geeignet. 3. Es ist nicht offensichtlich, daß Sp2 bei normalem Vertauf der Ereignisse die gewünschte Information geben würde. 4. Es ist nicht offensichtlich, daß eine der Akzeptanz- oder Erfüllungsbedingungen verletzt ist. Akzeptanzbedingungen: 5. Spl will wissen. 6. Spl hält es für möglich, daß Sp2 weiß. 7. Spl ist berechtigt. Sp2 nach zu fragen. Erfüllungsbedingung: 8. Sp2 weiß x.
DETAILFRAGE
VERSTÄNDNISFRAGE
( +)
( +)
HINTERFRAGEN
(+)
ZURÜCKWEISEN
(+)
POS. BESCHEID NEG. BESCHEID + ÜBERGEHEN
+
Ganz anders liegen die Verhältnisse bei Vorschlag und Gegenvorschlag: Ein Gegenvorschlag kann als - zumindest vorläufiger - negativer Bescheid auf einen Vorschlag angesehen werden, als Abschluß einer ersten bei gleichzeitiger Neueröffnung einer zweiten Vorschlagssequenz. Durch einen Gegenvorschlag gibt Sprecher 2 unter Rekurs auf die Erfüllungsbedingungen zu erkennen, daß er den initialen Vorschlag entweder für nicht durchführbar hält oder aber die Ausführung des eigenen Vorschlags präferiert. (12) Spl: Wir sollten als Beispiel für Gegenvorschläge eine Sequenz aus dem Franke nehmen. Sp2: Laß uns lieber selbst ein Beispiel konstruieren.
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Übergehende Gegenvorschläge sind ebensowenig möglich wie Gegenvorschläge im Anschluß an eine der Gelingens- oder Akzeptanzbedingungen. Die oben dargestellten Überlegungen zum Stellenwert von Gegenvorschlägen gelten analog auch für die möglichen Relationen zwischen Behauptung und Gegenbehauptung. Auch hier schließt der Echosprechakt die Bezugssequenz durch einen negativen Bescheid ab und leitet eine neue Sprechaktsequenz ein. Gegenvorschlägen und Gegenbehauptungen kann also jene reaktiv-initiative Doppelcharakteristik zugeschrieben werden, die Franke als Charakteristikum aller gegeninitiativen Sprechakte betrachtet. Für die eingangs erwähnten Echosprechakte der Gegenbitte und des Gegengrußes hingegen kann gezeigt werden, daß diese einen ausschließlich initiativen bzw. reaktiven Charakter tragen: eine Gegenbitte eröffnet eine Sprechaktsequenz, ohne die vorhergehende zum Abschluß zu bringen, ein Gegengruß beendigt eine durch einen Gruß eröffnete Sprechaktsequenz im Sinne eines positiven Bescheids.
4. Zusammenfassung Als Ergebnis der vorliegenden Untersuchung bleibt festzuhalten, daß sich der sequentielle Status von Echosprechakten einer einheitlichen Bestimmung entzieht. Die in der Literatur erfaßten Resultate entsprechender Versuche treffen zwar jeweils für einen Teil der zwischen Echosprechakt und vorgängiger Sprechhandlung nachweisbaren Relationen zu. Keinem der Befunde kann jedoch allgemeinere Gültigkeit zugeschrieben werden. Vielmehr ist davon auszugehen, daß der sequentielle Stellenwert von Echosprechakten von Handlungsmuster zu Handlungsmuster variiert. Selbst die im Anschluß an nur einen Sprechakt wie den Vorwurf realisierbaren Echosprechakte können in unterschiedlichen Beziehungen zur Handlung des ersten Zugs stehen. Echosprechakte bilden demnach keine homogene Gruppe sprachlicher Reaktionshandlungen. Die möglichen Relationen zum initialen Sprechakt sind daher für jedes Handlungsmuster gesondert herauszuarbeiten. Wie gezeigt wurde, ist es dabei sinnvoll, sich an den Bedingungen des einleitenden Sprechakts zu orientieren. Unter Rekurs auf so rekonstruierte Profile sequentieller Verknüpfung lassen sich Zusammenhänge theoretisch begründen, die in bereits vorliegenden Untersuchungen vielfach nur intuitiv erschlossen werden konnten.
Anmerkungen 1 Es ist kaum möglich, sich von einer "Gegentaufe", einer "Gegennötigung" oder einem "Gegentip" irgendeine konkrete Vorstellung zu machen. Als konventionelle Reaktionsmöglichkeiten auf "Taufen", "Nötigen" oder "Tip" kommen solche Muster jedenfalls nicht in Frage. 2 Dieser aus der amerikanischen Gesprächsforschung übernommene Terminus spielt für den von Brinker/Sager vertretenen Sequenzbegriff eine wichtige Rolle. Nach dem "Prinzip der bedingten Erwartbarkeit" etabliert jeder initiierende Gesprächsschritt ein bestimmtes Raster an regelhaften Fortsetzlingsmöglichkeiten. Wird dieser Handlungsrahmen durch den im zweiten Schritt realisierten Sprechakt gesprengt, liegt kein Sequenzzusammenhang, sondern eine bloße Gesprächsschrittverknüpfung vor. 3 Vgl. hierzu und zum folgenden Rehbein (1972) und Frankenberg (1979: 48-70).
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4 Mögliche Bezugspunkte der Echosprechakte sind in den Abbildungen gekennzeichnet. Dabei verweist " +" auf Echosprechakte im engeren Sinne, "( + )" auf metakommunikative Varianten. 5 Gegen eine Etikettierung metakommunikativer Vorwürfe als Gegenvorwürfe kann allerdings angeführt werden, daß diese analog auch auf andere Sprechakte wie Fragen, Bitten oder Behauptungen hin möglich sind. Dennoch wird man nicht leugnen können, daß sich metakommunikative Vorwürfe im 2. Zug in entsprechenden Sequenzen auf vorgängige Vorwürfe beziehen. 6 Zum Vorschlag vgl. Fritz (1982: 224-268).
Literatur Brinker, Klaus/Sager, Sven F. (1989): Linguistische Gesprächsanalyse. Eine Einführung. - Berlin: Schmidt. Franke, Wilhelm (1990): Elementare Dialogstmkturen: Darstellung, Analyse, Diskussion. - Tübingen: Niemeyer. Frankenberg, Hartwig (1979): Familienkonflikte und ihre sprachliche Bewältigung. - Frankfurt am Main: Haag & Herchen. Frilling, Sabine (im Druck): "Die Verletzung kommunikativer Regeln als literarisches Gestaltungsprinzip. Sprechakttheoretische Überlegungen zu E. lonescos Drama 'La Cantatrice chaure". - Vortrag, gehalten auf der 3. Arbeitstagung Dialoganalyse, Bologna 1990. Fritz, Gerd (1982): Kohärenz. Grundfragen der linguistischen Kommunikationsanalyse. - Tübingen: Niemeyer. Fritz, Gerd/HundsnuTscher, Franz (1975): "Sprechaktsequenzen. Überlegungen zur Vorwurf/Rechtfertigungsinteraktion·. - In: Der Deutschunterricht 27/2, 81-103. König, Peter-Paul (im Druck): "Habermas, der Tod und die Kaiserin. Überlegungen zur Sequentialität von Sprechakten anhand einiger Beispiele aus der Totentanzliteratur". - In: Klein, Eberhard et al. (Hrsg.): Betriebslinguistik und Linguistikbetrieb. Akten des 24. Linguistischen Kolloquiums, Bremen 1989 I, II (Tübingen: Niemeyer). Motsch. Wolfgang/Pasch, Renate (1987): "Illokutive Handlungen". - In: Motsch, Wolfgang (Hrsg.): Satz, Text, Sprachliche Handlung (Berlin: Akademie-Verlag) 11-79. Rehbein, Jochen (1972): "Entschuldigungen und Rechtfertigungen". - In: Wunderlich, Dieter (Hrsg.): Linguistische Pragmatik (Frankfurt am Main: Athenäum) 288-317. Sökeland, Werner (1980): Indirektheit von Sprechhandlungen. Eine linguistische Untersuchung. - Tübingen: Niemeyer.
ZUR ILLOKUTIVEN INTERPRETATION VON DEKLARATIVSATZEN MIT MODALVERBEN UND INFINITIVKONSTRUKTIONEN MIT "HABEN (...) ZU + INFINITIV" UND "SEIN (...) ZU + INFINITIV" IN GESETZESTEXTEN Ulrike Sayatz
1. Problemlage Der hier vorzustellende Untersuchungsansatz steht im Kontext linguistischer Theorienbildungen, die als eine Kernfrage umfassender Sprachbeschreibung die Korrelation grammatisch-semantischer und pragmatischer Kategorien bestimmen. Mit Fries (1989: 293) wird davon ausgegangen, daß eine adäquate Klärung "wichtige(r) sprachwissenschaftliche(r) Probleme sowohl auf grammatischer wie auf pragmatischer Seite [...] einer tieferen Einsichtnahme in den jeweils anderen Bereich" bedarf. Eine fundamentale Aufgabe pragmatischer, handlungstheoretisch orientierter (Text-) Analyseansätze besteht somit in der Erfassung grammatisch-semantischer Entitäten in deren pragmatischer Funktionalität relativ zu spezifischen Verwendungskontexten. Die Diskussion um Erklärungsmöglichkeiten und Erklärungsadäquatheit handlungstheoretischer, z.B. illokutiver Analyseansätze hat gezeigt, daß eine idealisierte Annahme einer 1 : 1 - Beziehung zwischen grammatischen Einheiten und illokutiver Interpretationszuschreibung nicht den faktischen Prozessen der Sprachverwendung entspricht. Um mit der illokutiven Handlung einen Aspekt der mehrdimensionalen Struktur von Texten erfassen zu können, ist es notwendig, den mit der kategorialen Einheit "illokutive Handlung" postulierten Zusammenhang zwischen einer Äußerungsstruktur "ä", einer Einstellungskonfiguration "int", bestimmten Bedingungen und Konsequenzen eingehender zu analysieren. Dabei ist zu fragen, welche Erklärungsmöglichkeiten das Illokutionskonzept für jene Fälle bietet, in denen illokutive Handlungen eines bestimmten Grundtyps (z.B. AUFFORDERN) mit Hilfe einer sprachlichen Äußerung realisiert werden, die Indikatoren eines anderen Grundtyps (z.B. Aussagen) aufweist. Aus dieser Fragestellung ist konzis das Problem von Direktheit und Nicht-Direktheit illokutiver Handlungen ableitbar.
2. Gesetzestexte als empirisches Material Der Bezug der oben genannten Problemstellung auf einen eingegrenzten Bereich von Textvorkommen - auf Gesetzestexte - bietet die Möglichkeit, Interpretationszuschreibungen sprachlicher Äußerungen relativ zu einem konstanten Verwendungskontext zu untersuchen und so die "Anteile" sprachlicher und außersprachlicher Faktoren besser differenzieren zu können. Die Notwendigkeit der Problematisierung einer Klassifizierung von Gesetzestexten als Aufforderungstexte (vgl. Viehweger/Spies 1987) ergibt sich aus der Tatsache, daß Ge-
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setzestexte sowohl assertive als auch direktive Interpretationszuschreibungen zulassen. Eine hinreichende Klärung des Handlungscharakters von Gesetzestexten und folglich auch ein möglicher Textklassifizierungsansatz bedürfen einer Erfassung der den entweder assertiven oder direktiven Interpretationen zugrundeliegenden Regularitäten. Dabei geht es einerseits um das Verhältnis von Assertiv und Direktiv im Sinne direkter und indirekter illokutiver Handlung, andererseits ist zu fragen, inwiefern in den näher zu spezifizierenden Rezeptionsbedingungen einzelner Rezipienten konstitutive Faktoren der variierenden Interpretationszuschreibungen bestimmbar sind. Auf der Basis eines mit Hilfe rechtstheoretischer Kriterien gewonnenen Funktionsverständnisses von Gesetzestexten wird die These von der Mehrfachadressiertheit von Gesetzestexten vertreten. * Eine Analyse des mehrfachadressierten Charakters von Gesetzestexten verlangt die eindeutige Differenzierung zwischen potentiellen Textrezipienten und referentiell festgelegten Textadressaten. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang der Öffentlichkeitscharakter des Gesetzestextes einerseits sowie seine institutionelle Einbindung andererseits. Unter Berücksichtigung der in der linguistischen Textstrukturforschung allgemein anerkannten Auffassung, daß die Modellierung von Interpretationsregularitäten den Bezug auf die vom Rezipienten zu aktualisierenden Kenntnissysteme, seine Einstellungen, Motivationen sowie sozialen Handlungskontexte erfordert (vgl. u.a. Viehweger 1987: 332f.), werden die in Gesetzestexten referentiell festgelegten Textadressaten gemäß ihrer Stellung zum Gesetzgeber sowie ihres sozial verschieden determinierten Handlungsbedarfs zwei unterschiedlichen Adressatengruppen zugeordnet: I. den Rechtsanwendern/Rechtsverwirklichern, die als Teil des rechtlichen Machtapparates (Exekutive) ein bestimmtes Verhalten (Tun oder Unterlassen) als normgemäß oder normwidrig zu beurteilen und damit die Durchsetzung das "Willens" des Gesetzgebers (Legislative) zu gewährleisten haben; II. den Rechtsunterworfenen, d.h. den unter die Jurisdiktion fallenden Personen, deren Verhalten in irgendeiner Weise verbindlich geregelt wird. Aus der Dichotomie der Adressaten werden unterschiedliche Rezeptionsanlässe abgeleitet. Gunnarsson (1984/83) spricht diesbezüglich von verschiedenen Verstehensstrategien. Die Analyse des Handlungscharakters von Gesetzestexten muß somit verbunden werden mit einer Differenzierung der "komplexen Situation der institutionellen Verständigung" (Seibert 1979: 284), in der die Funktion von Gesetzestexten in den einzugehenden Kommunikationsbeziehungen zwischen Gesetzgeber und referentiellen Adressaten ausgehend von den jeweiligen situativen Faktoren der Adressaten zu bestimmen ist.
3. Modalverben und Infinitivkonstruktionen Der Untersuchungsansatz besteht in der Analyse der pragmatischen Funktion der in Gesetzestexten signifikant vorkommenden Deklarativsatzäußerungen mit den Modalverben müssen, können, sollen und dürfen sowie mit Infinitivkonstruktionen mit "haben (...) zu + Infinitiv" und "sein (...) zu -l- Infinitiv" (abgk. IK-haben und IK-sein). Die Eingrenzung auf den genannten Untersuchungsgegenstand begründet sich daraus, daß modalisierte Deklarativsätze eine in Gesetzestexten dominierende Strukturform der Denotierung rechtlicher
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• Sachverhaltskonstellationen darstellen.·' Sie erweisen sich als die für die illokutive Interpretation von Gesetzestexten relevanten Problemfälle. Aus der ihnen potentiell zuweisbaren direktiven Interpretation wurde verschiedentlich (vgl. u.a. Hindelang 1978) auf den globalen Handlungschrakter von Gesetzestexten geschlossen. In Kenntnis der Probleme einer semantischen Bedeutungsbeschreibung von Modalverben und Ik-haben/sein wird das Ziel verfolgt, - aufbauend auf der Erfassung pragmatisch zu begründender Verwendungsbedeutungen - den Status der genannten Entitäten hinsichtlich ihrer anzunehmenden illokutions-indizierenden Funktion zu prüfen. Den Analysen wird ein Verständnis von Modalverben und IK-haben/sein zugrundegelegt, wonach diese als sprachliche Ausdrücke für zweistellige relationale Modaloperatoren zu charakterisieren sind (vgl. Kratzer 1978, Öhlschläger 1989, Thim-Mabrey 1986), denen ein sprachlich expliziter Sachverhalt sowie ein zu aktualisierender Redehintergrund als Argumente zuzuordnen sind, und die somit einen Sachverhalt in einen modalisierten Sachverhalt überführen. Modalisierte Sachverhalte sind als Notwendigkeits- und Möglichkeits-Sachverhalte beschreibbar.
4. Ergebnisse In Betrachtung der als textsortencharakterisierend festzustellenden globalen Instanzbezogenheit, eines Hierarchieverhältnisses von Textproduzent (Gesetzgeber) und Textadressat (Normadressat) einschließlich der institutionell gesetzten Textgestaltungsnormen wird der für Gesetzestexte einschlägige Redehintergrund^ als deontischer Redehintergrund bestimmt. Für die in Gesetzestexten verwendeten Modalverben ist eine epistemische Verwendungsweise auszuschließen. Die pragmatische Funktion der modalisierten Deklarativsätze ergibt sich daraus, wie sie im Text sequentiell deontische Modalität aufbauen. Können-Sätze werden zum Ausdruck einer rechtlich gültigen Handlungsmöglichkeit verwendet. Aus der Spezifik der mit können verbundenen Handlungskonzepte ist die Interpretation im Sinne einer Handlungsberechtigung zu begründen und das Verhältnis von Textproduzent und Textadressat als Verhältnis von Berechtigendem und Berechtigtem zu bestimmen. Dürfen-Säizz denotieren eine kontrollierte Handlungsmöglichkeit im Sinne einer Handlungserlaubnis, deren Spezifik im Unterschied zu der mit können ausgedrückten Möglichkeit darin zu sehen ist, daß dieser unmittelbar Rechtsfolgen (Sanktionen) zugeordnet sind. Massen-Sätze werden primär zum Ausdruck eines Sachverhalts unter dem Aspekt seines notwendigen Bestehens verwendet und dienen so in der Regel der Angabe notwendiger Voraussetzungen für eine dem rechtlichen Regelungswillen adäquate Realisierung von Handlungskonzepten. Sollen-SätK sind als normative Empfehlungen zu interpretieren. Signifikant für ihre Verwendung in Gesetzestexten ist ihr fehlender Gebotscharakter. IK-haben/sein-Sätze dienen zum Ausdruck einer deontischen Orientierung auf eine notwendige Sachverhaltsrealisierung. Die Verwendung der IK-haben/sein in der Möglichkeitsbedeutung ist dagegen kaum zu verzeichnen. Die Ursachen dafür werden in der fehlenden rechtlichen Relevanz nicht-instanzbezogener Handlungsmöglichkeiten angenommen. Bei
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den IK-haben wird ein Erklärungsansatz für deren ausschließliche Verwendung in der Notwendigkeitsbedeutung vor allem darin gesehen, daß eine Möglichkeitsbedeutung aus einer possessivischen Bedeutung abgeleitet wird, die mit den IK-haben in Gesetzestexten verbundenen Handlungskonzepte eine possessivische Interpretation jedoch ausschließen. Aus den festgestellten typischen Interpretationszuschreibungen von Modalverb- und IKhaben/sein-Verwendungen in Gesetzestexten lassen sich Restriktionen hinsichtlich ihrer wechselseitigen Transformierbarkeit ableiten. Diesbezüglich ist eine Charakterisierung von Modalverben und IK-haben/sein als "Konkurrenzformen" (Gelhaus 1977) zu problematisieren. Die illokutive Interpretation einer modalisierten Deklarativsatzäußerung als Direktiv erfolgt über einen zweistufigen Prozeß auf der Basis einer realisierten Deklarativhandlung. Die Spezifik modalisierter Deklarativsätze als (indirekte) Realisierungen von Aufforderungen wird im Unterschied zu Imperativsatzäußerungen darin gesehen, daß der Äußerungsproduzent einen Äußerungsadressaten nicht lediglich auf eine bestimmte (zukünftige) Handlung festlegt, sondern daß er die Bedigngungen der Zuordnung eines Adressaten zu einem Handlungskonzept und so ein gültiges normatives Verhältnis festlegt. Die realisierte Deklaration indiziert insofern eine mögliche Aufforderungsinterpretation, als durch sie eine wesentliche Bedingung für Aufforderungen thematisiert wird. Die Analyseergebnisse verweisen darauf, daß die Referenz auf einen deontischen Sachverhalt als Fakt in einer Welt nicht gleichzeitig das Erfülltsein der übrigen notwendigen Bedingungen für eine Aufforderungsinterpretation präsupponiert. Den "Charakter einer letzten und damit hinreichenden Bedingung" (Rehbock 1989) für Aufforderungen erhält die Deklarativsatzäußerung erst dann, wenn über den aktuellen Äußerungskontext auf ein intendiertes direktives Ziel AUSFÜHREN (hr, p)" geschlossen werden kann. Für einen Textrezipienten ist der deontische Regelungswille des Textproduzenten im Sinne einer an ihn gerichteten verbindlichen Aufforderung zur Handlungsrealisierung bzw. zu einer Verhaltensweise unter der Bedingung interpretierbar, daß er die "Norm an sich" als eine "Norm für sich" interpretiert und somit als illokutives Ziel der Deklarativsatzäußerung GLAUBEN (hr, WOLLEN (sp, AUSFÜHREN (hr, p)))".5 Die Mehrfachadressiertheit von Gesetzestexten ist daran zu belegen, daß eine denotierte Norm verschiedene referentiell festgelegte Adressaten haben kann, die in dem in der Norm konstituierten Rechtsverhältnis unterschiedliche Rollen einnehmen und dementsprechend aus dem fundamentalen illokutiven Ziel GLAUBEN (hr, WOLLEN (sp, p))" unterschiedliche Inferenzen ableiten. 5. Schlußfolgerungen Die Ergebnisse werden als Argument für die von Motsch/Pasch (1987) und Pasch (1989) vertretene Auffassung gewertet, daß ein Rezipient unter bestimmten Bedingungen über die qua Satzmodus zugeordnete illokutive Funktion hinaus eine andere illokutive Funktion der Äußerung interpretiert, wobei die nach Pasch (1989) a b g e l e i t e t e illokutive Funktion die direkt zuordbare nicht ausschließt oder blockiert, sondern impliziert. Die Annahme
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einer direkten Zuordnung aller mit Deklarativsatzäußerungen vollziehbaren illokutiven Funktionen auf der Basis eines einstellungsfrei konzipierten Deklarativsatzmodus (Brandt/ Rosengren/Zimmermann 1989, Rehbock 1989) ist zu problematisieren. Die Analyseergebnisse zeigen, daß verallgemeinernde Aussagen zu in Textsorten zusammengefaßten Textexemplaren einer detaillierten Untersuchung von Äußerungsphänomenen bedürfen. Sie verdeutlichen gleichzeitig, daß die Postulierung einer dominierenden direktiven Funktion nicht dem mehrfachadressierten Charakter von Gesetzestexten entspricht und folglich keinen hinreichenden Textklassifizierungsansatz bietet. Mehrfachadressierung impliziert dabei nicht Mehrfachinterpretierbarkeit im Sinne illokutiver Vagheit, sondern Varianz in der Rekonstruktion von Handlungsstrukturen und damit komplementärer und stützender Beziehungen illokutiver Handlungen innerhalb einer Illokutionshierarchie. Der Nachweis einer Mehrfachadressierung von Gesetzestexten in der Handlungsstruktur dieser Texte steht - unter Berücksichtigung der von Hensel (1987) vorgelegten Ergebnisse variierender Handlungstyphierarchien für Gebrauchsanweisungen - noch aus. Die Untersuchung von Modalverben und IK-haben/sein in ihrer pragmatischen Funktion in Geset-zestexten wird dabei als notwendige Vorarbeit einer noch zu leistenden vertiefenden Textstrukturanalyse verstanden. Das Problem von Indirektheit und Uminterpretation ist auf grundsätzliche Fragen von Textklassifizierungen zu beziehen. Die hier vorgestellten Überlegungen reihen sich somit in einen Kontext von Auffassungen, nach denen die Illokutionsstruktur komplexer sprachlicher Äußerungen nicht als festgeschrieben, sondern als Interpretationsergebnis verstanden wird.
Anmerkungen 1 Zum Begriff der Mehrfachadressiertheit vgl. u.a. Presch (1984). 2 Vergleiche folgende Beispiele aus dem "Giftgesetz": - "Gifte sind nicht zu verwenden, wenn sie durch unschädliche oder weniger schädliche Stoffe ersetzt werden können." (S 3.2.2) - "Der Minister für Gesundheitswesen kann für die Verwendung und die Abgabe bestimmter Gifte einschränkende Festlegungen treffen." (§ 3,2.3) - "Verpackungen für Gifte müssen vollständig dicht und dauerhaft sein." (§ 3,5.1) - "Verpackungen für Gifte sind besonders zu kennzeichnen und dürfen für andere Zwecke nicht verwendet werden. "(§3,5.2) - "Sie dürfen die Arbeit mit den Giften der Abteilung l erst aufnehmen, nachdem diese Bestätigung vorliegt." (§ 8,2.2) - "Der Vertrag soll die Vereinbarungen enthalten, die für Art und Zweck der Beziehungen erforderlich sind." (§60,1. ZGB) - "Beim Ministerium für Gesundheitswesen ist ein Verzeichnis der eingestuften Gifte zu führen." ( § 5 , 1 . 1 ) - "Der Verkehr mit Giften ist auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken." (§ 3,2.1) - "Der Verkehr mit Giften hat so zu erfolgen, daß ein Zugriff zu Giften durch Unbefugte und eine mißbräuchliche Verwendung ausgeschlossen sind." (§ 3,3) 3 Zum Begriff des Redehintergrundes vgl. Kratzer (1978). 4 Die Realisierung von Aufforderungshandlungen unterliegt bestimmten "Handlungsbedingungen", die als "komplexes Gefüge institutioneller und situativer Faktoren, [...] die Realisierung eines Handlungsziels entscheidend determinieren" (Viehweger 1983: 369). Es werden konstitutive Bedingungen für Aufforderungen festgelegt, die in die Definition des illokutiven Typs "Auffordern" eingehen und erfüllt sein müssen, damit eine illokutive Handlung als Exemplar des Typs von Aufforderungen gelten kann. Als solche konstitutiven Bedingungen gelten:
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- Der Produzent will/wünscht einen bestimmten Sachverhalt. - Bei dem Sachverhalt handelt es sich um einen noch nicht existierenden (zum Zeitpunkt t der Aufforderungshandlung). - Der vom Produzenten präferierte Sachverhalt stellt entweder ein Handlungskonzept dar oder einen Zustand, der infolge menschlicher Handlungstätigkeit realisierbar ist. - Der Produzent befindet sich gegenüber dem Rezipienten in einer Position, die es ihm ermöglicht, eine Aufforderungskompetenz zu manifestieren und den Rezipienten als Aufforderungsadressaten zu bestimmen. (Vgl. u.a. Hindelang 1978). 5 Zur Notation illokutiver Handlungsziele vgl. Motsch/Pasch (1987), wobei hr = Hörer, sp = Sprecher. 6 So muß ein Adressat der Gruppe der Rechtsanwender eine Deklarativsatzäußerung wie "Wurde durch die Handlungen der Tod eines Menschen verursacht, ist auf Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder auf Verurteilung auf Bewährung zu erkennen." (§ 13,1.2) als Setzung gültiger Maßstäbe einer von ihm durchzuführenden Sanktionshandlung und somit als Aufforderung der Anwendung geltenden Rechts interpretieren. Für Adressaten der Gruppe der Rechtsunterworfenen ist diese direktive Interpretationszuschreibung nicht schlüssig. Hier hat die verbindliche Mitteilung gültiger Rechtsfolgen Präventivfunktion.
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TEXTMUSTER UND ILLOKUTIONSSTRUKTUR Cornelia Hensel Texte als strukturierte Gebilde werden unter differenzierten Aspekten und mit variierendem Erkenntnisinteresse betrachtet und charakterisiert. Im Rahmen handlungstheoretischer Diskussionen galt das Interesse dabei vorrangig der "Textstrukturierung als einer sowohl die Strukturierung von Illokutionen als auch die Strukturierung der mit den Illokutionen verbundenen Informationen umfassenden sprachlichen Handlung" (Motsch/Reis/Rosengren 1989: 1). Angenommen wurde mit Verweis auf zum Beispiel außersprachliche Kenntnissysteme (Gricesche Maximen, Hintergrund-, Welt- und Situationswissen) und mit Hinweis auf "Systeme, die vorrangig für die Strukturierung und Formulierung des Textes zuständig sind" (Ders.: 24), daß "Textstrukturierungswissen" (Ders.: 1) mehr ist als das Wissen um thematische und illokutive Zusammenhänge. Aspekte des Textsortenwissens" sind zum Beispiel Kenntnisse über "globale Kompositionsmuster" oder "strukturierte 'globale' Baummuster" (Ders.: 31). Texte interessieren und interessierten also primär als Manifestationen von Kenntnissystemen, als Ausgangspunkt für die Bildung von Annahmen über Organisationsprinzipien vorrangig des illokutiven und des lexikalischen Wissens. Diesen Aspekt der Textbetrachtung gilt es durchaus weiterführend zu verfolgen, aber ergänzt durch Überlegungen, die zu der von Motsch (1990: 3) geforderten "Entwicklung eines Modells der Textstruktur" beitragen können. Dafür scheint es aber dringend erforderlich, sich in verstärktem Maße mit dem Text als aktueller, dynamischer Größe zu befassen, um Aussagen über die virtuelle Seite, eben über Aspekte des Textsortenwissens rekonstruieren und begründen zu können. Benötigt wird dringend ein Instrumentarium zur Erfassung der Textstruktur. In vielfältigen Vorschlägen zum Zusammenhang von mehrdimensionaler Textstruktur und den jeweiligen Kenntnissystemen (Motsch/Pasch 1987, Viehweger/Spies 1987, Motsch/ Reis/Rosengren 1989, Viehweger 1989, Motsch 1990) spielen die Relationen zwischen lexikalischem und illokutivem Wissen eine zentrale Rolle, nicht zuletzt deshalb, weil hier Grammatik und Pragmatik aufeinander treffen (Fries 1989, Weigand 1989). Mit der Hypothesenbildung über die genannten Kenntnissysteme sind zwar wesentliche Voraussetzungen für einen möglichen Zugang zur mehrdimensionalen Textstruktur gegeben, aber über die Charakterisierung von repräsentationalen Einheiten als Kategorien der Kenntnissysteme, die Klassifizierung von Verknüpfungsregularitäten muß es nun um eine Erfassung der Spezifik der jeweiligen Textstruktur gehen und dies unter Instrumentalisierung der Wissensbestände (Viehweger 1987). Zu lösen bleibt das Problem einer hinreichenden Charakterisierung von Texten als Exemplare von Textsorten. Nachfolgend ist an ausgewählten Aspekten zu zeigen, daß die berechtigte Kritik an illokutionstheoretisch begründeten Aussagen zu authentischen Texten (Härtung 1987) provoziert werden durch eine kurzschlüssige Anwendung illokutionstheoretischer Aussagen auf Texte1. Text l (Gebrauchsanweisung für Schiebebilder) scheint der Idealvertreter, der die in Motsch (1990) unterstrichene Auffassung, nach der Texte als globale Handlungen eines
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Typs gelten sollen, unterstützt. Er ist als Aufeinanderfolge von Aufforderungshandlungen (die Zuordnung der illokutiven Grundfunktion AUFFORDERN erfolgt über den Satzmodus des Imperativsatzes)^ zu beschreiben, die Reihenfolge der Handlungen (Sequenzierung i.S.v. Brandt/Rosengren 1990) wird bestimmt durch die Chronologie der auszuführenden Handlungen. Dieser Text wäre also gleichzeitig ein Argument für die These, nach der Gebrauchsanweisungen direktive Texte sind. Bei Text 2 sei dagegen besonders auf die Textteile verwiesen, die die Vorzüge des Wasch- und Reinigungsmittels·* beschreiben. Sie betreffen Art und Weise der Reinigung (schnell, gründlich, spielend leicht), die Breite der möglichen Anwendung (Ruß, OeJ) und eben auch die Sparsamkeit des Produktes. Betrachtet man nun die Textteile genauer, so wären sie nach Motsch/Pasch (1987) Mitteilungen mit dem fundamentalen Ziel GLAUBEN (hr, p) und ideale Kandidaten für eine Uminterpretation^ zu AUSFÜHREN (hr, p) im Sinne von nimm 1-2 Teelöffel IMI für eine normale Aufwaschschüssel. Allerdings läßt sich diese Uminterpretation nur dann plausibel machen, wenn man entweder Bedingungen des kommunikativen Kontextes annimmt, die als konstitutive Bedingungen für AUFFORDERN gelten können oder von einem prinzipiell direktiven Charakter von Gebrauchsanweisungen ausgeht, d.h., wenn alle Illokutionen oder Texteinheiten a priori als die dominierende Aufforderung stützende (Brandt/Rosengren 1990) oder den dominierenden Handlungstyp explizierende Äußerungseinheiten gelten. Mit anderen Worten: die Uminterpretation erfolgt bei unterstellter direktiver Senderabsicht. Diese Unterstellung verstellt jedoch den Zugang zu im Text angelegten alternativen Interpretationsmöglichkeiten. Sie muß sich die "inner"illokutiv-kritische Wertung gefallen lassen, daß sie eine mehr oder weniger intuitive ist (Brandt/Rosengren 1990) und die "außer"illokutiv provokante Frage nach dem Erkenntniswert der Handlungsstruktur für eine Textexemplarcharakterisierung. Für die Betrachtung authentischer Texte wird hier nun eine adressatenbezogene Analyseperspektive favorisiert. Bislang wurden Handlungsstrukturen von z.B. Anordnungstexten (Viehweger/Spies 1987) oder Feststellungstexten (Motsch 1987) aus rekonstruierter Produzentensicht in den die antizipierten Zustände repräsentierenden Termen beschrieben. Möglich wird der Perspektivwechsel, wenn man die Theorie illokutiver Handlungen als Annäherung an das als Aspekt des Interaktionswissens (Viehweger 1989) zu beschreibende Wissen um die systematischen Zusammenhänge zwischen Äußerungsstruktur und Zieltypen (Motsch/Pasch 1987) begreift und weiter annimmt, daß diese systematischen Zusammenhänge in der und durch die kommunikative Praxis konstituiert wurden und in der Rezeption als Wissensbestände aktualisiert werden. So wird es legitim, die als Entitäten von Kenntnissystemen beschriebenen Typen illokutiver Handlungen mit ihren generellen Verknüpfungsregularitäten als methodisches Inventar für eine Textanalyse zu nutzen, die davon ausgeht, daß die Zuordnung von Handlungstypen zu Handlungseinheiten und die Konstruktion der Beziehungen zwischen diesen Einheiten wesentliche Schritte zur Bestimmung von Handlungsstrukturen authentischer Texte sind. Die Indizierung von illokutiven Funktionen und subsidiären Relationen auf der Ebene der grammatisch determinierten Bedeutung erfolgt zwar durch den jeweiligen Textproduzenten, die Identifizierung als Indikatoren für etwas durch den Rezipienten relativ zu dessen Wissensbestand.
Zurück zu den Gebrauchsanweisungen. Sie sind nach Pelka (1982) mehrfachadressierte Texte. Eine differenzierte Betrachtung der referentiellen Bestimmungen potentieller Rezipi-
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enten in den in Hensel (1987) untersuchten Texten selbst und die Einbeziehung weiterer Hinweise aus den Texten auf Kommunikationsbedingungen führte zu der Annahme, daß es nicht ausreicht, die Adressaten nur nach Gruppen im Sinne des Konzepts der Mehrfachadressierung zu ordnen (Hensel 1987). Die Unterscheidungen "Kunde" - "Käufer/Verbraucher" - "Reklamierender" werden begriffen als Indizien für variierende kommunikative Konstellationen, in denen dem einzelnen Text jeweils kommunikative Bedeutsamkeit zukommt. Kommunikative Bedeutsamkeit kommt produktbegleitenden Texten v o r Erwerb des begleiteten Produkts, b e i (oder in unmittelbarer Vorbereitung) der Anwendung des Produkts und in V o r b e r e i t u n g einer Reklamation zu. Der Adressat des Textes wird vom "Kunden" über den "Käufer" zum "Verbraucher". Eine Konstellation l wäre dann dadurch bestimmt, daß der Adressat vor der Entscheidung +/- Erwerb einer entsprechenden Ware steht und in diesem Kontext die Gebrauchsanweisung ein erstes Mal rezipiert. Variante 2 setzt voraus, daß der Adressat das Produkt erworben hat und es einsetzen will, Variante 3 sieht den Adressaten ebenfalls als Besitzer, der aber wegen aufgetretener Mängel oder ausgebliebener, im Text zugesicherter Wirkungen zu reklamieren beabsichtigt. Zum IMI-Text: da relativ zu einer Variante l im oben beschriebenen Sinne wesentliche Realisierungsbedingungen für Aufforderungen fehlen, unterbleibt der Schritt zur Uminterpretation. Es interessieren die Informationen über Verwendungsmodalitäten und Anwendungsbreite als Argumente für oder gegen das Produkt als Mittel der Wahl. Die Uminterpretation erfolgt erst dann, wenn in Variante 2 tatsächlich eine Handlungsanweisung i.e.S. erforderlich wird. Damit müßten sich die Handlungsstrukturen relativ zu Variante l und 2 in wesentlichen Bestandteilen unterscheiden. Die Konstituierung der Handlungstyphierarchien erfolgt als Ergebnis der Textrezeption". Die relativ zu den einzelnen Varianten konstituierten Handlungsstrukturen ergeben erst in ihrer Überlagerung und wechselseitigen Bedingtheit (Hensel 1987) ein auf der intentionalen Ebene auszumachendes Charakteristikum der Texte. Anders gesagt: nur die für ein Textexemplar relativ zu den stereotypen Varianten der Kommunikationssituation angenommenen Resultate der Handlungsstrukturinterpretation konstituieren in ihrer Zusammenschau das, was man die Handlungsstruktur des Textes nennt7. Betrachtet man den schriftlichen Text in seiner Gesamtheit als Ausgangspunkt für die Rezeption, als Rezeptionsangebot, das in Abhängigkeit von variierenden Bedingungen der Kommunikationssituation aufgegriffen wird, dann erscheinen die relativ zu Variante 1-3 entstandenen (interpretierten) Handlungstyphierarchien als Varianten der Handlungsstruktur des Textes, als alternativ zu konstituierende Hierarchien von Handlungseinheiten. Diese alternativen Handlungstyphierarchien, die von den kommunikativen Parametern in ihrer Konstituierung determiniert werden, sind institutionalisierte Alternativen der Handlungsstruktur mehrfachadressierter Texte®. Sie werden als erwartbare Konsequenzen der Rezeption zu textsortencharakterisierenden illokutiven Merkmalen und sind in ihrer typischen Repräsentation Bestandteil des Interaktionswissens der Kommunikationspartner. Dem Interpretationsangebot Text wird man um so eher gerecht, je eher auch bei der illokutiven Charakterisierung von Texten davon ausgegangen wird, daß authentischen Texten eine Handlungsstruktur zugewiesen werden kann, die nach den in der Theorie der illokuti-
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ven Handlungen angenommenen Regularitäten zu konstituieren ist, die aber in der Regel nicht die Entfaltung eines Typs, illokutiver Handlung oder das für einen bestimmten Handlungstyp charakteristische Illokutionsschema ist. Diese Handlungsstruktur als "token" muß für mehrfachadressierte Texte unter Aktualisierung verschiedener "types" (i.S.v. Typen illokutiver Handlungen) als Mustermischung (Sandig 1989) begriffen und beschrieben werden.
Korpus (1) Gebrauchsanweisung für Schiebebilder Tauche Bild einige Sekunden in abgestandenes (im Winter warmes) Wasser. Lasse Bild etwa 11/2 Minuten liegen. Schiebe das Bild durch leichten Druck etwas über das Papier. Lege es mit der Papierseite auf den Gegenstand oder die Glasscheibe. Drucke mit einer Hand die überstehende Farbhaut an und ziehe mit der anderen das Papier zwischen Gegenstand und Farbhaut weg. Entfeme Luftblasen sowie überschüssiges Wasser durch Andrücken mit Löschpapier. Achtung! Nicht bei Frost anbringen. (2) Gebrauchsanweisung IMI reinigt schnell und gründlich Gläser, Flaschen und Kühlschränke. IMI Blut- und eiweißbefleckte Wäsche sowie Stärkewäsche gründlich in lauwarmer IMI-Lauge, alle andere Berufswäsche in heißer IMI-Lauge einweichen. IMI ist ein hervorragendes Aufwasch-, Spül- und Reinigungsmittel. Für eine normale Aufwaschschüssel genügen 1-2 Teelöffel IMI. IMI reinigt spielend leicht Kacheln, Fliesen, Spülbecken, Steinfußböden, Bürsten, Besen usw. Ein gehäufter Eßlöffel IMI genügt für l Eimer Wasser. IMI ist ein a u s g e z e i c h n e t e s Reinigungsmittel für stark verschmutzte Berufswäsche. Es entfernt Ruß, Schmutz, Fett, Oel. Nach dem Einweichen in IMI-Lauge die Wäsche gut ausspülen und IS Minuten in frischer Lauge kochen. Es empfiehlt sich das Waschbad während des Kochprozesses mehrmals umzurühren. Nachdem die Wäsche gründlich durchgewaschen ist, erst heiß und dann kalt spülen. Ein Paket IMI reicht für 11 Eimer Waschlauge.
Anmerkungen 1 Beide Texte stammen aus dem in Hensel (1987) bearbeiteten Corpus. Die Texte wurden nach ihren Überschriften und in Erfüllung außerlinguistischer Kriterien, die u.a. das Sender-Empfänger-Verhältnis und ihr Vorkommen betrafen, als produktbegleitende Texte zusammengefaßt und unter illokutionärem Aspekt charakterisiert. 2 "Infinitive ohne zu und mit fallender Intonation ... werden, wenn sie ... nicht als Antwort oder Nachtrag verwendet werden, als Ausdruck von Wünschen oder (Auf-)Forderungen interpretiert" (Pasch 1989: 22). 3 Küster (1982) bestimmt "explizite" und "implizite" Aufforderungsakte, geht aber davon aus, daß diese Aufforderungsakte nicht als dominierend zu beschreiben sind. Übergeordnet ist für ihn das Werbeziel, untergeordnet das der optimalen Bedienung.
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4 Zum Begriff der Uminterpretation vgl. Motsch/Pasch (1987). Auf die Diskussion um die Zuordnungsregularitäten zwischen Satz und Illokution kann an dieser Stelle nur verwiesen werden (Illokutionspotential vs. Ableitungsregularitäten, vgl. Pasch 1989, Sayatz in Vorb., Rehbock 1989). Die Entscheidung für eines der Satzmoduskonzepte ist mit wesentlichen Konsequenzen für die Typzuordnung, die Annahme von Indirektheit und Ableitungsmechanismen verbunden. Hier wurden Beispieltexte gewählt, bei deren Einheiten die Resultate der Typzuordnung konsensfähig sind unabhängig vom Satzmoduskonzept. 5 Zu den Hierarchiealtemativen vgl. Hensel 1987. 6 Vgl. Burkhardt 1990. 7 Eine Reduzierung nur auf Konstellation 2 ließe sich zwar über ein Alltagsverständnis von Gebrauchsanweisungen begründen, sie wird jedoch unhaltbar, bezieht man die juristischen Konsequenzen, die sich aus den Aussagen über Vorzüge und Wirkungen des jeweiligen Produkts ergeben können, ein. Der Produktproduzent haftet für nicht eingetretene, im Text aber zugesagte Wirkungen bei ordnungsgemäßer Handhabung des Produkts. 8 Vgl. Sayatz (in Vorb.).
Literatur Brandt, Margareta/Rosengren, Inger (1990): Die Handlungsstruktur des Textes. - Lund (unveröff. Manuskript). Burkhardt, Armin (1990): "Les jeux sont fails". - In: Zeitschrift für Germanistische Linguistik 18, 65-80. Franck, Dorothea (1980): Grammatik und Konversation. - Königstein/Ts. Fries, Norbert (1989): "Aspekte der Erforschung des Grammatik-Pragmatik-Verhältnisses". - In: Zeitschrift für Germanistik 10/3, 293-308. Härtung, Wolfdietrich (1987): "Kommunikation und Text als Objekte der Linguistik. Möglichkeiten, Wünsche und Wirklichkeit". - In: Zeitschrift für Germanistik 6/3, 275-291. Hensel, Cornelia (1987): Produktbegleitende Texte - der Versuch einer Analyse unter illokutionärem Aspekt. Leipzig: Karl-Marx-Universität (Diss.A). Küster, Rainer (1982): "Pragmalinguistische Aspekte von Anweisungstexten". - In: Grosse, Siegfried/Mentrup, Wolfgang (Hrsg.): Anweisungstexte (Tübingen) 104-133. Motsch, Wolfgang (1987): "Zur Illokutionsstruktur von Feststellungstexten". - In: Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 40/1, 45-67. - (1990): Ebenen der Textstruktur und ihr Zusammenspiel. - Berlin (unveröff. Manuskript). -/Pasch, Renate (1987): "Illokutive Handlungen" - In: Motsch, Wolfgang (Hrsg.) (1987): Satz, Text, sprachliche Handlung (Berlin) (= studia grammatica XXV) 11-79. - /Reis, Marga/Rosengren, Inger (1989): "Zum Verhältnis von Satz und Text" - In: Sprache und Pragmatik 11 (Stockholm) 1-36. Pasch, Renate (1989): "Überlegungen zum Begriff des 'Satzmodus'". - In: Studien zum Satzmodus III (Berlin) (= Linguistische Studien Reihe A, 193) 1-88. Pelka, Roland (1982): "Sprachliche Aspekte von Bedienungsanleitungen technischer Geräte und Maschinen". In: Grosse, Siegfried/Mentrup, Wolfgang (Hrsg.): Anweisungstexte (Tübingen) 74-103. Rehbock, Helmut (1989): "Deklarativsatzmodus und pragmatische Interpretation". - In: Sprache und Pragmatik 15 (Lund) 1-69. Sayatz, Ulrike (in Vorb.): Illokutive Analyse von Gesetzestexten. Sandig, Barbara (1989): "Stilistische Mustermischungen in der Gebrauchssprache". - In: Zeitschrift für Germanistik 10/2, 133-150. Viehweger, Dieter (1989): "Coherence - Interaction of Modules". - In: Heydrich, Wolfgang/Neubauer, Fritz/Pefofi, Janos S./Sozer, Emel (eds.) (1989): Connexity and Coherence (Berlin. New York) (= Research in Text Theory 12) 256-274. Viehweger, Dieter/Spies, Gottfried (1987): "Struktur illokutiver Handlungen in Anordnungstexten". - In: Motsch, Wolfgang (Hrsg.) (1987): Satz, Text, sprachliche Handlung (Berlin) 81-118. Weigand, Edda (1989): Sprache als Dialog. - Tübingen.
STILRELEVANZ SPRACHLICHER FORMMERKMALE IN SCHÜLERAUFSÄTZEN - ERGEBNISSE EINER QUANTITATIVEN ANALYSE Johannes Aßheuer Die stiltheoretische Bestimmung für die Beschreibung eines Individualstils geht im allgemeinen davon aus, daß der Textproduzent bei der Gestaltung seines sprachlichen Produktes unter vielen dieser sprachlichen Mitteln auswählen kann. In dieser Situation, unter vielen Varianten der Formulierungsmöglichkeiten auswählen zu können bzw. aus vielen Varianten eine gefunden zu haben, befinden sich auch die Schüler, die im Deutschunterricht einen Aufsatz schreiben wollen oder auch müssen. Die Analyse des Stils hat anschließend der Lehrer vorzunehmen, der dazu im allgemeinen mehr durch berufliche Zwänge und Erlasse als durch literarische Leselust genötigt wird. Die Stilanalyse des Lehrers ist von wesentlich anderen Merkmalen bestimmt als die des Interpreten eines literarischen Kunstwerkes. Der Lehrer wird mehr oder weniger bewußt von einem Kriterienkatalog der Aufsatzbeurteilung gesteuert. Aufbauleistung, inhaltliche Bewältigung und sprachliche Gestaltung - das, was im allgemeinen als Stil bezeichnet wird - werden vom Lehrer vergleichend beurteilt, wobei er sein Vergleichsmaß mehr intuitiv in der Korrespondenz guter, mittelmäßiger und schlechter Aufsatzbeispiele ableitet, getreu der Normalverteilung im Sinne der Gaußschen Glockenkurve. Weiterhin sind die Vergleichsmaßstäbe des Lehrers auch durch sprachliche Leistungsniveaus von Schülern anderer Klassen und aus zurückliegenden Jahrgängen bestimmt. Das heißt: die Stilanalyse des Lehrers ist auf Vergleichen von vielen vergleichbaren Texten angelegt. Gerade dieser Moment der vergleichenden Texteinschätzung macht die Schüleraufsätze zu einem lohnenswerten Objekt sprachstatistischer Untersuchungen, da hier stilkonstitutive Elemente grammatischer und semantischer Art in ihrer Kombination, Häufigkeit und Verteilung beschrieben werden. So ist beispielsweise ein sprachstatistischer Hinweis, die durchschnittliche Satzlänge bei dem Philosophen Kant betrage ca. 50 Wörter, erst aussagekräftig, wenn dieser Hinweis mit Durchschnittslängen von Sätzen bei anderen Philosophen oder Dichtern oder auch Tageszeitungen verglichen wird. Meines Wissens ist bislang nicht erforscht worden, ob und in welcher Weise Lehrer bei der kritischen Rezeption von Schülertexten ihre Aufmerksamkeit unter anderem auch auf die Frequenz und Distribution linguistischer Stilmittel konzentrieren. Im allgemeinen spielen Häufigkeit bzw. Umfang sprachlicher Formmerkmale für unsere Einschätzung bestimmter sprachlicher Texte eine entscheidende Rolle. Auf die häufig in Seminaren gestellte Frage, an welche Stilmerkmale sich die Seminarteilnehmer bei früher gelesenen Texten erinnern, folgen Hinweise wie: In Novellen von Kleist sind die Sätze meistens lang und ziemlich verschachtelt; der Wortschatz in Volksliedern ist einfach; in juristischen und vielen anderen Fachtexten gibt es viele komplizierte zusammengesetzte Substantive u.a. Es scheint, daß unser kritisches Stilempfinden sich stark orientiert an simplen Kriterien wie "kurz - lang", "einfach - schwierig", "eintönig - abwechslungsreich"; - das gilt für Wörter wie auch für Sätze. Nach längerem Überlegen werden auch andere Sondierungsaspekte be-
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wußt: substantivischer, verbaler, geblümter, abstrakter Stil. Die Stilsensibilität wird noch differenzierter, wenn mehrere Texte verglichen und in ihrer besonderen Stilausprägung beurteilt werden sollen. Erst im Vergleich werden Einzelheiten viel deutlicher wahrgenommen wie etwa der Umfang und die Varianz des Wortschatzes, die Treffsicherheit des Ausdrucks, die Geschicklichkeit des Satzeinstiegs und eventuell auch die syntaktische Flexibilität. Alle hier genannten Stilmerkmale, die einfachen wie auch die im Vergleich beobachteten, finden sich immer wieder in Lehrerurteilen unter Schüleraufsätzen. Es scheint, daß diese Merkmale als erste augenfällig werden und vielleicht auch am leichtesten zu registrieren sind. Eine Kennzeichnung des Stils im Sinne der an der sprachlichen Form eines Textes orientierten Merkmale findet man in der Definition, Stil sei die "Gesamtheit aller quantitativ faßbaren Gegebenheiten in der formalen Struktur eines Textes." Unter den von Willi Sanders (1973) zitierten ca. 30 Stildefinitionen ist die oben genannte am deutlichsten auf die grammatische und textuelle Form bezogen. In diversen sprachstatistischen Untersuchungen von Wilhelm Fucks wird deutlich, wie die Quantitäten grammatischer Details, d.h. ihre Häufigkeit und Verteilung, den Stil eines Textes mitbestimmen, vielleicht sogar primär begründen (vgl. Fucks 1968). Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß nicht alle möglichen grammatischen Merkmale in der syntaktischen Oberfläche eines Satzes in gleich intensiver Weise das ausprägen, was wir Stil nennen. Es ist daher wichtig, Merkmale bzw. Variable zu finden, welche die sprachliche Ausgestaltung als markant kennzeichnen. Drei Möglichkeiten sollen erwähnt werden, solche stilrelevanten Variablen herauszufinden: 1. Wenn man sprachstatistische Untersuchungen zur Entwicklung der Kindersprache aus den letzten 70 Jahren durchsieht, so ist man immer wieder erstaunt, wie plausibel der Altersstil oder auch Individualstil von Kindern und Jugendlichen durch den Vergleich ausgewählter Variablen charakterisiert wird. Die angewandten Verfahren ermitteln die Häufigkeit und Verteilung von Wortarten, Tempusformen, Modi, Arten von Gliedsätzen, Satzlänge, Wortlänge, Satzbaupläne, Satzlängenwechsel u.a.. In diesen sprachstatistischen Untersuchungen könnte man nun die Variablen heraussuchen, die am deutlichsten den Altersstil bzw. eine positive Sprachentwicklung kennzeichnen. 2. Die in solchen sprachstatistischen Untersuchungen für stilrelevant gehaltenen Variablen lassen sich in vielen Schüleraufsätzen, die möglichst derselben Textsorte angehören, quantifizieren und mit den Stilnoten von Lehrern vergleichen. Eine hohe Korrelation von Variablen und Stilnoten würde dann zumindest anzeigen, daß Lehrer diese Variable bewußt oder unbewußt für stilrelevant halten. In der nachfolgenden Untersuchung sollen die Ergebnisse eines solchen Vergleiches besprochen werden. 3. Im Unterschied zu den beiden zuvor genannten empirisch-deduktiven Verfahren können Variable auch durch eine Analyse der sprachlichen Leistungen in ihrer Stilrelevant begründet werden. Solche Funktionsanalysen für grammatische Merkmale gehören ohnehin zum Arbeitsbereich der Linguistik. Für die unter 1. erwähnten Untersuchungen der letzten 70 Jahre darf man unterstellen, daß die Auswahl der sprachlichen Variablen auf einer Hypothesenbildung ihrer stilrelevanz basierte auch, wenn diese nicht eigens vorher erwähnt wurde.
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Die drei genannten Gesichtspunkte zur Herausfindung von stilrelevanten Variablen sollen nicht als Einzelmethoden verstanden werden, sondern als komplementäre Aspekte zur Begründung der stilkritischen Variablen. Dieser Zusammenhang ist für die nachfolgende Variablenanalyse bedacht worden, die an acht Klassensätzen von Schüleraufsätzen durchgeführt wurde. Bei den Schülertexten handelt es sich um Klassenaufsätze, deren Themen im allgemeinen ein freies sprachliches Gestalten ermöglicht, das nicht auf sprachlich-inhaltliche Vorgaben zurückzuführen war. Die ersten vier Klassensätze von vier verschiedenen Schuljahren der 4. Jahrgangsstufe gehören zur Textsorte Erlebnis- oder Phantasieerzählung, Aufsatz Nr. 3 zur Textsorte Bildergeschichte (Vater-Sohn-Geschichte von Flauen). Die Klassensätze der Nummern fünf bis acht sind aus verschiedenen Gymnasialklassen der 9. Jahrgangsstufe. Die Aufsatzthemen waren nicht für alle Schüler einer Klasse einheitlich, da die J^ehrer/innen meistens zwei Themen zur Auswahl gestellt hatten. Die hier vorgestellten Variablen sind ausschließlich mit dem Rechner erfaßt worden. Über die z.T. parallel und z.T. ergänzend durchgeführten Handauszählungen soll hier nicht berichtet werden. Folgende Variablen wurden ausgezählt: 1. Die Anzahl aller Buchstaben, 2. Die Anzahl der Sätze, 3. Die Anzahl der Wörter (= Tokens), 4. Die Anzahl der schriftbildlich verschiedenen Wörter (= Types), 5. Die Anzahl aller großgeschriebenen Wörter ohne Anfangswort des Satzes (= GTypes, GTokens), 6. Die Anzahl aller schriftbildlich verschiedenen, großgeschriebenen, Wörter (= GTypes), 7. Die Anzahl aller Kommas oder auch anderer Interpunktionszeichen.
Die ersten drei Variablen sind Textmengenparameter, die kaum einen Hinweis auf die Stilbesonderheit eines Textes zu erlauben scheinen. Auch die Variablen 4, 5 und 6 bezeichnen Quantifizierungen von Wörtern bzw. Substantiven und lassen als solche kaum eine Stilrelevanz erkennen. Die letzte Variable (alle Kommas) ist als nichtunterschiedener Wert für Kommas zwischen Aufzählungen, Hauptsätzen und Nebensätzen ähnlich fragwürdig wie die anderen Variablen, so daß die Einzel werte zu diesen sieben Variablen die sprachliche Form eines Textes keineswegs hinreichend zu charakterisieren scheinen. Diese aussageschwach scheinenden sieben Basisvariablen bekommen allerdings ein anderes Gewicht, wenn man sie in Zusammenhängen sieht. So ist die Anzahl aller Buchstaben eines Textes viel aufschlußreicher beim Vergleich mit der Anzahl aller Wörter eines Textes. Der Quotient beider Variablen ergibt die durchschnittliche Wortlänge der verwendeten Wörter. Wird diese Wortlänge noch einmal durch die Durchschnittslänge deutscher Silben (3,03 Buchstaben) dividiert, so kann auch die Durchschnittslänge der Wörter in Silben festgestellt werden. Ebenso wird die Textstruktur besser markiert, wenn die durchschnittliche Satzlänge durch den Quotienten von Anzahl aller Wörter und Anzahl aller Sätze angegeben wird. In der nachfolgenden Untersuchung ist auch die type-token-ratio, bezogen auf die großgeschriebenen Wörter (= Substantive), ermittelt worden (GTTR). Da dieser TTR-Wert wie auch der GTTR-Wert bei sehr kurzen Aufsätzen unverhältnismäßig groß und bei sehr langen Aufsätzen unverhältnismäßig klein ist, wird dieser Quotient für alle Aufsätze auf ein
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einheitliches Längenmaß begrenzt, das für jeden Klassensatz jeweils von der Anzahl der Wörter des kürzesten Aufsatzes (KA) ausgeht. Auf diese Weise werden innerhalb eines Klassensatzes die Quotienten TTR und GTTR vergleichbar. In der nachfolgenden Tabelle ist auch der Wert MSL (mittlere Satzlänge) und K/S (Kommas pro Satz) berücksichtigt worden. Alle Einzel werte und Quotieten werden mit den jeweiligen Noten des Klassenlehrers korreliert. Die Tabelle ergibt die Korrelationswerte von Lehrernoten und Variablen bzw. Variablenquotienten. Die erteilte Lehrernote ist nicht zu verstehen als eine spezielle Stilnote für den einzelnen Aufsatz. Im Rahmen gesonderter Untersuchungen wurde jedoch festgestellt, daß die Stilnote bzw. die Einschätzung der sprachlichen Form eines Textes und die Note für die gedankliche und inhaltliche Bewältigung eines Themas hoch miteinander korrelieren. Je nach Art der besonderen Schwierigkeiten eines Themas sind jedoch erhebliche Abweichungen von Noten für den Inhalt und Noten für die sprachliche Leistung vorstellbar. Die nachfolgende Korrelationstabelle zu den acht Aufsätzen zeigt z.T. erstaunlich hohe Korrelationen zwischen den quantitativen Stilmerkmalen und den Lehrernoten: Aufsatz Nr.
1
2
3
4
5
6
7
8
Note/Buchst.
0,73
0,67
0,55
0,49
0,40
0,68
0, 89
0,67
Note/Komma
0,97
0,39
0,37
0,34
0,52
0,63
0, 66
0,65
Note/Types
0,78
0,65
0, 52
0,52
0,46
0,72
0, 89
0,64
Note/Tokens
0,74
0,55
0, 54
0,41
0,38
0,66
0, 87
0,66
Note/GTypes
0,75
0,58
0, 31
0,60
0,49
0,84
0, 88
0,58
Note/GTokens
0,80
0,49
0, 63
0,42
0,35
0,74
0, 93
0,65
Note/GTTR(KA)
0,57
0,66
0, 11
0,19
0,49
0,49
0, 74
0,26
Note/MSL
0,47
0,50
-0,11
0,54
0,36
0,75
0, 42
0,60
Note/K/S
0,52
0,34
o,09
0,34
0,30
0,65
0, 19
0,42
Die Wahrscheinlichkeit eines positiven Zusammenhanges ist nicht nur abhängig von der Höhe des Korrelationswertes, sondern auch von der Anzahl der untersuchten Aufsätze. Da die Anzahl der untersuchten Aufsätze in den neun Klassen nicht gleich hoch ist, sind für gleiche Korrelationswerte nicht die gleichen Wahrscheinlichkeiten eines Zusammenhanges zwischen Note und Variable gegeben. Liegt beispielsweise der Korrelationswert Note/Buchst für Aufsatz Nr. 4, zu dem 20 Aufsätze gehören, bei 0,48, so liegt die Wahrscheinlichkeit eines positiven Zusammenhanges bei 95%, bei einer geringeren Anzahl von Aufsätzen sinkt bei gleichem k-Wert die Wahrscheinlichkeit des Zusammenhanges. Für die nachfolgende Interpretation der k-Werte der vorgestellten Tabelle soll zunächst auf die bemerkenswerten Zusammenhänge von Aufsatznoten und Textlängen-Variablen (Note/Buchst, und Note/Tokens) eingegangen werden. Für beide k-Werte weist die Tabelle eine weitreichende Übereinstimmung aus. Eine Identität dieser Werte ist nicht zu erwarten,
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da die absolute Textlänge wegen der unterschiedlichen Wortlänge nur ungenau angegeben werden kann. Aus beiden k-Werten zur Textlänge läßt sich jedoch schließen, daß lange Aufsätze mit sehr großer Wahrscheinlichkeit sowohl im 4. wie auch im 9. Schuljahr gut bewertet werden, während kurze Aufsätze schlechter bewertet werden. Dabei ist die Übereinstimmung von absoluter Textlänge (Note/Buchst.) noch signifikanter als die relative Textlänge (Note/Tokens); nur in Klassensatz Nr. l gibt es eine geringe Abweichung. Ähnlich hohe Übereinstimmungen der k-Werte liegen auch für die Variable Note/Types vor. Die hohe Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhanges zwischen der Anzahl der verschiedenen Wörter eines Textes und der Aufsatznote überrascht insofern nicht, als eine hohe Anzahl von verschiedenen Wörtern eines Textes allgemein als Zeichen einer besonderen Wortschatzflexibilität verstanden werden kann. Wenn in einem Text viele verschiedene Wörter vorkommen, sind Wortwiederholungen geringer; die Spezifik der Ausdrucksweise ist nur durch eine hohe Differenzierung beim Gebrauch der Wörter zu erreichen. Der hier mitgeteilte k-Wert basiert jedoch nicht auf dem prozentualen Anteil der Types, sondern auf ihrer Gesamtanzahl. Insofern spielt auch für diesen Wert die Textlänge eine erhebliche Rolle, da in einem langen Text meistens viele verschiedene Wörter sind und in einem kurzen Text vergleichsweise wenig. Auch die Angaben der Tabelle über Note/GTypes und Note/GTokens zeigen vergleichbare Übereinstimmungen mit den anderen k-Werten zur Textlänge. Bei einigen Klassenaufsätzen sind die Korrelationen von Noten und verschiedenen Substantiven eines Textes (Note/GTypes) noch höher als für Note/Buchstabe (Aufsatz Nr. l, 4, 6, 7). Ähnlich verhält es sich bei dem Zusammenhang von Note und allen Substantiven eines Aufsatzes (Note/GTokens). Hier zeigt sich, daß zumindest bis in die Hauptwortart der Substantive hinein die Textmenge außerordentlich schwer für die Notengebung wiegt. Ein in der sprachstatistischen Textanalyse viel beachteter Quotient ist die type-token-ratio, das Verhältnis aller Wörter zur Anzahl der verschiedenen Wörter. In amerikanischen Untersuchungen wird sogar auf einen signifikanten Zusammenhang dieses Quotienten mit dem IQ hingewiesen. Die Vermutung, daß die Menge der verschiedenen Wörter eines Textes im Vergleich zur Gesamtzahl der Wörter ein Parameter der Ausdrucksvarianz bzw. Ausdrucksvielfalt ist, liegt nahe. Leider waren die Ergebnisse unserer sprachstatistischen Untersuchungen zum TTR-Wert bislang nicht überzeugend und sind deshalb auch in der obigen Tabelle nicht berücksichtigt worden. Da das sprachliche Informationspotential eines Textes besonders stark an die Substantive gebunden ist, sollen diese nun nach Art eines TTR-Wertes verglichen werden. Dieser Quotient wird demnach gebildet aus dem Verhältnis der verschiedenen Substantive zur Gesamtzahl der Substantive eines Textes. Da alle Type-Token-Vergleiche von der Textlänge abhängen - bei längerwerdenden Texten sinkt der Anteil der Types - ist für die obige Tabelle eine für alle Klassensätze einheitliche Textlänge, nämlich jeweils die des kürzesten Aufsatzes zugrundegelegt worden (= GTTR/KA). Eine Durchsicht der Korrelationswerte von Lehremote und GTTR (KA) zeigt allerdings irritierende Abweichungen bei den Klassensätzen der Nr. 3, 4 und 8. Insbesondere bei den Grundschulaufsätzen liegen die k-Werte mit 0,11 und 0,18 so niedrig, daß von einem Zusammenhang der beiden Variablen nicht gesprochen werden kann. Vielleicht ist das so zu erklären, daß im Falle von Aufsatz Nr. 3 (Bildergeschichte) die Benotung sich sehr stark
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auf das Erfassen des gesamtinhaltlichen Ablaufes, der anhand der Bilder herausgefunden werden muß, und das Erfassen der Pointe der Bildergeschichte bezieht. Dies würde bedeuten, daß die sprachlichen Differenzierungen für die Aufsatzbenotung nur eine geringe Rolle spielen, weil die Beurteilungskonzentration auf Textstruktur und Texthöhepunkt fixiert ist. Beim Aufsatz Nr. 4 handelt es sich um eine Phantasiegeschichte, für die möglicherweise auch inhaltliche Aspekte im Sinne von Originalität und Einfallsreichtum beurteilungsrelevanter gewesen sind. Da der niedrige Korrelationswert auch den Aufsatz Nr. 8 (k = 0,26) betrifft - es handelt sich bei diesem Klassensatz ebenso um die Textsorte "Erörterung" wie in den übrigen SIKlassensätzen Nr. 5, 6, 7 - muß die Abweichung nicht durch die Art der Textsorte bedingt sein. Es ist auch damit zu rechnen, daß die individuellen Beurteilungsaspekte eines Lehrers weniger vom Kriterium der sprachlichen Differenzierung bestimmt werden und gerade bei der Textsorte "Erörterung" mehr von der argumentativen Struktur und Wirkung. Erst anders angeordnete Versuchsreihen können hier evtl. aufdecken, ob beispielsweise gleiche Beurteilungseinstellungen zu positiveren Korrelationswerten führen. Im Vergleich des kWertes Note/GTTR (KA) mit den zuvor besprochenen k-Werten der Textlängen fällt jedenfalls auf, daß die TTR-Werte als Kriterien der sprachlichen Differenzierung weniger aussagekräftig sind als die Textlängenkriterien. Die Tabelle enthält noch drei Korrelationswerte, die aus dem Vergleich von Note und Variablen mit Satzbezug gebildet werden. Die Korrelation von Note und mittlerer Satzlänge (MSL) vergleicht Lehrerurteil und Satzquantität. Es ist gut vorstellbar, daß überdurchschnittliche Satzlängen beispielsweise bei jungen Schülern Zustimmung auslösen können und schon als eine Form von Satzbaugeschicklichkeit anerkannt werden, selbst wenn die Satzlänge zur syntaktischen Varianz nichts aussagt. Überprüft man die Zahlenwerte der Korrelation Note/MSL, so findet man auch hier einen positiven Zusammenhang, der zwar weniger signifikant ist als die Korrelation mit Textlängenvariablen, der aber doch nahelegt, daß Schüler mit vielen längeren Sätzen im allgemeinen auch bessere Noten erhalten. Da die Streuung der Variablen MSL hier nicht berücksichtigt worden ist, könnte eine Hochbeurteilung evtl. auch auf eine Varianz von vielen langen Sätzen mit einigen kurzen Sätzen zurückzuführen sein. In der Reihe von sieben unterschiedlich positiv korrelierenden Klassensätzen fällt auch hier der Grundschulaufsatz Nr. 3 aus dem Rahmen. Schon oben wurde darauf verwiesen, daß vielleicht textsortenspezifische Leistungen hier besonders hoch angerechnet worden sind, so daß die Leistungsindikation der sprachlichen Variablen durchkreuzt worden ist, andere Gründe sind denkbar. Auch die Variable Komma hat mit Satzgliederung und Satzstruktur zu tun, ganz gleich ob es sich um ein Komma zwischen Satzgliedern oder Teilsätzen handelt. Unabhängig von hypotaktischen oder parataktischen Strukturen kann davon ausgegangen werden, daß im allgemeinen die Anzahl der Kommas mit der steigenden Satzlänge zunimmt. Insofern verwundert es nicht, wenn die beiden k-Werte "Note/MSL" und "Note/Komma" gewisse Ähnlichkeiten aufweisen. Sogar der Aufsatz Nr. 3 bleibt hier im vorgegebenen Rahmen. Bei Aufsatz Nr. l ist die Korrelation so hoch, daß man glauben könnte, der Lehrer hätte die Noten ausschließlich erteilt unter dem Aspekt der Anzahl der Kommas. Auch die Korrelation von Note und Anzahl der Kommas pro Satz paßt ins Bild des Vergleichs von Noten und Satzlängenwerten. Außer der schon gewohnten Abweichung von
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Aufsatz Nr. 3 fällt auch hier die von Aufsatz Nr. 7 auf. Es ist möglich, daß einige der oben schon erwähnten Gründe diese Differenz bedingen. Eine weiterreichende Erläuterung ist nur möglich durch Vergleich der Tabellen mit den Einzelwerten der hier korrelierten Variablen. Im Zusammenhang dieser Untersuchung mag es reichen, wenn auch für den Vergleich von drei Satzlängenvariablen mit den Lehremoten festgestellt werden kann, daß es vielsagende Zusammenhänge gibt, die jedoch auch nicht so überzeugen wie die Vergleiche von Lehrernoten und Textlängenvariablen. Außerhalb der hier vorgelegten Untersuchung wurden auch Zusammenhänge von Lehrernoten und Varianz der Satzbaupläne sowie Lehrernoten und Extension der Satzschachtelung (im Sinne des Schachtelindex von W. Fucks) untersucht. Diese handermittelten Werte waren eher aussageschwächer als die hier erwähnten Satzlängenvariablen und sind aus diesem Grunde nicht mit aufgenommen worden. Hier deutet sich insgesamt an, daß der Komplex der Satzlängenvariablen in seinem Aussagewert begrenzt ist. Dies kann auch auf unterschiedliche Einstellungen der Beurteiler zurückzuführen sein, da einerseits kurze, prägnante Aussageweisen bevorzugt werden können und andererseits breitere Satzstrukturen. Es ist gut möglich, daß Lehrer auch Stilanweisungen im Sinne von Ludwig Reiners geben, nämlich kurze, knappe Sätze zu schreiben. In solchen Fällen kann die Anwendung einer Satzlängenvariablen nur Irritationen bewirken. Grundsätzlich ist bei Variablenuntersuchungen immer Vorsicht geboten, wenn diese durch Stilanweisungen beeinflußt werden können; z.B.: Drückt alles möglichst verbal aus! Schreibt nur kurze Texte! Hier zeigt sich, daß die Variablenauswahl für sprachstatistische Analysen mit dem beurteilenden Lehrer abgestimmt werden müßte, um widersprüchliche Indikationen von Noten und Variablen auszuschließen. Erst dann könnten solche Verfahren leichter ihren Zweck erfüllen, nämlich das Lehrerurteil nicht zu revidieren, sondern durch Einzelkriterien der sprachlichen Form zu validieren.
Anmerkung l Die durchweg positiven Korrelationen ergeben sich, weil die Lehrernoten auf ein Punktesystem übertragen wurden, in dem ein hoher Zahlenwert einer guten Leistung entspricht.
Literatur Fucks, Wilhelm (1968): Nach allen Regeln der Kunst. - Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt. Sanders, Willi (1973): Linguistische Stiltheorie. Probleme, Prinzipien und moderne Perspektiven des Sprachstils. - Göttingen.
INTERTEXTUALITÄT UND WISSEN Eva Jakobs Die Intertextualität gehört zu den Phänomenen, die bislang zu wenig von der Textlinguistik beachtet wurden1. Was kann die Beschäftigung mit diesem Phänomen, das sich im Schnittpunkt vieler Disziplinen bewegt, der Textlinguistik bringen? Diese Frage bedürfte einer ausführlicheren Antwort. Sicher scheint, daß sie zu einer modifizierten Sicht auf Textphänomene zwingt, deren Untersuchung oft nur anhand relativ einfacher Äußerungsbeispiele erfolgt. Ein anderer Aspekt ergibt sich aus der Berührung von Sprach- und Literaturwissenschaft. So sieht z.B. Lerchner (1988) in Lachmanns Annahme (1984: 316) von in den Text eingeschriebenen "Referenzsignalen" auf kulturelle Erfahrungen bzw. das kommunikative Potential einer wirkenden Texttradition die Möglichkeit, einen wichtigen Analyseschwerpunkt zu thematisieren. Die folgenden Anmerkungen sind ein Versuch, sich der o.g. Problematik unter einem bestimmten Erkenntnisinteresse zu nähern, und zwar der Frage, welche Bereiche unseres Wissens durch intertextuelle Erscheinungen aktiviert werden und welche Indikatoren möglicherweise Intertextualität signalisieren können. Was wird im folgenden unter Intertextualität verstanden? Ohne auf die verwirrende Vielfalt konzeptueller Zugriffe eingehen zu wollen, wie sie v.a. sowjetrussische Literaturwissenschaftler zur Dialogizität bzw. französische Theoretiker zur Intertextualität hervorgebracht haben, soll der Begriff eingeschränkt verstanden werden als Beschreibungskategorie für Texte, deren Struktur durch die Interferenz von Texten oder Textelementen organisiert ist und sich in diesem Sinne durch ein Verfahren der Rekurrenz auf andere Texte darstellt, wobei die z.T. komplizierten Referenzbeziehungen der Texte aufeinander zu einer Art Doppelkodierung führen, in der die explizierten Zeichenstrukturen der manifesten Textsequenzen mit denen des latenten Referenztextes zu komplexen SuperStrukturen aggregieren [...] Die Sinnkonstitution findet demgemäß nicht einfach mit Hilfe von Verarbeitungsoperationen über lineare Textsequenzen statt, sondern über einer 'semantischen Vorgabe', in die auch die Stilspuren der Referenztexte eingehen. (Lerchner 1988: 316)
Die Erzeugung immer neuer Sinndifferenzen in der Rezeption, die "dynamische plurale Sinnkonstitution" ermöglicht dem Rezipienten eine (zusätzliche) ästhetische Leistung (Lachmann 1984: 138). Vorausgesetzt, er erkennt und verarbeitet die in den Text "eingeschriebenen Referenzsignale". Entscheidend für das Textverstehen sind dabei aktive Konstruktionsprozesse zur Erfassung des Textsinns während der Verarbeitung der an der Textoberfläche gegebenen Informationen. Bei diesen kognitiven Prozeduren werden Elemente unterschiedlicher Kenntnissysteme aktiviert oder aber verarbeitet in der Form der Auslösung von Vergleichs-, Schlußund v.a. Inferenzoperationen. Über Anzahl und Charakter dieser Wissensbestände gibt es derzeit weder in der psychologischen noch in der psycholinguistischen Forschung Konsens. Viehweger und Heinemann
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(1990) gehen von drei - für kommunikative Prozesse grundlegenden - interagierenden Kenntnissystemen aus: sprachlichem Wissen (das auch als grammatisches Wissen i.w.S. verstanden werden kann), Welt-, Sach- oder enzyklopädischem Wissen und Interaktionswissen. Diese komplexen Kenntnisysteme enthalten weitere, ihnen zuzuordnende Systeme. Zum Interaktionswissen zählen z.B. Illokutions- und Musterwissen, zum enzyklopädischen beispielsweise Experten- und episodisches Wissen. Intertextuelles Wissen wird von Viehweger (1989) für möglich gehalten, aber nicht als permanentes, sondern als prozedurales Wissen, das als eine Art Wissensstrategie vor jeder Textproduktion und -rezeption etabliert wird und diese Prozesse kontrolliert und reguliert. Als weitgehend akzeptiert gilt die Auffassung, unser Weltwissen sei in Netzwerken, bestehend aus Knoten und Kanten, organisiert. Die Knoten werden von prototypischen Konzepten besetzt, die Weltausschnitte abdecken. Jeder dieser Knoten enthält mit großer Prototypikalität bestimmte Klassenkonzepte, die ihrerseits intern strukturiert sind. Die interne Struktur der Konzepte kann sich situations- und kontextabhängig verändern, bspw. in intertextuell beeinflußten Kontexten, die u.U. auch neue Kantenbildungen erzeugen können. Für den folgenden Beispieltext sind einige pragmatische Informationen notwendig: Es handelt sich um einen Kabarettext (Videomitschnittr des Fernsehens der DDR, ausgestrahlt am 31.12.1989, aufgezeichnet in Dresden, an dem Mitglieder bekannter Leipziger und Dresdener Kabaretts mitwirkten. Informationen dieser Art können bereits wesentliche Prädispositionen erzeugen. Der Hinweis auf die Entität Kabarett reaktiviert beispielsweise unser konzeptuelles Wissen über diese Institution, wie Wissen über Funktion, typische Darstellungsformen (Anspielung, Parodie, Zitat), aufgabenbezogenes Wissen (ein Doppelthinhörensollen) etc. Angaben zu Entstehungszeit und -ort können in Verbindung mit dem Hinweis 'Kabarett' politisches Wissen unterschiedlicher Art und Umfanges reaktivieren, die thematische Richtung andeuten und damit verbunden individuelle mentale oder emotionale Prädispositionen auslösen. Der Titel "Der scharfe Kanal", nur mit DDR-spezifischen Kenntnissen dekodierbar, persifliert die politische Sendung "Der schwarze Kanal", die im November 1989 eingestellt werden mußte. Die Attribute schwarz und scharf deuten jeweils den Charakter der Darstellung an. Der Beispieltext: Es war einmal vor vielen vielen Jahren, also vor gar nicht so langer Zeit, da lebte in einem kleinen Land ein braves Volk. Alle waren gleich, nur seine Herrscher waren gleicher. Und ganz besonders gleich war dem Volk der Kaiser, der immer wieder betonte, wie lieb er alle hätte und daß es nur um das Wohl des Volkes ginge. Und damit alles so gleich blieb, ließen er und die anderen Herrscher sogleich eine hohe Mauer zum Wohle des Volkes um sein Land ziehen, damit sich keiner ihrer Liebe entziehen konnte. Und fortan hieß dieses kleine Land Mauerretanien. Von nun an stand in diesem kleinen Land im Mittelpunkt der Mensch und ganz besonders einer, nämlich der Kaiser selber. Und weil er ein sehr weiser Herrscher war, teilte er seinen Reichtum mit dem Hof. Er verteilte abertausende güldene Spangen, gab diesem ein Schlößchen, jenem ein Häppchen, und so konnte der Kaiser sicher sein, daß ihm vom Hof nichts Böses widerfuhr. Ganz sicher aber erst fühlte er sich in seinem Schloß im Wald, wohin er sich zurückzog, um das Volk bei der Arbeit nicht zu stören. Wenn das Volk sich einmal ängstigte, jemand knieweich wurde oder ein wildgewordener Spießer quakte, tröstete er es mit flotten und lustigen Sprüchen, denn er war ein sehr ulkiger Kaiser. Einer davon war: Die Mauer bleibt noch 100 Jahre stehen. Ein anderer: Arbeite, plane, regiere mit. Und weil er auch ein sehr hilfsbereiter Kaiser war, nahm er dem Volk das Planen und Regieren ganz ab. Um aber zu sehen, wie es arbeitete, fuhr er manchmal durch die Lande. Und wo er herumkam, schlug er manch bunte Schneise in das Alltagsgrau. Und er dachte bei sich, es ist alles voller Ordnung, dabei war nur alles voller Sicherheit. Das Volk wußte sich unter diesem Kaiser aus lauter Freude
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nicht zu lassen. Die Sicherheit im Rücken, vor sich die Arbeit, links und rechts die Mauer und über sich den Kaiser, der nur sein Wohl im Auge hatte und es mit seiner Liebe fast erdrückte. Vor soviel Glück erstarrte das Volk fassungslos und fiel in einen tiefen tiefen Schlaf. Doch eines Tages träumte es einen sehr merkwürdigen Traum. Alle Märchen, die man dem Volk vor dem Einschlafen erzählt hatte, kamen plötzlich durcheinander. Aschenputtel hatte keine Lust mehr zum Putteln, wenn andere tanzten. Der kleine Muck lief davon, ohne wiederzukommen. Hans im Glück verlangte seine goldene Gans zurück. Und als der Kaiser noch gar den Knüppel aus dem Sack holte, hatten alle keine Lust mehr, die Rollen zu spielen, die sie im Märchen spielen mußten. Der Tisch, der sich selbst deckte und immer voll war, wurde abgesägt. Rotkäppchen verlor sicherheitshalber sein rotes Käppchen. Und Ali Baba und seine dreiundzwanzig Räuber wurden auf- und davongejagt. Da wachte das Volk von Mauerretanien auf. Ein kleines Mädchen rief: Seht 'mal, da, der Kaiser, er hat ja gar nichts an.
Der Rezipient muß den Text sofort komplex erschließen. Eine erneute Rezeption ist (mit Ausnahme der Wiederholung des Mitschnitts) nicht möglich. Der Text wird von einem Erzähler vorgetragen. Seine Einführung erfolgt in einer Weise (szenisch gestützt durch Requisiten wie hereingetragener Armsessel, überdimensionales Buch und akustische Effekte, Spieluhrmelodie), die Rückschlüsse auf den folgenden Text provoziert. Der Auftritt deutet an, was die ersten Worte des Textes im Zusammenspiel mit dem nonverbalen Kontext (gestützt durch Mimik und Gestik des Erzählers) zu bestätigen scheinen: Es wird ein Märchen erzählt. Formelhafte Wendungen wie Es war einmal oder vor langer langer Zeit reaktivieren unser Textmusterwissen über das Wissen, welche sprachlichen Erscheinungen und Strukturen typisch für diese Textsorte scheinen. Dazu gehören Teile der Lexik, Tempusgebrauch, einfache Rhema-Thema-Verbindungen, häufige undbzw. da- Verknüpfungen, wörtliche oder variierte Wiederholung, Einführung und Charakterisierung der Hauptperson im ersten Satz. Der märchenhafte Charakter wird weitergeführt durch Anleihen bei authentischen Märchentexten (wörtliche Zitation, variierte Übernahme prominenter Märchennamen und -requisiten etc). Eindeutig wird der Referenzbezug durch den metasprachlichen Hinweis auf erzählt(e) Märchen. Andererseits wird dieser Eindruck vom ersten Satz an relativiert durch die Einbettung in den Kontext der Sendung, die sich mit der sogenannten Wende 1989 in der DDR auseinandersetzt, sowie den präsenten Text selbst, einsetzend mit der Temporalangabe also vor gar nicht so langer Zeit, die in Verbindung mit den pragmatischen Informationen den Text vor einen konkreten lebensweltlichen Hintergrund stellt. Es war einmal deutet die bereits eingetretene Distanz zu diesem an. Die Rezeption erfolgt nun vor dem Hintergrund eines historischen Diskurses. Mauer und Mauerretanien werden zu stark assoziativen Schlüsselwörtern, wobei sich eine hohe Mauer in diesem Kontext nicht nur für den ehemaligen DDRBürger und sein spezifisches, gesellschaftlich erfahrenes Wissen zu d e r Mauer monosemiert. Der Weltbezug wird eindeutig durch die Übernahme von Phrasen-Zitaten wie Arbeite, plane, regiere mit (metasprachlich indiziiert durch Sprüche und den beibehaltenen Imperativ) oder zum Wähle des Volkes. Diese Phrasen - Teil der Sprache eines politischen Systems - konkretisieren den Bezug und gestatten - ein entsprechendes politisches Wissen vorausgesetzt - den fortlaufenden Text als sprachliche Folie, als sich märchenhaft gebende Darstellung eines realweltlichen Hintergrundes zu erschließen. Einen Höhepunkt bildet das dem Kaiser unterlegte Mielke-Zitat "der [...] betonte, wie lieb er alle habe" (Zitationsindikator: betonen).
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Die Weise, wie ein Text einen Text vergegenwärtigt, sagt zugleich etwas darüber aus, wie der Text sich zu dem Text verhält, den er heraufruft. [...] 'Intertextualität' ist keine [...] intentionslose Verweisung. (Stierte 1984: 145)
Im Beispieltext wertet der präsente Text die nichtliterarischen Bezugstexte ironisch-distanziert. Besonders deutlich bei dem als flott und lustig bezeichneten (stimmlich parodierten und indiziierten) Honecker-Zitat "Die Mauer bleibt noch hundert Jahre stehen". Die Intention der Verweisung wird in ihrer pragmatischen Funktion durch eine Anspielung auf Orwells "Farm der Tiere" gestützt. Die Lexik der Märchenfolie ermöglicht eine zugespitzte Darstellung des dargestellten Weltausschnitts, z.B. privilegierter Schichten (güldene Spangen für Orden, Schlößchen für Privatjagden usw.). In diesem Sinne sind die Märchenfiguren der Traumpassage ihren eigentlichen Referenzobjekten zuzuordnen, z.B. Knüppel aus dem Sack dem im Oktober aufmarschierten Militär. Im Beispiel der Tisch, der sich selbst deckte und immer voll war kommt es zu einer Überlagerung der Konzepte Tisch und Tischlein deck dich, die auf Grund gemeinsamer Eigenschaften auf eine Person namens (Harry) Tisch (ehemaliger Gewerkschaftschef) partiell übertragen werden. Zusammenfassung Intertextuell organisierte (literarische) Texte beziehen ihren Reiz aus einem mehr oder weniger komplizierten Zusammenspiel zwischen präsentem und Referenztext(en). Dabei stellt sich u.a. die Frage nach der Art des Interagierens der intertextuellen Elemente, z.B. Subsidiaritätsbeziehungen, Kontrastierung usw., sowie die Frage, inwieweit sie Strukturen des präsenten Textes modifizieren. Der Beispieltext zeigt Bezüge zu authentischen fiktionalen und nichtfiktionalen Texten sowie Textsorten im Sinne einer Montage. Als Indikatoren wirken: pragmatische Informationen zum Text, prosodische, metasprachliche und nonverbale Mittel. Die Rezeption derartiger Texte verlangt reaktiviertes Wissen unterschiedlicher Art, z.B. Muster- und Weltwissen als Wissen über lebensweltliche Hintergründe sowie einen Speicher erinnerter Äußerungen.
Anmerkungen 1 In Deutschland arbeiteten dazu in jüngerer Zeit Renate Lachmann, Manfred Geier, Gerhard Tschauder und Gotthard Lerchner. 2 Da der Text keine Abweichungen von der Hochsprache aufwies, wurde auf eine Transkription verzichtet. Wesentliche Verluste ergeben sich in der Schriftform durch die fehlende Angabe der Sprechpausen und Stimmführung. Sie haben wesentlichen Einfluß auf die Textverarbeitung, z.B. durch das Etablieren von Erwartungen oder als Rezeptionshilfen.
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Literatur Geier, Manfred (1985): Die Schrift und die Tradition. Studien zur Intertextualität. - München: Fink. Heinemann, Wolfgang/Viehweger, Dieter (1990): Textlinguistik. Eine Einführung. - Leipzig: Enzyklopädie. Lachmann, Renate (1984): "Ebenen des Intertextualitätsbegriffes". - In: Stierle, Karlheinz/Waming, Rainer (Hrsg.) 133-138. Lerchner, Gotthard (1988): "Intertextualität als ästhetisches Potential: Bobrowskis '34 Sätze". - In: Zeitschrift für Germanistik 3, 307-320. Orwell, George (1982): Farm der Tiere. Ein Märchen. - Zürich: Diogenes. Stierle, Karlheinz (1984): "Werk und Intertextualität". - In: Stierle, Karlheinz/Waming, Rainer (Hrsg.) 139150. - /Warning, Rainer (Hrsg.) (1984): Das Gespräch. - München: Fink (= Poetik und Hermeneutik XI). Tschauder, Gerhard (1989): Textverbindungen. Ansätze zu einer Makrotextologie, auch unter Berücksichtigung fiktionaler Texte. - Bochum: Brockmeyer (= Bochumer Beiträge zur Semiotik 22). Viehweger, Dieter (1989): "Coherence is also a pragmatic phenomenom. Some rejoinders to E.-M. Konte and R. Harweg". - In: Heidrich, Wolfgang et al. (eds.): Connexity and coherence. Analysis of Text and Discourse (Berlin etc.) 291-301.
LITERARISCHES ÜBERSETZEN ZWISCHEN KOPF UND BAUCH
Christiane Nord
0. Einleitung Immer wieder ist zu hören (und zwar auch von den literarischen Übersetzern und Übersetzerinnen selbst), das literarische Übersetzen sei eine Kunst und habe mit Wissenschaft nichts zu tun. Auf der anderen Seite aber scheinen literarische Übersetzungen - so meine persönliche Leseerfahrung - häufig daran zu kranken, daß die Übersetzer zu wenig mit dem Kopf und zu viel "aus dem Bauch" arbeiten. Anhand einiger Beispiele aus Lewis Carrolls "Alice in Wonderland" und drei deutschen Übersetzungen sollen daher im folgenden exemplarisch ein paar Übersetzungsprobleme dargestellt werden, für deren Lösung die "Wissenschaft" - im Sinne eines "Wissens um die Dinge und ihr Funktionieren", das die Grundlage für argumentativ zu begründende Entscheidungen liefert - eine wichtige Rolle spielen kann. Nicht in jedem Fall können wir heute bereits auf wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zurückgreifen. Es geht daher auch um Fragen, die u.a. an die linguistische Forschung (im weitesten Sinne) zu stellen sind. Ich greife folgende Bereiche heraus: Übersetzungstheorie, Rezeptionstheorie, Stiltheorie, Texttheorie, Soziolinguistik und Phonologie bzw. Phonostilistik.
1. Die Funktion der Übersetzung: übersetzungstheoretische Überlegungen Wir wissen, daß Texte selten monofunktional sind. Auch Übersetzungen können im Hinblick auf den Ausgangstext (AT) verschiedene Funktionen haben. Grundsätzlich lassen sich zwei Übersetzungstypen unterscheiden: die dokumentarische Übersetzung, die den AT oder einige seiner Aspekte "dokumentieren" soll, und die instrumenteile Übersetzung, die ein eigenständiges, mit dem AT durch eine Relation der Analogie verbundenes Kommunikationsinstrument in der Zielkultur sein soll (vgl. Nord 1989). Das wichtigste Kriterium für die Entscheidung, welcher Übersetzungstyp in einem konkreten Fall zu wählen ist, ist die Zielsituation und hier vor allem der Zielempfänger. Es ist zu fragen, welche Funktionsmöglichkeiten der AT einem Empfänger der Zielkultur, mit seinem zielkulturell geprägten Vorwissen, seinem kulturspezifischen Horizont, seinen Erfahrungen mit der Ziel-Literatur und auch seinen Erwartungen an eine Übersetzung bieten kann bzw. welchem Zielempfänger der AT überhaupt Verstehensmöglichkeiten bietet. Verstehen ist immer ein Anknüpfen an zuvor Gewußtes; insofern muß der Zielempfänger die Inhalte des AT zwangsläufig anders an sein Vorwissen anknüpfen als der Ausgangsempfänger. Oder aber - ewiges Dilemma - der Übersetzer muß eventuell Inhalte verändern,
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wenn es sein Ziel ist, dem Zielempfänger ein gleiches oder analoges Anknüpfen zu ermöglichen. Diese Überlegungen sind eine unabdingbare Voraussetzung dafür, daß der Übersetzer die erste, grundlegende Entscheidung vor allem Übersetzen treffen kann: Welche Funktion(en) soll bzw. kann das Translat in der Zielkultur erfüllen? Es handelt sich hier um eine grundsätzliche, übersetzungstheoretisch zu begründende Methodenentscheidung, die für die gesamte Übersetzung die Weichen stellt. Wenn der Übersetzer dieser Entscheidung ausweicht, ist die Gefahr sehr groß, daß "intuitive" Einzelentscheidungen sich widersprechen und keine klare Linie erkennen lassen. Ein Beispiel: Lewis Carroll "verballhornt" an verschiedenen Stellen bekannte Lieder und Gedichte. Das Lied (1) Twinkle, twinkle, little star, how I wonder where you are. Up above the world so high like a diamond in the sky.
wird vom Hutmacher in der folgenden Form wiedergegeben: Twinkle, twinkle, little bat, how I wonder what you're at! Up above the world you fly like a tea tray in the sky. (Carroll 1946: 73)
Reman6 übersetzt mehr oder weniger dokumentarisch: Tanze, tanze, Fledermaus, tummle dich zum Haus hinaus. Wie'n Tablett am Himmelszelt fliegst du durch die weite Welt. (Carroll 1973b: 113)
Enzensberger beginnt mit einer instrumentellen Übersetzung, hält sie jedoch nicht durch: Weißt du wieviel Sternlein stehen auf dem weiten Kanapee? Statt daß sie am Himmel baumeln, taumeln sie hier durch den Tee. (Carroll 1973a: 74)
Teutsch schließlich versucht, wie sie selbst in ihrem Nachwort sagt, "Carrolls Spaß dort anzusiedeln, wo er vielleicht auch von unseren Kindern gefunden werden kann" (Teutsch 1989: 142), also eine instrumenteile Übersetzung: Sah ein Knab ein Höslein stehn, Ganz aus grü-hüner Seide... Ge-helb getupft und wu-hunderschön! Wie kann i-hich dir wi-hiderstehn? Du bist mei-heine Freu-heu-de! Höslein, Höslein, Hö-höslein grün, Mei-heine Au-haugenwei-heide! (Carroll 1989: 78)
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· 2. Kulturelle Distanz und Wirkung: rezeptionstheoretische ·Überlegungen
Die Wahl des Übersetzungstyps hat entscheidende Auswirkungen auf einen anderen, meiner Ansicht nach höchst übersetzungsrelevanten Faktor: die Wirkung. Die Wirkung wird zum Teil bestimmt durch die "kulturelle Distanz" zwischen der Textwelt und der Welt des Lesers (vgl. Nord 1988b: 54). Im Fall von "Alice in Wonderland" ist für den AT-Leser die Textwelt mit der eigenen Welt identisch, was ihm eine Identifizierung mit der Hauptperson ermöglicht. Das gleiche Ziel versucht eine instrumentelle Übersetzung zu erreichen. Die dokumentarische Übersetzung dagegen schafft Fremdheit, kulturelle Distanz. Die Personen sind Engländer, der Schauplatz ist England, und es darf dann die Leser nicht wundern, wenn dort manches anders ist als bei ihnen zu Hause. Dies wird etwa an der Übersetzung von Realienbezeichnungen oder von Maßen und Geldbezeichnungen deutlich. Ob custard (Carroll 1946: 8) mit 'Vanillesoße' (Carroll 1973a: 17) oder mit 'Eierpastete' (?, Carroll 1973b: 24) wiedergegeben wird und ob Entfernungen in 'Meilen' oder 'Kilometern', Wertangaben in 'Schilling' (oder 'Shilling') und 'Pence' oder 'Mark' und 'Pfennig' oder die Größe eines Kindes in 'Fuß' oder 'Zentimetern' angegeben wird, ist nicht in erster Linie (aber bei einem Kinderbuch durchaus auch!) ein Verständnisproblem, sondern markiert den "inneren Ortsbezug" (vgl. Nord 1988a: 44f.) der Geschichte selbst. Bei Literatur für Erwachsene - anders als bei Kinderbüchern - lassen unsere Übersetzungskonventionen (vgl. Nord 1991) heute die Entscheidung für eine instrumentelle Übersetzung in der Regel nicht zu: Erwartet wird eine dokumentarische Übersetzung, bei der von vornherein die Veränderung von Funktion und Wirkung in Kauf genommen wird. So wird etwa eine appellative Funktion, durch die dem AT-Leser bestimmte Elemente seiner eigenen Kultur bewußt gemacht werden sollen (damit er sie gegebenenfalls verändert!), in eine stärker informative Funktion umgewandelt, bei der der Appell generalisiert und damit abgeschwächt wird. Gleichzeitig ist die Wirkung nicht mehr die unmittelbaren Erkennens und Mit-Leidens (oder -Freuens), sondern eher die intellektuellen Zur-Kenntnis-Nehmens oder eventuell auch nur der Neugier gegenüber dem unbekannten Exotischen, Fremden.
3. Form und Wirkung: stiltheoretische Überlegungen Die Frage nach dem Einfluß der kulturellen Distanz auf die Wirkung eines literarischen Textes stellt sich jedoch nicht nur im Bereich des Inhalts, der (fiktiven) Informationen, die der Text bietet, sondern auch im Hinblick auf die sprachliche Form. Je nach deren Erwartet- bzw. Unerwartetheit ist die Wirkung eine andere. Hier geht es also ebenfalls um eine Entscheidung zwischen der "Dokumentation" des Fremden und der "Aneignung" an die Zielkultur. Interessanterweise wird im Rahmen unseres allgemeinen Begriffs von (literarischer) Übersetzung neben der Fremdheit im inhaltlichen Bereich die "äquivalente" Umsetzung der sprachlich-stilistischen Merkmale des AT in die Zielsprache gefordert, also "gleiche sti-
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listische Wirkung". Das bedeutet, daß der Grad der Erwartet- bzw. Unerwartetheit der sprachlichen Formen für Ausgangs- und Zielleser möglichst gleich sein soll. Wie ist nun das zu erreichen? Das läßt sich am besten am Problem der Textsortenkonventionen verdeutlichen. In der Prosaliteratur kommen häufig eingebettete Texte vor, die bestimmten Textsorten zuzurechnen sind, so zum Beispiel in "Alice in Wonderland" u.a. eine Adresse, ein Rätsel, ein Geschäftsordungsantrag, ein Text aus einem Geschichtslehrbuch. Bei der Übersetzung dieser In-Texte müssen die Konventionen der Zielkultur eingehalten werden, wenn der Leser den Text als mit seinen Erwartungen an die betreffende Textsorte kohärent empfinden soll. (2) Why is a raven like a writing desk? (Carroll 1946: 69) Warum gleicht ein Rabe einem Schreibpult? (Carroll 1973b: 108) Was ist der Unterschied zwischen einem Raben und einem Schreibtisch? (Carroll 1973a: 70, Carroll 1989: 74).
Anpassung an die zielkulturellen Konventionen wird aber nicht nur bei eingebetteten Textsorten erwartet. Auch andere Elemente werden nach Art und Häufigkeit in verschiedenen Kulturen konventionell unterschiedlich gebraucht. Dazu gehören Anreden (wie steif wirkt im Deutschen die Anrede "gnädige Frau" oder gar "liebe Dame" im Vergleich zum englischen "ma'am!"), die Variation der verba dicendi bei der wörtlichen Rede ("sagte sagte - sagte - sagte" bei Carroll 1973a: 113, dagegen "sagte - berichtigte - piepste - befahl" bei Carroll 1973b: 178), Markierung von Sprechsprache in der Literatur (z.B. der Apokopen, Aphäresen, Verschleifungen, Anakoluthe, Modalpartikeln) etc. Um solche Fragen nach den stilistischen oder Textsortenkonventionen zuverlässig zu beantworten, wären repräsentative Stilanalysen literarischer Texte im Hinblick auf diese Probleme erforderlich, die meines Wissens so noch nicht vorliegen.
4. Der Text und sein Zusammenhang: texttheoretische Überlegungen Der Ausgangstext ist für den Ausgangsempfänger in der Regel ein kohärenter Text. Kohärenz wird einerseits durch die Mittel der Kohäsion an der Textoberfläche, andererseits aber durch das Welt- oder Vorwissen des Empfängers hergestellt, das dieser entsprechend seinen Erwartungen an bestimmte Texte oder Textsorten aktiviert. Die Kenntnis dieser Vorgänge und ihrer Grundlagen ist für den Übersetzer unabdingbar, wenn er für den Zielempfänger ebenfalls einen kohärenten, d.h. verständlichen, Text herstellen will. Hier kann man auf die Erkenntnisse der Textlinguistik und besonders der pragmatisch orientierten Texüheorie (vgl. Schmidt 1976) zurückgreifen. Das Problem der Kohärenz wird besonders akut bei den Anspielungen auf bekannte Lieder und Gedichte (vgl. Bsp. 1), bei metasprachlichen Passagen und vor allem auch bei den Wortspielen, für die "Alice in Wonderland" so berühmt ist. Nur ein Beispiel: (3) How funny it'll seem to come out among the people that walk with their heads downward! The Antipathies, I think... (Carroll 1946: 4) Das kann ja lustig werden, wenn ich bei den Menschen herauskomme, die mit dem Kopf nach unten laufen! Die 'Antipathien', sagt man, glaube ich - (Carroll 1973a: 13, ähnlich Carroll 1973b: 15)
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Wie lustig, dann komme ich bei den Leuten heraus, die auf dem Kopf stehen! Den Anti-Antiporen oder wie sie heißen - (Carroll 1989: 15)
Wie kommt Alice von "Antipoden" auf "Antipathien"? Für den AT-Leser ist es klar: antipathies hört sich ganz ähnlich an wie antipodes - die Verwechslung beruht also auf einer phonetischen Ähnlichkeit der beiden Wörter.
5. Sprecher und Sprache: soziolinguistische Überlegungen Zu einem akzeptablen und funktionsgerechten Text gehört jedoch nicht nur Verständlichkeit, sondern - und das gilt sicher in besonderem Maße für literarische Texte auch eine Übereinstimmung mit den Erwartungen des Lesers an sprachliches Verhalten bestimmter Personen in bestimmten Situationen. Wer spricht wie? Kinder sprechen anders als Erwachsene, Fachleute sprechen (über ihr Fach) anders als Laien etc. Hier liegen noch zu wenig Untersuchungen vor, als daß der Übersetzer auf gesicherte Erkenntnisse zurückgreifen könnte - andererseits kann er sich jedoch nicht nur auf seine Intuition verlassen, da er ja selbst auch nur ein Vertreter einer bestimmten sozialen Gruppe oder Schicht ist und nur deren Sprache internalisiert hat. Besonders sprecherabhängig sind Interjektionen. Ob jemand zum Ausdruck der Überraschung oder Besorgnis "Jemine" oder "Ach du meine Güte!", "Mein Gott!" oder "lieber Himmel", "Herrje" oder "Nein, so etwas!" sagt, hängt vom Alter, vom Geschlecht, von der Bildung und natürlich auch von regiolektalen Einflüssen ab. Sprecherabhängig ist die Lexik aber auch z.B. im Bereich der bewertenden Adjektive: So würde ein Mädchen in Alicens Alter im Deutschen vermutlich nicht sagen, daß Ausdrücke wie Längengrad und Breitengrad so "imponierend" klängen (Carroll 1973b: 15 für "nice grand words", Carroll 1946: 3) oder daß sie gern den "reizenden Garten" (Carroll 1973b: 69 für "lovely garden", Carroll 1946: 38) "aufsuchen" [!] würde.
6. Prosodie und Fokussierung: phonologische und phonostilistische Überlegungen Zum Abschluß möchte ich noch auf einen Bereich eingehen, dessen Bedeutung für einen schriftlichen, zum leisen Lesen bestimmten Prosatext vielleicht nicht auf Anhieb einleuchtet: die Klangwirkung des Textes, zu der Prosodie, Intonation, Lautmalerei und Betonung (Fokussierung) als suprasegmentale Mittel der Wirkungssteuerung gehören (vgl. Nord 1988a: 142f.). Zunächst ein Beispiel, in dem die Prosodie lautmalerische Wirkung hat: Alice fällt ins Kaninchenloch und denkt: (4) Down, down, down. (Carroll 1946: 3) Hinab, hinab, hinab. (Carroll 1973a: 15)
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Abwärts, abwärts, abwärts. (Carroll 1973b: 15) Immer noch ging es tiefer und tiefer und tiefer. (Carroll 1989: 15)
Die aufsteigende Betonung der Wörter bei Carroll 1973a widerspricht ihrem Sinn. Bei Carroll 1973b bringt die Anfangsbetonung bereits eine Verbesserung, der hellere Klang der zweiten Silbe stört jedoch immer noch bei der Vorstellung von einem unaufhaltsamen Fallen, das durch die Übersetzung von Carroll 1989 sowohl durch Betonung und Vokalklang als auch durch das verzögernde Polysyndeton ein wesentlich besser dargestellt wird. Im folgenden Beispiel kommen verschiedene Aspekte zusammen: Im AT ist die Wortfokussierung durch nonverbale Mittel (Kursivdruck), durch ein Fokuswort ("indeed"), durch Interpunktion (Gedankenstrich, Ausrufezeichen), eine parallele Thema/Rhema-Folge ("As if I - would talk...", "Our family - always hated..."), durch eine asyndetische Triade mit Klimax sowie durch die Verwendung von "things" für Katzen signalisiert: (5) "We won't talk about her any more, if you'd rather not." "We, indeed!" cried the Mouse, who was trembling down to the end of his tail. "As if / would talk on such a subject! Our family always hated cats - nasty, low, vulgar things!" (Carroll 1946: 19) "Wir wollen nicht mehr über Katzen reden, wenn dir das lieber ist." - "Was soll das heißen: 'Wir'!" rief die Maus, bis in die Schwanzspitze erbebend, "als ob ich jemals von etwas Derartigem sprechen würde! Katzen hat man in unserer Familie seit jeher verabscheut: garstige, niedrige, ekelhafte Geschöpfe!" (Carroll 1973a: 27) "Wir wollen nicht mehr über sie sprechen, wenn es dir mißfällt." - "'Wir' sagst du?" piepste die Maus, bis zur äußersten Schwanzspitze zitternd. "Als ob ich über diese Person auch nur ein einziges Wort verlieren würde! Seit alters her haßt unsere Familie die Katzen, diese abscheulichen, minderwertigen Geschöpfe!" (Carroll 1973b: 40) "Reden wir von etwas anderem, wenn dir das lieber ist!" "Wir ist gut!" quiekte die Maus und zitterte vor Empörung bis in die Schwanzspitze. "Ich nehme das Wort nie in den Mund! In meiner Familie sind Katzen seit eh und je verhaßt - widerliche, gemeine und hinterhältige Geschöpfe!" (Carroll 1989: 28)
Im Englischen ist sowohl die Wortstellung als auch die Satzmelodie relativ fest normiert daher muß im AT auf das nonverbale Mittel der Hervorhebung zurückgegriffen werden. Im Deutschen dagegen wird Fokussierung zum Teil durch die Wortstellung (z.B. die Voranstellung von "Katzen" bei Carroll 1973a) erreicht, durch Fokuswörter ("auch nur") oder Anführungsstriche ("wir"). Die Hervorhebung durch Kursivdruck ist daher nur in uneindeutigen Kontexten erforderlich und wirkt sonst leicht affektiert (Carroll 1973a: ich, verabscheut). Carroll 1989 benutzt zur Betonung eine Kontrastfokussierung ("wir" - "ich" am Satzanfang), eine parallele Thema/Rhema-Folge ("Ich" - "In meiner Familie") und eine Parenthese, die zur Fokussierung des vorangehenden Wortes "verhaßt" führt.
7. Schlußbemerkung Aus der großen Zahl möglicher Problemkreise habe ich einige herausgegriffen, die zeigen sollen, daß Intuition allein nicht zu einer befriedigenden Lösung führen kann, wenn nicht vorher die theoretischen Grundlagen durch eine wissenschaftliche Vorgehensweise erarbeitet worden sind. Gleichzeitig hat sich gezeigt, daß noch viel Forschungsarbeit zu leisten ist,
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um die angesprochenen Probleme methodisch abzusichern. Das kann nicht Aufgabe der Übersetzungswissenschaft allein sein. Vielmehr ergibt sich hier ein Ansatzpunkt für eine fruchtbare interdisziplinäre Zusammenarbeit: Die Übersetzungswissenschaft muß die Fragen stellen, die sich den Einzelphilologien oder -linguistiken aufgrund ihrer einzelsprachlichen Orientierung nicht aufdrängen - die Antworten können jedoch eigentlich nur die einzelsprachlich orientierten Disziplinen geben.
Literatur Carroll, Lewis (1946): Alice in Wonderland and Through the Looking Glass. - New York. - (1973a): Alice im Wunderland. Übersetzt und mit einem Nachwort von Christian Enzensberger. - Frankfurt am Main. - (1973b): Alice im Wunderland. Prosa-Übersetzung von Lieselotte Remane, Nachdichtungen von Martin Remano. - München. - (1989): Alice im Wunderland. Übersetzt von Barbara Teutsch. - Hamburg. Nord, Christiane (1988a): Textanalyse und Übersetzen. - Heidelberg. - (1988b): "Übersetzungshandwerk - Übersetzungskunst. Was bringt die Translationstheorie für das literarische Übersetzen?" - In: Lebende Sprachen 2, 51-57. - (1989): "Loyalität statt Treue. Vorschläge zu einer funktionalen Übersetzungstypologie". - In: Lebende Sprachen 3, 100-105. - (im Druck): "The Role and Scope of Conventions in Translation". - In: Proceedings of the Xllth World Congress of FIT, Belgrade 1990. Schmidt, Siegfried J. (1976): Texttheorie. - München, 2.A. Teutsch, Barbara (1989): Variationen in Alice. - In: Carroll (1989) 139-142.
WENN PERSONENNAMEN NICHT AUF PERSONEN REFERIEREN ·· Metapher und Vergleich als Ubersetzungsproblem Gerhard Tschauder
1. Problemstellung Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist eine kurze Passage aus einem Essay von Umberto Eco und deren deutsche Übersetzung. Das Original lautet: (la)... Stefano Tempier finisce ... nella schienpurtroppo etema dei grandi restauratori ehe incomincia coi giudici di Socrate, passa attraverso quelli di Galileo e finisce, prowisoriamente, con Gabrio Lombardi. (Eco [1974] 1977: 123)1
Dieser Textauszug wurde von Burkhart Kroeber folgendermaßen übersetzt: (lb)... Tempier (ging) ... in die leider endlose Reihe der großen Restauratoren ein ..., die von den Richtern des Sokrates über die Richter Galileis bis einstweilen (198S) zu Kardinal Ratzinger reicht. (Eco 1985: 284)
Uns geht es im folgenden ausschließlich um die Ersetzung des Eigennamens Gabrio Lombardi durch Kardinal Ratzinger. Die Erklärung, daß zwischen dem Text in der Ausgangsund demjenigen in der Zielsprache mehr als 10 Jahre liegen und der vorläufig letzte "Restaurator" eben in der Zwischenzeit ein anderer geworden sei, ist sicher zu vordergründig; denn ein deiktischer Ausdruck wie einstweilen hat sich natürlich in einer Übersetzung auf den Produktionszeitpunkt des Originals zu beziehen, es sei denn, der Übersetzer wird (wie in diesem Fall) selbst zum Autor. Das hinter der Eigennamenersetzung stehende Problem existiert allerdings völlig unabhängig von der Zeitspanne zwischen Textproduktion und Übersetzung. Nun sind gerade Eigennamen ein Zeichentyp, der, insbesondere was Personennamen betrifft, weitgehend interlingual konstant ist, so daß es ihretwegen, jenseits aller einzelsprachlichen "eigenthümlichen Weltansicht" (W. von Humboldt [1835] 1963: 434), eigentlich gar keiner übersetzerischen Fähigkeiten bedarf. Um es lapidar zu illustrieren: ein Minister Zimmermann wird in einem italienischen Text nicht zu Ministro Carpentiere und auch nicht plötzlich zu Ministro Bernini, nur weil letzterer der italienische Amtskollege Zimmermanns ist bzw. war. Entsprechend absurd wäre es, die Äußerung (2a) leri ho letto un articolo di Lombardi zu übersetzen mit: (2b) Gestern habe ich einen Artikel von Ratzinger gelesen,
eine Absurdität, die weder durch die geistige Verwandtschaft beider Personen noch durch den höheren Bekanntheitsgrad Ratzingers bei deutschen Lesern gemildert würde.
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2. Referenz und Prädikation Offenbar anders liegen die Dinge jedoch in unserem Ausgangsbeispiel, das heißt: Wir haben es mit unterschiedlichen Typen der Referenz zu tun. Um hier einen Schritt weiterzukommen, wollen wir uns der Referenztheorie Searles zuwenden. Searle erläutert diese bekanntlich an seinem einfachen Standardbeispiel Sam smokes habitually, welches einen referierenden Ausdruck, hier einen Eigennamen, und einen prädizierenden Ausdruck, smokes habitually, enthalte. Diese These, der zufolge ein Text alternierend referieren und prädizieren würde, ist jedoch nicht widerspruchsfrei, wie sehr schnell unter Rekurs auf die Verkettungsstrukturen im Text gezeigt werden kann. Gehen wir aus von dem Beispielsatz: (3) Der Unfall verlief glimpflich.
Die Äußerung enthält nach Searle die referierende NP der Unfall; dieser Ausdruck aber ist in aller Regel anaphorisch verwendet, d.h. er verweist im Text zurück, z.B. auf einen Vorgängersatz wie: (3') Auf der Rheinallee ist heute ein Bus umgekippt.
Zurückweisen, das heißt genauer: die NP ein Unfall und der g e s a m t e Vorgängersatz sind koreferent. Damit nun zwei Größen koreferent sein können, müssen sie logischerweise jeweils Referenz haben, so daß in (3') keineswegs nur die NP ein Bus referiert, sondern eben die gesamte Äußerung. Mit demselben Verfahren läßt sich zeigen, daß derjenige Teil des Sprechaktes, den Searle Prädikation nennt, durchaus auch eigenständig referiert. Wenn etwa in dem Beispiel (4) Diese Strafe traf viele sogenannte Häretiker
die Referenz des anaphorischen Ausdrucks diese Strafe nach Searle außer Zweifel steht (vgl. Searle 1969: 162), dann muß auch der anaphorisch wiederaufgenommene Ausdruck referieren, und dieser ist bei einer initialen Äußerung wie z.B. (4') Giordano Bruno wurde auf dem Scheiterhaufen verbrannt
nicht die gesamte Feststellung, sondern lediglich das Prädikat auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden; denn nur letzteres ist mit dem Nachfolgeausdruck diese Strafe koreferent.^ Ebenfalls zu eng gefaßt ist darüber hinaus Searles Begriff der Prädikation. Nach der traditionellen, letztlich auch von Searle geteilten Auffassung wird in Äußerungen wie z.B. (5) Der Einbrecher war sehr nervös
einer bestimmten Person eine bestimmte Eigenschaft zugesprochen. Demgegenüber analysiert die formale Logik solche Sätze etwa auf folgende Weise (vgl. z.B. Menne 1966: 59): (5') ex. e(x) A n(x),
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zu lesen als: Es gibt mindestens eine Entität, für die gilt: sie ist ein Einbrecher und sie ist nervös. Wenngleich diese Formalisierung aus linguistischer Sicht keineswegs befriedigt (vgl. Tschauder 1979: 15), macht sie doch deutlich, daß mit Äußerungen vom Typ (5) a u c h zwei Akte der Prädikation vollzogen werden. Somit sind Referenz und Prädikation keine alternativen Größen der Satzanalyse, sondern vielmehr verschiedene Perspektiven ein und derselben Relation: Die Referenzbeziehung ist gerichtet vom Zeichen auf das Denotat, also semasiologischer Natur, die Prädikation zielt dagegen vom Referenzobjekt auf dessen sprachlich benannte, semantische Eigenschaften und ist damit onomasiologischer Natur. Das heißt allerdings wiederum nicht, die beiden Perspektiven seien im Satz gleichrangig realisiert, wie dies die logische Analyse für Prädikationen suggeriert. Vielmehr ist Searle (1969: 27) zuzustimmen bei seiner Unterscheidung zwischen den Verwendungsweisen von a man in A man came und John is a man. Worin aber liegt dieser Unterschied, wenn man seiner These, das erste Vorkommen von a man sei referentiell, das zweite prädikativ (ebd.), nicht zustimmen kann? Nun, es handelt sich zwar um zwei Perspektiven ein und derselben Relation, diese Perspektiven haben jedoch einen divergierenden aussagentheoretischen Status. So wird in Beispielen wie (5) a u s g e s a g t , daß jemand nervös war, und es wird p r ä s u p p o n i e r t , daß derjenige ein Einbrecher ist (bzw. war), so daß zwischen expliziter und impliziter Prädikation differenziert werden muß. Hierbei handelt es sich um eine Unterscheidung, die nicht nur für Prädikationen, sondern ebenfalls für die Referenzrelation gilt, wenngleich dort mit umgekehrten "Vorzeichen". An Subjektstelle, oder sagen wir mit Tesniere genauer: anstelle eines Aktanten, muß ja gar nicht notwendigerweise ein (prädizierender) Gattungsname stehen, vielmehr kann diese Position auch durch ein anaphorisches Pronomen oder ein Deiktikon repräsentiert werden. In letzterem Falle, etwa mit der Feststellung (6) Das (da) stinkt aber fürchterlich,
wird auf den übelriechenden Gegenstand referiert, ohne daß er benannt oder im Text vorerwähnt worden sein muß, ohne daß also mit dem Deiktikon überhaupt eine Prädikation vollzogen wird. Die indirekte Prädikation fällt also hier ganz weg, so daß diese Funktion für Aktanten nicht generell konstitutiv sein kann; konstitutiv ist vielmehr die Referenzfunktion dieser Ausdrücke. Steht bei den Aktanten also die Referenz im Vorder- und die Prädikation im Hintergrund, so ist dies beim prädikativen Akt genau umgekehrt. Der nachgeordnete Status der Referenzfunktion beim Prädikat wird dadurch deutlich, daß letzteres ein Solitär ist in einer textologischen Koreferenzkette. Es kann nämlich nie koreferent durch ein Prädikat wiederaufgenommen werden, sondern muß stets in eine Aktantenbezeichnung (syntagmatisch) transformiert werden. ° So wäre etwa der folgende Textfortsetzungssatz zu (5) denkbar: (Sa) Nun ist Nervosität nicht gerade eine Eigenschaft, die sich ein Einbrecher leisten kann.
Das Prädikat aus (5) war sehr nervös (oder sehr nervös sein) wird hier wiederaufgenommen durch eine koreferente NP, durch das - primär referierende - Anaphorikon Nervosität. Das heißt: Mit der Prädikation wird gewissermaßen latent referiert, soll aber die Refe-
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renzfunktion in den Vordergrund rücken, so bedarf es der Transformation in einen Aktanten, die dann für alle weiter nachfolgenden Koreferenzglieder im Text Gültigkeit hat. Fazit: Searles Beispielpaar A man came und John is a man ist dadurch charakterisiert, daß das zweite Vorkommen von a man indirekt referiert, primär aber prädiziert (genauer: Teil der Pradikation to be a man ist), wohingegen ersteres Vorkommen dieses Ausdrucks direkt referiert und sekundär prädiziert.
3. Personennamenprädikate Wenn wir uns jetzt noch einmal auf die Valenztheorie beziehen, so tun wir dies mit Tesniere (1965: 160) - und z.B. gegen Helbig/Buscha (1986: 627) - in dem Sinne, daß das Auxiliarverb mit dem Prädikatsnomen g e m e i n s a m das strukturale Zentrum des Satzes bildet, egal, ob das Prädikatsnomen durch ein Adjektiv repräsentiert wird oder durch ein Substantiv (vgl. auch Tschauder 1987: 113f, 1989: 220f.). Dabei ist es wiederum unerheblich, ob es sich bei letzterem um einen Gattungsnamen oder einen Eigennamen handelt. Ohne hier auf Einzelheiten eingehen zu können, sind, wie (7a) und (Tb) zeigen, bei Eigennamen zwei Typen von Prädikationsakten zu unterscheiden: (7a) Der da hinten ist (ein) Weizsäcker. (7b) Der da hinten ist ein Krösus.
Die Prädikate gehören nämlich verschiedenen Sprachebenen an: In (7a) handelt es sich um ein metasprachliches, in (Tb) dagegen um ein objektsprachliches Prädikat. Entsprechend ist ersterer Beispieltyp (ohne Klammerzusatz) durch (7a') Der da hinten ist derjenige, der 'Weizsäcker' heißt9
zu paraphrasieren, letzterer - jedenfalls in unserer Sprachgemeinschaft - aber eben höchstwahrscheinlich nicht durch: (7b') Der da hinten, das ist jemand, der zur Familie der 'Krösus' gehört, sondern vielmehr etwa durch: (7c')
Da hinten, das ist jemand, der ist extrem reich.
Extrem reich sein ist ein objektsprachliches Prädikat, welches auf eine herausragende Eigenschaft referiert, und dies gilt entsprechend für das äquivalente Prädikat ein Krösus sein oder allgemeiner: für metaphorische Eigennamenprädikate. Wenn nun einer anderen Person als Krösus dasselbe Prädikat zukommt und diese Person in b e z u g auf d i e s e s P r ä d i k a t beim Adressaten als bekannt vorausgesetzt werden kann, dann sind die Personennamen im Prädikat nicht nur salva veritate austauschbar, sie sind vielmehr kommunikativ weitgehend äquivalent. Eine solche Äquivalenz besteht etwa zwischen (Tb) und der folgenden Äußerung: (7c) Der da hinten ist ein Rockefeiler.
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Natürlich kann das Prädikat in entsprechenden Kontexten auch nicht-metaphorisch verwendet werden, im metaphorischen Prädikat aber sind die Eigennamen Krösus und Rockefeller (quasi-)synonym, ihr Austausch wäre das Produkt einer "intralingualen Übersetzung" (Jakobson [1959] 1971: 261). Die fehlende Referenzbeziehung zum Namensträger wird u.a. auch dadurch deutlich, daß solche Prädikate auch in nicht-fiktionalen Texten fiktionale Eigennamen enthalten können. So ist es nur innerhalb der Fiktion möglich, etwa zu sagen: (8a) Die da hinten ist eine Capulet
(vorausgesetzt, eine Verwandte der Shakespeareschen Julia soll gemeint sein); heißt es aber: (8b) Die da hinten ist eine Circe, dann referiert der Äußerungsträger mit diesem Eigennamen nicht etwa auf die bekannte Gestalt der Mythologie, sondern auf die - höchst reale - Eigenschaft, eine geschickte Verführerin zu sein.
4. Vergleichsstrukturen Eine weniger komprimierte Form als das metaphorische Prädikat ist die explizite, vergleichende Nennung einer bestimmten Eigenschaft, so, wenn es z.B. heißt: (9a) Er ist reich wie Rockefeller.
Erneut ergibt der Austausch des Eigennamens nach den für metaphorische Prädikate geltenden Kriterien eine (quasi-)synonyme Äußerung: (9b) Er ist reich wie Krösus.11
Daraus aber, daß der Personenname lediglich den hohen Grad der in Rede stehenden Eigenschaft zum Ausdruck bringt, kann man ableiten, daß dieser Eigenname hier einen Elativ markiert - ebenso, wie dies in anderen Kontexten die Adverbien sehr, ungeheuer, extrem oder Präfixe wie stein-(reich) oder erz-(konservativ) tun. Damit wird nicht ausgeschlossen, daß der paradigmatische Austausch des Eigennamens Bedeutungsnuancen bewirken kann, so etwa in dem Beispielpaar: (10) Er ist scharfsinnig wie Einstein / wie Sherlock Holmes,
wobei in ersterem Fall eher auf eine herausragende theoretische, in letzterem Fall eher auf eine herausragende praktische Begabung verwiesen würde. Insofern sind die Äußerungen "nur" quasi-synonym. Auch vor diesem Hintergrund wäre es aber unangemessen, ersteren Satz etwa zu paraphrasieren als (10a) Er ist auf dieselbe Art und Weise scharfsinnig, wie dies Einstein war, angemessen für b e i d e Beispiele ist vielmehr die Paraphrase: (10b) Er ist sehr / extrem scharfsinnig.
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Auch innerhalb der Vergleichsstrukturen gibt es wiederum komplexe und weniger komplexe Konstruktionen. Im Gegensatz zu den vorausgegangenen Beispielen ist unsere Textpassage (la) eine komplexe, mehrgliedrige Vergleichsvariante. Diese morphologische Komplexität aber ändert nichts daran, daß hier nicht bestimmte Individuen in Rede stehen, vielmehr wird jenem Tempier eine bestimmte Eigenschaft - die des fortschrittsverhindernden Konservativismus - in ihrer Elativ-Form zugesprochen. Entsprechend sind die Richter des Galileo austauschbar etwa gegen diejenigen Giordano Brunos und eben Lombardi gegen Ratzinger, und somit lautet die komprimierte (nicht-metaphorische) Form des Eco-Textes: (lb') Tempier geht in die Geschichte ein als ein sehr großer / als herausragender Restaurator.
Vor diesem Hintergrund ergibt sich folgende Bewertung von Kroebers Eco-Übersetzung: Ecos Text gehört - als Essay - zu einer Textsorte, welche verlangt, daß sich ihre Übersetzung auf den Leser der Zielsprache weitgehend zubewegt, und nicht, daß sich der Leser der Übersetzung vorrangig bemüht, dem Original entgegenzukommen. Das heißt, die ursprünglichen Rezeptionsbedingungen der Ausgangssprache sind in der Zielsprache möglichst zu erhalten, und dies ist nur bei einem Austausch der Personennamen gewährleistet; denn nur dann wird die jeweilige Leserschaft mit einem bekannten Personennamen konfrontiert, wohingegen ein unbekannter Eigenname in der Zielsprache zu einer neuen, komplexeren Kommunikationsform führen würde. Diese kann etwa darin bestehen, daß sich der Rezipient der Übersetzung das fehlende Wissen über den Eigennamen mit Hilfe eines Nachschlagewerkes aneignet, und es gibt weiterhin die Möglichkeit, daß die Information unmittelbar vom Übersetzer in einem Sekundärtext - einer Anmerkung - der Übersetzung attachiert wird; im Rahmen beispielhafter Vergleichsstrukturen gibt es jedoch aufgrund der Existenz eines interlingualen Synonyms für den Personennamen Lombardi (eben Ratzinger) eine weniger umständliche Lösung dieses pragmatischen Übersetzungsproblems. Gerade wenn man eine Übersetzung nicht nur rein textbezogen, sondern auch unter dem Aspekt eines möglichst homogenen Transfers innerhalb der Autor-Leser-Relation versteht - auf der einen Seite der Autor Eco, auf der anderen Seite ein intendierter Leser, der bestimmte Voraussetzungen, ein bestimmtes Wissen in die Rezeption einbringt -, gerade dann ist die in unserem Beispiel gewählte Übersetzung, eben w e g e n der Namensersetzung, die optimale Fassung.
Anmerkungen 1 Eine "direkte" Übersetzung könnte etwa lauten: S. Tempier endet auf dem leider endlosen Schienenstrang der großen Restauratoren, der mit den Richtern des Sokrates beginnt, weiterfährt über diejenigen des Galileo und - vorläufig - mit Gabrio Lombardi endet. 2 Wir bewerten den Titel als Eigennamenteil. 3 Zum Problem der Zeichenhaftigkeit von Eigennamen sowie zum Problemkreis der Übersetzung von Eigennamen vgl. Kalverkämper 1978: 63/85f., zu ersterem vgl. auch Tschauder 1989: 16/65f. 4 Wenn hier von einem referierenden bzw. prädizierenden Ausdruck die Rede ist, so handelt es sich dabei selbstverständlich stets um abkürzende Formulierungen dafür, daß der Äußerungsträger eine entsprechende (Teil-)Sprechhandlung ausführt. 5 Die Behauptung der außersprachlichen Existenz eines solchen abstrakten Referenzobjekts und somit die Übernahme eines platonistischen Konzepts ist für unsere primär linguistisch (und nicht erkenntnistheo-
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retisch) orientierte Argumentation letztlich unerheblich; entscheidend ist vielmehr, daß mit der Verwendung von Ausdrücken wie diese Strafe in unserem Beispielkontext die Existenz von Universalien p r ä s u p p o n i e r t wird, anders formuliert: daß unsere Sprache platonistisch ist (zum Universalienproblem allgemein vgl. Stegmüller [1956/57] 1965). 6 Entsprechend bezeichnet die Valenztheorie Verben in Sätzen mit Witterungsimpersonalia (wie Es regnet), trotz des grammatischen Subjekts, zu Recht als nullwertige, als aktantenlose Verben also (vgl. Tesniere 1965: 106). - Searle weist darauf hin, daß auch bei Existenzaussagen die Referenz fehle (1969: 29, Anm. 1), das heißt genauer, in Existenzbehauptungen wie Ufos existieren'. (Ich habe eins mit eigenen Augen gesehen) kann das Subjekt - aus logischen Gründen - nicht referieren (vgl. Tschauder, im Druck). Valenztheoretisch stellt sich somit die Frage, ob nicht auch existieren - wenngleich aus anderen Gründen als regnen - als nullwertiges Verb klassifiziert werden sollte. 7 Der prädikative Akt wird hier somit nicht auf die Aussageobjekte (Aktanten) ausgedehnt. 8 Der zweite Teil einer Koordination wie Clara spart für ein eigenes Haus, und Petra macht das auch (bzw. macht dasselbe) ist kein Gegenbeispiel; denn die Wiederaufnahme geschieht nicht durch das Prädikat macht - *... und Petra macht auch -, sondern ebenfalls durch eine NP (das bzw. dasselbe). 9 Die - ebenfalls metasprachliche - artikelhaltige Namenszuweisung in (7a) signalisiert, daß es sich nicht nur um eine Person aus einer bestimmten Familie, hier derjenigen der Weizsäckers handelt - dies gewährleistet bereits das artikellose Prädikat -, sondern daß darüber hinaus eine Familie in Rede steht, von der mehrere Mitglieder entweder einen hohen öffentlichen oder für die Kommunikationspartner einen hohen privaten Bekanntheitsgrad besitzen. - Genaueres zum Namenprädikat sowie zum Unterschied zwischen Weizsäcker sein und Weizsäcker heißen vgl. Tschauder 1989: 13f. sowie 37f. 10 Die Möglichkeit der Metaphorisierung von Eigennamen erwähnt auch Weinrich (1976: 322). 11 Entsprechend intralingual ausgetauscht werden können Aktantenbezeichnungen, die aus metaphorischen Prädikaten unmittelbar abgeleitet sind, man vergleiche Da kam plötzlich (so) ein (kleiner) Krösus l (so) ein (kleiner) Rockefeller ins Lokal und bestellte eine Runde nach der anderen. 12 Dies wird vielleicht noch deutlicher, wenn man zwischen unseren bisherigen Beispielen und dem Eco-Text als 'Zwischenstufe' noch die Formulierung einfügt: Stefane Templer non e piü que un gran restauratore come i giudici di Socrate, quellt di Galileo e Gabrio Lombardi. (Stefane Tempier ist nicht mehr als ein großer Restaurator wie die Richter des Sokrates, diejenigen des Galileo und Gabrio Lombardi.) 13 Es ist sicher richtig, daß durch die Beispielauswahl zusätzlich der zeitlichen Dimension dergestalt Rechnung getragen wird, daß es große 'Restauratoren' eben zu jeder Zeit gegeben hat; soll dies bei einer intralingualen Übersetzung erhalten bleiben, dann müssen die alternativen Namen der Eigenschaftsrepräsentanten eben zeitspezifisch ausgewählt werden, wie es bei unserem Vorschlag der Fall ist. 14 Unsere Alternative knüpft an so bekannte Feststellungen an wie etwa die Goethesche: "Es gibt zwei Übersetzungsmaximen: die eine verlangt, daß der Autor einer fremden Nation zu uns herüber gebracht werde (...); die andere hingegen macht an uns die Forderung, daß wir uns zu dem Fremden hinüber begeben (.-.)" ([1813] 1962: 705).
Literatur Goethe, Johann Wolfgang ([1813] 1962): "Zu brüderlichem Andenken Wielands". - In: Ders.: (Artemis) Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche XII (Zürich etc.: Artemis) 693-716, 2.A. Heibig, Gerhard/Buscha, Joachim (1986): Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Leipzig: VEB Bibliographisches Institut, 9. A. Humboldt, Wilhelm von ([1835] 1963): "Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts". - In: Ders.: Schriften zur Sprachphilosophie (= Werke in fünf Bänden III) (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 368-756, 3. A. Jakobson, Roman ([1959] 1971): "On Linguistic Aspects of Translation". - In: Ders.: Selected Writings. II: Word and Language (The Hague etc.: Mouton) 260-266. Kalverkämper, Hartwig (1978): Textlinguistik der Eigennamen. - Stuttgart: Klett-Cotta. Menne, Albert (1966): Einführung in die Logik. - Bern etc.: Francke. Searle, John R. (1969): Speech acts. An essay in the philosophy of language. - London: Cambridge University Press (repr.).
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Stegmüller, Wolfgang ([1956/57] 1965): "Das Universalienproblem einst und jetzt". - In: Ders.: Glauben, Wissen und Erkennen. Das Universalienproblem einst und jetzt (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 48-118. Tesniere, Lucien (1965): 6l6ments de syntaxe structurale. - Paris: Klincksieck, 2nd. ed. Tschauder, Gerhard (1979): Existenzsätze. Eine textgrammatische Untersuchung vor dem Hintergrund bestimmter Positionen der modernen Sprachphilosophie. - München: Fink. - (1987): "Koreferenz, Textprogression und Substitutionsperspektive". - In: Canisius, Peter (Hrsg.): Perspektivität in Sprache und Text (Bochum: Brockmeyer) (= Bochumer Beiträge zur Semiotik 6) 107-128. - (1989): Textverbindungen. Ansätze zu einer Makrotextologie, auch unter Berücksichtigung fiktionaler Texte. - Bochum: Brockmeyer (= Bochumer Beiträge zur Semiotik 22). - (im Druck): "Dialogstörung durch inkorrekte Präsuppositionen. Anmerkungen zu einer speziellen Form der Textdeixis". - In: Stati, Sorin/Hundsnurscher, Franz/Weigand, Edda (Hrsg.): Dialoganalyse III. Referate der 3. Arbeitstagung Bologna 1990 (Tübingen: Niemeyer). Weinrich, Harald (1976): "Allgemeine Semantik der Metapher". - In: Ders.: Sprache in Texten (Stuttgart: Klett) 317-327. Beispiele zitiert nach: Eco, Umberto ([1974] 1977): "Elogio di San Tommaso". - In: Ders.: Dalla periferia delF impero (Milano: Bompiani) 123-133. - (1985): "Laudatio auf Thomas von Aquin". - In: Ders.: Über Gott und die Welt. Essays und Glossen. Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber (München etc.: Hanser) 284-296.
ARGUMENTATIVE STRUKTUREN IN LITERARISCHEN DIALOGEN Elisabeth Rudolph In diesem Beitrag möchte ich drei Argumentations-Modelle vorstellen, einige eigene Beobachtungen über den formalen Aufbau argumentativer Strukturen mitteilen und am Beispiel eines Dialogs von Thomas Mann zeigen, wie vielfältig und kompliziert die Strukturen in der Praxis des Sprachgebrauchs sein können, die sich dennoch auf die einfachen Modelle zurückführen lassen.
1. Argumentations-Modelle Die bekannten Argumentations-Modelle haben einen dreiteiligen Aufbau, sind aber im Detail verschieden. Der Syllogismus aus altgriechischer Zeit ist das formale logische Verfahren, aus mehreren, in der Regel zwei Urteilen, den Prämissen, ein einziges Urteil, die Schlußfolgerung, abzuleiten. Die Linguistik stützt sich auf folgende Grundform: große Prämisse kleine Prämisse Conclusio
Alle Menschen sind sterblich Sakrales ist ein Mensch also: Sokrates ist sterblich
Ein Begriff (Mensch) ist in beiden Prämissen enthalten, er wird Mittelbegriff genannt und muß in einer Prämisse in einem All-Satz vorkommen; in der Conclusio erscheint dieser Mittelbegriff nicht. Durch verschiedene Figuren und bestimmte Variationen erhielt schon Aristoteles unterschiedliche Schlußweisen, die Modi. Die heutige Logik kann 192 gültige Modi von Syllogismen formulieren (Menne 1973: 104). Das Hempel-Oppenheim-Schema von 1948 wird vor allem in der naturwissenschaftlich orientierten Kausalitätsforschung diskutiert: AI... An G l... Gn E
Antecedensbedingungen Allgemeine Gesetzesaussagen Beschreibung des Ereignisses
) )
Explanans Explanandum
Durch logische Deduktion wird das Explanandum (E) aus den Antecedens-Bedingungen und den allgemeinen Gesetzesaussagen gewonnen. AI...An und Gl...Gn werden als Explanans zusammengefaßt, sie bilden offene Reihen. Toulmins Grundstruktur von 1958 kehrt in seinen Ausführungen zur Argumentation immer wieder. Er diskutiert daran Erweiterungen und Ergänzungen:
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(D) datum Daten/Fakten
-»
(C) claim or conclusion Behauptung/These
(W) warrant Grundsatz/Schlußregel Harry was born in Bermuda
-» So Harry is a British subject Since A man bom in Bermuda is a British subject
Dieses Modell, das Toulmin im Lauf seiner Analysen immer wieder veränderte, hat in der linguistisch orientierten Argumentationsforschung viel Anklang gefunden. Die drei Modelle sind nicht als Beschreibungen sprachlicher Argumentation aufzufassen. Sie können eher als Text-Tiefenstrukturen gelten, um gedankliche Grundlagen zu explizieren. Die Beachtung der in allen Modellen geforderten logischen Deduktion hat, sprachlich gesehen, eine Tautologie zum Ergebnis, denn die Conclusio darf nur aussagen, was die Prämissen zusammengenommen implizieren. Deshalb entfällt an der sprachlichen Oberfläche meist der tautologie-stiftende Teil (große Prämisse / Allgemeine Gesetzesaussage / warrant). Die Argumentation hat dann nur zwei Teile: These Argument
= =
Sokrates ist sterblich Denn : Sokrates ist ein Mensch
Zweiteilige Schlußfiguren dieser Art wurden bereits in der antiken Philosophie beschrieben, beispielsweise: kleine Prämisse Conclusio
= =
Sokrates ist ein Mensch also : Sokrates ist sterblich
Diese Form wird "Enthymem" genannt und gilt als unvollständiger Schluß, weil eine Prämisse fehlt und in Gedanken zu ergänzen ist.
2. Signale der Argumentations-Schritte Bei der Betrachtung von Argumentationen läßt sich beobachten, daß auf These und Argument oft noch ein dritter Schritt folgt: die Folgerung. Diese ist aber nicht mit der Schlußfolgerung oder Conclusio aus der Logik zu verwechseln. Die Folgerung in der sprachlichen Argumentation ist ein neuer weiterführender Gedanke, der auf den Argumenten aufbaut, ohne in ihnen schon implizit enthalten zu sein. Eine kurze Auflistung der möglichen, aber nicht zwingend erfolgerlichen Signale der Argumentations-Schritte gibt einen Einblick in die Vielfalt: - Thesen Meist benötigt die These kein Signal, weil sie durch ihre Position an der Spitze markiert ist. Neben diese Positionsmarkiertheit tritt als Sekundär-Merkmal das Konditional-Konnektiv wenn - dann oder einfach wenn für gesetzesartige Thesen.
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- Argumente Das Argument ist das Kernstück der Argumentation. Dennoch hat es zwei verschiedene Funktionen, die auch am sprachlichen Signal erkennbar sind. (a) Als metasprachliche Begründung für eine Behauptungshandlung (Typ: ich sage das, weil) enthält es Kausal-Konnektive denn, weil, da, nämlich, ja, wegen. (b) Als Beweis für die Richtigkeit einer Anfangsthese (Typ: wenn - dann) enthält auch das Argument das Konditional-Konnektiv wenn oder wenn - dann. - Folgerungen Als weiterführende Gedankengänge, die sich aus den Argumenten ergeben können, sind Folgerungen nicht logische Deduktionen, sondern das dynamische Element der Argumentation, das zuweilen auch erst eine vorherige Aussage in den Rang eines Arguments erhebt. Folgerungen werden ausschließlich mit Konnektiven aus dem konsekutiv-konklusiven Bereich angezeigt: deshalb, also, so, mithin, insofern, daher, so daß, dann, darum, somit.
3. Die Argumentations-Spirale Beim Vergleich der theoretischen Argumentations-Modelle mit den in den ArgumentationsSchritten erkennbaren sprachlichen Merkmalen kam ich schon vor Jahren (Rudolph 1983) auf folgende Gedanken: Man kann den Syllogismus und die vergleichbaren Modelle als einen Kreis auffassen, weil die Conclusio wieder an den Ort zurückkehrt, von dem ausgegangen wurde. Von daher ist zu verstehen, daß Hempel/Oppenheim die Entsprechung der Conclusio in der letzten Zeile ihres Modells Explanandum nennen und daß Toulmin Claim und Conclusio einfach nebeneinander stellt. Das deduktive Verfahren steht in diesen Modellen im Vordergrund. In der natürlichen Argumentation steht die These am Anfang, die Argumente gelten einerseits der Unterstützung der These, andererseits der Vorbereitung der Folgerung, die ihrerseits einen neuen Gedanken bringt. Die Folgerung kehrt nicht wieder zur These zurück, sondern nimmt einen neuen Ort ein. Daher vergleiche ich die Argumentation gern mit einer Spirale. Von der These aus erweitert sich die Spirale in den Argumenten und biegt mit der Folgerung in einem gewissen Abstand in die Nähe der These. Die Folgerung kann wegen des in ihr enthaltenen neuen Gedankens wiederum als These betrachtet werden, der sich neue Argumente anschließen, und so ergeben sich mehrfach gedrehte Spiralen. Die Fülle der Argumente bestimmt den Radius der Spirale, und der jeweilige Abstand zwischen den einzelnen Folgerungen markiert die Enge der Spirale. Aus den drei Schritten These - Argument - Folgerung und dem Gedanken der Spirale läßt sich kein neues Modell aufstellen, weil es kaum gesetzmäßige Regelmäßigkeiten gibt. Die Anzahl der Schritte ist beliebig, aus einem Argument kann eine These werden, die ein neues Argument für sich selbst erforderlich macht, aus der Folgerung kann wiederum eine These werden, zwischen These und Folgerung können viele Argumente stehen. Es ist nicht notwendig, daß die einzelnen Schritte mit den genannten Signalen eingeleitet werden, wenn über ihren Status kein Zweifel besteht.
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Nur zwei Restriktionen sind zwingend. - Erstens steht die Reihenfolge fest: immer geht die These dem Argument voraus und das Argument der Folgerung. - Zweitens kann die These ihrer Spitzenposition wegen weder zum Argument noch zur Folgerung werden.
4. Dialog-Beispiel Thomas Mann hat sich im dritten Band von "Joseph und seine Brüder" auch mit der Gestalt der Thamar beschäftigt, deren Geschichte in der Bibel 1. Mose 38 zu finden ist. Thomas Mann schildert Thamar als eine junge Frau aus Kanaan, die zum Gottesvolk der Israeliten gehören möchte, nachdem sie zu Füßen Jakobs gesessen und seinen Weisheiten gelauscht hat. Den Sitten nicht nur jener Zeit entsprechend ist dies ausschließlich durch die Heirat mit einem Israeliten und die Geburt eigener Söhne möglich. Sie weiß, daß Jakob Wohlgefallen an ihr gefunden hat und daß es ihm wohl schmeicheln könnte, wenn sie sich um Aufnahme in die Familie bewirbt. Ich zitiere den entscheidenden Dialog zwischen Thamar und Jakob von der Mitte des ersten Thamar-Redebeitrags ab (Mann 1975: 1167f.). Jeder Redebeitrag ist mit dem Namen der Person gekennzeichnet; die Sätze sind durchnumeriert. Thamar I "... (1) Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. (2) Darum, wenn Er mir Kinder gibt, so sollen sie mir nicht kommen von einem Manne aus fremdem Gottesvolk, nie und nimmer. (3) Es kann aus deinem Hause, mein Herr, wohl einer sich eine Tochter des Landes nehmen, wie ich es war, und sie zu Gott führen. (4) Ich aber, wie ich nun bin, neugeboren und dein Gebild, kann nicht Ehemagd sein einem Unbelehrten und einem, der da zu Bildern betet aus Holz und Stein, von der Hand der Werkmeister, und die weder sehen, noch hören, noch riechen können. (5) Siehe an, Vater-Herr, was du getan hast, da du mich bildetest, und hast mich fein und heikel gemacht in der Seele, daß ich nicht leben kann wie die Menge der Unwissenden und kann nicht den Ersten-Besten freien und mein Weibtum nicht hingeben einem Gottestölpel, wie ich sonst wohl schlichten Herzens getan hätte - das sind die Nachteile der Verfeinerung und sind die Schwierigkeiten, die Veredelung mit sich bringt. (6) Darum rechne es deiner Tochter und Magd nicht zum Mutwillen an, wenn sie dich auf die Verantwortung hinweist, die du auf dich genommen, da du sie bildetest, und bist ihr schuldig geworden fast ebenso, wie sie dir, da du nun für ihre Veredelung aufkommen mußt." Jakob I (7) "Was du sagst, meine Tochter", erwiderte er, "ist energisch und nicht ohne Hand und Fuß; es läßt sich mit Beifall hören. (8) Sage mir aber, wo du hinauswillst, denn ich seh* es noch nicht, und vertraue mir an, wohin du denkst, denn es ist mir dunkel!" Thamar II (9) "Deines Volks", sagte sie, "bin ich im Geiste, deines Volks allein kann ich im Fleische sein und mit meiner Weibheit. (10) Du hast mir die Augen aufgetan - laß mich die deinen öffnen! (11) Ein Reis wächst an eurem Stamm, 'Er, deines Vierten Erster, und ist wie ein Palmbaum am Bach und wie ein schlank Rohr im Ried. (12) So rede mit Juda, deinem Löwen, daß er mich ihm zum Weibe gebe!" Jakob war höchlichst überrascht. Jakob II (13) "Da willst du hinaus", antwortete er, "und dahin denkst du? (14) Wahrlich, wahrlich, ich hätt's nicht gedacht. (15) Du hast mir von der Verantwortung gesprochen, die ich mir zugezogen, indem ich dich bil-
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dete, und machst mich nun stutzen gerade um ihretwillen. (16) Natürlich kann ich reden mit meinem Löwen und mein Wort geltend machen vor ihm, aber kann ich's verantworten? (17) Willkommen bist du meinem Hause, und es tut seine Arme auf mit Freuden, dich zu empfangen. (18) Aber soll ich dich gebildet haben zu Gott, daß du unselig werdest? (19) Ungern rede ich mißlich von einem in Israel, aber die Söhne der Tochter Schua's sind ja ein ungenügend Geschlecht und sich Taugenichtse vor dem Herrn, nach denen ich lieber nicht blicke. (20) Wahrlich, ich zögere stark, dir zu willfahren, denn nach meinem Dafürhalten taugen die Knaben zur Ehe nicht, jedenfalls nicht mit dir." Thamarlll (21) "Mit mir", sagte sie fest, "wenn mit keiner sonst, besinne sich doch mein Vater und Herr! (22) Es war unumgänglich geboten, daß Jehuda Söhne habe. (23) Nun sind sie, wie sie sind, von gutem Kern jedenfalls, denn in ihnen ist der Kern Israels, und können nicht übersprungen sein, noch kann man sie ausfallen lassen, es sei denn, sie fielen selber aus und bestunden die Probe des Lebens nicht. (24) Unumgänglich ist's, daß sie wiederum Söhne haben, zum mindestens einen, einer zum mindesten, 'Er, der Erstgeborene, diese Palme am Bach. (25) Ich liebe ihn und will ihn auferbauen mit meiner Liebe zum Helden in Israel!"
Jakob III (26) "Eine Heldin", versetzte er, "bist du selbst, meine Tochter, und ich traue dir's zu." So versprach er ihr, sein Wort geltend zu machen bei Juda, dem Löwen, und war sein Herz von mancherlei widerstreitenden Empfindungen erfüllt.
5. Analyse Das Zitat begann mit dem Gipfel des ersten Redebeitrags von Thamar, in dem sie mit (1) eine sehr kühne These aufstellt für eine junge Frau, die erst in dieses Volk hineinheiraten möchte und zum Sippenoberhaupt spricht, der von diesem Wunsch noch nichts weiß. Unter Auslassung jeglicher Argumente schließt sie daran unmittelbar die für sie entscheidende Folgerung (2) mit "darum" an, formuliert sie dann aber als "wenn"-These. Diese zwei miteinander kurzgeschlossenen Thesen stellen für Thamar eine Einheit dar: die Folgerung ist eine Fortsetzung der ersten These, nicht mit anderen Worten, sondern mit einer neuen Information, die sich für sie zwangsläufig aus der ersten These ergibt. Als Folge aus (1) wählt sie in (2) für ihr eigenes Volk die Bezeichnung "fremdes Gottesvolk". Dies kann nicht einfach so stehenbleiben. (3) und (4) können als Argumente für (2) aufgefaßt werden. Daß hier keines der genannten Argument-Konnektive verwendet wird, hat seinen Grund in der besonderen Drehung der Argumente. Mit (3) wird einerseits ein Verhalten beschrieben, wie es zwischen fremden Gästen und Landeskindern vorkommt, andererseits wird durch den letzten Teilsatz ("und sie zu Gott führen") hinübergeleitet zu (4) mit dem argumentativen Hintergrund: ich als Frau kann keinen aus meinem Volk zu deinem Gott führen. Durch die parallele Formulierung "es kann aus deinem Hause wohl einer" und "ich aber kann nicht" wird das Doppelargument (3)-(4) zusammengehalten. Thamar erweitert ihre Argumentation in (5) mit der Schuldzuweisung an Jakob, daß eigentlich er dafür Verantwortung trage, wenn sie jetzt "nicht den Ersten-Besten freien" könne. Das erweiterte Argument (5) ist in sich eine eigene Spiraldrehung mit der These: du bist Schuld ("siehe an, was du getan hast") und dem Argument: denn du hast mich gebildet ("da du mich bildetest"), mit der Folgerung: deshalb kann ich nicht leben wie früher ("daß ich nicht leben kann wie die Menge der Unwissenden") und der zusammenfassenden Rückkehr zur
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These: siehe, was du getan hast ("das sind die Nachteile"). Thamar schließt ihren Redebeitrag mit der durch "darum" markierten Folgerung (6), die als Bitte beginnt, die Schuldzuweisung wiederholt und mit einer Forderung endet. Die Entgegnung von Jakob (7)-(8) zeigt, daß die Schuldzuweisung gelungen ist, d.h. die Argumentation hat einen ersten Erfolg. Aber er hat noch nicht erraten, was sie erreichen möchte. Daher honoriert er zwar ihre Schmeichelreden (7), fragt aber dann nach dem ihm fehlenden Sinnzusammenhang (8). Dies ist in einer Doppelbitte formuliert mit je einer argumentativen "denn"-Erklärung, die das Informations-Defizit des Sprechers bekunden. Für den weiteren Gang von Thamars Argumentation sind Jakobs Fragen von großem Wert, denn sie gestatten es ihr, ohne weitere Umschweife zur Sache zu kommen. Mit (9) nimmt sie ihre These von (1) wieder auf, jetzt bezogen auf die im biblischen Altertum entscheidende Dualität von Geist und Fleisch. Die als rhetorische Bitte formulierte Absichtserklärung in (10) wirkt als These, der als Argument in (11) die Eröffnung folgt, wer gemeint ist. In schönen Bildern schildert sie den Enkel, bevor sie daraus folgernd ihre Bitte vorträgt, Jakob möge ihr Brautwerber sein (12). Diesem zweiten Redebeitrag von Thamar ist aber kein argumentativer Erfolg beschieden. Der Angesprochene weigert sich, ihren Wunsch zu erfüllen - mit einer Fülle von Argumenten (13)-(20). Jakob beginnt mit einem hinhaltenden Kommentar (13)-(14), in dem er seine Gedanken sammeln kann. Dann nimmt er sie beim Wort (15), sieht aber seine Verantwortung anders als sie gewünscht hätte. Aus Pros und Contras dreht er (16)-(19) eine Argumentationsspirale um die Frage, ob er bei seinem Sohn Juda für Thamar werben soll. (16) pro: ich kann mit Juda reden contra: ich kann es nicht verantworten (17) pro: du bist hier willkommen (18) contra: auf diese Weise wirst du unglücklich (19) pro: ich rede gem nur Gutes von meiner Familie contra: Judas Söhne sind schlecht
Das letzte Contra-Argument gibt für Jakob den Ausschlag. An die Folgerung (20) schließt er noch ein nachgereichtes Argument an, das die Enkel milder beurteilt. In ihrem dritten Redebeitrag (21)-(25) geht Thamar auf Jakobs Argumente ein und bestürmt ihn mit einer Fülle von Thesen und Gegenthesen. Seine letzten Worte nimmt sie mit ihrer ersten Gegen these (21) direkt auf. Dann erinnert sie ihn an die ihm wohlbekannten Zusammenhänge (22). Mit der Behauptung "von gutem Kern jedenfalls" in (23) stellt Thamar wieder eine Gegenthese auf, gefolgt von dem plausiblen Argument "in ihnen ist der Kern Israels" und der Folgerung, sie dürften nicht übersprungen werden. Die an den zweiten Teil der Folgerung angeschlossene Einschränkung mit "es sei denn" klingt in Thamars Argumentation befremdlich, gab dem Autor aber die Möglichkeit der Andeutung, daß die Söhne Judas ohne Nachkommen bleiben. Thamar schließt emotional mit einer These (24) und dem letzten Argument (25). Jakob gibt sich geschlagen, Thamar hat ihn überzeugt, zumindest von der Ernsthaftigkeit und Unerschütterlichkeit ihres Willens. Er stimmt zu (26). Der Autor erzählt dann, nicht mehr in der direkten Rede des Dialogs, daß er ihre Bitte erfüllen will.
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6. Schlußbemerkungen Die je drei Redebeiträge von Thamar und Jakob reflektieren einen möglichen Dialog von unterschiedlicher Argumentationsdichte. Während Thamar I wohlüberlegt und deutlich argumentativ ist, läßt sich Jakob I eher gesprächsanalytisch verstehen. Thamar II ist argumentativ schwächer, dafür zeigt Jakob II eine kunstvoll gedrehte Argumentations-Spirale mit Folgerung und nachgereichtem Argument. Thamar III reiht Thesen und Gegenthesen aneinander und schließt mit einem emotionalen Argument. Jakob III ist nur noch die abschließende Zustimmung.
Literatur Mann, Thomas (1943): Joseph und seine Brüder. - Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 1975. Menne, Albert (1973): Einführung in die Logik. - München: Francke. Rudolph, Elisabeth (1983): "Argumentationsfiguren in der Wissenschaftssprache". - In: Jongen, Rene et al. (Hrsg.): Sprache, Diskurs und Text (Tübingen: Niemeyer) 191-201. Toulmin, Stephen (1958): The Uses of Argument. - Cambridge: University Press.
"SO WIE MAN IS, IS MAN" Zur Funktion von Phraseologismen in argumentativen Zusammenhängen Susanne Beckmann
1. Einleitung Mit dem hier fokussierten Themenbereich werden zwei linguistische Problemfelder angesprochen, das Problem der Erfassung von Argumentationsstrukturen und die Frage nach der Funktion von Phraseologismen. 1.1. Aus pragmatischer Sicht sind Argumentationen keine Sprechakte, sondern bestimmte Realisierungen von Sequenzmustern. Sie sind als komplexe Sprechhandlungen zu beschreiben, deren wesentliches Kennzeichen neben dem pragmatischen Merkmal der "Strittigkeit" ihr "Schlußcharakter" ist (vgl. Klein 1987: 3). Der Standardfall der Argumentation ist das Stützen einer strittigen Behauptung. Argumentationen sind aber nicht an einen bestimmten Sprechakttyp gebunden, sondern können an verschiedene sprachliche Handlungen anschließen. Dies geschieht immer dann, wenn Regeln oder Bedingungen des initialen Sprechakts in Frage gestellt werden und für die Durchsetzung des angestrebten Ziels gestützt werden müssen. Wenn beispielsweise die Berechtigung eines Befehls angezweifelt wird, so ist derjenige, der den Befehl ausspricht, genötigt, diesen argumentativ zu stützen. Bedingungen und Regeln des initialen Sprechakts haben dann argumentationstheoretisch gesehen den Status von (impliziten) Behauptungen. Dies wird am Beispiel des Sequenzmusters "Vorwurf" noch näher zu erläutern sein. 1.2. Obwohl die Phase der Konsolidierung der Phraseologismusforschung - wie Karlheinz Daniels (1984: 49) in seinem Forschungsbericht schreibt - als abgeschlossen gelten kann, ist die Frage nach der Funktion von Phraseologismen nach wie vor nicht hinreichend gelöst. Einig ist man sich weitgehend darin, daß es "eine besondere kommunikative Funktion a l l e r Phraseologismen" (Burger/Buhofer/Sialm 1982: 106) nicht gibt und daß eine Funktionszuschreibung bei "isolierten Phraseologismen im allgemeinen nicht möglich ist" (Koller 1977: 69). Im folgenden soll am Beispiel der Vorwurfssequenz exemplarisch gezeigt werden, daß eine angemessene Beschreibung der Funktion von Phraseologismen nur im Zusammenhang der Analyse ihrer sequentiellen Einbindung geschehen kann. Dabei soll die Frage im Mittelpunkt stehen, ob Phraseologismen eine spezifische Funktion erfüllen oder aber funktionsäquivalent zu anderen Äußerungen sind. Aus pragmatischer Sicht sind vor allem die äußerungswertigen Phraseologismen von Interesse: Dazu gehören - um nur einige zu nennen - Sprichwörter, Gemeinplätze, Truismen, feste Phrasen, Routineformeln u.a..
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2. Zur Funktion von Phraseologismen in der Argumentation: Die Vorwurfssequenz In Abb. l sind links die möglichen sequentiellen Anschlüsse auf einen Vorwurf dargestellt, in der Spalte rechts daneben denkbare sprachliche Realisierungen durch Phraseologismen. * Für den thematisierten Bereich der Argumentation sind vor allem die sequentiellen Anschlüsse an die Akzeptanz- und Erfüllungsbedingungen von Bedeutung. In engem Zusammenhang hierzu steht die Frage, ob dem Phraseologismus eine argumentationsinitiierende oder argumentierende Funktion zukommt. Abb.l: Akzeptanzbedingungen bestreiten Aufrichtigkeit bestreiten
Zuständigkeit/Berechtigung bestreiten - Relevanz
'Das glaubst du ja wohl selbst nicht!' 'Wer's glaubt, wird selig.' 'Für wie dumm hältst du mich eigentlich?'
'Das ist ja 'an den Haaren herbeigezogen.' 'Das ist doch nicht der Rede wert.' 'Willst du mir das schon wieder 'aufs Butterbrot schmieren.' 'Das ist ja alles 'kalter Kaffee.'
- moralische Integrität
'Das mußt du gerade sagen.' 'Faß dir an deine eigene Nase.' 'Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.'
- Angemessenheit
'Kümmere dich um deinen eigenen Dreck.' 'Du mußt dir nicht immer 'um andere Leute den Kopf zerbrechen.' 'Das geht dich einen feuchten Kehricht an.' 'Du mußt dich aber auch 'in jeden Quark einmischen.' 'Sei nicht so vorlaut.' 'Noch ein Ton, und du fliegst raus." Ob es dir paßt oder nicht, ist mir egal.' 'Was ist denn das für ein Ton.' 'Werd'bloß noch frech.'
Die Auflistung der sequentiellen Anschlüsse zeigt, daß Phraseologismen funktional an den verschiedenen Stellen des Vorwurfsspiels ansetzen können. Phraseologismen können sich wie andere Äußerungen auch - auf Akzeptanzbedingungen beziehen. In solchen Fällen weist der Vorwurfsadressat den Vorwurf zurück, indem er die Aufrichtigkeit oder die Berechtigung bzw. Zuständigkeit bestreitet. Hinsichtlich des letzten Punkts, der sich auf die Bedingung A.2 von Austin (1979: 37) bezieht, kann weiter differenziert werden zwischen dem Bestreiten der Relevanz, der moralischen Integrität und der Angemessenheit. In den meisten der angeführten Beispiele erfüllt der Phraseologismus keine spezifische Funktion. Wenn jemand einen Vorwurf erwidert mit dem Phraseologismus (1) Das ist doch alles kalter Kaffee,
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dann bestreitet er damit zwar die Relevanz des Vorwurfs, der Phraseologismus stützt aber noch nicht den Geltungsanspruch des Bestrittenen, d.h., ob es sich wirklich um einen relevanten Vorwurf handelt oder nicht, muß erst noch ausgehandelt werden. Das Bestreiten der Akzeptanzbedingung könnte hier ebenso durch eine nicht-phraseologische Äußerung geschehen. Die sequentielle Anbindung wurde sich dadurch nicht verändern. Dies gilt auch für das Sprichwort: (2) Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen. o
Der Phraseologismus fungiert zwar im Toulminschen Sinn0 als Schlußregel, die durch die allgemeine Gültigkeit des Sprichwortes gestützt wird, das Sprichwort stützt jedoch nur jene Möglichkeit, die das Vorwurfsspiel ohnehin schon vorsieht, nämlich den Vorwurf nicht zu akzeptieren, wenn die moralische Integrität desjenigen, der den Vorwurf vorgebracht hat, nicht gewährleistet ist. Das Sprichwort erfüllt hier ebenso wie in dem schon besprochenen Fall nur die Funktion des Bestreitens, eine Stützung der Schlußregel ist gar nicht erforderlich. Abb. 2: ErfiUlungsbedingungen bestreiten Rechtfertigen - Verantwortlichkeit
'Was sein muß, muß sein.' 'Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.' 'Ich bin auch nur ein Mensch.' 'Man ist eben, wie man ist.' 'Man lebt nur einmal.'
- Norm
'Man ist nur einmal jung.' 'Man lebt nur einmal.'
Handlung abstreiten
'Nun halt' aber mal die Luft an!'
Nicht alle der Akzeptanzbedingungen haben ein so klares Bedeutungsprofil wie etwa die Bedingung der Aufrichtigkeit oder das, was hier "moralische Integrität" genannt wurde. So ist z.B. die Bedingung der Angemessenheit wesentlich interpretationsbedürftiger. Während man bei den oben genannten Bedingungen eher sagen kann, daß man sich mit dem Phraseologismus auf eine ohnehin schon vorhandene Möglichkeit des Spiels bezieht, ist es bei der Angemessenheit häufig so, daß der Phraseologismus selbst dazu dient, die Bedingung einzugrenzen. Wenn etwa Eltern auf den Vorwurf ihres Kindes mit Phrasen wie: (3) Sei nicht so vorlaut (4) Noch ein Ton, und du fliegst raus (5) Werd bloß noch frech
reagieren, definieren sie die Bedingung der Angemessenheit im Sinne ihres Erziehungsstils. Phraseologismen leisten hier in besonders effektiver Weise die Anpassung des Sprachspiels bzw. seiner Bedingungen an den situativen Rahmen und seine spezifische Rollenstruktur. Die genannten Phraseologismen haben sich in einem bestimmten Bereich auto-
ritärer Erziehung verfestigt und leisten ihrerseits wieder die Verfestigung einer solchen Struktur, indem sie den Interaktionspartner - in diesem Fall das Kind - auf eine bestimmte Rolle verweisen und somit zur Unterlassung bestimmter Sprachspiele, etwa des Vorwurfs, zwingen. Dies ist natürlich nur aufgrund des asymmetrischen Rollenverhältnisses möglich; das Bestreiten der Angemessenheit kommt hier einer endgültigen Zurückweisung gleich. Daß die meisten der in Abb. l aufgeführten Phraseologismen keine spezifische Funktion erfüllen, hängt mit ihrer Position im Sequenzmuster zusammen: Nicht Sp2, sondern Spl muß hier argumentieren. Der Adressat des Vorwurfs kann einklagen, daß derjenige, der den Vorwurf geäußert hat, die für dieses Spiel notwendigen Akzeptanzbedingungen beachtet. Verstößt er gegen eine dieser Bedingungen, so muß er sich - um auf den Vorwurf zurückkommen zu können - für die Annahme der Bedingung rechtfertigen. Die angeführten Phraseologismen des 2. Zuges sind argumentationsinitiierend, wie nicht-phraseologische Äußerungen an gleicher Position im Sequenzmuster auch. Daß sich Phraseologismen wie: (6) Das muß du gerade sagen (7) Kümmere dich um deinen eigenen Dreck
im Sprachgebrauch so verfestigt haben, hängt wohl damit zusammen, daß sie sich nicht spezifisch auf die Proposition des Vorwurfs beziehen, sie machen von einer Möglichkeit Gebrauch, die in jedem Vorwurfsspiel gegeben ist. Manche der genannten Erwiderungen sind nicht einmal auf das Vorwurfsspiel begrenzt: (8) Das glaubst du ja wohl selbst nicht
ist geradezu eine universelle Formel für das Bestreiten der Aufrichtigkeit (vgl. Burger/Buhofer/Sialm 1982: 111). In Abb.2 finden sich verschiedene Beispiele für das Bestreiten der Erfüllungsbedingungen; "Erfüllungsbedingungen bestreiten" heißt, daß der Adressat, an den der Vorwurf gerichtet ist, die Bedingungen in Frage stellt, die gegeben sein müssen, damit die im Point fokussierte Handlung oder Einstellung erreicht wird. Wenn jemand die Erfüllungsbedingungen bestreitet, akzeptiert er zwar, daß Sprecher l den Vorwurf vorgebracht hat, streitet aber entweder die Handlung selbst ab oder rechtfertigt sich, indem er die Verantwortbarkeit seiner Handlung oder die Norm, auf die sich diese bezieht, bestreitet. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, daß "Erfüllungsbedingungen bestreiten" argumentationstheoretisch einen anderen Stellenwert hat als "Akzeptanzbedingungen bestreiten". Liegt die Argumentationslast beim Bestreiten der Akzeptanzbedingungen eher bei Spl, dem Urheber des Vorwurfs, so liegt sie beim Bestreiten der Erfüllungsbedingungen bei dem Adressaten des Vorwurfs. Zumindest für die beiden Rechtfertigungsfalle "Verantwortbarkeit/Norm bestreiten" gilt, daß der Vorwurfsadressat Gründe anführen muß, warum man ihn nicht zur Verantwortung ziehen kann. Unter Rechtfertigen soll dabei im Anschluß an Klein (1987: 26) das "Stützen des Anspruchs auf nichtnegative oder positive Bewertung" verstanden werden. Rechtfertigen zählt zu den argumentativen Sprechhandlungen, denn das Moment der Strittigkeit und die Stützung durch eine Schlußregel sind hier konstitutive Elemente. Den Phraseologismen kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu: Sie eignen sich - rekurriert man auf das Toulminsche Argumentationsschema (Toulmin 1975: 90f.) - in besonderer Weise als argumentatives Verbindungsstück zwischen den Fakten ("data") und der zu be-
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gründenden Behauptung ("claim/conclusion") (vgl. Quasthoff 1983: 15), da sie als allgemein gültig betrachtet werden und keiner weiteren argumentativen Stützung bedürfen. Ein Beispiel aus F. X. Kroetz' Stück "Oberösterreich" soll dies verdeutlichen. Es wurde bereits dargelegt, daß eine Möglichkeit, einen Vorwurf zurückzuweisen, darin besteht, daß der Adressat die Verantwortbarkeit für sein Handeln bestreitet. In der angeführten Dialogsequenz macht einer der beiden Gesprächsteilnehmer von dieser Möglichkeit Gebrauch. Eine Frau wirft ihrem Mann vor, er sei gar nicht bei der Sache. Nachdem er vergeblich versucht hat, die Handlung abzustreiten, rechtfertigt er sich mit dem Truismus So wie man is, is man. ANNI HEINZ ANNI HEINZ ANNI
Bist gar nicht bei der Sach. Red ned. Pause. Das merkt man als Frau ganz genau. So wie man is, is man. Niemand kann aus seiner Haut fahm, aber einen gutn Willn kann man habn, wenn man will.
Fakten und Behauptung der Argumentation müssen hier nicht mehr explizit gemacht werden, weil sie durch das Vorwurfsspiel und die ihm inhärenten Möglichkeiten des Abstreitens mehr oder weniger definiert sind. Versprachlichen läßt sich die Argumentationsstruktur der zitierten Sequenz etwa so: Ich konnte nicht anders handeln, deshalb bin ich nicht verantwortlich. Der Phraseologismus (9) So wie man is, is man
fungiert als Schlußregel und stützt die Argumentation. Ob der Phraseologismus an einer solchen Kernstelle der Argumentation eine spezifische Funktion erfüllt oder nicht, läßt sich durch die Frage nach funktionsäquivalenten Äußerungen beantworten. Man darf allerdings nicht wie Uta Quasthoff (1983: 15) nur nach der Ersetzbarkeit durch andere Äußerungen fragen, sondern muß auch die Anschlußmöglichkeiten betrachten. Eine durch einen Phraseologismus gestützte Argumentation zu bestreiten stellt ein kommunikatives Problem dar. Sprichwörter, Gemeinplätze, Truismen usw. gelten als zur Sprache geronnene Wahrheiten, auch wenn sie bei genauerem Hinsehen diesem Anspruch nicht standhalten. Man würde Phraseologismen und ihre kommunikative Funktion falsch beurteilen, wollte man ihre Wirksamkeit am Maßstab der Logik messen. Das natürlichsprachliche Schließen das hat Josef Klein in dem bereits erwähnten Buch über die konklusiven Sprechhandlungen gezeigt - funktioniert anders als das logische Schließen und unterliegt darüber hinaus - wie viele Ergebnisse der Kognitionspsychologie zeigen^ - zahlreichen Fehlern. Die Wirkung von Phraseologismen beruht darauf, daß man sie akzeptiert oder - anders ausgedrückt - daß sie gemeinhin für gültig gehalten werden. Wie kann man also eine durch Phraseologismen gestützte Argumentation widerlegen? In der abgedruckten Dialogsequenz kontert die Frau wiederum mit einem Phraseologismus, sie paraphrasiert zunächst die vorhergehende tautologische Formel (9) So wie man is, is man
mit dem Gemeinplatz (10) Niemand kann aus seiner Haut fahrn,
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um dann den modifizierten Vorwurf (11) aber einen gutn Willn kann man habn, wenn man will
dagegenzusetzen. Der Gemeinplatz, der in (11) wiedergegeben ist, dient hier einmal dazu, die durch die tautologische Formel gestützte Argumentation des Mannes zu widerlegen und ist zugleich Folie für den modifizierten Vorwurf. Formel gegen Formel, das ist natürlich keine besonders elaborierte Möglichkeit der Argumentationserwiderung, denn hier offenbart sich nicht nur das Paradox des phraseologischen Sprechens, daß es zu fast jedem Sprichwort oder Gemeinplatz einen Gegenphraseologismus gibt, der Dialog verkommt zu einem aggressiven Schlagabtausch. Die Gültigkeit einer Formel gegen die Gültigkeit einer anderen zu setzen, das kann wohl nur ein argumentativer Notausgang sein - mehr als einmal kann so etwas ohnehin kaum vollzogen werden, sonst würde es notwendigerweise zirkulär. Das Beispiel zeigt das Dilemma auf, in dem sich jemand befindet, der etwas auf eine durch Phraseologismen gestützte Argumentation erwidern will. Phraseologismen lassen sich nämlich gar nicht oder nur schwerlich hinterfragen, ihre Gültigkeit läßt sich in der Regel nur metakommunikativ bestreiten: (12) Komm mir doch nicht mit solchen Phrasen (13) Laß mich doch in Ruhe mit solchen Phrasen
So etwa könnte eine metakommunikative Reaktion lauten. Solche Entgegnungen haben aber den Nachteil, daß sie nicht nur den Wahrheitswert von Phraseologismen in Frage stellen, sie sind zugleich auch ein Angriff auf das Gesprächsverhalten des anderen. Zudem lassen sie das Gespräch häufig in unangemessener Weise expandieren. Auf Phraseologismen adäquat zu reagieren ist ein Problem, zumindest dann, wenn man nicht so findig ist wie der "Nörgler" in Karl Kraus' Stück "Die letzten Tage der Menschheit", der auf die Argumentation, Deutschland könne so barbarisch doch nicht sein, es sei doch schließlich das Land der Dichter und Denker, mit dem Sprachspiel das Volk der Richter und Henker reagiert und somit den Phraseologismus in eine faschismuskritische Variation verkehrt, um zugleich ein solches Sprechen selbst zu entlarven. Reaktionen wie diese sind äußerst kreativ, übersteigen aber wohl die Kompetenz der meisten Sprecher. In realen Argumentationssituationen wird die Stützung durch Phraseologismen aufgrund der Schwierigkeit, ihnen argumentativ zu begegnen, häufig akzeptiert. Daher kann man, mit den oben erwähnten Einschränkungen, von einer argumentationsbeendigenden Funktion von Phraseologismen sprechen.
3. Zusammenfassung Am Beispiel der Vorwurfssequenz wurde gezeigt, daß sich Phraseologismen auf unterschiedliche Bedingungen des initialen Sprechakts beziehen können. Ihre Funktion in argumentativen Sequenzen ist nicht allein von ihrer implizit-logischen Struktur, sondern auch von ihrer spezifischen Position im Sequenzmuster abhängig. Phraseologismen können - wie dies am Beispiel des Bestreitens der Akzeptanzbedingungen aufgezeigt wurde - argumentationsinitiierend sein, dabei erfüllen sie im pragmatischen Sinne in der Regel keine spezifi-
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sehe Funktion. Sie leisten hier wohl eher die Aufgabe einer Formulierungshilfe, was in emotional aufgeheizten Vorwurfsspielen allerdings nicht ganz unwichtig ist. Phraseologismen können daneben als Schlußregel einer Argumentation fungieren. Aufgrund der kommunikativen Probleme, die sich daraus für den Gesprächspartner ergeben, kommt ihnen in diesem Zusammenhang häufig eine argumentationsbeendigende Funktion zu. Da dies zu einer Veränderung der sequentiellen Anschlußmöglichkeiten führt, würde ich entgegen der gängigen Forschungsmeinung durchaus von einer spezifischen Funktion von Phraseologismen sprechen. Anmerkungen 1 Die meisten Phraseologismen sind dem Wörterbuch "Moderne Deutsche Idiomatik" (Friederich 1966) und dem "Handbuch der Phraseologie" von Burger/Buhofer/Sialm (1982) entnommen. Sie wurden teilweise in Äußerungsformen umgesetzt. 2 Zur Differenzierung von Akzeptanz- und Erfüllungsbedingungen vgl. die Arbeiten von Sökeland (1980: 95) und König (1989). 3 Vgl. hierzu das Toulminsche Argumentationsschema in Toulmin (1975: 90f.). 4 Vgl. hierzu auch die Ausführungen über "Rollenbeziehungen" in Burger/Buhofer/Sialm (1982: 114). 5 Vgl. dazu Kapitel 10 "Schlußfolgerndes Denken" in Anderson (1988: 243-281).
Literatur Austin, John L. (1962): How to do things with words. - Oxford: University Press. - Übers.: Zur Theorie der Sprechakte. - Stuttgart: Reclam, 2.A. 1979. Beckmann, Susanne/König, Peter-Paul (im Druck): "Ich zähle bis drei ..." - 'Zählen kann jeder'. Überlegungen zur pragmatischen Funktion von Phraseologismen am Beispiel einiger Dialogsequenzen aus Elias Canettis Roman 'Die Blendung'". - Vortrag, gehalten auf der 3. Arbeitstagung Dialoganalyse, Bologna 1990. Burger, Harald/Buhofer, Annelies/Sialm, Ambros (1982): Handbuch der Phraseologie. - Berlin: De Gruyter. Daniels, Karlheinz (1984): Neue Aspekte zum Thema Phraseologismus in der gegenwärtigen Sprachforschung, 4. Teil. - In: Muttersprache 95, 49-68. Friederich, Wolf (1966): Moderne deutsche Idiomatik. Systematisches Wörterbuch mit Definitionen und Beispielen. - München: Hueber. Klein, Josef (1987): Die konklusiven Sprechhandlungen. Studien zur Pragmatik, Semantik, Syntax und Lexik von BEGRÜNDEN, ERKLÄREN-WARUM, FOLGERN und RECHTFERTIGEN. - Tübingen: Niemeyer. König, Peter-Paul (im Druck): "Habermas, der Tod und die Kaiserin. Überlegungen zur Sequentialität von Sprechakten anhand einiger Beispiele aus der Totentanzliteratur". - In: Betriebslinguistik und Linguistikbetrieb I, II. Akten des 24. Linguistischen Kolloquiums, Bremen 1989 (Tübingen: Niemeyer). Koller, Werner (1977): Redensarten. Linguistische Aspekte, Vorkommensanalysen, Sprachspiel. - Tübingen: Niemeyer. Kraus, Karl (1926): Die letzten Tage der Menschheit. - Wien etc.: Die Fackel, Neua. 1986 (Frankfurt am Main: Suhrkamp). Kroetz, Franz X. (1972): Oberösterreich. Dolomitenstadt Lienz. Maria Magdalena. Münchner Kindl. - Frankfurt am Main: Suhrkamp. Quasthoff, Uta M. (1983): "Formelhafte Wendungen im Deutschen: Zu ihrer Funktion in dialogischer Kommunikation". - In: Forschungsinstitut für deutsche Sprache, Marburg/Lahn (Hrsg.): Gesprächsstile. Stilistik II (Tübingen: Niemeyer) (= Germanistische Linguistik 59/60) 5-24. Sökeland, Werner (1980): Indirektheit von Sprechhandlungen. Eine linguistische Untersuchung. - Tübingen: Niemeyer. Toulmin, Stephen (1958): The uses of argument. - Cambridge: University Press. - Übers. (1975): Der Gebrauch von Argumenten. - Kronberg i.Ts.: Scriptor.
2. SPRACHE UND GESELLSCHAFT
ÜBERLEGUNGEN ZUR BEZIEHUNG ZWISCHEN LINGUISTIK UND SOZIOLOGIE, DARGESTELLT AN "IDEOLOGIE UND WAHRHEIT" VON THEODOR GEIGER
Ursula Weber Menschen denken zuweilen verdreht. (Napoleon I; Geiger)
Dem Wagnis dieses Vortrage anläßlich des 25. Linguistischen Kolloquiums in der Sektion "Sprache und Gesellschaft" gingen als Motivation Gedanken voraus, die zunächst nicht miteinander vereinbar zu sein schienen. Ich fasse sie in folgenden allgemeinen und speziellen Thesen zusammen: - Interdisziplinäre Forschung ist mit Skepsis zu betreiben, da sie die Gefahr des Dilettantismus in sich birgt. - Sprachforschung, welche einen gesellschaftswissenschaftlichen Hintergrund ignoriert, erstarrt in Formalismus und Detaillismus. - Die Beziehung zwischen Linguistik und Soziologie bedarf der Reflexion. - Theodor Geigers Ideologieforschung impliziert Einsichten von philosophischem, soziologischem und linguistischem Erkenntnisinteresse. - Geiger ist sich linguistischen Implikationen seiner Forschung nicht bewußt. Er setzt einen Sprachbegriff unreflektiert voraus. - Die Entstehung von Ideologien ist ohne Sprache nicht denkbar. - Aus dem 1953 erschienenen Buch "Ideologie und Wahrheit" von Theodor Geiger lassen sich z.T. indirekt und exemplarisch Erkenntnisse ableiten, die für linguistische Forschung unter den Schwerpunkten: Sprache und Denken, Semantik und Pragmatik, Gesprächsanalyse und Dialogforschung, Sprachphilosophie, Sprachpsychologie, Sprachpolitik und Sprachsoziologie nützlich sein könnten. Zunächst einige allgemeine Überlegungen zur Beziehung zwischen Soziologie und Linguistik. Es folgt eine kritische Reflexion des Geigerschen Sprachbegriffs. Zuletzt wird dargelegt, wie sich auf der Grundlage einer von Geiger vorgenommenen Differenzierung und Definition des "Werturteils" bisher so noch nicht gesehene sprachanalytische Kriterien ableiten lassen. Wenn Ren6 König in seinen "Vorbemerkungen" zu Band 13 des "Handbuch(s) der empirischen Sozialforschung" unter Bezugnahme auf Thomas Luckmanns Ausführungen zur "Soziologie der Sprache" darauf hinweist, daß "das Problem der Verschränkung von Sozialstruktur, Kultur und Sprache" "in den empirischen Sozialwissenschaften bisher noch lange nicht in seiner wahren Bedeutung und Tragweite erkannt worden ist" (1979: V), so wird unterstellt, daß dies grundsätzlich möglich sei. Hier scheint Skepsis angebracht, die es im folgenden vor dem Hintergrund von Theodor Geigers "Ideologie und Wahrheit" in Ansätzen zu reflektieren gilt. Geiger war sich zwar der Komplexität soziologischen Denkens an sich, aber kaum in seiner "Verschränkung von Sozialstruktur und Sprache" bewußt, obgleich er in "Ideologie und Wahrheit" indirekt We-
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sentliches zur Lösung sprachsoziologischer Probleme beiträgt. Dies wird später zu begründen sein. Liest man die Ausführungen von Thomas Luckmann (1979: 1) zur Beziehung zwischen Linguistik und Sprachwissenschaft, so entsteht der Eindruck, daß der Sprachwissenschaft lediglich die Funktion einer "Hilfsdisziplin" für Gesellschaftswissenschaft zugeschrieben wird: Die Sprachwissenschaft ist heute nicht nur ein wichtiges Bindeglied zwischen den traditionellen Geisteswissenschaften und der Sozialwissenschaft, sondern kann der letzteren in vieler Hinsicht als - ein mit Umsicht zu behandelndes - Muster der Formalisierung und der Systematisierung dienen.
Doch dürften "Formalisierung" und "Systematisierung" für Sprachforschung nur zwei Funktionen unter verschiedenen anderen sein. Gesellschafts- und Sprachstruktur bedingen einander wechselseitig. Gleichwohl begegnen sich Soziologen und Linguisten häufig mit Ignoranz. Sie sehen scheinbar aneinander vorbei. Daß es sich hierbei um Pseudo-Ignoranz handelt, beweisen Literaturverzeichnisse in den wissenschaftlichen Arbeiten zahlreicher Autoren beider Disziplinen: Soziologen und Linguisten zitieren einander so auffallend häufig, doch wohl in dem Bemühen, ihren Lesern unter anderem auch zu beweisen, daß einschlägige (Er-)Kenntnisse der jeweils anderen Disziplin ihrer Wahrnehmung nicht entgangen sind. Obgleich Luckmann auf eine umfangreiche Publikationsliste zur "Sprachsoziologie" verweist und in dieser Teildisziplin zu registrierende Fortschritte der letzten Jahre rühmt, liegen bisher keine ernstzunehmenden Theorien vor. Es gibt Aspekte, Problem-Assoziationen und Berührungen, aber keine Interferenzanalysen aus zugleich soziologischer und linguistischer Sicht. Luckmann führt aus, daß "Sprachsoziologie" lange Zeit eine "Unternehmung für einzelne Liebhaber" gewesen sei und ungeachtet "wechselseitiger Bedingtheit von Sozialstruktur, Kultur und Sprache" "das Interesse der Soziologie an der Sprache" bis vor einigen Jahren nur "oberflächlich" gewesen sei, obgleich "die Wissenssoziologie auf eine Untersuchung der Sprachformen, in denen sich Denken und Wissen gesellschaftlich verfestigen, angewiesen ist" (1979: 2f.). Da Luckmann in der Vielschichtigkeit des Problems die Ursache fehlender sprachsoziologischer Theorien sieht, wäre zu ergänzen, daß eine Wissenschaft von der "Soziologie der Sprache" ohne eine gewisse interdisziplinäre Überschau undenkbar ist. Unter linguistischem Aspekt weist Peter von Polenz in seinem Nachwort zu Ferdinand de Saussures "Grundfragen der Allgemeinen Sprachwissenschaft" (1916/1967) auf einen allgemeinen Bewußtseinswandel zu Beginn des 20. Jahrhunderts hin: Sprachbetrachtung ist nun nicht mehr bloße Hilfswissenschaft der Textphilologie, der Geschichte, der Technologie, der politischen Polemik, der Psychologie usw., sondern untersucht Sprache als kommunikatives Zeichensystem einer Sozialgruppe, und damit als eine geistige Leistung und Bedingtheit des geselligen Menschen. De Saussures Neuansatz bedeutet den Einbruch der Soziologie in die Sprachwissenschaft, besonders durch den Einfluß des französischen Soziologen Emile Durkheim und die längst fällige Standortbestimmung der Sprachwissenschaft innerhalb der Wissenschaften, nämlich als Teildisziplin einer allgemeinen 'Semeologie', womit de Saussure schon viel von dem Bereich vorausgeahnt hat, in dem heute Forschungsdisziplinen wie Kommunikationstheorie, Informationstheorie, Kybernetik entwickelt werden. (292f.)
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Hier wird indirekt deutlich, daß eine interdisziplinäre Überschau keine additive, sondern eine integrative Denkweise voraussetzen müßte, um "Sprachsoziologie" zu stringenteren Theorien als den bisher vorliegenden verhelfen zu können. Interdisziplinäre Forschung ist jedoch der Gefahr des Dilettantismus ausgesetzt. In jeder wissenschaftlichen Disziplin ist Spezialisierung unerläßlich. Die oben erwähnte Pseudo-Ignoranz beruht nunmehr darauf, daß Soziologen einen "Sprachbegriff1, Linguisten dagegen einen "Gesellschaftsbegriff' unreflektiert voraussetzen. An Theodor Geigers "Ideologie und Wahrheit" kann aufgezeigt werden, daß und wie Geiger aus integrativer interdisziplinärer Überschau unter Verzicht auf einen reflektierten Sprachbegriff argumentiert. Er weicht dem Problem aus, indem er mangelnde Reflexion über Sprache durch "Werturteile" ersetzt. Die Folgen werden zu analysieren sein. Dabei ist neben der Beziehung von Einzelwissenschaft und interdisziplinärer Überschau, von Reflexion und Intuition, die Wechselwirkung von Individualität und Kollektivität ein weiteres Problem. Hier gibt es Akzentsetzungen, die sich grundlegend auf Modalitäten des Denkens in beiden Disziplinen auswirken. Hans Arens beschreibt dieses Phänomen an einer Gegenüberstellung der Sichtweisen des Sprachwissenschaftlers Hermann Paul und des Soziologen Emile Durkheim (1969: 467): Es war in Frankreich die Soziologie, die die Sprache anders sehen lehrte. Für Hermann Paul war diese zwar ein Sozialprodukt, aber in dem Sinne, daß die Gesellschaft die Summe der einzelnen war, daß sprachliche Veränderungen nur von diesen ausgingen und von den Sprachgenossen übernommen wurden. Emile Durkheim (1858-1917) aber erkannte in der Gesellschaft eine den Individuen übergeordnete objektive Wirklichkeit und Macht, die deren Verhalten regelte. Da das gesellschaftliche Leben nicht bloß eine Addition der Einzelleben war, sondern ein aus Gruppen und Gruppenbeziehungen bestehendes andersartiges Gebilde, waren also auch Erscheinungen in ihm nicht aus der Individualpsychologie herzuleiten.
Des weiteren beschreibt Arens, wie diese Erkenntnis in das Konzept Saussures Eingang gefunden und damit der "Einbruch der Soziologie in die Sprachwissenschaft" stattgefunden hatte. Unter sprachtheoretischem Aspekt sei hier auch auf die 1987 von Elisabeth Feldbusch erschienene Schrift: "Die Linguistische Wertkonzeption im Cours de Linguistique rale" verwiesen, auf welche zwar wegen des erweiterten Kontextes nicht näher eingegangen wird, die jedoch von übergeordnetem Interesse ist. Da Sprache in ihrer Realisierung immer auf individuelle Produktion angewiesen ist, muß ungeachtet der markanten Wende, die u.a. mit Saussure durch Durkheim Eingang in die moderne Linguistik der letzten Jahrzehnte gefunden hat, in der gegenwärtigen sprachsoziologischen Diskussion die Wechselwirkung des individuellen auf das kollektive "Bewußtsein" (und umgekehrt) reflektiert werden. Bei der Beschäftigung mit Geigers Buch: "Ideologie und Wahrheit" könnten aus sprachsoziologischer Sicht diese und ähnliche Fragen erkenntnisleitend sein. Aufschlußreich sind zunächst Personen-und Sachregister im Anhang. Dabei fällt auf, daß nur Schriftsteller eine Rolle spielen. Sprachwissenschaftler kommen überhaupt nicht vor. Nun sind aber für die Bestimmung zugrundeliegender Geisteshaltung Nichtgesagtes und Nichtbeachtetes mindestens ebenso aufschußreich sind, wie konkret nachweisbare Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsindizes. Zu beachten sind daher auch die "nichtbesetzten Tabellenrangplätze" (vgl. dazu in anderem Kontext Bachmann 1985).
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Geiger beschäftigt sich in seinem Buch mit den Problemen der "Wahrheit" und des "befangenen Denkens". Diese aber sind zugleich Forschungsgegenstand der Sprachphilosophie, die sich mit solchen u.a. erkenntnistheoretischen Fragen auseinandersetzt. Warum werden also z.B. Vertreter des "Wiener Kreises" wie Carnap und Wittgenstein nicht genannt? Warum wird Lichtenberg nicht erwähnt, obgleich Lichtenbergs Hinweis auf die "Unzulänglichkeit der Sprache" (Arens 1969: 129) Geigers Auseinandersetzung mit dem Ideologieproblem dahingehend berührt, daß er sich - wie im folgenden zu zeigen sein wird - verschiedentlich mit Unmut über "die Unzulänglichkeit der Sprache" äußert? Warum wird Wittgenstein als Vertreter einer "Gebrauchstheorie der Bedeutung" nicht erwähnt, obgleich der sich aus ihr ableitende "Operationalismus" als Auffassung, daß "wissenschaftliche Erkenntnisse nur aus der unmittelbaren Praxis des Handelns ableitbar sind" (Lewandowski 1976: 488), gleichermaßen Eingang in Soziologie, Psychologie und Linguistik gefunden hatte und eine positivistische Denkweise, wie ihn Sprachphilosophen vom Range Wittgensteins verbreiteten, Geiger schon durch den "Zeitgeist" nahegestanden haben müßte, zumal Geigers Erkenntnisse u.a. auch dazu geeignet sind, sprachtheoretische Grundlagen durch soziologische Sichtweisen entscheidend zu modifizieren und zu expandieren? Die Antwort ist einfach: Geiger hat diese "Geister" nicht gerufen, weil sie gestört hätten. In Kapitel VIII von "Ideologie und Wahrheit" schreibt er: Neuerdings wird aus dem Einfluß der Sprache auf das Denken soviel Wesen gemacht. Gewiß werden Vokabularium und Syntax einer Sprache zu Fallgruben der Gedankenführung, aber der Einfluß ist keineswegs einseitig. Wir erleben immerzu, daß neue Gedanken und Begriffe sprachliche Neubildungen veranlassen oder daß ein Sachzusammenhang, für den die Sprache keinen direkten Ausdruck hat, umschrieben wird... die Sprache ist als Verhängnis des Denkens von Bacon erkannt worden. (154)
Für Geiger ist Sprache also eine "Fallgrube der Gedankenführung", ein "Verhängnis des Denkens". Da man "Fallgruben" und "Verhängnissen" gern aus dem Wege geht, vermeidet Geiger Reflexionen über Sprache und begründet dies im folgenden positivistisch argumentierend: Die Herrschaft des Wortes wird freilich in denjenigen Bereichen des Denkens fortbestehen, in denen auf Verifizierung der Aussagen durch Tatsachenbeobachtung verzichtet wird. (155)
Hier werden die Begriffe Sprache und Won synonym gebraucht. Sprache und Wort sind keine Tatsachen, sondern eher eine nebulöse Gefahr der Verschleierung von Gedanken zum Nachweis von Verzicht auf "Tatsachenbeobachtung". Geiger weicht Reflexionen über Sprache aus, um sich mit dem Phänomen der "Ideologie" auseinanderzusetzen. Dabei entsteht der Eindruck, als sei "die Herrschaft des Wortes" Grundlage der Entstehung des "befangenen Denkens", also Ursache der Ideologiebildung. Dabei verkennt Geiger jedoch, daß ohne Sprache Ideologien weder verbreitet, noch - und was mindestens ebenso wichtig sein dürfte - revidiert werden könnten. Er ignoriert hier den komplexen Zusammenhang von Sprache Denken - Wirklichkeit, weil dieser seine Gedankengänge stört. Folgendes Zitat aus Wittgensteins "Tractatus" beschreibt die "Gefahr", der Geiger zu entrinnen trachtet, besonders anschaulich: Die Sprache verkleidet den Gedanken und zwar so, daß man nach der äußeren Form des Kleides nicht auf die Form des bekleideten Gedankens schließen kann; weil die äußere Form des Kleides nach ganz anderen
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Zwängen gebildet ist als danach, die Form des Körpers erkennen zu lassen ... Die stillschweigenden Abmachungen zum Verständnis der Umgangssprache sind enorm kompliziert, (1921/1971: 4.002: 32)
Darüber hinaus wird die Übereinstimmung von Grundannahmen im Denken Wittgensteins und Geigers im folgenden Aphorismus deutlich: Die meisten Sätze und Fragen, welche über philosophische Dinge geschrieben worden sind, sind nicht falsch, sondern unsinnig. Wir können daher Fragen dieser Art überhaupt nicht beantworten, sondern nur ihre Unsinnigkeit feststellen. (4.003: 32f.)
Dieses Zitat ist vor allem aufschlußreich, wenn man es zu Geigers Ausführungen von Kap.IV und V seines Buches in Beziehung setzt. Wenn Geiger u.a. auch auf den Unterschied zwischen "Erkenntniskritik" und "formaler Logik" hinweist, so ist doch die Verwandtschaft mit dem erkenntnistheoretischen Fundament Wittgensteins und anderer Vertreter der "Ordinary Language Philosophie" unverkennbar, auf welches Geiger Ideologieforschung gründet. Man muß also die Gedanken der Sprache "entkleiden", um Inhalte und Implikationen "wahrheitsgerecht" erkennen zu können. Sprache steht scheinbar "der Tatsachenbeobachtung" im Wege. Um "Ideologie und Wahrheit" als Phänomene des sozialen, des gesellschaftlichen und des politischen Lebens beschreiben zu können, muß man von Sprache abstrahieren. Obgleich Sozialstruktur und Sprachstruktur einander bedingen, lassen sie sich nur unabhängig voneinander erforschen. Der Linguist ist dem Soziologen ein "König im anderen Land", der, wenn er "die Herrschaft des Wortes" ausdehnt, zugleich Grenzmarkierungen verschiebt und damit Sprache zum "Verhängnis des Denkens" werden läßt, einem "Verhängnis", dem man konsequenterweise durch Ignoranz entgegenwirken und ausweichen muß. Daß es sich hier nicht nur um eine Besonderheit Geigerschen Denkens, sondern um ein allgemeines sprachsziologisches Problem handelt, wird u.a. auch deutlich, wenn man Helmut Schoecks Zitat aus einem Brief des Historikers Justus Möser vom 5. April 1767 zur Kenntnis nimmt. Möser schreibt: daß das Kostüm der Worte und damit verknüpften modernen Begriffe dem Geschichtsschreiber unendliche Mühe macht [...]. (120)
Wie man den weiteren Ausführungen des Briefes entnehmen kann, beruht diese "unendliche Mühe" im Umgang mit den "Kostümen der Worte" auf ihrer Veränderbarkeit. Dadurch, daß Wörter als Bezeichnungen für Begriffe mehrdeutig und ständigem Wandel unterworfen sind, sind sie für den Geschichtsschreiber und Soziologen ein "notwendiges Übel" zur Beschreibung von Strukturen und Prozessen gesellschaftlicher Wirklichkkeit. Nachdem man sich der Sprache als einem "notwendigen Übel" bedient und sich mit ihrer vermeintlich "schillernden" und "wetterwendischen" Natur "abgemüht" hat, vermeidet man die Ebene der Sprachreflexion. In diesem Zusammenhang beschäftigt sich Geiger in Kap. VIII eher abstrakt mit der Neigung des Begriffssystems, sich ständig zu verändern, indem seine "unendliche Revision" als "Aspekt des Erkenntnisfortschritts" angesehen und Begriffe schlechthin als "Werkzeug der Erkenntnis" bezeichnet werden (143f.). Hinsichtlich der Begriffsverwendung ist auch das Sachregister im Anhang von Geigers "Ideologie und Wahrheit" aufschlußreich. Besonders häufig anzutreffende Termini referie-
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ren gleichermaßen auf vorwiegend soziologische, erkenntnistheoretische (philosophische) und linguistische Fragestellungen. Zum soziologischen Kontext könnte man die Begriffe: Soziales und Soziologie, Wirklichkeit, Gesellschaft, Interesse und Vitalität zählen. Zum erkenntnistheoretisch-philosophischen Bereich eher die Begriffe: Denken, Erkenntnis, Logik, Wissen, Urteil und Wahrheit. Eher linguistische Termini sind: Begriff, Aussage, Lüge, Werturteil und Vorurteil. Der am häufigsten verwendete Terminus mit dem größten semantischen Umfeld ist der Begriff Ideologie mit 61 Eintragungen. Im Vergleich dazu hat der Begriff Sprache nur zwei Eintragungen. Der Begriff Ideologie läßt sich keinem der drei Bereiche eindeutig zuordnen. Ideologie ist gleichermaßen ein soziologisches, erkenntnistheoretisches (philosophisches) und linguistisches Phänomen. Daher läßt sich der Terminus auch nicht eindeutig der soziologischen, philosophischen oder linguistischen Disziplin zuweisen. Um Entstehungsprozesse von "Ideologien" beschreiben zu können, bedient sich Geiger bewußt soziologischer und philosophischer Methoden, aber unbewußt auch linguistischer Vorgehensweisen. Zunächst bemüht er sich um einen terminologischen Zugriff, indem er auf Entstehung und Konnotation des Begriffs Ideologie eingeht und ihn in Annäherungen als Wort, als Begriff, als Magische Formel charakterisiert. Bezugsrelationen sind "verschiedene ... einander widersprechende B e d e u t u n g e n " (Hervorhebungen nicht im Original) und " A u s s a g e n " . Abgrenzungsrelationen dagegen sind "Denkprozesse", "Wirklichkeit" und "Wahrheit". Dabei betont Geiger, daß er den Begriff Ideologie "nicht definieren", sondern lediglich "umschreiben" könne. Zunächst verweist er auf den " S p r a c h g e b r a u c h": Bis auf den heutigen Tag ist das Wort Ideologie im Sprachgebrauch der politischen Rednertribüne und Zeitungsschreibe eine magische Formel zur Entwertung gegnerischer Behauptung. Was man selber vorbringt sind Feststellungen und Wahrheiten, was der Gegner sagt, "bloße Ideologie". Die angeprangerte "Abweichung von der Wirklichkeit" mag dann bald als glatte Lüge verstanden sein, bald als Verhüllung der Wahrheit, als Rationalisierung von Willenszielen, als gutgläubige Verblendung. Schon dadurch ist der Ideologiebegriff zu so vielfarbig schillernder Unbestimmtheit verurteilt, daß er heute ohne vorherige Revision wissenschaftlich nicht zu gebrauchen ist. (5)
Geiger beabsichtigt, der "schillernden Unbestimmtheit" des Ideologiebegriffs, seiner Vagheit und Konturlosigkeit, durch Klärung und Präzisierung entgegenzuwirken. Dies geschieht, indem er durch mehrere Kapitel hindurch die Begriffe Wirklichkeit, Wahrheit, Lüge und Werturteil diskutiert und zueinander in Beziehung setzt. Zuvor werden jedoch in Kapitel I die "Lehrmeinungen" aus 300-jähriger Geistesgeschichte nachgezeichnet. Geiger beginnt mit dem 1605 entstandenen "Novum organon" von Fracis Bacon, ein Werk, das er als "Theorie des befangenen Denkens" bezeichnet. Geiger zitiert die vier von Bacon beschriebenen "äußeren Täuschungsquellen", die zu Fehlschlüssen und Fehlaussagen führen können und die "Idole" oder "Götzenbilder" genannt werden, Begriffe, die Geiger durch den Terminus "Vorurteil" zu ersetzen empfiehlt: Die Götzenbilder der Gattung (idola tribus) haben ihre Wurzeln in der gemeinsamen Natur des Menschengeschlechtes. .Die Wirklichkeit ist uns nicht zugänglich so wie sie selbst ist ("nach der Natur des Weltalls"), sondern wie unsere wahrnehmenden Sinne und unser Verstand sie ("nach der Natur des Menschen") erfassen. Der Verstand des Menschen wird mit einem Krummspiegel verglichen. Indem er die äußeren Gegenstände widerspiegelt, verzerrt er ihre Umrisse, indem er seine eigenen Krümmungen mit ihren Linien vermengt.
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Die Götzenbilder der Höhle (idola specus) sind das, was man heute "die persönliche Gleichung" nennen würde. Dem Menschen ist nicht nur die gemeinsame Menschennatur der Gattung eigen, sondern auch seine persönliche besondere. Ein jeder lebt in seiner eigenen Höhle, seinem Gehäuse, in die das natürliche Licht der Außenwelt nur getrübt und verdunkelt eindringt. Die Götzenbilder des Verkehrs (idola fori) sind jene Störungen reiner Erkenntnis, die im zwischenmenschlichen Gedankenaustausch ihren Ursprung haben. Die Menschen verkehren miteinander durch das Mittel des Wortes, der Sprache. Die Dinge aber werden einem Sprachgebrauche nach benannt ('nach der Auffassung des großen Haufens"). Konventionelle Mißbezeichnungen hindern oft die richtige Erkenntnis. Das Wort ist eine Zwangsjacke des Gedankens. Es verleitet die Menschen zu endlosem Streit um nichts. Max Stimer war sich dessen tief bewußt. "Was ich sage, das meine ich nicht, und was ich meine, vermag das Wort nicht zu sagen." Die Götzenbilder des Schauplatzes (idola theatri) endlich sind jene Niederschläge und eingefleischten Vorstellungen, die auf Tradition, Autorität und Irrlehren der Vorzeit zurückzuführen sind. Wenn eine Auffassung, ein Dogma, erst einmal Anerkennung gefunden hat, wird es bald zu einem ausgefahrenen Geleise. (9)
Hier fällt auf, daß Geiger von Bacon die analytische Trennung nach vier Bereichen übernimmt, welche in der Alltagswirklichkeit nur gleichzeitig und interferierend vorkommen können: 1. Die aufgrund der biologischen Ausstattung des Menschen gegebene Fähigkeit zu spezifischer Sinneswahrnehmung. 2. Die subjektive "Erlebniswirklichkeit" infolge je spezifischer biographischer Erfahrungen, ("die persönliche Gleichung"). 3. Zwischenmenschliche Verständigung mittels Sprache. 4. Aus historischen Prozessen hervorgegangene sozio-kulturelle Bedingungen und Verhältnisse. Ungeachtet der Tatsache, daß diese Ebenen nur theoretisch voneinander getrennt werden können und daß die "Verschränkung" von Sprach- und Sozialstruktur ein wesentliches Bestimmungsmerkmal für die Genese von Ideologien sein dürfte, fallen bei den "idola fori" besonders Geigers Kommentare zur Funktion von Sprache auf: "Das Wort ist eine Zwangsjacke des Gedankens"; oder das Stirner-Zitat: "'Was ich sage das meine ich nicht, und was ich meine, vermag das Wort nicht zu sagen'". Hier wird vor allem das Mißverhältnis zwischen Sprache und Denken betont. Gesagtes und Gemeintes vermag nicht miteinander in Einklang gebracht zu werden. Sprache ist "ein Götzenbild", dessen Wesensmerkmal Vorurteilshaftigkeit ist. "Zwischenmenschlicher Gedankenaustausch" mittels Sprache erzeugt eher Mißverständnisse als Verständigung: "Er verleitet die Menschen zu endlosem Streit um nichts". Daß Sprache funktioniert, daß Sprachgebrauch Verständigung zwischen Menschen über wahrnehmbare Dinge der Außenwelt regelt, ist eine "Auffassung des großen Haufens", d.h. eine irrige, illusorische, von der Wirklichkeit abweichende Erkennntis der meisten Menschen, also eher "Sprachideologie" oder "ein Makel der Erkenntnis". Wenn man die weiteren Ausführungen Geigers zu anderen "Lehrmeinungen" liest, wird deutlich, daß er dort mehr kritische Distanz einbringt, sich also mit den Ausführungen Bacons stärker identifiziert. Dieser Eindruck entsteht auch, wenn man die bereits zuvor zitierten Kommentare zur Funktion von Sprache berücksichtigt. Bei diesen einseitig negativen Konnotationen zum Leistungswert von Sprache wäre zu fragen, warum sich Geiger in diesem Punkt soviel "subjektive Erlebniswirklichkeit" leistet, zumal er sich hier - der weiteren
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Gedankenführung seines Buches zufolge - selbst widerspricht und eigenen "befangenen Denkens" überführt. Geiger klagt über die Schwierigkeit, mittels Sprache der Vielschichtigkeit des Denkens gerecht zu werden, wenn er schreibt: Dieser einzigartigen Verquickung von Erkennntis und Tat, Theorie und Praxis ist mit der Begriffssprache theoretischer Wissenschaft kaum gerecht zu werden. (39)
Ursache für die Entstehung von Werturteilen, welche Geiger über Sprache äußert, sind aus linguistischer Sicht nicht nur die vielschichtige, netzartige Verstrickung und Verquickung der Denkebenen und auch nicht nur die ideologische Bedingtheit von der Ignoranz der Notwendigkeit zur Reflexion über Sprache. Die Ursachen liegen vermutlich in der Natur der Sache, zumal sich Geiger zur Klärung des Ideologieproblems zahlreicher linguistischer und sprachphilosophischer Termini bedient und auch die üblichen Methoden zur Strukturbeschreibung von Sprache anwendet, welche in linguistischer Semantik und Pragmatik üblich sind. Im folgenden sei dargelegt, wie Geiger gerade durch sprachlogische und sprachanalytische Vorgehensweisen dem Inhalt des Ideologiebegriffs auf die Spur kommt. Bevor Geiger in Kapitel IV über "Werturteile" diskuiert und erklärt, warum es sich dabei um "ideologische Aussagen" handelt, differenziert er den Begriff der Wirklichkeit auf drei Ebenen: Er unterscheidet zwischen "pragmatischer Existentialwirklichkeit", "theoretischer Erkenntniswirklichkeit" und "subjektiver Erlebniswirklichkeit". Er führt aus, daß über die erste Ebene keine Aussagen gemacht werden können: "Die Existentialwirklichkeit ist als solche gar nicht erfaßbar" (44). Um die Entstehung eines "Werturteils" als "ideologische Aussage" beschreiben zu können, ist die Beziehung zwischen "Erkenntnis- und Erlebniswirklichkeit" auf der Grundlage "theoretischer Aussagen" zu analysieren. Geiger tut dies, indem er mit sprachphilosophischen Methoden die logische Struktur einer Aussage untersucht und die Analyseschritte an Beispielssätzen aus der Umgangssprache erläutert. Zunächst ein Beispiel zur Veranschaulichung der sprachphilosophischen Methode auf erkenntnistheoretischer Grundlage: Eine theoretische Aussage, d.h. ein Ist-Satz verbindet zwei Begriffe durch das Zeitwort "ist", indem dieses nicht als Hilfsverbum gebraucht wird, sondern entweder A als identisch mit B oder A als gleich B bezeichnet oder in dem Sinne, daß A unter dem weiteren Begriff B falle, oder daß B eine der kennzeichnenden Eigenschaften von A sei. Solche Aussagen genügen der im vorigen Abschnitt aufgestellten Bedingung: Sie sind durch logische Verarbeitung von Beobachtungen gewonnen und ihr Aussage-Inhalt kann auf gleiche Weise nachgeprüft, d.h. verifiziert oder entkräftet werden. Gewisse Sätze haben zwar die gleiche sprachliche Form "A ist gleich B", genügen aber den erwähnten Anforderungen nicht. Solche Sätze sind z.B. die Werturteile. Sie sind im folgenden auf ihren Inhalt, ihre Struktur und ihren Ursprung hin eingehender zu untersuchen. (53)
Diese sprachtheoretischen Annahmen erläutert Geiger im weiteren Verlauf seiner Ausführungen, indem er verschiedene Beispielsätze aus der Umgangssprache diskutiert. Am Beispiel des Satzes: Hyazinthen sind wohlriechend zerlegt Geiger eine Aussage in Anteile, die jeweils der "Erkenntnis-" und der "Erlebniswirklichkeit" zugeordnet werden müssen. Zum einen erfolgt eine objektive Kennzeichnung in bezug auf die "Hyazinthe in ihrer Zugehörigkeit zur Gattung der Blumen." Dabei handelt es sich um einen Rekurs auf "Erkenntniswirklichkeit", indem auf etwas bezug genommen wird, "was die Sprache kraft allgemeiner
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Übereinstimmung eine Hyazinthe nennt". Der zweite Aussageteil: sind wohlriechend gehört dagegen nicht der "Erkenntnis-" sondern der "Erlebniswirklichkeit" an, da es unmöglich ist, daß Menschen diese Blume gleichzeitig als wohl- und übelriechend empfinden: [...] unmöglich können A und B recht haben, aber nicht: der eine hat Recht, der andere Unrecht, sondern: beide reden wörtlich genommen Unsinn. (56)
Mit der Sequenz sind wohlriechend wird eine "subjektive Erlebniswirklichkeit" "in das Gewand einer objektiven Erkenntniswirklichkeit" gekleidet. Bei sind wohlriechend handelt es sich um ein "Werturteil". In der Aussage Hyazinthen sind wohlriechend werden also "Tatsachenbehauptung" und "Werturteil" miteinander vermischt. Geiger bezeichnet solche "Werturteile" als "erkenntnis-illegitim". Sie sind weder "wahr" noch "falsch", sondern "sinnlos". Geiger begründet die Wahl dieses Beispiels damit, daß es den Vorzug habe, "ohne Beteiligung tieferer Gefühle und psychischer Widerstände erörtert werden" zu können. Auch sei es [...] nicht genug, sich darüber einig zu sein, daß die Geschmäcker verschieden sind. Es ist vielmehr von großer erkenntnispsychologischer Bedeutung, zu durchschauen, wie es zugeht, daß geschmackliche Vorliebe sich dennoch in generalisierend-sachlichen Aussagen äußert, mit anderen Worten, wie das sinnlichgeschmackliche Werturteil (und jedes andere Werturteil) zustandekommt und welche Aussagestruktur es hat. (54f.)
Worum es Geiger also im wesentlichen geht, ist die Beschreibung des Entstehungsprozesses von "Werturteilen", weil man damit gleichzeitig zu erklären vermag, wie durch Vermischung der Wahrnehmungsebenen Erkenntnisfehler entstehen, indem Erfahrungen "unversehens aus der Sensationsebene in die Erkenntnisebene übertragen" werden (55). Diese Erkenntnisse ermöglichen Geiger eine Definition über das "Werturteil": Werturteile aller Arten beruhen darauf, daß persönliche oder kollektive Primärbewertungen, d.h. Gefühlsverhältnisse von Personen zu einem Gegenstand in Eigenschaften des Gegenstandes umgedeutet, d.h. objektiviert werden. (62)
Solche "Werturteile" sind für Geiger "ideologische Aussagen" und als solche "in erkenntnistheoretischem Sinne illegitim" (51). Geiger betont, daß eine "ideologische Aussage" nicht, wie häufig angenommen, einfach eine Fehlaussage sei, vielmehr schreibt er: "Der Fehler in der logischen Verarbeitung von Beobachtungen ist nicht an sich ideologisch" (51). Ihm ist wichtig, daß bei der Bestimmung des Charakters von "Ideologien" die Kategorien wahr und falsch keine Rolle mehr spielen: Die besondere, als ideologisch bezeichnete Nicht-Übereinstimmung einer Aussage mit der Erkennntiswirklichkeit liegt somit darin, daß der Aussage-Gegenstand keinen Anhaltspunkt für eine verifizierende oder falsifizierende Nachprüfung des Aussage-Inhalts bietet. (50)
Wenn bei dem Satz Hyazinthen sind wohlriechend noch konstatiert werden kann, daß die Äußerung desselben in der Regel ohne Folgen bleibt, so ändert sich dies bei Aussagesätzen, wie z.B. Nichts ist schöner als eine Zigarette am Morgen oder Der Soldat ist ein Held. In diesen Beispielsätzen werden mögliche Folgen einer Äußerung und deren Verbreitung sinnfälliger. Die Erfahrung zeigt, daß "erkennis-illegitime" Denkweisen in handlungs-illegitime Vorgehensweisen überführt werden können (Hinsichtlich der o.g. Beispielsätze könnte man
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z.B. auf die Statistik der Steigerungsrate von Lungenkrebskranken durch Nikotingenuß oder auf Massenmord durch Krieg verweisen). Geiger macht deutlich, daß die "Keimzelle" einer "Ideologie" die "ideologische Aussage" und damit das "Werturteil" ist. Zugleich beschreibt und erklärt er Prozesse der Entstehung von "Werturteilen" als "ideologische Aussagen": Die Objektivierung von Bewertungen in einer Wertidee ist illusionär. Das Werturteil ist eine Ist-Aussage über nur ein vermeintliches Etwas. Ihre Illegitimität beruht auf der Unvereinbarkeit ihrer Struktur mit ihrem Inhalt. (64)
"Ideologien" sind also im wahrsten Sinne des Wortes H i r n g e s p i n s t e . "Ideologische Aussagen" sind an sprachliche Formen gebunden, wobei Sprache Gedanken nicht "verhüllt", sondern "verzerrt". "Werturteile" sind daher Pseudo-Erkenntnisse, denen erst Sprache Form zu verleihen vermag. Geiger faßt die Definition der "ideologischen Aussage" in Kapitel V noch einmal zusammen: Als ideologisch sollen jene Aussagen bezeichnet werden, die ihrer sprachlichen Form und dem in ihnen ausgedrückten Sinne nach sich als theoretische Sachaussagen geben, die aber a-theoretische, nicht der objektiven Erkennntiswirklichkeit zugehörende Bestandteile enthalten. (66)
Hier liegt nun vergleichsweise ein Widerspruch in Geigers Äußerungen über Sprache vor. Sprache kann zwar, wenn sie ideologieträchtig ist, Gedanken verhüllen, sie kann verschleiern, daß es sich um verzerrte Gedanken illusorischer Wirklichkeit handelt. Doch reicht dies zur Funktionsbeschreibung von Sprache nicht aus. Sprache vermag ebenso verzerrte, "erkenntnis-illegitime" Gedanken zu "entlarven", zu "entschleiern", zu "enthüllen", zu "entkleiden". Mit "Ideologie und Wahrheit" tritt Theodor Geiger dafür selbst den Beweis an. Geigers A u s s a g e n , in denen von der "Herrschaft des Wortes", von Sprache als "Verhängnis des Denkens", "als Fallgrube der Gedankenführung" und als "Zwanksjacke des Gedankens" die Rede ist, sind "Werturteile" und damit "ideologische Aussagen". In Wirklichkeit ist Sprache wertneutral. Sprache ist lediglich "Vehikel der Erkenntnis" (10). Sie ist das Medium des sozialen Verkehrs und der zwischenmenschlichen Verständigung. Sie ist daher nicht "Täuschungsquelle", wie Geiger und Bacon behaupten, sondern mögliches Täuschungsmittel. Dieses Mittel läßt sich gleichermaßen ge- und mißbrauchen, wie dem "Sprachgebrauch der politischen Rednertribüne und Zeitungsschreibe" (5) unserer öffentlichen Medien täglich zu entnehmen ist. In seinen Äußerungen über Sprache leistet sich Geiger Denkweisen, vor denen er selber in anderen Zusammenhängen warnt. Er läßt seine "Gefühle mit dem Verstande durchgehen" (27). Wenn Geiger derart Sprachtheorie durch Sprachideologie ersetzt, interessieren die Gründe, die ihn dazu bewegen, interessiert das erkenntnisleitende Interesse: Die Aussage verzerrt den wirklichen Sachverhalt, weil der Sprecher die Welt durch die Brille seiner Interessen betrachtet und pro domo spricht. (32)
Aus linguistischer Sicht ergibt sich eine andere Betrachtungsweise: Interessen bestimmen Perspektiven der Wahrnehmung von "Wirklichkeit". Ein solches "Vitalengagement" erzeugt "erkenntnis-illegitimes" Denken, welches sich in der Sprache durch "ideologische Aussa-
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gen" oder "Werturteile" niederschlägt. Diese "Überzeugung vermittelnde 'Erfahrung'" "verlangt [...] Opfer des Intellekts" (Bachmann 1985: 274). Es geht Geiger um die Beschreibung von Entstehung und Struktur der "Ideologie". "Fehlurteile" des Denkens führen zu Fehlleistungen durch Sprache. "Erkenntnis-illegitimität" wird als Quelle und Steuerungsmechanismus entlarvt, wodurch die Genese "ideologischer Aussagen" erkennbar geworden ist. Diese "ideologischen Aussagen" oder "Werturteile" können als Strukturelemente des "Realphänomens 'Ideologie'" beschrieben werden. Eine "Vorstellungsdifferenzierung" "ideologisch" vermittelter "Denkschemata" und "Deutungsmuster" ermöglichen die von Siegfried Bachmann dargebotenen "Dimensionierungen [...] nach fünf Merkmalen": - dichotomische Deutungsschemata, - verabsolutierte Wahrheitsbehauptungen, - Erkenntnismonopol, - Fremd - Feind - Stereotype, - Umdeutung bzw. "Entleerung" überkommener werthaltiger Begriffe. (1985: 187f.)
Dieses sind Einstellungen des Denkens, welche ihren Niederschlag in sprachlichen Äußerungen finden. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, daß Fehlurteile in der Sprache wiederum zu Fehlurteilen im Denken führen. Diese Wechselwirkung von Denken und Sprechen dürfte Geiger (noch) nicht gesehen haben. Obgleich Sprache an sich wertneutral ist, wird sie als gefährliche Macht empfunden, gerade weil sie sich so hervorragend eignet, um Pseudo-Erkenntnisse zu transportieren und damit die subjektiv destruktive Kraft der aus "subjektiver Erlebniswirklichkeit" erwachsenen Interessen von Individuen und sozialen Gruppen einerseits zu verschleiern und ihnen damit andererseits zur Durchsetzung zu verhelfen. Geiger weist nach, daß Sprache im ideologischen Kontext gerade nicht dazu verwendet wird, Wirklichkeit darzustellen, indem richtige oder falsche Aussagen über Wirklichkeit gemacht werden, sondern daß es gerade Verschleierungen als Wirklichkeitsverlust oder Wirklichkeitsverzicht sind, sowie die illusorische Widerspiegelung nicht nachweisbarer "Pseudo-Wirklichkeit", welche die "ideologische Aussage" charakterisieren. Kommt man zum Ausgangspunkt der Überlegungen zurück: "Menschen denken zuweilen verdreht", so gelangt man zu dem Ergebnis, daß Geiger zuweilen "verdreht" über Sprache reflektiert und damit die Frage aufwirft, ob "ideologische Aussagen" nicht konsumtiv für menschliches Denken und Sprechen überhaupt sind. Ob nicht erkenntnis-legitime und erkenntnis-illegitime Aussagen lediglich als Kehrseiten ein- und derselben Medaille von Sprache und Denken angesehen werden müssen? Aus dieser Frage resultiert nun der merk- und denkwürdige Umstand, daß Geiger ungeachtet oder sogar wegen der beschriebenen Pseudo-Ignoranz gegenüber Sprachreflexion und damit gegenüber Sprachwissenschaft, der Linguistik einen Dienst erwiesen hat. Durch die einseitig soziologische Betrachtungsweise liefert er den Komplementärkontrast: Er bereichert linguistisches Denken auf zugleich sprachphilosophischer und sprachsoziologischer Ebene und liefert neue Interpretationsmöglichkeiten für linguistische Pragmatik und Texttheorie, indem er Abgrenzungskriterien zur Gliederug und Charakterisierung sprachliche Handlungsmuster bereitstellt. Dabei ist vor allem die Erkenntnis von der Dreiteilung von Sprechhandlungen in wahre, falsche und sinnlose Aussagen wesentlich. Erst durch eine Dif-
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ferenzierung von Fehlaussagen in "Lügen" und "Werturteile" wird ein mögliches Relationsgefüge von Denken - Sprechen - Wirklichkeit richtiger als bisher durchschaubar. Durchschaubarkeit aber ist die Grundlage zur Entwicklung beschreibungs- und erklärungsadäquater theoretischer Ansätze, auch für Sprachsoziologie. Obgleich hier (hoffentlich) angedeutet werden konnte, welcherart linguistische Theoriebildung durch soziologische Sichtweisen bereichert zu werden vermag, sei abschließend gefragt: Kann Sprache eine "Zwangsjacke der Gedanken" sein, wenn der "Einfluß der Sprache auf das Denken" nicht nennenswert ist? Könnte man nicht auch umgekehrt - Geigers Ausführungen zur Interessenstheorie berücksichtigend - Wirklichkeit und Denken als "Zwangsjacken" der Sprache bezeichen?
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SOCIAL REPRESENTATION AND DISCOURSE PRODUCTION Positive Outgroup Presentation of the Dutch by Chinese ShiXu
1. Problem One common observation made in the social psychological literature is that ingroup members tend to develop prejudiced stereotypes about outgroups. Thus, mere perception of outgroup membership may trigger derogation in in(ter)group representations (Fiske/Taylor 1984, Stroebe/Insko 1989). This has been shown especially in research on majority people; results suggest that they tend to focus cognitively on negative behaviours of minority groups (cf. Tajfel/Forgas 1981: 130, Doise 1984: 256). Discourse analysis of the majority's talk about minorities proves that there are also specific discursive structures and strategies expressing such prejudiced cognitive representations about ethnic outgroups (van Dijk 1987, cf. van Dijk 1985: 74). An initial hypothesis the present work proceeds from is, however, that group members in different socio-cultural positions and circumstances may develop different contents, structures and strategies of social representations (SRs). Minority groups, to be sure, may show selectivity or salience in perception, memory, and attitude formation processes; they may also tend to notice and verbalize striking differences, perhaps stereotypical ones (Eiser/van der Pligt 1988: 2). In other words, the underlying cognitive principles might be more or less the same. Nevertheless, owing to differences in cultural backgrounds and (re)socialization processes, there might presumably be variations in contents, categorial structures, and dynamic strategies of attitudes of different socio-cultural groups (Jaspars/ Fräser 1984: 121, cf. Newman 1977). It would be interesting, therefore, to examine the thought and conversation of a small cultural group and see how In addition, this kind of analysis may shed light on the psychological consequences of such intergroup contacts. Recently I held 20 non-directive interviews with Chinese living in the Netherlands. Analytical surveys show that the Chinese as a distinct cultural group have an overall positive impression of the Dutch people. They report some problems on the part of the Dutch, but more often than not, they see positive sides of the Dutch. They are struck some another of personal trait, value, behaviour, custom of the Dutch whereas sometimes they are implicitly or explicitly critical about their counterparts in the Chinese.
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2. Aim and approach In this study we shall try to probe into the SRs of the Chinese about the Dutch by analysing interview data. We want to see whether members of a small cultural group hold a generally positive neutral, or negative view of the majority group as a result of cross-cultural contact. We shall pay attention not only to the relevant categorial structures in the SRs but also to some aspects of the contents. Since SRs are used in the social context and are subject to communicative and interactive constraints, we shall look into the cognitive strategies with which their SRs take form in discourse. Finally, we shall attempt to account for the properties of the SRs in terms of their social cognitive functions. To attain these goals, we make a number of basic assumptions. We take SRs and their use to be group-shared. By this we mean SRs as well as their strategies of reproduction are shared by (many) members of the same socio-cultural group (cf. Moscovici 1981, Doise 1984: 257, Jaspars/Fraser 1984: 104-105, 115-116). A couple more dimensions of SRs are that they are social and cultural reality for they are cognitions about socia-cultural groups or issues. Their origin social perception and contact. For a discourse analytic viewpoint, it is particularly important to underline this group sharedness: SRs may thus be sought in individual texts and it is unnecessary to take up a large amount of data. In this fashion, SRs thus distinguish between groups, and, even more sharply, between cultures (Jaspars/Fraser 1984: 115-116, 121). In this sense, in which this assumption may be true. First, people's perception of their social world is presumably coloured by their collective cultural experience. Another plausible reason is that the ubiquitous use of language in society constitutes a basis for forming shared knowledge. In fact, as Doise (1984) has demonstrated, the group-based general nature of SRs is involved at all levels of social cognitive research, though SRs may be reduced to two levels: individual and collective (Moscovici 1979: 4, cf. Doise 1984: 255). Secondly, we assume that SRs are incarnated in different forms of discourse. People express their attitudes primarily through language (Eiser/van der Pligt 1988: 1-19). Thus discourse plays a crucial role in the (transformation and reproduction of SRs (van Dijk 1990: 165, cf. Potter/Wetherell 1987). This is an opportunity to gain insight into the representations and their processes by studying the verbal utterances. Thus, discourse analysis may serve as a powerful tool in revealing the contents, structures and strategies of SRs. Language and discourse cannot be equated with SRs (van Dijk 1990: 165); SRs are seldom directly expressed. Then arises the question: to what extent everyday discourse reflects the underlying SRs? For Moscovici, SRs are a special way of acquiring and communicating knowledge of the world or systematic processes of making the unfamiliar familiar (cf. Farr/Moscovici 1984, Moscovici 1979: 7, see also Jaspars/Fraser 1984: 102). There are also other similar views about the generality of SRs (cf. Doise 1984: 257-260). And yet social psychologists have hardly anything explicit to say where to locate the manifestations and mechanisms of SRs in the important area of discourse (van Dijk 1990: 168). An aim of the paper is to establish links between SRs and everyday discourses. In this study, we shall therefore opt for an apparatus which spans from discursive products to their underlying SRs. We shall borrow van Dijk's social cognitive theory of dis-
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course (1990: 166-169, see also van Dijk 1987), which comprises essentially three components: SRs - Model - Discourse. In such a framework, SRs, as group-based social cognitions, are conceptualized as generalized knowledge systems located in social (semantic) memory; for our goals, these knowledge structures pertain to socio-cultural groups; they are also called group attitude schemata (cf. Jaspars/Fraser 1984: 116f., Fiske/Taylor 1984: 160). They have both structural and content aspects which are inseparable. The schemata feature sets of node-categories. These categories organize the prepositional content of SRs. Thus, the SRs of the majority about minorities as a group attitude schema may be organized round origin, appearance, economic goals, cultural difference, etc. (van Dijk 1987). Social memory may be directly accessed during talk and instantiations from SRs may form (van Dijk 1985: 70f.). In communicative events, generalized knowledge may be used to support, prove, and legitimize personal opinions (and vice versa). SRs also are indirectly and strategically reproduced in discourse, as we indicated earlier (van Dijk 1985: 66). For example, people do not usually have the same opinions and talk about the same things about a particular (out)group, due to unique personal experiences. Contextual constraints may also influence processes of talk. Thus, it is hypothesized that there exist the cognitive situational (episodic) model - personal, unique constructs of situations - and the context model, which function is direct for discursive reproduction. In most cases discourse (e.g. topics) production is a process originating in the situation model and monitored by the context model. As agents mediating between SRs and discourse, situation models used in discourse production may arguably give clues, though perhaps under disguise, to the underlying SRs. Structurally, such models may likewise be schematic and consist of setting, participants, events, and evaluation as their components (cf. van Dijk 1985: 65). Since language and discourse describe situations and are controlled by the context, they may empirically bear features of such models (cf. Dik 1978, Labov 1972). Thus, this study is also an attempt to illustrate how discourse analysis helps spell out (aspects of) the uses of the situational and contextual models and ultimately of the SRs in verbal exchanges. We shall perhaps not feel contented however about the properties of the SRs analysed unless we have been able to "attribute" them to some explanatory "causes". In fact, (trans)formation and use of SRs serve complex social cognitive and communicative functions and thus need to be accounted for in terms of the social actors' anthropological, sociological, social psychological, cultural, interpersonal dynamics.
3. Discourse analysis into social representations We shall present a qualitative analysis of two interview fragments. But before going into the details, let us first take a look at the collective general attitude in the interviews in order to indicate the textual context out of which the present texts are chosen1. In terms of macrosemantic structures, these interviews are centred round the Dutch norms of interpersonal relationships and of social conduct, their personal traits and mentality etc. While topics such as these cannot be equated simply with cognitive categories of group representations, arguably, they reflect to a substantial extent some dimensions of the underlying SRs. Thus, it
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may be inferred that their attitude schema of the Dutch includes, provisionally, Social Norms, Personal Qualities, Life Ethics, Cultural Assets. This is reminiscent of the (prejudiced) attitude schema reconstructed by van Dijk (1987). For instance, Appearance, Origin figure only marginally in the data; Socio-economic Goal is virtually null. It is observed that the interviewers usually give general attitude statements first and then support them with more personal opinions or (may be) stories. For example, the interviewees may start by saying something like the Dutch people are very friendly. Then they go on to prove that point by an example: If you ask the way, they will always patiently and warmly explain it to you. Thus, such attitude expressions may be summarized as follows: The Dutch people are friendly (Social Norms), intelligent (Personal Qualities), hardworking (Life Ethics), economically powerful (Cultural Assets). Although they have a dominately positive attitude of the Dutch, they do not like everything for example, they critisize how the Dutch deal with many. Now to illustrate how such generalized representations are strategically deployed in verbal utterances, we shall examine the two extracts at different levels of discourse. They are selected because their global contents appear to embody the typical cognitive (sub)categories mentioned above, viz. Personal Qualities and Cultural Assets. Let us begin by reconstructing the macro-semantic structure of the first passage of a female scholar by way of an intuitive summary: Dutch people - and all Westerners - stick to facts and facts only. But Chinese draw inferences from facts. These are two different ways of thinking. I am adopting the Dutch way.
Asked to give her impression of the Dutch, the speaker starts with a general statement: Yeah, all different. Then, the speaker gives a specific example to illustrate this difference: the Chinese teachers (including herself) tend to draw inferences from facts, but the Dutch will only take actual facts as proper conclusion. After this example, the interviewee is able to make sense of this difference for the listener, and perhaps for herself as well: This is a question of thinking" thereby arriving at one concrete aspect of general difference mentality. At this point, she comes up with another example to demonstrate this "mentality difference": newspaper articles in the West and China are completely different. And with this, she reformulates her earlier generalization of the mentality difference: They are two *entirely di-different kinds of system. These semantic moves may have may have a number of implications. The interaction between general statements and explications may congruitively mean that the generalizations about the Dutch are employed either to support or be supported by model information. Secondly, discursive strategies at several levels also suggest that in representing the Dutch as a different group (in terms of mentality), the speaker contrast!vely uses the schemata of both the Dutch and the Chinese. She makes use of the general strategy of categorization by distinguishing the Dutch from the Chinese as a "different" group. In addition to the characteristics of the semantic moves analysed above, rhetorical and stylistic devices also point to this mental strategy. For example, the inter-group differentiation is consistently made through the use of generic proper names, the Dutch, the Western, the Chinese, and by the use of generic pronouns, we, they. Moreover, such terms are used in a patterned way in sequences of sentences: we ... in China but in the West they .... Here, by the way, the
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disjunctive but, which occurs frequently in the interview data, directly reinforces this contrast, which is the focal point of these discursive pattern. Although there is no apparent value judgement upon the Dutch group difference in general and the Dutch mentality difference in particular, the general argumentative standpoint implicit in the interview fragment as well as other related discursive features may disclose the speaker's evaluative opinion. Here a standpoint is taken to be evaluative because it is defined as an (externalized) attitude statement with regard to an expressed opinion (see van Eemeren/Grootendorst 1984: 5). To make such discursive features explicit, we need to reconstruct the argumentation (van Eemeren/Grootendorst 1989). Discourse aims at not just understanding but also acceptance by the recipient. In this light, the present interviewee may be seen as acting on two levels of discourse: first, she is performing a speech act of explanation; but at another level she is trying to convince the interviewer of her viewpoint by way of argumentation. That she is making an argumentation may be confirmed by the fact that anticipation of a moot point is actually verbalized: The Western newspaper articles I translate into Chinese and ... you'd say what they are talking about! Thus, in presenting her representation of the Dutch mentality, the interviewee asserts, plausibly as an argument, you just state the fact... *very objective and neutral... That is, only the fact is enough. She may actually presuppose that the listener will be able to deduce her unexpressed standpoint and intends that the latter will deem it as acceptable: I am of the opinion that the Dutch have a rational mentality. Moreover, if we take into account the larger textual context where the speaker compares and contrasts the difference in mentalities, we even find evidence which suggests that the speaker actually thinks that the Dutch mentality is one up upon the Chinese mentality. Earlier in the interview, she criticizes the Chinese mentality: We Chinese ... tend to be subjective, tend to speak of our inferences as if they were facts... . Seen from this perspective, the interviewee has quite a positive view of the Dutch mentality. In this argumentative process, only model information is supplied. Regarding positive outgroup presentation, there is still another, related, semantic strategy in the text which deserves attention. That is, the speaker reports on her own personal behaviour/attitude change towards Dutch. (This occurs frequently, implicitly or explicitly, in other interviews as well, e.g. when they say, That is not necessarily wrong.) After describing the Dutch way of thinking, she declares that she has adopted "the Dutch way" herself: / should use other methods as well; I have changed my style of writing; I... try to use their way of thinking, to talk about things. While such particular opinions (changes) are personal and about oneself, they are also associated, though indirectly, with the representations of the other group at stake. Obviously, if one conforms, or "converts", to the other group, in the way of thinking, then one must have a positive attitude towards that mentality, though it serves socio-cognitive functions as will be explored in the next section. Thus, those personal accounts disclose, paradoxically, an important psychological consequence: in the interface between the two perceived kinds of mentality. In this text, we thus see that general statements are supported by examples and they are in turn assigned generalized interpretations; and, more importantly, that arguments and personal accounts suggest quite positive representations of the Dutch. Whereas SRs and their
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strategies are group shared, they may not be uniformly reproduced in discourse by ingroup members. Arguably, there are certain commoner discursive features which reflect the generally shared properties of SRs, e.g. those embodying categorization and contrast, while others, more diverse and varied, only indirectly suggest the nature of underlying SRs. Indeed, ingroup members may not have the same opinions and hence nor the same expressions, as we shall see in the following sample. We are concerned with is rather the semantic and strategic properties of the underlying SRs exhibited in varied expressions. M: Dutch people have incredible ability. Holland is a small country, and yet it is ahead of the world in science and technology. W: It is well-known round the world because it contributes small amounts of money here and there. M: It is advanced because it has the best management in the world. Business thrives here also because of its high level of culture. (Digression deleted). W: When they work, they are highly efficient. M: It is incredible for such a small nation to achieve so much; in that connection, it is hard to understand that China as a big country achieves so little. W: People in China don't exert themselves at work.
Here it may be said that the topic classes include the achievements of the Dutch as a nation, the Dutch people's ability in management, their language ability, their efficiency. Taken as a whole, these macro semantic structures corroborate further with the following more general topics: 1) the Dutch have amazing ability; 2) the Dutch have made great achievements.
where the second proposition may in fact be taken as an argument or proof for the first. 1. The central theme that the Dutch have great ability realizes the cognitive dimension of personal qualities in the group schema of the Dutch. In terms of its process of reproduction, this general representation is "substantiated" by various more concrete, model-based information. One example of argumentation in the discussion comes down to this: Although they take time to drink coffee, they are very efficient at work; therefore the Dutch are competent people. The speakers want to get the SRs across and at all other exemplications are only conductive to the goal. 2. Moreover, similar to the first extract, the coordinates of the representations of the new cultural outgroup are established in contrast with criticism of the Chinese. At the beginning of the extract the male student asserts, as proof of what he calls the Dutch people's "magic" ability, Holland is such a small country, it is ahead of the world in every respect. Towards the end, he brings this thesis into sharper relief by a critical contrast: Look, such a small nation ... actually has achieved such a great deal... China has so many people, so hardworking ... still poor and difficult. The female student contrasts the difference of efficiency of the two peoples when she says, ...not everyone [is hardworking in China] ... our country should II... ought to to be strict with the eight hours within work ... People here fin the Netherlands] really exert themselves during the working time. SRs of a different cultural group may be created and regenarated very relative to those of one's own group. The "contrastive rhetoric", which depreciates the home culture indicates attitude change.
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It is evident from the synthesis of the topics and the analysis of the rhetorical strategy of contrast, the (representations of the Dutch are straightforwardly positive. This positive nature of the SRs of the Dutch can also be discerned at a number of other levels of discourse. At the sentential level, some group-schema attitude statements may be observed instantiations from the underlying SRs. The initially-placed, but later reiterated, general attitude statements, for instance, may be such a case: ...Holland gives you a sense of magic, or incredibility ... Dutch people ... give you an ... incredible or unbelievable feeling ... That is, the Dutch have ... this ability.
Apart from such statements, less attitude-orientated, more model-based statements, which are used to support the former, may also give clues to the benign nature of the deep SRs. Thus, the two speakers in the second produce illustrative or exemplicatory statements in alignment with the general attitude statements above: the Dutch don't have any language problem; Dutch people are very efficient; People here [in the Netherlands] really exert themselves during the working time.
In this short interview fragment, rhetorical repetition of general, laudatory statements is another marked feature. The repetition of these generalizations may imply hierarchical superiority in the models' propositional structures or even close association with the SRs and thereby "confirm" the positive nature of the speaker's SRs. There are also a number of other exemplificatory statements, which occur quite apart in the conversation: M: Holland is such a small country, it is ahead of the world in every respect ... such a small nation ... actually have achieved such a great deal;
In addition, interestingly enough, there is a couple of statements expressed as mutually accepted premises of argumentation which may have a bearing on the speakers' positive representations of the Dutch: If everybody really worked hard, the efficiency would be different. (In the several preceding exchanges, the two speakers have already come to the "collusion" that the Dutch efficiency i s different, i.e. they are efficient. Therefore, the Dutch are hardworking people.)
Findings such as these suggest that the general SRs of the Chinese the Dutch as a group schema are dynamic not only vertically - interacting with personal opinions, but also horizontally - contrasting with owngroup representations. They also differ semantically from the "stereotypical" representations of outgroups: They are predominantly positive and appreciative, sometimes "at the cost of negative o w n -(group)-(re)presentations.
4. Integral explanation of the social representations How precisely such social cognitions and processes are related to group relations, sociocultural conditions of the group is largely unknown (but see Tajfel 1981). Such a complex phenomenon certainly calls for a comprehensive, interdisciplinary theory (Doise 1984:
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256f.)· However, in the field of inter-cultural experience in general and of inter-cultural psychological effects in particular, there is serious lack of contact between academic disciplines. Existing social psychological approaches in this field focus primarily on the individual instead of group level (cf. Doise 1984: 258/264, Stroebe/Insko 1989: 3f., Kim 1988: llff.). To make matters worse, approaches in the general area of cross-cultural studies are sometimes quite conflicting, due to the complexity of (the composition of) immigrant groups, (the causes of) the (re)socialization processes, (the phases of) the effects of this cross-cultural contacts (Kim 1988: llf.). A comprehensive theory of cross-cultural contact and of their socio-cognitive consequences needs to proceed from a more neutral view of acculturation. Kim (1988: 80) couches this thesis in clear terms when she says, ... adaptation of human systems is neither desirable nor undesirable on the theoretical level, but... it takes place naturally and inevitably as long as individuals engage in communication with the environment. Their internal transformation necessarily follows adaptation, regardless of their ideological choice. Factors like "age", "occupation", "education" may reasonably be submerged. Espousing this assumption, we believe that (verbalizations of) the SRs of an incoming cultural group may be seen as part of this "re-socialization" process (cf. Taft 1973), whether or not they reflect internal harmony/conflict with the external environment. In this light, (the changes in) the structural, semantic and strategic properties of the SRs may be seen as a function of the socio-cognitive conditioning and, therefore, the cultural background and the new foreground of the group in question as well as the context of the communication ought to be taken into account. In fact, on the one hand, realistic conflict, social identity, and reference group theory have indicated the importance of studying the social positions occupied by groups in accounting for the behaviour and representations of their members (cf. Doise 1984: 259f., Stroebe/Insko 1989: 13ff.). Empirical work has also demonstrated this need (Peabody 1968, cf. Doise 1984: 260). On the other, social learning theory has emphasized (re)socialization process as determinants of SRs (cf. Stroebe/Insko 1989: 15f.). For the present case, it is plausibly rewarding to incorporate these assumptions of both conflict theories and social learning theories in accounting for the psychological consequences of cross-cultural contacts. Factors which take part in the shaping of SRs are too multifarious to include in this paper, but we shall briefly suggest a few more salient ones. Due to a lack of information about the new culture, a dynamic process of familiarization on the knowledge structure basis of one's own group. Accordingly Moscovici (1981: 188), "Every representation tends to turn an unfamiliar thing, or the unfamiliar in general, into something familiar"; and "this process is a source of reassurance and comfort by giving a group or an individual a feeling of continuity after being momentarily confronted with discontinuity and loss of meaning." These Chinese come into an entirely new cultural environment from a great but until recently closed, cultural tradition. Before they left for the Netherlands, they had little specific knowledge about this North-Western European culture and its people. Suddenly plunged into a bewildering world, they feel puzzled, as may be seen from both extracts themselves, and yet they have nothing to fall back on but old images and judgements of their own group. To create a reassuring vision of the new cultural group and to grasp its meaning,
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they use their own group as a standard of reference and categorize - and contrast - the target group accordingly. As to the content of the SRs, the motive to learn from and adapt to the new culture may constitute a major reason why their positive representations. Presumably, the positive nature of the representations of the Dutch dovetails with the interest of the acculturaing group as a whole. These Chinese come to the new country: mostly to study and gain expertise, or, to make money and live. They are constantly faced with the problem of assimilating to the new environment in which they have to function. Thus an urge to accept new things - "do in Rome as the Romans do" causes the members to generate favourable SRs, even at the expense of "ascetic" own-group-(re)presentations. There is also reason for the positive character of the SRs. Realistic conditions of home culture and the new cultural contact also impinge on the content of the SRs. The Chinese come from a Third World country and they themselves even report the problems in the interviews. In the new environment they are engaged in contact with Dutch people. Different from most majority people, they are in a way exposed more varied contexts of communication and interaction. In addition, for this selected group of Chinese (see footnote *), the well-known causes of intergroup conflict and devaluation (cf. Stroebe/Insko 1989: 13ff.), such as perception of a threat, scarcity of social resources, do not loom large in their minds. In fact, according to many of those interviewed, the Netherlands is a more receptive than other European countries. It is plausible thus that they develop an overall positive attitude towards the Dutch4.
Notes 1 These are largely non-directory interviews; usually, at the beginning the interviewer asked in general terms what the interviewees - mostly university students or scholars plus some businessmen and employees, privately or government funded - thought about the Dutch people through their own experiences and then they went on to say whatever they wanted. In two cases, there were two interviewees talking together. 2 This is an interview with a female young scholar teaching at a university in the Netherlands; she has been in the Netherlands for about 4 years and speaks Dutch. The interview lasted for about an hour. 3 This interview involves two doctoral science students, one male and one female who have been in the Netherlands for more than two years. This lasted for 90 minutes. 4 This socio-cognitive dynamism - the social reality created by the SRs - may presumably reinforce existing relations between in- and out-groups, and influence the behaviour of members of the acculturating group (cf. Jaspars/Fraser 1984: 105, see also Doise 1984: 259, Brown 1978; Branthwaite/Jones 1975).
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CHINESISCHE REDENSARTEN IN INTERKULTURELLEN KOMMUNIKATIONSSITUATIONEN Susanne Günthner Wie Arbeiten der Ethnographie der Kommunikation verdeutlichen, findet die Verschiedenheit der Sprachen nicht nur im Lexikon und der Grammatik Niederschlag, sondern auch in den Gesprächs- und Kontextualisierungskonventionen, der sozialen Etiquette sowie den unterschiedlich strukturierten kommunikativen Haushalten. Verschiedene Sprechgemeinschaften weisen sowohl unterschiedliche Repertoires an kommunikativen Gattungen zur Bewältigung bestimmter interaktiver Aufgaben auf als auch divergierende Konventionen, wann welcher Gattungstyp situationsangemessen verwendet werden kann. Analysen der Unterschiede im Gebrauch von kommunikativen Gattungen bei Angehörigen verschiedener Kulturkreise könnten einen wesentlichen Beitrag zur interkulturellen Kommunikationsforschung leisten. Den Begriff der "Gattungen" wollen wir - in Anlehnung an Luckmann - auf kommunikative Muster angewendet wissen, die sich zu Bestandteilen des gesellschaftlichen Wissensvorrats entwickelt haben und in konkreten Kommunikationssituationen typisch erkennbar sind (Luckmann 1986: 202). Sie stellen mehr oder minder wirksame und verbindliche "Lösungen" von spezifischen interaktiven "Problemen" dar (Luckmann 1986: 202) und verdanken ihre Existenz der Tatsache, daß sie von Kommunikationsteilnehmerinnen als Orientierungsmuster benutzt und auf diese Weise laufend für einander erkennbar im sprachlichen Handeln produziert werden (Bergmann 1987: 37). Auf ähnliche Weise wie wir die grammatische Struktur oder das Lexikon einer Sprache erworben haben - nämlich durch face-toface-Interaktion - haben wir - so Bachtin (1986: 79) - im Laufe unserer Sozialisation als Mitglied einer Sprechgemeinschaft auch ein gewisses Repertoire an kommunikativen Gattungen angesammelt. Zu diesem Repertoire gehören sowohl größere rekonstruktive Gattungen wie persönliche Erlebnisberichte, Interviews oder Klatsch als auch institutionsgebundene Gattungen wie beispielsweise wissenschaftliche Vorträge oder aber kleine Gattungen wie die hier behandelten Spruchweisheiten. Wie auch hinsichtlich anderer Sprechmuster sowie grammatischer Strukturen sind wir in der Lage, diese Gattungstypen situationsadäquat anzuwenden und zu interpretieren, ohne eine ausformulierte Gattungstheorie zu haben: Auch wenn wir nicht ohne weiteres die Regeln angeben können, nach denen wir Witze erzählen, so "wissen" wir dennoch, wie, wann, wem wir welche Art von Witzen erzählen können (Luckmann 1986: 203). Zu unserer "kommunikativen Kompetenz" gehört ferner, daß wir über ein Wissen um die "Binnenstruktur" (Luckmann 1986: 204) einer bestimmten Gattung verfügen, also darüber, welche Lexik, Syntax, formelhaften Ausdrücke, rhetorische Figuren, Tropen, welche Registerwahl, welche prosodischen Elemente etc. Kennzeichen der spezifischen Gattungsform sind, und über ein Wissen der "Außenstruktur" (Luckmann 1986: 204) einer Gattung (Sprechsituationen, "settings", Teilnehmerrollen etc.). Wie uns Studien der Ethnographie der Kommunikation verdeutlichen, variiert das Repertoire, die Formen und Funktionen kommunikativer Gattungen je nach Sprechgemeinschaft. Verschiedene Gesellschaften weisen recht
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verschiedene Bestände an kommunikativen Gattungen auf, die spezifische kommunikative Funktionen in der betreffenden Gesellschaft innehaben, wie beispielsweise die Heilgesänge der Medizinmänner bei den Kuna-Indianern (Sherzer 1991); die rituellen Sprachspiele schwarzer Jugendlicher in den USA (Kochman 1974) oder die Tischreden des georgischen Tamada (Kotthoff 1991). In interkulturellen Kommunikationssituationen können nun unterschiedliche Konventionen hinsichtlich der Verwendung bestimmter Gattungstypen auftreten. Eine in unserer Muttersprache angemessene Genrewahl kann sich in der Fremdsprachenkultur unter Umständen als inadäquat erweisen. Wir wollen uns in diesem Beitrag der kleinen kommunikativen Gattung der "sprichwörtlichen Redensarten" zuwenden.
Sprichwörtliche Redewendungen in interkulturellen Kommunikationssituationen Auffällig in meinem Datenkorpus (19 Gespräche zwischen Deutschen und Chinesinnen, die sich zu sozialen Anlässen treffen sowie drei chinesische Gespräche zwischen chinesischen Kommunikationspartnerinnen) ist die Vielzahl "sprichwörtlicher Redensarten" ^ auf Seiten der chinesischen Gesprächsteilnehmerinnen. Folgende Fragestellungen sollen im Zusammenhang mit dem gehäuften Auftreten dieser Gattung verfolgt werden: 1. Welche interaktiven Funktionen haben diese sprichwörtlichen Redensarten inne? 2. Wie sind sie sequentiell in den Gesprächskontext eingebettet? 3. Welche Einstellung herrscht in der Sprechgemeinschaft bzgl. dieser kleinen kommunikativen Gattung der "Sprichwörtlichen Redensarten" vor? Treffen Deutsche bei sozialen Anlässen chinesische Gesprächspartnerinnen, so stellen sie häufig Fragen nach Verhaltens- und Lebensformen im chinesischen Alltagsleben, und initiieren Diskussionen über soziale, politische und moralische Themenstellungen. In solchen Kontexten stehen sich nicht selten unterschiedliche Meinungen zu sozialen Fragestellungen sowie divergierende Vorstellungen adäquaten Verhaltens gegenüber. Schätzt eine Sprecherin ihre Meinung als "fraglich" oder "begründungsbedürftig" in den Augen des Rezipienten ein, so kann sie Belege und Begründungen liefern, um das Gegenüber von der Richtigkeit der Behauptung zu überzeugen. Das Zitieren von Quellen und Autoritäten stellt einen konstitutiven Teil der Präsentation von Meinungskundgaben, gegenläufigen Behauptungen und Argumentationsequenzen dar. Was jedoch als Quelle und Autorität zur Stütze einer Behauptung herangezogen werden kann, unterliegt kulturellen Konventionen. In meinem Datenmaterial werden von den chinesischen Gesprächsteilnehmerinnen häufig sprichwörtliche Redensarten als Beleg für die Gültigkeit einer Meinungskundgabe bzw. als Stütze einer gegenläufigen Behauptung zitiert. Im folgenden Textausschnitt, in dem sich die Deutschen D und A mit den Chinesen Yang und Tan über biologische und soziale Unterschiede von Frauen und Männern unterhalten, verankert Yang seine Gegenmeinung in einem kulturellen Weisheitsspruch:
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7Yang: 8 9 10 11 12D: 13Yang: 14 15 16 17 18 19 20A: 21 Yang: 22A: 23Yang: 24 25 26 27D: 28Yang: 29D: 30Yang: 31D: 32Yang: 33 34Yang: 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44D: 45Yang: 46 47 48 49D: SOYang: 51 52
natürlich es gibt natürlich Ungleich- Ungleichheit. (0.2) es gibt zum Beispiel sportlich (0.3) die die die eh die die Frauen (0.2) rekorde Weltrekorde und die die Männerrekorde ist unterschiedlich /das ist ( körperlich körperlich....) /ES GIBT ( ) ich GLAUBE wir wissen schon, daß die die die Unterschiede zwischen also die MÄNNLICHE Körper und eh die frauliche weibliche Körper. das wissen wir schon. (0.2) ich glaube vielleicht es gibt noch ANDERE Unterschied ja geistige? /daß sie/ /geistige./oder so was aber (0.2) /(ich mein)/ /und/ eh eh n (ich will) vielleicht hihi Sie werden so so Sie werden vielleicht sagen, ich bin sehr k konservat((HI))iv /((HI))und/ /ich/ werde sagen ein MANN /und sehen das aus/ /das ist Ihre Meinung/ Ihrer MÄNNLICHEN SICHT. ja. sag ich jetzt. hihihihihi (0.3) und (0.2) eh (0.3) ich meine also die:: zum Beispiel eh die die Weibliche IN DER WELT bei uns sagt eh die FRAU ist die Halbs HALBE HIMMEL eh HALBES HIMMEL. die MÄNNER HALBES HIMMEL. (0.3) das eh dieses is Bild die diese Welt ist kordiniert. mu muß kordiniert dann können wir eine GUTE Leben also gut also die::: gute Zukunft mhm haben, das ist also ich glaube das ist Grund auch von NATÜRLICH aus. das ist eine von NATÜRLICH aus eine Prinzip mhm deshalb muß ich sagen wenn die Männer und die Frauen sind GANZ gleich. (0.3) das ist undenkbar.
Im Gegensatz zu den Behauptungen der deutschen Sprecherinnen A und D vertritt Yang die Auffassung, daß Frauen und Männer von Natur aus verschieden sind. Seine Nichtübereinstimmung wird folgendermaßen dargelegt: Zunächst listet er Unterschiede zwischen Frauen und Männern auf, die sowohl sportliche Leistungen, körperliche Differenzen als auch geistige Fähigkeiten betreffen. Statt einer durch die "ich meine"- Einleitung erwartbaren persönlichen Stellungnahme liefert Yang jedoch eine durch Mao Zedong berühmtgewordene Redewendung (35-38) "Die Frauen tragen die Hälfte des Himmels". Der Spruch wird ein-
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geleitet mittels Verweis auf den kulturellen Ursprung "bei uns sagt eh". Die zahlreichen Korrekturen plus Zögerungsmarkierungen während des ad-hoc-Übersetzungsvorgangs verdeutlichen die Transferschwierigkeiten. Im Anschluß an den Spruch liefert Yang retrospektiv die Gattungszugehörigkeit "ein Bild". In den Zeilen 40-48 produziert Yang eine weitere Erläuterung des Spruchs, indem er die philosophischen Grundlagen dieser Spruchweisheit (natürliche Koordination des weiblichen und männlichen Prinzips zur Harmonieerhaltung auf der Welt) liefert. Erst im Anschluß an die kollektiv geltende Weisheitsvermittlung äußert er schließlich die eigene gegenläufige Meinung: (50-52) "deshalb muß ich sagen wenn die Männer und die Frauen sind GANZ gleich. (0.3) das ist undenkbar." Yangs Meinung wird somit als festverankert im kulturellen Weisheitsschatz dargeboten. Das Verschanzen hinter kulturell festgelegten Konzepten zeigt Yangs Stellungnahme als individuumübergreifende Erkenntnis seiner eigenen Sprechgemeinschaft. Wie bei fast allen sprichwörtlichen Redensarten sind wir auch hier mit einem Weisheitsspruch in metaphorischer Sprache konfrontiert. Um diese allgemeinen Weisheitsschätze mit dem konkreten Interaktionsthema zu verbinden, muß der Rezipient die metaphorische Sprache dekodieren und eine Relevanzbeziehung zum momentanen Thema herstellen. Die Spruchweisheit muß im Kontext des bisher Gesagten interpretiert werden. Um dem Rezipienten diesen Inferenzprozeß zu erleichtern, liefern die chinesischen Gesprächspartnerinnen durch Formeln wie "das heißt..." eingeleitete "erläuternde Übersetzungen", die über reine Wort-für-Wort-Übersetzungen des Sprichworts hinausgehen und meist den Bezug der metaphorischen "fremden Rede" zur konkreten Gesprächssituation herstellen. Im folgenden Gesprächsausschnitt zwischen der chinesischen Deutschlehrerin Du und den beiden deutschen Gesprächspartnerinnen E und A stehen kulturell variierende Verhaltensweisen zur Debatte: 1 E: 2 3 4 5Du: 6E: 7Du: 8E: 9Du: 10 11 12 13 14 15E: 16 17A: 18E: 19 20Du: 21 22A:
und zum Beispiel wenn Frauen verheiratet sind (0.2) und unglücklich sind, oder Schwierigkeiten haben, sprechen sie dann mit ihren Freundinnen darüber? *ja.* das schon *das schon.* und auch mit ihr/ein (Mann)/ /aber auch /nicht sehr viel weil bei uns sagt man eh:::: JIACHOU BU KE WAIYANG. (0.5) das heißt eh - die schlimme Sachen in der Familie kann man nicht eh ja RAUS sä/gen / /mhm/ so ein Sprichwort gabs bei uns früher auch (....). ah ja? jajaja· bei uos. bei meinen Großeltern (früher ja), mhm. (1.0) weil man (0.2) man Angst hat, daß die andere eh Leute eh über sie lach/en/ /mhm/
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Auch hier wird die Behauptung der chinesischen Sprecherin durch das Zitieren eines Sprichwortes "JIACHOU BU KE WAIYANG" (11) gestützt. Dieser Art der Begründung einer Behauptung durch ein chinesisches Sprichwort begegnen wir in unseren Daten immer wieder. Zwar sind deutschen Interagierenden Sprichwörter in Alltagsinteraktionen nicht unbekannt, doch fungieren sie in deutschen Kontexten meist als themenbeendende Sentenz^ und keineswegs als kausale Begründung einer Äußerung und damit als Autorität zur Stütze einer Behauptung. Durch die Reproduktion einer kollektivgeteilten Meinung kontextualisiert Du, daß die im Sprichwort kodierte Norm auch heute noch Gültigkeit besitzt. Die Erfahrung der kulturellen Vergangenheit wird zum Modell gegenwärtigen Handelns erhoben, und gleichzeitig wird den deutschen Gesprächspartnerinnen durch ein fremdkulturelles Genre eine Verhaltensmaxime der anderen Kulturgemeinschaft vorgeführt. Durch das Zitieren sprichwörtlicher Redensarten wird in Anlehnung an Volosinov (1929) eine f r e m d e R e d e in den Diskursablauf hineingetragen, eine "Äußerung in der Äußerung". Die Stimme, die hierbei zu Wort kommt, ist die der kulturellratifizierten Autorität, des "kulturellen Über-Ichs", die eine "allgemeingültige Wahrheit", eine kollektiv anerkannte Lebensmaxime äußert. Der momentane Sprecher kommt einem Sprachrohr gleich, durch den der Erfahrungsschatz der Kultur spricht. Die Spruch Weisheit wird somit aus der Schatztruhe des kulturellen Wissensvorrats in den Gesprächskontext hineingetragen und dadurch reaktiviert. Analog zu Volosinovs Beschreibung der "fremden Rede" drückt sich auch in unserem Fall der zitierten Spruchweisheit, die aktive Beziehung zwischen kulturell kodiertem Wissen und dem momentanen Text aus. Das in Form der Spruchweisheit kodierte Wissen aus der Vergangenheit tritt somit in Dialog mit der momentan ausgehandelten Gesprächssituation. Das Sprichwort und damit die fremde Rede wird von Du mittels "bei uns sagt man + Zögerungspartikel" angekündigt. Prosodisch hebt sich die "fremde Äußerung" vom umgebenden Gesprächskontext durch erhöhte Lautstärke, besonderen Rhythmus' und kurze Pausen vor und nach dem Sprichwort ab: Der "fremde Text" wird also in Form einer Montage in den Diskurstext hineingetragen, wodurch unterschiedliche Textschichtungen (DeutschChinesisch sowie besondere rhythmische und prosodische Merkmale) entstehen. Dadurch, daß das hier dargelegte Sprichwort in seiner Originalfassung (codespezifisch, rhythmisch) wiedergegeben wird, weist es ein hohes Maß an textueller Geschlossenheit auf. Im Anschluß an den "fremden Text" führt Du mittels Gliederungssignal "das heißt eh" (12) die Übersetzung ein. Das gehäufte Auftreten sprichwörtlicher Redensarten chinesischer Sprecherinnen beschränkt sich jedoch nicht auf interkulturelle Begegnungen. In zahlreichen Arbeiten über die chinesische Sprache und Rhetorik wird stets die Vorliebe der Chinesinnen für den Gebrauch von Sprichwörtern im schriftlichen und mündlichen Diskurs betont. ·*
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Sprichwörter in der chinesischen Rhetorik Bezeichnenderweise wird in zahlreichen Arbeiten zur chinesischen Umgangssprache, in Chinesischlehrbüchern für Ausländer sowie in chinesischen Sprichwortsammlungen stets die lebendige Sprichwortkultur im Chinesischen und die Beliebtheit des Sprichwortgebrauchs im schriftlichen und mündlichen Diskurs betont. Arbeiten zur klassischen chinesischen Rhetorik weisen darauf hin, daß die chinesische Überzeugungskraft von der Analogiebildung sowie vom Zitieren anerkannter Autoritäten, Anekdoten und Fabeln lebt. Statt quasi-logischer Begründungsmuster legt die chinesische Rhetorik Wert auf das Zitieren berühmter Sprüche, Anekdoten und historischer Beispiele. Nicht etwa die Kausalität so Granet (1985: 39ff.) - stelle in der chinesischen Überzeugungskunst das wichtigste Stilmittel dar, sondern vielmehr das Nennen von allgemeingültigen Vorbildern. Der Einzelne soll in seiner Argumentation nicht "aus der Gruppe herausragen", sondern seine Meinung in Einklang mit der allgemeinen Weisheit präsentieren. Beim Zitieren einer Spruchweisheit borgt sich der Sprecher die Stimme des Kollektivs und macht sich diese zu eigen. Die Weisheit der Vergangenheit wird reaktiviert und die chinesische Traditionsverbundenheit auf der Mikroebene des Gesprächs neu hergestellt. Chinesische Sprichwörter und feste Redewendungen werden jedoch nicht nur in der mündlichen Interaktion verwendet, sondern haben auch Eingang in wissenschaftliche Texte, Vorträge und Aufsätze gefunden (Günthner 1988). Während in unserer westlichen, individums-betonten Gesellschaft der Drang besteht, die eigene Äußerung mit einem originellen, individuellen und persönlichen Zug zu versehen und Stilwörterbücher geradezu vor dem Gebrauch von Routineformeln und Sprichwörtern als Zeichen "schlechten Geschmacks" warnen, wird im chinesischen Sprachgebrauch die Fähigkeit, in der richtigen Situation die adäquate Formel zu finden, honoriert. Die kulturell unterschiedliche Einstellung hinsichtlich der kleinen kommunikativen Gattung "Sprichwör-ter" zeigt sich nicht zuletzt darin, daß auch heute noch in Chinas Schulen Sprichwörter auswendiggelernt und abgefragt werden. Doch beschränkt sich dieses Auswendiglernen von Spruchweisheiten nicht etwa auf chinesische Sprichworte. Während meiner Tätigkeit als Deutschlektorin in der VR China erlebte ich, daß chinesische Kolleginnen den Germanistikstudentinnen während ihres Studiums Listen deutscher Sprichwörter und Redewendungen (beispielsweise "Übung macht den Meister"; "Morgenstund hat Gold im Mund") austeilten, die in den Germanistikprüfungen und -klausuren abgefragt wurden. Selbst für die Magisterprüfung mußten chinesische Germanistikstudentinnen in Lückentests das passende Sprichwort ausfüllen. Die chinesischen Germanistikdozentinnen übertrugen ihre kulturellen Einstellungen bezüglich der prestigebeladenen Gattung "Spruchweisheiten" einfach auf deutsche Sprichwörter. Als Ergebnis hatten wir nicht selten Magisterarbeiten und sonstige "wissenschaftliche" Texte, die gespickt waren mit festen Redewendungen und Sprichwörtern wie "Gleich und gleich gesellt sich gern" oder "Der Mensch denkt - Gott lenkt" (Günthner 1988).
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Abschließende Bemerkungen Analysen des Gattungsvorrats einer Sprechgemeinschaft sowie die interaktiven Funktionen und Verwendungsregeln spezifischer Gattungstypen stellen meiner Ansicht nach westliche Elemente einer interkulturellen Kommunikationsforschung dar. In interkulturellen Kommunikationssituationen treffen - wie wir beobachten konnten - nicht nur verschiedene Ausprägungen kommunikativer Gattungen aufeinander, sondern auch Differenzen im Verwendungszusammenhang und der stilistischen Einordnung einer bestimmten Gattung. Fremdsprachenlernerlnnen tendieren dazu, muttersprachliche Gattungskonventionen auf Interaktionen in der Fremdsprache zu transferieren. Eine kontrastive Rhetorik und Gattungsanalyse in der interkulturellen Kommunikationsforschung müßte sich demnach u.a. folgenden Fragestellungen zuwenden: 1. Über welches Gattungsrepertoire verfügt eine Sprechgemeinschaft? 2. Haben ähnliche Gattungstypen (beispielsweise sprichwörtliche Redensarten) in verschiedenen Sprechgemeinschaften vergleichbare interaktive Funktionen inne? Werden sie somit zur Lösung ähnlicher kommunikativer Aufgaben herangezogen? 3. Existieren kulturell divergierende Bewertungen und Stilzuordnungen ähnlicher Gattungstypen? Kenntnisse der gebräuchlichen Gattungsregeln gehören ebenso zur "kommunikativen Kompetenz" wie das Wissen darüber, welcher Gattungstyp zur Lösung welcher kommunikativer Aufgaben verwendet wird.
Anmerkungen 1 Was folktaxonische Differenzierungen chinesischer Redensarten und Sprichwörter (Chengyu, Suyu, Yanyu, Ji) betrifft, siehe Günthner 1990. 2 Drew/Holt 1990: 130 sprechen vom "summary character" sprichwörtlicher Redensarten und idiomatischer Ausdrücke. Sie haben eine Themenbeendigungsfunktion inne. Sacks (Lectures 8.11.1971), Quasthoff 1978. 3 Siehe u.a. Pao/Cheng 1985, Cheng 1976, Lai 1972, Karlgren 1975. 4 Granet 1985: 39ff., Gernet 1979: 92, Karlgren 1975: 86, Oliver 1971: 263, Cheng 1985: 86. 5 Siehe hierzu auch Morris 1981, V.
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DEUTSCH IN DER SOWJETUNION Peter Rosenberg
1. Zur Situation der deutschen Sprache in der Sowjetunion
"In der Sowjetunion waren wir die Deutschen, in Deutschland sind wir die Russen!" Diese bittere Feststellung wird von deutschen Aussiedlern aus der Sowjetunion nach ihrer Übersiedelung in die Bundesrepublik häufig getroffen. Die Elle, an der das "Deutschtum" der Aussiedler oft gemessen wird, ist ihre Beherrschung der deutschen Sprache. Daß sie angesichts dieser Meßgröße im öffentlichen Bewußtsein "durchfallen", erfüllt viele mit besonderer Bitterkeit, sehen sie doch gerade im Festhalten an der deutschen Sprache unter schwierigsten Bedingungen einen wichtigen Ausweis ihrer ethnischen Identität. Zwei Millionen Deutsche leben nach den neuesten Zensusergebnissen in der Sowjetunion. 1989 sind 100.000 Deutsche aus der UdSSR als Aussiedler in die Bundesrepublik gekommen, 1990 fast 150.000, und in den nächsten Jahren könnten es noch sehr viel mehr werden, wenn man den Ausreisewünschen stattgibt. Nach ihren wichtigsten Ausreisemotiven befragt, verweisen die Deutschen in der Sowjetunion immer wieder auf den drohenden Verlust der deutschen Sprache und Kultur. Gleichzeitig ist nach dem Zensus von 1989 der Anteil derer, die Deutsch als ihre Muttersprache angegeben haben, erstmals unter 50 % gesunken. Was bedeutet also in diesem Zusammenhang die Angabe "deutsch"? Welche Bedeutung hat die Sprache für die Herausbildung und Bewahrung der ethnischen Identität der Deutschen in der Sowjetunion? Die Entwicklung und der gegenwärtige Zustand der deutschen Sprache in der Sowjetunion lassen sich grob folgendermaßen charakterisieren: Seit 1764 sind deutsche Kolonisten in mehreren Schüben in das Zarenreich eingewandert . Aufgrund verschiedener sozialer, demographischer und religiöser Bedingungen ist ein wichtiges, aber häufig übersehenes Merkmal der Deutschen in der Sowjetunion seit alters ihre Heterogenität. Die deutschen Siedler haben Kolonien gebildet, keine einheitliche Sprachgemeinschaft. Aufgrund der geschlossenen deutschen Siedlungen war das Deutsche jedoch über lange Zeit stabil. Die Deportationen und anschließenden Migrationen als Folge des Zweiten Weltkrieges lösten diese wichtigste Stabilitätsbedingung auf und führten zu folgenden Gruppierungen: (1) Die Deutschen, die in den alten (seit der Jahrhundertwende in Sibirien und Mittelasien gegründeten) Tochterkolonien leben und nie in Gänze deportiert wurden, stellen die stabilste Gruppe dar. Hier ist die Bewahrung sprachlicher und kultureller Traditionen am größten. (2) Diejenigen, die von den Deportationen erfaßt wurden und in neuen Mischsiedlungen angesiedelt wurden, zeigen eine äußerst starke Heterogenität. Allein in Kasachstan hat sich die Zahl der Deutschen seit der Vorkriegszeit verzwanzigfacht (heute leben hier SO % der Sowjetdeutschen). Sie haben oft keine neuen Wurzeln mehr geschlagen, ihre Sprache und Kultur ist besonders instabil. Dies gilt in jüngster
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Zeit vor allein für diejenigen, die in den südlichen Republiken der Sowjetunion leben und sich durch die aufkommenden Nationalitätenkonflikte zusätzlich in ihrer ethnischen Identität bedroht sehen. (3) Seit Mitte/Ende der siebziger Jahre haben sich bis zu 50.000 Deutsche in der Hoffnung auf die Wiedererrichtung einer autonomen Republik an der Wolga angesiedelt oder wiederangesiedelt. Diese Gruppe ist sprachlich besonders uneinheitlich.
Die Folge der erzwungenen Mobilität und der Ansiedlung in heterogen zusammengesetzten, verstreuten Mischsiedlungen ist ein starker Rückgang des Deutschen, den selbst die Zensusergebnisse nur unvollkommen widerspiegeln: 1959 gaben noch 75 % der Deutschen an, Deutsch sei ihre Muttersprache, 1970 waren dies 67 %, 1979 noch 58 % und 1989 noch knapp 49 %. Hinsichtlich der angegebenen "Muttersprache Deutsch" ist überdies zu beachten, daß die Deutschen in der Sowjetunion häufig "dreisprachig" sind. Dies läßt sich in Form eines Dreiecks darstellen:
idealer "Dreisprachiger",. "durchschnittlicher" Sowietdeutscher
dt. Dial.
RUSS.
Abb. l: Sprachkompetenz des "durchschnittlichen" Sowjetdeutschen (fiktive Darstellung der Gewichtungen zwischen Hochdeutsch, deutschem Dialekt und Russisch).
Die obere Spitze des Dreiecks sei die hochdeutsche Standardvarietät, die untere linke die dialektalen Varietäten des Deutschen, die untere rechte Ecke das Russische. Ein Sprecher, der alle drei Sprachen bzw. Varietäten beherrscht, würde sich genau in der Mitte des Dreiecks verorten lassen. Der "durchschnittliche" Sowjetdeutsche müßte dagegen im unteren Bereich plaziert werden mit einer gewissen funktionalen Aufteilung zwischen dialektaler Varietät und Russisch und würde im Normalfall näher an die russische Spitze gerückt werden als an den Dialekt. Die Verhältnisse zwischen den gesprochenen Sprachen bzw. Varietäten können dabei in Abhängigkeit von Alter, Religionszugehörigkeit, Bildung und anderen Faktoren sehr unterschiedlich ausfallen. Zweisprachigkeit ist in der Sowjetunion bei allen nicht-russischen Nationalitäten verbreitet , während die russische Bevölkerung fast zur Gänze monolingual ist. Die russische Sprache dominiert in den öffentlichen Verwendungsbereichen, insbesondere in den - russisch geprägten - Städten (wenn es auch in den mittelasiatischen Sowjetrepubliken deutliche Gegentendenzen gibt). Eine starke Dominanz des Russischen trifft vor allem auf Nationalitäten ohne eigenes Territorium und insbesondere auf die "nicht-autochthonen" Minderheiten zu. Das Deutsche folgt in dieser Hinsicht den generellen Entwicklungstendenzen. Wie sonst keine andere Sprache ist jedoch das Deutsche in der Sowjetunion einer außerordentlich scharf ausgeprägten Diglossiesituation unterworfen: Deutsch galt lange Jahre als die "Sprache der Faschisten". Dieses Verdikt ist auch heute noch wirksam und weicht erst lang-
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sam liberaleren Verhältnissen. Angesichts einer solchen Verknüpfung nimmt es nicht wunder, daß die deutsche Sprache als eines der wichtigsten ethnischen Identitätssymbole gilt und daß selbst Sprecher, die nicht mehr oder kaum noch über eine deutsche Sprachkompetenz verfügen, eben dies als eine Beschädigung ihrer ethnischen Identität empfinden.
2. Sprache und ethnische Identität 2.1. Ethnische Identität Der Begriff der ethnischen Identität ist ebenso vielschichtig und schillernd wie der Begriff der "Minderheit" selbst . Wir verstehen ethnische Identität in einem ähnlichen Sinne wie F. Barth, der Identität handlungstheoretisch als ein Bündel von Werten und Konzeptionen und damit in Zusammenhang stehenden Handlungen sieht, die den betreffenden Gruppen dazu dienen, sich von anderen zu unterscheiden (vgl. Barth 1969: 11). Identität ist aus unserer Perspektive eine dynamische und relationale Größe, die in ihrer Ausprägung graduell und mehrschichtig ist. Um es konkreter zu sagen: Wir sind der Auffassung, ethnische Identität ist keine Frage von Ja oder Nein, d.h. es ist keineswegs so, daß man eine ethnische Identität hat oder nicht hat. Wir sehen den Begriff der ethnischen Identität in einem prozessualen Sinne, das heißt als ein soziales Orientierungsverhalten, das dazu dient, den "eigenen Platz in der Welt" zu bestimmen (Dynamik). Der Mensch hat in der Regel mehrere Identitäten, je nachdem, welche Folie des Vergleichs gewählt wird. Selbst wenn man die Betrachtung auf der gleichen Ebene, etwa der kulturell-ethnischen Identität, vornimmt, zeigen sich häufig mehrere Komponenten: So wäre es sicher unsinnig, den russischen Anteil an der Identität verschiedener Völker der Sowjetunion, auch der Deutschen, zu leugnen (Mehrschichtigkeit). Dabei sehen wir Identität in strukturalistischer Sicht als aus dem Kontrast zu anderen bestimmt (Relationalität). Damit im Zusammenhang steht, daß die Bildung von Identität einem Prozeß von Selbstidentifikation und Fremdidentifikation unterliegt, wobei diese beiden Momente in einer wechselseitigen Abhängigkeit stehen und zu einer jeweils unterschiedlichen Ausprägung der Identitätsstruktur führen. Selbst- und Fremdidentifikation verlaufen in der Regel über Auto- und Fremdstereotypen, d.h. über Merkmale, Einstellungen und Werte, die man sich selbst zuordnet, und solche, die einem von anderen zugeordnet werden. Unter bestimmten Bedingungen und in einer bestimmten Umgebung prägt sich folglich der eine oder der andere Identitätsanteil starker oder schwächer aus (Gradualität). Der Aufwand, sich seiner eigenen Identität zu vergewissern und dies gegenüber anderen durchzusetzen, ist folglich größer oder geringer. Eben dies ist der objektive Kern der eingangs zitierten bitteren Erkenntnis vieler Aussiedler, die sich in der Bundesrepublik als Fremde fühlen. Bei manchen führt dies zu Verbitterung und großem Assimilationsstreben, bei anderen, meist Jüngeren, zu trotziger Betonung ihres russischen Identitätsanteils. Die Herausbildung oder Aufrechterhaltung ethnischer Identität sind also komplexe Prozesse, die objektive Grundlagen und subjektive, d.h. sozialpsychologische Identifikationen aufweisen. Dabei scheint uns eine Abgrenzung wichtig zu sein: Ethnische Identität ist eine Form horizontaler gesellschaftlicher Gliederungen (wie zum Beispiel auch Religion u.a.),
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die prinzipiell "quer" stehen zu vertikalen Formen gesellschaftlicher Gliederung (wie z.B. Klasse, Schicht oder Kaste). Ihre Ausprägung kann verstärkt oder vermindert werden, wenn sie durch soziale Asymmetrien mit vertikalen Gesellschaftgliederungen "gleichlaufen". Dies ist z.B. dann der Fall, wenn bestimmte Nationalitäten in einem Land immer oder überwiegend der gesellschaftlichen Unter- oder Oberschicht angehören.
A: horizontale gesellschaftliche Gliederung
B: vertikale gesellschaftliche Gliederung
C: Zusammenwirken horiz. u. vert. ges. Gliederungen
Abb.2: Verhältnis vertikaler und horizontaler Gesellschaftsgliederung (Beispiele für Typ C wären etwa: x: Katholiken in Nordirland z: Chinesen in Südostasien)
Ethnische Identität bleibt jedoch auch bei Verstärkung durch vertikale Asymmetrien eine selbständige Größe. Sie geht nicht in einer Summe von sozialen oder gar ökonomischen Faktoren auf. Dies unterstreichen wir insbesondere deshalb, weil in der Vergangenheit immer wieder vor allem von sowjetischer Seite die selbständige Existenz des ethnischen Faktors vernachlässigt wurde. Dies trifft auch auf pauschalierende Interpretationsmuster innerhalb der westlichen Soziolinguistik zu, die ethnische Konflikte (u.a. Sprachkonflikte) als soziale Konflikte, und zwar als im Grunde ökonomische Konflikte definieren. Das Gegenbeispiel der baltischen Nationalitäten zeigt, daß ethnische Identität keineswegs als bloße Übersetzung sozialökonomischer Faktoren zu betrachten ist. Ethnische und soziale Kategorien stellen unabhängige Variablen dar, die sich gleichwohl gegenseitig verstärken können. In der modernen Sozialforschung, die jedoch zumeist auf Erfahrungen in den westlichen Ländern, besonders in Nordamerika, beruht, wird die dynamische Seite des Ethnizitätsbegriffes betont. "Ethnicity should be viewed as a matter of choice, not accident" (Ryan 1979: 147). Wir müssen für die Sowjetunion ergänzen: ... aber diese Wahl ist unumgänglich! Man kann in der Sowjetunion nicht keiner Nationalität angehören. Ganz im Unterschied zu allen "melting-pot"-Systemen steht in Vielvölkerstaaten wie der Sowjetunion nicht die Frage, ob man sich zum Beispiel eher als "Chicano" oder eher als "American" versteht. Die Phase, in der man in der Sowjetunion versuchte, den "Sowjetbürger" zu kreieren, ist vorbei und kann als gescheitert angesehen werden. Ein Grund, der viele Deutsche zur Aussiedlung aus der Sowjetunion treibt, ist uns in vielen Gesprächen berichtet worden: "Alle anderen sind irgendetwas, nur wir sind nichts!"
2.2. Sprachbewahrung - Sprachverlust - Sprachloyalität Wenn wir Diglossie4 als Koexistenz verschiedener Sprachen oder Sprachvarietäten bestimmen, die nach hohem oder geringem Prestige unterschieden werden und jeweils getrennte
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Sprachdomänen besitzen, dann fragt sich, ob eine als "low variety" zu bezeichnende Sprache überhaupt über längere Zeit existieren kann. Die oben dargelegten objektiven Bedingungen für Sprachbewahrung oder Sprachverlust bei den Sowjetdeutschen unterstreichen die Berechtigung dieser Frage. Sie sind gleichwohl bezüglich der folgenden wichtigsten Steuerungsfaktoren zu differenzieren, die hier nur sehr knapp umrissen werden können5: (1) Alter: Bei der jüngeren Generation überwiegt das Russische stark. Gegenläufige Tendenzen lassen sich hingegen in den stabilen Regionen der sibirischen Tochterkolonien erkennen. Repräsentative Aussiedlerbefragungen ergaben, daß in jüngster Zeit mit den Kindern wieder mehr Deutsch gesprochen wird. (2) Kontinuität der Siedlungstradition: Die "ethno-territorialen Kerne" (Eisfeld 1987) der alten Tochterkolonien sind deutlich von den instabileren, stärker heterogenen Neuansiedlungen zu unterscheiden. (3) Familienzusammensetzung: Exogamiewerte der Deutschen in der UdSSR von ca. 40 % (nach Schätzungen) bedeuten eine sukzessive Auflösung der Familie als der bis heute wichtigsten Domäne des Deutschen. In der Regel wird bei Mischehen Russisch die Familiensprache. (4) Urbanisierung/Region: Am größten ist der Sprachverlust unter den Sowjetdeutschen bei jungen Städtern im europäischen Teil der Sowjetunion. Der Anteil der Stadtbevölkerung liegt bei den Deutschen inzwischen bei ca. 50 %. (5) Schule/Kindergarten: Der Kindergarten ist die mächtige "Russifizierungsinstanz" im Bildungswesen der UdSSR. Erst in jüngster Zeit ist ein deutschssprachiges Vorschulprogramm in einigen Orten angelaufen. Anstrengungen, Deutsch als Unterrichtssprache in der Schule einzuführen, stehen noch ganz am Anfang, in der Entwicklung von Unterrichtskonzeptionen und Lehrmaterialien für den muttersprachlichen Deutschunterricht (als Fach) sind erste Schritte getan. (6) Geschlecht: In der Regel ist die Sprachbewahrung bei Frauen höher. Dies hängt mit einer geringeren beruflichen und lebensgeschichtlichen Mobilität der Frauen und ihrer Rolle als Bewahrerinnen des Kultur- und Liedgutes zusammen. (7) Religionszugehörigkeit: Der Glaube ist eine zusätzliche Stütze der deutschen Kultur und Sprache. Insbesondere die Gruppe der Niederdeutsch sprechenden Mennoniten gehört zu den sprachlich stabilsten Gemeinschaften. Sie sind durch ihren traditionellen, z. T. noch religiös bedingten starken Zusammenhalt Außeneinflüssen gegenüber resistenter. Dies gilt auch für die jüngste Generation, wie unsere neuesten Untersuchungen in der AItaj-Region zeigen.
Die objektiven Steuerungsfaktoren lassen bei aller Differenzierung vermuten, daß die deutsche Sprache als reine Familiensprache nicht erhalten bleiben wird. Häufig getroffene Voraussagen, Diglossieverhältnisse seien nur die Vorphase des vollständigen Sprachverlustes, haben sich andererseits in vielen Fällen als unzutreffend herausgestellt. Der wichtigste Faktor, der eine geradlinige Abwärtsentwicklung einer solchen Sprache verhindert, ist die Sprachloyalität. Ryan (1979: 147) sieht als wichtigste spracherhaltende Kraft: "the value of language as a chief symbol of group identity". Im Zuge der Herausbildung einer Gruppenidentität besitzt die Sprache sowohl Inklusivität als auch Exklusivität, auch als "ingroup unity" und "outgroup distance" bezeichnet. Prestige ist dabei offenbar in zweierlei Weise zu differenzieren:
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(1) Wenn Gruppenidentität sich in einem komplexen Prozeß von Fremd- und Selbstidentifikation bildet, dann fallen offenbar die Prestigebewertungen "von außen" und "von innen" nicht unbedingt zusammen. Die Prestigebewertung der deutschen Sprache etwa ist bei den Deutschen in der Sowjetunion äußerst hoch. Krasse Stereotypisierungen können sich dabei sogar gegenseitig verstärken: Der harte und ungerechtfertigte Vorwurf, das Deutsche sei die "Sprache der Faschisten", wird von den Deutschen mit einer stark emotionalisierten Loyalität gegenüber "unserer deutschen Muttersprache" beantwortet, selbst wenn die Zahl ihrer Sprecher abnimmt. (2) Eine zweite Differenzierung des Prestigebegriffs wäre nach den Wertebereichen zu treffen: Wie bei vielen Minderheiten existiert auch bei den Deutschen in der Sowjetunion eine "Werteschere" zwischen einem sogenannten Status- und einem Solidantäts-Bereich. Die gesamte Sphäre der Öffentlichkeit, der Arbeit, der Institutionen, der höheren Bildung und Kultur gehört der russischen Sprache. Dies gilt auch für damit zusammenhängende Themen. Die Sprache, derer die Deutschen unter Umständen noch mächtig wären, ihr deutscher Dialekt, unterliegt dabei einem doppelten Verdikt: Als nicht-russische Sprache und als deutsche Non-Standard-Varietät gilt sie für diese Zwecke als ungeeignet. Im familiären, dörflichen, religiösen Bereich hingegen hat das Deutsche in den Stabilitätszentren noch seine relativ festen Refugien. Synonym für "Deutsch" ist hier häufig die Bezeichung "wie mer unter uns spreche".
Wenn auch deutliche Tendenzen des Sprachverlustes unter den Deutschen in der Sowjetunion feststellbar sind, so ist dennoch die Sprachloyalität eine für den Erhalt bzw. Wiederaufbau der ethnischen Identität der Deutschen in der Sowjetunion wichtige Grundlage. Der Abbau der Diglossie, der die deutsche Sprache unterliegt, die Erhöhung des "instrumenteilen" Werts des Deutschen und die Ausweitung seiner Verwendungsbereiche auch in statusorientierte Prestigebereiche hinein wären die Mittel, mit denen die Sprachloyalität ausgebaut und für die ethnische Identität stabilisierend eingesetzt werden könnte. Dies gilt im besonderen für die Siedlungsgebiete, in denen die deutsche Sprache noch breitere Verwendung findet, d.h. für die "ethnoterritorialen Kerne" in Sibirien, im Süd-Ural und in anderen Regionen.
Anmerkungen 1 Einzelheiten dazu siehe Rosenberg/Weydt (1991). 2 Zur sogenannten "national-russischen Zweisprachigkeit" vgl. Haarmann (1984: S67). 3 Unterschiedliche Definitionen werden unter anderem von Edwards (1985), Erickson (1987), Heller (1987), Krappmann (1987) gegeben. Vgl. hierzu Glück (1986: 115), Kusterer (1990: 2f.). 4 Zum Begriff der Diglossie vgl. Lüdi (1989). 5 Für eine ausführlichere Darstellung vgl. Rosenberg/Weydt (1991).
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Erickson, Frederick (1987): "Ethnicity". - In: Ammon/Dittmar/Mattheier (Hrsg.) 91-95. Glück, Helmut (1986): "Aspekte der sowjetischen Sprachenpolitik. Ein Beitrag zur vergleichenden Mehrsprachigkeitsforschung". - In: Hinderung, Robert (Hrsg.): Europäische Sprachminderheiten im Vergleich. Deutsch und andere Sprachen (Stuttgart: Steiner) (= Deutsche Sprache in Europa und Übersee. Berichte und Forschungen 11) 111-148. Haarmann, Harald (1984): "Zur Gruppenmehrsprachigkeit in der Sowjetunion". - In: Jachnow, Helmut (Hrsg.): Handbuch des Russisten. Sprachwissenschaft und angrenzende Disziplinen (Wiesbaden: Harrassowitz) 560-577. Heller, Monica (1987): "Language and identity". - In: Ammon/Dittmar/Mattheier (Hrsg.) 781-784. Krappmann, Lothar (1987): "Identität". -In: Ammon/Dittmar/Mattheier (Hrsg.) 132-139. Kusterer, Karin (1990): Ethnische Identität bei den Deutschen in der Sowjetunion. Ergebnisse einer Befragungssrudie mit deutschen Spätaussiedlern aus der Sowjetunion. - München: Osteuropa-Institut (= Forschungsprojekt "Deutsche in der Sowjetgesellschaft". Arbeitsberichte 13). Lüdi, Georges (1989): "Situations diglossiques en Catalogue". - In: Holtus, Günter/Lüdi, Georges/Metzeltin, Michael (eds.): La Corona de Aragon y las lenguas romänicas. Miscelänea de homenaje para German Colon. La Corona d'Arago i les llengües romaniques. Miscellänia d'homenatge per a Genua Colon (Tübingen: Narr) 237-265. Rosenberg, Peter/Weydt, Harald (im Druck): "Neue Forschungen zum Zustand der Sprache der Sowjetdeutschen". - In: Rosenberg, Peter/Weydt, Harald (Hrsg.): Deutsch in der Sowjetunion (Tübingen: Niemeyer). Ryan, Ellen B. (1979): "Why do low-prestige language varieties persist?" - In: Giles, Howard/StClair, Robert (eds.): Language and social psychology (Oxford: Blackwell) (= Language in society 1) 145-157.
HETEROGENEITE ET HOMOGENEITE: LE PROBLEME DE LA NORME DANS LA DIALECTOLOGIE URBAINE Thomas Stehl 1. Le problfeme de la norme, de Γηοητο§έηέΐΐέ dialectale d'un point linguistique, qu'il s'agisse d'une petite localite", d'une ville ou d'un grand centre urbain, s'est pos£ la dialectologie des ses premiers dobuts. A partir de la deuxieme moitio du XIX6 siecle, les dialectologues s'en sont occupos independamment du fait que leur objet d' tude otait une localito, une rogion ou l'espace entier d'un 6tat national. Bien souvent, I'homog6n6it£ linguistique locale n'existait que dans les documentations des linguistes, tandis que la realite" otait plutot (et eile Test aujourd'hui plus que jamais) celle d'un ensemble de vari6t6s interd6pendantes, une hoterogonoito qui pose aux dialectologues un vieux probleme bien connu: celui de la difficultd d'une documentation et d'une description adequates de la realito communicative d'un seul point linguistique. Je voudrais souligner des le debut que pour moi, dans ce contexte la norme d'un point linguistique se d6fmit comme une norme statistique de la frequence des differents usages linguistiques qui se trouvent rigulierement dans le point linguistique, objet de la recherche. II est sous-entendu qu'une teile norme pr6sente un rapport otroit de reciprocito avec la norme des conventions et des traditions de la communauti linguistique teile qu'elle est envisaged dans la theorie linguistique d'Eugenio Coseriu (voir Coseriu 1975, pour une typologie du concept de la norme, voir Gloy 1975: 2137). Avec la discussion des rapports entre la realt linguistique et l'image qu'en donne la linguistique, entre I'homog6n6it£ et Γηέΐέπ^έηέίΐέ linguistiques (en d'autres termes, entre la norme et la varied des donnees linguistiques), on revient aujourd'hui considorer des problemes qui ont occupe" les protagonistes de la dialectologie pendant toute son histoire. Si Γόη remonte le cours de l'histoire de la linguistique romane, la recherche des racines de cette dialectologie qui otudie la complexito des donnees dans un point linguistique, on retrouve les travaux qui ont d6termin6 et influence* les recherches de dialectologie au dobut de notre siecle, bien avant que la geolinguistique nationale et puis regionale n'exerce s supromatie dans les dtudes dialectologiques. Je me rofere ici aux travaux de Pierre Rousselot (1891-93) sur Cellefrouin (Charente), de Louis Gauchat (1905) sur Charmey et de Benvenuto Terracini (1910-13, 1914-22, voir aussi Terracini I960) sur Usseglio. II n'est pas possible d'examiner ici d'une maniere adequate ces travaux ainsi que ceux qui ont έΐέ menos en Espagne, en Catalogne et en Roumanie, et qui forment, dans leur ensemble, les fondements de la tradition de la dialectologie urbaine dans la linguistique romane. ^ Le rapport otroit qui lie ces travaux l'histoire de la geographic linguistique romane a έΐέ mis en relief par Corrado Grassi l'occasion d'un colloque de dialectologie urbaine Bonn en 1982 (voir Grassi 1985). Toutefois, ces premiers travaux importants de la dialectologie urbaine n'ont pas trouvi pendant longtemps la considoration necessaire au maintien d'un echange continu et, par consequent, d'une interdopendance ininterrompue entre la dialectologie urbaine et la dialectologie geolinguistique.
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2. Les conditions linguistiques, dans lesquelles otaient congus les atlas linguistiques nationaux de la France et plus tard ceux de l'Italie, otaient caractorisees principalement par un monolinguisme dialectal encore peu corrompu par la prosence de la langue nationale en question; pour donner une image adequate de la realito linguistique, les atlas nationaux ne devaient documenter qu'une seule dimension de la variation linguistique: celle de la variation diatopique dans l'espace geographique. Au cours des annees suivantes, cette realito disparaissait progressivement: en France, partir de la fin de la Premiere Guerre mondiale, en Italic partir de la fin de la Seconde Guerre mondiale. Au moment ou Albert Dauzat (1939) langait en 1939 1'initiative pour la creation d'un Systeme d'atlas linguistiques r6gionaux en France, la roalito linguistique qui prevalait en France 6tait dej celle d'un contact et d'une interference linguistique reciproque entre le francais et les dialectes galloromans. La ou les dialectes gallo-romans avaient roussi survivre une politique linguistique visant crier un monolinguisme franc,ais sur le territoire national, ce bilinguisme se transformait peu peu en une situation de diglossie sociale; les atias rgionaux francais, cependant, ne documentent que la variation diatopique de l'une des deux langues en contact qui se trouve, dans une bonne partie des domaines linguistiques en France, en voie de disparition. La diglossie entre le frangais et les dialectes gallo-romans qui avaient survecu (et parmi ceux-ci, surtout les dialectes occitans) ainsi que celle entre Γ Italien et les dialectes italo-romans qui font preuve, aujourd'hui encore, d'une vitalite1 beaucoup plus considerable, a οέάέ au cours des dernieres annees la place une nouvelle roalite* linguistique: 1'abandon de l'usage des dialectes de base et leur substitution progressive par la langue nationale dans les domaines de la communication qui furent longtemps roservis aux dialectes, ont έΐίηιίηέ la distinction et la separation diglossique entre la langue nationale et les dialectes de base. Par consequent, le contact linguistique convergent entre ces deux extremes a eu pour consoquence une gradation de various intermecliaires difficiles dolimiter et pour lesquelles les linguistes ont adopto toute une sorie de nomenclatures qui ne precisent guere le caractere linguistique de ces Hvan6i6s":franfais regional (voir Straka 1983, Poirier 1987), franfais populaire (voir Guiraud 197$), franfais familier (voir Palazzolo-N ding 1987), et respectivement italiano regionale (voir Sobrero 1988, Cortelazzo/Mioni 1990), italiano popolare (voir Cortelazzo 1972), italiano popolare unitario (voir De Mauro 1977, Ernst 1981) pour ne parier que des 'variotis' que Γόη considere du c t de la langue nationale. Dans leur ensemble, ces variotes - (y compris les dialectes de base et leurs formes plus corrompues par Γ influence de la langue nationale) - reprosentent le repertoire linguistique que Γόη trouve dans une grande partie des domaines geolinguistiques en France et en Italic. La majoriti des atlas linguistiques, pourtant, documentent encore aujourd'hui non pas la realite" linguistique comme aux temps des atlas nationaux, mais une roalite" geolinguistique de monolinguisme dialectal depuis longtemps disparu. 3. C'est cette nouvelle realit de plurilinguisme l'intorieur des langues historiques qui a fait renaitre I'intoret pour les Etudes de dialectologie urbaine. Dej dans les annees soixantedix, les dialectologues Italiens de l'ecole de Turin de Corrado Grassi se concentraient sur les problemes du plurilinguisme entre des dialectes du Sud de l'Italie, l'italien et des dialectes du Nord de l'Italie, problemes qui se posaient lors de l'integration linguistique des migrants du Sud de l'Italie dans les centres industriels du Nord de Tltalie (voir Berruto
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1970/1977, Pautasso 1969, Sobrero 1973/1974/1978). D'autres projets en Italic, comme celui de Manlio Cortelazzo (1978) Grado, cherchaient identifier les variotos linguistiques dans une seule ville travers une enqu6te aupres de plus de 200 personnes. Dans les annoes quatre-vingts, les 6tudes de dialectologie urbaine augmenterent considorablement surtout dans le cadre de la linguistique germanique: des conditions linguistiques pas trop differentes de celles qui se trouvent en Italic avaient suscite" chez un bon nombre de dialectologues et de sociolinguistes allemands le besoin d'otudier les phonomenes de variation linguistique rinte"rieur d'une communaute" linguistique locale (voir Bausch (ed.) 1982, Besch/Mattheier 1985, Holtus 1989). La raison de cette nouvelle poussee de travaux empiriques en dialectologie urbaine dans la linguistique allemande et dans la linguistique italienne (voir Dialettologia urbana 1989) est chercher sans doute dans le fait pratique que Γόη peut tout fait e"tudier empiriquement des conditions de pluriglossie et des processus de variation et d'interference linguistiques dans des communautos linguistiques qui ne vont pas au-dela d'une ville, tandis qu'une documentation de ces phonomenes dans un espace goolinguistique poserait des problemes qu'on n'a pas pu encore resoudre. 4. Dans le cadre de ces 6tudes de dialectologie verticale, on est porte* se poser des questions qui avaient dej occupe" les precurseurs de la dialectologie urbaine dans l'histoire de la linguistique romane: la premiere de ces questions conceme le rapport entre la realite" linguistique et 1'image qu'en donnent les linguistes; si Γόη veut que 1'image prsente un degro d'isomorphie suffisamment grand entre eile et la realito qu'elle reprosente, il faut d'abord selectionner les donnees sociolinguistiques, pragmalinguistiques, et linguistiques qui dans leur interdependance constituent la realito communicative et linguistique specifique de la localito qui est l'objet de I'otude. Ce n'est qu' partir de ce moment que grace une quantite" considorable de donnees motalinguistiques et linguistiques h6te"rogenes relevees, on doit se poser le probleme de la norme dans la dialectologie urbaine. Dej un seul locuteur peut disposer de plusieurs langues fonctionnelles (ou, pour &re moins precis, mais mieux compris, de 'variotos') contenues dans la gradation du contact convergent entre le dialecte de base et la langue nationale, langues fonctionnelles dont il se sert en dependence de situations diffdrentes de communication. Au niveau des communaute's linguistiques d'un quartier, des sociolectes professionnels, I'h6t6rog6n6it6 des donnees augmente, et il faut done identifier travers des procodos statistiques l'existence et la nature d'une teile norme locale qui autorise 1'hypothese qu'il y aurait au-del de Γηέΐέκ^έηέίΐέ des donnees une homogenelto quelconque qui garantit la communication et I'intercompr6hension l'intorieur de la communaut6 locale. La validite* de telles constatations dopend directement du succes du dialectologue identifier les classes de donnees qualitatives (sociolinguistiques, pragmalinguistiques et linguistiques) qui constituent la rdalite* linguistique de la communaute' locale, et relever dans chaque classe une quantite* reprosentative de donnees. Chaque classe de donnees qualitatives doit 6tre mise ensuite en relation avec les autres classes qualitatives qui se trouvent, dans leur ensemble, dans un rapport d'interde'pendance.
5. Si Γόη considere ces difficulte's posees par la pluriglossie en domaine urbain en tenant compte de la quantito et de I'li6t6rog6n6it6 des donnees relever et analyser, on a une idee du vaste cadre de problemes dont on s'occupe au sein de la dialectologie 'verticale', et si Γόη considere dans quelle direction vont entre temps les otudes de dialectologie
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'horizontale' (voir goolinguistique), on peut alors parier d'une scission en deux dialectologies , comme 1'a formu!6 Alberto Varvaro (1986: 439) selon lequel "la dialettologia soffre di una profonda crisi d'identita". La dialectologie 'horizontale' se d6veloppe vers une geolinguistique quantitative, en se servant de pr6f6rence des atlas linguistiques comme base pour une dialectomotrie (voir Goebl 1984) qui a pour objectif une interpolation synoptique des atlas et une classification geolinguistique quantitative des donnees contenues dans les atlas (voir Goebl 1983). Dans le travail empirique, la dialectologie 'horizontale' perpdtue la tradition de la geographic linguistique romane: eile se limite la recherche et la documentation de la variation diatopique des dialectes de base. En ce qui concerne lObjectif de la classification geolinguistique, on part de l'hypothese que les atlas reprtsentent une image suffisamment isomoφhe de la realite" linguistique dans l'espace, et que la synopsis dialectomotrique des atlas ne pr sente done pas de dofauts de validite" du point de vue de la typologie quantitative (voir Goebl 1983: 194). La goolinguistique quantitative aussi bien qu'une grande quantite" d'atlas linguistiques partent done de l'hypothese de l'homogonoite" des points linguistiques sur la base de donnies relevees aupres d'un seul locuteur. Cette derniere hypothese qui fait abstraction de I'h6t6rogin6it6 itudiie par la dialectologie verticale est la raison pour laquelle un bon nombre de dialectologues engagis dans des recherches en domaine urbain ne riussissent plus accepter le concept traditionnel d'atlas linguistique, vu surtout que des goolinguistes comme Karl Jaberg et Jakob Jud, auteurs de l'atlas linguistique Italien (Jaberg/Jud 1928-40), et qui itaient encore plus conscients de l'importance de I'h6t6rog6n6it6 linguistique, ont indiqui plusieurs reprises I'lndividualite", la relativite" et la partialito des donnees contenues dans leur atlas (voir Jaberg/Jud 1928: 202-212/238-241). Pour la dialectologie verticale, la synopsis dialectomitrique prosente les d fauts de validiti identiques ceux que Γόη reproche aux atlas linguistiques nationaux et en partie aussi aux atlas rigionaux, ddfauts concemant les rapports suivants: 1) Synchronie et diachronie: Les atlas nationaux ne prosentent plus une image isomorphe de la realiti linguistique actuelle, car la collecte des donnees pour 1'atlas linguistique de la France fut achevoe en 1901, et celle pour l'atlas linguistique Italien en 1928 (voir Pop 1950: 124/568). 2) Monolinguisme et plurilinguisme: Un atlas linguistique ne reprosente pas la r^alite" linguistique, car le monolinguisme dialectal qui y est documente" a έΐέ substitue" entre temps par une diglossie entre les dialectes et la langue nationale, ou m6me par une pluriglossie de langues fonctionnelles intermddiaires issue du contact linguistique convergent. 3) Homog6n6it6 et hέtέrogέnέitέ des donnees: Un atlas linguistique ne donne plus une image isomorphe de la r6alit6, car il considere un seul locuteur comme rep^sentatif d'un dialecte local ou urbain qui est diff6renci6 uH6rieurement non seulement dans les dimensions diastratique et diaphasique, mais souvent mime dans la dimension diatopique en ce sens qu'il peut y avoir difforenciation linguistique dans difforents quartiers d'une m6me ville. 4) Un atlas linguistique ne reprosente pas la realite" linguistique parce qu'il rounit des donnees qui ne sont pas difforenciees selon leur origine socio- et pragmalinguistique. De cette fagon, on 6tablit dans l'atlas une comparaison seulement quantitative de donnies rogenes du point de vue de la sociolinguistique.
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En dialectologie verticale, surtout en Italic, on s'efforce, depuis quelques annees, de reprendre en considoration la dimension diatopique qu'on avait nogligee pendant un certain temps, et on congoit des atlas linguistiques dans lesquels seront repr6sentees les dimensions diatopique et diastratique aussi bien que toute la gamme des variέtέs intermodiaires entre Γ Italien et les dialectes de base. Des atlas de ce type sont en preparation pour la poninsule du Salento dans le Sud des Pouilles (voir Sobrero/Romanello/Zampolli 1989), pour la Sicile (voir Stehl 1990), mais aussi pour 1'Uruguay (voir Thun/Forte/Elizaincin 1989). Du cot6 de la geolinguistique horizontale et quantitative, parcontre, on continue ne"gliger Th6t6rog6n6it6 issue des phonomenes de variation linguistique dans les contacts linguistiques verticaux et convergents dans lesquels tous les dialectes romans de base sont d6sormais impliquos, et on continue galement considorer les atlas linguistiques traditionnels comme seule base valable pour la classification geolinguistique quantitative. II serait necessaire de souligner qu'on se base sur des atlas faute d'autres donnees empiriques, et que la dialectomotrie fondee sur des atlas ne sera qu'une 6tape dans le developpement de systemes d'informatisation dialectologiques plus complexes (voir aussi H ndler 1982). Mais Hans Goebl ( paraitre), repr6sentant ominent de la geolinguistique quantitative, a affirmo: "Extra atlantes linguisticos nulla salus dialectometrica", et il a souligne" que "1'acquis scientifique constitud par la dialectomotrie s'ajoute au bilan de la geographic linguistique et de nulle autre discipline dans le cadre des linguistiques variationnelles de tout genre". C'est ainsi que du coto de la dialectologie horizontale, on se declare incompetent et indisponible collaborer la solution des problemes de la description quantitative de I'hoteYogonoite1 linguistique qui est otudiee par la dialectologie urbaine. 6. II faut pourtant surmonter la separation imminente des objectifs, et done des mothodes de la dialectologie verticale et de la dialectologie horizontale, et il faut eviter l'abandon du lien qui unissait dans 1'histoire de la linguistique romane les travaux de dialectologie locale et les travaux de dialectologie nationale et rogionale (voir encore Grassi 1985). C'est la realito linguistique documenter qui obligera les dialectologues rounir leurs efforts de description, y compris le doveloppement de mothodes quantitatives: les dialectes romans de base repr6sentent eux-memes le rosultat diachronique d'un contact linguistique convergent entre le latin de l'Empire romain et les langues des peuples domines par les Romains, et on ne peut pas faire abstraction du fait qu'ils sont impliquos leur tour dans un tel contact linguistique qui aura comme rosultat leur disparition et leur substitution par de nouvelles formes dialectales sur la base des langues nationales qui se differencient dans 1'espace geolinguistique (voir ce propos Stehl 1989b/a paraitre). Les problemes des rapports entre la realito linguistique et la validiti de l'image qu'en donnent les linguistes, entre rh6te>og£n&t6 des donnees et I'homogendito qui garantit I'intercompr6hension communicative au sein des α>πΐΓηυηαυΙέ8 linguistiques, entre les donn6es qualitatives et leur distribution quantitative se posent aussi bien en milieu urbain que dans 1'espace geolinguistique. Au-del des ρΓέίέrences personnelles des linguistes, il n'y a pas de raison pour ne pas chercher une solution unitaire de ces problemes aussi dans les apprpches quantitatives. La quantito hotorogene des donnees de la dialectologie urbaine ne pourra pas etre maitrisee sans avoir recours des proc6d6s statistiques, et la dialectologie quantitative ne devrait pas nogliger la variation linguistique entre les langues nationales et les dialectes de base, car la variation linguistique
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n'est autre que l'expression synchronique du changement diachronique. Ce dernier modifie 1'objet m^me de la goolinguistique dans le temps, et celle-ci risque de perdre le contact avec la r6alit6 si eile se concentre exclusivement sur les atlas en tant que rdservoirs de donnees disparues dans le temps, au lieu de participer ä la documentation d'une roalite" continuellement soumise au changement. 7. Pour arriver ä identification de la norme synchronique (en transformation) en milieu urbain, il faudra se baser sur une quantite" n&essairement ölevee de donnoes qu'on ne pourra maitriser qu'avec les moyens de la linguistique computationnelle. La coprosence de deux (ou plusieurs) systemes linguistiques en contact, objet de proforence de la dialectologie verticale, mene dans la diachronie ä des changements linguistiques convergents. Ces changements ne se produisent pas ex. abrupto, mais ä travers des phases d'usage expansif et d'usage rogressif entre formes concurrentielles, et des phases de hiorarchisation historique de ces formes ä travers des processus d'innovation et d'adoption (voir Coseriu 1974: 58-93, voir aussi König 1982: 464 et Stehl 1987: 417sq.). Une synopsis quantitative d'une communauto linguistique locale devra se baser done non seulement sur des donnoes repräsentatives de tous les sociolectes existants, mais aussi sur un maximum de donnoes de toutes les varie'te's intermodiaires entre dialecte de base et langue nationale qui sont ä la disposition des locuteurs. Pour cette raison, il faut dovelopper une mdthode quantitative capable de relier toutes les donnees nogligees par la dialectomotrie actuelle. Un des precurseurs de la g&)linguistique quantitative, Charles de Tourtoulon (1890: 141), dcrivit en 1890: "L'unito, l'individu ä classer en matiere de langage, c'est le parier de chaque homme". Une classification quantitative adequate de la requite* devrait done partir du locuteur singulier qui n'est repre"sentatif que pour lui-meme. Une image isomorphe de l'ensemble de la realite" linguistique voulant ropondre aux exigences d'une classification de 1'objet 'langage' doit consideYer la quantification naturelle de son objet (ce qui correspondrait d'ailleurs 6galement aux exigences de la linguistique communicative). Cette quantification part des idiolectes pour passer ä travers les sociolectes ä un dialecte local, urbain, ou m6me rogional, selon la grandeur de la communauto linguistique en question. Une dialectologie verticale quantitative aura comme täche essentielle la classification des diffe"rentes variotes qui constituent le complexe linguistique urbain. La matrice des donn&s comme base indispensable des proc6de*s dialectome'triques rosulte du Systeme des coordonnoes de N 616ments mesuris sur l'abscisse par p caracte'ristiques specifiques ou qualitis sur l'ordonnee (voir Goebl 1984 I: 16). Dans la dialectomotrie basee sur les atlas, la matrice est done constituee de N dialectes locaux (ou points d'atlas) par p cartes linguistiques qui contiennent les caractoristiques specifiques des dialectes locaux. La dialectologie urbaine part du locuteur singulier et doit done envisager une pluralite" de matrices avant d'arriver ä celle d'un quartier urbain ou d'un dialecte local; son objet est done constituo quantitativement par une succession de matrices bidimensionnelles qui suit le sch£ma 'N formes linguistiques communautaires par p caracte'ristiques linguistiques (et/ou socio-pragmatiques) spocifiques de cette communautö'. C'est seulement cette sine de matrices interde"pendantes qui considere la roalito linguistique plus petite et qui est capable de suivre les quantifications naturelles jusqu'ä la communauto sociale plus grande caracte*risee par une langue commune.
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A I'inteYieur d'un complexe de variation linguistique urbaine, il faut done identifier I'h6t6rogdnoit6 locale constituee par les homogonoitos des difforentes sous-communaut£s. La norme locale se revele ainsi comme otant la somme ou 1'equilibre plus ou moins instable des nombreuses normes individuelles et communautaires Γ Interieur de l'echantillon choisi comme base empirique. On pourra parvenir identifier cette super-norme ou cet equilibre entre d'autres normes qui constituent dans leur ensemble l'unite" communicative du point linguistique par le proc6d6 dialectom6trique qui contient - la reduction des donnees, - 1'identification d'echantillons (pattern recognition), - la formation de classes, et - l'obtention et le contr le d'hypotheses et de theories.
Dans la premiere phase de la reduction des donnees il faut identifier les sous-communautes qui sont constitutives pour la norme locale. A l'interieur de ces communautes, il faut identifier par la suite les caracteristiques non seulement linguistiques, mais aussi les caracteristiques sociolinguistiques et pragmalinguistiques qui ne doivent plus etre considorees comme qualitos nogligeables des donnees plus proprement linguistiques, mais qui deviennent ellesmemes des caractoristiques de la matrice quantitative. On pourra par cette voie quantifier et mettre en relation avec les donnees linguistiques: les donnees d'appartenance sociale, d' ge, de sexe, de Statut socio-economique, de formation socio-culturelle et de role social dans la dimension sociolinguistique, et les donnees d'interlocuteur, de fonction, de situation, de theme, de psychodynamique et d'autres facteurs constitutifs pour 1'usage linguistique dans la dimension pragmalinguistique. II existe doj des projets de recherche pour lesquels on 6tablit des bases de donnees relationnelles capables de relier logiquement les donnees linguistiques qui y sont contenues avec les donnees socio-pragmatiques qui les doterminent, car sans ces dernieres, on risque d'interproter d'une maniere erronee les donnees linguistiques relevees dans des situations de contact linguistique convergent entre une langue dominante et une langue minoritaire ou un dialecte de base. Une banque de donnees linguistique de ce genre existe dej pour le frison; part les donnees plus proprement linguistiques, on y a pr6vu quatre classes de variables qui se roferent au temps, aux dialectes, aux registres socio-stylistiques et aux themes concernos (voir Stellingsma 1988). Une autre banque de donnees sur les variotos linguistiques du francais en Belgique a έΐέ mise en oeuvre en 1988 (voir Francard [ paraitre]). Finalement, une banque de donnees relationnelle qui correspondra dans une mesure particuliere aux exigences d'une dialectologie verticale quantitative est en preparation pour Γ Atlas linguistique de la Sicile (voir Pennisi 1990). Ces travaux, tout en η'έΐαηΐ pas situos dans le cadre plus otroit de la dialectologie urbaine, auront une fonction importante pour le doveloppement de proc&tes variomotriques qui permettront de maitriser la quantitd impressionnante de donnees qui determinent la dynamique communicative d'un seul point linguistique. L'application specifique de la mothode quantitative dans la dialectologie verticale pourra contribuer alors au progres d'une dialectologie unitaire, enrichie par une pluralito de mothodes, progres qui pourrait renforcer la position privilogiee de la dialectologie dans le cadre de la linguistique romane et de la linguistique gonorale.
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Notes 1 Pour une vue d'ensemble de la dialectologie urbaine dans les pays de langue romane, voir surtout Ditttnar/Schlieben-Lange 1982: 53-64; pour le rapport entre dialectologie urbaine et geographic linguistique, y voir 54sq. 2 Pour plus de details au sujet du rapport des deux dialectologies, voir Stehl 1988/1989a/1990. 3 Voir Goebl 1984 I: 13: "1. Datenreduktion, 2. Mustererkennung, 3. Klassenbildung, 4. Gewinnung und Überprüfung von Hypothesen und Theorien".
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SPRACHE UND ÖKOLOGISCHE KRISE Aus dem Wörterbuch der industriellen Landwirtschaft Wilhelm Trampe
1. Einleitung Eine systematische linguistische Auseinandersetzung mit dem Phänomen der "ökologischen Krise" hat meines Wissens bislang nicht stattgefunden. Mithin ist man zur Zeit weit davon entfernt, die Verletzung, Zerstörung und Verfremdung der natürlichen Mitwelt in einen engen Zusammenhang mit sprachlichen Handlungen zu setzen. Obwohl innerhalb der "Gemeinde der Sprachwissenschaftler" spätestens seit Beginn der siebziger Jahre weitgehende Einigkeit darüber erzielbar zu sein scheint, daß Sprache einen Handlungscharakter besitzt, werden die materiellen Krisenelemente mit den informationellen Komponenten in gesellschaftlichen Handlungsräumen, d.h. mit der Form und dem Kontext ihrer kommunikativen Erfassung und Darstellung, in keine systematische Beziehung gebracht. Der angesichts dieses Defizites zwangsläufig auftauchenden Frage, weshalb sich die Linguisten nicht die Frage nach den möglichen Zusammenhängen zwischen Sprache und ökologischer Krise stellen, soll hier ebensowenig nachgegangen werden wie der nach der Verantwortung des Sprachwissenschaftlers und der Sprachwissenschaftlerinnen, wenn es um das forschungsleitende Interesse an der Lösung drängender Gegenwartsfragen geht, z.B. wenn sich im sprachlichen Verhalten auch Elemente der ökologischen Krise wiederfinden lassen, denn ökologische Probleme sind Überlebensprobleme. Ein theoretischer Rahmen, der mir in diesem Kontext geeignet erscheint, die angesprochenen "blinden Flecken" linguistischer Wahrnehmung sichtbar zu machen, liegt in der Konzeption einer Ökologischen Linguistik begründet. Vor dem Hintergrund einer innerhalb dieses Ansatzes entwickelten Theorie der Sprache-Welt-Systeme wird eine Analyse und Bewertung von Tendenzen des vorherrschenden Sprachgebrauchs im Umgang mit und zur Darstellung der ökologischen Krise möglich. Eine Linguistik, die konsequent von den durch Kommunikation und Sprache getragenen wechselseitigen Beziehungen Mensch-Mitwelt ausgeht, schafft Erkenntnisse, die in erster Linie Sprachen als Lebensformen erscheinen lassen. Die Modellvorstellung von Sprache als Lebensform ist nicht neu. Bei Wittgenstein heißt es: "Und sich eine Sprache vorstellen heißt, sich eine Lebensform vorstellen." (PU 19) und an anderer Stelle ist von der "Sprache als Teil einer Tätigkeit oder einer Lebensform" (PU 23) die Rede. Sprache angemessen erfassen heißt somit auch, die Arten und Formen der Lebensbedingungen zu berücksichtigen, in denen sie jeweils neu hervorgebracht wird und die Kommunikationsformen möglich werden lassen. Sprachliche Äußerungsformen werden als konstituierender Teil der allgemeinen Strukturen unserer Lebenswelt aufgefaßt. Das von Wittgenstein vorgeschlagene Lebensformkonzept für Sprache findet seine Entsprechung in der biologischen Ökologie in dem Modell des Ökosystems. In jedem ökologischen System bilden Lebensgemeinschaft (Biozönose) und ihr Lebensraum (Biotop) eine sich wechselsei-
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tig beeinflussende Einheit. Analog dazu stellen in einem sprachökologischen Ansatz Sprachgemeinschaften/Sprache und Mitwelt/Sprachbiotop ebenfalls Ganzheiten dar, deren Elemente nicht einseitig wirken. Sprache und Welt können als wechselseitig aufeinander bezogen angesehen werden. Für den hier verfolgten Ansatz ist die Modellvorstellung des Sprache-Welt-Systems grundlegend. Sprachen und ihre Umwelten bilden offene, dynamische, zur Selbstorganisation fähige Systeme (dazu Trampe 1990). In diesem Aufsatz sollen primär nicht, wie vielleicht der Obertitel vermuten läßt, allgemeine sprachgemeinschaftliche Tendenzen in unserer "Umweltbehandlungskultur" angesprochen werden, hierfür sind umfassendere Untersuchungen innerhalb eines ökolinguistischen Forschungsprogrammes nötig, sondern es soll anhand einer Analyse ausgewählter Wortfelder und repräsentativer Wörter des Sprachverwendungszusammenhanges in der industriellen und bäuerlichen Landwirtschaft (Sprache-Welt-Systeme der Landwirtschaft) eine Kontrastierung zweier divergenter sprachlicher Mitweltorganisationen vorgenommen werden.
2. Ökologische Krise - Ökologiediskussion Was ist das eigentlich "ökologische Krise"? Wenn von ökologischer Krise gesprochen wird, so wird damit in der Regel die Gefährdung und Zerstörung der natürlichen Lebensbedingungen von Pflanzen, Tieren und Menschen gemeint. Das, was allein an geschriebenen Darstellungen zu diesem Thema vorliegt, dürfte inzwischen riesige Wälder das Leben gekostet haben, ohne daß sich meines Erachtens etwas Entscheidendes geändert hätte. Innerhalb der sogenannten "Ökologiediskussion" fallen häufig Begriffe wie Umweltverschmutzung, das Aussterben von Tieren und Pflanzen, die Überfiillung von Entsorgungsparks, das Störfallpotential der Kernenergie. Bei genauerem Hinsehen wird auch dem ökologisch Unvorbelasteten deutlich, daß bereits durch diese Wortwahl die Dimension der uns bedrohenden Überlebenskrise nicht adäquat erfaßt werden kann. Von den hiermit angesprochenen Schwerpunkten der Ökologiediskussion: a) Vergiftung, Vermüllung und Verschmutzung von Umwelt (i.w.S.), b) Zerstörung naturnaher Biotope und Ausrottung von Arten und c) Atomkraft, ist der letzgenannte bereits mehrfach mit sprach- und ideologiekritischem Anspruch untersucht worden (z.B. Dahl 1977, Gründler 1977 oder Brauns 1986, auch zum Sprachgebrauch in Frankreich). Die Beispiele, die in diesem Zusammenhang genannt werden, reichen von dem Entsorgungsspark über Restrisiko, Störfall bis zu der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Die vorliegenden Analysen kommen hier gemeinsam zu dem Ergebnis, daß der Sprachgebrauch der Energiepolitik sich charakterisieren läßt durch den offiziellen Einsatz raffinierter Euphemismen, deren Gebrauch z.T. auch von der sog. "Ökologiebewegung" übernommen wurde (Brauns 1986: 98). Zu b) Die sprachliche Darstellung der Zerstörung naturnaher Biotope und die Ausrottung von Arten sind ebenfalls bereits ansatzweise thematisiert worden. Angeregt durch einen
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Vortrag von Ernst Leisi zum Thema "Umwelt und Sprache" im Jahre 1974, sammelte Gigon 1983 zum Thema "Ausgestorben oder ausgerottet" Euphemismen im Natur- und Landschaftsschutz. Beispiele aus seiner Sammlung: Ausgestorben für ausgerottet, Artenrückgang statt Dezimierung von Arten, Populationsschwund statt Populationszerstörung usw. Zu a) Für die Bezeichnung der Vergiftung, Vermüllung und Verschmutzung von Umwelt (i.w.S.) wird im alltagssprachlichen Wortgebrauch zumeist pauschal von Umweltverschmutzung gesprochen. Der Verschmutzungsbegriff, der in den verschiedensten Kontexten auftaucht und sowohl von den Vertretern der sog. "Ökologiebewegung" als auch offizieller Seite gebraucht wird, stellt bereits häufig selbst einen Euphemismus dar, denn das Lexem Schmutz erweckt durch Komposita, in denen es sonst vorkommt, z.B. schmutzig oder Schmutzfänger, keine Assoziationen, die auf eine ernsthafte Gefahr hindeuten. Eine den tatsächlichen Gefahren entsprechende sprachliche Darstellung fehlt oft. Ich habe an anderer Stelle zur graduellen Abstufung der Gefährdungen die Begriffe Vermüllung und Vergiftung bzw. Zerstörung vorgeschlagen (Jaeger/Trampe 1990). Der bereits durch eines der Schlüsselwörter in der "Ökologiediskussion" vorgegebene Euphemismus - "Umweltverschmutzung" - ist noch in anderer Hinsicht typisch. Sehen wir uns einmal den Begriff Umwelt genauer an. Der Begriff selbst beinhaltet die Vorstellung, als wären die uns umgebenen natürlichen Lebensbedingungen ein uns lediglich umgebendes Exterieur. Das sind sie aber gerade nicht. Einer ökologischen Perspektive geht es nicht um die Einsicht, daß wir von einer natürlichen Umwelt umgeben sind, sondern daß wir ein Teil der Natur sind. Das, was fälschlicherweise als Umwelt bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit eine Mitwelt. (Meyer-Abich 1990). Denn nur zusammen mit ihr vermag der Mensch zu überleben. Nur wenn wir anfangen, die Natur sprachlich als natürliche Mitwelt zu begreifen, kann es zu einem ausgewogenen Zusammenleben der Menschen mit der Natur kommen, ohne daß Naturschutz zwischen Abenteurertum (Greenpeace, Robin Wood), Erwerbstätigkeit (Institutionen, z.B. Umweltschutzämter) und Management (Ökosystemmanagement) verkommt. Typisch für ein technisches Verständnis von Natur und Naturschutz ist ein Satz wie: Wir müssen unsere Umwelt sauber halten oder Wie wird die Natur wieder sauber ? Es geht nicht um Hygiene, um Reinigungsmaßnahmen im Sinne eines "Frühjahrsputzes", sondern es geht um die Erhaltung der Entfaltungsmöglichkeiten der Natur in ihrer Vielfalt und Produktivität. Der hier angezeigte sprachliche Umgang mit Natur entspricht der Tendenz einer Denaturierung unserer Kommunikationssysteme, unserer Sprache-Welt-Systeme. Man denke nur an die inzwischen bereits etablierte Techno-Sprache im sog. "Umweltschutz". Beispiele: Umweltingenieur, Umweltauto, Umweltplanung, Umweltrahmengesetz, Umweltverträglichkeitsprüfimg, Abfallplan, Vorsorgeprinzip. (Haß 1989: 177, die eine Untersuchung über den interessenabhängigen Umgang mit Wörtern in der Umweltdiskussion anstellte, bezeichnete die drei letzgenannten Beispiele auch als Phantomwörter, denn sie lassen den zentralen Aspekt des Unvollendeten oder Nicht-Realen nicht deutlich werden). Neben der Technisierung des sprachlichen Umgangs mit Natur ist eine Ökonomisierung zu beobachten: z.B. Umweltrabatt, Umweltpfennig, Umweltsteuer, Umweltbilligland. So verwundert es nicht, wenn an der Spitze der technisch-ökonomischen Behandlung von Natur Siemens die Chance der KI (Künstlichen Intelligenz) im Umweltschutz sieht und zur Aufdeckung von Verunreinigungspfaden ein Expertensystem Umweltschutzvorschnften entwickelt hat und das Land Nordrhein-Westfalen auf ein Landschaftsinformationssystem setzt.
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3. Der Umgang mit Pflanzen, Tieren und Landschaft in der Sprache der Landwirtschaft Zunächst: Was heißt Sprache der Landwirtschaft! Wer ist denn die Landwirtschaft? Sollte man nicht lieber sagen: Die Sprache der Landwirte! Die Sprache der Landwirte ist es aber nicht allein, denn es sind in unserer industriell geprägten Wirtschaftsgesellschaft verschiedene Gruppen, die das Sprache-Welt-System der Landwirte beeinflussen und es zu verändern versuchen, unter anderen die chemische Industrie mit ihren Werbeleuten, Bauernverbände, Vertreter staatlicher und anderer Institutionen. Oft zeigen sich besonders bei diesen Interessengruppen typische sprachliche Ausdrucksformen, die auch auf eine Ausprägung einer bestimmten Sprache-Welt-Relation verweisen. Wieso nun gerade der Sprachgebrauch in der Landwirtschaft? Erstens: In kaum einem Bereich unserer Gesellschaft dürfte die ökologische Krise so deutlich werden wie in der Landwirtschaft. Die Rapidität des Fortschritts der Zerstörung unserer Landschaft geht einher mit dem Niedergang bäuerlicher Siedlungs- und Wirtschaftsräume. Zweitens: Die Bewirtschaftung eines ökologisch ausgerichteten Bauernhofs seit 1984 machte eine direkte Teilnahme am Sprache-Welt-System der Landwirtschaft möglich. So konnte ich bei meiner Materialsammlung die unterschiedlichsten Textsorten berücksichtigen. Eine wichtige Grundlage meiner Materialauswahl bildeten die Texte zweier Zeitungen, die ich seit dem Januar 1989 auf Beispiele für den sprachlichen Umgang mit Tieren, Pflanzen und Landschaft durchsehe, wobei ich mich im wesentlichen auf eine lexikalische Analyse beschränke (Das Landvolk offizielles Organ des Niedersächsischen Landvolkes e.V., Bauernverband und Das Bauernblatt/Die Bauernstimme Organ der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft). Durchgängig lassen sich aus meinen Beobachtungen und dem Beispielkatalog fünf sprachpolitische Tendenzen ableiten. Tiere • Ungeziefer, Schädlinge • Ungezieferbekämpfungsmittel • Schädlingsbehandlung • Produktion • industriemäßige Tierproduktion • Tierproduktionsanlage • Fleischproduzent • Rinderproduktion Niedersachsen GmbH • Nutzungsdauer v. Tieren • Veredelungsbetriebe • Lebendtier, Schlachttier • Vernichtung v. Tieren • Besamungsstation • Empfängermaterial
Pflanzen • Unkraut, Ungräser • Unkrautbekämpfungsmittel • Pflanzenbehandlungsmittel • Pflanzenschutzmittel • Unkrautregulierung • Pflanzenschutzpräparat • Unkrautfreihaltung • Versicherungsbehandlung • Wartezeit • Präventivspritzung • echter Pflanzenschutz durch Pestizidbehandlung • sorgloses Wachstum und gesunde Qualitätsemte • integrierter Pflanzenbau • Wachstumsstabilisatoren
Landschaft/Boden - sauberer Boden
- Flurbereinigung - Bodenverbesserung - Melioration - Landschaftsverbrauch - Entwässerungsobjekte -Ödland - Verschleiß v. Landschaft - Fluß-, Gewässer und Geländekorrektur - Bodenmanagement - Weidenmanagement - Ersatzlebensraum - Erneuerung v. Bäumen - Umweltverträglichkeit - Landrente
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- Schweine- und Ferkelmaterial - Pferdematerial - Hilsstoffe in der tierischen Erzeugung - züchterische Behandlung - Cocktails - Betreuungspraktiker - Milchrente
- Wachstumsregulatoren - Pflanzenproduktion - Ackerbegleitflora - Ackerrandstreifen - Grünordnungsplan - Qualitätsware, Güteklasse - Obst aus dem Markt nehmen - der Pflanzenschutz von heute ist umweltfreundlich
- Vorfluter - ordentlicher, sauberer Rasen - Grünland, Grünbrache - Anlegen eines Grüngürtels - intensive Wirtschaftsform - extensive Wirtschaftsform - Flächenstillegung
Erstens: Verdinglichung. Lebewesen werden nach ökonomisch-technischer Ideologie behandelt wie Sachen, die produziert, gemanagt, optimiert und verwertet werden. Der Tauschwert bestimmt die Ethik. So nennt sich eine Firma, die Sperma und Embryos verkauft Rinderproduktion Niedersachsen GmbH. Weibliche Kühe und Schweine, denen Embryos eingepflanzt werden, gelten als Empfängermaterial. Auch Landschaft wird sprachlich zum Material, zum Konsumgut, das verbraucht und verplant wird, man spricht folglich auch vom Landschafisverbrauch oder vom Verschleiß von Landschaft, von Ersatzlebensräumen, von Entwässerungsobjekten, von Grünordnungsplänen, von Flächenstillegung, vom Anlegen eines Grüngürtels, vom Ackerrandstreifenprogramm usw. Zweitens: Tatsachenverschleierung, z.T. durch Euphemismen. Dabei muß betont werden, daß ein sprachlicher Ausdruck nicht an sich einen Euphemismus darstellt, sondern er es erst wird innerhalb einer bestimmten Perspektive, hier einer ökologischen. Ein Gegenbegriff ist grundsätzlich nicht immer angebbar, z.B. bei Neologismen. Verschleierung kann auch erreicht werden durch die Vermeidung bestimmter Wörter wie Tod, Zerstörung, Ausrottung und Giß, z.B. statt Gift lieber Pestizid, besser Biozid, noch besser Pflanzenschutzmittel. Ein anderes Beispiel: Zuchtbetriebe werden sprachlich zu Veredlungsbetrieben, Pharmaka werden zu Hilfsstoffen in der tierischen Erzeugung, Mischpräparate werden zu Cocktails, die Verkäufer dieser Produkte zu Betreuungspraktikern. Werden Tonnen von Obst vernichtet, so nennt man dieses aus dem Markt nehmen. Der Käufer bezahlt die Rechnung mehrfach dafür. Was er als Qualitätsware, eingeteilt in Güteklassen, die durch Behörden und Großabnehmer verlangt und festgelegt werden, bekommt, zwingt die Landwirte zum Gifteinsatz. Geringwertige Einheitssorten mit Pestizid-Rückständen, die in den Supermärkten unter der Bezeichnung Obst und Gemüse verkauft werden, verdienen oft ihren Namen nicht einmal mehr (Emst/Langbein/Weiss 1988: 28). Die Prädikate von Sauberkeit und Ordnung werden immer dann vergeben, wenn Gift eingesetzt und möglichst steril und maschinengerecht gearbeitet wird, z.B. der ordentliche, saubere Rasen. Drittens: Zunehmende Ablehnung alles Bäuerlichen. Bei dem Versuch der Regelung der Sprachpraxis im Rahmen der Reproduktion des gemeinsamen Lebens innerhalb des Sprache-Welt-Systems der Landwirtschaft läßt sich eine weitere sprachpolitische Tendenz erkennen, die sich in der zunehmenden Ablehnung alles Bäuerlichen zeigt. Die inhaltlichen Assoziationen, die ein Wort wie bäuerlich hervorruft, reichen von traditionell, schmutzig über unrentabel und rückständig; wenn von moderner Landwirtschaft die Rede ist, lauten die Assoziationen industriell, rein, rationell und rational. So wird als Berufsbezeichnung auch nicht mehr Bauer angegeben, sondern Landwirt oder Agronom.
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Viertens: Schlagworte. Phrasen und Schlagworte sollen helfen, den Prozeß der interessenbestimmten Zerstörung bäuerlicher Kulturform als naturgesetzlich erscheinen zu lassen, Beispiele: Strukturwandel, Wachsen oder Weichen, Gesundschrumpfen, Marktchancen nutzen, Rationalisieren ist Trumpf. Andere wie Ökologie oder Ökonomie und intensive oder extensive Bewirtschaftung bauen Gegensätze auf, die aus einer bäuerlichen Perspektive eigentlich gar nicht entstehen können. Gerade diese Schlagworte verweisen auf eine erstaunlich Parallelität zwischen der Verarmung der Landschaft und der Verarmung der Sprache. Wie sieht die sprachliche Reaktion der bäuerlichen Landwirtschaft und der "Ökologiebewegung" auf die oben dargestellten sprachpolitischen Tendenzen aus? Erstens: Sprachliche Hilflosigkeit/Anpassung. Selbst diejenigen, die sich für die schärfsten Kritiker halten, übernehmen in der Regel die Grundfehler, gegen die sie Sturm laufen, indem sie die sprachlichen Kategorisierungen blindlings übernehmen. Die Schwierigkeiten, einen Ausweg aus dem sprachlichen Fliegenglas zu finden, sind scheinbar enorm. So ist die sprachliche Anpassung und Reflexionslosigkeit bei denjenigen, die von der Zerstörung der bäuerlichen Kulturform leben, nämlich den bezahlten "Umweltschützern", besonders ausgeprägt. Oft neigen gerade diese zu einem neuen Machbarkeitswahn, sprachlich durch Bürokratismen vorbereitet: Man spricht von Grün- oder Raumordnungsplänen, Ackerrand Streifenprogrammen zum Schutz der Ackerbegleitflora. Zweitens: Formale bzw. metasprachliche Ablehnungen. Dem unökologischen sprachlichen Umgang mit Lebewesen und Landschaft versucht die bäuerliche Landwirtschaft teilweise dadurch sprachlich zu begegnen, indem eine formale bzw. metasprachliche Ablehnung eingeführt wird, z.B. durch die Benutzung von Gänsefüßchen: sog. "Flurbereinigung", sog. "Ackerrandstreifenprogramm", sog. "Pflanzenschutz". Drittens: Lexikalische Kreativität. Neben der sprachlichen Ablehnung bleibt als wirksamste sprachliche Alternative die der lexikalischen Kreativität. Statt von Unkraut wird beispielsweise von Ackerwildkraut gesprochen, oder es wird gleichzeitig eine Ironisierung versucht, die sich in Wörtern zeigt wie Tier- oder Fleischfabrik oder Kultursteppe. Obwohl Gegentendenzen zu einer unökologischen Sprachpraxis innerhalb der bäuerlichen Landwirtschaft zu beobachten sind, haben sie es schwer gegen die sprachpolitischen Tendenzen der Bürokratisierung, Ökonomisierung und Industrialisierung von Natur und Landschaft. Das Sprache-Welt-System der industriellen Landwirtschaft steht als ein Beispiel dafür, daß der Mensch "im Begriff ist", den Kontakt zu seiner natürlichen Mitwelt zu verlieren und damit sein Überleben zu gefährden.
Literatur Brauns, Patrick (1986): "Harte Energie und sanfte Sprache. Zum Sprachgebrauch der Energiepolitik und der Ökologiebewegung in der BRD und in Frankreich". - In: Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 33, 8099. Dahl, Jürgen (1977): "Kommt Zeit, kommt Unrat. Der "Entsorgungspark" der Atomindustrie". - In: Scheidewege l, 39-62. Ernst, Andrea/Langbein, Kurt/Weiss, Hans (1988): Gift-Grün. Chemie in der Landwirtschaft und die Folgen. - München: dtv. Gigon, Andreas (1983): "Ausgestorben oder ausgerottet? Beschönigende Begriffe (Euphemismen) in Naturund Umweltschutz". - In: Natur und Landschaft 11, 418-421.
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Gründler, Herbert (1977): "Kernenergiewerbung. Die sprachliche Verpackung der Atomenergie. Aus dem Wörterbuch des Zwiedenkens". - In: Literaturmagazin 8, 69-89. Hass, Ulrike (1989): "Interessenabhängiger Umgang mit Wörtern in der Umweltdiskussion". - In: Klein, Josej (Hrsg.): Politische Semantik (Opladen: Westdeutscher Verlag) 153-186. Jaeger, Herbert/Trampe, Wilhelm (1990): "Grundlagen eines Konzepts kommunikationsökologischer Gleichgewichte". - Bonn (Manuskript). Meyer-Abich, Klaus Michael (1990): Aufstand für die Natur. Von der Umwelt zur Mitwelt. - München etc.: Hanser. Trampe, Wilhelm (1990): Ökologische Linguistik. Grundlagen einer ökologischen Wissenschafts- und Sprachtheorie. - Opladen: Westdeutscher Verlag. Wittgenstein, Ludwig ([1953] 1984): Werkausgabe in 8 Bänden. I: Tractatus logico-philosophicus. Tagebücher 1914-1916. Philosophische Untersuchungen. - Frankfurt am Main: Suhrkamp.
ÄUßERUNGSDELIKTE: DIE JURISTISCHE BESCHREIBUNG VON SPRACHE Roland Kischkel Daß Recht etwas auf - för das Recht - bedeutsame Weise mit Sprache zu tun hat, gehört nicht nur zu den Gemeinplätzen einschlägiger Untersuchungen, es läßt sich auch leicht veranschaulichen. Rechtsnormen sind Texte, die aus Texten entstanden sind, etwa aus Parlamentsdebatten, Anhörungen, wissenschaftlichen Kommentaren. Rechtsprechung ist Text, mündlich oder schriftlich geäußert, entstanden aus Verhandlungen, in denen Sprache gebraucht und verstanden wurde, in denen sich etwa Kläger/innen und Beklagte, Gutachter/innen, Zeug/inn/en und Richter/innen äußern konnten. Das Lehren und Lernen des Rechts erfolgt mit Hilfe von Texten: Vorlesungen, Seminaren, Weiterbildungen. Schließlich werden eine ganze Reihe von rechtlich relevanten Handlungen sprachlich vollzogen: Verträge jeder Art, etwa Kauf-, Miet- oder Eheverträge, das Ablegen von Eiden durch Aussprechen vorgeschriebener Formeln oder Straftaten, die dadurch begangen werden, daß man etwas sagt oder schreibt oder etwas nicht sagt oder schreibt. Die Legitimation rechtlicher Entscheidungen ist notwendigerweise an die Beschreibung und Auslegung von Texten gebunden, etwa an die Auslegung von Normtexten oder von Texten, die standardisierte Normtextauslegungen enthalten. Das gilt in besonderer Weise für Entscheidungen über die Strafbarkeit sprachlicher Handlungen, von Äußerungsdelikten. Bei der Beschreibung und Bewertung von Äußerungsdelikten ist das Recht vor eine sehr komplexe Auslegungsaufgabe gestellt. In die Konstruktion einer Entscheidungsnorm gehen drei verschiedene, aber eng miteinander zusammenhängende Feststellungen von Textbedeutungen ein: (1) Die Feststellung, welche Bedeutung ein Normtext hat, der herangezogen werden soll (z.B. Gesetzestexte, obergerichtliche Entscheidungen), (2) die Feststellung, welche Bedeutung Sachverhaltsbeschreibungen haben, die für die Entscheidung herangezogen werden können (z.B. Zeugenaussagen, Aussagen von Verdächtigten und Angeklagten) und (3) die Feststellung, welche Bedeutung eine (beschriebene) Äußerung hat, die daraufhin zu bewerten ist, ob sie eine Straftat war, und wenn ja, welche Straftat genau mit ihr begangen wurde.
Aus einer Äußerung wird ein juristisch behandelbarer Fall, wenn eine zu einem Norm text passende fachsprachliche Sachverhaltsbeschreibung der Äußerung angefertigt wird: das ist eine Sachverhaltsbeschreibung, die zugleich als akzeptierte Version alltagssprachlicher Sachverhaltsbeschreibungen gelten kann und die die Tat-Äußerung so beschreibt, daß für sie das Vorliegen ganz bestimmter Eigenschaften entscheidbar ist. Mit Äußerungsdelikt werde ich im folgenden alle Handlungen bezeichnen, die juristisch als Straftaten klassifiziert werden und die durch Äußerungen begangen werden. Als Äußerungen in diesem Sinn zählen juristisch nicht nur sprachliche Äußerungen, sondern auch Bilder, Gesten und Tätlichkeiten. Ich werde mich jedoch auf sprachliche Äußerungen be-
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schränken. Äußerungsdelikte wären demnach etwa möglich als "Verunglimpfung" von Staatsorganen oder Staatssymbolen (§§ 90, 90a, 90b StGB), als "Werbung" für kriminelle oder terroristische Vereinigungen (§§ 129, 129a StGB), als "Volksverhetzung" (§ 130 StGB), als "Billigung" bestimmter Straftaten (§ 140 StGB) oder als das klassische Äußerungsdelikt, die "Beleidigung" (§§ 185ff.). Die Zusammenfassung dieser Delikte scheint schon wegen der mit ihnen gestellten gleichartigen Auslegungsaufgabe sinnvoll zu sein. Tatsächlich werden für die aufgeführten Straftaten im wesentlichen die gleichen Methoden der Sprachbeschreibung verwandt. In Bezug auf die Normtextauslegung sind solche Methoden rechtstheoretisch kanonisiert und für die gerichtliche Auslegungspraxis bestimmend: Es handelt sich um die grammatische Auslegung (Welches ist der Wortsinn, der Wortlaut etc. des Normtextes?), die systematische Auslegung (Erklärt die Stellung der Norm im System der Rechtsnormen seine Bedeutung?), die historische Auslegung (Welche Absicht verfolgte "der Gesetzgeber"?) und die objektiv-teleologische Auslegung (Mit welchem Ziel soll die Rechtsnorm soziale Sachverhalte gestalten?).
Für die Übersetzung von alltagssprachlichen in fachsprachliche Sachverhaltsbeschreibungen existieren solche expliziten Auslegungsregeln jedoch überhaupt nicht, für die Auslegung mutmaßlich verunglimpfender, werbender oder beleidigender Äußerungen gilt als allgemeine Orientierung die Notwendigkeit, den objektiven Sinngehalt der Äußerung zu ermitteln . Während in der Linguistik in den letzten Jahren die Theorie und Praxis der Normtextauslegung kritisiert worden ist (cf. Müller 1989) und einige diskursanalytische Untersuchungen die Herstellung rechtsförmiger Sachverhaltsbeschreibungen in gerichtlichen Verhandlungen thematisiert haben (cf. Hoff mann 1989), bilden die Methoden der Beschreibung und Auslegung strafwürdiger Äußerungen noch weitgehend ein Geheimnis der juristischen Praxis.2 Zwei dieser Methoden werden im folgenden anhand schriftlicher veröffentlichter Urteilsbegründungen und Fallbeschreibungen vorgestellt. Abschließend soll es um die Frage gehen, was einerseits die Linguistik und andererseits das Recht von derlei Beschreibungen hat und welche Konsequenzen sich daraus für eine mögliche (und häufig geforderte) rechtslinguistische Kooperation ergeben.
Das Deutlichkeits-Postulat In der gegenwärtigen Behandlung von Äußerungsdelikten spielt ein Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 17.12.1968 zur "Billigung einer Straftat" (§ 140 StGB) eine große Rolle. Verhandelt wurde die Anklage gegen den Herausgeber eines Buches über die Geschichte von Südtirol, in dem der aktive Widerstand der Südtiroler Bevölkerung - wie der BGH es formuliert - "gegen die staatliche Eingliederung in den italienischen Staatsverband [...] erörtert" (282) werde. Das Buch bekenne sich zum "aktiven Widerstand der Südtiroler", führe dazu "rechtfertigend andere Revolten und Freiheitskämpfe an" und schildere "auch fünf Einzelbegebenheiten in Südtirol: Sprengstoffanschläge auf Hochspannungs-
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leitungen sowie Eisenbahnoberleitungen und Schießereien auf Carabinieri-Unterkünfte" (282). Der Strafsenat nimmt eine grundsätzliche Bestimmung des Begriffs billigen vor, indem er zunächst festlegt: "Nach dem Wortsinn bedeutet billigen 'gutheißen'": dieser Begriff umschreibe "die verschiedensten Stufen des Beifalls" bis hin zu einer "sich bloß innerlich vollziehendein] zustimmende[n] Haltung" (286). In dem Begriff [gutheißen, R.K.] liegt es aber, daß die zustimmende Kundgebung aus sich heraus verständlich sein muß, als solche unmittelbar, ohne Deuteln erkannt wird. Es muß sich um eine abgeschlossene, zum Ausdruck gebrachte Wertung des Erklärenden handeln, die ihre Sinnbedeutung in sich trägt. Es fehlt daher an einer Billigung im Sinne dieser Strafvorschrift, wenn eine indifferente oder gar anders lautende Kundgebung erst durch außerhalb der Erklärung liegende Umstände, also erst im Wege des Rückschlusses, als zustimmende Kundgebung gewertet werden könnte. (BGHSt 22: 287)
Wer jedoch - wenigestens im einem BGH-Grundsatzurteil - erwartet, es werde noch etwas genauer beschrieben, was die Ausdrücke aus sich heraus verständlich, unmittelbar erkennen, ohne Deuteln erkennen, die Sinnbedeutung in sich tragen, indifferente Kundgebung oder im Wege des Rückschlusses werten bedeuten sollen, wird enttäuscht. Der BGH macht auch nicht den Versuch, etwa an Textstellen des Buches oder wenigstens mit Bezug auf die selbst gegebene Beschreibung des Buches zu demonstrieren, wie er in dem Fall zu seiner Entscheidung gekommen ist. Zu dem Buch stellt das Urteil lapidar fest, daß es sich "um eine rein beschreibende - überdies recht allgemein gehaltene - Darstellung [handelt], der eine zustimmende Kundgebung fehlt" (288). Dem Tatgericht, dem Landgericht München II, wirft der BGH aber interessanterweise vor, es führe keine Textstelle an, die Leser/innen als Beifall zu den geschilderten Taten hätten verstehen können. Es genüge nicht, die Billigung nur aus der Haltung des Verfassers "herauszulesen", eine Folgerung, die "zwar an sich möglich" sei (288), die aber für die Feststellung des Tatbestandes im Sinne der vorgenommenen Begriffsbestimmung nicht ausreiche. Dem Buch fehle die Unmittelbarkeit der zustimmenden Erklärung des Täters zu dem konkreten Verbrechen, von deren zündenen Wirkungen das Gesetz jene Störungen des innerdeutschen Rechtsfriedens befürchtet, denen es mit dieser Rechtsvorschrift begegnen will. (289)
Das BGH-Urteil gewinnt seine praktische Plausibilität aus der Anwendung einer bestimmten Theorie des Verstehens, nach der es sprachliche Ausdrücke gibt, die ihre Bedeutung "in sich" tragen, die folglich auch direkt, unmittelbar erkannt und verstanden werden, wogegen auf weniger deutliche Bedeutungen erst rückgeschlossen werden muß. Die Beschreibung von Deutlichkeitsunterschieden verbindet eine quasi-physikalische Qualität der Ausdrücke (ihren "Inhalt") mit einem mechanischen Verstehen, das entweder einfach, nämlich unmittelbar, oder nicht einfach, nämlich rückschließend, verfährt. Die Mechanik des einfachen Verstehens besteht in der (mentalen) Duplikation der Bedeutung, die des nicht einfachen Verstehens zusätzlich in der Anwendung von Kenntnissen über den Wandel, den Bedeutungen in der Hervorbringung sprachlicher Formen durchlaufen (können): "herauslesen" als logisch-genetische Analyse, deren Logik aber nicht expliziert wird. Darüber hinaus schließt an die Deutlichkeits-Theorie auch eine mechanische Theorie darüber an, welche Wirkungen mehr oder weniger deutliche Äußerungsinhalte haben. Deutlich verstehbare Inhalte erzeugen auf direkte Weise starke ("zündende") Wirkungen bei der Person, die mit ihnen kon-
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frontiert ist, undeutliche Inhalte dagegen können ungestraft bleiben, weil ihre Wirkung auf Rezipient/inn/en und damit auch auf die potentielle Bedrohung des "Rechtsfriedens" nur gering ist: deutliche Inhalte erzeugen im mechanischen Verstehen größere Kräfte als undeutliche. Der BGH gibt mit diesem Urteil allen nachfolgenden Verfahren zu Äußerungsdelikten ein Muster an die Hand, wie eine Beschreibung solcher Äußerungen angefertigt werden kann, die in den Rahmen der Normtext-Auslegung passen. Die geprägten DeutlichkeitsFormeln repräsentieren damit eine juristisch etablierte Verstehenstheorie. Ihre Anwendung sichert zwar nicht den rechtlichen Erfolg, wohl aber die rechtliche Plausibilität der nach der Theorie angefertigten Sprachbeschreibungen.
Die Theorie des Durchschnittsempfängers Die Theorie des Durchschnittsempfängers gehört seit mehreren Jahren zum juristischen Beschreibungs- und Begründungsrepertoire, und zwar über die Grenzen verschiedener Rechtsstandpunkte hinweg (cf. Giehring 1983/Rebmann 1981/Landgericht Frankfurt v. 8.12.1987 / Oberlandesgericht Frankfurt v. 2.12.1988). Sie besagt - allgemein formuliert - , daß es für die Bewertung der (Un-)Rechtmäßigkeit einer Äußerung von entscheidendem Belang ist, wie sie von einem durchschnittlichen Adressaten oder Empfänger verstanden werde. Der (ehemalige) Generalbundesanwalt Rebmann (1981) hat an Äußerungen zu den Haftbedingungen von RAF-Mitgliedern vorgeführt, wie man mithilfe dieser Theorie unterscheiden kann, ob eine Äußerung Werbung für eine terroristische Vereinigung (§ 129a StGB) sei oder nicht. Rebmann setzt hierzu voraus, daß die - seiner Auffassung nach - wahren und strafwürdigen Ziele der Forderung nach Zusammenlegung der RAF-Häftlinge "zwar gerichts-, nicht aber allgemeinkundig sind" (461). Oft werde die Forderung "aus vermeintlich humanitärer Gesinnung oder verwandtschaftlicher Verbundenheit unterstützt" (461). Daraufhin unterscheidet er einige Äußerungen danach, ob sie vom Durchschnittsadressaten als humanitäre Handlung empfunden werden, oder ob der Täter "auch dem Durchschnittsadressaten [...] zu erkennen gibt, daß es ihm um Ziele und den Fortbestand der hinter den Gefangenen stehenden terroristischen Vereinigung geht" (461). Nicht strafbar seien z.B. folgende Äußerungen: "Seit 2.2.81 politische Gefangene im Hungerstreik um Zusammenlegung" "Hungerstreik der politischen Gefangenen in der BRD - Solidarität mit den Forderungen der Gefangenen Gleichstellung der Gefangenen aus dem 2. Juni mit sozialen Gefangenen"
Strafbar seien dagegen z.B. folgende Äußerungen: "Zusammenlegung der Gefangenen der RAF - drinnen und draußen ein Kampf" "Zusammenlegung der Gefangenen aus der RAF - den antiimperialistischen Widerstand in Europa organisieren"
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Den Unterschied zwischen Äußerungen der ersten und der zweiten Sorte sieht Rebmann darin, daß die Äußerungen der zweiten Sorte Zusätze zu den Parolen enthalten, in denen "deren Ziele als Werbung für eine terroristische Vereinigung objektiviert wird" (461). Rebmann veranschaulicht seine analytische Unterscheidung jedoch nicht an den Äußerungen selbst, sondern begründet sie mit dem Verweis auf ein durchschnittliches Wissen über den Gegenstand der Äußerungen und deren daraus folgendes durchschnittliches Verständnis. Die Feststellung des Durchschnitts bleibt der Anwendung des juristischen Sachverstandes vorbehalten und wird nicht - wie es erwartbar wäre - an die Bedingung seiner empirischen Bestimmung gebunden . Die Methode, nach der sich Jurist/inn/en durchschnittliches Verstehen vergegenwärtigen und mit deren Hilfe einen u.U. verfahrensentscheidenden Aspekt entscheiden, bleibt völlig ungeklärt. Ihre Plausibilität jedoch erlangt die Theorie des Durchschnittsempfängers durch den implizit-theoretischen Bezug auf die Bedeutsamkeit der empirischen Erforschung des "Durchschnittlichen", des "Allgemeinen", und damit auf die Existenz von genau definierten statistischen Verfahren, nach denen ein ideelles gesellschaftliches Individuum beschrieben wird. So ist es durchaus möglich, daß in einem Verfahren über mehrere Instanzen Urteile, die zu unterschiedlichen Wertungen einer Handlung kommen, alle in ihrer Begründung übereinstimmend auf einen jeweils bestimmten Durchschnitt hinweisen4.
Analyse juristischer Sprachbeschreibungen: Wer hat was davon? Ich möchte abschließend zwei alternative Zwecksetzungen skizzieren, unter denen die Linguistik Beschreibungen juristischer Sprachbeschreibungen anfertigen und deren Bewertung geltend machen kann. Die erste möchte ich die interventionistische Zwecksetzung nennen, die zweite die der externen Beschreibung. Im Sinn der interventionistischen Zwecksetzung wäre zu zeigen, daß die Theorien, nach denen Äußerungen juristisch beschrieben werden, aus linguistischer Sicht defizitär sind. Auf solche Argumentationen möchte ich hier nicht eingehen. Im Sinn der externen Beschreibung dagegen setze ich auf eine Abgrenzung linguistischer und juristischer Problemstellungen, gewissermaßen auf Praxisfeme, und auf den Verzicht darauf, aus linguistischen Analysen Interventionen in rechtliche Entscheidungen zu begründen. Diese Abgrenzung möchte ich abschließend in vier Grundsätzen erläutern: (1) Es besteht eine funktionale Differenz zwischen Linguistik und Rechtssystem, d.h. beide reproduzieren sich in der funktional differenzierten Gesellschaft über die Erfüllung verschiedener Aufgaben. Das Rechtssystem behandelt seine Gegenstände und sich selbst mit Hilfe der Unterscheidung von Recht und Unrecht: es entscheidet unter Zeitdruck; die Linguistik beschreibt und evaluiert den Gebrauch sprachbeschreibender Ausdrücke. Ob das Rechtssystem für die Begründung seiner Entscheidungen auf Beschreibungen von Sprache, von psychischen oder sozialen Ereignissen zurückgreift oder nicht, ergibt sich aus dem systeminternen Handlungsbedarf. Linguistik und Recht können sich weder vollständig noch partiell wechselseitig ersetzen, d.h. aus rechtlichen Unterscheidungen lassen sich keine Unterscheidungen im Gebrauch sprachbeschreibender Ausdrücke herleiten, wie auch umge-
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kehrt aus linguistischen Beschreibungen Recht und Unrecht nicht unterschieden werden können. (2) Es ist nicht möglich, linguistische Lösungen zu rechtlichen Problemstellungen zu geben und mit der Bearbeitung linguistischer Problemstellungen zugleich die des Rechts zu bearbeiten. Unter einer rechtlichen Problemstellung verstehe ich die Beschreibung einer Situation, in der die Unterscheidung von Recht und Unrecht rechtssystemintern problematisch wird, d.h. in der die Anschließbarkeit rechtsförmiger Handlungen unsicher erscheint. Solche Situationen gehören zum legislativen, exekutiven und judikativen Alltag^ und werden dadurch in unproblematische Situationen überführt, daß entscheidungsmächtigere Instanzen mögliche Anschließbarkeiten herstellen. Daß diese Situation sprachlich behandelt und beschrieben werden, macht sie zum potentiellen Gegenstand der Linguistik, wie und zu welchen Zwekken sie behandelt und beschrieben werden, bildet ihren Gegenstand. Daß und in welcher Weise es sich aber um rechtliche Formen der Problembeschreibung und -lösung handelt, entzieht sich in jeder Hinsicht der linguistischen Analyse und Bewertung. Aus der Beschreibung des Gebrauchs sprachbeschreibender Ausdrücke läßt sich keine (linguistische) Entscheidung der (rechtlichen) Frage ableiten, ob eine Rechtsauffassung richtig ist, ob ein Gesetz der Verfassung entspricht oder ob ein gerichtlicher Einweisungsbeschluß zu Recht erfolgt ist. Eine rechtliche Bewertung verdankt sich der Unterscheidung von Recht und Unrecht, auch wenn sie - wie immer motiviert - von juristischen Laien gegeben wird. Wollte ihr ein Laie aus allgemeinem Gerechtigkeitsempfinden oder aufgrund linguistischer Analysen zur Geltung verhelfen und würde mit seiner Absicht formal-rechtlich abgewiesen, so läge die Ursache dafür nicht notwendigerweise in der Ignoranz (oder Schlimmerem) von Jurist/inn/en, vielmehr wäre die Abweisung ein gewöhnliches "Zwischenprodukt" juristischer Kommunikation; seine weitere Behandlung (durch Beschwerden, Widersprüche, Klagen etc.) ist geregelt. (3) Die externe Beschreibung setzt darauf, von der Rechtspraxis abgehoben zu sein, d.h. rechtlichen Gebrauch von Sprache ausschließlich als linguistische Problemstellung zu behandeln. Die häufig beschworene Gefahr der Folgenlosigkeit besteht tatsächlich, sie besteht jedoch für jede rechtslinguistische Bemühung. Jede Analyse, die eine methodisch fremde, externe Perspektive einnimmt, macht sich für das Recht in dem Maß zum Problem, wie sie für das Recht Unbekanntes erzeugt. Sofern z.B. durch Gutachten rechtsexteme Perspektiven in Gerichtsverfahren eingebracht werden, erhöhen sie den Entscheidungsaufwand, den Bedarf der Gerichte, komplexe Sachverhalte auf das einfache Schema von Recht und Unrecht zu reduzieren. Die Gefahr der Folgenlosigkeit rechtslinguistischer Analysen dürfte demnach nicht mit der Praxisferne, sondern mit der Praxisnähe steigen, wenn man nämlich annimmt, daß Praxisnähe eher zu Analysen führt, die bereits zum rechtstheoretisch reflektierten Problembestand des Rechts gehören: die Praxis fände dann nur wieder sich selbst. Dieser Reduktionsbedarf drückt sich u.a. auch in der Zurückweisung gutachterlicher Äußerungen durch Gerichte aus, wie sie von philologischen Experten erlitten und beklagt wurde . Die Zurückweisungen wurden auf zwei verschiedene Weisen erklärt: die justizkritisch ambitionierte Erklärung sieht darin den politisch motivierten Schutz, den ein Gericht
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seiner Entscheidung verschafft, die aufklärerisch ambitionierte Erklärung sah darin einen Ausdruck des defizitären Sprachwissens der Juristen. Wie immer rechtslinguistische Expertisen motiviert sind, mit ihrer Folgenlosigkeit müssen sie offenbar in jedem Fall rechnen, denn sie werden nicht eingeholt, um kraft ihrer Autorität eine Entscheidung möglich zu machen. Sie werden von interessierten Prozeßparteien oder Ermittlungsinstanzen eingeholt und unter juristischen Zwecksetzungen eingesetzt. Wetz (1989) und Brückner (1990) berichten etwa von einem Fall, in dem ein Beklagter aufgrund eines (BKA-) linguistischen Gutachtens inhaftiert wurde, obwohl das Gericht selbst auf die entscheidenden Argumente des Gutachtens zuletzt nicht mehr zurückgriff. Aber ebensowenig wie die gerichtliche Zurückweisung der Expertisen ist die Kritik an deren Zurückweisung linguistisch begründet. Beides kann ausschließlich auf rechtlichkriminalistische Gesichtspunkte gestützt werden, d.h. auf die Frage, wie in dem Fall Recht und Unrecht unterschieden werden sollte. Der Vorwurf gegen ein Gericht, es habe linguistisch fehlerhaft erkannt, ist ungefähr so stichhaltig wie der Vorwurf gegen einen linguistischen Gutachter, er habe linguistische Begriffe nicht rechtmäßig gebraucht. (4) Alleine ein externer Standpunkt erlaubt der Linguistik Fragen nach dem Gebrauch sprachtheoretischer Argumentationen und nach ihrer Funktion im Rechtssystem. Ich sehe in den sprachtheoretischen Argumentationen Plausibilisierungsstrategien, die die notwendigen Bedeutungsexplikationen abstützen sollen. Die Plausibilität rechtlicher Sprachbeschreibungen ergibt sich aus der Üblichkeit und Gewöhnlichkeit der Theorien, nach denen die Sprachbeschreibungen angefertigt werden, d.h. danach, ob sie etabliertes rechtliches Sprachwissen repräsentieren oder nicht. Es ist nicht entscheidend, ob das rechtliche Sprachwissen in linguistischer, philosophischer oder in anderer externer Sichtweise defizitäres Sprachwissen ist, entscheidend ist seine Gebräuchlichkeit und Plausibilität für rechtliche Sprachbeschreibungen. Ziel der externen Beschreibung kann es allerdings nicht sein, das Recht aus eigener Kraft, etwa der Autorität des 'eigentlichen Experten', aufzuklären. Es muß dem Rechtssystem überlassen bleiben, ob es externe Beschreibungen in rechtstheoretische Problemstellungen aufnehmen und sie behandeln kann. Grundlage für die linguistische Zurückhaltung, die Abgehobenheit von der Praxis und für den Verzicht auf Intervention ist allerdings keine Moral der gegenseitigen Nicht-Einmischung oder der Bedarf nach wertfreier Kulturwissenschaft, sondern die Einsicht, daß, wer Recht kritisiert, rechtlich handelt, und, wer den Gebrauch sprachbeschreibender Ausdrücke beschreibt und evaluiert, zwar Linguistik betreibt, aber nicht mehr.
Anmerkungen 1 Exemplarisch hierzu ein Kommentar von Otto (1984: 106) zum § 185 StGB: "Ob die Äußerung einen beleidigenden Inhalt hat, ist durch Auslegung zu ermitteln. Maßgeblich ist der objektive Sinngehalt unter Berücksichtigung des Empfingerverständnisses." 2 Als Ausnahmen sind Arbeiten von Brüggemann (1979), Maas (1979) und Kniffka (1981) zu erwähnen, die u.a. den strafrechtlichen Gebrauch der Theorie des Durchschnittslesers diskutieren. 3 Cf. zur gerichtlichen Praxis: Kniffka (1981: 601).
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4 Das war z.B. der Fall in Urteilen zu den sogenannten "Soldatenbeleidigungs'-Urteilen. Sowohl die Bewertung der Äußerung "Jeder Soldat ist ein potentieller Mörder" als nicht beleidigend (LG Frankfurt 8.12.87) als auch die Revision dieses Urteils (OLG Frankfurt, 2.12.88), schließlich auch die Feststellung, die Äußerung sei beleidigend (LG Frankfurt 20.10.89) stützen sich auf das Verständnis des 'sorgfaltigen Durchschnittsempfangers' (cf. Kischkel 1991). 5 Sie finden sich etwa in Anträgen an das Bundesverfassungsgericht, bestimmte Gesetze für verfassungswidrig zu erklären, in Widersprüchen oder Klagen gegen Verwaltungsakte oder in Anträgen, Gerichtsverfahren in Berufungs- oder Revisionsinstanzen weiterzuführen. 6 Eine schroffe Zurückweisung eines Gutachtens von Walter Jens findet man in der Urteilsbegründung des West-Berliner Kammergerichtes zum "Agit-Drucker-Prozeß" (Kammergericht vom 12.2.1979), die Kritik an anderen Zurückweisungen bei Maas (1979: 54 und 64, FN 3) oder Kniffka (1981: 602f.).
Literatur Brüggemann, Heinz (1979): "Der 'unvoreingenommene Durchschnittsleser' - eine Geburt aus dem Geiste der Justiz". - In: Alternative 22, 22-30. Brückner, Tobias (1990): "Verrät der Text den Verfasser? Die Frage nach dem 'philologischen Fingerabdruck' - Textvergleich als Beweismittel". - In: Kriminalistik l, 13-20 und 37-38. Bundesgerichtshof vom 17.12.1968: "Zum Begriff der öffentlichen Billigung. § 140 StGB". - In: Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen. XXII, 282-289. Giehring, Heinz (1983): "Politische Meinungsäußerung und die Tatmodalität des Werbens und der Unterstützung in den §§ 129, 129a StGB". - In: Strafverteidiger, 296-310. Hoffmann, Ludger (Hrsg.) (1989): Rechtsdiskurse. Untersuchungen zur Kommunikation in Gerichtsverfahren. - Tübingen: Narr. Kammergericht vom 12.2.1979: ["Agit-Drucker-Prozeß"]. Demokratie und Recht 7, 445-450. Kischkel, Roland (1991): "Die Behandlung sprachtheoretischer Fragen in den sogenannten 'Soldaten-Beleidigungs'-Urteilen". - In: Sprache und Literatur in Unterricht und Wissenschaft 67/1, 56-65. Kniffka, Hannes (1981): "Der Linguist als Gutachter bei Gericht. Überlegungen und Materialien zu einer 'Angewandten Soziolinguistik'". - In: Peuser, Günter/Winter, Stefan (Hrsg.): Angewandte Sprachwissenschaft. Grundfragen - Bereiche - Methoden (Bonn: Bouvier) 584-634. Landgericht Frankfurt vom 8.12.1987: "Bezeichnung von Soldaten als Mörder, §§ 130, 185 StGB". - In: Neue Juristische Wochenschrift 1988, 2683-2685. Landgericht Frankfurt vom 20.10.1989: "Die Äußerung 'Jeder Soldat ist ein potentieller Mörder' erfüllt den Tatbestand der Beleidigung. Im Einzelfall kann die Äußerung in Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolgt sein. (§§ 185, 130, 193 StGB)". - In: Strafverteidiger 1990, 73-77. Maas, Utz (1979): "Auf der Suche nach dem unverbildeten Durchschnittsleser. Ein sprachwissenschaftliches Gutachten in einem politischen Prozeß". - In: Linguistische Berichte 61, 52-67. Müller, Friedrich (Hrsg.) (1989): Untersuchungen zur Rechtslinguistik. Interdisziplinäre Studien zu praktischer Semantik und strukturierender Rechtslehre in Grundfragen der juristischen Methodik. - Berlin: Duncker und Humblot. Oberlandesgericht Frankfurt vom 2.12.1988: "Beleidigungsfähigkeit der Bundeswehr als Institution, GG Artikel 5,1; StPO § 244; StGB §§ 130, 185, 193". - In: Neue Juristische Wochenschrift 1989, 1367-1369. Otto, Harro (1984): Grundkurs Strafrecht. Die einzelnen Delikte. - Berlin etc.: de Gruyter, 2.A. Rebmann, Kurt (1981): "Inhalt und Grenzen des Straftatbestandes 'Werben für eine terroristische Vereinigung' nach § 129a StGB". - In: Neue Zeitschrift für Strafrecht l, 457-462. Wetz, Ulrich (1989): "Nach bestem Wissen und Gewissen? Linguistische Gutachten in der Praxis". - In: SprachReport 4, 16-17.
DIE "TRÜMMERFRAU" UND IHRE ENKELIN: EINE EMPIRISCHE STUDIE ZUM GESPRÄCHSVERHALTEN ÄLTERER UND JÜNGERER BERLINERINNEN Harriet Hoffmann / Ulrike Ahrens
1. Einleitung In dem folgenden Beitrag möchten wir erste Ergebnisse unserer vergleichenden Studie zum Gesprächsverhalten älterer und jüngerer Berlinerinnen zur Diskussion stellen. Nach einem kurzen Überblick über die Anlage unserer Untersuchung werden wir die zentralen Operationalisierungen vorstellen, die wir auf der Basis unserer empirischen Daten und mit Bezug auf neuere Forschungsliteratur entwickelt haben. Mit der quantitativen Analyse eines Corpusausschnitts werden wir unseren Beitrag abschließen.
2. Anlage der Untersuchung Die Anlage der Untersuchung ist im wesentlichen durch unsere Annahme motiviert, daß Frauen zwar eine gesellschaftliche Gruppe bilden, diese Gruppe jedoch nicht als homogen anzusehen ist. Wir möchten somit der Frage nachgehen, in welcher Weise sich nicht nur Gemeinsamkeiten, sondern auch Unterschiede zwischen Frauen konversationeil manifestieren. Bei der Bearbeitung dieser Frage stellten wir den Faktor "Alter" ins Zentrum. Wir wählten also zwei verschiedene Generationen von Berlinerinnen als Gewährspersonen für unsere Studie aus. Bei dem von uns anvisierten Vergleich der beiden Altersgruppen gingen wir davon aus, daß das Selbstverständnis der jüngeren Frauen in stärkerem Maße als das der älteren durch den Einfluß der neuen Frauenbewegung geprägt sein würde. Die Frauenbewegung setzt sich u.a. dafür ein, die Solidarität unter Frauen zu stärken und die gesellschaftliche Hierarchie zwischen den Geschlechtern aufzuheben. Wir fragten uns daher, ob sich die mit dieser doppelten Zielrichtung in Gang gebrachten Veränderungen der Beziehungen zwischen Frauen einerseits sowie des Geschlechterverhältnisses andererseits im Gesprächsverhalten in folgender Weise zeigen würden: - Würden sich die jüngeren Frauen in gleichgeschlechtlichen Gesprächen kooperativer verhalten als die älteren Frauen? - Würden sich die jüngeren Frauen in gemischtgeschlechtlichen Gesprächen als durchsetzungsfähiger erweisen als die älteren Frauen? - Würden sich schließlich Unterschiede in den Durchsetzungsstrategien zwischen jüngeren und älteren Frauen feststellen lassen? Zur Untersuchung dieser Frage stellten wir unser Corpus in folgender Weise zusammen:
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Die Probandinnen unserer Studie gehören zu zwei verschiedenen Generationen: die jüngeren Frauen sind zwischen zwanzig und fünfundzwanzig Jahren alt, die älteren Frauen zwischen sechzig und siebzig. Die Frauen der älteren Generation werden von uns prototypisch als "Trümmerfrauen" bezeichnet, ein Ausdruck, der sich in seiner wörtlichen Bedeutung auf die Frauen bezieht, die - vor allem in Berlin - die Trümmer nach dem Zweiten Weltkrieg forträumten. Um einer möglichen Verzerrung durch den Faktor Schichtzugehörigkeit entgegenzuwirken, wurde bei der Datenerhebung die soziale Herkunft der Teilnehmerinnen in der Weise berücksichtigt, daß pro Altersgruppe gleich viele Angehörige der sog. Mittelschicht und der sog. Unterschicht vertreten sind und daß in jedem Gespräch Angehörige derselben sozialen Schicht zusammentreffen. Da sich darüber hinaus das Gesprächsverhalten von Frauen in Abhängigkeit von der Geschlechtzugehörigkeit ihrer Gesprächspartnerinnen je unterschiedlich darstellt, nahmen wir die Frauen zur Hälfte in gleichgeschlechtlicher und zur Hälfte in gemischtgeschlechtlicher Gesprächskonstellation auf. Insgesamt umfaßt unser Corpus 24 Gesprächsdyaden. Jedes Gespräch wird zwischen zwei Angehörigen derselben Altersgruppe geführt. Die Gesprächsteilnehmerinnen kannten sich untereinander nicht. Um eine größere Vergleichbarkeit der aufgenommenen Gespräche zu gewährleisten, wurden Gesprächsthema, Aufnahmeort und -dauer im vorhinein festgelegt1. Methodisch orientieren wir uns im wesentlichen an der ethnomethodologischen Konversationsanalyse. Die Gespräche werden transkribiert und anschließend einer qualitativen sowie einer quantitativen Analyse unterzogen. Den Unterschieden und Gemeinsamkeiten im Gesprächsverhalten der jüngeren und älteren Frauen versuchen wir über eine Analyse der Dimensionen Gesprächsdominanz, thematische Initiativität und Durchsetzungsfähigkeit sowie konversationelle Kooperativität näher zu kommen. Mit dem Ziel, sprachliche Indikatoren dieser unterschiedlichen Gesprächsverhaltensweisen aufzuzeigen, gingen wir zunächst von dem in der Forschungsliteratur häufig und kontrovers diskutierten Phänomen der Unterbrechung, der üblichen Operationalisierung von Dominanz, aus. Für die Entwicklung unserer Operationalisierungen wählten wir zunächst acht Gespräche unseres Corpus in der Weise aus, daß alle möglichen Kombinationen der Faktoren Generation, Geschlechtskonstellation und Schichtzugehörigkeit berücksichtigt wurden. Die Ergebnisse dieser Teil Studie sollen im folgenden kurz vorgestellt werden.
3. Operationalisierungen Bei der näheren Bestimmung von Unterbrechungen orientierten wir uns zunächst an der Operationalisierung von West und Zimmerman (1975/1983): diese definieren eine Unterbrechung als einen Eingriff in den "turn-space", der zwei Silben vor oder nach dem Completion Point vorgenommen wird (West/Zimmerman 1983: 104).
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Diese silbenmäßige Bestimmung ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Kurze Überlappungen in unmittelbarer Umgebung des Completion Points (d.h. weniger als zwei Silben entfernt) sind aufgrund des Mechanismus des Sprecherinnenwechsels erwartbar und u.a. mit dem Bemühen zu erklären, Pausen beim Abwickeln eines reibungslosen Redewechsels zu vermeiden. Unterbrechungen hingegen sind nicht durch das System des Sprecherinnenwechsels bedingt und haben ihre Ursachen in der interaktionellen Beziehung zwischen den Gesprächsteilnehmerinnen. Durch diese "Eingriffe" (intrusions) wird der Raum, der einer Person zur Produktion eines Turns zusteht, eingeengt oder ihr ganz genommen. Solches Verhalten gilt als dominant und als Einschränkung der persönlichen Handlungsfreiheit der anderen (West/Zimmerman 1983: 104f.). Wests und Zimmermans Analysen von Unterbrechungen stützen sich auf das von Sacks, Schegloff und Jefferson (1974) entwickelte System des Sprecherinnen wechseis. Als zentrale Prinzipien dieses Systems gelten: - one speaker at a time - speakerchange occurs & recurs (Sacks/Schegloff/Jefferson 1974: 698). In neueren Untersuchungen wurden die Bestimmung der Unterbrechung als dominante Gesprächsverhaltensweise und im Zusammenhang damit auch das Sprecherinnenwechselmodell kritisiert. Insbesondere Edelsky (1984) stellte auf der Basis ihrer Analysen gemischtgeschlechtlicher Gespräche das Prinzip des "one speaker at a time" in Frage. Ihr zufolge liegt diesem Prinzip die Vorstellung zugrunde, daß verschiedene Individuen untereinander um den Turn-Space konkurrieren, der nur einer Sprecherin zusteht. Aus dieser Perspektive könnten kollaborative Produktionen von Redebeiträgen nicht berücksichtigt werden. Zusätzlich zu dem Sprecherinnenwechselmodell von Sacks, Schegloff und Jefferson (1974), demzufolge nur eine Person das Wort haben kann und demzufolge einen Redebeitrag zu äußern das gleiche ist, wie das Wort zu haben, entwickelt sie den Ansatz zu einem zweiten Modell. In diesem Modell kann eine Person einen Redebeitrag machen, ohne das Wort zu haben. Durch kurze sequentielle Angebote kann in simultanen Phasen eine Gesprächsepisode von zwei oder mehr Beteiligten gemeinsam entwickelt werden (Edelsky 1984: 324327). Diese Art der Gesprächsführung ist nicht dadurch charakterisiert, daß sich Beiträge abwechseln und es zum Kampf um das Rederecht kommt. Es sind vielmehr kollaborative Unternehmen, in denen sich die Gesprächsteilnehmerinnen wechselseitig aufzeigen, daß sie sich auf der gleichen Wellenlänge befinden (Edelsky 1984: 325). Edelskys Kritik legt nahe, daß nicht alle Vorkommen von "intrusions" die Funktion von Dominanz haben müssen. Bei einer ersten Durchsicht unserer Transkripte wurde diese Annahme bestätigt. Der von uns ursprünglich anvisierte Mechanismus der Unterbrechung als eines "Eingriffs in den Turn-Space" erwies sich somit als ein Phänomen, das nicht nur im Hinblick auf die Dimension Gesprächsdominanz, sondern auch bezüglich konversationeller Kooperativität relevant wurde. Da uns die Bestimmung dieses Phänomens im Sinne von West und Zimmerman (1983) für unsere Daten zu eng erschien, erweiterten wir sie in folgender Weise: Um eine Wertung zunächst noch offen zu halten, veränderten wir die Definition zu "Eingreifen in die Turnproduktion". Diese Definition kann sowohl dominante Gesprächsverhaltensweisen umfassen, durch die das Rederecht der anderen beschnitten wird, als auch
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kooperative Phänomene, durch die ein komplexer Gesprächsschritt von zwei Sprecherinnen gemeinsam organisiert wird. In beiden Fällen handelt es sich um Turns, die sich über die zeitliche Abfolge des Sprecherinnenwechsels hinwegsetzen. Im Unterschied zu West und Zimmerman (1983) wurde das Phänomen des "Eingreifens in die Turnproduktion" in unserer Untersuchung zum Oberbegriff für eine Systematik, in die zusätzlich zu verschiedenen Formen von Unterbrechungen weitere "Typen des Eingreifens" eingeordnet werden konnten. Wesentliches Kriterium bei der näheren Bestimmung der Typen war die Art der Verknüpfung der von verschiedenen Sprecherinnen produzierten Turns. Es wurden einerseits Indikatoren herausgearbeitet, die anzeigen, daß der eingreifende Tum von B formal und/oder thematisch auf den Turn von A bezogen ist und die Funktion erfüllt, einen komplexen Gesprächsschritt gemeinsam zu organisieren. Andererseits gibt es Indikatoren, die darauf hinweisen, daß der eingreifende Turn von B formal und meist auch thematisch nicht auf den Turn von A bezogen ist und vermutlich den Versuch darstellt, die weitere Gesprächs- bzw. Themenentwicklung einseitig zu bestimmen. Die nach diesem Verfahren erstellte Systematik der Typen des "Eingreifens in die Turnproduktion'' umfaßt zwei große Gruppen: Zum einen die Gruppe der Unterbrechungen, die sich aus den folgenden fünf Typen zusammensetzt: 1. Unterbrechung mit Topic - Change 2. Unterbrechung mit Topic - Shift 3. Unterbrechung mit thematischem Anschluß 4. Unterbrechung vor Topic - Entwicklung 5. Unterbrechung mit Wiederaufnahme der eigenen thematischen Ausrichtung Zum anderen die Gruppe der "Prozeduren der Verständnissicherung "^ zusammen. Beispiele für diese Gruppe sind: - Komplettierungen, wie "Gleiches zur gleichen Zeit sagen" oder Worthilfen - Nachfragen und Bitten um Klärung - Kommentare - modifizierende Äußerungen Zusätzlich zu den Phänomenen des "Eingreifens in die Turnproduktion" beziehen wir die verschiedenen "Bearbeitungsweisen", die simultan zum "Eingreifen" erfolgen bzw. sich diesem unmittelbar anschließen, mit in die Analyse ein. Diese Analyseperspektive ist in der Forschung bisher noch wenig diskutiert und in Arbeiten zu Unterbrechungen empirisch kaum umgesetzt worden . Um dem interaktionistischen und prozeßhaften Charakter des Gesprächs gerecht zu werden, scheint sie uns unerläßlich. Mit dieser Vorgehensweise wird das Gesprächsverhalten der Beteiligten nicht je individuell, sondern immer im Kontext der Interaktion mit der Gesprächspartnerin gesehen. Gleichzeitig ist es auf diese Weise möglich, den Interpretationen, die sich die Beteiligten wechselseitig von ihren Gesprächsbeiträgen aufzeigen, näher zu kommen. Insgesamt ist es das Ziel dieser Analyse, über eine Untersuchung der "Typen des Eingreifens" sowie über einen Vergleich der jeweiligen "Bearbeitungsweisen" verschiedener "Typen des Eingreifens" die Methoden oder Strategien aufzuzeigen, mit denen von den Gesprächsteilnehmerinnen das konversationeile Recht auf "turn-space" beansprucht, verteidigt oder ganz aufgegeben wird.
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Wir hoffen, daß diese Analyse es uns gleichzeitig ermöglichen wird, ein eindeutigeres Konzept konversationeller Strategien wie Dominanz, Durchsetzungsfähigkeit und Kooperativität herauszuarbeiten und so zu einem besseren Verständnis der linguistischen Art des "doing gender" (West/Zimmerman 1987) beizutragen.
4. Quantitative Analyse Bisher wurden von uns in einer Teilstudie acht Gespräche unter der Hauptfragestellung unserer Untersuchung, dem Vergleich zweier Altersgruppen von Frauen, quantitativ ausgewertet. Bei der folgenden Auswertung der "Typen des Eingreifens" stellen wir in unserem Beitrag aus Gründen der Übersichtlichkeit die Gruppe der "Prozeduren der Verständnissicherung" in ihrer Gesamtheit dar. Die Gruppe der Unterbrechungen wird von uns exemplarisch an einem eher kooperativen und an einem dominanten Typ diskutiert. "Prozeduren der Verständnissicherung" werden von uns als kooperative Verfahren angesehen. Es handelt sich hierbei in der Regel um Äußerungsfragmente, die sich an dem syntaktischen und semantischen Format des unit-types der aktuellen Sprecherin orientieren. Sie dienen dazu, die wechselseitige Verständigung der Gesprächspartnerinnen sicherzustellen. Ein solcher Eingriff in die Turnproduktion wird von der aktuellen Sprecherin oft mit einem Kommentar wie genau, richtig oder einer Minimal Response ratifiziert. Von den einzelnen Unterbrechungstypen, die die Frauen verwenden, weist der Unterbrechungstyp "Unterbrechung mit thematischem Anschluß" die höchsten Häufigkeitswerte auf. "Unterbrechungen mit thematischem Anschluß" werden von uns als eher kooperative Verfahren angesehen, die die gemeinsame Themenentwicklung unterstützen. In den meisten Fällen reagiert die aktuelle Sprecherin auf diese Art der Unterbrechung so, daß sie ihren turn ohne Störung zu Ende führt und auf den Eingriff mit einer positiven Bestätigung durch eine Minimal Response oder einen Kommentarschritt Bezug nimmt. Nach den "Unterbrechungen mit thematischem Anschluß" bilden die "Unterbrechungen vor Topic-Entwicklung" die zweitgrößte Gruppe von allen von Frauen verwendeten Unterbrechungstypen. Dieser Unterbrechungstyp wird von uns als ein dominantes Verfahren betrachtet, weil er der aktuellen Sprecherin, schon bevor diese überhaupt ein Thema entwikkeln kann, das Rederecht beschneidet. Bei seinem Auftreten reagiert die aktuelle Sprecherin in den meisten Fällen mit einem sofortigen Abbruch ihres turns und gibt das Rederecht an die Unterbrechende ab.
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4.1. Ältere und jüngere Frauen in gleichgeschlechtlichen Gesprächen
Ältere Frauen
Jüngere Frauen
Prozeduren der Verständnissicherung
36%
33%
Unterbrechung mit themat. Anschluß
23%
33%
Unterbrechung vor TopicEntwicklung
11%
26%
In den gleichgeschlechtlichen Gesprächen werden die "Prozeduren der Verständnissicherung" von den älteren Frauen mit 36% etwas häufiger eingesetzt als von den jüngeren Frauen mit 33%. Der eher kooperative Unterbrechungstyp "Unterbrechung mit thematischem Anschluß" wird von den älteren Frauen mit 23% weniger häufig verwendet als von den jüngeren Frauen mit 33%. Bei dem Unterbrechungstyp "Unterbrechung vor Topic-Entwicklung" greifen jedoch die jüngeren Frauen mit 26% wesentlich häufiger auf dieses dominante Verfahren zurück als die älteren Frauen mit 11%. Insgesamt zeigt sich nach den bisherigen Ergebnissen für einen Teil der gleichgeschlechtlichen Gespräche unseres Korpus, daß sowohl kooperative wie auch dominante Verfahren von den jüngeren Frauen häufiger eingesetzt werden als von den älteren Frauen. Diese Ergebnisse lassen noch keine eindeutige Interpretation im Hinblick auf eine größere Kooperativität oder Dominanz der jüngeren Frauen in gleichgeschlechtlichen Gesprächen zu.
4.2. Ältere und jüngere Frauen in gemischtgeschlechtlichen Gesprächen "
Altere Frauen
f\
Jüngere Frauen
Prozeduren der VerständnisSicherung
24%
25%
Unterbrechung mit themat. Anschluß
18%
35%
Unterbrechung vor TopicEntwicklung
34%
10%
In den gemischtgeschlechtlichen Gesprächen liegt der Anteil der "Prozeduren der Verständnissicherung" an den "Typen des Eingreifens" insgesamt für die Frauen beider Generationen fast gleich hoch (jüngere Frauen 25%, ältere Frauen 24%).
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Der eher kooperative Typ "Unterbrechung mit thematischem Anschluß" hingegen tritt bei den jüngeren Frauen mit 35% häufiger auf als bei den älteren Frauen mit 18%. Der dominante Typ "Unterbrechung vor Topic-Entwicklung" wird in den gemischtgeschlechtlichen Gesprächen von den älteren Frauen mit 34% häufiger verwendet als von den jüngeren Frauen mit 10%. Dies deutet auf ein tendenziell dominanteres Verhalten der älteren Frauen hin. Es zeigt, daß die älteren Frauen häufig versuchen, den Gesprächsverlauf gegen den männlichen Gesprächspartner in ihrem Sinn zu bestimmen. Ob sie damit durchsetzungsfähiger sind als die jüngeren Frauen, läßt sich aufgrund dieses einzelnen Gesprächsmechanismus noch nicht sagen. Fest steht, daß dieser Unterbrechungstyp in den meisten Fällen zum Sprecherinnenwechsel führt und sich ein Zusammenhang zwischen der in den gemischtgeschlechtlichen Gesprächen asymmetrisch verteilten Redemenge zugunsten der älteren Frauen und dem Einsatz dieses dominanten Verfahrens herstellen läßt.
5. Schluß Unsere Auswertung der Gespräche zeigt bisher folgende Gemeinsamkeit zwischen den beiden Generationen von Frauen: In den gleichgeschlechtlichen Gesprächen liegt der Anteil der kooperativen "Prozeduren der Verständnissicherung" für beide Altersgruppen zwischen 33% und 36% und damit höher als in gemischtgeschlechtlichen Gesprächen, wo der Anteil der Prozeduren sich zwischen 24% - 25% bewegt. Beide Altersgruppen verhalten sich insgesamt in gleichgeschlechtlichen Gesprächen kooperativer als in gemischtgeschlechtlicher Konstellation, womit die Ergebnisse anderer einschlägiger Untersuchungen gestützt werden. Bei dem Betrachten der Unterschiede zwischen den beiden Generationen wurden in gleichgeschlechtlicher Konstellation bei den jüngeren Frauen zwei Tendenzen deutlich. Sowohl kooperative als auch dominante Verfahren werden von ihnen häufiger im Gespräch eingesetzt, als dies bei den älteren Frauen zu finden ist. Unsere These einer größeren Kooperativität der jüngeren Frauen in gleichgeschlechtlicher Konstellation wird also zunächst nicht eindeutig gestützt. In gemischtgeschlechtlichen Gesprächen scheinen die älteren Frauen aufgrund der bisherigen Resultate durch ihren größeren Anteil an dominanten Verfahren tendenziell durchsetzungsfähiger als die jüngeren Frauen. Aus diesen Ergebnissen wird deutlich, daß sich bei den Unterschieden im Gesprächsverhalten zwischen den beiden Generationen der Einfluß der Frauenbewegung bisher nicht in der Weise zeigt, wie wir dies erwartet haben. Wir vermuten, daß neben der Sozialisation unter bestimmten sozio-historischen Bedingungen berücksichtigt werden muß, daß die Frauen der beiden Generationen einen unterschiedlichen Grad an Lebenserfahrung aufweisen und sich in verschiedenen Lebensphasen befinden. Da die Generation der älteren Frauen sich während des Krieges und auch danach häufig ohne die Männer allein behaupten mußte, hat dies zu einer Selbstständigkeit und Erfahrung geführt, die bei der jüngeren Generation so noch nicht vorhanden ist.
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Auch wenn unsere ursprünglichen Thesen über das Gesprächsverhalten jüngerer und älterer Berlinerinnen durch unsere Ergebnisse bisher nicht in der Weise gestützt werden, wie wir dies erwartet haben, so sind wir dennoch einen wichtigen Schritt weitergekommen. Unsere Ergebnisse zeigen eindeutig, daß für eine genaue Bestimmung von Dominanz und Kooperativität im Gespräch eine stärkere Differenzierung der Kategorie "Unterbrechung" notwendig ist, um kooperative Verfahren wie die Prozeduren der Verständnissicherung und eher kooperative Unterbrechungstypen von eher dominanten Unterbrechungstypen zu unterscheiden. Gleichzeitig stellt die Analyse von Unterbrechungen nur einen Teil der Erarbeitung von Konzeptionen zu konversationeller Dominanz und Kooperativität dar. Weitere konversationeile Verfahren sowie die zugrundeliegenden kommunikationstheoretischen Modelle müssen in die Diskussion miteinbezogen werden. Darüber hinaus erweist sich die Variable "Alter" als ein wichtiger Faktor für die Analyse des Gesprächsverhaltens von Frauen, und zwar sowohl bei dem Einsatz dominanter wie kooperativer Verfahren in gleich- und gemischtgeschlechtlichen Gesprächen. Da in den bisherigen Forschungsarbeiten hauptsächlich jüngere Frauen untersucht und aus diesen Resultaten Schlußfolgerungen für die Gruppe "Frauen" allgemein abgeleitet wurden, wäre eine stärkere Differenzierung der Gruppe "Frauen" für die geschlechtsbezogene Forschung wichtig.
Anmerkungen 1 Das Gesprächsthema lautet: "Sollten die Ladenöffhungszeiten allgemein verlängert und die derzeit geltenden Ladenschlußgesetze geändert werden?" Jedes Gespräch dauerte eine halbe Stunde und wurde in unserem Büro geführt. 2 Die Benennungen der Typen der Prozeduren der Verständnissicherung wurden teilweise der Arbeit von Schmidt (1988) entnommen. Allerdings wurden die Typen von uns weitgehend neu definiert und in eine andere Systematik gebracht. 3 Eine Ausnahme bildet Wests Dissertation zu Unterbrechungen von 1978. Allerdings wird auch in Wests späteren Arbeiten dieser wichtige Analyseschritt wieder vernachlässigt. 4 Im Verhältnis zu allen "Typen des Eingreifens", die von den älteren Frauen in gleichgeschlechtlichen Gesprächen eingesetzt werden. 5 Im Verhältnis zu allen "Typen des Eingreifens", die von den jüngeren Frauen in gleichgeschlechtlichen Gesprächen eingesetzt werden. 6 Im Verhältnis zu allen "Typen des Eingreifens", die von den älteren Frauen in gemischtgeschlechtlichen Gesprächen eingesetzt werden. 7 Im Verhältnis zu allen "Typen des Eingreifens", die von den jüngeren Frauen in gemischtgeschlechtlichen Gesprächen eingesetzt werden.
Literatur Edelsky, Carole (1984): "Zwei unterschiedliche Weisen, das Wort zu haben". - In: Trömel-Plötz, Senta (Hrsg.): Gewalt durch Sprache (Frankfurt am Main.: Fischer) 323-332. Sacks, Harvey/Schegloff, Emmanuel A./Jefferson, Gail (1974): "A simplest systematics for the organization of turn-taking for conversation". - In: Language 50, 696-735. Schmidt, Claudia (1988): Typisch weiblich - typisch männlich. Geschlechtstypisches Kommunikationsverhalten in studentischen Kleingruppen. - Tübingen: Niemeyer.
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West, Candace (1978): Communicating gender. A study in dominance and control in conversation. - Santa Barbara (Diss.). - /Zimmerman, Don H. (1983): "Small insults: A study of interruptions in cross-sex conversations between unaquainted persons". - In: Thome, Barrie/Kramarae, Cheris/Henley, Nancy M. (eds.): Language, gender and society (Rowley: Newbury House) 102-117. - /Zimmerman, Don H. (1987): "Doing gender". - In: Gender and Society 1, 125-151. Zimmerman, Don H./West, Candace (1975): "Sex roles, interruptions and silences in conversations". - In: Thome, Barrie/Henley, Nancy M. (eds.): Language and sex: difference and dominance (Rowley: Newbury House) 105-129.
"ACH KINDCHEN, DAVON VERSTEHEN SIE NICHTS!" Über den sexistischen Gebrauch deutscher Diminutivformen Iris Schneider / Klaus P. Schneider Dieser Beitrag entstammt dem Bereich der Diminutivforschung. Wir wollen uns dabei mit einer Verwendung von Diminutiven in der heutigen deutschen Hochsprache beschäftigen, die wir als sexistisch charakterisieren wollen. Systematische Aspekte wie zum Beispiel die Morphonologie der Diminutivbildung oder Derivationsbeschränkungen, die sonst auf diesem Gebiet untersucht wurden, sollen hier ausgeklammert werden.
1. Sexismus Obgleich der Begriff "Sexismus" hinlänglich bekannt sein sollte, möchten wir zur Erläuterung unseres Verständnisses die grundsätzlichen Sachverhalte in Erinnerung rufen. Der Begriff "Sexismus" bezeichnet die Herstellung einer Ungleichheit, wo eigentlich Gleichheit herrscht. Es handelt sich dabei um das Herbeiführen einer Hierarchie, eines Machtverhältnisses allein aufgrund biologischer Tatsachen, nämlich aufgrund des Geschlechtes. Das heißt, Sexismus bezeichnet die Benachteiligung von Personen einzig wegen einer Eigenschaft, für die diese Personen nicht verantwortlich sind. Damit ist der Sexismus dem Rassismus vergleichbar, bei dem ebenfalls nichts weiter als ein biologisches Faktum über die Benachteiligung bestimmter Personen entscheidet. Ein solches Verhalten gilt eigentlich in unserer Gesellschaft prinzipiell als verwerflich, es stellt ein ethisches und moralisches Tabu dar, vom Grundgesetz ist es verboten. Statt dessen soll die Beurteilung von Personen allein auf ihren Taten beruhen, also von dem, was wirklich vom Individuum verantwortet wird. Tatsächlich aber ist die allgemeine Gültigkeit dieses "Leistungsprinzips" lediglich ein Postulat. Es gilt dieses Prinzip nur für Männer; Frauen werden nach wie vor, ungeachtet ihrer individuellen Fähigkeiten, pauschal aufgrund ihres Geschlechts beurteilt und benachteiligt. Die Hierarchie, von der hier die Rede ist, wird (oder wurde) von Männern errichtet und aufrecht erhalten - zu ihren Gunsten und damit auf Kosten der Frauen. Diese Feststellung läßt sich dadurch beweisen, daß eine Umkehrung des Machtverhältnisses im konkreten Fall nicht möglich ist. So, wie sich Männer Frauen gegenüber verhalten, können oder dürfen Frauen sich umgekehrt Männern gegenüber nicht verhalten. Dies gilt selbstverständlich auch für den sprachlichen Sexismus, wie wir für den Gebrauch der Diminutivformen noch zeigen werden. Das von Männern etablierte Machtverhältnis äußert sich sozusagen in Worten und Werken. Es tritt also nicht nur physisch, strukturell in Erscheinung, sondern auch sprachlich. Eines der bekanntesten Phänomene, das die Feministische Linguistik untersucht hat, sind die Berufsbezeichnungen. Während die maskulinen Formen zur Bezeichnung des Berufs nicht nur geschlechtsspezifische Bedeutung haben, sondern auch als generische Begriffe gebraucht werden können - sie stellen damit gewissermaßen geschlechtslose Archilexeme dar , sind die entsprechenden femininen Formen auf die sexusspezifische Bedeutung beschränkt;
170 in der Regel handelt es sich um morphologisch markierte Sonderfalle (vgl. etwa TrömmelPlötz 1982: 95f.).
2. Die These Trömel-Plötz, eine der Wortführerinnen der Feministischen Linguistik, hat in ihrem Aufsatz "Weiblicher Stil - männlicher Stil" das sprachliche Verhalten von Männern pauschal folgendermaßen charakterisiert (Trömel-Plötz 1984a: 358): Sie [die Männer] wählen aus dem sprachlichen Repertoire die Mechanismen aus, die ihnen mehr Macht und Autorität zugestehen, mit denen sie sich selbst positiv und vergrößert darstellen können und mit denen sie ihre Herrschaft über andere herstellen.
In demselben Aufsatz wie auch in den anderen Beiträgen des Sammelbandes, in dem der Aufsatz erschienen ist (Trömel-Plötz 1984b), wird eine Reihe solcher sprachlichen Mechanismen identifiziert und analysiert, so zum Beispiel Unterbrechungsverhalten, Vergabe des Rederechts, Themenkontrolle, Verwendung bestimmter Illokutionen (u.a. Vorwürfe). Wir wollen nun zeigen, daß der Gebrauch von Diminutivformen ebenfalls zu diesen sprachlichen Mitteln gehört. Man(n) kann sich selbst positiv und vergrößert darstellen, indem man andere negativ und verkleinert darstellt. Darauf weisen beispielsweise Redewendungen und Metaphern hin wie jemanden kleinmachen, auf jemanden hinabschauen, herablassend sein. Ein weiteres sprachliches Mittel mit derselben Funktion ist der Gebrauch der Diminutivformen. Diminutive (zu deutsch "Verkleinerungsformen") werden häufig mit Bezug auf Kinder benutzt, also für Menschen, die noch klein, jung, unreif, unerfahren sind, deren Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Männer machen Frauen klein, indem sie sie durch den Gebrauch von Diminutivformen in der Anrede wie auch im Reden über Frauen auf die Stufe von Kindern stellen. Bevor diese These ausgeführt und erläutert wird, sollen die angesprochenen sprachlichen Erscheinungen durch Beispiele belegt werden.
3. Beispiele für Diminutivformen in sexistischer Verwendung 3.1. Diminutive in referentieller Funktion In den letzten zwei bis drei Jahren schaltete eine bundesdeutsche Sitz- und Liegemöbelfirma in verschiedenen Zeitschriften eine großformatige Anzeige, in der sie für ihr Produkt "Lattoflex-Bettsystem" (Lattenrost und Matratze) warb. Von der Anzeige, die zu einer Hälfte aus einer Schwarz-Weiß-Fotografie, zur anderen Halte aus einem Textteil mit Zeichnungen bestand, existierten zwei Varianten. Einmal zeigte das Foto einen nicht mehr ganz jungen Mann im Anzug, der einen Fußball trat, einmal war eine jüngere Frau im Sommerkleid auf einer Schaukel zu sehen. In beiden Fällen waren die Fotos beschriftet: Mit vier bzw. fünf Slogans wurde auf die positiven Auswirkungen des Bettsystems auf bestimmte Körperpartien seiner Benutzer hingewiesen; die Slogans waren an den entsprechenden Stellen angebracht. Auf dem Männerfoto fanden sich die folgenden Slogans:
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- Gelöste Nackenmuskulatur - Pfiffig-ausgeschlafener Blick - Entspannte Wirbelsäule - Gut durchblutete Oberschenkel - Ausgeruhter, treffsicherer Fuß
Die Slogans auf dem Foto der weiblichen Variante lauteten hingegen: - Ausgeruhtes Köpfchen - Nackenmuskeln unverkrampft - Wirbelsäule gut erholt - Schwung wie mit Zwölf
Besonders bemerkenswert ist der Gebrauch des Diminutivums Köpfchen bezogen auf eine erwachsene Frau. Dazu gibt es keine Parallele auf dem Foto des Mannes. Dies ist ein Musterbeispiel für den sexistischen Gebrauch von Diminutiva, für die Herabsetzung von Frauen durch die Verwendung von Diminutivformen in referentieller Funktion. Nun könnte man argumentieren, Ausgeruhtes Köpfchen sei positiv zu verstehen, nämlich wie in der Wendung Köpfchen, Köpfchen. Als Parallele hierzu ließe sich die Zeile Pfiffigausgeschlafener Blick auf dem "Mannsbild" anführen. Diese wohlmeinende Interpretation ist jedoch aus drei Gründen ausgeschlossen: - Köpfchen, Köpfchen (oder auch nur Köpfchen) hat idiomatischen Status; es kann also nicht einfach um ein Attribut erweitert werden. Darüber hinaus kommt ausgeruht ohnehin nicht als Modifikator in Betracht, da es sich nur mit Kopf bzw. Köpfchen im konkreten Sinn kombinieren läßt. Köpfchen, Köpfchen hat jedoch figurative Bedeutung. - Die Diminutivform steht im Einklang mit den übrigen Charakterisierungen, die z.T. ebenfalls pejorativ sind. So suggeriert Nackenmuskeln unverkrampft im "Weibsbild" das unpräfigierte verkrampft als das sonst Erwartbare, während die entsprechende Textstelle im "Mannsbild", Gelöste Nackenmuskulatur, keine solche Implikation hat (vgl. Lyons 177). Daneben drückt der Vergleich (als Vorstufe der Metaphorisierung) Schwung wie mit Zwölf indirekt eine Infantilisierung aus, die auch beim Gebrauch der Diminutivform mitschwingt. Das zeigt sich auch in den Tätigkeiten, bei denen der Mann bzw. die Frau abgebildet sind: Während er Fußball spielt, steht sie auf einer Schaukel. Fußball, "die wichtigste Nebensache der Welt", ist ein Erwachsenen-, vornehmlich ein Männersport; Schaukeln wie die abgelichtete dagegen sind ausschließlich für Kinder vorgesehen. - Schließlich, und das ist der stichhaltigste Beweis, blieb der Text auf dem Foto des Mannes stets unverändert, wohingegen die weibliche Variante von 1988 im Jahre 1989 an einer Stelle korrigiert wurde: Die Diminutivform verschwand, Ausgeruhtes Köpfchen wurde ersetzt durch Wacher Kopf. Gestützt wird die Beschreibung dieses Diminutivgebrauchs durch Beobachtungen aus einem anderen Bereich. Märchen - die Bezeichnung selbst ist schon eine lexikalisierte Diminutivform - gelten als eine Textsorte, in der typischerweise (nichtlexikalisierte) Diminutiva häufig Verwendung finden. So schreibt Wellmann (1975: 133), daß die Frequenz von Diminutivformen "stark gattungsbedingt" sei, sie sinke "von Märchen und Ballade über die Erzählung und den Roman hin zur Dramatik und Lyrik". Dies ist zwar grundsätzlich richtig, es muß jedoch differenziert werden. In der Sammlung der Brüder Grimm gibt es eine Vielzahl von Märchen, in denen keine einzige oder nur sehr selten eine Diminutivform be-
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nutzt wird. Diejenigen Märchen, die über eine hohe Diminutivfrequenz verfügen, weisen eine ähnliche Inhaltsstruktur auf wie diminutivarme Märchen. Ein Unterschied besteht lediglich im Hinblick auf das Geschlecht der Protagonisten. Während Märchen, in denen junge Männer Abenteuer bestehen, ausgesprochen wenige oder gar keine Diminutiva enthalten, haben Märchen mit hoher Diminutivfrequenz weibliche Helden. Als Beispiele wären zu nennen "Aschenputtel", "Brüderchen und Schwesterchen", "Die Sieben Raben" und "Sneewittchen". Ist also die zentrale Figur ein Mädchen oder eine junge Frau, werden Diminutiva besonders häufig verwendet. Damit entsteht ein bestimmtes Frauenbild des Erzählers/Autors: Das Bestehen von Abenteuern scheint nicht vereinbar mit der Rolle der Frau, und deshalb werden Abenteuergeschichten mit Heldinnen durch Diminutivformen abgeschwächt nach dem Muster: kleinere Helden vollbringen kleinere Taten, und damit erscheinen die Abenteuer weniger wichtig. In diesem Zusammenhang wäre interessant zu überprüfen, ob in den genannten und ähnlichen Märchen (handelt es sich doch um traditionelle Volksmärchen) schon immer Diminutive benutzt wurden, oder ob diese erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts verwendet wurden, als das Bestehen von Abenteuern als nicht mehr mit dem sich neu herausbildenden Frauenideal vereinbar angesehen wurde. 3.2. Diminutivformen als direkte Anrede Ein Beispiel für die Verwendung von Diminutiven in Anredefunktion ist im Titel dieses Beitrages enthalten: "Ach Kindchen, davon verstehen Sie nichts!" Dieses Beispiel gehört in den Bereich der gesprochenen Sprache; es handelt sich dabei um einen Gesprächsschritt ("turn") aus einem Dialog. Auch ohne Kenntnis des übrigen Gesprächs oder der konkreten Interaktionssituation dürfte es kompetenten Sprechern des Deutschen aufgrund ihres sprachlichen Wissens und ihrer Kommunikationserfahrung nicht schwerfallen, das jeweilige Geschlecht der Kommunikanten zu bestimmen. Der Sprecher der zitierten Äußerung ist ein Mann, angesprochen wird eine Frau. Der Inhalt der gesamten Äußerung offenbart ein herablassendes bis diffamierendes Verhältnis des Sprechers gegenüber der angesprochenen Person, das eigentlich sexistische ist jedoch die Anrede. Die Form Kindchen ist sexistisch wegen ihrer Referenzfähigkeit; die Gegenprobe beweist es. Mit Kindchen kann niemals ein Mann angeredet werden, weder von einer Frau, noch von einem anderen Mann. Eine solche Anrede verstieße gegen die Gebrauchsnormen und wäre im heutigen Hochdeutsch nicht akzeptabel. Unter Erwachsenen kann sich die Anrede Kindchen nur auf eine Frau beziehen. So ist auch hier eine Assymmetrie zugunsten der Männer zu beobachten, wie sie charakteristisch für den sprachlichen Sexismus ist. Die direkte Anrede ist eines der Phänomene, die in Untersuchungen zu Männer- und Frauensprache analysiert wurden vgl. Hummel 1984: 272ff). Lauper und Lotz (1984) wählten als Haupttitel für ihren Beitrag zum bereits erwähnten Sammelband "Gewalt durch Sprache - Zur Vergewaltigung von Frauen in Gesprächen" (Trömel-Plötz 1984b) ein Zitat aus der von ihnen untersuchten Fernsehdiskussion "Von der Küche in die Kaserne: Frauen in die Bundeswehr?" Das Zitat lautet: "Also wir müssen jetzt aufpassen, liebe Frau Struck". Diese Äußerung stammt von dem SPD-Politiker Hans Apel, zum damaligen Zeitpunkt noch Bundesverteidigungsminister, der mit der Schriftstellerin Karin Struck über das Thema der Sendung diskutierte.
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In ihrem Aufsatz kommentieren die Autorinnen Apels Äußerung wie folgt (Lauper/Lotz 1984: 256): Richtet sich Apel namentlich an Struck, ist dies meist auf abwertende Art der Fall, so wenn er sie wiederholt mit "liebe Frau Struck" anredet, was erneut an das Reden mit einem uneinsichtigen Kind erinnert.
Zuvor hatten die Autorinnen Apels Redeverhalten gegenüber Struck als "väterlich belehrend" charakterisiert (Lauper/Lotz 1984: 255). Ein solches Verhalten des männlichen Interaktanten gegenüber seinem weiblichen Gesprächspartner tritt in dem oben angeführten Beleg in der Anrede Kindchen explizit zutage. Durch die übertragene Verwendung des Basislexems Kind zur Bezeichnung einer Frau wird die Angesprochene als - aus biologischer und/oder psychologischer Sicht - "unfertig", unreif bzw. - aus juristischer Sicht - unmündig dargestellt. Um diese Bewertung im Gespräch ungeahndet äußern zu können, um einer Zurückweisung oder möglichen Kritik vorzubeugen, wird das Lexem Kind diminuiert . Somit ist die Anrede, zumindest oberflächlich betrachtet, eine Zärtlichkeitsform. Diese Diminutivform hat diesselbe gesprächsstrategische Funktion wie die von Apel gewählte Anrede liebe Frau Struck, die in ihrer wörtlichen Bedeutung ebenfalls eine positive Einschätzung des Gegenübers suggeriert, tatsächlich aber das Gegenteil ausdrücken soll.
4. Systematische Aspekte des Diminutivs Die im vorigen Abschnitt diskutierten Beispiele mögen ausreichen, um den sexistischen Gebrauch deutscher Diminutivformen zu veranschaulichen. Obwohl sie aus den verschiedensten sprachlichen Bereichen stammen, lassen sie doch alle dasselbe Muster erkennen. Ob als Anrede oder in referentieller Funktion, stets werden Diminutivformen von Männern mit Bezug auf Frauen in der Weise pejorativ verwandt, daß die Referentinnen mit Kindern gleichgesetzt werden. Frauen werden damit infantilisiert, verkleinert, wodurch die männlichen Benutzer der Diminutive sich selbst zugleich positiv und vergrößert darstellen wollen. Im folgenden soll nun gezeigt werden, wie Semantik und Grammatik des Diminutivs den sexistischen Gebrauch ermöglichen (vgl. auch Schneider (im Druck)). Diminutive drücken eine Verkleinerung des durch das Basislexem bezeichneten Referenten aus. Genauer gesagt wird mit einer Diminutivform Bezug genommen auf ein Exemplar einer Klasse, das vom Sprecher als kleiner empfunden oder dargestellt wird als typische Vertreter der betreffenden Klasse, die mit dem undiminuierten Lexem bezeichnet werden. Diminutive drücken jedoch in den seltensten Fällen nur eine Verkleinerung aus, gewöhnlich, gelegentiich auch ausschließlich, umfaßt die Bedeutung eine emotionale Variable, die vom Sprecher mit ganz verschiedenen, positiven wie negativen, Affekten besetzt werden kann. Die semantische Ambivalenz von Diminutivformen ist vor allem in gesprächsstrategischer Hinsicht bedeutsam, wenn sie nicht prototypischerweise z.B. auf Kinder und ihre Sphäre, sondern auf Frauen bezogen werden. Wann immer die intendierte pejorative Bedeutung als Verletzung der Regeln der Höflichkeit und des Respekts kritisiert wird, kann man sich auf die positive Lesart der wörtlichen Oberfläche zurückziehen.
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Ermöglicht wird der sexistische Gebrauch von Diminutiven nicht nur durch die Semantik dieser Formen. Er wird auch begünstigt durch eine grammatische Eigenschaft. Bekanntlich vererben die deutschen Diminutivsuffixe das neutrale Genus. Das heißt, daß ungeachtet des grammatischen Geschlechts des Basislexems das Derivat durch die Diminuierung zum Neutrum wird. Das Ausgangswort kann also maskulin, feminin oder neutral sein, das dazugehörige Diminutivum ist stets und ohne Ausnahme sächlich. Dieses Merkmal des Diminutivs ist interessant im Hinblick auf den Zusammenhang von natürlichem Geschlecht und grammatischem Genus. Aus Platzgründen kann jedoch diesem Sachverhalt, wie auch anderen, in diesem Abschnitt angesprochenen Phänomenen in dem vorliegenden Beitrag nicht nachgegangen werden. Wir werden uns an anderer Stelle damit auseinandersetzen.
5. Zusammenfassung Die wichtigsten Ergebnisse dieser Untersuchung sollen abschließend diagrammatisch zusammengefaßt werden. Bedeutung Funktion Anrede Referenz
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nicht-metaphorisch
metaphorisch
positiv positiv
pos./neg. negativ
i
Diminutivformen mit nicht metaphorischer Bedeutung sind sowohl als Anrede (z.B. Söhnchen) als auch in referentieller Funktion (z.B. Höschen bezogen auf ein Kleidungsstück für Kinder) in der Regel Hypochoristika. Dagegen sind Diminutiva mit metaphorischer (oder prä-metaphorischer) Bedeutung (wie Köpfchen bezogen auf eine Frau) pejorativ. Metaphorische Anredeformen (z.B. Häschen, Kindchen bezogen auf Erwachsene) sind ambivalent, und diese Ambivalenz ist gesprächstrategisch relevant.
Literatur Hummel, Cornelia (1984): "Sie haben jetzt ja lange geredet, Frau Lieberherr". Entschuldigungen, Vorwürfe, Bitten und direkte Anreden in Fersehdiskussionen. - In: Trömel-Plötz (1984b) 258-287. Lauper, Heidi / Lotz, Constance (1984): "Also wir müssen jetzt aufpassen, liebe Frau Struck". Untersuchung einer Femsehdiskussion zwischen Karin Struck und Hans Apel. - In: Trömel-Plötz (Hrsg.) (1984b) 246-257. Lyons, John (1977): Semantics. - Cambridge: Cambridge University Press. Schneider, Klaus P. (im Druck): "Affektive Lexik. Kognitive, semantische und morphologische Aspekte". In: Klein, Eberhard (Hrsg.): Betriebslinguistik und Linguistikbetrieb I, II. Akten des 24. Linguistischen Kolloquiums, Bremen 1989. Trömel-Plötz, Senta (1982): Frauensprache. Sprache der Veränderung. - Frankfurt am Main: Fischer. (= Frau in der Gesellschaft). - (1984a): Weiblicher Stil - männlicher Stil. - In: Trömel-Plötz (1984b) 354-394. - (Hrsg.) (1984b): Gewalt durch Sprache. Die Vergewaltigung von Frauen in Gesprächen. - Frankfurt am Main: Fischer. (= Frau in der Gesellschaft). Weltmann, Hans (1975): Deutsche Wortbildung. 2.Hauptteil: Das Substantiv. - Düsseldorf.
3. SPRACHE - KÖRPER - PSYCHE
HEILENDE WIRKUNGEN VON SPRACHE Fritz Pasierbsky
1. Sprache - Psyche - Körper als Heilungsweg Platon gibt uns in seinem Dialog "Charmides" ein Beispiel dafür, daß die Entfaltung der Heilkräfte von Medikamenten erst bei einer ganzheitlichen Behandlung des Menschen gewährleistet ist. Und dazu gehört auch das therapeutische Mittel Sprache. Der Jüngling Charmides klagt über Kopfschmerzen. Sokrates, der seine medizinischen Kenntnisse bei thrakischen Ärzten erworben hat, will ihm eine Kräuterarznei gegen die Kopfschmerzen verschreiben, sagt aber, dieses Mittel wirke nur, wenn zusammen mit dem Symptom das Ganze des Menschen (to holon) behandelt würde, die Behandlung müsse nämlich erstens den ganzen Körper - und nicht nur den symptom tragenden Körperteil - einbeziehen, sie müsse zweitens auch eine "Psycho-Therapie" im eigentlichen Sinne dieses Wortes sein, da die Therapie sich auf die Seele des Menschen (psycho) zu beziehen hat, und die Behandlung müsse drittens durch die Sprache gefördert werden. Sokrates: "... als er (Charmides) mich fragte, ob ich das Mittel wider den Kopfschmerz wüßte, brachte ich, wiewohl mit Mühe und Not, die Antwort heraus, ich wüßte es. Was, fragte er, ist es denn? Ich sagte darauf, es wäre eigentlich ein Blatt, aber es gehörte noch ein Spruch zu dem Mittel, wenn man den zugleich spräche, indem man es gebrauchte, machte das Mittel ganz und gar gesund, ohne den Spruch aber wäre das Blatt zu nichts nutz." (Otto 1957: 131)
In einer ganzheitlichen Therapie, die mit dem ganzen Körper und mit der Seele des Menschen arbeitet, hat also die Sprache die Wirkung einer Initialzündung: Epödai (wörtlich: Weihegesänge, Zaubersprüche, Besprechungen) und Logoi kaloi (schöne Reden) lassen, wie Sokrates dann in diesem Dialog ausführt, in der Seele Söphrosyne (Besonnenheit) entstehen: Sokrates: "... und wenn diese (Besonnenheit) entstanden und da wäre, würde es leicht, Gesundheit auch dem Kopf und dem übrigen Körper zu verschaffen." (Otto 1957: 131)
Sokrates zeigt hier nun einen Weg auf, den Heilwirkungen nehmen: Von der Sprache über die Psyche zum Körper. Ich will nun die mehr philosophische Frage, welche Rolle dabei die Söphrosyne (Besonnenheit) spielt, zurückstellen und darauf eingehen, was sich aus heutiger Sicht bei diesem Heilungsweg Sprache - Psyche - Körper besonders über die Rolle der Sprache sagen läßt. Bei der Auswertung des Sprachmaterials, das ich aus den Veröffentlichungen verschiedener Psychotherapien (Autogenes Training, Bioenergetik, Hypnosetherapie, chinesisches Tao-Yoga usw.) sowie aus eigenen Beobachtungen während meiner Teilnahme an verschiedenen therapeutischen Seminaren, Workshops und Fortbildungen gewinnen konnte, läßt sich dieser Weg unter folgenden zwei Gesichtspunkten bislang am konkretesten belegen: als ein in der Zeit ablaufender Prozeß der Übertragung und Umformung von Informationen sowie als eine synchronistische Energiekonstellation. Bei dem Weg Sprache - Psy-
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ehe - Körper will ich genauer unterscheiden zwischen Sprache - Vorstellungen - Emotionen - Körperenergien - Körperorganen. Die bisherige Erklärung als Informationsübertragung und -Umwandlung hat bislang deutlicher das A u f e i n a n d e r - E i n w i r k e n von Sprache, Vorstellungen und Körperorganen berücksichtigt. Ich will im folgenden als Beispiel das Autogene Training anführen. Die energetische Erklärung dagegen hebt deutlicher das Z u s a m m e n w i r k e n von Sprache, Emotionen und Körperenergien hervor. Ich will hierzu kurz auf ein therapeutisches Verfahren eingehen, das sich auf Erfahrungen der traditionellen Medizin stützt, nämlich auch die nach John Diamond entwickelte Life-Energy-Therapy.
2. Sprache - Vorstellungen - Körperorgane Aus den Grundübungen des Autogenen Trainings ist bekannt, daß die Grundformeln ("Standardformeln" nach Schulz 1987) bestimmte therapeutisch beabsichtigte Wirkungen auf die Körpermuskulatur und das vegetative System haben, die im physiologisch meßbaren Bereich liegen. So wird nach der Herstellung der Ruhetönung durch die Formel Ich bin ganz ruhig die Schwereformel gesprochen: Arme und Beine sind ganz schwer, die eine Entspannung der Skelettmuskulatur bewirkt. Die Wärmeformel Arme und Beine sind ganz •warm läßt ein Wärmegefühl aufkommen, dem eine Blutgefäß-Weitstellung zugrunde liegt. Die Stirn-Kühle-Formel Stirn angenehm kühl führt dagegen in den entsprechenden Hautregionen zu einer Blutgefäß-Engstellung usw. Diese Grundformeln behalten nach einigen Monaten Übung ihre Wirkung auch dann bei, wenn sie verkürzt werden und wenn sie von laut gesprochenen Sätzen in stumme, innere Sprache umgewandelt werden. Aber wie kann denn Sprache solche Wirkungen überhaupt hervorrufen? Wir haben hierfür vor allem die nominative Funktion der Sprache verantwortlich zu machen: Derjenige Körperprozeß, den man in einer Formel benennt, wird durch diese Benennung bereits geringfügig bewirkt oder beeinflußt. Erst wenn wir bestimmte neurophysiologische Erkenntnisse mit Erkenntnissen ontogenetischer Vorgänge zusammenbringen, wird uns deutlich, wie Sprache über Vorstellungen auf Körperprozesse einwirken kann. In der Neurophysiologie ist bekannt, daß die Vorstellung von Körperabläufen diese bereits geringfügig in Gang setzt ("Carpenter-Effekt"). Aus der Ontogenese ist uns bekannt, daß es zu einer festen Zuordnung von Vorstellungen und Lautfolgen kommt in der Weise, daß der mit der Artikulation verbundene bestimmte Gehörseindruck und das Gefühl der zur Artikulation gehörigen motorischen Prozesse notwendigerweise auch das zugeordnete Vorstellungsbild hervorruft. Wird also z.B. im Autogenen Training eine Formel artikuliert (ob mit oder ohne Stimmbeteiligung ist nach längerer Übungszeit nicht mehr ausschlaggebend), so wird das Vorstellungsbild eines Körpergeschehens und damit zugleich auch im gewissen Grade dieses Körpergeschehen hervorgerufen. Wir können damit ein erstes Gesetz therapeutischer Sprachwirkungen formulieren: Die sprachlichen Formulierungen von Körperabläufen setzen über die Vorstellungsbilder diese Körperabläufe bereits geringfügig in Gang.
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Therapeutisch relevant wird dieses Gesetz u.a. vor allem in den höheren Stufen des Autogenen Trainings. Zwar zeigen die Erfahrungen, daß sehr viele Patienten, die unter ärztlicher Anleitung einen AT-Grundkurs absolvieren, auch mit den Standardformeln ihre Beschwerden beeinflussen konnten. Sollen jedoch gezielt bestimmte Störungen oder Erkrankungen therapeutisch angegangen werden, die sich vorwiegend körperlich äußern, wie z.B. Stuhlverstopfungen, Durchfälle, exzessives Schwitzen, Miktionsstörungen, Fettsucht usw., oder bestimmte vorwiegend seelische Störungen oder Erkrankungen wie Phobien, Kontaktstörungen, Drogenabhängigkeit, Onanieskrupel usw., dann reichen die Standardformeln der Grundübungen nicht mehr aus, und es bedarf spezifischer Formulierungen. Solche störungsund krankheitsspezifischen Formulierungen wurden durch Modifizierungen der Grundübungen gewonnen, und Luthe hat sie methodisch unter dem Terminus "autogene Modifikationen11 (autogenic modifications) (Luthe 1969: 175ff.) zusammengefaßt. Hierzu gehören vor allem die "spezifischen Organformeln" und die "formelhaften Vorsatzbildungen". Im Rahmen dieses Vortrages will ich nur kurz auf die Organformeln näher eingehen, da sich an ihnen zeigen läßt, wie sich die therapeutische Wirkung Sprache - Vorstellungen - Körperorgane vollzieht und welche sprachlichen Besonderheiten es sind, die diese Wirkung besonders fördern. In den "spezifischen Organformeln" werden einzelne Organe und Körperteile genannt, z.B. Augen, Augenlider, Nase, Unterkiefer, Mund, Kehlkopf, Luftröhre, Brustraum, Lunge, Luftröhre, Nacken und Schultern, Füße, Stirn und Kopf, Ohren, Zehen, Unterschenkel, Becken, After, Unterbauch, Vulva, Handrücken (vgl. Luthe 1969: 177, König 1983: 79). Außerdem wird auf den Herzschlag Einfluß genommen. Als Prädikate kommen in diesen Formeln vor allem vor: wann/kühl, ruhig und leicht, gleichgültig, schläfrig. Hier einige Beispiele (nach Luthe 1969): (1) Bei Asthma bronchiale z.B.: - Meine Luftröhre ist kühl. - Mein Brustraum ist warm. (2) Bei Erröten z.B.: - Mein Nacken und meine Schultern sind wann. - Meine Füße sind warm. (3) Bei Hypertonie z.B.: - Meine Stirn ist angenehm kühl, mein Kopf ist klar und leicht. - Herzschlag ruhig und leicht.
Schulz berichtet den in der Literatur inzwischen prominent gewordenen Fall eines Mannes, der bei extremen Außentemperaturen zusammen mit anderen Menschen unter einer Schneelawine begraben wurde und der aufgrund eines langjährigen Trainings als einziger in der Lage war, durch Anwendung spezifischer Organformeln ohne jedwede Erfrierung davonzukommen (Schulz 1987: 116). Von den Vertretern des Autogenen Trainings wird verschiedentlich darauf hingewiesen, daß die verwendeten Formeln der Grundübungen wie diejenigen der autogenen Modifikationen therapeutisch stärker wirken, wenn sie bestimmte sprachliche Strukturmerkmale aufweisen.
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Hoffmann (1977) z.B. nennt in seinem "Handbuch des Autogenen Trainings" als solche Merkmale u.a. die Wiederholung, die Rhythmisierung, die Aneinanderreihung, die Einwortsätze und die Befehlsform. Ich habe mehrere Strukturmerkmale speziell der Organformeln untersucht und ich möchte abschließend zu diesem Teil meines Vertrages eines dieser Strukturmerkmale erläutern, das die Rolle der Vorstellungsbildung in der sprachlichen Organbeeinflussung besonders anschaulich macht. Alle Sätze der speziellen Organübungen werden, wie es auch bei den Standardformeln der Grundübung der Fall ist, als Tatsachenaussagen formuliert, so als wäre der gewünschte Übungserfolg schon jetzt, während des Aussprechens der Formel, eine Tatsache. Zum Beispiel wird bei einem Glaukom (dem sogenannten "grünen Star") die Formel Meine Augen sind kühl angewandt. Bei einem Glaukom ist der Abfluß des Kammerwassers im Auge gehemmt, und der Augeninnendruck kann sich bei einem akuten Fall innerhalb von Stunden um das drei- bis fünffache der Norm erhöhen. Der intraokulare Druck löst über die Hornhautnerven einen dumpfen Schmerz aus, der in die Schläfe, in den Hinterkopf sowie in Ober- und Unterkiefer ausstrahlen kann. Das Auge ist hochrot, die Lider sind geschwollen, der Augapfel fühlt sich steinhart an (vgl. Beske 1986: 741, Benninghoff 1985: 510 ff.). Die spezifische Organformel Meine Augen sind kühl bezieht sich auf den Zustand eines b e r e i t s e i n g e t r e t e n e n Übungserfolges, nämlich: Abklingen der Schwellung der Augenlider, Beseitigung der Rötung, Schmerzbeseitigung und Nachlassen des Augeninnendrucks durch Wiederherstellung des Normalverhältnisses zwischen Kammerwasserproduktion und Abflußmenge. Obwohl die Wiederherstellung dieses Normalverhältnisses der gewünschte, vom Übenden beabsichtigte Übungserfolg ist, geht dieser Wunsch bzw. diese Absicht nicht in die sprachliche Formulierung der Organformel ein. Es unterbleiben also z.B. alle modalen Ausdrücke wie: Ich möchte/will (daß meine Augen kühl sind). Auch bleiben die Modalverben müssen und sollen ausgeschlossen. Ebenso vermeidet die Formel auszusprechen, daß das gewünschte Resultat in der Zukunft liegt und daß vom jetzigen Zustand der Beschwerde bis zum gewünschten symptomfreien Zustand in der Zukunft ein Übergang stattfinden muß. Daher kommt in den Organformeln weder die Futurform vor, wie Meine Augen werden kühl sein, noch die Formulierung, die das Werden vom Jetzt zum Später ausdrückt wie z.B. Meine Augen werden kühl (er). Die Präsens/Indikativ-Form holt das gewünschte zukünftige Übungsresultat in das Hier und Jetzt der Übungssituation und trägt dazu bei, es schon in der Gegenwart Wirklichkeit werden zu lassen. Für diejenigen, die sich in der von Fritz Perls entwickelten Gestalt-Therapie auskennen, mag es interessant sein, Parallelen zur Gestalt-Arbeit am "Hier und Jetzt" zu ziehen.
3. Sprache - Emotionen - Körperenergien Das Autogene Training ist nicht die einzige Therapie, die Sprachformeln in den therapeutischen Prozeß erfolgreich einbezieht. In den USA hat z.B. die Verhaltenstherapeutin Pamela E. Buttler ein ganzes Lernprogramm für eine "Sprache der Selbst-Unterstützung" (Language of Self-Support) entwickelt.
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Die Patienten lernen hier, ihre kritischnegativen und energieschwächenden Selbstbewertungen aufzugeben zugunsten von positiv bekräftigenden Selbstbehauptungen, die sprachlich als "Affirmationen" formuliert werden, das sind positiv-bekräftigende Aussagen zur Selbstunterstützung (vgl. die Bücher von Butler 1981 "Talking to Yourself1 und 1981 "Self-Assertion for Women"). In der therapeutischen Arbeit mit Affirmationen geht P. Buttler wie andere Therapeuten und Therapeutinnen von der Tatsache aus, daß sich Affirmationen, Emotionen und Körperenergien zu positiven oder negativen Reihen zusammenschließen: positive Affirmationen - positive Emotionen - positive energetische Körperprozesse und Verhaltensweisen,
dagegen: negative Affirmationen - negative Emotionen - negative energetische Körperprozesse und Verhaltensweisen.
Therapeutisch werden hier Zusammenhänge nutzbar gemacht, die in der traditionellen chinesischen Medizin seit Jahrtausenden bekannt sind und die durch neuere westliche Forschungen, z.B. diejenigen des amerikanischen Arztes und Psychotherapeuten John Diamond, Eingang in westliche Therapiemethoden gefunden haben. Den alten Chinesen war bereits bekannt, daß die geistige und körperliche Vitalität des Menschen und sein Gesundheitszustand davon abhängig ist, inwiefern sich seine Lebensenergie Qi in einem Fließgleichgewicht befindet. An genau lokalisierbaren Körperstellen kann es zu Disharmonien in der Qi-Verteilung kommen. Auf diese Stellen ist der therapeutische Eingriff durch Akupunktur oder Moxibustion gerichtet, deren Ziel es ist, den Menschen ganzheitlich wieder in ein Qi-Gleichgewicht zu bringen. Im Unterschied zur westlichen Medizin wird der Mensch nicht als ein anatomisch sezierbarer Körper betrachtet, sondern als eine "energetische Konstellation" (Porkert 1986: 89). Als einer der ersten hatte der russische Wissenschaftler Victor Adamanko experimentell herausgefunden, daß die Akupunkturpunkte des Menschen (die man sich als winzige Energiezentren vorstellen kann und von denen man heute über 2000 kennt) eine elektrische Ladung von 50 bis 150 Mikrovolt aufweisen, die man durch Autosuggestion auf 500 Mikrovolt anwachsen lassen kann (vgl. Sabetti 1985). Diese Tatsache machen sich die therapeutischen Verfahren zunutze, die mit ausgewählten Affirmationen gezielt auf den Energiefluß im Menschen Einfluß nehmen. Die Arbeiten von John Diamond zeigen, daß die suggestive Energie des gesprochenen Wortes den Qi-Fluß im Menschen positiv oder negativ beeinflussen kann. Therapeutisch ist hierbei relevant, daß sich negative Emotionen im Menschen sprachlich in positive Energien umwandeln lassen, wodurch das energetische Gleichgewicht und das gesundheitliche Befinden des Menschen gefördert werden kann. Vergleichbar der Beeinflussung von Körperorganen durch das Sprechen der Organformeln im Autogenen Training werden in der Life-Energy-Therapy von John Diamond durch das Sprechen von Affirmationen Organfunktionen beeinflußt. Die Organbeeinflussung geschieht hier aber, soweit sich dies heute klären läßt, primär über die Veränderung der emotional-energetischen Gesamtkonstellation des Menschen: Mit dem Sprechen der Affirmationen werden positive Emotionen konstituiert, und parallel dazu wird den mit den Emotionen energetisch verbundenen Organen (Lunge, Leber, Gallenblase usw.) Qi zugeführt. Gemessen werden kann diese Energiezufuhr u.a. mit Hilfe der Muskeltests, wie sie J. Diamond entwickelt hat (vgl.
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Diamond 1987/1983). Bei dem von J. Diamond entwickelten therapeutischen Verfahren lassen sich eine sprachliche, eine emotionale und eine energetische Ebene unterscheiden: Die therapeutische Intervention setzt auf der sprachlichen Ebene an. Es gibt ein System von ca. drei Dutzend Affirmationen, die den zwölf Hauptmeridianen zugeordnet sind: Lunge, Leber, Gallenblase, Milz-Pankreas, Niere, Dickdarm, Kreislauf-Sexus, Herz, Magen, Schilddrüse ("Dreifacherwärmer"), Dünndarm, Blase. Sollen z.B. energetische Disharmonien beseitigt werden, die in den zur Niere bzw. Blase gehörigen Meridianen diagnostiziert worden sind, werden die Affirmationen benutzt: -
Ich fühle mich sexuell sicher. Meine sexuellen Kräfte sind im Gleichgewicht. Ich bin friedvoll. Ich bin ausgeglichen. Alle Uneinigkeiten und Konflikte in meinem Innern sind geklärt. (Diamond 1987: 207)
Mit dem Sprechen dieser Affirmatinen treten Veränderungen auf der emotionalen Ebene ein: Unerwünschte Emotionen (z.B. "sexuelle Unschlüssigkeit", "Uneinigkeit und Konflikte im Innern", "Ruhelosigkeit", "Ungeduld", "Frustration") weichen positiven emotionalen Erlebnissen ("sexuelle Sicherheit", "Geduld", "Frieden", "Harmonie", "Ausgeglichenheit", "Heiterkeit", "Ruhe") (vgl. Diamond 1987: 151-156/207-212). All diese emotionalen Veränderungen lassen sich durch Muskel testverfahren überprüfen. Diesen emotionalen Veränderungen entspricht auf energetischer Ebene ein Wandel des Qi-Verhaltens in den entsprechenden Meridianen. Sexuelle Unschlüssigkeit z.B. wird diagnostisch nicht in einem kausalen, sondern in einem synchronistischen Wirkzusammenhang mit dem Nierenmeridian gesehen. Mit den Affirmationen: Ich fühle mich sexuell sicher, Meine sexuellen Kräfte sind im Gleichgewicht wird z.B. die emotionale Lage umgeschichtet und es wird gleichzeitig die Energie des Nierenmeridians gestärkt. Eine Energieschwäche im Blasenmeridian (emotional: Ruhelosigkeit, Ungeduld, Frustration) wird therapeutisch mit den Affirmationen angegangen: - Ich bin friedvoll. - Ich bin ausgeglichen. - Alle Uneinigkeiten und Konflikte in meinem Innern sind geklärt.
Wir können hier ein zweites Gesetz therapeutischer Sprach Wirkungen formulieren: Mit der sprachlichen Formulierung von emotional positiven Affirmationen wird der Fluß der Qi-Energie in spezifischen Meridianen ausgeglichen.
4. Zwei Erklärungsweisen des Heilungsweges Sprache - Psyche - Körper Während wir im Falle des Autogenen Trainings die heilende Wirkung der Sprache so erklären, daß sie über die Vorstellungen auf die Körperorgane einwirkt, versuchen wir im Falle der Life-Energy-Therapy die heilende Wirkung der Sprache so zu interpretieren, daß die emotionale und energetische Konstellation des Menschen geändert wird und daß hierdurch
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die zugehörigen Körperorgane therapeutisch beeinflußt werden. Es verbleibt am Schluß die unvermeidliche Frage: Wie macht in beiden Fällen die Sprache das? Und unter der allgemeinen Themenstellung "Sprache - Psyche - Körper", die zur Benennung dieser Arbeitssektion ausgewählt wurde, fragen wir: Wie kann denn Sprache als ein materielles Lautgebilde etwas Immaterielles, die Psyche (nämlich z.B. Emotionen und Vorstellungen) so beeinflussen, daß dieses Immaterielle wiederum etwas Materielles, nämlich Somalisches bewirkt? Ich glaube, daß wir heute zwei komplementäre Erklärungsansätze haben - einer kommt aus der westlichen Medizin, einer aus der chinesischen Medizin. Die westliche Erklärung ist an kausal wirkenden physiologischen Prozessen orientiert und würde den Weg Sprache - Psyche - Körper u.a. erklären als einen Prozeß der Übertragung und Umformung von Informationen, und zwar auf neuronalem und auf endokrinem Weg. Ernest L. Rossi (1988) hat in seinem Buch "The Psychobiology of Mind-Body Healing. New Concepts of Therapeutic Hypnosis" diesen Prozeß folgendermaßen beschrieben: In der Therapie (hier der nach Milton Erickson entwickelten Hypnotherapie) werden sprachlich, z.B. durch Verfahren der indirekten Suggestion, mentale Prozesse (mental suggestions and beliefs) in Gang gesetzt, deren physiologisches Substrat limbisch-hypothalamische Prozesse sind. Das limbisch-hypothalamische System ist das hauptsächliche Zentrum für die Umformung von Psyche-Körper-Informationen, das das autonome Nervensystem, das endokrine System und das Immunsystem biologisch aktiviert (vgl. Rossi 1988: 8/35/105ff.). Nach Auffassung der modernen Physiologie gibt es für die Informationsverarbeitung, die den Weg der therapeutischen Wirkung der Sprache beschreibt, zwei arbeitsteilige Prozesse: Der Neocortex reguliert "eher die präzise räumlich-zeitliche Kommunikation (des Menschen) mit der Umwelt", während das limbische System "die Stimmungen und Handlungsbereitschaften, d.h. das Motivationsgefüge und die Emotionen des Menschen, sowie die Lern- und Gedächtnisprozesse11 reguliert (Schmidt/Thews 1987: 380). Der Hypotnalamus steht von seiner Funktion her an der Schnittstelle zwischen psychischen und somalischen Prozessen, sein medialer Teil nimmt die Aufgabe eines "neuroendokrinen Interface" ein: Gewisse Gruppen von Zellen des Hypothalamus bilden selbst Hormone (Releasing Hormones, Inlimbiting Hormones), die in die Hypophyse abgegeben werden. Ganz anders nun, aber nicht im Widerspruch, sondern in Ergänzung dazu die Erklärung aus der Sicht der traditionellen chinesischen Medizin, die körperliche und psychische Prozesse zusammen unter dem Gesichtspunkt einer energetischen Gesamtkonstellation des Menschen diagnostiziert und therapiert. Hier geht es nicht primär um kausale Wirkketten der Übertragung und Umformung von Informationen durch neuronale und endokrine Prozesse, sondern um die "Synchronizität" (Jung 1987) energetischer Muster in Körper und Geist, die nur in unserem dualistischen Denken als zwei Entitäten gefaßt sind. Schauen wir uns zu diesem Zweck einmal beispielsweise an, was zu dem oben besprochenen Nierenmeridian (in Verbindung mit dem Blasenmeridian) vom Standpunkt chinesischer Medizin gesagt wird. Für diese Medizin gilt vor allem nicht die westliche dualistische Trennung in Psyche und Körper. Unter funktionalen Gesichtspunkten wird hier die Körperlichkeit des
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Menschen als das materielle Komplement (nicht: Substrat) seiner geistigen Potenzen begriffen. Porkert/Hempen (1985: 112) schreiben in ihrer "Systematischen Akupunktur": Bereits im klassischen Text wird der orbis renalis (d.h. der Nierenmeridian - F.P.) als "Instanz der Potenzierung von Kraft" bezeichnet. Er entspricht mithin jenem Komplex von Funktionen, in denen einerseits aktuelle Sinneseindrücke, Lebenserfahrungen, alle Arten dynamischer Wirkungen gespeichert, aufbewahrt, fixiert, angehäuft werden; andererseits jenem Aspekt von Funktion, aus welcher eben diese angehäuften, gespeicherten, in Stoff und Körperlichkeit fixierten Wirkungen wiederum aktualisierbar, dynamisierbar, reproduzierbar sind. In der alltäglichen und in der wissenschaftlich-medizinischen Erfahrung deckt der orbis renalis mithin zwei Gruppen von Wirkaspekten ab: 1. Die Gesamtheit der anlagemäßigen, ererbten Potenzen - was in den chinesischen Texten folgendermaßen ausgedrückt wird: "Der orbis renalis ist der Sitz der angeborenen Konstitution", des "qi nativum". Dieses qi nativum entspricht ziemlich genau dem, was wir als Erbgut oder "Erbmasse" definieren - etwas zwar an Körperlichkeit Gebundenes, aber durchaus Delokalisiertes, nicht mit einem einzigen Organ zu Identifizierendes. Allerdings ist die dichteste und massivste, wenngleich nicht einzige Mobilisierung solcher Potenzen die in der Sexualität, im Zeugungsakt sich vollziehende. Aber nicht minder bedeutsam, ja im Alltag viel näherliegender sind 2. die rationale, gedankliche Potenzierung von Sinneseindrücken in Gestalt von Erkenntnis, gedanklicher Verarbeitung, die vollzogen wird vermittels all dessen, was die westliche Physiologie sehr viel eingeschränkter als "neurologische Funktionen" beschreiben würde: alle Vorgänge, die nervliche Leistungen voraussetze oder zum Tragen bringen, sind Teil und Ausdruck des orbis renalis. Der orbis renalis entspricht also der Gesamtheit der Körperlichkeit als Voraussetzung für beliebige Lebensleistungen und für jede Entfaltung von Lebenskraft. Auffälligste Äußerung dieser Lebenskraft und Potenz ist die Kraft des Willens, beiläufig und im einzelnen dann auch jede Art von Beharrungsvermögen, Durchhaltevermögen, Ausdauer - als Ausdruck der Mächtigkeit jener Reserven, die in dem materialisierten Erbgut des Körpers angelegt sind.
Hier eröffnen sich sehr interessante Parallelen zu anderen Therapien, die mit den Körperenergien arbeiten, insbesondere zur Bioenergetik. Aber darauf gehe ich einmal bei einer anderen Gelegenheit ein.
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König, Werner/di Pol, Gerhard/Schaeffer, Gerhard (1983): Autogenes Training. Ein Grundriß. - Jena: VEB Fischer, 2.A. Luthe, Werner (ed.) (1969): Autogenic Therapy. I: Luthe, Werner/Schulz, H ( ) J . : Autogenic Methods. New York etc.: Grüne & Stratton. Otto, Walter F.(Hrsg.) (1957): Platon. Sämtliche Werke I. Übers, v. Friedrich Schleiermacher. - Hamburg: Rowohlt. Porkert, Manfred (1986): Die chinesische Medizin. - Düsseldorf etc.: Econ, 2. A. Porkert, Manfred/Hempen, Carl-H. (1985): Systematische Akupunktur. - München etc.: Urban & Schwarzenberg. Rossi, Ernest L. (1988): The psychobiologie of mind-body healing. New concepts of therapeutic hypnosis. New York etc.: Norton Paperback. Sabetti, Stephane (1985): Lebensenergie. Wesen und Wirken jener Kraft, die unsere körperliche, geistige und seelische Verfassung steuert. - Bern etc.: Schuz. Schmidt, Robert F./Thews, Gerhard (Hrsg.) (1976): Physiologie des Menschen. - Bern etc.: Springer, 23.A. 1987. Schulz, Johannes H. (1987): Das autogene Training. Konzentrative Selbstentspannung. Versuch einer klinischpraktischen Darstellung. - Stuttgart etc.: Thieme, 18. A.
DIE APHASIEN BEI KÜNSTLERN Anton Leischner Einleitung Aphasie bedeutet Sprachverlust. Er setzt voraus, daß der Betroffene vorher die Sprache erlernt und in normaler Weise beherrscht hat. Solche Aphasien sind immer die Folge einer Hirnerkrankung oder Hirnverletzung. Bei ihnen ist ein bestimmtes Gebiet der überwertigen Hirnhälfte, nämlich das Versorgungsgebiet der mittleren Hirnarterie, geschädigt. Abbildung l stellt eine linke Hirnhälfte dar, die bei den meisten Menschen die überwertige ist. Man erkennt den Stirnlappen, das Frontale, den Schläfelappen, das Temporale, den Scheitellappen, das Parietale und den Hinterhauptslappen, das Okzipitale. Die wichtigsten Gegenden, die im Verlaufe der folgenden Ausführungen angesprochen werden, sind die 3. Stirnwindung, die Brocaregion, die 1. Temporal Windung, die Wemickeregion, und der Scheitellappen, besonders die unteren Windungen, der Gyrus supramarginalis und der Gyrus angularis. Abb. 1: Linke Himhemisphäre Suit« «ntralft ft.«ri*n
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aller Fehler wird ein Liquid (/ oder r) an der zweiten Position im Wort entweder fortgelassen oder hinzugefügt.
6. Zusammenfassung Die Ergebnisse dieser Pilotstudie zeigen, daß eine phonetische Analyse des Lautgelesenen von lese-rechtschreibschwachen Kindern recht genaue Aussagen über deren Lesestrategien liefert. Eine solche Analyse kann, anders als die üblichen (standardisierten) Lesetests, die spezifischen Probleme eines jeden einzelnen Schülers genau eingrenzen und somit die Basis für eine optimale Förderung bilden. Dies gilt insbesondere bei schwereren Störungen, die sich im Bereich der optischen Dekodierung und phonetischen Rekodierung des Gelesenen manifestieren.
Anmerkungen 1 In der phonetischen Transkription repräsentieren die groß geschriebenen Vokale die kurzen, offenen Varianten. Das Fragezeichen steht für den Knacklaut, Doppelpunkte für Länge und die von #...# eingeklammerten Passagen für Flüsterstimme. 2 Bei den Lesetests von Biglmaier (1971: 81) und Grissemann (1974: 24) wird diese Aussprache als Fehler gewertet. Tatsächlich ist sie jedoch typisch für Spontansprache oder schnelle Vorlesesprache und könnte deshalb umgekehrt bei sehr schneller Aussprache ein Indiz dafür sein, daß das Wort richtig erkannt wurde!
Literatur Biglmaier, Franz (1971): Lesestöningen: Diagnose und Behandlung - München etc., 4.A. Gibson, E() J. (1965): "Learning to read·. - In: Science 148, 1066-1072. Grissemann, Hans (1974): Handanweisung zum Züricher Lesetest. Förderdiagnostik der Legasthenie. - Bern etc., 3.A. Scheerer-Neumann, Gerheid (1977): "Funktionsanalyse des Lesens". - In: Psychologie in Erziehung und Unterricht 24, 125-135. Smith, F() (1971): Understandig reading. - New York. Venezky, R ( ) L./Calfee, R ( ) C. (1970): "The reading competency model". - In: Singer, H()/ Ruddell, R ( ) B. (eds.): Theoretical models and processes of reading (Newark) 273-291.
4. BETRIEBSLINGUISTIK
EUROPA AUF DER SUCHE NACH NEUEN KONZEPTEN FÜR DEN FREMDSPRACHENUNTERRICHT Wolf Gewehr Die sogenannte Wende hat vieles bewirkt. Was nicht nur auf dem IVG-Kongreß in Tokio im August 1990 deutlich wurde, sondern sich generell weltweit abzeichnet, ist, daß das allgemeine Desinteresse an der deutschen Sprache, das seit Jahren von den Universitäten und Goethe-Instituten in Übersee immer wieder beklagt worden ist, einem unerwartet lebhaften Aufschwung gewichen ist. Das Interesse am Erlernen der deutschen Sprache wächst zusehends. Es scheint, daß Deutsch auf dem besten Wege ist, eine Weltsprache zu werden - so sehr hat sich quasi über Nacht die geopolitische Lage gewandelt. Insbesondere die bedeutenden Wirtschaftsnationen haben die Auswirkungen der inzwischen geografisch und bevölkerungsmäßig erheblich veränderten Bundesrepublik Deutschland erkannt, die für sie nunmehr ein wirtschaftlich noch stärkerer Handelspartner darstellt als je zuvor. Vor allem wegen dieser starken wirtschaftlichen Stellung, die das inzwischen vereinigte Deutschland in absehbarer Zeit auch in einem Vereinten Europa einnehmen dürfte, liegt die Vermutung nahe, daß die deutsche Sprache als eine mehr und mehr verbreitete Handels- und Verkehrssprache an Bedeutung zunehmen wird. Die Tatsache, daß an japanischen, aber auch amerikanischen Hochschulen die Einschreibungen für Deutsch als Fremdsprache seit dem Frühjahr 1990 sprunghaft angestiegen sind und weiter steigen, liegt sicher nicht daran, daß wir jetzt einen leichteren Zugang zu den klassischen Kulturzentren Dresden oder Weimar haben, sondern weil Deutsch unweigerlich zu einer der führenden Verkehrssprachen in der Europäischen Gemeinschaft nach 1992 werden dürfte, was bisher faktisch noch nicht der Fall ist. Dies gilt auch für das Europa-Parlament in Brüssel und die europäischen Behörden, wo die Konferenz- und Verkehrssprachen Englisch und Französisch durchweg dominieren. Und die Tatsache, daß beispielsweise in allen australischen Provinzen neue Richtlinien für das Erlernen einiger ausgewählter Fremdsprachen - darunter primär Deutsch - herausgegeben werden, deutet untrüglich darauf hin, daß man sich weltweit auf die großen Herausforderungen der neunziger Jahre auch sprachlich vorbereitet. Die Erkenntnis breitet sich aus, daß Fremdsprachenkenntnisse in dem harten Konkurrenzkampf der führenden Wirtschaftsnationen - wenn oft auch nur psychologisch bedingt - einen nicht zu unterschätzenden Einfluß ausüben können. Allerdings will man in diesen Ländern, aber auch innerhalb Europas, deutlich auf Distanz gehen von dem bisherigen Fremdsprachenunterricht, der in der Regel durch zwei dominierende Zielrichtungen geprägt war, nämlich durch die kulturelllandeskundliche und durch die literarische Komponente. Alltagskommunikation spielte nur partiell eine Rolle, nahm aber in den letzten Jahren in vielen Ländern allmählich an Bedeutung zu. Heute sieht man andere Prioritäten. Die Japaner zum Beispiel sind nicht mehr so ohne weiteres bereit, nach bestandenem Eingangsexamen an den Universitäten ein oder zwei Jahre Deutsch zu lernen mit verkrusteten Lehrmethoden, ohne nach dem Sinn und Zweck zu fragen. Tradition allein ist kein zugkräftiges Argument mehr für die jüngere Generation in Japan, die vieles kritischer, vielleicht auch etwas utilistischerer sieht als die mittlere oder ältere Gene-
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ration. Die rein theoretische Beschäftigung mit der deutschen Sprache, insbesondere mit der deutschen Grammatik, soll nicht länger ein intellektuelles Spiel, ein Denktraining, sondern soll auch praktisch anwendbar sein. Man ist nicht mehr kritiklos bereit, im zweiten Jahr Deutsch radebrechend philosophische Abhandlungen von Humboldt oder Kant auf deutsch zu lesen, die es sowieso alle in Übersetzung gibt, ganz abgesehen von dem didaktischen Wert solcher humanwissenschaftlicher Exerzitien. Man beginnt, pragmatischer über den Sinn des Erlernens von Fremdsprachen nachzudenken und fordert neue inhaltliche Strukturen, und dies sicher zurecht. In einem Land wie Japan, in dem bisher jedes Jahr etwa eine halbe Million Studenten an den Universitäten als Wahlpflichtsprache Deutsch gelernt haben, wenngleich völlig unmotiviert und absolut rezeptiv, steigt verständlicherweise der Unmut über das herkömmliche Lehrkonzept. Man will wissen, wozu das alles dienen soll, und wenn schon das Erlernen von Fremdsprachen an den Universitäten unverzichtbar ist, so soll es sich zumindest produktiv auf das spätere Berufsleben auswirken. Mit anderen Worten: es wirkt sogleich motivationssteigernd, wenn Fremdsprachen berufsfeldbezogen erlernt werden können und nicht allein als Vehikel überkommener kultureller Wertvorstellungen des Abendlandes. Deutlicher umrissen heißt dies, daß die Technischen Hochschulen beispielsweise ihren Deutschunterricht besonders auf Technologie ausrichten möchten. Die Lehrziele und Methoden sollten von dieser inhaltlichen Richtung bestimmt sein. Der Student an einer japanischen TH will in der Lage sein, deutsche Artikel in Fachzeitschriften - ggf. mit Hilfe eines Wörterbuches - inhaltlich zu erfassen. Er will vielleicht darüber hinaus befähigt werden, einer auf deutsch geführten Diskussion über technologische Probleme weitgehend zu folgen. Ein künftiger japanischer Diplomingenieur möchte eine Führung durch einen deutschen Betrieb - etwa auf dem Boden der ehemaligen DDR - verstehen und Vorschläge für die Beschaffung von modernen Maschinen machen können. Dazu muß er sich weitgehend der deutschen Sprache bedienen können, da man mit Englischkenntnissen allein in bestimmten Regionen Europas u.U. schnell auf gewisse Grenzen stößt. Es bedarf keiner großen Phantasie, sich unzählige Situationen dieser Art auszudenken, die deutsche Sprachkenntnisse in einem stark begrenzten fachlichen Rahmen (im Bereich der Technik, des Betriebsmanagement, der Medizin, der Informatik oder was immer) zu einem wertvollen Faktor werden lassen, der zu erfolgreichen Geschäftsabschlüssen führen und damit - zumindest mittelbar - zu einem wichtigen Instrument für die Anbahnung von internationalen Wirtschaftsbeziehungen werden kann. Gelingt es, brauchbare Lehrmittel zu entwickeln (unter voller Nutzung der Kommunikationsmedien, die jeden Unterricht, speziell aber eben auch den Fremdsprachenunterricht vielfaltig bereichern können), die neben einer Einführung in alltagssprachliche Kommunikation inhaltlich weitgehend fach- und berufsfeldbezogen orientiert sind, dann wird es zu einer Neubelebung des Fremdsprachenunterrichts kommen, wie es ihn vor unserem Zeitalter der Telekommunikation noch nie gegeben hat. Dies gilt beileibe nicht allein für Wirtschaftsmagnaten im Fernen Osten, sondern - vielleicht mit ein wenig Bewußtseinsverzögerung - ebenso in Europa mit seinen immer enger werdenden Wirtschaftsverflechtungen und dem beschlossenen europäischen Binnenmarkt, der die Mitgliedsländer noch vor kaum zu bewältigende Probleme stellen wird, zweifellos auch im Bereich des Fremdsprachenunterrichts der neunziger Jahre.
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Die als Stimulationshilfen gedachten ERASMUS- und LINGUA-Programme, die von der Europäischen Kommission in Brüssel in den letzten Jahren zur Neubelebung und Neubesinnung des Fremdsprachenunterrichts und zum Zwecke verbesserter transeuropäischer Kommunikation gewährt wurden, zeigen deutlich, wie man auf der Suche nach überzeugenderen Konzepten in der Vermittlung von Fremdsprachen und damit natürlich auch nach neuen Wegen in der Ausbildung von Fremdsprachenlehrern begriffen ist. Es muß gelingen, in übernationaler Kooperation in den EG-Ländern auf gemeinsame Ziele und vielleicht sogar auf gemeinsame Curricula zuzusteuern, um eine effektive Kommunikation in einem Vereinten Europa unter möglichst allen Bürgern zu erreichen. Dies ist noch ein langer und domenreicher Weg, aber er muß beschritten werden. Immer wieder kommt die Frage auf: warum macht man eigentlich nicht Englisch zur lingua franca in Europa, wo Englisch doch zumindest auf den ersten Eindruck - die Weltverkehrssprache schlechthin ist. Es ist bekanntlich der ausdrückliche Wille der EG-Nationen, die Sprachvielfalt und damit die nationale und kulturelle Eigenständigkeit und Identität der Mitgliedsstaaten weitgehend zu erhalten. Die Sprachenpolitik Europas wird daher eher dem liberalen Vorbild Australiens ähneln als dem der Vereinigten Staaten, wo auf den Erhalt der community languages absolut keinen Wert gelegt wird. Allerdings wird es aller Voraussicht nach in einem Vereinten Europa zwangsläufig einige Sprachen geben, die die Führungsrolle übernehmen, und dazu gehört neben Englisch und Französisch sicherlich auch Deutsch, und zwar vor allem wegen Deutschlands geografischer und wirtschaftlicher Schlüsselstellung in einer Europäischen Gemeinschaft, die schon in Kürze Ungarn einschließen und möglicherweise eines Tages bis zum Ural reichen wird. Es gibt kaum ein Land in Europa, das sich der wirtschaftlichen Sogkraft der Europäischen Gemeinschaft entziehen kann, wie auch die jüngsten Parlamentsbeschlüsse in Schweden und Norwegen erweisen. Es mag in diesem Rahmen dennoch die Frage gestattet sein, ob die faktischen Kommunikationsbedürfnisse der Europäer entgegen der beschlossenen europäischen Sprachenpolitik nicht andere Realitäten schaffen könnten, daß also vielleicht doch so etwas wie eine, zwei oder drei Universalsprachen für verschiedene Bereiche des sozialen und beruflichen Lebens Verwendung finden, möglicherweise aufgeteilt in eine westliche und eine östliche Hemisphäre Europas. Es wird sich zeigen, ob sich nicht in Westeuropa Englisch und Französisch sowie in Mittel- und Südosteuropa Deutsch allen politischen Weichenstellungen zum Trotz in vielen Lebensbereichen und Berufssparten als die zweifellos verbreitetsten Fremdsprachen und somit als übergreifende internationale Kommunikationsmedien durchsetzen werden. Manche Anzeichen sprechen dafür. Es wäre allerdings fatal für die Sprachenpolitik der Europäischen Gemeinschaft, wollte man das Erlernen von Fremdsprachen ausschließlich denen vorbehalten, die akademische Berufe ergreifen. Das internationale Kommunikationsbedürfnis wird für Nichtakademiker in einem grenzfreien oder zumindest grenzübergreifenden Binnenmarkt mit allen damit verbundenen Konsequenzen nicht minder akut werden. Ein Automechaniker in Antwerpen beispielsweise muß in der Lage sein, sich mit einem Kunden aus Dänemark oder Griechenland über die anliegenden Reparaturen verständigen zu können. Er muß zum Beispiel die vom Kunden vermutete Pannenursache bestätigen oder negieren können, er muß Angaben über die Wartezeit machen oder Preiskalkulationen aufstellen können usw. Es wäre eine Illusion
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und eine absolute Überforderung, wenn er dies in fehlerfreiem Dänisch, Spanisch oder Englisch tun müßte, aber er sollte in der Lage sein, möglichst in einer der drei oder vier führenden EG-Fremdsprachen sich auf seinem Fachgebiet soweit ausdrücken zu können, daß keine gravierenden Mißverständnisse entstehen. Er wird dazu alle ihm zur Verfügung stehenden Hilfen in Anspruch nehmen. Er wird sich nicht lange überlegen, wie man den Begriff "Zylinderkopfdichtung" in einer der Fremdsprachen ausdrückt, sondern dies nötigenfalls gegenständlich oder grafisch zeigen. Eine solche Kommunikation kann sich u.U. in völlig ungrammatischen Sätzen vollziehen, denn nach vollendeter Grammatik wird hier nicht gefragt. Kommunikation muß nur funktionieren, und das tut sie im allgemeinen auch ohne grammatische Perfektion. Vergleichbares gilt für einen Busfahrer, der Touristen aus den Niederlanden nach Neapel oder an die Algarve-Küste bringt, oder für den Ober, der in "Auerbachs Keller" in Leipzig eine französische Familie bedient, oder für die Friseuse in Sevilla, die einer Münchnerin eine Dauerwelle legen soll. Beinahe jeder Bürger der Europäischen Gemeinschaft ist irgendwo gefordert, in einem - wenn auch nur sehr begrenzten - Rahmen sich einige Fremdsprachenkenntnisse anzueignen, und es ist Aufgabe der Schulen und Hochschulen der Europäischen Gemeinschaft, solchen legitimen Kommunikationsbedürfnissen der EG-Bürger Rechnung zu tragen. Welche Konsequenzen und Forderungen ergeben sich daraus für ein neues Ausbildungskonzept für den Fremdsprachenbereich? Es lassen sich Möglichkeiten für grundlegende Reformen auf mehreren Ausbildungsebenen erkennen:
In den Primarschulen Die Fremdsprachenausbildung in den EG-Ländern sollte bereits in den Elementarschulen einsetzen. Reichhaltige Erfahrungen in verschiedenen europäischen Ländern, aber auch etwa in Australien auf diesem Gebiet belegen, daß das Argument, Grundschulkinder sollen zunächst einmal ihre Muttersprache sicher beherrschen, bevor sie sich einer Fremdsprache zuwenden, nicht uneingeschränkt haltbar ist. Die Auffassung, daß zu frühes Fremdsprachenlernen eine Verunsicherung in der Muttersprache auslösen könnte, ist durch die gemachten Erfahrungen eindeutig widerlegt. Ganz im Gegenteil: die Begegnung von Grundschülern mit einer Fremdsprache läßt ihr eigenes Sprachverhalten in der Muttersprache viel bewußter reflektieren und führt in der Regel bei richtigem didaktischen Zugriff (und wenn sonst keine nennenswerten psychischen Störungen vorliegen) zu einer spürbaren Verbesserung und Sicherung der Muttersprache. Hier ist die Entwicklung einer eigenen Fremdsprachendidaktik für die Primarstufe gefordert, die es in den meisten EG-Ländern noch gar nicht gibt und dringend in Angriff genommen werden muß. Erfahrungen in Ländern, in denen bereits Fremdsprachen in Primarschulen angeboten werden, sollten dafür unbedingt hinzugezogen werden. Hier eröffnet sich ein völlig neues Aufgabenfeld für die Fremdsprachendidaktik, was entsprechende Konsequenzen für die Lehrerausbildungsinstitutionen europaweit nach sich ziehen müßte. Wir stehen da noch völlig in den Anfängen, und dies wird voraussichtlich eine der großen Herausforderungen der neunziger Jahre werden.
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In den Sekundärschulen Der Fremdsprachenunterricht an den Sekundärschulen hat in den einzelnen EG-Staaten vielerlei Parallelen. Er ist weitgehend geprägt von der Vermittlung von Landeskunde, Grammatik und Literatur und bis zu einem gewissen Grad auch von Alltagskommunikation. Diese Ausbildungsstrukturen haben sich weitgehend bewährt, und es gibt wenig Grund an ihnen zu rütteln. Dennoch sollte man sich zumindest die Frage stellen, ob diese herkömmliche Fremdsprachendidaktik den Anforderungen in einem stärker zusammenrückenden Europa genügt oder ob nicht eine Schwerpunktverlagerung zugunsten fachspezifischer Fremdsprachenvermittlung anzustreben wäre. Es wäre immerhin denkbar, daß vereinzelt in bestimmten Sachfächern auch einmal auf Englisch oder Französisch statt auf Deutsch unterrichtet wird, ggf. mit Hilfe eines fremdsprachlichen Videofilms zum entsprechenden Unterrichtsgegenstand. Dies könnte von einem entsprechenden Austauschlehrer von einer ausländischen Schule, aber durchaus auch von dem Fachlehrer selbst geleistet werden. Dies würde voraussetzen, daß auch Lehrer in Sachfächern sich in einer der führenden Fremdsprachen ausbilden lassen, und zwar so, daß sie in der Lage sind, in ihrem eigenen Fachgebiet auch in einer Fremdsprache zu unterrichten. Entsprechende Auslandsaufenthalte während der Lehrerausbildung sollte daher nicht allein für Fremdsprachenlehrer verpflichtend sein, sondern auch diejenigen Fachlehrer einschließen, die auch mitunter in einer Fremdsprache ihr Fachgebiet unterrichten möchten, zum Beispiel in einer Schule im Ausland. In einer Reihe von naturwissenschaftlichen Fächern wie Mathematik, Physik, Chemie, aber auch in Geografie, Musik, Sport etc. dürfte dies für Schüler, die von der Grundschule an ständig wenn auch spielerisch - mit einer der führenden europäischen Fremdsprachen umgegangen sind, keine Überforderung darstellen. Sollte diese These Zustimmung finden, müßte eine entsprechende Ausbildungskonzeption für Fachlehrer entworfen werden, die ggf. in einem Zusatzstudiengang eine fachsprachlich orientierte Fremdsprachenausbildung erwerben könnten. Eine solche Zusatzqualifikation könnte natürlich auch an einer der ausländischen Partner-Hochschulen erworben werden, was eine enge und durchaus wünschenswerte Zusammenarbeit zwischenden Universitäten in den EG-Staaten voraussetzen würde.
An den Hochschulen In gleicher Weise sollten sich die europäischen Universitäten, Technischen Hochschulen und Fachhochschulen nicht den fremdsprachlichen Anforderungen in einem künftigen Europa verweigern. Es sollte zunehmend üblich werden, daß Vorlesungen oder Seminarveranstaltungen auch in einer der führenden Fremdsprachen abgehalten werden, um die erforderliche internationale Kommunikation auf dem betreffenden Studiengebiet (also etwa im Bereich der Humanmedizin, des internationalen Rechts, des Business Managaments usw.) zu ermöglichen. An einigen europäischen Universitäten wird dies bereits ansatzweise realisiert,
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wobei gerade Gastdozenten von ausländischen Universitäten ein solches Bestreben mühelos unterstützen könnten. Kurzum, wir können nicht die Augen davor verschließen, daß die bisherige Philologenausbildung mit ihren Schwerpunkten in der fremdsprachlichen Literatur und Landeskunde ergänzt oder vielleicht sogar abgelöst werden muß durch eine neue Ausbildungskonzeption, die stärker die Alltagskommunikation einbegreift, aber eben auch aus pragmatischen Gründen stärker fach- und berufsfeldbezogen ist. Zudem müssen die ersten Begegnungen mit einer Fremdsprache schon sehr früh, also bereits im Grundschulalter, einsetzen, was später den Erwerb fremdsprachlicher Strukturen auf kognitivem Wege, insbesondere aber auch die Aussprache im weiterführenden Unterricht wesentlich erleichtert. Die Universitäten sollten diese Ansätze der Multilinguisierung im Primär- und Sekundarschulbereich selbstverständlich auf Hochschulebene fortsetzen.
In den Volkshochschulen Private Fremdspracheninstitute werden sich im allgemeinen sehr schnell auf die konkreten Kommunikationsbedürfnisse der Gesellschaft in einem Europa nach 1992 einstellen. Die Volkshochschulen haben die Möglichkeit, in entsprechenden fachspezifischen Schulungskursen ein relativ breites Angebot für berufsfeldbezogenen Fremdsprachenunterricht zu unterbreiten, sofern sie entsprechend qualifizierte Lehrkräfte auftreiben können. Es geht auch hier wiederum um eine entsprechende Qualifizierung von Fremdsprachenlehrern, die europaweit für solche fachgebundenen Ausbildungszwecke gesucht werden. Es wird einer massiven europäischen Initiative bedürfen, eine solche fach- und berufsspezifische Fremdsprachenlehrer-Ausbildung durchzusetzen, doch wird dies unvermeidbar sein.
In den Betrieben Mittlere und Großbetriebe, die sich veranlaßt sehen, aufgrund ihrer Exportabhängigkeit eine eigene Fremdsprachenausbildung ihres Personals zu etablieren, werden sich voraussichtlich verstärkt interaktiven Computerprogrammen für Fremdsprachentraining auf CD-Rom Discs oder auf Video-Discs zuwenden, weil solche Programme eigens für die spezifischen Fremdsprachenbedürfnisse des jeweiligen Betriebes bzw. dessen Angehörigen zugeschneidert werden können. Speziell die Videodisc-Programme können für den individuellen Betriebsangehörigen optimale Möglichkeiten bieten, die verschiedenen Bereiche seiner Firma in einer oder in mehreren der gespeicherten Fremdsprachen kennenzulernen. Auf diese Weise kann er sich mit dem betreffenden fremdsprachlichen Vokabular, den Fachbegriffen und Redewendungen in der Exportabteilung, in der Buchhaltung, im Versandlager, auf der Management-Etage, in der Produktion usw. vertraut machen, was immer im Augenblick in seinem Interessensbereich liegt. Sicherlich ist dies nur ein kleiner Ausschnitt aus dem vielfältigen Gesamtrepertoire einer Fremdsprache, aber es ist haargenau das, was der Betriebsangehörige für sein spezielles Aufgabenfeld im Moment dringend benötigt. Einer Erweiterung die-
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ser naturgemäß begrenzten innerbetrieblichen Sprachausbildung wird nie etwas im Wege stehen. Dennoch sollte auch der innerbetriebliche computergesteuerter Sprachunterricht möglichst immer nur als Ergänzung zum lehrerorientierten Unterricht gesehen und von einem erfahrenen Sprachpädagogen verantwortlich geleitet werden.
In den Medien Hinzu kommen die vielfältigen Möglichkeiten, die die öffentlichen Medien besitzen. Der Empfang ausländischer Rundfunkstationen müßte wesentlich verbessert werden. Die Fernsehgeräte sollten nicht nur mit einem Zweitonkanal-, sondern mit einem Mehrtonkanalsystem ausgerüstet werden, das dem Zuschauer gestattet, ein bestimmtes Programm aus einem der Nachbarländer im Originalton zu empfangen. Die zunehmende Verkabelung der Haushalte in Westeuropa könnte erheblich dazu beitragen, daß selbst bei Spielfilmen mit Untertiteln - die akustische Übertragung in einer Fremdsprache erfolgt. Dies könnte ein wesentlicher Beitrag der öffentlichen Medien zum Fremdsprachenlemen in Europa bedeuten, und die in dieser Hinsicht privilegierten Beneluxstaaten oder auch die skandinavischen Länder haben diesbezüglich der übrigen Bevölkerung Europas einiges voraus. Geschickt produzierte Fernsehprogramme für den Fremdsprachenunterricht, wie sie etwa von der BBC seit Jahren ausgestrahlt werden, dürften überdies ihre Wirkung kaum verfehlen. Europa hat den kritischen point of no return hinsichtlich der Etablierung eines gemeinsamen Binnenmarktes bereits überschritten. Darum ist das Überdenken der bisherigen Strukturen im Bereich der Fremdsprachenausbildung und die Schaffung neuer Konzeptionen aufgrund der veränderten grenzübergreifenden Kommunikationsbedürfnisse von nicht zu unterschätzender Dringlichkeit.
Anmerkung l Vgl. die Presse-Nachricht vom 20.10.1990 in den "Westfälischen Nachrichten" mit der Schlagzeile "Deutsch kommt in der EG-Behörde häufig zu kurz - Regierung rügt Verstoß gegen die Sprachenregelung", wo auf die Vernachlässigung der deutschen Sprache wiederholt hingewiesen wird.
FREMDSPRACHEN AN NORWEGISCHEN HANDELSHOCHSCHULEN Ingrid Simonnaes Ich habe mein Referat wie folgt gegliedert: I. Definition des Begriffs Handelshochschulen, II. Inhalt und Ziele der Studienangebote an den Handelshochschulen und III. Ausblick. la. Das Thema lautet "Fremdsprachen an norwegischen Handelshochschulen". Also ist zunächst der Begriff "Handelshochschulen" näher abzugrenzen: Nach üblicher Definition in Norwegen sind Handelshochschulen die Hochschulen, die eine Ausbildung zum Dipl.-Kfm. anbieten. Dies ist der Fall für - das Hochschulzentrum in Bod0 - das Bedrifts0konomisk Institutt (BI) in Oslo und - die NHH (Norwegische Wirtschaftshochschule) in Bergen. Ib. Wenn mit "Fremdsprachen an norwegischen Handelshochschulen" Fremdsprachenunterricht im tertiären Bildungsbereich mit Ausrichtung auf Fremdsprachen für Wirtschaft und Verwaltung gemeint sein soll, könnten auch noch weitere Bildungsträger mit erwähnt werden, die keine Dipl.- Kfm.-Ausbildung anbieten, z.B. Halden, Kristiansand und Stavanger. Weitere Unterschiede sind außerdem, daß Halden und Kristiansand "Distriktshegskoler" (eine Art Fachhochschulen) sind. Stavanger (übrigens Bod0 auch) ist ein "H0gskolesenter" (Hochschulzentrum). Ich erwähne dies kurz mit, um einen möglichst vollständigen Überblick über die verschiedenen Fremdsprachenangebote zu ermöglichen. Ich werde hierbei allerdings nur staatliche Bildungseinrichtungen, deren Studienangebot mindestens zwei Semester Vollzeitstudium umfaßt, mit berücksichtigen. Unberücksichtigt bleiben ebenfalls die traditionellen philogogischen Universitätsstudien, da in Norwegen wie in Deutschland die Universitätsausbildung in Fremdsprachen hergebrachterweise auf eine Lehrer-/Forscherausbildung abzielt. Was weitere Einzelheiten und besonders die Unterschiede zwischen den verschiedenen Studienorten betrifft, so ist bei den Handelshochschulen (1. Gruppe hier) auf die Tatsache hinzuweisen, daß BI im Gegensatz zu den beiden anderen Handelshochschulen eine private Hochschule ist, und daß Bod0 nur die letzten zwei Jahre einer vierjährigen Ausbildung zum Dipl.-Kfm. anbietet. Die NHH steht, trotz ihres Namens (Wirtschaftshochschule) im Range einer Universität, worauf die NHH besonderen Wert legt, und ist in Norwegen die älteste Bildungseinrichtung (seit 1936), die die Dipl.-Kfm.- Ausbildung anbietet. Die beiden anderen sind viel jünger, z.T. knappe zehn Jahre alt. II. Die drei Handelshochschulen unterscheiden sich auch im Umfang und Stellenwert ihres Fremdsprachenangebots im Bereich der Dipl.-Kfm.- Ausbildung. BI hat - im Gegensatz zu den beiden anderen Bildungseinrichtungen - eine Fremdsprache als Pflichtwahlfach, die beiden anderen eine oder eventuell zwei Sprachen nur als Wahlfach. Während sowohl BI als auch die NHH Deutsch, Englisch und Französich anbieten, umfaßt das Angebot von Bod0 nur Englisch und Französisch. Sowohl BI als auch die NHH
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haben das Fremdsprachenangebot nur während des Grundstudiums, die Studenten in Bod0 absolvieren den (zweisemestrigen) Fremdsprachenunterricht während ihres Hauptstudiums. Die NHH bietet übrigens auch Spanisch, und - in jüngster Zeit - Japanisch, Arabisch und Italienisch an. Im letzteren Fall erfolgt der Unterricht in Zusammenarbeit mit Lehrkräften der Universität Bergen. Die anderen Bildungseinrichtungen weisen hinsichtlich ihres Fremdsprachenangebots ebenfalls zum Teil erhebliche Unterschiede auf: - Halden bietet einen zweijährigen Studiengang in Wirtschaftsdeutsch und Internationalem Handel an mit einem einsemestrigen integrierten Auslandsaufenthalt. (Einen entsprechenden Studiengang gibt es übrigens ganz neu ab diesem Herbst auch in Französisch.) Dieses Studium ist eine Kombination eines Sprachstudiums mit dem Studium eines fachlichen Ergänzungsfaches (Internationaler Handel), das übrigens in norwegischer Sprache gelehrt und geprüft wird. - Kristiansand bietet ein dreijähriges Fachübersetzerstudium mit integriertem Auslandsaufenthalt im 2. Jahr des Studiums in Englisch und Französisch an, wo 40% der Unterrichtsstunden als Sachfach gelehrt werden, welches das Sprachstudium unterstützen soll. - In Bergen (NHH) schließlich gibt es einjährige Studiengänge in Wirtschqftsdeutsch, -englisch und -französisch mit - in nächster Zukunft - einem 2. Jahr für Deutsch, das als Übersetzerstudiumfür Wirtschaß und Verwaltung sowie Grundausbildung zum staatlich geprüften Übersetzer gedacht ist. Das Studium in Wirtschaftsenglisch liegt allerdings auf einem höheren Niveau als die beiden anderen Studiengänge und entspricht nach Beendigung einem Kenntnisstand eines zweijährigen Studiums, da als Zulassungsvoraussetzung bereits ein einjähriges Universitätsstudium in Englisch oder gleichwertiger Kenntnisstand verlangt wird. Als Vertreterin der NHH werde ich mich im folgenden besonders auf das Angebot der NHH konzentrieren, da ich hier aus eigener Erfahrung berichten und genau sagen kann, wie die Vermittlung der Fremdsprachenkenntnisse an der NHH erfolgt. Zuvor ist es allerdings wichtig, kurz den Stellenwert von Fremdsprachen (allgemein und im Schulsystem) in Norwegen zu beschreiben. Es ist einsichtig, daß für ein Land wie Norwegen - ich denke dabei an die geographische Randlage - mit nur ca. 4 Mio. Einwohnern, andere Sprachen als das Norwegische einen hohen Stellenwert haben müssen. Dies traf bereits früher zu, da Norwegen eine alte Handels- und Schiffahrtsnation ist, und gilt heute in unserer modernen Zeit mehr denn je. Es ist daher naheliegend, daß Fremdsprachenkenntnissen in Norwegen ein besonderer Stellenwert zuerkannt wird (oder werden müßte?). Fremdsprachenkenntnisse können in diesem Zusammenhang aber nicht nur Englischkenntnisse sein. Die zunehmend schneller voranschreitende Internationalisierung betrifft ja auch Norwegen - ob Mitglied der EG oder nicht -. Also muß mehr für die Fremdsprachenkenntnisse, hier besonders andere als das Englische, getan werden. Dies hat man in Norwegen in jüngster Zeit nach Aussagen des dafür zuständigen Ministers für Bildung, Wissenschaft und Forschung eingesehen, und der Minister hat mehrmals ganz klar zum Ausdruck gebracht, daß im Internationalisierungsprozeß bessere Fremdsprachenkenntnisse für Norwegen vonnöten sind. Daher sei im Sekundarbereich der Schulen wieder mehr Wert auf Fremdsprachen zu legen, was natürlich von uns Sprachlehrern im tertiären Bereich, und ganz besonders an den Handelshochschulen, sehr begrüßt wird. AI-
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lerdings werden wir einige Jahre auf die Auswirkungen dieses neuen Trends warten müssen, ehe sich hoffentlich die Fremdsprachenstudienangebote der Handelshochschulen noch stärker der Intemationalisierungswelle angepaßt haben können. Wenn sich Norwegen bis dahin zum Beitritt zur EG entschlossen haben sollte - was beim jetzigen Stand der Dinge beim wichtigsten Handelspartner und nächstem Nachbarn Norwegens, nämlich Schweden, wo nun eindeutig ein Beitrittsantrag erwogen wird - nicht mehr auszuschließen ist, wird allerdings die Wirtschaft einen riesigen Bedarf nicht nur an qualifizierten Übersetzern, sondern auch an Unternehmern mit ausreichenden Fremdsprachenkenntnissen haben. Kurz zu dem bisherigen Fremdsprachenangebot in den Schulen: In Norwegen wird als 1. Fremdsprache Englisch (ab 4. Klasse) gelehrt. Die 2. Fremdsprache, wahlweise Deutsch oder Französisch, ist Wahlfach (8. und 9. Klasse) bzw. Pflichtwahlfach in der 1. und 2. Klasse der weiterführenden Schule. - Die weiterführende Schule entspricht den letzten 3 Jahren vor dem Abitur in Deutschland. - Nur für das Abitur am neusprachlichen Zweig des Gymnasiums ist die Beibehaltung von zwei Fremdsprachen bis einschließlich letzter (3.) Klasse obligatorisch. Wenn ich hier von Fremdsprachen gesprochen habe, so sind das in erster Linie die drei großen Weltsprachen: (in alphabetischer Reihenfolge) Deutsch, Englisch und Französisch. Vereinzelt kommt es auch vor, daß z.B. Spanisch oder Russisch als 2. Fremdsprache (ab 1. Klasse der weiterführenden Schule) gelehrt wird. Und nun zurück zum Studienangebot der NHH: Das Fremdsprachenangebot der NHH umfaßt die zwei oben erwähnten Studiengänge (Fremdsprache als Wahlfach in der Dipl.Kfm.-Ausbildung und die einjährigen Studiengänge in Wirtschaftsdeutsch/-englisch und französisch). Darüber hinaus gibt es noch einen dritten Studiengang, der allerdings kaum belegt wird, nämlich einen zweijährigen Studiengang auf Magisterniveau zum Handelslehrer (nach Abschluß als Dipl.-Kfm.). Bei der Ausbildung zum Dipl.-Kfm. haben die Studenten, wie schon gesagt, zwei Wahlpflichtfächer zu wählen. Eine oft gewählte Kombination ist die von einer Fremdsprache und z.B. Rechtswissenschaften, wobei sie zwischen Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch wählen können, sowie gegebenenfalls Arabisch, Italienisch und Japanisch. Das Sprachstudium als Wahlfach erstreckt sich über drei Semester. Im Laufe der drei Semester sollen sich die Studenten laut Studienordnung einen "möglichst natürlichen und idiomatisch richtigen Gebrauch" der betreffenden Fremdsprache aneignen und zwar schriftlich wie mündlich. Das Wahlfach ist im Gegensatz zu den philologischen Universitätsstudien stärker praxisorientiert, und die Fremdsprache soll den Absolventen in ihrer späteren Tätigkeit in der Wirtschaft vornehmlich als Kommunikationsmittel dienen. Daher spielen neben grammatischen Kenntnissen auch Kulturkenntnisse, das Sich-Bewußt-Werden kultureller Unterschiede, eine wichtige Rolle. Nur durch die Verknüpfung von Theorie und Praxis können die Studenten möglichst gut auf spätere Geschäftsbeziehungen mit Vertretern aus der internationalen Wirtschaft vorbereitet werden. Dies versuchen wir zu erreichen, indem im Unterricht gleichzeitig Sprache und Mentalität vermittelt werden. Was die Wahl der Fremdsprachen betrifft, so rangiert bei unseren Studenten ganz eindeutig Englisch an erster Stelle mit ca. 30% eines Jahrgangs, die dieses Wahlfach belegen. Deutsch lag bisher an 2. Stelle mit ca. 15%, - nach den jüngsten Ereignissen in Osteuropa sind wir gespannt, wie sich dies in Zukunft auf die Wahl auswirken wird - sowie Franzö-
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sisch und Spanisch je mit ca. 12%. (Pro Jahr können bei uns an der NHH ca. 360 Studenten - von einer Bewerberzahl von knapp 2.500 - ihr Studium zum Dipl.-Kfm. aufnehmen.) In diesem Herbst haben übrigens ca. 80 Studenten Deutsch als Wahlfach belegt! Für weitere Details will ich Deutsch als Beispiel heranziehen, da die Bundesrepublik für Norwegen der zweitgrößte Handelspartner ist und von norwegischer Seite bewußt Anstrengungen unternommen werden, den deutschen Markt für norwegiche Produkte noch besser zu erschließen. Gute Deutschkenntnisse sollten daher bei den Handelsbeziehungen, die durchaus weiter ausbaufähig sind, eine wichtige Rolle spielen. Bekanntlich soll man ja immer die Sprache des Kunden sprechen! Wir vermitteln unseren Studenten im Rahmen des Wahlfaches Deutsch ein gründliches Sachwissen mit den dazugehörigen sprachlichen Ausdrucksweisen in den Bereichen Staatsaufbau, Wirtschaft, wirtschaftliche und politische Institutionen, neuere Geschichte und moderne Literatur, Wirtschaftsgeographie sowie selbstverständlich Handelskorrespondenz. Auf Mentalitätsunterschiede wird u.a. im Rahmen der mündlichen Disziplin "Konversation" näher eingegangen. Das Sachwissen - und dies besonders kontrastiv gesehen zu den entsprechenden norwegischen Gegebenheiten - ist eine unabdingbare Voraussetzung, wenn unsere Absolventen später in der Wirtschaft tätig sind und Kontakte zu deutschen Unternehmen anbahnen wollen, und die Sprachkenntnisse sollen für sie das Medium dazu sein. An dieser Stelle möchte ich ein wenig ausholen und kurz aus einer kleinen Untersuchung (Vest-Tyskland ifokus; '88 "Die Bundesrepublik Deutschland im Brennpunkt "88") zitieren, die eine Gruppe unserer Studenten vor zwei Jahren durchgeführt hat, um zu klären, welche Faktoren für eine gelungene Gründung von Niederlassungen in Deutschland als ausschlaggebend einzustufen seien. Einer der Faktoren, über den sie sich genauer informieren wollten, war der Stellenwert von Deutschkenntnissen. Obwohl es keine großen Unterschiede in Sprache und Kultur zwischen Norwegen und Deutschland gibt, wurde ein ausreichendes Allgemeinwissen über die Deutschen, d.h. deren Kultur und Geschichte, und das Sprechen-Können der deutschen Sprache als von großem Vorteil angesehen. Es sei nicht so wichtig, so die Untersuchung, ob die Deutschkenntnisse immer grammatisch einwandfrei seien, allein das Bemühen des norwegischen Geschäftspartners, deutsch zu sprechen, wisse der Deutsche zu schätzen. Als wichtig wurde eingestuft, daß die Studenten im Studium darauf vorbereitet werden, über welche Themen sie sich später beim "Small-talk" mit ihrem Gegenüber unterhalten können, und wie sie sich zu verhalten haben (Formen - z.B. das "Sie", Pünktlichkeit und Händeschütteln - und Kleidung - sportlich versus formell). Und was hält die norwegische Wirtschaft von den Fremdsprachenkenntnissen ihrer Leute? An der NHH wurde im Frühjahr 90 vom Institut für Fremdsprachen eine Konferenz veranstaltet mit dem Titel "Sprachkonferenz '90 - Wirtschaft und Sprachen - vor und nach '92", um diesem genauer nachzugehen. Einer der Referenten, Arild Blixrud, Vertreter des Norwegischen Exportrats, sagte in seinem Vortrag dort, daß seinen Erfahrungen nach Fremdsprachen- und Kulturkompetenzen in der Wirtschaft zwar vorhanden, aber diese durchaus auch besser sein könnten. Auch er hielt an der traditionellen Rangfolge der Sprachen fest: Englisch an 1. und Deutsch an 2. Stelle -jedenfalls sei das früher der Fall gewesen, und werde es wahrscheinlich nach Vereinigung der zwei deutschen Staaten sowie des derzeitigen tiefgreifenden wirtschaftspolitischen Wandels Mitteleuropas wieder sein. Er un-
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terließ allerdings auch nicht, auf die zunehmende Bedeutung Frankreichs als Exportmarkt für norwegische Produkte hinzuweisen und somit den zunehmenden Bedarf an guten Französischkenntnissen . Seiner Ansicht nach müsse der Fremdsprachenunterricht stärker auf die Praxis ausgerichtet sein, also nicht nur auf das Vermitteln von theoretischen Kenntnissen der betreffenden Fremdsprache. Kulturverständnis sei sehr wichtig und müsse im Unterricht mit vermittelt werden. Der Norwegische Exportrat sehe in guten Fremdsprachenkenntnissen und Kulturverständnis wichtige Erfolgsfaktoren für die norwegische Wirtschaft; dies sei bisher der Fall gewesen, und werde es auch bleiben - im Zuge der Internationaliserung sogar stärker als bisher. Diese Auffassung teilen wir Sprachlehrer an der NHH ganz und gar, und unsere Studienpläne spiegeln diese Tatsache auch wider. Es geht uns nicht nur um ein Vermitteln von Sachwissen, sondern auch darum, daß unsere Studenten dieses Sachwissen in einer "möglichst natürlichen und idiomatisch richtigen" Weise auf deutsch/englisch usw. gebrauchen können. Auch wenn unser Studium keinen integrierten Auslandsaufenthalt hat, so nutzen viele unserer Absolventen ihre Semesterferien zwischen dem 2. und 3. Semester zu einem Auslandsaufenthalt. Hier arbeiten sie in Unternehmen, die über die AIS EC (Association Iniernationale des Etudiants en Sciences Economiques et Commerciales) Praxisplätze zur Verfügung stellen, um dort ihre Fremdsprachenkenntnisse zu erweitern und zu vertiefen. Andere nutzen die Chance, die ihnen unsere ca. einwöchigen Studienreisen bieten, die (aus finanziellen Gründen) im Zwei-Jahres-Takt in die Bundesrepublik/nach Großbritannien usw. stattfinden, um an Ort und Stelle mit Institutionen und den Gepflogenheiten der Einwohner genauer bekannt zu werden. Diese Studienreisen sind sehr beliebt bei den Studenten, weil sie dabei einen Einblick in die Wirtschaft des betreffenden Landes bekommen, den sie als Privatperson so leicht nicht bekommen können. Nach gründlichen Vorbereitungen vor der Abreise können die Studenten an Ort und Stelle "hinter die Kulissen" schauen, sprich sich vor Ort in der Londoner City mit Vertretern der Stock-Exchange oder in Düsseldorf mit führenden Vertretern der Deutschen Bank in Informations gesprächen genauestens informieren. Auch die "Partner-Universitäten" spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle für die Fremdsprachenkenntnisse: Den Französisch-Studenten an der NHH steht die Universität Caen offen, den Deutsch-Studenten das Deutsch-Norwegische Studienzentrum an der Universität Kiel usw. Zwar kann nur ein Bruchteil unserer Studenten von diesem Angebot Gebrauch machen - bisher auch nur Studenten der einjährigen Studien in Wirtschaftsdeutsch, -englisch und -französisch, aber immerhin. Last, but not least trägt ebenfalls das gut ausgebaute Kontaktnetz der NHH zu Universitäten und wissenschaftlichen Hochschulen anderer Länder in der ganzen Welt zu besseren Fremdsprachenkenntnissen bei: Der Austausch von angehenden Dipl.-Kfl. fördert auf eine ganz besondere Weise die Fremdsprachenkenntnisse. Hier befinden sich die Studenten während ihres Studiums der Wirtschaftswissenschaften im jeweiligen Sprachraum und können sich die Fremdsprache besonders gut aneignen. Der Austausch ist - naheliegend - besonders im nordischen Raum gut ausgebaut. Weit interessanter in diesem Zusammenhang ist jedoch der Austausch mit Universitäten im (1) englischsprachigen Raum, wo verschiedene
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amerikanische Universitäten den Studenten offenstehen, (2) deutschsprachigen und (3) französischsprachigen Raum. Im Rahmen des Ruhrgas-Stipendiums vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft nehmen alljährlich ca. zwölf Studenten der Wirtschaftswissenschaften die Chance wahr, an einer deutschen Universität (Bochum, Mannheim und Kiel) einen Teil ihres Studiums zu absolvieren. Daneben besteht die Möglichkeit, an der JohannesKeppler-Universität Linz, bzw. (ganz neu) an der Hochschule St. Gallen Wirtschaftswissenschaften zu studieren. Für den französisch-sprachigen Raum ist der Austausch mit der Eliteschule HEC (Ecole des Hautes Etudes Commerciales), Paris, möglich, und die allerdings bescheidene Quote von zwei Studenten wird selbstverständlich ausgeschöpft. Auch beim Studiengang in Wirtschqftsdeutsch spielt die Vorbereitung der Studenten auf deren spätere Zusammenarbeit mit Vertretern der (deutschsprachigen) Wirtschaft eo ipso eine wichtige Rolle. Besonderes Schwergewicht liegt bei diesem Studiengang - wie beim Wahlfach - auf den Bereichen Staatsaufbau, Wirtschaft, wirtschaftliche und politische Institutionen, neuere Geschichte und Wirtschaftsgeographie sowie Handelskorrespondenz. Hinzu kommen verschiedene Fachsprachen aus Wirtschaft und Verwaltung. Auch hier geht es wieder um ein Vermitteln von Sachwissen und Sprachkenntnissen. An der NHH erfolgt der gesamte Unterricht, auch der der Fachsprache, sei es betriebswirtschaftliche oder juristische Terminologie, in deutscher Sprache. Die Studenten werden hier systematisch an einen genauen Einblick in die betriebswirtschaftliche/juristische Terminologie herangeführt bei gleichzeitigem Vermitteln der zugrundeliegenden Sachkenntnisse in beiden Ländern. Ein weiterer Schwerpunkt bei diesem Studiengang ist die Verhandlungssprache, mit der unsere Studenten befähigt werden sollen, später an einfacheren Verhandlungen teilzunehmen, ohne Sprachschwierigkeiten zu haben. III. Ausblick: Was den künftigen Stellenwert der Fremdsprachen an den hier erwähnten Handelshochschulen betrifft, so läßt sich das wie folgt zusammenfassen: Die Handelshochschulen sowie die anderen Bildungseinrichtungen, von denen ich hier gesprochen habe, sind jederzeit bemüht, ihr jeweiliges Fremdsprachenangebot zu verbessern und den neuen Anforderungen, die sich aus dem Wandel der Gesellschaften ergeben, laufend anzupassen. In diesem Zusammenhang ist der künftige (?) Beitritt Norwegens zur EG ein Dreh- und Angelpunkt: Seitens der Wirtschaft ist, jedenfalls teilweise, erkannt worden, daß im Zeitalter der Internationalisierung mehr und bessere Fremdsprachenkompetenzen erforderlich sind. Da die norwegischen Politiker bisher allerdings noch nicht bereit waren, in der Frage des Beitritts Norwegens zur EG eindeutig Stellung zu beziehen, sind im Haushalt leider noch nicht ausreichend Mittel zur Verwirklichung dieses erweiterten Angebots angesetzt worden. Wir, als die betroffenen Handelshochschulen, sind uns dieser Lage (schmerzlich) bewußt und bemühen uns stark, bei den Behörden um Verständnis dafür zu werben, daß ein besseres Fremdsprachenangebot so bald wie möglich - und nicht erst nach einem Beitritt zur EG - kommen muß. Auch die NHH will sich den kommenden Veränderungen anpassen, die sich gezwungenermaßen aus der stetig zunehmenden weltweiten Verflechtung der Volkswirtschaften - mit oder ohne Beitritt zur EG - ergeben. Für die Deutsch-Abteilung sind besonders die Vereinigung Deutschlands und die Öffnung der Märkte in den anderen ehemaligen Ostblockstaaten einschneidende Faktoren, die zu berücksichtigen sind. Norwegische Unternehmen erhoffen
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sich durch diese Veränderungen neue Absatzgebiete für ihre Produkte, wobei gute Deutschkenntnisse ein wichtiger Faktor sein dürften. Das ist für uns Deutschlehrer der Ansatzpunkt, wenn wir unseren neuen Studenten erklären, warum sie Deutsch als Wahlfach wählen sollten. Wenn wir die deutlich höhere Zahl an Studenten, die diesen Herbst Deutsch als Wahlfach gewählt haben, zugrundelegen, und wenn wir künftig von einem weiteren Trend in dieselbe Richtung ausgehen können, werden demnächst mehr Dipl.-Kfl. mit Deutsch als Wahlfach den Unternehmen, die stärker in diese Märkte drängen, zur Verfügung stehen können. Im Bereich des Studiums in Wirtschqftsdeutsch hofft die NHH, bereits ab 1991 ihr Angebot auf einen zweijährigen Studiengang erweitert zu haben, um somit den gestiegenen Anforderungen an mehr Wirtschaftsdeutsch besser gerecht zu werden.
Literatur Vest-Tyskland i fokus '88 (1988) - Bergen: Norske Handelshegskole (Manuskript).
INTERKULTURELLE PROBLEME IN VERHANDLUNGEN ZWISCHEN DEUTSCHEN UND FINNEN?1 Friedrich Lenz
1. Einleitung "Der Finne ist verschlossen." "Die Finnen sind sehr ruhig." "Es gibt kein Rankommen an diese [Finnen], die sagen nichts."
Diese und ähnliche Urteile deutscher Geschäftsleute zum Kommunikationsverhalten ihrer finnischen Partner stammen aus Interviews, die im Rahmen eines Projektes zu "Deutschfinnischen Kulturunterschieden in der Wirtschaftskommunikation" aufgenommen wurden (vgl. Reuter/Schröder/Tiittula 1989). Dabei handelt es sich nicht um Ausnahmen in der Einschätzung finnischen Gesprächsverhaltens, denn in der Mehrzahl der Interviews kamen solche Überzeugungen - wenngleich zumeist in weniger expliziter Form - zum Ausdruck. Man kann diese Urteile als Stereotype abtun, in denen ungerechtfertigte Generalisierungen zum Ausdruck kommen (vgl. Quasthoff 1987). Man kann sich jedoch auch fragen, ob an dem Stereotyp nicht "etwas dran ist", d.h. die Generalisierung nicht jeder Grundlage entbehrt. In diesem Fall wäre zu prüfen, ob die finnische Seite sich tatsächlich kommunikativ zurückhält und inwiefern diese Zurückhaltung in aktueller Interaktion zu Problemen führt. Im folgenden sollen heikle Stellen im Kommunikationsverlauf einer authentischen Verhandlung aufgezeigt werden. Diese problematischen Passagen, in denen der deutsche Muttersprachler zunächst intuitiv nur feststellt, daß "etwas nicht stimmt", sollen sodann erklärt und auf ihre potentiellen Ursachen untersucht werden. Das Analysematerial geht auf eine knapp halbstündige Besprechung in der Lufthansa Niederlassung in Helsinki zurück. Darin handelt ein Finne (I in den Beispielen) mit dem deutschen Leiter der Niederlassung (M) mögliche Konditionen für einen Gruppenflug von etwa 50 Personen nach Deutschland aus. Außerdem war noch der finnische Assistent (H) des Büroleiters anwesend, der allerdings keine eigene Verhandlungsposition vertritt und sich seltener in das Gespräch einschaltet. Die Analyse soll mit dem methodologischen Instrumentarium der (ethnomethodologisch orientierten) Konversationsanalyse erfolgen und auch auf dort schon erarbeitete Ergebnisse zurückgreifen. Für die Untersuchung unserer deutschfinnischen Verhandlung spielen die Erkenntnisse vorliegender Studien sogar eine besonders wichtige Rolle. Es sollen nämlich Stellen untersucht werden, wo die Ausgestaltung grundlegender interaktiver Gesprächselemente wie des Sprecherwechsels oder der Themenbewegung von ihrer in anderen Untersuchungen festgestellten Normalform (vgl. Cicourel 1972) abweicht. Dabei ist von besonderem Interesse, wie die Teilnehmer mit solchen Problemstellen umgehen, denn in diesen Passagen ist, sobald den Teilnehmern irgendein Lapsus bewußt ist, mit sogenannter "repair work" zu rechnen (vgl. Schegloff/Jefferson/Sacks
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1977). Diese Reparaturen versuchen die interaktive Ordnung wiederherzustellen und werden auf der Äußerungsebene manifest.
2. Gesprächsorganisatorische Probleme 2.1. Initiativität und Responsivität Die den Finnen unterstellte interaktive Zurückhaltung müßte sich in interkulturellen Kommunikationssituationen besonders im Rahmen der Organisation des Sprecherwechsels bemerkbar machen. Es ist anzunehmen, daß sich die unterschiedlichen Erwartungen bezüglich der Redeaktivitäten in dem Mechanismus niederschlagen, der die gegenseitige Abstimmung der Redebeiträge regelt. Bei der Betrachtung des Sprecherwechsels soll auf die allgemeine Systematik für das Turn-Taking, wie sie Sacks/Schegloff/Jefferson (1974/1978) entwickelt haben, zurückgegriffen werden. Danach beruht der Sprecherwechsel auf einem Regelmechanismus, der an übergangsrelevanten Stellen (zumeist am Ende von Sätzen) durchlaufen wird, und (stark verkürzt) wie folgt wiedergegeben werden kann. l.(a) Selektion des nächsten Sprechers durch den derzeitigen; (b) Selbstselektion des nächsten Sprechers; (c) Selbstselektion des derzeitigen Sprechers; 2. Erneuter Durchlauf durch den Regelzyklus.
Die Regel l (a) ist die einzige, die im Sinne konditionaler Relevanz (Schegloff 1972: 363ff.) eine gewisse Verpflichtung zur Redeübernahme einschließt. Zumindest werden Erwartungen aufgebaut. Dabei bezieht sich die im Rahmen der Fremdselektion aufgebaute Erwartbarkeit auf zwei Aspekte; einerseits wird eine bestimmte sprachliche Handlung, andererseits ein Sprecher erwartbar. Auf diese Weise kann ein Schweigen einem Kommmunikationspartner zugeschrieben werden und bekommt dann je nach Kontext eine besondere interaktive Funktion. Zumindest an diesen Stellen ist also ein Schweigen nicht angebracht, da es im gesprächsorganisatorischen Zusammenhang mehr bedeutet als individuelle Zurückhaltung. Bevor es zu einer auffälligen Schweigephase kommt, kann aber versucht werden, den Lapsus zu korrigieren. Dies können im Sinne einer Fremdreparatur auch die anderen Beteiligten tun. Beispielpassage I zeigt einen solchen Fall bei*: r~
H Frankfurt-Flügen M
es ist bloß die Frage, (wolln) Sie erst(es) Mal nach Frankfurt Ja
H fliegen, wir haben nämlich auch einen Flug nach Düsseldorf. wass. wäre besser *I Mmh. Also. M Sie wissen, daß
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D
I ich glaube.. also wir wollen eigentlich unsere Reise in Köln anfangen M
Okay
un/deswegen
I spielt es eigentlich keine so große Rolle ob wir. nach Düsseldorf fliegen oder nach
Auf die Frage von H, ob er nach Frankfurt fliegen wolle, antwortet I. nicht, sondern reagiert lediglich mit einem Rückmeldesignal, nämlich dem mmh. Auf eine Frage wird aber im Sinne eines "adjacency pairs" gewöhnlich eine explizite Erwiderung erwartet und nicht nur ein Hörersignal. Diese Situation versuchen die anderen Partner zu bereinigen und keine Schweigephase aufkommen zu lassen, indem sie selbst den Turn übernehmen, was hier wegen der gleichzeitigen Selbstselektion sogar zu einem kurzzeitigen simultanen Sprechen führt. Der Büroleiter scheint in seinem später abgebrochenen Beitrag (Sie wissen, daß) eine höfliche Entscheidungshilfe geben zu wollen, da er wohl annimmt, daß I. nicht richtig verstanden habe. Ausschlaggebend für die endgültige Übernahme des Turn durch I. ist jedoch die Entscheidungsfrage des Assistenten (Was wäre besser). Der damit erneut aufgebauten konditionalen Relevanz kann sich I. nicht verschließen und übernimmt schließlich. Von der Möglichkeit, selbst initiativ zu werden und damit eigene Themen bzw. Verhandlungsgegenstände einzubringen, macht der Finne in der Anfangsphase der Unterredung keinen Gebrauch. Dabei scheint er auch Angebote zur Eigeninitiative nicht wahrnehmen zu wollen, wie in Passage II. I probieren. M Können wir sehr empfehlen wir haben auch Prospekte von dem ehm Express da. und
M auch von der. Route die er nimmt, äh auch mit den historischen. Beschreibungen die können
*M Sie dann schon vorher etwas, in. äh Augenschein nehmen und den. Studenten zeigen.. Ja das
M klingt ja dann ganz gut. ja. H jetzt, noch. eine. Frage über den Preis.. und über die.
Zunächst ignoriert er bei * offenbar ein Angebot zur Rederechtübernahme, denn M. scheint das Thema hier beenden zu wollen und gibt noch einmal Gelegenheit, sich zu äußern, was in der kurzen Pause (nach zeigen) zum Ausdruck kommt. Mit der abschließenden Bemerkung (das klingt dann ja ganz gut, ja), vor allem durch die angehängte Partikel ja bietet er nochmals das Rederecht an und eröffnet damit zugleich die Möglichkeit, einen neuen Themengegenstand einzubringen. I. ergreift aber nicht das Wort, so daß erneut H. die Initiative übernimmt und mit der Frage nach Preisen und Konditionen eine lokale Themenänderung konstituiert. Der finnische Geschäftspartner greift in der ersten Hälfte der Unterredung im Grunde überhaupt nicht in den thematischen Ablauf ein, sondern reagiert lediglich auf Initiativen des Deutschen. Im einzelnen reagiert er auf folgende Äußerungen:
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- Ist das richtig? - Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten? - Wie kommen Sie zu uns? - Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann dreht es sich etwa um vierzig Studenten, die fliegen wollen? - Wie alt sind die Studenten? - Wieviel Lehrer werden da mitreisen? - Die Reise soll nach Frankfurt gehen, oder? - Vielleicht könnten wir das irgendwie einbeziehen? - Wollen Sie erst(es) Mal nach Frankfurt fliegen? - Das wäre doch vielleicht eine Möglichkeit?
2.2. Rückmeldeverhalten Auch unterhalb der Ebene thematischer Initiativen zeigt I. wenig Kooperationsbereitschaft. Typische Hörersignale sind Partikeln und Interjektionen wie etwa ja, mh, ah, die oft mit verminderter Lautstärke gesprochen werden und nicht als eigener Gesprächsbeitrag wahrgenommen werden. Sie demonstrieren, daß man weiterhin zuhören will (vgl. Schenkein 1972: 366) und deuten dem Sprecher damit an, daß man ihm folgt und er weitersprechen kann. Entsprechend sind sie in erster Linie auch an übergangsrelevanten Stellen zu finden, also dort, wo eine Selbstselektion erfolgen könnte. Dies kann an den Signalen des deutschen Geschäftsmannes (siehe z.B. in II) gut beobachtet werden. Mangelndes Rückmeldeverhalten kann dagegen zu Irritationen der anderen Kommunikationspartner führen und deren Aktivitäten beeinflussen, also gleichsam wieder Fremdreparaturen hervorrufen. Ohne Rückmeldung, daß ihr Beitrag angekommen ist, können die Partner sich nämlich nicht ohne weiteres im klaren darüber sein, daß ihr Beitrag verstanden ist und wenden ihrerseits Mittel zur Verständnissicherung an. Dies führt einerseits zur ansonsten eher unüblichen expliziten Überprüfung des Verständnisses (so z.B. M.: ...verstehe ich Sie richtig, daß... oder ...wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann...); andererseits hat es zur Folge, daß der Sprecher weiterspricht, bis er glaubt, daß Verständnis bzw. Verständnissignale erreicht sind. Da I. weder den Turn übernimmt noch Verständnis signalisiert, kommt es so zu Paraphrasierungen. Wiederholungen und Paraphrasierungen sind zwar in Gesprächen im Gegensatz zu geschriebenen Texten nicht unüblich, ihre Häufigkeit und ihre Plazierung läßt-sie aber in unsrer Verhandlung eher als Reparaturversuche erscheinen, wie in Passage III zu sehen ist. H
das gilt übrigens auch für den Rückflug dann... dann. äh. Sie müssen so fliegen wie Sie
H gebucht haben... Sie müssen auch gleichzeitig, wenn Sie buchen, bezahlen aM [atmet] äh
Entschuldigung der. Punkt davor bedeutet daß Sie. Änderungen nicht, vornehmen können.
wenn Sie gebucht haben dann muß der Flug so ab/ geflogen werden wie Sie ihn vorher
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M H I
behandelt. Eine Frage noch, äh wo sind Sie. telefonisch zu erreichen. ja äh ich bin.
I persönlich, telefonisch, zu erreichen am besten zu Hause, (im) Nummer äh 608085.. H Gut.
H M I
danke... gut.
Und Sie machen, uns jetzt, ein Angebot, oder zwei Angebote oder, flexibel wie
I wir sind. M Ja. äh wir harn ja Notizen gemacht wir werden Sie als gesamte Gruppe einmal ahm
M I
berücksichtigen, und dann einmal in der Teilung
wie besprochen, mit dem Routing wie mh
ca. l Min. Zusammenfassung der Ergebnisse M
Sie buchen wollen, eventuell, die äh Schwierigkeit äh von. Mangel an Plätzen vor sich
M I
sehen... ja. das
wars glaub ich im wesentlichen. (mm)
und äh zu Schluß noch ah. wenn wir
I
diese.. Planung jetzt weitermachen, äh ist es prinzipiell möglich auch so ein(en)
I
gemischten 5h Flug mit äh der Partnergesellschaft zu machen, oder ist das
I ausgeschlossen. M äh das müßten wir prüfen, aber äh ich glaube das wird schwierig sein
Diese Passage stellt eine typische Vorbeendigungsphase dar (vgl. Schegloff/Sacks 1973), in der auf den endgültigen Abschluß der Unterredung hingearbeitet wird. Die relativ lange Schweigephase (bei *) deutet darauf hin, daß keiner zum bisherigen Thema noch etwas beitragen will und eine neue Gesprächseinheit akzeptiert wird. M. fügt mit seiner anschließenden Frage, ein typisches Vorschaltelement ein, wie es häufig vor dem Ende größerer Gesprächseinheiten, insbesondere vor dem Gesprächsende, auftritt. Mit solchen Elementen wird ein letztes Mal die Gelegenheit eröffnet, noch einen Beitrag zu einem vorangegangenem Themengegenstand zu leisten (vgl. Lenz 1989: 112ff.). Die Frage nach der Telefonnummer, die ja schon auf die nächste Kontaktaufnahme anspielt, leitet dann eigentlich schon zur Verabschiedungssequenz über. Zuvor faßt jedoch M. die Ergebnisse des Gesprächs noch einmal zusammen.
284
M bestimmt und be/gebucht haben. tnh. I Ja. das ist schon klar H
Also da empfehle ich übrigens
H eine Reiseversicherung, sollte irgend jemand kurzfristig so krank werden daß er nicht
H fliegen kann, gibt es leider, keine Ermäßigung oder keine Möglichkeit für eine
b H Rückzahlung, nämlich wenn Sie die Reise mal angetreten haben, äh. gibt es. nicht, eine
H Möglichkeit für die Rückzahlung. M Weder für Änderungen noch für äh Ausfall oder Stornierung
M durch Krankheit, oder, andere Gründe und das kann man durch eine Versicherung abdecken.
Bei a entschuldigt sich M. sogar dafür, daß er den Turn übernimmt und nochmals den Sachverhalt erklärt. Erst anschließend reagiert I. trocken mit Ja, das ist schon klar. Hätte er vorher schon sein Verständnis signalisiert, hätte es zu dieser peinlich wirkenden Sequenz nicht kommen müssen. Bei b paraphrasiert H. seine Aussage, nachdem I. nicht einmal mit einem Rückmeldesignal darauf eingegangen war. Als I. daraufhin immer noch stumm bleibt, erklärt M. den Sachverhalt ein drittes Mal.
2.3. Verhandlungsphasen In der ersten Hälfte der Unterredung ergibt sich der Eindruck, als ob primär der deutsche Partner das Gespräch vorantreibt. Betrachtet man sich jedoch das ganze Transkript, so fallt ins Auge, daß sich später die Redeanteile des Finnen rein quantitativ erheblich erhöhen. Bei genauerer Untersuchung wird deutlich, daß dies nicht nur auf verstärkte Responsivität auf die Initiative des deutschen Partners zurückzuführen ist. Vielmehr selegiert er sich häufiger auch selbst und führt außerdem auch initiative Sprechhandlungen aus. Der deutsche Partner muß nun nicht mehr vermeintliche Fragen seines Gegenübers antizipieren und quasi selbst formulieren, sondern geht in erster Linie auf dessen Themen ein. Dabei ist er offenbar bemüht, das Gespräch zu Ende zu bringen, denn er scheint davon auszugehen, daß alle wichtigen Punkte geklärt wären, wie aus Passage IV hervorgeht. H ich würde den Zug wirklich empfehlen. I ja ((3 sec)) *M
M
ja. ah haben Sie sonst noch
irgendwelche Fragen jetzt zu dem. äh Komplex ich glaub wir haben, im wesentlichen alles
285
Nach diesen gemeinsamen Aktivitäten zur Beendigung ist es um so erstaunlicher, daß I. nach der abschließenden Bemerkung von M. (das wars, glaub ich, im wesentlichen) doch noch das Gespräch fortführen will. Damit nimmt er sozusagen das Akzeptieren des auch von ihm getragenen Gliederungsschrittes wieder zurück. Dabei dreht sich sein Beitrag nicht um eine Bemerkung zum vorangehenden Themengegenstand. Vielmehr will er diese Planung jetzt weitermachen und führt dazu einen neuen Themengegenstand (gemischter Flug mit der Partnergesellschqft) ein, auf den sein Partner eingehen muß, wenn er nicht durch Verweigerung der Responsivität unhöflich erscheinen will. Zumindest in bezug auf die Gesprächsbeendigung scheint es also zwischen den beiden Seiten zu Diskrepanzen darüber zu kommen, in welcher Phase der Unterredung sie sich gerade befinden. Dies ist wohl auf das mißverständliche Verhalten des Finnen zurückzuführen, der zunächst an der Konstitution der Beendigungsphase ratifizierend teilnimmt und dann dennoch das Gespräch weiterführt. Es könnte jedoch ebenso mit dem unterschiedlichen Verständnis über die Gliederung des Gespräches zusammenhängen. Man könnte nämlich die anfängliche Zurückhaltung des Finnen auch so interpretieren, daß er davon ausgeht, daß sein Partner zunächst seine Position darlegt, bevor er selbst am Zuge ist. Da er aber seinen Teil bis zum ersten Beendigungsversuch des Deutschen noch nicht abgeschlossen hat, fährt er mit seinen Initiativen weiter fort.
4. Fazit Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß in der Beispielverhandlung einige gesprächsorganisatorische Problemstellen aufgezeigt werden konnten. So waren Fälle vorfindbar, wo der finnische Partner die im Rahmen des Sprecherwechselmechanismus aufgebaute Redeverpflichtung zu ignorieren scheint. Ebenso scheint er über weite Strecken auf Signale, die ihn zwar nicht zur Redeübemahme verpflichten, ihn aber dennoch dazu anhalten, nicht einzugehen. Da er sogar auf Rückmeldesignale weitgehend verzichtet, entsteht der Eindruck, daß er die Initiative gänzlich dem deutschen Partner überläßt, obwohl dieser ihm Angebote macht, eigene Verhandlungsgegenstände bzw. Themen einzubringen. Daraus könnte man den Schluß ziehen, "daß der Deutsche kommunikativer, mitteilungsfreudiger ist als der Finne" (Widon 1985: 168), womit das Stereotyp des wortkargen Finnen bestätigt wäre. Es sollte aber nicht vergessen werden, daß sich der Finne in einer fremdsprachlichen Situation befindet. Daraus könnte ein Unsicherheitsgefühl entstehen, das sich zunächst in Zurückhaltung äußert. Zudem hat sich gezeigt, daß Anzeichen kommunikativer Zurückhaltung nur in der ersten Phase der Unterredung zu finden sind und die Initiative immer mehr auf den Finnen übergeht. Die festgestellte Schweigsamkeit kann also nicht generalisierend als eine unumgängliche finnische 'Charaktereigenschaft' interpretiert werden. Auf der Grundlage der einen aufgenommenen Verhandlung sollte aber andererseits auch nicht leichtfertig auf interkulturelle Unterschiede bei der Konstitution von Verhandlungsphasen geschlossen werden. Hier scheint jedoch ein lohnenswertes Feld für weitere interkulturelle Analysen zu sein, denn unterschiedliche Vorstellungen zur Grobgliederung einer Verhandlung könnten auch für den phasenweisen Mangel an Kooperativität verantwortlich sein.
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Anmerkungen 1 Der Vortrag ist eine modifizierte und stark verkürzte Fassung von Lenz (1990). 2 Jefferson (1988) setzt als Toleranzgrenze etwa eine Sekunde an. Im Transkript werden Schweigephasen unter einer Sekunde mit (bis zu 3) Punkten angegeben.
Literatur Cicourel, Aaron (1972): Cognitive sociology of language and meaning in social interaction. Harmondsworth: Penguin. Jefferson, Gail (1988): "Preliminary notes on a possible metric which provides for a 'standard maximum' silence of approximately one second in conversation". - In: Roger, Derek/Bull, Peter (eds.): Conversation (Clevedon: Multilinual Matters) 166-196. Lenz, Friedrich (1989): Organisationsprinzipien in mündlicher Fachkommunikation. Zur Gesprächsorganisation von "Technical Meetings". - Frankfurt: Lang. - (1990): Der wortkarge Finne und der beredte Deutsche? oder: Die Angst des Geschäftsmanns vor dem Muttersprachler. - Helsinki: School of Economics (= School of Economics Working Papers F 244). Quasthoff, Uta (1987): "Linguistic Prejudice/Stereotypes". - In: Ammon, Ullrich /Dittmar, Norbert/Mattheier Kurt (Hrsg.): Sociolinguistics/Soziolinguistik (Berlin: De Gruyter) 785-799. Reuter, Ewald/Schröder, Hartmut/Tiittula, Liisa (1989): Forschungsprojekt: Deutsch-finnische Kulnirunterschiede in der Wirtschaftskommunikation. Zwischenbericht. - Helsinki: Kauppakorkeakoulun Julakaisuja, D-120. Sacks Harvey/Schegloff, Emanuel/Jefferson, Gail (1974/1978): "A simplest systematics for the organisation of rum-taking for conversation". - In: Schenkein, J() (ed.) (1978): Studies in the organisation of conversational interaction (New York: Academic Press) 7-56. Schegloff, Emanuel (1972): "Sequencing in conversational openings". - In: Gumperz, John J./Hymes, Dell (ed.): Directions in sociolinguistics (New York: Holt, Rinehard and Winston) 346-380. - /Jefferson, Gail/H. Sacks (1977): "The preference for self-correction in the organisation of repair in conversation". In: Language 53, 361-382. - /Sacks, Harvey (1973): "Opening up Closings". - In: Semiotica 8/73, 289-327. Schenkein, Jim (1972): "Towards an analysis of natural conversation and the sense of HE HEH". - In: Semiotica 6/72, 344-377. Widen, Perti (1985): "Interkulturelle Verständigung am Beispiel der finnisch-deutschen Kommunikation". In: Lebende Sprachen 4/85, 167-170.
DIE NOTWENDIGKEIT SKANDINAVISCHER SPRACHKENNTNISSE FÜR DIE DEUTSCHE EXPORTORIENTIERTE INDUSTRIE
Anne-Marie Henke
1. Handelsbeziehungen In deutschen Firmen herrscht oft die Meinung vor, Exportkontakte und Exportprozesse könnten durch englische Sprachkenntnisse bewältigt werden. Umfragen und Statistiken belegen, daß allenfalls französische und spanische Fremdsprachenkenntnisse neben den englischen gefragt sind. Die skandinavische Sprache genießt dagegen nur einen verschwindend geringen Anteil in Fremdsprachenbedarfsermittlungen. Mein Ziel ist es darzustellen, wie notwendig das Erlernen skandinavischer Sprachen und Kulturen für die deutsche exportorientierte Industrie ist. Der Schwerpunkt liegt auf Dänemark, aber Norwegen, Schweden und Finnland werden in meine Beobachtungen miteinbezogen. Um die Forderung skandinavischer Sprach- und Kulturkenntnisse rechtfertigen zu können, ist es sinnvoll, den Exportanteil des deutsch-skandinavischen Handels darzustellen. 1.1. Dänemark-Deutschland Die Tabelle stellt die Exportentwicklung der dänischen Industrie in Mio. dkr. dar. Rang
Land
1988
1989
Exportanteil
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Westdeutschland Schweden Großbritannien Norwegen USA Frankreich Holland Finnland Italien Schweiz Japan Belgien u. Luxemburg
21.286 16.591 13.739 10.143 7.232 7.239 5.829 3.992 3.930 3.253 2.494 2.841
24.512 19.296 15.655 10.180 8.285 8.271 6.689 5.119 4.466 3.609 3.183 3.168
17.2 13.6 11.0 7.2 5.8 5.8 4.7 3.6 3.1 2.5 2.2 2.2
Quelle: Danmarks Statistik, Juli 1990
Ein großer Anteil des dänischen Industrieexportes geht in die Länder, die rein größenmäßig dafür in Frage kommen. Die genaue Betrachtung zeigt jedoch darüber hinaus, daß besonders die Länder, die geographische oder kulturelle Nachbarn Dänemarks sind, einen wichtigen Absatzmarkt bilden. So liegen Schweden, Norwegen und Finnland unter den ersten acht.
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1,2. Deutschland-Dänemark
Die folgende Tabelle bestimmt die wichtigsten Absatzmärkte der Bundesrepublik. Der Exportanteil wird in Mrd. Mark ausgedrückt. Rang
Land
1988
Anteil
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 18
Frankreich Großbritannien Italien Niederlande USA Belgien-Luxemburg Schweiz Österreich Spanien Schweden Japan Dänemark UDSSR Finnland Norwegen
71.272 52.873 51.653 49.193 45.679 42.071 34.443 31.871 17.346 16.651 13.118 11.283 9.424 6.272 5.131
12.6 9.3 9.1 8.7 8.0 7.4 6.1 5.6 3.1 2.9 2.3 2.0 1.7 1.1 0.9
Quelle: Der Fischer Welt Almanach 1990, S. 887-888
Die skandinavischen Länder liegen auf dem 10.-18. Rang. Insgesamt haben die vier Absatzmärkte jedoch einen Anteil von 6,9% am deutschen Export, was ihre Bedeutung entscheidend vergrößert. Zusammengerechnet läge Skandinavien auf dem 7. Platz. Im folgenden möchte ich darstellen, wie der deutsch-skandinavische Handel auf der sprachlichen Ebene zum größten Teil abgewickelt wird.
2. Die sprachliche Regelung der deutsch-skandinavischen Handelskontakte Die Analyse der sprachlichen Beziehungen des deutsch-skandinavischen Handel zeigt, daß Tradition und wirtschaftliche Stärke der beteiligten Länder großen Einfluß haben. Die daraus resultierenden Probleme erfordern eine konsequente Neuorientierung des Sprachbewußtseins. 2.1. Dänemark Dänemark war aufgrund seiner geographischen und wirtschaftlichen Struktur von jeher auf den Export angewiesen. Die dänische Sprache ist im Ausland kaum verbreitet, was die Dänen stets zum Erlernen fremder Sprachen und Kulturen zwang. Trotz dieser Tradition und der Tatsache, daß sich Dänemark flexibel und pragmatisch auf Wirtschaftsänderungen einstellt, lassen sich auf dem sprachlichen Gebiet Defizite aufdecken, die jedoch keineswegs mit denen Deutschlands zu vergleichen sind (Henke 1989: 107ff.). Deutschland betreibt als führende Exportnation keine ausreichende Fremdsprachenpolitik. Dies belegen verschiedene
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Statistiken zur industriellen Fremdsprachenbedarfsermittlung, aus denen hervorgeht, daß skandinavische Fremdsprachenkenntnisse keinen nennenswerten Stellenwert innehaben (Bausch 1980, Christ 1979, Schröder 1978 und 1980). Die Gründe vermute ich einerseits in der wirtschaftlichen Stärke Deutschlands, andererseits in der relativ weiten Verbreitung der deutschen Sprache im Ausland sowie darin, daß die englische Sprache als offiziell hinreichende Handelssprache gilt. Deutsche Geschäftsleute erwarten bei ihren Exporttätigkeiten in Dänemark deutsche Sprachkenntnisse von ihren Handelspartnern. Dieser Erwartungshaltung werden Dänen auch oftmals gerecht. Besonders in Jutland, aufgrund seiner geographischen und geschichtlichen Nähe zu Deutschland von deutscher Seite vielfach als Binnenmarkt betrachtet, sind deutsche Sprachfertigkeiten üblich. Auch das Medium Fernsehen spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle. Aus finanziellen Gründen werden Filme im dänischen Fernsehen nicht synchronisiert, was amerikanische und deutsche Sprache und Kultur nahe gebracht hat. Festzuhalten bleibt somit, daß deutsche Exporteure sich zumeist darauf verlassen, im dänischen Raum auf deutsche oder englische Sprachkenntnisse ihrer Handelspartner zu treffen und nur in Ausnahmefällen um das Erlernen der dänischen Sprache bemüht sind. 2.2. Die übrigen skandinavischen Länder In den anderen Ländern Skandinaviens verhält sich die Situation ähnlich. Schwedische Sprachkenntnisse sind bei deutschen Geschäftleuten auch selten, jedoch öfter als dänische Sprachkenntnisse anzutreffen. Bei industriellen Fremdsprachenbedarfsermittlungen wurde die schwedische Sprache öfter genannt als vergleichsweise die dänische (Schröder 1980: 3235). Ansonsten verläßt man sich auch hier, falls der schwedische Partner nicht deutsch spricht, auf die englische Sprache. In Norwegen kann man auf deutsche, häufiger auf englische Fremdsprachenkompetenzen der Partner treffen. Skandinavier verkehren untereinander meist in einer skandinavischen Sprache, z.B. der dänischen. Ausnahmen sind die Länder Island und Finnland. Während Isländisch wenig verbreitet und schwer erlernbar ist, kann in Finnland auf Schwedisch bzw. Skandinavisch kommuniziert werden, da die zweite Amtssprache Schwedisch ist. Eine Verständigung in Island ist dagegen meist nur auf Englisch möglich, in Finnland sowohl in schwedischer, bzw. skandinavischer als auch englischer Sprache, falls der Handelspartner nicht deutsch spricht. Die unterschiedliche Bedeutung, die man den Sprachkompetenzen im Handel beimißt, belegen Ergebnisse einer Befragung zu deutsch-finnischen Kulturunterschieden in der Wirtschaftskommunikation (Universität Vaasa/Universität Bayreuth 1988: 34-58). Befragt wurden im deutsch-finnischen Handel tätige Firmen und andere Institutionen. Die Auswertung der Interviews war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch nicht abgeschlossen, jedoch stellen die vorläufigen Ergebnisse die Beziehungen auf der sprachlich-kulturellen Ebene im deutsch-skandinavischen Handel gut dar. Es zeigte sich, daß Finnen Sprach-und Kulturkompetenzen in der Wirtschaft viel höher einschätzen als Deutsche. Die meisten Finnen führen Verhandlungen in deutscher Sprache; Deutsche verfügen kaum über schwedische oder finnische Sprachkenntnisse. Als relevante Ergebnisse sind folgende zu nennen: - Kontaktsprache ist im allgemeinen Deutsch
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- Finnen bevorzugen mündliche, Deutsche schriftliche Kommunikation - Deutschkenntnisse der Finnen sind gut, Sprach-und Kulturkenntnisse werden von ihnen sehr hoch eingeschätzt - Deutsche Exporteure verlassen sich zumeist auf das Englische Von deutscher Seite wird nicht so viel Wert auf Kultur-und Sprachverhalten gelegt. Besonders die Tatsache, daß Unterschiede in vielen Fällen von den Deutschen gar nicht wahrgenommen werden, unterstreicht den Sachverhalt. Typisch ist sicherlich, daß Finnen bemüht sind, sich der deutschen Art anzupassen, indem sie die deutsche Sprache als Kontaktsprache benutzen und sich sogar auf die Präferenz der Kommunikationsmittel einstellen. Der deutschen Erwartungshaltung wird man hier gerecht. Festzuhalten ist, daß von Seiten Deutschlands zumeist auf Sprachfertigkeiten der Skandinavier vertraut wird, und Kenntnisse der nordischen Sprache und Kultur nur in Ausnahmefällen bestehen. Kommunikationsprozesse verlaufen im Handel vorwiegend in der deutschen oder englischen Sprache. Das dies jedoch bedeutende Nachteile mit sich bringt, wird im folgenden zu sehen sein.
3. Die Auswirkungen fehlender Fremdsprachen- und Kulturkenntnisse Die folgenden Beispiele verdeutlichen, daß ein Vertrauen auf die fremdsprachlichen Fertigkeiten der nordischen Handelspartner langfristig negative Konsequenzen mit sich bringt. Die Beispiele entstammen Erfahrungen, Umfrageergebnissen und der öffentlichen Debatte der Thematik. Desweiteren beziehen sich die Beispiele sowohl auf die skandinavische als auch auf die deutsche Seite. 3.1. Sprache Auch wenn Skandinavier oft über deutsche Sprachfertigkeiten verfügen, ist zu bedenken, daß sich ein langfristiger Handelskontakt am besten stabilisiert, wenn der Kunde in seiner eigenen Sprache reden kann, wie Beobachtungen und Befragungen verifizieren. Kommunikation in der Muttersprache erleichtert Kunden die Gesprächsführungen; sie fühlen sich sicherer, sind kommunikationsbereiter und können ihre Einstellungen und Erwartungshaltungen klar formulieren. Außerdem werden skandinavische Sprachkenntnisse eines deutschen Exportkaufmanns von Skandinaviern sehr positiv bewertet, was für den Kommunikationsaufbau und für den Handelskontakt von großer Bedeutung ist. Zu Problemen kommt es zumeist dann, wenn beide Partner in einer ihnen fremden Sprache, z.B. Englisch sprechen. Die Ausdrucksfähigkeit ist erheblich gemindert und es kommt verstärkt zu Mißverständnissen. Die Atmosphäre während eines Gespräches bleibt angespannt, weil sich keiner der Beteiligten ganz sicher sein kann, ob er das gesagt hat, was er gemeint hat, bzw. ob der Partner ihn auch so verstanden hat. Ein weiteres Problem sind die gesellschaftlichen Zusammenkünfte, auf die besonders von Skandinaviern viel Wert gelegt wird. Ein unkompliziertes, offenes und privates Gespräch in einer für beide fremden Sprache zu führen, ist schwierig. Ein Firmenvertreter, der in Dänemark einen Handelskontakt auf Englisch knüpfte, berichtete mir kürzlich, daß er versuchte, die steife Atmosphäre
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durch einen Witz aufzulockern. Seine Übersetzung des deutschen Witzes in die englische Sprache mißlang jedoch völlig und sorgte für Peinlichkeit. Die Telefonkommunikation, wozu u.a. der Austausch von Höflichkeitsfloskeln, Produktbestellungen und Reklamationen gehören, kann Schuld an falschen Warenlieferungen sein oder das Gefühl verursachen, man sei bei dem Kunden nicht gut angesehen, weil er keine Höflichkeitsfloskeln von sich gibt. Probleme solcher Art werden ständig von Firmen berichtet (Befragungsergebnisse aus persönlichen Firmenkontakten). Eine dänische Firma, die Produkte eines deutschen mittelständischen Betriebes abnimmt und diese meist per Telefon bestellt, sieht sich konstant mit falschen Produkten beliefert und berichtet, daß sie stets unerhört lange auf ihre Sendungen warten müsse. Außerdem käme es ständig zu Kommunikationsproblemen, da die Gespräche in der englischen Sprache erfolgten. Diese würde zwar von dem dänischen Bearbeiter beherrscht, jedoch nur unzulänglich vom deutschen Partner. Dies führe zu ewigen Mißverständnissen, und man habe das Gefühl, daß die Aufträge auf der deutschen Seite bei Unsicherheiten zunächst zurückgestellt würden. Von deutscher Seite wird möglicherweise aufgrund der Firmensolidität nichts getan, um die Situation zu verändern. Das führt bei den Dänen dazu, daß der Service bemängelt wird - die Folge kann sein, daß man sich langfristig nach einem zuverlässigeren Exporteur umsieht. Dänen kennen das Problem zu Genüge; so finden viele öffentliche Debatten zu diesem Thema statt. In der Zeitung "Berlingske Tidende" (Bruun 1990: 5) findet sich ein Beitrag zu sprachlichen Mißverständnissen mit englischen Kunden. Es wird berichtet, daß die Erfahrung der Engländer die ist, daß die Dänen zwar ein gutes Englisch sprechen, daß sie aber für unhöflich gehalten werden. Der Grund hierfür war, daß die Dänen das kleine Wort "please", mit dem die Engländer die meisten ihrer Sätze beenden, einfach nicht verwenden, da ihnen die Relevanz nicht bewußt ist. Im Rahmen einer Studie wurde das Verhandlungsgespräch zwischen einem finnischen Kunden und zwei Deutschen Verkäufern aufgezeichnet und analysiert (Lenz 1990). Dabei zeigte sich, daß die Gesprächsstruktur der Deutschen in keinster Weise mit der des Finnen übereinstimmte und es wurde ersichtlich, daß Kommunikationsprobleme nicht allein auf kulturell bedingte Unterschiede ("Wortkargheit", "Zurückhaltung") basieren. Dieses Beispiel machte deutlich, daß interkulturelle Kommunikationsprobleme nicht nur auf stereotype Klischeevorstellungen zurückgeführt werden dürfen. Wichtig ist, sich über die differenzierten Gesprächsstrukturen bewußt zu sein und gegebenenfalls von der eigenen abzuweichen, um für beide Seiten eine zielgerechte Verhandlungssituation zu erreichen. Beispiele dieser Art ließen sich zu Genüge aufführen. Entscheidend ist meiner Meinung nach, daß der Faktor Sprache im Handel eine große Bedeutung innehat und für viele Vorund Nachteile verantwortlich ist. Um Mißverständnisse zu vermeiden ist es demnach sinnvoll, in einer für beide verständlichen Sprache zu reden. Eine positive Auswirkung hat erfahrungsgemäß die Kenntnis der Sprache des Kunden. Das Problembewußtsein ist in Dänemark sehr viel stärker und man bemüht sich hier konstant um Lösungsmöglichkeiten, während in Deutschland doch eine Ignoranz vorherrscht, die in vielen Fällen klare wirtschaftliche Nachteile mit sich bringt. In der Studie zur deutsch-finnischen Wirtschaftssprache wurde von den Deutschen erklärt, daß die finnischen Kenntnisse der deutschen Sprache und Kultur oftmals nicht als ausreichend empfun-
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den würden. Hier ist es notwendig, die Bewußtseinshaltung umzuorientieren - "sich selbst an die Nase zu fassen". 3.2. Kultur Die kulturellen Unterschiede zwischen Skandinavien und Deutschland sind trotz geographischer Nähe groß. Während in Dänemark kontinuierlich eine öffentliche Debatte zu dieser Thematik geführt wird (1), die ich fast als "publike Kulturschulung" bezeichnen würde, sind Beiträge dieser Art in Deutschland seltener, und wenn, dann eher in Fachzeitschriften diskutiert. Erfahrungen zeigen aber, wie wichtig die Debatte ist; im folgenden möchte ich einige Probleme darstellen. Von Deutschen wird oft über die mangelnde Pünktlichkeit der Skandinavier geklagt; nach Beendigung der regulären Arbeitszeit sind sie in keiner Firma und keinem Büro mehr zu erreichen, und sei es noch so erforderlich. Auch werden Essenspausen in Skandinavien unter allen Umständen eingehalten. Ein anderer Punkt sind fehlende schriftliche Bestätigungen diverser Vereinbarungen. Die informelle, unkomplizierte Verhaltensform besonders der Dänen ist für Deutsche nicht so leicht. Hierzu zählen die fehlende Sie-Form, das schnell vertrauliche Gespräch und die nicht so strikte Trennung von Verhandlungszeit und gesellschaftlicher Zeit. Schließlich lassen sich Unterschiede in Statussymbolen wie Kleidung, Auto, Hotel usw. feststellen - Skandinavier legen auf diese Dinge nicht besonderen Wert, während Deutsche ihren Partner zunächst nach dem äußeren Eindruck beurteilen. Es ist daher nicht verwunderlich, daß Deutsche und Skandinavier nach geschäftlichen Kontaktknüpfungen in manchen Fällen zwar gute Freunde werden, aber keine Geschäftspartner. Die skandinavische Mentalität gefällt zumeist, doch in geschäftlichen Angelegenheiten wird sie als unzuverlässig und unsolide empfunden. Skandinavier berichten, daß sie sich am Telefon oft unfreundlich behandelt fühlen - die Sparsamkeit der Deutschen scheine ihnen freundliche Unterhaltungen und Höflichkeitsfloskeln am Telefon zu verbieten. Die Punkte, die hier exemplarisch in kurzer Form aufgelistet worden sind, ließen sich noch weiter ausführen; z.B. daß es wichtig ist, sich in Skandinavien nach jedem Besuch nicht nur bei der Verabschiedung sondern auch später, am nächsten Tag, beim nächsten Treffen oder Telefongespräch für das letzte Zusammentreffen zu bedanken. Ein Vergessen wird als Unhöflichkeit aufgefaßt. Das Siezen einer Person signalisiert zunächst Distanz und Ablehnung etc. 3.3. Schlußfolgerung Der Überblick machte deutlich, in welchen Bereichen sprachliche und kulturelle Unterschiede zwischen Deutschen und Skandinaviern negative Auswirkungen haben können. Beobachtungen und Erfahrungen zeigen, daß Sprach-und Kulturbarrieren unter Umständen für das Nichtzustandekommen oder Abbrechen eines Handelskontaktes verantwortlich sein können. Es ist daher wichtig, sich darüber bewußt zu sein, daß die deutsche Mentalität von Skandinaviern als bürokratisch, steif und formell betrachtet wird. Um nun den zwischen-
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menschlichen Kontakt zielwirksam gestalten zu können, ist es sicher nicht notwendig, sich "skandinavisch" zu verhalten; der skandinavischen Erwartungshaltung Deutschen gegenüber kann schon in gewisser Weise Rechnung getragen werden, nur sollte außer Sprachkenntnissen soviel Kulturkompetenz vermittelt werden, daß es nicht zu Kommunikationsstörungen kommt. Das Verlassen auf skandinavische Deutschkenntnisse oder auf die englische Sprache ist auf keinen Fall ausreichend.
4. Problemlösungsmöglichkeiten Die Konsequenz besteht natürlich nicht darin, alle skandinavischen Sprachen zu erlernen. Doch möchte ich im folgenden einen Vorschlag unterbreiten bzw. wiedergeben, der z.B. auch vom Nordischen Rat (Nordiska rädet 1986) erarbeitet worden ist. Da ich hier keine sprachlichen und kulturellen Verhaltensregeln aufstellen möchte, werde ich mich schwerpunktsmäßig auf die Möglichkeiten und Grenzen des dänischen als skandinavische Kommunikationsmöglichkeit beziehen. 4.1. Sprachliche Komponenten Die dänische Sprache ist die Sprache, die, wenn sie langsam und betont gesprochen wird, in den meisten Gebieten Skandinaviens zu verstehen ist. Dies gilt zumindest für Norwegen, Schweden und Finnland. Die schwedische und norwegische Schriftsprache ist für denjenigen, der das Dänische beherrscht, mühelos zu lesen. Schweden und Norweger sind dann zu verstehen, wenn sie langsam sprechen. Eine zusätzliche Erleichterung läßt sich durch das Erlernen der sog. wichtigsten "nordischen Vokabeln" ermöglichen (Nordiska rädet 1986: 32-46). Das Nordische Sprach-und Informationszentrum setzt sich besonders für die Erhaltung skandinavischer Sprache und Kultur ein. Um nun innerhalb Skandinaviens eine ungehinderte Kommunikation zu ermöglichen, werden hier Mitteilungen, Informationen und Vorschläge herausgegeben, die u.a. Wortschatzlisten enthalten, einheitliche Zahlenbenennungen festlegen, die unterschiedlichen Diphtonge darstellen und auf sprachliche Redewendungen der einzelnen Länder aufmerksam machen. Es werden Anregungen gegeben, inwieweit evt. der Gebrauch eines bestimmten schwedischen Synonyms sinnvoll ist, da dieses sowohl dem dänischen als auch dem norwegischen Begriff entspricht. Selbstverständlich sind die Hinweise zum langsamen Sprechen, genauem Hören und stetem Nachfragen. Das Erlernen der dänischen Sprache, wobei die skandinavische Zahlenordnung sowie bestimmte Begriffe, die ein allgemein nordisches Verständnis garantieren, integriert werden, wäre demnach ausreichend, um im größten Teil Skandinaviens ohne Schwierigkeiten in der Sprache des Kunden kommunizieren zu können. Dort, wo es um Fachtermini geht, ist das Ausweichen auf die englische Sprache sicher üblich und gerechtfertigt. Natürlich bedeutet dies nicht, daß das Erlernen der dänischen Sprache für alle Zeiten mit Kommunikationsproblemen aufräumt. Wie bereits erwähnt gilt dies nicht für ganz Skandinavien und auch Dialekte sind eine besondere Schwierigkeit. Allerdings ist es möglich, darauf aufmerksam zu machen, daß man selbst dänisch spricht; hierauf kann sich der Partner
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einstellen. Das Problem haben schließlich auch Skandinavier, wenn sie bei deutschen Handelskontakten z.B. auf Bayern treffen. Festzuhalten bleibt: Um einen Handelskontakt aufzubauen, ist es auf jeden Fall von großem Vorteil, in einer skandinavischen Sprache verkehren zu können. Die dänische Sprache bietet hierfür eine zufriedenstellende Lösungsmöglichkeit, zumal wenn spezielle nordische Begriffe erlernt werden. 4.2. Kulturelle Komponenten Auf kulturelle Unterschiede habe ich bereits hingewiesen, daher nur einige allgemein gültige Hinweise: In Skandinavien verkehrt man grundsätzlich informeller und unkomplizierter miteinander. Das "Siezen" fällt Skandinaviern schwer. Die Einhaltung der Pünktlichkeit ist in Skandinavien nicht so entscheidend, reguläre Essenspausen und Beendigung der Arbeitszeit sind wichtiger als geschäftliche Angelegenheiten. Die Trennung zwischen privater und geschäftlicher Zeit ist nicht so streng. Statussymbole genießen keinen besonderen Stellenwert. Freundlichkeit, Zeit für Plaudereien und Humor sind wichtige Attribute im zwischenmenschlichen Umgang. Um Komplikationen zu vermeiden ist es sinnvoll, von diesen o.g. Grundlagen ausgehend dem Partner die eigenen Erwartungshaltungen darzustellen und zu sagen, worauf man besonderen Wert legt.
5. Zusammenfassung Ziel dieses Beitrags ist nicht, deutsche Exportmitarbeiter zu "verskandinavisieren", bzw. den alleinigen Einsatz skandinavischer Mitarbeiter in deutschen Exportgeschäften zu forcieren. Die Darstellungen verdeutlichten die Notwendigkeit, sich über kulturelle und sprachliche Differenzen bewußt zu werden, diese als häufige Ursache gestörter Kommunikation zu erkennen, sowie die Relevanz von Problemelösungsmöglichkeiten. Es bleibt festzuhalten, daß tatsächlich ein Bedarf an skandinavischen Sprach-und Kulturkenntnissen für die deutsche exportorientierte Industrie feststellbar ist. Langfristige Handelsbeziehungen etablieren sich erfahrungsgemäß am besten, wenn der Kunde in seiner eigenen Sprache kommunizieren kann. Das Verlassen auf Deutschkenntnisse skandinavischer Handelspartner oder das Ausweichen auf die englische Sprache bringt oftmals Kommunikationsstörungen mit sich, die sich wirtschaftlich negativ auswirken. Aus diesem Grunde ist es sinnvoll, sich um Kenntnisse der skandinavischen Sprache und Kultur zu bemühen. Eine Lösungsmöglichkeit bietet die dänische Sprache in Verbindung mit dem Erlernen eines typischen skandinavischen Wortschatzes. Denkbar sind Schulungen zur interkulturellen Kommunikation, die z.B. betriebsintern durchgeführt werden können. Aufgabe der Bidungspolitik ist, das Erlernen von Minderheitssprachen, die im Hinblick auf wirtschaftspolitische Entwicklungen von Bedeutung sind, verstärkt in die universitäre Bildung zu integrieren.
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Anmerkung l In der Tageszeitung "Berlingske Tidende" findet sich eine Fülle von Beiträgen, in welchen die Notwendigkeit von Fremdsprachen-und Kulturkompetenz im Handel betont werden. Hier werden Verhaltensregeln aufgelistet, die verschiedene Länder betreffen. In einem anderen Beitrag habe ich das gegenwärtige Problembewußtsein in der öffentlichen Debatte Deutschlands und Dänemarks zusammengefaßt.
Literatur Bruun, Finn (1990): Elektrikeren skal ogsa vaere god til fremmedsprog. - In: Erhvervs-Bladet, 05.06.90, 5. Henke, Anne-Marie (1988): "Industrielle Fremdsprachenbedarfsennittlung als linguistisches Arbeitsfeld". In: Reiter, Norbert (Hrsg.): Sprechen und Hören. Akten des 23. Linguistischen Kolloqiums, Berlin 1988 (Tübingen: Niemeyer) 103-114. Lenz, Friedrich (1990): Der wortkarge Finne und beredte Deutsche? Oder: Die Angst des Geschäftsmanns vor dem Muttersprachler. - Helsinki (= Tyopapereita-Working Papaers F-244). Nordiska radet, Nordiska spraksekretariatet och Nordiska spräk-och informationscentret (1986): Att fersta varandra i Norden - spräkrad till nordbor i nordiskt samarbete. - Göteborg (= Nordisk spraksekretariats skrifter 6). Schröder, Konrad (1980): "Zum Fremdsprachenbedarf von Handel und Industrie. Ergebnisse neuerer Untersuchungen (1979/80)". - In: Bulletin der Internationalen Vereinigung Sprache und Wirtschaft 7/1980, 19-43. Universität Vaasa/Universität Bayreuth (1989): Deutsch-finnische Kulturunterschiede in der Wirtschaftskommunikation. - Vaasa etc. (Manuskript).
LANGUAGE AND TRADE IN INDIA Yashovardhan This is not meant to be a historical symposium but, to be able to understand the significance of various languages in trade with and within India in the present day it is necessary to point out some aspects of trade in the past in that region. India, as a geographical region, has on the one hand a long coastline and on the other an equally long mountainous border which separates it from the high plateaus and semi-deserts of central and western Asia. In these regions lay for centuries the various paths of the "Old Silk Road" - the trading route between the Pacific coast of Asia and the Mediterranean. Other trading routes branched off at various points of the Old Silk Road and led over mountain passes into the Indian subcontinent. From the time of the Persian Empire in the 6th century B.C. until the Mongolian conquests of the 13th century, the language used on these trade routes was Aramaic or Syriac. With the decline in overland trade sea-borne trade increased in importance. This time it was seafarers from the Arabian peninsula who developed trade routes along the shores of the Indian Ocean and made Arabic the language of trade in that entire region. In the 16th century this monopoly was broken by the Portuguese who had entered the Indian Ocean by rounding the southern tip of Africa in the late 15th century. From then on Portuguese became the language of external trade for the Indian peninsula until well into the 19th century. During all these centuries the Indian sub-continent remained a basically self-sufficient region not particularly dependent on long-distance trade. But the inhabitants of certain regions like the semi-desert covering a large part of the northwest of the subcontinent took to trade to supplement their resources. Over the centuries there developed a close-knit trading community, the so-called Marwari, speaking an idiom of the same name. Members of this group spread all over the subcontinent but especially in its northern half. They married only amongst themselves - not untypical in India - and preserved their language and trade secrets for generations living among speakers of sometimes totally different languages. They of course picked up the language (or languages) of their surroundings in the normal fashion. In this way they could speak to suppliers or customers in these people's native tongues and to fellow traders in other parts of the country in their own. This trading community exists with modifications, in fact extensions, to the present day. In fact it controls a large part of manufacturing industry in the country. Their language continues to exist thinly spread out, far from its original home. But it is important to note that it is not an "ausbau" language as Kloss would put it. It was the members of this community at the seaports and border caravan stations who learnt and spoke the languages of external trade which weren't necessarily the languages of political power. These had been Persian ever since the 13th century and English from the 18th century on. For business British, Dutch, French and Danish traders learnt to speak Portuguese. In the latter half of the 19th century, with the opening of the Suez Canal and the introduction of steamships and railways, a new situation arose. Within India the Marwari com-
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munity was quick to adjust and took to trading in the newer commodities like jute and tea; all over Asia and East Africa a multitude of languages could be heard, especially in port cities. English, Malay, Cantonese, Arabic, Swahili, all took up roles as languages of trade and intercommunication. At this time a large number of people from the Indian west-coast region of Gujarat were taken as contract labour to build the railways of East Africa. After their contracts expired some of these workers quite literally set up shop all over East Africa. In two or three generations the Gujarati set up a trading network all over Eastern and Central Africa, similar to that of the Lebanese in West Africa. This network was based primarily on language and connections were maintained with the west coast of India. After the East African states Uganda, Tanganyka and later Kenya achieved independance, political and economic pressure grew on this trading minority and large numbers of them emigrated, especially after the mass expulsion from Uganda in 1972. Some went to India, a large number to Britain but also to North America, Australia and elsewhere. Thus the African network was reestablished on a global scale. These are the routes along which a lot of the trade between India and the rest of the world is carried out. India's largest single item of export is surprisingly cut and polished diamonds. I say surprisingly as absolutely no diamonds are mined in or anywhere near the country. This trade is run by the Gujarati community. As far as colonial trading patterns have been maintained, this is due to the presence of a large Gujarati community in the United Kingdom, though the goods traded are quite different from those of the colonial days. Those were mostly tea and jute. Using the terminology of Heinz Kloss, Gujarati is an "ausbau" language with relatively little dialect variation. The overseas community uses the standard version which is also the language of administration and education in the Indian state of Gujarat. Thus teaching materials exist or could be made available with relative ease. This is the language one has to know to get a foothold into this trading community and thus an advantage over competitors when trading with Indian counterparts.
Reference Kloss, Heinz (1967): Abstand Languages and Ausbau Languages. - In: Anthropological Linguistics 9, 29-41.
SPRACHLICHE ENTSCHEIDUNGEN UND BESONDERHEITEN IM HANDEL UNGARNS MIT DEN LÄNDERN DES DEUTSCHEN SPRACHGEBIETES Andrea Kärolyi In einem Aufsatz zur Betriebslinguistik befaßt sich Reiner Pogarell mit der Optimierung industrieller Texte und behandelt dabei "nahezu alle schriftlichen Performanzen, die von einem Industriebetrieb für ein externes oder internes Publikum verfaßt werden." (Pogarell 1989: 92) Im Gegensatz dazu gehe ich nicht nur von schriftlichen Texten aus, sondern berücksichtige im folgenden ebenso mündlich vorgebrachte Texte von Angestellten (Managern, Sachbearbeitern, Exportkaufleuten, Ökonomen, Fachdolmetschem und -Übersetzern) ungarischer Außenhandelsbetriebe. Um die spezifischen Probleme zu erkennen, muß man sich zunächst die politische und wirtschaftliche Situation Ungarns vergegenwärtigen. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde Ungarn bekanntlich der sowjetischen Interessenzone zugeordnet, zu einem sozialistischen Land und seit Gründung des "RGW" - in westlicher Terminologie COMECON - Mitglied dieser (inzwischen aufgelösten) Wirtschaftsintegration. Noch vor einem Jahr wäre es undenkbar gewesen, daß ein Ungar diesen Begriff in Anführungszeichen setzt, und wenn ich noch erwähne, daß der RGW "drüben" (also im Westen) als Vereinigung der Staatshandelsländer paraphrasiert wurde, das an sich neutrale und transparente Wort Staatshandelsland jedoch in Ungarn so verpönt war, daß ich es nur ein einziges Mal in einer Fachstudie lesen konnte, wo es sich wiederum so dermaßen fremd ausnahm, daß es nur für Deutschkundige Referenz hatte - wenn ich dies alles referiere, dann sind bereits erste Probleme des Transfers politik- und ideologiegebundener Termini angedeutet. Als kleines, an Rohstoffen und Energieträgern armes Land war Ungarn jederzeit auf den internationalen Handel angewiesen. In den Wirtschaftsstatistiken der letzten dreißig Jahre spiegelt sich dieser Umstand wider, indem ausgewiesen wird, daß bereits vor Jahrzehnten mehr als die Hälfte des Nationaleinkommens durch Export und Import "realisiert" worden ist. Die wichtigsten Handelspartner des Landes waren dabei - nach der Sowjetunion - stets die umliegenden deutschsprachigen Länder, unter ihnen in erster Linie die Bundesrepublik Deutschland und Österreich, also früher Länder mit einer von der ungarischen verschiedenen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Nur - wer in diesem Zusammenhang das Wort "früher" verwendet, müßte eigentlich sagen können, welche Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung Ungarn heute, nach dem von Politikern laut verkündeten "Systemwandel" hat. Das Paradoxe der augenblicklichen Situation verdeutlicht vielleicht eine Kurznachricht der Ungarischen Nachrichtenagentur von Mitte September 1990: Anläßlich seines Besuches in den Vereinigten Staaten habe der ungarische Staatspräsident vorgeschlagen, Ungarn von der Liste der kommunistischen bzw. "unter kommunistischem Einfluß" stehenden Länder zu streichen. Während sich jedoch das politische System - unter günstigen weltpolitischen Voraussetzungen, und das vergangene Jahr schuf solche für die früheren "osteuropäischen sozialistischen Länder" - noch relativ kurzfristig verändern läßt, ist das Wirtschaftssystem ein 'harter Brocken'. Noch lange wird Ungarn in einer Übergangsperiode zwischen Himmel
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und Erde schweben, zwischen dem Himmel der heißersehnten "sozialen Marktwirtschaft", wo Petrus am Eingangstor der EG steht, den Einlaß aber hartnäckig verweigert, und der Erde seiner "sozialistischen Vergangenheit" (die es gerne vergessen würde), wo die "sozialistische Integration" im Sterben liegt. Kein Wunder, daß dieses Übergangsstadium, das oft das Bild vom völligen Chaos liefert, auch im Bereich der Wirtschaftssprache sonderbare Früchte trägt und zuweilen komische Auswüchse hat. In der Fachpresse wimmelt es von Neubildungen, die alten "sozialistischen" Termini werden gemieden - unter größten Schwierigkeiten, weil kein Ersatz für sie vorhanden ist - und erscheinen, wenn denn überhaupt, in Anführungszeichen. Was alles trug z.B. bei uns in den letzten vierzig Jahren gerade das Etikett sozialistisch*. Sozialistisches Land l sozialistisches Bruderland, sozialistische Integration, sozialistisches Lager, sozialistische Währungen, sozialistische Brigade, sozialistische Demokratie, sozia-listischer Mensch, sozialistischer Vertrag, Produkte l Waren aus sozialistischer Produktion, es gab sogar sozialistische Autos. All die unterschiedlichen Referenzen für dieses Attribut zu nennen hieße, ein ganzes Buch zu schreiben. Nicht weniger interessant ist die Laufbahn des lange Zeit hindurch antonymisch gebrauchten Attributs kapitalistisch. Jahrzehntelang bezeichnete man damit schlicht und einfach das Böse, den Erzfeind. Später - in Ungarn bereits von den sechziger Jahren an - büßte es allmählich diese ideologische Schärfe ein, und es dauerte nicht mehr lange, bis kapitalistisch oft einfach für gute Qualität stand. (So ist auch die Replik des Verkäufers im Warenhaus zu verstehen, wenn sich der Kunde über den horrenden Preis ausläßt: Hiszen ez totes arul Es ist ja kapitalistische Ware!) Die Sprache wird also relativ schnell den veränderten politischen Bedingungen angepaßt, die wirtschaftlichen Veränderungen aber lassen auf sich warten. Die Wirtschaft ringt mit enormen Schwierigkeiten. So wird zwangsläufig die scharfe Trennung von Binnen- und Außenhandel aufrechterhalten, begleitet von der zentralen Devisenbewirtschaftung. Letzterer Ausdruck ist übrigens ein Paradebeispiel für euphemistische Termini: Devisenbewirtschaßung bedeutet im Klartext soviel, daß infolge der wirtschaftlichen Schwäche die Landeswährung außerhalb der Grenzen keinen Wert besitzt, so daß die spärlich anfallenden Einnahmen des Landes in harten oder, wie es übersetzt wird: "konvertierbaren" Währungen zentral verwaltet, verteilt bzw. zugeteilt werden müssen. Natürlich werden auch die Schulden des Landes in "konvertierbaren", "harten" oder "westlichen" Währungen gemacht, und die Zinszahlung und Tilgung muß als Schuldendienst, wie es nicht weniger euphemistisch heißt, entsprechend geleistet werden. Im folgenden möchte ich weitere Beispiele anführen, die zweierlei Zwecken dienen sollen. Zum einen sollen sie die widersprüchliche Situation der ungarischen Wirtschaft in ihrer sprachlichen Erscheinungsform noch eingehender charakterisieren, zum anderen sind sie als Anschauungsmaterial für die Notwendigkeit bzw. Unerläßlichkeit einer linguistischen Herangehensweise gedacht. Wie die bereits zitierten Beispiele stammen auch die weiteren überwiegend aus dem Bereich der Terminologie. Das Ungarische ist bekanntlich in Europa eine - zur finnougrischen Sprachgruppe gehörende - Inselsprache. Dies führt dazu, daß derjenige, der eine solche Sprache als Muttersprachler fließend spricht, bestenfalls Erstaunen bei Mitgliedern anderer Sprachgemeinschaften erntet, für Industrie und Handel jedoch, insbesondere für den Außenhandel, erweist sich das Ungarische als enormer Nachteil: Der gesamte ungarische Außenhandel ist gezwungen, die für das Land lebensnotwendigen
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Geschäfte in einer mehr oder weniger gelernten fremden Sprache abzuwickeln. Da die - in aller Regel kapitalkräftigeren - Geschäfts- bzw. Verhandlungspartner meist ihre Muttersprache sprechen, lassen sich die Handicaps leicht errechnen. Es liegt mir zwar fern, sämtliche Mißerfolge des ungarischen Außenhandels allein auf sprachliche Unzulänglichkeiten zurückzuführen, doch daß sie daran auch ihren maßgeblichen Anteil haben, ist mehr als eine Hypothese. Der Außenhandel ist ein Gebiet, wo sprachliche Fehler große finanzielle Einbußen nach sich ziehen können. Für die Ungarn ist das Übersetzen, d.h. Schreiben und Verhandeln in der fremden Sprache, somit eine unumgehbare ökonomische Notwendigkeit. Da eine Rettung aus der miserablen Wirtschaftssituation des Landes in erster Linie von den Ländern des deutschen Sprachraumes erwartet wird, sucht man fieberhaft nach deutschen Partnern für joint ventures. Selbstverständlich wird im deutschen Sprachraum auch nach zusätzlichen Kreditmöglichkeiten geforscht, denn schließlich muß ja der Schuldendienst irgendwie geleistet werden. Dadurch besteht ein nie dagewesener Bedarf an deutschen Übersetzungen. Gesetze, die heute im ungarischen Parlament verabschiedet werden, müssen morgen schon in deutscher Übersetzung vorliegen, weil sie den Geschäftsgang beeinflussen. Körperschaftsgesetz, Bodengesetz und Privatisierungsgesetz, Gesellschaftsverträge, Gründungsdokumente und Satzungen werden in Windeseile übersetzt - und sie sehen oft auch danach aus. Noch nie sind so viele Beratungen, Konferenzen sowie Verhandlungen von Fachleuten abgehalten worden wie in diesen Monaten. Bei den erwähnten Anlässen scheinen für Eindeutigkeit und Genauigkeit alle Voraussetzungen gegeben zu sein: Die Kommunikation verläuft zwischen F a c h l e u t e n ; diese sind zwar aus zwei verschiedenen Ländern, aber sie haben ja eine gemeinsame Sprache gefunden, die deutsche. Der Ungar beherrscht sie gut, kennt auch die Fachsprache (oder hat einen Fachdolmetscher), und zudem: Beide sind doch Experten desselben Fachgebietes, sie bedienen sich überwiegend der Fachtermini, die wiederum bekannterweise die Eigenschaft besitzen, präzise, eindeutig und daher unmißverständlich zu sein - was könnte hier schiefgehen? Was aber ist, wenn sich neben vielen zugegebenermaßen auch kontrastiv gleich definierten Termini auch zahlreiche finden sollten, die in den verschiedenen Sprachen (Ländern!) anders gedeutet, anders gebraucht werden? Wenn also im Laufe der Verhandlung zwei Gesprächspartner auf der Ausdrucksebene dasselbe sagen, aber nicht dasselbe meinen? An anderer Stelle (Kärolyi 1989) habe ich versucht, unter kontrastivem Aspekt die Wirtschaftstermini in drei Hauptgruppen einzuteilen. Tertium comparationis war dabei der Begriffsinhalt der untersuchten Termini. Die erste Gruppe bildeten jene Fachwörter, die in den verglichenen zwei Ländern gleichermaßen definiert sind, d.h. im "Koordinatensystem" der wirtschaftlichen, politischen und gesetzlichen Regelungen den gleichen Stellenwert haben. In der Fachsprache der Ökonomie bilden diese Termini (z.B. Akkreditiv, Paritäten, cif, fob, Dokumenteninkasso, Aktie, Dividende, Kommanditgesellschaft, Freihandelszone usw.) eine bedeutende Teilmenge. Von der Psychologie her verstärkt die Existenz der Vielzahl dieser Termini das Selbstvertrauen des Fachmannes, der im Laufe der internationalen Verhandlung mit gutem Recht auf sie bauen kann. Um so größer ist dann die Enttäuschung, wenn sich herausstellt, daß eben nicht auf alle Termini Verlaß ist. Es existiert nämlich auch eine zweite Gruppe von Fachtermini, die ich "pseudoäquivalent" nenne. J. Pongräcz beschreibt dieses Phänomen an Hand des Terminus Marktpreis.
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Der Marktpreis wird in einem Fachbuch aus der BRD als Schnittpunkt der Kurven des Angebots und der Nachfrage im Koordinatensystem des Preises und der Menge dargestellt. In der Definition eines Fachwörterbuchs aus der DDR wird der Marktpreis als wichtige Grundlage der Valutapreisbildung definiert, das Angebot und die Nachfrage werden nicht erwähnt. In einem ungarischen Nachschlagewerk werden zwei Arten des Marktpreises unterschieden: seine historische Interpretation im Sinne des klassischen Kapitalismus und seine moderne Interpretation. (Pongracz 1988: 160)
Hier stellt sich die Frage, welcher Interpretation sich Kaufleute im konkreten Vertrag anschließen sollen. Oder ein anderes, eigenes Beispiel: Kürzlich wurden in vielen ungarischen Betrieben Betriebsräte gewählt. Der Terminus vallalati tanacs (Betriebsrat) existiert in beiden Sprachen, die Bedeutungsinhalte aber, d.h. Kompetenzen, Pflichten und Rechte der Betriebsräte, sind in Ungarn und Deutschland sehr unterschiedlich. Noch eindeutiger klaffen die Bedeutungsinhalte in den zwei Sprachen bei den verschiedenen Steuerbezeichnungen auseinander. So existiert auch in Ungarn eine Quellensteuer (forrasado), sie wird aber anders berechnet und abgezogen als die deutsche. Daneben gibt es in Ungarn ebenfalls eine Zinssteuer (kamatado), diese wird aber nicht von denen gezahlt, die Zinsen kassieren, sondern von den Opfern der ungarischen Wohnungsmisere, die gezwungen waren, sich eine Wohnung zu bauen, und dafür langfristige Kredite aufgenommen haben. Diese ominöse Zinssteuer schafft den Übergang zu einer weiteren, zur dritten großen Gruppe der Fachtermini. Zu dieser Gruppe zählen Termini, die kontrastiv gesehen in der anderen Sprache gar keine terminologischen Entsprechungen haben, also ungarische Wirtschaftstermini mit Null-Äquivalenz im Deutschen sind. Daß es so etwas gibt, ist leicht einzusehen. Unter den unterschiedlichen wirtschaftlichen und politischen Umständen in den einzelnen Ländern entstehen zahlreiche Termini, die nur im gegebenen "Koordinatensystem" ihren spezifischen Platz haben. Die Schwierigkeiten beginnen dann, wenn diese in eine fremde Sprache übertragen werden m ü s s e n . (Auf diese Weise entstehen z.B. deutsche Fachwörter in Ungarn!) Als im Sommer 1988 an der Budapester Universität eine Fachtagung von landesweit bekannten Dolmetschern, Übersetzern und Hochschullehrern stattfand, wurde dort vor allem über einigermaßen adäquate fremdsprachige Bezeichnungen für bestimmte, damals ganz neue "Gesellschaftsformen" diskutiert. Damals haben die privatrechtlichen Gesellschaften (polgarjogi tarsulasok), die wirtschaftlichen Arbeitsgemeinschaften (gazdasagi munkaközössogeK), Kleingenossenschaften (kisszövetkezetek) manchem Fachmann das Leben schwer gemacht. Im Herbst 1990 ist der ungarische Modeterminus Nr. l die Eigentumsreform (tulajdonreform). Die Transparenz' dieses Wortes ist allerdings trügerisch: an dem Eigentum gibt es nichts zu reformieren, es geht dabei vielmehr um den äußerst komplizierten Prozeß der Privatisierung (oder Reprivatisierung) in Ungarn, um die "Suche nach Eigentümern", genauer: um die Suche nach Kapital, damit der Staat die Konkursmasse der einst enteigneten, "verstaatlichten" Betriebe loswerden kann. Was die Frequenz des Gebrauchs anbelangt, hat die Eigentumsreform eine Zwillingsschwester, das sogenannte Umwandlungsgesetz. Zusammen mit dem Körperschaftsgesetz soll das Umwandlungsgesetz (ätalakuläsi törvony) den Grundstein für die angestrebte Marktwirtschaft legen - dies behaupten zumindest viele Experten. Sie mögen damit recht haben, nur stellt sich doch die Frage, ob deutsche Partner überhaupt verstehen, daß das Umwandlungsgesetz den rechtlichen Rahmen schaffen soll für die Überführung der meist angeschlagenen staatlichen Un-
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ternehmen, Betriebe sowie landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in GmbHs, Aktiengesellschaften und andere Körperschaften nach westlichem Muster. Nach den Regeln der Textgrammatik müssen auch Fachtermini im Laufe der (Fach-) Textbiographie des einzelnen Fachmannes eingeführt werden (vgl. Tschauder in Vorb.). Wenn aber in der internationalen Fachkommunikation - trotz zweifellos vorhandener Fachkompetenz - auf der einen oder anderen Seite gerade diese Einführungen fehlen, dann ist die Konsequenz Stutzen, Mißverstehen oder Nicht-Verstehen - im Endeffekt also das Scheitern der Kommunikation. Von euphemistischen Termini war bereits im Zusammenhang mit Schuldendienst und Devisenbewirtschaftung die Rede. Nun werden Euphemismen in der Wirtschaftssprache international verwendet, um Schwierigkeiten mit Wortmagie zu bekämpfen. Bis vor einem Jahr fand man in Ungarn das Wort Kapital noch so häßlich, daß nur die Form finanzielle Mittel geduldet wurde. Heute schlägt die Bewertung bisweilen ins Gegenteil um: Kapital ist - schon als Wort - in jeder Form willkommen! Über Firmen, die in Konkurs gegangen sind, sagte man, sie seien aufgelöst worden, Inflation wurde als Preiserhöhung, noch früher als Preisregelung umschrieben. Es gab auch keine Arbeitslosigkeit, sondern nur Sorgen bei der Suche nach einem Arbeitsplatz. Für Wechsel hat man den befristeten Zahlungsschein erfunden, und bis vor kurzem, bevor die Börse in Budapest wiedereröffnet wurde, bediente man sich zur Bezeichnung desselben Geschäfts des umständlichen Ausdrucks Vereinbarung für den Wertpapierhandel. Das Wort Profit wird - wie auch in Deutschland - nur ungern ausgesprochen, Gewinn hört sich besser an. Und alle Leute werden in Funk und Fernsehen ermuntert, sich eine unternehmerische Denkweise anzueignen, aber nicht dazu, Kapitalisten zu werden. Daß solch verhüllte Termini einer internationalen Verständigung auch nicht ausgesprochen förderlich sind, braucht nicht eigens betont zu werden. Anne-Marie Henke zitiert, wie der dänische Industrierat die Aufgaben eines Exportverkäufers definiert. Er muß mit den jeweiligen Milieufaktoren (politisch-ideologisch, technisch-ökonomisch, soziokulturell) vertraut sein. Es wird erwartet, daß der Verkäufer die Sprache, in der verhandelt wird, beherrscht. Das soll sich nicht nur auf die Fachsprache beziehen, da eine nuancierte Ausdrucksmöglichkeit in schwierigen Passagen der Verhandlungen äußerst wichtig ist. (Henke 1989: 108)
Exakter könnte man auch die ungarischen Erwartungen an unsere Außenhandelskaufleute nicht formulieren. In diesem Zusammenhang sind die von mir angestellten Überlegungen als ein Versuch zu verstehen, auf einige kontrastive Probleme der Wirtschaftsfachsprache hinzuweisen, deren Berücksichtigung diese Fachleute dem erstrebten Ziel näher bringen könnte. Was ich darüber hinaus noch von meinem Land berichtet habe, geht auf das Konto jener "Milieufaktoren", die die interlinguale Fachkommunikation maßgeblich mitbeeinflussen.
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Literatur Henke, Anne-Marie (1989): "Industrielle Fremdsprachenbedarfsermittlung als linguistisches Arbeitsfeld". In: Reiter (Hrsg.) 103-114. Karolyi, Andrea (1989): "A kommunikäcio zatonyai a gazdasagi szaknyelvben". - In: Nyelvoktatas Felsöfokon. V. Kulönszam, Külkereskedelmi Föiskola (Budapest). Pogarell, Reiner (1989): "Optimierung industrieller Texte als linguistisches Arbeitsfeld". - In: Reiter (Hrsg.) 91-102. Pongräcz, Judith (1988): "Die Verantwortung des Übersetzers von Fachtexten der Wirtschaftswissenschaften". - In: Bungarten, Theo (Hrsg.) (1988): Sprache und Information in Wirtschaft und Gesellschaft (Tostedt: Abtikon) 155-163. Reiter, Nobert (Hrsg.) (1989): Sprechen und Hören. Akten des 23. Linguistischen Kolloquiums, Berlin 1988. - Tübingen: Niemeyer. Tschauder, Gerhard (in Vorb.): "Fach- und Gemeinsprache als Makrotext. Zum Transfer der Fachwörter unter besonderer Berücksichtigung von Störfaktoren". - In: Bungarten, Theo (Hrsg.): Aspekte der Fachsprachentheorie.
ZUR ROLLE DES DEUTSCHEN IM OSTEUROPÄISCHEN HANDEL Schlußfolgerungen aus der bisherigen Praxis von fünf Dresdener Großbetrieben Claus Köhler (1) Wenn für die deutsche Wirtschaft gegenwärtig der osteuropäische Handel in besonderer Weise interessant wird, und wenn damit überbetriebliche internationale Kommunikationspraxis bisheriger DDR-Betriebe ins Blickfeld auch eines Wissenschaftsgebietes wie der Betriebslinguistik rückt, so darf nicht übersehen werden, daß die bisherige Praxis nicht vorbildlich gewesen sein muß, daß sie zweckmäßig nur unter bestimmten Voraussetzungen war und daß nicht nur die Betriebe der ehemaligen DDR einem grundlegenden Wandel unterzogen sind, sondern daß auch in allen osteuropäischen Ländern bedeutende Veränderungen vor sich gehen, daß die Partner auf beiden Seiten sich ändern. Aus diesem Grunde war das vor längerer Zeit formulierte Thema "Die Rolle des Deutschen im osteuropäischen Handel" nicht beizubehalten, und eigentlich schien der Sinn eines Beitrages zu diesem Thema überhaupt in Frage gestellt. Andererseits kann auch ein Neubeginn nicht ohne jede Voraussetzung erfolgen, vielmehr ist es wichtig, die Ausgangsposition zu benennen und zumindest den Punkt zu bestimmen, an dem sich Vergangenes und Künftiges treffen. Deshalb habe ich mich entschlossen, doch das Vorläufige hier vorzutragen, auf Grund der in diesem Sinne nur begrenzten Gültigkeit der Erkenntnisse aber auf eine Zusammenstellung der Fakten in einer Kurzfassung zu verzichten, die als unwissenschaftliche Verallgemeinerung mißverstanden werden könnte. Eine tiefergehende linguistische Auswertung der Ermittlungsergebnisse erschien aus dem gleichen Grunde nicht zweckmäßig oder zumindest voreilig. (2) Im Sommer dieses Jahres wurde von unserem Institut - besondere Anerkennung verdient dabei die Initiative meiner Kollegin Martina Richter - eine Befragung in fünf Dresdener Großbetrieben vorgenommen, die durchaus als repräsentativ für Bisheriges zu betrachten sind und möglicherweise auch Bestand haben werden. Die Ermittlungen ergaben, daß der außerbetrieblichen Kommunikation nur in wenigen Fällen besondere Aufmerksamkeit gewidmet wurde, daß über die Formen des Verkehrs mit den osteuropäischen Partnern nur ungenügend reflektiert wurde, daß es nur teilweise Sensibilität für diese Fragen gab. In ähnlicher Weise gilt das für die Fachsprachenlinguistik in der DDR (auf Arbeiten zur innerbetrieblichen Kommunikation sei hier nicht eingegangen). Im Vordergrund stand hier zunächst die Kommunikation im Fach, wobei die Bereiche der Wirtschaft und des Handels weitgehend ausgespart blieben. Wenn auch nach wie vor keine geschlossene Theorie der Fachsprachen vorliegt, auch nicht die einzelner Fachgebiete wie Technik oder Medizin, so liegen doch nunmehr - das gilt generell für die deutsche Fachsprachenforschung - zahlreiche Einzeluntersuchungen und Sammelbände vor, in denen Antworten auf wesentliche grundlegende und spezielle Fragen der Fachkommunikation vom Fachwort bis zum Fachtext zu finden sind. Es muß an diesem Ort nicht nachgewiesen werden, daß dies auch für die Fachsprache der Wirtschaft und des Handels gilt und daß neben der bisherigen Fachsprachenforschung in letzter Zeit - auch unter weitgehend pragmatischen Aspekten - eine Fachrichtung
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wie die Betriebslinguistik zunehmend Bedeutung und Interesse gewinnt. Im Gefolge der Hinwendung zur Marktwirtschaft zeigt sich auf diesem Gebiet für die Betriebe wie für die Wissenschaft im Bereich der DDR ein beachtlicher Nachholbedarf; der Grenzbereich zwischen der naturwissenschaftlich technischen Kommunikation und der Kommunikation bei der Vermarktung der technischen, chemischen u.a. Produkte im weitesten Sinne verlangt eine höhere Aufmerksamkeit. Für uns als Institut für deutsche Fachsprache an einer technischen Universität kann es dabei nicht in erster Linie um die Sprache der Wirtschaft und des Handels selbst gehen, sondern eben um den Bereich, in dem z.B. technische Produkte verkauft, d.h. vorgestellt, verglichen, beurteilt und bewertet, modifiziert und bestellt, gewertet, reklamiert oder repariert werden. Es geht uns um das Zusammenspiel zunächst generell unterschiedlicher Kommunikationsbereiche, unterschiedlicher Sach- und Fachkompetenzen sowie Fachsprachen, um ein Zusammenspiel, das getragen wird entweder - im Idealfall von universell ausgebildeten Mitarbeitern der Betriebe oder gemeinsam gestaltet wird von Fachleuten der einzelnen Bereiche; d.h. in Zusammenarbeit von Ingenieuren und von Werbe- und Handelsfachleuten. Mit dieser Blickrichtung betreten wir das für uns neue Feld der Betriebslinguistik, und aus dieser speziellen Sicht wollen wir versuchen, dem bereits vorhandenen und wachsenden Praxisbedarf durch eigene Untersuchungen und schließlich durch Aus- und Weiterbildung von Fachleuten zu entsprechen. (3) Dabei erschien es zunächst notwendig, nicht nur die einschlägige Literatur kennenzulernen, sondern - gleichsam in letzter Minute - einen Einblick in die bisherige Kommunikation von repräsentativen Betrieben der DDR im Handel mit osteuropäischen Partnern zu gewinnen. Im Interesse eines effektiven Neubeginns sollten bisherige Erfahrungen genutzt, zumindest aber die unmittelbar gegenwärtige Situation beschrieben werden, von der Künftiges auszugehen hat. Aus diesem Grunde wurden im Sommer dieses Jahres Untersuchungen in fünf Dresdner Betrieben, im folgenden mit "A" bis "E" bezeichnet, angestellt. Die Kooperativität, mit der dabei unserer Mitarbeiterin begegnet wurde, zeugt davon, daß man die Fragen und deren gesamtes Umfeld bereits als wichtig erkannt hat, daß man an einer Zusammenarbeit mit uns interessiert ist, daß man aus früher oder später erkannten Notwendigkeiten praktische Schlußfolgerungen ziehen will und daß eine beachtliche Neuorientierung auch auf diesem Gebiet schon im Sommer dieses Jahres im Gange war. Mit Gewißheit kann davon ausgegangen werden, daß man von der ermittelten Ausgangsposition bereits weitere Schritte gegangen ist. (4) Aus den ermittelten Fakten sollen hier nur die folgenden Schwerpunkte dargestellt werden: 1. die Handelspartner im Bereich des RGW; 2. der von den Betrieben schriftlich abgewickelte Geschäftsverkehr; 3. unmittelbare persönliche Kommunikation; 3.1. in bilateralen Arbeitsgruppen; 3.2. auf internationalen Konferenzen; 3.3. bei Arbeitsbesuchen; 3.4. auf Messen; 4. der Abschluß von Handelsverträgen 5. Formen der Werbung und Dokumentation.
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Ergebnisse der Ermittlungen in den 5 Betrieben: 1. Handelsverbindungen im RGW-Raum mit UdSSR Polen Jugoslawien Rumänien CSFR (Kuba) Bulgarien Ungarn (China) 2. Schriftverkehr der Betriebe betraf vor allem: - Anfragen aus dem Ausland, z.B. zu Sortiment und Lieferbedingungen (z.T. Privatkunden bei E); - Angebote an Kunden (ohne andere Vermittlung); - Bestellung aus dem und im Ausland; - Verträge (nur begrenzt, s.u.); - Mängelrügen, Reklamationen. Dieser Geschäftsverkehr wurde seitens der Betriebe überwiegend in deutscher Sprache abgewickelt. In den osteuropäischen Ländern bestanden "Technisch-kommerzielle Büros" (TKB) der DDR-Wirtschaftszweige, die als Vermittler - und Sprachmittler - nach beiden Seiten fungierten. Diese wurden vor allem von den Betrieben B,C,D genutzt. Mit einem großen Kundenkreis (insbes. in Polen, der CSFR und Ungarn) erfolgte jedoch der Geschäftsverkehr in beiden Richtungen in deutscher Sprache (weitgehend auch branchenabhängig). Mit der UdSSR wurde weitgehend russisch korrespondiert, z.T. mit Hilfe eigener Übersetzer, z.T. über den Dienstleistungsbetrieb "Intertext", nur in geringem Maße über russischkundige Handelsvertreter. Die Kontakte über die TKBs werden von den Betrieben zwar als notwendig (Kommunikationsprobleme wegen fehlender eigener Sprachkompetenz) eingeschätzt, die Negativa Verlangsamung des Informationsflusses und der Verhandlungen, fehlender direkter Kontakt zum Partner - wurden dabei aber erkannt und als störend beurteilt. Kontakte über Telex, die Übermittlung von Konstruktionszeichnungen per Einschreiben, Briefwechsel mit Privatkunden erfolgten bei D und E nur auf deutsch. 3. Unmittelbare persönliche Kommunikation fand statt 3.1. in bilateralen Arbeitsgruppen; Angaben für die Betriebe differenziert: - A) stets deutsch; schriftliche Vorlagen dabei stets zweisprachig; - B) Arbeitsgruppen mit der UdSSR, Polen, CSFR, Bulgarien; bei Tagungen in der DDR wurde deutsch gesprochen, für einen Teil der Partner waren Dolmetscher vorhanden, Protokolle zweisprachig; Beratungen und Verhandlungen in Polen und in der CSFR ebenfalls auf deutsch, in anderen Ländern in der Landessprache, Protokolle stets zweisprachig; - C) bilaterale Arbeitsgruppen mit Polen und Bulgarien, Kommunikation deutsch, Protokolle zweisprachig; - D) entsprechende Kontakte nur mit Jugoslawien, Kommunikation deutsch; - E) bilaterale Zusammenarbeit mit der CSFR und Rumänien, Verhandlungen deutsch, Protokolle zweisprachig; 3.2. auf internationalen Konferenzen, nur drei Betriebe auskunftsfähig: - A) zweimal jährlich Fachkonferenz, Arbeitssprache stets Russisch; Dokumentationen, Informationsblätter, Protokolle russisch;
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- B) multilaterale Konferenzen meist in der UdSSR, Konferenzsprache Russisch; - D) Einigung darüber, daß jeweilige Landessprache auch Konferenzsprache - bei Bedarf mit Dolmetscher -, Protokoll in der Landessprache; 3.3. bei Arbeitsbesuchen: solche Kontakte bei allen befragten Betrieben; bei diesen Besuchergruppen war meist Dolmetschereinsatz erforderlich, z.T. auch Verständigung auf deutsch; 3.4. auf Messen: zur Leipziger Messe war die Verhandlungssprache mit diesen Partnern meist Deutsch, die ausländischen Handelsvertreter mußten die deutsche Sprache beherrschen; Kommunikation auch auf russisch oder englisch, Messeprospekte meistens angeboten in Deutsch, Englisch, Russisch, Französisch, Spanisch, Messen im Ausland wurden hauptsächlich von den Vertretern der TKBs besucht, Kommunikation dort vorwiegend in der Landessprache oder über Dolmetscher, gelegentlich auch deutsch; 4. Handelsverträge durften bis auf wenige Ausnahmen von den Betrieben nur für das Inland abgeschlossen werden, für den Außenhandel hatte das jeweilige Ministerium das Monopol. Einige Betriebe schlössen Lieferverträge nur in deutscher Sprache ab, die Lieferverträge mit der UdSSR waren stets zweisprachig. 5. Werbematerialien für die Produkte wurden meist übersetzt, gemäß der Einsicht, daß wirksame Werbung in der Sprache des Kunden erfolgen müsse. In den gebräuchlichen Fremdsprachen (oder speziell in die eines bestimmten Kunden) wurde mit Hilfe von "Intertext" und "Dewag", seltener von hauseigenen Dolmetschern übersetzt. Zeitschriften der Betriebe für Werbezwecke wurden dagegen in der Regel nicht übersetzt, sondern nur in Deutsch vertrieben. Da Marktforschung ohnehin vernachlässigt und weitgehend unterbunden wurde, fehlte jegliche Rückkopplung mit dem Ausland hinsichtlich der Wirkung von Werbematerialien und -maßnahmen. Zur Zeit unserer Ermittlungen wurden merkliche Anstrengungen für Marktanalysen (Zielgruppenanalysen) unternommen. Preisdokumentationen, Wartungs- und Pflegeanleitungen, Gebrauchsanweisungen wurden hauptsächlich von Technikern in deutscher Sprache ausgearbeitet und dann von anderen übersetzt. Für Abnehmer aus kleineren Ländern war das nicht immer möglich, die Übergabe der Materialien in einer Mittlersprache oder nur in Deutsch war ein Kompromiß. Angestrebt wurde ein leistungsfähiges Übersetzungs-Dienstleistungskombinat, das in Teamwork mit dem Ingenieur diese Materialien erarbeiten sollte und konnte. (5) Welche Schlußfolgerungen lassen sich aus dieser Bestandsaufnahme - auch mit Rücksicht auf die eingangs genannten Veränderungen - ziehen? Zunächst ist der hohe Anteil der deutschen Sprache an der außerbetrieblichen internationalen Kommunikation - unter bestimmten Bedingungen sogar als Lingua franca für die ausländischen Partner - bemerkenswert. Wenn auch mit einer Zunahme der Mittlerfunktion des Englischen zu rechnen sein wird, so wird dies doch ein Kompromiß sein. Auch bei allen Veränderungen ist mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, daß traditionelle politische, kulturelle und ökonomische
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Beziehungen im ost- und südosteuropäischen Raum, an die die DDR mit den ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten anknüpfen konnte, auch weiterhin wirken werden. Die Anwendung des Deutschen im osteuropäischen Handel, wie sie von der DDR und ihren Handelspartnern praktiziert worden ist, hat ohne Zweifel auch unter den Nachwirkungen des 2. Weltkrieges dazu beigetragen, diese Möglichkeit zu bewahren, sie unter den neuen Bedingungen auch weiterzuentwickeln. Die einseitige Haltung einer früheren Betriebsleitung "Wer mit uns verhandeln und Handel treiben will, muß sich um die deutsche Sprache bemühen", wurde uns in einem der Betriebe mit betonter Distanz zitiert und stattdessen der Grundsatz hervorgehoben, daß im Handel und Geschäftsverkehr die beste Sprache stets die des Partners sei. Bei gleichem Verständnis der Partner - wie wir ermitteln konnten, haben sie dies in der Praxis bewiesen - bedeutet das aber auch, daß dem deutschen Geschäftspartner auch künftig weitgehend ein Angebot zu deutschsprachiger Kommunikation vorliegen wird. Von Fall zu Fall, abhängig von der Situation und der Zweckmäßigkeit, wird zu entscheiden sein, welche der beiden Sprachen gebraucht werden soll. Demzufolge kann und wird sich die gegenwärtige Praxis fortsetzen, und sie wird - mit zunehmender Aufmerksamkeit der beteiligten deutschen Betriebe für Kommunikationsprobleme - die sprachlichen Relationen bestimmt nicht zuungunsten des Deutschen verändern. Auch in Zukunft ist nicht zu erwarten, daß jeder Betrieb über die Möglichkeiten verfügen wird, die übernationale Kommunikation mit eigenen Kräften sowohl in Tschechisch, Polnisch und Russisch als auch in Bulgarisch, Serbokroatisch oder Ungarisch zu führen, nicht zu reden von zu erwartenden Kommunikationsbedürfnissen in Litauisch, Lettisch oder Estnisch. Überbetriebliche Dienstleistungsbetriebe für die Sprachmittlung können nicht allgegenwärtig sein, und durch den Wegfall der vermittelnden technisch-kommerziellen Büros liegen Werbung, Verhandlungen und Vertragsabschlüsse allein in der Hand der Betriebe, die deshalb immer mehr auf fach- und sprachkompetente Mitarbeiter angewiesen sein werden. Damit steigt der Bedarf an solchen Fachleuten, wie sie als Betriebslinguisten z.B. in Paderborn ausgebildet werden, auch in Betrieben auf dem Gebiet der jetzigen DDR. Daneben werden aber auch Diplomingenieure, Ingenieurökonomen und Handelsfachleute gefragt sein, die über angemessene Kenntnisse auf dem Gebiet der Betriebslinguistik verfügen (nach unseren Ermittlungen haben die Betriebe das jetzt schon erkannt). So wie der Germanist mit betriebslinguistischer Spezialisierung seinen Platz im Unternehmen findet, kann der Techniker mit zusätzlicher betriebslinguistischer Ausbildung dem Betrieb von Nutzen sein, denn diese Fachleute bestimmen vor allem die Formulierungen in der Produktdokumentation und -demonstration, in den Betriebs- und Wartungsanweisungen und somit weitgehend in vielen Verhandlungen und Vereinbarungen über die technischen, chemischen u.a. Produkte. Diese Kenntnisse in entsprechenden Lehrveranstaltungen für höhere Semester naturwissenschaftlich technischer Studiengänge zu vermitteln, sehen wir für uns als eine interessante und lohnende Aufgabe, die in allernächster Zeit zu bewältigen ist. Auch die entsprechende Ausbildung ausländischer Studierender an einer technischen Bildungseinrichtung, die als künftige potentielle Partner zu betrachten sind, gehört zu diesen Aufgaben; die Deutschausbildung dürfte dann nicht nur auf die Bewältigung der Studienanforderungen gerichtet sein, sondern muß stärker als bisher auch der Berufsvorbereitung dienen.
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Damit sind mehr als ausreichende Argumente dafür genannt, bisherige fachsprachliche Untersuchungen und Erkenntnisse mit entsprechenden betriebslinguistischen Arbeiten zusammenzuführen und an einer technischen Universität in einem Land der bisherigen DDR für die Ausbildung nutzbar zu machen. Dabei kann die Zusammenarbeit mit bereits erfahreneren Vertretern der Betriebslinguistik eine wertvolle Unterstützung für uns sein, eigene Erkenntnisse auf dem Gebiet der technisch-naturwissenschaftlichen Fachsprachen könnten vielleicht unser Beitrag zu beiderseitig nützlichem Gedankenaustausch sein.
INTERCULTURAL COMMUNICATION: DANISH-GERMAN TRADE Vagn Andersen
1. Introduction My background is the following: I have practical experience from several years of working in Danish-German trade. Therefore this paper will not deal with linguistic theories, but point out the need of linguistic and cultural knowledge in the practice of export-oriented trade from my point of view. Denmark's way of treating language competence in trade may give some mental impulses for german behaviour.
2. Experience in Danish-German trade In this chapter I will give an impression of language and cultural barriers in trade and how they can be avoided. I understand language as a reflection or a mirror of a specific culture tradition and mentality. In order to give a better survey, I have divided this chapter in language and cultural problems. 2.1. Language
As far as language is concerned, my experiences are, that generally the need for foreign language competence in export-processes can not be emphasized enough. In the following I will give some examples, both positive and negative, to demonstrate the influence, language-competence can have on trade-balances. When I first started to sell in foreign countries, I tried to communicate in english. It didn't take long, before I got to know, that this caused several problems. To start with, the way of "getting-to-know-each-other" is difficult, if you have to talk in a foreign language. To introduce oneself, express attitudes, point of views or to hold small-talk is hindered enourmously if one can't use his mother tongue. Although my english was good enough, I soon experienced, that english was only the second best solution for communication, because very often I met trade-partners, who had great problems with the english language. The result was often, that people tried to avoid conversations. The consequence of this was, that when business-talk was started, there was no personally relationship between me and my partners. This caused a new problem: you don't know how to talk to your partner if you don't know anything about him and his expectations.
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On the other side, I often tried to sell products with descriptions too difficult to understand for my partner. Furthermore a lot of communicational problems arose by the difficulty of explaining technical terms. When I had developed my german language sufficiently, I used it when trading in Germany and I have stuck to this since. It soon proved to be the easier and more effective way for everybody involved. Germans feel much more secure as soon as they find out, that they can speak in their mother-tongue. For the first, they are very pleased, if they are adressed in German. Then they will usually talk a lot; about themselves, their experience with Danes and Denmark and so on. My impression is, that whenever Germans talk much, this is a signal for sympathy. Germans usually relax, are glad to communicate and develop a serious relationship with their partner, which of course has a positive influence on business. I have realized a big difference between speaking english and speaking german in Germany, and would therefore suggest everybody to learn his customer's language. Concerning the german language, this is not so easy. Imagine somebody starting to trade in Bavaria after five years of learning "Hochdeutsch". This turned out to be a problem for me as well, but in case of this, there is only one thing left to do: you have to explain your difficulties and ask your partner to speak very slowly and distinct. 2.2. Culture It can never be sufficient to learn a foreign language without taking care of culture and tradition. This I also experienced very plainly in Germany. In the following I will give some obvious examples to demonstrate the relevance of cultural knowledge: Danish people are generally known as friendly, informal and open-minded. German people like Danes because of these attributes. As this image is clearly positive, I would never change my personality or "wear a mask" in Germany, but I learned, that there can appear so many situations and circumstances in Germany where a foreigner has to be very careful. In the beginning, I was always looking forward to meet german customers, to get to know new places and people. I was always welcome in Germany as well; people liked to talk with me - about Denmark and the Danes, our beer-prices, our way of living and so on. Usually, it was no problem to become good friends with germans. After some hours of knowing each other, there was mostly a lunch, then some beers, a walk in the town, pubs and bars. You might think now, that everything was well with this - but on the next day very often the contrary was prooved. My german partners, whom I might have had so much fun with the evening before, wouldn't speak to me about business. They would rather describe their headache than taking me serious as their trade-partner. The end of the story is, that I made a lot of friends in Germany, but to make business with them was a problem. My explanation for this is, that Germans liked my stereotype of being a typical Dane. Therefore they were tempted to behave more informal in my society than they would do normally. But this they would regret afterwards. It seems to be impossible for Germans to respect someone , whom they have been fooling around with too much as a serious and solid business-partner (I still get postcards from relationships like that). Furthermore I experienced the differences concerning time, distance, alcohol, cars etc. in Germany. A lot of difficult questions arose - when do you have to shake hands with somebody; what about adressing people with "Sie" and "Du"; when is it allowed to take the
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cognac Germans will always offer you; why do they stare at your little nameless car; why do they feel so hurt when you are only ten minutes late; why starts everybody coughing when you light a cigarette, although all of them were smoking heavily when we had been to the restaurant and the bars the night before? As a foreigner, you will always be confronted with situations like these in Germany. To me the solution was obvious: I had to learn more about Germany than just the language. I had to know cultural conditions as well. These cultural conditions are so manifold and distinct from each other in Germany's different areas. It is not enough to find out about adressing somebody correctly, about better driving a german car and staying in an expensive hotel, about differntiating between business-time and private time, about not smoking during business meetings and so on. You have also to be informed about the various norms and patterns of behaviour which change through all of Germany. It is important to know, that you can't speak in the same way to a North-german as to a Bavarian. In North-Germany people are very calm, put much weight on tradition, spend a lot of time on thinking for and against; in Berlin everything and everybody is quick, quicker, quickest. Nobody is interested in tradition; people are very proud of themselves and Berlin is the most importaant thing in the world. In Bavaria you can't adress people as Germans, Munich is not Germany, everything is Bavarian. People are very proud of their status and as soon as you accept this, they will invite you for twentyfive beers. In Frankfurt again, there is only business that counts. People are quick at this, have no time left for small-talks and will judge you on your car, clothes and hotel more extremely than anywhere else in Germany. This list could be continued: I only named some of the outstanding examples to show how much there is to be aware of. 2.3. Conclusion So far I have tried to show the importance of language-competence and knowledge of culture for a Dane trading in Germany, using my own experience. As I have experienced business in Germany both in English and in German, both without and with cultural knowledge, I can only stress the fact, that to me there is a distinct connection between foreign language competence and trade-balances. I think it is a question of being aware of the differences and of being prepared to that. In Denmark this awareness is almost a tradition. In the next chapter I will shortly survey the integration of foreign languages into Denmark's educational system.
3. Denmark's attitude to foreign languages Generally, it can be stated that in Denmark foreign language learning is very common. The Danes are noted for their foreign language competence and their straightness in using it. But their are some negative aspects to be found as well; the minor languages are mainly taught at specific schools or in individual courses at higher educational institutions. In the following, I will give a short view of the role of languages.
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3.1. The role of foreign languages in Denmark's educational system In public schools german and english are regarded as the main languages. In the fifth class, all pupils have to start with english, which is followed by german in the seventh class. So no one leaves school without having learned these two languages. At secondary schools a lot of languages can be choosen. This ranks from the "normal" ones as english, german, french, Spanish, Italian, russian and Portuguese to the more "unnormal" ones as greeke, Chinese or Japanese. The higher educational institutions present a various offer of foreign languages. The education at danish universities is organized much more interdisciplinary as f.ex. in Germany. The business-schools have integrated foreign-language courses in the "normal" studies of business. Some of them have specialized on specific language-areas, as Latin-America (University of Aarhus since 1982), South-East-Asia (University of Aarhus since 1981), Arabia, China and Japan (University of Copenhagen with University of Lund), Middle East (University of Odense) furthermore export-courses for trading in Russia, Northamerica, Germany, Spain, Yugoslavia, India, China and Japan (University of Aarhus 1986). A great advantage is, that the co-operation between educational institutions and companies is relative intensive in Denmark. Again, the point of supply and demand can be worked out appropriate. Another great advantage for Danes seems to be the lacking synchronization of all tv-series. By this, most Danes feel confident with german and english, both linguistically and cultural. A special case in Denmark is the relation between public and private schools. The private schools have entered into competition with the public schools. This means, that there are various possibilities for parents to choose educational systems for their children. In most of the private schools, foreign language learning starts early; at many places foreign languages are introduced in the first class and there are more languages to choose between. The same method is used in private kindergardens which enable the possibility to learn foreign languages by playing. In the latest years, the evening-classes have experienced a great boom as far as foreign languages are concerned. Consequently, supply and demand have developed, so that nowadays all languages can be learned in optimal provided night schools. Private language-schools have also gained by this boom. Many companies send their employees to individual foreign-language trainings. The private schools offer "made-tomeasure" courses, depending on the companie's requirements and range of application. 3.2. Conclusion The short survey has made clear, that the role of foreign language competence is regarded both serious and practical in Denmark. Of course, there are also some negative aspects to be found. As I have already stated, the more "unnormal" or the minor languages are mainly taught at private schools. Another problem is that of the specialists and the elder employees in companies. Mostly, they are not good at foreign languages, but their technical knowledge is excellent because of their experience. The question is, which competence has to be emphasized. This has lead to the great boom at private schools and evening-classes.
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Companies spend a lot of money to get these people trained in foreign languages now. So the problem of foreign language competence in trade is not solved for good; but in Denmark this is treated as a public process which constantly results in new orientation and new organization.
4. Transfer At last, I want to state, that the experiences I have made econcerning German's foreign language competence haven't been the best ones most of the time. German's are generally known for their difficulties with foreign languages. I think, one reason is the educational system, which doesn't put enough weight on foreign languages. In my eyes, the german system is too fixed and too much loaded with tradition. Another problem might be the lack of co-operation between educational institutions and companies. Of course there are some places in Germany where this co-operation does take place, and there are some universities which do offer interdisciplinary studies. But these examples seem to be an exception to the rule and they are not well-known in public. The question of foreign language competence in trade is more or less an "insider-discussion". I think, the danish way of treating this field could serve as a good example for Germany as well. The aim should therefore be to arise the mental awareness for this problem, to make it more public, to persuade both students and companies of the need of foreign language competence and to support a co-operation between training-institutions and companies, or between learning and doing.
References Henke, Anne-Marie (1989): "Industrielle Fremdsprachenbedarfsermittlung als linguistisches Arbeitsfeld". In: Reiter, Norbert (Hrsg.): Sprechen und Hören. Akten des 23. Linguistischen Kolloquiums, Berlin 1988 (Tübingen: Niemeyer) 103-114. - /Pogarell, Reiner (1990): Danske sseigere i Tyskland. - Universität Paderborn (unpublished paper).
FOREIGN LANGUAGE REQUIREMENTS IN AN EXPORTORIENTED CONCERN A Report from Practice Sabine Schneider This paper is not likely to turn out a very scientific one since I have been working in the industry for several years now. So, instead of a theoretical approach I am going to give an account of the practical side of things viewed from my own experience as a translator in the exporting industry. In the following I will try to describe to you which languages are needed in trading with foreign markets, who, besides translators, speaks a second or third language and, as an example, I will describe the situation at my own place of work. Therefore, first of all, let me introduce my company to you. It is Dürkopp Adler AG, merged about a year ago and based in Bielefeld, of the FAG Kugelfischer Group. We manufacture industrial sewing machines. In 1989, the company had a share in export of more than 70 %. Thus, foreign languages are very important to us. The first question which presents itself is consequently which are these languages. This depends on a company's market. In our case it is quite varied and ranges from nearly all Western and Eastern European countries via Asia all around the world to North and South America. DA (short for Dürkopp Adler AG) has subsidiaries in all major industrial countries and also connections to many so-called low-wage countries. Since it is not possible for our company, as it may be for larger ones, to employ a translator for every one of these languages or even establish a proper language department (examples for organizations with an extensive language department are Deutsche Bundesbahn or Siemens and Siemens Nixdorf) other solutions had to be found which I will try to illustrate now. But before I begin, let me remind you that for many years, indeed nearly continuously since the last days of the Industrial Revolution, English was THE means of communication in trading with other countries which was due to GB's position in world trade. For all this time, this was quite practical. However, as can be read in the literature, the most recent tendencies are towards diversification. The new motto is rather: if you want to trade with a foreign party, learn their language and study their culture. Such a method is bound to lead to success in the long run because the inherent advantages cannot be overlooked. If you know your trading partner's language and have studied his culture and history, you will know his taste and what he, by his nature, wants. Then you can set yourself into the position to offer it and thus, you will find an agreement and ultimately profit and prosperity. This is the theory! Dürkopp Adler AG gradually came to understand this, but not only recently. They have always tried to offer for example their product brochures in the three most important languages in the industry: English, French, and Spanish. And very recently Italian and Portuguese have been added. Other important business partners are some Eastern European countries so that there is also a demand for Russian, Polish, Czech etc. Business connections with Hongkong, Japan, Korea, China and India, however, must, languagewise, be lis-
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ted under English, although fair catalogues are of course translated into Japanese, Korean and Chinese. From what I have just mentioned you can see that in our company there is a demand for more or less the entire range of business-important tongues. But not all translating work can be dealt with within the company. Rather it depends on how much of it needs to be done in which language. A kind of ranking list determines how many translators are employed and for which languages and which texts are handed on to so-called external or freelance translators. English still holds first place on this ranking list, French and Spanish follow. It cannot be clearly said which of the two is more important and it is not so much France and Spain themselves that cause their languages' eminent weight in business communications but rather the South American and African countries that are cultivating their economical expansion. All other languages form a conglomeration and are called upon at need. The tongues of the East European countries, however, form a group by themselves. History and to a certain extent the most recent political developments in this area have been influential in this. The long period of Soviet patronization has made Russian their means of communication. German slots in here as well because East-Germany used to be the main business partner for most Eastern bloc countries. (In fact, by many, German was regarded as the intellectual's language. "A knowlegeable person knows German", a comment by a Russian and a Polish lady.) Thus, it seems up to now, if you wanted to do business with Eastern Europe you had to communicate in Russian or in German. The change in their market structure, however, will also bring about a demand for West European business languages. And for us, according to the a.m. theory it will mean that languages such as Polish, Czech, Hungarian etc. will gain importance. After this short description of the foreign language requirements at Dürkopp Adler AG I will try to show how we work. The company employs three permanent translators for English, French and Spanish. Thus, the three most important languages are covered. For all other languages there are two possible ways to proceed: (1) external translations (2) whoever is available within the company and who knows any of the remaining languages or is a native speaker of one of them temporarily becomes a translator, regardless of whether he/she can actually do it or not. And here you find the crux, or one of several. While the English, French and Spanish translations are professionally done and with profound technical knowledge of industrial sewing machines (we always have the possibility to visit our show room and there are technicians, mechanics or application technologists available to explain and demonstrate the machines and their functions) all other work bears the mark of amateurism: i.e. imperfection. And this should not be the case when the texts concerned are to be published or officially presented. Texts for company internal use such as e.g. mechanics' instructions etc. certainly do not weigh so heavily, but the translator's pride would never allow a text to leave his/her desk that is not satisfactorily correct. However, these colleagues are not to blame. I'm sure they do their best and some amateur translations are quite good. It is the company that wants to save money because external translators can be costly. And their work is not always 100% satisfactory either since they are not specialized on, as in our case, sewing machine technology but work for other companies as well. One way to avoid mistranslations then is to contract a freelance transla-
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tor for a longer period of time so that he/she can get acquainted with the special technology, visit the plant and meet some people that could serve as sources of information in case of problems. And this is what my company actually does, if possible. The tendency for the future seems to be a continuously rising demand for translations in trade communications in order to show your business partners how much your are interested in them and that you are prepared to comply with them - not forgetting your own profit that you will draw from a good partnership. The languages demanded most in the future seem to be Eastern European languages and those of the power-gaining Pacific Rim countries so that studies in these areas are quite promising. So far I have only talked about translating and that, with the diversification motion, translators also for rarer languages become more sought after. The same seems to hold true for interpreters as well. The reason for this is based upon the fact that company executives, top level managers, scientists, politicians etc., in short all those who could possibly come together at international conferences, meetings, briefings and so forth cannot all be fluent in four or five different languages. To me, such a person would be an exemption to the rule. Although in Jürgen Beneke's study "Foreign languages on the top floor" (1981) a questionaire destributed among selected "top floor "-employees of mainly German- and US-based leading companies seems to proove a very varied knowledge of different languages. I am not so sure whether this can be claimed for the majority of companies with multinational contacts, especially medium-sized ones. At DA, for example, it is not even certain that a member of the top floor management does speak good English not to mention any other language. I do not mean to stress this as a negative feature. They all do their best and manage somehow. Clearly, the knowledge of foreign languages is determined by the generation you belong to and your education. Therefore, the immediate pre-war generation definitely was less lucky in being broadly educated compared to the baby boomers born in the 50ies. They could enjoy the reformed education system of post-war Western Germany. What I am trying to point out is that in medium sized companies such as Dürkopp Adler AG the change over to younger management personnel with better, more specified training which meets with the demands of modern managerial jobs does not go so fast. Thus, many of the leading positions are still occupied by people (mainly men) born before, during or immediately after the war. And some of them had been handikapped by trying to pick up at least some English in evening courses or autodidactically. Lucky are those who had to spend a few years in a foreign country because of their job and thus, on the side, could learn another language or improve the one they already had a pre-knowledge of. The new generations of business men/women, managers, executives etc. certainly are receiving better training today, but competition is tough and good jobs hard to find. Modern business studies to a large extend involve language acquisition in their curricula. And surely this is one way (of several) to keep ahead of your competitors. Now, I think, I have said enough about the "top floor" and its "inhabitants". What about the rest of us - the middle management, the engineers, technicians and secretaries (the workers in the manufacturing sector can be left out of this discussion since they do not often encounter the need to use a foreign language). For the last 30 years or so, maybe more and maybe less, secretaries have always been wanted to know at least English and maybe also French or Spanish. So the profession of the foreign language correspondent
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does not require any further attention here. More interesting seems to be the spreading of foreign language knowledge among technical professions. For various reasons our company has a fairly large training section where customers' personnel (mechanics, electricians, group leaders of apparel manufacturers) is trained in setting up, repairing and programming sewing machines and CNC-controlled sewing units. Since DA maintains business relations with customers all over the world, the courses very often have to be held in English, French, Spanish, Italian, Russian, Czech, Polish and so forth. Thus, for employees in this section it is quite essential to speak one of these tongues. In fact, if a new course instructor is to be employed, he may even be chosen according to which languages he speaks. For example, someone who knows some English has better chances to get the job than someone who doesn't. And if the person also knows French, Spanish or Italian, well, chances are even better. (There even exists a system according to which you are wage-classified depending on the number of languages you know or which and how many machines you can hold courses about or what your professional abilities are, e.g. only mechanic or mechanic and electrician or maybe also electronics technologist.) Superficially it seems that, compared to top floor-management, engineers and technicians are much broader educated as far as language acquisition is concerned. This is not really the case. The reasons are of a different nature. The question is easily answered. First, there are quite a few amongst them who came to Germany, years ago, as foreign workers, and second, the large number of late-emigrants 'Spätaussiedler' from the Soviet Union and Poland must be included. Both groups meanwhile have settled down here, learnt German reasonable or extremely well and can make use of their mother tongues. Thus, in the training centre we have a native speaker of Spanish, Italian, and French and a bilingual person from South Africa. Some of the younger men have spent a few years working and travelling for the company in Canada or the US and this way have acquired a fairly good knowledge of technical English. The other instructors are self-taught in English on the basis of their school knowledge and what they could pick up over the years from English or American course participants. The last statement requires further clarification. Before we heard about the high quality language training for managerial jobs in present day studies at universities etc., however, on the level of the technical professions the QUALITY of your language knowledge does not count that much. What counts is that you can make yourself understood even if it takes longer than necessary and what you say is not always grammatically or idiomatically correct. The main stress for these colleagues is, quite naturally, on the technology. And actually, most of them do not even care very much about their vocabulary, not to mention their pronunciation. But, and I almost feel inclined to say "Thank God", most of our native speakers of foreign languages compensate for this deficit. You may have noticed that I haven't commented yet on the second group, I mentioned above, the late-emigrants. Unfortunately, our training centre cannot offer any Russian, Czech or Polish speaking instructors. Visiting groups from these countries usually bring their own interpreter who translates the subject matter of the course simultaneously. However, in our marketing department and in the technical projects section there are quite a few native speakers of East European languages who are asked to help out in important cases.
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For our company this is very practical since these staff members can take care of all the work connected with our Eastern business partners which is quite extensive. Although we can claim to be in a favoured position with such language diversification within the company we do have a deficit concerning the afore mentioned languages of the Pacific Rim and the Little Dragons countries. However, all our dealings with them function quite well with English as communications medium. Though for a European thinking person Japanese English sometimes sounds very metaphorical and therefore strange when compared to the German matter-of-fact style of business letters, adverts etc. Nearly drawing to a close now, one point remains to be mentioned. For some time now, DA has been trying to support their employees with in-company language training schemes as they are called in the literature. These schemes have been established together with wellestablished language schools and consequently only serve to improve the colloquial knowledge of English. So far, unfortunately, no other languages have been enclosed in this training programme. The courses are held for those colleagues who have not had the occasion to speak very much English in the past but now must be able to make everyday conversation, answer the telephone, write a short letter, talk to customers etc. etc. I do not doubt the quality standard of the language school courses, however, I see a definite disadvantage. While the course lasts the participants can use their newly acquired vocabulary in writing and speech, but only shortly after they have finished much information is lost again because they may not need it immediately. An example. There is a young woman in our show room, 24 years old, average education, originally trained as a sewing machine operator at an apparel manufacturing company. Now she works at DA as an application technologist, in other words as a demonstrator of a sewing machine's functions and abilities. Three or four times a year she may have to demonstrate machines to English speaking visitors. This means, she cannot practice very much and is sure to forget what she has just learnt, if she does not continue to go to conversational courses in the evenings - for which she would have to pay herself. This, in my opinion, is not the object of such a project. Furthermore, for quite a few colleagues, including myself, it would be very interesting to improve the knowledge of a second language or even learn a new one. When I first started to work for the company, all this was promised but has not yet been substantialized and probably will not in the near future for the simple reason that it would cost too much money. From the company's point of view, the economic situation does not allow for extra expenses or luxuries of this kind. The truth is a different one, but that is a different matter. And this last aspect leads me to the most recent developments that have taken place with effects upon world economy, the Gulf crises, the prospective breakdown of communist economy in the Soviet Union, and the reuninion of the two parts of Germany. Our company has already received a strong setback concerning business with the East. And where there is less money coming in less can be spent, e.g. for language courses or sending your translators to your subsidiaries in the States, GB, France, Spain or Italy. DA in some respects has made an effort concerning in-company language training as well as customer-oriented documentation. Still, the size of a company largely determins the means they can take. And certainly much more remains to be done. Hopefully, this short
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account from the practitioner could serve as additional information for linguist and scientists.
References Beneke, Jürgen (1981): "Foreign languages on the top floor". - In: Freudenstein, Reinhold/Beneke, Jürgen/Pönisch, Helmut (eds.): Language incorporated. Teaching Foreign Languages in Industry (Oxford etc.: Pergamon Press) 23-41. Henke, Anne-Marie (1989): "Industrielle Fremdsprachenermittlung als linguistisches Arbeitsfeld". - In: Reiter, Norbert (Hrsg.): Sprechen und Hören. Akten des 23. Linguistischen Kolloquiums, Berlin 1988 (Tübingen: Niemeyer) 103-114. Reeves, Nigel (1985): "Education for Exporting Capability - Languages and Market Penetration". - In: The Incorporated Linguist 24, 3-4, 147-153.
TECHNIKDOKUMENTATION ALS BERUFSFELD FÜR INTERDISZIPLINÄRE ZUSAMMENARBEIT Gabriele Bock
1. Vorbemerkung zur Terminologie Das Berufsfeld, das Gegenstand dieses Beitrags ist, wird üblicherweise als "technische Dokumentation" bezeichnet. Da ich im Titel die Bezeichnung "Technikdokumentation" verwende und später von "Technikautoren" reden werde, ist eine kurze Erläuterung dieses Sprachgebrauchs erforderlich. Der Begriff "technischer Autor" bzw. "Redakteur" wurde Ende der siebziger Jahre von den Gründungsmitgliedern der Gesellschaft für technische Kommunikation (tekom) analog zum "technischen Zeichner" oder zur "medizinisch-technischen Assistentin" als Berufsbezeichnung gewählt. Diese Bezeichnung ist gleichzeitig eine bewußte Übernahme des englischen "technical writer" gewesen (vgl. Stiegemann 1979: 4). Hierbei wurde übersehen, daß in der englischen Sprache weder ein Äquivalent für das deutsche Substantiv "Technik" zur Verfügung steht noch die Möglichkeit der engen Verbindung von zwei Substantiven zu einem Ein-Wort-Kompositum existiert, die in der deutschen Sprache aus mindestens zwei Gründen vorzuziehen ist. Der erste Grund für die Bevorzugung des Kompositums ist, daß das Adjektiv technisch weder in Verbindung mit der Dokumentation noch mit dem Autor prädikativ gebraucht werden kann, denn nicht der Autor oder die Dokumentation sind technisch, sondern er schreibt über Technik und in einer Dokumentation werden technische Sachverhalte dargestellt. Durch die ausschließlich attributive Verwendung eines Adjektivs entsteht zwangsläufig eine sprachliche Unscharfe. Der zweite Grund ist, daß Technik im Kompositum als Bestimmungswort entscheidend den Wortinhalt prägt und somit den Stellenwert der Technik in der Bezeichnung des Fachgebietes und des Berufes erhöht. Das Adjektiv technisch dagegen charakterisiert lediglich das folgende Substantiv. Gerade in Verbindung mit den Grundworten Autor oder Redakteur ist hochsprachlich die zusammengesetzte Form vorzuziehen. Es wäre zu wünschen, daß sich die im folgenden verwendeten Komposita aus den genannten Gründen auch irgendwann in der Praxis durchsetzen.
2. Zur Interdisziplinarität des Berufsfeldes Schriftlich fixierte Informationen über technische Sachverhalte werden für unterschiedliche Zwecke und in unterschiedlichen Situationen benötigt. Das Spektrum der Schriften reicht von den Schmierzetteln der Konstrukteure über Versuchsprotokolle, technische Berichte und Gebrauchsanleitungen bis zu Fachaufsätzen und Fachbüchern (vgl. Lanze 1983: Kapitel 1).
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Hinzu kommen noch Werbeanzeigen und Informationsschriften, die ebenfalls technische Sachverhalte darstellen können, meistens jedoch nicht - oder nicht ausschließlich - von Technikern verfaßt werden. Gleichwohl sind sie der Technikdokumentation zuzurechnen. Die Erstellung so unterschiedlicher Textsorten erfordert unterschiedlich qualifizierte Autoren. Ein technischer Versuch wird vermutlich von einem Ingenieur besser, d.h. dem Zweck entsprechender, protokolliert werden als von einem Werbefachmann, der wiederum eine Anzeige wirksamer gestalten kann. Dieses Beispiel verdeutlicht an den Extremen, worin Interdisziplinarität im Berufsfeld "Technikdokumentation11 besteht: Solange Experten - in diesem Fall Techniker - miteinander kommunizieren, benutzen sie meist eine Fachsprache, die zwar exakt und ökonomisch, für technisch nicht vorgebildete Laien aber kaum verständlich ist. Wenn aber Informationen über technische Sachverhalte an ein Laienpublikum vermittelt werden sollen, beispielsweise in einer Gebrauchsanleitung, ist der Techniker allein häufig überfordert. Bislang fördern technische Ausbildungsgänge in der Regel die kommunikative Kompetenz und das (schrift-) sprachliche Ausdrucksvermögen ihrer Absolventen gar nicht oder viel zu wenig. Wegen der Vielfalt der zu erstellenden Textsorten und der anfallenden Aufgaben bietet das Berufsfeld "Technikdokumentation" Autoren mit unterschiedlichsten Qualifikationen eine Arbeitsmöglichkeit. Gegenwärtig haben viele Autoren eine technische oder naturwissenschaftliche Grundausbildung, wie das Ergebnis einer Befragung von Mitgliedern der Gesellschaft für technische Kommunikation (tekom)^ zeigt: Tabelle 1: In welchem Berufsfeld haben Sie Ihre Ausbildung absolviert? 1 . Technisch/naturwissenschaftliche Ausbildung 2. Sprachwissenschaftliche/journalistische Ausbildung 3. Grafische Ausbildung (Techn. Zeichner, Grafiker etc.) 4. Psychologische/pädagogische Ausbildung - Kombination aus 1-4 - Sonstiges
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Dieses Ergebnis unterstützt die Annahme, daß die meisten Unternehmen Technikautoren mit einer technischen oder naturwissenschaftlichen Grundausbildung bevorzugen, selbst wenn Gebrauchsanleitungen für Konsumgüter verfaßt werden sollen. Da aber technische oder naturwissenschaftliche Ausbildungsgänge in der Regel Studenten wenig Gelegenheit bieten, sich im mündlichen und schriftlichen Ausdruck zu üben, scheinen Vermittlungskompetenz, und damit Begabung und Eignung für den Beruf des Technikautors für die Arbeitgeber (noch) eine untergeordnete Rolle zu spielen. Absolventen mit einer Doppelqualifikation, also einer technischen und einer geisteswissenschaftlichen Ausbildung, haben eine gute Chance, sind aber recht selten. Geisteswissenschaftler, die überhaupt keine technische Formalbildung vorzuweisen haben, sind im Berufsfeld "Technikdokumentation" die Ausnahme . Die Interdisziplinarität des Berufsfeldes Technikdokumentation kommt in den Anforderungen der Berufspraxis deutlich zum Ausdruck:
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Tabelle 2: Was ist Ihr Aufgabengebiet im Bereich der Technikdokumentation? (Mehrfachnennungen möglich) • Planung (Zeit-, Kosten-, Personalplanerstellung) • Analyse (Zweck-, Produkt-, Zielgruppenanalyse) • Konzeption (Festlegung von einzubeziehenden Informationen, Bebilderungskonzept, Layout) • Texterstellung (Rohmanuskript/Reinschrift) • Visualisierung (Herstellung von Fotos, Schaubildern und anderen Illustrationen) • Testen (Durchführung von Nutzer- und/oder Expertentests) • Fertigstellung (Korrektur, Druckvorbereitung, -Überwachung) • Aktualisierung/Änderung vorhandenen Informationsmaterials • Archivierung, Verwaltung, Distribution • Sonstiges
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Die Antworten auf die Frage nach dem Aufgabengebiet sind ein Beweis dafür, daß von vielen Technikautoren mehrere (Berufs-) Qualifikationen gefordert werden. Sie sind in Personalunion - Manager (Planen, Analysieren, Konzipieren), - Autor (Schreiben), - Zeichner/Illustrator (Visualisieren), - Hersteller (Vorbereiten der Druckvorlagen und Überwachen der Herstellung), - Archivar (Sammeln und Verwalten von Informationen), - Vertriebsfachmann (Ausliefern, Verwalten der Bestände), - Marktforscher (Durchführen von Zielgruppenanalysen, Interviews, Benutzertests). Daß die vorgegebene Liste offensichtlich noch nicht alles berücksichtigt, was in der Praxis in das Aufgabengebiet von Technikautoren fallen kann, zeigen die 14 Nennungen bei "Sonstiges". An der Interdisziplinarität der Anforderungen kann also kein Zweifel bestehen, doch wie kann man ihnen in der Praxis gerecht werden? Der auf allen Gebieten und für alle Branchen gleichermaßen qualifizierte Alleskönner ist eine Utopie. Ihm sind in den einzelnen Berufen ausgebildete Spezialisten allemal überlegen. Beispielsweise wählen gelernte Typografen aus der Schriftenvielfalt und den Hervorhebungsmöglichkeiten moderner Textverarbeitungssysteme souveräner aus und gestalten in der Regel überzeugendere Layouts als Autodidakten. Entsprechendes gilt für die übrigen der obigen Liste zu entnehmenden Lehrberufe bzw. Ausbildungsgänge. Ein Ausweg aus dem Dilemma wäre die Erstellung von Technikdokumentationen in einem Team, das aus Fachleuten mit unterschiedlichen Qualifikationen zusammengesetzt ist. Bislang wird meist nur die Erstellung von Illustrationen an Grafiker delegiert, was aber nicht gleichzusetzen ist mit der Arbeit im Team, bei der alle an der Herstellung Beteiligten von Anfang an zusammenarbeiten würden. Teamarbeit zwischen Konstrukteur, Planer, Autor, Grafiker u.a. bedeutet Arbeitsteilung zwischen Spezialisten, die ihr Handwerk gelernt haben und mit den Besonderheiten bei der Erstellung von Technikdokumentation entweder während einer Einarbeitungszeit im Betrieb oder in Aus- oder Weiterbildungsmaß-
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nahmen vertraut gemacht wurden. Bislang ist in den in Frage kommenden Lehrberufen und Ausbildungsgängen nur selten eine Spezialisierung auf Technikdokumentation möglich. Auch in der Ausbildung zum technischen Zeichner werden die erhöhten Anforderungen an die Verständlichkeit von Abbildungen für Techniklaien nur unzureichend berücksichtigt. Ein anderer Weg, Expertenwissen verstärkt für die Herstellung von Technikdokumentationen nutzbar zu machen, wäre die Einrichtung von Ausbildungsgängen für Technikautoren, die zwar die Grundlagen des gesamten Berufsfeldes vermitteln, aber für ein Teilgebiet jeweils ganz besonders qualifizieren. Die Differenzierung könnte entweder hinsichtlich der Tätigkeit (Visualisieren, Schreiben, Organisieren und Planen etc.) oder nach einzelnen Branchen erfolgen. Die meisten Angebote einer Langzeit-Ausbildung zum Technikautor finden sich gegenwärtig in der EDV-Branche. Auch der an der Fachhochschule Hannover geplante Studiengang soll zunächst Autoren für den EDV-Bereich ausbilden .
3. Der Studiengang Diplom-Medienberater an der TU Berlin Als einzige Universität in der Bundesrepublik bot bislang die Technische Universität Berlin Studenten die Möglichkeit, im Studiengang "Diplom-Medienberater mit fachwissenschaftlicher Vertiefung" den Schwerpunkt Technikdokumentation zu wählen. Ziel dieses Studienganges war die Ausbildung von Vermittlern für die Schnittstellen zwischen Fachwissen und Laienpublikum in den Bereichen Kultur und Technik. Der Medienberater war als Hauptstudiengang konzipiert, in den sich Studenten nach erfolgreich abgeschlossenem Grundstudium in einem beliebigen Fach einschreiben konnten. Das ursprüngliche Hauptfach wurde als sogenannte fachwissenschaftliche Vertiefung weiterstudiert. Studenten sollten durch das Studienangebot in die Lage versetzt werden, Inhalte ihres Vertiefungsfaches für ein Laienpublikum verständlich aufzubereiten. Der Studiengang bot eine Mischung aus medien-, literatur- und sozialwissenschaftlichen Lehrveranstaltungen, die ergänzt wurden durch zwei jeweils einjährige Praxisprojekte und berufspraktische Seminare. Außerdem lernten die Studenten den Umgang mit AV-Medien und Computern. Die Mehrheit der Studenten war hauptsächlich an den medienwissenschaftlichen Inhalten interessiert. Nur wenige wollten der Intention des Studiengangs entsprechend später als Vermittler der Fachinformationen ihres Vertiefungsfaches tätig werden. Eine solche Berufsperspektive ist übrigens auch für Geisteswissenschaftler durchaus realistisch, denn Spezialisierung und Fachsprache sind keine Privilegien der Technik- und Naturwissenschaftler. Die Publikationen und Reden vieler Wissenschaftler, sowohl in den geistes- und sozialwissenschaftlichen als auch in den wirtschafts-, natur- und technikwissenschaftlichen Disziplinen, zeichnen sich durch Unverständlichkeit aus5. Mit der Öffnung des Studienganges für Studenten aller Fachbereiche war die Erwartung verbunden, daß sich auch Studenten aus natur- oder technikwissenschaftlichen Fächern einschreiben würden. Doch die erhoffte Interdisziplinarität blieb aus. Der Studiengang hat überwiegend Studenten der Geisteswissenschaften angezogen, die sich von einem Diplom als Abschluß bessere Berufsaussichten versprachen als vom Magi-
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ster Artium oder dem Staatsexamen. Ungewohnt für Studenten der Geisteswissenschaften war allerdings der durch die Diplom-Ordnung bedingte hohe Anteil an Pflichtveranstaltungen. Ein geisteswissenschaftliches Studium erlaubt den Studierenden spätestens im Hauptstudium, sich intensiv mit Gegenständen ihrer Wahl auseinanderzusetzen und daran ihre analytischen Fähigkeiten zu schulen. Ein Diplom-Studium dagegen ist stark reglementiert und beinhaltet eine konkrete Berufsperspektive, für viele Geisteswissenschaftler längst noch keine Selbstverständlichkeit. Ein sicheres Indiz dafür, daß trotz schlechter Arbeitsmarktsituation gute Berufsaussichten nur eine untergeordnete Rolle spielen, ist die mangelnde Akzeptanz des Schwerpunktes Technikdokumentation im Medienberater-Studiengang der TU Berlin. Nur wenige Natur- und Technikwissenschaftler haben das Studienangebot des DiplomMedienberaters wahrgenommen. Studenten dieser Fachrichtungen wären unter den gegebenen Verhältnissen allerdings auch schlecht beraten, wenn sie ihr Hauptfach zum Nebenfach abwerten und den Diplomingenieur gegen einen Diplom-Medienberater eintauschen würden. Da die meisten Unternehmen ohnehin Techniker und Naturwissenschaftler für Positionen in der Technikdokumentation vorziehen, spielt die Fähigkeit zu mündlichem und schriftlichem Ausdruck zumindest für die Einstellung kaum eine Rolle, sondern erst dann, wenn das Berufsleben entsprechende Anforderungen stellt. Wie schwer es den meisten Technikern fällt, einem Laien zu erklären, wie ein Gerät funktioniert, merken Verbraucher an den unverständlichen Gebrauchsanleitungen. Die Erfahrungen mit dem Medienberater zeigen, daß das Zusatzangebot an Vermittlungstechniken als geisteswissenschaftliches Hauptstudium von Technikern/Naturwissenschaftlern sehr wenig genutzt wird. Um das für Außenstehende leichter erkennbare, von Unternehmern wie von Wissenschaftlern vielfach beklagte Defizit an kommunikativer Kompetenz abzubauen, wäre es besser, ein Kommunikations- und/oder Schreibtraining unmittelbar in die Ausbildungspläne technischer und naturwissenschaftlicher Studiengänge zu integrieren. Lehrkräfte aus geisteswissenschaftlichen und aus technischen Disziplinen sollten gemeinsam versuchen, die lange erkannte Ausbildungslücke zu schließen. Doch auch Absolventen geisteswissenschaftlicher Studiengänge sind nicht von vornherein für den Beruf eines Technikautors qualifiziert. Zwar lernen sie im Laufe ihres Studiums analytisch zu denken, Zusammenhänge herzustellen und üben sich im mündlichen und schriftlichen Ausdruck. Doch um verständliche und benutzerfreundliche Technikdokumentationen zu verfassen, müssen sie ein gewisses Interesse an den Gegenständen entwickeln und sich auch mit der Denkweise von Technikern vertraut machen.
4. Konsequenzen für das Berufsfeld Technikdokumentation Der Streit, ob Geisteswissenschaftler oder Techniker die besseren Technikautoren sind, ist müßig. Es kommt ganz darauf an, welche Arten von Technikdokumentationen erstellt und welche Zielgruppen angesprochen werden sollen. Ein Geisteswissenschaftler ohne technische Vorbildung ist mit der Beschreibung einer komplexen technischen Anlage sicherlich überfordert. Dem Techniker fällt es dagegen oft schwer, einem Laien in einfachen Worten
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die Bedienung eines Haushaltsgerätes zu erklären. Die einseitige Bevorzugung von Technikautoren mit einer technischen Ausbildung ist nicht gerechtfertigt, wie die noch spärlichen Erfahrungen der Branche mit Geisteswissenschaftlern zeigen. Sofern ein gewisses technisches Grundverständnis vorhanden ist, sind sie für ein Laienpublikum meist die geeigneteren Technikautoren. Die Frage der formalen Bildung wird sich ohnehin erübrigen, wenn endlich mehr Ausbüdungsgänge für Technikautoren eingerichtet werden. Derzeit kommt der Nachwuchs an Technikautoren noch überwiegend als "Quereinsteiger" in das Berufsfeld. Studiert wird ein herkömmliches Fach, das auf diesen Beruf überhaupt nicht vorbereitet. Unabhängig von der Fachrichtung werden die Technikautoren firmenintern ausgebildet bzw. angelernt. Absolventen nicht-technischer Fachrichtungen, insbesondere Geisteswissenschaftler, sehen sich häufig aus ökonomischer Notwendigkeit gezwungen, im Rahmen einer vom Arbeitsamt geförderten Umschulungsmaßnahme Qualifikationen zu erwerben, die die Bewerbung auf einen Arbeitsplatz in der Wirtschaft überhaupt erst ermöglichen. Die Ausbildung zum Technikautor wäre für viele sicherlich eine bessere Alternative als eine reine Computer-Fortbildung. Doch Langzeitausbildungen sind rar und werden bislang nur von wenigen privaten Bildungsinstitutionen durchgeführt. Doch um den großen Bedarf an besser qualifizierten Technikautoren zu decken und den Nachwuchs nicht mehr fast ausschließlich aus Quereinsteigern rekrutieren zu müssen, ist es erforderlich, daß öffentliche Bildungsträger Ausbildungsgänge auf unterschiedlichen Niveaus anbieten. Die Unfähigkeit vieler Technikautoren mit technischer Primärausbildung zu allgemein verständlicher Ausdrucksweise ist nur ein Symptom für eine (zu) weit fortgeschrittene Spezialisierung in den Technikwissenschaften. Das übergeordnete Problem ist die fehlende Kommunikationsbasis zwischen Experten und Laien, aber auch zwischen Experten untereinander. Die Schulung der Ausdrucksfähigkeit von Ingenieuren und Naturwissenschaftlern im Rahmen ihrer Ausbildung ist zugleich die Voraussetzung, um die notwendige Kommunikation zwischen den Wissenschaften wiederzubeleben. Es geht dabei nicht nur um den Dialog zwischen so unterschiedlichen Disziplinen wie Geisteswissenschaften und Technikwissenschaften, sondern auch um denjenigen zwischen benachbarten Disziplinen, teilweise sogar zwischen Angehörigen derselben Disziplin, der wegen der hohen Spezialisierung nicht mehr stattfindet oder stattfinden kann. Daran, daß ein solcher Dialog zwischen den Wissenschaften gesellschaftlich notwendig ist, um die gegenwärtigen globalen Probleme zu lösen, kann kein Zweifel bestehen.
Anmerkungen 1 Das englische Wort fechnic bedeutet Kunst(-fertigkeit) bzw. Arbeitstechnik. Die deutsche Bedeutung von Technik als Sammelbegriff für industrielle Mittel und Verfahren wird von technology mit abgedeckt (vgl. z. B. die Erläuterungen beider Begriffe im Oxford English Dictionary 1989). 2 Bock/Nagel: (K)ein Spielraum für Kreativität? Umfrage zu den Arbeitsbedingungen im Berufsfeld Technikdokumentation; Erhebungszeitraum April bis Dezember 1988. Eine ausführliche Darstellung der Ergebnisse ist zu finden in: Bock (1991). 3 Susanne Alexa (1989) kommt in ihrer Umfrage tendenziell zu denselben Ergebnissen wie wir. 4 vgl. Brigitte Endres-Niggemeyer (1989).
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S Unverständlichkeit wird paradoxerweise häufig von Lesern und Zuhörern als Gütekriterium für Wissenschaftlichkeit angesehen, obwohl sie gerade verhindert, daß Nicht-Fachleute Qualität und Wert einer wissenschaftlichen Arbeit einschätzen können.
Literatur Alexa, Susanne (1989): Der Technische Redakteur. Entwicklungen - Strukturen - Zukunftsaussichten. - München: Ölschläger. Bock, Gabriele (1991): Ansätze zur Verbesserung von Technikdokumentation. - TU Berlin (Diss.). Endres-Niggemeyer, Brigitte (1989): Technische^) Redakteurin) - ein neuer Informationsberuf. Vortrag auf der tekom-Frühjahrstagung 1989, dokumentiert von Michael Rust. - In: tekom-Nachrichten 2, 10-12. Lanze, Werner (1983): Das technische Manuskript. Ein Handbuch mit ausführlichen Anleitungen für Autoren und Bearbeiter. - Essen, 3. A. The Oxford English dictionary (1989). - Oxford: Clarendon Press, 2.A. Stiegemann, Gunter (1979): Technische Kommunikation in Deutschland und der technische Autor. - In: tekom-Nachrichten l, 1.
ZUM ERKLÄREN VON FACHWORTERN IN WISSENSCHAFTSEXTERNEN TEXTEN
Jan van der Staak
0. Einleitung und Problemstellung In der Kommunikation über Wissenschaft und Technik stellt der Gebrauch von Fachausdrücken ein Problem dar. Einerseits sind Fachwörter unentbehrlich, weil die Behandlung des Themas dies erfordert, andererseits erregen sie leicht verständnisloses Staunen, was eine stagnierende Kommunikation zur Folge hat. Irritationen und Klagen in diesem Punkt kommen nicht von ungefähr, vielmehr bilden sie ein strukturelles Problem. Unsere Gesellschaft ist heute dermaßen verwissenschaftlicht, daß in vielen Situationen Menschen genötigt sind, wissenschaftliche Information mitsamt dem ihr anhaftenden Fachwortschatz zu verarbeiten. Modernen Apparaten beiliegende Gebrauchsanweisungen, Hinweise für die Ausfüllung von Formularen bei der Beantragung von Subventionen, Information über die Behandlung von Krankheiten, Medikamenten beigefügte Beipackzettel, Gebrauchsanleitungen bei Computerprogrammen, behördliche Bekanntmachungen und Verfügungen sind dafür überzeugende Beispiele. Probleme mit dem Gebrauch von Fachtermini in der wissenschaftsexternen Kommunikation liegen sowohl beim Produzenten von Texten als auch beim Rezipienten. Für den Textproduzenten ist es, in Anbetracht des behandelten Themas, bei weitem nicht immer möglich, ohne den Gebrauch von Fachtermini adäquat über Themen aus seinem Fachgebiet zu kommunizieren. Außerdem ist es ihm im Rahmen der aus der Kommunikationssituation sich ergebenden Zielsetzungen und Grundbedingungen bei weitem nicht immer möglich, alle erforderlichen Termini und Begriffe verständlich zu erklären. Mit den meisten wissenschaftsexternen Texten werden keine systematischen Einführungen in das betreffende Fachgebiet erzielt, so daß für eine nähere Erklärung verhältnismäßig wenig Raum bleibt. Der Textproduzent sieht sich genötigt, Fachwörter zu verwenden, allein ihm fehlt die Gelegenheit, sie auch restlos zu erklären. Der Textrezipient kann seine Probleme haben mit der Identifikation und der Interpretation von Fachausdrücken. Die Identifikationsprobleme beziehen sich auf Fachausdrücke, die auch im allgemeinen Sprachgebrauch vorkommen, dann aber in einer abweichenden oder weniger ausgesprochenen Bedeutung. Wenn der Textproduzent die Fachwortbedeutung meint, der Textrezipient dagegen die allgemeine Bedeutung interpretiert, können über die Bedeutung des Wortes Mißverständnisse entstehen. In dem Fall führt das Identifikationsproblem also zu einem Interpretationsproblem. Interpretationsprobleme können auch auftauchen, ohne daß damit Identifikationsprobleme verbunden wären, dann nämlich, wenn der Textrezipient die Bedeutung eines Wortes nicht oder ungenügend kennt.
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Die hier erwähnten Problerne haben schon seit einiger Zeit in der Sprachwissenschaft Beachtung gefunden. So stellt Bungarten (1981: 10) eine Kenntnis- und Sprachbarriere fest, und er plädiert dafür, daß diese Barriere niedergerissen werde. Eine von den Möglichkeiten zur Lösung des Fachwortproblems könnte darin liegen, daß für den Textproduzenten im Hinblick auf die Selektion und den Gebrauch von Fachausdrücken Anweisungen entworfen werden. Ziel der Untersuchung, über die hier zum erstenmal berichtet wird, ist es, aufgrund einer Analyse der Probleme mit Fachtermini und der Art und Weise ihrer Erklärung in Texten für die Textproduzenten methodische Anleitungen zu erarbeiten, als ihnen dienliche Richtlinien, um Fachausdrücke so zu wählen und zu erklären, daß deren Interpretation nicht länger unüberwindliche Probleme mit sich bringt. Die Durchführung dieser Untersuchung erfolgt global in drei Phasen: - Beschreibung von Methoden zur Erklärung von Fachausdrücken; - Analysen dieser Methoden sowie Untersuchungen in bezug auf deren Effektivität; - Entwerfen von Anweisungen für Textproduzenten. Bei dieser Untersuchung beschränke ich mich auf: - Texte, wissenschaftsexterne Kommunikation betreffend; - Texte, deren Hauptzweck nicht die Erklärung von Wörtern ist;
- geschriebene Texte; - Texte aus dem Bereich der Naturwissenschaften. Dieser Beitrag liefert einen Bericht über die erste Phase. Dabei gilt meine Aufmerksamkeit namentlich der Art und Weise, wie Worterklärungen in Texten identifiziert werden können. Ich beginne mit der Auseinandersetzung mit diesem Problem (1). Anschließend folgt eine Übersicht der Textmerkmale mit Bezug auf die Worterklärungen (2).
1. Das Problem der Identifikation von Worterklärungen Das nähere Studium des Quellenmaterials (amtliche Schriftstücke, informative Texte, instruktive Texte, journalistische Texte) ließ schon bald das Problem der Identifikation in Fällen von Worterklärung in Texten sichtbar werden. In einigen Fällen (Beispiel 1) fällt eine Erklärung ziemlich schnell auf und ist Identifikation einfach. (1) Um diese Gefahr zu minimieren, verabreichen die Ärzte ihm Antikoagulantien (gerinnungshemmende Medikamente).
In diesem Falle gibt die Hinzufügung einer Erklärung in Klammern unmittelbar hinter dem zu erklärenden Wort an, daß von einer Worterklärung die Rede ist. Der in Klammern gesetzte Ausdruck ist als Kennzeichen einer Erklärung anzusehen. In Beispiel 2 wird es schon etwas schwieriger: (2) In vielen Teilen der Welt wird die vorhandene landwirtschaftliche Nutzfläche von Qualitätsverminderung bedroht. Diese offenbart sich in Form von Bodenerosion, Vertrocknung von Gras- und Weideland, Auswaschung und Versalzung von Bewässerungsflächen sowie in anderen Formen der Desertifikation.
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In diesem Textabschnitt wird der Terminus Desertißkation mehr oder weniger zufallig erklärt; der Leser durchschaut nicht gleich auf den ersten Blick, daß es sich hier auch um eine Erklärung des Wortes Desertifikation handelt. Mitgeteilt wird die Tatsache der Qualitätsverminderung von landwirtschaftlichen Nutzflächen. Diese Tatsache wird in ihren verschiedenen Erscheinungsformen näher erklärt. Diese Erscheinungsformen werden beiläufig als Desertifikation bezeichnet, womit dann der Terminus Desertifikation erklärt ist. Diese mehr oder weniger zufällige Erklärung kann vielgestaltig sein und auf vielerlei Weise in einem Text versteckt werden. Es bestand also primär das Bedürfnis nach einer Methode, um sämtliche Fälle der Worterklärung zu identifizieren. Es zeigte sich, daß die nähere Analyse der Aktivität "Worterklärung als Sprechhandlung" einen Anknüpfungspunkt bot. Grundsätzlich ist die Sprechhandlung WORTERKLÄRUNG als eine Funktion zu betrachten, wobei folgende Elemente eine notwendige Rolle spielen: - die Sprechhandlung selber: ERKLÄREN; - wer erklärt? der Textproduzent; - für wen ist die Erklärung bestimmt? für den Textrezipienten - was wird erklärt? das zu erklärende Wort; - womit wird erklärt? mit der WORTERKLÄRUNG; - wie wird erklärt? Worterklärungsweise. Der illokutive Effekt des Sprechaktes WORTERKLÄRUNG ist der, daß der Textrezipient aufgrund der WORTERKLÄRUNG durch den Textproduzenten das zu erklärende Wort begreift. Der perlokutionäre Effekt des Sprechaktes WORTERKLÄRUNG ist der, daß der Textrezipient das zu erklärende Wort entsprechend der WORTERKLÄRUNG interpretiert und das zu erklärende Wort im erweiterten Kontext entsprechend der gegebenen WORTERKLÄRUNG gebraucht. Dies nun bildet den Rahmen, vor dessen Hintergrund der Textproduzent eine Worterklärungshandlung vollzieht und der Textrezipient eine Worterklärungshandlung interpretiert. Es fällt auf, daß das Wort erklären nicht performativ verwendet werden kann in einem Satz, der zugleich eine Erklärung impliziert. Im Niederländischen jedenfalls wirkt ein Satz wie: (3) *Ik verldaar je het woord dynastie als koningshuis. ["Ich erkläre dir das Wort Dynastie als Fürstenhaus."]
grammatisch ziemlich zweifelhaft. Für eine sprachliche Äußerung mit dem Wort, das die betreffende Sprechhandlung bezeichnet, wirkt dies auf den ersten Blick recht ungewöhnlich. Van Eemeren und Grootendorst (1984: 19ff.) stellen das gleiche für die Sprechhandlung ARGUMENTIEREN fest. Der Ausdruck argumentieren läßt sich gleichfalls nicht in einem performativen Sprechakt verwenden, der dann die Argumentation enthält. Die beiden Autoren lösen das Problem dadurch, daß sie einen illokutiven Handlungskomplex postulieren. Es zeigt sich nämlich, daß Argumentationen aus einer Anzahl von Sprechhandlungen bestehen, welche zusammen einen Komplex auf einer höheren textlichen Ebene bilden: den illokutiven Handlungskomplex ARGUMENTIEREN. Für die Realisierung dieses Komplexes besteht die Möglichkeit einer Selektion aus etwa fünfzehn verschiedenen Sprechhandlungen. Eine von ihren Argumenten für ihre Stellungnahme ist die Tatsache, daß man eine Argu-
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mentation als solche ankündigen und abschließen könne: "Dies ist/war meine Argumentation". Bei einer von den fünfzehn Sprechhandlungen, nämlich dem sog. "Sprachgebraucherklärer" (usage declaratives) oder in unserer Formulierung "Worterklärer", stellen sie gleichfalls die Notwendigkeit eines illokutiven Handlungskomplexes fest (Van Emeren/Grootendorst 1984: 290ff.). Für die Realisierung eines solchen Komplexes sind ihrer Meinung nach mindestens zwei Sprechhandlungen erforderlich, die im Grunde Featsteller sind. Auch hier ist es möglich, eine Erklärung anzukündigen oder abzuschließen: "Dies ist eine Erklärung des Wortes Corona". Auf jeden Fall ist der Begriff "illokutiver Handlungskomplex" geeignet, Worterklärungen von größerem Umfang als einem Satz als Sprechhandlung zu verantworten. In der Regel ist es überflüssig, alle betreffenden Elemente, die bei der Worterklärung eine Rolle spielen, in einem Text in Worten auszudrücken, weil es ja ohnehin deutlich ist, daß es um Erklären geht, oder weil der Text auch ohne diese Elemente eine erklärende Wirkung haben kann. Dies gilt namentlich für folgende Elemente: - Der Textproduzent. Dieser braucht sich nicht als Erklärer zu identifizieren, weil es bereits klar ist, daß dieser die betreffenden Sprechhandlungen verrichtet. (Das überflüssige Erwähnen des Textproduzenten hat natürlich wohl bestimmte stilistische Effekte). - Der Textrezipient. Dieser braucht auch nicht als solcher identifiziert zu werden, wenn es deutlich ist, wer der Leser ist und wem die betreffenden Wörter erklärt werden. - Die Handlung ERKLÄREN selber. Diese braucht ebensowenig explizit genannt zu werden, solange deutlich ist, daß es um Erklären geht. Letzteres ist zum Beispiel der Fall bei Bedeutungsumschreibungen in Wörterbüchern. Zwar können Sprechhandlungen, die zum illokutiven Handlungskomplex ERKLÄREN gehören, wenn explizit im Text genannt, Merkmal einer Worterklärung sein. Das gilt auch für diese Sprechhandlungen, die auf eine Worterklärungsweise verweisen. Wenn in einem Text außer dem Textproduzenten und dem Textrezipienten auch die Bezeichnung der Sprechhandlung WORTERKLÄRUNG unterbleibt, entsteht wegen des Fehlens anderer Erklärungshinweise eine etwas unsichere Situation. In dem Fall bleiben nur die zwei Elemente: das zu erklärende Wort und die WORTERKLÄRUNG übrig. Für den Leser oder den Textinterpreten ist es dann nicht ohne weiteres klar, ob der Textproduzent bezweckt hat, die Sprechhandlung WORTERKLÄRUNG zu vollziehen. Es bleibt in der Schwebe. Gleichwohl kann die betreffende sprachliche Äußerung den Effekt einer Worterklärung haben. Eigentlich handelt es sich in dem Fall um zwei mehr oder weniger synonyme Textstellen oder Paraphrasen. Damit ergeben sich Möglichkeiten für allerlei mehr oder weniger versteckte Weisen der Worterklärung. Für den Textproduzenten kann das eine Strategie sein, die es ihm ermöglicht, dem Leser mehrere Interpretationsmöglichkeiten zu bieten und die betreffende Paraphrase entweder als Erklärung zu gebrauchen oder, je nach Bedarf, als stilistische Variation aufzufassen. Syntaktisch finden solche Paraphrasen zum Beispiel ihren Ausdruck im Prädikat, vorzugsweise im Prädikativ, in der Apposition sowie in einem verweisenden Wort (s. 2.2.). Diese Reduktion von Elementen und die damit verbundene Strategie des Textproduzenten ist nur dadurch möglich, daß die zwei Paraphrasen Teil anderer sprachlicher Äußerun-
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gen sind, die als der vorhandenen Worterklärungshandlung übergeordnet angesehen werden können. Zum Beispiel: (4) Um den gewünschten Chromosomen beizukommen, bedient man sich eines Durchströmzytometers. Diese Apparate, die aus einer Lösung von Pflanzenzellen einer bestimmten Rasse diejenigen Chromosomen herausholen, die man gern einer anderen Rasse beimischen möchte, stehen erst seit drei Jahren zur Verfügung.
Im Grunde handelt es sich hier um "Feststellungen" (representatives). Zu gleicher Zeit wird aber auch der Ausdruck Durchströmzytometer erklärt. Eine solche Anschauungsweise ist vertretbar, wenn man das Erklären von Wörtern in einem Text und gleichfalls den Text selber als einen illokutiven Handlungskomplex betrachtet. In einem Text kann die Worterklärung Haupthandlung sein. In diesem Falle ist die Erklärung des betreffenden Wortes Hauptziel des Textes. Die Worterklärung kann auch Teilhandlung sein. Dann ist das Ziel des Textes ein anderes, und um es zu erreichen, ist es nötig, daß ein Wort erklärt wird. Die letztgenannte Möglichkeit verhindert übrigens nicht, daß die Worterklärung ein illokutiver Handlungskomplex ist, wenn auch jetzt ein der Haupthandlung des Textes untergeordneter illokutiver Handlungskomplex, wie das zum Beispiel in einer Argumentation der Fall sein kann. In der Praxis bringt die Analyse eines geschriebenen Textes in Sprechhandlungen Probleme mit sich. Es gelingt nämlich nur selten, eine Textanalyse in einer hierarchisch gegliederten Reihe von Sprechhandlungen zu einem guten Abschluß zu bringen. Dies hat seine Ursachen: 1. Sprechhandlungen in geschriebenen Texten sind bei weitem nicht immer eindeutig als solche erkennbar, weil sie nicht eindeutig als solche zum Ausdruck gebracht werden. Das soll jedoch nicht schon besagen, daß der Text Mängel aufwiese. Es sind nämlich viele Situationen vorstellbar, in denen der Textproduzent keinerlei Bedürfnis empfindet, seine Sprechhandlungen eindeutig zum Ausdruck zu bringen. Er kann von der Annahme ausgehen, alles sei ja klar, oder aber, er kann in den Text Möglichkeiten zu verschiedenen Interpretationen durch den Leser einbauen. 2. In geschriebenen Texten ist kein direktes Beraten über den Status des Textes als Sprechhandlung möglich. Dies im Gegensatz zu Konversationen, wobei die Gesprächsteilnehmer grundsätzlich wohl über den Status ihrer Sprechakte diskutieren können. Hiermit dürfte erklärt sein, warum es schwierig sein kann, die betreffenden illokutiven Handlungskomplexe "Worterklärung" in geschriebenen Texten zu identifizieren.
2. Kennzeichen von Worterklärungen Bleiben wir bei der Frage: Inwieweit ist nun der illokutive Handlungskomplex "Worterklärung" - wie kurz und knapp er auch wiedergegeben sein mag - als solcher erkennbar? Nach der Einführung des Worterklärens als eines illokutiven Handlungskomplexes und den weiteren Beobachtungen kehrt das Problem zurück in einer Form, die eine weitere Erkennung wie auch Beschreibung möglich macht. Gleich zu Anfang unterscheiden wir zwischen explizit bezeichneten Sprachgebrauchserklärern oder Worterklärem einerseits und
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zwischen explizit bezeichneten Sprachgebrauchserklärern oder Worterklärern einerseits und andererseits solchen Worterklärern, deren Identität dahingestellt bleibt, weil hier lediglich von zwei Paraphrasen mit ihrem eventuellen erklärenden Effekt die Rede ist. Explizit bezeichnete Worterklärer haben Kennzeichen, die in 2.1. besprochen werden. Die nicht direkt greifbare Gruppe kommt in 2.2. zur Sprache. 2.1. Durch den Gebrauch "Worterklärer" gekennzeichnete Worterklärungen 1. Explizite Erwähnung des illokutiven Handlungskomplexes WORTERKLÄRUNG. Wie bereits oben ausgeführt wurde, gibt es eine Anzahl von Verben, die nur auf das Vorhandensein eines illokutiven Handlungskomplexes WORTERKLÄRUNG verweisen, ohne daß sie selber direkt als Worterklärer verwendet werden können. Es betrifft das Verb erklären und seine Synonyme, wie darlegen, auseinandersetzen, erläutern, erörtern, klarmachen, explizieren und deren Ableitungen. Zum Beispiel: (5) Das Wort Durchströmzytometer läßt sich folgendermaßen erklären. Es verweist auf einen Apparat, mit dem man diejenigen Chromosomen aus einer Lösung von Pflanzenzellen herausholen kann, die man Zellen einer anderen Rasse beimischen will.
Hier ist also von einem illokutiven Handlungskomplex die Rede, der aus mehreren Sprechhandlungen besteht. 2. Explizite Erwähnung der Sprechhandlung INTERPRETIEREN. Wenn der illokutive Sprechhandlungskomplex "Worterklärer" nicht explizit bezeichnet wird, können andere Sprechhandlungen innerhalb des Komplexes als Worterklärer funktionieren. Eine davon ist INTERPRETIEREN. Diese Sprechhandlung erfüllt die Funktion des Präsentierens der erklärenden Paraphrase. Der Sprechakt kann wiedergegeben werden durch das Verb interpretieren (als), oder aber durch eins seiner Synonyme auffassen (als), verstehen (als), auslegen, deuten, ausdeuten, ansehen (als) und deren Ableitungen. Zum Beispiel: (6) In den letzten Jahrzehnten ist weltweit die Desertifikation eher weiter vorgedrungen, als daß sie zurückgegangen wäre. Das Wort Desertifikation wird hier als Qualitätsverminderung landwirtschaftlicher Nutzflächen interpretiert.
Die betreffenden Wörter haben nur dann diese Funktion, wenn die Paraphrase des zu erklärenden Wortes, wie in obigem Beispiel, der Paraphrase der WORTERKLÄRUNG vorangeht. Nur in topikalisierten Sätzen kann sich die Sache umgekehrt verhalten. 3. Explizite Erwähnung der Sprechhandlung NENNEN. Auch die Sprechhandlung NENNEN ist ein Worterklärer mit der Funktion des Introduzierens des zu erklärenden Wortes oder Begriffs. Die Sprechhandlung kann wiedergegeben werden durch das Verb nennen oder aber durch eins seiner Synonyme benennen, bezeichnen, betiteln, heißen, mit dem Namen belegen, beim Namen nennen, etikettieren/abstempeln (als), mit einem Etikett versehen und deren Ableitungen. Als besonderes Kennzeichen gilt, daß die Introduktion des betreffenden Wortes hervorgehoben werden kann durch die Hinzufügung des 'Wortes " "', des 'Etiketts " "', des 'Namens "x1" oder bloß "x". Beispiele sind: (7) Die äußersten Schichten der Sonnenatmosphäre werden Corona genannt. (8) Die äußersten Schichten der Sonnenatmosphäre, die Corona genannt, zeigen von Zeit zu Zeit seltsame Ausstülpungen.
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(9) Diese Erscheinungen rubrizieren wir unter dem Namen "Desertifikation".
Dieser Worterklärer funktioniert nur dann, wenn die erklärende Paraphrase, wie in obigen Beispielen, der zu erklärenden Paraphrase vorangeht. Nur in topikalisierten Sätzen kann sich die Sache umgekehrt verhalten. (10) Corona nennen wir die äußersten Schichten der Sonnenatmosphäre.
Sogenannt ist eine häufig verwendete Ableitung, die auch das zu erklärende Wort introduziert. Sie können sowohl der WORTERKLÄRUNG vorangehen als auch ihr folgen. Ein Beispiel: (11) Monoklonale Antikörper könnten die Entwicklung der sogenannten magic bullets fördern, welche kranke Zellen isolieren und abtöten, ohne die gesunden Zellen anzugreifen.
Die Gruppen 2 und 3 haben beide noch eine mehr oder weniger synonyme Reihe: 4. Bedeuten, besagen, beinhalten. Diese Verben sind Synonyme der Passivformen der Verben unter 2 (interpretieren usw.). Sie haben die gleiche Funktion: das Introduzieren der erklärenden Paraphrase. Das semantische Verhältnis ist nicht nur das von aktiv-passiv, sondern vor allem das von ergativ-resultativ. Ein Beispiel: (12) Das Wort Corona bedeutet die äußersten Schichten der Sonnenatmosphäre.
Auch Ableitungen von diesen Verben können diese Funktion (das Präsentieren der erklärenden Paraphrase) übernehmen. Zum Beispiel: (13) Das Wort Corona hat die Bedeutung: die äußersten Schichten der Sonnenatmosphäre.
5. Heißen. Dieses Verb ist ein Synonym der Passivformen der unter 3. aufgeführten Verben (nennen usw.). Auch hier besteht das Verhältnis ergativ-resultativ. Als Synonyme kämen in Betracht Ausdrücke wie: den Namen "x" tragen, das Etikett "x" tragen usw. Ein Beispiel: (14) Die äußersten Schichten der Sonnenatmosphäre heißen Corona.
6. Explizite Erwähnung von Sprechhandlungen, die eine Art und Weise des Erklärens angeben. Außer den genannten Sprechhandlungen ERKLÄREN, INTERPRETIEREN und NENNEN gibt es noch eine Reihe von Sprechhandlungen, die auf die Art und Weise verweisen, wie ein bestimmtes Wort oder ein bestimmter Begriff erklärt wird. Auch diese Wörter geben an, daß etwas erklärt wird. D'Angelo (1978/1985) unterscheidet folgende Erklärungsweisen. In Klammern folgt eine Anzahl von Verben, mit denen die betreffende Sprechhandlung bezeichnet werden kann und die ein Kennzeichen des illokutiven Handlungskomplexes "Worterklären" sein können. - ANALYSIEREN (unterscheiden, zergliedern, aufteilen, in seine einzelnen Teile zerlegen, sanieren, sichten), - BESCHREIBEN, - KLASSIFIZIEREN (sammeln, zusammenfassen, gruppieren, einteilen, ordnen), - DEFINIEREN (umschreiben, bestimmen, festlegen, angeben), - VERGLEICHEN, - BEISPIELE GEBEN.
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Außer den hier genannten Verben gibt es noch ihre Ableitungen, die auf die betreffende Sprechhandlung verweisen können.
2.2. Worterklärungen mit nur zwei Erklärungselementen
Bei den nunmehr zu besprechenden Beispielen sind nur die Paraphrasen zu erklärendes Wort und Worterklärung vorhanden oder können als vorhanden betrachtet werden, ist doch von einer Sprechhandlung nicht explizit die Rede. Dies hat zur Folge, daß hier keine Reihen von Kennzeichen genannt werden können, die unverkennbar auf Worterklärung verweisen. Das einzige, was hier auffällt, ist dies, daß es zwei Textabschnitte gibt, die als wechselseitige Paraphrasen zu betrachten sind, ein ziemlich häufig vorkommendes Kennzeichen in Texten, das nicht ohne weiteres auf Erklärung hinzudeuten braucht. Wenn aber von einem worterklärenden Effekt die Rede sein soll, dann muß die eine Paraphrase das unbekannte, zu erklärende Wort enthalten und die andere Paraphrase die Erklärung. Erst bei einem solchen Verhältnis kann von einem erklärenden Effekt die Rede sein, einem Effekt, der auch vom Textproduzenten bezweckt sein kann und vom Leser als solcher aufgefaßt werden kann. Paraphrasen sind danach unterscheidbar, ob sie innerhalb der Satzgrenzen oder über die Satzgrenzen hinaus vorkommen. Paraphrasen innerhalb der Grenzen des Satzes sind zum Beispiel: - Ein Prädikat, das eine Paraphrase der nominalen Konstruktion im Subjekt enthält: (15) Desertifikation ist Qualitätsverminderung agrarischer Nutzflächen.
- Attributive Bestimmungen, namentlich Appositionen und Attributsätze: (16) Desertifikation, Qualitätsverminderung agrarischer Nutzflächen, geht folgendermaßen vor sich.
Appositionen werden auch durch die Tatsache gekennzeichnet, daß sie zwischen Klammern oder Gedankenstrichen gesetzt werden. - Nichtausschließende oder inklusive Disjunktion: (17) Desertifikation oder Qualitätsverminderung agrarischer Nutzflächen äußert sich in folgenden Erscheinungsformen.
Obige Aufzählung erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Im Grunde kann jede Prädikatsform eine erklärende Funktion haben, und zwar durch die einfache Tatsache, daß eine Aussage über das Wort, die Sache oder den Begriff erfolgt, der als Subjekt des betreffenden Satzes funktioniert. Solche Konstruktionen funktionieren natürlich nur als WORTERKLÄRUNG, wenn sie Bedeutungselemente oder notwendige Eigenschaften enthalten. Paraphrasen können auch über die Satzgrenzen hinaus vorkommen und als Worterklärung funktionieren. Das hört sich jetzt nicht mehr seltsam an, weil es dem Postulat des illokutiven Handlungskomplexes "Worterklärung" entspricht. Die Möglichkeit dazu wird durch die Kohäsionserscheinungen gegeben, von denen ich hier besonders die lexikalische Kohä-
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sion und die referentielle Kohäsion herausgreife. Dabei schließe ich mich der von Halliday/Hasan (1975) verwendeten Terminologie an. Lexikalische Kohäsion macht es möglich, eine nominale Gruppe zu wiederholen. Das kann durch dasselbe Wort, durch ein Synonym, durch ein Hyperonym oder durch ein allgemeines Wort geschehen. Nur die letzten drei können eine erklärende Funktion haben, wie die folgenden Beispiele zeigen. (18) Große Teile der Welt werden in den letzten Jahrzehnten von Desertifikation betroffen. Diese Qualitätsverminderung agrarischer Nutzflächen äußert sich in folgenden Erscheinungsformen ("Synonym"). (19) Um Kinder mit Wachstumsstörungen behandeln zu können, ist es notwendig, daß man über Wachstumshormone verfügt. Nun ist dieses Hypophysehormon nur in beschränktem Maße vorhanden ("Hyperonym"). (20) Progesteron bereitet die Schleimhaut weiter vor auf ihre neue Aufgabe. Der Stoff ist für die Instandhaltung der frühen Schwangerschaft unentbehrlich ("allgemeines Wort").
Es befremdet, daß Halliday/Hasan (1975) nicht die erweiterten Formen beschreiben, die neben ihrer Funktion im Textzusammenhang auch eine erklärende Funktion haben können. Beispiele dafür sind: (21) Progesteron bereitet die Schleimhaut weiter vor auf ihre neue Aufgabe. Der für die Instandhaltung der frühen Schwangerschaft unentbehrliche Stoff wird heutzutage in großem Umfang in Medikamenten verarbeitet.
Referentielle Kohäsion. Mit obigen Beispielen werden nicht nur ausschließlich lexikalische Kohäsionserscheinungen illustriert, sondern auch schon referentielle Kohäsionserscheinungen. Sie enthalten nämlich auch Verweisungswörter, die den gewünschten Zusammenhang zwischen den betreffenden Paraphrasen herstellen. Dies ist auch der Fall im Beispiel (22): (22) Für beide Arten der Untersuchung wird in der Regel von Allergenextrakten Gebrauch gemacht. Dies sind wäßrige Lösungen, die Allergen enthalten. Man bereitet sie, indem man die Allergieerreger (z.B. Blütenpollen oder abgeschilferte Schuppen von Katzen) einige Stunden lang mit einer physiologischen Salzlösung verrührt und das unauflösbare Material abfiltriert.
Das Thema ist hier "Allergenextrakt". Dies und sie sind hier Verweisungswörter, welche die Kohäsion herstellen. Sie verweisen - dies direkt und sie indirekt - auf Allergenextrakte. Die Prädikate in den beiden Sätzen funktionieren als Paraphrasen von "Allergenextrakten". Das Beispiel zeigt auch noch etwas anderes. Paraphrase- und Kohäsionserscheinungen sind oft auch ein Indiz für Thematisierung größerer Textteile, zum Beispiel eines Textabschnittes. In einem solchen Falle kann das Thema das gleiche sein wie das zu erklärende Wort. Auf diese Weise kann eine WORTERKLÄRUNG aus einem größeren Textabschnitt oder einer noch größeren Texteinheit bestehen.
3. Schlußbemerkungen Bis jetzt sind Texte analytisch-deskriptiv daraufhin erforscht worden, wie die Identifikation von Worterklärungen ermöglicht werden kann. Die allgemeine Analyse der Sprechhandlung
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WORTERKLÄREN und die Analyse von Worterklärungen in Texten haben folgendes ergeben. - Jede Worterklärungshandlung enthält unbedingt zwei Paraphrasen, eine Paraphrase mit dem zu erklärenden Wort und eine mit der Erklärung. Also sollen beim Vollzug der Worterklärungshandlung beide Paraphrasen explizit formuliert werden. - Umgekehrt können zwei beliebige Paraphrasen eine - von dem Textproduzenten gemeinte oder nicht gemeinte - worterklärende Wirkung haben. - Eine explizit vollzogene Worterklärungshandlung setzt sich aus zwei oder mehr Sprechhandlungen zusammen, die gemeinsam den illokutiven Handlungskomplex WORTERKLÄREN bilden. - Kohäsionsphänomene, wie lexikale und referentielle Kohäsion, ermöglichen es, die Paraphrasen über die Satzgrenzen hinaus zu formulieren, so daß größere Textteile als Worterklärung funktionieren können. Diese Ergebnisse gestatten es, Worterklärungsphänomene in Texten festzustellen und sie umfassend zu beschreiben. Eine globale Beschreibung wurde hier schon präsentiert. Der nächste Forschungsschritt wird eine weiterführende textstrukturelle, stilistische und semantische Analyse von Worterklärungsstellen enthalten. Die Frage ist dann, inwieweit es möglich ist, empirisch festzustellen, ob bestimmte Worterklärungstypen zu einem besseren und/oder schnelleren Wortverständnis führen. Erst dann wird es möglich sein, für den Textproduzenten Anweisungen zu entwerfen, die ihn befähigen, verständliche wissenschaftsexterne Texte zu schreiben.
Literatur Bungarten, Theo (Hrsg.) (1981): Wissenschaftssprache. Beiträge zur Methodologie, theoretischen Fundierung und Deskription. - München: Fink. D'Angelo, Frank J. (1978): A Conceptual Theory of Rhetoric. - Cambridge, MA: Winthrop. - (1985): Process and Thought in Composition. - Boston, MA: Little, Brown & Co. Halliday, Michael A.K./Hasan, Ruqaiya (1975): Cohesion in English. - London: Longman. Van Eemeren, Frans H./Grootendorst, Rob (1984): Speech Acts in Argumentative Discussions: A Theoretical Model for the Analysis of Discussions Directed Towards Solving Conflicts of Opinion. - Dordrecht: Foris.
WRITING AN ILLUSTRATED POPULAR SCIENCE TEXT A Functional Approach Egbert Woudstra
1. Introduction The use of illustrations is crucial in explanation of science. In this research we pay attention to the use of illustrations as an integral part of writing a text. We have learned from interviews with popular science writers and editors of popular science journals, that there is in most cases a strong division of tasks between writers and editors. Writers are very much text oriented. They believe that scientific concepts primarily should verbally be explained. Editors are much more illustration and lay-out oriented (Ikink 1987). As a result, popular science articles often lack coherence. Illustrations are supplemented without a clear relation to the verbal information in the article and/or for no reason other than attractiveness, while other choices are being neglected. We think that a text can be more effective if the (content) writer knows how to make use of alternatives in his text by including the use of illustrations. It is only in this, that a lack of coherence can be avoided. Knowledge about this choices will be of even more importance in the future when a writer has the advantages of computer software making the integration of verbal information and the design/selection of illustrations possible in a much more easier way than nowadays.
2. Research objective and research questions Our research objective is to develop a model and to derive from it a systematic procedure for analysing and designing/writing an illustrated popular science text. Because of the fact that we want our students to become familiar with conventions of our text type we not only want to develop a designing/writing model but also an analysing model. For this research we do not look into the stylistic characteristics of popular science texts. In this paper we will formulate a first version of an analysis and designing/writing model for an illustrated popular science text. It will be discussed in the next section. In concern of our research questions we will concentrate on the usefulness of systematic procedures. In this way we have a first test concerning our theoretical thoughts about the model we use. Therefore, our research questions are the following: - What is the sequence of steps necessary for an effective procedure for analysing and designing/writing a popular science text with stress on text-illustration relations? - Can students work with these procedures?
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In the discussion section we will discuss the consequences of the results for our model and our theoretical frame work.
3. Theoretical framework: a designing/writing model We look at a text as a hierarchical structure constructed along the lines of the question-answer principle (Steehouder et al. 1984, Anderson and Armbruster 1985). Some questionanswer pairs can be subordinate to others and so on. The level in the text hierarchy of such a question-answer couple is important for the decision how vital certain information is in the text. If there is a restricted space for illustrations available (and that is almost always the case), text hierarchy can play an important role in the decision to use an illustration. Considering a text of a conglomeration of question-answer pairs gives us the opportunity to frequently relate used questions directly to some global information about the structure of text parts and possible illustrations. We have chosen a functional approach for our model. But because of the fact that we stress the design aspect of an integrated text we choose information as a basic principle for our function. We define "function" in the area of text writing and illustrating as the result of a planned activity of a writer at a certain moment in representing information to attain a desirable effect. We imply the overall goal concerning comprehensibility and attractiveness because of the conditions we set for our kind of text. Following the question-answer format we basically have in our model question and answer functions, respectively called question description functions (macro level) and answer information functions (micro level). Between the two we have a meso level which consists of introduction and summary functions. The last dimension concerns the channel by which the information is transmitted (text, illustration or both): the channel functions. We will explain the different functions here after: 3.1. Question description functions (macro level) The object of description (representing information) in popular science writing (with emphasis on natural sciences) is mostly a - material object (apparatus or a part of it, product), - process (chemical, physical, production), - scientific theory.
Identifying the subject of the text in terms of an object, process or theory gives the opportunity to develop some standard questions. Questions are often used in explanatory texts describing popular (natural) science subjects. 3.1.1. Object questions We define an object as something with a certain physical dimension, and as a principle does not change with time.
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(1) What is it/ what does it look like? (part or whole) (2) What attributes/characteristics does have? (3) How is it built/ what parts does it consist of? (4) What is (are) its fiinction(s)? (5) What is (are) its application(s)? (6) How does it work? (7) What theory is involved? (8) Who is (are) the researchers)/ where is the research done? (9) How is the research done (methods)? (10) How is it produced? (11) By whom is it (will it be) produced? (12) With what can it be compared*?
3.1.2. Processquestions In the description of a process the stress is on the change in time. You can distinguish between continuing processes and discrete or batch processes characterised by separate stages. (1) What is it/ what does it look like? (part or whole) (2) What stages are there? (3) What object is carrying out the (part of the) process? (4) What is (are) its functions? (5) What is (are) the product(s) of (stages of) the process? (6) What is (are) its application(s)? (7) What theory is involved? (8) What data are known about (part of) the process? (9) Who is (are) the researcher(s)/ where is the research done? (10) How is the research done (methods)? (11) With what can it be compared*?
3.1.3. Theory questions (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8)
What phenomenon does it describe? Which cause/effect relations does it describe? How is the research done? (methods) What is (are) its application(s)? What is (are) the proces(ses) the theory describes? What data are known about the theory? Who is (are) the researcher(s)/ where is the research done? With what can it be compared*?
The questions are partly interconnected; for instance object question four refers to process questions. The comparison question can be connected to almost every other question. 3.2. Answer information functions (micro level) In the section above we have talked about frequently used description questions. Connected with these questions are the answers in a more or less standard information structure. Especially in literature on technical writing (e.g. Lannon 1985) and on text comprehensibility (Trimble/Trimble 1979, Armbruster 1984, Calfee/Curley 1984 and Horrowitz 1985a/b), these (rhetorical) structures are very common.
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Because we see illustrations as an alternative to verbal description it is obvious that we think that illustrations can have the same (combination of) answer structures as in the verbal description. a) Presentation of spatial information. It is information about how things look like, about spatial construction, relation whole/part. Spatial is mostly suitable in describing an object. Because it is very difficult to verbally describe a complex object in terms of its parts, you will almost certainly find or use an illustration here in the form of one or more photos, a cross section or an exploded view. b) Presentation of functional information. It is information refering to the use of the subject. With objects most of the times you use the word function; with processes you use the word goal. Mostly the illustration visualizes an application with or without an acting person. c) Presentation of attributional information. It is information about attributes or characteristics of a subject. Besides most of the time there will be more attributes with more than two dimensions. When some attributes of an object, process or scientific theory are enumerated, the most common form for an illustration is the table but other illustrations are possible. d) Presentation of temporal information. It is information about how something changes over time. There always is a certain chronology. A temporal function is used in describing a process. The process can be the description of actions or stages but also the description of quantitative data. e) Presentation of causal information. It concerns information about causes and effects. There can be a certain follow up in time but chronology is not a condition for causality. A causal information structure is used for processes or scientific theories. It can be visualized in different ways, for instance with a block diagram, with a photograph in which a cause or an effect is depicted. f) Presentation of comparative information. It concerns information in which two (or more) things are being compared on certain aspects (spatial construction, function, some attributes, temporal (history/old-new), causes and effects). We can distinguish between comparison in the same domain and in different domains. In the second case we speak of an analogy. In this latter form it is especially suitable for the explanation of abstract concepts. Comparative information is always combined with other structures. Often these other structures are also used in combinations. For instance the functional structure is most of the time combined with spatial structure. The attributional structure can compare spational or functional structures. Certain answer structures are frequently coupled to certain description questions. For instance the object questions What is it I how does it look like and How is it build have always a spatial answer structure. The function and application questions always have a functional answer structure in combination with a spational or attributional structure.
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3.3. Introduction and Summary function (meso level) Both introduction and summary are common rhetorical structures. - introduction. An illustration as introduction is mostly found at the beginning of the whole text. In the illustration you often find a representation of the subject or when this is difficult because the topic is too abstract, an attribute or an effect is visualized. - summary. We talk about summarization (by means of an illustration) when verbal information from more than one part of the text is repeated. Most of the time a visualized summarization takes place in the form of a graphic: the most important information is related graphically in a logical way. In these two functions you can, in principle, find the same answer structures as mentioned above. 3.4. Channel functions By using these functions, the writer has the opportunity to choose between representing information in a verbal way or by means of an illustration, or by both. We distinguish: (a) Duplication of information. Verbal information is duplicated in the illustration. Of course information in an illustration is never completely identical to the information presented verbally, but only to a great deal. (b) Alternation of information. An illustration can be added to the verbal information in which (part of) the information is duplicated and partly new information is presented. (c) Presentation of only illustrated information. Information is added by illustration which has no verbal counterpart in the text. In cases when only the name of a concept is mentioned verbally and an illustration is added, we also speak of presenting only illustrated information. (d) Presentation of only verbal information. We are the most familiar with this kind of information. Illustrations in popular science texts are seldom placed directly at the planned spot in the text structure. Most of the time the text is printed in such small columns that it would be impossible to locate the illustration at the 'right' place. Especially in this context the support of a caption to understand the meaning of the illustration is important. Theoretically the caption should be less extended in an illustration with a duplication function than in a caption for an illustration with an alternating function. Duplication of the already verbally given information in a caption as well as in the illustration isn't very logical. When an illustration has an alternating function the new information added to the verbal information has to be given in the caption to explain the illustration. The caption of an illustration presenting entirely new information should be the most extended, because here caption and illustration together replace entirely verbally given information. However, if the illustration is very well known to the reader this will negatively influence the amount of information presented in the caption. It is obvious that for instance a picture taken with a electron microscope will be less recognised and will therefore need more explanation in the caption. As said above in a lot of popular science texts, illustrations are not placed directly at the forseen spot but are located elswhere in the text. In that case captions could be extended in
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a way that caption and illustration together are self-explanatory, especially if illustrations are located before the planned spot in the text scheme. However, self-explanation should always be regarded in the light of the audience the text is meant for. Illustration and caption can be very self-explanatory for experts but at the same time incomprehensible for lay readers. Another reason for making illustrations and captions self-explanatory is that it could be helpful for readers who want to know if the text is of interest for them. They can 'read' the illustrations first; maybe they will be stimulated to read the whole text. Very often it is clear at once for what medium the text is meant. That means that decisions can be made about the proportion of illustrations in the text, the size, location and kind of the illustrations. Medium aspects as mentioned here are often subjected to certain conventions typical for a certain medium.
4. Systematic procedures: analysing and designing/writing Until now, we have defined the functions which can exist in an illustrated popular science text. To design and realize these functions for a concrete text, we need a procedure. The phases of our writing/designing procedure, using the distinguished functions, are based on the cognitive process theory of writing of Flower/Hayes (1981). They suggest a model basically of three phases Planning, Formulating, Revision. They see writing as a recursive process. Although we situate the tasks of the writer in different phases, we stress the fact that writing is a recursive process. For instance, revision can take place in the first phase as well. We introduce a 'last' revision phase as a last check on the quality of the text. It is not clear if Flower/Hayes included such a last check in their revision phase. Two systematic procedures were derived from our model: a method for analysis and a method for designing/writing an illustrated popular science text. 4.1. Procedure for Analysis - how is the text hierarchically structured? (make a text scheme); - define the purpose of the text; - if the text is subjected to medium conventions, determine what these conventions are in terms of the percentage of the illustrations in the text, the size and kind of illustrations, and compare them with the text to be analyzed; - analyze the illustrations in terms of description, answer structure and channel functions; - give a judgment in relation to the supposed effects of the purpose of the text and the conventions of the medium; * is the illustration acceptable? (level in text scheme, channel functions, other functions); * are illustration and caption self-explanatory? (comprehensibility/public!, location in the text, references); * do the illustrations cause distraction because of the lay out? * would other illustrations be more appropriate? (level in text scheme, channel and other functions, medium conventions); * what would the choice for these other illustrations mean for the representation of verbal information?
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4.2. Procedure for Designing/Writing 4.2.1. Planning Phase 4.2.1.1. Orientation - formulate the purpose of your text / what are the medium conventions? - what are the consequences for use of illustrations in the text hierarchy (text scheme)? - what are the consequences for the type of illustration, especially realistic in proportion to more abstract diagrammatic illustrations and illustrations presenting data in graphs and tables? - what proportion of the article space do you plan to fill with illustrations? - are Introduction and Summary functions desirable?
4.2.1.2. Text scheme - design your text scheme (question-answer couples); - put your ideas about illustrations in the text scheme by word or sketch; - check the questions in your scheme rigorously with the object, process and theory questions; - determine answer and channel functions and jot them down in your text scheme; - put in new ideas for illustrations (don't select too much in this stage); - document and put new ideas for illustrations in; - fill in more details in your structure with more possible ideas for illustrations.
4.2.2. Formulation and Revision Phase - formulate your text; - when you want to use an illustration because you have difficulties in explaining a concept, work it out as far as you feel necessary; - select illustrations from your text scheme, don't work them out yet, indicate what channel function you have in mind and what (combination of) answer structures; - work out your illustrations with caption (don't forget the references in your text).
4.2.3. 'Last' Revision (or Edit) Phase - check your text with illustrations with the demands of the orientation (planning phase); each illustration separately and all together; * see judgment questions in Analysis procedure.
5. Research methods concerning systematic procedures Data for testing our procedure were collected during three events: the first and third in a hundred hour course in popular science writing respectively in 1988/1989 and 1989/1990. The second during a one day mini writing course in the summer of 1989. (1) Data were collected from a hundred hour course in popular science writing, meant for natural science students. It was an optional course meant for students in their last year of study. Five students were from natural science departments, two from other departments. In their learning material students were presented with the procedure with emphasis on analysis. All students had experience with report writing, none with writing about science for a lay audience. Data were collected from written reflections on their activities and from
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interviews afterwards. They had to write a three to four paged article on their own research subjects to be published in the corporate research magazine of the university. The magazine is sent to graduates and profit and non-profit organisations who might be interested in results of research of the university. It is a rather glossy magazine with both an information goal and a public relations goal. The articles are mostly three pages, with illustrations and not too difficult to understand. (2) For our second (mini)course we remodeled our analysis procedure to a writing procedure (see for the procedure section 4). Data were collected from a group of three students by means of observation and thinking aloud protocols, supplemented by interviews. The three students were all from natural science departments, they were in their last year of study and already had successfully completed a course in report writing. In the morning session they analyzed and did an exercise in designing a text scheme. During the afternoon the exercise with the writing procedure as a whole took place. Students were told to write about the same subject as they had done in a course on report writing. We choose this solution because of the time available. It had the advantage that we did not need such a time consuming step as documentation. (3) The third course was comparable with the first course. Again it was an optional course on popular science writing. This time 13 students were from natural science departments and 2 were from other departments. At the end of the course students had to write an article about research done by graduates. The article was again meant for the corporate research magazine published by the university. 6. Results concerning the usability of the procedures (1) In the hundred hour course it appeared that students could reasonably analyze an article. However, from written reflections and interviews afterwards we learned that transference to a systematic way of writing an article with illustrations didn't take place. Only afterwards in the last revision they said to have had some help of the procedure. (2) During the morning session of the minicourse students were able to analyze a popular science text with illustrations with the help of the procedure. The analysis went fairly well. From observation of the planning phase of the writing procedure, we learned that students were unacceptably slowed down in adding illustrations to the text scheme, because they were too busy discussing functions. From the thinking aloud sessions (only in the afternoon during the writing task), we learned that the planning phase of the writing procedure was satisfactorily (however time-consuming) completed by two of the three students. Although the procedure in the formulation phase stipulated that the writer should mention the function of the illustration they planned to add, nobody did. Only after we pointed out, during a break, the relationship with the structure of the information they wanted to present, and that in this way they could easily decide what illustration was needed, they proceeded in this way. From the interviews at the end of the whole session we learned that this had been a successful (but again time consuming) improvement. The most remarkable problem in the 'last' revision phase was that in judging the selfexplaining force of illustration
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and caption they were not very critical. From the interviews afterwards we learned that because, they inserted their illustrations directly following the verbal information, they didn't pay enough attention. They did not realize that one of the text conditions concerned a text in three columns. (3) For our next hundred hour course we stressed the three column condition and the functional approach in the design/writing procedure. For the evaluation we gave them a questionnaire in which the process of writing was followed. They had to answer the questionnaire afterwards. The results of the course were succesful in terms of the writing products. The editors found 11 of the 15 articles written well enough to be published. But when we looked at the answers in the questionnaire the results were less positive. The planning phase gave no problems concerning the aspects related to the text conditions. In designing a text schema ten students said they had put in ideas for illustrations, five had not. Four from this group of five had not asked the researcher for illustrations. Twelve students did not use the description questions. They didn't think it was useful because they already got all the information they needed from the researcher. The other three used the questions only to see if they had forgotten something. In formulating the text only one student mentioned he had followed the direction to formulate the functions of the illustrations. The other students said the functions in this phase were too complicated and/or not necessary because they were already satisfied with their illustrations. Furthermore it was useful only when you had your text more or less completed, ready for the last revision. Most of the students completed the illustrations - if not already available in the form of a photo - after they had their text made ready for a 'last' revision. The same remark can be made about the writing of the captions. Some students said that you have to finish the verbal presentation before you can think about channel and other functions. Selection of illustrations was made at two moments: before formulating the text, as a last step in the design of a text scheme and during the 'last' revision of the text. In the revision phase only the channel function was said to be used.
7. Discussion Reflecting on the results, especially from the last experiment, the following causes can explain the lack of success of this functional approach in designing/writing a popular science text. (1) We asked the students to interview a graduate about his research. Students didn't have to think about description questions because the researchers provided them with enough information. Mostly the researchers also provided enough illustrations. (2) We obviously stressed too much the relevance of the functions for the use of illustrations. Instead we should have stressed the function of information as such. Students started to think (and write) with the notion that illustrations were something extra. (3) Students looked at the functions as separated ones although we meant them to be integrated. A function should be seen as the outcome of the purposed activity of the writer for one of more parts of the text. In formula:
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outcome activity = f (description question + answer structure + channel function + optional sort of illustration).
In language: In this part of the text I want to present information about the applications of membranes. I will present this information by writing about the function of membranes in kidney dialyses apparatus and in water purification. I will stress the functions in terms of the advantages for mankind. In the illustrations I will stress the technical aspects. I will present the information by way of showing cross sections with arrows (process: spatial, temporal, functional). I will alternate the information because the illustrations will be self-explaining and it is not necessary to give the same information in a verbal way. In the captions I will present the names of the parts.
(4) We should be more specific about when to present information by means of an illustration. We introduced text hierarchy as a criterium but such a criterium can be doubtful. It is based on the assumption that text structure is the most important aspect in the presentation of information. However, in popular science texts attractiveness can lead to the presentation of information by means of an illustration on a very low level in the text scheme. Other criteria could be the number of words needed for the presentation of information in a verbal way, the possibility to present information in a comprehensible way and the availability of an illustration. (5) We will have to broaden our theoretical framework to get a better understanding of the design process. Therefore we will place the writing model of Flower and Hayes within the context of problem solving and design theory. In our situation we have a design problem. Essential in design problems is the process of problem transformation to reach the desired outcome. We will use functions as procedural knowledge which must be present in the Long Term Memory. In this LTM there also should be knowledge about the possibilities of illustrations. The knowledge about functions and illustrations should be used to solve standard and non-standard problems. In the latter case problem transformation (handling the functions by reflecting about alternative structures) should lead to a standard problem. Because of the fact that we also have to deal with non standard problems, we should pay attention to intuitive and creative thinking processes. The writing model of Flower and Hayes doesn't have such a component (Vanmaele/Lowyck 1990). How to proceed with our research? The procedural knowledge about text-illustration relations provides better products compared with the products of courses on popular science writing before 1989-1990. But we still have no control upon the actual design/writing process. For next year we plan to reconstruct our procedures with stress on the importance of integrated information functions. We already developed an overview of question-answer functions with suggestions for illustrations. We will experiment with two groups of students who will think aloud. One group will have to design a text scheme without procedural knowledge about our text functions, the other group should do that with help of the functional approach. We hope to get information about the usefulness of the functional approach, missing steps and the sequence of the steps. After that we will proceed in the same way with the formulating and revision phase of the writing model.
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References Armbruster, Bonnie B. (1984): "The problem of 'inconsiderate text". - In: Duffy, Gerald G./Roehler, Laura R./Mason, Jana (eds.): Comprehension instruction. Perspectives and suggestions (New York) 202-217. Calfee, Robert C./Curley, Robert (1984): "Structures of prose in content areas". - In: Flood, James (ed.): Understanding reading comprehension. Cognition, language and the structure of prose (Newark, DE) 161180. Flower, Linda/Hayes, John R. (1981): "A cognitive process theory of writing". - In: College composition and communication 32/4, 365-387. Horowitz, Rosalind (1985a): "Text patterns: part Γ. - In: Journal of reading 28/5, 448-454. - (1985b): "Text patterns: part II". - In: Journal of reading 28/6, 534-541. Dank, Harm (1987): Bekijk bet eens van de andere kant. - Nijmegen (doctoral thesis). Lannon, John M. (1985): Technical writing. - Boston. Steehouder, Michael et al. (1984): Leren communiceren. Procedures voor mondelinge en schriftelijke communicatie. - Groningen. Trimble, Mary T./Trimble, Louis (1979): "The rhetoric of language for specific purposes as a model for a description of communication". - In: Fachsprache, Sonderheft l, 219-235. Vanmaele, Lieve/Lowyck, Johan (1990): "Het schrijfmodel van Hayes en Flower: een kritische analyse". - In: Pedagogische Studien 67, 205-221.
FACHAUSDRUCK - JA ODER NEIN? Martin Koldau Auf einer Tagung für technische Redakteure habe ich einen Vortrag zum Thema "Information und Eindruck" gehalten. Als ein Beispiel zitierte ich den Titel einer Kurzbeschreibung: SIPASS-ZS Zugangskontrolle im Stand-alone-Betrieb
Kurzbeschreibung
Dem Leiter des Werkschutzes in einem Produktionsbetrieb dürfte diese Überschrift wenig sagen, wenn er nicht zufällig mit der EDV-Terminologie vertraut ist. Doch vielleicht gewinnt der Werkschutzleiter den Eindruck: "SIPASS-ZS ist nichts für uns, wir sind doch kein Stand-alone-Betrieb, wir sind ein Produktionsbetrieb." Ein Zuhörer bemerkte daraufhin: "Wer den Fachausdruck Stand-alone-Betrieb vermeiden möchte, der muß drei Sätze schreiben." Sogleich schoß mir die Frage durch den Kopf: "Ist 'Stand-alone-Betrieb' überhaupt ein Fachausdruck oder nur Fachjargon?" So fand ich das Thema meines heutigen Referats: Fachausdruck - ja oder nein? Dahinter stecken zwei Fragen: - Ist ein Ausdruck, der dem Leser als Fachausdruck erscheint, tatsächlich ein Fachausdruck oder nur Fachjargon? - Soll man einen Fachausdruck schreiben oder lieber vermeiden? Wenn vermeiden, dann stellt sich sogleich die Frage: Wie kann man das? Wer schreibt, sollte immer zwischen Fachausdruck und Fachjargon unterscheiden. Aber wie kann er das? An Beispielen aus technischer Dokumentation möchte ich das zeigen. Erstes Beispiel: Die "Frequenz" ist ein Fachbegriff, der Millionen Radiohörern dem Namen nach bekannt ist. Was er bedeutet, brauchen die Radiohörer nicht zu wissen, könnten das aber nachlesen, z.B. in Lehrbüchern der Physik, Elektrotechnik oder Funktechnik. Wer nur den Rechtschreibduden aufschlägt, findet die Erklärungen: Besucherzahl, Verkehrsdichte, Schwingungs-, Periodenzahl. Das Duden-Fremdwörterbuch erklärt den Fachbegriff Frequenz genauer: a. Höhe der Besucherzahl; Zustrom, Verkehrsdichte b. Schwingungs-, Periodenzahl von Wellen in der Sekunde (Physik) c. Anzahl der Atemzüge oder der Herz- bzw. Pulsschläge in der Minute (Medizin).
Das erste Beispiel für Fachjargon habe ich einer Information für Autofahrer entnommen. Zweites Beispiel: Abgasrückführung Zur Verringerung der Stickoxyde (NOx) wird ein Teil der Abgase aus dem Auspuffkrümmer über ein Ventil in das Saugrohr zurückgeführt. Die zurückgeführte Abgasmenge ist den Lastzuständen des Motors so angepaßt, daß keine Fahrfehler entstehen.
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Nachdem ich das gelesen hatte, war ich sofort bereit, diesen Wagen zu kaufen. Sollte ich mit ihm in einen Verkehrsunfall verwickelt werden, dürfte ich dem Verkehrsrichter versichern: "Ich habe keinen Fahrfehler gemacht, der Fahrfehler war im Motor meines Autos entstanden." Was bedeutet die Redewendung "im Motor (oder im Auto) entstehen Fahrfehler"? Erklärt ist das nirgendwo: in keinem Lehrbuch, keinem Nachschlagewerk, keiner DIN-Norm oder VDI-Richtlinie. "Im Motor entstehen Fahrfehler" - das ist kein Fachausdruck, das nenne ich Fachjargon. So lange dieser Jargon nur gesprochen wird - im Konstruktionsbüro, im Entwicklungslabor, im Prüffeld oder auf der Teststrecke -, ist das halb so schlimm. Im Gespräch kann man sofort fragen: "Was meinen Sie mit 'im Motor entstehen Fahrfehler'?" Manchmal signalisiert schon ein fragendes Gesicht, daß der Zuhörer den Fachjargon nicht verstanden hat. Schlimmer ist es, wenn so etwas geschrieben wird. Welcher Leser kann schnell einmal den Verfasser fragen: "Was verstehen Sie unter .... ?" Noch schlimmer, wenn Fachjargon in tausenden Exemplaren gedruckt wird. Denn wo finden die Leser eine Erklärung? Darum ist es Aufgabe der Verfasser, die Spreu - hier Jargon - vom Weizen - hier Fachausdruck zu scheiden. Um das zu leisten, müssen sie ihren Blick für Fachausdrücke schärfen. So leicht wie im ersten Beispiel sind Fachbegriffe nicht immer zu erkennen. Als drittes Beispiel folgt ein Ausschnitt aus einem Text, den in vergangenen Jahrzehnten jeder bekommen hat, dem die Post ein Telefon installierte: Allgemeine Pflichten des Teilnehmers (§ 12) Der Teilnehmer hat dafür zu sorgen, daß die Gespräche bei seinen Anschlüssen ordnungsmäßig abgewikkelt und daß seine Anschlüsse nicht überlastet werden; er ist dafür verantwortlich, daß die Bestimmungen über die Benutzung der Teilnehmereinrichtungen beachtet werden und daß ein Mißbrauch durch ihn oder andere unterbleibt.
In Seminaren frage ich reihum: "Was ist Fachausdruck im zitierten Text?" Zuerst werden meistens die "Teilnehmereinrichtungen" genannt, danach die "Anschlüsse". Manche der Befragten sehen keinen weiteren Fachausdruck im zitierten Satz; einige sagen - zu Recht auch das Wort "Teilnehmer" hat hier eine fachspezifische Bedeutung. Denn wer am Seminar teilnimmt ist Teilnehmer, genau gesagt Seminarteilnehmer. Wenn er in der Pause aus dem Hotelzimmer seine Frau anruft, ist er dann Fernsprechteilnehmer? Nein, Fernsprechteilnehmer im Sinne des zitierten Satzes ist das Hotel, obwohl es am Telefongespräch des Seminarteilnehmers mit seiner Frau nicht teilnimmt. "Enthält der zitierte Satz weitere fachspezifische Ausdrücke?" frage ich im Seminar. "Überlastet" - antworten manche Seminarteilnehmer. Was bedeutet "Anschlüsse nicht überlasten"? Wenn ich morgens ein Telefongespräch mit Australien beginne und 24 Stunden ohne Pause mit Australien telefoniere, habe ich dadurch meinen Anschluß überlastet? "Vielleicht ihr Bankkonto überzogen" vermuten manche Seminarteilnehmer. Ein Seminarteilnehmer - auf neudeutsch ein Single - sagte mir: "Wenn ich an die Telefondose das Bügeleisen anschließe, dann habe ich den Anschluß überlastet." Doch was die Post mit "Anschlüsse nicht überlasten" meint, das weiß ich bis heute nicht. Auch der Ausdruck "die Gespräche ... ordnungsmäßig abwickeln" müßte erklärt werden. Jedes der vier Wörter ist allgemein bekannt, aber was bedeutet "die Telefongespräche
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ordnungsmäßig abwickeln"? Etwa nur: nach dem Gespräch den Hörer richtig auflegen. Daß mehr gemeint sein dürfte, läßt der nächste Satz des gedruckten Textes vermuten: Im Interesse einer ordnungsgemäßen Gesprächsabwicklung ist der Teilnehmer gehalten, sich der Amtlichen Femsprechbficher (§ 40) oder der nach den amtlichen Unterlagen der Deutschen Bundespost bearbeiteten Teilnehmerverzeichnisse zu bedienen.
In Seminaren frage ich noch einmal: "Enthält der erste der zitierten Sätze vielleicht noch einen fachspezifischen Begriff?" Nach einigem Suchen vermuten manche: "Mißbrauch". Das Wort kennt jeder. Doch was ist "Mißbrauch" der Telefoneinrichtungen? Das ist der einzige Begriff, den die Post erläutert: Mißbrauch ist jede Benutzung, die gegen die Gesetze verstößt oder die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet.
Nachdem ich das gelesen hatte, war ich genauso klug wie zuvor. Was damit gemeint sein könnte, versuchte mir eine Seminarteilnehmerin an einem Beispiel zu verdeutlichen: "Wenn Ihre Frau Ihnen mit dem Hörer auf den Kopf schlägt - das ist Mißbrauch des Telefons." Vielleicht. Aber verstößt ein handfester Ehestreit gegen die Gesetze? Oder gefährdet er die öffentliche Sicherheit und Ordnung? Eine Morddrohung verstößt sicher gegen Gesetze. Wer sie telefonisch äußert, mißbraucht demnach die Telefoneinrichtungen; wer sie im Brief verschickt - mißbraucht er etwa den Briefdienst der Post? Ich wäre froh, wenn der zitierte Satz nicht abstrakt, sondern anschaulich erklären würde, was unter Mißbrauch der Telefoneinrichtungen zu verstehen ist. Im Seminar frage ich hartnäckig weiter: "Steht im eingangs zitierten Satz noch ein fachbezogener Begriff?" Die Seminarteilnehmer lesen den Satz erneut. Einige sagen daraufhin: "Das Wort 'Bestimmungen' hat hier eine juristisch festgelegte Bedeutung." Ich bohre weiter: "Wie heißt der letzte fachspezifische Begriff im ersten der zitierten Sätze?" Nach einigem Zögern höre ich die Gegenfrage: "Meinen Sie vielleicht das Wort 'Gespräche'?" Im zitierten Satz sind mit "Gespräche bei seinen Anschlüssen" sicherlich die Telefongespräche gemeint, und was das ist, weiß doch jedes Kind - wird mir in Seminaren entgegengehalten. Aber wann beginnt ein Telefongespräch und wann ist es beendet? Auch das scheint klar zu sein. Daß dem nicht immer so ist, habe ich kürzlich in einem Hotel erlebt. Beim Abschied sagt mir die Dame am Empfang: "Sie haben noch ein Telefongespräch zu bezahlen." "Wieso?" staune ich. "Ich habe doch kein Gespräch geführt." "Doch" erwidert die Dame: "Es war ein ganz kurzes Gespräch, eine Einheit." Ich versuchte, ihr den Sachverhalt zu erklären: "Ich habe daheim angerufen, niemand hebt ab, nach dem dritten Klingeln höre ich ein Klicken - so schaltet sich mein Anrufbeantworter ein. Sofort habe ich aufgelegt. Ein Gespräch ist nicht zustande gekommen: Ich habe kein Wort gesagt, den Anrufbeantworter habe ich nicht zu Wort kommen lassen." Trotzdem mußte ich die Gesprächsgebühr bezahlen. Eine andere Situation: Auf den Briefbögen vieler Firmen steht gleich unter der Telefonnummer die Telefaxnummer. Schon einige Male habe ich aus Hotelzimmern versehentlich eine Telefaxnummer gewählt, wunderte mich über den seltsamen Pfeifton im Hörer, legte auf, ohne ein Wort zu sagen. Ein Gespräch kam nicht zustande, doch die Gesprächsgebühr mußte ich jedesmal bezahlen. Was zeigt das dritte Beispiel? Viele Leser merken nicht, daß allgemein bekannte Wörter im Text eine besondere, fachspezifische Bedeutung haben, die ihnen unbekannt ist. Sie
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meinen, den Text verstanden zu haben, wissen aber nicht, was er bedeutet. Wer schreibt, sollte deshalb bei Fachbegriffen und unbekannten Ausdrucken immer wieder fragen: Was bedeutet das? Die Ergebnisse sind manchmal überraschend, wie im vierten Beispiel: 6-11 Bedien- und Anzeigeelemente an der Frontplatte: (Abb. 6-6) * a. Schalter 520 "NETZ", zum Einschalten der Netzspannung. * b. Anzeigelampe 504 "NETZ" (grün), zur Anzeige der Netzspannung. Diese Anzeigelampe ist mit einer PRESS TO TEST-Einrichtung versehen. c. Sicherung 509 "2,5 A, 110 V", zur primärseitigen Absicherung des Netztransformators bei Netzspannungen im Bereich von 110 V bis 150 V. Sicherung 511 (siehe Verfahrensschritt d.) hat dann keine Funktion. d. Sicherung 511 "1,6 A, 220 V", in Reihe zur Sicherung 509, zur primärseitigen Absicherung.
Ist PRESS TO TEST-Einrichtung ein Fachausdruck oder Jargon? Bevor ich Fachbücher wälze, versuche ich, Fachleute zu finden, die mir das erklären können. Dieses Mal waren es Mitarbeiter der Dokumentationsabteilung, die den zitierten Text hat drucken lassen. Nach einem klärenden Gespräch habe ich den Punkt *b so formuliert: Anzeigelampe 504 "Netz" (grün): Sie leuchtet, wenn Netzspannung anliegt. Auf der Abdeckung der Lampe steht PRESS TO TEST. Drückt man sie, muß die Lampe leuchten (Lampentest).
Dem Betriebspersonal, für den der Text bestimmt ist, braucht man PRESS TO TEST nicht zu übersetzen. Hilfreich für das Betriebspersonal wären zwei weitere Informationen: - Leuchtet die Lampe 504 erst, wenn das Gerät mit dem Schalter 520 eingeschaltet wurde, oder sobald das Gerät ans Netz angeschlossen ist (Netzstecker in die Steckdose eingesteckt), selbst wenn der Schalter 520 noch auf "Aus" steht? - Falls man die Abdeckung der Lampe drückt, muß sie auch dann leuchten, wenn das Gerät zwar abgeschaltet aber der Netzstecker noch eingesteckt ist, oder sogar noch, wenn das Gerät vom Netz getrennt ist (Netzstecker gezogen)?
Die Dokumentationsabteilung, in der der zitierte Text entstand, konnte die zwei Fragen nicht beantworten. Gewiß, das Betriebspersonal kann das ausprobieren und die Dokumentation ergänzen. Die zusätzliche Information erleichtert bei Störungen die Fehlersuche. Manchmal reicht technisches Grundwissen, um zu erkennen: das sind keine Fachausdrücke, das ist Jargon. Hierzu das fünfte Beispiel. Aus der Beschreibung eines Lasers für die Medizin: Die Laserstrahlung wird in drei verschiedenen Betriebsarten und verschiedenen Zeiteinstellungen bereitgestellt: 1. Dauerstrich
: Die Laserstrahlung wird freigesetzt, solgange der Fußschalter betätigt wird.
2. Einzelimpuls : Die Laserstrahlung wird für mehrere vorwählbare Zeiten freigegeben. Für mehrere Auslösungen hintereinander, muß der Fußschalter jedesmal neu betätigt werden.
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3. Wiederholpuls : Die Laserstrahlung wird im Ein- Ausverhältnis der eingestellten Einzelimpulszeit freigegeben, solange der Fußschalter betitigt wird.
Was sind "verschiedene Zeiteinstellungen?" Was bedeutet: "Die Laserstrahlung wird für mehrere vorwählbare Zeiten freigegeben?" Was ist das "Ein-Ausverhältnis der eingestellten Einzelimpulszeit?" Für die Diskussion mit den Sachkennern hatte ich den zitierten Text so umformuliert: Die Einwirkdauer des Laserstrahls läßt sich auf drei Arten steuern: - Dauerstrahl - Einzelimpuls - periodische Impulse
: Der Laser strahlt, solange der Fußschalter gedrückt ist. : Drückt man den Fußschalter, gibt der Laser einen Impuls ab. Den nächsten nur, wenn man den Fußschalter erneut druckt. Die Impulsdauer kann man einstellen. : Der Laser gibt periodisch Impulse ab, solange der Fußschalter gedrückt ist. Impulsdauer und -periode kann man wählen.
Nach der Diskussion mit den Sachkennern mußte ich in meinem Textvorschlag zwei Sätze korrigieren: Ich hatte geschrieben:
richtig
ist:
Die Impulsdauer kann man einstellen.
Man kann vier Impulsdauern wählen (Tastenwahl).
Impulsdauer und -periode kann man wählen.
Die Impulsdauer wählt man wie beim Einzelimpuls. Das Tastverhältnis (Impulsdauer zu Impulspause) beträgt 1:1.
In den letzten Sätzen stehen zwei Fachbegriffe: Impulsdauer und Tastverhältnis. Der zweite ist erklärt. Man könnte ihn sogar vermeiden: Die Impulsdauer wählt man wie beim Einzelimpuls. Die Pause zwischen zwei aufeinander folgenden Impulsen dauert solange wie der Impuls.
Damit sind wir beim zweiten Teil des Themas "Fachausdruck - ja oder nein?": Soll man einen Fachausdruck schreiben oder vermeiden? Die Fachleute plädieren meistens dafür, den Fachausdruck zu schreiben; seine Bedeutung sei doch erklärt, z.B. in Nachschlagewerken, Lehrbüchern, Fachaufsätzen, DIN-Normen, VDI-Richtlinien, VDE-Vorschriften oder zumindest in einer Werksnorm. Wer schreibt, sollte an seine Leser denken. Ist ihnen der Fachausdruck vertraut? Wenn nicht: Muß man die Leser unbedingt mit dem Fachausdruck konfrontieren? Falls ja, dann ist der Fachausdruck zu erklären: dort, wo er zum ersten Mal auftaucht, und zwar mit Wörtern und Ausdrücken, die der Leser kennt. Denn unbekannte Wörter und Ausdrücke informieren nicht, sie irritieren den Leser. Und kein Verfasser kann sich darauf verlassen, daß seine Leser die Fachliteratur wälzen werden, um herauszufinden, was ein bestimmter Fachausdruck bedeutet. Wenn die Leser den Fachausdruck nicht unbedingt kennenlernen müssen, dann muß der Verfasser überlegen, wie er ihn vermeiden kann und trotzdem einen fachlich richtigen Text schreibt.
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Sechstes Beispiel: Die Bedienungsanleitung (Ausgabe Okt. 1988) für den Bildschirm eines Minicomputers beginnt so: l
Allgemeine Hinweise
Die Datensichtstation*) DS 075-F/G, DISIT dient als Standard- Bediengerät und Dialog-Terminal für Minicomputer SICOMP M/R. Sie enthält zwei verschiedene Emulationen: - Standard - Emulation Die Datensichtstation entspricht in dieser Emulation einer gewöhnlicheSn DS 075 - F/G - DISIT - Emulation In dieser Emulation eignet sich die Datensichtstation als Prozeßterminal für das Bedien- und Beobachtungssystem DISIT. Beide Emulationen stehen dem Anwender alternativ zur Verfügung. Der Anwender muß also die Datensichtstation von einer Emulation in die andere umschalten. Die Datensichtstation DS 075-F/G, DISIT besteht aus den Komponenten (Bild 1.1/1.2) - Tastatur - Farbmonitor sowie - Drucker (auf Wunsch) *) Der Begriff Datensichtstation (DS) ersetzt die bisherige Bezeichnung Zeichenbildschirmeinheit (ZBE).
Sieben Mal steht in diesem kurzen Text das Wort Emulation - ein Fachbegriff der EDV. Was er bedeutet, kann man in Fachbüchern nachlesen. Aber hilft das dem, der den Bildschirm benutzen will? Ich vermute, er läßt sich genauso gut oder schlecht betreiben, wenn das Wort Emulation in der Bedienungsanleitung nicht auftaucht: Der Bildschirm DS 075 - F/G, DISIT läßt sich betreiben als - Standard-Bediengerät und Dialog-Terminal für Minicomputer SICOMP M/R oder als - Prozeßterminal für das Bedien und Beobachtungssystem DISIT. Wie Sie den Bildschirm von der einen in die andere Betriebsart umschalten können, ist im Abschnitt ... erklärt. Zum Bildschirm DS 075 - F/G, DISIT gehört immer die Tastatur ...(Typenbezeichnung?). Auf Wunsch liefern wir zum Bildschirm auch einen Drucker.
Den Fachausdruck "Emulation", der sicherlich vielen Bildschirmbenutzern unbekannt ist, habe ich durch das Wort "Betriebsart" abgelöst. Es dürfte die Leser kaum irritieren, zumal die beiden Betriebsarten im vorhergehenden Satz vorgestellt wurden. Die Bezeichnung "Datensichtstation" habe ich durch den geläufigen "Bildschirm" ersetzt. Der Begriff "Datensichtstation" ist zwar im Informatik-Duden (Mannheim 1988) erklärt, fehlt aber im Lexikon der Datenverarbeitung, das der Hersteller des Bildschirms verlegt (7. Siemens-interne Auflage 1989 entspricht der 10.Auflage 1988 des Verlags Moderne Industrie). Wie man Fachausdrücke umschreiben kann, zeigt das siebte Beispiel aus der Bedienungsanleitung für ein Fernsehgerät:
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Mehr-Nonnen-Empfang Ihr Fachhändler kann Ihnen sagen, ob an Ihrem Wohnort auch Sender einer anderen Norm (SECAM, NTSC usw.) empfangbar sind. Ggf. wird er durch Einstecken eines entsprechenden GRUNDIG Decoders den Empfang dieser Sender ermöglichen. Die Norm-Umschaltung erfolgt dann mit der Taste O (optische Anzeige durch Aufleuchten des Punktes®), Kanalsuche und Kanalabspeicherung wie bei PAL-Empfang.
Videotext-Informationen Wer ein Fernsehgerät kauft, hat sicher schon etwas über Fernsehempfang oder Rundfunkempfang gehört, doch wahrscheinlich noch nichts über "Mehr-Normen-Empfang" oder "PAL-Empfang". Hängen beide vielleicht mit den neuen Medien zusammen, dem Kabelfernsehen oder dem Satellitenfunk? Auch die "Sender einer anderen Norm" dürften den meisten Käufer von Fernsehgeräten unbekannt sein, obwohl jedes der vier Wörter allgemein bekannt ist. Das gilt auch für die "Norm-Umschaltung". Was die Abkürzungen NTSC und SECAM bezeichnen - das wissen vermutlich nur wenige. Welcher der sechs Ausdrücke ist tatsächlich ein Fachausdruck und welcher nur Fachjargon? Das zu wissen, hilft den Lesern nicht. Hier kann man die unbekannten Ausdrücke mit vertrauten Wörtern umschreiben, z.B. so: Möchten Sie ausländische Programme empfangen? Ein Fachhändler kann Ihnen sagen, ob an Ihrem Wohnort auch ausländische Programme zu empfangen sind, z.B. aus Frankreich oder den USA. Manche ausländischen Sender senden nach einem anderen Verfahren als ARD und ZDF, und man braucht ein Zusatzteil (Decoder), um sie zu empfangen. Wenn Sie es wünschen, steckt der Fachhändler in Ihren Fernseher den geeigneten GRUNDIG Decoder ein. Sie brauchen dann nur die Taste (3) zu drücken, und der Fernseher schaltet um vom Empfang deutscher Sender auf den Empfang fremder Sender (Punkt (23) leuchtet auf). Anschließend ist das Gerät so zu bedienen wie beim Empfang einheimischer Sender.
Soll die Bedienungsanleitung auch in Länder geliefert werden, in denen die Abkürzungen ARD und ZDF vielleicht nicht allgemein bekannt sind, müßte man sie ablösen, ebenso den Ausdruck "deutsche Sender". Also nicht so:
sondern so:
- Manche fremden Sender senden nach einem anderen Verfahren als ARD und ZDF, und ...
Manche fremden Sender senden nach einem anderen Verfahren als unsere einheimischen, und man ...
- . . . und der Fernseher schaltet um vom Empfang deutscher Sender auf den Empfang fremder Sender
... und der Femseher schaltet um vom Empfang einheimischer Sender auf den Empfang fremder Sender.
Läßt sich ein Fachausdruck, der den Lesern unbekannt sein dürfte, nicht vermeiden, muß man ihn mit Wörtern erklären, die der Leser schon kennt. Das achte Beispiel stammt aus einer Schulungsmappe, aus der Versicherungsvertreter lernen sollen, was sie für die "Regulierung von Leitungswasserschäden" wissen müssen:
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Haben Sie schon etwas von Brauchwasser gehört? Die Brauchwasserbereitung hängt meistens mit der Beheizung des Hauses zusammen. Es handelt sich dabei um die Warmwasserversorgung. Dabei wird Trinkwasser durch die Hitze vom Heizkessel erwärmt. Durch einen am Heizkessel befindlichen Behälter mit Frischwasser führt eine Heizschlange, die mit Wasser vom Heizkreislauf gespeist wird. Das auf diese Weise erwärmte Wasser wird durch den Druck der Zuflußleitung durch isolierte Leitungen aus Kupfer oder kupferähnlichen Legierungen zu den Zapfstellen in Küche und Bad usw. geführt. Damit kein erwärmtes Wasser in die Frischwasserleitung gelangt, ist ein Rückflußverhinderer vorhanden. Heizkreislauf und Wannwasserversorgung im erläuterten Sinne sind zwar meistens durch die gemeinsame Energiequelle miteinander verbunden, das Rohrsystem der Heizung ist aber ansonsten von der Trinkwasserversorgung getrennt.
Die Überschrift "Haben Sie schon etwas von Brauchwasser gehört?" ist gut: Sie macht den Leser der Schulungsmappe neugierig und läßt ihn hoffen, daß er bald erfährt, was Brauchwasser ist. Doch der Text unter der Überschrift enttäuscht. Wer ihn gelesen hat, kann behaupten, er habe schon etwas von Brauchwasser gehört. Aber er hat nicht erfahren, was Brauchwasser ist und wodurch es sich vom Warmwasser, Trinkwasser, Frischwasser oder erwärmten Wasser unterscheidet. Im Rechtschreibduden steht kurz und bündig: Brauchwasser = für industrielle Zwecke bestimmtes Wasser. Das Duden Universalwörterbuch (2.Auflage 1989) erklärt ausführlicher "Brauchwasser: für gewerbliche oder industrielle Zwecke bestimmtes Wasser, das nicht als Trinkwasser geeignet ist." Im Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache ist die Einschränkung der Verwendung schärfer formuliert: "Brauchwasser - für ..., das nicht als Trinkwasser verwendet werden darf." In den DIN-Normen für das Wasserwesen, für Heiz- und Sanitäranlagen ist der Begriff Brauchwasser nicht zu finden. Darum hätte ich dem Verfasser der Schulungsmappe geraten: * Statt der sechs Begriffe (Brauchwasser, Wannwasser, Trinkwasser, Frischwasser, erwärmtes Wasser, Wasser vom Heizungskreislauf) nur vier verwenden: Kaltwasser, Warmwasser, Heizwasser und Abwasser. * Die vier Begriffe einmal mit vertrauten Wörtern erklären, z.B. so: In der Leitungswasserversicherung unterscheiden wir vier Wasserarten: * Kaltwasser
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* Warmwasser
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* Heizwasser
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* Abwasser
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fließt vom Wasserwerk in Rohrleitungen zu den Zapfstellen im Haus (z.B. Wasserhähne, Brausekopf, WC-Spülung), Trinkqualität im Haus erwärmtes Kaltwasser, das in Rohren zu den Zapfstellen fließt, weiter Trinkqualität kreist in der Heizanlage (besteht aus Heizkessel und Heizkörpern, die miteinander durch Rohrleitungen verbunden sind), keine Zapfstellen, keine Trinkqualität fließt in Abwasserleitungen aus dem Haus in die öffentliche Kanalisation.
* In der gesamten Schulungsmappe die Bezeichnungen nicht wechseln, sondern so oft wie nötig wiederholen: Kaltwasser, Warmwasser, Heizwasser, Abwasser.
Die Wörter, um die es in den Beispielen ging, sind keine schwierigen Wörter: es sind auch keine Fremdwörter wie "Imponderabilien" oder "eruieren", es sind Ausdrücke und Wörter, die der Leser nicht kennt. Wer informieren will, muß solche Ausdrücke vermeiden oder mit vertrauten Wörtern erklären.
MIT LEISEN FLÜCHEN: IHR SACHBEARBEITER Korrespondenzen in Industriebetrieben Barbara Steigüber
1. Einleitung Im Großraumbüro eines beliebigen Unternehmens. Alle Mitarbeiter arbeiten konzentriert an ihren Plätzen. Zwei Geräusche heben sich deutlich vom Hintergrund ab: das Klingeln der Telefone und ein unterdrücktes, leises Fluchen: "Verdammter Mist, wieso kapiert der das nicht?" "O Mann, nicht schon wieder einer von der Sorte!" "Man sollte sie alle ...!" Diese unfreundlichen Kommentare und leisen Flüche gelten den Kunden des Unternehmens, die es gewagt haben, sich in einer beliebigen Angelegenheit an das Unternehmen zu wenden, und um eine schriftliche Antwort zu bitten. Zum Beispiel: Sehr geehrte Damen und Herren, hiermit bestätige ich Ihnen den Erhalt Ihrer Mahnung vom ... Ich möchte feststellen, daß die Verzögerung ausschließlich eine Folge der Gedankenlosigkeit Ihrer Angestellten zu sein scheint. Mir können Sie die Verzögerung jedenfalls nicht anlasten. Ihr Brief vom ... wurde per Seepost geschickt. Es dauert gewöhnlich 4 - 5 Wochen, bevor ein in Deutschland per See-Land-Post abgeschickter Brief mich hier in der kanadischen Prairie erreicht. Zudem war der Brief unzureichend frankiert. Wir mußten Strafporto bezahlen. Diese Sache hatte natürlich eine weitere Verzögerung zur Folge. Ich erwarte Ihre Antwort mit Interesse. Mit freundlichem Gruß...
Dieses Ansinnen stößt nicht auf Gegenliebe und gibt mitunter Anlaß zu Bauchgrimmen. Das gleiche kann dem Adressaten passieren, wenn er einige Tage später das Produkt dieser arbeitsintensiven Stunde in Händen hält. Für eine Trainerin, die ein Korrespondenztraining durchführen soll, gibt es in dieser Situation zwei Möglichkeiten: Entweder sie sagt sich: "Nein danke, unter solchen Umständen verzichte ich." oder sie erkennt die Herausforderung, einen als trocken verschrieenen Stoff interessant zu gestalten, und fängt an zu arbeiten. Ich habe mich für die Herausforderung entschieden, habe Aufträge übernommen und gebe nun einen Überblick über dieses Unterfangen. 2. Aufgaben der Korrespondenz Die Korrespondenz eines Unternehmens ist ein Mittel, mit dessen Hilfe die unterschiedlichsten Inhalte in einem Unternehmen von innen nach außen transportiert werden können. Sie berührt dabei verschiedene Funktionen von Sprache:
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Funktionen von Sprache Übermittlung von Informationen —»
z.B. darstellen, beschreiben, werben, korrigieren, begründen
Koordinierung von Handeln
-»
z.B. zustimmen, bestätigen
Orientierung von Handeln
-»
z.B. mahnen, ablehnen, fordern, informieren
Bildung von Bewußtsein
-»
z.B. beschreiben, werben
-»
z.B. erörtern, appellieren.argumentieren, begründen
-»
z.B. schreiben, strukturieren
Operatives Denken Speicherung von Erfahrung
Zuordnung von sozialen Informationen -»
z.B. lesen und verstehen, ablehnen
Soziales Handeln selbst
z.B. entschuldigen, beschweren, begrüßen, bedanken
(s. dazu auch Ammon 1973).
In der Korrespondenz eines Unternehmens manifestiert sich dessen Haltung gegenüber seinen Geschäftspartnern. Hier zeigt sich auch die Einstellung eines Unternehmens zu der von ihm gewählten Aufgabe innerhalb der Gesellschaft. Für einen externen Beobachter bietet sich hier überdies die Gelegenheit festzustellen, wie die korrespondierenden Mitarbeiter ihre Briefpartner wahrnehmen und ob die Aufgaben des Unternehmens mit der Eigenwahrnehmung der Unternehmensleitung bzw. der offiziellen Unternehmenspolitik übereinstimmen. Ergeben sich in diesem Punkt Diskrepanzen, so kann es passieren, daß Mitarbeiter - ohne es vielleicht zu wissen - die erklärten Ziele eines Unternehmens durch den Charakter ihrer Korrespondenzen konterkarieren, weil sie beständig Unstimmigkeiten produzieren. Nach meiner Erfahrung besteht diese Gefahr tatsächlich, so daß der Gesichtspunkt der Stimmigkeit von Korrespondenzen auch aus diesem Grund besonders beachtenswert ist.
3. Fehler in Korrespondenzen und deren Folgen Je nachdem, wie erfolgreich sich die Abwicklung der Korrespondenz in einem Unternehmen gestaltet, kann das Unternehmen auf diesem Weg die Beziehungen zu seinen Geschäftspartnern positiv beeinflussen oder auch beeinträchtigen. Im folgenden nenne ich einige typische Fehler und deren mögliche Auswirkungen auf die Empfänger der Schreiben:
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-»
z.B. Ermüdung, Desinteresse, anstrengendes Lesen
-»
z.B. wenig Möglichkeit für angemessene Reaktionen, Fragen, Korrekturen, Informationen etc.
Wiederholungen
Unvollständigkeit
z.B. Verständnisprobleme, Unklarheiten, Abwehr
Formulierungsschwächen
Vernachlässigung gemeinsamer Interessen
-*
z.B. anstrengendes Lesen, Aggression, Attraktivitätsverlust des Unternehmens
Behauptungen statt Argumente
-»
z.B. Aggression, Abwehr
-»
z.B. Attraktivitätsverlust des Unternehmens, zuviel Spielraum für Interpretationen
-»
z.B. Ermüdung, Unklarheiten, VerständnisProbleme
Ungenügende Selstdarstellung
Unbeantwortete Fragen und ungefragte Antworten
Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß die mangelnde oder fehlende Kenntnis von Regeln und Verfahren der Textproduktion und -rezeption dazu führt, daß viele Briefe unverständlich werden: es mangelt ihnen an Information, Überzeugungskraft und wirksamen Appellen an die Adressaten. 4. Fehlerquellen außerhalb der geschriebenen Kommunikation Über diese kommunikativen Aspekte hinaus müssen im Zusammenhang der Korrespondenz auch diejenigen Probleme berücksichtigt werden, die ihren Ursprung in der Wahrnehmung der Korrespondenten haben. Es geht darum, welche innere Haltung die Korrespondenten ihrem Unternehmen, ihren Briefpartnern und ihrer Aufgabe gegenüber einnehmen. Hier einige Beispiele: (1) (2) (3) (4) (5) (6)
"Nicht der schon wieder!" = Das Bild des Adressaten in den Köpfen der Mitarbeiter. "Eigentlich gehört das nicht zu meinen Aufgaben." = Die Vorstellung von der eigenen Kompetenz. "Na warte, dir werde ich's zeigen!" = Die Macht des Unternehmens im Hinterkopf der Mitarbeiter. "Die haben ja keine Ahnung." = Der Druck von "oben" auf die Effizienz des Mitarbeiters. "Dafür haben wir hier keine Zeit." = Der innere Abstand oder die fehlende "Lust". "Das geht doch auch telefonisch." = Die Scheu vor dem Papier.
Solche und ähnliche Haltungen behindern die erfolgreiche Korrespondenz eines Unternehmens und müssen im Training berücksichtigt werden. Sie sind ein Indikator dafür, daß es den entsprechenden Mitarbeitern an Motivation und Sinnstiftung mangelt, d.h. sie finden es schwierig die Frage zu beantworten: Warum arbeite ich überhaupt hier? Ich empfehle daher, ein Korrespondenztraining auf drei Säulen zu gründen:
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(1) Das M o t i v . Darunter ist die Einbettung der Korrespondenz in gesellschaftliche Aufgaben zu verstehen, sowie die Vermittlung eines sinnvollen Zugangs zu diesen Aufgaben für den Mitarbeiter. (2) Die M e t h o d e . Dazu gehört die unternehmensspezifische und aufgabenbezogene Planung der Vermittlung von Regeln und Verfahren der Textproduktion und -rezeption. (3) Das M a t e r i a l . Dazu gehört die Vermittlung von Fachwissen, das die effektive Nutzung von Wörterbüchern, Grammatiken etc. einbezieht.
5. Der Trainingsbedarf Die Durchführung von Korrespondenztrainings in einem Unternehmen setzt voraus, daß dem Unternehmen ein entsprechender Bedarf bewußt ist, oder daß zumindest die Bereitschaft besteht, sich diesem Bedarf zu öffnen. Zwar ist die Betriebslinguistik ein Wissensund Arbeitsgebiet mit sehr hoher Effizienz, aber natürlich kann sie nicht alle Probleme lösen. So versagt sie z.B. bei innerbetrieblichen Fragen wie Unterschriftsregelungen etc., da diese außerhalb ihres Wirkungskreises liegen. Sie kann aber ein Unternehmen auf derartige Probleme aufmerksam machen, sofern sie bestehen, und sollte dies auch tun, da solche Hindemisse den Erfolg eines Trainings beeinträchtigen oder sogar vereiteln können. Von diesen innerbetrieblichen Bedingungen abgesehen kann ein Korrespondenztraining z.B. dazu beitragen: (1) den formalen Aufbau von Korrespondenzen effektiv zu verbessern, (2) aufgabenbezogen Kommunikationsverfahren zu vermitteln und zu üben, (3) Risiken bei der Rezeption von Briefen spürbar abzubauen, (4) den Umgang mit sprachlichen Hilfsmitteln wie z.B. Wörterbüchern nachhaltig zu erleichtern, (5) das Sprachrepertoire wirksam zu erweitern, (6) und nicht zuletzt Möglichkeiten anzubieten, den Charakter der Unternehmenskorrespondenz mit dem Selbstverständnis des Unternehmens und der Darstellung nach außen in Einklang zu bringen.
6. Die Planung 6.1. Die Annäherung an das Unternehmen Wenn ein Training - gleich welcher Art - für ein Unternehmen und die Trainerin erfolgreich sein soll, dann ist es notwendig, von Anfang an möglichst eng mit dem Unternehmen zusammenzuarbeiten. Diese Zusammenarbeit beinhaltet Informationsgespräche mit den Verantwortlichen der Weiterbildungsabteilung bzw. Personalentwicklung und mit den Vorgesetzten derjenigen Mitarbeiter, die trainiert werden sollen. In diesen Gesprächen gilt es zu erfahren, wie die Gesprächspartner die Problematik beschreiben, worauf sie sie zurückführen und welche Zielsetzungen sie mit einem Training verbinden. Weiterhin beinhaltet die Zusammenarbeit die Ermittlung von Informationen über das Unternehmen, seine Aufgabe, seine Einstellung zur Weiterbildung, zu seinen Geschäftspartnern,
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zu seinen Mitarbeitern. Gibt es eine Headline? Wie lautet sie? Das Wissen ist wichtig für die Unternehmens- und aufgabenbezogene Planung eines Trainings. 6.2. Die Annäherung an den Mitarbeiter Um den Mitarbeiter mit seinen Fähigkeiten, Wünschen und Bedenken adäquat in die Planung eines Trainings einbeziehen zu können, hat es sich vor allem als günstig herausgestellt, "Hausbesuche" zu machen und einen oder zwei Tage im Unternehmen zu verbringen. Dabei bietet sich Gelegenheit, mit den Mitarbeitern zu sprechen, sie zu beobachten und zu ihrer Problematik zu befragen. Neben den Informationen, die dabei gewonnen werden, dienen diese Besuche auch dazu, evtl. Ängste abzubauen, Interesse zu wecken und Vertrauen in die Trainingsmaßnahme zu bilden. In diesen Gesprächen werden z.B. die folgenden Wünsche von den Mitarbeitern geäußert: (1) Bewußtsein für die eigene Fähigkeit wecken, Korrespondenzen wirksam zu gestalten, (2) Kundenbriefe richtig und erschöpfend interpretieren, (3) bessere Feinabstimmung im Briefverkehr, (4) Briefeinstiege formulieren, (5) Ausdrucksweisen von höflich bis unhöflich lemen.etc.
6.3. Die Annäherung an den Gegenstand Um sich einen Überblick über tatsächliche Fehlerquellen in Unternehmenskorrespondenzen verschaffen zu können, eignen sich am besten anonymisierte Korrespondenzprodukte, die ein Unternehmen der Trainerin für eine genaue Analyse zugänglich machen kann. Glücklicherweise ergeben sich hier im allgemeinen keine Schwierigkeiten, denn die Korrespondenzen sind natürlich die verläßlichste Grundlage für eine präzise Problemerkennung und - darauf aufbauend - für eine effektive Planung des Trainings. Gleichzeitig bilden sie den Schlußpunkt der umfassenden Informationsphase und den Grundstein für die konkrete Planung. Darüber hinaus sind sie geeignet, als Übungs- und Anschauungsmaterial im Training selbst zu dienen. Nach den v.g. Erläuterungen ist bei der Konzeption des Trainings u.a. zu beachten, daß sowohl unternehmerische Zielsetzungen zu berücksichtigen sind als auch die Zielsetzungen der Mitarbeiter, die trainiert werden sollen. Diese Ziele müssen aufeinander abgestimmt und darüber hinaus auch ethisch vertretbar sein. Daher gilt: Die Vermittlung manipulativer Techniken ist verboten! Dies wäre im übrigen auch weder für das Unternehmen noch für seine Mitarbeiter mittel- bzw. langfristig von Vorteil,von der Trainerin ganz zu schweigen. Unter Berücksichtigung aller genannten Faktoren kann die Zielsetzung eines Korrespondenztrainings daher z.B. lauten: "Verbesserung und Weiterentwicklung der beruflichen Kompetenz der Mitarbeiter im Erstellen von effektiven Korrespondenzen durch den zielwirksamen Einsatz geschriebensprachlicher Kommunikationsmittel und -verfahren."
Die Definition dieses Ziels erlaubt die Formulierung der Bedingungen, die an die Konzeption des Trainings zu stellen sind:
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(1) Das Training soll in zwei Blöcken (drei Tage und zwei Tage) stattfinden, in einem Abstand von ca. 4-6 Monaten. Diese Vorgehensweise erlaubt u.a. eine Vertiefung des im ersten Block erlernten Stoffes. (2) Der Aufbau des Trainings soll in kleinen, anschaulichen und kontrollierbaren Schritten erfolgen. (3) Die einzelnen Schritte sollen die fachliche Kompetenz der Mitarbeiter integrieren, z.B. durch die Wahl der Beispiele. Das bedeutet, daß die Mitarbeiter z.B. Korrespondenzen jeder Couleur ins Training einbringen sollen. Dies ist für die Trainingskonzeption ein hervorragender Prüfstein und damit gleichzeitig ein starkes Argument für die spätere praktische Anwendung und Übung der erarbeiteten Ergebnisse am Arbeitsplatz. (4) Es sollen praktikable Strategien für den Umgang mit dem Briefpartner erarbeitet und geübt werden. (5) Den Mitarbeitern soll ein Trainingshandbuch zur Verfügung stehen, das dazu dient, die einzelnen Trainingsschritte in Gruppen- und Einzelarbeit praktisch zu erarbeiten, nachzuvollziehen und im Plenum zu erörtern. (6) Die angebotenen Bausteine sollen Einsicht in elementare Kommunikationszusammenhänge der Produktion und Rezeption von Texten vermitteln. (7) Die Mitarbeiter sollen die Gelegenheit erhalten, mit sprachlichen Hilfsmitteln wie z.B. Wörterbüchern zu arbeiten. (8) Sofern eine Unternehmensheadline zur Verfügung steht, soll sie dazu genutzt werden, als Korrektiv für die Stimmigkeit von Texten zu dienen und Paraphrasierungen bzw. Listen von Eigenschaften zu bilden, die als Signale in Korrespondenzen genutzt werden können. (9) Schließlich sollen günstige Randbedingungen herrschen. Dazu gehören z.B.: Zwischen 10-15 Teilnehmer pro Training, ein möglichst homogener Aufbau der Gruppen, eine gute Ausstattung der Trainingsräumlichkeiten, keine Unterbrechungen und last but not least: gutes Essen und Trinken.
7. Die wichtigsten Bausteine des Trainings Gemäß diesen Bedingungen kann nun die praktische Konzeption in fachlicher und didaktischer Hinsicht erfolgen. Als wichtigste Bausteine des Trainings sind - bezogen auf die jeweiligen Ziele - zu nennen: Sachliche Klarheit und Eindeutigkeit
Bedingungen und Aufgaben für den Schreiber Definition Motivation
Überzeugungskraft
Stimmigkeit Kommunikationsverfahren
Wirksame Appelle
Stimmigkeit Übungen zum Appellieren
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Strategien für den Umfang mit dem Briefpartner
-*
Kommunikationspläne "Schwierige Fragen beantworten"
Präzise Rezeption
-»
Kommunikationspläne aktives Lesen
Lesefreundlicher Aufbau
-»
Pläne für die Textkonzeption Kommunikationsabsichten Kommunikationsverfahren
Lesefreundliche Formulierungen
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Kommunikationsverfahren Bedingungen und Aufgaben für den Schreiber Übungen zum Sprachrepertoire
8. Flankierende Maßnahmen Über die Vorbereitung und Durchführung der Trainings hinaus tragen auch flankierende und nachsorgende Maßnahmen weiter zum Gelingen einer Trainingsmaßnahme bei. Dazu gehören: (1) Fragebögen zur Kontrolle der erreichten Ergebnisse, (2) Trainingsbeurteilungen für das Unternehmen und die Trainerin, (3) nachsorgende Gespräche mit den Mitarbeitern und Vorgesetzten, (4) ein Schlußbericht über die gesamte Maßnahme, inkl. Beurteilung des Erfolgs bzw. Mißerfolgs für die Leitung der Weiterbildung, der betroffenen Abteilungen und des Unternehmens, (5) Rückkoppelungen an die Abteilungen und die Weiterbildungsabteilung während der Trainingsphase.
9. Zusammenfassung Korrespondenztrainings können - wie andere Trainings auch - eng an die Unternehmenspraxis angelehnt werden. Zwischen dem Unternehmen und der Trainerin sollte eine enge Zusammenarbeit angestrebt werden, und alle Schritte und Bausteine des Trainings sollten dem Unternehmen gegenüber jederzeit offengelegt werden können. Sprachliche Trainings, wie zum Beispiel Korrespondenztrainings, gehören vernünftigerweise in die Zuständigkeit von Linguisten: Linguisten verfügen über das notwendige Maß an fachlichem und methodischem Wissen. Die Analysen, die sie vornehmen, und die Lösungen, die sie anbieten, beruhen auf sprachlicher Kompetenz. Sie wissen um die Komplexität sprachlicher Erscheinungen. Sie sind fähig, sprachliche Regeln und Strukturen aufgabenbezogen aufzuarbeiten, ohne Zusammenhänge zu verfälschen. Sie können darüber Auskunft geben, aus welchen Quellen sie ihr Wissen beziehen. Die einzelnen Schritte eines Trainings können von ihnen in Aufbau und Präsentation sachlich begründet werden. Darüber hinaus hat jedes Training, das in einem Unternehmen durchgeführt wird, naturgemäß einen präskriptiven Charakter: Es soll in der Zukunft positiv wirksam sein. Überträgt ein Unternehmen eine Trainingsmaßnahme im sprachlichen Bereich einem Laien, so sind die
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Folgen aus eben diesem Grund für das Unternehmen und seine Mitarbeiter m.E. nicht abzusehen. Linguisten können allerdings weder zaubern noch arbeiten sie mit magischen Formeln. Sie sind auch nicht in der Lage, Instantlösungen anzubieten. Dafür können sie gezielt und individuell arbeiten. Ihr fachliches Wissen und Können ist transparent und kontrollierbar. Aus diesen und mehr Gründen können Korrespondenztrainings wie andere sprachliche Trainings auch - wirksam dazu beitragen, die Effizienz unternehmerischen Handelns im Bereich der Innen- und Außenkommunikation spürbar zu verbessern.
Literatur Ammon, Ulrich (1973): Probleme der Soziolinguistik. - Tübingen. Bühler, Karl ([1934] (1982): Sprachtheorie. - Stuttgart etc. Drosdowski, Günther et al. (Hrsg.) (1977): "Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in 6 Bänden". - Mannheim etc. Feldbusch, Elisabeth (1985): Geschriebene Sprache. Untersuchungen zu ihrer Herausbildung und Grundlegung ihrer Theorie. - Berlin etc. Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm (Nachdr. 1984): Deutsches Wörterbuch in 33 Bänden. - München. Pogarell, Reiner (1988): Linguistik im Industriebetrieb. - Aachen. Schmidt, Heinz et al. (1988 ): Sprache und Praxis. - Leipzig. Schulz v.Thun, Friedemann (1988): Miteinander reden. Störungen und Klärungen. Psychologie der zwischenmenschlichen Kommunikation. - Reinbek b. Hamburg. Steigüber, Barbara (im Druck): Sprachmanagement. - Tübingen.
TECHNISCHER REDAKTEUR: EIN NEUER BERUF STELLT SICH VOR Claus Noack "Eine seltsamere Ware als Bücher gibt es wohl schwerlich in der Welt. Von Leuten gedruckt, die sie nicht verstehen; von Leuten verkauft, die sie nicht verstehen; gebunden, rezensiert und gelesen von Leuten, die sie nicht verstehen; und nur gar geschrieben von Leuten, die sie nicht verstehen." (Zitat von Georg Christoph Lichtenberg) Spezialisten, die technische Texte fachlich richtig, lesbar und verständlich schreiben, sind heute gefragter denn je. Welche Aufgaben ein Technischer Redakteur hat, mit welchen Werkzeugen er arbeitet und welche Wege es gibt, diesen Beruf zu erlernen, soll dieser Artikel zeigen. Die wachsende Bedeutung technischer Dokumentation hat verschiedene Ursachen: - Die Kunden fordern lauter als früher gute, zielgruppengerechte und verständliche Beschreibungen. - Es gibt immer mehr Produkte, für die technische Dokumentation verfaßt werden muß. - Die zu beschreibenden Produkte werden immer komplexer und erfordern daher auch eine komplexere Dokumentation. Unsere Volkswirtschaft hat sich auf die oben skizzierte Situation jedoch noch nicht eingestellt. Sie leistet sich, wenn man von einigen beispielhaften Unternehmen absieht, schlicht zu wenig Mitarbeiter, die professionell technische Dokumentation verfassen. Für qualitativ hochwertige technische Dokumentation fehlen nach Schätzungen von Fachleuten bereits heute tausende Technische Redakteure, und dieser Fehlbedarf wird sich in naher Zukunft, insbesondere durch die Schaffung des europäischen Binnenmarktes 1992 und des Produkthaftungsgesetzes noch vergrößern. Die allgemeine Unzufriedenheit mit technischer Dokumentation ist zum überwiegenden Teil durch mangelhafte Qualität begründet. Die Forderungen der Kunden nach guten und verständlichen Beschreibungen werden in Zukunft sicherlich noch lauter werden; die Zeiten, in denen der Entwickler eines Produkts "nebenbei" die Benutzerdokumentation verfaßt, werden dann endgültig der Vergangenheit angehören. Heute haben jedoch noch nicht alle Anbieter erkannt, daß die Qualität der Beschreibung eines Produkts ein entscheidendes Marketing-Argument geworden ist. Das Arbeitsfeld Technischer Redakteur ist einer größeren Öffentlichkeit bisher weitgehend unbekannt geblieben. So verbinden die meisten Menschen mit dem Begriff "Redakteur" das Berufsbild des Journalisten, der bei einer Zeitung oder Zeitschrift, beim Rundfunk oder Fernsehen arbeitet. Technische Redakteure haben mit dem Geschäft des Journalismus in der Regel jedoch nichts zu tun. Schwierigkeiten mit der Bezeichnung ihres Berufes haben aber auch die Technischen Redakteure selber. Nicht wenige von ihnen nennen sich lieber Technische Autoren, um stärker zu betonen, daß sie selbst Texte verfassen und nicht nur von anderen erstellte Texte redigieren. Daneben gibt es eine Fülle weiterer Berufsbezeichnungen, die alle mehr oder weniger die gleiche Tätigkeit beschreiben. Aus verschiedenen Gründen setzt sich jedoch der
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"Technische Redakteur" durch, so verwendet z.B. die Bundesanstalt für Arbeit diese Bezeichnung und "tekom" der Fachverband für Technische Redakteure. Ich werde daher im folgenden ebenfalls immer den Begriff "Technischer Redakteur verwenden.
Umfang von Technischer Dokumentation an drei Beispielen: Zu einer modernen computergesteuerten Werkzeugmaschine gehören neben der herkömmlichen Dokumentation, Ersatzteilkataloge, Montageanleitungen, Handbücher für Wartung und Service, Benutzerhandbücher, Trainingsunterlagen sowie Fachinformationen zur Unterstützung von Vertrieb und Verkauf. Die gesamte technische Dokumentation eines Airbus mitsamt Bedienungs- und Wartungsanleitung ist mit über 360.000 Seiten so umfangreich, daß sie nicht nur das gesamte Innere des Flugzeugs ausfüllen würde - sie kostet auch soviel wie eine Maschine. Die gesamte Dokumentation für eine Workstation besteht aus 10.000 - 15.000 Seiten.
Aufwände für die technische Dokumentation Im allgemeinen setzen sich die Auf wände wie folgt zusammen: - Einarbeitung - Recherche - Schreiben - Datenerfassung - Grafik -Satz Eine gute Dokumentation zu erstellen kostet Zeit und Geld. Für eine druckfertige Seite benötigt man ca. 8 Stunden wenn die Dokumentation vom Feinsten sein soll. Selbstverständlich können Technische Redakteure auch 2, 10, 20 oder noch mehr Seiten pro Tag erstellen. Doch diese Dokumentation entspricht in den meisten Fällen nicht den Anforderungen der Zielgruppe. In der DV rechnet man bei Software-Eigenentwicklungen mit 10 - 15 % der Entwicklungskosten für die Dokumentation, im Maschinenbau mit ca. 10 %. Eine Seite kann also 50,- DM oder aber auch mehr als 1.000,- DM kosten, je nach Aufwand, Zielgruppe, Marketinganforderung und Imagebewußtsein der Firma.
Die Aufgaben des Technischen Redakteurs Technische Redakteure verfassen technische Dokumentation, d.h. sie beschreiben technische Sachverhalte, egal ob es sich um eine Kaffeemaschine, ein Auto, ein U-Boot oder den
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neuesten Super-Computer handelt. Hier tut sich nun ein weites Feld auf, das sich zum einen nach Branchen, zum anderen nach der Art der Dokumentation unterscheidet: Es gibt Technische Redakteure im Maschinenbau, in der Elektrotechnik, im Fahrzeugbau, im Anlagenbau, im Schiffbau, in der Luft- und Raumfahrtindustrie, in der Datenverarbeitung (Hardware- und Softwarebeschreibung) und in vielen anderen Bereichen, die hier nicht vollständig aufgezählt werden können. Die verschiedenen Arten technischer Dokumentation lassen sich grob dadurch klassifizieren, wie stark bei ihnen der Werbecharakter bzw. der Aspekt der Fachinformation betont wird. Die Spanne reicht hier von der Werbeschrift über Betriebsanleitungen, Schulungsunterlagen und Übungshefte, Handbücher bis zur Freigabemitteilung. Im folgenden gebe ich Ihnen einen Überblick über die vielfältigen Aufgaben eines Technischen Redakteurs.
Adressatenanalyse Die Wichtigkeit der Analyse des Adressatenkreises für die Arbeit eines Technischen Redakteurs kann nicht stark genug betont werden, denn ein Manko der heute bestehenden technischen Dokumentation liegt gerade darin, daß sie oftmals nicht gut genug auf die Vorkenntnisse und Vorerfahrungen und die Anwendungsbedürfnisse der Benutzer abgestimmt ist. Der Technische Redakteur muß wissen, wie die Zielgruppe seiner Dokumentation zusammengesetzt ist, um Inhalt, Aufbau und Sprache der Dokumentation entsprechend wählen zu können. Oftmals wird es erforderlich sein, eine Dokumentation für heterogene Zielgruppen aufzubereiten, indem man z.B. eigene Kapitel für den Sachbearbeiter, den Programmierer und den Systemverwalter vorsieht. Zur Analyse der Zielgruppe stehen dem Technischen Redakteur verschiedene Mittel zur Verfügung. Zuerst kann er natürlich auf sein Expertenwissen zurückgreifen, auf seine bisherigen Erfahrungen in der technischen Dokumentation. Das wird in vielen Fällen jedoch nicht ausreichen. Zusätzlich kann er Benutzerbefragungen durchführen, z.B. in Form schriftlicher Umfragen, in Form von Telefoninterviews oder durch direkte Benutzerinterviews. Darüberhinaus sollte er Kollegen anderer Abteilungen zu Rate ziehen, die direkten Kundenkontakt haben, z.B. in Service- oder Vertriebsabteilungen.
Ausprobieren Um das zu beschreibende Produkt kennenzulernen, muß der Technische Redakteur selbst damit arbeiten. Insbesondere muß der Technische Redakteur alle in der Dokumentation vorkommenden Beispiele ausprobiert haben. Der Technische Redakteur muß das, was er beschreibt, auch verstanden haben. Recherchieren Der Technische Redakteur muß das zu beschreibende Produkt kennen- und verstehen lernen. Dazu steht ihm neben der eigenen Arbeit mit dem Produkt vor allem die Dokumentation der Produkt-Entwickler/Ingenieure zur Verfügung. Viele wichtige Informationen wird der Technische Redakteur darüber hinaus lediglich in mündlicher Form von den Entwick-
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lern/Ingenieuren erhalten. Daneben kann der Technische Redakteur auf Korrekturvorschläge von Kunden, auf Fachbücher und Konkurrenzliteratur zurückgreifen. Schreiben Beim eigentlichen Beschreiben des Produkts sollte neben der Vollständigkeit, Präzision und fachlichen Richtigkeit des Textes vor allem die Verständlichkeit im Vordergrund stehen. Visualisieren Viele Zusammenhänge lassen sich besser durch Tabellen oder Grafiken als durch reinen Text darstellen. Der Technische Redakteur fertigt diese Grafiken selber an oder ist zumindest für ihren Entwurf verantwortlich. Außerdem muß er für die richtige, d.h. verständlichkeitsfördernde Zusammenstellung von Text, Tabellen, Bildern und Grafiken sorgen. Querkommunikation Bei seiner Arbeit ist der Technische Redakteur auf die Zusammenarbeit und den ständigen Kontakt mit vielen anderen Abteilungen angewiesen. Dazu zählen: - Entwicklung - Vertrieb - Kundendienst - Produkttestgruppe - Übersetzungsbüro - Produktschule Dazu kommt natürlich noch der Gedanken- und Erfahrungsaustausch mit den Kollegen der eigenen Abteilung (z.B. in Form wechselseitigen Korrekturlesens) und der Kontakt mit den Kunden. Zeitmanagement Der Prozeß der Erstellung der Dokumentation muß in den gesamten Entwicklungsprozeß des Produkts eingebunden sein. Der Technische Redakteur ist verpflichtet, seine eigene Arbeit so zu planen, daß termingerecht zur Lieferfreigabe des Produkts auch die Dokumentation fertig ist. bzw. möglichst frühzeitig darauf hinzuweisen, daß bestimmte Termine nicht einzuhalten sind. Der Technische Redakteur muß insbesondere Zeit einplanen für Korrekturläufe während der Manuskriptarbeit, für die Erstellung von Grafiken und Bildern und für Satz und Produktion des fertigen Manuskripts.
Kostenmanagement Der Technische Redakteur muß Rechenschaft darüber ablegen, was eine Seite und was die gesamte Dokumentation kostet. Der Aufwand für die Dokumentation (mit oder ohne zweite Druckfarbe, mit oder ohne Grafiken, Übersetzung einer fremdsprachigen Originaldokumentation oder gründliche fachliche und sprachliche Überarbeitung) richtet sich in erster Linie nach der Markt- und/oder Vertriebsbedeutung des Produkts.
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Der Technische Redakteur, so wie wir von tekom ihn sehen und ich hier vorstelle, ist für die Dokumentation voll verantwortlich, d.h., er ist sowohl für die fachliche Richtigkeit als auch für die zielgruppengerechte Gliederung, die Verständlichkeit, usw. zuständig.
Werkzeuge des Technischen Redakteurs Es ist noch in vielen Bereichen so, daß der Technische Redakteur mit Papier, Bleistift, Kleber und Schere seine technische Dokumentation erstellt. Nach und nach wird dieses Werkzeug durch den PC, Workstation, DTP-System ersetzt. Der gut ausgebildete Technische Redakteur ist in der Lage, mit DTP und Elektronischen-Publishing-Systemen umzugehen. Er weiß, wie er die Werbeslogen von Firmen bewerten muß, die dem Käufer suggerieren, daß mit dem Kauf von DTP- oder EP-Systemen die Technische Dokumentation schon erstellt ist. Ich möchte hier davor warnen, dies zu glauben. Viele schlechte Beispiele, die sogar oft zum Werben von DTP- und EP-Firmen hergenommen werden, zeigen, was man, wenn man nicht gut ausgebildet ist, alles falsch machen kann. Seiten völlig mit Schriften, Schriftgrößen, Einziehungen und anderen typografischen Elementen überladen, usw. Wir von der tekom sehen uns auf der Anwenderseite dieser Systeme. Unsere Mitglieder müssen täglich damit umgehen und sich durch die oft ungenügende Dokumentation der Systeme durchkämpfen. Ein weiteres Problem bei der Erstellung von technischer Dokumentation ergibt sich oft durch den Einkauf von Produkten und somit auch von fremder Dokumentation. Hier wird oft mühsam und mit großem Aufwand versucht, die eingekaufte Dokumentation dem eigenen Corporate Design anzupassen. Abhilfe erhoffen wir uns durch die zunehmende Standardisierung von Dateiaustauschformaten wie SGML (Standard Generalized Makeup Language) und/oder dem ODA/ODIF (Office Document Achitecture/Office Document Interange Format).
Ausbildung zum Technischen Redakteur "Learning by doing" - dies dürfte immer noch die "klassische" Ausbildung der meisten Technischen Redakteure in der Bundesrepublik sein. Wer den Beruf "gezielt" erlernen möchte, hat zur Zeit drei Möglichkeiten: - Vollzeitausbildung - Fachhochschulstudium - Weiterbildungsseminare. Vollzeitausbildungen - das heißt eine knapp einjährige, kontinuierliche Ausbildung - bieten inzwischen mehrere Unternehmen in Deutschland an. Ende 1989 entwickelte tekom zusammen mit der Bundesanstalt für Arbeit das Konzept eines Fachhochschulstudiums. Diese Ausbildungsmöglichkeit soll im Wintersemester 91/92 zum ersten Mal an der Fachhochschule Hannover angeboten werden. Es wird ab diesem Zeitpunkt möglich sein, ein Fachhochschulstudium mit der Bezeichnung "Dipl. Technischer Redakteur (FH)", zum Beispiel
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in der Fachrichtung Maschinenbau oder Elektronik abzuschließen. Der FH-Studiengang umfaßt Teilgebiete aus den Bereichen Journalistik, Pädagogik, Psychologie, Informatik, Maschinenbau und anderen technischen Fachgebieten. Das neue Konzept zur FH-Ausbildung von Technischen Redakteuren bedeutet für die tekom einen großen Erfolg. Nicht zuletzt deshalb, weil die seit Jahren von Mitgliedern der tekom durchgeführten Aus- und Weiterbildungen für Technische Redakteure die Grundlage des vorliegenden Studienplans sind. Inhaltlich orientieren sich Vollzeitausbildung und Fachhochschulstudium an der Ausbildung zum "technical writer" in den Vereinigten Staaten, die dort allerdings immer nur als Aufbaustudium beziehungsweise als zusätzliche Qualifikation angeboten wird. Die dritte und älteste Möglichkeit ist die Teilnahme an Weiterbildungsseminaren. Solche Kurse werden seit mehreren Jahren von Privatunternehmen sowie qualifizierten Industriedozenten angeboten. Technische Redakteure und solche, die es werden wollen oder müssen, können sich hier in ein- oder mehrtägigen Seminaren im Verfassen und Gestalten von Handbüchern, Visualisierungstechniken oder Handbuch-Projektmanagement fortbilden. Durchgeführt werden diese Kurse in zwei Varianten: Firmeninterne Schulungen konzentrieren sich in der Regel auf Fachwissen für eine Branche, beziehungsweise ein bestimmtes Unternehmen, während sich "offene Seminare" an Technische Redakteure aller Fachrichtungen wenden: Hier geht es vor allem um Grundlagen und generelle Kriterien, wie man technische Dokumentation sachlich richtig, verständlich und benutzerfreundlich schreibt und gestaltet. In Zukunft plant die tekom neben eigenen Seminaren auch, gemeinsam, z.B. mit dem IHK-Bildunqszentrum Karlsruhe, berufsbegleitende Ausbildungen zum Technischen Redakteurassistenten, die mit bundesweit anerkannten Prüfungen abgeschlossen werden. Voraussetzungen für Technische Redakteurassistenten sind dann die Mittlere Reife, eine Lehre und ein beruflicher Nachweis über eine Qualifikation, die einem technischen Studium gleichkommt. In der IHK-Ausbildung wird neben technischem Fachwissen vor allem das Handwerkszeug des Technischen Redakteurs vermittelt werden. Geplant ist, daß diese Kurse mit qualifiziertem Abschluß mehrere Jahre berufsbegleitend an zwei Abenden in der Woche stattfinden. Eine Übersicht über die verschiedenen Qualifizierungsmöglichkeiten in Deutschland gibt die von der tekom veröffentlichten Broschüre "Aus- und Weiterbildungsangebote für Technische Redakteure".
Zukunftsperspektiven Einmal Technischer Redakteur, immer Technischer Redakteur - diese wenig reizvolle Perspektive mag viele Techniker, DV-Spezialisten oder technisch qualifizierte Geisteswissenschaftler davon abhalten, diesen Beruf zu ergreifen. Die Praxis sieht jedoch anders aus. Technische Redakteure haben vielfältige Möglichkeiten, sich zu spezialisieren, zu verändern und aufzusteigen. Je nach Voraussetzung, Aufgabengebiet und Interesse können Technische Redakteure beispielsweise zu Spezialisten für technische Dokumentation, Visualisierungstechniken,
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Layout, grafische Gestaltung von technischer Dokumentation oder Electronic Publishing werden. Erfahrene Technische Redakteure sind vor allem im Projektmanagement, in der Leitung und Koordination größerer Aufträge gefragt. Eine weitere, besonders in der DV zunehmend wichtige Aufgabe ist die Beratung der Entwickler. Der Technische Redakteur wird zum gefragten Partner des Programmierers in Fragen Benutzerfreundlichkeit, Oberflächengestaltung, Menü-Ablauffolgen und so weiter. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Software-Entwickler und Technischem Redakteur sorgt nicht nur für anwenderorientierte Programme, sondern spart dem Unternehmen auch enorme Kosten. Spezialisten für Didaktik und Benutzerfreundlichkeit haben auch die Möglichkeit, im wachsenden Markt für Anwendertraining und -beratung unterzukommen. Die Aufgaben reichen hier vom Konzipieren und Ausarbeiten von Schulungsunterlagen bis hin zur Entwicklung von "Computer Based Training". Mit Sicherheit werden selbsterklärende Programme, Online-Dokumentationen, Lernfilme und der Einsatz neuer Medien für Benutzerinformationen immer wichtiger. Der Technische Redakteur berät zum Beispiel, welches Medium für welchen Zweck eingesetzt werden soll, welche Anweisungen am Bildschirm, auf Video oder als technische Dokumentation erstellt werden sollen. Mediendidaktik sollte für den versierten Technischen Redakteur kein Fremdwort sein: hier bieten sich Zukunftschancen. Aus dem Technischen Redakteur wird der gefragte Spezialist für technische Kommunikation. Eine gute Dokumentation ist mit Sicherheit auch ein gutes Verkaufsargument. Das bedeutet: Auch im Verkauf bieten sich interessante Aufgaben für den Technischen Redakteur, denn Marketing, Werbung und Vertrieb benötigen zielgruppenspezifisch aufbereitete Fachinformationen. Werbeleute, Marketingexperten und Vertriebsingenieure sind auf das Fachwissen und die Mitarbeit von Spezialisten für technische Kommunikation angewiesen.
WERTMINDERUNG VON HOCHTECHNOLOGIEPRODUKTEN DURCH SPRACHLICHE MÄNGEL DER BEGLEITDOKUMENTATION
Anke Guder / Reiner Pogarell Wenn wir im folgenden vom "Wert" eines Produktes sprechen, so möchten wir uns nicht auf eine Diskussion über die verschiedenen Definitionen des Begriffes "Wert" einlassen. Beziehen möchten wir uns dabei jedoch auf die seit den Anfängen der modernen wissenschaftlichen Ökonomie mit Adam Smith (1990) und David Ricardo (1921) gebräuchlichen Unterscheidung von Tausch- und Gebrauchswert. Konnte unter den damaligen wirtschaftshistorischen Bedingungen die Sicht auf den Produzenten, die Analyse also auf den Tauschwert konzentriert werden, so ist es heute unter der Bedingung eines Angebotsüberhanges durch viele Anbieter und weitgefächerte Produktpaletten naheliegend, auch den Gebrauchswert näher in Betracht zu ziehen, die Sicht also auf den Käufer auszudehnen. Gerade der bei Hochtechnologieprodukten durch aufwendige Entwicklungs- und Produktionsverfahren bedingte hohe Preis verlangt aus der Sicht des Kunden eine optimale Angleichung des Gebrauchswertes an den Tauschwert, zumal diese Produkte aufgrund der hohen Wechselgeschwindigkeit zwischen einzelnen Produktgenerationen keine wertkonservierenden Eigenschaften besitzen. Ob der Gebrauchswert dem Preis entspricht bleibt letztlich die subjektive Entscheidung des Konsumenten, doch hängt die Nützlichkeit des Produkts (mit den Worten Ricardos "sein Beitrag zu unserem Wohlbefinden" (Ricardo 1921: 10) im hohen Maße davon ab, ob der Kunde in die Lage versetzt wird, die von der Werbung versprochenen Leistungen des Produkts in der Realität anzuwenden. Für unsere Betrachtungen bleibt somit der Gebrauchswert und der darin enthaltene Prestigewert. Warum kauft ein Kunde ein Hochtechnologieprodukt? Die Werbung konzentriert sich auf die Eigenschaften "Funktionsvielfalt" und "Geschwindigkeit". "Handbarkeit" oder "Einfachheit" spielen dagegen nur in Produkten der unteren Preiskategorie eine Rolle. Nun sind Funktionsvielfalt und Geschwindigkeit tatsächlich positive Eigenschaften, die den Gebrauchswert eines Produktes entscheidend beeinflussen können. Mit einem schnellen Auto z.B. kann man - so der Verkehr dies zuläßt - lästige Reisezeiten verkürzen. Und die Fahrer dieser schnellen Wagen wären mit Sicherheit hellauf empört, könnten sie die jeweilige Höchstgeschwindigkeit überhaupt nicht erreichen, weil sie den Bedienungsvorgang zur Erreichung dieser Geschwindigkeit nicht ausführen könnten. Bei anderen Produkten scheinen sich die Benutzer ruhiger zu verhalten. Seit gut drei Jahren wird in verschiedenen Seminaren die Frage gestellt, ob die Besitzer von Musikanlagen dort einen Loudnessknopf haben. Die Mehrheit bejaht. Anschließend wird nach der Funktion dieses Schalters gefragt. Die Antworten sind abenteuerlich. Teils wird er als Ersatzknopf für den Lautstärkenregler betrachtet, teils als Hilfsschalter zur Erzielung besonders lauter Geräusche. Nur eine kleine Minderheit konnte die Funktion des Loud-
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nessknopfes richtig bestimmen; die Mehrheit hatte den Knopf zwar bemerkt, sich aber weiter keine Gedanken darüber gemacht. Nun hat dieser Schalter aber eine durchaus sinnvolle Anwendungsmöglichkeit, und bezahlt haben die Besitzer ja auch dafür. Er ist Teil des Wertes der jeweiligen Anlage. Wenn aber diese Funktion überhaupt nicht genutzt wird oder genutzt werden kann, dann ist doch diese Anlage für den Nutzer gleichwertig einer billigeren, die diese Funktion nicht hat. Das heißt, vielleicht nicht ganz. Denn schließlich hat die Loudnessanlage einen sichtbaren Schalter mehr. Und möglicherweise ist der Prestigewert einer Musikanlage auch abhängig von der Zahl der vorhandenen Schalter. Jedenfalls bleibt wertvolle Technik ungenutzt. Dies kann natürlich an der Trägheit der Benutzer liegen, denn 2/3 machen sich nicht einmal die Mühe, in der Gebrauchsanweisung nachzulesen. Vielleicht liegt es aber auch an den schlechten Erfahrungen, die sie damit gemacht haben. Tatsächlich können sie unter dem entsprechenden Stichwort z. B. folgendes lesen: Gleicht Pegelschwankungen durchgehend aus. Dieser Regler dient zur Korrektur der mangelnden Wahrnehmungsfähigkeit des menschlichen Ohrs von hohen und niedrigen Frequenzen bei geringer Lautstärke. (Yamaha RX-300/U, Bedienungsanleitung)
Der erste Satz sagt eigentlich nichts weiter aus; zumindest kann nicht auf einen besonderen Anwendungsbereich geschlossen werden. Im zweiten Satz wird zunächst einmal der Eindruck erweckt, als handele es sich um eine Sondereinrichtung für Hörgeschädigte. Erst ganz zum Schluß wird die Funktion des Schalters deutlich. Für Benutzer, die nicht über eine größere Lesegeübtheit verfügen (und davon gibt es viele), dürfte sich der Inhalt überhaupt nicht erschließen, vor allem auch deshalb, weil die verwendeten Sprechakte (FESTSTELLEN bzw. INFORMIEREN) keine Handlungshinweise enthalten. Die folgenden Überlegungen zum Zusammenhang von Wert und Begleitdokumentation stützten sich auf eine ca. einjährige Beobachtung mehrerer Benutzer eines Digitaltelefons, eigenen Erfahrungen und Erprobungen sowie einigen neueren Beobachtungen, die wir an neu angeschafften Geräten machen konnte. Besonders wichtig waren aber auch die Übungen, die zusammen mit Herrn Michael Krause im Rahmen eines gemeinsamen Seminars mit Studenten an diesem Telefon mit der entsprechenden Dokumentation durchgeführt wurden. Ein Digitaltelefon ist ein Hochtechnologieprodukt mit einer Vielzahl von Funktionsmöglichkeiten. Man kann damit u.a. Rufnummern speichern und abrufen, mit mehreren Gesprächspartnern gleichzeitig sprechen, zwischen verschiedenen Teilnehmern hin und her wechseln, mit aufliegendem Hörer telefonieren und sich in Gespräche Dritter einschalten. Nebenbei ist es noch ein elektronisches Notizbuch sowie Uhr und Kalender. Je nach Zählweise sind rund fünfzig bis sechzig Funktionen zu unterscheiden. Gut ausgestattete Digitaltelefone kosten rund 4000,- DM pro Stück. Da es sich dabei aber grundsätzlich um Nebenstellenanlagen handelt, liegt der tatsächliche Preis noch höher. Die Geräte werden in der Regel nicht von den späteren Benutzern angeschafft; derartige Kaufentscheidungen fallen sehr weit oben in der Firmenhircharchie. Im vorliegenden Beispiel fand nicht einmal eine Rücksprache statt, in den - nicht überprüften Parallelberichten ebensowenig.
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Bei dem Beispielsprodukt handelt es sich um das Digifon-Komfort (Vierer-Team), ISDNSystem 8818 der Firma NIXDORF COMPUTER AG. Das entsprechende Handbuch trägt die Bezeichnung Bedienungsanleitung Release 3.2. Es handelt sich dabei, dies muß vorausgeschickt werden , zweifelsohne um eine der besseren Dokumentationen. Lacherfolge, wie oft mit japanischen Gebrauchsanweisungen , können damit nicht erzielt werden. Am Beispielgerät arbeiten hauptsächlich zwei Personen. Ein Abteilungsleiter und dessen Sekretärin, wobei die Sekretärin gut 90% aller Anrufe tätigt oder vorbereitet. Weitere Personen sind nur sporadisch mit dem Digifon konfrontiert, um z.B. die Sekretärin zu vertreten. Die Sekretärin hat sich nach eigenen Aussagen gut vier Stunden mit der Dokumentation beschäftigt, allerdings über mehrere Monate verteilt, der Abteilungsleiter überhaupt nicht. Die Installation des Telefons wurde beiden Benutzern eher kurz und beiläufig angekündigt. Die Sekretärin erhielt während der Installation vom Einrichter selbst eine Kurzeinführung, die sie allerdings als zu überladen empfand. Das Gerät war mehrere Monate lang das einzige in der Abteilung, die Unterabteilungen und Einzelbüros arbeiteten bis vor wenigen Wochen bzw. Monaten mit herkömmlichen Fernsprechgeräten. Seitdem werden nach und nach alle Büros mit moderneren Telefonen ausgestattet. Nach der Installation konnte zunächst einige Stunden gar kein Gespräch mehr aktiv geführt werden. Danach und auch die nächsten Tage funktionierte es wie eine gewöhnliches Telefon. Nach gut vier Wochen wurden Funktionen wie Wahlwiederholung und Nummernspeicherung genutzt, die ja auch schon bei etwas komfortableren Haushaltstelefonen vorhanden sind. Die Mehrzahl der Funktionen bleiben bis heute ungenutzt. Mit einem wesentlich billigeren Fernsprechgerät wäre der gleiche Services nutzbar gewesen. Bei den Parallelfällen wurde besonders deutlich, daß die eigentlichen Fernsprechgerätinhaber die Bedienungsprobleme auf ihre Untergebenen abzuwälzen versuchten. Diese bekamen einfach den Auftrag, die Geräte so oder so zu programmieren, und mußten anschließend eigene Problemlösungsversuche testen. Dies ist durchaus verstehbar und der Arbeitsorganisation angemessen. Leitende Angestellte haben natürlich keine Zeit, sich längere Zeit mit der Fertigkeit des Telefonierens vertraut zu machen. Mit dem Handbuch arbeiteten die Untergebenen jeweils nur wenige Minuten; man fand es auf Anhieb zu kompliziert. Als Geheimtip wurden sehr bald Personen gehandelt, die sich mit dem Digifon auskennen. Bei allen Problemen und Hindernissen wurden die Experten sehr freundlich konsultiert und um Lösungen gebeten. Die Bedienung des Digifons wurde somit zu einer Geheimwissenschaft. Natürlich führte diese Expertenlösung zu einer starken Aversion der Untergebenen dem Digifon gegenüber. Aber noch stärker waren die jeweiligen Abteilungsleiter von unguten Beurteilungen betroffen. Selbst die Experten konnten keinen Ruhm erlangen. Ein typisches - für den öffentlichen Vortrag bearbeitetes - Zitat lautet: Dieser Idiot kommt mit diesem Mistding nicht zurecht, und deshalb muß ich zu diesem Technokraten rennen, damit der den großen Macker machen kann. Sollte je eine Firmenleitung auf die Idee kommen, den Sinn einer Digitaltelefonanlage aufgrund von Mitarbeiterbefragungen zu beurteilen, fiele das Ergebnis negativ aus. Denn auch die Beurteilung des Vorgesetzten wäre keineswegs eindeutig. Bringt das Digifon ihn doch in eine unerwünschte und nur unzulänglich kaschierte Abhängigkeit von seinen Untergebenen.
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Wir möchten nun versuchen, die Gründe für diese mangelnde Ausnutzung der Funktionsmöglichkeiten des Digifons anhand einiger sprachlicher Analysen des dazugehörigen Handbuches zu ermitteln. Natürlich können auch nichtsprachliche Ursachen die Gebrauchsmöglichkeiten des Gerätes einschränken; z.B. die Oberflächengestaltung. Darüber hinaus können wir nicht ausschließen, daß auch eine vollkommene sprachliche und optische Gestaltung des Handbuches nur wenigen Benutzem eine vollständige Ausnutzung des Digifons ermöglichte. Vielleicht übersteigen auch inzwischen die technischen Möglichkeiten einfach das menschliche Auffassungsvermögen. Wir konzentrieren uns bei unseren Analysen auf zwei Faktoren, von denen wir annehmen, daß diese besonders zu Abneigungen im Umgang mit der Begleitdokumentation und mit dem Digifon führen: a. Demotivierer b. Verwirrer In der Praxis greifen beide Faktoren ineinander. Verwirrung führt zur Demotivierung. Andererseits sind auch demotivierende Faktoren zu isolieren, die nichts mit Verwirrung zu tun haben. Das Handbuch (Ausgabe 1989) ist optisch nicht wie ein Lehrbuch, sondern wie ein Nachschlagewerk aufgemacht. Dies kommt sicherlich der Interessenlage der Benutzer entgegen; ist jemand vielleicht noch bereit, eine längere Lernphase für einen Computer in Kauf zu nehmen, kann dies von einem Telefonbenutzer nicht erwartet werden. In der Praxis muß das Handbuch jedoch Kompromisse machen, da die einzelnen Funktionen eben nicht ohne Kenntnisse vorhergehender Funktionen bzw. grundlegender Bedienanforderungen erlernt werden können. So führt einfaches Herumblättern im Handbuch, was wohl die meisten Benutzer zuerst tun dürften, zu eher abschreckenden Erfahrungen. Nichtssagende Überschriften (z.B. Leitungstypen, Wartekreis, Direktes Ansprechen, Makeln) und zunächst undurchschaubare Piktogramme und Graphiken machen weitere Orientierungshilfen unverzichtbar. Das Stichwortverzeichnis, welches sich am Ende des Handbuches befindet, hilft dem völligen Neuling ebensowenig weiter. Die gleichen Stichwörter, die gleichen Piktogramme. Dagegen fehlen Stichwörter, die an das vertraute Fernsprechvokabular anknüpfen (z.B. anrufen erscheint unter Gespräch führen), Überschriften, Piktogramme und Stichwortverzeichnis verwirren und demotivieren somit. Nach entsprechenden Enttäuschungserlebnissen sieht sich der Benutzer schließlich gezwungen, das Handbuch doch im Sinne eines Lehrbuches zu verwenden und am Buchanfang sein Glück zu versuchen. Dort findet er ein Inhaltsverzeichnis, eine Graphik zur Erklärung der Telefontasten (Bedienelemente) sowie eine Art Vorwort mit dem Titel Aufbau der Bedienungsanleitung, welches ganz am Anfang steht. Der erste Absatz des Vorwortes lautet so: Die vorliegende Bedienungsanleitung möchte Sie mit dem Digifon-Komfort vertraut machen. Die große Anzahl der Ihnen zur Verfügung stehenden Funktionen erfordert ein Umdenken von der Bedienung normaler Telefone, da Sie durch das Digifon-Komfort Kommunikationsmöglichkeiten zur Verfügung haben, die über das bisherige Fernsprechen hinausgehen.
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Der erste Satz, in dem die Bedienungsanleitung als Agens auftritt, verzichtet auf jeden Hinweis auf eine mögliche Nachschlagswerkfunktion; vertraut machen kündigt einen längeren Lern- und Arbeitsprozeß an. ^ Der zweite, sehr lange und nicht leicht lesbare Satz enthält zunächst und besonders auffällig eine Drohung: Umdenken, eine äußerst unbeliebte und anstrengende Tätigkeit soll erzwungen werden. Die Zwanghaftigkeit geht eindeutig aus dem Verb erfordern hervor, welches weder Wahl- noch Variierungsmöglichkeiten zuläßt sowie jede Einflußnahme der Betroffenen ausschließt. Zudem ist es ein beliebtes Bürokraten und Politikerwort, welches weitere Begründungen überflüssig macht. Auch ein quantitativer Aspekt ist vorhanden; Dinge die erforderlich sind, sind nicht klein . Am Anfang des Handbuches ist also bereits eine Demotivation eingebaut. Ganz schlimm ist aber, daß die Funktionen zum Agens abgestempelt werden. Die Funktionen sind also nicht wünschenswertes Ziel, sondern Ursache für unerwünschte Anstrengungen und mühselige Lernprozesse. Dabei ist dies eine völlig überflüssige Abwertung der eigentlich ja positiven Funktionsmöglichkeiten und eine erhebliche Demotivierung. Eine neue Formulierung müßte viel stärker positiv und motivierend formuliert sein, jede vorzeitige Abschreckung müßte unterlassen werden. Also zum Beispiel so: Das Digifon-Komfort bietet Ihnen viele neue Kommunikationsmöglichkeiten. Sie können in Zukunft viel bequemer und effektiver telefonieren, zudem stehen Ihnen einige Funktionen zur Verfügung, die weit über das bisherige Fernsprechen hinausgehen. Das vorliegende Handbuch wird Ihnen dabei helfen, bald rasch und sicher mit Ihrem neuen Gerät umzugehen.
Nach dem Inhaltsverzeichnis findet der Benutzer eine Art Einführung mit dem Titel Hinweise zur Bedienung und Bedienerführung. In dieser dreiseitigen Handbucherklärung werden ohne erkennbare Systematik Hinweise zu Funktionseinschränkungen, akustischen und optischen Signalen, Programmiermöglichkeiten und Bedienungsanweisungen abgehandelt, wobei insbesondere die Reihenfolge für Verwirrung sorgt. So erscheint die zu Beginn wichtige Informationen über die "Voreinstellung nach Auslieferung" an vorletzter Stelle. Dagegen beginnt das erste Kapitel der Hinweise mit einer weiteren Demotivation: Berechtigungsklassen Sämtliche Funktionen können in unterschiedlichen Berechtigungsklassen vergeben werden, d.h. es kann möglich sein, daß an Ihrem Apparat nicht alle Funktionen durchführbar sind. Über Ihre Berechtigungen informieren Sie sich bei Ihrem Systemverwalter oder an der Zentrale.
Im Wörterbuch erscheinen Berechtigung und Klassen in äußerst negativen Zusammenhängen und Zusammensetzungen. Die Möglichkeit oder nur die Annahme, nur eine drittklassige Berechtigung zu besitzen, kann das Telefon zum stets sichtbaren Symbol mangelnder Achtung bzw. mangelndem Vertrauen durch die Firmenleitung machen. In den beobachteten Fällen spielte dieser Aspekt allerdings keine Rolle, da ja keiner der Benutzer auch nur die Mehrzahl der Funktionen der eigenen Berechtigungsklasse nutzen kann. Eine Vermeidung solcher demotivierenden Formulierungen wären jedenfalls recht einfach gewesen: Ihr Digifon kann den unterschiedlichen Erfordernissen Ihres Arbeitsplatzes angepaßt sein; möglicherweise sind deshalb nicht alle Funktionen an Ihrem Apparat durchführbar.
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Verursacher sind nun die Erfordernisse des Arbeitsplatzes und nicht mehr bürokratische Klassifizierungen. Mitunter ist erst auf den zweiten Blick zu erkennen, ob eine Handlungsaufforderung vorliegt oder nicht. Der Satzanfang Beginnen Sie einen solchen Bedienungsvorgang durch Abnehmen des Hörers läßt einen Imperativ vermuten, doch er wird nach dem Komma durch können Sie ihn durch Auflegen des Hörers oder Betätigung einer Leitungstaste beenden abgeschlossen. Die Versprachlichung der Wenn-dann-Beziehung hätte den Satz kaum länger gemacht, doch erhebliche Verwirrung verhindert. Andere Hinweise führen zu Illusionen über die Leistungsfähigkeit des Gerätes: Falsche Tastatureingaben führen nicht zu Fehlfiinktionen, sondern werden vom System ignoriert und durch den Fehleingabeton signalisiert. Das wäre natürlich toll; man tippte die verkehrte Rufnummer ein, und das Telefon machte mittels Piepton darauf aufmerksam. Leider ignoriert das System lediglich "unpassende", "fehlerhafte" oder "widersprüchliche" Eingaben, falsche jedenfalls nicht. Nach insgesamt acht Hinweisseiten wird auf Seite 9 der eigentliche Anweisungsteil eingeleitet (In diesem Kapitel sind die Funktionen beschrieben, die Sie in erster Linie von einem Telefon verlangen, nämlich das Führen und Entgegennehmen von Gesprächen). Der Benutzer erfährt also erst ab der zehnten Seite, wie er eigentlich mit dem Digifon telefonieren soll. Dies ist verwirrend und demotivierend. Die folgenden neunzig Seiten sind alle nach einem einheitlichen Schema aufgebaut. Nach einer Überschrift folgt eine kurze oder längere Erklärung der jeweiligen Funktion. Darunter ist farblich abgesetzt ein Anleitungsmuster, das aus Piktogrammen, sprachlichen Anweisungen und Displaybeispielen besteht, wobei auch hier eine innere Ordnung die Benutzerführung erleichtern soll. Eine Piktogrammspalte zeigt, was getan werden muß, eine Erklärungsspalte verdeutlicht dies sprachlich und in der Beispielsspalte wird wieder mittels Piktogrammen gezeigt, was im Anwendungsfall zu sehen und zu hören ist. Die erste Anleitungsseite ist im Schaubild dargestellt (s. nächste Seite). Wir haben alle uns bekannten Benutzer des Handbuches gefragt, ob sie eine einheitliche Ordnung erkennen könnten. Ebenso wurde den Seminarteilnehmern diese Frage gestellt. Die Antworten waren durchweg vage oder negativ. Dies muß keineswegs an der mangelnden Intelligenz der Befragten liegen, denn das Handbuch erschwert das Erkennen seiner Ordnung sehr. Erstens wurde bereits auf der ersten Anleitungsseite das Ordnungsprinzip mehrmals durchbrochen. Vollständig fehlt hier der Erklärungsteil. Wahrscheinlich war es dem Redakteur zu trivial, einfach zu schreiben, daß hier das gewöhnliche und normale Telefonieren gemeint ist. Tatsächlich geht dies ja bereits aus der Überschrift hervor. Trotzdem hätte zumindest an dieser exponierten Stelle nicht darauf verzichtet werden dürfen, um exemplarisch und noch leicht verstehbar den Handbuchaufbau einzuüben. Sojedenfalls wird der Benutzer verwirrt. Die Spalteneinteilung wurde ebenfalls auf der ersten Seite durchbrochen. Die Erklärung Bei Freiton Gespräch fuhren ragt in die Beispielsspalte hinein, die Erklärung Sie hören das Rufzeichen... überragt schließlich alle drei Spalten.
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Gespräche führen/entgegennehmen Ein Gespräch führen Ruhezustand
|
10:30 Mi. 19. Okt. 88 • n
J" Wählton
0-9]
| n R u f n u m m e r wählen. z. B. 1166
|
[
> L· u:
J· Frei-/Besetztton 0-9 l
1166
Bei Freiton Gespräch führen.
10:30 Mi. 19. Okt. 88 1 Ein Gespräch entgegennehmen Sie hören das Rufzeichen eines ankommenden Gespräches. Z. B. auf Leitung 1.
Q u_
«T Rufzeichen
10:30 Mi. 19. Okt. 88 Gespräch führen
10:30
Mi. 19. Okt. 88
Zweitens wurde auf eine Kenntlichmachung der Spalten verzichtet. Dies ist m.E. der Hauptgrund für die mangelnde Übersichtlichkeit, für den Eindruck des Wirrwarrs. Die Teilnehmer unseres Seminars entwickelten nach kontroversen Diskussionen eine entsprechende neue Beschriftung, die in unterschiedlichen Varianten ausprobiert wurde. Die erste Spalte erhält danach die Überschrift "So handeln Sie", die Piktogramme wurden beibehalten, jedoch auch eine zusätzliche Verschriftlichung für schwer abbildbare Handlungen ermöglicht. Die zweite Spalte erhält die Überschrift "Erklärung", und die dritte Spalte die Überschrift "das passiert". Gewünscht wurde ferner von den Seminarteilnehmern, die dritte Spalte noch einmal zu differenzieren und zwar in die Unterspalten "Displayanzeige", "akkustische Signale" und "visuelle Signale". Letzteres ließ sich bei weiteren Versuchen jedoch nur sehr schwer realisieren, da Corporate-Identity Überlegungen sowie Layoutprobleme dagegen sprachen. Wahrscheinlich müssen Displayanzeige, Signallämpchen und akustische Signale weiterhin neben- und übereinander dargestellt werden. Erfahrungen bei der Arbeit in der technischen Redaktion Nixdorf bestätigen, daß Verbesserungsvorschläge zwar immer einer ausgiebigen Prüfung unterzogen wurden, jedoch oft nur sehr wenige Anregungen umgesetzt werden konnten. Zeit- und Kostengründe werden normalerweise dafür verantwortlich gemacht. Aber das kann ja gerade nicht das gewünschte Ziel eines Unternehmens sein, daß nämlich hochleistungsfähige Geräte aufgrund unzureichender Dokumentationen vom Anwender
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nicht genutzt werden können. Es muß also zu einer Aufwertung der "Schreibarbeiten" im Rahmen der Herstellung von High-Tech-Produkten kommen.
Anmerkungen 1 Duden: sich mit einem Gedanken vertraut machen (= sich langsam daran gewöhnen). 2 Vgl. dieses Projekt erfordert viel Geld, Zeit (vs. * der Kaufeiner Tasse Kaffee erfordert eine Mark). 3 Was sich übrigens problemlos in Sichtfeld oder Anzeigenfeld verdeutschen ließe.
Literatur Duden (1977-1981): Das große Wörterbuch I-VI, hg.v. Drowsdowski, Günther - Mannheim etc. Ricardo, David (1921): Grundsätze der Volkswirtschaft und Besteuerung. - Jena. Smith, Adam (1990): Der Wohlstand der Nationen. - München.
DAS PRODUKTHAFTPFLICHT-RISIKO AUS FEHLERHAFTEN GEBRAUCHSANWEISUNGEN, INSTRUKTIONEN UND WARNHINWEISEN Hermann Jörissen Bedienungsanleitungen galten jahrzehntelang als lästiges Übel. Sie wurden laienhaft getextet, lieblos ins Bild gesetzt, so daß der Beipackzettel vom Endverbraucher meist dort deponiert wurde, wo er an sich nicht landen sollte, nämlich im Papierkorb. Die Folgen waren mitunter fatal, denn erhebliche Personenschäden bei der Produktbenutzung waren die Folge. Die komplizierte Technik, der teure Kundendienst, das Qualitätsbewußtsein und nicht zuletzt die verschärfte Produkthaftpflicht haben die Situation grundlegend verändert, so daß in Zukunft der Bedienungsleitung ein völlig neuer Stellenwert zukommen wird. Aus diesem Grund beschäftigen wir uns als Industrieversicherer seit langem mit diesem Problem, denn wir sind aus Schaden klug geworden. Auch der Verfasser wurde vor einem Jahr Opfer einer Bedienungsanleitung. Es hatte sich folgendes zugetragen: Zum Osterfest des Jahres 1988 sollte die älteste Tochter des Verfassers mit einem Kinderroller beschenkt werden. Diesen Kinderroller hatte der Verfasser in einem Fachgeschäft erstanden. Die Verpackung bestand aus einer großen Kiste, die lediglich mit dem Namen eines Bremer Unternehmens versehen war. Da die Tochter des Verfassers am Ostermorgen mit dem Kinderroller überrascht werden sollte, begann der Verfasser am Abend des Karsamstags im Schütze der Dunkelheit mit dem Auspacken des Kinderrollers und dem untauglichen Versuch eines Zusammenbaus. Beim Öffnen der Kiste stellte sich heraus, daß sich in dieser Kiste kein Kinderroller befand, sondern eine Ansammlung von Einzelteilen, die eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Ersatzteillager eines Fachgeschäftes hatte. Die Gebrauchsanleitung erwies sich als achtzigseitiges Papier. Dort beschrieb ein Taiwanese in einer Sprache, die dem Englischen sehr ähnelte, den Zusammenbau eines Kinderrollers. Bei näherem Studium der Gebrauchsanweisung stellte sich sodann heraus, daß in dieser Anleitung ein anderes Modell beschrieben wurde als das, was sich in der Kiste befand. Mit Hilfe seiner Ehefrau versuchte der Verfasser dann trotz aller widrigen Umstände den Zusammenbau des Kinderrollers. Um ca. 22.30 Uhr ergab dann ein Anruf bei einem befreundeten Diplomingenieur - nach zwei Stunden harter Arbeit -, daß zum Zusammenbau Werkzeuge notwendig waren, die sich nicht in der Kiste befanden, aber in Fachgeschäften erhältlich sind. Als Ergebnis sei mitgeteilt, daß der Kinderroller bis heute nicht sachgerecht zusammengebaut ist und die Tochter des Verfasser seit diesem Tag täglich gefährdet. Diese Leidensschilderung könnte fortgesetzt werden durch die Geschichte des kanadischen Gartenhauses, daß sich auf dem Grundstück des Verfassers in Köln befindet. In diesem Fall war die Gebrauchsanweisung in der Tat in englischer Sprache verfaßt, trotzdem war der Leidensweg länger. Im Gegensatz zu Wolfram Siebeck von der "Zeit" ist der Verfasser allerdings nach diesen Erlebnissen nicht "ganz einfach durchgedreht". Die handwerklichen Versuche endeten auch nicht mit der Zerstörung der Ehe des Verfassers, der Wohnungseinrichtung oder des Glaubens an den Fortschritt. Ebenso wurde die Illusion der eige-
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nen Intelligenz des Verfassers nicht zerstört. Die Zweifel richteten sich eher in eine andere Richtung. Bei näherem Studium der Problematik stellte sich heraus, daß zwischen der Größe des produzierenden Unternehmens und der Qualität der Gebrauchsanweisung häufig ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. So scheuen sich Importeure aus Drittländern nicht, alles auf den Markt zu bringen, was der Weltmarkt hergibt und machen so die Bundesrepublik zu einem Produktmülleimer. Auch in der mittelständischen produzierenden Industrie sind z. T. ähnliche Verhaltensweisen festzustellen, trotz der Tatsache, daß diese Dinge von der Stiftung Warentest immer wieder aufgegriffen werden. Diese Verhaltensweisen sind aus der Sicht eines Industrieversicherers unverständlich. Der Grund für unser Unverständnis liegt darin, daß es in der Vergangenheit kaum einen Bereich des Haftungsrechts gegeben hat, der das öffentliche Interesse mehr erregt hat, als der Bereich der Produzentenhaftung. Im folgenden werden daher die wesentlichen Grundzüge der Produzentenhaftung, deren Entwicklung, sowie die Veränderungen, welches das zum Jahresbeginn 1990 in Kraft getretene Produkthaftungsgesetz mit sich brachte, dargestellt. Darüber hinaus wird speziell auf Fragen eingegangen, welche sich in diesem Zusammenhang mit der Erstellung von Gebrauchsanleitungen ergeben. Unter Produkthaftung versteht man die Haftung für Schäden aus der Benutzung von Produkten, d.h. für Personen- und Sachschaden, die ein Verbraucher oder sonstige Personen aufgrund der Fehlerhaftigkeit eines Erzeugnisses erleiden. Dabei geht es nicht um den Schaden am Produkt selbst, da es sich hier um den Bereich der Gewährleistung handelt. Wesentliches Merkmal der Produkthaftung nach § 823 BGB ist die Tatsache, daß diese Haftung verschuldensabhängig ist. Dies bedeutet, daß eine Ersatzpflicht des Schädigers nur dann eintritt, wenn er schuldhaft, d.h. vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. Hersteller ist derjenige, der ein Produkt selber herstellt bzw. der Zulieferer hinsichtlich seines zugelieferten Beitrages. Darüber hinaus kann auch der verantwortliche Mitarbeiter persönlich nach den Grundsätzen der Produzentenhaftung haften. Als Produkt ist jede bewegliche Sache anzusehen. Dies können auch Druckwerke, Arbeitsanleitungen oder Gebrauchsanweisungen sein. - Auf die Frage, welche haftungsrechtlichen Konsequenzen es hat, wenn ein Unternehmen lediglich im Rahmen einer Dienstleistung für die Abfassung einer Gebrauchsanleitung verantwortlich ist, wird später näher eingegangen. - Gehaftet wird im einzelnen für Konstruktions-, Fabrikations-, Instruktions- sowie Produktbeobachtungsfehler. Da es sich hier um eine verschuldensabhängige Haftung handelt, haftet der Hersteller nur dann, wenn er schuldhaft gehandelt hat. Insoweit war es in der Vergangenheit Sache des Anspruchstellers, ein Verschulden des schädigenden Produzenten zu beweisen. Aufgrund der Besonderheit, daß der Verbraucher keinen Einblick in den Betrieb und den Herstellungsprozeß eines Unternehmens nehmen kann, ist die Rechtsprechung dazu übergegangen, die Beweislast zu Lasten des Herstellers umzukehren. Dies hat zur Konsequenz, daß nicht der Geschädigte ein Verschulden des Herstellers beweisen muß, sondern dieser sich entlasten muß. Diese Beweislastumkehr ist in den letzten Jahren immer weiter ausgedehnt worden und hat zu einer Verschärfung der Produzentenhaftung geführt. Ein Beispiel für diese Verschärfung ist der sog. "Limonaden-Flaschen-Fall", welchen der Bundesgerichtshof im Jahre 1988 zu entscheiden hatte: Ein Kind hatte durch eine explodierende Limonadenflasche ein Auge verloren. Es konnte nicht geklärt werden, ob ein Produktfehler im Verantwortungsbereich des Herstellers ent-
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standen war oder die Fehlerhaftigkeit erst später eintrat. Der Bundesgerichtshof hat hier dem Hersteller die Beweislast dafür aufgelegt, daß sein Produkt bei Inverkehrbringen nicht fehlerhaft war. Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie selbst die verschuldensabhängige Haftung immer mehr zu Lasten des Herstellers modifiziert wurde. Um seine Haftung auszuschließen, bleibt dem Hersteller heute nur noch die sog. "Ausreißerverteidigung11, d.h., daß er dann nicht haftet, wenn trotz aller zumutbaren Vorkehrungen ein unvermeidbarer Fabrikationsfehler vorlag. Neben die verschuldensabhängige Haftung nach § 823 BGB tritt zukünftig - seit dem 01.01.90 - die Haftung nach dem neuen Produkthaftungsgesetz. Dieses Gesetz geht auf eine EG-Richtlinie zurück, welche alle Mitgliedsstaaten der EG verpflichtet, entsprechende Produkthaftungsgesetze zu erlassen. Umgesetzt ist diese Richtlinie inzwischen bereits in Großbritannien, Italien, Griechenland, Luxemburg, Dänemark, Portugal und den Niederlanden. Ähnliche Gesetze sind auch in einigen Nicht-EG-Staaten geplant und in Norwegen und Österreich bereits erlassen worden. Wesentliches Merkmal dieser neuen Produzentenhaftung ist die Tatsache, daß nunmehr eine verschuldensunabhängige Haftung eingeführt wird. Es kommt daher nicht mehr darauf an, ob den Produzenten an der Fehlerhaftigkeit ein Verschulden trifft. Zudem wird der Kreis der Haftungsadressaten erweitert, der Begriff der Fehlerhaftigkeit ausgedehnt und die Entlastungsmöglichkeiten eingeschränkt. Neben dem Endhersteller und dem Zulieferer haften nun auch der sogenannte "Quasi-Hersteller", d.h. derjenige, der durch Aufbringen seiner Handelsmarke sich als Hersteller ausgibt, sowie der EG-Importeur und der Händler, sofern der letztere den Hersteller nicht binnen einer Frist von vier Wochen benennen kann. Da es auf das Verschulden in Zukunft nicht mehr ankommen wird, ist der Fehlerbegriff des neuen Produkthaftungsgesetzes entscheidend. Hiernach ist ein Produkt dann fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände berechtigterweise erwartet werden kann. Dabei ist auf die Darbietung, den Gebrauch, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, und den Zeitpunkt des Inverkehrbringens abzustellen. Maßgeblich ist die objektive Sicherheit des Erzeugnisses. Welche Erwartungen berechtigt sind, bemißt sich nicht nach den subjektiven Sicherheitserwartungen des einzelnen, sondern nach dem Erwartungshorizont der Allgemeinheit. Entlastungsmöglichkeiten werden durch das Produkthaftungsgesetz begrenzt. So kann sich ein Unternehmen nur entlasten, wenn es das Produkt nicht in den Verkehr gebracht hat (z.B. bei gestohlenen Erzeugnissen), der Produktfehler erst nach Inverkehrbringen entstanden ist oder die Herstellung nicht für den Verkauf oder den Vertrieb erfolgte. Darüber hinaus ist eine Entlastung möglich, wenn der Fehler durch Einhaltung zwingender Rechtsvorschriften entstanden ist oder der Schaden durch ein Verschulden des Geschädigten verursacht wurde. Zulieferer haben zudem die Möglichkeit, sich durch den Nachweis zu entlasten, daß der Fehler auf den Vorgaben des Endherstellers beruhte. Eine weitere Entlastungsmöglichkeit ist der Einwand des Entwicklungsfehlers. Danach ist eine Entlastung möglich, wenn der Stand der Wissenschaft und Technik eingehalten wurde. Dabei ist nicht ein subjektiver, sondern ein objektiver Maßstab zugrundezulegen. D.h. es ist unerheblich, ob der Stand von Wissenschaft und Technik für das einzelne Unternehmen erkennbar war. Für sämtliche Entlastungsmöglichkeiten trägt der Hersteller die Beweislast. Die Ausreißerverteidigung wird in Zukunft entfallen. Unterschiede zur verschuldensabhängigen Haftung bestehen auch hinsichtlich des Haftungsum-
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fanges. So beträgt die Haftungshöchstgrenze nach dem Produkthaftungsgesetz bei Personenschäden DM 160 Mio., bei Sachschäden gibt es keine Haftungshöchstgrenze, jedoch hat der Geschädigte Sachschäden bis zu einer Höhe von DM 1.125,- selbst zu tragen. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß der Haftungsumfang bei der verschuldensabhängigen Haftung unbegrenzt ist. Eine weiterer Unterschied besteht darin, daß nach dem Produkthaftungsgesetz nur Sachschäden an privat genutzten Sachen ersetzt werden, nach der bisherigen Produzentenhaftung aber auch Sachschäden im interindustriellen Bereich. Auch gewährt das Produkthaftungsgesetz keinen Anspruch auf Schmerzensgeld. Ein solcher Anspruch kann nur aufgrund der verschuldensabhängigen Haftung geltend gemacht werden. Beide Rechtsgrundlagen gewähren nur einen Ersatz für Personen- und Sachschäden, nicht jedoch für Vermögensschäden. Die Ansprüche nach dem Produkthaftungsgesetz verjähren ebenso wie der Anspruch nach § 823 BGB innerhalb von drei Jahren nach Kenntnis oder vorwerfbarer Unkenntnis von dem eingetretenen Schaden, dem Fehler und der Person des Ersatzpflichtigen. Ansprüche nach dem Produkthaftungsgesetz erlöschen zehn Jahre nach Inverkehrbringen des Produktes. Die Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz kann gegenüber dem Geschädigten weder durch Vertrag noch durch Allgemeine Geschäftsbedingungen begrenzt oder ausgeschlossen werden. Auch nach dem Inkrafttreten des neuen Produkthaftungsgesetzes wird die bisherige Produzentenhaftung fortgelten, so daß ein Anspruchsteller zukünftig beide Anspruchsgrundlagen nebeneinander anwenden kann. Nach diesem Überblick über die Produzentenhaftung nunmehr einzelne Aspekten im Hinblick auf die Abfassung von Gebrauchsanleitungen: Um als fehlerfrei zu gelten und eine Haftung auszuschließen, muß eine Gebrauchsanleitung im wesentlichen enthalten, wie ein Produkt gefahrlos zu handhaben, zu installieren, zu montieren, einzustellen und instand zu halten ist. Hierbei ist auf den Gebrauch, mit dem billigerweise zu rechnen ist, abzustellen. Der bestimmungsgemäße Gebrauch bemißt sich nach der Eignung des Produktes und dem Erwartungshorizont der Benutzer, wobei sowohl auf die Allgemeinheit als auch auf bestimmte typische Benutzerkreise abzustellen ist. Hier ist beispielsweise an Medikamente oder medizinische Gerätschaften zu denken, welche nur im Klinikbereich von speziell geschulten Benutzern eingesetzt werden. Die Sorgfaltsanforderungen erhöhen sich mit der Gefährlichkeit des Produktes. Zu beachten ist immer, ob Produkte in die Hände von Kindern oder anderen hilflosen Personen geraten können und welche Mißbräuche naheliegend sind. So hat z.B. der Bundesgerichtshof in der Vergangenheit entschieden, daß der Hersteller eines Fußbodenklebemittels nicht damit rechnen muß, daß sich der Sohn des Handwerkers an dem Lösungsmittel berauscht. Heute würde diese Entscheidung meiner Ansicht nach anders aussehen, da mit dem sog. "Sniffing" gerechnet werden muß. Bei neuen Produkten ist insbesondere auf deren Sinn, Gebrauchs- und Verwendungszweck hinzuweisen. Eine Gebrauchsanleitung muß optisch, sprachlich und inhaltlich klar verständlich sein. Auch muß ihre Lesbarkeit gewährleistet sein. Unter Lesbarkeit ist auch zu verstehen, daß der Verbraucher sie entsprechend zur Kenntnis nehmen kann. Eine an sich fehlerfreie Gebrauchsanweisung kann so u. U. fehlerhaft werden. Eine Gebrauchsanleitung, welche z.B. auf einer Tube aufgebracht ist, wird mit zunehmendem Verbrauch infolge Aufrollens immer mehr verschwinden und kann daher nicht mehr zur Kenntnis genommen werden. Wird das Pro-
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dukt auf einen Markt exportiert, auf dem Analphabeten häufig anzutreffen sind, muß zumindest als Ergänzung mit Piktogrammen gearbeitet werden. In jüngster Zeit sind zwei grundlegende Entscheidungen des Bundesgerichtshofes ergangen, die sich mit Gebrauchsanleitungen bzw. Warnhinweisen befassen. Dem sog. "Zinkspray-Fall" lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Arbeiter hatte mit Hilfe eines Verzinkungssprays einen Kessel durch eine Öffnung von innen verzinkt. Um ein schnelleres Trocknen zu erreichen, erwärmte er den Kessel von außen mit einer Lötlampe. Nach kurzer Zeit trat durch diese Öffnung eine Stichflamme aus, die den Arbeiter schwer verletzte. Die Gefahrenhinweise auf der Spraydose entsprachen den entsprechenden Vorschriften, wie sie beispielsweise die Druckgasverordnung von 1968 vorsieht. Der Bundesgerichtshof führte bezüglich der Instruktionspflicht des Herstellers aus, daß die in bestehenden Vorschriften genannten Sorgfaltspflichten kein abschließendes Verhaltensprogramm darstellen, sondern gelegentlich noch ergänzt werden müssen. Der Hersteller muß den Umfang der Produktkennzeichnung somit auch dann selbst beurteilen, wenn in öffentlich-rechtlichen Vorschriften nur die Warnung vor Gefahren bestimmter Produktbestandteile geregelt ist, während andere Produktbestandteile ebenfalls Gefahren hervorrufen können. In der Konsequenz bedeutet dies, daß sich der Hersteller nicht auf Gefahrenhinweise und Kennzeichnungen beschränken darf, die Gesetze und Rechtsvorschriften verlangen. Er muß alle produktspezifischen Gefahrensituationen erkennen und vor diesen warnen. Wie weit solche Pflichten mitunter ausgedehnt werden können, mag ein Fall verdeutlichen, den der Bundesgerichtshof hinsichtlich der Frage der Produktbeobachtungspflicht eines Herstellers zu entscheiden hat. Ein Motorradfahrer versah sein Motorrad nachträglich mit einer aerodynamischen Verkleidung eines anderen Herstellers. Diese aerodynanamische Verkleidung war fehlerhaft, da sie Auftrieb an der Vorderachse erzeugte. Dies hatte zur Folge, daß der Motorradfahrer verunglückte. Der Bundesgerichtshof entschied, daß den Hersteller des Motorrades die Pflicht zur Produktbeobachtung treffe, um rechtzeitig Gefahren aufzudecken, die aus der Kombination seines Produktes mit den Produkten anderer Hersteller entstehen können. Das hat für die technischen Autoren zur Folge, daß auch vor der Kombination mit möglicherweise anderen fehlerhaften Produkten in Gebrauchsanleitungen gewarnt werden muß. In dem sog. "Asthma-Spray-Fall" benutzte ein Patient ein Asthma-Spray bei einem Asthmaanfall und kam durch eine zu hohe Dosierung zu Tode. Der Bundesgerichtshof hat ausgeführt: Es gehört zu den unabdingbaren Aufgaben eines pharmazeutischen Unternehmens, alle notwendigen und geeigneten Informationen über Bedeutung und Eigenschaften von Arzneimitteln in angemessener Form auch an die Verbraucher zu vermitteln, und zwar auch über die Grenzen und die Gefahren ihrer Anwendung und die Risiken, welche bei Fehlanwendungen und Überdosierungen entstehen könnten.
Risiken der Fehlanwendungen hat der Produzent anzugeben, wenn und soweit nicht damit gerechnet werden kann, daß diese Risiken jedem Patienten bekannt sind. Diese Pflicht erstreckt sich auf jeden Fehlgebrauch, mit dem der Produzent rechnen muß. Ein Hersteller muß schon dann eine Warnung aussprechen, wenn aufgrund eines, zwar nicht dringenden, aber ernstzunehmenden Verdachtes zu befürchten ist, das Gesundheitsschäden entstehen. Vor den Gefahren eines exzessiven Gebrauchs muß grundsätzlich nicht gewarnt werden.
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Anders ist es jedoch bei Arzneimitteln, die dazu bestimmt sind, in dramatischen Situationen vom Patienten selbst angewandt zu werden, wie im vorliegenden Fall des Asthma-Sprays. Aus diesen Beispielen mögen Sie erkennen, wie hoch heutzutage die Anforderungen an die Erstellung von Gebrauchsanleitungen und Wamhinweisen sind. Im Einzelfall stellt sich daher die Aufgabe, ein Produkt und dessen gefahrlosen Gebrauch verständlich zu beschreiben, dabei auch die Vorteile des Produktes herauszustellen sowie gleichzeitig vor evtl. Gefahren zu warnen. Diese Aufgabe wird nicht immer leicht zu lösen sein, da Gefahrenhinweise mitunter eine Antiwerbung bewirken und die Verbraucher abschrecken können. In diesem Zusammenhang dürfte selbstverständlich sein, daß eine Gebrauchsanleitung immer in der Landessprache abgefaßt sein muß und auch nur das spezielle Produkt in seiner speziellen Austattung beschrieben werden darf. Darüber hinaus ist es notwendig, Produkte mit begrenzter Haltbarkeit, wie Lebensmittel, Kosmetika und Automobilreifen mit Mindesthaltbarkeitsdaten zu versehen. Was den Umfang der Schadensersatzpflicht anbelangt, so mag folgendes Beispiel aus der jüngsten Zeit verdeutlichen, daß mittlerweile auch in der Bundesrepublik Deutschland die Haftungssummen ansteigen: In der Vergangenheit sind wir davon ausgegangen, daß zur Regulierung eines schweren Personenschadens Größenordnungen von DM l Mio. bis DM 2 Mio. ausreichend waren. Infolgedessen wurden in dieser Höhe entsprechende Haftpflichtversicherungen abgeschlossen. Heute wissen wir aus entsprechenden Fällen, daß Schmerzensgeldzahlungen eine Höhe von DM 500.000,- und mehr erreichen können, monatliche Renten den Betrag von DM 3.000,- übersteigen und häufig Aufwendungsersatz von DM 1.600,- und mehr erforderlich ist. Wir sind daher zu der Erkenntnis gelangt, daß mit einem gewissen Vorsorgespielraum heute eine Deckungssumme von DM 5 Mio. erforderlich ist, um auch nur einen einzigen Personenschaden mit der Haftpflichtpolice auffangen zu können. Diese Größenordnung zeigt, daß bei der Summenproblematik im Haftpflichtbereich umgedacht werden muß. Die bisherigen Ausführungen mögen die Risiken im Rahmen der Produzentenhaftung verdeutlicht haben. Es wird sich die Frage stellen, ob und inwieweit der technische Autor nach den Grundsätzen der Produzentenhaftung haftet, wenn er als Ersteller technischer Dokumentationen und Gebrauchsanleitungen für den Produzenten tätig wird. Hierzu ist folgendes festzustellen: Auch ein Druckwerk ist ein Produkt im Sinne der Produkthaftung. Insbesondere die freiberufliche Erstellung des Produktes "Gebrauchsanleitung" ist eine Produktion. D.h., der Verleger einer Gebrauchsanleitung ist Produzent und unterliegt der Produzentenhaftung. Anders kann die Frage zu beurteilen sein, wenn der Ersteller einer Gebrauchsanleitung im Rahmen einer Dienstleistung gegenüber dem Produzenten tätig wird und diesem nur das Konzept für die Gebrauchsanleitung liefert. In diesem Fall erbringt er eine Dienstleistung und erstellt kein Produkt. Dies hat zur Konsequenz, daß er einem evtl. Geschädigten nicht nach den Grundsätzen der Produzentenhaftung haftet. Daraus darf jedoch nicht der Schluß gezogen werden, daß er gar nicht haftet, die Haftung ist lediglich weniger scharf ausgeprägt. Den bisherigen Ausführungen war zu entnehmen, welche Anforderungen an Produzenten und insbesondere an die Abfassung von Gebrauchsanleitungen gestellt werden. Diese Grundsätze sind daher für die Erstellung von Gebrauchsanleitungen als maßgeblich anzusehen, auch wenn die Erstellung nur im Rahmen einer Dienstleistung erfolgt. Ein Produzent, der nach den Grundsätzen der Produkthaftung von einem Geschädigten in Anspruch genommen wird, wird daher versuchen, den Ersteller der Gebrauchsanleitung in Regreß zu
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nehmen, wenn der Schaden aus der Fehlerhaftigkeit einer Gebrauchsanleitung resultiert. Die Grenzen zwischen einer Dienstleistung und einer Erstellung als Produzent lassen sich im Einzelfall nicht immer klar ziehen. Es bleibt auch zu beachten, daß Freistellungsvereinbarungen zwischen den Erstellern von Gebrauchsanleitungen und den Produzenten nicht gegenüber dem geschädigten Dritten gelten. Ferner sollte berücksichtigt werden, daß eine Eigenhaftung ggf. unter dem Gesichtspunkt der Haftung des verantwortlichen Mitarbeiters auch gegen diesen persönlich möglich ist. Insgesamt läßt sich feststellen, daß der Verbraucherschutz schon im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung zur Produzentenhaftung immer stärker ausgedehnt wurde. Diese Entwicklung wird durch das neue Produkthaftungsgesetz fortgesetzt. Das damit verbundene Risiko wird von den Betroffenen häufig nicht erkannt. Durch eine umfassende Qualitätssicherung sowie durch qualifiziertes Riskmanagement und Risikovorsorge läßt sich das Haftungsrisiko jedoch wirksam begrenzen.
ZUR NÜTZLICHKEIT DES HAMBURGER VERSTANDLICHKEITSMODELLS BEI TECHNISCHEN ANLEITUNGEN Michael U. Krause Obwohl technische Anleitungen - wie z.B. Gebrauchsanweisungen für ein Küchengerät, EDV-Handbücher und Service-Unterlagen für einen Lkw - eine nicht zu unterschätzende praktische Bedeutung besitzen, beginnen Sprachwissenschaft und Psychologie erst in den letzten Jahren, diesen speziellen Teilbereich der Gebrauchstexte als Gegenstand für Forschung und Entwicklung zu entdecken. Systematisch betrachtet gehören technische Anleitungen in den Bereich technischer Dokumentation, dem z.B. auch Produktankündigungen, technische Beschreibungen, Versuchsprotokolle und Ersatzteillisten zuzuordnen sind. Technische Anleitungen unterscheiden sich von anderen Formen technischer Dokumentation dadurch, daß die in ihr verwendeten Bild-Text-Kombinationen direkt oder indirekt menschliches Handeln anleiten, also zielgerichtetes Verhalten vorbereiten, auslösen und steuernd begleiten. Jeder weiß aus eigener und eher leid voller Erfahrung, daß technische Anleitungen diese Aufgabe oft mehr schlecht als recht erfüllen. In der Sprachwissenschaft wie in der Psychologie liegt es daher nahe zu fragen, wovon die Brauchbarkeit einer technischen Anleitung abhängt und mit welchen Mitteln sie sich systematisch verbessern läßt. Ich beschränke mich hier auf die psychologische Seite dieser Frage und befasse mich speziell mit der Verständlichkeit technischer Anleitungen als Vorbedingung für gelungenes rationales und zielgerichtetes Verhalten auf Seiten des Lesers einer solchen Anleitung. Dabei erweitere ich den Begriff der Verständlichkeit um eine Facette und weise ihm einen neuen Stellenwert zu im Rahmen der Beurteilung der Nützlichkeit von Gebrauchstexten.
1. Verständlichkeitsforschung und ihr Stellenwert beim Technischen Redakteur Als Technischen Redakteur bezeichne ich im folgenden jede Person, die sich hauptberuflich der Entwicklung und Erstellung technischer Dokumentation widmet, zu der ja auch technische Anleitungen gehören. Leider gibt es in der Bundesrepublik noch keine eigene Ausbildung für Technische Redakteure. Aber in den existierenden Aus- und Weiterbildungskonzepten gilt das Thema Verständlichkeit als ein wichtiger Baustein. Auch in der keineswegs üppigen Fachliteratur für Technische Redakteure ist Verständlichkeit ein zentraler, wenn auch oft verschwommener Begriff. Wo sind die wissenschaftlichen Wurzeln dieses Begriffs? Aus psychologischer Sicht lassen sich im deutschen Sprachraum grob zwei Ansätze der Verständlichkeitsforschung nachweisen, die unabhängig voneinander Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre entstanden: der theoretisch-deduktive von Groeben (1982) und der empi-
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risch-induktive von Langer/Schulz von Thun/Tausch (1974/1990); letzteren bezeichne ich hier als Hamburger Verständlichkeitsmodell oder kurz als Hamburger Modell. Beide Ansätze unterscheiden sich diametral im wissenschaftlichen Vorgehen und gelangen unter den gegebenen Voraussetzungen zu verblüffend ähnlichen Ergebnissen. Der theoretisch-deduktive Ansatz interessiert sich vor allem für die theoretische Durchdringung des psychischen Prozesses des Verstehens, um daraus Empfehlungen zur Erzeugung verständlicher Texte abzuleiten. Zu den dort befragten theoretischen Ansätzen, die bei weitem noch keine geschlossene Theorie des Verstehens abgeben, zählen u.a.. - transformationsgrammatische Ansätze der Psycholinguistik, - informationstheoretische Modelle zur semantischen Dichte, - Merkmale der Subsumtionstheorie des Lernens nach Ausubel sowie -Komponenten der Neugiertheorie von Berlyne (vgl. Ballstaedt et al. 1981: 216, Groeben 1982). Beim empirisch-induktiven Ansatz steht der subjektive Eindruck von Verständlichkeit im Vordergrund und seine meßtechnische Erfassung. Dieser Ansatz geht typischerweise auf Fragen ein wie: - Welches sind die wichtigsten Textmerkmale, die den subjektiven Eindruck von Verständlichkeit beeinflussen? - Wie kann man die (stets relative) Verständlichkeit eines Textes treffsicher bestimmen und möglichst gezielt verbessern? Um später auf die Frage einzugehen zu können, wie brauchbar das Hamburger Modell für den Technischen Redakteur tatsächlich ist und welche Verbesserungen wünschenswert wären, ist es zweckmäßig, sich die Grundzüge dieses Modells zu vergegenwärtigen.
2. Eine Skizze des Hamburger Verständlichkeitsmodells In ihrem Buch "Sich verständlich ausdrücken" präsentieren Langer/Schulz von Thun/Tausch (1974/1981/1987/1990) vier komplexe und umfassende Merkmale, die den subjektiven Eindruck der Verständlichkeit von Gebrauchstexten beeinflussen. Diese Merkmale nennt man gerne "Faktoren", da man sie mit Hilfe des Rechenverfahrens "Faktorenanalyse" aus einer Fülle empirisch gewonnener Daten "herausdestilliert". Die Forscher benannten ihre Faktoren: * Sprachliche Einfachheit * Gliederung - Ordnung * Kürze - Prägnanz * Anregende Zusätze Wie verwendet ein Experte die vier Verständlichkeitsfaktoren in der Praxis? Der Experte liest einen zu verbessernden Text durch und schätzt unmittelbar danach den Ausprägungsgrad jedes der vier Faktoren auf einer 5-stufigen Skala ein; auf der Grundlage der Schätzungen optimiert er anschließend den fraglichen Text. Wie wird man ein solcher Experte? Indem man besonders den ersten Teil des genannten Buches, den Trainingsteil, gründlich durcharbeitet nach dem Motto "Learning by doing".
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Mit dem zweiten Teil des Buches kann der Leser sein Training vertiefen. Der dritte Abschnitt bietet einen Exkurs über schulisches Lernen mit Hilfe verständlicher Texte; er ist in unserem Kontext von vergleichsweise geringer Bedeutung. Für den vorliegenden Beitrag ist der vierte und letzte Teil der interessanteste. Hier bieten die Autoren eine ungewöhnlich verständliche Darstellung der wissenschaftlichen Grundlagen, die zur Entdeckung und Überprüfung der Brauchbarkeit der Verständlichkeitsmerkmale führten. In mindestens 11 Untersuchungen wurden über 200 Texte zu mehr als 30 Themen an ca. 4.500 Lesern überprüft. Um meiner Argumentation folgen zu können, ist es zweckmäßig, vier stark vereinfachte Grundgedanken der Untersuchungen zu kennen (Langer/Schulz von Thun/Tausch 1990: 133-159/160-162; genauere Angaben zu den wissenschaftlichen Grundlagen finden sich in der 1. Auflage von 1974): 1. Schätzliste: Die Autoren stellen eine möglichst umfassende Liste von solchen Eigenschaftspaaren zusammen, die sich dazu eignen, verschiedene Aspekte von Verständlichkeit eines Textes in abgestufter Form zu beurteilen. 2. Expertenurteile: Experten beurteilen die Verständlichkeit eines konkreten, eben gelesenen Textes, durch Schätzung des Ausprägungsgrades jedes in der Schätzliste genannten Merkmalspaares. 3. Faktorenanalyse: Die auf die Schätzurteile angewandte Faktorenanalyse "destilliert" aus den zahlreichen Aussagen jene heraus, die die Einzelurteile am trefflichsten wiedergeben. 4. Validierung: In weiteren Untersuchungen erbringen die Autoren den Nachweis, daß die mit Hilfe verschiedener Textsorten und unterschiedlichen Beurteilern wiedergeholt gefundenen gleichen vier Faktoren geeignet sind, die tatsächliche Verständlichkeit korrekt abzuschätzen. Meine Erfahrungen in einschlägigen Workshops legen den Verdacht nahe, daß die Mehrheit Technischer Redakteure im deutschen Sprachraum weder das theoretisch-deduktive noch das empirisch-induktive Modell der Verständlichkeit kennt, geschweige denn bereit zu sein, es als geistiges Werkzeug zu nutzen. Das Hamburger Modell scheint dabei wohl etwas bekannter zu sein als das von Groeben (1982), obwohl es gerade im Hinblick auf die differenzierte Darstellung verschiedener Möglichkeiten der Textoptimierung und ihrer Begründung weit ausführlicher ist. Die Neigung, im Zweifelsfall dem Hamburger Modell den Vorzug zu geben, erkläre ich mir durch dessen weitaus verständlichere Präsentation. Stimmt diese Erklärung, sollte dieser Gedanke auch Folgen zeigen bei zukünftigen Publikationen zur Textverständlichkeit.
3. Der Anspruch des Hamburger Modells und sein tatsächlicher Nutzen im Bereich technischer Anleitungen Bei der abschließenden Beurteilung ihres Modells nennen die Autoren des Hamburger Modells sieben Vorzüge. Sie behaupten, es sei
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(1) Überall anwendbar (2) Umfassend (3) Meßbar (4) Handlich (5) Erlaubt genaue Diagnose (6) Wissenschaftlich geprüft (7) Leicht lehrbar (Langer/Schulz von Thun/Tausch 1981: 163-164)
Im folgenden analysiere und diskutiere ich nur die ersten zwei Vorzüge unter dem Blickwinkel ihrer Übertragbarkeit bzw. ihrer Anwendbarkeit auf technische Anleitungen. Damit will ich Denkanstöße geben zur wissenschaftlichen Weiterentwicklung und praktischen Anwendung von Verständlichkeitsmodellen, die die generelle Brauchbarkeit technischer Anleitungen fördern. 3.1. Ist das Modell wirklich überall anwendbar? "Unser Verständlichkeitskonzept gilt für Texte und Leser aller Art. Es ist vom Inhalt und vom Bildungsgrad der Leser weitgehend unabhängig." (Langer/Schulz von Thun/Tausch 1990: 163)
Ich diskutiere zunächst den Anspruch auf inhaltliche Unabhängigkeit, um dann auf die behauptete weitgehende Unabhängigkeit von Zielgruppen einzugehen. Salopp ausgedrückt kann man mit der Faktorenanalyse nur etwas "herausdestillieren", was in den Ausgangsdaten bereits enthalten ist. Wenn die Autoren in verschiedenen Untersuchungen und mit verschiedenen Experten stets die gleiche Liste für Schätzurteile verwenden, können keine Merkmale jenseits dieser Liste als Faktoren auftauchen. Ist die Schätzliste von Anfang an dazu gedacht, nur solche Faktoren zu ermitteln, die unabhängig von bestimmten Textsorten sind, dann belegt der wiederholte Nachweis der gleichen Faktoren in unabhängigen Untersuchungen nur, daß diese Absicht gelungen ist. Die Ergebnisse besagen jedoch nichts über die mögliche Existenz von Verständlichkeitsfaktoren, die spezifisch für bestimmte Textsorten sind. Bei technischen Anleitungen könnte z.B. die jeweils mehr oder minder gelungene Bild-Text-Integration ein solch spezifischer Faktor sein. Meines Erachtens lohnt es sich, der Frage der Existenz textsortenspezifischer Verständlichkeitsfaktoren mit wissenschaftlichen Mitteln nachzugehen. Nun kurz zur Frage der vorgeblichen Unabhängigkeit von den Zielgruppen. Hier stimme ich Groeben zu (1982: 197f.), der sinngemäß vor Fehlurteilen warnt, die entstehen können, wenn Experten nicht zur Zielgruppe des fraglichen Textes gehören. Gerade bei der Entwicklung technischer Anleitungen kommt es viel zu selten vor, daß der Technische Redakteur rechtzeitig Rückmeldungen der Zielgruppe erhält, bevor die Anleitung in die Produktion geht. 3.2. Wie umfassend ist das Hamburger Modell? "Die vier Merkmale [der Textverständlichkeit] umfassen alle wesentlichen Gesichtspunkte der Verständlichkeit." (Langer/Schulz von Thun/Tausch 1990: 163)
Daß die obige Behauptung anfechtbar ist, belegte ich bereits im vorigen Abschnitt. Hinter dem Zitat steckt aber eine stillschweigende und für die gesamte Verständlichkeitsforschung
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typische Annahme: Der Nachweis der Verständlichkeit genügt als Nachweis der Nützlichkeit des fraglichen Gebrauchstextes. Diese Annahme mag gerechtfertigt erscheinen bezogen auf allgemeine Informations- und Lehrtexte, nicht aber bei technischen Anleitungen. Hier ist Nützlichkeit erst dann gegeben, wenn der Text den Leser zu korrektem zielgerichteten Verhalten am fraglichen technischen Produkt befähigt; diese Forderung an die Nützlichkeit eines Textes nenne ich Brauchbarkeit. Mein Verständnis von Nützlichkeit erweitert die bisher bestehende Taxonomie der auf Verständlichkeit ausgerichteten Qualitätskriterien von Gebrauchstexten um eine vierte Stufe: - Brauchbarkeit (psychomotorische Ebene) - Verständlichkeit (kognitive Ebene) und - Lesbarkeit (syntaktische Ebene), - Leserlichkeit (typographische Ebene), Wie bei anderen Taxonomien auch, bestehen hierarchische Beziehungen zwischen den vier Ebenen. Ich mache sie am Begriffspaar Brauchbarkeit und Verständlichkeit deutlich. Mit sinkender Verständlichkeit sinkt die Brauchbarkeit; steigende Verständlichkeit ermöglicht Brauchbarkeit, vermag sie aber nicht zu garantieren. Verständlichkeit ist hier nur e i n e , wenn auch notwendige Bedingung zur Erreichung des übergeordneten Ziels "produkt- und situationsbezogene Handlungskompetenz". Weitere zu beachtende Merkmale, die bei technischen Anleitungen zur Erreichung der stets zielgruppenspezifisehen Handlungskompetenz erforderlich sind, betreffen u.a. die inhaltliche Vollständigkeit, sachliche Richtigkeit und logische wie materielle Widerspruchsfreiheit der technischen Informationen. Aus dieser Auffassung folgt: Zur Optimierung technischer Anleitungen sind nur solche Verständlichkeitsmodelle nützlich, die auf die Brauchbarkeit der Anleitungen zielen. In Ermangelung solcher Modelle ist es im Zweifelsfall sicherer, die Handlungswirksamkeit einer technischen Anleitung mit Vertretern der Zielgruppe am Gerät zu testen, als sich mit Aussagen über die vermutete Verständlichkeit zu begnügen.
4. Diskussion Technische Redakteure erfüllen in einer Industrie eine wichtige Aufgabe. Sie dienen als Mittler zwischen Hersteller und Käufer, zwischen Produkt und seinem Anwender. Vom Gelingen ihrer Tätigkeit hängt nicht nur die Unversehrtheit des Anwenders und seiner sozialen und materiellen Umwelt einschließlich des fraglichen technischen Produkts ab, sondern indirekt sind sie mitverantwortlich für die Effizienz unserer technologisch orientierten Volkswirtschaft. Für den Technischen Redakteur leite ich daraus zwei Folgerungen ab: (a) gute Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten; (b) nützliche geistige Werkzeuge, die den Entwicklungsprozeß technischer Dokumentation unterstützen. Auf der einen Seite gibt es wissenschaftlich entwickelte Modelle, die der Technischen Redakteur zum Optimieren der Verständlichkeit technischer Anleitungen verwenden könnte.
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Auf der anderen Seite stoßen diese Modelle beim Technischen Redakteur bisher auf wenig Gegenliebe: sie sind ihm zu theoretisch (Groeben) und zu allgemein (Langer/Schulz von Thun/Tausch) und vernachlässigen eine für technische Anleitungen ganz wesentliche Komponente: den Handlungsbezug. Da Technischen Redakteuren abzuraten ist, ohne gesichertes Verständlichkeitskonzept zu arbeiten, sollten sich Sprachwissenschaftler wie Psychologen gemeinsam bemühen, die aufgabenspezifische Funktionalität sowie die zielgruppenspezifische Attraktivität der Hilfsmodelle zu erhöhen. Für die funktionale Verbesserung fraglicher Konzepte durch Forschung sehe ich mehrere Ansätze: 1. Bewußter Verzicht auf die angeblich textsortenunabhängige Anwendbarkeit von Modellen zugunsten der Erforschung textsortenspezifischer Verständlichkeitsfaktoren, soweit dies wissenschaftlich und pragmatisch gerechtfertigt erscheint (Stichwort: BildText-Integration bei technischen Anleitungen, s.o.). 2. Erweiterung der in der Verständlichkeit gipfelnden Taxonomie von Qualitätsmerkmalen von Texten durch den noch auszuarbeitenden Begriff der Brauchbarkeit. 3. Einbettung des erweiterten Verständlichkeitsmodells in ein textsortenspezifisches und zielgruppenabhängiges Paradigma der Nützlichkeit, das durchaus noch weitere Qualitätsmerkmale von Texten berücksichtigt wie z.B. inhaltliche und zielgruppenspezifische Vollständigkeit, logische und materielle Widerspruchsfreiheit, sachliche Richtigkeit. Für die Wissenschaftler dürfte es sich lohnen, die dann gewonnenen Erkenntnisse in eine Form zu bringen, die die Zielgruppe der Technischen Redakteure anspricht. Denn erst mit deren Akzeptanz gegenüber wissenschaftlichen Ergebnissen werden Wissenschaftler technische Anleitungen erhalten, die sie gerne lesen, rasch verstehen und die sich auch in erfolgreiche Handlung umsetzen lassen.
Literatur Ballstaedt, Steffen-P. et al. (1981): Texte verstehen, Texte gestalten.- München: Urban & Schwarzenberg. Groeben, Norbert (1982): Leserpsychologie: Textverständnis - Textverständlichkeit. - Münster: Aschendorff. Langer, Inghard/Schulz von Thun, Friedemann/Tausch, Reinhard (1974): Verständlichkeit in Schule, Verwaltung, Politik und Wissenschaft - mit einem Selbsttrainingsprogramm zur Darstellung von Lehr- und Informationstexten. - München: Reinhardt. - (1981): Sich verständlich ausdrucken.- München: Reinhardt, 2.A. (überarb.). - (1990): Sich verständlich ausdrücken. - München: Reinhardt, 4. A. (überarb.).
ONLINE-DOKUMENTATION Sprachliche Bedingungen eines neuen Dokumentationsmediums Walter Dick
1. Einleitung Für viele von uns ist es selbstverständlich geworden, bei der Verarbeitung von Informationen zu Texten und bei der Verarbeitung von Texten zu Dokumenten, den Computer als Hilfsmittel zu benutzen. Am Ende dieses Prozesses steht jedoch nach wie vor fast ausschließlich ein Printmedium, sei es der Brief, der nach Abschluß der Bearbeitung ausgedruckt wird, oder das Buch, das in einer Druckerei mit Hilfe der Druckvorlage produziert wird, die auf dem Computer editiert wurde. Mit anderen Worten: Wir haben uns daran gewöhnt, am Computerbildschirm zu schreiben - beim Lesen erwarten wir bedrucktes Papier. Dies gilt auch für die technische Dokumentation, die Computerhersteller als immer umfangreichere Bestandteile ihrer Produkte vertreiben. Der Begriff Online-Dokumentation bezeichnet in diesem Zusammenhang ein System von Methoden und Software- und Hardwarekomponeten eines Computers, die es ermöglichen, den Bildschirmarbeitsplatz eines Computers als Ausgabemedium für Dokumentation zu verwenden. Die Hersteller versprechen sich vom Einsatz des neuen Mediums eine Verringerung des Aufwandes, der zur Zeit noch für die Produktion, die Lagerung und die Verteilung gedruckter Dokumentation erforderlich ist. In diesem Beitrag soll das Augenmerk auf die medienspezifischen Anforderungen an die sprachliche Gestaltung technischer Dokumentationstexte für Online-Dokumentation gerichtet werden. Zum besseren Verständnis werden zunächst Informationen über die Motive für die Entwicklung von Online-Dokumentation, über erste Ansätze und über die technischen Komponenten moderner Online-Dokumentationssysteme gegeben. Anschließend werden die sprachlichen Bedingungen des neuen Mediums diskutiert.
2. Hintergrund 2.1. Motive für die Entwicklung von Online-Dokumentation Die Entwicklung von immer mehr und immer leistungsfähigeren Computern erfordert ihrerseits immer mehr Menschen, die in der Lage sind, diese Systeme zu programmieren, zu administrieren oder für bestimmte Aufgaben, z.B. für die Textverarbeitung zu benutzen.
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Sie sind dabei in unterschiedlichem Maße auf Informationen über die Funktionsweise des Computers bzw. der auf ihm installierten Programme angewiesen. Die Menge dieser Informationen, die Gegenstand der Dokumentation sind, ist immens und wächst ständig. Allein die Systemliteratur für die bei Siemens Nixdorf (Standort Paderborn) produzierten UNIX-Systeme, umfaßt heute mehr als 30.000 Handbuchseiten. Dabei sind die Beschreibungen von Anwendungsprogrammen und die Nachschlagewerke für die Kundendiensttechniker noch nicht berücksichtigt. Online-Dokumentation soll einen möglichst großen Teil dieser Informationen am Bildschirmarbeitsplatz verfügbar machen. Dadurch soll für den Benutzer die Suche nach Informationen erleichtert und für den Hersteller der Aufwand für Produktion, Lagerung und Distribution gedruckter Dokumentation verringert oder zumindest in Grenzen gehalten werden. Eine mögliche gemeinsame Auslieferung von Programmen und dazugehöriger Dokumentation erleichtert es dem Hersteller, der Forderung nach Aktualität der Dokumentation gerecht zu werden. 2.2. Vorläufer: Das man-Kommando Solche Überlegungen haben in den 70er Jahren auch zur Entwicklung des UNIX-Kommandos man geführt. Mit diesem Kommando können die Beschreibungen der Benutzerkommandos, der Bibliotheksfunktionen, Systemaufrufe und anderer Komponenten des Betriebssystems UNIX aufgerufen und am Bildschirm ausgegeben werden. Die Bedienung des /wö«-Kommandos ist simpel: Um sich z.B. die Beschreibung des Kommandos find anzeigen zu lassen, braucht der Benutzer nur die Zeichenfolge man find über die Tastatur einzugeben. Mit geringem zusätzlichen Eingabeaufwand läßt sich die Ausgabe der man-page in eine Funktion umleiten, die es ermöglicht, im angezeigten Text zu blättern und nach bestimmten Zeichenketten zu suchen. Alle man-pages sind in gleicher Weise in Abschnitte wie Syntax, Beschreibung, Dateien u.s.w. untergliedert. Dadurch wird eine leichte Orientierung im angezeigten Text ermöglicht. Die man-pages sind im übrigen in Inhalt und Aufbau identisch mit den Reference Manuals, die gedruckt vorliegen. Der Benutzer kann also schnell zwischen den Medien wechseln. Neben den genannten Vorteilen der einfachen Bedienbarkeit und der einheitlichen und übersichtlichen Strukturierung hat das Kommando man jedoch auch einige (entscheidende) Nachteile. - Der Zugriff auf die gespeicherten Informationen erfolgt ausschließlich über die Namen der Manualeinträge. Der Benutzer benötigt also Vorinformationen - Die man-pages werden im ASCII-Zeichensatz ausgegeben. Informationen, die im Buch über typographische Mittel transportiert werden (Kursiv-, Fett-; dicktengleiche Schrift, unterschiedliche Schriftarten und Größen) gehen verloren. Mathematische Formeln können nur in umschriebener Form, grafische Darstellungen gar nicht dargestellt werden. Aus diesen Gründen wir das /nan-Kommando in der Regel nur als Notbehelf genutzt - falls die gedruckte Dokumentation nicht zur Hand ist.
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Die über man abrufbaren Manualeinträge beanspruchen erheblichen Speicherplatz. Aus Kostengründen wurden daher auf Kundensystemen die entsprechenden Dateien oft gelöscht, um externen Speicherplatz für Anwendungsprogramme und "Nutzdaten" zu sparen. 2.3. Die technische Ausstattung moderner Online-Dokumentation Inzwischen stehen wesentlich leistungsfähigere und kostengünstigere technische Komponenten für die Realisierung von Online-Dokumentation zur Verfügung. - Auf einer einzigen CD-ROM kann die gesamte oben erwähnte Systemliteratur gespeichert werden. Diese "Schwester der Audio-CD" hat ein Speichervolumen von 660 Megabyte. - Grafikfähige Computerarbeitsplätze wie Personalcomputer oder X-Terminals ermöglichen eine dem Druck vergleichbare Präsentation von Texten und Abbildungen. - Leistungsfähige CPUs erlauben die Implementation aufwendiger Retrievalsysteme, die vielfältige Zugriffswege auf die gespeicherten Informationen bereitstellen.
3. Sprachliche Bedingungen von Online-Dokumentation Bei den ersten Realisierungen von Online-Manuals wurde dieses Medium vorwiegend als alternatives Speicher- und Ausgabemedium betrachtet. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit solchen Systemen und auf der Basis erweiterter technischer Möglichkeiten rücken Aspekte der Akzeptanz und der Effektivität für den Benutzer in den Vordergrund. Für ihn ist Online-Dokumentation also nicht so sehr Ausgabemedium als vielmehr ein Werkzeug für die schnellere Aneignung von Informationen. Daraus resultieren Anforderungen an die sprachliche Gestaltung der Texte, die bisher von den technischen Problemen (Speicherung, Zugriff) verdeckt wurden. Diese Anforderungen sollen hier unter folgenden Gesichtspunkten beleuchtet werden: - Konsistenz, - Transparenz, - Logische Auszeichnung. 3.1. Konsistenz Online-Dokumentation bietet dem Benutzer einen direkten Zugriff auf eine große Menge von Informationen, die als Print-Medien auf viele verschiedene einzelne Dokumente verteilt wäre. Ist der Benutzer eines gedruckten Handbuches noch bereit, dem Autor einen eigenen Stil zuzugestehen, so erwartet er bei Online-Dokumentation eine konsistente, eindeutige Terminologie und eine einheitliche Strukturierung über viele Dokumente. Ebenso unmittelbar, wie der Computer nach der Eingabe eines Suchbegriffes eine Information präsentiert, soll auch der Inhalt des angezeigten Textes verstanden werden können.
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3.2. Transparenz Der Computerbildschirm bzw. das Bildschirmfenster der Online-Dokumentation gewährt dem Benutzer einen eingeschränkten Blick auf einen kleinen ausschnitt aus der gesamten gespeicherten Informationsmenge. Der für das Verständnis der jeweils angezeigten Information erforderliche Kontext muß bei einer Online-Dokumentation explizit verfügbar sein. D.h. ein Online-Dokumentationssystem muß dem Benutzer Funktionen zur Verfügung stellen, mit denen er jederzeit Informationen über die Gliederung des aktuellen Dokuments abrufen kann. Voraussetzung hierfür ist, daß die Kontextbezüge von Einzelinformationen bei der Erstellung von Online-Dokumentation explizit berücksichtigt und aufgeführt werden. Anders als in einem gedruckten Dokument stellt sich bei Online-Dokumentation ein Kontext nicht spontan her - beim sequentiellen Lesen -, er muß über eine Funktion verfügbar gemacht werden. 3.3. Logische Auszeichnung Bei der Erstellung von Texten für Online-Dokumentation ist zu berücksichtigen, das Texte für einen Computer unstrukturierte Zeichenketten sind. Soll Online-Dokumentation einen strukturierten, problemorientierten Zugriff auf einzelne Informationen ermöglichen, so müssen vorher die inhaltlichen Strukturen der Texte expliziert und dem Computer bekannt gemacht werden. Zusammenfassungen, Beispiele, Definitionen, Handlungsanweisungen, Verweise, Bezüge etc. müssen als solche ausgezeichnet werden. Die Entwicklung eines standardisierten Dokumentenaustauschformates und einer entsprechenden Auszeichnungssprache, wie sie mit der ISO-Norm SGML (Standard Generalized Markup Language) entwickelt wurde, bietet hierfür einen praktikablen Ansatz. Bei der Aufgabe, inhaltlich vermittelte Dokumenttyp-Definitionen zu entwickeln, sollten Sprachwissenschaftler mit Computerfachleuten zusammenarbeiten.
Literatur Brockmann, R. John (1990): Writing better Computer User Documentation. From Paper to Hypertext. - New York etc.: Wiley and Sons. Walter Rupietta (1987): Benutzerdokumentation für Softwareprodukte. - Mannheim etc.: Bibliographisches Institut.
SPRACHE ALS STRATEGISCHES INSTRUMENT VON UNTERNEHMENSETHIK Klaus Leister
1. Vorbemerkungen 1.1. Unternehmen unter Beschüß Fragwürdigkeit technischer Innovation - Mißmanagement im Unternehmen und daraus folgende Unternehmenszusammenbrüche - Einstellungs- und Verhaltensänderungen von Konsumenten gegenüber dem Markt - fragwürdige oder für den Außenstehenden nicht nachvollziehbare Unternehmenskonzentrationen - Wertewandel: Das sind nur einige der Probleme, mit denen Unternehmen sich heute auseinandersetzen müssen. Sie sind oder sehen sich veranlaßt - in immer verstärkterem Maße - Rechenschaft gegenüber einer kritischen Öffentlichkeit und vor den eigenen Mitarbeitern über unternehmenspolitische, produktpolitische und marktpolitische Entscheidungen abzulegen. Vergegenwärtigen wir uns, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, einige Gründe, die dazu geführt haben: - Unternehmen werden - wie dies bis in die siebziger Jahre allgemein der Fall war nicht mehr verstanden als von Gesellschaft und Politik isolierte Bereiche, sondern sie werden aufgefaßt als Teile von beiden. - Die Sensibilisierung von Mensch und Gesellschaft für die Erhaltung einer gesunden und heilen Umwelt und Natur gegenüber der nachfolgenden Generation als eines erhaltens- und pflegewerten Gutes und nicht mehr als Objekte industriellem und wirtschaftlichem Ausbeutungsverhaltens. - Die Einstellungsveränderungen zu Arbeit und Beruf unter dem Schlagwort des sog. Wertewandels und der postmateriellen Werte. - Die Einsicht auf Seiten der Unternehmer, daß Mitarbeiter - das sog. Human Capital wichtiger sind als das Real Capital, mit der Folge, daß dadurch Zusammenhänge mit anderen Kontexten hergestellt werden. - Die Einführung neuer Führungsstile weg vom Hard Management hin zum Soft Management. - Die langsam sich durchsetzende Ansicht, daß wirtschaftlicher Fortschritt und wirtschaftliches Wachstum nicht automatisch gleichbedeutend ist mit humanem Fortschritt. - Die Tatsache, daß unternehmerisches Handeln als Umsetzung von wissenschaftlicher Erkenntnis mit dem Phänomen konfrontiert wird, daß deren Umsetzung teilweise oder ganz zur Disposition gestellt wird (z.B. Atomenergie, Autoindustrie etc.). Alles Gründe, die Unternehmen dazu zwingen, über das eigene Verhalten mit nachzudenken. Die Wiederentdeckung von "Unternehmensethik" stellt somit keine Modeerscheinung dar, sondern signalisiert vielmehr ein grundlegendes Problem für unternehmerisches Han-
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dein, das spätestens in den siebziger Jahren unter dem Titel "Prinzip Verantwortung" zu diskutieren begonnen wurde. 1.2. Zweckrationalität gegen Wertrationalität Wird Verantwortung allgemein zum Thema, dann wird das jeder Verantwortung zugrundeliegende Handeln zum Thema und damit eben auch der spezielle Fall unternehmerischen Handelns. Das Problem für Unternehmer und Manager besteht nun aber darin, daß deren Handeln durchgängig zweckrational ist und damit in Konflikt gerät mit wertrationalem Handeln. Als zweckrational bezeichnet man dasjenige Handeln, demzufolge für gesetzte Zwecke (z.B. Optimierung der Rentabilität; Absicherung der eigenen Marktposition; Rationalisierung des Personalbestandes etc.), die jeweils diesen Zwecken adäquate Mittel einzusetzen sind. Liegt der gesetzte Zweck z.B. darin, eine Steigerung der Ertragsrate herbeizuführen, und zwar zu einem bestimmten festgesetzten Zeitpunkt mit einer bestimmten festgesetzten Menge an Maschinen und Personalkapazität, dann dürfen eben nur solche Mittel - und nur diese - eingesetzt/angewendet werden, die diesem Zweck dienen. Hier also z.B. Rationalisierungsmaßnahmen in Bezug auf Maschinen und Personalkapazität, möglichst niedrige Einkaufspreise für Rohprodukte, Finanzierungen mit möglichst niedrigen Zinsraten etc.. Da nun jeder gesetzte Zweck eindeutig formuliert und definiert werden kann und dementsprechend nur bestimmte Mittel für die Erreichung dieses Zweckes in Frage kommen, müssen alle den definierten Zusammenhang von Zwecken und Mitteln störenden Faktoren ausgeschaltet bzw. ausgeblendet werden, da andernfalls nicht nur der gesetzte Zweck nicht erreicht werden kann, sondern vor allem die Mittelwahl selbst verunklart wird. Die gesetzten Zwecke stehen nicht zur Disposition, d.h., sie werden keiner über die Zwecksetzung hinausgehenden Begründung unterworfen. Sie sind gleichsam "wertblind". Weil das so ist, steht alle Zweckrationalität in einem starken Spannungsverhältnis zur Wertrationalität des Handelns. Als wertrational bezeichnet man dasjenige Handeln, demzufolge Werte und die sich daraus ergebenden ethischen Normen (z.B. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Solidarität, Liebe, Nachsicht, Verständnis, etc.) die Letztbegründung für ein solches Handeln bilden. Die Frage, welche Folgen aus einem eindeutig sich an Werten orientiertem Handeln ergeben, bezieht sich dabei nicht auf die Richtigkeit und Eindeutigkeit der Definition der Werte, wie dies bei Zwecken der Fall ist, sondern sie bezieht sich auf die Übereinstimmung von Werthaltung und konkretem Tun. Ein Unternehmer/Manager, der nur wertrational handelt, würde in kurzer Zeit in die Gefahr kommen, Konkurs anmelden zu müssen. Und hier liegt das Problem von Unternehmensethik heute: Daß nämlich nicht nur zweckrational, sondern eben auch wertrational Unternehmensentscheidungen gerechtfertigt werden sollen. 1.3. Handeln und Sprache Geht man davon aus, daß menschliche Sprache Handeln, ob zweck- oder wertrational orientiert ist gleichgültig, konstituiert und umgekehrt, dann wäre Sprache dasjenige Medium, in dem geklärt werden kann, ob zweck- oder wertrational zu entscheiden ist. Wenn dies so ist, dann aber bedeutet das, daß der Anwender, in unserem Falle der Unternehmer oder der
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Manager, die Kenntnis sprachlicher Strukturen einüben muß, wenn er unternehmerische Probleme, die von ethischer Relevanz sind, so lösen kann. Handeln wird also manifest in Sprache - was übrigens auch für das Erkennen gilt, uns hier aber nicht beschäftigt - genauer in Sätzen und dies wiederum in einer bestimmten Klasse von Sätzen, nämlich von präskriptiven Sätzen. Präskriptive Sätze sind solche, in denen ausgesprochen wird, was zu tun ist oder was getan werden soll. Soweit, so gut. Das Problem ist nur, daß Sätze allgemein selbst einen Ausgangspunkte haben und damit auch die bestimmte Klasse von Sätzen, die präskriptive Sätze genannt werden. Denn um einen Satz auszusagen, muß ja irgendetwas geschehen sein, damit dieser bestimmte Satz gesagt wird. Das nun, was einem Satz vorausgeht - ist immer eine Frage. Und erst die Klärung der sprachlichen Struktur von Fragen hilft dann, präskriptive Sätze als Handlungsanweisungen zu formulieren.
2. Die sprachliche Struktur praktischer Fragen Ich möchte Ihnen nun zeigen, wie ich vorgehe, wenn ich von Unternehmen aufgefordert werde, dabei zu helfen, ein unternehmensethisches Problem nicht nur zu lösen, sondern vor allem erst einmal zu artikulieren. Dazu aber noch eine kurze Zuvorbemerkung über das, was ich in einer solchen Beratungssituation nicht mache. Ich stelle in solch einer Situation keine Überlegungen und Vermittlungen darüber an, was Ethik sei, wie man Ethik zu begründen habe. Das sind Fragen und Problemstellungen, die an anderen Orten zu klären sind. Berufsmäßig etablierte Professoren der Philosophie finden hier ein reiches Aufgabenfeld. Ich nutze das, was Philosophen herausgefunden haben, um es für den Unternehmer/Manager anwendbar zu machen. Wie ich dabei vorgehe, möchte ich Ihnen nun zeigen. Um dies weniger akademisch zu erläutern, beginne ich mit zwei Sätzen, einem Frage- und einem Antwortsatz. "Was tun", sprach Zeus, "die Götter sind betrunken".
Hätte Zeus etwas von Sprache und deren Strukturen verstanden, dann hätte er gemerkt, daß die Antwort, die er sich selbst gibt, falsch ist. Oder aber, so müssen wir annehmen - wenn er etwas von Sprache verstand - daß er selbst betrunken war. Denn auf die Frage "was tun", also der Minimalform der praktischen Frage, kann nicht mit einer Zustandsbeschreibung "sind betrunken" geantwortet werden. Die Frage "was tun" erheischt als Antwort eben ein Tun, sonst müßte sie anders gestellt sein. Versuchen wir also einmal, Zeus auf die Sprünge zu helfen, um den durchaus richtigen Ansatz, der mit seiner Frage gegeben ist, weiterzuführen. Ethische Fragen sind ein Sonderfall praktischer Fragen. Praktische Fragen werden diejenigen Fragen genannt, die eine Handlung als zu tun intendieren. Dabei ist es zunächst einmal gleichgültig, welche "Motive" dem Handeln zugrundeliegen. Denn Hinterfragung von Handlungen nach den diesen Handlungen zugrundeliegenden Motiven - sei sie nun handlungstheoretischer, psychologischer oder soziologischer Art - bringt dem Anwender wenig: Er gebraucht Sprache, um zu handeln. Insofern ist die Aufklärung über und die Einübung
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in Sprachfiguren der konkreteste Zugang zur praktischen Frage. Um die Differenz zwischen praktischer und ethischer Fragestellung zu verstehen, entwickle ich zunächst die Struktur von praktischen Fragen. Ich lasse dabei für jetzt alle theoretischen bzw. linguistischen Termini und konzentriere mich allein auf den Vorgang. Die Entfaltung der praktischen Frage geht von der allgemeinsten sprachlichen Äußerung aus: Was tun? Also von Fragewort in Verbindung mit einem Tätigkeitswort. Auf diese Frage kann aber sinnvollerweise überhaupt nicht geantwortet werden. Es müssen also weitere Elemente wie in einem Baukasten oder Puzzle-Spiel hinzugefügt werden, damit auf die Frage überhaupt eine Antwort erfolgen kann. Ich formuliere nochmal die allgemeine Form "was tun"?
und formuliere sie schon etwas spezieller "was ist zu tun"? Erreicht wird damit, daß die allgemeine Fragestellung "was tun" sich als praktische Frage erweist. Denn durch die Einführung der Kopula "ist" wird der Sollensstatus der praktischen Frage erst sichtbar. Praktische Fragen haben also immer die Form "was ist zu tun". Sie drücken demzufolge ein Sollen aus. Dieses Sollen ist aber viel zu vage, um zu konkreten Handlungen zu führen. Es bedarf daher noch mehrerer Elemente, um die praktische Frage vollständig stellen zu können. Da es um Handeln geht, Handeln analytisch immer aber eine Person, die handelt, impliziert, erweitert sich die praktische Frage so, daß sie jetzt lautet: "was ist für/von P zu tun"?
oder sprachlich anders "was soll P tun"? Fragen wir etwas, so fragen wir nie im luftleeren Raum. Indem wir fragen, stehen wir immer schon in einer Situation/einem Kontext, aufgrund dessen das Fragen in uns und mit uns anhebt. Übertragen wir dies auf die praktische Frage, dann ergibt sich damit die folgende nächste Erweiterung: "was ist für/von P in S zu tun"?
wobei S für Situation oder Kontext steht. Was jetzt noch fehlt, ist die Präzisierung des "zu tun". Diese Präzisierung erfolgt dadurch, daß das "zu tun" qualifiziert wird. Denn es geht hier nicht um irgendein "zu tun", sondern eben um das Tun der praktischen Frage. Diese Qualifizierung sieht dann folgendermaßen aus: "was ist von/für P in S w-weise zu tun"
Mit dem w-weise wird zunächst ausgedrückt, was man gemeinhin als Wahrheitskriterium bezeichnet. Im Falle der praktischen Frage ist das Wahrheitskriterium das richtige, d.h., die praktische Frage hat jetzt die volle Gestalt:
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"was ist von/für P in S richtigerweise zu tun".
Der Bereich der praktischen Frage ist damit aber noch nicht voll erschlossen. Der jetzt durch die ausformulierte praktische Frage umrissene Bereich ist der Bereich der Zwecke. Geht es aber um Werte, dann erst erweitert sich die praktische Frage zur praktisch-ethischen Frage. Ethische Fragen zielen über die praktische Frage dadurch hinaus, daß sie nicht nur nach dem "Richtigerweise" fragen, sondern zusätzlich nach "dem höchsten Gut" oder dem "Besten". Sie fragen also nach dem letzten Grund des richtigerweise zu Tuenden. Fügt man dies in die praktische Frage ein, so lautet die ethisch-praktische Frage jetzt: "was ist von/für P in S richtigerweise und am besten zu tun"?
In der ethisch-praktischen Frage tritt somit neben das Wahrheits- bzw. Richtigkeitskriterium das Kriterium der Unbedingtheit. Dabei zielt das Kriterium der Unbedingtheit nicht auf eine widerspruchsfreie Definition, sondern auf die Vermeidung eines Selbstwiderspruches innerhalb des Handelnden und damit auf die Identität von Weitsetzung und Tun. Logisch ausgedrückt heißt dies, daß neben die Generalisierbarkeit "richtigerweise" die Universalisierbarkeit "besterweise" tritt. Erst mit der Universalisierbarkeit kann dann auf ethischpraktische Fragen auch geantwortet werden.
3. Die ethische-praktische Antwort Es müßte sich nun aber zeigen lassen, daß auf eine voll entfaltete ethischpraktische Frage eine Antwort erfolgt, die auf alle in der ethisch-praktischen Frage enthaltenen Elemente an der entsprechenden Stelle die entsprechenden Antwortelemente enthält. Um dies zu zeigen, soll die voll entfaltete ethisch-praktische Frage noch einmal dargestellt werden, allerdings in einer etwas ungewöhnlichen und zugegebenermaßen gewöhnungsbedürftigen Schreibweise. Entfaltung der ethisch-praktischen Frage was tun was ist zu tun
was ist von/für P zu tun was ist von/für P in S zu tun was ist von/für P in S richtigerweise zu tun was ist von/für P in S richtigerweise und am besten zu tun
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Um das Verfahren etwas abzukürzen, soll ein ausformulierte, praktisch-ethische Antwort herangezogen werden, die, soweit ich es sehe, trotz aller Diskussion und Interpretationsbedürftigkeit so praxisfern nicht ist, wie sie immer wieder dargestellt wird. Diese Antwort hat Kant in der Grundlegung zur Methaphysik der Sitten entwickelt. Sie lautet: "Handle so, daß die Maxime Deines Willens jederzeit zugleich als allgemeine Gesetzgebung gelten könne". Wenn Frage und Antwort gleichsam in einer Frage-Antwort-Konkordanz nebeneinandergestellt werden, so ergibt sich folgendes Bild: Entfaltung der Frage
Entfaltung der Antwort
was tun
Handle
was ist zu tun
Handle so
was ist für P zu tun
daß die Maxime Deines Willens
was ist für P in S zu tun
jederzeit zugleich
was ist für P in S richtig zu tun
als allgemeine Gesetzgebung
was ist für P in S richtig und am besten zu tun
gelten könne
Ich kehre jetzt zu meinem Zeus-Beispiel zurück. Wenn Zeus nicht nur als Pragmatiker, sondern als Ethiker sich seine ursprüngliche Frage "was tun" beantwortet hätte, dann hätte er beispielsweise so vorgehen können: Entfaltung der Frage
Entfaltung der Antwort
was tun
Handle
was ist zu tun
Handle so
werde aktiv - Herrsche regiere
was ist für P zu tun
daß die Maxime Deines Willens
wenn die Verantwortung Dein Maßstab ist
was ist für P in S zu tun
jederzeit zugleich
und immer dann, wenn die Götter betrunken sind
was ist für P in S richtig zu tun
als allgemeine Gesetzgebung
dann mußt Du sie ausnüchtern, nüchtern machen
was ist für P in S richtig und am besten zutun
gelten könne
und ein striktes Alkoholverbot aussprechen
Anwendung für Zeus
Wenn Sie sich das Beispiel genau vornehmen, dann werden Sie sehen, daß in der Anwendungsspalte ein Element enthalten ist - und daß ich jetzt einfach vorausgesetzt habe, was selbst noch Probleme enthält. Es ist der Teilsatz "wenn Verantwortung der Maßstab für Dein Handeln ist". Denn es ist ja nicht selbstverständlich so, daß an dieser Stelle Verant-
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wortung der Maßstab sein muß. Es ließen sich ja eine Vielzahl anderer Maßstäbe (Maximen) einsetzen.
4. Schlußbemerkung Verantwortung ist nun zweifelsohne ein Wertbegriff. Da konkretes Handeln von konkreten Menschen, aber von einer Vielzahl von Werten geleitet ist, ist es notwendig, um das richtig ethisch-praktische Tätigkeitswort zu finden, eine Wertanalyse vorzunehmen mit dem Ziel, diejenigen Werte der Person herauszufinden, die für diese Person unbedingt gültig sind. Anhand dieser letzten unbedingten Wertorientierungen wird dann ablesbar, welcher Wert an Punkt 3. des Schemas einzusetzen ist. All dies kann ich hier weiter nicht darstellen, wichtig dabei ist mir nur, daß auch diese Wertanalyse über das Medium der Sprache bzw. bestimmter sprachlicher Strukturen sichtbar und anwendbar gemacht werden kann.
5. FACHSPRACHENFORSCHUNG
FACHKOMMUNIKATION AUS DER SICHT DES BENENNUNGSBEDARFS UND AUSDRUCKSANGEBOTS Manfred Gerbert Den Rahmen dieses Beitrags bildet die Fachsprachenforschung. Sie hat stets eines ihrer wichtigsten Anwendungsgebiete in der Sprachausbildung gesehen. Zur Diskussion der im Titel angeschnittenen Thematik wird der Praxisbereich hier noch weiter auf die fachsprachliche Englischausbildung von Studenten und Wissenschaftlern eingeschränkt. 1. Die als linguistisches Phänomen vorwiegend von Vertretern der Soziolinguistik und Fachsprachenforschung untersuchte Variabilität der Sprache äußert sich in ihrer regionalen, sozialen und funktionalen Differenzierung. Die funktionale oder pragmatische Differenzierung ist eine Folge der Verwendung von Sprache für unterschiedliche Zwecke, Gegenstände und Bereiche der Kommunikation und geht letztlich auf die Arbeitsteilung im Arbeitsprozeß des Menschen zurück. Sie kann zur Herausbildung von mehr oder weniger eigenständigen Subsprachen, Fachsprachen oder Funktionalstilen führen, deren linguistischer Status jedoch umstritten ist. Das Verfahren der Erklärung fachsprachlicher Verwendungsweisen nach ihrer Funktion bzw. Leistung innerhalb konkreter Sprechakte läßt sprachliche Fakten weniger isoliert und in größeren Zusammenhängen erscheinen. 2. Für die Praxis der kommunikativen Fremdsprachenausbildung ist es zweckmäßig, die Sachkomplexe Wissenschaft, Technik, Medizin und Ökonomie nicht objektbezogen als ein Themen- und Wortinventar aufzufassen, das zu behandeln wäre, sondern sie unter den Aspekten der sprachlichen Tätigkeit verfahrensbezogen als eine bestimmte Art des Mitteilens von Erkenntnissen (Vergleichen, Definieren, Erklären, Begründen etc.) zu interpretieren. Fachbezogene Kommunikation ist durch die Verwendung spezifischer Lexik gekennzeichnet und weist außerdem einige grammatische Besonderheiten auf. Bei der Realisierung von Kommunikationsabsichten werden vom Sprachbenutzer mit Hilfe der im sprachlichen System angelegten Syntaxmodelle und Wortbildungstypen Sätze mit hoher begrifflicher Dichte produziert. 3. Fachsprache ist kein abgrenzbares Inventar sprachlicher Mittel. Unter dem Sprachverwendungsaspekt gesehen, verstehen wir Fachsprache als ein spezielles Werkzeug, das sich die Fachleute zum Zwecke einer möglichst präzisen und ökonomischen Verständigung über die Probleme eines bestimmten Fachgebietes oder mehrerer Fachgebiete geschaffen haben. Die Entwicklung fachbezogenen Sprachgebrauchs ist historisch an Hand der Publikationen nationaler Akademien seit dem 17. Jahrhundert nachzuweisen. Fachsprache besitzt kein eigenständiges grammatisches System. Sie basiert auf der Allgemeinsprache. Lexikalisch und grammatisch-stilistisch kann man nachweisen, daß in der fachsprachlichen Kommunikation wie auch in der Verwendung der Allgemeinsprache das Prinzip der Ökonomie waltet, d.h. des sparsamsten Einsatzes sprachlicher Mittel zum Zwecke der Erzielung eines Höchstmaßes an inhaltlicher Präzision und Korrektheit. Ein Fachtext ist Instrument und Resultat
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sprachlich-kommunikativer Tätigkeit, die zur Ausübung spezialisierter gesellschaftlich-produktiver Tätigkeit erforderlich ist. Fachsprache realisiert sich in Fachtexten - mündlich oder schriftlich realisierten Ergebnissen sprachlichen Handelns. Fachsprache rezipieren und produzieren heißt die natürliche Sprache zum Zwecke der spezialisierten Kommunikation verwenden. Wichtige Elemente von Fachsprache sind Spezifität und Distanz. Unter Distanz versteht man die Kommunikationsdistanz der Fachvertreter, die miteinander kommunizieren. Die mündliche Fachkommunikation von Mitarbeitern eines Betriebes oder Forschungslabors stellt im wesentlichen den Gebrauch der Umgangssprache mit Fachlexik versetzt dar. Schriftlich geäußerte fachsprachliche Texte berücksichtigen die Distanz der Kommunikationspartner - im Gegensatz zur Nähe bei der mündlichen Kommunikation - und zielen ab auf Genauigkeit der sprachlichen Abbildung von Sachverhalten. Umgangssprache ist durch Vagheit charakterisiert, Fachsprache durch Spezifität und Genauigkeit. Die Soziolinguistik versucht, Fachsprache als Soziolekt zu untersuchen; die Funktionalstilistik arbeitet mit dem Begriff des Registers, und die Terminologieforschung und Sprachstatistik fanden den Begriff Subsprache zweckmäßig. Alle diese Forschungsrichtungen der Sprachwissenschaft gehen von der Feststellung aus, daß Fachsprache nicht exakt von Allgemeinsprache abzugrenzen ist. Daher erwies sich der textlinguistisch fundierte Ansatz als fruchtbar, die Diskursfunktionen und Sprechakte zu analysieren, die typisch für wissenschaftlichen Diskurs sind, z.B. Vergleichen, Klassifizieren, Definieren, Begründen, Erklären usw. Während die früheren Registerstudien sich vorwiegend auf den Satz konzentrierten, verlangt die funktionale Analyse der kommunikativen Leistungsfähigkeit von Fachsprache die Untersuchung von Texten als den größten linguistisch relevanten Einheiten fachsprachlicher Forschung. In diesem Rahmen findet auch die Terminologieforschung ihren Platz. Sie ermittelt aus der Systematik des Faches das hierarchisch aufgebaute Terminologiegebäude. So erweist sich der Begriff Fachsprache als eine brauchbare Benennung für eine Vielzahl sprachlicher Erscheinungen mit dem Merkmal der Spezifität und Distanz. Fachsprache ist Allgemeinsprache mit bestimmten Deformierungen, Reduktionen oder anderen Eingriffen in die natürlich gewachsene Sprache. Diese Eingriffe hat der Sprachbenutzer, der Fachmann, vorgenommen, um seine Kommunikationspartner so effektiv wie möglich zu informieren. Den Anteil, den Redakteure und Herausgeber der Fachzeitschriften in den letzten 300 Jahren an der Formung und Herausbildung nationaler Fachsprachen haben, kann man exakt nicht mehr belegen, aber er dürfte beträchtlich sein. Was haben Fachsprache und Zwischenstufen der sprachlichen Kompetenz (Interlanguage) gemeinsam? Beides sind Reduktionen. Interlanguage (IL) reflektiert die Entwicklung fremdsprachlicher Kompetenz in Form von Annäherungen an die Kompetenz von Muttersprachlern. IL beantwortet dem Sprachwissenschaftler die Frage, was auf dem Wege des Lernenden zur Sprachbeherrschung vom Ausgangspunkt zum Ziel geschieht. Fachsprache kann als deformierte Allgemeinsprache angesehen werden, aber sie stellt ein höchst effektives Werkzeug dar, wie die Praxis der wissenschaftlich-technischen Kommunikation beweist. 4. Der Fachtext als konkrete sprachliche Äußerung ist wichtigster Untersuchungsgegenstand der fachsprachlichen Forschung. Er entsteht aus der sozialen Interaktion von Kommunika-
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tionspartnem und ist stets Teil einer Kommunikationssituation. Beim Rezipieren eines Fachtextes werden Erkenntnisprozesse nachvollzogen. Die Sprache des Textes gewährt Einblicke in bestimmte schöpferische Phasen, in gedankliche Auseinandersetzungen und Argumentationen des Textproduzenten mit seinen Rezipienten. Fachwörter stellen Kristallisationskerne dieses Erkenntnisvorganges dar, und wenn in einem Text, z.B. über nukleare Astrophysik, auf Boltzmann-Konstante und Planksches Wirkungsquantum verwiesen wird, dann werden damit vielfältige vorher absolvierte Denkleistungen und ihre Ergebnisse in Form fertiger Denkblöcke für das Textverständnis vorausgesetzt. Es genügt nicht, Fachsprache als ein statisches Gebilde zu betrachten und als abgrenzbares Themeninventar mit spezieller Lexik und grammatischen Präferenzen zu untersuchen, sondern man muß sie als eine systemhaft miteinander verbundene dynamische Gruppierung von Sprachhandlungen auffassen, die in bestimmten Textsorten ihren sprachlichen Ausdruck finden. Daß dabei ein Kompromiß zwischen Ökonomie der Sprache einerseits und dem Zwang zur Ausdrucksgenauigkeit, also hohem Energieaufwand andererseits, gefunden werden muß, ist einleuchtend. Unter funktionalen Gesichtspunkten haben wir zu prüfen, wie Sprache von Menschen verändert wird und was sich beim Gebrauch von Sprache vollzieht, wenn die allgemeine, unspezifizierte Kommunikation unter Menschen auf ein spezifisches fachliches Kommunikationsereignis, z.B. den vorrangigen Zweck der Erkenntnisübertragung von einem Spezialisten zu anderen, umprofiliert wird. 5. Fachbezogene Fremdsprachenausbildung ist in der Regel Bestandteil der weiterführenden Sprachausbildung an Universitäten, Hoch- und Fachschulen sowie Bildungseinrichtungen für Erwachsene. Sie setzt in der Schule erworbenes allgemeinsprachliches Wissen und Können voraus. Eine fachsprachliche Ausbildung planen und durchführen bedeutet Differenzierung nach Alter und Vorbildung der Lernenden, nach den angestrebten Zielen, den bevorzugten Sprachtätigkeiten, dem beruflichen relevanten Sprachmaterial, den fachlichen Themen, den vertikalen Stilschichten der Fachsprache und den Textsorten. Daher steht am Anfang der Planung jeder Art von fachsprachlicher Ausbildung eine exakte Analyse und Erfassung sowohl des gesellschaftlichen Fremdsprachenbedarfs als auch der individuellen Wünsche, Bedürfnisse und Motivationen der jeweiligen Gruppe von Lernenden. 6. Die Analyse des fremdsprachlichen Bedarfs des Lernenden geht vom Zweck des Sprachgebrauchs im Rahmen der Arbeitstätigkeit des Lernenden aus und stellt fest, ob er als Verkaufsleiter die Funktionsweise von Erzeugnissen beschreiben muß, ein neues Produkt dem Kunden vorzustellen hat, als Arzt, Bauleiter, Journalist oder Dozent tätig sein wird oder erfolgreich Geschäftsverhandlungen in der Fremdsprache führen soll. Für breite Gruppen von Beschäftigten der Industrie und des Hochschulwesens, die befragt wurden, werden heute Fremdsprachenkenntnisse für Sprachrezeption und -produktion neben den EDV-Kenntnissen als Basisqualifikationen und nicht mehr als Zusatzqualifikationen aufgefaßt. Dabei rangieren die Fremdsprachen Englisch, Französisch, Russisch und Spanisch im deutschsprachigen Raum Europas an vorderster Stelle. Übereinstimmend erklären die Fachkräfte, daß sie allgemein sprachliches Wissen, um sich im Ausland zurechtfinden zu können, am dringendsten benötigen, danach folgt an zweiter Stelle der fachbezogene Wortschatz mit den dazugehörigen Sprachtätigkeiten. Zur sprachlichen Grundausstattung für das Überleben gehören nach unserer Erfahrung folgende
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Themen: Begrüßen, Vorstellen; Namen, Adresse und Telefonnummer mitteilen; Verabschieden, den Weg erfragen, Zeit angeben, Termine verabreden, Telefonieren, Bestätigen und Ablehnen; Angaben über Beruf, Familie, Land und Stadt machen, über Fahrten und Reisen, Freizeit und Beruf sprechen, Verkehrsmittel benutzen, Auskünfte über Abfahrtszeiten und Orte einholen; ferner Einkauf, öffentliche Dienstleistungen, Arztbesuch, Wettervorhersage und Bestellung von Speisen und Getränken im Restaurant. 7. Um Kommunikationsfähigkeit zu entwickeln, müssen Bedingungen im Klassenzimmer gegeben sein, die echte Kommunikation entstehen lassen: authentisches Textmaterial, funktional angeordnetes Sprachmaterial, hohe Motivation der Lernenden, Einsprachigkeit des Unterrichts, Praxisrelevanz der Aufgabenstellung. In Intensivformen der Sprachausbildung, wo durch den Lehrer eine gelockerte Unterrichtsatmosphäre geschaffen wird, stellen vielfältige Simulationen, aufgaben- oder problemlösende Lehrverfahren, Rollenspieltechnik und das paarweise Arbeiten die zur Zeit effektivsten Techniken dar, mit denen eine bewußte Aktivität und Beteiligung des Lernenden erzielt wird. Dem Hinwenden zum fachlichen Bezug werden alle Tore geöffnet. Dabei wirkt sich die fachlich heterogene Zusammensetzung von kleinen Gruppen von Lernenden günstig aus, weil Wissen ausgetauscht und zugleich fremdsprachige Fertigkeiten erworben werden. Durch die vielfältige Differenzierung der Lehrgegenstände und der Verfahren ihrer Vermittlung und Aneignung versucht die Fachsprachendidaktik, die Lernenden an die kommunikative Praxis heranzuführen, sie durch interessante Thematik zu motivieren und ihnen Erfolgserlebnisse zu bieten. Zugleich geht es darum, die Möglichkeiten der Anwendung des erworbenen Sprachmaterials zu erhöhen. Die frühere Lehrpraxis legte großen Wert auf die methodisch sachgerechte Darbietung des Lehrstoffs, berücksichtigte aber zu wenig die produktive Anwendung. Der in der fachsprachlichen Ausbildung tätige Lehrer muß über große Erfahrung verfügen, da er eine Vielzahl von Einflußgrößen miteinander in Einklang zu bringen hat. Sein Problem besteht darin, diejenigen Texte, Übungen und Verfahren auszuwählen, die unter den gegebenen Bedingungen die größte Aktivität der Studenten hervorrufen. Wenn der angebotene Lehrstoff das Kenntnisniveau der Studenten übersteigt, hört der VerStehensprozeß und damit die erfolgreiche fachsprachliche Ausbildung auf. Die vorwiegend lese- und übersetzungsorientierte fachsprachliche Ausbildung früherer Jahre wird gegenwärtig durch stärkere Betonung der produktiven Sprachtätigkeiten des Sprechens und Schreibens von Mitteilungen verändert. Zentrales Anliegen der Fachsprachendidaktik ist es gegenwärtig, die Fachbezogenheit der Lehrstoffe aus Gründen der Motivation auf einem allgemeineren Niveau zu wahren und zugleich eine hohe kommunikative Anwendung im produktiven Sprachgebrauch zu sichern, also Fachlichkeit der Thematik mit Kommunikativität der Verfahrensweise zu verbinden. Welche Rolle spielt die Lexik? 8. Fachlexik. Der Fortschritt in Wissenschaft, Technik, Wirtschaft, Kultur und anderen Bereichen des Lebens erzeugt ständig neue Benennungsbedürfnisse, die mittels eines relativ stabil bleibenden Inventars an sprachlichen Mitteln recht zufriedenstellend erfüllt werden.
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Das alleinige Kriterium für die Qualität und Leistung der Ausdrucksmittel bildet die reibungslos funktionierende Fachkommunikation. Als Beispiele werden aus unterschiedlichen Fachwortschätzen einige Benennungen herausgegriffen, die erst in den letzten Jahren in die Allgemeinsprache vorzudringen begannen, aber unter Fachleuten üblich sind. Sie erfüllen sämtlich die an Fachlexik zu stellenden allgemeinen Kriterien der Fachbezogenheit, Begrifflichkeit, Genauigkeit und expressiven Neutralität. Die Liste bestätigt die vorherrschende Auffassung, daß ein großer Teil des neuen Wortschatzes nicht durch Neuprägungen, sondern mittels Zusammensetzung, Prä- oder Suffigierung, Abkürzung bzw. Bildung von Initial Wörtern, metaphorischen Gebrauch und Bedeutungsveränderung gewonnen wird. Auch die Entlehnung aus dem Englischen spielt eine Rolle. Fachwortschätze entwickeln sich auf der Basis der Allgemeinsprache. Diese fundamentale Erkenntnis hat auch Auswirkungen auf die Lehre. Der Lernaufwand wäre viel zu hoch, wollte man Studenten z.B. des Faches Maschinenbau die Benennung face-milling für 'Stirnfräsen' und herring-bone gearing für 'Pfeilverzahnung' vermitteln, ohne sie vorher mit face für 'Gesicht', 'Antlitz 'Gesichtsausdruck' und mit herringbone für 'Fischgräte' vertraut zu machen. Besonders rasch verläuft das Eindringen von Fachlexemen der Computertechnik in die Gemeinsprache. In der Zeitschrift "Wirtschaftswoche" (9.3.1990: 77ff.) werden einige Beispiele angeführt und gemeinverständlich definiert, z.B.: Bus wird definiert als "Verbindungsweg vom zentralen Prozessor zum Speicher und zur Peripherie". Man spricht von der jüngsten PC-Generation und meint damit neuere Personalcomputer. Unter einem Chip versteht man ein Siliziumplättchen von nur Daumengröße. Interessant ist auch der Wechsel der Bezeichnungen in folgenden Belegen: "Auch andere nahmhafte Computerbauer hatten auf den Intel-Chip gesetzt und ihn in ihre Maschinen implantiert." "Ausgerechnet der im Super-PC eingepflanzte neue 8048er Chip zeigte Macken." Hardware bezeichnet die Geräte einer DV-Anlage, während Software die Programme, die erst die Hardware zum Leben erwecken, meint. Prozessor, Mikroprozessor oder Chip bezieht sich auf das Hirn der Zentraleinheit einer DV-Anlage. Interface steht für Schnittstelle oder Übergangspunkt zwischen zwei Bereichen. Mit Laptops sind tragbare Computer, sog. Schoßcomputer, mobile Rechner oder Portables gemeint, die nicht größer als eine Aktentasche sind. Dazu folgendes Zitat: "Ob am Netz oder über Akku - Laptops, die tragbaren Computer, sind längst zu Attributen einer neuen Bewegung geworden." . . . " Die Laptops bilden die größte Gruppe unter den Mobilisten (den tragbaren Rechnern)". Die Anmerkung sei hier gestattet, daß der Referent nicht im Sinne hat, Eulen nach Athen oder die Computersprache nach Paderborn zu tragen, sondern lediglich eine linguistische Reflexion auf diese bemerkenswerte sprachliche Entwicklung anstellen möchte. Der metaphorische Gebrauch ist einer der interessantesten Aspekte der Fachsprachenverwendung, weil er es ermöglicht, Dinge auszudrücken, die als unausdrückbar gelten. Er gestattet uns Zutritt zur Fachkommunikation über Spitzentechnologie und neue Erfindungen (vgl. Sampson 1981). Zum Glossar der Kraftfahrzeugtechnik gehören heute Abkürzungen wie AUS für 'Antiblockiersystem', die vor etwa 20 oder 30 Jahren erstmalig in Fachartikeln auftauchten. Sie werden heute von jedem an Autos Interessierten verstanden und verwendet. In diesem Zusammenhang taucht erneut die Frage auf nach einer Abgrenzung von Fachsprache und Gemeinsprache, insbesondere auf der Basis des Bildungsgrades des Rezipien-
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ten. In der Lexikographie hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, die Nähe eines markierten Fachwortes zur Gemeinsprache am vermeintlichen Bekanntheitsgrad, am Wissensstand um Sache und Wort zu ermitteln und sich dabei auf einen interessierten Durchschnitts-Fachmann bzw. gebildeten Laien zu beziehen. Kalverkämper (1988) verweist darauf, daß zu den Fachgebieten, denen "im Alltag gesteigertes Interesse entgegengebracht wird - aus welchen Gründen auch immer - insbesondere die Technik, der Sport und die Wirtschaft gehören. Ich würde die Reihe der "essentiellen Spezialgebiete mit allgemeiner Kenntnisverbreitung", wie er sie nennt, noch um einige erweitern, nämlich Computer, Finanz- und Steuerwesen, Telekommunikation und Verkehr. Wir müssen auf jeden Fall eine breite Übergangszone zwischen beiden Bereichen, der Fachsprache und der Gemeinsprache, ansetzen. Eine Untersuchung des Fachwortschatzes der Robotertechnik im Englischen und Deutschen von Naumann (1988) ermittelte 42 sogenannte "Handhabeverben", die sämtlich aus dem Verbbestand der Gemeinsprache entnommen und für die fachlichen Zwecke eng definiert sind, z.B. grip, snap, handle etc. Die Reihe der Beispiele könnte beliebig fortgesetzt werden. Sie zeigen, wie sehr die Fachsprache von ihrer gemeinsprachlichen Basis abhängig ist und wie gut sie eigentlich damit zurechtkommt, den Worten allmählich ihre Unscharfe zu entziehen und sie auf einen eng definierten Inhalt zu fixieren.
Literatur Sampson, Geoffrey (1981): "Review article: The Resurgence of Metaphor" in: Lingua 54, 2/3 (June/July 1981)213. Kalverkämper, Hartwig (1988): "Die Fachwelt in der allgemeinen einsprachigen Lexikographie".- In: Special Language/Fachsprache 10, 98-123. Naumann, Ingo (1988): Der englische Fachwortschatz der Robotertechnik - Spezifik, Stratifikation und semantische Relationen. - TU Dresden (Diss.)·
LSP TEXT CORPUS ESTABLISHMENT 35 Years after T. B. W. Reid: A Plea for the Deductive, rather than Inductive, Establishment of LSP Text Corpora Eva Stahlheber
1. Introduction The present paper may be viewed as a partial response to Erk's jeremiad of 1972, which voices an uneasiness about the arbitrary character of LSP corpus establishment and which deplores the liberty that some researchers have taken in compiling their corpora. At the time, he said that corpus linguistics was a young science and that empirical criteria and considerations for an adequate heterogeneity, quantity, and representativeness of texts for LSP corpora were still lacking . Experience has shown that the selection process in establishing LSP corpora has either been taken for granted as a self determined "rational" process or left up to the respective researcher's discretion, the same way many other heuristics in LSP have been agreed upon instinctively and/or implicitly (e.g. "register", Reid 1956; "interlanguage", Selinker 1972). Usually, LSP text corpus establishment was guided by one or more of the following desiderata: Firstly, to cover all disciplines in science and technology ("horizontal differentiation", Hoffmann 1987); second, to cover all types of texts, i.e., "Textsorten" ("vertical differentiation", Hoffmann 1987) or "genres" (Swales 1990) in these disciplines; third, to show that a genre has one common communicative purpose (Swales 1990); fourth, to teach useful text types ("genres") that students would have to be able to READ and WRITE themselves in their future careers as engineers or scientists (Köhler 1986); fifth, to point out differences between the "common" register of the language under consideration, e.g. Common English, and its "scientific" or "technical" register (Stahlheber 1983); sixth, to give a cross disciplinary characterization of a section from a particular genre ("introductions of research articles", Swales 1981); seventh, to prove the "intertextuality" (Beaugrande and Dressier 1981) or "transphrastic textuality" of a genre (Hartmann 1980); eigth, to examine diachronic tendencies (cf. Gläser 1988, Bazerman 1988); ninth, to contrast languages with respect to a common genre or text form (Clyne 1981, Schröder 1987); and tenth, to seek out "highly valued texts" (Bley-Vroman and Selinker 1984a and 1984b). Thus, the selection process has chiefly been i n d u c t i v e . This has been appropriate for such a young branch of Applied Linguistics as LSP research; however, based on 34 years of empirical studies of LSP corpora, a systematic overview of their underlying i n d u c t i v e rationales can make it possible to compose an explicit d e d u c t i v e catalogue of determinants, i.e., an explicit guideline, for the selection of LSP corpora. In this catalogue, considerations, problems, and experiences with previous LSP corpora are described, treating each determinant at a time in a section of its own. Whenever a corpus is to be chosen, researchers must first conduct a careful "needs analyses" (Bley-Vroman and Selinker 1984a/b, Swales 1988). The needs they identify will be the determinant(s) of their future corpus (cf. Hutchinson/Waters 1987). If they can look them up in the above established DEDUCTIVE catalogue, they can make a more informed, conscious decision about the kind and size of corpus they would like to establish.
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This paper presents a preliminary catalogue of 12 LSP corpus determinants. It has a conditional setup (if x, then y) and ought to be read in the following way: "If researchers want to establish a corpus which (1) is representative of a discipline/subject area/'specific purpose, (2) is to be used for a contrastive analysis in order to show (a) interlingual, (b) interdiscoursal, (c) intercultural, and (d) interparadigmatic influences and differences, (3) shows the diachronic evolution of a genre or of one of its macro- or microlinguistic features, (4) can be used for quantitative analyses, e.g. of frequency distributions, (5) is to illustrate linguistic phenomena at different levels of analysis, i.e. at (a) the word level, (b) the sentence level, (c) the rhetorical figure level, (d) the text level, (6) is to serve as a data base for the compilation of a discipline's lexicon, (7) can be used in teaching (a) reading comprehension, (b) listening comprehension, and (c) the writing of specific genres, (8) can serve as a data base to extract stylistic rules and conventions for standardization/normalization purposes, i.e., style guides, (9) facilitates research on a current, popular, hot-item topic, (10) may be used to point out different levels of discourse (as opposed to levels of a n a l y s i s , cf. (5)), i.e. popularized versus professional discourse, for example, (11) may be used to investigate gender differences between texts written by male or female authors, or (12) has to answer to the challenges of resource restrictions such as time, money, library stock, copying facilities, computer software, t h e n the following things ought to be attended to."
2. Discipline / Subject Area / "Specific Purpose" I f one is interested in a certain discipline's written literature, e.g. in that of electrical engineering, then it won't matter what genres the texts are taken from. However, it will matter how many text samples are going to be chosen. For quantitative analyses as well as for global characterizations of subject area languages, a tenured rule is: The more ground covered, the more one's generalizations hold water. For the composition of subject area corpora, Hoffmann (1987: 246) recommends a ratio of 60% book texts versus 40% journal texts. The membership of such a heterogeneous corpus in the literature of a specific subject area (Fach) is most strongly evident in the density of its subject-specific lexis and terminology. That's where a discipline-oriented corpus is most fruitful: relatively speaking, it will give a comprehensive survey of the subject area's various terms and phrases. However, such a heterogeneous corpus won't yield any meaningful results in terms of a syntactic analysis as the genre differentiation is blurred, i.e., one cannot correlate preferences for certain syntactic structures with rhetorical functions or communicative purposes since the field is here undifferentiatedly represented as a whole.
3. Contrastive analysis I f one wants to contrast texts from different languages with respect to (a) interlingual, (b) interdiscoursal, (c) intercultural, and (d) interparadigmatic differences and influences, one needs to be aware of the fact that contrastive analyses of this kind are a young branch of LSP research, with some of its main representatives being Clyne (1981/1984/1987a/1987b), Galtung (1979/1981), Gnutzmann (1990), Schröder (1987), Spillner (1983), and Ylönen (1988/1989), just to mention a few.
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3.1. Interlingual differences/influences I f one embarks on an "interlingual" comparison of texts, one will study the differences and similarities of their external linguistic ("surface structure") phenomena in a descriptive fashion. To compare two languages such as German and English with respect to their LSP manifestations and to investigate the mutual influences of these languages upon one another with respect to those LSP manifestations, one must choose texts from both languages which are appropriately comparable. Generally speaking, corpus rationales for contrastive analyses need to control for (i) discipline, (ii) author's sex, (iii) genre, (iv) topic, (v) level of discourse (popularized versus professional), and (vi) time setting of the texts to be investigated. However, it may be sufficient to confine the corpus to a particular genre which is of interest in teaching, e.g., the business letter, the resume" (not the same as summary!), the abstract, the research article, etc. The analysis of a corpus containing a particular genre can reveal differences in discourse characteristics which depend on the language of origin, e.g. German or Finnish. Interlingual i n f l u e n c e s may then be traced by way of citation analyses, authors' biographies, opinion essays on language decay, etc. 3.2. Interdiscoursal differences / influences I f one is interested in an interdiscoursal comparison of a certain discipline's textual manifestations in two or more languages, it is necessary to control for the same variables as enumerated above. According to Schroder's 1987 article "Kontrastive Textanalysen - Ein Projekt zur Erforschung des Zusammenhangs von Diskurs, Kultur, Paradigma und Sprache in argumentativen Fachtexten der Gesellschaftswissenschaften", the kind of communicative act (here: argumentative writing) needs to match as well2.In an interdiscoursal comparison, one looks to and highlights the differences in discourse conventions which have informed the texts at hand, usually in order to teach the dominant discourse structure to NNSs. For instance, it appears that Anglo-American medical texts have become an international role model (cf. Ylönen 1988/1989). 3.3. Intercultural differences I f one is interested in an "intercultural" comparison of texts from two or more different cultures/languages, one will want to first pinpoint differences in cultural norms which have informed the texts at hand in order to have a prescriptive guide for teaching the cultural norms of the target culture/language to NNSs (nonnative speakers). If they intend to stay in the country, NNSs need to master the target culture's writing norms in order to be successful. Generally speaking, intercultural differences may be said to be responsible both for interlingual and for interdiscoursal differences, with respect to the macrostructure of texts and their rhetorical/grammatical and syntactic organization. 3.4. Interparadigmatic differences / influences I f one is interested in interparadigmatic differences between texts, one can, for instance, study the chronological supersession of paradigms evident within o n e discipline, o n e culture, or o n e school of thought (horizontal differentiation), e.g. classical mechanics and quantum mechanics. Second, one may also be interested in the synchronic differences between the written reflexes of different theoretical and methodological paradigms
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(hermeneutics) used in d i f f e r e n t disciplines, cultures, and schools of thought at the same point in time (vertical differentiation). For instance, one could hypothesize that differences in the macrostructure of articles in biology (Intro, Methods, Materials, Results and Discussion, Conclusion) and articles in political science are evidence of paradigmatic differences between the disciplines. For an adequate corpus, one would therefore pick a sufficient number of top research articles in both fields in order to investigate differences. In a third vein, the focus may be on the relationship between theory (the way we think things happen) and practice (the way things actually happen). For instance, one may be convinced that the written research article mirrors the actual research process (theory: the human mind - i.e. the researcher in her or his work - proceeds only by rational, logical, deductive apriori principles). Against common expectations, the relationship may also be the reverse. For example, the way and order in which an article describes the preparation of a compound might influence the procedure eventually adopted by the researcher. To complicate the picture even further, the eventual research article may not even be an accurate reflection of the actual research procedure that took place (see Gilbert/Mulkay 1979, KnorrCetina 1981, Latour/Woolgar 1979, Myers 1985/1990.) Thus, researchers may want to be aware of the social factors that influence the composition of scientific writing ("evaluation paradigm". Practice: Things are analyzed in hindsight, aposteriori). As a consequence, more fieldwork in the "real world" of, say, biology and political science may be necessary. The actual authors and their work-in-progress will have to be consulted (cf. "the narrative of science", Myers 1985/1990) and studied, with the corpus consisting of work-in-progress (should the authors give their permission for use) as well as of audio- or videotaped interviews with the authors and co-authors on their procedural and evaluative attitudes.
4. Diachronie processes (e.g. genre formation, language change) I f linguists are interested in the diachronic processes that LSP texts undergo, they may have various goals in mind: They might want to look at the processes shaping a genre from its inception to the present ("Herausbildung") or at the more microscopic language changes happening within the genre, e.g. changes in sentence length, sentence complexity, density in nominal compounds, etc. Another aspect linguists focus on is the chronological supersession of different scientific paradigms as manifest in a chronological progression of texts. In any case, the historical line envisaged for the corpus must have several subcuts other than a "beginning" and an "end" because a s t r a i g h t line connecting these two points can neither provide a representative picture of the development the genre has undergone in the interim, nor of the fluctuations which the more microscopic language changes may have described along the time line (Möslein 1974: 158). In addition, it is advisable to first conduct a pilot study to ascertain salient points around which "quantum changes" took place. As far as the formation of a genre is concerned, it becomes historically problematic to demarcate the subject area in which the genre has served as a communication vehicle. Let us take "quantum theory" as an example. Quantum theory was a very specialized area at the turn of the century, in particular around the end-1920's, but evolved into subproblems of the disciplines chemistry, physics, and mathematics, and into subproblems of subfields in those disciplines, i.e. physical chemistry, atomic physics, nuclear chemistry, respectively. Blurred disciplinary boundaries may disturb the traditional LSP researcher, who has been used to a one-to-one correspondence between w r i t t e n v e h i c l e and F a c h / f a g / s u b j e c t a r e a . However, in genre analysis, the communicative purpose of the
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written vehicle overrides anything else. Thus, one may find quantum theoretical articles in physics, chemistry, or mathematics libraries. The genres that the new interdisciplinary subject area has produced can and should be singled out with the help of SSIs (subject specialist informants, Hoffmann 1987: 245, Selinker 1979).
5. Quantitative Analyses I f and w h e n e v e r researchers were interested in conducting a quantitative analysis of an LSP text corpus (Barber 1962, Winter 1961), the objective has been to characterize a genre or a subject area by quantifying the distribution frequency of some (rather) invariant, distinctive discoursal, rhetorical, syntactic, or lexical feature. If the investigation has a statistically significant, sound basis in such a way, credibility is lent to correlations between rhetorical intention and linguistic surface structure. After all, what good does a sensational result serve (e.g. Tarone 1981) if it is not generalizable? Computer software such as CricketGraph will help the non-statistically trained linguist to automatically determine the statistical significance of her/his corpus. Moreover, Hoffmann (1987: 247-271) has userfriendly quantitative formula? with which to establish the soundness of a spotcheck/pilot analysis. Yet for a larger project, specialist advice is recommended; usually, an institution of higher learning which includes an LSP department will also have a statistical unit (e.g. the Statistical Laboratory at Rackham Graduate School at the University of Michigan) which is always glad to dispense advice on the appropriate size and evaluation methods for a project.
6. Levels of Analysis I f, in establishing one's LSP corpus, one happens to be concerned with the distinction between different levels of analysis or if one simply takes a specific level of analysis as one's vantage point, different rules apply for the two levels in the basic two-way division of text analysis. Traditionally, LSP linguists have worked at the microscopic level, which included word formation and syntactic phenomena. In this bottomup approach, words and sentences were regarded as the constitutive building blocks of texts, and the way they were put together was investigated in order to explain the dynamics of the whole text and/or its organization. More currently, applied linguists have adopted the macroscopic, holistic, topdown textlinguistic approach (Hartmann 1980), which works by the premise that communicative purposes determine the macrostructure, rhetoric, terminological density and, ultimately, the application of syntactic structures in a text. The text linguistic approach looks at the larger entity of the whole text and tries to establish the seriality and intertextuality of a corpus of texts. Therefore, statistically greater numbers of texts would be required for a credible database. 6.1. Microscopic level: words, sentences If the level of analysis is the m i c r o s c o p i c level (Vande Kopple 1980, West 1980), a smaller corpus of texts (possibly 5 to 10) will suffice as far as quantitative considerations are concerned. Of course, precautions have to be taken to excerpt passages from the same sections of any genre. Cross-genre or "cross-section" analyses are of little value because
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they "centrifuge" the different individual sections of one text into one homogenized, undifferentiated glob, thereby doing injustice to the graduated macrostructure of texts. Conversely, LSP students, who are learning how to produce or comprehend similar texts, need to be instructed about the characteristic, invariant nature of individual text sections. For example, the Methods and Materials section of a physics article usually has a much higher frequency of passives than the article's introduction, which in turn features a unique 4 move sequence (Swales/Najjar 1987). This knowledge will facilitate the present student's and future scientist's genre-based comprehension and writing. 6.2. Macroscopic level: rhetoric / paragraphs, texts If the level of analysis is the m a c r o s c o p i c level, e.g., characterizations of macrostructures or hypotheses about rhetoric-communicative purpose correlations (Meyer 1990, Zappen 1983), then larger corpora with a relatively greater number of texts have to be compiled by the researcher. In addition, if one intends to compare two disciplines, e.g. social science and biology, or two subdisciplines for that matter, e.g. theoretical physics and experimental physics with respect to a certain level of analysis, it is mandatory to do this with respect to the same level of discourse, e.g. primary research, and the same genre, e.g. the research article.
7. Lexicographic interests I f one is interested in an LSP text corpus for purposes of lexicography, it is important to draw relatively exact lines between disciplines, subdisciplines, genres, and stylistic levels in order to glean distinctive clues for the lemmata in the usage panel of the dictionary. As there are a multitude of monolingual and bilingual LSP dictionaries around (typically English -» another language, e.g. German in our case), currency is absolutely crucial. Therefore, it is recommended to survey the literature each year, if not more frequently, in order to update the database. Naturally, most of the dictionaries these days already exist in the form of computerized databases, which are easier to update than any hard copy version.
8. Teaching I f one is interested in texts to serve as teaching materials (Weber et al. 1984, Weber 1985, Wieser 1980), in particular as prototypes in the teaching of text reception, i.e. reading comprehension, listening comprehension, or text production, i.e. writing, it is essential to first ascertain both the language and discipline proficiency levels of one's students in order to assure an appropriate selection of texts that will neither go over their heads nor bore them (James 1984). A second question is that of authenticity. Some applied linguists insist on using an original text "as is", others vote for adjusting selected texts to the students' proficiency level. Rightly so, the purists among us remind us of our responsibility to reality: our students should learn to read, listen to, and write actually existent texts; what good does a text do that has been tampered with and that students will never face in reality, in terms of reception as well as production? On the other hand, texts may always be regarded as processes in and of themselves, and thus should be open to modifications; only in this case by the teacher, rather than by the author herself/himself. Another constraint necessitating adaptation is a
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limited availability of text resources or reproduction technologies. Third, the students' using one single text and transforming it to fit different stylistic levels is a rather instructive pedagogical exercise.
9. Standardization / Style Guides I f one is interested in codifying writing rules and conventions, the points of reference are: subject area, genre, level of discourse, level of analysis, and discourse community. Unfortunately, most style guide authors have predominantly come from the "English department" end of LSP with its generalistic orientation so that many rights as well as rules bear the mark of a myopic view that all prose should obey the same laws, ranging from punctuation to the correct use of prepositions (Strunk/White 1972). In many cases, the term "style" is used normatively/prescriptively by these generalists. S t y l e has meant g o o d s t y l e . Usually, that has been some fictional account of what is esthetic and what is not, in writing in general. Analogous to lexicography, style guides often suffer from a lack of updating. By contrast, the conventions of the APA and the MLA are subjected to regular reviews. It may seem a banal truth that language and social science authors are more confident (not necessarily better) writers than authors in science or technology, with the obvious, constant upkeep of their writing conventions being a natural consequence. Authors in science and technology are more self conscious of their styles; often they resort to general style guides, and it is not uncommon to encounter professors who hold fossilized beliefs such as the idea that the we-predicate should be avoided at all costs as it is too personal or even incorrect if it refers to only one person. Similarly, there is a prevalent belief that the passive voice should be avoided because it is bad usage, starchy, and static and that the active voice with its "more natural" agent subject as topic is to be preferred. These beliefs are testimonies of a staunch adherence to obsolete prescriptivist style guides on the part of scientists and engineers (cf. list of style manuals included in the literature). As Najjar/Swales (1987: 187) state very eloquently in their comparison between actual text analysis data and recommendations from style guides (after having discovered an "apparent mismatch between advice in the appropriate manuals and actual practice"): As applied linguists we would certainly wish to advocate the continual interaction of description and prescription, for without ongoing descriptive analysis of rhetorical trends, prescriptions can become otiose and obsolete. The authority that accrues to generalizations derived from the study of actual texts might in turn lend sufficient credence to style guides for them to be "honored more in the observance than in the breach" by authors and their editorial gatekeepers.
Thus, if one intends to write a style manual, the obvious thing to do would be to compile a representative sample of current (synchronic) texts, analyze them as to their distinctive features, and eventually, formulate these features in terms of (safe) rules (Selinker 1990: private communication) for drafting this particular genre, or section, whatever the case may be. Doubtless, the corpus may reflect a grammatical tendency that might not be regarded as esthetically pleasing. For example, a representative sample of abstracts from engineering conferences might show a ubiquitous violation of the rule "light NPs before heavy NPs" (Huckin/Olsen 1983: 306/7) with their use of "heavy", nominally dense, subjects and "light" Future I/Present Tense/Past Tense Passive Voice predicates. In this case, the result
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of the analysis is a frequency that, however, cannot yield an argument for recommending "heavy-light" syntax for abstracts. A "heavy-light" syntax will always run counter to rules of mental information processing (Huckin/Olsen 1983: 307). On the other hand, functional considerations might in due time override esthetic ones or esthetic considerations might change with respect to this particular genre, and we may find an acceptance of the opposite conception that "light" predications are acceptable in article abstracts. In short: drawing up LSP style manuals requires a text corpus base. This corpus data base must be representative and current, and the results of the analysis need to be subjected to a critical comparison with information processing rules and with the current writing esthetic in order to guarantee reasonable stylistic recommendations.
10. Currency of Topic, e.g. metadiscourse and citation analysis I f the LSP researcher is interested in collecting texts in which s/he wants to analyze some "hot" topic (for whatever reasons), it makes sense for her/him to first obtain a survey of the current trends in LSP by following first-rate journals in the field, e.g. Fachsprache, The ESP Journal, Written Communication, UNESCO ALSED Newsletter, IRAL, Applied Linguistics, TEXT, Pre-Text, Social Studies of Science, The Journal of Documentation, Scientometrics, etc. In a next step, if an appealing topic is pinned down, e.g. metadiscourse, the previous literature can serve as a clue as to what types of journals or books to choose as corpus material. For example, Crismore and Farnsworth (1988) compared two articles written by the same author(s) on the same subject, however one a popularized version and the other a professional version; the first one by Steven Jay Gould, the second one by him and co-author David S. Woodruff. It was Crismore's and Farnsworth's objective to find out whether it is a myth or the truth that popular science has much more metadiscourse than e x a c t science. They found it to be a "dangerous" myth. Another hot item on the LSP agenda is citation analysis (Swalesian topics tend to become cutting edge LSP issues). For his article on citation analysis, Swales (1896) took any quotations of Munby's then eight-year-old book Communicative Syllabus Design (CSD). As far as justifying his choice is concerned, he states (1986: 41) I would like to illustrate the strengths and current limitations of any emerging discoursal citation analysis by applying a modified set of categories to a corpus of material familiar to many readers of this journal. It seems to me that CSD is a suitable test vehicle; it has been quite widely discussed and, given that it was published in 1978, it provides some opportunity to compare quick and considered reactions set against an emerging time-scale.
From this, we might conclude that when selecting a corpus for a mainstream LSP topic, it is beneficial to choose texts from a discipline (Fach) familiar to one's readers and/or works well known to them in order to draw even more attention than will already be garnered by merit of the topic.
11. Levels of discourse (popularized versus professional) I f one is interested in the differences characteristic of texts from different levels of discourse or if one is interested in characterizing one level of discourse in particular, SSI's
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need to be consulted about the stratification of the literature in their subject area so that a pilot text survey may be gleaned and a decision can be taken as to what levels to devote one's attention to. After such a consultation with an SSI and a survey of the corresponding LSP research literature, a lack of LSP publications about a particular level of discourse will be a clue for further work. Based on previous LSP research, one may have even been deluded into thinking that there are only two levels of scientific discourse, i.e., the professional and the popular, that the former is reserved for scientists in the field addressing themselves to scientists in the same field and the latter for regular journalists addressing themselves to the interested public. However, as I have found in my diachronic analysis of the genre "Originalaufsatz" on nuclear physics in the journal Die Naturwissenschaften , there is at least one more intermediate level (I call it "secodary level"), on which top scientists process their findings in such a way as to make them comprehensible to top scientists in o t h e r fields. The result is a third kind of communication profile, and therefore, an intermediate, secondary level of discourse. Thus, if the target of analysis is the characterization of one level, i.e. either of popularized or of professional discourse , the SSI information, elicited by appropriate questions from the LSP researcher, will direct the selection process to a specific genre on one of those levels. However, as explained in the foregoing, an analysis of the genre's discourse community might end up indicating the existence of an additional discourse level. If the target of analysis is the description and potential explanation of the transformation processes between professional and popular discourse, we would be looking for a topic common to the two levels so that we can investigate shifts in delivery, i.e., rhetorical strategies, terminological density, syntax, between the professional and the popular version of the same topic. This depends on the relative comparability of the two genres, a popular book on sociobiology may be hard to put into relation to a research article on the same subject. However, it would be manageable to establish differences and similarities between a research article in Physical Review and its corresponding popular article rendition in Scientific American, for example.
12. Gender differences When doing s y n c h r o n i c analyses on gender differences , the first thing to do is to establish the numerical distribution between female-written articles, e.g., and male-written ones as the overall distribution may be skewed by a lopsided ratio. Again, comparisons could then not be made across the board, but only by (1) genre, (2) subtext, and possibly (3) author, where in Case (3) the following analysis could be made: Two female authors could be represented by 10-20 texts each and analyzed and, thus, characterized individually, and the same could be done for two male authors. Then, a comparison could be made as to what distinguishes the authors of the same sex and of different sexes so that stylistic differences within one gender cannot disturb the inter"sexual" comparison.
13. External determinants: availability of resources At first glance, this may seem the most trivial of all of the selection determinants for an LSP text corpus, however, practical hurdles usually turn out to be the greatest stumbling
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blocks. Only a select few of us are not dependent on available resources. In addition, we are often faced with a conglomerate of constraints. The money of a grant or stipend will last the researcher only a certain length of time. Most importantly, it is a futile undertaking to pick a corpus that is not held by the local library. (Compare this situation to that of an American archaeologist who wants to do research in Europe.) Unless s/he has an enormous grant and endless time on her/his hands or the project is subsidized as fieldwork in her/his studies by her/his university, it would be a more obvious and rational thing to do one's digs closer to home, e.g. to search for Indian arrowheads in California. Therefore, selecting texts for one's corpus which are available in one's library will save time, money, not to mention aggravation and emotional investment. For instance, in the above-mentioned project, the journal Die Naturwissenschaften had the advantage of availability, i.e. in the Natural Science library at The University of Michigan (a German secondary level journal in an American open stacks natural science library). In addition, if honesty governs checkout and return practices of students and teachers, the American institution of "open stacks" can further expedite the selection process. If one has not pulled or remembered the right book or volume on first try, open stacks allow for the option of doublechecking books and journals in the vicinity while libraries with ordering policies involve time and complete exactness. Another resource constraint involves local copying facilities: The western world has been as lucky as to take them for granted while they hadn't been handy or available in the eastern bloc so that articles and texts had to be copied from the original by hand or by typewriter. The researcher had to spend tedious hours doing menial work. Moreover, until the advent of user-friendly computer software like "CricketGraph", the linguist had to undergo time-consuming extra training in statistics in order to be able to understand, interpret, and evaluate her/his quantitative analyses first hand.
14. Conclusion As has become evident through the above discussion, it is hardly possible to provide an unequivocal, all encompassing deductive algorithm for establishing LSP text corpora. However, I hope the discussion has illuminated the essential aspects of this open set of selection determinants. Of course, there is no end to the possibilities of an inspired and inductive discovery of new and interesting texts that future communication needs may produce or of existing texts that have not been approached by LSP text analysis yet. Like physics, LSP work profits from an interplay between inductive discoveries and ideas and their corresponding deductive evaluation, correction and retroactive systematization. Notes 1 Here is the füll quotation from Erk's study: Die Corpus-Linguistik ist eine junge Wissenschaft, ihr Bestand an gesicherten Verfahren und Arbeitsgrundlagen ist nicht sehr groß. Bemühungen um die Erarbeitung von Kriterien für eine Textsorten-Typologie haben erst vor wenigen Jahren eingesetzt, es fehlen zuverlässige Erfahrungswerte und Anhaltspunkte für den Mischungsgrad, der in einem heterogenen Corpus noch zulässig ist, für den anzuwendenden Zahlenschlüssel (es ist keineswegs ausgemacht, daß alle Sorten mit gleichen Anteilen vertreten sein müssen), für Eigenschaften, die einen Text geeignet oder ungeeignet machen. Im Grunde kann jede beliebige Kombination von Texten als Corpus bezeichnet werden. Die Ellenbogenfreiheit, die jeder vorfindet, der für einen bestimmten Zweck ein Corpus zusammenstellt, wirkt auf die Dauer eher beunruhigend als ermutigend. Es fehlt freilich
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auch - das ist die Kehrseite - an stichhaltigen Argumenten für eine Revision getroffener Entscheidungen und für eine Kritik. (Erk 1972: 26) 2 Schröder describes his corpus rationale in the following way: ... 15 Texte (3 deutsche, 3 englische, 6 finnische und 3 russische) aus dem Bereich der Gesellschaftswissenschaften [...] Bei allen Texten handelt es sich um wissenschaftliche Artikel (aus Zeitschriften oder Sammelbänden) von etwa gleicher Länge. Die Thematik der einzelnen Beiträge ist zwar nicht durchweg gleich, aber das Abstraktionsniveau und der Spezialisierungsgrad sind in allen Texten sehr ähnlich: es sollen neue t h e o r e t i s c h e Aspekte in die Diskussion zu einer bestimmten Fragestellung eingebracht werden. Daraus folgt, daß die Texte von ihrem Gesamtcharakter her a r g u m e n t i e r e n d e FT sind. 3 Diachronie analyses are not possible because they are too predictable. There simply were no women scientists as a rule in the past, for reasons this is not the place to discuss. Scientific discourse has in the past been male-dominated.
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ESP SEMANTICS: FOOD REDUCTION PROCESSES Klaus-Dieter Gottschalk 1. LETTICE: The tables were piled high with hedgehogs, puffins and coneys! Also herons, peacocks and swans! Each of them was waiting to be carved in its own particular manner. [...] Did you know there was a different word for the way you carved each bird? [...] Oh yes! you d i s f i g u r e d a peacock, but you l i f t e d a swan! Nothing could exceed in diversity or succulence an Elizabethan feast [...]! (Shaffer 1989: Scene 1/C)
2. The Elizabethan terminology for carving is of diachronic relevance to the word field under study. The English word field lacks an archilexeme similar to the German word zerkleinern. There is a culinary term reduce, but it means "to boil down a liquid, reducing it in quantity & concentrating its taste". The common semantic core of the word field under study can be paraphrased as "reduce (food) to smaller parts, particles or a mass by exerting force". The specification "by exerting force" excludes processes like cooking apples to apple sauce. The formula underlying the use of this word field comes close to "A (human) changes (i.e. reduces) B (solid food) to C (smaller particles) with D (instrument)". This formula would fit the verb chew: A chews solid food B, changing it into pulp (or wet mass), using his teeth D. And it would also fit bite. As to the human agent, recipes conventionally use the imperative. The word field under study is limited to those changes which reduce the size of the food items, excluding changes in the state of aggregate like melting since in melt the butter a solid food item becomes liquid. However, physics is not supposed to have the final say in semantics. All depends on the native speakers' usage and language awareness. So, when a student of mine - Frauke Haischer nee Koopmann - had submitted an extensive study of several recipe books, I checked her results with a large sample of Californian students at CSULA. Their language awareness posed the problem where the dividing line between mash 6 large ripe tomatoes and melt the butter might be since the mashed tomatoes would be rather liquid than solid, in fact. In this case we argued that the whole range of mashins potatoes, bananas, a ripe avocado, a cooked squash down to juicy items would not typically result in a state of liquidity, while melting typically changes the state of aggregate. 3. Mashing ripe tomatoes may result in a puree, instead of juice. The distinction between mashed and pureed seems irrelevant in a recipe requiring cooked mashed orpureed carrots. However, the verbs are non-synonyms because generally the result of mashing is expected to be coarser than purde. On the other hand, mashing may occasionally result in a rather liquid reduction of food items, while puree is a wet mass (a state of aggregate which technically still counts as solid). Mash broadly describes a process, puree specifies the result. Puree easily goes with the instruction through a (fine) sieve as an instrument. Mash seems more restricted to vegetative food than purte is: for example "pur£e in a blender: the meat of one freshly killed and cooked lobster or meat from frozen lobster tails with tomato puree, lemon juice, sherry, cognac, water". This recipe also serves to illustrate another type of non-synonymy: to purte and to blend can be substituted for each other in this case because puree in a blender names the instrument which nowadays is typical of blending, but it
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also specifies the consistency or testure of the result. Actually, specifying the instrument makes sense in view of the dictionary definition: to puree. "To rub (food) through a strainer" (The American Heritage D.). Other aspects of presssing are lexicalized as bruise, crush, squash, e.g. "Add the potatoes and bruise the beans with a potato masher until the soup is thick". 3.1. A number of verbs appropriately collocate with particular types of food. Typical examples of the vegetative range are mash potatoes, mill cereals, press garlic, pound spices. Among the animal range there are carve meat, saw bones, disjoint fowl, mince meat, hash meat. The mineral range is very restricted, e.g. powder sugar in addition to powder spices all items which are bought ready-made nowadays. There ia also a distinction between processed food and raw food items as in cooked, roasted carved meat vs. minced meat. Dairy products are not prominent in strict collocations. 4. Before discussing the results of food reduction processes, it will be useful to consider the instruments involved. A cook will hardly admit to having used her teeth, but hands may be taken for granted as instruments - unless you insist on spoons and forks as their extensions in crumbling cheese or bread, tearing- and shredding lettuce, flaking fish, sectioning (American) or segmenting (British) citrus fruit into their natural slices. In some cases the verb names the instrument: mill, sieve, saw. In other cases, the instrument is named after the process: blender, garlic press, ricer, masher, grater, shredder, grinder, mincer, chopper, cleaver, slicers, strainer. In many cases, knives are the obvious choice improving upon the natural limitations of hands as in cut, slice, carve, chip. There is a relevant distinction between types of instruments, to wit the one between sharpedged and blunt instruments; the edged ones either involve horizontal motion as in cutting or vertical application as in chopping. So you may split food either with your hands or with the blade of a knife or a cleaver; and you may use either your hands or a mallet for breaking. But when it comes to cracking ice or cereals you will resort to a mallet, or you will put the ice in a bag and pound it on the table. Fine pounding usually requires mortar and pestle though. Other instruments exerting pressure serve as extensions of our squeezing hands, e.g. the garlic press and the masher or ricer. Or the instruments substitute for our hands when more force is required than in rubbing bay leaves, e.g. in the case of mincing meat and grinding meat or coffee. 4.1. The choice of instruments is largely a matter of collective experience. Whether the pragmatic information "use a knife for cutting" has acquired semantic status in the native speaker's lexicon is still a problem. I noticed that some of my Californian students knew the verbs, but without some of the additional information taken for granted by a cook. Other students lacked a wide range of verbs in their active or passive vocabulary because they had no cooking experience of their own or they used food-processors. So we may find it difficult to decide whether the implicit information conveyed by the choice of a lexical item draws on semantic or pragmatic knowledge, the pragmatic background knowledge being due to collective or individual experience in a more deletable way than semantic knowledge. Since kitchen terminology is subject to technical changes, we can now study a period of transition where grandmother's cooking techniques may be replaced by simpler, less so-
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phisticated approaches to getting meals. Whenever we find that the implicit information going along with the choice of verb may be lost without affecting the meaning of the verb, then the implicit information corresponds to pragmatic background knowledge and is deletable. If a change of instrument changes the meaning of the verb, then we are dealing with semantics! Then suppressing the instrument will most likely result in our no longer using the appropriate lexical item corresponding to it. Therefore the study of kitchen terminology is of theoretical interest if you want to find out about the impact of pragmatics on semantics. 5. The semantic relationship between process and result has been lexicalized in a number of ways, specifying a particular quality of the resulting piece(s). Most obviously, several verbs specify the resulting size or shape of the reduced food item. For example, to halve, to quarter and also to split (at least into two parts) indicate relative size, while to chip, crumble, powder (sugar, spice) and pulverize (coffee, bay leaves) hint at absolute size (that is, rather absolute size since it is independent of the size, but not of the texture of the original item). As to shape, there are to cube, ίο dice (i.e. small cubes), to flake, to wedge and, in a way, to rice (The American Heritage D.:"To sieve (food) to the consistency of rice"). It takes an expert to understand the word julienne. The verb to julienne vegetable or meat is the causative of the adjective julienne as in julienne potatoes. The process results in long thin strips, while frenching before cooking results in thin strips as in "you may sliver the green beans, French them on the diagonal or leave them whole". The difference of size between julienne and french is in the specification of length and cut of the thin strips. Shape can also be irregular as in the case of shredding lettuce and crumbling bread. 5.1. A very relevant category is consistency or texture of the reduced food. For one, there is solid food vs. liquid food with pulp, mash, mush in between. In this study we are concerned with the range from solid food to pulp. However, the verb liquidize marks the borderline between the states of aggregate: "If you liquidize food, you process it in a liquidizer in order to make it liquid. EG...either liquidize the vegetables or pass them through a sieve" (Collins Cobuild ELD). Some recipes favour a puree-like result: Put the ground almonds with the milk in a pan and simmer for 10 min. Add bread-crumbs and simmer for 3 min. more, then liquidize or rub to a puree with a spoon. ...liquidize the milk and rice mixture together with the main part of the crab meat to make a fairly coarse or smooth puree according to your preference. (Conran 1978)
You often achieve the result of liquidizing and creamins by adding liquid (e.g. milk or cream). If we consider pulp to be a wet mass we may describe powdered spices as a dry mass. In physics, powder is solid; in kitchen terminology the attribute solid becomes irrelevant in the case of powder. Starting from solid food such as meat we will get solid parts as the result of cubing and slicing, or by finer reduction - via shredding, chopping, hashing - we will eventually reach a wet mass as the result of mincing (British) or grinding. Since to mince is appropriately paraphrased as "to cut or chop into very small pieces", American mincemeat can be said to
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be "finely chopped meat". Of course, people use a mincer or a grinder in order to achieve the difference between coarsely chopped meat - considered to be solid - and the wet mass. Grinding also yields a dry mass in the case of coffee, corn, spices, nuts. 5.2. My attempts at specifying the non-synonymy of the relevant lexical items involve these broad distinctions: types of food, instrument, consistency, shape, size. There are minor distinctions, some of which can be subcategorized, for example the amount of force exerted by hand or instrument, regularity or irregularity of shape, degrees of size. Size can be graded from large to small as, approximately, in slice, cube, sliver, dice, flake, shred, grate, mince, grind while chop as well as cut may require specific information as in "cut into one-inch cubes" and "chop coarsely, finely". Of course, the instruction "slice thin" is contrastively relevant although slices are implicitly thin, anyway. Yet there is the explicit contrast between thin and thick slices as slices go. Implicit shape and size may be defined three-dimensionally: three equal dimensions in dice, cube; two large, one small/thin in slice; one long, two small in shred; three small in rice, grate; three roughly similarly small in chop; (almost) not recognizable dimensions of small particles in mash. These dimensions may result in regular or irregular shapes, some of which are natural subdivisions. Natural subdivisions are achieved by crumbling and by various ways of dividing as in disjointing, flaking, sectioning, segmenting, separating. Splitting may also yield natural subdivisions since it often achieves rather equal portions along natural dividing lines (e.g. banana split, split pea soup). This leads us on to the number of fragments achieved as in sliver (few) and shred (many). The results may depend on the type of food to be reduced, e.g. manufactured and standardized food (chocolate, canned salmon, bread nowadays) vs. home-made food as in "mash boiled potatoes", and on the type of tool used: (+hand) for crumble, flake (unless fork for aesthetic reasons), tear; (+hand) for shred; (+blade) for chop, cube, cut, dice, mince, slice, sliver, shred; (-Hoothed tool) for shred, grate; (+sieve) for puree, nee, sieve, strain; etc. 6. Dialects may account for those cases where the semantic and pragmatic analyses yield identical descriptions, in particular American vs. Britian usage. While British mincemeat is a sweet filling containing no meat at all, American mincemeat either is a sweet filling sometimes containing meat or it corresponds to British minced meat, otherwise ground meat (American). Less complicated are these instances of dialectal variation: Shredding lettuce by hand may be tearing in American English. Crushing ice is cracking in American. In both cases, we may safely ignore any difference in the amount of force exerted as an irrelevant distinction in the process when it comes to British vs. American terminology. Since few people use two terms indiscriminately, this variation is a matter of dialect. 6.1. When reading recipe books, the distinction between American and British usage may be easier to handle than the distinction between general language and English for specific purposes. Thus blend as in "Blend the sugar, flour, and eggs" or "Blend the flour into the eggs and sugar" still goes with the general definition "mix together thoroughly, esp. so that the different parts can no longer be separated" (Dictionary of Contemporary English 1987).
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But the American book by Rombauer and Rombauer Becker "Joy of Cooking" (1979) is rather more specific and restricts to blend to the use of a blender: About blended pureed vegetables The blender is a real find for mothers of young children who want to cook fresh vegetables all at once for the whole family and then puree the very young children's portion. As an alternative, well-washed and scrubbed, tender raw vegetables may be blended and then cooked to the boiling point.
Or citrus fruit is sectioned, i.e. by hand, while apples are cut into sections (cf. Joy of Cooking). The same goes for segment (rather British than American usage). Languages for special purposes tend to restrict the semantics of lexical items. Kitchen terminology does not radically change the semantics of general language words by standardizing their definitions in a counter-intuitive way since misunderstandings would be too risky in this area. Recipes had better be fully explicit in case of doubt. 6.2. Recently, the implicit information conveyed by terminological choices seems to have lost some of its reliability what with the pervasive use of food-processors and the reliance on fast food or restaurant meals. So general language has to serve as the means of communication in recipe-writing. Therefore recipes tend to become more explicit and consequently spread out a greater part of the information over the sentence. This disregard of verbal semantics - in the sense of specific purpose semantics - calls for an increased number of argument terms in the recipe, specifying food, consistency, size, and instrument. So in future, recipes may rely on less variety in the verbal category and greater variety in the nominal and adjectival categories of terms associated with the predicate. The tendency may be for there to be more adjuncts in the sentence, and complements will accordingly have to be spelled out. This might easily happen in the case of julienne andfrench. So far, instructions of the following type abound: - chop pecans into small coarse pieces - grind cumin into fine powder - grate NP into small bits - break NP with your hands into crumbs - cut NP into strips/chunks - cut cheese into thin slices - slice each sandwich into four triangles
7. The verb trim has been excluded from this study in spite of this instruction concerning broccoli and cauliflower: "stems trimmed to two inches long", a clear case of reducing the size of food items. However, the basic idea still holds that by trimming you remove any excess from the food, e.g. "trim excess fat from spareribs". Of course, there is quite a word field for removing the skins and other parts of vegetables, fruit, meat etc. They all result in a reduction of size, too: pare, peel, scrape, shell, stem, pit, core, bone, scale, skin. 8. The following verbs have been studied as members of the word field: - blend (consistency; instrument) - break (hand, mallet; with force; explicit as to pieces) - bruise (cf. crush, less general; result: fragments cf.pound)
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- carve (cooked meat; unlike disjoint) - chop (unlike cut; cf. mince; irregular size and shape) - cleave (instrument) - chip (names result; ice, chocolate, potatoes; shape) - crack (mallet; explicit as to coarse pieces) - cream (names result; vegetable; milk or cream added) - crumble (names result; slight pressure) - crush (cf. press but no specific instrument; brittle) - cube (names result; cf. dice) - cut (blade; rather general, explicit as to result) (hyponymy!) - dice (small cubes) - disjoint (result: natural parts, i.e. joints!) - divide (very general; hyponymy!) - flake (names result; natural dividing parts; fish, coconut, chocolate) - french (cf. julienne; long thin strips; diagonal cut) - grate (cf. shred; instrument) - grind (instrument; meat or coffee, corn, spices, nuts; wet/dry mass; cf. mince, powder; American) - halve (names result) - hash (names result; cf. chop, mince, grind) - julienne (cf. french; result: thin strips) - liquidize (instrument; result: puree to near-liquid) - mash (instrument; cooked vegetables; coarser than puree) - mill (instrument; cereals; fine dry mass) - mincej (blade; cf. chop, but very fine) - mince2 (instrument; meat; cf. grind; British) - pound (with force; blunt tool; spices; dry mass finer than by bruising) - powder (cf.pulverize; result named; spices, sugar) - press (instrument; garlic; wet mass) - pulverize (cf. powder) - puree (names result) - quarter (names result) - rice (instrument; rice-like pieces; cooked potatoes, egg;American) - saw (instrument; bones) - section (names result: natural parts; citrus fruit; American) - segment (names result: natural parts; citrus fruit; British) - separate (cf.segment.section; food with natural divisions) - shave (blade; ice,chocolate,carrots,cheese?; very small thin pieces; operation named) - shred (instrument; result named; long narrow pieces; lettuce, cabbage; cf. grate for cheese in short irregular pieces) - sieve (cf. strain; instrument) - slice (instrument or knife; result named) - sliver (result named; almonds, green pepper) - snip (scissors; parsley, chives; small) - split (hand, knife, cleaver; at least two parts; natural division) - squash (cf. crush; rather wet mass; vegetables, fruit) - strain (instrument; result rather liquid) - tear (cf. shred; hand; lettuce) - wedge (names result)
The additional information in brackets serves to indicate some of the distinctive features and points to be set out in a matrix.
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ASPECTS OF THE INTERPRETATION OF PUNS IN NEWSPAPER ADVERTISEMENTS Eckhard Roos
1. Introduction We all are permanently exposed to various types of advertisements, the most succesful still being the newspaper ad. Like any other type of advertisement it is based on the well-known AIDA-formula (attention, interest, decision, action). Getting the reader's attention is the first thing an advertisement must achieve. In a world in which all our senses are permanently stimulated by a flood of visual and acoustic impressions, advertisements must make use of all means available in order to be realized. The oldest and still most useful means for this purpose is language (cf. Römer 1968: 23 f.). The main elements of an advertisement designed to arouse attention and interest are to be found where psychologists say they are most efficient: in the beginning and at the end of an advertisement (cf. Polzer 1988: 58). These elements are the headline or the caption along with the illustration and - in the lower part of the advertisement - the signature and the slogan. The headline tends to be the most prominent element of an advertisement. It is short, its letters are much bigger than those of the body copy - the central text of the advertisement - and it often makes use of surprise elements such as metaphor, parallelism, rhyme and unconventional spelling; the most successful elements, however, are puns.
2. The use of puns in newspaper advertisements Puns have for a long time attracted the attention and interest not only of potential customers but also of linguists who have worked out elaborate classifications and investigated puns with regard to their stylistic function/ With the emphasis being on the interpretation of puns, we shall only give a brief account of the various ways in which puns are used in advertisement headlines. Limiting our scope to the most frequent types of puns that are found in advertising headlines, we shall start with a rough classification which is exemplified by (1) - (3). On account of the common trends in American, British, French and German advertising, the examples are taken from American, British, French and German newspapers and magazines. (1) When you make a great beer you don't have to make a great fuss (Heineken) (2) "J'ai exactement le profil de Votre situation!" (Daniel Boudon. Formes Paris. Collection Femme Enceinte) Illustration: Man and (pregnant) woman in an office setting. She (laughing) is pulling him by his tie. (3) "Now KLM flies direct to Leningrad." "...so Russia is only a Steppe away...?
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The first distinction, exemplified by (1) and (2) is the one between horizontal and vertical puns (Hausmann 1974: 17). Horizontal puns are based on the parallel co-occurrence of formally identical or similar items which differ in meaning as in (1), which exploits the different meanings of make by the juxtaposition af a free word group and an idiom in which it occurs. In vertical puns the effect is brought about by the ambiguity of a single lexical unit as in (2) which plays on the ambiguity of profile, which in the context of an interview - which is suggested by the illustration - means 'qualification'. But the illustration brings also the literal interpretation - litterally - into play by showing the pregnant woman in profile. While the distinction between horizontal and vertical puns is based on the form side, the other basic distinction we work with is based on the content side of puns: the different causes of ambiguity - mainly polysemy and homonymy - which account for the pun. In (3) it is the polysemy of profil "contours at side view" and "professional qualification" which makes for ambiguity, in (3) it is the homonymy - or rather homophony - of Steppe and step which both make sense in this context.
3. The pun effect
3.1. Ambiguity as the basis of puns As the examples show, the word plays we frequently encounter in advertising headlines mainly exploit ambiguity. We shall use this term in its generic sense, including not only polysemy and homonymy but also related phenomena like homophony, paronymy etc. Ambiguity is an essential element of all natural languages, a fact language users are seldom aware of, since in everyday language use, ambiguity in avoided by the speakers and dissolved by means of the context by the hearer. In puns, however, ambiguity is used on purpose. It can be achieved by using sentences or lexemes in deficient contexts, which accounts for the fragmentary character of puns (cf. Hausmann 1974: 13). Whenever linguists demonstrate ambiguity the examples are used out of context. Many lexemes which are theoretically ambiguous, have a preferred reading even when they occur out of context. It is the meaning in which they occur most frequently, the one language users are most familiar with. In such cases, it is not sufficient to reduce the context. Ambiguity will rather be brought about by a context - either linguistic or nonlinguistic - which suggests the less common, unexpected interpretation. Lexical ambiguity frequently exploits the inherent ambiguity of a subclass of idiomatic phraseological expression (or idioms) - mainly dead metaphors - which can have a literal counterpart (cf. Polzer 1988: 57f.). Their potential for ambiguity makes them an ideal means for puns in advertisement headlines. (4) Si, comme Bonduelle, vous avez besoin d'informations sur le champ, il est temps de passer ä Hewlett Packard illustration: A field of ripe peas bodycopy: La rapidito d'information HP permet de recolter au mieux ce qu'on a sem6...
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(5) Nixdorf computers can give each other a piece of their mind illustration: two computers connected by a telephone link, body copy: This in turn, gives you peace of mind (6) Nehmen Sie Ihre Geldanlage selbst in die Hand (American Eagle) illustration: Hand holding a gold coin
The pun in (4) plays with the activation of the literal meaning in addition to the idiomatic meaning of sur le champ "on the field" and "immediately". In (5) only the literal interpretation of the idiom to give sb. a piece of one's mind which is brought about by the illustration and the body copy, makes sense. The body copy continues the word play by bringing the idiom peace of mind into play which partly corresponds to the first idiom. In (6) however, even if the illustration interprets the idiom etw. in die Hand nehmen "take sth. in hand, take charge of sth." literally, the intended meaning is the idiomatic one. This process of forgrounding or remotivation, the revival of the original metaphorical meaning of an idiom, can be found in many pun headlines. The literal meaning can be relevant; often, however it is only reanimated for the pun's sake. In quite a few cases, there is rather similarity than identity of form at the base of idioms, e.g. in (7) As Bach is to music, Asbach is to brandy
While syntagmatic idioms like (7) have less difficulties with this kind of paronymic relationship, paradigmatic puns require a kind of fusion of the formally different items at the base of the pun: (8) Guten Appeltit illustration: a herring can surrounded by beautifully decorated sandwiches. (9) State of the art (Lufthansa) illustration: artful photography of the nose of an airliner
In (8), a pragmatic idiom is fused with a brand-name, in (9), the elements involved are two phraseological items: State of the art and modern art. The effect of puns can also be based on knowledge of the world as in the airline-advertisement (10) The last lot of people in our first class cabin didn't leave it as they found it (TWA)
The phraseological item would rather be expected in a public convenience. What it normally presupposes is that people tend to leave a tidy place not as neat and clean as it was before. In this ad however, a messy place - the airliner - is left tidy by the cleaning squad. 3.2. Recognizing and interpreting puns Generally, hearers and readers do not expect ambiguity. A pun, however, can only work if it induces more than one interpretation. It must, therefore, lead the reader's strategies of interpretation astray until, in a sudden flash of recognition, a second level of interpretation makes its appearance. The first thing a pun must achieve, therefore, is to be recognized as such. Only then will the language user make an attempt to look for more than one interpretation (vgl. Häusermann 1974: 14).
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The recognition of puns may be facilitated if the reader expects a pun. The fact that puns occur frequently in advertisement headlines has the consequence that readers look out for them when encountering an advertisement. There is a wide range of elements that are used to trigger the recognition of a pun: They reach from unconventional spelling and orthography via contextual means (including illustrations) to linguistic deviancy. All these elements have one single function: to signal :"This is a pun!" 3.3. The effect of puns Recognizing a pun can be an end in itself. Some puns - particularly those that play on homophones - give the reader no other reward than the pleasure of having found the hidden ambiguity. In more elaborate puns, the recognition of the pun is only the first step to its interpretation. They make the reader aware of the ubiquity of ambiguity and the arbitraryness of linguistic signs (cf. Vittoz-Canuto 1983: 27). In addition to this metalinguistic insight, the realization of a second interpretation may have another effect: In good puns " ...the second meaning is not only more important in advertising value but also more subtle" (Quirk 1950: 86). According to Quirk "...there can be little doubt that the satisfaction gained from this order of comprehension is far greater than it would have been if we had seen the superior meaning first, "(ibid.) The activation of two interpretations at time leads to an extreme density of information. This is even increased by the necessary brevity that is characteristic for puns. Brevity combined with the magic moment of recognition facilitates memorization. These combined factors make puns an ideal means in advertising. If we look for an explanation for the phenomena under consideration we need a linguistic theory which includes the reader and his ability to discover and interpert puns.
4. Gestalt Linguistics and the interpretation of puns A promising approach which explains the language user's ability to cope with ambiguity and accounts for the effect created by puns is cognitive linguistics, in particular Gestalt Linguistics (cf. Langhoff 1980). We will refer to such an approach in our attempt to account for various aspects of the interpretation of puns such as the effect created upon the reader, the function of the context, the coexistence of the different levels of interpretation, and the ambiguity based on idioms. 4.1. Reversion The sudden recognition of a pun may be explained by the same gestalt principle that accounts for the sudden appearance of a different interpretation in optical illusions like in fig. 1, which may be interpreted either as a table or two faces.
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(Fig. l ) Langhoff (1980: 154 f.) regards this as a case of homonymy since the two senses are not related while fig. 2, which can either be interpreted as a young or an old woman·*, corresponds to linguistic polysemy.
(Fig.2) In both instances, we can refer to the figure-and-ground principle (Figur-Grund-Prinzip) of Gestalt theory to explain the inherent ambiguity and the sudden new interpretation. This theoretical principle is based on the focussing on certain features in the perception of a gestalt (Gestalt-bildung). They constitute the form, while the other features make up the background. Without a disambiguating context, the relationship between figure and ground can suddenly become the opposite. This phenomenon, which is generally called reversion (Reversion) (cf. Langhoff 1980: 19), occurs when we look at fig. 1 and 2. The same happens when a pun is identified. What is considered the form and what the background may vary with the focus, e.g. the same glass of water may be considered half full or half empty. As fig. 2 shows, the different images or concepts which can undergo reversion do not necessarily need to be complementary. By focussing on different items in an identical set of elements during the gestalt-formation process, we end up with different gestalts (and consequently different visual or linguistic interpretations). Which elements are focussed and which gestalt thus results from the foregrounding process mainly depends on the reader's background assumptions, which are related to another gestalt principle: The principle of
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good gestalts (Prinzip der guten Gestalt). It assumes that an ideal gestalt exists in the mind which is activated in the gestalt perception process: what is not given in the external situation is made up for by the good gestalt in the reader's mind. If we apply this principle to language it may explain the role of our background assumptions, expectations, predictions and projections in the understanding process: "Feder versteht der Zoologe als Vogelfeder und der Uhrmacher als Uhrfeder" (Langhoff 1980: 163). As we have seen above, defective context plays a crucial role in puns. In the interpretation of puns, the missing context information is filled - according to the principle of good gestalts - by the reader. What he feeds in comes mainly from his socio-cultural background. This may explain the important role of knowledge of the world in the interpretation of puns. 4.2. Context, isotopy, and the invariant If we assume a dynamic relationship between the whole and its parts - another basic principle of gestalt theory - we can explain why the meanings single lexemes contribute to a text depend to some extent on their context. It is the context which - due to the the figure-andground principle - triggers a particular meaning by shifting the focus to certain semantic elements. The interaction with the neigbouring elements in a gestalt allocates each element its semantic function. This is where the concept of isotopy comes in. This term basically refers to "an equivalent place in the chain of interpretants11 (Antilla 1980: 37). It is a sense gestalt which results from the grouping together of semantically related elements in a text. Puns are characterised by the intersection of two isotypies (cf. fig.3).
(Fig.3) The two isotopies are depicted as linear arrangements of lexical items. At the point where they overlap, we find the invariant (dotted lines) which de Foucault (1988: 2o) considers the core of the pun. The term invariant implies that the ambiguity of puns is brought about by two semantically distinct structures (in syntactic ambiguity) or lexical items (in lexical ambiguity), which are formally similar or even identical. Without invariant there would not be any contact between the two isotopies - and no pun. To trigger the pun, the reader must be made aware of the second isotopy, i.e. the continuity of the first isotopy must be interrupted. This can be done, as mentioned above, by a wide range of means from explicit hints via illustrations to deviant forms. The metalinguis-
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tic effect of puns may be explained in terms of fig. 3 as the activation of the vertical axis inherent in the invariant that connects the two levels of meaning of the ambiguous item and thus the two isotopies. The simultaneous activation of multiple meanings can be seen as an instance of parallel processing. This becomes quite clear if we consider idiom-based puns. 4.3. Idioms in puns As has been pointed out elsewhere (cf. Roos 1990: 7), idioms are gestalts par excellence. They are at the same time lexemes and word-groups. Gestalt theory, which is the theory of the whole and its parts, can explain the interrelationship between the idiom as a gestalt which has a holistic - i.e. synthetic - meaning and its ability to function like a word group with an analytical meaning. It is this property of idioms which is frequently exploited in puns (cf. Roos 1989: 240). In a gestalt approach, which has the ability to reconcile opposites, the contradiction of synthetic and analytic meaning is suspended (vgl. Roos 1990: 6). This ability may be explained by means of the figure-and-ground principle. The simultaneous activation of the literal (i.e. analytic) and idiomatic (i.e. holistic) meaning of idioms is also explained by recent work in psycholinguistics and neurolinguistics. The kind of parallel processing which takes place in the interpretation of idioms in puns is due to the fact that different kinds of language processing take place simultaneously in the brain, an analytic one in the left hemisphere and a synthetic i.e. holistic one in the right hemisphere.
5. Summary Puns play an increasingly important role in advertisements. They are mainly used in headlines which have the function of attracting the reader's attention and arousing his interest. The interpretation of puns is a challenge to the reader which really puts his mind to work. In the context of advertisements, this has an important side-effect: It guarantees that the relevant parts of the advertisement are memorized. This is essential for the achievement of the last two steps of the AIDA-formula, decision and action - the ultimate goal of the advertisement. The description of the way the reader interprets puns makes use of gestalt principles as they play a role in Gestalt linguistics which may be considered a branch of Cognitive Linguistics. Insight into the interpretation of puns is not an end in itself but it may allow one to draw conclusions with respect to word recognition and related phenomena.
Notes 1 This has been done by various linguists, in particular Hausmann (1974), Vittoz-Canuto (1983). 2 Here, we can refer to the works of Romer(1968) and Burli-Storz (1980). 3 cf. Kretch/Crutchfield (1968: 97) in Langhoff (1980: 157). 4 According to Antilla (1990: 37) it stems from Greimas 1966: 69ff.).
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DIE LEISTUNG VERBALER WENDUNGEN IN DEUTSCHEN UND UNGARISCHEN WIRTSCHAFTSTEXTEN Judith Muräth Ausgegangen von der Annahme, daß deutsche Fachtexte u.a. durch verbale Wendungen geprägt werden (vgl. Hoffmann 1984: 187ff), ging es mir in meinen Untersuchungen erstens um die Leistung verbaler Wendungen in deutschen Wirtschaftstexten und zweitens darum, wie sie sich bei Beibehaltung ihrer semantischen Äquivalenz ins Ungarische übersetzen lassen. Um für die deutsch-ungarische Konfrontation ein gemeinsames Feld zu schaffen, habe ich mich nach langem Zögern für die Benennung "verbale Wendungen" (vgl. Schmidt 1968) entschieden. Zu den verbalen Wendungen werden im Deutschen "Streckverbindungen" (Streckformen) oder mit einem anderen Terminus "Funktionsverbgefüge" gerechnet (Vgl u.a. Polenz 1963, Heibig 1984,: 63ff, Helbig/Buscha 1988: 79ff). Sie sind Wendungen, deren Gesamtbedeutung oft nicht aus der Funktion der Einzelbedeutungen der Konstituenten in der konkreten Wortverbindung erschlossen werden kann. Es handelt sich um eine Fügung von Verb und nominalem Teil. Zu den Verben treten Verbal- oder Adjektivabstrakta, die meist einen Zustand, eine Eigenschaft, einen Vorgang oder eine Tätigkeit bezeichnen; z.B. in Gefahr bleiben, Mut haben, Gespräch führen, Ordnung schaffen. Den nominalen Teil bildet in der Regel ein Substantiv im Akkusativ (Sa), z.B. Unterstützungfinden, oder eine Präpositionalgruppe (pS), z.B. die Maschine in Betrieb setzen; seltener ein Substantiv im Nominativ (Sn), z.B. eine Abrechnung erfolgt; im Genitiv (Sg), z.B. der Meinung sein; im Dativ (+Akkusativ) (Sd), z.B.jmdn. einer Prüfung unterziehen (vgl Helbig/Buscha 1988: 94). Das Verb und das Substantiv bilden in der Wendung eine semantische Ganzheit. Der semantische Gehalt der Verben ist weitgehend reduziert; sie haben ihren begrifflichen Gehalt eingebüßt, wobei die lexikalische Bedeutung im nominalen Teil ausgedrückt wird. So sind sie oft durch ein einfaches Verb oder Adjektiv (+Kopula) ersetzbar: (1) Gespräch führen (2) in Betrieb setzen (3) Mut haben
-» -» -»
sprechen betreiben mutig sein
Viele verbale Wendungen können aber nicht durch entsprechende Verben und Adjektive paraphrasiert werden. Somit schließen sie bestimmte Lücken im System der deutschen Verben und Adjektive und bereichem auf diese Weise die Ausdrucksmöglichkeiten. Darin besteht eine ihrer semantischen Leistungen; z.B. einen Kontakt aufnehmen, zur Vernunft bringen, zu der Ansicht gelangen, usw. Ihre hauptsächliche semantische Leistung ist, daß durch sie verschiedene Aktionsarten zum Ausdruck gebracht werden können. Auf Grund dieser semantischen Funktion unterscheiden sie sich von den ihnen bedeutungsmäßig entsprechenden Vollverben und - es versteht sich von selbst - auch untereinander. Dadurch, daß sie "ein Geschehen als dauernd, als beginnend bzw. einen Zustand verändernd und als bewirkend markieren können" (vgl dies.
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1988: 103), lassen sie sich in durative, inchoative (diese weiterhin in ingressive und egressive) und kausative Wendungen einteilen. Von dieser Leistung zeugen auch Wendungen, die nebeneinander stehen: (4) in Bewegung sein (5) in Bewegung kommen (6) in Bewegung setzen
wobei (4) als durativ, (5) als inchoativ und (6) als kausativ bezeichnet werden kann. Die "Streckformen" oder verbalen Wendungen bestehen auch in der ungaris c h e n S p r a c h e aus einer Fügung von Verb und nominalem Teil. Zum inhaltsarmen Verb tritt meist ein Substantiv verbaler Herkunft oder doch verbalen Inhalts, dessen konstruktionsexterne Bedeutung innerhalb der Konstruktion bewahrt wird: (7) ellenorz&t gyakorol (8) elinte~z&t nyer (9) gondoskodas törtenik
(ellenoriz) (elinte"zödik) (gondoskodunk, gondoskodnak)
Die meisten von ihnen sind unpersönliche Wendungen, Passivumschreibungen, die in der Presse, in der Amtssprache und in Fachsprachen bevorzugt werden. Im Hinblick auf die Tendenz des Ungarischen zum verbalen Ausdruck werden verbale Wendungen von Sprachpflegern abgelehnt und stattdessen einfache Verben vorgeschlagen. Doch werden sie differenziert behandelt und in drei Gruppen geteilt: 1. Die erste Gruppe bilden verbale Wendungen, die durch Analogieübertragung in die ungarische Sprache geraten sind und sich der grammatischen Struktur nicht anpassen können, die weiterhin überflüssig sind, da zum Ausdruck des Zustandes, Vorganges, etc. einfache Verben zur Verfügung stehen: (10) beväsärlast eszközöl (11) levonasba hoz
( = beväsärol) vs. (=levon)
2. Viele von ihnen werden - obwohl sie meist fremden Ursprunges sind - nicht als falsch empfunden, da sie sich in der ungarischen Sprache eingebürgert haben und weitverbreitet sind. Sie haben in bestimmten Subsprachen eine bestimmte Funktion und können nicht durch ein Verb paraphrasiert werden, wie die Beispiele (12) und (13) zeigen: (12) feled&sbe megy (oder feled&be merül) (13) elfelejtenek valamit
3. Besonders empfohlen werden phraseologische Wendungen, in denen das Verb und das Substantiv eine Ganzheit bilden und deren Bedeutung nicht aus der Funktion der Einzelbedeutungen der Konstituenten in der konkreten Wortverbindung erschlossen werden kann. Sie sind nicht durch ein Verb ersetzbar: (14) fejebe vesz valamit (15) zokon vesz valamit (vgl. Gr&sy/Kovalovszky 1985: 10007ff.)
Den Ausgangspunkt für meine Analyse bildeten Texte, die unsere Fachübersetzungsstudenten im Rahmen des Faches "Übersetzungstechnik" übersetzt hatten. Diese waren Details
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von Studien, die sie Sachbüchern und Fachzeitschriften entnommen hatten. Die Texte behandeln folgende Bereiche: Finanzen, Verschuldungskrisen in Entwicklungsländern, Krisenmanagement, Marktwirtschaft und Marktforschung. Nachdem die verbalen Wendungen der Originaltexte aufgelistet worden waren, ging es mir darum - wie oben angedeutet - zu untersuchen, wie sie sich bei Beibehalten der semantischen Äquivalenz ins Ungarische übersetzen lassen. Die Erhebung, die insgesamt 807 Prädikate enthält, umfaßt 94 verbale Wendungen (11,6%). Aus formaler Sicht zerfallen die ungarischen Äquivalente in drei Gruppen: 1. Die erste Gruppe mit 16% der Fälle ist diejenige, in der den deutschen verbalen Wendungen im Ungarischen einfache Verben entsprechen. Die Äquivalenz wird entweder (a) durch die B e d e u t u n g des Verbs selbst gewährleistet: (16) Deutsch: Typ SaV:
-»
Aufschluß bieten -* Allerdings auch: -» (Das Verb wird aber bevorzugt.),
Ungarisch: V: taj£koztat tajökozaüst nyujt
oder (b) durch Wortbildungsmittel, diesmal durch P r ä f i x e . Unter den Äquivalenten sind die meisten präfigierte Verben, die auf diese Weise ingressive oder egressive Aktionsart ausdrücken können. Im Originaltext kamen einerseits Wendungen mit nehmen, andererseits mil finden, leisten und erfolgen vor. Im Ungarischen handelt es sich dagegen einerseits um Verben mit dem ingressiven Präfix^/-: (17) Deutsch: Typ SaV: Aufschwung nehmen
-»
Ungarisch: Präf.V:
-»
tellendül,
andererseits um Verben mit den egressiven Präfixen el-, le-, meg, be-, hozza- u.a.: (18) Verbreitung finden ("fand Verbreitung" (19) den Niederschlag finden ("fand den Niederschlag" (20) die Rettung kann erfolgen
-» -» -» -» ->
elterjed "elterjedt") lecsapodik "lecsapodott") lebet megmenteni
Die Übersetzung der Wendungen (Deutsch: Typ SaV; Ungarisch: V) in (21) und (22) fällt aus dem Rahmen: (21) Eine entsprechende E n t w i c k l u n g n a h m der Lombardsatz. Megfelelöen a l a k u 1 1 a lombardkamatläb. (22) Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung f a n d in der Einkommensentwicklung ihre E n t s p r e chung. Ez a nipgazdasägi fejlddes a jövedelmek alakulasäban is t ü k r ö z d d ö t t .
Die obigen nichtpräfigierten Verben können die Ingressivität bzw. Egressivität der verbalen Wendungen nicht zum Ausdruck bringen. (c) Als weitere Reserven zum Ausdruck der Aktionsart stehen im Ungarischen oft lexikalische Mittel zur Verfügung:
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(23) Deutsch: Typ pSV
-»
Ungarisch: Adv.V
Es k a m z u einer deutlichen E r h ö h u n g der Zuwachsraten.
Die Wendung kommen....zu+S hat eine egressive Funktion, die der Übersetzer durch das Adverb ujra beizubehalten versucht:
im Satz
(24) A növekedesi räta azonban u j r a jelentos mortokben e m e l k e d e t t .
2. In einer relativ kleinen Gruppe, 9,5%, entsprechen den VW im Ungarischen Prädikative. Die deutschen VW sind entweder Typ SaV wie in (25) oder Typ SnV wie in (26), wobei das Adjektiv vom ungarischen Prädikativ im Originaltext als Attribut die Wendung erweitert hat: (25) Deutsch: Typ SaV
-*
den Vorteil bieten (26) Deutsch: Typ SnV/SaV
Ungarisch: SnO az az elonye
-»
Die Produktionsfaktoren werden somit dazu gebracht, das Gut zu produzieren, wofür der -* dringendste Bedarf besteht.
Ungarisch: Adj.O Ezzel a termelosi tenyezoket olyan javak termelesehez haszniljak, amely iränt legnagyobb a kereslet.
3. Unter den ungarischen Äquivalenten überwiegt die Gruppe der VW (74,5%). Nach der Einteilung nach dem morphologischen Typ erhielt ich zwei zentrale Subklassen im Deutschen: (a) VW, die aus Sa + V bestehen und (b) VW, die aus pS + V bestehen. (a) Typ SaV (35% der ganzen Erhebung) entspricht in der ungarischen Sprache meist auch Substantiven im Akkusativ + Verb, wobei folgende Verben innerhalb von VW mehrfach belegt waren: (27) Deutsch: Typ SaV - treffen, finden, ergreifen, geben, - zur Sorge Anlaß geben ("Außenwirtschaftlich g a b e n - kann Hilfe schaffen - vorteilhafte Politik betreiben - die Hauptlast tragen
-»
Ungarisch: Typ SaV
schaffen, bieten, nehmen, tragen und besitzen -» aggodalomra ad okot die negativen Salden der Leistungsbilanz A n l a ß zur Sorge.") -» segitseget nyujthat -> elönyös politikät folytat, -» a fo terhet viseli; u.a..
Von den bisherigen Fällen hebt sich eine kleine Gruppe ab (4 VW). Hier begegnen uns Fälle, in denen dem deutschen Sa im Ungarischen Substantive mit den Endungen -ba, -be, -ban, -ben, -ra, -re und - /, -vel entsprechen: (28) hat eine breitere Zustimmung erfahren - szeleskörü helyeslesre talält (29) Bezug nehmen - figyetembe vesz (30) seine eigenen Interessen verfolgen - sajät dolgäban färadozik (31) eine Rangposition aufweist - sorszämmal rendelkezik
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(b) In der Gruppe des Types pSV (32% der ganzen Erhebung) haben wir mit den Verben führen, gelangen, kommen, geraten, stehen zu tun, die mehrfach belegt sind, vereinzelt kommen ziehen, treten, versetzen, gelangen vor. Sie zerfallen wiederum in zwei Gruppen: Typ in... Verb (9,5% der ganzen Erhebung) in ingressiver Funktion (Beispiele (32), (33)) und Typ zu... Verb (22,5% der ganzen Erhebung) in durativer (drei Fälle) sowie in ingressiver und egressiver Funktion (18 Fälle) (Beispiel (34)). (32) Deutsch: Typ inSV - in Gefahr geraten - in Betracht ziehen (33) Deutsch: Typ inSV - in Wettbewerb treten (34) Deutsch: Typ zuSV - zur Verfügung stehen - Schon in Vorjahren war es zu starken Veränderungen gekommen. - zu dem Schluß gelangen - zu Ende gehen
Ungarisch: Typ Sba/beV veszelybe kerü] figyelembe vesz Ungarisch: Typ Sra/re versenyre kel Ungarisch: Typ Sra/reV rendelkezesre all (durativ) Mär az elozo evekben nagy vältozdsokra k e r ü 11 s o r. (ingressiv) arra a következtetesre jut (egressiv) vegohez közeledik (egressiv)
Zusammenfassend kann man zum Übersetzen deutscher verbaler Wendungen ins Ungarische folgendes feststellen: Obwohl zum Ausdruck von Zuständen und Eigenschaften, von Vorgängen bzw. von ihren Ergebnissen, weiterhin zum Ausdruck der Veranlassung und Veränderung, die im Deutschen durch verbale Wendungen ausgedrückt werden, im Ungarischen verschiedene sprachliche Mittel zur Verfügung stehen, werden nach unseren bisherigen Erfahrungen auch im Ungarischen VW bevorzugt. Bei den in der Erhebung vorgekommenen Wendungen weisen die ungarischen Äquivalente besonders im Typ SaV eine große formale Übereinstimmung auf. Im Typ pSV kam beim Übersetzen die Polysemie der Präposition zu zum Vorschein, die sich in der Anwendung zweier Suffixe offenbarte: -hoz,-hez,-höz und -ra,-re. Die semantische Leistung der Wendungen konnte in den meisten Fällen aufrechterhalten werden. Zum Ausdruck der Aktionsart standen auch in der ungarischen Sprache Mittel - wenn auch nicht immer die gleichen - zur Verfügung. Neben lexikalischen und Wortbildungsmitteln war die Frequenz der verbalen Wendungen auffallend hoch, sogar viel höher als erwartet. Die Übersetzung der Wendungen läßt auch Eigentümlichkeiten der Verben erkennen. In einigen Fällen behält das Verb seine ursprüngliche Bedeutung und läßt sich dementsprechend übersetzen. So z.B. konnte/z/wfe/z auch durch talal, geraten durch kerül übersetzt werden. Andererseits bestätigen gerade die ungarischen Äquivalente, daß die meisten Verben ihre ursprüngliche lexikalische Bedeutung in den verbalen Wendungen verloren und sich von lexikalischen zu grammatischen Wörtern entwickelt haben. Gleichzeitig sind sie imstande, eine sehr allgemeine semantische Information in die Wendung einzubringen und somit die verschiedenen Aktionsarten auszudrücken. Verben, die Träger derselben semantischen
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Funktion sind, können sich ersetzen. Z.B. kann das Verb finden meist durch erfahren ersetzt werden. Beide drücken eine inchoative Aktionsart aus. Dies wird auch im Ungarischen so empfunden; so werden sie in einigen Wendungen mit demselben Verb übersetzt: (36) Bestätigung finden - megerösit&t nyer (37) Bestätigung erfahren - megerositest nyer
Manchmal kann im Deutschen genießen die Verben finden oder erfahren ersetzen. Dies kommt auch im Ungarischen zum Vorschein: (38) eine stiefmütterliche Behandlung erfahren - mostoha bänäsmodban roszesül (39) sorgfältige Erziehung genießen - gondos nevel&ben r&zesül
Dabei weisen diese Verben in den Wendungen einen hohen Grad von Polysemie auf, so daß sie mit einem ihrer Sememe in die Wendung eingehen. Auch davon zeugen die ungarischen Äquivalente; z.B. Wendungen mit finden und erfahren: (40) einen positiven Zusammenhang finden - pozitiv összefüggest t a l ä 11 a k (Hier hat das Verb auch seine ursprüngliche lexikalische Bedeutung beibehalten.) - eine Bestätigung finden - megerositest n y e r - Anerkennung finden - elismerosre l e l / 1 a l ä l - Verwendung finden - alkalmazasra kerül/alkalmazzäk (41) eine Bestätigung erfahren - megerösiost n y e r - Anerkennung erfahren - elismerosben r s z e s u l - eine Abänderung erfahren - vältozast s z e n v e d - ein großes Glück erfahren - nagy szerencse r i
Literatur: Fluck, Hans-Rüdiger (1976): Fachsprachen - München: Francke. Gr&sy, Läszlo/Kovalovszky, Miklos (1985): Nyelvmüvelo kizikönyv. - Budapest: Akademie Kiado. Heibig, Gerhard (1984): Probleme der Beschreibung von Funktionsverbgefügen im Deutschen. - In: Linguistische Studien I. - Leipzig: VEB Verlag Enzyklopädie. Heibig, Gerhard/Buscha, Joachim (1988): Deutsche Grammatik. - Leipzig: VEB Verlag Enzyklopädie. Hoffmann, Lothar (1984): Kommunikationsmittel Fachsprache. - Berlin: Akademie Verlag, 2. A.
6. COMPUTERLINGUISTIK
ELEMENTE DER GENERATIVEN GRAMMATIK IN PROLOG Milo£ Länsky
1. Einleitung Seit einigen Jahren wird an der Universität Paderborn in den Fächern Germanistik und Informatik ein interdisziplinär angelegtes sprach- und informationswissenschaftliches Hauptseminar zum Thema "Grammatiktheorien des 20. Jahrhunderts unter Anwendungsgesichtspunkten" angeboten, das von der Sprachwissenschaftlerin Frau Prof. Dr. Elisabeth Feldbusch und mir als Mathematiker/Informatiker getragen wird. Dabei sind einige neuartige Methoden angewendet worden, die auch die Benutzung von Personalrechnern einschließen. Da es wegen der Einbindung in die umfangreiche Kongreßorganisation von Frau Kollegin Feldbusch bedauerlicherweise nicht möglich ist, das gemeinsame Referat, welches wir in der Sektion "Computerlinguistik" des 25. Linguistischen Kolloquiums zu diesem Thema gehalten haben, im vorliegenden Sammelband zu veröffentlichen, möchte ich zuerst versuchen, wenigstens kurz den Zusammenhang meines Beitrags mit der o.g. Veranstaltung anzudeuten. Im Rahmen des Hauptseminars kommt unter anderem auch das Werk von Noam Chomsky zur Sprache. Chomsky ging 1957 in seinen "Syntactic Structures" von drei Komponenten des Modells, nämlich von Produktionen, Transformationsregeln und morphophonologischen Regeln aus. Seit 1965 unterscheidet er in den Aspekten der Syntaxtheorie die "Basiskomponente1' bestehend aus Produktionen und Lexikon, die die Bildung der "Tiefenstruktur" ermöglicht, und die "Transformationskomponente", die den Übergang von der "Tiefenstruktur" zur "Oberflächenstruktur" gewährleistet. Die semantische Interpretation wird dabei der Tiefenstruktur und die phonologische der Oberflächenstruktur zugeordnet. Die erweiterte Standardtheorie (EST) unterscheidet sich davon in der Hinsicht, daß die semantische Interpretation durch die sog. logische Form ersetzt wird und der Oberflächenstruktur zugerechnet wird. Die Frage nach der Universalgrammatik wird schrittweise mit Hilfe von Prinzipien gelöst, nach welchen die Regeln und Darstellungen für Grammatiksysteme gebildet werden. Diese zerfallen in Teilsysteme, genannt "X-bar", "Theta", "Case", "Binding", "Bounding", "Control" und "Government" Theorien (vgl. Chomsky 19827 1988). Neben der Originalliteratur orientiert man sich bei der Behandlung der "Extended Standard Theory" am didaktisch ausgezeichneten Lehrbuch der Transformationsgrammatik von Andrew Radford (1981). Dabei hat sich gezeigt, daß gezieltes Experimentieren mit verschiedenen (auch von den Studenten selbst vorgeschlagenen) grammatikalischen Regelsystemen dem vertieften Verständnis der Chomsky Konzeption sehr dienlich ist. Um das Experimentieren zu erleichtern und die Tragweite der Regelsysteme besser beurteilen zu können, haben wir uns entschlossen, zur Unterstützung dieser Tätigkeit die Personalrechner zu benutzen. Dazu war es notwendig, einen Teil der Veranstaltungen in den Computer-Pool zu verlagern und die Studenten mit der allgemeinen Bedienung von Computern und Elementen
456
des Betriebssystems vertraut zu machen. Als Programmiersprache wurde PROLOG gewählt, da ein weitverbreiteter Konsensus besteht, daß diese Sprache für die Grammatikdarstellung besonders geignet ist. Da die Teilnehmer zum großen Teil keine Computerspezialisten sind, hat man sich sich bei der Einführung in PROLOG auf einige Grundbegriffe beschränkt und eher die Rolle der Expertensysteme beim Experimentieren mit Grammatiken hervorgehoben. Um die eigentlichen linguistischen Fragestellungen mit dem PROLOG-Instrumentarium nicht durcheinander zu bringen, sollte jeder Student zur Einübung in PROLOG einen Ausschnitt aus einem jeweiligen Stammbaum programmieren und als Expertensystem benutzen. Erst nachher wurden die grammatischen Probleme programmiert. Im vorliegenden Beitrag wollen wir diese Methode kurz vorstellen. Obwohl wir uns sowohl mit der Basiskomponente als auch mit der Transformationskomponente befaßt haben, beschränken wir uns hier einfachheitshalber nur auf die Darstellunmg der Basiskomponente.
2. PROLOG Die Programmiersprache PROLOG (PROgramming LOGic) entstand zu Anfang der siebziger Jahre in Frankreich und Großbritannien auf der theoretischen Basis von Robinson (1965) und wurde dann in vielen Ländern verschiedenartig implementiert. Die meist verbreitete Version (die sog. "schottische") wurde im bereits klassischen Werk von Clocksin/ Mellish (1981) beschrieben. Eine andere Richtung hat LPA (Logic Programming Associates) in London mit microPROLOG für PCs eingeschlagen; die Standard Syntax, ähnlich wie LISP listenorientiert, ermöglicht den Aufbau einer benutzerfreundlichen Oberfläche, genannt SIMPLE. Seit 1980 wurde diese Version als Schulsprache für S l in einem pädagogischen Versuch in England erprobt (vgl. Ennals 1983). Wegen der begründeten Möglichkeit einer künftigen Anwendung im Grammatikunterricht haben wir in unserem Seminar die SIMPLE Umgebung von LPA micro-PROLOG professional ausgewählt (vgl. McCabe et al. 1980). Nur die Grundbegriffe werden hier erläutert. Als Begleitbeispiel wurde das Thema "Stammbaum" benutzt, da es sich nach unseren Erfahrungen als Einführungsbeispiel in die Sprache PROLOG besonders gut eignet. PROLOG wird als Sprache für die Expertensysteme konzipiert. Es muß die Wissensbasis, bestehend aus Fakten und Regeln eingespeist werden, um dann (relativ beliebige) Fragen an das Expertensystem stellen zu können. Die Sprache ist charakterisiert durch einen übersichtlichen logischen Aufbau. Die Beantwortung von Fragen ermöglicht ein eingebauter backtracking Algorithmus. Für die Beschreibung von Fakten und Regeln benutzt PROLOG im wesentlichen eine Schreibweise, die sich an die Prädikatenlogik I.Stufe anlehnt.
457
2.1. Syntax von PROLOG
Auf der "nuklearen" (lexikalischen) Ebene wird das Zeichenrepertoire festgelegt, aus welchem Prädikate (Relationsnamen) und Terme gebildet werden. Einfache Terme sind Individualkonstanten (z.B. Namen wie Alfredl oder Zahlen wie 129) oder Individualvariable (z.B. _Person). Die Variable unterscheidet sich von der Konstante durch ein vorgeschaltetes Unterstrichzeichen (underline, underscore) "_". Zusammengesetzte Terme sind Listen (endliche geordnete Mengen von Elementen in runden Klammern), deren Elemente einfache oder zusammengesetzte Terme sein können. Beispiele: (_Personl _Person2), ((l (2 3))4)
Die Listen können mit Hilfe des Konstruktors j systematisch aufgebaut werden. So ist z.B. (_Personl J (_Person2)) = ( _Personl _Person2)
Auf der "atomaren" (morphologischen) Ebene werden jeweils ein Prädikat mit keinem, einem oder mehreren Termen verknüpft (Analogie: Nukleus und Elektronen). Diese Verknüpfungen werden manchmal Prädikatausdrücke genannt. Grundsätzlich kann immer die funktionale Schreibweise ( .. ) für k-stellige Prädikate verwendet werden. Bei der Stelligkeit 0 (Aussage) kann man ( ) oder auch nur schreiben. Bei der Stelligkeit l kann man statt () auch die postfix Schreibweise benutzen, z.B. ist-mämlich (Alfred2) oder Alfred2 ist-männlich. Bei der Stelligkeit 2 ist oft statt () die infix Form vorteilhaft, z.B. ist-Vater-von (Alfredl Alfred2) oder Alfredl ist-Vater-von Alfred2. Ein eingebautes zweistelliges Prädikat ist z.B. die Gleichheit EQ, die man auch in der Form "_Personl EQ _Person2" für die Zuordnung des Wertes der Variable "_Personl" der Variable "_Person2" (oder auch umgekehrt) benutzen kann. Mit den postfix und infix Varianten kann man Klammern sparen, bessere Lesbarkeit erzielen und die logische Formulierung auf natürliche Sprache anpassen. Auf "molekularer" (satz-syntaktischer) Ebene werden mit Hilfe von verschiedenen Junktoren die logischen Ausdrücke (z.B. Prädikatausdrücke, die selber als einfache logische Ausdrücke anzusehen sind) zu komplexeren logischen Audrücken ("Molekülen") verknüpft. Solche Junktoren sind z.B. der Negator not und der Konjunktur and. Ist " " ein logischer Ausdruck, dann bildet "not *·" die Negation von " ". Beispiel: Mit eingebautem zweistelligen Prädikat EQ (d.h. Gleichheit) ist "_Personl EQ _Person2" ein Prädikatausdruck in infix Form, also ein logischer Ausdruck und "not _Personl EQ _Person2" ist seine Negation. Sind " , " 2" zwei logische Ausdrücke, dann ist " and 2" die Konjunktion von "*1 und 2". Beispiel: ( _Personl _Person2) sind-Geschwister and _Personl ist-männlich.
Auf sonstige Junktoren und die Interpretation von Quantoren sowie auf die Möglichkeiten von Funktoren wollen wir in dieser kurzen Einführung verzichten.
458
2.2. Expertensystem Die Wissensbasis besteht aus Eintragungen, genannt Fakten und Regeln. Unter Faktum versteht man einen . Unter Regel versteht man ein Konstrukt von der Form if «logischer Ausdrucke
Die Aufnahme einer Eintragung in die Wissensbasis geschieht mit dem Befehl add ().
Bei der Befragung des Expertensystems unterscheidet man geschlossene und offene Fragen. Geschlossene Fragen sind vom Typ is Alogischer Ausdruck)
und werden vom System mit YES oder NO beantwortet. Offene Fragen sind vom Typ which (: logischer Ausdruck>),
wobei das Antwortmuster eine beliebige Sequenz von Termen ist, in der auch die Variablen als zu bestimmende Unbekannte enthalten sind. Die Antwort besteht aus einer Liste von Lösungen vom Typ Answer is ? ? and not ? «conceptual modification ? «syntactic modification ? instead of ? and ?
For the time being, only the first and last four types of questions are implemented, for a small set of French sentences (simple sentences).
496
Communication modes where the input is an idea or a conceptual modification raise the fundamental question of controlling the conceptual input: in what terms is conceptual input to be represented ? Should one use words (in the students native language), images, abstract categories (semantic primitives, metalanguage), or a hybrid form of knowledge representation ? The system should be accessible to a user without previous linguistic background, with a minimum of training. Consequently, the use of metalinguistic terms has to be restricted or avoided altogether. The predicate and argument structure of the sentence is represented using the formalism of conceptual graphs, as defined by Sowa (1984). This formalism proves to be a good compromise betweeen powerful but more abstract formalisms. It is pictural in essence, and sufficiently constrained to have a clear interpretation in formal languages such as the first order predicate calculus.
2. Using SWIM 2.1. The dialogue is initiated by choosing the communication mode. Suppose the user has started with the first question : How does one say ? In that case the system traverses top to bottom, left to right the tree represented in Figure 1.
Idea
Communication Mode declaration question order
verb
I
list of verbs
tense
I
past present fu tin-
form
I
positif negatif
number list of nouns
I
singular plural
determiner definite indefinite
Figure 1
By traversing this tree and by choosing (clicking) specific values from a set of alternatives, the user tells the system what he wants to say. As the dialogue develops, the system builds the underlying meaning in the form of conceptual graphs (Sowa, 1984), It then queries the user to tell him how he thinks one would say in French, and outputs subsequently its own form. Mismatches between the two versions are highlighted (in our case there is a mistake in the verb-agreement "regardo"), drawing thus the user's attention to errors.
497
Meaning-Representation
ί
defini
declarative
f
negative
t
singulier
ί
passe compose
Write your sentence
Le
garQon n'a pas regarded les filles.
Le 83Γςοη n'a pas
regarde
Meaning-Representation
les filles
rrace - expressions 1)
Le garcon regarde la fille.
-
n'a
pas
3) Le garcon n'a pas regardd les filles.
Figure 2
Past this point, the user has various options : (a) either he builds a completely different sentence, in which case he would have to go through the whole routine as depicted in Figure 1, or, (b) he just changes the value of one of the parameters, i.e. variables. For example, he can change the verb, the tense, the sentence mode, etc. To do so, he clicks directly on the graph the particular value of a variable and specifies the new value. The system will change the meaning accordingly; it replaces the old value by the new one and outputs the new sentence form. For example, if the reference form is : (a) Le garyon regarde la fille
(the boy watches the girl)
and if one asks the system to change the number of the direct object, it replaces the feature "singular" by "plural" and produces: (b) Le garcon regarde les filles
(the boy watches the girls)
As one can see from figure 2, the screen is divided into four parts. The two middle parts ("Write your sentence" and "System's version") are used for inputting text and outputting the system's proposals. The upper window contains the sentence under construction, its meaning representation and corresponding form. The smaller windows at the bottom repre-
498
sent the user's memory of meaning and memory of form. The latter, called "trace of expression", is a data-base, containing all the sentences encountered so far. This base could be organized (manually or automatically) according to the user's needs. For example, all sentences in interrogative-negative form may be grouped together, irrespective of the order in which they were constructed. The memory of meaning window contains the sentence's underlying conceptual representation. It is activated by clicking any of the forms contained in the data base. The idea behind this separation is to allow the user to make a contrastive analysis of meaning and form between two sentences. Choosing a sentence in the "memory of form" window gives a conceptual graph representation of the sentence's meaning in the "memory of meaning" window. By comparing the surface form and the underlying meaning of two sentences, the user can appreciate the relationship between meaning and form. The critical feature, the one that is responsable for the difference of form, is highlighted by the system. In our example it is the value "singular". The second communication mode operational at the moment, called: What would happen if ?, allows the user to perform certain transformations such as passive voice or pronominalization. In the latter case, the system will ask the user to specify which element he wants pronominalized (the boy, the girl, or both). Assume that, starting from the conceptual structure underlying sentence (a), the user wants to pronominalize respectively the agent, the object, and finally both arguments. In these cases he would get the following output: II regarde la Le garc.on la regarde. II la regarde.
fille.
(he watches the girl) (the boy watches her) (he watches her)
2.2. A basic limitation of the system as described is the fact that its input can only be described as partially conceptual. In particular, the user has to choose between lexical items in French to express himself. In the same spirit, the choice of the tense of each sentence depends on the user knowing in advance the right tense to be used in the circumstance. In what follows, we describe a solution to this last problem. Specifically, we sketch a pictorial formalism for conveying the notions of time, tense and aspect.
3. Inputting temporal information 3.1. Generating tensed sentences
Much attention has been devoted to the problem of representing and interpreting tensed sentences in natural language. Recent work in computational linguistics (CL88 1988, Bestougeff and Ligozat 1989) aims at bringing together results from the linguistic analysis of temporal and aspectual phenomena (Comrie 1976), results from work in AI on temporal reasoning (Allen 1983, Ligozat 1990, McDermott 1982), as well as more formally oriented research in logics and in formal semantics (Rohrer 1980). Some degree of consensus emerges from this body of work, concerning both the necessary ingredients to be taken into ac-
499
count (tense and aspect of the verb, temporal adverbials), and the basic conceptual notions at work (tense, situation type and aspect). Comparatively, the problem of generating correctly tensed sentences has been paid less attention. It is examined in particular in Ehrich (1987), where the properties of situations (a convenient neutral term for making indiscriminately reference to events, acts, processes, states) are described in terms of category, aspect, relation, and position. Sentence production uses a message representation and a functional level representation which contain the corresponding information. Hence, the contents of the message has to be analysed in those metalinguistic terms before generation can occur. The problem in our case is compounded by two specific constraints: - the temporal meaning of the sentence to be generated has to be described in a pictorial language; - this language has to be accessible to a linguistically untrained user (typically, a student learning the language); hence it has to be (almost) immediately understandable and make no reference to metalinguistic terms. 3.2. Representing temporal and aspectual input 3.2.1. Tense is a grammatical, not a conceptual category. Asking for the student to choose eg. between a form in the prosent, imparfait, futur, pass£ compose^ or passe1 simple form is simply begging for a solution, because of well known facts: (a) there is no simple correspondance between forms and temporal values for instance, a present tense can be used with a present, past or future value: je travaille j 'arri ve ä instant je pars demain
(I am working) (PRESENT) (I have just arrived) (PAST) (I am leaving tomorrow) (FUTURE)
(b) aspectual values are a fundamental component of the meaning of various tenses; (c) the basic values of each tense combines with other factors (temporal adverbials, definiteness, semantic types of the verbs) to determine the contextual value assumed by the sentence. 3.2.2. Linguistic foundations We basically integrate the analysis of Reichenbach (1966) in terms of temporal indexes : time of speech, time of reference, time of event; however, in our representation, we have a frame of reference, and the time of event is implicitly given by the temporal extent of each situation. In the same way, our classification of the semantic types of verbs is fundamentally similar to the classification of Vendler (1967) in terms of states, activities, accomplishments, and achievement. 3.2.3. Pictorial input We first illustrate the use of the pictorial language on four examples. All examples are tensed forms of the sentence
500 Jean regarde lesfllles. speech
V Jean regarde les filles (John is looking at the girls)
Figure 3 |frameofreference|
speech
ST
Y7 Jean regardait les filles (John was looking at the girls)
Figure 4
frame of reference
\L Jean a regardo les filles = Jean regarda les filles (John looked at the girls)
Figure 5
Figure 3 is associated to the use of the present tense. Figure 4 to the impatfait. ferent uses of the passa simple are represented in Figures 5 and 6.
Two dif-
501
[frameofreference|
speech
\7 Jean a rcgarde les filles (John has looked at the girls)
Figure 6 3.2.4. The elements of representation The examples illustrate the use of the basic iconic ingredients we use: (a) a time axis, together with a representation of the point of speech on it; (b) a frame of reference, representated as a window, which can be positioned on the time axis; (c) a representation of the type of situation (we use this last term as a neutral designation); Types of situations use as elements the set of icons in Figure 7. The non terminative nature of a situation is suggested graphically using dotted lines.
a state
1
··
an activity
a completed event
β
a punctual event
Figure 7
4. Problems and perspectives The temporal component of the system is in a preliminary phase. We only mention two directions in which it has to be further investigated.
502
4.1. Choosing between forms In some cases, an iconic representation can be realized in different ways. Compare je pars demain; je partirai demain; je vais partir demain
which are roughly equivalent (I am leaving tomorrow); or j'arrive (a instant); je viens d'arriver (I have just arrived).
We still have to develop criteria for giving preference to one form over another. 4.2. Globality of the aspectual value Aspect is a global property of a sentence. In particular, the arguments of a predicate influence the aspectual value; compare Pierre construit sa maison (Peter is building his house) (an activity); Pierre construit des maisons (Peter builds houses) (a property).
Consider also: Un garcon, ca regarde les filles (Boys will look at girls); Un garcon regarde une fille (A boy is watching a girl); Les garcons regardent les filles (The boys are looking at the girls / Boys will look at girls).
Consequently, the temporal component of the system should interact with a component taking care of quantification and determination in order to enforce proper constraints on the linguistic output. This is still a long term perspective.
References Allen, James F. (1983): Maintaining Knowledge about Temporal Intervals. - In: Communications of the ACM 26/11,832-843. Bestougeff, Holene/Ligozat Geiard (1989): Outils logiques pour le traitement du temps. - Paris: Masson. CL88 (1988). Special Issue on Tense and Aspect. Computational Linguistics 14/2. Connie, Bernard (1976): Aspect. - Cambridge: Cambridge University Press. Enrich, Veronika (1987): "The Generation of Tense". - In: Kempen, Gerard (ed.): Natural Language generation (Dordrecht: Nijhoff) 424-440. Ligozat, Gerard (1990): Weak Representations of Interval Algebras. - In: Proceedings of the 8th Conference on Artificial Intelligence (AAAI-90), July 29 (Boston) 715-720. McDermott, Drew (1982): "A Temporal Logic for Reasoning about Processes and Plans". - In: Cognitive Science 6, 101-155. Reichenbach, Hans (1966): Elements of Symbolic Logic. - New York: Free Press. Rohrer, Christian (ed) (1980): Time, Tense, and Quantifier. Proceedings of the Stuttgart Conference on the logic of tense and quantification. - Tübingen: Niemeyer. Sowa, John (1984): Conceptual structures: Information Processing in Mind and Machine. - Massachusetts: Addison-Wesley, Reading.
503
Vendler, Zenon (1965): "Verbs and Time". - In: Vendler, Zenon (1967): Linguistics in philosophy (Ithaka etc.: Cornell University Press) 97-121. - Revised version of Vendler Z. (1957): Verbs and times. - The Philosophical Review 66, 143-60. Zock, Michael (1990): "If you can't open the black box, open a window!' or, how to Visualize Dependency Relationships when Mapping Meaning into Form". - In: Cognitiva-90 (Madrid). - (in press): "SWIM or Sink: the Problem of Communicating Thought". - to appear in Swartz, M ( ) (ed.): The Bridge to International Communication: Intelligent Tutoring Systems for Foreign language Learning (Berlin etc.: Springer).
HANDLING GRAMMAR IN A COGNITIVE GRAMMAR PARSER Kenneth Holmqvist
Introduction This is a short description of one part in a project trying to use Langacker's Cognitive Grammar (Langacker 1987) for a parser taking a morpheme sequence into likely image schema interpretations.
Grammaticalization of Sites When a valence relation is established between linguistic structures, this is always done by correspondances between subparts of the semantic contents of those linguistic structures. These subparts I will call sites (cf. Langacker's term e-site). Some sites are in various ways more salient than others. Langacker terms the most salient one in a particular linguistic structure TR and other salient ones LM. We will here concern ourselves with how sites find eachother to form valence relations. One factor is clearly that these salient sites establish valence relations with other sites on the basis of relative positions between the respective morphemes in a sentences. A grammatical expectation is a description of where in a morpheme stream a linguistic structure expects to find valence companions to its sites. For the example (1), the grammatical expectation of the morpheme "help" can be described as in figure 1. We assume "help" in this use has sites as described intuitively in (2). (1) John helped Joe get over the fence. Morpheme stream order
sitel
help
site2
site3
Figure 1 (2) help:
site 1: site 2: site 3:
"who"? "whom"? "with what"?
John Joe get over the fence
Grammatical expectations of a morpheme are grammar conventions based on the valence potential offered by the semantical content of that morpheme. They concern the information in the morpheme order and contribute to the interpretation of a morpheme sequence, and we will use them for that in our model.
506
What Sites and Expectations Want Since the object is finding/establishing valence relations between linguistic structures, and these valence relations make use of many structures in the schemata underlying the morpheme, we have to continue a proposed assignment of morpheme clusters to sites with a search for a likely arrangement of the valence relation relative to the structure in the schemata. To take a very simple example, describing the importance of what is called "active zone" (Langacker 1987), consider the morpheme stream "John hit Joe". The preliminary assignment of morphemes to sites is obvious, but one part of John stands out as especially salient relative to the others, namely that with which he hit Joe (his fists or possibly some external object held in his hands). Nothing on Joe is salient to the same extent. Given prototypical interpretations of the three morphemes, this gives us one likely valence relation. However, if we knew beforehand that John lacks arms (in the limb-sense), we can find no likely "active zone" on him and have to find some other likely valence relation, e.g. by using another interpretation of the morpheme "hit". Although these processes constitute the central part of understanding language, I will not attempt to describe them in this paper. Here I only discuss preliminary assignments of valence relations and not the deeper evaluation that immediately follows such assignments.
Parallel Parsing Parsing is in this model done in a rather different way from that of normal Chomsky-style parsers, even though contextfree versions of the latter can be characterized as a "deflated" subcase of the model presented here (Holmqvist 1990). Assume we have a stream of morphemes. For each morpheme, in the order we receive them, we perform the following steps. PI) l^et those expectations belonging to previous morphemes that have not found acceptable valence companions to one or more of its sites take the current morpheme and evaluate it as such a valence companion. P2) Retreive the (most likely) expectations of the current morpheme from lexicon. P3.1) Try the lefthand parts of the current expectations on the elements in the parse-history. P3.2) Keep the righthand parts of the current expectations for evaluating against future morphemes. When acceptable valence relations have been found, composite clusters of morphemes will be built, kept together by the valence relations. The idea is that these clusters, with the help of additional structure, should represent composite image schemata being reasonable interpretations of the morpheme stream. (Such clusters also form the parse-history). The clusters are abbreviated as their participating morpheme names in the parsing example (figure 4). We will have several clusters in parallel, for at least two reasons: First, because we allow a morpheme to have several grammatical expectations (each representing a different
507
use of the morpheme - in fig. 4 they are marked with different numbers, 1 or 2). Second, because we let the expectations match the morpheme stream surrounding its morpheme in many various ways. Hence we face a combinatorial explosion in the number of clusters, and this has to be dealt with. In this parser the combinatorial explosion is dealt with by successively calculating a number of parameters for each cluster, and on the basis of these keep only those clusters that score high in the parameters (in fig. 4 this score is called "survival value"). I will here describe some tentative parameters that have to do with the "overall fitting" of the grammatical expectations to the morpheme sequence.
The Distance Measure and Others The parsing process presented above lets expectations search without any reference to clausal or composite structure in the morpheme stream. But we can generate such a structure and let it influence the search, if we take the help of the expectations and an assumption that increased closeness between morphemes increase the likelyhood that they will combine in a valence relation. Closeness between morphemes must be seen through a distance measure adapted to the parsing process in operation. We can not simply count the number of morphemes, we have to count the number of composites in the way indicated in figure 2, where we use it on the beginning of sentence (3). (3) In a collision between a car and a train a young boy had been badly hurt. In a collision between a car and a train, a young boy
Figure 2
Figure 2 shows the adapted distance measure from "In" to successive current morphemes or clusters. When for instance "a" and "collision" have combined, they count as a composite and the distance to that composite is 1. Hence the distance to "between" is 2 etc. (I have assumed what seemed to be natural valence bindings.) Observe that the distances to the elements "a car and a train" are all relatively high, actually consistently higher than that to the composite "a young boy". This reflects our intuitions that "a car and a train" are in a sense "hidden" in the "between"-composite and should
508
be relatively unaccessible from "In". The distances from "In" to successive current morpheme or composite in the entire sentence (3) is plotted in figure 3. If we use this distance measure as one basis for preferring some morphemes (as valence companions to a given site) before others, we seem to have a way to handle "clausal" structure in language. In order to understand in detail how various linguistic contructions are handled in this model, we have to introduce several other concepts in the model. The shortest way to understand them is to consider an example of (a simplified version of) the parser in work. This example is shown in figure 4 and extends over three pages. "Distance" from "in" ι to current morpheme/ composite schema.
Current morpheme/composite schema Figure 3
Current morpheme
The
world
famous
New expectations
A: Thel. Right
B: world2.Right
C: famousl. Right
-(A:0)
-(A:1,B:0)
-(A:2, B:l, C:0)
Distances rel. no clustering
ΑΊ
Clusters present under current morpheme
0.67
Thel world 1; 1.00 (A,B)
(C:0) (A,B) B:l
world2 famous2;
world2 famousl; Expectation used for establishing current cluster: distance —__ List of free expectations and their current distances to the current morpheme. List of expectations blocked or excluded relative to the cluster - ~
1.00
(A:l, C:0)(B)
A:l
Thel world2 famous2; 1.00 i (A.B.C) Υ mel t
[
or schema composite. Figure 4: The parsing example
1.00
/ A . I \ /R /"*\ \**·· *·) v"i^*J
/
509
surgeon
PRUNING
D: 1. Right
E: surgeon 2.Right
#e
be #uc ... Zw^p^
-(A:3, B:2, C:l, D:0)
-(A:4, B:3, C:2, D:l, E:0)
0.50 (C:l, D:0) (A,B)
0.40 (C:2, D:l, E:0) (A,B)
0
0
0.67 (A:2, D:0) (B,C)
0.40 (A:3, D:l, E:0) (B,C)
0 0 - 1
0,67 (A:2, C: 1 , D:0) (B)
0.50 (A:3, C:2, D: 1 , E:0) (B)
1
0
4
5
0
0
0
0
(D:0) (A,B,C)
0.75
0.60
(D:l, E:0) (A,B,C)
{
l surgeon 1;
1.00
(A:2, B:2,C:1)(D,E)
/l surgeon2;
1.00
((A:2, B:2,C:1, E:0) (D) C:l
world2 famous 1 (l surgeon 1; \ ((A:l) (B,C,D,E)
1.00
world2 famous 1 {l surgeon2;
1.00
(A:l, E:0)(B,C,D) C:2
world2 famous 1 fsurgeonl; \ ((A:2, D:1)(B,C,E) world2 famous 1 isurgeon2;
0.75
0.75
(A:2, D:1,E:0)(B,C) world2 l i surgeon 1;
0.75
(A:3, C:1)(B,D,E)
{ {
Thel world2 famousl l surgeon sun l; 1.00 (A,B,C,D,I
The l surgeon l; 1 i{Thel (B:3, C:2, D:l
0.40
0
0
-1
0 0 - 2
-2
1 0 - 1
0
0 0 - 1
-1
1
0
0
1
0
1
0
- 1
1
1
0
0
0
1
0
- 1
0
0
0
0
3
0
- 3
510 prepare survivalvalue
F: prepare l.Left G: prepare 1.Right :5, B:4, C:3, D:2, E:l, F:0, G:0)
0.40
0.40 (A:4, C:3, D:2, E:l, F:0, G:0) (B)
0.25
0.50 (D:2, E:1,F:0,G:0)(A,B,C)
0.92
0.67 (A:3, B:3, C:2, E:l, F:0, G:0) (D)
0.60
0.67 (A:3, B:3, C:2, E:l, F:0, G:0) (D)
0.33
0.60 (A:3,D:2,E:1,F:0,G:0)(B,C)
1.00
0.83 (F:0, G:0) (A.B.C.D.E)
0.50 Thel world2 famous 1 msnvl surgeon 1 preparel; 1.00
1.00
f
0.38
ί
0.75
;G:0) (A,B,C,D,E,F)
Thel world2 famous2 preparel; 0.67 (D:2,E:1,G:0)(A,B,C,F)
0.38 1.00 0.10
V
There are several measures used in the parsing example. Let us start with mel. Its acronym stands for "morpheme explanation, local". We calculate it by counting the relative number of morphemes from the first one included to the current morpheme. The reason for calling it an explanation measure is that a cluster can be viewed as explaining why a morpheme is in the morpheme stream if the cluster is able to successfully include that morpheme. The non-included morphemes are left unexplained, and that is highly unsatisfactory. I have assumed that a cluster that still has free expectations of its own, that can help form new clusters, is more valuable for the future than clusters that are without such expectations. A cluster without expectations has to be bound to something nearby or else soon die away. When we reach the pruning moment in the example, we simply count this number (#e) for each cluster and use it.
511
What we call "binding energy" (be) is based on the sum in a cluster of the distances between morphemes whose schemata are in valence relations as these distances were at the construction of the valence relation. Like most measures here, this parameter also has to do with the correlation of morphological and semantical scope: Schema clusters morphologically packed according to this principle are preferred. Here we make the parameter relative to the number of morphemes in the cluster by subtracting that number and adding one. Ideally the resulting number should be zero. In the example I have also assumed that a cluster that has been used by an expectation to build a cluster is less likely to be useful further on. Each time that happens, the cluster is given a negative score of one. The idea is that clusters that in this way have become parts of bigger clusters should not clog up memory as independent units. We have also assumed that a cluster that has used another cluster is more likely to be useful further on, since it has thereby proved its ability to form new clusters. Each time this happens, the cluster is given a positive score of one. The measure is termed #uc. Pruning occurs in order to remove clusters that have proven less valuable along the principles above. We add the measures (the result is found as Iw^) and that sum combines with mel in a formula, wielding the survival value that decides what clusters should be kept for future parsing. The result should be a set of morpheme composites (or clusters) whose parallels at the semantic pole are resonable descriptions of our understanding of the morpheme stream thus far. As I briefly mentioned above, we perform a parallel work at the semantic pole, more important than the preliminary assignments of valence relations we have seen here. What takes place there will influence the process described above through one or several measures.
References Holmqvist, Kenneth (1990): Context-Free Grammar as a Deflated Case of Expectation-Based Cognitive Grammar - Lund: Universty, Department of Cognitive Science (unpublished paper). Langacker, Ronald Wayn (1987): Foundations of Cognitive Grammar. - Stanford: Stanford University Press.
VERZEICHNIS DER VERFASSER UND HERAUSGEBER
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VERZEICHNIS DER VERFASSER UND HERAUSGEBER Abraham, Prof. Dr. Werner Rijks Universiteit Groningen, Genn. Inst. Taalk. Meerkoetlaan 3, NL-9765 TC Paterswolde (Arbeitsschwerpunkte: Syntax und Semantik des Deutschen, Linguistik in der literarischen Analyse) Ahrens, Ulrike Freie Universität Berlin, Berlinforschung Sanazinstraße 11-15, D-W-1000 Berlin 41 (Arbeitsschwerpunkte: ethnomethodologische Konversationsanalyse, geschlechtsbezogene Linguistik) Albrecht, Prof. Dr. Jörn Universität Heidelberg, Institut für Übersetzen und Dolmetschen Plöck 57a, D-W-6900 Heidelberg) (Arbeitsschwerpunkte: Grammatik, Lexikalische Semantik,) Andersen, Vagn Gammel Kongevej 9, DK-1610 Kebenhavn (Vagn Andersen ist Exportkaufmann in Dänemark und Deutschland.) ABheuer, Prof. Dr. Johannes Universität Paderbom, Fachbereich 3 Warburger Straße 100, D-W-4790 Paderbora (Arbeitsschwerpunkte: Fachdidaktik Deutsch, Computerlinguistik, Grammatik) Bamberg, Prof. Dr. Michael Clark University, Department of Psychology 01610, USA-Worcester (Arbeitsschwerpunkte: Diskursanalyse, Erzählungen, Spracherwerb) Baudusch, Prof. Dr. Renate Moldaustraße 11, D-O-1136 Berlin (Arbeitsschwerpunkte: Grammatik, Semantik) Beckmann, Susanne Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Germanistisches Institut Johannisstraße 1-4, D-W-4400 Münster (Arbeitsschwe unkte: Argumentationsanalyse, Phraseologismusforschung) Benölken, Michaela Universität zu Köln, Seminar für Lernbehindertenpädagogik Frangenheimer Straße 4, D-W-5000 Köhi 41 (Arbeitsschwe unkte: Courseware für Behinderte, Lese-Rechtschreibschwäche) Biadurf-Grabarek, Dr. Hanna Pädagogische Universität Rzeszow, FB Germanistische Linguistik ul. Rejtana 16 B, PL-35-310 Rzeszow (Arbeitsschwerpunkte: Syntax, Wortbildung, Methodik des Deutschunterrichts) Birken-Silverman, Dr. Gabriele Universität Mannheim, Forschungsstelle für rumänische und albanische Lexikologie Tattersallstraße 2, D-W-6800 Mannheim (Arbeitsschwerpunkte: Lexikologie, Semantik, Sprachvergleich)
516
Bock, Dr. Gabriele Technische Universität Berlin, Institut für Kommunikationswissenschaft Emst-Reuter-Platz 7, D-W-1000 Berlin 10 (Arbeitsschwerpunkte: Verständlichkeitsforschung, Qualitätsprüfungsverfahren, Angewandte Linguistik) Budwig, Dr. Nancy Clark University, Department of Psychology 01610, USA-Worcester (Arbeitsschwerpunkte: Psycholinguistik, Sprachentwicklung, Konversationsanalyse) Gate, Bram ten Vakgroep Duitse taal- en letterkunde RÜG, Faculteit der Letteren Postbus 716, NL-9700 AS Groningen (Arbeitsschwerpunkte: kontrastive Grammatik, Tempus- und Modussemantik, Phonetik, Phonologie) Darski, Prof. Dr. Josef Adam-Mickiewicz-Universität, Institut für Germanische Philologie AI. Niepodleglosci 4, PL-61-874 Poznan (Arbeitsschwerpunkte: Dialektologie, Phonetik, Morphologie, Syntax, Fremdsprachenunterricht) De Clercq, Prof. Dr. Jan Katholieke Universiteit Leuven, Departement Linguistiek Blijde Inkomststraat 21, B-3000 Leuven (Arbeitsschwerpunkte: Sprachwissenschaftsgeschichte, Sprachtheorie) Desnitzkaja, Prof. Dr. Agnija Akademie der Wissenschaften Leningrad, Institut der Sprachwissenschaft TucTcov per. 9, SU-199053 Leningrad (Arbeitsschwerpunkt: Historisch vergleichende Sprachwissenschaft) Dick, Walter Siemens Nixdorf Informationssysteme AG Heinz-Nixdorf-Ring, PXD-Q 3, D-W-4790 Paderborn (Walter Dick ist Technischer Redakteur bei SNI Paderborn.) Diekneite, Jörg Universität Paderborn, Fachbereich 3 Warburgerstraße 100, D-W-4790 Paderbom (Arbeitsschwerpunkte: Computerlinguistik, Fachdidaktik) Diße-Runte, Thomas Technische Universität Berlin, Institut für Linguistik Ernst-Reuter-Platz 7, D-W-1000 Berlin 10 (Arbeitsschwerpunkte: Linguistische Pragmatik, Grammatik des neueren Deutsch) Dittmann, Prof. Dr. Jürgen Universität Freiburg, Deutsches Seminar Werthmannplatz, D-W-7800 Freiburg (Arbeitsschwerpunkte: Neurolinguistik, Sprachpathologie) Dittmer, Arne K0benhavns Universitet, Institut for Germansk Filologi Njalsgade 80, Trappe 16, 2. Etage, DK-23400 Kebenhavn S (Arbeitsschwerpunkt: Sprachgeschichte)
517
Dupuy-Engelhardt, Prof. Dr. Hiltraud Universito de Reims, U.E.R. Let t res et Sciences Humaines 57, rue Pierre Taittinger, F-51096 Reims Cedex (Arbeitsschwerpunkte: Phonetik, lexikalische Semantik, Grammatik) Duridaniov, Prof. Dr. Ivan Lehrstuhl für Sprachwissenschaft der Universität Sofia Lidice 6, Bl. 155, BG-1113 Sofia 13 (Arbeitsschwerpunkte: Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft Slawistik, Balkanistik, Thrakologie, Indogermanistik) Dutz, Dr. Klaus D. Nodus Publikationen Postfach 5725, D-W-4400 Münster (Arbeitsschwerpunkt: Sprachwissenschaftsgeschichte) Ehrismann, Prof. Dr. Otfried Justus Liebig-Universität Gießen, Fachbereich 6 Otto-Behagel-Straße 10, D-W-6300 Gießen (Arbeitsschwerpunkt: Mediävistik) Eroms, Prof. Dr. Werner Universität Passau, Institut für Deutsche Sprachwissenschaft Postfach 25 40, D-W-8390 Passau (Arbeitsschwerpunkte: Grammatik, Syntax, Semantik, Textlinguistik und ihre Didaktik) Feldbusch, Prof. Dr. Elisabeth Universität Paderborn, Fachbereich 3 Warburger Straße 100, D-W-4790 Paderborn (Arbeitsschwerpunkte: Sprachtheorie, Sprachgeschichte, Geschichte der Sprachwissenschaft) Fries, Prof. Dr. Norbert Georg-August-Universität Göttingen, Seminar für Deutsche Philologie Humboldtallee 13, D-W-3400 Göttingen (Arbeitsschwerpunkte: Grammatik, Syntax, Semantik, Sprachvergleich) Frilling, Sabine Westfälische Wilhelms-Universität Münster Germanistisches Institut Johannisstraße 1-4, D-W-4400 Münster (Arbeitsschwerpunkte: Sprechakttheorie, Dialoganalyse, Textlinguistik) Gallmann, Prof. Dr. Peter Universität Zürich, Deutsches Seminar Rämistraße 74, CH-8001 Zürich (Arbeitsschwerpunkte: Graphematik, Syntax, Morphologie (je auch generativ)) Geier, Prof. Dr. Manfred Universität Hannover, Seminar für deutsche Literatur und Sprache Weifengarten l, D-W-3000 Hannover l (Arbeitsschwerpunkte: Grammatik, Sprachtheorie, theoretische Linguistik)
518
Gerbert, Prof. Dr. Manfred Technische Universität Dresden Sektion Angewandte Sprachwissenschaft Mommsenstraße 13, D-O-8027 Dresden (Arbeitsschwerpunkte: Fachsprachenforschung, kommunikative Fremdsprachenausbildung) Gewehr, Prof. Dr. Wolf Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Fachbereich Deutsche Sprache und Literatur Platz der Weißen Rose, D-W-4400 Münster (Arbeitsschwerpunkte: Fremdsprachendidaktik, Fremdsprachenpolitik. Wolf Gewehr ist Planungsbeauftragter des Sprachlehrzentrums Münster in Gründung.) Glinz, Prof. Dr. Hans Buckstraße 29, CH-8820 Wädenswil (Hans Glinz ist ehemaliger Ordinarius der TU Aachen und Verfasser mehrerer grammatikalischer Standardwerke.) Gottschalk, Dr. Klaus-Dieter Universität Tübingen, Englisches Seminar Wilhelmstraße 50, D-W-7400 Tübingen (Arbeitsschwerpunkte: Sprachuniversalien, Idiomatik, Synonymik, Englische Fachsprache für Mediziner) Grabarek, Prof. Dr. Josef Pädagogische Universität Rzeszow, Fachbereich Germanistische Linguistik ul. Rejtana 16 B., PL-35-310 Rzeszow (Arbeitsschwerpunkte: Sprachgeschichte, Syntax, Semantik, Methodik des Deutschunterrichts) Greisbach, Dr. Reinhold Universität zu Köln, Institut für Phonetik Greinstraße2, D-W-5000 Köln 41 (Arbeitsschwerpunkte: Akustische und artikulatorische Analyse und Synthese von Sprache) Guder, Anke Universität Paderborn, Fachbereich 3 c/o. Dr. Reiner Pogarell Warburger Straße 100, D-W-4790 Paderborn Günthner, Susanne Universität Konstanz, Sozialwissenschaftliche Fakultät Universitätsstraße 10, D-W-7750 Konstanz l (Arbeitsschwerpunkte: Geschlechtsspezifisches Sprachverhalten, Interkulturelle Kommunikation) Haase, Martin Institut für Sprachwissenschaft der Universität zu Köln Meister-Ekkehart-Straße 7, D-W-5000 Köln 41 (Arbeitsschwerpunkte: Interferenzlinguistik, Vergleichende Sprachwissenschaft) Hanowell, Dr. Manford Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Englisches Seminar Johannisstraße 12-20, D-W-4400 Münster (Arbeitsschwerpunkte: Kontrastive Linguistik, historische Sprachforschung) Heid, Dr. Ulrich Universität Stuttgart, Institut für maschinelle Sprachverarbeitung Keplerstraße 17, D-W-7000 Stuttgart l (Arbeitsschwerpunkte: Maschinelle Übersetzungssysteme, Computerlinguistik)
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Helmbrecht, Johannes Sprachwissenschaftliches Institut der Universität Bonn Ritterhausstraße 26, D-W-5300 Bonnl (Arbeitsschwerpunkt: Sprachvergleich) Henke, Anne-Marie Universität Paderbom, Fachbereich 3 Warburger Straße 100, D-W-4790 Paderbom (Arbeitsschwerpunkte: Betriebslinguistik, industrielle Fremdsprachenpolitik, Fremdsprachendidaktik) Hensel, Dr. Cornelia Zentralinstitut für Sprachwissenschaft der Akademie der Wissenschaften Leninallee 265, D-O-1092 Berlin (Arbeitsschwerpunkte: Texttheorie, Pragmatik, Fachsprache) Herzig, Bardo Marienstraße 25, D-W-4790 Paderbom (Arbeitsschwerpunkt: Computerlinguistik) Hildenbrand, Elke Universität Stuttgart, Institut für maschinelle Sprachverarbeitung Keplerstraße 17, D-W-7000 Stuttgart l (Arbeitsschwerpunkte: Maschinelle Übersetzungssysteme, Computerlinguistik) Hinrichs, Dr. med. Reimer Sven-Hedin-Straße 28. D-W-1000 Berlin 37 (Arbeitsschwerpunkte: Sprache aus psychoanalytischer Sicht, Theorie der Psychoanalyse. Reimer Hinrichs leitet eine psychoanalytische Praxis.) Hinrichs, Prof. Dr. Uwe Universität Berlin, Osteuropa-Institut Garystraße 55, D-W-1000 Berlin 33 (Arbeitsschwerpunkte: Linguistik des Hörens, Germanistische Linguistik, Slavistik, Balkanologie) Hoffmann, Harriet Freie Universität Berlin, Berlinforschung Sarrazinstraße 11-15, D-W-1000 Berlin 41 (Arbeitsschwerpunkte: ethnomethodologische Konversationsanalyse, geschlechtsbezogene Linguistik) Holmqvist, Kenneth Lund University, Department of Cognitive Science Box 118, S-22100 Lund (Arbeitsschwerpunkte: Computerlinguistik, Kognitive Linguistik) , Jana Institut für tschechische Sprache, Akademie der Wissenschaften Letenska 4, CS-11800 Praha l (Arbeitsschwerpunkte: Theorie des Konsekutiv- und Simultandolmetschens, Gesprächsanalyse, Textlinguistik) Hülzer-Vogt, Heike Institut für Kommunikationsforschung und Phonetik der Universität Bonn Poppelsdorfer Allee 47, D-W-5300 Bonn l (Arbeitsschwerpunkte: Semantik, Historiographie der Linguistik)
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Jakobs, Dr. Eva Akademie der Wissenschaften, AG Textlinguistik des Institutes für Sprachwissenschaft Prenzlauer Promenade 149-152, D-O-1120 Berlin (Arbeitsschwerpunkte: Semantik, Stilistik, Textlinguistik) Jakobsen, Prof. Dr. Lisbeth Falster Kebenhavns Universitet, Institut for Germansk Filologi Njalsgade 80, Trappe 16, 2. Etage, DK-23400 Kebenhavn S (Arbeitsschwe unkte: Kontrastive Linguistik, Sprachtheorie) Jörissen, Dr. Hermann Gerling-Konzem AG Gereonshof, D-W-5000 Köln (Hermann Jörissen ist Abteilungsdirektor im Gerling-Konzern Köln.) Kärolyi, Dr. Andrea Wirtschaftsuniversität Budapest, Institut für Fremdsprachen Makarenko u.20, H-1085 Budapest (Arbeitsschwe unkte: Kontrastive Linguistik, Fachsprache der Ökonomie) Kischkel, Roland Universität Bielefeld, Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft Postfach 8640, D-W-4800 Bielefeld l (Arbeitsschwerpunkte: Soziolinguistik, Sprache und Recht) Klein, Dr. Eberhard Universität Bremen, Fachbereich Sprach- und Kulturwissenschaften Joseph-Haydn-Straße 33, D-W-2800 Bremen l (Arbeitsschwerpunkte: Didaktik, Grammatik) Köhler, Dr. Claus Technische Universität Dresden, Institut deutsche Fachsprache Mommsenstraße 13, D-O-8027 Dresden (Arbeitsschwerpunkte: Fachsprachenforschung, Betriebslinguistik) Kohrt, Prof. Dr. Manfred Technische Universität Berlin, Fachbereich l, Kommunikations- und Geschichtswissenschaften, Institut für Linguistik Ernst-Reuter-Platz 7, D-W-1000 Berlin 10 (Arbeitsschwerpunkte: Phonologic, Theorie der Orthographie, Geschichte der Sprachwissenschaft, Syntax) Koldau, Dipl.-Ing. Martin Spessartstraße 2, D-W-6104 Seeheim (Martin Koldau ist Seminarreferent und Trainer mit dem Schwerpunkt "verständliches Schreiben") König, Peter-Paul Westfälische Wilhelms-Universität Münster Germanistisches Institut Johannisstraße 1-4, D-W-4400 Münster (Arbeitsschwerpunkte: Sprechakttheorie, Dialoganalyse, Textlinguistik) Krahl, Dr. Cordula Zentralinstitut für Sprachwissenschaft Berlin Prenzlauer Promenade 149-152, D-O-1100 Berlin (Arbeitsschwerpunkt: Semantik)
521
Krause, Dr. Michael Universität Paderbom, Fachbereich 2 Warburger Straße 100, D-W-4790 Paderbora (Arbeitsschwe unkte: Verständlichkeitsforschung, technische Kommunikation, kognitive Psychologie) Krivonosov, Prof. Dr. Aleksej Gilarowski-Str. 19 kv. 12, SU-129090 Moskau 90 (Arbeitsschwerpunkte: Sprachtheorie, Grammatik, Sprachphilosophie, Sprachlogik) Kürschner, Prof. Dr. Wilfried Universität Osnabrück, Standort Vechta, Fachbereich Sprachen, Kunst, Musik Driverstraße 22/26, D-W-2848 Vechta (Arbeitsschwerpunkte: Grammatik des Deutschen, Geschichte der Sprachwissenschaft) Lange, Prof. Dr. Klaus-Peter Rijksuniversiteit te Leiden, Faculteit der Letteren Postbus 9515, NL-2300 RA Leiden (Arbeitsschwerpunkt: Sprachtheorie) Lansky, Prof. Dr. Milos" Universität-GH-Paderborn, Fachbereich 17 Warburger Straße 100, D-W-4790 Paderbom (Arbeitsschwerpunkte: Mathematik, Bildungsinformatik, Kybernetik) Leeuwen-Tumovcovä, Dr. Jifina van Freie Universität Berlin, Osteuropa Institut Garystraße 55, D-W-1000 Berlin 33 (Arbeitsschwerpunkt: Kontrastive Linguistik) Leischner, Prof. Dr. Anton Rheinstraße 18, D-W-5330 Königswinter (Anton Leischner ist Arzt für Psychiatrie und Neurologie und ehemaliger Direktor der Rheinischen Landesklinik für Sprachgestörte in Bonn) Leister, Dr. Klaus K.M. und Partner, Gesellschaft für Marketing-Kommunikation An der Alster 30, D-W-2000 Hamburg l (Klaus Leister ist Unternehmensberater in Hamburg.) Lenz, Dr. Friedrich Universität Passau, Lehrstuhl englische Sprachwissenschaft Innstraße 40, D-W-8390 Passau (Arbeitsschwerpunkte: Fachsprachenforschung, Interkulturelle Kommunikation, Gesprächsanalyse) Li, Ping-ge Universität Bremen, Fachbereich 10 Postfach 330 440, D-W-2800 Bremen 33 (Arbeitsschwerpunkte: Pragmatik, Soziolinguistik, kultureller und sprachlicher Vergleich) Ligozat, Prof. Dr. Görard University Paris-Sud, LIMSI B. P. 133, F-91403 Orsay Cedex (Arbeitsschwerpunkte: Kognitive Linguistik, Computerlinguistik, Sprachtheorie)
522
Lutjeharms, Prof. Dr. Madeline Vrije Universiteit Brüssel, Sectie Germaanse filologie Pleinlaan 2, B-1050 Brüssel (Arbeitsschwerpunkte: Psycholinguistik, Didaktik des Fremdsprachenunterrichts) Lutzeier, Prof. Dr. Peter R. Institut für Deutsche Philologie, Universität München Schellingstraße 3, D-W-8000 München 40 (Arbeitsschwerpunkte: Syntax, Semantik) Müller, Prof. Dr. Rolf Universität GH Kassel, Fachbereich 09 Germanistik Georg-Forster-Straße 3, D-W-3500 Kassel (Arbeitsschwerpunkte: Verhältnis von Sprachstruktur und Schriftsystem,Textlinguistik gesprochener und geschriebener Sprache, Hochsprache, sog. Legasthenie) Muräth, Dr. Judith Janus Pannonius Universität Pecs, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Räkoczi u. 80, H-7622-Pecs (Arbeitsschwerpunkte: Fachsprachenforschung, Übersetzungswissenschaft) Musolff, Dr. Andreas Aston University, Modem Languages Dept. Aston Triangle, GB-Birmingham B4 7ET (Arbeitsschwerpunkte: Sprach- und Kommunikationstheorie) Nekvapil, Dr. Jifi Karlsuniversität Prag, Fachbereich Linguistik und Phonetik näm. Jana Palacha 2, CS-116 38 Praha (Arbeitsschwerpunkte: Soziolinguistik, Textlinguistik, Methodologie und Historiographie der Sprachwissenschaft) Noack, Claus Siemens Nixdorf Informationssysteme AG STM QM 23 Otto-Hahn-Ring 6, D-W-8000 München 83 (Claus Noack ist leitender Technischer Redakteur bei SNI München und Lehrbeauftragter der TU Berlin.) Noordegraaf, Dr. Jan Vrije Universiteit Amsterdam, Faculteit der Letteren, Vakgroep Taalkunde DeBoelelaan 1105, NL-1081 HV Amsterdam (Arbeitsschwerpunkt: Sprachwissenschaftsgeschichte) Nord, Dr. Christiane Institut für Übersetzen und Dolmetschen der Universität Heidelberg Plöck 57a, D-W-6900 Heidelberg (Arbeitsschwerpunkt: Übersetzungstheorie) Okon, Dr. Luzian Ingenieurschule Biel, Höhere Technische Lehranstalt des Staates Bern Quellgasse 21, CH-2500 Biel 3 (Arbeitsschwerpunkte: Psycho- und Soziolinguistik, Zweitsprachenerwerb, Bilingualismus und Diglossie, sprachliche Interferenzen)
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Pasierbsky, Prof. Dr. Fritz Universität Paderbom, Fachbereich 3 Warburger Straße 100, D-W-479 Paderborn (Arbeitsschwerpunkte: Sprache und Medizin, kontrastive Linguistik, Sprachtheorie) Perridon, Prof. Dr. Harry University of Amsterdam, Scandinavian. Studies Beethovenstraat 3A, NL-1077 HK Amsterdam (Arbeitsschwerpunkte: Syntax, Sprachvergleich, Skandinavistik) Petkov, Prof. Dr. Pavel Universität Sofia, Fakultät für klassische und neue Philologien Ruskistr. 15, BG-Sofia (Arbeitsschwerpunkte: Grammatik, konfrontative Linguistik, Lexikographie und Sprachphilosophie) Pfefferkorn, Dr. Oliver Martin-Luther-Universität Halle, Sektion Germanistik und Kunstwissenschaften Universitätsring 4, D-O-4010 Halle (Arbe tsschwe unkt: Sprach- und Literaturgeschichte des 17. Jh.) Pittner, Dr. Karin Institut für Linguistik der Universität Stuttgart Keplerstraße 17, D-W-Stuttgart l (Arbeitsschwerpunkt: Deutsche Syntax) Pittner, Robert Jakob Universität München, Philosophische Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaft II, Institut für Deutsche Philologie Schellingstraße3, D-W-8000 München 40 (Arbeitsschwerpunkte: Grammatik, Wortbildungslehre) Pocheptsov, Prof. Dr. Georgij Kreshchatik 15, apt. 101, SU-252001 Kiew l (Arbeitsschwe unkte: Semiotik, Semantik, Grammatik) Pogarell, Dr. Reiner Universität Paderborn, Fachbereich 3 Warburger Straße 100, D-W-4790 Paderbom (Arbeitsschweipunkt: Betriebslinguistik) Pütz, Prof. Dr. Herbert Universitetet i Trondheim, Germanistisk Institutt Holbergsgaden 12, N-7055 Dragvoll (Arbeitsschwerpunkte: Grammatik, Syntax des Deutschen) Rahnenführer, Dr. Ilse Universität Rostock, Fachbereich Sprach-, Literatur- und Musikwissenschaft Kröpeliner Straße 26, D-O-2500 Rostock (Arbeitsschwerpunkte: Orthographie und Grammatik (bes. Syntax) der deutschen Gegenwartssprache) Reiter, Prof. Dr. Norbert Freie Universität Berlin, ZI Osteuropa Institut, Abteilung für Balkanologie Garystraße 55, D-W-Berlin 33 (Arbeitsschwerpunkte: Semantik, Sprachtheorie. Norbert Reiter ist Leiter der Abteilung für Balkanologie.)
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Rohdenburg, Dr. Gunter Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Englisches Seminar Johannisstraße 12-20, D-W-4400 Münster (Arbeitsschwerpunkte: Syntax, Semantik, Kontrastive Linguistik) Roos, Dr. Eckhard Universität Paderborn, Fachbereich 3 Warburger Straße 100, D-W-4790 Paderborn (Arbeitsschwerpunkte: Lexikologie, Phrasiologie, Fachsprachenforschung, Fremdsprachendidaktik) Rösch, Olga Humboldt-Universität Berlin, Sektion Germanistik Clara-Zetkin-Straße l, D-O-1086 Berlin (Arbeitsschwerpunkte: Grammatik des Deutschen, Semantik) Rosenberg, Dr. Peter Freie Universität Berlin, Fachbereich Germanistik Habelschwerdter Allee 45, D-W-1000 Berlin 33 (Arbeitsschwerpunkte: Dialektologie, Soziolinguistik) Roussos, Lefteris Westfälische Wilhelms Universität Münster, Institut für allgemeine Sprachwissenschaft Bispinghof 17, D-W-4400 Münster (Arbeitsschwerpunkte: Ideologiekritik, Sprachphilosophie, Geschichte der Geisteswissenschaften) Rudolph, Dr. Elisabeth Klaus-Grote-Straße 47, D-W-2070 Ahrensburg (Arbeitsschwerpunkte: Syntax, Semantik, Argumentation, Dialoganalyse) Sachse, Dr. Udo Martin-Luther-Universität Halle, Sektion Germanistik/Kunstwissenschaften Universitätsring 4, D-O-4020 Halle (Arbeitsschwerpunkt: Geschichte der deutschen Sprache) Sayatz, Dr. Ulrike Akademie der Wissenschaften der DDR, Zentralinstitut für Sprachwissenschaft Wolfgang-Heinz-Straße 54, D-O-1115 Berlin (Arbeitsschwerpunkte: Grammatik, Semantik, linguistische Theorienbildung) Schellenberger, Jürgen Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Slawistik Bismarckstraße l, D-W-8520 Erlangen (Arbeitsschwerpunkte: Sprachvergleich, Spachkontakt, Sprachgeschichte) Schmandt-Besserat, Prof. Dr. Denise The University of Texas at Austin, Department of Art, Center for Mittle Eastern Studies USA-Austin, Texas 78712-1285 (Art Historian, Archaelogist; Arbeitsschwerpunkte: Paleolithic and ancient Near East) Schmidt, Dr. Jürgen Erich Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Deutsches Institut Saarstraße 21, D-W-6500 Mainz (Arbeitsschwerpunkt: Grammatiktheorie)
525
Schmitter, Prof. Dr. Peter Westfälische Wilhelms-Universität Münster Institut für Allgemeine Sprachwissenschaft Bispinghof 17, D-W-4400 Münster (Arbeitsschwerpunkte: Historiographie der Linguistik, Sprachgeschichte) Schneider, Dr. Klaus P. Universität Hamburg, Zentrales Fremdspracheninstitut Von-Melle-Park 5, D-W-2000 Hamburg 13 (Arbeitsschwerpunkte: Sprachlehrforschung, angewandte Linguistik) Schneider, Iris Universität Hamburg, Zentrales Fremdspracheninstitut Von-Melle-Park 5, D-W-2000 Hamburg 13 (Arbeitsschwerpunkte: Sprachlehrforschung, angewandte Linguistik) Schneider, Sabine Dürrkopp Adler AG Postfach, D-W^800 Bielefeld (Sabine Schneider ist Übersetzerin bei der Dürrkopp Adler AG.) Schreiter, Dr. Gotthard Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Germanistische Sprachwissenschaft Schillerstraße 8, D-O-6900 Jena (Arbeitsschwerpunkte: Grammatik, Fachdidaktik Deutsch, Stilistik, Textlinguistik) Seewald, Uta Universität Hannover, Romanisches Seminar Weifengarten l, D-W-3000 Hannover (Arbeitsschwerpunkt: Computerlinguistik) Seuren, Prof. Dr. Pieter A.M. Katholieke Universiteit, Centrale Interfaculteit Thomas van Aquinostraat 3, NL-6500 HK Nijmegen (Arbeitsschwerpunkte: Sprachphilosophie, Sprachtheorie. Pieter Seuren ist Leiter der Philosophischen Fakultät.) Siarova, Dr. Rumiana Freie Universität Berlin, Byzantinisch-Neugriechisches Seminar Unter den Eichen 78-79, D-W-1000 Berlin 45 (Arbeitsschwerpunkte: Antike und byzantinische Philologie, Lexikographie, Glossographie, thrakische Sprache) Simonnses, Prof. Ingrid Norges Handelsheyskole, Institut! for Spräk Helleveien 30, N-5035 Bergen-Sandviken (Arbeitsschwerpunkte: Fremdsprachendidaktik, Fremdsprachenbedarfsermittlung. Ingrid Simonnaes ist Leiterin des Instituts sowie stellvertretende Koordinatorin der Übersetzerausbildung.) Stahlheber, Eva University of Michigan, English Language Institute USA Ann Arbor, Michigan 48109-1057 (Arbeitsschwerpunkte: Englische Fachsprachenforschung, Dialektologie)
526
Stehl, Dr. Thomas Universität-GH-Paderbom, Fachbereich 3 Warburger Straße 100, D-W^t790 Paderbom (Arbeitsschwerpunkte: Historische und funktionale Kontakt- und Variationslinguistik [Geo-, Sozio-, und Pragmalinguistik] mit Schwerpunkt Gallo- und Italoromania) Steigüber, Dr. Barbara Sprachmanagement Fenglerstraße 17, D-W-2000 Hamburg 70 (Arbeitsschwerpunkte: Stimmiges Sprechen und Handeln als Faktor der persönlichen und beruflichen Entwicklung, Konzeption und Durchführung von Trainings vorwiegend in Industrieunternehmen) Still, Hans Gunter Brotteroder Straße 38, D-W-1000 Berlin (Arbeitsschwerpunkte: Kategorienlehre, Sprachvergleichung) Stojanova-Jovceva, Dr. Stanka Universität Sofia Urwitsch 13, Haus l, Eingang 2, BG-1612 Sofia (Arbeitsschwerpunkte: Grammatik, kontrastive Linguistik) Sugayama, Kensei Seminar für Anglistik, Universität für Fremsprachen Kobe 9-1, Gakuen-higashi-machi Nishi-ku, 651-21 Kobe (Japan) (Arbeitsschwerpunkte: Grammatiktheorie, Syntax, Wortsyntax) Swiggers, Prof. Dr. Pierre Katholieke Universiteit Leuven, Fakultät Philosophie Blijde Inkomststraat 21, B-3000 Leuven (Arbeitsschwe unkte: Phonologie, Geschichte der Linguistik, Sprachwissenschaftsgeschichte, Grammatik und Theorie der Sprache des 18.Jahrhunderts) Tabakowska, Dr. Elzbieta Jagiellonian University, Institute of English al. Mickiewicza 9/11, PL-31-120 Krakow (Arbeitsschwerpunkt: Semantik) Tesak, Dr. Jürgen Th.-Kömer-Straße 86, A-8010 Graz (Arbeitsschwerpunkt: Aphasiologie unter linguistischem Gesichtspunkt) Trampe, Dr. Wilhelm Lavelsloh 63, D-W-3079 Diepenau l (Arbeitsschwerpunkt: Soziolinguistik) Tschauder, Prof. Dr. Gerhard Germanistisches Institut, Ruhr-Universität Bochum Postfach 102148. D-W-4630 Bochum l (Arbeitsschwerpunkte: Textlinguistik, Erzähltheorie, Sprachphilosophie) Van der Staak, Dr. Jan Vakgroep Toegepaste Taalkunde, Universiteit Twente Postbus 217, NL-7500 AE Enschede (Arbeitsschwerpunkte: Angewandte Sprachwissenschaft, Fachsprache, Kommunikationskunde)
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Van Hoecke, Willy Katholieke Universiteit Leuven, Fakultät Philosophie Blijde Inkomststraat 21, B-3000 Leuven (Arbeitsschwe unkt: Sprachgeschichte) Veiga, Prof. Dr. Alexandre Universidade de Santiago de Compostela, Facultade de Filoloxia E-15771 Santiago de Compostela (Arbeitsschwe unkte: Phonologic, Morphologie und Syntax des Verbums) Vetulani, Prof. Dr. Zygmunt Adam-Mickiewicz-Universität Poznan, Mathematische Fakultät ul. Matejki 48/49, PL-60769 Poznan (Arbeitsschwerpunkte: Computerlinguistik, Künstliche Intelligenz, formale Beschreibung natürlicher Einzelsprachen, Grundlagen der Mathematik, Semiotik) Weber, Prof. Dr. Heinrich Deutsches Seminar der Universität Tübingen Wilhelmstraße 50, D-W-7400 Tübingen (Arbeitsschwerpunkte: Grammatik des Deutschen, Sprach- und Grammatiktheorie, Geschichte der Sprachwissenschaft) Weber, Prof. Dr. Ursula Technische Universität Braunschweig, Seminar für Deutsche Sprache, Literatur und deren Didaktik Bültenweg 74/75, D-W-3300 Braunschweig (Arbeitsschwerpunkte: Linguistische Pragmatik, Spracherwerbs- und Instruktionsforschung, Sprachsoziologie, Dialogforschung) Weiß, Cornelia Universität Paderborn, Fachbereich 3 Warburger Straße 100, D-W-4790 Paderborn (Arbeitgebiet: Sprachphilosophie) Wettler, Prof. Dr. Manfred Universität Paderborn, Fachbereich 2 Warburger Straße 100, D-W-4790 Paderborn (Arbeitsschwerpunkte: Sprachpsychologie, künstliche Intelligenz, Computerlinguistik) Wiegers, Helmut Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Fachbereich Germanistik Johannisstraße 1-4, D-W-4400 Münster (Arbeitsschwerpunkte: Dialoganalyse, Sprechakttheorie) Woudstra, Dr. Egbert Vakgroep Toegepaste Taalkunde, Universiteit Twente Postbus 217, NL-7500 AE Enschede (Arbeitsschwerpunkte: Angewandte Sprachwissenschaft, Textproduktion, Kommunikationskunde) Xu, Shi Windroosplein 69. 04. 01 NL-1018 ZZ Amsterdam
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Yashovardhan Universität Paderbom, Fachbereich 2 Warburger Straße 100, D-W-4790 Paderborn (Arbeitsschwe unkte: Hindi, Grammatik) Zock, Dr. Michael Centre National de la Recherche Scientifique LIMSI B.P. 133, F-91403 Orsay (Arbeitsschwerpunkte: Texterzeugung, Simulierung der beim Sprachprozeß ablaufenden Operationen, Computerlinguistik) Zybatow, Dr. Lew August-Leskien Institut zur Weiterbildung von Fremdsprachenlehrkräften und Sprachmittlern Stallbaumstraße 13, D-O-7022 Leipzig (Arbeitsschwerpunkte: Vergleichende Sprachwissenschaft , Übersetzungstheorie, Semantik, Linguistische Pragmatik, Partikelforschung)