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German Pages 745 Year 2011
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 294
Tarifpluralität im System der Arbeitsrechtsordnung Von
Benedikt Schmidt
Duncker & Humblot · Berlin
BENEDIKT SCHMIDT
Tarifpluralität im System der Arbeitsrechtsordnung
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 294
Tarifpluralität im System der Arbeitsrechtsordnung
Von
Benedikt Schmidt
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Ruhr-Universität Bochum hat diese Arbeit im Jahr 2010 als Dissertation angenommen.
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© 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-13495-3 (Print) ISBN 978-3-428-53495-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-83495-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die Arbeit wurde im Sommersemester 2010 von der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen. Das ursprüngliche Manuskript war bereits vor Verkündung der Entscheidungen des 4. Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Januar 2010 – 4 AZR 549/08 (A) und 4 AZR 537/08 (A) – und des 10. Senats vom 23. Juni 2010 – 10 AS 2/10 und 3/10 – abgeschlossen, mit denen die Rechtsprechungsänderung zum Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb eingeleitet wurde, welche dann der 4. Senat mit Urteilen vom 7. Juli 2010 (4 AZR 549/08 und 4 AZR 537/08) vollzogen hat. Für die Druckfassung wurde der Text insofern angepasst, ohne dass aber grundlegende Änderungen notwendig waren. Denn die Arbeit hatte von vornherein die bereits seit einiger Zeit erwartete Aufgabe der Tarifeinheit zur Prämisse gesetzt und behandelt die sich hieraus ergebenden rechtlichen Folgefragen. Insofern sollte sie gerade mit der jetzt eingetretenen Rechtsprechungsänderung praktische Aktualität erlangen. Auch im Übrigen habe ich die seit dem Abschluss des Manuskripts erschienene Rechtsprechung und Literatur nach Kräften nachzutragen versucht. Berücksichtigt ist insbesondere auch die Habilitationsschrift von Stefan Greiner, „Rechtsfragen der Koalitions-, Tarif- und Arbeitskampfpluralität“ (2010). Die Arbeit befindet sich in der vorliegenden Fassung nunmehr insgesamt auf dem Stand Ende August 2010. Zur Entstehung der Arbeit hat eine Reihe von Menschen beigetragen. Ihnen möchte ich auch an dieser Stelle meinen Dank aussprechen. Zuerst danke ich meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Rolf Wank für die vielfältige großzügige Förderung während und nach meiner Zeit an seinem Lehrstuhl. Ohne die Ausbildung, die ich durch ihn erfahren durfte, wäre die Arbeit fraglos nicht in dieser Form, wahrscheinlich überhaupt nicht zustande gekommen – und wäre mein „juristischer Horizont“ ein sehr viel enger begrenzter geblieben. Herrn Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Professor Klaus Bepler danke ich für die Anregung des Themas. Herrn Professor Dr. Jacob Joussen gebührt Dank für die Übernahme und die überobligatorisch zügige Anfertigung des Zweitgutachtens. Herr Professor Dr. Reinhard Richardi war so freundlich, mir das Manuskript seiner zur Veröffentlichung in der AP vorgesehenen Anmerkung zu den Entschei-
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Vorwort
dungen des 4. Senats vom 27. Januar 2010 und des 10. Senats vom 23. Juni 2010 kurz vor der Drucklegung der Arbeit vorab zur Verfügung zu stellen. Seine Überlegungen konnten so immerhin noch in den Fußnoten berücksichtigt werden. Dank schulde ich ferner Herrn Rechtsanwalt Professor Dr. Cord Meyer, Syndikus der Deutschen Bahn AG, der mir in einem sehr aufschlussreichen Gespräch die Sicht eines einschlägig befassten Praktikers auf die mit einer Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit verbundenen Probleme näher gebracht hat. Großen Anteil am Gelingen des Promotionsprojekts hat des Weiteren Herr wiss. Ass. Dr. Martin Maties, dessen unbestechliche und scharfsinnige Kritik manche Präzisierung der Argumentation vor allem in individualrechtlichen Fragen erzwungen hat. Bei Herrn Dr. Florian R. Simon, LL.M., vom Verlag Duncker & Humblot bedanke ich mich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Schriften zum Sozialund Arbeitsrecht“. Die Zeit in Bochum wäre nicht die gleiche gewesen ohne Frau Ursula Fiedler, die mich in vielerlei Hinsicht vom ersten Tag an „durchschaut“ hat. Ich danke ihr zugleich stellvertretend für alle weiteren Lehrstuhlmitarbeiter. Meiner Freundin, Sara Alice Ferraú, und meiner Familie, meiner Mutter Marina Schmidt-Wiedemann sowie meinen Geschwistern Claudius, Jan, Lars, Wanda und Anne Schmidt, verdanke ich mehr als hier gesagt werden kann. Ihnen ist die Arbeit von ganzem Herzen gewidmet. Berlin, im September 2010
Benedikt Schmidt
Inhaltsübersicht Teil 1 Einleitung
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Kapitel 1: Einführung in den Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 2: Begriffsklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 3: Neue Ansätze zur Begründung der Tarifeinheit bei Tarifpluralität . . . . .
70
Teil 2 Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht Kapitel 1: Tarifpluralität und Ermittlung der Gewerkschaftszugehörigkeit . . . . . . . .
94 94
Kapitel 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge . . 161 Teil 3 Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
251
Kapitel 1: Tarifpluralität und Tariffähigkeit, insbesondere soziale Mächtigkeit von Arbeitnehmervereinigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Kapitel 2: Abgrenzung von Betriebs- und Inhaltsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Kapitel 3: Tarifpluralität und tarifdispositives Gesetzesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Teil 4 Einpassung der Tarifpluralität in das Betriebsverfassungsrecht – Tarifpluralität und Tarifvorrang und -vorbehalt nach §§ 87 Abs. 1 Eingangssatz, 77 Abs. 3 BetrVG
414
Teil 5 Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitskampfrecht
510
Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 669 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 678 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 737
Inhaltsverzeichnis Teil 1 Einleitung
35
Kapitel 1 Einführung in den Untersuchungsgegenstand
35
A. Die Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
B. Notwendigkeit der Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 2 Begriffsklärungen
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A. Tarifkonkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Tarifpluralität – insbesondere: Das Verhältnis zur Tarifkonkurrenz . . . . . . . . . . . I. Tarifpluralität nur bei Nichtvorliegen von Tarifkonkurrenz? . . . . . . . . . . . . . II. Keine Tarifpluralität im Falle „betriebsweiter“ Tarifkonkurrenz? . . . . . . . . . 1. Begriff der „betriebsweiten“ Tarifkonkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Exklusivität von betriebsweiter Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität? . . . a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Tarifkonkurrenz als Sonderfall der Tarifpluralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56 56 58 59 60 60 61 65
C. Tarifmehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 3 Neue Ansätze zur Begründung der Tarifeinheit bei Tarifpluralität
70
A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität als Fall zulässiger Grundrechtsausgestaltung? (Kempen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Darstellung der Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erste Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
C. Normative Verankerung der Tarifeinheit im Betrieb durch den einfachen Gesetzgeber? (Heinze/Ricken) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erste Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Normative Verankerung der Tarifeinheit im Betrieb im TVG . . . . . . . . . 2. Normative Verankerung der Tarifeinheit im Betrieb im BetrVG . . . . . . . 3. Normative Verankerung der Tarifeinheit im Betrieb in weiteren arbeitsrechtlichen Gesetzesvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Insbesondere: § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78 79 80 80 83 85 87 93
Teil 2 Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
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Kapitel 1 Tarifpluralität und Ermittlung der Gewerkschaftszugehörigkeit
94
A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Ausgangspunkt: Bedürfnisabhängigkeit des arbeitgeberseitigen Fragerechts im bestehenden Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Bedürfnis nach Kenntnis der Gewerkschaftszugehörigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsfolgenbezogenes Informationsbedürfnis des Arbeitgebers nach der Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Situation der Tarifpluralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sicherstellung der zutreffenden tarifrechtlichen Behandlung der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kein Bedürfnis für ein Fragerecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ansatzpunkte für ein rechtsfolgenbezogenes Informationsbedürfnis des Arbeitgebers im Falle einer realisierten Tarifpluralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auskunftspflicht gegenüber gemeinsamen Einrichtungen . . . . . . . . . . . . a) Ermittlung der Gewerkschaftszugehörigkeit im Beitragseinzugsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) (Frühere) Rechtsprechung des 4. Senats des BAG . . . . . . . . . . . . bb) (Frühere) Rechtsprechung des 10. Senats des BAG . . . . . . . . . . . cc) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Problementschärfung durch sachgerechte Lösungen auf der Ebene der Tarifkonkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Lösung einer Tarifkonkurrenz unter Beteiligung eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis (1) Entstehung einer Tarifkonkurrenz bei Tarifverträgen über gemeinsame Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Terminologischer Exkurs: „Betriebsweite“ Tarifkonkurrenz? (3) Auflösung der Tarifkonkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Herrschende Meinung: Anwendung des Spezialitätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Vorrang der mitgliedschaftlichen Legitimation . . . . . . . . (c) Die vorzugswürdige Lösung: Vorrang des Tarifvertrags über gemeinsame Einrichtungen (Jacobs) . . . . . . . . . . . . . cc) Konsequenzen für ein Bedürfnis nach Ermittlung der Gewerkschaftszugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verhältnis der Lösung zum Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Verfassungsrechtliche Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung: Fragerecht als Voraussetzung zutreffender tarifrechtlicher Behandlung der Arbeitnehmer im tarifpluralen Betrieb? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fragerecht und Offenbarungsobliegenheit des Arbeitnehmers . . . . . . aa) (Nur) Offenbarungsobliegenheit statt Fragerecht? . . . . . . . . . . . . . bb) Funktionsweise einer Offenbarungsobliegenheit . . . . . . . . . . . . . . (1) Begriff der Obliegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bedürfnis für ein zusätzliches Fragerecht des Arbeitgebers eines tarifpluralen Betriebes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Problemlösung durch teleologische Reduktion von § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG und tarifvertragliche Ausschlussfristen? . . . . . . . . . . bb) Fragerecht und schadensrechtliche Reaktion auf Falsch- und Nichtauskünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Keine schadensrechtliche Neutralisierung der Gewerkschaftsmitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ersatz von Vertrauensschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Unvermeidbarkeit etwaiger Nachzahlungsforderungen . . (b) Aber: Gewährleistung verlässlicher betrieblicher Rechnungsgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Feststellung der Mehrheitsverhältnisse zwecks Konkretisierung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln . . . . . (d) Pauschalierbarkeit des Schadensersatzanspruchs . . . . . . . c) Abwägung des arbeitgeberischen Informationsbedürfnisses gegen das Geheimhaltungsinteresse des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Meinungsstand – ausreichender Schutz vor Benachteiligungen durch § 612a BGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) „Gewerkschafts-Hopping“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis aa) „Gewerkschafts-Hopping“ und Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . bb) Folgeprobleme eines „Gewerkschafts-Hoppings“ . . . . . . . . . . . . . (1) Kalkulierbarkeit der Kosten eines Tarifabschlusses . . . . . . . . (2) Ermittlung der Gewerkschaftszugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . (a) Nachbindung und Tarifkonkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Feststellung der maßgeblichen Tarifbindung . . . . . . . . . . . (aa) Unterstellte Fortdauer einer ursprünglich angezeigten Tarifbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Fragerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Zulässigkeit einer arbeitsvertraglichen „Mitgliedschaftsauskunftsklausel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Zusammenfassung und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
Kapitel 2 Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge
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A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 I. Arbeitsvertragliche Verweisungen auf Tarifverträge im Schnittfeld von Arbeitsvertrags- und Tarifrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 II. Notwendigkeit der Einpassung der Tarifpluralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 B. Auslegung bestehender Bezugnahmeklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Auslegungsgesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorrang von DGB-Tarifverträgen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entscheidung anhand der Tätigkeit des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . 3. Spezialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Repräsentativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Priorität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verbleibende Unklarheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Scheitern der Bezugnahmeklausel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unklarheitenregel, § 305c Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendbarkeit bei Zweifeln über den Gegenstand der Verweisung . . b) Auslegung zu Lasten des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) § 305c Abs. 2 BGB als interpretatorisches Günstigkeitsprinzip bb) Individuell-konkretes oder generalisierend-abstraktes Günstigkeitsurteil? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Parallelproblem: Statische oder dynamische Bezugnahmewirkung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Meinungsstand im allgemeinen AGB-Recht . . . . . . . . . . . . . . (3) Eigene Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis (a) Unmöglichkeit eines Günstigkeitsvergleichs gesamter Tarifwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Generalisierend-abstraktes Günstigkeitsurteil als Konsequenz des Grundsatzes der objektiven Auslegung von AGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Der konkrete Vertragsstreit als Bezugspunkt der Unklarheitenregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Kein Wahlrecht des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . (bb) Maßgeblichkeit der konkreten Prozesssituation und des jeweils geltend gemachten Anspruchs . . . . . . . . (cc) Keine „Rosinentheorie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Die gegenteilige Auffassung des 6. Senats des BAG im Urteil vom 24. 9. 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Die Entscheidung des 6. Senats . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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177 179 180 180 181 182 182 183
Ergebnis zu B. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 C. Möglichkeiten der künftigen Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kleine dynamische Bezugnahmeklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Große dynamische Bezugnahmeklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Diskussionsstand zur Gestaltung großer dynamischer Bezugnahmeklauseln unter Berücksichtigung etwaiger Tarifpluralitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemein gehaltener Verweis auf die Regeln zur Auflösung von Tarifkonkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konkreter Verweis auf den günstigsten/den speziellsten/den repräsentativsten Tarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Statuierung eines einseitigen Bestimmungsrechts des Arbeitgebers . . . . 4. Verweis auf den „nach der Tätigkeit einschlägigen jeweils geltenden Tarif“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Grundlegung der eigenen Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unzureichender Verweis auf den „nach der Tätigkeit einschlägigen jeweils geltenden Tarif“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zulässiger Verweis auf den (für den Arbeitgeber) günstigsten Tarifvertrag 3. Abstrakte Anknüpfung an die „Grundsätze der Tarifkonkurrenz“ . . . . . . 4. Ausdrücklicher Verweis auf den speziellsten Tarifvertrag . . . . . . . . . . . . IV. Insbesondere: Zulässigkeit des Vorbehalts eines einseitigen Bestimmungsrechts des Arbeitgebers? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bisherige Formulierungsvorschläge und im Schrifttum geäußerte Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vereinbarkeit mit §§ 308 Nr. 4, 307 Abs. 1 und Abs. 2 BGB – Übertragung der Zulässigkeitsmaßstäbe für vorformulierte Widerrufsvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
192 192 193 194 194 194 195 195 196 196 196 200 201 202 204 204
206
14
Inhaltsverzeichnis a) Die Rechtsprechung des BAG zur Inhaltskontrolle vorformulierter Widerrufsvorbehalte nach §§ 308 Nr. 4, 307 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . aa) Kein Eingriff in den Kernbereich des Arbeitsvertrages . . . . . . . . bb) Erfordernis eines Widerrufsgrundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bedeutung für die Zulässigkeit eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts für den Fall der Tarifpluralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zumutbarkeit der vorbehaltenen Leistungsänderung als solcher (1) Unterschiede zwischen Widerruf von Leistungen und Bestimmung des Bezugnahmeobjekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Gleichwertigkeit tarifvertraglicher Regelungen . . . . . . . . bb) Zumutbarkeit der durch den Vorbehalt geschaffenen Ungewissheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Begrenzung der Bezugnahmewirkung auf nach ihrem Geltungsbereich einschlägige Tarifverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ungewissheit der Entwicklung der Mehrheits-, Günstigkeits- und der Spezialitätsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Volatilität der Mehrheitsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Beeinflussbarkeit der Günstigkeits- und der Spezialitätsverhältnisse durch den Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Herrschaft des Arbeitgebers über die Organisationseinheit „Betrieb“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Herrschaft über die Organisationseinheit „Betrieb“ und Grundsatz der Tarifeinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Herrschaft über die Organisationseinheit „Betrieb“ und Bezugnahme auf den speziellsten oder den repräsentativsten Tarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Die Dynamik der Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Die Möglichkeit des Arbeitnehmers zum Gewerkschaftsbeitritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Bindung der Leistungsbestimmung an in der Klausel zu benennende Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Gründe für eine Auswahlentscheidung bei nachträglich eintretender Tarifpluralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Der Eintritt der Tarifpluralität als solcher . . . . . . . . . (bb) Nicht anzuerkennende Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geänderte Präferenz des Arbeitgebers . . . . . . . . . b) Pauschales Vereinheitlichungsinteresse . . . . . . . . g) Wirtschaftliche Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Anzuerkennende Bestimmungsgründe . . . . . . . . . . . a) Erhebliche Änderung der Mehrheitsverhältnisse b) Änderung der Günstigkeitsverhältnisse . . . . . . . . g) Änderung der Spezialitätsverhältnisse . . . . . . . . .
207 208 209 210 210 210 211 213 214 216 216 216 218 218
219 221 226 226 227 227 228 228 228 228 231 231 234 235
Inhaltsverzeichnis (b) Der Fall der bereits anfänglich bestehenden Tarifpluralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Rechtslage im Zeitpunkt des Vertragsschlusses . . . . (bb) Folgeentwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Erklärungsfrist für die Leistungsbestimmung . . . . . . . . . . 3. Ausübungskontrolle im Einzelfall, § 315 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendbarkeit des § 315 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Billigkeitskontrolle und Gleichbehandlungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . 4. Formulierungsvorschlag und Kombinationsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . a) Formulierungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kombinationsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis zu C. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15 236 236 238 238 240 241 241 245 245 248 249
Teil 3 Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
251
Kapitel 1 Tarifpluralität und Tariffähigkeit, insbesondere soziale Mächtigkeit von Arbeitnehmervereinigungen
251
A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 B. Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität als Fall zulässiger Grundrechtsausgestaltung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Angreifbarkeit der Prämissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einordnung der Lehre von der Tarifeinheit im Betrieb als Fall der Grundrechtsausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Abgrenzung von Grundrechtsausgestaltung und Grundrechtseingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tarifverdrängung als Grundrechtsausgestaltung? . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Prinzip der betrieblichen Tarifeinheit als Fall der Umgestaltung? 2. Konsequenzen einer Einordnung der Tarifverdrängung als Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Meinungsstand zu den Grenzen zulässiger Grundrechtsausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zulässigkeit einer unterstellten Ausgestaltung – Erforderlichkeit der betrieblichen Tarifeinheit zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Freiheitsdimension des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG und der Gedanke der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Spannungsverhältnis zwischen Freiheitsrecht und Systemgedanken
253 253 253 254 256 258 263 263 264
266 267 268
16
Inhaltsverzeichnis 3. Die Tarifeinheit im Betrieb im Gesamtsystem des Tarifvertragsrechts . . 4. Insbesondere: Tarifeinheit im Betrieb und soziale Mächtigkeit . . . . . . . . a) Gemeinsamer Grundgedanke: Sicherung einer funktionierenden Tarifautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gemeinsames Grundproblem: Verkürzung grundrechtlicher Freiheit c) Grenzen der Gemeinsamkeit – die Unterscheidung von angemessenen und einheitlichen Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Soziale Mächtigkeit und angemessene tarifliche Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Konzentrationswirkung des Mächtigkeitserfordernisses (a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Insbesondere: Der „Trend zur Spartengewerkschaft“ . . . (2) „Angemessenheit durch Vereinheitlichung“? . . . . . . . . . . . . . (a) Die regulierende Kraft des Mächtigkeitserfordernisses . . (aa) Die „Dialektik von Einheit und Vielheit“ . . . . . . . . . (bb) Das dynamische Gleichgewicht des Systems – Rückwirkungen einer Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb auf die konkrete Handhabung des Mächtigkeitserfordernisses . . . . . . . . . . . . . (b) Die vorrangige Kompetenz der Arbeitnehmer zur Auswahl der für ihr Arbeitsverhältnis „angemessenen“ (tariflichen) Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
269 270 270 271 276 277 279 279 279 281 289 291 291
291
294
C. Ergebnis und Ausblick auf die arbeitskampfrechtliche Problematik . . . . . . . . . . 297 I. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 II. Ausblick auf die arbeitskampfrechtliche Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Kapitel 2 Abgrenzung von Betriebs- und Inhaltsnormen A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Abgrenzungsschwierigkeiten als Argument für die Tarifeinheit im Betrieb II. Bedeutung der Abgrenzung bei Freigabe von Tarifpluralitäten . . . . . . . . . . . 1. Der Zusammenhang zwischen dem Betriebsnormenbegriff und den Folgen einer Tarifkollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die suggestive Wirkung des § 3 Abs. 2 TVG und ihre spezielle tarifkollisionsrechtliche Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
305 305 305 306 306 307
B. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 C. Der Betriebsnormenbegriff des BAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 I. Die Notwendigkeit betriebseinheitlicher Geltung als unerlässliches Begriffsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
Inhaltsverzeichnis
17
II. Methodische Kritik aus der Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 D. Stellungnahme und Grundlegung des eigenen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 I. Erfordernis einer teleologischen Begriffsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 II. Ermittlung der Gesetzeszwecke – teleologische Begriffsbildung als rechtsfolgenorientierte Begriffsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 E. Folgerungen für den Betriebsnormenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Teleologische Begriffsbildung und der Vorwurf der Zirkelschlüssigkeit . . . II. Zweck der betrieblichen Normen oder Zweck der gesetzlichen Vorschriften über betriebliche Normen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Erste Annäherung an den Zweck des § 3 Abs. 2 TVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auslegung nach Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte . . . . . 2. Rechtsfolgenorientierte Bestimmung des Normzwecks . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsfolge des § 3 Abs. 2 TVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der „innere Grund“ der Verknüpfung von Tatbestand und Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Einheitlichkeit der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Präzisierung der Formel von der notwendigen einheitlichen Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Merkmal der „Betrieblichkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. BAG im Anschluss an Dieterich: Betriebliche Fragen als Fragen der Betriebsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritik und eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Herkömmlicher arbeitsrechtlicher Betriebsbegriff als zweifelhafter Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fehlen einer sinnhaften Verknüpfung beider Definitionselemente . . c) Bestimmung des Merkmals der „Betrieblichkeit“ durch Denken in Gegenbegriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) „Betrieb“ und „Unternehmen“ als Gegenbegriffe . . . . . . . . . . . . . bb) Der Begriff des Unternehmens als funktional inadäquater Gegenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der Begriff des einzelnen Arbeitsverhältnisses als funktionsgerechter Gegenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) „Betriebliche Fragen“ als Fragen, die über das einzelne Arbeitsverhältnis hinausreichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Wechselbezüglichkeit der Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Unmöglichkeit oder „evidente sachlogische Unzweckmäßigkeit“ einer Regelung im Einzelarbeitsvertrag als Voraussetzung einer „betrieblichen Frage“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsprechung des BAG im Anschluss an Säcker und Oetker . . . . . . . . 2. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
316 316 317 319 319 320 320 321 321 322 322 324 324 324 326 326 327 328 332 333 333 334
335 335 336
18
Inhaltsverzeichnis a) Unmöglichkeit/Unzweckmäßigkeit einer einzelarbeitsvertraglichen Regelung oder Unmöglichkeit/Unzweckmäßigkeit einer unterschiedlichen Regelung in verschiedenen Arbeitsverträgen? . . . . . . . . 336 b) Unzweckmäßigkeit einer Unterscheidung zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern als hinreichende Voraussetzung für die Annahme einer Betriebsnorm? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340
F. Die verfassungsrechtliche Dimension des Begriffs der betrieblichen Normen . . I. Rechtsmethodische Einbettung: Verfassungskonforme Auslegung des § 3 Abs. 2 TVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Überblick über die geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken . . III. § 3 Abs. 2 TVG und das Erfordernis der rechtsstaatlichen und demokratischen Legitimation, Art. 20 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutung des Legitimationserfordernisses – Erfordernis rechtlicher Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konkretisierung des Legitimationserfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine Legitimation durch private Verbandsautonomie – Erfordernis eines staatlichen Delegationsaktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erfordernis einer einfachgesetzlichen Delegationsnorm . . . . . . . . . . . c) Anforderungen an die einfachgesetzliche Delegationsnorm . . . . . . . . aa) Zulässigkeit einer dynamischen gesetzlichen Verweisung auf Tarifnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vergleichbarkeit von dynamischer gesetzlicher Verweisung und unmittelbarer gesetzlicher Delegation staatlicher Normsetzungsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. § 3 Abs. 2 TVG als hinreichende Legitimationsgrundlage . . . . . . . . . . . a) Interpretation der verfassungsgerichtlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . b) Sicherung grundgesetzlicher Kompetenzverteilung . . . . . . . . . . . . . . . c) Gefahr einer Kompetenz-Kompetenz der Tarifvertragsparteien . . . . . aa) Der Bezugspunkt der Notwendigkeit einer betriebseinheitlich geltenden Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Regelungsziele der Tarifvertragsparteien als Bezugspunkt? (2) Eigene Bestimmung des Bezugspunkts . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Notwendigkeit versus Zweckmäßigkeit betriebseinheitlicher Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Der Regelungsgegenstand als zutreffender Bezugspunkt (c) Wechselbezüglichkeit aus rechtlichen Gründen . . . . . . . . bb) Kompetenz zur Beurteilung der Notwendigkeit einer betriebseinheitlich geltenden Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
343 343 344 346 347 347 347 349 349 349
351 352 353 353 355 357 358 358 361 361 362 365 366 368
G. Tarifvertragliche „Doppelnormen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 I. Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
Inhaltsverzeichnis II. Vorrangprinzip – Anwendung des § 3 Abs. 2 TVG auf die Doppelnorm als Ganze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die These vom Vorrangprinzip – Vorrang des § 3 Abs. 2 TVG vor dem Prinzip der beiderseitigen Tarifgebundenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Folgerungen für den Fall der Kollision mehrerer Doppelnormen enthaltender Tarifverträge im Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Eigene Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Folgerungen für den Fall der Kollision mehrerer Doppelnormen enthaltender Tarifverträge im Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19 371 371 373 373 373 376
H. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377
Kapitel 3 Tarifpluralität und tarifdispositives Gesetzesrecht
381
A. Tarifdispositives Gesetzesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 B. Tarifdispositives Gesetzesrecht und Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Tarifeinheit zumindest im Bereich des tarifdispositiven Gesetzesrechts? . . 1. Argumentation der Verteidiger der betrieblichen Tarifeinheit . . . . . . . . . 2. Abgrenzung – betriebsweite Tarifkonkurrenz und Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Insbesondere: Tarifvertragliche Abweichungen von den tarifdispositiven Vorschriften des Arbeitszeitrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Herrschende Lehre: Einordnung als Betriebsnormen . . . . . . . . . . . . . . b) Folgerungen für den Fall der Tarifkollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Eigene Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Folgerungen für den Fall der Tarifkollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Übereinstimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abweichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einpassung der Tarifpluralität durch besondere Repräsentativitätserfordernisse? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Darstellung der Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Methodische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schließung „verdeckter“ Regelungslücke durch teleologische Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Begründung einer teleologischen Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anwendung auf die gesetzlichen Tariföffnungsklauseln . . . . . . . (1) Sinn und Zweck der Tariföffnungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . (2) Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
382 383 383 384 385 385 386 386 387 388 388 389 389 391 391 392 392 393 394 395
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Inhaltsverzeichnis 3. Tarifpluralität und Schutzfunktion der gesetzlichen Tariföffnungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mögliche Gefahren einer Tarifpluralität im Bereich des tarifdispositiven Gesetzesrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Regulative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Mächtigkeitserfordernis als Regulativ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Grenzen der Abweichungsbefugnis der Tarifvertragsparteien . . . (1) Allgemeine Leitlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Beispielhafte Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Staffelung der Kündigungsfristen nach der Beschäftigungsdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Gleichbehandlung von Leih- mit Stammarbeitnehmern beim Entgelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
395 395 397 397 402 402 404 404 407
C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411
Teil 4 Einpassung der Tarifpluralität in das Betriebsverfassungsrecht – Tarifpluralität und Tarifvorrang und -vorbehalt nach §§ 87 Abs. 1 Eingangssatz, 77 Abs. 3 BetrVG A. Tarifvorrang und -vorbehalt und die These von der normativen Verankerung der Tarifeinheit im Betrieb durch den einfachen Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . I. Normative Verankerung der betrieblichen Tarifeinheit in § 77 Abs. 3 BetrVG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tarifeinheit im Betrieb und Wortlaut des § 77 Abs. 3 BetrVG . . . . . . . . 2. Tarifeinheit im Betrieb und Regelungszweck des § 77 Abs. 3 BetrVG II. Normative Verankerung der betrieblichen Tarifeinheit in § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Freigabe von Tarifpluralitäten und Tarifvorrang und -vorbehalt . . . . . . . . . . . . . . I. Fragen des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrangs nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG im tarifpluralen Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einmal mehr: Betriebsweite Tarifkonkurrenz und Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Im Übrigen: Auslösung der Sperrwirkung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG durch jeden der kollidierenden Tarifverträge? . . . . . . . . . . . a) Konsequenzen bei Auslösung der Sperrwirkung durch jeden der kollidierenden Tarifverträge (tarifplurale Betrachtung) . . . . . . . . . . . . aa) Personelle Reichweite der Mitbestimmung des Betriebsrats . . . . bb) Sachliche Reichweite der Mitbestimmung des Betriebsrats . . . . b) Methodische Einordnung der Reduzierung der Sperrwirkung auf einen der kollidierenden Tarifverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
414 414 414 415 415 416 417 417 417 419 420 420 421 422
Inhaltsverzeichnis c) Die Zwecke des Tarifvorrangs nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Heute h. M.: Entbehrlichkeit weiteren Arbeitnehmerschutzes bei bestehender tariflicher Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vermeintliche Paradoxie der Arbeitnehmerschutzzweckthese (2) Ausschluss der Erzwingbarkeit auch günstigerer betrieblicher Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Identität der Zwecke von § 87 Abs. 1 Eingangssatz und § 77 Abs. 3 BetrVG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Doppelter Zweck des Tarifvorrangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vereinbarkeit der tarifpluralen Betrachtung mit den rationes des Mitbestimmungsrechts in sozialen Angelegenheiten (§ 87 BetrVG) und des Tarifvorrangs (§ 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG) . . . . . . . . . aa) Vereinbarkeit mit dem durch § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG bezweckten Schutz der Tarifautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Bedrohung des Schutzes der Tarifautonomie durch Konkurrenz auf betrieblicher Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Bedrohung trotz Erzwingbarkeit lediglich günstigerer betrieblicher Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Bedrohung durch Erzwingung günstigerer Betriebsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Bedrohung durch Erzwingung günstigerer Betriebsabsprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Beeinträchtigung der Chancengleichheit der konkurrierenden Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vereinbarkeit mit dem Arbeitnehmerschutzzweck . . . . . . . . . . . . (1) Kollektivrechtlicher Arbeitnehmerschutz bei Auslösung der Sperrwirkung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG durch jeden der kollidierenden Tarifverträge (tarifplurale Betrachtung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Situation der Mitglieder von Gewerkschaft A . . . . . . . . . . (b) Situation der nicht organisierten Arbeitnehmer . . . . . . . . (c) Situation der Mitglieder von Gewerkschaft B . . . . . . . . . . (2) Kollektivrechtlicher Arbeitnehmerschutz bei Auslösung der Sperrwirkung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG durch nur einen der kollidierenden Tarifverträge (tarifeinheitliche Betrachtung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Situation der Mitglieder von Gewerkschaft A . . . . . . . . . . (b) Situation der nicht organisierten Arbeitnehmer . . . . . . . . (c) Situation der Mitglieder von Gewerkschaft B . . . . . . . . . . cc) Vergleich der beiden Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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424 424 425 425 429 429 430
432 432 432 433 434 436 440 441
442 443 444 445
445 445 445 446 447 447
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Inhaltsverzeichnis (a) Deutlich verbesserter Schutz der Mitglieder von Gewerkschaft A bei tarifeinheitlicher Auslösung des Tarifvorrangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Deutlich verbesserter Schutz der nicht organisierten Arbeitnehmer bei tarifeinheitlicher Auslösung des Tarifvorrangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Verbesserter Schutz der Mitglieder von Gewerkschaft B bei tarifeinheitlicher Auslösung des Tarifvorrangs . . . . . (2) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Besserstellung der Unorganisierten vom Arbeitnehmerschutzgedanken nicht geboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Ausgleich von Arbeitnehmerschutz und Konkurrenzschutz der Tarif- gegenüber der Betriebsautonomie . . . . e) Unterscheidung nach Überschneidungsbereich und Divergenzbereichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vereinbarkeit mit dem Arbeitnehmerschutzzweck . . . . . . . . . . . . (1) Situation der Mitglieder von Gewerkschaft A . . . . . . . . . . . . . (2) Situation der Mitglieder von Gewerkschaft B . . . . . . . . . . . . . (3) Situation der nicht organisierten Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . (4) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vereinbarkeit mit dem Schutz der Tarifautonomie . . . . . . . . . . . . cc) Vereinbarkeit mit § 75 Abs. 1 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Mögliche Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zulässige Differenzierung zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zulässige Differenzierung zwischen verschieden organisierten Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Keine Konsequenzen für die Reichweite der Sperrwirkung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG im Betrieb eines nur einfach tarifgebundenen Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unterschiedliche tarifvertragliche Vorgaben für die betriebliche Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Problemstellung und -abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einpassung der Tarifpluralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Betriebsweite Tarifkonkurrenz bei Betriebsnormen-Kollision . . bb) Pluralität arbeitsverhältnisbezogener Tarifnormen . . . . . . . . . . . . (1) Ergebnisse des Tarifwettbewerbs als Ausgangspunkt der Mitbestimmung des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Gruppenspezifische („tarifakzessorische“) Wahrnehmung der Mitbestimmungsrechte und § 75 Abs. 1 BetrVG . . . . . . . II. Fragen des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorbehalts nach § 77 Abs. 3 BetrVG im tarifpluralen Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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449 449 449 450 451 452 453 453 454 454 455 456 457 457 460 461
465 466 466 466 466 467 467 468 469
Inhaltsverzeichnis 1. Auslösung der Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG durch jeden der kollidierenden Tarifverträge? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Teil der Lehre: Sperrwirkung gegenüber Betriebsvereinbarungen nur durch den Mehrheitstarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zulässigkeit einer „Aufspaltung“ von Tarifverträgen oder Tarifwerken in Individual- und Kollektivnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vorgaben des Normzwecks des § 77 Abs. 3 BetrVG . . . . . . . . . . cc) Das tarifeinheitliche „Vorverständnis“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Sicherung der Betätigungsfreiheit der Betriebsparteien durch tarifeinheitliche Betrachtung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Keine Differenzierung nach Arbeitnehmergruppen und Regelungsfeldern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Tarifmehrheit und Tarifüblichkeit, § 77 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 BetrVG d) Repräsentativitätserfordernis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Methodische Einordnung eines Repräsentativitätserfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Repräsentativitätserfordernis und Normzweck des § 77 Abs. 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Repräsentativitätserfordernis und allgemeines Arbeitnehmerschutzprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Repräsentativitätserfordernis bei § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tarifmehrheit und tarifvertragliche Öffnungsklauseln, § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Problemstellung, Problemabgrenzung und Meinungsstand . . . . . . . . . aa) Problemstellung und -abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Mehrheit von Tarifverträgen, die jeweils eine Öffnungsklausel enthalten und an die der Arbeitgeber jeweils tarifgebunden ist bb) Andere Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Keine Lösung nach den Regeln der betriebsweiten Tarifkonkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Entscheidung nach der Tarifbindung des Arbeitgebers? (Franzen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Lösung zugunsten des Tarifvertrages ohne Öffnungsklausel? (Plümpe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Kritik und eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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469 470 471 471 473 475 476 477 478 480 480 481 482 482 484 485 490 490 490 491 492 492 493 493 496 497 497 498
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Inhaltsverzeichnis (aa) Öffnung von Materien des tariflichen Divergenzbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Uneingeschränkte Wirkung der Öffnungsklausel b) Unangemessenheit von „Zufallsgeschenken“ . . . (bb) Öffnung von Materien des tariflichen Überschneidungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entscheidung nach der Tarifbindung des Arbeitgebers? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Betriebsvereinbarungen mit beschränktem persönlichem Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Sonderproblem: Betriebliche Fragen . . . . . . . . . .
498 498 499 501 501 502 504
C. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506
Teil 5 Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitskampfrecht
510
A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 B. Tarifpluralität und Arbeitskampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Skizzierung der Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Spektrum der Lösungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Arbeitskampf unter Führung nur einer Gewerkschaft . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausschluss des Streikrechts bei Vorhandensein einer funktionsfähigen Tarifordnung im Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausdehnung von Friedenspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausdehnung von Friedenspflichten aus bestehenden Tarifverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kampfsperre während der Verhandlungen mit einer anderen Gewerkschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Institutionalisierte Beschränkungen des Streikrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Streikrecht nur bei Vorabeinigung der beteiligten Gewerkschaften . . b) Synchronisation von Verhandlungs- und Kampfphasen . . . . . . . . . . . . aa) Der Ansatz bei den Friedenspflichten (Schliemann) . . . . . . . . . . . bb) Ausgestaltung der Tarifautonomie durch die Pflicht konkurrierender Gewerkschaften zur Koordinierung des zeitlichen Ablaufs ihrer Tarifverträge (Franzen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Problemanalyse und verfassungsrechtliche Ausgangslage . . (2) Herstellung praktischer Konkordanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Die widerstreitenden Grundrechtspositionen . . . . . . . . . . (b) Ausgleich durch Pflicht der konkurrierenden Gewerkschaften zur Harmonisierung der tarifvertraglichen Laufzeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
513 513 517 518 518 519 519 520 520 520 522 522
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Inhaltsverzeichnis
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(aa) Umsetzung für befristete Tarifverträge . . . . . . . . . . . (bb) Unbefristete Tarifverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das dreistufige Modell Kamanabrous . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Problemanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Beeinträchtigung der Kampfparität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Beeinträchtigung der Befriedungsfunktion der Tarifautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Entwicklung des Grundgedankens eines Lösungsansatzes in rechtsvergleichender Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Dreistufiges Modell der Kanalisierung des kumulierten Arbeitskampfdrucks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Zusammenführung von Verhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Gemeinsame Verhandlungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Parallele Verhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Koordinierte Arbeitskämpfe – Bildung einer gemeinsamen Streikführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Verbindliches Schlichtungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Erstabschluss durch eine Branchengewerkschaft: Einlassungszwang für Spartengewerkschaften . . . . . (bb) Andere Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erstabschluss durch eine Spartengewerkschaft . . aa) Kein Einlassungszwang für Branchengewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Grundsätzlich kein Einlassungszwang für andere Spartengewerkschaften . . . . . . . . . . . gg) Einlassungszwang bei Vertretung derselben Berufsgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erstabschluss durch eine Branchengewerkschaft: Einlassungszwang für andere Branchengewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bestimmung der Kampfgrenzen im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grenze der Existenzgefährdung von Betrieben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grenze des Rechtsmissbrauchs und Verhältnismäßigkeitsprinzip . . . 4. Keine speziellen arbeitskampfrechtlichen Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Eigene Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mangelnde Rechtfertigbarkeit der „Extrempositionen“ . . . . . . . . . . . . . . . a) Im Arbeitskampfrecht „alles beim Alten“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) „Rechtsfindungshysterie“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vertrauen auf Selbstregulation infolge steigender Streikkosten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Fehlende Kausalität zwischen Tarifkollisionsrechtslage und Arbeitskampfgeschehen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
525 526 526 526 526 528 528 529 530 531 531 533 534 534 535 535 535 535 535
536 536 536 537 539 542 542 542 542 545 546
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Inhaltsverzeichnis dd) Ansätze für arbeitskampfrechtliche Anpassungen in der Rechtsprechung des BAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausschluss des Streikrechts als „überschießende“ arbeitskampfrechtliche Reaktion auf die Freigabe von Tarifpluralitäten . . . . . . . . . aa) Fehlen eines tariflich regelbaren Kampfzieles? . . . . . . . . . . . . . . . bb) „Allgemeine“ Friedenspflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Vorhandensein funktionsfähiger tariflicher Ordnung als Rechtfertigung der Versagung von Arbeitskampfmaßnahmen weiterer Gewerkschaften? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Übergreifende Kritik an den vorstehend diskutierten Vorschlägen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Arbeitskampfrechtliche Reaktion im Einzelfall? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine hinreichende Grenzziehung durch das Kriterium der Existenzgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonderkündigungsrecht und Erstreikbarkeit differierender Laufzeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsmissbrauchsverbote und Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall und die Anforderungen an die Rechtssicherheit im Arbeitskampfrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Modelle der institutionalisierten arbeitskampfrechtlichen Reaktion . . . . a) Generelle Vorzugswürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einschränkung der Ausübung von Rechten durch das gleiche Recht anderer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Funktionsfähigkeit des Systems und Freiheit der Einzelnen . . (2) Parallele in der Rawls’schen Theorie der Gerechtigkeit . . . . (a) Ziviler Ungehorsam und Arbeitskampf . . . . . . . . . . . . . . . (b) Rechtfertigung zivilen Ungehorsams bei Ausübung durch mehr als eine Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Art der Einschränkung der Rechtsausübung . . . . . . . . . . . . . . b) Konkrete Ausgestaltung eines institutionalisierten Modells . . . . . . . . aa) Verweisung auf die Bildung einer Tarifgemeinschaft? . . . . . . . . . bb) Kernstück der vorzugswürdigen Lösung: Synchronisation von Verhandlungs- und Kampfphasen durch Laufzeitharmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Überlegungen zur Laufzeitharmonisierung in anderem Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Laufzeitharmonisierung und Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . (a) Ausgestaltung oder Eingriff? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Die widerstreitenden Grundrechtspositionen . . . . . . . . . . (c) Laufzeitharmonisierung als Ausgleich durch Herstellung praktischer Konkordanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Konkrete Umsetzung der Laufzeitharmonisierung . . . . . . . . . (a) Der Ansatz von Schliemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
546 547 547 548
551 554 556 556 557
557 560 560 560 560 561 561 563 564 565 565
569 569 573 573 575 575 577 577
Inhaltsverzeichnis
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(b) Die Ansätze von Franzen und Kamanabrou . . . . . . . . . . . 579 (aa) Gemeinsamkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579 a) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579 b) Differenzierung zwischen befristeten und unbefristeten Tarifverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580 (bb) Unterschiede – Anspruch der Arbeitgeberseite oder Selbstregulation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 cc) Ergänzung der Laufzeitharmonisierung zum dreistufigen Modell Kamanabrous? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 (1) Koordinierte Arbeitskämpfe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 (a) Gesamtstreikgeschehen als Gegenstand der Verhältnismäßigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 (b) Notdienstvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 (c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 (d) Pflicht zur Bildung einer gemeinsamen Streikführung? . . 588 (aa) Exkurs zur Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 a) Rechtsvergleichung im Tarifkollisionsrecht . . . . 588 b) Die Schwierigkeiten der Rechtsvergleichung im kollektiven Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590 aa) Im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590 bb) Realisierung in den rechtsvergleichenden Betrachtungen zum Tarifkollisionsrecht . . . 591 (bb) Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen der Einpassung der Tarifpluralität in das System der deutschen Arbeitsrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 593 (e) Zwischenergebnis: Kombiniert institutionalisiert-individueller Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595 (2) Verbindliche Schlichtung bei Vorhandensein funktionsfähiger tariflicher Ordnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 c) Zusätzliche Begrenzung der Streikintensität? – Das Streikteilnahmerecht der nicht und der anders organisierten Arbeitnehmer im pluralistischen Tarif- und Arbeitskampfrechtssystem . . . . . . . . . . . . . 598 aa) Neue Aktualität einer altbekannten Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 bb) Die Begründung des Streikteilnahmerechts nicht und anders organisierter Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600 (1) Solidarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 (2) Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603 (3) Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems . . . . . . . . . . . . . 608 (a) Nicht organisierte Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608 (b) Anders organisierte Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 611
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Inhaltsverzeichnis cc) Zweifel am Streikteilnahmerecht anders organisierter Arbeitnehmer im pluralistischen Tarif- und Arbeitskampfrechtssystem (1) Entgegenstehende Friedenspflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Erforderlichkeit zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Streikteilnahme nicht und anders Organisierter und Synchronisation von Friedens- und Kampfphasen durch Laufzeitharmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der Zusammenhang von Streikhäufigkeit und Streikintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Durchschlag der Laufzeitharmonisierung auf die Streikintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Kein „Grundsatz der arbeitskampfrechtlichen Einheit der Belegschaft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fragen der Aussperrung im pluralistischen Tarif- und Arbeitskampfrechtssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Aussperrung nicht und anders organisierter Arbeitnehmer . . . . . (1) Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zweifel an der Möglichkeit der Aussperrung Andersorganisierter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Entgegenstehende Friedenspflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Keine Aussperrung Andersorganisierter wegen fehlender Teilhabe am Kampfergebnis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Aussperrung Nicht- und Andersorganisierter und Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems . . . . . . . . . . . . . . (d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) „Wiederbelebung“ der lösenden Aussperrung? . . . . . . . . . . . . . . . e) Arbeitskampfrisikolehre im pluralistischen Tarif- und Arbeitskampfrechtssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Zulässigkeit der Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
612 613 617
621 621 622 630 632 634 634 636 637 638 638 642 643 645 655
C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 666 Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 669 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 678 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 737
Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. abl. ABlEU Abs. AcP a. E. AEntG a. F. AFG AfP AG AGB AGBG AGG AiB allg. M. Alt. Anm. AöR AP APuZ ArbG ArbGG AR-Blattei ArbRAktuell ArbRB ArbZG ARGE Art. ATG AuA Aufl. AuR
anderer Ansicht am angegebenen Ort ablehnend Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Archiv für die civilistische Praxis am Ende Arbeitnehmer-Entsendegesetz alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz Archiv für Presserecht Aktiengesellschaft/Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz) Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Arbeitsrecht im Betrieb allgemeine Meinung Alternative Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis, Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts Aus Politik und Zeitgeschichte Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitsrecht-Blattei Arbeitsrecht Aktuell Der Arbeits-Rechts-Berater Arbeitszeitgesetz Arbeitsgemeinschaft Artikel Altersteilzeitgesetz Arbeit und Arbeitsrecht Auflage Arbeit und Recht
30 AÜG BAG BArbBl. BB BDA BDSG betr. BetrAVG BetrVG BGB BGBl. BGH BLJ BRTV BUrlG BVerfG BVerfGE CGB CGM DAG DAV DB demn. dems. dens. ders. DGB d. h. DHV dies. Diss. DÖV DRiZ DZWiR ebd. EFZG EG Einl. et al. etc.
Abkürzungsverzeichnis Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) Bundesarbeitsgericht Bundesarbeitsblatt Betriebs-Berater Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Bundesdatenschutzgesetz betreffend Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (Betriebsrentengesetz) Betriebsverfassungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bucerius Law Journal Bundesrahmentarifvertrag Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer (Bundesurlaubsgesetz) Bundesverfassungsgericht Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Christlicher Gewerkschaftsbund Deutschlands Christliche Gewerkschaft Metall Deutsche Angestellten-Gewerkschaft Deutscher Anwaltverein Der Betrieb (Zeitschrift)/Deutsche Bahn demnächst demselben denselben derselbe Deutscher Gewerkschaftsbund das heißt DHV – Die Berufsgewerkschaft dieselbe, dieselben Dissertation Die öffentliche Verwaltung Deutsche Richterzeitung Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ebenda Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall (Entgeltfortzahlungsgesetz) Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einleitung et alii et cetera
Abkürzungsverzeichnis
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EuGH EuZA evtl. EWiR EzA f., ff. FA FAS FAZ Fn. FR FS GdF GDL gem. GG ggf. GmbHR Grundl. GRUR GRUR Int GS h. L. h. M. Hrsg. i. e. S. IG IG BCE
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht eventuell Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Entscheidungen zum Arbeitsrecht folgend(e) Fachanwalt Arbeitsrecht Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung für Deutschland Fußnote Frankfurter Rundschau Festschrift Gewerkschaft der Flugsicherung Gewerkschaft Deutscher Lokführer gemeinsam(e) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls GmbHRundschau Grundlagen Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Internationaler Teil Gedächtnisschrift/Großer Senat herrschende Lehre herrschende Meinung Herausgeber im engeren Sinne Industriegewerkschaft Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie
insb. i. S. d. i. S. v. i.V. m. i. w. S. JA JArbSchG
insbesondere im Sinne der/des im Sinne von in Verbindung mit im weiteren Sinne Juristische Arbeitsblätter Gesetz zum Schutze der arbeitenden Jugend (Jugendarbeitsschutzgesetz) Jahrbuch des Arbeitsrechts Juristische Ausbildung Juristisches Informationssystem für die Bundesrepublik Deutschland Juristische Schulung Juristenzeitung Kritische Justiz
JbArbR Jura juris JuS JZ KJ
32 krit. KritV KSchG LAG LAGE m. MB MDR m.w. N. NachwG n. F. NJW Nr. Nrn. NZA NZA-RR NZS o. OLG RdA Rn. s. S. SAE SchlHA scil. SGB sog. SozSich SZ TVG TzBfG u. a. UFO UmwG usw. u. U. v. VC ver.di vgl.
Abkürzungsverzeichnis kritisch Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Kündigungsschutzgesetz Landesarbeitsgericht Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte mit Marburger Bund Monatsschrift für Deutsches Recht mit weiteren Nachweisen Gesetz über den Nachweis der für ein Arbeitsverhältnis geltenden wesentlichen Bedingungen (Nachweisgesetz) neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Nummer Nummern Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZA-Rechtsprechungs-Report Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht oben Oberlandesgericht Recht der Arbeit Randnummer siehe Seite Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen Schleswig-Holsteinische Anzeigen scilicet Sozialgesetzbuch so genannt(e) Soziale Sicherheit Süddeutsche Zeitung Tarifvertragsgesetz Teilzeit- und Befristungsgesetz unter anderem Unabhängige Flugbegleiter Organisation Umwandlungsgesetz und so weiter unter Umständen von Vereinigung Cockpit Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft vergleiche
Abkürzungsverzeichnis WM WuW ZAF z. B. ZESAR ZfA ZGR ZIAS ZIP ZPO ZRP ZTR zust. ZVK
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Wertpapier-Mitteilungen Wirtschaft und Wettbewerb Zeitschrift für ArbeitsmarktForschung zum Beispiel Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für ausländisches und internationales Arbeits- und Sozialrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Tarif-, Arbeits- und Sozialrecht des öffentlichen Dienstes zustimmend Zusatzversorgungskasse
Teil 1
Einleitung Kapitel 1
Einführung in den Untersuchungsgegenstand A. Die Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb I. Seit der Entscheidung des 1. Senats des BAG vom 29. 3. 1957 im sog. „Blitzschutzanlagen-Fall“1 war der Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb, demzufolge nicht nur Tarifkonkurrenzen als echte Tarifnormenkollisionen im einzelnen Arbeitsverhältnis, sondern auch auf den Betrieb bezogene Tarifpluralitäten einer Auflösung zugunsten eines der kollidierenden Tarifverträge bedürfen, Bestandteil der Rechtsprechung des BAG. Im überwiegenden Teil der Arbeitsrechtswissenschaft stand diese Rechtsprechung seit langem in der Kritik. Dieser Kritik hat sich jetzt der 4. Senat des BAG, der heute für das Tarifvertragsrecht zuständig ist, angeschlossen. In einem Beschluss vom 27. Januar 2010 formulierte der Senat seine Absicht, seine bisherige Rechtsprechung zur Auflösung einer Tarifpluralität nach dem Grundsatz der Tarifeinheit im Fall einer unmittelbaren Tarifgebundenheit des Arbeitgebers nach § 3 Abs. 1 TVG aufzugeben.2 Er möchte fortan die Auffassung vertreten, dass die Rechtsnormen eines Tarifvertrages nach §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, in den jeweiligen Arbeitsverhältnissen eines Betriebes unmittelbar gelten und diese durch das Tarifvertragsgesetz vorgesehene Geltung nicht dadurch verdrängt wird, dass für den Betrieb kraft Tarifgebundenheit des Arbeitgebers nach § 3 Abs. 1 TVG3 mehr als ein Tarifvertrag gilt.4 Damit beabsichtigte der Senat von der bisherigen Rechtsauffassung auch des 10. Senats5 abzuweichen. Dieser hatte den Tarifeinheitsgrundsatz mitgetragen und sich dabei auch nicht auf den Fall beschränkt, dass die Tarifpluralität durch
1
BAG 29. 3. 1957 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 4 (Gumpert). BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, Orientierungssatz 4 sowie unter B. I. 3. d) der Gründe, Rn. 43 des Beschlusses. 3 Zu dieser Einschränkung s. BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. III. 1. der Gründe, Rn. 110 des Beschlusses, sowie Bepler, NZA Beilage 3/2010, S. 99 (104). 4 BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, Orientierungssatz 4. 5 Zuletzt BAG 18. 10. 2006 AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 126. 2
36
Teil 1: Einleitung
Zusammentreffen eines aufgrund einer Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 Abs. 4 TVG und eines nach § 3 Abs. 1 TVG geltenden Tarifvertrages entsteht.6 Der 4. Senat stellte daher mit dem Beschluss vom 27. Januar 2010 eine Divergenzanfrage nach § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG an den 10. Senat. Mit zwei Beschlüssen vom 23. Juni 2010 hat daraufhin auch dieser seine frühere Rechtsansicht aufgegeben und sich der Rechtsauffassung des 4. Senats angeschlossen.7 Mit Urteil vom 7. Juli 2010 in dem Verfahren, das zu der Divergenzanfrage geführt hatte, hat der 4. Senat den Rechtsprechungswechsel vollzogen.8 Der Beschluss des 10. Senats vom 23. Juni 2010, der den Abschied vom Prinzip der betrieblichen Tarifeinheit besiegelte, hat ein enormes mediales Echo hervorgerufen; die Frankfurter Allgemeine Zeitung machte am Folgetag mit ihm auf und stellte noch einen Leitartikel daneben9, das Handelsblatt widmete ihm fast die komplette Titelseite, zusätzlich eine ganze Doppelseite und zwei Kommentare im Blattinneren10, auch in der „Tageszeitung“11 und der Süddeutschen12 schaffte er es auf Seite 1.13 Doch kam die Kehrtwende nicht aus heiterem Him6 s. des Näheren BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. III. 1. der Gründe, Rn. 110 des Beschlusses; Hintergrund ist, dass der 10. Senat nach dem Geschäftsverteilungsplan des BAG (aktuell mit Stand vom 1. 8. 2010) u. a. zuständig ist für „Urteilsverfahren, in denen Arbeitnehmer oder Arbeitgeber oder eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien über Rechtsfragen streiten, die das Verhältnis zu einer gemeinsamen Einrichtung der Tarifvertragsparteien betreffen“ (Ziffer B. 10.2). Tarifverträge über gemeinsame Einrichtungen sind praktisch die wichtigsten für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge. Insoweit ist der 10. Senat auch für Tarifkollisionsfragen zuständig, vgl. Ziffer B. 4.2 des Geschäftsverteilungsplans. Auf Pluralitäten unter Beteiligung allgemeinverbindlicher Tarifverträge und (insb.) Pluralitäten im Zusammenhang mit Tarifverträgen über gemeinsame Einrichtungen bezieht sich der Beschluss des 4. Senats vom 27. 1. 2010 nicht, s. nochmals NZA 2010, 645, unter B. III. 1. der Gründe, Rn. 110 des Beschlusses, sowie Bepler, NZA Beilage 3/2010, S. 99 (104). 7 BAG 23. 6. 2010 – 10 AS 2/10 – NZA 2010, 778 und 10 AS 3/10 ZIP 2010, 1309. 8 BAG 7. 7. 2010 – 4 AZR 549/08 – juris. 9 FAZ vom 24. 6. 2010, Nr. 143, S. 1 („Bundesarbeitsgericht hebt Grundsatz der Tarifeinheit auf“ und Leitartikel „Mit der Vielfalt leben“ von H. Göbel); außerdem Fortsetzung S. 2 und S. 13 (Artikel „Warnungen vor Dauerstreiks“). 10 Handelsblatt vom 24. 6. 2010, Nr. 119, S. 1 („Ende eines Monopols“), S. 4 f. („Neuanfang in der Tarifpolitik“), S. 6 (Kommentar „Ein Auftrag an die Regierung“ von D. Creutzburg) und S. 6 f. (Kommentar „Schlag gegen unsere bewährte Praxis“ von H. Stihl). 11 Die tageszeitung vom 24. 6. 2010, Nr. 9221, S. 1 (Artikel „Ein Betrieb, mehrere Tarifverträge“ sowie Kommentar „Schulterschluss der Schwarzmaler im Tarifstreit“ von U. Schulte), außerdem S. 2 (Artikel „Sieg der kleinen Gewerkschaften“ und „Streiks befürchtet“). 12 Süddeutsche Zeitung vom 24. 6. 2010, Nr. 142, S. 1 („Richter beenden Tarifeinheit in Betrieben“), außerdem S. 4 (Leitartikel „Angst vor dem Tarifwirrwarr“) und S. 17 (Artikel „Ein Betrieb, viele Tarifverträge“). 13 Des Weiteren etwa Frankfurter Rundschau vom 24. 6. 2010, Nr. 143, S. 12 (Kommentar „Freiheit“ von E. Roth) und S. 13 (Artikel „Gericht kippt Tarifeinheit“); Die Welt vom 24. 6. 2010, S. 6 (Kommentar „Bunte Arbeitswelt“ von S. von Borstel) und
Kap. 1: Einführung in den Untersuchungsgegenstand
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mel. Vielmehr war der Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb nach verbreiteter Einschätzung schon vorher seit einiger Zeit in Erosion begriffen. Für diese Beobachtung lassen sich verschiedene Entscheidungen und Aussagen in der höchstarbeitsrichterlichen Rechtsprechung der letzten Jahre anführen, deren wichtigste im Folgenden kurz dargestellt werden sollen. 1. Am Anfang der Entwicklung steht die Entscheidung des 4. Senats des BAG vom 28. 5. 1997, in welcher der Senat von der Anwendung des Prinzips der Tarifeinheit im Betrieb für einen Fall absah, in dem ein gemäß § 4 Abs. 5 TVG nachwirkender (von der IG Metall geschlossener) und ein den Arbeitgeber kraft Verbandsmitgliedschaft nach § 3 Abs. 1 TVG aktuell bindender (mit der Christlichen Gewerkschaft Metall geschlossener) Tarifvertrag aufeinander trafen. Der CGMTarif könne den IG Metall-Tarif hier nicht wegen Tarifpluralität nach dem Grundsatz der Tarifeinheit verdrängen, da überhaupt kein Fall der Tarifpluralität vorliege. § 4 Abs. 5 TVG stelle insoweit eine Sonderregelung dar, da er die Beendigung der Nachwirkung erst durch eine „andere Abmachung“ vorsehe. In der gesetzlichen Regelung sei angelegt, dass es, gelingt nicht für alle Arbeitnehmer der Abschluss einer solchen anderen Abmachung, zu unterschiedlichen Arbeitsbedingungen im Betrieb kommt. Diese „Beseitigungslast“ des Arbeitgebers könne nicht mit dem Grundsatz der Tarifeinheit überspielt werden.14 2. Am 21. 2. 2001 hat der 4. Senat seine bereits früher vertretene Auffassung bekräftigt, wonach die Vorschrift des § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB, die durch den Ausschluss der von § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB angeordneten Fortgeltung des Veräußerertarifvertrages eine Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen im Erwerberbetrieb ermöglicht, die beiderseitige Tarifgebundenheit des Betriebserwerbers und des übernommenen Arbeitnehmers voraussetzt.15 Zwar musste die BeS. 9 (Artikel „Weg frei für Spartengewerkschaften“); Der Tagesspiegel vom 24. 6. 2010, S. 18 (Artikel „Das deutsche Tarifsystem wackelt“). 14 BAG 28. 5. 1997 AP TVG § 4 Nachwirkung Nr. 26 (Kania), unter 2. c) der Gründe; zur Kritik im Hinblick auf die Inkonsequenz angesichts der Aufrechterhaltung des Prinzips der Tarifeinheit im Betrieb im Übrigen s. nur Dauner-Lieb, Anm. SAE 1999, 47 (49 ff.), unter II. 4.; anders aber Hromadka, GS Heinze, S. 383 (393, Fn. 39); kritisch insoweit allerdings auch Buchner, BB 2003, 2121 (2123), der aber ein Abrücken vom Prinzip der Tarifeinheit in der Entscheidung nicht erkennt; s. auch dens., FS 50 Jahre BAG, S. 631 (638 f.); Heinze/Ricken, ZfA 2001, 159 (172 ff.); Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 60 f.; vgl. demgegenüber aber auch die Binnensicht von Friedrich, FS Schaub, S. 193 (203). 15 BAG 21. 2. 2001 AP TVG § 4 Nr. 20 (Gussen), unter B. I. 2. b) der Gründe; seitdem wieder BAG 1. 8. 2001 AP BGB § 613a Nr. 225 (Gussen), unter I. 5. d) bb) (1) der Gründe (obiter dictum); 29. 8. 2001 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 17, unter I. 3. b) bb) (1) der Gründe (obiter dictum); 11. 5. 2005 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 30 (Jacobs), unter I. 2. a) der Gründe; 9. 4. 2008 – 4 AZR 164/07 – juris, unter II. 2. a) der Gründe, wo die Frage aber erneut nicht entscheidungserheblich war. Wie der 4. auch der 3. Senat, BAG 16. 5. 1995 AP TVG § 4 Ordnungsprinzip Nr. 15, unter II. 2. b) der Gründe, sowie der 9. Senat, BAG 19. 11. 1996 AP BGB § 613a Nr. 153, unter 2. der Gründe. Weitere aktuelle Rechtsprechungsnachweise jüngst bei Jacobs,
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deutung dieser Rechtsprechung in Hinsicht auf den Fortbestand des Prinzips der Tarifeinheit im Betrieb vom Standpunkt der bisher h. M. aus, welche § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB als Fall einer individualrechtlichen Fortgeltung auffasste16, insofern relativiert werden, als danach wegen der Transformation der Arbeitsbedingungen auf die individualrechtliche Ebene mangels Aufeinandertreffens normativ geltender Tarifverträge keine Tarifpluralität im eigentlichen Sinne gegeben ist.17 Immerhin aber entsteht hier, vom 4. Senat des BAG bewusst hingenommen, selbst vom Boden der Lehre von der individualrechtlichen Fortgeltung aus „faktisch“ eine Tarifpluralität im Betrieb des gegenüber dem früheren Inhaber anders tarifgebundenen Betriebserwerbers.18 Noch deutlicher tritt der Widerspruch zwischen dem Erfordernis kongruenter Tarifbindung für § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB auf der einen und der außerhalb von Betriebsübergangsfällen weiter praktizierten Tarifverdrängung nach dem Prinzip der Tarifeinheit im Betrieb auf der anderen Seite zutage, wenn man mit der neueren Rechtsprechung des 4. Senats19 davon ausgeht, dass die nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB in das Arbeitsverhältnis zwischen Betriebserwerber und Arbeitnehmer transformierten Tarifnormen auch nach dem Betriebsübergang ihren kollektivrechtlichen Charakter beibehalten und der Erwerber – für längstens ein Jahr nach dem Zeitpunkt des Übergangs – an sie in einer der Nachbindung des § 3 Abs. 3 TVG entsprechenden Weise gebunden ist.20 Folgerichtig führt jetzt auch der Anfragebeschluss des 4. Senats vom 27. Januar 2010 unter Verweis auf die neue Rechtsprechung zum kollektivrechtlichen Charakter der durch § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB angeordneten Fortgeltung und das Erfordernis der kongruenten Tarifgebundenheit für § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB die Vorschrift des § 613a
NZA Beilage 1/2009, S. 45 (48); s. auch aktuell BAG 22. 4. 2009 NZA 2010, 41, Rn. 25, 31, 64 des Urteils; 23. 9. 2009 NZA 2010, 513, Rn. 25 des Urteils. 16 s. statt vieler Wiedemann/Oetker, § 3 Rn. 229 f., der dies in Fn. 203 als „nahezu allg. Ansicht“ bezeichnet; zuletzt etwa Jacobs, NZA Beilage 1/2009, S. 45 (46 f.); MüArbR/Wank, § 102 Rn. 168 ff. 17 Dies ist Buchner, BB 2003, 2121 (2123), zuzugeben; ebenso Reichold, RdA 2007, 321 (325); einschränkend auch Franzen, RdA 2008, 193 (195); Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 64; Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510. 18 Vgl. BAG 21. 2. 2001 AP TVG § 4 Nr. 20 (Gussen), unter B. I. 2. b) ee) (5) der Gründe; F. Bayreuther, NZA 2007, 187 (188); MüKoBGB/Müller-Glöge, § 613a Rn. 140; ErfK/Preis, § 613a BGB Rn. 124; Fuchs/Reichold, Tarifvertragsrecht, Rn. 209; Schliemann, FS Hromadka, S. 359 (371). 19 BAG 22. 4. 2009 NZA 2010, 41, Rn. 61 ff. des Urteils; dazu Hohenstatt, NZA 2010, 23 ff.; Meyer, DB 2010, 1404 ff.; Rinck, RdA 2010, 216 (220 ff.). 20 Aufgrund eines Verständnisses des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB als beschränkt normativer Weitergeltung vom Vorliegen einer (echten) Tarifpluralität ausgehend etwa Zöllner, DB 1995, 1401 (1403 f.), auf den sich – neben anderen – der 4. Senat für seine jetzige dogmatische Einordnung der Fortgeltung ausdrücklich beruft, s. BAG 22. 4. 2009 NZA 2010, 41, Rn. 61 des Urteils.
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Abs. 1 BGB als Beleg dafür an, dass der Gesetzgeber von der Möglichkeit der Anwendung zweier verschiedener Tarifverträge im Betrieb ausgeht.21 3. Besonderheiten galten nach der Rechtsprechung des 9. wie des 10. Senats des BAG schon seit längerem im Anwendungsbereich des AEntG.22 Hier kann es – letztlich aus europarechtlichen Gründen23 – im Ergebnis zu einer „Durchbrechung des Grundsatzes der Tarifeinheit“ und zur parallelen Anwendung verschiedener Tarifverträge nicht nur im selben Betrieb, sondern sogar im einzelnen Arbeitsverhältnis kommen.24 4. In seiner Entscheidung zur Tariffähigkeit der Unabhängigen Flugbegleiter Organisation e.V. (UFO) vom 14. 12. 2004 führte der 1. Senat aus, die Tariffähigkeit der UFO scheitere nicht am Grundsatz der Tarifeinheit. Er spricht in diesem Zusammenhang von einem „im TVG nicht ausdrücklich normierten“ Prinzip und davon, dass die grundlegende Entscheidung des 4. Senats zur betrieblichen Tarifeinheit25 „allerdings noch unter Berufung auf die vom BVerfG mittlerweile nicht mehr vertretene Kernbereichstheorie“26 ergangen sei. Neben Entscheidungen des 4. und des 10. Senats zur Tarifeinheit im Betrieb werden auch Fundstellen „zu 21 BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) cc) (2) (d) der Gründe, Rn. 59 des Beschlusses; kritisch Hromadka/Schmitt-Rolfes, NZA 2010, 687 (688). 22 Zu der mit einer Reform des Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen (durch Gesetz vom 22. 4. 2009, BGBl. I, S. 818) einhergehenden Neufassung des AEntG (durch Gesetz vom 20. 4. 2009, BGBl. I, S. 799) s. aus der bereits zahlreich erschienenen Literatur nur F. Bayreuther, DB 2009, 678 ff.; dens., FS Buchner, S. 41 (45 ff.); dens., NJW 2009, 2006 ff.; Bieback, GS Zachert, S. 359 (363 ff.); Hänlein, FS Bieback, S. 185 (192 ff.); Joussen, ZESAR 2009, 355 ff.; Löwisch, RdA 2009, 215 ff.; Maier, NZA 2009, 351 ff.; Preis/Greiner, ZfA 2009, 825 ff.; Sittard, NZA 2009, 346 ff.; Sodan/Zimmermann, NJW 2009, 2001 ff.; Thüsing, ZfA 2008, 590 ff.; Thüsing/ Thüsing, AEntG, Einl. AEntG Rn. 31 ff., 49 ff. und vor § 1 AEntG Rn. 1 ff.; Wank, FS Buchner, S. 898 (912 ff.); H. J. Willemsen/Sagan, NZA 2008, 1216 ff.; monographisch Sittard, Tarifnormerstreckung, S. 423 ff. Speziell zur neuen Rechtslage hinsichtlich der Tarifkollisionsfragen zuletzt F. Bayreuther, FS Buchner, S. 41 (45 ff.); Maier, a. a. O.; Oetker, NZA Beilage 1/2010, S. 13 (19 ff.); Preis/Greiner, a. a. O., S. 832 ff.; Sittard, NZA 2009, 346 (348 f.); ders., Tarifnormerstreckung, S. 435 ff. 23 s. dazu EuGH 24. 1. 2002 AP EG Art. 49 Nr. 4 – Portugaia Construções; zuvor schon Wank/Börgmann, NZA 2001, 177 (181 f.); zum Ganzen auch Wiedemann/Wank, Anhang 1 zu § 5, Einleitung AEntG Rn. 24 und zuletzt F. Bayreuther, FS Buchner, S. 41 (44); Greiner, Rechtsfragen, S. 162, 164, 171, 291; Hänlein, FS Bieback, S. 185 (190); Sittard, NZA 2009, 346 (349); ders., Tarifnormerstreckung, S. 388 ff. 24 BAG 18. 10. 2006 AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 287, Rn. 37 des Urteils; s. dazu auch BAG 8. 3. 2006 – 10 AZR 392/05 – juris, unter II. 10. der Gründe und zuvor bereits BAG 25. 6. 2002 (dreimal) AP AEntG § 1 Nr. 12 (Ulber); AP AEntG § 1 Nr. 15; DB 2003, 2287; 9. 9. 2003 – 9 AZR 478/02 (A) – juris; 13. 5. 2004 – 10 AS 6/04 – juris; 20. 7. 2004 AP AEntG § 1 Nr. 18; 20. 7. 2004 NZA 2005, 114; 3. 5. 2006 AP AEntG § 1 Nr. 25; zur Kritik etwa Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 147 ff., § 5 Rn. 151 f.; zuletzt Thüsing, ZfA 2008, 590 (592, mit Fn. 3). 25 BAG 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20 (P. Hanau/Kania). 26 Zur „Klarstellung“ der früheren Kernbereichsrechtsprechung s. BVerfG 14. 11. 1995 BVerfGE 93, 352 (358 ff.).
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den insb. im Schrifttum geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken“ nachgewiesen.27 5. In einer weiteren die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung betreffenden Entscheidung, dem Beschluss vom 28. 3. 2006 zur Tariffähigkeit der Christlichen Gewerkschaft Metall, lässt der 1. Senat erneut Distanz zum Prinzip der Tarifeinheit bei Tarifpluralität erkennen, wenn von der „in Fällen der Tarifpluralität vom Bundesarbeitsgericht bislang vertretenen – verfassungsrechtlich umstrittenen – Lehre von der Tarifeinheit“ die Rede ist.28 Soweit allerdings den zuletzt angeführten Entscheidungen zur Tariffähigkeit der UFO und der CGM über die verbale Distanzierung des 1. Senats vom Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb hinaus auch inhaltlich Bedeutung für den Fortbestand der betrieblichen Tarifeinheit zugemessen wird, ist dies nicht zweifelsfrei.29 So wird von einigen ein Widerspruch darin gesehen, einerseits die Hürden für die Tariffähigkeit zu senken, andererseits aber daran festzuhalten, dass die Tarifverträge von Minderheitsgewerkschaften aufgrund des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb letztlich doch nicht normativ zur Anwendung kommen.30 Dabei wird indes übersehen, dass aufgrund des – zwar verfehlten, vom BAG aber erst jüngst bestätigten31 – einheitlichen, an die Tariffähigkeit anknüpfenden Gewerkschaftsbegriffs die Senkung der Hürden für die Tariffähigkeit jedenfalls, d. h. auch bei Beibehaltung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb, den Effekt hat, dass sich die betreffende Gewerkschaft auf die sog. sekundären, vor allem im BetrVG und im
27 BAG 14. 12. 2004 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1 (Buchner), unter B. III. 2. h) der Gründe. 28 BAG 28. 3. 2006 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 4 (Henssler/Heiden), Rn. 70 des Beschlusses; dazu auch Hümmerich/Holthausen, NZA 2006, 1070 (1077 f.); Richardi, Anm. RdA 2007, 117 (118); zuletzt Deinert, NZA 2009, 1176 (1180). 29 Auf einer Fehlinterpretation beruht es insbesondere, wenn das LAG Köln 12. 12. 2005 NZA 2006, 62 (63) in der UFO-Entscheidung des BAG offenbar eine Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit bei Tarifpluralität sieht. Eine andere Frage ist, ob ihr ein bestimmtes (verändertes) Verständnis des Inhalts des Prinzips der Tarifeinheit im Betrieb insbesondere für den Fall des Zusammentreffens eines Branchentarifvertrages mit einem Spartentarifvertrag entnommen werden kann; zu dieser Frage s. noch unten Teil 3, Kapitel 1, unter B. II. 4. b). 30 F. Bayreuther, BB 2005, 2633 (2640); ders., NZA 2006, 642 (645); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 130 (138 f.); zustimmend Reuter, SchlHA 2007, 413 (416); ähnlich Schliemann, FS Hromadka, S. 359 (377); E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 368; einen „Zwiespalt“ sieht bei einem Vergleich der (bisherigen) Rechtsprechung des 4. Senats zur Tarifeinheit mit der des 1. Senats zur Tariffähigkeit von Spartengewerkschaften auch P. Hanau, RdA 2008, 98 (99); s. auch Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 38 III. 2. b), S. 392; zum Zusammenhang jüngst auch Greiner, Rechtsfragen, S. 211, 231 und – zutreffend – S. 245, ferner S. 345. 31 BAG 19. 9. 2006 AP BetrVG 1972 § 2 Nr. 5 m. abl. Anm. B. Schmidt; abl. auch Rieble, RdA 2008, 35 ff.; monographische Kritik am einheitlichen Gewerkschaftsbegriff zuletzt bei Klein, Minderheitsgewerkschaften, S. 144 f., 166 ff.; Greiner, Rechtsfragen, S. 244 ff., 249 ff.
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ArbGG vorgesehenen Gewerkschaftsrechte berufen kann, was ihr ohne Tariffähigkeit nicht möglich wäre. 6. Eine Tendenz zur Abkehr vom Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb wurde ferner in der geänderten Rechtsprechung des 4. Senats des BAG zur Auslegung dynamischer arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln ausgemacht.32 Am 14. 12. 2005 hatte der 4. Senat angekündigt, die von ihm bis dato angewandte Auslegungsregel, nach der eine von einem einschlägig tarifgebundenen Arbeitgeber verwandte dynamische Verweisungsklausel regelmäßig als bloße Gleichstellungsabrede zu verstehen war, auf ab dem 1. 1. 2002 vereinbarte Klauseln nicht anwenden zu wollen.33 Mit Urteil vom 18. 4. 2007 hat er diese angekündigte Rechtsprechungsänderung erstmals umgesetzt.34 a) Auch darin war allerdings nur ein Indiz für einen gewandelten Standpunkt des 4. Senats zur Tarifpluralität zu erkennen. Denn ein veritables Abhängigkeitsverhältnis zwischen Gleichstellungsrechtsprechung und Tarifeinheit bei Tarifpluralität bestand nur in einer Richtung: Die Gleichstellung der nicht organisierten Arbeitnehmer mit den tarifgebundenen mittels arbeitsvertraglicher Bezugnahme setzt(e) Tarifeinheit im Betrieb voraus.35 Herrscht im Betrieb Tarifpluralität, entfällt die logische Grundlage der Gleichstellungsabrede; wo in einem Betrieb ohnehin mehrere Tarifverträge gelten, greift der Gleichstellungszweck zumindest teilweise ins Leere.36 Umgekehrt setzt aber der Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb, der als Kollisionsregel für Tarifpluralitäten zunächst nur die Frage der normativen Tarifgeltung in einem Betrieb betrifft, nicht zwingend die Auslegung der in den Arbeitsverträgen der (insbesondere nicht tarifgebundenen) Arbeitnehmer enthaltenen Bezugnahmeklauseln als Gleichstellungsabreden voraus; ihn kann man vielmehr theoretisch auch unabhängig von dem arbeitsvertraglichen Gleichstellungsdogma vertreten.
32 F. Bayreuther, NZA 2006, 642 (645); Franzen, RdA 2008, 193 (196); Greiner, Rechtsfragen, S. 259, 299, 502; Jacobs, NZA 2008, 325 (327); A. Lindemann/Simon, BB 2006, 1852 (1854); Richardi, FS Scholz, S. 337 (348); Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (511); E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 365 f. 33 BAG 14. 12. 2005 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 39 (Kort). 34 BAG 18. 4. 2007 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 53 (F. Bayreuther); seither wieder BAG 22. 10. 2008 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 67; 22. 4. 2009 AP BetrVG 1972 § 99 Eingruppierung Nr. 38; 26. 8. 2009 NZA 2010, 230; 23. 9. 2009 NZA 2010, 513; 18. 11. 2009 NZA 2010, 170. 35 BAG 4. 9. 1996 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 5, unter II. a) bb) der Gründe; Jacobs, Tarifeinheit, S. 178; Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1 (14 f.); E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 364 f. 36 Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1074); Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 61; E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 365; s. auch A. Stein, Anm. zu BAG 14. 12. 2005 AuR 2006, 366 (369).
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Wenn es daher heißt, dass Gleichstellungsabrede und Tarifeinheit einander bedingten37, so ist dies nach dem Gesagten zumindest ungenau. Die im Schrifttum stets angeführte Begründung, dass die Konzeption der Gleichstellungsabrede davon lebe, dass es nur einen tarifrechtlich anwendbaren Tarifvertrag im Betrieb gibt, zu dem dann Gleichstellung verlangt werde38, trifft zwar für sich genommen eine richtige Aussage, vermag aber das behauptete wechselseitige Abhängigkeitsverhältnis von Gleichstellungsrechtsprechung und Tarifeinheit bei Tarifpluralität nicht zu belegen. Damit, dass die Auslegung als Gleichstellungsabrede davon lebte, dass in einem Betrieb nur ein Tarifvertrag anwendbar war, ist demnach zwar ein Sachverhalt zutreffend beschrieben; hieraus ließ sich indes nicht ableiten, dass nach der Aufgabe der Auslegungsregel der „bloßen Gleichstellungsabrede“ auch der Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb notwendigerweise vor der Verabschiedung stand39 – zwingend wäre nur der umgekehrte Schluss gewesen: Hätte das BAG schon früher den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb aufgegeben, so wäre damit auch die Gleichstellungsrechtsprechung in ihrer ursprünglichen Gestalt nicht mehr zu halten gewesen. b) So wichtig indes die präzise Durchdringung der Zusammenhänge zwischen Tarifeinheit und Auslegung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln ist, so selbstverständlich ist es auch, dass die Änderung der Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede nicht ohne Konsequenzen für die Tarifeinheit im Betrieb bleiben konnte. Man muss dazu begrifflich unterscheiden zwischen dem Grundsatz (oder Prinzip) der Tarifeinheit im Betrieb als Kollisionsregel für Tarifpluralitäten, der die normative Tarifanwendung im Betrieb betrifft, einerseits sowie einem rechtstatsächlichen Phänomen der betrieblichen Tarifeinheit, verstanden als die tatsächlich einheitliche Gestaltung der Arbeitsbedingungen aller Arbeitsverhältnisse eines Betriebes durch dieselben tariflichen Rechtsnormen, andererseits. Letztere war mit der Aufgabe der Auslegungsregel der „bloßen Gleichstellungsabrede“ durchaus in Frage gestellt, wenngleich zu betonen ist, dass der 4. Senat auch in seiner neuen Rechtsprechung zu arbeitsvertraglichen Verweisungsklauseln die Vereinbarung einer Gleichstellungsabrede weiterhin für zulässig hält und – insoweit anders als früher – lediglich hinreichend deutliche Anhaltspunkte inneroder außerhalb der Vertragsurkunde fordert, die den Gleichstellungszweck der Klausel belegen.40 37 A. Lindemann/Simon, BB 2006, 1852 (1854); Thüsing, NZA 2003, 1184 (1187); ders., NZA 2006, 473 (474); ders./v. Medem, ZIP 2007, 510 (511); ähnlich auch Thüsing, NZA 2005, 1280 (1283); ferner Röller/Wißmann, FS Küttner, S. 465 (476); s. auch Greiner, Rechtsfragen, S. 502 (Fn. 777). 38 Thüsing, NZA 2003, 1184 (1187); ders., NZA 2005, 1280 (1283); ders., NZA 2006, 473 (474); ders./v. Medem, ZIP 2007, 510 (511); ähnlich A. Lindemann/Simon, BB 2006, 1852 (1854); Röller/Wißmann, FS Küttner, S. 465 (476). 39 In diese Richtung aber F. Bayreuther, NZA 2006, 642 (645); Jacobs, NZA 2008, 325 (327); Richardi, FS Scholz, S. 337 (348).
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Richtig ist daher die Feststellung Buchners, dass bei der (nunmehr: früheren) Bestimmung der Reichweite der arbeitsvertraglichen Verweisungsklauseln (Stichwort: „Gleichstellungsabrede“) das Anliegen der Tarifeinheit im Betrieb – im obigen Sinne verstanden als rechtstatsächliches Phänomen – wirkte, da die Rechtsprechung unter dem Postulat „Gleichstellungsabrede“ auf eben jene (rechtstatsächliche) betriebliche Tarifeinheit ausgerichtet war; insoweit spannte sich in der Tat in der früheren Rechtsprechung des BAG ein in sich schlüssiger Bogen von der Tarifeinheit in Verbindung mit dem Spezialitätsgrundsatz zur Interpretation der Verweisungsklauseln als Gleichstellungsabrede41, ohne dass jedoch von einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis auszugehen war. II. Die Nachzeichnung der Rechtsprechungsentwicklung zeigt deutlich auf, dass das Prinzip der betrieblichen Tarifeinheit schon vor den beiden Entscheidungen des 4. und des 10. Senats aus 2010 in der Rechtsprechung des BAG unübersehbar auf dem Rückzug war.42 Eine für den 21. März 2007 erwartete Grundsatzentscheidung konnte der 4. Senat des BAG nur deshalb nicht treffen, weil die Arbeitgeberin ihren Antrag auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Umgruppierung nach § 99 Abs. 4 BetrVG zurücknahm und die Verfahren für erledigt erklärte.43 Zuvor war allgemein erwartet worden, dass sich der Senat bei dieser Gelegenheit zur Akzeptanz von Tarifpluralitäten im Betrieb bekennen würde.44 Mit seinem Anfragebeschluss vom 27. Januar 201045 hat er dies nun – unter Gefolgschaft des 10. Senats46 – endgültig getan.
40 s. BAG 14. 12. 2005 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 39 (Kort), unter I. 2. c) (1) der Gründe; 18. 4. 2007 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 53 (F. Bayreuther), unter B. II. 2. a) der Gründe. 41 Buchner, BB 2003, 2121 (2125); ders., FS 50 Jahre BAG, S. 631 (635); s. auch dens., FS Hromadka, S. 39 (51). 42 Skeptisch zu dieser Einschätzung allerdings Buchner, BB 2003, 2121 (2123); s. auch dens., FS 50 Jahre BAG, S. 631 (633, 637). Zurückhaltend jüngst auch noch Engels, RdA 2008, 331 (332); Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 56 ff., 66; Rolfs/F. Clemens, NZA 2004, 410 (414); offen Meyer, FS Buchner, S. 628 (646). 43 Pressemitteilung Nr. 22/07 des BAG vom 16. 3. 2007; s. auch Eisenbeis, FA 2007, 225; M. Heinrich, NZA 2007, 962; E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 366 f. Vorgehend mehrere Entscheidungen des LAG Baden-Württemberg, etwa vom 23. 2. 2005 – 4 TaBV 2/04 – juris; vom 15. 9. 2005 – 21 TaBV 7/04 – juris; näher zu den damaligen Verfahren NZA Heft 16/2006, S. VIII; s. auch F. Bayreuther, NZA 2006, 642 (645 f.); dens., NZA 2007, 187 (189, mit Fn. 12); Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (116); Reichold, RdA 2007, 321 (321, 324 bei Fn. 30, 325 bei Fn. 54); Schliemann, FS Hromadka, S. 359 (376 f.) Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (516 f.); zuletzt Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 1. 44 s. aber auch den Hinweis von Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (122), die Willensbildung im Senat sei im Zeitpunkt der Verfahrenserledigung noch nicht abgeschlossen gewesen. 45 BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645. 46 BAG 23. 6. 2010 NZA 2010, 778.
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B. Notwendigkeit der Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung Dass die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die bisherige Rechtsprechung des BAG zur Tarifpluralität auf der Hand lagen, hatte auch der Vorsitzende des für das Tarifrecht zuständigen 4. Senats Bepler schon vor einiger Zeit ausgesprochen.47 Bevor man gewohnte Bahnen verlassen könne, bestehe aber noch weiterer Aufklärungs- und Diskussionsbedarf.48 I. Unisono wurde allerdings bereits seit längerem die Einschätzung geäußert, dass Für und Wider des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb inzwischen hinreichend dargelegt seien.49 Auch wer aus der langjährigen Auseinandersetzung aber die Erkenntnis gewonnen hatte, dass die h. L. die besseren Argumente auf ihrer Seite habe und deshalb für die Aufgabe des Prinzips der betrieblichen Tarifeinheit plädierte, konnte die Schwierigkeiten, die dann bei der Bewältigung der betrieblichen Tarifsituation aufzutreten drohen, nicht unberücksichtigt lassen.50 Lange Zeit indes hatte sich die in Opposition zum Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität stehende Lehre vorwerfen lassen müssen, dass ihre Kritik an der (nunmehr: früheren) Rechtsprechung des BAG zwar schwer zu widerlegen sei, sie zur Überwindung der – vom BAG nicht erfundenen – tatsächlichen Schwierigkeiten einer Mehrheit von Tarifverträgen in einem Betrieb jedoch nichts beitrage.51 II. 1. In der Tat lag der Schwerpunkt der Diskussion noch bis unmittelbar vor den Entscheidungen vom 27. Januar und vom 23. Juni 2010 deutlich auf der Auseinandersetzung mit dem Prinzip der Tarifeinheit im Betrieb. In Relation dazu nahmen die Ausführungen zu den vom BAG ausgemachten „rechtlichen und tatsächlichen Unzuträglichkeiten“52, zu denen das sich aus einer „rein dogmatisch 47
Bepler, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 791 (799). Bepler, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 791 (802). 49 Buchner, NZA 2007, 1411; Franzen, RdA 2008, 193; Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (256); s. auch Bepler, bei Bepler/U. Fischer/Ubber, BLJ 2007, 139 (140); Hromadka, GS Heinze, S. 383 (394); zuletzt in diesem Sinne F. Bayreuther, ZfA 2009, 747 (748); Hirdina, NZA 2009, 997; Jacobs, FS Buchner, S. 342 (342 f.); Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 10 f. Ausführliche Nachzeichnung der Diskussion jüngst noch einmal bei Greiner, Rechtsfragen, S. 260 ff., 266 ff., 271 ff., 302 f. und im Anfragebeschluss BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. b) der Gründe, Rn. 40 f. (zur früheren Argumentation des BAG) und B. I. 3. d) der Gründe, Rn. 43 ff. des Beschlusses (zu den Argumenten gegen die zwingende Tarifeinheit im Betrieb). 50 Zutreffend Buchner, NZA 2007, 1411; s. auch dens., BB 2008, 106 (107 f.); Hromadka, GS Heinze, S. 383 (387); ferner Sunnus, AuR 2008, 1 (6); s. auch Schliemann, FS Hromadka (2008), S. 359 (364); Sittard, ZTR 2008, 178 (182 f.); zuletzt Jacobs, FS Buchner (2009), S. 342 (343). 51 Vgl. Gamillscheg, KollArbR I, § 17 III. 3. c) (1) (c), S. 752; auch zehn Jahre später klang der Befund bei den Verfechtern der betrieblichen Tarifeinheit noch ganz ähnlich, s. Feudner, BB 2007, 2459 (2461); Hunold, NZA 2007, 1037 (1038). 48
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begründete(n) Beantwortung der zu entscheidenden Rechtsfrage“53 ergebende Nebeneinander mehrerer Tarifverträge in einem Betrieb führe, einen recht geringen Raum ein. Das bisherige Schrifttum hat sich, zugespitzt ausgedrückt, in der Hauptsache nur mit der Tarifeinheit, nicht aber mit der (realisierten) Tarifpluralität befasst. Es wurden die einzelnen verfassungs- und einfachrechtlichen Gründe dafür dargelegt, dass die zwingende Herstellung von Tarifeinheit nicht die richtige Lösung sein könne; als Folge der Ablehnung der Tarifeinheit ergab sich dann zwangsläufig die (hingenommene) Tarifpluralität – an diesem Punkt aber brechen die Überlegungen allzu oft ab oder werden doch wenigstens nicht mit demselben Scharfsinn fortgeführt, so dass die eigentliche Tarifpluralität gedanklich noch nicht ausreichend durchdrungen erscheint.54 2. Hinter diesem bisherigen Versäumnis scheint die Einschätzung auf, das Nebeneinander mehrerer Tarifverträge im Betrieb habe allenfalls gut zu bewältigende praktische Schwierigkeiten55, nur „kleinere Reibereien rein tatsächlicher Art“56 zur Folge. Die vom BAG beschworenen praktischen Schwierigkeiten gingen nicht über das Maß hinaus, das jede Gesetzesanwendung dem Normanwender zumutet57, seien also systemtypisch58 und keineswegs unüberwindlich59, sondern gering60, in jedem Falle aber „lösbar“61. Teils wird zwar eingeräumt, das 52 BAG 29. 11. 1978 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 12 (Wiedemann); 14. 6. 1989 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 16 (Wiedemann/Arnold); 5. 9. 1990 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 19; 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20 (P. Hanau/Kania), unter B. II. 2. a) der Gründe; ähnlich Heinze/Ricken, ZfA 2001, 159 (177 f.); Meyer, NZA 2006, 1387 (1392); „Probleme der praktischen Handhabbarkeit“ führt auch an der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2007/2008, Nr. 555, S. 363. 53 BAG 26. 1. 1994 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 22, unter II. 4. d) der Gründe. 54 s. auch Reuter, SchlHA 2007, 413 (419); in diesem Sinne auch Boemke, ZfA 2009, 131 (133). 55 Band, Tarifkonkurrenz, S. 113. 56 Witzig, Tarifeinheit, S. 43. 57 Jacobs, Tarifeinheit, S. 411. 58 ErfK/Dieterich, 6. Aufl. 2006, Art. 9 GG Rn. 82. In den Folgeauflagen ist diese Passage nicht mehr enthalten, offenbar textlichen Kürzungen zum Opfer gefallen (s. 7. Aufl. 2007, Art. 9 GG Rn. 82; 8. Aufl. 2008, Art. 9 GG Rn. 85; 9. Aufl. 2009, Art. 9 GG Rn. 85; 10. Aufl. 2010, Art. 9 GG Rn. 85). In der Sache lehnt aber Dieterich die Lehre von der Tarifeinheit bei Tarifpluralität unverändert ab (zuletzt ErfK/Dieterich, 10. Aufl. 2010, Art. 9 GG Rn. 68a, 85) und spricht sich insbesondere auch gegen eine Rechtfertigung der zwingenden Tarifverdrängung durch Gründe der Praktikabilität aus (s. 7. Aufl. 2007, Art. 9 GG Rn. 66a; 8. Aufl. 2008, Art. 9 GG Rn. 68; 9. Aufl. 2009, Art. 9 GG Rn. 68a; 10. Aufl. 2010, Art. 9 GG Rn. 68a). 59 ErfK/Dieterich, 6. Aufl. 2006 (s. dazu Vornote), Art. 9 GG Rn. 82; Wank, Anm. zu BAG 26. 1. 1994 EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 9, S. 15 (20). 60 Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 449; Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 287; Wank, FS ZVK-Bau, S. 141 (157); skeptisch Hromadka, NJW 2008, 1864. 61 Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 38 III. 2. b), S. 392; s. auch F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 391: „beherrschbar“.
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Nebeneinander verschiedener Tarifverträge könne „zu komplizierten Problemen führen“ und erschwere „mit Sicherheit die Personalverwaltung im Betrieb“62, unüberwindbare Schwierigkeiten habe es aber bislang nicht aufgeworfen63. Bis in die jüngste Zeit gab es immer wieder Hinweise auf Fälle realisierter Tarifpluralität in der betrieblichen Praxis64, etwa zur tariflichen Situation an öffentlichen Theatern65. Es lasse sich kaum bestreiten, dass ein Nebeneinander verschiedener, sich nicht ergänzender Tarifverträge im Betrieb Arbeitsrechtswirklichkeit ist.66 3. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass die Kritiker der Tarifeinheit bis zuletzt bei Weitem noch nicht zu allen Problempunkten befriedigende Lösungsmöglichkeiten anbieten konnten.67 Das Durchdringen der rechtlichen Folgen der Tarifpluralität und das Erarbeiten praktikabler Lösungsvorschläge für die mit ihr verbundenen praktischen Probleme stehen noch am Anfang.68 Es wurde bisher nicht der Nachweis erbracht, dass ein die Tarifeinheit ablösendes Konzept wiederum praktikabel ist.69 Zunehmend setzte sich im Vorfeld des nunmehr vollzogenen Rechtsprechungswechsels aber die Erkenntnis durch, dass, wer den Grundsatz der Tarifeinheit aufgeben wolle, die Folgen eines solchen Schrittes zu bedenken habe.70 Man könne ihn nicht einfach entfallen lassen, ohne entstehende Disparitäten eines „pluralistischen“ Tarifsystems auszugleichen und daraus resultierende Verwerfungen im 62 Hohenstatt, DB 1992, 1678 (1679); s. auch A. Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 266: betriebswirtschaftlich lästiger Zustand. 63 Hohenstatt, DB 1992, 1678 (1680); s. auch Buchner, FS Kissel, S. 97 (105): Die vom BAG skizzierten Gefahren für die Funktionsfähigkeit des Tarifvertrags bei Anwendung verschiedener Tarifverträge im Betrieb erschienen „überzeichnet“. 64 s. etwa FAZ vom 23. 4. 2003, S. 13; Die Zeit vom 15. 11. 2007, S. 26 (Artikel „Ausweg möglich“); s. auch Deinert, NZA 2009, 1176 (1178); Franzen, RdA 2008, 193 (195); dens., ZfA 2009, 297 (301); Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (257); Reichold, RdA 2007, 321 (322); Schliemann, FS Hromadka, S. 359 (373); Thüsing, Handelsblatt vom 6. 8. 2007, S. 8; jüngst F. Bayreuther, DB Heft 14/2010, S. M 1; Monopolkommission, Hauptgutachten 2008/2009, S. 336, Nr. 938; Jacobs, ZRP 2010, 199. 65 ArbG Kiel 30. 6. 2006 ZTR 2006, 488 (491), unter B. III. der Gründe; Deinert, NZA 2009, 1176 (1178); Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (257); aktuell Reichold, FAZ vom 1. 7. 2010, S. 8; ders., Gutachten, S. 7; s. aber auch Litschen, ZTR 2007, 230, nach dessen Darstellung es sich im Bereich der kommunalen Theater lediglich um solche Fälle handelt, die später teils mit dem Begriff der „Tarifparallelität“ (Schliemann, FS Hromadka, S. 359 [372]; ähnlich Jacobs, NZA 2008, 325 [329]) bezeichnet wurden; vgl. dazu jetzt auch mit Rechtsvergleich zu den USA F. Bayreuther, ZfA 2009, 747 (771 f.). 66 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (257); nunmehr ebenso Greiner, Rechtsfragen, S. 3, 5 f.; s. jetzt auch BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) dd) (2) (c) (bb) der Gründe, Rn. 74 des Beschlusses. 67 F. Bayreuther, NZA 2008, 12 (15, 17); Greiner, Rechtsfragen, S. 367. 68 Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 57b. 69 Franzen, RdA 2008, 193 (194); ähnlich J.-H. Bauer, NZA 2009, 359; s. auch F. Bayreuther, NZA 2009, 935. 70 So jüngst zutreffend Boemke, ZfA 2009, 131 (133); Meyer, SAE 2010, 27 (30).
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Gesamtsystem zu glätten.71 Die mit einem Wegfall des Prinzips der betrieblichen Tarifeinheit verbundenen Fragen müssten daher differenzierter gesehen werden, als man sie bislang diskutiert habe.72 4. Der Grund dafür, dass die Aufarbeitung der durch eine realisierte Tarifpluralität hervorgerufenen Folgeprobleme lange vernachlässigt wurde73, liegt, so ist zu vermuten, letztlich vor allem darin, dass man sich der Richtigkeit seines Ergebnisses – Tarifpluralität statt Tarifeinheit – gewiss glaubte. Daraus resultierte im bisherigen Schrifttum eine in gewisser Weise verengte Sicht auf die Konsequenzen einer realisierten Tarifpluralität, in der womöglich die Gefahr angelegt war, die Probleme „klein zu reden“74, zum Mindesten aber zu unterschätzen75. Ein Beispiel dafür bietet die Auseinandersetzung um die bislang vom BAG als Argument für die Herstellung betrieblicher Tarifeinheit in Fällen der Tarifpluralität angeführten Probleme, die sich aus seiner – früheren – Sicht im Falle einer (hingenommenen) Tarifpluralität hinsichtlich der Ermittlung der Gewerkschaftszugehörigkeit der Arbeitnehmer ergeben.76 Gegen diese Argumentation wurde zunächst eingewandt, auch bei betrieblicher Tarifeinheit müsse der Arbeitgeber feststellen, ob ein Arbeitnehmer der tarifschließenden Gewerkschaft angehört, da der Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb schließlich nicht dazu führe, dass der nach dem Spezialitätsprinzip vorrangige Tarifvertrag auch auf die Arbeitsverhältnisse der nicht und anders organisierten Arbeitnehmer im Betrieb (normative) Anwendung fände.77 Das Problem stelle sich unabhängig vom Vorliegen einer 71 Greiner, NZA 2007, 1023 (1026, 1028), mit Blick vor allem, aber nicht nur auf das Arbeitskampfrecht; allgemein jetzt ders., Rechtsfragen, S. 367; außerdem Hromadka, in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 124 (129); Reuter, SchlHA 2007, 413 (419). 72 W. Bayreuther, FS Hromadka, S. 1. 73 Ebenso jetzt die Einschätzung von Boemke, ZfA 2009, 131 (133). 74 Vgl. den Vorwurf von Hromadka bei Kalb, RdA 2007, 379 (381), an die Adresse von Reichold; in der Tendenz ähnlich W. Bayreuther, FS Hromadka, S. 1 (2, mit Fn. 10, 12), vor allem an die Adresse von Jacobs. 75 So der Vorhalt gegenüber Reichold bei P. Hanau, RdA 2008, 98 (102). 76 s. BAG 14. 6. 1989 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 16 (Wiedemann/Arnold); 5. 9. 1990 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 19; 26. 1. 1994 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 22, unter II. 4. d) der Gründe. Zu eigen gemacht haben sich diese Argumentation des BAG auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2007/2008, Nr. 555, S. 363, sowie der Präsident der BDA Hundt in seinem Plädoyer für die betriebliche Tarifeinheit in der FAZ vom 11. 9. 2007, S. 12. 77 P. Hanau/Kania, Anm. zu BAG 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20, unter II. 2. a); später Band, Tarifkonkurrenz, S. 109; zuletzt A. Stein, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 35 (50); aufgegriffen jetzt auch von BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) dd) (2) (b) der Gründe, Rn. 69 des Beschlusses. Zur nur rechtsverdrängenden, nicht aber rechtsbegründenden Wirkung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb s. BAG 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20 (P. Hanau/Kania).
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Tarifpluralität immer dann, wenn ein Tarifvertrag Leistungspflichten an die Gewerkschaftszugehörigkeit knüpft, denn wenn nicht zufällig alle Arbeitnehmer eines tarifunterworfenen Betriebs tarifgebunden sind, müsse auch in einem solchen Fall festgestellt werden, welche Arbeitsverhältnisse von dem Tarifvertrag erfasst werden und welche nicht.78 Diese Einwände zielten darauf ab, das Argument des BAG zu entkräften, indem das Problem der Ermittlung der Gewerkschaftszugehörigkeit durch den Hinweis darauf relativiert wurde, dass es keine spezifische Folge einer (hingenommenen) Tarifpluralität sei, sondern unabhängig davon auftreten könne. So beachtenswert sie aber sind79, ihnen haftet doch der Makel an, dass der Hinweis auf die fehlende Singularität eines Problems dieses eben nur relativiert, nicht aber löst. III. 1. Nun, da der Rechtsprechungswechsel vollzogen ist, stellt sich die Aufgabe, die in einer realisierten Tarifpluralität angelegten rechtlichen Folgeprobleme ausfindig zu machen und dogmatisch stimmige sowie praktikable Lösungsvorschläge zu erarbeiten, der Arbeitsrechtswissenschaft umso drängender. Denn jetzt wird es in nächster Zeit tatsächlich eine Vielzahl solcher Folgeprobleme der neuen Rechtsprechung zu lösen gelten.80 Da etliche von ihnen im Vorfeld der 2010er-Entscheidungen noch nicht geklärt werden konnten, sind Lösungen nun dringend geboten.81 Der 4. Senat gibt insoweit in seinem Anfragebeschluss vom 27. Januar 2010 nur wenige – wenn auch teilweise durchaus beachtliche82 – allgemeine Hinweise. Breiten Raum nehmen demgegenüber etwa die Erörterung der im Hinblick auf den Rechtsfortbildungscharakter der Tarifeinheit im Betrieb bedeutsamen Frage der Lückenhaftigkeit des TVG für den Fall der Tarifpluralität83 und die verfassungsrechtliche Bewertung des Tarifeinheitsgrundsatzes84 ein. In Hinsicht auf die Bewältigung der rechtlichen Folgefragen einer akzeptierten Tarifpluralität beschränkt sich der Senat zumeist auf die Wiedergabe altbekannter Argumente der
78 Wank, Anm. zu BAG 26. 1. 1994 EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 9, S. 15 (20); Wiedemann/Arnold, Anm. zu BAG 14. 6. 1989 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 16, unter 2. d); dies., ZTR 1994, 443 (445); s. auch Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 138; aufgegriffen jetzt auch von BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) dd) (2) (b) der Gründe, Rn. 69 des Beschlusses. 79 s. jedoch auch Jacobs, Tarifeinheit, S. 405 sowie jetzt auch Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 37 ff. 80 Hergenröder, EWiR 2010, 437 (438); Thüsing, EWiR 2010, 505 (506); ders., BB Heft 33/2010, S. I. 81 V. Böhm, BB 2010, 1158 f. 82 s. insb. BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) dd) (2) (c) der Gründe, Rn. 70 ff. des Beschlusses zum Verhältnis von Tarif(kollisions)- und Arbeitskampfrecht. 83 BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) cc) der Gründe, Rn. 51 ff. des Beschlusses. 84 BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) ee) der Gründe, Rn. 75 ff. des Beschlusses.
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Kritiker der Tarifeinheit, die indes schon bisher nicht restlos zu überzeugen vermochten. Diese Zurückhaltung des 4. Senats ist in ersten Reaktionen auf den Beschluss teilweise harsch kritisiert worden85, indes zu Unrecht. Stellungnahmen in Form von obiter dicta86 sind stets eine zwiespältige Angelegenheit87 und für das Betriebsverfassungs- sowie das Arbeitskampfrecht etwa, zwei durch freigegebene Tarifpluralitäten potentiell besonders betroffene Rechtsbereiche, ist nun einmal nicht der 4., sondern der 1. Senat zuständig88, so dass insoweit schon deshalb Zurückhaltung geboten war.89 Der Beschluss des 4. Senats musste sich, wie es auch die Literatur vor ihm getan hat, in erster Linie mit dem zu verabschiedenden Grundsatz der Tarifeinheit befassen; insofern ist er in der Hauptsache naturgemäß gleichsam rückwärtsgewandt. Die vorliegende Untersuchung hingegen, die ein mögliches, sicherlich nicht vollständiges, aber doch die wichtigsten Konturen erkennen lassendes Bild einer (potentiell) tarifpluralen Arbeitsrechtsordnung zeichnen möchte, muss sich demgegenüber von der Kontroverse um Tarifeinheit oder Tarifpluralität zunächst lösen. Mit dem nunmehr erfolgten Paradigmenwechsel von der Tarifeinheit zur Tarifpluralität muss ein Perspektivenwechsel einhergehen. Dazu setzt die Untersuchung die – jetzt verwirklichte – Zulassung der Tarifpluralität als Prämisse. Ziel ist, die Konsequenzen, die sich durch eine Freigabe von Tarifpluralitäten für das System der Arbeitsrechtsordnung ergeben, nicht länger auszublenden, sondern den Wechsel von der tarifeinheitlichen zur tarifpluralistischen Perspektive in all seinen Ausstrahlungen in die verschiedenen Bereiche des Arbeitsrechts gedanklich vorwegzunehmen. Dabei will die Arbeit sich nach Möglichkeit nicht auf bestimmte Kollisionskonstellationen (z. B. das Nebeneinander eines von einer Branchengewerkschaft abgeschlossenen, alle Arbeitsverhältnisse des Betriebes erfassenden, und eines von einer Spartengewerkschaft geschlossenen, Regelungen nur für einen Teil der Arbeitnehmer enthaltenden Tarifvertrages) oder reale Anlassfälle (z. B. den Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn AG im Jahr 2007/200890) 85 Insbesondere Hromadka/Schmitt-Rolfes, NZA 2010, 687 (689): Der Senat bleibe, wenn es um die Auswirkungen der angestrebten Rechtsänderung in der Praxis gehe, sehr wortkarg; die Folgen seiner Entscheidung schienen ihn nicht sonderlich beschäftigt zu haben; insb. hinsichtlich arbeitskampfrechtlicher Folgefragen delegiere er die „Reparaturarbeiten“ auf den 1. Senat. 86 Vgl. auch F. Bayreuther, DB Heft 14/2010, S. M 1. 87 Vgl. Dörner, NZA 2007, 57 (58); grundlegend Schlüter, Das obiter dictum, passim. 88 Ziffer B. 1.1 und 1.2.3 des Geschäftsverteilungsplans des BAG (Stand 1. 8. 2010). 89 Vgl. auch H. Otto, RdA 2010, 135 (146). 90 Zu dem von der Deutschen Bahn AG beschrittenen Weg „im Grenzbereich von Tarifeinheit und Tarifpluralität“ s. W. Bayreuther, FS Hromadka, S. 1 ff.; dazu auch P. Hanau, RdA 2008, 98 (103) zur „gewillkürten Tarifeinheit“; Meyer, in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 149 (153); erst kürzlich Meyer, FS Buchner, S. 628
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beschränken, sondern – soweit es vertretbar erscheint – versuchen, allgemeingültige Aussagen zu treffen. Am Ende wird sich zeigen, dass die Kontroverse um Tarifeinheit oder Tarifpluralität von der herrschenden Ansicht in der Arbeitsrechtswissenschaft und jetzt auch vom BAG zu Recht im Sinne der Tarifpluralität entschieden wird – und dass die Politik von einer offenbar bereits in den Blick genommenen gesetzlichen Festschreibung der betrieblichen Tarifeinheit absehen sollte.91 2. Dabei ist im Ausgangspunkt zwischen den vom BAG bislang angeführten praktischen und den rechtlichen Schwierigkeiten einer Tarifpluralität zu differenzieren92: a) Rein praktische, betriebsorganisatorische Schwierigkeiten, also solche im „rechtlich indifferenten“ Raum der Betriebsverwaltung, wird die Tarifpluralität wohl kaum noch aufwerfen. Bereits Anfang der 1990er-Jahre ist auf die verbesserten Möglichkeiten des EDV-Einsatzes hingewiesen worden, mittels welcher sich die parallele Anwendung etwa verschiedener tariflicher Lohn- oder Urlaubsregelungen in einem Betrieb ohne weiteres bewerkstelligen lasse.93 Hier sieht mit Recht auch die Gegenmeinung heute keine ernsthaften Probleme mehr.94 b) Eine realisierte Tarifpluralität wirft verschiedene rechtliche (rechtsdogmatische) Probleme auf, die natürlich, da juristische Erkenntnis regelmäßig gerade wegen ihrer Anwendbarkeit interessiert, zugleich auch Probleme praktischer Art sind.95 Es stellen sich etwa folgende Fragen:
(643 ff.) sowie F. Bayreuther, ZfA 2009, 747 (768) und Fritz/Meyer, NZA Beilage 3/2010, S. 111 (112). 91 Zu der insbesondere nach dem Beschluss des 10. Senats des BAG vom 23. 6. 2010 entbrannten politischen Debatte um eine Kodifikation des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb s. noch die Schlussbemerkung am Ende dieser Arbeit. 92 Vgl. auch Boemke, ZfA 2009, 131 (133). 93 Salje, Anm. zu BAG 20. 3. 1991 SAE 1993, 79; Witzig, Tarifeinheit, S. 40 f.; aus neuerer Zeit nur Jacobs, NZA 2008, 325 (328); Koop, Tarifvertragssystem, S. 301; Reichold, RdA 2007, 321 (325); I. Schmidt, FAZ vom 19. 7. 2010, Nr. 164, S. 13 (Interview unter der Überschrift „Ein Gesetz zur Tarifeinheit in dieser Atmosphäre kann nicht gutgehen“); A. Stein, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 35 (49, 51); Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (515). 94 Hromadka, GS Heinze, S. 383 (387); Meyer, DB 2006, 1271; ferner Leuchten, AuA 2010, 146; s. aber auch Göhner, FS Bauer, S. 351 (359); Henssler, Soziale Mächtigkeit, S. 64; Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 44 f.; Wallisch, FS Löwisch, S. 427 (443 f.); s. auch zu einer durch § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB entstehenden „Tarifpluralität“ Bepler, RdA 2009, 65 (69); Maschmann, Anm. zu BAG 31. 8. 2005 AP BGB § 613a Nr. 288, unter I. Vgl. jetzt auch BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) dd) (2) (a) (aa) und (bb) der Gründe, Rn. 64 f. des Beschlusses. 95 Zur Rechtswissenschaft (Rechtsdogmatik) als praktischer Wissenschaft s. nur F. Bydlinski, Methodenlehre, S. 11; Canaris, Systemdenken, S. 86; dens., FS Medicus, S. 25 (26); Engisch, Einführung, S. 3; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 55 ff.; Wank, Begriffsbildung, S. 81; s. auch zu den Funktionen der Rechtsdogmatik Rüthers/C. Fi-
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aa) (1) Muss in Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung des BAG die Frage des Arbeitgebers nach der Gewerkschaftszugehörigkeit des Arbeitnehmers zwar nicht vor der Einstellung, aber doch im laufenden Arbeitsverhältnis zugelassen werden, um dem Arbeitgeber eines tarifpluralen Betriebes die zutreffende tarifrechtliche Behandlung seiner Arbeitnehmer zu ermöglichen? Als Problem wird es in diesem Zusammenhang auch empfunden, wie bei (u. U. häufigen) Veränderungen des Organisationsstatus durch Gewerkschaftsaustritt oder -wechsel eine fehlerhafte Tarifanwendung vermieden werden kann.96 Damit ist das Phänomen des sog. „Gewerkschafts-Hopping“ angesprochen. (2) Wie sind bei realisierter Tarifpluralität dynamische arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln auszulegen, die keine eindeutige Bestimmung darüber treffen, die Arbeitsbedingungen welchen Tarifvertrages im Falle einer Tarifpluralität individualvertraglich inkorporiert sein sollen? Welche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang speziell der AGB-rechtlichen Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB zu? Und welche Spielräume lässt die Rechtsordnung dem Arbeitgeber, um im Rahmen der künftigen Vertragsgestaltung die Konstellation einer Tarifpluralität, mithin einer Mehrheit denkbarer Bezugnahmeobjekte, schon bei der Gestaltung seiner Verweisungsklauseln zu berücksichtigen? bb) (1) In welchem Verhältnis steht die veränderte tarifkollisionsrechtliche Ausgangslage zu den Anforderungen an die Tariffähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen, insbesondere zu der vom BAG entwickelten Lehre von der sozialen Mächtigkeit als Voraussetzung der Tariffähigkeit einer Arbeitnehmerkoalition? (2) Wie kann im Kollisionsfall zwischen Kollektiv- und Individualnormen der im Betrieb nebeneinander geltenden Tarifverträge, insbesondere zwischen Inhaltsnormen und Betriebsnormen, abgegrenzt werden? Dies ist insofern von Bedeutung, als insoweit, wie die Individual-, insbesondere die Inhaltsnormen der kollidierenden Tarifverträge inmitten stehen, es zur fortbestehenden Tarifpluralität käme, während die Kollision von Kollektiv-, insbesondere von Betriebsnormen unterschiedlicher Tarifverträge eine sog. „betriebsweite“, nach dem Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis97 der Auflösung zugunsten betrieblicher Tarifeinheit bedürftige Tarifkonkurrenz zur Entstehung bringt. (3) Verträgt sich die Zulassung von Tarifpluralitäten ohne weiteres mit dem in arbeitsrechtlichen Gesetzen heute weit verbreiteten Phänomen tarifdispositiven oder tarifoffenen Rechts oder sind hier Einschränkungen der Befugnis der Tarifscher, Rechtstheorie, Rn. 321 ff.; Wank, Rechtsfortbildung, S. 39 ff.; zum Begriff der Dogmatik Höpfner, Systemkonforme Auslegung, S. 109 ff. 96 Wallisch, FS Löwisch, S. 427 (439); auch das BAG wies im Zusammenhang mit dem Problem der Ermittlung der Gewerkschaftszugehörigkeit auf die Unvermeidbarkeit von Änderungen der Gewerkschaftsmitgliedschaft durch Gewerkschaftswechsel hin, BAG 14. 6. 1989 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 16 (Wiedemann/Arnold). 97 Zur Unterscheidung zwischen Tarifeinheit im Betrieb und Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis s. vor allem Jacobs, Tarifeinheit, passim.
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Teil 1: Einleitung
vertragsparteien erforderlich, auch zu Lasten der Arbeitnehmer vom gesetzlichen Schutzniveau abzuweichen? cc) Welche Folgen ergeben sich aus einer realisierten Tarifpluralität mit Blick auf die Regelungen zum Tarifvorbehalt und Tarifvorrang in §§ 77 Abs. 3, 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG für die betriebliche Mitbestimmung? dd) Die Hauptfolgeprobleme einer Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb werden mittlerweile im Arbeitskampfrecht gesehen. Im Zentrum der Überlegungen steht die befürchtete Gefährdung von Unternehmen, die mehrfach im Jahr Streiks von konkurrierenden Gewerkschaften ausgesetzt sein könnten. Gamillscheg hat hierfür den in der US-amerikanischen Rechtsdiskussion geprägten Begriff der „balcanisation“ übernommen98. Mittlerweile zählt die Befürchtung, als Folge eines pluralistischen Tarifsystems könne es zu permanenten Arbeitskämpfen in den Betrieben kommen, unter Gegnern wie Befürwortern einer Freigabe von Tarifpluralitäten zum Standardrepertoire der Debatte über die Folgen eines Abschieds vom Prinzip der Tarifeinheit im Betrieb. Auch hierzu sind Lösungen zu suchen. IV. 1. Die kurze Zusammenstellung der mit einer realisierten Tarifpluralität verbundenen Rechtsfragen macht bereits deutlich, dass sich die Untersuchung keineswegs auf die tarifvertragsrechtlichen Implikationen einer Ablösung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb durch die Freigabe von Tarifpluralitäten beschränken kann. Der Paradigmenwechsel im Tarifkollisionsrecht würde vielmehr in seinen Auswirkungen auf die unterschiedlichen Teilgebiete des Arbeitsrechts ausstrahlen und alle „großen“ arbeitsrechtlichen Bereiche – das Arbeitsvertragsrecht, das Tarifrecht, das Betriebsverfassungsrecht sowie das Arbeitskampfrecht – berühren.99 An den verschiedensten Stellen müssen bisher gewonnene Überzeugungen und Lösungsansätze auf den Prüfstand.100 2. Der juristischen Methodenlehre ist die Notwendigkeit derartiger Anpassungsprozesse freilich seit jeher geläufig. Sie werden unter dem Stichwort des „Wandels der Normsituation“101 diskutiert. Ein solcher Wandel ist weniger durch eine Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse102 als vielmehr durch eine – in 98
Gamillscheg, KollArbR I, § 17 III. 3. c) (1) (c), S. 752. Franzen, RdA 2008, 193 (194): Eine Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit würde sich „im gesamten Arbeitsrecht auswirken“; s. auch W. Bayreuther, FS Hromadka, S. 1 (2); Greiner, NZA 2007, 1023 (1028): „Verwerfungen im Gesamtsystem“; jüngst Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 1 f.; Göhner, FS Bauer, S. 351 (356 f., 361). 100 s. auch Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (124); zu ihm auch W. Bayreuther, FS Hromadka, S. 1 (2). 101 Larenz, Methodenlehre, S. 350 ff., insbesondere S. 352 f.; s. auch Canaris, WM 1978, 686 (687). 102 Vgl. dazu Larenz, Methodenlehre, S. 350–352 zum „Zeitfaktor“; F. Bydlinski, Methodenlehre, S. 574–577; Rüthers/C. Fischer, Rechtstheorie, Rn. 952 ff.; Wank, Aus99
Kap. 1: Einführung in den Untersuchungsgegenstand
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unserem Fall allerdings ihrerseits durch den Wandel der tatsächlichen Verhältnisse maßgeblich beeinflusste103 – Veränderung des normativen Rechtsmaterials bedingt104. Es geht um Wandlungen an einer Stelle des Gefüges der Rechtsordnung, die eine Änderung der Auslegung an anderen Stellen bewirken können105, um das Phänomen der „Fernwirkung“ von Rechtsänderungen kraft systematischer Interpretation106, um Änderungen des rechtlichen Umfeldes, die Anlass sein können, Normen neu zu interpretieren und bisherige Rechtsfortbildungen auf den Prüfstand zu stellen107. In diesem Sinne bewirkt die Änderung der Rechtsprechung zur Tarifpluralität durch Aufgabe der richterrechtlichen Regel „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag“ in allen mit dem Tarif(kollisions)recht verknüpften Bereichen des Arbeitsrechts an verschiedenen Stellen einen Wandel des Normumfeldes108; die tarifkollisionsrechtliche Weichenstellung zeitigt „Fernwirkungen“ auf die im sachlichen Kontext stehenden Normen, wie etwa die §§ 77 Abs. 3, 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG, sowie auf die richterlichen Rechtsregeln, etwa des Arbeitskampfrechts. Der logische oder teleologische Zusammenhang kann zu einem anderen Verständnis auch formal unverändert gebliebener Bestimmungen zwingen.109 3. Dies vergegenwärtigend, lassen sich die angedeuteten, durch eine realisierte Tarifpluralität aufgeworfenen Fragen zu einer einzigen Frage verdichten: „Wie lässt sich die Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung einpassen?“
Es sei die Ausgangsthese aufgestellt, dass sich die Tarifpluralität unter Beachtung der sich aus dem jeweiligen systematischen und teleologischen Zusammenhang der einschlägigen verfassungs-, gesetzes- und richterrechtlichen Vorgaben ergebenden Anpassungen und Neuorientierungen ohne „Brüche“ stimmig in das System der Arbeitsrechtsordnung einpassen lässt. Diese These soll mit der vorgelegten Untersuchung verifiziert werden. Entlang dem als Leitgedanke dienenden legung, § 3 II. 4., S. 33 f.; zuletzt Kudlich/Christensen, JZ 2009, 943 (946) und in arbeitsrechtlichem Kontext Rüthers, NZA 2010, 6. 103 Die Bedeutung des veränderten rechtstatsächlichen Umfeldes für die Entscheidung zwischen überkommener Tarifeinheit im Betrieb und Freigabe der Tarifpluralität ist besonders deutlich vom Vorsitzenden des zuständigen 4. BAG-Senats Bepler selbst herausgearbeitet und betont worden, s. Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (116–118, 122 sowie Diskussionsbeitrag S. 150 f.); im gleichen Sinne Schliemann, FS Hromadka, S. 359 (360 f.). 104 F. Bydlinski, Methodenlehre, S. 574, 577. 105 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 352. 106 F. Bydlinski, Methodenlehre, S. 581; ders., JZ 1985, 149 (153). 107 Reuter, RdA 1985, 321 (327). 108 Ausdruck auch bei Wank, Auslegung, § 3 II. 4. b), S. 34; s. auch dens., Rechtsfortbildung, S. 67; dens., Begriffsbildung, S. 81 f. 109 Vgl. F. Bydlinski, Methodenlehre, S. 581.
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Teil 1: Einleitung
Topos der „Einpassung in das System der Arbeitsrechtsordnung“ will die Arbeit die dringendsten der durch die Freigabe von Tarifpluralitäten entstehenden Rechtsfragen darstellen und unter Berücksichtigung des bisherigen Standes der Bemühungen in Rechtsprechung und Wissenschaft ihrer Lösung näher kommen. Schritt für Schritt soll so die Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung – vom Arbeitsvertragsrecht über das Tarifrecht und das Betriebsverfassungsrecht bis hin zum Arbeitskampfrecht – vorangetrieben werden. Dabei besteht die Herausforderung besonders darin, Antworten zu finden, die erstens spezifisch, d. h. auf das jeweilige Sachproblem zugeschnitten, und zweitens systemisch sind, also darin, das bisherige, die betriebliche Tarifeinheit gleichsam axiomatisierende Konzept110 durch ein solches abzulösen, das einerseits – durch Zulassung von Tarifpluralitäten – der Vielfalt und damit der Freiheit mehr Raum gibt, andererseits aber wiederum in sich stimmig ist, mithin nicht nur die Einzelprobleme isoliert sachgerecht löst, sondern auch das Gesamtsystem der Arbeitsrechtsordnung, soweit der Paradigmenwechsel von der Tarifeinheit zur Tarifpluralität auf dieses durchschlägt, im Gleichgewicht hält. Am Ende muss sich die gelungene Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung an dem von Peter Hanau111 apostrophierten Ziel des Gleichgewichts des Systems durch eine Dialektik von Einheit und Vielheit messen lassen. Den Beweis zu führen, dass dieses Gleichgewicht durch die Abkehr vom Dogma der Tarifeinheit im Betrieb und die Freigabe der Tarifpluralität nicht zerstört, sondern im Gegenteil gefördert und dass dadurch der Rechtsprechung des BAG zu einem gegenüber der bisherigen tarifeinheitlichen Konzeption höheren Maß an Systemgerechtigkeit verholfen wird112, will die Untersuchung einen Beitrag leisten. V. Abschließend noch eine Klarstellung zum Untersuchungsumfang: Die bisherigen monographischen Untersuchungen zur Tarifkollision erörtern in der Regel neben der auf der Ebene des Betriebs angesiedelten Tarifpluralität auch die arbeitsverhältnisbezogene Tarifkonkurrenz. Zentraler Gegenstand dieser Untersuchung ist die Tarifpluralität. Zu tarifkonkurrenzrechtlichen Fragestellungen wird in ihr nur insoweit Position bezogen, wie es zur Gewinnung von Erkenntnissen über die Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung erforderlich ist.
110 Am konsequentesten für diese Sicht Heinze/Ricken, ZfA 2001, 159 (174 ff.); bekräftigt durch Ricken, Autonomie, S. 88 f. 111 P. Hanau, NZA 2003, 128 (132). 112 Ebenso Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (517); vgl. in diesem Zusammenhang auch Junker, NZA Beilage 3/2006, S. 147 (149) zur „schöpferischen Zerstörung“.
Kap. 2: Begriffsklärungen
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Kapitel 2
Begriffsklärungen Der Begriff der Tarifpluralität ist ein von Rechtsprechung und Rechtswissenschaft entwickelter Dogmatikbegriff.1 Entsprechend dem Postulat, das eigene Verständnis der im wissenschaftlichen Diskurs verwandten Dogmatikbegriffe aufzudecken2, müssen daher zunächst die für die Arbeit bedeutsamen Begriffe, muss insbesondere der Begriff der Tarifpluralität geklärt werden. Die Darstellung beschränkt sich dabei auf solche Zusammenhänge, die unter dem Gesichtspunkt der Einpassung von Tarifpluralitäten in das System der Arbeitsrechtsordnung von besonderer Bedeutung sind. Im Mittelpunkt steht das Verhältnis von Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität zueinander; diesbezüglich besteht noch beträchtliche Unsicherheit in Rechtsprechung und Rechtslehre.
A. Tarifkonkurrenz Als gemeinsamer Oberbegriff für Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität bietet sich der Ausdruck „Tarifkollision“ an.3 Er wird zumeist nicht eigens definiert. Man sollte darunter einfach die Addition der – noch im Einzelnen zu umreißenden – Fälle der Tarifpluralität und der Tarifkonkurrenz verstehen. Im Vergleich zum Begriff der Tarifpluralität weist der Begriff der Tarifkonkurrenz verhältnismäßig feste Konturen auf. Er lehnt sich an den Sprachgebrauch beim Zusammentreffen mehrerer Gesetze (Gesetzes-, Norm- oder Rechtssatzkonkurrenz) an.4 Unter einer Gesetzeskonkurrenz versteht man den Fall, dass mehrere Normen nach ihrem Tatbestand auf den gleichen Sachverhalt zutreffen.5 Dementsprechend ist eine Tarifkonkurrenz nach der gängigen Definition gegeben, wenn beide Parteien eines Arbeitsverhältnisses gleichzeitig an mehrere von 1 Zur Unterscheidung von Rechtsbegriffen anhand ihrer Urheber s. Wank, Begriffsbildung, S. 6 f. 2 Wank, Begriffsbildung, S. 7. 3 Dafür z. B. Band, Tarifkonkurrenz, S. 19; Dunker, Unternehmensbezogene Tarifverträge, S. 162 f.; Hromadka, NZA 2008, 384; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 128, 130; Jacobs, NZA 2008, 325; Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, Rn. 571; Koop, Tarifvertragssystem, S. 159 f.; Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 38 III., S. 390; Reichold, RdA 2007, 321 (323); Richardi, FS Scholz, S. 337 (345); Rolfs/F. Clemens, NZA 2004, 410 (413); Schliemann, NZA Sonderbeilage zu Heft 24/ 2000, S. 24 (25); Wallisch, FS Löwisch, S. 427 (428); s. auch Oetker, NZA Beilage 1/2010, S. 13 (14, 16); zuletzt Freckmann/K. Müller, BB 2010, 1981 (1982). 4 Gamillscheg, KollArbR I, § 17 III. 3. c) (2) (a), S. 753; Jacobs, Tarifeinheit, S. 95 (dort Fn. 2); Kraft, RdA 1992, 161 (163); s. auch A. Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/1, § 33 I., S. 640 f.; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil 1, § 60 V., S. 352. 5 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 87; Wank, Auslegung, § 13, S. 95; Zippelius, Methodenlehre, § 7, S. 37.
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Teil 1: Einleitung
verschiedenen Tarifvertragsparteien (Rechtsetzungsgemeinschaften 6) abgeschlossene, das Arbeitsverhältnis nach ihrem Geltungsbereich jeweils erfassende Tarifverträge gebunden sind und deshalb mehrere Tarifverträge für das gleiche Arbeitsverhältnis Anwendung beanspruchen.7
B. Tarifpluralität – insbesondere: Das Verhältnis zur Tarifkonkurrenz Der Begriff der Tarifpluralität ist weit weniger klar als der der Tarifkonkurrenz.8 Unsicherheit besteht vor allem bei der Beurteilung des Verhältnisses zwischen Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, dies wiederum insbesondere für die wichtigen, im Anschluss an Jacobs hier sog. Fälle der betriebsweiten Tarifkonkurrenz.9 Sieht man die Stellungnahmen insbesondere in der monographischen Literatur zur Tarifpluralität durch, so finden sich Widersprüche nicht nur zwischen verschiedenen Autoren, sondern teils auch innerhalb der einzelnen Darstellungen selbst. I. Tarifpluralität nur bei Nichtvorliegen von Tarifkonkurrenz? 1. So heißt es bei Witzig zum Begriff der Tarifpluralität, von einer solchen spreche man immer dann, wenn innerhalb eines Betriebs mehrere Tarifverträge nebeneinander gelten, ohne dass diese mehreren Tarifverträge auf einzelne Arbeitsverhältnisse gleichzeitig anwendbar sind.10 Dies entspricht dem Verständnis des 4. Senats des BAG, dem zufolge von einer Tarifpluralität immer dann auszugehen ist, wenn der Betrieb des Arbeitgebers vom Geltungsbereich zweier von verschiedenen Gewerkschaften abgeschlossener11 Tarifverträge erfasst wird, an die der Arbeitgeber gebunden ist, während für den jeweiligen Arbeitnehmer je 6
Mit dem Begriff der „Rechtsetzungsgemeinschaft“ sind die Parteien eines Tarifvertrags in ihrer Gesamtheit gemeint, s. Waas, Tarifkonkurrenz, S. 17 mit Fn. 27; Waas, ZTR 2000, 341 (343, 344) und jüngst wieder Waas, FS Birk, S. 899 (907). 7 s. aus der Rechtsprechung nur BAG 22. 3. 1994 EzA TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 10 (Rieble), S. 6; 20. 4. 2005 NZA 2005, 1360 (1361), unter I. 3. b) der Gründe; LAG Schleswig-Holstein 6. 2. 2007 NZA-RR 2007, 482 (483), unter 1. a) der Gründe. Aus der Literatur statt aller, mit unbedeutenden Formulierungsunterschieden im Einzelnen, ErfK/Franzen, § 4 TVG Rn. 65; Gamillscheg, KollArbR I, § 17 III. 3. c) (2) (a), S. 753; HWK/Henssler, § 4 TVG Rn. 46; Jacobs, Tarifeinheit, S. 95 f., 99; Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 38 III. 1. a), S. 390; Wank, Anm. zu BAG 26. 1. 1994 EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 9, S. 15; Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, § 4 Rn. 150. 8 Ohne Problembewusstsein allerdings jüngst Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 6 f. 9 Zum Begriff der „betriebsweiten Tarifkonkurrenz“ s. vorerst nur Jacobs, Tarifeinheit, S. 100, 248, 306 f., 347. 10 Witzig, Tarifeinheit, S. 4; Hervorhebung nicht im Original.
Kap. 2: Begriffsklärungen
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nach Tarifbindung nur einer der beiden Tarifverträge Anwendung findet.12 Danach ist also Voraussetzung der Tarifpluralität, dass nicht gleichzeitig eine Tarifkonkurrenz im einzelnen Arbeitsverhältnis gegeben ist.13 „In Fällen der Tarifpluralität sind nämlich beide Parteien des Arbeitsvertrages gemeinsam nur an einen Tarifvertrag gebunden, so daß Tarifkonkurrenz im eigentlichen Sinne nicht besteht.“14 2. Zum Teil wird dies indes explizit anders gesehen. So schreibt Band, es sei keine zwingende Voraussetzung der Tarifpluralität, dass die Arbeitnehmer jeweils nur an einen Tarifvertrag tarifgebunden sind; vielmehr könne gleichzeitig ein Fall der Tarifkonkurrenz vorliegen, wenn ein Arbeitnehmer an beide konkurrierenden (besser: kollidierenden) Tarifverträge tarifgebunden ist, z. B. durch Doppelmit11 Die Beteiligung verschiedener Gewerkschaften ist, was hier nicht näher ausgeführt zu werden braucht, entgegen der vom BAG (zuletzt wieder im Anfragebeschluss des 4. Senats vom 27. 1. 2010, s. NZA 2010, 645, unter B. I. 3. a) aa) der Gründe, Rn. 36 des Beschlusses) ständig repetierten und auch im Schrifttum verbreiteten Formel keine zwingende Voraussetzung einer Tarifpluralität, eine solche kann auch bei Beteiligung nur einer Gewerkschaft entstehen. Richtig erstmals Wiedemann/Arnold, ZTR 1994, 443. 12 Zuletzt wieder der Anfragebeschluss vom 27. 1. 2010, s. NZA 2010, 645, unter B. I. 3. a) aa) der Gründe, Rn. 36 des Beschlusses sowie B. I. 3. d) der Gründe, Rn. 44 des Beschlusses; zuvor etwa BAG 22. 10. 2008 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 66 (Zachert), unter II. 3. a) aa) der Gründe, Hervorhebung jeweils nicht im Original. 13 Ebenso viele Stellungnahmen in der Literatur und der instanzgerichtlichen Rechtsprechung, s. etwa LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80 (Greiner), unter E. IV. 1. der Gründe; Thorsten Bauer/Meinel, NZA 2000, 181 (182); Bepler, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 791 (798); Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 40, 52; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1482, 1498; Dunker, Unternehmensbezogene Tarifverträge, S. 165, 231 (dort Fn. 76); GK-BetrVG/Franzen, § 2 Rn. 20; Giesen, Rechtsgestaltung, S. 534; dens., ZfA 2008, 355 (376); HWK/ Henssler, § 4 TVG Rn. 46; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 132; Insam/Plümpe, DB 2008, 1265 (1268); Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (253); Kania, DB 1996, 1921; Kittner/Zwanziger/Kittner/Deinert, § 10 Rn. 186; Koop, Tarifvertragssystem, S. 168; Kraft, RdA 1992, 161 (164); dens., FS Zöllner, Band II, S. 831 (833 f.); Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 26; Lembke/Distler, NZA 2006, 952 (956); A. Lindemann/Simon, BB 2006, 1852 (1852 f.); Meyer, NZA 2006, 1387; Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 83; Fuchs/Reichold, Tarifvertragsrecht, Rn. 113; Röller/Wißmann, FS Küttner, S. 465 (476); Salje, Anm. zu BAG 20. 3. 1991 SAE 1993, 79; Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 448; A. Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 265; Vogg, Anm. zu BAG 20. 3. 1991 EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 7, S. 14; Wallisch, FS Löwisch, S. 427 (428); Wank, Anm. zu BAG 26. 1. 1994 EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 9, S. 15 (16); Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, § 4 Rn. 151; dies., Anm. zu LAG Niedersachsen 12. 11. 1999 LAGE TVG § 4 Tarifpluralität Nr. 3, S. 6; dies., RdA 1999, 138 (143, Fn. 49); Winzer, Tarifgeltung, S. 7; Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 940; zuletzt Bepler, AuR 2010, 234 (235); Boemke, ZfA 2009, 131 (132); Göhner, FS Bauer, S. 351 (352); Hirdina, NZA 2009, 997; Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 7; E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 296 f., 303; zumindest missverständlich Franzen, ZfA 2009, 297 (298). 14 BAG 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20 (P. Hanau/Kania), unter B. II. 2. a) der Gründe.
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Teil 1: Einleitung
gliedschaft.15 Ebenso hält Bürger es nicht für eine negative Voraussetzung der Tarifpluralität, dass ein Arbeitsverhältnis nicht von zwei Tarifverträgen erfasst wird. Tarifpluralität und Tarifkonkurrenz schlössen sich nicht gegenseitig aus; es liege auch dann eine Tarifpluralität im Betrieb vor, wenn in einzelnen Arbeitsverhältnissen eine Tarifkonkurrenz entsteht.16 Auch sonst wird die Ansicht, Tarifpluralität setze voraus, dass nicht gleichzeitig eine Tarifkonkurrenz vorliegt, heute vermehrt abgelehnt.17 3. Dem ist zuzustimmen. Warum eine Tarifpluralität nur deshalb zu verneinen sein sollte, weil zusätzlich auch noch eine Tarifkonkurrenz vorliegt, ist nicht einzusehen.18 Allerdings kann man nicht einfach das Element „. . . während für den jeweiligen Arbeitnehmer je nach Tarifbindung nur einer der beiden Tarifverträge Anwendung findet“ aus der Definition des 4. Senats streichen, ohne zu sagen, was an seine Stelle tritt. Vervollständigt man die Definition, indem man konsequent beide Fälle in sie aufnimmt (zum einen den Fall, dass der Arbeitgeber an mehrere Tarifverträge gebunden ist, die Arbeitnehmer dagegen jeweils nur an einen der Tarifverträge, zum anderen den, dass auch einige – oder alle19 – Arbeitnehmer an beide Tarifverträge gebunden sind), so ergibt sich eine Begriffsbestimmung, die der 10. Senat des BAG bereits 1994 zugrunde gelegt hatte, als er ausführte, im zu entscheidenden Fall könne es zu einer Tarifpluralität kommen, „weil der Betrieb des Beklagten vom Geltungsbereich zweier von verschiedenen Gewerkschaften abgeschlossener20 Tarifverträge (. . .) erfaßt wird, an die er gebunden ist, während für den jeweiligen Arbeiter je nach Tarifbindung entweder nur einer der beiden Tarifverträge oder aber beide konkurrierend Anwendung finden“.21 II. Keine Tarifpluralität im Falle „betriebsweiter“ Tarifkonkurrenz? Die Frage, ob Tarifpluralität die Abwesenheit von Tarifkonkurrenzen zur Voraussetzung hat, ist also zu verneinen. Davon scheint aber der weit überwiegende 15
Band, Tarifkonkurrenz, S. 40 f. Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 91. 17 Danne, Anm. zu BAG 4. 9. 1996 SAE 1998, 111 (112, mit Fn. 5); Hohenstatt, DB 1992, 1678 (1679); Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 38 III. 2. a), S. 392, dort Fn. 50; Waas, Tarifkonkurrenz, S. 107 f. s. ferner Reichold, RdA 2007, 321 (324); Jacobs, NZA 2008, 325; dens., FS Buchner, S. 342 und auch schon Fenn, FS Kissel, S. 213 (214). 18 Waas, Tarifkonkurrenz, S. 108. 19 Zu dieser Frage, bei der es darum geht, ob eine Tarifpluralität auch in den Fällen der sog. betriebsweiten Tarifkonkurrenz gegeben ist, s. noch sogleich im Text. 20 Dies ist nach zutreffender Ansicht keine zwingende Voraussetzung der Tarifpluralität, s. oben Fn. 11. 21 BAG 26. 1. 1994 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 22, unter II. 4. b) der Gründe; Hervorhebung nicht im Original. 16
Kap. 2: Begriffsklärungen
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Teil der Literatur dann wieder abzusehen, wenn es sich um eine sog. betriebsweite Tarifkonkurrenz handelt. Diese wird verbreitet vom Fall der Tarifpluralität scharf geschieden. Hierfür kann es aber nach dem soeben Gesagten keine tragfähige Grundlage geben. 1. Begriff der „betriebsweiten“ Tarifkonkurrenz a) Da Rechtsnormen des Tarifvertrages über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen gemäß § 3 Abs. 2 TVG für alle Betriebe gelten, deren Arbeitgeber tarifgebunden sind, solche Kollektivnormen also Wirkung für alle Arbeitsverhältnisse eines Betriebes entfalten, kommt es bei einer Kollision mehrerer Kollektivnormen enthaltender Tarifverträge im Betrieb schon dann zu der für die Tarifkonkurrenz charakteristischen Normenkollision im einzelnen Arbeitsverhältnis, wenn nur der Arbeitgeber an diese mehreren Tarifverträge tarifgebunden ist. Treffen daher im Betrieb mehrere Tarifverträge mit Betriebs- und/ oder Betriebsverfassungsnormen aufeinander, an die der Arbeitgeber gebunden ist, so entsteht insoweit Tarifkonkurrenz.22 b) Zu beachten ist die betriebsweite Dimension der Tarifkonkurrenz bei Kollektivnormen. Da diese gemäß § 3 Abs. 2 TVG für alle Arbeitsverhältnisse des Betriebs gelten, also insbesondere auch für die der nicht oder anders organisierten Arbeitnehmer, kommt es im Falle der Kollision mehrerer den Arbeitgeber bindender und Kollektivnormen enthaltender Tarifverträge betriebsweit, d. h. in jedem einzelnen Arbeitsverhältnis, zur Normenkollision.23 Mit Jacobs kann von einer „betriebsweiten“ Tarifkonkurrenz gesprochen werden.24 22 BAG 19. 11. 1985 AP TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 4 (Reuter), unter B. IV. 3. b) der Gründe; LAG Niedersachsen 14. 6. 1990 LAGE TVG § 4 Tarifpluralität Nr. 1, S. 2 (unter 1. der Gründe); Band, Tarifkonkurrenz, S. 26 f., 50; Bepler, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 791 (797 f., 800); ders., bei Bepler/U. Fischer/Ubber, BLJ 2007, 139 (141 f.); Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 90; Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 103 f.; Franzen, RdA 2008, 193 (195); Gamillscheg, KollArbR I, § 17 III. 3. c) (2) (a), S. 753; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 148; A. Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/1, § 33 II. 3., S. 643 und III. 4. c), S. 650 f.; Jacobs, Tarifeinheit, S. 100, 248, 306 f.; Konzen, ZfA 1975, 401 (404, 428, 434, 436); Koop, Tarifvertragssystem, S. 161; Kraft, RdA 1992, 161 (164, 168); ders., FS Zöllner, Band II, S. 831 (832); Nikisch, Arbeitsrecht II, § 86 I. 4., S. 478 und III. 6., S. 486 f.; Rieble, Anm. zu BAG 22. 3. 1994 EzA TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 10, S. 12 (20); Schliemann, NZA Sonderbeilage zu Heft 24/2000, 24 (25); Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (512); Waas, Tarifkonkurrenz, S. 108 f., 114; Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 269 f.; Kempen/Zachert/ Wendeling-Schröder, § 4 Rn. 163, 186; Witzig, Tarifeinheit, S. 15 f., 55 f.; zuletzt Boemke, ZfA 2009, 131 (148); Brecht-Heitzmann, GS Zachert, S. 502 (508 ff.); Franzen, ZfA 2009, 297 (302); Hirdina, NZA 2009, 997, dort Fn. 10. 23 Erstmals deutlich (soweit ersichtlich) Witzig, Tarifeinheit, S. 55 f.; deutlich auch Band, Tarifkonkurrenz, S. 49 f. 24 Jacobs, Tarifeinheit, S. 100, 248, 306 f., 347 und passim; ferner JKO/Jacobs, § 7 Rn. 221; Jacobs, NZA 2008, 325 (327); von einer „gebündelten“ Tarifkonkurrenz spricht jüngst Deinert, NZA 2009, 1176 (1178).
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Teil 1: Einleitung
2. Exklusivität von betriebsweiter Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität? Betriebsweite Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität haben den betrieblichen Bezug gemeinsam. Wie aber verhalten sie sich zueinander? a) Meinungsstand Verbreiteter Auffassung in der Literatur entspricht es, dass im Falle einer betriebsweiten Tarifkonkurrenz keine Tarifpluralität entstehe. Dahingehende Äußerungen finden sich zum einen im allgemeinen tarifrechtlichen Schrifttum: Die „betriebsweite“ Tarifkonkurrenz dürfe nicht mit Tarifpluralität verwechselt werden25; bei einem Zusammentreffen mehrerer Kollektivnormen enthaltender Tarifverträge entstehe stets („betriebsweite“) Tarifkonkurrenz, aber nie Tarifpluralität.26 Zum anderen finden sich entsprechende Stellungnahmen mit Blick auf eine bestimmte Fallkonstellation, nämlich die der Kollision mehrerer Tarifverträge nach § 3 Abs. 1 BetrVG. Gemäß § 3 Abs. 1 BetrVG können Tarifverträge für Unternehmen mit mehreren Betrieben die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats oder die Zusammenfassung von Betrieben bestimmen (Nr. 1), Spartenbetriebsräte etablieren (Nr. 2), andere Arbeitnehmervertretungsstrukturen einführen (Nr. 3) oder zusätzliche betriebsverfassungsrechtliche Gremien oder Vertretungen vorsehen (Nr. 4 und Nr. 5). Tarifverträge nach § 3 BetrVG enthalten nach ganz h. M.27 betriebsverfassungsrechtliche Normen und binden daher nach § 3 Abs. 2 TVG einheitlich im ganzen Betrieb auch die nicht oder anders organisierten Arbeitnehmer.28 Bei einer Kollision mehrerer, nach ihrem Geltungsbe25
Band, Tarifkonkurrenz, S. 50. Band, Tarifkonkurrenz, S. 26 f., 50; A. Lindemann/Simon, BB 2006, 1852 (1857); Schliemann, NZA Sonderbeilage zu Heft 24/2000, S. 24 (25); A. Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 284 a. E.; Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (512); Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 942; s. auch Winzer, Tarifgeltung, S. 14 und deutlicher S. 21, 22; zuletzt Boemke, ZfA 2009, 131 (133); F. Bayreuther, ZfA 2009, 747 (769); Freckmann/K. Müller, BB 2010, 1981 (1982). 27 Abweichend allerdings Eich, FS Weinspach, S. 17 (22, 25, 30); Picker, RdA 2001, 257 (286 f.); dagegen Thüsing, ZIP 2003, 693 (697 f.). 28 s. jüngst BAG 29. 7. 2009 NZA 2009, 1424, unter B. II. 1. und 2. sowie B. II. 4. der Gründe, Rn. 14 f., 25 des Beschlusses; wohl auch schon BAG 6. 6. 2000 AP TVG § 2 Nr. 55 (Oetker), unter B. II. 2. b) aa) (2) der Gründe; aus dem Schrifttum Buchner, FS Wiedemann, S. 211 (214, 226); ErfK/U. Koch, § 3 BetrVG Rn. 1, 2; ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 48; GK-BetrVG/Franzen, § 3 Rn. 33; Friese, ZfA 2003, 237 (240); Giesen, Rechtsgestaltung, S. 290, 292 f., 307, 537 (mit Fn. 124); P. Hanau, ZIP 2001, 1981; ders., FS Bauer, S. 385 (395); P. Hanau/Wackerbarth, FS Ulmer, S. 1303 (1307 f.); Hohenstatt, in: H. J. Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung, Rn. D 181; Hohenstatt/Dzida, DB 2001, 2498 (2500); Jacobs, NZA 2008, 325 (332); Kempen/Zachert/Kempen, § 3 Rn. 26; Klein, Minderheitsgewerkschaften, S. 234; JKO/Krause, § 4 Rn. 78. 26
Kap. 2: Begriffsklärungen
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reich für den Betrieb einschlägiger, den Arbeitgeber bindender Tarifverträge nach § 3 Abs. 1 BetrVG kommt es daher zu einer betriebsweiten Tarifkonkurrenz.29 Auch hier wird die betriebsweite Tarifkonkurrenz von vielen in ein Exklusivitätsverhältnis zur Tarifpluralität gebracht: Tarifpluralität könne bei Tarifverträgen nach § 3 BetrVG nicht entstehen.30 b) Stellungnahme aa) Dass im Falle einer betriebsweiten Tarifkonkurrenz keine Tarifpluralität entstehe, ist aus der Sicht derer konsequent, welche es als Begriffsmerkmal der Tarifpluralität ansehen, dass nicht zugleich eine Tarifkonkurrenz im einzelnen Arbeitsverhältnis vorliegt. In einen Widerspruch gerät aber, wer einerseits – zutreffend – die Ansicht vertritt, Tarifpluralität setze nicht voraus, dass nicht zugleich eine Tarifkonkurrenz im einzelnen Arbeitsverhältnis vorliegt, andererseits aber das Nichtvorliegen einer Tarifpluralität im Falle der betriebsweiten Tarifkonkurrenz damit begründet, bei Tarifpluralität fehle es per definitionem an einer Normenkollision im einzelnen Arbeitsverhältnis.31 Hier wird die Abwesenheit einer Normenkollision im einzelnen Arbeitsverhältnis, welche zuvor als (negative) Voraussetzung einer Tarifpluralität verworfen worden war, doch wieder zum Begriffsmerkmal der Tarifpluralität erhoben, um die These von der Exklusivität von betriebsweiter Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität zu begründen. bb) Das kann nicht überzeugen.32 Auf dem richtigen Weg war demgegenüber Jacobs, dem nicht nur der Begriff der betriebsweiten Tarifkonkurrenz, sondern 29 So – meist ohne Verwendung des Zusatzes „betriebsweit“ – Annuß, NZA 2002, 290 (293); Buchner, FS Wiedemann, S. 211 (214 f.); ErfK/U. Koch, § 3 BetrVG Rn. 2; GK-BetrVG/Franzen, § 3 Rn. 33; Friese, ZfA 2003, 237 (272, 276); Giesen, BB 2002, 1480 (1482 f.); P. Hanau/Wackerbarth, FS Ulmer, S. 1303 (1309); Hohenstatt/Dzida, DB 2001, 2498 (2500); Jacobs, NZA 2008, 325 (332); Kempen, FS Schaub, S. 357 (370 f.); Reichold, RdA 2007, 321 (326 f.); Richardi/Richardi, § 3 Rn. 58; Spinner, ZTR 1999, 546 (548); Trümner, JbArbR 36 (1999), 59 (72); DKK/Trümner, § 3 Rn. 157; Utermark, Organisation der Betriebsverfassung, S. 185; der Sache nach auch F. Bayreuther, NZA 2007, 187 (189). – Zum Ganzen jetzt auch BAG 29. 7. 2009 NZA 2009, 1424, wonach § 3 Abs. 1 BetrVG insb. nicht dahingehend auszulegen ist, dass ein Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 BetrVG zur Vermeidung einer möglichen Tarifkonkurrenz nur von allen Gewerkschaften gemeinsam abgeschlossen werden kann, die für die von seinem Geltungsbereich erfassten betriebsverfassungsrechtlichen Einheiten tarifzuständig sind; zu dieser Entscheidung Bepler, NZA Beilage 3/2010, S. 99 (102 f.); Braun, NZA Beilage 3/2010, S. 108 (108 f.); Dzida, NZA 2010, 80 ff.; Meyer, SAE 2010, 27 ff.; Scharff, BB 2010, 1607 f.; s. in diesem Kontext jetzt auch BAG 9. 12. 2009 NZA 2010, 712, Orientierungssatz 1 sowie B. III. 2. b) bb) (2) (c) der Gründe, Rn. 47 ff. des Urteils; dazu auch Bepler, a. a. O., S. 103. 30 P. Hanau/Wackerbarth, FS Ulmer, S. 1303 (1309); Kempen, FS Schaub, S. 357 (370 f.); DKK/Trümner, 3 Rn. 157; ders., JbArbR 36 (1999), 59 (72); Utermark, Organisation der Betriebsverfassung, S. 186; s. auch Jacobs, NZA 2008, 325 (332). 31 So indes Band, Tarifkonkurrenz, S. 40 f. einerseits, S. 26 f., 50 andererseits. 32 Wie hier Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 93.
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Teil 1: Einleitung
auch die Schaffung eines breiteren Bewusstseins für die Besonderheiten dieser Fallgruppe zu verdanken ist. Auch er aber verrät bei der Beurteilung des Verhältnisses von betriebsweiter Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität noch Unsicherheit. (1) Die zum Verhältnis dieser beiden Erscheinungen zueinander zumeist zitierte Stelle bei Jacobs lautet: „Freilich geht die Reichweite der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis bei Kollektivnormen über das einzelne Arbeitsverhältnis hinaus: Kollektivnormen müssen alle Arbeitsverhältnisse des Betriebs einheitlich gestalten. Es handelt sich um eine ,betriebsweite Tarifkonkurrenz‘, aber nicht um Tarifpluralität: Kollisionsregel ist deshalb die Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis, die allerdings betriebsweit einheitlich gilt, und nicht der umstrittene Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb.“33 An anderen Stellen indes führt Jacobs aus, Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität seien im Falle der betriebsweiten Tarifkonkurrenz „deckungsgleich“34, sie seien hier „vollständig und nicht nur partiell kongruent“35. (2) Richtig kann nur eine der beiden Annahmen sein: Entweder handelt es sich im Falle der betriebsweiten Tarifkonkurrenz nicht zugleich um Tarifpluralität, stehen beide also im Verhältnis der Exklusivität zueinander, oder die beiden Phänomene sind deckungsgleich. Für Exklusivität ließe sich wie gesehen allein das Argument anführen, Tarifpluralität setze in jedem Fall die Abwesenheit gleichzeitiger Tarifkonkurrenzen voraus. Da dies aber als falsch erkannt wurde, ist kein Grund ersichtlich, warum nicht im Falle des Aufeinandertreffens mehrerer Kollektivnormen enthaltender Tarifverträge, an die der Arbeitgeber jeweils tarifgebunden ist, sowohl („betriebsweite“) Tarifkonkurrenz als auch Tarifpluralität vorliegen sollte.36 Hat man einmal akzeptiert, dass Tarifpluralität nicht voraussetzt, 33 Jacobs, Tarifeinheit, S. 248, Hervorhebung nicht im Original; zitiert in diesem Zusammenhang etwa von Band, Tarifkonkurrenz, S. 27, dort Fn. 35; Schliemann, NZA Sonderbeilage zu Heft 24/2000, S. 24 (25, Fn. 15); Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (512, Fn. 36). 34 Jacobs, Tarifeinheit, S. 100; von Deckungsgleichheit spricht auch Dunker, Unternehmensbezogene Tarifverträge, S. 165. 35 Jacobs, Tarifeinheit, S. 347; s. auch S. 379: Bei Kollektivnormen werde die Frage der Tarifkonkurrenz auf den Betrieb projiziert. 36 Ebenso im Ergebnis – ohne Verwendung des Ausdrucks „betriebsweite Tarifkonkurrenz“ – Waas, Tarifkonkurrenz, S. 107; ferner schon Meik, DB 1990, 2522 (2525); Merten, BB 1993, 572 (573) sowie Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1 (5): „. . . überschneiden sich die Problemlagen vollständig“; so wohl auch bereits Mann, BB 1957, 549 (550); andeutungsweise auch schon Schulz, Betriebsnormen, S. 149; s. auch Heß, ZfA 1976, 45 (71); Konzen, ZfA 1975, 401 (431, mit Fn. 178). Richtig an etwas versteckter Stelle auch Thorsten Bauer/Meinel, NZA 2000, 181 (182, dort Fn. 5). Deutlich in anderem Zusammenhang später auch JKO/Jacobs, § 7 Rn. 229; anders aber jetzt wieder Jacobs, NZA 2008, 325 (327): Bei betriebsweiter Tarifkonkurrenz handele es sich nicht um Tarifpluralität; implizit richtig jüngst Brecht-Heitzmann, GS Zachert, S. 502 (508 ff., 519); s. auch Richardi, FS Scholz, S. 337 (346) und dens., Gem. Anm. zu BAG 27. 1. 2010 – 4 AZR 549/08 (A) – und BAG 23. 6. 2010 – 10 AS 2/10, demn. in AP, unter II. 2.
Kap. 2: Begriffsklärungen
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dass nicht gleichzeitig eine Tarifkonkurrenz im einzelnen Arbeitsverhältnis gegeben ist, so kann man die Exklusivitätsthese für das Verhältnis der betriebsweiten Tarifkonkurrenz und der Tarifpluralität nur aufrecht erhalten, wenn man sagte, dass Tarifpluralität auch vorliege, wenn in einzelnen, also nur in einigen Arbeitsverhältnissen gleichzeitig Tarifkonkurrenz gegeben ist, nicht aber, wenn in allen Arbeitsverhältnissen des Betriebs (auch) Tarifkonkurrenz anzunehmen ist. Für eine solche Differenzierung ist aber ein sachlicher Grund nicht erkennbar. cc) Die soeben zitierte Passage bei Jacobs macht allerdings auch deutlich, dass es für die Frage der Auflösungsbedürftigkeit der Tarifkollision in den Fällen der Kollision mehrerer Tarifverträge mit Betriebs-/Betriebsverfassungsnormen allein auf die Tarifkonkurrenz ankommt. Dass hier also tatbestandlich (auch) eine Tarifpluralität gegeben ist, führt nicht etwa dazu, dass die Kollision der Kollektivnormen auf der Grundlage der h. L. und der neuen Rechtsprechung des 4. und des 10. Senats des BAG, welche die Tarifpluralität nicht (mehr) für auflösungsbedürftig hält, hinzunehmen, sprich: nicht zugunsten eines der Tarifverträge aufzulösen ist. Vielmehr ist schließlich nicht nur, sondern auch eine Tarifpluralität, daneben aber eben auch eine („betriebsweite“) Tarifkonkurrenz gegeben. Diese bedarf aufgrund des Prinzips der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis zwingend einer Auflösung. Kollektivnormen müssen alle Arbeitsverhältnisse des Betriebs einheitlich gestalten.37 Ein Nebeneinander verschiedener, nicht koordinierter Tarifverträge kommt insoweit nicht in Betracht.38 Auch wenn man also das Prinzip der Tarifeinheit bei Tarifpluralität ablehnt, kommt man nicht umhin, hier die ebenfalls bestehenden Tarifkonkurrenzen nach dem Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis aufzulösen. Da dieser freilich wegen der notwendig einheitlichen Geltung von Kollektivnormen betriebsweit einheitlich anzuwenden ist39, entfällt im Ergebnis hinsichtlich der Kollektivnormen auch die Tarifpluralität, denn in allen Arbeitsverhältnissen gelten im Ergebnis die gleichen Kollektivnormen des gleichen Tarifvertrags. Im Ergebnis kommt es also hinsichtlich der Kollektivnormen zur betrieblichen Tarifeinheit, aber nicht als Konsequenz der Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb.40 Damit lässt die Einsicht in die Besonderheiten der betriebsweiten Tarifkonkurrenz viele Probleme, die fälschlicherweise der Tarifpluralität zugeschrieben werden, entfallen.41 Manch „rechtliche oder praktische Schwierigkeit“, welche der Freigabe von Tarifpluralitäten entgegenstehen soll, erweist sich mit dieser Einsicht als reines Scheinproblem.
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s. nochmals Jacobs, Tarifeinheit, S. 248. Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (512); s. jetzt auch BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) cc) (2) (b) der Gründe, Rn. 57 des Beschlusses. 39 Vgl. Jacobs, Tarifeinheit, S. 248. 40 Im Ergebnis richtig daher auch Winzer, Tarifgeltung, S.14 (Hervorhebung nicht im Original): Das Problem der Tarifpluralität trete bei Betriebsnormen nicht auf. 41 Jacobs, NZA 2008, 325 (327). 38
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Teil 1: Einleitung
Soweit es daher in der Literatur heißt, Tarifpluralität sei in den Fällen der betriebsweiten Tarifkonkurrenz nicht möglich, ist das nur dann richtig, wenn man es wie folgt versteht: Tarifpluralität liegt zwar in jedem Fall betriebsweiter Tarifkonkurrenz tatbestandlich vor, im Ergebnis aber kann es nicht bei einem Nebeneinander der verschiedenen Kollektivnormen aus unterschiedlichen Tarifverträgen bleiben. Es ist also gleichsam zwischen Tarifpluralität als rechtlichem Tatbestand und Tarifpluralität als tatsächlichem Zustand zu unterscheiden42; nur im ersteren Sinne ist in den Fällen der betriebsweiten Tarifkonkurrenz auch eine Tarifpluralität gegeben.43 In der Sache unterscheidet sich auch die Stellungnahme des Vorsitzenden des für das Tarifrecht zuständigen 4. Senats des BAG Bepler nicht von den hiesigen Ausführungen. Nach Bepler passen beim Zusammentreffen von Betriebs- und betriebsverfassungsrechtlichen Normen verschiedener Tarifverträge die Begriffe der Tarifpluralität und der Tarifkonkurrenz beide „nicht wirklich“; in der Sache geht aber auch er davon aus, dass hier eine Situation vorliegt, die einerseits herkömmlich der Tarifpluralität zugeordnet wird, in der andererseits aber wegen § 3 Abs. 2 TVG anders als bei der Pluralität von Inhaltsnormen ein Nebeneinander der Tarifnormen ebenso wie bei der „Tarifkonkurrenz im engeren Sinne“ ausgeschlossen ist.44 Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, dass von der Frage nach dem „Ob“ der Auflösung der betriebsweiten Tarifkonkurrenz – und damit im Ergebnis auch der Tarifpluralität – die Frage nach dem „Wie“ zu unterscheiden ist. Über die Kriterien, nach denen eine – sei es einfache, sei es betriebsweite – Tarifkonkurrenz aufzulösen, also zu entscheiden ist, welcher der konkurrierenden Tarifverträge Vorrang genießt und daher allein anwendbar ist, besagt das Prinzip der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis nämlich nichts.45 Zugunsten welchen Tarifvertrages speziell eine betriebsweite Tarifkonkurrenz, also die Kollision von Betriebs- und/oder betriebsverfassungsrechtlichen Normen, aufzulösen ist, ist umstritten. Die heute wohl h. L. wendet hier, anders als bei Individualnormen, nicht das Spezialitäts-, sondern das Mehrheitsprinzip an.46 Eine eigene Stellung42 Zum Verständnis der Tarifpluralität als tatsächlicher Zustand s. auch Wiedemann/ Arnold, ZTR 1994, 443 (444); s. auch Winzer, Tarifgeltung, S. 9 zur Unterscheidung von Tatbestand und Rechtsfolge einer Tarifpluralität. 43 In diese Richtung lassen sich einige der Stellungnahmen zum Zusammentreffen mehrerer Tarifverträge nach § 3 Abs. 1 BetrVG verstehen, vgl. Kempen, FS Schaub, S. 357 (370); Trümner, JbArbR 36 (1999), 59 (72); ferner Giesen, BB 2002, 1480 (1483) sowie Richardi/Richardi, § 3 Rn. 58; s. auch Friese, ZfA 2003, 237 (272, dort Fn. 159) und allgemein jetzt Boemke, ZfA 2009, 131 (148). 44 Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (113; s. auch S. 122); als Beispiel nennt Bepler (a. a. O., S. 113) § 3 BetrVG. 45 Statt aller Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 294; Wank, FS ZVK-Bau, S. 141 (157). 46 Etwa Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 48; Franzen, RdA 2008, 193 (199); HWK/Henssler, § 4 TVG Rn. 59; Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 151;
Kap. 2: Begriffsklärungen
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nahme zu dieser tarifkonkurrenzrechtlichen Frage ist im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht angezeigt.47 Ihr Hauptinteresse gilt nicht der Frage, wie Tarifkollisionen, so sie denn – wie die durch ein Aufeinandertreffen von Kollektivnormen i. S. d. § 3 Abs. 2 TVG entstehende betriebsweite Tarifkonkurrenz – der Auflösung bedürfen, aufzulösen sind, sondern der Frage, wie sich die hingenommene, d. h. gerade nicht aufgelöste Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung integrieren lässt. III. Tarifkonkurrenz als Sonderfall der Tarifpluralität Geht man mit der hiesigen Konzeption davon aus, dass Tarifpluralität nicht voraussetzt, dass nicht zugleich eine Tarifkonkurrenz im einzelnen Arbeitsverhältnis zu verzeichnen und dass ferner im Fall der betriebsweiten Tarifkonkurrenz stets auch (tatbestandlich) eine Tarifpluralität anzunehmen ist, so wird deutlich, dass letztlich alle Fälle einer Tarifkonkurrenz zugleich auch solche einer Tarifpluralität sind.48 Tarifkonkurrenz ist demnach ein Sonderfall der Tarifpluralität, der dadurch gekennzeichnet ist, dass mehrere Tarifverträge in demselben Betrieb für einzelne oder alle49 Arbeitsverhältnisse gelten.50
MüArbR/Rieble/Klumpp, § 186 Rn. 30; Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, § 4 Rn. 186; Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 935; grundsätzlich auch Jacobs, Tarifeinheit, S. 309 ff. (mit Ausnahmen für einzelne Konstellationen); zuletzt Deinert, NZA 2009, 1176 (1179); Greiner, Rechtsfragen, S. 361, 403, 481 f.; Klebe, AuR 2010, 137; ders., Mitbestimmung 5/2010, S. 44 (45); Koop, Tarifvertragssystem, S. 185 f.; Oetker, NZA Beilage 1/2010, S. 13 (30); A. Stein, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 35 (54, 55); für grundsätzliche Auflösung nach dem Mehrheitsprinzip jetzt auch Brecht-Heitzmann, GS Zachert, S. 502 (512 f.), der bei unklaren Mehrheitsverhältnissen auf die Spezialität abstellen will; anders (mit differenzierender Lösung) Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 299g, 299h; für Anwendung des Spezialitätsprinzips jüngst E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 304. – Das BAG hat kürzlich offen gelassen, ob an der Auflösung einer Tarifkonkurrenz nach dem Spezialitätsprinzip bei einer Kollision tariflicher Betriebsnormen weiter festzuhalten sei und dabei die zunehmende Unterstützung, die das Majoritäts- oder Repräsentationsprinzip in der Literatur findet, ebenso erwähnt wie die auf diesem Prinzip aufbauende Regelung des § 7 Abs. 2 AEntG n. F., s. BAG 9. 12. 2009 NZA 2010, 712, Orientierungssatz 3 sowie B. III. 2. b) bb) (2) (c) (bb) der Gründe, Rn. 49 des Urteils. 47 Zur Ausklammerung tarifkonkurrenzrechtlicher Fragen aus dem Untersuchungsgegenstand s. bereits oben Teil 1, Kapitel 1, unter B. V. 48 Zutreffend Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 92; Waas, Tarifkonkurrenz, S. 108; ebenso schon Fenn, FS Kissel, S. 213 (214): „. . . die bei jeder Tarifkonkurrenz bestehende Tarifpluralität auf Betriebsebene . . .“. 49 So im Fall der betriebsweiten Tarifkonkurrenz; ausdrücklich wie hier Meik, DB 1990, 2522 (2525). 50 B. Müller, NZA 1989, 449 (450), allerdings im Widerspruch zum (unzutreffenden) vorhergehenden Satz (S. 449 f.); s. ferner Danne, Anm. zu BAG 4. 9. 1996 SAE 1998, 111 (112, mit Fn. 4); Meik, DB 1990, 2522 (2525).
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Teil 1: Einleitung
Dass Tarifkonkurrenz ein besonderer Fall der Tarifpluralität ist, kommt auch zum Ausdruck, wenn die Tarifkonkurrenz als „Tarifkonkurrenz i. e. S.“ bezeichnet wird.51 Oberbegriff wäre dann die „Tarifkonkurrenz“, welche sich aufgliedern ließe in „Tarifkonkurrenz i. e. S.“ und „Tarifkonkurrenz i. w. S. (= Tarifpluralität)“. Dies zeigt das Verhältnis von Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, welches sich bildlich als das zweier konzentrischer Kreise darstellen lässt: Tarifkonkurrenz
Tarifpluralität
Das Bild von den konzentrischen Kreisen, deren „äußerer“ die Tarifpluralität und deren „innerer“ Kreis die Tarifkonkurrenz darstellt, verdeutlicht das Verhältnis von Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität zueinander gleichsam in beide Richtungen. Tarifpluralität verlangt nur, dass der Arbeitgeber an mehrere einschlägige Tarifverträge gebunden und an jeden dieser mehreren Tarifverträge jeweils mindestens ein Arbeitnehmer seines Betriebs gebunden ist. Nicht bei jeder Tarifpluralität liegt also auch eine Tarifkonkurrenz vor. Bei jeder Tarifkonkurrenz aber sind die Voraussetzungen der Tarifpluralität erfüllt (Tarifkonkurrenz als Sonderfall der Tarifpluralität52), selbst dann, wenn es zu einer echten Normenkollision nur in einem einzigen Arbeitsverhältnis kommt: Die Voraussetzungen auf der Arbeitnehmerseite (Tarifgebundenheit mindestens eines Arbeitnehmers an jeden der 51 So etwa Wiedemann/Wank, TVG, § 4 Rn. 264; s. auch HWK/Henssler, § 4 TVG Rn. 46; ferner F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 350, der „Tarifkonkurrenz“ als Oberbegriff benutzt und diesen zerfallen lässt in „echte Tarifkonkurrenz“ und Tarifpluralität; ebenso bereits Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Überschrift vor Rn. 1795 sowie Rn. 1803 („echte Tarifkonkurrenz“). 52 Ebenso Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 92; Danne, Anm. zu BAG 4. 9. 1996 SAE 1998, 111 (112); Fenn, FS Kissel, S. 213 (214); Meik, DB 1990, 2522 (2525); B. Müller, NZA 1989, 449 (450); Waas, Tarifkonkurrenz, S. 108; s. aber demgegenüber jüngst E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 303: „Wesensverschiedenheit“ von Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität.
Kap. 2: Begriffsklärungen
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Tarifverträge) sind hier eben in der Person eines und desselben Arbeitnehmers erfüllt.
C. Tarifmehrheit Eingeführt werden soll schließlich noch der in der Arbeit an verschiedenen Stellen verwandte Begriff der Tarifmehrheit. Vielfach wird er, wogegen auch nichts einzuwenden ist, synonym mit dem Begriff der Tarifpluralität benutzt53, hier aber wird darunter etwas anderes verstanden, und zwar der Fall, dass ein Betrieb oder ein Arbeitsverhältnis vom Geltungsbereich mehrerer Tarifverträge erfasst wird, unabhängig von der Tarifbindung des Arbeitgebers oder des Arbeitnehmers an einen oder beide (alle) der Tarifverträge. Tarifmehrheit liegt also vor, wenn ein Betrieb oder ein Arbeitsverhältnis in den Geltungsbereich mehrerer Tarifverträge fällt und nur der Arbeitgeber an einen oder an beide (alle) Tarifverträge gebunden ist54, wenn nur der Arbeitnehmer an einen oder an beide (alle) Tarifverträge gebunden ist und auch, wenn weder auf Arbeitgeber- noch auf Arbeitnehmerseite (einfache oder mehrfache) Tarifbindung besteht. Die Tarifmehrheit kann also, muss aber keine Tarifpluralität (und Tarifkonkurrenz) sein. Der Begriff der Tarifmehrheit ist demnach der weiteste unter den Begriffen Tarifmehrheit, Tarifkollision, Tarifpluralität und Tarifkonkurrenz. Die Tarifmehrheit ist kein (neben Tarifpluralität und Tarifkonkurrenz) weiterer Fall der Tarifkollision; der Begriff der Tarifkollision erfasst als Oberbegriff nur die Tarifkonkurrenz und die Tarifpluralität. Vielmehr ist der Begriff der Tarifmehrheit der Oberbegriff der höchsten Stufe, da er nur die Einschlägigkeit mehrerer Tarifverträge nach ihrem jeweiligen Geltungsbereich voraussetzt und damit sowohl die Tarifkonkurrenz als auch die Tarifpluralität, daneben aber auch Fälle erfasst, in denen es zu einer Kollision von Tarifverträgen weder auf der Ebene des Betriebs (Bezugsebene der Tarifpluralität) noch auf der des Arbeitsverhältnisses (Bezugsebene der Tarifkonkurrenz) kommt. Bildlich stellt die Tarifmehrheit demnach für das hiesige Begriffsverständnis den weitesten, äußeren Kreis dar, innerhalb dessen sowohl der Begriffskreis der 53 Etwa Franzen, RdA 2001, 1 (7); ders., RdA 2008, 193; ders., ZfA 2009, 297 (298); ErfK/Franzen, § 4 TVG Rn. 70; Gamillscheg, KollArbR I, § 17 III. 3. c) (1) (a), S. 750; Melot de Beauregard, NZA-RR 2007, 393 (395); Rüthers, FAZ vom 20. 7. 2007, S. 12; ders., myops 2/2008, 57 (65). 54 Im letzten Fall, bei Tarifbindung des Arbeitgebers an beide (alle) Tarifverträge, kann die Tarifmehrheit aber zugleich auch Tarifpluralität (und Tarifkonkurrenz) sein, dann nämlich, wenn beide (alle) Tarifverträge (auch) Rechtsnormen über betriebliche und/oder betriebsverfassungsrechtliche Fragen i. S. d. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG enthalten; da hier § 3 Abs. 2 TVG die Tarifbindung des Arbeitgebers für die Tarifgeltung ausreichen lässt, entsteht im Falle mehrfacher arbeitgeberischer Tarifgebundenheit eine („betriebsweite“) Tarifkonkurrenz, die richtigerweise (wie jede Tarifkonkurrenz) zugleich auch Tarifpluralität ist.
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Teil 1: Einleitung
Tarifpluralität als auch der der Tarifkonkurrenz (also alle Fälle der Tarifkollision, aber eben nicht nur diese Fälle) liegen: Tarifkonkurrenz Tarifkollisionen Tarifpluralität Tarifmehrheit
D. Zusammenfassung Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität können zusammengefasst werden unter dem Begriff „Tarifkollisionen“. Zueinander verhalten sie sich wie zwei konzentrische Kreise: Tarifkonkurrenz ist ein Sonderfall der Tarifpluralität. Bei jeder Tarifkonkurrenz ist zugleich eine Tarifpluralität gegeben; dagegen stellt nicht vice versa auch jede Tarifpluralität eine Tarifkonkurrenz dar. Tarifpluralität setzt insbesondere nicht voraus, dass nicht gleichzeitig eine Tarifkonkurrenz (Tarifnormenkollision im einzelnen Arbeitsverhältnis) vorliegt. Vielmehr verlangt Tarifpluralität nur, dass der Arbeitgeber an mehrere ihrem Geltungsbereich nach einschlägige Tarifverträge gebunden und dass an mindestens zwei dieser mehreren Tarifverträge jeweils mindestens ein Arbeitnehmer seines Betriebs gebunden ist. Eine Tarifpluralität ist damit schon dann gegeben, wenn es nur in einem einzigen Arbeitsverhältnis des Betriebs zu einer Tarifkonkurrenz (Normenkollision auf der Ebene des Arbeitsverhältnisses) kommt. Die Voraussetzungen auf Arbeitnehmerseite (Tarifgebundenheit mindestens eines Arbeitnehmers an beide/mindestens zwei der mehreren Tarifverträge) sind hier in der Person eines und desselben Arbeitnehmers erfüllt. Aber auch in dem gleichsam entgegengesetzten Extremfall, in dem nicht lediglich in einem Arbeitsverhältnis, sondern in allen Arbeitsverhältnissen des Betriebs eine (Kollektiv-)Normenkollision eintritt („betriebsweite“ Tarifkonkurrenz), liegt zugleich auch eine Tarifpluralität vor. Die in weiten Teilen der Literatur vertretene Exklusivitätsthese zum Verhältnis der betriebsweiten Tarifkonkurrenz zur
Kap. 2: Begriffsklärungen
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Tarifpluralität ist nicht haltbar. Vom tatbestandlichen Vorliegen einer Tarifpluralität ist in diesem Fall freilich der tatsächliche Zustand eines Nebeneinanders unterschiedlicher Tarifverträge im Betrieb zu unterscheiden: Obwohl Tarifpluralitäten als solche nach h. L. und nunmehr auch nach der Rechtsprechung des 4. und des 10. Senats des BAG nicht auflösungsbedürftig sind, kann die Tarifpluralität (hinsichtlich der Kollektivnormen55) hier im Ergebnis keinen Bestand haben. Sie fällt der zwingend gebotenen Auflösung der zugleich gegebenen betriebsweiten Tarifkonkurrenz durch betriebsweit einheitliche Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis zum Opfer. Von den Begriffen der Tarifkollision, der Tarifpluralität und der Tarifkonkurrenz ist nach dem dieser Untersuchung zugrunde liegenden Sprachgebrauch der Begriff der Tarifmehrheit zu unterscheiden. Er ist der Oberbegriff der höchsten Stufe, der alle Fälle der Tarifkollision, also sowohl die Tarifkonkurrenz als auch die Tarifpluralität umfasst, daneben aber auch weitere Fälle, in denen weder auf der Betriebsebene noch im einzelnen Arbeitsverhältnis Tarifverträge konkret kollidieren. Die Tarifmehrheit setzt vielmehr allein an die Einschlägigkeit mehrerer Tarifverträge, also die Eröffnung mehrerer tariflicher Geltungsbereiche für ein Arbeitsverhältnis oder einen Betrieb an.
55 Davon zu trennen ist die sich auf der Grundlage der h. L. und der neuen BAGRechtsprechung stellende Frage, ob dann, wenn kollidierende Tarifverträge sowohl Kollektiv- als auch Individualnormen enthalten, die Tarifverträge entlang der Grenze von Kollektiv- (insoweit: Entstehung einer betriebsweiten Tarifkonkurrenz, Auflösung nach dem Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis) und Individualnormen (insoweit: hinzunehmende Tarifpluralität) „aufgespalten“ werden können, ob also im Ergebnis hinsichtlich der Kollektivnormen nur einer der verschiedenen Tarifverträge – betriebsweit – Anwendung findet, hinsichtlich der Individualnormen aber mehrere Tarifverträge parallel im Betrieb Anwendung finden können; s. dazu noch unten Teil 4, unter B. II. 1. b) aa).
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Teil 1: Einleitung
Kapitel 3
Neue Ansätze zur Begründung der Tarifeinheit bei Tarifpluralität A. Einführung Während die Arbeitsrechtslehre einst nahezu geschlossen gegen die Rechtsprechung des BAG zur Tarifeinheit bei Tarifpluralität opponierte1, war in der Literatur im Vorfeld der nunmehr vom 4. und vom 10. Senat vollzogenen Rechtsprechungsänderung eine gewisse Gegenbewegung eingetreten.2 In Hinsicht auf die Begründung, die für die Notwendigkeit der Herstellung betrieblicher Tarifeinheit im Wege der Tarifverdrängung gegeben wird, stechen die Ansätze von Heinze/ Ricken und von Kempen hervor, die versuchen, die Tarifeinheit auf ein gegenüber der mehr oder minder pauschalen Berufung der früheren BAG-Rechtsprechung auf „rechtliche und tatsächliche Schwierigkeiten“ tragfähigeres argumentatives Fundament zu stellen. Äußerst beachtenswert ist des Weiteren der von Greiner erarbeitete Ansatz einer dynamisch-repräsentativen Tarifeinheit.3 Dieser sieht eine Tarifeinheit nicht mehr nach dem Spezialitäts-, sondern nach dem Mehrheitsprinzip vor, wobei Bezugspunkt der Tarifeinheit nicht länger der Betrieb, sondern entweder der Geltungsbereich des engsten der kollidierenden Tarifverträge oder, für Greiner tendenziell vorzugswürdig4, die speziellste satzungsmäßige Tarifzuständigkeit der 1 Die (nunmehr: frühere) BAG-Rechtsprechung wurde in der älteren Literatur gestützt von H. Koch, Zusatzversorgungskasse, Rn. 203 ff.; Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1 ff. (teilweise anders jetzt JKO/Oetker, § 6 Rn. 102 sowie Oetker, NZA Beilage 1/2010, S. 13 [19 ff., 23 f., 25 ff.]). 2 Von einer „Trendwende“ in der neueren literarischen Diskussion sprach jüngst Oetker, NZA Beilage 1/2010, S. 13 (17). Das Prinzip der Tarifeinheit im Betrieb wurde zuletzt, teils modifiziert, neben den in Fn. 1 Genannten auch gestützt von Berg/Platow/ Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 58 ff.; Buchner, BB 2003, 2121 ff.; dems., FS 50 Jahre BAG, S. 631 ff.; Dunker, Unternehmensbezogene Tarifverträge, S. 174 ff., 231, 252 f., 284; Feudner, BB 2007, 2459 ff.; dems., Anm. zu BAG 18. 4. 2007 RdA 2008, 301 (303 f.); Giesen, NZA 2009, 11 (12 ff.); Göhner, FS Bauer, S. 351 (354 f., 356 ff.); Greiner, Rechtsfragen, S. 310, 337 ff., 348 ff.; Heinze/Ricken, ZfA 2001, 159 (173 ff.); Hromadka, GS Heinze, S. 383 ff.; dems., NZA 2008, 384 ff.; dems., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 124 ff.; Hunold, NZA 2007, 1037 f.; Kempen, FS Hromadka, S. 177 ff.; Meyer, DB 2006, 1271 ff.; dems., NZA 2006, 1387 ff.; Sunnus bei Kalb, RdA 2007, 379 (381); Wallisch, FS Löwisch, S. 427 ff.; s. auch Nielebock, FS ZVKBau, S. 107 (110 ff.) sowie J.-H. Bauer, NZA 2009, 359 und jüngst Benecke, FS Buchner, S. 96 sowie Scholz, FS Buchner, S. 827 (828 ff.) und MüArbR/Ricken, § 200 Rn. 30. Vgl. jetzt auch die Aufstellungen bei F. Bayreuther, ZfA 2009, 747 (748, dort Fn. 2) und bei BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. c) der Gründe, Rn. 42 des Beschlusses. 3 Greiner, Rechtsfragen, S. 310, 337 ff., 348 ff. 4 Greiner, Rechtsfragen, S. 356 f., 365.
Kap. 3: Neue Ansätze zur Begründung der Tarifeinheit bei Tarifpluralität
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konkurrierenden Gewerkschaften sein soll („tarifzuständigkeitsbasierte dynamisch-repräsentative Tarifeinheit“5). Äußerster Rahmen für die Herstellung von Tarifeinheit soll aber in jedem Fall das Unternehmen sein. Außerhalb des dynamischen Rahmens der Tarifeinheit soll der „allgemeinere“ Tarifvertrag Anwendung finden.6 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit diesem erst kürzlich publizierten Vorschlag Greiners kann hier nicht erfolgen, scheint aber vor dem Hintergrund des Gegenstandes der vorliegenden Untersuchung auch nicht zwingend angezeigt. Denn während Heinze und Ricken sowie Kempen, wie sogleich noch näher darzustellen sein wird, das bisherige Dogma der Tarifeinheit in einem Betrieb für durch einfaches Gesetzesrecht (so Heinze/Ricken) oder sogar Verfassungsrecht (so Kempen) zwingend vorgegeben halten, sieht Greiner – wie sich zeigen wird: mit Recht – weder eine einfachrechtliche Grundentscheidung zugunsten der betrieblichen Tarifeinheit7, noch gibt es seiner Ansicht nach gar ein grundrechtliches, namentlich aus dem in Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich fundierten Gedanken der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems8 folgendes Gebot zur Herstellung der Tarifeinheit9. Vielmehr lässt sich seines Erachtens auch die Grundentscheidung zugunsten der Akzeptanz der Tarifpluralität auf verfassungsrechtlich tragfähige Erwägungen stützen10 und stehen daher für die künftige Rechtsentwicklung mit der vollen Akzeptanz der Tarifpluralität auf der einen sowie dem von ihm bevorzugten Konzept einer dynamisch-repräsentativen Tarifeinheit auf der anderen Seite zwei gleichermaßen legitime Alternativen zur Auswahl11. Anders als die Überlegungen von Heinze und Ricken sowie von Kempen stellen daher die Untersuchungsergebnisse Greiners die hier aufgestellte Ausgangsthese, dass sich die Tarifpluralität unter Beachtung der sich aus dem jeweiligen systematischen und teleologischen Zusammenhang der einschlägigen verfassungs-, gesetzes- und richterrechtlichen Vorgaben ergebenden Anpassungen und Neuorientierungen ohne „Brüche“ stimmig in das System der Arbeitsrechtsordnung einpassen lässt12, nicht in Frage. Vielmehr stellen sich die Folgefragen, wel5
Greiner, Rechtsfragen, S. 355 f. Greiner, Rechtsfragen, S. 350 (Fn. 653) vergleicht sein Modell mit der britischen Rechtslage einer Tarifeinheit in der Verhandlungseinheit (bargaining unit); s. dazu auch noch unten Teil 5 Fn. 385. 7 Greiner, Rechtsfragen, S. 151 (mit Fn. 667), 275 ff. 8 Dazu insbesondere Wank, FS ZVK-Bau, S. 141 ff. 9 Greiner, Rechtsfragen, S. 278, 359; gegen ein verfassungsrechtliches Gebot zur Herstellung von Tarifeinheit nun auch BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) ee) (4) (a) (bb) der Gründe, Rn. 90 ff. des Beschlusses. 10 Greiner, Rechtsfragen, S. 338. 11 Greiner, Rechtsfragen, S. 542. 12 s. zu dieser Ausgangsthese oben Teil 1, Kapitel 1, unter B. IV. 3. 6
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Teil 1: Einleitung
che die nunmehr vollzogene13 Aufgabe des bisherigen Rechtsprechungskonzepts aufwirft und zu deren Lösung die vorliegende Untersuchung entlang dem Leitgedanken der „Einpassung in das System der Arbeitsrechtsordnung“ beizutragen versucht, vom Boden einer Lehre der dynamisch-repräsentativen Tarifeinheit aus im Wesentlichen in gleicher Weise, wie sie sich unter der Prämisse der konsequenten Freigabe von Tarifpluralitäten stellen.14 Demgegenüber stehen die neueren Begründungsansätze für die Tarifeinheit von Heinze/Ricken und Kempen der hier formulierten Ausgangsthese diametral entgegen. Ihnen muss sich die Untersuchung deshalb eingehend widmen. Dazu sollen die jeweiligen Argumentationslinien hier zunächst nur kurz vorgestellt werden. Die eigentliche Auseinandersetzung mit ihnen findet im weiteren Verlauf der Untersuchung statt. Die durch die schrittweise Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung gewonnenen Ergebnisse sind im jeweiligen Zusammenhang mit den neueren Thesen der Gegenansicht abzugleichen.
B. Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität als Fall zulässiger Grundrechtsausgestaltung? (Kempen) Kempen ist vor kurzem der Frage nachgegangen, ob die einheitliche Tarifanwendung innerhalb eines betrieblichen Arbeitsfeldes „schon aus (verfassungs-) rechtlichen Gründen geboten sein sollte“.15 Im Ergebnis bejaht er die Frage.16 Damit versucht Kempen, die erzwungene Tarifeinheit im Betrieb verfassungsrechtlich zu verankern, während, wie Peter Hanau bemerkt17, das BAG einen solchen Versuch nicht unternommen, sondern die Tarifeinheit „neben oder sogar gegen die Koalitionsfreiheit gestellt“ hatte.18
13 s. BAG (4. Senat) 27. 1. 2010 NZA 2010, 645 und BAG (10. Senat) 23. 6. 2010 NZA 2010, 778. 14 Ausführliche Untersuchung der Folgefragen daher auch bei Greiner, Rechtsfragen, S. 367 ff.; dazu, dass sich diese Fragen beim Wechsel zu einer dynamisch-repräsentativen Tarifeinheit und bei vollständiger Akzeptanz der Tarifpluralität im Wesentlichen in gleicher Weise stellen, s. exemplarisch für die arbeitskampfrechtlichen Konsequenzen Greiner, a. a. O., S. 357, 426. 15 Kempen, FS Hromadka, S. 177 ff. (Zitat S. 178). 16 s. bereits zuvor Kempen, FS ZVK-Bau, S. 77 (82) sowie dens., FS 50 Jahre BAG, S. 733 (741 f.). Im Ergebnis gelangt auch Feudner, Anm. zu BAG 18. 4. 2007 RdA 2008, 301 (303 f.) zu einer verfassungsrechtlich gebotenen betrieblichen Tarifeinheit; ebenso zuletzt noch Brocker, NZA Beilage 3/2010, S. 121 (126). 17 P. Hanau, RdA 2008, 98 (99). 18 s. zur verfassungsrechtlichen Dogmatik des Grundsatzes der Tarifeinheit jetzt auch Engels, RdA 2008, 331 ff.
Kap. 3: Neue Ansätze zur Begründung der Tarifeinheit bei Tarifpluralität
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I. Darstellung der Argumentation 1. Kempen setzt bei der heute weitgehend anerkannten Unterscheidung zwischen Grundrechtseingriff und Grundrechtsausgestaltung an.19 Für die Frage nach der Zulässigkeit des Prinzips der Tarifeinheit sei wesentlich, wie die danach im Fall von Tarifpluralität eintretende Verdrängung von Tarifverträgen zu qualifizieren sei: Verstehe man das mit der überwiegenden Meinung als einen Eingriff in die positive Koalitionsfreiheit der „verdrängten“ Tarifparteien, ohne den die Rechtssicherheit und die Rechtsklarheit der tariflichen Arbeitsbeziehungen aber nicht unheilbar zerrüttet würden, dann wäre der Tarifeinheitsgrundsatz verfassungswidrig. Sehe man hierin jedoch nur eine richterrechtliche Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit, welche zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie dringend erforderlich sei, dann handele es sich um ein wirksames Tarifrechtsprinzip.20 2. Für die Abgrenzung zwischen Ausgestaltung und Eingriff knüpft Kempen an Ausführungen Dieterichs an21, der freilich selbst durch die Rechtsprechung des BAG zur Tarifeinheit bei Tarifpluralität die Grenze richterrechtlicher Ausgestaltung der Tarifautonomie überschritten sah22. Kempen modifiziert die Abgrenzungsbemühungen Dieterichs. Die Tarifeinheit im Betrieb ist danach Ausgestaltung und nicht Einschränkung der Koalitionsfreiheit, wenn sie der – von Kempen aus „dem in Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG normierten eigenständigen Schutzauftrag“ entnommenen – staatlichen Schutzpflicht für die Tarifautonomie unterfällt; das wiederum sei dann der Fall, wenn das Tarifvertragssystem ohne Tarifeinheitsprinzip funktionell gestört und deshalb defizitär werden würde.23 3. Erforderlich sei daher eine nähere Bestimmung der Funktion der Koalitionsund Tarifautonomie. Kempen geht aus von der Rechtsprechung des BVerfG24, nach welcher die Tarifautonomie die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln 19 Seinem Ansatz folgend Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 58a ff. 20 Kempen, FS Hromadka, S. 177 (179 f.). Auf die Funktionsfähigkeit des Tarifsystems rekurrierend auch schon Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1 (11 ff.); s. auch Buchner, BB 2003, 2121 (2127 f.); dens., ZfA 2004, 229 (251); dens., FS 50 Jahre BAG, S. 631 (641); dens., BB 2007, 2520 und schon dens., FS Kissel, S. 97 (103 ff.); Dunker, Unternehmensbezogene Tarifverträge, S. 201 ff.; Giesen, NZA 2009, 11 (13 ff.); Meyer, NZA 2006, 1387 (1389 f.); dens., FS Adomeit, S. 459 (466); Wallisch, FS Löwisch, S. 427 (435, 444 f.); zuletzt Oetker, NZA Beilage 1/2010, S. 13 (21, 27 ff.). 21 s. ErfK/Dieterich, 7. Aufl. 2007 (diese wird von Kempen zitiert), Art. 9 GG Rn. 80, 83 (aktuell: 10. Aufl. 2010, Art. 9 GG Rn. 83, 86); Kritik am Ansatz Dieterichs bei Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung, S. 160. 22 ErfK/Dieterich, Art. 9 GG Rn. 85 und auch schon (die von Kempen zitierte) 7. Aufl. 2007, Art. 9 GG Rn. 82. 23 Kempen, FS Hromadka, S. 177 (180 f.). 24 s. BVerfG 26. 6. 1991 BVerfGE 84, 212 (229); 4. 7. 1995 BVerfGE 92, 365 (395).
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Teil 1: Einleitung
ausgleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Löhne und Arbeitsbedingungen ermöglichen soll.25 Die damit verbundene Intention der Umwandlung von marktförmig individueller Unsicherheit in kollektive Regelungsfähigkeit durch verbandliche Selbstorganisation setze zwingend voraus, dass die (tarifliche) Kollektivordnung vor abweichenden individuellen Vertragsgestaltungen geschützt werde26; dieser Vorrang der Kollektiv- vor der Individualebene werde über die in § 4 Abs. 1 TVG festgelegte und verfassungsrechtlich funktional geschützte Normwirkung tarifvertraglicher Bestimmungen verwirklicht.27 Im Anschluss an Ladeur28 sieht Kempen damit die Zentralfunktion des Art. 9 Abs. 3 GG in der rechtlichen Regelung der Kollision zweier unterschiedlich abgestützter Regelsysteme, namentlich der individualrechtlichen und der kollektiven Ordnungsbildung; zentrale Funktion von Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie sei daher die Ausgestaltung der tariflichen Verfahren und die Sicherung des Vorrangs der so geschaffenen kollektiven Ordnungen.29 Da der Staat aufgrund seiner „quasi prozessleitenden Aufgabe“ die Funktionsfähigkeit des Regelsystems der Tarifautonomie verfahrensmäßig zu erhalten und anzupassen habe30, unterfalle die Tarifeinheit im Betrieb seiner Schutzpflicht für die Tarifautonomie und stelle daher richterliche Ausgestaltung der koalitionsgrundrechtlichen Tarifautonomie dar, wenn sich die Auflösung von Tarifpluralität durch Herstellung von Tarifeinheit als eine wesentliche Kollisionsregel zur Realisierung dieses kollektiven Ordnungsprinzips erweisen sollte; in der Folge entfalle ein Eingriff in die positive Koalitionsfreiheit der Parteien aller nachrangigen Tarifverträge und ihrer Mitglieder.31 4. Um darzutun, dass die Durchsetzung von Tarifeinheit zur Sicherung des Vorrangs der kollektiven gegenüber der individuellen Regelungsebene erforderlich ist, seien die vom BAG angeführten betriebspolitischen Schwierigkeiten nicht ausreichend32; entscheidend könnten nicht Gesichtspunkte der betrieblichen Praktikabilität, sondern müsse die Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems sein.33 Allerdings verhindere die Geltung mehrerer unterschiedlicher Tarifver25
Kempen, FS Hromadka, S. 177 (181). Mit diesem Ansatz auch Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 58b. 27 Kempen, FS Hromadka, S. 177 (182). 28 Ladeur, AöR 131 (2006), 643 (648 ff.). 29 Kempen, FS Hromadka, S. 177 (183). 30 Kempen, FS Hromadka, S. 177 (182 f.). 31 Kempen, FS Hromadka, S. 177 (183). 32 s. auch Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (110); Sunnus, AuR 2008, 1 (6). 33 Kempen, FS Hromadka, S. 177 (183, 186) im Anschluss an die Überlegungen zur Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems von Wank, FS ZVK-Bau, S. 141 (156), der freilich andere Schlüsse für die Tarifeinheit im Betrieb zieht (a. a. O., S. 157). Den An26
Kap. 3: Neue Ansätze zur Begründung der Tarifeinheit bei Tarifpluralität
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träge für denselben Arbeitsbereich eines Betriebes als solche nicht den Vorrang dieser Tarife vor (ungünstig) abweichenden Arbeitsverträgen mit jeweils tarifgebundenen Arbeitnehmern; das kollektive Ordnungsprinzip wäre dadurch anscheinend noch nicht evident gestört.34 Damit unterstelle man freilich, dass jenes kollektive Ordnungsziel auch dann schon erreicht sei, wenn es überhaupt zu tariflichen Regelungen komme; die zusätzliche Auflösung von Tarifpluralität wäre dann kein weiterer Systemzweck der intendierten Ordnung, diese hätte sich vielmehr schon mit der Garantie des normativen Vorrangs aller geltenden Tarifverträge vor den Individualverträgen erfüllt.35 5. Dies hält Kempen jedoch für zu kurz gedacht. Damit kommt er zu seiner Hauptthese von der Tarifeinheit als Ausgestaltung der koalitionsrechtlichen Kartellfunktion.36 Die (vor-koalitionsrechtliche) strukturelle Unterlegenheit der Arbeitnehmer im Einzelarbeitsverhältnis habe aufgrund des dysfunktionalen Verhaltens der Arbeitnehmer am Arbeitsmarkt (Konkurrenzparadoxon) zu einem „ruinösen Unterbietungswettbewerb“, letztlich zum „Arbeitsmarktversagen“ geführt.37 Die Lösung dieser Dysfunktionalität am Markt habe bekanntlich in der Ausschaltung des Wettbewerbs durch Gründung von Angebots-Kartellen in Form von Gewerkschaften nach Maßgabe der Koalitionsfreiheit bestanden. Diese Koordinierung des Marktverhaltens verlagere die Vertragsverhandlungen von der Individual- auf die Kollektivebene. Das Ergebnis dieser – wiederum typisch marktmäßig geführten – Auseinandersetzungen werde rechtlich in Form von Kollektivverträgen festgelegt. Diese hätten den Zweck, alle Beteiligten auf die Kartellabsprache zu verpflichten, so dass eine rechtlich verbindliche Vereinbarung von Arbeitsbedingungen unterhalb des Tarifniveaus – und damit eine Fortsetzung der Unterbietungskonkurrenz – ausgeschlossen werde.38 Die Kartellfunktion der Koalitionsfreiheit sieht Kempen als wesentlichen Bestandteil des Art. 9 Abs. 3 GG und damit als Grundlage der in diesem Grundrecht enthaltenen Kollisionsordnung der kollektiven und der individualrechtlichen Regelungsebene. Als Beschränkung der Kartellfunktion wirke indes u. a. die positive Koalitionsfreiheit konkurrierender Tarifvertragsparteien. Diese ermögliche Tarifpluralität im Betrieb, was abermals zu der Frage führe, ob die Ta-
satz Kempens aufgreifend Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 58a. s. auch bereits Dunker, Unternehmensbezogene Tarifverträge, S. 201 ff. 34 Kempen, FS Hromadka, S. 177 (183). 35 Kempen, FS Hromadka, S. 177 (183). 36 Zur Kartellwirkung des Tarifvertrages nur F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 143 ff.; Kempen/Zachert/Kempen, Grundlagen Rn. 103; Wiedemann/Wiedemann, Einl. Rn. 34 ff. 37 Näher Kempen, FS Hromadka, S. 177 (184) m.w. N.; zum Konkurrenzparadoxon s. aus heutiger Sicht ausführlich F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 61 ff.; s. auch Reichold, in: Rieble, Zukunft des Arbeitskampfes, S. 9 (10 ff., 14). 38 Kempen, FS Hromadka, S. 177 (184 f.).
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Teil 1: Einleitung
rifeinheit nur eine Ausgestaltung der koalitionsrechtlichen Kartellfunktion oder einen Eingriff in das Grundrecht konkurrierender Organisationen darstelle. Zentral ist für die Ansicht Kempens sodann der Satz: „Die unbegrenzte Zulässigkeit konkurrierender Tarife für das jeweils gleiche betriebliche Arbeitsfeld könnte nun bewirken, dass die mit der tarifvertraglichen Vorrangposition bezweckte Einschränkung des individuellen Wettbewerbs der dort tätigen Arbeitnehmer auf der kollektiven Ebene wieder aufgehoben wird.“39 Wenn konkurrierende Gewerkschaften sich gegenseitig unterböten oder durch höhere Forderungen zu überbieten suchten, könnten permanente Wettbewerbskämpfe entstehen, welche die von Art. 9 Abs. 3 GG intendierte Ordnung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen tendenziell ruinierten.40 Die durch den Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Koalitionen entstehende Tarifpluralität tendiere dazu, die dysfunktionalen Wirkungen des Arbeitsmarktes (Unterbietungswettbewerb), nunmehr auf der kollektiven Ebene, erneut zu entfesseln.41 Da Tarifpluralität also die Kartellfunktion der Koalitionsfreiheit behindere und beseitigen könne, bilde nicht die bloße betriebliche Praktikabilität, sondern die ratio der Koalitionsfreiheit den Hintergrund der Systementscheidung für die Tarifeinheit im Betrieb. Zwar lasse Art. 9 Abs. 3 GG den Koalitionswettbewerb prinzipiell zu, die Kartellfunktion und das Ziel einer regelmäßigen Ordnung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen erforderten jedoch funktionell, dass am Ende des Wettbewerbs als Ergebnis eine einheitliche Tarifregelung für das konkrete betriebliche Arbeitsfeld stehe.42 Den zulässigen Koalitionswettbewerb im Ergebnis in einheitliche tarifliche Regelungen auf Betriebsebene münden zu lassen sei das Ziel des Grundsatzes der Tarifeinheit bei Tarifpluralität, welcher sich damit als Ausgestaltung des Art. 9 Abs. 3 GG erweise.43 39 Kempen, FS Hromadka, S. 177 (185); ihm folgend Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 58b; s. auch Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (111): Die infolge des Gewerkschaftswettbewerbs einsetzende Zersplitterung stärke den Arbeitgeber. 40 Kempen, FS Hromadka, S. 177 (185 f.) im Anschluss an Hromadka, GS Heinze, S. 383 (388 f.); s. auch schon Kempen, FS 50 Jahre BAG, S. 733 (740 f.). 41 Kempen, FS Hromadka, S. 177 (187); s. auch Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 58b; dysfunktionale Wirkungen einer Tarifpluralität sahen auch bereits Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1 (13). 42 Kempen, FS Hromadka, S. 177 (186); in diese Richtung jetzt auch Scholz, FS Buchner, S. 827 (829 f.). 43 Kempen, FS Hromadka, S. 177 (187); zustimmend Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 58b. Von einem Fall der Ausgestaltung gehen auch aus: Dunker, Unternehmensbezogene Tarifverträge, S. 79, 200 f.; Hromadka, in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 124 (128) und ganz deutlich ders., NZA 2008, 384 (387, 389); s. auch dens., NJW-Editorial Heft 45/2007; des Weiteren Buchner, BB 2003, 2121 (2126 f., dort Fn. 42; 2128); ders., ZfA 2004, 229 (251); ders., BB 2007, 2520 sowie bereits Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1 (11, 13); s. auch W. Bayreuther, FS Hromadka, S. 1 (2, mit Fn. 8); Feudner, BB 2007, 2459 (2460); zuletzt Göhner, FS Bauer, S. 351 (355); Oetker, NZA Beilage 1/2010, S. 13 (21, 27, 29); s. auch Hromadka/Schmitt-Rolfes, NZA 2010, 687 (689 ff.).
Kap. 3: Neue Ansätze zur Begründung der Tarifeinheit bei Tarifpluralität
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Aus der Qualifizierung als Ausgestaltung zieht Kempen schließlich noch Konsequenzen für das „Wie“ der Auflösung einer Tarifpluralität. Das vom BAG favorisierte Spezialitätsprinzip entspreche an sich durchaus dem System der Koalitionsfreiheit. Es sei aber rechtsdogmatisch eingeschränkt44 und oftmals nicht praktikabel, weil die Betriebsnähe eines Tarifvertrages kein hinreichend trennscharfes Kriterium darstelle. Soweit der Spezialitätsgrundsatz keine Lösung biete und weil die Ausgestaltung verhältnismäßig sein müsse, habe der mitgliedschaftlich intensiver legitimierte Tarifvertrag den Vorrang (Mehrheitsprinzip).45 II. Erste Würdigung Das Grundversäumnis Kempens ist es, den Zusammenhang zwischen der Frage nach Tarifeinheit oder Tarifpluralität einerseits und der Tariffähigkeitsvoraussetzung der sozialen Mächtigkeit46 verkannt zu haben. Tarifeinheit im Betrieb und das Kriterium der Durchsetzungsfähigkeit wirken funktional in dieselbe Richtung. Da auf das Erfordernis der sozialen Mächtigkeit richtigerweise nicht verzichtet werden kann47, ist die entscheidende Frage nicht, ob es sich bei dem Grundsatz der betrieblichen Tarifeinheit um einen Fall des Eingriffs in die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Rechte oder um einen Fall der Grundrechtsausgestaltung handelt; ausschlaggebend ist vielmehr, ob die Tarifeinheit bei Tarifpluralität neben der Lehre von der sozialen Mächtigkeit, mithin zusätzlich zu der Begrenzung bereits des Zugangs von Arbeitnehmerkoalitionen zum System der tarifvertraglichen Regelung von Arbeitsbedingungen, Bestand haben kann oder ob nicht vielmehr die von Kempen für den Fall einer realisierten Tarifpluralität befürchteten Dysfunktionalitäten – Wiederkehr des Unterbietungswettbewerbes nunmehr auf kollektiver Ebene – systemgerecht bereits durch die Beschränkung des Kreises regelungsbefugter Koalitionen auf Arbeitnehmerseite verhütet werden und daher die Tarifeinheit im Betrieb, selbst wenn man sie als grundrechts44 Dazu näher Kempen, FS 50 Jahre BAG, S. 733 (741 f.); ders., FS ZVK-Bau, S. 77 (82 ff.). 45 Kempen, FS Hromadka, S. 177 (186 f.); s. schon dens., FS 50 Jahre BAG, S. 733 (742); s. auch Kempen/Zachert/Kempen, § 2 Rn. 58; ebenso Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 58c ff.; Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (112 f., 115 ff., 120); s. auch Sunnus, AuR 2008, 1 (6). Auch für Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (124 f.), sprach einiges dafür, im Falle des Festhaltens am Grundsatz „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag“ das Spezialitätsprinzip als Konkurrenzregel für die Auflösung von Tarifpluralitäten durch den Grundsatz der Repräsentativität zu ersetzen; s. auch W. Bayreuther, Diskussionsbeitrag, ebd. S. 147 f., sowie zuletzt Meik, FS Beuthien, S. 429 (440); Oetker, NZA Beilage 1/2010, S. 13 (27, 30); Preis/Greiner, ZfA 2009, 825 (856 f.) und erneut Bepler, AuR 2010, 234 (235) sowie Thüsing, NZA Beilage 3/2010, S. 104 (107); nunmehr vor allem auch Greiner, Rechtsfragen, S. 6, 321, 350 ff. 46 Dazu an dieser Stelle nur Wank, RdA 2008, 257 ff., zum Zusammenhang mit der Entscheidung zwischen Tarifeinheit im Betrieb und Tarifpluralität S. 264. 47 Im Einzelnen Wank, RdA 2008, 257 (263 ff.).
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Teil 1: Einleitung
ausgestaltendes Richterrecht einordnete, infolge der kumulierten Begrenzung koalitionärer Betätigung unverhältnismäßig auf die durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG garantierten Freiheiten zurückwirkt und daher eine gleichsam „überschießende“ Ausgestaltung darstellt. Daraus erhellt, dass die von Kempen aufgeworfenen Fragen nicht ohne Berücksichtigung der bereits an die Tariffähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen zu stellenden Anforderungen beantwortet werden können. Es handelt sich, ordnet man sie dem Leitgedanken der vorliegenden Arbeit unter, um Fragen der Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifvertragsrecht. In diesem Zusammenhang werden sie daher abschließend behandelt.48
C. Normative Verankerung der Tarifeinheit im Betrieb durch den einfachen Gesetzgeber? (Heinze/Ricken) Ein bedeutsamer Versuch, die Lehre von der Tarifeinheit bei Tarifpluralität zu begründen, wurde im Jahr 2001 von Heinze und Ricken unternommen49. Ihre These lautet verkürzt, dass die Arbeitsrechtsordnung in ihrer gewachsenen einfachgesetzlichen Gestalt an verschiedenen Stellen die Tarifeinheit im Betrieb unausgesprochen voraussetze. Sie stellt damit die konsequenteste Ausprägung einer die betriebliche Tarifeinheit zum Axiom der Arbeitsrechtsordnung erhebenden Lehre dar.50 Es ist augenfällig, dass sie gewissermaßen die Antithese zu der in der vorliegenden Arbeit auf ihre Verifizierbarkeit untersuchten These bildet, dass sich die Tarifpluralität unter Beachtung der sich aus dem jeweiligen systematischen und teleologischen Zusammenhang der einschlägigen verfassungs-, gesetzes- und richterrechtlichen Vorgaben ergebenden Anpassungen und Neuorientierungen ohne „Brüche“ stimmig in das System der Arbeitsrechtsordnung einpassen lässt. Die Auseinandersetzung mit der entgegengesetzten These von der normativen Verankerung des Prinzips der betrieblichen Tarifeinheit durch den einfachen Gesetzgeber wird sich daher – mal ausdrücklich, mal implizit – durch die gesamte Untersuchung ziehen. Hier sollen zunächst die These vorgestellt und bereits erste Zweifel an ihrer Stichhaltigkeit angemeldet werden, die sich aus bereits in den vorangehenden Kapiteln gewonnenen Erkenntnissen ergeben. 48
Unten Teil 3, Kapitel 1. Heinze/Ricken, ZfA 2001, 159 (174 ff.); bekräftigt durch Ricken, Autonomie, S. 88 f. 50 Im gleichen Sinne wie Heinze/Ricken auch Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (124): Die – auch geschriebene – Rechtsordnung gehe erkennbar von dem Grundsatz „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag“ aus; s. außerdem Preis/Greiner, ZfA 2009, 825 (826): Stillschweigende Prämisse zahlreicher Regelungen sei, dass in einer Branche nur eine Arbeitnehmerkoalition als Tarifpartei vorhanden ist, die das Tarifsystem branchenweit mitgestaltet; mit Blick auf das Betriebsverfassungsrecht Dieterich, SZ vom 14. 8. 2007, S. 2; Meyer, NZA 2006, 1387 (1391 f.); gerade wieder ders., FS Buchner, S. 628 (634). 49
Kap. 3: Neue Ansätze zur Begründung der Tarifeinheit bei Tarifpluralität
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I. Die These Heinze und Ricken teilen den allgemein anerkannten Ausgangspunkt, dass das TVG selbst die Frage jedenfalls nicht im Sinne einer ausdrücklichen Normierung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb entschieden hat. Vielmehr habe der Gesetzgeber sich zu einer expliziten Regelung der Frage nicht durchringen können.51 Gleichwohl hat nach ihrer Ansicht der einfache Gesetzgeber zwischenzeitlich das Prinzip der Tarifeinheit im Betrieb normativ verankert.52 So sei bereits das TVG selbst „ausdrücklich betriebsbezogen definiert“. Gemäß § 1 Abs. 1 TVG könnten die Tarifparteien durch Tarifverträge betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen. Die Tatsache, dass solche Tarifnormen gemäß § 3 Abs. 2 TVG unabhängig von der Tarifgebundenheit der Arbeitnehmer für alle Betriebe wirken, deren Arbeitgeber tarifgebunden sind, sei ein erster Beleg für die normativ verankerte Existenz eines Grundsatzes der Tarifeinheit; es sei nur schwer vorstellbar, wie Tarifverträge mit unterschiedlichen betrieblichen oder betriebsverfassungsrechtlichen Normen, die für alle Arbeitnehmer unabhängig von ihrer Tarifbindung gelten, harmonisiert werden sollten. Dass in einem solchen Fall nicht beide Tarifverträge nebeneinander angewandt werden können, liege auf der Hand.53 Vor allem aber lasse sich die Betriebsbezogenheit von Tarifverträgen anhand des BetrVG nachweisen. In § 2 Abs. 1 BetrVG unterstelle der Gesetzgeber mit der Pluralformulierung „im Betrieb vertretene(n) Gewerkschaften“ eine gewisse Gewerkschaftspluralität im Betrieb. Dies müsste ohne Annahme eines Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb zwangsläufig zu einer möglichen Tarifpluralität führen. Demgegenüber verwende aber das BetrVG, wenn es sich auf bestimmte Arten von Tarifverträgen wie z. B. Lohntarife bezieht, nicht den Plural; vielmehr heiße es z. B. in § 77 Abs. 3 BetrVG: „Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind . . .“. In dieser Norm habe daher der BetrVG-Gesetzgeber ebenso wie der Gesetzgeber des TVG den Grundsatz der Tarifeinheit verankert.54 Des Weiteren zeigt nach Auffassung Heinzes und Rickens § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG bei systematischer und teleologischer Auslegung eindeutig auf, dass der Gesetzgeber den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb im einfachen Gesetzesrecht zwingend verankert hat, da ansonsten jegliche Mitbestimmung des Betriebsrats unterlaufen werde.55 Ohne den Grundsatz der betriebli51 52 53 54 55
Heinze/Ricken, ZfA 2001, 159 (174). Heinze/Ricken, ZfA 2001, 159 (174 ff.); Ricken, Autonomie, S. 89. Heinze/Ricken, ZfA 2001, 159 (174). Heinze/Ricken, ZfA 2001, 159 (175). Heinze/Ricken, ZfA 2001, 159 (175).
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Teil 1: Einleitung
chen Tarifeinheit sei § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG, ebenso wie eine Vielzahl von Vorschriften, die staatliche Rechtsvorschriften zur Disposition der Tarifpartner stellten, funktionslos, da dann in den Betrieben, je nach Tarifbindung der Arbeitnehmer, unterschiedliche Arbeitsbedingungen gelten würden, weil unterschiedliche Tarifverträge Geltung beanspruchten.56 Als weitere Vorschriften, in denen der Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb zum Ausdruck kommen soll, werden die §§ 3 ATG, 1 AEntG (a. F.57), 7 und 25 ArbZG, 1 Abs. 4 und 19 Abs. 3 KSchG, 4 Abs. 4 EFZG, 21a JArbSchG, 17 Abs. 3 BetrAVG, 613a BGB, 325 UmwG und 13 BUrlG genannt. Zwar habe der Gesetzgeber in keiner der Vorschriften den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb in die Rechtsfolgenanordnung aufgenommen; er sei jedoch, worauf es allein ankomme, im Norminhalt verankert, wie eine systematische und teleologische Interpretation belege, weil anderenfalls der erklärte Regelungszweck nicht oder nur unzureichend und zudem sinnwidrig partiell unter Inkaufnahme eklatanter Ungleichbehandlung zu erreichen wäre. Dies werde beispielhaft in den weiteren Normen der §§ 3, 38 Abs. 1, 47 Abs. 4, 55 Abs. 4, 72 Abs. 4, 76a Abs. 5 BetrVG eindeutig belegt.58 Mithin sei das Prinzip der Tarifeinheit im Betrieb kein „Produkt“ der Rechtsprechung, sondern Norminhalt vielfältiger Vorschriften des einfachen Gesetzesrechts.59 Die normative Verankerung des Grundsatzes der Tarifeinheit beschränke sich auch nicht auf die Fälle der Tarifkonkurrenz (Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis). Er fordere vielmehr auch bei Tarifpluralität Beachtung, da es die Geltung zweier unterschiedlicher Tarifverträge in einem Betrieb zu vermeiden gelte. Alles andere führe zu rechtlich wie praktisch kaum überwindbaren Schwierigkeiten. Selbst wenn etwa einem Unternehmer die Verbandszugehörigkeit seiner Mitarbeiter bekannt sein sollte, sei schon nicht vorstellbar, wie z. B. ein Produktionsbetrieb funktionieren soll, bei dem für die eine Hälfte der Belegschaft andere Arbeitszeiten als für die andere Hälfte gelten sollen.60
II. Erste Würdigung 1. Normative Verankerung der Tarifeinheit im Betrieb im TVG a) Einen ersten Beleg für die normativ verankerte Existenz eines Grundsatzes der Tarifeinheit sehen Heinze und Ricken darin, dass das TVG „ausdrücklich be-
56 57 58 59 60
Ricken, Autonomie, S. 88 f. Zur Neufassung des AEntG s. o. Teil 1, Kapitel 1, unter A. I. 3., dort Fn. 22. Heinze/Ricken, ZfA 2001, 159 (175). Heinze/Ricken, ZfA 2001, 159 (176). Heinze/Ricken, ZfA 2001, 159 (177 f.).
Kap. 3: Neue Ansätze zur Begründung der Tarifeinheit bei Tarifpluralität
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triebsbezogen definiert“ sei.61 Von Bayreuther wird ihnen immerhin konzediert, die Betriebsbezogenheit des TVG gebe einen – „allerdings sehr verhaltenen“ – Hinweis auf eine Tarifeinheit im Betrieb.62 Die Betriebsbezogenheit des TVG kommt nach Heinze und Ricken in der Befugnis der Tarifparteien nach § 1 Abs. 1 TVG zum Ausdruck, durch Tarifverträge betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen mit der Folge zu ordnen, dass die entsprechenden tariflichen Normen gemäß § 3 Abs. 2 TVG unabhängig von der Tarifgebundenheit der Arbeitnehmer für alle Betriebe wirken, deren Arbeitgeber tarifgebunden sind. Es sei nur schwer vorstellbar, wie Tarifverträge mit unterschiedlichen betrieblichen oder betriebsverfassungsrechtlichen Normen, die für alle Arbeitnehmer unabhängig von ihrer Tarifbindung gelten, harmonisiert werden sollten. Dass in einem solchen Fall nicht beide Tarifverträge nebeneinander angewandt werden können, liege auf der Hand. Die Alternative, die Konkurrenzfrage für jede einzelne betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Norm gesondert zu lösen („Rosinentheorie“), führe zu einem vor dem Hintergrund der Koalitionsfreiheit nicht hinnehmbaren Eingriff in das tarifvertragliche Synallagma. Letztlich existiere auf der Grundlage des geltenden Tarifvertragsrechts kein anderer gangbarer Weg als die Anerkennung der betrieblichen Tarifeinheit. b) Richtig ist: Kollektivnormen, d. h. Rechtsnormen des Tarifvertrages über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen, müssen alle Arbeitsverhältnisse des Betriebs einheitlich gestalten.63 Ein Nebeneinander verschiedener, nicht koordinierter Tarifverträge kommt insoweit nicht in Betracht.64 Ein Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb, also der Tarifeinheit bei Tarifpluralität, kann daraus aber nicht hergeleitet werden.65 aa) Nach § 3 Abs. 2 TVG gelten Betriebs- und Betriebsverfassungsnormen für alle Betriebe, deren Arbeitgeber tarifgebunden ist. Solche Kollektivnormen entfalten also Wirkung für alle Arbeitsverhältnisse im Betrieb eines tarifgebundenen Arbeitgebers. Treffen daher im Betrieb mehrere Tarifverträge mit Betriebs- und/ oder Betriebsverfassungsnormen aufeinander, an die der Arbeitgeber gebunden ist, so kommt es in jedem einzelnen Arbeitsverhältnis zu der für die Tarifkonkurrenz charakteristischen Tarifnormenkollision; es entsteht eine betriebsweite Tarifkonkurrenz.66 61
Heinze/Ricken, ZfA 2001, 159 (174). F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 379; nicht ausgeschlossen nunmehr auch von BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) cc) (2) (b) der Gründe, Rn. 57 des Beschlusses. 63 Jacobs, Tarifeinheit, S. 248; Witzig, Tarifeinheit, S. 57. 64 Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (512). 65 Ebenso im Ergebnis F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 379: Die Betriebsbezogenheit des Tarifrechts und die Vorstellung „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ seien unterschiedliche Dinge; s. jetzt auch Greiner, Rechtsfragen, S. 276. 66 s. bereits oben Teil 1, Kapitel 2, unter B. II. 1. 62
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bb) Entgegen einer weit verbreiteten Ansicht67 ist es zwar nicht richtig, zu sagen, im Falle betriebsweiter Tarifkonkurrenz bestehe keine Tarifpluralität; vielmehr ist bei jeder Tarifkonkurrenz zugleich eine Tarifpluralität gegeben (Tarifkonkurrenz als Sonderfall der Tarifpluralität)68 und besteht insbesondere im Falle betriebsweiter Tarifkonkurrenz vollständige Deckungsgleichheit zwischen beiden Formen der Tarifkollision.69 Auch ist unzweifelhaft, dass die Tarifpluralität in diesen Fällen im Ergebnis keinen Bestand haben kann. Insofern haben Heinze und Ricken völlig Recht, wenn sie ausführen, es liege auf der Hand, dass mehrere Tarifverträge mit unterschiedlichen betrieblichen oder betriebsverfassungsrechtlichen Normen nicht nebeneinander im Betrieb angewandt werden können.70 So evident hier aber das Ergebnis ist (nämlich: insoweit betriebliche Tarifeinheit): Mit einem Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb (Tarifeinheit bei Tarifpluralität) hat dies nichts zu tun. Vielmehr wird der Tarifpluralität hier durch die zwingend gebotene, für alle Arbeitsverhältnisse im Betrieb einheitlich vorzunehmende Auflösung der betriebsweiten Tarifkonkurrenz die Grundlage entzogen. Denn Tarifkonkurrenzen sind nach allgemeiner Ansicht zugunsten eines der konkurrierenden Tarifverträge aufzulösen, da auf ein Arbeitsverhältnis stets nur ein Tarifvertrag Anwendung finden kann. Kollisionsregel ist hier indes nicht der umstrittene Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb, sondern der einhellig anerkannte Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis, der bei einer solchen betriebsweiten Tarifkonkurrenz betriebsweit einheitlich gilt.71 cc) Da also das TVG nur für die notwendigerweise betriebseinheitlich geltenden Kollektivnormen mit der Norm des § 3 Abs. 2 TVG eine allein auf die Tarifbindung des Arbeitgebers abstellende Sonderregel enthält, folgt im Umkehrschluss für Individualnormen zwingend, dass verschiedene Arbeitsverhältnisse eines Betriebs nach der Konzeption des Gesetzes den Individualnormen unterschiedlicher Tarifverträge unterfallen können.72 Die Argumentation von Heinze und Ricken dreht also das in §§ 3, 4 TVG systematisch angelegte Regel-Ausnahme-Verhältnis gerade um.73 67
Nachweise oben Teil 1, Kapitel 2, unter B. II. 2. a), dort Fn. 25, 26, 30. s. ausführlich oben Teil 1, Kapitel 2, unter B. III. 69 s. bereits oben Teil 1, Kapitel 2,unter B. II. 2. b). 70 s. nochmals Heinze/Ricken, ZfA 2001, 159 (174). 71 Vgl. Jacobs, Tarifeinheit, S. 248, 306 f.; s. auch jüngst Franzen, ZfA 2009, 297 (302). 72 Band, Tarifkonkurrenz, S. 91 f.; Jacobs, Tarifeinheit, S. 376; s. auch F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 379; Thüsing, Außenseiter, S. 56 f.; jüngst Dieterich, GS Zachert, S. 532 (538); Greiner, Rechtsfragen, S. 276 (mit Fn. 137), 306; Reichold, Gutachten, S. 8; der Sache nach jetzt auch BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) cc) (2) (b) der Gründe, Rn. 57 und unter B. I. 3. d) ee) (4) (a) (aa) der Gründe, Rn. 88 des Beschlusses; zust. Richardi, Gem. Anm. zu BAG 27. 1. 2010 – 4 AZR 549/ 08 (A) – und BAG 23. 6. 2010 – 10 AS 2/10, demn. in AP, unter II. 2. 68
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2. Normative Verankerung der Tarifeinheit im Betrieb im BetrVG a) Im BetrVG sehen Heinze und Ricken die betriebliche Tarifeinheit vor allem in den Regelungen des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrangs und -vorbehalts in §§ 87 Abs. 1 Eingangssatz, 77 Abs. 3 BetrVG normativ verankert. Insoweit führt ihre These geradewegs zu den zentralen Fragen der Einpassung der Tarifpluralität in das Betriebsverfassungsrecht. In diesem Kontext soll daher auch die Auseinandersetzung mit den Überlegungen Heinzes und Rickens erfolgen.74 b) Weitere Normen des BetrVG, in deren Norminhalt der Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb einfachgesetzlich verankert sein soll, sind die §§ 3, 38 Abs. 1, 47 Abs. 4, 55 Abs. 4, 72 Abs. 4 und 76a Abs. 5 BetrVG.75 Auch Bayreuther meint, diese Regelungen schienen vorauszusetzen, dass im Betrieb jeweils nur ein Tarifvertrag gilt; ihnen lasse sich daher eventuell ein schwacher Anhaltspunkt für die Notwendigkeit der Auflösung von Tarifpluralitäten im Betrieb entnehmen.76 aa) Zu § 3 BetrVG ist bereits alles Wesentliche gesagt worden77: Tarifverträge nach § 3 BetrVG enthalten nach ganz h. M. betriebsverfassungsrechtliche Normen und binden daher nach § 3 Abs. 2 TVG einheitlich im ganzen Betrieb auch die nicht oder anders organisierten Arbeitnehmer. Bei einer Kollision mehrerer, nach ihrem Geltungsbereich für den Betrieb einschlägiger, den Arbeitgeber bindender Tarifverträge nach § 3 Abs. 1 BetrVG kommt es daher zu einer betriebsweiten Tarifkonkurrenz. Tarifkonkurrenzen – auch betriebsweite – sind zugunsten eines der konkurrierenden Tarifverträge aufzulösen, Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis. Hinsichtlich des Kriteriums zur Auflösung einer Tarifkonkurrenz mehrerer Tarifverträge nach § 3 BetrVG („Wie“) wird eine Vielzahl von Lösungen vorgeschlagen.78 Zu der Frage soll hier nicht Stellung genommen werden. Es handelt sich, wie herausgearbeitet wurde, um ein Problem der Tarifkonkurrenz. Für unsere Zwecke ist allein relevant, dass im Zuge der betriebsweiten Auflösung der Tarifkonkurrenz durch einheitliche Anwendung des Grundsatzes 73 Reichold, RdA 2007, 321 (324), der das als „erstaunliche Methodik“ bezeichnet; s. jetzt erneut Reichold, Gutachten, S. 8. 74 s. unten Teil 4. 75 s. Heinze/Ricken, ZfA 2001, 159 (175). 76 F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 379 f. 77 Oben Teil 1, Kapitel 2, unter B. II. 2. a). 78 Weiterführend etwa Annuß, NZA 2002, 290 (293); GK-BetrVG/Franzen, § 3 Rn. 33 f.; Friese, ZfA 2003, 237 (270 ff.); Thüsing, ZIP 2003, 693 (699 f.); Utermark, Organisation der Betriebsverfassung, S. 185 ff. Das BAG hat die Frage in seiner jüngst ergangenen grundlegenden Entscheidung zu § 3 Abs. 1 BetrVG – BAG 29. 7. 2009 NZA 2009, 1424 – offen gelassen, s. die Darstellung des Meinungsstandes unter B. II. 6. a) und b) und die eigenen Überlegungen des 7. Senats unter B. II. 7. der Gründe; dazu etwa Dzida, NZA 2010, 80 (81 f.); Meyer, SAE 2010, 27 (27, 28 f.); Scharff, BB 2010, 1607 (1608).
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Teil 1: Einleitung
der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis notwendig der zugleich vorliegenden Tarifpluralität die Grundlage entzogen wird. Es kommt also im Ergebnis zur Anwendung der Betriebsverfassungsnormen nur eines der kollidierenden Tarifverträge, aber nicht als Resultat eines Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb. bb) In § 38 Abs. 1 BetrVG ist vorgesehen, dass in größeren Betrieben abhängig von der regelmäßigen Beschäftigtenzahl eine bestimmte Anzahl von Betriebsratsmitgliedern von ihrer beruflichen Tätigkeit freizustellen ist. Satz 5 lässt anderweitige Regelungen über die Freistellung durch Tarifvertrag (oder Betriebsvereinbarung) zu; die Tarifpartner können die gesetzliche Freistellungsstaffelung (§ 38 Abs. 1 Sätze 1, 2 BetrVG) sowie die Voraussetzungen und Modalitäten von Teilfreistellungen (vgl. Sätze 3, 4) modifizieren. § 47 Abs. 4 BetrVG räumt die Möglichkeit ein, durch Tarifvertrag (wiederum: oder durch Betriebsvereinbarung) die Mitgliederzahl des Gesamtbetriebsrates abweichend von der gesetzlichen Konzeption (vgl. § 47 Abs. 2 Satz 1 BetrVG) festzulegen. Entsprechendes ergibt sich aus § 55 Abs. 4 BetrVG für die Mitgliederzahl des Konzernbetriebsrates und aus § 72 Abs. 4 BetrVG für die der GesamtJugend- und Auszubildendenvertretung. Gemäß § 76a Abs. 5 BetrVG schließlich kann von den gesetzlichen Vorschriften über die Vergütung des Vorsitzenden und der außerbetrieblichen Beisitzer der Einigungsstelle (vgl. Abs. 3, 4) abgewichen werden. cc) Richtig ist wiederum: Tarifvertragliche Regelungen auf der Grundlage der §§ 38 Abs. 1 Satz 5, 47 Abs. 4, 55 Abs. 4, 72 Abs. 4 und 76a Abs. 5 BetrVG müssen betriebsweit einheitlich gelten. Zur Herstellung der betrieblichen Tarifeinheit in diesen Regelungsbereichen bedarf es aber nicht eines Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb im Sinne einer Kollisionsauflösungsregel für Tarifpluralitäten. Tarifvertragsnormen, die auf der Grundlage des § 76a Abs. 5 BetrVG die Vergütung der Einigungsstellenmitglieder ordnen, sind betriebsverfassungsrechtliche Normen i. S. d. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG79; das gleiche gilt für Tarifregelungen nach § 38 Abs. 1 Satz 5 BetrVG80, nach § 47 Abs. 4 BetrVG81, nach § 55 Abs. 4 BetrVG82 und nach § 72 Abs. 4 BetrVG83. Das 79 Fitting, § 76a Rn. 30; JKO/Krause, § 4 Rn. 78; GK-BetrVG/Kreutz, § 76a Rn. 58; WPK/Preis, § 76a Rn. 17; Richardi/Richardi, § 76a Rn. 25; HSWGNR/Worzalla, § 76a Rn. 37. 80 BAG 18. 8. 1987 AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 23 (v. Hoyningen-Huene), unter B. III. 2. b) der Gründe; Fitting, § 38 Rn. 31; HSWGNR/Glock, § 38 Rn. 21; JKO/Krause, § 4 Rn. 78; ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 48; implizit auch WPK/Kreft, § 38 Rn. 13. 81 BAG 18. 8. 1987 AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 23 (v. Hoyningen-Huene), unter B. III. 2. b) der Gründe; 25. 5. 2005 AP BetrVG 1972 § 47 Nr. 16, unter B. II. 2. a) der Gründe; Richardi/Annuß, § 47 Rn. 48; Brox/Rüthers/Henssler, Arbeitsrecht, Rn. 678; ErfK/U. Koch, § 47 BetrVG Rn. 10; Fitting, § 47 Rn. 51; Franzen, RdA 2008, 193 (199); HSWGNR/Glock, § 47 Rn. 30a; JKO/Krause, § 4 Rn. 78; GK-BetrVG/Kreutz, § 47 Rn. 78; WPK/Roloff, § 47 Rn. 14; ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 48; HaKo-BetrVG/ Tautphäus, § 47 Rn. 32.
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heißt: Enthalten in einem tarifpluralen Betrieb die kollidierenden Tarifverträge jeweils (auch) Rechtsnormen nach §§ 38 Abs. 1 Satz 5, 47 Abs. 4, 55 Abs. 4, 72 Abs. 4 oder 76a Abs. 5 BetrVG, die inhaltlich voneinander abweichen, so entsteht eine Betriebsverfassungsnormen-Kollision84 und es kommt zur betriebsweiten Tarifkonkurrenz.85 Diese muss – insoweit besteht Konsens – aufgelöst werden, Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis, hier in betriebsweit einheitlicher Anwendung, da die Konkurrenz wegen § 3 Abs. 2 TVG in sämtlichen Arbeitsverhältnissen entsteht und einheitlich aufgelöst werden muss. Allein dessen normative Verankerung durch den Gesetzgeber kann man daher den §§ 38 Abs. 1, 47 Abs. 4, 55 Abs. 4, 72 Abs. 4 und 76a Abs. 5 BetrVG entnehmen, nicht aber darüber hinausgehend die eines Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb (Tarifeinheit auch bei Tarifpluralität).86 3. Normative Verankerung der Tarifeinheit im Betrieb in weiteren arbeitsrechtlichen Gesetzesvorschriften Als weitere Vorschriften, in deren Norminhalt bei systematischer und teleologischer Auslegung zum Ausdruck komme, dass der Gesetzgeber vom Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb ausgehe, nennen Heinze und Ricken die §§ 3 ATG, 1 AEntG (a. F.), 7 und 25 ArbZG, 1 Abs. 4 und 19 Abs. 3 KSchG, 4 Abs. 4 EFZG, 21a JArbSchG, 17 Abs. 3 BetrAVG, 613a BGB, 325 UmwG und 13 BUrlG.87 a) Schon aus Raumgründen kann hier nicht für jede einzelne der angeführten Vorschriften nachgewiesen werden, dass auch in ihnen keine normative Verankerung der betrieblichen Tarifeinheit zu sehen ist. In vielen Fällen – tarifvertragliche Auswahlrichtlinien i. S. d. § 1 Abs. 4 KSchG88, tarifvertragliche Fortgeltungsvereinbarungen nach § 325 Abs. 2 Satz 1 UmwG – wiederholen sich die bisherigen Argumente: Es handelt sich bei den auf der Grundlage dieser Vorschriften abgeschlossenen Tarifnormen um Betriebsnormen89 oder um betriebsverfas82 BAG 18. 8. 1987 AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 23 (v. Hoyningen-Huene), unter B. III. 2. b) der Gründe; Franzen, RdA 2008, 193 (199); HSWGNR/Glock, § 55 Rn. 7 i.V. m. § 47 Rn. 30a; JKO/Krause, § 4 Rn. 78; ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 48. 83 JKO/Krause, § 4 Rn. 78; WPK/Roloff, § 72 Rn. 9. 84 Vgl. Witzig, Tarifeinheit, S. 15 f. 85 So – ohne Verwendung des Zusatzes „betriebsweit“ – ausdrücklich für das Zusammentreffen mehrerer Tarifverträge mit Normen nach § 47 Abs. 4 BetrVG Richardi/Annuß, § 47 Rn. 49. 86 Im Ergebnis auch F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 380: Die Regelungen hätten mit dem Tarifrecht allesamt wenig zu schaffen; sie wiesen auf dessen Gestalt allenfalls mittelbar hin. 87 Heinze/Ricken, ZfA 2001, 159 (175). 88 § 1 Abs. 4 KSchG wird als Beleg für die These von der normativen Verankerung nochmals aufgegriffen von Ricken, Autonomie, S. 89. 89 Der Betriebsnormencharakter tarifvertraglicher Auswahlrichtlinien i. S. d. § 1 Abs. 4 KSchG entspricht der ganz h. M., s. etwa Ascheid, RdA 1997, 333 (340); Büte-
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Teil 1: Einleitung
sungsrechtliche Normen90 nach §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG. Treffen daher mehrere Tarifverträge aufeinander, die jeweils Auswahlrichtlinien i. S. v. § 1 Abs. 4 KSchG enthalten oder kollidieren mehrere Tarife, in denen die Tarifpartner auf der Grundlage von § 325 Abs. 2 Satz 1 UmwG die Fortgeltung von Rechten oder Beteiligungsrechten des Betriebsrates nach einer Umwandlung vereinbart haben, so entsteht eine betriebsweite Tarifkonkurrenz, die ganz unabhängig von Fortbestand oder Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb nach dem Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis aufgelöst werden muss. Nur im Ergebnis kommt es also zur Auflösung der zugleich gegebenen Tarifpluralität. Auch insoweit kann also von einer normativen Verankerung des Grundsatzes der Tarifeinheit bei Tarifpluralität nicht die Rede sein; es bewahrheitet sich die Einschätzung von Jacobs, dass die Einsicht in die Besonderheiten der betriebsweiten Tarifkonkurrenz viele Probleme, die fälschlicherweise der Tarifpluralität zugeschrieben werden, entfallen lässt91. b) Bei vielen der weiteren von Heinze und Ricken zum Beleg ihrer These angeführten Vorschriften handelt es sich um Regelungen tarifdispositiven Gesetzesrechts, um gesetzliche Tariföffnungsklauseln. Die Argumentation, speziell in diesen tarifdispositiven gesetzlichen Vorschriften zeige sich, dass die Arbeitsrechtsordnung den Grundsatz der betrieblichen Tarifeinheit geradezu voraussetze, hat fisch, Sozialauswahl, S. 405 f., die darauf hinweist, dass dies unabhängig davon gilt, welchem Ansatz zur Definition des Begriffs der „Rechtsnorm über betriebliche Fragen“ man sich anschließt; ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 46; Greiner, Rechtsfragen, S. 398; H. Hanau, Anm. zu BAG 7. 11. 1995 AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 1, unter IV. 1. c) bb); HWK/Henssler, § 1 TVG Rn. 52; Jacobs, NZA 2008, 325 (332); JKO/Krause, § 4 Rn. 74; Lembke, BB 2003, 98 (103); Löwisch/Rieble, § 1 Rn. 121, 133, 894; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 352; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rn. 1143; Reichold, RdA 2007, 321 (326); MüArbR/Rieble/Klumpp, § 172 Rn. 16; Schaub, NZA 1987, 217 (223); Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 747; Weller, RdA 1986, 222 (229); Wiedemann, RdA 1997, 297 (300); zweifelnd, im Ergebnis aber wohl ebenfalls Fischermeier, NZA 1997, 1089 (1095). A. A. offenbar Buschmann, AuR 1996, 285 (288); für Einordnung tariflicher Bestimmungen über die Sozialauswahl als Inhaltsnormen Gamillscheg, KollArbR I, § 15 VI. 3. (2), S. 594, dem zufolge sie aber wegen Art. 9 Abs. 3 GG nur einheitlich gelten können – zu den Hintergründen dieser Ansicht s. näher Gamillscheg, KollArbR I, § 17 I. 2. d) (3), S. 720; ausführlicher ders., FS Kehrmann, S. 247 ff. (259); angedeutet auch schon bei dems., BB 1988, 555 (556); dems., Anm. zu BAG 27. 4. 1988 AP BeschFG 1985 § 1 Nr. 4, unter 1. a); als Beendigungsnormen sieht Giesen, Rechtsgestaltung, S. 408 f. (mit Fn. 119) tarifvertragliche Auswahlrichtlinien nach § 1 Abs. 4 KSchG: Zwar dürften solche Tarifvorschriften für die gesamte Belegschaft gelten, also auch für nicht verbandsgebundene Arbeitnehmer, jedoch ergebe sich dies aus der gesetzlichen Regelung des § 1 Abs. 4 KSchG und nicht daraus, dass es sich um betriebliche Tarifnormen handelt. 90 Zum Betriebsverfassungsnormcharakter tarifvertraglicher Fortgeltungsvereinbarungen nach § 325 Abs. 2 Satz 1 UmwG s. Boecken, Unternehmensumwandlungen und Arbeitsrecht, Rn. 416; Giesen, Rechtsgestaltung, S. 330 f., 333, 345, 352, 376, 448 (Fn. 305), 504 (Fn. 1), 509 (Fn. 21); Lutter/Joost, § 325 Rn. 43; JKO/Krause, § 4 Rn. 78; Schaub, FS Wiese, S. 535 (545); HWK/H. J. Willemsen, § 325 UmwG Rn. 15. 91 Jacobs, NZA 2008, 325 (327).
Kap. 3: Neue Ansätze zur Begründung der Tarifeinheit bei Tarifpluralität
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Ricken später bekräftigt. Dem tarifdispositiven Normenbestand sei das Prinzip der betrieblichen Tarifeinheit immanent, denn nur die Tarifeinheit im Betrieb gewährleiste die Funktionsfähigkeit der Öffnungsklauseln für die Tarifpartner.92 Die damit aufgeworfenen Fragen stellen sich in einem größeren Zusammenhang. Wie auch bei den Regelungen des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrangs und -vorbehalts in §§ 87 Abs. 1 Eingangssatz, 77 Abs. 3 BetrVG93 ist zu prüfen, ob die Veränderung der tarifkollisionsrechtlichen Ausgangslage durch den Wechsel von der Tarifeinheit im Betrieb zur freigegebenen Tarifpluralität für die Regelungen des tarifdispositiven Gesetzesrechts einen für das Normverständnis beachtlichen „Wandel der Normumfeldes“ bewirkt. Dem ist im Rahmen der Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifvertragsrecht in einem eigenen Abschnitt nachzugehen.94 Die dortigen Erkenntnisse werden auch darüber entscheiden, ob in den angeführten gesetzlichen Tariföffnungsklauseln eine normative Verankerung des Grundsatzes der Tarifeinheit erblickt werden kann. 4. Insbesondere: § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB a) Als Norm, in welcher der Gesetzgeber den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb einfachgesetzlich verankert habe, nennen Heinze/Ricken, ohne nähere Begründung und ohne Bezeichnung nach Absätzen und Sätzen, auch § 613a BGB.95 Gemeint ist hier wohl § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB.96 Ebenso meint Dunker, in § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB habe der Gesetzgeber den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb gesetzlich verankert.97 b) Auch der Ansatz bei § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB geht jedoch fehl. Mit dem Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb ließe sich die Vorschrift nur in Verbindung bringen, wenn der Ausschluss der Fortgeltung des Veräußerertarifvertrages (§ 613a Abs. 1 Satz 2 BGB) nicht die kongruente Tarifgebundenheit des Betriebserwerbers und des übernommenen Arbeitnehmers voraussetzte, sondern allein an die Tarifbindung des neuen Betriebsinhabers anknüpfte.98 Dies wird von Dunker angenommen99; Heinze/Ricken gehen in ihrem Beitrag zwar nicht auf 92
Ricken, Autonomie, S. 89. Dazu bereits oben C. II. 2. und im Einzelnen unten Teil 4. 94 Unten Teil 3, Kapitel 3. 95 Heinze/Ricken, ZfA 2001, 159 (175). 96 Für die Tarifeinheit bei Tarifpluralität argumentativ fruchtbar zu machen versucht auch bereits von Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1 (9 f.); gegen sie P. Hanau/Kania, Anm. zu BAG 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20, unter II. 2. a); Kraft, FS Zöllner, Band II, S. 831 (837 ff.); s. auch LAG Niedersachsen 12. 11. 1999 LAGE TVG § 4 Tarifpluralität Nr. 3 (Wendeling-Schröder), S. 3; aktuell Greiner, Rechtsfragen, S. 276 f. 97 Dunker, Unternehmensbezogene Tarifverträge, S. 181 ff., 198, 231. 98 So zutreffend jetzt auch Greiner, Rechtsfragen, S. 277. 99 Dunker, Unternehmensbezogene Tarifverträge, S. 183 ff. 93
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diese Frage ein, jedoch hatte Heinze sich bereits zuvor mehrfach dahingehend positioniert, dass § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB keine beiderseitige Tarifgebundenheit erfordere.100 BAG101 und h. L.102 verlangen demgegenüber für den Ausschluss der Fortgeltung des Veräußerertarifs die kongruente Tarifbindung, und das zu Recht. Die Argumente für die h. M. sollen hier nicht erneut ausführlich ausgebreitet werden. Es kann auf die hierzu erschienene Literatur, etwa auf die gründlichen Darlegungen von Kamanabrou und Waas, verwiesen werden.103 An dieser Stelle mögen wenige Hinweise genügen, die zum einen unter dem Gesichtspunkt der Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung von übergeordneter Bedeutung sind und die zum anderen eine namentlich von Heinze verfolgte Argumentationslinie aufgreifen. aa) Ließe man bereits die einseitige Tarifbindung des neuen Betriebsinhabers genügen, um die Rechtsfolge des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB auszuschließen, müsste der Arbeitnehmer, da es nicht zur Transformation der bisherigen tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen in das Arbeitsverhältnis käme und auch der neue Tarifvertrag in Ermangelung beiderseitiger Tarifgebundenheit (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG) nicht gälte, die Gewerkschaft wechseln, um tarifvertraglichen Schutz zu erhalten. In Anbetracht des grundrechtlichen Schutzes der individuellen positiven Koalitionsfreiheit104 durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG105 erscheint indes ein solcher 100
Heinze, FS Schaub, S. 275 (290 f.); ders., DB 1998, 1861 (1866). Nachweise oben Teil 1, Kapitel 1, unter A. I. 2., dort Fn. 15. 102 Etwa Staudinger/Annuß, § 613a Rn. 282; ders., BB 1999, 2558 (2561); ders., ZfA 2005, 405 (453 f.); Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1557; Gamillscheg, KollArbR I, § 17 V. 4. c) (1), S. 782; Gussen, Anm. zu BAG 21. 2. 2001 AP TVG § 4 Nr. 20; P. Hanau/Vossen, FS Hilger/Stumpf, S. 271 (292); Hergenröder, FS 50 Jahre BAG, S. 713 (715 ff., 728); Jacobs, Tarifeinheit, S. 322 ff.; ders., FS Birk, S. 243 (251); Kamanabrou, Anm. zu BAG 21. 2. 2001 SAE 2002, 26 (27 ff.); Kempen/Zachert/Kempen, § 3 Rn. 114; Kraft, FS Zöllner, Band II, S. 831 (838); Däubler/Lorenz, § 3 Rn. 201; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 207; MüKoBGB/Müller-Glöge, § 613a Rn. 139 f.; Wiedemann/Oetker, § 3 Rn. 253 f.; J. C. Otto, Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, S. 189; ErfK/Preis, § 613a BGB Rn. 123; Soergel/Raab, § 613a Rn. 125; Fuchs/Reichold, Tarifvertragsrecht, Rn. 209; Waas, Tarifvertrag und Betriebsübergang, S. 66 ff.; Wank, NZA 1987, 505 (509 f.); ders., Anm. zu BAG 19. 3. 1986 SAE 1987, 142 (143); MüArbR/Wank, § 102 Rn. 165 f., 174; Wiedemann, FS Fleck, S. 447 (454 f.); HWK/ H. J. Willemsen/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rn. 268; zuletzt Bepler, RdA 2009, 65 (70); Brecht-Heitzmann, GS Zachert, S. 502 (514 f.); Gaul/Janz, NZA Beilage 2/2010, S. 60 (66); Greiner, Rechtsfragen, S. 277; Jacobs, NZA Beilage 1/2009, S. 45 (48); Rinck, RdA 2010, 216 (218 f.); E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 206 f. 103 Kamanabrou, Anm. zu BAG 21. 2. 2001 SAE 2002, 26 (27 ff.); Waas, Tarifvertrag und Betriebsübergang, S. 66 ff. 104 s. zum Recht des Einzelnen zum Verbleib in einer Koalition als Bestandteil der durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten individuellen positiven Koalitionsfreiheit ErfK/Dieterich, Art. 9 GG Rn. 30; Koop, Tarifvertragssystem, S. 49; Lembke, Arbeitskampfbeteiligung, S. 32, 38 (Fn. 105), 62 und öfter, der zutreffend den Druck auf einen 101
Kap. 3: Neue Ansätze zur Begründung der Tarifeinheit bei Tarifpluralität
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Druck zum Wechsel der Gewerkschaft illegitim.106 Der Schutz aus Art. 9 Abs. 3 GG geht der Intention des Gesetzgebers vor, durch § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB einer einheitlichen Behandlung der Arbeitnehmer im Betrieb des Erwerbers den Vorrang vor dem individuellen Bestandsschutz nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB einzuräumen.107 bb) Dem kann auch nicht durch den Hinweis auf die vermeintlich vergleichbare Rechtslage im Falle des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG begegnet werden. Abweichend heißt es bei Heinze, nachdem sich heute zutreffend eine herrschende Ansicht zu § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG herauskristallisiert habe, derzufolge die Tarifbindung des Arbeitgebers genüge, unabhängig davon, ob und wie viele Arbeitnehmer ebenfalls tarifgebunden sind, erscheine der parallele Streit zu § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB wenig sinnvoll.108 Zur Erschütterung dieser Argumentation ist es nicht erforderlich, seinerseits die h. M. zu § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG in Zweifel zu ziehen109; dass für die Auslösung des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrangs nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG gegenüber der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers allein ausreicht, ist vielmehr grundsätzlich richtig.110 Die Argumente der GegenansichAndersorganisierten zum Koalitionsübertritt als möglichen Eingriff in die positive individuelle Koalitionsfreiheit anspricht, a. a. O. S. 35 f. Demgegenüber sieht BAG 21. 2. 2001 AP TVG § 4 Nr. 20 (Gussen), unter B. I. 2. b) ff) der Gründe, die negative Koalitionsfreiheit betroffen; ebenso Hergenröder, FS 50 Jahre BAG, S. 713 (716); Kamanabrou, Anm. zu BAG 21. 2. 2001 SAE 2002, 26 (31 f.); v. Stebut, Anm. zu BAG 19. 3. 1986 AP BGB § 613a Nr. 49, unter II. 2. 105 Zur Berücksichtigung der Koalitionsfreiheit im Wege der verfassungskonformen Auslegung des § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB s. Kamanabrou, Anm. zu BAG 21. 2. 2001 SAE 2002, 26 (31 f.). 106 Vgl. BAG 21. 2. 2001 AP TVG § 4 Nr. 20 (Gussen), unter B. I. 2. b) ff) der Gründe; Hergenröder, FS 50 Jahre BAG, S. 713 (716); MüKoBGB/Müller-Glöge, § 613a Rn. 140; ErfK/Preis, § 613a BGB Rn. 124; v. Stebut, Anm. zu BAG 19. 3. 1986 AP BGB § 613a Nr. 49, unter II. 2.; Waas, Tarifvertrag und Betriebsübergang, S. 81; HWK/H. J. Willemsen/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rn. 268. 107 ErfK/Preis, § 613a BGB Rn. 124. 108 Heinze, DB 1998, 1861 (1866); ders., FS Schaub, S. 275 (290). Einen Widerspruch zwischen der h. M. zu § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG und der zu § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB konstatiert jüngst auch A. Stein, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 35 (42). 109 So indes Jacobs, Tarifeinheit, S. 326; die Argumentation aus § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG ablehnend auch P. Hanau, RdA 1998, 65 (69); Kamanabrou, Anm. zu BAG 21. 2. 2001 SAE 2002, 26 (27). 110 Für die h. M. s. BAG 24. 2. 1987 AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 21 (Richardi), unter B. II. 6. c) der Gründe; WPK/Bender, § 87 Rn. 27; Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 116; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 237; Farthmann, RdA 1974, 65 (70); C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 226; Fitting, § 87 Rn. 42; Gamillscheg, KollArbR II, § 50 2. c) (3), S. 872; Heinze, NZA 1989, 41 (46); ders., FS Schaub, S. 275 (290); ders., DB 1998, 1861 (1866); v. Hoyningen-Huene/
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ten, denen zufolge eine tarifliche Regelung nur dann i. S. d. § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG besteht, wenn auch mindestens ein Arbeitnehmer tarifgebunden ist oder sogar die Geltung der tariflichen Regelung für den ganzen Betrieb oder zumindest (und sei es im Wege arbeitsvertraglicher Bezugnahme) für im Wesentlichen alle Arbeitnehmer verlangt werden muss111, überzeugen nicht. Das gilt besonders für die von der hauptsächlichen Gegenansicht, nach der alle Arbeitnehmer tarifgebunden sein müssen, bei Inhaltsnormen mithin die notwendige Mitbestimmung für die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer bestehen bleibt112, vorgebrachten Bedenken aus der negativen Koalitionsfreiheit.113 Zwar trifft es zu, dass die h. M. wesentlich damit begründet wird, dass sich der Arbeitnehmer, der in der Konsequenz nicht durch eine erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats geschützt wird, durch Gewerkschaftseintritt den tarifvertraglichen Schutz vor den einseitigen individualrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers verschaffen könne. Zum einen aber geht die h. M. bei § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG mit Recht davon aus, dass ein Schutzdefizit für die tariflichen Außenseiter ohnehin nur in wenigen Fällen auftritt, weil die meisten Fragen, die § 87 Abs. 1 BetrVG betrifft, betriebliche Fragen i. S. d. § 3 Abs. 2 TVG sind. Auch für das hier noch zu erarbeitende Begriffsverständnis114 besteht in vielen Fällen Deckungsgleichheit zwischen den betrieblichen Fragen i. S. d. § 3 Abs. 2 TVG und den Gegenständen der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrats Meier-Krenz, NZA 1987, 793 (796 f.); Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht 2, Rn. 425; Kittner/Zwanziger/Kittner/Deinert, § 18 Rn. 73; DKK/Klebe, § 87 Rn. 30; HaKoBetrVG/Kohte, § 87 Rn. 13 f.; Lieb, ZfA 1978, 179 (205 f.); Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 49 IV. 5. c), S. 530; MüArbR/Matthes, § 242 Rn. 16; Moll, Tarifvorrang, S. 17 ff. (21 f.); Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 75 ff.; Reuter, Anm. zu BAG 14. 11. 1974 SAE 1976, 15 (17 f.); Säcker, ZfA Sonderheft 1972, S. 41 (68); A. Stein, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 35 (40 ff.); Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 606; Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, Grundl. Rn. 348; HSWGNR/Worzalla, § 87 Rn. 55; Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 990. 111 Zum Streitstand etwa Richardi/Richardi, § 87 Rn. 154 f.; Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 606; GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 67 f.; HSWGNR/Worzalla, § 87 Rn. 55. 112 Dafür Band, Tarifkonkurrenz, S. 96; Gast, Anm. zu BAG 24. 2. 1987 BB 1987, 1249 (1252); v. Hoyningen-Huene, DB 1994, 2026 (2030); Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 163 f.; Löwisch/Kaiser, § 87 Rn. 6; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1495; Wiese, FS 25 Jahre BAG, S. 661 (671 f.); ders., Anm. zu BAG 24. 2. 1987 SAE 1989, 6 (10 f.); GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 68; dem zuneigend auch Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (513); dafür auf der Grundlage der Freigabe von Tarifpluralitäten jetzt auch Greiner, Rechtsfragen, S. 275 f., 382, 384, 391; Tarifbindung zumindest eines Arbeitnehmers im Betrieb verlangt Konzen, BB 1977, 1307 (1309, Fn. 28); unklar JKO/Jacobs, § 7 Rn. 106; ohne Festlegung auf eine Meinung auch ders., Tarifeinheit, S. 383. 113 Bedenken gegen die h. M. zu § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG aus der negativen Koalitionsfreiheit äußern etwa Band, Tarifkonkurrenz, S. 96; Gast, Anm. zu BAG 24. 2. 1987 BB 1987, 1249 (1250); v. Hoyningen-Huene, DB 1994, 2026 (2030); JKO/ Jacobs, § 7 Rn. 106; ders., Tarifeinheit, S. 384; Löwisch/Kaiser, § 87 Rn. 6; Wiese, Anm. zu BAG 24. 2. 1987 SAE 1989, 6 (10). 114 Unten Teil 3, Kapitel 2.
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in sozialen Angelegenheiten nach § 87 Abs. 1 Nrn. 1 bis 13 BetrVG. In der Regel gilt daher wegen § 3 Abs. 2 TVG die tarifvertragliche Regelung schon bei Tarifbindung des Arbeitgebers für alle Arbeitnehmer des Betriebs; für diesen Fall ist unstreitig, dass das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats schon bei Tarifbindung des Arbeitgebers für alle Arbeitnehmer des Betriebs, auch für die Außenseiter, ausgeschlossen ist.115 Der Druck zum Gewerkschaftsbeitritt, der in der Auslegung der h. M. von § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG ausgehen kann, überschreitet wohl schon deshalb nicht die Schwelle, jenseits derer von einer Unvereinbarkeit mit der negativen Koalitionsfreiheit gesprochen werden kann.116 Bei § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB geht es demgegenüber, anders als bei § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG, nicht vorrangig um Betriebsnormen, sondern wenigstens ebenso oder sogar in erster Linie um Inhaltsnormen, für deren normative Anwendbarkeit die Tarifgebundenheit und damit die (einschlägige) Gewerkschaftszugehörigkeit des Arbeitnehmers vorausgesetzt sind, §§ 4 Abs. 1 Satz 1, 3 Abs. 1 TVG. Verbreitet ist sogar die Ansicht, die die Transformation von Tarifnormen in das Arbeitsverhältnis anordnende Vorschrift des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB sei auf Betriebsnormen i. S. d. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG nicht einmal anwendbar. Dies kann indes jedenfalls nicht auf den Wortlaut des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB („Rechte und Pflichten“) gestützt werden.117 Betriebsnormen können durchaus „Rechte und Pflichten“ i. S. d. Vorschrift betreffen118, und dies auch nicht nur dann, wenn es sich zugleich um Inhaltsnormen handelt (Doppelnormen119)120; eine andere, hier nicht weiter zu verfolgende Frage ist, ob
115 Vgl. WPK/Bender, § 87 Rn. 27; Fitting, § 87 Rn. 42; Gamillscheg, KollArbR II, § 50 2. c) (3), S. 872; JKO/Jacobs, § 7 Rn. 106; DKK/Klebe, § 87 Rn. 30; Löwisch/ Kaiser, § 87 Rn. 6; Richardi/Richardi, § 87 Rn. 154 f.; Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 606; Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, Grundl. Rn. 348; GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 67 f.; HSWGNR/Worzalla, § 87 Rn. 55. 116 Zu den verschiedenen in Rechtsprechung und Literatur angelegten Maßstäben hinsichtlich eines unzulässigen Beitrittsdrucks s. C. Schubert, RdA 2001, 199 (200, Fn. 19). 117 So aber wohl Henssler, FS Schaub, S. 311 (317 f.); Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 175; MüArbR/Rieble/Klumpp, § 172 Rn. 8; auch P. Hanau/Vossen, FS Hilger/Stumpf, S. 271 (289) meinen, § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB erfasse nach seinem Wortlaut nur Inhaltsnormen. 118 Waas, Tarifvertrag und Betriebsübergang, S. 50; Wank, NZA 1987, 505 (506); MüArbR/Wank, § 102 Rn. 171; HWK/H. J. Willemsen/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rn. 264. 119 Zu Doppelnormen s. noch unten Teil 3, Kapitel 2, unter G. 120 Für Anwendbarkeit des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB (nur) in diesem Fall Gamillscheg, KollArbR I, § 17 V. 4. b) (2), S. 780; P. Hanau/Vossen, FS Hilger/Stumpf, S. 271 (290 f.); Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 177; MüKoBGB/Müller-Glöge, § 613a Rn. 135; Wiedemann/Oetker, § 3 Rn. 246; ErfK/Preis, § 613a BGB Rn. 118; Soergel/Raab, § 613a Rn. 112; MüArbR/Rieble/Klumpp, § 172 Rn. 8. Wie hier Kempen/Zachert/Kempen, § 3 Rn. 102; s. auch Däubler/Lorenz, § 3 Rn. 196.
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Teil 1: Einleitung
die Transformationsfähigkeit solcher Normen an ihrer notwendig einheitlichen Geltung scheitert.121 Zum zweiten und vor allem kann sich die h. M. zu § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG gegen die an ihr mit Blick auf die negative Koalitionsfreiheit geübte Kritik darauf berufen, dass aus Art. 9 Abs. 3 GG kein Anspruch des Arbeitnehmers folgt, dass ihm der Gewerkschaftsbeitritt durch Gewährung alternativen Schutzes erspart wird.122 Verfassungsrechtlich liegt also der entscheidende Unterschied zur Situation des § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB darin, dass das Abstellen allein auf die Tarifbindung des Arbeitgebers dort den soeben beschriebenen, inakzeptablen Druck zum Gewerkschaftswechsel zur Folge hätte, während der Ausschluss des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats auch für die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer eines tarifgebundenen Arbeitgebers lediglich einen Druck bedeutet, einer Gewerkschaft überhaupt beizutreten. Während der von § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG in der Interpretation der h. M. ausgehende Druck zum Gewerkschaftsbeitritt hinnehmbar ist, weil der nicht organisierte Arbeitnehmer nicht erwarten kann, dass die Rechtsordnung seine Entscheidung, unorganisiert zu bleiben, durch Bereitstellung eines alternativen kollektivrechtlichen Schutzmechanismus kompensiert123, kann dem bereits gewerkschaftlich gebundenen Arbeitnehmer der Wechsel zu der für den nach dem Betriebsübergang nunmehr zuständigen Gewerkschaft von der Rechtsordnung nicht angesonnen werden124. Das Verlangen nach kongruenter Tarifbindung für § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB ist demnach auch von der – im Ausgangspunkt Zustimmung verdienenden – h. M. zu § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG aus durchaus stimmig. Bereits angedeutet ist damit aber auch, dass im Zuge der Einpassung der Tarifpluralität in das Betriebsverfassungsrecht im Bereich des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG für den Fall einer realisierten Tarifpluralität differenzierende Lösungen insoweit zu finden sind, als nicht die unorganisierten, sondern die anders tarifgebundenen Arbeitnehmer eines tarifpluralen Betriebes betroffen sind.125 Sub specie der normativen Verankerung der Tarifeinheit im Betrieb erweisen sich damit § 613a Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB nicht als taugliche Belege der Kodi121 Dafür Staudinger/Annuß, § 613a Rn. 263; Jacobs, Tarifeinheit, S. 318 f.; weiterführend Waas, Tarifvertrag und Betriebsübergang, S. 47 ff., 50 f.; s. auch Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 175, 177; a. A. Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1541. 122 Reuter, JuS 1992, 105 (108). 123 s. auch noch unten Teil 4, unter B. I. 2. d) cc) (2) (a) und öfter. 124 BAG 21. 2. 2001 AP TVG § 4 Nr. 20 (Gussen), unter B. I. 2. b) ff) der Gründe; MüKoBGB/Müller-Glöge, § 613a Rn. 140; ErfK/Preis, § 613a BGB Rn. 124; Waas, Tarifvertrag und Betriebsübergang, S. 81; HWK/H. J. Willemsen/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rn. 268; nicht überzeugend daher auch die Annahme eines Widerspruchs zwischen der Auslegung von § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG und der von § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB durch die jeweils h. M. bei A. Stein, Liber amicorum WendelingSchröder, S. 35 (42). 125 s. dazu ausführlich unten Teil 4, unter B. I. 2. e).
Kap. 3: Neue Ansätze zur Begründung der Tarifeinheit bei Tarifpluralität
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fikationsthese, sondern „eher als rechtliche Basis für eine – wenngleich vorübergehende – faktische Tarifpluralität“ 126. III. Fazit Entgegen der Ansicht von Heinze und Ricken lassen sich zumindest den bislang beleuchteten Vorschriften keine Hinweise darauf entnehmen, dass der einfache Gesetzgeber das Prinzip der Tarifeinheit bei Tarifpluralität gleichsam implizit normativ verankert hat. Keiner der untersuchten Regelungen lässt sich ein – auch nur schwacher127 – Anhaltspunkt für die Notwendigkeit der Auflösung solcher Tarifpluralitäten entnehmen, die nicht ohnehin zugleich betriebsweite Tarifkonkurrenzen und als solche bereits unstreitig nach dem Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis aufzulösen sind. Das bisher untersuchte Normenmaterial lässt vielmehr eine Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung ohne weiteres zu. Ob dies auch im Übrigen konstatiert werden kann, muss die weitere Untersuchung zu den Rückwirkungen eines tarifkollisionsrechtlichen Paradigmenwechsels auf die Gebiete des Arbeitsvertrags-, des Tarif-, Betriebsverfassungs- und des Arbeitskampfrechts zeigen.
126 Schliemann, FS Hromadka, S. 359 (371); s. auch Franzen, RdA 2008, 193 (195) sowie nochmals BAG 21. 2. 2001 AP TVG § 4 Nr. 20 (Gussen), unter B. I. 2. b) ee) (5) der Gründe; F. Bayreuther, NZA 2007, 187 (188); MüKoBGB/Müller-Glöge, § 613a Rn. 140; ErfK/Preis, § 613a BGB Rn. 124; Fuchs/Reichold, Tarifvertragsrecht, Rn. 209; E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 367; zuletzt Greiner, Rechtsfragen, S. 288 f. Dazu, dass dies sogar umso mehr gelten dürfte, wenn man mit der erst kürzlich ergangenen Entscheidung BAG 22. 4. 2009 NZA 2010, 41 die Fortgeltung des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nicht mehr individualrechtlich, sondern vergleichbar der Nachbindung des § 3 Abs. 3 TVG kollektivrechtlich versteht, s. bereits oben Teil 1, Kapitel 1, unter A. I. 2. und nochmals den Anfragebeschluss BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) cc) (2) (d) der Gründe, Rn. 59 des Beschlusses. 127 Immerhin für möglich gehalten von F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 379 f.
Teil 2
Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht Kapitel 1
Tarifpluralität und Ermittlung der Gewerkschaftszugehörigkeit A. Einführung1 Als Argument für die Herstellung betrieblicher Tarifeinheit in Fällen der Tarifpluralität führte das BAG in seiner früheren Rechtsprechung u. a. Probleme an, die sich aus seiner Sicht im Falle einer hingenommenen Tarifpluralität hinsichtlich der Ermittlung der Gewerkschaftszugehörigkeit der Arbeitnehmer ergaben.2 Die gegen diese Argumentation zunächst vorgebrachten Einwände griffen aus Sicht des unserer Untersuchung gesetzten Zieles zu kurz.3 Bliebe man bei ihnen stehen, so müsste man sich als Gegner des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb in der Tat den gerade in diesem Zusammenhang4 erhobenen Vorwurf gefallen lassen, zur Überwindung der „vom BAG nicht erfundenen“ tatsächlichen Schwierigkeiten nichts beizutragen. Das Postulat der Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung, hier in das Arbeitsvertragsrecht, verlangt nach weiterführenden Überlegungen. Hiervon entbinden auch die Ausführungen nicht, die der 4. Senat des BAG jetzt in seinem Anfragebeschluss vom 27. Januar 2010 dieser Frage widmet. Er greift insoweit lediglich bereits bekannte Argumente der Kritiker der Tarifeinheit 1
s. zum Folgenden auch bereits oben Teil 1, Kapitel 1, unter B. II. 4. BAG 14. 6. 1989 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 16 (Wiedemann/Arnold); 5. 9. 1990 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 19; 26. 1. 1994 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 22, unter II. 4. d) der Gründe. Zu eigen gemacht haben sich diese Argumentation der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2007/2008, Nr. 555, S. 363, sowie der Präsident der BDA Hundt in seinem Plädoyer für die betriebliche Tarifeinheit in der FAZ vom 11. 9. 2007, S. 12; s. auch jüngst Göhner, FS Bauer, S. 351 (359) sowie Fritz/Meyer, NZA Beilage 3/2010, S. 111 (112). 3 Für Einzelheiten s. bereits oben Teil 1, Kapitel 1, unter B. II. 4. 4 Von Gamillscheg, KollArbR I, § 17 III. 3. c) (1) (c), S. 752; zustimmend F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 390 f. 2
Kap. 1: Tarifpluralität und Ermittlung der Gewerkschaftszugehörigkeit
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auf, die aber, wie gesagt, bei aller Berechtigung das Problem mehr relativieren als dass sie es lösen. Zwar erwähnt der Senat auch einige Punkte, die für die im Folgenden zu entwickelnde Lösung eine Rolle spielen, so die Vorschrift des § 612a BGB und das Stichwort der „Offenbarungspflicht“. Zu einer Stellungnahme dazu, ob der Arbeitgeber unter den Bedingungen einer realisierten Tarifpluralität berechtigt sein muss, den Arbeitnehmer im laufenden Arbeitsverhältnis nach seiner Gewerkschaftszugehörigkeit zu fragen, ringt er sich aber nicht durch.5 Gerade dies aber ist, wie zu zeigen sein wird, unter dem Gesichtspunkt der Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung eine der entscheidenden Fragen.
B. Ausgangspunkt: Bedürfnisabhängigkeit des arbeitgeberseitigen Fragerechts im bestehenden Arbeitsverhältnis Während das BAG nicht nur in seinen früheren Entscheidungen zur Tarifpluralität6, sondern auch sonst von der Unzulässigkeit der Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit auch für die Zeit nach der Einstellung ausgeht7, wird die Frage des Arbeitgebers nach der Gewerkschaftsmitgliedschaft des Arbeitnehmers im bestehenden Arbeitsverhältnis in der Literatur ganz überwiegend für zulässig gehalten.8 Diese Ansicht findet sich auch in den Darstellungen zu den Folgen einer realisierten Tarifpluralität; die meisten Gegner des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb wollen dem Arbeitgeber für die Zeit nach Abschluss des Arbeitsvertrages das Recht einräumen, den Arbeitnehmer nach seiner Gewerkschaftszugehörigkeit zu fragen9. Unter den Verteidigern der Tarifeinheit bei Ta5 s. BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) dd) (2) (b) der Gründe, Rn. 68 f. des Beschlusses; wie hier die Wertung bei Richardi, Gem. Anm. zu BAG 27. 1. 2010 – 4 AZR 549/08 (A) – und BAG 23. 6. 2010 – 10 AS 2/10, demn. in AP, unter II. 2.: „karg“. 6 s. zu den entsprechenden Entscheidungen des 4. und des 10. Senats des BAG noch unten C. III. 1. a) aa) und bb). Aus der Instanzrechtsprechung lehnt ein Fragerecht auch nach Abschluss des Arbeitsvertrages in einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ab ArbG Düsseldorf 1. 8. 2007 – 11 Ga 74/07 – juris, unter II. 1. b) der Gründe. 7 s. besonders BAG 19. 3. 2003 AP ZPO § 253 Nr. 41, unter II. 2. a) bb) (2) der Gründe. 8 Kittner/Zwanziger/Becker, § 29 Rn. 56; MüArbR/Buchner, § 30 Rn. 245, mit Fn. 290; Danne, Anm. zu BAG 4. 9. 1996 SAE 1998, 111 (115); Ehrich, DB 2000, 421 (426); Fitting, § 94 Rn. 16 f.; Hromadka, AuA 1998, 73 (75); GK-BetrVG/Raab, § 94 Rn. 39; Staudinger/Richardi, § 611 Rn. 150; HWK/Thüsing, § 123 BGB Rn. 14; Wank, Anm. zu BAG 19. 5. 1983 EzA BGB § 123 Nr. 23, S. 99; s. auch ErfK/Wank, § 32 BDSG Rn. 9; ausführlich und differenzierend Rieble, GS Heinze, S. 687 (693 ff.); zweifelnd Meik, DB 1990, 2522 (2526); s. auch Gamillscheg, FS Kehrmann, S. 247 (247 f.). 9 Band, Tarifkonkurrenz, S. 108; F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 392; ders., BB 2005, 2633 (2640); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 130 (136); Thüsing/F. Bayreuther, AEntG, § 7 AEntG Rn. 31; Dauner-Lieb, Anm. zu BAG 28. 5. 1997
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
rifpluralität wird die Frage teils offen gelassen10, teils geht man unter Hinweis auf Art. 9 Abs. 3 GG von der Unzulässigkeit der Frage aus11. Zur Begründung des Fragerechts nach Abschluss des Arbeitsvertrages reicht es freilich nicht aus, auf das Maßregelungsverbot des § 612a BGB zu verweisen, welches den Arbeitnehmer nach Vertragsschluss hinreichend vor Benachteiligungen wegen seiner Gewerkschaftsmitgliedschaft schütze.12 So berechtigt der Hinweis auf das Maßregelungsverbot ist13, so leicht kann dadurch der Blick für die Grundlagen des Fragerechts des Arbeitgebers verstellt werden. Eben diese allgemeinen Grundsätze müssen aber Ausgangspunkt der Betrachtung sein. Außen vor bleiben müssen dabei die Regelungen des AGG. Soweit in der Literatur die Ansicht vertreten wird, die Unzulässigkeit der Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit ergebe sich nun auch aus dem AGG, da das nach § 1 AGG geschützte Merkmal „Weltanschauung“ betroffen sei14, ist dem nicht zu folgen. Nach zutreffender h. M. muss bei der Auslegung des Begriffs der „WeltanschauSAE 1999, 47 (51), unter III.; Franzen, RdA 2008, 193 (195); P. Hanau, RdA 2008, 98 (103); P. Hanau/Kania, Anm. zu BAG 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20, unter II. 2. a); HWK/Henssler, § 4 TVG Rn. 57; Jacobs, Tarifeinheit, S. 406; ders., NZA 2008, 325 (328); Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 517; A. Lindemann/Simon, BB 2006, 1852 (1856); Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 146; Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1076 f.); GK-BetrVG/Raab, § 94 Rn. 39; Reichold, RdA 2007, 321 (327); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 146 (147); Rieble, GS Heinze, S. 687 (694); Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (512); Wank, Anm. zu BAG 26. 1. 1994 EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 9, S. 15 (20); E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 304. Erwogen auch von Bepler, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 791 (801); deutlicher in Richtung der Zulassung der Frage dann Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (120; s. auch S. 144); zuletzt Greiner, Rechtsfragen, S. 353, 491 f.; Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 184. 10 So bei Heinze/Ricken, ZfA 2001, 159 (178). Ohne Stellungnahme auch Giesen, NZA 2009, 11 (13), der nur darauf hinweist, dass es den Arbeitnehmern durch die Tarifeinheit bei Tarifpluralität erspart werde, zwecks Tarifanwendung ihre (jeweilige) Gewerkschaftsmitgliedschaft offen legen zu müssen; s. gegenüber einer solchen Sichtweise aber zutreffend Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (512): Es sei geradezu widersinnig, Arbeitnehmern die Rechte aus dem für sie abgeschlossenen Tarifvertrag zu nehmen, weil angeblich keine rechtlichen Instrumente zur notwendigen Klärung des Bestehens dieser Rechte existieren. 11 So, allerdings ohne nähere Problematisierung, Dunker, Unternehmensbezogene Tarifverträge, S. 202. 12 So indes Jacobs, Tarifeinheit, S. 406; s. auch dens., NZA 2008, 325 (328); kritisch jetzt auch Greiner, Rechtsfragen, S. 483 (dort Fn. 671), 486. 13 Er findet sich jetzt auch bei BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) dd) (2) (b) der Gründe, Rn. 69 des Beschlusses und schon zuvor etwa bei Band, Tarifkonkurrenz, S. 108; P. Hanau/Kania, Anm. zu BAG 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20, unter II. 2. a); Koop, Tarifvertragssystem, S. 315; Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1076); Rieble, GS Heinze, S. 687 (693); Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (512); kritisch aber Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 57f; Michel/ Möller/Peter, AuR 2008, 36 (38); Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (115). 14 So für das Fragerecht des Arbeitgebers bei Einstellung G. Wisskirchen/Bissels, NZA 2007, 169 (172).
Kap. 1: Tarifpluralität und Ermittlung der Gewerkschaftszugehörigkeit
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ung“ dessen systematische Nähe zu dem Begriff der „Religion“ (s. § 1 AGG) beachtet werden15, weshalb politische Anschauungen im Grundsatz nicht hierunter subsumiert werden können16; auch die gewerkschaftliche Orientierung ist daher von dem Begriff der Weltanschauung nicht umfasst.17 Zweifel an der gegenteiligen Auffassung erwachsen bei systematischer Auslegung auch aus dem18 Fehlen der Gewerkschaften unter den von § 9 Abs. 1 AGG privilegierten Tendenzbetrieben.19 Dementsprechend kann auch die Zulässigkeit einer arbeitgeberischen Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit nicht nach dem AGG beurteilt werden.20 Die Unzulässigkeit der Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit kann sich daher auch unter der Geltung des AGG nur aus Art. 9 Abs. 3 GG ergeben21, so dass 15 Adomeit/Mohr, § 1 Rn. 78; J.-H. Bauer/Göpfert/Krieger, § 1 Rn. 30; Meinel/Heyn/ Herms, § 1 Rn. 20 ff.; Schleusener/Suckow/Voigt, § 1 Rn. 49; Thüsing, Diskriminierungsschutz, Rn. 199 sowie MüKoBGB/Thüsing, § 1 AGG Rn. 73; s. auch ErfK/ Schlachter, § 1 AGG Rn. 8. 16 So im Ergebnis grundsätzlich Adomeit/Mohr, § 1 Rn. 81; J.-H. Bauer/Göpfert/ Krieger, § 1 Rn. 30; Meinel/Heyn/Herms, § 1 Rn. 22; Schiek/Schiek, § 1 Rn. 23; ErfK/ Schlachter, § 1 AGG Rn. 8; Schleusener/Suckow/Voigt, § 1 Rn. 48 f.; Wendeling-Schröder/A. Stein/A. Stein, § 1 Rn. 36; differenzierend Däubler/Bertzbach/Däubler, § 1 Rn. 69. 17 Schleusener/Suckow/Voigt, § 1 Rn. 48; ebenso Schiek/Schiek, § 1 Rn. 24: Der Schutz vor Diskriminierung wegen der Weltanschauung wird im Arbeitsrecht durch das aus der Koalitionsfreiheit abzuleitende Verbot der Diskriminierung wegen der Gewerkschaftszugehörigkeit sowie durch die Diskriminierungsverbote des § 75 BetrVG ergänzt; s. auch Adomeit/Mohr, § 2 Rn. 43, wo der Begriff „Weltanschauung“ nach dem AGG in einen Zusammenhang gebracht wird mit dem der „philosophischen Überzeugungen“ in § 3 Abs. 9 BDSG, nicht aber mit der dort ebenfalls enthaltenen „Gewerkschaftszugehörigkeit“; des Weiteren MüArbR/Buchner, § 30 Rn. 258; Wendeling-Schröder/ A. Stein/A. Stein, § 1 Rn. 36 (mit Fn. 64), Rn. 40; s. auch die getrennte Abhandlung der arbeitgeberischen Frage nach der Religion oder Weltanschauung und derjenigen nach der Gewerkschaftszugehörigkeit bei Thüsing, Diskriminierungsschutz, Rn. 677, 680 sowie MüKoBGB/Thüsing, § 11 AGG Rn. 22, 25; differenzierend Däubler/Bertzbach/ Däubler, § 1 Rn. 69. 18 Von G. Wisskirchen/Bissels, NZA 2007, 169 (172) selbst betonten. 19 Dazu, dass Gewerkschaften (auch christliche) von § 9 Abs. 1 AGG nicht erfasst werden, s. Schiek/M. Schmidt, § 9 Rn. 8. In der Sache dürfte freilich unstr. sein, dass bei einer in Aussicht genommenen Beschäftigung bei einer Gewerkschaft vor Einstellung danach gefragt werden kann, ob der Bewerber Mitglied einer Gewerkschaft ist und welcher Gewerkschaft er angehört, s. nur Staudinger/Richardi, § 611 Rn. 150; Rieble, GS Heinze, S. 687 (691); Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 139. Daran hat auch das AGG nichts geändert, vgl. M. Schmidt, a. a. O. 20 Ablehnend zu G. Wisskirchen/Bissels jetzt daher mit Recht auch Greiner, Rechtsfragen, S. 486 sowie GK-BetrVG/Raab, § 94 Rn. 39; s. auch MüArbR/Buchner, § 30 Rn. 257 ff.; differenzierend Däubler/Bertzbach/Däubler, § 7 Rn. 34, nach dem das AGG zwar nicht die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, aber die nach (gefestigten) gewerkschaftlichen Auffassungen ausschließt. 21 Vgl. Adomeit/Mohr, § 2 Rn. 20; Schleusener/Suckow/Voigt, § 1 Rn. 48 und Suckow, ebd., § 11 Rn. 76, 92; Wendeling-Schröder/A. Stein/A. Stein, § 1 Rn. 40; s. auch Schiek/Schiek, § 1 Rn. 24 und jüngst Wank, RdA 2010, 193 (196).
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
es weiterhin auf die im Folgenden zu skizzierenden allgemeinen Grundsätze ankommt. I. Die gesamte Problematik des arbeitgeberischen Fragerechts sowohl im Anbahnungs- als auch im bestehenden Arbeitsverhältnis wurzelt im Aufeinanderprallen der diametral entgegen gesetzten Interessen beider (potentieller) Vertragsteile. Aus der Vertrags-, genauer der Abschlussfreiheit (Art. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG) folgt das Recht des Arbeitgebers auf „Informationsfreiheit“.22 Der Arbeitgeber kann vor einer Entscheidung über die Einstellung eines Arbeitnehmers oder auch im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses ein berechtigtes Interesse an der Kenntnis bestimmter Tatsachen aus den persönlichen Verhältnissen des Arbeitnehmers haben.23 Das Informationsinteresse des Arbeitgebers sieht die h. M. in einem Spannungsverhältnis zu dem Interesse des Arbeitnehmers an der Wahrung seiner Individual- und Intimsphäre.24 Der Informationsanspruch des Arbeitgebers wird danach begrenzt durch das in Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG garantierte Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers.25 Ob die alleinige Anknüpfung an das allgemeine Persönlichkeitsrecht in allen (oder auch nur den meisten) Fällen eine tragfähige Grundlage für die Begrenzung des Fragerechts abgibt, darf zwar bezweifelt werden. Von Wank und Wiedemann wird dieser Ansatz als nicht ausreichend angesehen.26 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht sei nur dort einschlägig, wo die Indiskretion der Frage im Vordergrund steht, mithin bei Fragen nach Umständen aus dem „Intimbereich“ oder der „Geheimsphäre“.27 Im Übrigen sei die Begrenzung des Fragerechts argumentativ auf spezielle Diskriminierungsverbote28 oder auf ein allgemeines Diskriminierungsverbot i. S. eines Rechts auf Arbeit zu stützen; der Gedanke der Chancengleichheit bei der Arbeitsplatzverteilung verbiete nicht-arbeitsplatzbezogene Fragen.29 Eng damit verwandt ist der Ansatz, das geschützte Interesse des Arbeitnehmers in seinem „In22 ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 271; s. auch MüArbR/Buchner, § 30 Rn. 238; Wank, Anm. zu BAG 19. 5. 1983 EzA BGB § 123 Nr. 23, S. 98; ferner Staudinger/Richardi, § 611 Rn. 135. 23 GK-BetrVG/Raab, § 94 Rn. 22; s. auch Kittner/Zwanziger/Becker, § 29 Rn. 29; MüArbR/Buchner, § 30 Rn. 238. 24 GK-BetrVG/Raab, § 94 Rn. 22. 25 Kittner/Zwanziger/Becker, § 29 Rn. 32; Staudinger/Richardi, § 611 Rn. 137, 140; ErfK/I. Schmidt, Art. 2 GG Rn. 95 f. 26 So für das Fragerecht vor Einstellung Wank, Anm. zu BAG 19. 5. 1983 EzA BGB § 123 Nr. 23, S. 97 f.; Wiedemann, FS Herschel, S. 463 (468). 27 Wank, Anm. zu BAG 19. 5. 1983 EzA BGB § 123 Nr. 23, S. 98 f.; Wiedemann, FS Herschel, S. 463 (468 f.). 28 Wank, Anm. zu BAG 19. 5. 1983 EzA BGB § 123 Nr. 23, S. 99 f. – so etwa bei der Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit wegen Art. 9 Abs. 3 GG, s. ebd.; an Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG anknüpfend auch Reichold, RdA 2007, 321 (327); Staudinger/Richardi, § 611 Rn. 150. s. auch BAG 7. 9. 1995 AP BGB § 242 Auskunftspflicht Nr. 24, unter II. 2. b) der Gründe und zum Ganzen jetzt auch MüArbR/Buchner, § 30 Rn. 239 ff.
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teresse am Arbeitsplatz“ zu sehen30; auch danach geht es um den Schutz der Verhandlungsposition des Arbeitnehmers, mithin um Fragen der Einstellungschancen.31 Die Frage kann für die weitere Untersuchung auf sich beruhen. In jedem Fall muss die Reichweite des Fragerechts durch eine Abwägung zwischen dem Auskunftsbedürfnis des Arbeitgebers und dem – aus welchem Gesichtspunkt (allgemeines Persönlichkeitsrecht, Diskriminierungsverbote, Recht auf Arbeit oder Interesse am Arbeitsplatz) auch immer hergeleiteten – Geheimhaltungsinteresse des Arbeitnehmers ermittelt werden.32 Die Abwägung muss ergeben, dass der Arbeitgeber ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an der Beantwortung seiner Frage gerade im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis hat.33 Das Informationsinteresse muss so gewichtig sein, dass das Geheimhaltungsinteresse des Arbeitnehmers dahinter zurücktritt.34 Im bestehenden Arbeitsverhältnis bedarf es zur Begründung eines solchen Interesses eines Zusammenhangs mit der Erfüllung der vom Arbeitnehmer geschuldeten Leistung, mit dessen sonstigen Vertragspflichten oder mit der Pflichtenbindung des Arbeitgebers.35 II. Die erforderliche Interessenabwägung kann dazu führen, dass Fragen, die – wie z. B. die nach der Gewerkschaftsmitgliedschaft – vor einer Einstellung unzulässig sind, danach zulässig werden.36 Fragen nach tatsächlichen Umständen und Verhältnissen, die zwar nicht für die Einstellungsentscheidung, aber doch für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses erforderlich sind, dürfen nach Abschluss des Arbeitsvertrages nachgeschoben werden.37 Entscheidend ist demnach, ob es 29 Wank, Anm. zu BAG 19. 5. 1983 EzA BGB § 123 Nr. 23, S. 98, 100 ff.; s. auch Leipold, AuR 1971, 161 (165 f.); kritisch Reuter, RdA 1978, 344 (347 f.); einschränkend auch Wiedemann, FS Herschel, S. 463 (470, mit Fn. 42). 30 Wiedemann, FS Herschel, S. 463 (470). 31 Wiedemann, FS Herschel, S. 463 (469 f.). 32 Kittner/Zwanziger/Becker, § 29 Rn. 34; Fitting, § 94 Rn. 16; GK-BetrVG/Raab, § 94 Rn. 22; Staudinger/Richardi, § 611 Rn. 140; Wank, Anm. zu BAG 19. 5. 1983 EzA BGB § 123 Nr. 23, S. 98. 33 BAG 7. 6. 1984 AP BGB § 123 Nr. 26, unter II. 4. a) der Gründe (für Fragen bei der Einstellung); für Fragen im bestehenden Arbeitsverhältnis BAG 7. 9. 1995 AP BGB § 242 Auskunftspflicht Nr. 24, unter II. 2. c) aa) der Gründe; aus der Literatur Kittner/ Zwanziger/Becker, § 29 Rn. 34; MüArbR/Buchner, § 30 Rn. 254; Fitting, § 94 Rn. 16; Michel/Möller/Peter, AuR 2008, 36 (37); Staudinger/Richardi, § 611 Rn. 139. 34 Vgl. vom Standpunkt der h. M. aus BAG 7. 6. 1984 AP BGB § 123 Nr. 26, unter II. 4. a) der Gründe (für Fragen bei der Einstellung); für Fragen im bestehenden Arbeitsverhältnis vgl. BAG 7. 9. 1995 AP BGB § 242 Auskunftspflicht Nr. 24, unter II. 2. c) bb) der Gründe; aus dem Schrifttum Kittner/Zwanziger/Becker, § 29 Rn. 34; MüArbR/ Buchner, § 30 Rn. 254; GK-BetrVG/Raab, § 94 Rn. 22; Staudinger/Richardi, § 611 Rn. 139. 35 BAG 7. 9. 1995 AP BGB § 242 Auskunftspflicht Nr. 24, unter II. 2. c) aa) der Gründe; Fitting, § 94 Rn. 16; GK-BetrVG/Raab, § 94 Rn. 22. 36 Fitting, § 94 Rn. 16. 37 Danne, Anm. zu BAG 4. 9. 1996 SAE 1998, 111 (115).
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sich bei der Gewerkschaftsmitgliedschaft um ein Faktum handelt, dessen Kenntnis für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses erforderlich ist; das diesbezügliche Fragerecht des Arbeitgebers ist abhängig von einem entsprechenden Informationsbedürfnis.
C. Bedürfnis nach Kenntnis der Gewerkschaftszugehörigkeit? I. Rechtsfolgenbezogenes Informationsbedürfnis des Arbeitgebers nach der Einstellung Dass das Recht des Arbeitgebers, im bestehenden Arbeitsverhältnis nach der Gewerkschaftszugehörigkeit des Arbeitnehmers zu fragen, von einem entsprechenden Informationsbedürfnis des Arbeitgebers abhängt, ist in der allgemeinen Literatur zum Fragerecht anerkannt.38 Ein Informationsbedürfnis des Arbeitgebers wird bejaht, wenn die Kenntnis des Organisationsstatus erforderlich ist „zum Zwecke der tarifgerechten Entlohnung bzw. der formgerechten Ausfertigung des Arbeitsvertrages“39 oder wenn der Arbeitgeber sich verpflichtet hat, die Gewerkschaftsbeiträge abzuführen40. Mit Rieble41 lässt sich dies dahin verallgemeinern, dass das Informationsbedürfnis des Arbeitgebers rechtsfolgenbezogen ist. Als Grundsatz gilt: Der tarifgebundene Arbeitgeber darf die Gewerkschaftszugehörigkeit42 seiner Arbeitnehmer nach der Einstellung erfragen, weil hiervon die Geltung der Individualnormen des Tarifvertrages im Arbeitsverhältnis abhängt und die Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers somit für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses bedeutsam ist.43 Ohne entsprechende Kenntnis wäre der tarifgebundene Arbeitgeber mittelbar gezwungen, auch die tariffreien Arbeitnehmer nach Tarif zu behandeln, was sich als unverhältnismäßiger Eingriff in die Arbeitsvertragsfreiheit ausnähme. Durch Vorenthaltung eines Fragerechts animie38
Kittner/Zwanziger/Becker, § 29 Rn. 56. Ehrich, DB 2000, 421 (426); ebenso Fitting, § 94 Rn. 17: Soweit die Angaben für die Lohnberechnung und Entgeltauszahlung benötigt werden; Löwisch/Kaiser, § 94 Rn. 10; Schleusener/Suckow/Voigt, § 11 Rn. 92. 40 GK-BetrVG/Raab, § 94 Rn. 39; s. auch Kittner/Zwanziger/Becker, § 29 Rn. 56. 41 Rieble, GS Heinze, S. 687 (693 ff.); s. auch Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 140 ff. 42 Wegen § 3 Abs. 3 TVG geht es nach Rieble, GS Heinze, S. 687 (697), genauer um die Frage nach der Tarifgebundenheit. Für Unanwendbarkeit des § 3 Abs. 3 TVG beim Gewerkschaftsaustritt des Arbeitnehmers gegen die ganz überwiegende Meinung Jacobs, Anm. zu BAG 4. 4. 2001 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 26; s. auch dens., Tarifeinheit, S. 155 f.; für die h. M. nur BAG 4. 4. 2001, a. a. O.; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 85; Wiedemann/Oetker, TVG, § 3 Rn. 60 m.w. N.; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1814; Waas, Tarifkonkurrenz, S. 40. 43 Ebenso Staudinger/Richardi, § 611 Rn. 150; HWK/Thüsing, § 123 BGB Rn. 14; s. auch Danne, Anm. zu BAG 4. 9. 1996 SAE 1998, 111 (115): Die Beantwortung der Frage benachteilige den Arbeitnehmer nicht, sondern sichere ihm vielmehr die aus der Gewerkschaftszugehörigkeit resultierenden Rechte; ebenso Ehrich, DB 2000, 421 (426). 39
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re man den Arbeitgeber nur dazu, seinen Arbeitnehmern gezielt „etwas weniger“ als das Tarifentgelt zu zahlen und so jeden Arbeitnehmer dazu zu bringen, von sich aus die Gewerkschaftsmitgliedschaft aufzudecken.44 Ausnahmen vom Fragerecht gelten im Falle der Tarifanwendung auch für Tariffreie, so bei Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG und – praktisch eher der Regel- als ein Ausnahmefall – bei individualrechtlicher Gleichstellung der Nichtorganisierten durch arbeitsvertragliche Bezugnahme.45 Bei Beschränkung des Fragerechts auf Fälle eines rechtsfolgenbezogenen Informationsbedürfnisses des Arbeitgebers scheitert die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit des Arbeitnehmers im bestehenden Arbeitsverhältnis trotz des gesteigerten Schutzes besonderer Arten personenbezogener Daten (§ 3 Abs. 9 BDSG), zu denen die Gewerkschaftszugehörigkeit zählt, wegen des Erlaubnistatbestands des § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG auch nicht am datenschutzrechtlichen Datenerhebungsverbot mit Erlaubnisvorbehalt46 nach § 4 Abs. 1 BDSG.47 II. Die Situation der Tarifpluralität 1. Sicherstellung der zutreffenden tarifrechtlichen Behandlung der Arbeitnehmer Ein rechtsfolgenbezogenes Informationsbedürfnis im geschilderten Sinne könnte gerade auch für den Fall der Tarifpluralität zu bejahen sein. Überwiegender Auffassung in der Literatur zu den Folgen einer Tarifpluralität entspricht es, dass der Arbeitgeber eines tarifpluralen Betriebs auf die Kenntnis der Gewerk44
Rieble, GS Heinze, S. 687 (693 f.); Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 140. Rieble, GS Heinze, S. 687 (695 f.); Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 141, 145; ebenso Franzen, RdA 2008, 193 (195 f.); P. Hanau, RdA 2008, 98 (103); Staudinger/Richardi, § 611 Rn. 150; s. auch GK-BetrVG/Raab, § 94 Rn. 39 sowie Löwisch/Kaiser, § 94 Rn. 10; einschränkend aber demgegenüber jetzt Greiner, Rechtsfragen, S. 487 f. Dass die h. L. für den Fall einheitlicher Tarifanwendung im Betrieb demnach ein Fragerecht verneint, übersehen Michel/Möller/Peter, AuR 2008, 36 (37, nach Fn. 13), deren Gegenargument daher gegenstandslos ist. Ein Fragerecht auch für den Arbeitgeber, der einen Tarifvertrag betriebseinheitlich anwendet, wird von niemandem vertreten (s. aber auch Rieble, a. a. O., S. 697 ff.). 46 Dazu nur ErfK/Wank, § 4 BDSG Rn. 1. 47 Näher Thüsing/Lambrich, BB 2002, 1146 (1151); s. auch Rieble, GS Heinze, S. 687; allgemein zu Fragerecht und Datenschutz auch Adomeit/Mohr, § 2 Rn. 42 ff.; s. auch Staudinger/Richardi, § 611 Rn. 138. Im Zusammenhang mit der Tarifpluralität Franzen, RdA 2008, 193 (196); Freckmann/K. Müller, BB 2010, 1981 (1987). – Zum Konkurrenzverhältnis des § 28 Abs. 6 (hier: Nr. 3) BDSG zum neuen (bald aber wohl schon wieder „alten“, s. sogleich) § 32 BDSG s. ErfK/Wank, § 32 BDSG Rn. 3; zur geplanten, am 25. August 2010 vom Bundeskabinett beschlossenen Neuregelung des Arbeitnehmerdatenschutzes in den neuzufassenden §§ 32–32l BDSG s. den Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 24. August 2010 (Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Beschäftigtendatenschutzes), abrufbar auf der Homepage des Bundesministeriums des Innern (zur Datenerhebung im Beschäftigungsverhältnis s. § 32c des Entwurfs). 45
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schaftszugehörigkeit angewiesen sei, um die zutreffende tarifrechtliche Behandlung der Arbeitnehmer sicherzustellen.48 2. Kein Bedürfnis für ein Fragerecht? Es gibt aber durchaus Gegenstimmen: Tatsächlich bedürfe es eines solchen Fragerechts überhaupt nicht. Der Arbeitnehmer, der sich auf den „eigenen“ Tarifvertrag berufe, müsse seine Gewerkschaftszugehörigkeit mitteilen, wenn er seine Rechte wahren wolle.49 Insofern sei die Situation materiellrechtlich identisch mit der prozessualen Situation, bei der die Verbandszugehörigkeit des Arbeitnehmers darzulegen und im Streitfalle zu beweisen sei.50 Im Lichte der Wertentscheidungen des Grundgesetzes als auch aufgrund einfacher Gesetze sei die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit eine höchst persönliche und sehr sensible Angelegenheit. Das Wissen um die Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft sei besonders schützenswert, weil die Schlussfolgerungen, die der Arbeitgeber hieraus ziehe, in der Praxis für die Betroffenen negative Folgen haben könnten. Der Arbeitnehmer habe es nach Preisgabe der Information nicht in der Hand, inwieweit die Kenntnis der Gewerkschaftszugehörigkeit Entscheidungen und Handeln des Arbeitgebers beeinflusst. Der Arbeitgeber, der Mitglieder einer (bestimmten) Gewerkschaft nicht beschäftigen wolle, könne dies zum Anlass nehmen, die betreffenden Gewerkschaftsmitglieder zu benachteiligen oder sie aus dem Betrieb zu drängen. Wenn nicht immer vordergründig, so doch verdeckt könne die für ihn negativ besetzte Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft Ursache für Differenzierungen werden wie z. B. bei Höhergruppierungen, beim 48 Band, Tarifkonkurrenz, S. 108; HWK/Henssler, § 4 TVG Rn. 57; A. Lindemann/ Simon, BB 2006, 1852 (1856); GK-BetrVG/Raab, § 94 Rn. 39; Reichold, RdA 2007, 321 (327); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 146 (147); Rieble, GS Heinze, S. 687 (694); Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 146; s. auch P. Hanau/Kania, Anm. zu BAG 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20, unter II. 2. a); Thüsing/ v. Medem, ZIP 2007, 510 (512); Wank, Anm. zu BAG 26. 1. 1994 EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 9, S. 15 (20); s. ferner Bepler, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 791 (801); außerdem F. Bayreuther, BB 2005, 2633 (2640); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 130 (136): Frage jedenfalls dann zulässig, wenn es darum geht, den Arbeitnehmern Tarifvorteile zukommen zu lassen; Thüsing/F. Bayreuther, AEntG, § 7 AEntG Rn. 31; zuletzt Freckmann/K. Müller, BB 2010, 1981 (1987); Greiner, Rechtsfragen, S. 353, 491 f.; Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 184. 49 Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 57f; Wendeling-Schröder, Anm. zu LAG Niedersachsen 12. 11. 1999 LAGE TVG § 4 Tarifpluralität Nr. 3, S. 10; dies., AuR 2000, 339 (341); dies. in Kempen/Zachert, § 4 Rn. 162; jüngst Brecht-Heitzmann, GS Zachert, S. 502 (507 f., 519); s. auch A. Stein, Liber amicorum WendelingSchröder, S. 35 (50). 50 Wendeling-Schröder, Anm. zu LAG Niedersachsen 12. 11. 1999 LAGE TVG § 4 Tarifpluralität Nr. 3, S. 10; dies., AuR 2000, 339 (341); dies. in Kempen/Zachert, § 4 Rn. 162; ablehnend auch Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (115 f.).
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betrieblichen Aufstieg, bei Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen, bei Versetzungen und letztlich bei Entlassungen. Diese Motivation für Benachteiligungen werde der Arbeitnehmer in der Regel nicht beweisen können. Das Wissen des Arbeitgebers um die Gewerkschaftszugehörigkeit könne im Ergebnis zur Existenzfrage für das Arbeitsverhältnis der betroffenen Arbeitnehmer werden. Schon aus diesem Grund müsse die Frage nach der Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft unzulässig bleiben.51 Es müsse die alleinige Entscheidung der betroffenen Arbeitnehmer bleiben, ob sie die Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft offen legen wollen oder nicht; denn die Gefahr einer Disziplinierung und anderer Negativwirkungen für den Arbeitnehmer bestehe für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses fort. Insoweit ändere sich auch unter Bedingungen der Tarifpluralität nichts gegenüber der bisherigen Rechtslage, dass diejenigen, die von ihrem Arbeitgeber vorenthaltene tarifvertragliche Leistungen verlangen, sich zur Mitgliedschaft bekennen müssen. Die Entscheidung müsse aber bei ihnen liegen, ob sie ihre Rechte durchsetzen und sich dann auch zu ihrer Gewerkschaftsmitgliedschaft bekennen wollen.52 III. Ansatzpunkte für ein rechtsfolgenbezogenes Informationsbedürfnis des Arbeitgebers im Falle einer realisierten Tarifpluralität Im Folgenden soll untersucht werden, unter welchen Gesichtspunkten für den Arbeitgeber eines tarifpluralen Betriebs gerade infolge der Tarifpluralität ein berechtigtes Interesse erwachsen kann, die Gewerkschaftszugehörigkeit seiner Arbeitnehmer in Erfahrung zu bringen. 1. Auskunftspflicht gegenüber gemeinsamen Einrichtungen a) Ermittlung der Gewerkschaftszugehörigkeit im Beitragseinzugsverfahren aa) (Frühere) Rechtsprechung des 4. Senats des BAG In der Vergangenheit betrafen viele Entscheidungen des BAG zum Prinzip der Tarifeinheit im Betrieb Kollisionen von Tarifverträgen mit für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien i. S. d. § 4 Abs. 2 TVG. Auf das Problem der Ermittlung der Gewerkschaftszugehörigkeit des Arbeitnehmers hat der 4. Senat des BAG dementsprechend zunächst mit Blick auf das Beitragseinzugsverfahren abgestellt. 51 Michel/Möller/Peter, AuR 2008, 36 (37); im Ergebnis zustimmend Meyer, in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 149 (154); s. auch dens., NZA 2009, 993 (994); jüngst auch Brecht-Heitzmann, GS Zachert, S. 502 (507 f.). 52 Michel/Möller/Peter, AuR 2008, 36 (38); so auch Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (116); jetzt auch Brecht-Heitzmann, GS Zachert, S. 502 (507 f.).
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Ausgangspunkt sind die tariflichen Regelungen des Sozialkassenverfahrens. Als Beispiel mögen die Vorschriften über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe dienen.53 Diese verpflichten den Arbeitgeber, den zuständigen Kassen monatlich Auskunft über die Summe aller beitragspflichtigen Bruttolöhne für seine gewerblichen Arbeitnehmer zu erteilen.54 In zahlreichen der Entscheidungen des BAG55 zur Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität ging es (auch) um entsprechende Auskunftsklagen der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes (ZVK-Bau).56 Zur Erfüllung seiner Auskunftspflicht muss der Arbeitgeber wissen, für wie viele der in seinem Betrieb bestehenden Arbeitsverhältnisse die allgemeinverbindlichen Sozialkassentarifverträge Anwendung finden und für wie viele sie etwa durch andere Tarifverträge verdrängt werden.57 An der Erfüllung seiner Auskunftspflicht muss dem Arbeitgeber gelegen sein, da die Auskunftsklage gemäß § 61 Abs. 2 Satz 1 ArbGG mit einem Antrag auf Zahlung einer vom Arbeitsgericht nach freiem Ermessen festzusetzenden Entschädigung für den Fall verbunden werden kann (und auch praktisch regelmäßig verbunden wird58), dass die Auskunft nicht binnen einer bestimmten Frist erteilt wird.59 Die Höhe der Entschädigung wird in der Regel auf 80% der Summe der zu erwartenden Beiträge festgesetzt60 und kann, je nach Länge des Auskunftszeitraums und der Zahl der Arbeitnehmer des Betriebes, ganz beträchtliche Größenordnungen erreichen. Der 4. Senat sah dementsprechend für den Fall einer Tarifpluralität ein Bedürfnis des Arbeitgebers nach Kenntnis der Gewerkschaftsmitgliedschaft in erster Linie in diesem Bereich. In seinem Urteil vom 29. 11. 1978 hieß es noch allgemein, das Nebeneinander von Tarifverträgen in einem Betrieb könne rechtliche und tatsächliche Unzuträglichkeiten zur Folge haben, „etwa im Zusammenhang mit den Besonderheiten der Beitragsabrechnung für die Sozialkassen des Baugewer53 s. Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 20. Dezember 1999 in der Fassung vom 5. Dezember 2007, im Folgenden: VTV. 54 §§ 6 Abs. 2 Nr. 1, 21 Abs. 1 VTV. 55 So in BAG 24. 9. 1975 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 11 (Wiedemann); 27. 8. 1986 AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 70; 14. 6. 1989 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 16 (Wiedemann/Arnold); 24. 1. 1990 AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 126; 22. 9. 1993 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 21; 26. 9. 2001 AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 244; 4. 12. 2002 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 28; 18. 10. 2006 AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 287. 56 Zur Zuständigkeit der ZVK-Bau als Einzugsstelle für die Sozialkassenbeiträge im Baugewerbe s. § 3 Abs. 3 VTV; Thomas Bauer/Dupré/Wiesehügel, FS ZVK-Bau, S. 15 (18); Gamillscheg, KollArbR I, § 15 IX. 6., S. 623 f.; H. Koch, Zusatzversorgungskasse, Rn. 15, 39, 77. 57 H. Koch, Zusatzversorgungskasse, Rn. 86. 58 H. Koch, Zusatzversorgungskasse, Rn. 221, 253 f. 59 Vgl. etwa BAG 27. 8. 1986 AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 70; 14. 10. 1987 AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 88; 18. 10. 2006 AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 287, Rn. 13 des Urteils. 60 BAG 27. 8. 1986 AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 70; ErfK/U. Koch, § 61 ArbGG Rn. 4, jeweils m.w. N.; s. näher H. Koch, Zusatzversorgungskasse, Rn. 254.
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bes“.61 Im Urteil vom 14. 6. 1989 meinte der 4. Senat, die Notwendigkeit, am Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb festzuhalten, werde insbesondere dadurch deutlich, dass das Berufungsgericht – welches die Tarifpluralität hatte bestehen lassen wollen – die für die Beitragspflicht zu den Sozialkassen des Baugewerbes notwendig zu klärende Frage, welche Arbeitnehmer des Betriebs innerhalb welcher Zeiträume Mitglieder der den spezielleren Tarifvertrag schließenden Gewerkschaft (im Fall: IG Metall) waren, dem Beitragseinzugsverfahren habe überlassen wollen. Dies setze eine rechtlich nicht begründbare und tatsächlich nicht durchsetzbare Pflicht zur Offenbarung der Gewerkschaftsmitgliedschaft gegenüber dem Arbeitgeber und der gemeinsamen Einrichtung voraus, die im Streitfalle auch noch zu beweisen wäre. Außerdem seien Änderungen durch Wechsel der Gewerkschaftszugehörigkeit unvermeidlich.62 Demgegenüber ermögliche der betriebseinheitliche Vorrang des spezielleren Tarifvertrags eine rechtlich klare und tatsächlich praktikable Lösung.63 bb) (Frühere) Rechtsprechung des 10. Senats des BAG Für den Fall einer Tarifpluralität unter Einbeziehung allgemeinverbindlicher Tarifverträge, die das Verhältnis der Arbeitsvertragsparteien zu gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien regeln, hatte sich dem auch der 10. Senat des BAG angeschlossen.64 Beschäftige der tarifgebundene Arbeitgeber in seinem Betrieb auch Arbeitnehmer, die an den spezielleren Tarifvertrag durch ihre Mitgliedschaft in der tarifschließenden Gewerkschaft tarifgebunden sind, so finde auf deren Arbeitsverhältnis der speziellere Tarifvertrag Anwendung. Er verdränge den generellen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag über die gemeinsame Einrichtung im Wege der Auflösung der für diese Arbeitsverhältnisse entstandenen Tarifkonkurrenz nach dem Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis in Verbindung mit dem Spezialitätsprinzip. Das, so der 10. Senat weiter, hätte zur Folge, dass auf die Arbeitsverhältnisse eines Teils der Arbeitnehmer der speziellere und auf die eines anderen Teils der allgemeinverbindliche Tarifvertrag anzuwenden wäre. Schon dies würde nach der damaligen Analyse des 10. Senats dazu führen, dass es in Abhängigkeit von der Gewerkschaftszugehörigkeit der jeweiligen Arbeitnehmer zu einer wiederholten Änderung der Beitragspflicht zu der gemeinsamen Einrichtung käme, was wiederum zur Folge hätte, dass der Arbeit61
BAG 29. 11. 1978 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 12 (Wiedemann). s. auch Gamillscheg, KollArbR I, § 15 IX. 4. b), S. 622. 63 BAG 14. 6. 1989 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 16 (Wiedemann/Arnold); bekräftigt in BAG 5. 9. 1990 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 19. 64 Dahin tendierend auch das (den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb und insbesondere dessen Herleitung aus Praktikabilitätsaspekten grundsätzlich ablehnende) LAG Brandenburg, Urteil vom 17. 3. 1995 LAGE TVG § 4 Nachwirkung Nr. 3, S. 8 (unter 2.3 der Gründe). 62
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geber monatlich feststellen müsste, welche seiner Arbeitnehmer Mitglieder der den spezielleren Tarifvertrag schließenden Gewerkschaft sind. Denn nur für diese finde nach den Regeln über die Auflösung einer Tarifkonkurrenz der speziellere Tarifvertrag Anwendung. Auch die gemeinsame Einrichtung (im Fall: Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes) könnte nach Ansicht des 10. Senats ihrerseits ihre Beitragsforderungen nur zutreffend berechnen, wenn ihr die Zahl der jeweiligen Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb des Arbeitgebers bekannt wäre. Ob überhaupt und ggf. unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber oder die gemeinsame Einrichtung von der Gewerkschaftszugehörigkeit der Arbeitnehmer Kenntnis erlangen könnten, sei aber zumindest umstritten.65 cc) Literatur Auch in der Literatur werden Schwierigkeiten hinsichtlich der Ermittlung der Gewerkschaftszugehörigkeit vor allem in Konstellationen der Tarifpluralität unter Beteiligung sog. Sozialkassentarifverträge ausgemacht.66 Es dürfe nicht übersehen werden, so meinen Wiedemann/Arnold, dass die Anwendung mehrerer Tarifverträge in einem einzigen Unternehmen67 zu Schwierigkeiten tatsächlicher Art, und zwar insbesondere im Hinblick auf die Art und Weise der Beitragsberechnung führen könne.68 Ob der Arbeitgeber einer gemeinsamen Einrichtung die tarifvertraglich vorgeschriebenen Meldungen erstatten und Beiträge abführen muss, könne nicht von der Zufälligkeit abhängen, ob er von der Tarifbindung einzelner 65 BAG 26. 1. 1994 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 22, unter II. 4. d) der Gründe; an dieser Ansicht hat der 10. Senat später festgehalten, s. BAG 4. 12. 2002 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 28, unter II. 1. d) aa) der Gründe. 66 s. neben den in den folgenden Fußnoten Genannten auch Gamillscheg, KollArbR I, § 15 IX. 4. b), S. 622. 67 Fälschlicherweise verstehen Wiedemann/Arnold (ZTR 1994, 399 [passim] und ZTR 1994, 443 [443 f., 446]) den Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität – jedenfalls verbal – nicht auf den Betrieb, sondern auf das Unternehmen bezogen. Die einschlägigen Entscheidungen des BAG geben ein solches Verständnis des Prinzips der Tarifeinheit nicht her (ebenso Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 [112, Fn. 4] und jüngst ders., NZA Beilage 3/2010, S. 99 mit Fn. 3). Weiterführend zum Betriebsbegriff des Grundsatzes der Tarifeinheit Jacobs, Tarifeinheit, S. 342 ff. – s. aber auch Buchner, ZfA 1995, 95 (110 ff.), der eine Erweiterung des Grundsatzes der Tarifeinheit auf die Unternehmensebene offen diskutiert. Zu Zweifeln an der maßgeblichen Bezugsgröße des Grundsatzes der Tarifeinheit (Betrieb? Unternehmen? Sparte?) s. auch F. Bayreuther, NZA 2008, 12 (13) und schon dens., NZA 2006, 642 (643) sowie nunmehr dens., NZA 2009, 935 (937); Greiner, Anm. zu LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80, S. 45 (50 ff.); vertiefend jetzt ders., Rechtsfragen, S. 309 f., 347 f., 348 ff.; insbesondere zu der Möglichkeit einer „Tarifeinheit in der Sparte“ s. noch unten Teil 3, Kapitel 1, unter B. II. 4. b) und die dortigen Nachweise; zur „Tarifvereinheitlichung im Konzern“ s. die gleichnamige Arbeit von Sattler und zur Praxis die Auseinandersetzung zwischen U. Fischer und Ubber bei Bepler/ U. Fischer/Ubber, BLJ 2007, 139 (142, 144). 68 Wiedemann/Arnold, Anm. zu BAG 14. 6. 1989 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 16, unter 2. d); dies., ZTR 1994, 443 (445).
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Arbeitnehmer an einen anderen, sachnäheren Tarifvertrag erfährt. Angesichts des Kostenfaktors, den die Beitrags- und Meldepflicht für einen Betrieb darstelle, müsse der Arbeitgeber seine Leistungen gegenüber Kunden kalkulieren können. Dazu müsse er für den Jahreszeitraum wissen, ob er an den VTV gebunden ist oder nicht; das sei bei eher zufälliger, von einzelnen Arbeitnehmern abhängender Anwendbarkeit nicht der Fall.69 b) Problementschärfung durch sachgerechte Lösungen auf der Ebene der Tarifkonkurrenz aa) Überblick (1) Ein Anwendungsbereich (und damit ein mögliches Bedürfnis) für ein Fragerecht des Arbeitgebers nach Abschluss des Arbeitsvertrages tut sich dann auf, wenn man einerseits eine Tarifpluralität im Betrieb hinnimmt, andererseits (mit dem BAG und der zumindest früher h. L.) Tarifkonkurrenzen auch bei Beteiligung allgemeinverbindlicher Tarifverträge über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien nach dem Spezialitätsprinzip löst. – Fall 1: Der mitgliedschaftlich legitimierte Tarifvertrag erweist sich als gegenüber dem allgemeinverbindlichen Sozialkassentarifvertrag spezieller (Regelfall). Die aktuelle Rechtsprechungslinie des BAG (Hinnahme der Tarifpluralität, Auflösung von Tarifkonkurrenzen nach dem Grundsatz der Spezialität) führte zu folgender tarifrechtlicher Situation: Für die Arbeitnehmer, die in der den spezielleren, (nur) mitgliedschaftlich legitimierten Tarifvertrag abschließenden Gewerkschaft (Gewerkschaft A) organisiert sind (Gruppe 1), gilt dieser Tarifvertrag (Tarifvertrag A). Für nicht organisierte Arbeitnehmer (Gruppe 3) und Arbeitnehmer, die Mitglied derjenigen Gewerkschaft (Gewerkschaft B) sind, die den allgemeinverbindlichen Sozialkassentarifvertrag vereinbart hat (Gruppe 2), gilt der allgemeinverbindliche Sozialkassentarifvertrag (Tarifvertrag B). Der Arbeitgeber müsste Beiträge an die Sozialkassen für die Arbeitnehmer der Gruppen 2 und 3, nicht aber für die Arbeitnehmer der Gruppe 1 zahlen; dem entspräche seine Auskunftsverpflichtung. Um diese erfüllen zu können, müsste der Arbeitgeber wissen, wie viele seiner Arbeitnehmer der Gruppe 1 angehören, also Mitglied der Gewerkschaft A sind. Er könnte daher ein berechtigtes Interesse daran haben, die Arbeitnehmer nach ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit zu fragen. – Keine Schwierigkeiten ergeben sich dagegen bei einem Vorgehen nach der h. M. (Hinnahme der Tarifpluralität, Auflösung von Tarifkonkurrenzen nach dem Grundsatz der Spezialität) für den Fall, dass die Anwendung des Spezialitätsprinzips (ausnahmsweise) auf den allgemeinverbindlichen Sozialkassen69
So H. Koch, Zusatzversorgungskasse, Rn. 205.
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tarifvertrag hinausläuft (Fall 2).70 Hier findet in allen Arbeitsverhältnissen der allgemeinverbindliche Sozialkassentarifvertrag (Tarifvertrag B) Anwendung, in entsprechendem Umfang entstehen die Auskunfts- und die Beitragspflicht des Arbeitgebers. Die Schwierigkeiten, zu denen die Hinnahme der Tarifpluralität in Fall 1 führen würde, vermied das BAG bislang durch den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb i.V. m. dem Spezialitätsprinzip. Folge: Im Betrieb gilt nur Tarifvertrag A; dieser gilt für die Arbeitnehmer der Gruppe 1, nicht dagegen für die Arbeitnehmer der Gruppen 2 und 3, für die überhaupt kein Tarifvertrag (normativ) Anwendung findet (nur rechtsverdrängende, keine rechtsbegründende Wirkung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb). Was seine Auskunfts- und Beitragspflicht betrifft, besteht für den Arbeitgeber Klarheit: Der allgemeinverbindliche Sozialkassentarifvertrag ist insgesamt aus dem Betrieb verdrängt, der Arbeitgeber muss keine Beiträge leisten und ist nicht zur Auskunft verpflichtet. Damit hatte das BAG die Klippe „Unkenntnis der Gewerkschaftszugehörigkeit“ umschifft. Ein Bedürfnis für die Zulassung der Frage nach der Gewerkschaftsmitgliedschaft nach der Einstellung existierte nicht71; das BAG musste nicht entscheiden, ob die Frage nach Abschluss des Arbeitsvertrages erlaubt ist oder nicht. (2) Demgegenüber soll hier eine Lösung aufgezeigt werden, bei der es in Fällen, in denen an der Tarifkollision solche Tarifverträge beteiligt sind, die gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien vorsehen und regeln, im Ergebnis ebenfalls zu betrieblicher Tarifeinheit kommt, allerdings zur Anwendung allein des allgemeinverbindlichen Sozialkassentarifvertrages auf alle Arbeitsverhältnisse des Betriebs. In der Folge gerät der Arbeitgeber nicht in die Verlegenheit, zwecks Klärung seiner Beitragspflicht zu der gemeinsamen Einrichtung die Ge70 So in BAG 25. 7. 2001 AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 242: Spezialität des VTV gegenüber dem Manteltarifvertrag für die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie Sachsen-Anhalt in der Fassung vom 21. 11. 1996; bestätigt durch BAG 18. 10. 2006 AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 287, Rn. 27 des Urteils; übersehen von Giesen, ZfA 2008, 355 (359 f.), der meint, das BAG habe – soweit ersichtlich – niemals entschieden, dass ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag einen freien Tarifvertrag verdrängt; bedenklich auch der neuerdings von F. Bayreuther, FS Buchner, S. 41 aufgestellte Satz: Nach dem Spezialitätsgrundsatz verdränge ein mitgliedschaftlich legitimierter Tarifvertrag einen ebenfalls anwendbaren allgemeinverbindlichen Tarifvertrag – das ist wenigstens missverständlich: Faktisch wurde zumeist der allgemeinverbindliche Tarifvertrag verdrängt, aber das ist nach dem Spezialitätsprinzip keinesfalls rechtlich programmiert und mindestens einmal (BAG 25. 7. 2001 a. a. O.) hat das BAG auch anders entschieden. 71 Zwar stand der Arbeitgeber theoretisch noch vor der Aufgabe, herauszufinden, welche Arbeitnehmer in Gewerkschaft A organisiert und daher an den im Betrieb allein normativ geltenden Tarifvertrag A gebunden waren, denn die Tarifeinheit im Betrieb führte aufgrund ihrer rein rechtsverdrängenden Wirkung nicht dazu, dass Tarifvertrag A auch auf die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer der Gruppen 2 und 3 Anwendung fand. Praktisch aber wurde dieses Problem in der Regel vermieden, indem der Arbeitgeber aufgrund entsprechender Bezugnahmeklauseln auch diese Arbeitnehmer nach Tarifvertrag A behandelte, s. Jacobs, Tarifeinheit, S. 405.
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werkschaftszugehörigkeit seiner Arbeitnehmer ermitteln zu müssen. Auch die gemeinsame Einrichtung ist danach nicht auf Nachforschungen hinsichtlich der Zahl der gewerkschaftsangehörigen Arbeitnehmer eines Betriebs angewiesen, um ihre Beitragsforderung korrekt zu beziffern. bb) Lösung einer Tarifkonkurrenz unter Beteiligung eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien Dazu muss untersucht werden, wie eine Tarifkonkurrenz aufzulösen ist, bei der ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag über gemeinsame Einrichtungen mit einem weiteren Tarifvertrag im einzelnen Arbeitsverhältnis kollidiert. (1) Entstehung einer Tarifkonkurrenz bei Tarifverträgen über gemeinsame Einrichtungen (a) Tarifverträge über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien werden in der tariflichen Realität regelmäßig gemäß § 5 TVG für allgemeinverbindlich erklärt.72 Insbesondere jene Tarifverträge, welche die praktisch wichtigsten gemeinsamen Einrichtungen betreffen, namentlich die des Baugewerbes, werden stets für allgemeinverbindlich erklärt.73 Es entspricht, im Anschluss an Bötticher74, nahezu einhelliger Auffassung, dass diese Tarifverträge auf Allgemeinverbindlichkeit geradezu angelegt sind75; sie drängen auf Einbeziehung des 72 Assenmacher, Funktionen und Befugnisse, S. 203; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1154; Jacobs, Tarifeinheit, S. 172; Oetker, NZA Beilage 1/2010, S. 13 (14); Däubler/Reim, § 1 Rn. 343; Sittard, Tarifnormerstreckung, S. 125; A. Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 577; s. auch Kempen/Zachert/Kempen, § 4 Rn. 246; ferner Ansey/Koberski, AuR 1987, 230 (235 f.). 73 Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 62; H. Koch, Zusatzversorgungskasse, Rn. 185; s. ferner Gamillscheg, KollArbR I, 1997, § 15 IX. 4. a), S. 621 und b), S. 622; Jacobs, Tarifeinheit, S. 176, 292; JKO/Jacobs, § 7 Rn. 222; Schaub, FS Hromadka, S. 339 (346). 74 Vgl. Bötticher, Die Gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien, S. 67. 75 Assenmacher, Funktionen und Befugnisse, S. 12, 203; Gamillscheg, KollArbR I, 1997, § 15 IX. 2. (3), S. 620; ders., FS Kim, S. 35 (39 f.); Hauck, FS Schaub, S. 263 (265); Däubler/Hensche, § 1 Rn. 954; JKO/Krause, § 4 Rn. 121; Löwisch/Rieble, § 5 Rn. 13; Wiedemann/Oetker, § 1 Rn. 849; Staudinger/Richardi, vor §§ 611 ff. Rn. 680; MüArbR/Rieble/Klumpp, § 179 Rn. 8 ff., 10; Wiedemann/Wank, § 5 Rn. 154; zuletzt Oetker, NZA Beilage 1/2010, S. 13 (21, 31); Sittard, Tarifnormerstreckung, S. 126, 141. s. aber auch Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 36 I. 4., S. 368 (mit Fn. 22): Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifnormen über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien verfassungswidrig (ohne Begründung); a. A. mit Recht BVerfG 15. 7. 1980 BVerfGE 55, 7 (21 ff.); 8. 1. 1987 AP TVG § 4 Gemeinsame Einrichtungen Nr. 8; 10. 9. 1991 AP TVG § 5 Nr. 27; BAG 5. 12. 1958 AP TVG § 4 Ausgleichskasse Nr. 1 (Tophoven); 3. 2. 1965 AP TVG § 5 Nr. 12 (A. Hueck); 10. 10. 1973 AP TVG § 5 Nr. 13 (Wiedemann); 19. 3. 1975 AP TVG § 5 Nr. 14 (Wiedemann); vgl. dazu auch Bötti-
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gesamten Berufsstandes.76 Erst durch den Einbezug sämtlicher auch nicht organisierter Arbeitgeber und der bei ihnen beschäftigten, organisierten wie nicht organisierten, Arbeitnehmer werden bestimmte Leistungen an Arbeitnehmer überhaupt ermöglicht.77 Selbst von den Kritikern des Rechtsinstituts der Allgemeinverbindlicherklärung78 wird daher die Sicherung der Funktionsfähigkeit der gemeinsamen Einrichtungen als legitimes Anwendungsfeld dieses Instruments anerkannt.79 (b) Die Allgemeinverbindlichkeit der Sozialkassentarifverträge führt zu Folgendem: Kommt es in einem Betrieb zum Zusammentreffen eines solchen Tarifvertrages mit einem weiteren, für Arbeitgeber und einen Teil der Arbeitnehmer mitgliedschaftlich legitimierten Tarifvertrag (oder einem Haustarifvertrag, an den der Arbeitgeber kraft eigener Parteistellung tarifgebunden ist), so entsteht in den Arbeitsverhältnissen derjenigen Arbeitnehmer, die bei der Gewerkschaft organisiert sind, die diesen zweiten Tarifvertrag vereinbart hat, Tarifkonkurrenz.80 Die (teilweise oder vollständige) Inkongruenz der Regelungsmaterien beider Tarifverträge hindert das Vorliegen einer Tarifkonkurrenz nicht.81 Die gegenteilige Ansicht von Kohte, der mit Blick auf Tarifverträge über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien bei Inkongruenz der Regelungsmaterien der kollidierenden Tarifverträge den Bereich der Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität en-
cher, Die Gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien, S. 70 ff.; Gamillscheg, KollArbR I, 1997, § 19 3., S. 888 f.; dens., FS Kim, S. 35 (43 f.); ferner Leinemann, FS ZVK-Bau, S. 89 (93 f.) und jetzt Sittard, Tarifnormerstreckung, S. 125, 140 f. 76 Wiedemann/Oetker, § 1 Rn. 849; Wiedemann/Wank, § 5 Rn. 154; s. auch BVerwG 3. 11. 1988 BVerwGE 80, 355 (367); ferner Kempen, FS Gitter, S. 427 (436); zuletzt Oetker, NZA Beilage 1/2010, S. 13 (21). 77 Ansey/Koberski, AuR 1987, 230 (236); Assenmacher, Funktionen und Befugnisse, S. 65; Dieterich/P. Hanau/Henssler/Oetker/Wank/Wiedemann, RdA 2004, 65 (74); JKO/Krause, § 4 Rn. 121; Löwisch/Rieble, § 5 Rn. 12 f.; Wiedemann/Wank, TVG, § 5 Rn. 3a; s. auch Asshoff/Sahl/Stang, FS ZVK-Bau, S. 21 (23); H. Koch, Zusatzversorgungskasse, Rn. 26; ferner Leinemann, FS ZVK-Bau, S. 89; Oetker, NZA Beilage 1/ 2010, S. 13 (21); F. Bayreuther, NJW 2009, 2006 (2008); MüArbR/Rieble/Klumpp, § 179 Rn. 9; Sittard, Tarifnormerstreckung, S. 126. 78 s. dazu die Darstellungen und die Gegenargumente bei Gamillscheg, FS Kim, S. 35 (40 ff.) und bei Wiedemann/Wank, § 5 Rn. 182 ff. 79 Reuter, RdA 1991, 193 (203); ders., ZfA 1995, 1 (44 f.); ders., FS Birk, S. 717 (730). 80 Jacobs, Anm. zu BAG 15. 11. 2006 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 34, unter 2. b) bb); s. auch Jacobs, Tarifeinheit, S. 348. 81 Dazu allgemein Band, Tarifkonkurrenz, S. 30 f.; Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 87; Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 141; Jacobs, Tarifeinheit, S. 98, 251 ff.; Waas, Tarifkonkurrenz, S. 18 ff., der allerdings (a. a. O. S. 23) eine Ausnahme u. a. gerade für den Fall machen will, dass sich ein „autonom“ legitimierter und ein für allgemeinverbindlich erklärter Tarifvertrag zu einer widerspruchsfreien Gesamtregelung zusammenfügen ließen. Im hiesigen Sinne auch BAG 25. 11. 1987 AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 18 (hinsichtlich Tarifpluralität): Tarifverträge „gleichen oder unterschiedlichen Inhalts“; s. auch HWK/Henssler, § 4 TVG Rn. 46, dort Fn. 17.
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ger definieren will, indem er Tarifverträge, die miteinander kompatibel sind, nicht als konkurrierend versteht82, hat den Umstand gegen sich, dass die Gesamtregelung eines Tarifwerkes abschließend gemeint ist.83 In einer Nichtregelung kann die bewusste Ablehnung einer Regelung liegen, sei es im Einverständnis der Tarifvertragsparteien, sei es als ausgehandelter Teil eines Verhandlungskompromisses.84 Eine Mischung von Arbeitsbedingungen von zwei oder mehr Tarifverträgen zerstört den von den Tarifvertragsparteien gefundenen Kompromiss.85 (2) Terminologischer Exkurs: „Betriebsweite“ Tarifkonkurrenz? Ob man die hier entstehende Tarifkonkurrenz begrifflich als einen Fall der sog. betriebsweiten Tarifkonkurrenz einordnet86, hängt davon ab, was man genau unter dem Begriff der betriebsweiten Tarifkonkurrenz87 versteht, insbesondere, ob man ihn eher vom Tatbestand oder mehr von der Rechtsfolge her begreift.88 Sieht man, mehr vom Tatbestand her, das Kennzeichen der betriebsweiten Tarifkonkurrenz darin, dass es betriebsweit zu Normenkollisionen in den einzelnen Arbeitsverhältnissen kommt, dass also die Tarifkonkurrenz in jedem einzelnen Arbeitsverhältnis des Betriebs entsteht89, dann haben wir es hier nicht mit einer betriebsweiten Tarifkonkurrenz zu tun: Denn eine Tarifkonkurrenz entsteht nur in den Arbeitsverhältnissen, die auch mitgliedschaftlich tarifgebunden sind.90 Anders, wenn man das Wesentliche der betriebsweiten Tarifkonkurrenz mehr in der Rechtsfolge der betriebsweit einheitlichen Anwendung eines und desselben Tarifvertrages, also darin sieht, dass es im Ergebnis zu einer betrieblichen Tarifeinheit kommt, die indes nicht auf einem Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb (Tarif-
82 Kohte, Anm. zu BAG 26. 1. 1994 SAE 1996, 14 (17); in diese Richtung auch Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (516); s. auch Gamillscheg, KollArbR I, § 17 III. 3. c) (2) (c), S. 754 sowie für durch Allgemeinverbindlicherklärungen ausgelöste Tarifkollisionen Waas, Tarifkonkurrenz, S. 23 (dazu schon soeben Fn. 81). 83 Band, Tarifkonkurrenz, S. 31; Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 141. 84 Jacobs, Tarifeinheit, S. 251 f.; ähnlich Band, Tarifkonkurrenz, S. 31. 85 Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 141; s. ferner Band, Tarifkonkurrenz, S. 31. 86 So Jacobs, NZA 2008, 325 (327); ders., Anm. zu BAG 15. 11. 2006 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 34, unter 2. b) bb); ders., Anm. zu LAG Sachsen-Anhalt 8. 5. 2001 und Sächsisches LAG 13. 11. 2001 AuR 2002, 312 (314); ders. in JKO, § 7 Rn. 223; s. auch schon dens., Tarifeinheit, S. 294; ebenso Reichold, RdA 2007, 321 (326), allerdings nur „im Zweifel“; differenzierend jetzt Oetker, NZA Beilage 1/2010, S. 13 (29 f.). 87 Zu ihm bereits oben Teil 1, Kapitel 2, unter B. II. 1. 88 Zur Unterscheidung von Tatbestand und Rechtsfolge s. mit Blick auf die Tarifpluralität auch Winzer, Tarifgeltung, S. 9. 89 In diese Richtung Band, Tarifkonkurrenz, S. 50. 90 So – insoweit zutreffend – Jacobs, Tarifeinheit, S. 348; s. auch BAG 26. 1. 1994 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 22, unter II. 4. a) und b) der Gründe; Wiedemann/ Arnold, ZTR 1994, 399 (410).
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einheit bei Tarifpluralität) beruht.91 Bei einem derartigen Verständnis ist in den hier zu betrachtenden Konstellationen der Tarifkonkurrenz eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien und eines mitgliedschaftlich legitimierten Tarifvertrags dann ein Fall der betriebsweiten Tarifkonkurrenz gegeben, wenn man die Tarifkonkurrenz in den Arbeitsverhältnissen der organisierten Arbeitnehmer zugunsten des allgemeinverbindlichen Sozialkassentarifvertrags auflöst, der für die nicht organisierten Arbeitnehmer ohnehin (allein) gilt. Vorzugswürdig erscheint indes die erstgenannte Sichtweise. Schon der Grundbegriff der Tarifkonkurrenz knüpft schließlich an den Tatbestand und gerade nicht an die Rechtsfolge an, denn diese besteht ja gerade nicht in einer „Konkurrenz“ im Sinne eines Nebeneinanders der verschiedenen Tarifverträge, sondern (Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis) in der (auf das Arbeitsverhältnis bezogenen) Tarifeinheit. Man sollte daher hier nicht von einer betriebsweiten Tarifkonkurrenz sprechen. (3) Auflösung der Tarifkonkurrenz Unabhängig von der terminologischen Frage, ob eine betriebsweite oder lediglich eine „einfache“ Tarifkonkurrenz anzunehmen ist, bedarf jedenfalls auch diese Tarifkonkurrenz, wie jede Tarifnormenkollision im einzelnen Arbeitsverhältnis, einer Auflösung zugunsten eines der konkurrierenden Tarifverträge (Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis). (a) Herrschende Meinung: Anwendung des Spezialitätsprinzips (aa) Das BAG und ein Teil der Literatur lösen eine solche Tarifkonkurrenz nach dem Spezialitätsprinzip. In der Regel ergibt die Anwendung des Spezialitätsprinzips einen Vorrang zugunsten des mitgliedschaftlich legitimierten Tarifvertrages, d. h., der allgemeinverbindliche Tarifvertrag über gemeinsame Einrichtungen wird verdrängt.92 In der Praxis betraf das bisher vor allem die allgemeinverbindlichen Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes, welche Grundlage der gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes (insbesondere der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse und der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes) sind; von diesen Sozialkassentarifverträgen wiederum war besonders häufig der allgemeinverbindliche Tarifvertrag über das Sozialkassenver91 So wohl Jacobs, NZA 2008, 325 (327); ders., Anm. zu BAG 15. 11. 2006 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 34, unter 2. b) bb); s. ferner dens. in JKO, § 7 Rn. 223; dens., Tarifeinheit, S. 294. 92 s. aus der Literatur Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 144; Wiedemann/Arnold, ZTR 1994, 399 (409 f.); s. auch schon Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl. 1977, § 4 Rn. 168 a. E.
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fahren im Baugewerbe vom 12. 11. 1986 (VTV) Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen93, aber auch andere Sozialkassentarifverträge des Baugewerbes94 und allgemeinverbindliche Tarifverträge über gemeinsame Einrichtungen außerhalb des Baubereichs95 hatten nach dem Grundsatz der Spezialität das Nachsehen gegenüber konkurrierenden mitgliedschaftlich legitimierten Tarifverträgen.96 (bb) Abweichend, d. h. nicht nach dem Spezialitätsprinzip, sondern unabhängig von Spezialitätserwägungen zugunsten des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages über gemeinsame Einrichtungen, konkret zugunsten des VTV, hat das BAG – letztlich aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen97 – nur im Geltungsbereich des AEntG entschieden98; soweit es um das Urlaubskassenverfahren geht, wird der VTV durch einen spezielleren Tarifvertrag nicht verdrängt, es sei denn, dass der sachnähere Tarifvertrag die Arbeitnehmer hinsichtlich des Urlaubs besser stellt als sie nach Maßgabe der allgemeinverbindlichen Bautarifverträge stehen, die Urlaubsregelungen der allgemeinverbindlichen Bautarife mithin den Arbeitnehmern keinen tatsächlichen Vorteil verschaffen würden.99 Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber jetzt in das neu gefasste AEntG übernommen100, das in § 8 Abs. 2 bestimmt, dass ein nach § 5 TVG für allgemeinverbindlich erklärter oder ein nach § 7 AEntG n. F. durch Rechtsverordnung in seiner Geltung erstreckter Tarifvertrag, der für eine der nach § 4 AEntG n. F. in den Anwendungsbereich des AEntG einbezogenen Branchen (u. a. § 4 Nr. 1 AEntG n. F.: Bauhaupt- und 93 BAG 24. 1. 1990 AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 126; 26. 9. 2001 AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 244; 4. 12. 2002 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 28; s. auch BAG 22. 9. 1993 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 21. 94 BAG 24. 9. 1975 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 11 (Wiedemann); 14. 6. 1989 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 16 (Wiedemann/Arnold); s. auch BAG 27. 8. 1986 AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 70. 95 BAG 5. 9. 1990 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 19. 96 Vorrang des allgemeinverbindlichen Sozialkassentarifvertrages – im Fall: VTV – soweit ersichtlich nur in BAG 25. 7. 2001 AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 242; bestätigt durch BAG 18. 10. 2006 AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 287, Rn. 27 des Urteils; übersehen bei Giesen, ZfA 2008, 355 (359 f.), s. schon oben Fn. 70; zutreffend jüngst Sittard, Tarifnormerstreckung, S. 271. 97 s. dazu nochmals EuGH 24. 1. 2002 AP EG Art. 49 Nr. 4 – Portugaia Construções und die weiteren Nachweise oben Teil 1, Kapitel 1, unter A. I. 3., dort Fn. 23. 98 Zur kürzlichen Neufassung des AEntG s. o. Teil 1, Kapitel 1, unter A. I. 3., dort Fn. 22; speziell zur neuen Rechtslage hinsichtlich der Tarifkollisionsfragen zuletzt F. Bayreuther, FS Buchner, S. 41 (45 ff.); Maier, NZA 2009, 351 ff.; Oetker, NZA Beilage 1/2010, S. 13 (19 ff.); Preis/Greiner, ZfA 2009, 825 (832 ff.); Sittard, NZA 2009, 346 (348 f.); ders., Tarifnormerstreckung, S. 435 ff. 99 s. vor allem BAG 18. 10. 2006 AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 287, Rn. 34 ff.; ferner die oben Teil 1, Kapitel 1, unter A. I. 3., Fn. 24 nachgewiesenen Entscheidungen. 100 Vgl. F. Bayreuther, FS Buchner, S. 41 (45); Thüsing/F. Bayreuther, AEntG, § 8 AEntG Rn. 21; Deinert, NZA 2009, 1176 (1177); Sittard, NZA 2009, 346 (349); ders., Tarifnormerstreckung, S. 436; jüngst Oetker, NZA Beilage 1/2010, S. 13 (19); Greiner, Rechtsfragen, S. 292.
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
-nebengewerbe) Arbeitsbedingungen i. S. v. § 5 AEntG n. F. (u. a. § 5 Nr. 3 AEntG n. F.: Einziehung von Beiträgen und Gewährung von Leistungen im Zusammenhang mit Urlaubsansprüchen (Nr. 2) durch eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien) regelt, von einem Arbeitgeber auch dann einzuhalten ist, wenn er nach §§ 3, 5 TVG an einen anderen Tarifvertrag gebunden ist. Begrenzt wird der Vorrang, wie nach der Rechtsprechung des BAG bereits zum AEntG a. F., durch das Günstigkeitsprinzip (s. auch § 8 Abs. 1 AEntG n. F.: „mindestens“).101 (b) Vorrang der mitgliedschaftlichen Legitimation Eine starke und stärker werdende Literaturansicht will eine Tarifkonkurrenz zwischen einem tarifautonom geltenden Tarifvertrag einerseits und einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag andererseits nicht nach dem Spezialitätsprinzip, sondern aufgrund des von ihr angenommenen Vorrangs der Tarifbindung autonomen Ursprungs stets zugunsten des mitgliedschaftlich legitimierten Tarifvertrages auflösen.102 Aus den Reihen ihrer Vertreter heißt es teilweise ausdrücklich, dies gelte selbst im Falle allgemeinverbindlicher Tarifverträge über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien.103
101 Vgl. – kritisch zum Ganzen – H. J. Willemsen/Sagan, NZA 2008, 1216 (1219); für einen durch das Günstigkeitsprinzip begrenzten Vorrang der nach dem neuen AEntG geltungserstreckten Tarifverträge auch Oetker, NZA Beilage 1/2010, S. 13 (19 ff., 22 ff.); jüngst Greiner, Rechtsfragen, S. 292 f., 363 f.; Sittard, Tarifnormerstreckung, S. 435 f. 102 Grundlegend MüArbR/Löwisch, 1. Aufl. 1993, § 269 Rn. 23 ff.; ferner etwa F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 341, 348 f. und insb. S. 359 ff.; ders., FS Buchner, S. 41 (42); Fenn, FS Kissel, S. 213 (238, dort Fn. 113); Franzen, RdA 2008, 193 (197); ErfK/Franzen, § 4 TVG Rn. 69; Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 38 III. 1. b), S. 391; Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 144 ff.; B. Müller, NZA 1989, 449 (452); Reuter, JuS 1992, 105 (109); Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1805; ders., GS Heinze, S. 687 (696); MüArbR/Rieble/Klumpp, § 186 Rn. 25 ff.; Winzer, Tarifgeltung, S. 215 f.; Witzig, Tarifeinheit, S. 87 ff. (90); grundsätzlich auch Jacobs, Tarifeinheit, S. 291 f.; Reichold, RdA 2007, 321 (323, 326); Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (516); s. auch Kraft, FS Zöllner, Band II, S. 831 (832 f.); Richardi, Gem. Anm. zu BAG 27. 1. 2010 – 4 AZR 549/08 (A) – und BAG 23. 6. 2010 – 10 AS 2/10, demn. in AP, unter III. 4. Zur Kritik s. Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 137; Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 34; Waas, Tarifkonkurrenz, S. 68 ff.; Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 289; Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, § 4 Rn. 183; Zachert, Anm. zu BAG 22. 10. 2008 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 66, unter IV.; Däubler/ Zwanziger, § 4 Rn. 926. 103 So Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1807; s. auch Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (122 f.).
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(c) Die vorzugswürdige Lösung: Vorrang des Tarifvertrags über gemeinsame Einrichtungen (Jacobs) Die pauschale Auflösung aller Tarifkonkurrenzen nach dem Spezialitätsprinzip ist abzulehnen.104 Richtigerweise ist speziell eine Tarifkonkurrenz zwischen einem tarifautonom legitimierten Tarifvertrag und einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag über gemeinsame Einrichtungen nicht nur im Geltungsbereich des AEntG105 dahin aufzulösen, dass der Vorrang dem Tarifvertrag über gemeinsame Einrichtungen gebührt.106 Die Aufgabenwahrnehmung gemeinsamer Einrichtun104 Für eine Differenzierung nach Fallgruppen Jacobs, Tarifeinheit, S. 272 ff.; ders. in JKO, § 7 Rn. 217 ff.; s. auch dens., Anm. zu BAG 4. 4. 2001 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 26, unter III. 2. a), 3.; dens., Anm. zu LAG Sachsen-Anhalt 8. 5. 2001 und Sächsisches LAG 13. 11. 2001 AuR 2002, 312 (314); ferner dens., NZA 2008, 325 (327). Schon B. Müller, NZA 1989, 449 (452) will die Bestimmung des anzuwendenden Tarifvertrages von der Art und Weise der Entstehung der Tarifkonkurrenz abhängig machen; ebenso Witzig, Tarifeinheit, S. 86 ff.; auch Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 298 weist darauf hin, dass nicht notwendig für alle Fallgruppen der Tarifkonkurrenz das gleiche Prinzip gelten muss; gegen die Annahme einer allgemeinen Kollisionsregel ferner Reichold, RdA 2007, 321 (323) und jüngst Oetker, NZA Beilage 1/2010, S. 13 (25 f.); offen für eine stärkere Differenzierung zunächst auch Schliemann, NZA Sonderbeilage zu Heft 24/2000, S. 24 (31), zurückhaltender aber später ders., FS Hromadka, S. 359 (366); kritisch zu einer differenzierenden Lösung Band, Tarifkonkurrenz, S. 217; s. auch Waas, Tarifkonkurrenz, S. 102; für ein einheitliches Lösungsmodell für die Tarifkonkurrenz aus Gründen der Rechtssicherheit Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 143. 105 s. dazu, auf der Grundlage der bisherigen Fassung des AEntG, insbesondere die Entscheidung BAG 18. 10. 2006 AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 287, dort Rn. 34 ff.; s. auch Giesen, ZfA 2008, 355 (378 f.) sowie F. Bayreuther, NZA 2007, 187 (189 f.); dens., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 130 (142 f.). Zur Rechtslage unter dem nunmehr neu gefassten AEntG s. soeben unter C. III. 1. b) bb) (3) (a) (bb). 106 s. besonders Jacobs, Tarifeinheit, S. 294 ff.; dens. in JKO, § 7 Rn. 223; dens., Anm. zu BAG 15. 11. 2006 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 34, unter 2. b) bb); dens., NZA 2008, 325 (327); zustimmend zuletzt Sittard, Tarifnormerstreckung, S. 264, 270, 274; ebenso schon Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 49e; HWK/ Henssler, § 4 TVG Rn. 59; Reichold, RdA 2007, 321 (326); Sahl, NZA Beilage 1/2010, S. 8 (13); Wiesehügel, NZA Beilage 1/2010, S. 32 (33); angedeutet auch bei F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 349 (mit Fn. 45); s. auch Giesen, ZfA 2008, 355 (377 ff.) sowie Daeschler, NZA Beilage 1/2010, S. 6 (8); ferner Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (516), die freilich im Anschluss an Kohte, Anm. zu BAG 26. 1. 1994 SAE 1996, 14 (16) davon ausgehen, dass oftmals schon eine sachgerechte Auslegung ergeben werde, dass Tarifverträge über gemeinsame Einrichtungen überhaupt nicht mit Tarifverträgen über das Entgelt und sonstige Arbeitsbedingungen kollidieren [dazu bereits oben C. III. 1. b) bb) (1) (b)]; Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (114). – Den Vorrang für allgemeinverbindlich erklärter Tarifverträge über gemeinsame Einrichtungen in der Tarifkonkurrenz scharf ablehnend Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 172 f.; s. auch Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (122 f.), aus dessen Sicht bei allgemeinverbindlichen Tarifverträgen, auch bei solchen über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien (außerhalb des Anwendungsbereichs des AEntG), möglicherweise mehr für den Vorrang des tarifautonom legitimierten Tarifvertrages spricht und der hierfür die „Lückenfüllungsfunktion“ der Allgemeinverbindlicherklärung anführt, die eine restriktive Anwendung des § 5 TVG nahe legen könne; außerdem Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1807.
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gen würde massiv behindert, wenn einzelne Arbeitgeber nur mit einem Teil ihrer Arbeitnehmer – den nicht von der Tarifkonkurrenz betroffenen Beschäftigten – von den allgemeinverbindlichen Tarifverträgen über gemeinsame Einrichtungen erfasst würden. Die Funktionsfähigkeit der Sozialkassenverfahren hängt davon ab, dass die gemeinsamen Einrichtungen auf ein ausreichendes Beitragsvolumen zurückgreifen können und verlangt daher den Einbezug sämtlicher, auch der nicht organisierten Arbeitgeber und der bei ihnen beschäftigten organisierten wie nicht organisierten Arbeitnehmer. Bei den gemeinsamen Einrichtungen handelt es sich um Institutionen, die strukturell darauf angewiesen sind, brancheneinheitlich eingerichtet zu werden, also sämtliche Arbeitgeber und Arbeitnehmer eines Gewerbezweigs zu erfassen und so eine möglichst breite Beitragsgrundlage zu generieren.107 Der Normzweck des § 4 Abs. 2 TVG ginge ins Leere, wenn nicht sämtliche Arbeitgeber einer Branche in Anspruch genommen werden könnten.108 Eine normzweckorientierte Betrachtungsweise verlangt für den Fall der Tarifkollision, dass die Sozialkassentarifverträge des Baugewerbes ihrer Schutzfunktion entsprechend unabhängig von etwaigen spezielleren Tarifbindungen alle Betriebe der Branche in Anspruch nehmen können.109 Die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes beispielsweise hat durch die von der bisherigen Rechtsprechung angenommene betriebsweite Verdrängung der sie betreffenden allgemeinverbindlichen Tarifverträge nach dem Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb erhebliche Ausfälle an für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Beitragsleistungen erlitten.110 Die Aufgabenwahrnehmung gemeinsamer Einrichtungen würde aber auch schon dadurch behindert, dass einzelne Arbeitgeber nur mit einem Teil ihrer Arbeitnehmer – den nicht von der Tarifkonkurrenz betroffenen – von den allgemeinverbindlichen Tarifverträgen erfasst würden; das Beitragsaufkommen wäre jedenfalls bei einer größeren Zahl von Tarifkonkurrenzen bereits dadurch empfindlich geschwächt.111 Solche Tarifverträge sind daher auch vorrangig ge107 Vgl. Giesen, ZfA 2008, 355 (377); s. auch Thüsing/F. Bayreuther, AEntG, § 8 AEntG Rn. 55. 108 Jacobs, Tarifeinheit, S. 294 ff.; s. auch dens., Anm. zu BAG 15. 11. 2006 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 34, unter 2. b) bb); dens., NZA 2008, 325 (327). Schon Konzen, Anm. zu BAG 24. 9. 1975 SAE 1977, 60 (62) hatte die Frage aufgeworfen, ob das Spezialitätsprinzip bei Konkurrenzen mit Normen nach § 4 Abs. 2 TVG stets das letzte Wort sein könne. 109 Reichold, RdA 2007, 321 (326); s. auch P. Hanau, NZA Beilage 1/2010, S. 1; Sahl, NZA Beilage 1/2010, S. 8 (11, 13); Wiesehügel, NZA Beilage 1/2010, S. 32 (32 f.); zur Maßgeblichkeit einer normzweckorientierten Betrachtungsweise bei der Auflösung von Tarifkonkurrenzen allgemein JKO/Jacobs, § 7 Rn. 217; ders., NZA 2008, 325 (326); Reichold, a. a. O. S. 323; Franzen, RdA 2008, 193 (197). 110 Wiedemann/Arnold, ZTR 1994, 399 (400). 111 Jacobs, Tarifeinheit, S. 295 f.; relativierend demgegenüber Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 173. Grundsätzlich wie hier – Vorrang allgemeinverbindlicher Tarifverträge über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien gegenüber kollidierenden Tarifverträgen auch außerhalb des Anwendungsbereichs des AEntG – nunmehr auch Oetker, NZA Beilage 1/2010, S. 13 ff. (insbesondere S. 22, 28, 29 ff.).
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genüber anderen allgemeinverbindlichen Tarifen, die keine Normen über gemeinsame Einrichtungen enthalten.112 cc) Konsequenzen für ein Bedürfnis nach Ermittlung der Gewerkschaftszugehörigkeit Die hier für einen Teilbereich der Problematik der Tarifkonkurrenz vertretene Lösung113 vermeidet Schwierigkeiten hinsichtlich der Ermittlung der Gewerkschaftszugehörigkeit in den Konstellationen einer Tarifpluralität unter Beteiligung eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien. Die Tarifkonkurrenz, die in den Arbeitsverhältnissen 112 Jacobs, Tarifeinheit, S. 296 f. – Die hier für den Vorrang eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrages über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien vor einem tarifautonom geltenden Tarifvertrag in der Tarifkonkurrenz gegebene Begründung legt es im Übrigen nahe, mit der h. M. das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG gegenüber Tarifnormen über gemeinsame Einrichtungen für unanwendbar, den Arbeitgeber also für außerstande zu halten, sich durch einen für den Arbeitnehmer günstiger ausgestalteten Einzelarbeitsvertrag der Beitragspflicht gegenüber der gemeinsamen Einrichtung zu entziehen, s. dazu insbesondere Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien, S. 76 ff.; des Weiteren Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 192; Däubler/Deinert, § 4 Rn. 605; JKO/Jacobs, § 7 Rn. 26; Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 417; im Ergebnis auch Kempen/Zachert/Zachert, § 4 Rn. 272; differenzierend Gamillscheg, KollArbR I, § 18 V. 4. e), S. 851 f. Methodisch handelte es sich um eine teleologische Reduktion des § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG mit Rücksicht auf den insoweit vorrangigen Normzweck der §§ 4 Abs. 2, 5 Abs. 4 TVG [s. zu diesem Fall der teleologischen Reduktion noch unten Teil 3, Kapitel 3, unter B. II. 2. b) aa)]. Konsequent hält demgegenüber Rieble, der für die Auflösung von Tarifkonkurrenzen an der Lehre vom Vorrang der mitgliedschaftlichen (tarifautonomen) Legitimation ausnahmslos und damit auch gegenüber allgemeinverbindlichen Tarifverträgen über gemeinsame Einrichtungen festhalten will (Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1807), das Günstigkeitsprinzip auch insoweit für anwendbar, s. Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 283 ff. (mit zutreffendem Hinweis auf den Zusammenhang zwischen der Frage nach der Anwendung des Günstigkeitsprinzips einerseits und dem „Wie“ der Auflösung einer Tarifkonkurrenz andererseits in Rn. 286; den Zusammenhang stellt zuletzt mit Recht auch Oetker, NZA Beilage 1/2010, S. 13 [23] heraus) sowie MüArbR/Rieble/Klumpp, § 183 Rn. 29 ff. Wie hier JKO/Jacobs, § 7 Rn. 26 einerseits (Unanwendbarkeit des Günstigkeitsprinzips auf tarifliche Regelungen über gemeinsame Einrichtungen), Rn. 220, 223 andererseits (Vorrang der Vorschriften über die gemeinsame Einrichtung in der Tarifkonkurrenz). Zum Ganzen jetzt auch Oetker, a. a. O. 113 Da zentraler Gegenstand der Untersuchung die Tarifpluralität und nicht die Tarifkonkurrenz ist, wird in ihr zu tarifkonkurrenzrechtlichen Fragestellungen nur insoweit Position bezogen, wie es zur Gewinnung von Erkenntnissen über die Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung erforderlich ist, s. bereits oben Teil 1, Kapitel 1, unter B. V. Als grundsätzliche Aussage steht die Überzeugung, dass das Spezialitätsprinzip entgegen dem BAG jedenfalls nicht für alle Konstellationen der Tarifkonkurrenz den sachgerechten Ansatz zur Auflösung von Tarifkollisionen auf der Ebene des Arbeitsverhältnisses darstellt. Für den Bereich der Tarifkonkurrenz unter Beteiligung allgemeinverbindlicher Tarifverträge über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien müssen Spezialitätserwägungen zugunsten einer am Normzweck des § 4 Abs. 2 TVG orientierten Betrachtung außen vor bleiben.
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derjenigen Arbeitnehmer entsteht, die in der den anderen Tarifvertrag schließenden Gewerkschaft organisiert sind, wird nicht nach Spezialitätsgesichtspunkten (und damit in der Regel zugunsten des mitgliedschaftlich legitimierten Tarifvertrages), sondern durch den Vorrang des Tarifvertrags über gemeinsame Einrichtungen gelöst, der für den übrigen Teil der Belegschaft ohnehin allein zur Anwendung kommt. Damit gelangt man sowohl in Fall 1 als auch in Fall 2 (s. o.) zur betriebsweit, d. h. in allen Arbeitsverhältnissen des Betriebs, einheitlichen Anwendung des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags über gemeinsame Einrichtungen. Der Arbeitgeber muss sich über die Gewerkschaftszugehörigkeit seiner Arbeitnehmer keine Gedanken machen, sondern weiß: Ist für den Betrieb ein allgemeinverbindlicher Sozialkassentarifvertrag einschlägig, dann gilt dieser für alle Arbeitsverhältnisse des Betriebs, seien die Arbeitnehmer in der ihn abschließenden Gewerkschaft, in einer anderen Gewerkschaft oder überhaupt nicht organisiert. Dementsprechend ist er dann zur Auskunft über die beitragspflichtigen Bruttolöhne verpflichtet und ohne weiteres in der Lage. dd) Verhältnis der Lösung zum Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität Dadurch, dass in den Konstellationen der Tarifkonkurrenz eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags über gemeinsame Einrichtungen und eines mitgliedschaftlich legitimierten Tarifvertrags die Tarifkonkurrenz in den Arbeitsverhältnissen der organisierten Arbeitnehmer zugunsten des allgemeinverbindlichen Sozialkassentarifvertrags aufgelöst wird, kommt es im Ergebnis zu einer betrieblichen Tarifeinheit, also zur betriebsweit einheitlichen Anwendung eines und desselben Tarifvertrages, die indes nicht auf dem Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb (Tarifeinheit bei Tarifpluralität) beruht.114 Die zugleich mit der Tarifkonkurrenz bestehende Tarifpluralität 115 wird demnach im Ergebnis beseitigt, ohne dass dies Folge des Dogmas der zwingenden Tarifeinheit im Betrieb wäre. Damit trägt die hier befürwortete (Teil-)Lösung auch der Forderung jener Rechnung, die gerade bei den Sozialkassentarifverträgen nicht auf die Tarifeinheit im Betrieb verzichten wollen. Dies war auf Seiten der Rechtsprechung bislang namentlich der 10. Senat des BAG, dessen bisherige Ansicht schon oben dargestellt wurde116. Einschlägig sind vor allem zwei Entscheidungen: zum einen
114 Zu der – richtigerweise wohl zu verneinenden – Frage, ob es sich deshalb um einen Fall der „betriebsweiten“ Tarifkonkurrenz handelt, s. o. C. III. 1. b) bb) (2). 115 s. zum Verhältnis von Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität oben Teil 1, Kapitel 2, unter B.; unrichtig für die hier gegebene Konstellation F. Bayreuther, FS Buchner, S. 41 (42): Es liege keine Tarifpluralität, sondern – nur – Tarifkonkurrenz vor. 116 s. o. C. III. 1. a) bb).
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das Urteil vom 26. 1. 1994, in welchem der 10. Senat seinen Bedenken hinsichtlich der damaligen Rechtsprechung des 4. Senats zur Tarifpluralität Ausdruck verlieh, sich dieser Rechtsprechung aber gleichwohl für die Fälle anschloss, in denen es um – allgemeinverbindliche – Tarifverträge geht, die das Verhältnis der Arbeitsvertragsparteien zu gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien regeln.117 Zum anderen hatte der 10. Senat in seinem Urteil vom 4. 12. 2002 verkündet, an seiner Rechtsprechung „jedenfalls für die Geltungsbereichsstreitigkeiten der Sozialkassen des Baugewerbes“ festzuhalten, und zwar „insbesondere im Hinblick auf die Funktionalität gemeinsamer Einrichtungen der Tarifvertragsparteien i. S. des § 4 Abs. 2 TVG“.118 In die gleiche Richtung wie der 10. Senat tendiert das LAG Brandenburg.119 In der Literatur hat dezidiert vor allem Schliemann diese Position vertreten. Bei einer Pluralität mit allgemeinverbindlichen Sozialkassentarifverträgen des Baugewerbes oder sonstigen für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien erscheine es aus praktischen Erwägungen kaum hinnehmbar, von einer betriebseinheitlichen Lösung der Tarifpluralität Abstand zu nehmen.120 Jüngst schreibt er, das Prinzip der Tarifeinheit im Betrieb könne als Rechtsprinzip, „wenn überhaupt, nur bei den Sozialkassentarifverträgen (vgl. § 4 Abs. 2 TVG)“ Platz greifen121, während es „außerhalb der Sozialkassentarifverträge“ rechtlich nicht haltbar sei122. Die geforderte betriebseinheitliche Lösung der Tarifpluralität bei Beteiligung allgemeinverbindlicher Tarifverträge über gemeinsame Einrichtungen123 kann theoretisch auf zwei Wegen gelingen. Man kann die Kollisionslösung entweder 117 BAG 26. 1. 1994 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 22, unter II. 4. d) der Gründe: Ausschlaggebend seien allein Gründe der Praktikabilität; eine rein dogmatisch begründete Beantwortung der zu entscheidenden Rechtsfrage müsste zu unüberwindlichen praktischen Schwierigkeiten führen. 118 BAG 4. 12. 2002 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 28, unter II. 1. d) aa) der Gründe. Nach Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 102 f., hat der 10. Senat mit seinem Urteil vom 26. 1. 1994 das Prinzip der Tarifeinheit im Betrieb für alle Fälle, in denen die besondere Problematik der gemeinsamen Einrichtungen nicht besteht, aufgegeben und dies mit seinem Urteil vom 4. 12. 2002 bestätigt; offen gelassen hat dies nunmehr der 4. Senat in seinem Divergenzanfragebeschluss vom 27. 1. 2010, s. NZA 2010, 645, unter B. III. 1. der Gründe, Rn. 111 des Beschlusses. 119 LAG Brandenburg 17. 3. 1995 LAGE TVG § 4 Nachwirkung Nr. 3, S. 8, unter 2.3 der Gründe. 120 Schliemann, NZA Sonderbeilage zu Heft 24/2000, S. 24 (32); jüngst wieder ders., FS Bauer, S. 923 (936). 121 Schliemann, FS Hromadka, S. 359 (360; s. auch S. 375 f.); jetzt erneut ders., FS Bauer, S. 923 (936). 122 Schliemann, FS Hromadka, S. 359 (378); ders., FS Bauer, S. 923 (936). 123 s. jetzt auch Meyer, FS Buchner, S. 628 (646) sowie Richardi, FS Buchner, S. 731 (736).und Gem. Anm. zu BAG 27. 1. 2010 – 4 AZR 549/08 (A) – und BAG 23. 6. 2010 – 10 AS 2/10, demn. in AP, unter III. 4.
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an der Tarifkonkurrenz oder man kann sie an der zugleich gegebenen Tarifpluralität ansetzen lassen.124 Das heißt, der Grundsatz der Tarifeinheit kann auf der Ebene des einzelnen Arbeitsverhältnisses zur Lösung der Tarifkonkurrenz oder auf der übergeordneten Betriebsebene zur Beseitigung der Tarifpluralität zur Geltung gebracht werden.125 Verwirklicht man die Tarifeinheit, wie insbesondere für die uns hier interessierende Konstellation bisher vom 10. Senat und von Schliemann postuliert, auf der Betriebsebene, werden Tarifkonkurrenzen in den Arbeitsverhältnissen damit betriebseinheitlich vermieden.126 Die Heranziehung der Tarifeinheit zur Kollisionslösung auf der Ebene des Arbeitsverhältnisses wird damit obsolet.127 Für ein Tarifrechts- und Verfassungsverständnis, das Tarifpluralitäten als Ausdruck und Konsequenz des durch Art. 9 Abs. 3 GG – als Möglichkeit – gewährleisteten Koalitionspluralismus128 akzeptiert, ist dieser Weg freilich versperrt oder doch wenigstens nicht ohne Durchbrechung des grundsätzlichen Konzepts gangbar. Es bleibt der Ansatz bei der Tarifkonkurrenz, die nach dem Prinzip der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis unstreitig auflösungsbedürftig ist („Ob“ der Kollisionsauflösung), also die Kollisionslösung auf der individuellen Ebene. Solchermaßen kann indes die geforderte betriebseinheitliche Kollisionslösung für Fälle unter Einschluss allgemeinverbindlicher Sozialkassentarifverträge nicht gelingen, wenn man für das „Wie“ der Konkurrenzauflösung das Spezialitätsprinzip heranzieht. Es muss daher zumindest für diese Konstellation das Spezialitätsprinzip als Lösungsmechanismus für Tarifkonkurrenzen verabschiedet und durch den vom Normzweck der §§ 4 Abs. 2, 5 Abs. 4 TVG vorgegebenen Vorrang des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages über gemeinsame Einrichtungen ersetzt werden.
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s. dazu und zum Folgenden allgemein Fenn, FS Kissel, S. 213 (214); Thüsing, NZA 2005, 1280 (1283). 125 Fenn, FS Kissel, S. 213 (214). 126 Fenn, FS Kissel, S. 213 (214); s. auch Thüsing, NZA 2005, 1280 (1283). 127 Fenn, FS Kissel, S. 213 (214). 128 Zum Koalitionspluralismus s. ausführlich Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 11 ff.; Klein, Minderheitsgewerkschaften, S. 88 ff. und passim sowie jetzt vor allem Greiner, Rechtsfragen, S. 125 ff., 149 (mit Fn. 654) sowie Koop, Tarifvertragssystem, S. 42 ff., 48 ff., 72 f., 86, 96 ff. m.w. N.; zurückhaltend Waas, Tarifkonkurrenz, S. 133 f. Zur Tarifpluralität als Tarifwettbewerb und Realisierung der von der Koalitionsfreiheit gewährleisteten Wettbewerbschance Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1801 f., 1884; s. auch Band, Tarifkonkurrenz, S. 136; Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 75 f.; Heß, ZfA 1976, 45 (60); Konzen, ZfA 1975, 401 (404); dens., FS Kraft, S. 291 (299, 309); Kraft, RdA 1992, 161 (166); Wiedemann, FS Fleck, S. 447 (452); Witzig, Tarifeinheit, S. 48 f.; ferner Lembke/Distler, NZA 2006, 952 (958). Zu beidem jetzt auch zutreffend BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) ee) (4) (a) (bb) der Gründe, Rn. 92 des Beschlusses.
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ee) Verfassungsrechtliche Bedenken Die hier für vorzugswürdig befundene (Teil-)Lösung ist auch schon vom 10. Senat des BAG als Möglichkeit erkannt worden. Alternativ zur Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb, so meinte der Senat, ließe sich den praktischen und rechtlichen Schwierigkeiten nur dadurch begegnen, dass dem allgemeinverbindlichen Sozialkassentarifvertrag gegenüber dem mitgliedschaftlich legitimierten spezielleren Tarifvertrag auch dann der Vorrang eingeräumt würde, wenn der speziellere Tarifvertrag kraft Tarifbindung auf Arbeitsverhältnisse der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer anzuwenden sei. Darin aber sah der Senat erstens einen Widerspruch zu den Regeln über die Lösung von Tarifkonkurrenzen. Zum anderen hatte er Bedenken, den Mitgliedern der Parteien des spezielleren Tarifvertrags „ihre“ in Ausübung der Tarifautonomie vereinbarten Arbeitsbedingungen durch einen anderen Tarifvertrag zu nehmen, der von anderen Tarifvertragsparteien vereinbart wurde.129 (1) Beide vom Senat gegen die hier befürwortete Lösung in Stellung gebrachten Vorbehalte sind unbegründet. Zunächst sind die Regeln über die Lösung von Tarifkonkurrenzen, wie sie bislang von der Rechtsprechung praktiziert werden (Spezialitätsprinzip), nicht sakrosankt. Das Spezialitätsprinzip, zu dem die Auflösung der in den Arbeitsverhältnissen der einschlägig organisierten Arbeitnehmer eintretenden Tarifkonkurrenz zugunsten des allgemeinverbindlichen Sozialkassentarifvertrages in Widerspruch steht, ist jedenfalls als generelle Kollisionsregel für Tarifkonkurrenzen zu verabschieden. Die vorzuziehende Sichtweise erkennt im Normzweck des § 4 Abs. 2 TVG den zutreffenden Gesichtspunkt für die Auflösung der hier in den einzelnen Arbeitsverhältnissen sich ergebenden Tarifnormenkollisionen. (2) Zum zweiten, dem verfassungsrechtlichen Vorbehalt130, ist einzuräumen, dass es einer verfassungsfesten Begründung dafür bedarf, die Tarifkonkurrenz durch Verdrängung eines tarifautonom legitimierten Tarifvertrages aufzulösen.131
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BAG 26. 1. 1994 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 22, unter II. 4. d) der Gründe. Vor allem aus verfassungsrechtlichen Gründen gegen den Vorrang für allgemeinverbindlich erklärter Tarifverträge über gemeinsame Einrichtungen in der Tarifkonkurrenz: Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 172 f.; s. auch F. Bayreuther, NZA 2007, 187 (190); dens., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 130 (143): „verfassungsrechtlich starker Tobak“; nunmehr auch Richardi, FS Buchner, S. 731 (736): Soweit das BAG bei Tarifpluralität unter Beteiligung eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrages über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien nach dem Spezialitätsgrundsatz dem nach § 3 Abs. 1 TVG geltenden Tarifvertrag den Vorrang gebe, stehe diese Auflösung der Tarifkollision der grundrechtlichen Gewährleistung der Koalitionsfreiheit näher als eine vorrangige Anerkennung des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages. 131 Vgl. BVerfG 24. 5. 1977 BVerfGE 44, 322 (352) sowie BVerfG 15. 7. 1980 BVerfGE 55, 7 (24) und dazu im hiesigen Zusammenhang F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 347 f., 349 (mit Fn. 45), 350, 406; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 130
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Diese Begründung liegt aber eben in den vorliegenden Fällen darin, dass es sich nicht nur um einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag, sondern um einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien handelt – zumindest in den hier zu betrachtenden Konstellationen ist also die Rechtfertigung dafür, die Lösung der Tarifkonkurrenz im Vorrang des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags zu sehen, der Sinn und Zweck der Allgemeinverbindlicherklärung in Verbindung mit dem Sinn und Zweck des § 4 Abs. 2 TVG.132 Verfassungsrechtlich steht dahinter der im objektiv-rechtlichen Gehalt des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG wurzelnde Gedanke einer „Indienstnahme“ der Koalitionen zum Zwecke der von Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG intendierten sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens. Art. 9 Abs. 3 GG ist ein von der freiheitsrechtlichen Komponente133 zu unterscheidender, über diese hinausgehender134 „objektivrechtlicher Gehalt“135 zuzuschreiben. Dass das Grundrecht der Koalitionsfreiheit nicht nur ein subjektives Freiheitsrecht umfasst, sondern auch ein objektives Ordnungsprinzip konstituiert, ist anerkannt.136 Das BVerfG sprach schon früh von dem „Ordnungszweck“ des Tarifvertragssystems, davon, dass „einer der Zwecke des Tarifvertragssystems eine sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens, insbesondere der Lohngestaltung, unter Mitwirkung der Sozialpartner“ sei137, und von der „im allgemeinen Interesse liegenden Aufgabe der Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens“, der „im öffentlichen Interesse den Koalitionen übertragene Aufgabe, im Verein mit dem sozialen Gegenspieler das Arbeitsleben zu ordnen und zu befrieden“.138 Die aus der Koalitionsfreiheit entspringende Tarifautonomie, so heißt es weiter, verfolge den im öffentlichen Interesse liegenden Zweck, in dem
Rn. 1804 (mit Fn. 29), 1805, 1807 sowie jüngst Oetker, NZA Beilage 1/2010, S. 13 (20, mit Fn. 92). 132 Vgl. auch Jacobs, Tarifeinheit, S. 294 ff.; a. A. Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 172 f. 133 Das BVerfG sieht in der Koalitionsfreiheit „in erster Linie ein Freiheitsrecht“, s. BVerfG 1. 3. 1979 BVerfGE 50, 290 (367); 4. 7. 1995 BVerfGE 92, 365 (393). Allgemein zum Verhältnis der beiden Grundrechtsseiten (subjektiv- und objektiv-rechtliche Seite) zueinander Gellermann, Grundrechte, S. 45 ff. (zur Koalitionsfreiheit S. 161, 170). 134 Vgl. allgemein Gellermann, Grundrechte, S. 33, 40 f. 135 Kritisch zur Terminologie Jarass, AöR 110 (1985), 363 (367 ff.). 136 Vgl. dazu Maunz/Dürig/Scholz (1999), Art. 9 GG Rn. 164, 172; ferner etwa Wiedemann/Thüsing, Anhang 2 zu § 5 Rn. 8; Gamillscheg, KollArbR I, § 7 II. 3., S. 302 ff. der ein „institutionelles“ und ein freiheitsrechtliches Verständnis des Art. 9 Abs. 3 GG und der Tarifautonomie gegenüberstellt; Jacobs, Tarifeinheit, S. 111. Allgemein zum objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte und zu seinen verschiedenen Facetten s. etwa Gellermann, Grundrechte, S. 36 ff. und den Überblick bei Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 73 ff. 137 BVerfG 18. 11. 1954 BVerfGE 4, 96 (107); Hervorhebung aus dem Original übernommen. 138 BVerfG 6. 5. 1964 BVerfGE 18, 18 (27).
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von der staatlichen Rechtsetzung frei gelassenen Raum das Arbeitsleben im Einzelnen durch Tarifverträge sinnvoll zu ordnen, insbesondere die Höhe der Arbeitsvergütung für die verschiedenen Berufstätigkeiten festzulegen, und so letztlich die Gemeinschaft sozial zu befrieden.139 Dass die Aufgabe, insbesondere Löhne und sonstige materielle Arbeitsbedingungen in einem von staatlicher Rechtsetzung frei gelassenen Raum in eigener Verantwortung und im Wesentlichen ohne staatliche Einflussnahme durch unabdingbare Gesamtvereinbarungen sinnvoll zu ordnen, den Koalitionen durch Art. 9 Abs. 3 GG „im öffentlichen Interesse (. . .) zugewiesen“ sei, wiederholte das BVerfG in seiner ersten Entscheidung zur Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG.140 Die Topoi der „sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens“, der die Koalitionsfreiheit diene, der „im allgemeinen Interesse liegenden Aufgabe der Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens“ sowie der „sinnvollen Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens“, um die es Art. 9 Abs. 3 GG gehe, zog das Gericht auch in seinem Urteil zur Verfassungsmäßigkeit des Mitbestimmungsgesetzes 1976 heran.141 In jüngerer Zeit berief sich das BVerfG ausdrücklich auch auf „die Ordnungsfunktion der Tarifverträge“, um die Verfassungsmäßigkeit der Tariftreueregelung im Berliner Vergabegesetz zu begründen. Der Gesetzgeber dürfe die Ordnungsfunktion der Tarifverträge unterstützen, indem er Regelungen schaffe, die bewirkten, dass die von den Tarifparteien ausgehandelten Löhne und Gehälter auch für Nichtverbandsmitglieder mittelbar zur Anwendung kämen. Dadurch werde die von Art. 9 Abs. 3 GG intendierte, im öffentlichen Interesse liegende autonome Ordnung des Arbeitslebens durch Koalitionen abgestützt, indem den Tarifentgelten zu größerer Durchsetzungskraft verholfen werde.142 Diese Sichtweise hat kurz darauf die 2. Kammer des 1. Senats des BVerfG in einem Nichtannahmebeschluss bestätigt.143 Ihre Ordnungsaufgabe ist den Koalitionen im Interesse der Allgemeinheit zugewiesen.144 Die Koalitionsfreiheit ist kein Selbstzweck145, sondern eine „die139
BVerfG 6. 5. 1964 BVerfGE 18, 18 (28). BVerfG 24. 5. 1977 BVerfGE 44, 322 (340 f.). 141 BVerfG 1. 3. 1979 BVerfGE 50, 290 (367, 369, 371). 142 BVerfG 11. 7. 2006 BVerfGE 116, 202 (224); scharfe Kritik (auch) an diesem Teil der Entscheidung bei Rieble, NZA 2007, 1 (2); s. auch Höfling/Rixen, RdA 2007, 360 (364 f.), aber auch Preis/D. Ulber, NJW 2007, 465 (470 f.); ferner Dieterich, in: Bieback et al., Tarifgestützte Mindestlöhne, S. 103 (117, mit Fn. 23): Die Verfassung erwarte von den Tarifvertragsparteien eine Ordnungsfunktion. 143 BVerfG 20. 3. 2007 NZA 2007, 609 (611), Rn. 38 des Beschlusses, betr. die Generalunternehmerhaftung nach § 1a AEntG a. F. 144 Vgl. G. Müller, DB 1975, 205 (207). 145 Explizit anders allerdings Stern/Dietlein, Staatsrecht IV/1, § 112 IV. 1. b), S. 2003. 140
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
nende Freiheit“.146 Man kann von Art. 9 Abs. 3 GG als einem funktionalen Freiheitsgrundrecht sprechen, das die Koalitionsbetätigung zweckgebunden im Hinblick auf das Funktionieren der Arbeitsordnung gewährleistet147, oder von einer objektiv sozialgestaltenden Funktion der Koalitionsfreiheit148. Aus einem Wechsel der grundrechtsdogmatischen Perspektive von der subjektiv- oder freiheitsrechtlichen zur objektiv-rechtlichen Dimension der Koalitionsfreiheit oder, mit Gamillscheg, vom freiheitsrechtlichen zum „institutionellen“ 149 oder „funktionellen“ Verständnis des Art. 9 Abs. 3 GG150 erhellt, dass es Art. 9 Abs. 3 GG auch um eine verfassungsrechtlich gewollte, nämlich bei einem funktionalen Verständnis von dem Ziel der sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens geforderte Indienstnahme der Koalitionen geht.151 Die Verfassung nimmt die Koali-
146 Gamillscheg, KollArbR I, § 7 II. 1. e) (1), S. 293; s. auch ebd. § 7 II. 3. a) (3), S. 307 ff.; des Weiteren Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 97, 202; s. auch Buchner, FS Kissel, S. 97. 147 Wiedemann, RdA 1969, 321 (330); s. auch Konzen, FS Müller, S. 245 (257); zur Lehre vom funktionalen Grundrecht auch Ricken, Autonomie, S. 134 ff. 148 Jacobs, Tarifeinheit, S. 111. 149 Zu der im Einzelnen streitigen Frage einer aus Art. 9 Abs. 3 GG zu entnehmenden Institutsgarantie s. ausführlich etwa Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung, S. 185 f., 190 ff. und vor allem S. 198 ff., 201 ff. 150 Gamillscheg, KollArbR I, § 7 II. 3., S. 302 ff.; s. auch im Zusammenhang mit der Tarifpluralität Hromadka, NZA 2008, 384 (387); s. des Weiteren nochmals Wiedemann, RdA 1969, 321 (330); ferner Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 105. – Eine ähnliche Dualität der Grundrechtsdimensionen besteht bei der Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, s. dazu nur BVerfG 5. 2. 1991 BVerfGE 83, 238 (295 f.); 6. 10. 1992 BVerfGE 87, 181 (197 f.); Sachs/Bethge, Art. 5 Rn. 93 f.; v. Mangoldt/ Klein/Starck/Starck, Art. 5 Rn. 8 ff. Ebenso bei der Pressefreiheit; instruktiv zu dieser grundrechtsdogmatischen Gemeinsamkeit von Koalitions- und Pressefreiheit Rüthers, AfP 1977, 305 (311 ff.), insbesondere auch zu dem Konkurrenzverhältnis von (freiheitsrechtlicher) Primär- und (objektiv-rechtlicher) Konnexgarantie. 151 Der wegen seiner Anschaulichkeit gewählte Begriff der „Indienstnahme“ (s. zu ihm auch Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung, S. 116) muss hier untechnisch verstanden werden. Eine Indienstnahme im strengen Sinne setzt eine Handlungspflicht des Indienstgenommenen voraus, und selbst, wenn man ein Verfassungsgebot der Tarifautonomie, also eine Pflicht zur Wahrnehmung der Ordnungsaufgabe annimmt, kann dies keine Rechtspflicht, sondern nicht mehr sein als eine Naturalobligation, s. Gamillscheg, KollArbR I, § 7 II. 1. e) (3), S. 294 m.w. N. Zur Verfassungsmäßigkeit einer „echten“ Indienstnahme Privater für öffentliche Aufgaben vgl. etwa BVerfG 16. 3. 1971 BVerfGE 30, 292 ff. Das Bild der „Indienstnahme“ findet sich im Zusammenhang mit dem Tarifvertragsrecht auch bei Dieterich, RdA 2002, 1 (13) und besonders bei Thüsing, FS 50 Jahre BAG, S. 889 (894), der mit Blick auf arbeitsrechtliche Vorschriften, durch die Tarifvertragswirkungen über den Bereich der Mitglieder hinaus erstreckt werden (§§ 5 TVG, 9 Nr. 2 AÜG, Tariftreuegesetze), von einer „Indienstnahme der Gewerkschaften zur Verfolgung öffentlicher Interessen“ spricht. Mit Blick auf das tarifdispositive Gesetzesrecht sprechen von einer „Indienstnahme“ der Tarifvertragsparteien durch den staatlichen Gesetzgeber Waltermann, ZfA 2000, 53 (73); Wiedemann, RdA 1997, 297 (301, 304); s. dazu noch unten Teil 3, Kapitel 3, unter B. II. 3. b) bb) (1).
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tionen zur Erreichung des übergeordneten Ziels der sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens152 in ihren Dienst. Theoretisch ließe sich die den Koalitionen zugewiesene Ordnungsfunktion zwar auch durch direkte staatliche Arbeitsgesetzgebung verwirklichen.153 Ein solches Modell scheiterte insbesondere nicht an der den Koalitionen überwiegend gegenüber dem staatlichen Gesetzgeber eingeräumten „Normsetzungsprärogative“154 oder, aus der entgegen gesetzten Perspektive, der nur subsidiären staatlichen Regelungsbefugnis im Bereich der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ (Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG).155 Denn im Fall der gemeinsamen Einrichtungen steht ein Bereich in Rede, der einer einheitlich geltenden, in ihrer Geltung auf die Tarifgebundenheit der Arbeitgeber und Arbeitnehmer keine Rücksicht nehmenden Regelung bedürftig ist. Während der Gesetzgeber im Übrigen die Normsetzungsprärogative der Koalitionen zu respektieren hat, gilt dies dort nicht, wo eine Regelung notwendig mit Wirkung auch für die nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer getroffen werden muss, auf welche sich die Regelungsbefugnis der Koalitionen gar nicht erstreckt. Praktisch aber scheidet eine staatliche Lösung der hier inmitten stehenden Fragen aus. Mit Recht bemerkt Giesen, dass es in dem von den gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien abgedeckten Bereich äußerst aufwendig wäre, anstatt einer tarifvertraglichen eine eigene neutrale staatliche Regelung zu treffen.156 Die gesonderte Errichtung einer Urlaubsausgleichskasse durch den Staat sei nur schwierig zu bewerkstelligen. Es sei nur unter großem Aufwand möglich, statt einer tarifvertraglichen eine staatlicherseits organisierte koalitionsneutrale Einrichtung zur Urlaubsabgeltung mit Umlagefinanzierung zu schaffen. Deshalb erlaubten die besondere Branchennähe und der besondere Sachverstand der Koalitionen die allgemeine Verbindlichstellung der entsprechenden Tarifver-
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s. dazu in anderem Zusammenhang auch Thüsing, FS 50 Jahre BAG, S. 889
(894). 153
Vgl. Kempen/Zachert/Kempen, Grundl. Rn. 104. Kritisch zum Begriff Gamillscheg, KollArbR I, § 7 II. 1. c) (1), S. 289 (Fn. 148); ders., FS Kim, S. 35 (36 f.); Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 9 IV. 4. c), S. 102 (Fn. 69). 155 Zur Diskussion um Normsetzungsprärogative und Subsidiarität staatlichen Rechts s. nur Gamillscheg, KollArbR I, § 7 II. 1. c), S. 289 ff. 156 s. zu dieser Alternative auch bereits Reuter, ZfA 1995, 1 (45), der der Allgemeinverbindlicherklärung insgesamt kritisch gegenübersteht, sie aber dort als legitim anerkennt, wo es um die Sicherung der Funktionsfähigkeit gemeinsamer Einrichtungen geht (s. auch schon Reuter, RdA 1991, 193 [203] und zuletzt wieder Reuter, FS Birk, S. 717 [730]; allgemein zur Kritik an der Allgemeinverbindlicherklärung die Darstellung und Gegenargumente bei Wiedemann/Wank, § 5 Rn. 182 ff.), und zutreffend festhält, dass die einzige Alternative zur Allgemeinverbindlicherklärung der Tarifverträge über gemeinsame Einrichtungen in einer Regelung durch den Gesetzgeber bestehe. 154
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träge, die sogar zur Verdrängung freier Tarifverträge führen könne.157 Dem ist zuzustimmen.158 Die „Indienstnahme“ der Koalitionen hat also staatsentlastende Funktion.159 Die Verfassungsordnung sieht in Art. 9 Abs. 3 GG für den Bereich der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen eine weitgehende Selbststeuerung durch die sozialen Gegenspieler vor, weil die hiermit verbundene Entlastung des staatlichen Steuerungssystems nicht nur der im demokratischen Prinzip des Grundgesetzes angelegten Dezentralisierungstendenz entspricht, sondern auch praktisch geboten ist.160 Die Tarifpartner entlasten den Staat von der Aufgabe, die Arbeitsbedingungen fair zu ordnen. Wollten staatliche Behörden die Regelung der Arbeitsbedingungen in gleicher Ausführlichkeit übernehmen, sie wären hoffnungslos überfordert.161 Den richtigen Weg weist speziell für unsere Konstellation daher die Bezugnahme Giesens auf die besondere Branchennähe und den besonderen Sachverstand der Koalitionen.162 Es geht um eine verfassungsrechtlich legitime, nämlich bei einem funktionalen Verständnis des Art. 9 Abs. 3 GG der Erreichung des Ziels der sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens förderliche Indienstnahme dieser Branchennähe und dieses Sachverstandes der Koalitionen. Der Staat nimmt, indem er die Tarifverträge betreffend gemeinsame Einrichtungen, insbesondere im Baugewerbe, regelmäßig nach § 5 TVG für allgemeinverbindlich erklärt und so den Einbezug sämtlicher Arbeitgeber und Arbeitnehmer in die Sozialkassenverfahren ermöglicht, die Koalitionen zur Erreichung übergeordneter sozialpolitischer Zielsetzungen wie der Sicherstellung eines zusammenhängenden Urlaubs163 – letztlich also aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes164 – in seinen 157
Giesen, ZfA 2008, 355 (378). s. auch jüngst Moll, FS Bauer, S. 767 (770). Anders aber Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1807: Richtige Alternative sei eine staatliche „Sozialversicherung“, an deren Verwaltung alle maßgeblichen Koalitionen teilnehmen können. 159 s. auch allgemein Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 12 I. 2. b) (3), S. 670; zurückhaltend gegenüber der staatsentlastenden Funktion der Tarifautonomie aber Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 18; kritisch jüngst auch Arnold, Betriebliche Tarifnormen, S. 231 ff.; Klein, Minderheitsgewerkschaften, S. 92 ff., 98 ff.; Koop, Tarifvertragssystem, S. 280 f.; explizit anders aber G. Müller, Arbeitskampf und Recht, S. 62; s. auch dens., DB 1981, 93 (100); aus jüngerer Zeit Thüsing, FS 50 Jahre BAG, S. 889 (894 f.). 160 Kempen/Zachert/Kempen, Grundl. Rn. 104; s. auch zum staatsentlastenden Verständnis der Tarifautonomie in der Rechtsprechung des BVerfG Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen, S. 36 f. 161 Gamillscheg, KollArbR I, § 7 II. 1. d) (3), S. 292 m.w. N. 162 s. nochmals Giesen, ZfA 2008, 355 (378). 163 Vgl. zur sozialpolitischen Funktion der Allgemeinverbindlicherklärung in diesem Zusammenhang nur Löwisch/Rieble, § 5 Rn. 13; Wiedemann/Wank, § 5 Rn. 3a. 164 s. zutreffend HWK/Henssler, § 4 TVG Rn. 59: Bei gemeinsamen Einrichtungen könne der Normzweck des § 4 Abs. 2 TVG meist nur bei einer betriebsweiten Tarifgeltung verwirklicht werden; entsprechende Tarifverträge müssten sich daher in der Tarif158
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Dienst. Diese Indienstnahme hat, weil, wie Giesen zutreffend ausführt, die Schaffung einer eigenen neutralen staatlichen Regelung in den von den gemeinsamen Einrichtungen abgedeckten Bereichen allenfalls mit unverhältnismäßigem Aufwand zu bewerkstelligen ist165, staatsentlastende Funktion.166 Diese ihre Funktion können indes die gemeinsamen Einrichtungen nur unter der Bedingung gesicherter Funktionsfähigkeit erfüllen; für diese wiederum ist nach dem Gesagten der Vorrang der entsprechenden Tarifverträge vor konkurrierenden, auch mitgliedschaftlich legitimierten Tarifregelungen konstitutiv. 2. Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung: Fragerecht als Voraussetzung zutreffender tarifrechtlicher Behandlung der Arbeitnehmer im tarifpluralen Betrieb? Ergibt sich demnach ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers eines tarifpluralen Betriebs, die gewerkschaftliche Organisierung seiner Arbeitnehmer in Erfahrung zu bringen, nicht aus seinem Verhältnis zu den gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien, so ist das Augenmerk auf die Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung selbst zu richten. Insoweit wird verbreitet geltend gemacht, ein Fragerecht des Arbeitgebers eines tarifpluralen Betriebes nach Abschluss des Arbeitsvertrages sei deshalb zu bejahen, weil die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit dazu diene, die zutreffende tarifrechtliche Behandlung des Arbeitnehmers zu ermöglichen.167 a) Fragerecht und Offenbarungsobliegenheit des Arbeitnehmers aa) (Nur) Offenbarungsobliegenheit statt Fragerecht? Zu fragen ist, ob bei Abwägung der beiderseitigen Interessen statt der Bejahung eines Fragerechts des Arbeitgebers und einer daraus resultierenden Pflicht konkurrenz durchsetzen. Verfassungsrechtlich lasse sich dies durch den nur auf diesem Weg erreichbaren Arbeitnehmerschutz rechtfertigen. – Zur Erhaltung als wünschenswert angesehener sozialer Standards als dem Grundgesetz entsprechender gesetzgeberischer Zielsetzung s. BVerfG 11. 7. 2006 BVerfGE 116, 202 (223); vertiefend zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen des durch die Allgemeinverbindlicherklärung (auch von Tarifverträgen über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien) bezweckten Arbeitnehmerschutzes jetzt Sittard, Tarifnormerstreckung, S. 124 ff., 130 ff. 165 s. nochmals Giesen, ZfA 2008, 355 (378); s. aber demgegenüber nochmals Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1807. 166 s. auch, ohne Bezug zur Auflösung von Tarifkonkurrenzen, Henssler, ZfA 1994, 487 (513 f.): Die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen über gemeinsame Einrichtungen ersetzt eine gesetzliche Regelung, über die anderenfalls eine allgemeine Beitragspflicht begründet werden müsste, und ist damit ein Deregulierungsbeitrag. 167 Grundlegend P. Hanau/Kania, Anm. zu BAG 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20, unter II. 2. a); weitere Nachweise oben Fn. 48.
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des Arbeitnehmers zur wahrheitsgemäßen Beantwortung der zulässigen Frage168 nicht die Annahme einer Offenbarungsobliegenheit des Arbeitnehmers und eines korrespondierenden Rechts des Arbeitgebers genügt, im Falle unterbleibender Mitteilung der Gewerkschaftszugehörigkeit den betreffenden Arbeitnehmer wie einen Nichtorganisierten zu behandeln. (1) Im Schrifttum zur Tarifpluralität wird verbreitet eine Obliegenheit des Arbeitnehmers zur Offenbarung seiner Gewerkschaftsmitgliedschaft befürwortet.169 Lasse der Arbeitnehmer den Arbeitgeber über seine Gewerkschaftszugehörigkeit im Unklaren, so dürfe ihn der Arbeitgeber wie einen Nichtorganisierten behandeln.170 Ausgehend von dem allgemeinen prozessualen Grundsatz, dass derjenige, der sich auf eine ihm günstige Rechtsfolge beruft, deren Voraussetzungen darlegen und beweisen muss, weist die Literatur des Weiteren darauf hin, dass der Arbeitnehmer spätestens im Prozess zur Geltendmachung tariflicher Rechte seine Tarifgebundenheit und damit seine Gewerkschaftszugehörigkeit erklären müsse171; spätestens dann könne die Feststellung der Ansprüche nach dem einen, kraft Tarifgebundenheit geltenden Tarifvertrag erfolgen.172 Die dem Arbeitgeber zugestandene Behandlung von Arbeitnehmern als Nichtorganisierte bedeutet praktisch, dass sich die Arbeitsbedingungen dieser Arbeitnehmer dann insbesondere bei Tarifpluralitäten unter Beteiligung eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrages nicht nach dem selbst gewählten (§ 3 Abs. 1 TVG), sondern nach dem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag (§ 5 Abs. 4 TVG) richten.173 Im Übrigen kommt es darauf an, welcher Tarifvertrag jeweils arbeitsvertraglich in Bezug genommen ist.174 Handelt es sich bei dem für allgemeinver168 Zur Pflicht zur wahrheitsgemäßen Beantwortung als Konsequenz eines Fragerechts nur Michel/Möller/Peter, AuR 2008, 36 (38). 169 Grundlegend Reuter, JuS 1992, 105 (107); ferner Band, Tarifkonkurrenz, S. 108 f.; Jacobs, Tarifeinheit, S. 406 f.; Witzig, Tarifeinheit, S. 41 f.; s. auch Meyer, DB 2006, 1271; Nebeling/Gründel, NZA 2009, 1003 (1004). 170 Band, Tarifkonkurrenz, S. 108 f.; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1504; Deinert, NZA 2009, 1176 (1179); Franzen, RdA 2008, 193 (196); Kohte, Anm. zu BAG 26. 1. 1994 SAE 1996, 14 (16); Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 287; ders., Anm. zu BAG 26. 1. 1994 EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 9, S. 15 (20); zuletzt Brecht-Heitzmann, GS Zachert, S. 502 (508); s. auch A. Stein, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 35 (51); so jetzt auch BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) dd) (2) (b) der Gründe, Rn. 69 des Beschlusses. 171 Dazu allgemein statt aller Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 163; Schaub, FS Hromadka, S. 339 (340). 172 Witzig, Tarifeinheit, S. 41; s. ferner Band, Tarifkonkurrenz, S. 109; Jacobs, Tarifeinheit, S. 406 f.; Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (512); so jetzt auch BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) dd) (2) (b) der Gründe, Rn. 69 des Beschlusses. 173 Jacobs, Tarifeinheit, S. 406. 174 Franzen, RdA 2008, 193 (196); ebenso – allerdings, von einem tarifeinheitlichen Vorverständnis aus, kritisch – Wallisch, FS Löwisch, S. 427 (439): Das Dilemma werde lediglich in die Diskussion um den Inhalt arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln ver-
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bindlich erklärten Tarifvertrag – wie häufig – um einen solchen über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien nach § 4 Abs. 2 TVG, so stellt sich nach der hier vertretenen Lösung das Problem der Ermittlung der Gewerkschaftszugehörigkeit und eines Fragerechts des Arbeitgebers von vornherein nicht.175 (2) Meist wird die Offenbarungsobliegenheit des Arbeitnehmers mit dem Fragerecht des Arbeitgebers kombiniert: Aus ihr sollen sich die Konsequenzen für den Fall ergeben, dass der Arbeitnehmer die – zulässige – Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit nicht beantwortet.176 Das Recht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer wie einen Nichtorganisierten zu behandeln, greife, solange der Arbeitgeber die Gewerkschaftszugehörigkeit eines Arbeitnehmers nicht in Erfahrung bringen kann.177 Teils findet sich aber auch die Einschätzung, mit Hilfe der Offenbarungsobliegenheit ließen sich unüberwindliche Schwierigkeiten einer Tarifpluralität auch dann vermeiden, wenn man dem Arbeitgeber auch nach Abschluss des Arbeitsvertrages kein Fragerecht einräumen wolle.178 Exakt das ist der Punkt, an dem die Gegenansicht, die sich gegen die Zubilligung eines Fragerechts als Reaktion auf die Freigabe von Tarifpluralitäten ausspricht, argumentativ einhakt: Müsse der Arbeitnehmer, der sich auf den „eigenen“ Tarifvertrag beruft, zwecks Wahrung seiner Rechte ohnehin seine Gewerkschaftszugehörigkeit mitteilen, so bedürfe es keines Fragerechts des Arbeitgebers.179 Diejenigen, die von ihrem Arbeitgeber vorenthaltene tarifvertragliche Leistungen verlangen, müssten sich zur Mitgliedschaft in der Gewerkschaft bekennen. Die Entscheidung, ob und ggf. wann sie ihre Rechte durchsetzen und sich dann auch zu ihrer Gewerkschaftsmitgliedschaft bekennen wollen, müsse aber – im Ergebnis wie in der prozessualen Situation – wegen ihrer strukturellen Unterlegenheit im Arbeitsverhältnis und der lagert; ähnlich jetzt Brocker, NZA Beilage 3/2010, S. 121 (125); s. zu Tarifpluralität und arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln in der vorliegenden Arbeit das folgende Kapitel (Teil 2, Kapitel 2). 175 s. o. C. III. 1. 176 Jacobs, Tarifeinheit, S. 406. 177 Wank, Anm. zu BAG 26. 1. 1994 EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 9, S. 15 (20); ebenso Franzen, RdA 2008, 193 (196); s. auch Bepler, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 791 (801): Einem Arbeitnehmer, der Rechte aus einem Tarifvertrag erhält, könnten Rechte aus einem anderen günstigeren Tarifvertrag, an den er und sein Arbeitgeber gebunden sind, verweigert werden, wenn er eine Frage nach seiner Gewerkschaftszugehörigkeit nicht oder falsch beantwortet hat, bis die tatsächliche Lage von ihm klargestellt werde. 178 Band, Tarifkonkurrenz, S. 108; vgl. jetzt auch Deinert, NZA 2009, 1176 (1179) und Brecht-Heitzmann, GS Zachert, S. 502 (507 f.). 179 Wendeling-Schröder, Anm. zu LAG Niedersachsen 12. 11. 1999 LAGE TVG § 4 Tarifpluralität Nr. 3, S. 10; dies., AuR 2000, 339 (341); dies. in Kempen/Zachert, § 4 Rn. 162; so offenbar (wenn auch nicht ausdrücklich ein Fragerecht ablehnend) auch Winzer, Tarifgeltung, S. 9, 15, 25; jüngst Brecht-Heitzmann, GS Zachert, S. 502 (507 f., 519).
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potentiellen Gefahr von Benachteiligungen oder des Verlustes des Arbeitsplatzes bei ihnen liegen. Dies gelte auch auf die Gefahr hin, dass Arbeitnehmer dadurch ihre tariflichen Rechte nicht in vollem Umfang wahrnehmen. Die Arbeitnehmer müssten im Zweifelsfalle für sich selbst und vor allem auf Grund der konkreten betrieblichen Situation abwägen können zwischen der umfassenden Geltendmachung ihrer tariflichen Rechte oder den möglichen Folgen der Offenbarung ihrer Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft.180 Kurz gesagt lautet die Argumentation also, dass ein Fragerecht mit korrespondierender Pflicht zur wahrheitsgemäßen Antwort nicht erforderlich sei, weil die ohnedies bestehende Offenbarungsobliegenheit hinreiche. bb) Funktionsweise einer Offenbarungsobliegenheit Eine Auseinandersetzung mit dieser Argumentation setzt voraus, dass Klarheit über die Funktionsweise einer solchen Offenbarungsobliegenheit besteht.181 Wenn es heißt, der Arbeitgeber sei berechtigt, den Arbeitnehmer wie einen Nichtorganisierten zu behandeln, solange die Gewerkschaftszugehörigkeit des Arbeitnehmers unbekannt ist182, oder, dem Arbeitnehmer, der Rechte aus einem Tarifvertrag erhält, könnten Rechte aus einem anderen günstigeren Tarifvertrag, an den er und sein Arbeitgeber gebunden sind, verweigert werden, bis die tatsächliche Lage von ihm klargestellt ist183, so fragt sich, welche Rechtsfolgen nach einer späteren Klarstellung des Organisationsstatus für die dann in der Vergangenheit liegenden, bereits abgelaufenen Anspruchszeiträume eintreten. Beispiel: Der allgemeinverbindliche/der arbeitsvertraglich in Bezug genommene Tarifvertrag sieht ein Monatsentgelt von x A vor, der aufgrund (unbekannter) Verbandsmitgliedschaft des Arbeitnehmers und Verbandsmitgliedschaft (oder eigenen Vertragsschlusses) des Arbeitgebers an sich auf das Arbeitsverhältnis anwendbare Tarifvertrag eines von x + y A. Der Arbeitgeber entlohnt den Arbeitnehmer aufgrund fehlender Kenntnis von dessen Organisationsstatus nach dem allgemeinverbindlichen/arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifvertrag. Später legt der Arbeitnehmer seine Mitgliedschaft offen und verlangt für die abgelaufenen Bemessungszeiträume jeweils Nachzahlung von y A. Denkbar sind zwei Möglichkeiten184: Entweder, es kommt zu einem endgültigen Anspruchsverlust des Arbeitnehmers mit der Folge, dass ihm für die bei sei180 s. Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 57f; Michel/Möller/Peter, AuR 2008, 36 (38); Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (116). 181 Zum Folgenden jetzt auch Greiner, Rechtsfragen, S. 489 f. 182 Band, Tarifkonkurrenz, S. 108 f.; Wank, Anm. zu BAG 26. 1. 1994 EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 9, S. 15 (20); Hervorhebung jeweils nicht im Original. 183 Bepler, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 791 (801); Hervorhebung nicht im Original. 184 Klar gesehen jetzt auch von Greiner, Rechtsfragen, S. 489.
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ner späteren Offenbarung bereits abgelaufenen Anspruchszeiträume kein Nachzahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber zusteht, oder das Verschweigen der Tarifgebundenheit hat Rechtsfolgen nur für die Dauer des Zustandes der Unklarheit, bewirkt also keinen dauerhaften Anspruchsverlust, so dass – vorbehaltlich sich aus tarifvertraglichen Ausschlussfristen (§ 4 Abs. 4 Satz 3 TVG) und aus einer etwaigen Verwirkung (§§ 242 BGB, 4 Abs. 4 Satz 2 TVG) ergebender zeitlicher Grenzen185 – nach späterer Offenbarung Nachzahlungsansprüche des Arbeitnehmers in Betracht kommen.186 (1) Begriff der Obliegenheit Da in der Literatur ausdrücklich von einer „Obliegenheit“ zur Offenbarung der Gewerkschaftszugehörigkeit gesprochen wird187, ist von dem Begriff der Obliegenheit auszugehen. Allerdings ist der Begriff der Obliegenheit bisher nicht ausreichend geklärt.188 Gängiger Vorstellung entspricht es, dass der Obliegenheit weder ein Erfüllungsanspruch noch für den Fall ihrer Verletzung ein Schadensersatzanspruch gegenüberstehen, sondern lediglich dem mit der Obliegenheit Belasteten für den Fall der Nichtbeachtung andere Rechtsnachteile in Aussicht gestellt sind.189 Ein wesentliches Merkmal der Obliegenheiten ist demnach, dass dem mit einer Obliegenheit Belasteten aus der Nichtbeachtung der Obliegenheit ein rechtlicher Nachteil erwächst.190 Nach h. M. kann es daher sanktionslose Obliegenheiten – anders als sanktionslose Pflichten191 – nicht geben. Wenn das Wesen der Obliegenheit darin liegt, dass der Adressat sie nur dann zu befolgen hat, wenn er den sonst eintretenden rechtlichen Nachteil vermeiden will, dann muss die Obliegenheit notwendig mit der Androhung einer Sanktion verbunden sein.192 Diese Sanktion besteht im Verlust einer günstigen Rechtsposition193, vor allem im Verlust eines Anspruchs. 185
s. dazu noch unten C. III. 2. b) aa). Deutlich zur Nachzahlungsproblematik jetzt auch Greiner, Rechtsfragen, S. 489. 187 Zuerst wohl Reuter, JuS 1992, 105 (107); des Weiteren Band, Tarifkonkurrenz, S. 109; Jacobs, Tarifeinheit, S. 406; Meyer, DB 2006, 1271; Witzig, Tarifeinheit, S. 41 f. 188 Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 195; zum Obliegenheitsbegriff jüngst etwa Fleck, JZ 2009, 1045 (1049 ff.) und jetzt monographisch Hähnchen, Obliegenheiten. 189 Statt vieler MüKoBGB/Kramer, Einl. vor § 241 Rn. 50; weitere Nachweise bei Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 195 f. (Fn. 96); kritisch jetzt Hähnchen, Obliegenheiten, S. 213 ff., 224 und besonders S. 242 ff., 257 ff. 190 Staudinger/Olzen, § 241 Rn. 124, 128, 132. 191 Dazu im hiesigen Zusammenhang Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 195 f. m.w. N. 192 Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 228 f.; vgl. auch Hähnchen, Obliegenheiten, S. 1. 193 MüKoBGB/Kramer, Einl. vor § 241 Rn. 50; Staudinger/Olzen, § 241 Rn. 124; weitere Nachweise bei Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 195 (Fn. 91). 186
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(2) Schlussfolgerungen (a) Wenn Kennzeichen einer Obliegenheit ist, dass obliegenheitswidriges Verhalten zu rechtlichen Nachteilen, besonders zu einem Anspruchsverlust, führt, so scheint dies darauf hinzudeuten, dass Rechtsfolge eines obliegenheitswidrigen Verschweigens der Tarifgebundenheit durch den Arbeitnehmer der endgültige Verlust tariflicher Ansprüche für die bereits abgelaufenen Bemessungszeiträume sein soll, dass mithin Nachzahlungsansprüche nach späterer Offenbarung der Gewerkschaftszugehörigkeit ausscheiden und die spätere Offenbarung nur pro futuro wirkt.194 Denn der rechtliche Nachteil, zu dem die Obliegenheitsverletzung per definitionem führen müsste, könnte nur in diesem Anspruchsverlust liegen. Zwar muss auch sonst nicht in jedem Fall der Obliegenheitsverletzung der (auch nur teilweise) Verlust eines Anspruchs die Folge sein. So kann die nach § 254 BGB195 erforderliche Abwägung auch dazu führen, dass die Haftung des Schädigers in vollem Umfang bestehen bleibt, so etwa bei einem nur sehr geringen Verantwortungsanteil des Geschädigten oder bei vorsätzlicher Schädigung.196 Aber es besteht auch dort zumindest die Möglichkeit eines Rechtsverlusts197, während dies hier nicht der Fall ist, sofern man Nachzahlungsansprüche des Arbeitnehmers für bereits abgelaufene Bemessungszeiträume zulässt. (b) Allerdings wird die „Offenbarungsobliegenheit“ letztlich im Schrifttum zur Tarifpluralität wohl von niemandem in diesem, durch die Verwendung des Begriffs der Obliegenheit nahe gelegten Sinn verstanden.198 Die entsprechenden Ausführungen legen es vielmehr nahe, dass die „Offenbarungsobliegenheit“ für den Arbeitnehmer eines tarifpluralen Betriebes nur die Rechtsfolge hat, dass er tarifgemäße Behandlung (z. B. Bezahlung) erst dann verlangen kann, wenn er seine Tarifgebundenheit und damit (regelmäßig199) seine Gewerkschaftsmitgliedschaft offenbart, dann aber rückwirkend auch für bereits abgelaufene Anspruchs194 Vgl. jetzt zu den Alternativen wie hier Greiner, Rechtsfragen, S. 489: Anspruch auf tarifliche Leistung mit Kenntnis der Tarifbindung ex tunc – also ab Eintritt der Tarifbindung bzw. ab Begründung des Arbeitsverhältnisses – oder nur ex nunc ab Offenbarung der Gewerkschaftszugehörigkeit? 195 Zur Einordnung des Mitverschuldens als Fall der Obliegenheitsverletzung (h. M.) s. MüKoBGB/Kramer, Einl. vor § 241 Rn. 51; Staudinger/Olzen, § 241 Rn. 121; ausführlich Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 194 ff. und jetzt Hähnchen, Obliegenheiten, S. 52 ff., 112, 138 f., 305 ff., 316. 196 s. nur Palandt/Heinrichs, § 254 Rn. 66 f. 197 Vgl. auch Staudinger/Olzen, § 241 Rn. 128: Die einer Obliegenheit ausgesetzte Partei nimmt eine Verschlechterung ihrer Rechtsposition in Kauf, wenn sie ihrer Obliegenheit nicht Rechnung trägt. 198 s. auch Greiner, Rechtsfragen, S. 489 f., der zutreffend die rechtlichen Bedenken gegen ein solches Verständnis aus § 4 Abs. 1 TVG aufzeigt und wohl wie hier davon ausgeht, dass die Literatur das gegenteilige Verständnis als selbstverständlich voraussetzt. 199 Zu § 3 Abs. 3 TVG in diesem Zusammenhang s. o. Fn. 42.
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zeiträume, in denen der Arbeitgeber über den Organisationsstatus des Arbeitnehmers im Unklaren war und diesen daher berechtigterweise zunächst wie einen Nichtorganisierten behandelt hat. Ob es nach dieser Bestimmung des Inhalts und der Funktionsweise einer „Offenbarungsobliegenheit“ noch ratsam erscheint, von einer „Obliegenheit“ zu sprechen, erscheint zweifelhaft. Jedenfalls darf man aus der Verwendung dieses Begriffs im Schrifttum zur Tarifpluralität nicht auf konkrete, durch den Begriff an sich nahe gelegte Rechtsfolgen schließen.200 Fest steht indes, dass erst von hier aus die These, eine „Offenbarungsobliegenheit“ reiche zur Befriedigung der berechtigten Informationsinteressen des Arbeitgebers hin und lasse ein Bedürfnis für ein zusätzliches Fragerecht entfallen, näher untersucht werden kann. Nachdem nämlich die Funktionsweise einer „Offenbarungsobliegenheit“ geklärt ist, kann nunmehr vergleichend dazu die Funktionsweise eines Fragerechts des Arbeitgebers für den Fall einer realisierten Tarifpluralität beleuchtet und erörtert werden, ob ein Fragerecht in Hinsicht auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers überhaupt einen substanziellen Mehrwert gegenüber der sonst bestehenden Rechtslage verspräche. b) Bedürfnis für ein zusätzliches Fragerecht des Arbeitgebers eines tarifpluralen Betriebes? Wie gesehen, kann die „Offenbarungsobliegenheit“ nicht verhindern, dass Arbeitnehmer, die sich zunächst nicht offenbaren und die der Arbeitgeber daher mangels Kenntnis ihres Organisationsstatus berechtigterweise wie Nichtorganisierte, d. h. nach einem etwa einschlägigen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag oder nach dem arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifvertrag behandelt, sich nachträglich auf ihre Gewerkschaftsmitgliedschaft und ihre daraus folgende Tarifgebundenheit an einen anderen, günstigeren Tarifvertrag berufen und nun den Arbeitgeber auf Nachzahlung tariflicher Leistungen für bereits abgelaufene Bemessungszeiträume in Anspruch nehmen. aa) Problemlösung durch teleologische Reduktion von § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG und tarifvertragliche Ausschlussfristen? Als Reaktion auf das Nachzahlungsproblem wird im Schrifttum zur Tarifpluralität eine Anwendung des Instituts der Verwirkung auf Ansprüche aus zurückliegenden Zeiträumen angeregt. Zwar schließt § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG die Verwir200 Berechtigte Warnung vor begriffsjuristischen Folgerungen aus dem Rechtsinstitut der Obliegenheit bei Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 199 (mit Fn. 120); s. jetzt auch Hähnchen, Obliegenheiten, S. 2 f., 7, 27, ferner S. 113, 220, 234, 254, 261; allgemein zu den auch nach der Überwindung der Begriffsjurisprudenz bestehenden Gefahren begriffsjuristischen Argumentierens Wank, Begriffsbildung, S. 146 ff.
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kung tariflicher Rechte an sich aus. Indes meint Bepler, es sei begründbar, § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG nur anzuwenden, wenn und soweit dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber tarifvertragliche Rechte überhaupt vorenthalten werden.201 Wie insbesondere § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB zeige, gehe das Gesetz von der Gleichwertigkeit aller von tariffähigen Parteien abgeschlossenen Tarifverträge aus.202 § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG schütze den Arbeitnehmer davor, den Schutz des Tarifvertragssystems deshalb zu verlieren, weil er sich „nicht traut“, sich hierauf zu berufen. Erhalte ein Arbeitnehmer aber in jedem Fall das Schutzniveau eines Tarifvertrages im Rechtssinne und gehe es nur darum, dass nicht andere tarifvertragliche Rechte gewährt werden, dann spreche viel dafür, das gesetzliche Verbot, Rechten aus Tarifverträgen mit dem Einwand der Verwirkung zu begegnen, nicht anzuwenden. Dies solle jedenfalls dann gelten, wenn keine Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass der Arbeitgeber die ihn von Rechts wegen treffende Pflicht, tarifvertragliche Rechte aus dem „richtigen“ Tarifvertrag zu erfüllen, nicht erfüllt hätte, wenn er vom Arbeitnehmer auf eine entsprechende Verpflichtung hingewiesen worden wäre.203 (1) Dem wird man sich anschließen können.204 Methodisch handelt es sich – jedenfalls vom Boden der herrschenden Theorie der Wortsinngrenze205 aus – um eine teleologische Reduktion des § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG.206 Gedanklich schließt sie an das Recht des Arbeitgebers an, den Arbeitnehmer für die Dauer der Unkenntnis über dessen Organisationsstatus wie einen Nichtorganisierten zu behandeln. Führt dies aufgrund Allgemeinverbindlicherklärung oder individualvertraglicher Verweisungsklausel zur Anwendung eines anderen als des tatsächlich aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit für das Arbeitsverhältnis geltenden Tarifvertrages, dann kann der späteren Geltendmachung von Ansprüchen aus dem „richtigen“ Tarifvertrag – bei Erfüllung der allgemeinen Voraussetzungen207 – deren Verwirkung entgegenstehen. Da nach dem Gesagten sich die Arbeitsbedingungen jedenfalls nach einem Tarifvertrag richten208, ergibt sich die teleologi201
Bepler, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 791 (801 f.). s. auch Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (142, 144); jüngst wieder Bepler, AuR 2010, 234 (236). Zu der Frage der Gleichwertigkeit deutscher und ausländischer Tarifverträge s. Thüsing, ZfA 2008, 590 (619 ff., 624 ff.). 203 Bepler, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 791 (801 f.). 204 Zustimmend auch Jacobs, NZA 2008, 325 (328); Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (512); kritisch demgegenüber Michel/Möller/Peter, AuR 2008, 36 (38); ebenfalls zurückhaltend Greiner, Rechtsfragen, S. 489: mit hoher Rechtsunsicherheit verbunden. 205 Dazu noch unten Teil 3, Kapitel 3, unter B. II. 2. a). 206 Für teleologische Reduktion Jacobs, NZA 2008, 325 (328); von „restriktiver Auslegung“ gehen demgegenüber aus Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (512); dies trifft zu auf der Grundlage der Gesetzessinntheorie, vgl. dazu an dieser Stelle nur C. Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, S. 51 f., 212. 207 s. zu ihnen (Zeit- und Umstandsmoment) nur Palandt/Heinrichs, § 242 Rn. 93 ff. 208 Jacobs, NZA 2008, 325 (328); s. auch in anderem Zusammenhang Band, Tarifkonkurrenz, S. 180 f. 202
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sche Reduktion aus dem Zweck des § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG selbst209; die Vorschrift steht im Zeichen des Arbeitnehmerschutzes210, und dieser ist im Falle der Tarifpluralität bei Anwendung eines der Tarifverträge sichergestellt.211 (2) Praktisch freilich wird der Verwirkung gleichwohl nur geringe Bedeutung zuwachsen, da bereits die in den meisten Tarifverträgen enthaltenen, vergleichsweise kurzen Ausschlussfristen212 dem Arbeitgeber eine kurzfristige Klarstellung garantieren; auf sie wird dann auch in der Literatur zur Tarifpluralität bei der Erörterung eines Fragerechts des Arbeitgebers zutreffend hingewiesen213, gerade auch im Zusammenhang mit der Diskussion des Verwirkungsausschlusses nach § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG214. (3) Sowohl Verwirkung als auch Ausschlussfristen können aber nur für eine Begrenzung des möglichen Nachzahlungszeitraumes sorgen. Neben der verzögerten Geltendmachung tariflicher Ansprüche (Zeitproblem) kann sich aber im Falle einer realisierten Tarifpluralität noch ein weiteres Problem auftun, das man – in Anlehnung an die Unterscheidung von Gleichbehandlung „in der Zeit“ und Gleichbehandlung „in der Reihe“215 – als Reihenproblem bezeichnen kann: Die Häufung von Nachzahlungsforderungen mehrerer Arbeitnehmer. Die mögliche 209 Näher zur teleologischen Reduktion und zu den möglichen Fallgruppen und Begründungen in der vorliegenden Arbeit Teil 3, Kapitel 3, unter B. II. 2.; an dieser Stelle nochmals der methodologische Hinweis: Vom Boden der Gesetzessinntheorie aus hat man es hier nicht mit einer teleologischen Reduktion, also mit einem Fall von Rechtsfortbildung, sondern mit einer einschränkenden Auslegung zu tun (allgemein C. Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, S. 51 f., 212); restriktive Auslegung nehmen für den hier inmitten stehenden Fall im Ergebnis an Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (512). 210 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1317, 1322; HWK/Henssler, § 4 TVG Rn. 65; JKO/Jacobs, § 7 Rn. 119; Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 651; anders Kempen/Zachert/ A. Stein, § 4 Rn. 450: Schutz der Funktion der Tarifautonomie (s. auch Rn. 443 zu § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG). 211 Vgl. Jacobs, NZA 2008, 325 (328); s. auch in anderem Zusammenhang Dutti, BB 1968, 1335 (1337). Weitergehend äußerte Nikisch, Arbeitsrecht II, § 85 I. 2., S. 468 allgemeine Bedenken gegen die Vorschrift des § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG und bezeichnete es in diesem Zusammenhang als entschieden zu missbilligendes Verhalten, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber erst nach geraumer Zeit seinen Beitritt zur Gewerkschaft und die damit gegebene Tarifgebundenheit mitteilt. 212 Zu ihnen allgemein nur Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 712 ff. 213 Etwa Michel/Möller/Peter, AuR 2008, 36 (38); Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (116); jüngst auch Brecht-Heitzmann, GS Zachert, S. 502 (506, 508). 214 s. Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (512); gegen eine Zulassung der Verwirkung, da die Ausschlussfristen ausreichend seien: Michel/Möller/Peter, AuR 2008, 36 (38); s. auch allgemein zur praktischen Relativierung der Verwirkungsfrage durch Ausschlussfristen etwa Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 150a; Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 37 IV. 2., S. 380. 215 s. dazu Wank, Rechtsfortbildung, S. 36; dens., GS Zachert, S. 453 (455); zum Begriff der Gleichbehandlung „in der Reihe“ bereits Bötticher, Gleichbehandlung und Waffengleichheit, S. 31.
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Dimension dieses Problems verdeutlicht ein Hinweis aus der Praxis, wonach im Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn AG im Jahre 2007 im Vorfeld des GDLAbschlusses für 9.500 Mitarbeiter nicht ermittelt werden konnte, welche Tariferhöhung zu gewähren sei216. Man braucht sich nur einen Betrieb vorzustellen, in dem bislang – auf der Grundlage der bisherigen BAG-Rechtsprechung – betriebliche Tarifeinheit herrschte, der Arbeitgeber den vorrangigen Tarifvertrag mittels arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln („Gleichstellungsabreden“) auch den Arbeitsverhältnissen der nicht und anders organisierten Arbeitnehmer zugrunde legte und in dem nunmehr – bei Freigabe von Tarifpluralitäten – der Arbeitgeber bei der Tarifanwendung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit differenzieren muss. Beispiel: Tarifpluralität eines Verbandstarifvertrages und eines mit einer anderen Gewerkschaft geschlossenen (Sanierungs-)Haustarifvertrages, der niedrigere Leistungen an die Arbeitnehmer vorsieht; nach bisheriger Rechtslage hat der speziellere Haustarifvertrag den Verbandstarifvertrag aus dem Betrieb verdrängt, der Arbeitgeber ihn via einzelvertraglicher Verweisung auf alle Arbeitsverhältnisse angewendet. Bei realisierter Tarifpluralität kann jetzt die Bezugnahmeklausel für die anders tarifgebundenen Arbeitnehmer nur noch in den Grenzen des Günstigkeitsprinzips (§ 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG) wirken.217 Ist ein nennenswerter Teil der Belegschaft in der den bisher verdrängten Verbandstarifvertrag schließenden Gewerkschaft organisiert, legt aber ein wiederum nennenswerter Teil dieser Arbeitnehmer seinen Organisationsstatus nicht offen und wendet der Arbeitgeber daher weiterhin den bisher vorrangigen Tarifvertrag an, der aufgrund der Bezugnahmeklausel für Nichtorganisierte maßgeblich ist, so ist dem Arbeitgeber mit einer Begrenzung des Nachzahlungszeitraumes durch § 242 BGB und/oder tarifliche Ausschlussfristen wenig geholfen, wenn nach auch nur einem Monat oder wenigen Monaten sämtliche anders organisierten Arbeitnehmer unter nachträglichem Hinweis auf ihre tatsächliche Tarifbindung Nachzahlungsforderungen erheben. bb) Fragerecht und schadensrechtliche Reaktion auf Falsch- und Nichtauskünfte Fraglich ist, ob ein Fragerecht des Arbeitgebers zur Lösung dieses „Reihenproblems“ beitragen könnte.
216 W. Bayreuther, FS Hromadka, S. 1 (3, Fn. 19), der daraus folgert, die gelegentlich geäußerte Vermutung, Mitarbeiter würden sich zwecks Geltendmachung ihrer Ansprüche „melden“, habe insoweit versagt. 217 Vgl. zutreffend Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (514): Im Falle von Tarifpluralität kann eine einheitliche Behandlung aller Arbeitnehmer durch Verwendung einer Gleichstellungsklausel nicht erreicht werden; ebenso im Ergebnis Greiner, Rechtsfragen, S. 513 f.
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(1) Keine schadensrechtliche Neutralisierung der Gewerkschaftsmitgliedschaft Ein Fragerecht verpflichtete den Arbeitnehmer zur wahrheitsgemäßen Antwort. Bei Falsch- oder Nichtauskunft wäre dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB gegeben. Die Falschauskunft wird in der Regel darin bestehen, dass sich der Arbeitnehmer als nicht organisiert bezeichnet, woraufhin ihn der Arbeitgeber wie einen Nichtorganisierten behandelt (§ 5 Abs. 4 TVG/Bezugnahmeklausel). Demgegenüber ist der Fall, dass ein Arbeitnehmer eine in Wahrheit nicht bestehende Gewerkschaftszugehörigkeit angibt – sei es, dass ein in Wahrheit nicht organisierter Arbeitnehmer sich als Gewerkschaftsmitglied bezeichnet oder, dass – im tarifpluralen Betrieb – ein organisierter Arbeitnehmer eine Mitgliedschaft bei einer anderen Gewerkschaft behauptet –, praktisch irrelevant; der Arbeitgeber kann sich die Mitgliedschaft, anders als ihr Fehlen, nachweisen lassen.218 Zum gleichen (Zwischen-)Ergebnis – Behandlung wie Nichtorganisierter – führt auch die Nichtauskunft. (a) Ist der allgemeinverbindliche/arbeitsvertraglich in Bezug genommene Tarifvertrag für den Arbeitnehmer vorteilhaft, die Behandlung als Nichtorganisierter für ihn also günstiger, so muss er, wenn sich später sein wahrer Organisationsstatus herausstellt, überzahlte Leistungen zurückzahlen, § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB sowie – (zumindest) insofern entreicherungsfest (beachte aber auch ohnehin §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 292, 989 BGB)219 – § 280 Abs. 1 BGB.220 (b) Hier interessiert die umgekehrte Variante: Die Behandlung als Nichtorganisierter ist für den Arbeitnehmer nachteilig (vgl. den obigen Fall: arbeitsvertragliche Inbezugnahme des gegenüber dem Verbandstarifvertrag ungünstigeren Haustarifvertrages); er deckt nachträglich seinen Organisationsstatus auf und verlangt nachträgliche Erbringung der vom Arbeitgeber geschuldeten (verbands-)tariflichen Leistungen. Die „Offenbarungsobliegenheit“ kann dies nicht verhindern. Ausschlussfristen im Tarifvertrag und der Einwand der Verwirkung können nur verhindern, dass sich, bevor der Arbeitnehmer schließlich Nachzahlung einfordert, eine Vielzahl abgelaufener Anspruchszeiträume zu einer Gesamtnachzahlungssumme aufaddiert; das Problem der Häufung von Ansprüchen einer großen Zahl von Arbeitnehmern („Reihenproblem“) können sie nicht lösen. 218
Vgl. Rieble, GS Heinze, S. 687 (704); s. auch P. Hanau, RdA 2008, 98 (103). Zu den Voraussetzungen der Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB und der Bösgläubigkeit i. S. d. § 819 Abs. 1 BGB bei Gehaltsüberzahlungen s. etwa BAG 25. 4. 2001 AP BGB § 242 Verwirkung Nr. 46, unter II. der Gründe; im hier behandelten Zusammenhang jetzt auch Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 43; zu Rückabwicklungsschwierigkeiten auch Greiner, Rechtsfragen, S. 489 f. 220 Beachte aber auch Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 43, zu den Pfändungsfreigrenzen nach § 850c ZPO. 219
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Das Fragerecht führt zu einer Pflicht des Arbeitnehmers zur wahrheitsgemäßen Antwort und hieran anknüpfend zu einem Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB. Hinzu kommt möglicherweise eine allerdings nicht mit Gewissheit zu prognostizierende faktische Präventionswirkung: Wenn der Arbeitgeber darauf verweisen kann, dass die Frage rechtlich zulässig und der Arbeitnehmer221 zur wahrheitsgemäßen Beantwortung verpflichtet ist, werden Nicht- oder Falschauskünfte vielleicht von vornherein seltener vorkommen – und insoweit dann auch keine Nachzahlungsprobleme entstehen. Wäre der Schadensersatzanspruch darauf gerichtet, den Arbeitgeber so zu stellen, als wäre der Arbeitnehmer tatsächlich nicht organisiert, dann hätte der Arbeitnehmer zwar an sich einen Anspruch aus „seinem“ Tarifvertrag, dessen Durchsetzung stünde aber § 242 BGB entgegen. Denn der Arbeitnehmer müsste, nachdem er Nachzahlung verlangt und erhalten hat, in Höhe der nachgezahlten Summe gleich wieder Schadensersatz an den Arbeitgeber leisten, so dass der Einwand „dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est“222 die Geltendmachung seines Nachzahlungsanspruchs hinderte; er könnte also für die abgelaufenen Anspruchszeiträume, in denen ihn der Arbeitgeber wie einen Nichtorganisierten behandelt hat, keine Nachzahlung verlangen.223 Indessen kann der Arbeitgeber gerade nicht verlangen, so gestellt zu werden, als sei die falsche Antwort richtig. Sein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB kann nicht auf das positive Interesse des Arbeitgebers an der fehlenden Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers gerichtet sein. Denn dann würde der Arbeitgeber verlangen so zu stehen, wie er stünde, hätte der Arbeitnehmer mit der Verneinung der Gewerkschaftsmitgliedschaft die Wahrheit gesagt, was wiederum hieße, dass das Schadensrecht die Mitgliedschaft neutralisierte. Der Schadensersatzanspruch kann daher allein auf das negative Interesse gerichtet sein. Der Arbeitgeber kann nach §§ 280 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB verlangen, so 221 Der beim Betriebsrat die Richtigkeit der Darstellung der Rechtslage durch den Arbeitgeber erfragen könnte. 222 Dazu allgemein nur Palandt/Heinrichs, § 242 Rn. 52. 223 Der Anwendung von § 242 BGB (dolo agit . . .) stünde § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG – ohne dass es insoweit auf die Frage einer teleologischen Reduktion ankäme – nicht entgegen. Denn die Vorschrift schließt nur die Verwirkung tariflicher Ansprüche aus – und auch hier nach h. M. nur den eigentlichen Einwand illoyal verspäteter Rechtsverfolgung (BAG 9. 8. 1990 AP BGB § 615 Nr. 46, unter B. II. 3. der Gründe; ErfK/Franzen, § 4 TVG Rn. 47; Gamillscheg, KollArbR I, § 18 II. 3. b), S. 809 [mit Fn. 130]; Löwisch/ Rieble, § 4 Rn. 360; MüArbR/Rieble/Klumpp, § 184 Rn. 19; Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 694 ff.; weitergehend Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 151 f.; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1319 f.; Kempen/Zachert/A. Stein, § 4 Rn. 450; Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 1075 f.) –, setzt aber nicht das Prinzip von Treu und Glauben per se außer Kraft. Vielmehr bleiben die sonstigen Fallgruppen des § 242 BGB davon unberührt, s. Franzen, a. a. O.; Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 37 IV. 2., S. 380; Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 361; MüArbR/Rieble/Klumpp, § 184 Rn. 20; Wank, a. a. O., § 4 Rn. 697 sowie Rn. 728. Gegen eine weitergehende Auslegung bereits vehement Nikisch, Arbeitsrecht II, § 85 I. 3., S. 469 f.
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gestellt zu werden, wie er stünde, wenn der Arbeitnehmer die Frage rechtzeitig und richtig beantwortet hätte.224 Die nachgezahlte Summe bekommt der Arbeitgeber so vom Arbeitnehmer nicht wieder (und er kann diesem auch nicht von vornherein die Pflicht zur alsbaldigen Rückgewähr entgegenhalten), denn hätte der Arbeitnehmer die Frage rechtzeitig und richtig beantwortet, dann hätte der Arbeitgeber ihn gleich entsprechend seiner Tarifbindung behandelt, so dass diese Summe sich jetzt im Vermögen des Arbeitnehmers befände, dem er Monat für Monat entsprechend mehr gezahlt hätte. Das Fragerecht brächte also offenbar in diesen Konstellationen dem Arbeitgeber gegenüber der „Offenbarungsobliegenheit“ keinen Mehrwert; das könnte zum Anlass genommen werden, ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an der Frage – Voraussetzung eines Fragerechts – zu verneinen, ohne dass es einer Abwägung mit dem Geheimhaltungsinteresse des Arbeitnehmers überhaupt bedürfte. (2) Ersatz von Vertrauensschäden Dabei kann man es indes nicht bewenden lassen. Es ist nicht zu verkennen, dass die Tarifpluralität, ordnet man sie nicht als einen Umstand ein, der ein Recht des Arbeitgebers zur Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit auslöst, gegenüber dem „Normalfall“, in dem nur ein Tarifvertrag im Betrieb anwendbar ist, durchaus zusätzliche Probleme aufwirft. Dementsprechend wurden die Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Gewerkschaftszugehörigkeit trotz der bisher von der h. L. präsentierten Lösungsvorschläge (Offenbarungsobliegenheit, Recht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer für die Dauer der Unkenntnis des Organisationsstatus wie einen Nichtorganisierten zu behandeln) bis zuletzt als Argument für die Beibehaltung des Prinzips der Tarifeinheit im Betrieb angeführt.225 (a) Unvermeidbarkeit etwaiger Nachzahlungsforderungen Was etwa die oben beschriebene, sich weniger als eine zeitliche Problematik – insoweit helfen tarifvertragliche Ausschlussfristen und ggf. eine durch teleologische Reduktion des § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG ermöglichte Verwirkung – als vielmehr als „Reihenproblem“ darstellende Nachzahlungsproblematik (Häufung von Nachzahlungsansprüchen einer u. U. großen Zahl von Arbeitnehmern226) betrifft, 224
Rieble, GS Heinze, S. 687 (705 f.); s. auch Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 150 f. s. etwa Gerber, ZfA 2008, 311 (312 f.); Wallisch, FS Löwisch, S. 427 (439). 226 Beachte nochmals den Hinweis von W. Bayreuther, FS Hromadka, S. 1 (3, Fn. 19): Im Tarifkonflikt bei der DB AG im Jahre 2007 habe im Vorfeld des GDL-Abschlusses 225
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so wird in der Regel ein nur einfach tarifgebundener Arbeitgeber diese nicht zu gewärtigen haben. Zwar kann auch hier der Fall auftreten, dass Arbeitnehmer, die tarifgebunden sind, sich etwa aus Angst vor Repressalien gegenüber ihrem nachfragenden Arbeitgeber als nicht tarifgebunden bezeichnen oder die Auskunft verweigern. Mit Fragerecht und schadensrechtlicher Reaktion auf die Falschauskunft kommt man dem Problem von Nachzahlungsforderungen nach späterer Offenbarung der Mitgliedschaft auch dort nicht bei, denn das allein ersatzfähige negative Interesse227 besteht eben nur darin, so gestellt zu werden, als habe er die Mitgliedschaft gleich angegeben, und dann hätte der Arbeitgeber ihm gleich monatlich entsprechend mehr gezahlt. Aber der nur einfach tarifgebundene Arbeitgeber kann – und wird in der Regel228 – die Nachzahlungsproblematik im Wege der arbeitsvertraglichen Gleichstellung durch Verwendung von Bezugnahmeklauseln vermeiden: Er behandelt auch die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer via Verweisungsklausel tarifgemäß. Dadurch gibt es schon keinen Anlass für spätere Offenbarungen von Gewerkschaftsmitgliedschaften. Da es nur einen Tarifvertrag gibt, nach dem alle Arbeitnehmer behandelt werden, werden auch tarifgebundene Arbeitnehmer, von deren Tarifgebundenheit der Arbeitgeber (zunächst) nichts weiß – wenn auch auf arbeitsvertraglicher Grundlage – von vornherein nach dem richtigen, weil einzigen Tarifvertrag behandelt.229 Diese Möglichkeit steht dem Arbeitgeber bei realisierter Tarifpluralität nicht offen, weil die Bezugnahmeklausel für die Arbeitnehmer, die nicht an den in Bezug genommenen, sondern an den anderen Tarifvertrag tarifgebunden sind, nur im Rahmen des § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG Wirkung entfaltet230; eine Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen auf der Grundlage eines der im Betrieb anwendfür 9.500 Mitarbeiter nicht ermittelt werden können, welche Tariferhöhung zu gewähren sei; deutlich zu den möglichen Dimensionen der Nachzahlungsproblematik nunmehr auch Greiner, Rechtsfragen, S. 489 f.: „enormes wirtschaftliches Risiko“, „unkalkulierbares bilanzielles Risiko“, ferner zutreffend S. 497, wo Greiner maßgeblich auf ein verbreitetes Auftreten solcher Fälle und auf die mögliche „Kumulation von Nachzahlungspflichten“ abhebt. 227 Dazu nochmals Rieble, GS Heinze, S. 687 (705 ff.); Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 150 f. 228 Vgl. auch Jacobs, Tarifeinheit, S. 405. 229 Für ein Fragerecht des Arbeitgebers besteht dann kein Bedürfnis; das ändert sich erst bei nachträglicher Tarifabweichung, s. Rieble, GS Heinze, S. 687 (695 f., 697 ff.). 230 Dazu, dass das Zusammentreffen eines normativ wirkenden und eines arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifvertrages keine nach dem Spezialitätsprinzip aufzulösende Tarifkonkurrenz begründet, sondern nach dem Günstigkeitsprinzip zu behandeln ist, s. jetzt in Abkehr von der früheren Rechtsprechung des 4. Senats zutreffend BAG 29. 8. 2007 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 61; 22. 10. 2008 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 66 (Zachert), unter II. 3. c) der Gründe; jüngst bestätigt durch BAG 22. 4. 2009 NZA 2010, 41, Rn. 28 des Urteils und jetzt nochmals durch den Anfragebeschluss des 4. Senats vom 27. 1. 2010, s. NZA 2010, 645, Rn. 99 des Beschlusses; s. auch Bepler, NZA Beilage 3/2010, S. 99 (102).
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baren Tarifverträge scheitert an der zwingenden Wirkung (§ 4 Abs. 1, 3 TVG) des anderen Tarifvertrages.231 Da sich die Probleme, welche die Tarifpluralität im Hinblick auf mögliche Nachzahlungsforderungen aufwirft und die durch arbeitsvertragliche Gestaltung (Bezugnahmeklauseln) nicht zu bewältigen sind, wegen der Beschränkung des Schadensersatzanspruchs auf das negative Interesse durch ein Fragerecht des Arbeitgebers ebenfalls nicht lösen lassen, bleibt insoweit nur das Fazit, dass, sollte es zu Lohnrückständen aufgrund von Unkenntnis der Tarifgebundenheit kommen, Nachforderungen hinzunehmen sind; immerhin zahlt der Arbeitgeber nur das, wozu er nach objektiver Rechtslage verpflichtet war.232 (b) Aber: Gewährleistung verlässlicher betrieblicher Rechnungsgrößen Ist aber damit ein aus dem Umstand der Tarifpluralität erwachsendes Fragerecht des Arbeitgebers gleichsam wegen „Nutzlosigkeit“ und daraus resultierendem Fehlen eines berechtigten Informationsbedürfnisses abgeschmettert? Nicht unbedingt. (aa) Mit Recht wirft Bepler, wenn auch primär im Zusammenhang mit dem – durch tarifliche Ausschlussfristen und ggf. teleologische Reduktion des § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG, mithin auch ohne Bejahung eines Fragerechts, in den Griff zu bekommenden – „Zeitproblem“, die Frage nach der vom Arbeitgeber benötigten Planungssicherheit auf.233 Ein Fragerecht würde dem Arbeitgeber aufgrund der dadurch ermöglichten schadensrechtlichen Reaktion auf eine Falsch- oder Nichtauskunft die Geltendmachung von Vertrauensschäden (negatives Interesse) erlauben, die ihm durch eine nicht rechtzeitige Kenntnis der Gewerkschaftszugehörigkeit entstehen. Der Arbeitnehmer würde bei Anerkennung eines Fragerechts nicht nur zur richtigen (wahrheitsgemäßen), sondern auch zur rechtzeitigen Beantwortung verpflichtet.234 Greift man daher noch einmal die Nachzahlungsproblematik auf, so kann das Schadensrecht, weil es nicht die Gewerkschaftsmitgliedschaft zu neutralisieren vermag235, den Arbeitgeber zwar von der Pflicht, ggf. Nachzahlungen auf in Unkenntnis der Tarifgebundenheit entstandene Lohnrückstände zu leisten, nicht befreien; dies ist vielmehr als Erfüllung nach objektiver Rechtslage bestehender Ansprüche hinzunehmen236. Der – erst durch die Anerkennung eines Fragerechts hervorzubringende – Schadensersatzanspruch hat 231
s. auch nochmals Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (514). Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (512); zustimmend Michel/Möller/Peter, AuR 2008, 36 (38); vgl. auch Greiner, Rechtsfragen, S. 499 (Fn. 762). 233 Bepler, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 791 (801). 234 s. Rieble, GS Heinze, S. 687 (705) sowie Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 150: „rechtzeitig und richtig“. 235 s. nochmals Rieble, GS Heinze, S. 687 (706). 236 s. nochmals Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (512). 232
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aber trotz seines nur auf den Ersatz des negativen Interesses gerichteten Inhalts einen guten Sinn, bedenkt man, dass der Arbeitgeber bei sofortiger wahrheitsgemäßer Beantwortung – pflichtgemäßes Verhalten des Arbeitnehmers – die Differenzsumme nicht erst nachträglich, sondern gleich gezahlt und sich in seiner betrieblichen und unternehmerischen Planung auch von vornherein für die jeweiligen Anspruchszeiträume auf Leistungspflichten (betriebswirtschaftlich gesprochen: Personalkosten) in entsprechendem Umfang eingestellt hätte. Dem an das Fragerecht und die entsprechende Nebenpflicht des Arbeitnehmers anknüpfenden Schadensersatzanspruch kommt so die Funktion zu, die vom Arbeitgeber benötigte Planungssicherheit zu gewährleisten, indem er ihm die Geltendmachung von Schäden erlaubt, die ihm dadurch entstehen, dass er sich im Vertrauen auf die Richtigkeit der vom Arbeitnehmer gemachten Angaben auf ein bestimmtes Gefüge von Rechten und Pflichten sowie ein bestimmtes Volumen der aus seinen Pflichten sich ergebenden Kosten einstellt und sich nachträglich die das Arbeitsverhältnis bestimmenden Daten (teilweise) anders als erwartet darstellen, wodurch seine Kalkulationen sich als hinfällig erweisen. (bb) Ein Ansatzpunkt für solche planerischen Fehlschläge mit daraus resultierenden Vertrauensschäden des Arbeitgebers ist die eventuelle Hinfälligkeit interner Kostenrechnungen.237 a) Das betriebswirtschaftliche Rechnungswesen gliedert sich auf in das handels- und steuerrechtlich geregelte, an betriebsexterne Adressaten (Gläubiger, Anteilseigner, Finanzbehörden) gerichtete externe und das auf Information der Betriebsleitung selbst abzielende interne Rechnungswesen.238 Anders als das gesetzlich vorgeschriebene externe Rechnungswesen ist das interne Rechnungswesen, auch Betriebsbuchhaltung genannt, eine freiwillige Veranstaltung.239 Kernbestandteil des internen Rechnungswesens ist die Kosten- und Leistungsrechnung (auch als Kosten- und Erlösrechnung bezeichnet). Sie ist eine kurzfristige Rechnung mit einem Planungszeitraum von maximal einem Jahr240; typischerweise sind die Abrechnungszeiträume kürzer als das Geschäftsjahr241 – meist wird die 237 Weitere Überlegungen zu vom Arbeitgeber bei Unkenntnis des Organisationsstatus des Arbeitnehmers nicht kalkulierbaren Kosten jetzt bei Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 43 f. (Anfertigen einer korrigierten Lohnabrechnung; Verrechnung überzahlter Lohn-/Kirchensteuer oder deren Rückforderung gegenüber dem Fiskus; Verrechnung oder Geltendmachung von Rückforderungsansprüchen gegenüber den Sozialversicherungsträgern); s. in diesem Zusammenhang auch Rieble, GS Heinze, S. 687 (702) zur sozialrechtlichen Flankierung des Auskunftsanspruchs; des Weiteren Greiner, Rechtsfragen, S. 497 sowie S. 489 f. zu Rückabwicklungsschwierigkeiten. 238 s. nur Wöhe/Döring, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 687 ff. 239 G. Fandel/Fey/Heuft/Pitz, Kostenrechnung, S. 2; Wöhe/Döring, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 689. 240 Wöhe/Döring, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 689. 241 Schierenbeck/Wöhle, Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre, S. 799.
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Kosten- und Leistungsrechnung monatlich durch die Betriebsergebnisrechnung abgeschlossen242. Die Kosten- und Leistungsrechnung (kurz: Kostenrechnung) soll unter Einbeziehung aller betrieblichen Aktivitäten eine realistische Abbildung der wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens liefern, die insbesondere als Informationsbasis für zukunftsorientierte Entscheidungen dienen soll.243 Sie erfüllt Dokumentations-, Kontroll- und Planungsaufgaben.244 Die Kostenrechnung wird unterteilt in drei aufeinander folgende Arbeitsschritte, die Kostenartenrechnung, die Kostenstellenrechnung und die Kostenträgerrechnung.245 Die Kostenartenrechnung dient der vollständigen Erfassung der Gesamtkosten (Istkosten) einer Periode und deren zweckmäßiger Einteilung in einzelne Kostenarten. Diese Einteilung in Kostenarten ist Voraussetzung für die nachfolgenden Berechnungen in der Kostenstellen- und der Kostenträgerrechnung. Die Kostenartenrechnung ist damit der Ausgangspunkt und die Grundlage der gesamten Kostenrechnung.246 Deshalb ist es wichtig, dass schon in der Kostenartenrechnung möglichst sorgfältig und genau vorgegangen wird.247 Das wichtigste Gliederungsmerkmal bei der Einteilung der Kostenarten ist die Art der verbrauchten Produktionsfaktoren. Es erfolgt also eine Einteilung in Materialkosten, Personalkosten usw.248 Die dafür erforderlichen Daten erhält die Kostenartenrechnung im Wesentlichen aus vorgelagerten Bereichen des betrieblichen Rechnungswesens wie Finanz-, Material-, Anlagen- und Personalbuchhaltung (Lohn- und Gehaltsbuchhaltung).249 Die Personalkosten bestehen aus den Lohn- und Gehaltskosten, gesetzlichen Sozialkosten (Arbeitgeberanteile an den Sozialversicherungsbeiträgen) und freiwilligen Sozialleistungen.250 Die oben bereits allgemein angesprochene erforder242 G. Fandel/Fey/Heuft/Pitz, Kostenrechnung, S. 2; s. auch Schierenbeck/Wöhle, Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre, S. 848. 243 G. Fandel/Fey/Heuft/Pitz, Kostenrechnung, S. 5. 244 G. Fandel/Fey/Heuft/Pitz, Kostenrechnung, S. 5; Wöhe/Döring, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 917. 245 G. Fandel/Fey/Heuft/Pitz, Kostenrechnung, S. 2 ff.; Schierenbeck/Wöhle, Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre, S. 807; Wöhe/Döring, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 689, 932 f. 246 G. Fandel/Fey/Heuft/Pitz, Kostenrechnung, S. 2 f., 83; Schierenbeck/Wöhle, Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre, S. 809; Wöhe/Döring, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 934. 247 G. Fandel/Fey/Heuft/Pitz, Kostenrechnung, S. 83. 248 G. Fandel/Fey/Heuft/Pitz, Kostenrechnung, S. 85; Schierenbeck/Wöhle, Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre, S. 809; Wöhe/Döring, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 935. 249 G. Fandel/Fey/Heuft/Pitz, Kostenrechnung, S. 3, 83. 250 G. Fandel/Fey/Heuft/Pitz, Kostenrechnung, S. 102 f.; Schierenbeck/Wöhle, Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre, S. 811; Wöhe/Döring, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 938 f.
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liche Erfassungsgenauigkeit zeigt sich bei der Ermittlung der Personalkosten251 daran, dass sie zumeist auf Monatsbasis vorgenommen wird. Um die Steuerungsfunktion der Kostenrechnung beeinträchtigende Verzerrungen zu vermeiden, werden etwa aperiodisch anfallende Personalkosten wie Urlaubslöhne, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Weihnachtsgeld nicht im Monat ihres Anfalls verrechnet, sondern proportionalisiert, um überproportionale Belastungen einzelner Monate (Dezember wegen Weihnachtsgeld, Februar wegen Grippewelle, Juli wegen Urlaub usw.) zu verhindern.252 b) Zu Erfassungsungenauigkeiten und Verzerrungen würde es indes auch führen, wenn Arbeitnehmer im tarifpluralen Betrieb – ggf. in großer Zahl253 – die Frage des Arbeitgebers nach ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit unrichtig beantworten und sich etwa als nicht organisiert bezeichnen würden, der Arbeitgeber daraufhin dieses Datum bei der periodischen (monatlichen) Erfassung der Personalkosten zugrunde legt und sich im Nachhinein – dann nämlich, wenn sich herausstellt, dass die betreffenden Arbeitnehmer zu gering vergütet wurden und diese daraufhin unter Verweis auf ihre tatsächlich gegebene Tarifbindung Nachzahlung aufgelaufener Lohnrückstände verlangen – die Unrichtigkeit der Kostenermittlung erweist. Für die betroffenen Abrechnungszeiträume müsste neu gerechnet werden; Dokumentation und Kontrolle als Zwecke der Kostenrechnung würden zeitweilig vereitelt, auf der Kostenrechnung basierenden Planungen würde die Grundlage entzogen. Der Arbeitgeber könnte nur mehr spekulieren, wie viele Arbeitnehmer wie tarifgebunden sind oder nicht oder müsste mit „worst-case-Szenarien“ kalkulieren; eine präzise Kostenrechnung wäre ihm jedenfalls aufgrund der Unkenntnis des gewerkschaftlichen Status seiner Arbeitnehmer unmöglich. Gestünde man dem Arbeitgeber kein Fragerecht zu, so müssten die Arbeitnehmer seine Frage nicht wahrheitsgemäß, sondern dürften sie als unzulässige Frage unrichtig beantworten.254 Er müsste die daraus sich ergebene Planungsunsicherheit hinnehmen, ohne von den Arbeitnehmern Ausgleich für hinfällige Kalkulationen und darauf beruhende fehlgeschlagene Planungen verlangen zu können. Dagegen eröffnet die Anerkennung eines Fragerechts dem Grunde nach den Weg zu einer schadensrechtlichen Reaktion. g) Die entstehenden Vertrauensschäden stellen sich als spezifische Folgen gerade einer realisierten Tarifpluralität dar. Soweit es die auch außerhalb von Plura251 Näher zur Erfassung der Personalkosten G. Fandel/Fey/Heuft/Pitz, Kostenrechnung, S. 103 ff. 252 Wöhe/Döring, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 939; s. auch Schierenbeck/Wöhle, Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre, S. 811. 253 Vgl. nochmals den Hinweis von W. Bayreuther, FS Hromadka, S. 1 (3, Fn. 19). 254 s. zum „Recht zur Lüge“ nur Ehrich, DB 2000, 421; kritisch Rieble, GS Heinze, S. 687 (693, mit Fn. 22): Kein Lügerecht, sondern „Notwehrlüge“.
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litätsfällen relevante Zweiteilung der Belegschaft in tarifgebundene und nicht tarifgebundene Arbeitnehmer anbelangt255, kann der mit arbeitsvertraglichen Verweisungsklauseln („Gleichstellungsabreden“) operierende Arbeitgeber Kalkulationssicherheit schaffen. Eine nachträgliche Offenbarung vermeintlich nicht tarifgebundener, auf arbeitsvertraglicher Grundlage aber ohnehin tarifgemäß behandelter Arbeitnehmer als Gewerkschaftsmitglieder würde hier nicht schaden, die Kalkulationen des Arbeitgebers blieben richtig. Die realisierte Tarifpluralität beschert aber dem Arbeitgeber durch das Hinzutreten der Gruppe der anders tarifgebundenen Arbeitnehmer (mindestens)256 eine Dreiteilung der Belegschaft, die er, anders als die Zweiteilung in tariffreie und tarifgebundene Mitarbeiter, durch Verwendung einzelvertraglicher Gleichstellungsabreden nicht neutralisieren kann; denn die Bezugnahmeklausel kann, wie bereits dargelegt257, für die Arbeitnehmer, die nicht an den in Bezug genommenen, sondern an den anderen Tarifvertrag gebunden sind, Wirkung nur im Günstigkeitsbereich entfalten, so dass die Vereinheitlichung der betrieblichen Arbeitsbedingungen auf der Grundlage eines der kollidierenden Tarifverträge an der zwingenden Wirkung des anderen Tarifvertrages scheitert. Rechnet daher der Arbeitgeber eines tarifpluralen Betriebes mangels Kenntnis des Organisationsstatus mit identischen Zahlen für alle Arbeitnehmer, weil er als Gleichstellungsabreden ausgestaltete Bezugnahmeklauseln verwendet, und offenbaren sich nun später die anders organisierten Arbeitnehmer, so sind seine Rechnungen hinfällig. (c) Feststellung der Mehrheitsverhältnisse zwecks Konkretisierung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln Eine weitere Quelle für Vertrauensschäden des Arbeitgebers, die ihm über die „Brücke“ eines Fragerechts auf schadensrechtlichem Wege abgenommen werden können, ergibt sich aus der nach richtiger Ansicht zu bejahenden Möglichkeit des Arbeitgebers, sich arbeitsvertraglich zusätzlich zu einer vereinbarten Bezugnahmeklausel das Recht vorzubehalten, durch einseitige Leistungsbestimmung i. S. d. § 315 BGB über den im Falle einer Tarifpluralität schuldrechtlich anwendbaren Tarifvertrag zu entscheiden.258 Zulässig ist es nach hiesiger Auffassung insbesondere, dass der Arbeitgeber sich eine einseitige Auswechselung des Bezugnahmeobjekts für den Fall vorbehält, dass sich die Mehrheitsverhältnisse bei den mit255 Zur Zweiteilung der Belegschaft als Grundlage eines Informationsanspruchs des Arbeitgebers s. Rieble, GS Heinze, S. 687 (693 ff.). 256 Zur Möglichkeit einer Tarifpluralität unter Beteiligung von mehr als zwei Tarifverträgen s. Gamillscheg, KollArbR I, § 17 III. 3. c) (1) (a), S. 750 (mit Fn. 248); ferner Kraft, FS Zöllner, Band II, S. 831 (833); Söllner/Waltermann, Rn. 448; Zöllner/Loritz/ Hergenröder, Arbeitsrecht, § 38 III. 2. a), S. 392. 257 s. o. C. III. 2. b) aa) (3). 258 s. dazu ausführlich unten Teil 2, Kapitel 2, unter C. IV.
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
gliedschaftlichen Tarifbindungen in nicht unerheblichem Maße ändern.259 Dabei muss jedoch aus Gründen der AGB-rechtlich geforderten Klauseltransparenz (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) das Ausmaß der Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse, das den Arbeitgeber zur einseitigen Substitution des in Bezug genommenen Tarifvertrages berechtigen soll, im Arbeitsvertrag prozentual beziffert werden (etwa: Verschiebung der Anteile mitgliedschaftlicher Tarifbindungen um mindestens 10 %).260 Im Streitfall muss der Arbeitgeber, der sich auf die ihm das einseitige Leistungsbestimmungsrecht einräumende Vertragsklausel beruft, die entsprechende Änderung der Mehrheitsverhältnisse belegen, wenn das Gericht prüft, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des Bestimmungsrechts vorlagen. Dies erfordert, dass er den Stand der Mehrheitsverhältnisse zu den jeweils maßgeblichen Zeitpunkten dokumentiert. Dazu ist er rechtlich nur in der Lage, wenn man ihm das Recht zugesteht, die Arbeitnehmer nach Abschluss des Arbeitsvertrages nach ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit zu fragen. Beantworten Arbeitnehmer die Frage in diesem Zusammenhang pflichtwidrig nicht oder falsch und schätzt daher der Arbeitgeber die Mehrheitsverhältnisse falsch ein, so können ihm durch die dann tatsächlich zu Unrecht vorgenommene, weil nicht durch eine entsprechende Änderung der Zahl der mitgliedschaftlichen Tarifbindungen im Betrieb gedeckte einseitige Auswechselung des Verweisungsgegenstandes Schäden entstehen (z. B. auch Prozesskosten). Auch insofern handelt es sich um Vertrauensschäden, die der Arbeitgeber nach § 280 Abs. 1 BGB gegenüber den ihre Auskunftspflicht verletzenden Arbeitnehmern geltend machen kann. (d) Pauschalierbarkeit des Schadensersatzanspruchs Die hier beim Arbeitgeber entstehenden Vertrauensschäden sind gewiss schwer zu beziffern.261 Dadurch wird aber die Berechtigung des arbeitgeberischen Interesses, solchen Schäden durch vorherige Erfragung der Gewerkschaftszugehörigkeit nach Möglichkeit vorzubeugen262 und sie widrigenfalls über den Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB beim Arbeitnehmer zu liquidieren, nicht in Frage gestellt. Vielmehr wird man die Schwierigkeiten der Schadensberechnung zum Anlass nehmen können, dem Arbeitgeber eine Pauschalierung in Form der Ausbedingung einer „Strafzahlung“ für den Fall der Verletzung der Pflicht zur wahrheitss. unten Teil 2, Kapitel 2, unter C. IV. 2. b) bb) (6) (a) (cc) a). s. unten Teil 2, Kapitel 2, unter C. IV. 2. b) bb) (6) (a) (cc) a) und den Formulierungsvorschlag dort unter C. IV. 4. a), Absatz 3 Nr. 1 der Klausel. 261 Vgl. nunmehr auch Greiner, Rechtsfragen, S. 497, 499: wenig greifbarer Verwaltungsaufwand. 262 Zu dem Gedanken einer möglichen faktischen Präventionswirkung der Anerkennung eines arbeitgeberischen Fragerechts s. schon oben C. III. 2. b) bb) (1) (b). 259 260
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gemäßen Beantwortung zuzugestehen.263 Dabei muss die Kautelarpraxis auf die Einhaltung der Voraussetzungen des – auch im Arbeitsrecht (§ 310 Abs. 4 Satz 2 BGB) anzuwendenden264 – Klauselverbots des § 309 Nr. 5 BGB (kein Übersteigen des in den geregelten Fällen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schadens; ausdrückliche Gestattung des Nachweises der Nichtentstehung oder der Entstehung eines wesentlich niedrigeren Schadens) achten.265 Anerkennt man aufgrund der vorstehenden Überlegungen ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers, stets bereits im Vorhinein Klarheit über seine Leistungsverpflichtungen gegenüber dem Arbeitnehmer für zukünftige Abrechnungszeiträume zu haben („Planungssicherheit“), so spricht dies für die Bejahung eines Fragerechts des Arbeitgebers im Falle einer realisierten Tarifpluralität. Denn das Fragerecht gibt dem Arbeitgeber für den Fall der Falsch- oder Nichtauskunft einen Schadensersatzanspruch, durch dessen Pauschalierung eben diesem – ohne Fragerecht nicht zu befriedigenden – Interesse Rechnung getragen werden kann. c) Abwägung des arbeitgeberischen Informationsbedürfnisses gegen das Geheimhaltungsinteresse des Arbeitnehmers Oben wurde dargelegt, dass die Reichweite des arbeitgeberischen Fragerechts durch eine Abwägung des Auskunftsbedürfnisses des Arbeitgebers und des Geheimhaltungsinteresses des Arbeitnehmers ermittelt werden muss. Die Abwägung muss, damit ein Fragerecht zugestanden werden kann, ergeben, dass der Arbeitgeber ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an der Beantwortung seiner Frage hat. Das Informationsinteresse muss so gewichtig sein, dass das Geheimhaltungsinteresse des Arbeitnehmers dahinter zurücktritt.266 Nachdem die Interessenlage auf Arbeitgeberseite abgeklopft wurde gilt es nun, das Geheimhaltungsinteresse des Arbeitnehmers zu beleuchten und dem Informationsbedürfnis des Arbeitgebers entgegenzustellen.
263 Vgl. Rieble, GS Heinze, S. 687 (704), dort auch zur Abgrenzung der Schadenspauschalierung von einer Vertragsstrafe; zu letzterem allgemein nur Palandt/Heinrichs, § 276 Rn. 26; ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 97 ff.; ferner zum Ganzen nunmehr Greiner, Rechtsfragen, S. 499 f. 264 H. M., s. ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 99 m.w. N. 265 Rieble, GS Heinze, S. 687 (704); nur § 307 Abs. 1 BGB wäre einschlägig nach Greiner, Rechtsfragen, S. 500; ausführlich zu den Anforderungen an Schadensersatzpauschalen aktuell Lindacher, FS Birk, S. 515 ff. Der Arbeitgeber kann sich auch den Nachweis eines höheren Schadens vorbehalten, vgl. Palandt/Grüneberg, § 309 Nr. 25. 266 s. o. B. I.
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aa) Meinungsstand – ausreichender Schutz vor Benachteiligungen durch § 612a BGB? Insoweit prallen gegensätzliche Einschätzungen der Befürworter und der Gegner eines Fragerechts des Arbeitgebers bei realisierter Tarifpluralität aufeinander. Während die Befürworter darauf hinweisen, vor Benachteiligungen wegen seiner Gewerkschaftszugehörigkeit sei der Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis durch das Maßregelungsverbot des § 612a BGB geschützt267, halten die Gegner eines Fragerechts dieser Argumentation Praxisferne vor. Das Maßregelungsverbot des § 612a BGB biete den Arbeitnehmern keinen ausreichenden Schutz, da sie die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer verbotenen Maßregelung trügen. Die Kausalität zwischen dem Bekanntsein der Gewerkschaftsmitgliedschaft und der Benachteiligung sei als subjektives Motiv aber im Regelfall kaum nachzuweisen.268 Der schlichte Verweis auf die vermeintlichen Schutzwirkungen der Maßregelungsverbote aus Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG und § 612a BGB gehe an der betrieblichen Realität besonders in Klein- und Mittelbetrieben der Privatwirtschaft vorbei.269 bb) Stellungnahme Die Wahrheit dürfte zwischen diesen gegensätzlichen Einschätzungen liegen. Die Gefahr von Diskriminierungen ist zwar mit der Einstellung nicht vollständig erledigt270; im bestehenden Arbeitsverhältnis genießt der Arbeitnehmer aber aufgrund von Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG, § 612a BGB sowie weiterer gesetzlicher Vorschriften271 ungleich mehr Schutz als im vorvertraglichen Bereich.272 Natürlich gibt es Arbeitgeber, die – gelinde gesagt – „gewerkschaftsskeptisch“ sind.273 267 s. die Nachweise oben in den Fn. 12, 13; auch der 4. Senat weist jetzt in seinem Anfragebeschluss vom 27. 1. 2010 auf § 612a BGB hin, s. NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) dd) (2) (b) der Gründe, Rn. 69 des Beschlusses. 268 Michel/Möller/Peter, AuR 2008, 36 (38); s. jetzt auch Greiner, Rechtsfragen, S. 486. 269 Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 57f.; s. jetzt auch Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 185 und zu Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG auch Brecht-Heitzmann, GS Zachert, S. 502 (507). 270 s. auch in anderem Zusammenhang Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 208, nach dem in der Praxis immer Fallgestaltungen denkbar bleiben, in denen die faktische Benachteiligung aufgrund einer Gewerkschaftsmitgliedschaft durch den Arbeitgeber nur auf dem Papier durch den gerichtlichen Rechtsschutz aufgefangen werden kann; ferner nunmehr Greiner, Rechtsfragen, S. 491 f. 271 Dazu noch im folgenden Text. 272 Vgl. Rieble, GS Heinze, S. 687 (693); s. auch Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1076). 273 s. dazu etwa den Fall BAG 25. 3. 1992 AP BetrVG 1972 § 2 Nr. 4; der 7. Senat attestiert der Arbeitgeberin unter B. IV. 2. b) der Gründe, den „Eindruck einer gewerkschaftsfeindlichen Haltung erweckt“ zu haben.
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Durch Verweis auf solche (Extrem-)Fälle274 darf aber zum einen – tatsächlich – nicht der Eindruck erweckt werden, Arbeitgeber verstießen flächendeckend gegen geltendes (Verfassungs-)Recht; die Arbeitgeber dürfen, will man nicht seinerseits an der Realität vorbeigehen, nicht unter einen Diskriminierungs-Generalverdacht gestellt werden.275 Zum anderen darf – rechtlich – der nach arbeitnehmerschützenden Vorschriften fahndende Blick nicht auf das Maßregelungsverbot des § 612a BGB – und hier vorzugsweise auf dessen (besonders im Bereich des Beweises liegenden) Schwächen – verengt werden. Hier können vielmehr wichtige Erkenntnisse Isenhardts herangezogen werden, der § 612a BGB als Bestandteil des Gesamtgefüges des Arbeitnehmerschutzrechts untersucht hat.276 An der Grenze lauteren wissenschaftlichen Arbeitens bewegt es sich freilich, wenn sein Untersuchungsergebnis aus den Reihen der Gegner eines Fragerechts des Arbeitgebers bei realisierter Tarifpluralität mit der plakativen Wendung „mehr Schein als Sein“ wiedergegeben wird277. Denn zwar schließt Isenhardt in der Tat mit dem Fazit, der Schein des § 612a BGB sei noch größer geworden als das Sein.278 Doch zeigt bereits und gerade der unmittelbare Kontext dieser Aussage, dass der durch die verkürzte Wiedergabe seiner Erörterungen suggerierte Eindruck, hier werde ein Defizit an Schutz des Arbeitnehmers vor Maßregelungen durch den Arbeitgeber diagnostiziert, falsch ist und den Tenor des Beitrags von Isenhardt sinnentstellt. Denn Anlass seiner Einschätzung ist das Inkrafttreten des AGG, welches der Vorschrift des § 612a BGB einen beachtlichen Teil ihrer Wirkung, nämlich die Gewährung von Schutz vor Diskriminierungen, genommen und auf sich selbst verlagert habe.279 Die Erkenntnis Isenhardts, dass § 612a BGB „mehr Schein als Sein“ vermittle, kann deshalb nicht als Beleg für einen unzureichenden Schutz vor Benachteiligungen etwa wegen Ausübung der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG genommen werden; es handelt sich vielmehr um einen Umstand, der darauf zurückzuführen ist, dass § 612a BGB Teil eines ganzen Gefüges arbeitnehmerschützender Vorschriften ist, weshalb die Vorschrift wenig verbietet, was nicht „durch die Rechtsordnung ohnehin schon verboten ist“280 – und zwar nicht selten durch ungleich effektivere Regelungen. So legt auch Isenhardt den Finger 274
s. Michel/Möller/Peter, AuR 2008, 36 (38, Fn. 15). s. dazu mit Blick auf die Lohngerechtigkeit im Verhältnis von Männern und Frauen (Benachteiligung wegen des Geschlechts) auch Wank, GS Zachert, S. 453 (465) m.w. N.; für den Bereich der Altersdiskriminierung Temming, Altersdiskriminierung im Arbeitsleben, S. 30, zu der Notwendigkeit, zwecks Offenlegung von Altersdiskriminierungen diejenigen subjektiven oder objektiven Faktoren herauszufiltern, die nichts mit Altersdiskriminierung an sich zu tun haben. 276 Isenhardt, FS Richardi, S. 269 ff. 277 s. Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 57f. 278 Isenhardt, FS Richardi, S. 269 (285). 279 Isenhardt, FS Richardi, S. 269 (285); Hervorhebung nicht im Original. 280 Isenhardt, FS Richardi, S. 269 (285). 275
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in die Wunde der Beweislastproblematik. Die Reichweite des § 612a BGB hänge sehr stark davon ab, wie der Arbeitnehmer einen Verstoß des Arbeitgebers gegen das Maßregelungsverbot darlegen kann.281 Bei der gebotenen Einbeziehung auch der übrigen einschlägigen arbeitnehmerschützenden Vorschriften und Rechtsinstitute zeigt sich aber, dass die Rechtsordnung dem Arbeitnehmer hier vielfach mit Beweiserleichterungen zu Hilfe kommt. Für Kündigungen etwa weist Isenhardt nach, dass die praktische Bedeutung des § 612a BGB neben dem KSchG282 gering ist. Eine Kündigung, die lediglich darauf gestützt ist, dass der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausgeübt hat, sei selbstverständlich gleichzeitig auch sozial ungerechtfertigt, weil es eben, obwohl dem Arbeitgeber vor Gericht die Darlegungslast dafür obliege, am Vortrag personen-, verhaltens- oder betriebsbedingter Gründe fehle.283 Soweit also befürchtet wird, der Arbeitgeber könne das Wissen um die Gewerkschaftszugehörigkeit des Arbeitnehmers zum Anlass nehmen, diesem zu kündigen284, hilft dem Arbeitnehmer, ohne dass es auf § 612a BGB überhaupt ankommt285, schon das KSchG mit dem Erfordernis eines personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Kündigungsgrundes (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG) und mit der Beweislastregelung des § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG. Was den Schutz vor (sonstigen) Diskriminierungen betrifft, so schlügen Beweisprobleme bei § 612a BGB auch insoweit nicht durch, wenn – wogegen allerdings die besseren Gründe sprechen286 – sich die Gewerkschaftszugehörigkeit unter das vom AGG als Differenzierungsgrund verpönte Merkmal der „Weltanschauung“ subsumieren ließe; denn neben den im AGG geregelten Diskriminierungsverboten kommt § 612a BGB keine eigenständige Bedeutung mehr zu287 und im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast, Achillesferse des § 612a BGB, hat sich die Situation für den Arbeitnehmer dadurch aufgrund von § 22 AGG verbessert.288 Erwägenswert ist auch die nunmehr von Greiner insbesondere mit Blick auf Benachteiligungen beim beruflichen Aufstieg vorgeschlagene analoge Anwendung des § 22 AGG auf Fälle der Diskriminierung wegen der Ge-
281
Isenhardt, FS Richardi, S. 269 (274). Ausdrücklich wollen Michel/Möller/Peter, AuR 2008, 36 (37 f.) die Frage des Arbeitgebers eines tarifpluralen Betriebes nach der Gewerkschaftszugehörigkeit auch dann verbieten, wenn das Arbeitsverhältnis dem KSchG unterliegt; demgegenüber hält Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 185, die Frage für unzulässig nur vor Ablauf der Wartefrist des § 1 Abs. 1 KSchG sowie generell in Kleinbetrieben im Sinne von § 23 Abs. 1 KSchG. 283 Isenhardt, FS Richardi, S. 269 (271). 284 Michel/Möller/Peter, AuR 2008, 36 (37). 285 Vgl. Isenhardt, FS Richardi, S. 269 (271). 286 s. o. B. 287 Formal verdrängt würde die Vorschrift aber nicht, s. § 2 Abs. 3 Satz 1 AGG. 288 Vgl. Isenhardt, FS Richardi, S. 269 (272). 282
Kap. 1: Tarifpluralität und Ermittlung der Gewerkschaftszugehörigkeit
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werkschaftszugehörigkeit.289 In der Tat hemmt die Beweisproblematik die praktische Durchschlagskraft der Diskriminierungs- und Maßregelungsverbote aus Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG, § 612a BGB. Dem könnte durch analoge Anwendung der Beweiserleichterung des § 22 AGG290, aber wohl auch schon durch Zulassung des Anscheinbeweises im Rahmen von § 612a BGB291 abgeholfen werden. Nach allem ist der Arbeitnehmer durch das Zusammenspiel einer Mehrzahl von Schutzvorschriften, die auch den typischerweise bestehenden Beweisproblemen Rechnung tragen, ausreichend davor geschützt, dass der Arbeitgeber die durch eine zulässige, zur wahrheitsgemäßen Antwort verpflichtende Frage erlangte Kenntnis von seiner Gewerkschaftszugehörigkeit zum Anlass für Benachteiligungen nimmt. Sein Geheimhaltungsinteresse tritt daher hinter den berechtigten Informationsbedürfnissen des Arbeitgebers zurück.292 Gegenteiliges kann auch nicht mit einer „Dammbruch-Argumentation“ begründet werden. So geht das Vorbringen fehl, gegen ein Fragerecht des Arbeitgebers spreche, dass Betriebe in der Masse auch zukünftig keiner mehrfachen Tarifbindung unterliegen, sondern tarifplurale Bedingungen eine Minderheit betreffen werden, so dass es schon deshalb leichtfertig sei, Schutzrechte der Arbeitnehmer aufzugeben, um für eine vergleichsweise geringe Anzahl von Fällen Klarheit zu schaffen293. Dies verkennt, dass das Fragerecht natürlich stets und auch zukünftig nur rechtsfolgenbezogen zuzubilligen ist294, weshalb bei einheitli-
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Greiner, Rechtsfragen, S. 493. Dafür Greiner, Rechtsfragen, S. 493. Die Analogiefähigkeit von § 22 AGG könnte freilich mit Blick darauf in Zweifel gezogen werden, dass eine verbreitete Auffassung bereits die Anwendbarkeit der Vorschrift auf solche Ansprüche verneint, die zwar aus einer Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes resultieren, aber auf Anspruchsgrundlagen außerhalb des AGG (vgl. §§ 15 Abs. 5, 21 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 AGG – etwa Ansprüche aus §§ 280, 823 BGB) gestützt werden, so etwa Adomeit/Mohr, § 22 Rn. 17; J.-H. Bauer/Göpfert/Krieger, § 22 Rn. 5; Meinel/Heyn/Herms, § 22 Rn. 8; Windel, RdA 2007, 1 (8); die Gegenauffassung vertreten Däubler/Bertzbach/Bertzbach, § 22 Rn. 22a ff.; Wendeling-Schröder/A. Stein/A. Stein, § 22 Rn. 9; MüKoBGB/Thüsing, § 22 AGG Rn. 5; differenzierend ErfK/Schlachter, § 22 AGG Rn. 6. 291 Allgemein Isenhardt, FS Richardi, S. 269 (277); ErfK/Preis, § 612a BGB Rn. 22, jeweils m.w. N. Zum Unterschied zwischen Anscheinsbeweis und der durch § 22 AGG bewirkten Absenkung des Beweismaßes s. Däubler/Bertzbach/Bertzbach, § 22 Rn. 6 ff.; Wendeling-Schröder/A. Stein/A. Stein, § 22 Rn. 2; Schleusener/Suckow/Voigt, § 22 Rn. 26 f.; Windel, RdA 2007, 1 (6). Ausdrücklich verwirft im Übrigen Windel, a. a. O. S. 8, die Anwendung von § 22 AGG auf Ansprüche aufgrund von Benachteiligungen wegen nicht durch das AGG verpönter Differenzierungskriterien und verweist insoweit auf die Eröffnung der Möglichkeit des Anscheinsbeweises; ebenso ErfK/Schlachter, § 22 AGG Rn. 6. 292 A. A. Michel/Möller/Peter, AuR 2008, 36 (38); differenzierend Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 185. 293 Michel/Möller/Peter, AuR 2008, 36 (38). 294 Dazu nochmals Rieble, GS Heinze, S. 687 (693 ff.). 290
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
cher Tarifanwendung – so insbesondere bei Bestehen nur eines Tarifvertrages und Verwendung arbeitsvertraglicher Gleichstellungsklauseln – auch weiterhin kein Fragerecht besteht. d) „Gewerkschafts-Hopping“ Im Zusammenhang mit der Diskussion um Fragerecht und „Offenbarungsobliegenheit“ wird in der Literatur als weiteres Folgeproblem einer verwirklichten Tarifpluralität das sog. „Gewerkschafts-Hopping“295 angesprochen. Arbeitnehmer könnten ein solches „Gewerkschafts-Hopping“ praktizieren, um so die normative Anwendung des jeweils für sie günstigeren Tarifvertrages zu erreichen.296 aa) „Gewerkschafts-Hopping“ und Verfassungsrecht Worin genau das Problem eines solchen „Gewerkschafts-Hoppings“ bestehen soll, bleibt zuweilen unklar. Keinesfalls kann man dem Arbeitnehmer ein derartiges Verhalten – mag es auch dem Ziel dienen, die normative Anwendung des jeweils günstigeren Tarifvertrages zu erreichen – als unzulässig versagen297: Die Freiheit zum Gewerkschaftsbeitritt, -austritt und -wechsel ist durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG grundrechtlich gewährleistet.298 Verfassungswidrig wäre es daher auch, per Gesetz festzulegen, dass ein Gewerkschaftswechsel innerhalb eines bestimmten Zeitraums nur einmal möglich ist, z. B. einmal im Kalenderjahr mit Wirkung zum nächsten Quartalsanfang.299 Für solchen zweifelhaften gesetzgeberischen Aktionismus besteht auch ohnehin, wie die folgenden Ausführungen ergeben werden, kein Bedarf.
295 Kritisch zum Begriff Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (514); s. auch Jacobs, NZA 2008, 325 (329, Fn. 77); Greiner, Rechtsfragen, S. 404 (Fn. 215). 296 Meyer, DB 2006, 1271; s. auch dens., NZA 2006, 1387 (1389) sowie dens., FS Adomeit, S. 459 (461); Feudner, BB 2007, 2459 (2461); Giesen, NZA 2009, 11 (13, 16, dort Fn. 39); Glanz, NJW-Spezial 2007, 578 sowie v. Steinau-Steinrück/Glanz, NZA 2009, 113 (117, 118), die von „Tarifhopping“ sprechen; Wallisch, FS Löwisch, S. 427 (439); ferner Greiner, Anm. zu LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80, S. 45 (52); ders., Rechtsfragen, S. 367; Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 40 (mit Fn. 115); MüArbR/Ricken, § 200 Rn. 30; E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 371; angeführt auch vom BDA-Präsidenten Hundt in seinem Plädoyer für die Tarifeinheit im Betrieb in der FAZ vom 11. 9. 2007, S. 12; zuletzt wieder Meyer, FS Buchner, S. 628 (634, 644) sowie Göhner, FS Bauer, S. 351 (360), Leuchten, AuA 2010, 146, Lipinski/Hund, BB 2010, 1991, und v. Steinau-Steinrück/Brugger, NZA Beilage 3/2010, S. 127 (135); relativierend Nebeling/Gründel, NZA 2009, 1003 (1004). 297 Ein gemäß § 242 BGB unzulässiges rechtsmissbräuchliches Verhalten hält für möglich Jacobs, NZA 2008, 325 (329). 298 Richtig A. Lindemann/Simon, BB 2006, 1852 (1855); Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (514); ebenso Greiner, Rechtsfragen, S. 405. 299 Erwogen von v. Steinau-Steinrück/Glanz, NZA 2009, 113 (118).
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bb) Folgeprobleme eines „Gewerkschafts-Hoppings“ (1) Kalkulierbarkeit der Kosten eines Tarifabschlusses Die Möglichkeit, dass im Falle der Hinnahme von Tarifpluralitäten zahlreiche Arbeitnehmer ihre Gewerkschaftszugehörigkeit wechseln, um in den Genuss des (jeweils) günstigeren Tarifvertrages zu kommen, ist zugegebenermaßen nicht von der Hand zu weisen.300 In der Tat könnte man es für bedenklich halten, wenn ein Arbeitgeber zunächst mit einer mitgliedsstarken Gewerkschaft einen Tarifvertrag abschließt, in dem ein bestimmtes Entgeltvolumen verteilt wird, dann eine kleinere Gewerkschaft einen besseren Tarifabschluss für ihre Mitglieder durchsetzen kann und im Folgenden Arbeitnehmer in großer Zahl die Gewerkschaft wechseln und die günstigeren Bedingungen des später abgeschlossenen Tarifvertrages für sich beanspruchen könnten.301 Jedoch liegt es in der Eigenverantwortung der Arbeitgeberseite, nur Tarifabschlüsse zu akzeptieren, deren wirtschaftliche Folgen sie tragen kann. Dabei muss sie einen möglichen Anstieg des Organisationsgrades mit der Folge, dass mehr Arbeitsverhältnisse von den Inhaltsnormen des Tarifvertrages erfasst werden, bei der Prüfung der wirtschaftlichen Tragbarkeit des Tarifabschlusses von vornherein mit einkalkulieren.302 Für das BAG allerdings könnte, was hier nur angedeutet werden soll, diese Argumentation durch seine eigene neuere Rechtsprechung zum sog. „Blitzaustritt“ aus einem Arbeitgeberverband verbaut sein. Der „Blitzaustritt“ von Arbeitgebern aus dem tarifschließenden Arbeitgeberverband stellt gegenüber dem „Gewerkschafts-Hopping“ sozusagen „in doppelter Hinsicht“ den gleichsam „umgekehrten“ Fall dar. „Umgekehrt“ zum einen, weil es um Veränderungen des Mitgliederbestandes nicht der tarifschließenden Gewerkschaft, sondern des Tarifvertragspartners auf Arbeitgeberseite geht, zum anderen, weil es nicht um eine nachträgliche Erweiterung des Kreises der Tarifgebundenen durch Verbandsbeitritt, sondern um eine Einschränkung des Kreises der Tarifgebundenen durch Verbandsaustritt geht. In dieser Konstellation nimmt der 4. Senat des BAG an, dass die bei Tarifvertragsabschluss bestehende Vorstellung der Gewerkschaft von dem Mitgliederbestand des mit ihr kontrahierenden Arbeitgeberverbandes schutzwürdig sei. Deshalb könnten, wenn es an einer hinreichenden Transparenz fehlt, kurzfristige Änderungen des Mitgliederbestands vor Tarifvertragsabschluss aus Gründen der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie tarifrechtlich ohne Wirkung 300
Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (514). Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (514). 302 Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (514); kritisch ArbG Chemnitz 8. 8. 2007 – 7 Ga 16/07 –, wiedergegeben bei Blanke, KJ 2008, 204 (220); eine Berufung auf eine Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) – angedacht von Meyer, FS Adomeit, S. 459 – dürfte hier, unabhängig von der streitigen Frage ob sie bei Tarifverträgen überhaupt möglich ist, eher ausgeschlossen sein; s. dazu auch noch den weiteren Text. 301
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bleiben mit der Folge, dass trotz Beendigung der Verbandsmitgliedschaft vor Tarifabschluss eine Tarifbindung der kurzfristig ausgetretenen Arbeitgeber eintrete.303 Gegenüber dieser Rechtsprechung wird unter dem angesprochenen Gesichtspunkt eingewandt, es sei nicht einsichtig, warum aus vergleichbaren Informationsdefiziten – etwa: Unkenntnis der Arbeitgeberseite vom Organisationsgrad auf Arbeitnehmerseite – eine Gefahr für die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie bislang nicht abgeleitet wurde, dies aber anders sein sollte, wenn die Änderung im Mitgliederbestand „blitzartig“ und kurz vor Abschluss eines neuen Tarifvertrages stattfinde.304 Sieht man zwischen beiden Konstellationen im Sinne dieser Kritik keine relevanten Unterschiede, so dürfte es in der Tat schwer fallen, einerseits den Gewerkschaften ein schutzwürdiges, unmittelbar aus dem Postulat der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie abgeleitetes Interesse an der Kenntnis der Zusammensetzung der gegnerischen Koalition zu bescheinigen, andererseits aber die Arbeitgeberseite darauf zu verweisen, mögliche Änderungen des Organisationsgrades auf Arbeitnehmerseite und damit einhergehende wirtschaftliche Folgen eigenverantwortlich zu kalkulieren. Eine Gleichbehandlung beider Fälle wäre dann theoretisch denkbar, indem man erstens – entgegen dem BAG – beim „Blitzaustritt“ an eine fehlende Transparenz der kurzfristigen Änderung im Mitgliederbestand nicht die Rechtsfolge der tarifrechtlichen Unwirksamkeit des Verbandsaustritts (bei davon unberührt bleibender vereinsrechtlicher Wirksamkeit) knüpfte, sondern lediglich einen Fall der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB)305 mit der Folge einer Vertragsanpassung oder einer Neuverhandlung annähme306 und zweitens eine Beru303 s. BAG 20. 2. 2008 AP GG Art. 9 Nr. 134, insbesondere den Abschnitt III. der Gründe, Rn. 38 ff. des Urteils; entsprechend für den „Blitzwechsel“ eines Arbeitgebers von einer Vollmitgliedschaft in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung (OT-Mitgliedschaft) BAG 4. 6. 2008 ZTR 2009, 133, insbesondere Abschnitt II. der Gründe, Rn. 57 ff. des Urteils; mittlerweile bestätigt und weiterentwickelt durch BAG 20. 5. 2009 NZA 2010, 102, unter II. 1. b) der Gründe, insb. Rn. 31, 36 des Urteils; 26. 8. 2009 NZA 2010, 230; 23. 9. 2009 – 4 AZR 346/08 – juris. 304 J.-H. Bauer/Haußmann, RdA 2009, 99 (104), Hervorhebungen nicht im Original; s. auch H. J. Willemsen/Mehrens, NJW 2009, 1916 (1917); vgl. in diesem Zusammenhang jetzt auch Höpfner, ZfA 2009, 541 (564 f., 566); Konzen, FS Bauer, S. 559 (571, 575 f.); Rieble, RdA 2009, 280 (283) und jüngst Fritz/Meyer, NZA Beilage 3/2010, S. 111 (113). 305 Allgemein zu der umstrittenen Frage der Anwendbarkeit der Geschäftsgrundlagenregeln auf Tarifverträge Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 65 ff. 306 Das Institut der Störung der Geschäftsgrundlage wollen gegenüber der tarifrechtlichen Unwirksamkeit des „Blitzaustritts“ vorrangig anwenden J.-H. Bauer/Haußmann, RdA 2009, 99 (105); vgl. zu § 313 BGB jetzt auch Filges, FS Bauer, S. 303 (309); Höpfner, ZfA 2009, 541 (565 f.); Krause, GS Zachert, S. 605 (618); Rieble, RdA 2009, 280 (283 f.); H. J. Willemsen/Mehrens, NJW 2009, 1916 (1918).
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fung auf die Geschäftsgrundlagenlehre auch im Falle des „Gewerkschafts-Hoppings“ zuließe307. Näher dürfte es indes liegen, dass sich bei einer eingehenderen Prüfung – die hier indes nicht vorgenommen werden kann – doch die fehlende Vergleichbarkeit beider Konstellationen („Gewerkschafts-Hopping“ einerseits, „Blitzaustritt“ andererseits) unter dem hier angesprochenen Gesichtspunkt ergäbe; anderenfalls wäre wohl auch an einen grundsätzlichen Konstruktionsfehler der Rechtsprechung zum sog. „Blitzaustritt“ zu denken.308 (2) Ermittlung der Gewerkschaftszugehörigkeit Sind nach dem oben Gesagten etwaige wirtschaftliche Folgen eines „Gewerkschafts-Hoppings“ vom Arbeitgeber hinzunehmen – schon weil es sich um arbeitnehmerische Grundrechtsausübung handelt –, so können auch seine rechtlichen Folgen mit der Dogmatik des Fragerechts im bestehenden Arbeitsverhältnis bewältigt werden. Als Problem wird es insofern empfunden, wie bei (u. U. häufigen) Veränderungen des Organisationsstatus durch Gewerkschaftsaustritt oder -wechsel eine fehlerhafte Tarifanwendung vermieden werden kann.309 (a) Nachbindung und Tarifkonkurrenz Zunächst ist zu beachten, dass Arbeitnehmer sich auf der Grundlage der h. M. durch ein „Gewerkschafts-Hopping“, also einen (wiederholten) Gewerkschaftswechsel, nicht einfach der Bindung an den bisher für sie geltenden Tarifvertrag entledigen können, da die h. M.310 auch im Falle des Austritts des Arbeitnehmers 307 s. den entsprechenden Vorschlag von Meyer, FS Adomeit, S. 459; ferner jetzt Fritz/Meyer, NZA Beilage 3/2010, S. 111 (113). 308 Zur Kritik J.-H. Bauer/Haußmann, RdA 2009, 99 (104 ff.); Filges, FS Bauer, S. 303 (308 ff.); C. Fischer, ZfA 2010, 259 (336); Höpfner, ZfA 2009, 541 (561 ff.); Konzen, FS Bauer, S. 559 (561 f., 564, 565 ff.); Rieble, RdA 2009, 280 (282 ff.); H. J. Willemsen/Mehrens, NJW 2009, 1916 (1917 ff.) und, mit anderer Stoßrichtung als die Vorgenannten, Hensche, NZA 2009, 815 (819 f.); dem BAG im Wesentlichen zustimmend hingegen Krause, GS Zachert, S. 605 ff.; s. auch Besgen/A. Weber, SAE 2010, 1 (4 f.); Brecht-Heitzmann/Gröls, Anm. zu BAG 20. 2. 2008 EzA GG Art. 9 Nr. 94, S. 17 (22 ff.). 309 Wallisch, FS Löwisch, S. 427 (439); auch das BAG wies früher im Zusammenhang mit dem Problem der Ermittlung der Gewerkschaftszugehörigkeit auf die Unvermeidbarkeit von Änderungen der Gewerkschaftsmitgliedschaft durch Gewerkschaftswechsel hin, BAG 14. 6. 1989 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 16 (Wiedemann/Arnold); ebenso der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2007/2008, Nr. 555, S. 363. 310 BAG 4. 4. 2001 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 26 (Jacobs); Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 85; Wiedemann/Oetker, § 3 Rn. 60; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1814; Waas, Tarifkonkurrenz, S. 40.
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
aus der Gewerkschaft die Nachbindung des § 3 Abs. 3 TVG eingreifen lässt.311 Folgt man der h. M., kommt es schon beim ersten Gewerkschaftswechsel im Rahmen eines „Gewerkschafts-Hoppings“ zur Tarifkonkurrenz zwischen dem Tarifvertrag der bisherigen Gewerkschaft (§ 3 Abs. 3 TVG) und dem der „neuen“ Gewerkschaft (§ 3 Abs. 1 TVG).312 Mit der Frage, wie eine solche Tarifkonkurrenz aufzulösen wäre, hat sich die Literatur bislang vergleichsweise wenig beschäftigt. Sie ist, da es sich um ein tarifkonkurrenzrechtliches Problem handelt, hier nicht näher zu untersuchen. Im Schrifttum wird sowohl der Vorrang des nach § 3 Abs. 3 TVG geltenden Tarifvertrages313 als auch der des nach § 3 Abs. 1 TVG geltenden vertreten314. Vom allgemeinen Standpunkt des BAG und des ihm folgenden Teils der Lehre aus könnte man auch hier an die Anwendung des Spezialitätsprinzips denken.
311 Zutreffend Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (514). Für teleologische Reduktion des § 3 Abs. 3 TVG beim Gewerkschaftsaustritt des Arbeitnehmers – mit der Folge, dass eine Tarifkonkurrenz nicht entstünde – aber Jacobs, Anm. zu BAG 4. 4. 2001 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 26; s. auch dens., Tarifeinheit, S. 155 f.; zu Vorschlägen einer teleologischen Reduktion des § 3 Abs. 3 TVG zwar nicht für den Fall des Gewerkschaftsaustritts, aber den des Gewerkschaftswechsels – wiederum mit der Folge, dass eine Tarifkonkurrenz nicht entstünde –, s. Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 70 ff.; für eine solche teleologische Reduktion spricht sich jüngst aus Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 70 ff. 312 Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (112); Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (514); s. auch Jacobs, NZA 2008, 325 (329); Koop, Tarifvertragssystem, S. 179; zuletzt Greiner, Rechtsfragen, S. 362, 405 f. 313 Dafür Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (514); s. auch Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1814, der allerdings die Nachbindung zeitlich auf ein Jahr begrenzen will (ausführlicher zu dieser Diskussion Wiedemann/Oetker, § 3 Rn. 92 ff.); Löwisch/ Rieble, § 4 Rn. 156; allgemein für ein Prioritätsprinzip i. S. d. Vorrangs der „älteren“ beiderseitigen Tarifgebundenheit Waas, Tarifkonkurrenz, S. 98 ff. Für Vorrang der Nachbindung gemäß § 3 Abs. 3 TVG im Falle des Gewerkschaftswechsels wohl auch Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 57g; dagegen nunmehr Greiner, Rechtsfragen, S. 407. 314 Dafür Franzen, RdA 2008, 193 (198); JKO/Jacobs, § 7 Rn. 218: Sofern man im Falle des Gewerkschaftswechsels – entgegen Jacobs’ eigener Ansicht (s. o. Fn. 311) – § 3 Abs. 3 TVG anwenden wolle, lasse sich jedenfalls dem Zweck der Norm (zur Maßgeblichkeit einer normzweckorientierten Betrachtungsweise bei der Auflösung von Tarifkonkurrenzen s. allgemein die Nachweise oben Fn. 109) kein Vorrangverhältnis entnehmen; vielmehr sei wegen der stärkeren sachlichen Legitimation der Tarifvertrag anzuwenden, dessen Bindung sich für den Arbeitnehmer unmittelbar aus § 3 Abs. 1 TVG ergibt. Dagegen Greiner, Rechtsfragen, S. 406 f., der selbst (S. 362 f., 407 f.) für eine Auflösung nach dem – auf die engste Tarifzuständigkeit der konkurrierenden Gewerkschaften oder auf den engsten Geltungsbereich der konkurrierenden Tarifverträge bezogenen – Mehrheitsprinzip votiert; für ein Wahlrecht des Arbeitnehmers Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 143; zum Ganzen jetzt auch Fritz/Meyer, NZA Beilage 3/2010, S. 111 (112 f.).
Kap. 1: Tarifpluralität und Ermittlung der Gewerkschaftszugehörigkeit
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(b) Feststellung der maßgeblichen Tarifbindung Welcher Tarifvertrag Vorrang hat, ist hier, wie gesagt, nicht zu entscheiden. Wichtig ist, ob und wie der Arbeitgeber von dem Gewerkschaftswechsel des Arbeitnehmers Kenntnis erlangen kann. Dies nicht nur dann, wenn man in der Tarifkonkurrenz jeweils dem Tarifvertrag der „neuen“ Gewerkschaft (Tarifbindung nach § 3 Abs. 1 TVG) Vorrang einräumt; auch, wenn sich der bisherige Tarifvertrag (Tarifbindung nach § 3 Abs. 3 TVG) durchsetzen soll, endet schließlich die Nachbindung des Arbeitnehmers an diesen Tarifvertrag mit dessen – durch Kündigung315, Aufhebungsvertrag oder, im Falle seiner Befristung, durch Zeitablauf herbeigeführten – Ende, nach h. M. mit jeder Änderung des Tarifvertrages316. (aa) Unterstellte Fortdauer einer ursprünglich angezeigten Tarifbindung Hat der Arbeitnehmer seine Gewerkschaftszugehörigkeit von vornherein nicht offen gelegt, so darf ihn der Arbeitgeber für die Dauer der Unkenntnis des Organisationsstatus wie einen Nichtorganisierten behandeln. Es kommt also auf das etwaige Bestehen eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrages sowie auf die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel an. Dem Recht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer wie einen Nichtorganisierten zu behandeln, entspricht für den Fall, dass der Arbeitnehmer zwar zunächst seine Gewerkschaftszugehörigkeit offenbart, nicht aber deren später im Zuge des „Gewerkschafts-Hoppings“ eintretende Änderung, ein Recht des Arbeitgebers, von der Fortdauer der ursprünglich angezeigten Tarifbindung auszugehen und den Arbeitnehmer weiter nach diesem Tarifvertrag zu behandeln.317 315 Eine verbreitete Ansicht lässt die verlängerte Tarifgebundenheit bereits mit dem Verstreichenlassen der ersten Kündigungsmöglichkeit enden, vgl. ErfK/Franzen, § 3 TVG Rn. 27; P. Hanau, RdA 1998, 65 (69); Heinze/Ricken, ZfA 2001, 159 (161 f.); Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 91; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1555; a. A. aber etwa HWK/Henssler, § 3 TVG Rn. 44; Jacobs, Tarifeinheit, S. 164; Kempen/Zachert/ Kempen, § 3 Rn. 59; Wiedemann/Oetker, § 3 Rn. 88 f. 316 Besonders deutlich BAG 7. 11. 2001 AP TVG § 3 Verbandsaustritt Nr. 11; zuvor schon BAG 17. 5. 2000 AP TVG § 3 Verbandsaustritt Nr. 8 (Zachert), wo allerdings noch unklar blieb, ob das BAG eine weitere Bindung hinsichtlich der unveränderten Bestimmungen befürwortete, wenn diese noch eine sinnvolle Gesamtregelung darstellen; 4. 4. 2001 AP TVG § 3 Verbandsaustritt Nr. 9; dem zuneigend bereits BAG 18. 3. 1992 AP TVG § 3 Nr. 13 (Löwisch/Rieble); aus der Literatur Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 94; s. auch Jacobs, Tarifeinheit, S. 164 f., nach dem jede Änderung ausreicht, die über eine bloße Klarstellung oder Berichtigung hinausgeht; für Beendigung der Fortwirkung nur der geänderten Bestimmungen Kempen/Zachert/Kempen, § 3 Rn. 60: Fortgeltung der unveränderten Bestimmungen, wenn diese allein und aus sich heraus sinnvoll bleiben. 317 s. auch nochmals Bepler, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 791 (801): „Man könnte auch erwägen, einem Arbeitnehmer, der Rechte aus einem Tarifvertrag erhält, Rechte aus einem anderen günstigeren Tarifvertrag, an den er und sein Arbeitgeber von Rechts wegen gebunden sind, zu verweigern, wenn er eine (. . .) statthafte Frage nach
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
(bb) Fragerecht Da nach der hier vertretenen Ansicht der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nach seiner Gewerkschaftsmitgliedschaft fragen darf, steht dem Arbeitgeber für den Fall, dass der Arbeitnehmer den Gewerkschaftswechsel nicht anzeigt, tatsächlich aber aufgrund entsprechender Auflösung der Tarifkonkurrenz der Tarifvertrag der „neuen“ Gewerkschaft (Tarifbindung nach § 3 Abs. 1 TVG) anzuwenden gewesen wäre, der auf das negative Interesse gerichtete, zweckmäßigerweise arbeitsvertraglich zu pauschalierende Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB zu. (cc) Zulässigkeit einer arbeitsvertraglichen „Mitgliedschaftsauskunftsklausel“ Dem für das Fragerecht wesentlichen Interesse des Arbeitgebers, jeweils für die einzelnen Abrechnungszeiträume Planungssicherheit zu haben, entspricht es, dass der Arbeitgeber nicht nur zur einmaligen318, sondern zur regelmäßig wiederkehrenden Abfrage des Organisationsstatus berechtigt ist. Um aber im Interesse aller Beteiligten ein monatliches, rituelles Nachfragen zu vermeiden, wird man es mit Rieble für zulässig halten können, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in einer arbeitsvertraglichen Klausel (die auch einer AGB-Kontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB standhalten würde) verpflichtet, ihn über eine Änderung seines Organisationsstatus zu informieren. Gegen eine solche – entsprechend dem anerkennenswerten Informationsbedürfnis des Arbeitgebers rechtsfolgenbezogen (bedarfsbezogen) zu formulierende – „Mitgliedschaftsauskunftsklausel“ bestehen keine durchgreifenden Bedenken.319
D. Zusammenfassung und Ergebnis Welche Fragen des Arbeitgebers im bestehenden Arbeitsverhältnis zulässig sind, bemisst sich anhand einer Abwägung der widerstreitenden Informationsund Geheimhaltungsinteressen der Arbeitsvertragsparteien. Ein Recht des Arbeit-
seiner Gewerkschaftszugehörigkeit nicht oder falsch beantwortet hat, bis die tatsächliche Lage von ihm klargestellt ist.“. 318 Vgl. in diese Richtung Bepler, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 791 (801) sowie deutlicher Jacobs, NZA 2008, 325 (328): Zulassung der Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit für einen festzulegenden Zeitraum nach Abschluss des Arbeitsvertrages. 319 Rieble, GS Heinze, S. 687 (703); Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 153; ebenso Jacobs, NZA 2008, 325 (333); Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1077); jüngst Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 227; vertiefend nunmehr Greiner, Rechtsfragen, S. 494 ff. mit Klauselvorschlag, dort auch zur Frage einer bereits kraft Gesetzes als arbeitsvertragliche Nebenpflicht bestehenden Anzeigepflicht des Arbeitnehmers.
Kap. 1: Tarifpluralität und Ermittlung der Gewerkschaftszugehörigkeit
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gebers, seine Arbeitnehmer nach Abschluss des Arbeitsvertrages nach ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit zu fragen, ist anzuerkennen, soweit er ein rechtsfolgenbezogenes Informationsbedürfnis geltend machen kann. Ob eine realisierte Tarifpluralität in diesem Sinne ein Umstand ist, der den Arbeitgeber zur Ermittlung der Gewerkschaftszugehörigkeit berechtigt, ist umstritten. Teilen der Literatur zufolge genügt bereits die Annahme einer „Offenbarungsobliegenheit“, die indes nicht als Obliegenheit im technischen Sinne mit der Folge des Anspruchsverlusts bei obliegenheitswidrigem Verhalten verstanden wird. Das Problem der Ermittlung der Gewerkschaftszugehörigkeit stellte sich in Tarifkollisionsfällen bislang vor allem im Beitragseinzugsverfahren gemeinsamer Einrichtungen der Tarifvertragsparteien. Aus seiner Auskunftspflicht gegenüber den Sozialkassen kann jedoch kein berechtigtes Informationsbedürfnis des Arbeitgebers im Hinblick auf die Kenntnis des Organisationsstatus seiner Arbeitnehmer gefolgert werden, da sich die Problematik insoweit bereits durch die gebotene normzweckorientierte Lösung auf der Ebene der Tarifkonkurrenz erledigt. Tarifkollisionen unter Beteiligung allgemeinverbindlicher Tarifverträge über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien sind unabhängig von Spezialitäts- oder Legitimationsüberlegungen stets zugunsten des Sozialkassentarifvertrages aufzulösen. Dies ergibt eine am Normzweck der §§ 4 Abs. 2, 5 Abs. 4 TVG orientierte Betrachtung, da anderenfalls – d. h. bei Verdrängung der Normen des Sozialkassentarifvertrages aus den Arbeitsverhältnissen der tarifgebundenen Arbeitnehmer – die Funktionsfähigkeit der gemeinsamen Einrichtungen, die das TVG in § 4 Abs. 2 voraussetzt, gefährdet wäre; es hält auch einer verfassungsrechtlichen Prüfung stand, da der Staat, indem er die Tarifverträge betreffend gemeinsame Einrichtungen, insbesondere im Baugewerbe, regelmäßig nach § 5 TVG für allgemeinverbindlich erklärt und so den Einbezug sämtlicher Arbeitgeber und Arbeitnehmer in die Sozialkassenverfahren ermöglicht, die Koalitionen zur Erreichung übergeordneter sozialpolitischer Zielsetzungen – letztlich aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes – in seinen Dienst nimmt. Diese Indienstnahme hat, weil die Schaffung einer eigenen neutralen staatlichen Regelung in den von den gemeinsamen Einrichtungen abgedeckten Bereichen allenfalls mit unverhältnismäßigem Aufwand zu bewerkstelligen ist, staatsentlastende Funktion. Diese Funktion können indes die gemeinsamen Einrichtungen nur unter der Bedingung gesicherter Funktionsfähigkeit erfüllen; für diese wiederum ist der Vorrang der zugrunde liegenden Tarifverträge vor konkurrierenden, auch mitgliedschaftlich legitimierten Tarifregelungen konstitutiv. Die gemeinsamen Einrichtungen sind auf Einbeziehung sämtlicher vom tariflichen Geltungsbereich erfasster Arbeitgeber mit sämtlichen bei ihnen beschäftigten Arbeitnehmern angewiesen. Da demnach der Arbeitgeber, der einem allgemeinverbindlichen Sozialkassentarif unterliegt, weiß, dass sich seine Auskunfts- und Beitragspflicht auf sämtliche der bei ihm bestehenden Arbeitsverhältnisse ungeachtet etwaiger anderwei-
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
tiger Tarifbindungen bezieht, braucht ihn die Gewerkschaftszugehörigkeit seiner Arbeitnehmer unter diesem Aspekt nicht zu interessieren. Ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers eines tarifpluralen Betriebes an der Kenntnis der Gewerkschaftszugehörigkeit ergibt sich aber aus der Beziehung des Arbeitgebers zu seinen Arbeitnehmern selbst. Eine teleologische Reduktion des § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG, durch die eine Verwirkung tariflicher Ansprüche im tarifpluralen Betrieb zugelassen wird, ermöglicht nur eine Teillösung der – insoweit („Zeitproblem“) bereits durch die regelmäßig vorzufindenden Ausschlussfristen entschärften – Problematik. Das Fragerecht sichert, vermittelt über die Möglichkeit einer schadensrechtlichen Reaktion auf eine Nicht- oder Falschauskunft, das schutzwürdige Interesse des Arbeitgebers an feststehenden Planungsgrundlagen. Zwar kann der im Falle einer falschen Antwort gegebene Schadensersatzanspruch nicht auf das positive Interesse gerichtet sein und zu einer schadensrechtlichen Neutralisierung der Gewerkschaftsmitgliedschaft führen. Fragerecht und daran anschließender Schadensersatzanspruch ermöglichen aber die Liquidierung von Vertrauensschäden (negatives Interesse), die dem Arbeitgeber bei (zeitweiliger) Unkenntnis des Organisationsstatus z. B. durch die Hinfälligkeit interner Personalkostenrechnungen entstehen können. Ein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse des Arbeitnehmers ist nicht anzuerkennen. Er ist durch Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG, § 612a BGB und das weitere Arbeitnehmerschutzrecht – etwa das KSchG – ausreichend vor unzulässiger Verwertung der Kenntnis seines gewerkschaftlichen Status durch den Arbeitgeber geschützt. Der Schadensersatzanspruch kann, auch formularmäßig, pauschaliert werden. Erkennt man ein Fragerecht nach Arbeitsvertragsschluss bei realisierter Tarifpluralität an, bereitet auch das teilweise befürchtete „Gewerkschafts-Hopping“ keine unüberwindlichen praktischen Schwierigkeiten. Insbesondere kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Arbeitsvertrag durch eine „Mitgliedschaftsauskunftsklausel“ zur Anzeige von Änderungen seines Organisationsstatus verpflichten.
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 161
Kapitel 2
Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge1 A. Einführung I. Arbeitsvertragliche Verweisungen auf Tarifverträge im Schnittfeld von Arbeitsvertrags- und Tarifrecht 1. Der Anteil der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer an der Zahl aller Beschäftigten ist seit längerer Zeit im Sinken begriffen.2 Zugleich ist nur ein kleiner Teil der zahlreichen Tarifverträge allgemeinverbindlich. Um dennoch dem Arbeitsverhältnis die tariflich geregelten Arbeitsbedingungen zugrunde legen zu können, verwenden die Arbeitsvertragsparteien regelmäßig sog. arbeitsvertragliche Bezugnahme- oder Verweisungsklauseln. Bezugnahmeklauseln sind nach heute ganz herrschender und hier zugrunde gelegter Ansicht als schuldrechtliche Abreden Teil des Arbeitsvertrages. Sie stellen lediglich eine verkürzte Absprache der Parteien über den Vertragsinhalt dar und haben nicht die normative Wirkung der Tarifbestimmungen auf das Arbeitsverhältnis i. S. d. § 4 Abs. 1 TVG zur Folge. Ihre rechtliche Wirkung ist keine andere, als wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer die in Bezug genommenen Tarifinhalte einzeln in den Arbeitsvertrag aufgenommen hätten.3 Auch die Rechtsprechung geht von diesem vertragsrechtlichen Verständnis der Rechtsnatur arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln und von ihrer rein schuldrechtlichen Wirkung aus.4 Mittlerweile nimmt daher auch der 4. Senat des BAG, in ausdrücklicher Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung5, folgerichtig an, dass das Zusammentreffen eines normativ wirkenden und eines arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifvertrages in demselben Arbeitsverhältnis keine Tarifkon1 Hierzu jetzt monographisch Klingebiel, Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit im Betrieb. 2 Aktuelle Zahlen etwa bei Däubler/Däubler, TVG, Einl. Rn. 58 (Fn. 174); Kerwer, EuZA 2008, 335 (336, Fn. 1); Koop, Tarifvertragssystem, S. 15; A. Wisskirchen, FS Buchner, S. 984 (988); eingehend und nach Dachverbänden differenzierend Klein, Minderheitsgewerkschaften, S. 33, 64, 67, 68 f. (s. auch S. 70 f. zu den für die Entwicklung des Organisationsgrades entscheidenden Faktoren). s. aber auch Rieble, FAZ vom 11./ 12. 4. 2009, S. C 2, zu neueren Zahlen der IG Metall. 3 Statt vieler Annuß, ZfA 2005, 405 (408 f.) m.w. N.; Wiedemann/Oetker, § 3 Rn. 285; J. C. Otto, Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, S. 30; Preis, FS Wiedemann, S. 425 (427); MüArbR/Rieble/Klumpp, § 178 Rn. 9, 13, 15. 4 Aus letzter Zeit etwa BAG 29. 8. 2007 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 61, unter I. 6. der Gründe; 22. 10. 2008 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 66 (Zachert), unter II. 3. c) der Gründe. 5 s. früher BAG 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20 (P. Hanau/Kania); 23. 3. 2005 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 29 (Waas).
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
kurrenz, sondern einen Anwendungsfall des Günstigkeitsprinzips nach § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG bewirkt.6 2. Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln können, anknüpfend an verschiedene Kriterien, in verschiedene Kategorien eingeteilt werden. Für die Untersuchung von Bedeutung ist die Differenzierung nach der zeitlichen und sachlichen Dynamik der Verweisung.7 Eine statische Bezugnahmeklausel liegt vor, wenn auf einen genau bezeichneten Tarifvertrag in seiner zu einer bestimmten Zeit gültigen Fassung verwiesen wird. Spätere Änderungen des in Bezug genommenen Tarifvertrages schlagen in diesem Fall nicht auf den Arbeitsvertrag durch. Eine nur in zeitlicher, nicht hingegen in sachlicher Hinsicht dynamische und daher sog. „kleine“ dynamische Bezugnahmeklausel ist gegeben, wenn auf einen namentlich genannten oder nach der Branche bestimmten Tarifvertrag in seiner jeweils gültigen Fassung Bezug genommen wird. Änderungen des verwiesenen Tarifvertrages wirken sich dann auf das Arbeitsverhältnis aus. Zeitlich und auch sachlich dynamisch ist die sog. „große“ dynamische Bezugnahmeklausel oder „Tarifwechselklausel“. Hier wird der jeweils für den Betrieb einschlägige Tarifvertrag in seiner jeweiligen Fassung zum Bezugnahmeobjekt gemacht. II. Notwendigkeit der Einpassung der Tarifpluralität Insbesondere dynamische arbeitsvertragliche Verweisungen auf Tarifverträge markieren aufgrund ihrer schuldrechtlichen Wirkung einerseits und ihrer Funktion, die jeweils geltenden tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen in das Einzelarbeitsverhältnis zu inkorporieren andererseits, ein Schnittfeld von Arbeitsvertragsund Tarifrecht.8 In dieses Schnittfeld muss nunmehr die Tarifpluralität eingepasst werden. Dies umfasst vor allem zwei Bereiche.
6 s. jetzt BAG 29. 8. 2007 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 61; dazu Insam/Plümpe, DB 2008, 1265 ff.; jüngst bestätigt durch BAG 22. 10. 2008 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 66 (Zachert), unter II. 3. c) der Gründe; 22. 4. 2009 NZA 2010, 41, Rn. 28 des Urteils und jetzt nochmals durch den Anfragebeschluss des 4. Senats vom 27. 1. 2010, s. NZA 2010, 645, Rn. 99 des Beschlusses; s. auch Bepler, NZA Beilage 3/2010, S. 99 (102). Demgegenüber geht das LAG Hamm in einer Entscheidung vom 22. 4. 2008, NZA-RR 2008, 478 (480), unter A. II. 1. c) der Gründe, unverdrossen davon aus, dass eine Tarifkonkurrenz auch vorliege, wenn auf ein Arbeitsverhältnis neben einem kraft Allgemeinverbindlichkeit geltenden Tarifvertrag ein weiterer Tarifvertrag kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung findet und erweitert dies sogar auf den Fall, dass beide Tarifverträge nur auf arbeitsvertraglicher Grundlage (Bezugnahmeklausel) anwendbar sind. 7 Zu den verschiedenen Typen von Bezugnahmeklauseln und der Terminologie s. grundlegend Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 76 f., 86 ff., 111 f., 125 f. 8 Preis, FS Wiedemann, S. 425; E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 27; s. auch Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 60: „Nahtstelle“.
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 163
1. Zunächst kann die Auslegung bestehender Bezugnahmeklauseln, die bisher in aller Regel keine Vorsorge für den Fall eines möglichen Nebeneinanders von Tarifverträgen im Betrieb treffen, unter den Bedingungen einer realisierten Tarifpluralität erschwert sein. Wo es nicht mehr nur einen im Betrieb geltenden Tarifvertrag gibt, können sich Zweifel über den Gegenstand der Verweisung einstellen. Es sind daher die Gesichtspunkte zu umreißen, die bei der Auslegung einer nicht eigens auf den Fall der Tarifpluralität abgestimmten Bezugnahmeklausel eine Rolle spielen können. Besonderes dogmatisches Augenmerk ist in diesem Zusammenhang auf die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB zu richten, die für den Fall verbleibender Zweifel eine Auslegung zu Lasten des Verwenders, hier zu Lasten des Arbeitgebers, anordnet. Auseinanderzusetzen hat man sich u. a. mit einem neueren Urteil des 6. Senats des BAG, demzufolge die Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB auf arbeitsvertragliche Klauseln, die auf ein Tarifwerk Bezug nehmen, regelmäßig nicht anwendbar ist.9 2. Die für den Arbeitgeber missliche Konsequenz einer nicht auf die Konstellation der Tarifpluralität abgestimmten Bezugnahmepraxis – nach hier vertretener Ansicht im Zweifel nämlich: Auslegung der Klausel im arbeitnehmergünstigsten Sinne – führt die Notwendigkeit vor Augen, Möglichkeiten und Grenzen der künftigen Vertragsgestaltung zu ergründen. Die Formulierungen arbeitsvertraglicher Verweisungsklauseln müssen an die durch die Freigabe von Tarifpluralitäten veränderte tarifkollisionsrechtliche Ausgangslage angepasst werden. Zu erörtern sind besonders die Möglichkeiten, das bei realisierter Tarifpluralität arbeitsvertraglich inkorporierte Tarifwerk schon vorab durch eine Anknüpfung an die Prinzipien der Repräsentativität, der Spezialität und der Günstigkeit zu fixieren. Im Zentrum der Untersuchung steht die Frage, ob und, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen sich der Arbeitgeber auch ein Wahlrecht in Form eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts nach § 315 BGB über den in Bezug genommenen Tarifvertrag vorbehalten kann.
B. Auslegung bestehender Bezugnahmeklauseln I. Problemstellung 1. Aus Sicht der Praxis stellt es eine bislang unbeantwortete Frage dar, die der Wechsel von der betrieblichen Tarifeinheit zur realisierten Tarifpluralität mit sich bringe, wie Bezugnahmeklauseln auszulegen seien, wenn der Arbeitgeber gleichzeitig mehrere inhaltlich voneinander abweichende Tarifverträge in seinem Betrieb anwenden muss.10 Die Anwendung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklau9 BAG 24. 9. 2008 AP BGB § 305c Nr. 11, Leitsatz 1 und A. III. 1. a) ee) der Gründe. 10 Meyer, DB 2006, 1271; ders., FS Adomeit, S. 459 (474); Schwierigkeiten erwarten auch LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80 (Greiner),
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
seln könne bei mehreren in einem Betrieb nebeneinander geltenden Tarifverträgen zu einem Dauerproblem werden.11 a) In der Tat können besonders bei großen dynamischen Verweisungsklauseln im Falle realisierter Tarifpluralität Schwierigkeiten bei der Ermittlung des bezogenen Tarifvertrages auftreten.12 Ähnliche Schwierigkeiten können sich allerdings ganz unabhängig vom Vorliegen einer „echten“ Tarifpluralität, mithin auch unter der Geltung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb, immer dann ergeben, wenn ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber auf die „jeweils einschlägigen“ Tarifverträge verweist und hierfür mehrere Tarifverträge in Betracht kommen. Es handelt sich mithin ebenso um ein Problem der bloßen Tarifmehrheit13, nicht allein um eines der Tarifpluralität.14 Die Schwierigkeit liegt in Folgendem: Unter der Geltung des Prinzips der Tarifeinheit im Betrieb konnte man – entsprechend dem (früheren) Verständnis arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln als „Gleichstellungsabreden“ 15 – davon ausgehen, dass die Bezugnahme der tarifkollisionsrechtlichen Rechtslage folgt, also den „siegenden“ Tarifvertrag erfasst; die Klausel bezog sich demnach immer auf den betrieblich, fachlich, persönlich und räumlich näheren Tarifvertrag.16 Das ist jetzt nicht mehr möglich: Bei Tarifpluralität ist der für den Betrieb „jeweils einschlägige Tarifvertrag“ mindestens auf den ersten Blick nicht zu ermitteln, es gelten gerade mehrere Tarifverträge im Betrieb.17 unter E. IV. 7. a) der Gründe; Wallisch, FS Löwisch, S. 427 (440); jüngst Göhner, FS Bauer, S. 351 (360). 11 Feudner, BB 2007, 2459 (2461); ganz ähnlich der BDA-Präsident Hundt in seinem Plädoyer für die betriebliche Tarifeinheit in der FAZ vom 11. 9. 2007, S. 12; s. auch aktuell Brocker, NZA Beilage 3/2010, S. 121 (125). 12 Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 76; Jacobs, Tarifeinheit, S. 180; J. C. Otto, Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, S. 176; Röller/Wißmann, FS Küttner, S. 465 (476); s. auch Annuß, ZfA 2005, 405 (444); zuletzt Boemke, ZfA 2009, 131 (143); Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 118 ff. 13 Zum Begriff der Tarifmehrheit s. o. Teil 1, Kapitel 2, unter C. 14 s. zutreffend Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 306. 15 Zur Änderung der „Gleichstellungsrechtsprechung“ s. BAG 14. 12. 2005 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 39 (Kort) und BAG 18. 4. 2007 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 53 (F. Bayreuther); zuletzt bestätigt durch BAG 22. 4. 2009 AP BetrVG 1972 § 99 Eingruppierung Nr. 38; 26. 8. 2009 NZA 2010, 230; 18. 11. 2009 NZA 2010, 170; zum Zusammenhang auch Koop, Tarifvertragsystem, S. 312; E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 314, 321. 16 LAG Baden-Württemberg 15. 9. 2005 – 21 TaBV 7/04 – juris; Jordan/Bissels, NZA 2010, 71 (74); Reichold, RdA 2007, 321 (327); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 146 (147); Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1820; Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1264); s. auch Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (208); zuletzt Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 119. 17 Jacobs, NZA 2008, 325 (332); A. Lindemann/Simon, BB 2006, 1852 (1857); J. C. Otto, Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, S. 176; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1820; E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 314, 321; zuletzt Brecht-Heitzmann, GS Zachert, S. 502 (515); Brocker, NZA Beilage 3/2010,
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 165
b) Auch bei kleinen dynamischen Bezugnahmeklauseln muss die Rechtslage nicht immer eindeutig sein. Zwar wird ein Verweis auf einen konkret bezeichneten Tarifvertrag einer Auslegung entgegen dieser Bezeichnung nur selten zugänglich sein.18 Zu denken gibt aber der von Jacobs gebildete Fall: Wie soll eine kleine dynamische Klausel in Arbeitsverträgen für Lokführer, die auf die „jeweils gültigen Tarifverträge für die Lokführer“ verweist, auszulegen sein, wenn die Deutsche Bahn unterschiedliche Lokführertarife mit Transnet/GDBA und der GDL geschlossen hätte? Der maßgebliche Tarifvertrag wäre auch hier nicht ohne weiteres zu ermitteln.19 2. Die Praxis der Vertragsgestaltung kann und sollte derartigen Problemen künftig dadurch vorbeugen, dass sie bereits bei der Formulierung der Bezugnahmeklauseln die Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb in Rechnung stellt.20 Möglich sind Anknüpfungen an den jeweils speziellsten, repräsentativsten oder (für den Arbeitgeber) günstigsten Tarifvertrag, nach hier vertretener Ansicht kann der Arbeitgeber sich unter bestimmten Voraussetzungen auch ein Wahlrecht bezüglich des bei Tarifpluralität arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifvertrages in Form eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts nach § 315 BGB vorbehalten.21 In bestehenden Arbeitsverträgen ist aber regelmäßig keine Vorsorge für den Fall der Tarifpluralität getroffen. Hier steht ggf. die Rechtsprechung vor der Aufgabe, durch Auslegung der Verweisungsregelung zu ermitteln, welches Tarifwerk auf das Arbeitsverhältnis angewendet werden soll.22 In erster Linie ist der Versuch zu unternehmen, den maßgeblichen Parteiwillen zu ermitteln23; nötigenfalls ist an eine ergänzende Vertragsauslegung zu denken24. S. 121 (125); Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 119 ff., 143, 210, 221; Lipinski/Hund, BB 2010, 1991; s. auch F. Bayreuther, NZA 2009, 935 (937). 18 ErfK/Franzen, § 4 TVG Rn. 73; s. auch schon Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1820. 19 Jacobs, NZA 2008, 325 (332); s. auch Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 76 (allerdings mit nicht ganz klarer Terminologie); Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 39 f.; ferner das Beispiel von F. Bayreuther, NZA 2009, 935; zu optimistisch insoweit daher Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 92 f., 117. 20 Vgl. schon vor der Rechtsprechungsänderung Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1076), danach jetzt etwa Lipinski/Hund, BB 2010, 1991; s. aber auch Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (143 f.) sowie Jordan/Bissels, NZA 2010, 71 (73 f.), die auch einen von den Gerichten zu gewährenden Vertrauensschutz anmahnen (a. a. O. S. 74). 21 s. zu den Möglichkeiten der künftigen Vertragsgestaltung ausführlich unten C. 22 ErfK/Franzen, § 4 TVG Rn. 73; Jacobs, Tarifeinheit, S. 180; Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 303. 23 Röller/Wißmann, FS Küttner, S. 465 (476); s. auch Annuß, ZfA 2005, 405 (444). 24 Jacobs, NZA 2008, 325 (332 f.); A. Lindemann/Simon, BB 2006, 1852 (1856 f.); E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 314, 321 f.; Lösung über ergänzende Auslegung jetzt auch bei Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 136 ff., 156 ff., 210 ff., 217 ff.
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
II. Auslegungsgesichtspunkte Entgegen einem im Schrifttum hin und wieder erweckten Eindruck lässt sich ein allgemeiner Vorrang einer bestimmten Auslegung von Bezugnahmeklauseln bei Tarifpluralität nicht behaupten. Es kommt immer auf die betrieblichen Umstände an, vor deren Hintergrund die Bezugnahme zu sehen ist.25 Im Folgenden können daher nur Auslegungsgesichtspunkte aufgezeigt werden, die im Einzelfall eine Rolle spielen können. Von Bedeutung ist vor allem die anschließend zu ergründende Frage, wie bei verbleibenden Unklarheiten zu verfahren ist. 1. Vorrang von DGB-Tarifverträgen? Einen Bezugnahmevorrang zugunsten von DGB-Tarifen behaupten Peter Hanau und Thomas Kania. Sei in einer kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel auf den branchenmäßig einschlägigen Tarifvertrag verwiesen, so sei damit regelmäßig der für die deutsche Tariflandschaft typische Branchentarif und damit der einschlägige DGB-Tarif gemeint.26 Für große dynamische Bezugnahmeklauseln könne grundsätzlich nichts anderes gelten. Dies sei jedenfalls dann anzunehmen, wenn bei Vereinbarung der Bezugnahmeklausel im Betrieb tatsächlich ein einschlägiger DGB-Tarifvertrag zur Anwendung kam. Auch in diesem Fall sei davon auszugehen, dass sich die Parteien dem typischen, branchenmäßig ausgerichteten System der DGB-Tarifverträge unterwerfen wollten; eine überraschende Abkehr von diesem System durch Geltung des Tarifvertrags einer konkurrierenden Gewerkschaft sei deshalb nicht vom (hypothetischen) Parteiwillen gedeckt. Grundsätzlich sei daher eine einschränkende Auslegung der großen Bezugnahmeklausel geboten. Etwas anderes könne nur dann ausnahmsweise gelten, wenn bereits bei Abschluss der Bezugnahmeklausel kein DGB-Tarifvertrag im Betrieb zur Anwendung kam.27 Diese Ansicht wird mit Recht ganz überwiegend abgelehnt.28 Wenn auch die DGB-Tarifverträge tatsächlich überwiegen29 und es sich daher bei den betrieblich und fachlich „jeweils einschlägigen“ Tarifverträgen, insbesondere noch vor 25 Zutreffend Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 305; gegen die Aufstellung von „Auslegungsregeln“ auch Annuß, ZfA 2005, 405 (444 f.). 26 P. Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (254); Kania, NZA Beilage zu Heft 3/2000, S. 45 (48); ebenso Reichel, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 168 ff. für den Fall, dass bereits bei Vertragsschluss ein DGB-Tarifvertrag Anwendung gefunden hat (S. 169). 27 P. Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (255); Kania, NZA Beilage zu Heft 3/2000, S. 45 (48); ebenso Reichel, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 172 f. 28 Ablehnend Annuß, BB 1999, 2558 (2560); ders., ZfA 2005, 405 (444 f.); Koop, Tarifvertragssystem, S. 197; Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 304; J. C. Otto, Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, S. 173 f.; Rieble, ZfA 2005, 245 (257 f.); Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1264); Winzer, Tarifgeltung, S. 36 f. 29 Konzediert von Winzer, Tarifgeltung, S. 36.
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einigen Jahren, häufig aus Sicht beider Vertragspartner, auch des Arbeitgebers, um die von DGB-Gewerkschaften abgeschlossenen Tarifverträge gehandelt haben mag30, so kann doch ein entsprechender Wille den konkreten Arbeitsvertragsparteien, sofern für ihn nicht verlässliche Anhaltspunkte vorliegen, nicht einfach unterschoben werden31. Damit würden die Grenzen der Vertragsauslegung (auch der ergänzenden) überschritten.32 Zumal im Umfeld einer durch das zunehmende selbständige Auftreten von außerhalb des DGB organisierten Gewerkschaften gewandelten Tariflandschaft33 läuft der Bezugnahmevorrang zugunsten von DGB-Tarifen auf eine Fiktion hinaus.34 Ein in der Sache anerkennenswerter, bei entsprechenden Anhaltspunkten verwertbarer Auslegungsgesichtspunkt ist aber insoweit angesprochen, als eine Bezugnahme auf den einschlägigen DGB-Tarif „jedenfalls“ für den Fall angenommen wird, dass bei Abschluss der Bezugnahmeklausel im Betrieb tatsächlich ein einschlägiger Tarifvertrag zur Anwendung kam.35 Entsteht die Tarifpluralität erst nachträglich durch Hinzutreten eines weiteren Tarifvertrages zu einem im Betrieb bereits im Zeitpunkt des Arbeitsvertragsabschlusses geltenden DGB-Tarif, so kann sich die (fortbestehende) Inbezugnahme des DGB-Tarifvertrages aus dem Gesichtspunkt der Priorität ergeben.36 2. Entscheidung anhand der Tätigkeit des Arbeitnehmers Im Einzelfall kann der einschlägige Tarifvertrag u. U. anhand der Tätigkeit des Arbeitnehmers ermittelt werden.37 Nicht alle Fälle können aber auf diese Weise gelöst werden. Bei Tarifpluralität kann es mehrere nach der jeweiligen Tätigkeit des Arbeitnehmers einschlägige Tarifverträge geben. Das Phänomen der Tarif30 Reinecke, BB 2006, 2637 (2644); selbst dies bezweifelnd aber etwa J. C. Otto, Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, S. 173. 31 Vgl. Annuß, BB 1999, 2558 (2560). 32 Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1264). 33 Reinecke, BB 2006, 2637 (2644). 34 Annuß, BB 1999, 2558 (2560); ders., ZfA 2005, 405 (444 f.): heteronome Vertragsinhaltsgestaltung; Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1264); a. A. Reichel, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 173. Deutliche Kritik auch bei Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 304 sowie Rieble, ZfA 2005, 245 (257 f.): Arbeitgeber pflegen ihre Bezugnahmeklauseln nicht an den Organisationsinteressen des DGB und seiner Gewerkschaften auszurichten; in diesem Sinne auch J. C. Otto, Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, S. 173 und bereits Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (207); scharf ablehnend zuletzt auch Koop, Tarifvertragssystem, S. 197: „nicht zu rechtfertigende Privilegierung der DGB-Gewerkschaften“, „Monopolförderung erster Klasse“. 35 Vgl. P. Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (255); Kania, NZA Beilage zu Heft 3/ 2000, S. 45 (48); s. zu dieser Einschränkung auch Reichel, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 169, 172. 36 s. dazu noch unten B. II. 5. sowie Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 303. 37 Vgl. Jacobs, Tarifeinheit, S. 180.
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
pluralität ist nicht beschränkt auf Konstellationen, in denen eine Spartengewerkschaft „ihren“ Berufsgruppentarif neben einen Branchentarifvertrag platziert oder zwei Berufsgruppentarife nebeneinander bestehen, in denen mithin die persönlichen Geltungsbereiche der Tarifverträge sich nicht überschneiden.38 Aus diesem Grund ist auch der von Reichold für die künftige Vertragsgestaltung unter den Bedingungen möglicher Tarifpluralitäten unterbreitete Vorschlag, auf den „nach der Tätigkeit einschlägigen jeweils geltenden Tarif“ Bezug zu nehmen39, für eine umfassende Problemlösung nicht geeignet; dies wird unten näher ausgeführt.40 3. Spezialität Da die Rechtsprechung unter der Geltung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb die Tarifpluralität nach dem Spezialitätsprinzip auflöste, kann der Parteiwille durchaus dahin gehen, im Falle einer Tarifpluralität den sachnäheren Tarifvertrag zur Anwendung zu bringen.41 Eine generelle Auslegungsregel des Inhalts, dass bei im Betrieb herrschender Tarifpluralität der Tarifvertrag in Bezug genommen ist, der nach den Grundsätzen der Tarifkonkurrenz einschlägig ist, mithin der speziellere Tarifvertrag42, lässt sich jedoch nicht aufstellen.43 Es gibt keinen, kann keinen allgemeinen Vorrang einer bestimmten Auslegung geben.44 4. Repräsentativität Ein weiterer denkbarer Gesichtspunkt, der die Auslegung der Verweisung bestimmen kann, ist die Repräsentativität der verschiedenen Tarifverträge. Mit einer solchen Auslegung würde an den Gleichstellungszweck von Bezugnahme38 s. auch das „Lokführer-Beispiel“ von Jacobs selbst in NZA 2008, 325 (332); ferner jüngst Brocker, NZA Beilage 3/2010, S. 121 (125). 39 Reichold, RdA 2007, 321 (327); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 146 (147). 40 s. unten C. III. 1. 41 Vgl. Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 303. 42 Dafür Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 950 sowie im Wege ergänzender Vertragsauslegung A. Lindemann/Simon, BB 2006, 1852 (1856 f.); s. auch Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1264); Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (208); für eine entsprechende Zweifelsregelung J. C. Otto, Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, S. 177; ähnlich E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 315, 321 f., 324, 328, 371 f.; jüngst wohl auch Boemke, ZfA 2009, 131 (143 ff.); hilfsweise auch Brecht-Heitzmann, GS Zachert, S. 502 (515), der in erster Linie auf die Repräsentativität abheben will (dazu sogleich im Text). 43 Ablehnend auch Annuß, ZfA 2005, 405 (444 f.) mit Klarstellung einer missverständlichen früheren Aussage bei dems., BB 1999, 2558 (2560); im Rahmen ergänzender Vertragsauslegung ablehnend jetzt auch Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 173 f. 44 s. nochmals Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 305.
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 169
klauseln angeknüpft. Das (verbands-, tarif-, ordnungs- und betriebspolitische) Ziel einer „echten Tarifeinheit“ kann allerdings auch durch Auslegung arbeitsvertraglicher Verweisklauseln nicht erreicht werden, da es in einem System des Koalitions- und Tarifpluralismus nicht nur einen einzigen im Betrieb anwendbaren Tarifvertrag, sondern eine Vielfalt von Tarifverträgen gibt; Ziel kann lediglich die Gleichstellung der nichtorganisierten mit einer Mehrheit der tarifgebundenen Beschäftigten sein, also die Realisierung einer partiellen Tarifeinheit.45 Da eine Auslegung, die den Tarifvertrag zur Anwendung bringt, der von der Gewerkschaft mit der größten Zahl an Mitgliedern im Betrieb geschlossen ist und der daher für eine relative Mehrheit der im Betrieb tätigen Arbeitnehmer kraft Tarifbindung gilt, den vielfach im Vordergrund stehenden Gleichstellungszweck von Bezugnahmeklauseln am weitestgehenden verwirklicht, kann die Repräsentativität ein gewichtiger Auslegungsgesichtspunkt sein.46 Auch der Repräsentativität kommt aber nicht per se ein Primat unter den Auslegungsaspekten zu.47 5. Priorität Bereits oben48 wurde darauf hingewiesen, dass auch eine Rolle spielen kann, welcher der Tarifverträge im Betrieb zuerst gegolten hat, insbesondere, wenn die Tarifpluralität erst nach Abschluss des Arbeitsvertrages entsteht, im Zeitpunkt der Vereinbarung der Bezugnahmeklausel also noch lediglich ein Tarifvertrag anwendbar war. Für den Prioritätsgedanken spricht dann, dass die Bezugnahmeklausel ihre Eindeutigkeit unter diesem Tarifvertrag hatte.49 Allerdings dürfte diesem Gesichtspunkt gegenüber denen der Spezialität und der Repräsentativität nur untergeordnete Bedeutung für die Auslegung zukommen. Denn das Prioritätskriterium führt sachlich (nicht zeitlich) zu einer „Versteinerung“ des Bezugnahmeobjekts; gegenüber einer solchen statischen Auslegung dürften die auch
45 Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1076), Hervorhebung aus dem Original übernommen; s. auch E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 320 f., 323, 372 und jüngst Greiner, Rechtsfragen, S. 158, 502, 518, 527 sowie Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 116, 176, 184, 195; näher hierzu, auch zur Bedeutung des Günstigkeitsprinzips in diesem Zusammenhang, unten C. III. 1. 46 Vgl. Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 303; hilfsweise (bei Schwierigkeiten bei der Bestimmung des sachnäheren Tarifvertrages) auch E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 315, 321 f., 324, 372. 47 So aber Gamillscheg, KollArbR I, § 17 II. 4. c) (3), S. 737 sowie im Rahmen ergänzender Vertragsauslegung Jacobs, NZA 2008, 325 (333) und jetzt auch Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 174 ff., 218 f.; ferner F. Bayreuther, NZA 2009, 935 (936) sowie Brecht-Heitzmann, GS Zachert, S. 502 (515). 48 s. o. B. II. 1. 49 Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 303.
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auf gegenständliche Dynamik angelegten Aspekte der Spezialität und der Repräsentativität dem (hypothetischen) Parteiwillen häufig eher gerecht werden.50 III. Verbleibende Unklarheiten 1. Scheitern der Bezugnahmeklausel? Fraglich ist die Rechtslage, wenn weder einfache noch ergänzende Vertragsauslegung zu einem Ergebnis führen. Dies soll bei Tarifpluralität nach in der Literatur geäußerter Einschätzung sogar für die meisten Bezugnahmeklauseln der Fall sein.51 Teils steht man auf dem Standpunkt, dass die Bezugnahme dann mangels hinreichender Bestimmtheit ins Leere geht52 und dass die Klausel „an ihrer Unklarheit scheitert“.53 Scheitere die Auslegung, bleibe nur, die dynamische Bezugnahme wegen des fehlenden eindeutigen Bezugnahmeobjektes an der Perplexität54 scheitern zu lassen. Die Bezugnahme würde statisch in der Sekunde, in der sie die Eindeutigkeit verliert.55 2. Unklarheitenregel, § 305c Abs. 2 BGB a) Anwendbarkeit bei Zweifeln über den Gegenstand der Verweisung Dieser Auffassung kann für Bezugnahmeklauseln in i. S. v. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB vorformulierten Arbeitsverträgen nicht zugestimmt werden. Für den Fall, dass die Auslegung von AGB zu keinem Ergebnis führt, enthält das BGB vielmehr mit der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 eine ausdrückliche Regelung.56 Zweifel bei der Auslegung von AGB gehen zu Lasten des Verwenders. 50 Vgl. in anderem Zusammenhang Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1264); eine an die Priorität anknüpfende (ergänzende) Auslegung der Bezugnahmeklausel ablehnend jetzt auch Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 172 (s. aber auch S. 186). 51 Franzen, RdA 2001, 1 (9); Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1820. 52 Annuß, ZfA 2005, 405 (444); ebenso Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 39. 53 Franzen, RdA 2001, 1 (9); Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1820; so für die große dynamische Bezugnahmeklausel jetzt auch Greiner, Rechtsfragen, S. 518 („intransparent“) und wohl auch Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 39: Unwirksamkeit der Klausel gemäß §§ 305c Abs. 2 (sic!), 307 Abs. 1 Satz 2 BGB; für Unwirksamkeit jüngst auch Leuchten, AuA 2010, 146 (147) und mit Blick auf Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen nicht tarifgebundener Arbeitnehmer Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 140 ff., 156 (Unwirksamkeit nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, allerdings mit der Konsequenz ergänzender Vertragsauslegung, S. 156 ff.); ferner Lipinski/Hund, BB 2010, 1991 („unanwendbar“). 54 Allgemein zur Perplexität Flume, AT II, § 16 3. e), S. 314; Jauernig, § 133 Rn. 2; Erman/Palm, § 133 Rn. 12; Staudinger/Singer, § 133 Rn. 10, Beispiel in Rn. 23; weitere Beispiele bei Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 133 f., 155. 55 Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 305.
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Daher ist, wenn bezüglich mehrerer Tarifverträge Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie Objekt der Bezugnahme sein könnten, nach § 305c Abs. 2 BGB diejenige Auslegung zugrunde zu legen, die für den Arbeitnehmer günstiger ist.57 Zu der bereits angedeuteten abweichenden Ansicht des 6. Senats des BAG wird aus Gründen des sachlichen Zusammenhangs mit der Bestimmung des konkreten Aussagegehalts des § 305c Abs. 2 BGB weiter unten Stellung bezogen.58 b) Auslegung zu Lasten des Arbeitgebers aa) § 305c Abs. 2 BGB als interpretatorisches Günstigkeitsprinzip Die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB statuiert ein „interpretatorisches Günstigkeitsprinzip“59, wobei es eine vorrangig begriffliche Frage ist, ob man die Norm als „Auslegungsregel“ versteht60 oder als eine gesetzliche Entscheidungsanweisung für den Fall, dass die Auslegung zu keinem Ergebnis führt. Die weithin anerkannte Voraussetzung ihrer Anwendung61, dass nach Ausschöpfung der anerkannten Auslegungsmethoden nicht behebbare Zweifel bleiben und mindestens zwei Auslegungsmöglichkeiten rechtlich vertretbar sind, spricht eher für letzteres; denn demnach setzt die Unklarheitenregel erst ein, wenn die Auslegung zu keinem Ergebnis kommt, so dass die Auslegung der Anwendung der Unklarheitenregel vorangeht und letztere eine gesetzliche Rechtsfolge für den Fall eines non liquet ausspricht.62 Unabhängig davon scheint indes auf den ersten Blick die für unseren Fall angeordnete Rechtsfolge klar: Anzuwenden ist bei Tarifpluralität und unklarer Bezugnahmeklausel der für den Arbeitnehmer günstigere Tarifvertrag. 56 § 305c Abs. 2 BGB sieht auch Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 39, die hieraus indes – zusammen mit § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB – auf die Unwirksamkeit der Bezugnahmeklausel bei Tarifpluralität schließt. 57 DDBD/Däubler, § 305c BGB Rn. 47a; Deinert, NZA 2009, 1176 (1179); ErfK/ Franzen, § 4 TVG Rn. 73; Jacobs, NZA 2008, 325 (333); Korinth, ArbRB 2007, 21 (22); Däubler/Lorenz, § 3 Rn. 220; J. C. Otto, Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, S. 128; Reinecke, BB 2006, 2637 (2644); A. Stein, Anm. zu BAG 14. 12. 2005 AuR 2006, 366 (369); E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 315, 322, 372; s. auch jüngst Boemke, ZfA 2009, 131 (143), der aber zutreffend mahnt, nicht vorschnell auf § 305c Abs. 2 BGB zurückzugreifen. 58 s. unten B. III. 2. b) bb) (3) (d). Gegen Anwendbarkeit von § 305c Abs. 2 BGB in Abgrenzung zu § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB jetzt Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 125 ff., 131. 59 DDBD/Däubler, § 305c BGB Rn. 25; Franzen, FS ZVK-Bau, S. 57 (59). 60 So etwa Stoffels, AGB-Recht, Rn. 367. 61 s. nur BAG 9. 11. 2005 AP BGB § 305c Nr. 4, unter II. 2. d) dd) der Gründe; Stoffels, AGB-Recht, Rn. 370; Thüsing, AGB-Kontrolle, Rn. 90. 62 E. Koch/Stübing, § 5 Rn. 6; Wacke, JA 1981, 666 (668); gegen Auslegungsregel auch Honsell, JA 1985, 260 (262). s. auch H. Roth, WM 1991, 2125 (2134): Im Gesetzestext müsste es statt „Zweifel bei“ genauer heißen „Zweifel nach“ der Auslegung.
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bb) Individuell-konkretes oder generalisierendabstraktes Günstigkeitsurteil? Der zweite Blick legt jedoch frei, dass es zwei Möglichkeiten gibt, sich aus der Existenz einer Tarifpluralität ergebende Zweifel über den Verweisungsgegenstand i. S. d. Wortlauts des § 305c Abs. 2 BGB „zu Lasten des Verwenders“, mithin zu Lasten des Arbeitgebers zu lösen. Möglich sind eine individuell-konkrete und eine generalisierend-abstrakte Betrachtungsweise63: Es könnte jeweils der für den Arbeitnehmer im konkreten Fall günstigste Tarifvertrag anzuwenden sein64 oder, unabhängig vom einzelnen Fall, derjenige Tarifvertrag, der für den Arbeitnehmer insgesamt günstiger ist65. (1) Parallelproblem: Statische oder dynamische Bezugnahmewirkung? Vor demselben Problem, dass § 305c Abs. 2 BGB nach seinem Wortlaut sowohl eine generalisierend-abstrakte als auch eine individuell-konkrete Betrachtungsweise zulässt, steht man auch, wenn unklar ist, ob eine statische oder eine dynamische arbeitsvertragliche Verweisung auf Tarifverträge vereinbart wurde.66 (a) Das BAG hat hierzu hinsichtlich eines Vergütungstarifvertrages entschieden, dass bei verbleibenden Auslegungszweifeln gemäß § 305c Abs. 2 BGB eine zeitdynamische Verweisung anzunehmen sei, denn in der Regel werde die Vergütung in Entgelttarifverträgen für den Arbeitnehmer verbessert und nicht verschlechtert.67 Wenn auch im konkret entschiedenen Fall tatsächlich eine Erhöhung des Tarifgehalts in Rede stand und daher das Ergebnis auch mittels einer konkreten Betrachtungsweise zu erzielen gewesen wäre, deutet das Abstellen auf den Regelfall („in der Regel“) doch auf eine abstrakte Günstigkeitsbeurteilung hin. Eine solche wird auch vielfach in der Literatur befürwortet. Auf die konkrete Günstigkeit eines Tarifvertrages komme es überhaupt nicht an. Bei unklarer Formulierung werde lediglich abstrakt geprüft, ob es sich um eine statische oder eine dynamische Bezugnahme handelt. Hier gelte dann, dass eine dynamische Auslegung grundsätzlich günstiger für den Arbeitnehmer sei als eine statische. In der Folge seien auch einzelne für den Arbeitnehmer negative Entwicklungen des Tarifwerks für ihn maßgeblich. Die Anwendung von § 305c Abs. 2 BGB führe nicht zu einer kontinuierlichen Überprüfung, welcher Tarifvertrag im günstigsten 63
Begriffe bei WLP/Lindacher, § 305c Rn. 130. Dafür ErfK/Franzen, § 4 TVG Rn. 73; Hervorhebung nicht im Original. 65 So Jacobs, NZA 2008, 325 (333), Hervorhebung nicht im Original; davon ausgehend wohl auch A. Stein, Anm. zu BAG 14. 12. 2005 AuR 2006, 366 (369); s. auch jüngst Jacobs, NZA Beilage 1/2009, S. 45 (51). 66 s. zur Problematik auch F. Bayreuther, Anm. zu BAG 18. 4. 2007 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 53, unter 1. b). 67 BAG 9. 11. 2005 AP BGB § 305c Nr. 4, unter II. 2. d) dd) der Gründe. 64
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 173
Fall für den Arbeitnehmer gelte.68 Nehme man je nach späterer Veränderung des Tarifinhaltes wechselweise eine dynamische oder statische Auslegung vor, erhalte man eine Bezugnahmeklausel mit sich stetig änderndem Auslegungsergebnis und ohne die notwendige Transparenz. Der Günstigkeitsvergleich sei oftmals undurchführbar. Zudem würde so mit dem Grundsatz gebrochen, dass die Auslegung einer Klausel in AGB nach objektiven Maßstäben und ohne Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu erfolgen habe.69 Auch könne man die unklare Verweisungsklausel nicht im Sinne eines Wahlrechts deuten, welches dem Arbeitnehmer jeweils die Entscheidung über Dynamik oder Statik belässt. Ein solches Wahlrecht stünde im Widerspruch zu § 305c Abs. 2 BGB und auch generell im Widerspruch zum Interesse an einer eindeutigen Auslegung. § 305c Abs. 2 BGB erlaube bei unklaren Auslegungsvarianten nur die Auswahl einer der in Betracht kommenden Varianten zu Lasten des Verwenders, und ein Wahlrecht ergebe sich bei Verweisungsregeln unter keinen Umständen. Die Frage der Belastung und Begünstigung sei vielmehr nach objektiven Kriterien zu beantworten, und zwar losgelöst von der jeweiligen Entwicklung der Vertragsanwendung im Einzelfall. Weil in der Regel die dynamische vorteilhafter als die statische Verweisung sei, bedeute das, dass der ersteren der Vorzug zu geben ist.70 Eine abstrakt-generelle Betrachtung nimmt letztlich auch Thüsing vor. Seiner Ansicht nach ist im Regelfall eine dynamische Bezugnahme anzunehmen, denn in der Regel werde die Vergütung in Entgelttarifverträgen für den Arbeitnehmer verbessert und nicht verschlechtert. Sofern eine entsprechende Interpretation der Bezugnahmeklausel allerdings im Einzelfall zu einer materiellen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für den Arbeitnehmer führe, könne es § 305c Abs. 2 BGB gebieten, die Verweisung statisch zu verstehen. Hierfür sei jedoch erforderlich, dass eine statische Bezugnahme bereits im Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages für den Arbeitnehmer vorhersehbar günstiger ist (was sehr selten der Fall sein werde). Denn die Auslegung könne sich nicht mit der weiteren Entwicklung des Tarifvertrages wandeln, sondern entscheide sich im Moment des Vertragsabschlusses.71 (b) Unangefochten ist dieses Verständnis des § 305c Abs. 2 BGB hinsichtlich der Annahme einer statischen oder dynamischen Bezugnahmewirkung aber
68 Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458 (464 f.); E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 356, 378; zuletzt auch Greiner, Rechtsfragen, S. 524 (dort Fn. 888); s. ferner F. Bayreuther, NZA 2009, 935 (936). 69 Röller/Wißmann, FS Küttner, S. 465 (471 f.); s. auch E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 356. 70 Giesen, NZA 2006, 625 (627, mit Fn. 18); E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 356 f.; s. auch Clemenz, NZA 2007, 769 (772); Seel, MDR 2006, 491 (493); widersprüchlich Jacobs, FS Birk, S. 243 (249) einerseits und dort S. 253 sowie BeckOK/Jacobs, § 305c BGB Rn. 32 andererseits. 71 Thüsing, AGB-Kontrolle, Rn. 198.
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nicht.72 Schon früh nach der (teilweisen) Beseitigung der früher in § 23 Abs. 1 AGBG73 enthaltenen Bereichsausnahme (s. jetzt § 310 Abs. 4 BGB) wiesen Thüsing/Lambrich darauf hin, dass, sofern im Einzelfall die Interpretation einer nach ihrem Wortlaut unklaren Klausel im Sinne einer dynamischen Verweisung zu einer materiellen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für den Arbeitnehmer führen würde, § 305c Abs. 2 BGB dafür spreche, die Regelung ausnahmsweise statisch zu verstehen.74 Dies hat einige Zustimmung erfahren.75 Die „Dynamisierungsvermutung“, von der Rechtsprechung schon früh und ohne Rekurs auf die Unklarheitenregel, vielmehr unter Hinweis auf die beabsichtigte Zukunftswirkung des Arbeitsverhältnisses und den Gleichstellungszweck aufgestellt76, sei durch eine „Günstigkeitsvermutung“ zu ersetzen.77 (2) Meinungsstand im allgemeinen AGB-Recht Die Kontroverse um das generalisierend-abstrakte oder individuell-konkrete Verständnis des § 305c Abs. 2 BGB, die sich im Arbeitsrecht an der Auslegung unklarer Verweisungsklauseln als statisch oder dynamisch entzündet hat und mittlerweile auch die Diskussion um die Auswirkungen einer realisierten Tarifpluralität auf die Auslegung (großer) dynamischer Bezugnahmeklauseln erreicht hat78, spiegelt das im allgemeinen AGB-Recht herrschende Meinungsbild. Eine deutliche Stellungnahme des BGH zu der Frage gibt es, soweit ersichtlich, nicht.79 Das OLG Hamm hat eine Klausel in den Musterbedingungen des Verbandes der privaten Krankenversicherung, wonach der Versicherer im Versicherungsfall in der Krankenhaustagegeldversicherung bei stationärer Behandlung 72 Schon vor 2002 tendenziell anders etwa A. Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 237: Die Unklarheitenregel werde „zumeist“ zur Annahme einer dynamischen Verweisung führen; s. neben den in den folgenden Fußnoten Genannten auch dens., Anm. zu BAG 14. 12. 2005 AuR 2006, 366 (367) sowie Reinecke, BB 2006, 2637 (2639). 73 Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBGesetz), zuletzt gültig in der Neufassung vom 29. Juni 2000 (BGBl. I, S. 946). 74 Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1366); einschränkende Präzisierung aber später bei Thüsing, AGB-Kontrolle, Rn. 198 (s. dazu bereits im vorstehenden Text). 75 DDBD/Däubler, § 305c BGB Rn. 43; Wiedemann/Oetker, § 3 Rn. 310; s. auch Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 37. 76 s. etwa BAG 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20 (P. Hanau/Kania), unter B. II. 1. b) der Gründe; weitere Nachweise bei Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 36. 77 Däubler, NZA Beilage 3/2006, S. 133 (134); DDBD/Däubler, § 305c BGB Rn. 43. 78 s. nochmals Jacobs, NZA 2008, 325 (333) einerseits: Anzuwenden sei der für den Arbeitnehmer insgesamt günstigere Tarifvertrag; ErfK/Franzen, § 4 TVG Rn. 73 andererseits: Anzuwenden sei der für den Arbeitnehmer im konkreten Fall günstigste Tarifvertrag. 79 Verschiedentlich in der Literatur angeführte Entscheidungen sind nach Einschätzung des Verfassers nicht aussagekräftig.
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 175
ein Krankenhaustagegeld gewährt, nach § 5 AGBG a. F. (jetzt § 305c Abs. 2 BGB) zugunsten des Versicherungsnehmers dahin ausgelegt, dass als „stationäre Behandlung“, die einen Anspruch auf Krankenhaustagegeld begründet, auch eine sog. teil- oder halbstationäre Behandlung in einer Tagesklinik zu verstehen ist.80 Dabei hat es gemeint, dem stehe die Überlegung, dass der Versicherungsnehmer bei Gleichstellung der halbstationären mit der stationären Behandlung im Einzelfall ungünstiger stehen könne, wenn die Krankheitskostenversicherung nicht die vollen Kosten des Krankenhausaufenthalts deckt, während sie alle Kosten einer ambulanten (= nicht-stationären) Behandlung decken würde, nicht entgegen. Solche auf den Einzelfall abgestellten Erwägungen seien im Rahmen von § 5 AGBG nicht statthaft.81 Dem entsprechen einige Aussagen im AGB-rechtlichen Schrifttum. Für § 305c Abs. 2 BGB sei eine generalisierende, auf die typische Kundensituation abstellende Betrachtungsweise maßgeblich.82 Von mehreren möglichen Bedeutungen sei diejenige zugrunde zu legen, die sich typischerweise für den Kunden am günstigsten auswirkt.83 Der Grundsatz der kundenfreundlichen Auslegung bedeute auch im Individualprozess84 keinen individuell-konkreten Maßstab.85 Es sei daher im konkreten Einzelfall möglich, dass sich das Eingreifen des § 305c Abs. 2 BGB zum Nachteil des konkreten Kunden auswirkt.86 Die Gegenansicht hält für den Individualprozess87 einen individuell-konkreten Maßstab für richtig.88 Von mehreren möglichen Deutungen sei derjenigen Geltung zu verschaffen, die sich in der konkreten Regelungssituation für den Vertragspartner des Verwenders als die günstigste erweist.89
80
OLG Hamm 23. 5. 1986 NJW 1986, 2888. OLG Hamm 23. 5. 1986 NJW 1986, 2888 (2890), unter II. 6. der Gründe. 82 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer, § 305c BGB Rn. 92a; zustimmend Honsell, JA 1985, 260 (262, Fn. 30; s. auch S. 263 bei Fn. 42). 83 Bunte, DB Beilage 13/82 zu Heft 23/1982, S. 9; H. Roth, WM 1991, 2125 (2135). 84 Da das Unterlassungsklagengesetz nach seinem § 15 auf das Arbeitsrecht keine Anwendung findet, kann die Rechtslage im Verbandsprozess hier außen vor bleiben. 85 H. Roth, WM 1991, 2125 (2135). 86 H. Roth, WM 1991, 2125 (2135); Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer, § 305c BGB Rn. 92a; s. auch Staudinger/Schlosser, § 305c Rn. 110: Es gebe Fälle, in welchen vor Entstehen einer konkreten Situation gar nicht gesagt werden kann, welche Auslegung wem günstiger ist. In solchen Fällen könne man meist nur auf diejenige Auslegung abstellen, die dem Kunden normalerweise günstig ist; lasse sich ein „Normalfall“ nicht konzipieren, sei kundengünstig die Auslegung, auf die sich der Kunde in der Vertragsabwicklungsphase beruft. 87 s. dazu nochmals oben Fn. 84. 88 s. neben den in der folgenden Fn. Genannten auch E. Koch/Stübing, § 5 Rn. 10. 89 WLP/Lindacher, § 305c Rn. 134; Soergel/U. Stein, § 5 AGBG Rn. 15, 18. 81
176
Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
(3) Eigene Position (a) Unmöglichkeit eines Günstigkeitsvergleichs gesamter Tarifwerke Die generalisierend-abstrakte Betrachtungsweise würde im Fall der Tarifpluralität dazu führen, kraft der – unklaren – arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel denjenigen Tarifvertrag anzuwenden, der für den Arbeitnehmer insgesamt günstiger ist.90 Erforderlich würde dadurch ein Gesamtvergleich der im Betrieb nebeneinander geltenden Tarifverträge. Ein solcher Gesamtvergleich wird für die Anwendung des Günstigkeitsprinzips des § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG, d. h. im Verhältnis rangverschiedener Regelungen zueinander91, allgemein abgelehnt, da die Bewertung der Günstigkeit bei einer solchen Vielzahl von Vergleichspunkten unsicher und von einer schwer nachvollziehbaren richterlichen Wertung abhängig wäre.92 Ein Gesamtvergleich verschiedener Tarifverträge (Tarifwerke) als Konsequenz der Anwendung von § 305c Abs. 2 BGB wäre noch ungleich komplexer. Als Kollisionsregel für die Auflösung von Tarifkonkurrenzen wird das Günstigkeitsprinzip, sowohl in Form eines zur „Rosinentheorie“ führenden Einzelvergleichs (Anwendung der jeweils günstigeren Einzelregelungen aus den verschiedenen Tarifverträgen) als auch im Sinne einheitlicher Anwendung des in seiner Gesamtheit günstigeren Tarifvertrages (Gesamtvergleich), von der ganz h. M. abgelehnt.93 Speziell zur Möglichkeit eines Gesamtgünstigkeitsvergleichs der auf der Ebene des Einzelarbeitsverhältnisses normativ konkurrierenden Tarifverträge heißt es, die Feststellung, welcher Tarifvertrag mit der Gesamtheit seiner Regelungen der günstigere ist, dürfte sich praktisch kaum durchführen lassen94, der Gesamtvergleich sei angesichts eines nahezu nicht vorhandenen Bewertungssystems praktisch unmöglich95; man könne schlechterdings nicht einen Tarifvertrag 90
Dafür Jacobs, NZA 2008, 325 (333). Dazu, dass das Günstigkeitsprinzip eine Kollisionsregel nur für das Verhältnis von schwächeren zu stärkeren Regelungen enthält und daher insbesondere keinen tauglichen Ansatz für die Auflösung von Tarifkonkurrenzen bietet, s. Band, Tarifkonkurrenz, S. 165 f.; F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 357; Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 131; Gamillscheg, KollArbR I, § 17 III. 3. c) (2) (d), S. 755; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 135; Jacobs, Tarifeinheit, S. 267; B. Müller, NZA 1989, 449 (450); Sattler, Tarifvereinheitlichung im Konzern, S. 139; Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 291; Wiedemann/Arnold, ZTR 1994, 399 (406 f.). 92 Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 470 m.w. N. 93 s. neben den soeben in Fn. 91 Genannten etwa noch Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 140; Reuter, JuS 1992, 105 (109 f.); A. Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 281; Waas, Tarifkonkurrenz, S. 35 ff.; Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, § 4 Rn. 184; Witzig, Tarifeinheit, S. 78 ff.; für subsidiäre Heranziehung des Günstigkeitsprinzips bei nicht feststellbarer Spezialität aber Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1491 ff., 1493 ff.; s. auch Konzen, ZfA 1975, 401 (429) für eine durch Verbandswechsel des Arbeitgebers (§ 3 Abs. 3 TVG) entstehende Tarifkonkurrenz. 94 Wiedemann/Arnold, ZTR 1994, 399 (407) m.w. N. 95 A. Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 281; ähnlich Reichel, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 110; Sattler, Tarifvereinheitlichung im Konzern, S. 139 f. 91
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 177
insgesamt als günstiger im Vergleich zu einem anderen Tarifvertrag bewerten.96 Auch Jacobs, der bei Tarifpluralität die arbeitsvertragliche Anwendung des insgesamt günstigeren Tarifvertrages als Konsequenz einer unklaren Verweisungsklausel und der Anwendung des § 305c Abs. 2 BGB befürwortet97, führt im Zusammenhang mit der Auflösung von Tarifkonkurrenzen aus, ein Gesamtgünstigkeitsvergleich sei wegen der Komplexität heutiger tariflicher Regelwerke kaum möglich98. Treffend spricht daher A. Stein mit Blick auf die möglichen Konsequenzen der Anwendung von § 305c Abs. 2 BGB von dem „Dickicht eines Günstigkeitsvergleichs gesamter Tarifwerke“.99 Obwohl nicht die normative, sondern nur die Anwendung als inkorporierter Bestandteil des Einzelarbeitsvertrages in Rede steht, liegen auch Bedenken gegen einen solchen Gesamtvergleich unter dem Gesichtspunkt des Verbots der Tarifzensur100 und der Wertung des § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB nicht fern.101 Jedenfalls wäre nach dem Gesagten der Gesamtvergleich praktisch oftmals kaum durchführbar; die Anwendung des § 305c Abs. 2 BGB brächte dann kein Ergebnis, es drohte doch das Scheitern der Bezugnahmeklausel an ihrer Unklarheit (s. auch § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB102). (b) Generalisierend-abstraktes Günstigkeitsurteil als Konsequenz des Grundsatzes der objektiven Auslegung von AGB? Die generalisierend-abstrakte Betrachtungsweise ist jedoch alles andere als zwingend. Insbesondere ergibt sich aus dem Grundsatz der objektiven Auslegung von AGB keine Notwendigkeit, dem § 305c Abs. 2 BGB einen entsprechenden
96 F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 357; ebenso Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 291: Günstigkeitsvergleich zwischen zwei Tarifverträgen nicht durchführbar; s. auch Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 131; Waas, Tarifkonkurrenz, S. 38 f.; ferner Band, Tarifkonkurrenz, S. 166 f.; E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 293; in unterschiedlichen Zusamenhängen jüngst Greiner, Rechtsfragen, S. 241, 319, 422, 521. 97 Jacobs, NZA 2008, 325 (333). 98 Jacobs, Tarifeinheit, S. 267. 99 A. Stein, Anm. zu BAG 14. 12. 2005 AuR 2006, 366 (369). 100 Zum Verbot der Tarifzensur s. nur Gamillscheg, KollArbR I, § 16 III. 1. (1), S. 695 f.; Kempen/Zachert/Kempen, Grundl. Rn. 96; JKO/Krause, § 1 Rn. 110; Löwisch/Rieble, TVG, Grundl. Rn. 53; Däubler/Reim, § 1 Rn. 142; zu aktuellen Fragen von „Tarifzensur und Arbeitskampf“ s. H. Otto, FS Konzen, S. 663 ff. 101 Solche Bedenken äußert mit Blick auf eine Anwendung des Günstigkeitsprinzips zur Auflösung von Tarifkonkurrenzen Waas, Tarifkonkurrenz, S. 36; s. auch Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 131. 102 Zum Verhältnis von Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB und Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB s. allgemein Stoffels, AGB-Recht, Rn. 368; Wank/ Maties, Jura 2010, 1 (4 f.); dies., in: Riesenhuber/Karakostas, Inhaltskontrolle im nationalen und Europäischen Privatrecht, S. 93 (100 f.).
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
Sinngehalt beizumessen.103 Auch der 6. Senat des BAG, der sich jüngst gegen die individuell-konkrete Lesart der Unklarheitenregelung gewandt hat104, begründet seine Haltung nicht mit dem Grundsatz der objektiven Auslegung, wiewohl er diesen seiner Entscheidung zugrunde legt105. (aa) Nach ständiger Rechtsprechung des BGH106 gilt für die Auslegung von AGB der Grundsatz der objektiven Auslegung. AGB sind danach, ausgehend von der Verständnismöglichkeit eines rechtlich nicht vorgebildeten Durchschnittskunden, einheitlich, d. h. ohne Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles, so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden. Bedeutung kommt danach in erster Linie dem Wortlaut der vorformulierten Vertragsteile und seinem Verständnis aus der Sicht der typischerweise beteiligten Personen zu. Der Grundsatz der objektiven Auslegung erfährt im Schrifttum durchaus auch Kritik.107 Das gilt verstärkt für das Arbeitsrecht. Nach Auffassung des BAG ist der Arbeitsvertrag Verbrauchervertrag i. S. d. § 310 Abs. 3 BGB.108 Gemäß § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB sind bei Verbraucherverträgen bei der Beurteilung der unangemessenen Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB auch die den Vertragsschluss begleitenden Umstände zu berücksichtigen. Daraus sowie aus dem Fehlen eines Verbandsprozesses im Arbeitsrecht (§ 15 Unterlassungsklagengesetz) wird teilweise der Schluss gezogen, dass bei der Auslegung arbeitsvertraglicher AGB der AGB-rechtliche Ansatz einer generalisierenden und typisierenden Auslegung stärker in den Hintergrund trete.109 Allerdings sieht das BAG dies anders: Entsprechend dem Wortlaut des § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB sind seiner Meinung nach die den Vertragsschluss begleitenden Umstände nicht bei der Auslegung der AGB, sondern bei der Prüfung der unangemessenen Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB zu berücksichti-
103 So aber Röller/Wißmann, FS Küttner, S. 465 (471 f.); ebenso, wie sich aus seinen Nachweisen ergibt, Giesen, NZA 2006, 625 (627, Fn. 18); s. auch E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 356. 104 BAG 24. 9. 2008 AP BGB § 305c Nr. 11, unter A. III. 1. a) ee) der Gründe. 105 s. BAG 24. 9. 2008 AP BGB § 305c Nr. 11, unter A. III. 1. a) dd) der Gründe; zu den Argumenten des 6. Senats gegen eine individuell-konkrete Günstigkeitsbeurteilung bei § 305c Abs. 2 BGB s. noch unten B. III. 2. b) bb) (3) (d). 106 Nachweise bei MüKoBGB/Basedow, § 305c Rn. 22; Staudinger/Schlosser, § 305c Rn. 126; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer, § 305c BGB Rn. 74. 107 Exemplarisch Palandt/Heinrichs, 67. Aufl. 2008, § 305c Rn. 15 f. (anders jetzt Palandt/Grüneberg, 68. Aufl. 2009, § 305c Rn. 15 f.); s. auch schon Brandner, AcP 162 (1963), 237 (254 ff.); ferner WLP/Lindacher, § 305c Rn. 106 ff.; ablehnend auch Staudinger/Schlosser, § 305c Rn. 126, 130; Bamberger/Roth/H. Schmidt, § 305c Rn. 40. 108 Zuerst BAG 25. 5. 2005 AP BGB § 310 Nr. 1 (Preis/Franz). 109 Staudinger/Coester, § 310 Rn. 98; s. auch Staudinger/Schlosser, § 305c Rn. 126.
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 179
gen.110 Nach h. M. ist daher auch für das Arbeitsrecht vom Grundsatz der objektiven Auslegung auszugehen.111 (bb) Auch wenn aber die Auslegung von AGB-Klauseln generalisiert vorzunehmen ist, dient sie doch im konkreten Vertragsstreit immer nur der Anwendung des Vertragsinhalts auf ein bestimmtes, tatsächliches Geschehen. Insoweit kann eine generalisiert auszulegende Klausel im Hinblick auf verschiedene tatsächliche Gestaltungen der Vertragsabwicklung gerade wegen der Unklarheitenregel auch zu verschiedenen Bedeutungen führen.112 (c) Der konkrete Vertragsstreit als Bezugspunkt der Unklarheitenregelung Die zuletzt wiedergegebenen Ausführungen von Koch/Stübing weisen den Weg zum zutreffenden – individuell-konkreten – Verständnis der Unklarheitenregel. Die Anwendung des § 305c Abs. 2 BGB knüpft an einen konkreten Vertragsstreit der Parteien an. Es muss festgestellt werden, welche Auslegung in diesem konkreten Vertragsstreit zu Lasten des Verwenders geht, umgekehrt für den Vertragspartner günstig ist. Zutreffend schreibt Däubler: Was „günstiger“ ist, muss nach der jeweiligen prozessualen Situation entschieden werden, die sich auf der Zeitachse ändern kann.113 Demgegenüber ist das Argument, die Auslegung könne sich nicht mit der weiteren tariflichen Entwicklung wandeln, sondern entscheide sich im Moment des Vertragsabschlusses114, nicht zwingend. Denn fraglich ist ja bereits, ob es sich bei § 305c Abs. 2 BGB überhaupt um Fragen der Auslegung im eigentlichen Sinne handelt oder ob die Unklarheitenvorschrift nicht vielmehr eine an die (ergebnislos gebliebene, d. h. mehrere Auslegungsvarianten als möglich erscheinend lassende) Auslegung anschließende gesetzliche Entscheidungsregel darstellt.115 110 BAG 7. 12. 2005 AP TzBfG § 12 Nr. 4 (V. Lindemann), unter B. III. 2. a) der Gründe; ebenso die h. L.: Stoffels, AGB-Recht, Rn. 363; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer, § 305c BGB Rn. 107; im Ergebnis auch MüKoBGB/Basedow, § 305c Rn. 23 und § 310 Rn. 92; s. auch Larenz/M. Wolf, BGB AT, § 43 Rn. 32. 111 BAG 9. 11. 2005 AP BGB § 305c Nr. 4, unter II. 2. a) der Gründe; 7. 12. 2005 AP TzBfG § 12 Nr. 4 (V. Lindemann), unter B. III. 2. a) der Gründe; 3. 4. 2007 AP BAT § 2 SR 2l Nr. 21, unter B. II. 3. a) der Gründe; 24. 9. 2008 AP BGB § 305c Nr. 11, unter A. III. 1. a) dd) der Gründe; Preis, FS 50 Jahre BAG, S. 123 (129); Thüsing, AGB-Kontrolle, Rn. 89 f.; zuletzt Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 70 ff., 75 f., 82 f. 112 E. Koch/Stübing, § 5 Rn. 10. 113 Däubler, NZA Beilage 3/2006, S. 133 (134); DDBD/Däubler, § 305c BGB Rn. 43; zustimmend Franzen, FS ZVK-Bau, S. 57 (59); ErfK/Franzen, § 3 TVG Rn. 38. A. A. E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 357: Der nach § 305c Abs. 2 BGB durchzuführende Vergleich sei „unabhängig von der Vertragsanwendung im Einzelfall“. 114 Thüsing, AGB-Kontrolle, Rn. 198. 115 s. o. B. III. 2. b) aa).
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
An die allgemeinen Regeln über den für die Vertragsauslegung maßgeblichen Zeitpunkt kann man daher die Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB nicht binden, wenn man ihrem Zweck gerecht werden will, einen konkreten Vertragsstreit der Parteien zu entscheiden, d. h. die in einem konkreten Vertragsstreit für den Vertragspartner des Verwenders günstige Klauselbedeutung gesetzlich festzulegen. (aa) Kein Wahlrecht des Arbeitnehmers Zu einem Wahlrecht des Arbeitnehmers führt diese individuell-konkrete Betrachtungsweise indes nicht.116 Denn auch wenn auf die jeweilige prozessuale Situation abzustellen ist, kann nach § 305c Abs. 2 BGB doch nur einer solchen Auslegungsvariante zur Geltung verholfen werden, die in der unklaren Regelung als nach den herkömmlichen Auslegungsmethoden in Betracht kommende Variante angelegt ist.117 In einer (großen) dynamischen Bezugnahmeklausel, die auf die jeweils einschlägigen Tarifverträge verweist, ohne eigens Vorsorge für den Fall der Tarifpluralität zu treffen, sind jedoch nur die Auslegungsvarianten „Es gilt Tarifvertrag A“ und „Es gilt Tarifvertrag B“ angelegt. Ein Wahlrecht ergibt sich aus der Verweisungsregel unter keinen Umständen.118 (bb) Maßgeblichkeit der konkreten Prozesssituation und des jeweils geltend gemachten Anspruchs Individuell-konkretes Günstigkeitsurteil heißt vielmehr: Es setzt sich diejenige Auslegung durch, die im konkreten Rechtsstreit, in der konkreten Prozesssituation, für den Arbeitnehmer am günstigsten ist.119 Für den Fall der Tarifpluralität bedeutet dies, dass bei einer nicht auf diesen Fall abgestimmten und auch nach Auslegung mittels etwa der oben aufgezeigten Auslegungsgesichtspunkte wie Spezialität oder Repräsentativität unklaren Bezugnahmeklausel der für den Arbeitnehmer im konkreten Fall günstigste Tarifvertrag anzuwenden ist.120 Die Günstigkeit des einen oder des anderen Tarifvertrages im konkreten Fall bemisst sich nach dem jeweils geltend gemachten Anspruch.121 116 Insoweit zutreffend Giesen, NZA 2006, 625 (627); E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 355, 357; s. auch Clemenz, NZA 2007, 769 (772), aber auch Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 37. Allgemein gegen ein Wahlrecht des Arbeitnehmers als Rechtsfolge des § 305c Abs. 2 BGB auch BeckOK/Jacobs, § 305c BGB Rn. 28; zuletzt Greiner, Rechtsfragen, S. 524 (dort Fn. 888). 117 Giesen, NZA 2006, 625 (627); s. auch Krois, BLJ 2007, 17 (20) sowie Nicolai/ Krois, SAE 2007, 158 (160): Die Unklarheitenregel ist nicht so zu verstehen, dass durch sie eine Klausel in jede denkbare Richtung ausgelegt werden könnte. 118 Zutreffend Giesen, NZA 2006, 625 (627); E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 355, 357; insoweit auch Greiner, Rechtsfragen, S. 524 (dort Fn. 888). 119 Franzen, FS ZVK-Bau, S. 57 (59); ErfK/Franzen, § 3 TVG Rn. 38. 120 ErfK/Franzen, § 4 TVG Rn. 73.
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 181
(cc) Keine „Rosinentheorie“ Geboten ist allerdings folgende Klarstellung: Mit der individuell-konkreten Betrachtungsweise nicht begründbar wäre es, hinsichtlich ein und desselben Anspruchs noch zwischen anspruchsbegründenden und anspruchsvernichtenden Tarifvorschriften zu unterscheiden. Ist daher nach der Verweisungsklausel unklar, ob Tarifvertrag A oder Tarifvertrag B in Bezug genommen ist und macht der Arbeitnehmer eine tarifliche Einmalzahlung geltend, die in Tarifvertrag A in Höhe eines Monatsentgelts, in Tarifvertrag B nur in Höhe von 75% vorgesehen ist, so führt die Unklarheitenregelung zur Anwendung von Tarifvertrag A.122 In die Irre würde aber die Annahme führen, dass dann, wenn Tarifvertrag A eine Verfallfrist123 für tarifliche Ansprüche enthält und Tarifvertrag B nicht, § 305c Abs. 2 BGB die Anwendung von Tarifvertrag A hinsichtlich der Anspruchshöhe und die Anwendung von Tarifvertrag B hinsichtlich der Ausschlussfrist zur Folge habe, wenn der Arbeitnehmer den Anspruch nicht rechtzeitig i. S. d. in Tarifvertrag A geregelten Verfallklausel geltend macht. Denn diese Auslegungsvariante ist – wie ein, ebenfalls nicht begründbares, Wahlrecht des Arbeitnehmers – in der Klausel, die einen Tarifvertrag in seiner Gesamtheit zur Anwendung bringen will, nicht angelegt und kann daher auch über § 305c Abs. 2 BGB nicht zur Geltung gebracht werden. Das Gericht kann auch hier im konkreten Rechtsstreit nur Tarifvertrag A oder Tarifvertrag B als Bezugnahmeobjekt festsetzen, nicht aber Regelungen aus beiden Tarifverträgen kombinieren. Maßgeblich ist nach dem Gesagten die konkrete Prozesssituation, d. h., wenn die in Tarifvertrag A enthaltene Ausschlussfrist verstrichen ist, ist für den Arbeitnehmer günstiger die Anwendung von Tarifvertrag B, der zwar eine niedrigere Einmalzahlung vorsieht, aber keine Verfallklausel enthält.124 Mit der vorstehend vorgenommenen Klarstellung liegt in dem Abstellen auf den konkreten Rechtsstreit und den in der konkreten Prozesssituation geltend gemachten Anspruch keine – oder genauer: keine unzulässige – „Rosinenpickerei“125, sondern die normzweckgerechte126 und konsequente Anwendung von § 305c Abs. 2 BGB.127 121
Korinth, ArbRB 2007, 21 (22). Beispiel nach Korinth, ArbRB 2007, 21 (22). 123 Zur Rechtsfolge des Erlöschens eines Anspruchs bei Versäumen einer tariflichen Ausschlussfrist nur Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 713, 870. 124 Wie hier im Ergebnis Korinth, ArbRB 2007, 21 (22). 125 So aber gegen eine individuell-konkrete Günstigkeitsbeurteilung Klebeck, NZA 2006, 15 (17); Röller/Wißmann, FS Küttner, S. 465 (472); Seel, MDR 2006, 491 (493); Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458 (465); s. jetzt auch E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 354 ff. 126 s. allgemein zum Zweck der Unklarheitenregelung nur DDBD/Däubler, § 305c BGB Rn. 24; WLP/Lindacher, § 305c Rn. 124; Staudinger/Schlosser, § 305c Rn. 101; Soergel/U. Stein, § 5 AGBG Rn. 1; Stoffels, AGB-Recht, Rn. 365; Ulmer/Brandner/ Hensen/Ulmer, § 305c BGB Rn. 61. 122
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
(d) Die gegenteilige Auffassung des 6. Senats des BAG im Urteil vom 24. 9. 2008 Gegen die hier für zutreffend gehaltene individuell-konkrete Betrachtungsweise hat sich allerdings jüngst in einem obiter dictum der 6. Senat des BAG ausgesprochen. (aa) Die Entscheidung des 6. Senats Nach der insoweit überzeugenden Ansicht des 6. Senats führte bereits die Auslegung der streitbefangenen Bezugnahmeklausel nach allgemeinen Grundsätzen der Vertrags- und AGB-Auslegung zu einem eindeutigen Ergebnis. Demnach verblieben bereits keine Auslegungszweifel i. S. v. § 305c Abs. 2 BGB: „Für eine Anwendung der Unklarheitenregelung des § 305c II BGB ist angesichts dieses eindeutigen Auslegungsergebnisses kein Raum.“128 Alle weiteren Ausführungen des Senats zu § 305c Abs. 2 BGB stellen sich demnach als obiter dicta dar. Im Einzelnen äußert sich der Senat zur Unklarheitenregelung wie folgt: Die Anwendung dieser Vorschrift auf arbeitsvertragliche Klauseln, die auf ein Tarifwerk Bezug nehmen, scheitere auch daran, dass die Frage der Günstigkeit für den Arbeitnehmer nicht abstrakt und unabhängig von der jeweiligen Fallkonstellation beantwortet werden könne.129 Schon bei einer hinsichtlich der erfassten Tarifverträge unklaren statischen Verweisung könne die Anwendbarkeit oder Unanwendbarkeit eines Tarifvertrags je nach der vom Arbeitnehmer erstrebten Rechtsfolge für ihn günstig oder ungünstig sein, weil die Tarifverträge als von den Tarifvertragsparteien gefundene Kompromisse zumeist nicht nur für die Arbeitnehmer günstige, sondern auch ungünstige Regelungen enthielten. Bei Unklarheit darüber, ob die vertragliche Verweisung auf einen Vergütungstarifvertrag statisch oder dynamisch ist, könne man zwar bezogen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses130 davon ausgehen, dass eine dynamische Bezugnahme für den Arbeitnehmer stets günstiger ist, weil die Vergütungserhöhung durch spätere Tarifverträge die Regel sei und eine Vergütungsabsenkung kaum jemals vorkommen werde.131 Ob dies auch für die vertragliche Verweisung auf einen Mantel-
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Zutreffend Korinth, ArbRB 2007, 21 (22). BAG 24. 9. 2008 AP BGB § 305c Nr. 11, unter A. III. 1. a) ee) der Gründe; s. auch Greiner, NZA 2009, 877 (881). 129 Insoweit zustimmend jetzt Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 135, der § 305c Abs. 2 BGB hier aber ohnehin schon aus anderen Gründen für unanwendbar hält, s. a. a. O. S. 125 ff., 131 und bereits oben Fn. 58; s. auch Wank/Maties, in: Riesenhuber/Karakostas, Inhaltskontrolle im nationalen und Europäischen Privatrecht, S. 93 (102 f., 110 f.). 130 Verweis auf Thüsing, AGB-Kontrolle, Rn. 198. 131 Verweis auf BAG 9. 11. 2005 AP BGB § 305c Nr. 4. 128
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 183
tarifvertrag oder auf ein ganzes Tarifwerk angenommen werden könne, erscheine jedoch zweifelhaft. Jedenfalls, so der Senat weiter, könne man die Frage der Günstigkeit nicht je nach der Art des streitigen Anspruchs und des Zeitpunkts der Geltendmachung von Fall zu Fall unterschiedlich beantworten und damit von Fall zu Fall zu unterschiedlichen Auslegungsergebnissen hinsichtlich ein und derselben Bezugnahmeregelung kommen.132 Nach dieser Auffassung wäre, so der Senat, wenn es um die Anwendung eines Sanierungstarifvertrages mit Bestandsschutzregeln und für die Arbeitnehmer nachteiligen Eingriffen in das Entgeltgefüge gehe, in einem Kündigungsschutzprozess die Anwendung für den Arbeitnehmer günstiger, so dass die Bezugnahmeklausel anzuwenden wäre. Bei einer auf Vergütung gerichteten Leistungsklage wäre der Sanierungstarifvertrag dagegen ungünstiger und fände deshalb wegen der Unklarheitenregelung keine Anwendung. Bei einer verschlechternden Regelung wäre die Auslegung der Bezugnahmeklausel als statische Verweisung, bei einer verbessernden Bestimmung dagegen deren Auslegung als dynamische Bezugnahme für den Arbeitnehmer günstiger. Einer derart gespaltenen Auslegung der Vertragsklausel stehe jedoch entgegen, dass die Reichweite der Bezugnahme und die Anwendbarkeit eines Tarifvertrages gemäß § 256 ZPO zum Gegenstand einer (Zwischen-)Feststellungsklage gemacht werden und die entsprechende Feststellung dann in Rechtskraft erwachsen könnte.133 (bb) Würdigung Die eigentliche Begründung des 6. Senats dafür, dass es auf eine individuellkonkrete Günstigkeitsbeurteilung nicht ankomme, dass man also „die Frage der Günstigkeit nicht je nach der Art des streitigen Anspruchs und des Zeitpunkts der Geltendmachung von Fall zu Fall unterschiedlich beantworten und damit von Fall zu Fall zu unterschiedlichen Auslegungsergebnissen hinsichtlich ein und derselben vertraglichen Bezugnahmeregelung kommen“ könne, liegt in dem zuletzt zitierten Satz: „Einer derart gespaltenen Auslegung der Vertragsklausel steht jedoch entgegen, dass die Reichweite der Bezugnahme und die Anwendbarkeit eines Tarifvertrags gem. § 256 ZPO zum Gegenstand einer (Zwischen-)Feststel-
132 Verweis für die Gegenansicht auf DDBD/Däubler und Staudinger/Schlosser; dem BAG zustimmend jüngst F. Bayreuther, NZA 2009, 935 (936). 133 BAG 24. 9. 2008 AP BGB § 305c Nr. 11, unter A. III. 1. a) ee) der Gründe; im Ergebnis zustimmend E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 356 (mit Fn. 705) und jetzt auch F. Bayreuther, NZA 2009, 935 (936) sowie Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 135, s. auch S. 225; s. ferner aktuell Rinck, RdA 2010, 216 (218); außerdem Wank/Maties, in: Riesenhuber/Karakostas, Inhaltskontrolle im nationalen und Europäischen Privatrecht, S. 93 (102 f., 110 f.).
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
lungsklage gemacht werden und die entsprechende Feststellung dann in Rechtskraft erwachsen könnte.“134 Nun begegnet es jedoch stets Bedenken, die Lösung materiellrechtlicher Fragestellungen – hier: Auslegung der bürgerlichrechtlichen Vorschrift des § 305c Abs. 2 BGB135 – im Prozessrecht zu suchen.136 Diese allgemeine Maxime bedarf indes in ihrer Bedeutung für die hier gegebene Konstellation näherer Erläuterung. Zweifelhaft sind allerdings, was hier nur angedeutet werden kann, bereits die vom 6. Senat vorausgesetzten Prämissen, dass die Anwendbarkeit eines Tarifvertrages auf ein Arbeitsverhältnis zum Gegenstand einer Feststellungsklage nach § 256 ZPO gemacht werden und die entsprechende Feststellung in Rechtskraft erwachsen könne. a) Dass eine Klage auf Feststellung der Anwendbarkeit eines Tarifvertrages möglich ist, entspricht zwar ständiger Rechtsprechung des BAG sowohl für den Fall der Anwendbarkeit kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit nach §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG137 als auch für die Anwendbarkeit kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme138.139 Man kann indes mit guten Gründen die Ansicht vertreten, dass die 134
BAG 24. 9. 2008 AP BGB § 305c Nr. 11, unter A. III. 1. a) ee) der Gründe. Der materiellprivatrechtliche Charakter der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB ergibt sich zwar noch nicht zwingend aus dem Normstandort im BGB (zur nur begrenzten Aussagekraft der Normlozierung für die Zuordnung zum materiellen oder zum Prozessrecht s. Beys, FS Henckel, S. 1 [3]; Stein/Jonas/Brehm, vor § 1 Rn. 33; Häsemeyer, AcP 188 [1988], 149 [158]; Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, S. 5; Zöllner, AcP 190 [1990], 471 [477 ff.]; für das schweizerische Recht Walder, FS Henckel, S. 905 ff.), ist aber besonders dann evident, wenn man die Norm mit einer verbreiteten Auffassung als Auslegungsregel versteht; sie gehört dann ebenso dem materiellen Recht an wie etwa die §§ 133, 157 BGB (in eine Reihe mit den §§ 133, 157 BGB wird die Unklarheitenregel gestellt etwa von Staudinger/Schlosser, § 305c Rn. 101; E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 120, 131 m.w. N.). Aber auch, wenn man § 305c Abs. 2 BGB als gesetzliche Entscheidungsregel für den Fall begreift, dass die Auslegung zu keinem Ergebnis führt, gilt nichts anderes: Die Unklarheitenregel spricht dann eine gesetzliche Rechtsfolge für den Fall eines non liquet aus [s. schon oben B. III. 2. b) aa)] und rückt in die Nähe einer Entscheidung nach Beweislast (vgl. Wacke, JA 1981, 666 [668]) – auch Beweislastregeln aber gehören nach h. M. dem materiellen Recht an, vgl. Zöller/Greger, vor § 284 Rn. 15; Jauernig, Zivilprozessrecht, § 50 IV. 2., S. 166; Stein/Jonas/Leipold, § 286 Rn. 78 f.; Lüke, Zivilprozessrecht, Rn. 278; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 114 Rn. 32 ff.; s. aber demgegenüber auch Häsemeyer, a. a. O., S. 165 f.; vertiefend C. Heinrich, FS Musielak, S. 231 (238 ff.); vgl. ferner für die Schweiz Walder, a. a. O., S. 905 (mit Fn. 1). 136 Mit dem gleichen Ansatz kritisch zur Entscheidung des 6. Senats jetzt auch Greiner, NZA 2009, 877 (881). 137 Hierher gehört die vom 6. Senat im Urteil vom 24. 9. 2008 zum Beleg angeführte eigene Entscheidung vom 25. 6. 1998, AP TV Arb Bundespost § 1 Nr. 1, unter II. 1. der Gründe. Außerdem: BAG 27. 7. 1956 AP TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 3; 2. 10. 1990 AP TVG § 12a Nr. 1 (H. Otto); 29. 1. 1992 AP TVG § 3 Nr. 12, unter A. I. der Gründe; 30. 7. 1992 AP TV Ang Bundespost § 1 Nr. 1, unter B. I. der Gründe; LAG Berlin 2. 3. 1992 LAGE ZPO § 256 Nr. 6; aus der Literatur Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 31; Kempen/Zachert/A. Stein, § 4 Rn. 190. 135
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 185
Anwendbarkeit eines Tarifvertrages auf ein Arbeitsverhältnis mangels Vorliegens eines feststellungsfähigen „Rechtsverhältnisses“ i. S. v. § 256 ZPO überhaupt nicht Gegenstand einer Feststellungsklage sein kann. Gegen die verbreitete Marginalisierung des Tatbestandsmerkmals des „Rechtsverhältnisses“ in § 256 Abs. 1 ZPO, für die die gegenteilige Ansicht des BAG nur ein Beispiel unter vielen ist, hat sich mit beachtlichen Argumenten Jacobs gewandt.140 Seine am Zweck der Feststellungsklage orientierten Erwägungen können hier nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden. Es spricht wohl alles dafür, dass es sich bei einer Klage auf Feststellung der Anwendbarkeit eines Tarifvertrages auf ein Arbeitsverhältnis um eine unstatthafte Elementenfeststellungsklage handelt. Ein entsprechendes Feststellungsurteil wäre wohl entgegen der Auffassung des 6. Senats im Urteil vom 24. 9. 2008 – die Feststellung über die Anwendbarkeit eines Tarifvertrages kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme könne in Rechtskraft erwachsen – nicht der materiellen Rechtskraft nach § 322 Abs. 1 ZPO fähig (womit eine Feststellungsklage funktionslos wäre, da ihr Zweck – die Erlangung von Rechtsgewissheit durch materielle Rechtskraftwirkung – nicht erreicht werden könnte). Jacobs hält eine Klage auf Feststellung der Anwendbarkeit eines bestimmten Tarifvertrages auf ein Arbeitsverhältnis für unstatthaft.141 Im Ergebnis hat so auch das LAG 138 Hierher gehört die vom 6. Senat im Urteil vom 24. 9. 2008 zum Beleg angeführte Entscheidung des 4. Senats vom 28. 5. 1997, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 6 (Oetker), unter I. 1. der Gründe. Außerdem: BAG 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20 (P. Hanau/Kania), unter A. der Gründe; 28. 3. 1996 AP BeschFG 1985 § 2 Nr. 49, unter I., II. 1. der Gründe; 25. 10. 2000 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 13 (A. Stein), unter I. der Gründe; 26. 9. 2001 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 21 (Thüsing), unter I. 1. der Gründe; 20. 3. 2002 AP GG Art. 140 Nr. 53 (Richardi), unter II. 2. der Gründe; 25. 9. 2002 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 26, unter I. der Gründe; 15. 3. 2006 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 38, unter I. 1. der Gründe; 22. 10. 2008 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 66 (Zachert), unter I. der Gründe; s. auch BAG 9. 11. 2005 – 5 AZR 533/05 – juris, unter IV. 1. der Gründe, für eine auf Feststellung der Unanwendbarkeit von Tarifregelungen gerichtete Widerklage des Arbeitgebers; aus der Literatur P. Hanau/Kania, Anm. zu BAG 20. 3. 1991 a. a. O., unter I.; Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 31; Kempen/ Zachert/A. Stein, § 3 Rn. 162; ders., Anm. zu BAG 25. 10. 2000 a. a. O., unter 1. a); zuletzt Schaub, FS Buchner, S. 787 (789). 139 s. außerdem die Entscheidung BAG 26. 7. 2001 AP ZPO 1977 § 256 Nr. 63, in der die Frage nach der Tarifgeltung kraft beiderseitiger Tarifbindung oder kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklausel offen bleibt; des Weiteren BAG 17. 10. 2001 – 4 AZR 637/00 – juris, wo ein Teil der Kläger tarifgebunden war, einer hingegen nicht; parallel dazu BAG vom selben Tag, ZTR 2002, 377; jüngst BAG 21. 4. 2010 – 4 AZR 755/08 – juris. 140 Jacobs, Der Gegenstand des Feststellungsverfahrens. 141 Jacobs, Gegenstand, S. 300. Jacobs gelangt zu diesem Befund aufgrund noch weiterer, hier nicht darzustellender Erwägungen, die an eine materiellrechtliche Deutung der Feststellungsklage (Jacobs, a. a. O., S. 177 ff.) mit Hilfe einer Rückbesinnung auf das Tatbestandsmerkmal des „Rechtsverhältnisses“ (S. 181 ff.) und dessen Erklärung aus dem Zweck des Zivilprozesses als Mittel der Verwirklichung, des Schutzes und der Durchsetzung subjektiver Rechte (im Einzelnen Jacobs, a. a. O., S. 183 ff.) anknüpfen und in eine stärkere Rückbindung des „Rechtsverhältnisses“ i. S. v. § 256
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
Köln entschieden; eine Erstreckung des § 256 ZPO auf Klagen zur Feststellung der Geltung eines Tarifvertrages sei nur im Wege der Rechtsfortbildung möglich.142 b) Schließt man sich den wohl begründeten Überlegungen von Jacobs zur Klage auf Feststellung von Elementen von Rechtsverhältnissen an, so ist der Argumentation des 6. Senats des BAG für die Unanwendbarkeit des § 305c Abs. 2 BGB auf arbeitsvertragliche Klauseln, die auf ein Tarifwerk Bezug nehmen, der Boden entzogen. Demnach könnte mit der vermeintlichen Möglichkeit, die Anwendbarkeit eines Tarifvertrages via Feststellungsklage feststellen zu lassen und der vermeintlichen Möglichkeit einer entsprechenden rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung die hier für richtig gehaltene individuell-konkrete Lesart der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB, nach der die Günstigkeit der Bezugnahmeklausel für den Arbeitnehmer jeweils in der konkreten Prozesssituation für den jeweils geltend gemachten Anspruch zu beurteilen ist, entgegen dem 6. Senat nicht in Frage gestellt werden. g) Aber selbst auf der Grundlage der vom 6. Senat gesetzten Prämissen kann im Ergebnis nichts anderes gelten. Denn die Begründung des 6. Senats dafür, man könne die Frage der Günstigkeit für den Arbeitnehmer bei der Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB nicht je nach dem konkret geltend gemachten Anspruch aus der jeweiligen Prozesssituation heraus beurteilen, leidet, wie bereits angedeutet, an dem grundlegenden Mangel, die Lösung eines materiellrechtlichen Problems vom Prozessrecht her anzugehen.143 Es darf aber keine prozessrechtlichen Lösungen zur Bewältigung materiellrechtlicher Probleme geben144, ebenso wenig, wie umgekehrt prozessuale Probleme dadurch zu lösen versucht werden dürfen, dass man sie als materiellrechtliche Fragen deklariert145. Vielmehr ist zwischen materiell- und formellrechtlichem Kontext zu un-
Abs. 1 ZPO an das materielle Recht (dazu auch Zöllner, AcP 190 [1990], 471 [490 ff.]) münden (im Einzelnen Jacobs, a. a. O., S. 239 ff., zu den Schlussfolgerungen für die Elementenfeststellung S. 297 f.). 142 LAG Köln 11. 8. 1999 ZTR 2000, 220, das eine entsprechende Rechtsfortbildung „jedenfalls für die Fälle der vorliegenden Art“ für „nicht angebracht“ hielt. Eingehend zu der Möglichkeit einer Ausweitung der Rechtsschutzzone der Feststellungsklage durch Rechtsfortbildung Jacobs, Gegenstand, S. 314 ff., insbesondere zur Feststellung von Elementen eines Rechtsverhältnisses S. 339 ff. 143 Ebenso nunmehr die Kritik bei Greiner, NZA 2009, 877 (881). 144 Häsemeyer, AcP 188 (1988), 140 (152); zustimmend Jacobs, Gegenstand, S. 173. 145 Dazu mit Blick auf die Lösung des Großen Senats des BAG zum allgemeinen (d. h. außerhalb des § 102 Abs. 5 BetrVG anerkannten) Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers nach Kündigung Wank, RdA 1987, 129 (154); seiner Kritik unter dem hier akzentuierten Gesichtspunkt zustimmend Häsemeyer, AcP 188 (1988), 140 (160), der ebenfalls auch umgekehrt materiellrechtliche Lösungen zur Bewältigung prozessrechtlicher Probleme ablehnt (a. a. O. S. 158); s. auch P. Hanau, FS Zeuner, S. 53 (64).
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 187
terscheiden146 und sind materielle und formelle Rechtssätze aus ihrem je eigenen Kontext zu interpretieren.147 Eine die vom 6. Senat gesetzten Prämissen als richtig unterstellende, jedoch die Systemgrenzen zwischen materiellem Recht und Prozessrecht148 wahrende Lösung unserer Auslegungsfrage – es geht, das ist in Erinnerung zu rufen, um eine Frage der Gesetzesauslegung, die Frage nach der Auslegung des § 305c Abs. 2 BGB – ist wie folgt zu skizzieren: aa) Bereits in seiner, soweit ersichtlich, ersten Entscheidung zur Zulässigkeit einer Klage auf Feststellung der Anwendbarkeit eines Tarifvertrages hat das BAG argumentiert, die Frage nach dem „Rechtsverhältnis“ i. S. v. § 256 ZPO trete gegenüber der Erwägung zurück, dass mit der Feststellung eine unmittelbare Vorfrage des Rechtsstreits und mit ihrer Ablehnung der Streit der Parteien in vollem Umfang entschieden würde, woraus sich zugleich das Feststellungsinteresse des Klägers ergebe.149 In der Folge hat das BAG wiederholt, jeweils im Kontext des „rechtlichen Interesses“ an der Feststellung i. S. v. § 256 Abs. 1 ZPO und häufig anstelle eines Eingehens auf das Tatbestandsmerkmal „Rechtsverhältnis“, ausgeführt, durch die Beantwortung der Frage nach der Anwendbarkeit eines (bestimmten) Tarifvertrages werde eine Vielzahl von Einzelfragen dem Streit der Parteien endgültig entzogen und würden die tariflichen Rechte und Pflichten beider Parteien für die Zukunft grundsätzlich geklärt.150 Die Frage der Tarifanwendbarkeit sei für viele Rechtsansprüche zwischen den Parteien bedeutsam151, durch ihre Entscheidung würden zahlreiche einzelne Leistungsklagen vermieden152, so dass für die Annahme eines Feststellungsinteresses auch prozessökonomische
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Häsemeyer, AcP 188 (1988), 140 (162). Häsemeyer, AcP 188 (1988), 140 (161); zur Zuordnung der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB zum materiellen Privatrecht s. o. Fn. 135. 148 Vgl. Wank, RdA 1987, 129 (154) im Kontext eines Rechtsfortbildungsverbots wegen grundlegender Umgestaltung des Rechtssystems; s. auch P. Hanau, FS Zeuner, S. 53 (64): Grenzlinie zwischen materiellem Recht und Prozessrecht. 149 BAG 27. 7. 1956 AP TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 3. 150 BAG 2. 10. 1990 AP TVG § 12a Nr. 1 (H. Otto); 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20 (P. Hanau/Kania), unter A. der Gründe; 29. 1. 1992 AP TVG § 3 Nr. 12, unter A. I. der Gründe; 30. 7. 1992 AP TV Ang Bundespost § 1 Nr. 1, unter B. I. der Gründe; 25. 6. 1998 AP TV Arb Bundespost § 1 Nr. 1, unter II. 1. der Gründe; 26. 7. 2001 AP ZPO 1977 § 256 Nr. 63, unter I. 3. b) der Gründe; 20. 3. 2002 AP GG Art. 140 Nr. 53 (Richardi), unter II. 2. der Gründe; s. auch aktuell BAG 21. 4. 2010 – 4 AZR 755/08 – juris. 151 BAG 28. 5. 1997 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 6 (Oetker), unter I. 1. der Gründe; 25. 10. 2000 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 13 (A. Stein), unter I. der Gründe; 25. 9. 2002 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 26, unter I. der Gründe. 152 BAG 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20 (P. Hanau/Kania), unter A. der Gründe. 147
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
Gründe sprächen.153 Soweit man dem in der Literatur zustimmt, geschieht dies mit identischen Erwägungen.154 bb) Unabhängig davon, wie dieses Vorgehen, insbesondere unter dem Aspekt der Vernachlässigung des Tatbestandsmerkmals „Rechtsverhältnis“ durch Akzentverlagerung auf das Feststellungsinteresse, dogmatisch zu bewerten ist155, ist das unübersehbar in seinem Hintergrund stehende praktische Bedürfnis nach zukunftsbezogener Klärung streitiger Rechts(vor)fragen zwar im Grundsatz anzuerkennen.156 Eine Vertauschung der Prioritäten bedeutet es aber, diesem praktischen Bedürfnis auf der Ebene des Prozessrechts unbesehen nachzugeben, ohne zuvor die materielle Rechtslage auf entgegenstehende normative Festlegungen abzuklopfen. Vielmehr kann dem praktischen Bedürfnis nach zukunftsbezogener, präjudizieller Klärung der Rechte und Pflichten der Parteien nur in den Grenzen seiner Kompatibilität mit den materiellrechtlichen Vorgaben Rechnung getragen werden.157 Dies ergibt sich bereits aus der heute nahezu allgemein anerkannten dienenden Funktion des Prozessrechts gegenüber dem materiellen Recht158, die zwar dort von gegenläufigen Strömungen durchzogen sein mag, wo das Prozessrecht eigene Schutzanliegen verfolgt159, dadurch aber nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird160. 153 BAG 2. 10. 1990 AP TVG § 12a Nr. 1 (H. Otto); 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20 (P. Hanau/Kania), unter A. der Gründe; für eine umfassende Untersuchung des Grundsatzes der Prozessökonomie s. Jacobs, Gegenstand, S. 339 ff.; vgl. auch unter dem hier angesprochenen Gesichtspunkt des Verhältnisses von Prozessrecht und materiellem Recht Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, S. 232. 154 s. P. Hanau/Kania, Anm. zu BAG 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20, unter I.; A. Stein, Anm. zu BAG 25. 10. 2000 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 13, unter 1. a); kritisch zu ihm Jacobs, Gegenstand, S. 25. 155 Kritisch Jacobs, Gegenstand, S. 410. 156 Vgl. Jacobs, Gegenstand, S. 233, 339. 157 s. jetzt auch Greiner, NZA 2009, 877 (881); vgl. auch allgemein Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, S. 232: Es dürfen nicht um einer angeblichen Eigenständigkeit des Prozessrechts willen materiellrechtliche Wertungen aus der Auslegung der Prozessrechtssätze verbannt werden; in wieder anderem Zusammenhang C. Heinrich, FS Musielak, S. 231 (237): Das Prozessrecht diene der Durchsetzung einer bestimmten Rechtsposition, das materielle Recht passe sich nicht dem Prozessverlauf an; des Weiteren Gottwald, FS Henckel, S. 295 (295 f., 308). 158 Zu ihr nur Stein/Jonas/Brehm, vor § 1 Rn. 5, 92; w. N. bei Jacobs, Gegenstand, S. 188; kritisch Zöllner, AcP 190 (1990), 471 (474 ff.), der stärker das Verständnis von materiellem Recht und Prozessrecht als einer die Rechtslage insgesamt konstituierenden Sinneinheit betont; s. auch Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, S. 1 ff., 9, 23 ff., 41, 63 f., 232 ff., der Wechselbeziehungen zwischen Zivilprozessrecht und materiellem Zivilrecht in beiden Richtungen – sowohl als Abhängigkeit prozessualer von materiellrechtlichen Wertungen als auch als Bedingtheit materiellrechtlicher Folgen durch prozessuale Wertungen – aufzeigt; ferner Beys, FS Henckel, S. 1 (4, 10, 19). 159 Zöllner, AcP 190 (1990), 471 (475, 477 ff.); s. auch Beys, FS Henckel, S. 1 (10, 17); Stein/Jonas/Brehm, vor § 1 Rn. 92, 98; konzediert auch von Jacobs, Gegenstand, S. 189. 160 Jacobs, Gegenstand, S. 189.
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 189
Konkret bedeutet das: Erhebt ein Arbeitnehmer – oder auch ein Arbeitgeber161 – Klage auf Feststellung, dass ein (bestimmter) Tarifvertrag oder ein (bestimmtes) Tarifwerk, ggf. auch ein bestimmter Tarifvertrag von mehreren aufgrund Tarifpluralität in Betracht kommenden Tarifverträgen, aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklausel auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finde (oder keine Anwendung finde), und gelangt das Gericht nach Ausschöpfung der herkömmlichen Kriterien der Vertrags- und der AGB-Auslegung zu keinem eindeutigen Auslegungsergebnis, sondern verbleiben Zweifel und ist daher die Bezugnahmeklausel nach Überzeugung des Gerichts unklar i. S. d. § 305c Abs. 2 BGB, so kann die begehrte Feststellung schlicht – weder im positiven noch im negativen Sinne – nicht getroffen werden; denn die durch § 305c Abs. 2 BGB, der eine individuellkonkrete Günstigkeitsbeurteilung erfordert und nach dem es deshalb auf die konkrete Prozesssituation und auf den jeweils geltend gemachten Anspruch ankommt, konstituierte materielle Rechtslage lässt eine globale Feststellung, ob und ggf. welcher Tarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet, nicht zu.162 Nachdem diese materielle Rechtslage feststeht, ist – der dienenden Funktion des Prozessrechts gemäß – prozessual entsprechend zu verfahren. Regelmäßig wird der Streit der Arbeitsvertragsparteien über die Anwendbarkeit eines Tarifvertrages kraft arbeitsvertraglicher Verweisung nicht losgelöst von der konkreten Durchführung des Arbeitsverhältnisses entstanden sein, sondern sich an einem streitigen Anspruch oder mehreren streitigen Ansprüchen entzündet haben. An sich könnte dann das Bestehen oder Nichtbestehen dieses Anspruchs oder dieser Ansprüche („Rechtsverhältnis“ im engeren Sinne) festgestellt werden.163 § 305c Abs. 2 BGB ließe eine solche Feststellung mit seinem individuell-konkreten Ansatz der Günstigkeitsbeurteilung materiellrechtlich zu. Da aber die Feststellungsklage zwar nicht in einem generellen Sinne gegenüber der Leistungsklage subsidiär ist164, jedoch andererseits die Gefahr einer unnützen Prozessverdoppelung in sich trägt165, fehlt es am Feststellungsinteresse, wenn der Kläger mit Blick auf eine auch mögliche Leistungsklage für die begehrte Feststellung kein wirkliches Bedürfnis hat.166 Da das Feststellungsinteresse als Prozessvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist und noch in der letzten mündlichen Ver161 s. BAG 9. 11. 2005 – 5 AZR 533/05 – juris, zur durch den Arbeitgeber widerklagend begehrten Feststellung, dass bei der Zahlung der Vergütung Tarifrecht keine Anwendung finde. 162 Richtig Greiner, NZA 2009, 877 (881). 163 Vgl. allgemein Jacobs, Gegenstand, S. 34 f., 75, 248 f. 164 Gegen die Annahme eines rechtsverbindlichen Grundsatzes der Subsidiarität der Feststellungsklage im Zivilprozess zutreffend Jacobs, Gegenstand, S. 438 ff. 165 Jacobs, Gegenstand, S. 437, 442. 166 Jacobs, Gegenstand, S. 440 ff.
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
handlung gegeben sein muss167, müsste die Feststellungsklage an sich als unzulässig abgewiesen werden. Allerdings ist der Übergang von der Feststellungs- zur Leistungsklage keine Klageänderung (§ 264 Nr. 2 ZPO) und daher jederzeit auch noch im Berufungsverfahren möglich.168 Ist Klage auf Leistung möglich und fehlt deshalb das Feststellungsinteresse, weil der Streitstoff durch Leistungsklage in einem Prozess geklärt werden kann, so ist der Kläger hierauf nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO vom Gericht hinzuweisen, damit er gemäß § 264 Nr. 2 ZPO auf den Leistungsantrag übergehen kann.169 In einigen Fällen, in denen das BAG über die Zulässigkeit einer Feststellungsklage auf Feststellung der Anwendbarkeit eines Tarifvertrages zu befinden hatte, war der Feststellungsantrag bereits mit einem konkreten Zahlungsantrag verbunden170; in einem solchen Fall wäre bereits der Hinweis nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO auf entsprechende Beschränkung auf den Zahlungsantrag ausreichend. In Rechtskraft erwächst dann jeweils nur die Entscheidung über den jeweils geltend gemachten Anspruch. gg) Dies wäre – nochmals: unterstellt, dass überhaupt, wie der 6. Senat annimmt, auf Feststellung der Anwendbarkeit eines Tarifvertrages geklagt werden kann, eine solche Elementenfeststellungsklage also nicht schon am Tatbestandsmerkmal „Rechtsverhältnis“ in § 256 Abs. 1 ZPO scheitert, und dass die entsprechende Feststellung, wie der 6. Senat weiter annimmt, in Rechtskraft erwachsen kann – die prozessuale Lösung, die der durch § 305c Abs. 2 BGB in seiner zutreffenden Auslegung konstituierten materiellen Rechtslage entspricht. Demnach kommt es dann auf die prozessualen Bedenken des 6. Senats, einer durch § 305c Abs. 2 BGB bewirkten „gespaltenen“ Auslegung der Bezugnahmeklausel stehe entgegen, dass die Reichweite der Bezugnahme und die Anwendbarkeit eines Tarifvertrages gemäß § 256 ZPO zum Gegenstand einer (Zwischen-)Feststellungsklage gemacht werden und die entsprechende Feststellung dann in Rechtskraft erwachsen könnte, nicht an. Keinesfalls können diese Bedenken, die Richtigkeit ihrer Prämissen unterstellt, die Auslegung des § 305c Abs. 2 BGB in dem Sinne bestimmen, dass die Frage der Günstigkeit abweichend von der hier vertretenen Auffassung nicht je nach dem streitigen Anspruch und der konkreten Prozesssituation beantwortet werden könne, wie der 6. Senat meint. Eine systematische Auslegung des § 305c Abs. 2 BGB im Lichte des – seinerseits im Sinne der Prozessökonomie weit interpretierten – § 256 ZPO, wie sie offenbar dem 6. Senat in 167 Germelmann/Matthes/Müller-Glöge/Prütting/Germelmann, § 46 Rn. 84; aus der Rechtsprechung aktuell BAG 21. 4. 2010 – 4 AZR 755/08 – juris, Rn. 20 des Urteils. 168 Musielak/Foerste, § 256 Rn. 36; Zöller/Greger, § 256 Rn. 15c. 169 Zöller/Greger, § 256 Rn. 7a. 170 So in BAG 29. 1. 1992 AP TVG § 3 Nr. 12; 25. 10. 2000 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 13 (A. Stein); 15. 3. 2006 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 38.
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 191
seinem obiter dictum vom 24. 9. 2008 vorschwebt, stößt, da nun einmal materielle und formelle Rechtssätze aus ihrem je eigenen Kontext zu interpretieren sind171 und es keine prozessrechtlichen Lösungen zur Bewältigung materiellrechtlicher Probleme geben darf172, an die Systemgrenze zwischen materiellem Recht und Prozessrecht173 und kann daher die hier nach Maßgabe seines eigenen Normzwecks vorgenommene Auslegung des § 305c Abs. 2 BGB im Sinne einer individuell-konkreten Günstigkeitsbeurteilung nicht durchkreuzen.
Ergebnis zu B. Die Zulassung von Tarifpluralitäten bringt im Hinblick auf die Auslegung bestehender Bezugnahmeklauseln keine schwierigeren Probleme mit sich, als Bezugnahmeklauseln sie ohnehin auch schon unter der Geltung des Grundsatzes der betrieblichen Tarifeinheit insbesondere bezüglich statischer oder dynamischer Bezugnahmewirkung174 und bezüglich des Umfangs der Dynamik einer Bezugnahme (nur zeitdynamische Verweisung oder auch sachliche Dynamik175; bloße Gleichstellungsabrede oder „unbedingte zeitdynamische Verweisung“ im Sinne einer „konstitutiven Ewigkeitsklausel“176) aufgeworfen haben. Auslegungsgesichtspunkte wie Spezialität, Repräsentativität oder auch Priorität knüpfen an im Tarifkollisionsrecht schon bislang bekannte Topoi an und können auch in einem nicht mehr monistischen, sondern pluralistischen Koalitions- und Tarifsys171
s. nochmals Häsemeyer, AcP 188 (1988), 140 (161). Häsemeyer, AcP 188 (1988), 140 (152); Jacobs, Gegenstand, S. 173; für den hiesigen Zusammenhang jetzt Greiner, NZA 2009, 877 (881), der dem 6. Senat des BAG zutreffend die verfehlte Annahme einer Dominanz des Prozessrechts gegenüber dem materiellen Recht vorhält. 173 Zu ihr nochmals Wank, RdA 1987, 129 (154); im gleichen Zusammenhang P. Hanau, FS Zeuner, S. 53 (64). 174 Dazu BAG 9. 11. 2005 AP BGB § 305c Nr. 4. 175 Dazu früher BAG 4. 9. 1996 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 5 und zu der mit BAG 30. 8. 2000 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 12 (Waas) eingeleiteten Absetzbewegung J. C. Otto, Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, S. 172 ff., 195 ff.; aus der Rechtsprechung zuletzt BAG 29. 8. 2007 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 61, Leitsatz 1 und unter I. 5. b) der Gründe; 22. 10. 2008 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 66 (Zachert), unter II. 2. der Gründe; 22. 4. 2009 AP BetrVG 1972 § 99 Eingruppierung Nr. 38, unter B. VI. 2. der Gründe, Rn. 73 des Beschlusses; aus der Literatur F. Bayreuther, Anm. zu BAG 18. 4. 2007 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 53, unter 2.; Bepler, RdA 2009, 65 (75); Rinck, RdA 2010, 216 (217); s. aber auch Hohenstatt/Kuhnke, RdA 2009, 107 (109 f.). 176 Dazu jetzt BAG 14. 12. 2005 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 39 (Kort); 18. 4. 2007 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 53 (F. Bayreuther); 22. 10. 2008 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 67; 22. 4. 2009 AP BetrVG 1972 § 99 Eingruppierung Nr. 38; 26. 8. 2009 NZA 2010, 230; 23. 9. 2009 NZA 2010, 513; 18. 11. 2009 NZA 2010, 170; der Begriff der „konstitutiven Ewigkeitsklausel“ wurde geprägt von Henssler, FS Wißmann, S. 133 (136 ff.), das BAG (s. zuletzt vom 22. 10. 2008, a. a. O.) spricht von einer „unbedingten zeitdynamischen Verweisung“. 172
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tem177 adäquate Anhaltspunkte für die Klauselauslegung bieten. Einen – teilweise behaupteten – Vorrang einer bestimmten Auslegung (Bezugnahme auf den speziellsten oder den Mehrheitstarifvertrag) gibt es nicht.178 In Zweifelsfällen greift § 305c Abs. 2 BGB, der – zumindest unter Zugrundelegung der hier für richtig gehaltenen individuell-konkreten Betrachtungsweise, die den jeweils in der konkreten Prozesssituation für den Arbeitnehmer günstigsten Tarifvertrag zur Anwendung bringt – verhindert, dass arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln unter den Bedingungen des Tarifwettbewerbs reihenweise an ihrer Unklarheit scheitern179 und damit für eine systemgerechte, weil mit allgemeinen AGB-rechtlichen Grundsätzen harmonisierenden Einpassung der Tarifpluralität in das durch die arbeitsvertragliche Verweisung auf Tarifverträge sich ergebende Schnittfeld von Arbeitsvertrags- und Tarifrecht sorgt. Die vom 6. Senat des BAG jüngst gegen eine auf den jeweils geltend gemachten Anspruch abstellende Günstigkeitsbeurteilung als Rechtsfolge der Unklarheitenregelung vorgetragenen Argumente vermögen nicht zu überzeugen. Für den Arbeitgeber ist die Lösung von Auslegungsschwierigkeiten mittels § 305c Abs. 2 BGB misslich. Umso wichtiger ist eine sorgfältige Vertragsgestaltung, die aus sich heraus verständliche Bezugnahmeklauseln hervorbringt180 und auch Vorsorge für den Fall der Tarifpluralität trifft181. Deren Möglichkeiten und Grenzen sind als Nächstes auszuloten.
C. Möglichkeiten der künftigen Vertragsgestaltung I. Problemstellung Zur Anpassung der bisher gängigen Verweisungsklauseln an die durch die Freigabe von Tarifpluralitäten veränderte tarifkollisionsrechtliche Ausgangslage gibt es bereits eine Reihe von Vorschlägen; ein konsolidiertes Meinungsbild dazu, welche Gestaltungen rechtlich zulässig sind, lässt sich allerdings noch nicht feststellen. Unüberwindbare Schwierigkeiten sind im Bereich der Vertragsgestaltung aber durch den Wechsel von der betrieblichen Tarifeinheit zur realisierten Tarifpluralität nicht zu gewärtigen. Die Einschätzung, es sei völlig ungeklärt, wie im Falle einer realisierten Tarifpluralität rechtsgestaltend etwaige Auslegungsprobleme in neuen Arbeitsverträgen vermieden werden sollten182, ist bei Weitem 177
Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1074). s. nochmals zutreffend Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 305. 179 So noch Franzen, RdA 2001, 1 (9); Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1820; s. auch noch Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 305. 180 Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 37. 181 HWK/Henssler, § 3 TVG Rn. 32b. 182 Wallisch, FS Löwisch, S. 427 (441); in die gleiche Richtung A. Stein, Anm. zu BAG 14. 12. 2005 AuR 2006, 366 (369); Probleme sieht auch der Sachverständigenrat 178
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 193
zu pessimistisch. Richtig ist nur, dass der Wechsel von einem monistischen zu einem pluralistischen Tarifsystem183 erhöhte Anforderungen an die Gestaltung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln stellt.184 Bei der Formulierung von Bezugnahmeklauseln muss die Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb berücksichtigt werden.185 Abgesehen davon können (vermeintliche) Schwierigkeiten, die Bezugnahmepraxis auf die veränderte tarifrechtliche Lage abzustimmen, schon deswegen nicht als Einwand gegen das Modell eines Koalitions- und Tarifvertragspluralismus in Stellung gebracht werden186, weil man ganz unabhängig von der Frage „Tarifeinheit oder Tarifpluralität?“ vor dem Problem stehen kann, dass mehrere Tarifverträge (Tarifwerke) als Bezugnahmeobjekt in Betracht kommen. Dies gilt immer dann, wenn der Arbeitgeber – wie in der Regel – nur solche Tarifverträge arbeitsvertraglich zur Anwendung bringen will, die von ihrem Geltungsbereich her einschlägig sind. Existieren mehrere in diesem Sinne einschlägige Tarifverträge, so kann Unklarheit über die schuldrechtliche Tarifanwendung auch dann entstehen, wenn der Arbeitgeber überhaupt nicht tarifgebunden ist; denn auch nicht tarifgebundene Arbeitgeber machen häufig von der Möglichkeit der arbeitsvertraglichen Verweisung auf Tarifvorschriften Gebrauch. Mithin kommt es auf eine entsprechende Klarstellung, welches von mehreren einschlägigen Tarifwerken in das Arbeitsverhältnis inkorporiert sein soll, bereits in jedem Fall der Tarifmehrheit187 an, ohne dass eine Tarifpluralität vorzuliegen braucht.188 1. Kleine dynamische Bezugnahmeklauseln Soll eine kleine dynamische Bezugnahmeklausel verwendet werden, so muss der Arbeitgeber den maßgeblichen Tarifvertrag möglichst präzise, am besten nazur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2007/2008, Nr. 555, S. 363; jüngst Brocker, NZA Beilage 3/2010, S. 121 (125). 183 Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1074); Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 61. 184 Franzen, RdA 2001, 1 (9); s. auch dens., RdA 2008, 193 (196); ErfK/Franzen, § 4 TVG Rn. 72 f.; zustimmend Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 76; jüngst Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 221. 185 Vgl. schon vor der Rechtsprechungsänderung Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1076); Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 18, 51, 61 ff., 115; s. auch F. Bayreuther, NZA 2009, 935 (937); HWK/Henssler, § 3 TVG Rn. 32b; Insam/Plümpe, DB 2008, 1265 (1267); E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 378, 431, 435 und jüngst Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 221, 222 f.; aber auch Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (143 f.) sowie Jordan/Bissels, NZA 2010, 71 (73 f.). 186 Vgl. auch Franzen, RdA 2001, 1 (9); s. auch Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 76 f. 187 Zum Begriff der Tarifmehrheit s. o. Teil 1, Kapitel 2, unter C. 188 Vgl. Franzen, FS ZVK-Bau, S. 57 (68); Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 306.
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mentlich bezeichnen.189 In diesem Fall ist nur der konkret benannte Tarifvertrag Bezugsobjekt, die Gleichstellung der nicht organisierten Belegschaftsmitglieder bezieht sich nur auf ihn.190 Die Vereinbarung einer kleinen dynamischen Verweisungsklausel birgt allerdings den Nachteil in sich, dass diese Gestaltung nicht für zukünftige Entwicklungen offen ist.191 2. Große dynamische Bezugnahmeklauseln Mehr Flexibilität bietet dem Arbeitgeber die große dynamische Bezugnahmeklausel, deren Verwendung heute auch allenthalben empfohlen wird.192 Da diese aber in ihrer hergebrachten Formulierung schlicht auf den jeweils für den Betrieb einschlägigen Tarifvertrag in seiner jeweils gültigen Fassung lautet und es „den“ einschlägigen Tarifvertrag (das einschlägige Tarifwerk) im Falle einer Tarifmehrheit oder sogar Tarifpluralität nicht gibt, muss für diese Fälle Vorsorge getroffen werden, um zu vermeiden, dass die Klausel als unklar angesehen wird und den Gestaltungszielen des Arbeitgebers nicht gerecht wird.193 II. Diskussionsstand zur Gestaltung großer dynamischer Bezugnahmeklauseln unter Berücksichtigung etwaiger Tarifpluralitäten Um dem Auftreten etwaiger Tarifpluralitäten bei der Gestaltung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln Rechnung zu tragen, sind soweit ersichtlich vier Vorschläge in der Diskussion: 1. Allgemein gehaltener Verweis auf die Regeln zur Auflösung von Tarifkonkurrenzen Der erste Vorschlag geht dahin, in allgemein gehaltener Form an die Grundsätze für die Auflösung von Tarifkonkurrenzen anzuknüpfen. In die Bezugnahmeklausel ist danach ein Passus aufzunehmen, nach dem dann, wenn unterschiedliche Tarifverträge in Betracht kommen, das anzuwendende Tarifwerk nach den Grundsätzen der Tarifkonkurrenz zu bestimmen ist.194 189 Jacobs, NZA 2008, 325 (333); Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1820; jüngst Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 222. 190 Jacobs, NZA 2008, 325 (333). 191 Franzen, RdA 2008, 193 (196); Wallisch, FS Löwisch, S. 427 (441); Greiner, Rechtsfragen, S. 518; s. auch F. Bayreuther, NZA 2009, 935 (937). 192 s. statt vieler Henssler, FS Wißmann, S. 133 (155); Insam/Plümpe, DB 2008, 1265 (1267); J. C. Otto, Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, S. 207; zuletzt Jacobs, NZA Beilage 1/2009, S. 45 (52). 193 Vgl. Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 62. 194 Franzen, FS ZVK-Bau, S. 57 (68); ders., RdA 2008, 193 (196 f.); ErfK/Franzen, § 3 TVG Rn. 44; Giesen, NZA 2006, 625 (629 f.); HWK/Henssler, § 3 TVG Rn. 32b; Schiefer, SAE 2008, 22 (27).
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 195
2. Konkreter Verweis auf den günstigsten/den speziellsten/ den repräsentativsten Tarifvertrag Die Anknüpfung an die Regeln zur Auflösung von Tarifkonkurrenzen bringt nach dem derzeitigen Stand der BAG-Rechtsprechung in erster Linie den spezielleren der einschlägigen Tarifverträge zur Anwendung.195 Dies kann auch erreicht werden, indem ausdrücklich auf den speziellsten der Tarifverträge verwiesen wird.196 Daneben wird ebenfalls für möglich gehalten die Bezugnahme auf den (insbesondere für den Arbeitgeber) günstigsten Tarifvertrag.197 Gewichtige Stimmen empfehlen die Bezugnahme auf den repräsentativsten Tarifvertrag, d. h. auf denjenigen, der kraft Tarifbindung für die relative Mehrheit der im Betrieb (im Unternehmen) tätigen Arbeitnehmer (ggf. einer bestimmten Berufsgruppe) gilt.198 3. Statuierung eines einseitigen Bestimmungsrechts des Arbeitgebers Nach teilweise vertretener Ansicht ist es auch möglich, dem Arbeitgeber vertraglich das Recht einzuräumen, durch Leistungsbestimmung nach § 315 BGB das anwendbare Tarifwerk auszuwählen.199 195
HWK/Henssler, § 3 TVG Rn. 32b. Dafür F. Bayreuther, NZA 2009, 935 (937); Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458 (464, Fn. 68a); Wilhelm/Dannhorn, AuA 2006, 343 (345); s. auch E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 364; für möglich gehalten auch von Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 302; bei hinreichend präziser Formulierung auch von Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1077); Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 65; Greiner, Rechtsfragen, S. 522 f.; dem folgend jetzt Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 225 f. Von einer an das Spezialitätskriterium anknüpfenden Verweisungsklausel wird in dem Beschluss des LAG Baden-Württemberg vom 23. 2. 2005 – 4 TaBV 2/04 – juris, berichtet; das LAG hatte gegen die Klausel keine rechtlichen Bedenken, s. den Abschnitt B. II. 2. c) der Entscheidung. 197 Jacobs/E. M. Willemsen, JbArbR 45 (2008), 47 (68); Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1077); Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 65; E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 372; s. auch A. Stein, Anm. zu BAG 14. 12. 2005 AuR 2006, 366 (369, mit Fn. 31); Thüsing, AGB-Kontrolle, Rn. 182, der eine Formulierung vorschlägt, die in erster Linie auf den Tarifvertrag verweist, an den der Arbeitnehmer kraft Gewerkschaftsmitgliedschaft gebunden ist und hilfsweise (u. a.) eine Bezugnahme auf den für den Arbeitnehmer/Arbeitgeber günstigeren Tarifvertrag vorsieht; zuletzt Greiner, Rechtsfragen, S. 520 f.; Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 224 f., 227. 198 Jacobs, NZA 2008, 325 (333); ders., FS Birk, S. 243 (261); Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1076 f., 1079); Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 17 f., 64; Greiner, NZA 2009, 877; für möglich gehalten auch von Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 302; s. auch Jacobs/E. M. Willemsen, JbArbR 45 (2008), 47 (68); Thüsing, AGB-Kontrolle, Rn. 182, dessen Formulierungsvorschlag hilfsweise (u. a.) an den Tarifvertrag anknüpft, an den die größere Anzahl von Arbeitnehmern im Betrieb normativ gebunden ist; ferner jüngst Leuchten, AuA 2010, 146 (147) und monographisch Greiner, Rechtsfragen, S. 352, 356, 518 f. sowie Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 226 f.; beachte aber auch die Bedenken von F. Bayreuther, NZA 2009, 935 (937). 196
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4. Verweis auf den „nach der Tätigkeit einschlägigen jeweils geltenden Tarif“ Schließlich schlägt Reichold vor, auf den „nach der Tätigkeit einschlägigen jeweils geltenden Tarif“ zu verweisen.200 III. Grundlegung der eigenen Position Die Entwicklung der eigenen Position ist, entsprechend der eingangs der Arbeit201 formulierten Notwendigkeit, nicht nur die rechtsdogmatischen, sondern auch die damit zusammenhängenden praktischen Schwierigkeiten einer realisierten Tarifpluralität in den Blick zu nehmen, einer doppelten Zielsetzung verpflichtet: Die von der Rechtslehre unterbreiteten Vorschläge sollen zum einen und vor allem auf ihre rechtliche Zulässigkeit, zum anderen aber auch darauf hin abgeklopft werden, ob sie unter praktischen vertragsgestalterischen Gesichtspunkten empfehlenswert sind. Es geht, allgemein gesprochen, darum, Möglichkeiten wirksamer (rechtlich unbedenklicher) und zweckmäßiger Vertragsgestaltung aufzuzeigen.202 1. Unzureichender Verweis auf den „nach der Tätigkeit einschlägigen jeweils geltenden Tarif“ Der zuletzt dargestellte Vorschlag eines Verweises auf den „nach der Tätigkeit einschlägigen jeweils geltenden Tarif“203 krankt daran, dass es im Falle einer realisierten Tarifpluralität gerade mehrere nach der Tätigkeit einschlägige Tarifverträge geben kann.204 Das Phänomen der Tarifpluralität ist nicht beschränkt auf Konstellationen, in denen eine Spartengewerkschaft205 „ihren“ Berufsgruppenta199 Klebeck, NZA 2006, 15 (20); Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 302; Fuchs/Reichold, Tarifvertragsrecht, Rn. 199; s. auch ErfK/Franzen, § 3 TVG Rn. 44; nicht grundsätzlich ausgeschlossen auch von Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (143 f.). 200 Reichold, RdA 2007, 321 (327); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 146 (147). 201 s. o. Teil 1, Kapitel 1, unter B. III. 2. b). 202 Vgl. allgemein Preis, Grundfragen, S. 379; Preis/Preis, Arbeitsvertrag, I A Rn. 5. 203 Reichold, RdA 2007, 321 (327); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 146 (147). 204 Aus diesem Grund führt auch bei bestehenden, nicht eigens auf den Fall der Tarifpluralität abgestimmten Bezugnahmeklauseln die Frage nach der Tätigkeit des jeweiligen Arbeitnehmers (vgl. Jacobs, Tarifeinheit, S. 180) nicht immer ohne weiteres zum (Auslegungs-)Ziel, s. o. B. II. 2. 205 Zum Begriff der „Spartengewerkschaft“ Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 40; Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (242 ff., mit Fn. 5); kritisch Hromadka, NZA 2008, 384, der den Begriff „Berufsgruppengewerkschaft“ bevorzugt (so jüngst auch Meik, NZA Beilage 3/2010, S. 116, dort Fn. 1; wohl auch Blanke, KJ 2008, 204); für die Verwendung
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rif neben einen Branchentarifvertrag platziert206 oder zwei Berufsgruppentarife nebeneinander bestehen, in denen mithin die persönlichen Geltungsbereiche der Tarifverträge207 sich nicht überschneiden. Reichold selbst behandelt den Fall, dass in einem Krankenhaus ein Tarifvertrag für Ärzte vom Marburger Bund (MB) und einer von ver.di zusammentreffen; hier wären bei Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb Ärzte mit MB-Mitgliedschaft nach MB-Tarif zu bezahlen und Ärzte mit ver.di-Mitgliedschaft nach ver.di-Tarif.208 Gerade ein solcher Fall lag nunmehr auch dem Anfragebeschluss des 4. Senats des BAG vom 27. Januar 2010 zugrunde: Dort trafen der zwischen der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) und ver.di geschlossene Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst in der für den Bereich der VKA geltenden Fassung (TVöD/VKA) und der zwischen VKA und – vertreten durch DAG/ver.di – Marburger Bund geschlossene Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) aufeinander. Der Senat ging zutreffend vom Vorliegen einer Tarifpluralität aus.209 Die Anknüpfung der Verweisungsklausel an den „nach der Tätigkeit einschlägigen jeweils geltenden Tarif“ hilft im Hinblick auf solche Fallgestaltungen nicht weiter. Wenn Reichold die Einschätzung äußert, der Arbeitgeber werde im „ÄrzteFall“ eine Gehaltsspaltung im gleichen Betrieb innerhalb der gleichen Berufsgruppe durch entsprechende Bezugnahmeklauseln zu verhindern wissen, um eine Gleichbehandlung von mehrheitlich organisierten Ärzten einerseits und anders oder nicht organisierten Ärzten andererseits zu erreichen210, so bedarf dies auch des Begriffs „Spartengewerkschaft“ spricht aber, dass damit alle Gewerkschaften erfasst werden können, die die Interessen bestimmter Berufsgruppen vertreten und eigene Tarifverträge für Angehörige dieser Berufsgruppe erstreben, ohne dass es auf ihre Organisation nach dem Berufsverbands- oder nach dem Industrieverbandsprinzip ankommt, s. Bürger, a. a. O., S. 40 (mit Fn. 26), Kamanabrou, a. a. O., S. 243 f. (mit Fn. 5), die beide darauf hinweisen, dass etwa die GDL satzungsgemäß nach dem Industrieverbandsprinzip organisiert ist (s. dazu auch Klein, Minderheitsgewerkschaften, S. 47 mit Fn. 17); demgegenüber könnte der Begriff der „Berufsgruppengewerkschaft“ eine Beschränkung auf solche Verbände nahe legen, die nach dem Berufsverbandsprinzip organisiert sind. 206 Zu diesem Fall Reichold, RdA 2007, 321 (325). 207 Die Terminologie hinsichtlich der verschiedenen tarifvertraglichen Geltungsbereiche ist uneinheitlich, s. dazu Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 93 ff.; in der dortigen Terminologie (s. a. a. O. Rn. 101, 173, 218) handelt es sich um den fachlichen Geltungsbereich als Unterfall des persönlichen Geltungsbereichs i. w. S. S. im vorliegenden Zusammenhang auch Franzen, RdA 2008, 193 (195) und dens., ZfA 2009, 297 (301), der anschaulich vom „tätigkeitsbezogenen“ Geltungsbereich spricht; vom „arbeitnehmerbezogenen“ Geltungsbereich spricht Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 38. 208 Reichold, RdA 2007, 321 (325); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 146; s. jetzt auch F. Bayreuther, ZfA 2009, 747 (766). 209 BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. a) bb) der Gründe, Rn. 38 des Beschlusses. 210 Reichold, RdA 2007, 321 (325); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 146; in diese Richtung wohl auch Löwisch bei Kalb, RdA 2007, 379 (381), der meint, die Probleme der Tarifpluralität könnten durch Bezugnahmeklauseln (oder Anschlusstarifverträge) gelöst oder doch minimiert werden.
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deshalb zumindest einer klarstellenden Erläuterung: Mit der von Reichold empfohlenen Anknüpfung der Verweisungsklausel an den „nach der Tätigkeit einschlägigen jeweils geltenden Tarif“ ist dem Arbeitgeber insofern schon deshalb nicht geholfen, weil bei realisierter Tarifpluralität sowohl der MB- als auch der ver.di-Tarif nach der Tätigkeit einschlägige geltende Tarifverträge sind, so dass schon unklar bliebe, mit welchen organisierten Ärzten die nicht organisierten Ärzte gleichgestellt werden sollten. Und auch im Übrigen kann eine Gleichbehandlung aller drei Arbeitnehmergruppen mit der Folge einer „faktischen“ Tarifeinheit im Betrieb hier kaum gelingen: Für die anders organisierten Arbeitnehmer, deren Tarifvertrag nicht in Bezug genommen ist, kann die Bezugnahme wegen der zwingenden Wirkung „ihres“ Tarifvertrages nur im Rahmen des Günstigkeitsprinzips nach § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG211 wirken. Eine Gleichstellung dieser Arbeitnehmergruppe mit den beiden anderen Gruppen – nicht organisierte und (mehrheitlich) anders organisierte Arbeitnehmer – könnte via Bezugnahme mithin allenfalls in dem Umfang erreicht werden, in dem der in Bezug genommene Tarifvertrag für sie günstigere Regelungen enthält als der auf ihr Arbeitsverhältnis im Zuge der realisierten Tarifpluralität normativ einwirkende Tarif. Praktisch dürfte indes selbst eine solche auf einzelne Regelungsgegenstände begrenzte Gleichstellung – etwa hinsichtlich des Arbeitsentgelts – aller Arbeitnehmer des Betriebs misslingen: Denn die Auslegung der Bezugnahmeklausel wird in der Regel ergeben, dass das in Bezug genommene Tarifwerk insgesamt und einheitlich angewandt werden soll212; in der Folge ist hier der – sonst bei § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG durchzuführende – Sachgruppenvergleich213 ausgeschlossen und würde sich der in Bezug genommene Tarifvertrag nur dann gegenüber dem normativ wirkenden durchsetzen, wenn er insgesamt günstiger ist.214 Da ein solcher, hier nach dem Parteiwillen ausnahmsweise maß211 Zur Anwendbarkeit des Günstigkeitsprinzips in diesem Fall s. an dieser Stelle nur ErfK/Franzen, § 3 TVG Rn. 33; Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1076); zur neuen, zutreffenden Rechtsprechung des 4. Senats in dieser Frage s. bereits oben A. I. 1. 212 Franzen, RdA 2008, 193 (197); ErfK/Franzen, § 4 TVG Rn. 37; Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 265; Wiedemann/Oetker, § 3 Rn. 291; so jetzt auch Jacobs, NZA Beilage 1/2009, S. 45 (53). 213 Zur grundsätzlichen Maßgeblichkeit des Sachgruppenvergleichs s. Gamillscheg, KollArbR I, § 18 V. 5. a), S. 852 ff.; JKO/Jacobs, § 7 Rn. 34 ff.; Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 299 ff.; A. Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 606; Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 467 ff.; Kempen/Zachert/Zachert, § 4 Rn. 310; anders Däubler/Deinert, § 4 Rn. 653 ff., 663 ff., 665: Einzelvergleich mit analoger Anwendung von § 139 BGB. 214 Franzen, RdA 2008, 193 (197); ErfK/Franzen, § 4 TVG Rn. 37; Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 265; tendenziell auch Wiedemann/Oetker, § 3 Rn. 291 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BAG. Demgegenüber für einen Sachgruppenvergleich in einem obiter dictum BAG 17. 4. 2002 AP BGB § 611 Mehrarbeitsvergütung Nr. 40, unter I. 1. d) der Gründe; gegen Gesamt- und für Sachgruppenvergleich in der in Rede stehenden Konstellation auch Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 336 und jüngst Schwarz, BB 2010, 1021 (1022) sowie Rinck, RdA 2010, 216 (219); wohl auch Jacobs/E. M. Willemsen, JbArbR 45 (2008), 47 (58, mit Fn. 76); demgegenüber für Gesamtvergleich jetzt aber
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 199
geblicher Gesamtvergleich215 angesichts der Vielzahl von Vergleichspunkten kaum sicher und nachvollziehbar durchgeführt werden kann216, wird sich in der Regel eine günstigere Regelung nicht ausmachen lassen217; damit setzt sich für die anders tarifgebundenen Arbeitnehmer der normativ geltende Tarifvertrag durch218, so dass die Herstellung einer „faktischen“ Tarifeinheit im Betrieb via arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklausel scheitert und es entgegen Reichold etwa doch zu einer Gehaltsspaltung im gleichen Betrieb innerhalb der gleichen Berufsgruppe kommen kann.219 Ob es deshalb durch die Akzeptanz von Tarifpluralitäten tatsächlich zu unterschiedlichen Arbeitsbedingungen innerhalb derselben Beschäftigtengruppen eines Betriebes kommen wird, bleibt abzuwarten. Thüsing/von Medem prognostizieren, die Entwicklung werde realistischerweise auch bei Zulassung von Tarifpluralität dahin gehen, dass jedenfalls innerhalb einer Beschäftigtengruppe im Betrieb annähernd gleiche Tarifbedingungen herrschen. Der Wettbewerb werde dafür sorgen, dass sich entweder eine Gewerkschaft durchsetzt oder die Gewerkschaften zur Erhöhung ihrer Schlagkraft zusammenarbeiten.220 Jacobs, NZA Beilage 1/2009, S. 45 (53); ders., FS Buchner, S. 342 (348 f.); für Sachgruppenvergleich ohne Problematisierung Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (131); Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 182 f.; Greiner, NZA 2009, 877 (878 f.); implizit auch Lembke, Arbeitskampfbeteiligung, S. 169; ohne eigene Stellungnahme HWK/Henssler, § 4 TVG Rn. 42. Zuletzt wird ein Gesamtvergleich für diese Konstellation zumindest offen diskutiert von Bepler, RdA 2009, 65 (75), dagegen abgelehnt von Greiner, Rechtsfragen, S. 511 (mit Fn. 830); vgl. auch Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 133 ff., 205 f., 208, 210, 217, 219. 215 Regelmäßig, d. h. außerhalb von Bezugnahme-Fällen, steht demgegenüber der Wille der Arbeitsvertragsparteien einem Gesamtvergleich gerade entgegen, s. Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 470. 216 Allgemein Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 470. 217 Franzen, RdA 2008, 193 (197); ErfK/Franzen, § 4 TVG Rn. 37; insoweit a. A. allerdings Bepler, RdA 2009, 65 (75); wie hier jüngst auch Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 208, 217. 218 Franzen, RdA 2008, 193 (197); ErfK/Franzen, § 4 TVG Rn. 37; s. jetzt auch Jacobs, NZA Beilage 1/2009, S. 45 (53); Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 208, 217; allgemein zu dieser Rechtsfolge bei nicht feststellbarer Günstigkeit Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 478. Damit erledigen sich auch die Bedenken von Gamillscheg, KollArbR I, § 17 III. 3. c) (7), S. 758. 219 Wie hier im Ergebnis auch Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1076): Vom Regelungsziel der „echten Tarifeinheit“ müsse man sich verabschieden, weil es in einem System des Koalitions- und Tarifpluralismus nicht nur einen einzigen im Betrieb anwendbaren Tarifvertrag, sondern eine Vielfalt von Tarifverträgen gebe; Ziel der Gleichstellungsabrede könne vor diesem Hintergrund lediglich die Gleichstellung der nichtorganisierten mit einer Mehrheit (Hervorhebung aus dem Original übernommen) der tarifgebundenen Beschäftigten sein, also die Realisierung einer partiellen Tarifeinheit; s. auch Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 22 sowie jüngst Greiner, Rechtsfragen, S. 158, 502, 518, 527 und Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 116, 176, 184, 195, der ebenfalls den Vorschlag Reicholds ablehnt, S. 223. 220 Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (514); ebenso Jacobs, NZA 2008, 325 (330), der darauf hinweist, dass sich etwa für die Piloten die Vereinigung Cockpit als alleinige
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2. Zulässiger Verweis auf den (für den Arbeitgeber) günstigsten Tarifvertrag Ein Verweis auf den für den Arbeitgeber günstigsten Tarifvertrag begegnet keinen grundsätzlichen rechtlichen Bedenken, ebenso wenig ein solcher auf den für den Arbeitnehmer günstigsten Tarifvertrag. Mit Blick auf das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB wird aber eine Präzisierung der Kriterien zur Ermittlung der „Günstigkeit“ in der Klausel gefordert.221 Dabei gelte es, die Unwägbarkeiten eines umfassenden Sachgruppenvergleichs222 unbedingt zu vermeiden. Sie würden bei der bloßen Bezugnahme auf den „günstigsten“ Tarifvertrag zur Intransparenz der Klausel führen. Transparenz könne nur durch eine Beschränkung auf präzise Kernkriterien der Günstigkeit, etwa das Verhältnis von Arbeitszeit und Arbeitsentgelt bei gleicher Tätigkeit223, erreicht werden.224 Unter „taktischen“ Gesichtspunkten mag gegen eine Inbezugnahme des für den Arbeitgeber günstigsten Tarifwerks die Überlegung sprechen, dass diese für den nicht organisierten Arbeitnehmer einen Anreiz schaffen könnte, der anderen tarifschließenden Gewerkschaft beizutreten und so über die zwingende Wirkung deren Tarifvertrages die für ihn ungünstigeren arbeitsvertraglich inkorporierten Bedingungen abzustreifen.225 Weitergehend erwartet Bepler sogar eine tatsächliche Praxis, die in weitem Umfang den jeweils für den Arbeitnehmer günstigsten Tarifvertrag im Falle von Tarifpluralität anwendet. Tarifgebundene Arbeitgeber hätten in der Vergangenheit (unter der Geltung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb) wenig Neigung gezeigt, den nicht organisierten Arbeitnehmern die tariflichen Arbeitsbedingungen vorzuenthalten und dadurch der im Betrieb allein tarifliche Arbeitnehmervertretung praktisch durchgesetzt hat; s. dazu auch Giesen, NZA 2009, 11 (17); Hromadka, NZA 2008, 384 (388); F. Bayreuther, ZfA 2009, 747 (766, 771); Reichold, FAZ vom 1. 7. 2010, S. 8; außerdem Bepler, NZA Beilage 3/2010, S. 99 (100, Fn. 4) und Fritz/Meyer, NZA Beilage 3/2010, S. 111 sowie Monopolkommission, Hauptgutachten 2008/2009, S. 336, Nr. 938. 221 Klauselvorschläge bei Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 64, Typ 7 b) und Greiner, Rechtsfragen, S. 521. 222 Zur Durchführung des Sachgruppenvergleichs beim tarifrechtlichen Günstigkeitsprinzip nach § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG s. Gamillscheg, KollArbR I, § 18 V. 5., S. 853 ff.; JKO/Jacobs, § 7 Rn. 38 ff.; Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 302 ff., 310 ff.; Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 471 ff.; Kempen/Zachert/Zachert, § 4 Rn. 311 ff. 223 s. zu der damit allein angesprochenen quantitativen Dimension des Günstigkeitsprinzips Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 433. 224 Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1077); Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 65; Greiner, Rechtsfragen, S. 521; dem folgend Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 224 f., 227; weitergehend, aber wohl zu streng hält A. Stein, Anm. zu BAG 14. 12. 2005 AuR 2006, 366 (369, mit Fn. 31) eine Anknüpfung an das für den Arbeitgeber günstigste Tarifwerk als dynamische Verweisung für wirksam formulierbar nur durch konkrete Benennung des Tarifwerks; s. demgegenüber die Klauselvorschläge bei Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 64, Typ 7 b) und bei Greiner, a. a. O. 225 A. Stein, Anm. zu BAG 14. 12. 2005 AuR 2006, 366 (369).
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maßgeblichen Gewerkschaft Mitglieder in die Arme zu treiben; vielmehr hätten sie auch deshalb die einschlägigen Tarifverträge allgemein vertraglich in Bezug genommen.226 Es spreche einiges dafür, dass sie unter veränderten tarifkollisionsrechtlichen Bedingungen genauso wenig ein Interesse daran haben würden, der erfolgreicheren Gewerkschaft durch arbeitsvertragliche Nichtanwendung ihrer Tarifverträge zu helfen. Daher werde wohl im Falle der Tarifpluralität regelmäßig der arbeitnehmergünstigere Tarifvertrag flächendeckend angewendet werden.227 3. Abstrakte Anknüpfung an die „Grundsätze der Tarifkonkurrenz“ Gegen einen Verweis auf die „Grundsätze der Tarifkonkurrenz“228 wird eingewandt, dieser Klauselvorschlag sei intransparent.229 Wie gesagt230 würde durch das Abstellen auf die Regeln zur Auflösung von Tarifkonkurrenzen nach der derzeitigen BAG-Rechtsprechung in erster Linie das Kriterium der Spezialität zur Entscheidung über den in Bezug genommenen Tarifvertrag berufen. Preis/Greiner meinen, der Verweis auf den „speziellsten“ Tarifvertrag bedürfe wegen der mangelnden Präzision des Begriffs einer zusätzlichen vertraglichen Konkretisierung im Hinblick auf die Kriterien, anhand derer die Spezialität ermittelt wird.231 So könne z. B. bestimmt werden, dass ein Firmentarifvertrag stets spezieller ist als ein Verbandstarifvertrag oder dass der nur für das Bundesland geltende Tarifvertrag spezieller ist als der bundesweit geltende.232 Auf diese Kritik an einer Anknüpfung an die Regeln zur Auflösung von Tarifkonkurrenzen wird erwidert, dass damit eine richterrechtlich entwickelte Kolli226 Zu dieser Motivation für die Verwendung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln s. bereits Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1719. 227 Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (143); s. jetzt auch Greiner, Rechtsfragen, S. 4, aber auch S. 158, 513 f., 527. – Eine ausdrückliche Verweisung auf den für den Arbeitnehmer günstigeren Tarifvertrag empfiehlt Bepler aber nicht, da die damit erzielten Ergebnisse für den Arbeitgeber schwer kalkulierbar seien; dieser solle daher einseitig eine Wahl in dem genannten Sinne treffen und dabei die Vorläufigkeit und Widerruflichkeit deutlich machen. 228 Empfohlen von Franzen, FS ZVK-Bau, S. 57 (68); dems., RdA 2008, 193 (196 f.); ErfK/Franzen, § 3 TVG Rn. 44; Giesen, NZA 2006, 625 (629 f.); HWK/ Henssler, § 3 TVG Rn. 32b; Schiefer, SAE 2008, 22 (27). 229 Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1077, Fn. 57); Greiner, Rechtsfragen, S. 522 (Fn. 881). 230 s. o. C. II. 2. sowie nochmals HWK/Henssler, § 3 TVG Rn. 32b. 231 s. auch Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 65 sowie jetzt Greiner, Rechtsfragen, S. 522 f. und Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 225 f. Keine Bedenken gegen eine schlichte Anknüpfung an den „spezielleren“ Tarifvertrag hingegen bei LAG Baden-Württemberg 23. 2. 2005 – 4 TaBV 2/04 – juris, im Abschnitt B. II. 2. c) des Beschlusses. 232 Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1077); Greiner, Rechtsfragen, S. 523; Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 225 f.
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sionsnorm objektiven Rechts zur Entscheidung berufen werde. Eine solche Vertragsklausel halte der Transparenzkontrolle des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB stand, da nicht ungerechtfertigte Beurteilungsspielräume des Arbeitgebers eröffnet würden233, was eine Vertragsklausel intransparent machen könne234, sondern vielmehr der Rechtsanwender im Streitfall einen Rechtssatz objektiven Rechts anwenden müsse.235 In der Tat erscheint fraglich, ob man an die Vertragsgestaltung strengere Anforderungen stellen kann als an die Ausgestaltung einer richterrechtlich entwickelten Rechtsregel.236 Zu bedenken ist aber andererseits, dass die „Objektivität“ der Anknüpfung an die Regeln zur Auflösung von Tarifkonkurrenzen, insbesondere an das Spezialitätskriterium, auch ihre Grenzen hat. Besonders, wenn die an die an die Grundsätze der Tarifkonkurrenz anknüpfende Vertragsgestaltung als „objektiver Lösungsweg“ bezeichnet und von dem als „subjektiver Lösungsweg“ gekennzeichneten einseitigen arbeitgeberischen Leistungsbestimmungsrecht abgehoben wird237, wird diese zu formale Einteilung den tatsächlichen Gegebenheiten nicht vollauf gerecht. Dies ist im weiteren Verlauf der Untersuchung noch näher darzulegen. 4. Ausdrücklicher Verweis auf den speziellsten Tarifvertrag Unter praktischen Gesichtspunkten der Vertragsgestaltung ist bei einem allgemein gehaltenen Verweis auf die Regeln der Tarifkonkurrenz ohnehin Folgendes zu bedenken: a) Richtigerweise ist das damit in erster Linie zur Entscheidung berufene Spezialitätsprinzip, wie bereits gesagt238, jedenfalls als allgemeiner Auflösungsmechanismus für Tarifkonkurrenzen abzulehnen und, wo möglich, durch normzweckorientierte Kollisionsregeln zu ersetzen.239 Eine entsprechende Änderung der Rechtsprechung des BAG ist in Anbetracht der im Schrifttum vorgetragenen Kritik am Spezialitätsprinzip für die Zukunft nicht auszuschließen. Daher kann 233 So aber Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1077) in Anlehnung an BAG 31. 8. 2005 AP ArbZG § 6 Nr. 8 (Krause). 234 s. BAG 31. 8. 2005 AP ArbZG § 6 Nr. 8 (Krause), unter II. 3. b) der Gründe; ebenso jüngst BAG 24. 9. 2008 AP BGB § 305c Nr. 11, unter A. III. 1. b) bb) der Gründe; die Formel von den „ungerechtfertigten Beurteilungsspielräumen“ des Klauselverwenders entstammt der Rechtsprechung des BGH zum Transparenzgebot (Bestimmtheitsgebot), s. Annuß, BB 2006, 1333 (1336 f.). 235 Franzen, RdA 2008, 193 (197); im Ergebnis ebenso F. Bayreuther, NZA 2009, 935 (937). 236 Verneinend Franzen, FS ZVK-Bau, S. 57 (68); ebenso F. Bayreuther, NZA 2009, 935 (937); anders aber Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1077); Greiner, Rechtsfragen, S. 522. 237 So Franzen, RdA 2008, 193 (196 f.) und schon ders., FS ZVK-Bau, S. 57 (68). 238 s. o. Teil 2, Kapitel 1, unter C. III. 1. b) bb) (3) (c). 239 s. dazu bereits oben Teil 2, Kapitel 1, unter C. III. 1. b) bb) (3) (c) und die Nachweise dort Fn. 109.
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die Anknüpfung an die „Grundsätze der Tarifkonkurrenz“ als zu wenig rechtssicher nicht empfohlen werden. Es ist nicht gesagt, wie sich die Rechtsprechung des BAG zur Auflösung von Tarifkonkurrenzen in Zukunft entwickeln wird. Sollte das BAG Tarifkonkurrenzen dereinst nicht mehr, zumindest nicht mehr in allen Konstellationen240, nach Spezialitätsgesichtspunkten auflösen, würde fraglich, ob die Klausel nunmehr gleichwohl auch weiterhin in erster Linie zur schuldrechtlichen Anwendung des spezielleren Tarifvertrages führt.241 Wenn daher die Inbezugnahme des speziellsten der Tarifverträge im Fall einer realisierten Tarifpluralität gewollt ist, sollte in der Bezugnahmeklausel ausdrücklich auf den „spezielleren“ Tarifvertrag abgestellt242, am besten sogar die ständige Rechtsprechungsformel von dem „Tarifvertrag, der dem Betrieb räumlich, betrieblich, fachlich und persönlich am nächsten steht und deshalb den Erfordernissen und Eigenarten des Betriebes und der darin tätigen Arbeitnehmer am besten Rechnung trägt“243 repetiert werden.244 Damit wäre insbesondere der Vorrang eines Haustarifvertrages gegenüber einem Verbandstarifvertrag sichergestellt245, da in der Rechtsprechung des BAG zur Tarifkonkurrenz der Haustarifvertrag stets als der speziellere Tarifvertrag den Verbandstarifvertrag verdrängt246. Zumindest bei einem solchen ausdrücklichen, durch Wiedergabe der typischen Rechtsprechungsformel ergänzten Verweis auf das Spezialitätskrite240 Ausführlich zu den denkbaren Konstellationen der Entstehung einer Tarifkonkurrenz Jacobs, Tarifeinheit, S. 273 ff.; Witzig, Tarifeinheit, S. 13 ff.; Überblick bei Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 924. 241 s. auch Greiner, Rechtsfragen, S. 522 (Fn. 881). 242 Dafür F. Bayreuther, NZA 2009, 935 (937); Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458 (464, Fn. 68a); keine Bedenken bei LAG Baden-Württemberg 23. 2. 2005 – 4 TaBV 2/04 – juris, im Abschnitt B. II. 2. c) der Entscheidung. s. auch Wilhelm/Dannhorn, AuA 2006, 343 (345); kritisch zu ihrem Klauselvorschlag Reinecke, BB 2006, 2637 (2643 ff., 2645); kritisch zu ihnen – ohne namentliche Nennung – auch Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (117). 243 Vgl. BAG 22. 2. 1957 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 2 (Gumpert); 29. 3. 1957 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 4 (Gumpert); 5. 9. 1990 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 19; 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20 (P. Hanau/Kania), unter B. II. 3. der Gründe; 16. 5. 2001 EzA TVG § 3 Nr. 23, unter II. 1. c) der Gründe; 23. 3. 2005 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 29 (Waas), unter I. 1. a) der Gründe. 244 Ohne weiteres versteht LAG Baden-Württemberg 23. 2. 2005 – 4 TaBV 2/04 – juris, unter B. II. 2. c), einen Verweis auf den „spezielleren“ Tarifvertrag im Sinne dieser ständigen Formel des BAG. 245 s. auch Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458 (464, Fn. 68a); Wilhelm/Dannhorn, AuA 2006, 343 (345). 246 s. nur BAG 24. 1. 2001 AP TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie Nr. 173 (Wieland), unter I. 1. c) bb) (1) der Gründe; 4. 4. 2001 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 26 (Jacobs), unter II. 1. d) der Gründe; 16. 5. 2001 EzA TVG § 3 Nr. 23, unter II. 1. c) der Gründe. Bedenken gegenüber einem generellen Vorrang des Haustarifvertrages gegenüber dem Verbandstarifvertrag im Rahmen der Auflösung von Tarifkonkurrenzen bei Gamillscheg, KollArbR I, § 17 III. 3. c) (3) (a), S. 756; kritisch auch Waas, Tarifkonkurrenz, S. 52.
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rium dürfte dann auch eine Intransparenz der Klausel i. S. v. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht mehr zur Debatte stehen.247 b) Aus kautelarjuristischer Sicht wird man aber gleich einen Schritt weiter denken: Wenn man ausdrücklich auf das Spezialitätsprinzip abhebt, geht es letztlich um nichts anderes als darum, den Tarifvertrag zur Anwendung zu bringen, der am besten „passt“.248 Dann aber sollte die Suche nach passgenauen Vertragsgestaltungen nicht beim Spezialitätskriterium stehen bleiben. Will man dem Arbeitgeber, dessen alleinige Entscheidung die Auswahl des Bezugnahmeobjekts faktisch in aller Regel ist249, die Inbezugnahme des aus seiner Sicht sachgerechtesten Tarifvertrages im Falle einer Tarifpluralität ermöglichen, so ist ihm am besten gedient mit dem von Löwisch/Rieble sowie von Klebeck für zulässig gehaltenen einseitigen Leistungsbestimmungsrecht. IV. Insbesondere: Zulässigkeit des Vorbehalts eines einseitigen Bestimmungsrechts des Arbeitgebers? 1. Bisherige Formulierungsvorschläge und im Schrifttum geäußerte Bedenken a) Vorgeschlagen wurde zunächst von Löwisch/Rieble sowie von Klebeck die Aufnahme folgender Bestimmung in die Bezugnahmeklausel: „Ist der Arbeitgeber an mehrere einschlägige Tarifverträge gebunden, bestimmt er durch Leistungsbestimmung nach § 315 BGB, welches Tarifwerk arbeitsvertraglich gelten 247 So wollen schließlich auch Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1077), die den bloßen Verweis auf den „speziellsten“ Tarifvertrag für zu unpräzise halten, die geforderte Konkretisierung u. a. dadurch erreichen, dass der Firmentarifvertrag als stets spezieller gegenüber dem Verbandstarifvertrag festgelegt wird; s. jetzt auch Greiner, Rechtsfragen, S. 523 sowie Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 225 f. 248 Vgl. in kritischer Auseinandersetzung mit dem tarifkonkurrenzrechtlichen Spezialitätsprinzip Jacobs, Tarifeinheit, S. 262: Spezialitätsprinzip als nichtssagendes Etikett des richtigen Grundgedankens, dass bei einer Tarifkonkurrenz der Tarifvertrag vorgehen müsse, der für das Arbeitsverhältnis „besser passe“; ebenso Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 129; s. auch F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 388, aber auch Schliemann, NZA Sonderbeilage zu Heft 24/2000, S. 24 (30, bei Fn. 81). 249 s. dazu für die arbeitsvertragliche Bezugnahme aufgrund gesetzlicher Ermächtigung im Bereich des tarifdispositiven Rechts Richardi, Anm. zu BAG 28. 3. 2006 RdA 2007, 117 (119): Die Möglichkeit, eine vom tarifoffenen Gesetzesrecht abweichende Tarifnorm durch vertragliche Abrede auch auf nicht tarifgebundene Arbeitnehmer zu erstrecken, ist „rechtstatsächlich vor allem dem Arbeitgeber“ eröffnet; so jetzt erneut ders., FS Buchner, S. 731 (733 f.); s. auch C. Schubert, RdA 2001, 199 (199, 207, m.w. N. in Fn. 5, 113); allgemein Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1735: Mit der Bezugnahmeklausel verfolgt der Arbeitgeber vor allem einseitig seine Interessen; noch allgemeiner Gamillscheg, FS Kim, S. 35 (43 f., 50): Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht in praxi die Freiheit des Arbeitgebers, die Arbeit unter ihrem Wert zu entlohnen.
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soll.“250 Bepler stellt folgende Formulierung zur Diskussion: „Gelten im Betrieb aufgrund mehrfacher Tarifgebundenheit des Arbeitgebers mehrere Tarifverträge oder Tarifwerke, gelten für die tarifgebundenen Arbeitnehmer die Tarifverträge, an die sie gebunden sind. Für die nicht oder nicht mehr tarifgebundenen Arbeitnehmer gelten die Tarifverträge, die der Arbeitgeber ihnen gegenüber durch schriftliche Erklärung als maßgebend bezeichnet. Eine solche Bestimmung ersetzt eine etwa zuvor vorgenommene Festlegung durch Vertrag oder einseitige Erklärung.“251 b) Gegen die formularmäßige Vereinbarung eines einseitigen arbeitgeberischen Bestimmungsrechts über den anzuwendenden Tarifvertrag werden Bedenken aus dem AGB-Recht nach §§ 305 ff. BGB erhoben.252 Giesen sieht die Statuierung eines einseitigen Bestimmungsrechts mit Unsicherheiten nach §§ 305c Abs. 2, 307, 308 Nr. 4, 315 Abs. 2, 3 BGB verbunden.253 Nach Ansicht von Stein ermöglicht das einseitige Bestimmungsrecht dem Arbeitgeber eine mit §§ 307 ff. BGB nicht vereinbare Einflussnahme auf das arbeitsvertragliche Leistungsgefüge; mit dem Grundgedanken der vereinbarten gegenseitigen Leistungsverpflichtungen im Arbeitsverhältnis sei es wohl kaum vereinbar, wenn der Arbeitgeber zunächst (eine) ihm günstigere Konditionen bietende Tarifvertragspartei(en) auswähle um sodann, sei es auch nach billigem Ermessen, einseitig die Wahl des Tarifwerks vorzunehmen.254 Franzen stellt fest, ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers stelle einen Änderungsvorbehalt i. S. v. § 308 Nr. 4 BGB dar und werde möglicherweise der entsprechenden Inhaltskontrolle nicht standhalten.255 Auf einen Verstoß des formularmäßigen Vorbehalts eines einseitigen Bestimmungsrechts gegen § 308 Nr. 4 BGB, wonach in AGB unwirksam ist die Vereinbarung eines Rechts des Verwenders, die versprochene Leistung zu ändern oder von ihr abzuweichen (Änderungsvorbehalt), wenn nicht die Vereinbarung der Änderung 250 Klebeck, NZA 2006, 15 (20); Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 302; übernommen bei Fuchs/Reichold, Tarifvertragsrecht, Rn. 199. 251 Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (143 f., Fn. 59; nach dem Text handelt es sich eigentlich um Fn. 60, die Zählung ist dort offenbar durcheinander geraten). 252 Ablehnend neben den im Folgenden Genannten für den Fall des Betriebsüberganges auch Däubler/Lorenz, § 3 Rn. 261 (Fn. 732); kritisch auch E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 371, nach der ein einseitiges Bestimmungsrecht des Arbeitgebers dem Arbeitsvertrag jedenfalls nicht im Wege der Auslegung entnommen werden kann (ebenso hinsichtlich einer ergänzenden Vertragsauslegung jetzt Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 170 f.), die sich aber zu der Zulässigkeit eines ausdrücklich vereinbarten Wahlrechts des Arbeitgebers nicht (eindeutig) äußert; s. nunmehr ferner Greiner, Rechtsfragen, S. 520 (mit Fn. 875). 253 Giesen, NZA 2006, 625 (630, Fn. 42). 254 A. Stein, Anm. zu BAG 14. 12. 2005 AuR 2006, 366 (370). 255 Franzen, FS ZVK-Bau, S. 57 (68); ders., RdA 2008, 193 (196); s. jetzt auch Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 171, 223.
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
oder Abweichung unter Berücksichtigung der Interessen des Verwenders für den anderen Vertragsteil „zumutbar“ ist256, legen sich Preis/Greiner fest. Dies gelte jedenfalls, wenn gegenwärtig keine Tarifpluralität gegeben ist und die Klausel für künftig entstehende Tarifpluralitäten Vorsorge treffen soll.257 Zunächst vertraglich „versprochen“ seien dann Leistungen nach dem gegenwärtig im Betrieb/ Unternehmen geltenden Tarifvertrag. Das Leistungsbestimmungsrecht ermächtige den Arbeitgeber, die individualvertraglich inkorporierten Arbeitsbedingungen einseitig zu ändern, wenn ein weiterer Tarifvertrag im Betrieb/Unternehmen Geltung erlange. Diese Klauselformulierung würde dem Arbeitgeber das uneingegrenzte Recht zu einem Eingriff in das vertragliche Äquivalenzverhältnis vorbehalten.258 Dass die Tarifpartner daran mitwirkten, indem sie erst die Tarifpluralität als Voraussetzung des Bestimmungsrechts herbeiführen müssten, ändere daran nichts, da die Bezugnahmeklausel keine Tarifwirkung herbeiführe, sondern lediglich eine individualvertragliche Inkorporierung des zunächst in Bezug genommenen Tarifvertrages bewirke. Die Klausel sei im Übrigen intransparent (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB), da sie den Angemessenheitsmaßstab nicht durch Begrenzung der vorbehaltenen Änderung konkretisiere und die künftige Entwicklung der Arbeitsbedingungen für den Arbeitnehmer unkalkulierbar mache.259 2. Vereinbarkeit mit §§ 308 Nr. 4, 307 Abs. 1 und Abs. 2 BGB – Übertragung der Zulässigkeitsmaßstäbe für vorformulierte Widerrufsvorbehalte Die mit Blick auf §§ 307, 308 Nr. 4 BGB angemeldeten Bedenken müssen sehr ernst genommen werden. Zunächst stellt sich die Frage nach dem Prüfungsmaßstab. In Betracht kommt eine Übertragung der in der Rechtsprechung des BAG für Widerrufsvorbehalte in vorformulierten Arbeitsverträgen entwickelten Zulässigkeitsmaßstäbe. Namentlich Stein hat gegen die Zulässigkeit des Vorbehalts eines Leistungsbestimmungsrechts des an mehrere einschlägige Tarifverträge gebundenen Arbeitgebers angeführt, damit werde dem Arbeitgeber ein erheblicher Eingriff in das Leistungsgefüge ermöglicht, der u. U. sehr viel weiter als jene 25–30 % gehe, die 256 Zur Anwendbarkeit von § 308 Nr. 4 BGB auf Arbeitsverträge (§ 310 Abs. 4 Satz 2 BGB) s. nur Palandt/Grüneberg, § 308 Rn. 24. 257 Diese Einschränkung findet sich noch nicht bei Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 ff., aber später bei Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 63. 258 Allgemein zur Bedeutung von Störungen des Äquivalenzverhältnisses von Leistung und Gegenleistung für die Prüfung der Zumutbarkeit i. S. v. § 308 Nr. 4 BGB Staudinger/Coester-Waltjen, § 308 Nr. 4 Rn. 7, unter e) a. E.; MüKoBGB/Kieninger, § 308 Nr. 4 Rn. 1, 7; Ulmer/Brandner/Hensen/H. Schmidt, § 308 Nr. 4 BGB Rn. 9; Stoffels, AGB-Recht, Rn. 797. 259 Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1076); Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 63; ebenso jetzt F. Bayreuther, NZA 2009, 935 (937); s. auch Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 171, 223 f.
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 207
das BAG bei übertariflichen Zulagen als nicht widerrufbar ansehe.260 Auch Preis/Greiner rekurrieren in ihrer Kritik am Vorschlag eines einseitigen Bestimmungsrechts auf die Rechtsprechung des BAG zu Widerrufsvorbehalten, um die Intransparenz und damit Unwirksamkeit der Klausel nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB darzutun.261 a) Die Rechtsprechung des BAG zur Inhaltskontrolle vorformulierter Widerrufsvorbehalte nach §§ 308 Nr. 4, 307 Abs. 1 BGB Die damit aufgeworfene Frage nach einer Parallele zwischen einseitigem Leistungsbestimmungsrecht und Widerrufsvorbehalt sowie nach der Sachgerechtigkeit einer parallelen Beurteilung der Zulässigkeit beider Vertragsgestaltungsinstrumente macht einen kurzen Abriss über die nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes (SMG)262 und der durch dieses Gesetz verfügten Beseitigung der bis dahin gemäß § 23 Abs. 1 AGBG a. F. für das Arbeitsrecht geltenden Bereichsausnahme vom AGB-Recht (s. jetzt § 310 Abs. 4 BGB) geführte Diskussion über die Inhaltskontrolle arbeitsvertraglich vorformulierter Widerrufsvorbehalte notwendig. In seiner ersten Entscheidung zu Änderungsvorbehalten in Formulararbeitsverträgen unter der Geltung der §§ 305 ff. BGB in der Fassung des SMG stellte das BAG, konkret dessen 5. Senat, am 12. 1. 2005 zunächst fest, dass sich die AGB-rechtliche Wirksamkeit einer arbeitsvertraglich vorformulierten Widerrufsregelung nach § 308 Nr. 4 BGB als der gegenüber § 307 BGB spezielleren Norm richte. Da § 308 Nr. 4 BGB den § 307 BGB konkretisiere, seien freilich auch die Wertungen des § 307 BGB heranzuziehen.263 Im Schrifttum wurde und wird demgegenüber teilweise eine Kontrolle von Widerrufsvorbehalten – und, darüber hinausgehend, einheitlich aller einseitigen arbeitgeberischen Leistungsbestimmungsrechte – nach § 307 Abs. 1 BGB bevorzugt264, wobei aber darauf hingewiesen wird, dass die (Un-)Zumutbarkeit (§ 308 260
A. Stein, Anm. zu BAG 14. 12. 2005 AuR 2006, 366 (370), der dies zwar in erster Linie auf die große dynamische Bezugnahmeklausel (Tarifwechselklausel) bezieht [dazu noch unten C. IV. 2. b) bb) (4)], nach dem aber „Ähnliches“ auch für ein einseitiges Bestimmungsrecht des Arbeitgebers über den arbeitsvertraglich anwendbaren Tarifvertrag im Falle einer mehrfachen Tarifgebundenheit gelten soll. 261 s. Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1076, Fn. 49) sowie Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 63 (Fn. 110), jeweils unter Verweis auf BAG 12. 1. 2005 AP BGB § 308 Nr. 1 (Bergwitz). 262 Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001, BGBl. I S. 3138. 263 BAG 12. 1. 2005 AP BGB § 308 Nr. 1 (Bergwitz), unter B. I. 4. b) der Gründe; ebenso BAG 11. 10. 2006 AP BGB § 308 Nr. 6, unter I. 1. d) bb) der Gründe; 19. 12. 2006 AP BGB § 611 Sachbezüge Nr. 21, unter II. 2. c) aa) der Gründe; aus der Literatur zuletzt Franzen, GS Zachert, S. 386 (392); MüArbR/Krause, § 56 Rn. 16. 264 P. Hanau/Hromadka, NZA 2005, 73 (75); V. Lindemann, Anm. zu BAG 7. 12. 2005 AP TzBfG § 12 Nr. 4, unter IV. 2.; Preis/V. Lindemann, NZA 2006, 632 (634).
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
Nr. 4 BGB) und die unangemessene Benachteiligung (§ 307 BGB) ohnehin schwer zu unterscheiden und an sehr ähnlichen Kriterien zu messen seien265. Die „Zumutbarkeit“ i. S. d. § 308 Nr. 4 BGB fordert nach Auffassung des BAG vor allem zweierlei. aa) Kein Eingriff in den Kernbereich des Arbeitsvertrages In seiner früheren, vor Geltung der §§ 305 ff. BGB n. F. ergangenen Rechtsprechung hatte das BAG Widerrufsvorbehalte nur ausnahmsweise für nach § 134 BGB nichtig erachtet, wenn sie zu einer Umgehung des Schutzes vor Änderungskündigungen (§ 2 KSchG) führten. Das war nach Auffassung des BAG nur der Fall, wenn wesentliche Elemente des Arbeitsvertrages einer einseitigen Änderung unterliegen sollten, durch die das Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung grundlegend gestört würde. In einer solchen Änderung sah das BAG einen Eingriff in den kündigungsrechtlich geschützten Kernbereich des Arbeitsverhältnisses. Dieser „Kernbereich“ wurde vor allem nach der Höhe des Entgeltbestandteils abgegrenzt, der dem Widerrufsvorbehalt unterlag; ein Eingriff in ihn sollte nicht vorliegen, wenn sich das Widerrufsrecht bei unveränderter Tätigkeit auf Zulagen in Höhe von 25–30% des Tariflohns erstreckte.266 Diese Rechtsprechung hat das BAG im Urteil vom 12. 1. 2005 inhaltlich im Wesentlichen bestätigt.267 Im Grundsatz habe der Arbeitgeber wegen der Ungewissheit der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens und der allgemeinen Entwicklung des Arbeitsverhältnisses ein anerkennenswertes Interesse daran, bestimmte Leistungen, insbesondere „Zusatzleistungen“, flexibel auszugestalten. Dadurch dürfe aber das Wirtschaftsrisiko des Unternehmers nicht auf den Arbeitnehmer verlagert werden. Eingriffe in den Kernbereich des Arbeitsvertrages seien nach der Wertung des § 307 Abs. 2 BGB nicht zulässig. Insofern sei die bisherige Rechtsprechung zur Zulässigkeit eines Widerrufs weiterhin heranzuziehen. Der Vertragsinhaltsschutz gemäß § 2 KSchG268 könne dabei als Maßstab 265 V. Lindemann, Anm. zu BAG 7. 12. 2005 AP TzBfG § 12 Nr. 4, unter IV. 2.; s. auch Reinecke, NZA 2005, 953 (956 f.); P. Hanau/Hromadka, NZA 2005, 73 (75); MüArbR/Krause, § 56 Rn. 16; aber auch Maties, DB 2005, 2689 (2691). 266 s. zu dieser früheren Rechtsprechung, jeweils mit Nachweisen, Bergwitz, Anm. zu BAG 12. 1. 1005 AP BGB § 308 Nr. 1, unter II. 1.; dens., AuR 2005, 210 (210 f.); DDBD/Dorndorf/Bonin, § 308 Nr. 4 BGB Rn. 11, 21 ff.; P. Hanau/Hromadka, NZA 2005, 73 (74); Lingemann, NZA 2002, 181 (190); ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 51, 58; Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 70 Rn. 9; Reinecke, NZA 2005, 953 (955); Singer, RdA 2003, 194 (202); dens., RdA 2006, 362 (363); Thüsing, AGB-Kontrolle, Rn. 260 ff. 267 Bergwitz, AuR 2005, 210 (211); Reinecke, NZA 2005, 953 (955); Singer, RdA 2006, 362 (363); HWK/Thüsing, § 611 BGB Rn. 512. 268 Kritisch dazu etwa Annuß, ZfA 2005, 405 (413); s. auch jüngst Franzen, GS Zachert, S. 386 (387 f.); MüArbR/Krause, § 56 Rn. 18.
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 209
dienen. Danach sei die Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts zulässig, soweit der widerrufliche Anteil am Gesamtverdienst unter 25–30 % liegt269 und der Tariflohn nicht unterschritten wird.270 bb) Erfordernis eines Widerrufsgrundes Außerdem verlangt das BAG einen Widerrufsgrund. Die Vereinbarung des Widerrufsrechts sei nur zumutbar gemäß § 308 Nr. 4 BGB, wenn der Widerruf nicht grundlos erfolgen soll, sondern wegen der unsicheren Entwicklung der Verhältnisse als Instrument der Anpassung notwendig ist. Es müsse daher ein Grund für den Widerruf bestehen, der den Widerruf typischerweise rechtfertigt.271 In formeller Hinsicht forderten zudem die §§ 308 Nr. 4, 307 Abs. 1, Abs. 2 BGB und das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB die Angabe der möglichen Widerrufsgründe im Vertrag. Die Bestimmung müsse die Angemessenheit und Zumutbarkeit erkennen lassen. Der Maßstab von §§ 307 Abs. 1, Abs. 2, 308 Nr. 4 BGB müsse nach dem Text der Klausel zum Ausdruck kommen. Es müsse sich aus der Regelung selbst ergeben, dass der Widerruf nicht ohne Grund erfolgen darf. Zumindest die Richtung, aus der der Widerruf möglich sein soll (z. B. wirtschaftliche Gründe), sei anzugeben.272
269 Kritisch dazu Preis/V. Lindemann, Anm. zu BAG 12. 1. 2005 AuR 2005, 229 (229 f.); s. auch Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 70 Rn. 19; Thüsing, AGB-Kontrolle, Rn. 263. 270 BAG 12. 1. 2005 AP BGB § 308 Nr. 1 (Bergwitz), unter B. I. 4. c) bb) der Gründe; 11. 10. 2006 AP BGB § 308 Nr. 6, unter I. 1. d) cc) (2) und (3) der Gründe; s. auch BAG 7. 12. 2005 AP TzBfG § 12 Nr. 4 (V. Lindemann), unter B. III. 7. d) der Gründe zur Arbeit auf Abruf. Zu der unklaren Voraussetzung, dass der Tariflohn nicht unterschritten werden dürfe, s. F. Bayreuther, ZIP 2007, 2009 (2009 f.); Preis/V. Lindemann, Anm. zu BAG 12. 1. 2005 AuR 2005, 229 (230); zuletzt Franzen, GS Zachert, S. 386 (394); MüArbR/Krause, § 56 Rn. 21. 271 BAG 12. 1. 2005 AP BGB § 308 Nr. 1 (Bergwitz), unter B. I. 4. c) aa) der Gründe; 11. 10. 2006 AP BGB § 308 Nr. 6, unter I. 1. d) cc) (1) der Gründe; zu den – bisher nicht abschließend geklärten – inhaltlichen Anforderungen an den Widerrufsgrund s. F. Bayreuther, ZIP 2007, 2009 (2010 f.); Singer, RdA 2006, 362 (367 f.); zuletzt Stoffels, ZfA 2009, 861 (880 ff.); Franzen, GS Zachert, S. 386 (394 f.). 272 BAG 12. 1. 2005 AP BGB § 308 Nr. 1 (Bergwitz), unter B. I. 5. der Gründe; 11. 10. 2006 AP BGB § 308 Nr. 6, unter I. 1. e) der Gründe; näher zu den Anforderungen an die Präzisierung des Widerrufsgrundes J.-H. Bauer/Chwalisz, ZfA 2007, 339 (344 ff.); Bergwitz, Anm. zu BAG 12. 1. 2005 AP BGB § 308 Nr. 1, unter II. 4. b) cc); ders., AuR 2005, 210 (216); Kort, Anm. zu BAG 12. 1. 2005 SAE 2005, 310 (312 f.); Maties, DB 2005, 2689 (2691 f.); Singer, RdA 2006, 362 (369 f.); zuletzt Leder, RdA 2010, 93 (97); Stoffels, ZfA 2009, 861 (880 ff.); H. J. Willemsen/Jansen, RdA 2010, 1 (2); dazu, ob sich die Widerrufsgründe als Bestandteil der Widerrufsklausel auch aus begleitenden Umständen und Erklärungen ergeben können, s. P. Hanau, FS Deutsch, S. 1051 (1054 ff.).
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
b) Bedeutung für die Zulässigkeit eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts für den Fall der Tarifpluralität Bei Widerrufsvorbehalten verlangen die §§ 308 Nr. 4, 307 Abs. 1 und 2 BGB zweierlei: Zumutbar muss zum einen die in Aussicht gestellte Leistungsänderung als solche sein, zum anderen aber auch die durch den Vorbehalt geschaffene Ungewissheit.273 Diese zweigeteilte Prüfung bietet sich auch für das einseitige Bestimmungsrecht des Arbeitgebers über den im Falle der Tarifpluralität arbeitsvertraglich anwendbaren Tarifvertrag an. aa) Zumutbarkeit der vorbehaltenen Leistungsänderung als solcher (1) Unterschiede zwischen Widerruf von Leistungen und Bestimmung des Bezugnahmeobjekts Der Rekurs von Stein auf die Rechtsprechung des BAG zur Widerruflichkeit von Entgeltbestandteilen und insbesondere auf die Grenze von 25–30 %274 geht insofern fehl, als die Zulässigkeitsmaßstäbe für Widerrufsvorbehalte auf den Vorbehalt eines einseitigen Bestimmungsrechts über den im Falle einer Tarifpluralität arbeitsvertraglich anwendbaren Tarifvertrag nicht unbesehen übertragen werden können. Bei einem Widerruf von Vergütungsbestandteilen, den Stein zum Vergleich heranzieht, ist zu bedenken, dass durch die Entgeltreduzierung – anders als etwa durch eine Reduzierung der Arbeitszeit275 – „das Austauschverhältnis einseitig verschoben wird“276. Demgegenüber steht bei einer einseitigen Leistungsbestimmung über das arbeitsvertraglich inkorporierte Tarifwerk aus Sicht des Arbeitnehmers regelmäßig nicht eine reine Verschlechterung des Austauschverhältnisses in Rede, ist hier vielmehr ein zu einer Bewertung der Arbeitsbedingungen als „besser“ oder „schlechter“ führender Vorher-Nachher-Vergleich nicht möglich. Der Arbeitnehmer steht nach Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts durch den Arbeitgeber in der Regel nicht besser oder schlechter, sondern zunächst einmal anders.277 Oft wird im Falle der Tarifpluralität der Wechsel des 273
Deutlich Bergwitz, AuR 2005, 210 (214). s. nochmals A. Stein, Anm. zu BAG 14. 12. 2005 AuR 2006, 366 (370, mit Fn. 34). 275 Vgl. dazu auch V. Lindemann, Anm. zu BAG 7. 12. 2005 AP TzBfG § 12 Nr. 4, unter IV. 3.: Zumindest bleibe das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung unverändert. 276 Preis/V. Lindemann, Anm. zu BAG 12. 1. 2005 AuR 2005, 229 (230), Hervorhebung nicht im Original; s. auch dies., NZA 2006, 632 (635): Es sei ein Unterschied, ob unter Beeinträchtigung der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung in das Austauschverhältnis eingegriffen wird oder ob ein Änderungsvorbehalt das Austauschverhältnis wahrt; ferner H. J. Willemsen/Grau, NZA 2005, 1137: Verschiebung des Verhältnisses von Leistung zur Gegenleistung. 277 Vgl. zu dieser Unterscheidung in anderen, unterschiedlichen Zusammenhängen MüKoBGB/Baldus, vor §§ 987–1003 Rn. 11; Canaris, FS Medicus, S. 25 (44); Medicus, 274
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 211
Bezugnahmeobjekts durch einseitige Leistungsbestimmung den Arbeitnehmer in einigen Punkten schlechter, in anderen aber wiederum besser stellen, denn im Unterschied zu einem Widerrufsvorbehalt geht es nicht um die isolierte Beseitigung von Leistungsverpflichtungen des Arbeitgebers (= von Arbeitnehmeransprüchen), also nicht um eine punktuelle Verschiebung des Austauschverhältnisses zu Lasten des Arbeitnehmers, sondern um die Anwendbarkeit des einen oder des anderen Tarifvertrages (Tarifwerkes) in seiner Gesamtheit als jeweils in sich ausgewogener Kompromiss. Dass der Arbeitnehmer demnach durch den Austausch des Bezugnahmeobjekts im Ausgangspunkt nicht schlechter, sondern anders gestellt wird, hat Bedeutung für die Beurteilung der Zumutbarkeit der vorbehaltenen Änderung i. S. v. § 308 Nr. 4 BGB. Denn eine Leistungsänderung soll dann zumutbar sein, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders besser oder jedenfalls nicht schlechter stellt.278 Dabei ist im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung nach § 308 Nr. 4 BGB auch ein Kompensationsgedanke anerkannt, wonach ungünstige Vertragsbedingungen durch damit verbundene, sich aus einer zusammengehörenden Regelung ergebende und zumindest gleichwertige Vorteile aufgewogen werden können.279 (2) Die Gleichwertigkeit tarifvertraglicher Regelungen Im Regelfall wird es nach dem Vorstehenden durch die einseitige arbeitgeberische Substitution des Bezugnahmeobjekts zu einer „grundlegenden Störung des Gleichgewichts von Leistung und Gegenleistung“280 nicht kommen. Schlechthin ausgeschlossen ist dies allerdings auch nicht; so meinen Preis/Greiner nicht zu Unrecht, der Arbeitgeber könnte mit einem einseitigen Leistungsbestimmungsrecht wesentliche Vertragsbedingungen einschließlich des Äquivalenzverhältnisses von Leistung und Gegenleistung massiv verändern.281
Bürgerliches Recht, Rn. 591; Rieble, GS Heinze, S. 687 (695); dens., Anm. zu BAG 18. 2. 2003 EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 135, S. 15 (34); Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 228; s. auch Thüsing, Diskriminierungsschutz, Rn. 874 f.; aufgegriffen in anderem, aber verwandtem Zusammenhang jetzt auch von Greiner, Rechtsfragen, S. 514 (dort Fn. 842). 278 Bergwitz, AuR 2005, 210 (215) m.w. N. 279 DDBD/Dorndorf/Bonin, § 308 Nr. 4 BGB Rn. 43; s. zu solchen kompensierenden Effekten auch V. Lindemann, Anm. zu BAG 7. 12. 2005 AP TzBfG § 12 Nr. 4, unter V.; Maties, DB 2005, 2689 (2693) m.w. N.; zuletzt Stoffels, ZfA 2009, 861 (876); allgemein ders., AGB-Recht, Rn. 487 f., der (a. a. O., Rn. 488) darauf hinweist, dass die Rechtsprechung in der Annahme von Kompensationswirkungen besonders bei kollektiv ausgehandelten Vertragswerken großzügig ist, sofern solche Klauselwerke als Ganzes vereinbart werden. 280 s. o. C. IV. 2. a) aa). 281 Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1076); s. auch nochmals A. Stein, Anm. zu BAG 14. 12. 2005 AuR 2006, 366 (370).
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
Selbst wenn aber die Ausübung des einseitigen Bestimmungsrechts auch einen Tarifvertrag zur Anwendung bringen kann, der schon prima facie in (allen oder den meisten) wesentlichen Punkten zu Ungunsten des Arbeitnehmers von den Bedingungen des bis dahin inkorporierten Tarifvertrages abweicht, stößt eine Berücksichtigung dieses Umstands im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung nach § 308 Nr. 4 BGB doch auf tarifrechtliche Besonderheiten, die man mit der Dogmatik der allgemeinen AGB-Kontrolle nicht in den Griff bekommt. Es brauchen aber insoweit nicht die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten i. S. v. § 310 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 BGB bemüht zu werden282; entscheidend sind schon die Wertung des § 310 Abs. 4 Satz 3 und die des § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB. Das von Preis/Greiner für einen Verstoß gegen § 308 Nr. 4 BGB vorgebrachte Argument, dem Arbeitgeber werde durch die Einräumung eines Leistungsbestimmungsrechts das uneingegrenzte Recht zu einem Eingriff in das vertragliche Äquivalenzverhältnis vorbehalten283, berücksichtigt nicht hinreichend, dass es nach dem Gesetz auf die Zumutbarkeit der vorbehaltenen Änderung ankommt284 und dass die Änderung schwerlich unzumutbar sein kann, wenn sie in der Ablösung tariflicher Arbeitsbedingungen durch andere, ebenfalls tarifvertragliche Arbeitsbedingungen besteht. Dies ergibt sich aus der Richtigkeitsgewähr tarifvertraglicher Arbeitsbedingungen285, die auch der Regelung in § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB zugrunde liegt286. Das Gesetz geht etwa in § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB von der Gleichwertigkeit aller von tariffähigen Parteien geschlossenen Tarifverträge aus287, woraus in der vorliegenden Arbeit etwa bereits auf die Möglichkeit einer teleologischen Reduktion des § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG für den Fall der Tarifplura282 Ohnehin scheint ungeklärt, ob § 310 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 BGB bei den Klauselverboten mit Wertungsmöglichkeit nach § 308 BGB überhaupt zur Anwendung kommt: Während das BAG in seinen Entscheidungen zu Widerrufsvorbehalten stets auch auf die von § 310 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 BGB vorgeschriebene angemessene Berücksichtigung der im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten hinweist (BAG 12. 1. 1005 AP BGB § 308 Nr. 1 [Bergwitz], unter B. I. 4. b) der Gründe; 11. 10. 2006 AP BGB § 308 Nr. 6, unter I. 1. d) bb) der Gründe; 19. 12. 2006 AP BGB § 611 Sachbezüge Nr. 21, unter II. 2. c) aa) der Gründe), heißt es im Schrifttum zumeist, arbeitsrechtliche Besonderheiten könnten schon innerhalb der Wertungsmöglichkeit des § 308 Nr. 4 BGB gewürdigt werden, s. etwa Lingemann, NZA 2002, 181 (190); Maties, DB 2005, 2689 (2693); Singer, RdA 2003, 194 (202). 283 Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1076); Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 63; jetzt auch Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 171, 223 f.; ähnlich ohne Rekurs speziell auf § 308 Nr. 4, aber allgemein auf die §§ 307 ff. BGB und auf die Rechtsprechung des BAG zu Widerrufsvorbehalten bereits A. Stein, Anm. zu BAG 14. 12. 2005 AuR 2006, 366 (370). 284 Zumutbar muss allerdings nicht nur die in Aussicht gestellte Leistungsänderung, sondern auch die durch den Vorbehalt geschaffene Ungewissheit sein; s. dazu noch unten C. IV. 2. b) bb). 285 Zu ihr nur die Darstellungen bei Gamillscheg, KollArbR I, § 7 II. 1. a), S. 284 ff.; Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 246 ff.; kritisch jüngst Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 238 f. 286 Vgl. dazu Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 248.
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 213
lität geschlossen wurde288. Verfassungsrechtlicher Hintergrund ist das aus Art. 9 Abs. 3 GG folgende Verbot einer inhaltlichen Bewertung von Tarifverträgen (Verbot der Tarifzensur289); die Annahme der Gleichwertigkeit tarifvertraglicher Regelungen290 beschränkt sich freilich auf wirksame, mithin auf solche Tarifnormen, die von tariffähigen Parteien geschlossen wurden291, so dass auch im hiesigen Zusammenhang der Hinweis auf die Notwendigkeit einer funktionsgerechten Handhabung der Tariffähigkeitsvoraussetzung der sozialen Mächtigkeit unerlässlich ist.292 Auch Bepler haben die von Preis/Greiner gegen ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht vorgebrachten Bedenken aus §§ 308 Nr. 4, 307 Abs. 1 Satz 2 BGB zumindest nicht restlos überzeugt.293 Die Berechtigung dieser Bedenken stehe angesichts der grundsätzlichen Gleichwertigkeit von Tarifverträgen dahin, zumal auch die Bedeutung der gesetzlichen Wertung aus § 310 Abs. 4 BGB berücksichtigt werden müsse.294 Die Auslegung des Begriffs der „Zumutbarkeit“ in § 308 Nr. 4 BGB muss aus systematischen Gründen mit den – verfassungsrechtlich basierten – Wertungen der §§ 310 Abs. 4 Satz 3, 613a Abs. 1 Satz 3 BGB harmonisiert werden und führt daher nicht zur Unzumutbarkeit der hier in Rede stehenden Klauselgestaltung, soweit es um die vorbehaltene Leistungsänderung als solche geht. bb) Zumutbarkeit der durch den Vorbehalt geschaffenen Ungewissheit Zumutbar muss freilich nicht nur die in Aussicht gestellte Leistungsänderung als solche sein, sondern auch die durch den Vorbehalt geschaffene Ungewiss287 s. in anderem Zusammenhang Bepler, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 791 (801) und im hiesigen Zusammenhang dens., in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (142, 144); auch Reinecke, BB 2006, 2637 (2645) weist auf die „Wertung“ des § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB hin; jüngst wieder Bepler, AuR 2010, 234 (236). 288 s. o. Teil 2, Kapitel 2, unter C. III. 2. b) aa). 289 Dazu die Nachweise oben Fn. 100. 290 Sie findet sich im Zusammenhang mit der Auflösung von Tarifkonkurrenzen auch bei Gamillscheg, KollArbR I, § 17 III. 3. c) (3) (a), S. 755. 291 Zutreffende Betonung des im Hintergrund der Debatte um die rechtlich zulässigen Gestaltungsmöglichkeiten von Bezugnahmeklauseln für den Fall der Tarifpluralität stehenden Spannungsverhältnisses von Tariffähigkeit, Tarifzensur und Angemessenheitskontrolle der Bezugnahmeklausel bei Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1077); vertiefend nunmehr Greiner, Rechtsfragen, S. 524 ff. 292 Zum sachgerechten Verständnis des Mächtigkeitskriteriums s. im Einzelnen Wank, RdA 2008, 257 (267 ff.) sowie noch unten Teil 3, Kapitel 1. 293 Prinzipiell offen für ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht jetzt auch Jacobs, FS Buchner, S. 342 (344); anders aber F. Bayreuther, NZA 2009, 935 (937). 294 Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (144); s. auch dens., bei Bepler/U. Fischer/Ubber, BLJ 2007, 139 (147); Hinweis auf § 310 Abs. 4 BGB in anderem Zusammenhang jetzt wieder bei dems., AuR 2010, 234 (236).
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
heit.295 Das BAG hat für Widerrufsvorbehalte darauf abgestellt, dass der Umfang der vorbehaltenen Änderungen möglichst konkretisiert werden müsse. Die widerrufliche Leistung müsse nach Art und Höhe eindeutig sein, damit der Arbeitnehmer erkennen kann, was ggf. „auf ihn zukommt“.296 Dem Flexibilitätsinteresse des Arbeitgebers steht das Interesse der meisten Arbeitnehmer an möglichst sicheren Arbeitsbedingungen gegenüber.297 Zum einseitigen Bestimmungsrecht des Arbeitgebers über den bei Tarifpluralität schuldrechtlich anzuwendenden Tarifvertrag tragen Preis/Greiner vor, die Klausel sei intransparent und damit unwirksam gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 i.V. m. Satz 1 BGB, da sie den Angemessenheitsmaßstab nicht durch Begrenzung der vorbehaltenen Änderung konkretisiere und die künftige Entwicklung der Arbeitsbedingungen für den Arbeitnehmer unkalkulierbar mache.298 Dem ist zunächst Folgendes entgegenzuhalten. (1) Begrenzung der Bezugnahmewirkung auf nach ihrem Geltungsbereich einschlägige Tarifverträge Eine Begrenzung ergibt sich jedenfalls daraus, dass es sich bei dem vom Arbeitgeber ausgewählten Tarifvertrag nach den bislang vorgeschlagenen Klauselformulierungen299 in jedem Fall um einen für das Arbeitsverhältnis nach seinem fachlichen und branchenmäßigen Geltungsbereich einschlägigen Tarifvertrag handeln muss. Dadurch wird die Ungewissheit über die künftige Entwicklung der Arbeitsbedingungen, welche im Übrigen ganz unabhängig vom Vorliegen einer Tarifmehrheit oder Tarifpluralität Kennzeichen jeder – weithin für zulässig gehaltenen300 – großen dynamischen Bezugnahmeklausel ist, insoweit abgefedert, als
295 So für Widerrufsvorbehalte Bergwitz, AuR 2005, 210 (214); s. auch allgemein zu § 308 Nr. 4 BGB Staudinger/Coester-Waltjen, § 308 Nr. 4 Rn. 6; Stoffels, AGB-Recht, Rn. 797. 296 BAG 12. 1. 2005 AP BGB § 308 Nr. 1 (Bergwitz), unter B. I. 5. b) der Gründe; 11. 10. 2006 AP BGB § 308 Nr. 6, unter I. 1. e) bb) der Gründe. 297 Reinecke, NZA 2005, 953 (957); s. auch J.-H. Bauer/Chwalisz, ZfA 2007, 339 (340); jüngst Franzen, GS Zachert, S. 386; MüArbR/Krause, § 56 Rn. 18. 298 Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1076); Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 63; ebenso F. Bayreuther, NZA 2009, 935 (937); Bedenken mit Blick auf § 307 BGB ohne nähere Spezifizierung auch bei Giesen, NZA 2006, 625 (630, Fn. 42); s. auch jüngst Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 224. 299 s. o. C. IV. 1. a). 300 s. nur BAG 30. 8. 2000 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 12 (Waas), unter I. 1. c) bb) der Gründe; 14. 12. 2005 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 39 (Kort), unter I. 2. c) (1) der Gründe; J. C. Otto, Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, S. 47; Reinecke, BB 2006, 2637 (2638, 2643); zuletzt Jordan/Bissels, NZA 2010, 71 (72 ff.); zu den Bedenken von A. Stein, AuR 2003, 361 (365) und dems., Anm. zu BAG 14. 12. 2005 AuR 2006, 366 (370) s. unten C. IV. 2. b) bb) (4).
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 215
das Erfordernis der Eröffnung des tariflichen Geltungsbereichs den Zuschnitt der jeweils maßgeblichen Arbeitsbedingungen auf Betrieb und Arbeitsverhältnis sicherstellt.301 Das Erfordernis der Eröffnung des tariflichen Geltungsbereichs trägt im Übrigen nicht nur zur Kalkulierbarkeit der künftigen Entwicklung der Arbeitsbedingungen und damit zur Zumutbarkeit der durch den Vorbehalt geschaffenen Ungewissheit bei, sondern bewirkt auch eine gewisse Angemessenheitsgewähr, ist also neben den bereits oben angestellten Erwägungen auch für die Zumutbarkeit der vorbehaltenen Leistungsänderung als solcher von Bedeutung: So ist auch für die gesetzlichen Bezugnahmeermächtigungen im Bereich des tarifdispositiven Gesetzesrechts darauf hingewiesen worden, dass die Begrenzung der Bezugnahmemöglichkeit auf nach ihrem Geltungsbereich einschlägige Tarifverträge (s. etwa § 622 Abs. 4 Satz 2 BGB: „Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags . . .“) nicht nur der Vereinheitlichungsfunktion der gesetzlichen Zulassung arbeitsvertraglicher Inbezugnahmen geschuldet ist, sondern auch die Angemessenheit der inkorporierten Arbeitsbedingungen im Hinblick auf den Arbeitnehmerschutz sichert.302 Auch die Kontrollfreiheit arbeitsvertraglich in Bezug genommener Tarifnormen nach §§ 310 Abs. 4 Satz 3, 307 Abs. 3 Satz 1 BGB setzt aus eben diesem Grund den Verweis auf einen einschlägigen Tarifvertrag voraus.303 Des Weiteren und vor allem führte ein engeres Verständnis der Zumutbarkeit der durch den Vorbehalt geschaffenen Ungewissheit zwangsläufig dazu, dass auch die anderen für die künftige Klauselformulierung vorgeschlagenen Gestaltungen Bedenken in Hinsicht auf § 308 Nr. 4 BGB unterliegen. Dies würde namentlich für den verbreitet empfohlenen Verweis auf den speziellsten oder auf den repräsentativsten Tarifvertrag gelten.
301 s. auch Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 109 zu den Grenzen der Vereinbarungsbefugnis der Tarifvertragsparteien bei der Bestimmung des Geltungsbereichs im Hinblick auf die von Art. 3 Abs. 1 GG verlangte Systemgerechtigkeit; zurückhaltend demgegenüber aber Däubler/Deinert, § 4 Rn. 197c. Allgemein zur Systemgerechtigkeit etwa BVerfG 10. 11. 1981 BVerfGE 59, 36 (49); Canaris, Systemdenken, S. 125 ff.; Degenhart, Systemgerechtigkeit; v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck, Art. 3 Abs. 1 Rn. 44 ff.; Wank, Rechtsfortbildung, S. 188 ff.; eher zurückhaltend Dreier/Heun, Art. 3 Rn. 36; weitere Literaturnachweise bei Maschmann, Tarifautonomie, S. 166 (Fn. 1122); aus jüngster Zeit etwa Kirchhof, in: Gleichheit im Verfassungsstaat, S. 1 (15 ff.); Morgenthaler, ebd., S. 51 ff.; Thüsing, ZfA 2008, 590 (638). 302 Vgl. Wiedemann/Oetker, § 3 Rn. 388; Richardi, NZA 2002, 1057 (1062); s. auch schon Richardi, ZfA 1971, 73 (87); ferner Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 258; MüArbR/Rieble/Klumpp, § 178 Rn. 25; s. auch Lembke/Distler, NZA 2006, 952 (956). 303 Dazu nur Diehn, NZA 2004, 129 (131); J. C. Otto, Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, S. 72; Preis, FS Wiedemann, S. 425 (442 f.); Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 84; Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1362 f.), die alle zutreffend auf die Gesichtspunkte der Sachnähe, der Angemessenheitsvermutung und der Richtigkeitsgewähr hinweisen; andere Begründung aber bei Witt, NZA 2004, 135 (137). s. zum Ganzen auch Thüsing, AGB-Kontrolle, Rn. 185 f.
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
(2) Ungewissheit der Entwicklung der Mehrheits-, Günstigkeitsund der Spezialitätsverhältnisse (a) Volatilität der Mehrheitsverhältnisse Preis/Greiner selbst sehen den vorzugswürdigen Ansatz, die Folgen der Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit arbeitsvertraglich vorwegzunehmen, in der genauen, transparenten Festlegung der bei Tarifpluralität eintretenden Rechtsfolge. Dabei könne am einfachsten auf den „repräsentativsten“ Tarifvertrag verwiesen werden, also denjenigen, der für eine Mehrheit der Beschäftigten im Betrieb oder Unternehmen gilt. Zur Feststellung der Mehrheitsverhältnisse und damit des arbeitsvertraglich anwendbaren Tarifvertrages dürfe der Arbeitgeber im laufenden Arbeitsverhältnis die Gewerkschaftszugehörigkeit seiner Arbeitnehmer erfragen304, was sich schon aus der Akzeptanz der normativen Tarifpluralität als solcher ergebe.305 Auch eine arbeitsvertragliche „Mitgliedschaftsauskunftsklausel“ halten sie im Anschluss an Rieble306 zutreffend307 für zulässig.308 Allerdings sei der mit einer Bezugnahme auf den Mehrheitstarifvertrag geschaffene Rechtszustand volatil: Durch Änderungen der Gewerkschaftsmitgliedschaft könne sich die Repräsentativität und könnten sich in der Folge die Arbeitsbedingungen gravierend ändern.309 Jede Bezugnahmeklausel, die auf Kriterien der Repräsentativität, Spezialität oder Günstigkeit abstelle, sei letztlich eine Tarifwechselklausel, weil diese Bestimmungsfaktoren variabel seien.310 (b) Beeinflussbarkeit der Günstigkeits- und der Spezialitätsverhältnisse durch den Arbeitgeber Ungleich größere Unsicherheiten als aufgrund ihrer Volatilität bei einer Anknüpfung an die Repräsentativität sehen Preis/Greiner bei einer – unter der Vo304 s. auch Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (144); jüngst Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 184, 227. 305 s. dazu in der vorliegenden Arbeit ausführlich oben Teil 2, Kapitel 1. 306 Rieble, GS Heinze, S. 687 (702 f.). 307 s. bereits oben Teil 2, Kapitel 1, unter C. III. 2. d) bb) (2) (b) (cc). 308 Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1076 f.); ebenso jetzt Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 227; vertiefend nunmehr Greiner, Rechtsfragen, S. 494 ff., 520 mit Klauselvorschlag, auch zu der Frage einer schon kraft Gesetzes bestehenden arbeitsvertraglichen Nebenpflicht des Arbeitnehmers zur Anzeige. 309 Vgl. jetzt auch Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 177, 188. Bedenken – allerdings nicht rechtlicher, sondern vertragsgestaltungspraktischer Art – bei Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (144 f.). 310 Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1077); s. zur Volatilität der Mehrheitsverhältnisse jetzt auch Greiner, Rechtsfragen, S. 518 (im Kontext der Bezugnahmeklauseln) und in einem größeren Zusammenhang (Modell einer „dynamisch-repräsentativen Tarifeinheit“ – dazu hier die kurze Darstellung oben Teil 1, Kapitel 3, unter A.) S. 350 ff., 353, 358.
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 217
raussetzung hinreichend präziser Formulierung grundsätzlich für möglich gehaltenen – Bezugnahme auf den speziellsten oder den für den Arbeitgeber günstigsten Tarifvertrag. Diese werfe Bedenken hinsichtlich der Angemessenheit der Regelung auf, da sie es letztlich in die Entscheidungsmacht des Arbeitgebers stelle, speziellere bzw. für ihn günstigere Firmentarifverträge abzuschließen, wenn sich eine Gewerkschaft dazu bereit finde.311 Die insbesondere seit dem CGM-Beschluss des 1. Senats des BAG312 großzügigeren Maßstäbe zur Anerkennung der Tariffähigkeit öffneten hier Türen, insbesondere für „Christliche“ Gewerkschaften. Die Schwelle eines Gefälligkeitstarifvertrages werde kaum je justitiabel erreicht sein. Damit könnte der Arbeitgeber bei nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern eine gravierende Verschlechterung der kraft Bezugnahme geltenden Arbeitsbedingungen erreichen.313 Angesichts dessen stehe eine Klauselgestaltung durch Anknüpfung an den speziellsten oder den für den Arbeitgeber günstigsten Tarifvertrag in einem Spannungsverhältnis zum Klauselverbot des § 308 Nr. 4 BGB, da der Arbeitgeber durch zwar tarifautonomes, aber aus individualvertraglicher Perspektive gleichwohl einseitiges Agieren (Abschluss eines spezielleren/günstigeren Haustarifvertrages) eine Änderung der Arbeitsbedingungen erreichen könne.314 Allerdings halten Preis/Greiner die Benachteiligung für weit geringer als bei dem einseitigen Wahlrecht des Arbeitgebers unter mehreren Tarifverträgen, da die Kriterien, welcher Tarifvertrag jeweils zur Anwendung kommen soll, abstrakt transparent festgelegt seien.315 Der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen könne der Arbeitnehmer im Übrigen möglicherweise entgehen, indem er eine anderweitige Tarifbindung herstellt, etwa an den ursprünglich in Bezug genommenen Tarifvertrag.316 Mit Blick auf die dargestellten Unsicherheiten empfehle sich eindeutig die rechtssichere Bezugnahme auf den repräsentativsten Tarifvertrag.317
311
s. auch Reinecke, BB 2006, 2637 (2645). BAG 28. 3. 2006 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 4 (Henssler/Heiden). 313 Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1077). 314 s. auch Reinecke, BB 2006, 2637 (2645) sowie jüngst (im Rahmen ergänzender Vertragsauslegung) Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 174. 315 Die Bedeutung einer eine eindeutige Ermittlung des jeweils in Bezug genommenen Tarifvertrages ermöglichenden abstrakten Festlegung von Kriterien nochmals betonend Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 64. 316 Ähnlicher Hinweis bereits bei A. Stein, Anm. zu BAG 14. 12. 2005 AuR 2006, 366 (369). 317 Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1077); ihnen folgend Jacobs, NZA 2008, 325 (333); ders., FS Birk, S. 243 (261); s. jetzt ferner Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 226 f. 312
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
(3) Herrschaft des Arbeitgebers über die Organisationseinheit „Betrieb“ Diese Ausführungen von Preis/Greiner lassen deutlich werden, dass einem allzu engen Verständnis der von § 308 Nr. 4 BGB geforderten Zumutbarkeit der durch den Änderungsvorbehalt erzeugten Ungewissheit – welches sich im Übrigen auch in Widerspruch zur allgemeinen Beurteilung der Zulässigkeit (tarifpluralitätsunabhängiger) großer dynamischer Verweisungsklauseln durch die ganz h. M. setzte318 – nicht nur der für den Fall der Tarifpluralität unterbreitete Vorschlag der Statuierung eines einseitigen Bestimmungsrechts des Arbeitgebers über den arbeitsvertraglich anwendbaren Tarifvertrag zum Opfer fiele, sondern dass ein solches Verständnis auch die Zulässigkeit der übrigen in die Diskussion gebrachten Klauselgestaltungen zweifelhaft werden zu lassen drohte – schon das ist ein Indiz dafür, dass die Anforderungen damit überspannt werden. Vor allem aber loten selbst diese Ausführungen von Preis/Greiner die Problematik noch nicht einmal in vollem Umfang aus. Zutreffend erkennen Preis/Greiner, dass eine Anknüpfung an das Spezialitätskriterium oder an den für den Arbeitgeber günstigsten Tarifvertrag aufgrund der Möglichkeit des Abschlusses von Haustarifverträgen ebenfalls in gewisser Weise ein einseitiges Bestimmungsrecht des Arbeitgebers bedeutet. Wenn sie aber meinen, eine solche Gestaltung biete gegenüber dem ausdrücklichen Wahlrecht des Arbeitgebers gleichwohl den Vorzug, dass die Kriterien, welcher Tarifvertrag jeweils zur Anwendung kommen soll, abstrakt transparent festgelegt seien, dann überschätzen sie den Wert einer solchen abstrakten Festlegung. Überdies ist auch das behauptete höhere Maß an Rechtssicherheit im Falle des Verweises auf den repräsentativsten Tarifvertrag fraglich. Beides hat seine Ursache darin, dass der Arbeitgeber die schuldrechtliche Tarifanwendung im Falle einer Tarifmehrheit nicht nur durch Abschluss eines für ihn günstigeren oder eines spezielleren Haustarifs, sondern – und zwar, wenn auch weniger handgreiflich, in ähnlichem Maße im Falle einer Bezugnahme auf den Mehrheitstarifvertrag – auch durch seine Möglichkeit beeinflussen kann, den Zuschnitt seiner Betriebe zu ändern. Diese organisatorisch-faktische Gestaltungsoption führt mittelbar ebenfalls zu einem einseitigen Bestimmungsrecht des Arbeitgebers über den anzuwendenden Tarifvertrag. Dies ist näher auszuführen: (a) Herrschaft über die Organisationseinheit „Betrieb“ und Grundsatz der Tarifeinheit In seiner Kritik an der bisherigen Rechtsprechung des BAG zur Tarifeinheit bei Tarifpluralität hat Rieble herausgearbeitet, dass das Prinzip der betrieblichen Tarifeinheit i.V. m. dem Spezialitätsprinzip den Arbeitgeber in die Lage versetzt, kraft seiner Organisationsgewalt zu Lasten seiner Arbeitnehmer über die Tarif318
s. dazu noch unten C. IV. 2. b) bb) (4).
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 219
geltung zu entscheiden.319 Herr der Organisationseinheit „Betrieb“ sei der Arbeitgeber. Er könne die Arbeitsorganisation einseitig verändern, ohne dass die Tarifparteien hiergegen etwas unternehmen könnten. Nach der Lehre von der Tarifeinheit könne der Arbeitgeber so kraft seiner Organisationsgewalt zu Lasten seiner Arbeitnehmer über die Tarifgeltung entscheiden, indem er seine Betriebe so organisiere, dass durch die Tarifverdrängung ein für ihn möglichst günstiges Ergebnis ausgelöst wird.320 So könne er zwei Betriebe, für die bislang verschiedene Tarifverträge gelten, durch eine einheitliche Leitung zusammenlegen und der einen Belegschaft nach dem Grundsatz der Tarifeinheit so ihren Tarifschutz entziehen.321 Ebenso könne er gezielt die Belegschaftszusammensetzung eines Mischbetriebes322 verändern, um das Ergebnis der Tarifverdrängung zu beeinflussen.323 Mit Recht sieht Rieble hierin einen erheblichen Einwand gegen das Konzept der Tarifeinheit: Die Tarifgeltung dürfe nicht von der Entscheidung des Arbeitgebers abhängen, wie er seine Betriebe organisiert.324 (b) Herrschaft über die Organisationseinheit „Betrieb“ und Bezugnahme auf den speziellsten oder den repräsentativsten Tarifvertrag Auf der Grundlage des überkommenen Prinzips der Tarifeinheit im Betrieb wurde demnach das Spezialitätsprinzip mittelbar zum einseitigen Bestimmungsrecht des Arbeitgebers über die normative (!) Tarifanwendung. Mutatis mutandis wird dieser Einwand gegen das Prinzip der Tarifeinheit bei Tarifpluralität zur Widerlegung der These, der Verweis auf den speziellsten Tarifvertrag benachteilige den Arbeitnehmer weit geringer als ein einseitiges Wahlrecht des Arbeitgebers. Eingedenk der aufgezeigten faktisch-organisatorischen Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers ist die von Preis/Greiner angenommene abstrakte transparente Festlegung der Kriterien, welcher Tarifvertrag jeweils zur Anwendung 319 Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1800; ders., Anm. zu BAG 22. 3. 1994 EzA TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 10, S. 12 (18 f.); ders., BB 2003, 1227 (1228); Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 134; ebenso später F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 356 f., 379, 388 f. sowie Greiner, Anm. zu LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80, S. 45 (51); ders., Rechtsfragen, S. 309, 348; s. auch I. Schmidt, FAZ vom 19. 7. 2010, Nr. 164, S. 13 (Interview unter der Überschrift „Ein Gesetz zur Tarifeinheit in dieser Atmosphäre kann nicht gutgehen“). 320 Rieble, Anm. zu BAG 22. 3. 1994 EzA TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 10, S. 12 (18); Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 134. 321 Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1800; ders., Anm. zu BAG 22. 3. 1994 EzA TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 10, S. 12 (18 f.); Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 134. 322 Dazu Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 150. 323 Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1800; ders., Anm. zu BAG 22. 3. 1994 EzA TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 10, S. 12 (18 f.). 324 Rieble, Anm. zu BAG 22. 3. 1994 EzA TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 10, S. 12 (19). Der gleiche Gedanke kann auch bei der Festlegung des branchenmäßigen Geltungsbereichs eines Tarifvertrages (Maßgeblichkeit des Betriebs- oder des Unternehmenszwecks) eine Rolle spielen, s. dazu Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 144.
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
kommen soll325, illusorisch. Der Arbeitgeber braucht, um sich aus den „Fesseln“ dieser abstrakten Festlegung zu lösen, lediglich den Zuschnitt des Betriebes jeweils so zu ändern, dass der ihm genehme Tarifvertrag der speziellste ist. Entsprechendes gilt, wenn auch die aus seiner Herrschaft über den organisatorischen Zuschnitt seines Betriebes oder seiner Betriebe erwachsende Möglichkeit des Arbeitgebers, die schuldrechtliche Tarifanwendung im Falle der Tarifpluralität zu beeinflussen, hier sicherlich weniger handgreiflich ist als bei einer Anknüpfung an den speziellsten Tarifvertrag, für den von Preis/Greiner326 und auch von Jacobs327 empfohlenen, vermeintlich rechtssicheren Verweis auf den Mehrheitstarifvertrag. Der durch die Bezugnahme auf den repräsentativsten Tarifvertrag geschaffene Rechtszustand ist nicht nur – aufgrund der Möglichkeit der Änderung der Gewerkschaftsmitgliedschaft – volatil328, er ist ebenfalls, letztlich nicht anders als bei Zubilligung eines einseitigen Bestimmungsrechts an den Arbeitgeber, durch den Arbeitgeber als Herrn der Betriebsorganisation einseitig und für den Arbeitnehmer unvorhersehbar329 änderbar. Der Arbeitgeber kann mit Hilfe des ihm zugebilligten Fragerechts feststellen (und seine diesbezügliche Kenntnis über die arbeitsvertragliche Vereinbarung einer „Mitgliedschaftsauskunftsklausel“, die den Arbeitnehmer zur Anzeige von Gewerkschaftswechseln verpflichtet, ständig aktualisieren), wie sich die Tarifbindung seiner Arbeitnehmer auf die mehreren im Betrieb geltenden Tarifverträge verteilt und den Betrieb bei Bedarf so aufspalten oder mit einem anderen Betrieb zusammenlegen, dass der ihm genehme Tarifvertrag die Mehrheit der Tarifbindungen auf sich vereinigt. So hat er zwar nicht de iure (anders als beim einseitigen Bestimmungsrecht), aber doch de facto die jederzeitige Option, die individualvertraglich inkorporierten Arbeitsbedingungen einseitig und für den Arbeitnehmer „unkalkulierbar“330 zu ändern. Vor diesem Hintergrund erhellt auch, dass – wie bereits angedeutet – die Kennzeichnung der an die Regeln der Tarifkonkurrenz (Spezialitätsprinzip, Mehrheitsprinzip) anknüpfenden Vertragsgestaltung als „objektiver Lösungsweg“ und die Abhebung dieser „objektiven Anknüpfung“ von der als „subjektiver Lösungsweg“ bezeichneten Einräumung eines einseitigen arbeitge-
325 Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1077); s. auch Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 64. 326 Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1077); s. auch Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 17 f., 64; Greiner, NZA 2009, 877; dens., Rechtsfragen, S. 518 f. 327 Jacobs, NZA 2008, 325 (333); ders., FS Birk, S. 243 (261); ebenso jüngst Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 226 f. 328 Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1077); Greiner, Rechtsfragen, S. 518; vgl. auch Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 177, 188. 329 „Unkalkulierbar“, so Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1076) in ihrer Kritik am einseitigen Bestimmungsrecht. 330 s. aber oben C. IV. 2. b) bb) (1) zur begrenzenden Wirkung des Erfordernisses der Eröffnung des tarifvertraglichen Geltungsbereichs.
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 221
berischen Leistungsbestimmungsrechts331 auf einer zu formalen Betrachtungsweise beruht. (4) Die Dynamik der Bezugnahmeklausel Aus dem Vorstehenden folgt nun aber nicht etwa, dass sowohl die Vereinbarung eines einseitigen Bestimmungsrechts über den bei Tarifpluralität arbeitsvertraglich anzuwendenden Tarifvertrag als auch die Verweisung auf den speziellsten oder den repräsentativsten Tarifvertrag unzulässig, entsprechende Klauselgestaltungen insbesondere nach § 308 Nr. 4 BGB unwirksam sind. Vielmehr ist zunächst zu bedenken, dass, wie Annuß gezeigt hat, vollkommen unabhängig vom Vorliegen einer Tarifpluralität bereits jeder großen dynamischen Bezugnahmeklausel im Ergebnis ein mittelbares Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers über die individualvertraglich inkorporierten Arbeitsbedingungen innewohnt. Ganz ähnlich wie der Arbeitgeber nach der zutreffenden Analyse Riebles den Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität dazu nutzen konnte, einseitig über die normative Tarifanwendung im Betrieb zu entscheiden, kann er die große dynamische Bezugnahmeklausel dazu nutzen, einseitig einen (schuldrechtlich wirkenden) Tarifwechsel herbeizuführen, indem er auf Unternehmens- oder Betriebsebene Umstrukturierungen vornimmt, die zu einem Wechsel der einschlägigen Tarifverträge führen332. Gleichwohl kommt man nicht auf die Idee, die große dynamische Bezugnahmeklausel deshalb für schlechthin unzulässig zu halten.333 Das liegt daran, „dass ein Schutz gegen eine – auch noch so erhebliche – Umgestaltung des vertraglichen Synallagmas infolge von Änderungen der in Bezug genommenen Tarifverträge bis an die Grenze der Sittenwidrigkeit nicht geboten ist, weil das mit der Bezugnahme auf Tarifverträge zur Ausfüllung des Arbeitsvertrages instrumentalisierte Gegenmachtprinzip verhindert, dass eine der Arbeitsvertragsparteien ,unter die Räder kommt‘“334. Dem entspricht in Hinsicht auf das ausdrückliche einseitige Bestimmungsrecht des Arbeitgebers bei Tarifpluralität der bereits oben gegebene Hinweis auf die von Gesetzes und Verfassungs wegen zu unterstellende Gleichwertigkeit aller von tariffähigen Parteien abgeschlossenen Tarifverträge. Das von Preis/Greiner zutreffend gesehene Spannungsverhältnis von Tariffähigkeit, Tarifzensur und An331
So Franzen, RdA 2008, 193 (196 f.) und schon ders., FS ZVK-Bau, S. 57 (68). Vgl. Annuß, ZfA 2005, 405 (414); s. auch Reinecke, BB 2006, 2637 (2645). 333 Zu ihrer Zulässigkeit s. die Nachweise oben Fn. 300. 334 So mit Blick auf die kleine dynamische Bezugnahmeklausel gegen den Vorwurf einer unzulässigen Leistungsbestimmung Annuß, ZfA 2005, 405 (413); s. aber demgegenüber auch Reinecke, BB 2006, 2637 (2645); A. Stein, AuR 2003, 361 (365); dens., Anm. zu BAG 14. 12. 2005 AuR 2006, 366 (370). Zu ihnen sogleich im Text. 332
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
gemessenheitskontrolle der Bezugnahmeklausel335 muss daher dahingehend aufgelöst werden, dass im Arbeitsvertrag für den Fall einer Tarifpluralität ein einseitiges Bestimmungsrecht des Arbeitgebers über den anzuwendenden Tarifvertrag vereinbart werden kann, ohne dass dies wegen Unzumutbarkeit der vorbehaltenen Leistungsänderung als solcher gegen § 308 Nr. 4 BGB verstößt. Unzumutbar ist aber auch nicht die durch den Vorbehalt geschaffene Ungewissheit über die künftige Entwicklung der Arbeitsbedingungen. Auch diese Ungewissheit ist im Grundsatz ganz unabhängig vom Vorliegen einer Tarifpluralität bereits in der Dynamik der Bezugnahmeklausel angelegt.336 Verfehlt wäre es indes, nunmehr aufgrund dieses Unsicherheitsmoments schon die Zulässigkeit der – insbesondere großen – dynamischen Bezugnahmeklausel als solcher in Frage zu stellen. In eben diese Richtung geht aber Stein.337 Es nehme wunder, dass bislang weitgehend unerörtert geblieben sei, inwieweit eine große dynamische Verweisungsklausel der Billigkeitskontrolle standhält. Zu erwägen sei eine (entsprechende) Anwendung des § 308 Nr. 4 BGB auf die große dynamische Verweisungsklausel.338 335 s. nochmals Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1077) und vertiefend jetzt Greiner, Rechtsfragen, S. 524 ff. 336 s. jetzt auch Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 93. 337 A. Stein, AuR 2003, 361 (365). 338 s. auch Reinecke, BB 2006, 2637 (2645), der eine rechtsgedankliche Anwendung des § 308 Nr. 4 BGB sowie eine (Art) Ausübungskontrolle entsprechend §§ 315 ff. BGB (dafür wohl auch Annuß, ZfA 2005, 405 [414, 433 f.]; s. auch Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1737; dagegen jüngst Jordan/Bissels, NZA 2010, 71 [74]) erwägt; dabei gehe es nicht um eine Inhaltskontrolle des anderen Tarifvertrages, entscheidend wäre das Ausmaß der Unterschiede zwischen beiden Tarifverträgen; allerdings, so Reinecke zutreffend, seien tarifrechtliche Wertungen und die des § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB zu beachten; auch J. C. Otto, Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, S. 76, weist in diesem Zusammenhang auf § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB hin, sieht sich aber doch daran gehindert, die Wertung der Vorschrift hier fruchtbar zu machen: Da die arbeitsvertragliche und die tarifliche Ebene streng zu trennen seien, könnten die durch die große dynamische Bezugnahmeklausel für den Arbeitnehmer entstehenden Belastungen nicht bereits mit dem Hinweis darauf für unbeachtlich erklärt werden, dass es zu einem mit erheblichen Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen verbundenen Tarifwechsel auch nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB kommen könne, denn diese Vorschrift betreffe gerade nur die tarifrechtliche Ebene. So richtig indes diese die arbeitsvertragliche und die tarifrechtliche Ebene klar trennende Herangehensweise ist, wenn es um die Auslegung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln im Hinblick auf ihren Charakter als „bloße“ Gleichstellungsabrede geht (näher J. C. Otto, a. a. O., S. 127 ff., 143 ff.), so deutlich macht doch das Gesetz in § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB, dass die Vereinbarung einer arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf den einschlägigen Tarifvertrag eine Überwirkung tarifrechtlicher Wertungen auf die individualvertragliche Ebene zur Folge hat. Mit Recht skeptisch gegenüber einer auf §§ 308 Nr. 4, 315 ff. BGB gestützten Ausübungskontrolle bei großen dynamischen Bezugnahmeklauseln daher auch Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (142): Eine solche Kontrolle erscheine angesichts der vom Gesetzgeber unterstellten Gleichwertigkeit aller den Anforderungen des TVG entsprechenden Tarifverträge problematisch. – Zu der von Reinecke und Annuß angesprochenen Frage einer Ausübungskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB s.
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 223
Zutreffend sieht aber Stein selbst, dass dabei mehrere Bedenken ausgeräumt werden müssten.339 Von Bedeutung ist besonders seine dritte Überlegung, die sich mit der obigen Argumentation im Ansatz deckt: Die große dynamische Verweisungsklausel führe lediglich von der Anwendung eines Tarifwerks zu der eines anderen. Tarifverträge aber stünden nach § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB Rechtsvorschriften i. S. v. § 307 Abs. 3 BGB gleich, so dass eine Inhaltskontrolle wegen fehlender Abweichung von Rechtsvorschriften ausscheiden müsste.340 Dies entspricht der obigen Argumentation: Ein Schutz gegen eine Umgestaltung des vertraglichen Synallagmas infolge Austauschs des Bezugnahmeobjekts (Tarifwechsel) ist aufgrund der Gleichwertigkeit aller Tarifverträge und der ihnen allen gleichermaßen zukommenden Richtigkeitsgewähr nicht geboten.341 Im Folgenden hebt aber Stein auf die auch hier verfolgte Unterscheidung zwischen Zumutbarkeit der vorbehaltenen Leistungsänderung (hier: des vorbehaltenen Tarifwechsels durch Austausch des Bezugnahmegegenstandes) als solcher und Zumutbarkeit der durch den Vorbehalt geschaffenen Ungewissheit ab. Nicht grundsätzlich unzumutbar sei für den Arbeitnehmer der Inhalt des Tarifvertrages, sondern der für eine Folgenabschätzung kaum kalkulierbare Wechsel.342 Daraus lässt sich zunächst für unsere Frage insoweit nichts herleiten, als es zu diesem Wechsel aufgrund der Volatilität der Mehrheitsverhältnisse, der Beeinflussbarkeit der Günstigkeits- und der Spezialitätsverhältnisse durch den Arbeitgeber mittels Abschlusses von Haustarifverträgen und schließlich der Herrschaft des Arbeitgebers über die betriebliche Organisationseinheit auch bei einem Verweis auf den speziellsten, den günstigsten oder den repräsentativsten Tarifvertrag kommen kann.343
für das einseitige Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers im Falle der Tarifpluralität noch unten C. IV. 3. 339 Gegen eine Anwendung von § 308 Nr. 4 BGB auf große dynamische Verweisungen jüngst auch Jacobs, NZA Beilage 1/2009, S. 45 (52); Jordan/Bissels, NZA 2010, 71 (74). 340 A. Stein, AuR 2003, 361 (365). 341 s. auch Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 99 zur großen dynamischen Bezugnahmeklausel: „Auch für den Tarifvertrag in dem neuen Tarifbereich gilt dessen Richtigkeitsgewähr.“; J. C. Otto, Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, S. 75. 342 A. Stein, AuR 2003, 361 (365), Hervorhebung nicht im Original; s. auch dens., Anm. zu BAG 14. 12. 2005 AuR 2006, 366 (370); außerdem Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1735: Die in Bezug genommenen Tarifklauseln müssen nicht bloß für sich genommen einer Angemessenheitskontrolle standhalten, gerade ihre Änderung muss mit Blick auf Besitzstands- und Vertrauensschutz der Arbeitnehmer kontrolliert werden. 343 Anders freilich, wenn man mit A. Stein, Anm. zu BAG 14. 12. 2005 AuR 2006, 366 (369, mit Fn. 31) eine Bezugnahme auf das für den Arbeitgeber günstigste Tarifwerk als dynamische Verweisung für wirksam formulierbar nur durch konkrete Benennung des Tarifwerks hält.
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Mit Stein müsste man daher konsequent alle für die Anpassung von Bezugnahmeklauseln an den Wegfall des Grundsatzes der Tarifeinheit vorgeschlagenen Gestaltungen für unzulässig halten344, entfiele doch schon ihre gemeinsame Basis, die Möglichkeit der Vereinbarung einer (pluralitätsunabhängigen) großen dynamischen Bezugnahmeklausel, wegen Unwirksamkeit nach § 308 Nr. 4 BGB. Das kann indes nicht richtig sein. Das Arbeitsverhältnis ist als Dauerschuldverhältnis ein prospektives Rechtsverhältnis.345 Der durch die Dynamik der (großen) Bezugnahmeklausel eintretende Wechsel der Arbeitsbedingungen ist daher nie unzumutbar; wäre er es im Einzelfall, so ist er schon aus außerhalb des AGBRechts gelegenen, auch bei einzelvertraglich ausgehandelten Bezugnahmevereinbarungen eingreifenden Gründen ausgeschlossen: Eine Grenze der Bezugnahmewirkung ist (allein) dort zu ziehen, wo Tarifentwicklungen schlechterdings nicht vorhersehbar sind346; rechtskonstruktiv kann dieser Überraschungsschutz, der auch bei einer Auswechselung der in Bezug genommenen Tarifverträge aktuell werden kann347, durch (einschränkende) Auslegung der Verweisungsklausel erzielt werden.348 344 Tatsächlich soll nach A. Stein zumindest die Inbezugnahme des für den Arbeitgeber günstigsten Tarifvertrages nur möglich sein durch konkrete Benennung des Tarifwerks, s. Vornote. 345 Zu der spezifischen zeitlichen Dimension der Dauerschuldverhältnisse s. Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 18 ff., 96 ff., 99 ff., der den Bezugspunkt des Zeitmoments in der vertragstypischen Hauptleistung erblickt (S. 105 ff.; zu der daraus folgenden Einordnung des Arbeitsvertrages als Dauerschuldvertrag S. 152 ff.). 346 Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 256; MüArbR/Rieble/Klumpp, § 178 Rn. 24; Thüsing/ Lambrich, NZA 2002, 1361 (1364 f.). Jüngst offen gelassen vom 6. Senat des BAG, Urteil vom 24. 9. 2008 AP BGB § 305c Nr. 11, unter A. III. 1.a) cc) der Gründe. s. zu diesem Überraschungsschutz ferner BAG 28. 6. 2001 AP BGB § 611 Arbeitszeit Nr. 24, unter C. der Gründe; 27. 2. 2002 AP TVG § 1 Tarifverträge: Rundfunk Nr. 36, unter B. II. 1. c) der Gründe (mit Differenzierung zwischen Verbands- und Haustarifverträgen); s. auch schon BAG 14. 3. 1961 AP BGB § 242 Ruhegehalt Nr. 78 (Zeuner), betr. dynamische Bezugnahme auf Betriebsvereinbarungen. Aus der Literatur des Weiteren etwa P. Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (243 f., 249 f.); Däubler/Lorenz, § 3 Rn. 219; J. C. Otto, Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, S. 66 f., 75 f.; Preis, Grundfragen, S. 400 ff.; Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 74 ff.; Reichel, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 61 ff.; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1732, der diesen Schutz allerdings nicht für ausreichend hält; Seibert, NZA 1985, 730 (732 f.); Thüsing, AGB-Kontrolle, Rn. 195 ff.; zuletzt Stoffels, ZfA 2009, 861 (887 f.); zurückhaltend Annuß, BB 1999, 2558 (2559); Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 91 ff., 100 f.; Wiedemann/Oetker, § 3 Rn. 307, 355 m.w. N.; Seitz/Werner, NZA 2000, 1257 (1261 f.); ablehnend Gamillscheg, KollArbR I, § 17 II. 4. c) (2), S. 736 f.; Kania, NZA Beilage 3/2000, S. 45 (46 f.); zuletzt Jordan/Bissels, NZA 2010, 71 (72). Kritisch zum Ganzen allerdings Kempen/Zachert/A. Stein, § 3 Rn. 177. 347 P. Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (244); Däubler/Lorenz, § 3 Rn. 219 („erst recht“). 348 P. Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (244), die zudem auf einen möglichen Wegfall der Geschäftsgrundlage (s. jetzt § 313 BGB) hinweisen; Hromadka/Maschmann/ Wallner, Tarifwechsel, Rn. 96, 101; Däubler/Lorenz, § 3 Rn. 219; Preis, Grundfragen, S. 402 f.; Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 80; Reichel, Arbeitsvertragliche Be-
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Diesseits der Grenze des schlechterdings nicht Vorhersehbaren349 kann demnach der bloße Wechsel der Tarifverträge entgegen Stein nicht unzumutbar sein. Letztlich geht es vielmehr um die Angemessenheit der Regelung350, mithin doch um ihren Inhalt. Mit dem Inhalt, genauer dessen Angemessenheit, argumentiert in der Sache auch Stein, wenn er auf die Möglichkeit einer Einkommensminderung auf nahezu die Hälfte hinweist.351 Dass hierin aufgrund tarifrechtlicher Wertungen kein Ansatzpunkt für die Bewertung einer Vertragsgestaltung als unzumutbar (oder unangemessen benachteiligend) liegt, wurde aber bereits ausgeführt. Dem einseitigen Bestimmungsrecht für den Fall der Tarifpluralität kann nach alledem nicht durch Zweifel an der AGB-rechtlichen Zulässigkeit der großen dynamischen Bezugnahmeklausel die Grundlage entzogen werden. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Ist die Vereinbarung einer großen dynamischen Bezugnahmeklausel auch gemessen an den §§ 305 ff. BGB rechtlich zulässig, so kann nichts anders für die Ergänzung dieser Verweisungsregelung um ein einseitiges Bestimmungsrecht über den im Falle der Tarifpluralität arbeitsvertraglich anwendbaren Tarifvertrag gelten. Denn so, wie bei der Beurteilung der Zulässigkeit vorformulierter arbeitsvertraglicher Widerrufsvorbehalte in Rechnung zu stellen ist, dass durch eine flexible Vertragsgestaltung das Vertrauen des Vertragspartners auf Verfestigung der Vertragsbestandteile von vornherein gemindert ist352, so wird auch hier die durch die mittels Dynamisierung der Bezugnahmewirkung flexible Vertragsgestaltung ohnehin bewirkte Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung der Arbeitsbedingungen durch das Hinzutreten einer einseitigen Bestim-
zugnahme, S. 64 ff. Auf § 305c Abs. 1 BGB stellen – angreifbar – ab Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1364 f.) sowie Thüsing, AGB-Kontrolle, Rn. 195; ebenso jetzt Stoffels, ZfA 2009, 861 (887); dagegen Jordan/Bissels, NZA 2010, 71 (72); Löwisch/ Rieble, § 3 Rn. 256; s. auch Diehn, NZA 2004, 129 (133); J. C. Otto, Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, S. 66 f. Gegen eine Lösung über die Vertragsauslegung oder die Geschäftsgrundlagenregeln, stattdessen für analoge Anwendung von §§ 317, 319 BGB Seibert, NZA 1985, 730 (732 f.); für Anwendung der §§ 317, 319 BGB, aber neben dem Schutz vor schlechterdings nicht vorhersehbaren Tarifentwicklungen, auch Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1734 f.; s. zum Ganzen auch J. C. Otto, a. a. O., S. 76. 349 Mit Recht weisen freilich Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 1361 (1365) darauf hin, dass die eigentliche Schwierigkeit darin liegt, diese Grenze zu bestimmen; s. auch Annuß, BB 1999, 2558 (2559); zuletzt Stoffels, ZfA 2009, 861 (887 f.). Auch BAG 24. 9. 2008 AP BGB § 305c Nr. 11, unter A. III. 1. a) cc) sieht das Problem, konnte die Frage aber dahinstehen lassen. Weiterführende Überlegungen bei Thüsing, AGB-Kontrolle, Rn. 196. 350 s. auch Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 95, 99. 351 s. A. Stein, AuR 2003, 361 (365) mit Blick auf BAG 30. 8. 2000 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 12 (Waas). 352 Preis/V. Lindemann, Anm. zu BAG 12. 1. 2005 AuR 2005, 229 (231); s. auch bereits Preis, Grundfragen, S. 419.
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mungsmöglichkeit des Arbeitgebers für den Fall der Tarifpluralität nicht in zur Unzumutbarkeit führender Weise verstärkt. (5) Die Möglichkeit des Arbeitnehmers zum Gewerkschaftsbeitritt Als letztes, aber nicht geringstes Argument ist der Hinweis von Preis/Greiner aufzugreifen, dass der Arbeitnehmer einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen infolge Austauschs des Bezugnahmeobjekts bei Tarifpluralität möglicherweise entgehen könne, indem er eine anderweitige Tarifbindung herstelle, etwa an den ursprünglich in Bezug genommenen Tarifvertrag.353 Dem ist mit Nachdruck zuzustimmen.354 Der durch den möglichen Austausch des Bezugnahmegegenstandes bewirkten Ungewissheit der künftigen Arbeitsbedingungen kann sich der Arbeitnehmer in der Tat durch Gewerkschaftsbeitritt entziehen. Gegenüber tarifgebundenen Arbeitnehmern wirkt die Inbezugnahme eines anderen Tarifvertrages nur im Rahmen des Günstigkeitsprinzips; aufgrund des hier ausnahmsweise angebrachten Gesamtvergleichs bleibt es regelmäßig bei den Bedingungen des normativ geltenden Tarifwerkes.355 (6) Bindung der Leistungsbestimmung an in der Klausel zu benennende Gründe Oben wurde bereits dargestellt, dass das BAG einen Widerrufsvorbehalt nur dann für zumutbar i. S. v. § 308 Nr. 4 BGB hält, wenn der Widerruf nicht grundlos erfolgen soll. Es müsse ein Grund für den Widerruf bestehen, der den Widerruf typischerweise rechtfertigt. Zudem verlangten die §§ 308 Nr. 4, 307 Abs. 1 und Abs. 2 BGB und das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB die Angabe der möglichen Widerrufsgründe im Vertrag.356 Auch die arbeitgeberische Bestimmung des im Falle einer Tarifpluralität arbeitsvertraglich anwendbaren Tarifvertrages ist an konkrete Bestimmungsgründe zu binden, die überdies in der Vertragsklausel selbst zu benennen sind. Dies wurde bislang, soweit ersichtlich, in der Literatur nicht als Möglichkeit erörtert. Das aber liegt daran, dass man wohl bisher als Anlass für eine einseitige Leistungsbestimmung des Arbeitgebers allein den Fall des (nachträglichen, also dem Arbeitsvertragsschluss zeitlich nachfolgenden) Eintritts der Tarifpluralität als solchen im Auge hatte.357 Betrachtet man allein den nachträglichen, dem Arbeits-
353 354 355 356 357
Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1077). s. nunmehr weiterführend auch Greiner, Rechtsfragen, S. 526. s. o. C. III. 1. s. o. C. IV. 2. a) bb). s. aber jetzt Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 63.
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vertragsschluss zeitlich nachfolgenden Eintritt der Tarifpluralität als solchen, der erstmalig die Frage nach dem anwendbaren Tarifvertrag, die Notwendigkeit der Bestimmung des Bezugnahmegegenstandes, aufwirft, so erscheint es in der Tat entbehrlich, über ein Erfordernis eines Grundes für die Leistungsbestimmung und seiner Angabe im Arbeitsvertrag nachzudenken: Grund für die Ausübung des Bestimmungsrechts ist hier schlicht der Eintritt der Tarifpluralität als solcher.358 Damit wäre die Leistungsbestimmung stets nur einmalig bei Eintritt der Tarifpluralität möglich; nicht erfasst wären sich möglicherweise in der Folgezeit ergebende Gründe für weitere, erneute einseitige Bestimmungen des Bezugnahmegegenstandes bei Änderungen der Verhältnisse während des Bestehens der Tarifpluralität. Man kann sich aber nicht etwa von vornherein auf den Standpunkt stellen, das einseitige Bestimmungsrecht sei nur und allenfalls legitim zur arbeitsvertragsrechtlichen Bewältigung des Eintritts der Tarifpluralität als solchen, dass also immer nur eine einmalige Leistungsbestimmung möglich sein dürfe. Denn auch der alternativ für den Fall der Tarifpluralität vorgeschlagene Verweis auf die Regeln zur Auflösung von Tarifkonkurrenzen oder die unmittelbare Anknüpfung an den jeweils günstigsten, speziellsten oder repräsentativsten Tarifvertrag kann schließlich ohne weiteres zu einem wiederholten und mehrfachen Austausch des Verweisungsobjekts führen. Im Einzelnen gilt Folgendes359: (a) Gründe für eine Auswahlentscheidung bei nachträglich eintretender Tarifpluralität (aa) Der Eintritt der Tarifpluralität als solcher Erkennt man überhaupt die Möglichkeit an, dem Arbeitgeber vertraglich – auch in Allgemeinen Arbeitsbedingungen i. S. v. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB – ein einseitiges Bestimmungsrecht über den im Falle einer Tarifpluralität schuldrechtlich anzuwendenden Tarifvertrag vorzubehalten, so stellt zunächst der spätere Eintritt einer Tarifpluralität als solcher ohne weiteres einen (einmaligen) Grund für die Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts dar, der ohne ausdrückliche Benennung im Vertragstext360 bereits in der Bestimmungsklausel enthalten ist. 358 s. auch für die pluralitätsunabhängig formulierte Tarifwechselklausel Annuß, ZfA 2005, 405 (433, mit Fn. 127); im Ergebnis ebenso Oetker, FS Wiedemann, S. 383 (398). 359 Es geht dabei zugleich um die Bestimmung der nach § 308 Nr. 4 BGB bei der Prüfung der Zumutbarkeit eines Änderungsvorbehalts zu berücksichtigenden Interessen des Verwenders, hier des Arbeitgebers. 360 In den hier unterbreiteten Vorschlag für eine Klauselformulierung ist gleichwohl aus Klarstellungsgründen eine entsprechende Passage aufgenommen, s. unten C. IV. 4. a), Absatz 2 der Klausel.
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(bb) Nicht anzuerkennende Gründe a) Geänderte Präferenz des Arbeitgebers Kaum einer Begründung bedarf es, dass die schlichte geänderte Präferenz des Arbeitgebers keinen anzuerkennenden Grund für eine (erneute) Bestimmung des Bezugnahmeobjekts abgeben kann; anderenfalls würde das Erfordernis eines Bestimmungsgrundes und seiner Angabe im Vertrag leer laufen. Keinesfalls kann deswegen der Arbeitgeber das Leistungsbestimmungsrecht jederzeit nach Gutdünken ausüben, weil ihm nun doch der andere Tarifvertrag mehr zusagt. Die durch den Vorbehalt geschaffene Ungewissheit, deren Begrenzung die Bindung des Bestimmungsrechts an konkrete Bestimmungsgründe sowie das Erfordernis der Benennung dieser Gründe in der Klausel gerade dienen, nähme anderenfalls unerträgliche, i. S. v. § 308 Nr. 4 BGB unzumutbare Ausmaße an. b) Pauschales Vereinheitlichungsinteresse Nicht ausreichend ist auch das pauschale Interesse des Arbeitgebers an einer Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen im Betrieb. Diese Gleichstellung kann als Folge der Akzeptanz von Tarifpluralitäten ohnehin nicht mehr vollumfänglich verwirklicht werden, möglich ist nur mehr eine partielle Gleichstellung der Nichtorganisierten mit einem Teil der Tarifgebundenen.361 g) Wirtschaftliche Gründe Anders als für einen vorbehaltenen Widerruf übertariflicher Leistungen362 genügen für die einseitige arbeitgeberische Bestimmung des im Falle einer Tarifpluralität arbeitsvertraglich anwendbaren Tarifvertrages nicht „wirtschaftliche Gründe“. Im Unterschied zum arbeitsvertraglich vorbehaltenen Widerruf übertariflicher Leistungen ist das einseitige Bestimmungsrecht kein allgemeines Instrument der Vertragsflexibilisierung zur Reaktion auf betriebswirtschaftliche Tatbestände wie eine wirtschaftliche Notlage des Unternehmens, ein negatives wirtschaftliches Ergebnis der Betriebsabteilung, einen nicht ausreichenden Gewinn oder einen Rückgang oder ein Nichterreichen der erwarteten wirtschaftlichen Entwicklung363, sondern es knüpft an einen bestimmten tarifkollisionsrechtlichen Tatbestand an. 361 s. nochmals Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1076); Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 22; vgl. außerdem E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 320 f., 323, 372 sowie zuletzt Greiner, Rechtsfragen, S. 158, 502, 518, 527 und Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 116, 176, 184, 195. 362 s. nochmals BAG 12. 1. 2005 AP BGB § 308 Nr. 1 (Bergwitz), unter B. I. 5. der Gründe; 11. 10. 2006 AP BGB § 308 Nr. 6, unter I. 1. e) der Gründe. 363 s. dazu für den Widerrufsvorbehalt BAG 12. 1. 2005 AP BGB § 308 Nr. 1 (Bergwitz), unter B. I. 5. b) der Gründe.
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 229
Wirtschaftliche Gründe ausreichen zu lassen, würde das einseitige Bestimmungsrecht zweckentfremden. Wenn der Arbeitgeber sich Flexibilität bei den Arbeitskosten für wirtschaftlich schlechte Zeiten erhalten will, muss er mit Widerrufsvorbehalten und/oder anderen Flexibilisierungsinstrumenten wie Anrechnungs- oder Freiwilligkeitsvorbehalten oder der Befristung einzelner Arbeits-, insbesondere Entgeltbedingungen operieren364; der Einsatz des einseitigen Bestimmungsrechts über den bei Tarifpluralität anzuwendenden Tarifvertrag zu diesem Zweck wäre funktionswidrig. Für den Arbeitgeber, der den Einbau zulässiger Flexibilisierungsinstrumente in seine Arbeitsverträge unterlassen und dadurch das wirtschaftliche Risiko der Bezahlbarkeit seiner Personalkosten abzufedern und durch Freiwilligkeits- oder Widerrufsvorbehalte etc. teilweise auf seine Arbeitnehmer zu verlagern versäumt hat, stellte sich, ließe man ihn bei in seinem Betrieb bestehender Tarifpluralität schon aus wirtschaftlichen Gründen eine (erneute) Auswahl zwischen den als Bezugnahmegegenstand in Frage kommenden Tarifverträgen treffen, die Tarifpluralität als ein ungerechtfertigtes, die vertraglich vereinbarte Risikoverteilung unterlaufendes „Zufallsgeschenk“365 dar. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass wirtschaftliche Schwierigkeiten u. U. gerade durch die für den Betrieb in einer konkreten Situation zu hohen Kosten entstehen, die durch die arbeitsvertraglich in Bezug genommenen – insbesondere geänderten und aufgrund der Dynamik der Verweisung nun auch für die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer in ihrer geänderten Gestalt maßgeblichen – tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen induziert sind. Die adäquate Reaktion hierauf kann auch bei Berücksichtigung der Interessen des Arbeitgebers (vgl. § 308 Nr. 4 BGB) nicht sein, nunmehr die bestehende Tarifpluralität zu einem Tarifwechsel auf der arbeitsvertraglichen Ebene zu nutzen, um von den als zu hoch empfundenen Kosten des bislang in Bezug genommenen Tarifvertrages herunterzukommen. Vielmehr ist einzig möglicher, weil auch die Belange der Arbeitnehmer angemessen berücksichtigender vertragsgestalterischer Weg für diesen Fall der Ansatz bei der zeitlichen Dynamik der Verweisungsklausel. Der Arbeitgeber ist dazu aufgerufen, was auch nach den Entscheidungen des BAG vom 14. 12. 2005366 und vom 18. 4. 2007367 möglich ist368, eine (große dynamische Bezug364 Zum Überblick über die Instrumente s. nur ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 51 ff. 365 Zur Unangemessenheit von „Zufallsgeschenken“ s. in anderen Zusammenhängen Canaris, Handelsrecht, § 5 Rn. 17; § 7 Rn. 5, 16, 102; in einem tarifkollisionsrechtlichen Zusammenhang Waas, Tarifkonkurrenz, S. 22. Zu einem weiteren Fall, in dem dieser Argumentationstopos zum Zwecke der Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung herangezogen werden kann, s. unten Teil 4, unter B. II. 2. b) bb) (3) (b) (aa) b). Allgemein zur Bedeutung gerechter Risikoverteilung für die AGBKontrolle im Arbeitsrecht Preis, Grundfragen, S. 330 ff.; aus der Sicht des allgemeinen AGB-Rechts dazu nur Stoffels, AGB-Recht, Rn. 490 m.w. N. 366 BAG 14. 12. 2005 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 39 (Kort).
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
nahmeklausel als) Gleichstellungsabrede zu vereinbaren, also die Dynamik vom Fortbestehen seiner Tarifbindung abhängig zu machen. Dann kann er durch Verbandsaustritt oder Betriebsübergang die tarifrechtliche Dynamik (für die tarifgebundenen Arbeitnehmer) beenden und zur Statik wechseln (§§ 3 Abs. 3, 4 Abs. 5 TVG, 613a Abs. 1 Satz 2 BGB), was dann durch die entsprechend gestaltete Bezugnahmeklausel für die nicht organisierten Belegschaftsmitglieder „widergespiegelt“ wird. Diesem Zweck des individualvertraglichen Wechsels von Dynamik zu Statik bei normativem Verlust der Dynamik369 dienliche Vertragsgestaltungsvorschläge gibt es zuhauf370, so dass hier kein weiterer Formulierungsvorschlag hinzugefügt zu werden braucht. Insoweit ist der Boden für eine künftig sachgerechte und rechtssichere Vertragsgestaltung bereitet.371 Möglich sind insbesondere auch Widerspruchs- oder Widerrufslösungen372, die dem Arbeitgeber die Beschränkung der Inbezugnahme auf eine statische Wirkung durch einseitige Erklärung vorbehalten. Ein solches einseitiges Gestaltungsrecht zum Wechsel von Dynamik zu Statik muss zwar ebenfalls den Anforderungen des § 308 Nr. 4 BGB genügen373, unterliegt also insbesondere dem Erfordernis der Angabe des Änderungsgrundes 367 BAG 18. 4. 2007 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 53 (F. Bayreuther); zuletzt bestätigt durch BAG 22. 4. 2009 AP BetrVG 1972 § 99 Eingruppierung Nr. 38; 26. 8. 2009 NZA 2010, 230; 18. 11. 2009 NZA 2010, 170. 368 s. ausdrücklich BAG 14. 12. 2005 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 39 (Kort), unter I. 2. c) (1) der Gründe. 369 Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1077); Greiner, Rechtsfragen, S. 523. 370 s. etwa Franzen, FS ZVK-Bau, S. 57 (66 f., 69 f.); Giesen, NZA 2006, 625 (629 f.); P. Hanau, NZA 2005, 489 (493); P. Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (261 f.); Henssler, FS Wißmann, S. 133 (155 f.); HWK/Henssler, § 3 TVG Rn. 32b; Hohenstatt, in: H. J. Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung, Rn. E 214 f.; Jacobs, FS Birk, S. 243 (250, 260 ff.); Jacobs/E. M. Willemsen, JbArbR 45 (2008), 47 (67 f.); Klebeck, NZA 2006, 15 (20); Müller-Bonanni/Seeger, ArbRB 2006, 249 (251); Olbertz, BB 2007, 2737 (2739 f.); Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1077 f., 1079); Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 17, 99 ff.; Fuchs/Reichold, Tarifvertragsrecht, Rn. 199; Schaub, FS Buchner, S. 787 (793 f.); Seel, MDR 2006, 491 (494); Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458 (464); Thüsing, AGB-Kontrolle, Rn. 181, 183; E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 430 ff.; Zerres, NJW 2006, 3533 (3537). 371 Zumal es sogar eine Formulierungshilfe des Vorsitzenden des 4. BAG-Senats höchstselbst gibt, s. Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (141); s. außerdem BAG 23. 9. 2009 NZA 2010, 513, wo der 4. Senat unter II. 3. c) cc) der Gründe, Rn. 38 des Urteils, auf die Formulierungsvorschläge von Jacobs, FS Birk (s. Vornote) und von Olbertz (s. Vornote) verweist. 372 Franzen, FS ZVK-Bau, S. 57 (70); Giesen, NZA 2006, 625 (630); P. Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239 (262); Henssler, FS Wißmann, S. 133 (156); Jacobs, FS Birk, S. 243 (250, 263); Klebeck, NZA 2006, 15 (20); Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1078, 1079); Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 99, dort Typ 8 b) und c), Rn. 102 ff. sowie Rn. 115, Typ 11; Fuchs/Reichold, Tarifvertragsrecht, Rn. 199; Schiefer, SAE 2008, 22 (27); s. dazu auch J. C. Otto, Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, S. 204 ff.; E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 383 f.; Greiner, Rechtsfragen, S. 524.
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 231
wenigstens „der Richtung nach“. Ausreichend ist insoweit aber eine Anknüpfung an „wirtschaftliche Gründe“.374 Adäquates Mittel, auf wirtschaftliche Schwierigkeiten zu reagieren, die durch die dynamische Inbezugnahme tarifvertraglicher Arbeitsbedingungen hervorgerufen werden, ist mithin nicht die Ausnutzung einer bestehenden Tarifpluralität durch Austausch des Bezugnahmeobjekts mittels vorbehaltener einseitiger Leistungsbestimmung, sondern der Vorbehalt des Rechts, der Bezugnahme aus wirtschaftlichen Gründen durch Widerruf die Dynamik zu nehmen. (cc) Anzuerkennende Bestimmungsgründe Als Bestimmungsgründe für die Ausübung des einseitigen Bestimmungsrechts über den im Falle einer Tarifpluralität arbeitsvertraglich anwendbaren Tarifvertrag kommen demnach nicht schon wirtschaftliche Schwierigkeiten, sondern nur unmittelbar tarifrechtlich bedeutsame Folgeentwicklungen in Betracht. a) Erhebliche Änderung der Mehrheitsverhältnisse Ein hinreichender Grund für die nachträgliche Substitution des Bezugnahmeobjekts im Falle der Tarifpluralität dürfte eine Änderung der Mehrheitsverhältnisse bei den mitgliedschaftlichen Tarifbindungen sein. Der Arbeitgeber kann durch Fragerecht375 und „Mitgliedschaftsauskunftsklausel“376 jeweils aktuell feststellen, an welchen der im Betrieb kollidierenden Tarifverträge eine größere Zahl von Arbeitnehmern tarifrechtlich gebunden ist. Ändern sich die Mehrheitsverhältnisse mehr als nur unerheblich377, so kann er ein berechtigtes Interesse daran haben, dies durch den Austausch des arbeitsvertraglichen Bezugnahmeobjekts schuldrechtlich nachzuvollziehen. Zwar kann eine betriebsweite Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen bei Freigabe von Tarifpluralitäten nicht mehr vollumfänglich verwirklicht werden, weil die Bezugnahme bei den anders Tarifge373 Jacobs, FS Birk, S. 243 (250); J. C. Otto, Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, S. 204 f.; Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1078); Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 103 f. 374 Jacobs, FS Birk, S. 243 (250, 263); J. C. Otto, Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, S. 205 f.; Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1078, 1079, dort Abs. 3 des Klauselvorschlags); Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 99, dort Typ 8 c), Rn. 104. 375 Dazu ausführlich oben Teil 2, Kapitel 1 sowie im hier gegebenen Zusammenhang Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1076 f.) und jetzt auch Greiner, Rechtsfragen, S. 482 sowie Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 184, 227. 376 Dazu in der vorliegenden Arbeit bereits oben Teil 2, Kapitel 1, unter C. III. 2. d) bb) (2) (b) (cc), grundlegend Rieble, GS Heinze, S. 687 (702 f.) sowie im hiesigen Zusammenhang Jacobs, NZA 2008, 325 (333); Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1077); jüngst Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 227. 377 Zu dieser Einschränkung noch sogleich im Text.
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
bundenen378 nur im Rahmen des Günstigkeitsprinzips wirkt (§ 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG) und sich nach richtiger Ansicht ein arbeitsvertraglich in Bezug genommener gegenüber einem normativ geltenden anderen Tarifvertrag regelmäßig nicht einmal sachgruppenweise durchsetzt, vielmehr aufgrund Gesamtvergleichs und nicht feststellbarer Günstigkeit in den Arbeitsverhältnissen der anders Organisierten allein „deren“ Tarifvertrag anwendbar bleibt379. Möglich ist aber die Gleichstellung der Nichtorganisierten mit einem Teil der organisierten Arbeitnehmer und insoweit die Herstellung einer „partiellen Tarifeinheit“380. Indem man daher die Änderung der Mehrheitsverhältnisse als Grund für eine Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts anerkennt, ermöglicht man zumindest eine weitgehende Vereinheitlichung der betrieblichen Arbeitsbedingungen, wie sie auch im Hintergrund des von Preis/Greiner und Jacobs empfohlenen direkten Verweises auf den repräsentativsten Tarifvertrag steht. Während sich aber dort das Verweisungsobjekt bei einer Änderung der („volatilen“) Mehrheitsverhältnisse automatisch ändert, behält bei Vereinbarung eines einseitigen Wahlrechts der Arbeitgeber in jedem einzelnen Fall die freie381 Entscheidung darüber, ob er die tarif- und verbandsrechtliche Entwicklung auf arbeitsvertraglicher Ebene nachvollzieht oder ob für ihn bessere Gründe für eine Beibehaltung des bisherigen Bezugnahmegegenstandes sprechen; während also der direkte Verweis auf den Mehrheitstarifvertrag das typischerweise vorhandene Interesse des Arbeitgebers an (möglichst weitgehender) Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen ohne Rücksicht darauf verwirklicht, ob der Arbeitgeber es im Einzelfall tatsächlich hat, ist die (wegen der Tarifpluralität stets nur partielle) Vereinheitli-
378 Wenn man diese nicht ohnehin – wie von Giesen, NZA 2006, 625 (628); Preis/ Greiner, NZA 2007, 1073 (1076); Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 59; Greiner, Rechtsfragen, S. 159 f., 375, 377, 498 und insb. S. 511 f., 514, 518 sowie von Insam/ Plümpe, DB 2008, 1265 (1267) vorgeschlagen – durch entsprechende Formulierung der Bezugnahmeklausel von der Bezugnahmewirkung ausnimmt, um das Nebeneinander zweier Geltungsgründe und die Schwierigkeiten eines Günstigkeitsvergleichs zu vermeiden. Verfassungsrechtliche Bedenken dagegen aber bei HWK/Henssler, § 3 TVG Rn. 32b; Bedenken auch bei Jacobs/E. M. Willemsen, JbArbR 2008, 47 (61 f.) sowie bei Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (144, dort Fn. 61 in der Fußnotenzählung; im Text Fn. 62, die Zählung ist dort offenbar durcheinander geraten); ablehnend jüngst E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 428 f.; verteidigend demgegenüber Greiner, Rechtsfragen, S. 514 ff.; pragmatische Lösung des Problems bei Thüsing, AGB-Kontrolle, Rn. 182, dessen Klauselvorschlag primär an den Tarifvertrag anknüpft, an den der Arbeitnehmer kraft Gewerkschaftsmitgliedschaft gebunden ist (ebenso Bepler, a. a. O., S. 143, Fn. 59) und daneben Hilfskriterien vorsieht; zu Haupt- und Hilfskriterien s. auch noch unten C. IV. 4. b). 379 s. bereits oben C. III. 1. 380 Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1076); s. auch Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 22; jüngst Greiner, Rechtsfragen, S. 158, 502, 518, 527; Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 116, 175 f., 184, 195. 381 s. aber zur Ausübungskontrolle am Maßstab billigen Ermessens nach § 315 Abs. 3 BGB und zur Bindung an den Gleichbehandlungsgrundsatz unten C. IV. 3. b).
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 233
chung bei Vereinbarung eines einseitigen Bestimmungsrechts Option statt Automatismus.382 Nicht zulässig ist es allerdings, wenn sich der Arbeitgeber für jede Änderung der Mehrheitsverhältnisse (diese können schließlich im Extremfall vom Gewerkschaftsein-, -austritt oder -wechsel oder von der Einstellung oder dem Ausscheiden nur eines einzigen Arbeitnehmers abhängen) eine einseitige Auswechselung des in Bezug genommenen Tarifvertrages vorbehält. Es muss sichergestellt sein, dass der Arbeitgeber nicht eine (minimale) Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse bei den mitgliedschaftlichen Tarifbindungen als Grund für die Substitution des verwiesenen Tarifvertrages nur vorschützt. Deswegen ist eine Beschränkung auf erhebliche Änderungen der Verteilung der mitgliedschaftlichen Tarifbindungen im Betrieb geboten, die auch in der Vertragsklausel ihren Ausdruck finden muss. Allerdings erscheint fraglich, ob es ausreicht, wenn das einseitige Leistungsbestimmungsrecht an unbestimmte Formeln wie eine „nicht unerhebliche“ Änderung der Mehrheitsverhältnisse geknüpft wird. Man wird eine klare prozentuale Bezifferung des für eine Leistungsbestimmung erforderlichen Ausmaßes der Verschiebung der Zahlenverhältnisse verlangen müssen, wobei das Quorum nicht zu niedrig angesetzt werden darf, da sich der Arbeitgeber sonst unter der Hand doch ein allgemeines, voraussetzungsloses einseitiges Bestimmungsrecht verschaffen kann. Angemessen erscheint, an eine Verschiebung der Anteile mitgliedschaftlicher Tarifbindungen um mindestens 10 % anzuknüpfen. Beispiel: Im Zeitpunkt des Eintritts der Tarifpluralität sind 50 % der organisierten Arbeitnehmer des Betriebes an Tarifvertrag A, die andere Hälfte ist an Tarifvertrag B gebunden; der Arbeitgeber legt per Gestaltungserklärung nach § 315 Abs. 2 BGB Tarifvertrag A als Bezugnahmeobjekt fest. Der Arbeitsvertrag kann ein Recht zur einseitigen Auswechselung des in Bezug genommenen Tarifvertrages (im Beispiel von Tarifvertrag A zu Tarifvertrag B) für den Fall vorsehen, dass sich das Verhältnis der mitgliedschaftlichen Tarifbindungen auf 40 zu 60 % zugunsten von Tarifvertrag B ändert. Ob tatsächlich eine entsprechende Veränderung der Anteile stattgefunden hat, hätte das Gericht im Streitfall als Tatbestandsvoraussetzung des ausgeübten Leistungsbestimmungsrechts zu prüfen.383 Der Arbeitgeber, der sich auf die ihm das Wahlrecht einräumende Vertragsklausel beruft, muss die entsprechende Änderung der Mehrheitsverhältnisse beweisen. Dazu muss er den Stand der Mehrheitsverhältnisse zu den jeweils maßgeblichen Zeitpunkten – erstmalige Bestimmung des verwiesenen Tarifvertrages anlässlich des Eintritts der Tarifpluralität und spätere erneute Ausübung des Wahlrechts – dokumentieren. Zur jederzeitigen Erfassung der Mehrheitsverhältnisse ist er rechtlich imstande, da dem Arbeitgeber ei382 s. zu dieser Argumentation in anderem Zusammenhang auch Thorsten Bauer/ Meinel, NZA 2000, 181 (185). 383 Zur Ausübungskontrolle unten C. IV. 3.
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
nes tarifpluralen Betriebes nach hier vertretener Auffassung384 das Recht zusteht, seine Arbeitnehmer nach Abschluss des Arbeitsvertrages nach ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit zu fragen (mit der Folge einer schadensersatzbewehrten Pflicht der Arbeitnehmer zur wahrheitsgemäßen Antwort) und er außerdem die Arbeitnehmer arbeitsvertraglich zur Anzeige von Änderungen in ihrem Organisationsstatus verpflichten kann (Mitgliedschaftsauskunftsklausel)385. Nicht auszuschließen ist zwar, dass Arbeitnehmer ungeachtet dieser Rechtslage die arbeitgeberische Frage nach der Gewerkschaftsmitgliedschaft nicht oder falsch beantworten, insbesondere ihre Mitgliedschaft leugnen, oder spätere Änderungen ihres Organisationsstatus, insbesondere einen Gewerkschaftseintritt oder -wechsel, vertragswidrig nicht mitteilen mit der Folge, dass der Arbeitgeber die Zahlenverhältnisse bei der Verteilung der mitgliedschaftlichen Tarifbindungen oder das Ausmaß einer angenommenen Änderung dieser Verhältnisse falsch einschätzt und infolge dessen gegenüber nicht organisierten Arbeitnehmern eine Substitution des verwiesenen Tarifvertrages durch Ausübung des arbeitsvertraglich vorbehaltenen einseitigen Bestimmungsrechts vornimmt, obwohl in Wahrheit die tatbestandlichen Voraussetzungen des Leistungsbestimmungsrechts (z. B. Verschiebung der Anteile mitgliedschaftlicher Tarifbindungen um mindestens 10 %) nicht gegeben waren – oder umgekehrt, dass er von dem Bestimmungsrecht in Unkenntnis des Vorliegens seiner Voraussetzungen keinen Gebrauch macht. Dadurch entstehende Vertrauensschäden (z. B. auch Prozesskosten) kann der Arbeitgeber aber nach § 280 Abs. 1 BGB bei denjenigen Arbeitnehmern liquidieren, die ihre ihm gegenüber bestehenden Auskunftspflichten verletzt haben.386 b) Änderung der Günstigkeitsverhältnisse Ein weiterer anerkennenswerter Grund für die nachträgliche Auswechselung des in Bezug genommenen Tarifvertrages durch einseitige Leistungsbestimmung sind Tarifänderungen, die die Günstigkeitsverhältnisse beeinflussen. Allerdings wurde oben bereits festgestellt, dass es zu verhindern gilt, dass der Arbeitgeber den Bezugnahmegegenstand jederzeit und letztlich grundlos austauschen kann, bloß weil ihm nun doch der andere Tarifvertrag mehr zusagt. Keineswegs darf daher die Klausel unspezifisch an eine Änderung der Günstigkeitsverhältnisse anknüpfen. Vielmehr bietet es sich an, die Anforderungen zu übertragen, die Preis/Greiner für eine unmittelbare (nicht über ein Wahlrecht des Arbeitgebers 384
s. o. Teil 2, Kapitel 1. s. speziell dazu oben Teil 2, Kapitel 1, unter C. III. 2. d) bb) (2) (b) (cc). 386 s. zur schadensrechtlichen Reaktion auf die pflichtwidrige Falsch- oder Nichtauskunft sowie zu der Möglichkeit, den Schadensersatzanspruch ohne Verstoß gegen § 309 Nr. 5 BGB zu pauschalieren, oben Teil 2, Kapitel 1, unter C. III. 2. b) bb), speziell zur Pauschalierbarkeit unter (2) (d). 385
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 235
vermittelte) Anknüpfung an das Günstigkeitskriterium entwickelt haben.387 Das einseitige Bestimmungsrecht darf demzufolge nur für den Fall vorbehalten werden, dass eine Änderung der Günstigkeitsverhältnisse in den Kernkriterien der Günstigkeit eintritt. Dabei ist insbesondere an das Verhältnis von Arbeitszeit und Arbeitsentgelt bei gleicher Tätigkeit zu denken.388 Der Unterschied zum direkten Verweis auf den jeweils für den Arbeitgeber günstigsten Tarifvertrag liegt wiederum darin, dass die Substitution des Bezugnahmeobjekts nicht automatische Folge einer Änderung der Günstigkeitsverhältnisse ist, sondern die Änderung der Günstigkeitsverhältnisse nur als Auslöser des einseitigen Bestimmungsrechts des Arbeitgebers wirkt, so dass der Arbeitgeber im Einzelfall die Option hat, die geänderten Tarifinhalte zum Anlass für eine Umstellung der schuldrechtlichen Tarifanwendung zu nehmen oder alles „beim Alten“ zu belassen. g) Änderung der Spezialitätsverhältnisse Neben einer erheblichen Änderung der Mehrheits- und einer die Kernkriterien betreffenden Änderung der Günstigkeitsverhältnisse bildet einen weiteren anzuerkennenden Bestimmungsgrund konsequent die Änderung der Spezialitätsverhältnisse durch Entwicklungen entweder im tariflichen Bereich – Änderungen des durch die Tarifvertragsparteien festgelegten tarifvertraglichen Geltungsbereichs – oder auf der betrieblichen Ebene etwa durch eine Änderung des Produktionsschwerpunkts, allgemeiner gesprochen des Betriebs- oder Unternehmenszwecks389, die dazu führt, dass nunmehr der andere, bislang nicht in Bezug genommene Tarifvertrag dem Betrieb i. S. d. Spezialitätskriteriums näher steht, evtl. sogar dazu, dass der Betrieb aus dem Geltungsbereich eines der Tarifverträge herausfällt390.
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s. dazu schon die Darstellung oben C. III. 2. Vgl. Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1077); Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 64 f.; Greiner, Rechtsfragen, S. 521. Allgemein zu dieser traditionellen, quantitativen Dimension des Günstigkeitsprinzips Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 433. 389 Zur Maßgeblichkeit des Betriebs- oder des Unternehmenszwecks bei der Feststellung der Eröffnung des branchenmäßigen Geltungsbereichs eines Tarifvertrages s. Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 137 ff. 390 Da im letzteren Fall der Tarifvertrag nicht jede Wirkung verliert, sondern es analog § 4 Abs. 5 TVG zum Eintritt der Nachwirkung kommt (s. nur Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 337), bleibt es normativ bei einem Nebeneinander mehrerer Tarifverträge im Betrieb, das freilich der 4. Senat des BAG in seiner Entscheidung vom 28. 5. 1997 AP TVG § 4 Nachwirkung Nr. 26 (Kania), in der es zur Nachwirkung infolge Auflösung des tarifschließenden Arbeitgeberverbandes kam (kritisch zur analogen Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG auf diesen Fall Dauner-Lieb, Anm. SAE 1999, 47 [48], unter II. 2.), nicht als Tarifpluralität (und daher auch nicht als nach dem Grundsatz der Tarifeinheit auflösungsbedürftig) einzustufen vermochte, unter 2. c) der Gründe. 388
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
Nach dem, was bereits oben zur unmittelbaren Anknüpfung der Bezugnahmeklausel an das Spezialitätsprinzip ausgeführt wurde391, müssten die Spezialitätskriterien nicht wie von Preis/Greiner gefordert392 konkretisiert werden; insoweit greift sinngemäß die obige Argumentation, dass mit der Berufung des Spezialitätskriteriums zur Entscheidung über den bei Tarifpluralität arbeitsvertraglich anwendbaren Tarifvertrag an eine richterrechtlich entwickelte Kollisionsregel objektiven Rechts angeknüpft wird und dass an die Vertragsgestaltung keine strengeren Anforderungen zu stellen sind als an die Ausgestaltung einer richterrechtlich entwickelten Rechtsregel393. Vorzug gegenüber einer unmittelbaren Anknüpfung an die Spezialität oder an die Regeln zur Auflösung von Tarifkonkurrenzen, was im Ergebnis ebenfalls in erster Linie auf eine Spezialitätsbetrachtung hinausläuft, ist wiederum, dass ein Automatismus der Auswechselung des Bezugnahmeobjekts vermieden wird und der Arbeitgeber im Falle spezialitätsrelevanter Veränderungen jeweils selbst entscheiden kann. (b) Der Fall der bereits anfänglich bestehenden Tarifpluralität (aa) Rechtslage im Zeitpunkt des Vertragsschlusses Kommen bereits bei Vertragsschluss infolge einer bestehenden Tarifpluralität mehrere Tarifverträge als Bezugnahmeobjekt in Frage, so kann der Arbeitgeber, wenn er bereits eine klare Präferenz für eines der Tarifwerke gebildet hat (etwa einen beteiligten Haustarifvertrag), dieses durch kleine dynamische Verweisungsklausel als Bezugnahmegegenstand konkret bezeichnen. Dies birgt allerdings, wie schon eingangs herausgestellt394, den Nachteil in sich, dass diese Gestaltung nicht für zukünftige Entwicklungen offen ist. Mehr Flexibilität kann der Arbeitgeber sich auch bei bereits anfänglich bestehender Tarifpluralität dadurch erhalten, dass er auch in dieser Situation eine große dynamische Bezugnahmeklausel (Tarifwechselklausel) vorgibt und sich zusätzlich ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht über den schuldrechtlich anzuwendenden Tarifvertrag für den Fall der Tarifpluralität vorbehält.
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s. o. C. III. 3. und 4. a). s. Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1077); s. auch Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 65; Greiner, Rechtsfragen, S. 522 f.; Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 225 f. 393 Vgl. Franzen, FS ZVK-Bau, S. 57 (68); dens., RdA 2008, 193 (197); im Ergebnis ebenso F. Bayreuther, NZA 2009, 935 (937); a. A. Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1077). 394 s. o. C. I. 1. und nochmals Franzen, RdA 2008, 193 (196); Wallisch, FS Löwisch, S. 427 (441); Greiner, Rechtsfragen, S. 518; ferner F. Bayreuther, NZA 2009, 935 (937). 392
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 237
Der Vorbehalt eines einseitigen Bestimmungsrechts dürfte (auch) in dieser Konstellation nicht mit Unsicherheiten nach § 305c Abs. 2 BGB verbunden sein.395 Zwar ist eines nicht zu verkennen: Während man bei einer erst nachträglich eintretenden, also im Zeitpunkt des Arbeitsvertragsschlusses noch nicht gegebenen Tarifpluralität auch dann, wenn der Arbeitgeber sein Bestimmungsrecht nicht oder nicht rechtzeitig396 ausübt, der Bezugnahmeklausel gleichwohl in der Regel einen klaren Aussagegehalt beimessen kann – anzuwenden ist dann weiterhin der bislang, d. h. vor Eintritt der Tarifpluralität in Bezug genommene Tarifvertrag –, fällt dies bei einer bereits anfänglich bestehenden Tarifpluralität schwer, weil es den bisher in Bezug genommenen Tarifvertrag hier nicht gibt. Dieser Unterschied macht aber die Klausel für den Fall der bereits bei Vertragsschluss bestehenden Tarifpluralität nicht unklar; der in Bezug genommene Tarifvertrag lässt sich auch hier feststellen. Gerade dann, wenn sich nämlich die Bezugnahmeklausel noch nicht auf einen der kollidierenden Tarifverträge konkretisiert hat, kommt dem Umstand Bedeutung zu, dass die Leistungsbestimmungserklärung nach § 315 Abs. 2 BGB an keine Form gebunden ist und auch konkludent erfolgen kann397. Wenn daher bislang auch noch keiner der Tarifverträge angewandt wurde, so übt doch der Arbeitgeber sein Bestimmungsrecht in dem Augenblick konkludent aus, in dem er dem Arbeitnehmer erstmals Leistungen nach einem der Tarifverträge gewährt.398 Im Falle anfänglicher Tarifpluralität ist daher eine wenigstens konkludente Leistungsbestimmung des Arbeitgebers automatisch bereits in der Vereinbarung des einseitigen Bestimmungsrechts ange-
395 s. aber den – allerdings recht pauschalen – Hinweis auch auf § 305c Abs. 2 BGB bei Giesen, NZA 2006, 625 (630, Fn. 42). 396 Zur Bindung des einseitigen Bestimmungsrechts an eine Erklärungsfrist s. unten C. IV. 2. b) bb) (6) (c). 397 s. nur Palandt/Grüneberg, § 315 Rn. 11. 398 Die Möglichkeit der formlosen, auch konkludenten Leistungsbestimmung lässt freilich die Nachweispflicht des Arbeitgebers unberührt: Der Arbeitgeber hat nach § 2 Abs. 1 Satz 1 NachwG spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich niederzulegen, die Niederschrift zu unterzeichnen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen; in die Niederschrift ist nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NachwG auch ein in allgemeiner Form gehaltener Hinweis auf die auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Tarifverträge aufzunehmen. Für große dynamische Bezugnahmeklauseln weist Krause, RdA 2004, 106 (119 f.) zutreffend darauf hin, dass es bei einem Tarifwechsel nachweisrechtlich wegen § 3 Satz 1 NachwG einer Angabe des Tarifvertrages bedarf, der nun auf das Arbeitsverhältnis anwendbar ist; § 3 Satz 2 NachwG erfasst diesen Fall nicht. s. dazu weiterführend auch Wiedemann/Oetker, § 3 Rn. 300 m.w. N. Entsprechend muss auch im Falle der Tarifpluralität der Arbeitgeber nach jeder (erneuten) Ausübung des Wahlrechts den Arbeitnehmer innerhalb eines Monats nach der einseitigen Leistungsbestimmung über den nunmehr anwendbaren Tarif schriftlich unterrichten. s. zur Nachweispflicht im hiesigen Zusammenhang auch Franzen, FS ZVK-Bau, S. 57 (68). Allgemein zu den aus dem NachwG folgenden Anforderungen an Verweisungsklauseln Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 42 ff.
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
legt, so dass auch insoweit keine Unklarheit i. S. v. § 305c Abs. 2 BGB besteht.399 (bb) Folgeentwicklungen Benennt demnach der Arbeitgeber, der sich bei bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehender Tarifpluralität ein einseitiges Bestimmungsrecht über den in Bezug genommenen Tarifvertrag vorbehält, den anzuwendenden Tarifvertrag spätestens dadurch, dass er dem Arbeitnehmer erstmals Leistungen nach einem der Tarifverträge gewährt und damit eine konkludente Gestaltungserklärung gemäß § 315 Abs. 2 BGB abgibt, so sind damit spätere Umstellungen der Verweisung auf das andere Tarifwerk freilich nicht ausgeschlossen. Der Arbeitgeber kann vielmehr, wenn er diese Bestimmungsgründe ausdrücklich und den oben herausgearbeiteten Konkretisierungserfordernissen entsprechend in die Klausel aufgenommen hat, Änderungen der Mehrheits-, der Günstigkeits- oder der Spezialitätsverhältnisse zum Anlass für eine Auswechselung des in Bezug genommenen Tarifvertrages durch (wiederholte) einseitige Leistungsbestimmung nehmen. Insoweit gilt das oben Ausgeführte. (c) Erklärungsfrist für die Leistungsbestimmung (aa) Legitime Anlässe für eine einseitige, ggf. auch wiederholte Bestimmung des arbeitsvertraglich anwendbaren Tarifvertrages durch den Arbeitgeber sind nach der hier entwickelten Lösung der Eintritt der Tarifpluralität als solcher, eine erhebliche Verschiebung der Anteile der mitgliedschaftlichen Tarifbindungen im Betrieb, eine Änderung der Günstigkeitsverhältnisse hinsichtlich der Günstigkeitskernkriterien und eine Änderung der Spezialitätsverhältnisse. Als Bestimmungsgründe kommen die Änderung der Mehrheits-, der Günstigkeits- und der Spezialitätsverhältnisse nur in Betracht, wenn sie im Klauseltext hinreichend konkretisiert genannt sind; der nachträgliche Eintritt der Tarifpluralität selbst ergibt sich ohne weiteres als Bestimmungsgrund aus der Existenz der Klausel als solcher.400 (bb) Erforderlich wird für eine wirksame, die AGB-rechtlichen Hürden nehmende Vertragsgestaltung indes ein Weiteres sein: Das Leistungsbestimmungsrecht ist vertraglich an eine angemessene Erklärungsfrist zu binden, die mit dem 399 Allgemein wird hier die Funktion des einseitigen Leistungsbestimmungsrechts deutlich, das Bestimmtheitserfordernis der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre zu lockern und die vertragshindernde Unbestimmtheit zu vermeiden; s. dazu Staudinger/Rieble, § 315 Rn. 1 ff. (besonders Rn. 4), Rn. 89; ausführlicher und in größerem Zusammenhang Joussen, AcP 203 (2003), 429 (429, 430 f.). 400 In dem unten C. IV. 4. a) unterbreiteten Formulierungsvorschlag wird er gleichwohl aus Klarstellungsgründen ausdrücklich genannt.
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 239
jeweils den Anlass der Auswahlentscheidung bildenden Ereignis zu laufen beginnt und nach deren Ablauf der Arbeitgeber sich auf den jeweiligen Bestimmungsgrund nicht mehr berufen kann. Es wäre unzumutbar, die Arbeitnehmer nach Eintritt eines möglicherweise zum Tarifwechsel führenden Umstandes dauerhaft über die künftig geltenden Arbeitsbedingungen im Ungewissen zu lassen und überdies dem Arbeitgeber ein „Aufsparen“ von Leistungsbestimmungsgründen zu ermöglichen, durch welches die Grenze zu einer – nach hiesiger Ansicht gerade nicht zulässigen – einseitigen Leistungsbestimmung aus wirtschaftlichen Gründen oder aus bloß geänderter Präferenz verwischt würde. (cc) Die Dauer dieser Erklärungsfrist muss so bemessen sein, dass einerseits der Arbeitgeber in Ruhe überlegen kann, ob er das Bezugnahmeobjekt in Reaktion auf die geänderten tarifrechtlichen Verhältnisse auswechseln will, andererseits der Arbeitnehmer nicht zu lange einem Schwebezustand der Unklarheit über die künftigen Arbeitsbedingungen ausgesetzt ist. Ein gesetzlicher Anhaltspunkt401 könnte die zweiwöchige Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB sein. Diese dient dem Gebot der Rechtssicherheit und verhindert, dass der von einer möglichen außerordentlichen Kündigung betroffene Vertragsteil für eine unangemessen lange Zeit im Ungewissen darüber bleibt, ob der andere Teil die kündigungsrechtlichen Folgen aus dem kündigungsrelevanten Sachverhalt zieht. Auch soll sich der Kündigungsberechtigte keinen Kündigungsgrund „aufsparen“ können, andererseits aber auch nicht zu hektischer Eile angetrieben werden.402 Der Normzweck ließe sich demnach übertragen. Auch vorliegend geht es, ganz abstrakt gesprochen, darum, dass im laufenden Arbeitsverhältnis ein Ereignis eintritt, der eine Teil (Arbeitgeber) sich darüber klar werden können soll, ob er auf dieses Ereignis reagiert, und der andere Teil (Arbeitnehmer) möglichst frühzeitig Gewissheit über die künftige Rechtslage erhalten soll; die teleologischen Grundlagen der Frist des § 626 Abs. 2 BGB und der hier gesuchten Frist sind demnach durchaus vergleichbar. Gleichwohl erscheint eine Erklärungsfrist von einem Monat sachgerechter. Die vom Arbeitgeber in der hier gegebenen Konstellation vorzunehmenden Prüfungen werden tendenziell mehr Zeit in Anspruch nehmen als bei einer Entscheidung über eine außerordentliche Kündigung, zudem ist die Ungewissheit für den Arbeitnehmer weniger gravierend, da nicht der Bestand des Arbeitsverhältnisses, sondern „nur“ sein Inhalt in Frage steht. (dd) Im Falle der bereits bei Vertragsschluss bestehenden Tarifpluralität wird die einmonatige Erklärungsfrist praktisch keine Rolle spielen, da der Arbeitgeber die Leistungsbestimmung hier nach dem oben Gesagten stets spätestens dadurch konkludent vornimmt, dass er dem Arbeitnehmer erstmals Leistungen nach ei401 Vgl. zur Bedeutung gesetzlicher Wertungen für die Feststellung einer unangemessenen Benachteiligung durch AGB § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. 402 s. nur ErfK/Müller-Glöge, § 626 BGB Rn. 200 f.
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
nem der Tarifverträge gewährt. Relevant wird die Frist bei nachträglich eintretender Tarifpluralität sowie in jedem Fall der Änderung der Mehrheits-, Günstigkeits- oder Spezialitätsverhältnisse. Übt der Arbeitgeber sein Bestimmungsrecht im Anschluss an eine solche Folgeentwicklung nicht innerhalb eines Monats durch Erklärung gegenüber dem Arbeitnehmer (§ 315 Abs. 2 BGB) aus, so bleibt es bei der arbeitsvertraglichen Anwendung des bis dahin in Bezug genommenen Tarifvertrages und der Arbeitgeber kann sich auf den jeweiligen Bestimmungsgrund nicht mehr berufen; beim nächsten relevanten Ereignis beginnt die Frist wieder neu zu laufen. (ee) Hinsichtlich der Annahme einer konkludenten Leistungsbestimmung wird man hier unterscheiden müssen: In der (Weiter-)Gewährung von Leistungen nach dem bereits bisher in Bezug genommenen Tarifvertrag ist noch keine konkludente Leistungsbestimmung zu sehen. Der Arbeitgeber schneidet sich also einen schuldrechtlichen Tarifwechsel insbesondere nicht dadurch ab, dass er die einmonatige Erklärungsfrist, die auch eine Überlegungsfrist ist, ausschöpft und währenddessen zunächst weiter den bislang in Bezug genommenen Tarifvertrag anwendet. Aus der bloßen Weitergewährung von Leistungen nach dem bisher angewandten Tarifvertrag kann der Arbeitnehmer – maßgeblich ist der objektivierte Empfängerhorizont – noch nicht auf einen Willen des Arbeitgebers schließen, etwa eine nachträglich eingetretene Tarifpluralität oder eine erhebliche Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse nicht zum Anlass für einen Austausch des Verweisungsobjektes zu nehmen. Gewissheit hat der Arbeitnehmer hier erst, wenn der Arbeitgeber ausdrücklich erklärt, weiter den bisher in Bezug genommenen Tarifvertrag anwenden zu wollen oder wenn die Frist verstrichen ist, ohne dass der Arbeitgeber sich erklärt hat. Hingegen liegt in der Gewährung von Leistungen nach dem anderen Tarifvertrag, also der tatsächlichen Praktizierung des Tarifwechsels, aus der Sicht eines verständigen Arbeitnehmers eine konkludente Ausübung des Bestimmungsrechts zugunsten des anderen Tarifvertrages. Diese bindet den Arbeitgeber auch dann, wenn die einmonatige Erklärungsfrist im Zeitpunkt der Leistungsgewährung noch lief; er kann also nicht etwa nachträglich doch noch durch ausdrückliche Erklärung eine anderweitige Auswahl treffen. 3. Ausübungskontrolle im Einzelfall, § 315 BGB Für vorformulierte Widerrufsvorbehalte, deren Behandlung durch Rechtsprechung und Literatur hier – mutatis mutandis – als Muster für die Prüfung der Zulässigkeit eines einseitigen Bestimmungsrechts des Arbeitgebers über den im Falle einer Tarifpluralität arbeitsvertraglich inkorporierten Tarifvertrag verwandt wurde, ist zu unterscheiden zwischen der nach §§ 307, 308 Nr. 4 BGB erfolgenden Inhaltskontrolle der Klausel, welche das Leistungsbestimmungsrecht einräumt, und der am Maßstab des § 315 BGB vorzunehmenden Ausübungskon-
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trolle in Bezug auf die darauf beruhende Leistungsbestimmung im konkreten Einzelfall. In der früheren Rechtsprechung des BAG lag sogar der Schwerpunkt der Prüfung von Widerrufsvorbehalten auf der Ausübungskontrolle.403 Dies hat das BAG nunmehr korrigiert. Neben der Inhaltskontrolle nach den §§ 307, 308 Nr. 4 BGB steht aber weiterhin die Ausübungskontrolle im Einzelfall gemäß § 315 BGB. Der Widerruf muss im Einzelfall billigem Ermessen entsprechen; daran hat die generelle Regelung der §§ 305 ff. BGB nichts geändert.404 a) Anwendbarkeit des § 315 BGB Es fragt sich, ob diese zweistufige Prüfung auch bei dem einseitigen Bestimmungsrecht über den bei Tarifpluralität in Bezug genommenen Tarifvertrag Platz greift. Löwisch/Rieble nehmen an, dass bei einem dem Arbeitgeber für den Fall der Tarifpluralität eingeräumten Leistungsbestimmungsrecht eine Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB entsprechend dem Grundgedanken des § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB nicht möglich ist, weil der Arbeitsrichter sonst einen Tarifvertrag als „besser“ („billiger“) bewerten müsste.405 Damit verkennen sie indes eben jene Unterscheidung zwischen Inhaltskontrolle der Klausel und Kontrolle der Ausübung des durch die Klausel vorbehaltenen Änderungsrechts im konkreten Einzelfall, auf die oben hingewiesen wurde. Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB und Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB sind strikt voneinander zu unterscheiden.406 Nichtsdestotrotz ist darauf Bedacht zu nehmen, dass die Ausübungskontrolle nicht zu einer kaschierten Inhaltskontrolle des vom Arbeitgeber ausgewählten Tarifvertrages gerät.407 b) Billigkeitskontrolle und Gleichbehandlungsgrundsatz aa) Bei Widerrufsvorbehalten sieht die Literatur auf der Grundlage der neuen Rechtsprechung des BAG nur noch einen schmalen Anwendungsbereich für die Ausübungskontrolle, da bereits auf der ersten Stufe die Angabe von Widerrufs403 s. nur Preis, Grundfragen, S. 423; HWK/Gotthardt, Anh. §§ 305–310 BGB Rn. 20; MüArbR/Krause, § 56 Rn. 14. 404 BAG 12. 1. 2005 AP BGB § 308 Nr. 1 (Bergwitz), unter B. II. 3. der Gründe; 11. 10. 2006 AP BGB § 308 Nr. 6, unter II. der Gründe; MüKoBGB/Gottwald, § 315 Rn. 65; Hunold, NZA-RR 2006, 113 (120); Kort, Anm. zu BAG 12. 1. 2005 SAE 2005, 310 (313 f.). 405 Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 302. 406 ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 384; s. auch MüKoBGB/Gottwald, § 315 Rn. 9; Staudinger/Rieble, § 315 Rn. 9. 407 s. dazu mit Blick auf eine Ausübungskontrolle nach § 315 BGB bei (großen) dynamischen Bezugnahmeklauseln Reinecke, BB 2006, 2637 (2645); Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1737; s. auch Preis, Grundfragen, S. 402 und zuletzt Jordan/Bissels, NZA 2010, 71 (74).
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
gründen im Vertrag verlangt wird und diese Gründe einer materiellen Prüfung nach § 308 Nr. 4 BGB am Maßstab der Zumutbarkeit unterzogen werden.408 Zu prüfen ist jedenfalls, ob der tatsächliche Widerrufsgrund im Rahmen der vertraglich vorgesehenen Gründe liegt409, beim hier in Rede stehenden Leistungsbestimmungsrecht mithin etwa, ob tatsächlich eine nicht nur unerhebliche (mindestens 10 %-ige) Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse, eine Änderung der Günstigkeits- oder eine solche der Spezialitätsverhältnisse stattgefunden hat. Damit wird indes lediglich geprüft, ob der Grund auch tatsächlich eingetreten ist410, ob mithin die vom Arbeitsvertrag aufgestellten Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind411; eine Kontrolle der Billigkeit nach § 315 Abs. 3 BGB liegt hierin nicht.412 bb) Als Hauptanwendungsfall eines unbilligen Widerrufs wird in der Literatur zu Widerrufsvorbehalten die Missachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes genannt.413 Dass der Arbeitgeber bei der Ausübung des einseitigen Bestimmungsrechts über den arbeitsvertraglich im Falle einer Tarifpluralität anwendbaren Tarifvertrag ebenso wie bei der Ausübung eines arbeitsvertraglich vorbehaltenen Widerrufs an den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz414 gebunden ist, trifft im Ergebnis sicher zu. Dies aber als einen Anwendungsfall der Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB einzuordnen, bedeutet dogmatisch einen Rückfall hinter einen längst erreichten Erkenntnisstand. Der Gleichbehand408 Vgl. F. Bayreuther, ZIP 2007, 2009 (2011); Bergwitz, AuR 2005, 210 (216); dens., Anm. zu BAG 12. 1. 2005 AP BGB § 308 Nr. 1, unter II. 6.; DDBD/Dorndorf/ Bonin, § 308 Nr. 4 Rn. 45; Thüsing/Leder, BB 2005, 1563 (1567); s. auch Thüsing, AGB-Kontrolle, Rn. 277. 409 Vgl. F. Bayreuther, ZIP 2007, 2009 (2011); zuletzt MüArbR/Krause, § 56 Rn. 23; Stoffels, ZfA 2009, 861 (881). 410 Vgl. für Widerrufsvorbehalte F. Bayreuther, ZIP 2007, 2009 (2011); ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 62; Preis/V. Lindemann, NZA 2006, 632 (638); zuletzt MüArbR/ Krause, § 56 Rn. 23; Stoffels, ZfA 2009, 861 (881). 411 Für Widerrufsvorbehalte Bergwitz, AuR 2005, 210 (216); ders., Anm. zu BAG 12. 1. 2005 AP BGB § 308 Nr. 1, unter II. 6.; Thüsing, AGB-Kontrolle, Rn. 277; Thüsing/Leder, BB 2005, 1563 (1567); zuletzt Stoffels, ZfA 2009, 861 (881). 412 Deutlich und zutreffend in Hinsicht auf einen Widerruf von Entgeltbestandteilen Thüsing/Leder, BB 2005, 1563 (1567); Thüsing, AGB-Kontrolle, Rn. 277; s. jetzt auch Stoffels, ZfA 2009, 861 (881). 413 Besonders deutlich wird die Verknüpfung von Billigkeitskontrolle und Gleichbehandlungsgrundsatz bei Bergwitz, AuR 2005, 210 (216); dems., Anm. zu BAG 12. 1. 2005 AP BGB § 308 Nr. 1, unter II. 6.; MüKoBGB/Gottwald, § 315 Rn. 63; MüArbR/Krause, § 56 Rn. 23; ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 62; Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 70 Rn. 27; Preis/V. Lindemann, NZA 2006, 632 (638); s. außerdem F. Bayreuther, ZIP 2007, 2009 (2011); DDBD/Dorndorf/Bonin, § 308 Nr. 4 Rn. 45; P. Hanau/Hromadka, NZA 2005, 73 (75); Staudinger/Rieble, § 315 Rn. 69, 140. 414 Zu ihm allgemein nur Thüsing, Diskriminierungsschutz, Rn. 888 ff.; grundlegend und in einem größeren Zusammenhang G. Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht.
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 243
lungsgrundsatz muss streng von der Billigkeitskontrolle unterschieden werden; er ist kein Anwendungsfall eines allgemeinen Billigkeitsgebots.415 Bei Billigkeit und Gleichbehandlung handelt es sich um zwei rechtsethisch selbständige Erscheinungsformen der Gerechtigkeit416: Die Billigkeit gehört zur ausgleichenden Gerechtigkeit (iustitia commutativa), die Gleichbehandlung zur austeilenden Gerechtigkeit (iustitia distributiva)417.418 Dem entspricht die Verschiedenheit der Bezugspunkte von Billigkeitskontrolle und Gleichbehandlungsgrundsatz: Bei der Billigkeit wird wegen des Individualisierungscharakters der Betroffene für sich allein nach Kriterien der Einzelfallgerechtigkeit behandelt; es geht um die Angemessenheit einer Leistung als solcher.419 Demnach wirkt sich die Billigkeitskontrolle primär im einzelnen Vertragsverhältnis aus, wie es allgemein der ausgleichenden Vertragsgerechtigkeit entspricht.420 Auf etwaige andere, gleich oder ähnlich gelagerte Fälle, im Arbeitsrecht also auf einen Vergleich mit anderen Arbeitnehmern, kommt es im Ausgangspunkt nicht an.421 Demgegenüber ist bei der Gleichbehandlung gerade im Arbeitsrecht der notwendig kollektive Bezug evident.422 Hier geht es um die Verwirklichung austeilender Gerechtigkeit und folglich darum, dass nicht die Parteien untereinander eine ihnen gerechte Regelung finden, sondern um die gleichmäßige Verteilung von Leistungen des einen Partners an mehrere andere Partner.423 Infolge der Verschiedenheit ihrer Bezugspunkte schließen sich Billigkeitskontrolle und Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in ihrem Verhältnis zueinander grundsätzlich gegenseitig aus. Entweder liegen bei mehreren Betroffenen gleiche Tatbestände vor, dann handelt es sich um generalisierende Umstände, so dass die Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes geboten ist; für Billig-
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MüArbR/Richardi, § 9 Rn. 5 ff. MüArbR/Richardi, § 9 Rn. 6. 417 s. zu den beiden Erscheinungsformen der Gerechtigkeit v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 19 ff. sowie die weiteren Nachweise bei Wank, GS Zachert, S. 453, dort Fn. 6. 418 v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 102, 105 f.; ders., Anm. zu BAG 22. 8. 1979 EzA TVG § 4 Tariflohnerhöhung Nr. 3, S. 23 (24); G. Hueck, GS Dietz, S. 241 (253); MüArbR/Richardi, § 9 Rn. 6. 419 v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 106; s. auch P. Hanau, FS Zeuner, S. 53 (64). 420 G. Hueck, GS Dietz, S. 241 (254); s. auch P. Hanau, FS Zeuner, S. 53 (64). 421 v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 106; G. Hueck, GS Dietz, S. 241 (254), so an sich auch Staudinger/Rieble, § 315, der in Rn. 69, 140 den Gleichbehandlungsgrundsatz als Teil der Billigkeit darstellt, in Rn. 129 aber zutreffend schreibt, die Billigkeit könne „nicht egalisiert werden. Vielmehr kommt es auf das konkrete vertragliche Verhältnis an und mithin auf die Beziehung gerade der betreffenden Vertragsparteien.“ Billigkeit sei „insofern ein Differenzierungsgebot, das das Scheren über einen Kamm verbietet.“; Billigkeit (§ 315 Abs. 3 BGB) und Gleichbehandlungsgrundsatz voneinander scheidend auch Rieble, Anm. zu BAG 27. 6. 1995 SAE 1996, 227 (235). 422 G. Hueck, GS Dietz, S. 241 (254). 423 v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 106. 416
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keitserwägungen im Einzelfall ist dann trotz und gerade wegen der Gleichbehandlung kein Platz mehr. Oder aber es handelt sich um einen einzelnen Betroffenen oder mehrere einzelne Betroffene mit nicht vergleichbaren Tatbeständen und damit notwendig ungleicher Behandlung, so dass jeweils ein echter Einzelfall gegeben ist, für den bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen Billigkeitserwägungen in Betracht kommen.424 Daraus folgt: Die Aussage, Hauptanwendungsfall eines unbilligen Widerrufs sei die Missachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes, ist zum Mindesten äußerst ungenau. Richtig ist, dass der Arbeitgeber beim belastenden Entzug von Leistungen im Verhältnis zu anderen Arbeitnehmern den Gleichbehandlungsgrundsatz beachten muss425; richtig ist auch, dass der Schwerpunkt der (umfassend und nicht nur als Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB verstandenen) Ausübungskontrolle gerade auf der Prüfung liegen wird, ob ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gegeben ist. Falsch ist es aber, den gegen das Gleichbehandlungsgebot verstoßenden Widerruf als (Haupt-)Fall eines unbilligen und daher nach § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB unverbindlichen Widerrufs zu kategorisieren. Richtigerweise ist die Prüfung, ob der Arbeitgeber mit der Ausübung eines vertraglichen Widerrufsrechts gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen hat, nicht Bestandteil der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB, sondern von dieser unabhängig vorzunehmen. Zutreffend erkennen daher Thüsing/Leder, dass die Ausübungskontrolle (im engen Sinne von Billigkeitskontrolle) bei Widerrufsvorbehalten eingedenk der Bindung des Arbeitgebers an den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz sowie die verschiedenen Diskriminierungsverbote zukünftig ein praktisches Schattendasein fristen wird.426 Entsprechendes gilt für das einseitige Bestimmungsrecht des Arbeitgebers über den bei Tarifpluralität arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifvertrag. Entgegen Löwisch/Rieble427 ist eine Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB hier nicht wegen § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB ausgeschlossen. Da es sich auch bei dieser Leistungsbestimmung aber, wie schon die nach der hiesigen Ansicht anzuerkennenden Bestimmungsgründe (Eintritt der Tarifpluralität als solcher; erhebliche Verschiebung der Anteile mitgliedschaftlicher Tarifbindungen im Betrieb; Änderungen, die das Günstigkeits- oder das Spezialitätsverhältnis der kollidierenden Tarifverträge zueinander beeinflussen) zeigen, die allesamt einen kollektiven Bezug haben, in erster Linie um einen kollektiven Tatbestand handelt, greift im
424 v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 108; ders., Anm. zu BAG 22. 8. 1979 EzA TVG § 4 Tariflohnerhöhung Nr. 3, S. 23 (25). 425 Vgl. Staudinger/Rieble, § 315 Rn. 140. 426 Thüsing/Leder, BB 2005, 1563 (1567); Thüsing, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, Rn. 277; s. auch bereits Adomeit, Rechtsquellenfragen im Arbeitsrecht, S. 119. 427 s. nochmals Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 302.
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 245
Rahmen der (weit verstandenen428) Ausübungskontrolle primär das arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgebot. Dieses ist nicht Ausfluss der Billigkeitskontrolle, sondern unmittelbar, d. h. nicht vermittelt über § 315 BGB, anzuwenden. Eine „echte“ Billigkeitskontrolle, die stets individualisierenden Charakter hätte, ist vielmehr gerade wegen der gebotenen Gleichbehandlung grundsätzlich nicht vorzunehmen429, womit im Ergebnis Löwisch/Rieble Recht zu geben ist, dass grundsätzlich eine Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB bei der einseitigen Bestimmung des im Falle einer Tarifpluralität in Bezug genommenen Tarifvertrages ausscheidet. 4. Formulierungsvorschlag und Kombinationsmöglichkeiten a) Formulierungsvorschlag Die bisher für ein Wahlrecht des Arbeitgebers vorgeschlagenen Formulierungen430 können weder die Bandbreite der möglichen vertragsgestaltungspraktischen Bedürfnisse des Arbeitgebers bedienen noch halten sie den erarbeiteten AGB-rechtlichen Anforderungen stand. Im Folgenden wird ein eigener Vorschlag für die Formulierung eines einseitigen Bestimmungsrechts des Arbeitgebers über den bei Tarifpluralität arbeitsvertraglich anzuwendenden Tarifvertrag unterbreitet, der einerseits die oben aufgezeigten Möglichkeiten der Vertragsgestaltung ausschöpft, andererseits aber auch die AGB-rechtlichen Grenzen beachtet und daher einer Inhaltskontrolle standhalten dürfte. Dabei handelt es sich allerdings nicht um einen vollständigen Vorschlag für eine arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel, sondern, dem Untersuchungsthema entsprechend, allein um einen Vorschlag für die Formulierung eines einseitigen Bestimmungsrechts des Arbeitgebers über den im Falle einer Tarifpluralität in Bezug genommenen Tarifvertrag. Die Formulierung wäre daher als Vorsorge für den Fall der Tarifpluralität in ein umfassenderes (Tarifwechsel-)Klauselwerk zu integrieren. So trifft die vorgeschlagene Formulierung insbesondere keine Vorsorge für den Fall eines vom Arbeitgeber gewollten individualvertraglichen Wechsels von der Bezugnahmedynamik zur statischen Wirkung. Für Formulierungsvorschläge für eine vollständige Bezug428 Nur bei einem entsprechend weiten, über die Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB hinausgehenden Verständnis der „Ausübungskontrolle“ kann schließlich auch die Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Bestimmungsrechts (Vorliegen eines Bestimmungsgrundes) als Teil der Ausübungskontrolle begriffen werden, da es auch dabei nicht um die Kontrolle der Billigkeit des Widerrufs geht; auch dazu zutreffend Thüsing/Leder, BB 2005, 1563 (1567); mit solch weitem Verständnis der Ausübungskontrolle zuletzt auch MüArbR/Krause, § 56 Rn. 23; Stoffels, ZfA 2009, 861 (881) sowie H. J. Willemsen/Jansen, RdA 2010, 1 (3). 429 s. nochmals allgemein v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 108; dens., Anm. zu BAG 22. 8. 1979 EzA TVG § 4 Tariflohnerhöhung Nr. 3, S. 23 (25). 430 s. o. C. IV. 1. a) zu den Vorschlägen von Klebeck und Löwisch/Rieble sowie von Bepler.
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
nahmeklausel sei auf die oben nachgewiesenen Fundstellen431 verwiesen. Insbesondere bei Franzen432, Giesen433, Jacobs434, Preis/Greiner435, sowie Sittard/Ulbrich436 finden sich vollständige Formulierungsvorschläge, die auch dem Fall der Tarifpluralität Rechnung tragen. Der hier unterbreitete Vorschlag erfasst thematisch nur den Teil dieser Vorschläge, der sich speziell mit der Rechtslage bei Tarifpluralität befasst. Er kann nach hiesiger Auffassung zulässigerweise in jeden dieser umfassenden Klauselvorschläge an Stelle der dort jeweils für die Tarifpluralität vorgesehenen Bestimmungen eingesetzt und dadurch zu einer Gesamtbezugnahmeregelung komplettiert werden. Von dem Umfang der vorgeschlagenen Klausel sollte man sich nicht abschrecken lassen. Auch in der Praxis ist mittlerweile die Erkenntnis gereift, dass Bezugnahmeklauseln in Zukunft komplexe und umfangreiche Regelwerke darstellen werden, die mit dem in der Vergangenheit üblichen „Es gelten die einschlägigen Tarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung“ keine Gemeinsamkeiten mehr aufweisen437. Klauselvorschlag: (1) Ist der Arbeitgeber im Zeitpunkt des Vertragsschlusses an mehrere einschlägige Tarifverträge gebunden, so bestimmt er innerhalb eines Monats nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses das arbeitsvertraglich anzuwendende Tarifwerk durch Leistungsbestimmung nach § 315 BGB. (1) Tritt nachträglich während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses eine mehrfache Tarifgebundenheit des Arbeitgebers ein, so bestimmt der Arbeitgeber innerhalb eines Monats nach dem Eintritt seiner mehrfachen Tarifbindung das arbeitsvertraglich anzuwendende Tarifwerk durch Leistungsbestimmung nach § 315 BGB. Trifft er vor Ablauf dieser Frist keine Bestimmung, so ist weiterhin das bis zum Eintritt seiner mehrfachen Tarifgebundenheit angewandte Tarifwerk in Bezug genommen. (3) Sowohl im Falle des Abs. 1 als auch in dem des Abs. 2 kann der Arbeitgeber folgende Ereignisse zum Anlass nehmen, erneut und auch abweichend von seiner vorangegangenen Auswahlentscheidung das arbeitsvertraglich anzuwendende Tarifwerk durch Leistungsbestimmung nach § 315 BGB festzulegen: 431
s. o. Fn. 370, 371. Franzen, FS ZVK-Bau, S. 57 (66–68). 433 Giesen, NZA 2006, 625 (629 f.). 434 Jacobs, FS Birk, S. 243 (261 f.). 435 Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1079); Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 17, dort Typ 3 c), Rn. 115, Typ 11. 436 Sittard/Ulbrich, ZTR 2006, 458 (464, mit Fn. 68a). 437 Insam/Plümpe, DB 2008, 1265 (1268); kritisch zu (allzu) umfangreichen Klauselwerken aber Jordan/Bissels, NZA 2010, 71 (73). 432
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 247
1. Eine Veränderung der zahlenmäßigen Anteile von Arbeitnehmern des jeweiligen Beschäftigungsbetriebes, die an die den Arbeitgeber bindenden Tarifverträge kraft Mitgliedschaft in den tarifvertragsschließenden Gewerkschaften gebunden sind, um mindestens 10 %. Bei der Berechnung sind nur diejenigen Arbeitnehmer zu berücksichtigen, die kraft aktueller oder früherer (§ 3 Abs. 3 TVG) Gewerkschaftszugehörigkeit an einen der Tarifverträge gebunden sind, die auch den Arbeitgeber tarifrechtlich binden. Das Leistungsbestimmungsrecht besteht, wenn sich die zahlenmäßigen Anteile dieser Arbeitnehmergruppen an der Gesamtzahl aller an einen der in Betracht kommenden Tarifverträge gebundenen Arbeitnehmer um mindestens 10 % verschieben. 2. Änderungen eines der den Arbeitgeber bindenden oder beider (aller) Tarifverträge, die das Günstigkeitsverhältnis der Tarifverträge zueinander verändern. Bei der Feststellung der Günstigkeit der Tarifverträge ist allein auf das Verhältnis von regelmäßiger Arbeitszeit und regelmäßigem Arbeitsentgelt bei gleicher Tätigkeit ohne Berücksichtigung von Zulagen und Sondervergütungen abzustellen.438 3. Änderungen des Geltungsbereiches eines der oder beider (aller) den Arbeitgeber bindenden Tarifverträge oder Änderungen im betrieblichen Bereich (Änderungen des Betriebs- oder Unternehmenszwecks o. ä.), die das Spezialitätsverhältnis der Tarifverträge zueinander verändern. Für die Feststellung der Spezialität kommt es darauf an, welcher der Tarifverträge dem Betrieb räumlich, betrieblich, fachlich und persönlich am nächsten steht und deshalb den Erfordernissen und Eigenarten des Betriebes und der in ihm tätigen Arbeitnehmer am besten gerecht wird. In den Fällen der Nummern 1 bis 3 bestimmt der Arbeitgeber das arbeitsvertraglich anzuwendende Tarifwerk jeweils innerhalb eines Monats ab dem Eintritt des das Leistungsbestimmungsrecht auslösenden Ereignisses. Trifft er vor Ablauf dieser Frist keine Bestimmung, so ist weiterhin das bisher angewandte Tarifwerk in Bezug genommen. (4) Die Leistungsbestimmungserklärung des Arbeitgebers bedarf keiner Form.439 In der bloßen Weitergewährung von Leistungen nach dem bislang in Bezug genommenen Tarifvertrag während des Laufs der einmonatigen Erklärungsfrist ist jedoch keine konkludente Leistungsbestimmung zu sehen. Der Arbeitgeber kann bis zum Ablauf der Erklärungsfrist auch dann noch eine Aus438 Nach dem Vorbild der Klauselformulierung bei Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 64, dort Typ 7 b). 439 Demgegenüber geht Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (144), davon aus, dass das Wahlrecht in einer bestimmten förmlichen Weise ausgeübt werden müsste; in seinem Klausel(diskussions)vorschlag (S. 143, Fn. 59, die eigentlich Fn. 60 auf S. 144 sein müsste) sieht er eine schriftliche Erklärung des Arbeitgebers vor.
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
wechselung des in Bezug genommenen Tarifvertrages vornehmen, wenn er während des Laufs der Frist zunächst Leistungen nach dem bisher in Bezug genommenen Tarifvertrag weitergewährt hat. Auch im Falle einer konkludenten Leistungsbestimmung wird der Arbeitgeber das anzuwendende Tarifwerk rechtzeitig entsprechend den Verpflichtungen aus dem Nachweisgesetz benennen.440 b) Kombinationsmöglichkeiten Das Votum für die Zulässigkeit der Vereinbarung eines einseitigen Bestimmungsrechts des Arbeitgebers über den im Falle einer Tarifpluralität anzuwendenden Tarifvertrag bedeutet nicht, dass von einer ausdrücklichen „festen“ Bezugnahme auf den (für den Arbeitgeber) günstigsten/den speziellsten/den repräsentativsten Tarifvertrag abgeraten wird. Für eine Empfehlung an die Praxis, stets auf das einseitige Bestimmungsrecht zurückzugreifen, besteht kein Anlass.441 Es ging im Vorstehenden und geht auch bei den sogleich zu erörternden Kombinationsmöglichkeiten in erster Linie darum, die Bandbreite möglicher Vertragsgestaltungen auszuleuchten. Erscheint es daher dem Arbeitgeber sachgerecht – z. B., weil die Ausübung des Wahlrechts jeweils eine nähere Befassung mit den zur Auswahl stehenden Alternativen erfordert442, wohingegen die Bezugnahme auf den speziellsten/günstigsten/repräsentativsten Tarifvertrag einen – u. U. auch erwünschten – Automatismus der schuldrechtlichen Tarifanwendung bewirkt und den Arbeitgeber im laufenden Arbeitsverhältnis von jedem weiteren Aufwand befreit –, so mag er eines dieser Kriterien zur Entscheidung über die schuldrechtliche Tarifanwendung im Falle der Tarifpluralität berufen.443 Er kann auch mehrere der genannten Kriterien kombinieren und dadurch Haupt- und Hilfskriterien statuieren, z. B., in An440
Vgl. zu letzterem Franzen, FS ZVK-Bau, S. 57 (68). s. auch Insam/Plümpe, DB 2008, 1265 (1267), die überhaupt von der Übernahme von Standardformulierungen abraten und stattdessen eine genaue Analyse der Ausgangssituation des Betriebs und der Zielsetzungen des Arbeitgebers zwecks Erstellung maßgeschneiderter Klauseln empfehlen; ähnlicher Vorbehalt bei Jacobs/E. M. Willemsen, JbArbR 45 (2008), 47 (67); s. auch E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 430. 442 Der hierdurch entstehende Aufwand ist die Kehrseite des von Franzen, RdA 2008, 193 (196) hervorgehobenen Vorzugs des Leistungsbestimmungsrechts, dass der Arbeitgeber die Lage überprüfen kann, wenn ein konkretes Regelungsbedürfnis vorliegt, und einen entsprechenden Tarifvertrag auswählen kann. 443 Entsprechende Formulierungsvorschläge finden sich insbesondere bei Preis und Greiner, s. Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1079) sowie Preis/Preis, Arbeitsvertrag, II V 40 Rn. 17, dort Typ 3 c), Rn. 64, dort Typ 7 a), Rn. 115, Typ 11 für eine Anknüpfung an den Mehrheitstarifvertrag; Preis/Preis, a. a. O., II V 40 Rn. 64, Typ 7 b) für eine Anknüpfung an den für den Arbeitgeber/für den Arbeitnehmer günstigsten Tarifvertrag; außerdem jüngst Greiner, Rechtsfragen, S. 518 f., 520 f. 441
Kap. 2: Tarifpluralität und arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge 249
lehnung an die bisherige Rechtsprechung des BAG zur Auflösung von Tarifkonkurrenzen444: Verweis auf den speziellsten, hilfsweise, d. h. für den Fall, dass sich ein sachnäherer Tarif nicht ermitteln lässt, auf den repräsentativsten Tarifvertrag445; oder: Verweis auf den jeweils für den Arbeitgeber günstigeren, hilfsweise wiederum auf den repräsentativeren Tarifvertrag. Durch die Zulassung eines einseitigen Bestimmungsrechts wird dem Arbeitgeber über die Möglichkeit der Verweisung auf den speziellsten/günstigsten/repräsentativsten Tarifvertrag hinaus eine weitere Vertragsgestaltungsoption eröffnet. Denkbar ist damit auch eine Kombination etwa des Spezialitäts- oder des Günstigkeitskriteriums mit dem einseitigen Bestimmungsrecht: Verweisung auf den speziellsten oder den günstigsten Tarifvertrag, ergänzt durch ein hilfsweises einseitiges Bestimmungsrecht des Arbeitgebers für den Fall, dass sich nach der primären Entscheidungsregel ein vorrangiger Tarifvertrag nicht ermitteln lässt.
Ergebnis zu C. Die Einschätzung, es sei völlig ungeklärt, wie künftig, unter den Bedingungen eines pluralistischen Tarifsystems, rechtsgestaltend etwaige Auslegungsprobleme in neuen Arbeitsverträgen vermieden werden sollten446, hat sich als weitaus zu pessimistisch erwiesen. Die Arbeitgeber sind aufgerufen, in ihren Bezugnahmeklauseln Vorsorge für eine mögliche Tarifpluralität zu treffen. Tun sie dies nicht, nimmt ihnen im Zweifel § 305c Abs. 2 BGB die Einpassung der Tarifpluralität in die Bezugnahmepraxis ab – zugunsten des Arbeitnehmers. Die aufgezeigten Vertragsgestaltungsoptionen – Verweis auf den repräsentativsten, den speziellsten oder den für den Arbeitgeber günstigsten Tarifvertrag, nach hiesiger Auffassung unter bestimmten Voraussetzungen (Beschränkung auf bestimmte, als Bestimmungsgründe im Vertrag anzugebende Anlässe; Bindung an eine einmonatige Erklärungsfrist) auch Vorbehalt eines Wahlrechts in Form eines Leistungsbestimmungsrechts nach § 315 BGB – erlauben es aber dem Arbeitgeber, seine Inte444
s. mit Nachweisen Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 299e. Dafür jetzt Jacobs/E. M. Willemsen, JbArbR 45 (2008), 47 (68) und ganz ähnlich E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 372, 430, 434, die folgende Formulierung vorschlagen: „Bestehen im Betrieb mehrere normativ geltende Tarifverträge, ist derjenige Tarifvertrag in Bezug zu nehmen, der nach seinem sachlichen Anwendungsbereich dem Betrieb am nächsten steht. Lässt sich nach Satz 1 keine Entscheidung treffen, ist derjenige Tarifvertrag maßgeblich, der kraft Tarifbindung auf die relative Mehrzahl der Arbeitsverhältnisse im Betrieb anzuwenden ist.“; s. auch Greiner, Rechtsfragen, S. 523; zu einer Gestaltung mit Haupt- und Hilfskriterien auch Thüsing, AGB-Kontrolle, Rn. 182: Primäre Anknüpfung an den für den Arbeitnehmer kraft Gewerkschaftszugehörigkeit verbindlichen Tarifvertrag, hilfsweiser Verweis auf den jüngeren, den repräsentativeren oder den günstigeren Tarifvertrag. 446 s. nochmals Wallisch, FS Löwisch, S. 427 (441); ferner jüngst Brocker, NZA Beilage 3/2010, S. 121 (125). 445
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Teil 2: Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitsvertragsrecht
ressen künftig sachgerecht zur Geltung zu bringen. Insgesamt kann daher nicht konstatiert werden, dass die Anwendung arbeitsvertraglich vereinbarter Bezugnahmeklauseln bei mehreren in einem Betrieb nebeneinander geltenden Tarifverträgen zu einem „Dauerproblem“447 werden könnte.
447 So die Befürchtung von Feudner, BB 2007, 2459 (2461); vgl. auch aktuell Brocker, NZA Beilage 3/2010, S. 121 (125).
Teil 3
Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht Kapitel 1
Tarifpluralität und Tariffähigkeit, insbesondere soziale Mächtigkeit von Arbeitnehmervereinigungen A. Einführung I. Den Zusammenhang zwischen Tarifeinheit im Betrieb und sozialer Mächtigkeit als Voraussetzung der Tariffähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen hat Buchner schon früh angedeutet1 und in späteren Arbeiten dann deutlich benannt.2 Ordnungspolitisch wiesen die Rechtsprechung zur sozialen Mächtigkeit und diejenige zur Tarifeinheit bei Tarifpluralität in die gleiche Richtung.3 Zu Recht wird von Buchner der gemeinsame Grundgedanke der Tarifeinheit im Betrieb und der Tariffähigkeitsvoraussetzung der sozialen Mächtigkeit, bestehend in dem Bestreben nach Sicherung der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems, betont.4 Allerdings versäumt Buchner es, die Frage zu stellen, ob Tarifeinheit im Betrieb und soziale Mächtigkeit als in die gleiche Richtung wirkende Instrumente angesichts ihrer – aus der Perspektive der betroffenen Grundrechtsträger (Art. 9 Abs. 3 GG) betrachtet – freiheitsbeschneidenden Wirkung nebeneinander stehen können, ob also die kumulierte Begrenzung subjektiver Freiheit durch einen – vom Gesamtsystem der Tarifautonomie aus gesehen – entsprechenden Zugewinn an Funktionsfähigkeit aufgewogen wird. Schließlich hat das BVerfG5 hervorgehoben, dass keine Anforderungen an die Tariffähigkeit gestellt werden dürfen, die erheblich auf die Bildung und Betätigung einer Koalition zurückwirken, diese unverhältnismäßig einschränken und so zur Aushöhlung 1
Vgl. Buchner, FS 25 Jahre BAG, S. 55 (64). s. zuerst Buchner, FS Kissel, S. 97 (103 ff.). 3 Buchner, BB 2003, 2121 (2127); s. auch dens., ZfA 2004, 229 (243 ff., 246, 251); dens., Anm. zu BAG 14. 12. 2004 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1, unter 1. c) bb), 2. a). 4 s. auch F. Bayreuther, BB 2005, 2633 (2639); dens., NZA 2007, 187 (188); dens., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 130 (138); Reuter, SchlHA 2007, 413 (414); Wank, FS ZVK-Bau, S. 141 (156 f.); außerdem Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 41 ff., 52 ff., 69 ff. und jetzt Franzen, ZfA 2009, 297 (308, 312). 5 BVerfG 20. 10. 1981 BVerfGE 58, 233 (249 f.). 2
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
der durch Art. 9 Abs. 3 GG gesicherten freien Koalitionsbildung und -betätigung führen.6 Was insoweit für die konkrete Ausgestaltung des Erfordernisses der sozialen Mächtigkeit gilt, muss aber ebenso dann beachtet werden, wenn man der sozialen Mächtigkeit mit der Tarifeinheit im Betrieb ein weiteres auf die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems gerichtetes Instrument an die Seite stellt. Es muss dann Rücksicht darauf genommen werden, dass nicht beide Instrumente in der Kumulation unverhältnismäßig auf die grundrechtlich garantierte Freiheit zurückwirken. II. Dieses Versäumnis ist auch Kempen vorzuhalten, der jüngst die sich bereits bei Säcker und Oetker7 findende Rückführung der Tarifeinheit im Betrieb auf den Gedanken der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems verfassungsrechtlich zu fundieren versucht hat, indem er die betriebliche Tarifeinheit grundrechtsdogmatisch als durch die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie gebotene Grundrechtsausgestaltung anspricht.8 Auch dabei wird der Zusammenhang von Tarifpluralität oder Tarifeinheit auf der einen und Tariffähigkeit, insbesondere sozialer Mächtigkeit auf der anderen Seite nicht hinreichend gewürdigt und letztlich verkannt. Dieser Zusammenhang wird im Folgenden in Auseinandersetzung mit den bereits dargestellten9 Thesen Kempens aufzudecken versucht.10 „Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung“ heißt hier, die Wechselwirkungen zwischen der Lehre von der Tarifeinheit im Betrieb und der Lehre von der sozialen Mächtigkeit und, daran anknüpfend, die Rückwirkungen der nunmehr erfolgten Preisgabe des Grundsatzes der betrieblichen Tarifeinheit durch das BAG auf die konkrete Handhabung des Mächtigkeitserfordernisses bei der Prüfung der Tariffähigkeit einer Arbeitnehmerkoalition herauszuarbeiten. In einem potentiell pluralistischen Tarifsystem muss, mehr als schon bisher, darauf geachtet werden, nicht zu großzügig mit der Verleihung des Prädikats „tariffähig“ zu sein.11 6 s. auch Wank, RdA 2008, 257 (262) und dort S. 265 ff. zu den Folgerungen für die konkrete Handhabung des Mächtigkeitskriteriums. 7 s. Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1 (11 ff.); später dann auch Buchner, BB 2003, 2121 (2126 f., dort Fn. 42; 2128); ders., ZfA 2004, 229 (251); Dunker, Unternehmensbezogene Tarifverträge, S. 198 ff. und zuletzt vor allem Oetker, NZA Beilage 1/2010, S. 13 (28). 8 Ebenso in jüngster Zeit Dunker, Unternehmensbezogene Tarifverträge, S. 200 ff.; Göhner, FS Bauer, S. 351 (355); Oetker, NZA Beilage 1/2010, S. 13 (21, 27, 29). 9 s. o. Teil 1, Kapitel 3, unter B. I. 10 Mitbehandelt sind die in eine ähnliche Richtung gehenden, aber weniger substantiierten Überlegungen von Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (110 ff.). 11 Vgl. Wank, RdA 2008, 257 (258); in das dort entwickelte Konzept ist die Freigabe von Tarifpluralitäten bereits „einkalkuliert“, vgl. a. a. O. S. 264. Zu Wechselwirkungen zwischen der Frage nach Tarifpluralität oder Tarifeinheit und den Tariffähigkeitsvoraussetzungen jetzt auch Greiner, Rechtsfragen, S. 197.
Kap. 1: Tarifpluralität und Tariffähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen
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Durch die Einbettung der Untersuchung des Zusammenspiels von Tarifeinheit und Tariffähigkeit in die Auseinandersetzung mit den Überlegungen Kempens können die Erkenntnisse in einen größeren Zusammenhang gestellt werden, der abschließend auch bereits einen Ausblick auf die arbeitskampfrechtliche Seite des Paradigmenwechsels von der Tarifeinheit zur realisierten Tarifpluralität erlaubt.
B. Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität als Fall zulässiger Grundrechtsausgestaltung? Die Argumentation Kempens wurde bereits oben dargestellt und einer ersten kursorischen Würdigung unterzogen.12 Eine erschöpfende Auseinandersetzung mit seiner These von der Tarifeinheit im Betrieb als zulässiger Grundrechtsausgestaltung erforderte grundrechtsdogmatische Festlegungen (Wie ist zwischen Grundrechtsausgestaltung und Grundrechtseingriff abzugrenzen? Welche Rolle spielt die Figur der Umgestaltung? Welchen verfassungsrechtlichen Bindungen unterliegt der grundrechtsaus- oder -umgestaltende im Vergleich zu dem in Grundrechte eingreifenden Staat?), die im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich sind; insoweit soll lediglich aufgezeigt werden, dass die grundrechtsdogmatischen Prämissen Kempens mit guten Gründen bezweifelt werden können. Ungleich dezidierter zurückgewiesen werden kann und muss die Subsumtion Kempens unter das von ihm an Grundrechtsausgestaltungen angelegte Prüfungsprogramm: Die Tarifeinheit bei Tarifpluralität ist, jedenfalls unter dem von Kempen in die Debatte eingeführten Aspekt einer drohenden Gefahr der Wiederkehr des vorkoalitionsrechtlichen Unterbietungswettbewerbes nunmehr auf der kollektiven Ebene, nicht zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie erforderlich, schon gar nicht dringend.13 Unterstellt, es handelte sich bei ihr um einen Fall der Grundrechtsausgestaltung, so nähme sie sich gleichwohl (zumindest) in Hinsicht auf das Ziel der Verhütung einer Wiederkehr des Unterbietungswettbewerbs als gleichsam „überschießende“ Ausgestaltung aus. I. Angreifbarkeit der Prämissen 1. Einordnung der Lehre von der Tarifeinheit im Betrieb als Fall der Grundrechtsausgestaltung Über die Einordnung der sich auf der Grundlage der Lehre von der Tarifeinheit im Betrieb vollziehenden Tarifverdrängung als Fall der Grundrechtsausgestaltung lässt sich zumindest trefflich streiten. 12
s. o. Teil 1, Kapitel 3, unter B. So aber Kempen, FS Hromadka, S. 177 (180); mit anderer Akzentuierung jüngst auch Göhner, FS Bauer, S. 351 (355). 13
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
a) Die Abgrenzung von Grundrechtsausgestaltung und Grundrechtseingriff aa) Die Unterscheidung zwischen Grundrechtseingriff und „Grundrechtsausgestaltung“14 ist heute zumindest mit Blick auf rechts- oder normgeprägte Freiheitsrechte wie die Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG weitgehend anerkannt. Gegenüber dem Grundrechtseingriff ist die Grundrechtsausgestaltung ein aliud.15 Allerdings hat jede Ausgestaltung gleichsam einen Doppelcharakter16; jede Ausgestaltung einer Freiheitsgewährleistung bedeutet auch ihre Beschränkung17, so wie umgekehrt auch jeder Eingriff zur Ausgestaltung beiträgt18. Die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten einer äußerlichen Unterscheidung beider Kategorien19 sind jedoch kein Grund, die Differenzierung rechtsdogmatisch aufzugeben.20 bb) Nach wie vor, dies ist zuzugeben, ist es aber nicht gelungen, ein auch nur mehrheitsfähiges theoretisches Konzept für die Abgrenzung zu erarbeiten. Dieser Aufgabe kann sich die vorliegende Untersuchung nicht annehmen; sie wird wohl, wenn auch in jüngerer Zeit beachtliche Versuche unternommen wurden, der Wissenschaft noch einige Zeit erhalten bleiben. Hier ist nur eine Skizze dessen möglich, was das Wesen der grundrechtsausgestaltenden Tätigkeit des Gesetzgebers (und des an seiner Stelle handelnden Richters) ausmacht. Wie Gellermann betont, heben bereits die allgemeinen Umschreibungen, die dem Phänomen der Ausgestaltung zuteil werden, regelmäßig einen gewichtigen Aspekt hervor.21 14 Zum verkürzenden Charakter der Begriffs der „Grundrechtsausgestaltung“ s. Maschmann, Tarifautonomie, S. 131 f.; s. auch v. Mangoldt/Klein/Starck/Kemper, Art. 9 Abs. 3 Rn. 85. 15 Statt vieler Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung, S. 159; Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 286; ders., RdA 2008, 331 (333); Greiner, Rechtsfragen, S. 77 f.; Maschmann, Tarifautonomie, S. 135; Wank, RdA 2008, 257 (266). 16 Näher Wank, Anm. zu BVerfG 10. 1. 1995 AP GG Art. 9 Nr. 76, unter A. III. 1.; ders., RdA 2008, 257 (266) m.w. N. 17 s. auch Stern/Dietlein, Staatsrecht IV/1, § 112 IV. 3. b) b) aa), S. 2021 sowie jüngst BAG 22. 9. 2009 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 174 (H. J. Willemsen/Mehrens), unter B. II. 2. b) aa) (1) der Gründe, Rn. 38 der Entscheidung. 18 Thüsing, FS 50 Jahre BAG, S. 889 (892); ders., GS Heinze, S. 901 (909); s. auch schon dens., Anm. zu BVerfG 14. 11. 1995 EzA GG Art. 9 Nr. 60, S. 9 (14), unter III. 4.; dens./Zacharias, Anm. zu BVerfG 3. 4. 2001 EzA GG Art. 9 Nr. 75, S. 15, unter I. 1. 19 Däubler/Däubler, Einl. Rn. 124; Dieterich, RdA 2002, 1 (11); Dunker, Unternehmensbezogene Tarifverträge, S. 78; Greiner, Rechtsfragen, S. 147; Maschmann, Tarifautonomie, S. 20, 32, 136 (Fn. 926); s. auch Thüsing, FS 50 Jahre BAG, S. 889 (892); demgegenüber eine „Unschärferelation“ zwischen Ausgestaltung und Eingriff bestreitend Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung, S. 158. 20 Wie hier Wank, FS ZVK-Bau, S. 141 (143); ders., RdA 2008, 257 (266). Die Unterscheidung ablehnend aber etwa F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 30 ff.; kritisch auch Henssler, ZfA 1998, 1 (11); dagegen zutreffend Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung, S. 153, 158; Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 285; Maschmann, Tarifautonomie, S. 32. 21 Gellermann, Grundrechte, S. 32.
Kap. 1: Tarifpluralität und Tariffähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen
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(1) Wie z. B. die Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist auch die Koalitionsfreiheit ein ausgestaltungsbedürftiges Grundrecht.22 Mit Blick auf die Tarifautonomie als Teilgewährleistung der Koalitionsbetätigungsgarantie hat das BVerfG bereits in seiner ersten einschlägigen Entscheidung befunden, dass der Staat ein Tarifvertragssystem im Sinne des modernen Arbeitsrechts überhaupt erst einmal bereitzustellen habe.23 Um von ihrer grundrechtlichen Freiheit Gebrauch machen zu können, sind die Koalitionen auf ein normatives System angewiesen, das die rechtlichen Rahmenbedingungen bietet, innerhalb derer die Grundrechtsbetätigung erst Wirkung entfalten kann.24 (2) Das Wesen der grundrechtsausgestaltenden Gesetzgebung (und Rechtsfortbildung) besteht demnach in der Schaffung „freiheitsermöglichender“ Normen25; mit dem BVerfG gesprochen geht es um Regelungen, „die erst die Voraussetzungen für eine Wahrnehmung des Freiheitsrechts bilden“26. Die Ausgestaltung verwehrt nicht ein vom Schutzbereich erfasstes Verhalten, sondern eröffnet bestimmte Verhaltensmöglichkeiten überhaupt erst27, insbesondere, indem sie dem Wirken der Grundrechtsträger bestimmte rechtliche Folgen zuweist, die es ohne gesetzgeberisches Handeln nicht hätte28. Die Ausgestaltungsvorstellung steht, wie Cornils bereits im Vorwort seiner umfassenden Untersuchung betont, unter dem freiheitlichen Grundgedanken „Freiheit durch Recht“.29
22 BVerfG 1. 3. 1979 BVerfGE 50, 290 (368); 20. 10. 1981 BVerfGE 58, 233 (247); MüArbR/Löwisch/Rieble, § 155 Rn. 7, 75; Maschmann, Tarifautonomie, S. 15 f.; Wank, Anm. zu BVerfG 10. 1. 1995 AP GG Art. 9 Nr. 76, unter A. III. 1.; ders., RdA 2008, 257 (266). 23 BVerfG 18. 11. 1954 BVerfGE 4, 96 (106). 24 Vgl. Wank, Anm. zu BVerfG 10. 1. 1995 AP GG Art. 9 Nr. 76, unter A. III. 1.; dens., FS ZVK-Bau, S. 141 (143); dens., RdA 2008, 257 (266). 25 Däubler/Däubler, Einl. Rn. 124; s. auch Gellermann, Grundrechte, S. 91. 26 BVerfG 10. 1. 1995 BVerfGE 92, 26 (41); zustimmend Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung, S. 161; Cornils, Ausgestaltung, S. 402 f.; Stern/Dietlein, Staatsrecht IV/1, § 112 IV. 3. b) b) aa), S. 2021; Höfling, FS Friauf, S. 377 (385); v. Mangoldt/ Klein/Starck/Kemper, Art. 9 Abs. 3 Rn. 85; s. auch Klein, Minderheitsgewerkschaften, S. 128, 133; Thüsing, GS Heinze, S. 901 (911); Waltermann, ZfA 2000, 53 (60); ferner Konzen, Anm. zu BVerfG 4. 7. 1995 SAE 1996, 216 (218 f.) und jüngst ders., FS Bauer, S. 559 (572) sowie Greiner, Rechtsfragen, S. 72 f.; mit Blick auf die Tarifeinheit Hromadka, NZA 2008, 384 (387). 27 Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung, S. 155; Butzer, RdA 1994, 375 (378); Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 286; ders., RdA 2008, 331 (333); Klein, Minderheitsgewerkschaften, S. 128, 130, 133; Konzen, Anm. zu BVerfG 4. 7. 1995 SAE 1996, 216 (219); V. Neumann, RdA 2007, 71; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 209. 28 Thüsing, GS Heinze, S. 901 (911); s. auch Klein, Minderheitsgewerkschaften, S. 128. 29 Cornils, Ausgestaltung, Vorwort, S. V; s. auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 304.
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b) Tarifverdrängung als Grundrechtsausgestaltung? aa) Mit der Frage, ob die Tarifeinheit im Betrieb Grundrechtsausgestaltung oder Grundrechtseingriff ist, haben sich vor Kempen nicht viele Autoren ausführlich befasst; Ausnahmen bilden vor allem Jacobs und Dieterich.30 Beide greifen eine Anregung Thüsings auf, zwischen Ausgestaltung und Eingriff nach der Intention des Gesetzgebers abzugrenzen.31 Jacobs will insbesondere nach den Rechtsgütern fragen, deren Schutz der Gesetzgeber mit der Regelung anstrebt. Anhand dieser Abgrenzungskriterien kommt er zu dem Ergebnis, dass die Tarifeinheit im Betrieb grundrechtsbeschränkend und nicht grundrechtsausgestaltend sei.32 Ganz ähnlich wie Jacobs grenzt auch Dieterich zwischen Ausgestaltung und Eingriff ab33, der von Kempen34 nur unvollständig wiedergegeben wird. Entscheidend ist für ihn das Regelungsziel.35 Ausgestaltung ist danach gegeben, wenn es um die Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems geht36; die Ausgestaltung sei gekennzeichnet durch das Regelungsziel, die rechtlichen Voraussetzungen eines praxistauglichen Tarifsystems zu schaffen und aufrecht zu erhalten37. Als Ausgestaltung der Tarifautonomie könne ein Gesetz, das die Rechtsstellung der Koalitionen einschränkt, nur dann gelten, wenn gerade die Funktionsfähigkeit des Systems hergestellt bzw. verbessert werden solle38, z. B. 30 Außerdem Dunker, Unternehmensbezogene Tarifverträge, S. 200 f. sowie jüngst Engels, RdA 2008, 331 (332 ff.), Franzen, ZfA 2009, 297 (303 f.), Greiner, Rechtsfragen, S. 105 ff. und Oetker, NZA Beilage 1/2010, S. 13 (21, 27, 29). Die Möglichkeit, dass es sich um eine zulässige Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit handeln könnte, sprechen auch Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (511 f.) an, ohne sich aber auf Eingriff oder Ausgestaltung festzulegen. 31 Thüsing, Anm. zu BVerfG 14. 11. 1995 EzA GG Art. 9 Nr. 60, S. 9 (15), unter III. 4.; ablehnend Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung, S. 160. Thüsing hat dies später, soweit ersichtlich, nicht wieder aufgegriffen, vgl. Thüsing, FS 50 Jahre BAG, S. 889 (892); dens., GS Heinze, S. 901 (909 ff.). 32 Jacobs, Tarifeinheit, S. 439 f.; s. auch dens., NZA 2008, 325 (328 f.). 33 Wie Jacobs bezieht sich auch Dieterich auf die EzA-Anm. von Thüsing, s. Dieterich, RdA 2002, 1 (12, Fn. 64). 34 Kempen, FS Hromadka, S. 177 (180); kritisch zu seiner Abgrenzung nunmehr auch Greiner, Rechtsfragen, S. 147 (Fn. 638): „wenig trennscharf“; Greiner selbst ordnet allerdings die Tarifverdrängung nach dem Prinzip der Tarifeinheit im Betrieb im Ergebnis ebenfalls dem Ausgestaltungsbereich des Art. 9 Abs. 3 GG zu, a. a. O. S. 106 ff., 337 ff., 340 f., 357. 35 Sehr deutlich Dieterich, RdA 2002, 1 (11): „. . . ergibt sich das zentrale Abgrenzungskriterium denknotwendig aus dem Sinn der ganzen Unterscheidung. Maßgebend ist das Regelungsziel.“; s. auch I. Schmidt, FS Richardi, S. 765 (768); ablehnend Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung, S. 160. 36 Dieterich, DB 2001, 2398 (2401); ders., KJ 2008, 71 (76). 37 ErfK/Dieterich, 7. Aufl. 2007 (diese wird von Kempen zitiert), Art. 9 GG Rn. 80 sowie aktuell 10. Aufl. 2010, Art. 9 GG Rn. 83. 38 Dieterich, RdA 2002, 1 (11 f.); ebenso I. Schmidt, FS Richardi, S. 765 (768).
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die kollektiven Beziehungen der Koalitionen, die Modalitäten ihres Zusammenwirkens, vor allem aber die Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit ihrer Vereinbarungen39. Dagegen liege ein Eingriff vor, wenn das Regelungsziel nicht in der Realisierung eines funktionsgerechten Tarifvertragssystems bestehe40, sondern andere rechtspolitische Ziele wie die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit oder die Stabilisierung der Solidarsysteme verfolgt würden.41 Was konkret die Tarifeinheit im Betrieb betrifft, kommt Dieterich zum selben Ergebnis wie Jacobs. Dies wird zwar noch nicht ganz klar, wenn es heißt, die (nunmehr: frühere) Rechtsprechung des BAG zur Tarifpluralität überschreite die Grenze richterrechtlicher Ausgestaltung der Tarifautonomie42 – dies könnte sowohl heißen, dass es sich nicht um Ausgestaltung handele, sondern um einen Eingriff, als auch, dass es sich um eine unzulässige, die Grenze zulässiger Ausgestaltung der Tarifautonomie überschreitende Ausgestaltung handele.43 Deutlich schreibt Dieterich aber dann, das Beiseiteschieben eines selbständig und wirksam geschlossenen Tarifvertrages aufgrund der (zu ergänzen ist jetzt: früheren) Rechtsprechung des BAG zur Tarifpluralität sei ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Koalitionsfreiheit und deshalb mit Art. 9 Abs. 3 GG unvereinbar.44 bb) Anders als Kempen ordnen demnach Dieterich und Jacobs die Tarifeinheit im Betrieb nicht als Grundrechtsausgestaltung, sondern als Grundrechtseingriff ein.45 Ob der von ihnen gewählte subjektive Abgrenzungsmaßstab46 – Intention/Regelungsziel des Gesetzgebers – der richtige ist, erscheint allerdings frag39 Dieterich, DB 2001, 2398 (2401); ders., RdA 2002, 1 (11 f.); ebenso I. Schmidt, FS Richardi, S. 765 (768). 40 Ebenso Hromadka, NZA 2008, 384 (387). 41 Dieterich, DB 2001, 2398 (2401) und ders., RdA 2002, 1 (11). 42 ErfK/Dieterich, 7. Aufl. 2007, Art. 9 GG Rn. 82 sowie 10. Aufl. 2010, Art. 9 GG Rn. 85. 43 Mit Recht abgelehnt wird überwiegend die These, eine unzulässige, verfassungswidrige Ausgestaltung schlage in einen (rechtfertigungsfähigen!) Eingriff um, s. etwa Butzer, RdA 1994, 375 (381); Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung, S. 159; Engels, RdA 2008, 331 (333); Sachs/Höfling, Art. 9 Rn. 117; der Sache nach auch MüArbR/Löwisch/Rieble, § 155 Rn. 78. Ausführlich und ebenfalls ablehnend zu diesen „Umschlagtheorien“ Gellermann, Grundrechte, S. 364 ff. 44 ErfK/Dieterich, 7. Aufl. 2007, Art. 9 GG Rn. 82 sowie aktuell 10. Aufl. 2010, Art. 9 GG Rn. 85; s. auch jüngst Dieterich, GS Zachert, S. 532 (537). 45 Für Grundrechtseingriff jüngst auch Engels, RdA 2008, 331 (335) und im Anschluss an ihn Franzen, ZfA 2009, 297 (303 f.); ebenso Reichold, Gutachten, S. 11; I. Schmidt, FAZ vom 19. 7. 2010, Nr. 164, S. 13 (Interview unter der Überschrift „Ein Gesetz zur Tarifeinheit in dieser Atmosphäre kann nicht gutgehen“); s. auch BrechtHeitzmann, GS Zachert, S. 502 (506 f.); für Ausgestaltung aber Dunker, Unternehmensbezogene Tarifverträge, S. 79, 200 f.; Göhner, FS Bauer, S. 351 (355); Greiner, Rechtsfragen, S. 106 ff., 337 ff., 340 f., 357; Oetker, NZA Beilage 1/2010, S. 13 (21, 27, 29). 46 Auch das BVerfG grenzt mitunter subjektiv anhand des Willens des Gesetzgebers ab, s. die Darstellung und Nachweise bei Gellermann, Grundrechte, S. 29.
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lich.47 Eine tiefer schürfende Untersuchung des Grenzverlaufes zwischen Grundrechtsausgestaltung und Grundrechtseingriff kann hier jedoch nicht geleistet werden. Als gesichert können aber die obigen Darlegungen zur grundsätzlichen Funktion der Ausgestaltung gelten, aus denen sich auch ein Begriffskern destillieren lässt. Nimmt man diesen zum Ausgangspunkt, so zeigt sich, dass die Tarifeinheit im Betrieb jedenfalls nicht den „prima-facie-Fall“ einer Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit darstellt.48 In das Bild von der „freiheitsermöglichenden Maßnahme“49 will sich die Tarifverdrängung nach dem Prinzip der betrieblichen Tarifeinheit nicht recht einfügen. Mit der Auflösung von Tarifpluralitäten durch Tarifverdrängung wurde nicht eine Voraussetzungen für die Wahrnehmung des Koalitionsgrundrechts geschaffen, sie eröffnete nicht Verhaltensmöglichkeiten, sondern machte im Gegenteil grundrechtlich geschütztes Verhalten illusorisch.50 Hieran anknüpfend nimmt nun auch der 4. Senat des BAG in seinem Anfragebeschluss vom 27. Januar 2010 an, dass es sich bei der Verdrängung eines nach §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG geltenden Tarifvertrages zur Auflösung einer Tarifpluralität nach dem Grundsatz der Tarifeinheit nicht um eine Ausgestaltung, sondern um einen Eingriff in das Grundrecht der Koalitionsfreiheit handelt.51 c) Das Prinzip der betrieblichen Tarifeinheit als Fall der Umgestaltung? aa) Zu bedenken gilt es überdies Folgendes: Das TVG ist ein das Grundrecht der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG ausgestaltendes Gesetz.52 Nun 47 Für eine Abgrenzung anhand objektiver Kriterien Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung, S. 157 ff., der auf Gegenstand, Inhalt und Wirkung der entsprechenden gesetzlichen Regelung abstellen will und (S. 160) subjektive Kriterien verwirft; seinem Ansatz folgend nunmehr Greiner, Rechtsfragen, S. 77. 48 s. auch Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (511). 49 So die Kennzeichnung grundrechtsausgestaltender Tätigkeit von Gesetzgeber und Rechtsprechung bei Däubler/Däubler, Einl. Rn. 124; s. auch Gellermann, Grundrechte, S. 91. 50 Vgl. Jacobs, Tarifeinheit, S. 439. s. auch Engels, RdA 2008, 331 (334 f.): Auch der Koalitionsfreiheit komme als normgeprägter Freiheit abwehrrechtlicher Gehalt zu; abwehrrechtlichen Schutz genössen insbesondere konkrete subjektive Rechtspositionen, die auf der Grundlage ausgestaltender einfachgesetzlicher Regelungen (hier: TVG) erworben wurden. In den abwehrrechtlichen Gewährleistungsgehalt des abgeschlossenen Tarifvertrages werde eingegriffen, wenn nach dem Grundsatz der Tarifeinheit bereits geschlossene Tarifverträge aus einem Betrieb verdrängt würden; ihm folgend Franzen, ZfA 2009, 297 (303 f.); kritisch zur Argumentation von Engels allerdings jüngst Oetker, NZA Beilage 1/2010, S. 13 (21, dort Fn. 101). 51 BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) ee) (2) (a) der Gründe, Rn. 79 des Beschlusses im Anschluss an Engels, RdA 2008, 331 (334 f.), Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung, S. 171, 253 ff., Franzen, ZfA 2009, 297 (304, 309) und Jacobs, Tarifeinheit, S. 439 und unter Ablehnung von Hromadka, NZA 2008, 384 (387) und Buchner, BB 203, 2121 (2128); dem BAG zust. Richardi, Gem. Anm. zu BAG 27. 1. 2010 – 4 AZR 549/08 (A) – und BAG 23. 6. 2010 – 10 AS 2/10, demn. in AP, unter II. 2.
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entspricht es aber ganz herrschender Ansicht nicht nur unter den Gegnern53, sondern auch unter den Befürwortern des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb54 sowie den Vertretern vermittelnder Positionen55, dass aufgrund der Beschränkung der normativen Geltung von Individualnormen auf die Arbeitsverhältnisse beiderseits tarifgebundener Arbeitsvertragsparteien (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG) und der Möglichkeit, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer an verschiedene Tarifverträge gebunden sind, Tarifpluralität im TVG angelegt ist, das Gesetz also die Existenz mehrerer Tarifverträge im Betrieb hinnimmt56; anderer Ansicht sind nur Heinze und Ricken mit ihrer These einer normativen Verankerung der Tarifeinheit im 52 Das dürfte unter denen, die die Unterscheidung zwischen Eingriff und Ausgestaltung überhaupt anerkennen, Konsens sein, s. nur Butzer, RdA 1994, 375 (380). 53 s. etwa LAG Niedersachsen 12. 11. 1999 LAGE TVG § 4 Tarifpluralität Nr. 3 (Wendeling-Schröder), S. 3; Band, Tarifkonkurrenz, S. 90 ff.; F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 379; Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 78; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1503; Fenn, FS Kissel, S. 213 (229); ErfK/Franzen, § 4 TVG Rn. 70 f.; Franzen, RdA 2001, 1 (8); dens., RdA 2008, 193 (194); P. Hanau, FS Zeuner, S. 53 (56); P. Hanau/Kania, Anm. zu BAG 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20, unter II. 2. a); Jacobs, Tarifeinheit, S. 375 f.; dens., bei Bepler/U. Fischer/Ubber, BLJ 2007, 139; dens., NZA 2008, 325 (328); Konzen, RdA 1978, 146 (150, 154); Koop, Tarifvertragssystem, S. 175; Kraft, RdA 1992, 161 (166); dens., Anm. zu BAG 22. 9. 1993 und 26. 1. 1994 AuR 1994, 391 (392); dens., FS Zöllner, Band II, S. 831 (836); A. Lindemann/Simon, BB 2006, 1852 (1855); Merten, BB 1993, 572 (576); J. C. Otto, Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, S. 163; Rebhahn, NZA 2001, 763 (766); Reichold, Anm. zu BAG 22. 9. 1993 SAE 1995, 21 (22); dens., RdA 2007, 321 (324); dens., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 146; Fuchs/Reichold, Tarifvertragsrecht, Rn. 113, 115 f.; Richardi, FS Scholz, S. 337 (347); Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1801; Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (511); Vogg, Anm. zu BAG 20. 3. 1991 EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 7, S. 13 (16); Waas, Tarifkonkurrenz, S. 128 f.; Wank, Anm. zu BAG 26. 1. 1994 EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 9, S. 15 (17); dens., FS ZVK-Bau, S. 141 (157); Wiedemann/Wank, TVG, § 4 Rn. 287; Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, § 4 Rn. 158; Wiedemann/Arnold, ZTR 1994, 443 (446); Winzer, Tarifgeltung, S. 11, 14 und öfter; Witzig, Tarifeinheit, S. 36, 44; zuletzt Franzen, ZfA 2009, 297 (305); Gaul/Janz, NZA Beilage 2/2010, S. 60 (63, 68); Hirdina, NZA 2009, 997 (998); Reichold, Gutachten, S. 8; Richardi, FS Buchner, S. 731 (735 f.); E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 303, 305. 54 Giesen, NZA 2009, 11 (12); Hromadka, GS Heinze, S. 383 (387); Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1 (1 f.). 55 Buchner, BB 2003, 2121 (2122); ders., ZfA 2004, 229 (246); ders., FS 50 Jahre BAG, S. 631 (632); ders., NZA 2007, 1411; ders., BB 2007, 2520; ebenso bereits ders., FS Kissel, S. 97 (103 f.); s. auch dens., FS Hromadka, S. 39 (51). Vgl. auch Schliemann, FS Hromadka, S. 359 (370 f.). 56 Neben den bisher Genannten auch Bepler, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 791 (800); Gamillscheg, KollArbR I, § 17 III. 3. c) (1) (a), S. 750; Giesen, Rechtsgestaltung, S. 534; Klingebiel, Bezugnahmeklauseln bei Aufgabe der Tarifeinheit, S. 197; Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 48; Meik, FS Beuthien, S. 429 (436); zuletzt Hergenröder, EWiR 2010, 437 (438); Freckmann/K. Müller, BB 2010, 1981 (1985); Thüsing, BB Heft 33/2010, S. I. So ausdrücklich jetzt auch BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) aa) der Gründe, Rn. 46 des Beschlusses und BAG 23. 6. 2010 NZA 2010, 778; zust. Richardi, Gem. Anm. zu BAG 27. 1. 2010 – 4 AZR 549/08 (A) – und BAG 23. 6. 2010 – 10 AS 2/10, demn. in AP, unter I. und II. 2.
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
Betrieb im einfachen Gesetzesrecht.57 Geht man von der h. M. aus, dann wurde durch die Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb von der gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung des TVG abgewichen.58 Die Tarifeinheit im Betrieb konnte mithin nur das Produkt einer richterlichen Rechtsfortbildung sein.59 Unterschiedlich beantwortet wird bloß die Frage, ob sich aus dem Befund, dass das Nebeneinander unterschiedlicher Tarifverträge im Betrieb in der gesetzlichen Regelung angelegt ist, zugleich ergibt, dass das TVG für den Fall der Tarifpluralität nicht lückenhaft ist.60 Dies hätte zur Folge, dass die Tarifeinheit im Betrieb nicht, anders als bei Annahme einer gesetzlichen Regelungslücke61, als 57 Heinze/Ricken, ZfA 2001, 159 (174 f.), die das Prinzip der Tarifeinheit im Betrieb im TVG (§ 3 Abs. 2 TVG), insbesondere aber im BetrVG normativ verankert sehen; s. dazu bereits oben Teil 1, Kapitel 3, unter C. 58 Band, Tarifkonkurrenz, S. 91; Franzen, RdA 2008, 193 (194); Waas, Tarifkonkurrenz, S. 128 f. 59 Fenn, FS Kissel, S. 213 (215); s. auch P. Hanau, FS Zeuner, S. 53 (55 f.); davon geht jetzt auch aus BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) der Gründe, Rn. 44 des Beschlusses; s. auch Bepler, NZA Beilage 3/2010, S. 99. 60 Eine Regelungslücke verneinen LAG Niedersachsen 12. 11. 1999 LAGE TVG § 4 Tarifpluralität Nr. 3 (Wendeling-Schröder), S. 3; Band, Tarifkonkurrenz, S. 92 ff.; F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 378; Franzen, RdA 2001, 1 (8); ders., RdA 2008, 193 (194); P. Hanau/Kania, Anm. zu BAG 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20, unter II. 2. a); Jacobs, Tarifeinheit, S. 373 ff.; ders., NZA 2008, 325 (328); Kraft, RdA 1992, 161 (166); ders., FS Zöllner, Band II, S. 831 (836); Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 47 f.; Lembke, Arbeitskampfbeteiligung, S. 62; A. Lindemann/Simon, BB 2006, 1852 (1855); Merten, BB 1993, 572 (576); Reuter, JuS 1992, 105 (107); A. Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 284; Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (511); Vogg, Anm. zu BAG 20. 3. 1991 EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 7, S. 13 (15 f.); Wank, Anm. zu BAG 26. 1. 1994 EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 9, S. 15 (17); ders., FS ZVK-Bau, S. 141 (157); Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 287; Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, § 4 Rn. 158 f.; dies., Anm. zu LAG Niedersachsen a. a. O., S. 5 (7 f.); dies., AuR 2000, 339 (341); Wiedemann/Arnold, ZTR 1994, 443 (446); Winzer, Tarifgeltung, S. 13 f.; Witzig, Tarifeinheit, S. 44 f.; Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 945 f.; zuletzt Franzen, ZfA 2009, 297 (305 ff.); Richardi, FS Buchner, S. 731 (736); A. Stein, Liber amicorum WendelingSchröder, S. 35 (52). Ebenso jetzt BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) cc) der Gründe, Rn. 51 ff. des Beschlusses; zust. Richardi, Gem. Anm. zu BAG 27. 1. 2010 – 4 AZR 549/08 (A) – und BAG 23. 6. 2010 – 10 AS 2/10, demn. in AP, unter II. 2. und III. 4.; krit. Hromadka/Schmitt-Rolfes, NZA 2010, 687 (687 f.). 61 Eine Regelungslücke bejahen Dunker, Unternehmensbezogene Tarifverträge, S. 176 ff.; Hromadka, NZA 2008, 384 (386, 389); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 124 (125); H. Koch, Zusatzversorgungskasse, Rn. 203; Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1 (7 f.); der Sache nach auch Giesen, NZA 2009, 11 (13); s. zuletzt Göhner, FS Bauer, S. 351 (355) sowie Oetker, NZA Beilage 1/2010, S. 13 (25, 26 f.), der die These einer nachträglich entstandenen Lücke (s. bereits Säcker/Oetker, a. a. O., sowie in jüngerer Zeit Hromadka, a. a. O.; aktuell Hromadka/Schmitt-Rolfes, NZA 2010, 687 [687 f.]) nach wie vor für diskutabel hält; abwägend jüngst Greiner, Rechtsfragen, S. 275, 301. Dagegen aus dem Schrifttum zuletzt Franzen, ZfA 2009, 297 (305 f.) und nunmehr auch BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) cc) (2) (a) und (c) der Gründe, Rn. 54 ff., 58 des Beschlusses. Nach Fenn, FS Kissel, S. 213 (229 ff.) ist eine Regelungslücke zwar an sich gegeben, fehlte aber dem BAG eingedenk der Wesentlichkeit dieser Entscheidung die Kompetenz zur Beurteilung ihrer Ausfüllungsbedürftigkeit; ähnlich Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 118 ff.
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Lückenausfüllung im Wege gesetzesimmanenter Rechtsfortbildung begriffen werden kann, sondern den strengeren Anforderungen einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung zu unterwerfen ist.62 Konsequent prüft daher jetzt auch der 4. Senat des BAG in seinem Anfragebeschluss vom 27. Januar 2010 nach Verneinung einer Regelungslücke den Tarifeinheitsgrundsatz an den Voraussetzungen einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung.63 Die Lückenhaftigkeit des TVG kann hier dahinstehen. Nicht nur rechtsmethodisch, sondern auch grundrechtsdogmatisch von Belang ist aber der Ausgangsbefund, dass die Normen des TVG eine Tarifpluralität im Betrieb zulassen, das Prinzip der betrieblichen Tarifeinheit mithin einzig im Wege (gesetzesimmanenter oder gesetzesübersteigender) Rechtsfortbildung installiert werden könnte. Als Ausgestaltungsgesetz zu Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG hat nämlich demnach das TVG das Tarifrecht bereits in Richtung auf die Akzeptanz von Tarifpluralitäten ausgestaltet; die richterrechtliche Schaffung des Prinzips der Tarifeinheit im Betrieb stellt sich damit nicht als erstmalige Ausgestaltung, sondern vielmehr – so sie nicht ohnehin Eingriff ist – als nachträgliche Änderung einer bereits vorhandenen Grundrechtsausgestaltung dar – man spricht von „Umgestaltung“. bb) Die Figur der Umgestaltung ist, obgleich sie praktisch in einer entwickelten Rechtsordnung sogar den Schwerpunkt der (Ausgestaltungs-)Problematik bildet64, dogmatisch noch weniger entfaltet als die der Ausgestaltung.65 Mit Bezug auf die Ausgangsthese Kempens, die nach dem Prinzip der betrieblichen Tarifeinheit eintretende Verdrängung von Tarifverträgen sei verfassungswidrig, verstünde man sie als Eingriff in die positive Koalitionsfreiheit der „verdrängten“ Tarifparteien66, ist von Interesse, dass einige die nachträgliche Umgestaltung als Grundrechtseingriff einordnen.67 Wäre dies richtig, so müsste die Lehre von der Tarifeinheit bei Tarifpluralität, die nach dem Vorstehenden keineswegs Ausgestaltung, sondern (wenn nicht ohnehin Eingriff) allenfalls Umgestaltung sein könn-
62 Allgemein zur gesetzesimmanenten und gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung Larenz, Methodenlehre, S. 370 ff., 413 ff. Für eine ausführliche Prüfung der Tarifeinheit im Betrieb an den Zulässigkeitsmaßstäben gesetzesimmanenter und gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung s. Band, Tarifkonkurrenz, S. 89 ff., 105 ff.; Jacobs, Tarifeinheit, S. 373 ff., 395 ff. 63 Und verneint deren Vorliegen, s. BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) dd) der Gründe, Rn. 60 ff. des Beschlusses. 64 Dazu Gellermann, Grundrechte, S. 61 f., 83, 398 f.; insoweit ebenso Cornils, Ausgestaltung, S. 30. 65 Ausführlich zur Umgestaltung Gellermann, Grundrechte, S. 397 ff.; Maschmann, Tarifautonomie, S. 157 ff. 66 Kempen, FS Hromadka, S. 177 (179 f.). 67 Vgl. Butzer, RdA 1994, 375 (381); Konzen, Anm. zu BVerfG 4. 7. 1995 SAE 1996, 216 (219, auch 220).
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
te68, den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstäben für Grundrechtseingriffe standhalten. cc) Die – zumindest pauschale – Zuordnung von Umgestaltungen zu den Grundrechtseingriffen könnte aber nicht überzeugen. Letztlich würde durch sie die Umgestaltung als eigene Kategorie neben Ausgestaltung und Eingriff beseitigt; vor allem aber liefe sie darauf hinaus, die Tradition zum maßgebenden Abgrenzungskriterium zwischen Ausgestaltung und Eingriff (einschließlich Umgestaltung) zu erheben. Dies wird zwar in der Tat teilweise befürwortet – das Kriterium für die Grenze zwischen Ausgestaltung und Eingriff biete vor allem die Geschichte, eine Regelung, die mit der Tradition breche, sei grundsätzlich keine Ausgestaltung, sondern ein Eingriff69 –, kann aber kaum richtig sein70. Richtig dürfte sein, zwischen Aus- und Umgestaltung zu unterscheiden71, die Umgestaltung aber nicht – als oder wie einen Eingriff – in einen Gegensatz zur Ausgestaltung zu bringen, sondern als einen Unterfall der letzteren zu verstehen.72 Damit steht man freilich wieder vor der Aufgabe, zwischen Ausgestaltung/Umgestaltung einerseits und Grundrechtseingriff andererseits abzugrenzen. Dieterich zieht – konsequent – auch hier das Regelungsziel heran: Aus- und Umgestaltung zielten auf die Funktionsfähigkeit des Systems, verfolge der Gesetzgeber andere rechtspolitische Ziele, stehe ein Eingriff in Frage.73 Ebenso Maschmann, der zwischen Umgestaltung im engeren und Umgestaltungen im weiteren Sinne unterscheidet74 und zur Grenzziehung im Anschluss u. a. an Dieterich75 nach dem Zweck fragt, der den Gesetzgeber zum Zugriff auf den Normenbestand veranlasst.76 dd) Wichtiger ist freilich die Frage, welche verfassungsrechtlichen Bindungen bei Aus-/Umgestaltungen bestehen. Damit ist übergeleitet zu den von Kempen aus der Einordnung der Tarifeinheit bei Tarifpluralität als Ausgestaltung (die Frage der Umgestaltung wird von ihm nicht thematisiert) gezogenen Konsequenzen. 68 Zu der Frage, ob die Tarifeinheit bei Tarifpluralität Aus- oder Umgestaltung ist, s. auch Hromadka, NZA 2008, 384 (387) und jetzt Hromadka/Schmitt-Rolfes, NZA 2010, 687 (689). 69 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 213; ihnen folgend V. Neumann, RdA 2007, 71 (72); s. auch Kempen, FS Hromadka, S. 177 (181) unter Verweis auf die Vorgenannten sowie auf Kempen/Zachert/Kempen, Grundl. Rn. 129. 70 Ablehnend auch Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung, S. 161. 71 Skeptisch zum Wert der Unterscheidung Wiedemann/Wiedemann, Einl. Rn. 102. 72 Vgl. Dieterich, RdA 2002, 1 (12); I. Schmidt, FS Richardi, S. 765 (768). 73 Vgl. Dieterich, DB 2001, 2398 (2401). 74 Maschmann, Tarifautonomie, S. 158 ff.; am Wert der Unterscheidung zweifelnd Lobinger, ZfA 2009, 319 (403 f.). 75 s. Maschmann, Tarifautonomie, S. 159 (Fn. 1095). 76 Maschmann, Tarifautonomie, S. 159 f.; kritisch Lobinger, ZfA 2009, 319 (403 f.).
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2. Konsequenzen einer Einordnung der Tarifverdrängung als Ausgestaltung a) Meinungsstand zu den Grenzen zulässiger Grundrechtsausgestaltung So wie die Abgrenzung zwischen Ausgestaltung und Eingriff ohne sichere Leitlinie ist77, bewegt sich die Dogmatik der Grundrechtsausgestaltung auch bei der Frage nach deren Grenzen noch auf weitgehend ungesichertem Terrain.78 Jedenfalls aber gibt es Grenzen, so dass Ausgestaltungsgesetze und grundrechtsausgestaltende Rechtsfortbildungen durch die Gerichte auch verfassungswidrig sein können79; Freiheitsbeschränkungen, die der Ausgestaltung des Grundrechts dienen, sind ebenso wenig wie Grundrechtseingriffe unbegrenzt und unkontrolliert zulässig.80 Die Ausgestaltung soll aber, auch wenn sie belastend wirkt, nicht den von Grundrechtseingriffen her bekannten, sondern eigenen Prüfungsmaßstäben unterliegen81, wobei diese Maßstäbe weithin ungeklärt sind82.83 Während Eingriffe in den Schutzbereich vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte wie der Koalitionsfreiheit nur zum Schutz von Grundrechten Dritter oder anderer Rechtswerte von Verfassungsrang zulässig sind (kollidierendes Verfassungsrecht, verfassungsimmanente Grundrechtsschranken), geht man ganz überwiegend davon aus, dass eine Ausgestaltung auch zum Schutz anderer, nicht notwendig verfassungsrechtlich abgestützter Rechtsgüter erfolgen kann.84 Darüber 77
Thüsing, FS 50 Jahre BAG, S. 889 (892). Jacobs, Tarifeinheit, S. 428; ferner Gellermann, Grundrechte, S. 7, 287; für die Koalitionsfreiheit Cornils, Ausgestaltung, S. 399; Klein, Minderheitsgewerkschaften, S. 130. 79 Butzer, RdA 1994, 375 (380); Wiedemann, FS Stahlhacke, S. 675 (682); ebenso Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung, S. 156 m.w. N. 80 Dieterich, RdA 2002, 1 (11); Ladeur, AöR 131 (2006), 643 (654); ebenso Dreier/ H. Bauer, Art. 9 Rn. 92; s. auch Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung, S. 156. Zu abweichenden Stimmen s. die Nachweise bei Burkiczak, ebd.; Gellermann, Grundrechte, S. 6 (Fn. 35), 30, 57 (Fn. 2) und ausführliche Auseinandersetzung S. 288 ff. 81 Gellermann, Grundrechte, S. 54 f., 74 ff., 77 ff., 291 ff.; Jacobs, Tarifeinheit, S. 428; Ladeur, AöR 131 (2006), 643 (654); I. Schmidt, FS Richardi, S. 765 (768); Thüsing, FS 50 Jahre BAG, S. 889 (892); s. auch Dieterich, RdA 2002, 1 (11); zuletzt Greiner, Rechtsfragen, S. 79. 82 Butzer, RdA 1994, 375 (380); Gellermann, Grundrechte, S. 7, 29 ff., 291 f.; Jacobs, Tarifeinheit, S. 428. 83 Ausführliche Erörterungen bei Gellermann, Grundrechte, S. 291 ff., 308 ff. 84 Butzer, RdA 1994, 375 (380 f.); Caspers/Thüsing, Anm. zu BAG 16. 6. 1999 EzA InsO § 113 Nr. 9, S. 11 (14), unter II. 1.; Stern/Dietlein, Staatsrecht IV/1, § 112 VI. 2. a) b), S. 2082; Dieterich, RdA 2002, 1 (13); Dunker, Unternehmensbezogene Tarifverträge, S. 80; Gellermann, Grundrechte, S. 354 f.; Greiner, Rechtsfragen, S. 141; Jacobs, Tarifeinheit, S. 429; Jarass, AöR 120 (1995), 345 (368); Klein, Minderheitsgewerkschaften, S. 130 f.; Lembke, Arbeitskampfbeteiligung, S. 30; MüArbR/Löwisch/Rieble, § 155 Rn. 77; T. Müller/Thüsing, Anm. zu BVerfG 24. 4. 1996 EzA GG Art. 9 Nr. 61, S. 19, unter I.; Thüsing, Anm. zu BVerfG 14. 11. 1995 EzA GG Art. 9 Nr. 60, S. 9 (14), unter III. 3.; ders., FS 50 Jahre BAG, S. 889 (892); Thüsing/Zacharias, Anm. zu BVerfG 3. 4. 2001 EzA GG Art. 9 Nr. 75, S. 15, unter I. 1.; mit Recht differenzierend 78
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hinaus ist auch die Geltung des für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Grundrechtseingriffen zentralen Verhältnismäßigkeitsprinzips bei Grundrechtsausgestaltungen bestritten.85 b) Schlussfolgerungen Danach scheint es, als seien Grundrechtsausgestaltungen generell weniger strengen Grenzen unterworfen als Grundrechtseingriffe.86 Diese pauschale Aussage begegnet allerdings Bedenken. Zum einen kann sie zu dem Ergebnis führen, dass Regelungen im Schutzbereich vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte als grundrechtsausgestaltend etikettiert werden, um dem (vermeintlich) strengeren Rechtfertigungszwang für Grundrechtseingriffe zu entgehen.87 Zum anderen und vor allem dürfte mit Burkiczak die Ansicht, dass an ausgestaltende Gesetze – für den hiesigen Zusammenhang ist zu ergänzen: oder richterliche Rechtsfortbildungen88 – durchweg geringere verfassungsrechtliche Anforderungen zu stellen seien Wank, Anm. zu BVerfG 10. 1. 1995 AP GG Art. 9 Nr. 76, unter A. III. 2.; zur schwankenden Rechtsprechung des BVerfG s. Dreier/H. Bauer, Art. 9 Rn. 92 (Fn. 457, 458). 85 Für Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips Butzer, RdA 1994, 375 (380 f.); Stern/Dietlein, Staatsrecht IV/1, § 112 IV. 3. b) b) aa), S. 2022 und § 112 V. 4. b) sowie § 112 VI. 2. a) b), S. 2082; Dieterich, RdA 2002, 1 (13); ErfK/Dieterich, Art. 9 GG Rn. 84; Dunker, Unternehmensbezogene Tarifverträge, S. 81 f., 87 ff., 123, 201, 224; Jacobs, Tarifeinheit, S. 429; Klein, Minderheitsgewerkschaften, S. 131 ff. und zuletzt Oetker, NZA Beilage 1/2010, S. 13 (21, 29), die alle den weiten Einschätzungsund Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers betonen; Maunz/Dürig/Herdegen (2005), Art. 1 Abs. 3 Rn. 41; Merten/Papier/Kokott, HdbGRe, § 22 Rn. 40; Lembke, Arbeitskampfbeteiligung, S. 30; MüArbR/Löwisch/Rieble, § 155 Rn. 78, 79 ff.; Thüsing, ZfA 2008, 590 (603); Wank, Anm. zu BVerfG 10. 1. 1995 AP GG Art. 9 Nr. 76, unter A. III. 3. b); s. auch Gamillscheg, KollArbR I, § 3 4. a) (1), S. 144: Es dürfe kein (offensichtlich) milderes Mittel bereit stehen; ferner Jarass/Pieroth, vor Art. 1 Rn. 35; Merten/Papier/Jarass, HdbGRe, § 38 Rn. 59; jüngst Greiner, Rechtsfragen, S. 105, 107 f., 128, 141 f. – Dagegen Cornils, Ausgestaltung, S. 650 ff.; Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 299 f.; Maschmann, Tarifautonomie, S. 151 ff., 155 ff.; Söllner, NZA Sonderbeilage zu Heft 24/2000, S. 33 (36); s. auch Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung, S. 156 (Fn. 105), 157 (mit Fn. 110). Zu der Frage zuletzt auch Konzen, FS Bauer, S. 559 (572 f.). 86 Dafür explizit Dunker, Unternehmensbezogene Tarifverträge, S. 78; Hromadka, NZA 2008, 384 (387); Jacobs, Tarifeinheit, S. 432; Konzen, Anm. zu BVerfG 4. 7. 1995 SAE 1996, 216 (219); in der Sache ebenso Dieterich, RdA 2002, 1 (13); ders., KJ 2008, 71 (76) und für Umgestaltungen ders., DB 2001, 2398 (2401); Söllner, NZA Sonderbeilage zu Heft 24/2000, S. 33 (35 f.); ferner Gellermann, Grundrechte, passim. 87 Vgl. Cornils, Ausgestaltung, Vorwort (S. V), S. 10 f., 33 f., 419, 421 f., 431, 498, 546 f.; Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 294; Gellermann, Grundrechte, S. 10; Jacobs, Tarifeinheit, S. 432, 433, 439; Maschmann, Tarifautonomie, S. 27 ff., 136 f.; deutlich auch Ladeur, AöR 131 (2006), 643 (651); s. auch schon Jarass, AöR 120 (1995), 345 (368); ferner Jarass/Pieroth, vor Art. 1 Rn. 35 und Merten/Papier/Jarass, HdbGRe, § 38 Rn. 59. 88 Der für die Ausgestaltungsgesetzgebung angenommene Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum (s. o. Fn. 85) kann dem ausgestaltenden Richter nicht im gleichen
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als an Eingriffsgesetze, erheblichen Zweifeln unterliegen.89 Verfehlt wäre insbesondere die Argumentation, ein weniger strenger verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab für Ausgestaltungen rechtfertige sich durch deren gegenüber Grundrechtseingriffen geringere Belastungsintensität. Eine solche Vorstellung eines Stufenverhältnisses zwischen der mit einer Grundrechtsausgestaltung einerseits und der mit einem Grundrechtseingriff andererseits verbundenen Intensität der Grundrechtsbetroffenheit kommt allerdings auch bei Kempen zum Ausdruck.90 Sie wird in der Literatur mit Recht zurückgewiesen. Die Kategorien Eingriff und Ausgestaltung sagen über die Intensität der Grundrechtsbetroffenheit nichts aus, vielmehr handelt es sich um zwei verschiedene Ebenen.91 „Beide Gesetzestypen unterscheiden sich nicht danach, ob sie für den Betroffenen mehr oder weniger gravierend sind und dass sie deshalb an mehr oder weniger strenge verfassungsrechtliche Voraussetzungen geknüpft wären.“92 Von daher muss die Ausgangsannahme Kempens, die nach dem Prinzip der betrieblichen Tarifeinheit eintretende Verdrängung von Tarifverträgen sei als Eingriff in die positive Koalitionsfreiheit der „verdrängten“ Tarifparteien verstanden verfassungswidrig, als richterrechtliche Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit hingegen unter der Voraussetzung ihrer dringenden Erforderlichkeit zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie ein wirksames Tarifrechtsprinzip93,
Maße zustehen, vgl. für das Arbeitskampfrecht BAG 10. 6. 1980 (zweimal) AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 64 und Nr. 65, jeweils unter A. II. 4. der Gründe; Birk/Konzen/ Löwisch/Raiser/Seiter, Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, S. 21; Konzen, FS 50 Jahre BAG, S. 515 (529 f.); Lieb, RdA 1988, 327 (330); Wank, Anm. zu BAG 19. 6. 2007 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 173, unter III. 1. b); zuletzt H. Otto, RdA 2010, 135 (136); für die Ausgestaltung der Anforderungen an die Tariffähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen Greiner, Anm. zu BAG 28. 3. 2006 EzA TVG § 2 Nr. 28, S. 35; Wank, RdA 2008, 257 (267) m.w. N.; s. auch I. Schmidt, FS Richardi, S. 765 (769); allgemein Gellermann, Grundrechte, S. 395. – Für identischen Spielraum aber offenbar Dunker, Unternehmensbezogene Tarifverträge, S. 83, 201; richtig demgegenüber zuletzt Franzen, ZfA 2009, 297 (312 f.); Reichold, Gutachten, S. 10; s. auch Krause, GS Zachert, S. 605 (615 f.); H. Otto, a. a. O.; ausführlich jüngst Greiner, Rechtsfragen, S. 152 ff. 89 s. Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung, S. 156; ebenso Ladeur, AöR 131 (2006), 643 (653); s. auch Cornils, Ausgestaltung, S. 546 ff. Demgegenüber bezeichnet es Gellermann, Grundrechte, S. 19 f. als unbestritten, dass mit der Anerkennung der Figur einer normativen Ausgestaltung eine Erweiterung legislatorischer Normierungsbefugnisse im grundrechtsrelevanten Bereich verbunden ist. 90 s. Kempen, FS Hromadka, S. 177 (180): „. . . nur eine richterrechtliche Ausgestaltung“; S. 181: „. . . bloße Ausgestaltung . . .“; Hervorhebungen nicht im Original; zum Zusammenhang jetzt auch Franzen, ZfA 2009, 297 (303). Im Gegensatz zu Kempen setzen MüArbR/Löwisch/Rieble, § 155 Rn. 75 ihr „nur“ immerhin in An- und Abführung. 91 Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung, S. 158 f.; auch Maschmann, Tarifautonomie, S. 45 ff., 138, hält die Belastungsintensität für irrelevant für die Abgrenzung. 92 Ladeur, AöR 131 (2006), 643 (653). 93 Kempen, FS Hromadka, S. 177 (179 f.); Hervorhebungen nicht im Original.
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Anlass für eine umso sorgfältigere Prüfung sein, ob die Tarifeinheit im Betrieb als Grundrechtsausgestaltung tatsächlich verfassungsmäßig wäre. II. Zulässigkeit einer unterstellten Ausgestaltung – Erforderlichkeit der betrieblichen Tarifeinheit zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems? Kempen ist der Auffassung, als richterrechtliche Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit sei die betriebliche Tarifeinheit ein wirksames Tarifrechtsprinzip, wenn sie zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie dringend erforderlich sei.94 Er geht also insbesondere von der Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips aus.95 Dies erscheint in der Tendenz auch sachgerecht. Die gegen die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf Grundrechtsaus- und -umgestaltungen vorgebrachten Einwände96 erscheinen, ohne dass dies hier näher ausgeführt werden kann, nicht zwingend. Sie werden – u. a. – dem Doppelcharakter jeder Ausgestaltung97 nicht gerecht. Wenn demnach auch das von Kempen für die betriebliche Tarifeinheit angelegte Prüfungsprogramm zustimmungswürdig erscheint, so muss doch, um das Ergebnis vorwegzunehmen, konstatiert werden, dass die Tarifeinheit im Betrieb entgegen der Annahme Kempens das von ihm aufgestellte Anforderungsprofil nicht erfüllt: Die Tarifeinheit bei Tarifpluralität ist, jedenfalls unter dem von Kempen in die Debatte eingeführten Aspekt – (vermeintliche) Gefahr der Wiederkehr des vorkoalitionsrechtlichen Unterbietungswettbewerbes nunmehr auf der kollektiven Ebene –, nicht zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems erforderlich98.99 94
Kempen, FS Hromadka, S. 177 (180); vgl. auch Göhner, FS Bauer, S. 351 (355). s. auch Kempen, FS Hromadka, S. 177 (179, 180 f., 187). 96 s. etwa jüngst Maschmann, Tarifautonomie, S. 156, 164 f. sowie Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 299 f. 97 Zu ihm bereits oben B. I. 1. a) aa). 98 Erforderlichkeit zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie nehmen aber, indes nicht gleichermaßen deutlich unter dem von Kempen pointierten Aspekt der Gefahr eines Unterbietungswettbewerbes auf kollektiver Ebene, auch an Dunker, Unternehmensbezogene Tarifverträge, S. 201 ff.; Hromadka, NZA 2008, 384 (387, 389) und aktuell auch Göhner, FS Bauer, S. 351 (355) sowie Scholz, FS Buchner, S. 827 (828 ff.) und R. Wolf, ZRP 2010, 199. Wie hier unter Ablehnung der gegenteiligen Ansicht von Hromadka und Kempen: ErfK/Dieterich, Art. 9 GG Rn. 68a; ebenso zuletzt Koop, Tarifvertragssystem, S. 297 ff.; gegen Kempen jetzt auch Deinert, NZA 2009, 1176 (1179); Dieterich, GS Zachert, S. 532 (540 f.); s. auch jüngst Brecht-Heitzmann, GS Zachert, S. 502 (506 f.) und Greiner, Rechtsfragen, S. 278, 359 sowie A. Stein, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 35 (51 f.). Auch BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) ee) (4) (b) der Gründe, Rn. 94 des Beschlusses weist die These Kempens jetzt zurück. 99 Die Verhältnismäßigkeitsprüfung konzentriert sich im Folgenden entsprechend dem Argumentationsgang bei Kempen (s. auch Hromadka, NZA 2008, 384 [387]) auf 95
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Die Kernthese Kempens, mit welcher er die Erforderlichkeit der Tarifeinheit bei Tarifpluralität zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems zu belegen versucht, lautet: „Die unbegrenzte Zulässigkeit konkurrierender Tarife für das jeweils gleiche betriebliche Arbeitsfeld könnte nun bewirken, dass die mit der tarifvertraglichen Vorrangposition100 bezweckte Einschränkung des individuellen Wettbewerbs der dort tätigen Arbeitnehmer auf der kollektiven Ebene wieder aufgehoben wird.“101 „Die durch den Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Koalitionen entstehende Tarifpluralität tendiert dazu, die dysfunktionalen Wirkungen (Unterbietungswettbewerb) des Arbeitsmarktes (jetzt) auf der kollektiven Ebene erneut zu entfesseln.“102 In Wahrheit besteht aber die Gefahr eines derart übersteigerten, zur Dysfunktionalität der Tarifautonomie führenden Unterbietungswettbewerbs der Koalitionen bei Hinnahme von Tarifpluralitäten nicht. Um dies zu erkennen, muss man – ganz im Sinne des Leitgedankens der Untersuchung, die Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung einzupassen – den Blick über die Frage nach Tarifeinheit oder Tarifpluralität hinaus auf das System der Arbeitsrechtsordnung insgesamt richten. 1. Die Freiheitsdimension des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG und der Gedanke der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems Mit Recht rückt Kempen das Erfordernis einer funktionalen Betrachtung der Koalitionsfreiheit bei der Frage nach Tarifeinheit oder Tarifpluralität in den Mittelpunkt.103 Erkennt man aber zutreffend in der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems den entscheidenden Gesichtspunkt104, so darf dies für zweierlei den Blick nicht verstellen: Erstens dafür, dass Art. 9 Abs. 3 GG „in erster Linie ein Freiheitsrecht“ ist105. Und zweitens dafür, dass gerade dort, wo es um das Funkdas Gebot der Erforderlichkeit, das ohnehin den Kern jeder Verhältnismäßigkeitsprüfung ausmacht, vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 288, 294. 100 Gemeint ist die zwingende Wirkung der Tarifnormen gegenüber ungünstig abweichenden arbeitsvertraglichen Vereinbarungen, § 4 Abs. 1, 3 TVG. 101 Kempen, FS Hromadka, S. 177 (185); s. auch Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 58b. 102 Kempen, FS Hromadka, S. 177 (187). 103 Kempen, FS Hromadka, S. 177 (179); s. auch dens., FS 50 Jahre BAG, S. 733 (734 ff.); ferner Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 58a f. 104 Vgl. Wank, FS ZVK-Bau, S. 141 (156); zustimmend Kempen, FS Hromadka, S. 177 (183); dazu auch bereits Buchner, FS Kissel, S. 97 (103 ff.); ferner Dunker, Unternehmensbezogene Tarifverträge, S. 201 ff. 105 BVerfG 1. 3. 1979 BVerfGE 50, 290 (367); 4. 7. 1995 BVerfGE 92, 365 (393). Zutreffend gegen Kempen daher jetzt auch Deinert, NZA 2009, 1176 (1179): Das freiheitliche Konzept des Art. 9 Abs. 3 GG enthalte für dessen Sichtweise überhaupt keine Anlage; ähnlich Dieterich, GS Zachert, S. 532 (540 f.). Auf die zitierte Rechtsprechung des BVerfG rekurriert jetzt auch der 4. Senat des BAG in seinem Anfragebeschluss vom 27. 1. 2010, s. NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) ee) (4) (a) (bb) der Gründe, Rn. 91 des Beschlusses.
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tionieren eines Systems geht, das gesamte System, das System – hier das des Tarifvertragsrechts – als Einheit106 im Auge behalten werden muss, einzelne Systementscheidungen, seien sie für sich genommen auch plausibel, also nicht isoliert, sondern in ihrem Zusammenwirken mit den übrigen auf die Sicherung und Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Systems hingeordneten Mechanismen zu betrachten sind. 2. Das Spannungsverhältnis zwischen Freiheitsrecht und Systemgedanken Der freiheitsrechtliche Gehalt des Art. 9 Abs. 3 GG steht mit dem Systemgedanken in einem untrennbaren Zusammenhang, aber auch in einem latenten Spannungsverhältnis. Einerseits kann der Einzelne und können die Koalitionen107 von ihrer Freiheit nur dann effektiv Gebrauch machen, wenn ein funktionierendes System zur Verfügung steht. Ohne eine funktionsfähige Tarifordnung ist die Ausübung des Freiheitsrechts unmöglich.108 Das ist der Kern des Ausgestaltungsgedankens: Der Staat hat ein funktionierendes Tarifvertragssystem bereitzustellen – nicht als Selbstzweck, sondern um den Grundrechtsträgern den effektiven Freiheitsgebrauch zu ermöglichen. Ein funktionsfähiges Tarifvertragssystem ist damit „instrumentelle Vorkehrung individueller Freiheitsinteressen“.109 Andererseits wirkt der durch das System ermöglichte Freiheitsgebrauch auf das System zurück und kann seine Funktionsfähigkeit – und damit wiederum die Voraussetzungen des effektiven Freiheitsgebrauchs – in Frage stellen. Das ergibt sich daraus, dass die Koalitionsfreiheit den Koalitionspluralismus – als Möglichkeit – gewährleistet110, worin die Gefahr angelegt ist, dass „die Verbandsund ihr folgend die Tariflandschaft in ein unübersichtliches Durcheinander geraten“ kann111. Ein solches zu verhindern, ist keineswegs ein Gebot eines rein „formalen“, freiheitsfeindlichen Ordnungs- und Vereinheitlichungsdenkens. Vielmehr ist das Tarifvertragssystem in Anbetracht seiner Funktion, die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewich-
106 Zu Ordnung und Einheit als Charakteristika des Systembegriffs s. Canaris, Systemdenken, S. 11 ff.; weiterführend Höpfner, Systemkonforme Auslegung, S. 7 ff.; allgemein zum heutigen Stand der juristischen Diskussion über den Systembegriff Höpfner, a. a. O., S. 3 ff.; Rüthers/C. Fischer, Rechtstheorie, Rn. 139 ff., 750 ff. 107 Zur Lehre vom Doppelgrundrecht s. nur Stern/Dietlein, Staatsrecht IV/1, § 112 IV. 3. a), S. 2016 f.; Wank, FS ZVK-Bau, S. 141 (141 f.); Wiedemann/Wiedemann, Einl. Rn. 70 ff. 108 Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (511). 109 Vgl. Cornils, Ausgestaltung, S. 620 f. 110 s. dazu die Nachweise oben in Teil 2, Kapitel 1, dort Fn. 128. 111 P. Hanau, NZA 2003, 128.
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tiges Aushandeln der Löhne und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen112, auf Kollektivierung, d. h. auf „Konzentration der Kräfte“ und damit auf ein gewisses Maß an Bündelung von Interessen angelegt und angewiesen. Ein Zuviel an Vielfalt kann destabilisierend auf das System und seine freiheitsermöglichende und freiheitssichernde Funktion wirken. Eingedenk dieser von einem Übermaß an Pluralismus ausgehenden Destabilisierungsgefahr kann das Postulat der Funktionsfähigkeit des Systems Abstriche bei der Freiheit der Einzelnen erforderlich machen.113 Das damit beschriebene ambivalente Verhältnis zwischen grundrechtlicher Freiheit der Einzelnen und dem Systemgedanken kulminiert in der Frage, wie viel Freiheit, das heißt: wie viel (Tarif-)Pluralismus möglich ist, bevor die Funktionsfähigkeit, und das heißt: die freiheitsermöglichende und freiheitssichernde Funktion, des Systems in Frage gestellt wird.114 Das Feld, innerhalb dessen diese Frage zu diskutieren ist, wird von beiden Seiten durch Art. 9 Abs. 3 GG abgesteckt.115 Auf der einen Seite muss das Gesamtsystem der Tarifautonomie funktionsfähig bleiben.116 Auf der anderen Seite fordert Art. 9 Abs. 3 GG als Freiheitsrecht, soviel tarifliche Vielfalt zuzulassen, wie möglich. 3. Die Tarifeinheit im Betrieb im Gesamtsystem des Tarifvertragsrechts Damit sind wir bei dem zweiten oben angesprochenen Punkt: Der Notwendigkeit, einzelne im Dienste der Sicherung der Funktionsfähigkeit getroffene Systementscheidungen nicht isoliert, sondern in ihrem Zusammenwirken mit sonstigen, gleichgerichteten Mechanismen zu betrachten. Die Notwendigkeit einer solchen ganzheitlichen Betrachtung und Würdigung jeder einzelnen Systementscheidung resultiert aus dem oben skizzierten latenten Spannungsverhältnis zwischen grundrechtlicher Individualfreiheit und dem Systemgedanken. Wenn das System um seiner Funktionsfähigkeit willen Abstriche des Einzelnen bei seinem individuellen Freiheitsgebrauch erforderlich machen kann, das System aber nichts anderes ist als die Summe der einzelnen Systementscheidungen in ihrem Zusammenwirken, dann wirkt sich das Zusammenspiel gleichgerichteter Systementscheidungen nicht nur als kumuliert systemfördernd und -stützend aus, sondern gleichzeitig – potentiell – als kumulative Freiheitsbegrenzung.
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s. BVerfG 26. 6. 1991 BVerfGE 84, 212 (229); 4. 7. 1995 BVerfGE 92, 365 (395). Ebenso Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (511). 114 Vgl. entsprechend für die soziale Mächtigkeit als Voraussetzung der Tariffähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen Wank, RdA 2008, 257 (267) und schon dens., FS ZVK-Bau, S. 141 (149). 115 Entsprechend für die soziale Mächtigkeit Wank, RdA 2008, 257 (267). 116 Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (511 f.). 113
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
4. Insbesondere: Tarifeinheit im Betrieb und soziale Mächtigkeit In dem auf die Überwindung der strukturellen Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer durch kollektives Handeln117 sowie auf die sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens118 angelegten System des Tarifvertragsrechts ist das Prinzip der betrieblichen Tarifeinheit, wie es bislang vom BAG vertreten wurde und von Kempen (im Kern119) verteidigt wird, nicht der einzige Mechanismus, der darauf hinwirkt, ein unübersichtliches Durcheinander der Verbands- und ihr folgend der Tariflandschaft120 zu verhindern. a) Gemeinsamer Grundgedanke: Sicherung einer funktionierenden Tarifautonomie Auf dem gleichen Gedanken wie der Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb beruhen auch die vom BAG gestellten besonderen Anforderungen an die Tariffähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen, insbesondere an ihre Durchsetzungsfähigkeit oder soziale Mächtigkeit.121 Der Ausschluss von der Tarifarbeit durch Vorenthaltung der Tariffähigkeit und die Sicherstellung der Tarifeinheit durch Verdrängung einzelner Tarifverträge bei bestehender Pluralität wirken in die gleiche Richtung. Buchner spricht von austauschbaren Instrumenten zur Sicherung des gleichen Anliegens.122 In beiden spiegeln sich klare Ordnungsvorstellungen des BAG wider: Im Betrieb sollen klare und einheitliche Tarifstrukturen herrschen; Rechtsklarheit und Rechtssicherheit der tariflichen Ordnung in den Betrieben wird Vorrang vor dem auf Teilhabe an der tariflichen Regelung von Arbeitsbedingungen drängenden Selbstentfaltungsinteresse beliebiger Arbeitnehmervereinigungen eingeräumt.123 Mit dem Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität, so Buchner, habe sich das BAG ein weiteres Sicherungssystem zugunsten der 117
BVerfG 26. 6. 1991 BVerfGE 84, 212 (229); 4. 7. 1995 BVerfGE 92, 365 (395). BVerfG 18. 11. 1954 BVerfGE 4, 96 (107); 6. 5. 1964 BVerfGE 18, 18 (27 f.); 1. 3. 1979 BVerfGE 50, 290 (367, 369, 371); 11. 7. 2006 BVerfGE 116, 202 (224); 20. 3. 2007 NZA 2007, 609 (611). 119 Einen vom BAG abweichenden Ansatz verfolgt Kempen bezüglich der Frage nach dem „Wie“ der Auflösung, wofür er das vom BAG angewandte Spezialitätsprinzip durch das Mehrheitsprinzip ergänzen will, s. nochmals Kempen, FS Hromadka, S. 177 (186 f.). 120 P. Hanau, NZA 2003, 128. 121 F. Bayreuther, BB 2005, 2633 (2639); ders., NZA 2007, 187 (188); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 130 (138); Buchner, Anm. zu BAG 14. 12. 2004 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1, unter 1. c) bb), 2. a); ders., BB 2003, 2121 (2127); ders., ZfA 2004, 229 (251); Reuter, SchlHA 2007, 413 (414); Wank, FS ZVK-Bau, S. 141 (156 f.); s. auch jüngst Franzen, ZfA 2009, 297 (308, 312). Ein noch weitere richterrechtliche Weichenstellungen umfassendes Konzept des BAG von Einheit und Ordnung konstatiert als Fazit seiner Untersuchung zum Tarifvertragssystem zwischen Koalitionsmonopolismus und Koalitionspluralismus Koop, Tarifvertragssystem, S. 331 f. 122 Buchner, Anm. zu BAG 14. 12. 2004 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1, unter 2. a). 118
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tariflichen Ordnung, sozusagen ein „zweites Netz“ verfügbar gemacht.124 Soweit Verbände soziale Mächtigkeit aufwiesen, also tariffähig seien, müsse dies nicht zur Folge haben, dass sie im Falle der Tarifpluralität voll, nicht nur subsidiär zum Zuge kommen. Das Bundesarbeitsgericht mute einzelnen Verbänden einen Funktionsverlust zu, um die Funktionsfähigkeit der Tarifordnung und damit der Tarifautonomie zu sichern. Dem Institut werde Vorrang vor den Interessen der einzelnen Funktionsträger an Teilhabe am Tarifprozess zuerkannt.125 Wenn dabei von „einheitlichen Tarifstrukturen“ und einer „klaren tariflichen Ordnung in den Betrieben“ die Rede ist, darf das wiederum, wie bereits oben verdeutlicht wurde, nicht von vorneherein als bloß formale Ordnungsvorstellung und als freiheitsfeindliches Vereinheitlichungsdenken abqualifiziert werden. Tariffähigkeitsvoraussetzungen und betriebliche Tarifeinheit stehen als Sicherungen zugunsten einer funktionierenden Tarifautonomie und damit als Garanten für die Überwindung arbeitsverhältnisbezogener struktureller Unterlegenheit durch kollektives Handeln, mithin als Garanten angemessener, weil tatsächlich ausgehandelter und damit „gerechter“ Arbeitsbedingungen126 in Rede. Bei beiden Anforderungen geht es um die Funktionsfähigkeit der Institution Tarifautonomie127, und d. h. um die Sicherung ihrer freiheitsermöglichenden und freiheitssichernden Funktion. b) Gemeinsames Grundproblem: Verkürzung grundrechtlicher Freiheit Aus Sicht des einzelnen Verbandes hingegen geht es um eine Freiheitsverkürzung. Ihm wird zugemutet, den Ausschluss oder die Beschränkung seiner tariflichen Aktionsmöglichkeiten im Interesse der Funktionsfähigkeit des Tarifver-
123 F. Bayreuther, BB 2005, 2633 (2639); ders., NZA 2007, 187 (188); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 130 (138); Buchner, Anm. zu BAG 14. 12. 2004 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1, unter 2. a). 124 Buchner, Anm. zu BAG 14. 12. 2004 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1, unter 1. c) bb). – Historisch betrachtet war es freilich umgekehrt: Das Kriterium der Durchsetzungsfähigkeit hat das BAG erst 1968 in seine Rechtsprechung eingeführt (BAG 9. 7. 1968 AP TVG § 2 Nr. 25 [Mayer-Maly]; zur Entwicklung der Rechtsprechung Wank, RdA 2008, 257 [258 ff.]; jetzt außerdem Greiner, Rechtsfragen, S. 188 ff., 193 ff.), während die erste Entscheidung zur Tarifeinheit im Betrieb bereits 1957 erging (BAG 29. 3. 1957 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 4 [Gumpert]); die Rechtsfigur der Tarifeinheit trat allerdings erst später, beginnend in den 1970er Jahren, in ein breiteres und dann auch bald kritisches Bewusstsein der Arbeitsrechtslehre, s. dazu Jacobs, Tarifeinheit, S. 90 f.; außerdem die Darstellung bei Konzen, RdA 1978, 146 (149 f.); ferner Reuter, JuS 1992, 105 (106). 125 Buchner, ZfA 2004, 229 (252). 126 Zur Lohngerechtigkeit zuletzt Wank, GS Zachert, S. 453 ff.; s. auch Thüsing/Thüsing, AEntG, Einl. AEntG Rn. 1 ff.; allgemein zur Gerechtigkeit im Arbeitsverhältnis Zöllner, FS Söllner, S. 1297 ff. 127 Buchner, Anm. zu BAG 14. 12. 2004 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1, unter 2. a).
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tragssystems hinzunehmen.128 Dabei darf man sich die Tariffähigkeitsvoraussetzungen (insbesondere Durchsetzungsfähigkeit oder „soziale Mächtigkeit“) und die Tarifverdrängung nach dem Prinzip der betrieblichen Tarifeinheit nicht als eine den einzelnen Verband treffende gleichsam zweifache Beschränkung seiner Betätigungsmöglichkeiten vorstellen. Für die einzelne Koalition wirken sich Mächtigkeitserfordernis und Tarifeinheits-Grundsatz nicht kumulativ, sondern – allenfalls – alternativ aus. Wer schon nicht „mächtig“ genug ist, um wirksam Tarifverträge abzuschließen, dessen Tarifverträge können mangels Erzeugung von Rechtsfolgen keine Tarifkollisionen herbeiführen und mithin auch nicht durch andere Tarifverträge verdrängt werden. Wer dagegen als Verband vom Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität in Form der Verdrängung eines von ihm geschlossenen Tarifs durch einen kollidierenden Tarif betroffen ist, der muss notwendig die Hürde der sozialen Mächtigkeit genommen haben. Nichtsdestotrotz ist das Nebeneinander von Tariffähigkeitsvoraussetzungen und Tarifeinheit aus dem Blickwinkel des Freiheitsrechts des Art. 9 Abs. 3 GG relevant.129 Indem das BAG bisher auch unter den „mächtigen“ Verbänden jeweils nur einen für jeden Betrieb mit seinem Tarifvertrag zum Zuge kommen ließ, schuf es – aus der Perspektive des Systems, der tariflichen Ordnung – ein weiteres Sicherungssystem, ein „zweites Netz“130, aus freiheitsrechtlicher Sicht aber reduzierte es die Zahl der „Spieler“ auf dem Feld der tariflichen Regelung der Arbeitsbedingungen zusätzlich. Die Tarifeinheit im Betrieb traf – i.V. m. dem zur Auflösung der Tarifpluralität herangezogenen Spezialitätsprinzip, das den Tarifvertrag vorgehen ließ, der dem Betrieb räumlich, betrieblich, fachlich und persönlich am nächsten stand und deshalb den Erfordernissen und Eigenarten des Betriebes und der darin tätigen Arbeitnehmer am besten gerecht wurde – entgegen vielfach geäußerter Einschätzung zwar nicht vorrangig „kleinere“ Gewerkschaften.131 Sie traf, wie besonders deutlich der Entscheidung des BAG vom 5. 9. 1990 entnommen werden kann132, 128
Vgl. Buchner, Anm. zu BAG 14. 12. 2004 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1, unter
2. a). 129 Anklingend auch bei Rieble, BB 2003, 1227 (1228); s. auch P. Hanau/Kania, Anm. zu BAG 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20, unter II. 2. b); ihnen folgend F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 388. 130 s. nochmals Buchner, Anm. zu BAG 14. 12. 2004 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1, unter 1. c) bb). 131 So aber Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 38 III. 2. b), S. 392 und aktuell wieder Loritz, FS Buchner, S. 582 (589); Reuter, JuS 1992, 105 (108); des Weiteren B. Müller, NZA 1989, 449 (451): Für die großen Gewerkschaften angenehm; s. auch Hromadka, GS Heinze, S. 383 (389); Konzen, RdA 1978, 146 (153 f.); ferner P. Hanau/ Kania, Anm. zu BAG 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20, unter II. 2. b): Betätigungsschranke für kleine Gewerkschaften, vor allem wenn sie Gruppeninteressen vertreten; ebenso F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 388; außerdem Franzen, RdA 2001, 1 (8). Gegen die These, dass kleinere Gewerkschaften durch die Tarifeinheit im Betrieb besonders benachteiligt seien, wendet sich mit Nachdruck Jacobs, Tarifeinheit, S. 451;
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vor allem Spartengewerkschaften, da sie den Vorrang eines für alle Arbeitnehmer eines Betriebes geltenden Branchentarifvertrages vor einem Regelungen nur für bestimmte Berufsgruppen enthaltenden Fachtarifvertrag bedeutete.133 Ob der Entscheidung des 4. Senats des BAG vom 14. 12. 2004 zur Tariffähigkeit der UFO134 ein abweichendes Verständnis des Inhalts des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb und des Spezialitätsprinzips entnommen werden konnte135, erscheint fraglich. Die Entscheidung wurde teilweise so verstanden, dass entweder die zur Tarifpluralität entwickelten Grundsätze auf einen Fall des Zuähnlich Band, Tarifkonkurrenz, S. 136 und bereits Waas, Tarifkonkurrenz, S. 134; s. auch zuletzt Koop, Tarifvertragssystem, S. 174; Greiner, Rechtsfragen, S. 303, 345. 132 s. BAG 5. 9. 1990 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 19: „Der MTV Buchhandel erfaßt nach seinem persönlichen Geltungsbereich alle Arbeitnehmer der Kl. (. . .) Demgegenüber erfaßt der TV Altersversorgung 1986 nur einen kleinen Teil des Betriebs der Kl. (. . .), so daß der MTV Buchhandel für den Betrieb der Kl. der sachnähere Tarifvertrag ist.“. 133 Buchner, BB 2003, 2121 (2124 f.); ders., Anm. zu BAG 14. 12. 2004 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1, unter 2. c) bb); ders., FS 50 Jahre BAG, S. 631 (634 f.); ders., ZfA 2004, 229 (248); ders., NZA 2007, 1411; ders., BB 2007, 2520 (2521); ders., FS Hromadka, S. 39 (50, mit Fn. 30); s. auch dens., RdA 2007, 125 (126 f.); ebenso F. Bayreuther, BB 2005, 2633 (2640); Boemke, ZfA 2009, 131 (144 f.); Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 77 (wenn auch mit etwas verwirrender Terminologie); BrechtHeitzmann, GS Zachert, S. 502 (516); Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 106 ff., 174; Deinert, NZA 2009, 1176 (1182); Feudner, BB 2007, 2459 (2459 f.); Franzen, ZfA 2009, 297 (314); Greiner, NZA 2007, 1023 (1025); ders., Anm. zu LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80, S. 45 (48); ders., Rechtsfragen, S. 301 f., 303, 344; Hromadka, in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 124 (124, 128); ders., NZA 2008, 384 (385, 388); Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (253 ff.); Meyer, NZA 2006, 1387 (1390); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 149 (150); Reuter, SchlHA 2007, 413 (414, 418); Rolfs/F. Clemens, NZA 2004, 410 (414); Schliemann, FS Hromadka, S. 359 (374 f.); Scholz, FS Buchner, S. 827 (828); Sittard, ZTR 2008, 178 (182): „häufig“; s. auch LAG Rheinland-Pfalz 22. 6. 2004 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 169 (Däubler), unter B. II. 2) b) cc) (1) (b) der Gründe; 23. 2. 2006 – 11 Sa 841/05 – n. v., unter II. 2. b) bb) (3) (a) der Gründe; LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80 (Greiner), unter E. IV. 2. und 4. der Gründe; ArbG Düsseldorf 1. 8. 2007 – 11 Ga 74/07 – juris, unter II. 1. a) bb) der Gründe; F. Bayreuther, in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 130 (139); ders., Tarifautonomie, S. 388: Tarifeinheit im Betrieb als Betätigungsschranke für kleine Gewerkschaften, vor allem dann wenn sie Gruppeninteressen vertreten; ebenso P. Hanau/Kania, Anm. zu BAG 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20, unter II. 2. b); des Weiteren Junker, NZA Beilage 3/2006, S. 147 149); ferner Hromadka, GS Heinze, S. 383 (388); Kempen/Zachert/Kempen, § 2 Rn. 58; s. auch schon Konzen, RdA 1978, 146 (152): Das Abstellen auf den spezielleren betrieblichen Geltungsbereich enthalte latent den Vorrang des Industrietarifs vor dem Fachtarif. 134 BAG 14. 12. 2004 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1 (Buchner). 135 So LAG Rheinland-Pfalz 14. 6. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 78, unter II. 2. b) cc) (1) der Gründe; LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80 (Greiner), unter E. IV. 8. b) der Gründe; P. Hanau, RdA 2008, 98 (99); Sittard, ZTR 2008, 178 (182, mit Fn. 56); Wank, RdA 2009, 1 (11); s. auch Kerwer, EuZA 2008, 335 (339); kritisch, konkret zum LAG Rheinland-Pfalz, a. a. O.: Buchner, FS Hromadka, S. 39 (51).
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sammentreffens eines sämtliche Arbeitnehmer des Betriebes erfassenden Branchentarifvertrages und eines nur die Arbeitsverhältnisse einzelner Berufsgruppen regelnden Spartentarifvertrages keine Anwendung finden könnten oder die Kollision und damit die Frage der Spezialität hier anders gelöst werden müsse als bisher angenommen.136 Konkret könne danach auch der Tarifvertrag der Spartengewerkschaft als der speziellere angesehen werden137, jedenfalls für die von seinem Geltungsbereich erfassten Arbeitnehmer.138 Die Frage der Spezialität sei dann nur in Bezug auf die Berufsgruppe, die sowohl vom Spartentarifvertrag als auch von dem „allgemeineren“ Tarifvertrag erfasst wird, zu stellen.139 Die Tarifeinheit beziehe sich somit nicht mehr auf den Betrieb als ganzen, sondern auf die jeweiligen vom Geltungsbereich eines Tarifvertrages erfassten Arbeitsverhältnisse („Tarifeinheit in der Sparte“).140 Innerhalb der Sparte sei dann ggf. darauf abzustellen, durch welchen Tarifvertrag die überwiegende Zahl der Arbeitnehmer der jeweiligen Berufsgruppe infolge Mitgliedschaft in der tarifschließenden Gewerkschaft tarifgebunden ist.141 136 LAG Rheinland-Pfalz 14. 6. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 78, 2432 (2433), unter II. 2. b) cc) (1) der Gründe. 137 LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80 (Greiner), unter E. IV. 8. b) (2) der Gründe; P. Hanau, RdA 2008, 98 (99); Sittard, ZTR 2008, 178 (182, mit Fn. 56); Wank, RdA 2009, 1 (11). So vor der UFO-Entscheidung auch schon Rieble, BB 2003, 1227 (1228); Litschen, ZTR 2007, 230 (231, 233 f.). Für Spezialität des Spartentarifvertrages tendenziell auch Däubler, Anm. zu LAG Hessen 22. 7. 2004 und LAG Rheinland-Pfalz 22. 6. 2004 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 168 und Nr. 169, unter V.; auch Löwisch, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 941 (950) hält es für möglich, dass sich ein Berufsverbandstarifvertrag gegen einen Industrieverbandstarifvertrag durchsetzt; s. auch Jacobs, NZA 2008, 325 (331); dens., FS Buchner, S. 342 (351); zweifelnd Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (119 f.); Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 951a; offen lassend Kerwer, EuZA 2008, 335 (339); Reichold, RdA 2007, 321 (327); Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (511 f., 515) und letztlich auch Thüsing/Burg, FS Otto, S. 555 (584 ff.); s. auch Blanke, KJ 2008, 204 (206 f.). 138 LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80 (Greiner), unter E. IV. 8. b) (2) der Gründe. 139 LAG Rheinland-Pfalz 14. 6. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 78, unter II. 2. b) cc) (1) der Gründe. 140 LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80 (Greiner), unter E. IV. 8. b) (2) der Gründe. Zu der Möglichkeit einer „Tarifeinheit in der Sparte“ s. auch F. Bayreuther, NZA 2008, 12 (13) und schon dens., NZA 2006, 642 (643) sowie jüngst dens., ZfA 2009, 747 (766 f.); Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (120); Franzen, ZfA 2009, 297 (314 f.); Greiner, Anm. zu LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80, S. 45 (50 ff.); P. Hanau, RdA 2008, 98 (100, 103); v. Steinau-Steinrück/Glanz, NZA 2009, 113 (116 f.); Thüsing, NZA Beilage 3/ 2010, S. 104 (107); Thüsing/Burg, FS Otto, S. 555 (584 f., 586 f.) sowie Litschen, ZTR 2007, 230 (231). 141 LAG Rheinland-Pfalz 14. 6. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 78, unter II. 2. b) cc) (1) der Gründe; s. auch F. Bayreuther, NZA 2006, 642 (644); Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (120); Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 58d, 58h; Greiner, Anm. zu LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80, S. 45 (51 f.); Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (120); v. SteinauSteinrück/Glanz, NZA 2009, 113 (117); Thüsing/Burg, FS Otto, S. 555 (584 f.).
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Damit scheint jedoch die maßgebliche Passage der UFO-Entscheidung142 überinterpretiert. Auch Buchner sprach in seiner Anmerkung zu dieser Entscheidung ein verändertes Verständnis des BAG von der Tarifeinheit im Betrieb, insbesondere vom Spezialitätsverhältnis zwischen Branchen- und Spartentarifvertrag, nicht an, sondern ging nach wie vor davon aus, dass sich nach der Rechtsprechung des BAG ein Tarifvertrag, der nur die Arbeitsverhältnisse einer speziellen Berufsgruppe ergreift, nicht gegen einen Tarifvertrag durchsetzen könne, der tariflich für die gesamte Belegschaft vorsorge.143 Dahin tendierte in seiner Besprechung der UFO-Entscheidung, abweichend von seiner früheren Ansicht144, auch Rieble.145 Den letztlich begrenzten Aussagegehalt der UFO-Entscheidung für die Tarifpluralität hatte einst auch das LAG Rheinland-Pfalz vollkommen zutreffend erfasst. Das BAG habe „nur“ klargestellt, dass Tarifpluralität nicht dadurch vermieden werden könne, dass einer konkurrierenden Arbeitnehmervereinigung die Gewerkschaftseigenschaft (genauer: die Tariffähigkeit) abgesprochen werde.146 Es bleibt daher dabei: „Eine Tarifeinheit würde sich also immer gegen den Spartentarifvertrag richten.“147 Für unseren Zusammenhang – das Nebeneinander von Tariffähigkeitsvoraussetzungen und Tarifeinheit aus dem Blickwinkel des Freiheitsrechts des Art. 9 Abs. 3 GG und der Verkürzung grundrechtlicher Freiheit – heißt das Folgendes: Gerade die Spartengewerkschaften können zwar aufgrund ihres oft hohen Organisationsgrades148 und weil sie häufig Arbeitnehmer in Schlüsselpositionen zusammenfassen, die von der Arbeitgeberseite im Falle eines Arbeitskampfes kurzfristig überhaupt nicht oder nur schwer ersetzt werden können149, die erste Hürde, diejenige der sozialen Mächtigkeit, häufig neh142 BAG 14. 12. 2004 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1 (Buchner), unter B. III. 2. h) der Gründe. 143 Buchner, Anm. zu BAG 14. 12. 2004 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1, unter 2. c) bb); ebenso F. Bayreuther, in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 130 (139). 144 Rieble, BB 2003, 1227 (1228). 145 Rieble, SAE 2006, 89 (93). 146 LAG Rheinland-Pfalz 23. 2. 2006 – 11 Sa 841/05 – juris, unter II. 2. b) bb) (2) der Gründe, Rn. 72 des Urteils; unter II. 2. b) bb) (3) (a) der Gründe, Rn. 79–81 des Urteils, beurteilt es das Spezialitätsverhältnis dann auch zutreffend; s. auch Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (257, Fn. 66; 259). 147 Schliemann, FS Hromadka, S. 359 (374 f.). 148 Zur Bedeutung des Organisationsgrades für die Beurteilung der Durchsetzungsfähigkeit Wank, RdA 2008, 257 (273) m.w. N.; das allein maßgebliche Kriterium sieht hierin Rieble, FS Wiedemann, S. 519 (537). 149 s. zur Bedeutung dieses Umstands für die soziale Mächtigkeit insbesondere BAG 14. 12. 2004 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1 (Buchner) und BAG 28. 3. 2006 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 4 (Henssler/Heiden) sowie die Darstellung bei Wank, RdA 2008, 257 (261 f.); Wank, FS ZVK-Bau, S. 141 (149 f.); kritisch zum Kriterium „Arbeitnehmer in Schlüsselpositionen“ F. Bayreuther, BB 2005, 2633 (2634 f., 2641), der Spartengewerkschaften nur sehr zurückhaltend anerkennen will; kritisch jüngst auch Koop, Tarifvertragssystem, S. 292 f.
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men150, um dann aber in der Konsequenz der Tarifeinheit im Betrieb überall dort, wo bereits Branchengewerkschaften etabliert sind, doch nicht effektiv am Prozess der tariflichen Regelung der Arbeitsbedingungen teilnehmen zu können.151 Was im Übrigen die teilweise offenbar für einen bedenkenswerten Mittelweg zwischen Tarifeinheit im überkommenen Sinne und Tarifpluralität gehaltene „Tarifeinheit in der Sparte“ betrifft, so weist Peter Hanau mit Recht darauf hin, dass gegen sie alle Bedenken sprechen, die auch gegen die herkömmlich verstandene Tarifeinheit im Betrieb vorzubringen sind.152 Priorität hat daher auch gegenüber einer solchen „Tarifeinheit in der Sparte“ das Bemühen um die Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung.153 c) Grenzen der Gemeinsamkeit – die Unterscheidung von angemessenen und einheitlichen Arbeitsbedingungen Vor dem Hintergrund des Nebeneinanders von Tarifeinheit im Betrieb und Tariffähigkeitsvoraussetzungen stellt sich die Frage nach der Erforderlichkeit der Tarifverdrängung aufgrund des Prinzips betrieblicher Tarifeinheit zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems verschärft. Bei näherem Hinsehen fällt auf, dass Tariffähigkeitsvoraussetzungen und Tarifeinheit im Betrieb zwar als auf dem gleichen Grundgedanken beruhend154 und auch als in die glei150 s. auch Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (246 f., 251); ferner Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 187 f.; Deinert, NZA 2009, 1176 (1181); Greiner, Rechtsfragen, S. 205 f.; Meik, FS Beuthien, S. 429 (432, 434, 436); Rieble, ZAF 2005, 218 (222); aber auch Reuter, SchlHA 2007, 413 (414 f., 418), der selbst freilich jedes Mächtigkeitserfordernis ablehnt, s. Reuter, a. a. O., S. 415, 417 f. sowie schon Reuter, ZfA 1995, 1 (13 f.) und jüngst wieder Reuter, FS Birk, S. 717 (723 f.). 151 Dazu, dass die Zuerkennung der Tariffähigkeit an Spartengewerkschaften bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Rechtsprechung zur Tarifeinheit im Betrieb aus Sicht der Rechtsprechung gleichwohl nicht schlechthin widersprüchlich ist, weil die Zuerkennung der Tariffähigkeit auf der Grundlage des (wenn auch verfehlten) einheitlichen Gewerkschaftsbegriffs den Spartengewerkschaften zumindest die sekundären Gewerkschaftsrechte insbesondere nach dem BetrVG und dem ArbGG sichert, s. bereits oben Teil 1, Kapitel 1, unter A. I. 5. 152 P. Hanau, RdA 2008, 98 (103); ebenso v. Steinau-Steinrück/Glanz, NZA 2009, 113 (116 f.); s. aber auch Greiner, Anm. zu LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80, S. 45 (52). 153 Gegen ein Prinzip der „Tarifeinheit in der Sparte“ auch Jacobs, NZA 2008, 325 (329); zurückhaltend Franzen, ZfA 2009, 297 (314 f.); s. aber auch Greiner, Anm. zu LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80, S. 45 (50 ff.) und P. Hanau, RdA 2008, 98 (103), nach dem eine „Tarifeinheit in der Sparte“ ernsthaft zu erwägen sein wird, falls sich die realisierte Tarifpluralität als unpraktikabel und funktionswidrig erweisen sollte; v. Steinau-Steinrück/Glanz, NZA 2009, 113 (117 f.), sprechen sich für einen Fortbestand der Tarifeinheit zumindest in der Sparte aus; s. auch J. Schubert, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 59 (78). 154 F. Bayreuther, BB 2005, 2633 (2639); ders., NZA 2007, 187 (188); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 130 (138); Reuter, SchlHA 2007, 413 (414); Wank, FS ZVK-Bau, S. 141 (156 f.); s. auch jüngst Franzen, ZfA 2009, 297 (308, 312).
Kap. 1: Tarifpluralität und Tariffähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen
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che Richtung wirkend155, schwerlich aber als „austauschbare Instrumente zur Sicherung des gleichen Anliegens“ bezeichnet werden können.156 Vielmehr verfolgen beide in ihrem jeweiligen Kern durchaus verschiedene Anliegen. Verkürzt könnte man sagen: Die soziale Mächtigkeit als Voraussetzung der Tariffähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen dringt auf angemessene, die Tarifeinheit dagegen (oder besser: darüber hinaus) auf einheitliche (tarifliche) Arbeitsbedingungen. Das ist näher darzulegen. aa) Soziale Mächtigkeit und angemessene tarifliche Arbeitsbedingungen Anliegen Kempens ist es, mittels der Tarifeinheit im Betrieb zu verhindern, dass die durch den Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Koalitionen entstehende Tarifpluralität die dysfunktionalen Wirkungen (Unterbietungswettbewerb) des Arbeitsmarktes (jetzt) auf der kollektiven Ebene erneut entfesselt. Die mit der tarifvertraglichen Kartellfunktion bezweckte Einschränkung des individuellen Wettbewerbs drohe durch die unbegrenzte Zulässigkeit konkurrierender Tarife für das gleiche betriebliche Arbeitsfeld auf der kollektiven Ebene wieder aufgehoben zu werden. Deshalb müsse der zulässige Koalitionswettbewerb im Ergebnis in einheitliche tarifliche Regelungen auf Betriebsebene münden.157 Nun ist selbstredend die Verhinderung von Wettbewerb als solchen von Art. 9 Abs. 3 GG nicht gewollt, sie wäre weder mit der Koalitionsfreiheit, in welcher der Koalitionspluralismus als Möglichkeit angelegt ist, vereinbar noch auf dem Boden des geltenden Tarifvertragsrechts auch nur möglich. Aufgrund der grundsätzlichen Beschränkung der Tarifvertragswirkung auf beiderseits tarifgebundene Arbeitsverhältnisse (§§ 4 Abs. 1 Satz 1, 3 Abs. 1 TVG) bleibt Außenseiterwettbewerb immer möglich158, er hat auch eine eminent wichtige Funktion159, die aller155 Buchner, Anm. zu BAG 14. 12. 2004 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1, unter 2. a); ders., BB 2003, 2121 (2127). 156 So aber Buchner, Anm. zu BAG 14. 12. 2004 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1, unter 2. a); relativierend jetzt auch Greiner, Rechtsfragen, S. 5 (Fn. 32). 157 Kempen, FS Hromadka, S. 177 (185, 187); s. auch Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 58b. 158 Ausnahmen vor allem: Allgemeinverbindlicherklärung, § 5 TVG/Geltungserstreckung durch Rechtsverordnung nach § 7 AEntG (auch dann aber gilt jedenfalls das Günstigkeitsprinzip); dazu und zu weiteren Tatbeständen der Einbeziehung von Außenseitern in Tarifvertragsregelungen (Tariftreuegesetze, gesetzlich „diktierter Vertrag“ bei gewerbsmäßiger Arbeitnehmerüberlassung) s. sub specie des Außenseiterwettbewerbs Richardi, ZfA 2003, 655 ff. 159 Dazu zuletzt Reuter, FS Birk, S. 717 ff., dem gewiss nicht in allem zuzustimmen ist, aber doch in der grundsätzlichen These, dass Außenseiterkonkurrenz einen Beitrag zur Richtigkeitsgewähr der Tarifautonomie leistet (a. a. O., S. 728); s. auch F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 149; Klein, Minderheitsgewerkschaften, S. 101, 117 (mit Fn. 207); Rieble, ZfA 2005, 245 (249); speziell im Zusammenhang mit der Tarifpluralität Reuter, JuS 1992, 105 (107); s. auch Band, Tarifkonkurrenz, S. 128, 136 f.
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dings praktisch weithin nicht zum Tragen kommt, weil Außenseiterwettbewerb in der Realität des Arbeitslebens weit weniger stattfindet als es die Grundsatzfestlegung durch das TVG vermuten lässt160. Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie sollen und können also nicht jeden Wettbewerb verhindern, sondern sie sollen – „Überwindung der strukturellen Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer durch kollektives Handeln“ – angemessene, weil ausgehandelte (und nicht einseitig diktierte) Arbeitsbedingungen gewährleisten.161 Sie sollen (Stichwort: negative Koalitionsfreiheit) und können (Möglichkeit der Außenseiterkonkurrenz) auch nicht jeden „Unterbietungswettbewerb“ verhindern, sondern nur den – aufgrund der Funktionsdefizite des Arbeitsmarktes potentiell drohenden – Wettbewerb durch Unterbietung des Angemessenen, den im schlimmsten Fall „ruinösen Unterbietungswettbewerb“162. Für Außenseiter wird dieser verhindert durch die §§ 305 ff. BGB, früher durch die Rechtsprechung des BAG zur arbeitsvertraglichen Inhaltskontrolle aufgrund § 242 BGB163; bei frei ausgehandelten Arbeitsverträgen bedarf es ohnehin keines (derart umfassenden) Schutzes. Die demnach angestrebte Angemessenheit der Arbeitsbedingungen wird aber auf kollektiver Ebene schon durch das Erfordernis sozialer Mächtigkeit garantiert, indem dieses die Gleichgewichtigkeit der Verhandlungsstärke verbürgt. Mit den Worten des BAG: Das Tarifvertragssystem wird durch das Prinzip der Gleichgewichtigkeit der Tarifvertragsparteien beherrscht. Die Tarifverträgen immanente Richtigkeitsgewähr164 ist darauf zurückzuführen, dass die Vermutung besteht, dass Tarifverträge zwischen gleichstehenden Parteien im Einzelnen ausgehandelt werden. Die Gegen- und Gleichgewichtigkeit der Tarifvertragspartner setzt ein gegenseitiges Spiel der Kräfte voraus, zu dem auch das Druckmoment gehört. Der Druck- und Gegendruckfaktor gewährleistet die Herbeiführung des befriedenden Tarifvertrags.165 Die Annahme der Richtigkeitsgewähr von Tarifverträgen verlangt grundsätzlich danach, die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung von einer gewissen Durchsetzungskraft und Mächtigkeit abhängig zu machen.166 160 Dazu Richardi, ZfA 2003, 655 (656, 660 ff.); s. auch Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 66 und Wiedemann/Oetker, § 3 Rn. 32 m.w. N. dazu, dass sich die betriebliche Praxis in beträchtlichem Umfang vom Modell des § 3 Abs. 1 TVG entfernt hat. 161 Zur Schutzfunktion nur Wiedemann/Wiedemann, Einl. Rn. 4. 162 Kempen, FS Hromadka, S. 177 (184) m.w. N. 163 Dazu nur die Nachweise der früheren Rechtsprechung bei ErfK/Preis, §§ 305– 310 BGB Rn. 1. 164 Zu ihr nur die Darstellungen bei Gamillscheg, KollArbR I, § 7 II. 1. a), S. 284 ff.; Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 246 ff.; aus jüngster Zeit kritisch Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 238 f. und abgewogen Waltermann, NZA 2010, 482 (486 f.). 165 BAG 15. 3. 1977 AP GG Art. 9 Nr. 24. 166 BAG 28. 3. 2006 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 4 (Henssler/Heiden), Rn. 47.
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bb) Verschränkungen Betrachtet man den Wirkmechanismus der sozialen Mächtigkeit als Instrument zur Gewährleistung angemessener Arbeitsbedingungen genauer, zeigt sich, dass die obige Zuspitzung – die soziale Mächtigkeit als Voraussetzung der Tariffähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen dringe auf angemessene, die Tarifeinheit dagegen (darüber hinaus) auf einheitliche tarifliche Arbeitsbedingungen – insofern relativiert werden muss, als sie nicht dahin aufgefasst werden darf, als hätte beides nichts miteinander zu tun. Vielmehr bestehen Verschränkungen zwischen den jeweils verfolgten Anliegen – „Angemessenheit“ einerseits, „Vereinheitlichung“ andererseits –, die die Rede vom gemeinsamen Grundgedanken beider Prinzipien167 und von der gleichen Wirkrichtung168 gerechtfertigt erscheinen lassen. Gerade diese Verschränkungen aber zeigen, dass im Hinblick auf die Mittel, die Zwecke und die Zweck-Mittel-Relationen allein das Prinzip der sozialen Mächtigkeit, nicht aber das Prinzip der betrieblichen Tarifeinheit mit Blick auf Art. 9 Abs. 3 GG Legitimität beanspruchen kann.169 (1) Die Konzentrationswirkung des Mächtigkeitserfordernisses (a) Allgemeines Die Tariffähigkeitsvoraussetzung der sozialen Mächtigkeit lässt zwar rechtlich die Möglichkeit eines Nebeneinanders mehrerer Tarifverträge in einem Betrieb als Folge paralleler Tätigkeit mehrerer – mächtiger – Verbände vollkommen unberührt. Faktisch aber (und vom BAG wohl mehr als nur in Kauf genommen170) bewirkt sie natürlich eine gewisse Konzentration der Verbands- und ihr folgend der Tariflandschaft, ihr ist eine Tendenz zur Vereinheitlichung der tariflichen Arbeitsbedingungen immanent. Eben deshalb aber verhindert schon das Mächtigkeitserfordernis, was Kempen bei Hinnahme von Tarifpluralitäten befürchtet, dass nämlich der auf der individuellen Ebene durch die Koalitionsfreiheit und die Tarifautonomie verhinderte Unterbietungswettbewerb auf der kollektiven Ebene 167 Vgl. nochmals F. Bayreuther, BB 2005, 2633 (2639); dens., NZA 2007, 187 (188); dens., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 130 (138); Reuter, SchlHA 2007, 413 (414); Wank, FS ZVK-Bau, S. 141 (156 f.); jüngst Franzen, ZfA 2009, 297 (308, 312). 168 Vgl. nochmals Buchner, Anm. zu BAG 14. 12. 2004 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1, unter 2. a); dens., BB 2003, 2121 (2127). 169 Verkannt auch bei Hromadka, NZA 2008, 384 (388 f.) sowie bei Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1 (11 f.). 170 Berechtigt demgegenüber die Mahnung Riebles, FS Wiedemann, S. 519 (527): „Jegliche Anforderungen an die Tariffähigkeit müssen sich aus dem Tarifvertragssystem erklären lassen. Jede anders motivierte Verschärfung der Voraussetzungen – sei es um die Einheitsgewerkschaft hervorzubringen, (. . .) sei es, um die problematische Tarifkonkurrenz zu vermeiden, (. . .) – ist unzulässig.“.
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erneut entfesselt werde.171 Schon faktisch wird die Diversifizierung der Arbeitnehmerinteressen, bei aller Spezialisierung der betrieblichen Tätigkeiten und aller weltanschaulich-politischen Pluralität der heutigen Gesellschaft, wie sie sich in der Tariflandschaft durch das verstärkte Auftreten neuer (insbesondere Sparten-)Gewerkschaften und die Aufkündigung bisheriger Tarifgemeinschaften niederschlagen, nie so stark werden, dass etwa – überzeichnet – für jeden Arbeitnehmer eine eigene Gewerkschaft mit eigenen Tarifverträgen auftritt.172 Und rechtlich wären eben Arbeitnehmervereinigungen, die nur ganz unbedeutende Teile der Arbeitnehmerschaft vertreten, immer zu unbedeutend, zu wenig durchsetzungsstark, um überhaupt Tariffähigkeit zu erlangen. Das Erfordernis der Durchsetzungsfähigkeit verhindert die Wiederkehr des früheren, vor-koalitionsrechtlichen Unterbietungswettbewerbs auf der kollektiven Ebene. Die Zulassung von Tarifpluralitäten führt keinesfalls, wie es das von Kempen gezeichnete Szenario suggeriert, zu dem der Devise „Ein Betrieb – eine Gewerkschaft“ gleichsam diametral entgegengesetzten Phänomen „Jedem Arbeitnehmer des Betriebs seine (gegenüber der Arbeitgeberseite mangels „Masse“ ohnmächtige) Gewerkschaft“. Wohl führt sie zu mehr Wettbewerb – dieser aber ist durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG als Möglichkeit verfassungsrechtlich gewährleistet und durch das die Gegengewichtigkeit verbürgende Mächtigkeitserfordernis nach unten begrenzt.173
171 s. auch Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, der – nach hiesiger Ansicht zu Unrecht – das Erfordernis der sozialen Mächtigkeit als Voraussetzung der Tariffähigkeit einer Arbeitnehmerkoalition ablehnt und es der Selbstregulation des freien Spiels der Kräfte im Gewerkschaftswettbewerb überlassen will, ob eine Arbeitnehmervereinigung sich als Tarifvertragspartei durchsetzt (a. a. O., S. 56 ff.; weitere Nachweise dieser Ansicht bei Wank, RdA 2008, 257 [262]; aus jüngster Zeit in diesem Sinne Kamanabrou, ZfA 2008, 241 [250 f.]; Koop, Tarifvertragssystem, S. 291 f., 296; Loritz, FS Buchner, S. 582 [587 f.]; gegen diese Ansicht mit Recht ErfK/Dieterich, Art. 9 GG Rn. 66; Henssler, Soziale Mächtigkeit, S. 54; Rieble, FS Wiedemann, S. 519 [526 f.]; Wank, a. a. O., S. 263 f.), ein – von Kempen befürchtetes – „Tarifwirrwarr“ zahlloser nebeneinander bestehender Tarifverträge aber bereits durch die natürliche Auslese des vortariflichen Gewerkschaftswettbewerbs verhindert sieht; die danach verbleibenden Gewerkschaften mit ihren jeweiligen Tarifabschlüssen gefährdeten nicht die Tarifautonomie, sondern stellten gerade deren unverzerrtes Spiegelbild dar (a. a. O., S. 75). 172 s. in diesem Zusammenhang auch das Gedankenexperiment von Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 43 f. 173 Unzutreffend in diesem Zusammenhang daher auch Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 58b: „Die unbeschränkte Zulassung bzw. Förderung des ,Wettbewerbs von Gewerkschaften und Tarifverträgen‘ ist der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG nicht nur wesensfremd, sondern steht dem Schutzzweck der Koalitionsfreiheit diametral entgegen.“ – Ein unbeschränkter Wettbewerb findet eben nach dem Gesagten – Erfordernis hinreichender Durchsetzungsfähigkeit tariffähiger Arbeitnehmervereinigungen – nicht statt, und der Schutzzweck der Koalitionsfreiheit ist nun einmal gerade nicht, einheitliche, sondern, angemessene, d. h. ausgehandelte Arbeitsbedingungen zu gewährleisten.
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(b) Insbesondere: Der „Trend zur Spartengewerkschaft“ Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem zuletzt festzustellenden „Trend zur Spartengewerkschaft“, von dem man teils erwartet, dass er sich in einem tarifpluralen System noch verstärken wird174. So ist das von Gamillscheg gezeichnete Szenario, bei Auftreten von Berufsgewerkschaften müssten ohne Tarifeinheit im Betrieb etwa so viele Tarifverträge bewältigt werden, wie es im Betrieb Berufsgruppen und -splitter gibt175, zwar auch unter der Geltung des Tariffähigkeitserfordernisses der sozialen Mächtigkeit nicht von vornherein unrealistisch176, wenn man den oft hohen Organisationsgrad von Spartengewerkschaften bedenkt und mit dem BAG daran festhält, dass sich die soziale Mächtigkeit und damit Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung auch daraus ergeben kann, dass sie in nennenswertem Umfang Arbeitnehmer in Schlüsselstellungen organisiert, die von der Arbeitgeberseite im Falle eines Arbeitskampfes kurzfristig überhaupt nicht oder nur schwer ersetzt werden können. Unter dem hier beleuchteten Gesichtspunkt einer Wiederkehr des Unterbietungswettbewerbes nunmehr auf kollektiver Ebene ist dies aber unproblematisch. Denn all diese Spartengewerkschaften müssten, um wirksam Tarifverträge abschließen zu können, tariffähig und daher hinreichend durchsetzungsstark gegenüber der Arbeitgeberseite sein. Sind sie dies aber, dann ist von ihnen ein tariflicher Unterbietungswettbewerb nicht zu erwarten. Diskutiert wird daher auch gerade in Hinsicht auf die Spartengewerkschaften vielmehr das umgekehrte Phä174 So F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 153; Giesen, NZA 2009, 11 (13); s. auch Franzen, RdA 2008, 193 (200); zuletzt Scholz, FS Buchner, S. 827 (828) und das von Loritz, FS Buchner, S. 582 (592 f.) gezeichnete Szenario; ferner jüngst Friedrich Schindele, ArbRAktuell 2010, 307445. Demgegenüber halten Rieble und Schnabel, in: Die Zeit vom 8. 11. 2007, Nr. 46, das Potenzial für Kleingewerkschaften für erschöpft (http://www.zeit.de/2007/46/Bahn-Streik?page=3); ebenso Müller-Jentsch, s. Die Zeit vom 16. 8. 2007, Nr. 34, S. 21, sowie Reichold, NZA 2007, 1262 (1263); s. auch Ehl, Industrielle Beziehungen 2008, 406 (408); Kraushaar, Industrielle Beziehungen 2008, 418 (420 f.); Lesch, Industrielle Beziehungen 2008, 303 (314, 326); Schroeder/Greef, Industrielle Beziehungen 2008, 329 (329 ff., insb. 348 ff.); jüngst Bispinck, GS Zachert, S. 479 (484); Deinert, NZA 2009, 1176 (1181); Krause, RdA 2009, 129 (143); ferner Zachert, Mitbestimmung 4/2008, S. 16 (19) und H.-P. Müller, in: FAZ vom 24. 6. 2010, Nr. 143, S. 11 (Artikel „Warnungen vor Dauerstreiks“); I. Schmidt, FAZ vom 19. 7. 2010, Nr. 164, S. 13 (Interview unter der Überschrift „Ein Gesetz zur Tarifeinheit in dieser Atmosphäre kann nicht gutgehen“); letztlich offen auch die Monopolkommission, Hauptgutachten 2008/2009, S. 343 (Nr. 965), 349 (Nr. 986), 352 (Nr. 1008). 175 Gamillscheg, KollArbR I, § 17 III. 3. c) (2) (c), S. 754; ganz ähnlich mit Blick auf die Deutsche Bahn AG der Leitartikel „Zu Lasten aller“ von M. Müller in der FAZ vom 13. 10. 2007, S. 1. – Gamillscheg lehnt freilich die Durchsetzungsfähigkeit als Voraussetzung der Tariffähigkeit ab, s. a. a. O. § 9 IV. 3. e) (3), S. 436 f.; s. auch dens., FS Herschel, S. 99 (115). 176 s. dazu aber auch, ohne Bezugnahme auf Gamillscheg, ironisierend Reichold, NZA 2007, 1262 (1263): Horror-Szenario, wonach in Bälde etwa 20 Berufsgruppen sich in der DB AG um eigene Tarifverträge bemühen könnten.
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nomen, ein befürchteter Überbietungswettbewerb.177 Auch Kempen beschreibt im Anschluss an Hromadka178 das Szenario, dass konkurrierende Gewerkschaften sich gegenseitig durch höhere Forderungen zu überbieten suchen.179 Das Argument, es drohe zu einem solchen Überbietungswettbewerb zu kommen, gehört mittlerweile zum festen Kanon der Debatte über die Folgen einer Ersetzung der erzwungenen Tarifeinheit im Betrieb durch die freigegebene Tarifpluralität.180 Insbesondere Spartengewerkschaften wird in diesem Zusammenhang ein gruppenegoistisches Vorgehen zum Nachteil der übrigen Beschäftigten attestiert.181 Dadurch, dass die Gewerkschaften versuchen würden, sich immer wieder gegenseitig zu übertrumpfen, könne es zudem zu einem „negativen Wettlauf“ kommen, bei dem keiner läuft, weil jeder der Letzte sein will, also alle Gewerkschaften mit
177 s. auch die Darstellung und weiteren Nachweise bei Koop, Tarifvertragssystem, S. 39; zu Unter- und Überbietungswettbewerb jetzt auch Deinert, NZA 2009, 1176 (1177 ff., 1182 ff.); Dieterich, GS Zachert, S. 532 (533 ff.); Zachert, FS Bauer, S. 1195 (1195, 1196 ff., 1199); s. außerdem Schroeder, Mitbestimmung 4/2008, S. 10 (12, 14 f.); des Weiteren Dieterich, SZ vom 14. 8. 2007, S. 2 und die Beiträge von Lesch, Schroeder/Greef und Kraushaar in Industrielle Beziehungen 2008, 303 (322 ff.), 329 ff., 418 (421 ff.). 178 Hromadka, in: FAZ vom 14. 5. 2003, S. 19; ders., GS Heinze, S. 383 (388 f.); s. auch dens., NZA 2008, 384 (387 ff.). 179 Kempen, FS Hromadka, S. 177 (185 f.). 180 Erstmals wohl Hromadka, in: FAZ vom 14. 5. 2003, S. 19; ders., GS Heinze, S. 383 (388 f.); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 124 (125); außerdem LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80 (Greiner), unter E. IV. 7. b) der Gründe; F. Bayreuther, BB 2005, 2633 (2637); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 130 (136); ders., NZA 2008, 12 (15); Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 42b, 52c, 57d, 58a, 58h; AKR-Streik Rn. 74g; Feudner, BB 2007, 2459 (2461); Giesen, NZA 2009, 11 (15 f.); Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 45 f.; Meyer, DB 2006, 1271; ders., NZA 2006, 1387 (1389); v. Steinau-Steinrück/ Glanz, NZA 2009, 113 (114); Wallisch, FS Löwisch, S. 427 (444); s. auch Dieterich, KJ 2008, 71 (72); Zachert, DRiZ 2007, 341; zuletzt auch Jacobs, FS Buchner, S. 342 (346) und Loritz, FS Buchner, S. 582 (592) sowie Leuchten, AuA 2010, 146 (146 f.) und erneut Meyer, FS Buchner, S. 628 (635); ferner Göhner, FS Bauer, S. 351 (358); vgl. auch Meik, FS Beuthien, S. 429 (437); Bispinck, GS Zachert, S. 479 (483) und A. Stein, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 35 (51 f.); Monopolkommission, Hauptgutachten 2008/2009, S. 349 (Nr. 986), 351 (Nr. 1004). 181 F. Bayreuther, BB 2005, 2633 (2637, 2641); ders., NZA 2006, 642 (644 f.); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 130 (136); ders., NZA 2008, 12 (15); W. Bayreuther, FS Hromadka, S. 1; Buchner, BB 2007, 2520 (2520 f.); Giesen, NZA 2009, 11 (16); Greiner, NZA 2007, 1023 (1024); Hromadka, NZA 2008, 384 (385); Meik, FS Beuthien, S. 429 (434, 437 f.); Meyer, NZA 2006, 1387 (1389); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 149 (151); H. Otto, FS Konzen, S. 663 (677 f.); MüArbR/Ricken, § 200 Rn. 30; v. Steinau-Steinrück/Glanz, NZA 2009, 113 (114); Ubber, bei Bepler/U. Fischer/Ubber, BLJ 2007, 139 (141); s. dazu auch Blanke, KJ 2008, 204 (204, 209 f.); Dieterich, KJ 2008, 71 (75); Kempen, FS 50 Jahre BAG, S. 733 (740); Zachert, FS 50 Jahre BAG, S. 577 (590); aktuell Loritz, FS Buchner, S. 582 (588); Schliemann, FS Bauer, S. 923 (929); Brocker, NZA Beilage 3/2010, S. 121 (122); v. Steinau-Steinrück/Brugger, NZA Beilage 3/2010, S. 127 (129).
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einem Tarifabschluss warten, bis die Konkurrenzgewerkschaft abgeschlossen hat, um zu verhindern, dass diese wiederum mehr herausholt.182 Ob diese Bilder einer pluralistischen Tariflandschaft auf Dauer dem Abgleich mit der Realität standhalten werden, erscheint ungewiss. Botterweck, der nicht einmal Durchsetzungsfähigkeit einer tariffähigen Arbeitnehmervereinigung fordert, sondern es der Selbstregulation des freien Spiels der Kräfte im Gewerkschaftswettbewerb überlassen will, ob eine Arbeitnehmervereinigung sich als Tarifvertragspartei durchsetzt183, erwartet weder eine tarifliche Unterbietungsspirale184 noch einen Überbietungswettbewerb185. Selbst der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vermag nicht sicher zu prognostizieren, wie sich die Tariflohnabschlüsse im Falle eines Tarifpluralismus im Vergleich zur Tarifeinheit ändern, insbesondere, wenn die jeweiligen Gewerkschaften Arbeitnehmer mit Schlüsselfunktionen – wie etwa die Lokführer bei der Deutschen Bahn AG – vertreten. Entsprechende ökonomische Modelle für den Gütermarkt könnten nur mit Einschränkungen auf den Arbeitsmarkt übertragen werden. Die Möglichkeit eines Überbietungswettlaufs konkurrierender Gewerkschaften sei aber in Betracht zu ziehen.186 Was das gruppenegoistische Verhalten angeht, das den Spartengewerkschaften bescheinigt wird, ist auf Folgendes hinzuweisen: Zunächst liegt der Egoismus im Wesen der Gruppe187; natürlich handeln daher (auch) Spartengewerkschaften gruppenegoistisch. Zu fragen ist aber nach den Alternativen der in diesen Koali182 Auch hierfür grundlegend Hromadka, in: FAZ vom 14. 5. 2003, S. 19; ders., GS Heinze, S. 383 (388 f.); s. auch dens., bei Kalb, RdA 2007, 379 (381); dens, in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 124 (125); außerdem LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80 (Greiner), unter E. IV. 7. b) der Gründe; F. Bayreuther, in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 130 (136 f.); Lesch, Industrielle Beziehungen 2008, 303 (325); Meyer, DB 2006, 1271 (1271, 1273); ders., NZA 2006, 1387 (1389); ders., FS Adomeit, S. 459 (461); Wallisch, FS Löwisch, S. 427 (444); gerade wieder Meyer, FS Buchner, S. 628 (646 f.). 183 Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 56 ff.; s. dazu auch die weiteren Nachweise oben Fn. 171. 184 Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 42 ff.; mit Recht weist in anderem Zusammenhang auch Greiner, NZA 2007, 1023 (1028) darauf hin, dass durch die Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit immerhin gewisse Methoden tariflichen Lohndumpings verbaut würden (dazu jetzt aber auch Greiner, Rechtsfragen, S. 42, 234 [dort Fn. 363], 302, 346, wo dies weniger auf eine Aufgabe der betrieblichen Tarifeinheit als vielmehr auf eine Aufgabe des Spezialitätsprinzips bezogen wird); s. auch Sunnus, AuR 2008, 1 (6); skeptisch Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 57c. 185 Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 44 f.; zurückhaltend zur Annahme der Gefahr eines Überbietungswettbewerbes auch Schliemann, FS Hromadka, S. 359 (368). 186 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2007/2008, Nr. 555, S. 362 f.; kritisch dazu jetzt Dieterich, GS Zachert, S. 532 (540). 187 Eschenburg, Herrschaft der Verbände?, S. 6 (das Zitat entstammt dem Vorwort zur Erstauflage von 1955); in tarifrechtlichem Zusammenhang zitiert von Picker, FS Wiegand, S. 1065 (1066).
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tionen zusammengeschlossenen Arbeitnehmer. In den großen (DGB-)Branchengewerkschaften droht ihnen das, was Däubler anschaulich für das Verhältnis der Vorgängerorganisationen der Gewerkschaft der Flugsicherung (GDF)188 zu ver.di beschreibt. Ursache für die nunmehr selbständige Interessenvertretung der Fluglotsen, Techniker und Ingenieure durch eine eigene Gewerkschaft sei die schlechte Vertretung der Interessen dieser Berufsgruppen durch ver.di gewesen.189 Hier habe sich eine gesunkene Integrationsfähigkeit der DGB-Gewerkschaften offenbart, die ersichtlich spezifische Interessen bestimmter Gruppen nicht oder jedenfalls nicht ausreichend repräsentieren könnten. Dabei sei es im konkreten Fall nicht einmal darum gegangen, dass eine Berufsgruppe mit hohem Druckpotential auf eigene Faust mehr erreichen, also sich mit einem „Egoistentrip“ Privilegien habe sichern wollen. Vielmehr hätten sich die Beschäftigten in gut nachvollziehbarer Weise von ver.di allein gelassen, um nicht zu sagen: verraten und verkauft gefühlt.190 Auch der Großgewerkschaft Transnet wird bescheinigt, die Lokführer, deren eigene Vertretung (GDL) nunmehr tarifpolitisch selbständig agiert, lange vernachlässigt zu haben.191 Dass sich gerade die Mitglieder von Spartengewerkschaften von den Massengewerkschaften oft nicht vertreten fühlen192, ist in dem genannten Phänomen begründet, dass der Egoismus im Wesen der Gruppe liegt. In den Branchengewerkschaften droht diesen Arbeitnehmern die Majorisierung ihrer Interessen durch die dort dominierenden Gruppen. Die für das Verbandshandeln verantwortlichen Funktionäre sind von der Zustimmung der sog. Median-Wähler, d. h. der für die Wiederwahl maßgebenden Gruppen innerhalb der Mitgliedschaft, abhängig.193 Für die Gewerkschaften ist daher unvermeidlich das Interesse der in ihnen dominierenden Arbeitnehmergruppen handlungsleitend194, was naturgemäß auf Kosten der in den Verbänden unterrepräsentierten Gruppen geht195; denn auch die 188 Zur Entstehung der GDF aus dem Verband Deutscher Flugsicherungs-Techniker und Ingenieure (FTI) und dem Verband Deutscher Flugleiter (VDF) s. Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 32 f.; Greiner, Rechtsfragen, S. 16 f. 189 Zu Einzelheiten und näher zu den Hintergründen Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 32; Greiner, Rechtsfragen, S. 16 f. 190 Däubler, Anm. zu LAG Hessen 22. 7. 2004 und LAG Rheinland-Pfalz 22. 6. 2004 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 168 und Nr. 169, unter VI. 191 s. FAZ vom 11. 3. 2008, S. 13 („Triumph der Lokführer“); Schroeder/Greef, Industrielle Beziehungen 2008, 329 (345). 192 Dieterich, SZ vom 14. 8. 2007, S. 2; Glanz, NJW-Spezial 2007, 578; v. SteinauSteinrück/Glanz, NZA 2009, 113; s. auch Schroeder, Mitbestimmung 4/2008, S. 10 (12); Greiner, Rechtsfragen, S. 15 f.; Reichold, FAZ vom 1. 7. 2010, S. 8; ferner für die Vereinigung Cockpit Tarp, Industrielle Beziehungen 2008, 402 ff.; für den Marburger Bund Ehl, Industrielle Beziehungen 2008, 406 ff. 193 Lesch, Industrielle Beziehungen 2008, 303 (308 f.); Reuter, ZfA 1995, 1 (14) und zuletzt wieder ders., FS Birk, S. 717 (722 f.), jeweils m.w. N. 194 Koop, Tarifvertragssystem, S. 32; Lesch, Industrielle Beziehungen 2008, 303 (308 f.); Reuter, ZfA 1995, 1 (23); s. nunmehr auch Greiner, Rechtsfragen, S. 15.
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gewerkschaftsintern jeweils dominierenden Gruppen verfolgen eben – gruppenegoistisch – in erster Linie ihre Interessen. Deshalb bescheinigt Reuter gerade den deutschen Industriegewerkschaften eine „strukturbedingte(n) Anfälligkeit für Gruppenegoismus“.196 Die Mehrheit ist eben nicht schon deshalb von Eigennutz frei, weil sie deren Interessen verfolgt.197 Da dieser Gruppenegoismus im Tarifvertragssystem angelegt ist198, kann das Problem auch durch die Einrichtung von Fachbereichen innerhalb der Großgewerkschaften199 oder durch verstärkte Industrie-, Personen- und Zielgruppenarbeit200 nicht an der Wurzel bekämpft werden. Dass es außer typischen Arbeitnehmerinteressen auch spezifische Interessen und „Befindlichkeiten“ einzelner Gruppen wie auch Verteilungskonflikte innerhalb der Arbeitnehmerschaft geben kann, fällt in den großen (DGB-)Branchengewerkschaften leicht unter den Tisch.201 Däubler stellt dies mit Bezug auf ver.di fest – deren Gründung gilt vielen als Schlüsseldatum für die in der Gewerkschaftslandschaft aufgekommenen Zentrifugalkräfte202 –, weist aber darauf hin, dass es sich um ein Grundsatzproblem handele.203 Auch andere – ebenfalls keineswegs grundsätzlich gewerkschaftskritische – Autoren stellen fest, der Prozess der Zentralisierung der gewerkschaftlichen Interessenvertretung auf wenige große Industriegewerkschaften im Rahmen des DGB204 habe womöglich das gesellschaftliche Solidaritätspotenzial überstrapaziert.205 195
Reuter, SchlHA 2007, 413 (418 f.). Reuter, FS Böhm, S. 521 (551); s. auch dens., ZfA 1995, 1 (14 f.) und zuletzt wieder dens., FS Birk, S. 717 (723); außerdem dens., SchlHA 2007, 413 (419); in anderem Zusammenhang aufgegriffen auch von Sittard, Tarifnormerstreckung, S. 33. 197 H. Otto, FS Konzen, S. 663 (669). 198 Reuter, FS Birk, S. 717 (723). 199 s. § 22 Nr. 3 der Satzung von ver.di vom 14. 3. 2008; dazu im hier behandelten Zusammenhang auch Koop, Tarifvertragssystem, S. 21. 200 s. § 18 Nr. 4 Buchstabe g, § 37 der Satzung der IG BCE vom 14. 10. 2005; Koop, Tarifvertragssystem, S. 21; s. auch Schroeder/Greef, Industrielle Beziehungen 2008, 329 (347). 201 Däubler, Anm. zu LAG Hessen 22. 7. 2004 und LAG Rheinland-Pfalz 22. 6. 2004 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 168 und Nr. 169, unter VI. 202 s. FAZ vom 8. 8. 2007, S. 10 („Fachgewerkschaften haben Konjunktur“); vgl. auch Lesch, Industrielle Beziehungen 2008, 303 (314); Schroeder, Mitbestimmung 4/2008, S. 10 (12, 14); des Weiteren jetzt Greiner, Rechtsfragen, S. 2 f., 15, 18, 49; Reichold, FAZ vom 1. 7. 2010, S. 8; ders., Gutachten, S. 6. 203 Däubler, Anm. zu LAG Hessen 22. 7. 2004 und LAG Rheinland-Pfalz 22. 6. 2004 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 168 und Nr. 169, unter VI. 204 Zu den Fusions- und Konzentrationsprozessen innerhalb des DGB s. Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 3 ff. m.w. N.; Koop, Tarifvertragssystem, S. 20, 27 ff.; zu entsprechenden Entwicklungen in Großbritannien Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 70 f. 205 Blanke, KJ 2008, 204 (209); s. auch Dieterich, KJ 2008, 71 (72); Schroeder, Mitbestimmung 4/2008, S. 10 (15); Zachert, FS 50 Jahre BAG, S. 577 (590); zum Ganzen auch Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 4 f. 196
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Allzu oft entspricht in der Konsequenz dieses Zentralisierungsprozesses offenbar der Anspruch, die Branchengewerkschaften brächten die innerhalb der Belegschaft divergierenden Interessen der einzelnen Berufsgruppen – auch die der sog. „Funktionseliten“206 – insgesamt zum Ausgleich207, nicht der Realität208 und gehen die Abstriche, die den Minderheitsgruppen innerhalb der Großgewerkschaften angesonnen werden, über ein der verhandelbaren Verteilungsmasse geschuldetes zumutbares Solidaritätsopfer209 hinaus.210 Selbst der Vorsitzende des für das Tarifrecht zuständigen 4. Senats des BAG scheut sich nicht, offen auszusprechen, dass die Neu-Mitglieder der in jüngerer Zeit gegründeten oder aus früheren Tarifgemeinschaften ausscherenden Sparten- oder Funktionselitengewerkschaften „zuvor in den Großgewerkschaften vielfach nur ganz unzureichend repräsentiert und betreut worden waren“211. Deshalb bilden (oder verselbständigen) sich überhaupt erst Spartengewerkschaften.212 Einzelnen Berufsgruppen kann nicht durch einen Appell an ihre Solidarität und durch das Postulat einer besonderen Rücksichtnahmepflicht verwehrt werden, ein aus ihrer Sicht für sie passendes Kollektiv zu bilden und günstige Arbeitsbedingungen für die eigene Gruppe auszuhandeln. Einen sachlichen Grund, der es rechtfertigt, Spartengewerkschaften von vornherein abzuqualifizieren und ihnen das Recht auf eine tarifvertragliche Betätigung nach eigenen Vorstellungen abzusprechen, gibt es nicht.213 Es ist kein zulässiges Ziel des Tarifvertragsrechts, Beschäftigtengruppen, die einen hohen Arbeitsmarktwert haben, dadurch an der Realisierung ihres Werts zu hindern, dass sie in eine Koalition gedrängt werden, 206 Zu diesem bereits von BAG 10. 6. 1980 (zweimal) AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 64 und Nr. 65, jeweils unter A. V. 3. b) der Gründe, verwendeten Begriff s. des Näheren Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (242 f.); jüngst Jacobs, FS Buchner, S. 342 (343, Fn. 10) und Loritz, FS Buchner, S. 582 (586). 207 Buchner, BB 2003, 2121 (2125); ders., ZfA 2004, 229 (248); ders., BB 2007, 2520 (2520 f.); Feudner, BB 2007, 2459 (2460); Kempen, FS 50 Jahre BAG, S. 733 (740). 208 Abgewogene Stellungnahme hierzu bei Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (261 f.); konzediert auch von Giesen, NZA 2009, 11 (17), der aber andere Schlussfolgerungen zieht. 209 Dieterich, KJ 2008, 71 (73); s. auch schon dens., SZ vom 14. 8. 2007, S. 2 und jüngst dens., GS Zachert, S. 532 (533 f.). 210 s. auch Reuter, SchlHA 2007, 413 (418): Der Branchentarifvertrag gewährleiste keineswegs per se die gerechte innerbetriebliche Ordnung. 211 Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (117); s. auch dens., bei Bepler/U. Fischer/Ubber, BLJ 2007, 139 (147); zuletzt in diesem Sinne Jacobs, FS Buchner, S. 342 (344); Schliemann, FS Bauer, S. 923 (931). 212 s. auch I. Schmidt, FS Richardi, S. 765 (770) mit Blick auf UFO; allgemein Kerwer, EuZA 2008, 335 (336); Koop, Tarifvertragssystem, S. 22; ferner Rieble bei Kalb, RdA 2007, 379 (381). Aktuell und in größerem Zusammenhang dazu Loritz, FS Buchner, S. 582 (585 ff.); s. auch Boemke, ZfA 2009, 131 (132 f.); Göhner, FS Bauer, S. 351 (362). 213 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (262); s. auch jüngst Franzen, ZfA 2009, 297 (314); Greiner, Rechtsfragen, S. 242 (mit Fn. 412), 445.
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in der sie von einer zahlenmäßig größeren Gruppe von Arbeitnehmern mit niedrigerem Marktwert dominiert werden. Umverteilung innerhalb der Arbeitnehmerschaft ist nicht Zweck des Tarifvertragssystems.214 Dass es sich mit dem System des geltenden Tarifrechts nicht verträgt, Arbeitnehmergruppen an der Realisierung ihres Arbeitsmarktwertes zu hindern, belegt schon die Existenz des Günstigkeitsprinzips des § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG, das – u. a.215 – dem Arbeitnehmer gerade die Möglichkeit sichert, seine besonderen Kenntnisse und Fertigkeiten günstig zu „verkaufen“216.217 Der Gruppenegoismus bestimmter Berufsgruppen mag weder den DGB-Gewerkschaften gefallen noch den Arbeitgebern218, das ist aber kein Argument dafür, ihre unter dem Schutz der Koalitionsfreiheit stehende Organisationsentscheidung durch Versagung der Tarifgeltung im Wege der Auflösung von Tarifpluralitäten nach dem Grundsatz der Tarifeinheit zu sanktionieren.219 Es geht darum, Arbeitnehmern, die sich von der vorherrschenden Gewerkschaft nicht angemessen vertreten fühlen, Alternativen zu bieten.220 Berufsgruppentarife sind Ausdruck einer eigenständigen und durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifpolitik; die Koalitionsfreiheit umfasst auch das Recht, für die eigenen Mitglieder „gruppenegoistisch“ möglichst günstige Arbeitsbedingungen zu verhandeln („für alle Berufe“).221 Für – über das Erfordernis der Durchsetzungsfähigkeit als Voraussetzung bereits der Tariffähigkeit hinausgehende – Beschränkungen koalitionsspezifischer 214 Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (515); s. jetzt auch F. Bayreuther, ZfA 2009, 747 (760); Greiner, Rechtsfragen, S. 47, 242 (mit Fn. 412), 445 (mit Fn. 439); zu der davon zu unterscheidenden Verteilungsfunktion des Tarifvertrages innerhalb seines Geltungsbereiches s. nur Wiedemann/Wiedemann, Einl. Rn. 7 f.; ablehnend jüngst Koop, Tarifvertragssystem, S. 279 f. 215 Dazu, dass das Günstigkeitsprinzip nicht mit dem Leistungsprinzip begründet werden kann, da es nicht auf die Gewährleistung der Vereinbarung übertariflicher Arbeitsbedingungen gerade aufgrund individueller Leistungen beschränkt ist, s. Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 198; Däubler/Deinert, § 4 Rn. 580; JKO/Jacobs, § 7 Rn. 17; Richardi, Kollektivgewalt, S. 368 ff.; Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 388; Kempen/Zachert/ Zachert, § 4 Rn. 254. 216 Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 258. 217 Gegen ein Verständnis des Günstigkeitsprinzips als Schutz gegen innerverbandliche Majorisierung allerdings Kempen/Zachert/Zachert, § 4 Rn. 261 in Auseinandersetzung mit Löwisch/Rieble, Grundl. Rn. 40 und § 4 Rn. 255; anders als hier auch Kempen, FS 50 Jahre BAG, S. 733 (740), bei dem das Günstigkeitsprinzip geradezu zur Rechtfertigung der Einheitsgewerkschaft und des Einheitstarifvertrages gerät. 218 Rieble, BB 2003, 1227. 219 Jacobs, NZA 2008, 325 (329); Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 139; s. auch Koop, Tarifvertragssystem, S. 174 f. (dort Fn. 332), S. 336. 220 Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (516). 221 Jacobs, NZA 2008, 325 (329); s. auch Dieterich, SZ vom 14. 8. 2007, S. 2; U. Fischer, bei Bepler/U. Fischer/Ubber, BLJ 2007, 139 (144); Kerwer, EuZA 2008, 335 (336 f.) und jüngst Franzen, ZfA 2009, 297 (314) sowie Greiner, Rechtsfragen, S. 445.
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Betätigung bereits auf der Ebene des Tarifrechts, insbesondere durch Erzwingung betrieblicher Tarifeinheit im Wege der Tarifverdrängung, lässt sich demnach mit den Topoi „gewerkschaftlicher Überbietungswettbewerb“, „Gruppenegoismus“ und „negativer Wettlauf“ kein Bedürfnis dartun. Letztlich kann es hier nicht um tarifrechtliche, sondern allenfalls um arbeitskampfrechtliche Einschränkungen gehen. Zutreffend schreibt Bayreuther: „Das alles ist aber eine (lösbare) Frage des Arbeitskampf- und nicht des Tarifrechts.“222 Dieser Sichtweise hat sich jetzt auch der 4. Senat des BAG in seinem Anfragebeschluss vom 27. Januar 2010 angeschlossen, in dem er in einer an Klarheit nichts zu wünschen übrig lassenden Weise ausführt: „Unabhängig von der Frage, ob tatsächlich Anhaltspunkte für einen Funktionsverlust des Tarifvertragssystems aus den vorgebrachten Besorgnissen223 gefolgert werden können, handelt es sich hierbei um Rechtsfragen des Arbeitskampfrechts, nicht aber um solche des Tarifrechts zur Auflösung einer möglichen Tarifpluralität.“224 Und weiter: Schon aufgrund der Funktionsbezogenheit des Arbeitskampfrechts auf die Sicherstellung einer funktionierenden Tarifautonomie folge „nicht das Tarifrecht dem Arbeitskampfrecht, sondern vielmehr das Arbeitskampfrecht dem Tarifrecht. Etwaige Rechtsfragen des Arbeitskampfrechts in Folge einer bestehenden Tarifpluralität sind in diesem Rechtsbereich zu lösen. Sie sind nicht geeignet, die Auflösung einer Tarifpluralität durch Verdrängung der Regelungen eines vollwirksamen Tarifvertrags nach dem Grundsatz der Tarifeinheit zu rechtfertigen.“225 An dieser Stelle ist daher auf den zum Abschluss dieses Kapitels gegebenen Ausblick auf die arbeitskampfrechtliche Problematik226 sowie auf den eigens diesem Themenkreis gewidmeten Abschnitt der Untersuchung227 zu verweisen. 222 F. Bayreuther, in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 130 (137); ebenso ders., NZA 2007, 187 (189); s. auch dens., BB 2005, 2633 (2637); vgl. auch jüngst Deinert, NZA 2009, 1176 (1182), Dieterich, GS Zachert, S. 532 (540), Franzen, ZfA 2009, 297 (311, 312) sowie Lobinger, ZfA 2009, 319 (422 f.); ferner, gleichsam subsidiär gegenüber seinem Modell einer (tarifzuständigkeitsbasierten) „dynamisch-repräsentativen Tarifeinheit“ (dazu die kurze Darstellung oben Teil 1, Kapitel 3, unter A.): Greiner, Rechtsfragen, S. 360. Skeptisch demgegenüber Hromadka, NZA 2008, 384 (387, Fn. 43). 223 Scil.: Eines Überbietungswettbewerbs der Gewerkschaften, eines Funktionsverlusts der Friedenspflicht bei nicht abgestimmten Tarifverhandlungen oder einer Vervielfachung von Arbeitskämpfen, s. BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) dd) (2) (c) der Gründe, Rn. 70 des Beschlusses. 224 BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) dd) (2) (c) (aa) der Gründe, Rn. 71 des Beschlusses. 225 BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) dd) (2) (c) (aa) der Gründe, Rn. 72 des Beschlusses; im Grundsatz zustimmend H. Otto, RdA 2010, 135 (146 f.); kritisch Hromadka/Schmitt-Rolfes, NZA 2010, 687 (689 f.). 226 s. unten C. II. 227 Unten Teil 5.
Kap. 1: Tarifpluralität und Tariffähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen
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(2) „Angemessenheit durch Vereinheitlichung“? So wie die soziale Mächtigkeit, deren (primäres) Anliegen die Sicherung der Angemessenheit der Resultate der Tarifverhandlungen – der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten – ist, einen Zug zur Vereinheitlichung aufweist, begünstigt umgekehrt auch die Tarifeinheit im Betrieb, deren Intention und Folge ersichtlich zunächst einmal nur Vereinheitlichung ist (BAG: „Rechtssicherheit und Rechtsklarheit“228), das Streben nach Angemessenheit. Im Ergebnis setzen sich, wie oben dargelegt229, die Tarifverträge der Branchengewerkschaften durch, in der Tendenz also die der großen (DGB-)Gewerkschaften. Diese garantieren in der Regel (auch nicht immer!230) für angemessene Arbeitsbedingungen, zumal das Ganze sich als selbstverstärkendes Prinzip auswirkt: die ohnehin schon starken, der Gegenseite ebenbürtigen Gewerkschaften erhalten, indem ihre Tarifverträge sich durchsetzen, weiteren Mitgliederzulauf, werden zunehmend stärker und können mit zunehmender Gewissheit angemessene Arbeitsbedingungen durchsetzen. Obwohl also die Wirkungsrelationen „Soziale Mächtigkeit – Angemessenheit der tariflichen Arbeitsbedingungen“ und „Tarifeinheit im Betrieb – Einheitlichkeit der tariflichen Arbeitsbedingungen“ nicht beziehungslos nebeneinander stehen, sondern miteinander verschränkt sind, sind gleichwohl der Ausschluss von der Tarifarbeit durch Vorenthaltung der Tariffähigkeit und die Sicherstellung der Tarifeinheit durch Verdrängung einzelner Tarifverträge bei bestehender Pluralität keine „austauschbare(n) Instrumente zur Sicherung des gleichen Anliegens“.231 Insbesondere sind sie nicht „austauschbar“ in dem Sinne, dass die Lösung darin bestehen könnte, auf die soziale Mächtigkeit zu verzichten232, aber an der betrieblichen Tarifeinheit festzuhalten oder das Erfordernis der Durchsetzungsfä228 Vor allem BAG 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20 (P. Hanau/Kania), unter B. II. 2. a) der Gründe. 229 s. o. B. II. 4. b) und die Nachweise in Fn. 131 und 132. 230 Dazu die Beispiele aus dem Lohnbereich bei Däubler/Däubler, Einl. Rn. 58a; Jacobs, GS Walz, S. 289 (290); des Weiteren Jacobi, Liber Amicorum Weiss, S. 567 (570); s. auch Bepler, FS Richardi, S. 189 (193) und jüngst J. Schubert, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 59 (66). 231 So aber Buchner, Anm. zu BAG 14. 12. 2004 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1, unter 2. a); s. demgegenüber jetzt auch Greiner, Rechtsfragen, S. 5 (Fn. 32). 232 Zu den die Mächtigkeitsrechtsprechung ablehnenden Stimmen s. die Nachweise bei Wank, RdA 2008, 257 (262, Fn. 54) und die jüngste Darstellung bei Koop, Tarifvertragssystem, S. 124 ff.; aus jüngster Zeit gegen das Erfordernis der sozialen Mächtigkeit etwa Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (249 ff.); Koop, a. a. O., S. 296; Loritz, FS Buchner, S. 582 (587 f.). Für die Beibehaltung des Erfordernisses der sozialen Mächtigkeit sprach sich im Zusammenhang mit der Diskussion über die Folgen eines möglichen Abschieds von der Tarifeinheit bei Tarifpluralität auch der Vorsitzende des 4. BAG-Senats aus, s. Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (130, dort Fn. 36); ebenso nach dem Anfragebeschluss des 4. Senats vom 27. 1. 2010 Klebe, AuR 2010, 137; ders., Mitbestimmung 5/2010, S. 44 (45).
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
higkeit auf eine Missbrauchskontrolle zurückzunehmen233 und diese Großzügigkeit bei der Zubilligung der Tariffähigkeit – und damit bei der Zulassung von Gewerkschaftskonkurrenz – durch Auflösung daraus resultierender Tarifpluralitäten insbesondere nach dem Mehrheitsprinzip zu kompensieren.234 Denn die Tarifeinheit im Betrieb alleine kann die von Art. 9 Abs. 3 GG intendierte Angemessenheit („Überwindung der strukturellen Unterlegenheit . . .“) nicht sicherstellen. Von zwei (oder mehr) kollidierenden Tarifverträgen muss sich unter Spezialitätsgesichtspunkten235 keinesfalls immer der angemessene(re) durchsetzen, und es könnten (bei Verzicht auf das Mächtigkeitserfordernis) auch mehrere offensichtlich nicht zu einem angemessenen Ausgleich der gegenläufigen Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmern geeignete Tarifverträge aufeinandertreffen. Festgehalten werden kann aber, dass infolge der oben beschriebenen Begünstigung der großen (DGB-)Branchengewerkschaften durch das Spezialitätsprinzip236 bei der Herstellung von Tarifeinheit gleichsam als (gewolltes) „Nebenprodukt“ der Vereinheitlichung auch angemessene Arbeitsbedingungen abfallen. Was aber Kempen will, wenn er die Wiederkehr „ruinösen Unterbietungswettbewerbs“ auf der kollektiven Ebene just auf dem Wege der Herstellung betrieblicher Tarifeinheit zu verhindern sucht, ist „Angemessenheit durch Vereinheitlichung“. Das ist nicht nur ein unnötiger „Umweg“, sondern entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ein in die Irre, nämlich am Ziel der Sicherung angemessener Arbeitsbedingungen vorbei führender Gedanke.
233 Für bloße Missbrauchskontrolle Henssler, Soziale Mächtigkeit, S. 54 f., 56 ff.; s. auch F. Bayreuther, BB 2005, 2633 (2637) – s. aber demgegenüber auf dem richtigen Weg jetzt dens., FS Buchner (2009), S. 41 (52) sowie auch dens., NJW 2009, 2006 (2008) und Thüsing/F. Bayreuther, AEntG, § 8 AEntG Rn. 55; ferner schon Zeuner, FS 25 Jahre BAG, S. 727 (732) und zuletzt Greiner, Rechtsfragen, S. 46, 201, der (a. a. O. S. 5, 201 f.) auch die neuere Rechtsprechung des BAG bereits in diesem Sinne deutet; zur Kritik Wank, RdA 2008, 257 (264). 234 Im Ansatz verfehlt daher Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 52b: Die freizügigere Anerkennung der Befugnis zum Abschluss wirksamer Tarifverträge verlagere die Frage der für die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie erforderlichen Rahmenbedingungen von der Problematik der Durchsetzungs- und Leistungsfähigkeit der Tarifvertragsparteien auf die der Anwendung konkurrierender Tarifverträge im Betrieb. 235 Für weitgehende Ablösung des Spezialitätsprinzips als Maßstab der Auflösung von Tarifpluralitäten durch das Mehrheitsprinzip allerdings Kempen, FS Hromadka, S. 177 (186 f.). 236 Ungleich mehr noch natürlich durch das von Kempen, FS Hromadka, S. 177 (186 f.) weithin favorisierte Mehrheitsprinzip.
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(a) Die regulierende Kraft des Mächtigkeitserfordernisses (aa) Die „Dialektik von Einheit und Vielheit“ Unnötig ist es, weil dabei die regulierende Kraft des – auch von Kempen anerkannten237, von ihm sogar vergleichsweise streng gehandhabten238 – Tariffähigkeitserfordernisses der sozialen Mächtigkeit verkannt wird. Die Kumulierung von Mächtigkeitserfordernis und Tarifeinheit im Betrieb führt – wenn man, wie Kempen, die betriebliche Tarifeinheit für einen Fall der Grundrechtsausgestaltung hält – gleichsam zu einer „überschießenden“ Ausgestaltung, zu einer Überbetonung des Ordnungsgedankens auf Kosten der freiheitsrechtlichen Dimension des Art. 9 Abs. 3 GG; sie bringt die „Dialektik von Einheit und Vielheit, die das System in einem dynamischen Gleichgewicht hält“239, zu Lasten der Vielfalt, damit zu Lasten der Freiheit, in eine Schieflage. (bb) Das dynamische Gleichgewicht des Systems – Rückwirkungen einer Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb auf die konkrete Handhabung des Mächtigkeitserfordernisses Umso wichtiger ist natürlich eine dem Postulat der Funktionsfähigkeit adäquate Handhabung des Mächtigkeitserfordernisses. Für die eigene Auffassung von einer funktionsgerechten Handhabung dieser Tariffähigkeitsvoraussetzung kann, um Wiederholungen zu vermeiden, auf den Beitrag von Wank, RdA 2008, S. 257 ff. verwiesen werden, an dem der Verfasser mitwirken durfte und dem seine eigenen Ansichten in vollem Umfang entsprechen. Im Folgenden wird daher vieles nur verkürzt dargestellt. Einerseits ist den von nicht wenigen Autoren gegen die Mächtigkeitsrechtsprechung des BAG vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken240 dadurch Rechnung zu tragen, dass das Kriterium der Mächtigkeit nicht zu restriktiv ge-
237 Kempen/Zachert/Kempen, Grundl. Rn. 92 ff. sowie § 2 Rn. 17, 19 ff., 34 ff.; des Weiteren Kempen, FS 50 Jahre BAG, S. 733 (740 ff., 744 ff.). 238 s. Kempen/Zachert/Kempen, Grundl. Rn. 93 und § 2 Rn. 45–47 (zur Bedeutung bereits erfolgter Tarifabschlüsse für die soziale Mächtigkeit) sowie Kempen, FS 50 Jahre BAG, S. 733 (748 ff.) zur erforderlichen Finanzkraft einer tariffähigen Arbeitnehmerkoalition im Hinblick auf mögliche Schadensersatzansprüche aus rechtswidrigen Arbeitskämpfen; ablehnend zum Letzten BAG 14. 12. 2004 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1 (Buchner), unter B. III. 2. e) bb) (1) der Gründe; Rieble, SAE 2006, 89 (91 f.). 239 P. Hanau, NZA 2003, 128 (132); s. auch dens., RdA 2008, 98: Spannungsverhältnis innerhalb des Art. 9 Abs. 3 GG zwischen Ordnung und Vielfalt des Koalitions- und Tarifwesens; zum dynamischen Gleichgewicht des Systems der Arbeitsrechtsordnung insgesamt jüngst ders., FS Bauer, S. 385. 240 s. die Darstellung und Nachweise bei Wank, RdA 2008, 257 (262 ff., 265); seither vor allem Koop, Tarifvertragssystem, S. 296.
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handhabt wird.241 Auch Gegner des Mächtigkeitserfordernisses konzedieren, dass die auf Art. 9 Abs. 3 GG gestützten Einwände von den Anforderungen abhängen, die an die Druckausübungsfähigkeit gestellt werden.242 Andererseits muss einer Entwertung des Erfordernisses der sozialen Mächtigkeit und einer daraus resultierenden Gefährdung der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems vorgebeugt werden.243 Das gilt umso mehr, wenn man – wie jetzt das BAG – Tarifpluralitäten akzeptiert und damit vor der Notwendigkeit der Einpassung der hingenommenen Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung, hier konkret in das System des Tarifvertragsrechts, steht. Das Gleichgewicht, in dem das System durch die Dialektik von Einheit und Vielheit gehalten wird, ist, mit Peter Hanau gesprochen244, ein dynamisches. So meint auch Buchner, indem das BAG sich mittels des Gedankens der Tarifeinheit im Betrieb und der Grundsätze zur Lösung der Tarifpluralität ein weiteres Sicherungssystem zugunsten der tariflichen Ordnung, sozusagen ein „zweites Netz“ verfügbar gemacht habe245, habe es die Anforderungen an die Tariffähigkeit lockern können.246 Der Grundsatz der Tarifeinheit mit seiner verdrängenden Wirkung ermögliche eine großzügigere Zubilligung der Tariffähigkeit, d. h. also eine breiter angelegte Zulassung von Verbänden zur Tarifarbeit.247 Dem entspricht die in der Literatur verbreitete Einschätzung, das BAG habe zuletzt durch seine konkrete Handhabung des Mächtigkeitserfordernisses in den Beschlüssen zur Tariffähigkeit der Unabhängigen Flugbegleiter Organisation (UFO)248 und der Christlichen Gewerkschaft Metall (CGM)249 die Anforderungen an die Durchsetzungsfähigkeit und damit die Tariffähigkeit tendenziell gesenkt.250 241 s. auch I. Schmidt, FS Richardi, S. 765 (769) sowie jüngst Deinert, NZA 2009, 1176 (1181); Waltermann, NZA 2010, 482 (487). 242 Wiedemann/Oetker, § 2 Rn. 405; s. auch MüArbR/Rieble/Klumpp, § 164 Rn. 13 zur „grundrechtsbezogenen Sensibilität“ bei der Bestimmung der Mächtigkeitsanforderungen; vgl. jetzt außerdem Greiner, Rechtsfragen, S. 217 f. 243 Vgl. Wank, RdA 2008, 257 (267 f., 272); s. zuletzt auch Deinert, NZA 2009, 1176 (1176, 1179 f.); Zachert, FS Bauer, S. 1195 ff. 244 P. Hanau, NZA 2003, 128 (132); s. auch jüngst dens., FS Bauer, S. 385. 245 Zur historisch umgekehrten Chronologie s. o. Fn. 124. 246 Buchner, Anm. zu BAG 14. 12. 2004 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1, unter 1. c) bb). 247 Buchner, Anm. zu BAG 14. 12. 2004 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1, unter 2. a). 248 BAG 14. 12. 2004 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1 (Buchner). 249 BAG 28. 3. 2006 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 4 (Henssler/Heiden). 250 F. Bayreuther, BB 2005, 2633 (2634); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 130 (138); Thüsing/F. Bayreuther, AEntG, § 7 AEntG Rn. 25 und § 8 AEntG Rn. 55; Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (142); Berg/Platow/ Schoof/Unterhinninghofen, Einl. Rn. 44a sowie § 2 TVG Rn. 5, 20a und § 4 Rn. 42a, 52b, 56a, 57c; Buchner, Anm. zu BAG 14. 12. 2004 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1, unter 1. c) bb), 2. a); ErfK/Franzen, § 2 TVG Rn. 12; Greiner, Anm. zu BAG 28. 3.
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So sehr diese Tendenz im Ausgangspunkt zu begrüßen ist251, so deutlich muss doch – gerade, aber nicht nur von einem Rechtsverständnis aus, das Tarifpluralitäten als Ausdruck zulässigen Koalitionspluralismus akzeptiert – vor einer weitgehenden Aufweichung des Mächtigkeitskriteriums etwa durch seine Zurücknahme auf eine nachträgliche Missbrauchskontrolle252 gewarnt werden.253 Überdenken muss das BAG insbesondere die Bejahung der mächtigkeitsindizierenden Wirkung von Anschlusstarifverträgen254, denn aus ihnen kann kaum auf eine hinreichende Durchsetzungsfähigkeit geschlossen werden.255 Auch Befürchtungen, der durch die Freigabe von Tarifpluralitäten geförderte Wettbewerb der Koalitionen und Tarifverträge könne auch solche Arbeitnehmervereinigungen begünstigen, die sich an Konzepten und Forderungen der Arbeitgeberseite orientieren256, kann mit dem recht verstandenen Mächtigkeitserfordernis begegnet werden. Mit „Tarifdiktaten“ der Arbeitgeberseite kann eine Arbeitnehmervereinigung schon nach der Rechtsprechung des BAG ihre soziale Mächtigkeit und damit ihre Tariffähigkeit nicht belegen257, richtigerweise gilt
2006 EzA TVG § 2 Nr. 28, S. 32 und passim; ders., NZA 2007, 1023 (1024); Zöllner/ Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 35 I. 2. a), S. 359 f.; Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (109); Preis/Greiner, NZA 2007, 1073 (1077); dies., ZfA 2009, 825 (825 f., 841); Reuter, SchlHA 2007, 413 (415); Rieble, SAE 2006, 89 (89 f.); ders., Anm. zu BAG 19. 9. 2006 RdA 2008, 35; s. auch Koop, Tarifvertragssystem, S. 339; zuletzt Loritz, FS Buchner, S. 582 (583 f., 587) sowie Greiner, Rechtsfragen, S. 5, 179 f., 188, 200, 202, 211, 218, 224 ff., 228, 231, 236, 239. 251 Wank, RdA 2008, 257 (268); außerdem etwa Preis/Greiner, ZfA 2009, 825 (825 f., 841). 252 Dafür Henssler, Soziale Mächtigkeit, S. 54 f., 56 ff.; s. auch F. Bayreuther, BB 2005, 2633 (2637), aber jetzt auch dens., FS Buchner, S. 41 (52) sowie dens., NJW 2009, 2006 (2008) und Thüsing/F. Bayreuther, AEntG, § 8 AEntG Rn. 55; ferner schon Zeuner, FS 25 Jahre BAG, S. 727 (732); zur Kritik Wank, RdA 2008, 257 (264). 253 s. auch Thüsing, ZfA 2008, 590 (637), nach dem viel dafür spricht, die zuletzt eher großzügige Rechtsprechung zur Anerkennung der Tariffähigkeit noch einmal zu überdenken (kritisch zu ihm allerdings Preis/Greiner, ZfA 2009, 825 [841, dort Fn. 90]); Zachert, DRiZ 2007, 341; dens., Mitbestimmung 4/2008, S. 16 (17); neuerdings auch F. Bayreuther, FS Buchner, S. 41 (52) unter vorsichtigem Abrücken von früheren Veröffentlichungen (BB 2005, 2633 ff.); s. auch dens., NJW 2009, 2006 (2008) und Thüsing/F. Bayreuther, AEntG, § 8 AEntG Rn. 55 sowie Deinert, NZA 2009, 1176 (1176, 1179 f.); Zachert, FS Bauer, S. 1195 ff. 254 Vgl. BAG 28. 3. 2006 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 4 (Henssler/Heiden), Rn. 72, 82 des Beschlusses. 255 Näher F. Bayreuther, BB 2005, 2633 (2635); Kempen/Zachert/Kempen, Grundl. Rn. 93 und § 2 Rn. 45 f.; Wank, RdA 2008, 257 (269 f.); zurückhaltend hinsichtlich der mächtigkeitsindizierenden Wirkung von Anschlusstarifverträgen auch LAG BadenWürttemberg 1. 10. 2004 NZA-RR 2005, 85 (87); Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 2 TVG Rn. 19. 256 Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 58b; vgl. jüngst auch Deinert, NZA 2009, 1176 (1177 ff.); Dieterich, GS Zachert, S. 532 ff.; Zachert, FS Bauer, S. 1195 ff. 257 BAG 28. 3. 2006 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 4 (Henssler/Heiden), Rn. 66.
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das Gleiche für alle Tarifverträge, denen kein echter Interessengegensatz der Tarifvertragsparteien zugrunde liegt, sondern die auf gleichläufigen Interessen der Vertragsparteien beruhen.258 Werden die Anforderungen an die soziale Mächtigkeit einer Arbeitnehmervereinigung in diesem Sinne auf einem mittleren Niveau259 eingependelt, dann besteht unter dem Gesichtspunkt der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems keine Veranlassung, Tarifeinheit bei Tarifpluralität herzustellen. Der von Kempen eingeschlagene Weg, „Angemessenheit durch Vereinheitlichung“ herzustellen, erweist sich als unnötiger „Umweg“. (b) Die vorrangige Kompetenz der Arbeitnehmer zur Auswahl der für ihr Arbeitsverhältnis „angemessenen“ (tariflichen) Arbeitsbedingungen In letzter Konsequenz führt die Tarifeinheit am Ziel der Sicherung angemessener tariflicher Arbeitsbedingungen vorbei. Zwar begünstigt sie – zumal, wenn man zur Kollisionslösung weithin nicht das Spezialitäts-, sondern das Quantitätskriterium heranzieht260 – in der Tendenz die (großen DGB-)Branchengewerkschaften, deren Tarifverträge in der Regel für ausgewogene Arbeitsbedingungen bürgen.261 Aber wegen ihrer nur rechtsverdrängenden, nicht rechtsbegründenden Wirkung führt die Tarifeinheit im Betrieb nicht etwa dazu, dass mehr Arbeitnehmer in den Genuss dieser Arbeitsbedingungen kommen; die Tarifeinheit im Betrieb hat nicht zur Folge, dass alle Arbeitnehmer des Betriebes ungeachtet ihrer Tarifgebundenheit den Arbeitsbedingungen des aus der Tarifkollision als vorrangig hervorgehenden Tarifvertrages unterworfen werden. Vielmehr wirft sie die anders Organisierten auf den Status von nicht Organisierten, mithin auf den Arbeitsvertrag zurück, und die Vereinbarung einer arbeitsvertraglichen Gleichstellungsabrede (Bezugnahme auf den Tarifvertrag) liegt faktisch im Belieben des Arbeitgebers. Auch wenn man aber bei der Beurteilung der Tarifeinheit im Betrieb die verbreitete Praxis der arbeitsvertraglichen Bezugnahme als tatsächliche Gegebenheit ins Kalkül zieht, so ist es doch aus der Warte des Ziels angemessener Arbeitsbedingungen eine unerträgliche Wissensanmaßung, den Arbeitnehmern zu ok258 Dazu Wank, RdA 2008, 257 (268 f., 272); Anwendungsfälle aus der Praxis sind die von der sog. Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste (GNBZ) geschlossenen Tarifverträge (zu deren fehlender Tariffähigkeit ArbG Köln 30. 10. 2008 AuR 2009, 100) und die christlichen Leiharbeitstarifverträge (dazu jetzt ArbG Berlin 1. 4. 2009 BB 2009, 1477, aber auch Franzen, BB 2009, 1472 ff., insbesondere S. 1474 ff.); zum Ganzen jetzt auch Deinert, NZA 2009, 1176 (1177 ff.). 259 Vgl. Wank, RdA 2008, 257 (270). 260 Dafür Kempen, FS Hromadka, S. 177 (186 f.). 261 s. o. B. II. 4. c) bb) (2).
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troyieren, welchen Tarifvertrag (nämlich: den der Branchengewerkschaft) sie für den ihrem Arbeitsverhältnis angemessenen zu halten haben. Das negiert die gesamte tatsächliche Entwicklung der Verbandslandschaft der letzten Jahre (Mitgliederschwund der großen Gewerkschaften, Gründung neuer Koalitionen, Aufkündigung früherer Tarifgemeinschaften), die doch offensichtlich ein Bedürfnis innerhalb der Arbeitnehmerschaft nach mehr Vielfalt abbildet262.263 Was – innerhalb des Reservoirs der von tariffähigen, d. h. durchsetzungsstarken, der Arbeitgeberseite ebenbürtigen Verhandlungspartnern vereinbarten Arbeitsbedingungen – „angemessen“ ist, hat jeder Arbeitnehmer das Recht, durch seine Entscheidung für den Beitritt zu einer bestimmten Gewerkschaft selbst zu beurteilen. Legitim ist – aufgrund des von Kempen beschriebenen dysfunktionalen Verhaltens der Arbeitnehmer am Arbeitsmarkt – allein die Begrenzung der Auswahl durch Reduzierung des Kreises potentieller „Erzeuger“ der Arbeitsbedingungen auf solche Verbände, die Gewähr für eine ausgewogene Verhandlungssituation bieten. Alles Weitere läuft auf die Vorstellung einer (betrieblichen) Einheitsgewerkschaft hinaus, darauf, die anders organisierten Arbeitnehmer faktisch in die „obsiegende“ Gewerkschaft zu treiben.264 Das angesprochene, sich in den tatsächlichen Entwicklungen der Verbandslandschaft der letzten Jahre widerspiegelnde Bedürfnis innerhalb der Arbeitnehmerschaft nach mehr Vielfalt265 wird auch von Giesen nicht richtig eingeordnet, 262 s. dazu – in der tatsächlichen Einschätzung zutreffend – auch Berg/Platow/ Schoof/Unterhinninghofen, Einl. Rn. 42: „Lebensstile, Bedürfnisse und Wertorientierungen von Beschäftigten werden vielfältiger, die Einstellung zur Arbeit differenzierter.“; s. auch Wendeling-Schröder, RdA 1999, 138 (145) zur „Ausdifferenzierung der Lebensstile“; aus der Perspektive der IG BCE Vassiliadis, Industrielle Beziehungen 2008, 411 (412); des Weiteren Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 2 f.: Entsolidarisierung; Deinert, NZA 2009, 1176; Dieterich, KJ 2008, 71 (75): Eine verbindende und verbindliche Gewerkschaftsideologie gebe es kaum noch; Rieble, SAE 2006, 89: Flucht aus den Gewerkschaften als Zeichen (auch) zunehmender Individualisierung; Schliemann, FS Bauer, S. 923 (930); Zachert, FS Bauer, S. 1195 (1196); Greiner, Rechtsfragen, S. 44, 46; s. auch im Kontext der Kontroverse um eine Neuinterpretation des Günstigkeitsprinzips Kempen/Zachert/Zachert, § 4 Rn. 294. 263 Im hiesigen Sinne Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 76: Durch den Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität werden die inhaltlichen Unterschiede der jeweiligen Tarifverträge und die darin zum Ausdruck kommenden Unterschiede in der Auswahlentscheidung der Arbeitnehmer in einer die Richtigkeitsgewähr der Tarifgeltung beeinträchtigenden Weise nivelliert. 264 Ähnliche Kritik an Kempen nunmehr bei Dieterich, GS Zachert, S. 532 (541); s. auch die Darstellung der Position Kempens zum Gewerkschaftspluralismus bei Schroeder, Mitbestimmung 4/2008, S. 10 (14). – Im Lichte der hiesigen Kritik müssen auch die Ausführungen von Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (110 ff.) betrachtet werden. Kritisch zu Tendenzen der Vereinheitlichung der Gewerkschaftslandschaft und der Benachteiligung von Arbeitnehmern, die sich bewusst kleineren, spezifischen Organisationen angeschlossen haben, in anderem Zusammenhang auch Thüsing, ZfA 2008, 590 (637 f.). 265 s. dazu auch Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (116 f.) und jetzt dens., AuR 2010, 234 (239).
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der sein Plädoyer für die Beibehaltung des Grundsatzes der Tarifeinheit mit der Überlegung einleitet, dass die Zersplitterung der Arbeitnehmerinteressen im Betrieb den sozialpolitischen und ökonomischen Zielen von Koalitionsfreiheit und Tarifvertragssystem zuwider laufen würde.266 Die Freigabe der Tarifpluralität führt aber nicht zur Zersplitterung der Arbeitnehmerinteressen im Betrieb, sondern ist vielmehr Reaktion auf eine bereits stattgefundene – und durch das bisherige Tarifeinheitsdogma nicht verhinderte – Diversifizierung arbeitnehmerischer Interessen.267 Diese Diversifizierung ist, anders als Giesen – wie schon die Verwendung des negativ konnotierten Begriffs der „Zersplitterung“ und seine weiteren Ausführungen besonders zum „Verlust des sozialen Friedens innerhalb der Belegschaften“268 zeigen – meint, kein zu bekämpfendes Übel, sondern von einer freiheitlichen und modernen Rechtsordnung zu akzeptieren und in ihre ordnenden Strukturen einzubetten, nicht aber zu negieren.269 Nicht die Aufspaltung von Verbandsinteressen bewirkt die Aufspaltung von Belegschaftsinteressen270, sondern umgekehrt erzwingt die Diversifizierung der Belegschaftsinteressen eine entsprechende Auffächerung der Verbands- und ihr folgend der Tariflandschaft.271 Diese durch heteronome Herstellung von Tarifeinheit im Wege der Tarifverdrängung zu unterdrücken, stellt nichts anderes als eine „Zwangssolidarisierung“ der Belegschaften dar272, die durch die Annahme einer zwingenden tarifvertrags- und arbeitskampfrechtlichen Belegschaftseinheit273 nicht gerechtfertigt ist; denn einen zwingenden Grundsatz der arbeitskampfrechtlichen Einheit der Belegschaft gibt es nicht274, und eine tarifvertragsrechtliche Belegschaftseinheit im Sinne des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb gibt es nach der Rechtsprechungsänderung des BAG auch nicht mehr, es bedarf ihrer auch nicht, weil sich, was durch die Untersuchung verifiziert werden soll, auch eine Tarifpluralität stimmig in das System der Arbeitsrechtsordnung einpassen lässt. Der Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität als richterrechtliche Regel musste daher 266
Giesen, NZA 2009, 11. Nicht überzeugend daher auch Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (111). 268 Giesen, NZA 2009, 11 (15 f.). 269 Dass man das Ganze – Neuentstehung und selbstbewussteres Auftreten konkurrierender Gewerkschaften bei Zulassung von Tarifpluralität, mehr Wahlmöglichkeiten der Arbeitnehmer – auch positiv sehen kann, zeigen Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (514). 270 So aber Giesen, NZA 2009, 11 (15). 271 Ursache und Wirkung vertauschend auch Sunnus, AuR 2008, 1 (6): Das Agieren sog. Funktionseliten und Spartenorganisationen trage zur Spaltung der Arbeitnehmer bei; der gleiche Fehler unterläuft Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 42b, 55 und jüngst v. Steinau-Steinrück/Brugger, NZA Beilage 3/2010, S. 127 (129). 272 So auch Giesen, NZA 2009, 11 (17), der die Unterschiedlichkeit der Interessen innerhalb der Belegschaft als Faktum ebenfalls anerkennt. 273 Giesen, NZA 2009, 11 (16). 274 Dies wird unten in Teil 5, unter B. III. 3. c) ee) im Zusammenhang dargelegt. 267
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der „formlosen Kassation kraft besserer Einsicht“ zum Opfer fallen.275 Er sollte auch, wie sich durch die herausgearbeiteten Argumente – keine weitere Negation des innerhalb der Arbeitnehmerschaft gewachsenen Bedürfnisses nach mehr Vielfalt, keine Schaffung faktischer betrieblicher Einheitsgewerkschaften durch Zwangssolidarisierung – bereits an dieser Stelle gezeigt hat und wie es die weiteren Darlegungen zur Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung bekräftigen werden, trotz des dahingehenden Drucks von DGB und BDA nicht durch den Gesetzgeber wiederbelebt werden. Dies wird in der Schlussbemerkung am Ende der Arbeit nochmals resümierend aufzugreifen sein.
C. Ergebnis und Ausblick auf die arbeitskampfrechtliche Problematik I. Ergebnis Ein funktionales Verständnis der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG muss die primär freiheitsrechtliche Dimension der grundrechtlichen Verbürgung im Auge behalten und zwischen angemessenen und betriebseinheitlichen Arbeitsbedingungen unterscheiden. Angemessene Arbeitsbedingungen kann das Tarifvertragssystem auch ohne das Prinzip der Tarifeinheit im Betrieb hervorbringen. Einheitliche Arbeitsbedingungen werden von der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie und damit von Art. 9 Abs. 3 GG nicht gefordert, soweit nicht betriebliche Fragen i. S. d. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG inmitten stehen.276 Die gedankliche Gleichsetzung von „einheitlichen tariflichen Arbeitsbedingungen“ mit „angemessenen Arbeitsbedingungen“ und „pluralen tariflichen Arbeitsbedingungen“ mit „ruinösem Unterbietungswettbewerb“ ist unzulässig und vor dem Hintergrund des Tariffähigkeitserfordernisses der sozialen Mächtigkeit realitätsfremd. Diese Gleichung und die daraus gezogene Schlussfolgerung, im Ergebnis müsse der zulässige Koalitionswettbewerb in einheitliche tarifliche Rege275 Vgl. zu dieser Formel allgemein Picker, JZ 1984, 153 (158, 161); dens., JZ 1988, 62 (73) sowie Jacobs, Tarifeinheit, Vorwort, der sie seiner Untersuchung gleichsam programmatisch voranstellte; im hiesigen Zusammenhang aufgegriffen jetzt auch von Richardi, Gem. Anm. zu BAG 27. 1. 2010 – 4 AZR 549/08 (A) – und BAG 23. 6. 2010 – 10 AS 2/10, demn. in AP, unter II. 2. Ausführliche Diskussion der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine richterrechtliche Regel aufgegeben werden kann, bei Langenbucher, Richterrecht, S. 105 ff., insbesondere S. 126 ff. zu der Frage, wann eine präjudizielle ratio decidendi als unrichtig betrachtet werden kann; in unserer Konstellation ist dies in Anbetracht der evidenten verfassungsrechtlichen Bedenken, die gegen eine Tarifverdrängung sprechen, jedenfalls dann der Fall, wenn sich die Tarifpluralität stimmig in das System der Arbeitsrechtsordnung einpassen lässt; s. allgemein neben Picker und Langenbucher auch F. Bydlinski, JZ 1985, 149 (153 ff.); Ipsen, Richterrecht, S. 153 f.; Wank, Rechtsfortbildung, S. 35 ff., 203 f. 276 Dazu unten Teil 3, Kapitel 2.
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lungen auf Betriebsebene münden, schießen über die Funktion des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG hinaus. Die Lösung des Spannungsverhältnisses zwischen subjektiver grundrechtlicher Freiheitsgewährleistung auf der einen und den Anforderungen an ein funktionsfähiges Tarifvertragssystem auf der anderen Seite kann nicht darin bestehen, die Tarifeinheit im Betrieb beizubehalten und den durch sie bewirkten Verlust subjektiver Freiheit durch eine (weitere) Aufweichung oder gar Aufgabe des Erfordernisses der sozialen Mächtigkeit zu kompensieren. Sollte sich erweisen, dass das Kriterium der sozialen Mächtigkeit nicht hinnehmbare Schutzlücken lässt, etwa, weil mit ihm Phänomenen wie den „christlichen“ Leiharbeitstarifverträgen nicht beizukommen ist277, dann ist zunächst an eine entsprechende Modifikation und Fortentwicklung der Voraussetzungen der Tariffähigkeit zu denken.278 Die Rechtsprechung des BAG zur Durchsetzungsfähigkeit war in ihrer Entwicklung seit jeher Wandlungen und Umakzentuierungen unterworfen279; das Mächtigkeitskriterium ist hinreichend flexibel, um auch neuen Herausforderungen Rechnung zu tragen. Eine entsprechende Anpassung der Mächtigkeitslehre ist gegenüber einer Lösung mittels Tarifverdrängung durch Herstellung betrieblicher Tarifeinheit vorzugswürdig.280 277 Die „Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen“ (CGZP) wird auch von Kempen, FS Hromadka, S. 177 (186) als Beispiel für die Gefahr des Unterbietungswettbewerbes angeführt. s. zu der umstrittenen Frage ihrer Tariffähigkeit jetzt LAG Berlin-Brandenburg 7. 12. 2009 AuR 2010, 172 (J. Ulber) und vorgehend ArbG Berlin 1. 4. 2009 BB 2009, 1477 (Tariffähigkeit verneinend); für Tarifunfähigkeit auch Fritz Schindele, AuR 2008, 31 (35); Schüren/Schüren, § 9 Rn. 96, 113; ders., JbArbR 41 (2004), 49 (51, 54 ff., 70); ders., RdA 2006, 303 (307); ders., FS Löwisch, S. 367 (371, 373); ders./Behrend, NZA 2003, 521 (525); ders./Riederer Freifrau von Paar, AuR 2004, 241 (243 f.); J. Ulber, § 9 Rn. 190 ff.; KDZ/Zwanziger, KSchR, §§ 3, 9 AÜG Rn. 11; zweifelnd auch Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 2 TVG Rn. 21a ff.; W. Böhm, DB 2003, 2598; zuletzt Dieterich, GS Zachert, S. 532 (542, mit Fn. 37); Zachert, FS Bauer, S. 1195 (1198, 1204). A. A. Ankersen, NZA 2003, 421 (424 f.); F. Bayreuther, NZA 2005, 341 (342); ders., BB 2005, 2633 (2638); Boemke, NZA 2004, 142 (144, mit Fn. 16); Boemke/Lembke, § 9 Rn. 130; Lembke, NZA 2007, 1333 (1334 ff.); gegen ihn Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 2 TVG Rn. 21c; D. Ulber, NZA 2008, 438 (440 ff.); s. auch ArbG Berlin 5. 2. 2008 AuR 2008, 314 (315) sowie J. Ulber, AuR 2008, 297 (298 f.); zum Ganzen jüngst auch Buntenbach, SozSich 2010, 110 f.; Franzen, BB 2009, 1472 ff.; Rolfs/Witschen, DB 2010, 1180 ff.; Waltermann, NZA 2010, 482 (487) und, für Tariffähigkeit, Jacobs, ZfA 2010, 27 (30 ff., 33 ff.); Lembke, BB 2010, 1533 (1534 f.); s. auch S. Fandel/Geisler, BB 2010, 1927 f. 278 Beachtliche Überlegungen für den Bereich der Leiharbeit bei Schüren, NZA 2008, 453 (454 ff.); ebenso J. Ulber, AuR 2008, 297 (299); ders., Anm. zu LAG BerlinBrandenburg 7. 12. 2009 AuR 2010, 174 und auch ArbG Berlin 1. 4. 2009 BB 2009, 1477, Leitsatz 3 und II. 2. c) bb) (1) der Gründe; s. auch Deinert, NZA 2009, 1176 (1179 f.); Rolfs/Witschen, DB 2010, 1180 (1181); kritisch allerdings Franzen, BB 2009, 1472 (1474 ff., insbesondere S. 1476); Jacobs, ZfA 2010, 27 (36 ff.). 279 Ausführliche Nachzeichnung der Entwicklungslinien bei Wank, RdA 2008, 257 (258 ff.) und jetzt bei Greiner, Rechtsfragen, S. 188 ff., 193 ff.
Kap. 1: Tarifpluralität und Tariffähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen
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II. Ausblick auf die arbeitskampfrechtliche Problematik 1. Von dem von Kempen in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen gerückten Argument für die betriebliche Tarifeinheit – Gefahr der erneuten Entfesselung des Unterbietungswettbewerbes – ist ein weiterer Begründungsstrang zu unterscheiden. Im Anschluss an Hromadka281 beschreibt er das Szenario permanenter Wettbewerbskämpfe, welche die von Art. 9 Abs. 3 GG intendierte Ordnung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen tendenziell ruinierten.282 Es geht hier also um die von Hromadka in Aussicht gestellte Gefahr ständiger Tarifverhandlungen und Streiks, durch welche die Unternehmen mehrmals im Jahr lahm gelegt werden könnten.283 2. Auch diese Probleme aber kann man, was hier nur anzudeuten ist, in den Griff bekommen, ohne zu der „Tabula rasa-Lösung“284 der Herstellung von Tarifeinheit im Betrieb durch Tarifverdrängung zu greifen; es braucht dafür allerdings Korrekturen im Arbeitskampfrecht. Zutreffend nochmals Bayreuther: „Das alles ist aber eine (lösbare) Frage des Arbeitskampf- und nicht des Tarifrechts.“285 Dass der 4. Senat des BAG dies jetzt genauso sieht, wurde bereits dargestellt.286 Die erforderlichen arbeitskampfrechtlichen Korrekturen sind in der vorliegenden Arbeit in Teil 5 beschrieben. 3. Gegen ein solches Vorgehen – Freigabe der Tarifpluralität, aber zugleich Einpassung der veränderten tarifkollisionsrechtlichen Ausgangslage in das System der Arbeitsrechtsordnung durch Vornahme der notwendigen Korrekturen und 280 Zu einem Lösungsansatz auf der Ebene der Tarifzuständigkeit s. Ricken, Autonomie, S. 133 ff., insbesondere S. 149, 153, 162 ff., nach dem die Tarifzuständigkeit einer Gewerkschaft eine hinreichende, sich in einem entsprechenden Organisationsgrad ausdrückende mitgliedschaftliche Legitimation im Geltungsbereich des jeweiligen Tarifvertrages voraussetzt. Da es nun aber in der Leiharbeitsbranche kaum gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer gibt (s. nur ErfK/Wank, § 3 AÜG Rn. 22), wären nach Ricken die Tarifverträge der Leiharbeitsbranche (in ihren normativen Teilen) wegen fehlender gewerkschaftlicher Tarifzuständigkeit unwirksam, s. auch Ricken, a. a. O., S. 166, dort Fn. 770; zur Kritik am Konzept Rickens s. Henssler, Soziale Mächtigkeit, S. 71 ff.; Junker, ZfA 2007, 229 (237 ff.); Krause, NZA 2008, 401; Richardi, RdA 2008, 252 (253); zuletzt Lobinger, ZfA 2009, 319 (418); Greiner, Rechtsfragen, S. 187. 281 Hromadka, GS Heinze, S. 383 (389, 393 f.); s. auch dens., NZA 2008, 384 (387 ff.). 282 Kempen, FS Hromadka, S. 177 (185 f.); s. auch schon dens., FS 50 Jahre BAG, S. 733 (740 f., 746) sowie Dunker, Unternehmensbezogene Tarifverträge, S. 203. 283 Hromadka, GS Heinze, S. 383 (389, 393 f.). 284 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1505. 285 F. Bayreuther, in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 130 (137); ebenso ders., NZA 2007, 187 (189); s. auch dens., BB 2005, 2633 (2637) und die weiteren Nachweise oben Fn. 222. 286 s. o. B. II. 4. c) bb) (1) (b) und nochmals BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) dd) (2) (c) (aa) der Gründe, Rn. 71 f. des Beschlusses; im Grundsatz zustimmend H. Otto, RdA 2010, 135 (146 f.); kritisch Hromadka/Schmitt-Rolfes, NZA 2010, 687 (689 f.).
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
Anpassungen auch im Arbeitskampfrecht – kann entgegen Giesen nicht eingewandt werden, dass damit der mit der Aufgabe der Tarifeinheit (vermeintlich) erzielte Zuwachs an effektiver grundrechtlicher Freiheit sogleich auf arbeitskampfrechtlicher Ebene wieder zunichte gemacht und indirekt wieder nur die Rechtfertigung für die Tarifeinheit im Betrieb geliefert würde.287 Der damit erhobene Vorwurf der Inkonsequenz288 greift nicht durch, da mit dem grundsätzlichen Votum für die Tarifpluralität über den Umfang des Streikrechts der in einem Betrieb konkurrierenden Gewerkschaften noch nicht entschieden ist.289 Auch wenn man einsehen muss, dass, anders als in früheren Jahren vielleicht noch angenommen290, die betriebliche Tarifeinheit nicht en passant durch eine „reine Lehre“ der Tarifpluralität 291 – und damit auch der Arbeitskampfpluralität292 – ersetzt werden kann, darf dies doch keinen Anlass bilden, das Pendel wieder in Richtung des anderen Extrems in Gestalt der „Tabula rasa-Lösung“ der von Rechts wegen erzwungenen Tarifeinheit zurückschlagen zu lassen. Fehlgehend daher auch Sunnus: Restriktionen im Arbeitskampfrecht als Reaktion auf die Zulassung von Tarifpluralitäten seien problematisch. Dadurch würden die Freiheitstendenzen bei der Pluralität entwertet. Wenn man die Tarifpluralität befürworte, müsse man auch konsequent sein. Wie Giesen spricht sich Sunnus für die Beibehaltung der Tarifeinheit aus.293 – Das ist eine schiefe Sicht: Man kann nicht auf der einen Seite unter Hinweis auf vermeintlich unüberwindbare rechtliche und praktische Schwierigkeiten etwa im Arbeitskampf gegen die Freigabe der Tarifpluralität protestieren, dann aber, wenn von der Gegenmeinung zielgerichtete Lösungen der reklamierten Probleme, eben etwa durch Neubewertungen im Arbeitskampfrecht, versucht werden – was liegt näher? –, dies als inkonsequent geißeln. 287
So aber Giesen, NZA 2009, 11 (17 f.). Erhoben auch von Sunnus bei Kalb, RdA 2007, 379 (381); in der Tendenz auch Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, AKR Rn. 74g. 289 Vgl. P. Hanau, in: FAZ vom 2. 5. 2003, S. 12; s. auch Jacobs, NZA 2008, 325 (330). 290 Dazu, dass sich ein Bewusstsein für die mit einer Aufgabe des Prinzips der Tarifeinheit im Betrieb einhergehende Notwendigkeit, die rechtlichen und praktischen Folgen einer realisierten Tarifpluralität im Betrieb zu durchdringen und praktikable sowie rechtsdogmatisch stimmige Problemlösungen zu erarbeiten, kurz: die Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung einzupassen, erst in jüngerer Zeit herauszubilden beginnt, s. die in den Untersuchungsgegenstand einführenden Bemerkungen oben Teil 1, Kapitel 1, unter B. sowie aus Sicht der Praxis W. Bayreuther, FS Hromadka, S. 1 (2 f.). 291 Oder, mit anderen Worten, durch das „Maximum der grundrechtlich verbürgten Freiheit“, vgl. F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 390; mit Recht gegen eine Haltung, die aus Prinzipientreue an der reinen Lehre der Tarifpluralität festhält, auch Scheele, NZA Beilage 1/2010, S. 3 (5). 292 Zum Zusammenhang von Tarif- und Arbeitskampfpluralität s. vorerst nur P. Hanau, RdA 2008, 98 (99, 103 f.). 293 Sunnus, bei Kalb, RdA 2007, 379 (381). 288
Kap. 1: Tarifpluralität und Tariffähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen
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Vielmehr gilt die von Peter Hanau formulierte Maßgabe: „So viel Tarif- und Arbeitskampfeinheit wie nötig, so viel Tarif- und Arbeitskampfpluralität wie möglich“294, oder, in einer die Prioritäten – das BVerfG sieht in der Koalitionsfreiheit „in erster Linie ein Freiheitsrecht“295 – verdeutlichenden Reihenfolge: So viel Freiheit (und damit – potentielle – Vielfalt) wie möglich, so viel Einheit wie (zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems) nötig. Entgegen Giesen stellt daher der Verweis auf arbeitskampfrechtliche Korrekturen nicht eine Bestätigung des Prinzips der einheitlichen Erfassung von Belegschaften im Betrieb dar.296 Vielmehr ist – unabhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung – eine Einschränkung der Streikmöglichkeit, die zudem die Möglichkeit einer einvernehmlichen Regelung der Arbeitsbedingungen unbenommen lässt, als milderes Mittel vorzugswürdig gegenüber einem Ausschluss jeder gewerkschaftlichen Betätigungsmöglichkeit schon auf der vorgelagerten Stufe des Tarifabschlusses.297 Auch Schliemann hält es für denkbar und gegenüber der Beseitigung von Tarifpluralitäten „wohl vorzugswürdig“, auf die Tarifeinheit zu verzichten und eine Lösung zu suchen, die Streikkaskaden im selben Betrieb eindämmt.298 4. Auf dieser Linie – Hin- und Ernstnahme des Gewerkschaftspluralismus auf der Ebene des Tarifrechts bei gleichzeitigem Vorbehalt die Funktionsfähigkeit des Tarif- und Arbeitskampfsystems wahrender Korrekturen auf arbeitskampfrechtlicher Ebene – liegt auch eine Entscheidung des für das Arbeitskampfrecht zuständigen 1. Senats des BAG zur Tarifzuständigkeit299: In Abgrenzung von einer früheren Entscheidung300 und deren Interpretation in der Literatur301 stellte der Senat klar, dass die Tarifzuständigkeit einer Gewerkschaft zum Abschluss eines Haustarifvertrages sich dann nicht nach dem überwiegenden Unterneh294 P. Hanau, RdA 2008, 98 (104); s. auch dens., NZA Beilage 1/2010, S. 1; ferner jetzt auch Greiner, Rechtsfragen, S. 40, 46. 295 BVerfG 1. 3. 1979 BVerfGE 50, 290 (367); 4. 7. 1995 BVerfGE 92, 365 (393); hierauf rekurriert jetzt auch der 4. Senat des BAG in seinem Anfragebeschluss vom 27. 1. 2010, s. NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) ee) (4) (a) (bb) der Gründe, Rn. 91 des Beschlusses. 296 So Giesen, NZA 2009, 11 (17). 297 Vgl. F. Bayreuther, BB 2005, 2633 (2641). 298 Schliemann, FS Hromadka, S. 359 (378). 299 BAG 25. 9. 1996 AP TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 10; s. zu der Entscheidung auch Ricken, Autonomie, S. 65 ff., insbesondere zu dem hier interessierenden Gesichtspunkt S. 68; Hinweis auf diese Entscheidung im Zusammenhang mit der Diskussion der arbeitskampfrechtlichen Folgen des Endes der Tarifeinheit, allerdings lediglich zum Zwecke der Problembeschreibung, bei Franzen, RdA 2008, 193 (201, Fn. 102); allgemein zur Einordnung der Entscheidung unter tarifkollisionsrechtlichen Gesichtspunkten Jacobs, Tarifeinheit, S. 71. 300 BAG 22. 11. 1988 AP TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 5. 301 Buchner, ZfA 1995, 95 (107 ff., 117 f.); weitere Nachweise bei dems., ebd., S. 118 (Fn. 31) sowie bei BAG 25. 9. 1996 AP TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 10, unter B. III. 4. b) der Gründe; s. auch Buchner, Anm. zu BAG 25. 9. 1996 und BAG 12. 11. 1996 SAE 1998, 262; Henssler, FS Schaub, S. 311 (332); Ricken, Autonomie, S. 240 f.
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
mensgegenstand richtet, wenn ein Haustarifvertrag nicht für alle Betriebe des Unternehmens abgeschlossen werden soll, sondern Tarifregelungen nur für einzelne Betriebe des Unternehmens angestrebt werden. Konkret erstreckt sich danach die Tarifzuständigkeit einer für die Metallbranche zuständigen Gewerkschaft (im Fall: IG Metall) auch auf den Abschluss von Haustarifverträgen für einzelne dem Metallbereich zuzuordnende Betriebe eines Unternehmens, das dem Schwerpunkt („Gepräge“) nach insgesamt der Chemiebranche angehört. Danach ist also zwischen Haustarifverträgen für alle Betriebe des Unternehmens – insoweit keine Tarifzuständigkeit der Metallgewerkschaft für ein Chemieunternehmen, da sich die Tarifzuständigkeit nach dem Schwerpunkt des Unternehmensgegenstandes richtet302 – und solchen Haustarifverträgen zu unterscheiden, die einen betriebsbezogenen Geltungsbereich vorsehen; im zuletzt genannten Fall ist die Tarifzuständigkeit der Metallgewerkschaft gegeben, soweit die Metallbetriebe des Chemieunternehmens in Rede stehen.303 Gegen ein solches Verständnis hatte Buchner die Gefahr einer arbeitskampfweisen Inanspruchnahme des Arbeitgeber-Unternehmers durch verschiedene Gewerkschaften ins Feld geführt; es drohten nicht mehr zumutbare arbeitskampfmäßige Konfliktlagen.304 Dem müsse entweder durch Beschränkung der Tarifzuständigkeit auf Arbeitnehmerseite auf diejenige Gewerkschaft begegnet werden, die von ihrem satzungsmäßigen Zuständigkeitsbereich her dem überwiegenden Tätigkeitsfeld des Unternehmens entspricht oder, besser noch, durch Beschränkung der Tarifzuständigkeit des einzelnen tarifschließenden Arbeitgebers305, dem die Tarifzuständigkeit nur unternehmensbezogen gemäß der überwiegenden wirtschaftlichen Zielsetzung seines Unternehmens zuzugestehen sei mit der Folge, dass er Tarifverträge nur mit der Gewerkschaft abschließen könne, die von ihrem satzungsmäßigen Zuständigkeitsbereich her der überwiegenden Unternehmenstätigkeit entspricht.306 302
s. auch Wiedemann/Oetker, § 2 Rn. 68 m.w. N. BAG 25. 9. 1996 AP TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 10, unter B. III. 4. b) der Gründe; bestätigt durch BAG 12. 11. 1996 AP TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 11, unter D. 1. c) der Gründe m. insoweit zust. Anm. Oetker, unter II. 1. c); zustimmend auch Jacobs, Tarifeinheit, S. 225 f.; Konzen, FS Kraft, S. 291 (307 f.); Wiedemann/Oetker, § 2 Rn. 69 m.w. N.; JKO/Oetker, § 3 Rn. 32; s. jetzt auch Greiner, Rechtsfragen, S. 214 (Fn. 223); ablehnend ErfK/Franzen, § 2 TVG Rn. 37; Heinze, DB 1997, 2122 ff.; Henssler, ZfA 1998, 517 (521 ff.); ders., FS Schaub, S. 311 (332 f.). 304 Buchner, ZfA 1995, 95 (110, 115 ff., 121); ebenso Henssler, ZfA 1998, 517 (533). 305 Mit einem ähnlichen Vorschlag – Möglichkeit des einzelnen Arbeitgebers, über seine Tarifzuständigkeit zu disponieren – jüngst Feudner, BB 2007, 2459 (2461 f.); so bereits Heinze, DB 1997, 2122 (2123 f.); Henssler, ZfA 1998, 517 (521 ff.) und, umfassend begründet mit dem Grundsatz der Verhandlungsparität sowie der Privat-(Unternehmens-)Autonomie des Arbeitgebers, Ricken, Autonomie, S. 227 ff.; ablehnend Jacobs, Tarifeinheit, S. 225 f.; Wiedemann/Oetker, § 2 Rn. 63, 69, jeweils m.w. N.; JKO/ Oetker, § 3 Rn. 32; s. auch Konzen, FS Kraft, S. 291 (308) und zum Vorschlag Feudners jüngst Lobinger, ZfA 2009, 319 (422). 303
Kap. 1: Tarifpluralität und Tariffähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen
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Der 1. Senat wies die Argumentation Buchners als nicht überzeugend zurück.307 Einschränkungen der Tarifzuständigkeit ließen sich auf diese Weise nicht begründen. „Einer unzumutbaren Belastung durch Kampfmaßnahmen konkurrierender Gewerkschaften“, so der Senat, „wäre im übrigen vorrangig durch entsprechende Anpassung der arbeitskampfrechtlichen Grundsätze zu begegnen.“308 Auch hier also: Pluralität auf tarifrechtlicher Ebene309, Lösung sich daraus etwa ergebender arbeitskampfrechtlicher Folgeprobleme auf arbeitskampfrechtlicher Ebene.310 Die Tarifautonomie, die auch die Funktion hat, Arbeitsfrieden herzustellen und so die zeitweise ungestörte Verfolgung der Betriebszwecke zu ermöglichen, wird eben nicht schon durch die Geltung unterschiedlicher Tarifverträge im Betrieb gestört, wohl aber durch permanent stattfindende oder wenigstens drohende Arbeitskämpfe, die zu einem Dauerstreit um die Arbeitsbedingungen führen können.311 Nicht schon bei der Tarifgeltung, wohl aber auf der arbeitskampfrechtlichen Ebene anzusetzen, ist daher mitnichten inkonsequent, sondern liegt in der Konsequenz des Bemühens um die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie und des für deren Funktionieren unerlässlichen austarierten Verhältnisses zwischen grundrechtlicher Freiheit einerseits und dem diese Freiheit einbettenden objektiven Ordnungsrahmen andererseits im Sinne optimierender Rechts- und Güterzuordnung.312 Dadurch wird ein schonender 306 Buchner, ZfA 1995, 95 (116 ff., 121); ders., Anm. zu BAG 25. 9. 1996 und BAG 12. 11. 1996 SAE 1998, 262 (263); s. auch die Darstellung bei Ricken, Autonomie, S. 208 ff. 307 Ablehnend auch H. Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 6 Rn. 19 (dort Fn. 52). 308 BAG 25. 9. 1996 AP TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 10, unter B. III. 4. b) der Gründe; zustimmend Jacobs, Tarifeinheit, S. 226; Konzen, FS Kraft, S. 291 (315 f.); s. auch dens., SAE 2008, 1 (8); H. Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 6 Rn. 19 (mit Fn. 59). 309 Nach dem Verständnis des 1. Senats allerdings nur bei der Frage der Tarifzuständigkeit als Vorfrage möglicher Tarifpluralitäten; hinsichtlich der Tarifgeltung rüttelt die Entscheidung nicht an der überkommenen tarifeinheitlichen Doktrin, s. BAG 25. 9. 1996 AP TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 10, unter B. III. 4. b) der Gründe: „Bei Doppelzuständigkeiten richtet sich das maßgebende Tarifrecht nach den Grundsätzen der Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität“ (es folgt ein Verweis u. a. auf die Leitentscheidung zur Tarifeinheit bei Tarifpluralität BAG 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20 [P. Hanau/Kania]). 310 Hinweis auf diese BAG-Entscheidung im Kontext der Tarifpluralitätsdebatte jetzt auch bei Jacobs, FS Buchner, S. 342 (346, Fn. 27). 311 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (264 f.). 312 s. allgemein K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 317 f.; für die gegebene Konstellation Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (269 f.); s. auch Wank, FS ZVKBau, S. 141 (157): Es muss abgewogen werden zwischen den Grundrechten von Koalitionen und Arbeitnehmern einerseits und der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems andererseits; Greiner, Rechtsfragen, S. 65, 134 ff., insb. S. 137 f. zur Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems.
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
Ausgleich gegenläufiger schutzwürdiger Positionen und Prinzipien im Sinne praktischer Konkordanz313 realisiert, was der Verfassungs-314, aber eben auch der Lebenswirklichkeit315 allemal näher kommt als das überkommene Konzept der Tarifverdrängung.
313 s. zu diesem Ansatz auch F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 40 f.; P. Hanau, RdA 2008, 98 (98, 101). An das Erfordernis der Herstellung praktischer Konkordanz anknüpfend – mit anderem Ergebnis – auch Buchner, BB 2003, 2121 (2122); allgemein dazu K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 72, 317 ff. 314 Zur Bedeutung der Verfassungswirklichkeit für die grundgesetzliche Arbeitsverfassung s. allgemein Scholz, DB 1972, 1771 (1774 f.). 315 Berufung auf Verfassungs- und Lebenswirklichkeit unter umgekehrten Vorzeichen bei W. Bayreuther, FS Hromadka, S. 1 (2).
Kap. 2: Abgrenzung von Betriebs- und Inhaltsnormen
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Kapitel 2
Abgrenzung von Betriebs- und Inhaltsnormen A. Einführung I. Abgrenzungsschwierigkeiten als Argument für die Tarifeinheit im Betrieb Zu den praktischen, seiner Einschätzung nach kaum lösbaren Schwierigkeiten, die sich bei einem Nebeneinander mehrerer Tarifverträge in einem Betrieb ergäben und mit denen es die Herstellung von Tarifeinheit im Betrieb durch Tarifverdrängung rechtfertigte, zählte das BAG bislang die bei einer Freigabe von Tarifpluralitäten erforderlich werdende Abgrenzung von Betriebs- und Inhaltsnormen. Sei ein Arbeitgeber an zwei Tarifverträge gebunden, so müsse wegen § 3 Abs. 2 TVG jedenfalls für die betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Normen entschieden werden, welcher von beiden Tarifverträgen im Betrieb Anwendung finden solle. Eine Abgrenzung zwischen (für den ganzen Betrieb geltenden) Betriebsnormen und (nur für tarifgebundene Arbeitsverhältnisse geltenden) Inhaltsnormen bereite oft tatsächliche Schwierigkeiten, zumal auch hier Überschneidungen möglich seien. Deshalb sei allein die betriebseinheitliche Anwendung des spezielleren Tarifvertrags geeignet, tatsächliche Schwierigkeiten bei der Anwendung mehrerer Tarifverträge in einem Betrieb zu vermeiden.1 Den größeren Teil der Rechtslehre vermochte das BAG auch mit diesem Argument nicht von seiner Haltung zur Tarifpluralität zu überzeugen.2 Es sei nicht einzusehen, dass Inhaltsnormen, die gemäß § 3 Abs. 1 TVG im Arbeitsverhältnis anwendbar seien, nur aufgrund einer bestehenden Konkurrenzlage im Bereich der Betriebsnormen verdrängt werden sollten.3 Mit Schwierigkeiten bei der Abgrenzung von Inhalts- und Betriebsnormen könne nicht argumentiert werden, da die Trennung der beiden Normbereiche im Gesetz bereits angelegt sei.4 Eine Ab1 BAG 5. 9. 1990 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 19; 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20 (P. Hanau/Kania), unter B. II. 2. a) der Gründe; s. auch schon BAG 14. 6. 1989 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 16 (Wiedemann/Arnold). 2 Ablehnend neben den in den folgenden Fußnoten Genannten auch Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 54; Salje, Anm. zu BAG 20. 3. 1991 SAE 1993, 79 (80); E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 303 f.; kritisch insoweit selbst Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1 (6). Dem BAG zustimmend aber Brocker, NZA Beilage 3/2010, S. 121 (124); Giesen, NZA 2009, 11 (13); Göhner, FS Bauer, S. 351 (360 f.); Hromadka, GS Heinze, S. 383 (388); Wallisch, FS Löwisch, S. 427 (441 f.); s. auch Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, Rn. 577; Meyer, NZA 2006, 1387 (1390 f.). Aus verfassungsrechtlicher Sicht kritisch zum BAG jüngst Engels, RdA 2008, 331 (335). 3 Merten, BB 1993, 572 (574). 4 Band, Tarifkonkurrenz, S. 106; Jacobs, Tarifeinheit, S. 402 f.; Merten, BB 1993, 572 (574); Wiedemann/Arnold, ZTR 1994, 443 (445 f.); s. auch A. Lindemann/Simon, BB 2006, 1852 (1856); Waas, Tarifkonkurrenz, S. 122; Wendeling-Schröder, Anm. zu
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
grenzung sei schon aufgrund der unterschiedlichen Geltungsvoraussetzungen – beiderseitige Tarifgebundenheit nach §§ 4 Abs. 1 Satz 1, 3 Abs. 1 TVG einerseits, alleinige Tarifbindung des Arbeitgebers gemäß §§ 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG andererseits – unentbehrlich.5 Sie sei selbst nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG erforderlich, weil Außenseiter, deren Tarif nach dem Prinzip der Tarifeinheit im Betrieb verdrängt werde, ihren tariflichen Schutz nur in Bezug auf Individualnormen verlören.6 Der Schutz tariflicher Außenseiter mute dem Rechtsanwender die bei der Abgrenzung entstehenden Schwierigkeiten zu.7 Wenn Betriebsnormen sich oft schwer von den Inhaltsnormen abgrenzen ließen, seien die Abgrenzungskriterien zu verbessern; die Notwendigkeit, Tarifeinheit im Betrieb herzustellen, lasse sich daraus nicht schlüssig ableiten.8 Abgrenzungsschwierigkeiten rechtfertigten als alltägliche Erscheinung im Rahmen der Rechtsanwendung keine „Tabula rasa-Lösung“.9 Das alles sieht jetzt mit Recht auch der 4. Senat des BAG in seinem Anfragebeschluss vom 27. Januar 2010 ganz genau so und sagt sich daher von dem früheren Argument der unlösbaren Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Inhaltsund Betriebsnormen los.10 Damit kommt jetzt der Abgrenzung der beiden Normtypen entscheidende Bedeutung zu. II. Bedeutung der Abgrenzung bei Freigabe von Tarifpluralitäten 1. Der Zusammenhang zwischen dem Betriebsnormenbegriff und den Folgen einer Tarifkollision Durch sein betriebsbezogenes Verständnis der Tarifeinheit hatte das BAG die Bedeutung der Unterscheidung zwischen Individual- und Kollektiv-, insbesonLAG Niedersachsen 12. 11. 1999 LAGE TVG § 4 Tarifpluralität Nr. 3, unter III. 2.; dies., AuR 2000, 339 (341); dies. in Kempen/Zachert, § 4 Rn. 160; zuletzt Greiner, Rechtsfragen, S. 388. 5 Band, Tarifkonkurrenz, S. 107; Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 116; Jacobs, NZA 2008, 325 (328); Merten, BB 1993, 572 (574); Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 102 f.; Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1 (6). 6 Jacobs, NZA 2008, 325 (328); ferner Band, Tarifkonkurrenz, S. 107; s. auch Hohenstatt, DB 1992, 1678 (1680 f.); Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (513); jüngst A. Stein, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 35 (50 f.). 7 Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1 (6); zustimmend Band, Tarifkonkurrenz, S. 107; Jacobs, Tarifeinheit, S. 402 f.; s. auch Wendeling-Schröder, Anm. zu LAG Niedersachsen 12. 11. 1999 LAGE TVG § 4 Tarifpluralität Nr. 3, unter III. 2.; dies. in Kempen/Zachert, § 4 Rn. 160. 8 Reuter, JuS 1992, 105 (106); zustimmend Band, Tarifkonkurrenz, S. 107; Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 117; Jacobs, Tarifeinheit, S. 403; zuletzt Greiner, Rechtsfragen, S. 388. 9 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1505. 10 BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) dd) (2) (a) (cc) der Gründe, Rn. 66 f. des Beschlusses; kritisch Hromadka/Schmitt-Rolfes, NZA 2010, 687 (689).
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dere zwischen Inhalts- und Betriebsnormen – unter Kollisionsgesichtspunkten – beseitigt, indem es, wie Kraft11 bemerkt, der Sache nach § 3 Abs. 2 TVG auch auf Inhaltsnormen anwendet.12 Für eine Rechtsauffassung hingegen, die Tarifkollisionen im einzelnen Arbeitsverhältnis auf der einen und solche auf betrieblicher Ebene auf der anderen Seite unterschiedlichen Prinzipien unterstellen will – notwendige Herstellung von Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis durch Auflösung der Tarifkonkurrenz im ersten, Hinnahme der Tarifpluralität durch Anwendung des die jeweiligen Parteien bindenden Tarifvertrages in jedem einzelnen Arbeitsverhältnis im zweiten Fall –, erhält eben jene Unterscheidung bei der Lösung konkreter Kollisionsfälle entscheidendes Gewicht. Denn tarifkollisionsrechtlich knüpft sich an sie die Zuordnung einzelner Normenkollisionen zu den beiden Gruppen der Tarifpluralität und der betriebsweiten Tarifkonkurrenz. Zwar stellt letztere nach der hier vertretenen Ansicht zugleich eine Tarifpluralität dar13; sie untersteht aber, eben weil sie auch Tarifkonkurrenz ist, dem – betriebsweit einheitlich anzuwendenden – Prinzip der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis.14 Die Demarkationslinie zwischen Individual- und Kollektivnormen ist danach für den, der das Prinzip der Tarifeinheit bei Tarifpluralität verwirft und daher vor der Notwendigkeit steht, die Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung zu integrieren, grundsätzlich gleichbedeutend mit derjenigen zwischen Tarifpluralität im Betrieb und betrieblicher Tarifeinheit. Genauer gesagt: Die Grenzziehung zwischen (insbesondere) Inhalts- und Betriebsnormen prägt den Grenzverlauf zwischen Tarifpluralität und Tarifeinheit vor. Zwischen beiden Grenzen herrscht gewissermaßen Parallelität: Verschiebt man die erste der genannten Grenzen, indem man einen extensiven Betriebsnormenbegriff zugrunde legt, zugunsten eines größeren Anwendungsbereichs des § 3 Abs. 2 TVG, so gewinnt dadurch zugleich die betriebliche Tarifeinheit, die man mit der Aufgabe des Prinzips der Tarifeinheit bei Tarifpluralität an sich verabschiedet zu haben glaubt, gegenüber der betrieblichen Tarifnormvielfalt doch wieder an Boden. 2. Die suggestive Wirkung des § 3 Abs. 2 TVG und ihre spezielle tarifkollisionsrechtliche Dimension Hier scheint die nicht zu unterschätzende suggestive Wirkung auf, die auf den Rechtsanwender von der Norm des § 3 Abs. 2 TVG ausgehen kann. Die Mög11
Kraft, RdA 1992, 161 (166). Ein Unterschied besteht freilich insofern, als die Tarifeinheit im Betrieb nur rechtsverdrängend, nicht rechtsbegründend wirkt; treffend spricht daher Rieble, Anm. zu BAG 22. 3. 1994 EzA TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 10, S. 12 (20) von der Tarifeinheit als (systemwidriger) „negativer Betriebsnorm“; s. auch Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 135 sowie jüngst Franzen, ZfA 2009, 297 (305). 13 s. oben Teil 1, Kapitel 2, unter B. II. 2. b). 14 Auch dazu Näheres oben Teil 1, Kapitel 2, unter B. II. 2. b) cc). 12
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lichkeit, auch Außenseiter der Tarifnormwirkung zu unterstellen, kann zu einer extensiven Auslegung des Betriebsnormenbegriffs verleiten.15 Abgrenzung und Abgrenzbarkeit von Individual- und Kollektivnormen haben dabei sub specie der Tarifkollision eine noch über ihre allgemeine, auch und gerade verfassungsrechtlich determinierte Bedeutung hinausreichende Dimension. Aus dem Blickwinkel der vorliegenden Untersuchung gewinnt die Abgrenzungsproblematik ihre besondere Brisanz dadurch, dass manch einer meinen könnte, in Gestalt des § 3 Abs. 2 TVG, verbunden mit einem möglichst weit gefassten Begriff der betrieblichen Normen, ein Instrument an der Hand zu haben, um Kollisionsfälle einer „eleganten“ und (scheinbar) dogmatischen Ansprüchen genügenden Lösung zuzuführen; die Möglichkeit, die kollidierenden Normen kurzerhand der Gruppe der Betriebsnormen zuzuschlagen, die Kollision damit aus dem Problemfeld der Tarifpluralität herauszunehmen und sie statt dessen dem Anwendungsbereich der betriebsweiten Tarifkonkurrenz und des Grundsatzes der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis zuzuordnen, mag dem Rechtsanwender verführerisch erscheinen.16 Dieser Versuchung gilt es zu widerstehen.17 Anderenfalls führte man den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb trotz seiner „formalen“, vordergründigen Aufgabe über einen extensiv verstandenen Betriebsnormenbegriff und einen entsprechend extensiv verstandenen Anwendungsbereich der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis gleichsam durch die Hintertür wieder ein.18 Dass ein solches Vorgehen
15 Deutlich zu dieser Gefahr Konzen/C. Weber, Anm. zu BAG 21. 1. 1987 EzA GG Art. 9 Nr. 42, unter 2. b); JKO/Krause, § 4 Rn. 55; Loritz, Anm. zu BAG 26. 4. 1990 SAE 1991, 245 (249); Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 538, 543; Jacobs, Tarifeinheit, S. 109 f.; s. auch Buchner, AR-Blattei SD Tarifvertrag V Inhalt 1550.5 Rn. 198; Ingelfinger, Anm. zu BAG 17. 6. 1997 SAE 1999, 128 (131); Löwisch/Rieble, § 1 Rn. 109 sowie Zöllner, DB 1989, 2121 (2125). 16 s. schon, wenn auch nicht im Zusammenhang mit der Abgrenzung von Tarifeinheit und Tarifpluralität, Buchner, Anm. zu BAG 17. 6. 1997 EzA BetrVG 1972 § 99 Einstellung Nr. 4, S. 18: „Die leichthändige Zuordnung tariflicher Regelungen zu den Betriebsnormen dient als bequemes Argumentationsschema“; im hiesigen Zusammenhang jetzt Greiner, Rechtsfragen, S. 385. 17 Bedenklich daher Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 101: Eventuelle Schwierigkeiten bei einem Nebeneinander mehrerer Tarifverträge im Betrieb im Falle der Tarifpluralität ließen sich verhindern, indem man den Begriff der Betriebsnormen weit auslege; s. auch noch sogleich im Text zu den Überlegungen von P. Hanau, RdA 2008, 98 (102). – Welche Blüten solche Überlegungen treiben können, zeigt jetzt die Darstellung bei Lipinski/Hund, BB 2010, 1991 (1992), die davon berichten, in der Praxis werde teilweise empfohlen, zur Vermeidung einer Tarifpluralität im Betrieb im Mehrheitstarifvertrag (der sich nach h. L. bei einer betriebsweiten Tarifkonkurrenz, also einer Kollision von Kollektivnormen, durchsetzt) durch eine Betriebsnorm die Weitergeltung der Tarifeinheit bei Inhaltsnormen zu vereinbaren (sic!); mit Recht deutlich dazu Lipinski/Hund, ebd.: „Umgehungscharakter“. 18 s. auch Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 78 f., der ebenfalls die abstrakte Gefahr erkennt, „über den Umweg des § 3 II TVG einen gesamten Tarifvertrag zur alleinigen Geltung zu bringen“, diese aber durch die „sehr strengen“ Anforderungen an betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Normen gebannt sieht; zum Zusammen-
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dem Anspruch einer Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung nicht genügte, ist evident. Gegenüber Tendenzen, in Reaktion auf die Freigabe von Tarifpluralitäten den Anwendungsbereich der Betriebsnormen und des § 3 Abs. 2 TVG auszuweiten19, ist daher anzumahnen, dass der Begriff der betrieblichen Normen, wie jeder Rechtsbegriff, teleologisch und in Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben interpretiert werden muss. Das schließt es nicht aus, dass Betriebsnormen aufgrund ihrer von § 3 Abs. 2 TVG angeordneten besonderen Wirkungsweise gerade auch nach der Aufgabe des Prinzips der Tarifeinheit im Betrieb einen wichtigen Beitrag zur Ordnung und Vereinheitlichung des Tarifwesens leisten können.20 Der Umfang, in dem sie dies können, darf aber auch nicht überschätzt werden; Normzweck und verfassungsrechtliche Implikation des § 3 Abs. 2 TVG setzen ihm Grenzen. Richtig ist demnach, dass die Frage der Abgrenzung von Betriebs- und Individualnormen im pluralistischen Tarifsystem verstärkt auf die Tagesordnung drängt. Lautet die Schlussfolgerung aus diesem Befund aber, dass Art. 9 Abs. 3 GG heute zu einer – gegenüber der bisherigen Rechtsprechung des BAG – weniger restriktiven Auslegung des § 3 Abs. 2 TVG führen sollte21, dann begegnet dies jedenfalls dann Bedenken, wenn die angestrebte Lockerung dadurch bewerkstelligt werden soll, dass „eine nicht unerhebliche tatsächliche Unzweckmäßigkeit individueller Regelungen“ für die Annahme von Betriebsnormen ausreichen gelassen wird22. Wie im Einzelnen darzulegen sein wird, führt gerade der auch schon bisher vom BAG angelegte Maßstab der „Unzweckmäßigkeit“ individueller Regelungen in verfassungsrechtliche Untiefen, erhebt er doch die von den Tarifvertragsparteien mit einer Regelung jeweils verfolgten Regelungsziele zum entscheidenden Abgrenzungsmerkmal, ein Kriterium, das in der Konsequenz dazu führt, dass nicht der dazu berufene Gesetzgeber, sondern die Tarifvertragsparteien die Grenzen ihrer Tarifnormsetzung mit Außenseiterwirkung selbst zu ziehen instand gesetzt werden.
hang zuletzt auch Franzen, ZfA 2009, 297 (302); P. Hanau, FS Bauer, S. 385 (397); im Ausgangspunkt genau wie hier nunmehr Greiner, Rechtsfragen, S. 385. 19 s. nochmals Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 101; demgegenüber mahnt Franzen, RdA 2008, 193 (198) in seinem gerade den Folgen einer Freigabe von Tarifpluralitäten gewidmeten Beitrag dazu, den „Anwendungsbereich von Betriebsnormen auf das unabdingbar Notwendige“ zurückzuschneiden; s. zum Zusammenhang auch dens., ZfA 2009, 297 (302). 20 Vgl. P. Hanau, RdA 2008, 98 (102) und jüngst dens., FS Bauer, S. 385 (395, 397) sowie Greiner, Rechtsfragen, S. 380, 402 f. 21 So P. Hanau, RdA 2008, 98 (102) und ihm folgend Greiner, Rechtsfragen, S. 380, 391 f., 397, 402 f.; zuletzt eher offen aber P. Hanau, FS Bauer, S. 385 (397). 22 So P. Hanau, RdA 2008, 98 (102).
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Wenn daher die Auffassung geäußert wird, anlässlich der Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb und der künftigen Hinnahme von Tarifpluralitäten müsse die Reichweite der betrieblichen Normen neu diskutiert werden23, so wird man diese Einschätzung in Analyse und Anliegen teilen; allerdings darf die geforderte Diskussion auf zweierlei nicht hinauslaufen: Erstens darauf, Tarifnormen gewaltsam in das Prokrustesbett des Betriebsnormenbegriffs24 zu zwängen, um § 3 Abs. 2 TVG und die daran anknüpfenden Rechtsfiguren der betriebsweiten Tarifkonkurrenz und der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis, die hier zugleich zur Tarifeinheit im Betrieb führt, als Vehikel zur faktischen Aufrechterhaltung des Grundsatzes der Tarifeinheit bei Tarifpluralität zu benutzen. Und zweitens darf das Bestreben, die künftige Auslegung des § 3 Abs. 2 TVG dem durch die Verabschiedung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb veränderten tarifrechtlichen Umfeld anzupassen25, nicht dazu führen, eine „weniger restriktive“26 Handhabung der Vorschrift ausgerechnet dadurch zu erreichen, dass man an die bisherige Praxis des BAG anknüpft, diese aber durch Erhebung einer „nicht unerheblichen tatsächlichen Unzweckmäßigkeit individueller Regelungen“27 zum Abgrenzungsmaßstab lockert und dadurch die am bisherigen Maßstab des BAG („evident sachlogische Unzweckmäßigkeit einer individualvertraglichen Regelung“) hängenden Fehlentwicklungen noch vertieft. Konsequenz wäre eine gleichzeitige Vertiefung der – trotz zustimmungswürdigen Ansatzes – bereits jetzt festzustellenden Diskrepanzen zwischen dem Betriebsnormenkonzept des BAG und den Anforderungen an eine teleologische und verfassungskonforme Begriffsbildung. In Anbetracht dessen lässt sich in der Tat sagen, dass die Abgrenzung und die Abgrenzbarkeit der beiden Normbereiche „fundamental“ sind.28
23 s. neben P. Hanau, RdA 2008, 98 (102), und jüngst wieder P. Hanau, FS Bauer, S. 385 (395, 397), auch Rieble bei Kalb, RdA 2007, 379 (381); beachte dazu aber auch MüArbR/Rieble/Klumpp, § 186 Rn. 30, wo es gerade im Zusammenhang mit der Tarifpluralität heißt, die Annahme einer Betriebsnorm müsse sehr zurückhaltend erfolgen. 24 Vgl. Gamillscheg, KollArbR I, § 7 II. 1. c) (2), S. 290. 25 s. zu den Phänomenen der „Fernwirkung“ von Rechtsänderungen kraft systematischer Interpretation und des „Wandels des Normumfeldes“ oben Teil 1, Kapitel 1, unter B. IV. 2. 26 s. nochmals P. Hanau, RdA 2008, 98 (102) und ihm folgend Greiner, Rechtsfragen, S. 380, 391 f., 397, 402 f.; aber nunmehr auch P. Hanau, FS Bauer, S. 385 (397). 27 P. Hanau, RdA 2008, 98 (102). 28 Merten, BB 1993, 572 (574); zustimmend Band, Tarifkonkurrenz, S. 107. s. auch Jacobs, Tarifeinheit, S. 108: Auf die Abgrenzung von Individual- und Kollektivnormen komme es bei der rechtlichen Bewertung des Prinzips der Tarifeinheit entscheidend an; jüngst P. Hanau, FS Bauer, S. 385 (395, 397).
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B. Zielsetzung Eine Arbeit, die sich dem Aufzeigen von Folgen des Rechtsprechungswandels zur Tarifpluralität und dem Versuch ihrer Bewältigung – eben der Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung – verschreibt, muss sich der von Reuter29 formulierten Aufgabe stellen, die Kriterien der Abgrenzung zwischen Inhalts- und Betriebsnormen zu verbessern. Gleichwohl ist die Zielsetzung bescheiden zu wählen. Darüber, was unter den „Rechtsnormen über betriebliche Fragen“ i. S. d. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG zu verstehen ist, setzte in der Rechtslehre schon bald nach dem Inkrafttreten des Tarifvertragsgesetzes eine intensive Diskussion ein. Mehrere Dissertationen und Habilitationsschriften verhalten sich zu dieser Frage. Dennoch gibt es bis heute keine allgemein anerkannte Definition. Hinzu kommt, dass die Debatte seit jeher durch den verfassungsrechtlichen Bezug geprägt ist30, was sie um – gleichermaßen ungelöste – verfassungsrechtliche Probleme erweitert und entscheidend zu ihrer Komplexität beiträgt31. In dieser geradezu verfahrenen Situation erklingt in jüngerer Zeit verständlicherweise der Ruf nach einem Tätigwerden des Gesetzgebers.32 Vor diesem Hintergrund wäre es vermessen, zu glauben, man könne in einer Arbeit, in der die begriffliche Erfassung der „Rechtsnormen über betriebliche Fragen“ nur eine von vielen Fragestellungen ist, gleichsam en passant eine der Breite und Tiefe des bisherigen Diskussionsstandes gerecht werdende abschließende Begriffsklärung anbieten. Das eigene Konzept bedürfte gewiss in manchem Punkt weiterer Ergänzungen, Präzisierungen, vielleicht auch Modifikationen; es in einem bis ins Letzte ausgereiften Zustand zu präsentieren, würde den Rahmen der Arbeit sprengen. Vieles kann nur angedeutet werden. Es soll aber versucht werden, einen Leitgedanken für die Abgrenzung der Normgruppen aufzuzeigen und dadurch wenigstens einen Begriffskern herauszuschälen. Ein „revolutionär“ neuer Ansatz darf dabei nicht erwartet werden; vielmehr kann die Begriffsbestimmung sich nur im Rahmen der bereits diskutierten Konzepte einer möglichen Gesetzesauslegung bewegen.33
29
Reuter, JuS 1992, 105 (106). Grundlegend Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 310 ff.; Buchner, Tarifvertragsgesetz und Koalitionsfreiheit, S. 34 ff., 55 ff., 67 ff.; Lieb, RdA 1967, 441 (442 ff.); Richardi, Kollektivgewalt, S. 229 ff.; Zöllner, RdA 1962, 453 (456 ff.); später besonders Dieterich, FS Däubler, S. 451 (452 ff.); Giesen, Rechtsgestaltung, S. 127 ff.; H. Hanau, RdA 1996, 158 ff.; Schleusener, ZTR 1998, 100 ff.; kritisch zu der verfassungsrechtlichen Ausrichtung der Diskussion Arnold, Betriebliche Tarifnormen, S. 60, 176 ff., 178, 278. 31 Vgl. auch Lieb, RdA 1967, 441 (442). 32 Vorschlag für eine Klarstellung bezüglich des § 3 Abs. 2 TVG bei Dieterich/ P. Hanau/Henssler/Oetker/Wank/Wiedemann, RdA 2004, 65 (73 f.); ferner Wiedemann, Anm. zu BAG 1. 8. 2001 AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 5. 33 Ebenso Giesen, Rechtsgestaltung, S. 454. 30
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C. Der Betriebsnormenbegriff des BAG Als Ausgangspunkt wird hier der Betriebsnormenbegriff des BAG gewählt. Das Konzept des BAG erscheint in seinem Kern zustimmungswürdig und entspricht vor allem in seinem rechtsfolgenorientierten Ansatz dem hiesigen Verständnis; allerdings sind einige Klarstellungen und Modifikationen unumgänglich, um Missverständnisse und Fehlentwicklungen, zu denen die bisherige Rechtsprechung geführt hat, zu beheben und vor allem nicht noch durch eine der neuen tarifkollisionsrechtlichen Lage nach der Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb (vermeintlich) angepasste „Lockerung“ dieser Rechtsprechung zu vertiefen. I. Die Notwendigkeit betriebseinheitlicher Geltung als unerlässliches Begriffsmerkmal In der Rechtsprechung des BAG zu den Rechtsnormen über betriebliche Fragen hat die Formel ihren festen Platz, es handele sich um Bestimmungen, die in der sozialen Wirklichkeit aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nur einheitlich gelten können.34 Betriebliche Fragen seien Fragen der Betriebsgestaltung, die sich auf die Betriebsmittel, auf die Mitarbeiter und auf die organisatorische Zusammenfassung des Ganzen beziehen könnten.35 Anknüpfungspunkt der betrieblichen Normen sei die Organisation des Unternehmens36, also die Realisierung der betrieblichen Planung. Es gehe ihnen darum, die unternehmerische Gestaltungsfreiheit im Interesse der Arbeitnehmer einzuschränken oder zu kanalisieren.37 Seit Ende der 1980er Jahre betont das BAG die verfassungsrechtlich begründete Notwendigkeit, die Vorschrift des § 3 Abs. 2 TVG eng auszulegen. Nur wenn aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen das Bedürfnis nach einer einheitlichen Regelung bestehe, sei es aus verfassungsrechtlichen Gründen gerechtfertigt, Normen ohne Allgemeinverbindlicherklärung auf nicht organisierte Arbeitnehmer zu erstrecken.38 Die Formel von der notwendig einheitlichen Geltung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ergänzt es dahingehend, um Betriebs-
34 BAG 21. 1. 1987 (zweimal) AP GG Art. 9 Nr. 46 und Nr. 47 (Scholz); 3. 6. 1987 – 4 AZR 573/86 – juris; 27. 4. 1988 AP BeschFG 1985 § 1 Nr. 4 (Gamillscheg); 26. 4. 1990 AP GG Art. 9 Nr. 57; 7. 11. 1995 AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 1 (H. Hanau). 35 BAG 21. 1. 1987 (zweimal) AP GG Art. 9 Nr. 46 und Nr. 47 (Scholz); 3. 6. 1987 – 4 AZR 573/86 – juris; 27. 4. 1988 AP BeschFG 1985 § 1 Nr. 4 (Gamillscheg). 36 Ebenso Meik, DB 1990, 2522 (2524). 37 BAG 3. 4. 1990 AP GG Art. 9 Nr. 56; ebenso Schaub, ArbR-Hdb., § 202 Rn. 17; s. schon Wiedemann/Stumpf, § 1 Rn. 243. 38 BAG 27. 4. 1988 AP BeschFG 1985 § 1 Nr. 4 (Gamillscheg).
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normen handele es sich immer dann, wenn eine Regelung nicht Inhalt eines Individualarbeitsvertrages sein könne.39 Dabei sei das „Nichtkönnen“ nicht i. S. einer naturwissenschaftlichen Unmöglichkeit zu verstehen, da theoretisch fast jede Sachmaterie als Arbeitsbedingung im Arbeitsvertrag geregelt werden könne. Ausreichend soll es im Anschluss an Säcker und Oetker40 sein, dass eine individualvertragliche Regelung wegen evident sachlogischer Unzweckmäßigkeit ausscheidet, so dass eine einheitliche Regelung auf betrieblicher Ebene erforderlich wird.41 Wesentliches – in den Worten des BAG42 selbst: „unerlässliches“ – Begriffsmerkmal der Rechtsnormen über betriebliche Fragen ist nach dem BAG also der tatsächliche oder rechtliche Zwang zu einer einheitlichen Geltung. II. Methodische Kritik aus der Rechtslehre Das methodische Vorgehen des BAG bei der Explikation des Begriffs der Rechtsnorm über betriebliche Fragen wird in der Literatur kritisiert. Besonders Gamillscheg43 hat dem BAG vorgehalten, seine Definition der Betriebsnorm als einer Norm, die in der sozialen Wirklichkeit aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nur einheitlich gelten kann, enthalte einen Zirkelschluss. Um die einheitliche Geltung gehe ja gerade der Streit; diese folge aus der betrieblichen Natur der Vorschrift und könne damit nicht deren Voraussetzung sein. Ebenso sehen Giesen und Loritz einen Zirkelschluss oder zumindest die Gefahr eines solchen gegeben; mit der betriebseinheitlichen Regelung unter Einschluss auch der Außenseiter mache man zur Begründung und Voraussetzung der Annahme einer betrieblichen Norm, was das Gesetz in §§ 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG als Rechtsfolge anordne.44 Auch andere empfinden es als „methodisch unbefriedigend“, den Tatbestand über die Rechtsfolgen zu definieren.45
39 BAG 26. 4. 1990 AP GG Art. 9 Nr. 57; 7. 11. 1995 AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 1 (H. Hanau); s. auch schon BAG 3. 4. 1990 AP GG Art. 9 Nr. 56. 40 Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen, S. 142 f. 41 BAG 26. 4. 1990 AP GG Art. 9 Nr. 57; 17. 6. 1997 AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 2 (Wiedemann). 42 BAG 7. 11. 1995 AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 1 (H. Hanau). 43 Gamillscheg, BB 1988, 555; s. auch dens., Anm. zu BAG 27. 4. 1988 AP BeschFG 1985 § 1 Nr. 4, unter 1. a); aber auch dens., FS Kehrmann, S. 247 (249 ff.) sowie dens., KollArbR I, § 15 VI., S. 588 ff. 44 Giesen, Rechtsgestaltung, S. 421; Loritz, Anm. zu BAG 26. 4. 1990 SAE 1991, 245 (249); s. auch dens., Tarifautonomie und Gestaltungsfreiheit, S. 37, wo er der Literatur attestiert, durchweg nur die Rechtsfolgen der Betriebsnormen zu beschreiben, statt die Normen streng zu definieren. 45 Däubler/Reim, § 1 Rn. 321d; ferner etwa Reuter, FS Schaub, S. 605 (616): petitio principii; s. auch Arnold, Betriebliche Tarifnormen, S. 116.
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D. Stellungnahme und Grundlegung des eigenen Ansatzes Die methodische Kritik an der Bestimmung des Begriffs der Rechtsnorm über betriebliche Fragen durch das BAG ist in diesem Umfang nicht berechtigt. I. Erfordernis einer teleologischen Begriffsbildung Der Gesetzgeber verfolgt mit jedem Gesetz den Zweck, soziale Sachverhalte zu regeln.46 Zur Umsetzung dieses Zwecks bedient er sich der Sprache.47 Gesetzgebung ist Umsetzung, Codierung eines vom Gesetzgeber verfolgten Regelungsprogramms in die Sprache der Rechtssätze.48 Durch die Codierung des Regelungsprogramms in die Gesetzessprache können Reibungsverluste entstehen. Diese sind vor allem darauf zurückzuführen, dass sich bei der Umsetzung des gesetzgeberischen Programms in Sprache regelmäßig ein Wandel von einem Zweck- in ein Konditionalprogramm vollzieht.49 Der Gesetzgeber „denkt“ sich sein Regelungsprogramm final50; die von ihm zum Zwecke der Verwirklichung des Programms erlassenen Rechtssätze aber ordnen in der Regel nicht an, ein bestimmtes Regelungsziel optimal zu verwirklichen (Zweckprogramm)51, sondern knüpfen im „Wenn-dann-Schema“ an einen bestimmten Tatbestand eine bestimmte Rechtsfolge (Konditionalprogramm).52 Die Umformung von einem Final- in ein Konditionalprogramm kann dazu führen, dass Tatbestand und Rechtsfolge des Rechtssatzes als Ausdruck eines einheitlichen Regelungsprogramms53 auseinander gerissen werden. Der Bezug des Tatbestandes und der in ihm verwandten Begriffe zum Regelungszweck wird abgeschnitten. Dieser Zusammenhang mit dem Telos der Regelung muss bei der
46 Näher Rüthers/C. Fischer, Rechtstheorie, Rn. 72 ff., 137; s. auch Engisch, Einführung, S. 29; Zippelius, Methodenlehre, § 10 II., S. 49 f.; zuletzt Wank, RdA 2010, 193 (194). 47 Vgl. dazu Zippelius, Methodenlehre, § 4 I., S. 19 ff.; allgemein zu Recht und Sprache Rüthers/C. Fischer, Rechtstheorie, Rn. 150 ff. sowie die Beiträge von Kirchhof, Mincke und Großfeld, in: Ebke/Kirchhof/Mincke (Hrsg.), Sprache und Recht – Recht und Sprache, Beiträge zu dem Festakt anlässlich des 75. Geburtstages von Bernhard Großfeld. 48 Wank, Begriffsbildung, S. 82. 49 Wank, Begriffsbildung, S. 82; s. auch dens., Rechtsfortbildung, S. 120, 128 f. 50 Vgl. Rüthers/C. Fischer, Rechtstheorie, Rn. 136: Normen sind final gedachte Gebote. 51 Zu Finalnormen oder Zweckprogrammen Rüthers/C. Fischer, Rechtstheorie, Rn. 127; Zippelius, Methodenlehre, § 5 I., S. 28 f. 52 Wank, Begriffsbildung, S. 82, 87; zum Konditionalprogramm der Rechtssätze s. ferner Engisch, Einführung, S. 32 f., 41, 43; Rüthers/C. Fischer, Rechtstheorie, Rn. 125 f.; Zippelius, Methodenlehre, § 5 I., S. 28 f. 53 Dazu auch Wank, Rechtsfortbildung, S. 120.
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Decodierung durch Rechtsanwendung wieder hergestellt werden.54 Tatbestand und Rechtsfolge des Konditionalprogramms müssen das Finalprogramm erfüllen.55 Juristische Begriffsbildung hat daher teleologische Begriffsbildung zu sein: In ihr muss der Sinnzusammenhang zwischen Tatbestand und Rechtsfolge zum Ausdruck kommen.56 Jeder Gesetzesbegriff muss durch Auslegung im Lichte seines Regelungsprogramms erklärt werden57; insofern ist jeder in einem Rechtssatz verwandte Begriff ein funktionsbestimmter Begriff.58 II. Ermittlung der Gesetzeszwecke – teleologische Begriffsbildung als rechtsfolgenorientierte Begriffsbildung Die Entfaltung des Sinnzusammenhangs zwischen Tatbestand und Rechtsfolge setzt eine Ermittlung der Gesetzeszwecke voraus.59 Bei allen Schwierigkeiten, auf die man bei diesem Unterfangen stoßen kann60, gibt doch das Gesetz stets dadurch eine Hilfe, dass es die Rechtsfolge bestimmt. Vor allem in den Rechtsfolgen kommt nämlich der Regelungszweck des Gesetzes zum Ausdruck.61 Indem der Gesetzgeber einen Tatbestand mit einer Rechtsfolge verknüpft, deckt er einen Teilausschnitt seiner Vorstellungen darüber auf, wie er die Gesellschaft organisiert sehen will.62 Teleologische Begriffsbildung ist daher rechtsfolgenorientierte Begriffsbildung. Bei der Auslegung der Gesetzesbegriffe gibt die Rechtsfolgenorientierung gegen-
54
Wank, Begriffsbildung, S. 82. Wank, Begriffsbildung, S. 87. 56 Wank, Begriffsbildung, S. 87; zuletzt Wank, RdA 2010, 193 (194, 195, 197). 57 Wank, Begriffsbildung, S. 82. 58 Wank, Begriffsbildung, S. 79; s. auch schon dens., Rechtsfortbildung, S. 129 f., 165; zum Begriff des „funktionsbestimmten Rechtsbegriffs“ s. auch Larenz, Methodenlehre, S. 482 ff. – Die Tatsache, dass die Umformung in ein Konditionalprogramm aus Gründen des Demokratie- und des Rechtsstaatsprinzips nicht beliebig umkehrbar ist – Wank, Begriffsbildung, S. 83 – stellt entgegen Larenz, a. a. O., S. 485, den Befund, dass alle in den Gesetzen verwandten Begriffe funktionsbestimmte Begriffe sind, nicht in Frage; sie bedeutet allein, dass der Rechtsanwender aus diesem Befund nicht in jedem Fall die mit Blick auf den vom Gesetzgeber verfolgten Regelungszweck angebrachten Konsequenzen ziehen darf. 59 Wank, Begriffsbildung, S. 89. 60 Zu den Schwierigkeiten, den Gesetzeszweck zu bestimmen, s. nur Canaris, FS Medicus, S. 25 (58); Herzberg, NJW 1990, 2525 (2529 f.), der sich insgesamt kritisch zur teleologischen Gesetzesauslegung äußert; Zippelius, Methodenlehre, § 10 II., S. 50 f.; s. des Weiteren auch Looschelders/W. Roth, Juristische Methodik, S. 195. 61 Wank, Begriffsbildung, S. 87, 90; s. auch dens., Anm. zu BAG 31. 1. 1985 EzA BGB § 613a Nr. 42, S. 272i; aktuell ders., RdA 2010, 193 (195). 62 Rüthers/C. Fischer, Rechtstheorie, Rn. 136; s. auch Rüthers, JZ 2006, 53 (57). 55
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über anderen Auslegungsmitteln – Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte – den Ausschlag.63
E. Folgerungen für den Betriebsnormenbegriff I. Teleologische Begriffsbildung und der Vorwurf der Zirkelschlüssigkeit Die möglichen Einwände gegen eine teleologische und damit rechtsfolgenorientierte Begriffsbildung liegen auf der Hand: Wenn man davon ausgeht, dass Definitionen mit Blick auf die mit dem Gesetz verfolgten Zwecke gebildet werden müssen, steht man vor der Aufgabe, diese Zwecke zu erkennen. Dabei ist auszugehen von der im Gesetz bestimmten Rechtsfolge; die Erkenntnis gewinnt man also in erster Linie aus dem Gesetz selbst. Dann aber taucht unweigerlich die Frage auf, ob die Erkenntnis nicht zirkulär ist.64 Eben in diese Richtung zielt auch die zitierte Kritik am Betriebsnormenbegriff des BAG mit dem Vorwurf der Zirkelschlüssigkeit. Was diese Kritik – im Allgemeinen wie speziell im Falle des Begriffs der Rechtsnorm über betriebliche Fragen – verkennt und was das BAG deutlich zu machen bislang versäumt hat, ist, dass die rechtsfolgenorientierte Begriffsbildung nicht an die „Rechtsfolge“ als die durch einen Rechtssatz für einen abstrakten Tatbestand vorgeschriebene abstrakte Folge des Rechts anknüpft65, sondern an die Rechtsfolge als (oft einzig zuverlässiges) Indiz für den mit einer Norm vom Gesetzgeber verfolgten Zweck. Infolge der Umwandlung des gesetzgeberischen Regelungszwecks aus dem Finalin ein Konditionalprogramm tritt die Rechtsfolge („dann . . .“) an die Stelle der ursprünglichen gesetzgeberischen Zwecksetzung („damit . . .“). An diese codierte Zwecksetzung knüpft die rechtsfolgenorientierte Begriffsbildung an. Die Orientierung an der Rechtsfolge – hier der von dem Organisationsstatus der Arbeitnehmer absehenden Geltung der betrieblichen Normen für alle Betriebe tarifgebundener Arbeitgeber, § 3 Abs. 2 TVG – stellt deshalb auch keine „formale Betrach63 Wank, Begriffsbildung, S. 90. Allgemein zum Problem des Rangverhältnisses der Auslegungskriterien F. Bydlinski, Methodenlehre, S. 553 ff.; Canaris, FS Medicus, S. 25 (31 ff.); Engisch, Einführung, S. 100 ff., 123 f. (Fn. 47); Fikentscher, Methoden, Band III, S. 684; Larenz, Methodenlehre, S. 343 ff.; Looschelders/W. Roth, Juristische Methodik, S. 192 ff.; Zippelius, Methodenlehre, § 10 VI., S. 61 f. Den Zweck lassen den Ausschlag geben Canaris, Systemdenken, S. 91 f. (Fn. 23); Palandt/Heinrichs, Einl. Rn. 46; Wank, Auslegung, § 9, S. 71; s. auch Jacobs, Gegenstand, S. 416; zuletzt Bitter/Rauhut, JuS 2009, 289 (295); weitere Nachweise bei Looschelders/W. Roth, a. a. O., S. 195 (Fn. 10). 64 Vgl. Wank, Begriffsbildung, S. 73; dens., FS Wiedemann, S. 587 (592); dens., FS 50 Jahre BAG, S. 245 (247, Fn. 14). 65 Zum Begriff der Rechtsfolge Engisch, Einführung, S. 13 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 252 f.; zum abstrakt-begrifflichen Charakter von Tatbestand und Rechtsfolge Engisch, a. a. O., S. 34 f.; Larenz, a. a. O., S. 251.
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tungsweise“ dar.66 Es wird eben nicht „formal“ an die Rechtsfolge, sondern an die Rechtsfolge als codierten Träger des gesetzgeberischen Zwecks und damit an ein „materielles“ Element angeknüpft. II. Zweck der betrieblichen Normen oder Zweck der gesetzlichen Vorschriften über betriebliche Normen? Dezidiert gegen ein teleologisches Verständnis des Begriffs der Rechtsnorm über betriebliche Fragen hat sich Dieterich ausgesprochen: Bei einer teleologischen Auslegung sei die Frage zunächst, welchen Zweck die betrieblichen Normen erfüllen sollen und dann, welche Abgrenzungsmöglichkeit diesem Zweck am meisten gerecht wird. Sodann heißt es: „Diese Auslegungsmethode kann uns nicht weiterführen, weil gerade der Zweck der betrieblichen Normen nicht eindeutig zu klären ist. Je nach der Ansicht, die man vertreten will, kann man ihn eng begrenzen oder nur ganz allgemein definieren.“67 Dem kann nicht gefolgt werden. Zunächst ist die Kritik zumindest missverständlich formuliert. Entgegen Dieterich kommt es für ein teleologisches Begriffsverständnis nicht auf die Frage an, welchen Zweck die betrieblichen Normen, also die unter die §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG fallenden Tarifvertragsbestimmungen, erfüllen sollen. Deren Zweck wird von den Tarifvertragsparteien definiert, sie sind insoweit die Normgeber. Auf den Zweck, den die betrieblichen Normen erfüllen sollen, kommt es dementsprechend nicht bei der hier in Rede stehenden Auslegung des TVG, namentlich des im TVG enthaltenen Begriffs der Rechtsnorm über betriebliche Fragen (vgl. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG) an, sondern ggf. bei der Tarifauslegung, namentlich der Auslegung der in einem Tarifvertrag enthaltenen Betriebsnormen.68 Bei der Frage aber, ob eine Tarifnorm eine Betriebsnorm darstellt, geht es nicht, zumindest nicht in erster Linie69 um die Auslegung der Tarifnorm, sondern
66 So aber Wiedemann, RdA 1997, 297 (300); s. auch Ingelfinger, Anm. zu BAG 17. 6. 1997 SAE 1999, 128 (132); Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 721. 67 Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 33. 68 Zur Auslegung von Tarifverträgen nach dem Sinn und Zweck s. Kamanabrou, Die Auslegung und Fortbildung des normativen Teils von Tarifverträgen, S. 257 f., 261 f.; Wiedemann/Wank, § 1 Rn. 1030 f.; Wank, RdA 1998, 71 (84). 69 Bei der konkreten Rechtsanwendung kann es natürlich erforderlich sein, den Regelungsgehalt einer Tarifnorm zunächst durch (auch teleologische) Auslegung zu ermitteln, bevor man die Tarifnorm einer der im TVG vorgesehenen Normenarten zuordnen kann; insofern hängen Tarifauslegung und Gesetzesauslegung (Auslegung der §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1, 2, 4 Abs. 1 TVG) zusammen. Jedoch geht es vorliegend nicht um die Ermittlung des Regelungsgehalts einzelner Tarifnormen, sondern um die Bestimmung des gesetzlichen (§ 3 Abs. 2 TVG) Begriffs der Rechtsnorm über betriebliche Fragen, unter den dann im Einzelfall die – ggf. zunächst ihrerseits auszulegende – Tarifnorm subsumiert wird.
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darum, durch Auslegung des TVG einen allgemeingültigen, subsumtionsfähigen Begriff der Rechtsnorm über betriebliche Fragen herauszuarbeiten. Geht man dabei richtigerweise teleologisch vor, so kommt es entgegen Dieterich nicht auf den Zweck der betrieblichen Normen an – der ohnehin nicht abstrakt beschrieben werden könnte, da, auch wenn man nur die Arten von Normen nimmt, deren Einordnung als Betriebsnormen unstreitig ist, deren Regelungsgegenstände derart mannigfach sind, dass sie sich nicht auf einen einzigen gemeinsamen Zweck zurückführen lassen –, sondern auf den Zweck, den die gesetzlichen Regelungen über die betrieblichen Normen erfüllen sollen, konkret also auf den Zweck der §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG70 und dabei vor allem auf den des § 3 Abs. 2 TVG71. Dessen Zweck wiederum ist maßgeblich aus der von ihm angeordneten Rechtsfolge herzuleiten. Richtig gesehen haben die vorstehenden Zusammenhänge Peters und Ossenbühl. Sie weisen darauf hin, dass bei der Einordnung einer Tarifnorm in die Kategorien des § 1 Abs. 1 TVG zwei Normebenen auseinander zu halten sind, einmal die Normen des Tarifvertragsgesetzes (insbesondere die §§ 1 und 3) und zum anderen die darauf beruhenden Tarifnormen. Die Einordnung sei zu vollziehen durch Subsumtion der Tarifnormen unter die „Gesetzesnormen“. Der syllogistische Untersatz sei demnach nicht – wie normalerweise – ein Lebenssachverhalt, sondern selbst eine Norm. Wie bei allen syllogistischen Schlüssen sei auch hier in erster Linie beim Obersatz anzusetzen.72 Er bedürfe zunächst der inhaltlichen Erfassung und Auslegung. Erst dann könne man sich dem Untersatz zuwenden, um ihn mit dem Obersatz zu vergleichen.73 Dass die teleologische Auslegung nicht weiterführen könne, kann daher zumindest nicht damit begründet werden, dass der Zweck der betrieblichen Normen nicht eindeutig zu klären sei.74 Entscheidend ist allein, ob der Zweck der gesetzlichen Bestimmungen über die betrieblichen Normen (eindeutig) zu klären ist; und für diesen, den Gesetzeszweck hat man in Gestalt der von § 3 Abs. 2 TVG angeordneten Rechtsfolge immerhin einen gewichtigen Anhaltspunkt.
70 So an anderer Stelle auch – zutreffend – Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 25: Auslegung anhand der „Zwecke der entsprechenden Bestimmungen im Tarifvertragsgesetz“. 71 In der vorliegenden Untersuchung wird maßgeblich auf § 3 Abs. 2 TVG, nicht (auch) auf § 4 Abs. 1 Satz 2 TVG abgestellt, weil nach einer verbreiteten, hier geteilten Ansicht die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 2 TVG an sich überflüssig ist [s. dazu unten E. III. 1. b) mit Fn. 80 und E. IV. 2. c) cc)]; die zentrale Norm des TVG hinsichtlich betrieblicher Tarifnormen ist § 3 Abs. 2 TVG. Einschränkend demgegenüber Ricken, Autonomie, S. 110 f. (Fn. 511). 72 Dazu allgemein Engisch, Einführung, S. 73. 73 Peters/Ossenbühl, Übertragung, S. 116. 74 So aber Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 33; Hervorhebung nicht im Original.
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III. Erste Annäherung an den Zweck des § 3 Abs. 2 TVG 1. Auslegung nach Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte a) Die Gesetzesauslegung hat vom Wortlaut auszugehen.75 Der Wortlaut der §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG gibt für das Verständnis der Betriebsnormen aber nur wenig her76: Der Ausdruck „Rechtsnormen über betriebliche Fragen“ ist recht allgemein gehalten und wenig klar77; der Begriff der „betrieblichen Fragen“ lässt mehrere Deutungen zu.78 Wer durch bloße Begriffsanalyse den Problemen beizukommen sucht, bleibt daher weitgehend im Formalen stecken.79 b) Argumente aus der Gesetzessystematik zu ziehen fällt schon insofern schwer, als die systematische Stellung der §§ 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG mit Recht verbreitet als verfehlt angesehen wird.80 Argumente aus der Systematik eines Gesetzes haben zur Voraussetzung, dass ein sorgfältiger Gesetzgeber am Werk war, aus dessen Gesetzgebungstechnik sich zwingende Schlüsse ziehen lassen.81 Der TVG-Gesetzgeber hat diese Sorgfalt zwar nicht insgesamt82, aber doch mit Blick auf die §§ 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG vermissen lassen.
75 Allgemein nur Bitter/Rauhut, JuS 2009, 289 (293); für das TVG Gamillscheg, KollArbR I, § 12 3. b) (3), S. 484. 76 s. aber unten E. IV. zur Bedeutung des Begriffs „betriebliche Fragen“. 77 A. Hueck, BB 1949, 530 (531); zustimmend Arnold, Betriebliche Tarifnormen, S. 23 f.; C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 31, 148; Koller, ZfA 1978, 45 (62); Richardi, Kollektivgewalt, S. 238; s. auch Reuß, DB 1964, 1410; Loritz, Tarifautonomie und Gestaltungsfreiheit, S. 37; Herschel, ZfA 1973, 183 (187); Ingelfinger, Anm. zu BAG 17. 6. 1997 SAE 1999, 128 (133); Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 80; Schulz, Umfang und Wirkung tariflicher Betriebsnormen, S. 32 ff., 41; Schwarze, ZfA 2003, 447; Söllner, NZA Sonderbeilage zu Heft 24/2000, S. 33 (40). 78 Dieterich/P. Hanau/Henssler/Oetker/Wank/Wiedemann, RdA 2004, 65 (73). Zu einigen möglichen Deutungen Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 26. 79 Peters/Ossenbühl, Übertragung, S. 116; s. auch Ingelfinger, Anm. zu BAG 17. 6. 1997 SAE 1999, 128 (133). 80 So bereits Nipperdey, RdA 1949, 81 (84); ferner etwa Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 86; Konzen, Anm. zu BAG 24. 9. 1975 SAE 1977, 60; Lieb, RdA 1967, 441 (443); Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1524; explizit a. A. aber früher Wiedemann/Stumpf, § 1 Rn. 242 a. E. und heute Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 59 f. s. dazu auch noch unten E. IV. 2. c) cc) und ferner zum Ganzen Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, S. 110 ff. 81 s. in anderem Zusammenhang Wank, RdA 1991, 129 (135); s. auch dens., FS Schnapp, S. 839 (850 f., 858) zu der Unterscheidung von „A-Gesetzen“ („Qualitätsgesetzen“) und „B-Gesetzen“ und den Konsequenzen für die Gesetzesauslegung (betreffend AGG). 82 Zum Lob des TVG s. nur Adomeit, FS Hilger/Stumpf, S. 1 (7); Oetker/Thüsing/ Wank/Wiedemann, in: Wiedemann, TVG, Vorwort und zuletzt A. Wisskirchen, FS Buchner, S. 984.
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c) Auch aus der Entstehungsgeschichte83 lässt sich nichts Entscheidendes entnehmen84; die Vorstellungen des Gesetzgebers lassen sich nicht mehr eindeutig ermitteln.85 2. Rechtsfolgenorientierte Bestimmung des Normzwecks Nach der hier vertretenen Ansicht gibt für das Verständnis des Begriffs der „Rechtsnormen über betriebliche Fragen“ der Zweck des § 3 Abs. 2 TVG den Ausschlag.86 Diesen gilt es daher herauszuarbeiten. a) Rechtsfolge des § 3 Abs. 2 TVG Nach dem Vorstehenden ist dazu bei der Rechtsfolge des § 3 Abs. 2 TVG anzusetzen. Diese besteht in der Geltung der betrieblichen Normen für alle Betriebe, deren Arbeitgeber tarifgebunden sind. Lässt man zunächst alle verfassungsrechtlichen Bedenken, die seit den 1960er Jahren zu verschiedenen Versuchen geführt haben, die Wirkung der betrieblichen Normen restriktiv zu fassen, beiseite, so ergibt die unbefangene Lektüre als Rechtsfolge des § 3 Abs. 2 TVG die unterschiedslose Geltung der betrieblichen Normen für alle Arbeitnehmer im Betrieb eines tarifgebundenen Arbeitgebers. Anders als bei den Individualnormen nach §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 TVG wird nicht an die Tarifgebundenheit einzelner Arbeitnehmer angeknüpft, sondern diese für irrelevant erklärt.87
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Dazu Herschel, ZfA 1973, 183 (187 f., 191); Wiedemann/Oetker, § 3 Rn. 2. Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, S. 26 f.; Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 717; Wiedemann, RdA 1969, 321 (322); ders., Anm. zu BAG 1. 8. 2001 AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 5; ders., RdA 2007, 65 (68); zuletzt Greiner, Rechtsfragen, S. 389 (Fn. 133); s. aber auch Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 31; kritisch zu ihm Lieb, RdA 1967, 441 (446, Fn. 52); s. in diesem Zusammenhang auch Ganter, Die tarifvertragliche Regelung betrieblicher Fragen, S. 38. 85 Dieterich/P. Hanau/Henssler/Oetker/Wank/Wiedemann, RdA 2004, 65 (72); s. auch Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 30; Richardi, Kollektivgewalt, S. 229 f. (Fn. 31); aber auch BAG 26. 4. 1990 AP GG Art. 9 Nr. 57, unter B. V. 2. a) bb) der Gründe. 86 Ebenso Peters/Ossenbühl, Übertragung, S. 116 (Sinn und Zweck der §§ 1 und 3 TVG); s. auch Richardi, Kollektivgewalt, S. 238, 240. 87 Nach der vorzugswürdigen h. M. stellt § 3 Abs. 2 TVG somit eine Ausnahme von dem das deutsche Tarifvertragsrecht beherrschenden Grundsatz dar, dass die Tarifnormgeltung beiderseitige Tarifgebundenheit voraussetzt; nicht wird, wie andere meinen, die Tarifbindung im Falle der Gebundenheit des Arbeitgebers kraft Gesetzes auf die Arbeitnehmer ausgeweitet – zum Streit nur Wiedemann/Oetker, § 3 Rn. 163 ff.; wie hier jüngst BAG 29. 7. 2009 NZA 2009, 1424, unter B. II. 4. der Gründe, Rn. 25 des Beschlusses; zur Irrelevanz des Streits für die Bestimmung des Zwecks des § 3 Abs. 2 TVG vgl. Ganter, Die tarifvertragliche Regelung betrieblicher Fragen, S. 33; s. auch jüngst Greiner, Rechtsfragen, S. 384, der den Streit insgesamt als dogmatisches Glasperlenspiel ohne praktische Bedeutung bezeichnet. 84
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b) Der „innere Grund“ der Verknüpfung von Tatbestand und Rechtsfolge Nun gibt die Rechtsfolge einer Vorschrift – und insofern hat die Kritik Wiedemanns an der rechtsfolgenorientierten Bestimmung des Begriffs der Rechtsnorm über betriebliche Fragen, es handele sich um eine „formale Betrachtungsweise“88, einen zutreffenden Kern – eine eher formale Auskunft darüber, an welche Verknüpfung von Tatbestand und Rechtsfolge der Gesetzgeber gedacht hat89. Für die Auslegung nach dem Zweck des Gesetzes muss sich eine Untersuchung darüber anschließen, welcher innere Grund den Gesetzgeber zu der Regelung bewogen hat.90 Um die gesetzgeberische Interessenbewertung aufzudecken, muss hinter dem bloßen „Wie“ der Regelung ihr „Warum“, also der Zweck der gewählten Verknüpfung von Tatbestand und Rechtsfolge ermittelt werden.91 aa) Die Einheitlichkeit der Regelung Den Ausschlag muss, wie bereits Nikisch zutreffend erkannt hat, die Überlegung geben, aus welchem Grunde man zwischen Betriebsnormen und Inhaltsnormen unterscheidet.92 Warum also hat der Gesetzgeber in § 3 Abs. 2 TVG die unterschiedslose Geltung der betrieblichen Normen für alle Arbeitnehmer im Betrieb eines tarifgebundenen Arbeitgebers angeordnet? Zunächst ganz allgemein gehalten wird sich sagen lassen, dass dadurch Schwierigkeiten vermieden werden sollten, die sich ergäben, wenn – wie in den §§ 4 Abs. 1 Satz 1, 3 Abs. 1 TVG für die Individualnormen – an die Tarifgebundenheit einzelner Arbeitnehmer angeknüpft würde.93 Es wird der Zweck verfolgt, bestimmte Angelegenheiten, die im Betrieb nur einheitlich geordnet werden können, einheitlich zu regeln; Zweck ist die Einheitlichkeit der Regelung.94 Der so umrissene Zweck des § 3 Abs. 2 TVG hat für das Begriffsverständnis ausschlaggebend zu sein.95 Da man auf ihn aus der von § 3 Abs. 2 TVG ange88 Wiedemann, RdA 1997, 297 (300); s. auch Ingelfinger, Anm. zu BAG 17. 6. 1997 SAE 1999, 128 (132); Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 721. 89 Wank, Begriffsbildung, S. 92. 90 Wank, Begriffsbildung, S. 92; Hervorhebung nicht im Original. 91 Rüthers/C. Fischer, Rechtstheorie, Rn. 136. 92 Vgl. Nikisch, Arbeitsrecht II, § 73 IV. 2., S. 303; die Hervorhebung ist aus dem Original übernommen. Wörtlich heißt es bei Nikisch, a. a. O. (Hervorhebung in diesem Fall nicht im Original): „. . . zwischen Betriebsnormen und anderen Inhaltsnormen . . .“. Das erklärt sich daraus, dass Nikisch die betrieblichen Normen für Inhaltsnormen besonderer Art hielt, bei denen zwischen tarifgebundenen und anderen Arbeitnehmern nicht unterschieden werden könne (a. a. O., § 73 IV. 1., S. 301); kritisch dazu Richardi, Kollektivgewalt, S. 234; Wiedemann/Stumpf, § 1 Rn. 246; Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 752. 93 Insoweit zutreffend Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 33. 94 Richardi, Kollektivgewalt, S. 238; A. Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 161; s. auch Ganter, Die tarifvertragliche Regelung betrieblicher Fragen, S. 33. 95 Im Ansatz wie hier Peters/Ossenbühl, Übertragung, S. 116.
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ordneten Rechtsfolge zurückschließen kann – teleologische als rechtsfolgenorientierte Begriffsbildung –, taugt der Rückschluss von der Rechtsfolge auf den Tatbestand mitnichten nur als Plausibilitätskontrolle eines zuvor gefundenen Ergebnisses.96 bb) Präzisierung der Formel von der notwendigen einheitlichen Geltung Im Ansatz geht die Begriffsbestimmung des BAG demnach durchaus in die richtige Richtung, wenn das Gericht fragt, ob es sich um Bestimmungen handelt, die in der sozialen Wirklichkeit aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nur einheitlich gelten können.97 Unter teleologischen Gesichtspunkten ist aber die Formel von der notwendigen einheitlichen Geltung präzisierungsbedürftig. Die unterschiedslose Geltung der betrieblichen Normen für alle Arbeitnehmer im Betrieb eines tarifgebundenen Arbeitgebers hat der Gesetzgeber in § 3 Abs. 2 TVG angeordnet, weil Schwierigkeiten vermieden werden sollten, die sich ergäben, wenn an die Tarifgebundenheit einzelner Arbeitnehmer angeknüpft würde. Das Problem ist aber, dass ganz verschiedene Schwierigkeiten denkbar sind.98 Das BAG hat bislang versäumt, herauszuarbeiten, wodurch sich die Schwierigkeiten, die es durch die Annahme einer betrieblichen Norm mit der Folge der einheitlichen Normgeltung vermeiden will, ergeben. Insofern erscheint es als zwar über das Ziel hinausschießende, aber auch nicht ganz unberechtigte Kritik, wenn die Formel des BAG von der Notwendigkeit betriebseinheitlicher Geltung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen als „Leerformel“ gescholten wird.99 Die Inhaltsarmut der Formel rührt daher, dass das BAG nicht sagt, Schwierigkeiten konkret welcher Art, insbesondere: welchen Ursprungs vermieden werden sollen. IV. Das Merkmal der „Betrieblichkeit“ Zur Klärung dieser Frage und zur inhaltlichen Ausfüllung der auf einer normzweckorientierten Betrachtung gründenden Formel von der notwendigen betriebseinheitlichen Geltung muss das „Betriebliche“ an den in § 3 Abs. 2 TVG genannten „betrieblichen Fragen“ in den Blick genommen werden; allein mit der
96 So aber Dieterich, FS Däubler, S. 451 (453 f.); s. auch JKO/Krause, § 4 Rn. 72; zutreffend demgegenüber schon Peters/Ossenbühl, Übertragung, S. 116 (bei Fn. 18). 97 s. die Nachweise oben unter C. I., Fn. 34, 42. Für eine Definition der Betriebsnormen über die zwingende Einheitlichkeit ihrer Anwendung auch Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 50 f.; s. auch MüArbR/Rieble/Klumpp, § 172 Rn. 6, 7 ff.; aus der Rechtsprechung aktuell BAG 9. 12. 2009 NZA 2010, 712, unter B. III. 2. b) bb) (2) (c) (aa) der Gründe, Rn. 48 des Urteils. 98 Insoweit zutreffend Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 33. 99 ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 47; ebenso C. Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, S. 195; s. auch Fuchs/Reichold, Tarifvertragsrecht, Rn. 83.
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Rechtsfolge der einheitlichen Geltung kann der Begriff der Rechtsnorm über betriebliche Fragen – auch in seinem Kern – nicht geklärt werden. Der Kritik an der rechtsfolgenorientierten Begriffsbestimmung ist daher in dem Punkt Recht zu geben, dass die Rechtsfolge – einheitliche Geltung für organisierte und nicht organisierte Arbeitnehmer – nicht das einzige Tatbestandsmerkmal abgeben kann.100 Man muss einen sachlichen Anknüpfungspunkt benennen, unter welchen Umständen oder aus welchen Gründen die Tarifvertragsnormen für alle Arbeitnehmer gleichmäßig gelten sollen.101 Methodisch bedeutet der Ansatz bei dem Begriff der „betrieblichen Fragen“ nicht etwa einen Widerspruch zu der oben geäußerten Einschätzung, dass der Wortlaut des § 3 Abs. 2 TVG (sowie der §§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG) für das Verständnis der Betriebsnormen nicht aufschlussreich sei. Dieses Vorgehen ist vielmehr der Einsicht geschuldet, dass die Auslegung bei den vier Auslegungskriterien – Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte, Zweck – nicht jeweils isoliert und statisch erfolgen darf, sondern als Teil eines Prozesses verstanden werden muss. Insbesondere die grammatische Auslegung kann in einem ersten Durchlauf nur mögliche Bedeutungsvarianten aufzeigen102, während die Entscheidung für eine bestimmte Auslegung erst nach Durchlaufen des gesamten Auslegungsvorgangs, besonders nach Einbeziehung des teleologischen Gesichtspunktes, gefällt werden kann.103 Ein zunächst nichtssagender oder mehrdeutiger Ausdruck erhält seinen Sinn erst durch die Anwendung verschiedener Auslegungsmittel; der juristische Wortsinn stellt sich folglich seinerseits erst als Ergebnis eines Auslegungsvorganges, als (insbesondere) teleologisch ermittelter Wortsinn dar.104 Es muss demnach im Folgenden darum gehen, den Begriff der „betrieblichen Fragen“ auf der Grundlage derjenigen Erkenntnisse zu untersuchen, die mittels der normzweck-, insbesondere rechtsfolgenorientierten Auslegung des § 3 Abs. 2 TVG gewonnen wurden. Das teleologisch ermittelte Merkmal der notwendigen betriebseinheitlichen Geltung ist mit dem Merkmal der „Betrieblichkeit“ in Beziehung zu setzen. Abstrakt gesprochen besteht die Aufgabe darin, den Sinnzusammenhang zwischen Tatbestand („Rechtsnorm über betriebliche Fragen“) und Rechtsfolge (einheitliche Geltung im ganzen Betrieb) wiederherzustellen.
100
Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 730; Wiedemann, RdA 1997, 297 (300). Wiedemann, RdA 1997, 297 (300); Hervorhebungen nicht im Original. 102 Zu einigen möglichen Deutungen des Begriffs der „betrieblichen Fragen“ s. nochmals Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 26. 103 Vgl. Wank, RdA 1998, 71 (75); s. auch Kudlich/Christensen, JZ 2009, 943 (944). 104 Wank, RdA 1987, 129 (131 f.) sowie ders., Anm. zu BAG 31. 1. 1985 EzA BGB § 613a Nr. 42, S. 272c; s. auch Kudlich/Christensen, JZ 2009, 943 (944). 101
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1. BAG im Anschluss an Dieterich: Betriebliche Fragen als Fragen der Betriebsgestaltung Bei der „Betrieblichkeit“ handelt es sich um ein Tatbestandsmerkmal, das der Konkretisierung bedarf.105 Wenn es in der Literatur heißt, die h. M. verzichte auf ein eigenständiges Verständnis des Betrieblichen an der Betriebsnorm106, so trifft dieser Vorwurf das BAG nur bedingt. Das BAG hat immerhin im Anschluss an Dieterich107 betriebliche Fragen als Fragen der Betriebsgestaltung gekennzeichnet, die sich auf die Betriebsmittel, auf die Mitarbeiter und auf die organisatorische Zusammenfassung des Ganzen beziehen könnten.108 Bei anderer Gelegenheit hat es betriebliche Normen als solche Normen definiert, die die Organisationsgewalt des Arbeitgebers im Betriebe regeln.109 Anknüpfungspunkt der betrieblichen Normen sei die Organisation des Unternehmens, also die Realisierung der betrieblichen Planung. Es gehe ihnen darum, die unternehmerische Gestaltungsfreiheit im Interesse der Arbeitnehmer einzuschränken oder zu kanalisieren.110 2. Kritik und eigener Ansatz Zur inhaltlichen Ausfüllung der Formel von der notwendig betriebseinheitlichen Geltung eignen sich diese Ableitungen jedoch nur begrenzt. Das hat insbesondere zwei Gründe. a) Herkömmlicher arbeitsrechtlicher Betriebsbegriff als zweifelhafter Ausgangspunkt Erstens ist das methodische Vorgehen Dieterichs, an den sich das BAG anlehnt, anfechtbar. Um herauszufinden, was unter „betrieblichen Fragen“ zu verstehen ist, geht er von dem Begriff des Betriebes aus111, wobei er die herkömmliche arbeitsrechtliche Betriebsdefinition zugrunde legt112. Danach ist der Betrieb die organisatorische Einheit, innerhalb derer ein Unternehmer allein oder in Ge105 JKO/Krause, § 4 Rn. 68 f.; s. auch MüArbR/Rieble/Klumpp, § 172 Rn. 6. Skeptisch aber Ingelfinger, Anm. zu BAG 17. 6. 1997 SAE 1999, 128 (133); Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, S. 80. 106 Löwisch/Rieble, § 1 Rn. 109; ebenso Dieterich, FS Däubler, S. 451 (454): Das Tatbestandsmerkmal der betrieblichen Fragen sei praktisch eliminiert. 107 Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 34 ff. 108 s. die Nachweise oben in Fn. 35; im Ausgangspunkt zustimmend MüArbR/Rieble/Klumpp, § 172 Rn. 6. 109 BAG 23. 2. 1988 AP BetrAVG § 1 Zusatzversorgungskassen Nr. 17; 3. 4. 1990 AP GG Art. 9 Nr. 56; s. auch BAG 27. 4. 1988 AP BeschFG 1985 § 1 Nr. 4 (Gamillscheg); ebenso Schaub, ArbR-Hdb., § 202 Rn. 17. 110 s. die Nachweise oben in Fn. 37. 111 Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 34 ff. 112 Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 35 f.
Kap. 2: Abgrenzung von Betriebs- und Inhaltsnormen
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meinschaft mit seinen Mitarbeitern mit Hilfe von sächlichen oder immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt.113 An diesen Begriff des Betriebes will Dieterich den Begriff der betrieblichen Fragen ganz eng anschließen und daher nur solche Fragen als „betrieblich“ kennzeichnen, die sich unmittelbar mit dem Betrieb, mit der Gestalt des Betriebes selbst befassen: Fragen der Betriebsgestaltung.114 Nun ist aber zweifelhaft, ob der Begriff „betrieblich“ in §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2 TVG wirklich organisatorisch gemeint ist.115 Der Betriebsbegriff wird in diversen arbeitsrechtlichen Regelungszusammenhängen mit ganz unterschiedlichen Sinnaussagen verwendet. Die Begriffsbildung muss daher stets auf die Funktion des Betriebsbegriffs im jeweiligen Regelungszusammenhang abgestimmt sein.116 Der Betriebsbegriff ist – wie grundsätzlich jeder in einem Rechtssatz gebrauchte Begriff117 – ein funktionsbestimmter Begriff118. Als solcher muss er jeweils aus dem einzelnen normativen Regelungszusammenhang heraus analysiert werden.119 Es ist stets zu beachten, dass der teleologische Zusammenhang eine vom allgemeinen arbeitsrechtlichen Betriebsbegriff abweichende Definition erfordern kann120 – Relativität der Begriffsbildung.121 Ob der Betriebsbegriff in Ansehung seiner Offenheit derart weit reichende Schlüsse hinsichtlich der in § 3 Abs. 2 TVG angesprochenen „betrieblichen Fragen“ erlaubt, wie sie Dieterich122 und ihm folgend das BAG aus ihm ziehen, erscheint fragwürdig.123 Dieterich selbst hat später, die Kritik Säckers und Oetkers124 aufgreifend, eingeräumt, dass der „formelhafte“ Begriff der „Betriebsge113 Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 35 m.w. N.; s. aus heutiger Zeit nur, allerdings – mit Recht – kritisch, ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 194. 114 Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 37 f. 115 Lieb, RdA 1967, 441 (442, 444); s. auch Giesen, Rechtsgestaltung, S. 399; wie Dieterich für eine Anknüpfung an den allgemeinen arbeitsrechtlichen Betriebsbegriff aber offenbar auch Wiedemann/Oetker, § 3 Rn. 182; vom Betrieb im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn gehen aus MüArbR/Rieble/Klumpp, § 172 Rn. 6. 116 Joost, Betrieb und Unternehmen als Grundbegriffe im Arbeitsrecht, S. 11; Preis, RdA 2000, 257 (258 ff.). 117 Wank, Begriffsbildung, S. 79; s. dazu auch schon oben D. I. mit Fn. 58. 118 Joost, Betrieb und Unternehmen als Grundbegriffe im Arbeitsrecht, S. 11; s. auch Wank, FS 50 Jahre BAG, S. 245 (247 f.) zum Betriebsbegriff des europäischen Gemeinschaftsrechts. 119 Joost, Betrieb und Unternehmen als Grundbegriffe im Arbeitsrecht, S. 12; zustimmend Preis, RdA 2000, 257 (259). 120 ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 193; umfassende Analyse bei Preis, RdA 2000, 257 (259 ff.). 121 Allgemein Wank, Begriffsbildung, S. 110 ff.; in Hinsicht auf den Betriebsbegriff Wank, FS 50 Jahre BAG, S. 245 (248). 122 Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 38 ff., 40 ff. 123 Vgl. Giesen, Rechtsgestaltung, S. 400 f., 411; Schwarze, ZfA 2003, 447 (448). 124 Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen, S. 139.
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
staltung“ und sinngleiche Umschreibungen weiterer Konkretisierungen bedürften.125 Der Begriff der „betrieblichen Fragen“ lässt – wie gesagt – mehrere Deutungen zu.126 b) Fehlen einer sinnhaften Verknüpfung beider Definitionselemente Zweitens ist es zwar zu begrüßen, dass das BAG sich um eine inhaltliche Ausfüllung der Formel von der Notwendigkeit betriebseinheitlicher Geltung bemüht; auch ist der Ansatz bei den „betrieblichen Fragen“ richtig.127 Was beim BAG aber fehlt, ist eine Verknüpfung zwischen beiden Definitionselementen. Die Formel von der notwendig einheitlichen Geltung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen einerseits und das Merkmal der Betriebsgestaltung mit seinen Konkretisierungen andererseits stehen eher zusammenhanglos nebeneinander; beide Elemente sind nicht sinnhaft aufeinander bezogen. Das dürfte auch daran liegen, dass das BAG sich für die Definition der „betrieblichen Fragen“ an Dieterich anlehnt, der das Merkmal der notwendig einheitlichen Geltung indes gerade ablehnt.128 So erweckt das Konzept des BAG ein wenig den Eindruck eines Theoriensynkretismus.129 c) Bestimmung des Merkmals der „Betrieblichkeit“ durch Denken in Gegenbegriffen Richtigerweise kann der volle Bedeutungsgehalt des Begriffs der „betrieblichen Fragen“ im normativen Kontext des § 3 Abs. 2 TVG nur entfaltet werden, wenn man die im Gesetz (§§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1, 2, 4 Abs. 1 TVG) angelegte Gegenüberstellung von Kollektiv- und Individual-, insbesondere von Betriebs- und Inhaltsnormen und damit von betrieblichen Fragen und solchen Fragen in den Blick nimmt, die (nur) das einzelne Arbeitsverhältnis betreffen. Methodisch handelt es sich um ein Denken in Gegenbegriffen.
125 Dieterich, FS Däubler, S. 451 (453); s. auch JKO/Krause, § 4 Rn. 60; kritisch auch schon Ingelfinger, Anm. zu BAG 17. 6. 1997 SAE 1999, 128 (133); Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, S. 80, 94. 126 s. nochmals Dieterich/P. Hanau/Henssler/Oetker/Wank/Wiedemann, RdA 2004, 65 (73), die de lege ferenda die Nennung von Regelbeispielen anregen; dafür auch schon Wiedemann, Anm. zu BAG 1. 8. 2001 AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 5. 127 Vgl. nochmals JKO/Krause, § 4 Rn. 68 f. 128 s. Dieterich, FS Däubler, S. 451 (453 f.). 129 s. auch Arnold, Betriebliche Tarifnormen, S. 110, der dem BAG eine Zusammenstellung disparater Gesichtspunkte bescheinigt und moniert, das BAG stelle eine ganze Reihe von Gesichtspunkten nebeneinander, ohne deren Verhältnis zueinander näher zu untersuchen; insbesondere durch die Anlehnung an Dieterich komme es zu einer freien Kombination rechtsfolgenorientierter und tatbestandlich-begrifflicher Definitionsmerkmale.
Kap. 2: Abgrenzung von Betriebs- und Inhaltsnormen
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aa) „Betrieb“ und „Unternehmen“ als Gegenbegriffe Den methodischen Ansatz des Denkens in Gegenbegriffen hat auch Dieterich gewählt. Er stellt den Begriff des Betriebes unter Verwendung der herkömmlichen arbeitsrechtlichen Betriebsdefinition dem Begriff des Unternehmens gegenüber.130 Auch der Begriff des Unternehmens bezeichne eine organisatorische Einheit. Der Unterschied liege nur in dem anderen Zweck, an dem sich die Unternehmenseinheit orientiere; es sei der über den arbeitstechnischen Betriebszweck hinausgehende wirtschaftliche oder ideelle Zweck. Diesem Unternehmungszweck gegenüber sei die arbeitstechnische Zielsetzung die vordergründigere; sie habe nur dienende Funktion. Die Einheit des Betriebes bedeute infolgedessen nur einen Ausschnitt der Unternehmenseinheit.131 Die Einheit des Betriebes und die Unternehmenseinheit sieht Dieterich eng miteinander verflochten. Diese Verflochtenheit habe zur Folge, dass die Fragen, die im Betrieb auftauchen, mehr oder weniger stark vom Unternehmen her bestimmt seien und umgekehrt.132 Die Verflochtenheit von Betrieb und Unternehmen zeigt sich für Dieterich u. a. beim Betriebszweck, also dem arbeitstechnischen Zweck, den der Unternehmer im Betrieb ausweislich der Betriebsdefinition verfolgt. Da der Betriebszweck gegenüber dem Unternehmenszweck, d. h. dem über die arbeitstechnische Zielsetzung hinausgehenden wirtschaftlichen oder ideellen Zweck, nur dienende Funktion habe, sei das vom Unternehmer mit unternehmerischem Wagemut gesteckte arbeitstechnische Betriebsziel eine für den Betrieb bereits durch die konkrete Gestalt des Unternehmens „vorgegebene Größe“. Bei seiner Festsetzung gälten nur rein unternehmerische Gesichtspunkte. Wenn an die Ausgestaltung eines Betriebes („betriebliche Fragen“ als Fragen der Betriebsgestaltung) gegangen werde, müsse das Betriebsziel bereits feststehen.133 Daher, so die Schlussfolgerung Dieterichs, soll der Betriebszweck, wie alle vom Unternehmen her vorgegebenen Merkmale des Betriebes, als Gegenstand betriebsgestaltender Fragen ausscheiden.134 Im Ausgangspunkt findet sich dasselbe Vorgehen bei Säcker und Oetker. Durch den Rückgriff auf den Betrieb als Bezugspunkt der Betriebsnormen habe der Gesetzgeber die bereits im Zeitpunkt des Inkrafttretens des TVG anerkannte Differenzierung zwischen Betrieb und Unternehmen adaptiert. Deshalb seien unternehmerische Fragen nicht mit Hilfe des Tariftyps der Betriebsnormen einer normativen Regelung zugänglich. Lediglich die arbeitstechnische Organisation 130
Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 36. Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 36, auch S. 75. s. aus heutiger Zeit zum Unternehmensbegriff nur ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 196. 132 Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 36, auch S. 75. 133 Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 38. 134 Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 38 f. 131
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
der wirtschaftlichen oder ideellen Zielvorstellungen des Unternehmens könne mittels einer normativen tarifvertraglichen Regelung per Betriebsnorm gestaltet werden.135 bb) Der Begriff des Unternehmens als funktional inadäquater Gegenbegriff Nun ist das Denken in Gegenbegriffen zwar ein wichtiges Mittel der juristischen Begriffsbildung136; man muss dann aber auch den „richtigen“, d. h. den für den jeweiligen Zusammenhang funktional adäquaten Gegenbegriff wählen. Dies kann für die Bestimmung des Begriffs der „betrieblichen Fragen“ i. S. d. § 3 Abs. 2 TVG nicht, zumindest nicht an erster Stelle, der Unternehmensbegriff sein. Zwar ist es richtig, dass die Begriffe Betrieb und Unternehmen eng miteinander verbunden sind.137 Der Begriff des Unternehmens mag daher als der nahe liegende, gleichsam „natürliche“ Gegenbegriff zu dem des Betriebs erscheinen. In verschiedenen Zusammenhängen kann es auch für die Auslegung arbeitsrechtlicher Gesetzesvorschriften auf die Unterscheidung von Betrieb und Unternehmen ankommen. Demnach erscheint es durchaus nicht als abwegig, auch bei § 3 Abs. 2 TVG mit den Gegenbegriffen des Betriebs und des Unternehmens zu operieren. Im Ergebnis ist es auch richtig, die rein unternehmensbezogenen Fragen aus dem Begriff der „betrieblichen Fragen“ i. S. des § 3 Abs. 2 TVG auszunehmen. Dabei geht es aber in erster Linie nicht um die Bestimmung des Begriffs der Rechtsnormen über betriebliche Fragen i. S. des § 3 Abs. 2 TVG, nicht darum, den Kreis jener Tarifvertragsnormen festzulegen, für deren Geltung es ausnahmsweise nicht auf die beiderseitige Tarifbindung der Arbeitsvertragsparteien ankommt, statt dessen bereits die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers ausreicht. Es handelt sich hier vielmehr um die Frage nach den Grenzen der Tarifmacht schlechthin, mithin nicht um die Bestimmung der Reichweite des § 3 Abs. 2 TVG, sondern um eine systematisch den Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG („Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“), § 1 Abs. 1 TVG zuzuordnende Frage. Vereinfacht könnte man sagen, dass nicht die personelle Reichweite der Tarifmacht (§§ 3, 4 Abs. 1, 2 TVG) betroffen ist, sondern die sachlichen Grenzen derselben in Rede stehen. Die Unterscheidung betrieblicher und unternehmerischer Fragen betrifft nicht die Abgrenzung von Kollektiv- und Individual-, speziell von Betriebs- und 135 Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen, S. 140, Hervorhebung aus dem Original übernommen; s. auch Wiedemann/Oetker, § 3 Rn. 182. 136 Vgl. Wank, Begriffsbildung, S. 41, 151 f.; s. auch dens., Arbeitnehmer, S. 5, 25 f., 30, 55, 94, 166 und öfter; dens., FS 50 Jahre BAG, S. 245 (254). 137 Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 36, allerdings ausgehend vom allgemeinen arbeitsrechtlichen (organisatorischen) Betriebsbegriff, von dem gerade zweifelhaft ist, ob er auch in § 3 Abs. 2 TVG gemeint ist – s. nochmals Lieb, RdA 1967, 441 (442).
Kap. 2: Abgrenzung von Betriebs- und Inhaltsnormen
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Inhaltsnormen, sondern – vorgelagert – die prinzipielle Bestimmung der Grenzen der Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien („Binnenschranken der Tarifautonomie“138). Die Gegenüberstellung von Betrieb und Unternehmen hilft demnach für die Interpretation des § 3 Abs. 2 TVG nicht entscheidend weiter. Die Ausscheidung unternehmerischer Fragen folgt nicht aus dem Begriff der „betrieblichen Fragen“, sie ist Konsequenz der Abgrenzung von Tarif- und Unternehmensautonomie.139 Das wird gerade auch dann deutlich, wenn man auf den Betriebszweck sieht. Gegen die Annahme, dass der Betriebszweck gegenüber dem Unternehmenszweck nur dienende Funktion habe und dass deswegen das vom Unternehmer mit unternehmerischem Wagemut gesteckte arbeitstechnische Betriebsziel eine für den Betrieb bereits durch die konkrete Gestalt des Unternehmens „vorgegebene Größe“ sei140, ist nichts einzuwenden.141 Die hieraus gezogene Schlussfolgerung, der Betriebszweck müsse, wie alle vom Unternehmen her vorgegebenen Merkmale des Betriebes, als Gegenstand betriebsgestaltender Fragen ausscheiden142, greift aber zu kurz. Die Festlegung des Betriebsziels kann nicht nur nicht Gegenstand betrieblicher Normen i. S. d. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG sein, sie scheidet vielmehr aufgrund des Vorbehalts unternehmerischer Entscheidungen, der den unternehmerischen Autonomiebereich143 von tariflicher Mitbestimmung freihält, gänzlich aus der tarifvertraglichen Regelungsbefugnis aus. Zwar ist, ohne dass dies hier vertieft werden kann, im Einzelnen umstritten, in welchem Umfang die Tarifvertragsparteien auf unternehmerische Sachentscheidungen Einfluss gewinnen können. Aktuell wurden diese Fragen zuletzt wieder in der Debatte um die sog. Tarifsozialpläne oder Sozialplantarifverträge144, in der es auch darum geht, ob die erhobenen Tarifforderungen einen rechtswidrigen Eingriff in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit beinhalten.145 138
Henssler, FS Richardi, S. 553 (558). s. auch Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 82. 140 s. nochmals Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 38. 141 s. dazu auch Däubler, Das Grundrecht auf Mitbestimmung, S. 293. 142 Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 38 f. 143 BAG 3. 4. 1990 AP GG Art. 9 Nr. 56, unter B. II. der Gründe; Gamillscheg, KollArbR I, § 7 III. 5. a), S. 339. 144 s. die Entscheidungen BAG 24. 4. 2007 AP TVG § 1 Sozialplan Nr. 2 (Fischinger); LAG Niedersachsen 2. 6. 2004 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 74 (Thüsing/ Ricken); LAG Hessen 2. 2. 2006 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 75. 145 Speziell zu diesem Aspekt der Diskussion um den Tarifsozialplan etwa Fischinger, Anm. zu BAG 24. 4. 2007 AP TVG § 1 Sozialplan Nr. 2, unter VIII.; Franzen, ZfA 2005, 315 (335 ff.); Henssler, FS Richardi, S. 553 (558 ff.); Kaiser, FS Buchner, S. 385 (386 ff., 393 ff.); Schneider/Sittard, ZTR 2007, 590 (593); Thüsing/Ricken, JbArbR 42 (2005), 113 (118 ff.); Wank, RdA 2009, 1 (6 ff.); s. auch Höfling, ZfA 2008, 1 (19 ff.); Ricken, ZfA 2008, 283 (285, 287). Zur europarechtlichen Dimension – Niederlassungsfreiheit, Art. 43 EG – s. Henssler, a. a. O., S. 560 ff.; Krause, Standortsicherung und Arbeitsrecht, S. 117 ff.; ferner Rieble, ZAF 2005, 218 (222); außerdem EuGH 11. 12. 139
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Richtigerweise wird man jedenfalls die sog. unternehmerischen Grundlagenentscheidungen der tariflichen Regelbarkeit vorenthalten müssen.146 Die Festlegung und marktbezogene Verfolgung des Unternehmenszwecks ist die tarifvertragsfreie Sache der Unternehmensautonomie.147 Der Schutz der unternehmerischen Freiheit lässt solche tarifvertraglichen Regelungen nicht zu, die dem Unternehmer die Herrschaft über das Unternehmen selbst und die mit ihm verfolgten Ziele entziehen würden. Die Entscheidung über Bestand, Umfang und Zielsetzung muss dem Unternehmensträger verbleiben.148 Aufgrund der von Dieterich zutreffend geschilderten Verflochtenheit von Betrieb und Unternehmen, besonders von Betriebs- und Unternehmenszweck, hat dies Bedeutung für die tarifliche Regelungsbefugnis hinsichtlich betrieblicher Maßnahmen, die Konsequenz grundlegender Entscheidungen auf Unternehmensebene sind.149 Zu der durch Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG geschützten Unternehmerfreiheit gehört notwendigerweise auch die Verfügungsgewalt über den einzelnen Betrieb. Die grundsätzliche Entscheidung, ob, was und wo produziert wird, hat allein der Unternehmer zu treffen150; der Betriebszweck wird von ihm vorgegeben.151 Dass also für die Ermittlung des Begriffs der „betrieblichen Fragen“ Angelegenheiten, die, wie der Betriebszweck, von der Ebene des Unternehmens her vorgegeben sind, auszuschalten sind, liegt schlicht daran, dass solche grundlegenden Fragen der Unternehmensautonomie der tarifvertraglichen Regelung schlechthin – und nicht nur oder gerade der Regelung durch Betriebsnormen – entzogen sind.152 Die Tarifmacht stößt hier ganz allgemein an ihre Grenzen. Unternehmerische Fragen können für sich genommen nicht durch betriebliche Normen geregelt werden, weil es für diesen Bereich bereits an der Normsetzungsbefugnis fehlt.153
2007 AP EG Art. 43 Nr. 3 – Viking Line – und EuGH 18. 12. 2007 AP EG Art. 49 Nr. 15 – Laval und dazu im hiesigen Kontext Benecke, FS Buchner, S. 96 (100 f.); Kerwer, EuZA 2008, 335 (348 f.). 146 Wiedemann, RdA 1986, 231 (236 f.); s. auch F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 274, 277: „Kernbereich der Selbstbestimmungsfreiheit“, „Kernbereich der freien Unternehmensentscheidung“; Henssler, FS Richardi, S. 553 (559). 147 Beuthien, ZfA 1984, 1 (13). 148 Wiedemann, RdA 1986, 231 (236); s. ferner Franzen, ZfA 2005, 315 (335 f.); Thüsing/Ricken, JbArbR 42 (2005), 113 (119). 149 Vgl. Wiedemann, RdA 1986, 231 (236 f.). 150 Beuthien, ZfA 1984, 1 (12 f.); Wiedemann, RdA 1986, 231 (237); anders Däubler/Hensche, § 1 Rn. 834 m.w. N. 151 Wiedemann, RdA 1986, 231 (237); ebenso und in der Analyse zutreffend Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 38. 152 Vgl. auch Schulz, Umfang und Wirkung tariflicher Betriebsnormen, S. 38. 153 JKO/Krause, § 4 Rn. 76; s. auch Buchner, AR-Blattei SD Tarifvertrag V Inhalt 1550.5 Rn. 215; Löwisch/Rieble, § 1 Rn. 115.
Kap. 2: Abgrenzung von Betriebs- und Inhaltsnormen
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Man darf sich den Blick auf diese Unterscheidung nicht dadurch verstellen lassen, dass die Frage nach den Grenzen der Einflussnahme der Tarifvertragsparteien auf die Unternehmensautonomie in Rechtsprechung und Literatur zumeist anhand solcher tariflicher Bestimmungen erörtert wird, die untrennbar mit der Frage nach der Zulässigkeit einer Dritterstreckung von Tarifregelungen auf nicht organisierte Außenseiter verbunden sind (etwa Höchstarbeitszeiten, qualitative Besetzungsregelungen und Ähnliche). Zur Bestimmung der Reichweite der Zugriffsbefugnis der Tarifvertragsparteien auf die Unternehmensautonomie können durchaus auch solche Fälle Anlass geben, in denen es um insoweit „neutrale“ Regelungen geht, die sich ausschließlich oder wenigstens primär an die Koalitionsmitglieder richten.154 Der Begriff des Unternehmens ist daher zwar kein schlechthin untauglicher Gegenbegriff zum Betrieb und zu den „betrieblichen Fragen“. Er passt aber funktional nur zum Begriff der „betrieblichen Fragen“ in § 1 Abs. 1 TVG155, wohingegen er zur Ausfüllung des § 3 Abs. 2 TVG ungeeignet ist. § 1 Abs. 1 TVG sowie Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG mit seinem Begriffspaar der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“156, nicht dagegen § 3 Abs. 2 TVG, regeln den – möglichen – Inhalt von Tarifverträgen und damit auch, was Tarifverträge nicht regeln können. Im Kontext des § 1 Abs. 1 TVG ergibt die Gegenüberstellung von „Betrieb“ („betriebliche Fragen“) und „Unternehmen“ einen Sinn.157 Für § 3 Abs. 2 TVG führt sie nicht weiter. § 3 Abs. 2 TVG hat, wie seine Rechtsfolge belegt, nicht die Funktion, zulässige von unzulässigen Regelungsinhalten, sprich: tariflich regelbare von nicht tariflich regelbaren Fragen zu trennen. Er hat die Funktion, aus dem Kreis der tariflich regelbaren Fragen diejenigen herauszufiltern, die im Falle ihrer tarifvertraglichen Regelung ausnahmsweise ungeachtet der Gewerkschaftszugehörigkeit der Arbeitnehmer in allen Betrieben tarifgebundener Arbeitgeber gelten sollen. Zu dieser Norm gelangt man gedanklich nur, wenn man die Frage, ob eine Tarifnorm einen zulässigen, von der gegenständlichen Reichweite der Tarifmacht der Tarifvertragsparteien – wie sie durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG und den Katalog des § 1 Abs. 1 TVG abgesteckt wird – gedeckten Regelungsinhalt hat, schon (positiv) beantwortet hat und sich nun, in einem nächsten Schritt, fragt, welche Rechtsverhältnisse durch diese Tarifnorm gestaltet werden und wel-
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Zum Vorstehenden F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 269 f. s. auch Beuthien, ZfA 1984, 1 (16 ff.), der die „betrieblichen Fragen“ und die „unternehmerischen Fragen“ sowie die Begriffe „betrieblich“ und „unternehmerisch“ einander gegenüberstellt und dabei stets von „betrieblichen Fragen im Sinne des § 1 I TVG“ spricht. Vgl. zum Ganzen auch Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, S. 287 ff., 314 ff. 156 Zu den grundsätzlichen Möglichkeiten des Verständnisses der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ s. im hiesigen Zusammenhang Beuthien, ZfA 1984, 1 (10 ff.); Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, S. 245 ff., 257 ff. 157 Vgl. dazu Beuthien, ZfA 1984, 1 (16 ff.). 155
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che nicht.158 Wenn eine Frage überhaupt nicht Gegenstand einer Tarifnorm sein kann, stellt sich die weitergehende, logisch nachgeordnete Frage nach der personellen Reichweite einer Tarifnorm (nur tarifgebundene Arbeitsvertragsparteien oder auch nicht tarifgebundene Arbeitnehmer im Betrieb eines tarifgebundenen Arbeitgebers) gar nicht erst. Die Gegenüberstellung von Betrieb und Unternehmen bringt demnach im Kontext des § 3 Abs. 2 TVG keinen Ertrag. Zur Bestimmung des Begriffs des „Betrieblichen“ i. S. v. § 3 Abs. 2 TVG einen Gegenbegriff heranzuziehen, der Fragen betrifft, die überhaupt keiner tarifvertraglichen Normierung zugänglich sind, ist funktions- und systemwidrig. Funktions- und systemgerecht ist nur ein Gegenbegriff, der diejenigen Fragen zusammenfasst, die nicht der Ausnahmeregelung unterfallen sollen, deren Regelung also nicht ungeachtet des Organisationsstatus der Arbeitnehmer schon bei Tarifbindung des Arbeitgebers gelten soll, sondern für die das Regelerfordernis der Tarifnormgeltung nach deutschem Tarifrecht, die Voraussetzung der beiderseitigen Tarifgebundenheit, greift. cc) Der Begriff des einzelnen Arbeitsverhältnisses als funktionsgerechter Gegenbegriff Welche Fragen das sind, dafür liefert § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG einen Anhaltspunkt. Dass es auf § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG ankommt, wird einsichtig, wenn man sich nochmals in Erinnerung ruft, dass § 3 Abs. 2 TVG, um dessen Interpretation es geht, nach verbreiteter und zutreffender Ansicht systematisch fehlplaziert ist und an sich § 4 Abs. 2 TVG oder § 4 Abs. 1 Satz 2 TVG (bei gleichzeitigem Wegfall des geltenden § 4 Abs. 1 Satz 2 TVG) sein müsste.159 Die §§ 3 Abs. 2 (= der „eigentliche“ § 4 Abs. 2 oder § 4 Abs. 1 Satz 2 TVG) und 4 Abs. 1 Satz 1 TVG sind also gewissermaßen Komplementärnormen, so dass aus § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG als Komplementärnorm des § 3 Abs. 2 TVG auch der Komplementärbegriff zu den „betrieblichen Fragen“ herzuleiten ist. § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG befasst sich mit den Tarifnormen, die Fragen des Inhalts, des Abschlusses oder der Beendigung von Arbeitsverhältnissen regeln, mithin mit Individualfragen. Er bezieht sich auf Fragen, die allein das einzelne Arbeitsverhältnis betreffen. Funktionsadäquater Gegenbegriff zur Bestimmung des „Betrieblichen“ an den „betrieblichen Fragen“ i. S. d. § 3 Abs. 2 TVG ist daher das einzelne Arbeitsverhältnis. Gegenbegriff zu den „betrieblichen Fragen“ sind Fragen, die allein das einzelne Arbeitsverhältnis betreffen.160 158 Deutlich wird dieser notwendige gedankliche Zweischritt bei Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 86 f. 159 Nachweise oben in Fn. 80; a. A. aber Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 59 f. 160 s. auch Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 75 (Individualnormen als „Bestimmungen, die sich primär auf das einzelne Arbeitsverhältnis beziehen“), S. 80, S. 82 („Das Gesetz [. . .] stellt [. . .] jedenfalls die betrieblichen und betriebsverfassungs-
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d) „Betriebliche Fragen“ als Fragen, die über das einzelne Arbeitsverhältnis hinausreichen Stellt man nun aber Arbeitsverhältnis einerseits und Betrieb andererseits als mögliche Anknüpfungspunkte tariflicher Normsetzung gegenüber und geht man, die (durch die verfehlte Stellung des § 3 Abs. 2 TVG freilich auf den ersten Blick „verdeckte“) gesetzliche Systematik161 – § 3 Abs. 2 TVG als Ausnahme vom grundsätzlichen Erfordernis beiderseitiger Tarifbindung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG – nachvollziehend, davon aus, dass grundsätzlich der Anknüpfungspunkt das einzelne Arbeitsverhältnis ist, dann liegt es nahe, auf den Betrieb als Anknüpfungspunkt immer (und nur) dann abzustellen, wenn das einzelne Arbeitsverhältnis als Anknüpfungspunkt ausscheidet. Das ist der Fall, wenn Regelungsgegenstände betroffen sind, die sich nicht nur auf das einzelne Arbeitsverhältnis auswirken. Betriebliche Fragen sind nur Fragen, die über das einzelne Arbeitsverhältnis hinausreichen.162 Hat man als der Gesetzessystematik und dem Gesetzeszweck entsprechende Gegenbegriffe die „betrieblichen Fragen“ einerseits und die „Fragen, die allein das einzelne Arbeitsverhältnis betreffen“ andererseits herausgearbeitet, so wird klar, dass mit dem Tatbestandsmerkmal der betrieblichen Fragen der Gegensatz zu solchen Fragen herausgestellt werden soll, die – weil sie nur das einzelne Arbeitsverhältnis betreffen – auch im einzelnen Arbeitsverhältnis geregelt werden können, mithin, und das ist entscheidend, tarifvertraglich auch nur für einen Teil der Arbeitnehmer (die Tarifgebundenen163) geregelt werden können; der Gegensatz zu Fragen also, die nicht notwendig betriebsweit einheitlich geregelt werden müssen. e) Die Wechselbezüglichkeit der Arbeitsbedingungen Wenn nun die Fixierung derjenigen Fragen fällig ist, die in ihrer Bedeutung über das einzelne Arbeitsverhältnis hinausreichen, so liegt es nahe, insbesondere rechtlichen Fragen in einen deutlichen Gegensatz zu den auf das einzelne Arbeitsverhältnis bezogenen Regelungen.“). 161 Zu ihr auch Richardi, Kollektivgewalt, S. 225. 162 Insoweit wie hier Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 34; JKO/Krause, § 4 Rn. 70; Löwisch/Rieble, § 1 Rn. 105; MüArbR/Rieble/Klumpp, § 172 Rn. 1; Schaub, ArbR-Hdb., § 202 Rn. 17 und insbesondere Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen, S. 140, die dies, dem hiesigen Ansatz des Operierens mit Gegenbegriffen ähnelnd, aus einer „vergleichenden Betrachtung mit den Inhalts-, Abschluß- und Beendigungsnormen“ folgern; letztere knüpften an das Individualarbeitsverhältnis an, wobei die enge Verbindung zu dem Einzelarbeitsverhältnis durch das Erfordernis beiderseitiger Tarifbindung für die Geltung der tariflichen Vorschrift (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG) „zusätzlich verstärkt“ werde. Dies bestätigt den hiesigen Ansatz, dem Begriff der betrieblichen Fragen den Gegenbegriff des einzelnen Arbeitsverhältnisses und der Vorschrift des § 3 Abs. 2 TVG die „Komplementärnorm“ des § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG gegenüberzustellen. 163 Im Falle der realisierten Tarifpluralität: Die an den jeweiligen (von mehreren im Betrieb nebeneinander geltenden Tarifverträgen) Tarifvertrag Gebundenen.
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an solche Fragen zu denken, die sich aus der Mehrheit von Arbeitsverhältnissen, also daraus ergeben, dass der Arbeitgeber nicht nur einen einzigen, sondern mehrere Arbeitnehmer beschäftigt und dass die Arbeitsverhältnisse und die jeweils in ihnen geltenden Arbeitsbedingungen nicht isoliert nebeneinander her laufen, sondern vielfältig miteinander verschränkt sind. Damit ist innerer Grund für die Regelung des § 3 Abs. 2 TVG und dafür, dass die durch betriebliche Normen geregelten Fragen nur für den ganzen Betrieb eines tarifgebundenen Arbeitgebers einheitlich geregelt werden können, die Wechselbezüglichkeit der Arbeitsverhältnisse, genauer: der Arbeitsbedingungen unterschiedlicher Arbeitnehmer.164 Es geht im Kern um Fragen, die durch die technisch-organisatorische Verbundenheit der Arbeitsverhältnisse aufgeworfen werden165, um Arbeitsbedingungen, die in einer Wechselbeziehung zu den Arbeitsbedingungen anderer Arbeitnehmer stehen und daher nur in dieser Wechselbezüglichkeit geregelt werden können166. V. Zwischenergebnis Die vorstehenden Überlegungen ergeben für die Bestimmung des Begriffs der Rechtsnorm über betriebliche Fragen folgendes Zwischenergebnis: Betriebsnormen sind solche Normen, die Fragen regeln, die im Betrieb notwendigerweise einheitlich für alle Arbeitsverhältnisse (oder eine bestimmte Gruppe von Arbeitsverhältnissen167) geregelt werden müssen. Nicht ausreichend ist es, dass ein Regelungsgegenstand – bezogen auf eine bestimmte Branche oder einen bestimmten Unternehmenstyp – erfahrungsgemäß betriebseinheitlich geregelt 164 Wie hier ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 47; ders., RdA 2008, 193 (198); JKO/ Krause, § 4 Rn. 70; Löwisch/Rieble, § 1 Rn. 106; s. auch Wiedemann, RdA 1997, 297 (300): Betriebsnormen sollen die arbeitsteilige Organisation bewältigen (Hervorhebung aus dem Original übernommen); ferner H. Hanau, Anm. zu BAG 7. 11. 1995 AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 1, unter IV. 1. b) („Interdependenz der Arbeitsverhältnisse“); beachte dazu aber auch näher dens., RdA 1996, 158 (169 ff.). Der „empirische“ Ausgangspunkt wird auch geteilt von MüKoBGB/Reuter, vor § 21 Rn. 103: Die wechselseitige Verflochtenheit der Arbeitsverhältnisse im Betrieb schließe eine isolierte Vertretung betriebsbezogener Mitgliederinteressen weitgehend aus. Ausdrücklich ablehnend zu einer Anknüpfung an wechselbezügliche Arbeitsbedingungen hingegen jüngst Greiner, Rechtsfragen, S. 390. 165 JKO/Krause, § 4 Rn. 70; Reichold, RdA 2007, 321 (327); s. auch Wiedemann, Anm. zu BAG 18. 12. 1997 AP KSchG 1969 § 2 Nr. 46, unter 2. b) zu einem Arbeitszeitmodell im Schichtsystem: Zwingende Einbeziehung sämtlicher Arbeitnehmer einer Betriebsabteilung als für Betriebsnormen charakteristisches Erfordernis; „Sachzwang der Arbeitsorganisation“; ferner MüArbR/Rieble/Klumpp, § 172 Rn. 22 ff. 166 ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 47; ders., RdA 2008, 193 (198); dagegen jetzt Greiner, Rechtsfragen, S. 390. 167 s. dazu Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 42 f.; Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 81 (Fn. 38); Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen, S. 142. s. auch Jacobs, NZA 2008, 325 (327) mit Schlussfolgerungen für den Fall der Tarifkollision; dazu auch P. Hanau, RdA 2008, 98 (102); J. Schubert, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 59 (78) und nunmehr Greiner, Rechtsfragen, S. 393.
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wird.168 Demgegenüber betreffen Individualnormen Fragen, die auch bezogen auf das Einzelarbeitsverhältnis sinnvoll geregelt werden können.169 Die Notwendigkeit einer einheitlichen Regelung kann sich insbesondere daraus ergeben, dass Gegenstand der Tarifnorm eine Frage ist, die durch die Wechselbezüglichkeit der Arbeitsverhältnisse, genauer: durch die Wechselbezüglichkeit der Arbeitsbedingungen unterschiedlicher Arbeitnehmer, und hier besonders durch die technischorganisatorische Verbundenheit der Arbeitsverhältnisse aufgeworfen wird. VI. Unmöglichkeit oder „evidente sachlogische Unzweckmäßigkeit“ einer Regelung im Einzelarbeitsvertrag als Voraussetzung einer „betrieblichen Frage“? Wenn es vorstehend hieß, betriebliche Fragen seien nur solche Fragen, die über das einzelne Arbeitsverhältnis hinausreichen, so bedarf dies in Anbetracht einer in der Rechtsprechung des BAG häufig und auch in der Literatur gelegentlich gezogenen Schlussfolgerung einer Präzisierung. 1. Rechtsprechung des BAG im Anschluss an Säcker und Oetker Es wäre ein Missverständnis, würde man aus der Kennzeichnung betrieblicher Fragen als Fragen, die über das einzelne Arbeitsverhältnis hinausreichen, den Schluss ziehen, es könnten nur tarifvertragliche Regelungen solcher Gegenstände als Rechtsnormen über betriebliche Fragen qualifiziert werden, die nicht Inhalt einer Regelung des einzelnen Arbeitsvertrages sein können. Eben dies will aber offenbar das BAG aus seiner Formel von der notwendig einheitlichen Geltung folgern.170 Betriebsnormen seien Regelungen, die nur einheitlich gelten könnten und bei denen individualvertragliche Regelungen wegen evident sachlogischer Unzweckmäßigkeit ausschieden.171 Immer dann, wenn eine Regelung nicht Inhalt eines Individualarbeitsvertrages sein könne, handele es sich um Betriebsnormen und nicht um Inhalts- oder Abschlussnormen. Es müsse freilich für die Annahme von Betriebsnormen ausreichen, wenn eine individualvertragliche Regelung wegen evident sachlogischer Unzweckmäßigkeit ausscheidet.172 Inhalt be-
168 So noch Rüthers, FS Müller, S. 445 (454); Wiedemann/Stumpf, § 1 Rn. 244; offen lassend Weller, RdA 1986, 222 (229); wie hier etwa Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 81 (Fn. 39); Däubler/Lorenz, § 3 Rn. 61. 169 Ähnlich schon Witzig, Tarifeinheit, S. 9 f., 59. 170 Neben den im Folgenden genannten Entscheidungen auch BAG 7. 11. 1995 AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 1 (H. Hanau), unter II. 2. a) der Gründe. 171 BAG 17. 6. 1997 AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 2 (Wiedemann), unter B. 1. a) der Gründe. 172 BAG 26. 4. 1990 AP GG Art. 9 Nr. 57.
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trieblicher Normen seien eben nicht solche Regelungen, die Inhalt des Einzelarbeitsverhältnisses werden können oder sollen.173 Vor allem in diesem Punkt ist die Rechtsprechung des BAG durch die Überlegungen Säckers und Oetkers beeinflusst. Ihr Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass das Dogma einer aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen einheitlichen Regelung bislang erhebliche Interpretationsschwierigkeiten verursacht habe. Es fehle der eindeutige Bezugspunkt, nach dem es sich bemesse, ob eine Regelung aus tatsächlichen Gründen im Betrieb einheitlich gelten muss.174 Da die Betriebsnormen die über das einzelne Arbeitsverhältnis hinausreichenden Angelegenheiten umfassten, müsse die Grenzziehung auch in sachlichgegenständlicher Hinsicht auf das Individualarbeitsverhältnis bezogen werden. Über das einzelne Arbeitsverhältnis reiche eine Regelung nur dann hinaus, wenn diese nicht in dem Individualarbeitsvertrag geregelt werden kann. In dieser Situation müsse aus tatsächlichen Gründen eine einheitliche Regelung getroffen werden.175 „Nicht (im Individualarbeitsvertrag geregelt werden) können“ dürfe allerdings nicht im Sinne naturwissenschaftlicher Unmöglichkeit verstanden werden. Da zumindest theoretisch jede Sachmaterie einer Regelung in Allgemeinen Arbeitsbedingungen zugänglich sei, verbliebe sonst für die Betriebsnormen in sachlich-gegenständlicher Hinsicht praktisch kein Anwendungsbereich. Es genüge daher die evidente sachlogische Unzweckmäßigkeit einer individualvertraglichen Regelung, um aus tatsächlichen Gründen einen Zwang zu einer betriebseinheitlich geltenden Vorschrift zu bejahen.176 2. Würdigung a) Unmöglichkeit/Unzweckmäßigkeit einer einzelarbeitsvertraglichen Regelung oder Unmöglichkeit/Unzweckmäßigkeit einer unterschiedlichen Regelung in verschiedenen Arbeitsverträgen? aa) Hierzu muss klarstellend gesagt werden: Dass eine Frage nicht im Individualarbeitsvertrag geregelt werden kann, ist keine zwingende Voraussetzung für die Annahme einer „betrieblichen Frage“ und damit einer betrieblichen Norm. Es kann im konkreten Fall, muss aber nicht immer so sein, dass der Regelungsgegenstand einer Betriebsnorm als Gegenstand einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung ausscheidet. Das ergibt sich unmittelbar aus dem hiesigen, im Ansatz mit 173 BAG 3. 4. 1990 AP GG Art. 9 Nr. 56; aus der Literatur ebenso etwa Baumann, RdA 1994, 272 (273): Betriebsnormen seien „keiner einzelvertraglichen Vereinbarung zugänglich“. 174 Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen, S. 142. 175 Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen, S. 142. 176 Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen, S. 142 f.
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dem Konzept des BAG und von Säcker und Oetker übereinstimmenden rechtsfolgenorientierten Begriffsverständnis. Bei rechtsfolgenorientierter Betrachtung ist nicht erforderlich, dass es sich um Regelungen handelt, die überhaupt nicht im Individualarbeitsvertrag getroffen werden können, es muss sich bloß um solche Regelungen handeln, die nicht in verschiedenen Individualarbeitsverträgen (mit dem Arbeitgeber ein und desselben Betriebs) unterschiedlich getroffen werden können. Dabei müsste mit Blick auf den Normzweck des § 3 Abs. 2 TVG von einer „unterschiedlichen“ Regelung in diesem Sinne auch schon dann gesprochen werden, wenn eine Materie in einem Arbeitsvertrag oder einigen Arbeitsverträgen geregelt ist, während sich hierzu in einem anderen Arbeitsvertrag oder in anderen Arbeitsverträgen überhaupt keine Regelung findet. Telos des § 3 Abs. 2 TVG ist nicht, solche Fragen einer betriebsweit einheitlichen tariflichen Regelung zuzuführen, die überhaupt nicht arbeitsvertraglich geregelt werden können, sondern solche, die nicht für einzelne Arbeitsverhältnisse unterschiedlich geregelt werden können. Auch vor dem Hintergrund des hier betonten Aspekts der Wechselbezüglichkeit der Arbeitsbedingungen unterschiedlicher Arbeitnehmer, der in vielen Fällen hinter der Notwendigkeit einer betriebseinheitlichen Regelung steht, kommt es daher allein darauf an, ob eine Frage nicht in den jeweiligen Arbeitsverträgen der verschiedenen Arbeitnehmer unterschiedlich geregelt werden kann. Wollte man tatsächlich nur solche Regelungen als Betriebsnormen qualifizieren, die nicht in den Individualarbeitsvertrag aufgenommen werden können, so wäre dies vor dem Hintergrund des Normzwecks des § 3 Abs. 2 TVG teleologisch nicht begründbar; im Ergebnis würde der Begriff der Rechtsnormen über betriebliche Fragen damit unnötig eng gefasst.177 bb) Womöglich wollten aber weder das BAG noch Säcker und Oetker die Annahme einer Betriebsnorm von der Voraussetzung der Unmöglichkeit einer Regelung im Einzelarbeitsvertrag abhängig machen, haben sie sich vielmehr lediglich missverständlich ausgedrückt. Besieht man sich die einschlägigen Aussagen genauer, so fällt auf, dass beim BAG und ebenso bei Säcker und Oetker ein gedanklicher Zwischenschritt fehlt oder zumindest nicht hinreichend deutlich aufgedeckt wird. Ohne diesen Zwischenschritt aber passen Ergebnis und Begründung nicht zusammen. Deutlich wird dies beim BAG, wenn dessen 1. Senat in seiner Entscheidung vom 17. 6. 1997 zunächst, die ständige Rechtsprechung des BAG rekapitulierend, 177 Im Ergebnis wie hier Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 731 („zu eng“); ablehnend auch Wiedemann, Anm. zu BAG 17. 6. 1997 AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 2, unter 2.; ferner Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 50 und kürzlich Greiner, Rechtsfragen, S. 390 f.
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ausführt, dass Betriebsnormen Regelungsgegenstände beträfen, die nur einheitlich gelten können und es sodann heißt: „Ihre Regelung im Individualvertrag wäre zwar nicht im naturwissenschaftlichen Sinne unmöglich, sie würde aber wegen ,evident sachlogischer Unzweckmäßigkeit ausscheiden‘, weil eine einheitliche Regelung auf betrieblicher Ebene unerläßlich ist.“178 Hier wird mithin das Erfordernis einer betriebseinheitlichen Regelung zur Begründung („weil eine einheitliche Regelung auf betrieblicher Ebene unerlässlich ist“) für das Ergebnis, dass Betriebsnormen Gegenstände betreffen, deren Regelung im Individualarbeitsvertrag ausscheidet. Dass diese Verknüpfung ohne ein gedankliches Zwischenglied keinen Sinn ergibt, liegt auf der Hand. Warum sollte die Frage, was Inhalt eines Einzelarbeitsvertrages zwischen Arbeitgeber und einzelnem Arbeitnehmer sein kann, aus der übergeordneten betrieblichen Perspektive beantwortet werden? Die Begründung „weil eine einheitliche Regelung auf betrieblicher Ebene unerlässlich ist“ vermag das Ergebnis „eine Regelung im Individualarbeitsvertrag scheidet aus“ nicht zu tragen. Tragfähig ist nur folgende Verknüpfung: Weil eine einheitliche Regelung (einer bestimmten, in der Konsequenz als „betrieblich“ i. S. d. § 3 Abs. 2 TVG zu bezeichnenden, Frage) auf betrieblicher Ebene unerlässlich ist, scheidet eine unterschiedliche Regelung in verschiedenen Individualarbeitsverträgen aus. „Unterschiedlich“ ist eine Regelung in diesem Sinne wiederum schon dann, wenn eine Frage in einem Arbeitsvertrag oder einigen Arbeitsverträgen geregelt ist, während sich hierzu in einem anderen Arbeitsvertrag oder in anderen Arbeitsverträgen überhaupt keine Regelung findet. Dass die vom BAG im Anschluss an Säcker und Oetker hergestellte Verknüpfung in dieser Form nicht tragfähig ist, merkt das BAG auch selbst. Theoretisch, so gesteht es ein, könne fast jede Sachmaterie als Arbeitsbedingung im Arbeitsvertrag geregelt werden.179 Daher behilft es sich, um nicht den Betriebsnormen jeglichen Anwendungsbereich zu nehmen, mit der von Säcker und Oetker geprägten Formel von der evidenten sachlogischen Unzweckmäßigkeit, die der – explizit nicht verlangten – naturwissenschaftlichen Unmöglichkeit gegenübergestellt wird. Auch derart modifiziert ergibt das Ganze aber im Hinblick auf die Begründung – „weil eine einheitliche Regelung auf betrieblicher Ebene unerläßlich ist“ – noch keinen Sinn. Nach wie vor fragt man sich: Warum sollte die Frage, was Inhalt eines Einzelarbeitsvertrages zwischen Arbeitgeber und einzelnem Arbeitnehmer sein kann und was nicht – sei nun das „nicht können“ als naturwissenschaftliche Unmöglichkeit, sei es als evidente sachlogische Unzweckmäßigkeit 178 BAG 17. 6. 1997 AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 2 (Wiedemann), unter B. 1. a) der Gründe; Hervorhebungen nicht im Original. 179 BAG 26. 4. 1990 AP GG Art. 9 Nr. 57, unter B. V. 2. b) der Gründe; s. auch H. Hanau, RdA 1996, 158 (168); MüArbR/Rieble/Klumpp, § 172 Rn. 9.
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zu verstehen –, aus der betrieblichen Warte beantwortet werden, also durch den Verweis auf die Notwendigkeit einer betriebseinheitlichen Regelung? Das fehlende oder zumindest nicht offen gelegte gedankliche Zwischenglied und damit das Grundproblem beim BAG und bei Säcker und Oetker ist die Gleichsetzung von „individualarbeitsvertragliche Regelung“ und „unterschiedliche Regelung in unterschiedlichen Individualarbeitsverträgen“. Aus der notwendigen betriebseinheitlichen Geltung ließe sich die Begriffsvoraussetzung „Unmöglichkeit einer Regelung im Einzelarbeitsvertrag“ nur dann herleiten, wenn individualvertragliche Regelungen in unterschiedlichen Arbeitsverträgen eines Betriebes immer zwingend „unterschiedlich“ (im obigen Sinne, also unter Einschluss des gänzlichen Fehlens einer Regelung) ausfielen. Dem ist indes praktisch mitnichten so: „Die individuell ausgehandelte Vertragsklausel tritt in der Praxis insbesondere aus Gründen der Gleichbehandlung im Unternehmen und der Rationalisierung der Personalarbeit in den Hintergrund. Der vorformulierte, zum größten Teil in gedruckten Formularen niedergelegte Arbeitsvertrag ist die Regel. Wirklich ausgehandelte Arbeitsbedingungen sind in der gegenwärtigen Vertragspraxis eine zu vernachlässigende Restgröße.“180 Diesen Zusammenhang scheinen auch Säcker und Oetker gesehen zu haben, denn bei ihnen heißt es nicht wie beim BAG, dass theoretisch fast jede Sachmaterie als Arbeitsbedingung im Arbeitsvertrag geregelt werden könne, sondern, dass zumindest theoretisch jede Sachmaterie einer Regelung in Allgemeinen Arbeitsbedingungen zugänglich sei.181 Wenn dem aber so ist, wenn also (vielleicht nicht alle, aber doch zumindest) viele Betriebsnormen auch Inhalt eines Einzelarbeitsvertrages oder jedenfalls arbeitsvertraglicher Formularverträge sein können, die aufeinander abgestimmt sind182, dann ergibt die Formel von der evidenten sachlogischen Unzweckmäßigkeit, wenn man sie, wie das BAG sowie Säcker und Oetker, auf die individualvertragliche Regelung bezieht, ebenso wenig Sinn wie das von ihnen verworfene Kriterium der naturwissenschaftlichen Unmöglichkeit. Wenn man alles oder doch fast alles, was Inhalt betrieblicher Tarifnormen sein kann, auch im Arbeitsvertrag, zumindest nämlich in arbeitsvertraglichen Einheitsregelungen ordnen kann, wann soll dann einmal eine individualvertragliche Regelung wegen evidenter sachlogischer Unzweckmäßigkeit ausscheiden? Der sachlich-gegenständliche Anwendungsbereich der Betriebsnormen bliebe ebenso schmal wie beim Verlangen nach naturwissenschaftlicher Unmöglichkeit.
180 Preis, Grundfragen, S. 54; s. auch ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 216 und §§ 305– 310 BGB Rn. 22. 181 Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen, S. 142; Hervorhebung nicht im Original. 182 Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 731.
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Damit wird klar: Das BAG sowie Säcker und Oetker haben für ihre Formel von der evidenten sachlogischen Unzweckmäßigkeit den falschen Bezugspunkt gewählt. Nicht auf die evidente sachlogische Unzweckmäßigkeit einer Regelung im Individualvertrag, sondern allenfalls auf die evidente sachlogische Unzweckmäßigkeit einer unterschiedlichen Regelung in unterschiedlichen Individualverträgen eines Betriebes kann es ankommen. Es geht, wie Franzen schreibt, um Arbeitsbedingungen, die nicht individuell zwischen dem einzelnen Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber ausgehandelt werden können, weil diese Arbeitsbedingungen in einer Wechselbeziehung zu den Arbeitsbedingungen der anderen Arbeitnehmer stehen und daher nur in dieser Wechselbezüglichkeit geregelt werden können.183 Als Zwischenergebnis ist festzuhalten: Da (fast) jede Sachmaterie als Arbeitsbedingung im Arbeitsvertrag regelbar ist, kann es auf eine (naturwissenschaftliche) Unmöglichkeit einer Regelung im Einzelarbeitsvertrag nicht ankommen. Das BAG will daher die evidente sachlogische Unzweckmäßigkeit einer individualvertraglichen Regelung genügen lassen. Da aber der Arbeitgeber in aller Regel die Möglichkeit hat, die individualvertraglich geregelten Arbeitsbedingungen der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer mittels Allgemeiner Arbeitsbedingungen aufeinander abzustimmen, will nicht recht einleuchten, wann eine einzelvertragliche Regelung jemals evident sachlogisch unzweckmäßig sein soll. Richtigerweise kommt daher als Bezugspunkt der evidenten sachlogischen Unzweckmäßigkeit nicht die individualvertragliche Regelung als solche in Betracht, sondern kann es allenfalls auf eine evident sachlogische Unzweckmäßigkeit einer unterschiedlichen Regelung in den verschiedenen Arbeitsverhältnissen mit dem Arbeitgeber ein und desselben Betriebes ankommen. „Unterschiedlich“ in diesem Sinne wäre eine Regelung wiederum und insbesondere auch schon dann, wenn eine Materie in einem Teil der Arbeitsverhältnisse geregelt ist, in einem Teil hingegen eine diesbezügliche Regelung fehlt. b) Unzweckmäßigkeit einer Unterscheidung zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern als hinreichende Voraussetzung für die Annahme einer Betriebsnorm? Tarifrechtlich käme es wegen der nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG grundsätzlich für die Geltung einer Tarifnorm im Arbeitsverhältnis erforderlichen beiderseitigen Tarifbindung zu einer „unterschiedlichen“ Regelung nach dem Vorstehenden immer dann, wenn eine Tarifnorm nicht als Betriebs-, sondern als Individualnorm eingeordnet wird; unterschiedlich ist dann die Rechtslage für die organisierten 183 ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 47; ders., RdA 2008, 193 (198), Hervorhebungen jeweils nicht im Original; gegen das Wechselbezüglichkeitskriterium aktuell Greiner, Rechtsfragen, S. 390.
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Arbeitnehmer einerseits und die nicht tarifgebundenen Belegschaftsmitglieder andererseits. Im Falle einer Tarifpluralität käme zu diesen beiden Arbeitnehmergruppen noch eine dritte (und – theoretisch – ggf. eine vierte, fünfte usw.) Gruppe hinzu; zu unterscheiden wäre dann etwa zwischen der Rechtslage für die an Tarifvertrag A gebundenen Arbeitnehmer, der Rechtslage für die an Tarifvertrag B gebundenen Arbeitnehmer und derjenigen für die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer. Damit bedeutet aber, auf die tarifrechtliche Ebene gewendet, die (evidente sachlogische) „Unzweckmäßigkeit“ im Sinne des BAG und im Sinne Säckers und Oetkers nichts anderes als (evidente sachlogische) „Unzweckmäßigkeit einer Unterscheidung zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebunden Arbeitnehmern“.184 Demnach läge, positiv gewendet, eine betriebliche Norm immer schon dann vor, wenn eine betriebseinheitliche, nicht zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern unterscheidende Regelung einer Frage (evident sachlogisch) zweckmäßig ist. Mit einer solchen Auslegung des Betriebsnormenbegriffs stieße man indes auf erhebliche Schwierigkeiten: aa) Schon Nikisch stellte für die Festlegung des Begriffs der betrieblichen Normen auf den Zweck des § 3 Abs. 2 TVG ab. Den Ausschlag für die Begriffsbestimmung müsse die Überlegung geben, aus welchem Grunde man zwischen Betriebsnormen und anderen Inhaltsnormen185 unterscheide. Diesen Grund sieht er in dem Zweck des § 3 Abs. 2 TVG, dort eine einheitliche Regelung zu ermöglichen, wo die Ordnung des Betriebes eine solche einheitliche Regelung einer Frage verlange.186 Die bloße Zweckmäßigkeit einer einheitlichen Regelung gewisser Arbeitsbedingungen, etwa des Urlaubs, mache die Inhaltsnorm187 aber noch nicht zur Betriebsnorm.188
184 So auch die Rezeption des BAG sowie Säckers und Oetkers bei Reuter, DZWiR 1995, 353 (355, 356, 357); s. auch dens., RdA 1994, 152 (153, 155); dens., ZfA 1995, 1 (46). 185 Dazu schon oben Fn. 92: Für Nikisch waren die Betriebsnormen Inhaltsnormen besonderer Art, bei denen zwischen tarifgebundenen und anderen Arbeitnehmern nicht unterschieden werden könne. 186 Nikisch, Arbeitsrecht II, § 73 IV. 2., S. 303. 187 s. nochmals oben Fn. 92: Für Nikisch war jede Betriebsnorm eine Inhaltsnorm. 188 Nikisch, Arbeitsrecht II, § 73 IV. 2., S. 302. Die Bedeutung der Abgrenzung zwischen notwendigerweise und bloß zweckmäßigerweise einheitlich geltenden Regelungen betonen etwa auch Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 81; Koller, ZfA 1978, 45 (62); Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 36 I. 2., S. 366; s. auch Zöllner, DB 1989, 2121 (2124): Betriebsnormen als Normen, die kraft der Natur der Sache – nicht bloß kraft Zweckmäßigkeit – für den gesamten Betrieb einheitlich gelten müssen. Demgegenüber stellt Wiedemann, RdA 2007, 65 (68), die „sachlich notwendige“ und die „zweckmäßige Vereinheitlichung“ einander gleich; eine „nicht unerhebliche tatsächliche Unzweckmäßigkeit individueller Regelungen“ will jetzt für die Annahme betrieblicher Tarifnormen ausreichen lassen P. Hanau, RdA 2008, 98 (102).
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Soll nun nach Auffassung des BAG sowie Säckers und Oetkers tatsächlich bereits jene Zweckmäßigkeit einer einheitlichen Regelung zur Annahme einer betrieblichen Norm genügen? Mit dem Ausgangspunkt unserer teleologischen, rechtsfolgenorientierten Begriffsbestimmung ließe sich dies nicht vereinbaren, denn als Voraussetzung einer betrieblichen Norm war hier die notwendige betriebseinheitliche Regelung einer Frage herausgearbeitet worden. Und auch Säcker und Oetker sind der Auffassung, dass reine Zweckmäßigkeitserwägungen eine Zuordnung tarifvertraglicher Regelungen zu den Betriebsnormen nicht rechtfertigen.189 bb) Mit der danach erforderlich werdenden Gegenüberstellung von (bloß) zweckmäßigerweise und notwendigerweise einheitlicher Geltung190 werden indes weitere Probleme des teleologischen, rechtsfolgenorientierten Begriffsverständnisses sichtbar. Wiewohl schon Nikisch wegen der Geltung von Betriebsnormen auch für die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer eines tarifgebundenen Arbeitgebers Wert darauf legte, dass zwischen Tarifnormen, die (nur) Inhaltsnormen sind, und solchen, die (gleichzeitig) Betriebsnormen sind, möglichst klar unterschieden werden müsse191, ist ihm von Dieterich vorgehalten worden, es bleibe unklar, wann eine Regelung notwendigerweise und wann sie nur zweckmäßigerweise einheitlich gelten müsse, wo also die Grenze zu ziehen sei zwischen bloßer Zweckmäßigkeit und der Funktion der betrieblichen Normen, eine einheitliche Ordnung zu schaffen.192 Entsprechend bescheinigt man heute dem BAG, sein Ansatz leide an mangelnder Justitiabilität. Denn was tatsächlich als notwendig einheitliche Regelung anzuerkennen sei und was nicht, könne kaum nachvollzogen werden.193 Vom Standpunkt des BAG aus gerate man in das „Dilemma“, für die „Notwendigkeit“ teleologische Kriterien finden zu müssen.194 Vom hiesigen Standpunkt aus muss demzufolge gefragt werden: – Wo verläuft die Grenze zwischen bloß zweckmäßiger und notwendiger einheitlicher Geltung? – Worin besteht der Bezugspunkt, nach dem sich bemisst, ob eine Regelung betriebseinheitlich gelten muss? – Wer ist zur Beurteilung berufen, ob die betriebseinheitliche, nicht auf den Organisationsstatus der Arbeitnehmer schauende Geltung einer Norm jeweils ein Gebot bloßer Zweckmäßigkeit oder zwingender Notwendigkeit ist? 189 So im Zusammenhang mit dem Modell einer kollektiven Verdienstsicherung Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen, S. 154 (näher zu jenem Modell dies., a. a. O., S. 16 f.). 190 Deutlich Schulz, Umfang und Wirkung tariflicher Betriebsnormen, S. 87. 191 Nikisch, Arbeitsrecht II, § 73 IV. 2., S. 302. 192 Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 18, 33. 193 Giesen, Rechtsgestaltung, S. 419. 194 Loritz, FS Zöllner, Band II, S. 865 (874).
Kap. 2: Abgrenzung von Betriebs- und Inhaltsnormen
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Gerade die zuletzt aufgeworfene Frage markiert für ein teleologisches, an der Rechtsfolge des § 3 Abs. 2 TVG der einheitlichen Geltung ansetzendes Verständnis des Begriffs der Rechtsnorm über betriebliche Fragen einen neuralgischen Punkt. Mit ihr wird zugleich der Kreis der durch die betrieblichen Normen und besonders durch die Vorschrift des § 3 Abs. 2 TVG aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen betreten.
F. Die verfassungsrechtliche Dimension des Begriffs der betrieblichen Normen I. Rechtsmethodische Einbettung: Verfassungskonforme Auslegung des § 3 Abs. 2 TVG Bis hierher wurde für die Annäherung an den Begriff der Rechtsnorm über betriebliche Fragen i. S. d. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG ein rein einfachrechtlich-hermeneutischer Weg gewählt. Insbesondere, was Wirkungsweise und Zulässigkeit betrieblicher Normen angeht, wird die Diskussion aber seit jeher auch und vor allem auf der verfassungsrechtlichen Ebene geführt.195 Von Beginn an hat das Verfassungsrecht prägend auf die Dogmatik der betrieblichen (und betriebsverfassungsrechtlichen) Tarifnormen gewirkt.196 Begriff, Wirkungsweise und Zulässigkeit von Betriebsnormen sind miteinander verschränkt.197 Schon die Definition der betrieblichen Normen kann nicht vollständig von der Verfassungsproblematik gelöst werden.198 Die Frage der Begriffsbestimmung leitet unweigerlich über zu der Frage nach den verfassungsrechtlichen Grenzen der Tarifmacht.199 Die Befürchtung, den Begriff der Betriebsnorm mit einer Fülle verfassungsrechtlicher Wertungen zu überfrachten200, vermag daher ein Ausblenden jener Wertungen bei der Begriffsbestimmung nicht zu rechtfertigen. Ihre Berücksichtigung bei der Definition des gesetzlichen Begriffs der „Rechtsnorm über betriebliche Fragen“ ist unvermeidbare Konsequenz des Gebots verfassungskonformer Auslegung, hier der verfassungskonformen Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Tarifvertragsgesetzes201, besonders des § 3 Abs. 2 TVG.202 195 s. schon oben B. und die Nachweise in Fn. 30; ablehnend zu der verfassungsrechtlichen Ausrichtung der Diskussion Arnold, Betriebliche Tarifnormen, S. 60, 176 ff., 178, 278. 196 Schwarze, ZfA 2003, 447 (448). 197 JKO/Krause, § 4 Rn. 55. 198 Zutreffend JKO/Krause, § 4 Rn. 63; s. auch Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 52; aber auch Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 728. Anderer Ansatz bei Loritz, Anm. zu BAG 26. 4. 1990 SAE 1991, 245 (249); s. auch H. Hanau, RdA 1996, 158 (162, Fn. 36). 199 Dieterich, FS Däubler, S. 451 (452). 200 Loritz, Anm. zu BAG 26. 4. 1990 SAE 1991, 245 (249). 201 Allgemein zur verfassungskonformen Auslegung des TVG Gamillscheg, KollArbR I, § 12 3. b) (2), S. 484.
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
II. Überblick über die geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken Die verfassungsrechtlichen Bedenken setzen bei der Regelung des § 3 Abs. 2 TVG an und stützen sich zum einen auf die nach h. M. von Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG umfasste negative Koalitionsfreiheit der nicht organisierten Arbeitnehmer, zum zweiten auf das Rechtsstaats- und auf das Demokratieprinzip. 1. Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG schützt nach ganz h. M. auch die negative Koalitionsfreiheit.203 Weit umstrittener ist der konkrete Gewährleistungsgehalt der negativen Koalitionsfreiheit, namentlich die Frage, ob Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG den Außenseiter bloß vor einem – rechtlichen oder (durch) faktischen (Druck erzeugten) – Beitrittszwang (oder Austrittshindernis) oder auch vor der Normsetzung durch die ihm fremden Tarifvertragsparteien schützt.204 Mit voller Schärfe stellt sich die Außenseiterproblematik des § 3 Abs. 2 TVG nur für diejenigen, die in der negativen Koalitionsfreiheit – wohl zutreffend – auch ein Recht erkennen, von der Normsetzung der Verbände verschont zu bleiben, einen „Schutzschild vor tariflicher Normsetzung“205, teils auch als „negative Tarifvertragsfreiheit“ bezeichnet206.207 Die h. M. hat demgegenüber sub specie der negativen Koali202 Mit dem Ansatz einer verfassungskonformen Auslegung auch Dieterich, FS Däubler, S. 451 (452); Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen, S. 143 (Fn. 127), die sich ausdrücklich gegen die Bedenken von Loritz wenden; Schliemann, FS Hanau, S. 577 (589); Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 727; s. auch Zöllner, RdA 1962, 453 (458 f.); des Weiteren Lieb, RdA 1967, 441 (442, Fn. 7); Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, S. 128. 203 Für Schutz nur durch Art. 2 Abs. 1 GG etwa Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 93 f. (Fn. 127); aus jüngerer Zeit Hunnekuhl/zu Dohna-Jaeger, NZA 2007, 954 (957, Fn. 37). Für Art. 9 Abs. 1 GG Däubler, Das Grundrecht auf Mitbestimmung, S. 286 f.; Däubler/Hege, Koalitionsfreiheit, S. 86 ff. (89). Weitere Nachweise bei C. Schubert, RdA 2001, 199 (200, Fn. 13). 204 Dazu vor allem C. Schubert, RdA 2001, 199 ff., und seither P. Hanau, FS Scholz, S. 1035 ff. 205 Begriff von Wiedemann/Oetker, § 3 Rn. 30. 206 P. Hanau, NJW 2002, 1240 (1242); ders., FS Scholz, S. 1035 ff.; ders., FS Bauer, S. 385 (396); Preis/D. Ulber, NJW 2007, 465 (466). 207 Für eine durch die negative Koalitionsfreiheit gewährleistete Freiheit vor fremdbestimmter Normsetzung etwa Buchner, Tarifvertragsgesetz und Koalitionsfreiheit, S. 44 ff., S. 60 f.; Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 52 f.; Ingelfinger, Anm. zu BAG 17. 6. 1997 SAE 1999, 128 (130); Reuter, FS Schaub, S. 605 (611, 613); ders., FS Wiedemann, S. 449 (478); Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen, S. 141; Schleusener, ZTR 1998, 100 (101 ff.); Schüren, RdA 1988, 138 (139 f.); Thüsing, Anm. zu BAG 10. 12. 2002 und BAG 18. 2. 2003 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 162 und Nr. 163, unter IV. 3.; ders., Diskriminierungsschutz, Rn. 886; Zöllner, RdA 1962, 453 (458); zuletzt in diesem Sinne A. Wisskirchen, FS Buchner, S. 984 (990 f.); dahin tendierend auch P. Hanau, FS Scholz, S. 1035 (1044 f.); Walker, FS Kissel, S. 1205 (1220); aus der Rechtsprechung des BAG s. die Entscheidung des 4. Senats BAG 12. 12. 2007 AP TVG § 1 Nr. 39, unter I. 1. b) aa) der Gründe; vgl. zur BAG-Rechtsprechung zu dieser Frage auch jüngst Höpfner, ZfA 2009, 541 (571 f.); allgemein zur Rechtsprechung P. Hanau, a. a. O., S. 1037 ff.
Kap. 2: Abgrenzung von Betriebs- und Inhaltsnormen
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tionsfreiheit verhältnismäßig geringe Schwierigkeiten mit der Regelung des § 3 Abs. 2 TVG, da sie dieses Grundrecht als ein bloßes „Fernbleiberecht“ versteht, seinen sachlichen Gewährleistungsgehalt also in der Abwehr rechtlichen Zwangs oder faktischen Drucks zum Verbandsbeitritt erschöpft sieht.208 Da das BVerfG unter Zugrundelegung dieser Schutzbereichsinterpretation selbst von § 5 TVG, soweit dieser die Allgemeinverbindlicherklärung tariflicher Inhaltsnormen ermöglicht, keinen relevanten Druck in Richtung auf eine Mitgliedschaft ausgehen sah209, wird man aus dieser Warte auch § 3 Abs. 2 TVG für unbedenklich halten müssen.210 2. Zu der Reichweite des sachlichen Schutzbereichs der negativen Koalitionsfreiheit und den Konsequenzen für die Vereinbarkeit des § 3 Abs. 2 TVG mit Art. 9 Abs. 3 GG soll hier nicht Stellung genommen werden. Zum einen sieht die vom BVerfG angeführte h. M. den Schutzbereich im „Fernbleiberecht“ erschöpft, so dass die negative Koalitionsfreiheit als verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab der Außenseiterwirkung betrieblicher Tarifnormen praktisch ausscheidet. Zum anderen wird als das zentrale verfassungsrechtliche Problem der durch § 3 Abs. 2 TVG angeordneten Außenseiterwirkung betrieblicher Tarifnormen heute weniger die Frage der Vereinbarkeit mit der negativen Koalitionsfreiheit der nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer als vielmehr das rechtsstaatliche und demokratische Erfordernis der Legitimation angesehen.211 Gerade insoweit kommt es auf die konkrete Auslegung des § 3 Abs. 2 TVG an. Im Folgenden sollen daher die Ergebnisse der hermeneutischen Bemühungen – rechtsfolgenorientierte Bestimmung des Begriffs der „Rechtsnorm über betriebliche Fragen“ – mit den Vorgaben des Legitimationserfordernisses abgeglichen werden.
208 Etwa BVerfG 14. 6. 1983 BVerfGE 64, 208 (213 f.); 11. 7. 2006 BVerfGE 116, 202 (218 f.); Däubler, Das Grundrecht auf Mitbestimmung, S. 287 ff.; Dieterich, FS Däubler, S. 451 (456); ErfK/Dieterich, Art. 9 GG Rn. 36; Lembke, Arbeitskampfbeteiligung, S. 38 f.; Scholz, FS Müller, S. 509 (532, 534); C. Schubert, RdA 2001, 199 (201 ff., 207). 209 BVerfG 24. 5. 1977 BVerfGE 44, 322 (352). 210 Vgl. ErfK/Franzen, § 3 TVG Rn. 17; Däubler/Hensche, § 1 Rn. 781; Däubler/Lorenz, § 3 Rn. 63 f.; Däubler/Reim, § 1 Rn. 321c; Schleusener, ZTR 1998, 100 (101); ferner JKO/Krause, § 4 Rn. 68; s. auch Dieterich, FS Däubler, S. 451 (456); ErfK/Dieterich, Art. 9 GG Rn. 36. 211 Dazu etwa Dieterich, FS Däubler, S. 451 (456 f.); H. Hanau, Anm. zu BAG 7. 11. 1995 AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 1, unter IV. 2.; Ingelfinger, Anm. zu BAG 17. 6. 1997 SAE 1999, 128 (130); Klein, Minderheitsgewerkschaften, S. 235, 252; JKO/ Krause, § 4 Rn. 55, 66; Löwisch/Rieble, § 1 Rn. 118 f.; Reuter, ZfA 1978, 1 (5 ff.); ders., DZWiR 1995, 353 (357); ders., ZfA 1995, 1 (46); ders., FS Birk, S. 717 (733 ff.); MüArbR/Rieble/Klumpp, § 172 Rn. 7; Schleusener, ZTR 1998, 100 (105 ff.); Schwarze, RdA 2001, 208 (209, 211 f.); Walker, FS Kissel, S. 1205 (1221 ff.); s. auch schon Zöllner, RdA 1962, 453 (456 ff.).
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
III. § 3 Abs. 2 TVG und das Erfordernis der rechtsstaatlichen und demokratischen Legitimation, Art. 20 GG Ausgangspunkt der Argumentation in der Rechtslehre ist folgender: Normative Bindungen, also Freiheitsbeschränkungen, bedürften in einem Rechtsstaat der demokratischen Legitimation.212 Wegen der Ähnlichkeit des tariflichen Rechtssetzungsverfahrens mit der staatlichen Gesetzgebung213 bedürfe es ebenso wie dort einer Legitimation für die Unterworfenheit der Betroffenen.214 Dem Legitimationserfordernis kann durch die vielfachen Versuche einer restriktiven Bestimmung der Rechtswirkungen betrieblicher Normen – Beschränkung der normativen Wirkung jedenfalls nicht rein arbeitnehmerbegünstigender Betriebsnormen auf den tarifgebundenen Arbeitgeber (und die tarifgebundenen Arbeitnehmer)215, Geltung betrieblicher Normen nur im „betrieblichen Rechtsverhältnis“216 – nicht Genüge getan werden.217 Wenn daher den rechtsstaatlich-demokratischen Bedenken nicht auf der Rechtsfolgenseite Rechnung getragen werden kann, dann muss ihnen schon bei der Begriffsbildung, mithin auf der tatbestandlichen Ebene, begegnet werden.218 Die Ergebnisse der hermeneutischen Bemühungen um eine Präzisierung des rechtlichen Gehaltes der „Rechtsnormen über betriebliche Fragen“, wie sie vorstehend in dem Bestreben gefunden wurden, die Abgrenzbarkeit zwischen Betriebsnormen einerseits und Individualnormen andererseits – und damit für den Kollisionsfall zugleich die für eine konsequente Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung zentrale Abgrenzbarkeit zwischen hinzu212
Dieterich, FS Däubler, S. 451 (456). Zum Charakter der tarifvertraglichen Normsetzung als Gesetzgebung im materiellen Sinne s. BVerfG 24. 5. 1977 BVerfGE 44, 322 (341); 15. 7. 1980 BVerfGE 55, 7 (21); Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 11 m.w. N. 214 Walker, FS Kissel , S. 1205 (1221). 215 Grundlegend Zöllner, RdA 1962, 453 (456 ff.); außerdem etwa Lieb, RdA 1967, 441 (442, mit Fn. 7; 448); Richardi, Kollektivgewalt, S. 224 ff.; aus jüngerer Zeit Arnold, Betriebliche Tarifnormen, S. 347 ff., 355 ff., 384 ff.; JKO/Krause, § 4 Rn. 66; Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 538; Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 731, 752 und vor allem Giesen, Rechtsgestaltung, S. 451 f., 452 f., 453 f. 216 Etwa Dieterich, FS Däubler, S. 451 (454 ff.); JKO/Krause, § 4 Rn. 53, 66; Richardi, Kollektivgewalt, S. 230 ff.; grundlegend für die Vorstellung eines „betrieblichen Rechtsverhältnisses“ A. Hueck, BB 1949, 530 (532); weiterführend dann vor allem Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 84 ff. 217 Zu den Gründen s. im Einzelnen H. Hanau, RdA 1996, 158 (160, 164 f.); Ingelfinger, Anm. zu BAG 17. 6. 1997 SAE 1999, 128 (133); Reuter, DZWiR 1995, 353 (357); ferner ders., ZfA 1995, 1 (45 f.); ders., FS Schaub, S. 605 (614 f.); MüKoBGB/ Reuter, vor § 21 Rn. 104 und schon Reuter, ZfA 1978, 1 (12 f., 26); s. aber auch Schwarze, ZfA 2003, 447 (457 f., 464 f.). A. A., konkret gegen Reuter: Dieterich, FS Däubler, S. 451 (459); s. auch Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1512; gegen Dieterich aber insoweit zutreffend wiederum Reuter, FS Birk, S. 717 (733 ff.). 218 Im Ansatz ebenso Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen, S. 141. 213
Kap. 2: Abgrenzung von Betriebs- und Inhaltsnormen
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nehmender Tarifpluralität auf der einen und auch unter veränderter tarifkollisionsrechtlichen Vorzeichen weiterhin zwingend und betriebseinheitlich aufzulösender (betriebsweiter) Tarifkonkurrenz auf der anderen Seite – zu gewährleisten, müssen an den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Legitimationserfordernisses gemessen werden. Dazu sind zunächst diese Vorgaben selbst zu konkretisieren. 1. Bedeutung des Legitimationserfordernisses – Erfordernis rechtlicher Grundlage Häufig bleiben in den Stellungnahmen aus dem Schrifttum die Konturen des Begriffs „Legitimation“ blass.219 Es wird nicht deutlich, welche konkreteren Rechtssätze sich hinter der „Legitimation“ verbergen und welche strukturellen Erfordernisse bei einer Tarifnormsetzung mit „Legitimation“ erfüllt sein müssen.220 Nach der Legitimation einer rechtlichen Regelung fragen heißt, einen Grund für ihre Verbindlichkeit zu benennen.221 Bei dem, was gemeinhin mit dem Erfordernis der „Legitimation“ bezeichnet wird, geht es daher im Wesentlichen um die Rechtsgrundlage der Tarifnormsetzung mit Außenseiterwirkung.222 Das Erfordernis einer Rechtsgrundlage für die Außenseiterwirkung betrieblicher Tarifnormen ist von der Frage der Vereinbarkeit dieser Wirkung mit der negativen Koalitionsfreiheit zu unterscheiden. Denn das Erfordernis einer Rechtsgrundlage ist nicht auf das Grundrecht der negativen Koalitionsfreiheit zurückzuführen; vielmehr beruht es darauf, dass jede Normsetzung einer rechtlichen Grundlage bedarf.223 2. Konkretisierung des Legitimationserfordernisses a) Keine Legitimation durch private Verbandsautonomie – Erfordernis eines staatlichen Delegationsaktes Da die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Normsetzungsbefugnis der Koalitionen sich grundsätzlich nur auf die Mitglieder der tarifvertragschließenden Parteien erstreckt224, kann die Rechtsgrundlage für eine Tarifnormsetzung mit 219 Mit Recht kritisch Giesen, Rechtsgestaltung, S. 186; s. auch schon Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, S. 204: „schillernder Begriff“. 220 Giesen, Rechtsgestaltung, S. 186. 221 Schwarze, RdA 2001, 208 (212); Hervorhebung nicht im Original. 222 Vgl. Giesen, Rechtsgestaltung, S. 188; s. auch Dieterich, FS Däubler, S. 451 (457); H. Hanau, Anm. zu BAG 7. 11. 1995 AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 1, unter IV. 2. a). 223 Giesen, Rechtsgestaltung, S. 194 f.; s. auch Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1154. 224 BVerfG 24. 5. 1977 BVerfGE 44, 322 (347); 14. 6. 1983 BVerfGE 64, 208 (215); 11. 7. 2006 BVerfGE 116, 202 (219); aus der Literatur für den hiesigen Zusammenhang
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
Außenseitergeltung nicht in der privaten Verbandsautonomie zu suchen sein.225 Zumindest226 insoweit, als es um die Außenseiterwirkung von Tarifnormen geht, kommt ausschließlich eine staatliche Delegation227 als Grundlage der Tarifnormwirkung in Betracht.228 Damit ist freilich eine Prämisse verbunden, auf die ausdrücklich hingewiesen werden soll: In der vorliegenden Arbeit wird zu der Frage, ob die Normsetzungsmacht der Koalitionen privatautonom legitimiert ist oder ihre Rechtfertigung in staatlicher Delegation liegt, nicht grundsätzlich Stellung bezogen. Wenn daher vorstehend die Überzeugung geäußert wurde, dass die Rechtsgrundlage der Tarifnormsetzung zumindest insoweit, wie das Übergreifen tariflicher Normen auf Außenseiter inmitten steht, allein auf staatlicher Delegation beruhen kann, so wird damit – wie u. a. von Giesen229 – die Möglichkeit vorausgesetzt, hinsichtlich der rechtsdogmatischen Erklärung der Tarifnormwirkung zwischen der Wirkung für Organisierte einerseits (insoweit: Autonomieoder Anerkennungstheorie) und der für Außenseiter andererseits (insoweit: Delegationstheorie) zu differenzieren. Dies wird teilweise durchaus kritisch gesehen.230 Nicht verschwiegen werden soll aber, dass der Verfasser gegen den aktuellen Trend der privatautonomen Theorie der Tarifautonomie eher reserviert gegenübersteht, mithin auch die einheitliche Rückführung der Rechtswirkung der Tarifnormen auf (zumindest auch) einen staatlichen Akt für einen möglichen Ansatz hält.
etwa Kempen/Zachert/Kempen, § 3 Rn. 32; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1152. 225 Giesen, Rechtsgestaltung, S. 181 ff. 226 Allgemein zu der Auseinandersetzung hinsichtlich der Rechtsgrundlage der Tarifnormsetzung insbesondere auch für Verbandsmitglieder (Delegationstheorie; Autonomietheorie oder Theorie der mitgliedschaftlichen Legitimation – „Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie“; Anerkennungstheorien) s. aus jüngerer Zeit Arnold, Betriebliche Tarifnormen, S. 180 ff., 218 ff.; Giesen, Rechtsgestaltung, S. 144 ff.; Greiner, Rechtsfragen, S. 97 ff.; Koop, Tarifvertragssystem, S. 234 ff.; Ricken, Autonomie, S. 107 ff.; Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 42 ff. 227 Zum Begriff der „Delegation“ Ricken, Autonomie, S. 108 f.; Waltermann, FS Söllner, S. 1251 (1256). 228 Giesen, Rechtsgestaltung, S. 189 ff.; s. auch Adomeit, Rechtsquellenfragen, S. 157; Reuter, FS Birk, S. 717 (735); Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1504; dens., ZfA 2000, 5 (16); ferner Kempen/Zachert/Kempen, § 3 Rn. 23 f. und jüngst Koop, Tarifvertragssystem, S. 184 f., 243 f.; anders Söllner, NZA Sonderbeilage zu Heft 24/2000, S. 33 (40); dagegen Giesen, a. a. O., S. 200 f. 229 Giesen, Rechtsgestaltung, S. 189 ff. 230 So Arnold, Betriebliche Tarifnormen, S. 281 ff., 287 ff., 346 f., 408; Ricken, Autonomie, S. 110 f. (mit Fn. 509, 510). Keine Bedenken gegen die Differenzierung aber etwa bei Koop, Tarifvertragssystem, S. 244, 248 (mit Fn. 77); Schwarze, ZfA 2003, 447 (450 f.); vorausgesetzt wird die Möglichkeit einer differenzierenden Beurteilung auch von Richardi, ZfA 2003, 655 (656, 661 f., 688); s. auch im Kontext der Auflösung von Tarifkonkurrenzen Franzen, RdA 2008, 193 (197).
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b) Erfordernis einer einfachgesetzlichen Delegationsnorm Den danach erforderlichen staatlichen Delegationsakt enthält das Verfassungsrecht nicht, insbesondere ergibt er sich nicht aus der Tarifautonomie nach Art. 9 Abs. 3 GG; es bedarf daher einer einfachgesetzlichen Delegationsnorm.231 Das mit Blick auf die Außenseiterwirkung betrieblicher Tarifnormen viel beschworene, aber selten mit einem fassbaren Inhalt versehene „Erfordernis rechtsstaatlicher und demokratischer Legitimation“ lässt sich demnach dahingehend konkretisieren, dass jede mit Außenseiterwirkung ausgestattete betriebliche Tarifnorm auf eine einfachgesetzliche staatliche Norm gestützt werden können muss, die ihre Wirkung auch für nicht tarifgebundene Arbeitnehmer im Betrieb eines tarifgebundenen Arbeitgebers anordnet. c) Anforderungen an die einfachgesetzliche Delegationsnorm Eine weitere Frage ist es, welche Anforderungen die einfachgesetzliche Delegationsnorm erfüllen muss, um die Delegationswirkung in zulässiger Art und Weise zu entfalten.232 Als Maßstab, anhand dessen diese Anforderungen zu entwickeln sind, bieten sich – eine Erkenntnis, die insbesondere Giesen233 zu verdanken ist – die Äußerungen des BVerfG zur Zulässigkeit einer dynamischen Verweisung eines Gesetzes auf einen Tarifvertrag an. aa) Zulässigkeit einer dynamischen gesetzlichen Verweisung auf Tarifnormen Einschlägig ist der Beschluss des BVerfG vom 14. 6. 1983 zu § 9 Abs. 1 Satz 1 des früheren nordrhein-westfälischen Bergmannsversorgungsscheingesetzes (BVSG).234 Die Vorschrift räumte dem Inhaber eines Bergmannsversorgungs231 Näher Giesen, Rechtsgestaltung, S. 191 f.; im Ergebnis ebenso Schleusener, ZTR 1998, 100 (105); zur Unmöglichkeit, die Legitimation zur normativen Bindung von Außenseitern unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 GG abzuleiten, s. auch Dieterich, FS Däubler, S. 451 (458). 232 Giesen, Rechtsgestaltung, S. 207. 233 Giesen, Rechtsgestaltung, S. 219 ff.; s. auch schon Dieterich, FS Däubler, S. 451 (457 f.); ferner H. Hanau, RdA 1996, 158 (167, 177); auch Dieterich/P. Hanau/Henssler/Oetker/Wank/Wiedemann, RdA 2004, 65 (73, mit Fn. 48); Kempen/Zachert/Kempen, § 3 Rn. 22 (mit Fn. 75); Klein, Minderheitsgewerkschaften, S. 249 ff.; kritisch zu diesem Ansatz Däubler/Hensche, § 1 Rn. 781 (mit Fn. 2283) und Rn. 838a (Fn. 2419). 234 BVerfG 14. 6. 1983 BVerfGE 64, 208; hieran anknüpfend für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 BetrVG jetzt auch BAG 29. 7. 2009 NZA 2009, 1424. Die – u. a. – in dieser Entscheidung durch das BVerfG entwickelte Legitimationslehre sieht freilich Rieble, NZA 2007, 1 (2) durch die neuere Rechtsprechung des BVerfG – u. a. durch die Entscheidung zur Tariftreue, BVerfG 11. 7. 2006 BVerfGE 116, 202 – aufgegeben.
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scheines235 für die Dauer der anderweitigen Beschäftigung aufgrund des Bergmannsversorgungsscheines oder der Erwerbslosigkeit oder der Umschulung zu einem anderen Beruf einen Anspruch gegen den bisherigen Bergbau-Arbeitgeber oder seinen Rechtsnachfolger auf Gewährung von Hausbrandkohlen zu denselben Bedingungen ein, wie sie für aktive Bergleute galten.236 Arbeits- und Landesarbeitsgericht hatten dies im zugrunde liegenden Ausgangsrechtsstreit dahingehend interpretiert, dass damit die jeweils geltenden tarifvertraglichen Regelungen vom Gesetz in Bezug genommen seien.237 Die geltenden Tarifverträge gestanden den Bezugsberechtigten das Recht zu, anstelle von Hausbrandkohlen eine Energiebeihilfe zu fordern, sich also ihren Hausbrandkohlenanspruch bar abgelten zu lassen, wenn sie keine oder nur eine eingeschränkte eigene Verwendung für Hausbrandkohlen hatten.238 Demgemäß verurteilten Arbeits- und Landesarbeitsgericht die verfassungsbeschwerdeführende ehemalige Arbeitgeberin des Klägers des Ausgangsverfahrens, die nicht (mehr) tarifgebunden war, zur Barabgeltung des Anspruchs des Klägers auf Lieferung von Hausbrandkohlen entsprechend den aktuellen tariflichen Bedingungen. Das BVerfG sah in dieser Auslegung des BVSG eine Verletzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip. Eine Verweisung staatlicher Gesetze auf tarifvertragliche Regelungen dürfe nicht dazu führen, dass der Bürger schrankenlos der normsetzenden Gewalt der Tarifvertragsparteien ausgeliefert werde, die ihm gegenüber weder staatlich-demokratisch noch mitgliedschaftlich legitimiert seien.239 Das widerspräche sowohl dem Rechtsstaatsprinzip, wonach Einschränkungen der Freiheit des Bürgers, soweit sie überhaupt zulässig seien, nur durch oder aufgrund staatlicher Gesetze erfolgen dürften, als auch dem Demokratieprinzip, wonach die Ordnung eines nach dem Grundgesetz staatlicher Regelung offen stehenden Lebensbereichs durch Sätze des objektiven Rechts auf eine Willensentschließung der vom Volke bestellten Gesetzgebungsorgane zurückgeführt werden müsse. Nur soweit der Inhalt der tarifvertraglichen Regelungen, auf die staatliche Rechtsnormen verwiesen, im Wesentlichen feststehe, könne von einem unzulässigen Verzicht des Gesetzgebers auf seine Rechtsetzungsbefugnisse nicht die Rede sein.240 Diese Voraussetzung sah das Gericht bei einer Auslegung der 235 Inhaber eines Bergmannsversorgungsscheines waren ehemalige Bergarbeiter, die aus gesundheitlichen Gründen auf Arbeitsplätzen außerhalb des Bergbaus untergebracht wurden; s. Hertwig, RdA 1985, 282 m.w. N. 236 s. BVerfG 14. 6. 1983 BVerfGE 64, 208 (210). 237 Ebenso Scholz, Anm. zu BVerfG 14. 6. 1983 SAE 1984, 3; s. aber auch Herschel, ZfA 1985, 21. 238 s. BVerfG 14. 6. 1983 BVerfGE 64, 208 (211). 239 BVerfG 14. 6. 1983 BVerfGE 64, 208 (214); vgl. dazu auch BVerfG 24. 5. 1977 BVerfGE 44, 322 (348). 240 BVerfG 14. 6. 1983 BVerfGE 64, 208 (214 f.), Hervorhebung nicht im Original; ganz ähnlich schon zuvor für den Fall der gesetzlichen Verweisung auf Normen anderer
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Verweisung des § 9 Abs. 1 Satz 1 BVSG, die auch die – von den Tarifvertragsparteien erst nach Inkrafttreten des BVSG vereinbarte – Möglichkeit der Substitution des Hausbrandkohlenanspruchs als eines Sachleistungsanspruchs durch einen Barabgeltungsanspruch einbezieht, nicht mehr gewahrt. Eine Begrenzung der Verweisung, wie sie unter rechtsstaatlich-demokratischem Aspekt notwendig wäre, sei bei solcher Auslegung nicht mehr erkennbar.241 bb) Vergleichbarkeit von dynamischer gesetzlicher Verweisung und unmittelbarer gesetzlicher Delegation staatlicher Normsetzungsbefugnisse Dass die vom BVerfG für eine dynamische gesetzliche Verweisung auf einen Tarifvertrag errichteten Zulässigkeitsvoraussetzungen auch für die Entwicklung der Anforderungen an die hier zu suchende einfachgesetzliche Delegationsnorm fruchtbar gemacht werden können, ergibt sich daraus, dass die dynamische Verweisung eines Gesetzes auf einen Tarifvertrag ebenso eine Übertragung staatlicher Normsetzungsbefugnisse darstellt wie deren ausdrückliche Delegation.242 Im einen wie im anderen Fall wird einer Stelle, die vom verfassungsrechtlich berufenen Gesetzgeber verschieden ist, die Aufgabe des Erlasses von Rechtsnormen zugewiesen; zwischen dynamischer Verweisung und ausdrücklicher Übertragung von Rechtsetzungsmacht besteht nur ein rechtstechnischer Unterschied.243
(staatlicher) Gesetze BVerfG 15. 7. 1969 BVerfGE 26, 338 (366 f.); dazu auch BVerfG 30. 5. 1956 BVerfGE 5, 25 (31); 15. 11. 1967 BVerfGE 22, 330 (346 f.). 241 BVerfG 14. 6. 1983 BVerfGE 64, 208 (215). 242 Hertwig, RdA 1985, 282 (283 und passim): Der Sache nach eine „versteckte“ Delegation von Gesetzgebungsbefugnissen; s. auch Klein, Minderheitsgewerkschaften, S. 265; Säcker/Oetker, RdA 1992, 16 (20): Bei der dynamischen Verweisung handelt es sich um eine (verdeckte) Delegation. s. aber auch T. Clemens, AöR 111 (1986), 63 (67 f.) zu den Unterschieden zwischen Verweisung und Delegation; aber auch dens., ebd., S. 113. 243 Giesen, Rechtsgestaltung, S. 221; s. auch Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1153. Noch weitergehend Scholz, FS Müller, S. 509 (533, 535), der die §§ 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG als eine „besondere Rechtsverweisung“ des Tarifvertragsgesetzgebers auf die jeweiligen Tarifverträge bezeichnet. Dahinter steht die grundsätzliche Auffassung von Scholz, die normative Grundanlage des Tarifvertrages beruhe insgesamt maßgebend auf verweisungsrechtlichen Grundsätzen (Scholz, a. a. O., S. 528 ff. sowie Maunz/Dürig/Scholz [1999], Art. 9 GG Rn. 301); zur Einordnung dieser sog. Sanktions- oder Tatbestandstheorie s. Giesen, a. a. O., S. 157 (mit Fn. 117); Hertwig, RdA 1985, 282 (286 f.); Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 53. Mit Blick auf § 3 Abs. 2 TVG sprechen auch H. Hanau, RdA 1996, 158 (167) sowie Löwisch/Rieble, § 1 Rn. 118 und MüArbR/Rieble/Klumpp, § 172 Rn. 7 von einer dynamischen Verweisung; kritisch zu diesem Verständnis Giesen, a. a. O., S. 221 f. (Fn. 375); Zachert, RdA 1996, 140 (146, Fn. 112).
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
cc) Schlussfolgerungen Zutreffend bezeichnet es Giesen244 als die Kernaussage des Beschlusses des BVerfG zum BVSG, dass der Inhalt einer tarifvertraglichen Regelung, auf die staatliche Rechtsnormen verweisen, im Wesentlichen feststehen müsse. Wegen der Vergleichbarkeit der dynamischen gesetzlichen Verweisung auf Tarifnormen mit einer sich davon nur in rechtstechnischer Hinsicht unterscheidenden Delegation staatlicher Normsetzungsbefugnisse an die Tarifvertragsparteien, wie sie der außenseitergerichteten normativen Wirkung betrieblicher Tarifnormen zugrunde liegt, muss daher auch die hier zu suchende einfachgesetzliche staatliche Delegationsnorm entsprechend konkret gefasst sein; aus der einfachgesetzlichen Delegationsnorm muss sich bereits – (mindestens) im Wege der Auslegung – im Wesentlichen entnehmen lassen, welchen Inhalt die mit Außenseitergeltung ausgestatteten Rechtsnormen eines Tarifvertrages über betriebliche Fragen haben können. Giesen zufolge ergibt sich aus den vom BVerfG im Beschluss zum BVSG an die Zulässigkeit einer dynamischen gesetzlichen Verweisung auf Tarifnormen gestellten Anforderungen, dass außenseitergerichtete Normsetzungsbefugnisse den Tarifvertragsparteien nur dann eingeräumt werden können, wenn eine bis in die Einzelheiten konkrete zwingende gesetzliche Regelung vorliege. Denkbar sei dies vor allem nur bei organisatorischen oder verfahrensbezogenen Fragen, denn nur bei ihnen könnten Fremdbestimmungsgefahren ausgeschlossen werden.245 Hieraus und aus weiteren Überlegungen246 zieht er die Schlussfolgerung, die zulässigen Regelungsgegenstände betrieblicher Tarifnormen seien anhand der Tatbestände der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrats nach dem BetrVG zu bestimmen. Nur der Rückgriff auf eine sachlich-gegenständlich ausdifferenzierte Mitbestimmung, wie sie das BetrVG regele, biete Aussicht auf konkrete und nachvollziehbare Ergebnisse.247 Aus den Parallelen zwischen betrieblicher Tarifnormsetzung und erzwingbarer Mitbestimmung nach dem BetrVG folge, dass die Regelungsgegenstände betrieblicher Tarifnormen anhand der Mitbestimmungsvorschriften des BetrVG ermittelt werden könnten.248 Alles, was über die Tatbestände erzwingbarer Mitbestimmung nach dem BetrVG hinausreiche, könne nicht als betriebliche Tarifnorm erlassen werden.249
244 Giesen, Rechtsgestaltung, S. 222; s. auch die Hervorhebung bei T. Clemens, AöR 111 (1986), 63 (106) und jüngst die Anknüpfung an die Vorgaben des BVerfG durch BAG 29. 7. 2009 NZA 2009, 1424, unter B. II. 3. b) der Gründe (zur Begründung der Verfassungsmäßigkeit von § 3 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 BetrVG). 245 Giesen, Rechtsgestaltung, S. 223. 246 s. im Einzelnen Giesen, Rechtsgestaltung, S. 449 ff. 247 Giesen, Rechtsgestaltung, S. 455. 248 Giesen, Rechtsgestaltung, S. 456 ff., 460.
Kap. 2: Abgrenzung von Betriebs- und Inhaltsnormen
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3. § 3 Abs. 2 TVG als hinreichende Legitimationsgrundlage Den Ansatz, für die Ermittlung der Zulässigkeit betrieblicher Tarifnormen auf das BetrVG als „Magna Charta des betrieblichen Regelungsbereichs“250 zurückzugreifen, verfolgt auch H. Hanau.251 Zur Sachgerechtigkeit dieser Lösungsansätze soll hier nicht Stellung genommen werden.252 Uns interessiert, warum nicht die Vorschrift des § 3 Abs. 2 TVG selbst die erforderliche einfachgesetzliche Delegationsnorm soll sein können. Dabei handelt es sich gleichsam um eine Vorfrage. Jede weitere Suche nach Delegationsnormen erübrigt sich, wenn § 3 Abs. 2 TVG selbst, ggf. verfassungskonform ausgelegt, den Anforderungen an den erforderlichen staatlichen Ermächtigungsakt genügt. a) Interpretation der verfassungsgerichtlichen Vorgaben Dass § 3 Abs. 2 TVG eine ausreichende einfachgesetzliche Delegationsnorm sei, wird u. a. von Giesen bestritten. Es müsse klar sein, dass die Vorschriften der §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG die strengen, aus dem Beschluss des BVerfG zum Bergmannsversorgungsscheingesetz abgeleiteten verfassungsrechtlichen Bedingungen nicht erfüllen können. Der bloße Hinweis auf die „Regelung betrieblicher . . . Fragen“ könne als Umschreibung des sachlichen Regelungsgegenstandes der betreffenden Tarifvorschriften keinesfalls die Bestimmtheitsanforderungen erfüllen, welche für die Normsetzungsdelegation an Private zu stellen seien. Das gelte hinsichtlich aller in Betracht kommenden einfach-rechtlichen Auslegungsmodelle für die §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG. So entspreche auch die vom BAG vertretene Bestimmung betrieblicher Tarifnormen nicht den verfassungsrechtlichen Konkretheitsanforderungen. Der Maßstab der einheitlichen Geltung aufgrund sachlogischer Zweckmäßigkeit könne nicht zu inhaltlich bestimmten Auslegungsergebnissen führen.253 249 Giesen, Rechtsgestaltung, S. 468; zu den konkreten Konsequenzen dieses Konzepts für die in Rechtsprechung und Literatur diskutierten Fälle möglicher betrieblicher Tarifnormen s. dens., a. a. O., S. 471 ff. 250 H. Hanau, RdA 1996, 158 (172); s. auch Giesen, Rechtsgestaltung, S. 443. 251 H. Hanau, RdA 1996, 158 (160 ff.); kritisch zu ihm Giesen, Rechtsgestaltung, S. 441 ff. Zur Möglichkeit einer Anknüpfung an § 87 Abs. 1 BetrVG s. auch (mit unterschiedlichen Ansichten und teilweise noch zu § 56 BetrVG 1952) Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 45 ff.; dens., FS Däubler, S. 451 (458); Gamillscheg, KollArbR I, § 15 VI. 2. a), S. 589; Ganter, Die tarifvertragliche Regelung betrieblicher Fragen, S. 38 ff., 45 f.; Heinze, NZA 1989, 41 (45 ff.); Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 81; Reuter, FS Birk, S. 717 (735); Richardi, Kollektivgewalt, S. 240; Staudinger/Richardi, vor §§ 611 ff. Rn. 660 f.; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen, S. 145 ff.; Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, S. 221 ff. 252 Zur Kritik am Konzept Giesens s. etwa Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 732; Wiedemann, Anm. zu BAG 1. 8. 2001 AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 5, unter 2.; eingehend Schwarze, ZfA 2003, 447 (449 ff., 457 ff. und insb. 461 ff.). Ausführlich zum Ganzen auch Arnold, Betriebliche Tarifnormen, S. 127 ff., 387 ff. 253 Giesen, Rechtsgestaltung, S. 450 f.
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Dem liegt indes ein zu enges Verständnis der vom BVerfG statuierten Voraussetzungen zugrunde.254 Das BVerfG verlangt für die Zulässigkeit einer dynamischen gesetzlichen Verweisung auf Tarifvertragsnormen, dass der Inhalt der tarifvertraglichen Regelungen, auf die staatliche Rechtsnormen verweisen, im Wesentlichen feststeht.255 Wenn daraus gefolgert wird, dass den Tarifvertragsparteien außenseitergerichtete Normsetzungsbefugnisse nur durch eine bis in die Einzelheiten konkrete zwingende gesetzliche Regelung eingeräumt werden können256, so erscheint diese Interpretation der verfassungsgerichtlichen Vorgaben jedenfalls alles andere als evident: Dass der Inhalt der tarifvertraglichen Regelungen bereits beim Blick auf die gesetzliche Delegationsnorm „im Wesentlichen“ feststehen müsse, ist etwas anderes als dass er durch die gesetzliche Regelung schon „bis in die Einzelheiten“ vorgegeben sein müsse. Ein derart strenger Maßstab kann auch nicht aus dem sonstigen Kontext der Entscheidung des BVerfG begründet werden. Zwar hat das Gericht die Voraussetzungen der Zulässigkeit einer dynamischen gesetzlichen Verweisung auf Tarifvertragsregelungen im konkreten Fall als nicht erfüllt angesehen, obwohl „nur“ die Möglichkeit der Substitution eines Sachleistungsanspruchs durch einen Barabgeltungsanspruch in Rede stand.257 Auch wenn man aber einen solchen Wechsel von der Sach- zur Geldleistung als eine verhältnismäßig geringfügige Variierung einer Nebenleistungspflicht einstuft258, so lässt sich daraus ein verfassungsgerichtlich sanktioniertes Verlangen nach einer bis in die Einzelheiten bestimmten Delegationsnorm nicht ableiten. Die gesetzliche Verweisung des § 9 Abs. 1 Satz 1 BVSG sprach nun einmal nur von einem Sachleistungsanspruch. Dass dessen Substitution durch einen Geldleistungsanspruch eine verhältnismäßig „nebensächliche“ Angelegenheit betrifft, ist irrelevant.259 Der Verweisungsnorm ließ sich schlicht keinerlei Hinweis auf eine solche Änderung des An254 Kritisch zu den von Giesen aus dem Bergmannsversorgungsscheingesetz-Beschluss gezogenen Konsequenzen in anderem Zusammenhang auch Thüsing, ZIP 2003, 693 (694 f.) sowie jetzt BAG 29. 7. 2009 NZA 2009, 1424, unter B. II. 3. b) bb) der Gründe, Rn. 22 des Beschlusses. 255 s. nochmals BVerfG 14. 6. 1983 BVerfGE 64, 208 (214 f.). Zu eng daher auch die Interpretation der Entscheidung durch Rieble, NZA 2007, 1, nach dem der Staat „den konkreten Tarifinhalt zur Kenntnis nehmen“ muss; wäre dies das Verständnis des BVerfG, so hätte es jede dynamische Verweisung eines Gesetzes auf einen Tarifvertrag für unzulässig halten müssen. Tatsächlich hat es indes lediglich ein Regel-AusnahmeVerhältnis statuiert; vgl. auch Scholz, Anm. zu BVerfG 14. 6. 1983 SAE 1984, 3 (4); ferner Hertwig, RdA 1985, 282 (284, 288); noch weitergehend Herschel, ZfA 1985, 21 (21 f., 24). 256 So Giesen, Rechtsgestaltung, S. 223, Hervorhebung nicht im Original; kritisch dazu jetzt in anderem Zusammenhang auch BAG 29. 7. 2009 NZA 2009, 1424, unter B. II. 3. b) bb) der Gründe, Rn. 22 des Beschlusses. 257 s. nochmals BVerfG 14. 6. 1983 BVerfGE 64, 208 (215). 258 So Giesen, Rechtsgestaltung, S. 222. 259 Zur grundsätzlichen Relevanz solcher Überlegungen, die damit nicht in Abrede gestellt werden soll, s. T. Clemens, AöR 111 (1986), 63 (107 f.).
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spruchsinhalts entnehmen; der Inhalt der tarifvertraglichen Regelung stand insoweit nicht einmal „im Wesentlichen“ fest. Auf das Maß der Bedeutsamkeit der Angelegenheit kam es nicht an. b) Sicherung grundgesetzlicher Kompetenzverteilung Ohnehin droht der verfassungsrechtliche Kern der Forderung des BVerfG nach einem „im Wesentlichen feststehenden“ Inhalt der gesetzlich in Bezug genommenen tarifvertraglichen Regelung verfehlt zu werden, wenn man diese Forderung in erster Linie als verfassungsrechtliches Bestimmtheitserfordernis begreift.260 Dass der Inhalt der tarifvertraglichen Regelungen, auf die staatliche Rechtsnormen verweisen, im Wesentlichen feststehen müsse, begründet das BVerfG damit, dass nur dann „von einem unzulässigen Verzicht des Gesetzgebers auf seine Rechtsetzungsbefugnisse nicht die Rede sein“ könne.261 Demnach ist der Zweck des Erfordernisses eines im Wesentlichen feststehenden Inhalts der gesetzlich in Bezug genommenen tarifvertraglichen Regelungen weniger in der vordergründigen Gewährleistung hinreichender Bestimmtheit zu sehen262 als vielmehr darin, die dem Grundgesetz immanente Verteilung der Normsetzungsbefugnisse zwischen Tarifvertragsparteien auf der einen und staatlichem Gesetzgeber auf der anderen Seite abzusichern. Die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Normsetzungsbefugnis der Koalitionen erstreckt sich grundsätzlich nur auf die Mitglieder der tarifvertragschließenden Parteien.263 Dementsprechend hat das BVerfG in seiner ersten Entscheidung zur Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG unter dem Gesichtspunkt des Demokratieprinzips nach Art. 20 Abs. 2 GG264 für die Ausdehnung der Tarifgeltung auf Außenseiter eine zusätzliche, über die grundgesetzliche Gewährleistung der Tarifautonomie hinausgehende Rechtfertigung verlangt und diese nur deshalb in der Allgemeinverbindlicherklärung gesehen, weil mit dieser Erklärung der Bundesminister die von den Koalitionen geschaffene Rechtsordnung in seinen Willen aufnehme, so dass der Geltungsbefehl der tariflichen Normen dann auch von ihm ausgehe.265 260 In diese Richtung Giesen, Rechtsgestaltung, S. 450 f.; auch Klein, Minderheitsgewerkschaften, S. 258, 260, 265. 261 BVerfG 14. 6. 1983 BVerfGE 64, 208 (214 f.); s. auch BVerfG 15. 7. 1969 BVerfGE 26, 338 (367). 262 Zu dem aus dem Rechtsstaatsprinzip fließenden Gebot hinreichender Bestimmtheit einer gesetzlichen Verweisung auf andere Vorschriften s. T. Clemens, AöR 111 (1986), 63 (83 ff.), der dieses Bestimmtheitsgebot indes zutreffend von der Frage nach der hinreichenden rechtsstaatlich-demokratischen Legitimation der in Bezug genommenen Vorschriften klar trennt, s. a. a. O. S. 83, 100 ff. 263 BVerfG 24. 5. 1977 BVerfGE 44, 322 (347); 11. 7. 2006 BVerfGE 116, 202 (219). 264 BVerfG 24. 5. 1977 BVerfGE 44, 322 (347). 265 BVerfG 24. 5. 1977 BVerfGE 44, 322 (348 f.). Entsprechend die 2. Kammer des 1. Senats des BVerfG in ihrem Nichtannahmebeschluss vom 18. 7. 2000 AP AEntG § 1 Nr. 4 betr. die Rechtsverordnungsermächtigung des § 1 Abs. 3a AEntG a. F. (s. jetzt § 7
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Durch seine Bewertung der Allgemeinverbindlicherklärung266 hat das BVerfG festgestellt, dass eine Tarifvertragsgeltung für Außenseiter nur durch oder zumindest in Verbindung mit staatlicher Normsetzung geschaffen werden kann.267 Die Verfassungsordnung weist die Zuständigkeit zur Rechtsnormsetzung gegenüber Außenseitern grundsätzlich den hierzu berufenen staatlichen Organen zu.268 Damit ist klar, worum es auch bei den an die einfachgesetzliche Delegationsnorm zu stellenden Anforderungen und bei der Frage, ob § 3 Abs. 2 TVG diese einfachgesetzliche Delegationsnorm sein kann, vor allem geht: um ein Problem der Kompetenzabgrenzung.269 Die Ermächtigung muss das rechtsstaatliche Gebot der Zuordnung zur staatlichen und/oder privaten Normsetzung beachten.270 Wenn also die an die erforderliche einfachgesetzliche Delegationsnorm zu stellenden Anforderungen hier im Anschluss an die Ausführungen des BVerfG zur dynamischen Verweisung eines Gesetzes auf tarifvertragliche Regelungen dahingehend auf den Punkt gebracht werden, dass die Delegationsnorm selbst im Wesentlichen festlegen muss, in welchem Umfang die Tarifvertragsparteien betriebliche Normen mit Wirkung für Außenseiter-Arbeitnehmer setzen können, dann heißt das nicht, dass die ermächtigende Norm etwa enumerativ die möglichen Regelungsgegenstände betrieblicher Normen abschließend aufzählen müsste. Entscheidend ist, dass sich der Gesetzgeber durch die Ermächtigung nicht seiner Rechtssetzungsmacht entäußert. Er muss selbst einen Rahmen vorgeben271, innerhalb dessen sich die Tarifvertragsparteien bei ihrer Normsetzung mit Außenseiterwirkung bewegen und den sie nicht eigenmächtig erweitern können. Für den staatlichen Gesetzgeber folgt aus dem Rechtsstaats- und dem Demokratieprinzip die Verpflichtung, sich bei der Rechtssetzung gegenüber nicht Tarifgebundenen einen entscheidenden Einfluss hinsichtlich der Bindung der Außenseiter zu bewahren.272 Es muss sichergestellt sein, dass der Inhalt der aufgrund AEntG): Die Tariferstreckung auf Außenseiter sei durch die staatliche Mitwirkung im Rahmen der Verordnungsgebung in hinreichendem Maße demokratisch legitimiert. 266 Die Bedeutung der Ausführungen des BVerfG zur Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG für die verfassungsrechtliche Bewertung des § 3 Abs. 2 TVG wird nicht einheitlich eingeschätzt, s. dazu mit unterschiedlichen Positionen etwa ErfK/Franzen, § 3 TVG Rn. 17; Ganter, Die tarifvertragliche Regelung betrieblicher Fragen, S. 108 f.; Kempen/Zachert/Kempen, § 3 Rn. 33; Klein, Minderheitsgewerkschaften, S. 249 ff.; Reuter, RdA 1994, 152 (165); dens., DZWiR 1995, 353 (357); dens., FS Schaub, S. 605 (613 f.); Walker, FS Kissel, S. 1205 (1222 f.); Wiedemann, FS Stahlhacke, S. 675 (684). 267 Vgl. Giesen, Rechtsgestaltung, S. 179. 268 Ähnlich und insoweit zutreffend Giesen, Rechtsgestaltung, S. 450; s. ferner Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1154; s. auch allgemein Baumann, RdA 1994, 272 (273): „Art. 9 Abs. 3 GG verteilt die Kompetenzen zur Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zwischen Staat und Tarifpartnern.“. 269 Ähnlich H. Hanau, RdA 1996, 158 (171). 270 Dieterich/P. Hanau/Henssler/Oetker/Wank/Wiedemann, RdA 2004, 65 (73). 271 Vgl. T. Clemens, AöR 111 (1986), 63 (107). 272 Hertwig, RdA 1985, 282 (287).
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der Delegation erlassenen Tarifnormen in hinreichendem Maße vom Willen des staatlichen Gesetzgebers mit umfasst wird.273 Der Inhalt dieser Normen muss auf den in der Delegationsnorm zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers zurückführbar sein, für bestimmte Angelegenheiten eine Tarifnormsetzung mit Außenseiterwirkung zuzulassen; er muss mit der Ermächtigung für jede einzelne Norm, die die grundsätzliche Beschränkung der personellen Reichweite der Rechtsetzungsmacht der Koalitionen auf ihre Mitglieder durchbricht, die Verantwortung übernommen haben.274 Mit dieser Erkenntnis ist indes nur übergeleitet zu einem weiteren, gegenüber dem „formalen“ Bestimmtheitsargument schwerer wiegenden Einwand gegen § 3 Abs. 2 TVG als ausreichende einfachgesetzliche Delegationsnorm. c) Gefahr einer Kompetenz-Kompetenz der Tarifvertragsparteien An dieser Stelle schließt sich insofern ein Kreis, als wir nunmehr wieder bei den Fragen sind, mit denen wir die Ebene der einfachrechtlichen Auslegung des Begriffs der Rechtsnorm über betriebliche Fragen verlassen und die verfassungsrechtliche Ebene betreten haben: Wenn jener Begriff der „betrieblichen Normen“, wie es nach der hier vertretenen Ansicht der Fall ist, normzweck- und daher rechtsfolgenorientiert zu interpretieren, deshalb maßgeblich auf die Notwendigkeit der betriebseinheitlichen Geltung abzustellen ist, die sich insbesondere daraus ergeben kann, dass Arbeitsbedingungen betroffen sind, die in einer Wechselbeziehung zu den Arbeitsbedingungen der anderen Arbeitnehmer (oder wenigstens einer Gruppe anderer Arbeitnehmer) stehen und daher nur in dieser Wechselbezüglichkeit geregelt werden können, die Notwendigkeit einheitlicher Geltung aber wiederum von der – nicht ausreichenden – bloßen Zweckmäßigkeit einheitlicher Geltung abzugrenzen ist – wie ist dann die Grenze zwischen bloß zweckmäßiger und notwendiger einheitlicher Geltung, wie ist damit die Grenze zwischen Betriebs- und Individual-, insbesondere Inhaltsnormen und wie ist damit wiederum, im Falle der Tarifkollision, die Grenze zwischen betriebsweiter Tarifkonkurrenz auf der einen und Tarifpluralität auf der anderen Seite zu bestimmen, die für ein Rechtsverständnis, das Tarifpluralitäten akzeptiert, zugleich die Grenze zwischen betrieblicher Tarifeinheit und Tarifpluralität im Betrieb markiert? Was ist der Bezugspunkt der Notwendigkeit einer betriebseinheitlichen Re-
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Vgl. T. Clemens, AöR 111 (1986), 63 (100). Ähnlich H. Hanau, RdA 1996, 158 (167): Eine Normierung durch Private muss auch hinsichtlich der einzelnen Regelungsgegenstände im Wesentlichen auf den gesetzgeberischen Willen rückführbar sein; s. auch MüKoBGB/Reuter, vor § 21 Rn. 104 (Hervorhebung nicht im Original): „In seiner Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Allgemeinverbindlicherklärung hat das BVerfG die Tarifgeltung für Außenseiter unmissverständlich von einer verantwortlichen Mitwirkung des Staates abhängig gemacht.“ 274
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gelung? Ferner: Wem steht die Kompetenz zu, zu beurteilen, ob die betriebseinheitliche, nicht auf den Organisationsstatus der Arbeitnehmer schauende Geltung einer Norm jeweils ein Gebot bloßer Zweckmäßigkeit oder zwingender Notwendigkeit ist?275 aa) Der Bezugspunkt der Notwendigkeit einer betriebseinheitlich geltenden Regelung Neben Giesen weisen auch andere darauf hin, dass § 3 Abs. 2 TVG die erforderliche Legitimation nicht vermitteln könne.276 Da die Norm die Erfassung der Außenseiter ermögliche, begründe sie überhaupt erst das Problem.277 Es handele sich bloß um eine formale Geltungsanordnung ohne jede inhaltliche Konkretisierung.278 Die Frage ist jedoch, ob § 3 Abs. 2 TVG nicht dann eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende einfachgesetzliche Delegationsnorm darstellt, wenn man die Vorschrift im hiesigen Sinne normzweckorientiert auslegt und so die vermisste inhaltliche Konkretisierung ermöglicht. In der Literatur wird indes die Möglichkeit, § 3 Abs. 2 TVG in der Auslegung des BAG – die aufgrund ihres rechtsfolgenorientierten Ausgangspunktes im Ansatz der hier verfochtenen Interpretation entspricht – als den Anforderungen des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips genügende Legitimationsgrundlage anzusehen, großenteils verworfen. Im – vermeintlichen – Zwang zur Einheitlichkeit der Regelung könne die Rechtfertigung nicht liegen.279 (1) Regelungsziele der Tarifvertragsparteien als Bezugspunkt? Der Grund dafür, dass dem rechtsfolgenorientierten Ansatz des BAG im Schrifttum nicht zugetraut wird, für eine Konkretisierung des § 3 Abs. 2 TVG zu 275 s. zu diesen Fragen schon oben E. VI. 2. b) bb). Deutlich auch Schwarze, ZfA 2003, 447 (448): „Wer bestimmt den Kreis jener Fragen, in dem (. . .) sogar die Außenseiter tariflicher Bindung unterliegen sollen: der Gesetzgeber, der Richter oder – horribile dictu – die Verbände selbst?“. 276 H. Hanau, RdA 1996, 158 (167), allerdings nicht von Art. 20 GG, sondern von Art. 12 Abs. 1 GG ausgehend; des Weiteren Dieterich, FS Däubler, S. 451 (457 f.); s. ferner Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht 2, § 13 Rn. 24; Klein, Minderheitsgewerkschaften, S. 255 ff., 260, 267. 277 H. Hanau, RdA 1996, 158 (167); Loritz, Tarifautonomie und Gestaltungsfreiheit, S. 56; s. auch Schleusener, ZTR 1998, 100 (107); zu „§ 3 Abs. 2 TVG als Problem“ auch Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, S. 109 ff. 278 H. Hanau, RdA 1996, 158 (167); ders., Anm. zu BAG 7. 11. 1995 AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 1, unter IV. 2. a); dagegen Waltermann, ZfA 2000, 53 (85, Fn. 137). 279 H. Hanau, Anm. zu BAG 7. 11. 1995 AP TV G § 3 Betriebsnormen Nr. 1, unter IV. 2. a); s. auch Reuter, DZWiR 1995, 353 (357); dens., FS Schaub, S. 605 (615); ferner Hromadka, AuA 1998, 73 (75).
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sorgen, die diese Norm als eine hinreichende Legitimationsgrundlage für die Außenseiterwirkung betrieblicher Tarifnormen erscheinen lassen könnte, ist in der Formel von der evident sachlogischen Unzweckmäßigkeit zu suchen. (a) Wie oben herausgearbeitet wurde280, bedeutet die evidente sachlogische Unzweckmäßigkeit im Sinne des BAG nichts anderes als (evidente sachlogische) „Unzweckmäßigkeit einer Unterscheidung zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebunden Arbeitnehmern“. Demnach liegt für das BAG, positiv gewendet, eine betriebliche Norm immer schon dann vor, wenn eine betriebseinheitliche, nicht zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern unterscheidende Regelung einer Frage (evident sachlogisch) zweckmäßig ist. Zwecke jedoch, die zweckgerichtet, eben „zweckmäßig“ verfolgt werden, müssen immer von jemandem gesetzt werden. Zwecke sind Wirkungen von Handlungen, die der Handelnde mit seinen Handlungen erstrebt.281 Fragt man sich darum, wer es ist, der den Zweck setzt, auf den es nach dem Konzept des BAG für das Vorliegen einer betrieblichen Norm maßgeblich ankommt, so können dies nur die Tarifvertragsparteien sein. Die Konsequenz dieses Verständnisses des BAG ist, dass die Abgrenzung von Betriebs- und Individualnormen sich anhand des von den Tarifvertragsparteien verfolgten Regelungszieles bemisst.282 Einige Vertreter der Rechtslehre teilen dieses Verständnis. Die Abgrenzung richte sich nach dem Zweck der vereinbarten Tarifklausel und damit letztlich nach der Absicht der vertragschließenden Parteien.283 Wo eine Unterscheidung zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern nach dem Regelungszweck der Tarifnormen nicht sinnvoll oder sachgerecht erscheine, ermögliche § 3 Abs. 2 TVG eine Er-
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s. o. E. VI. 2. b). s. H.-J. Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 169 f.; Looschelders/ W. Roth, Juristische Methodik, S. 38. 282 Deutlich wird dies besonders in der Entscheidung BAG 7. 11. 1995 AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 1 (H. Hanau); s. auch schon BAG 3. 6. 1987 – 4 AZR 573/86 – juris sowie die Darstellung bei Giesen, Rechtsgestaltung, S. 420; ebenso der Befund von Arnold, Betriebliche Tarifnormen, S. 116 f.; Hromadka, AuA 1998, 73 (74); Koop, Tarifvertragssystem, S. 301 f. (Fn. 291); Schwarze, ZfA 2003, 447 (448, dort Fn. 10 sowie S. 457): Da die Rechtsprechung betriebliche Normen gegenüber Nichtorganisierten zulasse, soweit eine einheitliche Regelung geboten erscheine und das Maß, nach dem die gebotene Einheitlichkeit zu bestimmen ist, nicht selten der tarifpolitischen Zielsetzung der Tarifparteien entnehme, überlasse sie es diesen, über die Außenwirkung der von ihnen gesetzten Normen zu entscheiden. 283 Wiedemann, Anm. zu BAG 17. 6. 1997 AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 2, unter 1; ähnlich Däubler/Reim, § 1 Rn. 319; s. auch Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 51: Aus dem mit der Tarifnorm verfolgten Zweck ergebe sich relativ leicht, ob eine einheitliche Anwendung geboten ist oder nicht (objektivierend dann aber S. 54); zuletzt Greiner, Rechtsfragen, S. 387, 390, 401 ff., dem zufolge die Tarifvertragsparteien weithin zwischen Individual- und Kollektivnormen wählen können. 281
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streckung der Tarifgebundenheit284 auf nicht oder anders organisierte Arbeitnehmer.285 (b) Ein solches Verständnis ist verfassungsrechtlich mit Blick auf die grundsätzliche Begrenzung der den Tarifvertragsparteien in Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleisteten Rechtsetzungsbefugnis auf die Arbeitsverhältnisse ihrer Mitglieder und die oben dargestellte grundgesetzliche Verteilung der Normsetzungsbefugnisse zwischen den Tarifpartnern und den staatlichen Rechtsetzungsorganen höchst bedenklich. Auch kann bei einer solchen Auslegung des § 3 Abs. 2 TVG dieser unter keinen Umständen die erforderliche Legitimationsgrundlage für die Außenseitergeltung betrieblicher Tarifnormen bieten: Das Verständnis des BAG und eines Teils der Rechtslehre führt bereits dann zur Annahme einer Betriebsnorm, wenn die Regelungsziele der Tarifvertragsparteien die Einbeziehung der Außenseiter erfordern. Die Reichweite der Normwirkung wird den Regelungszielen untergeordnet.286 Bei entsprechender Auswahl von Regelungszielen ist jedoch hinsichtlich fast jeder Arbeitsbedingung ein Interessenkonflikt denkbar, der sich nur durch zentrale Steuerung lösen lässt. Letztlich könnte jegliche von den Tarifvertragsparteien behauptete Notwendigkeit einheitlicher Geltung das Vorliegen betrieblicher Normen begründen; Betriebsnormen hätten einen nahezu universellen Geltungsanspruch.287 Der geschilderten Kompetenzverteilung wird dies nicht gerecht. Die Tarifvertragsparteien288 hätten es in der Hand, durch entsprechende Zielsetzung beliebig Betriebsnormen zu schaffen; sie würden durch tarifpolitische Zweckmäßigkeitserwägungen bestimmen, was die Außenseiter hinnehmen müssen.289 Ihnen würde in der Sache eine „Kompetenz-Kompetenz“ eingeräumt.290 Resultat wäre 284 s. dazu oben Fn. 87: Nach der vorzugswürdigen h. M. erstreckt § 3 Abs. 2 TVG nicht die Tarifgebundenheit, sondern sieht von dieser auf Arbeitnehmerseite gerade ab und erstreckt also die Tarifgeltung auf nicht Tarifgebundene. 285 Rüthers, FS Müller, S. 445 (454); ebenso Kempen/Zachert/Kempen, § 3 Rn. 30 a. E. 286 H. Hanau, RdA 1996, 158 (169); s. auch Arnold, Betriebliche Tarifnormen, S. 117; Ingelfinger, Anm. zu BAG 17. 6. 1997 SAE 1999, 128 (131); JKO/Krause, § 4 Rn. 60. 287 Arnold, Betriebliche Tarifnormen, S. 117; Giesen, Rechtsgestaltung, S. 420, 422 f.; H. Hanau, Anm. zu BAG 7. 11. 1995 AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 1, unter IV. 2. a); ders., RdA 1996, 158 (171). 288 Nach Loritz, Anm. zu BAG 26. 4. 1990 SAE 1991, 245 (250) vor allem die Gewerkschaften; s. auch dens., FS Zöllner, Band II, S. 865 (872, 874, 877): Wille der Gewerkschaften und ihrer Mitglieder; „gewerkschaftliche Wunschvorstellungen“. 289 Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht 2, § 13 Rn. 26; JKO/Krause, § 4 Rn. 69; Loritz, Anm. zu BAG 26. 4. 1990 SAE 1991, 245 (250 ff.); ders., FS Zöllner, Band II, S. 865 (874); s. auch Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 36 I. 2., S. 366; Ingelfinger, Anm. zu BAG 17. 6. 1997 SAE 1999, 128 (131); Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1503. 290 H. Hanau, RdA 1996, 158 (171); JKO/Krause, § 4 Rn. 69; s. auch Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1519.
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eben das, wozu es nach dem BVerfG bei der Verweisung von staatlichen Gesetzen auf tarifvertragliche Regelungen und damit auch bei der unmittelbaren gesetzlichen Delegation staatlicher Normsetzungsbefugnisse gerade nicht kommen darf: Die Außenseiter-Arbeitnehmer würden schrankenlos der normsetzenden Gewalt der Tarifvertragsparteien ausgeliefert. Schrankenlos, weil nicht der staatliche Gesetzgeber, sondern aufgrund ihrer Kompetenz-Kompetenz die Tarifvertragsparteien die Grenzen ihrer Tarifnormsetzung mit Außenseiterwirkung selbst zögen. Mit Blick auf das Legitimationserfordernis muss man bei einem derartigen Verständnis in der Tat fragen, wie der Rechtsstaat die Verantwortung für eine Regelung – oder genauer: für die Geltung einer von privaten Verbänden geschaffenen Regelung für nicht verbandsangehörige Arbeitnehmer – übernehmen soll, auf deren Inhalt er keinen Einfluss hat.291 Die Geltung einer solchen Regelung für Außenseiter ließe sich in keiner Weise auf einen erkennbaren gesetzgeberischen Willen zurückführen; insbesondere stellte der hier auf seine Eignung als hinreichende einfachgesetzliche Delegationsnorm zu untersuchende § 3 Abs. 2 TVG bei dieser Auslegung nicht mehr und nichts anderes dar als eine Blankettermächtigung der Tarifvertragsparteien zur Setzung von Rechtsnormen mit Außenseiterwirkung.292 (2) Eigene Bestimmung des Bezugspunkts Was ist nun die Alternative? Sicherlich nicht richtig sein kann es, die Regelungsziele und tarifpolitischen Zweckmäßigkeitserwägungen der Tarifvertragsparteien als Maßstab der Notwendigkeit einer einheitlich geltenden Regelung zu ersetzen durch eine Beurteilung „anhand aller Maßstäbe des Wirtschaftsgeschehens . . . in der Bundesrepublik Deutschland“.293 Dadurch würde die Abgrenzung zwischen Betriebs- und Individualnormen und die Vorschrift des § 3 Abs. 2 TVG überladen; es geht um „betriebliche Fragen“, nicht um eine gesamtwirtschaftliche Perspektive. (a) Notwendigkeit versus Zweckmäßigkeit betriebseinheitlicher Geltung Zunächst muss man sich, auch wenn dies auf den ersten Blick als rein sprachliches Manöver erscheinen mag, ein für allemal von dem Kriterium der Zweckmäßigkeit lösen und auf die (objektive) Notwendigkeit einer betriebseinheitlichen Geltung abstellen. Die Zweckmäßigkeit einer einheitlichen Regelung kann, wie 291
Vgl. Dieterich, FS Däubler, S. 451 (457). Vgl. H. Hanau, Anm. zu BAG 7. 11. 1995 AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 1, unter IV. 2. b). 293 s. aber Loritz, FS Zöllner, Band II, S. 865 (877). 292
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
bereits hervorgehoben, stets nur aus einer bestimmten – unweigerlich subjektiven – Perspektive beurteilt werden; es kann aber nicht darum gehen, Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis des Unternehmens einerseits und tarifund verbandspolitische Gesichtspunkte der Sozialpartner andererseits294 gegeneinander auszuspielen.295 (b) Der Regelungsgegenstand als zutreffender Bezugspunkt (aa) Entscheidend ist dann der Bezugspunkt der Notwendigkeit. Oben wurde herausgearbeitet, dass das Rechtsstaats- und das Demokratieprinzip verlangen, dass die Delegation der die Außenseiter-Arbeitnehmer betreffenden Rechtssetzungsmacht des Gesetzgebers auf die Tarifvertragsparteien nicht auf eine Entäußerung der gesetzgeberischen Normsetzungsbefugnis hinauslaufen darf. Der Gesetzgeber muss einen für die Tarifvertragsparteien bindenden, d. h. von diesen nicht eigenmächtig erweiterbaren Rahmen stecken. Diesen Rahmen vorzugeben, ist Aufgabe der Delegationsnorm. Jede von den Tarifvertragsparteien gesetzte Norm, der regelwidrig Außenseiterwirkung zukommen soll, muss sich auf den in der Delegationsnorm ausgedrückten Willen des Gesetzgebers zurückführen lassen, für bestimmte Angelegenheiten die Möglichkeit einer Tarifnormsetzung mit Außenseiterwirkung zu eröffnen. Nur dann kann davon gesprochen werden, dass der Staat für die Außenseiterbindung selbst die Verantwortung übernommen hat. Hierin stecken ein „negatives“ und ein „positives“ Merkmal. Negativ das Verbot einer Entäußerung der Normsetzungsbefugnis – diesem ist durch die Ablehnung der Auffassung, die in den Regelungszielen der Tarifvertragsparteien den Parameter der Notwendigkeit einer einheitlich geltenden Regelung sieht und damit eine Kompetenz-Kompetenz der Koalitionen begründet, Rechnung getragen. Positiv muss das Merkmal benannt werden, dass innerhalb des Tatbestandes der Delegationsnorm die Aufgabe übernimmt, den Rahmen für die mögliche Einbeziehung von Außenseitern in die Tarifvertragsnormgeltung zu ziehen. Es muss mit anderen Worten das Merkmal bestimmt werden, das als Bezugspunkt der Notwendigkeit einer betriebseinheitlichen Regelung an die Stelle der Regelungsziele der Tarifvertragsparteien tritt. (bb) Dieses Merkmal kann in § 3 Abs. 2 TVG nur die Begrenzung auf „betriebliche Fragen“ sein. Hier ist auf die oben gewonnenen einfachrechtlichen Auslegungsergebnisse zurückzugreifen. Betriebliche Fragen sind danach Fragen, die über das einzelne Arbeitsverhältnis hinausreichen. Die Fragen, die über das einzelne Arbeitsverhältnis hinausreichen, können nach der hier vertretenen Aus294 Vgl. die Gegenüberstellung bei Dieterich/P. Hanau/Henssler/Oetker/Wank/Wiedemann, RdA 2004, 65 (73); s. auch Wiedemann, RdA 2007, 65 (68). 295 Abzulehnen daher der von P. Hanau, RdA 2008, 98 (102) vorgeschlagene Maßstab der „nicht unerheblichen tatsächlichen Unzweckmäßigkeit einer individuellen Regelung“.
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legung nicht gleichgesetzt werden mit den Fragen, deren Regelung nicht Inhalt des Individualarbeitsvertrages sein kann. Entscheidend dafür, dass eine Frage über das einzelne Arbeitsverhältnis hinausreicht und damit „betrieblich“ i. S. des § 3 Abs. 2 TVG ist, ist vielmehr, dass sie nicht allein das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und einzelnem Arbeitnehmer betrifft, sondern sich aus der Wechselbezüglichkeit der Arbeitsbedingungen der unterschiedlichen Arbeitnehmer eines Betriebes ergibt, die wiederum insbesondere aus der technisch-organisatorischen Verbundenheit der verschiedenen Arbeitsverhältnisse eines Betriebes resultiert. Bei einem solchen Verständnis der betrieblichen Fragen ist unmittelbar einsichtig, dass der Bezugspunkt, nach dem sich bestimmt, ob eine Regelung im Betrieb einheitlich gelten muss, nicht (subjektiv) in dem jeweiligen Regelungsziel der Tarifvertragsparteien gesehen werden kann, sondern allein (objektiv) in dem jeweiligen Regelungsgegenstand.296 Ob eine Tarifnorm betriebsweit einheitlich gelten muss, richtet sich danach, ob sie einen Gegenstand, eine Materie betrifft, der sich aus der Wechselbezüglichkeit – verstanden als der technisch-organisatorischen Verbundenheit – der Arbeitsbedingungen im Betrieb ergibt und daher nur in dieser Wechselbezüglichkeit geregelt werden kann.297 296 Auf den Regelungsgegenstand als Bezugspunkt der notwendigen Einheitlichkeit stellen auch ab Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen, S. 143 (Fn. 127); Schleusener, ZTR 1998, 100 (109); s. auch Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 81 (Hervorhebung nicht im Original): „Betriebliche Fragen im Sinne des § 1 Abs. 1 TVG sind ausschließlich solche Angelegenheiten, die von der Sache her notwendig betriebseinheitlich geregelt werden müssen, die also Differenzierungen zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern schlechthin und nicht lediglich aus Gründen der Gleichbehandlung oder Zweckmäßigkeit ausschließen.“ Gegenüberstellung der Alternativen „Regelungsziele der Tarifvertragsparteien – Regelungsgegenstand“ auch bei Giesen, Rechtsgestaltung, S. 420; Ingelfinger, Anm. zu BAG 17. 6. 1997 SAE 1999, 128 (131); Reuter, RdA 1994, 152 (156); s. auch Arnold, Betriebliche Tarifnormen, S. 117. 297 Schon im Ansatz fehlgehend daher mit Blick auf die Tarifpluralität Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (118): Es ist gerade nicht möglich, dass von zwei im Betrieb aufeinander treffenden Tarifnormen unterschiedlicher Tarifverträge, die denselben Regelungsgegenstand betreffen, die eine Norm eine Betriebs-, die andere hingegen eine Inhaltsnorm ist; handelt es sich um einen notwendig einer betriebseinheitlich geltenden Regelung bedürftigen Gegenstand, dann treffen insoweit Betriebsnormen aufeinander mit der Konsequenz der Entstehung einer betriebsweiten Tarifkonkurrenz und deren Auflösung durch betriebsweit einheitliche Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis, wodurch im Ergebnis (insoweit) die betriebliche Tarifeinheit steht. Einen „gewählten Charakter der Norm“ (Nielebock, ebd.) gibt es insofern nicht. Wenn beide Tarifverträge denselben Regelungsgegenstand regeln, wird auch nicht die eine Tarifnorm zur Betriebsnorm, die andere aber zur Inhaltsnorm, weil sie anders als die erste „nicht auf das Einzelarbeitsverhältnis hin konkretisiert“ ist. Die abweichende Ansicht von Nielebock (a. a. O., S. 117 f.) beruht auf einer Fehlinterpretation der Rechtsprechung des BAG, Urteil vom 1. 8. 2001 AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 5 (Wiedemann), da das BAG in der angeführten Entscheidung den Charakter als Inhalts- oder (auch) Betriebsnorm (Doppelnorm) offen ließ und das von Nielebock akzentuierte Merkmal nicht für die Abgrenzung der beiden Normgruppen heranzog, sondern damit begründete, dass es sich überhaupt nicht um eine normative, sondern nur um eine schuldrechtliche Regelung handelte.
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Die gegen eine Anknüpfung an den Regelungsgegenstand vorgebrachten Einwände von Christian Fischer greifen nicht durch. Er meint, von ihrem Regelungsgegenstand her ließen sich zahlreiche betriebliche Normen auch als Inhaltsnormen fassen. Die Unterscheidung zwischen Inhalts- und Betriebsnormen betreffe vornehmlich die personelle Reichweite (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG einerseits, §§ 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG andererseits) und die Frage, ob eine Regelung wegen „evident sachlogischer Unzweckmäßigkeit“ nicht Inhalt eines Individualarbeitsvertrages sein kann. Eine regelungsgegenstandbezogene Trennung zwischen Inhaltsnormen und betrieblichen Normen sei nicht bzw. nur eingeschränkt möglich.298 Dazu ist zu sagen, dass die Anknüpfung an die „personelle Reichweite“, d. h. in der Sache: an die Rechtsfolge des § 3 Abs. 2 TVG, richtigerweise nur der Ausgangspunkt der Betrachtung, namentlich der Normzweckermittlung (teleologische als rechtsfolgenorientierte Begriffsbildung) sein kann, woran sich aber eine Untersuchung darüber anschließen muss, welcher innere Grund den Gesetzgeber zu der Regelung bewogen hat. Hinter dem „Wie“ der Regelung – hier: Ausdehnung der personellen Reichweite der Rechtsnormen eines Tarifvertrages über betriebliche Fragen auf die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer im Betrieb eines tarifgebundenen Arbeitgebers – muss ihr „Warum“, also der Zweck der gewählten Verknüpfung von Tatbestand und Rechtsfolge ermittelt werden.299 Der Sinnzusammenhang zwischen Tatbestand und Rechtsfolge kann aber nur unter Einbeziehung des Tatbestandes wiederhergestellt werden, und das heißt bei § 3 Abs. 2 TVG: unter Einbeziehung des Tatbestandsmerkmals der „betrieblichen Fragen“, des Merkmals der „Betrieblichkeit“300; und dieses Merkmal der „Betrieblichkeit“ führt eben, verdeutlicht durch das Denken in Gegenbegriffen („betriebliche Fragen“ einerseits, Fragen, die allein das einzelne Arbeitsverhältnis betreffen, andererseits; betriebliche Fragen als Fragen, die über das einzelne Arbeitsverhältnis hinausreichen, weil sie sich aus der Mehrheit von Arbeitsverhältnissen, konkret aus der Wechselbezüglichkeit von Arbeitsbedingungen, ergeben), letztlich zum Regelungsgegenstand (Arbeitsbedingungen, die in einer Wechselbeziehung zu den Arbeitsbedingungen anderer Arbeitnehmer stehen und daher nur in dieser Wechselbezüglichkeit geregelt werden können).301 Die Frage schließlich, ob eine Regelung wegen „evident sachlogischer Unzweckmäßigkeit“ nicht Inhalt eines Individualarbeitsvertrages sein kann302, erweist sich bei näherem Hinsehen ohnehin als falsch gestellt.303
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C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 193 f. s. o. E. III. 2. b). 300 s. o. E. IV. 301 s. o. E. IV. 2. c), d) und e). 302 C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 193. 303 s. o. E. VI. 2.; s. auch C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 193 f., dort Fn. 637. 299
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Bei dieser Interpretation begründet § 3 Abs. 2 TVG keine Kompetenz-Kompetenz der Tarifvertragsparteien, sondern gibt mit dem Tatbestandsmerkmal der betrieblichen Fragen einen Rahmen vor, den die Koalitionen bei ihrer Normsetzung mit Außenseiterwirkung nicht verlassen und den sie nicht selbst erweitern können. Jede Tarifnorm, deren Charakter als Betriebsnorm in Rede steht, muss darauf hin untersucht werden, ob der von ihr normierte Gegenstand notwendig nur für den ganzen Betrieb einheitlich geregelt werden kann. (c) Wechselbezüglichkeit aus rechtlichen Gründen Dies ist nach der hiesigen Ansicht vorrangig bei solchen Regelungsgegenständen der Fall, die aus der Wechselbezüglichkeit, d. h. aus der technisch-organisatorischen Verbundenheit der Arbeitsverhältnisse, erwachsen. An anderer Stelle304 wurde allerdings bereits auf die ganz h. M. hingewiesen, welche tarifvertragliche Sozialauswahlrichtlinien i. S. d. § 1 Abs. 4 KSchG als Betriebsnormen i. S. d. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG einordnet. Die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG hat sich – vorbehaltlich der Herausnahme der sog. Leistungsträger und derjenigen Arbeitnehmer, deren Weiterbeschäftigung zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes im berechtigten betrieblichen Interesse liegt (Satz 2) – auf alle Arbeitnehmer des Betriebes zu erstrecken (Betriebsbezogenheit der Sozialauswahl)305, deren Funktion auch von dem gekündigten Arbeitnehmer wahrgenommen werden könnte, die also hinsichtlich ihrer ausgeübten Tätigkeit „horizontal“ vergleichbar sind.306 Daraus folgt, dass tarifvertragliche Auswahlrichtlinien i. S. d. § 1 Abs. 4 KSchG notwendig betriebseinheitlich gelten müssen. Ihr – vom Organisationsstand unabhängiger – personeller Rahmen ist vom Gesetz vorgezeichnet.307 Die Richtlinien erreichen ihren Zweck nur, wenn sie für alle im Betrieb Beschäftigten gelten.308 Ihre Geltung allein für die organisierten Arbeitnehmer würde den von § 1 Abs. 3 KSchG geforderten einheitlichen Auswahlvorgang zerstören.309 Aus der technisch-organisatorischen Verbundenheit der Arbeitsverhältnisse ergibt sich allerdings der Betriebsnormcharakter in diesem Fall nicht. Dies zwingt freilich nicht dazu, das hier als für die Annahme einer betrieblichen Frage wesentlich eingestufte Kriterium der Wechselbezüglichkeit aufzugeben oder auch nur zu relativieren; insbesondere zwingt es nicht dazu, eine allgemeine (Interes304
s. o. Teil 1, Kapitel 3, unter C. II. 3. a). BAG 17. 9. 1998 AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 36; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 318 ff.; Schaub/Linck, ArbR-Hdb., § 135 Rn. 4. 306 BAG 29. 3. 1990 AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 50; ErfK/ Oetker, § 1 KSchG Rn. 323 ff.; Schaub/Linck, ArbR-Hdb., § 135 Rn. 7, 11 ff. 307 Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 747. 308 Ricken, Autonomie, S. 89. 309 Löwisch/Rieble, § 1 Rn. 121; MüArbR/Rieble/Klumpp, § 172 Rn. 16. 305
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sen-)Ausgleichs- und Verteilungsfunktion310 betrieblicher Tarifnormen anzuerkennen311. Man darf bloß das Kriterium der Wechselbezüglichkeit nicht verengen auf Fälle der Wechselbezüglichkeit aus Gründen der technisch-organisatorischen Verbundenheit. Diese Fälle bilden zwar den Kern der betrieblichen Fragen, die Wechselbezüglichkeit muss sich aber nicht immer aus dem technisch-organisatorischen Zusammenhang der Arbeitsverhältnisse und Arbeitsbedingungen ergeben. Daneben kann es vielmehr, wie § 1 Abs. 4 KSchG zeigt, auch eine Wechselbezüglichkeit aus rechtlichen Gründen geben. Die Wechselbezüglichkeit wird hier durch das Gesetz – Einbeziehung aller vergleichbaren Arbeitnehmer des Betriebes in die soziale Auswahl – begründet. Das Gesetz verlangt hier die Behandlung der Belegschaft als Einheit, weshalb die Tarifvertragsparteien keine Absonderung der organisierten Arbeitnehmer betreiben können.312 Von einer allgemeinen Ausgleichs- und Verteilungsfunktion betrieblicher Normen sind folglich Fälle zu unterscheiden, für die das Gesetz, wie für die soziale Auswahl bei betriebsbedingten Kündigungen, ein Ausgleichs- oder Verteilungsverfahren innerhalb der gesamten Belegschaft vorsieht.313 Unter Legitimationsgesichtspunkten ist im Übrigen die Annahme des Betriebsnormcharakters wegen rechtlicher (im Gegensatz zur technisch-organisatorischen) Wechselbezüglichkeit unproblematisch. Der Gesetzgeber ist durch seine Regelung der sozialen Auswahl bei betriebsbedingten Kündigungen unmittelbar selbst für die Wechselbezüglichkeit und damit für das die Anwendung des § 3 Abs. 2 TVG legitimierende Erfordernis einer einheitlich geltenden tarifvertraglichen Regelung verantwortlich. bb) Kompetenz zur Beurteilung der Notwendigkeit einer betriebseinheitlich geltenden Regelung Gleichsam von selbst ergibt sich aus der Substitution des Regelungsziels der Tarifvertragsparteien als Bezugspunkt der Notwendigkeit einer betriebseinheitlich geltenden Regelung durch den Regelungsgegenstand auch, welche Instanz zur Beurteilung jener Notwendigkeit berufen ist. Dies können nicht die Tarifver310 Zur allgemeinen Verteilungsfunktion des Tarifvertrages nur Wiedemann/Wiedemann, Einl. Rn. 7 f.; kritisch jüngst Koop, Tarifvertragssystem, S. 279 f. 311 Mit dem Hinweis auf die Ausgleichs- und Verteilungsfunktion solcher Auswahlrichtlinien begründet Wiedemann, RdA 1997, 297 (300) ihren Betriebsnormcharakter; s. dazu auch dens., Anm. zu BAG 17. 6. 1997 AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 2, unter 2.; Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 735 f., 747; allgemein kritisch zur Annahme von Betriebsnormen aufgrund einer Ausgleichs- oder Verteilungsfunktion aber Ingelfinger, Anm. zu BAG 17. 6. 1997 SAE 1999, 128 (131); Löwisch/Rieble, § 1 Rn. 114; MüArbR/ Rieble/Klumpp, § 172 Rn. 10. 312 Löwisch/Rieble, § 1 Rn. 120 f.; MüArbR/Rieble/Klumpp, § 172 Rn. 15. 313 Vgl. Löwisch/Rieble, § 1 Rn. 114 einerseits, Rn. 120 f. andererseits; MüArbR/Rieble/Klumpp, § 172 Rn. 10 einerseits, Rn. 15 f. andererseits.
Kap. 2: Abgrenzung von Betriebs- und Inhaltsnormen
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tragsparteien selbst sein, denen anderenfalls wiederum eine Kompetenz-Kompetenz eingeräumt würde. Wenn man die Regelungsziele als subjektiven Bezugspunkt ablöst durch den objektiven Maßstab des Regelungsgegenstandes, dann muss auch dafür, ob ein Gegenstand nur betriebsweit einheitlich geregelt werden kann, auf eine objektive Perspektive abgestellt werden. Letztlich, d. h. im Streitfall, ist das die Perspektive des Richters.314 Dieser muss die „Gretchenfrage“ des hiesigen Betriebsnormverständnisses beantworten, ob nämlich im einzelnen Falle eine einheitliche Geltung nur zweckmäßig (was für die Annahme einer Betriebsnorm nicht genügt) oder notwendig ist. Auch beim Wechsel von den Regelungszielen der Tarifvertragsparteien zum Regelungsgegenstand der jeweiligen Norm als Bezugspunkt der Notwendigkeit einer einheitlichen Geltung bleibt damit der neuralgische Punkt des teleologischen (rechtsfolgenorientierten) Begriffsverständnisses erhalten. Ihn hat bereits Dieterich herausgestellt315: Er liegt in der Frage, wann eine Regelung notwendigerweise und wann sie nur zweckmäßigerweise einheitlich gelten muss, wo also die Grenze zwischen bloßer Zweckmäßigkeit und betrieblicher Funktion zu ziehen ist. Diese Frage nach der Grenzziehung wird durch den Wechsel von der subjektiven (Regelungsziele der Tarifvertragsparteien als Bezugspunkt) zur objektiven Betrachtung (Regelungsgegenstand als Bezugspunkt) nicht hinfällig, sondern stellt sich in gleicher Weise. Dass sie nicht abstrakt, vom Einzelfall gelöst, zuverlässig zu beantworten ist, ist insofern misslich, als sich der Wert einer Definition vorrangig bei ihrer Anwendung auf Zweifelsfälle erweist316. Gibt man den Arbeitsgerichten indes durch eine normzweckorientierte Auslegung der §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG die geeigneten Maßstäbe an die Hand – Notwendigkeit einer betriebseinheitlichen Geltung als unerlässliche Voraussetzung der Annahme einer betrieblichen Norm; „betriebliche Fragen“ als Fragen, die über das einzelne Arbeitsverhältnis hinausreichen; Identifizierung der Fragen, die über das einzelne Arbeitsverhältnis hinausreichen, als Fragen, die aus der Wechselbezüglichkeit der Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer eines Betriebes erwachsen; Präzisierung des Begriffs der 314 Kritisch Giesen, Rechtsgestaltung, S. 419; s. auch Dieterich, FS Däubler, S. 451 (452); wie hier letztlich auch Bürger, Kollisionsverhältnis, der zwar (S. 51) die zwingende Einheitlichkeit der Anwendung einer Tarifnorm im Ausgangspunkt an dem mit der Norm verfolgten Regelungszweck messen will, nach dem aber (S. 54) dann, wenn eine Tarifnorm von den Tarifvertragsparteien als Betriebsnorm gewollt ist, weiter zu prüfen ist, ob das mit der Norm verfolgte Regelungsziel nicht auch durch Individualnormen hätte erreicht werden können. Diese Prüfung kann, was Bürger nicht ausdrücklich sagt, nur eine richterliche Prüfung sein. – Vgl. hierzu jetzt auch BAG 29. 7. 2009 NZA 2009, 1424, unter B. II. 3. b) bb) der Gründe, Rn. 22 des Beschlusses, das zur Begründung der Verfassungsmäßigkeit von § 3 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 BetrVG hervorhebt, dass die Arbeitsgerichte „bei der Auslegung und der Anwendung der in § 3 I BetrVG verwandten unbestimmten Rechtsbegriffe die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Delegation staatlicher Normsetzungsbefugnis an die Tarifvertragsparteien (. . .) berücksichtigen müssen“. 315 Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 18, 33. 316 Vgl. allgemein Wank, Begriffsbildung, S. 99 f.
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Wechselbezüglichkeit durch das Kriterium der technisch-organisatorischen Verbundenheit; Irrelevanz der (Un-)Möglichkeit oder (Un-)Zweckmäßigkeit einer Regelung im Individualarbeitsvertrag, statt dessen Maßgeblichkeit der Unmöglichkeit einer unterschiedlichen Regelung in unterschiedlichen Arbeitsverträgen –, dann kann ihnen zugetraut werden, für eine sachgerechte Abgrenzung im Einzelfall zu sorgen. IV. Zwischenergebnis Rechtsstaats- und Demokratieprinzip verlangen nach einer Legitimation der Geltung betrieblicher Normen eines Tarifvertrages für die Arbeitsverhältnisse von Außenseiter-Arbeitnehmern. Gefordert ist eine rechtliche Grundlage für die Tarifnormsetzung mit Wirkung für nicht organisierte Arbeitnehmer. Dies kann nur ein staatlicher Akt der Ermächtigung der Tarifvertragsparteien zur Normsetzung über die personellen Grenzen ihrer verfassungsrechtlich fundierten Rechtsetzungsmacht hinaus in Gestalt einer einfachgesetzlichen Delegationsnorm sein. Die einfachgesetzliche Delegationsnorm muss dergestalt gefasst sein, dass sich der Gesetzgeber durch die teilweise Delegation seiner Rechtsetzungsbefugnis dieser nicht entäußert. Die Norm selbst muss einen Rahmen vorgeben, innerhalb dessen sich die Tarifvertragsparteien bei ihrer Normsetzung mit Außenseiterwirkung bewegen und den sie nicht eigenmächtig erweitern können. Der Inhalt der mit Außenseiterwirkung ausgestatteten Tarifnormen muss zurückführbar sein auf den in der Delegationsnorm zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers, für bestimmte Angelegenheiten eine Tarifnormsetzung mit Außenseiterwirkung zuzulassen. In ihrer hier mittels einer normzweckorientierten Betrachtung gewonnenen Auslegung ist die Vorschrift des § 3 Abs. 2 TVG eine diesen Anforderungen entsprechende einfachgesetzliche Delegationsnorm; § 3 Abs. 2 TVG reicht als Ermächtigungsgrundlage zur Normsetzung gegenüber nicht organisierten Arbeitnehmern aus.317 Entscheidende Voraussetzung dieser Annahme ist die Substitution des Bezugspunkts der Notwendigkeit einer betriebseinheitlich geltenden Regelung. Entgegen 317 Im Ergebnis wie hier BAG 7. 11. 1995 AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 1 (H. Hanau), unter II. 2. a) der Gründe; ErfK/Franzen, § 3 TVG Rn. 17; s. auch dens., RdA 2008, 193 (199); des Weiteren Gamillscheg, KollArbR I, § 17 I. 2. d) (2), S. 719: „Das Gesetz ist Legitimation genug.“; dem zust. jüngst Greiner, Rechtsfragen, S. 387; s. auch schon Gamillscheg, a. a. O., § 15 III. 3. b) (10), S. 565, dort Fn. 156 a. E.; weitere Nachweise bei Klein, Minderheitsgewerkschaften, S. 243, 244 f. In der Sache ähnlich, wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt aus (nicht: Erfordernis einfachgesetzlicher Delegationsnorm, sondern: Vorbehalt des Gesetzes, Wesentlichkeitstheorie) Waltermann, ZfA 2000, 53 (84 f.); zur Wesentlichkeitstheorie im hier gegebenen Zusammenhang auch Klein, a. a. O., S. 265 ff.
Kap. 2: Abgrenzung von Betriebs- und Inhaltsnormen
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dem BAG und einem Teil des Schrifttums kann sich die Abgrenzung zwischen Betriebs- und Individualnormen nicht nach den von den Tarifvertragsparteien verfolgten Regelungszielen richten. Dieses Verständnis führt bereits dann zur Bejahung einer Betriebsnorm, wenn die Regelungsziele der Tarifvertragsparteien die Einbeziehung der Außenseiter erfordern. Die Tarifvertragsparteien könnten durch die Auswahl von Regelungszielen beliebig betriebliche Normen schaffen. § 3 Abs. 2 TVG räumte ihnen in der Sache eine Kompetenz-Kompetenz hinsichtlich der Verteilung der Zuständigkeit zur Rechtsnormsetzung gegenüber Außenseitern zwischen Staat und Koalitionen ein. Die Vorschrift stellte eine den Anforderungen an die erforderliche einfachgesetzliche Delegationsnorm nicht gerecht werdende Blankettermächtigung dar. Abhilfe schafft die Ablösung der Regelungsziele durch den Regelungsgegenstand als Bezugspunkt der Notwendigkeit der einheitlichen Geltung. Dabei ergibt sich die Substitution des Bezugspunkts aus den Ergebnissen der einfachrechtlichen Auslegung des § 3 Abs. 2 TVG. Rechtsfolge des § 3 Abs. 2 TVG und Begrenzung seines sachlich-gegenständlichen Anwendungsbereichs auf „betriebliche Fragen“ stehen nicht isoliert nebeneinander. Betriebliche Fragen sind Fragen, die über das einzelne Arbeitsverhältnis hinausreichen, weil sie nicht allein das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und einzelnem Arbeitnehmer betreffen, sondern sich aus der Wechselbezüglichkeit der Arbeitsbedingungen der unterschiedlichen Arbeitnehmer eines Betriebes ergeben. Darum ordnet § 3 Abs. 2 TVG die einheitliche Geltung der tarifvertraglichen Normen betreffend „betriebliche Fragen“ ohne Rücksicht auf den Organisationsstatus der Arbeitnehmer an: weil die Wechselbezüglichkeit nach einer betriebseinheitlich geltenden Regelung verlangt. Damit ist der für die teleologische Begriffsbildung maßgebliche Sinnzusammenhang zwischen Tatbestand („Rechtsnorm über betriebliche Fragen“) und Rechtsfolge (einheitliche Geltung) wiederhergestellt. Da sich hiernach die Frage, ob eine Tarifnorm betriebseinheitlich gelten muss, danach beantwortet, ob sie einen Gegenstand betrifft, der durch die Wechselbezüglichkeit der Arbeitsbedingungen im Betrieb geprägt ist und daher nur in dieser Wechselbezüglichkeit geregelt werden kann, ist evident, dass der Bezugspunkt, nach dem sich bestimmt, ob eine Regelung im Betrieb einheitlich gelten muss, nicht (subjektiv) in dem jeweiligen Regelungsziel der Tarifparteien gesehen werden kann, sondern (objektiv) in dem jeweiligen Regelungsgegenstand gesehen werden muss. Jede Tarifnorm, deren Charakter als Betriebsnorm in Rede steht, muss darauf hin untersucht werden, ob der von ihr geregelte Gegenstand notwendig nur für den ganzen Betrieb einheitlich geregelt werden kann. In diesem schon auf der einfachrechtlichen Ebene, namentlich durch teleologische Auslegung gewonnenen Verständnis begründet § 3 Abs. 2 TVG keine Kompetenz-Kompetenz der Tarifvertragsparteien, sondern gibt mit dem Tatbestandsmerkmal der „betrieblichen Fragen“ einen für die Tarifparteien bei ihrer Normsetzung mit Außenseiterwirkung nicht disponiblen Rahmen vor. Somit genügt er
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
den rechtsstaatlich-demokratischen Anforderungen an eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage zur Normsetzung gegenüber nicht organisierten Arbeitnehmern.318
G. Tarifvertragliche „Doppelnormen“ I. Fragestellung Es ist ganz überwiegend anerkannt, dass Tarifnormen auch die Qualität von „Doppelnormen“ als Inhalts- und zugleich Betriebsnormen besitzen können.319 Wenn das BAG zur Rechtfertigung seiner bisherigen Rechtsprechung zur Tarifpluralität – Auflösung der Pluralität durch Tarifverdrängung – anführte, wegen § 3 Abs. 2 TVG müsse jedenfalls für die betrieblichen und die betriebsverfassungsrechtlichen Normen entschieden werden, welcher von mehreren aufeinander treffenden Tarifverträgen Anwendung finden solle, dass indes eine Abgrenzung zwischen (für den ganzen Betrieb geltenden) Betriebsnormen und (nur für tarifgebundene Arbeitsverhältnisse geltenden) Inhaltsnormen oft tatsächliche Schwierigkeiten bereite, zumal auch hier Überschneidungen möglich seien320, so sagte es mit letzterem zweierlei321: Erstens: Es gibt Doppelnormen322; zweitens: 318 In gleicher Weise genügt, die hiesige Auslegung zugrunde gelegt, die Vorschrift des § 3 Abs. 2 TVG den von H. Hanau, RdA 1996, 158 ff., aus Art. 12 Abs. 1 GG und der Wesentlichkeitstheorie hergeleiteten Anforderungen. 319 BAG 7. 11. 1995 AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 1, unter II. 1. b) cc) der Gründe; F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 392; Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 1 TVG Rn. 86; Buchner, Tarifvertragsgesetz und Koalitionsfreiheit, S. 18, 71; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 807; Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 70, 89 f., 93, 105; Dieterich/P. Hanau/Henssler/Oetker/Wank/Wiedemann, RdA 2004, 65 (74); Gamillscheg, KollArbR I, § 15 VI. 4., S. 595; H. Hanau, RdA 1996, 158 (159, Fn. 5); Heinze, NZA 1989, 41 (46 f.); ders., FS Schaub, S. 275 (290); ders., DB 1998, 1861 (1866); Däubler/Hensche, § 1 Rn. 784; Hromadka, AuA 1998, 73; Jacobs, Tarifeinheit, S. 107; JKO/Krause, § 4 Rn. 13; Däubler/Lorenz, § 3 Rn. 73; Löwisch/Rieble, § 1 Rn. 133; Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (116); Wiedemann/Oetker, § 3 Rn. 246; Peters/Ossenbühl, Übertragung, S. 114 f.; Däubler/Reim, § 1 Rn. 318, 320, 345 f.; MüArbR/Rieble/ Klumpp, § 172 Rn. 8; Säcker/Oetker, ZfA 1991, 131 (142); Schliemann, FS Schaub, S. 675 (689 f.); ders., FS Hanau, S. 577 (590); Schulz, Umfang und Wirkung tariflicher Betriebsnormen, S. 56, 107, 114, 121, 135 f., 156; v. Stebut, RdA 1974, 332 (336); Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 365, 753; Thüsing, ZTR 1996, 146 (148); Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 315; H. Weber, Anm. zu BAG 21. 1. 1987 SAE 1987, 212 (213); Weyand, AuR 1989, 193 (197); Wiedemann, Anm. zu BAG 17. 6. 1997 AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 2, unter 1.; H. J. Willemsen, Anm. zu BAG 26. 9. 1979 AP BGB § 613a Nr. 17, unter 4. b); Kempen/Zachert/Zachert, § 1 Rn. 88, 93. Gegen die Anerkennung von Doppelnormen Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 56 f.; Giesen, Rechtsgestaltung, S. 507 f., 546; einschränkend auch Reuter, DZWiR 1995, 353 (354); s. jüngst auch Meyer, SAE 2010, 27 (29 f.). 320 BAG 5. 9. 1990 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 19; 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20 (P. Hanau/Kania), unter B. II. 2. a) der Gründe; Hervorhebung jeweils nicht im Original.
Kap. 2: Abgrenzung von Betriebs- und Inhaltsnormen
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Das BAG sieht es als eine weitere Schwierigkeit – neben der Abgrenzung zwischen (Nur-)Betriebsnormen und (Nur-)Inhaltsnormen als solcher – an, wie im Falle der Hinnahme von Tarifpluralitäten mit Doppelnormen zu verfahren ist. Dieser Frage gilt es sich nunmehr zu widmen: Was bedeutet – auf dem Hintergrund des hier vertretenen Betriebsnormenkonzepts – die Freigabe von Tarifpluralitäten für den Fall der Kollision von Doppelnormen auf der Ebene des Betriebs, also eines Aufeinandertreffens mehrerer solche Doppelnormen enthaltender Tarifverträge? Ihre Beantwortung setzt voraus, die Reichweite des § 3 Abs. 2 TVG im Falle des Vorliegens einer Doppelnorm zu bestimmen, konkret: festzulegen, ob bei Doppelnormen § 3 Abs. 2 TVG für die ganze Norm, auch für ihren InhaltsnormBestandteil, gilt oder nicht; mit anderen Worten: Es ist zu fragen, was der Charakter als Doppelnorm für das Erfordernis der (beiderseitigen) Tarifgebundenheit bedeutet.323 II. Vorrangprinzip – Anwendung des § 3 Abs. 2 TVG auf die Doppelnorm als Ganze 1. Die These vom Vorrangprinzip – Vorrang des § 3 Abs. 2 TVG vor dem Prinzip der beiderseitigen Tarifgebundenheit Die Frage nach der Reichweite des § 3 Abs. 2 TVG hinsichtlich tarifvertraglicher Doppelnormen wurde, für eine andere Variante der Doppelnorm, bereits um das Jahr 1950 herum diskutiert. Damals ging es um Normen des Tarifvertrages, die gleichzeitig den Charakter einer betriebsverfassungsrechtlichen und den einer Inhalts- oder einer Abschlussnorm hatten. Die h. L. nahm an, dass in diesem Fall die Zugehörigkeit der Norm zum Recht der Betriebsverfassung den Ausschlag geben müsse und sie daher – obwohl Inhalts- und Abschlussnormen sonst nur auf beiderseits Tarifgebundene anzuwenden sind (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG) – auch für die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer gelte.324 321 Zur Interpretation dieser Entscheidungspassage auch Waas, Tarifkonkurrenz, S. 122. 322 Ausdrücklich später BAG 7. 11. 1995 AP TVG § 3 Betriebsnormen Nr. 1, unter II. 1. b) cc) der Gründe. 323 Anschaulich spricht Hromadka, AuA 1998, 73 von einem „Konflikt zweier einander widersprechender Prinzipien“, nämlich „des Grundsatzes der Geltung nur für Organisierte (Inhaltsnormen, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG) und des Grundsatzes der Geltung für alle Betriebsangehörigen (Betriebsnormen, § 3 Abs. 2, § 4 Abs. 1 Satz 2 TVG)“. 324 A. Hueck/Nipperdey/Tophoven, § 4 Rn. 42; Nikisch, Arbeitsrecht II, § 80 III. 2., S. 407; Nipperdey, RdA 1949, 81 (86); Rewolle, DB 1950, 11; a. A. Herschel, BArbBl. 1950, 377 (379) sowie später Buchner, Tarifvertragsgesetz und Koalitionsfreiheit, S. 19 f.; s. auch Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 91 ff.; aus jüngerer Zeit Walker, ZfA 1996, 353 (368).
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
Auch heute findet sich die prominent vertretene Ansicht, dass bei Tarifnormen, die zugleich Betriebs- und Inhaltsnormen sind, der betriebliche Charakter dazu führe, dass die Tarifbindung des Arbeitgebers allein genüge; § 3 Abs. 2 TVG findet danach auf die Tarifnorm als Ganze Anwendung, so dass die Einordnung als Doppelnorm im Ergebnis der Einordnung als Betriebsnorm gleichsteht.325 Die betrieblichen Normen gälten in ihrem ganzen Umfang, also auch insoweit, als sie gleichzeitig Inhaltsnormen darstellen, für nicht und anders organisierte Arbeitnehmer.326 Die soweit ersichtlich ausführlichste Begründung dieser Auffassung findet sich bei Heinze. Soweit eine Tarifnorm sowohl der Qualifizierung als Inhaltsnorm i. S. d. §§ 1, 4 Abs. 1 TVG wie der als Betriebsnorm i. S. d. §§ 1, 3 Abs. 2 TVG unterfalle, trete bezüglich des Geltungsbereiches der in Frage stehenden Norm das Prinzip der beiderseitigen Tarifgebundenheit von Arbeitnehmer und Arbeitgeber i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG bezüglich der Inhaltsnorm zurück und es reiche allein die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers aufgrund der Qualifizierung als Betriebsnorm gemäß § 3 Abs. 2 TVG aus. Dieses im Tarifrecht zwingend angelegte Vorrangprinzip des Charakters der Betriebsnorm hinsichtlich der Tarifbindung vor dem gleichzeitig gegebenen Charakter als Inhaltsnorm – kurz darauf spricht Heinze von einem im Tarifrecht normativ verankerten Spezialitätsprinzip – folge unmittelbar aus Entstehungsgeschichte, Wortlaut, systematischem Zusammenhang und teleologischer Interpretation der §§ 1, 3, 4 TVG, weil andernfalls die durch § 3 Abs. 2 TVG vorgeschriebene einheitliche Wirkung der betrieblichen Normen für alle Arbeitnehmer des Betriebes, also für organisierte wie nicht organisierte Arbeitnehmer, in unzulässiger Weise „unterlaufen“ würde. Stellten folglich betriebliche Normen nach ihrem inhaltlichen Regelungsgegenstand gleichzeitig Inhalts- oder Abschlussnormen dar, werde die Vorschrift der beiderseitigen Tarifgebundenheit des § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG zugunsten des Vorrangs des Betriebsnorm-Charakters verdrängt und es reiche gemäß § 3 Abs. 2 TVG die 325 So Däubler/Deinert, § 4 Rn. 512; Gamillscheg, KollArbR I, § 15 VI. 4., S. 595; Heinze, NZA 1989, 41 (47); Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 365, 753; Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 316; Weyand, AuR 1989, 193 (197 f.); ebenso schon Nikisch, Arbeitsrecht II, § 73 IV. 2., S. 302; Wiedemann/Stumpf, § 1 Rn. 247 und § 4 Rn. 177; für den Fall einer Doppelnorm, die zugleich Betriebs- und Abschlussnorm ist, Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 874; s. ferner Zmarzlik/Anzinger, § 21a Rn. 30; wohl auch HWK/Tillmanns, § 21a JArbSchG Rn. 1. A. A. Band, Tarifkonkurrenz, S. 154; Buchner, Tarifvertragsgesetz und Koalitionsfreiheit, S. 19, s. auch S. 71; Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 89 ff.; P. Hanau/Vossen, FS Hilger/Stumpf, S. 271 (290); Molitor/Volmer/Germelmann, § 21a Rn. 10; Prill, Rechtsnatur, S. 73 f.; Reuß, DB 1964, 1410 (1411); Richardi, Kollektivgewalt, S. 237, 239, 241 f.; wohl auch Schliemann, FS Hanau, S. 577 (590); ferner Schröder, BB 1960, 53 (56); Schulz, Umfang und Wirkung tariflicher Betriebsnormen, S. 107, 114, 121 f., 136, der aber die Ansicht, dass der Teil einer Doppelnorm, der Inhaltsnorm ist, nur für die tarifgebundenen Arbeitnehmer gelte, im Ergebnis durch die Annahme von Reflexwirkungen relativiert, welche sich auf alle Arbeitnehmer eines Betriebes gleichermaßen erstrecken sollen, a. a. O. S. 116 ff., insb. S. 120 f., 131. 326 Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 753.
Kap. 2: Abgrenzung von Betriebs- und Inhaltsnormen
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Tarifgebundenheit des Arbeitgebers aus, für dessen Betrieb die Rechtsnorm des Tarifvertrages über die betriebliche Frage gelte.327 2. Folgerungen für den Fall der Kollision mehrerer Doppelnormen enthaltender Tarifverträge im Betrieb Lässt man bei tarifvertraglichen Doppelnormen die Eigenschaft der Tarifnorm als Betriebsnorm, den betrieblichen Charakter der Doppelnorm, auch insoweit durchschlagen, als die Tarifnorm Inhaltsnorm ist mit der Folge, dass dann § 3 Abs. 2 TVG auch auf die Inhaltsnorm-Seite der Bestimmung, mithin auf die Doppelnorm als Ganze Anwendung findet, so ergibt sich für den Fall der Tarifkollision: Aufgrund der umfassenden Anwendung des § 3 Abs. 2 TVG kommt es im vollem Umfang der Normenkollision zur Entstehung einer betriebsweiten Tarifkonkurrenz. Diese Tarifkonkurrenz ist – in vollem Umfang, demnach auch, soweit die Inhaltsnorm-Bestandteile der kollidierenden Doppelnormen betroffen sind – nach dem Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis (nicht: im Betrieb) aufzulösen, wobei die Auflösung auch hier, wie bei jeder betriebsweiten Tarifkonkurrenz, in allen Arbeitsverhältnissen des Betriebes einheitlich erfolgen müsste; es kann sich also auch nur die Inhaltsnorm-Seite einer der kollidierenden Doppelnormen einheitlich in allen Arbeitsverhältnissen des Betriebs durchsetzen. Welcher Norm der Vorrang gebührt, hängt davon ab, welchen Standpunkt man hinsichtlich der Auflösung von Betriebsnormenkonkurrenzen einnimmt (Spezialitätsprinzip, Mehrheitsprinzip etc.). Da hier zwar – nach zutreffender Ansicht – wie bei jeder betriebsweiten Tarifkonkurrenz zugleich auch eine Tarifpluralität gegeben, für die Auflösungsbedürftigkeit der Kollisionslage indes allein das Vorliegen einer Tarifkonkurrenz in den (allen) einzelnen Arbeitsverhältnissen maßgeblich ist, ist Kollisionsregel nicht der Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb, sondern das unstreitige Prinzip der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis. Freilich wird damit im praktischen Ergebnis auch der zugleich mit der betriebsweiten Tarifkonkurrenz gegebenen Tarifpluralität die Grundlage entzogen, Resultat ist also die Tarifeinheit im Betrieb.328 III. Eigene Position 1. Begründung Vom hiesigen Standpunkt aus kann der Auffassung, wonach bei Doppelnormen eines Tarifvertrages die Vorschrift des § 3 Abs. 2 TVG auf die Norm als Ganze Anwendung findet, betriebliche Normen also auch insoweit, als sie zugleich Indi327 328
Heinze, NZA 1989, 41 (47). Zu diesen Zusammenhängen ausführlich oben Teil 1, Kapitel 2, unter B. II. 2. b).
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vidualnormen sind, für nicht und anders organisierte Arbeitnehmer eines tarifgebundenen Arbeitgebers gelten und die Einordnung als Doppelnorm mithin derjenigen als (Nur-)Betriebsnorm im Ergebnis gleichsteht, nicht zugestimmt werden. Inwiefern, wie von Heinze vorgebracht, Entstehungsgeschichte, Wortlaut und systematischer Zusammenhang der §§ 1, 3, 4 TVG die Gegenansicht zu stützen vermögen sollen, ist nicht ersichtlich. Wie bereits aufgezeigt wurde, sind insbesondere die Entstehungsgeschichte des Tarifvertragsgesetzes sowie die Systematik seiner einschlägigen Normen bereits dazu ungeeignet, festzulegen, was überhaupt „Rechtsnormen über betriebliche Fragen“ i. S. d. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG sind.329 Umso unergründlicher erscheint, wie man aus der Historie sowie der Systematik etwas zur Klärung der weitergehenden Frage herleiten können sollte, welche Behandlung Rechtsnormen adäquat ist, denen zugleich Betriebs- und Individualnormcharakter eignet. Was des Weiteren den Wortlaut anbelangt, so ist bereits auf die ganz überwiegende Einschätzung hingewiesen worden, dass der Begriff der „Rechtsnorm über betriebliche Fragen“ äußerst unklar ist.330 Insbesondere der Begriff der „betrieblichen Fragen“ lässt mehrere Deutungen zu.331 Nach der hier vertretenen Ansicht ist seine Explikation überhaupt erst unter Berücksichtigung des Zwecks des § 3 Abs. 2 TVG möglich, der für das Verständnis der betrieblichen Normen wesentlich ist. Mit dem Verweis auf eine teleologische Interpretation der §§ 1, 3, 4 TVG sowie mit dem Hinweis, dass andernfalls die durch § 3 Abs. 2 TVG vorgeschriebene einheitliche Wirkung der betrieblichen Normen für alle Arbeitnehmer des Betriebes, also für organisierte wie nicht organisierte Arbeitnehmer, in unzulässiger Weise „unterlaufen“ würde, nimmt Heinze auch den Gesetzeszweck für seine Ansicht in Anspruch. Gerade dieser Zweck jedoch spricht – aus Sicht der einfachrechtlichen Gesetzesauslegung – entscheidend gegen die einheitliche Anwendung des § 3 Abs. 2 auf tarifvertragliche Doppelnormen. Zweck des § 3 Abs. 2 TVG ist es, eine einheitliche, von den Unterschieden im jeweiligen Organisationsstatus der Arbeitnehmer absehende Geltung derjenigen Tarifnormen sicherzustellen, deren Regelungsgegenstand sinnvoll nur betriebseinheitlich geregelt werden kann. Insoweit – und nur insoweit – ist die Anwendung der Rechtsfolge des § 3 Abs. 2 TVG – einheitliche Normgeltung im Betrieb eines tarifgebundenen Arbeitgebers – sachadäquat und teleologisch begründbar. Durch den Bezug auf „betriebliche Fragen“, welche als Gegenbegriff zu solchen Fragen zu verstehen sind, die allein das einzelne Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer betreffen, verdeutlicht das Gesetz, für welche Angelegenheiten von der Notwendigkeit einer einheitlichen Normgeltung auszugehen ist. Es sind dies 329 330 331
s. o. E. III. 1. b) und c). s. o. E. III. 1. a). s. o. E. III. 1. a) und die Nachweise in Fn. 78.
Kap. 2: Abgrenzung von Betriebs- und Inhaltsnormen
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diejenigen Fragen, die über das einzelne Arbeitsverhältnis hinausreichen, weil sie sich aus der Mehrheit von Arbeitsverhältnissen im Betrieb und der damit notwendig einhergehenden Wechselbezüglichkeit der Arbeitsbedingungen der unterschiedlichen Arbeitnehmer des Betriebes ergeben. Soweit aber eine Doppelnorm Inhaltsnorm ist, sie mithin Regelungsmaterien betrifft, die allein jeweils aus den einzelnen Arbeitsverhältnissen des Arbeitgebers mit seinen Arbeitnehmern erwachsen und gerade nicht aus deren wechselbezüglicher Verbindung miteinander, die folglich auch nicht auf eine diese Wechselbezüglichkeit berücksichtigende Regelung angewiesen sind, fehlt es an dem Erfordernis einheitlicher Normgeltung und damit an der teleologischen Grundlage für die Anwendung des § 3 Abs. 2 TVG. Der Inhaltsnorm-Bestandteil einer Doppelnorm kann für sich nicht das Erfordernis der betriebsweit einheitlichen Geltung in Anspruch nehmen. Anderenfalls könnte es sich nicht um eine (Auch-) Inhaltsnorm, sondern nur um eine reine Betriebsnorm handeln. Vom Boden der teleologischen Begriffsbestimmung aus ist daher die Anwendung des § 3 Abs. 2 TVG auf den Teil einer Doppelnorm, der Inhaltsnorm ist, nicht begründbar, weil vom Normzweck des § 3 Abs. 2 TVG nicht gedeckt. In der Konsequenz wäre für das hiesige Verständnis dann auch § 3 Abs. 2 TVG insoweit keine dem rechtsstaatlich-demokratischen Legitimationserfordernis entsprechende hinreichende staatliche Delegationsnorm. Aus nicht nur hermeneutischen, sondern auch verfassungsrechtlichen Gründen kann daher der These vom Vorrangprinzip nicht gefolgt werden. Etwas anderes lässt sich auch nicht mit dem Gedanken an etwaige Abgrenzungsschwierigkeiten begründen.332 Man darf sich Doppelnormen nicht so vorstellen, dass sie aus einer einheitlichen Regelung mit zwei verschiedenen Zielrichtungen bestehen; sie sind vielmehr zusammengesetzt aus einer Individualund einer Kollektivnorm333, etwa einer Inhalts- und einer Betriebsnorm, deren Zusammenfassung zu einer „Doppelnorm“ lediglich ihrem gemeinsamen Anknüpfungspunkt geschuldet ist.334 Regelmäßig lassen sich darum Doppelnormen in einen betriebs- und einen inhaltsbezogenen Teil aufspalten.335 Die Aufspaltbarkeit von Doppelnormen in ihren betriebs- und ihren arbeitsverhältnisbezogenen Teil erlaubt es, auch über das Erfordernis der einheitlichen Normgeltung getrennt für die einzelnen Normbestandteile zu entscheiden. Die Ansicht, § 3 Abs. 2 TVG müsse bei Doppelnormen auch hinsichtlich deren In332 Abgrenzungsschwierigkeiten im Zusammenhang mit Doppelnormen sprechen in anderem Kontext an Thüsing, ZTR 1996, 146 (148); Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 573; in wiederum anderem Zusammenhang auch Heinze, FS Schaub, S. 275 (291). 333 Jacobs, Tarifeinheit, S. 250. 334 Witzig, Tarifeinheit, S. 60; ebenso Band, Tarifkonkurrenz, S. 154. 335 Band, Tarifkonkurrenz, S. 154; Jacobs, Tarifeinheit, S. 249 f., 402; Witzig, Tarifeinheit, S. 60.
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
haltsnorm-Bestandteil das Erfordernis beiderseitiger Tarifgebundenheit nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG verdrängen, kann demzufolge auch nicht mit der Überlegung untermauert werden, eine Aufspaltung von Doppelnormen entlang der Grenze zwischen ihrem notwendig nach einheitlicher Geltung im Betrieb verlangenden Teil und ihrer rein arbeitsverhältnisbezogenen Komponente sei nicht möglich. 2. Folgerungen für den Fall der Kollision mehrerer Doppelnormen enthaltender Tarifverträge im Betrieb Nach der hiesigen Ansicht gilt allein der kollektivrechtliche Teil einer Doppelnorm auch für die tariflichen Außenseiter, während ihr individualrechtlicher Teil nur für die entsprechend organisierten Arbeitnehmer Geltung entfaltet. Entsprechend ist auch für den Fall der Tarifkollision zu entscheiden. Die Geltungsvoraussetzungen entsprechen für den Inhaltsnorm-Bestandteil der Doppelnorm denjenigen für (Nur-)Inhaltsnormen, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG, für den Bestandteil der Doppelnorm, der Betriebsnorm ist, findet wie für eine reine Betriebsnorm § 3 Abs. 2 TVG Anwendung. Dementsprechend kommt es beim Aufeinandertreffen mehrerer Doppelnormen enthaltender Tarifverträge insoweit, als der Betriebsnorm-Bestandteil betroffen ist, zur betriebsweiten Tarifkonkurrenz mit der Konsequenz der Anwendbarkeit des Grundsatzes der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis. Es ist also eine Betriebsnorm zu bestimmen, die sich in der Konkurrenz durchsetzt und den Betriebsnorm-Bestandteil der kollidierenden Doppelnorm betriebseinheitlich aus jedem einzelnen Arbeitsverhältnis, im Ergebnis mithin aus dem Betrieb verdrängt; das Ergebnis ist insoweit Tarifeinheit im Betrieb, auch die gleichzeitig mit der betriebsweiten Tarifkonkurrenz entstandene Tarifpluralität wird aufgelöst, ohne dass dies Resultat eines Prinzips der Tarifeinheit bei Tarifpluralität wäre. Mit Blick auf die Inhaltsnorm-Bestandteile der kollidierenden Doppelnormen gilt, was auch für eine Kollision von (Nur-)Inhaltsnormen auf der Ebene des Betriebes maßgebend ist: Es kommt zur – nach der neuen Rechtsprechung des 4. und des 10. Senats des BAG hinzunehmenden – Tarifpluralität. Der einheitlich für alle Arbeitsverhältnisse im Betrieb geltende Betriebsnorm-Bestandteil derjenigen Doppelnorm, die sich in der betriebsweiten Tarifkonkurrenz gegenüber dem Betriebsnorm-Bestandteil der kollidierenden Doppelnorm durchgesetzt hat, „verbindet“ sich auf dieser Grundlage für jedes einzelne Arbeitsverhältnis je nach Tarifbindung der Arbeitsvertragsparteien (also konkret nach der Gewerkschaftszugehörigkeit des jeweiligen Arbeitnehmers) mit dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Inhaltsnorm-Bestandteil, so dass im Betrieb in der Konsequenz für ein und dieselbe Regelungsmaterie je nach Tarifbindung der Arbeitnehmer verschiedene „Doppelnormen“ gelten, die jeweils aus der gleichen Betriebsnorm und je einer der kollidierenden Inhaltsnormen zusammengesetzt sind.
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Dass hierdurch die Doppelnormen der kollidierenden Tarifverträge entlang der Grenze zwischen ihrem kollektivbezogenen und ihrem arbeitsverhältnisbezogenen Teil aufgespalten und nunmehr Normen (Normbestandteile), die von unterschiedlichen Tarifvertragsparteien gesetzt wurden, miteinander kombiniert und zu „neuen Normen“ zusammengesetzt werden, ist nichts Ungewöhnliches. Es kommt hier lediglich zu dem gleichen Phänomen, das sich für eine Rechtsansicht, die Tarifpluralitäten auf der Ebene des Betriebs hinnimmt, immer dann ergibt, wenn kollidierende Tarifverträge, wie es der Regelfall ist, sowohl Individual- als auch Kollektivnormen enthalten. In jedem solchen Fall führt die Hinnahme der hinsichtlich der kollidierenden Individualnormen sich ergebenden Tarifpluralität bei gleichzeitiger Auflösung der bezüglich der Kollektivnormen eintretenden betriebsweiten Tarifkonkurrenz dazu, dass die Tarifverträge entlang der Grenze von Kollektivnormen (insoweit: Entstehung einer betriebsweiten Tarifkonkurrenz, Auflösung der Kollision nach dem Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis) und Individualnormen (insoweit: hinzunehmende, d. h. nicht auflösungsbedürftige Tarifpluralität) aufgespalten werden mit dem Ergebnis, dass hinsichtlich der Kollektivnormen nur einer der verschiedenen Tarifverträge – betriebsweit – Anwendung findet, während hinsichtlich der rein arbeitsverhältnisbezogenen Regelungsmaterien die Normen mehrere Tarifverträge parallel im Betrieb Anwendung finden. Dass dies möglich ist, ist bereits mehrfach überzeugend dargelegt worden336; daraus, dass in Abwandlung dieser Konstellation die kollidierenden Tarifverträge nicht nur sowohl Individual- als auch Kollektivnormen, sondern jeweils auch aus Individual- und Kollektivnormen zusammengesetzte Doppelnormen enthalten, ergibt sich nichts Entgegenstehendes.
H. Zusammenfassung I. Die Frage der Abgrenzung von Betriebs- und Inhaltsnormen gewinnt unter den Bedingungen freigegebener Tarifpluralitäten eine besondere Wichtigkeit und Brisanz. Die Demarkationslinie zwischen den beiden Normenarten zeichnet zugleich diejenige zwischen der hinzunehmenden Tarifpluralität und der notwendig einer betriebseinheitlichen Auflösung zuzuführenden betriebsweiten Tarifkonkurrenz vor. Umso nachdrücklicher ist der Rechtsanwender aufgefordert, der suggestiven Wirkung des § 3 Abs. 2 TVG und vor allem der Versuchung zu widerstehen, durch ein extensives Verständnis des Begriffs der „Rechtsnorm über betriebliche Fragen“ und einen entsprechend weit verstandenen Anwendungsbereich der – notwendig betriebseinheitlich zu lösenden – betriebsweiten Tarifkonkurrenz die Entscheidung für die Freigabe der Tarifpluralität durch die Hintertür wider zu kassieren. Insbesondere Bestrebungen, eine nicht unerhebliche Unzweckmäßigkeit individueller Regelungen für die Annahme einer betrieblichen Tarifnorm 336
Näheres und Nachweise dazu unten Teil 4, unter B. II. 1. b) aa).
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
hinreichen zu lassen, führen in verfassungsrechtliche Untiefen und verstärken die Bedenken, die bereits gegenwärtig gegen den vom BAG angelegten Unzweckmäßigkeitsmaßstab anzumelden sind. Dem Erfordernis einer stimmigen Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung wird demgegenüber nur eine Begriffsbildung gerecht, die hier wie auch sonst die teleologischen und verfassungsrechtlichen Vorgaben beachtet. Mittels eines rechtsfolgenorientierten, durch das Denken in Gegenbegriffen geleiteten Ansatzes kann so auch die im tarifpluralen System ungleich wichtigere praktische Abgrenzbarkeit der Normengruppen verbessert werden, indem ein Leitgedanke für die Abgrenzung aufgezeigt und dadurch ein Begriffskern herausgeschält wird. Dieser Leitgedanke knüpft an die Rechtsfolge des § 3 Abs. 2 TVG der betriebseinheitlichen Geltung als codierten Träger der gesetzgeberischen Zielsetzung sowie an das Tatbestandsmerkmal der „betrieblichen Fragen“ an. Betriebsnormen betreffen danach Regelungsgegenstände, die über das einzelne Arbeitsverhältnis, welches die Bezugsgröße der Komplementärregelung zu § 3 Abs. 2 TVG in § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG für die Individualnormen bildet, hinausreichen, weil sie sich aus der Wechselbezüglichkeit der Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer im Betrieb und hier besonders aus der technisch-organisatorischen Verbundenheit der Arbeitsverhältnisse ergeben, und die daher notwendig einer im Betrieb einheitlich, d. h. ohne Rücksicht auf die Organisationszugehörigkeit der Arbeitnehmer, geltenden Regelung bedürftig sind. Dieses Verständnis harmonisiert zugleich mit den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen, besonders mit dem Erfordernis rechtsstaatlicher und demokratischer Legitimation der Bindung nicht (einschlägig) organisierter Arbeitnehmer an die tarifliche Normsetzung. Maßgeblicher Bezugspunkt der Notwendigkeit einer einheitlich geltenden Regelung ist der jeweilige Regelungsgegenstand („betriebliche Fragen“ als Fragen, die über das einzelne Arbeitsverhältnis hinausweisen, weil sie sich aus der Wechselbezüglichkeit der Arbeitsbedingungen ergeben), nicht hingegen das nach dem abzulehnenden Maßstab der „Unzweckmäßigkeit“ einer individuellen Regelung ausschlaggebende subjektive Regelungsziel der Tarifparteien. Nicht die Tarifvertragsparteien bestimmen demnach über die Reichweite ihrer Normsetzung mit Außenseiterwirkung, sondern das Gesetz zieht durch den Bezug auf „betriebliche Fragen“ im obigen Sinne eine unübersteigbare Grenze. In dieser Auslegung erlaubt § 3 Abs. 2 TVG eine Rückbindung der mit Außenseiterwirkung ausgestatteten betrieblichen Tarifnormen an den Willen des Gesetzgebers und stellt er daher eine ausreichende Rechtsgrundlage der über den Mitgliederkreis hinausgehenden tariflichen Normsetzung dar. Aus dem Maßstab der notwendig einheitlichen Geltung und dem Bezugspunkt des Regelungsgegenstandes ergibt sich zwanglos auch die Behandlung von Doppelnormen, die zugleich Inhalts- und Betriebsnormen sind. Ein Vorrang des § 3
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Abs. 2 TVG vor dem Prinzip der beiderseitigen Tarifgebundenheit nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG kann für den Inhaltsnorm-Bestandteil einer Doppelnorm nicht anerkannt werden. Die Anwendung des § 3 Abs. 2 TVG auf die Doppelnorm als Ganze überschreitet die teleologische Grundlage der Regelung, da die Inhaltsnorm das Erfordernis betriebsweit einheitlicher Geltung nicht in Anspruch nehmen kann. Kollisionsrechtlich entspricht dem die Zuordnung zur Fallgruppe der betriebsweiten Tarifkonkurrenz nur insoweit, wie kollidierende Doppelnormen Betriebsnormen sind. II. Praktisch wird der im Zusammenhang mit der Tarifpluralität erhobenen Forderung, die Abgrenzungskriterien zu verbessern, in zweifacher Weise Rechnung getragen: Zum einen durch Klarstellung des Bezugspunktes der Notwendigkeit einer betriebseinheitlich geltenden Regelung: Es ist dies der Regelungsgegenstand, nicht sind es die Regelungsziele der Tarifvertragsparteien. Dies erhöht – abgesehen davon, dass es teleologisch und verfassungsrechtlich geboten ist – die Abgrenzungssicherheit, weil der Regelungsgegenstand einer Tarifnorm objektiv feststellbar ist, während die Regelungsziele der Tarifvertragsparteien u. U. schwerer erforschbar sind. Zum zweiten durch Präzisierung der Formel von der notwendig einheitlichen Geltung mit Hilfe des Unterbegriffs337 der Wechselbezüglichkeit, welcher seinerseits ausgefüllt wird durch die Unterbegriffe der zweiten Stufe „Wechselbezüglichkeit aufgrund technisch-organisatorischer Verbundenheit“ und „Wechselbezüglichkeit aus rechtlichen Gründen (aufgrund gesetzlicher Regelung)“. Gegenüber dem Betriebsnormenkonzept des BAG hat dieses Konzept den weiteren Vorteil, dass die Untermerkmale nicht beliebig nebeneinander stehen338, sondern auf einen festen Bezugspunkt – das Erfordernis betriebseinheitlicher Geltung – orientiert sind.339 Dadurch ergibt sich ein stringenteres Prüfungsprogramm, was zu einer schärferen Abgrenzbarkeit der Normgruppen beiträgt. III. Der von Peter Hanau vorgeschlagene Maßstab einer „nicht unerheblichen tatsächlichen Unzweckmäßigkeit einer individuellen Regelung“340 begegnet dem durchgreifenden Einwand, dass das Kriterium der Unzweckmäßigkeit in der Rechtsprechung des BAG gerade den teleologisch verfehlten und verfassungs337 s. allgemein zu Ober- und Unterbegriffen und zu Begriffspyramiden Wank, Begriffsbildung, S. 15, 40, 133 ff.; außerdem dens., FS 50 Jahre BAG, S. 245 (249 ff.). 338 Dazu, dass beim BAG die Elemente „Notwendigkeit betriebseinheitlicher Geltung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen“, „Betriebliche Fragen als Fragen der Betriebsgestaltung“ sowie „Evident sachlogische Unzweckmäßigkeit einer individualvertraglichen Regelung“ weitgehend zusammenhanglos nebeneinander stehen, s. o. E. IV. 2. b). 339 Vgl. entsprechend für den Arbeitnehmer- und den Selbständigenbegriff Wank, Arbeitnehmer, S. 122; dens., NZA 1999, 225 (227); s. auch dens., FS 50 Jahre BAG, S. 245 (255). 340 s. nochmals P. Hanau, RdA 2008, 98 (102).
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
rechtlich bedenklichen Bezug zu den Regelungszielen der Tarifvertragsparteien als Abgrenzungskriterium herstellt und den Blick von dem maßgeblichen Bezugspunkt des Regelungsgegenstandes abzulenken geeignet ist. Gleichwohl kann im Ergebnis wegen des zur Feststellung des Charakters einer Materie als der notwendig betriebseinheitlich geltenden Regelung bedürftig herangezogenen Kriteriums der Wechselbezüglichkeit (aus insbesondere technisch-organisatorischen Gründen) auch vom hiesigen Standpunkt aus dem Anliegen Hanaus Rechnung getragen werden, die von Hunold341 vorgebrachten Bedenken zu unterschiedlichen Arbeitszeitregelungen zu zerstreuen. Arbeitszeitregelungen in Tarifverträgen sind zwar regelmäßig inhaltliche Normen i. S. d. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 TVG, können aber im Einzelfall durchaus Betriebsnormen sein342, so besonders bei Regelungen von Schichtsystemen.343 Hier kann der „Sachzwang der Arbeitsorganisation“ eine Einordnung als Betriebsnorm rechtfertigen.344 Wo hingegen Arbeitszeitregelungen vorliegen, die für die einzelnen Arbeitnehmer unabhängig voneinander Dauer und Lage der Arbeitszeit festlegen, handelt es sich nach den hiesigen Kautelen um Inhaltsnormen.345 Im Kollisionsfall hat man es hier mit einer Tarifpluralität, aber nicht mit einer auflösungsbedürftigen betriebsweiten Tarifkonkurrenz zu tun. Mit Recht ordnet auch Hromadka unterschiedlich lange Arbeitszeiten aufgrund verschiedener Tarifverträge in den Bereich bloßer „Lästigkeiten“ für den Arbeitgeber ein.346
341 Hunold, NZA 2007, 1037 (1038); s. auch Dunker, Unternehmensbezogene Tarifverträge, S. 202; Feudner, BB 2007, 2459 (2461); Göhner, FS Bauer, S. 351 (360); Heinze/Ricken, ZfA 2001, 159 (178); Kissel, FA 2006, 322 (323); Leuchten, AuA 2010, 146; Meyer, FS Adomeit, S. 459 (466); dens., FS Buchner, S. 628 (630, 634); Ubber, bei Bepler/U. Fischer/Ubber, BLJ 2007, 139 (146); ähnlich auch Hundt, FAZ vom 11. 9. 2007, S. 12; zuletzt R. Wolf, ZRP 2010, 199. 342 s. schon Herschel, RdA 1969, 211 (214); im Kontext der Tarifpluralität A. Lindemann/Simon, BB 2006, 1852 (1857). 343 Zu Regelungen über Schichtsysteme als Betriebsnormen s. Bock, Tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht, S. 90 f., 93; HWK/Henssler, § 3 TVG Rn. 36; Löwisch/Rieble, § 1 Rn. 107, 129; s. auch ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 46: Lage der Schichtzeiten; jüngst auch Nebeling/Gründel, NZA-Online-Aufsatz, S. 4; nicht überzeugend daher R. Wolf, ZRP 2010, 199. 344 Wiedemann, Anm. zu BAG 18. 12. 1997 AP KSchG 1969 § 2 Nr. 46, unter 2. b). 345 s. auch Bock, Tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht, S. 93. 346 Hromadka, GS Heinze, S. 383 (387).
Kap. 3: Tarifpluralität und tarifdispositives Gesetzesrecht
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Kapitel 3
Tarifpluralität und tarifdispositives Gesetzesrecht A. Tarifdispositives Gesetzesrecht Arbeitsrechtliche Gesetzesvorschriften sind nur ausnahmsweise zweiseitig zwingend. Überwiegend sind sie zum Schutz der Arbeitnehmer einseitig zwingend, können also nicht zu deren Ungunsten, wohl aber zu ihrem Vorteil durch Individual- oder Kollektivvereinbarung abbedungen werden; man kann von arbeitnehmerbegünstigender Dispositivität sprechen.1 Tarifdispositives oder tarifoffenes Gesetzesrecht erlaubt demgegenüber den Tarifvertragsparteien die Abweichung vom Gesetz auch zu Lasten des Arbeitnehmers. Von der Möglichkeit, den Tarifparteien die Absenkung des gesetzlichen Schutzniveaus zuzugestehen, hat der Gesetzgeber beginnend in den 1960er Jahren verstärkt Gebrauch gemacht.2 Beispiele sind die §§ 622 Abs. 4 Satz 1 BGB, 12 Abs. 3 Satz 1, 13 Abs. 4 Satz 1, 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG, 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG, 3 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2, 9 Nr. 2 Teilsatz 3 AÜG, 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG, 17 Abs. 3 Satz 1 BetrAVG und 7 Abs. 1, 2, 2a, ferner § 12 Satz 1 ArbZG.3 Mittelbar, über die sog. gesetzlichen Bezugnahmeermächtigungen4, gestattet der Gesetzgeber zumeist auch den Arbeitsvertragsparteien die Abweichung vom tarifdispositiven Arbeitnehmerschutzrecht zugunsten oder zu Lasten des Arbeitnehmers durch Vereinbarung der Anwendung der vom Gesetz abweichenden tariflichen Regelungen, vgl. etwa die §§ 622 Abs. 4 Satz 2 BGB, 12 Abs. 3 Satz 2, 13 Abs. 4 Satz 2, 14 Abs. 2 Satz 4 TzBfG, 13 Abs. 1 Satz 2 BUrlG, 3 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3, 9 Nr. 2 Teilsatz 4 AÜG, 4 Abs. 4 Satz 2 EFZG, 17 Abs. 3 Satz 2 BetrAVG, 7 Abs. 3 Sätze 1 und 3, ferner § 12 Satz 2 i.V. m. § 7 Abs. 3 Sätze 1 und 3 ArbZG. 1
Wank, FS Adomeit, S. 789 (803). s. Bock, Tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht, S. 51 ff.; konzise Darstellung jüngst bei Thüsing, ZfA 2008, 590 (594 f.). Zu den Beweggründen des Gesetzgebers BAG 10. 6. 1980 (zweimal) AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 64 und 65, jeweils unter A. I. 1. c) der Gründe; 25. 1. 1989 AP BeschFG 1985 § 2 Nr. 2 (Berger-Delhey), unter III. 1. der Gründe; Bengelsdorf, NZA 1991, 121 (125); Bock, a. a. O., S. 51 ff., 70 f.; Gamillscheg, KollArbR I, § 16 V. 1. a), S. 698 f.; Kempen, FS 50 Jahre BAG, S. 733 (747); JKO/Krause, § 1 Rn. 106; Thüsing, a. a. O., S. 595 ff.; Wiedemann/Wiedemann, Einl. Rn. 379 f.; kritisch Buschmann, FS Richardi, S. 93 (96). 3 Zu der Frage einer sog. verdeckten Tarifdispositivität s. ablehnend Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 372; Kempen/Zachert/Kempen, Grundl. Rn. 292; Oetker, ZfA 2001, 287 (310 f.); Däubler/Schiek, Einl. Rn. 327; zurückhaltend Gamillscheg, KollArbR I, § 16 V. 1. a), S. 699; A. Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 384; Wiedemann/Wiedemann, Einl. Rn. 399; großzügiger Löwisch/Rieble, § 1 Rn. 336; MüArbR/Rieble/Klumpp, § 169 Rn. 139; s. ferner Kittner/Zwanziger/Kittner/Deinert, § 16 Rn. 43, 45, 59, 70; weiterführend Bock, Tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht, S. 45 ff. 4 Kritisch zum Begriff Bock, Tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht, S. 38 f., die stattdessen von „Erstreckungsklauseln“ spricht; dieser Begriff findet sich auch bei D. Ulber, NZA 2008, 438 (439). 2
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
Dahinter steht der Gedanke der dem Tarifvertrag zugestandenen materiellen Richtigkeitsgewähr. Tarifliche Regelungen haben aufgrund des Verhandlungsgleichgewichts der Tarifvertragsparteien die Vermutung für sich, dass sie den Interessen beider Seiten gerecht werden und keiner Seite ein unzumutbares Übergewicht vermitteln.5 Der Gesetzgeber geht von dieser Richtigkeitsgewähr aus und unterstellt, dass die Tarifvertragsparteien von der ihnen eingeräumten Befugnis einen verantwortungsbewussten Gebrauch machen und nur in angemessenem Umfang vom Gesetz abweichen werden.6 Darum erlaubt er ihnen Abweichungen vom Gesetz, die er den Arbeitsvertragsparteien verwehrt. Nur der Tarifvertrag, nicht aber der Einzelarbeitsvertrag hat die Vermutung für sich, dass Abweichungen zu Lasten des Arbeitnehmers durch Vorteile an anderer Stelle ausgeglichen werden. Die Arbeitsvertragsparteien können sich aber bei fehlender Tarifgebundenheit im Geltungsbereich des Tarifvertrages an diesen „anhängen“7, s. §§ 622 Abs. 4 Satz 2 BGB, 14 Abs. 2 Satz 4 TzBfG etc., und so mittelbar von der Richtigkeitsgewähr profitieren und an der Tarifdispositivität des Gesetzes teilhaben.
B. Tarifdispositives Gesetzesrecht und Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung Es fragt sich, ob sich aus der Hinnahme von Tarifpluralitäten im Betrieb Konsequenzen für den Bereich des tarifdispositiven Gesetzesrechts ergeben. Allgemein gesprochen geht es wieder um die Frage, ob eine veränderte tarifkollisionsrechtliche Ausgangslage einen für die Interpretation der damit im Zusammenhang stehenden arbeitsrechtlichen Regelungen, hier der tarifdispositiven gesetzlichen Arbeitnehmerschutzvorschriften, beachtlichen Wandel des Normumfeldes bewirken würde, ob also die tarifkollisionsrechtliche Weichenstellung 5 Zur Richtigkeitsgewähr nur die Darstellungen bei Gamillscheg, KollArbR I, § 7 II. 1. a), S. 284 ff.; Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 246 ff.; aus jüngster Zeit kritisch Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 238 f. und abgewogen Waltermann, NZA 2010, 482 (486 f.). 6 Allgemein Bock, Tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht, S. 144 f.; ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 14; Hromadka, FS Kissel, S. 417 (421 f., 430); Kempen/Zachert/ Kempen, § 2 Rn. 37; s. auch dens., FS 50 Jahre BAG, S. 733 (746 f.); Zöllner/Loritz/ Hergenröder, Arbeitsrecht, § 6 I. 2., S. 57; Kittner/Zwanziger/Kittner/Deinert, § 16 Rn. 68; JKO/Krause, § 1 Rn. 106; ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 207; Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, S. 81 f.; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 164; HWK/Thüsing, vor § 611 BGB Rn. 143; Waas, FS Birk, S. 899 (902); Wiedemann/Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 380; s. auch Bengelsdorf, NZA 1991, 121 (125) sowie Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 192. Für § 622 Abs. 4 BGB RGRK/ Röhsler, § 622 Rn. 81; für §§ 3 Abs. 1 Nr. 3, 9 Nr. 2 AÜG Sandmann/Marschall, Stand: November 2008, Art. 1 § 3 Anm. 22; für § 17 Abs. 3 BetrAVG Asshoff/Sahl/ Stang, FS ZVK-Bau, S. 21 (37). 7 Vgl. MüArbR/Löwisch/Rieble, § 156 Rn. 43; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1721.
Kap. 3: Tarifpluralität und tarifdispositives Gesetzesrecht
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„Fernwirkungen“ auf die im sachlichen Kontext stehenden gesetzlichen Tariföffnungsklauseln zeitigen könnte.8 Im Schrifttum wird der Zusammenhang zwischen Tarifpluralität und Tarifdispositivität besonders für die Vorschrift des § 7 ArbZG diskutiert9, eine Vorschrift, an der sich ohnehin manche rechtspolitische Kritik entzündet10: Die Setzung tarifdispositiven Gesetzesrechts im Arbeitszeitrecht, so wird gesagt, übe Druck auf die Tarifparteien aus, auch auf Kosten der Gesundheit der Arbeitnehmer Arbeitszeiten extrem auszuweiten. Das werde gerade dann praktisch, wenn die Gewerkschaften in ihrer Verhandlungsmacht geschwächt sind.11 I. Tarifeinheit zumindest im Bereich des tarifdispositiven Gesetzesrechts? 1. Argumentation der Verteidiger der betrieblichen Tarifeinheit Meyer sieht bei einer Freigabe von Tarifpluralitäten rechtliche und praktische Schwierigkeiten auf die Praxis zukommen. Er spricht sich daher für die Beibehaltung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb aus.12 Schwierigkeiten sieht er u. a. auch im Bereich des tarifdispositiven Gesetzesrechts. Er äußert Zweifel daran, ob der Abschluss eines nur einen geringen Teil der – organisierten – Arbeitnehmer erfassenden Tarifvertrages die Voraussetzungen einer gesetzlichen Tariföffnungsklausel, z. B. des § 7 ArbZG, erfülle.13 Wallisch, ebenfalls ein Fürsprecher des Prinzips der Tarifeinheit bei Tarifpluralität, nennt § 7 ArbZG, daneben die §§ 13 Abs. 1 BUrlG, 4 Abs. 4 EFZG als Fälle, in denen das Gesetz an im Betrieb etwa vorhandene Tarifregelungen anknüpft und wirft an deren Beispiel die Frage auf, welcher Tarifvertrag bei Anerkennung eines Nebeneinanders konkurrierender Tarifverträge in einem Betrieb maßgebend im Sinne des Gesetzes sei.14 Insbesondere mit Blick auf das ArbZG befürchtet er beispielsweise „praktisch unlösbare Konflikte“ bei der Dienstplangestaltung im Krankenhaus, wenn die gesetzlichen Vorschriften des Arbeitszeit8
Dazu bereits oben Teil 1, Kapitel 1, unter B. IV. 2. s. neben den in den folgenden Fußnoten Genannten auch Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (120). 10 Dargestellt auch bei Waas, FS Birk, S. 899 (903); s. auch Richardi, FS Scholz, S. 337 (348 f.). 11 Vgl. Kempen/Zachert/Kempen, Grundl. Rn. 289; s. auch Buschmann/J. Ulber, § 7 Rn. 2 sowie Buschmann, FS Richardi, S. 93 (99): Gefahr einer Ökonomisierung des Arbeitsschutzes; vgl. in anderem Zusammenhang auch Preis/Greiner, ZfA 2009, 825 (839 f.). 12 Vgl. Meyer, DB 2006, 1271; ferner ders., NZA 2006, 1387. 13 Meyer, DB 2006, 1271. 14 Wallisch, FS Löwisch, S. 427 (442). 9
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gesetzes durch mehrere, nebeneinander anzuwendende Tarifverträge in unterschiedlicher Weise modifiziert würden.15 Kempen, ein weiterer Vertreter der Lehre von der betrieblichen Tarifeinheit, äußert die Einschätzung, der Gesetzgeber, der zunehmend tarifdispositive Regelungen erlasse, gehe anscheinend stets von Tarifeinheit im Betrieb aus.16 Schließlich ist an die These von Heinze und Ricken zu erinnern, der einfache Gesetzgeber habe die Tarifeinheit im Betrieb normativ verankert. Diese stützen sie auch auf verschiedene tarifdispositive gesetzliche Regelungen.17 2. Abgrenzung – betriebsweite Tarifkonkurrenz und Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis Betriebliche Tarifeinheit muss im Bereich des tarifdispositiven Gesetzesrechts – wie auch sonst – dann herrschen, wenn es sich um betriebliche oder um betriebsverfassungsrechtliche Fragen handelt. Nach § 3 Abs. 2 TVG gelten Betriebs- und Betriebsverfassungsnormen für alle Betriebe, deren Arbeitgeber tarifgebunden sind. Solche Kollektivnormen entfalten also Wirkung für alle Arbeitsverhältnisse im Betrieb eines tarifgebundenen Arbeitgebers. Treffen daher im Betrieb mehrere Tarifverträge mit Betriebs- und/oder Betriebsverfassungsnormen aufeinander, an die der Arbeitgeber gebunden ist, so kommt es in jedem einzelnen Arbeitsverhältnis zu der für die Tarifkonkurrenz charakteristischen Tarifnormenkollision; es entsteht eine betriebsweite Tarifkonkurrenz.18 Entgegen einer weit verbreiteten Ansicht ist es zwar nicht richtig, zu sagen, im Falle betriebsweiter Tarifkonkurrenz bestehe keine Tarifpluralität; vielmehr ist bei jeder Tarifkonkurrenz zugleich eine Tarifpluralität gegeben (Tarifkonkurrenz als Sonderfall der Tarifpluralität) 19 und besteht insbesondere im Falle betriebsweiter Tarifkonkurrenz vollständige Deckungsgleichheit zwischen beiden Formen der Tarifkollision. Gleichwohl kann die Tarifpluralität in diesen Fällen im Ergebnis nicht bestehen bleiben. Mit dem Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb (Tarifeinheit bei Tarifpluralität) hat das aber nichts zu tun. Vielmehr fällt die Tarifpluralität hier der zwingend gebotenen, für alle Arbeitsverhältnisse des Betriebs einheitlich vorzunehmenden Auflösung der „betriebsweiten“ Tarifkonkurrenz gemäß dem Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis zum Opfer.20 Das Phänomen der betriebsweiten Tarifkonkurrenz erlangt im vorliegenden Zusammenhang Bedeutung, wenn sich gesetzesdisponierende Tarifnormen im 15 16 17 18 19 20
Wallisch, FS Löwisch, S. 427 (442). Kempen, FS Hromadka, S. 177 (187). s. bereits oben Teil 1, Kapitel 3, unter C. I. und II. 3. b). s. ausführlich oben Teil 1, Kapitel 2, unter B. II. 1. s. o. Teil 1, Kapitel 2, unter B. II. 2. und III. Auch dazu bereits oben Teil 1, Kapitel 2, unter B. II. 2. b) cc).
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Einzelfall als Betriebs- oder Betriebsverfassungsnormen i. S. d. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG einordnen lassen. Grundsätzlich ist anerkannt, dass es Tarifnormen geben kann, die gesetzliche Tariföffnungsklauseln ausfüllen und i. S. d. genannten Normen des TVG betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen21: Wenn und soweit im Bereich tarifoffenen Gesetzesrechts unterschiedliche tarifvertragliche Arbeitszeit- oder andere Organisationsregelungen im Betrieb einen geordneten Produktionsablauf verhindern würden, handele es sich um Betriebsnormen nach § 3 Abs. 2 TVG, die bei Tarifbindung des Arbeitgebers für tarifgebundene und unorganisierte Arbeitnehmer gleichermaßen gälten.22 3. Insbesondere: Tarifvertragliche Abweichungen von den tarifdispositiven Vorschriften des Arbeitszeitrechts Diskutiert wird die Betriebsnormeigenschaft vor allem für tarifvertragliche Regelungen, die von den tarifoffenen gesetzlichen Vorschriften des Arbeitszeitrechts (vgl. insbesondere §§ 7, 12 ArbZG, 21a JArbSchG) abweichen. a) Herrschende Lehre: Einordnung als Betriebsnormen Die überwiegende Ansicht in der Literatur ordnet Tarifnormen, die von den arbeitszeitrechtlichen Tariföffnungsklauseln Gebrauch machen, als Betriebsnormen i. S. d. § 3 Abs. 2 TVG ein. Das gilt zunächst für tarifliche Arbeitszeitregelungen, die auf der Grundlage der gesetzlichen Öffnungsklauseln des § 7 Abs. 1, 2 und 2a ArbZG vereinbart werden. Bei diesen handelt es sich nach überwiegender Ansicht um Betriebsnormen mit der Folge, dass die Tarifbindung des Arbeitgebers ausreicht.23 Analog der h. M. im Bereich des § 7 ArbZG nimmt man auch 21
HWK/Henssler, Einl. TVG Rn. 27; Staudinger/Richardi, vor §§ 611 ff. Rn. 654. Wiedemann/Wiedemann, Einl. Rn. 392 f.; s. auch Kempen/Zachert/Kempen, Grundl. Rn. 290. 23 Anzinger/Koberski/Wolters, § 7 Rn. 129; Baeck/Deutsch, § 7 Rn. 23 f.; D. Neumann/Biebl, § 7 Rn. 3 f.; Reuter, DZWiR 1995, 353 (360 f.); ders., FS Schaub, S. 605 (614, 617); Schliemann, § 7 Rn. 13, 15; wesentlich zurückhaltender und differenzierend allerdings ders., FS Schaub, S. 675 (689 ff.); für Betriebsnormencharakter ferner Schulte/Schütt, § 7 Rn. 8 f.; a. A. Gamillscheg, KollArbR I, § 15 VI. 2. b) (1), S. 590: Es handele sich der Sache nach um Inhaltsnormen, die jedoch (zumindest tatsächlich) auch für die Außenseiter gelten; dahinter steht der von Gamillscheg vertretene allgemeine Grundsatz, demzufolge sich aus Art. 9 Abs. 3 GG ergibt, dass belastende Tarifnormen nicht auf das Mitglied der vertragsschließenden Gewerkschaft beschränkt sein können, s. Gamillscheg, FS Kehrmann, S. 247 (259 f.); ferner dens., KollArbR I, § 17 I. 2. d) (3), S. 720; angedeutet auch schon bei dems., BB 1988, 555 (556); dems., Anm. zu BAG 27. 4. 1988 AP BeschFG 1985 § 1 Nr. 4, unter 1. a). Für Qualifizierung als Inhaltsnormen auch Buschmann, FS Richardi, S. 93 (107); Buschmann/J. Ulber, § 7 Rn. 2a; s. auch Buchner, Anm. zu BAG 17. 6. 1997 EzA BetrVG 1972 § 99 Einstellung Nr. 4, unter 1. a) bb), S. 10, auch S. 12; ferner Däubler/Reim, § 1 Rn. 329, 331 (mit Fn. 620), der 22
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für Tarifnormen, die auf der Grundlage der gesetzlichen Tariföffnungsklausel des § 21a Abs. 1 JArbSchG getroffen werden und die gesetzlichen Arbeitszeitvorschriften für die Beschäftigung Jugendlicher abändern, überwiegend an, dass diese Betriebsnormen i. S. d. § 3 Abs. 2 TVG darstellen und daher bei bestehender Tarifbindung des Arbeitgebers auch für nicht oder anders organisierte Jugendliche im Betrieb gelten.24 b) Folgerungen für den Fall der Tarifkollision Schließt man sich der h. M. an, wonach Tarifnormen, die auf der Grundlage der gesetzlichen Tariföffnungsklauseln z. B. der §§ 7 Abs. 1, 2, 2a, 12 ArbZG, 21a Abs. 1 JArbSchG25 vom tarifdispositiven gesetzlichen Arbeitszeitrecht abweichen, Betriebsnormen sind, ergibt sich für den Fall der Tarifkollision: Treffen in einem Betrieb mehrere Tarifverträge aufeinander, die etwa von den §§ 3 bis 6 ArbZG oder den §§ 8 ff. JArbSchG abweichende, sich jeweils voneinander unterscheidende Regelungen über die Arbeits- und Freizeit beschäftigter Jugendlicher oder von Arbeitnehmern (s. §§ 2 Abs. 2, 18 Abs. 2 ArbZG) beinhalten, so entsteht eine – betriebsweite – Tarifkonkurrenz. Diese Tarifkonkurrenz ist nach dem Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis (nicht: im Betrieb) aufzulösen, wegen der notwendig betriebsweit einheitlichen Regelung betrieblicher Fragen aber in allen Arbeitsverhältnissen einheitlich. c) Eigene Position Der h. M. muss die Gefolgschaft versagt werden.26 Wann eine Betriebsnorm vorliegt, ist anhand der konkreten Gestaltung der in Rede stehenden Tarifverallerdings – nicht ganz klar – auch Doppelnormcharakter für möglich zu halten scheint (Rn. 331). 24 Anzinger, NZA 1984, 342 (343); Lorenz, § 21a Rn. 5; Molitor/Volmer/Germelmann, § 21a Rn. 9; ErfK/Schlachter, § 21a JArbSchG Rn. 2; HWK/Tillmanns, § 21a JArbSchG Rn. 1 (mit der Einschränkung „in der Regel“); Zmarzlik/Anzinger, § 21a Rn. 10 f.; a. A. Gamillscheg, KollArbR I, § 16 V. 2. b), S. 701: Die Arbeitszeit der Jugendlichen habe mit der Belegschaft als solcher nichts zu tun; im Ergebnis lässt auch Gamillscheg solche Tarifnormen gegenüber Außenseitern wirken, sofern der Arbeitgeber tarifgebunden ist – das ergebe sich aus § 21a Abs. 2 JArbSchG („im Betrieb eines nicht tarifgebundenen Arbeitgebers“); gerade hieraus freilich leiten Molitor/Volmer/ Germelmann, § 21a Rn. 9 sowie Zmarzlik/Anzinger, § 21a Rn. 10 den Willen des Gesetzgebers her, die tariflichen Regelungen, die aufgrund des § 21a JArbSchG geschlossen werden, als Betriebsnormen zu qualifizieren; s. auch die entsprechende Argumentation von Schliemann, FS Schaub, S. 675 (689) zu § 7 (Abs. 3) ArbZG. 25 Weitere Regelungen einer Tarifdispositivität im Arbeitszeitrecht enthält das Seemannsgesetz, s. §§ 89a, 100a, 104, 139 Abs. 3, 140 Abs. 2 SeemG. 26 Zu den Konsequenzen, die sich daraus ungeachtet der Kollisionsproblematik für die personelle Reichweite der von den tarifdispositiven gesetzlichen Vorschriften des Arbeitszeitrechts abweichenden tarifvertraglichen Regelungen ergeben, s. instruktiv
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tragsvorschrift zu bestimmen. Pauschalurteile verbieten sich aufgrund der Vielzahl denkbarer tariflicher Gestaltungsmöglichkeiten. Vielmehr ist in jedem Einzelfall zu untersuchen und festzustellen, ob eine Betriebsnorm vorliegt oder nicht.27 Die einfachrechtliche, insbesondere teleologische und durch ein Denken in Gegenbegriffen geleitete sowie auch mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben harmonisierende Auslegung des § 3 Abs. 2 TVG hat ergeben, dass von einer „Rechtsnorm über betriebliche Fragen“ nur unter der Bedingung ihrer notwendig betriebsweit einheitlichen Geltung ausgegangen werden kann. Dieses Postulat der betriebseinheitlichen Geltung wiederum knüpft richtigerweise (nicht an die mit der Regelung von den Tarifvertragsparteien verfolgten Ziele, sondern) an den Regelungsgegenstand an: Dieser muss sich auf „betriebliche“ Fragen i. S. d. § 3 Abs. 2 TVG beziehen, mithin auf solche, die über das einzelne Arbeitsverhältnis – als komplementäre Bezugsgröße tarifvertraglicher Individualnormen – hinausreichen, weil sie sich aus der Wechselbezüglichkeit der Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer eines Betriebes ergeben.28 Das so verstandene Erfordernis betriebseinheitlicher Geltung als Leitgedanke der gesetzlichen Regelung der Rechtsnormen des Tarifvertrages über betriebliche Fragen darf nicht im Bereich des tarifdispositiven Rechts durch die pauschale Annahme des Betriebsnormcharakters bestimmter vom tarifoffenen Gesetz abweichender Tarifnormen ohne Prüfung ihres konkreten Regelungsgegenstandes auf seine Wechselbezüglichkeit unterlaufen werden. Nur bei Beachtung dieses Prüfungsprogramms lässt sich schließlich die Annahme einer Betriebsnorm mit den besonderen Rechtswirkungen des § 3 Abs. 2 TVG auch vor den verfassungsrechtlichen Anforderungen der negativen Koalitionsfreiheit und besonders der Artt. 2 Abs. 1, 20 GG (rechtsstaatliches und demokratisches Legitimationserfordernis) rechtfertigen.29 d) Folgerungen für den Fall der Tarifkollision Die Vorzugswürdigkeit der hiesigen Ansicht zeigt sich gerade auch aus der tarifkollisionsrechtlichen Perspektive. Die von der h. M. befürwortete pauschale Einordnung als Betriebsnorm muss sich kollisionsrechtlich konsequenterweise in der Zuordnung von Normenkollisionen zu der Gruppe der betriebsweiten Tarifkonkurrenz fortsetzen. Wo Betriebsnormen unterschiedlicher Tarifverträge kollidieren, entsteht eine betriebsweite Tarifkonkurrenz. Im Ergebnis käme es folglich Bock, Tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht, S. 78 ff.; im dortigen Sinne schon Herschel, RdA 1969, 211 (214 f.); ders., ZfA 1973, 183 (188, 192); außerdem Giesen, Rechtsgestaltung, S. 409 f.; s. auch H. Hanau, RdA 1996, 158 (175); die Kritik von Buschmann, FS Richardi, S. 93 (108 f.) vermag nicht zu überzeugen. 27 Bock, Tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht, S. 82 f.; insoweit auch Buschmann, FS Richardi, S. 93 (107); außerdem Schliemann, FS Schaub, S. 675 (689 ff.); Giesen, Rechtsgestaltung, S. 409; vgl. auch jüngst Lobinger, ZfA 2009, 319 (405). 28 Ausführlich oben Teil 3, Kapitel 2. 29 Vgl. oben Teil 3, Kapitel 2, unter F. III.
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
stets zur Tarifeinheit im Betrieb aufgrund einheitlicher Auflösung der Tarifkonkurrenz nach dem Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis. Damit würde dieses Fallgruppe der Tarifkollision – Aufeinandertreffen von Tarifverträgen mit vom tarifoffenen gesetzlichen Arbeitszeitrecht abweichenden Regelungen – aus dem Problemfeld der Tarifpluralität herausgenommen und insoweit der Fortbestand der Tarifeinheit im Betrieb gesichert. Dass ein solches Vorgehen, welches unter Ausblendung der teleologischen und verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Interpretation des § 3 Abs. 2 TVG („Rechtsnorm über betriebliche Fragen“) den Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität über einen extensiv verstandenen Betriebsnormenbegriff und einen entsprechend weit gezogenen Anwendungsbereich der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis, die hier zugleich eine betriebliche Tarifeinheit bedeutet, gleichsam durch die Hintertür wieder einführt, dem Anspruch einer Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung nicht gerecht wird, wurde dargelegt.30 Auf der Grundlage der hiesigen Ansicht ist tarifkollisionsrechtlich vielmehr wie folgt zu unterscheiden: aa) Übereinstimmungen Die hiesige Ansicht besagt nicht, dass eine vom tarifoffenen gesetzlichen Arbeitszeitrecht abweichende Tarifvorschrift unter keinen Umständen eine Betriebsnorm sein kann. So wird auch in den Reihen derer, die eine pauschale Einordnung der abweichenden Tarifnormen als Rechtsnormen über betriebliche Fragen verwerfen, einer Tarifnorm, die unter Ausnutzung der Tariföffnungsklausel des § 7 Abs. 1 Nr. 5 ArbZG die Lage der Nachtzeit (§ 2 Abs. 3 ArbZG) abweichend regelt, wegen ihres das einzelne Arbeitsverhältnis übergreifenden Bezuges Betriebsnormcharakter zugeschrieben.31 Sofern also eine gesetzesdisponierende Tarifnorm (ausnahmsweise) Betriebsnorm ist32, entspricht die Lösung im Falle der Kollision mehrerer Tarifverträge im Betrieb derjenigen der h. M., die die Betriebsnormeigenschaft generell bejaht. Es entsteht eine betriebsweite Tarifkonkurrenz, die nach dem einhellig anerkannten Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis zugunsten eines der kollidierenden Tarifverträge aufzulösen ist. bb) Abweichungen Kollidieren mehrere Inhaltsnormen, die Abweichungen vom tarifdispositiven gesetzlichen Arbeitszeitrecht regeln, so ist die Lösung über die Annahme einer 30 31 32
Oben Teil 3, Kapitel 2, unter A. II. 2. Schliemann, FS Schaub, S. 675 (691). Zu den Anforderungen s. o. Teil 3, Kapitel 2.
Kap. 3: Tarifpluralität und tarifdispositives Gesetzesrecht
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betriebsweiten Tarifkonkurrenz und deren betriebsweit einheitlicher Auflösung nach dem Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis verstellt; sie hängt an der Anwendbarkeit des § 3 Abs. 2 TVG, der hier gerade nicht greift. Insoweit kommt es dann zu einer – hinzunehmenden – Tarifpluralität. 33 Dass die Pluralität hier zu übermäßigen, gegenüber anderen Konstellationen außergewöhnlichen Schwierigkeiten führen würde, ist nicht ersichtlich. In Fällen notwendig einheitlich geltender Regelungen wird es sich um Betriebsnormen handeln mit der Folge der Anwendung des § 3 Abs. 2 TVG, der Entstehung einer betriebsweiten Tarifkonkurrenz und deren Auflösung nach dem Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis zugunsten einer im Ergebnis betrieblichen Tarifeinheit.34 Demnach kann weder das tarifoffene Gesetzesrecht als Argument für die Beibehaltung der Tarifeinheit im Betrieb im überkommenen Sinne angeführt werden noch könnte ein auf den Bereich der vom tarifdispositiven Gesetzesrecht abweichenden tarifvertraglichen Regelungen beschränktes Konzept betrieblicher Tarifeinheit überzeugen. Auch für eine normative Verankerung des Tarifeinheitsgrundsatzes durch den einfachen Gesetzgeber im Sinne Heinzes und Rickens lässt sich den gesetzlichen Tariföffnungsklauseln nichts entnehmen. Diskutabel erscheinen allenfalls Überlegungen, etwaige Unzuträglichkeiten, die sich speziell in diesem Bereich aus der Freigabe von Tarifpluralitäten ergeben könnten, durch spezielle Repräsentativitätsanforderungen an die gesetzesverdrängenden Tarifverträge oder an die tarifschließenden Gewerkschaften abzufedern. Davon ist im Folgenden zu handeln. II. Einpassung der Tarifpluralität durch besondere Repräsentativitätserfordernisse? 1. Darstellung der Position Auch Buschmann und J. Ulber wenden sich § 7 ArbZG unter dem Aspekt möglicher Tarifpluralitäten zu. In Anbetracht der Tatsache, dass § 7 ArbZG eine besonders weitgehende Ausprägung tarifdispositiven Arbeitsschutzrechts sei, wollen sie für die Zulassung einer tariflichen Herabsetzung des gesetzlichen Arbeitsschutzes grundsätzlich einen strengen Maßstab anlegen. Der Wortlaut der Vorschrift setze zwar nur die Existenz eines wirksamen Tarifvertrages mit abweichenden Regelungen voraus; dabei werde aber unterstellt, dass dieser Tarifvertrag von repräsentativen Organisationen abgeschlossen ist und repräsentativen Charakter hat.35 33
s. auch Buschmann/J. Ulber, § 7 Rn. 2a. Zur Behandlung von Doppelnormen in der Tarifkollision s. o. Teil 3, Kapitel 2, unter G. III. 2. 35 Buschmann/J. Ulber, § 7 Rn. 2; s. auch jüngst Dieterich, GS Zachert, S. 532 (535). 34
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
Die Legitimation des an die Stelle des Gesetzesrechts tretenden Tarifrechts sei daher zweifelhaft bei nicht repräsentativen Tarifverträgen nicht repräsentativer Organisationen, bei Tarifpluralität und allgemein hinsichtlich der tariflichen Außenseiter.36 Insbesondere bei wenig durchsetzungsfähigen Organisationen, „die sich weniger der Zuneigung der Arbeitnehmerseite als des sozialen Gegenspielers erfreuen“, seien Zweifel anzumelden, ob die grundrechtliche Schutzpflicht zur Gewährleistung der Menschenwürde, des Rechts auf Leben und Gesundheit und der Vertragsparität37 durch das an die Stelle des Gesetzes tretende Tarifrecht erfüllt werden könne.38 Bei Organisationen, die nur geringe Mitgliederzahlen, stattdessen aber die „Wertschätzung der Gegenseite“ nachweisen könnten, gehe die Bindung des Organisationshandelns an die Mitgliederinteressen gegen Null.39 Tatsächlich sei für sie eine „anbiedernde Tarifpolitik“ die einzige Möglichkeit, zum Abschluss von Tarifverträgen zu gelangen.40 Tarifdispositives Arbeitsrecht sei eine Einladung gerade an mitgliederunabhängige Organisationen, durch kollusives Zusammenwirken mit der Arbeitgeberseite ihre Existenz zu sichern.41 Gleichwohl gehen Buschmann und J. Ulber von der Möglichkeit einer Pluralität von Tarifverträgen nach § 7 Abs. 1, 2, 2a ArbZG aus.42 Wegen des u. a. für den Fall der Tarifpluralität erkannten Legitimationsdefizits sei aber eine auf den jeweiligen Betrieb bezogene Repräsentativität des gesetzesverdrängenden Tarifvertrags zu fordern.43 Der Vorschlag, die gesetzesverdrängende Wirkung eines von tarifdispositivem Recht abweichenden Tarifvertrags an die Repräsentativität der tarifschließenden Arbeitnehmerkoalition im Betrieb zu koppeln, ist nicht neu. Auch Gamillscheg fordert – unabhängig vom Vorliegen einer Tarifpluralität –, dem Tarifvertrag eines „Splitterverbandes“ dürfe diese Wirkung nur zuerkannt werden, wenn der Verband (wenigstens) im Betrieb maßgeblich ist, was sich etwa aus den Wahlen ergeben könne.44 36
Buschmann/J. Ulber, § 7 Rn. 2; Hervorhebung nicht im Original. Zu den grundrechtlichen Schutzpflichten des Gesetzgebers im Arbeitszeitrecht s. auch Schliemann, FS Schaub, S. 675; ferner Bock, Tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht, S. 394 f. 38 Buschmann/J. Ulber, § 7 Rn. 2. 39 Buschmann, FS Richardi, S. 93 (97); s. auch zur fehlenden Bindung an eine ernsthafte Mitgliederbasis im Fall der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) Schüren, NZA 2007, 1213; kritisch zu ihm etwa Jacobs, ZfA 2010, 27 (39 f., 53). 40 Buschmann, FS Richardi, S. 93 (97 f.); s. auch Unterhinninghofen, AuR 2006, 7 (9 f.). 41 Buschmann, FS Richardi, S. 93 (98); s. auch Unterhinninghofen, AuR 2006, 7 (10). 42 Buschmann/J. Ulber, § 7 Rn. 2a; s. zur Ablehnung der Tarifeinheit bei Tarifpluralität auch Buschmann, FS Richardi, S. 93 (107). 43 Buschmann/J. Ulber, § 7 Rn. 2. 37
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2. Methodische Einordnung a) Schließung „verdeckter“ Regelungslücke durch teleologische Reduktion Der Wortlaut der gesetzlichen Tariföffnungsklauseln sagt nichts von einem besonderen Erfordernis betrieblicher Repräsentativität des gesetzesverdrängenden Tarifvertrags oder der ihn schließenden Gewerkschaft. Es ist vielmehr schlicht davon die Rede, dass „durch Tarifvertrag“ oder „in Tarifverträgen“ vom Gesetz abweichende Regelungen vereinbart werden können45, dass „ein Tarifvertrag“ abweichende Regelungen zulassen kann46 oder dass „in einem Tarifvertrag“ Abweichungen vom Gesetz zugelassen werden können47. Zu denken ist daher an die Möglichkeit einer teleologischen Reduktion der Tariföffnungsklauseln, mithin die Schließung einer in ihnen etwa enthaltenen „verdeckten“ Regelungslücke48. Für die h. M. – Theorie der Wortsinngrenze49 – liegt eine durch teleologische Reduktion zu schließende „verdeckte“ Lücke vor, wenn eine gesetzliche Regel entgegen ihrem Wortsinn, aber gemäß der immanenten Teleologie des Gesetzes einer Einschränkung bedarf, die im Gesetzestext nicht enthalten ist.50 Die teleologische Reduktion stellt sich danach als „wortsinnunterschreitende Nichtanwen44
Gamillscheg, KollArbR I, § 9 IV. 3. e) (5), S. 438. s. etwa §§ 622 Abs. 4 Satz 1 BGB, 12 Abs. 3 Satz 1, 13 Abs. 4 Satz 1, 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG, 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG, 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG, 17 Abs. 3 Satz 1 BetrAVG. 46 §§ 3 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2, 9 Nr. 2 Teilsatz 3 AÜG. 47 §§ 7 Abs. 1, 2, 2a ArbZG, 21a Abs. 1 JArbSchG. 48 Andere Terminologie bei Rüthers/C. Fischer, Rechtstheorie, Rn. 848 f., 867, 886, 903, 939, 951, die nicht von „verdeckten“, sondern von „Ausnahmelücken“ (ebenso etwa Bitter/Rauhut, JuS 2009, 289 [295]) oder „teleologischen Lücken“ sprechen; der Begriff der „verdeckten“ (Regelungs-)Lücke findet sich auch in der Rechtsprechung des BVerfG, s. BVerfG 30. 3. 1993 BVerfGE 88, 145 (167); ferner etwa Canaris, Lücken, S. 83, 136 f.; Engisch, Einführung, S. 184 (mit Fn. 20); Fikentscher, Methoden, Band IV, S. 286 f.; Wank, Auslegung, § 11 I. 2., S. 81. Abgelehnt wird die „Lückentheorie“ für den Bereich der teleologischen Reduktion von Brandenburg, Die teleologische Reduktion, S. 30, 34 und insbesondere S. 63 ff. 49 BVerfG 23. 10. 1985 BVerfGE 71, 108 (115); 23. 10. 1991 BVerfGE 85, 69 (73); 20. 10. 1992 BVerfGE 87, 209 (224), jeweils zu Straf- oder Bußgeldvorschriften; BGH 30. 6. 1966 BGHZ 46, 74 (76); BAG 29. 9. 2004 AP BetrVG 1972 § 99 Versetzung Nr. 40 (Däubler), unter B. III. 2. a) aa) der Gründe; Brandenburg, Die teleologische Reduktion, S. 2 ff.; F. Bydlinski, Methodenlehre, S. 441, 467 ff.; Canaris, Lücken, S. 82 f.; Fikentscher, Methoden, Band IV, S. 294 ff., 298 ff. (301); Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 143 f.; Looschelders/W. Roth, Juristische Methodik, S. 67; Zippelius, Methodenlehre, § 9 II. a), S. 47 und § 12 I. a), S. 72; weitere Nachweise bei Wank, Begriffsbildung, S. 23, dort Fn. 40; zur Kritik s. C. Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, S. 39 f., 112 f. (mit Fn. 78); Wank, Rechtsfortbildung, S. 132; dens., Begriffsbildung, S. 24 ff. m.w. N. S. 23; dens., Auslegung, § 5 I. 2., S. 43 ff.; dens., RdA 1987, 129 (131 f.); dens., ZGR 1988, 314 (317 f.). 50 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 210; ähnlich F. Bydlinski, Methodenlehre, S. 480. 45
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
dung des Gesetzes“ dar.51 Die Ausfüllung der Lücke geschieht durch die Hinzufügung der sinngemäß geforderten Einschränkung.52 b) Begründung einer teleologischen Reduktion aa) Allgemeines Die teleologische Reduktion bewegt sich außerhalb des vom Gesetzgeber sprachlich gezogenen Anwendungsfeldes des Gesetzes und bedarf deshalb einer besonderen Begründung.53 Diese liegt allgemein54 in dem Gebot der Gerechtigkeit, Ungleiches ungleich zu behandeln, d. h. die von der Wertung her erforderlichen Differenzierungen vorzunehmen.55 Im Einzelnen kann eine teleologische Reduktion nach der von Larenz entwickelten Typisierung geboten sein durch:56 – den Sinn und Zweck der einzuschränkenden Norm selbst, – den insoweit vorrangigen Zweck einer anderen Norm, der anderenfalls nicht erreicht würde57, – die „Natur der Sache“58 und – ein für eine bestimmte Fallgruppe vorrangiges, dem Gesetz immanentes Prinzip.59
51 BAG 29. 9. 2004 AP BetrVG 1972 § 99 Versetzung Nr. 40 (Däubler), unter B. III. 2. b) der Gründe; s. auch Brandenburg, Die teleologische Reduktion, S. 2, 4, 36, 57 f. und passim. 52 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 210. 53 BAG 29. 9. 2004 AP BetrVG 1972 § 99 Versetzung Nr. 40 (Däubler), unter B. III. 2. b) der Gründe. 54 Zu einer Ausnahme s. Canaris, Lücken, S. 88 f. und dazu sogleich B. II. 2. b) bb). 55 Canaris, Lücken, S. 82; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 211; Zippelius, Methodenlehre, § 11 I., S. 65. 56 s. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 211 ff.; dazu auch Fikentscher, Methoden, Band IV, S. 312; zu ihm wiederum Brandenburg, Die teleologische Reduktion, S. 31 f.; zu einer geringfügig abweichenden Einteilung der verschiedenen Typen teleologischer Reduktion s. Brandenburg, a. a. O., S. 35 ff. 57 s. dazu auch Canaris, Lücken, S. 87 f.; Looschelders/W. Roth, Juristische Methodik, S. 266; ein arbeitsrechtliches Beispiel ist die Unanwendbarkeit des Günstigkeitsprinzips gegenüber Tarifnormen über gemeinsame Einrichtungen als teleologische Reduktion des § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG mit Rücksicht auf den insoweit vorrangigen Normzweck der §§ 4 Abs. 2, 5 Abs. 4 TVG, s. dazu schon oben Teil 2, Kapitel 1, dort Fn. 112. 58 Zur Verwendung des Topos der „Natur der Sache“ bei Larenz s. die Mahnung von Rüthers, NJW 1996, 1249 (1252); vertiefend dazu zuletzt Rüthers, JZ 2006, 53 ff.; ders., JZ 2007, 556 ff. 59 Kritisch zu der Erweiterung der teleologischen Reduktion über den klassischen Fall der Reduktion mit Rücksicht auf den Zweck der einzuschränkenden Norm selbst hinaus äußert sich C. Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, S. 50 f. m.w. N.
Kap. 3: Tarifpluralität und tarifdispositives Gesetzesrecht
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bb) Anwendung auf die gesetzlichen Tariföffnungsklauseln Orientiert man sich an diesen allgemeinen methodischen Vorgaben, so kommt für unseren Fall eine teleologische Reduktion mit Rücksicht auf Sinn und Zweck der gesetzlichen Tariföffnungsklauseln selbst in Frage (oben erste Fallgruppe).60 Dabei ist Folgendes zu bedenken: Buschmann und J. Ulber wollen die gesetzesverdrängende Wirkung eines eine gesetzliche Tariföffnungsklausel ausnutzenden Tarifvertrags wohl nicht nur bei Tarifpluralität, sondern schlechthin von der Repräsentativität der tarifschließenden Gewerkschaft im Betrieb abhängig machen.61 Der Tatbestand der einzelnen Regelungen tarifdispositiven Rechts würde also nicht nur für bestimmte Fallgruppen durch Hinzufügung eines negierten Ausnahmemerkmals („Fallgruppenexemption“)62, sondern generell eingeschränkt, indem man ein alle Anwendungsfälle betreffendes positives Merkmal (namentlich: „betriebsbezogene Repräsentativität der tarifschließenden Gewerkschaft“) einsetzt. Brandenburg spricht hier von einer teleologische Reduktion zur einschränkenden Präzisierung von Normen.63 Die Unterscheidung hat auch Canaris schon erkannt64: Hier werde nicht ein Ausnahmetatbestand hinzugefügt und die Vorschrift im Übrigen unverändert gelassen, sondern die Norm werde für ihren gesamten Anwendungsbereich eingeschränkt, da sie in sich unvollständig sei. Die Feststellung der „Lücke“ erfolge dabei im Unterschied zu den sonstigen Fällen der teleologischen Reduktion ohne Heranziehung des Gleichheitssatzes, da nicht zwei verschiedene Fälle miteinander verglichen werden, vielmehr die ratio legis unmittelbar die Einschränkung der Norm fordere, weil deren Wortlaut gemessen an ihrem Zweck zu weit sei.65 Das weitere Vorgehen besteht darin, zu untersuchen, ob Sinn und Zweck der gesetzlichen Tariföffnungsklauseln eine teleologische Reduktion der tarifoffen gestalteten Vorschriften geboten erscheinen lassen.
60 Ein näheres Eingehen auf die Kritik C. Fischers an den anderen Fallgruppen (s. Vornote) erübrigt sich daher. Zu beachten ist, dass es sich bei dem „klassischen“ Fall der teleologischen Reduktion vom Boden der Gesetzessinntheorie aus (dazu vor allem die oben Fn. 49 nachgewiesenen Veröffentlichungen von Wank) nicht um Rechtsfortbildung, sondern um eine einschränkende Auslegung handelt, s. C. Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, S. 51 f., 212. 61 Vgl. Buschmann/J. Ulber, § 7 Rn. 2; so jedenfalls Gamillscheg, KollArbR I, § 9 IV. 3. e) (5), S. 438. 62 Näher Brandenburg, Die teleologische Reduktion, S. 35 ff. 63 Näher Brandenburg, Die teleologische Reduktion, S. 46; s. auch Diederichsen, FS Wieacker, S. 325 (333 f.) zu Begriffsreduktion und Begriffsvermehrung. 64 Canaris, Lücken, S. 88 f. 65 Canaris, Lücken, S. 89.
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
(1) Sinn und Zweck der Tariföffnungsklauseln Geht man die Stellungnahmen in Rechtsprechung und Literatur zu Sinn und Zweck der gesetzlichen Tariföffnungsklauseln durch, so lassen sich im Wesentlichen zwei Funktionen der tarifdispositiven Gestaltung arbeitsrechtlicher Vorschriften ausmachen. (a) Zunächst die Anpassungs- oder Flexibilisierungsfunktion: Der Gesetzgeber macht sich durch die Öffnung seiner Normen für abweichende tarifvertragliche Regelungen die leichtere Anpassungsmöglichkeit des tariflichen Normsetzungsverfahrens gegenüber dem schwerfälligen Verfahren der parlamentarischen Gesetzgebung zunutze.66 Die Einbeziehung des Tarifvertrags bietet die Möglichkeit flexibler Regelungen67 und erlaubt es dem Gesetzgeber, der Rechtsordnung eine Elastizität zu verleihen, die sonst nicht zu erreichen wäre.68 Die Anpassung der gesetzlichen Lage an branchen- oder betriebsbedingte Besonderheiten wird erheblich erleichtert.69 (b) Zu dieser Anpassungs- oder Flexibilisierungsfunktion gesellt sich, erstere begrenzend, die Schutzfunktion: Der Gesetzgeber zieht nicht nur die Sachnähe und Sachkenntnis der Tarifvertragsparteien ins Kalkül70, sondern vertraut auch auf die Macht der Tarifparteien, ihre Mitglieder hinreichend zu schützen.71 Stets spielt also auch der Gesichtspunkt des Arbeitnehmerschutzes eine besondere Rolle.72 Insbesondere diese Schutzfunktion ist angesprochen, wenn es zu untersuchen gilt, ob angesichts der Freigabe von Tarifpluralitäten im Betrieb die gesetzesverdrängende Wirkung eines Tarifvertrages von einem besonderen, betriebsbezogenen Erfordernis der Repräsentativität der tarifschließenden Gewerkschaft abhängig zu machen ist.
66 Bengelsdorf, NZA 1991, 121 (125); Bock, Tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht, S. 145 f.; Knorr, RdA 1979, 201; Wiedemann/Wiedemann, Einl. Rn. 380. 67 Dietz, DB 1974, 1770; Herschel, RdA 1969, 211 (212); Knorr, RdA 1979, 201. 68 Bengelsdorf, NZA 1991, 121 (125); Herschel, RdA 1969, 211 (212). 69 BAG 25. 1. 1989 AP BeschFG 1985 § 2 Nr. 2 (Berger-Delhey), unter III. 1. der Gründe; Bock, Tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht, S. 145 f.; Dietz, DB 1974, 1770; MüKoBGB/D. Hesse, 622 Rn. 42a; Knorr, RdA 1979, 201; RGRK/Röhsler, § 622 Rn. 78; Wank, NZA 1993, 961 (965). 70 BAG 25. 1. 1989 AP BeschFG 1985 § 2 Nr. 2 (Berger-Delhey), unter III. 1. der Gründe; Bengelsdorf, NZA 1991, 121 (125); Bock, Tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht, S. 432; Knorr, RdA 1979, 201; Wank, NZA 1993, 961 (965); Wiedemann/ Wiedemann, Einl. Rn. 380. 71 MüArbR/Wank, § 97 Rn. 30. 72 BAG 25. 1. 1989 AP BeschFG 1985 § 2 Nr. 2 (Berger-Delhey), unter III. 1. der Gründe; s. auch Bock, Tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht, S. 145, 432.
Kap. 3: Tarifpluralität und tarifdispositives Gesetzesrecht
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(2) Schlussfolgerungen Gegenstand der weiteren Untersuchung muss sein, ob durch die Freigabe von Tarifpluralitäten die Schutzfunktion der gesetzlichen Tariföffnungsklauseln in einem Ausmaß beeinträchtigt würde, das eine teleologische Reduktion durch Hinzufügung eines Repräsentativitätserfordernisses als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal geboten erscheinen lässt.73 3. Tarifpluralität und Schutzfunktion der gesetzlichen Tariföffnungsklauseln a) Mögliche Gefahren einer Tarifpluralität im Bereich des tarifdispositiven Gesetzesrechts Zunächst ist zu untersuchen, welche Gefahren für den Arbeitnehmerschutz drohen könnten, wenn man Tarifpluralitäten im Bereich des tarifoffenen Gesetzesrechts einschränkungslos freigibt. aa) Nach der Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb können nunmehr auch Tarifverträge von Sparten- oder Minderheitsgewerkschaften, die nach der bisherigen Rechtsprechung vielfach von einem Tarifvertrag einer (DGB-)Branchengewerkschaft aus dem Betrieb verdrängt worden wären, im Betrieb zur Anwendung kommen. In ihren Tarifverträgen könnten auch diese Gewerkschaften zu Lasten der Arbeitnehmer vom tarifoffenen Gesetzesrecht wie etwa dem gesetzlichen Arbeitszeitrecht (vgl. z. B. § 7 ArbZG) abweichen. Unmittelbar würden derlei Abweichungen vom tarifdispositiven Arbeitnehmerschutzrecht – jedenfalls im Bereich der Individualnormen (§§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 TVG) – zwar nur die Mitglieder der (Sparten- oder Minderheits-)Gewerkschaft betreffen. Machten aber die Arbeitsvertragsparteien durch Vereinbarung einer Verweisungsklausel im Arbeitsvertrag von der jeweiligen gesetzlichen Bezugnahmeermächtigung (z. B. § 622 Abs. 4 Satz 2 BGB) Gebrauch, so gewönnen sie auch für die Nichtorganisierten im Betrieb Bedeutung – mit der Einschränkung, dass es hier nicht zur unmittelbaren und zwingenden, d. h. normativen, sondern nur zur schuldrechtlichen Wirkung der tariflichen Regelungen käme.74 Da der Arbeitgeber oft ein Interesse an möglichst betriebsweit einheitlichen Arbeitsbe73 Beispiel: § 622 Abs. 4 Satz 1 BGB wäre zu lesen: „Von den Absätzen 1 bis 3 abweichende Regelungen können durch Tarifvertrag einer im jeweiligen Betrieb repräsentativen Gewerkschaft vereinbart werden“. 74 Zur rein schuldrechtlichen Wirkung einer – auch auf einer gesetzlichen Bezugnahmeermächtigung beruhenden – arbeitsvertraglichen Inbezugnahme tariflicher Regelungen s. etwa Adomeit, Rechtsquellenfragen, S. 159; Blomeyer/Rolfs/K. Otto, § 17 Rn. 207; Bock, Tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht, S. 171 ff.; Dietz, DB 1974, 1770 (1770 f.); MüKoBGB/D. Hesse, § 622 Rn. 68; Wiedemann/Oetker, § 3 Rn. 378, 398; J. C. Otto, Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, S. 28 ff.; Reichel, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 11 f. und eingehend Waas, ZTR 1999, 540 ff.; anders insbesondere v. Hoyningen-Huene, RdA 1974, 138 (142 ff.); ders., Billigkeit, S. 170.
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dingungen hat, könnte er in alle Arbeitsverträge eine solche Verweisung auf die vom tarifoffenen Gesetz abweichenden tariflichen Vereinbarungen aufnehmen.75 Über die Gewerkschaftsmitglieder sowie die nicht organisierten Arbeitnehmer hinaus können unter Umständen sogar auch die anders organisierten Belegschaftsmitglieder von den tarifvertraglichen Abweichungen betroffen sein. Obgleich die gesetzlichen Bezugnahmeermächtigungen nach ihrem Wortlaut typischerweise eine Bezugnahmemöglichkeit für „nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer“ vorsehen (z. B. §§ 622 Abs. 4 Satz 2 BGB, 12 Abs. 3 Satz 2, 13 Abs. 4 Satz 2, 14 Abs. 2 Satz 4 TzBfG, 13 Abs. 1 Satz 2 BUrlG, 3 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3, 9 Nr. 2 letzter Teilsatz AÜG, 4 Abs. 4 Satz 2 EFZG, 17 Abs. 3 Satz 2 BetrAVG, 7 Abs. 3 Satz 3 ArbZG), kann eine Bezugnahme auf der Grundlage einer solchen Norm auch mit einem anders organisierten Arbeitnehmer vereinbart werden.76 Freilich relativiert sich für sie die – im Folgenden noch näher aufzuzeigende – Problematik praktisch erheblich, wenn ihre eigene Gewerkschaft – etwa eine für den Betrieb zuständige DGB-Gewerkschaft – ihrerseits einen von seinem Geltungsbereich her für den Betrieb einschlägigen, auch den Arbeitgeber normativ bindenden Tarifvertrag mit entsprechendem Regelungsgehalt geschlossen hat. Im Verhältnis zwischen dem für sie normativ geltenden Tarifvertrag und dem auf der Grundlage der gesetzlichen Bezugnahmeermächtigung arbeitsvertraglich inkorporierten anderen Tarifvertrag findet dann § 4 Abs. 3 Var. 2 TVG Anwendung. Dass es sich hier nicht um einen Fall der Tarifkonkurrenz, sondern um einen Anwendungsfall des Günstigkeitsprinzips handelt, sieht mittlerweile auch der 4. Senat des BAG so.77 bb) Die mögliche Gefahr der dargestellten Rechtslage nach der Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb liegt in Folgendem78: Die Arbeitgeber75 Zu Recht weist Richardi, Anm. zu BAG 28. 3. 2006 RdA 2007, 117 (119) darauf hin, dass die Möglichkeit, eine vom tarifoffenen Gesetzesrecht abweichende Tarifnorm durch vertragliche Abrede auch auf nicht tarifgebundene Arbeitnehmer zu erstrecken, „rechtstatsächlich vor allem dem Arbeitgeber“ eröffnet ist; s. auch C. Schubert, RdA 2001, 199 (199, 207, m.w. N. in Fn. 5, 113); ferner Wiedemann, RdA 1969, 321 (324), der von einer in der Individualabrede enthaltenen „formalen Zustimmung“ der nicht organisierten Arbeitnehmer spricht, sowie Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 195. 76 Wiedemann/Wiedemann, Einl. Rn. 396. A. A. für § 9 Nr. 2 letzter Teilsatz AÜG Fritz Schindele, AuR 2008, 31 (34); s. demgegenüber für die zutreffende und auch zu § 9 Nr. 2 AÜG ganz h. M. stellvertretend J. Ulber, § 9 Rn. 286; ErfK/Wank, § 19 AÜG Rn. 4. 77 s. bereits oben Teil 2, Kapitel 2, unter A. I. 1.; dazu, dass hier ausnahmsweise kein Sachgruppen-, sondern ein Gesamtgünstigkeitsvergleich vorzunehmen ist mit der Folge, dass regelmäßig allein der normativ geltende Tarifvertrag das Arbeitsverhältnis bestimmt s. dort unter C. III. 1. 78 Zu ihrem realen Hintergrund s. nur die anwaltlichen Empfehlungen an die Arbeitgeberseite bei Wilhelm/Dannhorn, AuA 2006, 343 ff.; kritisch zu ihnen Reinecke, BB 2006, 2637 (2643 ff., 2645); kritisch – ohne namentliche Nennung von Wilhelm/Dannhorn – auch Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (117); s. auch dens.,
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seite könnte bei einer Mehrheit abschlusswilliger Gewerkschaften einer kleineren, verhältnismäßig durchsetzungsschwachen Gewerkschaft den Abschluss eines Tarifvertrages antragen, der weit reichende Abweichungen von tarifdispositivem Gesetzesrecht zu Lasten der Arbeitnehmer enthält. Mit allen nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern könnten dann die Arbeitgeber aufgrund der gesetzlichen Bezugnahmeermächtigungen arbeitsvertragliche Verweisungen auf diesen Tarifvertrag vereinbaren.79 Die Tarifpluralität eröffnet mithin aus Arbeitgebersicht im Bereich des tarifdispositiven Gesetzesrechts interessante Gestaltungsmöglichkeiten. Aus Arbeitnehmersicht werden gerade Szenarien wie das geschilderte zum Anlass für Überlegungen genommen, nur den Tarifverträgen solcher Gewerkschaften gesetzesverdrängende Wirkung zuzuerkennen, die im Betrieb Repräsentativität besitzen.80 b) Regulative Auch wenn demnach die Änderung der Rechtsprechung zur Tarifpluralität im Bereich des tarifdispositiven Gesetzesrechts durchaus Gefahren für den Arbeitnehmerschutz bergen könnte, stößt es auf Bedenken, darauf mit einem im Wege der Rechtsfortbildung in Gestalt einer teleologischen Reduktion in die gesetzlichen Tariföffnungsklauseln hineingelesenen Repräsentativitätserfordernis zu reagieren. Denn es gibt bereits adäquate Regulative, mit denen den beschriebenen Gefahren effektiv begegnet werden kann. aa) Mächtigkeitserfordernis als Regulativ81 (1) Dazu, dass tarifliche Abweichungen vom tarifoffenen gesetzlichen Arbeitnehmerschutzrecht angemessen bleiben, trägt zunächst bei, dass die Wirksamkeit eines Tarifvertrages von der Tariffähigkeit seiner Parteien und diese wiederum auf der Arbeitnehmerseite von der sozialen Mächtigkeit abhängt.82 Das Mächtigbei Bepler/U. Fischer/Ubber, BLJ 2007, 139 (147); zum Ganzen jetzt auch Deinert, NZA 2009, 1176 (1179 f.); Dieterich, GS Zachert, S. 532 ff.; schon ders., SZ vom 14. 8. 2007, S. 2; des Weiteren Greiner, Rechtsfragen, S. 42; Zachert, FS Bauer, S. 1195 ff. 79 Zu den Möglichkeiten der Vertragsgestaltung bei arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln unter den Bedingungen der Tarifpluralität s. ausführlich oben Teil 2, Kapitel 2, unter C. 80 Buschmann, FS Richardi, S. 93 (111); s. auch jüngst Dieterich, GS Zachert, S. 532 (541 ff.). 81 s. zum Folgenden jetzt auch, wenngleich ohne Bezug zur Tarifpluralität, Thüsing, ZfA 2008, 590 (613 f.); auch Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (130, dort Fn. 36) spricht sich gerade im Hinblick auf die zunehmende Zahl gesetzlicher Tariföffnungsklauseln für die Beibehaltung des Erfordernisses der sozialen Mächtigkeit aus; s. jetzt außerdem vor allem Deinert, NZA 2009, 1176 (1179 f.). 82 s. auch Waas, FS Birk, S. 899 (902); außerdem bereits Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, S. 81 f.
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keitserfordernis greift schon im Vorfeld als wirksamer Sicherungsmechanismus. Dementsprechend konnte der Gesetzgeber in weitem Umfang tarifoffenes Recht schaffen, ohne besondere Anforderungen an die Tarifvertragsparteien, insbesondere an die vertragschließende Gewerkschaft, hinsichtlich ihrer Zuständigkeit83 oder ihrer Repräsentativität zu stellen84. Namentlich letztere wird bereits durch die Rechtsprechung zur sozialen Mächtigkeit gewährleistet.85 Die Durchsetzungsfähigkeit ist die deutsche Ausformung des insbesondere im französischen Recht zentralen Begriffs der Repräsentativität.86
83 Wiedemann/Wiedemann, Einl. Rn. 386; zum einschränkenden Ansatz Rickens, nach dem die Tarifzuständigkeit einer Gewerkschaft – generell – eine hinreichende, sich in einem entsprechenden Organisationsgrad ausdrückende mitgliedschaftliche Legitimation im Geltungsbereich des jeweiligen Tarifvertrages voraussetzt, s. bereits oben Teil 3, Kapitel 1, dort Fn. 280. 84 Gamillscheg, KollArbR I, § 16 V. 1. d), S. 700, der dies allerdings als Ausdruck des Vertrauens des Gesetzgebers sieht, dass das tarifliche Geschehen durch die großen Einheitsgewerkschaften geprägt wird; in diese Richtung jetzt auch Koop, Tarifvertragssystem, S. 38; Preis/Greiner, ZfA 2009, 825 (840). Da das nicht gewährleistet ist, wenn man die Tariffähigkeit der Gewerkschaft – wie Gamillscheg – nicht an ihre soziale Mächtigkeit knüpft, fordert Gamillscheg wie gesehen gleichwohl Repräsentativität, vgl. nochmals Gamillscheg, KollArbR I, § 9 IV. 3. e) (3) und (5), S. 436 f., 438; im Ansatz ähnlich Kempen, FS 50 Jahre BAG, S. 733 (746 f.), der aber daraus nicht die Forderung nach betrieblicher Repräsentativität herleitet, sondern vielmehr überbetriebliche Organisation und überbetriebliche Repräsentativität verlangt, welche er wiederum als wesentliche Elemente des – danach beizubehaltenden – Erfordernisses der Durchsetzungsfähigkeit und Mächtigkeit versteht; s. auch Kempen/Zachert/Kempen, § 2 Rn. 37, 49. 85 Wiedemann/Wiedemann, Einl. Rn. 386; s. auch zur Tariföffnungsklausel des § 3 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 AÜG ErfK/Wank, § 3 AÜG Rn. 22: Eine Kontrolle der vom tarifdispositiven Diskriminierungsverbot abweichenden Tarifverträge werde auch durch die Überprüfung der Tariffähigkeit erreicht; beachte auch jüngst im Kontext der Regelung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Leih- mit Stammarbeitnehmern und seiner tarifdispositiven Ausgestaltung durch Art. 5 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. 11. 2008 über Leiharbeit (ABlEU L 327 vom 5. 12. 2008, S. 9) Waas, ZESAR 2009, 207 (211): sorgsame Prüfung der Tariffähigkeit der am Abschluss beteiligten Gewerkschaften erforderlich; s. außerdem jüngst Wank, RdA 2010, 193 (203); zum Zusammenhang von sozialer Mächtigkeit und Verzicht auf ein zusätzliches Erfordernis der Repräsentativität auch Lehmann, BB 2008, 1618 (1624). 86 Gamillscheg, KollArbR I, § 9 IV. 3. a), S. 428; ebenso jetzt Greiner, Rechtsfragen, S. 249, 322 und schon Preis/Greiner, ZfA 2009, 825 (855 f.) sowie jüngst Thüsing, NZA Beilage 3/2010, S. 104 (105); s. auch Däubler, Anm. zu BAG 15. 3. 1977 AuR 1977, 286 (288); Däubler/Peter, § 2 Rn. 10 m.w. N. Dazu auch jüngst Koop, Tarifvertragssystem, S. 119 ff. zum Repräsentativitätserfordernis in zahlreichen europäischen Staaten, sowie für Frankreich Zumfelde/Remy, NZA 2009, 186 ff. und Jeammaud/Le Friant, GS Zachert, S. 578 (590 ff.), außerdem Greiner, a. a. O., S. 28 f. sowie Thüsing, a. a. O. In die deutsche Arbeitsrechtsordnung hat der Begriff der Repräsentativität nunmehr ebenfalls Einzug gehalten, s. § 7 Abs. 2 AEntG n. F. und dazu etwa Thüsing/ F. Bayreuther, AEntG, § 7 AEntG Rn. 29 ff., 53 ff.; P. Hanau, FS Bauer, S. 385 (396); Oetker, NZA Beilage 1/2010, S. 13 (30); Preis/Greiner, ZfA 2009, 825 (855 ff.); Sittard, Tarifnormerstreckung, S. 430 ff.; Thüsing/Thüsing, AEntG, Einl. AEntG Rn. 40 ff.
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An dieser Stelle erweist sich daher erneut und exemplarisch, dass der Leitgedanke der Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung dazu anhalten muss, den Blick über die Frage nach Tarifeinheit oder Tarifpluralität hinaus auf das System der Arbeitsrechtsordnung insgesamt zu richten. Es ist das gesamte System im Auge zu behalten, einzelne Systementscheidungen dürfen nicht isoliert, sondern müssen in ihrem Zusammenwirken mit den übrigen auf die Sicherung und Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Systems hingeordneten Mechanismen betrachten werden.87 (2) Theoretisch sind zwar auch andere Modelle als das der sozialen Mächtigkeit denkbar, um eine „präventive Angemessenheitskontrolle“ gesetzesverdrängender tarifvertraglicher Arbeitsbedingungen sicherzustellen. Ein auf die Ebene des Betriebs abstellendes Erfordernis der Repräsentativität ist ein solches Alternativmodell. Der Verzicht auf eine gerichtliche Inhaltskontrolle tarifvertraglicher, auch gesetzesverdrängender tarifvertraglicher Arbeitsbedingungen ist zwar mittlerweile in § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB einfachgesetzlich ausgesprochen und ohnedies durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG (Verbot der Tarifzensur) verfassungsrechtlich vorgegeben. In der Sache ist dieser Verzicht aber nur in einem System gerechtfertigt, in dem die Annahme einer Richtigkeitsgewähr nicht nur eine sprachliche Hülse ist88, sondern – wenn auch nicht in jedem Einzelfall, so doch grosso modo – einer Überprüfung anhand der tariflichen Realität standhält. Ein solches System ist dynamisch89, „beweglich“90: Es kann das die Richtigkeitsgewähr tragende Gegengewichtsprinzip dadurch sichern, dass es von einer tariffähigen Arbeitnehmervereinigung Durchsetzungsfähigkeit verlangt, die Gewähr dafür bietet, dass die Arbeitsbedingungen nicht einseitig von der Arbeitgeberseite festgelegt, sondern tatsächlich ausgehandelt werden; das ist das hier und auch von der Rechtsprechung befürwortete System: Erfordernis der sozialen Mächtigkeit einer tariffähigen Arbeitnehmerkoalition.91 Alternativ wäre es aber wohl auch vertretbar, die gesetzesverdrängende Wirkung eines von einer gesetzlichen Tariföffnungsklausel Gebrauch machenden Ta87
s. bereits oben Teil 3, Kapitel 1, unter B. II. 1., 3. und 4. Die Literatur will teils ohnehin nur von einer „Richtigkeitschance“ sprechen, etwa Kempen/Zachert/Kempen, Grundl. Rn. 94; Däubler/Reim, § 1 Rn. 141; Reinecke, NZA 2005, 953 (961); s. zur Terminologie auch jüngst Rinck, RdA 2010, 216 (219 mit Fn. 30), die von einer „Ausgewogenheitsvermutung“ spricht. 89 Vgl. auch nochmals P. Hanau, NZA 2003, 128 (132) zur „Dialektik von Einheit und Vielheit, die das System in einem dynamischen Gleichgewicht“ halte; s. auch jüngst dens., FS Bauer, S. 385. 90 Zum „beweglichen System“ Wilburgs s. F. Bydlinski, Methodenlehre, S. 529 ff.; Canaris, Systemdenken, S. 74 ff. 91 Zum Zusammenhang von Richtigkeitsgewähr, Mächtigkeitserfordernis und Freistellung der Tarifverträge von einer Angemessenheitskontrolle s. BAG 28. 3. 2006 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 4 (Henssler/Heiden), Rn. 47; Henssler, Soziale Mächtigkeit, S. 28 f.; Kempen/Zachert/Kempen, Grundl. Rn. 94, 96; Däubler/Schiek, Einl. Rn. 211. 88
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rifvertrages von der Repräsentativität der tarifschließenden Gewerkschaft auf der Ebene des Betriebs abhängig zu machen. So Gamillscheg: Er lehnt die soziale Mächtigkeit als Voraussetzung der Tariffähigkeit ab; bei der Tariffähigkeit könne man es dem freien Spiel der Kräfte überlassen, ob ein Verband sich durchsetzt.92 Demgegenüber hält er die Verdrängung zwingender Schutznormen im Bereich des tarifoffenen Rechts93 für „eine Frage für sich“. Hier sei Repräsentativität, beurteilt im Rahmen des Betriebs, zu verlangen; dem Tarifvertrag eines Splitterverbandes dürfe die gesetzesverdrängende Wirkung nur zuerkannt werden, wenn der Verband (wenigstens) im Betrieb maßgeblich ist, was sich etwa aus den Ergebnissen der (Betriebsrats-)Wahlen ergeben könne.94 Nach Richardi ist von der Anerkennung der Tariffähigkeit zu trennen, ob jeder mit einer Gewerkschaft geschlossene Vertrag stets und überall ein Tarifvertrag ist, der die dem Tarifvertrag im Gesetzesrecht beigelegten Rechtsfolgen auslöst. Dies gelte u. a. für die Verdrängung tarifdispositiver Schutznormen.95 Nach hiesiger Ansicht ist demgegenüber am Mächtigkeitserfordernis festzuhalten. Die Alternativität der einschränkenden Voraussetzungen – entweder allgemeines Mächtigkeits- oder betriebsbezogenes Repräsentativitätserfordernis –, die das System „beweglich“ macht und eine vor dem Grundrecht der kollektiven Koalitionsfreiheit nicht mehr zu rechtfertigende Beschränkung der Betätigungsmöglichkeiten kleinerer Arbeitnehmerkoalitionen verhindert, würde aber jedenfalls verkannt, wenn man beide Voraussetzungen kumuliert. Wenn man schon ein Erfordernis der sozialen Mächtigkeit als „Einlasskontrolle“ vor dem Tor zur Tarifautonomie installiert, dann muss auch dem Tarifvertrag einer Arbeitnehmerkoalition, welche die von der Mächtigkeitsrechtsprechung errichteten Hürden erfolgreich genommen hat, uneingeschränkt die Richtigkeitsgewähr zukommen und konsequenterweise jeder von einer tariffähigen Arbeitnehmervereinigung abgeschlossene – auch den übrigen Wirksamkeitsvoraussetzungen genügende – Tarifvertrag die Kraft haben, eine gesetzliche Tariföffnungsklausel auch zu Lasten der Arbeitnehmer auszufüllen – und zwar unabhängig davon, ob der jeweilige Tarifvertrag möglicherweise unter der Geltung der Rechtsprechung zur Tarifeinheit im
92 Gamillscheg, KollArbR I, § 9 IV. 3. e) (3), S. 436 f.; s. auch dens., FS Herschel, S. 99 (115). 93 Daneben auch die Verdrängung der Mitbestimmung des Betriebsrats nach §§ 77 Abs. 3, 87 Abs. 1 BetrVG und die Erstreckung der Tarifnormen auf Außenseiter, § 3 Abs. 2 TVG; zu §§ 77 Abs. 3, 87 Abs. 1 BetrVG s. in diesem Zusammenhang auch Gamillscheg, FS Herschel, S. 99 (115) und in der vorliegenden Arbeit noch unten Teil 4, unter B. II. 1. d). 94 Gamillscheg, KollArbR I, § 9 IV. 3. e) (5), S. 438; in eine ähnliche Richtung Koop, Tarifvertragssystem, S. 324 f.; s. aber demgegenüber nunmehr Richardi, FS Buchner, S. 731 (734 f.). 95 Richardi, FS Wißmann, S. 159 (172); ders., Anm. zu BAG 28. 3. 2006 RdA 2007, 117 (119); s. auch jüngst Dieterich, GS Zachert, S. 532 (542).
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Betrieb (Tarifeinheit auch bei Tarifpluralität) noch aus dem Betrieb verdrängt worden wäre. (3) Tatsächlich begründet auch der 1. Senat des BAG im CGM-Beschluss96 das Festhalten an der sozialen Mächtigkeit als Voraussetzung der Tariffähigkeit von Arbeitnehmerkoalitionen u. a. mit den den Gewerkschaften im Bereich des tarifdispositiven Gesetzesrechts eingeräumten Befugnissen. Ein gewisses Problem liegt allerdings zugegebenermaßen darin, dass nach der nunmehrigen Konzeption des 1. Senats zur Feststellung der Durchsetzungsfähigkeit in erster Linie auf die bisherige Tarifpraxis einer Arbeitnehmerkoalition abzustellen ist.97 Eine noch nicht etablierte Arbeitnehmervereinigung sieht sich dadurch womöglich gezwungen, der Arbeitgeberseite durch großzügige Zugeständnisse im Bereich der vom Gesetz tarifdispositiv gestalteten Arbeitsbedingungen weit entgegenzukommen, um durch das „Sammeln“ einer hinreichend beeindruckenden Zahl von Tarifabschlüssen ihre Durchsetzungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Nicht ganz zu Unrecht sieht Buschmann eine „anbiedernde Tarifpolitik“ als einzige Chance mancher Arbeitnehmerorganisationen, zu Abschlüssen und damit zur Anerkennung als tariffähige Gewerkschaft zu gelangen.98 Gleichwohl soll das Mächtigkeitskriterium nach hiesiger Ansicht die Angemessenheit der von einer derart an ihre Tariffähigkeit gelangten Gewerkschaft ausgehandelten Arbeitsbedingungen garantieren. Buschmann meint, da „beiße sich die Katze in den Schwanz“.99 Eine Grenze ist aber jedenfalls dann erreicht, wenn es sich um einen Gefälligkeitstarifvertrag handelt oder um Vereinbarungen, die auf einem Diktat der Arbeitgeberseite beruhen.100 Ein Gefälligkeitstarifvertrag liegt vor, wenn die Arbeitnehmervereinigung kollusiv mit der Arbeitgeberseite zusammenwirkt101; es kann also entgegen der Befürchtung von Buschmann102 eine Arbeitnehmerorganisation ihre Existenz gerade nicht durch kollusives Zusammenwirken mit der Arbeitgeberseite sichern: Solchermaßen zustande gekommene Tarifverträge blieben als Gefälligkeitstarife für die Beurteilung der Tariffähigkeit der Organisation außer Betracht. Für eine Kollusion und damit für einen Gefälligkeitstarif spre96 BAG 28. 3. 2006 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 4 (Henssler/Heiden), Rn. 46 f.; s. zum Zusammenhang zwischen Tarifdispositivität und Tariffähigkeitsvoraussetzung der sozialen Mächtigkeit auch schon Reuter, Anm. zu BAG 15. 3. 1977 JuS 1977, 482 (483). 97 s. dazu Wank, RdA 2008, 257 (267 ff., 270 ff.). 98 Buschmann, FS Richardi, S. 93 (97 f.); s. auch aus Sicht von ver.di Bsirske, Industrielle Beziehungen 2008, 414; treffend zu diesen Zusammenhängen jetzt auch Deinert, NZA 2009, 1176 (1179 f.): race to the bottom (mit Blick insbesondere auf die Zeitarbeitsbranche). 99 Buschmann, FS Richardi, S. 93 (98); s. auch Preis/Greiner, ZfA 2009, 825 (840). 100 BAG 28. 3. 2006 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 4 (Henssler/Heiden), Rn. 66; s. dazu auch Wank, RdA 2008, 257 (268, 271 f.). 101 Vgl. BAG 28. 3. 2006 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 4 (Henssler/Heiden), Rn. 66. 102 Buschmann, FS Richardi, S. 93 (98).
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chende Anhaltspunkte können nach dem 1. Senat u. a. dann gegeben sein, wenn in einem Tarifvertrag unter Ausnutzung einer gesetzlichen Tariföffnungsklausel gesetzliche Mindestbedingungen ohne Kompensation unterschritten werden oder ein besonders krasses Missverhältnis zwischen den vereinbarten Leistungen vorliegt.103 Sollte die Rechtsprechung die Anforderungen an die Durchsetzungsfähigkeit in Zukunft noch weiter senken, könnte es nötig werden, neu über ein Repräsentativitätserfordernis als Voraussetzung der gesetzesverdrängenden Wirkung eines Tarifvertrages nachzudenken. Das funktionsgerecht verstandene und gehandhabte Mächtigkeitserfordernis104 aber lässt ein zusätzliches betriebsbezogenes Repräsentativitätserfordernis – mindestens im Verein mit dem weiteren, sogleich darzustellenden Regulativ der Begrenzung der Abweichungsbefugnis der Tarifvertragsparteien durch ihre Bindung an die grundlegenden gesetzlichen Wertentscheidungen – überzogen erscheinen. bb) Grenzen der Abweichungsbefugnis der Tarifvertragsparteien Als Schutz vor tarifvertraglichen Regelungen, die in nicht mehr vertretbarem Maße zu Lasten der Arbeitnehmer von tarifoffenem Arbeitnehmerschutzrecht abweichen, wirkt nicht nur das Erfordernis der sozialen Mächtigkeit. Vielmehr ist die Befugnis der Tarifvertragsparteien, von tarifdispositivem Gesetzesrecht abzuweichen, einer immanenten Begrenzung unterworfen.105 (1) Allgemeine Leitlinie Nach zutreffender, am Zweck tarifdispositiver Gesetzesnormen ansetzender Auslegung ist den gesetzlichen Tariföffnungsklauseln eine Schranke dergestalt immanent, dass tarifvertragliche Abweichungen von tarifdispositivem Gesetzesrecht die dem jeweiligen Gesetz zugrunde liegenden Schutzgedanken beachten und sich im Rahmen der jeweiligen gesetzlichen Wertordnung halten, d. h. stets insgesamt dem „Geiste des Gesetzes“106 oder der „Politik des Gesetzes“107 entsprechen müssen.108 Der tarifdispositive Charakter einer Gesetzesnorm dispen103 BAG 28. 3. 2006 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 4 (Henssler/Heiden), Rn. 69; dazu jetzt im hiesigen Zusammenhang auch Deinert, NZA 2009, 1176 (1180). 104 Im Einzelnen Wank, RdA 2008, 257 (267 ff.); zu möglicherweise erforderlichen Modifikationen im Bereich der Leiharbeitstarifverträge s. nochmals die Nachweise oben Teil 3, Kapitel 1, Fn. 278. 105 s. ferner zu Schranken der Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien insbesondere im Urlaubsrecht (§ 13 BUrlG) unter dem Aspekt eines Verbots mittelbarer Eingriffe in unabdingbare Grundvorschriften Bock, Tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht, S. 134 ff. sowie bereits Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 187 (Fn. 322), 190 f. 106 Wiedemann, Anm. zu BAG 5. 8. 1971 AP BGB § 622 Nr. 10, unter 2. a).
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siert nicht von den Wertungsgrundlagen des Gesetzesrechts;109 Dispositionsfreiheit ist den Tarifvertragsparteien nur hinsichtlich der Einzelausformung eingeräumt.110 Es lässt sich unterscheiden zwischen dem tarifzwingenden Grundgedanken oder „Kern“ einer Arbeitnehmerschutzvorschrift einerseits und ihrer tarifdispositiven rechtstechnischen Ausformung andererseits.111 Für den nötigenfalls durch Auslegung zu ermittelnden112 Umfang der Tarifdispositivität eines gesetzlichen Schutzregimes heißt das, dass der Schutzzweck des jeweiligen Gesetzes ein restriktives Verständnis erzwingen kann.113 Dahinter steht die Erkenntnis, dass die teleologische Grundlage der Tarifdispositivität114 weniger in der Anerkennung einer „Normsetzungsprärogative“ der Tarifpartner und der Stärkung der Tarifautonomie zu sehen ist115, sondern in einer
107 Wiedemann/Wiedemann, Einl. Rn. 199. – Einer – gelegentlich geforderten – Anerkennung der „Politik des Gesetzes“ als eigenes Auslegungskriterium neben dem Zweck des Gesetzes (dafür Steindorff, FS Larenz, S. 217 [231 ff.] für das Wirtschaftsrecht) soll hier durch die Verwendung des Begriffes nicht das Wort geredet werden. Es handelt sich um nicht mehr als um eine plastische Beschreibung der Notwendigkeit einer teleologischen Gesetzesauslegung, s. F. Bydlinski, Methodenlehre, S. 597; Larenz/ Canaris, Methodenlehre, S. 153; Wank, Begriffsbildung, S. 77 f.; zur demnach maßgeblichen teleologischen Grundlage der Tarifdispositivität s. sogleich im Text. Auch Steindorff, a. a. O., S. 231 relativiert die Forderung nach einem eigenen Auslegungskriterium der „Politik des Gesetzes“ insofern, als er „mindestens eine quantitativ erhöhte Berücksichtigung teleologischer Interpretation“ für angemessen hält; dies aber deckt sich mit dem ohnehin anzuerkennenden Postulat, bei der Gesetzesauslegung den Zweck den Ausschlag geben zu lassen, s. die Nachweise oben Teil 3, Kapitel 2, dort Fn. 63. 108 BAG 25. 1. 1989 AP BeschFG 1985 § 2 Nr. 2 (Berger-Delhey), unter III. 1. der Gründe; JKO/Krause, § 1 Rn. 107; Thüsing/Pelzner, AÜG, § 3 Rn. 82; Wiedemann/ Wiedemann, Einl. Rn. 388; zustimmend auch Schüren, FS 50 Jahre BAG, S. 877 (886); ders., JbArbR 41 (2004), 49 (60); ders./Behrend, NZA 2003, 521 (525); s. auch Gamillscheg, RdA 1968, 407 (409); jüngst Deinert, NZA 2009, 1176 (1180); Fuchs, NZA 2009, 57 (62 f.); s. auch Waas, ZESAR 2009, 207 (211). 109 In diesem Sinne zuletzt Fuchs, NZA 2009, 57 (62 f.); J. Ulber, NZA 2009, 232 (235 ff.); Waltermann, NZA 2010, 482 (485 f.). 110 BAG 25. 1. 1989 AP BeschFG 1985 § 2 Nr. 2 (Berger-Delhey), unter III. 1. der Gründe; Fuchs, NZA 2009, 57 (62 f.); J. Ulber, § 9 Rn. 227; Wiedemann/Wiedemann, Einl. Rn. 388; ebenso aktuell Waltermann, NZA 2010, 482 (486). 111 Vgl. Canaris, GS Dietz, S. 199 (218 f.); Ganter, Tarifvertragliche Regelung betrieblicher Fragen, S. 125. 112 Ganter, Tarifvertragliche Regelung betrieblicher Fragen, S. 126; JKO/Krause, § 1 Rn. 107; Wiedemann/Wiedemann, Einl. Rn. 388; ders., Anm. zu BAG 5. 8. 1971 AP BGB § 622 Nr. 10, unter 2. a). 113 Für eine entsprechende Zweifelsregel Kempen/Zachert/Kempen, Grundl. Rn. 290 m.w. N.; vgl. auch Buschmann, FS Richardi, S. 93 (106): „keine Negativabweichungen ad infinitum“; MüArbR/Rieble/Klumpp, § 169 Rn. 135: Tarifparteien dürfen den Schutzzweck des Gesetzes nicht völlig außer Acht lassen. 114 s. dazu auch Waas, FS Birk, S. 899 (901 f., 912); für das AÜG luzide jüngst Waltermann, NZA 2010, 482 (485 f.). 115 In diese Richtung aber allgemein Gamillscheg, KollArbR I, § 16 V. 1. a), S. 698; Kempen/Zachert/Kempen, Grundl. Rn. 287; s. auch Richardi, FS Scholz, S. 337 (348);
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erleichterten Anpassung der gesetzlichen Lage an branchen- oder betriebsbedingte Besonderheiten.116 Diese begrenzte Zwecksetzung schließt einschneidende Veränderungen der gesetzlichen Konzeption aus.117 Die Tarifparteien sind nicht zu beliebigen, sondern lediglich zu solchen Abweichungen ermächtigt, die das Schutzziel der abbedungenen Regelung in einer den Gegebenheiten des sachlichen, räumlichen und personellen Geltungsbereichs des Tarifvertrags angepassten Weise verwirklichen.118 (2) Beispielhafte Einzelfälle Die konkreten Folgerungen aus dieser allgemeinen Leitlinie sind umstritten.119 Zur Veranschaulichung zwei Beispiele: (a) Staffelung der Kündigungsfristen nach der Beschäftigungsdauer Konkret soll etwa nach einer teilweise vertretenen Meinung der in § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB verankerte Grundsatz, die Kündigungsfristen nach der Beschäftigungsdauer des Arbeitnehmers zu staffeln, trotz der von § 622 Abs. 4 Satz 1 BGB angeordneten Tarifoffenheit des Gesetzes der Disposition durch die Tarifparteien entzogen sein. Der Wille des Gesetzgebers, älteren Arbeitnehmern aufgrund ihrer erhöhten Schutzbedürftigkeit eine längere Kündigungsfrist einzuräumen, sei auch von den Tarifparteien zu respektieren.120 Dem ist im Grundsatz zuzustimmen.121 Bei einer normzweckorientierten Auslegung der gesetzlichen Tariföffnungsklausel des § 622 Abs. 4 Satz 1 BGB erfür § 622 Abs. 4 BGB KR/Spilger, § 622 BGB Rn. 208; KDZ/Zwanziger, § 622 BGB Rn. 16. Dezidiert in diesem Sinne jetzt Thüsing, ZfA 2008, 590 (595). 116 s. etwa für § 622 Abs. 4 BGB MüKoBGB/D. Hesse, § 622 Rn. 42a; ErfK/Müller-Glöge, § 622 BGB Rn. 19, 28; RGRK/Röhsler, § 622 Rn. 78; für § 9 Nr. 2 AÜG J. Ulber, NZA 2009, 232 (236). Nur in zweiter Linie anerkannt von Thüsing, ZfA 2008, 590 (596). Vgl. zum hiesigen Verständnis des tarifdispositiven Gesetzesrechts auch Reuter, FS Schaub, S. 605 (614) und dens., FS Wiedemann, S. 449 (474): Tarifparteien als „verlängerte Arme des Staates“ (zu § 7 ArbZG). 117 Instruktiv Bock, Tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht, S. 144 ff. unter akribischer Auswertung der Gesetzesmaterialien. 118 Reuter, DZWiR 1995, 353 (359); s. auch dens., FS Wiedemann, S. 449 (474) sowie jüngst dens., SchlHA 2007, 413 (418): Abweichungsbefugnis der Tarifvertragsparteien begrenzt durch den „Wertungsgehalt der abbedungenen gesetzlichen Schutznormen“. 119 Zum Meinungsstand s. Bock, Tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht, S. 135 ff., 147 ff. 120 s. im Einzelnen, teils noch zu § 622 Abs. 3 BGB a. F.: LAG Hamm 2. 7. 1970 DB 1970, 1446 (1447); Canaris, GS Dietz, S. 199 (218 f.); Kasseler Handbuch/Isenhardt, 1.3 Rn. 197; Kempen/Zachert/Kempen, Grundl. Rn. 290; JKO/Krause, § 1 Rn. 107; KR/ Spilger, § 622 BGB Rn. 214; MüArbR/Wank, 1. Aufl. 1993, § 116 Rn. 93; Wiedemann, Anm. zu BAG 5. 8. 1971 AP BGB § 622 Nr. 10, unter 2. a).
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scheint jedoch eine ausnahmslose Bindung der Tarifvertragsparteien an das gesetzliche Modell der Staffelung der Kündigungsfristen nach der Beschäftigungsdauer nicht zwingend, eine differenzierende Betrachtung vielmehr möglich und geboten. Wenn der Zweck der tarifdispositiven Ausgestaltung gesetzlicher Arbeitnehmerschutzvorschriften in erster Linie darin liegt, die Anpassung der gesetzlichen Lage an branchen-, aber auch an betriebsbedingte Besonderheiten zu erleichtern122, dann könnte eine vermittelnde Lösung darin bestehen, eine Ausnahme von der grundsätzlichen Bindung der Tarifvertragsparteien an die gesetzgeberische Grundentscheidung für eine Staffelung der Kündigungsfristen nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit (nur) für kleinere Betriebe zuzulassen. Insoweit könnte § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB zugunsten der Tarifparteien und – vor allem – zugunsten betriebsnaher, typischen Erfordernissen kleinerer Betriebe Rechnung tragender Lösungen vollständig, also auch hinsichtlich der Entscheidung für eine Staffelung, tarifdispositiv gestellt werden. So hatten die Arbeitsgerichte über die Regelung zu den Kündigungsfristen im Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer und Angestellten des Kraftfahrzeuggewerbes in Bayern vom 7. 2. 1994 in der Fassung vom 5. 4. 2004 zu entscheiden. Dieser Manteltarifvertrag sieht vor, dass die Frist für eine arbeitgeberseitige Kündigung in Betrieben/Betriebsstätten mit in der Regel mindestens 20 Arbeitnehmern bei einer Betriebszugehörigkeit von fünf Jahren zwei, von acht Jahren drei, von zehn Jahren vier, von zwölf Jahren fünf, von 15 Jahren sechs und von 20 Jahren sieben Monate jeweils zum Ende eines Kalendermonats beträgt. Für alle anderen, also für die kleineren Betriebe, statuiert der Tarifvertrag dagegen eine Staffelung der Kündigungsfrist nur innerhalb der ersten sechs Monate der Betriebszugehörigkeit (während der ersten drei Monate der Beschäftigung: zwei Wochen; während des vierten bis sechsten Beschäftigungsmonats: vier Wochen, jeweils zum Schluss des Kalendermonats). Für Arbeitnehmer in kleineren Betrieben mit einer Betriebszugehörigkeitsdauer von über sechs Monaten wird eine einheitliche Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Schluss eines Kalendermonats festgeschrieben. Mit dem Vorbringen, ein Tarifvertrag nach § 622 Abs. 4 Satz 1 BGB müsse wenigstens Abstufungen zwischen der Grundkündigungsfrist und den verlängerten Kündigungsfristen für ältere Arbeitnehmer vorsehen, mit denen dem gesetzgeberischen Gedanken der Verlängerung der Kündigungsfrist für ältere Arbeit121 A. A. allerdings die wohl h. L.: Bengelsdorf, NZA 1991, 121 (128); Bock, Tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht, S. 154; MüKoBGB/D. Hesse, § 622 Rn. 48; Joussen, SAE 2009, 55 (56 f.); APS/Linck, § 622 BGB Rn. 113; Müller-Glöge, FS Schaub, S. 497 (500); ErfK/Müller-Glöge, § 622 BGB Rn. 22; Richardi, ZfA 1971, 73 (87 f.); RGRK/Röhsler, § 622 Rn. 92; wohl auch Löwisch/Rieble, § 1 Rn. 885. 122 s. allgemein Bock, Tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht, S. 145 ff.; speziell zu § 622 Abs. 4 Satz 1 BGB MüKoBGB/D. Hesse, § 622 Rn. 42a; Joussen, SAE 2009, 55; ErfK/Müller-Glöge, § 622 BGB Rn. 19, 28; RGRK/Röhsler, § 622 Rn. 78.
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nehmer Rechnung getragen werde, drang der in einem Betrieb mit in der Regel nicht mehr als zehn Arbeitnehmern beschäftigte Kläger in keiner Instanz durch – im Ergebnis zu Recht. Das LAG Nürnberg123 führte in zweiter Instanz aus, der Gedanke einer Bindung der Tarifparteien an eine „gesetzliche Leitidee“ komme in der gesetzlichen Regelung in keiner Weise zum Ausdruck. Allerdings enthält der betreffende Tarifvertrag selbst durchaus eine nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit differenzierende Regelung der Kündigungsfristen, namentlich für Betriebe mit mindestens 20 Arbeitnehmern. Richtigerweise ist diese tarifliche Lösung nicht zu beanstanden, so dass dem LAG und dem BAG, das dessen Entscheidung mittlerweile bestätigt hat124, im Ergebnis beizupflichten ist. Richtigerweise ist aber dahingehend zu differenzieren125, dass den Tarifvertragsparteien ein Abstandsgebot für die Regelung der Kündigungsfristen für länger beschäftigte Arbeitnehmer im Vergleich zur Grundkündigungsfrist zwar nicht für kleinere, aber für größere Betriebe aufgegeben ist. Im entschiedenen Fall konnte also die Frage nach einer Verpflichtung der Tarifparteien zur Staffelung der Kündigungsfristen nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit verneint werden, da es sich um einen kleineren Betrieb mit in der Regel nicht mehr als zehn Arbeitnehmern handelte; für größere Betriebe hingegen dürfte sie zu bejahen sein. Auf die für eine solche differenzierende Auslegung sprechenden Gesichtspunkte weist das LAG hin: Die Unterscheidung nach der Betriebsgröße begegne unter Berücksichtigung der Einschätzungsprärogative und des weiten Gestaltungsspielraums der Tarifparteien keinen Bedenken hinsichtlich des Gleichbehandlungsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber habe in § 622 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BGB, wenn auch nur für die Grundkündigungsfrist des Abs. 1, selbst auf das Größenmaß von zwanzig beschäftigten Arbeitnehmern abgestellt und dadurch anerkannt, dass in Kleinbetrieben ein Bedürfnis nach flexibleren Regelungen bestehen könne. Auch in anderen Vorschriften differenziere das Gesetz zugunsten der Kleinbetriebe, so im Hinblick auf das Eingreifen des allgemeinen gesetzlichen Kündigungsschutzes erst ab einer bestimmten Betriebsgröße in § 23 Abs. 1 KSchG. Es sei kein Grund dafür erkennbar, derlei vom Gesetzgeber selbst vorgenommene Differenzierungen den Tarifparteien zu versagen. Vieles spreche dafür, dass die Parteien des besagten Manteltarifvertrages mit ihrer nach der Arbeitnehmerzahl unterscheidenden Regelung für den Bereich des Kraftfahrzeuggewerbes, in dem viele Kleinbetriebe existierten, ein starkes Bedürfnis für Flexibilität die-
123
LAG Nürnberg 5. 12. 2006 – 6 Sa 450/06 –, juris. BAG 23. 4. 2008 AP BGB § 622 Nr. 65; zustimmend Joussen, SAE 2009, 55 ff. 125 Ob LAG Nürnberg und BAG die hier für richtig befundene Differenzierung befürworten oder einen tarifvertraglichen Verzicht auf eine Staffelung der Kündigungsfristen nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit unabhängig von der Betriebsgröße für wirksam halten (oder, als dritte Möglichkeit, die Frage offen lassen wollten), lässt sich den Entscheidungen nicht eindeutig entnehmen; unklar auch MüKoBGB/D. Hesse, § 622 Rn. 48; s. aber auch Joussen, SAE 2009, 55 (57 ff.). 124
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ser Kleinbetriebe auch im Hinblick auf die Möglichkeit berücksichtigen wollten, sich etwa bei Konjunkturschwankungen auch von länger beschäftigten Arbeitnehmern vergleichsweise schnell trennen zu können, ohne die Existenz des Betriebes zu gefährden. Dies sind vernünftige Erwägungen; sie treffen aber nur auf kleinere Betriebe zu. Für größere Betriebe, bei denen der ein oder andere Monat, für den der Arbeitgeber einen gekündigten, langjährig beschäftigten Arbeitnehmer länger bezahlen muss, regelmäßig nicht gleich die wirtschaftliche Existenz erschüttert, ist dagegen mit der oben dargestellten Literaturansicht daran festzuhalten, dass auch im Rahmen des § 622 Abs. 4 Satz 1 BGB eine Bindung der Tarifvertragsparteien an die der gesetzlichen Regelung zugrunde liegenden Wertentscheidungen besteht. Hier ist der erhöhten Schutzbedürftigkeit älterer Arbeitnehmer, die es typischerweise wesentlich schwerer haben als jüngere Arbeitnehmer, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, Vorrang gegenüber dem Flexibilitätsinteresse des Arbeitnehmers bei Kündigungen einzuräumen. (b) Gleichbehandlung von Leih- mit Stammarbeitnehmern beim Entgelt Eine Verpflichtung der Tarifvertragsparteien auf die gesetzgeberische Grundentscheidung besteht nach wohl überwiegender Ansicht für den equal-pay-Grundsatz im Arbeitnehmerüberlassungsrecht. Gemäß § 9 Nr. 2 Teilsatz 1 AÜG sind Vereinbarungen, die für einen Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an einen Entleiher schlechtere als die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts vorsehen, unwirksam; der Leiharbeitnehmer kann dann nach § 10 Abs. 4 AÜG von dem Verleiher die Gewährung der im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts verlangen. Dieser Grundsatz der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern mit vergleichbaren Arbeitnehmern des Entleihers beim Entgelt und sonstigen wesentlichen Arbeitsbedingungen (equal pay/equal treatment) wird gewerberechtlich flankiert durch § 3 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 AÜG, wonach die gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG erforderliche Verleiherlaubnis oder ihre Verlängerung zu versagen ist, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller gegen das Diskriminierungsverbot verstößt. Der Gesetzgeber hat das Gleichbehandlungsgebot tarifdispositiv ausgestaltet, s. §§ 3 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2, 9 Nr. 2 Teilsatz 3 AÜG: Ein Tarifvertrag kann abweichende Regelungen zulassen. Entgegen dem missverständlichen Gesetzeswortlaut („zulassen“) kann der Tarifvertrag nicht nur den Parteien des Arbeitsverhältnisses und/oder den Betriebspartnern das Recht einräumen, die Abweichungen durch arbeitsvertragliche Vereinbarung oder durch Betriebsvereinbarung vorzunehmen,
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sondern ebenso – wie sich auch aus § 19 Satz 2 AÜG („regelt“) schließen lässt – selbst die abweichenden Regelungen treffen.126 Geht man mit der hier zugrunde gelegten Ansicht davon aus, dass tarifvertragliche Abweichungen vom tarifoffenen Arbeitnehmerschutzrecht die zugrunde liegenden gesetzlichen Wertentscheidungen zu respektieren haben und Dispositionsfreiheit lediglich hinsichtlich der Einzelausformung besteht, dann wird durch das gesetzliche Diskriminierungsverbot ein Rahmen gezogen, den die Tarifpartner gestalten, aber nicht verlassen können.127 Eine „nach unten offene“ Befugnis, ein eigenes tarifliches „Billigniveau“ der Zeitarbeit zu etablieren, ist mit dem gesetzlichen Schutzzweck nicht zu vereinbaren.128 Soweit zur Begründung auf eine Entscheidung des 5. Senats des BAG vom 13. 3. 2002129 hingewiesen wird130, geht dies zwar fehl131; dass tarifvertragliche Abweichungen aufgrund einer gesetzlichen Tariföffnungsklausel im Allgemeinen nur unter Beachtung des dem Gesetz zugrunde liegenden Schutzgedankens möglich sind und Dispositionsfreiheit nur hinsichtlich der Einzelausformung besteht, hatte derselbe Senat aber bereits im Jahre 1989 festgestellt.132 Was aus diesen allgemeinen Maßgaben für die Grenzen der Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien hinsichtlich der Entlohnung von Leiharbeitnehmern 126 Boemke/Lembke, § 9 Rn. 116 m.w. N.; Löwisch/Rieble, § 1 Rn. 340; Thüsing/ Pelzner, AÜG, § 3 Rn. 80; Thüsing/Lembke, ZfA 2007, 87 (91); J. Ulber, § 9 Rn. 197. Teilweise wird sogar angenommen, der Tarifvertrag müsse die abweichende Regelung selbst treffen und dürfe sich nicht darauf beschränken, nur abweichende Vereinbarungen zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer zu gestatten, s. Raab, ZfA 2003, 389 (409); im Ergebnis offen lassend Thüsing, DB 2003, 446 (448); a. A. Boemke/Lembke, § 9 Rn. 113; Pelzner, a. a. O. Zu den Vorgaben der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. 11. 2008 über Leiharbeit (ABlEU L 327 vom 5. 12. 2008, S. 9) in dieser Frage s. Waas, ZESAR 2009, 207 (211). 127 Schüren, FS 50 Jahre BAG, S. 877 (886); ders., JbArbR 41 (2004), 49 (59); ders./ Behrend, NZA 2003, 521 (525); s. auch JKO/Krause, § 1 Rn. 107; ErfK/Wank, § 3 AÜG Rn. 22: Bindung der Tarifverträge an die zugrunde liegende gesetzliche Wertentscheidung; ebenso Thüsing/Pelzner, AÜG, § 3 Rn. 82, die annähernd gleiche Arbeitsbedingungen fordert; s. ferner Reim, ZTR 2003, 106 (110); J. Ulber, § 9 Rn. 198; F. Bayreuther, BB 2005, 2633 (2639); zuletzt J. Ulber, NZA 2009, 232 (235); Deinert, NZA 2009, 1176 (1180); Waltermann, NZA 2010, 482 (485 f.); Blanke, DB 2010, 1528 (1531, mit Fn. 35). 128 Schüren, FS 50 Jahre BAG, S. 877 (887); ders., JbArbR 41 (2004), 49 (61); ders./ Behrend, NZA 2003, 521 (525); im Ansatz zustimmend Bock, Tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht, S. 156; J. Ulber, § 9 Rn. 234. 129 BAG 13. 3. 2002 AP EntgeltFG § 4 Nr. 58. 130 So Schüren, FS 50 Jahre BAG, S. 877 (886); ders., JbArbR 41 (2004), 49 (59); ders./Behrend, NZA 2003, 521 (525); J. Ulber, NZA 2009, 232 (236, mit Fn. 57; 238, mit Fn. 84). 131 Ausführlich und insoweit zutreffend Boemke/Lembke, § 9 Rn. 110; P. Hanau, ZIP 2003, 1573 (1577). 132 BAG 25. 1. 1989 AP BeschFG 1985 § 2 Nr. 2 (Berger-Delhey), unter III. 1. der Gründe.
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konkret folgt, ist nicht leicht zu sagen133, kann und muss hier aber auch nicht eruiert werden.134 Vorgeschlagen wurde, der Tariflohn für Leiharbeitnehmer müsse zusammen mit den tariflichen Lohnnebenleistungen eine Vergütung ergeben, die sich zumindest dem Einstiegsverdienst vergleichbarer Stammarbeitnehmer im Entleiherbetrieb annähert.135 In eine ähnliche Richtung geht die Forderung, die Arbeitsbedingungen dürften sich nicht allzu weit von dem Standard der Branchen entfernen, in denen üblicherweise Leiharbeitnehmer eingesetzt werden.136 Eine weitere Möglichkeit wäre es, den Entgeltrahmen zwar in weiterem Umfang nach unten freizugeben, für tarifliche Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz aber jeweils eine sachliche Rechtfertigung vorauszusetzen.137 Im Grundsatz bestätigt wird die teleologisch begrenzende Auslegung der tarifdispositiven Ausgestaltung des arbeitnehmerüberlassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes nunmehr durch die Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit.138 Zunächst korrespondiert das Verständnis des Richtliniengebers von der teleologischen Grundlage der Tarifdispositivität mit der hier vertretenen Auffassung, dass hinter der Öffnung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für abweichende tarifvertragliche Regelungen weniger die Anerkennung einer „Normsetzungsprärogative“ der Tarifpartner und die Stärkung der Tarifautonomie stehen als vielmehr die Nutzbarmachung der Möglichkeit der Tarifparteien zur erleichterten Anpassung 133
Vgl. H. Otto, FS Konzen, S. 663 (670 f.). s. dazu auch Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 41 ff., die nur § 138 Abs. 1 BGB als Grenze sieht; zu § 138 BGB in diesem Zusammenhang zuletzt J. Ulber, NZA 2009, 232 (237 f.). 135 Schüren, FS 50 Jahre BAG, S. 877 (886 f.); ders., JbArbR 41 (2004), 49 (61); ders./Behrend, NZA 2003, 521 (525); dagegen Bock, Tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht, S. 156 und S. 420 ff.; ablehnend auch F. Bayreuther, BB 2005, 2633 (2639); Boemke/Lembke, § 9 Rn. 110 f.; W. Böhm, DB 2003, 2598; P. Hanau, ZIP 2003, 1573 (1577); Thüsing/Mengel, AÜG, § 9 Rn. 44; HWK/Kalb, § 3 AÜG Rn. 37; Raab, ZfA 2003, 389 (409 f.); Sandmann/Marschall, Stand: November 2008, Art. 1 § 3 Anm. 21h; Thüsing/Lembke, ZfA 2007, 87 (96); differenzierende Würdigung bei J. Ulber, § 9 Rn. 241; s. auch H. Otto, FS Konzen, S. 663 (670 f.); J. Ulber, NZA 2009, 232 (236 ff.). 136 Raab, ZfA 2003, 389 (410); s. auch J. Ulber, § 9 Rn. 231; dens., NZA 2009, 232 (236 ff.); gegen jede Begrenzung der Abweichungsbefugnis aber z. B. KDZ/Zwanziger, §§ 3, 9 AÜG Rn. 12; offenbar auch Boemke/Lembke, § 9 Rn. 111; Thüsing/Mengel, AÜG, § 9 Rn. 44; Thüsing/Lembke, ZfA 2007, 87 (96); ferner P. Hanau, ZIP 2003, 1573 (1577), nach dem die Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern nicht zur gesicherten gesetzlichen Wertordnung gerechnet werden kann. 137 So J. Ulber, AuR 2003, 7 (12), der vor allem an eine Rechtfertigung unter dem Aspekt der Reintegration Arbeitsloser in das Erwerbsleben denkt; s. auch dens., § 9 Rn. 229, 232, 234, 240 f.; dens., NZA 2009, 232 (237 f.) zu § 138 BGB; ihm folgend Bock, Tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht, S. 156, 422 f.; s. auch jüngst Blanke, DB 2010, 1528 (1531, mit Fn. 35). 138 ABlEU L 327 vom 5. 12. 2008, S. 9. 134
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der gesetzlichen Lage an branchen- oder betriebsbedingte Besonderheiten. Dies kommt in Begründungserwägung Nr. 16 zum Ausdruck, wo es heißt, den Mitgliedstaaten werde die Möglichkeit eingeräumt, den Sozialpartnern zu gestatten, Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern festzulegen, „(u)m der Vielfalt der Arbeitsmärkte und der Arbeitsbeziehungen auf flexible Weise gerecht zu werden“. Konsequent wird dies bereits in der genannten Begründungserwägung mit dem Hinweis auf eine in Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie verankerte Begrenzung der Abweichungsbefugnis der Tarifvertragsparteien verbunden, wonach die Mitgliedstaaten den Sozialpartnern die Möglichkeit einräumen können, auf der geeigneten Ebene und nach Maßgabe der von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen139 durch Tarifvertrag vom Gleichbehandlungsgrundsatz des Abs. 1 abzuweichen, aber nur „unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern“. Ein gesetzlicher Umsetzungsbedarf für das deutsche Recht140 entsteht daraus bei Beachtung der teleologisch basierten, begrenzenden Auslegung der Tariföffnungsklauseln des AÜG nicht141; die Rechtsprechung wird allerdings die allgemeine Vorgabe, die sich nach hiesiger Ansicht bereits de lege lata aus der Bindung der Tarifvertragsparteien an die zugrunde liegende gesetzliche Wertentscheidung (equal pay/treatment) und nunmehr jedenfalls aus der Forderung der Richtlinie nach „Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitneh139 Mit Recht weist Waas, ZESAR 2009, 207 (211) in diesem Zusammenhang für das deutsche Recht auf die Notwendigkeit einer sorgsamen Prüfung der Tariffähigkeit der am Abschluss beteiligten Gewerkschaften hin. 140 Dazu Blanke, DB 2010, 1528 (1529 ff.) m.w. N.; Düwell/Dahl, DB 2009, 1070 (1073); Fuchs, NZA 2009, 57 (61 ff.); Lembke, BB 2010, 1533 (1539 f.); Waas, ZESAR 2009, 207 (211); Waltermann, NZA 2010, 482 (484 f., 487); s. auch jüngst Wank, RdA 2010, 193 (202 f.). 141 Eine Notwendigkeit für eine gesetzgeberische Anpassung des AÜG in diesem Punkt sieht letztlich wohl auch Fuchs, NZA 2009, 57 (61 ff.) nicht; er stellt zwar zunächst (S. 61) fest, die jetzige Fassung der Tariföffnungsklauseln in §§ 3 und 9 AÜG stehe weder mit Wortlaut noch mit Sinn und Zweck von Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie in Einklang, da sie keinerlei Einschränkungen und keinerlei Zielrichtung der zugelassenen Abweichungen erkennen ließen und eine solche voraussetzungslose Dispositionsbefugnis der Tarifvertragsparteien vom Gemeinschaftsrecht nicht akzeptiert werde; zutreffend weist er aber sodann (S. 62 f.) darauf hin, dass eine Abweichung vom Grundsatz der Gleichbehandlung bereits de lege lata nicht uneingeschränkt zulässig, sondern die zugrunde liegende gesetzliche Wertordnung zu beachten und Dispositionsfreiheit lediglich hinsichtlich der Einzelausformung eingeräumt sei. Schon nach dem gegenwärtigen Recht müssten sich daher tarifliche Regelungen daran messen lassen, ob sie im Lichte der grundsätzlichen Geltung des Gleichbehandlungsgebotes ein angemessenes Schutzniveau erreichen. Die dem deutschen Gesetzgeber für die Richtlinienumsetzung gegebene Empfehlung, die tarifvertragliche Abweichungsbefugnis mit der Maßgabe zu verbinden, dass ein angemessenes Schutzniveau für Leiharbeiter erreicht werden müsse (a. a. O., S. 63), bezieht sich demnach auf eine rein klarstellende Regelung; eine Gesetzesänderung im deutschen Recht hält wohl auch Waas, ZESAR 2009, 207 (211) in diesem Punkt nicht für erforderlich, der sich auch auf Fuchs bezieht (Fn. 63); zum Ganzen nunmehr auch Blanke, DB 2010, 1528 (1529 ff.); Deinert, NZA 2009, 1176 (1180); Jacobs, ZfA 2010, 27 (49, dort Fn. 129); Lembke, BB 2010, 1533 (1540); Waltermann, NZA 2010, 482 (484 ff.).
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mern“ ergibt, konkretisieren müssen142, wobei sie sich an den oben dargestellten Vorschlägen aus der Literatur wird orientieren können.
C. Ergebnis I. Die Regulative „soziale Mächtigkeit“ und „Bindung der Tarifvertragsparteien an die den tarifoffenen Regelungen zugrunde liegenden gesetzlichen Wertentscheidungen“ lassen ein in den Tatbestand der tarifdispositiven Vorschriften hineingelesenes Erfordernis betriebsbezogener Repräsentativität des gesetzesverdrängenden Tarifvertrages oder der tarifschließenden Gewerkschaft obsolet erscheinen. Die Schutzfunktion verlangt eine solche Einschränkung nicht. Für eine entsprechende teleologische Reduktion fehlt es demnach an der nötigen „verdeckten“ Regelungslücke. Die nach den Entscheidungen des 4. und des 10. Senats des BAG vom 27. Januar, 23. Juni und 7. Juli 2010 veränderte tarifkollisionsrechtliche Lage in Gestalt der Freigabe von Tarifpluralitäten bewirkt daher dann keinen für die Auslegung gesetzlicher Tariföffnungsklauseln beachtlichen „Wandel des Normumfeldes“, wenn zum ersten an dem Kriterium der sozialen Mächtigkeit als Voraussetzung der Tariffähigkeit von Arbeitnehmerkoalitionen festgehalten und dieses Erfordernis (auch) künftig eine funktionsgerechte Handhabung durch die Arbeitsgerichte findet143 sowie zum zweiten bereits jetzt die Abweichungsbefugnis der Tarifvertragsparteien durch deren Bindung an die den tarifdispositiven Regelungen zugrunde liegenden gesetzlichen Wertentscheidungen begrenzt wird. Eine „Fernwirkung“ der Ablösung der Tarifeinheit im Betrieb durch die Akzeptanz von Tarifpluralitäten liegt hierin nicht, wenn man das Mächtigkeitserfordernis schlechthin, d. h. unabhängig von tarifkollisionsrechtlichen Überlegungen und auch nicht bloß im Bereich der tarifvertraglichen Verdrängung dispositiven Arbeitnehmerschutzrechts für zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems erforderlich hält144; und auch die Begrenzung der tarifvertraglichen Abweichungsmöglichkeit auf Änderungen, die das Schutzziel der abbedungenen Regelung in einer den Gegebenheiten des jeweiligen tarifvertraglichen Geltungsbereichs angepassten Weise verwirklichen, ist juristisch keine Frucht der Notwendigkeit der Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung: Die Debatte über die Zukunft der Tarifpluralität bildet vielmehr nur den Anlass, mit Nachdruck auf diese sich aus der teleologischen Grundlage der Tarifdispositivität ergebende Grenze hinzuweisen. Die begrenzte Zwecksetzung der
142 Vgl. auch Düwell/Dahl, DB 2009, 1070 (1073): Ob die bisherige Rechtsprechung der neuen gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe gerecht werde, sei zweifelhaft. 143 Zur funktionsgerechten Handhabung des Mächtigkeitserfordernisses im Einzelnen Wank, RdA 2008, 257 (267 ff.). 144 Zum Zusammenhang Wank, RdA 2008, 257 (267).
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Teil 3: Einpassung der Tarifpluralität in das Tarifrecht
Tariföffnungsklauseln schließt einschneidende Veränderungen der gesetzlichen Konzeption auch außerhalb der Pluralitätsfälle aus. Bei Beachtung dieser Vorgaben wirft die Tarifpluralität im Bereich des tarifdispositiven Gesetzesrechts keine Schwierigkeiten auf, die die Etablierung eines – das ohnehin geltende Erfordernis der Durchsetzungsfähigkeit ergänzenden – Erfordernisses einer auf den jeweiligen Betrieb bezogenen Repräsentativität des gesetzesverdrängenden Tarifvertrages oder der ihn schließenden Gewerkschaft im Wege der teleologischen Reduktion der Tatbestände der gesetzlichen Tariföffnungsklauseln oder gar eine partielle Konservierung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb durch fortgesetzte Tarifverdrängung rechtfertigen könnte. II. Sollte sich der Gesetzgeber durch die Änderung der bundesarbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zur Tarifpluralität in einem etwaigen Vertrauen darauf, dass das Tarifgeschehen durch die „großen Einheitsgewerkschaften“ geprägt werde145, enttäuscht sehen, so wird, wenn sich nicht ohnehin die auf eine gesetzliche Festschreibung der betrieblichen Tarifeinheit drängenden Kräfte durchsetzen, ein sparsamerer gesetzgeberischer Umgang mit Tariföffnungsklauseln zu überlegen sein.146 Allerdings wäre dann eine hier nicht weiter zu verfolgende literarische Debatte zu bedenken. Die h. M. bejaht nämlich – mit unterschiedlichen Begründungen und in unterschiedlicher Reichweite – eine Pflicht des Gesetzgebers zur tarifdispositiven Ausgestaltung arbeitsrechtlicher Gesetzesvorschriften.147 Im 145 Vgl. Gamillscheg, KollArbR I, § 16 V. 1. d), S. 700; s. ferner Kempen, FS 50 Jahre BAG, S. 733 (746 f.); dens. in Kempen/Zachert, § 2 Rn. 37, 49; dens., FS Hromadka, S. 177 (187); s. auch jüngst Dieterich, GS Zachert, S. 532 (535): Vertrauen des Gesetzgebers auf die Repräsentativität der Tarifvertragspartner; Dieterich appelliert daher konkret mit Blick auf das tarifdispositive Gleichstellungsgebot im AÜG an den Gesetzgeber, entweder den Tarifvorbehalt zu streichen oder wenigstens mehr zu verlangen als Tariffähigkeit, namentlich nur repräsentative Tarifverträge als erstreckungsfähig anzuerkennen, a. a. O. S. 542; s. auch Waltermann, NZA 2010, 482 (487) und dens., NZA 2010, 860 (863), der für eine Streichung der Möglichkeit der arbeitsvertraglichen Bezugnahme plädiert; ebenso Blanke, DB 2010, 1528 (1529 f.), der dies für durch die Richtlinie 2008/104/EG gefordert hält; skeptisch Wank, RdA 2010, 193 (203). 146 Zu rechtspolitischen Forderungen – vorgetragen etwa von P. Hanau, ZIP 1996, 447; dems., RdA 1998, 65 (68) – arbeitsrechtliche Vorschriften verstärkt für abweichende tarifvertragliche Regelungen zu öffnen, s. Bock, Tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht, S. 62 f.; zurückhaltend Konzen, Anm. zu BVerfG 4. 7. 1995 SAE 1996, 216 (219); s. auch aktuell aus Anlass der Novellierung des AEntG Preis/Greiner, ZfA 2009, 825 (839 ff.) versus Thüsing, ZfA 2008, 590 (594 ff.). 147 Ablehnend allerdings Canaris, GS Dietz, S. 199 (208 ff.); Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 6 I. 2., S. 57 und § 9 IV. 4. c), S. 102; Koop, Tarifvertragssystem, S. 324; Wiedemann/Wiedemann, Einl. Rn. 387 (s. aber auch Rn. 109). Ausführlich und die Möglichkeit einer Pflicht zu tarifdispositiver Regelung bejahend Bock, Tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht, S. 301 ff., insb. S. 322 ff., 348 ff., 365 ff.; konkrete Schlussfolgerungen de lege lata und ferenda auf S. 373 ff.; kritisch zu der Diskussion Buschmann, FS Richardi, S. 93 (102); s. zum Ganzen auch Henssler, ZfA 1998, 1 (18 ff.) sowie schon Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 184 ff. s. auch jüngst Thüsing, ZfA 2008, 590 (595 ff.).
Kap. 3: Tarifpluralität und tarifdispositives Gesetzesrecht
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Mittelpunkt der Argumentation steht dabei das Verhältnismäßigkeitsprinzip.148 Dieses, so wird geltend gemacht, bestimme das tarifdispositive Gesetz als den Regelfall149; konkret aus dem Gebot der Erforderlichkeit wird gefolgert, dass bei der Normierung gesetzlicher Arbeitsbedingungen deren zweiseitige Tarifdispositivität die erste Wahl sei, weshalb die „Tariffestigkeit“ der gesetzlichen Regelung dort, wo der Gesetzgeber in Konkurrenz mit den Tarifvertragsparteien den Arbeitnehmerschutz verfolgt, einer besonderen Rechtfertigung bedürfe.150 III. Unabhängig von dieser Problematik151 ist, dies sei nochmals betont, jedenfalls der Richter, da sich nach dem Vorstehenden spezifische Schwierigkeiten einer Tarifpluralität bei tarifoffenem Gesetzesrecht nicht haben ausmachen lassen, nicht dazu berufen, besondere Repräsentativitäts- oder sonstige Anforderungen im Wege der teleologischen Reduktion in die Tatbestände des tarifdispositiven Arbeitnehmerschutzrechtes hineinzulesen.
148 s. neben den in den folgenden Fußnoten Genannten auch A. Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 380 a. E.; anderer Ansatz bei Oetker, ZfA 2001, 287 (304 ff.), der im Ergebnis aber eine Pflicht zur Tarifdispositivität nicht anerkennt (S. 309 f.). 149 Badura, RdA 1974, 129 (135); s. ferner, neben den in den folgenden Fußnoten Genannten, Kittner/Zwanziger/Kittner/Deinert, § 16 Rn. 43, 45, 53, 58. 150 So früher MüArbR/Löwisch/Rieble, 2. Auflage 2000, § 244 Rn. 69 und § 246 Rn. 59; ferner dies., TVG, Grundl. Rn. 29; s. jetzt MüArbR/Rieble/Klumpp, § 169 Rn. 135: Die Tarifautonomie könne eine tarifdispositive Ausgestaltung als milderes Mittel gegenüber dem vollständig zwingenden Gesetz gebieten; s. auch, an Löwisch/Rieble anschließend, Waas, BB 2003, 2175 (2176), nach dem es „geradezu ein Gebot der Anerkennung der Tarifautonomie durch den Staat sein“ kann, „dass der Gesetzgeber für Eingriffe in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG die mildere Form tarifdispositiven Rechts wählt“. 151 Zu ihr zuletzt Waas, FS Birk, S. 899 (901 f., 905 ff.).
Teil 4
Einpassung der Tarifpluralität in das Betriebsverfassungsrecht – Tarifpluralität und Tarifvorrang und -vorbehalt nach §§ 87 Abs. 1 Eingangssatz, 77 Abs. 3 BetrVG Der Paradigmenwechsel von der Tarifeinheit zur Tarifpluralität zeitigt Rückwirkungen auch auf das Recht der Betriebsverfassung. Dies betrifft die Regelungen in § 77 Abs. 3 BetrVG, nach dessen Satz 1 Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein können, und der davon in Satz 2 eine Ausnahme für den Fall macht, dass ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt – sog. Tarifvorbehalt –, sowie im Eingangssatz des § 87 Abs. 1 BetrVG, wonach das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten nur besteht, soweit eine (gesetzliche oder) tarifliche Regelung nicht besteht – sog. Tarifvorrang.1
A. Tarifvorrang und -vorbehalt und die These von der normativen Verankerung der Tarifeinheit im Betrieb durch den einfachen Gesetzgeber I. Normative Verankerung der betrieblichen Tarifeinheit in § 77 Abs. 3 BetrVG? Ihre These, der Gesetzgeber habe zwischenzeitlich das Prinzip der Tarifeinheit im Betrieb normativ verankert, sehen Heinze und Ricken auch durch die Vorschrift des § 77 Abs. 3 BetrVG bestätigt. In § 2 Abs. 1 BetrVG unterstelle der Gesetzgeber mit der Pluralformulierung „im Betrieb vertretene(n) Gewerkschaften“ eine gewisse Gewerkschaftspluralität im Betrieb. Dies müsste ohne Annahme eines Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb zwangsläufig zu einer möglichen Tarifpluralität führen. Demgegenüber verwende aber das BetrVG, wenn es 1 Die Terminologie hinsichtlich der §§ 77 Abs. 3, 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG ist uneinheitlich. In der vorliegenden Untersuchung wird in Übereinstimmung mit dem wohl herrschenden Sprachgebrauch bei § 77 Abs. 3 BetrVG von Tarifvorbehalt gesprochen, während unter Tarifvorrang die Regelung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG verstanden wird.
Teil 4: Einpassung der Tarifpluralität in das Betriebsverfassungsrecht
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sich auf bestimmte Arten von Tarifverträgen wie z. B. Lohntarife beziehe, nicht den Plural; vielmehr heiße es z. B. in § 77 Abs. 3 BetrVG: „Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind . . .“. In dieser Norm habe daher der BetrVG-Gesetzgeber ebenso wie der Gesetzgeber des TVG2 den Grundsatz der Tarifeinheit verankert.3 1. Tarifeinheit im Betrieb und Wortlaut des § 77 Abs. 3 BetrVG In der Tat sagt zwar § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nicht, dass Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die „durch Tarifverträge“ geregelt sind (oder üblicherweise geregelt werden), der Regelungsbefugnis der Betriebsparteien entzogen sind. Er sagt aber auch nicht, dass die Betriebspartner sich dann einer Regelung durch Betriebsvereinbarung enthalten müssen, wenn die betreffenden Arbeitsbedingungen „durch einen Tarifvertrag“ geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, sondern eben, dass sie bei einer Regelung (oder Regelungsüblichkeit) „durch Tarifvertrag“ keine Regelungsbefugnis haben. Der Wortlaut stellt sich somit hinsichtlich der Frage, ob der Gesetzgeber von Tarifeinheit oder möglicher Tarifpluralität im Betrieb ausging, eher als offen dar.4 Noch zweifelhafter wird die These einer Verankerung der Tarifeinheit im Betrieb in § 77 Abs. 3 BetrVG, wenn man Satz 2 der Vorschrift in die Betrachtung einbezieht. Dort heißt es, dass der Tarifvorrang dann nicht gilt, „wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt“. Wäre indes der Gesetzgeber bei der Formulierung von Satz 1 von der betrieblichen Tarifeinheit ausgegangen, so hätte es näher gelegen, die Ausnahme vom Tarifvorrang so zu formulieren, dass dieser dann nicht gelte, wenn „der Tarifvertrag“ (namentlich also „der“ Tarifvertrag des Satzes 1) eine Öffnungsklausel für ergänzende Regelungen der Betriebsparteien enthält. Dies mag spitzfindig erscheinen. Das aber liegt daran und belegt gleichzeitig, dass bereits die Ausgangsthese, aus dem Wortlaut des § 77 Abs. 3 BetrVG lasse sich überhaupt etwas für die Frage der Tarifeinheit im Betrieb herleiten, auf einer Überinterpretation dieser Vorschrift fußt. 2. Tarifeinheit im Betrieb und Regelungszweck des § 77 Abs. 3 BetrVG Der Wortlaut der Regelung zum betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorbehalt stellt sich demnach als für unsere Frage unergiebig dar. Einen weiteren Aspekt, 2 Zu der These von der normativen Verankerung der Tarifeinheit im Betrieb im TVG s. schon oben Teil 1, Kapitel 3, unter C. I. und II. 1. 3 Heinze/Ricken, ZfA 2001, 159 (175). 4 Wie hier Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 100; ebenso jetzt Greiner, Rechtsfragen, S. 276.
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Teil 4: Einpassung der Tarifpluralität in das Betriebsverfassungsrecht
namentlich die teleologische Dimension, hat Bayreuther in die Diskussion eingebracht. Auch er setzt bei der Pluralformulierung des § 2 Abs. 1 BetrVG an. Aus der darin zum Ausdruck kommenden Tatsache, dass im Betrieb mehrere Gewerkschaften vorhanden sein können, ergebe sich fast zwangsläufig, dass dort auch mehrere Tarifverträge vorherrschen können. Diesen Eindruck sieht er, anders als Heinze und Ricken, nicht durch § 77 Abs. 3 BetrVG widerlegt. Vielmehr sei dieser, ebenso wie § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG, für die Frage der Tarifeinheit oder Tarifpluralität ohne größere Aussagekraft. Bei ihnen gehe es vorrangig um den Schutz der Gewerkschaften vor einer Konkurrenz durch die Betriebsparteien. Die §§ 77, 87 BetrVG regelten mithin das Verhältnis zwischen „rangverschiedenen“ Organisationen und Regelungen. Für die Auflösung einer Gewerkschaftskonkurrenz und der sich daraus ergebenden Mehrheit ranggleicher Normen gäben sie dagegen nichts her.5 Bayreuther geht aber sogar noch einen Schritt weiter: Nehme man den Regelungszweck der §§ 77, 87 BetrVG ernst, so habe sich nicht das Tarifrecht am Betriebsverfassungsrecht zu orientieren, sondern umgekehrt das Betriebsverfassungsrecht am Tarifrecht. Die Betriebsverfassung müsste ihrerseits Kollisionslagen, die sich aus einem Gewerkschafts- und Tarifwettbewerb ergeben, hinnehmen.6 Darauf wird später noch zurückzukommen sein. Die These der normativen Verankerung der Tarifeinheit in § 77 Abs. 3 BetrVG hat demnach weder Wortlaut noch, jedenfalls bei einer ersten, kursorischen Prüfung, Telos der Vorschrift auf ihrer Seite. II. Normative Verankerung der betrieblichen Tarifeinheit in § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG? Auch auf § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG stützen Heinze und Ricken ihre These. Dieser zeige bei systematischer und teleologischer Auslegung eindeutig auf, dass der Gesetzgeber den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb im einfachen Gesetzesrecht zwingend verankert habe, da ansonsten jegliche Mitbestimmung des Betriebsrats unterlaufen werde.7 Ohne den Grundsatz der betrieblichen Tarifeinheit sei § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG funktionslos, da dann in den Betrieben, je nach Tarifbindung der Arbeitnehmer, unterschiedliche Arbeitsbedingungen gelten würden, weil unterschiedliche Tarifverträge Geltung beanspruchten.8 5
F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 380; Hervorhebung nicht im Original. F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 380 f. Das hatte vor ihm im Zusammenhang mit § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG bereits Rieble gesehen, s. Anm. zu BAG 22. 3. 1994 EzA TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 10, S. 12 (18); Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1799; Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 134; s. auch Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (513, mit Fn. 48). 7 Heinze/Ricken, ZfA 2001, 159 (175). 6
Teil 4: Einpassung der Tarifpluralität in das Betriebsverfassungsrecht
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Die Auseinandersetzung mit dieser Argumentation führt zu den wesentlichen Fragen der Einpassung der Tarifpluralität in das Betriebsverfassungsrecht. Diese Fragen lassen sich zu der übergeordneten Fragestellung zusammenfassen, welche Konsequenzen sich für ein Rechtsverständnis, das Tarifpluralitäten als Ausdruck und Resultat des verfassungsrechtlich gewährleisteten Koalitionspluralismus9 grundsätzlich akzeptiert, mit Blick auf Tarifvorrang und Tarifvorbehalt ergeben. Auch für die §§ 87 Abs. 1 Eingangssatz, 77 Abs. 3 BetrVG ist zu eruieren, ob und ggf. inwiefern die tarifkollisionsrechtliche Weichenstellung „Fernwirkungen“ zeitigt, die Möglichkeit einer realisierten Tarifpluralität also ein bei der Gesetzesauslegung beachtliches verändertes Normumfeld schafft.10 Im Einzelnen ist zu untersuchen, ob es Gründe gibt, die dafür sprechen, hinsichtlich der Auslösung der betriebsverfassungsrechtlichen Sperrwirkungen (Tarifsperre gegenüber Betriebsvereinbarungen, § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG; Verdrängung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten, § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG) eine tarifeinheitliche Betrachtungsweise beizubehalten und auf nur einen der kollidierenden Tarifverträge abzuheben. Ferner ist im Bereich des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG zu klären, wie mit unterschiedlichen tarifvertraglichen Vorgaben für die betriebliche Mitbestimmung umzugehen ist. Bei § 77 Abs. 3 BetrVG ergeben sich weitere Fragen im Zusammenhang mit tarifvertraglichen Öffnungsklauseln nach Satz 2 der Vorschrift.
B. Freigabe von Tarifpluralitäten und Tarifvorrang und -vorbehalt I. Fragen des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrangs nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG im tarifpluralen Betrieb Zur These von der normativen Verankerung der betrieblichen Tarifeinheit in § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG ist zunächst Folgendes zu sagen: 1. Einmal mehr: Betriebsweite Tarifkonkurrenz und Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis Bereits an anderer Stelle11 ist aufgezeigt worden, dass die These Heinzes und Rickens an dem grundlegenden Mangel leidet, die für das Recht der Tarifkollision überaus wichtige Unterscheidung zwischen Tarifpluralität und betriebsweiter 8
Ricken, Autonomie, S. 88 f. Zum Koalitionspluralismus s. die Nachweise oben Teil 2, Kapitel 1, dort Fn. 128. 10 Allgemein oben Teil 1, Kapitel 1, unter B. IV. 2. 11 Oben Teil 1, Kapitel 3, unter C. II. 1. b). 9
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Teil 4: Einpassung der Tarifpluralität in das Betriebsverfassungsrecht
Tarifkonkurrenz12 zu verkennen.13 Diverse der von ihnen zum Beleg der normativen Verankerung des Grundsatzes der betrieblichen Tarifeinheit angeführten gesetzlichen Vorschriften betreffen betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Tarifnormen i. S. d. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG, bei denen im Kollisionsfall aufgrund der Regelung in § 3 Abs. 2 TVG eine betriebsweite, also in allen Arbeitsverhältnissen des Betriebs eintretende, Tarifkonkurrenz entsteht; die Lösung dieser betriebsweiten Tarifkonkurrenz erfolgt nach dem betriebsweit einheitlich anzuwendenden Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis, was zwar im Ergebnis zur betrieblichen Tarifeinheit und zur Auflösung auch der zugleich gegebenen Tarifpluralität führt, mit dem Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb (Tarifeinheit bei Tarifpluralität) aber nichts zu tun hat.14 Nimmt man diese Erkenntnis als Ausgangspunkt und die eigenen Erkenntnisse Heinzes zum Verständnis der Vorschrift des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG hinzu, so scheint der These von der „normativen Verankerung“ auch insoweit die fehlende Differenzierung zwischen Tarifpluralität und betriebsweiter Tarifkonkurrenz zugrunde zu liegen. Denn gerade Heinze hat zu begründen versucht, dass der Mitbestimmungsbereich des § 87 BetrVG dem durch tarifliche Betriebsnormen i. S. d. § 3 Abs. 2 TVG inhaltlich regelbaren Bereich entspreche.15 Das ist zwar nach dem hier erarbeiteten Begriffsverständnis16 nicht der Fall: Durchaus viele „betriebliche Fragen“ betreffen Regelungsgegenstände der in den Nrn. 1 bis 13 des § 87 Abs. 1 BetrVG geregelten Art; aber weder sind alle in § 87 Abs. 1 Nrn. 1 bis 13 BetrVG angesprochenen Materien betriebliche Fragen i. S. d. § 3 Abs. 2 TVG, noch erschöpfen sich die „betrieblichen Fragen“ in von § 87 Abs. 1 BetrVG angesprochenen Gegenständen.17 Unterstellt man aber die These Heinzes zur inhaltlichen Kongruenz der Regelungsgegenstände des § 87 Abs. 1 BetrVG und der „betrieblichen Fragen“ i. S. d. § 3 Abs. 2 TVG als richtig, dann betrifft § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG in tarifkollisionsrechtlicher Hinsicht nur einen weiteren Fall der betriebsweiten Tarifkonkurrenz: Treffen in einem Betrieb mehrere „tarifliche Regelungen“ i. S. d. 12 Die nach hiesigem Verständnis zwar stets zugleich eine Tarifpluralität, aber eben auch Tarifkonkurrenz ist und in ihrer kollisionsrechtlichen Behandlung den Prinzipien der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis folgt, s. ausführlich oben Teil 1, Kapitel 2, unter B. II. 13 So auch die zutreffende Kritik insbesondere von Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (511, Fn. 15); s. auch Reichold, RdA 2007, 321 (324); ferner F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 379. 14 Zu diesen Zusammenhängen, deren Erkenntnis insbesondere Jacobs zu verdanken ist, s. ausführlich oben Teil 1, Kapitel 2, unter B. II. 2. b). 15 Heinze, NZA 1989, 41 (45 f.); zur Kritik etwa Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, S. 224 (dort Fn. 278), 226 f. 16 s. zu diesem oben Teil 3, Kapitel 2. 17 s. schon oben Teil 1, Kapitel 3, unter C. II. 4. b) bb); im hiesigen Zusammenhang jüngst A. Stein, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 35 (37 ff., 39).
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Eingangssatzes des § 87 Abs. 1 BetrVG aufeinander, dann entsteht danach eine reine Betriebsnormen-Kollision, deren Auflösung sich nach den Grundsätzen der betriebsweiten Tarifkonkurrenz und der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis richtet. Da sich insoweit zwingend ein Tarifvertrag als allein geltender durchsetzen muss (notwendige Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis und damit hier – § 3 Abs. 2 TVG – zugleich im Betrieb), kann insoweit die Sperrwirkung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG auch im Fall der Tarifpluralität (die hier zugleich betriebsweite Tarifkonkurrenz ist) nur durch einen der kollidierenden Tarifverträge ausgelöst werden.18 Eine Aussage darüber, wie mit Blick auf den betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrang zu verfahren ist, wenn auf Betriebsebene unterschiedliche Tarifverträge kollidieren, die zwar jeweils Regelungsmaterien der in § 87 Abs. 1 Nrn. 1 bis 13 BetrVG behandelten Art betreffen, aber (ausnahmsweise) keine „betrieblichen“ Fragen i. S. d. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG, ist damit nicht getroffen. Das betrifft zum einen die rein arbeitsverhältnisbezogenen Fragen (§§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 TVG), zum anderen nach der hier entwickelten Auffassung den Fall, dass arbeitsverhältnisbezogene Bestandteile sog. tarifvertraglicher Doppelnormen unterschiedlicher Tarifverträge kollidieren, da insoweit richtigerweise § 3 Abs. 2 TVG nicht eingreift.19 2. Im Übrigen: Auslösung der Sperrwirkung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG durch jeden der kollidierenden Tarifverträge? Um dem Verweis Heinzes und Rickens auf die Vorschrift des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG überhaupt etwas für das Problem der „eigentlichen“ Tarifpluralität (also derjenigen Tarifpluralität, die nicht zugleich betriebsweite Tarifkon18 In diesem Sinne wohl auch F. Bayreuther, NZA 2007, 187 (189); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 130 (140 f.); Kittner/Zwanziger/Kittner/Deinert, § 10 Rn. 191, 194 sowie § 18 Rn. 73 f.; s. auch jüngst A. Stein, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 35 (55) sowie Deinert, NZA 2009, 1176 (1178 f.), der zunächst (S. 1178 f.) offen lässt, ob die Tarifsperre des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG bereits bei Tarifmehrheit zum Zuge kommt, so dass mehrere Tarifverträge alternativ die Mitbestimmung ausschließen, oder ob nur ein Tarifvertrag im Betrieb für den Tarifvorrang in Betracht kommen kann, um kurz darauf (S. 1179) „im Falle des § 87 I Eingangssatz BetrVG (. . .) die Anwendung des Mehrheitsprinzips“ für „geboten“ zu halten; da dies im Gegensatz zu seinen vorangegangenen Ausführungen eben doch eine Festlegung auf eine der beiden Möglichkeiten bedeuten würde und zudem in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ansicht dargelegt wird, das Mehrheitsprinzip sei zur Auflösung von Kollektivnormen-Kollisionen (betriebsweite Tarifkonkurrenz) heranzuziehen, ist anzunehmen, dass Deinert hier nur die Fälle des § 87 Abs. 1 BetrVG im Blick hat, in denen der Mitbestimmungsbereich des § 87 BetrVG dem durch tarifliche Betriebsnormen i. S. d. § 3 Abs. 2 TVG inhaltlich regelbaren Bereich entspricht. 19 Zu tarifvertraglichen Doppelnormen, ihrer Behandlung im Hinblick auf § 3 Abs. 2 TVG und den Konsequenzen für den Fall der Tarifkollision s. o. Teil 3, Kapitel 2, unter G.
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kurrenz ist) entnehmen zu können, muss man sich also von der Vorstellung, der Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG beziehe sich (allein) auf den durch tarifliche Betriebsnormen i. S. d. § 3 Abs. 2 TVG regelbaren Bereich, lösen. Erst auf dieser Grundlage kann man sich mit den Überlegungen Heinzes und Rickens weitergehend auseinandersetzen. Zur Begründung dafür, dass § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG im Rahmen der systematischen und der teleologischen Interpretation eindeutig aufzeige, dass der Gesetzgeber den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb im einfachen Gesetzesrecht zwingend verankert habe, machen sie geltend, dass ansonsten jegliche Mitbestimmung des Betriebsrats unterlaufen werde.20 Bedenken in der Richtung, dass bei Anerkennung tarifpluraler Situationen auch als Bezugspunkt für die betriebliche Mitbestimmung die Betätigungsmöglichkeiten der Betriebspartner stärker zurückgedrängt würden, hegen auch andere.21 Zunächst ist zu fragen, ob und ggf. inwiefern die uneingeschränkte Freigabe von Tarifpluralitäten und Hinnahme der sich daraus für den Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG ergebenden Konsequenzen tatsächlich zu einer weitergehenden Verdrängung der Mitbestimmung des Betriebsrats führt als das „Bestehen“ nur eines Tarifvertrages. a) Konsequenzen bei Auslösung der Sperrwirkung durch jeden der kollidierenden Tarifverträge (tarifplurale Betrachtung) aa) Personelle Reichweite der Mitbestimmung des Betriebsrats Bezüglich der „personellen“ Reichweite der Mitbestimmung, also des Kreises der Arbeitnehmer, für deren Arbeitsverhältnisse der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht ausüben kann, ändert sich durch den Wechsel von der betrieblichen Tarifeinheit zur tarifpluralen Betrachtung mit der Folge, dass jeder der kollidierenden Tarifverträge den Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG auslöst, auf Grundlage der hier22 geteilten h. M. zur Frage der Tarifbindung bei § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG nichts: Danach schließt auch bei Bestehen nur eines einzigen Tarifvertrages der Eingangssatz des § 87 Abs. 1 BetrVG schon bei bestehender Tarifbindung nur des Arbeitgebers das Mitbestimmungsrecht für alle, auch für die nicht und anders organisierten Arbeitnehmer, aus.
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Heinze/Ricken, ZfA 2001, 159 (175). Bepler, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 791 (800); Meyer, DB 2006, 1271; ders., NZA 2006, 1387 (1391); Wallisch, FS Löwisch, S. 427 (443); s. auch Thüsing/ v. Medem, ZIP 2007, 510 (513). 22 s. schon oben Teil 1, Kapitel 3, unter C. II. 4. b) bb). 21
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bb) Sachliche Reichweite der Mitbestimmung des Betriebsrats Anders verhält es sich mit der sachlichen oder gegenständlichen Reichweite der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrats. Insoweit ist in der Tat die Möglichkeit einer weitergehenden Verdrängung der erzwingbaren betrieblichen Mitbestimmung im tarifpluralen Betrieb zu gewärtigen; denn das Mitbestimmungsrecht wird gemäß § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG nur verdrängt, „soweit“ eine tarifliche Regelung besteht, also nur hinsichtlich solcher in den Nrn. 1 bis 13 des § 87 Abs. 1 BetrVG aufgezählter Materien, die tatsächlich in dem einschlägigen Tarifvertrag eine Regelung erfahren haben.23 Mit Blick auf die Tarifpluralität fragt sich also, ob im tarifpluralen Betrieb Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten auf allen Gebieten gesperrt sind, die nur in einem der im Betrieb anwendbaren Tarifverträge geregelt sind.24 Die Brisanz der Fragestellung wird vollends deutlich, wenn man die personelle Dimension der Sperrwirkung mitdenkt: Da das BAG – im Ausgangspunkt zustimmungswürdig – für den Tarifvorrang allein auf die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers schaut, würde die Mitbestimmung zum einen für die Arbeitsverhältnisse der überhaupt nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer in allen Bereichen entfallen, die entweder in Tarifvertrag A oder in Tarifvertrag B geregelt sind. Das Spektrum von Regelungsmaterien, hinsichtlich derer die nicht organisierten Arbeitnehmer kollektivrechtlich schutzlos gestellt würden (kein tarifvertraglicher Schutz mangels Gewerkschaftszugehörigkeit, kein Schutz durch erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats wegen der Sperrwirkung der tarifvertraglichen Regelungen gemäß § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG), vergrößerte sich also gegenüber der Situation, in der nur ein Tarifvertrag im Betrieb existiert, um die Divergenzbereiche der kollidierenden Tarifregelungen. Zum anderen ergäben sich Konsequenzen auch für die organisierten Arbeitnehmer. Die Regelungsbereiche, die „ihr“ Tarifvertrag nicht abdeckt und für die daher, wäre der von ihrer Gewerkschaft geschlossene Tarifvertrag der einzige im Betrieb anwendbare, der Betriebsrat eine Regelung auf betrieblicher Ebene zu erzwingen in der Lage wäre (§§ 87 Abs. 1, 2, 76 Abs. 5 Satz 1 BetrVG), würden nunmehr infolge der möglichen Existenz inhaltlicher Divergenzbereiche zwischen den kollidierenden Tarifverträgen einer erzwingbaren betrieblichen Mitbestimmung entzogen, soweit der andere Tarifvertrag entsprechende Vorschriften enthält. Kurz: Die Hinnahme der Tarifpluralität und ihrer Folgen könnte bewirken, dass große Teilbereiche der dem Schutz der Arbeitnehmer dienenden betrieblichen Mitbestimmung entzogen
23 Zu der Frage, wann eine Angelegenheit i. S. d. Eingangssatzes des § 87 Abs. 1 BetrVG tariflich „geregelt“ ist, s. nur GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 69 ff. 24 Auf das Problem weisen hin Bepler, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 791 (800); Franzen, RdA 2008, 193 (200); Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (513); s. auch Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (119); zuletzt A. Stein, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 35 (54 ff., 56 f.); Brocker, NZA Beilage 3/2010, S. 121 (124).
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würden, ohne dass (für alle Arbeitnehmer) der tarifliche Schutz an deren Stelle tritt.25 Der Sorge um derartige Konsequenzen ist man auch nicht etwa deshalb enthoben, weil insoweit, wie sich die Tarifverträge inhaltlich, in ihren jeweiligen Regelungsmaterien, nicht überschneiden (Divergenzbereiche), ohnehin nach dem Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb keine Tarifverdrängung (Herstellung betrieblicher Tarifeinheit) stattfände: Teilweise oder auch vollständige Inkongruenz der Regelungsmaterien der kollidierenden Tarifverträge hindert nicht die Entstehung von Tarifkonkurrenz oder Tarifpluralität.26 b) Methodische Einordnung der Reduzierung der Sperrwirkung auf einen der kollidierenden Tarifverträge Die geschilderten Konsequenzen der tarifpluralen Betrachtung könnten Anlass für eine Zurücknahme der Sperrwirkung auf einen der kollidierenden Tarifverträge sein. In der Literatur wird – insbesondere von Skeptikern der Freigabe von Tarifpluralitäten – teilweise dafür plädiert, einen der Tarifverträge als denjenigen auszuwählen, der allein die Sperrwirkung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG gegenüber der erzwingbaren betrieblichen Mitbestimmung auslöst.27 Diese Ansicht scheint aber auch Dieterich zu vertreten, der grundsätzlich für die Möglichkeit einer Tarifpluralität votiert. Tarifeinheit im Betrieb sei zwar keine Funktionsbedingung der Tarifautonomie; dort aber, wo das Gesetz selbst die Tarifeinheit voraussetze, z. B. in § 3 Abs. 2 TVG, § 87 BetrVG und im AEntG, sei eine sachlich begrenzte Kollisionsregelung erforderlich.28 25 Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (513); s. auch Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (119). 26 Dazu bereits oben Teil 2, Kapitel 1, unter C. III. 1. b) bb) (1) (b). 27 Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 57i, 116; DKK/Berg, § 77 Rn. 69c; Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (119); s. aber auch – als Gegner der zwingenden Tarifeinheit im Betrieb – A. Stein, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 35 (56 f.), jeweils für Ermittlung des für § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG allein maßgeblichen Tarifvertrages nach dem Mehrheitsprinzip; unentschieden jüngst Deinert, NZA 2009, 1176 (1178 f.; s. zu ihm auch oben Fn. 18). 28 ErfK/Dieterich, Art. 9 GG Rn. 68a; s. auch Dieterich, SZ vom 14. 8. 2007, S. 2. Womöglich aber denkt auch Dieterich hier für § 87 BetrVG nur an den Regelfall, in dem sich die Regelungsgegenstände der Nrn. 1 bis 13 des § 87 Abs. 1 BetrVG als betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Fragen i. S. d. § 3 Abs. 2 TVG darstellen und in dem es daher bei einer Tarifkollision stets zu einer – betriebsweiten – Tarifkonkurrenz kommt, s. dazu bereits soeben unter B. I. 1. Hier ist in der Tat eine Kollisionsregelung erforderlich, und diese liegt, was das „Ob“ der Kollisionslösung betrifft, im Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis; das „Wie“ der Auflösung dieser Kollision ist eine im Rahmen dieser der Tarifpluralität gewidmeten Untersuchung nicht näher zu erörternde tarifkonkurrenzrechtliche Frage. ErfK/Dieterich, a. a. O., will für §§ 3 Abs. 2 TVG, 87 BetrVG im Zweifel auf die Repräsentativität der Tarifverträge abstellen, was der h. L. entspricht, die bei der Kollision mehrerer Kollektivnormen enthalten-
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Mit solchen Überlegungen kann man sich sachgerecht erst nach einer Einordnung in anerkannte rechtsmethodische Kategorien auseinandersetzen. Erkennt man im Falle der Tarifpluralität nur einen der im Betrieb anwendbaren Tarifverträge als „tarifliche Regelung“ i. S. d. Eingangssatzes des § 87 Abs. 1 BetrVG an, so nimmt man methodisch eine teleologische Reduktion vor.29 „Tarifliche Regelung“ im gesetzlichen Wortsinne ist an sich jede den allgemeinen Begriffsvoraussetzungen des „Tarifvertrages“ genügende Vereinbarung30, bei Tarifpluralität folglich sowohl Tarifvertrag A als auch Tarifvertrag B. Durch die Zurücknahme der Sperrwirkung auf einen der Tarifverträge fügt man mithin dem Gesetz eine Ausnahmeregelung für den Fall der Tarifpluralität ein. Die hinzugefügte Ausnahmeregelung führt dazu, dass der nicht ausgewählte (etwa weniger repräsentative) Tarifvertrag, obwohl er dem Wortsinn nach den Tatbestand des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrangs erfüllt, die Rechtsfolge des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG nicht auszulösen imstande ist. Es kommt zu einer „wortsinnunterschreitenden Nichtanwendung des Gesetzes“. Die teleologische Reduktion kann allgemein mit verschiedenen Überlegungen gerechtfertigt werden.31 In Betracht kommt hier eine teleologische Reduktion aufgrund des Zwecks der zu reduzierenden Norm selbst, nämlich aufgrund des Normzwecks des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG, falls dieser, was im Folgenden zu eruieren sein wird, zumindest auch im Arbeitnehmerschutz zu sehen ist.32 Für die folgenden Untersuchungen ist mit den methodischen Klärungen die Grundlinie vorgezeichnet: Erkenntnisleitend für die Einpassung der Tarifpluralität in die Regelung des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrangs hat die Frage zu sein, welche Lösung dem Normzweck oder den Normzwecken des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG entspricht oder von ihm (ihnen) gefordert wird. Dazu muss erst die teleologische Grundlage des Tarifvorrangs ausgeleuchtet werden. Über sie bestehen unterschiedliche Auffassungen. der Tarifverträge zur Auflösung der Konkurrenz das Mehrheitsprinzip heranzieht. – Die gleiche Position wie Dieterich dürfte auch vertreten Zachert, Anm. zu BAG 22. 10. 2008 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 66, unter IV.: Auch er hält für § 87 Abs. 1 BetrVG eine Kollisionsregel für erforderlich (die auch er im Mehrheitsoder Repräsentationsprinzip sieht), dürfte aber, wie der Kontext nahe legt, ebenfalls nur den Anwendungsbereich des § 3 Abs. 2 TVG im Blick haben. – Für Eingreifen des Tarifvorrangs des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG im Falle der Gewerkschaftspluralität nur, wenn die Gewerkschaften für die Regelung der mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit eine Tarifgemeinschaft bilden: Richardi, Gem. Anm. zu BAG 27. 1. 2010 – 4 AZR 549/08 (A) – und BAG 23. 6. 2010 – 10 AS 2/10, demn. in AP, unter III. 6. und IV. 29 Näheres zur teleologischen Reduktion oben Teil 3, Kapitel 3, unter B. II. 2. 30 Zum Begriff des Tarifvertrages s. Plander, ZTR 1997, 145 ff. 31 s. dazu oben Teil 3, Kapitel 3, unter B. II. 2. b) aa). 32 Nochmals sei darauf hingewiesen, dass es sich nur vom Boden der herrschenden Theorie der Wortsinngrenze aus um eine teleologische Reduktion, also um Rechtsfortbildung, handelt, während für die Gesetzessinntheorie eine einschränkende Auslegung vorläge, vgl. C. Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, S. 51 f., 212.
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c) Die Zwecke des Tarifvorrangs nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG aa) Heute h. M.: Entbehrlichkeit weiteren Arbeitnehmerschutzes bei bestehender tariflicher Regelung Nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG besteht das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten nur, soweit eine (gesetzliche oder) tarifliche Regelung nicht besteht. Während der Zweck des Tarifvorbehaltes nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG heute überwiegend in der Sicherung der ausgeübten und aktualisierten Tarifautonomie vor Aushöhlung und Bedeutungsminderung durch konkurrierende Betriebsvereinbarungen sowie der Erhaltung und Stärkung der Funktionsfähigkeit der Koalitionen gesehen wird33, leitet man den Zweck des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG heute34 überwiegend allein aus dem Zweck der Mitbestimmungsregelung des § 87 BetrVG als solcher her: Normzweck des § 87 BetrVG sei die Zurückdrängung der individualrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers, insbesondere der Ausübung seines Weisungsrechts und des Abschlusses von ihm inhaltlich bestimmter einheitlicher Arbeitsverträge, zugunsten kollektiver betrieblicher Regelungen zum Schutz der Belegschaftsange33 BAG 22. 1. 1980 AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 3 (Moll) unter B. II. 2. b) der Gründe; 24. 2. 1987 AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 21 (Richardi), unter B. II. 4. a) der Gründe; BAG (GS) 3. 12. 1991 AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 51, unter C. I. 1. und C. I. 4. c); BAG 20. 4. 1999 AP BetrVG 1972 § 77 Tarifvorbehalt Nr. 12, unter II. 2. b) aa), 3. b) der Gründe; 29. 10. 2002 AP BetrVG 1972 § 77 Tarifvorbehalt Nr. 18, unter I. 1. a) aa) der Gründe; 29. 4. 2004 AP BetrVG 1972 § 77 Durchführung Nr. 3, unter B. II. 2. a) der Gründe; F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 496; DKK/Berg, § 77 Rn. 62; Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 94; Brecht-Heitzmann, GS Zachert, S. 502 (517); Conze, DB 1978, 490 (491, 493); C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 189; Fitting, § 77 Rn. 67, 78; Franzen, RdA 2001, 1 (4); Gamillscheg, KollArbR I, § 7 III. 2. a) (1) (b), S. 324 f. (s. aber auch dort § 7 III. 2. b) (1), S. 326 f.); ders., KollArbR II, § 47 4. a) (1) (a), S. 778; Haug, BB 1986, 1921 (1922 f.); Heither, FS Dieterich, S. 231 (233); Hromadka, FS Schaub, S. 337 (343 ff., 345); Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht 2, Rn. 365 f.; v. Hoyningen-Huene, DB 1994, 2026; v. Hoyningen-Huene/Meier-Krenz, NZA 1987, 793 (794); JKO/Jacobs, § 7 Rn. 97; Löwisch/Kaiser, § 77 Rn. 113; Kissel, NZA 1995, 1 (4); DKK/Klebe, § 87 Rn. 30; Klein, Minderheitsgewerkschaften, S. 115; Kittner/Zwanziger/Kittner/Deinert, § 18 Rn. 3 f., 5; Konzen, FS Müller, S. 245 (259); Kraft, FS Molitor, S. 207 (215 f.); GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 78; MüArbR/Matthes, § 238 Rn. 55; Moll, Tarifvorrang, S. 37; WPK/Preis, § 77 Rn. 58; Richardi/Richardi, § 77 Rn. 244 ff.; Stege/Weinspach/ Schiefer, § 77 Rn. 12, § 87 Rn. 35c; Thüsing, ZTR 1996, 146; Walker, ZfA 1996, 353 (373); Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung, S. 267 f., 279; ders., RdA 1996, 129 (131 f., 138); Wank, RdA 1991, 129 (136 f.); Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 550; Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, Grundl. Rn. 327 sowie § 4 Rn. 418; Wiese, FS 25 Jahre BAG, S. 661 (664); ders., Anm. zu BAG 24. 2. 1987 SAE 1989, 6 (8); HSWGNR/Worzalla, § 77 Rn. 100 f.; Zachert, RdA 1996, 140 (144); Däubler/ Zwanziger, § 4 Rn. 971; s. aber auch Ehmann, FS Zöllner, Band II, S. 715 (725 ff., 727). 34 Zur Rechtsprechung des BAG bis 1984 s. C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 222; Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung, S. 287 (Fn. 98); Wank, RdA 1991, 129 (137).
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hörigen. Dieser Zweck sei – mit der Folge, dass ein weiterer Schutz durch erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats nicht nötig sei – erreicht, wenn eine (gesetzliche oder) tarifliche Regelung der Angelegenheit besteht, die einen ausreichenden Schutz vor einem individualrechtlichen Vorgehen des Arbeitgebers gewährleistet; deshalb lasse der Eingangssatz des § 87 Abs. 1 BetrVG in diesem Fall das Mitbestimmungsrecht entfallen.35 bb) Kritik Das alleinige Abstellen auf den Gedanken des Arbeitnehmerschutzes kann für § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG nicht überzeugen. (1) Vermeintliche Paradoxie der Arbeitnehmerschutzzweckthese Der gegen diese Deutung angeführte Einwand, die Argumentation zum Schutzzweck des § 87 Abs. 1 BetrVG sei in sich widersprüchlich36, ist allerdings nicht zwingend. Dieser Einwand richtet sich gegen das BAG, welches u. a. mit dem Schutzzweckargument seine Präferenz für die Vorrangtheorie begründet hat. Der Streit zwischen der herrschenden Vorrangtheorie und der sog. ZweiSchranken-Theorie37 betrifft das Verhältnis der §§ 87 Abs. 1 Eingangsatz, 77 Abs. 3 BetrVG zueinander.38 Das BAG vertritt die Vorrangtheorie39, die sich ver35 BAG 24. 2. 1987 AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 21 (Richardi), unter B. II. 4. b) aa) der Gründe; BAG (GS) 3. 12. 1991 AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 51, unter C. I. 4. c); WPK/Bender, § 87 Rn. 24; Ehmann, FS Zöllner, Band II, S. 715 (723 f.); Ehmann/T. B. Schmidt, NZA 1995, 193 (195, 198); Fitting, § 87 Rn. 37 f.; Gamillscheg, KollArbR II, § 50 2. a), S. 868, der daneben auf den Schutz des Arbeitgebers vor doppelter Mitbestimmung und den damit verbundenen Verzögerungen hinweist (zu einer an den Interessen des Arbeitgebers ansetzenden Bestimmung des Zwecks des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG s. C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 224); Greiner, Rechtsfragen, S. 382; Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 160; Löwisch/Kaiser, § 87 Rn. 4; HaKo-BetrVG/Kohte, § 87 Rn. 12; Koller, ZfA 1980, 521 (553); Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 221 f.; MüArbR/Matthes, § 242 Rn. 11; Reuter, RdA 1991, 193 (201); Stege/Weinspach/Schiefer, § 87 Rn. 35c (anders aber Rn. 28); GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 56; Wiese, FS 25 Jahre BAG, S. 661 (662 ff.); Wiese, Anm. zu BAG 24. 2. 1987 SAE 1989, 6 (8). 36 Wank, RdA 1991, 129 (137). 37 Zur Problematik des Begriffs „Zwei-Schranken-Theorie“ s. Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung, S. 47 f., 297. 38 Zu den Überschneidungs- und Divergenzbereichen der §§ 77 Abs. 3, 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG s. Wank, RdA 1991, 129 (132); s. auch Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung, S. 292 ff.; dens., RdA 1996, 129 (139). 39 Grundlegend BAG 24. 2. 1987 AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 21 (Richardi); des Weiteren BAG 9. 4. 1991 AP BetrVG 1972 § 77 Tarifvorbehalt Nr. 1, unter II. 3. der Gründe; BAG (GS) 3. 12. 1991 AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 51, unter C. I. 4.; WPK/Bender, § 87 Rn. 24; DKK/Berg, § 77 Rn. 66; Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 98; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 227, 229; Ehmann, FS Kissel, S. 175 (184 f.); Ehmann, ZRP 1996, 314 (316); Ehmann/T. B. Schmidt, NZA
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kürzt auf die These bringen lässt, dass § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nicht Betriebsvereinbarungen in Angelegenheiten erfasse, in denen der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht hat. Danach müssten an sich günstigere freiwillige Betriebsvereinbarungen im Anwendungsbereich des § 87 Abs. 1 BetrVG unbegrenzt zulässig bleiben40; tatsächlich wird die Vorrangtheorie aber in dieser Variante kaum noch vertreten41. Das BAG wendet jedenfalls heute eine gleichsam modifizierte Vorrangtheorie42 an.43 Nach dieser ist § 77 Abs. 3 BetrVG nur dann unanwendbar, wenn der Betriebsrat im konkreten Fall ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 BetrVG hat; nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG setzt das voraus, dass insoweit keine zwingende tarifliche Regelung besteht, an die (h. M.) der Arbeitgeber tarifgebunden ist; oder umgekehrt: § 77 Abs. 3 BetrVG steht danach, soweit eine zwingende tarifliche Regelung besteht und der Arbeitgeber tarifgebunden ist, auch im Anwendungsbereich des § 87 Abs. 1 BetrVG einer freiwilligen Betriebsvereinbarung entgegen.44 Der Streit zwischen Vorrang- und Zwei-Schranken-Theorie reduziert sich auf die Frage, was bei bloßer Tarifüblichkeit gilt.45 1995, 193 (197 f.); Farthmann, RdA 1974, 65 (71 f.), der allerdings (a. a. O., S. 71) den Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG auch bei lediglich nachwirkendem Tarifvertrag (§ 4 Abs. 5 TVG) eingreifen lassen will (dagegen Konzen, BB 1977, 1307 [1309 f.]; Reuter, Anm. zu BAG 14. 11. 1974 SAE 1976, 15 [18]; Wiese, FS 25 Jahre BAG, S. 661 [667 f.]); Farthmann/Coen, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts, § 19 Rn. 95; Fitting, § 77 Rn. 111 ff., § 87 Rn. 59 f.; Gast, Anm. zu BAG 24. 2. 1987 BB 1987, 1249; v. Hoyningen-Huene, DB 1994, 2026 (2029); ders., Betriebsverfassungsrecht, § 11 Rn. 51, 55 und § 12 Rn. 10; v. Hoyningen-Huene/MeierKrenz, NZA 1987, 793 (797 ff.); Löwisch/Kaiser, § 77 Rn. 129 ff.; Kempen, RdA 1994, 140 (151), der die Vorrangtheorie „auch grundrechtlich begründet“ sieht; DKK/Klebe, § 87 Rn. 32; HaKo-BetrVG/Kohte, § 87 Rn. 15; Löwisch, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 941 (950); WPK/Preis, § 77 Rn. 62 f.; Reuter, Anm. zu BAG 14. 11. 1974 SAE 1976, 15 (17 f.); Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1494; Säcker, ZfA Sonderheft 1972, 41 (65 f.); Simitis/Weiss, DB 1973, 1240 (1247); A. Stein, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 35 (41); Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, Grundl. Rn. 347; Weyand, AuR 1989, 193 (195); Zachert, RdA 1996, 140 (144); Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 998. 40 GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 143; s. auch Richardi/Richardi, § 77 Rn. 248. 41 s. aber Ehmann/T. B. Schmidt, NZA 1995, 193 (198). 42 Begriff nach GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 143. 43 BAG 29. 4. 2004 AP BetrVG 1972 § 77 Durchführung Nr. 3, unter B. II. 2. a) der Gründe; deutlich auch schon BAG 9. 12. 2003 EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 6, unter B. II. 1. b) der Gründe; aus dem Schrifttum etwa Fitting, § 77 Rn. 115; DKK/Klebe, § 87 Rn. 30, 32; WPK/Preis, § 77 Rn. 63. 44 GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 143. 45 s. schon Wank, RdA 1991, 129 (138); Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 620. Das Gleiche gilt für die Ansicht Richardis, der – vereinfacht – eine teleologische Reduktion des § 77 Abs. 3 BetrVG für den Fall der Tarifüblichkeit befürwortet, wenn der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 BetrVG hat, s. Richardi, Anm. zu BAG 24. 2. 1987 AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 21, unter II. 2., 3., IV.; dens., KollArbR, § 28 Rn. 14 und § 30 Rn. 37; Richardi/Richardi, § 87 Rn. 166 ff. Das entspricht im Ergebnis der modifizierten Vorrangtheorie.
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Der 1. Senat des BAG führte in seiner für die Vorrangtheorie grundlegenden Entscheidung aus, eine lediglich i. S. d. § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG tarifübliche Regelung einer an sich mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit könne für die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer den erforderlichen Schutz nicht gewährleisten. Würde § 77 Abs. 3 BetrVG Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats schon dann entfallen lassen46, wenn die mitbestimmungspflichtige Angelegenheit nur „üblicherweise“ durch Tarifvertrag geregelt sei, könnte, so das BAG, der durch § 87 Abs. 1 BetrVG bezweckte Schutz der Arbeitnehmer – sofern nicht eine gesetzliche Regelung bestehe – weder durch eine tarifliche Regelung noch durch eine mitbestimmte betriebliche Regelung bewirkt werden.47 Der daran anschließende Vorwurf der Selbstwidersprüchlichkeit wird darauf gestützt, dass das BAG – wie mit ihm die h. L. – für die Sperrwirkung einer tarifvertraglichen Regelung gemäß § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG die Tarifbindung des Arbeitgebers ausreichen lässt.48 Es sei widersprüchlich, einerseits die Anwendbarkeit des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG im Anwendungsbereich des § 87 Abs. 1 BetrVG mit der Begründung abzulehnen (Vorrangtheorie), dass bei bloßer Tarifüblichkeit keine kollektive Regelung vorliege und der Arbeitnehmer daher nicht geschützt sei, andererseits aber für den Tarifvorrang nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG die Tarifbindung allein des Arbeitgebers ausreichen zu lassen. Denn dann genieße kein einziger Arbeitnehmer den tariflichen Schutz, so dass der Sachverhalt derselbe sei wie bei § 77 Abs. 3 BetrVG im Falle der Tarifüblichkeit.49 Mit dem Hinweis auf diese (vermeintliche) Paradoxie die Arbeitnehmerschutzzweckthese zu § 87 Abs. 1 BetrVG in Frage zu stellen50, begegnet insofern Bedenken, als sich der einzelne Arbeitnehmer im Falle des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG – Ausschluss des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats schon bei Tarifbindung des Arbeitgebers – den tariflichen Schutz durch Gewerkschaftsbeitritt verschaffen kann – dass er dies kann, ist ein wesentliches Argument der h. M. dafür, die Tarifbindung des Arbeitgebers genügen zu lassen51 –, während ihm der 46 Zur unzulässigen Gleichsetzung von „Mitbestimmungsrecht“ und – durch § 77 Abs. 3 BetrVG allein betroffener – „Regelungsbefugnis durch Betriebsvereinbarung“ durch das BAG s. statt vieler GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 142; Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung, S. 290 ff.; dens., RdA 1996, 129 (138 f.). 47 BAG 24. 2. 1987 AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 21 (Richardi), unter B. II. 4. b) aa) der Gründe. 48 Etwa BAG 24. 2. 1987 AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 21 (Richardi), unter B. II. 6. c) der Gründe; ebenso auch Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 606. 49 Hromadka, DB 1987, 1991 (1994); Wank, RdA 1991, 129 (137); s. auch Reuter, RdA 1994, 152 (166); dens., ZfA 1995, 1 (63); Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung, S. 299. 50 Wank, RdA 1991, 129 (137); s. auch Richardi/Richardi, § 87 Rn. 155 a. E. 51 s. BAG 24. 2. 1987 AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 21 (Richardi), unter B. II. 6. c) der Gründe; C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 226; DKK/Klebe,
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Eintritt in die Gewerkschaft bei bloßer Tarifüblichkeit (§ 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG) – zumindest u. U. – nichts nützt. Er nützt ihm jedenfalls dann nämlich nicht, wenn der Arbeitgeber nicht tarifgebunden ist – die h. M. verzichtet bei § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG auf die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers als Voraussetzung der Sperrwirkung52 –, ferner dann nicht, wenn zwar der Arbeitgeber tarifgebunden ist, aber Tarifüblichkeit vorliegt, ohne dass eine nachwirkende, zumindest nach § 4 Abs. 5 TVG Schutz bietende tarifliche Regelung gegeben ist; denn Tarifüblichkeit i. S. d. § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG setzt nicht zwingend voraus, dass der bisherige Tarifvertrag nachwirkt53 – Beispiel: das Arbeitsverhältnis fällt in den Geltungsbereich eines abgelaufenen Tarifvertrages, dessen Parteien erneut eine Regelung treffen wollen, vielleicht schon in Verhandlungen stehen54, aber die Nachwirkung des abgelaufenen Tarifvertrages ausgeschlossen haben55. Aber auch, wenn Tarifüblichkeit – wie häufig – durch einen nachwirkenden Tarifvertrag begründet wird, nützt dem Arbeitnehmer der Gewerkschaftsbeitritt nichts, wenn man annimmt, dass die Nachwirkung nicht eintritt, wenn Tarifbindung erst im Nachwirkungszeitraum – durch Gewerkschaftsbeitritt – begründet wird56. Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass bei § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG das Abstellen auf die Tarifbindung des Arbeitgebers allein häufig schon deshalb keine Schmälerung des Arbeitnehmerschutzes bedeutet, weil § 3 Abs. 2 TVG eingreift57. § 87 Rn. 30; Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 606; Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, Grundl. Rn. 348; HSWGNR/Worzalla, § 87 Rn. 55. 52 BAG 20. 11. 2001 EzA BetrVG 1972 § 77 Nr. 70, unter II. 2. a) der Gründe; C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 200 ff.; Heither, FS Dieterich, S. 231 (236); MüArbR/Matthes, § 238 Rn. 64; WPK/Preis, § 77 Rn. 66; Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung, S. 284; ders., RdA 1996, 129 (131); Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 562, 564; Wank, RdA 1991, 129 (132 f.). A. A. Ehmann, ZRP 1996, 314 (317); ders., FS Zöllner, Band II, S. 715 (717 ff.); Ehmann/T. B. Schmidt, NZA 1995, 193 (196); GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 100; Richardi, FS Schaub, S. 639 (644 ff.); Richardi/Richardi, § 77 Rn. 259 f., 271; Sympathien für die Gegenansicht auch bei Buchner, DB 1997, 573; s. auch Hablitzel, NZA 2001, 467 (471) sowie Meyer, NZA 2001, 751 (754); zum Ganzen auch P. Hanau, FS Wiedemann, S. 283 (296 ff.). 53 Zutreffend Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 104; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 231; Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 976. 54 Zur Tarifüblichkeit in solchen Fällen s. nur Gamillscheg, KollArbR II, § 47 4. b) (3), S. 782; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht 2, Rn. 372. 55 Zur Möglichkeit, die Nachwirkung auszuschließen, Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 362; einschränkend etwa Annuß, ZfA 2005, 405 (448, Fn. 200); Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 411. 56 So das BAG, 10. 12. 1997 AP TVG § 3 Nr. 20, unter 2. a) bb) der Gründe; aus der Literatur etwa Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 380; a. A. freilich für den parallelen Streitfall, dass ein Arbeitsverhältnis erst im Nachwirkungszeitraum begründet wird, Wiedemann/ Wank, § 4 Rn. 330 ff. und die wohl überwiegende Meinung in der Literatur, neben Wank etwa Däubler/Bepler, § 4 Rn. 814 ff.; Gamillscheg, KollArbR I, § 18 VII. 6., S. 879 f.; Kempen/Zachert/Kempen, § 4 Rn. 535.
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(2) Ausschluss der Erzwingbarkeit auch günstigerer betrieblicher Regelungen Dass das alleinige Abstellen auf den Gedanken des Arbeitnehmerschutzes für § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG nicht überzeugt, liegt also weniger daran, dass das BAG im Zusammenhang mit der Vorrangtheorie widersprüchlich argumentierte. Es liegt aber daran, dass die wohl h. M., wenn sie für § 87 Abs. 1 BetrVG nur auf den Schutz des Arbeitnehmers vor der einseitigen Gestaltungsmacht des Arbeitgebers verweist, nicht erklären kann, warum dann auch für den Arbeitnehmer günstigere betriebliche Regelungen nicht erzwungen werden können.58 Würde man § 87 Abs. 1 BetrVG allein als Ausdruck des Arbeitnehmerschutzes sehen, so wäre der Verzicht auf die Anwendung des Günstigkeitsprinzips unverständlich.59 cc) Identität der Zwecke von § 87 Abs. 1 Eingangssatz und § 77 Abs. 3 BetrVG? Hieraus lässt sich indes nicht der Schluss ziehen, dass § 87 Abs. 1 BetrVG hinsichtlich des Verhältnisses von Betriebsvereinbarung zu Tarifvertrag nur den Gedanken verwirkliche, der auch § 77 Abs. 3 BetrVG zugrunde liege60, namentlich, dass die Betriebsräte keine Ersatzgewerkschaften sein sollen, der Schluss also, dass die Zwecke der §§ 77 Abs. 3, 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG vollständig identisch seien61; damit wäre der Gedanke des Arbeitnehmerschutzes bei der Bestimmung des Zwecks der Vorschrift vollständig ausgeschaltet. Dann ließe sich nicht erklären, warum die Sperrwirkung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG 57
s. auch Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 606. Für Erzwingbarkeit günstigerer Regelungen im Anwendungsbereich des § 87 BetrVG trotz bestehender tariflicher Regelung allerdings Gast, Anm. zu BAG 24. 2. 1987 BB 1987, 1249 (1252). 59 Lieb, ZfA 1978, 179 (205); Moll, Tarifvorrang, S. 19; Wank, RdA 1991, 129 (137); Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 553; s. auch C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 224; gegen diese Argumentation, aber nicht überzeugend, Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 161; Wiese, FS 25 Jahre BAG, S. 661 (662 f., Fn. 8); gegen Wiese wiederum Moll, a. a. O. (mit Fn. 37); wie hier zuletzt auch Brecht-Heitzmann, GS Zachert, S. 502 (518). 60 Nur scheinbar vertritt diese Ansicht Säcker, ZfA Sonderheft 1972, 41 (64), der aber (S. 65) bei seinem Plädoyer für die Vorrangtheorie von einem zweifachen Normzweck des Tarifvorrangs ausgeht; s. auch Säcker/Oetker, RdA 1992, 16 (19). 61 So im Ergebnis aber Joost, ZfA 1993, 257 (266 ff. und besonders deutlich S. 278); Lieb, ZfA 1978, 179 (205 ff.); Moll, Tarifvorrang, S. 18 ff. (21), 38; Waas, Tarifkonkurrenz, S. 131 f.; Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 553 f.; offenbar auch Adomeit, BB 1972, 53; Kissel, NZA 1995, 1 (4 f.) und schon ders., NZA 1986, 73 (76); Kraft, RdA 1992, 161 (168); Merten, BB 1993, 572 (575); Wiedemann/Arnold, Anm. zu BAG 14. 6. 1989 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 16, unter 2. c); dies., ZTR 1994, 443 (445); Witzig, Tarifeinheit, S. 40; ferner Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 125; s. auch Stege/Weinspach/ Schiefer, § 87 Rn. 28 (anders aber Rn. 35c). 58
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nicht ausgelöst wird durch eine tarifliche Regelung, die dem Arbeitgeber ein Alleinentscheidungsrecht zuweist62; der Vorrang der Tarifautonomie würde die Sperrwirkung auch hier verlangen63. Folgerichtig haben etwa Joost und Lieb64, die den Zweck des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG allein im Schutz vereinbarter tarifvertraglicher Regelungen vor erzwingbaren konkurrierenden bzw. weitergehenden Betriebsvereinbarungen, in der Sicherung des Vorrangs der Normsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien sehen65, Schwierigkeiten mit dem von der ganz h. M. anerkannten Satz – der nach hiesiger Auffassung belegt, dass es bei § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG nicht nur um den Schutz der Tarifautonomie gehen kann, sondern daneben auch um den Arbeitnehmerschutz geht –, wonach tarifvertragliche Regelungen, die dem Arbeitgeber einseitige, mitbestimmungsfreie Entscheidungsrechte einräumen, die Sperrwirkung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG nicht auslösen.66 Die Ausnahme von der Sperrwirkung kann nur mit dem Gedanken des Arbeitnehmerschutzes erklärt werden.67 Ferner hat Wendeling-Schröder darauf hingewiesen, dass es, wäre der Schutz der Tarifautonomie das einzige Ziel des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG, nahe gelegen hätte, auch hier, wie in § 77 Abs. 3 BetrVG, die Tarifüblichkeit aufzunehmen.68 dd) Doppelter Zweck des Tarifvorrangs In § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG vereinigen sich demnach zwei Zwecke, der Schutz des Arbeitnehmers vor den individualrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers sowie der Konkurrenzschutz der Tarifautonomie gegenüber der Betriebsautonomie.69 Die Unanwendbarkeit des Günstigkeitsprinzips ist als Resultat einer norminternen Zweckabwägung zu verstehen. Das Interesse der 62
Gegen Sperrwirkung hier aber auch Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 603. Differenzierend Säcker/Oetker, RdA 1992, 16 (19 f.). 64 Weitere Nachweise bei Säcker/Oetker, RdA 1992, 16 (18, mit Fn. 14), dort auch zur Entwicklung der diesbezüglichen Rechtsprechung des BAG; dazu auch Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 570. 65 Joost, ZfA 1993, 257 (266 ff., 278); Lieb, ZfA 1978, 179 (205 ff.). 66 Joost, ZfA 1993, 257 (267, 278); Lieb, ZfA 1978, 179 (209 ff.); s. auch Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 787. 67 Vgl. dazu GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 79 m.w. N.; Wiese, FS 25 Jahre BAG, S. 661 (675). 68 Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, Grundl. Rn. 346. 69 s. auch Wank, RdA 1991, 129 (137 f.); im Ergebnis ebenso Band, Tarifkonkurrenz, S. 97 f.; DKK/Berg, § 77 Rn. 66; Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 98, 112; v. Hoyningen-Huene/Meier-Krenz, NZA 1987, 793 (796); Jacobs, Tarifeinheit, S. 381 f., 383; Kraft, FS Molitor, S. 207 (208, 209, 211, 212 f., 216); A. Stein, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 35 (40 f.); Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, Grundl. Rn. 346; Weyand, AuR 1989, 193 (194 f.); Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 989; Zachert, RdA 1996, 140 (144); s. auch Kittner/Zwanziger/Kittner/Deinert, § 18 Rn. 4; zuletzt Brecht-Heitzmann, GS Zachert, S. 502 (517 f.). 63
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Arbeitnehmer an über den tariflichen Schutz hinausgehender betrieblicher Mitbestimmung im Günstigkeitsbereich muss, da hinreichender Schutz durch die tarifliche Regelung gesichert ist, hinter dem Konkurrenzschutzinteresse der Tarifvertragsparteien zurückstehen; gerade mit günstigeren betrieblichen Regelungen können zukünftige Tarifverträge präjudiziert werden und Betriebsräte sich gegenüber Gewerkschaften profilieren70. Gegen die These, dass § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG neben dem Arbeitnehmerschutz auch der Sicherung der Vorrangstellung des Tarifvertrags auch im Anwendungsbereich des § 87 BetrVG diene, kann nicht eingewandt werden, dass diese Deutung den Gesetzesvorrang (§ 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG: „soweit eine gesetzliche . . . Regelung nicht besteht“) nicht erklären könne.71 Dabei wird verkannt, dass aus dem Nebeneinander von Gesetzes- und Tarifvorrang in § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG nicht der Schluss gezogen werden darf, dass beider Regelungszwecke identisch sein müssten.72 Während der Gesetzesvorrang allein auf dem Gedanken der Entbehrlichkeit weiteren Arbeitnehmerschutzes durch erzwingbare Mitbestimmung im Falle einer gesetzlichen Regelung basiert, ist der Zweck des Tarifvorrangs im geschilderten Sinne ein doppelter.73
70 Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 553; s. auch Joost, ZfA 1993, 257 (268); des Weiteren Reuter, ZfA 1995, 1 (64); Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 996; jüngst Brecht-Heitzmann, GS Zachert, S. 502 (518). 71 So aber Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 160, 171; Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 221 f.; GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 55; Wiese, FS 25 Jahre BAG, S. 661 (664); s. auch Koller, ZfA 1980, 521 (553). 72 So aber ausdrücklich Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 160; wie hier C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 224 f.; Haug, BB 1986, 1921 (1925); Moll, Tarifvorrang, S. 19; Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 552; Wank, RdA 1991, 129 (137); s. auch Richardi/Richardi, § 87 Rn. 155 a. E.; s. auch allgemein Wank, Begriffsbildung, S. 97 ff. 73 Dafür, dass § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG auch der Sicherung des Vorrangs der Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien dient, neben den oben Fn. 69 Genannten auch C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 224 f.; HSWGNR/ Worzalla, § 87 Rn. 46; s. auch Schlachter, RdA 1993, 313 (321); s. ferner Säcker, ZfA Sonderheft 1972, 41 (64 f.) – zu ihm auch schon oben Fn. 60 – sowie Säcker/Oetker, RdA 1992, 16 (19). Demgegenüber ausdrücklich gegen die Annahme eines von § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG intendierten Schutzes der aktualisierten Tarifautonomie neben GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 55, etwa WPK/Bender, § 87 Rn. 24; Ehmann/T. B. Schmidt, NZA 1995, 193 (198); HaKo-BetrVG/Kohte, § 87 Rn. 15; s. auch Gamillscheg, KollArbR II, § 50 2. c) (1) (a), S. 870: Der Schutz der Tarifautonomie sei „nicht der vordringliche Zweck der Vorschrift“; zuletzt auch Greiner, Rechtsfragen, S. 381 f. Von einem durch § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG bezweckten Schutz der Tarifautonomie geht jetzt im Übrigen auch der Anfragebeschluss des 4. Senats des BAG vom 27. 1. 2010 aus, s. NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) ee) (5) der Gründe, Rn. 98 des Beschlusses.
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d) Vereinbarkeit der tarifpluralen Betrachtung mit den rationes des Mitbestimmungsrechts in sozialen Angelegenheiten (§ 87 BetrVG) und des Tarifvorrangs (§ 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG) Die potentiell weitergehende Verdrängung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten, zu der die Freigabe von Tarifpluralitäten führen kann – Auslösung der Sperrwirkung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG durch jeden der kollidierenden Tarifverträge und damit auch in ihren jeweiligen Divergenzbereichen –, ist an den Zwecken des § 87 BetrVG zu messen. Sie ist zu akzeptieren und bedarf keiner Korrektur dergestalt, dass nur einer der kollidierenden Tarifverträge die Sperrwirkung auslösen könne, wenn sie mit diesen Zwecken vereinbar ist oder von ihnen geradezu gefordert wird.74 aa) Vereinbarkeit mit dem durch § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG bezweckten Schutz der Tarifautonomie (1) Bedrohung des Schutzes der Tarifautonomie durch Konkurrenz auf betrieblicher Ebene Nach vorzugswürdiger Auffassung dient der im Eingangssatz des § 87 Abs. 1 BetrVG normierte Tarifvorrang auch dem Konkurrenzschutz der Tarifautonomie gegenüber der Betriebsautonomie. Eingedenk der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Art. 9 Abs. 3 GG – Koalitionsfreiheit als Diskriminierungsverbot75 – muss dieser Konkurrenzschutz von jeder Koalition i. S. d. Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG, oder: von jeder tariflichen „Rechtssetzungsgemeinschaft“, in Anspruch genommen werden können. Die Auswahl eines der kollidierenden Tarifverträge – nach welchen Kriterien (z. B. Spezialitätsprinzip, Mehrheitsprinzip) auch immer – als desjenigen, der allein die Sperrwirkung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG gegenüber dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auslöst, würde diejenigen Regelungen des anderen Tarifvertrages, die im ersten keine Entsprechung finden (Bereich der inhaltlichen Inkongruenz der kollidierenden
74 Dies verneinend Meyer, NZA 2006, 1387 (1391): Die Freigabe der Tarifpluralität führe infolge einer zweifelhaften Extension zu einer Beeinträchtigung der Betätigung der Betriebsparteien, die mit dem Regelungsziel des § 87 Abs. 1 BetrVG unvereinbar erscheine. 75 Dazu Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 28 f.; MüArbR/Löwisch/Rieble, § 155 Rn. 6; § 156 Rn. 38 ff.; § 157 Rn. 99 ff.; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1854 ff.; zuletzt Greiner, Rechtsfragen, S. 147 f.; Löwisch, RdA 2009, 215 (221); s. auch Klein, Minderheitsgewerkschaften, S. 141 ff., 146 ff., 182 ff. und zum Gebot staatlicher Neutralität gegenüber konkurrierenden Koalitionen in anderem Zusammenhang jüngst Giesen, ZfA 2008, 355 (372 ff., 380 f.) sowie allgemein Koop, Tarifvertragssystem, S. 95 f. m.w. N. Vgl. ferner im hiesigen Kontext A. Stein, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 35 (37): Gleichwertigkeit der Gewerkschaften als Arbeitnehmerrepräsentanz, sofern die an eine Gewerkschaft zu stellenden Anforderungen erfüllt sind.
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Tarifverträge, Divergenzbereich), der abändernden Regelung der Betriebsparteien preisgeben. (2) Bedrohung trotz Erzwingbarkeit lediglich günstigerer betrieblicher Regelungen Allerdings ist dabei Folgendes zu beachten: Die Alternativen, die hier einander gegenübergestellt werden, sind nicht die tarifplurale Betrachtung einerseits und die Anwendung des überkommenen Grundsatzes der Tarifeinheit bei Tarifpluralität, also eine umfassende Herstellung betrieblicher Tarifeinheit im Wege der Tarifverdrängung andererseits. Es geht nur um die Frage, ob die in das System der Arbeitsrechtsordnung, hier in die durch die Regelung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz markierte Nahtstelle zwischen Tarifvertrags- und Betriebsverfassungsrecht, einzupassende Tarifpluralität als neue tarifkollisionsrechtliche Weichenstellung auf den betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrang durchschlägt oder nicht. Miteinander zu vergleichen sind die tarifplurale Betrachtung (Auslösung der Sperrwirkung durch jeden der kollidierenden Tarifverträge) einerseits und andererseits eine Lösung, bei der lediglich für die Frage des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrangs einer der kollidierenden Tarifverträge ausgewählt wird, der dann allein Sperrwirkung gegenüber dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten entfaltet. Das bedeutet – im Unterschied zu einer Lösung nach dem überkommenen Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb –, dass der Tarifvertrag, der danach keine Sperrwirkung zeitigt, gleichwohl gemäß §§ 4 Abs. 1 Satz 1, 3 Abs. 1 TVG auf die Arbeitsverhältnisse der an ihn tarifgebundenen Arbeitnehmer anwendbar bleibt. Er wird nicht aus dem Betrieb verdrängt, er löst bloß keine Sperrwirkung gegenüber der erzwingbaren betrieblichen Mitbestimmung aus.76 Gleichwohl bedroht aber die Lösung, bei der einer der kollidierenden Tarifverträge als derjenige ausgewählt wird, der allein den Tarifvorrang auslöst (im Folgenden: Tarifvertrag A), den von § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG (auch) bezweckten Schutz der Tarifautonomie, konkret den Konkurrenzschutz der den anderen, danach nicht-sperrenden Tarifvertrag (im Folgenden: Tarifvertrag B) schließenden Gewerkschaft gegenüber dem Betriebsrat. Denn bliebe der Tarifvertrag zwar normativ nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG auf die Arbeitsverhältnisse der einschlägig tarifgebundenen Arbeitnehmer anwendbar, zeitigte er aber keine Sperrwirkung gegenüber dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, dann könnte der Betriebsrat zumindest eine gegenüber dieser tarifvertraglichen Regelung günstigere betriebliche Regelung erzwingen, § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG.77 76
Deutlich zu dem Unterschied jetzt auch Deinert, NZA 2009, 1176 (1178 f.). Vgl. zur Anwendbarkeit des Günstigkeitsprinzips für den Fall, dass der Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG nicht greift, Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 610, 621. 77
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(a) Bedrohung durch Erzwingung günstigerer Betriebsvereinbarungen Eine Bedrohung des Schutzes der Tarifautonomie durch Konkurrenz auf betrieblicher Ebene könnte sich zunächst aus der Möglichkeit des Betriebsrats ergeben, gegenüber dem nicht-sperrenden Tarifvertrag günstigere Betriebsvereinbarungen zu erzwingen. Die Anwendbarkeit des Günstigkeitsprinzips des § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG für den Fall, dass der Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG nicht greift, wird in der Literatur gerade für das Verhältnis von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung angesprochen.78 Ob die Betriebsvereinbarung jedoch insoweit als Regelungsinstrument und als Ausübungsform des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten überhaupt – auch im Günstigkeitsbereich – in Betracht kommt, hängt von einigen Weichenstellungen ab. Zunächst fände nach hiesiger Auffassung der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG auch im hier interessierenden Divergenzbereich des nicht-sperrenden Tarifvertrages B Anwendung, da ungeachtet der hier diskutierten Frage, ob die Sperrwirkung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG im tarifpluralen Betrieb durch jeden der kollidierenden Tarifverträge ausgelöst wird, die – dies bejahende – tarifplurale Sichtweise jedenfalls für § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG gilt79. In der Folge kommt es dann auf zwei Fragen an: Zunächst auf die sachlichgegenständliche Reichweite des Tarifvorbehalts, d. h. auf das Verständnis der „sonstigen Arbeitsbedingungen“ nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. Viel spricht, ohne dass dies hier näher ausgeführt werden kann und muss, dafür, dass sich § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nicht, wie es allerdings verbreiteter, früher auch vom BAG80 vertretener Meinung entspricht81, lediglich auf materielle Arbeitsbedingungen und auch nicht nur auf solche Arbeitsbedingungen bezieht, die Gegenstand tarifvertraglicher Inhaltsnormen i. S. d. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 TVG sein können82, sondern auf schlechthin alle Arbeitsbedingungen83, mithin auch auf die Regelungsgegenstände des § 87 Abs. 1 BetrVG.84 78
s. Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 610, 621. s. dazu noch unten B. II. 1. 80 BAG 24. 2. 1987 AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 21 (Richardi), unter B. II. 4. a), b) aa), bb), cc), dd) der Gründe – allerdings, worauf JKO/Jacobs, § 7 Rn. 98 und Wiedemann/ Wank, § 4 Rn. 572 (Fn. 733) hinweisen, lediglich obiter. 81 Etwa Ehmann/T. B. Schmidt, NZA 1995, 193 (196); P. Hanau, RdA 1973, 281 (283 f.); ders., BB 1977, 350; Kissel, NZA 1986, 73 (76); Konzen, BB 1977, 1307 (1311 f.); Lieb, ZfA 1978, 179 (211 f.); Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 48 II. 6. a), S. 501; Reuter, Anm. zu BAG 14. 11. 1974 SAE 1976, 15 (17); Richardi, Anm. zu BAG 24. 2. 1987 AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 21, unter II. 1.; Richardi/Richardi, § 77 Rn. 256; Walker, ZfA 1996, 353 (356); Wank, RdA 1991, 129 (133, 135); Wiedemann/ Wank, § 4 Rn. 572 f.; Wiese, FS 25 Jahre BAG, S. 661 (665, 670); ders., Anm. zu BAG 24. 2. 1987 SAE 1989, 6 (8); GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 57. 82 Dafür indes die heute wohl h. M.: BAG 9. 4. 1991 AP BetrVG 1972 § 77 Tarifvorbehalt Nr. 1, unter II. 3. der Gründe; BAG (GS) 3. 12. 1991 AP BetrVG 1972 § 87 Lohn79
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Gibt man des Weiteren, wofür die besseren Argumente sprechen dürften, der sog. Zwei-Schranken-Theorie den Vorzug gegenüber der Vorrangtheorie, so dass § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG Betriebsvereinbarungen – und zwar auch gegenüber dem Tarifvertrag günstigere Betriebsvereinbarungen – auch in Angelegenheiten ausschließt, in denen der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG hat, so kann es im Ergebnis um die Erzwingung gegenüber den Regelungen von Tarifvertrag B günstigerer Betriebsvereinbarungen nicht gehen; die Betriebsvereinbarung als Ausübungsform des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats wird unter den genannten drei Voraussetzungen (tarifplurale Auslösung des Tarifvorbehalts des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG; umfassendes Verständnis der „sonstigen Arbeitsbedingungen“ i. S. d. Vorschrift; Zwei-Schranken-Theorie) durch § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG auch im gegenständlichen Bereich des § 87 Abs. 1 BetrVG und auch dann ausgeschlossen, wenn der Betriebsrat im Divergenzbereich des gestaltung Nr. 51, unter C. I. 3. a); DKK/Berg, § 77 Rn. 63; Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 95; Conze, DB 1978, 490 (491); Fitting, § 77 Rn. 71 ff.; Gamillscheg, KollArbR II, § 47 4. a) (2) und (4), S. 780 sowie b) (1), S. 781; Heinze, NZA 1989, 41 (45); Heither, FS Dieterich, S. 231 (235); v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, § 11 Rn. 53 f.; JKO/Jacobs, § 7 Rn. 98; Kittner/Zwanziger/Kittner/ Deinert, § 18 Rn. 7 f.; HaKo-BetrVG/Lorenz, § 77 Rn. 48; WPK/Preis, § 77 Rn. 60; Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, Grundl. Rn. 328; Weyand, AuR 1989, 193 (194); im Ergebnis auch Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 153. 83 Dafür C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 190 ff., 195; Moll, Tarifvorrang, S. 44 ff., 50 f.; Thüsing, ZTR 1996, 146 (148); Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung, S. 276 ff., 282; wohl auch Haug, BB 1986, 1921 (1928 f.). 84 Eine Beschränkung auf solche Arbeitsbedingungen, die Gegenstand tarifvertraglicher Inhaltsnormen sein können (so die heute wohl h. M.), würde an dieser Stelle das Ergebnis sogar nicht einmal ändern: Da in tarifkollisionsrechtlicher Hinsicht ohnehin nur diejenigen Regelungsgegenstände des § 87 Abs. 1 BetrVG von Interesse sind, die nicht „betriebliche Fragen“ i. S. d. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG betreffen (sonst: Entstehung einer betriebsweiten Tarifkonkurrenz, Auflösung anhand des betriebseinheitlich angewandten Grundsatzes der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis mit dem Ergebnis, dass die Sperrwirkung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG insoweit ohnehin nur durch einen der kollidierenden Tarifverträge ausgelöst werden kann), die also Gegenstand tarifvertraglicher Inhaltsnormen sein können (einschließlich der rein arbeitsverhältnisbezogenen Bestandteile tariflicher Doppelnormen), würde – vorbehaltlich der Entscheidung für die Vorrang- oder die sog. Zwei-Schranken-Theorie – auch nach der h. M. § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG eingreifen. Anders, wenn man mit einer nach wie vor verbreiteten Ansicht § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG auf materielle Arbeitsbedingungen beschränkt. Von diesem Standpunkt aus ist der Anwendungsbereich des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG auch auf der Grundlage der sog. Zwei-Schranken-Theorie in Angelegenheiten des § 87 BetrVG vergleichsweise schmal, da diese zu einem großen Teil formelle Arbeitsbedingungen betreffen. Das gilt auch für die hier – unter Kollisionsgesichtspunkten – allein interessierenden möglichen Gegenstände tariflicher Individualnormen (s. o.: anderenfalls betriebsweite Tarifkonkurrenz), denn der Begriff der formellen Arbeitsbedingungen ist nicht deckungsgleich mit den betrieblichen Fragen i. S. d. § 3 Abs. 2 TVG; s. dazu Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 154, 167, 173; Thüsing, ZTR 1996, 146 (148); Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 411. Zu den Begriffen „formelle“ und „materielle Arbeitsbedingungen“ s. nur Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 48 II. 6. a), S. 501; Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 573; zum Herkommen des Begriffspaares Heinze, NZA 1989, 41 (42 f.).
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keine Sperrwirkung entfaltenden Tarifvertrages ein Mitbestimmungsrecht in sozialen Angelegenheiten hat. Anders ist es insbesondere dann, wenn man § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG auf materielle Arbeitsbedingungen beschränkt, da der Anwendungsbereich des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG in Angelegenheiten des § 87 Abs. 1 BetrVG, die großenteils formelle Arbeitsbedingungen betreffen, dann recht schmal ist. (b) Bedrohung durch Erzwingung günstigerer Betriebsabsprachen Auch wenn man aber die beschriebenen Weichen so stellt, dass Betriebsvereinbarungen ausscheiden, ist die beschriebene, mit dem kollektivbezogenen Normzweck des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG konfligierende Bedrohung des Konkurrenzschutzes der Tarifautonomie gegenüber der Betriebsautonomie bei Durchbrechung der tarifpluralen Sichtweise für die Frage des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrangs – Auslösung der Sperrwirkung nur durch einen der kollidierenden Tarifverträge – nicht erledigt. Sie kann sich weiterhin aus der auch dann gegebenen Möglichkeit des Betriebsrats ergeben, gegenüber den Regelungen im Divergenzbereich des nicht-sperrenden Tarifvertrages günstigere Betriebsabsprachen (Regelungsabreden)85 zu erzwingen.86 § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG lässt die Möglichkeit zum Abschluss von Regelungsabreden nach vorzuziehender, sogleich noch näher zu begründender Ansicht unberührt.87 Das Günstigkeitsprinzip bezieht sich dann nicht unmittelbar auf das Verhältnis des betroffenen Tarifvertrages zu der Regelungsabrede – da diese nur das Verhältnis von Arbeitgeber und Betriebsrat betrifft, hingegen nicht unmittelbar auf die Arbeits85 Zu ihnen nur Fitting, § 77 Rn. 216 ff.; GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 6, 8 ff.; WPK/Preis, BetrVG, § 77 Rn. 92 ff.; Richardi/Richardi, § 77 Rn. 224 ff. 86 Dazu, dass das Mitbestimmungsrecht in sozialen Angelegenheiten nach § 87 BetrVG auch durch Abschluss von Regelungsabreden ausgeübt werden kann, s. nur GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 19; GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 86. 87 Für (analoge) Anwendung des § 77 Abs. 3 BetrVG auf Regelungsabreden hingegen DKK/Berg, § 77 Rn. 78; Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 111; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 249; Gamillscheg, KollArbR I, § 7 III. 2. c) (2), S. 328; ders., KollArbR II, § 47 4. a) (5), S. 780 f. (mit Fn. 161) sowie § 47 4. d) (3), S. 787; P. Hanau, RdA 1973, 281 (285); HaKo-BetrVG/Lorenz, § 77 Rn. 55; MüArbR/Matthes, § 238 Rn. 69; Richardi/Richardi, § 77 Rn. 230, 293; Zachert, RdA 1996, 140 (145); Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 986; wohl auch Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 774. Wie hier BAG 20. 4. 1999 AP GG Art. 9 Nr. 89 (Richardi), unter B. II. 1. b) aa) der Gründe; C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 217 f.; Fitting, § 77 Rn. 102, 224; Haug, BB 1986, 1921 (1929); Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht 2, Rn. 374; Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 150; Löwisch/Kaiser, § 77 Rn. 117; GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 135; Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 48 II. 6. e), S. 502; WPK/Preis, § 77 Rn. 59; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1489 f.; Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung, S. 269 f.; ders., RdA 1996, 129 (132, 138); Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 560, 576 f.; Wank, RdA 1991, 129 (133); Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, Grundl. Rn. 341; Wiedemann, RdA 2007, 65 (67).
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verhältnisse einwirkt, ist sie keine i. S. d. § 4 Abs. 3 TVG von den Rechtsnormen des Tarifvertrages „abweichende Abmachung“ –, sondern auf das Verhältnis der tariflichen Regelung zu den individualrechtlichen Umsetzungsakten, also zu den auf der Regelungsabrede beruhenden arbeitsvertraglichen Vereinbarungen, zu deren Abschluss die – hier: vom Betriebsrat erzwungene – Regelungsabrede den Arbeitgeber verpflichtet.88 Wenn es also oben hieß, dass bei einer Zurücknahme der Sperrwirkung auf einen der kollidierenden Tarifverträge diejenigen Regelungen des anderen, danach nicht-sperrenden Tarifvertrages, die in dem den Tarifvorrang auslösenden Tarifvertrag keine Entsprechung finden (Bereich der inhaltlichen Inkongruenz der kollidierenden Tarifverträge, Divergenzbereich), der abändernden Regelung der Betriebsparteien preisgegeben würden, so ist dies dahingehend zu präzisieren, dass sie jedenfalls einer i. S. d. § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG günstigeren abändernden betrieblichen Regelung in Gestalt einer Regelungsabrede preisgegeben würden. Konfliktpotential für den von § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG (auch) bezweckten Konkurrenzschutz der Tarif- gegenüber der Betriebsautonomie birgt die Lösung aber trotz der begrenzenden Wirkung des Günstigkeitsprinzips und trotz der etwaigen Beschränkung der Ausübung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats auf die Erzwingung von Regelungsabreden: Zum einen könnte gerade die Möglichkeit des Betriebsrats, günstigere betriebliche Regelungen zu erzwingen, die in der betroffenen Gewerkschaft organisierten Arbeitnehmer am Wert ihrer Mitgliedschaft zweifeln lassen. Eben aus diesem Grund ist bei § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG auf die Anwendbarkeit des Günstigkeitsprinzips verzichtet worden: Gerade mit günstigeren betrieblichen Regelungen können zukünftige Tarifverträge präjudiziert werden und Betriebsräte sich gegenüber Gewerkschaften profilieren.89 Zum zweiten liegt kein Widerspruch darin, einerseits in der Erzwingbarkeit zugunsten der Arbeitnehmer vom Tarifvertrag abweichender Regelungsabreden durch den Betriebsrat eine Gefahr für den von § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG nach hiesiger Ansicht (auch) bezweckten Konkurrenzschutz der Tarif- gegenüber der Betriebsautonomie zu sehen, andererseits aber eine Ausdehnung des Tarifvorbehalts des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG auf Regelungsabreden abzulehnen, obwohl gerade § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ebenfalls den Schutz der Tarifautonomie bezweckt. Man muss lediglich die jeweiligen Normzwecke präzise herausarbeiten. Dann zeigt sich, dass der von § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG (neben dem 88 s. dazu deutlich WPK/Preis, § 77 Rn. 95 und schon Rn. 59; s. auch Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 151; ferner etwa Fitting, § 77 Rn. 102, 224; Kempen/ Zachert/Wendeling-Schröder, Grundl. Rn. 341. 89 s. schon oben B. I. 2. c) dd) und Fn. 70 sowie nochmals Joost, ZfA 1993, 257 (268); Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 553.
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Gedanken des Arbeitnehmerschutzes) verfolgte kollektivbezogene Schutzzweck eine geringfügig andere Akzentuierung trägt als der Normzweck des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG; dies lässt sich bereits aus den vom Gesetz nach seinem Wortlaut jeweils angeordneten Rechtsfolgen rückschließen.90 (aa) § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG schließt als Rechtsfolge nach seinem insoweit91 eindeutigen Wortlaut92 nur Betriebsvereinbarungen aus.93 Von dieser Rechtsfolge aus lässt sich der Zweck des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG dahin präzisieren, dass die Vorschrift nicht schlechthin kollektive Vereinbarungen auf betrieblicher Ebene unterbinden oder schlechthin die Tarifautonomie vor einer konkurrierenden Regelungskompetenz auf betrieblicher Ebene sichern soll, sondern dass Normzweck nur ist, die Normsetzungsprärogative der Tarifvertragsparteien zu sichern und solche Vereinbarungen mit gleichem Gegenstand zu unterbinden, die die gleiche Wirkungsweise wie der Tarifvertrag haben, also (vgl. §§ 4 Abs. 1 TVG, 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG) Betriebsvereinbarungen.94 Die normative Einwirkung auf Arbeitsverhältnisse ist praktisch und dogmatisch verschieden von einer Verpflichtung des Arbeitgebers, auf dem Gebiet der Einzelverträge in bestimmter Weise zu verfahren, wie sie durch die Betriebsabsprache herbeigeführt werden kann.95 § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG bezieht sich demnach auf eine Konkurrenz zwischen betrieblicher und tariflicher Rechtsnormensetzung.96 Es geht der Vorschrift 90 Dazu, dass vor allem in den Rechtsfolgen der Regelungszweck des Gesetzes zum Ausdruck kommt, s. nochmals Rüthers/C. Fischer, Rechtstheorie, Rn. 136; Wank, Begriffsbildung, S. 87, 90 sowie bereits oben Teil 3, Kapitel 2, unter D. II. und aktuell Wank, RdA 2010, 193 (195). 91 Zur gebotenen Vorsicht bei der Beurteilung eines Wortlauts als „eindeutig“ Engisch, Einführung, S. 93 (Fn. 30); Larenz, Methodenlehre, S. 343; Wank, Auslegung, § 5 XI., S. 53 f. sowie § 9, S. 71. 92 GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 135; Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 577. 93 Kritisch zum Wortlautargument allerdings DKK/Berg, § 77 Rn. 78; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 249; Gamillscheg, KollArbR I, § 7 III. 2. c) (2), S. 328, alle unter Hinweis darauf, dass die Betriebsabsprache vom Gesetz überhaupt an keiner Stelle erwähnt wird; konzediert auch von BAG 20. 4. 1999 AP GG Art. 9 Nr. 89 (Richardi), unter B. II. 1. b) aa) (2) der Gründe. Der Einwand ist jedoch nicht berechtigt, da das Gesetz eben nicht auf den in § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG verwendeten (Ober-)Begriff der „Vereinbarung“ zurückgreift; wie hier C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 218. Auch systematisch lässt das Gesetz die Beschränkung des Tarifvorbehalts auf Betriebsvereinbarungen erkennen, denn anders als Abs. 1 befassen sich die Abs. 2 bis 6 des § 77 BetrVG, inmitten derer der Tarifvorbehalt eingeordnet ist, nur mit der Betriebsvereinbarung. 94 GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 135. 95 Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 577; die Unterschiede betonen zutreffend auch Haug, BB 1986, 1921 (1929); Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung, S. 270; ders., RdA 1996, 129 (132); s. auch C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 218. 96 Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung, S. 270; Hervorhebung aus dem Original übernommen.
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um den Schutz der Tarifautonomie und die Funktionsfähigkeit beider sie tragenden Tarifvertragsparteien durch Ausschaltung der Konkurrenz der betrieblichen gegenüber der tarifvertraglichen Normsetzung.97 (bb) Bei § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG hingegen ist Rechtsfolge der Ausschluss des Mitbestimmungsrechts, der Erzwingbarkeit einer betrieblichen Regelung; in ihrer kollektivschützenden Dimension betrifft die Vorschrift daher speziell das Verhältnis der vertragsschließenden Gewerkschaft zum Betriebsrat als Träger des betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsrechts. Mehr als im Falle des Tarifvorbehalts nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, der unterschiedslos für erzwingbare (mitbestimmungspflichtige) und freiwillige (mitbestimmungsfreie) Betriebsvereinbarungen gilt98, ist somit beim Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG die Intention des Gesetzes, nicht nur ganz allgemein „die Tarifautonomie“ zu schützen, sondern ganz konkret die tarifschließende Gewerkschaft vor der Konkurrenz des als „beitragsfreie Ersatzgewerkschaft“ auftretenden Betriebsrats. Daraus folgt, dass die Betriebsabsprache als Regelungsinstrument zwar einerseits nicht den Normzweck des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG tangiert, da sie eine Konkurrenz zwischen betrieblicher und tariflicher Rechtsnormensetzung nicht begründet; sie – genauer: ihre Erzwingbarkeit durch den Betriebsrat – tangiert aber den kollektivbezogenen Normzweck des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG. Der Betriebsrat könnte sich durch Erzwingung im Vergleich zum Tarifvertrag günstigerer betrieblicher Regelungen unabhängig davon gegenüber der Gewerkschaft profilieren, ob er diese Regelungen in Gestalt einer Betriebsvereinbarung oder einer den Arbeitgeber zur Umsetzung in die einzelnen Arbeitsverhältnisse verpflichtenden Betriebsabsprache erzwingt; in beiden Fällen erreicht die günstigere betriebliche Regelung letztlich die einzelnen Arbeitnehmer, denen daraufhin der Betriebsrat, der ihnen diese Verbesserung gegenüber dem Tarifvertrag – sei es unmittelbar, sei es vermittelt durch einzelvertragliche Umsetzung – beschert hat, als die gegenüber der Gewerkschaft erfolgreichere, jene überflüssig machende Interessenvertretung erscheinen müsste. Dass die Gewerkschaften durch die Regelungsabrede nicht übermäßig betroffen werden, da allein der Umstand, dass die informelle Mitwirkung des Betriebsrats den in Umsetzung der Regelungsabrede individualvertraglich vereinbarten Arbeitsbedingungen eine optische Legitimation verleihe, die Arbeitnehmer nicht davon abhalten werde, sich gewerkschaftlich zu organisieren99, gilt dann nicht mehr, wenn der Betriebsrat die Möglichkeit hat, den Abschluss der Regelungsabrede über die Einigungsstelle
97
Vgl. Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung, S. 294 f. s. nur GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 133. 99 Damit rechtfertigt – zutreffend – Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1489, die Nichtanwendung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG auf die Regelungsabrede. 98
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(§§ 87 Abs. 2, 76 Abs. 5 Satz 1 BetrVG) zu erzwingen100; von einer bloß „informellen Mitwirkung“ des Betriebsrats kann dann keine Rede sein. Begrifflich kann man auch insoweit, wie es nur um Betriebsabsprachen, nicht um Betriebsvereinbarungen geht, weiterhin von einem durch § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG (auch) bezweckten „Konkurrenzschutz der Tarifautonomie gegenüber der Betriebsautonomie“ sprechen, da der Begriff der Autonomie nicht gleichbedeutend ist mit der Befugnis zur Rechtsnormensetzung; er bezeichnet einen vom Staat zur Selbstregelung eigener Angelegenheiten überlassenen Bereich, ist aber nicht verengt auf die Selbstregelung durch Sätze objektiven Rechts.101 (3) Beeinträchtigung der Chancengleichheit der konkurrierenden Gewerkschaften Ein weiterer Punkt kommt hinzu, wenn man bedenkt, dass gerade diejenigen Regelungen des keinen Tarifvorrang entfaltenden Tarifvertrages B betroffen wären, die in dem anderen (sperrenden) Tarifvertrag keine Entsprechung finden (Bereich der inhaltlichen Inkongruenz, Divergenzbereich). Gerade mit diesen Regelungen wird die den Tarifvertrag B schließende Gewerkschaft B versuchen, sich gegenüber ihrer Konkurrenzgewerkschaft A zu profilieren oder doch zumindest spezifischen Bedürfnissen und Interessen ihrer aktuellen Mitglieder und/ oder der von ihr umworbenen „Zielgruppe“ nachzukommen. Die Auswahl eines der kollidierenden Tarifverträge als allein die Sperrwirkung zeitigende „tarifliche Regelung“ i. S. d. § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG setzt also das Regelungsinteresse derjenigen Tarifvertragsparteien, deren Tarifvertrag danach nicht den Tarifvorrang aktiviert, nicht nur gegenüber dem Regelungsinteresse der Betriebsparteien (des Betriebsrats) zurück, sondern auch gegenüber den konkurrierenden Tarifvertragsparteien (der Konkurrenzgewerkschaft). Für die Arbeitnehmer eröffnete sich nämlich die Möglichkeit, durch Eintritt oder Wechsel in Gewerkschaft A ein Mehr an tarifvertraglichem Schutz zu erlangen (namentlich in Bereichen, in denen zwar Gewerkschaft A, nicht aber Gewerkschaft B tarifliche Regelungen mit der Arbeitgeberseite vereinbart hat), ohne im Gegenzug kollektivrechtlichen Schutz in dem tarifvertraglich allein von Gewerkschaft B geregelten Bereich einzubüßen – denn hier greift nun das erzwingbare Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Diese mögliche Kombination
100 Und anschließend gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG den Arbeitgeber auf individualrechtliche Umsetzung der Regelungsabrede in Anspruch zu nehmen; zu diesem Anspruch des Betriebsrats gegen den Arbeitgeber nur Fitting, § 77 Rn. 221. 101 Dazu Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung, S. 54 ff. (für die Betriebsautonomie); ferner – mit Blick auf die Tarifautonomie – ders., FS Söllner, S. 1251 (1258 ff.); ders., ZfA 2000, 53 (55 ff.).
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aus konkurrierendem tariflichen und mitbestimmungsrechtlichem Schutz kann das Angebot der betroffenen Gewerkschaft B unattraktiv erscheinen lassen; sie kann ihrer Zielgruppe infolge der konkurrierenden Regelungsmöglichkeit des Betriebsrats, anders als die Konkurrenzgewerkschaft, deren Tarifvertrag für seinen Bereich nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG Vorrang gegenüber der erzwingbaren betrieblichen Mitbestimmung genießt, kein „exklusives“ Angebot machen. In der Konsequenz würde § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG in Verbindung mit der tarifeinheitlichen Auslösung der Sperrwirkung zu einer Konkurrenzregel nicht mehr nur für das Verhältnis Tarifautonomie – Betriebsautonomie (Gewerkschaft – Betriebsrat), sondern zusätzlich für das Verhältnis konkurrierender Gewerkschaften untereinander, zu einer Regelung des Konkurrenzschutzes der begünstigten Gewerkschaft A. Dies widerspricht dem kollektivbezogenen Schutzzweck des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG und der kollektiven Koalitionsfreiheit, Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG. Soweit der betriebsverfassungsrechtliche Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG den Schutz der Tarifautonomie intendiert, ist demnach die tarifplurale Betrachtung, die zu einer Auslösung der Sperrwirkung gegenüber dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats durch jeden der kollidierenden Tarifverträge und damit auch in den jeweiligen Divergenzbereichen führt, mit der ratio legis nicht nur vereinbar, sondern wird von ihr – jedenfalls, solange als Alternative zu dieser strikt tarifpluralen Sicht nur die auf einen der kollidierenden Tarifverträge reduzierte Sperrwirkung in den Blick genommen wird – geradezu gefordert. bb) Vereinbarkeit mit dem Arbeitnehmerschutzzweck Allein mit dem Gedanken, dass die Betriebsräte keine Ersatzgewerkschaften sein sollen, lässt sich nach der hier vertretenen Ansicht der Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG nicht erklären. Daneben tritt vielmehr der Gedanke des Arbeitnehmerschutzes, den die Mitbestimmungsregelung des § 87 BetrVG als solche verwirklichen soll und aus dem sich – neben dem Konkurrenzschutz der Tarif- gegenüber der Betriebsautonomie – auch die Vorrangregelung des Eingangssatzes erklärt.102 Wenn daher nach dem Vorstehenden der betriebsverfassungsrechtliche Tarifvorrang insoweit, wie er den Schutz der Tarifautonomie intendiert, die tarifplurale Betrachtung, deren Folge die Auslösung der Sperrwirkung gegenüber dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats durch jeden der kollidierenden Tarifverträge und damit auch in den jeweiligen Divergenzbereichen (Bereich der Inkon102
s. zum doppelten Zweck des Tarifvorrangs näher oben B. I. 2. c).
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gruenz der Regelungsmaterien der kollidierenden Tarifverträge) ist, nicht nur deckt, sondern gar zu dieser Lösung drängt, so ist damit nicht gesagt, dass nicht die Rücksicht auf den Schutz der einzelnen Arbeitnehmer eine andere Lösung nahe legen kann. Die Folgen der tarifpluralen Betrachtung für den Arbeitnehmerschutz wurden oben bereits kurz angesprochen: Wenn im tarifpluralen Betrieb die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten auf allen Gebieten gesperrt wären, die nur in einem der im Betrieb anwendbaren Tarifverträge geregelt sind, hat das – auf der Grundlage der im Ausgangspunkt vorzugswürdigen h. M., der zufolge es für § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG allein auf die Tarifbindung des Arbeitgebers ankommt – Folgen sowohl für die nicht organisierten Arbeitnehmer als auch für die Mitglieder der konkurrierenden Gewerkschaften. Für die Arbeitsverhältnisse der nicht organisierten Belegschaftsmitglieder entfiele die erzwingbare betriebliche Mitbestimmung in allen Bereichen, die entweder in Tarifvertrag A oder in Tarifvertrag B geregelt sind; das Spektrum von Regelungsmaterien, hinsichtlich derer die Außenseiter ohne jeglichen kollektivarbeitsrechtlichen Schutz auskommen müssen, vergrößert sich gegenüber der Lage unter der Herrschaft des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb um den Divergenzbereich desjenigen Tarifvertrages, der bei Herstellung betrieblicher Tarifeinheit aus dem Betrieb verdrängt würde oder der – bei einer Lösung im Sinne einer Zurücknahme des Tarifvorrangs auf einen der Tarifverträge – zumindest keine Sperrwirkung gegenüber dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG auslösen würde. Bei den organisierten Arbeitnehmern kann es zu Schutzeinbußen in den Bereichen kommen, für die zwar nicht ihr, aber der kollidierende Tarifvertrag Vorschriften enthält. Diese Auswirkungen für den Arbeitnehmerschutz sind im Folgenden näher darzustellen und zu bewerten. (1) Kollektivrechtlicher Arbeitnehmerschutz bei Auslösung der Sperrwirkung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG durch jeden der kollidierenden Tarifverträge (tarifplurale Betrachtung) Zunächst ist daran zu erinnern, dass viele der in den Nrn. 1 bis 13 des § 87 BetrVG aufgezählten Regelungsgegenstände „betriebliche Fragen“ i. S. d. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG betreffen, weshalb sich für diesen Bereich die Frage, ob als Konsequenz der Aufgabe des Grundsatzes der betrieblichen Tarifeinheit nunmehr der betriebsverfassungsrechtliche Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangsatz BetrVG durch jeden im Betrieb geltenden Tarifvertrag ausgelöst wird oder in Durchbrechung der grundsätzlichen tarifpluralen Betrachtung weiterhin nur einer der kollidierenden Tarifverträge den Tarifvorrang aktiviert, nicht stellt. Die Kollektivnormen-Kollision lässt aufgrund der Regelung des § 3
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Abs. 2 TVG eine betriebsweite Tarifkonkurrenz entstehen, welche einer betriebsweit einheitlichen Lösung nach dem Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis zugeführt werden muss. Nur die Kollektivnormen des sich insoweit durchsetzenden Tarifvertrages können Sperrwirkung für die erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten entfalten.103 Von jenem Normenbereich ist derjenige der rein arbeitsverhältnisbezogenen Fragen – einschließlich arbeitsverhältnisbezogener Bestandteile tarifvertraglicher Doppelnormen104 – zu trennen, für den (allein) es auf die Frage nach tarifpluraler oder tarifeinheitlicher Auslösung des Tarifvorrangs ankommt. Auf dem folgenden Schaubild, dass die einzelnen potentiellen Regelungsfelder zeigt (den nicht tarifierten Bereich, den Divergenzbereich des von Gewerkschaft A geschlossenen Tarifvertrages A, den Divergenzbereich des von Gewerkschaft B geschlossenen Tarifvertrages B sowie den Überschneidungsbereich der beiden tarifvertraglichen Regelungen), ist daher nur der Ausschnitt der sozialen Angelegenheiten des § 87 Abs. 1 BetrVG dargestellt, der nicht betriebliche Fragen betrifft. Bei tarifpluraler Betrachtung, d. h. bei Auslösung der Sperrwirkung durch jeden der kollidierenden Tarifverträge, stellt sich der kollektivrechtliche Arbeitnehmerschutz wie folgt dar: (a) Situation der Mitglieder von Gewerkschaft A Die bei Gewerkschaft A, welche den Tarifvertrag A geschlossen hat, organisierten Arbeitnehmer des Betriebes genießen danach – kollektivrechtlichen Schutz durch erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats (nur) im (überhaupt) nicht tarifierten Bereich, – kollektivrechtlichen Schutz durch Tarifvertrag im gesamten von Tarifvertrag A erfassten Bereich, d. h. im Überschneidungsbereich und in Divergenzbereich A, – keinen kollektivrechtlichen Schutz in Divergenzbereich B, da insoweit der von ihrer Gewerkschaft geschlossene Tarifvertrag keine Regelungen enthält, die entsprechenden Normen des Tarifvertrages B für ihre Arbeitsverhältnisse mangels beiderseitiger Tarifgebundenheit keine Wirkung entfalten und das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates gemäß § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG wegen Bestehens einer (den Arbeitgeber bindenden) tariflichen Regelung (Tarifvertrag B) gesperrt ist.
103 104
Vgl. Jacobs, NZA 2008, 325 (332). Zur Behandlung von Doppelnormen s. o. Teil 3, Kapitel 2, unter G.
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Nicht tarifierter Bereich
Divergenzbereich A
Überschneidungsbereich
Divergenzbereich B
Tarifvertrag A
Tarifvertrag B
Nicht tarifierter Bereich
Schaubild: Die potentiellen Regelungsbereiche
(b) Situation der nicht organisierten Arbeitnehmer Für die nicht organisierten Arbeitnehmer des Betriebs besteht – kollektivrechtlicher Schutz durch erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats (nur) im (überhaupt) nicht tarifierten Bereich, – kein kollektivrechtlicher Schutz im gesamten tarifierten Bereich (Überschneidungsbereich, Divergenzbereiche A und B), da Tarifbindung nicht besteht und die erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats durch § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG ausgeschlossen ist (tarifplurale Betrachtung der Sperrwirkung).
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(c) Situation der Mitglieder von Gewerkschaft B Für die Mitglieder der Gewerkschaft B gilt – wie für die Mitglieder der Gewerkschaft A und die Unorganisierten ein kollektivrechtlicher Schutz durch erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats nur im tariflich überhaupt nicht geregelten Bereich, – ein tarifvertraglicher Schutz im von Tarifvertrag B erfassten Bereich, d. h. im Überschneidungsbereich und – spiegelbildlich zur Situation der Mitglieder von Gewerkschaft A – in Divergenzbereich B – sowie – wiederum spiegelbildlich zu den Mitgliedern der Gewerkschaft A – kein kollektivrechtlicher Schutz in Divergenzbereich A. (2) Kollektivrechtlicher Arbeitnehmerschutz bei Auslösung der Sperrwirkung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG durch nur einen der kollidierenden Tarifverträge (tarifeinheitliche Betrachtung) Legt man nur einem der kollidierenden Tarifverträge die Kraft bei, verdrängend gegenüber der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten zu wirken, stellt sich die Situation wie folgt dar (gesetzt sei weiterhin der Fall, dass es der von Gewerkschaft A geschlossene Tarifvertrag A ist, der den Tarifvorrang auslöst): (a) Situation der Mitglieder von Gewerkschaft A Die Mitglieder von Gewerkschaft A haben danach keine Schutzlücken zu beklagen. Für sie besteht – kollektivrechtlicher Schutz durch erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats im nicht tarifierten Bereich sowie in Divergenzbereich B sowie – kollektivrechtlicher Schutz durch Tarifvertrag im Überschneidungsbereich und in Divergenzbereich A. (b) Situation der nicht organisierten Arbeitnehmer Den unorganisierten Arbeitnehmern kommt zu – ebenfalls kollektivrechtlicher Schutz durch erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats im tariflich nicht geregelten Bereich sowie in Divergenzbereich B, – demgegenüber jedoch kein kollektivrechtlicher Schutz im Überschneidungsbereich und in Divergenzbereich A.
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(c) Situation der Mitglieder von Gewerkschaft B Die Mitglieder der Gewerkschaft B genießen – kollektivrechtlichen Schutz durch erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats im nicht tarifierten Bereich, – keinen kollektivrechtlichen Schutz in Divergenzbereich A. Was den von dem von ihrer Gewerkschaft geschlossenen Tarifvertrag erfassten Bereich betrifft (Überschneidungsbereich und Divergenzbereich B), ist daran zu erinnern105, dass die tarifeinheitliche Auslösung des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrangs nicht verwechselt werden darf mit einer Anwendung des überkommenen Grundsatzes der Tarifeinheit bei Tarifpluralität, sprich der umfassenden Herstellung betrieblicher Tarifeinheit im Wege der Tarifverdrängung. Einander gegenübergestellt werden nicht die Alternativen „Tarifpluralität“ einerseits und „Tarifeinheit im überkommenen Sinne“ andererseits, miteinander zu vergleichen sind vielmehr die tarifplurale Betrachtung, bei der die Sperrwirkung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG durch jeden der kollidierenden Tarifverträge ausgelöst wird, und eine Lösung, bei der zwar beide Tarifverträge nach §§ 4 Abs. 1 Satz 1, 3 Abs. 1 TVG nebeneinander im Betrieb anwendbar bleiben, jedoch nur einer von beiden den Tarifvorrang gegenüber der erzwingbaren betrieblichen Mitbestimmung aktiviert. Eine Auswahlentscheidung zwischen den kollidierenden Tarifverträgen ist mithin allein für die Frage des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrangs zu treffen. Demnach bleibt also in der hier begutachteten Konstellation der Tarifvertrag B auf die Arbeitsverhältnisse der an ihn tarifgebundenen Arbeitnehmer anwendbar, er entfaltet bloß keine Sperrwirkung gegenüber dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 BetrVG. Für den kollektivrechtlichen Schutz der Mitglieder von Gewerkschaft B heißt das, dass sie neben dem Schutz durch erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats im nicht tarifierten Bereich (und bei fortbestehender „Schutzlücke“ in Divergenzbereich A) – tarifvertraglichen Schutz im gesamten von Tarifvertrag B erfassten Bereich (Überschneidungsbereich und Divergenzbereich B) genießen. Da Tarifvertrag B einerseits normativ nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG auf die Arbeitsverhältnisse der Mitglieder von Gewerkschaft B anwendbar wäre, andererseits aber keine Sperrwirkung nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG gegenüber dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zeitigte, könnte darüber hinaus der Betriebsrat im Divergenzbereich B eine gegenüber den Regelungen von Tarifvertrag B günstigere betriebliche Regelung (zumindest Betriebsabsprache) erzwingen, § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG. 105
s. schon oben B. I. 2. d) aa) (2).
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cc) Vergleich der beiden Lösungen Ein Rechtsverständnis, das Tarifpluralitäten grundsätzlich akzeptiert, sieht sich zwecks Einpassung der Tarifpluralität in die betriebsverfassungsrechtlichen Vorschriften vor die Aufgabe gestellt, zu entscheiden, welche Konsequenzen daraus für die Handhabung des Tarifvorrangs des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG in einem Betrieb erwachsen, in dem mehrere Tarifverträge nebeneinander anwendbar sind, die jeweils Rechtsnormen über Regelungsgegenstände der in § 87 Abs. 1 BetrVG aufgezählten Art enthalten. Zwei Lösungen wurden bisher aufgezeigt: Zum einen könnte in konsequenter Durchführung der tarifpluralen Betrachtung der Tarifvorrang gegenüber der erzwingbaren betrieblichen Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten durch jede der kollidierenden Tarifregelungen ausgelöst werden, die Sperrwirkung gegenüber dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats folglich auf allen Regelungsfeldern eintreten, die auch nur von einem der beiden Tarifverträge besetzt sind. Auf der anderen Seite steht die Möglichkeit, durch eine (nur) insoweit beibehaltene tarifeinheitliche Lösung jeweils nur einen der beiden anwendbaren Tarifverträge für seinen Regelungsbereich das Recht des Betriebsrats auf Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten verdrängen zu lassen. Die Auswirkungen dieser beiden bisher aufgezeigten Lösungswege auf die von § 87 BetrVG und besonders von der Tarifvorrangregelung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG verfolgten Regelungsziele wurden beleuchtet. Nunmehr gilt es, beide Lösungen in ihren jeweiligen normzweckrelevanten Konsequenzen miteinander zu vergleichen und die den rationes des Mitbestimmungsrechts in sozialen Angelegenheiten und des Tarifvorrangs (besser) gerecht werdende Lösung zu ermitteln. Dazu werden zunächst die Auswirkungen beider Ansätze vergleichend dargestellt und sodann die Vergleichsergebnisse bewertet.
(1) Darstellung Bezüglich des Konkurrenzschutzes der Tarif- gegenüber der Betriebsautonomie hat sich gezeigt: Eine Lösung, die für die Auslösung der Sperrwirkung gegenüber dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats einen der im Betrieb anwendbaren Tarifverträge auswählt, setzt die Gewerkschaft, die als Tarifvertragspartei an dem jeweils anderen Tarifvertrag beteiligt ist, eben jener beitragsfreien Konkurrenz auf betrieblicher Ebene aus, die das Gesetz zu verhindern sucht. Diese Lösung gibt jene Vorschriften des Tarifvertrages, der nach ihr keine Sperrwirkung auslöst, die im jeweils anderen, den Tarifvorrang entfaltenden Tarifvertrag kein Komplement finden, dem („nach oben“, § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG) abändernden Zugriff des Betriebsrats preis. Sie eröffnet dem Betriebsrat die Möglichkeit, mit günstigeren betrieblichen Regelungen (jedenfalls Betriebsabsprachen) zukünftige Tarifverträge zu präjudizieren und sich gegenüber der betroffenen Ge-
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werkschaft zu profilieren. Wie gezeigt, gerät die betroffene Gewerkschaft damit nicht nur im „vertikalen“ Konkurrenzverhältnis zum Betriebsrat, sondern auch in der Horizontale, d. h. gegenüber ihrer Konkurrenzgewerkschaft, ins Hintertreffen.106 In die entgegengesetzte Richtung weist jedoch der für die Interpretation des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG nach der hier vertretenen Ansicht ebenfalls zu beachtende Gesichtspunkt des Arbeitnehmerschutzes. Die Auswirkungen der beiden einander gegenüber gestellten Lösungen für das Maß an kollektivrechtlichem Schutz der betriebsangehörigen Arbeitnehmer sind nach Arbeitnehmergruppen getrennt miteinander zu vergleichen. (a) Deutlich verbesserter Schutz der Mitglieder von Gewerkschaft A bei tarifeinheitlicher Auslösung des Tarifvorrangs Der Ermittlung des nach beiden Lösungen jeweils erreichten kollektivrechtlichen Schutzniveaus wurde hier die Konstellation zugrunde gelegt, dass die Entscheidung für die Auslösung der Sperrwirkung auf den von Gewerkschaft A geschlossenen Tarifvertrag A fiele. Erwartungsgemäß stünden die bei Gewerkschaft A organisierten Arbeitnehmer dann, wenn allein der von ihrer Gewerkschaft geschlossene Tarifvertrag als „tarifliche Regelung“ i. S. d. § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG anerkannt würde, deutlich besser als bei Auslösung der Sperrwirkung durch beide im Betrieb anwendbaren Tarifverträge. Dieser Arbeitnehmergruppe drohte bei streng tarifpluraler Betrachtung ein Schutzdefizit im Divergenzbereich des Tarifvertrages B: Der von ihrer Gewerkschaft vereinbarte Tarifvertrag enthält insoweit keine Regelungen, die entsprechenden Rechtsnormen von Tarifvertrag B entfalten für ihre Arbeitsverhältnisse wegen Nichtbestehens beiderseitiger Tarifgebundenheit keine Wirkung und eine erzwingbare Mitbestimmung auf betrieblicher Ebene scheidet wegen Bestehens einer den Arbeitgeber bindenden tariflichen Regelung (Tarifvertrag B) nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG aus. Demgegenüber ist ihr bei Durchbrechung der tarifpluralen Sichtweise in Gestalt der Auslösung des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrangs allein durch Tarifvertrag A ein umfassender kollektivrechtlicher Schutz vor den individualrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers garantiert. Die Schutzlücke in Divergenzbereich B wird durch das sich über den nicht tarifierten Bereich hinaus auch auf dieses Regelungsfeld erstreckende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 BetrVG geschlossen.
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s. o. B. I. 2. d) aa) (3).
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(b) Deutlich verbesserter Schutz der nicht organisierten Arbeitnehmer bei tarifeinheitlicher Auslösung des Tarifvorrangs Deutlich besser als bei konsequent durchgehaltener tarifpluraler Perspektive würden durch die Reduzierung der Sperrwirkung auf einen der Tarifverträge auch die nicht organisierten Arbeitnehmer des Betriebs gestellt. Während die einschränkungslos hingenommene Tarifpluralität zur Folge hat, dass die erzwingbare betriebliche Mitbestimmung in allen Bereichen entfällt, die entweder in Tarifvertrag A oder in Tarifvertrag B geregelt sind, sich das Spektrum von Regelungsmaterien, hinsichtlich derer die Außenseiter ohne jeglichen kollektivarbeitsrechtlichen Schutz auskommen müssen, also aus der Addition des Überschneidungsbereichs der beiden Tarifverträge und ihrer jeweiligen Divergenzbereiche ergibt, reduziert sich der kollektivschutzfreie Bereich bei Durchbrechung der tarifpluralen Sicht auf den Überschneidungsbereich und den Divergenzbereich des Tarifvertrages A, wohingegen für den Divergenzbereich B der Betriebsrat Regelungen auf betrieblicher Ebene erzwingen kann. (c) Verbesserter Schutz der Mitglieder von Gewerkschaft B bei tarifeinheitlicher Auslösung des Tarifvorrangs Eine zumindest potentielle Verbesserung gegenüber der tarifpluralen Auslösung des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrangs bringt die auf einen der kollidierenden Tarifverträge reduzierte Sperrwirkung auch für die Situation der dritten Gruppe, der in der Gewerkschaft B organisierten Arbeitnehmer. Sie genießen nach beiden Lösungen kollektivrechtlichen Schutz vor den individualrechtlichen arbeitgeberischen Gestaltungsmöglichkeiten durch erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats im tariflich nicht geregelten Bereich, ebenfalls beide Lösungen lassen für sie ein Schutzdefizit im Divergenzbereich A. In dem von Tarifvertrag B erfassten Bereich, d. h. im Überschneidungsbereich und in Divergenzbereich B, kommt ihnen nach beiden Sichtweisen der unmittelbare und zwingende Schutz der Rechtsnormen „ihres“ Tarifvertrages zu, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG; hinzu tritt bei Zurücknahme der Sperrwirkung auf Tarifvertrag A für den Divergenzbereich B die Möglichkeit des Betriebsrats, gegenüber dem Standard des Tarifvertrages B günstigere betriebliche Regelungen zu erzwingen. (2) Bewertung Die Konsequenzen, die aus der tarifpluralen Auslösung des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrangs einerseits und aus der auf einen der kollidierenden Tarifverträge reduzierten Sperrwirkung andererseits erwachsen, sind an beiden für die Interpretation des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG zu beachtenden Gesetzeszwecken zu messen. Der Zuwachs an Arbeitnehmerschutz durch Durchbrechung der pluralen Sichtweise und die damit gleichzeitig einhergehenden Ein-
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bußen an Konkurrenzschutz der Tarif- gegenüber der Betriebsautonomie sind gegeneinander zu halten. Dabei dürfen in diese „Gewinn- und Verlustrechung“ auf der Haben-Seite nur solche Verbesserungen des Arbeitnehmerschutzes eingestellt werden, die legitime, schützenswerte Arbeitnehmerinteressen verwirklichen [s. sogleich unter (a)]. Schlussendlich muss, da die beiden Schutzdimensionen des Tarifvorrangs hinsichtlich der Problematik der Tarifpluralität in verschiedene Richtungen weisen, ein Ausgleich zwischen Arbeitnehmerschutz und Schutz der Tarifautonomie hergestellt werden [s. unten (b)]. (a) Besserstellung der Unorganisierten vom Arbeitnehmerschutzgedanken nicht geboten Die durch die auf einen der Tarifverträge zurückgenommene Sperrwirkung gegenüber der tarifpluralen Betrachtungsweise erzielte Besserstellung der nicht organisierten Arbeitnehmer des Betriebes107 ist kein Element, das in die erforderliche Abwägung eingestellt werden kann; denn diese Besserstellung ist vom Arbeitnehmerschutzgedanken nicht geboten – oder umgekehrt: Die durch die Tarifpluralität bewirkte Ausdehnung des Regelungsbereiches, in dem die nicht organisierten Arbeitnehmer ohne jeglichen kollektivarbeitsrechtlichen Schutz auskommen müssen, begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Insoweit ist die Argumentation im Ansatz dieselbe, die auch außerhalb von Pluralitätsfällen das von der h. M. praktizierte Anknüpfen allein an die Tarifbindung des (nur einfach tarifgebundenen) Arbeitgebers für den Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG gegenüber den nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern rechtfertigt.108 Die Außenseiter können durch Gewerkschaftsbeitritt die entstehenden kollektivrechtlichen Schutzlücken selbst erheblich reduzieren, namentlich auf den Divergenzbereich desjenigen Tarifvertrages, der von der Gewerkschaft vereinbart wurde, der sie jeweils nicht beitreten. Der Gewerkschaftsbeitritt führt dazu, dass sie (weiterhin) kollektivrechtlichen Schutz durch erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats im nicht tarifierten Bereich genießen, hinzu kommt nunmehr tarifvertraglicher Schutz im Überschneidungsbereich und – je nach Gewerkschaftswahl des Arbeitnehmers – in einem der beiden tarifvertraglichen Divergenzbereiche. Mehr kollektivrechtlichen Schutz bietet den Unorganisierten auch die Auslösung der Sperrwirkung durch nur einen der kollidierenden Tarifverträge nicht. Auch hier bleibt ein kollektivschutzfreier Bereich, bestehend aus dem Überschneidungsbereich und dem Divergenzbereich desjenigen Tarifvertrages, der danach als „tarifliche Regelung“ i. S. v. § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG anzuerkennen ist. 107
s. o. B. I. 2. d) cc) (1) (b). s. auch Franzen, RdA 2008, 193 (200): Diese Argumentation könne auch für den tarifpluralen Betrieb beibehalten werden. 108
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Dass mit der tarifpluralen Lösung demnach – zugegebenermaßen – ein gewisser Beitrittsdruck auf die nicht organisierten Arbeitnehmer ausgeübt wird109, ist hinzunehmen; der nicht organisierte Arbeitnehmer kann nicht erwarten, dass seine Entscheidung, einem Verband fernzubleiben, von der Rechtsordnung durch Bereitstellung eines alternativen kollektiven Schutzmechanismus, konkret durch erzwingbare Mitbestimmungsrechte auf betrieblicher Ebene, ausgeglichen wird.110 (b) Ausgleich von Arbeitnehmerschutz und Konkurrenzschutz der Tarif- gegenüber der Betriebsautonomie Die Auslösung der Sperrwirkung durch nur einen der kollidierenden Tarifverträge ist gegenüber der tarifpluralen Betrachtung unter Arbeitnehmerschutzgesichtspunkten vorzugswürdig. Der verbesserte Schutz der Mitglieder der Gewerkschaft A111 sowie der potentiell bessere Schutz der Mitglieder von Gewerkschaft B112 sind sub specie des Arbeitnehmerschutzzwecks des § 87 BetrVG zu begrüßen. Sie werden allerdings auf Kosten des von § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG auch bezweckten Konkurrenzschutzes der Tarifautonomie gegenüber der Betriebsautonomie erkauft, konkret auf Kosten des Schutzes derjenigen Gewerkschaft, deren Tarifvertrag demnach nicht den betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrang auslöst, vor der beitragsfreien Konkurrenz auf betrieblicher Ebene durch den Betriebsrat. Dies könnte hinzunehmen sein, wenn, wie teilweise vertreten wird, der Arbeitnehmerschutz gegenüber dem Schutz der Tarifautonomie der vorrangige Zweck des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG wäre.113 Vom hiesigen Rechtsverständnis aus stellt sich jedoch das „norminterne“ Verhältnis der beiden Zwecke des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG gerade umgekehrt dar: Im Zweifels-, d. h.: im Kollisionsfall ist dem Schutz der Tarifautonomie der Vorrang einzuräumen. Das zeigt sich zum einen darin, dass – zumindest im Ausgangspunkt, d. h. im Betrieb eines nur einfach tarifgebundenen Arbeitgebers – für die Sperrwirkung der tariflichen Regelung gegenüber der erzwingbaren 109 Der indes wegen des weitgehenden Eingreifens von § 3 Abs. 2 TVG im Bereich der von § 87 Abs. 1 Nrn. 1 bis 13 BetrVG angesprochenen Regelungsgegenstände von vornherein begrenzt ist. 110 Reuter, JuS 1992, 105 (108); ähnlich Winzer, Tarifgeltung, S. 25. 111 s. o. B. I. 2. d) cc) (1) (a). 112 s. o. B. I. 2. d) cc) (1) (c). 113 So Jacobs, Tarifeinheit, S. 381 f., 383; Zachert, RdA 1996, 140 (144); s. auch Kittner/Zwanziger/Kittner/Deinert, § 18 Rn. 4; außerdem Gamillscheg, KollArbR II, § 50 2. c) (1) (a), S. 870: Der Schutz der Tarifautonomie sei „nicht der vordringliche Zweck der Vorschrift“; zuletzt in diesem Sinne A. Stein, Liber amicorum WendelingSchröder, S. 35 (41, mit Fn. 18).
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betrieblichen Mitbestimmung nur die Tarifbindung des Arbeitgebers gefordert wird; dies wird vom Schutz der Tarifautonomie gefordert, weil sich der Betriebsrat auch durch (verbessernde) Regelungen nur für einen Teil der Arbeitnehmer (die nicht Organisierten) als „beitragsfreie Ersatzgewerkschaft“ profilieren könnte, während es dem Gedanken des individuellen Arbeitnehmerschutzes tendenziell zuwiderläuft. Zum zweiten zeigt es sich im Ausschluss der Erzwingbarkeit auch gegenüber dem Tarifvertrag günstigerer betrieblicher Regelungen. Die Unanwendbarkeit des Günstigkeitsprinzips ist ebenfalls Resultat einer „norminternen“ Zweckabwägung, die zu dem Ergebnis führt, dass das Interesse der Arbeitnehmer an über den tariflichen Schutz hinausgehender betrieblicher Mitbestimmung hinter dem Konkurrenzschutzinteresse der Tarifvertragsparteien zurückstehen muss, da gerade mit günstigeren betrieblichen Regelungen zukünftige Tarifverträge präjudiziert werden und Betriebsräte sich gegenüber Gewerkschaften profilieren können.114 e) Unterscheidung nach Überschneidungsbereich und Divergenzbereichen Beide bisher aufgezeigten Lösungen haben ihre Schwächen. Die tarifplurale Betrachtung kann Lücken in den kollektivrechtlichen Arbeitnehmerschutz reißen, weil danach die Sperrwirkung gegenüber dem Mitbestimmungsrecht auf allen Gebieten eintritt, die entweder in dem einen oder in dem anderen Tarifvertrag geregelt sind. Begegnet man dem mit einer Durchbrechung der tarifpluralen Sicht, indem man stets nur einem der im Betrieb aufeinander treffenden Tarifverträge die Kraft beilegt, als „tarifliche Regelung“ i. S. v. § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten zu verdrängen, so kann dies bedenkliche Folgen für den vom betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrang auch intendierten Konkurrenzschutz der Tarif- gegenüber der Betriebsautonomie haben. Womöglich kann aber eine dritte Lösung gefunden werden, welche den Schwächen der tarifpluralen und der tarifeinheitlichen Betrachtung entgeht und ihre jeweiligen Vorzüge miteinander vereint. Eine solche, den schutzwürdigen Interessen sowohl der einzelnen Arbeitnehmer als auch der tarifschließenden Koalitionen gerecht werdende Lösung könnte darin liegen, die Sperrwirkung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG im tarifpluralen Betrieb personell differenziert zu betrachten, je nachdem, ob in sachlich-gegenständlicher Hinsicht der Überschneidungsbereich der im Betrieb aufeinander treffenden Tarifverträge oder ob ihre jeweiligen Divergenzbereiche, also die Bereiche betroffen sind, in denen sich die von den unterschiedlichen Tarifverträgen behandelten Regelungsmaterien nicht decken. Konkret würde das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats für die im tarifvertraglichen Überschneidungsbereich gelegenen Regelungsgegenstände insge114
s. schon oben B. I. 2. c) dd).
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samt ausgeschlossen (umfassende Sperrwirkung im Überschneidungsbereich), könnte der Betriebsrat in diesem Bereich mithin für keine Arbeitnehmergruppe eine Regelung auf betrieblicher Ebene erzwingen, wohingegen die Sperrwirkung in den jeweiligen Divergenzbereichen nach Arbeitnehmergruppen differenziert einträte (personell beschränkte Sperrwirkung in den Divergenzbereichen): Der Betriebsrat hat im Divergenzbereich des von Gewerkschaft A geschlossenen Tarifvertrages ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG nur für die Arbeitsverhältnisse der Mitglieder von Gewerkschaft B, entsprechend im Divergenzbereich des von Gewerkschaft B geschlossenen Tarifvertrages ein Mitbestimmungsrecht nur für die Arbeitsverhältnisse der Mitglieder von Gewerkschaft A.115 Wie die beiden zuvor beleuchteten Möglichkeiten, die Tarifpluralität in die Regelung des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrangs einzupassen, muss sich auch diese Lösung an den Schutzzwecken des Mitbestimmungsrechts in sozialen Angelegenheiten und des Tarifvorrangs nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG messen lassen. aa) Vereinbarkeit mit dem Arbeitnehmerschutzzweck Die Auswirkungen auch der differenzierenden Lösung für das nach dem Gesetz erreichbare Niveau des kollektivrechtlichen Schutzes der Arbeitnehmer vor den individualrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers sind nach Arbeitnehmergruppen getrennt in Augenschein zu nehmen. (1) Situation der Mitglieder von Gewerkschaft A Den bei Gewerkschaft A organisierten Arbeitnehmern droht bei streng tarifpluraler Betrachtung ein Schutzdefizit im Divergenzbereich des Tarifvertrages B.116 Durchbricht man hingegen die tarifplurale Perspektive zugunsten einer Lösung, bei welcher der Tarifvorrang nur durch „ihren“ Tarifvertrag ausgelöst wird, so sind sie umfassend vor den individualrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers geschützt. Die Schutzlücke in Divergenzbereich B wird durch das sich über den nicht tarifierten Bereich hinaus auch auf dieses Regelungsfeld erstreckende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 BetrVG geschlossen.117 Ebenso stehen sie bei einer Lösung, die die Sperrwirkung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG im tarifpluralen Betrieb nach Arbeitnehmergruppen und Regelungsfeldern differenziert betrachtet, indem sie das Mitbestimmungsrecht des Be115 Gegen eine solche Lösung Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (119) und jüngst A. Stein, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 35 (55). 116 s. o. B. I. 2. d) bb) (1) (a). 117 s. o. B. I. 2. d) bb) (2) (a).
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triebsrats im Überschneidungsbereich der kollidierenden Tarifverträge gänzlich ausschließt, es hingegen in den Divergenzbereichen nur personell beschränkt. Im nicht tarifierten Bereich greift der kollektivrechtliche Schutz durch erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats. Im Überschneidungsbereich sowie in Divergenzbereich A entfaltet der Tarifvertrag seine normative Wirkung, §§ 4 Abs. 1 Satz 1, 3 Abs. 1 TVG. Und das Schutzdefizit in Divergenzbereich B, zu dem die strikt tarifplurale Betrachtung ohne personelle Einschränkungen der Sperrwirkung führt, wird dadurch behoben, dass der Betriebsrat insoweit ein auf die Mitglieder der Gewerkschaft A beschränktes Mitbestimmungsrecht wahrnehmen kann. Im Ergebnis bleiben demnach keine Schutzlücken für die Mitglieder von Gewerkschaft A. (2) Situation der Mitglieder von Gewerkschaft B Die Arbeitnehmer, die der Gewerkschaft B angehören, stehen nach den beiden zunächst in den Blick genommenen Möglichkeiten der Handhabung des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrangs im tarifpluralen Betrieb annähernd gleich. Insbesondere lassen sowohl die strikt tarifplurale Betrachtung als auch die Auslösung der Sperrwirkung durch nur einen der kollidierenden Tarifverträge, und zwar den konkurrierenden Tarifvertrag A, ein Schutzdefizit in dem Regelungsfeld, für das allein Tarifvertrag A, nicht hingegen „ihr“ Tarifvertrag B Vorschriften enthält (Divergenzbereich A).118 Beschränkt man hingegen in den Divergenzbereichen die Sperrwirkung personell auf diejenigen Arbeitnehmer, die in der den betreffenden Tarifvertrag schließenden Gewerkschaft organisiert sind, im – hier problematischen – Divergenzbereich A somit auf die Mitglieder von Gewerkschaft A, so werden Schutzdefizite für die Mitglieder von Gewerkschaft B vermieden; ihre Situation stellt sich dann vielmehr entsprechend der der Mitglieder von Gewerkschaft A dar: Im nicht tarifierten Bereich sowie in Divergenzbereich A kollektivrechtlicher Schutz durch erzwingbare betriebliche Mitbestimmung, kollektivrechtlicher Schutz durch Tarifvertrag im Überschneidungsbereich und in Divergenzbereich B. Die Schutzlücke in Divergenzbereich A tritt nicht auf, weil der Betriebsrat hier zwar nicht für die bei Gewerkschaft A organisierten Arbeitnehmer (und die Unorganisierten, s. dazu sogleich), aber für die anders tarifgebundenen Belegschaftsmitglieder eine Regelung auf betrieblicher Ebene erzwingen kann. (3) Situation der nicht organisierten Arbeitnehmer Die unorganisierten Arbeitnehmer können hingegen von der nach Überschneidungsbereich und Divergenzbereichen differenzierenden Lösung nicht profitie118
s. o. B. I. 2. d) bb) (1) (c), (2) (c) und cc) (1) (c).
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ren. Die personelle Beschränkung der Sperrwirkung in den Divergenzbereichen betrifft nur die jeweiligen Gewerkschaftsmitglieder. Das bedeutet kollektivrechtlichen Schutz durch erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats nur im überhaupt nicht tarifierten Bereich, Fehlen kollektivrechtlichen Schutzes im gesamten tarifierten Bereich. Im Ergebnis stehen die nicht organisierten Arbeitnehmer so wie auch im Falle streng tarifpluraler Auslösung der Sperrwirkung ohne personelle Einschränkungen. (4) Bewertung Die nach Überschneidungsbereich und Divergenzbereichen unterscheidende Lösung ist beiden anderen Lösungsmöglichkeiten unter Arbeitnehmerschutzgesichtspunkten überlegen. Sie schafft, was keiner der anderen Lösungen gelingen kann: Schutzdefizite für alle tarifgebundenen Arbeitnehmer zu vermeiden. Die streng, d. h. ohne personelle Differenzierungen durchgeführte tarifplurale Betrachtung lässt Schutzlücken sowohl für die an Tarifvertrag A gebundenen Arbeitnehmer (namentlich im Divergenzbereich B) als auch für diejenigen Arbeitnehmer, die an den von Gewerkschaft B geschlossenen Tarifvertrag tarifgebunden sind (konkret im Divergenzbereich A). Durchbricht man die plurale Sicht und lässt nur einen der im Betrieb anwendbaren Tarifverträge für seinen Regelungsbereich die erzwingbare betriebliche Mitbestimmung verdrängen (im hier durchgängig zugrunde gelegten Beispiel etwa Tarifvertrag A), so kann man zwar Schutzlücken für die an diesen Tarifvertrag gebundenen Arbeitnehmer verhindern, nicht indes für die jeweils anders tarifgebundenen Arbeitnehmer. Mit der dritten Lösung hingegen erlaubt man dem Betriebsrat, überall dort, wo tarifgebundene Arbeitnehmer des Betriebes nicht durch den von ihrer Gewerkschaft vereinbarten Tarifvertrag geschützt werden, für sie eine Regelung auf betrieblicher Ebene zu erzwingen. Dass demgegenüber die nicht organisierten Arbeitnehmer des Betriebes in diesem Lösungsmodell schlechter stehen als im Falle einer tarifeinheitlichen Lösung, ändert nichts an seiner Überlegenheit sub specie des Arbeitnehmerschutzgedankens. Insoweit gilt, was bereits oben bei der Bewertung der Ergebnisse des Vergleichs zwischen strikt tarifpluraler Betrachtung und auf einen der kollidierenden Tarifverträge reduzierter Sperrwirkung ausgeführt wurde: Die Situation der nicht organisierten Arbeitnehmer stellt sich nach der zwischen dem Überschneidungsbereich (umfassende Sperrwirkung) und den Divergenzbereichen (personell beschränkte Sperrwirkung) unterscheidenden Lösung exakt so dar wie bei einer nicht personell differenzierenden tarifpluralen Auslösung des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrangs – kollektivrechtlicher Schutz durch erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats nur im nicht tarifierten Bereich, kein kollektivrechtlicher Schutz im gesamten tarifierten Bereich. Gegen diese Konsequenz bestehen indes, wie bereits gesagt, keine durchgreifenden rechtlichen Be-
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denken. Die Außenseiter können die entstehenden kollektivrechtlichen Schutzlücken durch Gewerkschaftsbeitritt schließen. Der dadurch ausgeübte faktische Druck, sich einer Gewerkschaft anzuschließen, ist hinzunehmen.119 Im Ergebnis bleibt es daher dabei: Die nach Überschneidungsbereich und Divergenzbereichen differenzierende Sichtweise ist beiden anderen Lösungsmöglichkeiten unter dem Gesichtspunkt des Arbeitnehmerschutzzwecks vorzuziehen. bb) Vereinbarkeit mit dem Schutz der Tarifautonomie (1) Wie oben gezeigt wurde, würde die Verbesserung, welche ein auf einen der Tarifverträge zurückgenommener betriebsverfassungsrechtlicher Tarifvorrang gegenüber der konsequent durchgehaltenen tarifpluralen Lesart für den Schutz der Arbeitnehmer brächte, auf Kosten des von § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG ebenfalls bezweckten Konkurrenzschutzes der Tarifautonomie gegenüber der Betriebsautonomie erkauft. Soweit daher die Tarifvorrangregelung den Schutz der Tarifautonomie intendiert, hatte sich die strikt tarifplurale Betrachtung als gegenüber einer tarifeinheitlichen Lösung angemessener erwiesen. Nachdem sich soeben der „dritte Weg“ einer zwischen dem Überschneidungsbereich (insoweit Sperrwirkung der kollidierenden Tarifverträge hinsichtlich aller Arbeitsverhältnisse) und den Divergenzbereichen (insoweit Beschränkung der Sperrwirkung auf die Arbeitsverhältnisse der an den jeweiligen Tarifvertrag tarifgebundenen Arbeitnehmer) differenzierenden personellen Reichweite des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrangs als unter Arbeitnehmerschutzaspekten beiden Alternativen überlegen erwiesen hat, muss nunmehr geprüft werden, ob diese Unterscheidung auch dem kollektivbezogenen Normzweck des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG Rechnung trägt. Da richtigerweise der Schutz der Tarifautonomie im „norminternen“ Verhältnis der Zwecke des Tarifvorrangs im Zweifel vorrangig gegenüber dem Individualschutz ist, müsste sie sich gerade insoweit wenigstens als gleichwertig darstellen, um ein Abgehen von der strikt pluralen Lesart rechtfertigen zu können. (2) Die nach Arbeitnehmergruppen und Regelungsfeldern unterscheidende Lösung besteht diese Probe. Aus Sicht von Gewerkschaft A führt sie dazu, dass der Betriebsrat für ihre Mitglieder eine betriebliche Regelung nur für solche Angelegenheiten des § 87 BetrVG über die Einigungsstelle erzwingen kann, in denen sie selbst auf eine tarifvertragliche Normierung verzichtet hat. Konkret hat der Betriebsrat danach ein Mitbestimmungsrecht für die Mitglieder von Gewerkschaft A im (überhaupt) nicht tarifierten Bereich sowie im Divergenzbereich des konkurrierenden Tarifvertrages B, mithin nur in den Feldern, die Gewerkschaft A
119
s. o. B. I. 2. d) cc) (2) (a).
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von tarifvertraglichen Regelungen frei gelassen hat; für alle mit Tarifnormen des Tarifvertrages A besetzten Felder hingegen (Überschneidungsbereich, Divergenzbereich A) ist insoweit – d. h. personell beschränkt – die betriebliche Konkurrenz ausgeschaltet. Ein Anreiz für die Arbeitnehmer, aus Gewerkschaft A auszutreten, wird damit nicht gesetzt. Da der Betriebsrat für sie nur in dem von ihrer Gewerkschaft frei gelassenen Raum regelnd tätig werden kann – hier im Übrigen, da insoweit § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG nicht greift, ohne Bindung an das Günstigkeitsprinzip120 –, während sein Mitbestimmungsrecht für den Regelungsbereich, den Gewerkschaft A tatsächlich für sich in Anspruch nimmt, insoweit verdrängt wird, kann er sich nicht als „beitragsfreie Ersatzgewerkschaft“ in Szene setzen, da die von ihm erzwungenen Arbeitsbedingungen die tarifvertraglichen Inhalte nicht ersetzen, sondern lediglich ergänzen können. Entsprechendes gilt aus Sicht der Parteien des Tarifvertrages B, besonders der Gewerkschaft B. Der Betriebsrat kann durch erzwingbare Mitbestimmung den kollektivrechtlichen Schutz, den ihre Mitglieder aufgrund des für sie geltenden Tarifvertrages im Überschneidungsbereich und im Divergenzbereich des Tarifvertrages B genießen, nicht nivellieren, sondern nur durch Ausfüllung der von der tariflichen Regelung gelassenen Lücken ergänzen. Eine normzweckwidrige Konkurrenz der tariflichen und der betrieblichen Regelungsebene wird dadurch vermieden. Der Wettbewerb um die Gunst der Arbeitnehmer, insbesondere der bisher nicht organisierten Arbeitnehmer, für die der Betriebsrat nach der hier aufgezeigten Lösung im gesamten tarifierten Bereich (Überschneidungsbereich, Divergenzbereiche A und B) kein Mitbestimmungsrecht hat und für die daher der Gewerkschaftsbeitritt unverändert attraktiv bleibt, findet – im Einklang mit dem durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Koalitionspluralismus – allein zwischen den konkurrierenden Gewerkschaften statt. Beiden sind durch diese Lösung gleiche Ausgangsbedingungen garantiert, im Gegensatz zu der auf einen der kollidierenden Tarifverträge reduzierten Sperrwirkung (tarifeinheitliche Lösung) bewirkt sie keinen Eingriff in die Chancengleichheit der Verbände. cc) Vereinbarkeit mit § 75 Abs. 1 BetrVG (1) Mögliche Bedenken (a) Ein möglicher Einwand gegen die differenzierende Lösung drängt sich auf: Nach § 75 Abs. 1 BetrVG haben Arbeitgeber und Betriebsrat darüber zu wachen, 120 s. dazu nur JKO/Jacobs, § 7 Rn. 21: Voraussetzung für eine Anwendung des § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG ist stets, dass eine zwingende Tarifnorm gemäß § 4 Abs. 1 TVG vorliegt.
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dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden, insbesondere, dass jede Benachteiligung von Personen u. a. wegen ihrer gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung unterbleibt. In Anbetracht dessen könnte fraglich sein, ob eine Lösung, bei welcher der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht nach Arbeitnehmergruppen differenziert wahrnehmen würde, überhaupt realisiert werden kann. Immerhin würden, wenn der Betriebsrat hinsichtlich der im Divergenzbereich A gelegenen Regelungsmaterien eine betriebliche Regelung allein für die Mitglieder der Gewerkschaft B, hinsichtlich der nur in Tarifvertrag B geregelten Materien allein für die Mitglieder der Gewerkschaft A erzwingen würde, in jedem Fall wenigstens die nicht organisierten Arbeitnehmer des Betriebes wegen ihrer gewerkschaftlichen Einstellung benachteiligt.121 Benachteiligt können aber auch die jeweils einschlägig organisierten Arbeitnehmer sein, und zwar dann, wenn die vom Betriebsrat erzwungene Regelung gegenüber der tarifvertraglichen Regelung günstiger ist. Das muss zwar nicht der Fall sein, denn da die erzwingbare betriebliche Regelung in ihrem persönlichen Anwendungsbereich122 auf die jeweils anders tarifgebundenen Arbeitnehmer beschränkt wäre (im Divergenzbereich A auf die an Tarifvertrag B gebundenen Arbeitnehmer, im Divergenzbereich B auf die an Tarifvertrag A gebundenen Arbeitnehmer), bestünde für sie mangels Anwendbarkeit des § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG keine Bindung durch das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG.123 Ist die betriebliche Regelung aber günstiger, so liegt in ihrer Beschränkung auf die an den jeweils anderen Tarifvertrag gebundenen Arbeitnehmer eine Benachteiligung der jeweils einschlägig organisierten Arbeitnehmer. Beispiel: Erzwingt der Betriebsrat eine betriebliche Regelung für eine Materie, die zwar nicht in Tarifvertrag B, aber in Tarifvertrag A eine Normierung erfahren hat, und die sich gegenüber dieser tariflichen Regelung als günstiger erweist, so liegt in der personellen Beschränkung des Anwendungsbereichs dieser betrieblichen Regelung auf die an Tarifvertrag B gebundenen Arbeitnehmer eine Benachteiligung der an Tarifvertrag A gebundenen Belegschaftsmitglieder wegen ihrer Mitgliedschaft in Gewerkschaft A.
121 Nicht haltbar ist die von DKK/Berg, § 75 Rn. 42 m.w. N. vertretene Ansicht, § 75 Abs. 1 BetrVG schütze nicht vor einer Benachteiligung aufgrund der Entscheidung, einer Gewerkschaft fernzubleiben; vielmehr schützt die Vorschrift die im Betrieb tätigen Personen vor Benachteiligungen auch wegen ihrer gewerkschaftlichen „Einstellung“, so dass die Normadressaten des § 75 Abs. 1 BetrVG auch darauf zu achten haben, dass niemand benachteiligt wird, weil er Gewerkschaften allgemein oder eine bestimmte Koalition ablehnt – zutreffend Fitting, § 75 Rn. 99; Löwisch/Kaiser, § 75 Rn. 22; GKBetrVG/Kreutz, § 75 Rn. 81; WPK/Preis, § 75 Rn. 23; Richardi/Richardi, § 75 Rn. 29; HSWGNR/Worzalla, § 75 Rn. 18. 122 Vom „Geltungsbereich“ wird man sinnvollerweise nur bei der Betriebsvereinbarung, nicht hingegen bei der Regelungsabrede sprechen. 123 s. nochmals JKO/Jacobs, § 7 Rn. 21.
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(b) Für unüberwindbar hält diesen Einwand – ohne ausdrücklichen Bezug auf § 75 Abs. 1 BetrVG – der Vorsitzende des 4. Senats des BAG Bepler. Es sei ausgeschlossen, Betriebsvereinbarungen124 nur für einen Teil der Belegschaft abzuschließen, die als Ganze den Betriebsrat legitimiert hat, nämlich nur für den Teil, der der Gewerkschaft angehört, welche die nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG sperrenden Regelungen nicht mit getroffen hat. Bepler sieht es aufgrund dessen als unausweichliche Folge einer fortbestehenden Tarifpluralität an, dass – im Sinne der strikt tarifpluralen Betrachtung ohne personelle Differenzierungen – Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten auf allen Gebieten gesperrt wären, die nur in einem der im Betrieb anwendbaren Tarifverträge geregelt sind.125 (c) Die gleichen Bedenken gegen eine nach Arbeitnehmergruppen differenzierende Wahrnehmung des Mitbestimmungsrechts in sozialen Angelegenheiten wurden teilweise auch der – im Ergebnis zumindest für den Ausgangsfall des Betriebs eines nur einfach tarifgebundenen Arbeitgebers auch hier abgelehnten – Minderheitsauffassung entgegengehalten, die für den Ausschluss der erzwingbaren betrieblichen Mitbestimmung gemäß § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG nicht nur – wie die im Ausgangspunkt (Betrieb eines nur einfach tarifgebundenen Arbeitgebers) auch hier geteilte h. M. – die Tarifbindung des Arbeitgebers, sondern auch die sämtlicher Arbeitnehmer voraussetzt und das Mitbestimmungsrecht in der Konsequenz bei Inhaltsnormen nur für die tarifgebundenen Arbeitnehmer gesperrt sieht126: Gegen entsprechende Betriebsvereinbarungen, die in ihrer Wirkung auf die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer zu beschränken wären, bestünden rechtliche Bedenken. Da § 75 Abs. 1 BetrVG eine Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit verbiete, könne eine Betriebsvereinbarung in ihrer Wirkung weder auf Gewerkschaftsmitglieder noch auf nicht organisierte Arbeitnehmer beschränkt werden.127
124 Je nachdem, wie man die Weichen hinsichtlich der Frage einer Beschränkung des Tarifvorbehalts des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG auf materielle Arbeitsbedingungen und hinsichtlich des Streits zwischen Vorrang- und sog. Zwei-Schranken-Theorie stellt, geht es freilich, wie bereits ausgeführt [s. o. B. I. 2. d) aa) (2) (a) und (b)], nicht um Betriebsvereinbarungen, sondern nur um sog. Regelungsabreden und deren individualrechtlichen Umsetzungsakte. 125 Bepler, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 791 (800); so im Ergebnis auch Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (119). Für eine tarifeinheitliche Lösung will ähnliche Überlegungen offenbar DKK/Berg, § 77 Rn. 69c fruchtbar machen; s. auch Meyer, NZA 2006, 1387 (1391). 126 Nachweise der Minderheitsauffassung oben Teil 1, Kapitel 3, dort Fn. 112. 127 v. Hoyningen-Huene/Meier-Krenz, NZA 1987, 793 (796 f.); ebenso Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 75; entgegengesetzt später v. Hoyningen-Huene, DB 1994, 2026 (2030). v. Hoyningen-Huene/Meier-Krenz, a. a. O., wollten ihr Ergebnis offenbar auf die Betriebsvereinbarung beschränken; § 75 Abs. 1 BetrVG gilt aber auch für Betriebsabsprachen, s. Wiese, Anm. zu BAG 24. 2. 1987 SAE 1989, 6 (11).
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(2) Zulässige Differenzierung zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern Die Bedenken aus § 75 Abs. 1 BetrVG können jedoch weder hier noch dort überzeugen. Das gilt bereits für den Ausgangsfall des Betriebs eines nur einfach tarifgebundenen Arbeitgebers. Die – im Ergebnis auch hier verworfene – Lesart des Eingangssatzes des § 87 Abs. 1 BetrVG, nach welcher die erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats bei Individualnormen nur für die tarifgebundenen Arbeitnehmer eines tarifgebundenen Arbeitgebers gesperrt ist, hingegen für die Arbeitsverhältnisse der nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht, scheitert nicht an § 75 Abs. 1 BetrVG. Die Differenzierung zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern ist bereits im Tarifrecht angelegt (§ 3 Abs. 1 TVG) und könnte daher durchaus, auch wenn sie der mitbestimmungsrechtlichen Interessenwahrnehmung sonst fremd ist128, ohne Widerspruch zu § 75 Abs. 1 BetrVG über den Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG in die Mitbestimmung hineingetragen werden.129 Eine unterschiedliche Behandlung tarifgebundener und nicht tarifgebundener Arbeitnehmer ist Resultat des im deutschen Tarifrecht geltenden Verbandsprinzips.130 In diesem ist der Organisationsstatus ein sachlicher, weil systemimmanenter Differenzierungsgrund.131 Folgerichtig lehnt denn auch die ganz h. M. eine Anwendung des allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes in diesem Zusammenhang ab; es existiert kein an den Arbeitgeber adressiertes Gleichbehandlungsgebot des Inhalts, mit den nicht organisierten Arbeitneh128 Dazu, dass die Geltungswirkung der Betriebsvereinbarung (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG) nicht von der Tarifgebundenheit abhängig ist, s. nur GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 172. 129 Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 151, 163 f., ausdrücklich auch für eine auf die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer beschränkte Betriebsabsprache; im Ergebnis – gegen v. Hoyningen-Huene/Meier-Krenz, NZA 1987, 973 (796 f.) – auch Wiese, Anm. zu BAG 24. 2. 1987 SAE 1989, 6 (11) und schon ders., FS 25 Jahre BAG, S. 661 (672, mit Fn. 60); s. auch in anderem Zusammenhang Walker, ZfA 1996, 353 (366) m.w. N. 130 Vgl. Schnorr, AuR 1963, 193 (194); ferner Reuß, DB 1964, 1410; s. auch v. Hoyningen-Huene, RdA 1974, 138 (139) m.w. N.: Die Unterscheidung zwischen Tarifgebundenen und sog. Außenseitern entspreche an sich einem Grundprinzip unseres Tarifrechts. 131 Zur Gewerkschaftszugehörigkeit als zulässigem Differenzierungsmerkmal s. schon Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 96; s. auch Reuß, DB 1964, 1410; aus neuerer Zeit Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, S. 148 f., 193 f.; Wiedemann, RdA 2007, 65 (68) und, jeweils im Zusammenhang mit der Diskussion um die Rechtsstellung der nicht organisierten Arbeitnehmer bei Abschluss eines Tarifsozialplans, F. Bayreuther, NZA 2007, 1017 (1022); Fischinger, Anm. zu BAG 24. 4. 2007 AP TVG § 1 Sozialplan Nr. 2, unter IV. 3. a); ders., NZA 2007, 310 (312); Franzen, ZfA 2005, 315 (332); Schlachter, FS Birk, S. 809 (812) und zuletzt Kaiser, FS Buchner, S. 385 (391); s. in diesem Zusammenhang auch Löwisch, DB 2005, 554 (558); im Kontext der Diskussion um die Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln zuletzt Greiner, Rechtsfragen, S. 370.
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mern vertraglich die den organisierten Belegschaftsmitgliedern tarifrechtlich zustehenden Arbeitsbedingungen zu vereinbaren.132 Dafür, dass – im Betrieb eines nur einfach tarifgebundenen Arbeitgebers – im Ergebnis gleichwohl richtigerweise für die Verdrängung des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG nicht nach der Tarifgebundenheit der Arbeitnehmer differenziert, sondern der betriebsverfassungsrechtliche Tarifvorrang allein an die Tarifbindung des Arbeitgebers angeknüpft wird, sind andere Gründe als § 75 Abs. 1 BetrVG entscheidend; konkret steht dahinter der von § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG bezweckte Konkurrenzschutz der Tarif- gegenüber der Betriebsautonomie, der insoweit dem Arbeitnehmerschutzzweck – welcher an sich für eine Anknüpfung auch an die Tarifgebundenheit des einzelnen Arbeitnehmers streitet – vorgeht und mit dem es auch unvereinbar wäre, wenn der Betriebsrat sich durch Erzwingung (verbessernder) betrieblicher Regelungen nur für einen Teil der Belegschaft (die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer) gegenüber der Gewerkschaft profilieren könnte. (3) Zulässige Differenzierung zwischen verschieden organisierten Arbeitnehmern Entsprechend der vorstehenden Argumentation können auch die auf § 75 Abs. 1 BetrVG abzielenden Bedenken Beplers zerstreut werden. Thüsing/von Medem bringen gegen Bepler vor, es sei keinesfalls zwingend, die Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 BetrVG bei Inhaltsnormen im Falle der Tarifpluralität schon dann für alle Arbeitsverhältnisse auszuschließen, wenn nur einer der anwendbaren Tarifverträge die Materie regelt. Hierzu weisen sie zum einen darauf 132 s. dazu etwa BAG 20. 4. 1999 AP GG Art. 9 Nr. 89 (Richardi), unter B. II. 2. b) bb) der Gründe; 28. 3. 2000 AP BetrVG 1972 § 99 Einstellung Nr. 27, unter II. 2. b) der Gründe; G. Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht, S. 66; Jacobs, Tarifeinheit, S. 393 f.; Klebeck, NZA 2006, 15 (18); Lembke, Arbeitskampfbeteiligung, S. 156; Löwisch/Rieble, § 3 Rn. 227; Wiedemann/Oetker, § 3 Rn. 416 ff., 420; J. C. Otto, Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, S. 91 f.; Reichel, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 19 ff.; Reuß, DB 1964, 1410; Reuter, JuS 1992, 105 (107); dens., FS Birk, S. 717 (730); Rieble, Anm. zu BAG 22. 3. 1994 EzA TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 10, S. 12 (17); dens., GS Heinze, S. 687 (696); Schaub, FS Hromadka, S. 339 (353); A. Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 263; Kempen/Zachert/A. Stein, § 3 Rn. 232; Wiedemann/Wiedemann, Einl. Rn. 235 (s. demgegenüber noch dens., RdA 1969, 321 [323 ff.]); Witzig, Tarifeinheit, S. 38; zuletzt Greiner, Rechtsfragen, S. 371 (Fn. 23). Anders für den Fall, dass nicht organisierte Arbeitnehmer einen Tarifvertrag mit erstreikt haben oder im Arbeitskampf um ihn ausgesperrt wurden: Thüsing, Außenseiter, S. 107 ff., 110 ff. und insbesondere S. 115 ff.; ders., Diskriminierungsschutz, Rn. 901 (s. auch Rn. 870); s. auch Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193 (195 f.) sowie Wiedemann/Wiedemann, Einl. Rn. 232; Wiedemann, RdA 2007, 65 (69); dagegen etwa Annuß, ZfA 2005, 405 (409 f.); H. Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 6 Rn. 11 (dort Fn. 41); J. C. Otto, a. a. O., S. 92 m.w. N.; Reichel, a. a. O., S. 20 ff.; E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 39 f.
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hin, dass die vom BAG bei § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG praktizierte Anknüpfung nur an die Tarifbindung des Arbeitgebers von einer beachtlichen Minderheitsauffassung abgelehnt werde.133 Diese Minderheitsauffassung kann jedoch – obgleich ihr zumindest nicht § 75 Abs. 1 BetrVG entgegensteht – nicht überzeugen (s. soeben). Des Weiteren vertreten Thüsing/von Medem den Standpunkt, es sei entgegen Bepler nicht ausgeschlossen, Betriebsvereinbarungen nur für einen Teil der Belegschaft abzuschließen, die als Ganze den Betriebsrat legitimiert hat.134 In der vergleichbaren Situation der AT-Angestellten, die nicht unter den fachlichen und persönlichen Geltungsbereich des maßgeblichen Tarifvertrages fallen, sei allgemein anerkannt, dass die Mitbestimmung insoweit nicht ausgeschlossen ist.135 Dem ist im Ergebnis beizutreten. Der Verweis auf die Situation bei den ATAngestellten entbindet jedoch nicht von der Notwendigkeit, für den Fall der Tarifpluralität eine eigene Rechtfertigung vor dem Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 BetrVG aufzuweisen. Soll eine Betriebsvereinbarung – das Gleiche gilt für die Regelungsabrede, die ebenfalls an § 75 Abs. 1 BetrVG gebunden ist136 – auf bestimmte Arbeitnehmergruppen beschränkt werden, so muss dies in jedem Fall vor § 75 Abs. 1 BetrVG gerechtfertigt werden137; jedwede gruppenspezifische Differenzierung bedarf zu ihrer Rechtfertigung eines sachlichen Grundes.138 (a) Die hier in Rede stehende Differenzierung nach der jeweiligen Gewerkschaftszugehörigkeit rechtfertigt sich entsprechend den obigen Überlegungen zur Möglichkeit einer Differenzierung zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern. So, wie die Differenzierung zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern im Tarifrecht gründet und daher, obgleich sie der mitbestimmungsrechtlichen Interessenwahrnehmung sonst fremd ist, ohne Verstoß gegen § 75 Abs. 1 BetrVG über den Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG in die Mitbestimmung hineingetragen werden könnte139 – wenn sie auch im Ergebnis nach richtiger Ansicht aus anderen Gründen 133
Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (513). So auch Franzen, RdA 2008, 193 (200): ungewöhnlich, aber nicht rechtlich unmöglich; Reichold, RdA 2007, 321 (326); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 146 (147). 135 Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (513) unter Verweis u. a. auf BAG 22. 1. 1980 AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 3 (Moll); s. zur möglichen Herausnahme bestimmter Arbeitnehmergruppen aus dem Geltungsbereich einer Betriebsvereinbarung ferner etwa GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 177; WPK/Preis, § 77 Rn. 17; HSWGNR/ Worzalla, § 77 Rn. 32; kritisch zu Thüsing/v. Medem aber jüngst A. Stein, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 35 (42 f., mit Fn. 21). 136 s. noch einmal Wiese, Anm. zu BAG 24. 2. 1987 SAE 1989, 6 (11). 137 GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 177; WPK/Preis, § 77 Rn. 17. 138 GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 177; HSWGNR/Worzalla, § 77 Rn. 32. 134
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nicht in sie hineingetragen wird –, verhält es sich mutatis mutandis auch mit der Differenzierung nach der jeweiligen Gewerkschaftszugehörigkeit im Falle der Tarifpluralität: Nicht nur die Unterscheidung zwischen tarifgebundenen und tariffreien Arbeitnehmern ist im Tarifrecht angelegt, sondern auch, wie bereits ausgeführt wurde140, die Tarifpluralität. Dies ergibt sich aus der Beschränkung der normativen Geltung von Individualnormen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG) auf die Arbeitsverhältnisse beiderseits tarifgebundener Arbeitsvertragsparteien (§§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 4 TVG) und der Möglichkeit, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer an verschiedene Tarifverträge gebunden sind. Aus diesem Grund kann auch die erzwungene Tarifeinheit im Betrieb nicht mit Hilfe der Annahme einer verfassungsrechtlich durch Art. 3 Abs. 1 GG gebotenen Verpflichtung der Tarif- und Arbeitsvertragsparteien zur Gleichbehandlung von unterschiedlich tarifgebundenen, aber faktisch gleichen Arbeitsverhältnissen in einem Betrieb konserviert werden.141 (b) Ist demnach Tarifpluralität im Tarifrecht, so, wie das TVG es ausgestaltet hat, angelegt142, so ist es auch die Differenzierung zwischen den verschieden organisierten Arbeitnehmern eines tarifpluralen Betriebes je nach ihrer Tarifbindung, mithin nach ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit. Diese im Tarifrecht gründende Differenzierung kann ebenso wie diejenige zwischen nicht tarifgebundenen und tarifgebundenen Arbeitnehmern über die „Brücke“ des Tarifvorrangs nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG in die Mitbestimmung hineingetragen werden – wenn sie dem Normzweck des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG entspricht oder von der ratio legis sogar gefordert wird. Ebenso wenig, wie es gegen § 75 Abs. 1 BetrVG verstieße, das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten im Betrieb eines nur einfach tarifgebundenen Arbeitgebers nur für die tarifgebundenen Arbeitnehmer wegen Bestehens einer tariflichen Regelung nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG gesperrt zu sehen, dem Betriebsrat also die Erzwingung auf die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer beschränkter betrieblicher Regelungen zu gestatten, begegnet eine Lesart des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG Bedenken in Hinsicht auf den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, die für den tarifpluralen Betrieb insofern nach der Gewerkschaftszugehörigkeit der verschieden organisierten Arbeitnehmer unterscheidet, als sie die Sperrwirkung der im Betrieb anwendbaren Tarifverträge gegenüber der erzwingbaren betrieblichen Mitbestimmung in den Divergenzbereichen der kollidierenden Tarifregelungen auf die an den jeweiligen Tarifvertrag tarifgebundenen Arbeitnehmer beschränkt (Sperrwirkung nur für die 139
s. nochmals Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 151, 163 f. s. o. Teil 3, Kapitel 1, unter B. I. 1. c) aa). 141 So aber Feudner, Anm. zu BAG 18. 4. 2007 RdA 2008, 301 (303 f.). 142 So auch Bepler, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 791 (800): „von der Gesetzeslage an sich vorgegebene Lösung“. 140
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Arbeitsverhältnisse der in Gewerkschaft A organisierten Arbeitnehmer – und die Unorganisierten – im Divergenzbereich des Tarifvertrages A, nur für die in Gewerkschaft B organisierten – und die nicht organisierten – Belegschaftsmitglieder im Divergenzbereich des Tarifvertrages B).143 Dass dies mit Blick auf § 75 Abs. 1 BetrVG sachlich gerechtfertigt ist, erhellt bei normzweckorientierter Betrachtung (doppelter Zweck des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG), wenn man bedenkt, dass die verschieden organisierten Arbeitnehmer des tarifpluralen Betriebes hinsichtlich des ihnen zukommenden kollektivrechtlichen Schutzes vor den individualrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers bei dieser Lösung wesentlich besser stehen (keine kollektivrechtlichen Schutzdefizite) als in dem Alternativmodell, das die erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten bei Tarifpluralität ohne personelle Beschränkung auf allen Gebieten, die auch nur in einem der kollidierenden Tarifverträge geregelt sind, für sämtliche Arbeitsverhältnisse ausschließt und dadurch Lücken in den kollektivrechtlichen Schutz der organisierten Arbeitnehmer vor den individualrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers reißt. Der Berücksichtigung des durch die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten jeweils erreichten Maßes an Arbeitnehmerschutz steht mit Blick auf die Konstellation der Tarifpluralität nicht der andere, nach hiesiger Ansicht primäre Zweck des Tarifvorrangs entgegen, da durch die differenzierende Lösung auch dem Konkurrenzschutz der Tarif- gegenüber der Betriebsautonomie Rechnung getragen wird. Hier liegt der Unterschied zur Situation im Ausgangsfall des Betriebs eines nur einfach tarifgebundenen Arbeitgebers. In diesem spricht zwar der Gedanke des Arbeitnehmerschutzes ebenfalls dafür, den Tarifvorrang nur für die Arbeitsverhältnisse der tarifgebundenen Arbeitnehmer durchgreifen zu lassen, weil anderenfalls die Gestaltung der Arbeitsbedingungen der nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer allein in der Hand des Arbeitgebers liegt144; der hinter dem Tarifvorrang stehende Arbeitnehmerschutzzweck drängt also auch dort darauf, die im Tarifrecht gründende Unterscheidung zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern trotz § 75 Abs. 1 BetrVG über die „Brücke“ des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG in die betriebliche Mitbestimmung hineinzutragen. Dagegen spricht aber in der Ausgangskonstellation entscheidend der primäre Normzweck des Schutzes der Tarifautonomie. Im Ergebnis kann demnach die differenzierende Lösung ohne Verstoß gegen § 75 Abs. 1 BetrVG umgesetzt werden.
143 Was die Benachteiligung der nicht organisierten Arbeitnehmer des tarifpluralen Betriebes anbelangt, so ist diese vor § 75 Abs. 1 BetrVG bereits wegen § 3 Abs. 1 TVG gerechtfertigt – entsprechend der oben dargestellten Argumentation bezüglich einer Differenzierung zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern im Betrieb eines nur einfach tarifgebundenen Arbeitgebers. 144 Vgl. Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 151.
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dd) Keine Konsequenzen für die Reichweite der Sperrwirkung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG im Betrieb eines nur einfach tarifgebundenen Arbeitgebers Die für die Divergenzbereiche nach Arbeitnehmergruppen differenzierende Lösung wird hier nicht mit grundsätzlicher Kritik an der Ansicht des BAG verbunden, für die Sperrwirkung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG genüge die Tarifbindung des Arbeitgebers, sei mithin nicht auf die Tarifgebundenheit des einzelnen Arbeitnehmers zu achten.145 Diese Ansicht bleibt vielmehr für Betriebe, in denen nur ein Tarifvertrag „existiert“ – weil entweder nur ein Tarifvertrag den Betrieb nach seinem Geltungsbereich erfasst oder weil der Betrieb zwar vom Geltungsbereich mehrerer Tarifverträge erfasst wird, von denen aber der Arbeitgeber nur an einen tarifgebunden ist – vorzugswürdig und ist auch weiterhin zugrunde zu legen. Für den Betrieb eines nur einfach tarifgebundenen Arbeitgebers an der Lesart des BAG festzuhalten, zwingt nicht dazu, für den tarifpluralen Betrieb die erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats hinsichtlich aller Angelegenheiten, die nur in einem der anwendbaren Tarifverträge eine Regelung gefunden haben, unterschiedslos für sämtliche Arbeitnehmer auszuschließen.146 Es bedeutet keinen Widerspruch, eine nach der Tarifbindung der Arbeitnehmer differenzierende Auslösung der Sperrwirkung der betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrangregelung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG für den Betrieb eines nur einfach tarifgebundenen Arbeitgebers abzulehnen, aber für den tarifpluralen Betrieb zu vertreten. § 75 Abs. 1 BetrVG steht einer Differenzierung in keinem der beiden Fälle entgegen. Für die Situation in einem Betrieb, in dem nur ein einziger Tarifvertrag existiert, spricht aber ein anderer Grund gegen die differenzierende Auslösung der Sperrwirkung, namentlich der von § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG nach hier vertretener Auffassung in erster Linie bezweckte Konkurrenzschutz der Tarif- gegenüber der Betriebsautonomie. Im tarifpluralen Betrieb hingegen wird die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit der Arbeitnehmer (personell beschränkte Sperrwirkung in den Divergenzbereichen der kollidierenden Tarifverträge) beiden Normzwecken des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrangs vollauf gerecht.147 145 s. demgegenüber Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (513); s. auch Jacobs, NZA 2008, 325 (332) und nunmehr Greiner, Rechtsfragen, S. 275 f., 382, 384, 391. 146 Dies sehen als Konsequenz der Rechtsprechung des BAG aber Franzen, RdA 2008, 193 (200); Jacobs, NZA 2008, 325 (332); einen Zusammenhang sieht jüngst auch A. Stein, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 35 (55). 147 Daraus, dass nach der hier favorisierten Lösung der Betriebsrat Regelungen mit auf bestimmte, sich in ihrer jeweiligen Gewerkschaftszugehörigkeit unterscheidende Arbeitnehmergruppen beschränktem Anwendungsbereich erzwingen kann, ergeben sich keine Schwierigkeiten hinsichtlich der Kenntnis der Betriebsparteien von der Gewerkschaftszugehörigkeit der einzelnen Arbeitnehmer. Die Regelungen werden nicht für konkret bezeichnete, sondern für alle entsprechend organisierten Arbeitnehmer vereinbart, so dass auch ein häufiger Wechsel von Arbeitnehmern keine praktischen Probleme
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3. Unterschiedliche tarifvertragliche Vorgaben für die betriebliche Mitbestimmung a) Problemstellung und -abgrenzung Bei der soeben diskutierten, hier zugunsten einer differenzierenden Lösung beantworteten Frage, ob die Sperrwirkung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG gegenüber der erzwingbaren betrieblichen Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten im Falle der Tarifpluralität durch jeden oder nur durch einen der kollidierenden Tarifverträge ausgelöst wird, wurde der Fall vorausgesetzt, dass die im Betrieb anwendbaren Tarifverträge die von § 87 Abs. 1 BetrVG erfasste Materie jeweils abschließend regeln. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten ist aufgrund des Tarifvorrangs nur insoweit gänzlich ausgeschlossen, wie die tarifliche Regelung abschließend ist, nicht hingegen, soweit der Tarifvertrag (die Tarifverträge) einen Regelungsspielraum belässt (belassen).148 Eine andere problematische Konstellation kann sich im tarifpluralen Betrieb ergeben, wenn die Tarifverträge eine Materie jeweils nicht abschließend regeln, aber jeweils unterschiedliche inhaltliche Vorgaben für die betriebliche Mitbestimmung enthalten.149 b) Einpassung der Tarifpluralität aa) Betriebsweite Tarifkonkurrenz bei Betriebsnormen-Kollision Keine Schwierigkeiten entstehen wiederum, soweit es sich bei den unterschiedlichen tarifvertraglichen Vorgaben um betriebliche Normen handelt. Die mehrfache Tarifbindung des Arbeitgebers lässt insoweit aufgrund der Regelung in § 3 Abs. 2 TVG eine betriebsweite Tarifkonkurrenz entstehen, die wegen der unstreitig herzustellenden Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis (hier im Ergebnis aufwirft – vgl. entsprechend für den Ausgangsfall des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG (ohne Berücksichtigung der Tarifpluralität) zutreffend Wiese, Anm. zu BAG 24. 2. 1987 SAE 1989, 6 (11) gegen v. Hoyningen-Huene/Meier-Krenz, NZA 1987, 793 (796); unbegründet daher die mit Blick auf die Konstellation der Tarifpluralität formulierten Bedenken hinsichtlich eines „Gewerkschafts-Hoppings“ bei Meyer, NZA 2006, 1387 (1391) und aktuell erneut bei dems., FS Buchner, S. 628 (634) sowie bei Braun, NZA Beilage 3/2010, S. 108 (109) zu § 77 Abs. 3 BetrVG. 148 Im Einzelnen gehen die Formulierungen hier auseinander, s. etwa – jeweils auch mit Nachweisen der Rechtsprechung des BAG – WPK/Bender, § 87 Rn. 28 f.; Fitting, § 87 Rn. 46 ff.; Löwisch/Kaiser, § 87 Rn. 8; DKK/Klebe, § 87 Rn. 29; Richardi/Richardi, § 87 Rn. 161 f.; Stege/Weinspach/Schiefer, § 87 Rn. 28b f.; Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 603; GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 69 ff.; HSWGNR/Worzalla, § 87 Rn. 53, 58; Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 992 f. 149 Deutlich zum Unterschied zwischen den beiden Konstellationen Franzen, RdA 2008, 193 (200); s. auch jüngst Brocker, NZA Beilage 3/2010, S. 121 (124).
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gleichbedeutend mit Tarifeinheit im Betrieb) der Auflösung zugunsten eines der kollidierenden Tarifverträge bedarf. Welchem Tarifvertrag man den Vorzug gibt, ist eine hier nicht zu entscheidende Frage des Tarifkonkurrenzrechts; die Literatur will bei einer Betriebsnormen-Kollision überwiegend nach dem Mehrheitsprinzip entscheiden.150 Die Betriebsnormen des ermittelten Tarifvertrages geben dann die Reichweite der Sperrwirkung nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG vor.151 bb) Pluralität arbeitsverhältnisbezogener Tarifnormen (1) Ergebnisse des Tarifwettbewerbs als Ausgangspunkt der Mitbestimmung des Betriebsrats Eine Lösung mittels Herstellung betrieblicher Tarifeinheit scheidet aus im Bereich der Individualnormen, also bei rein arbeitsverhältnisbezogenen Tarifnormen einschließlich arbeitsverhältnisbezogener Bestandteile tarifvertraglicher Doppelnormen, da insoweit die eine betriebsweite Tarifkonkurrenz herbeiführende Vorschrift des § 3 Abs. 2 TVG keine Anwendung findet. Insoweit hängt die Reichweite der Mitbestimmung des Betriebsrats konsequenterweise von der Organisationszugehörigkeit des jeweiligen Arbeitnehmers ab.152 Die Betriebsverfassung muss die Ergebnisse des Tarifwettbewerbs hinnehmen; der Betriebsrat muss sie als Ausgangspunkt seiner Mitbestimmung akzeptieren.153 Geben beispielsweise beide im Betrieb anwendbaren Tarifverträge die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit vor154, Tarifvertrag A mit 38 und Tarifvertrag B mit 40 Wochenstunden, so müssen die Betriebsparteien bei ihren Regelungen zur Lage der Arbeitszeit (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG) für die Mitglieder der Gewerkschaft A 38 Stunden Arbeitszeit auf die Woche verteilen und für die Mitglieder der Gewerkschaft B 40 Stunden (für die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer nach der Regelung im Einzelarbeitsvertrag, regelmäßig nach dem jeweils arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifvertrag).155 Der Betriebsrat muss also seine Mitbestimmungsrechte gruppenspezifisch wahrnehmen.156 150
Nachweise oben Teil 1, Kapitel 2, dort Fn. 46. Band, Tarifkonkurrenz, S. 110; Franzen, RdA 2008, 193 (200); Wendeling-Schröder, Anm. zu LAG Niedersachsen 12. 11. 1999 LAGE TVG § 4 Tarifpluralität Nr. 3, S. 5 (10); dies., AuR 2000, 339 (341 f.); dies. in Kempen/Zachert, § 4 Rn. 163; s. auch Reichold, RdA 2007, 321 (327). 152 Franzen, RdA 2008, 193 (200). 153 Rieble, Anm. zu BAG 22. 3. 1994 EzA TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 10, S. 12 (18); ders., Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1799; s. auch Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 134; dem folgend Band, Tarifkonkurrenz, S. 110. 154 Zum Inhaltsnormcharakter nur Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 423 ff., 429 f. 155 Band, Tarifkonkurrenz, S. 110 f.; Rieble, Anm. zu BAG 22. 3. 1994 EzA TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 10, S. 12 (18); ders., Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1799, jeweils unter Verweis auf LAG Hamburg 7. 6. 1995 AuR 1996, 75; s. auch Wendeling151
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(2) Gruppenspezifische („tarifakzessorische“157) Wahrnehmung der Mitbestimmungsrechte und § 75 Abs. 1 BetrVG Soweit die im Betrieb anwendbaren Tarifverträge keine das Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG ausschließenden Regelungen enthalten, sondern nur – inhaltlich unterschiedliche – Vorgaben für die betriebliche Mitbestimmung machen – Beispiel: Unterschiedliche Vorgaben zur Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit, aber jeweils keine Bestimmung hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit (vgl. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG) – kann der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht durch Betriebsvereinbarung oder durch Regelungsabrede ausüben. Auf das Verständnis der „sonstigen Arbeitsbedingungen“ i. S. v. § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG – nur materielle oder auch formelle Arbeitsbedingungen – kommt es an dieser Stelle nicht an. Denn die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG gegenüber Betriebsvereinbarungen reicht ebenfalls – insoweit besteht eine Parallele zum Eingangssatz des § 87 Abs. 1 BetrVG158 – nur soweit, wie der Tarifvertrag (die Tarifverträge) Arbeitsbedingungen tatsächlich regelt (regeln)159, soweit also, wie nach dem Willen der Tarifvertragsparteien die betreffende Angelegenheit abschließend geregelt werden soll160; enthält ein Tarifvertrag nur lückenhafte oder ergänzungsbedürftige Rahmenregelungen, steht ihrer Ausfüllung durch Betriebsvereinbarung keine Sperrwirkung entgegen.161 Ob aber nun eine Betriebsvereinbarung oder eine Betriebsabsprache getroffen wird, in jedem Fall ist die betriebliche Regelung an § 75 Abs. 1 BetrVG gebunden162, der Arbeitgeber und Betriebsrat auferlegt, Arbeitnehmer nicht wegen ihrer gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung zu benachteiligen. Die gruppenspezifische Wahrnehmung der Mitbestimmungsrechte in sozialen Angelegenheiten im tarifpluralen Betrieb macht es aber erforderlich, Regelungen mit unterschiedlichem persönlichem Geltungs- oder Anwendungsbereich163 je nach Schröder, Anm. zu LAG Niedersachsen 12. 11. 1999 LAGE TVG § 4 Tarifpluralität Nr. 3, S. 5 (10 f.); dies., AuR 2000, 339 (342); dies. in Kempen/Zachert, § 4 Rn. 163. 156 Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1495; ebenso Reichold, RdA 2007, 321 (327). s. auch Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 995. 157 Ausdruck von Reichold, RdA 2007, 321 (327). 158 Darauf weist zutreffend hin GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 106. 159 Fitting, § 77 Rn. 84; GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 106 f. 160 Fitting, § 77 Rn. 84. 161 DKK/Berg, § 77 Rn. 64; Fitting, § 77 Rn. 84; s. auch die Beispiele bei Berg, a. a. O.; Löwisch/Kaiser, § 77 Rn. 123; Richardi/Richardi, § 77 Rn. 280 ff.; Wiedemann/ Wank, § 4 Rn. 580; HSWGNR/Worzalla, § 77 Rn. 107 ff.; Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 979. 162 Zur Bindung auch von Regelungsabreden an § 75 Abs. 1 BetrVG s. nochmals Wiese, Anm. zu BAG 24. 2. 1987 SAE 1989, 6 (11). 163 s. zur Terminologie schon oben Fn. 122: Vom „Geltungsbereich“ wird man sinnvollerweise nur bei der Betriebsvereinbarung (vgl. § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG), nicht hingegen bei der Regelungsabrede sprechen.
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Tarifgeltung und damit je nach Gewerkschaftszugehörigkeit (vgl. § 3 Abs. 1 TVG) zu treffen.164 Somit stellt sich wieder die Frage nach der Vereinbarkeit mit § 75 Abs. 1 BetrVG.165 Zur sachlichen Rechtfertigung können aber die gleichen Überlegungen herangezogen werden, die bereits oben zu der nach Arbeitnehmergruppen und Regelungsfeldern (Überschneidungsbereich und Divergenzbereiche der kollidierenden Tarifverträge) differenzierenden Lösung für das Problem der der betrieblichen Mitbestimmung nicht lediglich Vorgaben machenden, sondern das Mitbestimmungsrecht ausschließenden Sperrwirkung im tarifpluralen Betrieb angestellt wurden.166 Da Tarifpluralität im Tarifrecht, so, wie das TVG es ausgestaltet hat, angelegt ist, und daher auch die Differenzierung zwischen den verschieden organisierten Arbeitnehmern eines tarifpluralen Betriebes je nach ihrer Tarifbindung, mithin nach ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit, in der gesetzlichen Regelung des Tarifrechts gründet, kann diese Differenzierung ohne Widerspruch zu § 75 Abs. 1 BetrVG über die „Brücke“ des Tarifvorrangs nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG in die Mitbestimmung hineingetragen werden.167 II. Fragen des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorbehalts nach § 77 Abs. 3 BetrVG im tarifpluralen Betrieb 1. Auslösung der Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG durch jeden der kollidierenden Tarifverträge? Einpassungsbedarf besteht nach der Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb auch mit Blick auf den betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, wonach Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein können. Während es bei § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG um die Reichweite der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten geht, steht insoweit die Frage im Raum, in welchem Umfang die Betriebsparteien – freiwillig oder in Ausübung eines erzwingbaren Mitbestimmungsrechts – Betriebsvereinbarungen abschließen können. Konkret ist zu untersuchen, ob im tarifpluralen Betrieb Betriebsvereinbarungen auf allen Gebieten gesperrt sind, die nur in einem der im Betrieb anwendbaren Tarifverträge geregelt sind, ob also die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 164
Vgl. Franzen, RdA 2008, 193 (198). Bedenken bei Meyer, NZA 2006, 1387 (1391). 166 s. o. B. I. 2. e) cc). 167 Im Ergebnis wie hier Franzen, RdA 2008, 193 (200) gegen Bepler, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 791 (800): Betriebsvereinbarungen mit unterschiedlichem persönlichem Geltungsbereich für die Arbeitnehmer je nach Tarifgeltung zwar ungewöhnlich, aber rechtlich nicht unmöglich. 165
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Satz 1 BetrVG im tarifpluralen Betrieb durch jeden oder nur durch einen der kollidierenden Tarifverträge ausgelöst wird. a) Teil der Lehre: Sperrwirkung gegenüber Betriebsvereinbarungen nur durch den Mehrheitstarifvertrag aa) Dafür, im Falle der Tarifpluralität für das Eingreifen der Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG einen der im Betrieb anwendbaren Tarifverträge auszuwählen, hat sich mit ausführlicherer Begründung Berg ausgesprochen.168 Halte man die Aufgabe des Prinzips der Tarifeinheit im Betrieb rechtlich für geboten, so seien die Auswirkungen einer realisierten Tarifpluralität auf die mit ihr notwendig in einem Sachzusammenhang stehenden gesetzlichen Regelungen der betrieblichen Mitbestimmung zu berücksichtigen und mit deren jeweiligem Schutzzweck in Übereinstimmung zu bringen.169 Im Rahmen der Betriebsverfassung, so Berg, wäre zumindest die parallele Geltung konkurrierender betrieblicher und betriebsverfassungsrechtlicher Normen170 und tarifvertraglicher Öffnungsklauseln171 sowie – und ab hier wird es interessant – die konkurrierende Auslösung des Tarifvorbehalts nach § 77 Abs. 3 BetrVG und des Tarifvorrangs nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG mit der in der Regel notwendig einheitlichen Geltung von Inhalts- und Betriebsnormen eines Tarifvertrages bzw. mehrerer aufeinander bezogener Tarifverträge (z. B. Entgelt- und Beschäftigungssicherungstarifvertrag und Manteltarifvertrag als abgestimmter Gesamtkompromiss) und der Funktion des Betriebsrats als Interessenvertretungsorgan für die gesamte Belegschaft nicht vereinbar. Dies erfordere für das Eingreifen der Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG, einem der Geltung beanspruchenden Tarifverträge den Vorrang einzuräumen. Es spreche viel dafür, dass nur der mit der mitgliedsstärksten Gewerkschaft im Betrieb, hilfsweise in der Branche, abgeschlossene Tarifvertrag in diesem Kontext maßgeblich sei und damit die Sperrwirkung nach § 77 Abs. 3 BetrVG auslöse. Er präge das betriebliche Geschehen (oder das der Branche) ohnehin bereits wirkungsvoller und sei insbesondere auch mitgliedschaftlich stärker legitimiert.172
168 DKK/Berg, § 77 Rn. 69c; s. auch Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 57i. 169 s. auch Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 58a. 170 Insoweit bereitet freilich, wie in der vorliegenden Arbeit bereits mehrfach betont wurde – aber wohl nicht oft genug betont werden kann –, die Tarifpluralität keine Schwierigkeiten, da sie hier in der Konsequenz der gesetzlichen Regelung in § 3 Abs. 2 TVG zugleich betriebsweite Tarifkonkurrenz ist, weshalb es gerade nicht zu einer parallelen Normgeltung, sondern zur Auflösung der Tarifkonkurrenz nach dem betriebsweit einheitlich anzuwendenden Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis und im Ergebnis zur betrieblichen Tarifeinheit kommt. 171 s. zu tarifvertraglichen Öffnungsklauseln nach § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG noch unten B. II. 2.
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bb) Eine Entscheidung für einen der kollidierenden Tarifverträge hält hinsichtlich § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG offenbar auch Meyer für erforderlich. Auch hinsichtlich Inhaltsnormen werde durch eine Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit mit Blick auf § 77 Abs. 3 BetrVG die Betätigungsfreiheit der Betriebsparteien noch weiter zurückgedrängt.173 Eine Freigabe der Tarifpluralität führe infolge einer zweifelhaften Extension zu einer Beeinträchtigung der Betätigung der Betriebsparteien, die mit dem Regelungsziel der §§ 77 Abs. 3 und 87 Abs. 1 BetrVG unvereinbar erscheine.174 b) Stellungnahme Mit voller Berechtigung hat sich demgegenüber in der Rechtslehre bereits eine h. M. gebildet, nach der die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG im Falle der Tarifpluralität durch jeden der im Betrieb geltenden Tarifverträge aktiviert wird, so dass Betriebsvereinbarungen schon dann schlechthin ausgeschlossen sind, wenn nur einer der kollidierenden Tarifverträge entsprechende Regelungen enthält.175 aa) Zulässigkeit einer „Aufspaltung“ von Tarifverträgen oder Tarifwerken in Individual- und Kollektivnormen Die Begründung Bergs für das gegenteilige Ergebnis verfängt in einem Punkt von vornherein nicht. Sie baut auf der Behauptung auf, die konkurrierende Auslösung des Tarifvorbehalts nach § 77 Abs. 3 BetrVG sei „mit der in der Regel notwendig einheitlichen Geltung von Inhalts- und Betriebsnormen eines TV bzw. mehrerer aufeinander bezogener TV (. . .)“ nicht vereinbar.176 Eine notwendig einheitliche Geltung der Inhalts- und Betriebsnormen eines Tarifvertrages oder 172
DKK/Berg, § 77 Rn. 69c unter Verweis auf Kittner/Zwanziger/Kittner/Deinert, § 10 Rn. 194, deren dortige Ausführungen sich aber allein mit dem Fall der Kollision betrieblicher und betriebsverfassungsrechtlicher Normen und mit dem Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG befassen. Auf § 77 Abs. 3 BetrVG gehen sie an dieser Stelle nicht ein, allerdings – und dort in der Tat mit dem gleichen Ergebnis wie Berg – an anderer Stelle, s. Kittner/Zwanziger/Kittner/Deinert, § 18 Rn. 20; offen zu den Konsequenzen einer Freigabe von Tarifpluralitäten für § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG jüngst Deinert, NZA 2009, 1176 (1178 f.; s. zu ihm auch oben Fn. 18). 173 So aktuell wieder Meyer, FS Buchner, S. 628 (634). 174 Meyer, NZA 2006, 1387 (1391); s. auch dens., DB 2006, 1271. 175 F. Bayreuther, NZA 2007, 187 (189); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 130 (141); Bepler, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 791 (800); Fitting, § 77 Rn. 81; Franzen, RdA 2008, 193 (200); Jacobs, NZA 2008, 325 (332); Thüsing/ v. Medem, ZIP 2007, 510 (513); Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 978; zuletzt Brecht-Heitzmann, GS Zachert, S. 502 (517). 176 DKK/Berg, § 77 Rn. 69c; s. dazu auch Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 49a, 57h.
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Tarifwerkes ist indes nicht anzuerkennen. Vielmehr können, wenn kollidierende Tarifverträge – was praktisch der Regelfall ist177 – sowohl Kollektiv- als auch Individualnormen enthalten, die Tarifverträge entlang der Grenze von Kollektivnormen (Betriebsnormen) – insoweit: Entstehung einer betriebsweiten Tarifkonkurrenz, Auflösung der Kollision nach dem Grundsatz der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis – und Individualnormen (Inhaltsnormen) – insoweit: hinzunehmende, d. h. nicht auflösungsbedürftige Tarifpluralität – „aufgespalten“ werden. Im Ergebnis findet also hinsichtlich der Kollektivnormen betriebsweit in allen Arbeitsverhältnissen nur einer der verschiedenen Tarifverträge Anwendung, während hinsichtlich der Individualnormen je nach Tarifbindung der Arbeitnehmer mehrere Tarifverträge parallel anwendbar sind. Zur Begründung ist im Schrifttum alles Nötige gesagt. Man kann sich bereits von dem Argument überzeugen lassen, ein untrennbarer Zusammenhang bestehe nur innerhalb der einzelnen Normengruppen – Individualnormen auf der einen, Kollektivnormen auf der anderen Seite –, nicht aber zwischen den Normen eines Tarifvertrages in ihrer Gesamtheit. Dafür wird angeführt, dass zwar Individualnormen einen den Interessengegensatz der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite widerspiegelnden Kompromiss darstellten, nicht aber die auf weitgehend parallel verlaufenden Interessen beruhenden Kollektivnormen.178 Oder man stützt sich – angesichts der nicht auszuschließenden Möglichkeit eines aus Individual- und Kollektivnormen bestehenden tariflichen Gesamtkompromisses179 – vorrangig auf die Parallele zur Lehre von der Teilnichtigkeit des Tarifvertrages.180 So oder so: Die von Berg behauptete notwendig einheitliche Geltung der Inhalts- und Betriebsnormen eines Tarifvertrages oder Tarifwerkes existiert nicht181 und kann daher nicht als Argu177 Band, Tarifkonkurrenz, S. 151; Dutti, BB 1968, 1335 (1337 f.); Waas, Tarifkonkurrenz, S. 108, 114; Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 299g. 178 Mit dieser Argumentation Band, Tarifkonkurrenz, S. 154 f.; Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 155; Jacobs, Tarifeinheit, S. 250; ders., NZA 2008, 325 (328); Merten, BB 1993, 572 (574); Witzig, Tarifeinheit, S. 60 ff.; s. auch Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (513 f.); aktuell Greiner, Rechtsfragen, S. 389. 179 Waas, Tarifkonkurrenz, S. 118 ff.; s. auch F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 392: Der Verhandlungserfolg bei Betriebnormen werde nicht selten mit Zugeständnissen bei Inhaltsnormen erkauft und umgekehrt; verfassungsrechtliche Bedenken dagegen allerdings bei Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 155 f.; Jacobs, NZA 2008, 325 (328): Interessenverknüpfung zwischen beiden Normgruppen zu einem Gesamtkompromiss mit Blick auf die negative Koalitionsfreiheit problematisch, weil nur Betriebsnormen auch für Außenseiter gelten; a. A. Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (514). 180 Grundlegend dafür Waas, Tarifkonkurrenz, S. 117 ff., 120 f.; ferner Band, Tarifkonkurrenz, S. 155 f.; Franzen, RdA 2008, 193 (198); Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (514); skeptisch jüngst Greiner, Rechtsfragen, S. 389. 181 A. A. aber auch Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 49a (s. auch Rn. 57h); gegen die Möglichkeit der „Aufspaltung“ in Individual- und Kollektivnormen auch Dutti, BB 1968, 1335 (1337 f.); zu weiteren abweichenden Stimmen s. die Nachweise bei Band, Tarifkonkurrenz, S. 151 f.; Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 153 (Fn. 221); Jacobs, Tarifeinheit, S. 250 (Fn. 40); in jüngerer Zeit sprechen die Frage ohne eigene Stellungnahme an Bepler, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 791 (800) und
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ment dafür herangezogen werden, für das Eingreifen der Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG einem der kollidierenden Tarifverträge den Vorrang einzuräumen. bb) Vorgaben des Normzwecks des § 77 Abs. 3 BetrVG (1) Im Zusammenhang mit der Frage, wie der betriebsverfassungsrechtliche Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG im tarifpluralen Betrieb zu handhaben ist, wurde Wert auf die Vorgabe gelegt, dass jeder Vorschlag, die Tarifpluralität in die Regelung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG einzupassen, sich an den Schutzzwecken des Mitbestimmungsrechts in sozialen Angelegenheiten und des Tarifvorrangs messen lassen muss. Diese Vorgabe ist unmittelbare Konsequenz der rechtsmethodischen Einordnung einer Zurücknahme der Tarifsperre auf einen der kollidierenden Tarifverträge als teleologische Reduktion.182 Entsprechendes gilt bei der Frage, ob im tarifpluralen Betrieb Betriebsvereinbarungen auf allen Gebieten gesperrt sind, für die nur einer der im Betrieb anwendbaren Tarifverträge Regelungen enthält oder ob die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG im Sinne einer insoweit tarifeinheitlichen Lösung nur durch einen der kollidierenden Tarifverträge ausgelöst werden kann. Auch insoweit steht eine teleologische Reduktion in Rede. Maßgeblich ist daher auch hier eine normzweckorientierte Betrachtung; aus ihr muss sich ergeben, ob als „Tarifvertrag“ i. S. v. § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG im Falle der Tarifpluralität nur einer oder jeder der im Betrieb anwendbaren Tarifverträge anzuerkennen ist. (2) Zweck des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorbehaltes ist, es wurde bereits gesagt183, die Sicherung der ausgeübten und aktualisierten Tarifautonomie vor Aushöhlung und Bedeutungsminderung durch konkurrierende Betriebsvereinbarungen und die Erhaltung und Stärkung der Funktionsfähigkeit der Koalitionen. Abweichende oder ergänzende Bestimmungen des Normzwecks184 sind heute falsifiziert.185 mit Skepsis gegenüber der „Aufspaltbarkeit“ Meyer, NZA 2006, 1387 (1391); zumindest skeptisch auch Wallisch, FS Löwisch, S. 427 (441); zuletzt wieder Meyer, FS Buchner, S. 628 (638); ders., SAE 2010, 27 (29); für Aufspaltbarkeit jüngst A. Stein, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 35 (54). 182 Zu dieser methodischen Einordnung oben B. I. 2. b). Zutreffende Betonung der Bedeutung der Normzwecke der §§ 77 Abs. 3, 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG für die Handhabung von Tarifvorbehalt und Tarifvorrang unter den Bedingungen einer realisierten Tarifpluralität jetzt auch bei Brecht-Heitzmann, GS Zachert, S. 502 (517). 183 s. o. B. I. 2. c) aa), Nachweise Fn. 33. 184 Ergänzende Zweckbestimmungen finden sich etwa noch bei Conze, DB 1978, 490 (491, 493 f.); Gamillscheg, KollArbR I, § 7 III. 2. a) (2) und (3), S. 325 f. und § 7 III. 2. b) (1), S. 326 f.; Kissel, NZA 1986, 73 (76); dems., NZA 1995, 1 (4); WPK/ Preis, § 77 Rn. 58; Stege/Weinspach/Schiefer, § 77 Rn. 12; Kempen/Zachert/WendelingSchröder, Grundl. Rn. 327; HSWGNR/Worzalla, § 77 Rn. 100 f., 124. 185 s. dazu DKK/Berg, § 77 Rn. 62; Buchner, ZfA 2004, 229 (242); Haug, BB 1986, 1921 (1922 f.); Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 145; Kreutz, Grenzen
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(3) Die hiesige Bestimmung des Schutzzwecks des § 77 Abs. 3 BetrVG wird von Berg186 im Wesentlichen187 geteilt. Daher ist es zunächst überraschend, dass er gleichwohl für das Eingreifen des § 77 Abs. 3 BetrVG einem der Geltung beanspruchenden Tarifverträge den Vorrang einräumen will, denn eine solche Lösung hätte evident normzweckwidrige Konsequenzen. Insofern gilt Ähnliches wie beim Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG.188 Löst einer der im tarifpluralen Betrieb anwendbaren Tarifverträge keine Sperrwirkung gegenüber Betriebsvereinbarungen gemäß § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG aus, so werden diejenigen seiner Regelungen, die in dem anderen, den Tarifvorbehalt aktivierenden Tarifvertrag kein Komplement finden (Bereich der inhaltlichen Inkongruenz der kollidierenden Tarifverträge, Divergenzbereich), zur Disposition der Betriebsvereinbarungsparteien gestellt. Die Betriebspartner könnten die Tarifregelungen durch – zugunsten der Arbeitnehmer189 – abweichende Betriebsvereinbarungen konterkarieren. Es liegt auf der Hand, dass dieses Ergebnis – von verfassungsrechtlichen Bedenken in Hinsicht auf Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG zu schweigen – zum Mindesten normzweckwidrig ist. Dies wird umso evidenter, wenn man bedenkt, dass im selben Atemzug, mit dem die Reduzierung der Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG auf einen der kollidierenden Tarifverträge propagiert, einer tarifeinheitlichen Lösung auch für den Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG das Wort geredet wird.190 Die Kombination der tarifeinheitlichen Betrachtung sowohl bei § 77 Abs. 3 als auch bei § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG – jeweils auf einen der kollidierenden Tarifverträge reduzierte Sperrwirkung191 – ermöglicht es dem Betriebsrat, speziell in den sozialen Angelegenheiten des § 87 Abs. 1 BetrVG nicht nur eine gegenüber den Regelungen des Diverder Betriebsautonomie, S. 213; GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 78; Moll, Tarifvorrang, S. 37 f.; Säcker, ZfA Sonderheft 1972, 41 (64); Wank, RdA 1991, 129 (136); Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 550, 561, 579; Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 971. s. auch die Übersicht bei Hromadka, DB 1987, 1991. 186 DKK/Berg, § 77 Rn. 62; s. auch Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 94. 187 Ein Unterschied besteht freilich insoweit, als Berg die Normsetzungsprärogative bereits durch jede betriebliche Konkurrenzordnung zum Tarifvertragsystem bedroht sieht und daher die Sperrwirkung auch gegenüber Regelungsabreden durchgreifen lassen will (DKK/Berg, § 77 Rn. 78; s. auch Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 111), während nach hier vertretener Ansicht die Sicherung der Normsetzungsprärogative nur verlangt, solche Vereinbarungen zu unterbinden, die die gleiche Wirkungsweise wie der Tarifvertrag haben, mithin Betriebsvereinbarungen [s. dazu oben B. I. 2. d) aa) (2) (b)]. 188 Zur Bedrohung des von § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG – auch – bezweckten Konkurrenzschutzes der Tarif- gegenüber der Betriebsautonomie durch eine tarifeinheitliche Auslösung der Sperrwirkung s. o. B. I. 2. d) aa). 189 Zur Anwendbarkeit des Günstigkeitsprinzips des § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG für den Fall, dass der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG nicht eingreift, s. Wiedemann/ Wank, § 4 Rn. 610, 621. 190 s. DKK/Berg, § 77 Rn. 69c; Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 57i, 116.
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genzbereichs des betroffenen Tarifvertrages günstigere Betriebsvereinbarung mit dem Arbeitgeber abzuschließen, sondern auch, eine solche über die Einigungsstelle (§§ 87 Abs. 2, 76 Abs. 5 Satz 1 BetrVG) zu erzwingen.192 Damit könnte sich der Betriebsrat endgültig gegenüber der betroffenen, den danach nicht-sperrenden Tarifvertrag schließenden Gewerkschaft als „beitragsfreie Ersatzgewerkschaft“ profilieren, was aber § 77 Abs. 3 BetrVG eben verhindern will. Überdies ist daran zu erinnern, dass die tarifeinheitliche Lösung nicht nur die Normsetzungsprärogative der Parteien des nach ihr keine Sperrwirkung zeitigenden Tarifvertrages gegenüber den Betriebsparteien preisgibt, sondern auch auf eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit der konkurrierenden Koalitionen (Gewerkschaften) hinausläuft.193 cc) Das tarifeinheitliche „Vorverständnis“ Erklärlich ist die Verknüpfung von zutreffender abstrakter Bestimmung des Normzwecks des § 77 Abs. 3 BetrVG und daraus gezogenen Schlussfolgerungen für den Fall der Tarifpluralität nur, wenn man die allgemeine Position Bergs zur Tarifpluralität einbezieht. Hinter der Rechtsansicht, der Tarifvorbehalt könne jeweils nur von einem der konkurrierenden Tarifverträge ausgelöst werden, steht letztlich ein Rechtsverständnis, demzufolge die Auflösung von Tarifpluralitäten nach dem Grundsatz der Tarifeinheit und dem (nicht Spezialitäts-, sondern) Mehrheitsprinzip aus Gründen der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie als Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit zulässig ist.194 Die damit in Bezug genommene These Kempens von der Tarifeinheit im Betrieb als zulässiger Grundrechtsausgestaltung ist indes nicht haltbar.195 In der Sache geht es – zu beachten ist die geforderte Verknüpfung des Grundsatzes der Tarifeinheit mit dem Mehrheitsprinzip – um Schützenhilfe für die durch die zunehmend vielfältigeren, differenzier-
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Für die Auswahl des maßgebenden Tarifvertrages soll jeweils das Mehrheitsprinzip gelten, s. DKK/Berg, § 77 Rn. 69c; Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 57i. 192 Dies wäre zwar nach der Vorrangtheorie, wenn man bei § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG eine tarifeinheitliche Lösung vertritt, unabhängig davon möglich, ob man für § 77 Abs. 3 BetrVG von einer konkurrierenden Auslösung der Regelungssperre durch jeden der im tarifpluralen Betrieb anwendbaren Tarifverträge oder von einer auf einen der Tarifverträge reduzierten Sperrwirkung ausgeht, da nach ihr § 77 Abs. 3 BetrVG Betriebsvereinbarungen in Angelegenheiten, in denen der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG hat, ohnehin nicht ausschließt; von der – wohl vorzuziehenden – sog. Zwei-Schranken-Theorie aus wird es aber erst durch die Kombination der tarifeinheitlichen Lösung sowohl für § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG als auch für § 77 Abs. 3 BetrVG möglich. 193 s. o. B. I. 2. d) aa) (3). 194 So – im Anschluss an Kempen, FS Hromadka, S. 177 ff. – Berg/Platow/Schoof/ Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 58a ff. 195 s. ausführlich oben Teil 3, Kapitel 1.
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teren Interessen innerhalb der Arbeitnehmerschaft und die diese Entwicklung widerspiegelnden Veränderungen der Verbandslandschaft (Mitgliederschwund der großen Branchengewerkschaften, Gründung neuer Koalitionen, Aufkündigung früherer Tarifgemeinschaften, verstärktes Auftreten von Spartengewerkschaften) unter Druck geratenen DGB-Gewerkschaften. Geht man daher ohne ein tarifeinheitliches „Vorverständnis“196 an die Beantwortung der Frage, wie bei der gebotenen normzweckorientierten Betrachtung die Tarifpluralität in die Regelung des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorbehaltes einzupassen ist, so ist das Ergebnis eindeutig: Ganz überwiegend wird aus der – zutreffenden – Bestimmung des Zwecks des § 77 Abs. 3 BetrVG mit Recht der Schluss gezogen, dass im Falle der Tarifpluralität jeder der im Betrieb anwendbaren Tarifverträge die Tarifsperre gegenüber Betriebsvereinbarungen auslöst. Da § 77 Abs. 3 BetrVG allein den Vorrang der Tarif- vor der Betriebsautonomie schützt, genügt es für die Sperrwirkung mit Blick auf deren Zweck, wenn bereits einer der kollidierenden Tarifverträge entsprechende Regelungen enthält; eine Betriebsvereinbarung ist dann nicht möglich.197 dd) Sicherung der Betätigungsfreiheit der Betriebsparteien durch tarifeinheitliche Betrachtung? Die kumulative, durch jeden der im tarifpluralen Betrieb anwendbaren Tarifverträge aktivierte Sperrwirkung gegenüber Betriebsvereinbarungen ist auch nicht etwa deshalb ihrerseits normzweckwidrig, „weil durch eine Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit (. . .) mit Blick auf § 77 III BetrVG die Betätigungsfreiheit der Betriebsparteien noch weiter zurück gedrängt würde“.198 Die Betätigungsfreiheit der Betriebsparteien zu sichern oder zu stärken, ist nicht Normzweck des § 77 Abs. 3 BetrVG. Regelungsziel ist gerade umgekehrt die Erhaltung und Förderung der Betätigungsfreiheit der Tarif- gegenüber den Betriebs196 Zum „Vorverständnis“ als Vorurteil s. Wank, Rechtsfortbildung, S. 22 ff.; zur Lehre vom Vorverständnis s. auch die kritische Darstellung und zahlreichen Nachweise bei Picker, JZ 1988, 1 (3 ff.); zusätzlich Picker, JZ 1988, 62 (72); speziell zu Vorverständnissen in der deutschen Arbeitsrechtswissenschaft s. kritisch F. Bydlinski, Methodenlehre, S. 598 f. (dort Fn. 438); ferner Rüthers/C. Fischer, Rechtstheorie, Rn. 606 f. und jüngst Rüthers, NZA 2010, 6 (9) zur Bedeutung von Vorverständnissen im Arbeitskampfrecht; lehrreich dazu auch Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 2 ff. und die Auseinandersetzung zwischen Kissel, RdA 1988, 321 (323) und Lieb, RdA 1988, 327 (328) um das „Lagerdenken“ in der Arbeitsrechtswissenschaft (dazu zuletzt C. Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, S. 206; P. Hanau, RdA 2009, 189 [190]). 197 Franzen, RdA 2008, 193 (200); Jacobs, NZA 2008, 325 (332); Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (513); Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 978; im Ergebnis auch Bepler, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 791 (800). 198 So aber Meyer, NZA 2006, 1387 (1391); zustimmend Wallisch, FS Löwisch, S. 427 (443); s. auch Meyer, DB 2006, 1271 und gerade wieder dens., FS Buchner, S. 628 (634).
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parteien.199 Eine auf einer drohenden Funktionslosigkeit des Betriebsrats aufbauende Argumentation kann überall dort nicht überzeugen, wo ein Zurücktreten der Regelungsmacht der Betriebsparteien gegenüber derjenigen der Tarifvertragsparteien gerade den Intentionen des Gesetzes entspricht.200 Die Betriebsverfassung muss daher die Ergebnisse des Tarifwettbewerbs hinnehmen.201 An dieser Stelle bewahrheitet sich das von Bayreuther der These Heinzes und Rickens einer normativen Verankerung der Tarifeinheit im Betrieb in § 77 Abs. 3 BetrVG entgegengehaltene teleologische Argument, wonach sich, nehme man den Regelungszweck der §§ 77, 87 BetrVG ernst, nicht das Tarifrecht am Betriebsverfassungsrecht zu orientieren habe, sondern umgekehrt das Betriebsverfassungsrecht am Tarifrecht. Die Betriebsverfassung müsste ihrerseits Kollisionslagen, die sich aus einem Gewerkschafts- und Tarifwettbewerb ergeben, hinnehmen.202 Ein Gebot praktischer Vernunft, aber als zwingender Rechtssatz mit dieser Argumentation nicht begründbar ist daher auch die Forderung Beplers203, im Falle einer Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit müssten die konkurrierenden Gewerkschaften ihr Regelungsverhalten im Verhältnis zueinander wohl zumindest in Grundzügen abstimmen, damit den Betriebspartnern nicht größere Teilbereiche möglicher betrieblicher Regelungen und der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten genommen würden. ee) Keine Differenzierung nach Arbeitnehmergruppen und Regelungsfeldern Nicht geboten ist auch eine nach Arbeitnehmergruppen und nach Regelungsfeldern (Überschneidungsbereich, Divergenzbereiche) differenzierende Lösung entsprechend dem hier für die Handhabung des Tarifvorrangs des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG im tarifpluralen Betrieb unterbreiteten Vorschlag.204 Der 199 Vgl. auch für § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG Rieble, Anm. zu BAG 22. 3. 1994 EzA TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 10, S. 12 (18); dens, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1799; Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 134; s. auch F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 380 f. 200 So in anderem Zusammenhang Lobinger, in: Rieble, Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (80). 201 Vgl. im Zusammenhang mit § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG Rieble, Anm. zu BAG 22. 3. 1994 EzA TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 10, S. 12 (18); dens, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1799; Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 134; später auch F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 380 f.; s. auch Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (513, mit Fn. 48). 202 s. nochmals F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 380 f. sowie im Zusammenhang mit § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG bereits Rieble, Anm. zu BAG 22. 3. 1994 EzA TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 10, S. 12 (18); dens, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1799; Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 134; s. auch Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (513, mit Fn. 48). 203 Bepler, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 791 (800). 204 Dafür aber womöglich Reichold, RdA 2007, 321 (326) und ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 146 (147): Die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG bereite bei Tarifpluralität keine Probleme, weil sie auf die jeweils geltenden Tarifverträge differenziert Anwendung finden könne.
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rein kollektivbezogene Normzweck des § 77 Abs. 3 BetrVG gibt dafür anders als der doppelte Zweck des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG nichts her. Schutzinteressen der Arbeitnehmer stehen einer kumulativen Sperrwirkung der konkurrierenden Tarifverträge anders als bei § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG nicht entgegen, da es in § 77 Abs. 3 BetrVG nicht um den Schutz durch erzwingbare betriebliche Mitbestimmung geht205, sondern allein um den Vorrang der Tarifvor der Betriebsautonomie.206 Dazu passt, dass es nach h. M.207 für die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG auf die Tarifgebundenheit der Arbeitsvertragsparteien nicht ankommt, also – anders als (insoweit unstreitig) bei § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG – nicht einmal auf die Tarifbindung des Arbeitgebers, die dem Arbeitnehmer die Möglichkeit eröffnet, durch Gewerkschaftsbeitritt den unabdingbaren tarifvertraglichen Schutz zu erlangen208.209 c) Tarifmehrheit210 und Tarifüblichkeit, § 77 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 BetrVG Nach der hier befürworteten Lösung aktiviert jeder nach seinem Geltungsbereich einschlägige Tarifvertrag die Sperrwirkung gegenüber Betriebsvereinbarungen nach § 77 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 BetrVG. Entsprechendes gilt auch für den Fall, dass Arbeitsbedingungen i. S. d. § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG in mehreren einschlägigen Tarifverträgen zwar nicht aktuell geregelt sind, aber „üblicherweise gere205 Insbesondere erschwert die hier befürwortete Auslösung der Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG durch jeden der in einem tarifpluralen Betrieb anwendbaren Tarifverträge auch in Verbindung mit der – wohl vorzugswürdigen – sog. Zwei-SchrankenTheorie die Ausübung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten nach § 87 BetrVG nicht über die Maßen, da diese Rechte auch durch den Abschluss von Regelungsabreden ausgeübt werden können (s. nur GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 19; GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 86) und § 77 Abs. 3 BetrVG die Möglichkeit zum Abschluss von Regelungsabreden nach der hier vertretenen Ansicht [s. o. B. I. 2. d) aa) (2) (b)] unberührt lässt. 206 Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (513). Zu der Frage eines durch § 77 Abs. 3 BetrVG mittelbar intendierten Arbeitnehmerschutzes s. unten B. II. 1. d) bb) (3). 207 Nachweise auch zur Gegenansicht oben Fn. 52. 208 Vgl. im vorliegenden Zusammenhang auch Franzen, RdA 2008, 193 (200); Jacobs, NZA 2008, 325 (332). 209 Da es für § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG richtigerweise auf die Tarifbindung der Arbeitsvertragsparteien nicht ankommt, sondern allein darauf, ob der Betrieb vom Geltungsbereich des Tarifvertrages erfasst wird, handelt es sich bei der vorstehend behandelten Frage, ob nur einer oder jeder der kollidierenden Tarifverträge die Sperrwirkung gegenüber Betriebsvereinbarungen auslöst, nicht nur um ein Problem der Tarifpluralität, sondern auch (schon) um ein solches der Tarifmehrheit; denn Tarifpluralität setzt stets zumindest die mehrfache Tarifgebundenheit des Arbeitgebers voraus, auf die es indes für § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG gerade nicht ankommt. Zum Begriff der Tarifmehrheit s. o. Teil 1, Kapitel 2, unter C. 210 Dazu, dass man es im Bereich des § 77 Abs. 3 BetrVG bei einer Tarifmehrheit aufgrund der Irrelevanz der Tarifgebundenheit der Arbeitsvertragsparteien für die Tarifsperre nicht zwingend mit einer Tarifpluralität im eigentlichen Sinne zu tun hat, s. soeben Fn. 209.
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gelt werden“, § 77 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 BetrVG. Auch hier müssen konsequenterweise beide (alle) einschlägigen „üblichen“ tariflichen Regelungen Sperrwirkung gegenüber Betriebsvereinbarungen entfalten.211 Die gegenteilige Ansicht von Kittner und Deinert ist abzulehnen. Nach ihnen müssen, wenn mehrere Tarifverträge als üblich in Betracht kommen, verschiedene Konstellationen unterschieden werden. Ist die Regelung einer Materie in beiden Tarifverträgen enthalten – das ist das in der vorliegenden Arbeit als tariflicher „Überschneidungsbereich“ gekennzeichnete Regelungsfeld –, so sei die Annahme der Tarifüblichkeit unproblematisch.212 Für den Fall dagegen, dass nur einer der Tarifverträge ein „sperrerelevantes Thema“ regelt – dies bezieht sich in der hiesigen Terminologie auf die tarifvertraglichen Divergenzbereiche –, soll es nahe liegen, unter dem Gesichtspunkt der Repräsentativität auf den Tarifvertrag mit den meisten tarifgebundenen Arbeitnehmern abzuheben, da von ihm die größte, die jeweilige Branche prägende Wirkung ausgehe.213 Dem kann bei normzweckorientierter Betrachtung nicht gefolgt werden. Der Vorrang üblicher Tarifverträge vor betrieblichen Regelungen dient dem Schutz der Tarifautonomie. Diesem Schutz unterfallen alle tariflichen „Rechtsetzungsgemeinschaften“, insbesondere alle Gewerkschaften, im selben Maße. Demnach wäre es zum Mindesten mit der ratio des § 77 Abs. 3 BetrVG214 nicht vereinbar, bei einer „Konkurrenz“ mehrerer üblicher Tarifverträge einem Tarifvertrag den Schutz des Tarifvorbehalts zu versagen.215
211 Wie hier Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 142 ff.; s. auch zur Vorgängervorschrift des § 59 BetrVG 1952, die nur den Fall der Tarifüblichkeit kannte, Zöllner, FS Nipperdey, Band II, S. 699 (714 f., in Fn. 70): Für die Feststellung einer den Abschluss von Betriebsvereinbarungen versperrenden Tarifüblichkeit sei die Lösung von Tarifkonkurrenzen unerheblich. 212 Nur für diesen Fall wollte offenbar auch das BAG bei der Vorgängervorschrift des § 77 Abs. 3 BetrVG, der allein auf die Tarifüblichkeit abhebenden Vorschrift des § 59 BetrVG 1952, die Tarifüblichkeit tarifmehrheitlich betrachten. Für die Tarifüblichkeit spiele es keine Rolle, mit welcher Gewerkschaft der jeweilige Tarifvertrag abgeschlossen worden ist, sofern nur die einzelnen Tarifverträge in ihrem materiellen Inhalt im Wesentlichen übereinstimmten, BAG 6. 12. 1963 AP BetrVG § 59 Nr. 23 (G. Hueck), unter 3. b) der Gründe. G. Hueck erläutert das in seiner zustimmenden Anm., ebd., unter 2. c), dahin, dass es für § 59 BetrVG 1952 nur darauf ankomme, ob für eine bestimmte Materie die Regelung durch Tarifvertrag überhaupt üblich ist, während die Einheit der tariflichen Regelung nicht erforderlich sei. Deshalb bestünden keine Bedenken, bei der Prüfung der Tarifüblichkeit alle Tarifverträge nebeneinander zu berücksichtigen. Dabei sei allerdings zu beachten, dass die mehreren Tarifverträge, wolle man sie bei der Prüfung der Tarifüblichkeit heranziehen, in ihrem Regelungsgegenstand, d. h. von den in den Tarifverträgen geregelten Materien her, „selbstverständlich“ übereinstimmen müssten. – Tarifmehrheitliche Betrachtung der Tarifüblichkeit danach also nur im „Überschneidungsbereich“. 213 Kittner/Zwanziger/Kittner/Deinert, § 18 Rn. 34. 214 Nach Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 143, überdies mit Art. 9 Abs. 3 GG. 215 Zutreffend Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 143.
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d) Repräsentativitätserfordernis? Der zuletzt angesprochene Aspekt weist auch bereits den Weg zur Antwort auf die Frage nach einem Repräsentativitätserfordernis bei § 77 Abs. 3 BetrVG.216 aa) Meinungsstand Zu § 59 BetrVG 1952, der Vorgängervorschrift des § 77 Abs. 3 BetrVG, nach welcher noch allein die Tarifüblichkeit maßgeblich war217, stellte sich das BAG auf den Standpunkt, Tarifüblichkeit liege vor, wenn die Zahl der in den tarifgebundenen Betrieben218 regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer größer ist als die Zahl der Arbeitnehmer, die regelmäßig in den nicht tarifgebundenen Betrieben beschäftigt werden.219 Daran anschließend wird auch heute zu § 77 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 BetrVG von Teilen der Literatur ein solches zahlenmäßiges Überwiegen der bei den tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigten Arbeitnehmer verlangt.220 Das BAG hat die Frage für den Fall der Tarifüblichkeit nach § 77 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 BetrVG offen gelassen.221 Die h. L. spricht sich bei § 77 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 BetrVG gegen ein solches Repräsentativitätserfordernis aus.222 Nur vereinzelt wird Repräsentativität der Tarifregelung auch für die erste Alternative des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG verlangt.223 Insoweit steht auch das BAG auf der Seite der h. L.224 216 Mit Blick auf die Tarifpluralität jüngst wieder aufgeworfen von Rieble bei Kalb, RdA 2007, 379 (381): Über die Reichweite der Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG müsse bei Realisierung von Tarifpluralitäten neu diskutiert werden; es stelle sich die Frage, ob hierfür die Repräsentativität der tarifschließenden Gewerkschaft erforderlich sei. 217 § 59 BetrVG 1952 lautete: „Soweit Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen üblicherweise durch Tarifvertrag geregelt werden, sind Betriebsvereinbarungen nicht zulässig, es sei denn, daß ein Tarifvertrag den Abschluß ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zuläßt.“. 218 Richtig muss es heißen: bei tarifgebundenen Arbeitgebern, vgl. Zöllner, FS Nipperdey, Band II, S. 699 (714). 219 BAG 6. 12. 1963 AP BetrVG § 59 Nr. 23 (m. zust. Anm. G. Hueck), unter 3. der Gründe. 220 So noch Löwisch/Kaiser, 5. Aufl. 2002, § 77 Rn. 65; außerdem Stege/Weinspach/ Schiefer, § 77 Rn. 16; s. auch Richardi/Richardi, § 77 Rn. 271; ferner Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 775; s. auch Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 231. 221 BAG 13. 8. 1980 AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 2, unter II. 1. c) der Gründe. 222 Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 105; C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 205 f.; JKO/Jacobs, § 7 Rn. 100; GK-BetrVG/ Kreutz, § 77 Rn. 119; HaKo-BetrVG/Lorenz, § 77 Rn. 46; MüArbR/Matthes, § 238 Rn. 64; Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 80 f.; WPK/Preis, § 77 Rn. 74; Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 565; HSWGNR/Worzalla, § 77 Rn. 130; Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 978. 223 So noch Löwisch/Kaiser, 5. Aufl. 2002, § 77 Rn. 65, der das Repräsentativitätserfordernis zwar nicht ausdrücklich auch auf die erste Alternative bezog, aber nicht zwi-
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Von der Frage nach der Repräsentativität der Tarifregelung für die Branche (genauer: für ihren Geltungsbereich) zu unterscheiden ist die Frage nach einer etwa erforderlichen Repräsentativität der tarifschließenden Gewerkschaft im Betrieb (betriebsbezogenes Repräsentativitätserfordernis). Solche Repräsentativität verlangt etwa Gamillscheg. § 77 Abs. 3 BetrVG verliere dort seine Rechtfertigung, wo ein Tarifvertrag mit einer nicht repräsentativen Gewerkschaft ohne Rückhalt in der Belegschaft geschlossen wird. Es sei daher Repräsentativität, beurteilt im Rahmen des Betriebs, zu verlangen; die Maßgeblichkeit des Verbandes im Betrieb könne sich etwa aus den Betriebsratswahlen ergeben.225 Die h. L. lehnt auch ein so verstandenes Repräsentativitätserfordernis ab.226 bb) Stellungnahme Berücksichtigt man für die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG nur solche Tarifverträge, die für die Branche repräsentativ oder von einer für den jeweiligen Betrieb repräsentativen Gewerkschaft geschlossen sind, so hat dies nicht zwingend eine tarifeinheitliche Betrachtung der Tarifsperre gegenüber Betriebsvereinbarungen zur Konsequenz. Da es für das branchenbezogene Repräsentativitätserfordernis nicht auf die Zahl der tarifgebundenen Arbeitnehmer, sondern auf die Zahl der bei den tarifgebundenen Arbeitgebern regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer ankommen soll (vgl. auch § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG), kann mehrfache Tarifbindung von Betrieben mit hoher Arbeitnehmerzahl dazu führen, dass mehrere Tarifverträge in diesem Sinne branchenrepräsentativ sind. Auch können in einem Betrieb mehrere Gewerkschaften nennenswerten Rückhalt in der Belegschaft und damit Repräsentativität bezogen auf den Betrieb besitzen.227 schen beiden Fällen differenzierte; s. aber demgegenüber jetzt Löwisch/Kaiser, § 77 Rn. 121. 224 BAG 13. 8. 1980 AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 2, unter II. 1. c) der Gründe; 20. 11. 2001 EzA BetrVG 1972 § 77 Nr. 70, unter II. 2. b) der Gründe; aus dem Schrifttum Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 100; C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 205 f.; Fitting, § 77 Rn. 79; Kittner/Zwanziger/ Kittner/Deinert, § 18 Rn. 19; GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 102; Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 70 f.; Richardi/Richardi, § 77 Rn. 262; Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 978. 225 Gamillscheg, KollArbR I, § 7 III. 2. b) (2), S. 327 sowie § 9 IV. 3. e) (5), S. 438 und § 15 III. 3. b) (10), S. 564; s. auch schon dens., FS Herschel, S. 99 (115). 226 Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 100; GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 102; Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 71 f.; Richardi/Richardi, § 77 Rn. 263; s. auch WPK/Preis, § 77 Rn. 74: Tarifüblichkeit auch bei Regelungen in Tarifverträgen „kleinerer“ Gewerkschaften gegeben; zuletzt Brecht-Heitzmann, GS Zachert, S. 502 (517). 227 s. dazu auch Gamillscheg, KollArbR I, § 9 IV. 3. e) (5), S. 438: Wie das Problem im Verhältnis zweier gleichstarker Verbände wie etwa HBV und DAG (mittlerweile beide aufgegangen in ver.di) zu lösen ist, sei vollends unklar. Vom hiesigen Standpunkt aus bereitet freilich diese Konstellation keine Schwierigkeiten: Der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG wird durch jeden der Tarifverträge ausgelöst, unabhängig davon, ob es sich um Verträge gleichstarker Verbände oder um das Zusammentreffen
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Gleichwohl hat das – branchen- wie betriebsbezogene – Repräsentativitätserfordernis einen Zug zur Reduzierung der Sperrwirkung auf einen der nach ihrem Geltungsbereich einschlägigen Tarifverträge und wirkt somit in die gleiche Richtung wie eine tarifeinheitliche Betrachtung, nach der von vornherein nur ein Tarifvertrag als tarifvertragliche Regelung oder als tarifübliche Regelung i. S. d. § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG anzuerkennen ist. (1) Methodische Einordnung eines Repräsentativitätserfordernisses Dies vorausgeschickt, bedarf eine Stellungnahme zum Repräsentativitätserfordernis zunächst dessen rechtsmethodischer Einordnung. Im Wortlaut des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG findet ein Repräsentativitätserfordernis keinen Anhalt. Es kann daher nur durch Rechtsfortbildung eingeführt werden, konkret im Wege teleologischer Reduktion. Für Einzelheiten kann verwiesen werden auf die Ausführungen zu einem (betriebsbezogenen) Repräsentativitätserfordernis für die gesetzesverdrängende Wirkung eines vom tarifdispositiven Gesetzesrecht (zu Lasten des Arbeitnehmerschutzes) abweichenden Tarifvertrages; soweit verlangt wird, ein vom tarifdispositiven Gesetzesrecht (insbesondere § 7 ArbZG) abweichender Tarifvertrag müsse von einer im Betrieb maßgeblichen (repräsentativen) Gewerkschaft vereinbart worden sein, geht es ebenfalls um eine teleologische Reduktion, dort um eine teleologische Reduktion der gesetzlichen Tariföffnungsklauseln.228 Aus der rechtsmethodischen Einordnung folgt im Übrigen, dass Argumenten, die gegen ein Repräsentativitätserfordernis aus dem Fehlen entsprechender Anhaltspunkte im Wortlaut des § 77 Abs. 3 BetrVG hergeleitet werden229, keine Bedeutung zukommt; denn auf der Grundlage der h. M. – Theorie der Wortsinngrenze – beginnt die hier in Rede stehende Rechtsfortbildung, hier konkret: teleologische Reduktion, schließlich erst jenseits des die Grenzen der Auslegung markierenden Wortsinnes (teleologische Reduktion als „wortsinnunterschreitende Nichtanwendung des Gesetzes“). (2) Repräsentativitätserfordernis und Normzweck des § 77 Abs. 3 BetrVG Teleologische Reduktionen können unterschiedlich begründet werden. In erster Linie können sie geboten sein durch den Zweck der einzuschränkenden Norm des Tarifvertrages einer „großen“ und desjenigen einer „kleinen“ Gewerkschaft (zu dieser Konstellation auch Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 58 ff., 67 ff. und ihr Fazit S. 72 f., weiter S. 79 ff., 142 ff.) handelt. 228 s. ausführlich oben Teil 3, Kapitel 3, unter B. II. 2.; zutreffende Einordnung des Repräsentativitätserfordernisses als teleologische Reduktion des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG auch bei C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 206. 229 BAG 13. 8. 1980 AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 2, unter II. 1. c) der Gründe; C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 205; Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 70, 81; HSWGNR/Worzalla, § 77 Rn. 130.
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selbst.230 Zu untersuchen ist daher, wie sich der Normzweck des § 77 Abs. 3 BetrVG zu einem branchen- oder betriebsbezogenen Repräsentativitätserfordernis verhält. Zweck des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorbehaltes ist die Sicherung der ausgeübten und aktualisierten Tarifautonomie vor Aushöhlung und Bedeutungsminderung durch konkurrierende Betriebsvereinbarungen und die Erhaltung und Stärkung der Funktionsfähigkeit der Koalitionen. Diesem Schutz unterfallen alle tariflichen „Rechtsetzungsgemeinschaften“, insbesondere alle Gewerkschaften, im selben Maße. Das Repräsentativitätserfordernis führt demgegenüber dazu, dass Gewerkschaften, die im jeweiligen Betrieb (noch) nicht stark vertreten sind oder deren Tarifverträge sich in der Branche (noch) nicht flächendeckend durchgesetzt haben, des Konkurrenzschutzes gegenüber der Betriebsautonomie verlustig gehen. Dadurch würde der Schutz normzweckwidrig gerade denjenigen Gewerkschaften vorenthalten, die am meisten auf ihn angewiesen sind.231 Der Konkurrenzschutz gegenüber der Betriebsautonomie kann nicht davon abhängen, wie erfolgreich eine Koalition ist.232 Gerade wenn eine Gewerkschaft sich anschickt, eine (neue) Branche ohne traditionell starke Tarifvertragsparteien zu organisieren, bedarf sie des Schutzes gegen ein Ausweichen auf die Betriebsvereinbarung als Ersatztarifvertrag.233 Aber auch, wenn – im Falle der Tarifmehrheit – bereits ein repräsentativer Tarifvertrag existiert, ist es nicht gerechtfertigt, den Schutz weiterer Gewerkschaften zurückzusetzen. Kann demnach der konkrete Normzweck des § 77 Abs. 3 BetrVG für eine teleologische Reduktion nicht fruchtbar gemacht werden, so gilt selbiges für den allgemeinen Normzweck der Rechtssicherheit234; auch dieser streitet im Gegenteil gegen die Einführung eines Repräsentativitätserfordernisses, da dessen tatsächliche Voraussetzungen von den Betriebsparteien, deren Regelungszuständig-
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Näher dazu oben Teil 3, Kapitel 3, unter B. II. 2. b) aa). Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 72. 232 Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 978; s. auch Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 565; HSWGNR/Worzalla, § 77 Rn. 130. 233 Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 100; Kittner/Zwanziger/ Kittner/Deinert, § 18 Rn. 19. 234 Zur Unterscheidung von konkreten und allgemeinen Normzwecken s. Wank, Rechtsfortbildung, S. 177 f.; dens., Begriffsbildung, S. 92 ff.; dens., Auslegung, § 8, S. 67 ff.; zuletzt Bitter/Rauhut, JuS 2009, 289 (294). Zur Rechtssicherheit als allgemeinem Normzweck Wank, Begriffsbildung, S. 96; ders., FS Adomeit, S. 789 (804). Ob es sich insoweit hinsichtlich der Frage einer teleologischen Reduktion noch um eine normzweckbezogene Argumentation oder bereits um die Fallgruppe der teleologischen Reduktion aufgrund eines vorrangigen, dem Gesetz immanenten Prinzips (hier: Rechtssicherheit) handeln würde (s. dazu auch sogleich im Text), kann dahinstehen. 231
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keit davon abhinge, jedenfalls in bestimmten Branchen235 kaum sicher festzustellen wären.236 (3) Repräsentativitätserfordernis und allgemeines Arbeitnehmerschutzprinzip Eine teleologische Reduktion soll auch möglich sein, wenn die Einschränkung einer Norm durch ein für eine bestimmte Fallgruppe vorrangiges, dem Gesetz immanentes Prinzip geboten ist.237 Als ein solches käme ein etwa anzuerkennendes allgemeines Arbeitnehmerschutzprinzip in Betracht.238 Denkbar wäre auch, den Arbeitnehmerschutz bereits als mittelbaren Normzweck des § 77 Abs. 3 BetrVG zu berücksichtigen; so meinte das BAG in seiner Entscheidung zum Repräsentativitätserfordernis bei § 59 BetrVG 1952, die Vorschrift bezwecke die Stärkung der Tarifhoheit der Verbände nicht um ihrer selbst willen, sondern zur Sicherung und Besserung der wirtschaftlichen Lage der Arbeitnehmer.239 Gleichwohl sind Überlegungen, ein Repräsentativitätserfordernis mit dem Gedanken des Arbeitnehmerschutzes zu begründen240, nicht durchgreifend. Dabei wird, wie auch in anderen Zusammenhängen241, die regulative Kraft der Anforderungen an die Tariffähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen, insbesondere des Erfordernisses der sozialen Mächtigkeit, ignoriert oder doch wenigstens unterschätzt.242 Auch ohne Verlangen nach Repräsentativität hat eben nicht jede Ar235
Näher HaKo-BetrVG/Lorenz, § 77 Rn. 46. GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 102; HaKo-BetrVG/Lorenz, § 77 Rn. 46; Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 565; HSWGNR/Worzalla, § 77 Rn. 130; s. auch schon Zöllner, FS Nipperdey, Band II, S. 699 (714 f., 716). 237 s. o. Teil 3, Kapitel 3, unter B. II. 2. b) aa). 238 s. dazu vor allem, mit guten Gründen zurückhaltend, Preis, Grundfragen, S. 283 ff., 285, und Wank, Arbeitnehmer, S. 52 ff. 239 BAG 6. 12. 1963 AP BetrVG § 59 Nr. 23 (G. Hueck), unter 3. a) der Gründe; zurückhaltend, insbesondere zu den daraus vom BAG gezogenen Folgerungen, Zöllner, FS Nipperdey, Band II, S. 699 (703, 716, dort Fn. 75). 240 s. die Darstellung bei C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 205 f. 241 s. o. Teil 3, Kapitel 1, unter B. II. sowie, ebenfalls im Zusammenhang mit der Frage der Repräsentativität, oben Teil 3, Kapitel 3, unter B. II. 3. b) aa). 242 Innere Folgerichtigkeit ist dem Verlangen nach (betriebsbezogener) Repräsentativität der tarifschließenden Gewerkschaft allerdings dort nicht abzusprechen, wo diese Forderung mit der Ablehnung eines allgemeinen Erfordernisses der Durchsetzungsfähigkeit als Voraussetzung der Tariffähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen verbunden wird. Dies gilt insbesondere für Gamillscheg, der Repräsentativität (u. a.) im Bereich des § 77 Abs. 3 BetrVG verlangt (KollArbR I, § 7 III. 2. b) (2), S. 327 sowie § 9 IV. 3. e) (5), S. 438 und § 15 III. 3. b) (10), S. 564; s. auch KollArbR II, § 47 4. a) (6), S. 781; ferner schon Gamillscheg, FS Herschel, S. 99 [115]), die Tariffähigkeit allgemein aber nicht von der „sozialpolitischen Bedeutung“ abhängig macht, sondern es hier dem freien Spiel der Kräfte überlassen will, ob ein Verband sich durchsetzt (s. Gamillscheg, KollArbR I, § 9 IV. 3. e) (3), S. 436 f.; s. auch dens., FS Herschel, S. 99 [115]). s. zu diesem Zusammenhang bereits ausführlicher oben Teil 3, Kapitel 3, unter B. II. 3. b) 236
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beitnehmervereinigung die Möglichkeit, Tarifverträge abzuschließen und dadurch die Zuständigkeit der Betriebspartner gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG zu blockieren. Das Mächtigkeitserfordernis sichert die prozeduralen Bedingungen für tatsächlich ausgehandelte und als solche von der Rechtsordnung als angemessenen Interessenausgleich anzuerkennende Tarifverträge, die den Schutzbedürfnissen der Arbeitnehmer gerecht werden. Es ist daher nicht gerechtfertigt, Verbänden, welche die Hürde der Tariffähigkeit genommen haben, weitere Hürden in den Weg zu stellen; vielmehr muss ihren Tarifverträgen auch die Wirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG zugebilligt werden.243 Wichtig ist natürlich eine funktionsgerechte Handhabung des Mächtigkeitserfordernisses.244 Somit lässt sich eine teleologische Reduktion mit einem etwaigen allgemeinen Arbeitnehmerschutzprinzip oder unter Berufung auf einen mittelbar arbeitnehmerschützenden Zweck des § 77 Abs. 3 BetrVG ebenfalls nicht begründen. Im Ergebnis setzt demnach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG in keiner seiner beiden Varianten eine wie auch immer geartete Repräsentativität des Tarifvertrages oder seiner Parteien voraus. Gegenteilige Ansichten gehen letztlich im Wesentlichen245 auf die Entscheidung des BAG zu § 59 BetrVG 1952246 zurück, welche an dem grundlegenden Missverständnis krankt, es komme auf die Üblichkeit der Anwendung des Tarifvertrages und nicht, wie es der Gesetzeslage entsprach (und auch nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG entspricht), auf die Üblichkeit der Regelungen an.247 cc) Repräsentativitätserfordernis bei § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG? Nach den bisherigen Feststellungen eher diskutabel, in der Rechtsprechung allerdings bislang, soweit ersichtlich, noch gar nicht und im Schrifttum selten behandelt ist die Frage eines Repräsentativitätserfordernisses für den Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG, also die verdrängende Wirkung tarifvertraglicher Regelungen gegenüber dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten.
aa) (2); zum Zusammenhang von sozialer Mächtigkeit und Verzicht auf ein zusätzliches Repräsentativitätserfordernis jüngst auch Lehmann, BB 2008, 1618 (1624). 243 Ähnlich Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 70, 72. 244 Dazu im Einzelnen Wank, RdA 2008, 257 (267 ff.). 245 Anderes gilt allerdings für Gamillscheg, bei dem das Repräsentativitätserfordernis in einem größeren Zusammenhang steht und auch in anderen Fällen eine Rolle spielt, s. KollArbR I, § 9 IV. 3. e) (5), S. 438. 246 BAG 6. 12. 1963 AP BetrVG § 59 Nr. 23 (G. Hueck). 247 Zutreffend zu diesem Unterschied etwa Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 105; C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 205; Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 565; HSWGNR/Worzalla, § 77 Rn. 130; zu § 59 BetrVG 1952 bereits Zöllner, FS Nipperdey, Band II, S. 699 (715).
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(1) Insoweit wird nicht für ein branchenbezogenes Erfordernis der Repräsentativität des Tarifvertrages, aber für ein Erfordernis der Repräsentativität der tarifschließenden Gewerkschaft im Betrieb votiert. Gamillscheg meint, § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG verliere dort seine Rechtfertigung, wo ein Tarifvertrag mit einer nicht repräsentativen Gewerkschaft ohne Rückhalt in der Belegschaft die Mitbestimmung des Betriebsrats verdränge.248 Die mitbestimmungsverdrängende Wirkung des Tarifvertrages setze daher Repräsentativität der Gewerkschaft im Rahmen des Betriebs voraus.249 Dem Tarifvertrag eines „Splitterverbandes“ dürfe diese Wirkung nur zuerkannt werden, wenn der Verband (wenigstens) im Betrieb maßgeblich ist, was sich etwa aus den Betriebsratswahlen ergeben könne.250 Einen Tarifvertrag mit einer für den Betrieb repräsentativen Gewerkschaft fordert für den Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG auch Richardi. Notwendig, aber auch ausreichend sei es, dass entweder wegen der Unabdingbarkeit der Tarifgeltung oder durch Bezugnahme auf den Tarifvertrag im Wesentlichen alle in Betracht kommenden Arbeitnehmer tarifgemäß behandelt werden.251 Ähnlich verlangt Klebe eine Mindestrepräsentativität für den Betrieb. Der Zweck des Eingangssatzes des § 87 Abs. 1 BetrVG stehe dem entgegen, dass der Arbeitgeber willkürlich eine Gewerkschaft als Partner wähle, um die Mitbestimmungsrechte zu verdrängen. Dies wäre seiner Ansicht nach etwa der Fall, wenn der Arbeitgeber den Tarifvertrag mit einer Gewerkschaft abschließt, die kein einziges Mitglied im Betrieb hat, während eine andere 10% oder mehr der Beschäftigten organisiert.252 (2) Auf den ersten Blick scheinen für eine entsprechende teleologische Reduktion des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG253 zumindest bessere Gründe zu sprechen als beim Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG. Dies gilt zumindest, wenn man nicht den Zweck des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG parallel zu dem des 248
Gamillscheg, KollArbR I, § 7 III. 2. b) (2), S. 327; ders., RdA 2005, 79 (84). s. auch Gamillscheg, KollArbR I, § 15 III. 3. b) (10), S. 564: Die §§ 77 Abs. 3, 87 BetrVG unterstellten ohne jedes Problembewusstsein, dass die Gewerkschaft repräsentativ ist; ferner ders., RdA 2005, 79 (84). 250 Gamillscheg, KollArbR I, § 9 IV. 3. e) (5), S. 438; ders., KollArbR II, § 50 2. c) (1) (b), S. 871; s. auch schon dens., FS Herschel, S. 99 (115). 251 Richardi/Richardi, § 87 Rn. 156; s. auch im Kontext der Diskussion über die Folgen des Abschieds von der Tarifeinheit Richardi, Gem. Anm. zu BAG 27. 1. 2010 – 4 AZR 549/08 (A) – und BAG 23. 6. 2010 – 10 AS 2/10, demn. in AP, unter III. 6.; ablehnend etwa Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 606. 252 DKK/Klebe, § 87 Rn. 30; s. auch HaKo-BetrVG/Kohte, § 87 Rn. 14; ferner jetzt auf der Grundlage seines Konzepts einer dynamisch-repräsentativen Tarifeinheit Greiner, Rechtsfragen, S. 383. 253 Zutreffende methodologische Einordnung eines Repräsentativitätserfordernisses als teleologische Reduktion des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG bei WPK/Bender, § 87 Rn. 27. 249
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§ 77 Abs. 3 BetrVG im Schutz der Tarifautonomie erschöpft sieht254, sondern daneben auch eine Arbeitnehmerschutzkomponente anerkennt255. Unter Arbeitnehmerschutzgesichtspunkten könnten die von den Befürwortern eines Repräsentativitätserfordernisses für § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG gezeichneten Szenarien tatsächlich Anlass zum Nachdenken über eine entsprechende teleologische Reduktion des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrangs geben. Mit dem hinter der Regelung auch stehenden Arbeitnehmerschutzgedanken wäre ein methodischer Ansatzpunkt im Normzweck vorhanden. (3) Methodisch bedenklich wäre es aber, in einem Fall, in dem einer Norm verschiedene Zwecke zugrunde liegen256, die Erforderlichkeit einer teleologischen Reduktion der Norm isoliert nur an einem der von ihr verfolgten Regelungsziele zu messen und die übrigen für die Bestimmung der ratio der Vorschrift bedeutsamen Gesichtspunkte auszublenden. Der betriebsverfassungsrechtliche Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG ist aber nun einmal mit dem Schlagwort des Arbeitnehmerschutzes allein nicht zu erklären, sondern dient daneben dem Konkurrenzschutz der Tarif- gegenüber der Betriebsautonomie.257 Nach der hier vertretenen Ansicht258 ist darin sogar der vorrangige Zweck der Regelung zu sehen. Mit dem kollektivbezogenen Schutzzweck des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG gerät jedoch ein Erfordernis besonderer Repräsentativität der tarifschließenden Gewerkschaft im Betrieb unweigerlich in Konflikt. Denn in Anbetracht der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Art. 9 Abs. 3 GG – Koalitionsfreiheit als Diskriminierungsverbot – muss der Konkurrenzschutz gegenüber der Betriebsautonomie von jeder Gewerkschaft in Anspruch genommen werden können.259 Der von der Vorschrift in erster Linie bezweckte Schutz der Tarifautonomie steht daher dem Verlangen nach besonderer Repräsentativität entgegen: Solange es wirklich um eine echte Gewerkschaft geht, verdienen ihre Tarifverträge auch den entsprechenden Schutz.260 254
So indes die oben Fn. 61 Genannten. s. zum doppelten Normzweck ausführlich oben B. I. 2. c). 256 Zu dieser Möglichkeit s. nochmals Wank, Begriffsbildung, S. 97 m.w. N. sowie bereits oben B. I. 2. c) dd). 257 s. zum doppelten Normzweck oben B. I. 2. c). 258 s. o. B. I. 2. d) cc) (2) (b). 259 s. schon oben B. I. 2. d) aa) (1). 260 Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 990; treffend auch A. Stein, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 35 (37): Die Forderung nach Mindestrepräsentativität finde im Gesetz keine Stütze, zudem liege das eigentliche Problem in der Anerkennung des Gewerkschaftsstatus von Organisationen, die Gefälligkeitstarifverträge schließen und damit in der Bejahung der Wirksamkeit solcher Tarifverträge; ablehnend zum Repräsentativitätserfordernis auch WPK/Bender, § 87 Rn. 27 mit dem – unter dem Gesichtspunkt der Beachtlichkeit auch allgemeiner Normzwecke bei der Frage nach einer teleologischen Reduktion ebenfalls zu berücksichtigenden – Einwand fehlender Rechtssicherheit bei 255
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(4) Das Erfordernis betriebsbezogener Repräsentativität der tarifschließenden Gewerkschaft wird von seinen Befürwortern unabhängig davon für notwendig gehalten, ob es sich um einen Fall der Tarifpluralität handelt oder ob von vornherein nur ein bestehender Tarifvertrag als die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats verdrängende tarifliche Regelung i. S. d. § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG in Betracht kommt, weil der Arbeitgeber nur einfach tarifgebunden ist. Die Konstellation der Gewerkschafts- (und Tarif-)mehrheit scheint aber in ihren Überlegungen doch eine zentrale Rolle zu spielen; so denkt Klebe insbesondere an den Fall, dass der Arbeitgeber einen Tarifvertrag mit einer Gewerkschaft abschließt, die kein einziges Mitglied im Betrieb hat, während eine andere etwa 10% oder mehr der Beschäftigten organisiert261, und auch Gamillscheg sieht Gefahren offenbar besonders in Fällen der Gewerkschaftsmehrheit262. Auf der Grundlage der hier für die zukünftige Handhabung des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrangs entwickelten Maßgaben besteht jedoch gerade für den Fall der Tarifmehrheit auch aus der Warte des Arbeitnehmerschutzzwecks kein Anlass, den Tarifverträgen nicht „repräsentativer“ Gewerkschaften die Sperrwirkung und damit ihren Parteien den Konkurrenzschutz vor der Betriebsautonomie zu versagen. Nicht nur, dass bereits das – funktionsgerecht verstandene und gehandhabte – Erfordernis der sozialen Mächtigkeit als Voraussetzung der Tariffähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen das Auftreten von „Splitterverbänden“ verhindert.263 Darüber hinaus wird hier für den Fall der Tarifpluralität eine differenzierende Lösung dergestalt befürwortet, dass jeder der Tarifverträge in seinem jeweiligen Divergenzbereich das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nur insoweit nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG verdrängt, wie die an diesen Tarifvertrag tarifgebundenen Arbeitnehmer des Betriebes (und die nicht organisierten Belegschaftsmitglieder) betroffen sind.264 Das heißt also, dass (auch) der Tarifvertrag einer nicht für den Betrieb „repräsentativen“ (aber tarifder Feststellung der erforderlichen „Mindestrepräsentativität“; ähnlich Wiedemann/ Wank, § 4 Rn. 606; s. auch A. Stein, a. a. O. (es bleibe unklar, ob eine Art Quorum gemeint ist) und in anderem Zusammenhang Sunnus, AuR 2008, 1 (6, Fn. 66); jüngst Brecht-Heitzmann, GS Zachert, S. 502 (518 mit Fn. 76). 261 DKK/Klebe, § 87 Rn. 30. 262 s. Gamillscheg, KollArbR I, § 9 IV. 3. e) (5), S. 438: Vollends unklar sei, wie das Problem im Verhältnis zweier gleichstarker Verbände zu lösen ist; dens., KollArbR II, § 50 2. c) (1) (b), S. 871: Ausschaltung des von der Mehrheitsgewerkschaft beherrschten Betriebsrats durch den Arbeitgeber im Zusammenwirken mit einem „Splitterverband“; s. auch A. Stein, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 35 (43 ff.). 263 Gerade die Forderung Gamillschegs nach Repräsentativität der tarifschließenden Gewerkschaft als Voraussetzung der §§ 77 Abs. 3, 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG ist daher vor dem Hintergrund zu sehen, dass Gamillscheg ein Erfordernis sozialer Mächtigkeit als allgemeine Voraussetzung der Tariffähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen ablehnt, s. Gamillscheg, KollArbR I, § 9 IV. 3. e) (3), S. 436 f.; s. auch dens., FS Herschel, S. 99 (115). 264 s. ausführlich oben B. I. 2. e).
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fähigen) Gewerkschaft das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten insoweit ohnehin nur für die an ihn kraft Gewerkschaftszugehörigkeit (§ 3 Abs. 1 TVG) tarifgebundenen Arbeitnehmer und für die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer verdrängt, die ohnedies nicht erwarten können, dass die Rechtsordnung ihre Entscheidung, unorganisiert zu bleiben, durch Bereitstellung eines alternativen kollektiven Schutzmechanismus kompensiert. Die anders tarifgebundenen Belegschaftsmitglieder werden mithin von der mitbestimmungsverdrängenden Wirkung des Tarifvertrages der nicht „repräsentativen“ Gewerkschaft überhaupt nicht berührt; für ihre Arbeitsverhältnisse besteht das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates hinsichtlich der im Divergenzbereich des fremden Tarifvertrages gelegenen Regelungsmaterien fort und ist nur auf den Feldern ausgeschlossen, für die „ihr“ Tarifvertrag Bestimmungen trifft (Überschneidungsbereich und Divergenzbereich „ihres“ Tarifvertrages). Soweit daher Gewerkschaften auftreten, die den – wie auch immer zu bemessenden265 – Anforderungen betrieblicher Repräsentativität nicht genügen, ist nach der hier für den Fall der Tarifpluralität vertretenen Lösung die von ihren Tarifverträgen nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG ausgehende Sperrwirkung gegenüber der erzwingbaren betrieblichen Mitbestimmung zwingend entweder durch Mitgliedschaft (einschlägig organisierte Arbeitnehmer) oder durch den Verzicht auf jegliche Organisierung (nicht tarifgebundene Arbeitnehmer) legitimiert und daher auch unter Arbeitnehmerschutzgesichtspunkten hinzunehmen. Bedenken könnten allenfalls für den Fall bestehen, dass beiden (allen) tarifschließenden Gewerkschaften die betriebsbezogene Repräsentativität fehlt, denn dann haben die (nicht organisierten) Arbeitnehmer nicht die Möglichkeit, sich für eine repräsentative Gewerkschaft zu entscheiden, sondern können nur zwischen mehreren nicht repräsentativen Gewerkschaften wählen; dies dürfte allerdings ein eher theoretischer Fall sein. Zudem müsste auch hier stets wenigstens Tariffähigkeit der Gewerkschaften gegeben sein. Anderes gilt freilich, wenn nur eine Gewerkschaft für den Betrieb einschlägige Tarifverträge schließt und dieser die betriebsbezogene Repräsentativität fehlt. Denn die für den Fall der Tarifpluralität entwickelte differenzierende Betrachtung des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrangs hat keine Konsequenzen für die Reichweite der Sperrwirkung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG im Betrieb eines nur einfach tarifgebundenen Arbeitgebers.266 Insoweit bleibt es dabei, dass der Tarifvertrag das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in den von ihm geregelten Bereichen bei Tarifbindung (allein) des Arbeitgebers für sämtliche Arbeitsverhältnisse des Betriebes ausschließt. Diese Wirkung hat auch der Tarifvertrag einer nicht „repräsentativen“ Gewerkschaft; immer aber muss es sich auch
265 s. dazu nochmals mit Recht kritisch WPK/Bender, § 87 Rn. 27; ferner A. Stein, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 35 (37). 266 s. o. B. I. 2. e) dd).
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wirklich um eine echte Gewerkschaft handeln267, muss also ihre Tariffähigkeit einschließlich der sozialen Mächtigkeit gegeben sein. 2. Tarifmehrheit und tarifvertragliche Öffnungsklauseln, § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG a) Problemstellung, Problemabgrenzung und Meinungsstand aa) Problemstellung und -abgrenzung Seltener als das Problem, ob im tarifpluralen Betrieb die Sperrwirkung nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG gegenüber Betriebsvereinbarungen nur durch einen oder durch jeden der kollidierenden Tarifverträge ausgelöst wird, wurde bisher die Frage behandelt, welche Konsequenzen die Freigabe von Tarifpluralitäten für den Fall zeitigt, dass in einem oder in beiden (allen) der einschlägigen Tarifverträge eine Öffnungsklausel i. S. d. § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG enthalten ist. Unter dem Gesichtspunkt der Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung geht es dabei allein um die Vorschrift des § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG. Zwar sind tarifvertragliche Öffnungsklauseln auch in § 4 Abs. 3 Alt. 1 TVG angesprochen, wonach von den Rechtsnormen des Tarifvertrages abweichende Abmachungen zulässig sind, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind. Wenn aber im Zusammenhang mit dem Problem der Tarifmehrheit sowohl § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG als auch § 4 Abs. 3 Alt. 1 TVG genannt werden268, so ist demgegenüber darauf hinzuweisen, dass von § 4 Abs. 3 Alt. 1 TVG mit Blick auf die Tarifkollisionsthematik keine Probleme ausgehen: Soweit es um die tarifvertragliche Zulassung von Abweichungen durch Tarifvertrag geht269, gelten die abweichenden Tarifnormen nur für die jeweils einschlägig tarifgebundenen Arbeitnehmer. Bei einer Zulassung von Abweichungen durch arbeitsvertragliche Regelungen270 kommt es darauf an, was Arbeitgeber und einzelner Arbeitnehmer vereinbaren. Problempotential bergen nur Öffnungsklauseln zugunsten von Betriebsvereinbarungen, da Betriebsvereinbarungen grundsätzlich für alle Arbeitnehmer des Betriebes gelten und entsprechende tarifvertragliche Klauseln betriebsverfassungsrechtliche Normen i. S. d. § 3 Abs. 2 TVG sind271; insoweit
267 Vgl. Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 990; s. auch A. Stein, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 35 (37). 268 s. Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 131. 269 Z. B. durch Haustarifvertrag vom Flächentarifvertrag; vgl. Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 268. 270 Dazu, dass tarifvertragliche Öffnungsklauseln i. S. d. § 4 Abs. 3 Alt. 1 TVG zugunsten aller Regelungsebenen (Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung, Arbeitsvertrag) denkbar sind, s. nur Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 268. 271 s. dazu noch näher unten B. II. 2. b) aa).
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stellt jedoch § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG gegenüber § 4 Abs. 3 Alt. 1 TVG die speziellere Norm dar.272 bb) Meinungsstand Zu der in Rede stehenden Frage einer Mehrheit von Tarifverträgen, von denen in einem oder in beiden (allen) eine Öffnungsklausel nach § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG beinhaltet ist, haben sich insbesondere Jacobs, Franzen und Plümpe geäußert, zuletzt hat außerdem Greiner die Problematik aufgegriffen.273 Jacobs führt aus, dass tarifvertragliche Öffnungsklauseln, die den Abschluss ergänzender274 Betriebsvereinbarungen zulassen, betriebsverfassungsrechtliche Normen seien, weil sie die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG beseitigten. Bei einer Kollision liege eine betriebsweite Tarifkonkurrenz vor, die betriebsweit durch das Prinzip der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis aufzulösen sei. Mit Tarifpluralität und Tarifeinheit im Betrieb habe dies nichts zu tun.275 Franzen bezeichnet den Fall als problematisch, dass lediglich ein Tarifvertrag eine Öffnungsklausel nach § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG enthält, während andere Tarifverträge die Sperrwirkung auslösen würden. In solchen Fällen diametral entgegengesetzter Rechtsfolgeanordnungen bedürfe es einer Kollisionsregel, welche diese Anordnung auflöst. Hier sei auf den Grundgedanken der mitgliedschaftlichen Legitimation abzustellen und der Tarifvertrag als vorrangig anzusehen, der autonomienäher ist. Dies sei grundsätzlich derjenige Tarifvertrag, an den der Arbeitgeber gebunden ist. Für den Fall, dass der Arbeitgeber an zwei Tarifverträge mit unterschiedlichen Öffnungsklauseln im Hinblick auf die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG gebunden ist, müsse einer Regelung der Vorrang zukommen. Da es sich hierbei um
272 JKO/Jacobs, § 7 Rn. 110; GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 146, 154; Waltermann, RdA 1996, 129 (135); allgemein zum Verhältnis des § 4 Abs. 3 TVG zu den Kollisionsregeln des BetrVG Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 549. 273 Greiner, Rechtsfragen, S. 379 f.; zu ihm noch weiter unten im Text. Die Problematik sprechen außerdem an Feudner, BB 2007, 2459 (2461); Fitting, § 77 Rn. 81; Gerber, ZfA 2008, 311 (313); Hundt, FAZ vom 11. 9. 2007, S. 12; Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (119 f.); jüngst auch Braun, NZA Beilage 3/2010, S. 108 (110); Brocker, NZA Beilage 3/2010, S. 121 (124). 274 Zu der Frage, ob und in welchem Umfang trotz des Wortlauts des § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG („ergänzende[r] Betriebsvereinbarungen“) auch abweichende Betriebsvereinbarungen durch Öffnungsklausel im Tarifvertrag zugelassen werden können, s. einerseits Fitting, § 77 Rn. 121; Gamillscheg, KollArbR I, § 18 III. 2. b) (3), S. 812; GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 154; Lieb, NZA 1994, 289 (290); WPK/Preis, § 77 Rn. 79; Richardi/Richardi, § 77 Rn. 301; Walker, ZfA 1996, 353 (360); Waltermann, RdA 1996, 129 (135 f.); HSWGNR/Worzalla, § 77 Rn. 144; andererseits DKK/Berg, § 77 Rn. 74; Heinze, NZA 1995, 5 (7); Kittner, FS Schaub, S. 389 (400 ff., 409). 275 Jacobs, NZA 2008, 325 (332).
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eine tarifliche Betriebsverfassungsnorm handele, setze sich dann der repräsentativere Tarifvertrag durch.276 Auch Plümpe behandelt den Fall, dass nur einer der Tarifverträge eine Öffnungsklausel enthält. Anhand einer auf Sinn und Zweck des § 77 Abs. 3 BetrVG sowie auf der Rechtsnatur tarifvertraglicher Öffnungsklauseln als betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen aufbauenden Argumentation kommt sie zu dem Ergebnis, dass der Tarifvertrag mit der Öffnungsklausel zwar nicht vollständig verdrängt werde, seine Öffnungsklausel aber nicht zur Anwendung gelangen könne.277 b) Eigener Ansatz Die bisherigen Ansätze decken entweder nur einen Teil der Problematik ab oder vermögen nicht vollends zu überzeugen. aa) Mehrheit von Tarifverträgen, die jeweils eine Öffnungsklausel enthalten und an die der Arbeitgeber jeweils tarifgebunden ist Unproblematisch ist der Fall, dass (erstens) beide (alle) sich in ihren Geltungsbereichen überschneidenden Tarifverträge eine Öffnungsklausel enthalten und (zweitens) der Arbeitgeber an beide (alle) Tarifverträge tarifgebunden ist. Hier greift die von Jacobs aufgezeigte Lösung: Da tarifvertragliche Öffnungsklauseln i. S. d. § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG betriebsverfassungsrechtliche Normen sind278, entsteht eine betriebsweite Tarifkonkurrenz, denn Rechtsnormen eines Tarifvertrages über betriebsverfassungsrechtliche Fragen gelten gemäß § 3 Abs. 2 TVG unabhängig vom Organisationsstatus der Arbeitnehmer für alle Betriebe, deren Arbeitgeber tarifgebunden sind. Die betriebsweite Tarifkonkurrenz ist betriebsweit einheitlich nach dem Prinzip der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis aufzulösen, was im Ergebnis dazu führt, dass insoweit Tarifeinheit im Betrieb hergestellt wird, d. h. es findet nur die Öffnungsklausel eines der Tarifverträge Anwendung. Welchem der Tarifverträge man insoweit den Vorrang einräumt, ist eine hier nicht zu entscheidende tarifkonkurrenzrechtliche Frage; die h. L.279 zieht bei der Kollision von Kollektivnormen (hier: Betriebsverfassungsnormen) das Mehrheitsprinzip heran.280 276
Franzen, RdA 2008, 193 (200). Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 131 ff. 278 So zu Recht die h. M., BAG 18. 12. 1997 AP KSchG 1969 § 2 Nr. 46 (Wiedemann), unter II. 2. a) der Gründe; Fitting, § 77 Rn. 123; Franzen, RdA 2008, 193 (200); Greiner, Rechtsfragen, S. 379; Jacobs, NZA 2008, 325 (332); GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 148; Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 133 f.; Richardi/Richardi, § 77 Rn. 303; Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 600; anders Giesen, Rechtsgestaltung, S. 290 ff., 331 f. 279 Nachweise oben Teil 1, Kapitel 2, dort Fn. 46. 277
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Die Betriebsparteien können dann in dem Umfang, in dem der insoweit maßgebliche Tarifvertrag eine Materie der ergänzenden (abweichenden281) Regelung durch Betriebsvereinbarung öffnet, Betriebsvereinbarungen abschließen; dabei können sich indes Regelungsgrenzen für die Betriebsvereinbarungsparteien ergeben, die von dem Vorliegen einer Tarifmehrheit unabhängig sind (und denen daher hier nicht näher nachzugehen ist): Angesprochen ist zum einen die Frage, ob der sachlich-gegenständlichen Regelungszuständigkeit der Betriebsparteien immanente Grenzen gesetzt sind oder ob von einer Allzuständigkeit von Arbeitgeber und Betriebsrat auszugehen ist282; zum anderen – damit zusammenhängend – die Außenseiterproblematik der tarifvertraglichen Öffnungsklauseln.283 Irrelevant ist in der besprochenen Konstellation, ob die Regelungsgegenstände, auf die sich die jeweiligen Öffnungsklauseln der kollidierenden Tarifverträge beziehen, im Überschneidungsbereich oder in den Divergenzbereichen der Tarifverträge liegen: Das Vorliegen einer – hier: betriebsweiten – Tarifkonkurrenz wird durch teilweise oder auch vollständige Inkongruenz der Regelungsmaterien der sich in ihren Geltungsbereichen überschneidenden Tarifverträge nicht ausgeschlossen. bb) Andere Fälle (1) Keine Lösung nach den Regeln der betriebsweiten Tarifkonkurrenz In anderen Fällen helfen allerdings die Regeln der betriebsweiten Tarifkonkurrenz nicht weiter. Das gilt erstens dann, wenn nur einer der nach ihrem Geltungsbereich einschlägigen Tarifverträge eine Öffnungsklausel enthält. Eine betriebsweite Tarifkonkurrenz entsteht dann mangels Vorliegen einer Kollision von Kollektiv-, hier Betriebsverfassungsnormen, nicht. Das übersieht Plümpe, die durchgängig284 nur den Fall behandelt, dass nur einer der Tarifverträge eine Öffnungsklausel enthält, und gleichwohl aus der Rechtsnatur tarifvertraglicher Öffnungsklauseln als betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen auf das Vorliegen einer Tarifkonkurrenz schließt.285 Womit aber soll die Öffnungsklausel des einen Tarifvertrages mit der Folge der Entstehung einer Tarifkonkurrenz kollidieren, wenn der andere Tarifvertrag gerade keine Öffnungsklausel (und womöglich 280 So konkret für die hier in Rede stehende Frage, welche Öffnungsklausel maßgeblich ist, Franzen, RdA 2008, 193 (200); s. auch Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (119 f.). 281 s. dazu oben Fn. 274. 282 s. dazu stellvertretend einerseits GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 83, 85 f., andererseits Wank, NJW 1996, 2273 (2280), jeweils m.w. N. zum Streitstand. 283 Auch dazu einerseits GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 158, andererseits Wank, NJW 1996, 2273 (2280 f.); Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 592 ff., jeweils m.w. N. 284 s. Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 131 ff. 285 Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 134.
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auch sonst keine Kollektivnormen) enthält?286 Nicht angängig ist es, die Nichtregelung einer Öffnungsklausel als Negation der Öffnung, als ein Festhalten an der gesetzlich vorgesehenen Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG (d. h.: gleichsam als „negative Öffnungsklausel“!) zu deuten, diese (fingierte) „negative Öffnungsklausel“ in ein Tarifkollisionsverhältnis zu der (positiven, echten) Öffnungsklausel des anderen Tarifvertrages zu setzen und sodann nach den Regeln der betriebsweiten Tarifkonkurrenz den die Öffnungsklausel enthaltenden Tarifvertrag – mit der Folge einer vollständigen Eröffnung der betrieblichen Regelungsebene gegenüber beiden (allen) Tarifverträgen – vorgehen zu lassen, sofern er gegenüber dem anderen (an sich sperrenden) Tarifvertrag repräsentativer ist.287 Dass die Öffnungsklausel die Regelungskompetenz der Betriebspartner gegenüber der tariflichen Ebene insgesamt und nicht bloß gegenüber dem jeweiligen Tarifvertrag eröffnen können soll288, erscheint ausgeschlossen. Zutreffend schreiben Löwisch/Rieble: „Befindet sich ein Betrieb im Geltungsbereich unterschiedlicher Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften (. . .), so ist es ausgeschlossen, daß der eine Tarifvertrag (. . .) der Betriebsvereinbarung die Regelungskonkurrenz zum anderen Tarifvertrag (. . .) erlaubt.“289 Die Regeln der betriebsweiten Tarifkonkurrenz helfen zweitens dann nicht weiter, wenn der Arbeitgeber nicht an beide Tarifverträge, sondern nur an einen oder an keinen von ihnen tarifgebunden ist. Denn die Entstehung der betriebsweiten Tarifkonkurrenz verdankt sich der Rechtsfolgeanordnung des § 3 Abs. 2 TVG, die auf der Tatbestandsseite indes die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers zur Voraussetzung hat. Fehlt es bezüglich wenigstens eines Tarifvertrages an der arbeitgeberseitigen Tarifbindung, so entsteht zwar, da zumindest einer der Tarifverträge in keinem einzigen Arbeitsverhältnis des Betriebes normative Wirkung entfaltet, weder eine Tarifpluralität noch eine Tarifkonkurrenz; Tarifpluralität und Tarifkonkurrenz setzen stets zumindest die mehrfache Tarifgebundenheit des Ar286 Zudem kann eine Tarifkonkurrenz auch nur bei Tarifbindung des Arbeitgebers entstehen (s. sogleich im Text), über die bei Plümpe indes in diesem Zusammenhang nichts gesagt ist. 287 So aber jetzt offenbar Greiner, Rechtsfragen, S. 379 f., der damit praktisch vor allem die Möglichkeit notwendiger Unternehmenssanierungen trotz Gewerkschafts- und Tarifpluralität verbunden sieht, indem der Arbeitgeber durch Aushandeln einer Tariföffnungsklausel ausschließlich mit der Mehrheitsgewerkschaft die betriebliche Regelungsebene eröffnen und folglich im Zusammenwirken mit Mehrheitsgewerkschaft und Betriebsrat Sanierungsvereinbarungen („betriebliches Bündnis für Arbeit“) etablieren könne; Minderheitsgewerkschaften könnten einen notwendigen, von Mehrheitsgewerkschaft und Betriebsrat mitgetragenen Sanierungsprozess somit nicht verhindern. 288 So Greiner, Rechtsfragen, S. 379, der offenbar erst daraus auch auf den Charakter der Öffnungsklausel als betriebsverfassungsrechtlicher Norm nach § 3 Abs. 2 TVG schließen will. 289 Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 221; ferner Fitting, § 77 Rn. 81, wo daher für die Beseitigung der Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG verlangt wird, dass jeder der Tarifverträge eine Öffnungsklausel enthält; dies ausdrücklich ablehnend indes Greiner, Rechtsfragen, S. 379 (Fn. 71).
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beitgebers voraus. Ein Tarifmehrheitsproblem stellt sich aber, wenn in einem oder in beiden (allen) der Tarifverträge eine Öffnungsklausel enthalten ist, gleichwohl: Denn die Sperrwirkung gegenüber Betriebsvereinbarungen nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, von der § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG für den Fall des Vorliegens einer Öffnungsklausel eine Ausnahme macht, setzt nach zutreffender h. M. nicht die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers voraus290; die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie wird auch291 dadurch gestört, dass nicht tarifgebundene Arbeitgeber tarifkonkurrierende Betriebsvereinbarungen abschließen.292 Dementsprechend gilt eine Öffnungsklausel i. S. v. § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG auch für Betriebe, deren Arbeitgeber nicht tarifgebunden sind.293 Die Kritik hieran bei Kreutz294 überzeugt nicht. In § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG geht es, wie schon die zweite Alternative, die der Tarifüblichkeit, zeigt295, nicht um die konkrete Geltung eines bestehenden Tarifvertrages.296 Der Tarifvertrag ist hier nicht in seiner normativen Verbindlichkeit, sondern, wie die Tarifüblichkeit, als gesetzliches Tatbestandsmerkmal der Norm des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG angesprochen.297 Deshalb ist es auch hinsichtlich § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG entgegen Kreutz kein Widerspruch, tarifvertragliche Öffnungsklauseln als betriebsverfassungsrechtliche Tarifnormen i. S. d. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG einzuordnen, deren normative Geltung von der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers abhängt, und gleichwohl die die Sperrwirkung nach Satz 1 beseitigende Wirkung der Öffnungsklausel auch für Betriebe nicht tarifgebundener Arbeitgeber eingreifen zu lassen. Auch die tarifvertragliche Öffnungsklausel in Satz 2 ist in § 77 Abs. 3 BetrVG, wie der Tarifvertrag als solcher in Satz 1 der Vorschrift, lediglich als gesetzliches Tatbestandsmerkmal, nicht als konkret normativ geltendes Regelungsinstrument angesprochen.
290
s. die Nachweise auch zur Gegenansicht oben Fn. 52. Nach Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 975: „gerade dann“. 292 BAG 20. 11. 2001 EzA BetrVG 1972 § 77 Nr. 70, unter II. 2. a) der Gründe; WPK/Preis, § 77 Rn. 66; Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 975; ausführlicher C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 202 f. 293 DKK/Berg, § 77 Rn. 73; Fitting, § 77 Rn. 120; Richardi/Richardi, § 77 Rn. 303; HSWGNR/Worzalla, § 77 Rn. 144. 294 GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 148. 295 Aus der Sperrwirkung auch bereits der Tarifüblichkeit leiten die Irrelevanz der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers (und der Arbeitnehmer) her Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung, S. 284; ders., RdA 1996, 129 (131); Wank, RdA 1991, 129 (132 f.); Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 562; s. auch v. Hoyningen-Huene/MeierKrenz, NZA 1987, 793 (795); zu der Ansicht, die Tarifbindung des Arbeitgebers nur für die erste Alternative des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG fordert, s. mit zutreffender Widerlegung C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 200 f. 296 Vgl. Wank, RdA 1991, 129 (133). 297 s. auch in der Sache ähnlich C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 201: Nicht im Betrieb, sondern (nur) im Tarifvertrag müssen die Arbeitsbedingungen geregelt sein. 291
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Ist also der Arbeitgeber an keinen oder nur an einen der Tarifverträge gebunden, von denen einer eine Öffnungsklausel enthält oder die jeweils unterschiedliche Öffnungsklauseln enthalten, so ist das Tarifmehrheitsproblem, das hier kein Kollisionsproblem im eigentlichen Sinne ist (keine Tarifkonkurrenz/Tarifpluralität), hinsichtlich § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG nicht anhand der Regeln der betriebsweiten Tarifkonkurrenz lösbar; für diese Konstellationen müssen eigene Lösungsansätze gefunden werden. (2) Entscheidung nach der Tarifbindung des Arbeitgebers? (Franzen) Franzen behandelt den Fall, dass nur einer der Tarifverträge eine Öffnungsklausel enthält, während der andere Tarifvertrag oder andere Tarifverträge die Sperrwirkung auslösen würde(n), und dass der Arbeitgeber an einen der Tarifverträge gebunden ist. In einem solchen Fall diametral entgegengesetzter Rechtsfolgeanordnungen bedürfe es einer Kollisionsregel, welche diese Anordnung auflöst. Franzen schlägt vor, auf den von ihm für die Auflösung von Tarifkonkurrenzen für maßgeblich gehaltenen Grundgedanken der mitgliedschaftlichen Legitimation abzustellen und den Tarifvertrag als vorrangig anzusehen, der autonomienäher ist; dies sei grundsätzlich derjenige Tarifvertrag, an den der Arbeitgeber gebunden ist.298 Unabhängig davon, ob die Lehre vom Vorrang der mitgliedschaftlichen Legitimation im Bereich der Auflösung echter Tarifkonkurrenzen (von Individualnormen) zu überzeugen vermag299, erscheint das Abstellen auf den „autonomienäheren“ Tarifvertrag jedenfalls als Lösungsansatz für das Problem der tarifvertraglichen Öffnungsklauseln nicht sachgerecht, weil es für die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG und folgerichtig ebenso für ihre Beseitigung durch eine Öffnungsklausel nach Satz 2 der Vorschrift nach zutreffender h. M.300 auf die Tarifbindung des Arbeitgebers, die Franzen den Ausschlag geben lassen will, gerade nicht ankommt. Diese Auslegung entspricht Sinn und Zweck des § 77 Abs. 3 BetrVG301, dem Konkurrenzschutz der Tarifautonomie gegenüber der Betriebsautonomie. Die Konkurrenz zwischen der Tarifautonomie und betrieblichen Regelungen entsteht auch302, wenn der Arbeitgeber nicht tarifgebunden ist. Die 298
Franzen, RdA 2008, 193 (200). Zur Kritik s. Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 137; Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 34; Waas, Tarifkonkurrenz, S. 68 ff.; Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 289; Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, § 4 Rn. 183; Zachert, Anm. zu BAG 22. 10. 2008 AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 66, unter IV.; Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 926. 300 Dafür auch Franzen, RdA 2008, 193 (200). 301 s. nochmals C. Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 202 f.; WPK/Preis, § 77 Rn. 66. 302 Nach Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 975, sogar „gerade dann“, s. schon oben Fn. 291. 299
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Betriebsvereinbarungsparteien treten in Konkurrenz zu bereits von den Tarifvertragsparteien gefundenen Regelungen, wodurch ein Anschluss an die tariflichen Regelungen unattraktiver wird303; auch dadurch wird die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie gestört.304 Im Bereich des § 77 Abs. 3 BetrVG für den Fall der Tarifmehrheit ausgerechnet auf die Tarifbindung des Arbeitgebers abzustellen, auf die es für die Sperrwirkung sonst richtigerweise gerade nicht ankommt, ist daher teleologisch nicht begründbar. Die Problemlösung muss ihren Ausgang vielmehr bei der ratio des § 77 Abs. 3 BetrVG nehmen. Wenn aber für die Sperrwirkung auch sonst die Tarifgebundenheit ohne Bedeutung ist, dann lässt sich nicht argumentieren, dass im Fall der Tarifmehrheit diejenigen Tarifvertragsparteien schutzwürdiger sind (und daher mit ihrem Tarifvertrag zur Entscheidung über Sperrwirkung – § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG – oder Tariföffnung, § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG, berufen sein müssten), an deren Tarifvertrag der Arbeitgeber tarifgebunden ist. (3) Lösung zugunsten des Tarifvertrages ohne Öffnungsklausel? (Plümpe) (a) Darstellung Eine Lösung nach dem Sinn und Zweck des § 77 Abs. 3 BetrVG versucht Plümpe. Sie ist der Ansicht, dass dann, wenn nur einer der in ihren Geltungsbereichen kollidierenden Tarifverträge eine Öffnungsklausel enthält, die Geltung beider Tarifverträge nebeneinander dazu führen würde, dass die Öffnungsklausel des einen Tarifvertrages immer auch die Regelungen des anderen Tarifvertrages beeinflusste.305 Dies hält sie für mit Sinn und Zweck des § 77 Abs. 3 BetrVG unvereinbar. Räume man dem Tarifvertrag, der die Öffnungsklausel enthält, den Vorrang ein, so führte die Öffnungsklausel faktisch auch zu von dem anderen Tarifvertrag abweichenden Regelungen.306 Dafür besitze die tarifschließende Gewerkschaft indes nicht die Dispositionsbefugnis. Da Zweck des § 77 Abs. 3 BetrVG der Schutz der Tarifautonomie sei, würde ein Vorrang auch in die Tarifautonomie der an dem anderen Tarifvertrag beteiligten Gewerkschaft eingreifen.307 Unter Beachtung des Zwecks des § 77 Abs. 3 BetrVG müsse sich daher 303
Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 975. BAG 20. 11. 2001 EzA BetrVG 1972 § 77 Nr. 70, unter II. 2. a) der Gründe; WPK/Preis, § 77 Rn. 66. 305 Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 131 f. 306 Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 132 f. 307 Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 133; s. auch nochmals Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 221: „Befindet sich ein Betrieb im Geltungsbereich unterschiedlicher Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften (. . .), so ist es ausgeschlossen, daß der eine Tarifvertrag (etwa der CGM) der Betriebsvereinbarung die Regelungskonkurrenz zum anderen Tarifvertrag (etwa der IG Metall) erlaubt.“; ferner nochmals Fitting, § 77 Rn. 81, wo daher für die Beseitigung der Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG verlangt 304
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immer der Tarifvertrag durchsetzen, der keine Öffnungsklausel enthält.308 Der von der Verfassung gebotene Schutz der Tarifautonomie rechtfertige es, dass der Tarifvertrag mit der Öffnungsklausel zwar nicht vollständig verdrängt wird, seine Öffnungsklausel aber nie zur Anwendung gelangen kann. Eine Betriebsvereinbarung mit Wirkung nur für die Arbeitnehmer, die dem Tarifvertrag mit der Öffnungsklausel unterfallen, könne es nicht geben.309 Der in der Nichtanwendung der Öffnungsklausel liegende Eingriff in die Dispositionsbefugnis über die Tarifautonomie der Gewerkschaft, deren Öffnungsklausel nicht zum Tragen kommt, sei gerechtfertigt.310 (b) Kritik und eigener Ansatz Die Begründung Plümpes für die Unanwendbarkeit der Öffnungsklausel eines der nach ihrem Geltungsbereich einschlägigen Tarifverträge gerät zu pauschal. Bei normzweckorientierter Herangehensweise bedarf es vielmehr einer Differenzierung nach den unterschiedlichen tarifvertraglichen Regelungsfeldern, wie sie hier im Ansatz auch schon der Lösung der Tarifmehrheitsproblematik im Bereich des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrangs nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG zugrunde gelegt wurde.311 (aa) Öffnung von Materien des tariflichen Divergenzbereichs a) Uneingeschränkte Wirkung der Öffnungsklausel Zentral ist bei Plümpe die Überlegung, dass die Öffnungsklausel des einen Tarifvertrages auch immer die Regelungen des anderen Tarifvertrages beeinflussen würde.312 Zu faktisch auch von dem anderen Tarifvertrag abweichenden Regelungen führt die Öffnungsklausel des einen Tarifvertrages aber nur, soweit sich die Tariföffnung auf Materien („Arbeitsbedingungen“ i. S. d. § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG) bezieht, die auch in dem anderen Tarifvertrag geregelt sind (Überschneidungsbereich). Öffnungsklauseln hingegen, die sich ausschließlich auf solche Regelungsmaterien beziehen, die im Divergenzbereich des jeweils für Betriebsvereinbarungen geöffneten Tarifvertrages liegen, auf Arbeitsbedingungen also, die nur in dem die Öffnungsklausel enthaltenden Tarifvertrag geregelt sind, nicht aber in dem anderen, keine ergänzenden Betriebsvereinbarungen zulassenwird, dass jeder der Tarifverträge eine Öffnungsklausel enthält; anders offenbar Greiner, Rechtsfragen, S. 379 (mit Fn. 71). 308 Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 134. 309 A. A. Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (119). 310 Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 133. 311 s. o. B. I. 2. e). 312 Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 132.
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den Tarifvertrag, können richtigerweise ihre volle Wirkung entfalten. Soweit also ein Tarifvertrag seine Regelungen nur insoweit für ergänzende Betriebsvereinbarungen öffnet, wie er Arbeitsbedingungen gegenüber dem anderen Tarifvertrag exklusiv regelt (Divergenzbereich), können die Betriebsparteien in Ausnutzung dieser Tariföffnung entsprechende Betriebsvereinbarungen mit Geltung für alle Arbeitnehmer des Betriebes abschließen. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Der Arbeitgeber fällt unter den Geltungsbereich zweier Tarifverträge, Tarifvertrag A und Tarifvertrag B. Nur Tarifvertrag B enthält eine Öffnungsklausel, nicht Tarifvertrag A. Die Öffnungsklausel in Tarifvertrag B bezieht sich ausschließlich auf solche Regelungsmaterien („Arbeitsbedingungen“ i. S. v. § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG), die im Divergenzbereich des Tarifvertrages B gelegen sind; für ergänzende Betriebsvereinbarungen geöffnet werden also nur tarifliche Regelungen, die in Tarifvertrag A kein Komplement haben. Rechtsfolge der Öffnungsklausel muss in diesem Fall sein, dass die Betriebsparteien über die geöffneten Regelungsmaterien Betriebsvereinbarungen mit Geltung für alle Arbeitnehmer des Betriebes abschließen können. Dadurch wird die Normsetzungsprärogative der Parteien von Tarifvertrag B (Gewerkschaft B) – Schutzgut des § 77 Abs. 3 BetrVG – nicht verletzt, weil sie ihre Regelung für ergänzende Regelungen auf betrieblicher Ebene geöffnet haben. Verletzt wird aber auch nicht die Normsetzungsprärogative der Parteien von Tarifvertrag A (Gewerkschaft A), denn diese haben von einer Regelung der betreffenden Materie abgesehen, so dass ihr Tarifvertrag insoweit ohnehin keine Sperrwirkung nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG entfalten würde. Wenn der Gewerkschaft A also in der Folge etwa Mitglieder den Rücken kehren oder bisher nicht organisierte Arbeitnehmer von einem Beitritt zu Gewerkschaft A Abstand nehmen sollten, weil die betrieblichen Regelungsmechanismen in ihren Augen einen Anschluss an die tariflichen Regelungen weniger attraktiv erscheinen lassen, könnte sich Gewerkschaft A darüber nicht berechtigt beklagen. b) Unangemessenheit von „Zufallsgeschenken“ Die Sachgerechtigkeit dieser Lösung für den Fall, dass die für Betriebsvereinbarungen geöffneten Regelungsmaterien im tarifvertraglichen Divergenzbereich liegen, leuchtet umso mehr ein, wenn man sich vergegenwärtigt, wozu die gegenteilige, von Plümpe favorisierte Lösung führte, nach der sich immer der Tarifvertrag durchsetzt, der keine Öffnungsklausel enthält. Danach würde sich in Hinsicht auf § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG Tarifvertrag A durchsetzen; Tarifvertrag B würde zwar nicht vollständig verdrängt (keine Tarifeinheit im Betrieb im überkommenen Sinne), seine Öffnungsklausel, die sich ausschließlich auf Arbeitsbedingungen bezieht, die zwar in Tarifvertrag B, nicht jedoch in Tarifvertrag A geregelt sind, könnte aber nicht zur Anwendung gelangen. Die Parteien von Tarif-
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vertrag A (Gewerkschaft A) würden also auch in solchen Regelungsbereichen vor betrieblicher Konkurrenz geschützt, die sie gar nicht tarifiert haben (Divergenzbereich des anderen Tarifvertrages, hier Tarifvertrag B), und das nur, weil zufällig noch ein weiterer Tarifvertrag den Betrieb nach seinem Geltungsbereich erfasst, der eine Öffnungsklausel enthält. Die Sperrwirkung im Divergenzbereich B stellte also für Gewerkschaft A, die für die entsprechenden Arbeitsbedingungen überhaupt keine Regelungen getroffen hat, ein reines „Zufallsgeschenk“ dar313, vor allem, wenn man bedenkt, dass sie womöglich eine tarifliche Regelung der betreffenden Arbeitsbedingungen angestrebt hat, gegenüber der Arbeitgeberseite aber nicht durchsetzen konnte. Diese Argumentation begibt sich auch nicht etwa in einen Widerspruch zu der hier vorgeschlagenen Lösung für Satz 1 des § 77 Abs. 3 BetrVG. Entgegen einem Teil der Literatur wurde hier mit der h. L. davon ausgegangen, dass die Sperrwirkung gegenüber Betriebsvereinbarungen nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG im Falle der Tarifmehrheit nicht bloß durch einen, sondern durch jeden einschlägigen Tarifvertrag ausgelöst wird, und zwar auch in den jeweiligen tarifvertraglichen Divergenzbereichen, sprich hinsichtlich solcher Arbeitsbedingungen, für die zwar in dem einen, nicht aber in dem anderen Tarifvertrag Regelungen enthalten sind, sowie ohne Differenzierung nach Arbeitnehmergruppen. Enthält also weder Tarifvertrag A noch Tarifvertrag B eine Öffnungsklausel i. S. d. § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG, so stellt sich zwar die Sperrwirkung gegenüber Betriebsvereinbarungen im Divergenzbereich des Tarifvertrages B für die Parteien von Tarifvertrag A (Gewerkschaft A) ebenfalls als „unverhofft“ dar, ebenso wie umgekehrt die Sperrwirkung im Divergenzbereich A für Gewerkschaft B. Um „Zufallsgeschenke“ handelt es sich dabei gleichwohl nicht, denn die Sperrwirkung ist insoweit jeweils legitimiert durch die Entscheidung der entsprechenden Tarifvertragsparteien, diesen Bereich – unter Verzicht auf eine Öffnung für ergänzende Betriebsvereinbarungen – zu tarifieren. Der Schutz, dem § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG diese Entscheidung unterstellt, kommt dann insoweit als Reflex auch den jeweils anderen Tarifvertragsparteien zugute. Anders ist es aber, wenn die Parteien eines der Tarifverträge sich entschließen, den Divergenzbereich ihres Tarifvertrages für ergänzende Regelungen auf betrieblicher Ebene freizugeben, § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG. Als Rechtfertigung dafür, die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nichtsdestotrotz auch insoweit Platz greifen zu lassen, fällt dann der Schutz der Tarifautonomie dieser Tarifvertragsparteien aus (volenti non fit iniuria); und die Parteien des anderen Tarifvertrages haben für diesen Bereich nun 313 Zur Unangemessenheit von Zufallsgeschenken s. in anderen Zusammenhängen Canaris, Handelsrecht, § 5 Rn. 17; § 7 Rn. 5, 16, 102; in einem tarifkollisionsrechtlichen Zusammenhang Waas, Tarifkonkurrenz, S. 22. Zu einem weiteren Fall, in dem dieser Argumentationstopos zum Zwecke der Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung herangezogen werden kann, s. bereits oben Teil 2, Kapitel 2, unter C. IV. 2. b) bb) (6) (a) (bb) g).
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einmal von vornherein keine Regelungen getroffen. Insoweit und nur insoweit stellte sich daher eine gleichwohl bejahte Sperrwirkung aus ihrer Sicht als Zufallsgeschenk dar. (bb) Öffnung von Materien des tariflichen Überschneidungsbereichs a) Entscheidung nach der Tarifbindung des Arbeitgebers? Das Problem, dass die Öffnungsklausel des einen Tarifvertrages auch die Regelungen des anderen Tarifvertrages beeinflussen kann, weil sie faktisch auch zu von diesen abweichenden Betriebsvereinbarungen führt, taucht aber dann auf, wenn sich die Öffnungsklausel auf Regelungsmaterien bezieht, die im tariflichen Überschneidungsbereich liegen, auf Arbeitsbedingungen also, derer sich auch der andere Tarifvertrag regelnd annimmt. Für diese Konstellation hält auch Franzen eine Entscheidung für einen der Tarifverträge für erforderlich. Enthalte lediglich ein Tarifvertrag eine Öffnungsklausel nach § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG, während andere Tarifverträge die Sperrwirkung auslösen würden – eine Konstellation, die nur hinsichtlich des Überschneidungsbereiches eintreten kann, denn im Divergenzbereich des Tarifvertrages mit der Öffnungsklausel lösen andere Tarifverträge schon per se keine Sperrwirkung aus –, so komme es zu diametral entgegengesetzten Rechtsfolgeanordnungen, weshalb es einer Kollisionsregel bedürfe, welche diese Anordnung auflöst.314 Seine Lösung indes – Vorrang des „autonomienäheren“ Tarifvertrages – begegnet zunächst dem bereits aufgezeigten Einwand: Nach zutreffender, auch von Franzen geteilter Ansicht ist die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG von der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers nicht abhängig; da folgerichtig auch eine Öffnungsklausel nach § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG die Sperrwirkung unabhängig von der Tarifbindung des Arbeitgebers beseitigt315, erscheint es wenig einleuchtend, für den Fall der Tarifmehrheit ausgerechnet auf die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers abzuheben. An dieser Stelle nun zeigt sich eine weitere Schwäche des Vorschlags von Franzen. Denn lässt man im Überschneidungsbereich denjenigen Tarifvertrag über Sperrwirkung oder Tariföffnung entscheiden, an den der Arbeitgeber tarifgebunden ist, so kann dies ohne weiteres auch der Tarifvertrag mit der Öffnungsklausel sein. Dann aber tritt ein, was Plümpe316 hinsichtlich des Überschneidungsbereichs zu Recht als mit Sinn und Zweck des § 77 Abs. 3 BetrVG unver314
Franzen, RdA 2008, 193 (200). s. nochmals DKK/Berg, § 77 Rn. 73; Fitting, § 77 Rn. 120; Richardi/Richardi, § 77 Rn. 303; HSWGNR/Worzalla, § 77 Rn. 144; zur Kritik von GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn. 148 s. die Gegenkritik oben B. II. 2. b) bb) (1). 316 s. nochmals Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 132 f. 315
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einbare Konsequenz ablehnt – die Öffnungsklausel gibt faktisch auch die Regelungen des anderen Tarifvertrages einer Abänderung durch die Betriebsvereinbarungsparteien preis, die durch den anderen Tarifvertrag an sich vermittelte Sperrwirkung läuft leer.317 Einer Lösung, die es aufgrund eines Kriteriums wie dem der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers letztlich dem Zufall überlässt, ob der Tarifvertrag mit oder der ohne Öffnungsklausel maßgeblich für die Sperrwirkung im Überschneidungsbereich ist, kann nicht beigetreten werden. b) Betriebsvereinbarungen mit beschränktem persönlichem Geltungsbereich Stattdessen sind zwei Ansätze denkbar. Zunächst die von Plümpe bevorzugte Lösung: Es setzt sich immer der Tarifvertrag durch, der keine Öffnungsklausel enthält.318 Sie begründet das mit Sinn und Zweck des § 77 Abs. 3 BetrVG.319 Der Vorrang des Tarifvertrages ohne Öffnungsklausel vermeidet, dass die Parteien des anderen, die Öffnungsklausel beinhaltenden Tarifvertrages faktisch über die Sperrwirkung eines fremden Tarifvertrages entscheiden können. Dem steht allerdings der – durchaus gesehene320 – Eingriff in die Dispositionsbefugnis derjenigen Tarifvertragsparteien gegenüber, deren Öffnungsklausel nun nicht mehr zum Tragen kommt. Die Alternative besteht darin, bei einer Öffnungsklausel im Überschneidungsbereich der Tarifverträge nur solche Betriebsvereinbarungen zuzulassen, die sich ausschließlich auf diejenigen Arbeitnehmer des Betriebes beziehen, die an den Tarifvertrag mit der Öffnungsklausel gebunden sind.321 Das bedeutet, die Öffnungsklausel würde bewirken, dass die Tarifsperre nur für die Arbeitsverhältnisse 317 s. dazu auch die Entscheidung BAG 20. 4. 1999 AP BetrVG 1972 § 77 Tarifvorbehalt Nr. 12, unter II. 2. b) der Gründe, wonach eine Öffnungsklausel i. S. d. § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG nur von den Parteien des jeweiligen Tarifvertrages selbst abgeschlossen werden kann. Da indes in dem zugrunde liegenden Fall die Öffnungsklausel zwar auf Arbeitgeberseite nicht von dem tarifschließenden Arbeitgeberverband, sondern in einem Haustarifvertrag von einem verbandsangehörigen Arbeitgeber, allerdings auf Arbeitnehmerseite von derselben Gewerkschaft (IG Metall) vereinbart wurde, wird die Entscheidung in der Literatur als formalistisch kritisiert: Da der Haustarifvertrag in der entstehenden Tarifkonkurrenz dem Verbandstarifvertrag als speziellere Regelung vorgehe, könnten die Parteien des Haustarifvertrages die Tariföffnung ohne weiteres dadurch erreichen, dass sie die Arbeitsbedingungen des Verbandstarifvertrages abschreiben und als eigene Tarifbedingungen mit einer Öffnungsklausel versehen; auf einer solchen eigenen inhaltlichen Regelung des Haustarifvertrages zu bestehen, sei eine unnötige Förmelei, s. Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 220 f.; Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 280; der Entscheidung zustimmend hingegen Fitting, § 77 Rn. 118; JKO/Jacobs, § 7 Rn. 89; GK-BetrVG/ Kreutz, § 77 Rn. 149; Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 1006. 318 Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 131 ff. 319 s. Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 132 f. 320 Vgl. Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 133. 321 s. auch – allerdings ohne Differenzierung nach Divergenz- und Überschneidungsbereich – Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (119).
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derjenigen Arbeitnehmer beseitigt und nur für diese eine ergänzende Betriebsvereinbarung ermöglicht wird, die Mitglied in der Gewerkschaft sind, die den Tarifvertrag mit der Öffnungsklausel geschlossen hat. Dagegen dürften die Betriebsvereinbarungsparteien die anders organisierten Arbeitnehmer, deren Gewerkschaft ihren Tarifvertrag nicht für betriebliche Regelungen geöffnet hat, in ihre Betriebsvereinbarungen nicht einbeziehen. Gegenüber einer solchen Lösung greift der Einwand, eine Betriebsvereinbarung mit Wirkung nur für die Arbeitnehmer, die dem Tarifvertrag mit der Öffnungsklausel unterfallen, könne es nicht geben322, nicht durch.323 Dass die Vorschrift des § 75 Abs. 1 BetrVG, auf welche dieser Einwand wohl abzielt324, es nicht ausschließt, die im TVG für den Fall der Tarifpluralität angelegte Differenzierung zwischen verschieden organisierten Arbeitnehmern auch in das Betriebsverfassungsrecht – hier über die „Brücke“ des § 77 Abs. 3 Sätze 1 und 2 BetrVG – hineinzutragen, wurde bereits aufgezeigt.325 § 77 Abs. 3 BetrVG bildet insoweit aus teleologischem Blickwinkel auch eine tragfähige Brücke, denn seinem Normzweck wird die skizzierte Lösung vollauf gerecht. Da die Betriebsparteien trotz der Öffnungsklausel keine Regelungen mit normativer Wirkung (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG)326 für die Arbeitsverhältnisse derjenigen Arbeitnehmer schaffen können, die an einen anderen, keine Öffnungsklausel enthaltenden Tarifvertrag gebunden sind, ist es ihnen nicht möglich, den Parteien dieser anderen Tarifverträge auf dem Feld der normativen Regelung von Arbeitsbedingungen Konkurrenz zu machen. Wichtig ist allerdings, festzuhalten, dass sich die durch die Öffnungsklausel zugelassenen Betriebsvereinbarungen tatsächlich nur auf die Arbeitnehmer beziehen dürfen, die an den Tarifvertrag mit der Öffnungsklausel gebunden sind. Ausgenommen sind also nicht nur die anders, sondern auch die nicht organisierten Arbeitnehmer. Das fordert die ratio des § 77 Abs. 3 BetrVG. Der Schutz der Tarifautonomie derjenigen Tarifvertragsparteien, die den anderen Tarifvertrag (ohne Öffnungsklausel) geschlossen haben, im Besonderen der Schutz der an diesem Tarifvertrag beteiligten Gewerkschaft, verlangt, dass deren Entscheidung, ihre Tarifregelung nicht für eine ergänzende327 Betriebsvereinbarung zu öffnen, auch insoweit respektiert wird, wie es um die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer geht; nur eine solche Sichtweise harmoniert mit der zutreffenden, ebenfalls dem 322
So Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 133. Wie hier im Ergebnis Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (119). 324 s. auch in anderem Zusammenhang – freilich ebenso unzutreffend – Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 75 (bei Fn. 446). 325 Oben B. I. 2. e) cc) (3). 326 Immer möglich bleiben auch insoweit Betriebsabsprachen, die von § 77 Abs. 3 BetrVG nach vorzugswürdiger Ansicht von vornherein nicht angesprochen sind, s. o. B. I. 2. d) aa) (2) (b). 327 Zur Zulassung abweichender Betriebsvereinbarungen s. die Nachweise oben Fn. 274. 323
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Schutzzweck des § 77 Abs. 3 BetrVG geschuldeten Ansicht, dass es für die Sperrwirkung des Satzes 1 nicht auf die Tarifbindung der Arbeitnehmer (ebenso wenig wie auf die des Arbeitgebers) ankommt.328 Auch mit Arbeitnehmerschutzüberlegungen kann kein gegenläufiges Ergebnis begründet werden, da § 77 Abs. 3 BetrVG nicht im Zeichen des individuellen Arbeitnehmerschutzes steht, sondern einen rein kollektivbezogenen Schutzzweck hat (Konkurrenzschutz der Tarif- gegenüber der Betriebsautonomie). Zu beachten ist unter Arbeitnehmerschutzgesichtspunkten, hier speziell in Hinsicht auf den kollektivrechtlichen Schutz der Außenseiter, dass § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nach der hier vertretenen Ansicht der Möglichkeit zum Abschluss von Regelungsabreden niemals entgegensteht. g) Sonderproblem: Betriebliche Fragen An Grenzen stößt aber die Möglichkeit der nach Arbeitnehmergruppen differenzierenden Sperrwirkung und ihrer Beseitigung durch tarifvertragliche Öffnungsklauseln, wenn es um betriebliche Fragen i. S. d. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG geht.329 Nach wohl vorzugswürdiger Auslegung können die „sonstigen Arbeitsbedingungen“ i. S. d. § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nicht einschränkend als nur materielle im Gegensatz zu formellen Arbeitsbedingungen oder nur als solche Arbeitsbedingungen verstanden werden, die Gegenstand tarifvertraglicher Inhaltsnormen sein können.330 Danach bezieht sich § 77 Abs. 3 BetrVG auf sämtliche Arbeitsbedingungen, auch auf solche, die betriebliche Fragen betreffen und daher im Falle ihrer tariflichen Regelung Gegenstand von Betriebsnormen sind; nach dem hier entwickelten Verständnis sind dies – kurz gesagt – Arbeitsbedingungen, die in einer Wechselbeziehung zu den Arbeitsbedingungen anderer Arbeitnehmer stehen und daher nur in dieser Wechselbezüglichkeit geregelt werden können.331 Vorzustellen hat man sich nun folgenden Fall: Sowohl Tarifvertrag A als auch Tarifvertrag B, die den Betrieb des Arbeitgebers jeweils von ihrem Geltungsbereich her erfassen, regeln bestimmte „betriebliche Fragen“ i. S. d. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG; wir bewegen uns mithin im Überschneidungsbereich der von beiden Tarifverträgen abgedeckten Regelungsmaterien. Ob die Tarifverträge insoweit inhaltlich (Regelungsinhalt im Gegensatz zum Regelungsprogramm) gleichlautende oder divergierende Regelungen der betrieblichen Fragen treffen, spielt keine Rolle. Der Arbeitgeber ist an einen der beiden Tarifver328 Dazu, dass es für § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG auch auf die Tarifgebundenheit der Arbeitnehmer nicht ankommt, s. nur MüArbR/Matthes, § 238 Rn. 64; WPK/Preis, § 77 Rn. 66; Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 562; Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 975. 329 s. auch Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (119 f.). 330 s. schon oben B. I. 2. d) aa) (2) (a), dort auch Nachweise zum Meinungsstand. 331 Ausführlich dazu oben Teil 3, Kapitel 2.
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träge tarifgebunden – was gemäß § 3 Abs. 2 TVG dazu führt, dass dessen Betriebsnormen unabhängig vom Organisationsstatus der Arbeitnehmer für sämtliche Arbeitsverhältnisse des Betriebs gelten –, an den anderen nicht. Einer der beiden Tarifverträge – das kann der sein, an den Tarifgebundenheit des Arbeitgebers besteht, oder der andere – enthält für seine betrieblichen Normen eine Öffnungsklausel i. S. d. § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG zugunsten ergänzender (abweichender) Betriebsvereinbarungen. Nach der oben dargelegten Lösung kommt es an sich für die Frage, welcher der beiden Tarifverträge über Sperrwirkung (§ 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG) oder Tariföffnung (§ 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG) entscheidet, weder darauf an, an welchen Tarifvertrag der Arbeitgeber gebunden ist332, noch setzt sich pauschal derjenige Tarifvertrag ohne Öffnungsklausel durch333. Vielmehr bestünde die Lösung darin, dass die Betriebsparteien Betriebsvereinbarungen mit Geltung nur für diejenigen Arbeitnehmer schließen können, die an den Tarifvertrag mit der Öffnungsklausel gebunden sind; ausgenommen werden müssten die nicht und die anders tarifgebundenen Arbeitnehmer. Dadurch kann es aber, wenn, wie hier, betriebliche Fragen inmitten stehen, zu unterschiedlichen Regelungen auf tarifvertraglicher Ebene (mit Geltung für alle Arbeitnehmer des Betriebes, § 3 Abs. 2 TVG) und auf betrieblicher Ebene (mit – insoweit gegenüber dem Tarifvertrag vorrangiger – Geltung nur für einen Teil der Arbeitnehmer) kommen, wodurch die von § 3 Abs. 2 TVG bezweckte und aufgrund der Wechselbezüglichkeit der betreffenden Arbeitsbedingungen unerlässliche einheitlich geltende Regelung dieser betrieblichen Fragen durchkreuzt zu werden drohte. Diese Schwierigkeiten haben die anderen in der Literatur vorgeschlagenen Lösungen nicht zu gewärtigen. Lässt man den Tarifvertrag über Sperrwirkung oder Tariföffnung entscheiden, an den der Arbeitgeber gebunden ist, so gelten dessen Betriebsnormen für den ganzen Betrieb, § 3 Abs. 2 TVG; handelt es sich zugleich um den Tarifvertrag mit der Öffnungsklausel, dann können die Betriebsparteien davon nur mittels solcher Betriebsvereinbarungen abweichen, die für sämtliche Arbeitnehmer des Betriebes gelten, denn soweit betriebliche Fragen in Rede stehen (§ 3 Abs. 2 TVG), macht das Tarifrecht, wie es im TVG ausgestaltet ist, gerade keinen Unterschied nach dem je verschiedenen Organisationsstatus der Arbeitnehmer, der über die „Brücke“ des § 77 Abs. 3 BetrVG in das Betriebsverfassungsrecht hineingetragen werden könnte. Trotz vom Tarifvertrag abweichender (oder diesen ergänzender) Betriebsvereinbarung bleibt mithin die notwendige Einheitlichkeit der Regelung im Betrieb gewahrt. Ist hingegen der Arbeitgeber an den Tarifvertrag ohne Öffnungsklausel gebunden, so gelten auf der Basis der Ansicht von Franzen dessen Betriebsnormen nach § 3 Abs. 2 TVG und Betriebsvereinbarungen kommen in den betreffenden 332 333
Anders Franzen, RdA 2008, 193 (200). Dafür aber Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 131 ff.
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Angelegenheiten überhaupt nicht in Betracht (§ 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG). Ebenso ist es im Ergebnis, wenn man stets den Tarifvertrag ohne Öffnungsklausel entscheiden lässt. Ist dies der Tarifvertrag, an den der Arbeitgeber gebunden ist, so gelten dessen Betriebsnormen, eine Betriebsvereinbarung scheidet aus. Ist der Arbeitgeber an den Tarifvertrag mit der Öffnungsklausel gebunden, so gelten danach zwar dessen Betriebsnormen, seine Öffnungsklausel aber gelangt nicht zur Anwendung, so dass es bei der nach § 3 Abs. 2 TVG einheitlich geltenden tariflichen Regelung bleibt. Vom hiesigen Ansatz aus stehen diese Lösungswege nicht offen. Denkbar wäre es, insoweit – also nur, soweit betriebliche Fragen betroffen sind – die Öffnungsklausel nicht zur Anwendung gelangen zu lassen. Man könnte aber auch die Möglichkeit der Betriebspartner, ergänzende (abweichende) Betriebsvereinbarungen mit Geltung nur für die Arbeitnehmer abzuschließen, die an den Tarifvertrag mit der Öffnungsklausel gebunden sind, sachlich begrenzen. Zu denken ist an eine Übertragung derjenigen Grundsätze, die für die Anwendung des Günstigkeitsprinzips des § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG auf Betriebsnormen diskutiert werden. Geht man nicht von der prinzipiellen Unanwendbarkeit des Günstigkeitsprinzips auf betriebliche Tarifnormen aus, dann können die in dieser Frage angestellten Überlegungen womöglich übertragen werden. Das betrifft insbesondere den Fall, dass durch eine betriebliche Tarifnorm nur ein einheitlicher Mindeststandard eingeräumt werden soll.334
C. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse Die Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung hat sich unter Beachtung der systematischen und teleologischen Vorgaben der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften und Rechtsinstitute zu vollziehen. An der durch die §§ 77 Abs. 3, 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG markierten Nahtstelle zwischen Betriebsverfassungs- und Tarifvertragsrecht kommt es für die Lösung der durch eine veränderte tarifkollisionsrechtliche Ausgangslage aufgeworfenen Rechtsfragen vor allem auf die Zwecke des Tarifvorrangs und Tarifvorbehalts an. I. 1. Richtigerweise verfolgt insbesondere § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG ein doppeltes Regelungsziel. An dieser Zweckbestimmung muss sich die Antwort auf die Frage orientieren, ob die Sperrwirkung des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrangs gegenüber dem erzwingbaren Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten im Falle einer realisierten Tarifpluralität durch jeden oder aufgrund teleologischer Reduktion nur durch einen der kollidie334 Weiterführend Däubler/Deinert, § 4 Rn. 604; Gamillscheg, KollArbR I, § 18 V. 4. d), S. 851; JKO/Jacobs, § 7 Rn. 24; Löwisch, BB 1991, 59 (61); Löwisch/Rieble, § 4 Rn. 275 ff.; Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 410, 415; Kempen/Zachert/Zachert, § 4 Rn. 271, alle m.w. N.
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renden Tarifverträge aktiviert wird. Während eine tarifplurale Auslösung der Sperrwirkung dem von § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG intendierten Schutz der Tarifautonomie besser gerecht wird, weist der für die Interpretation der Norm ebenfalls zu beachtende Gesichtspunkt des Arbeitnehmerschutzes in die entgegengesetzte Richtung. Neben konsequent tarifpluraler Betrachtung und einer tarifeinheitlichen Lösung durch Rücknahme der Sperrwirkung auf einen der im Betrieb anwendbaren Tarifverträge kommt allerdings noch eine dritte, differenzierende Lösung in Betracht, die den Schwächen der Extrempositionen entgeht und ihre jeweiligen Vorzüge vereint. Diese Lösung unterscheidet zwischen zwei sachlich-gegenständlichen Regelungsbereichen der kollidierenden Tarifverträge und knüpft an diese Unterscheidung Konsequenzen für die personelle Reichweite der Sperrwirkung. Auf den Regelungsfeldern, für die beide Tarifverträge Bestimmungen treffen – Überschneidungsbereich –, ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats vollständig ausgeschlossen (insoweit umfassende Sperrwirkung). Dort, wo sich die von den unterschiedlichen Tarifverträgen behandelten Regelungsmaterien nicht decken (Divergenzbereiche), tritt eine personell beschränkte Sperrwirkung ein. Der Betriebsrat kann in Angelegenheiten, die nur in Tarifvertrag A geregelt sind, eine betriebliche Regelung nur für die Arbeitnehmer erzwingen, die kraft Gewerkschaftsmitgliedschaft an Tarifvertrag B gebunden sind, nicht hingegen für die an Tarifvertrag A gebundenen und die nicht organisierten Arbeitnehmer. Entsprechendes gilt für Materien, die nur in Tarifvertrag B eine Regelung gefunden haben. Dadurch werden beide tarifschließenden Gewerkschaften vor der beitragsfreien Konkurrenz durch den Betriebsrat geschützt. Die organisierten Arbeitnehmer haben keine kollektivrechtlichen Schutzlücken hinzunehmen; nicht organisierte Arbeitnehmer profitieren dagegen nicht von der differenzierenden Lösung, können jedoch auch nicht erwarten, dass die Rechtsordnung ihre Entscheidung, unorganisiert zu bleiben, durch Bereitstellung eines alternativen kollektiven Schutzmechanismus kompensiert und müssen sich ggf. einer der tarifschließenden Gewerkschaften anschließen. Bedenken gegen die Erzwingung betrieblicher Regelungen (Betriebsvereinbarungen, Regelungsabreden) mit auf bestimmte, durch ihren Organisationsstatus abgegrenzte Arbeitnehmergruppen beschränktem Anwendungsbereich aus § 75 Abs. 1 BetrVG greifen nicht durch. Außerhalb von Tarifkollisionsfällen bleibt es bei der von der h. M. und auch vom BAG vertretenen Konzeption, dass die Sperrwirkung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG schon bei Tarifbindung des Arbeitgebers einheitlich für alle Arbeitnehmer des Betriebes ungeachtet ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit eintritt. 2. Treffen kollidierende Tarifverträge keine das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 BetrVG gänzlich verdrängenden, abschließenden Regelungen, sondern machen sie lediglich unterschiedliche Vorgaben für die betriebliche Mitbestimmung, so muss der Betriebsrat seine Mitbestimmungsrechte gruppenspezifisch („tarifakzessorisch“) wahrnehmen; er muss die Ergebnisse des Tarif-
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wettbewerbs als Ausgangspunkt seiner Mitbestimmung akzeptieren. § 75 Abs. 1 BetrVG steht auch dem nicht entgegen. II. 1. Im Unterschied zum Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG dient die Regelung des betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorbehalts in § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG lediglich einem „eingleisigen“, kollektivbezogenen Schutzzweck. Dies schlägt auf die Lösung der tarifkollisionsrechtlichen Fragen durch. Die Sperrwirkung gegenüber Betriebsvereinbarungen wird hier durch jeden der aufeinander treffenden Tarifverträge umfassend aktiviert. Bestrebungen, den Tarifvorbehalt auf den Mehrheitstarifvertrag einzuschränken, sind letztlich einem tarifeinheitlichen „Vorverständnis“ verhaftet und werden den Ansprüchen an eine Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung nicht gerecht. Auch mit dem Argument einer vermeintlich systemwidrigen weitgehenden Zurückdrängung der Betätigungsmöglichkeiten der Betriebsparteien kann ein anderes Ergebnis nicht begründet werden. Forderungen, die konkurrierenden Gewerkschaften müssten im Falle einer Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb ihr Regelungsverhalten im Verhältnis zueinander zumindest in Grundzügen abstimmen, damit den Betriebspartnern nicht größere Teilbereiche möglicher betrieblicher Regelungen genommen würden, lassen sich nur als tarifpolitischer Appell, nicht aber als zwingend verstandener Rechtssatz hören. Auch „Tarifüblichkeit“ i. S. d. zweiten Alternative des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG kann jeder der im Betrieb anwendbaren Tarifverträge begründen. Auf die Repräsentativität der Tarifregelung in der Branche oder der tarifschließenden Gewerkschaft im Betrieb kommt es nicht an, und zwar auch nicht für § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG. 2. Differenzierend fällt die Lösung wiederum für tarifvertragliche Öffnungsklauseln nach § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG aus. Problematisch ist hier vor allem der Fall, dass nur einer der einschlägigen Tarifverträge eine Öffnungsklausel enthält, während der andere an sich die Sperrwirkung nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG zeitigen würde. Vorschläge, den Tarifvertrag über Tariföffnung oder Sperrwirkung entscheiden zu lassen, an den der Arbeitgeber tarifgebunden ist und der daher „autonomienäher“ sei oder, die Öffnungsklausel hier stets unangewendet zu lassen, sind teleologisch nicht begründbar. Überzeugend ist eine differenzierende Lösung, nach der die Öffnungsklausel dort uneingeschränkte Wirkung entfaltet, wo sie Materien dem regelnden Zugriff der Betriebsvereinbarungsparteien öffnet, die in dem anderen Tarifvertrag keine Entsprechung finden (Divergenzbereich), wohingegen im tariflichen Überschneidungsbereich die Öffnungsklausel nur solche Betriebsvereinbarungen zulassen kann, deren persönlicher Geltungsbereich sich ausschließlich auf diejenigen Arbeitnehmer des Betriebes bezieht, die an den Tarifvertrag mit der Öffnungsklausel gebunden sind. § 75 Abs. 1 BetrVG bildet wiederum kein Hindernis für diese differenzierende Lösung.
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Ein Sonderproblem entsteht bei Öffnungsklauseln, die sich auf „betriebliche Fragen“ i. S. d. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG beziehen. Der Abschluss von Betriebsvereinbarungen mit einem auf die an den die Öffnungsklausel enthaltenden Tarifvertrag gebundenen Arbeitnehmer beschränkten persönlichen Geltungsbereich könnte hier die notwendig einheitliche Regelung der betrieblichen Fragen durchkreuzen. Man kann insoweit daran denken, die Öffnungsklausel nicht zur Anwendung gelangen zu lassen. Eine andere Möglichkeit wäre es, die Betriebsvereinbarungsparteien sachlich auf solche ergänzenden oder abweichenden Regelungen zu beschränken, die trotz der Differenzierung in personeller Hinsicht mit dem Postulat der Einheitlichkeit der Regelung vereinbar sind. Womöglich lassen sich die Grundsätze übertragen, die für die Anwendung des Günstigkeitsprinzips auf Betriebsnormen diskutiert werden; dies beträfe insbesondere den Fall, dass eine betriebliche Tarifnorm nur einen einheitlichen Mindeststandard gewährleisten soll. III. Lässt sich demnach die Tarifpluralität stimmig in die Systematik der Regelungen zum betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvorrang und -vorbehalt integrieren, so kann den Vorschriften der §§ 77 Abs. 3, 87 Abs. 1 BetrVG entgegen der These von Heinze und Ricken kein Beleg für eine normative Verankerung der Tarifeinheit bei Tarifpluralität durch den einfachen Gesetzgeber entnommen werden.
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Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitskampfrecht A. Einführung Die Hauptfolgeprobleme der Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb werden im Arbeitskampfrecht gesehen.1 Auch aus dem hier eingenommenen Blickwinkel bestehen gerade insoweit besondere Schwierigkeiten. I. So setzt der Topos der Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung gedanklich das Vorhandensein einer systematisch geordneten „Zielmaterie“, eben ein „System der Arbeitsrechtsordnung“, voraus – eine Prämisse, die gerade für den Teilbereich des Arbeitskampfrechts nicht jeder als erfüllt ansehen dürfte. Einigkeit besteht aber in der Forderung nach einem konsistenten Arbeitskampfrecht2, in dem einzelne arbeitskampfrechtliche Fragen systemgerecht, d. h. wertungsmäßig aufeinander abgestimmt, entschieden werden3. Von der Rechtsprechung, zuvörderst vom BAG, ist, da das qua Verfassung geforderte funktionsfähige Tarifvertragssystem4 auch ein funktionsfähiges Arbeitskampfsystem bedingt5, zu verlangen, dass es als „Ersatzgesetzgeber“ arbeitskampfrechtliche Probleme nicht isoliert löst, sondern auf die Stimmigkeit und Effektivität des gesamten Arbeitskampfsystems achtet.6 Dieses Abstimmungs1 Vgl. Franzen, RdA 2008, 193 (200); Jacobs, bei Bepler/U. Fischer/Ubber, BLJ 2007, 139 (140) sowie Löwisch und Rieble bei Kalb, RdA 2007, 379 (381); zuletzt in diesem Sinne Boemke, ZfA 2009, 131 (133); Jacobs, FS Buchner, S. 342 (343); s. auch Lobinger, ZfA 2009, 319 (422 f.); F. Bayreuther, DB Heft 14/2010, S. M 1; Meik, NZA Beilage 3/2010, S. 116 ff. und nunmehr Greiner, Rechtsfragen, S. 7, 367, 426 sowie Richardi, Gem. Anm. zu BAG 27. 1. 2010 – 4 AZR 549/08 (A) – und BAG 23. 6. 2010 – 10 AS 2/10, demn. in AP, unter III. 5. 2 s. den Titel des Plädoyers von Reuter, FS Wiese, S. 427 ff.: „Für ein konsistentes Arbeitskampfrecht“. 3 Lieb, ZfA 1982, 113 (136 f.); ders., RdA 1988, 327 (332). 4 Zur Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems s. Wank, FS ZVK-Bau, S. 141 ff. 5 Wank, FS Kissel, S. 1225 (1230); ders., FS ZVK-Bau, S. 141 (158 ff.); ders., RdA 2009, 1 (2); kritisch zu dieser Ableitung mit Blick auf die gegenwärtige Gestalt des Arbeitskampfsystems allerdings Zöllner, FS 50 Jahre BAG, S. 1395 (1401 f.). 6 Wank, FS Kissel, S. 1225 (1230); s. auch dens., RdA 2009, 1 (1 f.); G. Müller, Arbeitskampf und Recht, S. 13, zur „Einheit des Arbeitskampfrechts“; Reuter, FS Wiese, S. 427 ff.; ferner Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 5; auch Konzen, Anm. zu BAG 27. 6. 1995 und BAG 11. 7. 1995 (zweimal) AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 137–139, unter II. 2. b).
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postulat, zu dessen Erfüllung die Rechtswissenschaft durch ihre Vorarbeiten beitragen kann und muss, erstreckt sich auch auf die Bewältigung der arbeitskampfrechtlichen Friktionen einer realisierten Tarifpluralität. Allerdings muss man sich auf der anderen Seite auch der Grenzen der Systematisierbarkeit einer fast ausschließlich richterrechtlich geordneten Materie bewusst sein. Richterliches Arbeitskampfrecht entsteht fallweise und erlaubt „keine Systematik aus einem Guss“.7 Der Rechtsprechung mit ihrer „punktuellen Rechtsfortbildung“ fehlt die Möglichkeit zu koordinierender Systemausgestaltung.8 Wenn daher auf dem Feld des Arbeitskampfrechts mittlerweile allenthalben die größten Schwierigkeiten bei der Einpassung der Tarifpluralität prognostiziert werden, so dürfte diese Erwartung zum einen der wirtschaftlichen Bedeutung der hier aufgeworfenen rechtlichen Fragen geschuldet sein, sich zum anderen und vor allem aber auch dadurch erklären, dass infolge des fast völligen Fehlens gesetzlicher Regelungen des Arbeitskampfrechts bereits in den dogmatischen Grundfragen dieses Rechtsgebiets keine Einigkeit besteht9, weshalb bei der Einordnung neuer Erscheinungen nur sehr begrenzt auf ein die Argumentation stützendes Fundament konsentierter Wertungen zurückgegriffen werden kann.10 II. Darüber hinaus wird der Zugriff auf den eigentlichen Kern der Problematik dadurch erschwert, dass sich das richterrechtliche Arbeitskampfrecht in der jüngsten Vergangenheit ganz generell in hektischer Bewegung befindet – die Stichworte „Streik um Haustarifvertrag gegen verbandsangehörigen Arbeitgeber“11, „Partizipationsarbeitskampf“ 12, „Streiks um Tarifsozialpläne“ 13, „Unterstützungsstreiks“14 und jüngst „Flashmob-Aktionen“15 mögen genügen. 7 Konzen, FS 50 Jahre BAG, S. 515 (518; 554 f.); zustimmend Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 107; dazu auch Gamillscheg, RdA 2005, 79 (81); s. auch Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 5. 8 Wank, Rechtsfortbildung, S. 192 f.; s. auch G. Müller, AuR 1977, 129 (136); dens., JuS 1980, 627 (635); dens., DB 1981, 93 (100, 102). 9 Vgl. Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 5; s. auch Friauf, RdA 1986, 188 (192 f.). 10 Zu den Besonderheiten des Arbeitskampfrechts im hier behandelten Zusammenhang auch Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (242). 11 Rechtmäßigkeit offen lassend noch BAG 25. 9. 1996 AP TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 10, unter B. III. 4. c) der Gründe; bejahend dann BAG 10. 12. 2002 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 162, unter B. I. 1. b) der Gründe. 12 BAG 18. 2. 2003 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 163 (Thüsing); das BVerfG hat eine gegen das Urteil gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG 10. 9. 2004 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 167. 13 BAG 24. 4. 2007 AP TVG § 1 Sozialplan Nr. 2 (Fischinger); LAG Niedersachsen 2. 6. 2004 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 74 (Thüsing/Ricken); LAG Hessen 2. 2. 2006 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 75. 14 BAG 19. 6. 2007 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 173 (Wank); s. auch jüngst LAG Baden-Württemberg 31. 3. 2009 NZA 2009, 631. 15 BAG 22. 9. 2009 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 174 (H. J. Willemsen/Mehrens).
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Dazu ist klarstellend vorwegzuschicken, dass sich die Untersuchung auf eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesen Themenkreisen nicht einlassen kann, sondern sich auf die arbeitskampfrechtlichen Implikationen beschränken muss, die sich speziell aus dem Paradigmenwechsel von der Tarifeinheit im Betrieb zur Tarifpluralität ergeben können. Besonderheiten des Streiks durch Spezialisten- und Spartengewerkschaften16 spielen eine Rolle, können jedoch insoweit nicht vertieft werden, wie sie sich unabhängig von der Frage einer Tarifpluralität im Betrieb ergeben.17 Ausgeklammert werden müssen auch zuletzt wieder diskutierte Besonderheiten von Arbeitskämpfen im Bereich der Daseinsvorsorge (Stichwort „Gemeinwohlbindung“). Wenn auch in den Fällen, die zuletzt praktischen Anlass für die Diskussion über Interferenzen zwischen einer Änderung der Rechtsprechung zur Tarifpluralität und dem Arbeitskampfrecht gaben, typischerweise eine besondere Betroffenheit der Allgemeinheit festgestellt werden konnte, die jeweils verstärkt Gemeinwohlüberlegungen hervorrief18, hat dieser Umstand doch mit den Fragen der Tarif- und Arbeitskampfpluralität aus rechtlicher Sicht wenig zu tun19; es besteht kein unmittelbarer, zwingender Nexus zwischen den Fragen von Tarifeinheit und Tarifpluralität einerseits und der Gemeinwohlrelevanz von Arbeitskämpfen andererseits, vielmehr handelt es sich um Sondereffekte20, von denen im Folgenden, um den „roten Faden“ der Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung auch im arbeitskampfrechtlichen Teil sichtbar bleiben zu lassen, abzusehen ist.21 Es kann und soll hier, um es ganz deutlich zu sagen, keine Blaupause für die Lösung der zahlreichen arbeitskampfrechtlichen Fragen angeboten werden, die mit dem Arbeitskampf der GDL bei der Deutschen Bahn AG im Jahr 2007 – teilweise: wieder – auf die Tagesordnung drängten, die aber 16 Dazu F. Bayreuther, NZA 2008, 12 (15 ff.); Greiner, NZA 2007, 1023 ff.; ders., Rechtsfragen, S. 426 ff.; Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (260 ff.); Pflüger, RdA 2008, 185 ff.; Schliemann, FS Bauer, S. 923 ff.; ganz grundsätzliche Überlegungen hierzu aktuell bei Loritz, FS Buchner, S. 582 ff. Generell gegen ein „Sonderkampfrecht“ für „missliebige“ kleine Berufsgewerkschaften Rieble, ZAF 2005, 218 (223); ders., Die Zeit vom 22. 11. 2007, S. 30; s. auch dens., DRiZ 2007, 340. 17 Saubere Trennung bei Buchner, BB 2007, 2520 (2521); s. auch Jacobs, NZA 2008, 325 (330 f.) und nunmehr dens., FS Buchner, S. 342 (350; S. 354); Deinert, NZA 2009, 1176 (1182); deutlich jüngst auch Lobinger, ZfA 2009, 319 (434) in kritischer Auseinandersetzung mit Greiner, NZA 2007, 1023 ff.; deutlich aber jetzt auch Greiner, Rechtsfragen, S. 447; außerdem Bepler, NZA Beilage 3/2010, S. 99 (100). 18 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (261). 19 Vgl. Franzen, RdA 2008, 193 (203); Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (261). 20 Franzen, RdA 2008, 193 (203). Nämliches gilt, wie Franzen, a. a. O., ebenfalls zutreffend ausführt, für den Umstand, dass ein bestreiktes Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung hat; Überlegungen speziell dazu bei Buchner, BB 2007, 2520 (2521); gegen ihn Sunnus, AuR 2008, 1 (5); zuletzt dazu Meyer, FS Buchner, S. 628 (637), Lehmann, FS Buchner, S. 529 (548) sowie Schliemann, FS Bauer, S. 923 (926 f.). 21 Auch insoweit saubere Trennung der Problemkreise bei Buchner, FS Hromadka, S. 39 (49); s. jetzt auch Greiner, Rechtsfragen, S. 443.
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eben nicht sämtlich in einem Zusammenhang mit der Frage nach Tarifeinheit oder Tarifpluralität (und Arbeitskampfeinheit oder Arbeitskampfpluralität22) stehen.
B. Tarifpluralität und Arbeitskampf I. Skizzierung der Problemstellung 1. Das Hauptproblem im Bereich des Arbeitskampfes haben Konzen und Heß bereits Mitte der 1970er Jahre benannt. Es geht um die potentielle Gefährdung von Unternehmen, die mehrfach im Jahr Streiks von konkurrierenden Gewerkschaften ausgesetzt sein können.23 Sei eine hinreichende Anzahl konkurrierender Verbände im Unternehmen vertreten, so bestehe die Gefahr, dass die Gewerkschaften in dem Unternehmen für eine ständige Kampfstimmung sorgen könnten, da ständig neue Tarifverhandlungen im Raum stünden.24 Gamillscheg hat hierfür später den in der US-amerikanischen Rechtsdiskussion geprägten Begriff der „balcanisation“ übernommen25, der in jüngerer Zeit vielfach aufgegriffen wurde26. Henssler äußerte schon früh die Auffassung, in einem pluralistischen Verbandssystem mit dezentralen Verhandlungen nach dem wenig vorbildlichen britischen Modell27 bedürfe es zur Vermeidung eines immerwährenden Konfliktes einer generellen Neuordnung des aktuellen Tarif- und Arbeitskampfsystems.28 Heute zählt die Befürchtung, als Folge eines pluralistischen Tarifsystems könne es zu permanenten Arbeitskämpfen in den Betrieben kommen, unter Gegnern wie Befürwortern einer Freigabe von Tarifpluralitäten zum Standardrepertoire der Debatte über die Folgen des Abschieds vom Prinzip der Tarifeinheit im 22 Zum Zusammenhang von Tarif- und Arbeitskampfpluralität s. vorerst nur P. Hanau, RdA 2008, 98 (99, 103 f.). 23 Konzen, ZfA 1975, 401 (432) mit Augenmerk auf Fällen der Tarifpluralität infolge Verbandswechsels des Arbeitgebers (§ 3 Abs. 3 TVG). 24 Heß, ZfA 1976, 45 (58, 71). 25 Gamillscheg, KollArbR I, § 17 III. 3. c) (1) (c), S. 752; s. auch dort § 17 III. 3. c) (2) (c), S. 754: „des Streiks wäre kein Ende“. Zum amerikanischen Recht s. in diesem Zusammenhang auch Gamillscheg, ZfA 1975, 357 (391 f., 394). 26 F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 153; ders., BB 2005, 2633 (2641); ders., NZA 2006, 642 (644); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 130 (136); ders., NZA 2008, 12 (15); Reuter, SchlHA 2007, 413 (419); Wallisch, FS Löwisch, S. 427 (445); s. auch LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80 (Greiner), unter E. IV. 7. b) der Gründe; ArbG Chemnitz 8. 8. 2007 (wiedergegeben bei Blanke, KJ 2008, 204 [220 f.]); zuletzt Meyer, FS Buchner, S. 628 (644); distanziert Jacobs, NZA 2008, 325 (328); Sunnus, AuR 2008, 1 (8); Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (514 f.) und jüngst Richardi, FS Buchner, S. 731 sowie Greiner, Rechtsfragen, S. 6. 27 Zu der (früheren) sog. „englischen Krankheit“, auf die damit angespielt ist, s. noch die weiteren Nachweise unten Fn. 167, 168. 28 Henssler, FS Schaub, S. 311 (334).
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Betrieb.29 Bei unterschiedlichen Laufzeiten der nebeneinander anwendbaren Tarifverträge komme es in ein und demselben Betrieb zu mehreren Tarifrunden, und jedes Mal könne der Betrieb bestreikt werden.30 Die Unternehmen könnten mehrmals im Jahr lahm gelegt werden.31 Flugverkehrsgesellschaften könnten abwechselnd von ihren Piloten, dem Kabinenpersonal und vielleicht auch den Flugzeugtechnikern bestreikt werden32, Banken von den Schalterangestellten, den ITBetreuern und dem technischen Hauspersonal33. Für die Deutsche Bahn AG wird der „Extremfall“ beschworen, dass „in einer Woche die Lokführer, in der nächsten die Zugbegleiter, anschließend die Gleisbauer“ streiken könnten.34 2. Mit Gewissheit können derartige Arbeitskampfszenarien allerdings auch mit dem überkommenen Prinzip der Tarifeinheit bei Tarifpluralität nicht verhütet werden, ist doch gerade noch ungeklärt, ob sich aus diesem überhaupt arbeitskampfrechtliche Konsequenzen ableiten lassen. Die wohl überwiegende Ansicht 29 F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 153; ders., NZA 2006, 642 (644 f.); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 130 (136 f.); ders., NZA 2008, 12 (15); Dunker, Unternehmensbezogene Tarifverträge, S. 203; Feudner, BB 2007, 2459 (2461); Franzen, RdA 2008, 193 (203 f.); ErfK/Franzen, § 4 TVG Rn. 72; Giesen, NZA 2009, 11 (13 ff.); HWK/Henssler, § 4 TVG Rn. 61; Hromadka, GS Heinze, S. 383 (388 f., 393 f.); ders., NZA 2008, 384 (387); Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (262 ff., 270); Kempen, FS Hromadka, S. 177 (185 f.); s. auch dens., FS 50 Jahre BAG, S. 733 (740 f., 746); des Weiteren Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 45; Löwisch bei Kalb, RdA 2007, 379 (381); Meik, FS Beuthien, S. 429 (437); Meyer, DB 2006, 1271 (1271 f.); ders., NZA 2006, 1387 (1390); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 149 (151); ders., FS Adomeit, S. 459 (460 ff., 467); Schliemann, FS Hromadka, S. 359 (368, 378); Wallisch, FS Löwisch, S. 427 (445); R. Wolf, SAE 2008, Heft 1, S. III; s. auch Koop, Tarifvertragssystem, S. 37 f., 337, aber auch S. 46; zuletzt Boemke, ZfA 2009, 131 (133, 145); Freckmann/K. Müller, BB 2010, 1981 (1985); Göhner, FS Bauer, S. 351 (357 f.); Greiner, Rechtsfragen, S. 7, 45, 356, 426, 442, 447; Hirdina, NZA 2009, 997; Huke, APuZ 13–14/2010, S. 7 (10); Jacobs, FS Buchner, S. 342 (346); Lipinski/Hund, BB 2010, 1991; Loritz, FS Buchner, S. 582 (597); Meik, NZA Beilage 3/2010, S. 116 (117 f.); Melot de Beauregard, DB Heft 26/2010, S. M 1; Meyer, FS Buchner, S. 628 (629); v. Steinau-Steinrück/Brugger, NZA Beilage 3/2010, S. 127 (129); E. M. Willemsen, Arbeitsvertragliche Bezugnahme, S. 371; A. Wisskirchen, FS Buchner, S. 984 (995); Monopolkommission, Hauptgutachten 2008/2009, S. 349 (Nr. 986), 351 (Nr. 1004). In Abrede gestellt werden diese Gefahren von Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 42c (s. aber auch dies., AKR Rn. 74g); Sunnus, AuR 2008, 1 (7, Fn. 71); zurückhaltend auch Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (515); Zachert, Mitbestimmung 4/2008, S. 16 (19); zuletzt Deinert, NZA 2009, 1176 (1182 f.); I. Schmidt, FAZ vom 19. 7. 2010, Nr. 164, S. 13 (Interview unter der Überschrift „Ein Gesetz zur Tarifeinheit in dieser Atmosphäre kann nicht gutgehen“). 30 Hromadka, in: FAZ vom 14. 5. 2003, S. 19; ders., GS Heinze, S. 383 (389); Hundt, FAZ vom 11. 9. 2007, S. 12; zuletzt Göhner, FS Bauer, S. 351 (358). 31 Hromadka, GS Heinze, S. 383 (389); Hundt, FAZ vom 11. 9. 2007, S. 12; jüngst Göhner, FS Bauer, S. 351 (358). 32 F. Bayreuther, BB 2005, 2633 (2641). 33 F. Bayreuther, NZA 2006, 642 (645); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 130 (137). 34 Leitartikel „Zu Lasten aller“ von M. Müller in der FAZ vom 13. 10. 2007, S. 1.
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in der Rechtslehre35 hält, zumeist unter Hinweis auf den arbeitskampfrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, einen Streik um einen Tarifvertrag, der nach dem Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb – dessen Geltung unterstellt – verdrängt würde, für rechtswidrig36, während sich nach Auffassung einiger Instanzgerichte und eines anderen Teils der Literatur aus dem Prinzip der betrieblichen Tarifeinheit keine Folgen für die Zulässigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen ergeben37.38 35 Keineswegs handelt es sich um eine „nur vereinzelt“ vertretene Meinung, wie Thüsing/Burg, FS Otto, S. 555 (575) meinen. 36 So mit zum Teil unterschiedlichen Begründungen F. Bayreuther, NZA 2008, 12; Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 73 f.; Buchner, BB 2003, 2121 (2125 f.); ders., Anm. zu BAG 14. 12. 2004 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1, unter 2. c); ders., FS 50 Jahre BAG, S. 631 (641 ff.); ders., RdA 2007, 125 (126 f.); ders., BB 2007, 2520 (2521); ders., FS Hromadka, S. 39 (50); s. auch dens., BB 2008, 106 (108); außerdem Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 198 ff.; Dutti, DB 1969, 218 (220); Feudner, BB 2007, 2459 (2460); Franzen, RdA 2008, 193 (200); ErfK/Franzen, § 4 TVG Rn. 72; Giesen, NZA 2009, 11 (12); Greiner, NZA 2007, 1023 (1026); Henssler, FS Schaub, S. 311 (333); HWK/Henssler, § 4 TVG Rn. 55; Hromadka, in: FAZ vom 23. 4. 2003, S. 13; tendenziell auch ders., NJW-Editorial Heft 45/2007; offen lassend ders., NZA 2008, 384 (388, Fn. 52; s. aber auch dort S. 389 f., Abs. 5 seines Gesetzesentwurfs mit Begründung); für Rechtswidrigkeit weiter Hundt, FAZ vom 11. 9. 2007, S. 12; Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (253, 255 f.); Kempen/Zachert/Kempen, § 2 Rn. 58; Kerwer, EuZA 2008, 335 (338 f.); Melot de Beauregard, NZA-RR 2007, 393 (395); Meyer, DB 2006, 1271; ders., NZA 2006, 1387 (1390); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 149; H. Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 5 Rn. 12; Rieble, BB 2003, 1227 (1228); Rolfs/F. Clemens, NZA 2004, 410 (414); Zunft, EWiR 1991, 1129 (1130); tendenziell auch Fenn, FS Kissel, S. 213 (231, Fn. 86); wohl auch F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 389; aus der Rechtsprechung ArbG Düsseldorf 1. 8. 2007 – 11 Ga 74/07 – juris, unter II. 1. a) der Gründe; ArbG Chemnitz 8. 8. 2007 (wiedergegeben bei Blanke, KJ 2008, 204 [220 f.]) und früher auch noch LAG Rheinland-Pfalz 22. 6. 2004 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 169 (Däubler), unter B. II. 2) b) cc) der Gründe; 23. 2. 2006 – 11 Sa 841/05 – juris, unter II. 2. b) bb) der Gründe. Zuletzt F. Bayreuther, ZfA 2009, 747 (755); Dieterich, GS Zachert, S. 532 (537); Freckmann/ K. Müller, BB 2010, 1981 (1985); Göhner, FS Bauer, S. 351 (357); Meyer, SAE 2010, 27; A. Stein, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 35 (52). 37 LAG Hessen 2. 5. 2003 – 9 Sa Ga 636/03 – NZA 2003, 679 (680 f.); 2. 5. 2003 – 9 Sa Ga 637/03 – juris, Rn. 32 ff. des Urteils; 2. 5. 2003 – 9 Sa Ga 638/03 – BB 2003, 1229 (1230 ff.); 22. 7. 2004 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 168 (Däubler), Blatt 967 Rückseite und Blatt 968; LAG Rheinland-Pfalz 14. 6. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 78, unter II. 2. b) cc) (2) der Gründe; LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80 (Greiner), unter E. IV. der Gründe; ArbG Kiel 30. 6. 2006 ZTR 2006, 488 (490 f.), unter B. III. der Gründe; F. Bayreuther, NZA 2006, 642 (646); Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, AKR Rn. 74e; HWK/Hergenröder, Art. 9 GG Rn. 283; JKO/Jacobs, § 7 Rn. 236; ders., NZA 2008, 325 (331 f.); ders., FS Buchner, S. 342 (351); Koop, Tarifvertragssystem, S. 217 f.; Löwisch, in: FAZ vom 2. 5. 2003, S. 12; ders., FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 941 (950); Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (120); Pflüger, RdA 2008, 185; Reichold, RdA 2007, 321 (327); MüArbR/Ricken, § 200 Rn. 30; Schaub, Anm. zu BAG 4. 12. 2002 RdA 2003, 378 (380); Sunnus, AuR 2008, 1 (6 f.); Thüsing, Handelsblatt vom 6. 8. 2007, S. 8; Thüsing/Burg, FS Otto, S. 555 (575 ff.); Wank, RdA 2009, 1 (11, 12); Däubler/Zwanziger, § 4 Rn. 951a; wohl auch Blanke, KJ 2008, 204 (207); ErfK/Dieterich, Art. 9 GG Rn. 124; zuletzt Boemke, ZfA 2009, 131 (141 f., 150); Brecht-Heitzmann, GS Zachert, S. 502 (506); Deinert, NZA 2009, 1176 (1180); Gaul/Janz, NZA Beilage 2/2010, S. 60 (64); Löwisch, BB
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Das BAG hat über die Frage, ob die arbeitskampfweise Erzwingung eines Tarifvertrages, der nach dem Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb und dem Spezialitätsprinzip gegenüber einem bereits bestehenden Tarifvertrag nachrangig wäre und durch diesen aus dem Betrieb verdrängt würde, zulässig ist oder nicht, bislang nicht entschieden. Die teilweise für eine gegenteilige Aussage angeführten Entscheidungen39 sind insoweit nicht einschlägig; in seinem Anfragebeschluss vom 27. Januar 2010 enthält sich jetzt auch der 4. Senat ausdrücklich einer Stellungnahme.40 Die Untersuchung der arbeitskampfrechtlichen Folgen der Tarifeinheit im Betrieb ist nicht Aufgabe einer der Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung gewidmeten Arbeit, sondern wäre vor allem von den Befürwortern einer von der Rechtsordnung erzwungenen Tarifeinheit zu leisten. Gleichwohl ist die Unklarheit der Rechtslage unter der Geltung des Grundsatzes der Tarifeinheit auch unter dem Gesichtspunkt der Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung, hier konkret in das System der Arbeitskampfrechtsordnung, bemerkenswert. Denn die Einsicht in die Notwendigkeit, die Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung einzupassen, d. h. die Notwendigkeit, ein schlüssiges an die Stelle der Tarifeinheit im Betrieb tretendes Konzept zu entwerfen, beruht ja gerade auf der Überlegung, nicht voreilig gewohnte Bahnen zu verlassen.41 Es soll nicht ein funktionierendes, wenn auch Bedenken – hier sogar massiven verfassungsrechtlichen Anfechtungen – ausgesetztes System durch ein anderes System ersetzt werden, dessen Praktikabilität noch zweifelhaft ist. Im Bereich des Arbeitskampfrechts indes genügte offenbar die bisherige Konzeption – Tarifeinheit auch auf der Ebene des Betriebs – selbst nicht den Erfordernissen eines praktikablen Systems. Das vom 4. Senat des BAG bislang für den Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität in Anspruch genommene Postulat der „Rechtssicherheit und Rechtsklarheit“ wurde mithin im HinHeft 28–29/2010, S. I; Nebeling/Gründel, NZA-Online-Aufsatz, S. 6; Schliemann, FS Bauer, S. 923 (936 f.). 38 Zu den Besonderheiten des einstweiligen Verfügungsverfahrens in diesem Zusammenhang Krause, JbArbR 45 (2008), 23 (40); Reichold, FS Buchner, S. 721 (727 f.); Wank, RdA 2009, 1 (10 f., 12); s. auch Reichold, FA 2008, 98 ff. und allgemeiner jetzt U. Fischer, RdA 2009, 287 (290 ff.). 39 Für Zulässigkeit eines entsprechenden Streiks werden teils in Anspruch genommen: BAG (1. Senat) 26. 10. 1971 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 44 (Richardi); (4. Senat) 20. 3. 1991 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20 (P. Hanau/Kania); (1. Senat) 14. 12. 2004 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1 (Buchner). Gerade zu der fraglichen Konstellation eines Streiks um einen nach dem Spezialitätsprinzip potentiell nachrangigen Tarifvertrag trifft aber keine der Entscheidungen eine Aussage. 40 BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) dd) (2) (c) (aa) der Gründe, Rn. 73 des Beschlusses; der Senatsvorsitzende Bepler äußerte sich schon zuvor kritisch zu der gesamten Debatte, s. Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (125 f.); s. jetzt auch dens., NZA Beilage 3/2010, S. 99 (104). 41 Vgl. Bepler, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 791 (802).
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blick auf das Arbeitskampfrecht durch die erzwungene Tarifeinheit im Betrieb nicht einmal erfüllt, im Gegenteil, die Rechtslage war insoweit äußerst unsicher.42 Insofern ist es auch zu schematisch, der Alternative „Tarifeinheit – Tarifpluralität“ das Gegenstück der Alternative „Arbeitskampfeinheit – Arbeitskampfpluralität“ zuzuordnen43, denn die damit verbundene Vorstellung, die Tarifeinheit im Betrieb habe auch eine entsprechende Arbeitskampfeinheit zur Folge, während (allein) die Tarifpluralität zu den weithin befürchteten Verwerfungen im Bereich des Arbeitskampfes führe, lässt sich nach dem bisherigen Stand der Debatte nicht verifizieren.44 Dass die geschilderten Szenarien alternierender Streiks konkurrierender Gewerkschaften in der Realität des Arbeitskampfes erst jüngst virulent werden, dürfte weniger am Grundsatz der betrieblichen Tarifeinheit und der durch ihn geschaffenen Normativität der Tarifeinheit im Betrieb liegen als vielmehr an den in früheren Zeiten günstigeren rechtstatsächlichen Prämissen einer Tarif- und Arbeitskampfeinheit. Insofern sind es wohl, was die Realität des Arbeitskampfes betrifft, mehr die tarif- und verbandspolitischen Veränderungen der letzten Jahre, die die bislang herrschende „Ruhe im Gewerbe“ bedrohen, während die Steuerungskraft des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb für das Arbeitskampfgeschehen wahrscheinlich mitunter überschätzt wird45. II. Das Spektrum der Lösungsvorschläge Die Vorschläge, wie auf die geschilderte Problematik der Vervielfachung des Streikrisikos für die Arbeitgeber tarifpluraler Betriebe reagiert werden, wie mithin – ordnet man die Debatte dem Leitgedanken der vorliegenden Untersuchung unter – die Tarifpluralität in das Gefüge des Arbeitskampfrechts eingepasst werden kann, lassen sich nach der Intensität der vorgeschlagenen Beschränkungen des Streikrechts zu vier Gruppen zusammenfassen: Angefangen beim gänzlichen Ausschluss des Streikrechts einer der konkurrierenden Gewerkschaften reicht die Palette über eine generelle („institutionalisierte“) Beschränkung der Streikmög42 Auf die hinsichtlich der arbeitskampfrechtlichen Folgen des Grundsatzes der Tarifeinheit unsichere Rechtslage weist auch Greiner, NZA 2007, 1023 (1026) hin; s. auch jüngst MüArbR/Richardi, § 9 Rn. 2 sowie wiederum Greiner, Rechtsfragen, S. 343 und Bepler, NZA Beilage 3/2010, S. 99 (104). 43 So aber P. Hanau, RdA 2008, 98 (99); ähnlich Giesen, NZA 2009, 11 (12); zu unreflektiert jüngst auch Boemke, ZfA 2009, 131 (133). 44 s. auch Franzen, RdA 2008, 193 (200): Die arbeitskampfrechtlichen Fragen stellen sich auch dann, wenn man den Grundsatz der Tarifeinheit nicht aufgeben sollte; vgl. jüngst nochmals deutlich Franzen, ZfA 2009, 297 (311). 45 In diese Richtung, wohl zutreffend, Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (515); s. auch Moll, Diskussionsbeitrag, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 149 f.; die Bedeutung des Tarifeinheitsgrundsatzes in diesem Sinne überschätzend zuletzt auch Boemke, ZfA 2009, 131 (133); Göhner, FS Bauer, S. 351 (356); Meik, NZA Beilage 3/ 2010, S. 116 (119 f.).
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lichkeit und eine arbeitskampfrechtliche Reaktion im Einzelfall bis hin zu der Einschätzung, das Arbeitskampfrecht bedürfe bei einer Ablösung der betrieblichen Tarifeinheit durch die akzeptierte Tarifpluralität überhaupt keiner Veränderungen. Die einzelnen Ansätze sind zum Teil von einiger Komplexität und werden daher im Folgenden ausführlicher dargestellt. 1. Arbeitskampf unter Führung nur einer Gewerkschaft Einige der unterbreiteten Vorschläge laufen darauf hinaus, in einem tarifpluralen Betrieb den Arbeitskampf unter Führung nur einer der konkurrierenden Gewerkschaften zuzulassen und der anderen Gewerkschaft oder den anderen Gewerkschaften das Streikrecht vorzuenthalten. a) Ausschluss des Streikrechts bei Vorhandensein einer funktionsfähigen Tarifordnung im Betrieb Ein auf den Ausschluss des Streikrechts von Minderheits- und Spartengewerkschaften abzielender Vorschlag kommt von Bayreuther. Im Falle einer Gewerkschaftskonkurrenz werde zu überlegen sein, ob ein Arbeitskampf auch dann noch zulässig sein kann, wenn für die beschäftigten Arbeitnehmer im Betrieb an sich eine funktionsfähige Tarifordnung vorhanden ist. Bayreuther verneint hier das Streikrecht.46 Eine Minderheitsgewerkschaft dürfte folglich dann keinen Streik mehr führen, wenn der personelle Anwendungsbereich eines Mehrheitstarifvertrages die in seinem Geltungsbereich beschäftigten Arbeitnehmer, deren Organisation in der Mehrheitsgewerkschaft unterstellt, im Wesentlichen abdeckt. Handele es sich bei der Minderheitsgewerkschaft um eine Spartengewerkschaft, setze dies allerdings voraus, dass die Mehrheitsgewerkschaft in der fraglichen Berufsgruppe auch tatsächlich über eine ausreichende Zahl von Mitgliedern verfügt.47 Zwar erleide die Minderheitsgewerkschaft dadurch einen Funktionsverlust. Doch sei dieser mit dem das Arbeitskampfrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtfertigbar. Denn es stünde außer Verhältnis zu dem angestrebten Ziel, könnten konkurrierende Gewerkschaften den Arbeitgeber mit einer Vielzahl von Streiks überziehen und dessen Betrieb mehr oder weniger nach Belieben lahm legen. Wenn das BAG mit dem Hinweis auf die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie bereits den Grundsatz der Tarifeinheit für verfassungsrechtlich rechtfertigbar halte, dann gelte das erst recht für eine Beschränkung des Streikrechts von Minderheitsgewerkschaften. Der Vorteil gegenüber der bisherigen Rechtslage – Tarifeinheit bei Tarifpluralität – liege darin, dass der Minder46 Zustimmend Meyer, NZA 2006, 1387 (1390); s. auch Meik, FS Beuthien, S. 429 (440). 47 F. Bayreuther, BB 2005, 2633 (2641).
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heitsgewerkschaft nicht schon auf der vorgelagerten Stufe des Tarifabschlusses jede Betätigungsmöglichkeit genommen werde. Es stelle sich als milderes Mittel dar, ihr lediglich einzelfallabhängig die Streikmöglichkeit zu versagen, ihr aber die Möglichkeit einer einvernehmlichen Regelung der Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder zu belassen.48 Dagegen könne auch nicht eingewandt werden, dass die Minderheitsgewerkschaft derart an Durchsetzungskraft verliere. Denn abgesehen davon, dass vom Kriterium der sozialen Mächtigkeit und damit dem Tatbestandsmerkmal der Durchsetzungsfähigkeit ohnehin Abschied zu nehmen sei49, gehöre (allenfalls) die Arbeitskampfbereitschaft zu den konstitutiven Merkmalen der Tariffähigkeit.50 Sie setze aber nicht voraus, dass eine Koalition zwingenderweise auch jeden Betrieb bestreiken darf, in dem sie Arbeitnehmer vertritt. Im Ergebnis dürfe demnach eine Minderheitsgewerkschaft dann keinen Streik führen, wenn der personelle Anwendungsbereich eines Mehrheitstarifvertrages die in seinen Geltungsbereich fallenden Arbeitnehmer im Wesentlichen erfassen würde, wären diese in der Mehrheitsgewerkschaft organisiert.51 b) Ausdehnung von Friedenspflichten aa) Ausdehnung von Friedenspflichten aus bestehenden Tarifverträgen Auf einen Ausschluss der Kampfberechtigung laufen auch verschiedene weitere Vorschläge hinaus. So würde sich nach Auffassung von Meyer bei einer Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit in Fällen der Tarifpluralität die Frage stellen, ob im Verhältnis zum Arbeitgeber noch von einer Arbeitskampfparität auszugehen wäre. Denn der akute Konkurrenzkampf der Gewerkschaften um Mitglieder könnte in der Praxis u. U. durchaus zu einem permanenten Arbeitskampf verleiten, der auch zu einem „Aufschaukeln“ um die effektivste Arbeitskampfstrategie führen könne. Letztlich stelle sich dann zugespitzt die Frage, ob ein Arbeitskampf noch um tariflich regelbare Ziele geführt würde oder ob es sich hier ggf. um einen zusehends verbandsinternen Selbstzweck der miteinander kon48
F. Bayreuther, BB 2005, 2633 (2641). Ausführlicher F. Bayreuther, BB 2005, 2633 (2634 ff.). Bayreuther spricht sich dafür aus, das Kriterium der sozialen Mächtigkeit durch eine Missbrauchskontrolle zu ersetzen, a. a. O. S. 2635 ff.; dafür auch Henssler, Soziale Mächtigkeit, S. 54 f., 56 ff.; s. auch schon Zeuner, FS 25 Jahre BAG, S. 727 (732); zur Kritik Wank, RdA 2008, 257 (264). Mit Recht rückt nunmehr F. Bayreuther, FS Buchner, S. 41 (52), vorsichtig von seiner bisherigen Auffassung ab; s. auch dens., NJW 2009, 2006 (2008) und Thüsing/ F. Bayreuther, AEntG, § 8 AEntG Rn. 55. 50 Nach h. M. ist nicht einmal Arbeitskampfbereitschaft erforderlich, s. dazu die Nachweise und die Darstellung der Entwicklung bei Wank, RdA 2008, 257 (258); ausführlicher Wiedemann/Oetker, § 2 Rn. 375 ff. 51 F. Bayreuther, BB 2005, 2633 (2641). 49
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kurrierenden Gewerkschaften handele. Umgekehrt könnte auch eine verabredete Streiktaktik dazu führen, dass die Arbeitgeberseite zu einem Tarifabschluss mit der jeweiligen Gewerkschaft bewegt würde. Mit Blick auf die Arbeitskampfparität ließe sich daher fragen, ob etwa die Friedenspflicht aus einem Tarifvertrag auch gegenüber den nicht unmittelbar an seinem Abschluss selbst beteiligten Gewerkschaften auszudehnen wäre.52 bb) Kampfsperre während der Verhandlungen mit einer anderen Gewerkschaft Ein weiterer Ansatz Meyers geht dahin, einen Arbeitskampf solange für unzulässig zu halten, wie die Arbeitgeberseite auch nur mit einer Gewerkschaft noch verhandelt oder dieser Verhandlungen anbietet53, also noch zu Verhandlungen über die inmitten stehenden Tarifmaterien bereit ist54. Eine zeitliche Grenze dieser Friedenspflicht lasse sich etwa aus § 77 Abs. 5 BetrVG ableiten.55 2. Institutionalisierte Beschränkungen des Streikrechts a) Streikrecht nur bei Vorabeinigung der beteiligten Gewerkschaften Schließlich soll es nach Meyer an der Erforderlichkeit des Arbeitskampfes fehlen können, solange noch die Möglichkeit besteht, eine Verhandlungs- oder Tarifgemeinschaft zu bilden. Denn ebenso wie ein Arbeitskampf um einen Haustarifvertrag trotz Verbandsmitgliedschaft des Arbeitgebers damit begründet werde, dass der Arbeitgeber die Tariffähigkeit nach § 2 Abs. 1 TVG besitze56, könne von der kampfführenden Gewerkschaft verlangt werden, zuvor die Möglichkeiten einer Tarifgemeinschaft nach § 2 Abs. 2 TVG mit den im Betrieb konkurrierenden Gewerkschaften auszuloten.57 Diesen Ansatz hat Sittard aufgegriffen und seine Begründung variiert. Zwar sei es dem Arbeitgeber eventuell zuzumuten, für verschiedene Berufsgruppen auch verschiedene Tarifverträge hinnehmen zu müssen. Das Interesse an einem 52
Meyer, DB 2006, 1271 (1272). Meyer, DB 2006, 1271 (1272); zumindest könne der Arbeitskampf in diesem Stadium in seiner Intensität zu beschränken sein. 54 Meyer, NZA 2006, 1387 (1390); s. kürzlich erneut Meyer, FS Buchner, S. 628 (642). 55 Meyer, NZA 2006, 1387 (1390); erneut Meyer, FS Buchner, S. 628 (642). 56 Damit ist auf die Entscheidung BAG 10. 12. 2002 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 162 (Thüsing) angespielt. 57 Meyer, NZA 2006, 1387 (1390); s. auch jüngst im Kontext der Entscheidung BAG 29. 7. 2009 NZA 2009, 1424, die für Tarifverträge nach § 3 Abs. 1 BetrVG eine „Zwangstarifgemeinschaft“ ablehnt (bestätigend und fortführend dazu jetzt BAG 9. 12. 2009 NZA 2010, 712) Meyer, SAE 2010, 27 (27 f.). 53
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„konflikt- und widerspruchsfreien“58 Gesamttarifwerk sei aber ebenso nachvollziehbar wie die Erwartung an die konkurrierenden Gewerkschaften zur Kooperation. An diese Erwartung sei daher anzuknüpfen. Zwar könne keine absolute Pflicht zu einem konflikt- und widerspruchsfreien Gesamttarifwerk bestehen, da dies der Geltung des Grundsatzes der Tarifeinheit durch die Hintertür gleich käme. Man könnte aber die Anforderungen an das Verfahren bis zum Streikaufruf erhöhen. Der Grundsatz der Kampfparität könnte für die Gewerkschaften zumindest eine Pflicht zu Kooperationsversuchen untereinander begründen. Solange z. B. noch die Möglichkeit zur Bildung einer Verhandlungs- oder Tarifgemeinschaft bestehe, sollte ein Arbeitskampf unzulässig sein. Dies ließe sich neben dem Paritätsgedanken im Anschluss an Meyer auch mit dem Kriterium der Erforderlichkeit begründen. Innerhalb einer solchen Verhandlungs- oder Tarifgemeinschaft könne auch eine Spezialistengewerkschaft ihre mitgliederspezifischen Interessen einbringen. Die Ausgangslage des Arbeitgebers würde verbessert, wenn er sich nicht mit einer Vielzahl verschiedener und sich widersprechender Forderungen konfrontiert sehe. Hierin könnte ein Beitrag zur Wiederherstellung der Parität liegen.59 Ganz ähnlich ist der Vorschlag Reuters: Der Arbeitgeberseite sei, wenn und soweit die Belastung der Betriebe durch eine Mehrzahl unkoordinierter Tarifverträge und/oder durch Streiks mehrerer Gewerkschaften unzumutbar werde, sowohl gegenüber einer Branchengewerkschaft als auch gegenüber Spartengewerkschaften ein Recht zur Verweigerung isolierter Tarifverhandlungen und zur Verweisung auf die Bildung einer Tarifgemeinschaft einzuräumen, das nicht durch einen rechtmäßigen Streik überwunden werden könne. Die Tarifgemeinschaft zwinge alle beteiligten Gewerkschaften dazu, ihre Gruppenegoismen zu zügeln und eine allseits akzeptable Ordnung anzustreben. Eine solche Beschränkung des Streikrechts sei zur Wahrung der innerbetrieblichen Gerechtigkeit und zur Verhinderung einer „Balkanisierung“ des Tarifgeschehens geeignet, erforderlich und verhältnismäßig. Die Alternative, entweder nur gemeinsame oder gar keine Tarifforderungen durchsetzen zu können, wirke auf Tarifforderungen hin, die für alle beteiligten Berufsgruppen akzeptabel seien, und sorge für die Konzentration auf einheitliche Tarifauseinandersetzungen. Die Möglichkeit, legitime, d. h. nicht einseitig gruppenegoistische Forderungen durchzusetzen, bleibe unberührt. Bei Aufgabe des Prinzips der Tarifeinheit im Betrieb bestehe daher eine Obliegenheit der in den gleichen Betrieben vertretenen Gewerkschaften, die Tarifauseinandersetzungen gemeinschaftlich zu führen.60
58 Sittard übernimmt diese Wendung aus der Moderationsvereinbarung bei der DB AG; dazu W. Bayreuther, FS Hromadka, S. 1 (3 ff.); s. auch Meyer, FS Buchner, S. 628. 59 Sittard, ZTR 2008, 178 (183). 60 Reuter, SchlHA 2007, 413 (419).
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Die obligatorische Bildung von Tarifgemeinschaften wird schließlich auch von Buchner erwogen.61 b) Synchronisation von Verhandlungs- und Kampfphasen Nicht auf den gänzlichen Ausschluss, sondern auf eine gezielte, den Arbeitskampfdruck kanalisierende Beschränkung des Streikrechts setzen die von Kamanabrou, Franzen und Schliemann vorgeschlagenen Modelle. Sie wurden unabhängig voneinander entwickelt und weisen einen unterschiedlichen Grad dogmatischer Dichte und Ausdifferenziertheit auf, gleichwohl verbinden sie eine übereinstimmende Problemanalyse und eine einheitliche Stoßrichtung der Problemlösung. aa) Der Ansatz bei den Friedenspflichten (Schliemann) Ausgangspunkt Schliemanns ist die Überzeugung, dass nach einer Lösung zu suchen sei, die „Streikkaskaden“ im selben Betrieb eindämme. Zu diesem Zweck schlägt er vor, die Berechtigung aller im Betrieb vertretenen Gewerkschaften, zwecks Durchsetzung ihrer Partikularinteressen einen Arbeitskampf führen zu dürfen, durch eine Synchronisation der Friedenspflichten einzuschränken. Die jeweilige Gewerkschaft ist nach diesem Vorschlag nicht nur an die aus dem Bestehen des „eigenen“ Tarifvertrages resultierende Friedenspflicht gebunden, sondern soll erst dann zum Arbeitskampf aufrufen dürfen, wenn – einschließlich ihrer eigenen Mitglieder – mehr als die Hälfte aller im Betrieb tätigen Arbeitnehmer keiner Friedenspflicht, auch nicht aus anderen Tarifverträgen, unterliegt. Es sei dann Sache aller, die an dem den jeweiligen Betrieb betreffenden Tarifgeschehen mitwirken, durch Verhandlungen und Tarifabschlüsse, vor allem hinsichtlich der Laufzeiten, dafür Sorge zu tragen, dass einerseits Streikkaskaden vermieden und andererseits Arbeitskämpfe nicht völlig ausgeschlossen würden. Damit werde in Art. 9 Abs. 3 GG nicht grundrechtswidrig eingegriffen, weil es Sache der Tarifvertragsparteien bleibe, ihre eigenen Tarifabschlüsse und die daraus resultierenden Friedenspflichten zu vereinbaren.62
61 Buchner, BB 2008, 106 (108); s. auch schon dens., NZA 2007, 1411: Es sei jedenfalls die Möglichkeit zu prüfen, die Gewerkschaften auf Kooperation in Pflicht zu nehmen und nicht allein den Unternehmen die Bewältigung der Tarifpluralität zuzumuten; ferner v. Steinau-Steinrück/Glanz, NZA 2009, 113 (117); Monopolkommission, Hauptgutachten 2008/2009, S. 352, Nr. 1010. 62 Schliemann, FS Hromadka, S. 359 (378); s. jüngst wieder dens., FS Bauer, S. 923 (941 ff.).
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bb) Ausgestaltung der Tarifautonomie durch die Pflicht konkurrierender Gewerkschaften zur Koordinierung des zeitlichen Ablaufs ihrer Tarifverträge (Franzen) (1) Problemanalyse und verfassungsrechtliche Ausgangslage Franzen geht davon aus, dass sich die Arbeitgeberseite im tarifpluralen System der Gefahr ausgesetzt sähe, dass auch nach Abschluss eines Tarifvertrages mit einer gewerkschaftlichen Gruppierung keine Befriedung einträte und dass andere gewerkschaftliche Gruppierungen weitergehende Forderungen für denselben Regelungsbereich stellten. Die Funktion der Friedenspflicht erscheine bei Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit aus Arbeitgebersicht entwertet. Es drohe ein Szenario permanenter Tarifverhandlungen und Streikandrohungen.63 Die Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems könne beeinträchtigt sein, wenn die Arbeitgeberseite befürchten müsse, trotz Abschluss eines Tarifvertrages weiterhin mit Forderungen der Arbeitnehmerseite zum selben Gegenstand konfrontiert zu sein. Die Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems wiederum sei ein Schutzgut, das bei der Ausgestaltung der Tarifautonomie selbst zu berücksichtigen sei.64 Aus Arbeitgebersicht bestehe der Vorteil des Tarifvertrages darin, für seine Laufzeit Planungssicherheit zu haben. Für diesen Zeitraum sei der Arbeitgeber hinsichtlich der geregelten und implizit nicht geregelten Gegenstände keinen Nachforderungen der Arbeitnehmerseite ausgesetzt.65 Die Planungssicherheit stelle für die Arbeitgeberseite einen wichtigen Anreiz und Vorteil dar, überhaupt Tarifverträge zu schließen. Sie wäre aber gefährdet, wenn die Rechtsordnung permanente Tarifverhandlungen und Streikandrohungen verschiedener Arbeitnehmerkoalitionen ermöglichte. Solchenfalls seien darüber hinaus der geordnete Betriebsablauf und der Betriebsfrieden beeinträchtigt und daher auch die durch Art. 12 GG geschützte unternehmerische Entscheidungsfreiheit berührt.66 Demnach sei das Interesse der Arbeitgeberseite, nicht andauernd mit Tarifverhandlungen und Streikdrohungen verschiedener Gewerkschaften konfrontiert zu sein, rechtlich anzuerkennen.67 Ausgangspunkt für die Lösung der Problematik müsse Art. 9 Abs. 3 GG sein. Die hierdurch gewährleistete Tarifautonomie bedürfe der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber und, wo dieser untätig geblieben 63
Franzen, RdA 2008, 193 (201); jüngst ders., ZfA 2009, 297 (311). Franzen, RdA 2008, 193 (203) unter Hinweis auf die Unterstützungsstreik-Entscheidung BAG 19. 6. 2007 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 173 (Wank), dort Rn. 20, sowie auf Wank, FS ZVK-Bau, S. 141 ff. 65 Allgemein zur Friedensfunktion Wiedemann/Wiedemann, Einl. Rn. 20 ff.; s. auch Thüsing, ebd., § 1 Rn. 867. 66 Franzen, RdA 2008, 193 (203); zustimmend Boemke, ZfA 2009, 131 (145 f.). 67 Franzen, RdA 2008, 193 (203); ErfK/Franzen, § 4 TVG Rn. 72; s. auch dens., ZfA 2009, 297 (311). 64
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sei, auch durch die Rechtsprechung. Die Rechtsordnung müsse den Tarifvertragsparteien insbesondere Rechtsregeln zur Verfügung stellen, aufgrund derer die Tarifvertragsparteien von der Gewährleistung des Art. 9 Abs. 3 GG zum Abschluss von Tarifverträgen überhaupt Gebrauch machen könnten. Die Tarifautonomie verlange also insbesondere die Zurverfügungstellung eines funktionsfähigen und effektiven Tarifvertragssystems. Dazu gehörten auch Rechtsregeln, die es den tarifwilligen Koalitionen erlaubten, zu einem Abschluss von Tarifverträgen zu gelangen, einschließlich der Rechtsregeln zur Regulierung eines um den Abschluss eines Tarifvertrages geführten Arbeitskampfes.68 Franzen ist indes der Doppelcharakter jeder Grundrechtsausgestaltung wohl bewusst.69 Bei der Ausgestaltung der Tarifautonomie dürfe der Gesetzgeber oder der Rechtsanwender die Tarifautonomie nicht über Gebühr begrenzen.70 In die Tarifautonomie dürfe nur eingegriffen werden, um Grundrechten Dritter und anderen mit Verfassungsrang geschützten Rechtsgütern Wirkung zu verleihen. Zwar sei die Abgrenzung von Ausgestaltung der Tarifautonomie und Eingriff in die Tarifautonomie im Einzelfall schwierig, eine Ausgestaltung der Tarifautonomie sei im Wege gesetzesvertretender Rechtsfortbildung71 aber jedenfalls dann zulässig, wenn diese Ausgestaltung dem Schutz anderer mit Verfassungsrang ausgestatteter Rechtsgüter oder Grundrechten Dritter diene.72 (2) Herstellung praktischer Konkordanz (a) Die widerstreitenden Grundrechtspositionen Die Zulassung permanenter Tarifvertragsverhandlungen und Streikandrohungen konkurrierender Gewerkschaften durch die Rechtsordnung höhle die Tarifautonomie selbst aus und beeinträchtige daher die grundrechtliche Gewährleistung von Art. 9 Abs. 3 GG selbst. Die Planungssicherheit für den Arbeitgeber und damit eine wesentliche Anreizfunktion, überhaupt Tarifverträge abzuschließen, leide erheblich. Außerdem wären der geordnete Betriebsablauf und der Betriebsfrieden und damit die durch Art. 12 GG geschützte unternehmerische Entscheidungsfreiheit berührt. 68
Franzen, RdA 2008, 193 (203). s. zum Doppelcharakter der Ausgestaltung bereits oben Teil 3, Kapitel 1, unter B. I. 1. a) aa). 70 Franzen spricht hier nicht ausdrücklich von einer Bindung an das Verhältnismäßigkeitsprinzip, dürfte aber in der Sache eben dies meinen. 71 Mit der Formel vom „gesetzesvertretenden Richterrecht“ bezeichnete einst der Große Senat des BAG das arbeitskampfrechtliche Geschäft der Rechtsprechung, s. BAG (GS) 21. 4. 1971 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43, Teil III F., letzter Absatz des Beschlusses; s. dazu auch die Erläuterungen des 1. Senats, BAG 10. 6. 1980 (zweimal) AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 64 und Nr. 65, jeweils unter A. II. 4. der Gründe. 72 Franzen, RdA 2003, 193 (203 f.). 69
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Diese auf Arbeitgeberseite betroffenen Grundrechte müssten im Wege praktischer Konkordanz mit dem ebenfalls aus Art. 9 Abs. 3 GG fließenden Recht einer jeden Gewerkschaft, einen Tarifvertrag zu fordern und diesen notfalls auch zu erstreiken, in ein angemessenes Verhältnis gesetzt werden. Dabei müssten die widerstreitenden Interessen zu einem möglichst schonenden Ausgleich gebracht werden, so dass beide Interessen möglichst optimal Wirkung entfalten könnten und keine der beiden geschützten Rechtspositionen gegenüber der jeweils anderen den Vorzug erhalte.73 (b) Ausgleich durch Pflicht der konkurrierenden Gewerkschaften zur Harmonisierung der tarifvertraglichen Laufzeiten Der Rechtsgüterausgleich könne nicht dadurch verwirklicht werden, dass man der aus dem Tarifvertrag einer Gewerkschaft resultierenden Friedenspflicht Wirkung auch für konkurrierende Gewerkschaften zubillige. Eine inhaltliche Wirkung der Friedenspflicht des einen Tarifvertrages gegenüber einer nicht daran beteiligten Gewerkschaft sei abzulehnen. Anders stehe es aber mit der zeitlichen Dimension. In die Tarifautonomie der Gewerkschaften werde nicht übermäßig eingegriffen, wenn sie bei ihren Tarifforderungen in zeitlicher Hinsicht kooperieren und den Zeitpunkt des Ablaufs ihrer Tarifverträge einheitlich gestalten müssten, sofern die Arbeitgeberseite dies wünsche. Die auf Seiten der Arbeitgeber besonders schwerwiegende Gefahr, permanent Tarifforderungen und Streikdrohungen konkurrierender Gewerkschaften ausgesetzt zu sein, sei minimiert, wenn die Arbeitgeberseite verlangen könne, dass das Ende konkurrierender Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften auf einen Termin falle. Die Arbeitgeberseite könne sich dann darauf einstellen, dass Tarifauseinandersetzungen stets nur in bestimmten Zeiträumen und nicht potenziell permanent zu befürchten seien. Deshalb sei der Arbeitgeberseite ein Anspruch auf einen identischen Beendigungstermin bei Tarifverträgen konkurrierender Gewerkschaften einzuräumen, soweit sich die Geltungsbereiche der Tarifverträge überschnitten.74 (aa) Umsetzung für befristete Tarifverträge Bei der Umsetzung dieser Regel unterscheidet Franzen zwischen befristeten und unbefristeten Tarifverträgen. Für befristete Tarifverträge75 könne die Umset73 Franzen, RdA 2008, 193 (204). Allgemein K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 72, 317 ff. 74 Franzen, RdA 2008, 193 (204); jüngst wieder ders., ZfA 2009, 297 (317). Lösung über die Synchronisation der Laufzeiten jetzt auch bei Hirdina, NZA 2009, 997 (999). 75 Zu unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten s. Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 11 f.
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zung relativ einfach erfolgen: Der im ersten abgeschlossenen Tarifvertrag vereinbarte Beendigungstermin binde auch den zeitlich nachfolgenden Tarifabschluss mit einer konkurrierenden Gewerkschaft. Eine Gewerkschaft, die erstmalig eine Tarifforderung für den betreffenden Bereich erhebe, müsse zuwarten, bis der konkurrierende Tarifvertrag mit der anderen Gewerkschaft ende. Zwar habe in dieser Konstellation der Sache nach die Friedenspflicht aus dem einen Tarifvertrag inhaltliche Wirkung auch für Dritte, dies erscheine jedoch zumutbar, da sich die Gewerkschaft eben früher – bei der vorigen Tarifrunde – hätte bemerkbar machen müssen.76 (bb) Unbefristete Tarifverträge Schwieriger sei das Problem der unbefristet abgeschlossenen, ordentlich kündbaren Tarifverträge.77 Hier sieht Franzen von vornherein nicht nur die zeitliche, sondern auch die inhaltliche Dimension betroffen, da die Entscheidung, ob ein unbefristeter Tarifvertrag enden soll oder nicht, gerade Ausdruck eigenständiger Tarifpolitik einer Gewerkschaft sei. Bei unbefristeten Tarifverträgen könne daher die Arbeitgeberseite keine zeitliche Verbindung der konkurrierenden Tarifverträge verlangen.78 cc) Das dreistufige Modell Kamanabrous79 (1) Problemanalyse Die Überlegungen Kamanabrous sind im Ausgangspunkt der besonderen Konstellation des Streiks durch Spartengewerkschaften gewidmet.80 Letztlich treffen sie aber generell auf alle Konstellationen der „Arbeitskampfpluralität“ zu.81 (a) Beeinträchtigung der Kampfparität Nach Kamanabrou dürfen Streiks durch Spartengewerkschaften nicht isoliert betrachtet werden. Zu berücksichtigen sei vielmehr, wie sich das Arbeitskampf76 Franzen, RdA 2008, 193 (204); im Gegensatz zu Franzens Ansatz beim ersten abgeschlossenen Tarifvertrag plädiert Hirdina, NZA 2009, 997 (999) dafür, die Laufzeiten der zuerst auslaufenden oder kündbaren Tarifverträge sich bis zum Beendigungstermin des zuletzt auslaufenden oder zuletzt kündbaren Tarifvertrages verlängern zu lassen. 77 Zur ordentlichen Kündigung von Tarifverträgen s. Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 21 ff. 78 Franzen, RdA 2008, 193 (204). 79 Ein anderes, ausdrücklich so bezeichnetes Drei-Stufen-Modell findet sich jetzt bei Jacobs, FS Buchner, S. 342 (344 ff.). 80 s. Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (260 ff.). 81 So auch Kamanabrou selbst, s. ZfA 2008, 241 (263, Fn. 89) zu der Konstellation zweier nebeneinander agierender Branchengewerkschaften.
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umfeld verändere, wenn vermehrt mit Streiks durch berufsgruppenorientierte Arbeitnehmerkoalitionen zu rechnen sei. Die damit verbundene Veränderung bei den Kampfparteien auf Seiten der Arbeitnehmer könne sich zu Lasten der Arbeitgeberseite auf die Kampfparität auswirken. Paritätserwägungen seien bisher auf den einzelnen Arbeitskampf bezogen worden. Dies sei solange ausreichend gewesen, wie „die Arbeitnehmer“ einerseits „den Arbeitgebern“ andererseits gegenübergestanden hätten. Ändere sich dieses Bild, so sei auch die Gleichgewichtslage neu zu überdenken.82 In dem Fall, dass sich ein Arbeitgeberverband oder ein einzelner Arbeitgeber Forderungen einer Gewerkschaft zu Arbeitsbedingungen ausgesetzt sehe, die bereits in einem Tarifvertrag mit einer anderen Gewerkschaft geregelt seien, genüge es nicht, den einzelnen Arbeitskampf in den Blick zu nehmen. Stattdessen sei zu berücksichtigen, dass der Verband oder der Einzelarbeitgeber wegen dieser Angelegenheiten bereits Tarifverhandlungen geführt hätten, bei denen es entweder auch schon zu einem Arbeitskampf gekommen sei oder doch zumindest die Möglichkeit eines Arbeitskampfes das Ergebnis beeinflusst habe. Würden nun während der Laufzeit des ersten Tarifvertrages erneut Verhandlungen um denselben Gegenstand geführt und drohe auch im Rahmen dieser Verhandlungen ein Arbeitskampf, so summiere sich die arbeitskampfbedingte Belastung für den betroffenen Verband oder den Einzelarbeitgeber. Dadurch werde das Kampfgleichgewicht beeinflusst und merklich zugunsten der Arbeitnehmerseite verschoben. Die ohne Streikrecht gegebene unwürdige Situation des kollektiven Bettelns83 drohe bei immer neuen Arbeitskämpfen um dieselbe Sache in ein Szenario der kollektiven Erpressung umzuschlagen. Des Weiteren fehle es an einer echten Befriedung der Arbeitsbeziehungen, wenn ein Gegenstand nicht für eine gewisse Dauer abschließend geregelt werden könne, sondern stets damit zu rechnen sei, dass eine Arbeitnehmergruppe für sich Sonderregeln beanspruche.84 Könnten demnach Gewerkschaften unabhängig voneinander einzelne Arbeitgeber oder Arbeitgeberverbände angehen und sie – geplant oder ungeplant85 – in einen Dauerarbeitskampf mit wechselnden Kampfgegnern verwickeln, so würde 82 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (262); zu geänderten paritätsprägenden Strukturen im pluralen Koalitions- und Tarifsystem jetzt auch Greiner, Rechtsfragen, S. 442 ff. 83 s. dazu BAG 10. 6. 1980 (zweimal) AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 64 und Nr. 65, jeweils unter A. I. 2. a) der Gründe; 12. 9. 1984 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 81 (Herschel), unter B. II. 2. a) der Gründe; 12. 3. 1985 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 84 (Mayer-Maly), unter II. 1. a) der Gründe; kritisch Zöllner, FS 50 Jahre BAG, S. 1395 (1401). 84 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (262 f.). 85 Auf die Gefahr, dass bei einer der Tarifpluralität folgenden Arbeitskampfpluralität Gewerkschaften nicht nur unabhängig voneinander ihre alternierenden Arbeitskämpfe gestalten, sondern auch koordiniert vorgehen könnten, weist auch Meyer, FS Adomeit, S. 459 (462) hin; s. auch bereits dens., DB 2006, 1271 (1272); ebenso jüngst H. Otto, RdA 2010, 135 (143).
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das Verhandlungsgleichgewicht deutlich zugunsten der Arbeitnehmerseite verschoben. Während auf Arbeitnehmerseite die Lasten verteilt würden, wäre die Arbeitgeberseite durchgängig betroffen. Im einzelnen Arbeitskampf könne sie zwar zunächst die stärkere Seite sein und an den Verhandlungstisch gezwungen werden müssen. Ein Dauerzwang würde aber einen Druck auf die Arbeitgeberseite erzeugen, der über den durch die Summe der einzelnen Streiks erzeugten Druck hinausgehe.86 (b) Beeinträchtigung der Befriedungsfunktion der Tarifautonomie Neben dem Aspekt der verschobenen Kampfgewichte spreche auch die fehlende Befriedung des Arbeitslebens gegen die uneingeschränkte Zulässigkeit von Arbeitskämpfen verschiedener Arbeitnehmerkoalitionen gegen ein und denselben Gegner. Arbeitskämpfe seien nur insoweit zulässig, wie sie der Tarifautonomie dienten. Die Tarifautonomie solle ihrerseits nicht die vollständige Selbstverwirklichung der beteiligten Parteien und ihrer Mitglieder gewährleisten, sondern habe auch die Funktion, Arbeitsfrieden herzustellen und so die zeitweise ungestörte Verfolgung der jeweiligen Betriebszwecke zu ermöglichen. Diese Funktion der Tarifautonomie werde zwar nicht durch eine Mehrzahl unterschiedlicher Tarifverträge zum gleichen Regelungsgegenstand in einem Betrieb, mithin nicht schon durch die Freigabe der Tarifpluralität als solche gestört87, wohl aber durch unkoordinierte Tarifverhandlungen und damit verbundene (drohende) Arbeitskämpfe, die zu einem Dauerstreit um die Arbeitsbedingungen führen könnten.88 (2) Entwicklung des Grundgedankens eines Lösungsansatzes in rechtsvergleichender Analyse Zur Entwicklung des Grundgedankens ihres Lösungsansatzes wirft Kamanabrou einen rechtsvergleichenden Blick auf den Umgang mit dem Gewerkschaftspluralismus in Großbritannien89 und Spanien.90 Als Bestandteil des britischen Anerkennungsmodells91 betont sie die dortige Regelung, dass grundsätzlich nur 86
Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (263 f.). Zur Ablehnung des Grundsatzes der Tarifeinheit bei Tarifpluralität durch Kamanabrou s. ZfA 2008, 241 (256 ff.). 88 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (264 f.). 89 Ausführlich zur britischen Rechtslage jetzt Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 68 ff., Abdruck der maßgeblichen Rechtsgrundlagen S. 159 ff.; s. auch jüngst F. Bayreuther, ZfA 2009, 747 (754); Greiner, Rechtsfragen, S. 329 ff.; Zachert, FS Bauer, S. 1195 (1205). 90 Im Einzelnen Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (265 ff.). 91 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (265 ff.); s. dazu auch Hromadka, GS Heinze, S. 383 (390 f.); dens., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 124 (127 f.); Koop, Tarifvertragssystem, S. 129; Rebhahn, NZA 2001, 763 (767); ausführlich zum Anerkennungs87
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eine Gewerkschaft pro Verhandlungseinheit92 anerkannt wird.93 Bei in etwa gleichzeitigen Anerkennungsanträgen mehrerer Gewerkschaften sei eine Anerkennung möglich, wenn die Gewerkschaften erkennen ließen, dass sie so miteinander kooperieren würden, dass stabile und effektive Vereinbarungen über Kollektivverhandlungen getroffen werden könnten. Auch müssten die Gewerkschaften auf Wunsch des Arbeitgebers zeigen, dass sie sich auf gemeinsame Verhandlungen für die Beschäftigten der vorgesehenen Verhandlungseinheit einlassen würden („single table bargaining“).94 Insgesamt ziele das britische Modell darauf, mögliche negative Auswirkungen des Gewerkschaftspluralismus auf Tarifverhandlungen zu vermeiden, indem konkurrierende Gewerkschaften zur Kooperation gezwungen würden.95 Im Vergleich mit der spanischen Rechtslage96 zeige sich, dass beide Rechtsordnungen im Ansatz die Gewerkschaftspluralität durch einheitliche Verhandlungen zu kanalisieren versuchten. Dieser Grundgedanke biete auch für das deutsche Recht einen sinnvollen Lösungsansatz, um das Tarifvertragssystem bei möglichst viel Freiheit für die einzelne Koalition handhabbar und funktionsfähig zu erhalten.97 (3) Dreistufiges Modell der Kanalisierung des kumulierten Arbeitskampfdrucks Auch im deutschen Recht können nach Überzeugung von Kamanabrou Arbeitskämpfe in Form von unkoordinierten Streiks mehrerer Gewerkschaften gegen denselben Arbeitskampfgegner nicht zugelassen werden. Dem stehe Art. 9 Abs. 3 GG nicht entgegen. Die Koalitionsfreiheit sei ihren Trägern nicht schranverfahren Harth/Taggart, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Großbritannien Rn. 90 ff.; Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 68, 77 ff., 89 ff. und jüngst Greiner, Rechtsfragen, S. 330 f. 92 Zum Begriff der Verhandlungseinheit („bargaining unit“) und zu seiner Bedeutung für die Möglichkeit einer Tarifpluralität im britischen Recht s. Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 110 ff.; ferner Harth/Taggart, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Großbritannien Rn. 97. 93 Näheres bei Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (266); s. auch Hromadka, GS Heinze, S. 383 (391); dens., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 124 (127 f.); Rebhahn, NZA 2001, 763 (767); ausführlich Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 96 ff.; zuletzt Greiner, Rechtsfragen, S. 331. 94 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (266); s. auch Hromadka, GS Heinze, S. 383 (391); dens., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 124 (127); Koop, Tarifvertragssystem, S. 174; Rebhahn, NZA 2001, 763 (767); im Gesamtkontext Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 99, 120, Abdruck der entsprechenden Vorschriften S. 169; nunmehr auch Greiner, Rechtsfragen, S. 331. 95 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (266). 96 Dazu näher Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (267 ff.); Rebhahn, NZA 2001, 763 (767); s. jetzt auch F. Bayreuther, ZfA 2009, 747 (754, 777); Greiner, Rechtsfragen, S. 324 ff.; Zachert, FS Bauer, S. 1195 (1206). 97 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (269).
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kenlos zugesprochen. Vielmehr seien einschränkende Regelungen zum Schutz anderer Rechtsgüter von Verfassungsrang zulässig und in gewissem Umfang geboten.98 Bei unkoordinierten Streiks mehrerer Gewerkschaften kollidierten die Koalitionsfreiheit dieser Gewerkschaften einerseits und die Koalitionsfreiheit und Unternehmensautonomie der Arbeitgeberseite andererseits. Außerdem sei auf die Tarifautonomie als System zur autonomen Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Rücksicht zu nehmen. Sowohl die genannten Grundrechte der Arbeitgeberseite als auch die Tarifautonomie wären unverhältnismäßig stark betroffen, wenn Arbeitskampfmaßnahmen konkurrierender Gewerkschaften uneingeschränkt zulässig wären. Die Lösung müsse daher die kollidierenden Interessen im Wege praktischer Konkordanz möglichst schonend zum Ausgleich bringen.99 Eine solche ausgleichende Lösung entwickelt Kamanabrou als dreistufiges Modell mit den Bestandteilen „Zusammenführen von Verhandlungen“, „Koordinierte Arbeitskämpfe“ und „Schlichtung“: (a) Zusammenführung von Verhandlungen Die erste Stufe unter dem Stichwort „parallele Verhandlungen“ ähnelt sehr stark dem bereits oben dargestellten Ansatz Schliemanns100 und vor allem dem ebenfalls bereits nachgezeichneten Vorschlag Franzens einer Ausgestaltung der Tarifautonomie durch die Pflicht konkurrierender Gewerkschaften zur Koordinierung des zeitlichen Ablaufs ihrer Tarifverträge; es ist aber bei aller Ähnlichkeit noch einmal darauf hinzuweisen, dass Kamanabrou, Franzen und Schliemann ihre Modelle unabhängig voneinander entwickelt haben, was als beachtlicher Fingerzeig für die Sachgerechtigkeit einer in diese Richtung gehenden Lösung gelten darf.101 Grundgedanke der ersten Stufe von Kamanabrous Modell ist das Bestreben, Verhandlungen zusammenzuführen. Dieser Gedanke liege auch der britischen und der spanischen Regelung zugrunde: Weder verdränge eine Gewerkschaft alle
98 Unter Verweis auf BVerfG 14. 11. 1995 BVerfGE 93, 352 ff.; zu dieser Entscheidung, mit der das BVerfG seine (frühere) Kernbereichsrechtsprechung „klarstellte“, etwa Thüsing, Anm. EzA GG Art. 9 Nr. 60, S. 9 ff.; Wank, Anm. JZ 1996, 629 ff. 99 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (270). 100 s. auch die Einschätzung von Schliemann, FS Hromadka, S. 359 (378, Fn. 81) selbst: „vergleichbare Gedanken“. 101 s. in diesem Zusammenhang auch Wank, RdA 1987, 129 (155) und dens., ZGR 1988, 314 (323, 353, 374), jeweils m.w. N., zur Bedeutung einer verbreiteten Rechtsüberzeugung oder sogar eines vorherigen Konsenses in der Literatur als Indiz für die Zulässigkeit einer richterlichen Rechtsfortbildung; ausführlich (und zurückhaltend) zu „Legitimation und Konsens“ Wank, Rechtsfortbildung, S. 223 ff.; näher zur Zulässigkeit der Rechtsfortbildung noch unten B. III. 3. f).
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anderen, noch sehe sich der Arbeitgeber mehreren, nicht koordiniert handelnden Verhandlungspartnern gegenüber.102 (aa) Gemeinsame Verhandlungen? Zusammenführen, so Kamanabrou, ließen sich Verhandlungen auf zwei Arten: Entweder durch gemeinsame Verhandlungen „an einem Tisch“ – vergleichbar dem aus dem britischen Recht bekannten „single table bargaining“ – oder durch parallele Verhandlungen. Die erste Variante der gemeinsamen Verhandlungen legte es nach Kamanabrou nahe, auch ein gemeinsames Verhandlungsgremium zu bilden, das sich auf einen Tarifvertrag zu einigen hätte. Damit ist eine Lösung ähnlich derjenigen angesprochen, bei der die Streikmöglichkeit von einer Vorabeinigung der Gewerkschaften auf eine Verhandlungs- und Tarifgemeinschaft abhängt.103 Nach Überzeugung Kamanabrous hätte eine solche Konstruktion jedoch nur Sinn, wenn einerseits das Ausscheren einer Gewerkschaft aus dem Verhandlungsgremium zur Folge hätte, dass diese Gewerkschaft in der betreffenden Tarifrunde keinen Tarifvertrag mehr erzwingen könnte, denn anderenfalls könnten einzelne Gewerkschaften den Vereinheitlichungseffekt durch Abbruch der Verhandlungen zunichte machen. Andererseits dürfte ein Tarifabschluss nur mit dem Einverständnis aller beteiligten Gewerkschaften erfolgen, da sonst einzelne Gewerkschaften von der Gunst der übrigen verhandelnden Gewerkschaften abhängig wären. Wenn alle beteiligten Gewerkschaften dem Tarifabschluss zustimmen müssten, bestehe allerdings die Gefahr, dass eine Minderheitsvertretung den Abschluss eines Tarifvertrags sperren könnte, obwohl die Arbeitgeberseite und die übrigen beteiligten Gewerkschaften zu einer Einigung gefunden hätten. Der Zwang zu einem gemeinsamen Verhandlungsgremium sei daher nicht sinnvoll. Zusammenarbeit lasse sich nur fördern, aber nicht erzwingen.104 (bb) Parallele Verhandlungen Durch parallele Verhandlungen werde der Arbeitskampfdruck in zeitlicher Hinsicht vermindert.105 Es bleibe bei einzelnen Verhandlungsrunden mit Ergebnissen, die für einen längeren Zeitraum gälten; die Drohkulisse des Dauerarbeits102
Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (271). s. die Darstellung oben B. II. 2. a). 104 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (271); zustimmend Greiner, Rechtsfragen, S. 448; missverstanden werden die Ausführungen Kamanabrous zu gemeinsamen Verhandlungen von Lehmann, FS Buchner, S. 529 (552). 105 s. entsprechend auch Franzen, RdA 2008, 193 (204); zu ihm bereits ausführlicher oben B. II. 2. b) bb). 103
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kampfes falle in sich zusammen.106 Neue Verhandlungspartner könnten nur zu einer neuen Verhandlungsrunde einsteigen.107 Der Beginn einer neuen Verhandlungsrunde sei, wenn die bisher handelnden Tarifvertragsparteien nicht schon vorher mit Verhandlungen begönnen, mit dem Ablauf des bestehenden Tarifvertrags anzusetzen. Das gelte auch dann, wenn die Parteien dieses Tarifvertrages zunächst keine Verhandlungen aufnähmen.108 Wie Franzen sieht Kamanabrou die Notwendigkeit, zwischen befristeten und unbefristeten Tarifverträgen zu differenzieren. Das uneingeschränkte Abwarten neuer Verhandlungsrunden komme nur bei Tarifverträgen mit bestimmter und nicht allzu langer Laufzeit (etwa 24 Monate) in Betracht, mithin insbesondere bei Entgelttarifverträgen, bei denen auch ein besonders starkes Interesse der Arbeitgeberseite an parallelen Verhandlungen bestehe. Bei auf unbestimmte Zeit geschlossenen Tarifverträgen will sie hingegen im Ergebnis wie Franzen die Verhandlungs- und Arbeitskampfmöglichkeit der tarifvertragswilligen Gewerkschaft nicht an das Ende bereits bestehender unbefristeter Tarifverträge konkurrierender Gewerkschaften binden.109 Konsequenz der ersten Stufe des dreistufigen Modells ist, wie bei der Lösung Franzens, eine Laufzeitharmonisierung. Nicht nur müsse eine neu in das Tarifgeschehen einsteigende Gewerkschaft die von den bisherigen Tarifpartnern vorgegebene Tarifrunde abwarten, darüber hinaus seien, damit nachfolgende Tarifrunden ebenfalls koordiniert stattfinden könnten, die Laufzeiten der verschiedenen Tarifverträge aufeinander abzustimmen.110 Die erste Stufe ihres Modells bedeutet nach Kamanabrou zwar eine spürbare Beschränkung des Handlungsspielraums der verhandlungswilligen Gewerkschaften. Diese Beschränkung sei aber geeignet und erforderlich, um einheitliche Verhandlungsrunden zu gewährleisten und so die Befriedungsfunktion des Tarifvertrages zu sichern und die Koalitionsfreiheit und Unternehmensautonomie der Arbeitgeberseite zu bewahren. Die Koordination von Verhandlungen und Laufzeiten von Tarifverträgen sei auch angemessen, da lediglich zeitliche, nicht aber inhaltliche Fragen betroffen seien.111
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Entsprechend Franzen, RdA 2008, 193 (204). Auch in diesem Punkt übereinstimmend Franzen, RdA 2008, 193 (204); für Maßgeblichkeit des Beendigungstermins des zuletzt auslaufenden oder kündbaren Tarifvertrages demgegenüber jetzt Hirdina, NZA 2009, 997 (999). 108 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (271 f.). 109 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (272). 110 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (272). 111 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (272 f.); den Unterscheid zwischen einem Ansatz bei den Inhalten und einem solchen an der zeitlichen Dimension betont auch Franzen, RdA 2008, 193 (204). 107
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(b) Koordinierte Arbeitskämpfe – Bildung einer gemeinsamen Streikführung (aa) Im zweiten Schritt des dreistufigen Modells sollen die Arbeitskampfmaßnahmen der an einer Tarifrunde beteiligten Gewerkschaften in einem gewissen Umfang koordiniert werden. Es reiche nicht aus, getrennte Verhandlungen und aufeinander folgende Arbeitskämpfe zu verhindern. Ein unkoordiniertes Nebeneinander von Streiks könne dazu führen, dass jeder einzelne Streik rechtmäßig, insbesondere verhältnismäßig ist, die Streiks in der Summe aber die Schwelle des Verhältnismäßigen überschreiten. Bezugspunkt der Verhältnismäßigkeitsprüfung112 könne nicht mehr nur der einzelne Arbeitskampf sein. Veränderungen bei der Vertretung der Arbeitnehmerschaft machten es auch bei Verhältnismäßigkeitsfragen erforderlich, den einzelnen Arbeitskampf im Zusammenhang mit parallel laufenden Arbeitskämpfen zu betrachten. So seien z. B. effektive Notdienstvereinbarungen unkoordiniert kaum vorstellbar.113 (bb) Um die Streiks koordinieren zu können, sollen nach Kamanabrou die beteiligten Gewerkschaften dazu verpflichtet werden, eine Art Streikkomitee, eine gemeinsame Streikführung, zu bilden. Die Gesamtheit der Gewerkschaften ist danach Ansprechpartner für die Arbeitgeberseite. Auch im Übrigen sei die Rechtmäßigkeit des Streiks anhand des Gesamtgeschehens zu beurteilen. Bei der Frage, welche Reaktionsmöglichkeiten der Arbeitgeberseite zustehen, sei das Gesamtpotential der beteiligten Gewerkschaften in diesem Arbeitskampf zu berücksichtigen. Eine solche Koordination führe nicht zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung auf der Arbeitnehmerseite. Weiterhin bestimme jede Gewerkschaft für sich, ob sie streiken möchte. Auch Art und Intensität des Streiks könne sie so weit für sich beschließen, wie das Gesamtstreikgeschehen noch verhältnismäßig bleibe.
112 Gemeint ist der Gegenstand der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Mit dem Streit um das Ziel einer Arbeitskampfmaßnahme, zu dem der Einsatz eines Arbeitskampfmittels in Bezug gesetzt werden, d. h. dem Zweck, zu dessen Erreichung das Kampfmittel geeignet, erforderlich und proportional sein muss und der daher üblicherweise als der Bezugspunkt der Verhältnismäßigkeitsprüfung bezeichnet wird (s. zur Verwendung des Begriffs „Bezugspunkt“ in diesem Zusammenhang auch Kreuz, Verhältnismäßigkeit im Arbeitskampfrecht, S. 105 ff.), hat dies nichts zu tun. s. zu dem Streit um den Zweck des Kampfmitteleinsatzes („Bezugspunkt“ der Verhältnismäßigkeitsprüfung) etwa Bieder, NZA 2008, 799 ff.; Buchner, in: Lieb/v. Stebut/Zöllner, Arbeitskampfrecht, Symposion Hugo Seiter zum Gedächtnis, S. 21 (24, 27 ff., 37); Czerweny von Arland, Arbeitskampfmittel der Gewerkschaften und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, S. 51 ff.; Fischinger, RdA 2007, 99 (100 ff.); v. Hoyningen-Huene, JuS 1987, 505 (507); Kreuz, a. a. O., S. 97 ff., 101 ff.; Ricken, ZfA 2008, 283 (293 ff.); Schlachter, FS Birk, S. 809 (813 f.); Seiter, RdA 1981, 65 (75 f.); Wank, FS Kissel, S. 1225 (1233 ff.); dens., Anm. zu BAG 19. 6. 2007 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 173, unter IV.; dens., RdA 2009, 1 (4). 113 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (273 f.).
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(c) Verbindliches Schlichtungsverfahren Die dritte und letzte Stufe des Modells bildet ein verbindliches Schlichtungsverfahren. Ausgangsüberlegung ist, dass die verschiedenen Gewerkschaften zwar auf parallele Verhandlungen, nicht aber auf einen gemeinsamen Tarifvertrag verpflichtet sind und dass daher die jeweiligen Verhandlungspartner unterschiedlich schnell zu Ergebnissen kommen könnten. Im Falle einer ersten Einigung sei für die übrigen Verhandlungspartner ein verbindliches Schlichtungsverfahren in Betracht zu ziehen. Im Einzelnen differenziert Kamanabrou danach, ob die zuerst abschließende Gewerkschaft eine Sparten- oder eine Branchengewerkschaft ist und welchem Gewerkschaftstyp die weiterhin verhandelnden Gewerkschaften zuzuordnen sind. (aa) Erstabschluss durch eine Branchengewerkschaft: Einlassungszwang für Spartengewerkschaften Für den Fall, dass ein Branchentarifvertrag zustande kommt, der auch diejenigen Berufsgruppen erfasst, die durch eine oder mehrere Spartengewerkschaften vertreten werden, sei ein verbindliches Schlichtungsverfahren im Sinne eines Einlassungszwangs für die Spartengewerkschaft vorzusehen, bevor diese Arbeitskampfmaßnahmen fortsetzen oder erstmals ergreifen kann. Dies ergebe sich aus Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn. Sei bereits eine autonom ausgehandelte Ordnung der Arbeitsbedingungen vorhanden, so wäre es unverhältnismäßig, wegen spezieller Regelungen für einzelne Arbeitnehmergruppen unmittelbar einen Arbeitskampf zu führen. Zwar sollten die anders organisierten Arbeitnehmer ihre Interessen eigenständig weiter verfolgen können. Dabei müsse ihnen aber nicht unbedingt ohne Vermittlungsversuch ein Arbeitskampfmittel zur Verfügung stehen. In dem Fall, dass bereits eine Lösung für sämtliche Arbeitnehmer gefunden wurde, sei es nicht angemessen, ohne einen Schlichtungsversuch wegen Sonderinteressen einzelner Gruppen die Belastungen eines Arbeitskampfs in Kauf zu nehmen; dies jedenfalls dann, wenn die Arbeitgeberseite eine Schlichtung beantrage. Das gelte unabhängig davon, ob die Branchengewerkschaft ihren auch die in der Spartengewerkschaft organisierten Arbeitnehmer erfassenden Abschluss mit oder ohne Arbeitskampfmaßnahmen erreicht habe. Anders soll es indes sein, wenn der Branchentarifvertrag einzelne Berufsgruppen nicht abdeckt. Eine Spartengewerkschaft, die eine nicht tarifvertraglich erfasste Arbeitnehmergruppe vertritt, kann danach Arbeitskampfmaßnahmen auch dann unmittelbar ergreifen, wenn eine Branchengewerkschaft bereits einen Abschluss erzielt hat. Soweit der Branchentarifvertrag nicht eingreife und auch nicht eingreifen wolle, könne er nicht zur Unverhältnismäßigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen nicht vertretener Gruppen führen.114 114
Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (276 f.).
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Die verbindliche Schlichtung ist nach dem Modell Kamanabrous im Ergebnis nicht verbindlich; sie statuiert einen Einlassungszwang, ist aber keine Zwangsschlichtung.115 (bb) Andere Konstellationen Ein verbindliches Schlichtungsverfahren befürwortet Kamanabrou auch für einige weitere Konstellationen, in anderen verwirft sie es. a) Erstabschluss durch eine Spartengewerkschaft aa) Kein Einlassungszwang für Branchengewerkschaften In der „umgekehrten“ Konstellation zu der zuerst beleuchteten Fallgestaltung lehnt sie einen Einlassungszwang ab. Einige sich die Spartengewerkschaft vor der Branchengewerkschaft mit der Arbeitgeberseite, so beschränke der Abschluss der Spartengewerkschaft das Streikrecht der Branchengewerkschaft nicht. Da die Spartengewerkschaft zumindest den Großteil der Mitglieder der Branchengewerkschaft nicht vertrete, stelle ihr Tarifabschluss keine tarifvertragliche Ordnung dar, die die Branchengewerkschaft in ihrer Interessenverfolgung einschränke.116 bb) Grundsätzlich kein Einlassungszwang für andere Spartengewerkschaften Ein Einlassungszwang soll bei einem Erstabschluss durch eine Spartengewerkschaft grundsätzlich auch nicht für andere Spartengewerkschaften bestehen, namentlich dann, wenn die beteiligten Spartengewerkschaften unterschiedliche Berufsgruppen vertreten. In diesem Fall könne ein erster Abschluss das Streikrecht der übrigen Gewerkschaften nicht beschränken, denn die jeweilige Spartengewerkschaft sei die einzige gewerkschaftliche Interessenvertretung für die von ihr vertretene Berufsgruppe.117 gg) Einlassungszwang bei Vertretung derselben Berufsgruppe Anders wird der Fall beurteilt, dass mehrere Spartengewerkschaften aufeinandertreffen, die dieselbe Berufsgruppe vertreten. In dieser Konstellation spreche ein erster Abschluss gegen die Verhältnismäßigkeit weiterer Streiks ohne den 115 116 117
Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (277 f.). Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (278). Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (278).
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vorherigen Versuch einer Schlichtung, da für die von der noch verhandelnden Gewerkschaft vertretene Berufsgruppe bereits eine tarifvertragliche Ordnung bestehe. Abweichende Regelungen müssten nicht unmittelbar mit Arbeitskampfmitteln erstritten werden können, um die Koalitionsfreiheit der betroffenen Gewerkschaft und ihrer Mitglieder zu wahren.118 b) Erstabschluss durch eine Branchengewerkschaft: Einlassungszwang für andere Branchengewerkschaften Entsprechendes soll, ohne dass insoweit eine endgültige Festlegung erfolgt, wohl im Verhältnis mehrerer Branchengewerkschaften gelten. Für den Vorrang der Schlichtung, so Kamanabrou, spräche auch in diesem Fall, dass mit dem ersten Branchentarifvertrag eine tarifvertragliche Ordnung gegeben sei, weshalb Arbeitskampfmaßnahmen mit dem Ziel, daneben eine weitere tarifliche Ordnung zu errichten, zumindest ohne Schlichtungsversuch unverhältnismäßig sein könnten. Möglicherweise müsse hier aber auf die Akzeptanz der abschließenden Gewerkschaft in der Arbeitnehmerschaft Rücksicht genommen werden, so dass nur ein Abschluss einer Gewerkschaft, die eine verhältnismäßig hohe Mitgliederzahl aufweise, das Streikrecht der übrigen Gewerkschaften zurücktreten ließe.119 3. Bestimmung der Kampfgrenzen im Einzelfall Während die zuvor dargestellten Modelle eine generelle, „institutionalisierte“ Beschränkung des Streikrechts konkurrierender Gewerkschaften favorisieren, wählen andere den individuellen Ansatz am einzelnen Arbeitskampf. a) Grenze der Existenzgefährdung von Betrieben Frühe Ansätze stammen von Heß und Konzen. Beide stellen auf den Einzelfall ab und verfolgen vor allem das Anliegen, existenzgefährdende Arbeitskampfkumulierungen auszuschließen. Heß sah den Ansatzpunkt möglicher arbeitskampfrechtlicher Restriktionen in der Abwägung zwischen den schützenswerten Interessen der Gewerkschaft einerseits und den Interessen des Arbeitgebers an einem reibungslos funktionierenden Betriebsablauf andererseits120. Es sei hinzunehmen, dass zur Einleitung von Arbeitskampfmaßnahmen mehrere organisationsmäßig zuständige Gewerkschaften selbst dann berechtigt seien, wenn dies zu einer Tarifpluralität und damit zu verwaltungsinternen Erschwernissen führe. Dies könne jedoch die Gewerkschaften 118 119 120
Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (279). Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (278 f.). Heß, ZfA 1976, 45 (60).
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nicht berechtigen, durch Streikmaßnahmen existentiell gefährdete Betriebe infolge Streikdrucks wirtschaftlich zur Aufgabe zu zwingen und damit die Arbeitsplätze zu gefährden. Insoweit könne ein allgemein geltender Grundsatz, wann eine Tarifpluralität nicht mehr erstreikbar sei, nicht gefunden werden. Es komme vielmehr auf den Einzelfall an. Für das eine Unternehmen könnten schon die Folgen von zwei kurz hintereinander eingeleiteten Arbeitskämpfen schädigend sein, während ein anderes Unternehmen durchaus in der Lage sei, die Arbeitskämpfe mehrerer Gewerkschaften durchzustehen.121 Auch Konzen befasste sich schon früh mit den arbeitskampfrechtlichen Folgen einer insbesondere durch Verbandswechsel des Arbeitgebers (§ 3 Abs. 3 TVG) hervorgerufenen Tarifpluralität. Der potentiellen Gefahr für Unternehmen, mehrfach im Jahr Streiks von konkurrierenden Gewerkschaften ausgesetzt zu sein, könne man wohl nur durch eine Zulässigkeitsschranke begegnen, die dem Arbeitskampf um Tarifpluralitäten prinzipiell Raum lasse.122 Die Grenze beginne jedenfalls dort, wo das tarifvertragliche Regelungsziel infolge eines durch den Streik ausgelösten wirtschaftlichen Zusammenbruchs nicht mehr realisierbar wäre.123 Es sei auf den Einzelfall abzustellen. Eine rechtspolitisch wünschenswerte Vorverlegung der Kampfgrenzen beim Arbeitskampf um Tarifpluralitäten lasse sich vielleicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erreichen.124 b) Grenze des Rechtsmissbrauchs und Verhältnismäßigkeitsprinzip Ebenfalls nur äußerste Grenzen werden durch den Verweis auf Missbrauchsverbote gezogen. Weitergehende, aber gleichermaßen einzelfallabhängige Restriktionen soll der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erlauben; während bei Konzen125 die Möglichkeit einer Vorverlegung der Kampfgrenzen beim Arbeitskampf um Tarifpluralitäten mit Hilfe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur angedeutet war126, stellen gewichtige Stimmen das Verhältnismäßigkeitsprinzip nunmehr in den Mittelpunkt der Bemühungen um eine adäquate arbeitskampfrechtliche Reaktion auf die veränderte tarifkollisionsrechtliche Ausgangslage. 121
Heß, ZfA 1976, 45 (77 f.). Konzen, ZfA 1975, 401 (434). 123 Konzen, ZfA 1975, 401 (434). 124 Konzen, ZfA 1975, 401 (434, Fn. 197). 125 s. nochmals Konzen, ZfA 1975, 401 (434, Fn. 197). 126 Die von Konzen gegenüber einer Verwertung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zur Bestimmung der Kampfgrenzen geübte Zurückhaltung ist auch im Lichte der Tatsache zu sehen, dass seine Abhandlung auf seinem 1974 gehaltenen Habilitationsvortrag beruht und 1975 veröffentlicht wurde, mithin zu einem Zeitpunkt, zu dem die Etablierung des arbeitskampfrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch den Großen Senat des BAG (s. BAG 21. 4. 1971 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43, Teil III A. 1.) erst drei Jahre zurück lag und seine Reichweite daher wissenschaftlich noch nicht ausgelotet war (s. aber bereits frühzeitig insbesondere Löwisch, ZfA 1971, 319 ff.). 122
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aa) So weist Reichold zu den befürchteten zeitversetzten Streiks und damit verbundenen Arbeitskampfrisiken darauf hin, dass auch im Arbeitskampfrecht Missbrauchsverbote anerkannt seien.127 Das arbeitskampfrechtliche ultima-ratioGebot sei in Zukunft noch ernster zu nehmen.128 Schikanöses Vorgehen verschiedener Gewerkschaften gegen ein und denselben Arbeitgeber könne in seiner kumulativen Kampfwirkung durchaus gegen das ultima-ratio-Prinzip verstoßen.129 Auch Jacobs will im Rahmen der Verhältnismäßigkeit einer Arbeitskampfmaßnahme in besonderem Maße berücksichtigen, wie stark ein Arbeitgeber durch die Aktivitäten zweier oder mehrerer Gewerkschaften tatsächlich belastet wird. Die Rechtmäßigkeit ihrer Maßnahmen hänge von der tatsächlichen Gesamtwirkung auf den Arbeitgeber ab.130 Unabhängig von einer etwaigen kumulativen Kampfwirkung sei insbesondere bei Streiks von Spezialistengewerkschaften der Gefahr einer Paritätsverschiebung durch eine strengere Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu begegnen. Der Streik müsse zunächst zahlenmäßig, zeitlich und räumlich begrenzt geführt werden, bevor er ausgeweitet werde.131 Zudem müsse dem Spezialistenstreik ein obligatorisches Schlichtungsverfahren vorangehen.132 Aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip sich ergebende Einschränkungen des Streikrechts im Einzelfall hält auch Henssler für denkbar.133 bb) Ein weitergehendes Zugeständnis an diejenigen, die vor allem die Gefahr permanenter, weil aufgrund unterschiedlicher tarifvertraglicher Laufzeiten zeitversetzt stattfindender Streiks prononcieren, machen Reichold und Jacobs in Form eines dem Arbeitgeber für bestehende Tarifverträge zuzugestehenden Sonderkündigungsrechts. Den Arbeitgebern sei bei Tarifpluralität ein außerordentliches Kündigungsrecht134 zur Koordination der Tarifverhandlungen mit mehreren Gewerkschaften einzuräumen. Sie müssten sich nicht einem ständigen Streikdruck verschiedener Gewerkschaften aussetzen.135
127 s. allgemein zum Verbot rechtsmissbräuchlicher Arbeitskämpfe Kissel, FA 2006, 322 (324); H. Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 8 Rn. 8 ff.; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1363 f.; vgl. jetzt im hiesigen Kontext auch Monopolkommission, Hauptgutachten 2008/2009, S. 353 ff., Nr. 1013 ff. 128 Reichold bei Kalb, RdA 2007, 379 (381). 129 Reichold, RdA 2007, 321 (327). 130 JKO/Jacobs, § 7 Rn. 236; s. auch jüngst Schliemann, FS Bauer, S. 923 (935). 131 So kürzlich erneut Jacobs, FS Buchner, S. 342 (355). 132 Jacobs, NZA 2008, 325 (331); erneut ders., FS Buchner, S. 342 (356). 133 HWK/Henssler, § 4 TVG Rn. 61. 134 Allgemein zur außerordentlichen Kündigung von Tarifverträgen Wiedemann/ Wank, § 4 Rn. 28 ff. 135 Reichold, in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 146 (147 f.); erwogen und wohl bejaht auch von Jacobs, NZA 2008, 325 (330); Sonderkündigungsrecht erwägend auch Löwisch bei Kalb, RdA 2007, 379 (381); s. nun auch Meyer, FS Buchner, S. 628 (643) sowie Fritz/Meyer, NZA Beilage 3/2010, S. 111 (115).
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4. Keine speziellen arbeitskampfrechtlichen Grenzen a) Einige Autoren sehen bei einer Freigabe von Tarifpluralitäten überhaupt keinen Handlungsbedarf im Arbeitskampfrecht. Das Arbeitskampfrecht brauche auch bei genereller Zulassung von Tarifpluralität keine Veränderungen.136 Rechtlich akzeptierte Tarifpluralität als solche könne nicht für eine Einschränkung des Streikrechts herhalten. Auch unter einer veränderten tarifkollisionsrechtlichen Rechtslage hänge die Rechtmäßigkeit des Arbeitskampfes von der jeweils konkret festzustellenden nachhaltigen Betroffenheit gegenläufiger Grundrechtspositionen ab. Der temporäre und in seiner Dimension bislang eher singuläre Streik der Lokführer künde nicht von einem arbeitskampfrechtlichen Sodom und Gomorra. Es bestehe kein Grund, aufgrund anlassbezogener übersteigerter Befürchtungsszenarien vorauseilend in eine Art Rechtsfindungshysterie zu verfallen.137 Zwar bestreiten auch diese Autoren nicht, dass ein Nebeneinander mehrerer Tarifwerke in mancher Hinsicht zu arbeitskampfrechtlichem Klärungsbedarf führen könnte.138 Insbesondere das „Lamento“ über eine Gefährdung der Kampfparität, weil wegen unterschiedlicher Laufzeiten von Tarifverträgen Arbeitgeber in einen Zustand permanenter Tarifverhandlungen mit sich anschließenden Arbeitskämpfen geraten könnten, sei aber nicht sehr realistisch und daher nicht überzeugend.139 Die Möglichkeit, dass Arbeitgeber bei Gewerkschaftskonkurrenz möglicherweise gleichzeitig oder zeitversetzt Streiks mehrerer Gewerkschaften ausgesetzt, dass die Forderungen konkurrierender Gewerkschaften Ausdruck eines Überbietungswettbewerbes sein könnten, dass Berufsgruppen mit Schlüsselfunktionen im Betrieb und einer starken Arbeitsmarktstellung einen Streik sehr wirksam durchführen könnten und die Tatsache, dass sich die Gewerkschaftskonkurrenz vor allem im Bereich der öffentlichen und privatisierten Daseinsvorsorge aktualisiere, rechtfertige nicht die Etablierung zusätzlicher Streikbeschränkungen oder Erweiterungen der Kampfmittel der Arbeitgeber.140 Antworten dürften vielmehr in der Regel anhand der für die Rechtmäßigkeit von Arbeitskämpfen entwickelten Prüfkriterien zu finden sein; diese allgemein anerkannten Maßstäbe seien auch bei einer zeitweise aktualisierten Gewerkschaftskonkurrenz zur Be136
Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (120); s. auch jüngst Berg, GS Zachert, S. 469
(474). 137 Sunnus, AuR 2008, 1 (7); in der Tendenz ähnlich jetzt Deinert, NZA 2009, 1176 (1182 f.); ferner Berg, GS Zachert, S. 469 (474 ff.); speziell den Arbeitskampf der Lokführer bezeichnet auch Dieterich, GS Zachert, S. 532 (540) als untypisch und daher untauglich als Systemmodell; vgl. dazu nun auch die Auseinandersetzung von Zachert, Liber Amicorum Wendeling-Schröder, S. 23 (26 ff.) mit verschiedenen anlässlich des GDL-Streiks erhobenen rechtspolitischen Forderungen nach Begrenzungen des Streikrechts. 138 Sunnus, AuR 2008, 1 (7); s. auch Deinert, NZA 2009, 1176 (1176, 1182 f.). 139 Sunnus, AuR 2008, 1 (7, Fn. 71); ganz ähnlich nunmehr Deinert, NZA 2009, 1176 (1183); s. auch Zachert, Mitbestimmung 4/2008, S. 16 (19): „überzeichnet“. 140 Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, AKR Rn. 74g.
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wältigung der bei realistischer Betrachtung zu erwartenden Probleme völlig ausreichend.141 Nichts spreche dafür, dass zu diesem Zweck spezielle, verfassungsrechtlich überschießende Restriktionsmechanismen entwickelt werden müssten.142 Auch Anknüpfungen an bereits bekannte und weitgehend etablierte Rechtsfiguren wie das Verhältnismäßigkeitsprinzip stoßen auf Skepsis. Man sieht seine „grundsätzlichen Bedenken gegen den Verhältnismäßigkeitsbegriff, seine Verwendung für eine Austarierung gleichrangiger Grundrechte im Arbeitskampfrecht und die fehlende Trennschärfe zum öffentlichen Recht“ durch die „im Zuge der Auseinandersetzung über die Tarifeinheit und befürchtete Fragmentierungen des Arbeitskampfgeschehens um sich greifenden Begriffsverwirrungen und Fehlinterpretationen“ erneut bestätigt.143 Die derzeitige Diskussion zur Tarifeinheit lasse erkennen, dass hier nur ein Weg gesucht und gefunden werde, eine generell angestrebte Einschränkung von Streikrecht und Tarifautonomie in neuem Gewande, aber mit verfassungsrechtlich nach wie vor wenig tauglichen Argumenten zu begründen. So scheine die neue Konjunktur der Tarifeinheit eher vordergründig, da im Grunde mit der Beschwörung chaotischer Zustände in zentralen Bereichen des öffentlichen Lebens das Terrain bereitet werden solle für eine Debatte über ganz grundsätzliche Beschränkungen des Streikrechts in mal mehr, mal weniger weit definierten sensiblen Sektoren.144 Die Vermengung der sachverhaltsbezogenen Rechtsfrage nach der vorrangigen Durchsetzung eines Tarifvertrages mit dem Arbeitskampfrecht als Regelungsmechanismus für die Realisation eines Grundrechtes sei aus juristischer Sicht jedenfalls ein Irrweg.145 b) Zumindest zurückhaltend äußern sich auch Thüsing/von Medem zu der befürchteten „Balkanisierung“ und zu aus dieser Befürchtung abgeleiteten arbeitskampfrechtlichen Neujustierungen. Ängste vor einem „Dammbruch“146 erscheinen ihnen übertrieben. Auch der Arbeitnehmerseite entstünden durch Streiks Nachteile durch Entgeltausfall, so dass kein Interesse an permanenten Streiks bestehe. Ein einheitliches Vorgehen der Arbeitnehmerseite bringe dieser durch die Erhöhung der Schlagkraft auch erhebliche Vorteile. In der Befürchtung, mit der Aufgabe der Tarifeinheit würde es zu einer chaotischen Zersplitterung der Gewerkschafts- und Tariflandschaft kommen, schwinge 141 Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, AKR Rn. 74g; Sunnus, AuR 2008, 1 (7); s. auch Deinert, NZA 2009, 1176 (1182 f.); aktuell wieder Berg, GS Zachert, S. 469 (474). 142 Sunnus, AuR 2008, 1 (7). 143 Sunnus, AuR 2008, 1 (5, Fn. 46); Verteidigung des arbeitskampfrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips jüngst bei Greiner, Rechtsfragen, S. 456 ff. 144 Sunnus, AuR 2008, 1 (7 f.); s. auch Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, AKR Rn. 74g, 234a; jüngst Berg, GS Zachert, S. 469 (474 ff.). 145 Sunnus, AuR 2008, 1 (7 f.). 146 Vgl. dazu Hunold, NZA 2007, 1037 (1038).
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die Fehlvorstellung mit, allein das Prinzip der Tarifeinheit habe für die relativ stabile Tarifordnung der letzten Jahrzehnte gesorgt. Damit würde man die Wirkkraft dieses Prinzips erheblich überschätzen. Wie die Entwicklung verlaufen werde, sei nicht absehbar. Neben Vereinheitlichungstendenzen, etwa der Gründung von ver.di mit der Folge des Verschwindens der Spartengewerkschaft DAG147, gebe es gegenteilige Tendenzen etwa in der Luftfahrtbranche148 oder im Klinikbereich149. Ob es also wirklich dazu komme, dass sich zukünftig eine Bank alternierenden Streiks von Schalterangestellten, ITBetreuern und technischem Hauspersonal gegenübersehen werde150, sei zweifelhaft. Denn ob diese Gruppen bei getrenntem Vorgehen bessere Tarifabschlüsse erreichten oder nicht vielmehr ihre Durchsetzungskraft schwächten, sei fraglich. Sollte aber die Arbeitnehmerseite getrennt vorgehen, so sei nicht ersichtlich, warum die Arbeitgeber dies nicht hinnehmen müssten. Die Arbeitgeberseite habe die Fäden zur Koordinierung der Tarifabschlüsse in der Hand151 und sie könne die Schwächung der Arbeitnehmerseite auch für ihre Zwecke nutzen.152
147 s. zur Bedeutung der ver.di-Gründung für die Tarifkollisionsproblematik auch Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 27 f.; Schliemann, FS Hromadka, S. 359 (360), aber auch die Bewertung bei Koop, Tarifvertragssystem, S. 21 f.; allgemein zu den Fusionsund Konzentrationsprozessen innerhalb des DGB Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 3 ff. m.w. N.; Koop, a. a. O., S. 20, 27 ff.; zu entsprechenden Entwicklungen in Großbritannien Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 70 f.; Darstellung der Situation in weiteren europäischen Staaten bei Koop, a. a. O., S. 40 ff., 46 ff. 148 Dazu (Vereinigung Cockpit, UFO, GDF) ausführlicher Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 28 ff., 32 f.; Gerber, ZfA 2008, 311 ff.; Greiner, Rechtsfragen, S. 16 f.; außerdem F. Bayreuther, ZfA 2009, 747 (768 ff., 771); Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (116 f.); Bispinck, GS Zachert, S. 479 (483); Jacobs, NZA 2008, 325 (325 f.); Kissel, Arbeitskampfrecht, § 39 Rn. 5 ff.; Schliemann, FS Hromadka, S. 359 (360 f.); ders., FS Bauer, S. 923 (925); Wallisch, FS Löwisch, S. 427 (428, 430); Rechtsprechung: BAG 11. 2. 2004 – 4 AZR 94/03 – juris; 14. 12. 2004 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1 (Buchner); LAG Rheinland-Pfalz 22. 6. 2004 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 169 (Däubler); 14. 6. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 78; LAG Hessen 22. 7. 2004 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 168 (Däubler); für Großbritannien Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 137; für die USA jetzt F. Bayreuther, ZfA 2009, 747 (767 f.). 149 Zu ihm etwa F. Bayreuther, NZA 2006, 642 ff.; ders., ZfA 2009, 747 (765 ff.); Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (116 f.); Bispinck, GS Zachert, S. 479 (483); Greiner, Rechtsfragen, S. 17; Jacobs, NZA 2008, 325 (325 f.); Kissel, FA 2006, 322 ff.; Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 23, 28; Litschen, ZTR 2007, 230 ff.; Schliemann, FS Hromadka, S. 359 (360 f.); Wallisch, FS Löwisch, S. 427 (428, 430); Rechtsprechung: LAG Köln 12. 12. 2005 NZA 2006, 62; ArbG Kiel 30. 6. 2006 ZTR 2006, 488; für Großbritannien Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 137; für die USA jetzt F. Bayreuther, ZfA 2009, 747 (764 f.). 150 Hier greifen Thüsing/v. Medem das Beispiel von F. Bayreuther, NZA 2006, 642 (645), auf; s. auch dens., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 130 (137). 151 s. auch Jacobs, NZA 2008, 325 (330). 152 Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (515).
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III. Eigene Position Die eigene Position bewegt sich auf einer mittleren, die jeweils sachgerechten und auch vor der Verfassung begründbaren Elemente der vorgeschlagenen Lösungen verbindenden Linie. 1. Mangelnde Rechtfertigbarkeit der „Extrempositionen“ Insbesondere die „Extrempositionen“ – das Votum für einen gänzlichen Ausschluss des Streikrechts einer der konkurrierenden Gewerkschaften einerseits, die Einschätzung, das Arbeitskampfrecht brauche in Reaktion auf die veränderte tarifkollisionsrechtliche Ausgangslage überhaupt keine Veränderungen, andererseits – lassen sich nicht halten. a) Im Arbeitskampfrecht „alles beim Alten“? aa) „Rechtsfindungshysterie“? (1) Den Autoren, die bei Freigabe von Tarifpluralitäten im Arbeitskampfrecht keinen Handlungsbedarf sehen, ist zuzugestehen, dass die Debatte teilweise in der Tat unnötig aufgeregt geführt wird und sich hier und da tatsächlich eine Art „Rechtsfindungshysterie“ beobachten lässt. Vor der Gefahr einer „Rechtsfortbildungs-Euphorie“ im Arbeitskampfrecht warnte Seiter nicht grundlos bereits in seiner 1975 erschienenen Habilitationsschrift.153 In der jüngsten Diskussion stellen demgegenüber Teile der Literatur insbesondere aus den Entscheidungen des 1. Senats des BAG zum Unterstützungsstreik154 und zur Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen155 sowie der erwarteten, nunmehr durch den 4. und den 10. Senat vollzogenen Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb mit seinen arbeitskampfrechtlichen Implikationen ein Potpourri von Horror-Szenarien156 zusammen.157 Der Begriff der „Rechtsfindungs153
s. Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 4. BAG 19. 6. 2007 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 173 (Wank). 155 BAG 24. 4. 2007 AP TVG § 1 Sozialplan Nr. 2 (Fischinger). 156 Den Begriff des Horror-Szenarios verwendet auch Reichold, NZA 2007, 1262 (1263); jetzt auch Bepler, NZA Beilage 3/2010, S. 99 (104). 157 Exemplarisch R. Wolf, SAE Heft 1/2008, S. III; s. auch jüngst Brocker, NZA Beilage 3/2010, S. 121 (123); Göhner, FS Bauer, S. 351 (358 f.) sowie v. Steinau-Steinrück/ Brugger, NZA Beilage 3/2010, S. 127 ff., die zusätzlich auch schon auf die „Flashmob“-Entscheidung des 1. Senats (Urteil vom 22. 9. 2009, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 174 [H. J. Willemsen/Mehrens]) verweisen; Lehmann, FS Buchner, S. 529 (530 f. und passim); in der Tendenz auch Meik, FS Beuthien, S. 429 (437 ff., 439 f.). Wesentlich differenzierter zu den Folgen speziell der „Flashmob“-Entscheidung für das Problem der Arbeitskampfpluralität Greiner, Rechtsfragen, S. 474, der sich u. a. hierdurch in seinem Ansatz (schon Greiner, NZA 2007, 1023 [1027]; ders., Anm. zu LAG Sachsen 154
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hysterie“158 erscheint mit Blick darauf durchaus nicht unangebracht. Das gilt insbesondere dann, wenn die berechtigte Forderung nach juristischer Systembildung auch und gerade im Arbeitskampfrecht159 einerseits sowie die Koinzidenz der jüngeren Arbeitskampfrechtsprechungsentwicklungen und der Diskussion um die Folgen der Rechtsprechungsänderung zur Tarifeinheit andererseits zum Anlass genommen werden, die in mancher Hinsicht sicher berechtigte Kritik an den genannten Entscheidungen des 1. Senats des BAG und die spezifisch tarifpluralitätsbedingten arbeitskampfrechtlichen Implikationen ohne Ansehen rechtlich relevanter Unterschiede „in einen Topf zu werfen“ und so die Idee eines in der Anlage pluralistischen, freiheitlichen Tarif- und Arbeitskampfsystems zu diskreditieren. So erscheint die Sorge davor, dass die Diskussion über die Zukunft der Tarifeinheit im Betrieb und über die arbeitskampfrechtlichen Interferenzen des Kurswechsels des BAG in der Frage der Tarifpluralität als Vehikel für generell angestrebte Einschränkungen des Streikrechts benutzt wird, in Ansehung einiger Vorstöße in der Literatur in der Tat verständlich. (2) Auch dem besonnenen Blick auf die Gegebenheiten kann aber die Plausibilität der These, dass ein Unternehmen nicht ständig von mehreren Streiks konkurrierender Gewerkschaften betroffen werden sollte160, nicht verborgen bleiben. Insoweit kann, wenn – von ihren konkreten Inhalten zunächst einmal abgesehen – überhaupt Vorschläge zur Bewältigung dieser Problematik gemacht werden, nicht schon von „Rechtsfindungshysterie“ die Rede sein. Sicher kann niemand mit Gewissheit prognostizieren, wie sich die Verbands- und folgend die Tarif- und die Arbeitskampflandschaft künftig – vor allem, aber nicht nur aufgrund des Paradigmenwechsels im Tarifkollisionsrecht von der Tarifeinheit im Betrieb zur Akzeptanz der Tarifpluralität 161 – entwickeln werden.162 Wie schwer die künftige 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80, S. 45 [55]) bestätigt sieht, den in einem pluralen Tarif- und Arbeitskampfsystem zu verzeichnenden Paritätsverschiebungen durch eine Schärfung der Reaktionsmöglichkeiten der Arbeitgeberseite zu begegnen (dabei freilich die „Flashmob“-Entscheidung des BAG selbst keineswegs gutheißen mag, s. a. a. O. S. 469 f. [dort Fn. 593], 474 [mit Fn. 623]). 158 Sunnus, AuR 2008, 1 (7). 159 Lieb, ZfA 1982, 113 (136 f.); ders., RdA 1988, 327 (332). 160 Konzen, SAE 2008, 1 (8). 161 Dazu, dass sich die arbeitskampfrechtlichen Fragen auch dann gestellt hätten, wenn das BAG den Grundsatz der betrieblichen Tarifeinheit nicht aufgegeben hätte, dass also die Gleichsetzung von „Tarifeinheit oder Tarifpluralität“ einerseits und „Arbeitskampfeinheit oder Arbeitskampfpluralität“ andererseits auf einer unzutreffend schematisierenden Sicht beruht und dass es neben den tarifkollisionsrechtlichen vor allem die tatsächlichen Entwicklungen in der Verbands- und Tariflandschaft sind, die die bisherigen günstigen Prämissen einer Arbeitskampfeinheit erodieren, s. bereits oben B. I. 2. 162 In der tatsächlichen Prognose mit Recht offen daher Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (515); s. auch auf rechtsvergleichender Grundlage F. Bayreuther, ZfA 2009, 747
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Entwicklung des Arbeitskampfgeschehens vorherzusehen ist, wird bereits dadurch deutlich, dass einerseits vor einem „negativen Wettlauf“ der konkurrierenden Gewerkschaften, also vor einer Situation, in der keiner laufe, weil jeder der Letzte sein wolle, und einer sich daraus ergebenden „Tarifblockade“ mit der Gefahr gewarnt wird, dass die Gewerkschaften ihre durch Art. 9 Abs. 3 GG zugewiesene Aufgabe vernachlässigen, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu regeln163, andererseits aber gleichzeitig befürchtet wird, dass die Unternehmen permanent Streiks oder Streikdrohungen ausgesetzt sein würden164. Es wird mithin zugleich Inaktivität der Gewerkschaften wie „überschießende“ Arbeitskampfaktivität für möglich gehalten165 – ein Zeichen dafür, dass die Prognosekraft der – im Grundsatz durchaus mit Recht – auf eine Folgenbetrachtung bedachten Juristen hier an ihre Grenzen stößt. Aber ebenso wenig, wie es der rechtlichen und wirtschaftlichen Bedeutung der sich im Spannungsfeld von Tarifkollisions- und Arbeitskampfrecht stellenden Fragen angemessen ist, durch Hinweise auf eine generell diagnostizierte Fehlentwicklung des richterrechtlichen Arbeitskampfrechts angereicherte Horror-Szenarien zu zeichnen, leistet es auf der anderen Seite der Sache einen Dienst, jegliche praktische Relevanz der – doch immerhin unter Beteiligung führender Vertreter von Arbeitsrechtsprechung, Arbeitsrechtsberatungspraxis und Arbeitsrechtswissenschaft geführten – Debatte über eine drohende Vervielfachung von Tarif- und Arbeitskampfkonflikten in Abrede zu stellen.166 Dort, wo die Zukunft ungewiss ist, dürfen sich verantwortungsbewusste Teilnehmer des rechtlichen Diskurses nicht auf die vage Vermutung zurückziehen, es werde „schon nicht so schlimm kommen“, sondern muss die Rechtsordnung auf ihre Fähigkeit zu adäquater Reaktion auf neue Herausforderungen überprüft und ggf. durch Anpassung und Fortentwicklung der gegebenen Instrumentarien zu solcher Reaktion instand gesetzt werden – nichts anderes ist mit der Notwendigkeit der Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung gemeint. Diese Notwendigkeit aber ist im Grundsatz nicht zu leugnen, und warum sie ausgerechnet vor dem Arbeitskampfrecht Halt machen sollte, ist nicht ersichtlich. Das Bewusstsein der (777); außerdem Deinert, NZA 2009, 1176 (1183) und jüngst Bepler, NZA Beilage 3/ 2010, S. 99 (100, Fn. 4) sowie Monopolkommission, Hauptgutachten 2008/2009, S. 352 (Nr. 1008); bei der Bahn etwa ist man zuletzt ohne Arbeitskampfmaßnahmen zu einer Einigung mit allen drei Gewerkschaften gelangt, s. FAZ vom 2. 2. 2009, S. 11; vgl. jetzt auch Greiner, NZA 2010, 743 (745). 163 Zum „negativen Wettlauf“ und zur „Tarifblockade“ s. die Nachweise oben Teil 3, Kapitel 1, unter B. II. 4. c) bb) (1) (b), dort Fn. 182, und hier nur noch einmal Hromadka, GS Heinze, S. 383 (388 f.); Meyer, DB 2006, 1271. 164 s. nur Hromadka, GS Heinze, S. 383 (389, 394); Meyer, DB 2006, 1271. 165 Relativierend zu diesem Widerspruch allerdings Greiner, Rechtsfragen, S. 280 f., 426. 166 So aber in der Tendenz vor allem Sunnus, AuR 2008, 1 (7, mit Fn. 71) und, weniger rigoros, auch Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, AKR Rn. 74g; jüngst Berg, GS Zachert, S. 469 (474 ff.).
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zuletzt wieder viel zitierten früheren „englischen Verhältnisse“167 – Sinnbild eines Zustandes des immerwährenden Arbeitskonfliktes168 – verbietet es, die Sorge vor einer „ständigen Kampfstimmung“ (Heß), vor „Streikkaskaden“ (Schliemann), die die Betriebe mehrfach im Jahr lahm legen (Hromadka) und in eine „balcanisation“ der Unternehmen (Gamillscheg) führen könnten, als unrealistische, übersteigerte Befürchtungsszenarien abzutun.169 Das Interesse des Arbeitgebers, nicht permanent mit Tarifvertragsverhandlungen und Streikdrohungen von verschiedenen, in seinem Unternehmen vertretenen Gewerkschaften konfrontiert zu sein, ist rechtlich anzuerkennen.170 bb) Vertrauen auf Selbstregulation infolge steigender Streikkosten? Auch der Einwand von Thüsing/von Medem, es bestehe kein Interesse an permanenten Streiks, da auch der Arbeitnehmerseite durch Streiks Nachteile in Form von Entgeltausfall entstünden171, vermag die Hauptsorge gerade vor zeitversetzten Streiks konkurrierender Gewerkschaften nicht zu zerstreuen, weil die „ständige Kampfstimmung“ schließlich – zumindest im Ausgangspunkt172 – alternierend durch unterschiedliche Gewerkschaften und ihre jeweiligen Mitglieder entfacht zu werden droht, so dass die arbeitnehmerseitige Kampfbelastung für die einzelnen Gewerkschaften und ihre Mitglieder gleich bliebe, während die kumu167 s. aus der aktuellen Debatte die Hinweise von Eisenbeis, FA 2007, 225; Göhner, FS Bauer, S. 351 (357 f.); Hromadka, GS Heinze, S. 383 (389); Huke, APuZ 13–14/ 2010, S. 7 (10); Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 45 f.; Meyer, FS Adomeit, S. 459 (459 f.); M. Müller, Leitartikel „Zu Lasten aller“ in der FAZ vom 13. 10. 2007, S. 1; s. auch FAZ vom 25. 7. 2008, S. 18 („Ein Moderator sucht nach Lösungen“); Die Zeit vom 16. 8. 2007, S. 21 („Aufstand der Kleinen“); weitsichtig schon Henssler, FS Schaub, S. 311 (334); auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung verweist in seinem Jahresgutachten 2007/2008, Nr. 555, S. 363, auf „die Erfahrungen mit einer Tarifpluralität beispielsweise seinerzeit im Vereinigten Königreich“, wo sich Unternehmen „praktisch in permanenten Tarifauseinandersetzungen“ befunden hätten; zuletzt Arbeitgeberpräsident Hundt, BDA-Pressemitteilung Nr. 29/ 2010 vom 23. 6. 2010. Relativierend aber aus deutscher Sicht Kraushaar, Industrielle Beziehungen 2008, 418 (420); Lesch, Industrielle Beziehungen 2008, 303 (305); Reichold, FAZ vom 1. 7. 2010, S. 8; I. Schmidt, FAZ vom 19. 7. 2010, Nr. 164, S. 13 (Interview unter der Überschrift „Ein Gesetz zur Tarifeinheit in dieser Atmosphäre kann nicht gutgehen“); Schroeder/Greef, Industrielle Beziehungen 2008, 329 (334) und aus britischer Sicht Gall, Industrielle Beziehungen 2008, 356 ff. 168 Zu der früheren „englischen Krankheit“ etwa Gall, Industrielle Beziehungen 2008, 356 (358 ff.); Reuter, ZfA 1995, 1 (9, 24 f., 84 f.) und jüngst wieder Reuter, SchlHA 2007, 413, jeweils m.w. N.; s. auch mit zahlreichen Nachweisen aus dem britischen Schrifttum Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 19 f. 169 So aber Sunnus, AuR 2008, 1 (7). 170 Franzen, RdA 2008, 193 (203); ErfK/Franzen, § 4 TVG Rn. 72; HWK/Henssler, § 4 TVG Rn. 61. 171 Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (515). 172 Zu der Frage der Beteiligung nicht und anders organisierter Arbeitnehmer s. noch unten B. III. 3. c).
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lierte Kampfwirkung auf Seiten der Arbeitgeber voll durchschlüge. Zutreffend daher Kamanabrou: Während auf Arbeitnehmerseite die Lasten verteilt würden, wäre die Arbeitgeberseite durchgängig betroffen.173 cc) Fehlende Kausalität zwischen Tarifkollisionsrechtslage und Arbeitskampfgeschehen? Der ebenfalls von Thüsing/von Medem angesprochene Gesichtspunkt, die „Balkanisierungs“-Befürchtungen beruhten auf der Fehlvorstellung, allein das Prinzip der Tarifeinheit habe in den letzten Jahrzehnten für die relativ stabile Tarifordnung gesorgt, eine Vorstellung, welche die Wirkkraft des Prinzips der Tarifeinheit bei Tarifpluralität erheblich überschätze174, ist bereits an anderer Stelle angeschnitten worden.175 In der Tat ist es, wie dort bereits festgestellt, zu schematisch, der Alternative „Tarifeinheit – Tarifpluralität“ das Gegenstück der Alternative „Arbeitskampfeinheit – Arbeitskampfpluralität“ zuzuordnen. Dass die Szenarien alternierender Streiks konkurrierender Gewerkschaften in der Realität des Arbeitskampfes erst jüngst virulent werden, dürfte, wie ebenfalls bereits betont wurde, weniger am Grundsatz der betrieblichen Tarifeinheit und der durch ihn geschaffenen Normativität der Tarifeinheit im Betrieb liegen als vielmehr an den in früheren Zeiten günstigeren rechtstatsächlichen Prämissen einer Tarif- und Arbeitskampfeinheit. Worauf nun aber die Befürchtung, die Zukunft könne eine deutlich erhöhte Streikhäufigkeit und besonders permanente, zeitversetzte Streiks konkurrierender Gewerkschaften bringen, auch gegründet wird, ob auf die Rechtsprechungsänderung zur Tarifpluralität, auf die Veränderung der rechtstatsächlichen Prämissen einer Tarif- und Arbeitskampfeinheit oder auf die Kombination aus beidem: In keinem Fall ist die Rechtswissenschaft von der Notwendigkeit entbunden, diese Befürchtungen zur Kenntnis zu nehmen, ihre Berechtigung zu wägen und ggf. Vorschläge zu ihrer Bewältigung zu erarbeiten. dd) Ansätze für arbeitskampfrechtliche Anpassungen in der Rechtsprechung des BAG Auch der 1. Senat des BAG hat, dies wurde schon bemerkt und ausführlicher dargestellt176, in anderem Zusammenhang die potentielle Gefahr einer unzumutbaren Belastung der Arbeitgeberseite durch Kampfmaßnahmen konkurrierender Gewerkschaften als mögliches Datum anerkannt und gemeint, einer Realisierung 173 174 175 176
Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (263 f.). Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (515). s. o. B. I. 2. s. o. Teil 3, Kapitel 1, unter C. II. 4.
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solcher Gefahren wäre „vorrangig durch entsprechende Anpassung der arbeitskampfrechtlichen Grundsätze zu begegnen“177.178 Dass Änderungen im Arbeitskampfrecht kommen müssen, hält auch der Vorsitzende des 4. BAG-Senats Bepler für sicher.179 Diese Sichtweise hat sich jetzt auch, wie bereits dargestellt, in dem Anfragebeschluss des 4. Senats vom 27. Januar 2010 niedergeschlagen.180 b) Ausschluss des Streikrechts als „überschießende“ arbeitskampfrechtliche Reaktion auf die Freigabe von Tarifpluralitäten Sämtliche Vorschläge indes, die, und sei es nur unter bestimmten einschränkenden Voraussetzungen, zu einem gänzlichen Ausschluss der Streikmöglichkeit einer der konkurrierenden Gewerkschaften führen, sind als „überschießende“ arbeitskampfrechtliche Reaktion auf die Freigabe von Tarifpluralitäten abzulehnen. aa) Fehlen eines tariflich regelbaren Kampfzieles? Die Zweifel von Meyer181, ob Arbeitskämpfe konkurrierender Gewerkschaften noch um tariflich regelbare Ziele geführt würden oder ob es sich hier ggf. um einen zusehends verbandsinternen Selbstzweck der miteinander konkurrierenden Gewerkschaften handele182, könnten allenfalls unter der Geltung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb berechtigt sein, wenn um Tarifverträge gestreikt wird, von denen bereits vor ihrem Abschluss aufgrund des ins Auge gefassten tarifvertraglichen Geltungsbereichs feststeht, dass sie sogleich nach ihrem Abschluss durch bereits bestehende Tarifverträge anderer Gewerkschaften verdrängt würden, mithin von vorneherein nicht zur Anwendung gelangten. Dies betrifft die hier nicht weiter zu verfolgende Frage, ob die Tarifverdrängung nach dem überkommenen Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb bereits im Vorfeld des Tarifvertragsschlusses auf die Erkämpfbarkeit potentiell nachrangiger Tarifverträge durchschlägt. Bei Tarifpluralität aber kann den Gewerkschaften nicht zum Vor177 BAG 25. 9. 1996 AP TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 10, unter B. III. 4. b) der Gründe; zustimmend Jacobs, Tarifeinheit, S. 226; Konzen, FS Kraft, S. 291 (315 f.); s. auch dens., SAE 2008, 1 (8); H. Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 6 Rn. 19 (mit Fn. 59). 178 Hinweis hierauf jetzt auch bei Jacobs, FS Buchner, S. 342 (346, Fn. 27). 179 Bepler, Diskussionsbeitrag, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 151; s. nunmehr auch Richardi, FS Buchner, S. 731 (731, 740 ff.); zurückhaltender indes Bepler, NZA Beilage 3/2010, S. 99 (104). 180 s. schon oben Teil 3, Kapitel 1, unter B. II. 4. c) bb) (1) (b) und nochmals BAG 27. 1. 2010 NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) dd) (2) (c) (aa) der Gründe, Rn. 71 f. des Beschlusses. 181 Meyer, DB 2006, 1271 (1272). 182 s. auch Kannegiesser, ZfA 2008, 305 (307).
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wurf gemacht werden, dass sie mit möglichst attraktiven Tarifverträgen und zwangsläufig auch mit den zu ihrer Durchsetzung geführten Arbeitskämpfen auch Mitgliederwerbung betreiben – eine effektive Mitgliederwerbung gehört als koalitionsspezifisches Verhalten zu der durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Betätigungsfreiheit der Verbände und wird eben primär durch die geschlossenen Tarifverträge erreicht.183 Entscheidend ist, dass die Tarifverträge unter der Prämisse akzeptierter Tarifpluralität auf die Arbeitsverhältnisse der Gewerkschaftsmitglieder anwendbar und somit zur Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen geeignet sind; es besteht kein Grund, den Gewerkschaften die Sorge um die Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder abzusprechen, ihnen rein organisationspolitisch intendiertes Handeln zu unterstellen und aus solchen Unterstellungen dann auch noch Rechtsfolgen hinsichtlich der Zulässigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen herzuleiten.184 bb) „Allgemeine“ Friedenspflicht? Bei der Kritik an dem Ansatz einer „Ausdehnung von Friedenspflichten“ (Meyer) muss man differenzieren: (1) Setzt man bei der überkommenen Dogmatik des Tarifvertragsrechts an, so liegen die Einwände auf der Hand. So wendet dann etwa auch Jacobs ein, der bestehende Tarif und damit auch die Friedenspflicht wirkten nur inter partes185 und Sunnus meint, der Ansatz der Ausdehnung der Friedenspflicht überspiele in rechtlich absonderlicher Weise den auf die jeweiligen Tarifvertragsparteien bezogenen schuldrechtlichen Charakter der Friedenspflicht186. Die ganz h. M. geht auch für die Rechtslage bei Akzeptanz von Tarifpluralitäten von der Relativität der Friedenspflicht aus.187 (2) Dass der Vorschlag sich nicht innerhalb der überkommenen dogmatischen Bahnen des Tarifrechts hält, dürfte unstreitig sein. Er zielt daher wohl mehr auf eine – von der herkömmlichen Friedenspflicht im schuldvertraglichen Sinne zu unterscheidende – „allgemeine“ Friedenspflicht188. Einem solchen Ansatz aber 183 Vgl. BAG 28. 3. 2006 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 4 (Henssler/Heiden), unter B. III. 1. c) aa) (2) (c) der Gründe, Rn. 43 des Beschlusses. 184 Insoweit in der Sache meistenteils zutreffende Kritik an den Überlegungen Meyers auch bei Sunnus, AuR 2008, 1 (7, Fn. 74). 185 Jacobs, NZA 2008, 325 (330); jüngst erneut ders., FS Buchner, S. 342 (350); außerdem Greiner, Rechtsfragen, S. 454. 186 Sunnus, AuR 2008, 1 (7). 187 s. etwa Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, AKR Rn. 33d, 52c, 74f; Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 224; Freckmann/K. Müller, BB 2010, 1981 (1986); Heß, ZfA 1976, 45 (60, 72); Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (263, Fn. 89); Konzen, ZfA 1975, 401 (405); Reichold, in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 146 (147); v. Steinau-Steinrück/Brugger, NZA Beilage 3/2010, S. 127 (131). 188 Vgl. Jacobs, NZA 2008, 325 (330); dens., FS Buchner, S. 342 (350).
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kann man durch den Verweis auf den schuldrechtlichen und damit relativen Charakter der Friedenspflicht nicht begegnen. Denn derartige Einwände bleiben auf der rein rechtstechnisch-konstruktiven Ebene und ziehen die Möglichkeit einer neu verstandenen („allgemeinen“) Friedenspflicht von vorneherein nicht in Betracht. Die Relativität der Friedenspflicht ist eben nur auf der Basis des bisherigen Systems der Arbeitskampfrechtsordnung ein tauglicher Einwand. Die Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitskampfrechtsordnung könnte es aber theoretisch erforderlich machen, das bisherige System, hier in Hinsicht auf das Verständnis der Friedenspflicht, fortentwickelnd den veränderten Gegebenheiten anzupassen, so dass systemimmanente Kritik dann nicht durchgriffe. Man muss daher von der rechtstechnischen Konstruktion des Vorschlags absehen, von dem herkömmlichen Verständnis des Begriffs „Friedenspflicht“ abstrahieren (den Begriff am besten sogar ganz ausblenden) und sich inhaltlich damit auseinandersetzen. Die Richtigkeit dieser Differenzierung zeigt sich darin, dass ohne sie das Modell von Schliemann den gleichen Bedenken ausgesetzt wäre, da auch er seinen Vorschlag als „Ausweitung der Friedenspflicht“189 versteht. Und auch Kamanabrou gesteht freimütig, dass ihr Modell des Zusammenführens der Verhandlungen im Ergebnis wirkt wie eine Erstreckung der Friedenspflicht auf nicht am Tarifabschluss beteiligte Koalitionen.190 Zutreffend führt sie aus, dass es letztlich eine rein begriffliche Frage ist, ob man von einer Erweiterung der Friedenspflicht spricht oder die Zusammenführung von Verhandlungen außerhalb der Friedenspflicht ansiedelt. Ebenso richtig ist ihr Hinweis, dass die Rede von einer „Erweiterung der Friedenspflicht“ nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass sich dabei der Charakter der „Friedenspflicht“ gegenüber ihrem herkömmlichen Verständnis verändert: Während die Friedenspflicht zwischen den Tarifvertragsparteien Ausdruck des Gedankens pacta sunt servanda sei und auf der autonomen Entscheidung der am Tarifabschluss beteiligten Tarifparteien beruhe, werde das Zusammenführen der Verhandlungen von außen an die Koalitionen herangetragen. Die Beschränkung sei nicht Ergebnis einer freiwilligen Bindung, sondern Folge eines regelnden Eingriffs191 zum Schutz der Tarifautonomie.192 Dies deckt sich sachlich mit der Rede von einer „allgemeinen“ Friedenspflicht. 189 So wörtlich Schliemann, FS Hromadka, S. 359 (378); s. jetzt auch dens., FS Bauer, S. 923 (941 f.): „doppelte Friedenspflicht“. 190 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (273, Fn. 119). Beachte auch Franzen, RdA 2008, 193 (201 ff.), der seine Lösung zwar nicht als erweiterte Friedenspflicht bezeichnet, mit ihr aber gerade dem Befund abhelfen will, dass die Funktion der Friedenspflicht bei Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit aus Arbeitgebersicht entwertet erscheine; kritisch zu ihnen unter diesem Aspekt jetzt Jacobs, FS Buchner, S. 342 (353); s. auch Nebeling/Gründel, NZA-Online-Aufsatz, S. 7 f. 191 Zu der Frage „Eingriff oder Ausgestaltung“ s. in diesem Zusammenhang noch unten B. III. 3. b) bb) (2) (a). 192 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (273, Fn. 119).
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(3) Ist nach dem Gesagten die diskutierte „allgemeine“ Friedenspflicht keine Resultante des zwischen anderen Tarifparteien geschlossenen Tarifvertrages, so greifen Hinweise auf die Unmöglichkeit eines Vertrages zu Lasten Dritter193 nicht durch. Wenn die „allgemeine“ Friedenspflicht nicht vertraglichen Ursprungs sein soll (sein kann), so ist an eine aus Art. 9 Abs. 3 GG abgeleitete „allgemeine“ Friedenspflicht zu denken.194 Hiermit würde jedoch der objektivrechtliche Gehalt der Koalitionsfreiheit195 überbetont und letztlich einer ordnungspolitischen Wunschvorstellung verdrängender Vorrang gegenüber der primären freiheitsrechtlichen Seite des Art. 9 Abs. 3 GG eingeräumt. Das durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Interesse der betroffenen Gewerkschaft an der Durchsetzung und dem Abschluss eigener Tarifverträge für ihre Mitglieder würde über Gebühr beeinträchtigt. Die Gewerkschaft wäre für den Abschluss von Tarifverträgen auf das Wohlwollen der Arbeitgeberseite angewiesen, das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG weitgehend entwertet.196 Art. 9 Abs. 3 GG kann also nicht Grundlage einer „allgemeinen“ Friedenspflicht sein, sondern steht umgekehrt der Annahme einer solchen unüberwindbar entgegen. Der maßgebliche Unterschied zu den Vorschlägen von Schliemann und Kamanabrou ist, dass ihre Modelle – unabhängig von der Frage, ob man sie als Erweiterung von Friedenspflichten auffasst – inhaltlich nicht zwangsläufig zum Ausschluss des Streikrechts einer Gewerkschaft führen, sondern jeder Gewerkschaft die Streikmöglichkeit prinzipiell erhalten. (4) Ein weiteres Argument gegen die Ausdehnung von Friedenspflichten wird von Giesen angeführt. Er gibt zu bedenken, dass die Ausdehnung der Friedenspflicht bei gleichzeitigem Verlust der Tarifeinheit fragwürdige Ergebnisse nach sich ziehe. Der Arbeitgeber, so Giesen, könnte durch schnellen Tarifabschluss mit einer Gewerkschaft den Tarifabschluss mit der anderen Gewerkschaft verhindern. Darin sieht Giesen im Ergebnis wieder den Grundsatz der Tarifeinheit, bei dem jedoch anstelle der Regeln über die Tarifkonkurrenz (Spezialitätsprinzip) die Regeln der Schnelligkeit entscheiden würden. Das lasse sich aber kaum rechtfertigen.197
193 Franzen, RdA 2008, 193 (204); Jacobs, NZA 2008, 325 (330); ders., FS Buchner, S. 342 (350); jüngst Greiner, Rechtsfragen, S. 454. 194 Vgl. Jacobs, NZA 2008, 325 (330), der indes auch bei einem solchen „Umweg“ über Art. 9 Abs. 3 GG einen Vertrag zu Lasten Dritter sieht; kürzlich erneut ders., FS Buchner, S. 342 (350). 195 Zur grundrechtsdogmatischen Einordnung der Koalitionsfreiheit als „funktionales Freiheitsgrundrecht“ (Wiedemann), dem neben dem subjektiv-freiheitsrechtlichen auch ein objektiv-rechtlicher Gehalt eignet, s. Näheres oben Teil 2, Kapitel 1, unter C. III. 1. b) ee) (2). 196 Franzen, RdA 2008, 193 (204); Greiner, Rechtsfragen, S. 454. 197 Giesen, NZA 2009, 11 (14).
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Dieser Argumentation kann zwar zugestimmt werden, sie wendet sich allerdings auch gegen Giesen selbst. In der Tat entspräche die Ausdehnung von Friedenspflichten in der Sache einer den Regeln der Schnelligkeit folgenden betrieblichen Tarifeinheit. Die Ausführungen Giesens können jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass genau dies – Tarifeinheit nach den Regeln der Schnelligkeit – als mögliche Konsequenz auch in dem von ihm unterstützten Prinzip der Tarifeinheit im Betrieb angelegt ist. Denn Giesen befürwortet nicht nur die Tarifeinheit bei Tarifpluralität, sondern leitet aus der Tarifeinheit auch eine „Arbeitskampfeinheit“ ab, hält also Streiks um nachrangige, verdrängte Tarifverträge für unzulässig (unverhältnismäßig).198 Dass damit aber – wie schon die Tarifeinheit als solche und in ungleich stärkerem Maße verfassungsrechtlich bedenklich – gerade die Regeln der Schnelligkeit entscheiden, zeigt Löwisch: Ein in der Tarifeinheit im Betrieb etwa angelegter Vorrang schon im Arbeitskampfstadium eröffnete der Gewerkschaft, deren Tarifvertrag sich durchsetzen würde, die Möglichkeit, einen sich abzeichnenden größeren Erfolg der anderen Gewerkschaft zu verhindern, indem sie mit der Arbeitgeberseite rasch einen Tarifvertrag, vielleicht mit kurzer Laufzeit, abschlösse.199 (5) Für den der Ausdehnung von Friedenspflichten verwandten Vorschlag einer zeitlich an § 77 Abs. 5 BetrVG orientierten Kampfsperre während der Verhandlungen mit einer anderen Gewerkschaft gibt es nach den bisherigen Ausführungen ebenso wenig eine tragfähige Grundlage.200 Insbesondere gilt auch hier der zuletzt genannte Gesichtspunkt, dass Gewerkschaften in der Konsequenz dieses Ansatzes Tarifverhandlungen und Streiks ihrer Konkurrenten blockieren könnten.201 cc) Vorhandensein funktionsfähiger tariflicher Ordnung als Rechtfertigung der Versagung von Arbeitskampfmaßnahmen weiterer Gewerkschaften? Ebenfalls nicht überzeugend ist der Ansatz von Bayreuther, das Streikrecht von Minderheits- und Spartengewerkschaften auszuschließen, wenn für die beschäftigten Arbeitnehmer im Betrieb an sich eine funktionsfähige Tarifordnung vorhanden ist. Eine Minderheitsgewerkschaft darf danach dann keinen Streik mehr führen, wenn der personelle Anwendungsbereich eines Mehrheitstarifver198
s. Giesen, NZA 2009, 11 (12). Löwisch, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 941 (950), der es u. a. aus diesem Grund ablehnt, den Grundsatz der Tarifeinheit auf das Arbeitskampfrecht (Erkämpfbarkeit unanwendbarer Tarifverträge) durchschlagen zu lassen. 200 Ablehnend auch Jacobs, NZA 2008, 325 (330); ders., FS Buchner, S. 342 (352); s. nunmehr auch Greiner, Rechtsfragen, S. 453 f. 201 Vgl. Jacobs, NZA 2008, 325 (330) sowie nochmals Giesen, NZA 2009, 11 (14) und Löwisch, FS ARGE Arbeitsrecht im DAV, S. 941 (950). 199
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trages die in seinem Geltungsbereich beschäftigten Arbeitnehmer im Wesentlichen abdeckt und wenn, handelt es sich bei der Minderheitsgewerkschaft um eine Spartengewerkschaft, die Mehrheitsgewerkschaft in der fraglichen Berufsgruppe auch tatsächlich über eine ausreichende Zahl von Mitgliedern verfügt. Dieser Vorschlag schließt an das verbreitete Verdikt des insbesondere den Spartengewerkschaften attestierten „gruppenegoistischen“ Tarif- und Arbeitskampfverhaltens zu Lasten der übrigen Belegschaftsteile an.202 Wie bereits gezeigt wurde203, ist es jedoch nicht zu rechtfertigen, den Wunsch bestimmter, von den Großgewerkschaften bisher offenbar nur unzulänglich vertretener Berufsgruppen nach adäquater gewerkschaftlicher Wahrnehmung ihrer Interessen durch den Egoismus-Vorwurf in Misskredit zu bringen. Einzelnen Berufsgruppen kann nicht durch einen Appell an ihre Solidarität und durch das Postulat einer besonderen Rücksichtnahmepflicht verwehrt werden, ein aus ihrer Sicht für sie passendes Kollektiv zu bilden und günstige Arbeitsbedingungen für die eigene Gruppe auszuhandeln. Einen sachlichen Grund, der es rechtfertigt, Spartengewerkschaften von vornherein abzuqualifizieren und ihnen das Recht auf eine tarifvertragliche Betätigung nach eigenen Vorstellungen abzusprechen, gibt es nicht.204 Spartenmäßig organisierten Berufsgruppen kann auch nicht mittels rechtlicher Sanktionen wie dem Ausschluss der Streikmöglichkeit205 zwingend angesonnen werden, sich für eine verbesserte Vertretung ihrer Interessen in den Branchengewerkschaften einzusetzen. Denn wegen des im Wesen der Gruppe liegenden Egoismus206 wird derlei Engagement selten erfolgreich sein und häufig auf die unüberwindliche Barriere der entgegenstehenden Interessen der in den Branchengewerkschaften dominierenden Gruppen treffen.207 Auch die Mehrheit ist nur eine Gruppe und darum nicht schon deshalb von Eigennutz frei, weil sie Mehrheitsinteressen verfolgt.208 Es kann daher nicht richtig sein, berechtigte Anliegen großer Teile der Arbeitnehmerschaft als störende „Sonderwünsche“ außer Acht zu lassen und aus dem Vorhandensein einer die Mehrheit der Arbeitnehmer erfassenden tariflichen Regelung auf das Vorhandensein einer funktionsfähigen Ordnung für alle Arbeitnehmer, auch für diejenigen zu schließen, deren Interessen in die Formulierung der Tarifforderungen und Verhandlungsergebnisse nicht oder nur unzureichend 202 Ebenso die Einschätzung des Vorschlags von F. Bayreuther durch H. Otto, FS Konzen, S. 663 (669). 203 s. o. Teil 3, Kapitel 1, unter B. II. 4. c) bb) (1) (b). 204 s. schon oben Teil 3, Kapitel 1, unter B. II. 4. c) bb) (1) (b). 205 „Monopolisierung des Streikrechts bei Mehrheitsgewerkschaften“, so treffend H. Otto, FS Konzen, S. 663 (686); erwogen allerdings jüngst auch von Meik, FS Beuthien, S. 429 (440). 206 s. o. Teil 3, Kapitel 1, unter B. II. 4. c) bb) (1) (b), mit Fn. 187. 207 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (270). 208 H. Otto, FS Konzen, S. 663 (669).
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eingegangen sind. Die Bedenken dagegen werden durch die von Bayreuther zugestandene Einschränkung, wonach die Sperrwirkung der „vorhandenen funktionsfähigen Tarifordnung“ für Arbeitskampfmaßnahmen konkurrierender Gewerkschaften gegenüber Spartengewerkschaften nur dann durchgreifen soll, wenn die Mehrheitsgewerkschaft in der jeweiligen Berufsgruppe über eine ausreichende Zahl von Mitgliedern verfügt, nicht ausgeräumt. Abgesehen davon, dass unklar bleibt, wann von einer solchen „ausreichenden“ Mitgliederzahl in der fraglichen Berufsgruppe gesprochen werden können soll, ist die Tatsache, dass nicht sämtliche (oder auch nur annähernd sämtliche) Angehörigen einer speziellen Berufsgruppe in eigens auf ihre Interessen zugeschnittenen Spartengewerkschaften organisiert sind, sondern einige von ihnen (eine „ausreichende“ Zahl) auch in der Mehrheitsgewerkschaft (Branchengewerkschaft), anders als offenbar von Bayreuther insinuiert, nicht etwa ein Zeichen dafür, dass die Anliegen der jeweiligen Berufsgruppe auch in der Mehrheitsgewerkschaft hinlänglichen Rückhalt genießen und die zusätzliche Vertretung durch eine eigene – ggf. auch zum Arbeitskampf berechtigte – Berufsgruppengewerkschaft daher überflüssig ist. Vielmehr muss, wenn es sich bei der Spartengewerkschaft im konkreten Fall um eine tariffähige, insbesondere auch hinreichend mächtige Arbeitnehmervereinigung handelt209, unterstellt werden, dass für eine solche neben die Branchengewerkschaft(en) tretende spezialisierte Interessenvertretung ein anerkennenswertes Bedürfnis innerhalb der Arbeitnehmerschaft existiert. Dass die Spartengewerkschaft von einem solchen Bedürfnis getragen wird, rechtfertigt nicht nur die effektive Anerkennung ihrer Tarifverträge in Abkehr vom Prinzip der Tarifeinheit im Betrieb, sondern steht auch einer an fremden Tarifverträgen orientierten Aberkennung ihres Streikrechts entgegen. Das gilt umso mehr gerade dann, wenn man mit Bayreuther210 Spartengewerkschaften in Abweichung von den Kriterien der h. M. zur Durchsetzungsfähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen sogar nur sehr beschränkt als tariffähig anerkennt. Unter dieser Prämisse liegt es erst recht fern, die Interessen der sowohl durch eine Branchen- als auch durch eine (tariffähige) Spartengewerkschaft vertretenen Berufsgruppe schon durch die Tarifund Arbeitskampfaktivitäten der Branchengewerkschaft als insgesamt ausreichend vertreten anzusehen; bildet sich trotz strenger Maßstäbe für die erforderliche Durchsetzungsfähigkeit neben der Branchengewerkschaft eine tariffähige Spezialistengewerkschaft, so wird es dafür einen Grund geben – den man durch die Aberkennung des Streikrechts indes wiederum negierte. Statt arbeitskampfrechtlich generierter Majorisierung wird man es den Sparten- und Minderheitsgewerkschaften demnach selbst zu überlassen haben, zu beurteilen, ob für die von ihnen vertretenen Arbeitnehmer bereits eine „funktions209 Zur Bedeutung der sozialen Mächtigkeit im Kontext der Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung s. o. Teil 3, Kapitel 1. 210 s. F. Bayreuther, BB 2005, 2633 (2634 ff.) und die Zusammenfassung S. 2641 unter IV. 2.
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fähige Tarifordnung“ vorhanden ist oder erst noch – notfalls mit Hilfe eines Arbeitskampfes – geschaffen werden muss.211 dd) Übergreifende Kritik an den vorstehend diskutierten Vorschlägen Sämtliche der vorstehend diskutierten Vorschläge, die im Ergebnis zu einem gänzlichen Ausschluss des Streikrechts einer der konkurrierenden Gewerkschaften führen, begegnen, wie zuvor für den Vorschlag der „Ausdehnung von Friedenspflichten“ näher ausgeführt, durchgreifenden Bedenken aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG.212 Unter dem Aspekt der Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung, der als Leitgedanke auch die arbeitskampfrechtlichen Lösungen determiniert, kommt ein Weiteres hinzu. Ganz generell gilt nämlich: Mit zu weit gehenden Einschränkungen der Streikmöglichkeit zieht man letztlich den von den Verteidigern der Tarifeinheit im Betrieb erhobenen Vorwurf der Inkonsequenz auf sich.213 So meint Giesen, mit Restriktionen im Arbeitskampfrecht als Reaktion auf die Zulassung von Tarifpluralitäten würde der mit der Aufgabe der Tarifeinheit (vermeintlich) erzielte Zuwachs an effektiver grundrechtlicher Freiheit sogleich auf arbeitskampfrechtlicher Ebene wieder zunichte gemacht und indirekt wieder nur die Rechtfertigung für die Tarifeinheit im Betrieb geliefert.214 Noch offener spricht den Vorwurf der Inkonsequenz Sunnus aus. Restriktionen im Arbeitskampfrecht als Reaktion auf die Zulassung von Tarifpluralitäten seien problematisch. Dadurch würden die Freiheitstendenzen bei der Pluralität entwertet. Wenn man die Tarifpluralität befürworte, müsse man auch konsequent sein.215 211 Ähnlich Reuter, SchlHA 2007, 413 (419): Der Vorschlag Bayreuthers setze eine Bewertung des Branchentarifvertrages einer- und des Tarifbegehrens der Spartengewerkschaft andererseits voraus, die dem Rechtsanwender grundsätzlich nicht zustehe; ablehnend zum Vorschlag von F. Bayreuther auch Jacobs, NZA 2008, 325 (330); ders., FS Buchner, S. 342 (351); Greiner, Rechtsfragen, S. 465; sowie H. Otto, FS Konzen, S. 663 (669, 686), der die Lösung in der inhaltlichen Kontrolle der erhobenen Tarifforderungen sieht: Unverhältnismäßige Tarifforderungen könnten nicht nur Minderheitsund Spartengewerkschaften, sondern auch Mehrheitsgewerkschaften stellen; halte man das für bedenklich, so sei auch genau dort anzusetzen; gegen die von Otto befürwortete Relativierung des Verbots der Tarifzensur Dieterich, FS Otto, S. 45 (46 ff.); ErfK/Dieterich, Art. 9 GG Rn. 117; Jacobs, NZA 2008, 325 (331); Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (271, Fn. 116); Sunnus, AuR 2008, 1 (3); im Ergebnis ablehnend auch Greiner, NZA 2007, 1023 (1027 f.); ders., Rechtsfragen, S. 451 f. (allenfalls in Evidenz- und Rechtsmissbrauchsfällen nach § 138 BGB); s. auch jüngst Deinert, NZA 2009, 1176 (1182); U. Fischer, RdA 2009, 287 (295, mit Fn. 80) sowie Lobinger, ZfA 2009, 319 (434); Sympathien für die Überlegungen Ottos hingegen bei v. Steinau-Steinrück/Glanz, NZA 2009, 113 (118). 212 Vgl. auch Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (270 f.); ferner Greiner, NZA 2007, 1023 (1026); ders., Rechtsfragen, S. 452 ff. 213 s. zu diesen Vorhaltungen der Verteidiger der erzwungenen Tarifeinheit bereits oben Teil 3, Kapitel 1, unter C. II. 3. und 4. 214 Giesen, NZA 2009, 11 (17 f.).
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Zwar können diese Vorhaltungen richtigerweise weder – wie von ihren Urhebern favorisiert – dazu führen, die Tarifeinheit im Betrieb beizubehalten, noch dazu, der Vielfalt der Tarifverträge einen ebensolchen, „ungezügelten“ Pluralismus der Arbeitskämpfe folgen zu lassen. Denn der Inkonsequenz-Vorwurf verkennt, dass gegenüber jeder „Extremlösung“ das Bemühen um eine stimmige Einpassung der verfassungsrechtlich in Art. 9 Abs. 3 GG und einfachgesetzlich im TVG angelegten Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung Vorrang genießt. Das gilt gegenüber der „Tabula rasa-Lösung“216 der von Rechts wegen erzwungenen Tarifeinheit ebenso wie gegenüber der „reinen“, auch arbeitskampfrechtlich durchschlagenden Lehre von der Tarifpluralität. Auch das Arbeitskampfrecht muss der veränderten tarifkollisionsrechtlichen Ausgangslage durch sachgerechte, systemverträgliche Neubewertungen angepasst werden. Es gilt die von Peter Hanau formulierte Maßgabe: „So viel Tarif- und Arbeitskampfeinheit wie nötig, so viel Tarif- und Arbeitskampfpluralität wie möglich“217, oder, leicht abgewandelt und in die Prioritäten – das BVerfG sieht in der Koalitionsfreiheit „in erster Linie ein Freiheitsrecht“218 – verdeutlichender Reihenfolge: So viel Freiheit (und damit – potentielle – Vielfalt) wie möglich, so viel Einheit wie (zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems) nötig.219 Der Inkonsequenz-Vorwurf taugt aber immerhin als Mahnung, arbeitskampfrechtliche Einschränkungen nicht zu weit zu treiben. Denn ebenso wenig, wie man der Versuchung erliegen darf, die praktischen Schwierigkeiten der Tarifpluralität durch Ausweitung des Anwendungsbereichs des § 3 Abs. 2 TVG im Wege einer großzügigen Auslegung der „betrieblichen Fragen“ und eine damit eröffnete extensive Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis, der in Fällen der Betriebsnormen-Kollision und der dabei entstehenden betriebsweiten Tarifkonkurrenz im Ergebnis betriebliche Tarifeinheit erzeugt, zu umgehen220, darf man die im Tarifrecht durch die grundsätzliche Akzeptanz von Tarifpluralitäten gewährten Freiheiten auf der Ebene des Arbeitskampfrechts wieder einfangen. Anderenfalls führte man den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb bei lediglich „formaler“, vordergründiger Aufgabe gleichsam durch die Hintertür
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Sunnus bei Kalb, RdA 2007, 379 (381). Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1505. 217 P. Hanau, RdA 2008, 98 (104); s. auch dens., NZA Beilage 1/2010, S. 1; ferner jetzt auch Greiner, Rechtsfragen, S. 40, 46. 218 BVerfG 1. 3. 1979 BVerfGE 50, 290 (367); 4. 7. 1995 BVerfGE 92, 365 (393); hierauf rekurriert jetzt auch der 4. Senat des BAG in seinem Anfragebeschluss vom 27. 1. 2010, s. NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) ee) (4) (a) (bb) der Gründe, Rn. 91 des Beschlusses. 219 s. zum Ansatz bereits oben Teil 3, Kapitel 1, unter C. II. 3. 220 s. o. Teil 3, Kapitel 2, unter A. II. 2. 216
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des Arbeitskampfrechts wieder ein.221 Von einer Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung könnte bei einer solchen Lösung, die effektiv einer Aufrechterhaltung der erzwungenen Tarifeinheit gleichkäme, nicht mehr ernsthaft die Rede sein. Ein Konzept, das auf der tarifrechtlichen Ebene auf die Freigabe der Pluralität, im Arbeitskampfrecht aber auf eine zwingende Arbeitskampfeinheit setzte, würde dem Anspruch der „Einpassung“ nicht gerecht.222 Als Zwischenfazit bietet sich eine schon 1975 von Konzen formulierte Einsicht an: Der Gefahr für die Unternehmen – die Konzen darin sieht, dass diese mehrfach im Jahr Streiks von konkurrierenden Gewerkschaften ausgesetzt sein könnten – lasse sich nur durch eine Zulässigkeitsschranke begegnen, die dem Arbeitskampf um Tarifpluralitäten prinzipiell Raum lässt.223 2. Arbeitskampfrechtliche Reaktion im Einzelfall? a) Keine hinreichende Grenzziehung durch das Kriterium der Existenzgefährdung Das Bestreben der älteren Überlegungen von Heß und Konzen lag vor allen Dingen darin, existenzgefährdende Arbeitskampfkumulierungen zu verhüten; die von ihnen gezogene Grenze des wirtschaftlichen Zusammenbruchs von Betrieben reicht aber nicht hin. Zunächst rührt dieses Kriterium an ein schwieriges, noch keiner konsensfähigen Lösung zugeführtes Problem, nämlich die Bewertung der Verhältnismäßigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen in Hinsicht auf existenzgefährdende Auswirkungen arbeitskampfbedingter Schadenszufügungen, die in dem Kampf nicht als Zielsetzung angelegt sind. Während eine anerkannte Grenze der Rechtmäßigkeit eines Arbeitskampfes dort erreicht ist, wo die Existenzvernichtung (auch nur einzelner Unternehmen oder Betriebe) das Ziel des Kampfes ist224, soll die Recht221 s. zu letzterem ähnlich Sittard, ZTR 2008, 178 (183); vgl. jetzt auch Deinert, NZA 2009, 1176 (1182); auch F. Bayreuther, DB Heft 14/2010, S. M 1 weist jetzt zutreffend darauf hin, dass mit arbeitskampfrechtlichen Anpassungen die Aufgabe der Tarifeinheit nicht durch die Hintertür wieder kassiert werden darf. 222 Im hiesigen Sinne jetzt auch Boemke, ZfA 2009, 131 (146). 223 Konzen, ZfA 1975, 401 (434); ähnlich später Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (270 f.); s. auch Greiner, NZA 2007, 1023 (1026); Richardi, Gem. Anm. zu BAG 27. 1. 2010 – 4 AZR 549/08 (A) – und BAG 23. 6. 2010 – 10 AS 2/10, demn. in AP, unter III. 5. 224 s. nur BAG (GS) 21. 4. 1971 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43, Teil III, A. 2. b); Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, AKR Rn. 80; Gamillscheg, KollArbR I, § 24 V. 2. b), S. 1165; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 24 Rn. 22; G. Müller, Arbeitskampf und Recht, S. 214; H. Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 8 Rn. 41; berücksichtigt auch in § 2 Abs. 2 Satz 2 des Entwurfs von Birk/Konzen/Löwisch/Raiser/Seiter, Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte; zuletzt Greiner, Rechtsfragen, S. 140, 472; MüArbR/Ricken, § 200 Rn. 42; Säcker, NJW 2010, 1115 (1115 f.).
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mäßigkeit (Verhältnismäßigkeit) eines Arbeitskampfes nach verbreiteter Auffassung nicht dadurch berührt werden, dass einzelne (Grenz-)Betriebe oder Unternehmen – ohne eine entsprechende Absicht – in seiner Folge zusammenbrechen, und zwar auch, wenn dies voraussehbar war und in Kauf genommen wurde225. Die Frage kann aber hier auf sich beruhen, denn jedenfalls fängt die Grenze der Existenzgefährdung von Betrieben nur Extremfälle außergewöhnlicher Streikintensität ein, ohne das in einem pluralistischen Tarif- und Arbeitskampfsystem drängende Problem einer ständigen („latenten“) Arbeitskampfbelastung zu lösen, die eben auch dauerhaft unterhalb der Grenze der Existenzgefährdung bleiben kann, ohne dadurch weniger Anlass zu geben, über arbeitskampfrechtliche Restriktionen nachzudenken. b) Sonderkündigungsrecht und Erstreikbarkeit differierender Laufzeiten Richtige Ansätze enthalten die insbesondere am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz anknüpfenden Weiterentwicklungen der am einzelnen Arbeitskampf ansetzenden Lösung durch Jacobs und Reichold. So wollen sie den Arbeitgebern für bestehende Tarifverträge ein Sonderkündigungsrecht zur Koordination der Tarifverhandlungen mit mehreren Gewerkschaften einräumen und anerkennen damit die Gefahren eines ständigen Streikdrucks verschiedener Gewerkschaften. Ein in diesem Sinne nur einmaliges Sonderkündigungsrecht genügt allerdings nicht, um eine Laufzeitharmonisierung und damit eine Eindämmung zeitversetzt stattfindender Arbeitskämpfe konkurrierender Gewerkschaften rechtssicher zu gewährleisten: Die Gewerkschaften könnten in der Folge (wieder) unterschiedliche Laufzeiten fordern und ggf. erstreiken226; denn das Sonderkündigungsrecht greift nur für bestehende Tarifverträge, während die Arbeitgeberseite dann wieder darauf verwiesen wird, in den Tarifverhandlungen auf einen einheitlichen Endzeitpunkt hinzuwirken227. c) Rechtsmissbrauchsverbote und Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall und die Anforderungen an die Rechtssicherheit im Arbeitskampfrecht aa) Durch den Verweis auf arbeitskampfrechtliche Missbrauchsverbote werden, wie durch das Kriterium der Existenzgefährdung, nur äußerste Grenzen gezogen, 225 s. Gamillscheg, KollArbR I, § 24 V. 2. b), S. 1165 m.w. N.; G. Müller, Arbeitskampf und Recht, S. 214; Rüthers, AfP 1977, 305 (320); einschränkend Kissel, Arbeitskampfrecht, § 29 Rn. 24 ff., 27 m.w. N.; H. Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 8 Rn. 41; s. auch Loritz, FS 50 Jahre BAG, S. 557 (569 ff., 571); zuletzt Greiner, Rechtsfragen, S. 472; Säcker, NJW 2010, 1115 (1115 f.). 226 Vgl. Hromadka, GS Heinze, S. 383 (389). 227 Vgl. Jacobs, NZA 2008, 325 (330).
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was nach dem Gesagten nicht ausreichen kann. Eine bei der Lösung in jedem Falle zu verwertende Erkenntnis liegt demgegenüber in dem Hinweis von Reichold, ein Vorgehen verschiedener Gewerkschaften gegen ein und denselben Arbeitgeber müsse unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten in seiner kumulativen Kampfwirkung beurteilt werden. In der Tat ist, wie auch Jacobs ausführt, im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Arbeitskampfmaßnahme zu berücksichtigen, wie stark ein Arbeitgeber durch die Aktivitäten zweier oder mehrerer Gewerkschaften tatsächlich belastet wird. Für die Rechtmäßigkeit ihrer Maßnahmen kann es auf die tatsächliche Gesamtwirkung auf den Arbeitgeber ankommen. bb) Dagegen, sich allein auf die Begrenzung durch Rechtsmissbrauchsverbote und Verhältnismäßigkeitsprinzip im Einzelfall zu verlassen, spricht allerdings das Gebot der Rechtssicherheit im Arbeitskampfrecht. Die Bewertung einer Arbeitskampfmaßnahme als rechtmäßig oder rechtswidrig muss wenigstens prinzipiell vorhersehbar sein.228 Ohnehin wird es als wesentlicher Schwachpunkt der meistenteils nur richterrechtlichen Ordnung des Arbeitskampfrechts empfunden, dass über die Zulässigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen wegen des Fehlens allgemeiner, einzelfallübergreifender Regeln keine verlässlichen Prognosen getroffen werden können.229 Das rechtsstaatliche Gebot der Rechtssicherheit ist denn auch einer der verfassungsrechtlichen Ansatzpunkte der vielstimmigen Forderung nach einer gesetzlichen Regelung der Materie.230 Gerade auch das arbeitskampfrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip als zentraler Prüfungsmaßstab der Rechtmäßigkeit von Kampfmaßnahmen sieht sich der Kritik ausgesetzt, es stelle schon seiner Unbestimmtheit wegen einen Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipien dar.231 Im vorliegend behandelten Kontext zielen
228 s. Konzen, DB Beilage 6/1990, S. 9; s. auch dens., FS 50 Jahre BAG, S. 515 (530, 534); dens., GS Heinze, S. 515 (520); s. auch schon Rüthers, BB 1964, 312 (313) und dens., AfP 1977, 305 (324), jeweils sub specie der an die Rechtmäßigkeit von Sympathiearbeitskämpfen zu stellenden Anforderungen; des Weiteren Zöllner, DB 1985, 2450 (2458); allgemein und in größerem Kontext jüngst wieder Rüthers, JZ 2006, 53 (54); aktuell auch Schlachter, FS Birk, S. 809 (810); Schliemann, FS Bauer, S. 923 (939 f.). 229 Etwa Däubler/Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 105f, 105g. 230 Etwa Kissel, Arbeitskampfrecht, § 16 Rn. 8, 11; s. auch Kreuz, Verhältnismäßigkeit im Arbeitskampfrecht, S. 63 ff. sowie Stern/Dietlein, Staatsrecht IV/1, § 112 IV. 3. c), S. 2024; mit anderer Akzentuierung Wank, RdA 1989, 263 (267 f.), der den Gedanken der Rechtssicherheit nicht der Frage der Gesetzgebungspflicht als solcher zuordnet („Ob“) – insoweit ist das hauptsächliche Argument die Wesentlichkeitstheorie, hinter der Gewaltenteilungs-, Rechtsstaats- und Demokratieprinzip stehen (näher Wank, Rechtsfortbildung, S. 232 ff.) –, sondern ihn bei der Diskussion der gebotenen Regelungsdichte („Wie“ – detaillierte oder „globale“ gesetzliche Regelung?) aufgreift. Allgemein zu der Frage, ob sich aus dem Prinzip der Rechtssicherheit ein an den Gesetzgeber gerichtetes verfassungsrechtliches Gebot ableiten lässt, gesetzlich nicht geregelte Gebiete zu normieren, (verneinend) Ipsen, Richterrecht, S. 221.
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Verhältnismäßigkeitserwägungen weniger auf Geeignetheit und Erforderlichkeit ab – zumal insoweit nach der Rechtsprechung des BAG eine Einschätzungsprärogative der kampfführenden Gewerkschaft herrschen soll232 – als auf die Proportionalität (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne).233 Eben das Merkmal der Proportionalität wird aber als besonders unscharf eingeschätzt; sein Vorliegen könne von den Kampfparteien vorweg kaum prognostiziert werden.234 Zu beachten ist auch ein Hinweis von Rieble, wonach das BAG noch nie einen Streik als unverhältnismäßig beanstandet hat. Streiks würden auf ihre Rechtmäßigkeit typischerweise nur dann kontrolliert, wenn es (noch) nicht zum Tarifabschluss gekommen sei. Dies aber indiziere, dass der Streik nicht hinreichend druckvoll gewesen sei, um den Arbeitgeberwillen zu beugen – folglich könne man nicht erwarten, dass ein Gericht seine Disproportionalität feststellt.235 Es erscheint daher nicht ratsam, die Bewältigung eines Phänomens – drohende „Streikkaskaden“ infolge zeitversetzt stattfindender Arbeitskämpfe konkurrierender Gewerkschaften um eine Tarifpluralität –, das als Element des Übergangs in ein neues Tarif- und Arbeitskampfrecht eingeordnet wird236, allein dem kontrol231 Däubler/Schumann, Arbeitskampfrecht, Rn. 202; s. auch Rieble, NZA 2008, 796 (796 f., 799): „Beliebigkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes“; Verteidigung des arbeitskampfrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips jüngst bei Greiner, Rechtsfragen, S. 456 ff. 232 s. BAG 22. 9. 2009 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 174 (H. J. Willemsen/Mehrens), unter B. II. 2. b) aa) (4) (a) und (b) der Gründe, Rn. 42 f. des Urteils, und schon BAG 19. 6. 2007 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 173 (Wank), unter I. 2. c) bb) (3) (a) und (b) der Gründe, Rn. 26 f. des Urteils. Kritisch etwa Konzen, SAE 2008, 1 (5); Rieble, BB 2008, 1506 (1510); Schlochauer, FS Buchner, S. 810 (813, 815); Wank, Anm. AP a. a. O., unter IV. 1. und 2.; zuletzt Höpfner, ZfA 2009, 541 (567, dort Fn. 153); Jacobs, BLJ 2010, 1 (2); Konzen, FS Bauer, S. 559 (574); H. Otto, RdA 2010, 135 (136). Zust. ErfK/Dieterich, Art. 9 GG Rn. 130a; Greiner, Rechtsfragen, S. 462, 466, 468. Für das Merkmal der Eignung nahm eine Einschätzungsprärogative bereits an BAG 18. 2. 2003 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 163 (Thüsing), unter B. I., II. 1. der Gründe; kritisch etwa Konzen, GS Heinze, S. 515 (521); Rieble, Anm. EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 135, S. 15 (18); zuletzt Konzen, FS Bauer, S. 559 (574); zust. demgegenüber Reim, Anm. AiB 2004, 247 (248). s. auch BAG 24. 4. 2007 AP TVG § 1 Sozialplan Nr. 2 (Fischinger), unter B. III. 2. c) aa) der Gründe, Rn. 87 des Urteils. 233 Insoweit besteht auch nach dem BAG keine Einschätzungsprärogative, s. BAG 22. 9. 2009 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 174 (H. J. Willemsen/Mehrens), unter B. II. 2. b) aa) (4) (c) der Gründe, Rn. 44 des Urteils; 19. 6. 2007 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 173 (Wank), unter I. 2. c) bb) (3) (c) der Gründe, Rn. 28 des Urteils. 234 Konzen, SAE 2008, 1 (6); s. auch jüngst Jacobs, BLJ 2010, 1 (2) und ganz ähnlich v. Steinau-Steinrück/Brugger, NZA Beilage 3/2010, S. 127 (133). 235 Rieble, BB 2008, 1506 (1510); ähnlich im Ergebnis Reichold, FS Buchner, S. 721 (727): selbst im Hauptsacheverfahren würden Arbeitskämpfe selten für unverhältnismäßig erklärt. 236 Greiner, NZA 2007, 1023 (1028); zustimmend Blanke, KJ 2008, 204 (207, mit Fn. 12); s. auch Kerwer, EuZA 2008, 335 (353) und in übergreifendem Zusammenhang J. Schubert, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 59 ff.
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lierenden Zugriff im Einzelfall mit Hilfe von Verhältnismäßigkeitserwägungen zu überlassen und damit die ohnedies schon zu beklagende Rechtsunsicherheit in der Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Streiks gerade auf diesem bislang weithin „unbestellten“ Feld noch zu steigern. 3. Modelle der institutionalisierten arbeitskampfrechtlichen Reaktion a) Generelle Vorzugswürdigkeit Nach den bisherigen Erkenntnissen kann in einem künftigen pluralistischen Koalitions- und Tarifvertragssystem auch im Arbeitskampfrecht nicht „alles beim Alten“ bleiben. Die Notwendigkeit der Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung erfasst auch das Arbeitskampfrecht und macht auch hier eine anpassende Reaktion erforderlich. Jedoch ginge es zu weit, Gewerkschaften eine arbeitskampfmäßige Verfolgung ihrer Tarifziele völlig zu versagen. Andererseits reicht es nicht aus, sich auf eine nachträgliche Reaktion der Arbeitskampfrechtsordnung im Einzelfall in Form der Bewertung von Streiks als rechtswidrig wegen Verstoßes gegen Rechtsmissbrauchsverbote oder den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zurückzuziehen. aa) Einschränkung der Ausübung von Rechten durch das gleiche Recht anderer (1) Funktionsfähigkeit des Systems und Freiheit der Einzelnen Damit rücken die verschiedenen Modelle einer „institutionalisierten“ arbeitskampfrechtlichen Einschränkung in den Blickpunkt. Die grundsätzliche, zunächst nicht auf ein bestimmtes Konzept konkretisierte Vorzugswürdigkeit einer solchen institutionalisierten Reaktion ergibt sich nicht nur („negativ“) aus den Mängeln der alternativen Lösungsmöglichkeiten, sondern auch („positiv“) aus allgemeinen Wertungen des Rechts: Wo anderenfalls die Funktionsfähigkeit eines ganzen Systems auf dem Spiel steht, da können Einzelne und Gruppen ihre Interessen nicht uneingeschränkt und ohne Rücksicht auf das Ganze verfolgen. Diese Erkenntnis, zu deren Beleg Kamanabrou sich im hier gegebenen Zusammenhang auf die 5-%-Hürde für die Wahl in den Deutschen Bundestag beruft, die im Interesse der Funktionsfähigkeit des Parlaments Einschränkungen kleinerer Gruppierungen mit wenig Rückhalt in der Bevölkerung bewirke237, wurde in der vorliegenden Arbeit bereits mit Blick auf die Bedeutung des Tariffähigkeitserfordernisses der sozialen Mächtigkeit für die Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung expliziert: Das Tarifvertragssystem ist in Anbetracht
237
Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (270, Fn. 115) m. N.
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seiner Funktion, die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Löhne und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen, in gewissem Maße auf eine „Konzentration der Kräfte“ und damit auf eine Bündelung von Interessen angelegt und angewiesen. Ein Zuviel an Vielfalt kann destabilisierend auf das System und seine freiheitsermöglichende und freiheitssichernde Funktion wirken. Eingedenk dieser von einem Übermaß an Pluralismus ausgehenden Destabilisierungsgefahr kann das Postulat der Funktionsfähigkeit des Systems Abstriche bei der Freiheit der Einzelnen erforderlich machen.238 (2) Parallele in der Rawls’schen Theorie der Gerechtigkeit Dass es sich bei solchen Überlegungen nicht um eine sich selbst rechtfertigende und deshalb angreifbare „Binnenlogik“ von „betriebsblinden“ Kollektivarbeitsrechtlern handelt239, sondern um allgemeine Wertungen des Rechts, soll im Folgenden anhand einiger Ausführungen von Rawls zu einer Theorie des zivilen Ungehorsams demonstriert werden, die Teil seiner „Theorie der Gerechtigkeit“ sind.240 Eine Stellungnahme zur Frage der Berechtigung des zivilen Ungehorsams selbst soll damit in keiner Hinsicht verbunden sein241, es geht allein um den Vergleich. (a) Ziviler Ungehorsam und Arbeitskampf Dieser Vergleich des Arbeitskampfes, konkret des Streiks, mit dem zivilen Ungehorsam mag zunächst gewöhnungsbedürftig sein, muss dem mit einer funktionalen Sicht der Dinge vertrauten Juristen242 aber auf den zweiten Blick geradezu nahe liegend erscheinen: Den zivilen Ungehorsam definiert Rawls als eine öffentliche, gewaltlose, gewissensbestimmte, aber politische gesetzwidrige Handlung, die gewöhnlich eine Änderung der Gesetze oder der Regierungspolitik herbeiführen soll.243 Ganz ähnlich wird darunter in der Diskussion hierzulande eine 238
s. ausführlich und im Zusammenhang oben Teil 3, Kapitel 1, unter B. II. 2. So aber in der Tendenz der Grundton der Kritik an jeglichen arbeitskampfrechtlichen Einschränkungen von Sunnus, AuR 2008, 1 (7 f.). 240 Auf Rawls haben sich in arbeitskampfrechtlichen Fragen schon andere berufen, s. etwa Zachert, FS 50 Jahre BAG, S. 577 (590 f.); ferner Reichold, in: Rieble, Zukunft des Arbeitskampfes, S. 9 (18). 241 Zur Stellung des zivilen Ungehorsams in der deutschen Rechtsordnung s. nur, jeweils m.w. N., Hassemer, FS Wassermann, S. 325 ff.; Karpen, JZ 1984, 249 ff. 242 Zum funktionalen Erkenntnisinteresse der Rechtswissenschaft s. Wank, Begriffsbildung, S. 79. 243 Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 401. 239
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bewusste Regelverletzung als Mittel zum Zweck eines öffentlich bekundeten und ethisch-normativ begründeten symbolischen Protests, der gewaltlos bleibt und für dessen Folgen einzustehen der Protestierende bereit ist, verstanden.244 Aus diesen Definitionen erhellt bereits, welche Funktion der zivile Ungehorsam der Theorie nach im demokratischen Rechtsstaat erfüllen soll: Er wird als Stabilisierungskraft eines konstitutionellen Systems gekennzeichnet. Sparsam und abgewogen eingesetzter ziviler Ungehorsam trage zur Erhaltung und Stärkung der gerechten Institutionen bei. Der Widerstand gegen Ungerechtigkeit im Rahmen der Gesetzestreue trage zur Verhinderung von Gerechtigkeitsverletzungen oder doch zu ihrer Berichtigung bei. Eine allgemeine Bereitschaft zu gerechtfertigtem zivilen Ungehorsam bringe einer wohlgeordneten oder „fast gerechten“ Gesellschaft Stabilität.245 Hier offenbart sich der Berührungspunkt mit dem Arbeitskampf in aller Deutlichkeit: So, wie der Arbeitskampf eine Hilfsfunktion für ein funktionsfähiges Tarifvertragssystem erfüllt, kommt dem zivilen Ungehorsam danach eine Hilfsfunktion für ein funktionsfähiges („gerechtes“) konstitutionelles System zu. Die funktionelle Nähe zeigt sich auch darin, dass von Gewerkschaftsseite selbst der zivile Ungehorsam als Mittel der Einflussnahme auf zukünftige arbeitskampfrechtliche Normierungsprozesse in den Blick genommen wird246; ferner darin, dass der zivile Ungehorsam häufig dem Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG an die Seite gestellt wird (ziviler Ungehorsam als „kleines Widerstandsrecht“)247, das gerade auch in Form eines Arbeitskampfes ausgeübt werden kann, der dann einen ausnahmsweise zulässigen politischen Arbeitskampf darstellt248, und schließlich darin, dass als eine Form zivilen Ungehorsams die Nichterfüllung von Leistungsverpflichtungen angesprochen wird249 – Charakteristikum auch des Streiks.
244
Hassemer, FS Wassermann, S. 325 (327 f.) m.w. N. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 421; s. auch Kaufmann, in: Kaufmann/ Hassemer, Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, S. 168. 246 s. Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, AKR Rn. 239 und jüngst Berg, GS Zachert, S. 469 (478); s. auch Rieble, NZA 2008, 796, der den zuletzt verschiedentlich als Arbeitskampfmittel eingesetzten sog. „Flashmob“ (dazu jetzt BAG 22. 9. 2009 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 174 [H. J. Willemsen/Mehrens]) als „Form des zivilen Ungehorsams“ bezeichnet. 247 Karpen, JZ 1984, 249 (251 f.); Kaufmann, in: Kaufmann/Hassemer, Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, S. 168. 248 Dazu Kissel, Arbeitskampfrecht, § 24 Rn. 13, 59; H. Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 5 Rn. 38; Brox/Rüthers/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 113, 139; s. auch Karpen, JZ 1984, 249 (252 f.). 249 Hassemer, FS Wassermann, S. 325 (330) m.w. N. 245
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(b) Rechtfertigung zivilen Ungehorsams bei Ausübung durch mehr als eine Gruppe Aus der Rawls’schen Theorie des zivilen Ungehorsams interessieren uns nun besonders seine Überlegungen zur „Rechtfertigung“250 des zivilen Ungehorsams und hier vor allem seine Ausführungen zu einer bestimmten Situation: Habe, so Rawls, eine bestimmte Minderheit das Recht zu zivilem Ungehorsam, dann habe eine andere unter wesentlich gleichen Umständen dasselbe Recht. Unter sonst gleichen Umständen seien zwei Minderheiten gleichermaßen zu zivilem Ungehorsam berechtigt, wenn sie gleich lang gleich starkes Unrecht gelitten hätten und ihre gleich aufrichtigen und normalen politischen Appelle gleichermaßen fruchtlos geblieben seien.251 Es sei daher eine Situation denkbar, in der es viele Gruppen mit gleich gutem Recht zum zivilen Ungehorsam gibt, dass aber, wenn sie ihn alle ausüben würden, die Ordnung ernsthaft gestört würde und das Funktionieren einer gerechten Verfassung gefährdet werden könnte.252 Die theoretisch ideale Lösung verlangt nach Rawls eine politische Zusammenarbeit der Minderheiten, um das Gesamtmaß der Nonkonformität zu begrenzen. Bei einem Aufeinandertreffen vieler gleich starker Ansprüche, die im Falle ihrer Durchsetzung zusammen über das insgesamt mögliche Maß hinausgingen, sollte daher ein fairer Plan in Kraft gesetzt werden, der alle gleichmäßig berücksichtige. Konkret sei eine politische Verständigung zwischen den verschiedenen, unter Ungerechtigkeit leidenden Minderheiten erforderlich. Sie könnten ihre Pflicht gegenüber demokratischen Institutionen durch die Koordination ihrer Aktionen erfüllen, so dass jede ihr Recht ausüben könne, ohne dass sich der zivile Ungehorsam zu stark ausbreite. Zwar sei ein solches Bündnis schwer zustande zu bringen; unter kluger Führung dürfte es aber nicht unmöglich sein.253
250 Beachte Hassemer, FS Wassermann, S. 325 (328 f.) zu Übersetzungsschwierigkeiten. 251 Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 411. 252 Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 411. Lehrreich auch seine weiteren Ausführungen S. 411 f. dazu, dass auch das Forum der Öffentlichkeit solche Formen der Nonkonformität nur in begrenztem Maße verarbeiten könne; jenseits eines gewissen Punktes könne der Appell der Gruppen, die zivilen Ungehorsam üben, entstellt und ihre Absicht, an den Gerechtigkeitssinn der Mehrheit zu appellieren, vergessen werden und nehme daher die Wirksamkeit des zivilen Widerstandes ab. – Parallelen zur Wahrnehmung des GDL-Streiks 2007 in der deutschen Öffentlichkeit drängen sich auf; zur öffentlichen Meinung als selbstgesteuertem Kontrollverfahren gegenüber allzu „gruppenegoistisch“ motivierten Arbeitskämpfen s. zutreffend Koop, Tarifvertragssystem, S. 337 und aus der Perspektive des Marburger Bundes Ehl, Industrielle Beziehungen 2008, 406 (409); zur Entwicklung der Gewerkschaftskonkurrenz im Konzernbereich der DB AG auch Klein, Minderheitsgewerkschaften, S. 74 f. 253 Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 412.
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bb) Die Art der Einschränkung der Rechtsausübung Die für unseren Zusammenhang wesentliche Erkenntnis aus den Gedanken von Rawls ist die, dass es sich bei dem – zunächst noch ganz allgemein gehaltenen – Ansatz einer Einschränkung der Ausübung von Rechten durch das gleiche Recht anderer nicht um einen Fall selbstreferenzieller kollektivarbeitsrechtlicher „Binnenlogik“ handelt, sondern um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz.254 Der von Rawls für den zivilen Ungehorsam durchdeklinierte Fall ist nach seinen eigenen Worten „auch dadurch lehrreich, daß er zeigt, wie die Ausübung des Rechtes auf Nonkonformität, wie auch von Rechten überhaupt, manchmal durch das gleiche Recht anderer eingeschränkt wird. Würde jeder dieses Recht ausüben, so hätte das schlimme Folgen für alle (. . .)“255. Auf dieser noch allgemein gehaltenen Erkenntnis lässt sich aufbauen, sie gestattet aber für sich genommen keine vollziehbare Lösung unserer Problematik, sondern bedarf der Konkretisierung. Rawls sieht für den Fall des zivilen Ungehorsams die ideale Lösung in einer politischen Zusammenarbeit der verschiedenen Gruppen, in ihrer gegenseitigen Verständigung, die in der Koordination ihrer Aktionen mündet. Überträgt man diese Konkretisierung auf die Situation einer potentiellen Tarif- und Arbeitskampfpluralität, so entsprechen dem die Vorschläge, das Streikrecht konkurrierender Gewerkschaften unter die Bedingung ihrer Vorabeinigung auf eine Verhandlungs- oder Tarifgemeinschaft zu stellen, aber auch das dreistufige Modell von Kamanabrou, das auf der zweiten Stufe eine Pflicht zur Koordinierung der Arbeitskämpfe unter anderem durch Bildung einer gemeinsamen Streikführung (Streikkomitee) vorsieht. Eine Übertragung der von Rawls angenommenen Pflicht zur politischen Verständigung und Koordination der Aktionen auf das Arbeitskampfrecht zum Zwecke der Einpassung der Tarifpluralität stößt aber nicht nur auf die von Rawls selbst benannte faktische Schwierigkeit, dass das Zustandekommen eines solchen Bündnisses „kluge Führung“ der verschiedenen Gruppen voraussetze, sondern auch und vor allem an rechtliche Grenzen. Diese sind im Folgenden aufzuzeigen. Vorerst ist damit nur die Entscheidung für ein institutionalisiertes Modell gefallen, dessen konkrete Ausgestaltung lässt sich dagegen nicht aus allgemeinen rechtstheoretischen Wertungen deduzieren, sondern bedarf der Rückbindung an und der Kontrolle durch die verfassungsrechtlichen Direktiven des Koalitionsund Arbeitskampfrechts.
254 Zur Bedeutung von Rechtsprinzipien für die Entwicklung richterrechtlicher Regeln s. Langenbucher, Richterrecht, S. 3 ff., 37 ff. und speziell mit Blick auf das Arbeitskampfrecht S. 45 (mit Fn. 23); außerdem S. 56 ff.; s. auch Reuter, RdA 1985, 321 (322); näher zur Zulässigkeit der hier vorgeschlagenen Rechtsfortbildung noch unten B. III. 3. f). 255 Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 413; Hervorhebung nicht im Original.
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b) Konkrete Ausgestaltung eines institutionalisierten Modells aa) Verweisung auf die Bildung einer Tarifgemeinschaft? Die Vorschläge insbesondere von Meyer, Reuter und Sittard laufen darauf hinaus, das Streikrecht in Zeiten der Tarifpluralität unter die Bedingung einer Vorabeinigung der beteiligten Gewerkschaften zu stellen256, auf eine Obliegenheit der in den gleichen Betrieben vertretenen Gewerkschaften zur Bildung einer Verhandlungs- und Tarifgemeinschaft (Reuter). (1) Dies entspricht zwar der von Rawls favorisierten Ideallösung einer politischen Verständigung und Zusammenarbeit der verschiedenen Gruppen; ebenso wie dort mag man eine solche Lösung auch hier als ordnungspolitisch wünschenswert erachten257. Mit dem verfassungsrechtlich durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG als Möglichkeit garantierten Koalitionswettbewerb258 ist dergleichen aber nicht zu vereinbaren. Zwar wird, unter grundsätzlicher Anerkennung des Koalitionspluralismus, vereinzelt ausgeführt, bei dem von der Verfassung her typmäßig verlangten sachlichen Interessenkompromiss sei als lex imperfecta die Zusammenarbeit aller jeweils in Frage kommenden auf derselben Seite des Arbeitslebens stehenden Koalitionen und ein gemeinsamer oder doch inhaltlich übereinstimmender Tarifvertragsabschluss in Erwägung zu ziehen, sofern derselbe sachliche und personelle Bereich in Rede stehe. Dies werde vom Sinn der Tarifvertragsautonomie her verlangt; gleichzeitig für dieselben sachlichen und personellen Bereiche geltende Tarifverträge, die in ihren Normen erheblich voneinander abwichen, trügen nichts oder doch nur sehr wenig zu einer sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens bei.259 Auch dabei wird indes anerkannt, dass der Koalitionspluralismus es verbiete, ein solches Postulat als zwingende Norm anzusprechen.260 Als rechtsverbindliches Postulat ist ein solches Kooperationsgebot in der Tat für den Regelfall261 nicht begründbar.262 Der in Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Gewerkschaftsplu256 So die zutreffende Charakterisierung durch Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (129). 257 Vgl. Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (129); s. aber auch Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1802 zu den Vorzügen einer zum effektiven Tarifwettbewerb führenden Tarifpluralität. 258 Zum Koalitionspluralismus s. die Nachweise oben Teil 2, Kapitel 1, dort Fn. 128. 259 G. Müller, Arbeitskampf und Recht, S. 60; demgegenüber nochmals Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1802 zu den positiven Effekten eines effektiven Tarifwettbewerbs. 260 G. Müller, Arbeitskampf und Recht, S. 60. 261 Zu diesem Vorbehalt s. noch sogleich unter B. III. 3. b) aa) (2). 262 s. auch in anderem Zusammenhang DKK/Trümner, § 3 Rn. 6a, 157a und jetzt BAG 29. 7. 2009 NZA 2009, 1424, unter B. II. 6. c) bb) (2) der Gründe, Rn. 38 des Beschlusses (im Kontext des § 3 Abs. 1 BetrVG): Ein „Erfordernis zur Bildung einer
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ralismus schließt zwar eine freiwillige Gewerkschaftskooperation nicht aus263, garantiert aber gerade den Wettbewerb der entstandenen Verbände derselben sozialen Gruppe.264 Die Koalitionspluralismusgarantie bedingt, dass den Koalitionen Möglichkeiten und Mittel zur Hand gegeben werden, mögliche Mitglieder von der eigenen Tätigkeit überzeugen und sich gegenüber den Konkurrenzverbänden positionieren zu können.265 Auch im Arbeitskampfrecht muss man daher bei Freigabe von Tarifpluralitäten akzeptieren, dass sich besonders die noch nicht als Tarifpartei etablierten Gewerkschaften erst einmal profilieren müssen.266 Zwar wäre ein rein organisationspolitisch motivierter „Anerkennungsstreik“ nicht schutzwürdig. Darum geht es hier jedoch nicht. Gibt man den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb auf und fragt man daher nach den Konsequenzen der als unabweisbare Notwendigkeit erkannten Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung für das Arbeitskampfrecht, so ist von der Prämisse auszugehen, dass um anwendbare Tarifverträge gekämpft wird. Dass ein Arbeitskampf neben der Durchsetzung einer tarifvertraglichen Ordnung der Rechte und Pflichten der (bereits gewonnenen) Gewerkschaftsmitglieder faktisch auch organisationspolitischen Zwecken dient, indem er ein Solidaritätsgefühl vermittelt, die Mitgliederbindung stärkt und auch neue Mitglieder wirbt, ist dann hinzunehmen.267 Daraus folgt, dass die hier inmitten stehenden Bestrebungen, das Streikrecht in Zeiten der Tarifpluralität unter die Bedingung der Vorabeinigung der beteiligten Gewerkschaften auf eine Tarifgemeinschaft zu stellen, die verfassungsrechtliche ,Zwangstarifgemeinschaft‘ ist mit der kollektiven Koalitionsfreiheit nicht vereinbar und berücksichtigt die Gegnerschaft von konkurrierenden Gewerkschaften nur unzureichend“; bekräftigend und weiterführend BAG 9. 12. 2009 NZA 2010, 712, Orientierungssatz 2 und B. III. 2. b) bb) (2) (c) der Gründe, Rn. 47 ff. des Urteils, insb. Rn. 51; ablehnend zur obligatorischen Tarifgemeinschaft im hiesigen Zusammenhang jetzt auch Deinert, NZA 2009, 1176 (1182); Schliemann, FS Bauer, S. 923 (938); Bedenken auch bei der Monopolkommission, Hauptgutachten 2008/2009, S. 352, Nr. 1010. 263 Zu der den konkurrierenden Gewerkschaften unbenommen bleibenden Möglichkeit einer weitergehenden Kooperation auf freiwilliger Grundlage, etwa durch Bildung von Tarifgemeinschaften, ggf. mit wechselnder, themenbezogener Verhandlungsführerschaft s. Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (129); Meyer, in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 149 (153); s. auch schon Heß, ZfA 1976, 45 (59 f.) und zuletzt Jacobs, FS Buchner, S. 342 (345); mögliche arbeitskampfrechtliche Folgerungen aus einer „gewillkürten Tarifeinheit“ erörtert P. Hanau, RdA 2008, 98 (104). 264 Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 105; s. zum Ganzen auch Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1778 ff., 1780. 265 Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 27. 266 Reichold bei Kalb, RdA 2007, 379 (381); s. an dieser Stelle auch seine Überlegungen zur ökonomischen Effizienz eines „Anerkennungsstreiks“, Reichold, in: Rieble, Zukunft des Arbeitskampfes, S. 9 (16 f.); ders., NZA 2007, 1262 (1263). 267 Wie hier Greiner, Anm. zu LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80, S. 45 (46 f.); kritischer aber Rieble, BB 2008, 1506 (1507 f.).
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Befugnis jeder einzelnen Gewerkschaft auf koalitionsgemäße Betätigung im Übermaß einschränken, indem sie die Rechtsverwirklichung vom Verhalten anderer konkurrierender Arbeitnehmerorganisationen abhängig machen.268 Wegen Art. 9 Abs. 3 GG können Gewerkschaften (grundsätzlich269) nicht zur Kooperation gezwungen werden.270 Mit der Garantie des Koalitionspluralismus sind anders lautende Vorschläge nicht zu vereinbaren, da sie den Wettbewerb der Verbände und Tarifverträge271 von vornherein nicht nur – was legitim sein kann – in geordnete Bahnen lenken272, sondern gänzlich unterdrücken. (2) Der Wettbewerb der Verbände – als Koalitionspluralismus weithin anerkannt273 – ist seinerseits nicht absolut geschützt.274 Der erforderliche Ausgleich mit anderen Schutzgütern von Verfassungsrang, auch solchen, die ebenfalls ihren Sitz in Art. 9 Abs. 3 GG haben, könnte im Einzelfall durchaus dazu führen, dass als einziges verfassungskonformes Verhalten die Kooperation der beteiligten Verbände derselben Seite bleibt. Dies kann sich indessen nur auf Ausnahmesituationen beziehen275 und taugt daher, entgegen denjenigen Vorschlägen, die es schlechthin an der Erforderlichkeit einer Arbeitskampfmaßnahme fehlen lassen wollen, solange noch die Möglichkeit der Bildung einer Tarifgemeinschaft besteht, nicht zur Regelbildung. Eher diskutabel erschiene daher unter diesem Aspekt womöglich die Lösung von Reuter, sofern man sie im vorstehenden Sinne als einzelfallbezogen zu verstehen hat. Dafür spricht, dass Reuter der Arbeitgeberseite ein Recht zur Verweigerung isolierter Tarifverhandlungen und zur Verweisung auf die Bildung einer Tarifgemeinschaft geben will, wenn und soweit die Belastung der Betriebe durch eine Mehrzahl unkoordinierter Tarifverträge und/oder durch Streiks mehrerer Gewerkschaften unzumutbar wird.276 Als tatbestandlicher Anknüpfungspunkt dient hier also offenbar nicht schon das Auftreten mehrerer Gewerkschaften mit je eigenen Tarifforderungen für denselben Bereich als solches, sondern erst eine Situation sich daraus und aus entsprechenden Streiks ergebender unzumutbarer Belastungen für die Arbeitgeberseite, so dass nicht an eine Regelbildung, son-
268 Zutreffend Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (129 f.); s. auch Deinert, NZA 2009, 1176 (1182). 269 Zu diesem Vorbehalt s. den sogleich folgenden Abschnitt im Text. 270 Jacobs, NZA 2008, 325 (330); zuletzt wieder ders., FS Buchner, S. 342 (352); Schliemann, FS Bauer, S. 923 (938); auch Brecht-Heitzmann, GS Zachert, S. 502 (510). 271 Zur Tarifpluralität als Tarifwettbewerb nochmals Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1801 f. 272 Zur Notwendigkeit der Ordnung auch des Kollektivwettbewerbs s. Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1782. 273 s. zum Zusammenhang Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1780. 274 Konzen, RdA 1978, 146 (154). 275 Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 105. 276 s. Reuter, SchlHA 2007, 413 (419); Hervorhebungen nicht im Original.
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dern lediglich an die Bewältigung von Ausnahmesituationen gedacht zu sein scheint. Allerdings erschiene eine solche Lösung kaum praktisch umsetzbar. Das Abstellen auf eine unzumutbare Belastung machte die Feststellung einer solchen erforderlich, was indes vor Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen schwerlich zu leisten sein dürfte. Und eine im Nachhinein festgestellte unzumutbare Belastung kann nicht mehr durch die Verweigerung isolierter Verhandlungen und die Verweisung auf die Bildung einer Tarifgemeinschaft abgewendet werden. (3) Schließlich ist zur Kritik der hier besprochenen Konzepte nochmals an den Inkonsequenz-Vorwurf zu erinnern, der von den Verteidigern der erzwungenen Tarifeinheit bei Tarifpluralität gegen Modelle erhoben wird, die bei Zulassung der Pluralität auf tarifrechtlicher Ebene Einschränkungen im Arbeitskampfrecht vorsehen.277 Zwar liegt diesem Vorwurf eine schiefe Sicht zugrunde, wenn er gegen jegliche arbeitskampfrechtlichen Korrekturvorschläge in Stellung gebracht wird. Denn wie bereits ausgeführt wurde, kann die Einsicht, dass die betriebliche Tarifeinheit nicht durch eine „reine Lehre“ der Tarifpluralität und damit auch der Arbeitskampfpluralität ersetzt werden kann, nicht als Rechtfertigung dafür herhalten, das Pendel wieder in Richtung des anderen Extrems in Gestalt der „Tabula rasa-Lösung“ der von Rechts wegen erzwungenen Tarifeinheit zurückschlagen zu lassen. Eine Einschränkung der Streikmöglichkeit ist als milderes Mittel vorzugswürdig gegenüber dem Ausschluss jeder gewerkschaftlichen Betätigungsmöglichkeit schon auf der vorgelagerten Stufe des Tarifabschlusses. Nicht schon bei der Tarifgeltung, wohl aber auf der arbeitskampfrechtlichen Ebene anzusetzen, ist daher mitnichten inkonsequent, sondern liegt in der Konsequenz des Bemühens um die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie und des für deren Funktionieren unerlässlichen austarierten Verhältnisses zwischen grundrechtlicher Freiheit einerseits und dem diese Freiheit einbettenden objektiven Ordnungsrahmen andererseits im Sinne optimierender Rechts- und Güterzuordnung.278 Seine Berechtigung hat der Inkonsequenz-Vorwurf allerdings, wie ebenfalls bereits festgehalten wurde279, dort, wo arbeitskampfrechtliche Einschränkungen zu weit getrieben werden. Dies ist aber nicht nur der Fall, wenn das Streikrecht einer der konkurrierenden Gewerkschaften etwa unter Hinweis auf das Vorhandensein einer funktionsfähigen Tarifordnung auch für die von ihr vertretenen Arbeitnehmer in Gestalt des von einer anderen Gewerkschaft geschlossenen Tarif-
277 s. dazu bereits oben Teil 3, Kapitel 1, unter C. II. 3. und 4. sowie im hiesigen Kapitel unter B. III. 1. b) dd). 278 s. bereits oben Teil 3, Kapitel 1, unter C. II. 3. und 4. 279 s. o. B. III. 1. b) dd).
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vertrages gänzlich exkludiert wird. Die Schwelle der Selbstwidersprüchlichkeit ist erreicht, sobald eine Zwangssolidarisierung konkurrierender Gewerkschaften in Rede steht, sobald also die gegenseitige Abhängigkeit der konkurrierenden Gewerkschaften so weit geht, dass sie ihrerseits wieder eigenständige Tarifverträge verhindert.280 Dies wäre nach den hier abgelehnten Modellen der Fall. bb) Kernstück der vorzugswürdigen Lösung: Synchronisation von Verhandlungs- und Kampfphasen durch Laufzeitharmonisierung Kernstück der vorzugswürdigen Lösung ist die Synchronisation der Verhandlungs- und Kampfphasen durch Harmonisierung der tarifvertraglichen Laufzeiten.281 Dadurch tritt man dem Hauptproblem der aufgrund abweichender Laufzeiten zeitversetzt und damit potentiell permanent stattfindenden Arbeitskämpfe, die die Betriebe dauerhaft lahm zu legen drohten, wirksam entgegen. „Streikkaskaden“ (Schliemann) werden verhindert, der Arbeitsfrieden wird gesichert. (1) Überlegungen zur Laufzeitharmonisierung in anderem Zusammenhang Eine solche Lösung ist von Lieb in anderem Zusammenhang schon vor längerer Zeit erwogen worden. Ihm ging es um die Unternehmen im Druck- und Verlagsbereich, in denen Arbeitgeber sowohl einen Verlag als auch eine Druckerei betreiben und infolge dessen doppelt organisiert sind.282 In solchen gemischten Unternehmen oder Unternehmensverbindungen kommen nach der Darstellung Liebs jeweils wenigstens zwei Tarifverträge mit unterschiedlichem fachlichen Geltungsbereich (damit meint Lieb den persönlichen oder tätigkeitsbezogenen 280 Vgl. Giesen, NZA 2009, 11 (17), dessen Inkonsequenz-Vorwurf allerdings weiter reicht und auch die von Franzen, Kamanabrou und Schliemann vorgeschlagenen Modelle einbezieht. 281 Ablehnend jetzt aber Boemke, ZfA 2009, 131 (146, 150); Deinert, NZA 2009, 1176 (1182 f.); Jacobs, FS Buchner, S. 342 (352 f.); kritisch Schliemann, FS Bauer, S. 923 (938, 941); Greiner, Rechtsfragen, S. 449; skeptisch Brocker, NZA Beilage 3/ 2010, S. 121 (123); aufgeschlossen demgegenüber F. Bayreuther, ZfA 2009, 747 (776 f.); Lehmann, FS Buchner, S. 529 (546, 551); Loritz, FS Buchner, S. 582 (597) und auch Bepler, bei Bepler/U. Fischer/Ubber, BLJ 2007, 139 (144); s. auch Meyer, FS Buchner, S. 628 (641 f.) sowie Richardi, FS Buchner, S. 731 (741 f.); dens., Gem. Anm. zu BAG 27. 1. 2010 – 4 AZR 549/08 (A) – und BAG 23. 6. 2010 – 10 AS 2/10, demn. in AP, unter III. 5. und, mit Blick auf eine gesetzliche Regelung, Löwisch, BB Heft 28– 29/2010, S. I sowie Lipinski/Hund, BB 2010, 1991 f.; eigenes Modell der Laufzeitharmonisierung jüngst bei Hirdina, NZA 2009, 997 (999); vgl. auch Monopolkommission, Hauptgutachten 2008/2009, S. 352, Nr. 1009; aktuell Jacobs, ZRP 2010, 199: Synchronisation von Friedenspflichten jedenfalls gegenüber gesetzlicher Festschreibung der betrieblichen Tarifeinheit vorzugswürdig. 282 Zu den organisatorischen Gestaltungen im Rechtstatsächlichen Lieb, RdA 1991, 145 (146); zum Ganzen auch Konzen, DB Beilage 6/1990.
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Geltungsbereich283) zur Anwendung.284 Da die Laufzeiten dieser Tarifverträge in aller Regel nicht harmonisiert würden, käme es zu unterschiedlichen Zeiten zu Tarifvertragsverhandlungen und dementsprechend auch zu Arbeitskämpfen mit der Folge, dass solche gemischten Unternehmen u. U. zweimal im Jahr bestreikt würden.285 Lieb untersucht konkret die Zulässigkeit von Unterstützungsarbeitskämpfen in dem beschriebenen Bereich der Druck- und Verlagsunternehmen. Anlass waren unterstützende Arbeitsniederlegungen der jeweils anderen Arbeitnehmergruppe: Drucker wurden zum Streik bei Arbeitskämpfen um Tarifverträge von Journalisten und diese zum Streik bei Arbeitskämpfen um Drucktarifverträge aufgerufen.286 Im Mittelpunkt des Interesses von Lieb stand die Frage der Streikberechtigung der Arbeitnehmer der jeweils anderen Gruppe, die nicht dem tätigkeitsbezogenen Geltungsbereich des umkämpften Tarifvertrages unterfiel. Damit ging es ihm primär um die mit dem Schlagwort von der arbeitskampfrechtlichen Einheit der Belegschaft umrissenen Fragen; diese werden hier im Kontext der Streikteilnahmeberechtigung der nicht und anders organisierten Arbeitnehmer ebenfalls noch zu erörtern sein.287 Lieb neigt für die von ihm begutachtete Konstellation dazu, die Grenzen der Streikberechtigung durch den (auch tätigkeitsbezogenen) Geltungsbereich des jeweils umkämpften Tarifvertrages abzustecken, mithin Drucker und Journalisten für nicht gemeinsam streikberechtigt zu halten.288 Er zieht jedoch die Möglichkeit in Betracht, dass diese Grenze der Streikteilnahmebefugnis durch den Grundsatz der arbeitskampfrechtlichen Einheit der Belegschaft – so er denn anerkannt werden könne – in Frage gestellt sein könnte. In der Tendenz spricht er sich aber gegen eine so weit verstandene arbeitskampfrechtliche Einheit der Belegschaft aus. Sie könne nur angenommen werden, wenn sich die Verstärkung des arbeitskampfweise ausgeübten Drucks durch Streikbeteiligung der gesamten Belegschaft unter Paritätsaspekten als erforderlich erweise, um das Kampfsystem funktionsfähig zu halten. Es sei indes sehr wahrscheinlich, dass die Streikbeteiligung der unmittelbar Betroffenen und der unter den Geltungsbereich des umkämpften Tarifvertrages fallenden Außenseiter längst genüge, um ausreichenden 283 s. Lieb, RdA 1991, 145 (146, Fn. 6); allgemein zur Terminologie hinsichtlich der tariflichen Geltungsbereiche Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 93 ff. 284 Lieb, RdA 1991, 145 (146). Da es um Mehrheiten von Tarifverträgen auf Unternehmens- und nicht auf Betriebesebene geht, hätte der Grundsatz der Tarifeinheit nicht gegriffen. Dazu, dass es einen Grundsatz der Tarifeinheit im Unternehmen auch nach der früheren Rechtsprechung des BAG nicht gab, s. bereits oben Teil 2, Kapitel 1, dort Fn. 67 sowie noch einmal Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (112, Fn. 4) und jüngst dens., NZA Beilage 3/2010, S. 99 mit Fn. 3. 285 Lieb, RdA 1991, 145 (146); s. auch Konzen, DB Beilage 6/1990, S. 4, 13. 286 Lieb, RdA 1991, 145 (146). 287 s. unten B. III. 3. c). 288 Lieb, RdA 1991, 145 (149); s. auch Konzen, DB Beilage 6/1990, S. 4, 6, 11 ff.
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Arbeitskampfdruck erzeugen zu können. Die Einbeziehung auch noch solcher Arbeitnehmer, die nicht einmal dem Geltungsbereich des umkämpften Tarifvertrages unterfielen, sei daher zumindest – und in erhöhtem Maße – begründungsbedürftig.289 Die Begründbarkeit einer derart umfassenden Streikberechtigung sieht Lieb insbesondere einem der Besonderheit der begutachteten Konstellation geschuldeten Zweifel ausgesetzt. An dieser Stelle berühren sich seine Überlegungen mit dem Problem der Tarif- und Arbeitskampfpluralität: Da die Arbeitgeber der betroffenen Unternehmen im Druck- und Verlagsbereich aufgrund zweifacher Verbandsmitgliedschaft doppelt tarifgebunden seien, müssten sie bei unkoordinierten Vertragslaufzeiten (Drucktarifvertrag einerseits, Journalistentarifvertrag andererseits) mehrfach Tarifvertragsverhandlungen führen und infolge dessen unter Umständen mehrere Arbeitskämpfe durchstehen. In diesen Arbeitskämpfen stünden ihnen dann, legte man die (weit verstandene) arbeitskampfrechtliche Einheit der Belegschaft zugrunde, jeweils sämtliche Arbeitnehmer als Kampfgegner gegenüber. Der doppelt organisierte Arbeitgeber müsste sich auf mindestens doppelten Arbeitskampfdruck seitens der gesamten Belegschaft einstellen.290 Der damit angesprochene Gesichtspunkt der neben die (erhöhte) Streikhäufigkeit291 tretenden Streikintensität wird auch uns noch interessieren.292 Lieb jedenfalls nimmt für den von ihm untersuchten Bereich an, dass die Kombination von Streikhäufigkeit (zeitversetzte Streiks um den Drucktarifvertrag einer- und den Journalistentarifvertrag andererseits aufgrund voneinander abweichender Laufzeiten) und Streikintensität (Streikbeteiligung jeweils der gesamten Belegschaft, also auch der Drucker im Arbeitskampf um den Tarifvertrag der Journalisten und umgekehrt der Journalisten im Kampf um den Drucktarif) auf Seiten der Arbeitgeber zu einer erheblichen Paritätsgefährdung führen würde; die mehrfachen Produktionsunterbrechungen wögen naturgemäß schwerer als eine nur einmalige Arbeitskampfbetroffenheit.293 Es sei daher für den Fall, dass man die Erforderlichkeit der Druckverstärkung durch Streikberechtigung der gesamten Belegschaft bejahe, der Schluss zu ziehen, dass die (bisher doppelt) kampfführende Gewerkschaft dann unter Verhält289
Lieb, RdA 1991, 145 (149 f.); s. auch schon Lieb, ZfA 1982, 113 (146 f.). Lieb, RdA 1991, 145 (150 f.). 291 Erhöhte Streikhäufigkeit in der von Lieb betrachteten Konstellation durch die Besonderheit des gemischten Unternehmens (Doppelmitgliedschaft des Arbeitgebers), in unserem Kontext durch die veränderte tarifkollisionsrechtliche Ausgangslage (Tarifpluralität statt Tarifeinheit im Betrieb) oder, genauer, durch veränderte, eine Arbeitskampfeinheit nicht mehr im bisherigen Maße begünstigende rechtstatsächliche Prämissen (zur maßgeblichen Bedeutung der rechtstatsächlichen Prämissen einer Arbeitskampfeinheit, die diejenige der tarifkollisionsrechtlichen Ausgangslage übersteigen dürfte, s. o. B. I. 2.). 292 s. unten B. III. 3. c). 293 Lieb, RdA 1991, 145 (150 f.). 290
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nismäßigkeitsaspekten gehalten sei, die Laufzeiten der erstrebten und ggf. umkämpften Tarifverträge so zu koordinieren, dass nur ein Arbeitskampf (dann der ganzen Belegschaft) um einen (ggf. mehrgliedrigen) Tarifvertragsabschluss geführt zu werden brauche.294 Zwar besteht zu der hier inmitten stehenden Konstellation der Unterschied, dass das Postulat der Laufzeitharmonisierung nicht an unterschiedliche, ggf. sogar konkurrierende Gewerkschaften herangetragen wird; denn zuständige Gewerkschaft ist in den von Lieb betrachteten Ausgangsfällen stets nur die (damalige) IG Medien (mittlerweile aufgegangen in ver.di). Verbandspluralität besteht in der von ihm behandelten Konstellation aber auf Arbeitgeberseite. Der für beide fachlichen Geltungsbereiche tarifzuständigen IG Medien standen auf Arbeitgeberseite zwei Verbände und damit zwei unterschiedliche Tarifvertragspartner gegenüber. Von diesen, so Lieb, könne man durchaus parallele Tarifvertragsverhandlungen und ggf. einen gleichzeitigen, wenn nicht einen gemeinsamen Tarifvertragsabschluss (mehrgliedriger Tarifvertrag) verlangen. Verweigerten sich die Arbeitgeberverbände, so könne auch das Ziel der Koordinierung der Tarifvertragslaufzeiten zum Gegenstand des Arbeitskampfs gemacht werden.295 Es darf nicht verkannt werden, dass durchaus Unterschiede zu der den Gegenstand dieser Untersuchung bildenden Fallgestaltung bestehen. So wird auf der Arbeitgeberseite regelmäßig, und so scheint es auch in der von Lieb begutachteten Konstellation zu sein296, keine Konkurrenzsituation zwischen den verschiedenen Arbeitgeberverbänden bestehen, während die Fälle der Tarifpluralität gerade durch sich wenigstens teilweise überschneidende Tarifzuständigkeiten und damit durch eine Konkurrenz der Gewerkschaften (etwa Branchen- und Spartengewerkschaft) um die gleichen Arbeitnehmer gekennzeichnet sind. Es macht einen Unterschied, ob man zwei nebeneinander zuständige Arbeitgeberverbände oder zwei miteinander konkurrierende Gewerkschaften zu einer Harmonisierung der Laufzeiten der von ihnen abgeschlossenen Tarifverträge anhält. Die Ausführungen von Lieb, die von der Diskussion um den Fortbestand des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb vollkommen unbeeinflusst sind297, belegen aber zumindest die 294 Lieb, RdA 1991, 145 (151); s. auch Konzen, DB Beilage 6/1990, S. 13: Keine Erforderlichkeit der Streikbeteiligung der nicht vom persönlichen Geltungsbereich des umkämpften Tarifvertrages erfassten Arbeitnehmer, wenn die Arbeitgeberseite zur Abwendung mehrerer Arbeitskämpfe pro Jahr die inhaltliche und vor allem zeitliche Koordination der Tarifverträge anbietet. 295 Lieb, RdA 1991, 145 (151); s. auch Konzen, DB Beilage 6/1990, S. 15. 296 Zuständigkeit des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) nur für Verlagsunternehmen, des Bundesverbandes Druck (BV-Druck) für Druckereien; nach den Prämissen Liebs sind die gemischten Unternehmen doppelt organisiert, eine Konkurrenz zwischen BDZV und BV-Druck um sie scheint nicht zu bestehen. 297 Lieb, RdA 1991, 145, weist zwar mit Konzen und Zöllner auch Kritiker des Prinzips der Tarifeinheit bei Tarifpluralität nach (Fn. 2), legt dieses aber gleichwohl seinen Ausführungen zugrunde (s. auch S. 150).
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Plausibilität des Ansatzes, drohende Streikkaskaden durch Harmonisierung der tarifvertraglichen Laufzeiten abzuwenden und zeigen, dass der Gedanke der Laufzeitharmonisierung auch schon in anderen Zusammenhängen erwogen wurde, mithin nicht lediglich Produkt „anlassbezogener übersteigerter Befürchtungsszenarien“298 im Kontext der Debatte um die Zukunft der Tarifeinheit im Betrieb ist. (2) Laufzeitharmonisierung und Verfassungsrecht Die Laufzeitharmonisierung muss sich vor dem Verfassungsrecht begründen lassen. Dies betrifft nach übereinstimmender Ansicht von Franzen299, Kamanabrou300 und Schliemann301 die durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG geschützte Rechtsstellung der betroffenen Gewerkschaften, deren Tarifautonomie auch die – im Zusammenwirken mit dem Vertragspartner auf Arbeitgeberseite getroffene – Entscheidung über den zeitlichen Geltungsbereich, d. h. über Anfang und Ende der Wirkung der tariflichen Rechtsnormen302 umfasst. (a) Ausgestaltung oder Eingriff? Zunächst fragt sich, ob durch die zwingende303 Laufzeitharmonisierung in die kollektive Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften eingegriffen wird oder ob es sich um einen Fall der Grundrechtsausgestaltung handelt. Während Franzen für seine Lösung zumindest in der Tendenz davon ausgeht, dass eine Ausgestaltung der Tarifautonomie in Rede steht304, nimmt Kamanabrou offenbar – ohne die Frage ausdrücklich anzusprechen – an, die Parallelisierung der Verhandlungen bedeute einen Grundrechtseingriff.305 Nicht auf das eine oder das andere festlegen lassen sich die Ausführungen von Schliemann.306
298 So die Kritik von Sunnus, AuR 2008, 1 (7) an (sämtlichen) Vorschlägen arbeitskampfrechtlicher Reaktionen auf die veränderte tarifkollisionsrechtliche Lage. 299 Franzen, RdA 2008, 193 (203 f.). 300 Vgl. Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (272 f.). 301 Schliemann, FS Hromadka, S. 359 (378); ders., FS Bauer, S. 923 (941, 943). 302 Zum Begriff des zeitlichen Geltungsbereichs Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 228. 303 Dazu, dass richtigerweise ein Anspruch der Arbeitgeberseite auf Abstimmung der tarifvertraglichen Laufzeiten anzunehmen ist, s. noch unten B. III. 3. b) bb) (3) (b) (bb). 304 Franzen, RdA 2008, 193 (203 f.); deutlicher jetzt ders., ZfA 2009, 297 (317); s. auch Monopolkommission, Hauptgutachten 2008/2009, S. 352, Nr. 1009. 305 s. Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (270, bei Fn. 114): „einschränkende Regelungen“. 306 Vgl. Schliemann, FS Hromadka, S. 359 (378), nach dem „(m)it solcher Regelung (. . .) in Art. 9 Abs. 3 GG nicht grundrechtswidrig eingegriffen“ wird – das kann heißen, dass schon kein Eingriff (sondern eine Ausgestaltung?) oder dass ein gerechtfertigter („nicht grundrechtswidriger“) Eingriff gegeben sei; deutlicher in Richtung Eingriff jetzt die Ausführungen bei dems., FS Bauer, S. 923 (941).
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(aa) Wie bereits erörtert307, ist die Unterscheidung zwischen Grundrechtseingriff und Grundrechtsausgestaltung heute zwar mit Blick auf rechts- oder normgeprägte Freiheitsrechte wie die Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG weitgehend anerkannt, scheint es aber nach wie vor nicht gelungen, ein überzeugendes theoretisches Konzept für die Abgrenzung zu erarbeiten. Das Wesen der grundrechtsausgestaltenden Gesetzgebung (und Rechtsfortbildung) aber besteht in der Schaffung „freiheitsermöglichender“ Normen; mit dem BVerfG gesprochen geht es um Regelungen, „die erst die Voraussetzungen für eine Wahrnehmung des Freiheitsrechts bilden“308. Die Ausgestaltung verwehrt nicht ein vom Schutzbereich erfasstes Verhalten, sondern eröffnet bestimmte Verhaltensmöglichkeiten überhaupt erst. Die Ausgestaltungsvorstellung steht unter dem freiheitlichen Grundgedanken „Freiheit durch Recht“.309 (bb) Ob die den konkurrierenden Gewerkschaften auferlegte Laufzeitharmonisierung einen Eingriff in deren Rechtsstellung aus Art. 9 Abs. 3 GG darstellt oder die Tarifautonomie ausgestaltet, braucht indessen dann nicht entschieden zu werden, wenn man richtigerweise aus der Zuordnung zu der einen oder der anderen Kategorie nicht auf ein abgestuftes System verfassungsrechtlicher Anforderungen schließt.310 Die verbreitete Ansicht, Grundrechtsausgestaltungen seien generell weniger strengen Grenzen unterworfen als Grundrechtseingriffe, begegnet Bedenken. Sie kann zu dem Ergebnis führen, dass Regelungen im Schutzbereich vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte als grundrechtsausgestaltend qualifiziert werden, um dem (vermeintlich) strengeren Rechtfertigungszwang für Grundrechtseingriffe zu entgehen.311 Auch unabhängig von dieser Gefahr unterliegt die Ansicht, dass an ausgestaltende Gesetzgebung oder Rechtsfortbildung durchweg geringere verfassungsrechtliche Anforderungen zu stellen seien als an Eingriffsgesetze, erheblichen Zweifeln.312 Macht man sich von den dargestellten Fehlvorstellungen über die Grundrechtsausgestaltung und ihr Verhältnis zum Grundrechtseingriff frei, so kann die Abgrenzung dort dahinstehen, wo eine Regelung sich auch dann als verfassungsgemäß erweist, wenn man an sie die für Eingriffe in Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG geltenden verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstäbe anlegt (Erfordernis verfassungsimmanenter Schranke; Verhältnismäßigkeitsprüfung). Denn die Direktiven, 307
s. oben Teil 3, Kapitel 1, unter B. I. 1. a). BVerfG 10. 1. 1995 BVerfGE 92, 26 (41). 309 Cornils, Ausgestaltung, Vorwort, S. V; s. auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 304. 310 Zum Folgenden bereits oben Teil 3, Kapitel 1, unter B. I. 2. b). 311 Vgl. zu dieser Gefahr von „Falschetikettierungen“ bereits die Darstellung und Nachweise oben Teil 3, Kapitel 1, unter B. I. 2. b), mit Fn. 87. 312 s. Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung, S. 156; ebenso Ladeur, AöR 131 (2006), 643 (653); s. auch Cornils, Ausgestaltung, S. 546 ff., demgegenüber aber auch Gellermann, Grundrechte, S. 19 f. 308
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denen der grundrechtsausgestaltende Gesetzgeber (oder rechtsfortbildende Rechtsanwender) unterliegt, sind zwar entgegen verbreiteter Vorstellung nicht generell weniger streng als diejenigen im Bereich grundrechtseingreifender Maßnahmen, andererseits aber auch nicht strenger; daher wäre eine Regelung, die als Eingriff in Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsgemäß ist, auch als Ausgestaltung verfassungsmäßig. Daher verzichtet auch Franzen auf eine genauere Abgrenzung von Ausgestaltung und Eingriff. Die Einführung der Laufzeitharmonisierung ist jedenfalls dann zulässig, wenn sie dem Schutz anderer mit Verfassungsrang ausgestatteter Rechtsgüter oder Grundrechten Dritter dient und das Verhältnismäßigkeitsprinzip gewahrt ist.313 Auch Kamanabrou beruft sich auf Rechtsgüter von Verfassungsrang und wendet explizit den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz an.314 Damit steht auch das im Folgenden zugrunde zu legende Prüfungsprogramm fest. (b) Die widerstreitenden Grundrechtspositionen Die den Rechten der betroffenen Gewerkschaften aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG gegenüberstehenden verfassungsrechtlichen Positionen haben Franzen und Kamanabrou übereinstimmend und zutreffend herausgearbeitet. Es sind dies die von Art. 9 Abs. 3 GG selbst geschützte Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems (bei Kamanabrou konkretisiert durch die Kampfparität und die Befriedungsfunktion der Tarifautonomie; letztere spricht auch Franzen unter dem Aspekt der Planungssicherheit für die Arbeitgeberseite an) sowie die von Art. 12 Abs. 1 GG umfasste unternehmerische Entscheidungsfreiheit. Das Interesse der Arbeitgeberseite, nicht andauernd mit Tarifverhandlungen und Streikdrohungen verschiedener Gewerkschaften konfrontiert zu sein, ist rechtlich anzuerkennen. Insoweit kann auf die bisherigen Ausführungen verwiesen werden, aus denen die Gefahren permanenter Arbeitskämpfe aufgrund differierender Laufzeiten der mit unterschiedlichen Gewerkschaften abgeschlossenen Tarifverträge hinreichend deutlich ersichtlich geworden sein sollten. (c) Laufzeitharmonisierung als Ausgleich durch Herstellung praktischer Konkordanz Die Laufzeitharmonisierung beugt diesen Gefahren im Wege des Ausgleichs der widerstreitenden verfassungsrechtlichen Positionen durch Herstellung praktischer Konkordanz vor. Sie ist ein geeignetes Mittel zur Verhinderung der anderenfalls drohenden Streikkaskaden und damit zur Wahrung der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems sowie zum Schutz der Unternehmerfreiheit. Durch
313 Vgl. Franzen, RdA 2008, 193 (203 f.); deutlich für Ausgestaltung aber jetzt ders., ZfA 2009, 297 (317). 314 s. Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (270 ff.).
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parallele Verhandlungen wird der Arbeitskampfdruck in zeitlicher Hinsicht vermindert. Es bleibt bei einzelnen Verhandlungsrunden mit Ergebnissen, die für einen längeren Zeitraum gelten; die Drohkulisse des Dauerarbeitskampfes fällt in sich zusammen.315 Die Laufzeitharmonisierung ist zu diesem Zweck auch erforderlich. Ein milderes, gleichermaßen geeignetes Mittel ist nicht ersichtlich. Dass im Arbeitskampfrecht nicht „alles beim Alten“ bleiben kann, wurde gezeigt, ebenso, dass ein reines Abstellen auf den Einzelfall, mit dem man die Wahrung der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems sowie der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit einer nachträglichen Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Arbeitskämpfen anhand von Rechtsmissbrauchsverboten und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes überlassen würde, keine adäquate Lösung darstellt. Andererseits ist die Laufzeitharmonisierung ihrerseits milderes Mittel gegenüber Vorschlägen, die die Streikmöglichkeiten der Gewerkschaften ungleich weitergehend beschränken, insbesondere durch Ausdehnung von Friedenspflichten oder durch die Annahme der Unzulässigkeit eines Streiks bei Vorhandensein einer funktionsfähigen Tarifordnung im Betrieb. Schonender ist die Synchronisation der Verhandlungs- und Kampfphasen aber auch gegenüber der Verweisung der konkurrierenden Gewerkschaften auf die Bildung einer Verhandlungs- und Tarifgemeinschaft. Denn während diese Lösung eine inhaltliche Kooperation der jeweils beteiligten Gewerkschaften verlangt, ist mit der Laufzeitharmonisierung nur die zeitliche Dimension berührt. Dieser Unterschied kennzeichnet die Angemessenheit der vorgeschlagenen Lösung und wird von Franzen und Kamanabrou mit Recht hervorgehoben316; der Sache nach spricht ihn auch Schliemann an, wenn er bemerkt, dass es Sache der (jeweiligen) Tarifvertragsparteien bleibe, ihre eigenen Tarifabschlüsse zu vereinbaren317. Im Gegensatz zu „radikaleren“ arbeitskampfrechtlichen Vorschlägen setzt sich diese Lösung für die Befürworter der Freigabe von Tarifpluralitäten auch nicht dem von den Verteidigern der Tarifeinheit bei Tarifpluralität gefällten Verdikt der Inkonsequenz aus. Es kann dagegen nicht, wie Giesen es tut, eingewandt werden, dass damit der mit der Aufgabe der Tarifeinheit (vermeintlich) erzielte Zuwachs an effektiver grundrechtlicher Freiheit sogleich auf arbeitskampfrechtlicher Ebene wieder zunichte gemacht und indirekt wieder nur die Rechtfertigung für die Tarifeinheit im Betrieb geliefert würde.318 Vielmehr gilt, wie hier erneut zu betonen ist, die Maßgabe: „So viel Tarif- und Arbeitskampfeinheit wie nötig, so 315 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (271); entsprechend Franzen, RdA 2008, 193 (204); ders., ZfA 2009, 297 (317). 316 Franzen, RdA 2008, 193 (204); Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (273); s. jetzt auch Nebeling/Gründel, NZA-Online-Aufsatz, S. 8 sowie Monopolkommission, Hauptgutachten 2008/2009, S. 352, Nr. 1009. 317 Schliemann, FS Hromadka, S. 359 (378). 318 So aber Giesen, NZA 2009, 11 (17 f.).
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viel Tarif- und Arbeitskampfpluralität wie möglich“319, oder, leicht abgewandelt und in die Prioritäten verdeutlichender Reihenfolge: So viel Freiheit (und damit – potentielle – Vielfalt) wie möglich, so viel Einheit wie (zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems) nötig. Zur Gewährleistung jener Funktionsfähigkeit – und der berechtigten, grundrechtlich fundierten Belange der Arbeitgeberseite – ist eben jenes Maß an Einheitlichkeit erforderlich, das durch eine Harmonisierung der tarifvertraglichen Laufzeiten hergestellt wird. Es kommt zu einheitlichen, d. h. zeitlich synchronisierten Verhandlungs- und Kampfphasen. Die auf Seiten der Arbeitgeber besonders schwerwiegende Gefahr, permanent Tarifforderungen und Streikdrohungen konkurrierender Gewerkschaften ausgesetzt zu sein, wird minimiert, die Arbeitgeberseite kann sich darauf einstellen, dass Tarifauseinandersetzungen stets nur in bestimmten Zeiträumen und nicht potenziell permanent zu befürchten sind.320 (3) Konkrete Umsetzung der Laufzeitharmonisierung (a) Der Ansatz von Schliemann Die Eindämmung von Streikkaskaden mittels Harmonisierung der tarifvertraglichen Laufzeiten will Schliemann erreichen, indem jeder in einem Betrieb vertretenen Gewerkschaft der Aufruf zum Arbeitskampf erst dann gestattet wird, wenn einschließlich ihrer eigenen Mitglieder mehr als die Hälfte aller im Betrieb tätigen Arbeitnehmer keiner Friedenspflicht, auch nicht aus anderen Tarifverträgen, unterliegt.321 Zur Auseinandersetzung mit dieser Variante der Laufzeitharmonisierung ist zunächst eine klarstellende dogmatische Einordnung von Nöten. Wenn Schliemann darauf abhebt, dass erst dann zu einem Arbeitskampf aufgerufen werden dürfe, wenn mehr als die Hälfte aller im Betrieb tätigen Arbeitnehmer keiner Friedenspflicht unterliegt, dann ist damit gemeint, dass jeweils nur dann zu einem Streik aufgerufen werden darf, wenn die aktuell friedenspflichtgebundenen Gewerkschaften weniger als die Hälfte (oder: jedenfalls nicht mehr als die Hälfte) der Arbeitnehmer des Betriebes organisieren. Denn der Friedenspflicht unterliegt auf Arbeitnehmerseite stets nur die tarifschließende Gewerkschaft als Vertragspartei, nicht dagegen unterliegen ihr die Gewerkschaftsmitglieder322; Arbeitnehmer unterliegen also entgegen der Diktion Schliemanns niemals einer Friedenspflicht.323 319
P. Hanau, RdA 2008, 98 (104); ders., NZA Beilage 1/2010, S. 1. Franzen, RdA 2008, 193 (204). 321 Schliemann, FS Hromadka, S. 359 (378); ders., FS Bauer, S. 923 (941 ff.). 322 Heute allg. M., s. nur Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 873 mit Nachweisen früherer abweichender Stimmen; für die heute allg. M. zuletzt Boemke, ZfA 2009, 131 (138, 145); MüArbR/Ricken, § 200 Rn. 33. 323 Daran ändert auch die von der h. M. anerkannte, sich aus der Friedenspflicht ergebende Einwirkungspflicht des tarifschließenden Verbandes nichts; auch sie ist eine 320
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Nach dem Vorschlag Schliemanns soll daher ein Streik nur und stets dann zulässig sein, wenn weniger als die Hälfte der Arbeitnehmer eines Betriebes in einer Gewerkschaft organisiert ist, die aktuell friedenspflichtgebunden ist. Zum Streik kann nicht aufgerufen werden, wenn die Mehrzahl der Arbeitnehmer Mitglied einer Gewerkschaft ist, die aktuell einer Friedenspflicht unterliegt. Auf den ersten Blick könnte man bereits die Geeignetheit dieses Vorschlags zur Erreichung oder wenigstens Förderung des angestrebten Ziels der Eindämmung von Streikkaskaden bezweifeln. Schliemann verspricht sich davon, dass die im Betrieb vertretenen Gewerkschaften die Laufzeiten ihrer Tarifverträge abstimmen, um sicherzustellen, dass die Friedenspflichten jeweils synchron enden. Wenn aber ein Streik stets erst dann ausgeschlossen sein soll, wenn die aktuell friedenspflichtgebundenen Gewerkschaften die Mehrzahl der Arbeitnehmer des Betriebes organisieren, kann man eingedenk des geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrades, der insgesamt bei Weitem nicht 50% erreicht, fragen, wann überhaupt einmal die zahlenmäßige Grenze erreicht sein soll, die zur Unzulässigkeit des Arbeitskampfes führen soll. Die Mehrzahl der Arbeitnehmer ist eben nicht organisiert, also Mitglied überhaupt keiner Gewerkschaft, so dass es nicht eben selten vorkommen wird, dass schon aufgrund der großen Zahl der nicht Organisierten weniger als die Hälfte der Arbeitnehmer „einer Friedenspflicht unterliegt“. Man müsste daher wohl allein auf die organisierten Arbeitnehmer und nicht, wie Schliemann, auf alle im Betrieb tätigen Arbeitnehmer abstellen. Andererseits ist zu bedenken, dass die Gewerkschaften von vornherein Betriebe mit hohem Organisationsgrad für Streiks auswählen.324 So oder so setzte die Umsetzung dieser Variante der Laufzeitharmonisierung die Ermittlung der Organisationszugehörigkeit der Arbeitnehmer voraus, um vor einem Streikaufruf feststellen zu können, ob das Quorum der bei einer friedenspflichtgebundenen Gewerkschaft organisierten Arbeitnehmer erfüllt ist oder nicht. Während der Arbeitgeber eines tarifpluralen Betriebes nach der hier vertretenen Ansicht die Möglichkeit hat, den Organisationsstatus seiner Arbeitnehmer zu erfragen und sogar zwecks laufender Aktualisierung seiner Kenntnis die Arbeitnehmer mittels arbeitsvertraglicher Mitgliedschaftsauskunftsklausel zur Anzeige von Änderungen ihres Organisationsstatus anzuhalten325, wäre es hier der Verantwortung derjenigen Gewerkschaft überlassen, die Zahlenverhältnisse festzustellen, die zu einem Arbeitskampf aufrufen möchte. Sie müsste prüfen, ob mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer nicht Mitglied einer aktuell friedenspflichtgebundenen Gewerkschaft ist. Wie dies vonstatten gehen soll, erscheint offen. Pflicht der Gewerkschaft. Zur Einwirkungspflicht nur ErfK/Franzen, § 1 Rn. 81; Löwisch/Rieble, § 1 Rn. 376; Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 871. 324 s. nur Gamillscheg, KollArbR I, § 21 II. 4. b) (1), S. 995; Lieb, RdA 1991, 145 (150); Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 326; dens., JZ 1979, 657 (658, Fn. 13). 325 Zu diesen Fragen ausführlich in Teil 2, Kapitel 1.
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Sollen die Gewerkschaften untereinander oder gegen den Arbeitgeber entsprechende Auskunftsansprüche haben? Entscheidend gegen den Ansatz Schliemanns spricht aber etwas anderes326: Wie der Vorschlag Bayreuthers, das Streikrecht einer Gewerkschaft bei Vorhandensein einer funktionsfähigen Tarifordnung im Betrieb auszuschließen, begünstigt er die großen Industriegewerkschaften und benachteiligt Minderheits- und Spartengewerkschaften. Die mitgliederstarken (DGB-)Branchengewerkschaften wären dadurch, da sie ohnehin nach Möglichkeit Betriebe mit hohem Organisationsgrad für ihre Arbeitskampfmaßnahmen auswählen327, kaum betroffen. In den von ihnen ausgewählten Betrieben werden sie häufig schon mit ihrem eigenen Mitgliederbestand über die Erfüllung oder Nichterfüllung des 50-%-Quorums entscheiden. Das heißt: Solange die jeweils zuständige DGB-Gewerkschaft friedenspflichtgebunden ist, kann in dem Betrieb nicht – von keiner Gewerkschaft – gestreikt werden. Wird sie durch Ablauf ihres Tarifvertrages von der Friedenspflicht frei, so kann sie ihre Arbeitskampfmaßnahmen unabhängig von etwa noch laufenden Tarifverträgen anderer Gewerkschaften planen. Damit gibt die Branchengewerkschaft jeweils für alle im Betrieb vertretenen Gewerkschaften den sich aus dem Wechsel von Kampf- und Friedensphasen ergebenden Streikrhythmus vor, ohne ihrerseits aber selbst von den Laufzeiten den anderen, absolut betrachtet mitgliederschwachen (Sparten- und Minderheits-)Gewerkschaften beeinflusst zu werden. Dies ist nicht zu rechtfertigen. Die Laufzeitharmonisierung sollte unabhängig von Mitgliederzahlen für alle beteiligten Gewerkschaften gleichermaßen gelten, also „ohne Ansehung der Gewerkschaft“ ein allgemeingültiges System synchronisierter Verhandlungs- und Kampfphasen schaffen. Geleistet wird dies von den von Franzen und Kamanabrou eingeführten Modellen.328 (b) Die Ansätze von Franzen und Kamanabrou (aa) Gemeinsamkeiten a) Grundsätzliches Die Ansätze von Franzen und Kamanabrou stimmen in ihrer grundsätzlichen Ausgestaltung überein. Es geht darum, dass die jeweils beteiligten Gewerkschaften bei ihren Tarifforderungen in zeitlicher Hinsicht kooperieren und den Zeitpunkt des Ablaufs ihrer Tarifverträge einheitlich gestalten, mithin um eine zeitliche Parallelisierung der Verhandlungen. Dadurch bleibt es bei einzelnen Ver326 Ohne nähere Begründung ablehnend jetzt auch Jacobs, FS Buchner, S. 342 (350); mit ähnlicher Begründung wie hier Greiner, Rechtsfragen, S. 454. 327 s. nochmals die Nachweise soeben Fn. 324. 328 Auch diese ablehnend nunmehr aber Jacobs, FS Buchner, S. 342 (352 f.); Greiner, Rechtsfragen, S. 449; modifizierend Hirdina, NZA 2009, 997 (999).
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handlungsrunden mit Ergebnissen, die für einen längeren Zeitraum gelten. Neue Verhandlungspartner können nur zu einer neuen Verhandlungsrunde einsteigen.329 Der Beginn einer neuen Verhandlungsrunde ist, wenn die bisher handelnden Tarifvertragsparteien nicht schon vorher mit Verhandlungen beginnen, mit dem Ablauf des bestehenden Tarifvertrags anzusetzen.330 b) Differenzierung zwischen befristeten und unbefristeten Tarifverträgen Im Einzelnen ergibt sich jedoch, wie Franzen und Kamanabrou unabhängig voneinander jeweils zutreffend herausarbeiten, die Notwendigkeit einer Differen329 Kritisch dazu jetzt Hirdina, NZA 2009, 997 (999); Jacobs, FS Buchner, S. 342 (352 f.). 330 Auch dazu kritisch nunmehr Jacobs, FS Buchner, S. 342 (352 f.) sowie Hirdina, NZA 2009, 997 (999), der sich alternativ dafür ausspricht, die Laufzeiten der zuerst auslaufenden oder kündbaren Tarifverträge sich bis zum Beendigungstermin des zuletzt auslaufenden oder zuletzt kündbaren Tarifvertrages verlängern zu lassen. Die Maßgeblichkeit der Laufzeit des ersten Tarifvertrages bedeute eine zu starke Einschränkung der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie und Streikfreiheit der anderen Gewerkschaften. Hirdina hält seine Lösung für über § 313 BGB realisierbar und mithin für eine Gesetzesanwendung, nicht für eine richterliche Rechtsfortbildung. Gegen eine Störung der Geschäftsgrundlage spricht allerdings – abgesehen davon, dass schon die Anwendbarkeit von § 313 BGB auf Tarifverträge zweifelhaft ist [s. dazu nur Wiedemann/Wank, § 4 Rn. 65 ff.; ablehnend zuletzt etwa Höpfner, ZfA 2009, 541 (565), zumindest skeptisch Bepler, AuR 2010, 234 (237); s. in anderem Zusammenhang auch schon oben Teil 2, Kapitel 1, unter C. III. 2. d) bb) (1)] –, dass man heute in Anbetracht des allfällig praktisch auftretenden Gewerkschaftspluralismus und der Tatsache, dass es schon mehrfach zu Streiks während der Laufzeit von mit anderen Gewerkschaften abgeschlossenen Tarifverträgen gekommen ist (s. die Nachweise aus der instanzgerichtlichen Rechtsprechung oben Fn. 37), kaum noch annehmen kann, es bestehe beim Abschluss eines Tarifvertrages auf Arbeitgeberseite die Vorstellung (vgl. Hirdina, a. a. O.: beim zuerst abgeschlossenen Tarifvertrag vorausgesetzter Rahmenumstand), „es gebe eine kalkulierbare angemessene Zeit eines streikstörungsfreien Betriebsablaufs“; solche Vorstellungen, die der Annahme einer Störung der Geschäftsgrundlage und einer über § 313 BGB zu bewirkenden richterlichen Vertragsanpassung zugrunde gelegt werden könnten, sind mittlerweile durch die Wirklichkeit überholt. Die Situation, dass nach Abschluss des ersten Tarifvertrages weitere Gewerkschaften auf den Plan treten, trifft die Arbeitgeberseite in der Regel nicht (mehr) unerwartet: Wer Tarifverträge für Branchen oder Unternehmen abschließt, in denen Arbeitnehmer bei verschiedenen Gewerkschaften organisiert sind, rechnet damit, dass u. U. auch von mehreren Gewerkschaften unterschiedliche Tarifverträge angestrebt werden. – Im Übrigen könnte, worauf Hirdina aber auch nicht abstellt, auch eine Rechtsprechungsänderung zur Tarifpluralität angesichts der Kritik, die die bisherige Rechtsprechung seit Jahrzehnten auf sich zieht, keine Störung der Geschäftsgrundlage darstellen (s. dazu auch Bepler, bei Bepler/U. Fischer/Ubber, BLJ 2007, 139 [147] im Zusammenhang mit der Frage nach einem bei einer Rechtsprechungsänderung zu gewährenden Vertrauensschutz; zur grundsätzlichen Möglichkeit einer Geschäftsgrundlagenstörung durch Änderung einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung zuletzt BGH 25. 11. 2009 NJW 2010, 440 [Born], Rn. 28 ff.). Die Laufzeitharmonisierung kann daher nicht durch Gesetzesanwendung (§ 313 BGB), sondern nur durch richterliche Rechtsfortbildung realisiert werden [zum Rechtsfortbildungsaspekt s. unten B. III. 3. f)]. Ablehnend zu Hirdina nunmehr auch Greiner, Rechtsfragen, S. 449 (Fn. 455): „fernliegend“; s. aber demgegenüber auch Fritz/Meyer, NZA Beilage 3/2010, S. 111 (115).
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zierung zwischen befristeten und unbefristeten Tarifverträgen.331 Das uneingeschränkte Abwarten neuer Verhandlungsrunden kommt nur bei befristeten Tarifverträgen, also solchen mit bestimmter – und nicht allzu langer – Laufzeit in Betracht. Zu denken ist mit Kamanabrou vor allem an Entgelttarifverträge, bei denen ein besonders starkes Interesse der Arbeitgeberseite an parallelen Verhandlungen besteht. Bei solchen befristeten Tarifverträgen – die von Kamanabrou gezogene Grenze einer Laufdauer von 24 Monaten332 erscheint angemessen – entscheidet der im ersten abgeschlossenen Tarifvertrag vereinbarte Beendigungstermin über den Zeitraum, für den Arbeitskampfmaßnahmen aller Gewerkschaften ausgeschlossen sind. Hier zeigt sich, warum Kamanabrou ihrem Ansatz bescheinigt, wie eine Erweiterung der Friedenspflicht durch Erstreckung auf nicht am Tarifabschluss beteiligte Gewerkschaften zu wirken333. Der Sache nach legt der im ersten abgeschlossenen Tarifvertrag bestimmte Beendigungstermin die Dauer der dann für alle Gewerkschaften geltenden Friedenspflicht fest.334 Eine Gewerkschaft, die erstmalig eine Tarifforderung für den betreffenden Bereich erhebt, muss daher zuwarten, bis der konkurrierende Tarifvertrag mit der anderen Gewerkschaft endet. Beifallswert sind auch die Ausführungen der beiden zu unbefristeten Tarifverträgen. Hier sieht Franzen mit Recht nicht nur die zeitliche, sondern auch die inhaltliche Dimension betroffen, da die Entscheidung, ob ein unbefristeter Tarifvertrag enden soll oder nicht, gerade Ausdruck eigenständiger Tarifpolitik einer Gewerkschaft sei.335 Auch Kamanabrou will bei auf unbestimmte Zeit geschlossenen Tarifverträgen die Verhandlungs- und Arbeitskampfmöglichkeit der tarifvertragswilligen Gewerkschaft nicht an das Ende bereits bestehender unbefristeter Tarifverträge konkurrierender Gewerkschaften binden. Anderenfalls wären neu in die Verhandlungen einsteigende Gewerkschaften solange von Tarifverhandlungen ausgeschlossen, bis der Tarifvertrag gekündigt wird und die Kündigungsfrist abgelaufen ist. Unter Umständen erfolgt aber über mehrere Jahre keine Kündigung, so dass die Betätigungsfreiheit tarifvertragswilliger Gewerkschaften dauerhaft leer liefe. Außerdem könnte die Gewerkschaft zwar nach vergleichsweise kurzer Zeit (etwa 12 oder – maximal, s. o. – 24 Monaten) von Ar331 Kritisch wiederum Jacobs, FS Buchner, S. 342 (352 f.) und auch Deinert, NZA 2009, 1176 (1182). 332 s. nochmals Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (272); kritisch Deinert, NZA 2009, 1176 (1182). 333 s. nochmals Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (273, dort Fn. 119). 334 Ebenso Franzen, RdA 2008, 193 (204): In dieser Konstellation habe der Sache nach die Friedenspflicht aus dem einen Tarifvertrag inhaltliche Wirkung auch für Dritte, was jedoch zumutbar erscheine, da sich die Gewerkschaft eben früher – bei der vorigen Tarifrunde – hätte bemerkbar machen müssen. 335 Franzen, RdA 2008, 193 (204).
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beitskampfmaßnahmen begleitete Verhandlungen über einen Entgelttarifvertrag führen, nicht aber über den zugehörigen Manteltarifvertrag oder weitere begleitende Regelungen. Es muss daher gleichzeitig mit den Verhandlungen über den Entgelttarifvertrag auch der Abschluss eines Manteltarifvertrages und weiterer Begleitregelungen verhandelt werden können, ohne dass es insoweit auf die Laufzeit bereits bestehender Tarifverträge dieser Art ankommt.336 (bb) Unterschiede – Anspruch der Arbeitgeberseite oder Selbstregulation? Ein Unterschied in der konkreten Umsetzung der Laufzeitharmonisierung in den Konzepten von Franzen und Kamanabrou liegt in Folgendem: a) Gemeinsamer Ausgangspunkt ist, dass nachfolgende Tarifrunden nur dann ebenfalls koordiniert stattfinden können, wenn die Laufzeiten der verschiedenen Tarifverträge fortlaufend aufeinander abgestimmt werden. Während aber nach Franzen die Arbeitgeberseite einen Anspruch gegen die konkurrierenden Gewerkschaften auf einen identischen Beendigungstermin hat, setzt Kamanabrou insoweit gleichsam auf eine Selbstregulation infolge gewerkschaftlichen Eigeninteresses. Franzen gestaltet seine Lösung so, dass die Gewerkschaften den Zeitpunkt des Ablaufs ihrer Tarifverträge einheitlich gestalten müssen, sofern der Arbeitgeber dies wünscht. Die Arbeitgeberseite kann demnach verlangen, dass das Ende konkurrierender Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften auf einen Termin fällt, sie hat einen Anspruch auf einen identischen Beendigungstermin; die Gewerkschaften sind verpflichtet, sich auf einen identischen Endzeitpunkt einzulassen.337 Kamanabrou hingegen hält ein Zusammenwirken der verschiedenen Gewerkschaften für wünschenswert, aber nicht erzwingbar. Nach ihrer Lösung enthält der zuerst abgeschlossene Tarifvertrag die maßgebliche Laufzeit, an deren Ablauf sich die neue Tarifrunde anschließt. Nachfolgende Tarifverträge hätten diese Laufzeit als Vorgabe, allerdings nicht als zwingende. Ein Abweichen, so Kamanabrou, wäre nicht zu empfehlen, da die an dem nachfolgenden Abschluss beteiligte Gewerkschaft ansonsten nach Ende der Laufzeit ihre Forderungen nicht mit Arbeitskampfmaßnahmen durchsetzen könnte338; rechtlich ausgeschlossen soll ein abweichender Beendigungstermin danach aber offenbar nicht sein. Demgegenüber knüpft Franzen zwar ebenfalls an den im ersten abgeschlossenen Tarifvertrag vereinbarten Beendigungstermin an – verpflichtet also nicht etwa die verschiedenen Gewerkschaften dazu, sich auf einen Endzeitpunkt zu einigen –, dieser soll aber für die nachfolgenden Tarifabschlüsse der anderen Gewerkschaft(en) bindend sein.339 Danach kann die „Zweitgewerkschaft“ also nicht, 336 337 338 339
Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (272). Franzen, RdA 2008, 193 (204 f.); ders., ZfA 2009, 297 (317). Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (272 f.). Franzen, RdA 2008, 193 (204).
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wie es im Modell Kamanabrous jedenfalls theoretisch möglich ist, einen vom „Ersttarif“ abweichenden Beendigungszeitpunkt unter „freiwilligem Verzicht“ auf die Möglichkeit vereinbaren, ihren Nachfolgetarifvertrag kampfweise durchzusetzen. b) Darin liegt ein durchaus relevanter Unterschied, der dazu veranlasst, sich für einen der beiden Wege zu entscheiden. Wie Reichold in seiner Betrachtung des „Anerkennungsstreiks“ herausgearbeitet hat340, kann ein – insbesondere erstmaliger – Streik neben der unmittelbaren Erzwingung eines konkreten Tarifvertrages auch einen langfristigen Effekt haben, indem der erfolgreich geführte Arbeitskampf das Verhandlungsgewicht der Gewerkschaft auch in späteren Tarifrunden beeinflusst.341 Die Gewerkschaft kann dann u. U. aufgrund des durch den früheren Streik auf die Gegenseite erzielten Eindrucks in folgenden Verhandlungsrunden ohne Kampf zu einer ihren Vorstellungen entsprechenden tariflichen Einigung kommen. Auf den ersten Blick könnte man daher meinen, dass es womöglich nicht von vorneherein unrealistisch sei, dass sich eine Gewerkschaft nach einmaligem erfolgreichen Arbeitskampf später nicht mehr freiwillig auf einen mit den Tarifverträgen der anderen Gewerkschaft(en) identischen Endzeitpunkt einlassen will und den Ausschluss der kampfweisen Erzwingungsmöglichkeit in Kauf nimmt, weil sie sich durch den früheren Arbeitskampf ausreichend etabliert wähnt, um auf einen Streik nicht mehr unbedingt angewiesen zu sein. Dabei würde indes übersehen, dass der fortwirkende Eindruck, den eine Gewerkschaft mit einem einmal erfolgreich geführten Arbeitskampf erzielen kann, sich gerade auf das arbeitgeberische Bewusstsein ihrer potentiellen Kampfstärke stützt, also auf die als latente Drohung im Hintergrund jeder weiteren Verhandlungsrunde stehende Möglichkeit eines erneuten kampfmäßigen Konflikts. Diese latente Drohkulisse könnte aber die Gewerkschaft gerade dann nicht aufrechterhalten, wenn sie sich ihrer Streikmöglichkeit durch Vereinbarung eines abweichenden Endtermins selbst begibt. Damit läuft die Entscheidung zwischen dem von Franzen (Anspruch der Arbeitgeberseite auf einheitlichen Beendigungszeitpunkt) und dem von Kamanabrou gewiesenen Weg (Selbstregulation) auf die Frage hinaus, ob man nicht nur zeitversetzte und damit potentiell permanente Arbeitskämpfe, sondern darüber hinaus auch zeitversetzte und damit potentiell permanente Tarifverhandlungen, also permanente (auch friedliche) Verhandlungen schlechthin ausschließen will. Denn zu solchen könnte es, auch wenn es nicht allzu wahrscheinlich sein dürfte, durchaus einmal kommen, wenn unter den
340
Reichold, in: Rieble, Zukunft des Arbeitskampfes, S. 9 (16 f.). Zu den Auswirkungen eines erfolgreichen Arbeitskampfes auf spätere Tarifrunden auch bereits Rüthers, AfP 1977, 305 (317); Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 345, 540, außerdem S. 329. 341
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konkurrierenden Gewerkschaften auch solche sind, die ganz grundsätzlich eher „konfliktscheu“ sind.342 Ein berechtigtes Interesse der Arbeitgeberseite, auch nicht mit permanenten friedlichen Verhandlungen konfrontiert zu sein, kann aber nicht ausgeschlossen werden. So weist Hromadka mit Recht darauf hin, dass es ebenso wenig wie eine ständige Konfrontation mit Streiks oder Streikdrohungen hingenommen werden könnte, wenn die Personalabteilungen jahraus jahrein mit Tarifverhandlungen beschäftigt wären.343 Die Laufzeitharmonisierung durch einen Anspruch der Arbeitgeber auf einen identischen Beendigungstermin rechtlich zwingend auszugestalten und effektiv abzusichern, erscheint daher angemessen. cc) Ergänzung der Laufzeitharmonisierung zum dreistufigen Modell Kamanabrous? Während Franzen es bei der Synchronisation der Verhandlungs- und Kampfphasen durch Laufzeitharmonisierung bewenden lässt, stellt diese im Konzept Kamanabrous unter dem Stichwort der „Zusammenführung von Verhandlungen“ nur eine erste Stufe dar. Es fragt sich daher, ob ihr in dem Ausbau dieses Lösungsansatzes zu einem dreistufigen Modell – mit den weiteren Stufen „Koordinierte Arbeitskämpfe“ und „Schlichtung“ – zu folgen ist. (1) Koordinierte Arbeitskämpfe? Nach Kamanabrou sollen die Arbeitskampfmaßnahmen der an einer Tarifrunde beteiligten Gewerkschaften in einem gewissen Umfang koordiniert werden. Es reiche nicht aus, getrennte Verhandlungen und aufeinander folgende Arbeitskämpfe zu verhindern. Bei der Bewertung ist zu differenzieren: (a) Gesamtstreikgeschehen als Gegenstand der Verhältnismäßigkeitsprüfung Zunächst soll nach Kamanabrou das Gesamtstreikgeschehen Gegenstand der Verhältnismäßigkeitsprüfung sein. Ein unkoordiniertes Nebeneinander von Streiks könne dazu führen, dass jeder einzelne Streik rechtmäßig, insbesondere verhältnismäßig ist, die Streiks in der Summe aber die Schwelle des Verhältnismäßigen überschreiten. Bezugspunkt der Verhältnismäßigkeitsprüfung344 könne nicht mehr nur der einzelne Arbeitskampf sein. Veränderungen bei der Vertre342 Dazu, dass nach h. M. die Arbeitskampfbereitschaft auch keine Voraussetzung der Tariffähigkeit ist, s. die Nachweise und die kurze Darstellung der Hintergründe bei Wank, RdA 2008, 257 (258); ausführlicher Wiedemann/Oetker, § 2 Rn. 375 ff. 343 Hromadka, GS Heinze, S. 383 (389). 344 s. dazu bereits die Bemerkungen oben Fn. 112.
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tung der Arbeitnehmerschaft machten es auch bei Verhältnismäßigkeitsfragen erforderlich, den einzelnen Arbeitskampf im Zusammenhang mit parallel laufenden Arbeitskämpfen zu betrachten.345 Dem ist zuzustimmen. Wie auch Jacobs und Reichold erkannt haben, muss im Rahmen der Verhältnismäßigkeit einer Arbeitskampfmaßnahme berücksichtigt werden, wie stark ein Arbeitgeber durch die Aktivitäten zweier oder mehrerer Gewerkschaften tatsächlich belastet wird. Die Rechtmäßigkeit ihrer Maßnahmen hängt von der tatsächlichen Gesamtwirkung auf den Arbeitgeber ab.346 Eine Notwendigkeit zur Koordinierung der Arbeitskämpfe folgt daraus allerdings allenfalls in Form eines Reflexes, nicht als institutionalisierte Rechtmäßigkeitsanforderung. Die Verhältnismäßigkeitskontrolle ist eine nachträgliche Kontrolle. Sie greift erst, nachdem die Arbeitskämpfe der verschiedenen Gewerkschaften – ob koordiniert oder unkoordiniert – bereits stattgefunden haben. Daran ändert sich im Prinzip nichts, es wird lediglich die kumulierte Kampfwirkung der Maßnahmen der verschiedenen Gewerkschaften berücksichtigt. Diese stehen aber nicht in der Pflicht, ihre Kämpfe zu koordinieren. Tun sie dies nicht und überschreiten die Kampfmaßnahmen auch in ihrer tatsächlichen Gesamtwirkung nicht die Verhältnismäßigkeitsschwelle, so sind die Maßnahmen verhältnismäßig und (vorbehaltlich anderer Rechtswidrigkeitsgründe) rechtmäßig. Die einzelne Gewerkschaft geht bei unkoordiniertem Arbeitskampfverhalten lediglich das Risiko ein, die Folgen der Rechtswidrigkeit des Arbeitskampfes tragen zu müssen, wenn zwar die eigenen Maßnahmen für sich betrachtet verhältnismäßig gewesen wären, sie aber in der Kumulation mit den Aktivitäten der anderen Gewerkschaft(en) das zulässige (Gesamt-)Maß überschritten haben. Insofern werden sich die Gewerkschaft zu fragen haben, ob sie nicht freiwillig eine Abstimmung ihrer Kampfmaßnahmen verabreden, um nicht Gefahr zu laufen, sich gegenseitig in einen durch die kumulierte Kampfwirkung rechtswidrigen Arbeitskampf mit den entsprechenden Folgen zu manövrieren. Koordinierung der Arbeitskämpfe also als Reflex, nicht aber als Rechtspflicht. (b) Notdienstvereinbarungen Als Fall einer notwendigen Koordinierung führt Kamanabrou Notdienstvereinbarungen an. Effektive Notdienstvereinbarungen seien unkoordiniert kaum vorstellbar.347
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Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (273 f.). JKO/Jacobs, § 7 Rn. 236; außerdem Reichold, RdA 2007, 321 (327): Schikanöses Vorgehen verschiedener Gewerkschaften gegen ein und denselben Arbeitgeber könne in seiner kumulativen Kampfwirkung durchaus gegen das ultima-ratio-Prinzip verstoßen; kritisch aber Greiner, Rechtsfragen, S. 466. 347 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (274). 346
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Dieses Anliegen ist ebenfalls berechtigt; es wird auch von anderen Autoren anerkannt. Seine Umsetzung bedarf jedoch einiger weiterführender Betrachtungen. So nimmt Meyer im Falle der Tarifpluralität eine Pflicht aller beteiligten Gewerkschaften zur Mitwirkung am Abschluss einer gemeinsamen Notdienstvereinbarung entsprechend § 431 BGB an. Die Unternehmen könnten gemeinsame Verhandlungen mit allen Gewerkschaften verlangen, weil diese eine unteilbare Leistung schuldeten; bei Scheitern der Verhandlungen sei das Unternehmen selbst zur Anordnung von Notdiensten befugt.348 Die Anknüpfung an § 431 BGB bleibt dabei sowohl dogmatisch als auch in den daraus gezogenen Schlussfolgerungen unklar. Einerseits zielen die Ausführungen Meyers auf eine „gemeinschaftliche Schuld aller Gewerkschaften entsprechend § 431 BGB, am Abschluss einer Notdienstvereinbarung mitzuwirken“349. Damit ist offenbar nicht an die von § 431 BGB angeordnete Gesamtschuld (§§ 421 ff. BGB) gedacht, sondern an die nicht gesetzlich geregelte sog. gemeinschaftliche Schuld.350 Kennzeichen der gemeinschaftlichen Schuld ist die Verpflichtung jedes Schuldners, im Zusammenwirken mit den anderen Schuldnern den Leistungserfolg herbeizuführen.351 Andererseits spricht aber Meyer auch von einer „gesamtschuldnerische(n) Verbindung entsprechend § 431 BGB“352, was wiederum auf die Annahme einer Gesamtschuld schließen lässt. Die Gesamtschuld hülfe hier aber wegen der grundsätzlichen Einzelwirkung (§ 425 BGB) gerade nicht weiter, um zu begründen, warum schon bei Ausscheren einer Gewerkschaft die „Notkompetenz“ des Arbeitgebers greifen sollte, obwohl die andere(n) Gewerkschaft(en) kooperationsbereit ist (sind). Demgegenüber wird bei der gemeinschaftlichen Schuld die primäre Pflicht – Herbeiführung eines Leistungserfolges im Zusammenwirken mit den anderen Schuldnern, hier Abschluss einer gemeinsamen Notdienstvereinbarung – nur gemeinschaftlich geschuldet, die §§ 421 ff. BGB mit der grundsätzlichen Einzelwirkung (§ 425 BGB) sind, weil sie von der Möglichkeit des einzelnen Schuldners zur alleinigen 348 Meyer, FS Adomeit, S. 459 (469); s. auch dens., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 149 (153 f.); aktuell wieder ders., FS Buchner, S. 628 (631, 639) sowie Fritz/Meyer, NZA Beilage 3/2010, S. 111 (114). 349 Meyer, FS Adomeit, S. 459 (469). 350 Zur gemeinschaftlichen Schuld s. allgemein nur MüKoBGB/P. Bydlinski, vor § 420 Rn. 7, § 421 Rn. 6, § 425 Rn. 19, § 431 Rn. 3 f.; Palandt/Grüneberg, vor § 420 Rn. 7 ff.; Staudinger/Noack, vor §§ 420 ff. Rn. 24 ff. und § 431 Rn. 3 f.; Jauernig/Stürner, § 431 Rn. 2 ff.; Soergel/M. Wolf, vor § 420 Rn. 11 ff., § 421 Rn. 22; ablehnend Erman/Ehmann, vor § 420 Rn. 11: Gesamtschuld mit auf Mitwirkung gerichteter Primärleistung. 351 MüKoBGB/P. Bydlinski, vor § 420 Rn. 7; Palandt/Grüneberg, vor § 420 Rn. 7; Staudinger/Noack, vor §§ 420 ff. Rn. 24. 352 Meyer, FS Adomeit, S. 459 (469).
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Leistung ausgehen, unanwendbar.353 Anders als bei der Gesamtschuld (§ 425 Abs. 2 BGB) sind bei der gemeinschaftlichen Schuld Verzug, Verschulden, Unmöglichkeit usw. mit Gesamtwirkung ausgestattet.354 Bei alledem ist aber ohnehin Vorsicht angezeigt: Wenn man über die Annahme einer Gesamtschuld oder einer gemeinschaftlichen Schuld eine Pflicht zur Mitwirkung an einer gemeinsamen Notdienstvereinbarung bejaht, setzt man implizit voraus, dass überhaupt eine Pflicht der Arbeitskampfparteien zur Schaffung solcher Vereinbarungen angenommen werden kann – damit begibt man sich aber auf weithin ungesichertes Terrain.355 Festeren Boden dürfte man mit folgender Lösung gewinnen: Es besteht keine Pflicht, sondern eine Obliegenheit der konkurrierenden Gewerkschaften, sich auf eine gemeinsame, abgestimmte Notdienstvereinbarung einzulassen.356 Dieser Obliegenheit eignet allerdings die Besonderheit, dass es sich – ähnlich der von Meyer angenommenen gemeinschaftlichen Schuld – um eine „gemeinschaftliche Obliegenheit“ handelt. Schert also auch nur eine Gewerkschaft aus und widersetzt sich einer gemeinsamen Notdienstvereinbarung, so wirkt sich dies auch zu Lasten der übrigen, kooperationswilligen Gewerkschaften aus („Gesamtwirkung“), und zwar konkret auf die Art, dass dann eine „Notkompetenz“ des Arbeitgebers greift. Für eine „Notkompetenz“ des Arbeitgebers sprechen sich speziell für den Fall des Spartenarbeitskampfes im Ergebnis auch andere Autoren aus357, dahin tendierte aus Anlass des Bahnstreiks auch das LAG Berlin-Brandenburg.358 Gewichtige Stimmen befürworten ohnehin ganz allgemein eine „Notkompetenz“ des Arbeitgebers.359
353 Jauernig/Stürner, § 431 Rn. 3; s. aber auch nochmals Erman/Ehmann, vor § 420 Rn. 11. 354 Staudinger/Noack, vor §§ 420 ff. Rn. 27; s. aber auch MüKoBGB/P. Bydlinski, § 425 Rn. 19. 355 s. zum Ganzen die Überblicke über den Streitstand bei Gamillscheg, KollArbR I, § 24 V. 3. c), S. 1169 ff.; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 43 Rn. 70 ff., 148 ff.; zuletzt dazu Scholz, FS Buchner, S. 827 (837). 356 Zum Begriff der Obliegenheit s. auch oben Teil 2, Kapitel 1, unter C. III. 2. a) bb) (1). 357 F. Bayreuther, NZA 2008, 12 (17), da anderenfalls die kampfführende Gewerkschaft Einfluss auf den arbeitskampfrechtlichen Status der Mitglieder von Konkurrenzgewerkschaften nehmen könnte; so im Ergebnis auch v. Steinau-Steinrück/Glanz, NZA 2009, 113 (115) und jetzt Scholz, FS Buchner, S. 827 (837); für den Bereich der Daseinsvorsorge bereits Meyer, NZA 2006, 1387 (1390). 358 LAG Berlin-Brandenburg 24. 10. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 79; s. zu der Entscheidung auch Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (128 f.); Buchner, BB 2008, 106 (109). 359 Etwa ErfK/Dieterich, Art. 9 GG Rn. 188; HWK/Hergenröder, Art. 9 GG Rn. 294; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 43 Rn. 101 ff.; s. auch H. Otto, Arbeitskampfund Schlichtungsrecht, § 8 Rn. 37; offen gelassen von BAG 14. 12. 1993 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 129, unter I. 4. b) bb) der Gründe.
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(c) Zwischenergebnis Da, wie gesehen, auch das Anliegen von Kamanabrou, für die Verhältnismäßigkeitsprüfung die kumulierte Kampfwirkung zu berücksichtigen, anerkennenswert ist, kann man ihren Überlegungen zur zweiten Stufe – Koordinierte Arbeitskämpfe – bis hierher und im Ergebnis zustimmen. Dies wird allerdings über einen kombiniert institutionalisiert-individuellen Ansatz erreicht, der als eigentlich institutionalisiertes Element bislang nur die Laufzeitharmonisierung kennt, während die Verhältnismäßigkeitsprüfung trotz ihres erweiterten Gegenstandes auch weiterhin eine Frage des Einzelfalles ist. Eine Koordinierung ist zwar bei Notdienstvereinbarungen geboten, dies betrifft aber nicht die Durchführung des Arbeitskampfes als solche. Das eigentlich institutionalisierende Element der zweiten Stufe des Modells von Kamanabrou, die Bildung einer gemeinsamen Streikführung, ist jetzt auf seine Begründbarkeit zu untersuchen. (d) Pflicht zur Bildung einer gemeinsamen Streikführung? Um die Streiks koordinieren zu können, sollen nach Kamanabrou die beteiligten Gewerkschaften dazu verpflichtet werden, eine Art Streikkomitee, eine gemeinsame Streikführung, zu bilden. Die Gesamtheit der Gewerkschaften sei Ansprechpartner für die Arbeitgeberseite. Besonders an dieser Stelle schlägt der rechtsvergleichende Ansatz Kamanabrous durch. Im britischen Anerkennungsmodell sind konkurrierende Gewerkschaften ggf. zur Kooperation angehalten.360 Dies gibt Anlass, in etwas größerem Zusammenhang zur Bedeutung der Rechtsvergleichung für den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung Stellung zu nehmen. (aa) Exkurs zur Rechtsvergleichung a) Rechtsvergleichung im Tarifkollisionsrecht aa) Rechtsvergleichende Argumente hat in die Debatte um die Tarifpluralität zunächst vor allem Hromadka eingebracht. Er untersucht die US-amerikanische, die britische und die türkische Rechtslage361 und kommt zu dem Ergebnis, dass 360 s. o. B. II. 2. b) cc) (2) und nochmals Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (266); ferner Hromadka, GS Heinze, S. 383 (391); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 124 (127); Rebhahn, NZA 2001, 763 (767) und im Gesamtkontext Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 99, 120, Abdruck der entsprechenden Vorschriften S. 169. 361 Hromadka, GS Heinze, S. 383 (389 ff.); zur USA und zu Großbritannien s. auch nochmals Hromadka, in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 124 (126 ff.); ferner Hromadka/Schmitt-Rolfes, NZA 2010, 687 (690). Zur Türkei vgl. auch Soyer, in: Recht und Freiheit, Symposion zu Ehren von Reinhard Richardi, S. 99 (107) sowie jüngst Koop, Tarifvertragssystem, S. 170; ferner Kabakcı, ZIAS 2009, 140 (142). Zu den USA Koop, ebd., S. 171 sowie jetzt ausführlich F. Bayreuther, ZfA 2009, 747 (749 ff.) und
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sich alle drei Rechtsordnungen, auf je unterschiedlichen Wegen, für den Grundsatz der Tarifeinheit entschieden hätten.362 Für einen Betrieb oder – genauer – für eine Verhandlungseinheit363 gebe es grundsätzlich nur einen Tarifvertrag.364 Aus diesem Befund zieht Hromadka den Schluss, dass – ungeachtet der Frage der Übertragbarkeit einer dieser Lösungen auf das deutsche Recht365 – eine moderne Rechtsordnung an dem Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität nicht vorbei komme.366 bb) Diese Feststellung überrascht insofern, als damit – nimmt man die sich auf die Mitgliedsstaaten der EU (Stand 2001, ohne Luxemburg) sowie auf die USA erstreckende rechtsvergleichende Analyse von Rebhahn hinzu – die Rechtsordnungen von Ländern wie Italien367, den Niederlanden, Belgien, Portugal, Schweden368 und Finnland zumindest in diesem Punkt implizit der Rückständigkeit geziehen werden. Denn nach Rebhahns Analyse können in etwa der Hälfte der von ihm untersuchten Rechtsordnungen, darunter in denen der genannten Länder, in einem Betrieb grundsätzlich mehrere Tarifverträge konkurrierender Gewerkschaften nebeneinander zur Anwendung kommen.369 So meint denn auch Jacobs, dass sich das deutsche Tarifrecht, entgegen dem von Hromadka erweckten Eindruck, mit der Zulassung der Tarifpluralität in guter Gesellschaft mit zahlreichen anderen europäischen Rechtsordnungen befände.370 Demgegenüber heißt es allerdings wiederum bei Reichold, der rechtsvergleichende Blick über die Grenzen hinaus müsse die Gegner des Grundsatzes der Tarifeinheit nachdenklich stimmen, weil und soweit er quasi öffentlich-rechtliche Mechanismen im Ausland be-
zuletzt Thüsing, NZA Beilage 3/2010, S. 104 (106) sowie Zachert, FS Bauer, S. 1195 (1205). 362 Hromadka, GS Heinze, S. 383 (389). 363 Zum Begriff der Verhandlungseinheit („bargaining unit“) und zu seiner Bedeutung für die Möglichkeit einer Tarifpluralität im britischen Recht s. nochmals Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 110 ff.; ferner Harth/Taggart, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Großbritannien Rn. 97; für das amerikanische Recht s. Gamillscheg, ZfA 1975, 357 (386 ff.) und jetzt F. Bayreuther, ZfA 2009, 747 (751, 755 ff., 761 ff.). 364 Hromadka, GS Heinze, S. 383 (392); Hervorhebungen aus dem Original übernommen. 365 Dazu Hromadka, GS Heinze, S. 383 (392 f.) und mit Blick auf das britische Recht jetzt weiterführend Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 145 ff., 156 f. 366 Hromadka, GS Heinze, S. 383 (393); ebenso Wallisch, FS Löwisch, S. 427 (447). 367 Zu Italien s., im gleichen Sinne wie Rebhahn, auch Gamillscheg, KollArbR I, § 17 III. 3. c) (1) (a), S. 751 m.w. N.; Koop, Tarifvertragssystem, S. 174; ausführlich zuletzt Greiner, Rechtsfragen, S. 327 ff. 368 Zu Schweden jetzt auch Greiner, Rechtsfragen, S. 332 ff. 369 Rebhahn, NZA 2001, 763 (767); s. auch Koop, Tarifvertragssystem, S. 174. Dabei zählt Rebhahn als Gegner der Rechtsprechung des BAG zum Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität auch Deutschland mit; zu Österreich, das er ebenfalls hierher rechnet, s. noch den folgenden Text. 370 Jacobs, NZA 2008, 325 (329, mit Fn. 76).
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lege, die die Tarifeinheit, etwa in den USA, England, Frankreich371 und Österreich372, sicherten.373 b) Die Schwierigkeiten der Rechtsvergleichung im kollektiven Arbeitsrecht aa) Im Allgemeinen Hier offenbaren sich wohl exemplarisch die Schwierigkeiten der Rechtsvergleichung insbesondere im kollektiven Arbeitsrecht. Man muss kein grundsätzlicher Rechtsvergleichungs-Skeptiker sein, um der Einschätzung Schlachters – die sich diesem Verdacht selbst gewiss nicht ausgesetzt sieht – zuzustimmen, dass kaum jemand das fremde Recht, noch dazu mehrerer Staaten parallel, in seinen Funktionen mit Anspruch auf Vertiefung wirklich zu überblicken in der Lage ist.374 Dabei ist eben dieser Vertiefungsanspruch gerade im Bereich des Arbeitsrechts und hier umso mehr in dem des kollektiven Arbeitsrechts unabdingbar. Denn während für die Rechtsvergleichung in anderen Teilrechtsgebieten gelten mag, dass sie vom konkreten Einzelproblem her kommt und dass sich ihr daher das Problem einer dogmatischen Eingliederung einer Lösung nicht stellen kann375, besteht in der arbeitsrechtsvergleichenden Methodendiskussion im Grundsatz Übereinstimmung darin, dass eine isolierte rechtsvergleichende Gegenüberstellung nur sehr behutsam vorgenommen werden kann376, schon weil einem bloßen Normenvergleich ohne Einbeziehung des gesellschaftspolitischen Hintergrunds nur eine begrenzte Aussagekraft zukommt377. Elemente unter371 Zu Frankreich auch Rebhahn, NZA 2001, 763 (767); Zumfelde/Remy, NZA 2009, 186 sowie jetzt F. Bayreuther, ZfA 2009, 747 (754); Greiner, Rechtsfragen, S. 322 ff.; Thüsing, NZA Beilage 3/2010, S. 104 (105 f.); Zachert, FS Bauer, S. 1195 (1205 f.). 372 Zu Österreich beachte aber noch den folgenden Text. 373 Reichold, RdA 2007, 321 (322 f.); im Ergebnis ähnliche Einschätzung nun bei Thüsing, NZA Beilage 3/2010, S. 104 (105). 374 Schlachter, RdA 1999, 118 (123); s. auch Gamillscheg, ZfA 1975, 357 (390, 398); dens., FS Zweigert, S. 433 ff.; allgemein zur „Unmöglichkeit der Rechtsvergleichung“ jüngst Mincke, in: Ebke/Kirchhof/Mincke (Hrsg.), Sprache und Recht – Recht und Sprache, S. 39 ff. (40). 375 Zweigert, FS Bötticher, S. 443 (448): Rechtsvergleichung als ihrer Natur nach antidogmatische Methode; relativierend zum (ihrer Ansicht nach: vermeintlichen) Gegensatz zwischen Rechtsvergleichung und Rechtsdogmatik aber Junker, JZ 1994, 921 (923 f.); Schlachter, RdA 1999, 118 (119 f.). 376 Weiss, FS Simon, S. 579 (584 f.); Zachert, DB 1991, 1221 (1225); ders., FS Bauer, S. 1195 (1205). 377 Weiss, FS Simon, S. 579 (584 ff.); Zachert, DB 1991, 1221 m.w. N.; jüngst F. Bayreuther, ZfA 2009, 747 (775); s. auch Schlachter, RdA 1999, 118 (119): Man müsse sich von der Vorstellung lösen, dass Gegenstand des Vergleichs die einzelne positivrechtliche Norm oder Institution selbst sei, Gegenstand des Vergleichs müsse vielmehr sein, wie sich ein Lebenssachverhalt in der Praxis darstellt. Die Rechtswirklich-
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schiedlicher Rechtsordnungen können nur im Gesamtkontext des jeweiligen Rechtsrahmens verlässlich interpretiert werden.378 Dabei ist der Grad der Übertragbarkeit vorgefundener Lösungen auf ein anderes Rechtssystem nach Schlachter davon abhängig, wie eng das Verhältnis der untersuchten Lösung zur Machtverteilung innerhalb einer Gesellschaft ist. Er sinkt, je mehr die Übernahme einer Regelung dazu beitragen könnte, die Machtbalance des „Importlandes“ zu verändern. Die Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus dem kollektiven Arbeitsrecht ist daher geringer als diejenige individualarbeitsrechtlicher Regelungen.379 Rechtsvergleichung hat demnach im kollektiven Arbeitsrecht, in dem es nach Beobachtung Rebhahns kaum Rechtskreise gibt380, spezifische Schwierigkeiten zu überwinden.381 Hier vor allem erschließt sich die Teilmaterie erst im Zusammenhang mit ihrem institutionellen Umfeld und ist es weit schwieriger, für die Regelung von Einzelfragen ein tertium comparationis zu finden als in den meisten anderen Rechtsgebieten. Die „Transplantation“ fremder kollektivrechtlicher Regelungen in die eigene Rechtsordnung begegnet Bedenken. Ohne institutionelle Gesamtanalyse ist es nicht möglich, die Dimension einer Einzelmaterie im jeweiligen System überhaupt zu erfassen.382 bb) Realisierung in den rechtsvergleichenden Betrachtungen zum Tarifkollisionsrecht Die Rechtsvergleichung steht demnach im kollektiven Arbeitsrecht vor gleich zwei Herausforderungen. Zum ersten muss die Regelung, die die inmitten stehende Rechtsfrage in der zum Vergleich herangezogenen Rechtsordnung erfahren hat, als solche vollständig durchdrungen werden. Zum zweiten muss sie im Kontext der mit der geregelten Frage zusammenhängenden Bestandteile des jeweiligen Gesamtsystems gesehen werden. Beide Schwierigkeiten aktualisieren sich in der rechtsvergleichenden Betrachtung der Tarifpluralität. Schon die Durchdringung der Teilmaterie scheint hier nur schwer zu gelingen. Dies zeigt sich an zwei Beispielen. Zum einen daran, dass für eine aus deutscher Sicht noch wenig „exotische“ Rechtsordnung wie die österreichische im deutschen Schrifttum noch nicht einmal Einigkeit darüber besteht, ob denn nun hier eine Tarifpluralität hingenommen wird oder ob Tarifeinkeit berücksichtigt bei ihren Betrachtungen der britischen und der spanischen Rechtslage jeweils auch Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (266 f., 268 f.). 378 Sunnus, AuR 2008, 1 (11); Weiss, FS Simon, S. 579 (584 ff.); s. jetzt auch mit Blick auf die Tarifpluralität Thüsing, NZA Beilage 3/2010, S. 104. 379 Schlachter, RdA 1999, 118. 380 Rebhahn, NZA 2001, 763. 381 Weiss, ZfA 1975, 207. 382 Weiss, ZfA 1975, 207 (234); s. auch dens., FS Simon, S. 579 (584 ff.).
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heit herrscht.383 Zum anderen daran, dass die Einordnung, die das britische Modell durch Hromadka erfahren hat384, einer eingehenden Prüfung nicht in vollem Umfang standgehalten hat385. Auch die erforderliche Berücksichtigung der mit der Teilmaterie der Tarifpluralität im Zusammenhang stehenden Institutionen des jeweiligen Gesamtsystems stellt den Wert rechtsvergleichender Argumente mitunter in Frage. So ist für die USA, auf deren Lösung sich Hromadka gleichfalls bezieht, schon vor längerer Zeit darauf hingewiesen worden, dass die dortige Rechtslage im Wesentlichen auf einer von unserer Rechtsordnung abweichenden Funktion und Bedeutung der Gewerkschaften beruhe.386 Die Gewerkschaft bilde dort die gewählte Repräsentantin der Mehrheit der Arbeitnehmer, nicht die Vertretung ihrer Mitglieder. Ihr 383 s. einerseits – für die Möglichkeit von Tarifpluralität in Österreich – Gamillscheg, KollArbR I, § 17 III. 3. c) (1) (a), S. 751 m.w. N.; Koop, Tarifvertragssystem, S. 174; Rebhahn, NZA 2001, 763 (767, mit Fn. 45); andererseits – für Tarifeinheit nach österreichischem Recht – F. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 380 (Fn. 142); Reichold, RdA 2007, 321 (322 f.). Zur Rechtslage in Österreich auch Marhold/Mayer-Maly, Österreichisches Kollektivarbeitsrecht, S. 76 ff., sowie Pelzmann, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Österreich Rn. 253 ff., insbesondere Rn. 257, deren Äußerungen jeweils auf Tarifeinheit im Betrieb deuten; zuletzt F. Bayreuther, ZfA 2009, 747 (754, mit Fn. 42). 384 s. nochmals Hromadka, GS Heinze, S. 383 (390 ff.); dens., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 124 (127 f.). 385 s. Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 136 ff., 146 ff., 155 f. Dabei ist allerdings anzumerken, dass Hromadka die Differenzierung zwischen (Tarifeinheit im) Betrieb und (Tarifeinheit in der) Verhandlungseinheit durchaus anspricht, s. Hromadka, GS Heinze, S. 383 (392). Richtigerweise kann man wohl für Großbritannien eine der Figur der „Tarifeinheit in der Sparte“ [dazu oben Teil 3, Kapitel 1, unter B. II. 4. b)] ähnliche Rechtslage feststellen: Das dort geltende Anerkennungsverfahren sichert – vorbehaltlich der Möglichkeit darüber hinausgehender freiwilliger Anerkennungen weiterer Gewerkschaften durch den Arbeitgeber (durchaus praxisrelevant, s. Harth/Taggart, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Großbritannien Rn. 93; Lautenschläger, a. a. O., S. 138; ferner Kamanabrou, ZfA 2008, 241 [266 f.]) – die Anerkennung jeweils nur einer Gewerkschaft pro Verhandlungseinheit und damit insoweit die Tarifeinheit; da aber der Begriff der Verhandlungseinheit nicht dem des Betriebes entspricht (s. zuletzt Greiner, Rechtsfragen, S. 330), sich vielmehr eine Verhandlungseinheit auch auf einen Teil eines Betriebes und der Arbeitnehmer beschränken kann und somit die Aufteilung eines Betriebes in mehrere Verhandlungseinheiten möglich ist, ist Raum für ein Nebeneinander unterschiedlicher Gewerkschaften und Tarifverträge in einem Betrieb, soweit sich die Verhandlungseinheiten nicht überschneiden; ausführlich zur britischen Rechtslage Lautenschläger, a. a. O., S. 68 ff., insbesondere S. 109 ff., 136 ff. sowie zur Ähnlichkeit mit einer „Tarifeinheit in der Sparte“ ihre Überlegungen S. 150 f. Von Greiner, Rechtsfragen, S. 350 (Fn. 653) wird das britische Modell der Tarifeinheit in der bargaining unit mit seinem eigenen Modell einer dynamisch-repräsentativen Tarifeinheit (a. a. O. S. 348 ff.) verglichen. Vgl. jetzt auch zur Rechtslage in den USA F. Bayreuther, ZfA 2009, 747 (756 f.). 386 Wiedemann/Arnold, ZTR 1994, 399 (402), die daran anschließen: „In Deutschland wäre ein solcher Grundsatz (scil.: der Tarifeinheit im Betrieb) mit dem in Art. 9 Abs. 3 GG grundgesetzlich gewährleisteten Koalitionspluralismus wohl unvereinbar.“; s. auch jüngst Zachert, FS Bauer, S. 1195 (1205).
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Recht, vom Unternehmer als Partner anerkannt zu werden, leite sich nicht aus ihrer Natur als Gewerkschaft, sondern aus dem Mandat her, das die Mehrheit der Arbeitnehmer eines Betriebs ihr durch Wahl und auf Zeit gegeben habe.387 In zahlreichen ausländischen Rechtsordnungen gilt zudem der Tarifvertrag bei Verbandsmitgliedschaft (oder eigenem Abschluss) des Arbeitgebers für alle vom Geltungsbereich erfassten Arbeitnehmer unabhängig von ihrer Organisationszugehörigkeit, hat er also auf Arbeitnehmerseite ohne weiteres Außenseiterwirkung.388 Die Rechtssysteme dieser Länder lassen sich daher sub specie der Tarifkollision schon insofern kaum mit dem deutschen System vergleichen, als dort – in den in der deutschen Tarifrechtslehre gebräuchlichen Begriffen ausgedrückt – in jedem Fall der Tarifkollision (mehrfache Tarifbindung des Arbeitgebers an nach ihrem Geltungsbereich einschlägige Tarifverträge) eine Tarifkonkurrenz, und zwar eine betriebsweite Tarifkonkurrenz, entsteht (vergleichbar der Kollektivnormen-Kollision im deutschen System, § 3 Abs. 2 TVG). Insoweit aber ist auch für Deutschland die Notwendigkeit der Herstellung betrieblicher Tarifeinheit unstreitig. Angesichts dieser Umstände verwundert es nicht, wenn Bepler gegenüber dem Verweis auf die Lösungen, die die Problematik der Tarifpluralität in anderen Rechtsordnungen gefunden habe, Zurückhaltung übt.389 (bb) Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen der Einpassung der Tarifpluralität in das System der deutschen Arbeitsrechtsordnung a) Für die arbeitskampfrechtliche Seite der Problematik, die Kamanabrou bei der Rechtsvergleichung im Blick hat und für die sie auf der zweiten Stufe ihres dreistufigen Modells unter dem Stichwort der koordinierten Arbeitskämpfe eine Pflicht der beteiligten Gewerkschaften zur Bildung einer gemeinsamen Streikfüh387 Wiedemann/Stumpf, § 4 Rn. 164; s. zu diesen Unterschieden auch Gamillscheg, ZfA 1975, 357 (387); Rebhahn, NZA 2001, 763 (767); beachte in diesem Zusammenhang außerdem den Hinweis von Schüren, RdA 1988, 138 (140, 148, dort Fn. 137): In der Konsequenz der genannten Unterschiede trifft die Gewerkschaften nach dem amerikanischen kollektiven Arbeitsrecht eine Pflicht zur fairen Interessenvertretung gegenüber allen Regelungsunterworfenen, also auch gegenüber den durch sie in der Verhandlungseinheit vertretenen Nichtmitgliedern (duty of fair representation); dazu nun auch Thüsing, NZA Beilage 3/2010, S. 104 (106). Ausführlicher Rechtsvergleich mit den USA jetzt bei F. Bayreuther, ZfA 2009, 747 (749 ff.). 388 Näher dazu Wiedemann/Oetker, § 3 Rn. 3 ff. m.w. N.; s. auch jüngst die Zusammenstellung bei Koop, Tarifvertragssystem, S. 177 f.; ferner Greiner, Rechtsfragen, S. 322 ff. 389 s. Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (118, Fn. 13) und dens., NZA Beilage 3/2010, S. 99 (103, Fn. 23); ganz ähnlich Jacobs, FS Buchner, S. 342 (350, Fn. 60), der mit Recht auf die fehlende isolierte Übertragbarkeit von Regelungsmechanismen aus ganz anders konzipierten ausländischen Arbeitskampf- und Tarifrechtsordnungen hinweist.
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rung postuliert, ist immerhin die in Großbritannien belegte Effektivität einer solchen Kooperationslösung anzuerkennen. Die „englische Krankheit“390 ist erfolgreich „therapiert“, über sie wird heute nur mehr in der Vergangenheitsform berichtet. Dies ist, auch eingedenk der im Arbeitskampfrecht anzustrebenden Rechtssicherheit391, ein beachtliches Argument. Für die Gesetzesauslegung führt Schlachter aus, dass es in Zweifelsfällen ein intersubjektiv vermittelbarer Grund für die Entscheidung ist, ein bestimmtes Auslegungsergebnis seinen Alternativen vorzuziehen, wenn diese Auslegungsvariante unter vergleichbaren Bedingungen im Ausland ihre Leistungsfähigkeit zur Erzielung gerechter und angemessener Ergebnisse unter Beweis gestellt hat392; Entsprechendes gilt für die Rechtsfortbildung393.394 b) Die Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung ist indessen nicht allein eine Frage der Effektivität, sondern ihr sind verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen und demnach auch Grenzen gesetzt. Wie bereits dargelegt worden ist, garantiert der in Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Koalitionspluralismus den Wettbewerb der entstandenen Verbände derselben sozialen Gruppe. Diese Garantie bedingt, dass den Koalitionen Möglichkeiten und Mittel zur Hand gegeben werden, mögliche Mitglieder von der eigenen Tätigkeit überzeugen und sich gegenüber den Konkurrenzverbänden positionieren zu können. Auch im Arbeitskampfrecht muss man daher bei Freigabe von Tarifpluralitäten akzeptieren, dass sich besonders die noch nicht als Tarifpartei etablierten Gewerkschaften erst einmal profilieren müssen. Gibt man den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb auf und fragt nach den Konsequenzen der Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung für das Arbeitskampfrecht, so ist von der Prämisse auszugehen, dass um anwendbare Tarifverträge gekämpft wird. Dann aber ist es hinzunehmen, dass auch der Arbeitskampf – neben der Durchsetzung einer tarifvertraglichen Ordnung der Rechte und Pflichten der (bereits gewonnenen) Gewerkschaftsmitglieder – faktisch auch organisationspolitischen Zwecken dient, indem er ein Solidaritätsgefühl vermittelt, die Mitgliederbindung stärkt und auch neue Mitglieder wirbt.395 Auch für die Durchführung des Arbeitskampfes gilt daher, dass Gewerkschaften nicht zur Kooperation gezwungen werden können. Vielmehr müssen die unterschiedlichen Verbände mit ihren unterschiedlichen Konzepten auch im Ar390
s. die Nachweise oben Fn. 167 und 168. Zur Bedeutung der Rechtssicherheit im hier gegebenen Zusammenhang s. o. B. III. 2. c) bb). 392 Schlachter, RdA 1999, 118 (120). 393 Dazu Gamillscheg, FS Kraus, S. 95 (102 ff.); Wank, Rechtsfortbildung, S. 54. 394 Ähnlich wie hier würdigt die rechtsvergleichenden Ergebnisse der bisherigen Diskussion jetzt Loritz, FS Buchner, S. 582 (597, 598); s. auch Thüsing, NZA Beilage 3/ 2010, S. 104 (105) zum „Vorrat an Lösungen“. 395 s. bereits oben B. III. 3. b) aa) (1). 391
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beitskampf als solche, d. h. als eigenständige Arbeitnehmervertretungen mit ihren sie voneinander unterscheidenden und für die Arbeitnehmer unterscheidbar machenden Profilen, erkennbar bleiben können. Diese Erkennbarkeit und Unterscheidbarkeit wäre nicht gewährleistet, wenn sie ihre Arbeitskämpfe unter die Führung eines gemeinsamen Streikkomitees zu stellen hätten, das nach außen gegenüber dem Arbeitgeber, damit aber leicht auch in der Wahrnehmung der Arbeitnehmer, als maßgeblicher Ansprechpartner aufzutreten hätte. Eine Pflicht der jeweils kampfführenden Gewerkschaften zur Bildung eines gemeinsamen Streikkomitees ist daher abzulehnen.396 Die freiwillige Bildung einer gemeinsamen Streikführung bleibt den Gewerkschaften unbenommen; sie wird sich u. U. auch anbieten, um nicht durch Kumulation der Kampfwirkung unkoordinierter Streiks deren Unverhältnismäßigkeit und Rechtswidrigkeit zu riskieren. Dies wäre aber, wie auch eine mögliche, über die Bildung einer gemeinsamen Streikführung hinausgehende Verhandlungs- und Tarifgemeinschaft, die nach hier vertretener Ansicht ebenfalls nicht erzwungen werden kann, wiederum nur ein tatsächlicher Reflex, keine zwingende Rechtmäßigkeitsanforderung eines Arbeitskampfes.397 (e) Zwischenergebnis: Kombiniert institutionalisiert-individueller Ansatz Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass die eigene Position sich bis hierher als „kombiniert institutionalisiert-individueller“ Ansatz charakterisieren lässt. Herzstück ist als ihr „institutionalisiertes“ Element die zwingende Laufzeitharmonisierung, die eine bindende und verlässliche Synchronisation der Verhandlungs- und Kampfphasen bewirkt. Weitere institutionalisierte Elemente wurden bisher nicht anerkannt. Zwar ist anzuerkennen, dass es für die Verhältnismäßigkeitsprüfung auf die tatsächliche, ggf. also kumulierte Gesamtwirkung der Arbeitskampfmaßnahmen auf die Arbeitgeberseite ankommt. Dies betrifft jedoch die nachträgliche Rechtmäßigkeitskontrolle im Einzelfall. Anzuerkennen ist ferner eine „gemeinschaftliche Obliegenheit“ der jeweils beteiligten Gewerkschaften zur Mitwirkung an einer abgestimmten Notdienstvereinbarung mit hilfsweiser „Notkompetenz“ des Arbeitgebers. Abzulehnen ist es aber insbesondere, die Gewerkschaften zur Bildung einer gemeinsamen Streikführung als Ansprechpartner für die Arbeitgeberseite während des Arbeitskampfes zu verpflichten. Aus praktischer Sicht wird eine Koordination der Arbeitskämpfe sich freilich für die Gewerkschaften empfehlen, um sicherzugehen, dass nicht die kumulierte Kampfwirkung unkoordinierter Kampfmittel zur Unverhältnismäßigkeit und damit zur Rechtswidrigkeit mit allen ihren Folgen führt. Gleichsam reflexartig mag es da396 Den Vorschlag Kamanabrous insoweit mit Recht ablehnend jetzt auch Jacobs, FS Buchner, S. 342 (353); s. auch Schliemann, FS Bauer, S. 923 (938); jüngst Greiner, Rechtsfragen, S. 466 f. 397 Vgl. dazu schon oben B. III. 3. b) cc) (1) (a).
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her faktisch in weiterem als dem nach hiesiger Ansicht rechtlich verbindlich vorschreibbaren Maße zur Koordinierung von Arbeitskämpfen kommen. (2) Verbindliche Schlichtung bei Vorhandensein funktionsfähiger tariflicher Ordnung? (a) Als dritte und letzte Stufe ihres Modells sieht Kamanabrou ein verbindliches Schlichtungsverfahren vor. Für den Fall, dass eine Gewerkschaft zu einem Tarifabschluss mit der Arbeitgeberseite kommt, sollen die übrigen Gewerkschaften, bevor sie Arbeitskampfmaßnahmen fortsetzen oder erstmals ergreifen können, auf die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens verpflichtet werden, wenn der abgeschlossene Tarifvertrag eine Ordnung der Arbeitsbedingungen auch ihrer Mitglieder bietet. Es besteht danach insbesondere bei einem Erstabschluss durch eine Branchengewerkschaft ein Einlassungszwang für Spartengewerkschaften, sofern der Branchentarifvertrag auch die durch sie vertretenen Berufsgruppen erfasst. Sei bereits eine autonom ausgehandelte Ordnung der Arbeitsbedingungen vorhanden, so wäre es unverhältnismäßig, wegen spezieller Regelungen für einzelne Arbeitnehmergruppen unmittelbar einen Arbeitskampf zu führen. In dem Fall, dass bereits eine Lösung für sämtliche Arbeitnehmer gefunden wurde, sei es nicht angemessen, ohne einen Schlichtungsversuch wegen Sonderinteressen einzelner Gruppen die Belastungen eines Arbeitskampfs in Kauf zu nehmen. In der Konsequenz dieser Grundgedanken befürwortet Kamanabrou ein verbindliches Schlichtungsverfahren auch für einige weitere Konstellationen, in anderen verwirft sie es.398 (b) Dieses Schlichtungsmodell ist abzulehnen.399 Denn dahinter steht der gleiche – abzulehnende – Grundgedanke wie im Modell von Bayreuther. Nach dessen Ansatz soll das Streikrecht einer Gewerkschaft bei Zulassung von Tarifpluralitäten im Falle des Vorhandenseins einer funktionsfähigen Tarifordnung im Betrieb gänzlich ausgeschlossen sein. Eine Minderheitsgewerkschaft darf danach überhaupt keinen Streik mehr führen, wenn der personelle Anwendungsbereich eines Mehrheitstarifvertrages die in seinem Geltungsbereich beschäftigten Arbeitnehmer im Wesentlichen abdeckt. Zwar unterscheiden sich beide Konzepte in der Intensität der jeweiligen Beschränkung der Streikmöglichkeit ganz beträchtlich. Bei Bayreuther geht es darum, Gewerkschaften, die Tarifbedingungen für einen Bereich erzwingen wollen, der bereits eine funktionsfähige tarifliche Ordnung erfahren hat, den Arbeitskampf überhaupt zu versagen, während Kamanabrou ihren – im Grundsatz weiterhin zulässigen – Arbeitskampfmaßnahmen lediglich ein verbindliches Schlichtungsverfahren vorschalten möchte. 398 399
s. im Einzelnen die Darstellung oben B. II. 2. b) cc) (3) (c). Ebenso mit ähnlicher Kritik jetzt Greiner, Rechtsfragen, S. 456.
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Gleichwohl ist der Impetus beider Vorschläge derselbe. Beide schließen an das verbreitete Verdikt des insbesondere den Spartengewerkschaften attestierten „gruppenegoistischen“ Tarif- und Arbeitskampfverhaltens zu Lasten der übrigen Belegschaftsteile an, das jedoch, wie bereits gezeigt, nicht zu rechtfertigen ist. Auch der Vorschlag von Kamanabrou läuft letztlich darauf hinaus, die Anliegen von Teilen der Arbeitnehmerschaft als störende „Sonderwünsche“ von minderer Berechtigung abzuqualifizieren. Denn ein allgemeines, aus dem ultima-ratioPrinzip abgeleitetes Schlichtungserfordernis vor Einleitung von Arbeitskampfmaßnahmen, für das sich eine Minderheitsauffassung in der Literatur einsetzt, lehnt sie gerade ab.400 Ein Einlassungszwang soll also nicht generell, sondern nur in der speziellen Konstellation des Vorhandenseins einer funktionsfähigen Tarifordnung in Gestalt des durch eine andere Gewerkschaft geschlossenen Tarifvertrages bestehen. Dies ist aber kein zu rechtfertigender Anknüpfungspunkt für einen Schlichtungszwang. Damit ist nicht über die Frage entschieden, ob man, entgegen Kamanabrou, ganz generell aus dem ultima-ratio-Prinzip ein Schlichtungserfordernis vor Einleitung von Arbeitskampfmaßnahmen entnimmt. Forderungen, Arbeitskampfmaßnahmen gestützt auf das ultima-ratio-Prinzip erst nach Durchführung eines Schlichtungsverfahrens zuzulassen, werden unabhängig von der Frage der Tarifund Arbeitskampfpluralität schon seit langem erhobenen401 und wurden anlässlich der aktuellen Entwicklung verschiedentlich erneuert402. Ein solches allgemeines Schlichtungserfordernis mag man sogar befürworten, dies muss hier offen bleiben. Anknüpfungspunkt des Schlichtungszwangs ist dann aber das Interesse an der Vermeidung von Arbeitskämpfen überhaupt, d. h.: Wenn Schlichtungszwang, dann für alle Gewerkschaften und ungeachtet der Pluralitätsproblematik. 400 s. Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (276) m. N. auch zur Gegenansicht; ablehnend etwa auch Gamillscheg, KollArbR I, § 24 III. 3. c) (1), S. 1150 f.; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 30 Rn. 42. 401 Etwa Reuter, FS Wiese, S. 427 (436); Brox/Rüthers/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 202; s. auch BAG GS 21. 4. 1971 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43, Teil III A. 2. a): „. . . der Arbeitskampf muß also das letzte mögl. Mittel (ultima ratio) sein. Deshalb ist auch ein Schlichtungsverfahren erforderl.“ – Der Entwurf von Birk/Konzen/Löwisch/ Raiser/Seiter, Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, sieht in § 4 ein verbindliches Schlichtungsverfahren (nur) für den Fall vor, dass es von einer Partei beantragt wird; s. dazu die Erläuterungen S. 39 f. 402 Etwa Jacobs, NZA 2008, 325 (331) und jüngst wieder ders., FS Buchner, S. 342 (356) und ders., ZRP 2010, 199; Kannegiesser, ZfA 2008, 305 (308); Lembke, BB 2007, Heft 45, S. I; Meyer, FS Adomeit, S. 459 (465); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 149 (154); v. Steinau-Steinrück/Glanz, NZA 2009, 113 (115); s. auch Buchner, BB 2007, 2520 (2521 f.); Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2007/2008, Nr. 556, S. 364; Rüthers, myops 2/2008, 57 (60 f.) und zuletzt Koop, Tarifvertragssystem, S. 338 (mit Fn. 20) sowie Monopolkommission, Hauptgutachten 2008/2009, S. 353, Nr. 1012; kritisch Greiner, Rechtsfragen, S. 452 ff.
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dd) Zwischenergebnis Kernstück der vorzugswürdigen Lösung ist eine Laufzeitharmonisierung, die durch einen Anspruch der Arbeitgeberseite auf einen identischen Beendigungszeitpunkt der Tarifverträge zu realisieren ist. Damit kommt es – allerdings beschränkt auf befristete, insbesondere Entgelttarifverträge – zu einer Synchronisation der Verhandlungs- und Kampfphasen. Der im ersten abgeschlossenen Tarifvertrag vereinbarte Beendigungstermin entscheidet über den Zeitraum, für den Arbeitskampfmaßnahmen aller Gewerkschaften – so sich die Arbeitgeberseite auf den Anspruch auf Festlegung eines einheitlichen Endzeitpunktes beruft – ausgeschlossen sind. Neue Verhandlungspartner können nur zu einer neuen Verhandlungsrunde einsteigen. Der Beginn einer neuen Verhandlungsrunde ist, wenn die bisher handelnden Tarifvertragsparteien nicht schon vorher mit Verhandlungen beginnen, mit dem Ablauf des bestehenden Tarifvertrags anzusetzen. Dadurch tritt man dem Hauptproblem der aufgrund abweichender Laufzeiten zeitversetzt und damit potentiell permanent stattfindenden Arbeitskämpfe, die die Betriebe dauerhaft lahm zu legen drohten, wirksam entgegen. Durch parallele Verhandlungen wird der Arbeitskampfdruck in zeitlicher Hinsicht vermindert. Es bleibt bei einzelnen Verhandlungsrunden mit Ergebnissen, die für einen längeren Zeitraum gelten; Streikkaskaden werden verhindert, der Arbeitsfrieden wird gesichert. Die Drohkulisse des Dauerarbeitskampfes fällt in sich zusammen. Ferner kommt es für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit auf das Gesamtstreikgeschehen an und besteht ggf. eine durch eine „Notkompetenz“ des Arbeitgebers bewehrte Obliegenheit der konkurrierenden Gewerkschaften, am Abschluss einer abgestimmten Notdienstvereinbarung mitzuwirken. Dagegen besteht keine Pflicht zur Bildung eines gemeinsamen Streikkomitees. Abzulehnen ist auch ein an das Vorhandensein einer funktionsfähigen Tarifordnung anknüpfendes Schlichtungsmodell, womit aber über eine evtl. aus dem ultima-ratio-Prinzip ableitbare allgemeine Pflicht, sich vor Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen auf ein Schlichtungsverfahren einzulassen, nicht geurteilt ist. Insgesamt ergibt sich ein „kombiniert institutionalisiert-individueller Ansatz“, mit dem das Hauptproblem der Streikhäufigkeit in den Griff zu bekommen sein dürfte.
c) Zusätzliche Begrenzung der Streikintensität? – Das Streikteilnahmerecht der nicht und der anders organisierten Arbeitnehmer im pluralistischen Tarif- und Arbeitskampfrechtssystem aa) Neue Aktualität einer altbekannten Frage Die Diskussion um die arbeitskampfrechtlichen Folgen einer veränderten tarifkollisionsrechtlichen Ausgangslage durch Ablösung der Tarifeinheit im Betrieb zugunsten der Akzeptanz von Tarifpluralitäten hat auch die Frage nach der
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Streikberechtigung der nicht und vor allem der anders organisierten Arbeitnehmer wieder auf die Tagesordnung gehoben. Unter einem besonderen Gesichtspunkt sieht hier auch der Vorsitzende des 4. BAG-Senats Bepler Erörterungsbedarf. Die Konkurrenzsituation bei Gewerkschaftspluralitäten werde in aller Regel dazu führen, dass die Gewerkschaft, die zuerst zu einem Tarifabschluss gekommen ist, eine Revisionsklausel für den Fall erzwingen müsse, dass die konkurrierende Organisation einen günstigeren Abschluss schafft. Dies könne in Form einer Meistbegünstigungsklausel, eines Sonderkündigungsrechts403 oder eines verstärkten Verhandlungsanspruchs geschehen. Es sei fraglich, ob ein solcher Tarifvertrag mit Revisionsklausel überhaupt Friedenspflicht vermitteln könne, konkret, ob nicht zumindest die an diesen Tarifvertrag gebundenen Arbeitnehmer wegen ihres Interesses an einem günstigen Abschluss durch die konkurrierende Gewerkschaft befugt sein müssten, einem Streikaufruf der konkurrierenden Gewerkschaft zu folgen.404 Dazu ist zu sagen, dass nach richtiger Auffassung solche Revisionsklauseln insbesondere in Form sog. „Meistbegünstigungsklauseln“, die die Tarifvertragsparteien als Bestandteil des schuldrechtlichen Teils des Tarifvertrages405 verpflichten, keine abweichenden tarifvertraglichen Regelungen mit Dritten zu vereinbaren und für den Fall des Zuwiderhandelns der jeweils anderen Tarifvertragspartei einen Anspruch auf Übernahme des Inhalts des Zweittarifvertrages einräumen406, unzulässig und unwirksam sind.407 Vor allem wirken solche Klau403 Nicht zu verwechseln mit dem oben B. II. 3. b) bb) und B. III. 2. b) diskutierten Sonderkündigungsrecht der Arbeitgeberseite. 404 Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (127), der fragt, ob nicht dann mit dem Streik in Zeiten der Gewerkschaftspluralität eine existentielle Gefährdung des Tarifvertragssystems insgesamt einhergehe, das einen wesentlichen Teil seiner Attraktivität für die Arbeitgeberseite auch aus der ungestörten Kalkulationssicherheit auf Zeit gewinne, welche die relative Friedenspflicht vermittle. 405 Zur Zuordnung von Meistbegünstigungsklauseln zum schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrages s. Rieble, NZA 2000, 225 (230); Rieble/Klebeck, RdA 2006, 65 (67); Waas, ZTR 2000, 341 (344). 406 s. zum Begriff der Meistbegünstigungsklausel Franzen, RdA 2008, 193 (199); Rieble/Klebeck, RdA 2006, 65 (66 f.); Waas, ZTR 2000, 341 (341 f., 344 f.). 407 Ausführlich und überzeugend Rieble/Klebeck, RdA 2006, 65 (68 ff.); ihnen folgend Franzen, RdA 2008, 193 (199); Greiner, Rechtsfragen, S. 376; s. auch schon Rieble, NZA 2000, 225 (230 f.); ihm zustimmend Söllner, Sonderbeilage zu NZA Heft 24/ 2000, S. 33 (39); kritisch auch Meyer, FS Adomeit, S. 459 sowie Rüthers, FAZ vom 20. 7. 2007, S. 12 und ders., myops 2/2008, 57 (63), der eine von Transnet und GDBA mit der DB AG vereinbarte Revisionsklausel (s. dazu auch den Sachverhalt von LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80 [Greiner]; ArbG Chemnitz 8. 8. 2007, wiedergegeben bei Blanke, KJ 2008, 204 [220 f.]; Eisenbeis, FA 2007, 225; aktuell zu Revisionsklauseln in den Bahntarifverträgen Meyer, FS Buchner, S. 628 [644]) als „fragwürdig“ bezeichnet, da sie primär dem Zweck diene, das Tarifmonopol dieser vertrauten Partner des Staatsunternehmens durch eine gegen die Konkurrenz gerichtete Kartellvereinbarung zu erhalten; für Wirksamkeit von Meistbegünstigungsklauseln aber Thüsing/Burg, FS Otto, S. 555 (564 f.); tendenziell auch Waas, ZTR 2000,
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seln nämlich drittbeschränkend. Der durch die Klausel verpflichtete Vertragspartner der dritten Tarifvertragspartei wird sich auf Abweichungen gegenüber dem ersten Tarifvertrag kaum einlassen, weil er diese an den ersten Vertragspartner – auf dessen Verlangen – weitergeben muss. Die Meistbegünstigungsklausel sichert die Parteien des Primärtarifvertrages dagegen, dass ihre Vertragsbedingungen durch einen abweichenden Vertragsschluss mit einem Dritten wettbewerblich belastet werden und beschränkt damit die dritten Vertragspartner in ihrer Wettbewerbs- und Vertragsgestaltungsfreiheit. 408 Denn der (potentiellen) dritten Tarifpartei kommt der verhandlungsbereite Gegenspieler abhanden.409 Die Meistbegünstigungsklausel zielt damit nur formal auf die Ordnung der beiderseitigen Vertragsbeziehungen ab, während es der Sache nach um die unmittelbare Einflussnahme auf konkrete Drittinteressen geht; sie stellt einen unzulässigen „Vertrag mit Lastwirkung gegenüber Dritten“ dar.410 Daher verstößt sie als Abrede, die die autonome Koalitionsbetätigung des Drittverbandes zu behindern sucht, gegen Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG und ist nichtig.411 Auch unabhängig von dem Spezialfall der Meistbegünstigungsklausel gewinnt aber die Frage der Streikbeteiligung nicht und anders organisierter Arbeitnehmer infolge des Abschieds vom Grundsatz der betrieblichen Tarifeinheit (wieder) Konjunktur.412 Sie kann daher bei dem Bemühen um eine insgesamt stimmige Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung nicht unbeachtet bleiben. bb) Die Begründung des Streikteilnahmerechts nicht und anders organisierter Arbeitnehmer Die (Arbeitnehmer-)Außenseiterproblematik im Arbeitskampfrecht, lange Zeit stiefmütterlich behandelt413, ist mittlerweile eingehend erforscht.414 Im Ergebnis entspricht es fast einhelliger Meinung, dass sich die nicht und auch die anders 341 (346); zum Ganzen ohne eigene Stellungnahme jüngst Deinert, NZA 2009, 1176 (1182). 408 Rieble/Klebeck, RdA 2006, 65 (66); s. auch Franzen, RdA 2008, 193 (199). 409 Rieble/Klebeck, RdA 2006, 65 (68); s. auch Franzen, RdA 2008, 193 (199). 410 Rieble/Klebeck, RdA 2006, 65 (69). 411 Rieble/Klebeck, RdA 2006, 65 (70); s. auch Franzen, RdA 2008, 193 (199). 412 Vgl. die Überlegungen bei Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, AKR Rn. 33d, 34c, 128 ff.; Boemke, ZfA 2009, 131 (142 f., 145 ff.); Franzen, RdA 2008, 193 (201 f.); P. Hanau, RdA 2008, 98 (99, 103 f.); Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (274 f.); Sunnus, AuR 2008, 1 (7); früher schon Heß, ZfA 1976, 45 (78); Konzen, ZfA 1975, 401 (432). 413 s. noch die Einschätzungen besonders in Hinsicht auf die arbeitskampfrechtliche Stellung der anders organisierten Arbeitnehmer von Lieb, Diskussionsbeitrag, in: Lieb/ v. Stebut/Zöllner, Arbeitskampfrecht, Symposion Hugo Seiter zum Gedächtnis, S. 146; dems., ZfA 1982, 113 (147); allgemein bezüglich der Außenseiterproblematik im Arbeitskampfrecht Wiedemann, RdA 1969, 321 (334); „ausgespart“ hat die anders organi-
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organisierten Arbeitnehmer am Streik beteiligen können, eine konsensfähige Begründung konnte jedoch bisher nicht gefunden werden.415 Einigkeit besteht aber immerhin darin, dass ein besonderes Begründungsbedürfnis besteht. Die Streikbefugnis der Außenseiter416 bedarf der Rechtfertigung, weil nicht und anders organisierten Arbeitnehmern die Normen des umkämpften Tarifvertrages rechtlich nicht unmittelbar und zwingend zugute kommen.417 Mit den denkbaren Legitimationsansätzen haben sich Lembke und Thüsing eingehend beschäftigt.418 Auf eine erschöpfende Darstellung und Bewertung des Meinungsstandes kann daher verzichtet werden; es sind lediglich einige Schlaglichter auf die Diskussion zu werfen, wobei solche Begründungsansätze im Mittelpunkt stehen, die anlässlich der Ablösung der zwingenden betrieblichen Tarifeinheit durch die Hinnahme von Tarifpluralitäten eine Neubewertung des Streikteilnahmerechts nicht und – vor allem – anders organisierter Arbeitnehmer erzwingen könnten. (1) Solidarität Der Gedanke der Solidarität419 kann die Erstreckung der Suspendierungswirkung des gewerkschaftlichen Streikaufrufs auf Außenseiter nicht rechtfertigen.420 sierten Arbeitnehmer seinerzeit auch Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 343, dort Fn. 124. 414 Insbesondere durch die Arbeiten von Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf. 415 Vgl. aus jüngerer Zeit die Bestandsaufnahme von Blanke, AuR 2004, 130 (131 f.). 416 Genauer geht es um die Erstreckung der Suspendierungswirkung des gewerkschaftlichen Streikaufrufs auf Außenseiter; s. dazu im Einzelnen Thüsing, Außenseiter, S. 23 ff.; deutlich ferner etwa Wiedemann, RdA 1969, 321 (325); s. auch Kissel, Arbeitskampfrecht, § 42 Rn. 56; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1390. 417 Vgl. Blanke, AuR 2004, 130 (131 f.); Franzen, RdA 2008, 193 (201); Kissel, Arbeitskampfrecht, § 48 Rn. 2; Konzen, DB Beilage 6/1990, S. 3, 12; dens., GS Heinze, S. 515 (521); Lembke, Arbeitskampfbeteiligung, S. 4; Thüsing, Außenseiter, S. 46, 54 f.; Wiedemann, RdA 1969, 321 (325); dens., RdA 2007, 65 (68 f.); s. auch Brox/ Rüthers/Brox, Arbeitskampfrecht, Rn. 289; Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 112. 418 Lembke, Arbeitskampfbeteiligung, S. 57 ff.; Thüsing, Außenseiter, S. 45 ff. 419 Anklingend z. B. bei Brox/Rüthers/Brox, Arbeitskampfrecht, Rn. 289: Es sei den Nichtorganisierten nicht zuzumuten, als Streikbrecher aufzutreten und damit als unkollegial zu gelten; explizite Berufung auf die Solidarität – neben anderen Erwägungen – heute noch bei Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, AKR Rn. 128. 420 Eingehend Lembke, Arbeitskampfbeteiligung, S. 59 f.; Thüsing, Außenseiter, S. 47 ff.; s. auch Birk/Konzen/Löwisch/Raiser/Seiter, Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, S. 46: Solidarität der Arbeitnehmer kein anerkanntes Rechtsprinzip des kollektiven Arbeitsrechts (im Kontext des Unterstützungsstreiks); Konzen, FS 25 Jahre BAG, S. 273 (277): Unvereinbarkeit des Solidaritätsgedankens mit einem auf den Tarifvertrag ausgerichteten Kampfmodell; Lieb, RdA 1991, 145 (151), der dem Solida-
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Die Streikberechtigung insbesondere anders organisierter Arbeitnehmer im pluralistischen Tarif- und Arbeitskampfrechtssystem kann demzufolge nicht etwa mit Blick auf eine von einigen der Befürworter des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb für den Fall seiner Aufgabe prognostizierte Entsolidarisierung der Belegschaften in Frage gestellt werden. Ohnehin beruhen derartige Prognosen auf einer Vertauschung von Ursache und Wirkung.421 Besonders deutlich wird dies bei Sunnus, nach dem das Agieren sog. Funktionseliten und Spartenorganisationen zur Spaltung der Arbeitnehmer beitragen soll.422 Und auch wenn Giesen sein Plädoyer für die Beibehaltung des Grundsatzes der Tarifeinheit mit der Überlegung einleitet, dass die Zersplitterung der Arbeitnehmerinteressen im Betrieb den sozialpolitischen und ökonomischen Zielen von Koalitionsfreiheit und Tarifvertragssystem zuwider laufen würde423, wird damit übersehen, dass nicht die Freigabe der Tarifpluralität zur Zersplitterung der Arbeitnehmerinteressen führt, sondern dass diese Freigabe vielmehr die verfassungsrechtlich geforderte Reaktion auf eine bereits stattgefundene – und durch das bisherige Tarifeinheitsdogma nicht verhinderte – Diversifizierung arbeitnehmerischer Interessen ist.424 Diese Diversifizierung ist, anders als Giesen – wie schon die Verwendung des negativ konnotierten Begriffs der „Zersplitterung“ und seine weiteren Ausführungen besonders zum „Verlust des sozialen Friedens innerhalb der Belegschaften“425 zeigen – meint, kein zu bekämpfendes Übel, sondern von einer freiheitlichen und modernen Rechtsordnung zu akzeptieren und in ihre ordnenden Strukturen einzubetten, nicht aber zu negieren.426 Selbst wenn aber der Wechsel von der Tarifeinheit zur Tarifpluralität eine Entsolidarisierung der Arbeitnehmerschaft bewirken sollte, kann dies auf das Streikritätsbegriff Beliebigkeit und mangelnde Tragfähigkeit bescheinigt; Wiedemann, RdA 1969, 321 (326), nach dem Solidaritätsargumente in die Nähe klassenkämpferischen Denkens führen (im Kontext der Arbeitskampfrisikolehre; in diesem Zusammenhang auch nochmals S. 333: „Prinzip angeblicher Zwangssolidarität“; zustimmend in diesem Zusammenhang BAG 22. 12. 1980 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 70 [Richardi], unter C. I. 2. a) (1) der Gründe); s. auch Wiedemann, ebd., S. 332: „angebliche Solidarität“ der Nichtorganisierten (im Kontext ihrer Aussperrungsbetroffenheit; in diesem Zusammenhang auch Kissel, Arbeitskampfrecht, § 55 Rn. 3). – Zur Begriffs- und Ideengeschichte der Solidarität aus verfassungsrechtlicher Perspektive jüngst Denninger, KritV 2009, 20 ff. 421 s. zum Folgenden unter einem anderen Gesichtspunkt schon oben Teil 3, Kapitel 1, unter B. II. 4. c) bb) (2) (b). 422 Sunnus, AuR 2008, 1 (6); der gleiche Fehler unterläuft Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, § 4 TVG Rn. 42b, 55. 423 Giesen, NZA 2009, 11. 424 Nicht überzeugend daher auch Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (111). 425 Giesen, NZA 2009, 11 (15 f.). 426 Dass man das Ganze – Neuentstehung und selbstbewussteres Auftreten konkurrierender Gewerkschaften bei Zulassung von Tarifpluralität, mehr Wahlmöglichkeiten der Arbeitnehmer – auch positiv sehen kann, zeigen Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (514).
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teilnahmerecht der Außenseiter im pluralistischen Tarif- und Arbeitskampfrechtssystem nicht durchschlagen. Das Gleiche gilt, wenn man – da für die Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitskampfrecht nicht nur die veränderte tarifkollisionsrechtliche Ausgangslage, sondern auch gewandelte rechtstatsächliche Prämissen von Bedeutung sind – die bereits stattgefundene Diversifizierung der arbeitnehmerischen Interessen als „Entsolidarisierung“ bewertet.427 Denn der Gedanke der Solidarität ist eben nicht tragender Grund für die Streikberechtigung der nicht und anders organisierten Arbeitnehmer. (2) Partizipation (a) Verbreitet ist der Gedanke, die Streikteilnahme nicht und anders organisierter Arbeitnehmer legitimiere sich aus deren Teilhabe am Streikerfolg, also aus der faktisch den Regelfall bildenden Erstreckung der erkämpften tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen auf alle Arbeitnehmer im tariflichen Geltungsbereich mittels arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln.428 Das BAG macht den Partizipationsansatz fruchtbar, wenn es darauf hinweist, dass regelmäßig auch die nicht und anders organisierten Arbeitnehmer die Vorteile eines neuen Tarifabschlusses genössen429; da das Ergebnis eines Arbeitskampfs zumindest faktisch auch den so genannten Außenseitern zugute komme, kämpften diese gleichfalls um ihre Arbeitsbedingungen, soweit sie dem Streikbeschluss folgten und die Arbeit niederlegten430. Im Schrifttum ist der Partizipationsgedanke ebenfalls beliebtes Argumentationsmuster431, wenngleich er bisweilen eher unterstützend neben anderen Gesichtspunkten wie insbesondere der Erforderlichkeit der Einbeziehung der nicht und anders organisierten Arbeitnehmer in den Streik zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems432 herangezogen wird433. 427
So etwa Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 2 f. Für den Partizipationsansatz gerade wieder Jacobs, FS Buchner, S. 342 (348 f.). 429 BAG (GS) 21. 4. 1971 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43, Teil III B. 3. 430 BAG 22. 3. 1994 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 130 (Oetker), unter II. 3. a) der Gründe; s. auch BAG 10. 6. 1980 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 66 (Mayer-Maly), unter A. I. der Gründe; außerdem BAG 18. 2. 2003 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 163 (Thüsing), unter A. III. 2. a) der Gründe. 431 Etwa verwandt von ErfK/Dieterich, Art. 9 GG Rn. 166; P. Hanau, RdA 2008, 98 (104); Kissel, Arbeitskampfrecht, § 38 Rn. 18 und § 42 Rn. 54 f.; H. Otto, EWiR 2003, 1241 (1242); dems., Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 6 Rn. 11. Der Partizipationsgedanke trägt auch die von Lembke, Arbeitskampfbeteiligung, S. 147 ff. vertretene „Bezugnahmelösung, s. deutlich S. 181 f. und schon S. 80; wie Lembke aktuell auch Boemke, ZfA 2009, 131 (139 f., 142 ff., 146 f.). 432 Dazu sogleich B. III. 3. c) bb) (3). 433 Auf die Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems und daneben, gleichsam als Hilfsargument, auf die Partizipation abhebend z. B. Lieb, RdA 1991, 145 (147 ff.); neben der Solidarität [dazu oben B. III. 3. c) bb) (1)] berufen sich auf das „eigene Interesse“ der nicht und anders organisierten Beschäftigten Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, AKR Rn. 128. 428
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(b) (aa) Erblickte man in der Teilhabe am Streikerfolg das maßgebliche Moment für die Streikbeteiligung nicht und anders organisierter Arbeitnehmer, so könnte dies für die Rechtslage nach der nunmehr erfolgten Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb nicht ohne Folgen bleiben. Denn ganz allgemein muss gelten: Wenn die Partizipation die Streikteilnahme trägt, dann kann sie dies nur wenn und solange, wie von einer Teilhabe der in den Arbeitskampf einbezogenen, nicht der kampfführenden Gewerkschaft angehörenden Arbeitnehmer jedenfalls typischerweise434 ausgegangen werden kann. Dementsprechend machte schon Seiter für die passive Einbeziehung der Nichtorganisierten in den Arbeitskampf, mithin für die Zulässigkeit ihrer Aussperrungsbetroffenheit, darauf aufmerksam, dass, wenn man diese mit ihrer Partizipation am Kampferfolg kraft einzelvertraglicher Bezugnahmevereinbarung begründe, die Aussperrungsbefugnis gegenüber Nichtorganisierten neu zu überdenken wäre, falls die Voraussetzung arbeitsvertraglicher Gleichstellung einmal nicht mehr zutreffen sollte.435 Und für den umgekehrten Fall der aktiven Kampfbeteiligung stellt Rieble fest, dass, wenn das Partizipationsprinzip das tragende Konzept für den Einbezug der nicht organisierten Arbeitnehmer sein solle, diese überhaupt nur solange kampfberechtigt sein könnten, wie der Arbeitgeber sie über eine dynamische Bezugnahmeklausel einbeziehe.436 (bb) Nun, da sich die tarifkollisionsrechtliche Ausgangslage hin zur Freigabe von Tarifpluralitäten geändert hat, hätte der Partizipationsansatz Auswirkungen vor allem für die Streikberechtigung anders organisierter Arbeitnehmer. Während diese unter der Herrschaft des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb, der zur Verdrängung des von ihrer Gewerkschaft abgeschlossenen Tarifvertrages führte, regelmäßig qua arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklausel an den Arbeitsbedingungen des spezielleren, „obsiegenden“ Tarifvertrages teilhaben437, ist dies bei realisierter Tarifpluralität nicht mehr der Fall. Während daher bislang die Einbezie-
434 Insoweit strenger Lembke, Arbeitskampfbeteiligung, S. 62 f., der an dem herkömmlichen Partizipationsansatz gerade bemängelt, dass die bloß regelmäßige faktische Teilhabe am Streikerfolg nicht eine Beteiligung aller Arbeitnehmeraußenseiter rechtfertigen könne, vielmehr die Streikteilnahme zumindest der tatsächlich nicht partizipierenden Arbeitnehmer damit nicht zu begründen sei, und der diesem Befund mit einem Verständnis der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel als Vereinbarung der Arbeitskampfbeteiligung abhelfen will (a. a. O. S. 147 ff.); ihm folgend jüngst Boemke, ZfA 2009, 131 (139 f., 142 ff., 146 f.); s. aber zu der notwendigerweise typisierenden Beurteilung der Streikteilnahme nicht und anders organisierter Arbeitnehmer noch unten B. III. 3. c) bb) (3) (a) (aa). 435 Seiter, RdA 1981, 65 (82 f.). 436 Rieble, Anm. zu BAG 18. 2. 2003 EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 135, S. 15 (34). 437 Dazu, dass man unter der Geltung des Prinzips der Tarifeinheit im Betrieb davon ausgehen konnte, dass die Bezugnahme der tarifkollisionsrechtlichen Rechtslage folgt, also den „obsiegenden“ Tarifvertrag erfasste, s. bereits oben Teil 2, Kapitel 2, unter B. I. 1. a).
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hung anders organisierter Arbeitnehmer in den Streik um den vorrangigen, spezielleren Tarifvertrag innerhalb der Logik des Partizipationsgedankens liegt438, wird sie von diesem Ansatz aus fraglich, wenn der umkämpfte Tarifvertrag im Betrieb neben den Tarifvertrag tritt, den die eigene Gewerkschaft der betreffenden Arbeitnehmer abschließt.439 Denn dann unterliegen die anders organisierten Arbeitnehmer „ihrem eigenen“ Tarifvertrag. Selbst wenn in ihrem Arbeitsvertrag auf einen anderen Tarifvertrag Bezug genommen sein sollte, bildet dies keinen tauglichen Anknüpfungspunkt für den Partizipationsgedanken440: Wie bereits ausgeführt wurde441, wird die Auslegung der Bezugnahmeklausel in der Regel ergeben, dass das in Bezug genommene Tarifwerk insgesamt und einheitlich angewandt werden soll. In der Folge ist hier bei dem nach § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG anstehenden Günstigkeitsvergleich der sonst durchzuführende Sachgruppenvergleich ausgeschlossen und würde sich der in Bezug genommene Tarifvertrag nur dann gegenüber dem normativ wirkenden durchsetzen, wenn er insgesamt günstiger ist. Da ein solcher Gesamtvergleich angesichts der Vielzahl von Vergleichspunkten kaum sicher und nachvollziehbar durchgeführt werden kann, wird sich in der Regel eine günstigere Regelung nicht ausmachen lassen; damit setzt sich für die anders tarifgebundenen Arbeitnehmer der normativ geltende Tarifvertrag durch. Die anders organisierten Arbeitnehmer partizipieren bei realisierter Tarifpluralität also trotz etwaiger arbeitsvertraglicher Inbezugnahme gerade nicht an dem von der konkurrierenden Gewerkschaft umkämpften Tarifvertrag, so dass der Partizipationsgedanke ihre Teilnahme an dem von der fremden Gewerkschaft geführten Streik nicht trüge.442 Auch die bloße Möglichkeit des Gewerkschaftswechsels443 wird man, ungeachtet der Frage, wie die dadurch entstehende Tarif-
438 s. auch Lieb, RdA 1991, 145 (150), der neben dem Kriterium der Erforderlichkeit zur Gewährleistung arbeitskampfrechtlicher Parität [s. dazu sogleich unter B. III. 3. c) bb) (3)] auch auf Partizipationsüberlegungen abstellt und nach dem ein gemeinsamer Kampfdruck der ganzen Belegschaft überall dort selbstverständlich ist, wo das Prinzip der Tarifeinheit gilt. 439 Vgl. auch P. Hanau, RdA 2008, 98 (99); Sunnus, AuR 2008, 1 (7); des Weiteren Thüsing, Außenseiter, S. 57; Nebeling/Gründel, NZA-Online-Aufsatz, S. 8. 440 A. A. aber jetzt Jacobs, FS Buchner, S. 342 (348 f.). 441 Oben Teil 2, Kapitel 2, unter C. III. 1. 442 Letztlich ebenso Franzen, RdA 2008, 193 (202), nach dem zwar der anders Organisierte jedenfalls potenziell auch in solchen Konstellationen über die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel in den Genuss des Streikerfolges kommen kann, der dies aber (a. a. O. Fn. 124) dahin einschränkt, dass dies nur dann gelten könne, wenn man das Günstigkeitsprinzip – anders als auch von ihm favorisiert (s. a. a. O. S. 197 sowie ErfK/ Franzen, § 4 Rn. 37) – hier in herkömmlicher Weise, d. h. als Sachgruppenvergleich, anwende; anders aber nunmehr Jacobs, FS Buchner, S. 342 (348 f.), der zwar für die gegebene Konstellation ebenfalls einen Gesamtgünstigkeitsvergleich befürwortet, gleichwohl aber einen ausreichenden Partizipationstatbestand bejaht. 443 Auf sie weist hin Franzen, RdA 2008, 193 (202): Der anders organisierte Arbeitnehmer könne auch durch Eintritt in die andere Gewerkschaft in den Genuss deren Streikerfolges kommen; darauf hebt jetzt auch ab Jacobs, FS Buchner, S. 342 (348 f.).
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konkurrenz zwischen dem Tarifvertrag der bisherigen (§ 3 Abs. 3 TVG) und dem der neuen Gewerkschaft (§ 3 Abs. 1 TVG) zu lösen wäre444, aufgrund ihres hypothetischen Charakters nicht für einen ausreichenden Partizipationstatbestand halten können.445 Speziell für den Fall der Beteiligung anders organisierter Arbeitnehmer am Streik einer Spartengewerkschaft weist überdies Kamanabrou darauf hin, dass das Ergebnis des Arbeitskampfes faktisch nur für diejenigen nicht oder anders organisierten Arbeitnehmer relevant werden könnte, die der von der Spartengewerkschaft vertretenen Arbeitnehmergruppe (Berufsgruppe) angehören.446 Darüber hinaus wäre ihrer Ansicht nach selbst die faktische Wirkung für diese Gruppe fraglich, da die Arbeitgeberseite ein Interesse daran habe, den Anwendungsbereich von Spartentarifverträgen nicht über das Notwendige hinaus auszudehnen. Das gelte zumindest dann, wenn die vom Spartentarifvertrag erfasste Berufsgruppe auch von einem Branchentarifvertrag erfasst werde, weil dann ein anderer Tarifvertrag zur Verfügung stehe, der über Bezugnahmeklauseln auf die nicht in der Spartengewerkschaft organisierten Arbeitnehmer angewandt werden könnte.447 (c) Richtigerweise ist man aber der Sorge, die Auswirkungen des Partizipationsgedankens für die Streikberechtigung der nicht und der anders organisierten Arbeitnehmer unter den Bedingungen der Tarifpluralität neu durchspielen zu müssen, schon dadurch enthoben, dass die Einbeziehung der Außenseiter in die Suspendierungswirkung des gewerkschaftlichen Streikaufrufs nicht auf deren Teilhabe am Streikerfolg zurückgeführt werden kann, der Partizipationsansatz mithin abzulehnen ist.448 Ein Rechtsprinzip, nach dem demjenigen, der Teilhabe 444 Zu der ungeklärten, in der vorliegenden Untersuchung nicht zu klärenden tarifkonkurrenzrechtlichen Frage, wie eine solche Konkurrenz aufzulösen ist, s. die Nachweise oben Teil 2, Kapitel 1, unter C. III. 2. d) bb) (2) (a), Fn. 313 und 314. 445 Nota bene sei in diesem Zusammenhang auf Folgendes hingewiesen: Wechseln Arbeitnehmer die Gewerkschaft, dann steht ihrer Beteiligung an Arbeitskampfmaßnahmen der neuen Gewerkschaft die Nachbindung an den Tarifvertrag ihrer früheren Gewerkschaft gemäß § 3 Abs. 3 TVG nicht entgegen; Gegenteiliges wird heute nur noch vereinzelt erwogen, etwa von Kissel, in: FAZ vom 17. 4. 2003, S. 11; wohl auch Kempen/Zachert/Kempen, § 2 Rn. 58; richtig demgegenüber aus jüngerer Zeit etwa Bürger, Kollisionsverhältnis, S. 202 ff.; Däubler, Anm. zu LAG Hessen 22. 7. 2004 und LAG Rheinland-Pfalz 22. 6. 2004 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 168 und Nr. 169, unter III., beide mit weiterführenden Nachweisen; ältere Nachweise bei Konzen, ZfA 1975, 401 (405, Fn. 20, 21). 446 s. auch P. Hanau, RdA 2008, 98 (99) sowie für die Aussperrung nicht und anders organisierter Arbeitnehmer F. Bayreuther, NZA 2008, 12 (15). 447 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (274). 448 Ablehnend neben den in den folgenden Fußnoten Genannten auch Birk/Konzen/ Löwisch/Raiser/Seiter, Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, S. 43; Blanke, AuR 2004, 130 (132), allerdings vorrangig im Blick auf die passive Arbeitskampfbetroffenheit von Außenseitern (als Rechtfertigung jedenfalls für die Aufbürdung von Arbeitskampfbelastungen für Außenseiter stelle der Partizipationsgrundsatz „ein Axiom
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am Erfolg hat (faktische Partizipation am Tarifvertrag), ein Recht auf Mitbewirkung dieses Erfolges eingeräumt werden müsste (Streiklegitimation), gibt es nicht.449 Überdies sind die Teilhabe aufgrund individualvertraglicher Bezugnahme und die Teilhabe aufgrund normativer Wirkung wertungsmäßig nicht gleich zu achten.450 Individualrechtliche Arbeitsbedingungen legitimieren nicht zur Durchsetzung mittels Streiks.451 Da der Außenseiter nicht von der normativen Wirkung des Tarifvertrages erfasst wird, liefert der Tarifvertrag nur „soziale Daten“, an denen sich der Individualvertrag des Außenseiters durch inhaltsgleiche Übernahme oder einfachen Verweis orientiert. Für den Außenseiter bleibt der Arbeitsvertrag die Grundlage seines Arbeitsverhältnisses. Das Gewicht dieses Unterschieds wird deutlich, wenn man den Partizipationsgedanken konsequent zu Ende denkt: Wollte man die faktische Anlehnung an einen Tarifvertrag mit dessen normativer Wirkung hinsichtlich der Streiklegitimation gleichsetzen, müssten uneingeschränkt alle Arbeitnehmer unabhängig sogar vom branchenmäßigen oder räumlichen Geltungsbereich des zu erkämpfenden Tarifvertrages streikberechtigt sein, wenn sich deren Arbeitsvertrag in irgendeiner Weise an diesen Tarifvertrag anlehnt oder an ihm orientiert.452 Daraus, dass der Partizipationsgedanke vom Gesetzgeber der Regelung über das Ruhen des Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeldanspruches in §§ 146 (insbesondere Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Satz 3), 174 SGB III zugrunde gelegt und in diesem Zusammenhang auch vom BVerfG als „einleuchtendes Kriterium für die Verlagerung des Lohnausfallrisikos von der Arbeitslosenversicherung auf Arbeitnehmer“ anerkannt wurde453, kann nicht auf seine Verallgemeinerungsfähigkeit und seine Relevanz für die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern geschlossen werden454 – wie man überhaupt bei der Entwicklung von Grundsätzen des Arbeitsaus der Sphäre der Tarifmetaphysik“ dar); Konzen, FS 25 Jahre BAG, S. 273 (280); ders., Anm. zu BAG 27. 6. 1995 und BAG 11. 7. 1995 (zweimal) AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 137–139, unter II. 2. a); Rieble, Anm. zu BAG 18. 2. 2003 EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 135, S. 15 (25). 449 Thüsing, Außenseiter, S. 50. 450 Thüsing, Außenseiter, S. 50. 451 Konzen, DB Beilage 6/1990, S. 12; s. aber de lege ferenda die Vorschläge zum verbandsfreien Arbeitskampf zur Durchsetzung Allgemeiner Arbeitsbedingungen auf einzelvertraglicher Grundlage bei Birk/Konzen/Löwisch/Raiser/Seiter, Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, §§ 34 ff. und Begründung S. 95 ff.; dazu unter rechtspolitisch-strategischen Gesichtspunkten kritisch Wank, RdA 1989, 263 (268). 452 Thüsing, Außenseiter, S. 51, Hervorhebung aus dem Original übernommen; s. auch Thüsing, Anm. zu BAG 18. 2. 2003 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 163, unter IV. 2. a); Thüsing/Burg, FS Otto, S. 555 (562 f.). 453 BVerfG 4. 7. 1995 BVerfGE 92, 365 (397; nochmals S. 408: „sachgerechtes Zuordnungskriterium im vorliegenden Zusammenhang“); hierauf beruft sich auch BAG 18. 2. 2003 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 163 (Thüsing), unter A. III. 3. der Gründe. 454 Konzen, DB Beilage 6/1990, S. 12; ders., FS 50 Jahre BAG, S. 515 (541); ders., GS Heinze, S. 515 (522); s. demgegenüber aber Lembke, Arbeitskampfbeteiligung, S. 63, 182.
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kampfrechts nicht zu sehr auf § 146 SGB III und die ihm möglicherweise zugrunde liegende arbeitskampfrechtliche Konzeption des Gesetzgebers schielen sollte.455 (3) Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems Legitimation der Streikteilnahme der nicht und der anders organisierten Arbeitnehmer, mithin der Erstreckung der Suspendierungswirkung des gewerkschaftlichen Streikaufrufs auf ihre Arbeitsverhältnisse, kann richtigerweise nur sein, dass ihre Einbeziehung in den Streik in Anbetracht des gegebenen gewerkschaftlichen Organisationsgrades typischerweise zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems erforderlich ist, weil Arbeitskämpfe unter Beteiligung allein der jeweils in der kampfführenden Gewerkschaft organisierten Arbeitnehmer nicht erfolgreich geführt werden könnten.456 Nur, wenn die Kampfparität457 in diesem Sinne die Möglichkeit der Einbeziehung auch nicht und anders organisierter Arbeitnehmer in den Streik verlangt, ist diese gerechtfertigt. Bei der Antwort ist zwischen den nicht und den anders organisierten Arbeitnehmern zu unterscheiden. (a) Nicht organisierte Arbeitnehmer Die Erforderlichkeit der Einbeziehung in den Streik zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems ist in Bezug auf die nicht Organisierten 455 So, jeweils noch zur Vorgängerregelung des § 116 AFG, mit Recht P. Hanau, Diskussionsbeitrag, in: Lieb/v. Stebut/Zöllner, Arbeitskampfrecht, Symposion Hugo Seiter zum Gedächtnis, S. 223; Lieb, RdA 1991, 145 (151); Wank, FS Kissel, S. 1225 (1250); s. auch Gamillscheg, KollArbR I, § 27 I. 2. a), S. 1252 sowie Gutzeit, in: Rieble, Zukunft des Arbeitskampfes, S. 117 (133); gegen ihn allerdings H. Otto, Arbeitskampfund Schlichtungsrecht, § 16 Rn. 8. – Dies auch gegen Giesen, NZA 2009, 11 (15, 16); ablehnend zu ihm jetzt auch Deinert, NZA 2009, 1176 (1183 f.). 456 Birk/Konzen/Löwisch/Raiser/Seiter, Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, S. 19, 43; Brox/Rüthers/Brox, Arbeitskampfrecht, Rn. 289; Franzen, RdA 2008, 193 (201); Gamillscheg, KollArbR I, § 20 III. 2. g), S. 944 und § 21 II. 4. b) (1), S. 994 f.; v. Hoyningen-Huene, JuS 1987, 505 (510); Lieb, RdA 1991, 145 (147 ff.); Löwisch/Löwisch/Rieble, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 86; Rieble, BB 2008, 1506 (1511); Thüsing, Außenseiter, S. 51 ff.; Wiedemann, RdA 2007, 65 (69); s. auch, jeweils neben dem Partizipationsgrundsatz, P. Hanau, RdA 2008, 98 (103 f.); H. Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 6 Rn. 11; jüngst (für ein monistisches System) Greiner, Rechtsfragen, S. 428; dagegen aber Boemke, ZfA 2009, 131 (139, 142) und Jacobs, FS Buchner, S. 342 (348). 457 Zur Bedeutung des Paritätsprinzips im Arbeitskampfrecht im Allgemeinen s. stellvertretend für die h. M. Wank, FS Kissel, S. 1225 (1238 ff.); kritisch zum Paritätsgedanken aber Koop, Tarifvertragssystem, S. 286 ff.; Lembke, Arbeitskampfbeteiligung, S. 65 f., 100 f.; Reuter, ZfA 1995, 1 (75); Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1376 ff.; ders., ZfA 2005, 245 (250); Zöllner, DB 1985, 2450 (2453 ff.); zuletzt Rieble, RdA 2009, 280 (283); ihre praktische Bedeutung in Frage stellend Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 42 X., S. 444; für überbetont hält den Paritätsgedanken im Arbeitskampfrecht auch Wiedemann, RdA 1969, 321 (335).
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zu bejahen; dies hat vor allem Thüsing dargelegt, auf dessen Ausführungen verwiesen werden kann.458 Hier soll lediglich auf zwei in der Diskussion vorgebrachte Einwände eingegangen werden, auf den ersten, weil die für seine Widerlegung maßgeblichen Überlegungen an anderer Stelle noch für die Untersuchung relevant werden, auf den zweiten, weil er – soweit ersichtlich – noch der Widerlegung harrt und weil er sich gegen die Vertreter der Lehre von der sozialen Mächtigkeit richtet. (aa) Die zwischenzeitlich von Konzen geäußerten Zweifel an der auf die Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems gestützten Begründung der Streiklegitimation der Außenseiter, wonach die These, die Kampfbeteiligung der Außenseiter sei angesichts des nicht in allen Branchen ausreichenden gewerkschaftlichen Organisationsgrades typischerweise erforderlich, empirisch nicht abgesichert ist459, greifen nicht durch.460 Rechtstatsächlich sind die nicht organisierten Arbeitnehmer regelmäßig in den Arbeitskampf eingebunden461, sie werden von den Gewerkschaften, mitunter recht massiv durch Streikposten, auch zur Arbeitsniederlegung aufgefordert462. Dass in einigen Betrieben mit überdurchschnittlichem Organisationsgrad auch ohne die Nichtorganisierten wirksam gestreikt werden könnte, steht der Notwendigkeit der Einbeziehung von Außenseitern nicht entgegen.463 Die Tarifvertragsparteien sind zur umfassenden Ordnung der Ar458
Thüsing, Außenseiter, S. 52 f. Konzen, DB Beilage 6/1990, S. 6, 12; s. auch dens., GS Heinze, S. 515 (522). 460 Die von Konzen selbst für die Zulässigkeit der Streikbeteiligung von Außenseitern gegebene Begründung, das vom BAG vertretene, aus Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG hergeleitete Verbot der selektiven Aussperrung von Gewerkschaftsmitgliedern (BAG 10. 6. 1980 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 66 [Mayer-Maly], unter A. II. der Gründe) schließe zugleich die Gleichbehandlung von Gewerkschaftsmitgliedern und Außenseitern beim Streik ein, da anderenfalls ein Wertungswiderspruch bestünde (Konzen, DB Beilage 6/1990, S. 12; ders., FS 50 Jahre BAG, S. 515 [541]; ders., GS Heinze, S. 515 [522]; s. auch schon dens., FS 25 Jahre BAG, S. 273 [282]), hat zunächst die Zweifel an der Richtigkeit des Verbots der Selektivaussperrung gegen sich (zur Kritik etwa Lembke, Arbeitskampfbeteiligung, S. 110 ff.; Mayer-Maly, Anm. AP a. a. O., Blatt 950; H. Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 10 Rn. 81 ff.; Rieble, ZfA 2005, 245 [251]; Seiter, JZ 1979, 657 ff.; ders., JZ 1980, 749 ff.; ders., RdA 1981, 65 [83]; Thüsing, Außenseiter, S. 81 ff.; s. auch Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 144, dort Fn. 292; jüngst H. Otto, RdA 2010, 135 [143, 146] und, gerade vor dem Hintergrund eines pluralen Tarifsystems, Greiner, Rechtsfragen, S. 469 [dort Fn. 592], 476; dem BAG zustimmend z. B. Kissel, Arbeitskampfrecht, § 55 Rn. 5 ff.; Brox/Rüthers/ Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 216) und wird vor allem dann zweifelhaft, wenn zugleich umgekehrt die Belastung der Außenseiter durch Aussperrung als Konsequenz und Kehrseite ihrer Streikbefugnis gerechtfertigt wird, so aber Konzen, SAE 2008, 1 (5, 8); s. auch schon dens., Anm. zu BAG 27. 6. 1995 und BAG 11. 7. 1995 (zweimal) AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 137–139, unter II. 2. a) und c). 461 Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 112; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 38 Rn. 13; Thüsing, Außenseiter, S. 20 f. 462 Thüsing, Außenseiter, S. 21, 52. 463 A. A. Konzen, DB Beilage 6/1990, S. 12: Der Organisationsgrad sei im Tarifgebiet in einer ausreichenden Zahl von – dann streikgeeigneten – Unternehmen so hoch, 459
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beits- und Wirtschaftsbedingungen berufen.464 Ausreichend ist daher, dass die Parität ohne die Beteiligung der nicht organisierten Arbeitnehmer vielfach465 nicht gewährleistet wäre. Es kann nicht verlangt werden, die Erforderlichkeit der Streikbeteiligung von Außenseitern für jeden denkbaren Streikfall nachzuweisen; die Erforderlichkeit ist nicht am Einzelfall zu messen466, maßgeblich ist vielmehr eine typisierende Beurteilung.467 Allein dies verträgt sich mit dem auch sonst abstrakt-materiell verstandenen arbeitskampfrechtlichen Paritätsbegriff.468 Es kommt darauf an, dass ohne die Möglichkeit der Außenseiterbeteiligung die Verhandlungsparität zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite bei generalisierender Betrachtung gestört, die Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems nicht mehr generell gewährleistet wäre.469 (bb) Gegen den Begründungsansatz der (typischen) Erforderlichkeit zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems kann auch nicht eingewandt werden, dass damit ein Widerspruch zum Erfordernis der sozialen Mächtigkeit verbunden wäre. So indes andeutungsweise Konzen – die Behauptung, die Kampfbeteiligung der Außenseiter sei (typischerweise) erforderlich, sei beim Gedanken an die soziale Mächtigkeit als Prämisse der Tariffähigkeit einer Gewerkschaft rechtlich nicht bedenkenfrei470 – und explizit Lembke: Sei der Organisationsgrad so gering, dass im Falle eines Arbeitskampfes kein nennenswerter Druck auf die Gegenseite ausgeübt werden kann, fehle es an der Tariffähigkeit. dass eine Kampfstrategie nicht auf Außenseitern aufgebaut werden müsse. Freilich ist der Organisationsgrad seit 1990 weiter gesunken; immer noch zweifelnd, aber zurückhaltender, Konzen, GS Heinze, S. 515 (522). 464 Thüsing, Außenseiter, S. 53. 465 So Löwisch/Löwisch/Rieble, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 86; ähnlich H. Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 6 Rn. 11: Streik anderenfalls „häufig“ nicht mit Erfolg führbar; Gamillscheg, KollArbR I, § 20 III. 2. g), S. 944: Tarifautonomie ohne Beteiligung der Außenseiter „in vielen Bereichen“ gefährdet; Lieb, RdA 1991, 145 (150): Organisationsgrad „jedenfalls im Durchschnitt relativ niedrig“, Erzeugung ausreichenden Kampfdrucks durch die Organisierten allein „nicht selten zweifelhaft“, Kampfsystem „teilweise“ funktionsunfähig; Zöllner, DB 1985, 2450 (2455): Mitwirkung der Außenseiter im Arbeitskampf zwar nicht immer, aber doch vielfach erforderlich; Blanke, AuR 2004, 130 (131): Streiks ohne Beteiligung der nichtorganisierten Teile der Belegschaft „zumeist“ wirkungslos; s. auch Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 147 und schon Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 344. 466 Zutreffend Konzen, FS 25 Jahre BAG, S. 273 (280 f.). 467 Birk/Konzen/Löwisch/Raiser/Seiter, Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, S. 19: Maßstab der typischen Erforderlichkeit; Lieb, RdA 1991, 145 (150): „abstrakt und generell gesehen“; Thüsing, Außenseiter, S. 53. 468 Stellvertretend für die h. M., die den Paritätsbegriff abstrakt-materiell versteht, Brox/Rüthers/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 167 f.; Wank, FS Kissel, S. 1225 (1241); kritisch jüngst Koop, Tarifvertragssystem, S. 289; Anpassungsbedarf in einem pluralen Koalitions- und Tarifsystem meldet Greiner, Rechtsfragen, S. 438 ff., 441 ff., an (erweiterte Paritätsbetrachtung). 469 Thüsing, Außenseiter, S. 53. 470 Konzen, DB Beilage 6/1990, S. 12.
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Träfe die These zu, dass ohne Außenseiterbeteiligung kein ausreichender Arbeitskampfdruck ausgeübt werden könnte, würde es der kampfführenden Arbeitnehmerkoalition schon an der Tariffähigkeit fehlen.471 Als Verfechter eines Mächtigkeitskriteriums472 hat man sich mit diesem Argument auseinanderzusetzen. Es verfängt jedoch nicht: Der von Konzen und Lembke ausgemachte Widerspruch entpuppt sich bei näherem Besehen als ein scheinbarer, wenn man bedenkt, dass schon Arbeitskampfbereitschaft 473 und erst recht Streikfähigkeit keine Voraussetzungen der Tariffähigkeit sind474. (b) Anders organisierte Arbeitnehmer Aus der – typischen – Erforderlichkeit, die nicht organisierten Arbeitnehmer in den Streik einbeziehen zu können, wird gemeinhin ohne weiteres auf die Erforderlichkeit der Möglichkeit auch der Einbeziehung der anders organisierten Arbeitnehmer geschlossen; die meisten Autoren, die die Erstreckung der Suspendierungswirkung des gewerkschaftlichen Streikbeschlusses auf Außenseiter durch ihre typische Erforderlichkeit zur Sicherung eines paritätischen und damit funktionsfähigen Arbeitskampfsystems legitimiert sehen, differenzieren nicht zwischen nicht und anders organisierten Arbeitnehmern, sondern bejahen die generelle Erforderlichkeit pauschal für beide Arbeitnehmergruppen.475 Von hier aus ist es dann vielfach nicht mehr weit zur Formulierung des sog. „Grundsatzes der arbeitskampfrechtlichen Einheit der Belegschaft“476, der auf die Wendung des Großen Senats im Zusammenhang mit der Reichweite der arbeitgeberischen Aussperrungsbefugnis zurückgeht, der Arbeitgeber könne „die Arbeitnehmerschaft als Einheit sehen und werten“477.
471 Lembke, Arbeitskampfbeteiligung, S. 65; ebenso jetzt Boemke, ZfA 2009, 131 (139 f., 142). 472 s. o. Teil 3, Kapitel 1. 473 Dazu die Nachweise bei Wank, RdA 2008, 257 (258) und ausführlicher Wiedemann/Oetker, § 2 Rn. 375 ff. 474 s. zur Streikfähigkeit Rieble, FS Wiedemann, S. 519 (536). 475 Etwa Birk/Konzen/Löwisch/Raiser/Seiter, Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, S. 43; Franzen, RdA 2008, 193 (201); Gamillscheg, KollArbR I, § 21 II. 4. b) (1), S. 994 f.; v. Hoyningen-Huene, JuS 1987, 505 (510); Löwisch/Löwisch/Rieble, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 86; Rieble, BB 2008, 1506 (1511). 476 Einen „Grundsatz der arbeitskampfrechtlichen Einheit der Belegschaft“ nehmen z. B. an Birk/Konzen/Löwisch/Raiser/Seiter, Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, S. 42; Franzen, RdA 2008, 193 (201); Gamillscheg, KollArbR I, § 21 III. 7. b) (1), S. 1046 und § 24 II. 2. a) (1), S. 1135; v. Hoyningen-Huene, JuS 1987, 505 (510): Der Streik müsse „Betrieb und Belegschaft als Einheit erfassen“; Löwisch/Löwisch/Rieble, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 87: „Prinzip der Einheit der Belegschaft“. 477 BAG (GS) 21. 4. 1971 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43, Teil III B. 3.
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Auch Thüsing sieht keine Notwendigkeit, die Legitimation des anders organisierten Arbeitnehmers zur Streikteilnahme gegenüber derjenigen des nicht organisierten Arbeitnehmers eigenständig zu begründen. Vielmehr bedürfte seiner Ansicht nach umgekehrt der Ausschluss des Andersorganisierten von der Streikberechtigung bei gleichzeitiger Anerkennung des Streikrechts der Nichtorganisierten schon wegen des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG eines rechtfertigenden Grundes478, den er aber im Ergebnis als nicht gegeben ansieht479. Nur vereinzelt wird zumindest die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass legitimatorisch zwischen der Streikteilnahme der nicht und derjenigen der anders organisierten Arbeitnehmer zu unterscheiden sein könnte480 oder sogar explizit die Auffassung vertreten, die Legitimation der Streikteilnahme anderweitig gewerkschaftlich gebundener Belegschaftsmitglieder bedürfe einer eigenständigen Betrachtung481. Richtigerweise ist über das Streikteilnahmerecht der anders Organisierten mit der Bejahung der Erforderlichkeit der Möglichkeit zur Einbeziehung der nicht Organisierten entgegen vielfacher Ansicht nicht automatisch mit entschieden. Gerade, aber nicht nur im pluralistischen Tarif- und Arbeitskampfrechtssystem kann man unter verschiedenen Gesichtspunkten an der Zulässigkeit des Einbezugs anders organisierter Arbeitnehmer in die Arbeitsniederlegung zweifeln. cc) Zweifel am Streikteilnahmerecht anders organisierter Arbeitnehmer im pluralistischen Tarif- und Arbeitskampfrechtssystem Das Streikteilnahmerecht der anders Organisierten ist, anders als das der nicht Organisierten, aufgrund des Maßstabes der typischen Erforderlichkeit zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems ohnehin, d. h. unabhängig von den tarif- und tarifkollisionsrechtlichen Ausgangsbedingungen, schon nicht zweifelsfrei [unten (2)]. Zunächst ist aber zu fragen, ob nicht unter den Bedingungen einer realisierten Tarifpluralität die Friedenspflicht aus einem von „ihrer“ Gewerkschaft abgeschlossenen Tarifvertrag der unterstützenden Teilnahme anders organisierter Arbeitnehmer an dem von einer fremden Gewerkschaft geführten Streik entgegensteht.
478
Thüsing, Außenseiter, S. 55. Thüsing, Außenseiter, S. 59. 480 Vgl. Rieble, FS Wiedemann, S. 519 (536), wenn er schreibt: „. . . auch die Nicht-, ja sogar die Andersorganisierten . . .“. 481 Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 148, 153 ff. 479
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(1) Entgegenstehende Friedenspflicht? (a) Der Große Senat des BAG hatte die Möglichkeit des Arbeitgebers, anders organisierte Arbeitnehmer auszusperren, unter den Vorbehalt einer entgegenstehenden Friedenspflicht gestellt.482 Dies wird in der Literatur zum Teil bis heute zustimmend aufgegriffen und auf den Fall der aktiven Arbeitskampfbeteiligung anders Organisierter, also auf ihre Teilnahme am Streik einer fremden Gewerkschaft, übertragen. Andersorganisierte mit aktueller Friedenspflicht dürften weder mitstreiken noch mit ausgesperrt werden. Wollte etwa die CGM in einem Tarifgebiet der IG Metall einen Arbeitskampf führen, so dürften die IG-MetallMitglieder wegen der bestehenden Friedenspflicht nicht folgen. Auch die arbeitskampfrechtliche Einheit der Belegschaft könne, wie der Große Senat des BAG entschieden habe, die Friedenspflicht nicht brechen.483 Auch der sog. „Professoren-Entwurf“ liegt im Grundsatz auf dieser Linie, macht aber insoweit ein Einschränkung, als danach anders organisierte Arbeitnehmer (nur) dann nicht in den Arbeitskampf einbezogen werden dürfen, wenn der für sie geltende Tarifvertrag denselben Gegenstand regelt, den der umkämpfte Tarifvertrag regeln soll.484 (b) Unter der Geltung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb hat sich die Frage, ob die Streikteilnahme anders organisierter Arbeitnehmer an der aus dem von „ihrer“ Gewerkschaft abgeschlossenen Tarifvertrag folgenden Friedenspflicht scheitert, nach Einschätzung der Literatur schon praktisch kaum gestellt. Da zum einen das Risiko, dass sich der zu erkämpfende Tarifvertrag nach dem Spezialitätsprinzip nicht gegen den bereits im Betrieb geltenden Tarifvertrag durchsetzen würde, hoch und zum anderen die Bereitschaft zu einem solchen Streik bei den nicht organisierten Arbeitnehmern, die durch die regelmäßig gegebene arbeits482 BAG (GS) 21. 4. 1971 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43, Teil III B. 3.: „. . ., soweit nicht etwa für anders Organisierte eine Friedenspflicht besteht“. 483 Rieble, Anm. zu BAG 27. 6. 1995 SAE 1996, 227 (231, 235); ders., FS Wiedemann, S. 519 (536); ders., Anm. zu BAG 18. 2. 2003 EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 135, S. 15 (33); ders., BB 2008, 1506 (1513); Löwisch/Rieble, § 1 Rn. 377; s. für die Aussperrung anders Organisierter auch Gamillscheg, KollArbR I, § 21 III. 7. b) (1), S. 1046 und b) (4), S. 1049; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 55 Rn. 3. 484 Birk/Konzen/Löwisch/Raiser/Seiter, Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, § 5 Abs. 1 Satz 2 und dazu die Begründung S. 42 ff., insbesondere S. 44; s. dazu auch Konzen, Diskussionsbeitrag, in: Lieb/v. Stebut/Zöllner, Arbeitskampfrecht, Symposion Hugo Seiter zum Gedächtnis, S. 159 f.; wie der „Professoren-Entwurf“ auch Löwisch/Löwisch/Rieble, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 89 („Tarifvertrag mit derselben Regelungsmaterie“); H. Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 6 Rn. 15 und § 10 Rn. 82; von den in der Vornote Genannten macht diese Einschränkung letztlich auch Rieble, Anm. zu BAG 18. 2. 2003 EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 135, S. 15 (33): „Arbeitnehmer dürfen Fremden dort nicht helfen, wo sie für sich selbst nicht kämpfen dürfen“; ebenso Löwisch/Rieble, § 1 Rn. 377; Bezugnahme auf den „Professoren-Entwurf“ auch bei dems., BB 2008, 1506 (1513) und bei Gamillscheg, KollArbR I, § 21 III. 7. b) (4), S. 1049 f.
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vertragliche Bezugnahme auf den bereits geltenden Tarifvertrag bereits tarifvertraglichen Schutz hätten, gering sei, würden die Gewerkschaften in diesen Fällen zumeist auf einen Arbeitskampf verzichten.485 Aus heutiger Sicht kann diese Einschätzung nicht mehr bestätigt werden. Fälle, in denen Gewerkschaften trotz Geltung eines von einer anderen Gewerkschaft vereinbarten Tarifvertrages Arbeitskämpfe um eigene Tarifverträge durchgeführt haben, sind in den letzten Jahren durchaus vorgekommen, was zu der Frage geführt hat, ob der Streik um einen nach dem Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität nachrangigen und daher unanwendbaren Tarifvertrag insbesondere wegen Verstoßes gegen das arbeitskampfrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip rechtswidrig ist; diese Fälle haben auch mehrfach die Arbeitsgerichte beschäftigt.486 Weniger aus mangelnder praktischer Relevanz, sondern vielmehr aus rechtlichen Gründen dürfte sich aber die Frage, ob die Friedenspflicht der Streikbeteiligung anders organisierter Arbeitnehmer entgegensteht, unter der Geltung des Prinzips der betrieblichen Tarifeinheit in der Tat nicht stellen. In der Logik des Prinzips der Tarifeinheit dürfte es liegen, die Teilnahme anders organisierter Arbeitnehmer jedenfalls am Streik um den nach dem Spezialitätskriterium vorrangigen Tarifvertrag nicht an der Friedenspflicht aus dem verdrängten Tarifvertrag scheitern zu lassen.487 So schreibt denn auch Otto, dass sich das Problem der Friedenspflicht im Falle der Streikteilnahme Andersorganisierter für das BAG weniger stelle, da die Tarifeinheit im Betrieb zur Folge habe, dass im Betrieb grundsätzlich ohnehin nur ein Tarifvertrag normativ gelte, für den dann auch alle Arbeitnehmer kämpfen können müssten.488 Dem dürfte beizupflichten sein. (c) Virulent könnte die Friedenspflicht für die Andersorganisierten aber nach der nunmehrigen Freigabe von Tarifpluralitäten durch die vom 4. und vom 10. Senat des BAG vollzogene Aufgabe der obligatorischen Tarifeinheit im Betrieb werden; der Ausschluss der Streikberechtigung anders organisierter Arbeitnehmer aufgrund entgegenstehender Friedenspflicht könnte daher der Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitskampfrechtsordnung als Datum vorgegeben sein. So meint Kamanabrou, das Problem der Streikbeteiligung anders organisierter Arbeitnehmer werde in der Regel dadurch entschärft, dass für sie eigene Tarifverträge bestehen, aus denen sich eine Friedenspflicht ergebe, und 485 Thüsing, Außenseiter, S. 56; s. auch Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 148. 486 s. die Nachweise oben Fn. 36 und 37. 487 s. jetzt auch Koop, Tarifvertragssystem, S. 217: Aus einem verdrängten Tarifvertrag könne keine Friedenspflicht erwachsen; ebenso aktuell Brecht-Heitzmann, GS Zachert, S. 502 (513). 488 H. Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 6 Rn. 15; s. auch Berg/Platow/ Schoof/Unterhinninghofen, 2. Aufl. 2008, AKR Rn. 128; Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 148.
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schon Konzen wies für den Fall des Arbeitskampfes um eine Tarifpluralität darauf hin, dass die „tarifgebundene“ Erstgewerkschaft aufgrund ihrer Friedenspflicht auf ihre Mitglieder einzuwirken habe, damit diese nicht am Streik der Zweitgewerkschaft teilnehmen.489 Wichtig ist zunächst, dass sich Ausführungen zur Friedenspflicht nicht bereits infolge der hier befürworteten zwingenden Laufzeitharmonisierung erübrigen. Die Laufzeitharmonisierung führt zwar auch zu einer gewissen zeitlichen Synchronisierung der Friedenspflichten, denn wenn alle Tarifverträge zu einem identischen Zeitpunkt enden, besteht jedenfalls zunächst, d. h. zu Beginn einer neuen Verhandlungsrunde, keine Friedenspflicht aus irgendeinem Tarifvertrag. In dieser Phase, in der die Tarifrunde erst begonnen und daher noch keine Gewerkschaft einen Abschluss erreicht und damit eine Friedenspflicht ausgelöst hat, stellt sich die Frage nach der Streikbeteiligung Andersorganisierter aber typischerweise ohnehin noch nicht. Denn bei notwendig zeitgleich stattfindenden Streiks stößt die Beteiligung anders organisierter Arbeitnehmer am Streik bereits an die faktische Grenze, dass jeder der organisierten Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis ohnehin bereits durch Beteiligung an dem Streik seiner Gewerkschaft suspendiert hat, so dass sich die Frage einer – gleichzeitigen – Beteiligung an dem Streik der anderen Gewerkschaft nicht stellen kann; der Arbeitnehmer kann die Arbeit nicht „zweimal“ zur selben Zeit niederlegen.490 Relevant wird eine Streikteilnahme Andersorganisierter daher ohnehin erst und nur dann, wenn einer der Arbeitskämpfe schneller als der andere zu einem Tarifabschluss führt oder wenn einmal eine der Gewerkschaften in einer Verhandlungsphase ganz ohne Streik zu einem Abschluss kommt. Hier kann sich die Frage stellen, ob die Andersorganisierten sich nach Beendigung des von der Erstgewerkschaft geführten Streiks (oder, wenn diese einmal ohne Arbeitskampf auskommt, von vorneherein) auch noch an dem Streik der anderen Gewerkschaft beteiligen können sollen.491 Dann aber besteht für die Erstgewerkschaft Friedenspflicht, so dass sich in dieser Konstellation – trotz Laufzeitharmonisierung – die nunmehr zu erörternde Frage stellt, ob die Streikteilnahme anders organisierter Arbeitnehmer an der aus dem von „ihrer“ Gewerkschaft abgeschlossenen Tarifvertrag folgenden Friedenspflicht scheitert.492 489 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (275, Fn. 126); Konzen, ZfA 1975, 401 (432); s. auch Nebeling/Gründel, NZA-Online-Aufsatz, S. 8; entsprechend für Verstoß einer Aussperrung Andersorganisierter gegen die Friedenspflicht F. Bayreuther, NZA 2008, 12 (15), der indes die Möglichkeit in Betracht zieht, dass sich aus der Rechtsprechung des BAG zur Friedenspflicht beim Unterstützungsstreik (dazu sogleich im Text) etwas anderes ergeben könnte; Greiner, NZA 2007, 1023 (1027); Meyer, FS Adomeit, S. 459 (462); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 149 (154); Pflüger, RdA 2008, 185 (186); v. Steinau-Steinrück/Glanz, NZA 2009, 113 (116). 490 Dazu auch noch unten B. III. 3. c) dd) (2) (c) (bb). 491 s. auch noch unten B. III. 3. c) dd) (2) (c) (cc). 492 Zum Zusammenhang von Laufzeitharmonisierung (Parallelisierung von Verhandlungen), Friedenspflicht und Streikteilnahme anders organisierter Arbeitnehmer s. auch
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Die einleitend wiedergegebenen Ausführungen Konzens lassen bereits eine erste gebotene Präzisierung der Diskussion zu. Wie bereits in der Auseinandersetzung mit dem Vorschlag Schliemanns zur Verhinderung von Streikkaskaden in Zeiten der Tarifpluralität durch Laufzeitharmonisierung dargelegt wurde493, unterliegt auf Arbeitnehmerseite stets nur die tarifschließende Gewerkschaft als Vertragspartei der Friedenspflicht, nicht dagegen unterliegen ihr die Gewerkschaftsmitglieder.494 In Rede stehen kann daher von vorneherein nicht ein Ausschluss der Streikteilnahme anders Organisierter aufgrund entgegenstehender Friedenspflicht, sondern allenfalls eine Einwirkungspflicht der Gewerkschaft, ihre Mitglieder von der Teilnahme am Streik einer fremden Gewerkschaft abzuhalten495 oder ein Anspruch des Arbeitgebers gegen die Gewerkschaft auf Unterlassung, sofern diese ihre Mitglieder zur Teilnahme an dem Streik der anderen Gewerkschaft auffordert496. Auch eine solche aus der gewerkschaftlichen Friedenspflicht fließende Einwirkungspflicht ist aber im hier behandelten Zusammenhang nicht gegeben. Denn die Einwirkungspflicht als „positive Seite“ der Friedenspflicht497 schützt wie die Friedenspflicht überhaupt nur den eigenen Tarifvertrag. Die tarifvertragliche Friedenspflicht hat den Zweck, den Tarifvertrag als Friedensordnung zu schützen. Die anders organisierten Arbeitnehmer kämpfen aber, wenn sie dem Streikaufruf einer fremden Gewerkschaft folgen, nicht für eine Änderung „ihres“ Tarifvertrages; sie stellen nicht den eigenen Tarifvertrag in Frage, was zu verhindern der Sinn der tarifvertraglichen Friedenspflicht ist, sondern setzen sich für einen fremden Tarifvertrag ein. Die rein fremdnützige Streikteilnahme Andersorganisierter wird daher durch die Friedenspflicht nicht ausgeschlossen, unabhängig davon, ob der zu erkämpfende fremde Tarifvertrag denselben Gegenstand regeln soll wie der bereits bestehende eigene oder nicht.498
Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (275, Fn. 126), deren Ausführungen zur Friedenspflicht allerdings nicht überzeugen; dazu den folgenden Text. 493 Oben B. III. 3. b) aa) (3) (a). 494 Berechtigte Hinweise hierauf in der aktuellen Diskussion um die arbeitskampfrechtlichen Folgen der Aufgabe der Tarifeinheit im Betrieb bei Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, AKR Rn. 128a; Franzen, RdA 2008, 193 (201); Sunnus, AuR 2008, 1 (7); allgemein nur nochmals Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 873. 495 Zur Einwirkungspflicht allgemein nur ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 81; Löwisch/ Rieble, § 1 Rn. 376; MüArbR/Ricken, § 200 Rn. 32; Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 871. 496 Dazu Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 149; Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 912, jeweils m.w. N. 497 Zur „negativen Seite“ der Friedenspflicht – Unterlassungspflicht – s. nur ErfK/ Franzen, § 1 TVG Rn. 81; Löwisch/Rieble, § 1 Rn. 376; Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 869 f. 498 Wie hier Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, AKR Rn. 128a; Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 149 f.; Franzen, RdA 2008, 193 (201); Thüsing, Außenseiter, S. 57 f.
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Damit verhält es sich bei der Streikteilnahme anders organisierter Arbeitnehmer in Hinsicht auf die Friedenspflicht nicht anders als beim („echten“) Unterstützungsstreik499: Auch diesem steht, da er nicht zur Änderung der eigenen tariflichen Arbeitsbedingungen geführt wird, sondern einen Arbeitskampf um fremde Arbeitsbedingungen fördern will, die Friedenspflicht der zum Unterstützungskampf aufrufenden Gewerkschaft nach zutreffender h. M. nicht entgegen.500 Anders war es in der vom 1. Senat des BAG am 18. 2. 2003 entschiedenen Konstellation des „Partizipationsarbeitskampfes“: Dort war nach richtiger Ansicht entgegen dem 1. Senat501 die Friedenspflicht aus dem dynamisch auf den Verbandstarif verweisenden Haustarifvertrag verletzt.502 Die Argumentation von Thüsing503, die der hiesigen Argumentation entspricht, greift für die dortige Konstellation nicht durch.504 (2) Erforderlichkeit zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems? Wie bereits dargelegt wurde, wird gemeinhin aus der typischerweise bestehenden Erforderlichkeit, die nicht organisierten Arbeitnehmer in den Streik einbeziehen zu können, ohne weiteres auf die Erforderlichkeit der Möglichkeit auch der Einbeziehung der anders organisierten Arbeitnehmer geschlossen. Eine Notwen-
499 Die Parallele ziehen auch Franzen, RdA 2008, 193 (201); Thüsing, Außenseiter, S. 58 f.; s. auch nochmals F. Bayreuther, NZA 2008, 12 (15) für die Aussperrung Andersorganisierter; dazu auch v. Steinau-Steinrück/Glanz, NZA 2009, 113 (115 f., mit Fn. 27). 500 Aus der Rechtsprechung zuletzt BAG 19. 6. 2007 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 173 (Wank), unter I. 3. a) der Gründe, Rn. 29 f. des Urteils; für die h. L. Konzen, DB Beilage 6/1990, S. 4, 13; Lieb, ZfA 1982, 113 (152 f.); ders., RdA 1991, 145 (151); Paukner, ZTR 2008, 130 (136 f.); Däubler/Reim, § 1 Rn. 1011; Rüthers, BB 1964, 312 (315); Sattler, Tarifvereinheitlichung im Konzern, S. 154; Thüsing, Außenseiter, S. 58 f.; Wiedemann/Thüsing, § 1 Rn. 886; zuletzt Boemke, ZfA 2009, 131 (139); a. A. Rieble, Anm. zu BAG 18. 2. 2003 EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 135, S. 15 (33); Löwisch/Rieble, § 1 Rn. 377; kritisch auch Zöllner, DB 1985, 2450; dem BAG nur im Ergebnis zustimmend Wank, Anm. AP a. a. O., unter IV. 3. b); s. auch jüngst Benecke, FS Buchner, S. 96 (102 f.). 501 BAG 18. 2. 2003 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 163 (Thüsing), unter D. der Gründe. 502 Wie das BAG aber Reim, Anm. AiB 2004, 247 (248); Däubler/Reim, § 1 Rn. 1036c. 503 Thüsing, Anm. zu BAG 18. 2. 2003 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 163, unter IV. 4. 504 Anders mit Recht daher später auch Thüsing/Burg, FS Otto, S. 555 (570 ff., 572); s. auch dies., Anm. zu LAG Köln 19. 3. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 77, S. 4 (14 ff.); richtig für diesen Fall zur Friedenspflicht auch und vor allem Konzen, GS Heinze, S. 515 (526); außerdem Rieble, Anm. zu BAG 18. 2. 2003 EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 135, S. 15 (33); mit nochmals anderer Begründung Rolfs/F. Clemens, NZA 2004, 410 (417); s. auch ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 82.
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digkeit, die Legitimation des anders organisierten Arbeitnehmers zur Streikteilnahme gegenüber derjenigen des nicht organisierten Arbeitnehmers eigenständig zu begründen, sieht man nicht. Nach Thüsing bedürfte vielmehr umgekehrt der Ausschluss des Andersorganisierten von der Streikberechtigung bei gleichzeitiger Anerkennung des Streikrechts der Nichtorganisierten wegen des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG eines rechtfertigenden Grundes.505 Richtigerweise ist aber über das Streikteilnahmerecht der anders Organisierten mit der Bejahung der Erforderlichkeit der Möglichkeit zur Einbeziehung der nicht Organisierten nicht automatisch mit entschieden. Gerade, aber nicht nur im pluralistischen Tarif- und Arbeitskampfrechtssystem kann man an der typischen Erforderlichkeit des Streikteilnahmerechts der anders Organisierten zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems zweifeln. Der von Thüsing verlangte rechtfertigende Grund dafür, die Streikberechtigung der anders Organisierten bei gleichzeitiger Anerkennung derjenigen der nicht Organisierten zu verneinen, könnte also schlicht darin liegen, dass nur die Einbeziehung letzterer, nicht aber ersterer, zur Gewährleistung ausreichenden Kampfdruckes und damit eines paritätischen und funktionsfähigen Arbeitskampfsystems typischerweise erforderlich ist. (a) Dafür könnte sprechen, dass es die Nichtorganisierten sind, die eingedenk des insgesamt niedrigen gewerkschaftlichen Organisationsgrades die bei Weitem größte Arbeitnehmergruppe bilden, während die anders Organisierten nur einen kleinen Teil der Arbeitnehmerschaft ausmachen. Dass diese numerischen Überlegungen nicht von vorneherein abwegig sind, lässt sich mit einem einfachen Vergleich demonstrieren: So verneint Thüsing eine Legitimation des nicht (und des anders) organisierten Arbeitgebers zur Beteiligung an einer Aussperrung im Rahmen des Verbandsarbeitskampfes.506 Insbesondere sei die Einbeziehung der Außenseiterarbeitgeber in die Verbandsaussperrung in Anbetracht des gegenüber der Arbeitnehmerseite ungleich höheren Organisationsgrades auf Arbeitgeberseite nicht zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems erforderlich.507 Nun taxiert er aber – seine Untersuchung datiert aus dem Jahr 1996 – den Organisationsgrad auf Arbeitgeberseite auf 80–90 %.508 Das heißt: Auf Arbeitgeberseite wird die Einbeziehung der Organisierten in die aktive Arbeitskampfführung (Aussperrungsbefugnis) zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems als ausreichend erachtet, weil bereits sie 80–90 % aller Arbeitgeber ausmachen. Auf diese 80–90 % kommt man aber auf Arbeitnehmerseite auch ohne die anders Organisierten: Bei einem Organisationsgrad der 505
Thüsing, Außenseiter, S. 55. Thüsing, Außenseiter, S. 141 ff. 507 Thüsing, Außenseiter, S. 146 f. 508 Thüsing, Außenseiter, S. 21; aktuellere Zahlen etwa bei Kissel, Arbeitskampfrecht, § 38 Rn. 8; Blanke, AuR 2004, 130 (132, Fn. 21). 506
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Arbeitnehmer von 30 %509 macht schon die Einbeziehung der nicht Organisierten in den Streik 70 % aus, dazu kommen jeweils die einschlägig, d. h. bei der streikführenden Gewerkschaft organisierten Arbeitnehmer. Damit ist man, auch ohne die anders Organisierten, ebenfalls bei Zahlen rund um 80–90 % (bei zwei gleich stark vertretenen Gewerkschaften etwa konkret 85 %). Gewiss lassen sich die zur Gewährleistung eines paritätischen Arbeitskampfsystems erforderlichen Größenordnungen nicht unbesehen von der Arbeitgeberauf die Arbeitnehmerseite übertragen, aber es ist zumindest nicht selbstverständlich, dass eine funktionsfähige Kampfordnung nur bei (potentiell) 100-%-iger Einbeziehung der Arbeitnehmer in den Streik, aber schon bei 80–90-%-iger Einbeziehung der Arbeitgeber in die Aussperrung gewährleistet sein soll. (b) Unter den Bedingungen eines potentiell pluralistischen Tarif- und Arbeitskampfsystems kommen weitere mögliche Einwände gegen die Erforderlichkeit der Einbeziehung der anders organisierten Arbeitnehmer in den Streik hinzu. Speziell für den Streik durch Spartengewerkschaften steht Kamanabrou auf dem Standpunkt, das für die Beteiligung nicht und anders organisierter Arbeitnehmer am Streik vorgebrachte, auch nach hier vertretener Ansicht einzig tragfähige Argument, dass anderenfalls der Streik kaum erfolgreich geführt werden könnte, treffe auf die Beteiligung am Streik einer Spartengewerkschaft nicht oder zumindest nicht in vollem Umfang zu. Eine Spartengewerkschaft werde in der Regel keine Unterstützung durch Nichtorganisierte benötigen, um ihr Ziel schlagkräftig verfolgen zu können. Sie habe ohnehin nur dann Aussicht auf eine erfolgreiche Tarifpolitik, wenn sie aus ihren eigenen Reihen heraus hinreichenden Druck auf die Arbeitgeberseite erzeugen könne. Zudem sei zu fragen, ob die Parität im Arbeitskampf bei Unterstützung mehrerer Gewerkschaften durch nicht oder anders organisierte Arbeitnehmer nicht zu Lasten der Arbeitgeber verschoben würde. Das Argument der fehlenden Schlagkraft der Arbeitnehmerseite ohne Beteiligung der Außenseiter beruhe auf der Annahme, dass auf der Arbeitnehmerseite nur eine Gewerkschaft oder Tarifgemeinschaft auftritt. Bei Veränderungen auf Seiten der Arbeitnehmer sei das Kräfteverhältnis auch mit Blick auf die Außenseiter neu zu bestimmen. Es liege nahe, Außenseitern eine Beteiligung am Streik einer Spartengewerkschaft, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt zu gestatten.510 Gerade für die anders organisierten Arbeitnehmer kann man daher unter der Prämisse eines pluralistischen Tarif- und Kampfsystems fragen, ob ihre Einbeziehung in den Streik zur Gewährleistung einer effektiven Streikführung erforderlich ist. Schließlich würde die Streikberechtigung auf Arbeitnehmer ausgedehnt, die in der „Paritätsrechnung“ bereits anderweitig auftauchen, mithin für diese 509 510
Zugrunde gelegt von Thüsing, Außenseiter, S. 17. Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (274 f.).
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doppelt ins Gewicht fielen.511 So, wie für die Verhältnismäßigkeit im pluralen System ggf. auf den kumulierten Kampfdruck durch mehrere Gewerkschaften abzustellen ist512, könnten auch Paritätserwägungen unter dem Aspekt des personellen Einzugsbereichs des Arbeitskampfes am Gesamtstreikgeschehen auszurichten sein. Auf der anderen Seite ist auch die Möglichkeit einzukalkulieren, dass in Zukunft gerade unter den Bedingungen der Tarifpluralität insgesamt ein steigender Organisationsgrad unter den Arbeitnehmern zu verzeichnen sein könnte. Aufgrund der dann vorhandenen „echten“, d. h. nicht länger durch die zwingende Tarifverdrängung im Sinne der Tarifeinheit unterdrückten, Alternativen zu den großen (DGB-)Branchengewerkschaften erscheint es nicht ausgeschlossen, dass sich eine größere Zahl bisher nicht organisierter Arbeitnehmer nunmehr erstmals oder wieder einer Gewerkschaft anschließt. So sagt Jacobs durchaus plausibel vorher, dass ein Wettbewerb der Tarifverträge und damit auch ein Gewerkschaftswettbewerb als Alternative zu einem Gewerkschaftsmonopolisten DGB die Gewerkschaften für Arbeitnehmer insgesamt wieder attraktiver machen werde; der andauernde Mitgliederschwund könne – auf das Ganze berechnet – überwunden und vielleicht sogar umgekehrt werden.513 Sinkt aber die Zahl der Nichtorganisierten, so könnte deren Einbeziehung in den Streik allein u. U. nicht mehr ausreichend sein, so dass dieser Punkt wiederum für die Erforderlichkeit der Streikteilnahme auch der anders Organisierten sprechen könnte. Die Frage nach der Erforderlichkeit der Erstreckung der Suspendierungswirkung des gewerkschaftlichen Streikaufrufs auf Andersorganisierte ist, das dürfte sich gezeigt haben, unter den für die Einpassung der Tarifpluralität maßgeblichen Bedingungen eines pluralistischen Tarif- und Arbeitskampfrechtssystems noch ungleich schwerer zu beantworten als ohnehin schon ohne Berücksichtigung einer möglichen geänderten tarifkollisionsrechtlichen Ausgangslage – zumal und vor allem auch, weil die Entwicklung des tatsächlichen Arbeitskampfgeschehens unter den Bedingungen der Möglichkeit von Tarifpluralität kaum zuverlässig abschätzbar ist514, die Bemühungen um eine Einpassung der Tarifpluralität insoweit also stets Vorkehrungen für Eventualitäten darstellen (was sie nicht weniger bedeutsam macht, im Gegenteil515). Sie soll daher vorerst zurückgestellt werden. 511
Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 154. s. o. B. III. 3. b) cc) (1) (a). 513 Jacobs, NZA 2008, 325 (330); s. auch Koop, Tarifvertragssystem, S. 45 m.w. N. und in größerem Zusammenhang S. 332, 335; skeptisch Melot de Beauregard, DB Heft 26/2010, S. M 1. 514 Dazu noch einmal Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (515). 515 Dazu, dass das Arbeitskampfrechtssystem schon unter dem Aspekt der Rechtssicherheit auf die möglichen, aber eben nicht zuverlässig prognostizierbaren Entwicklungen unter den Bedingungen möglicher Tarifpluralitäten vorbereitet werden muss, s. bereits oben B. III. 1. a) aa) (2). 512
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dd) Streikteilnahme nicht und anders Organisierter und Synchronisation von Friedens- und Kampfphasen durch Laufzeitharmonisierung Richtigerweise ist dem Problem der Streikteilnahme nicht und anders organisierter Arbeitnehmer im pluralistischen Tarif- und Arbeitskampfrechtssystem aber ohnehin durch die hier befürwortete Synchronisation von Friedens- und Kampfphasen jedenfalls die Spitze gebrochen. Die Frage der Streikintensität infolge potentieller Beteiligung der gesamten Belegschaft einschließlich nicht und anders organisierter Arbeitnehmer verliert in der Konsequenz des arbeitgeberischen Anspruchs auf Harmonisierung der tarifvertraglichen Laufzeiten einen Gutteil ihrer Bedeutung. (1) Der Zusammenhang von Streikhäufigkeit und Streikintensität Die aktive Arbeitskampfbeteiligung nicht und – besonders – anders organisierter Arbeitnehmer ist bei genauerer Hinsicht unter Paritätsgesichtspunkten nicht per se als problematisch anzusehen. Wie ausgeführt wurde, ist vielmehr grundsätzlich die Möglichkeit der Einbeziehung jedenfalls der Nichtorganisierten zur Gewährleistung ausreichenden Kampfdruckes typischerweise erforderlich, sichert sie also erst die paritätische und damit funktionierende Kampfordnung. Für die Erstreckung der Suspendierungswirkung des gewerkschaftlichen Streikbeschlusses auf die Andersorganisierten ist dies zwar, wie dargelegt wurde, weniger offensichtlich, andererseits kann bei längerfristiger, typisierender Betrachtung nicht festgestellt werden, dass die Möglichkeit der Beteiligung aller Arbeitnehmer am Streik gleichsam umgekehrt die Parität zu Ungunsten der Arbeitgeber gestört hätte. Zweifel an der Parität entstehen durch die Streikteilnahme der Außenseiter erst, wenn erhöhte Streikintensität und Streikhäufigkeit zusammentreffen und sich zu einem insgesamt „totalen“ Arbeitskampfgeschehen verdichten. Einmal mehr ist es Konzen, der bereits 1975 weitsichtig erkannte, dass der Arbeitskampf um eine Tarifpluralität vor allem dann bedenklich wird („besonders drastische Auswirkungen“, so Konzen), „wenn tarifgebundene Mitglieder der Erstgewerkschaft als Außenseiter an legitimen Streiks anderer Gewerkschaften teilnehmen dürfen“516. Paritätsgefährdungen sind dort zu gewärtigen, wo es zur Vervielfachung von Streiks kommt und die verschiedenen Gewerkschaften jeweils ihr Teilziel mit Hilfe der gesamten Belegschaft durchsetzen können.517 516 Konzen, ZfA 1975, 401 (432), Hervorhebungen aus dem Original übernommen; s. auch Heß, ZfA 1976, 45 (78). 517 Vgl., selbst mit weniger Bedenken, Gamillscheg, KollArbR I, § 24 II. 2. a) (1), S. 1135; außerdem P. Hanau, RdA 2008, 98 (104); den Zusammenhang von Streikhäufigkeit und Streikintensität erkennt auch Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 153; aktuell auch Boemke, ZfA 2009, 131 (145).
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(2) Durchschlag der Laufzeitharmonisierung auf die Streikintensität (a) Wie die hier vorgeschlagene, über einen Anspruch der Arbeitgeberseite auf abgestimmte, harmonisierte tarifvertragliche Laufzeiten abgesicherte Synchronisation der Verhandlungs- und Kampfphasen – Einschränkung der Streikhäufigkeit – sich auf die Bedeutung der Streikintensität auswirkt, lässt sich durch einen erneuten518 Seitenblick auf die Überlegungen von Lieb zu den Unterstützungsarbeitskämpfen im Bereich der Druck- und Verlagsunternehmen verdeutlichen. Auch dort stellt sich, unbeeinflusst von der Kontroverse um die Tarifeinheit im Betrieb, das Problem unterschiedlicher Tarifverträge mit divergierenden Laufzeiten mit der Folge, dass es zu unterschiedlichen Zeiten zu Tarifvertragsverhandlungen und dementsprechend auch zu Arbeitskämpfen kommen kann, so dass solche gemischten Unternehmen u. U. zweimal im Jahr bestreikt würden.519 Auch Lieb sieht das Hauptproblem in der möglichen Kombination von Streikhäufigkeit und Streikintensität: Da die Arbeitgeber der betroffenen Unternehmen im Druck- und Verlagsbereich aufgrund zweifacher Verbandsmitgliedschaft doppelt tarifgebunden seien, müssten sie bei unkoordinierten Vertragslaufzeiten mehrfach Tarifvertragsverhandlungen führen und infolge dessen unter Umständen mehrere Arbeitskämpfe durchstehen. In diesen Arbeitskämpfen, so Lieb, stünden ihnen dann ggf. jeweils sämtliche Arbeitnehmer als Kampfgegner gegenüber. Der doppelt organisierte Arbeitgeber müsste sich auf mindestens doppelten Arbeitskampfdruck seitens der gesamten Belegschaft einstellen.520 Lieb nimmt an, dass die Kombination von Streikhäufigkeit und Streikintensität auf Seiten der Arbeitgeber zu einer erheblichen Paritätsgefährdung führen würde; die mehrfachen Produktionsunterbrechungen wögen naturgemäß schwerer als eine nur einmalige Arbeitskampfbetroffenheit.521 In seiner Lösung zeigt sich die Alternativität eines Ansatzes bei der Streikhäufigkeit und eines solchen bei der Streikintensität. Die Erforderlichkeit der Druckverstärkung durch Streikberechtigung der gesamten Belegschaft unterstellt – d. h.: die (potentiell) erhöhte Streikintensität hingenommen –, sei die (bisher doppelt) kampfführende Gewerkschaft522 dann unter Verhältnismäßigkeitsaspekten gehalten, die Laufzeiten der erstrebten und ggf. umkämpften Tarifverträge so zu koordinieren, dass nur ein Arbeitskampf (dann der ganzen Belegschaft) um einen (ggf. mehrgliedrigen) Tarifvertragsabschluss geführt zu werden brauche. Auf 518 519
s. bereits oben B. III. 3. b) bb) (1). s. nochmals Lieb, RdA 1991, 145 (146); ferner Konzen, DB Beilage 6/1990, S. 4,
13. 520
Lieb, RdA 1991, 145 (150 f.); Hervorhebung aus dem Original übernommen. Lieb, RdA 1991, 145 (150 f.). 522 Dazu, dass die Verbandspluralität in der von Lieb untersuchten Konstellation nicht auf Gewerkschaftsseite, sondern auf Seiten der Arbeitgeber besteht, s. näher oben B. III. 3. b) bb) (1). 521
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diese Weise, so Lieb, dürfte die kampfführende Gewerkschaft dann im Ergebnis die gesamte Belegschaft zur Arbeitsniederlegung aufrufen, freilich – und dies hält er für entscheidend – nur einmal. Damit sei der Verhältnismäßigkeit auf beiden Seiten entsprochen: Die Gewerkschaft könnte den erwünschten größtmöglichen Kampfdruck erzeugen, während der Arbeitgeberseite die sie besonders schwächende doppelte Kampfführung erspart bliebe. Wenn die Gewerkschaft die Unterstützung des Arbeitskampfs durch die ganze Belegschaft für erforderlich halte, könne sie das bereits durch die Parallelisierung von Verhandlungen und Kampf erreichen; der doppelten Arbeitskampfführung durch jeweils die ganze Belegschaft bedürfte es nicht.523 Also: Eindämmung der Streikhäufigkeit durch Laufzeitharmonisierung, aber keine zusätzliche Begrenzung der Streikintensität. (b) Der gleiche Mechanismus findet sich in wieder anderem Zusammenhang524 auch bei Buchner und Konzen: Dort, wo eine Vervielfachung von Streiks zu befürchten ist, kann man zur Wahrung der Parität entweder bei der Streikhäufigkeit ansetzen und es dann hinnehmen, dass auch die nicht und anders organisierten Arbeitnehmer in den Streik einbezogen werden525 oder aber mehrfache Arbeitskämpfe zulassen und statt dessen eine Begrenzung der Streikenden auf die jeweiligen Gewerkschaftsmitglieder ins Auge fassen526. (c) Wie im vorliegenden Zusammenhang durch die vorgeschlagene Laufzeitharmonisierung und die damit einhergehende Begrenzung der Streikhäufigkeit die Frage der Kampfbeteiligung insbesondere Andersorganisierter und damit der Streikintensität an Bedeutung einbüßt, ist im Folgenden noch näher zu erläutern. (aa) Zunächst ist kurz die Funktionsweise der Synchronisationslösung in Erinnerung zu rufen. Durch die Harmonisierung der tarifvertraglichen Laufzeiten kommt es zu einheitlichen, d. h. zeitlich synchronisierten Verhandlungs- und Kampfphasen. Zeitversetzt stattfindende Arbeitskämpfe sind ausgeschlossen. Es bleibt bei einzelnen Verhandlungsrunden mit Ergebnissen, die für einen längeren Zeitraum gelten. (bb) Arbeitskämpfe konkurrierender Gewerkschaften müssen demnach – zwar nicht gemeinsam, unter einer gemeinsamen Führung527, aber – zeitgleich geführt 523 Lieb, RdA 1991, 145 (151), Hervorhebungen aus dem Original übernommen; s. auch nochmals Konzen, DB Beilage 6/1990, S. 13: Keine Erforderlichkeit der Streikbeteiligung der nicht vom persönlichen Geltungsbereich des umkämpften Tarifvertrages erfassten Arbeitnehmer, wenn die Arbeitgeberseite zur Abwendung mehrerer Arbeitskämpfe pro Jahr die inhaltliche und vor allem zeitliche Koordination der Tarifverträge anbietet. 524 Näheres zu jener Konstellation bereits oben Teil 3, Kapitel 1, unter C. II. 4. 525 Vgl. Buchner, ZfA 1995, 95 (116). 526 Vgl. Konzen, FS Kraft, S. 291 (316). 527 Zur Ablehnung einer Pflicht der Gewerkschaften, ein gemeinsames Streikkomitee zu bilden, s. o. B. III. 3. b) cc) (1) (d).
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werden. Bei zeitgleich stattfindenden Streiks aber stößt die Beteiligung nicht und anders organisierter Arbeitnehmer an beiden (allen) Streiks und damit die in Rede stehende besondere Streikintensität durch jeweilige Einbeziehung der gesamten Belegschaft, bereits an faktische Grenzen.528 Wenn Arbeitskämpfe parallel geführt werden müssen, kann es zumindest im Ausgangspunkt nicht dazu kommen, dass sich die Arbeitgeberseite in mehreren Arbeitskämpfen jeweils sämtlichen Arbeitnehmern als Kampfgegner gegenüber sieht. Streiken mithin die Gewerkschaften notgedrungen zeitgleich, so erübrigt sich eine zusätzliche Begrenzung der Streikintensität durch Ausschluss der jeweils anders organisierten Arbeitnehmer aus dem Kreis der Streikberechtigten dadurch von selbst, dass jeder der organisierten Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis ohnehin bereits durch Beteiligung an dem Streik seiner Gewerkschaft suspendiert hat, so dass sich die Frage einer – gleichzeitigen – Beteiligung an dem Streik der anderen Gewerkschaft nicht stellen kann; der Arbeitnehmer kann die Arbeit nicht „zweimal“ zur selben Zeit niederlegen.529 (cc) Relevant könnte allerdings eine zusätzliche Begrenzung der Streikintensität durch Ausschluss der nicht und/oder der anders Organisierten von der Streikberechtigung dann werden, wenn einer der Arbeitskämpfe schneller als der andere zu einem Tarifabschluss führt oder wenn einmal eine der Gewerkschaften in einer Verhandlungsphase ganz ohne Streik zu einem Abschluss kommt. Hier kann sich die Frage stellen, ob die Nichtorganisierten und die Andersorganisierten sich nach Beendigung des von der Erstgewerkschaft geführten Streiks (oder, wenn diese einmal ohne Arbeitskampf auskommt, von vorneherein) auch noch an dem Streik der anderen Gewerkschaft beteiligen können sollen.530 Insofern ist aber zunächst einmal nach der typischerweise gegebenen Interessenlage der Nicht- und Andersorganisierten bei Streiks durch mehrere Gewerkschaften zu fragen, um zu klären, ob dies überhaupt ein realistisches Szenario und damit ein ernsthaftes Anwendungsfeld für eine zusätzliche Begrenzung der Streikintensität darstellt. Dabei ist für die Nicht- und die Andersorganisierten getrennt vorzugehen. a) Das Interesse der anders organisierten Arbeitnehmer, nach Beendigung des Streiks ihrer eigenen Gewerkschaft in derselben Verhandlungs- und Kampfphase auch noch eine konkurrierende, noch streikende Gewerkschaft zu unterstützen, dürfte sich in Grenzen halten. aa) Ein handfestes Interesse für eine solche fremdnützige Streikbeteiligung wäre freilich dann nicht zu leugnen, wenn die eigene Gewerkschaft der anders 528
s. bereits oben B. III. 3. c) cc) (1) (c). Andeutungsweise auch Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (275, dort Fn. 126); ihre in diesem Zusammenhang unterbreiteten Überlegungen zur Friedenspflicht überzeugen allerdings nicht, s. dazu schon oben B. III. 3. c) cc) (1) (c). 530 s. auch schon oben B. III. 3. c) cc) (1) (c). 529
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organisierten Arbeitnehmer in ihrem Tarifvertrag eine Meistbegünstigungsklausel vereinbart hätte. An dieser Stelle ist auf die Erwägungen von Bepler zurückzukommen531, der die Frage aufgeworfen hat, ob im Fall einer vereinbarten Meistbegünstigungsklausel die an diesen, die Meistbegünstigungsklausel beinhaltenden Tarifvertrag gebundenen – in der hiesigen Perspektive: die anders organisierten – Arbeitnehmer wegen ihres Interesses an einem günstigen Abschluss durch die konkurrierende Gewerkschaft befugt sein müssten, einem Streikaufruf dieser Gewerkschaft Folge zu leisten.532 In dieser Form kann die von Bepler gestellte Frage nach den bisherigen Ausführungen nur verneint werden. Denn damit würde man zur Begründung des Streikteilnahmerechts anders organisierter Arbeitnehmer auf den Gedanken der Partizipation zurückgreifen533, der jedoch richtigerweise nicht tragender Grund der Einbeziehung von Außenseitern in die Suspendierungswirkung sein kann.534 Der Gedanke von Bepler ist gleichwohl im hier gegebenen Zusammenhang verwertbar, wenn man zuvor eine wichtige Unterscheidung herausarbeitet, und zwar den Unterschied zwischen Partizipation als Motiv der nicht und anders organisierten Arbeitnehmer für die Teilnahme am Streik, also als rein empirischsoziologischer Determinante ihrer Interessenlage einerseits und Partizipation als dogmatischer Grundlage der Erstreckung der Suspendierungswirkung des gewerkschaftlichen Streikaufrufs auf Außenseiter, also als unmittelbar rechtlicher Kategorie, andererseits.535 Hier geht es nur um die erste der beiden Bedeutungsschichten. Dass die Partizipation richtigerweise nicht die rechtliche Grundlage für die Ausdehnung der Kampfwirkungen auf Außenseiter ist, ihre Einbeziehung in die Suspendierungswirkung des gewerkschaftlichen Streikaufrufs mithin nicht auf ihre Teilhabe am Streikerfolg zurückgeführt werden kann, hindert nicht die Annahme, dass für die Arbeitnehmer selbst die mehr oder minder verlässliche Aussicht, auf individualvertraglicher Basis (Bezugnahmeklausel) an dem Kampfergebnis teilzuhaben, wesentliches Motiv ist, sich an der Druckausübung auf die Arbeitgeberseite zu beteiligen oder von einer solchen Beteiligung abzusehen536;
531
s. dazu bereits oben B. III. 3. c) aa). s. nochmals Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (127). 533 Folgerichtig daher die von Bepler, a. a. O., dort Fn. 34, in diesem Kontext angesprochene „Verwertung der Grundgedanken“ aus der Entscheidung BAG 18. 2. 2003 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 163 (Thüsing), mit der der 1. Senat den Partizipationsgedanken zum Grundpfeiler eines Konzepts der Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern ausbauen zu wollen scheint. 534 Zur Ablehnung des Partizipationsgrundsatzes s. o. B. III. 3. c) bb) (2) (c). 535 Diese beiden unterschiedlichen Bedeutungen des Partizipationsgedankens finden sich klar herausgearbeitet auch bei Konzen, GS Heinze, S. 515 (522). 536 Wie hier Konzen, GS Heinze, S. 515 (522, Hervorhebungen nicht im Original): Der Partizipationsgedanke basiere auf der zutreffenden Beobachtung, dass die erstrebte Gleichstellung ein plausibles Motiv für die Streikbeteiligung eines Außenseiters ist; er 532
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nur in ihrer Bedeutung als tatsächliches Streikteilnahmemotiv ist die Partizipation hier angesprochen. Ein Partizipations- und sich daraus ergebendes Streikteilnahmeinteresse der anders organisierten Arbeitnehmer wäre nun für den Fall einer vereinbarten Meistbegünstigungsklausel augenfällig. Würden daher solche Klauseln in der Tarifpraxis regelmäßig und zulässigerweise verwandt, so könnte es in der Tat häufiger dazu kommen, dass Arbeitnehmer sich nach Beendigung des von ihrer Gewerkschaft geführten Streiks auch noch unterstützend an dem Arbeitskampf einer konkurrierenden Gewerkschaft beteiligen; es bestünde dann womöglich doch Anlass, unter Paritätsgesichtspunkten wegen der dann trotz der durch die Laufzeitharmonisierung erreichten Begrenzung der Streikhäufigkeit regelmäßig erhöhten Streikintensität über einen Ausschluss der Andersorganisierten aus dem Kreis der streikberechtigten Arbeitnehmer nachzudenken. Da aber Meistbegünstigungsklauseln nach vorzugswürdiger Auffassung unwirksam sind537, stellt sich die Frage vom hier vertretenen Standpunkt aus nicht. bb) Partizipation als Motiv der anders organisierten Arbeitnehmer im soeben erläuterten Sinne kommt aber noch unter einem anderen Aspekt in Betracht, nämlich dem der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel.538 Auch hieraus kann aber auf dem Boden der in der Untersuchung bisher herausgearbeiteten Ergebnisse kein Interesse der Andersorganisierten an der Teilnahme am Streik einer fremden Gewerkschaft erwachsen, denn wegen des ausnahmsweise vorzunehmenden Gesamtgünstigkeitsvergleichs, bei dem sich der normativ geltende Tarifvertrag „ihrer“ eigenen Gewerkschaft gegen abweichende Bestimmungen eines arbeitsvertraglich verwiesenen anderen Tarifvertrages regelmäßig durchsetzen würde, haben die Arbeitnehmer keine berechtigte Aussicht auf Partizipation kraft schuldrechtlicher Inkorporation. gg) Damit bleiben nur allgemeine Gründe der Solidarität innerhalb der Arbeitnehmerschaft. Diese dürfte aber in der hier beleuchteten Beziehung zwischen Mitgliedern konkurrierender Gewerkschaften regelmäßig nicht derart stark ausgeprägt sein, dass sie die jeweils anders organisierten Arbeitnehmer zur unterstützenden Hilfeleistung im Kampf der Konkurrenzgewerkschaft veranlasst. Es ist fraglich, ob eine Reinigungskraft bei der Bahn Lust hat, sich dem Streik von Lokführern anzuschließen.539 Immer ist zu gewärtigen, dass den Arbeitnehmern durch die Streikteilnahme auch Nachteile in Form von Entgeltausfällen entstehen.540 Die Streikbereitschaft pflegt daher nicht unbegrenzt zu sein.541 bilde daher die soziale Wirklichkeit durchaus ab. Die Beobachtung könne indes nicht normativ erhärtet werden. 537 s. o. B. III. 3. c) aa). 538 s. auch Franzen, RdA 2008, 193 (202). 539 Beispiel von Giesen, NZA 2009, 11 (14, Fn. 28). 540 Vgl. auch Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (515).
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Insgesamt dürfte mit einem Szenario, in dem sich bei parallel stattfindenden Streiks mehrerer Gewerkschaften Arbeitnehmer in erheblichem Umfang nach Beendigung des von ihrer Gewerkschaft geführten Streiks auch noch unterstützend dem Kampf der Konkurrenzgewerkschaft anschließen, realistischerweise nicht zu rechnen sein. Mit Blick auf die Andersorganisierten ergibt sich daher kein Anwendungsfeld für eine die Begrenzung der Streikhäufigkeit ergänzende Einschränkung der Streikintensität. b) Bei den Nichtorganisierten allerdings dürfte das Interesse, nach Beendigung des Streiks einer Gewerkschaft auch noch am Streik einer anderen Gewerkschaft teilzunehmen, die ihrerseits noch nicht zu einem Abschluss gekommen ist, ungleich größer sein: Für sie kann schließlich potentiell jeder der konkurrierenden Tarifverträge relevant werden, sei es durch Gewerkschaftsbeitritt, sei es (vor allem) durch arbeitsvertragliche Verweisung. Ihr Partizipationsinteresse lässt sich insbesondere dann auch nicht auf einen der Tarifverträge fokussieren, wenn man bedenkt, dass die regelmäßig in den Arbeitsverträgen enthaltene dynamische Bezugnahmeklausel potentiell – früher oder später – jeden der Tarifverträge in den Arbeitsvertrag inkorporieren könnte. Dies gilt unabhängig davon, ob die Klausel an den spezielleren, den günstigeren oder den repräsentativeren Tarifvertrag anknüpft oder sogar, wie es hier für möglich gehalten wird, dem Arbeitgeber für bestimmte Fälle eine einseitige Bestimmung des schuldrechtlich anwendbaren Tarifvertrages gestattet.542 Denn sowohl das Spezialitäts-, das Mehrheits- als auch das Günstigkeitskriterium sind „volatil“543, und bei Vereinbarung eines Wahlrechts des Arbeitgebers liegt die Möglichkeit eines Austausches des Bezugnahmeobjekts ohnehin auf der Hand. Die nicht organisierten Arbeitnehmer werden mit anderen Worten typischerweise ein Interesse daran haben, dass möglichst alle im Betrieb geltenden Tarifverträge möglichst günstige Arbeitsbedingungen enthalten. Mithin dürften sie auch in jedem der entsprechenden Arbeitskämpfe ein starkes Interesse daran haben, durch – ggf. auch mehrfache – Beteiligung an Streiks den von der jeweiligen Gewerkschaft und ihren Mitgliedern entfachten Arbeitskampfdruck auf die Arbeitgeberseite zu verstärken. g) Der tatsächliche Befund fällt demnach zwiespältig aus: Während bei anders organisierten Arbeitnehmern nicht in breitem Umfang mit mehrfachen Streikbeteiligungen zu rechnen ist, erscheint es realistisch, dass sich nicht organisierte Arbeitnehmer in einer Verhandlungs- und Kampfphase ggf. nach Beendigung ei-
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Gamillscheg, KollArbR I, § 24 II. 2. a) (1), S. 1135. Zu den Möglichkeiten der Vertragsgestaltung bei arbeitsvertraglicher Inbezugnahme von Tarifverträgen unter den Bedingungen realisierter Tarifpluralität s. o. Teil 2, Kapitel 2, unter C. 543 Zur „Volatilität“ s. o. Teil 2, Kapitel 2, unter C. IV. 2. b) bb) (1) (a). 542
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nes Streiks auch noch der von einer weiteren Gewerkschaft organisierten Arbeitsniederlegung anschließen. Eine hieran anknüpfende, den Ansatz bei der Streikhäufigkeit ergänzende Beschränkung der Streikintensität sähe sich indes vor unüberwindbare Umsetzungsschwierigkeiten gestellt. Man müsste festlegen, dass die nicht organisierten Arbeitnehmer in jeder Tarifrunde jeweils nur einen Streik einer Gewerkschaft unterstützen dürfen. Welcher aber sollte das sein? Für diese Entscheidung gäbe es kein rechtlich plausibles Kriterium. Auf den nach dem aktuellen Stand des Arbeitsvertrages durch die schuldrechtliche Bezugnahmeklausel inkorporierten Tarifvertrag kann man nicht abstellen, weil Partizipation rechtlich, d. h. als dogmatische Basis des Streikteilnahmerechts 544, nicht das maßgebliche Kriterium sein kann.545 Hebt man auf die Erforderlichkeit der Einbeziehung der Nichtorganisierten in den Streik zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems ab, so dürfte es nicht darauf ankommen, im Einzelfall festzulegen, welche Gewerkschaft gerade auf die Unterstützung der nicht organisierten Arbeitnehmer angewiesen ist, um ausreichenden Kampfdruck entfalten zu können und welche nicht, denn es kann nur auf generelle Erforderlichkeit ankommen (typisierender Erforderlichkeitsmaßstab). Müsste man demnach generelle Regeln dafür finden, welche Gewerkschaften zwecks Entfachung ausreichenden Kampfdrucks typischerweise auf die Unterstützung der Außenseiter angewiesen sind und welche nicht, so kommt der Hinweis Kamanabrous in den Sinn, wonach Spartengewerkschaften in der Regel keine Unterstützung durch Nichtorganisierte benötigen, um ihr Ziel schlagkräftig verfolgen zu können.546 Dies leuchtet ein, allerdings wird sich gerade für Spartengewerkschaften die Frage auch praktisch kaum einmal stellen. Denn wie Kamanabrou selbst ausführt, wird der Spartentarifvertrag für nicht (und anders) organisierte Arbeitnehmer außerhalb der von der Spartengewerkschaft vertretenen Berufsgruppe in der Regel keine Bedeutung erlangen547, und deshalb fehlt es hier schon am Partizipationsinteresse als Motiv für eine Streikbeteiligung der Außenseiter; innerhalb der jeweiligen Berufsgruppe aber ist der Organisationsgrad der Spartenverbände meist so hoch, dass auch hier die Außenseiterfrage im Arbeitskampf keine praktische Bedeutung erlangt.
544 Zu den beiden Bedeutungsschichten des Partizipationsgedankens s. nochmals oben B. III. 3. c) dd) (2) (c) (cc) a) aa). 545 Zu den Argumenten gegen den Partizipationsgrundsatz s. nochmals oben B. III. 3. c) bb) (2) (c). 546 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (274), die (S. 275) auch deshalb Außenseitern eine Beteiligung am Streik einer Spartengewerkschaft allenfalls sehr eingeschränkt gestatten will, das Problem indes mit Blick auf Andersorganisierte ohnehin – zu Unrecht [s. o. B. III. 3. c) cc) (1) (c)] weithin durch die Friedenspflicht entschärft sieht (Fn. 126). 547 Des Näheren Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (274).
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In der Konkurrenz von Branchengewerkschaften indes kann man keine typischerweise abgestufte Schlagkraft aus den eigenen Reihen heraus feststellen. Oftmals haben, wie ebenfalls Kamanabrou festhält, auch Branchengewerkschaften die Möglichkeit, mit wenig Aufwand weit reichende Wirkung zu erzielen; es ist nicht spartengewerkschaftsspezifisch, wenn mit einer kleinen Gruppe von Arbeitnehmern weit reichende Auswirkungen im Arbeitskampf erzielt werden.548 Man kann aber eben nicht (und dürfte es auch wegen des typisierenden Erforderlichkeitsmaßstabes nicht) im Einzelfall untersuchen, ob einer Branchengewerkschaft diese Möglichkeiten zu Gebote stehen oder ob sie auf Unterstützung aus den Reihen der Nichtorganisierten angewiesen ist. Man muss vielmehr auch aus Gründen der Gleichbehandlung549 die Streikbeteiligung der nicht organisierten Arbeitnehmer zugunsten aller (jedenfalls Branchen-)Gewerkschaften zulassen. Der anderenfalls zu verzeichnende Verstoß gegen das aus Art. 9 Abs. 3 GG folgende Diskriminierungsverbot wäre auch nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil der nicht organisierte Arbeitnehmer sich nun einmal entschieden hat, in der jeweiligen Tarifrunde konkret diese Gewerkschaft zu unterstützen: Zwar entspricht es durchaus dem Modell des von Art. 9 Abs. 3 GG als Möglichkeit gewährleisteten Koalitionspluralismus, Erfolge, die eine Koalition in der Konkurrenz mit anderen Verbänden derselben Seite errungen hat, anzuerkennen und die Ergebnisse des Koalitionswettbewerbes nicht zu nivellieren.550 Die Unterstützung der nicht organisierten Arbeitnehmer könnte sich aber die Gewerkschaft im pluralistischen Tarif- und Arbeitskampfrechtssystem wohl weniger als eigenen Erfolg auf die Fahnen schreiben als dass die Entscheidung für die Teilnahme am Streik dieser oder jener Gewerkschaft durch die Fassung der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel in den Arbeitsverträgen der Nichtorganisierten, damit aber durch die faktisch vom Arbeitgeber vorgenommene Auswahl des Bezugnahmeobjekts determiniert würde. Die Arbeitnehmer würden, wenn man sie vor die Wahl stellte, bei lebensnaher Betrachtung wohl versuchen, den Kampfdruck derjenigen Gewerkschaft zu verstärken, von der sie annehmen, dass ihr Tarifvertrag für ihre Arbeitsverhältnisse Bedeutung erlangen werde. d) Im Ergebnis ist festzuhalten, dass man das Problem der Streikteilnahme nicht und anders organisierter Arbeitnehmer im pluralistischen Tarif- und Ar548 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (260); zustimmend jetzt auch Jacobs, FS Buchner, S. 342 (354); s. auch schon, noch in Zeiten faktischer Gewerkschafts-, Tarif- und Arbeitskampfeinheit und lange vor dem Einsetzen der Diskussion um die Schlagkraft von Spartengewerkschaften, Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 38: „Ob ohne aktive Beteiligung der Außenseiter ein Streik erfolgreich durchgeführt werden kann, läßt sich nicht generell sagen. Unter Umständen können bereits einige Organisierte in Schlüsselstellungen einen Betrieb lahmlegen.“; außerdem Konzen, FS 25 Jahre BAG, S. 273 (280); Wank, FS Kissel, S. 1225 (1241). 549 Zu Art. 9 Abs. 3 GG – kollektive Koalitionsfreiheit – als Diskriminierungsverbot s. die Nachweise oben Teil 4 Fn. 75. 550 s. dazu Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, passim.
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beitskampfrechtssystem – auch, weil ihm durch die mittels harmonisierter Tarifvertragslaufzeiten bewirkte Beschränkung schon der Streikhäufigkeit jedenfalls die Spitze genommen wird – gelassen sehen sollte. Bis auf weiteres sollte wie gehabt von der Streikberechtigung sowohl der nicht als auch der anders Organisierten ausgegangen werden.551 Die sogleich zu erläuternde Dynamik des Erforderlichkeitsmaßstabes erlaubt ggf. eine anpassende Reaktion. ee) Kein „Grundsatz der arbeitskampfrechtlichen Einheit der Belegschaft“ (1) Mit dieser Lösung wird nicht einem „Grundsatz der arbeitskampfrechtlichen Einheit der Belegschaft“ das Wort geredet. Der Topos der arbeitskampfrechtlichen Belegschaftseinheit ist in der Diskussion um die Stellung des Außenseiters im Arbeitskampf in aller Munde. Die „Belegschaft als Einheit im Arbeitskampf“ wird von den einen beschworen552, von anderen verdammt553; vor allem aber steht die Häufigkeit der Verwendung dieses Begriffs in auffälligem Missverhältnis zu den Fortschritten im Bemühen um seine inhaltliche Konturierung554 und daher besonders auch zu dem wissenschaftlichen Ertrag, den er in der Debatte abgeworfen hat. Wenn man, wie hier, auch weiterhin das Streikteilnahmerecht der nicht und auch der anders Organisierten bejaht, macht man sich damit nicht automatisch 551 So im Ergebnis auch, ebenfalls bei gleichzeitiger Begrenzung der Streikhäufigkeit durch Laufzeitharmonisierung, Franzen, RdA 2008, 193 (201); ebenfalls bereits Konzen, Diskussionsbeitrag, in: Lieb/v. Stebut/Zöllner, Arbeitskampfrecht, Symposion Hugo Seiter zum Gedächtnis, S. 159: Lasse man die Außenseiter, einschließlich der Andersorganisierten, am Streik teilnehmen, um Streiks typischerweise überhaupt erst durchführbar zu machen, dann spreche auch nichts gegen eine Außenseiterbeteiligung, wenn in einem Betrieb mehrfach um Tarifverträge mit verschiedenen Gewerkschaften gekämpft wird. – Anders aber jüngst Greiner, Rechtsfragen, S. 430 f.: Im pluralen System könne der Nachweis, dass ein effektiver Arbeitskampf stets die Einbeziehung der gesamten Belegschaft erfordert, nicht gelingen; könnte jede Gewerkschaft bei einem Streik auf die Unterstützung aller im Betrieb tätigen Arbeitnehmer zählen, käme es zu einer weiteren massiven Paritätsverschiebung; es komme zu einer funktionswidrigen Vervielfältigung der gewerkschaftlichen Durchsetzungskraft; im pluralen System seien daher Streikrecht (und Aussperrungsbetroffenheit – dazu noch sogleich im Text) nur der jeweiligen Gewerkschaftsmitglieder gerechtfertigt. 552 s. die Nachweise oben Fn. 476; außerdem Konzen, FS 50 Jahre BAG, S. 515 (548); ders., GS Heinze, S. 515 (521). 553 Vor allem Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1387: „keinen normativen Anhaltspunkt“; ders., Anm. zu BAG 27. 6. 1995 SAE 1996, 227 (231): „blanke Erfindung ohne normativen Anhaltspunkt“; ders., Anm. zu BAG 18. 2. 2003 EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 135, S. 15 (25); ders., BB 2008, 1506 (1511): „frei erfunden“; außerdem Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 183; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 38 Rn. 16 und § 55 Rn. 3; Lembke, Arbeitskampfbeteiligung, S. 61; kritisch auch Lieb, ZfA 1982, 113 (146 f.); ders., RdA 1991, 145 (149 ff.); ders., FS Kissel, S. 653 (655); kürzlich Jacobs, FS Buchner, S. 342 (348). 554 Treffend daher Lieb, RdA 1991, 145 (149): „Schlagwort“; s. auch Konzen, FS 50 Jahre BAG, S. 515 (540).
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zum Fürsprecher eines Grundsatzes der arbeitskampfrechtlichen Einheit der Belegschaft. Die Streikberechtigung der Nicht- und der Andersorganisierten hängt von ihrer Erforderlichkeit zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems ab. Der Maßstab der Erforderlichkeit ist zwar ein typisierendes, gleichwohl aber auch ein dynamisch angelegtes Kriterium: Bei einem deutlichen Anstieg des Organisationsgrades auf Arbeitnehmerseite könnte die damit begründete Streikteilnahmeberechtigung der nicht organisierten Arbeitnehmer durchaus zweifelhaft werden. Ebenso könnte die Zukunft zeigen, dass das Nebeneinander mehrerer Gewerkschaften, insbesondere auch von schlagkräftigen Berufsgruppengewerkschaften, trotz der durch die hier vorgeschlagene Laufzeitharmonisierung bewirkten Einschränkung der Streikhäufigkeit zu einer Paritätsverschiebung zu Lasten der Arbeitgeberseite führt; dann müsste unter dem Aspekt der Erforderlichkeit neu über das Streikteilnahmerecht der anders organisierten Arbeitnehmer nachgedacht und evtl. doch die Einschränkung der Streikhäufigkeit durch eine solche der Streikintensität ergänzt werden. Die dem Erforderlichkeitsmaßstab innewohnende Dynamik lässt also Raum für arbeitskampfrechtliche Anpassungen an ungewisse zukünftige Entwicklungen.555 Hängt aber die Streikberechtigung der nicht und der anders organisierten Arbeitnehmer von ihrer Erforderlichkeit zur Sicherung einer paritätischen Kampfordnung ab und ist der Erforderlichkeitsmaßstab notwendig ein dynamischer, so kann es einen Grundsatz, ein Prinzip der arbeitskampfrechtlichen Einheit der Belegschaft schon deshalb nicht geben. Gerade die dem Erforderlichkeitsmaßstab innewohnende Dynamik spricht also zwingend gegen die Annahme eines entsprechenden Grundsatzes; eine arbeitskampfrechtliche Einheit der Belegschaft gibt es nur als Resultat, als Konsequenz ihrer Erforderlichkeit zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems, d. h., nur weil und solange sie aus Paritätsgründen erforderlich ist, nicht aber als eigenständiges Prinzip.556 Rechtfertigender Grund für die Möglichkeit der Einbeziehung nicht und anders organisierter Arbeitnehmer ist die arbeitskampfrechtliche Parität, nicht ein „Grundsatz der arbeitskampfrechtlichen Einheit der Belegschaft“.557 555 Kritisch in diesem Punkt allerdings Blanke, AuR 2004, 130 (132, mit Beispiel in Fn. 21): Zu sehr der jeweils aktuellen Empirie des Tarifsystems verhaftet. Allerdings müsste aufgrund der gleichwohl maßgeblichen typisierenden Betrachtung eine Veränderung der „Empirie des Tarifsystems“ schon von einiger Dauer und zu erwartender Nachhaltigkeit sein, um daran arbeitskampfrechtliche Konsequenzen knüpfen zu können; ein ständiges „Hin und Her“ bei der Einbeziehung von Außenseitern in den Arbeitskampf ist also nicht zu befürchten. 556 Vgl. auch Konzen, DB Beilage 6/1990, S. 14 (Hervorhebung aus dem Original übernommen): „Die Einheit der Belegschaft (. . .) beruht auf der Erforderlichkeit der Kampfbeteiligung für die Parität im Tarifgebiet.“; im Kontext der Aussperrungsbetroffenheit von Außenseitern ebenso Lieb, FS Kissel, S. 653 (665): „Dies beruht indessen allein auf Paritätsüberlegungen“. 557 Letztlich ebenso wohl auch Franzen, RdA 2008, 193 (201), wenn er schreibt, der Grundsatz der arbeitskampfrechtlichen Einheit der Belegschaft finde seine Rechtferti-
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(2) Über das Verhältnis dieses vermeintlichen Grundsatzes zum Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb, das streitig ist – überwiegend sieht man einen Zusammenhang558, wohingegen Franzen meint, der Grundsatz der arbeitskampfrechtlichen Einheit der Belegschaft habe mit dem Grundsatz der Tarifeinheit und dessen möglicher Aufgabe nichts zu tun559 –, muss man sich daher, weil es jedenfalls ersteren nicht gibt – und letzteren, wie jetzt auch der 4. und der 10. Senat des BAG zutreffend erkannt haben, nicht (länger) geben kann, weil sich die Tarifpluralität, wie durch diese Untersuchung verifiziert werden soll, durchaus stimmig in das System der Arbeitsrechtsordnung einpassen lässt560 –, keine Gedanken machen. d) Fragen der Aussperrung im pluralistischen Tarifund Arbeitskampfrechtssystem Fragen der Aussperrung können hier im Vergleich zu den streikrechtlichen Ausführungen verhältnismäßig kurz abgehandelt werden. Die praktische Bedeutung der Aussperrung ist gering, und sie dürfte auch im pluralistischen Tarif- und Arbeitskampfrechtssystem nicht wesentlich steigen. Man hält die Aussperrung ohnehin für ein seit langem völlig untaugliches Mittel zur Wahrung der Arbeit-
gung im arbeitskampfrechtlichen Paritätsprinzip – hier stört nur der Begriff „Grundsatz“; fehlgehend daher auch die Kritik an Franzen bei Nebeling/Gründel, NZA-Online-Aufsatz, S. 8. 558 Giesen, NZA 2009, 11 (14, Fn. 28); Greiner, Anm. zu LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80, S. 45 (54); Kissel, Arbeitskampfrecht, § 38 Rn. 15; Lembke, Arbeitskampfbeteiligung, S. 61: Arbeitskampfrechtliche Einheit der Belegschaft als Fortsetzung der Tarifeinheit im Betrieb auf arbeitskampfrechtlicher Ebene; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1387, 1799; ders., Anm. zu BAG 27. 6. 1995 SAE 1996, 227 (231); kürzlich Jacobs, FS Buchner, S. 342 (348); Boemke, ZfA 2009, 131 (143); Nebeling/Gründel, NZA-Online-Aufsatz, S. 8; Fritz/Meyer, NZA Beilage 3/2010, S. 111 (114) und jetzt vor allem Greiner, Rechtsfragen, S. 369, 400, 427 ff., 431 ff., 469, 476. 559 Franzen, RdA 2008, 193 (201); auch darin zeigt sich, dass Franzen eigentlich wohl keinen „Grundsatz“ der arbeitskampfrechtlichen Einheit der Belegschaft als eigenständiges, rechtliche Ableitungen erlaubendes Rechtsprinzip befürwortet, sondern wie hier von einer Einheit der Belegschaft im Arbeitskampf nur als Resultat ihrer Erforderlichkeit unter Paritätsaspekten ausgeht, die dann aber – was auf einen „Grundsatz“, ein „Prinzip“ nicht zuträfe – vom Fortbestand der Bedingung der Erforderlichkeit abhängig ist (bei einem solchen Verständnis geht auch der von Giesen, NZA 2009, 11 [14, Fn. 28] erhobene Vorwurf ins Leere, wonach sich, wer die Einheit der Belegschaft im Arbeitskampf bejaht, zwangsläufig wieder in Richtung des Grundsatzes der Tarifeinheit bewegt; ebenso unbegründet dann die Kritik von Nebeling/Gründel, NZA-Online-Aufsatz, S. 8). – s. auch Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 152. 560 Zu der daher fälligen, nunmehr mit den Entscheidungen des 4. Senats vom 27. 1. (NZA 2010, 645) und 7. 7. 2010 (4 AZR 549/08) und des 10. Senats vom 23. 6. 2010 (NZA 2010, 778) vollzogenen „formlosen Kassation kraft besserer Einsicht“ s. o. Teil 3, Kapitel 1, unter B. II. 4. c) bb) (2) (b) und die Nachweise dort Fn. 275.
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geberinteressen.561 In der heutigen Situation weltweit offener Märkte, durchgängiger grenzüberschreitender Arbeitsteilung und Spezialisierung würde jede die Arbeitnehmerseite unter Druck setzende Aussperrung zu einer schwerwiegenden, die Streikfolgen noch verschärfenden Eigenschädigung des Arbeitgebers führen. Zudem sei die Aussperrung etwa bei Unternehmen wie der Deutschen Bahn politisch nicht vermittelbar.562 Diese Einschätzung teilt auch die Praxis. So funktioniere etwa im Luftfahrtbereich eine Aussperrung schlicht nicht.563 Im tatsächlichen Arbeitskampf sei die Aussperrung kaum noch eine realistische und praktikable Handlungsalternative. An ihre Stelle trete als mittel- und längerfristige Reaktion der Arbeitgeberseite die Abwanderung der Produktion ins Ausland.564 Zwei aussperrungsrechtliche Fragen werden gleichwohl in der Diskussion um die Folgen des Abschieds von der Tarifeinheit im Betrieb für das Arbeitskampfrecht häufiger erörtert: Die nach der Möglichkeit der (suspendierenden Abwehr-) Aussperrung nicht und anders organisierter Arbeitnehmer, wobei in diesem Zusammenhang Gesichtspunkte wieder auftauchen, die bereits für die obige Untersuchung des Streikteilnahmerechts Nicht- und Andersorganisierter eine Rolle gespielt haben, sowie die nach einer „Wiederbelebung“ der lösenden Aussperrung. Sie sollen auch hier kurz aufgegriffen werden.
561 Buchner, BB 2007, 2520 (2521); s. auch jüngst Freckmann/K. Müller, BB 2010, 1981 (1986) sowie Monopolkommission, Hauptgutachten 2008/2009, S. 353, Nr. 1011; diametral entgegengesetzt allerdings Greiner, Rechtsfragen, der die Lösung der im pluralen Tarif- und Arbeitskampfsystem auftretenden Paritätsprobleme in der Schärfung der Reaktionsmöglichkeiten der Arbeitgeberseite sieht (S. 132, 427, 450, 468, 473, 474 ff.) und hierbei insb. an die suspendierende Angriffs- (S. 450) sowie – bei einem lang andauernden firmenbezogenen Streik einer Berufs- oder Spartengewerkschaft – die lösende (selektive) Abwehraussperrung (S. 477 ff.) denkt (s. schon dens., NZA 2007, 1023 [1027]; dens., Anm. zu LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80, S. 45 [55]); näher dazu noch sogleich unter bb). 562 Buchner, BB 2008, 106 (109); an der faktischen Aussperrungsmöglichkeit der Bahn zweifelnd auch Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (128); s. auch zuletzt Jacobs, FS Buchner, S. 342 (347); Loritz, FS Buchner, S. 582 (591 f.); weiterführend dazu jetzt auch Scholz, FS Buchner, S. 827 (835 ff.); allgemein Rüthers, myops 2/2008, 57: Abwehraussperrungen in vielen Bereichen unmöglich geworden; ebenso Jacobs, NZA 2008, 325 (331); jüngst Lehmann, FS Buchner, S. 529 (540 f.). 563 Gerber, ZfA 2008, 311 (314) für die Lufthansa. 564 Kannegiesser, ZfA 2008, 305 (308); zur Produktionsverlagerung in kostengünstigere Standorte als die Aussperrung ersetzendes Regulativ gegenüber unzuträglichen Tarifforderungen auch Buchner, BB 2007, 2520 (2521); Rieble, ZAF 2005, 218 (221); dazu, dass Standortverlagerungen und deren Inaussichtstellen keine arbeitskampfrechtlichen Vorgaben unterliegenden Kampfmittel sind, s. Franzen, ZfA 2005, 315 (317 ff.); Jacobs, in: Rieble, Zukunft des Arbeitskampfes, S. 91 (96 ff.).
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aa) Aussperrung nicht und anders organisierter Arbeitnehmer (1) Problemaufriss Die Einbeziehung nicht und anders organisierter Arbeitnehmer in eine Aussperrung ist vom BAG im Grundsatz565 seit jeher anerkannt.566 Vor allem die Möglichkeit der Aussperrung anders organisierter Arbeitnehmer wird aber unter den (antezipierten) Bedingungen eines pluralen Tarifsystems vielfach in Frage gestellt.567 Müssten Andersorganisierte von einer Aussperrung ausgenommen werden568, so schiede damit wohl endgültig jede Aussperrung aus. Denn zwar ist den Arbeitgebern nach richtiger Auffassung unter den Bedingungen der Gewerkschafts- und Tarifpluralität ein Recht zur Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit im laufenden Arbeitsverhältnis zuzugestehen569; und sollte 565 Zum Vorbehalt des Großen Senats, für anders Organisierte könne die Friedenspflicht entgegenstehen, s. noch unten B. III. 3. d) aa) (2) (a). 566 Schon BAG (GS) 21. 4. 1971 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43, Teil III B. 3.; zuletzt BAG 19. 6. 2007 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 173 (Wank), unter I. 3. c) cc) (2) der Gründe, Rn. 41 des Urteils, das damit die Zulassung von („echten“) Unterstützungsstreiks gegen das Argument verteidigt, die Einbeziehung von Personen, die nicht auf die Erfüllung der erhobenen Tarifforderungen hinwirken könnten, sei dem Arbeitskampfrecht fremd; mit Recht kritisch zur Tragfähigkeit der Parallele Wank, Anm. a. a. O., unter V.; s. auch Konzen, SAE 2008, 1 (5, 7 f.); Rieble, BB 2008, 1506 (1511 f.). 567 s. auch Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (127 f.); Jacobs, NZA 2008, 325 (331). 568 Dem steht jedenfalls das bislang von der h. M. hochgehaltene Verbot der selektiven Aussperrung (Mitgliederaussperrung) – dazu oben Fn. 460 –, anders als offenbar von Meyer, FS Adomeit, S. 459 (462), angenommen, nicht entgegen (s. aber auch Franzen, RdA 2008, 193 [202]). Denn dieses bezieht sich schon seiner Begründung durch das BAG nach – Unvereinbarkeit der Selektivaussperrung mit der positiven individuellen Koalitionsfreiheit der organisierten Arbeitnehmer und dem Bestandsschutz, d. h. der kollektiven Koalitionsfreiheit, der Gewerkschaft (BAG 10. 6. 1980 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 66 [Mayer-Maly], unter A. II. der Gründe) – nur auf die Verschonung der nicht organisierten Arbeitnehmer (im Ansatz richtig daher auch Franzen, RdA 2008, 193 [202]: der tragende Gedanke des Verbots der Selektivaussperrung könne nicht auf die Andersorganisierten übertragen werden). Wie bereits Seiter, JZ 1980, 749, zutreffend bemerkte, hat das BAG zur Vereinbarkeit einer Verschonung Andersorganisierter mit dem Differenzierungsverbot nicht ausdrücklich Stellung genommen; das BAG hat also die Differenzierungsfrage im Hinblick auf Andersorganisierte zum Mindesten nicht negativ beantwortet. Die Tatsache, dass es in Leitsatz und Entscheidungsgründen durchweg von „Nichtorganisierten“ spricht und den missverständlichen Ausdruck „Außenseiter“, der mal auf Nicht- und Andersorganisierte, zuweilen aber auch nur auf Nichtorganisierte bezogen wird, vermeidet, deutet Seiter, a. a. O. und ders., RdA 1981, 65 (83), wohl mit Recht als Fingerzeig dafür, dass von einer (verbotenen) Selektivaussperrung nur bei Verschonung Unorganisierter gesprochen werden kann; ebenso Thüsing, Außenseiter, S. 90; s. auch Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 181 f.; demgegenüber versteht Koop, Tarifvertragssystem, S. 214, 220, 271, 314 f., die Entscheidung vom 10. 6. 1980 so, dass auch die Verschonung Andersorganisierter nach dem BAG eine verbotene Selektivaussperrung wäre. 569 Ausführlich oben Teil 2, Kapitel 1.
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tatsächlich der Aussperrungsbeschluss aus zwingenden rechtlichen Gründen auf die einschlägig, d. h. bei der kampfführenden Gewerkschaft und die nicht organisierten Arbeitnehmer beschränkt werden müssen, so müsste man ein Recht zur Ermittlung des Organisationsstatus in der Konsequenz des rechtsfolgenbezogenen Ansatzes570 auch im Arbeitskampf annehmen.571 Aber während eines laufenden Arbeitskampfes dürfte es, auch wenn es rechtlich zulässig wäre, praktisch kaum möglich sein, die Gewerkschaftszugehörigkeit zu ermitteln.572 Die Aussperrung lebt als Arbeitskampfmittel davon, dass sie dem Arbeitgeber(-verband) ein unmittelbares Reagieren auf den Streik erlaubt.573 Unter Umständen hat zwar der Arbeitgeber die Organisationszugehörigkeit schon früher, vor dem Arbeitskampf, zulässigerweise erhoben und könnte daher jetzt zwecks Verschonung der Andersorganisierten auf diese Kenntnis zurückgegriffen werden. Eine unzulässige Zweckentfremdung der zu anderen als arbeitskampfrechtlichen Zwecken ermittelten Kenntnisse läge darin nach dem Gesagten nicht, denn müssten tatsächlich die Andersorganisierten aus der Aussperrung ausgenommen werden, so müsste man ein Recht zur Ermittlung des Organisationsstatus auch im Arbeitskampf bejahen, und dies müsste dann wohl auch die Verwendung bereits vorhandener, zu anderen Zwecken ermittelter Kenntnisse umfassen.574 Aber die Arbeitgeber sind auch in Zeiten der Tarifpluralität nicht verpflichtet oder auch nur faktisch gezwungen, von ihrem Fragerecht Gebrauch zu machen575 oder sogar eine – zulässige – Mitgliedschaftsauskunftsklausel576 zu vereinbaren577. Sie können auch, namentlich mittels einer entsprechenden arbeitsvertraglichen Gestaltung von Bezugnahmeklauseln, trotz bestehender Tarifpluralität alle Arbeitnehmer einheitlich nach einem, dem günstigsten Tarifvertrag behandeln – mit plausiblen Er-
570 s. zur rechtsfolgenbezogenen Anerkennung des Informationsbedürfnisses des Arbeitgebers oben Teil 2, Kapitel 1, unter C. I. 571 A. A. ArbG Düsseldorf 1. 8. 2007 – 11 Ga 74/07 – juris, unter II. 1. b) der Gründe, Rn. 92 des Urteils. 572 Franzen, RdA 2008, 193 (202); Jacobs, NZA 2008, 325 (331); ders., FS Buchner, S. 342 (349); Meyer, NZA 2006, 1387 (1390); Ubber, bei Bepler/U. Fischer/Ubber, BLJ 2007, 139 (145); nur insoweit richtig daher auch jüngst Meyer, FS Buchner, S. 628 (639); a. A. offenbar Greiner, Rechtsfragen, S. 476, 482. 573 Thüsing, Außenseiter, S. 100. 574 Diese Fragen wurden allerdings bereits im Zusammenhang der Auseinandersetzung um die Selektivaussperrung kontrovers erörtert, s. P. Hanau/Kroll, JZ 1980, 181 (183 f.) einerseits; Seiter, JZ 1980, 749 (754) andererseits. 575 Zutreffend Franzen, RdA 2008, 193 (202): Der Arbeitgeber kann zwar zulässigerweise von der Gewerkschaftsmitgliedschaft seiner Arbeitnehmer erfahren, er muss es aber nicht. 576 Oben Teil 2, Kapitel 1, unter C. III. 2. d) bb) (2) (b) (cc). 577 Mit einer solchen Klausel könnte, wenn sie denn vereinbart wäre, dem Bedenken von Franzen, RdA 2008, 193 (202) begegnet werden, es sei nicht garantiert, dass die Kenntnis des Arbeitgebers vom Organisationsstatus seiner Arbeitnehmer dem neuesten Stand entspricht.
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wägungen prognostiziert Bepler, dass genau dies im Falle realisierter Tarifpluralitäten in der Praxis weithin geschehen wird578 – und sich dadurch jeglicher Sorge um die Kenntnis des Organisationsstatus ihrer Arbeitnehmer entledigen. Dass dann im Falle eines Arbeitskampfes doch noch kurzfristig die Gewerkschaftszugehörigkeit ermittelt werden könnte, um Andersorganisierte von der Aussperrung verschonen zu können, ist nicht sehr wahrscheinlich. (2) Zweifel an der Möglichkeit der Aussperrung Andersorganisierter Die Frage, ob anders organisierte Arbeitnehmer in eine Aussperrung einbezogen werden können, ist nicht schon durch die Bejahung oder Verneinung des Streikteilnahmerechts Andersorganisierter579 vorentschieden. Gegenteiliges wird allerdings immer wieder angenommen. So schloss schon der Große Senat des BAG von der Möglichkeit zur Streikbeteiligung auf die Zulässigkeit der Einbeziehung in die Aussperrung580; aktuell tritt – unter negativen Vorzeichen – Kamanabrou für einen solchen zwingenden Zusammenhang ein: Ein fehlendes Streikbeteiligungsrecht bedeute umgekehrt, dass Außenseiter von Aussperrungen der Arbeitgeberseite nicht erfasst werden dürften.581 Nach hiesiger Ansicht erstreckt sich die Suspendierungswirkung des gewerkschaftlichen Streikaufrufs auch unter den Bedingungen eines pluralistischen Tarif- und Arbeitskampfrechtssystems – jedenfalls bis auf weiteres – auch auf die Andersorganisierten. In der Logik des Großen Senats müssten sie dann weiterhin auch ausgesperrt werden dürfen. Der Schluss von der Streiklegitimation auf die Legitimation zur Aussperrung ist aber nicht zwingend.582 Er hat insbesondere den Wertungsunterschied zwischen aktiver, freiwilliger Arbeitskampfbeteiligung durch Anschluss an den Streik einer fremden Gewerkschaft und passiver, unfrei-
578 Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (143); s. schon oben Teil 2, Kapitel 2, unter C. III. 2.; dazu jetzt aber auch Greiner, Rechtsfragen, S. 4, 158, 513 f., 527. 579 Dazu oben B. III. 3. c). 580 BAG (GS) 21. 4. 1971 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43, Teil III B. 3.; ebenso für die Nichtorganisierten der 1. Senat im Urteil BAG 10. 6. 1980 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 66 (Mayer-Maly), unter A. I. der Gründe; s. auch BAG 22. 3. 1994 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 130 (Oetker), unter II. 3. c) der Gründe sowie Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 344. 581 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (275); ebenso Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 181; positiv sieht die Einbeziehung in die Aussperrung als Kehrseite der Streikbefugnis in jüngster Zeit etwa Konzen, SAE 2008, 1 (5, 8); s. zu ihm aber oben Fn. 460; ebenso gerade erst wieder Jacobs, FS Buchner, S. 342 (348). 582 Ausführlich dagegen für die nicht organisierten Arbeitnehmer Thüsing, Außenseiter, S. 67 f.; s. auch Gamillscheg, KollArbR I, § 21 III. 7. b) (3) (a), S. 1047; Lembke, Arbeitskampfbeteiligung, S. 101 f.
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williger Arbeitskampfbeteiligung in Form der Aussperrungsbetroffenheit gegen sich.583 (a) Entgegenstehende Friedenspflicht? Verbreitet ist nach wie vor die Ansicht, Arbeitnehmer, für die bereits ein anderer Tarifvertrag gilt, könnten – jedenfalls bei Identität der Regelungsmaterie – aufgrund der aus diesem Tarifvertrag bestehenden Friedenspflicht nicht ausgesperrt werden.584 Dass auch der Große Senat die Möglichkeit des Arbeitgebers, anders organisierte Arbeitnehmer auszusperren, unter den Vorbehalt einer entgegenstehenden Friedenspflicht gestellt hatte, wurde bereits erwähnt.585 Im Zusammenhang mit der Streikteilnahme Andersorganisierter wurde aber bereits dargelegt586, dass dies eine irrige Rechtsansicht ist. Die Friedenspflicht schützt nur den jeweiligen Tarifvertrag. So, wie aber anders organisierte Arbeitnehmer, wenn sie dem Streikaufruf einer fremden Gewerkschaft folgen, nicht den eigenen Tarifvertrag in Frage stellen – was zu verhindern der Sinn der Friedenspflicht ist –, sondern sich für einen fremden Tarifvertrag einsetzen, so zielt auch die Aussperrung Andersorganisierter nicht darauf ab, den mit deren Gewerkschaft geschlossenen Tarifvertrag zu ändern. Da also der bestehende Tarifvertrag durch die Aussperrung nicht in Frage gestellt wird, steht die Friedenspflicht ihrer ratio nach der Befugnis zur Einbeziehung Andersorganisierter in die Aussperrung nicht entgegen.587
583 Zu diesem Unterschied und der aus ihm sich ergebenden Zweifelhaftigkeit von „Symmetrieargumenten“ im Arbeitskampfrecht s. Thüsing, Außenseiter, S. 68; dens., Anm. zu BAG 18. 2. 2003 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 163, unter IV. 2. b); Thüsing/ Burg, FS Otto, S. 555 (563); im hiesigen Zusammenhang außerdem Gamillscheg, KollArbR I, § 21 III. 7. b) (3) (a), S. 1047. 584 ArbG Düsseldorf 1. 8. 2007 – 11 Ga 74/07 – juris, unter II. 1. b) der Gründe, Rn. 90, 92 des Urteils; Gamillscheg, KollArbR I, § 21 III. 7. b) (1), S. 1046 und b) (4), S. 1049; Greiner, NZA 2007, 1023 (1027); ders., Rechtsfragen, S. 475, der hieraus die Zulässigkeit der selektiven Aussperrung (dazu schon oben Fn. 460) im pluralen System folgert (a. a. O. S. 476, auch schon S. 469, dort Fn. 592); Kissel, Arbeitskampfrecht, § 55 Rn. 3; Koop, Tarifvertragssystem, S. 215 ff., 314 f.; Meyer, FS Adomeit, S. 459 (462); ders., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 149 (154); Fritz/Meyer, NZA Beilage 3/2010, S. 111 (114); Lipinski/Hund, BB 2010, 1991; Pflüger, RdA 2008, 185 (186); v. Steinau-Steinrück/Glanz, NZA 2009, 113 (116); s. auch nochmals Birk/Konzen/Löwisch/Raiser/Seiter, Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, § 5 Abs. 1 Satz 2 und dazu die Begründung S. 42 ff., insbesondere S. 44; H. Otto, Arbeitskampfund Schlichtungsrecht, § 10 Rn. 82; zweifelnd F. Bayreuther, NZA 2008, 12 (15); s. auch Seiter, RdA 1981, 65 (83). 585 s. o. B. III. 3. c) cc) (1) (a) und nochmals BAG (GS) 21. 4. 1971 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43, Teil III B. 3. 586 Oben B. III. 3. c) cc) (1) (c). 587 Franzen, RdA 2008, 193 (202); Thüsing, Außenseiter, S. 91; tendenziell richtig auch Jacobs, NZA 2008, 325 (331); deutlich jetzt Jacobs, FS Buchner, S. 342 (348).
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(b) Keine Aussperrung Andersorganisierter wegen fehlender Teilhabe am Kampfergebnis? Oben wurde bereits dargelegt, dass sich die Streikteilnahme nicht und anders organisierter Arbeitnehmer nach verbreiteter Ansicht aus deren Teilhabe am Kampfergebnis legitimiert und welche Auswirkungen der Partizipationsansatz für die Rechtslage nach der Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit bei Tarifpluralität hätte.588 Der Partizipationsgedanke trägt – in etwas anderem Gewande589 – nach vielfach vertretener Auffassung auch die Möglichkeit der Einbeziehung von Außenseitern in eine Aussperrung.590 Dementsprechend sieht man verbreitet auch hier die Notwendigkeit, das Arbeitskampfrecht den veränderten tarifkollisionsrechtlichen Vorgaben anzupassen: Bei Aufgabe der Tarifeinheit im Betrieb sei im Falle des Arbeitskampfes davon auszugehen, dass eine Aussperrung der nicht am Streik beteiligten Arbeitnehmer, für die der angestrebte Tarifvertrag nicht gelten werde (also der „Nicht-Kombattanten“), unzulässig sei. Der Partizipationsgedanke könne die Aussperrung der „Nicht-Kombattanten“ unter den geänderten tarifrechtlichen Vorzeichen nicht mehr rechtfertigen.591 Dies wäre richtig, wenn der Partizipationsgedanke selbst tragfähig wäre. Er ist dies aber schon in puncto Streikteilnahme nicht592, und Gleiches gilt – wenn auch nicht automatisch593 – für die Aussperrungsbetroffenheit.594 (c) Aussperrung Nicht- und Andersorganisierter und Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems Die Möglichkeit der Streikteilnahme nicht und – trotz Bedenken – auch anders organisierter Arbeitnehmer wurde oben als durch ihre typische Erforderlichkeit zur Sicherung eines paritätischen, funktionierenden Arbeitskampfsystems legitimiert gesehen. Es liegt nahe, hierin auch den tragenden Grund ihrer potentiellen 588
s. o. B. III. 3. c) bb) (2). Zu den unterschiedlichen Gehalten des Partizipationsgrundsatzes je nachdem, ob man ihn zur Rechtfertigung der Streikteilnahme oder der Aussperrungsbetroffenheit heranzieht, s. Thüsing, Außenseiter, S. 70. 590 s. nur BAG (GS) 21. 4. 1971 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43, Teil III B. 3.: „. . . genießen sie (scil.: Die nicht und anders organisierten Arbeitnehmer) regelmäßig auch die Vorteile eines neuen Tarifabschlusses.“; BAG 22. 3. 1994 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 130 (Oetker), unter II. 3. c) der Gründe; s. auch Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 344 f. und kürzlich wieder Jacobs, FS Buchner, S. 342 (348 f.). 591 Giesen, NZA 2009, 11 (14); s. auch F. Bayreuther, NZA 2008, 12 (15); Meyer, in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 149 (154); dens., FS Adomeit, S. 459 (462); v. Steinau-Steinrück/Glanz, NZA 2009, 113 (116). 592 s. o. B. III. 3. c) bb) (2) (c). 593 Dazu Thüsing, Außenseiter, S. 70. 594 Im Einzelnen Thüsing, Außenseiter, S. 70 f.; außerdem etwa Gamillscheg, KollArbR I, § 21 III. 7. b) (3) (a), S. 1047. 589
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Einbeziehung in die Aussperrung zu suchen. Für viele deuten allerdings das Paritätskriterium und der Maßstab der Erforderlichkeit zur Sicherung einer funktionsfähigen Arbeitskampfordnung gerade in die andere Richtung, d. h. sprechen Paritätsüberlegungen gegen die Möglichkeit der Einbeziehung nicht und anders organisierter Arbeitnehmer in die Aussperrung. Die Aussperrung gewerkschaftlich nicht organisierter oder solcher Arbeitnehmer, die Mitglieder konkurrierender Gewerkschaften sind, übe auf die kampfführende Gewerkschaft keinerlei wirksamen Druck aus. Denn da die Gewerkschaft an diese Arbeitnehmer keine Arbeitskampfunterstützung zahle, gehe die Ausdehnung der Aussperrung nicht zu Lasten ihrer eigenen Streikkasse. Die kampfführende Gewerkschaft sei sogar u. U. an einer Einbeziehung konkurrierender Gewerkschaften in den laufenden Arbeitskampf interessiert, so dass die Aussperrung nicht und anders organisierter Arbeitnehmer aus ihrer Perspektive eine willkommene Intensivierung des Arbeitskampfes darstelle. Aufgrund ihrer mangelnden Eignung zur Ausübung von Gegendruck auf die kampfführende Gewerkschaft sei allerdings die Aussperrung nicht und anders organisierter Arbeitnehmer – als tiefer Eingriff in deren individuelle Vertragsposition – ohnehin ein unverhältnismäßiges und damit unzulässiges Kampfmittel.595 Der Paritätsgedanke könne die Aussperrung von „NichtKombattanten“ nicht rechtfertigen.596 Dass die Aussperrung nicht und anders organisierter Arbeitnehmer keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Kompromissbereitschaft der kampfführenden Gewerkschaft hat, weil sie, anders als die Aussperrung der Gewerkschaftsmitglieder, deren Streikkassen nicht beansprucht, ist indes keine neue und auch keine mit der Frage nach Tarifeinheit oder Tarifpluralität zusammenhängende Erkenntnis.597 Auch die daran anschließende Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Aussperrung von Außenseitern wurde bereits früher gestellt.598 Auch wenn sie aber die kampfführende Gewerkschaft nicht zu einem erhöhten Einsatz an Streikgeldern zwingt, kann die Aussperrung nicht und anders organisierter Arbeitnehmer einen guten Sinn haben: Das ganze System von Kampfverkürzung durch Kampfausweitung, das die Aussperrung trägt599, verlangt nach der 595 Greiner, NZA 2007, 1023 (1027); ders., Anm. zu LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80, S. 45 (54); ders., Rechtsfragen, S. 475 f.; ihm stimmen zu Meyer, FS Adomeit, S. 459 (462); v. Steinau-Steinrück/Glanz, NZA 2009, 113 (116); s. auch Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, AKR Rn. 180 und jüngst v. Steinau-Steinrück/Brugger, NZA Beilage 3/2010, S. 127 (131 f.). 596 Giesen, NZA 2009, 11 (14). 597 s. nur bereits Seiter, JZ 1979, 657 (659, 660); dens., JZ 1980, 749 (753). 598 Seiter, JZ 1980, 749 (753): Man könne erwägen, unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit von Kampfmaßnahmen die Aussperrung der Gewerkschaftsmitglieder im Regelfall als ausreichend anzusehen. 599 Thüsing, Außenseiter, S. 72; ausführlich zu den Funktionen der Abwehraussperrung Seiter, RdA 1981, 65 (77 ff.), zur Kampfverkürzungsfunktion S. 79; s. auch dens.,
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Möglichkeit der Ausdehnung des Kampfrahmens über den der kampfführenden Gewerkschaft angehörenden Teil der Belegschaft hinaus. Die Gewerkschaft hätte sonst in Betrieben mit geringem Organisationsgrad bei Innehabung der Schlüsselpositionen die Möglichkeit, den Kampfrahmen faktisch allein zu bestimmen und damit den eigenen Schaden gering zu halten, gleichzeitig aber größtmöglichen Schaden beim Arbeitgeber zu bewirken.600 Zwar fällt für die Aussperrung von Nicht- und Andersorganisierten das Motiv der Ausübung von Gegendruck auf die kampfführende Gewerkschaft weg. Der Kampfausgang wird aber nicht nur durch die dem Gegner zugefügten Verluste beeinflusst, sondern auch durch die Höhe des eigenen Schadens.601 Die Aussperrung der Außenseiter suspendiert deren Entgeltanspruch und dient damit der Entlastung der Arbeitgeber von den Lohnkosten, damit der Schadensminderung und letztlich der Stärkung ihres Durchhaltevermögens.602 Je geringer die eigenen Einbußen sind, desto länger kann der Kampf durchgestanden werden.603 Die Funktion der Aussperrung wird daher unzulässig verkürzt, wenn man sie allein auf die Ausübung von (Gegen-)Druck auf die Gewerkschaft beschränkt.604 Sie hat auch die Funktion, durch schlagartige Kampfausdehnung der Arbeitgeberseite zu erlauben, ihren Schaden durch Einsparung von Lohnkosten gering zu halten.605 Die Lohnbelastung ist im Arbeitskampf eine paritätsrelevante Größe.606 Daher beruht auch die Möglichkeit der Aussperrung nicht und anders organisierter Arbeitnehmer, wiewohl sie keinen Druck auf die kampfführende Gewerkschaft entfacht, auf Paritätsüberlegungen: Das Kräftegleichgewicht zwischen den Arbeitskampfparteien wäre typischerweise607 gestört, wenn die aussperrenden Arbeitgeber gegenüber Außenseitern mit der Lohnzahlungspflicht belastet blieben.608 Die kampfausdehnende und schadensbegrenzende Funktion der Aussperrung Nicht- und Andersorganisierter wird auch nicht etwa durch das arbeitgeberische Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 292 f., 308 f., 323 f. und mit Blick auf Außenseiter S. 347. 600 Thüsing, Außenseiter, S. 72 f.; s. auch Seiter, RdA 1981, 65 (78). 601 Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 347. 602 Seiter, JZ 1979, 657 (659); ders., JZ 1980, 749 (753); ders., RdA 1981, 65 (83); Thüsing, Außenseiter, S. 72 f. 603 Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 347. 604 Thüsing, Außenseiter, S. 72, dort Fn. 222; ausführlich zu den Aussperrungsfunktionen nochmals Seiter, RdA 1981, 65 (77 ff.). 605 Seiter, RdA 1981, 65 (78); Thüsing, Außenseiter, S. 72 f. 606 Vgl. auch Konzen, FS 25 Jahre BAG, S. 273 (282); Seiter, RdA 1981, 65 (78); ferner Kissel, Arbeitskampfrecht, § 33 Rn. 26, 30; Brox/Rüthers/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 169. 607 Auf den Einzelfall kommt es infolge der maßgeblichen abstrakt-materiellen Paritätsbetrachtung nicht an; zum abstrakt-materiellen Paritätsbegriff s. nochmals nur Brox/ Rüthers/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 167 f.; Wank, FS Kissel, S. 1225 (1241). 608 Lieb, FS Kissel, S. 653 (665).
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Recht zur Lohnverweigerung nach der Arbeitskampfrisikolehre609 obsolet.610 Denn zwar gleicht die Lohnverweigerung nach der Arbeitskampfrisikolehre in gewisser Hinsicht der Wirkung der suspendierenden Aussperrung611, weshalb teilweise auch von einer „kalten Aussperrung“ die Rede ist612 und verschiedentlich vertreten wurde, eine Lohnverweigerung nach Arbeitskampfrisikogrundsätzen komme nicht in Betracht, der Arbeitgeber müsse vielmehr arbeitswillige Arbeitnehmer, die er infolge eines Streiks nicht mehr beschäftigen könne, aussperren, wenn er der Lohnzahlung entgehen wolle, oder umgekehrt der Standpunkt bezogen wurde, eine Aussperrung sei aufgrund der Möglichkeit der Lohnverweigerung nach der Arbeitskampfrisikolehre nicht erforderlich613. Aber die Gewerkschaften können ihre Kampfaktionen so dosieren, dass zwar erhebliche Produktionsstörungen eintreten, die Voraussetzungen für eine Lohnverweigerung nach Arbeitskampfrisikogrundsätzen aber für viele Arbeitsverhältnisse nicht vorliegen oder vom Arbeitgeber nicht nachgewiesen werden können.614 Die Arbeitskampfrisikolehre ist daher kein gleichwertiger Ersatz für die Aussperrung.615 Das Bedürfnis, zwecks Schadensbegrenzung auch gegenüber den Außenseitern die Entgeltpflicht zu suspendieren, besteht unabhängig von dem Unmöglichkeits- oder Unzumutbarkeitskriterium der Arbeitskampfrisikolehre.616 609
Zur Arbeitskampfrisikolehre noch unten B. III. 3. e). In diese Richtung aber Greiner, NZA 2007, 1023 (1027, mit Fn. 42); Lieb, FS Kissel, S. 653 (665); s. auch Lembke, Arbeitskampfbeteiligung, S. 98 f. 611 Seiter, RdA 1981, 65 (78); s. auch ausführlicher dens., Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 307 ff.; auch schon BAG 25. 7. 1957 AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 3 (A. Hueck), letzter Absatz der Entscheidung, Blatt 621 Rückseite; kritisch zur These der Funktionsähnlichkeit allerdings Lieb, FS 25 Jahre BAG, S. 327 (335 f.); s. auch dens., in: Lieb/v. Stebut/Zöllner, Arbeitskampfrecht, Symposion Hugo Seiter zum Gedächtnis, S. 163 (178 f.); dens., NZA 1990, 289 (297). 612 Aus jüngerer Zeit etwa Zachert, FS 50 Jahre BAG, S. 577 (583); mit Recht kritisch zu dieser „diffamierenden Definition“ Wank, RdA 1989, 263 (270); kritisch auch Ehmann, Diskussionsbeitrag, in: Lieb/v. Stebut/Zöllner, Arbeitskampfrecht, Symposion Hugo Seiter zum Gedächtnis, S. 215; Picker, JZ 1988, 62 (68 f.); Brox/Rüthers/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 170; s. auch Gamillscheg, KollArbR I, § 27 I. 1. d) (3), S. 1250; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 33 Rn. 71. 613 s. die Darstellung, Nachweise und Kritik bei Lieb, FS 25 Jahre BAG, S. 327 (333 ff., 350); Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 308 ff.; außerdem Wiedemann, RdA 1969, 321 (333). 614 Konzen, FS 25 Jahre BAG, S. 273 (282); Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 326; ders., RdA 1981, 65 (79); zu den Schwierigkeiten, die Voraussetzungen kampfbedingter Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung festzustellen, vgl. Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 312 (Fn. 86) m.w. N.; s. auch Oetker, Anm. zu BAG 22. 3. 1994 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 130, unter II. 4.; zur Beweislast des Arbeitgebers nur Gamillscheg, KollArbR I, § 27 I. 5. b) (3), S. 1262; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 33 Rn. 67; Lieb, NZA 1990, 289 (298). 615 Seiter, RdA 1981, 65 (79); s. auch dens., Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 326. 616 Thüsing, Außenseiter, S. 73; s. auch Wiedemann, RdA 1969, 321 (333); ferner Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 323 f. 610
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(d) Zwischenergebnis Die Einbeziehung von nicht und anders organisierten Arbeitnehmern in die Aussperrung ist – auch unter den Bedingungen eines pluralistischen Tarif- und Arbeitskampfrechtssystems – zulässig, wenn sie für ein funktionierendes Arbeitskampfsystem erforderlich ist, wenn also die Aussperrung ohne Einbeziehung der Außenseiter kein Arbeitskampfmittel wäre, das der Arbeitgeberseite eine adäquate Reaktion auf einen gewerkschaftlichen Streik erlaubt und daher eine Kräfteparität im Arbeitskampf gewährleisten würde.617 Die Erforderlichkeit ist jedenfalls für die Nichtorganisierten zu bejahen. Ihre Einbeziehung in Abwehrmaßnahmen ist für die Kampfparität von ausschlaggebender Bedeutung.618 Bei einem Organisationsgrad von lediglich rund einem Viertel der Arbeitnehmer funktioniert das der Aussperrung zugrunde liegende System der Kampfausweitung nur bei Einbeziehung der nicht organisierten Arbeitnehmer. Die Notwendigkeit der Aussperrung als solcher – die hier nicht in Frage gestellt werden soll619 – bedeutet beim jetzigen Organisationsstand die Notwendigkeit der Aussperrung unter Einbeziehung der Nichtorganisierten.620 Wie schon bei der Streikteilnahme kann aber aus dem für die Nichtorganisierten gefundenen Ergebnis nicht automatisch auf einen entsprechenden Befund auch für die Andersorganisierten geschlossen werden.621 Gleichwohl wurde oben im Ergebnis dafür plädiert, zumindest bis auf weiteres wie gehabt von der Streik617 Vgl. Thüsing, Außenseiter, S. 71; gegen diesen Ansatz Lembke, Arbeitskampfbeteiligung, S. 98 ff., dessen Argumentation auf S. 99 allerdings unzulässigerweise zwei Ansichten „in einen Topf wirft“, wenn Lembke die Vertreter der Ansicht, die Außenseiterarbeitnehmer dürften aus Gründen der Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems mitausgesperrt werden, gleichsetzt mit der h. M., die – weitergehend – meint, sie müssten in die Aussperrung einbezogen werden (Verbot der Selektivaussperrung); wer beides vertritt, verstrickt sich womöglich in der Tat in Widersprüche, wie Lembke aufzeigt – es handelt sich aber nicht um eine einheitliche h. M., wie er suggeriert: So rechtfertigt Thüsing die Einbeziehung der Außenseiterarbeitnehmer in die Aussperrung („Dürfen“) mit der Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems (a. a. O., S. 71 ff.), lässt aber – vollkommen konsequent – eine selektive Aussperrung zu (a. a. O., S. 81 ff.); s. zur Kritik am Verbot der Selektivaussperrung auch oben Fn. 460 m.w. N. 618 Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 347. 619 s. aber oben B. III. 3. d) zu den aus heutiger Sicht bestehenden Zweifeln an der Sinnhaftigkeit von Aussperrungen. 620 Thüsing, Außenseiter, S. 73; ganz ähnlich bereits Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 347: „Wer daher die Abwehraussperrung als erforderlich ansieht, um einen gleichgewichtigen Kampf zu gewährleisten, muß konsequenterweise auch die Einbeziehung der Außenseiter zulassen.“. 621 s. entsprechend oben B. III. 3. c) bb) (3) (b) und cc) (2); anders wiederum Thüsing, Außenseiter, S. 91 f., der auch bei der Aussperrung nur mit Blick auf die Nichtorganisierten (S. 59 ff., 63 ff.) nach Gründen für die Möglichkeit der Einbeziehung sucht (S. 66), während für die Legitimation zur Aussperrung anders organisierter Arbeitnehmer (S. 89 ff.) wiederum nicht nach einem „positiven“ Grund, also insbesondere nicht danach gefragt wird, ob auch die Möglichkeit ihrer Einbeziehung in die Aussperrung zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems erforderlich ist,
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berechtigung auch der anders organisierten Arbeitnehmer auszugehen.622 Das Gleiche ist für die mögliche Reichweite der Aussperrung zu empfehlen. Dafür spricht der Paritätsgedanke, vor allem aber das noch näher zu erläuternde Postulat des „tastenden Vorgehens“ bei der Entwicklung und Fortentwicklung von Arbeitskampfregeln im Wege gesetzesvertretender Rechtsfortbildung.623 Schließlich ist erneut zu betonen, dass mit der Bejahung der Möglichkeit, nicht und anders organisierte Arbeitnehmer in die Aussperrung einzubeziehen, kein Eintreten für einen „Grundsatz der arbeitskampfrechtlichen Einheit der Belegschaft“ verbunden ist. Insoweit gelten die obigen Ausführungen624 sinngemäß. Da es einen solchen Grundsatz aufgrund des Maßstabes der typischen Erforderlichkeit und der ihm innewohnenden Dynamik nicht geben kann625, kommt man auch nicht in die Verlegenheit, das Verhältnis zwischen einem – vermeintlichen – Grundsatz der arbeitskampfrechtlichen Belegschaftseinheit und der eigenen Position in der Kontroverse um Tarifeinheit oder Tarifpluralität bestimmen zu müssen. Es liegt kein Widerspruch darin, einerseits die Aussperrung von „NichtKombattanten“ zuzulassen und andererseits die obligatorische Tarifeinheit im Betrieb zugunsten der Akzeptanz von Tarifpluralitäten abzulehnen.626 bb) „Wiederbelebung“ der lösenden Aussperrung? Greiner hat vorgeschlagen, dem Arbeitgeber im Spezialisten- oder Spartenarbeitskampf unter bestimmten Voraussetzungen die lösende Aussperrung und Neuvergabe der Arbeitsplätze zu erlauben.627 Schon 1998 hatte, weniger konkret, Henssler zu bedenken gegeben, dass in einem pluralistischen Verbandssystem aufgrund der Vervielfachung des Arbeitskampfrisikos der Arbeitgeber auch die Rechtmäßigkeitsanforderungen an ihre Kampfmaßnahmen neu überdacht werden müssten.628 Der Vorschlag von Greiner ist allerdings überwiegend auf Skepsis gestoßen.629 sondern dies unausgesprochen vorausgesetzt und nur (S. 90 ff.) gefragt wird, ob es „negativ“ Gründe gibt, die dagegen sprechen. 622 Oben B. III. 3. c) dd). 623 Dazu unten B. III. 3. f). 624 Oben B. III. 3. c) ee). 625 Oben B. III. 3. c) ee). 626 So aber Giesen, NZA 2009, 11 (14, Fn. 28). 627 Greiner, NZA 2007, 1023 (1027); ders., Anm. zu LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80, S. 45 (55); den Ansatz, die im pluralen System befürchteten Verschiebungen der Arbeitskampfparität durch Stärkung der Reaktionsmöglichkeiten der Arbeitgeberseite auszugleichen, weiterführend jetzt Greiner, Rechtsfragen, S. 132, 427, 450, 468, 473, 474 ff., 477 ff. 628 Henssler, FS Schaub, S. 311 (334); s. auch jüngst Koop, Tarifvertragssystem, S. 338. 629 s. F. Bayreuther, NZA 2008, 12 (16); Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, AKR Rn. 180; Blanke, KJ 2008, 204 (210, Fn. 20); Buchner, NZA 2007, 1411
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Das BAG hatte die nicht bloß suspendierende, sondern lösende Wirkung der Aussperrung einst für den historisch überkommenen Regelfall gehalten630, sie später aber auf Ausnahmefälle beschränkt631. In der aktuellen Diskussion werden dem Vorschlag Greiners vor allem zwei Argumente entgegengesetzt. Zum einen wird darauf hingewiesen, dass gerade die von den Spartengewerkschaften vertretenen Spezialisten vom Arbeitgeber in der Regel nicht schnell durch Neuvergabe der Arbeitsplätze ersetzt werden könnten. Indem daher der Arbeitgeber sich ohne die Aussicht auf schnellen und adäquaten Ersatz von Arbeitnehmern trenne, auf die er besonders dringend angewiesen sei, betreibe er eine massive wirtschaftliche Selbstschädigung die ihn unmittelbar in den wirtschaftlichen Ruin treiben könne.632 Noch wichtiger ist eine andere Überlegung: Es begegnet generell Bedenken, neue arbeitskampfrechtliche Problemlagen durch wechselseitige Druckverstärkungen mit der Folge der Eskalation zu lösen.633 Bereits beim „klassischen“ Arbeitskampf einer (Branchen-)Gewerkschaft gegen einen Arbeitgeberverband oder einen Einzelarbeitgeber ist es daher eine zweifelhafte Methode, nicht das Angriffsmittel zu begrenzen, sondern durch Intensivierung der Abwehrmittel einen Überschlag des Kampfgleichgewichts auf die andere Seite zu verhindern zu suchen.634 Die Zulassung der lösenden Aussperrung führte geradewegs in die Eskalation des Arbeitskampfs.635 (1411 f.); Giesen, NZA 2009, 11 (14, Fn. 28); P. Hanau, RdA 2008, 98 (103 f.); Jacobs, NZA 2008, 325 (331, Fn. 95); dens., FS Buchner, S. 342 (347 f.); Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (264); Meyer, FS Adomeit, S. 459 (462 f.); Nebeling/Gründel, NZA-Online-Aufsatz, S. 8; Pflüger, RdA 2008, 185 (186 f.); Sittard, ZTR 2008, 178 (183); Sunnus, AuR 2008, 1 (2, mit Fn. 12; 7, mit Fn. 73); zurückhaltend auch Franzen, RdA 2008, 193 (202 f.); zumindest verbal aufgeschlossener Reichold, NZA 2007, 1262; offen auch Koop, Tarifvertragssystem, S. 338 (mit Fn. 20); s. auch v. Steinau-Steinrück/ Glanz, NZA 2009, 113 (116); v. Steinau-Steinrück/Brugger, NZA Beilage 3/2010, S. 127 (132); Ubber, bei Bepler/U. Fischer/Ubber, BLJ 2007, 139 (143); skeptisch zuletzt aber auch Lobinger, ZfA 2009, 319 (434); Loritz, FS Buchner, S. 582 (593 f.); Scholz, FS Buchner, S. 827 (836 f.); Fritz/Meyer, NZA Beilage 3/2010, S. 111 (114); ablehnend Deinert, NZA 2009, 1176 (1183). 630 BAG (GS) 28. 1. 1955 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 1, Leitsatz 6 und unter II. 3. 631 BAG (GS) 21. 4. 1971 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43, Teil III D. 1. 632 F. Bayreuther, NZA 2008, 12 (16); Giesen, NZA 2009, 11 (14, Fn. 28); P. Hanau, RdA 2008, 98 (104); Sittard, ZTR 2008, 178 (183); v. Steinau-Steinrück/Glanz, NZA 2009, 113 (116); zuletzt Jacobs, FS Buchner, S. 342 (347 f.); Nebeling/Gründel, NZAOnline-Aufsatz, S. 8; s. auch Deinert, NZA 2009, 1176 (1183); Lobinger, ZfA 2009, 319 (434); Fritz/Meyer, NZA Beilage 3/2010, S. 111 (114). 633 Vgl. allgemein Lieb, ZfA 1982, 113 (142). 634 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (264). 635 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (264); Sittard, ZTR 2008, 178 (183); s. jetzt auch Jacobs, FS Buchner, S. 342 (347) und, neben anderen Erwägungen, Loritz, FS Buchner, S. 582 (594). Die Problematik anerkennend auch Greiner, Rechtsfragen, S. 481, der aber de lege lata keine andere Lösung und immerhin den „Hoffnungsschimmer“ einer
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Gegenüber einer Verschärfung der Abwehrmittel auf Arbeitgeberseite erweist es sich demnach als vorzugswürdiger Weg, im Interesse der Vermeidung eskalierender Arbeitskämpfe einem drohenden Übergewicht der Arbeitnehmerseite dadurch zu begegnen, dass man das Streikrecht so begrenzt, dass es die gewünschte Parität, die es erst herstellen soll, nicht selbst wieder stört. Um eine solche, die Parität sichernde Begrenzung des Streikrechts sollte man sich vorrangig bemühen, nicht um die Wiederbelebung der lösenden Aussperrung.636 Ein entsprechender Vorschlag wurde hier mit dem kombiniert institutionalisiert-individuellen Ansatz, dessen Kernstück die Synchronisation der Friedens- und Kampfphasen durch Laufzeitharmonisierung ist, unterbreitet. e) Arbeitskampfrisikolehre im pluralistischen Tarifund Arbeitskampfrechtssystem aa) Es wird erwartet, dass der tarifkollisionsrechtliche Paradigmenwechsel von der betrieblichen Tarifeinheit zur Tarifpluralität Rückwirkungen auch auf die Arbeitskampfrisikolehre haben wird.637 Auch hier geht es in der Hauptsache wieder um die Rechtsstellung der nicht und der anders organisierten Arbeitnehmer unter den Bedingungen der Gewerkschafts- und Tarifpluralität. 638 Könne der Arbeitgeber infolge eines Streiks einer Berufs- oder Spartengewerkschaft andere, nicht streikende Berufsgruppen nicht beschäftigen, spreche viel dafür, dass er diesen aus dem Gesichtspunkt des Betriebsrisikos (§ 615 Satz 3 BGB) zur Zahlung des Arbeitsentgelts verpflichtet bleibe. Denn diese Arbeitnehmer befänden sich nicht im Arbeitskampf; das Dogma der notwendigen „arbeitskampfrechtlichen Einheit der Belegschaft“ entfalle mit der Aufgabe der Tarifeinheit im Betrieb. Das hier realisierte Entgeltrisiko sei originäres Betriebsrisiko des Arbeitgebers; es sei seine Sache, mit streikenden Gewerkschaften zu einer Einigung zu gelangen. Auf anders organisierte Berufsgruppen könne man dieses Risiko nicht abwälzen, zu-
durch den Druck beiderseits weiter verschärfter Tarifauseinandersetzungen beförderten gesetzgeberischen Lösung erkennen will. 636 Buchner, NZA 2007, 1411 (1412); s. auch dens., BB 2008, 106 (109); ebenso beurteilt die Prioritäten Sittard, ZTR 2008, 178 (183); s. auch zuletzt Scholz, FS Buchner, S. 827 (836 f.). 637 Rieble bei Kalb, RdA 2007, 379 (381); s. auch dens., SAE 2006, 89 (94); außerdem Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (128); dens., bei Bepler/ U. Fischer/Ubber, BLJ 2007, 139 (145); Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, AKR Rn. 189a; Giesen, NZA 2009, 11 (15); Greiner, Anm. zu LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80, S. 45 (53 f.); vertiefend jetzt ders., Rechtsfragen, S. 431 ff., 437, 442; P. Hanau, RdA 2008, 98 (99, 103 f.); Meyer, FS Adomeit, S. 459 (463); v. Steinau-Steinrück/Brugger, NZA Beilage 3/2010, S. 127 (132). 638 s. neben den in den folgenden Fußnoten Genannten auch Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (128), der fragt, ob die Arbeitskampfrisikolehre auch zu Lasten anders organisierter Arbeitnehmer gelte, die bereits über tarifvertraglich abgesicherte Mindestarbeitsbedingungen verfügten.
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mal sie in aller Regel am Tariferfolg der streikführenden Gewerkschaft nicht einmal mittelbar partizipieren würden. Die „Arbeitskampfrisikotheorie“ sei auf ein „monistisches“ Koalitions- und Tarifsystem zugeschnitten und helfe daher nicht weiter.639 Zwar werde das Risiko des Entgeltausfalls bisher nicht nur den kampfbeteiligten Arbeitnehmern auferlegt, sondern unter bestimmten Voraussetzungen auch ihren „friedlichen“ Kollegen. Nach der Rechtsprechung des BAG, welche das Arbeitskampfrisiko nach Gesichtspunkten der Kampfparität, aber unter Berücksichtigung auch der Partizipation verteile, sei anzunehmen, dass der Arbeitgeber nur denjenigen Arbeitnehmern kein Entgelt schulde, die – obwohl nicht kampfbeteiligt – voraussichtlich vom angestrebten Arbeitskampfergebnis profitieren würden. Das sei bei den „Nicht-Kombattanten“, die aufgrund des Arbeitskampfs einer Funktionselite beschäftigungslos würden, nicht der Fall. Demnach schulde der Arbeitgeber ihnen nach §§ 611, 615 Satz 3 BGB Arbeitsentgelt.640 bb) Zur Lösung der Problematik des Arbeitskampfrisikos wird „praktisch alles“ vertreten.641 Die Entwicklung und die Einzelheiten der Diskussion, die sich um die Alternativen individualrechtliche (bürgerlich-rechtliche oder leistungsstörungsrechtliche) und kollektivrechtliche (arbeitskampfrechtliche) Betrachtungsweise642, um die anzuerkennenden (kollektivrechtlichen) Zurechnungsgründe643, aber auch bereits vorgelagert um die Anerkennung eines vom allgemeinen Betriebs- (und Wirtschafts-)Risikos abzuhebenden Arbeitskampfrisikos überhaupt 639 Greiner, Anm. zu LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80, S. 45 (53 f.) mit der Folgerung einer sich – u. a. – daraus ergebenden deutlichen Paritätsverschiebung im „Spezialistenarbeitskampf“, der er durch Schärfung der Reaktionsmöglichkeiten der Arbeitgeberseite in Form der Zulassung der lösenden Aussperrung begegnen will; s. dazu schon oben B. III. 3. d) bb) und nunmehr vertiefend Greiner, Rechtsfragen, S. 427 ff., 431 ff., 438 ff., 442 ff., 445 ff., 447 ff. 640 Giesen, NZA 2009, 11 (15), ebenfalls mit der Folgerung eines Verlusts der Kampfparität, weil der Arbeitgeber lahm gelegt sei und dennoch Löhne an den Großteil der Belegschaft zahlen müsse, mithin doppelt geschädigt sei; an ein Partizipationserfordernis anknüpfende Überlegungen auch bei Meyer, FS Adomeit, S. 459 (463). 641 Gutzeit, in Rieble, Zukunft des Arbeitskampfes, S. 117 (118); s. auch H. Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 16 Rn. 12: Bandbreite der Positionen weit gestreut. 642 Dazu etwa Lieb, in: Lieb/v. Stebut/Zöllner, Arbeitskampfrecht, Symposion Hugo Seiter zum Gedächtnis, S. 163 (164 ff., 174 ff.); ders., NZA 1990, 289 (290 ff., 294 ff.); Oetker, Anm. zu BAG 22. 3. 1994 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 130, unter II.; Picker, JZ 1979, 285 ff.; ders., JZ 1988, 62 (68 ff.); Richardi, Anm. zu BAG 22. 12. 1980 (zweimal) AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 70 und 71, unter I. und II.; ders., Diskussionsbeitrag, in: Lieb/v. Stebut/Zöllner, Arbeitskampfrecht, Symposion Hugo Seiter zum Gedächtnis, S. 209; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 307 ff.; Wank, Diskussionsbeitrag, in: Lieb/v. Stebut/Zöllner, Arbeitskampfrecht, Symposion Hugo Seiter zum Gedächtnis, S. 219 f.; ders., FS Kissel, S. 1225 (1248 ff.); s. auch zuletzt Gutzeit, in: Rieble, Zukunft des Arbeitskampfes, S. 117 (118 ff.) und den Diskussionsbeitrag von Picker, ebd., S. 136. 643 Dazu BAG 22. 12. 1980 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 70 (Richardi), unter C. I. 2. der Gründe; H. Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 16 Rn. 12 ff.
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dreht644, können hier aus Raumgründen noch nicht einmal nur nachgezeichnet werden. Beschränkt man sich auf die für die Untersuchung unmittelbar einschlägigen Aspekte, ergibt sich Folgendes: (1) Zunächst gilt die Arbeitskampfrisikolehre auch für die Verteilung des Entgeltrisikos im unmittelbar kampfbetroffenen Betrieb selbst, wenn infolge eines Teilstreiks645 im Betrieb nicht streikenden (und auch nicht ausgesperrten) Arbeitnehmern die Arbeitsleistung unmöglich wird oder ihre Weiterbeschäftigung aufgrund der streikbedingten Störungen des Betriebsablaufs wirtschaftlich sinnlos und daher dem Arbeitgeber die Fortzahlung des Arbeitsentgelts nicht zumutbar ist. Davon war zunächst auch das BAG ausgegangen – begründungsbedürftig erschien ihm sogar eher die Anwendung der (damals noch nicht so genannten, sondern als Durchbrechung der allgemeinen Zuweisung des Betriebsrisikos an den Arbeitgeber verstandenen) Arbeitskampfrisikolehre im mittelbar arbeitskampfbetroffenen Betrieb (Fälle der Fernwirkungen von Arbeitskämpfen)646 –, bevor es dann zwischenzeitlich durch die Rechtsprechung des 1. Senats zu dem von ihm angenommenen Recht des Arbeitgebers auf arbeitskampfbedingte Stilllegung des bestreikten Betriebes zweifelhaft geworden war.647 Der 1. Senat wollte wohl zunächst die Arbeitskampfrisikolehre im Zuge der Etablierung des neuartigen Betriebsstilllegungsrechts insoweit aufgeben, wie es Betriebsstörungen betrifft, die durch einen Streik verursacht werden, der sich unmittelbar gegen den Betrieb selbst richtet.648 Mit späteren Entscheidungen kam es dann aber zum „halbwegs geordneten Rückzug“649. Beugt sich der Arbeitgeber dem Streikdruck nicht, legt er also den Betrieb nicht still, dann gelten die Grundsätze des Arbeitskampfrisi644 Für Gleichbehandlung des Arbeitskampfrisikos mit dem allgemeinen Betriebsund Wirtschaftsrisiko – jeweils über § 615 (jetzt wohl Satz 3?) BGB – zuletzt etwa Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, AKR Rn. 186 f.; weitgehend auch ArbRBGB/ Matthes, § 615 Rn. 232 ff.; s. auch die Darstellungen bei Kissel, Arbeitskampfrecht, § 33 Rn. 8 ff.; H. Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 16 Rn. 4 ff. 645 Zum Begriff des Teilstreiks s. im hiesigen Zusammenhang Lieb, NZA 1990, 289 (Fn. 1). 646 BAG 8. 2. 1957 AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 2 (A. Hueck); s. auch BAG 24. 1. 1958 AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 4 (A. Hueck). Zu Fernwirkungsfällen dann vor allem BAG 22. 12. 1980 (zweimal) AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 70 und 71 (Richardi). Terminologisch in beiden Fällen von „Fernwirkungen“ sprechend jetzt Greiner, Rechtsfragen, S. 431 ff., der zwischen unternehmensexternen und unternehmensinternen Fernwirkungen unterscheidet. 647 Anwendung der Arbeitskampfrisikogrundsätze bei einem Teilstreik im selben Betrieb kurz zuvor noch bejahend BAG 14. 12. 1993 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 129, unter I. 2. der Gründe. 648 s. BAG 22. 3. 1994 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 130 (Oetker), unter II. 2. und 3. der Gründe; so auch die Einschätzung von Kissel, Arbeitskampfrecht, § 33 Rn. 48, 51; Konzen, Anm. zu BAG 27. 6. 1995 und 11. 7. 1995 (zweimal) AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 137–139, unter I. und IV.; anders Oetker, Anm. AP a. a. O., unter III. 4. 649 Konzen, Anm. zu BAG 27. 6. 1995 und BAG 11. 7. 1995 (zweimal) AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 137–139, unter IV.
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kos auch für den unmittelbar streikbetroffenen Betrieb.650 Von diesem Fall soll hier ausgegangen werden. Das angebliche Recht des Arbeitgebers zur Betriebsstilllegung, das ohnehin zweifelhaft ist651, bleibt im Folgenden außer Betracht.652 Festzuhalten ist: Die Arbeitskampfrisikolehre gilt auch im bestreikten Betrieb.653 (2) Der für die Verteilung des Entgeltrisikos im Arbeitskampf maßgebliche Zurechnungsgrund ist die Arbeitskampfparität. Dies klang beim BAG zunächst nur an654, bis es im Grundsatz der Kampfparität für den Fall arbeitskampfbedingter Fernwirkungen in den Entscheidungen vom 22. 12. 1980 das maßgebende Kriterium erblickte.655 Die Literatur bietet ein uneinheitliches Bild, die Parität spielt
650 Ganz deutlich BAG 11. 7. 1995 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 138 (Konzen), unter II. 3. und BAG 11. 7. 1995 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 139 (Konzen), unter III. 1. der Gründe; s. auch schon BAG 27. 6. 1995 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 137 (Konzen), unter II. der Gründe. 651 Die Stimmen pro et contra sind zusammengestellt etwa bei Lembke, Arbeitskampfbeteiligung, S. 119 (Fn. 181); überzeugende Argumente gegen das Betriebsstilllegungsrecht vor allem bei Konzen, Anm. zu BAG 27. 6. 1995 und BAG 11. 7. 1995 (zweimal) AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 137–139, unter II. Das BAG hat das Recht zur suspendierenden Betriebsstilllegung zuletzt wieder in seiner „Flashmob“-Entscheidung bemüht, s. BAG 22. 9. 2009 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 174 (H. J. Willemsen/ Mehrens), unter B. II. 2. b) bb) (3) (b) (bb) (bbb) (aaaa) der Gründe, Rn. 59 f. des Urteils; kritisch in diesem Zusammenhang etwa Jacobs, BLJ 2010, 1 (2); Rüthers, NZA 2010, 6 (12); Säcker, NJW 2010, 1115 (1116); v. Steinau-Steinrück/Brugger, NZA Beilage 3/2010, S. 127 (130). 652 Dazu, dass es in den bei Gewerkschaftspluralität entstehenden Konstellationen aufgrund seiner Bindung an den (zeitlichen und) gegenständlichen Rahmen des Streikaufrufs ohnehin auch im Falle seiner Anerkennung nur geringe praktische Bedeutung hätte, s. Franzen, RdA 2008, 193 (203); Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (260, Fn. 80) und zuletzt Jacobs, FS Buchner, S. 342 (347) sowie Fritz/Meyer, NZA Beilage 3/2010, S. 111 (114). Die von Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (128) aufgeworfene Frage, ob die Stilllegung im pluralistischen Tarifsystem auch die Arbeitsverhältnisse anders organisierter Arbeitnehmer suspendieren könne (s. auch dens., bei Bepler/U. Fischer/Ubber, BLJ 2007, 139 [145]), wäre – wenn man das Stilllegungsrecht überhaupt anerkennt – wohl zu bejahen. Zusätzliche Bedenken gegen die suspendierende Betriebsstilllegung im pluralen System bei Greiner, Rechtsfragen, S. 474 (dort Fn. 624). 653 Aus der Literatur etwa ErfK/Dieterich, Art. 9 GG Rn. 146; Franzen, RdA 2008, 193 (203); Gamillscheg, KollArbR I, § 27 I. 2. b) (1), S. 1252 f.; Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (260 f.); Kissel, Arbeitskampfrecht, § 33 Rn. 56; Konzen, FS 50 Jahre BAG, S. 515 (553 f.); Lieb, NZA 1990, 289 (289 f.); Löwisch/Löwisch/Bittner, Arbeitskampfund Schlichtungsrecht, 170.3.2 Rn. 6 f., 23, 58 f.; Oetker, Anm. zu BAG 22. 3. 1994 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 130, unter V.; Brox/Rüthers/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 172; nur diesen Fall anerkennend sogar ArbRBGB/Matthes, § 615 Rn. 242. 654 s. schon BAG 8. 2. 1957 AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 2 (A. Hueck), hier noch neben den weiteren Aspekten „Solidarität“, „kollektives Wesen“ und „Partizipation“; auf Solidarität stellte noch maßgeblich ab BAG 25. 7. 1957 AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 3 (A. Hueck); zur Kritik dieses Begründungsansatzes schon Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 310; Wiedemann, RdA 1969, 321 (326, 333) und dann auch BAG 22. 12. 1980 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 70 (Richardi), unter C. I. 2. a) (1) der Gründe.
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aber in den meisten Stellungnahmen eine Rolle, teils zusätzlich zu weiteren Gründen wie insbesondere der Partizipation656, teils als allein maßgebendes Kriterium657. In Hinsicht auf die Paritätsrelevanz des arbeitskampfbedingten Entgeltrisikos ist zu unterscheiden zwischen dem Fall der arbeitskampfbedingten Fernwirkungen, also Störungen, die auf einem Streik in einem anderen Betrieb beruhen, und den Auswirkungen eines Teilstreiks im selben Betrieb. Nach Ansicht des BAG ginge es zu weit, die Grundsätze des Arbeitskampfrisikos im mittelbar streikbetroffenen Betrieb stets und ohne Rücksicht darauf anzuwenden, wie sich die Fernwirkungen eines Arbeitskampfes auf die Verhandlungsstärke der kampfführenden Parteien auswirken. Eine Durchbrechung des allgemeinen, vom Arbeitgeber zu tragenden Betriebs- und Wirtschaftsrisikos zugunsten kampfrechtlicher Grundsätze sei nur insoweit gerechtfertigt, wie die Fernwirkungen eines Arbeitskampfes unmittelbar oder mittelbar zu einer Störung des Kräfteverhältnisses führen könnten. Dafür genüge nicht die bloß abstrakte Möglichkeit einer Beeinflussung. Die Bedeutung der Fernwirkungen für den Kampfverlauf müsse (bei einer im Interesse der Rechtssicherheit typisierenden Betrachtung) feststellbar sein. Dabei könne sich die Einwirkung der mittelbaren Störungen auf den Kampfverlauf aus den unterschiedlichsten Interessenverbindungen ergeben, wie etwa wirtschaftlichen Abhängigkeiten oder koalitionspolitischen Verbindungen.658 Für den hier allein interessierenden Fall des Teilstreiks im selben Betrieb spielt dies jedoch keine Rolle. Durch einen Teilstreik verursachte Betriebsstörungen, die sich in anderen Betriebsteilen auswirken, belasten unmittelbar den Arbeitgeber, gegen den sich der Streik richtet, also einen Kampfbeteiligten. Das für die Erhaltung des Kampfgleichgewichts erforderliche Durchhaltevermögen der im 655 BAG 22. 12. 1980 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 70 (Richardi), unter C. I. 2. a) (3) der Gründe; 22. 12. 1980 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 71 (Richardi), unter C) I. der Gründe. 656 Auf Parität und Partizipation stellen z. B. ab H. Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 16 Rn. 7, 14, 15, 29 f.; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 311; Wank, FS Kissel, S. 1225 (1249 f.); ders., Diskussionsbeitrag, in: Lieb/v. Stebut/Zöllner, Arbeitskampfrecht, Symposion Hugo Seiter zum Gedächtnis, S. 219 f. 657 Gamillscheg, KollArbR I, § 27 I. 1. d) (1), S. 1248 f. (s. aber auch § 27 I. 3., S. 1259); Kissel, Arbeitskampfrecht, § 33 Rn. 11, 13, 26; Konzen, FS 25 Jahre BAG, S. 273 (282); ders., Anm. zu BAG 27. 6. 1995 und BAG 11. 7. 1995 (zweimal) AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 137–139, unter IV.; ders., FS 50 Jahre BAG, S. 515 (553 f.); Löwisch/Löwisch/Bittner, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.3.2 Rn. 1 ff.; Oetker, Anm. zu BAG 22. 3. 1994 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 130, unter IV. 4. b); Brox/Rüthers/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 169; s. auch Picker, JZ 1988, 62 (68 ff.), aber auch dens., JZ 1979, 285 (288 ff.); zuletzt Greiner, Rechtsfragen, S. 432 f. 658 BAG 22. 12. 1980 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 70 (Richardi), unter C. I. 2. b) (3) der Gründe; näher, teils auch kritisch zu dem Erfordernis der Paritätsrelevanz etwa Gutzeit, in: Rieble, Zukunft des Arbeitskampfes, S. 117 (121 f.); Löwisch/Löwisch/Bittner, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.3.2 Rn. 12, 36 ff.; Picker, JZ 1988, 62 (70); Seiter, DB 1981, 578 (580 ff.).
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Arbeitskampf stehenden Arbeitgeber wäre stets beeinträchtigt, wenn sie Teile ihrer Belegschaft weiter entlohnen müssten. Es erübrigt sich daher eine besondere Prüfung, ob die Kräfteverhältnisse der kampfführenden Parteien durch eine Verpflichtung zur Lohnfortzahlung beeinflusst würden.659 Die Entlastung des durch Arbeitskampfmaßnahmen selbst betroffenen Arbeitgebers von der Lohnzahlung ist in der Konsequenz des Paritätskriteriums eine Selbstverständlichkeit.660 Mit Recht konstatiert daher der 1. Senat des BAG, dass die Risikozuweisung an die Arbeitnehmer, verglichen mit dem Fall der arbeitskampfbedingten Fernwirkungen in mittelbar betroffenen Betrieben, bei einem Teilstreik im selben Betrieb „erst recht“ Platz zu greifen hat.661 (3) Mit der Bestimmung der Arbeitskampfparität zum maßgeblichen Kriterium der Verteilung des Entgeltrisikos bei streikbedingter Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung steht ebenfalls fest, dass es auch insoweit nicht auf die Organisationszugehörigkeit der Arbeitnehmer ankommen kann. So, wie sich aus dem Paritätskriterium (Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems) die Notwendigkeit der Erstreckung der Suspendierungswirkung von Streik und Aussperrung auf Außenseiter ergibt, kann auch die Zuweisung des arbeitskampfbedingten Entgeltrisikos nicht von der Mitgliedschaft in der kampfführenden Gewerkschaft abhängen. Das gilt zunächst jedenfalls für die nicht organisierten Arbeitnehmer.662 Ebenso ist aber, und zwar auch bei Zulassung von Tarifpluralitäten, für die Andersorganisierten zu entscheiden. Die insoweit in der jüngeren Diskussion geäußerten abweichenden Auffassungen stützen sich auf den Gesichtspunkt der Partizipation.663 Dieser ist aber richtiger Ansicht nach nicht nur
659 BAG 12. 11. 1996 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 147, unter II. 2. b) der Gründe; Franzen, RdA 2008, 193 (203); Konzen, Anm. zu BAG 27. 6. 1995 und BAG 11. 7. 1995 (zweimal) AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 137–139, unter IV.; ders., FS 50 Jahre BAG, S. 515 (553); Lieb, NZA 1990, 289 (290); Seiter, DB 1981, 578 (580); vgl. auch ArbRBGB/Matthes, § 615 Rn. 242. 660 Lieb, NZA 1990, 289 (290); ebenso Konzen, FS 50 Jahre BAG, S. 515 (553): versteht sich von selbst; s. auch dens., Anm. zu BAG 27. 6. 1995 und BAG 11. 7. 1995 (zweimal) AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 137–139, unter IV.: einfach zu erkennen. 661 BAG 14. 12. 1993 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 129, unter I. 2. der Gründe; zustimmend auch Konzen, Anm. zu BAG 27. 6. 1995 und BAG 11. 7. 1995 (zweimal) AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 137–139, unter IV. 662 BAG 8. 2. 1957 AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 2 (A. Hueck); 14. 12. 1993 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 129, unter I. 2. der Gründe; 22. 3. 1994 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 130 (Oetker), unter II. 1. und II. 3. c) der Gründe; Gamillscheg, KollArbR I, § 27 I. 1. d) (1), S. 1249 und I. 2. b) (1), S. 1252; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 33 Rn. 29, 32 und besonders Rn. 58 f. (allerdings auf den Gesichtspunkt der Partizipation abhebend); Brox/Rüthers/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 173; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 311; a. A. Löwisch/Löwisch/Bittner, Arbeitskampfund Schlichtungsrecht, 170.3.2 Rn. 46 ff., die hierfür eine gesetzliche Regelung für notwendig halten. 663 Giesen, NZA 2009, 11 (15); Greiner, Anm. zu LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80, S. 45 (54); s. auch Meyer, FS Adomeit, S. 459 (463).
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für die Möglichkeit der Beteiligung nicht und anders organisierter Arbeitnehmer am Streik und ihrer Einbeziehung in eine Aussperrung, sondern auch als Zurechnungsgrund für die Verteilung des Arbeitskampfrisikos zum Mindesten zweifelhaft.664 Jedenfalls bei dem hier inmitten stehenden Fall des Teilstreiks im selben Betrieb aber würde der Partizipationsansatz, selbst wenn man ihn grundsätzlich anerkennen wollte, in Anbetracht der evidenten Paritätsrelevanz der Verteilung des Entgeltrisikos durch das Postulat der Sicherung eines funktionsfähigen Arbeitskampfsystems überlagert.665 Der 1. Senat des BAG hat seit jeher die Grundsätze des Arbeitskampfrisikos auch zu Lasten anders organisierter Arbeitnehmer angewandt666, und zwar auch schon667 – wenn auch nur wenige Wochen – vor seiner ersten Entscheidung zur Tarifeinheit im Betrieb668, als die Tarifpluralität noch überhaupt nicht als auflösungsbedürftige Kollision oder auch als der wissenschaftlichen Behandlung bedürftiges Problem in das Bewusstsein der Zeitgenossen Einzug gehalten hatte669; es ist nicht ersichtlich, dass diese Grundsätze allein auf ein „monistisches“ Koalitions- und Tarifsystem zugeschnitten sein soll-
664 Für Partizipation neben den oben Fn. 656 Genannten, die sich auf Parität und Partizipation stützen, auch Wiedemann, RdA 1969, 321 (333); mittelbar wird auch bei Gutzeit, in: Rieble, Zukunft des Arbeitskampfes, S. 117 (131 ff.) der Partizipationsgedanke zum Zurechnungsgrund, auch wenn Gutzeit selbst sich dagegen verwahrt (s. auch die ab S. 134 wiedergegebene Diskussion); gegen Partizipation als Grund für die Zuweisung des Entgeltrisikos an die Arbeitnehmer im Arbeitskampf: Konzen, DB Beilage 6/ 1990, S. 12; ders., FS 50 Jahre BAG, S. 515 (541); Lieb, in: Lieb/v. Stebut/Zöllner, Arbeitskampfrecht, Symposion Hugo Seiter zum Gedächtnis, S. 163 (169, Fn. 21); ders., NZA 1990, 289 (296); Picker, JZ 1979, 285 (287 f.); ders., JZ 1988, 62 (68, Fn. 119); Rieble, Anm. zu BAG 18. 2. 2003 EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 135, S. 15 (25); s. auch Kissel, Arbeitskampfrecht, § 33 Rn. 17 (s. aber demgegenüber gerade für die Nichtorganisierten Rn. 58 f.); Brox/Rüthers/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 173; mit Blick auf die Verteilung des Arbeitskampfrisikos bei Fernwirkungen auch BAG 22. 12. 1980 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 70 (Richardi), unter C. I. 2. a) (2) der Gründe. 665 Wie hier Gamillscheg, KollArbR I, § 27 I. 2. b) (1), S. 1253 und I. 2. d) (3), S. 1257; H. Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 16 Rn. 29 f.; Seiter, DB 1981, 578 (580). 666 Davon geht – für den Fall streikbedingter Fernwirkungen – auch weiterhin aus BAG 22. 3. 1994 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 130 (Oetker), unter II. 3. c) der Gründe. 667 Namentlich erstmals mit der Entscheidung BAG 8. 2. 1957 AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 2 (A. Hueck). 668 Dies war die Entscheidung BAG 29. 3. 1957 AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 4 (Gumpert); schon weniger als ein Jahr darauf bestätigte der 1. Senat die Anwendung der Arbeitskampfrisikogrundsätze auf Andersorganisierte, ohne einen Zusammenhang zu seiner Entscheidung betreffend die Tarifeinheit herzustellen: BAG 24. 1. 1958 AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 4 (A. Hueck). 669 Dazu, dass die Problematik von „Tarifeinheit oder Tarifpluralität“ erst in den 1970er Jahren in ein breiteres rechtswissenschaftliches Blickfeld geriet, s. Jacobs, Tarifeinheit, S. 90 f.; Konzen, RdA 1978, 146 (149 f.); ferner Reuter, JuS 1992, 105 (106).
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ten.670 Dass das Risiko damit zu Lasten der „Nicht-Kombattanten“ verteilt wird671, ist zuzugeben, aber dieses Opfer ist ihnen, mit Gamillscheg gesprochen, im Interesse der Tarifautonomie abzuverlangen und kann daher nicht davon abhängen, ob sie später auch in den Genuss der umkämpften Tarifbedingungen kommen672. Mit einem „Grundsatz der arbeitskampfrechtlichen Einheit der Belegschaft“ hat auch das nichts zu tun.673 Irrelevant ist in der Konsequenz der Überlagerung des Partizipationsgedankens durch den Gesichtspunkt der Gewährleistung der Kampfparität für die Zuweisung des Entgeltrisikos auch, ob Arbeitnehmer vom persönlichen Geltungsbereich des umkämpften Tarifvertrages erfasst werden. Dies hat das BAG für den Fall, dass um einen Arbeitertarifvertrag gekämpft wird und die Beschäftigung von Angestellten unmöglich oder wirtschaftlich sinnlos wird, mehrfach entschieden.674 Die abweichende Ansicht von Matthes675 beruft sich zu Unrecht auf die Entscheidung des BAG vom 10. 2. 1988676. Wenn nicht die Teilhabe am Kampfergebnis, sondern die Gewährleistung gleichgewichtiger Auseinandersetzung tragender Grund der Arbeitskampfrisikolehre ist, dann muss der Wegfall des Entgeltanspruchs677 auch die Grenzen des persönlichen Geltungsbereichs des umkämpften Tarifvertrages „überspringen“. (4) Damit lässt sich festhalten, dass die Grundsätze des Arbeitskampfrisikos auch unter den Bedingungen eines pluralistischen Tarif- und Arbeitskampfrechts670 So aber Greiner, Anm. zu LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80, S. 45 (54), dem – u. a. – die vermeintliche (teilweise) Unanwendbarkeit der Arbeitskampfrisikolehre als Argumentationsmaterial für die von ihm zwecks Wahrung der Parität vorgeschlagene „Wiederbelebung“ der lösenden Aussperrung dient; s. zu dem Zusammenhang auch P. Hanau, RdA 2008, 98 (103 f.); ähnlich wie Greiner im Ansatz auch Giesen, NZA 2009, 11 (15); vertiefend nunmehr Greiner, Rechtsfragen, S. 427 ff., 431 ff., 438 ff., 442 ff., 445 ff., 447 ff., 474 ff., 477 ff. 671 Giesen, NZA 2009, 11 (15). 672 Gamillscheg, KollArbR I, § 27 I. 2. b) (1), S. 1253 und I. 2. d) (3), S. 1257; a. A. ArbRBGB/Matthes, § 615 Rn. 234. 673 Anders Giesen, NZA 2009, 11 (15, Fn. 35); Greiner, Anm. zu LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80, S. 45 (54); ders., Rechtsfragen, S. 431 ff., 437. 674 BAG 8. 2. 1957 AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 2 (A. Hueck); 25. 7. 1957 AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 3 (A. Hueck); 24. 1. 1958 AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 4 (A. Hueck), allerdings jeweils noch mit heute jedenfalls zum Teil antiquierten Erwägungen; aus der Literatur, zutreffend unter dem Gesichtspunkt der Paritätsrelevanz, H. Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 16 Rn. 30. 675 ArbRBGB/Matthes, § 615 Rn. 234. 676 BAG 10. 2. 1988 BetrVG 1972 § 98 Nr. 5; zutreffend dazu Konzen, DB Beilage 6/1990, S. 11 ff.; ders., FS 50 Jahre BAG, S. 515 (541); abweichend allerdings wohl auch Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, AKR Rn. 189a. 677 Ob die Arbeitskampfrisikolehre zum automatischen Wegfall des Entgeltanspruchs führt und daher eine rechtsvernichtende Einwendung oder ob sie nur ein Lohnverweigerungsrecht des Arbeitgebers begründet, kann hier auf sich beruhen; zum Streitstand nur Kissel, Arbeitskampfrecht, § 33 Rn. 63 ff.
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systems in unveränderter Form Bestand haben.678 Insbesondere ist auch die Arbeitskampfrisikolehre nicht etwa aufgrund der – auch bei Zulassung von Tarifpluralitäten fortbestehenden – Möglichkeit der Arbeitgeber, auch nicht und anders organisierte Arbeitnehmer in eine Aussperrung einzubeziehen, überflüssig. So wenig, wie die kampfausdehnende und schadensbegrenzende Funktion der Aussperrung Nicht- und Andersorganisierter durch die Arbeitskampfrisikolehre obsolet wird, weil die Arbeitskampfrisikolehre kein gleichwertiger Ersatz für die Aussperrung sein kann679, so wenig kann umgekehrt im Hinblick auf die Möglichkeit der Aussperrung auch nicht und anders organisierter Arbeitnehmer auf die Arbeitskampfrisikolehre verzichtet werden.680 Abschließend sollen, bevor zu untersuchen ist, ob die hier erarbeiteten Lösungen von den Arbeitsgerichten, voran dem BAG, zulässigerweise im Wege richterlicher Rechtsfortbildung in das bisherige System des Arbeitskampfrechts implementiert werden können681, die von Rieble zur Handhabung der Arbeitskampfrisikolehre unter den Bedingungen der Gewerkschaftspluralität aufgeworfenen Fragen beantwortet werden. Dies bietet die Gelegenheit, gleichsam eine Zusammenfassung der bisher herausgearbeiteten Grundsätze der Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitskampfrecht zu geben. Rieble stellt die Frage, was geschehe, wenn eine Berufsgewerkschaft ihren Arbeitskampf wenige Wochen vor Auslaufen der Friedenspflicht für die Branchengewerkschaft lostrete. Die Arbeitskampffolgen eines Pilotenstreiks etwa träten auch beim Bodenpersonal ein. Hier werde das BAG seine Arbeitskampfrisikolehre zu bedenken haben: Es sei offen, ob der Arbeitgeber im Beispiel für das Bodenpersonal Entgelt zahlen und demnach allein die Last des verdoppelten Arbeitskampfes tragen müsse, weil das Entgeltrisiko der Arbeitnehmer des Bodenpersonals womöglich im Verhältnis zur Piloten- oder Flugbegleitergewerkschaft nicht paritätsrelevant sei.682 Hierzu sind vom hiesigen Konzept aus drei Punkte zu bedenken. Zunächst könnte der Arbeitgeber im Beispiel, und zwar trotz noch laufender Friedenspflicht aus dem Branchentarifvertrag, die Arbeitnehmer des Bodenpersonals im Zuge des Kampfes um den Piloten- oder Flugbegleitertarifvertrag aussperren – anders als dies Rieble wohl für diesen Fall annehmen würde683. Die Friedens678 Wie hier Franzen, RdA 2008, 193 (203); Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (260 f.) und im Ergebnis jetzt auch Jacobs, FS Buchner, S. 342 (349 f.); für immerhin „nicht gänzlich unvertretbar“ hält dies nun auch Greiner, Rechtsfragen, S. 435 f. 679 Oben B. III. 3. d) aa) (2) (c). 680 Näher dazu Kissel, Arbeitskampfrecht, § 33 Rn. 11; Lieb, FS 25 Jahre BAG, S. 327 (334 f.); Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 309 f., 326. 681 Dazu sogleich B. III. 3. f). 682 Rieble, SAE 2006, 89 (94); vgl. auch jüngst Brocker, NZA Beilage 3/2010, S. 121 (125). 683 Vgl. Rieble, Anm. zu BAG 27. 6. 1995 SAE 1996, 227 (231, 235); dens., FS Wiedemann, S. 519 (536); dens., Anm. zu BAG 18. 2. 2003 EzA GG Art. 9 Arbeitskampf
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pflicht steht der Aussperrung Andersorganisierter nicht entgegen.684 Ohnehin aber kann es – zweitens – auf der Grundlage des hiesigen Konzepts gegen den Willen des Arbeitgebers schon zu der von Rieble beschriebenen Ausgangssituation – Lostreten eines Streiks einer Spartengewerkschaft wenige Wochen vor Auslaufen der Friedenspflicht für die Branchengewerkschaft – nicht kommen: Dies kann die Arbeitgeberseite durch ihren Anspruch auf einen identischen Endtermin für die Tarifverträge der konkurrierenden Gewerkschaften verhindern. Infolge der sich dadurch ergebenden Laufzeitharmonisierung können Arbeitskampfmaßnahmen rechtmäßig nur innerhalb der zeitlich synchronisierten Verhandlungs- und Kampfphasen ergriffen werden. Das heißt: Entweder, der maßgebliche Zeitpunkt wurde durch den Spartentarifvertrag festgelegt (weil dieser ursprünglich als erster abgeschlossen wurde); dann endet mit dem Ablauf der aus dem Spartentarifvertrag folgenden Friedenspflicht notwendigerweise auch die Friedenspflicht für die Branchengewerkschaft, wenn die Arbeitgeberseite sich ihr gegenüber auf ihren Anspruch auf harmonisierte tarifvertragliche Laufzeiten berufen hatte. War hingegen der Branchentarif zuerst abgeschlossen worden und daher maßgeblich für den zeitlichen Wechsel von Friedens- und Kampfphasen, so kann die Berufsgewerkschaft erst mit dem Ablauf des in dem Branchentarifvertrag festgelegten Beendigungszeitpunkts streiken. Schließlich würde man – drittens – die Funktion der Arbeitskampfrisikolehre unzulässig verkürzen, wenn man die Entgeltzahlungspflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Bodenpersonal für im Verhältnis zur Piloten- oder Flugbegleitergewerkschaft nicht paritätsrelevant hielte.685 Paritätsrelevant ist die Verteilung des Entgeltrisikos nicht nur dann, wenn es entweder die Arbeitgeberseite – durch Zuweisung des Risikos über § 615 Satz 3 BGB – oder die kampfführende Gewerkschaft – vermittels ihrer (eben nur Mitgliedern gegenüber bestehenden) satzungsmäßigen Verpflichtung zur Zahlung von Arbeitskampfunterstützung – trifft. Die Funktion der Arbeitskampfrisikolehre ist noch ungleich deutlicher als die der Aussperrung686 nicht auf die Ausübung von (Gegen-)Druck auf die Gewerkschaft beschränkt, Nr. 135, S. 15 (33); dens., BB 2008, 1506 (1513); Löwisch/Löwisch/Rieble, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 89; dies., TVG, § 1 Rn. 377. 684 Oben B. III. 3. d) aa) (2) (a). Ebenso wenig scheitert die Aussperrung daran, dass die auszusperrenden Arbeitnehmer nicht dem persönlichen Geltungsbereich des umkämpften Tarifvertrages unterfallen; dazu nochmals Konzen, DB Beilage 6/1990, S. 11 ff.; ders., FS 50 Jahre BAG, S. 515 (541). 685 Ähnliche Überlegung mit Blick auf nicht organisierte Arbeitnehmer aber bei Kissel, Arbeitskampfrecht, § 33 Rn. 58 m.w. N.: Bei nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern entfalle die mögliche Druckentwicklung einer aus Arbeitskampfgründen verweigerten Lohnzahlung auf die streikführende Gewerkschaft; deshalb spreche manches dafür, ihnen gegenüber die Grundsätze des Arbeitskampfrisikos nicht anzuwenden (im Ergebnis wendet Kissel sie aber doch an, Rn. 59 – allerdings mit zweifelhaften Partizipationserwägungen). 686 Vgl. zum Folgenden mit Blick auf die Aussperrung schon oben B. III. 3. d) aa) (2) (c).
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sondern liegt gerade auch darin, die für den Kampfausgang nicht minder wichtige Höhe des eigenen Schadens zu begrenzen und so das Durchhaltevermögen zu stärken. Für die Erfüllung dieser Funktion ist aber unerheblich, ob das Entgeltrisiko vom Arbeitgeber auf die gegnerische Arbeitskampfpartei oder auf die einzelnen Arbeitnehmer verlagert wird, solange es nur nicht den Arbeitgeber trifft. Eine Pflicht des Arbeitgebers, für das Bodenpersonal Entgelt zu zahlen, obwohl er es infolge des Streiks der Piloten- oder Flugbegleitergewerkschaft nicht (sinnvoll) beschäftigen kann, wäre daher, um die Frage Riebles zu beantworten, sehr wohl auch im Verhältnis zu der Spartengewerkschaft paritätsrelevant; sie wäre es schon deshalb, weil das Durchhaltevermögen des Arbeitgebers beeinträchtigt wäre, wenn er sein Bodenpersonal weiter entlohnen müsste. Die Arbeitskampfrisikolehre gilt mithin auch hier; auf den Organisationsstatus der dem Bodenpersonal angehörenden Arbeitnehmer (nicht oder anders organisiert) kommt es nicht an.687 f) Zulässigkeit der Rechtsfortbildung Wie bereits angedeutet, ist zum Abschluss der arbeitskampfrechtlichen Überlegungen zu untersuchen, ob die erarbeiteten Lösungen von den Arbeitsgerichten, voran dem BAG, zulässigerweise im Wege richterlicher Rechtsfortbildung in das bisherige System des Arbeitskampfrechts implementiert werden können. Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung bewegt, wie zuletzt die Rüthers-Hirsch-Kontroverse eindrücklich vor Augen geführt hat, unverändert die Gemüter.688 „Richterliche Rechtsfortbildung stellt im gewaltenteilenden demokratischen Rechtsstaat nach wie vor ein unbewältigtes Problem von allgemeiner, politischer Bedeutung dar“689; die Kennzeichnung der Thematik als „ausgelaugt“690 macht daher Staunen691. 687 Unzutreffend daher auch ArbG Düsseldorf 1. 8. 2007 – 11 Ga 74/07 – juris, unter II. 1. b) der Gründe, Rn. 90 f. des Urteils; dagegen mit Recht Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (260 f.); dem Gericht im Ausgangspunkt zustimmend hingegen Greiner, Rechtsfragen, S. 445 f. (dort Fn. 442). 688 s. die Beiträge von Rüthers, JZ 2002, 365 (367 ff.); dems., FAZ vom 2. 2. 2005, S. 7; dems., NJW 2005, 2759 ff.; dems., JZ 2006, 53 ff.; dems., FAZ vom 27. 12. 2006, S. 31; dems., JZ 2006, 958 ff.; dems., JZ 2007, 556 (559 f.); dems., JZ 2008, 446 ff.; dems., FAZ vom 22. 7. 2008, S. 37; dems., NJW 2009, 1461 f. sowie Rüthers/C. Fischer, Rechtstheorie, Rn. 266, und von Hirsch, Der Richter im Spannungsverhältnis von Erster und Dritter Gewalt, Rede zur Begrüßung des neuen Jahrgangs an der Bucerius Law School am 1. 10. 2003; dems., ZRP 2006, 161; dems., FAZ vom 30. 4. 2007, S. 8; dems., JZ 2007, 853 ff.; außerdem Grasnick, FAZ vom 4. 1. 2008, S. 36; Hassemer, ZRP 2007, 213 ff.; ders., Rechtstheorie 39 (2008), 1 ff.; Möllers, FAZ vom 26. 10. 2006, S. 37; Roellecke, FAZ vom 30. 1. 2007, S. 34; Kritik am Standpunkt Hirschs zuletzt nochmals bei Annuß, FS Bauer, S. 19 (22 f.); Rüthers, FAZ vom 17. 6. 2010, S. 7; zu der Kontroverse jüngst Gruschke, Rechtstheorie 41 (2010), 35 ff. 689 Hillgruber, JZ 2008, 745, der zum Beleg ebenfalls den Streit um die „Pianistentheorie“ anführt. 690 So Dieterich, RdA 1993, 67 im Anschluss an Sendler (Nachweis ebd.).
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aa) Während einst nicht einmal Klarheit darüber bestand, „in welcher Disziplin die Grenzen des Richterrechts zu suchen sind“692 und die Zulässigkeit von Rechtsfortbildung zunächst als rein hermeneutisches Problem begriffen wurde693, weiß man heute, dass die richterliche Rechtsfortbildung „im Spannungsfeld von Methodenlehre und Verfassungsrecht“ liegt694 und deshalb beide Bereiche für die Bestimmung der Grenzen des Richterrechts heranzuziehen sind695. Damit verbinden sich freilich die zahlreichen ungelösten Probleme der Methodenlehre mit ebenso ungelösten Problemen des Verfassungsrechts.696 All diese ungelösten Methoden- und vor allem Verfassungsfragen stürzen auch auf denjenigen ein, der Ansätze zur Bewältigung neuer arbeitskampfrechtlicher Probleme zu entwickeln versucht. „Arbeitskampfrecht ist Richterrecht reinsten Wassers“697. Die Rechtsprechung, voran das BAG, hat hier „gesetzesvertretendes Richterrecht“ geschaffen698 und das vom Gesetzgeber ausgesparte Feld besetzt699. Das begleitende Schrifttum übt zwar – bisweilen herbe700 – dogmatische und verfassungsrechtliche Kritik an einzelnen Judikaten, teils auch an der 691
Auch Zöllner, FS 50 Jahre BAG, S. 1395 (1396, mit Fn. 5). Ipsen, Richterrecht, S. 22 f. und näher dann S. 24 ff.; Wank, Rechtsfortbildung, S. 17 ff. 693 s. die Darstellungen bei Ipsen, Richterrecht, S. 34 ff.; Wank, ZGR 1988, 314 (319 ff.). 694 Ipsen, Richterrecht, S. 24 ff. 695 Fenn, FS Kissel, S. 213 (216 f.); Wank, Rechtsfortbildung, S. 82; ders., JuS 1980, 545 (552); ders., ZGR 1988, 314 (315, 320); s. auch Kreuz, Verhältnismäßigkeit im Arbeitskampfrecht, S. 59 ff.; Langenbucher, Richterrecht, S. 3, 22 ff., 46, 58 ff.; Peter, RdA 1985, 337 (340, 345); Rüthers, FS Molitor, S. 293; Scholz, DB 1972, 1771 (1772); eindringlich zur Notwendigkeit einer verfassungsrechtlichen Kriterienbildung zuletzt etwa Möllers, JZ 2009, 668 (670 ff.). 696 Wank, ZGR 1988, 314 (315). 697 Thüsing, Anm. zu BAG 18. 2. 2003 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 163; Thüsing/Burg, Anm. zu LAG Köln 19. 3. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 77, S. 4 (5); s. auch C. Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, S. 184: „reines Richterrecht“. 698 BAG (GS) 21. 4. 1971 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43, Teil III F., letzter Absatz des Beschlusses; s. dazu auch die Erläuterungen des 1. Senats, BAG 10. 6. 1980 (zweimal) AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 64 und Nr. 65, jeweils unter A. II. 4. der Gründe. Zum „gesetzesvertretenden Richterrecht“ s. etwa Dieterich, RdA 1993, 67 (70); Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 312 f.; Ipsen, Richterrecht, S. 79 ff., 189 f., 209 ff., 228 ff., 233 ff.; Kamanabrou, Die Auslegung und Fortbildung des normativen Teils von Tarifverträgen, S. 109 ff.; Kreuz, Verhältnismäßigkeit im Arbeitskampfrecht, S. 56 ff.; Rüthers, FS Molitor, S. 293 (304); Scholz, DB 1972, 1771 ff.; Wank, Rechtsfortbildung, S. 232 ff., 238 ff.; dens., ZGR 1988, 314 (322 f.); Zöllner, FS 50 Jahre BAG, S. 1395 (1407). 699 G. Müller, AuR 1977, 129 (131); s. dazu auch C. Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, S. 197. 700 Zur Frage des „richtigen“ Stils der arbeitskampfrechtlichen Kontroverse s. Kissel, RdA 1988, 321 (322 ff.) einerseits, Lieb, RdA 1988, 327 (328) und Rieble, BB 2008, 1506 andererseits. 692
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inhaltlichen Richtung der Rechtsprechung insgesamt701; mit Blick auf die Rechtsfortbildungskompetenz aber trifft grosso modo die auf das gesamte Arbeitsrecht bezogene Beobachtung Christian Fischers, dass die grundsätzliche Befugnis des Bundesarbeitsgerichts zur Fortbildung des Rechts in der Arbeitsrechtswissenschaft nicht in Frage gestellt werde und dass man sich mit dem besonderen Stellenwert rechtsfortbildenden Richterrechts im Arbeitsrecht abgefunden habe702, auch für das Arbeitskampfrecht zu.703 Gleichwohl – oder gerade deswegen – muss man sich des extraordinären Charakters des Rechtszustandes im Arbeitskampfrecht bewusst bleiben. Hierfür sorgt nicht zuletzt die Verfassungsrechtslehre, die die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung auch im Arbeitskampfrecht in Erinnerung ruft.704 Denn vor allem im Verfassungsrecht liegt der Schlüssel zur Klärung des Verhältnisses zwischen Legislative und Judikative; nach den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung zu fragen, heißt im gewaltenteilenden Staat in erster Linie, der Zuordnung zweier Staatsfunktionen und damit dem kompetenziellen Problem des Verhältnisses der Rechtsprechung zum (heutigen) Gesetzgeber nachzugehen.705 bb) Ob sich eine Harmonisierung tarifvertraglicher Laufzeiten zwecks Synchronisation von Friedens- sowie Verhandlungs- und Kampfphasen, mit der unter 701 Generelle Fehlentwicklungen des richterrechtlichen Arbeitskampfrechts konstatieren in jüngerer Zeit etwa Buchner, FS Hromadka, S. 39 ff.; Jacobs, BLJ 2010, 1; Lehmann, FS Buchner, S. 529 (533 ff.); Rieble, Anm. zu BAG 18. 2. 2003 EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 135, S. 15 (38 f.); ders., ZfA 2005, 245 (249 ff.); ders., ZAF 2005, 218 (219 f.); ders., BB 2008, 1506 ff. (insbesondere S. 1513 f.); Rolfs/F. Clemens, NZA 2004, 410 ff.; Zöllner, FS 50 Jahre BAG, S. 1395 (1401 f.); schon früher etwa Zöllner, DB 1985, 2450 ff.; s. auch Konzen, Anm. zu BAG 27. 6. 1995 und BAG 11. 7. 1995 (zweimal) AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 137–139, unter II. 2. b). 702 C. Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, S. 206 f. und auch schon S. 184 f. 703 s. auch schon Kissel, AuR 1982, 137 (142): „Wir haben und längst daran gewöhnt, daß das Schweigen des Gesetzgebers das Richterrecht auf den Plan gerufen hat.“; ferner Ipsen, Richterrecht, S. 83; vehemente Kritik der „richterlichen Machtusurpation“ durch die Rechtsprechung des BAG zum Arbeitskampfrecht allerdings jüngst bei Annuß, FS Bauer, S. 19 (31). 704 s. zuletzt Höfling/Engels, NJW 2007, 3102 f. und, sehr restriktiv, Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 312 ff., 318 ff., 325 ff.; außerdem etwa Hillgruber, JZ 1996, 118 (124); gegen ihn allerdings Stern/Dietlein, Staatsrecht IV/1, § 112 IV. 3. c), S. 2024 (mit Fn. 318) und § 112 V. 5. d), S. 2068 f. 705 Ipsen, Richterrecht, S. 45 ff., 128 ff., 133 ff.; Kamanabrou, Die Auslegung und Fortbildung des normativen Teils von Tarifverträgen, S. 110 ff.; Kreuz, Verhältnismäßigkeit im Arbeitskampfrecht, S. 59 ff.; Möllers, JZ 2009, 668 (671); Preis, RdA 1989, 327 (333); Wank, Rechtsfortbildung, S. 68 f., 74 f., 89 ff., 113 ff.; ders., JuS 1980, 545 (551 f.); ders., RdA 1982, 363 (364); ders., RdA 1987, 129 (131); ders., ZGR 1988, 314 (319 f., 321 ff.); s. außerdem F. Bydlinski, JZ 1985, 149 (150); Dieterich, RdA 1993, 67 (69); Fenn, FS Kissel, S. 213 (217 f.); Kissel, AuR 1982, 137 (138 f.); dens., NJW 1982, 1777 ff.; Scholz, DB 1972, 1771 (1772, 1777); für das richterrechtliche Arbeitskampfrecht jüngst Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 23, 326 ff.; Annuß, FS Bauer, S. 19 (30 ff.).
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den Bedingungen des Gewerkschafts- und Tarifwettbewerbs die widerstreitenden verfassungsrechtlichen Positionen von Arbeitgebern und Gewerkschaften zum Ausgleich gebracht würden, im Wege richterlicher Rechtsfortbildung durchsetzen lässt, wird von den Urhebern entsprechender Lösungsvorschläge selbst unterschiedlich beurteilt. Die Zulässigkeit einer entsprechenden Rechtsfortbildung wird für ihren Vorschlag bejaht von Kamanabrou, verneint für seinen Vorschlag von Schliemann. Dieser meint, eine solche Ausweitung der Friedenspflicht706 könne kaum von der Rechtsprechung entwickelt werden. Vielmehr sei insoweit der Gesetzgeber gefordert. Um eine solche Regel zu normieren, bedürfe es keineswegs einer Kodifizierung des Arbeitskampfrechts insgesamt. Eine entsprechende Ergänzung des Tarifvertragsgesetzes wäre völlig ausreichend.707 Im Ergebnis ebenso urteilt jetzt Greiner, der dem Anliegen der Laufzeitharmonisierung zwar rechtspolitisch beipflichtet708, hier aber die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschritten sieht. Denn da es für die Schaffung paralleler Friedens- und Kampfphasen kein klares gesetzliches Leitbild oder allgemeines Rechtsprinzip gebe, an dem sich der rechtsfortbildende Richter orientieren könnte, setze eine zwingende Synchronisierung von Arbeitskämpfen die Schaffung eines neuen, vorbildlosen Regelungssystems voraus; dazu, eigene Regelungssysteme zu entwerfen, fehle dem rechtsfortbildenden Richter aber die Legitimation.709 Eine solche Gestaltungsentscheidung müsse daher dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben.710 Demgegenüber versteht Kamanabrou ihr dreistufiges Modell ausdrücklich nicht als bloße Anregung einer gesetzlichen Gestaltung de lege ferenda, sondern als Vorschlag einer gesetzesvertretenden Rechtsfortbildung.711 Die Übernahme legislativer Aufgaben durch die rechtsprechende Gewalt rechtfertige sich dabei durch ein rechtswidriges Unterlassen. Allerdings stehe es in einem gewissen Umfang im Ermessen des Gesetzgebers, ob und in welchem Umfang er tätig werden möchte. Nicht jede ungeregelte Frage rechtfertige richterrechtliche Lösungen. Anhaltspunkte dafür, ob die grundgesetzliche Kompetenzverteilung zurückgedrängt werden könne, seien der Grad der Störung des Rechtsfriedens ohne eine gesetzliche Regelung sowie die Dauer der rechtswidrigen712 gesetzgeberischen 706
Zur Terminologie s. o. B. III. 1. b) bb) (2). Schliemann, FS Hromadka, S. 359 (378); s. aber jetzt auch dens., FS Bauer, S. 923 (938, 939 f., 943). 708 Greiner, Rechtsfragen, S. 449: „Königsweg“; S. 454: „durchaus wünschenswert“. 709 Greiner, Rechtsfragen, S. 449, unter Berufung auf Preis, RdA 1989, 327 (335). 710 Greiner, Rechtsfragen, S. 449 f. 711 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (279). 712 Im Arbeitskampfrecht kann man von einem zwar rechtswidrigen (zur Gesetzgebungspflicht s. noch den weiteren Text), aber aufgrund fehlender politischer Durchsetzbarkeit entschuldigten Unterlassen des Gesetzgebers sprechen, s. Wank, RdA 1989, 263 (266 f.) und allgemein Wank, Rechtsfortbildung, S. 235 ff.; zur fehlenden politischen 707
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Untätigkeit.713 Die Entwicklung des Arbeitskampfrechts sei ein Paradebeispiel für eine gerechtfertigte gesetzesvertretende Rechtsfortbildung. Arbeitskampfmaßnahmen als Vertragsbrüche und unerlaubte Handlungen einzuordnen, sei in einer Rechtsordnung, die die Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen den Sozialpartnern überlasse, nicht akzeptabel. Der Gesetzgeber sei trotz dringenden Regelungsbedarfs nicht tätig geworden. In dieser Situation sei es Aufgabe der Gerichte, als Notgesetzgeber tätig zu werden.714 Von der Frage nach der grundsätzlichen Befugnis zur Rechtsfortbildung sei indes die Frage nach dem zulässigen Ausmaß der Ersatzgesetzgebung zu unterscheiden. Zwar sollte die Rechtsprechung bei der gesetzesvertretenden Rechtsfortbildung nur so geringfügig wie möglich in gesetzgeberische Aufgaben eingreifen. Allerdings sei auch insoweit zu berücksichtigen, wie schwer die Nichtregelung wiege und wie lange der Gesetzgeber untätig geblieben sei und vermutlich noch bleiben werde. Zudem stünde die Rechtsprechung vor einer kaum lösbaren Aufgabe, wenn sie zwar die Rolle des Ersatzgesetzgebers übernehmen sollte, bei ihren Lösungen aber stets auf das absolute Minimum beschränkt wäre. Auf dem Gebiet des Arbeitskampfrechts seien daher detaillierte Lösungsvorschläge gerechtfertigt.715 Franzen geht auf die Frage nach der Zulässigkeit einer rechtsfortbildend geschaffenen Laufzeitharmonisierung nicht explizit ein, implizit aber bejaht er sie; er spricht von der Notwendigkeit der Ausgestaltung der Tarifautonomie „durch den Gesetzgeber und, wo dieser untätig geblieben ist, auch durch die Rechtsprechung“716 und später, noch deutlicher, von einer „Ausgestaltung der Tarifautonomie . . . im Wege gesetzesvertretender Rechtsfortbildung“717, womit feststeht, dass auch er seine Überlegungen nicht als Anregung für eine gesetzliche, sondern für eine richterrechtliche Lösung versteht.718
Durchsetzbarkeit auch Kreuz, Verhältnismäßigkeit im Arbeitskampfrecht, S. 65 ff.; G. Müller, DB 1981, 93 (93 ff.); anderer Akzent bei Zöllner, DB 1985, 2450 (2452 f.); kritisch Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 341. 713 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (279) unter Verweis auf Wank, Rechtsfortbildung, S. 232 ff. 714 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (279). 715 Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (280). 716 Franzen, RdA 2008, 193 (203). 717 Franzen, RdA 2008, 193 (204). 718 Aktuell weist auch Loritz, FS Buchner, S. 582 (597) darauf hin, dass mit einem Eingreifen des Gesetzgebers nicht zu rechnen ist und daher ein neues Lösungsmodell durch die Gerichte als Ersatzgesetzgeber entwickelt werden müsse. Auch nach Hirdina, NZA 2009, 997 (997, 999) ist eine Lösung der Problematik „durch Richterspruch“ möglich, seines Erachtens allerdings sogar durch Gesetzesanwendung (§ 313 BGB); s. dazu bereits oben Fn. 330. Beachte in diesem Zusammenhang ferner die Überlegungen von I. Schmidt, FAZ vom 19. 7. 2010, Nr. 164, S. 13 (Interview unter der Überschrift „Ein Gesetz zur Tarifeinheit in dieser Atmosphäre kann nicht gutgehen“).
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cc) Für die hier vorgeschlagene Lösung ist die Zulässigkeit einer entsprechenden Rechtsfortbildung durch die Arbeitsgerichte zu bejahen. Der Argumentation Kamanabrous ist beizutreten, daher genügen einige ergänzende Hinweise. Dabei ist mit Kamanabrou zwischen der Befugnis zur Rechtsfortbildung als solcher („Ob“) und dem zulässigen Ausmaß der Rechtsfortbildung („Wie“) zu trennen.719 (1) Zunächst gilt allgemein, dass – ungeachtet der bestehenden verfassungsrechtlichen Pflicht zum Tätigwerden des Gesetzgebers, der gesetzliche Regelungen über den Arbeitskampf zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems schaffen muss720 – das BAG nicht auf den Gesetzgeber zu warten braucht; es darf auch Fragen entscheiden, die angesichts des Gewaltenteilungsprinzips nicht Sache eines Gerichts wären.721 Verhält sich die Legislative ihrerseits nicht modellgetreu, indem sie sich ihrer Regelungspflicht entzieht722, so treten die Gerichte als die sachnächsten staatlichen Organe nach dem Gewaltenteilungsprinzip in seiner Funktion als Gewährleistung einer sachgerechten Aufgabenbewältigung723 subsidiär an die Stelle des Gesetzgebers. Es besteht 719 s. Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (279 f.) und schon dies., Die Auslegung und Fortbildung des normativen Teils von Tarifverträgen, S. 110, 112 sowie Wank, ZGR 1988, 314 (321, 323) und dens., RdA 1987, 129 (155). 720 s. dazu Birk/Konzen/Löwisch/Raiser/Seiter, Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, Vorwort (S. III), S. 21; Stern/Dietlein, Staatsrecht IV/1, § 112 V. 5. d), S. 2068; Fenn, FS Kissel, S. 213 (223 f.); Friauf, RdA 1986, 188 (191 f.); Kissel, AuR 1982, 137 (141); dens., Arbeitskampfrecht, § 16 Rn. 9, 11; Scholz, FS Buchner, S. 827 (831); Wank, RdA 2009, 1 (2); näher Kreuz, Verhältnismäßigkeit im Arbeitskampfrecht, S. 68 ff.; Wank, RdA 1989, 263 (264 ff.) und umfassend jetzt Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 326 ff.; s. zuletzt auch U. Fischer, RdA 2009, 2687 ff.; differenzierend Lembke, Arbeitskampfbeteiligung, S. 69 f.; Löwisch/Löwisch/Rieble, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 132 ff., 135 f., 137 ff.; a. A. Däubler/Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 105x; Zachert, Liber Amicorum Wendeling-Schröder, S. 23 (28); Zöllner, in: Lieb/v. Stebut/Zöllner, Arbeitskampfrecht, Symposion Hugo Seiter zum Gedächtnis, S. 11 (14); allgemein zur Gesetzgebungspflicht Wank, Rechtsfortbildung, S. 232 ff. 721 Wank, FS Kissel, S. 1225; ausführlicher ders., Rechtsfortbildung, S. 238 ff.; s. auch Däubler/Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 105e (dort Fn. 278); umfassend zur Rechtsfortbildungskompetenz des BAG im Arbeitskampfrecht Kreuz, Verhältnismäßigkeit im Arbeitskampfrecht, S. 60 ff. 722 Vgl. dazu Wank, Rechtsfortbildung, S. 232 ff. 723 Zur Bedeutung der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) als sachgemäßer Aufgabenverteilung (zwischen Legislative und Judikative) für die Grenzen des Richterrechts s. Ipsen, Richterrecht, S. 133 ff.; Kudlich/Christensen, JZ 2009, 943 (946); Wank, Rechtsfortbildung, S. 91 f., 113 ff., 119 ff.; dens., JuS 1980, 545 (552); ferner Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 319 ff.; Fenn, FS Kissel, S. 213 (218, 221 f.); Kamanabrou, Die Auslegung und Fortbildung des normativen Teils von Tarifverträgen, S. 81; Kreuz, Verhältnismäßigkeit im Arbeitskampfrecht, S. 62 f.; der Sache nach rekurrieren hierauf auch Kissel, NJW 1982, 1777 (1779); Picker, JZ 1984, 153 (155 f.); ders., JZ 1988, 62 (71 f.); Reuter, RdA 1985, 321 (322); Richardi, FS Zöllner, Band II, S. 935 (940); s. für das Arbeitskampfrecht zuletzt auch U. Fischer, RdA 2009, 287 (289 ff.).
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eine Wechselwirkung zwischen dem Grad der gesetzgeberischen Untätigkeit und der Kompetenz der Gerichte. Die aus dem Gewaltenteilungsprinzip sich ergebenden Schranken der Rechtsfortbildung werden mit der Konsequenz einer Kompetenzerweiterung für die Gerichte umso weiter beiseite gerückt, je andauernder und je unberechtigter das Schweigen des Gesetzgebers ist.724 Lässt der Gesetzgeber, wie im Arbeitskampfrecht, einen gesamten Komplex ungeregelt, so wird der Richter notwendig zum Ersatzgesetzgeber.725 Insofern steht der erst jüngst formulierte Einwand Greiners, dem rechtsfortbildenden Richter fehle die Legitimation, eigene Regelungssysteme zu entwerfen726 – so berechtigt er an anderer Stelle sicher wäre727 – der grundsätzlichen Befugnis zur Rechtsfortbildung als solcher („Ob“) hier nicht entgegen. Denn wo die Gerichte – nach dem Gesagten: zulässigerweise – ein gesetzesvertretendes Richterrecht geschaffen, also notgedrungen anstelle des „säumigen“ Gesetzgebers einen gesamten Sachkomplex Fall für Fall geregelt haben, kann einer notwendigen Fortentwicklung dieser judikativen Ersatzgesetzgebung nicht unter Hinweis auf die (grundsätzlich) fehlende Befugnis des rechtsfortbildenden Richters, neue Regelungssysteme zu schaffen, die legitimatorische Grundlage abgesprochen werden. Dies würde den Besonderheiten des gesetzesvertretenden Richterrechts728 nicht gerecht. Darüber hinaus ist das Modell einer Synchronisierung von Arbeitskämpfen, wie die bisherigen Darlegungen gezeigt haben sollten, auch kein aus dem juristisch luftleeren Raum gegriffenes Produkt freier schöpferischer „Rechtsfindung“.729 Einen ähnlichen Ansatz hat, wie gesehen, Lieb in anderem Zusammenhang bereits vor bald 20 Jahren entwickelt.730 Dass es an einem klaren gesetzlichen Leitbild fehlt731, ist zuzugeben, in Anbetracht des fast gänzlichen Fehlens gesetzlicher Regelungen arbeitskampfrechtlicher Fragestellungen aber auch kein Wunder. Insofern muss, entsprechend dem oben dargestellten, an das BAG als Ersatzgesetzgeber im Bereich des Arbeitskampfrechts gerichteten Postulat eines 724 Wank, Rechtsfortbildung, S. 240; ebenso Kamanabrou, Die Auslegung und Fortbildung des normativen Teils von Tarifverträgen, S. 111; s. jetzt auch Greiner, Rechtsfragen, S. 151 f. 725 Wank, Rechtsfortbildung, S. 240; zur Bedeutung der Regelungsdichte auch Kamanabrou, Die Auslegung und Fortbildung des normativen Teils von Tarifverträgen, S. 111 f. 726 s. nochmals Greiner, Rechtsfragen, S. 449. 727 s. neben Preis, RdA 1989, 327 (335), auf den Greiner sich beruft, auch nochmals Wank, RdA 1987, 129 (154) zu einem Rechtsfortbildungsverbot wegen grundlegender Umgestaltung des Rechtssystems; dazu in anderem Kontext auch schon oben Teil 2, Kapitel 2, unter B. III. 2. b) bb) (3) (d) (bb) g), Fn. 148. 728 Dazu allgemein nochmals die Nachweise oben Fn. 698. Zu den Besonderheiten einer „Fortbildung der Rechtsfortbildung“ auch Preis, RdA 1989, 327 (328 f.). 729 Vgl. aber Greiner, Rechtsfragen, S. 449: „neues, vorbildloses Regelungssystem“. 730 s. o. B. III. 3. b) bb) (1) und nochmals Lieb, RdA 1991, 145 ff. 731 Greiner, Rechtsfragen, S. 449.
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konsistenten Arbeitskampfrechts, in dem einzelne arbeitskampfrechtliche Fragen wertungsmäßig aufeinander abgestimmt entschieden werden732, entscheidend nicht auf die Kompatibilität mit – eben inexistenten – gesetzlichen Leitbildern, sondern darauf abgestellt werden, ob eine Fortbildung des Arbeitskampfrechts sich in die – je nach dem Standpunkt des Betrachters als mehr oder weniger systematisch bewertete733 – Ordnung einfügt, die dieses Rechtsgebiet durch die bisherige Rechtsprechung des BAG erhalten hat. Dass aber die Laufzeitharmonisierung sich im Arbeitskampfrecht des BAG als Fremdkörper ausnehmen würde, lässt sich sicher schon angesichts der prominenten Stimmen734, die diesen Ansatz befürworten, nur schwer behaupten735, wenn auch daneben gewiss andere 732 s. schon oben A. I. und aus der Literatur statt vieler noch einmal Lieb, ZfA 1982, 113 (136 f.); dens., RdA 1988, 327 (332); Reuter, FS Wiese, S. 427 ff.; Wank, FS Kissel, S. 1225 (1230); dens., RdA 2009, 1 (1 f.). 733 s. auch dazu schon oben A. I., aber zur Ehrenrettung des BAG dort auch zu den Grenzen der Systematisierbarkeit einer fast ausschließlich richterrechtlich geordneten Materie; dazu aus der Literatur nur noch einmal Konzen, FS 50 Jahre BAG, S. 515 (518; 554 f.). 734 Schon früher namentlich Lieb, RdA 1991, 145 (151), der seine Ausführungen wohl auch nicht als Gestaltungsvorschlag an den Gesetzgeber verstanden wissen wollte; aktuell in erster Linie Franzen, RdA 2008, 193 (203 f.) und Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (270 ff.). 735 Zur Bedeutung einer verbreiteten Rechtsüberzeugung in der Literatur als Indiz für die Zulässigkeit einer richterlichen Rechtsfortbildung s. nochmals Wank, RdA 1987, 129 (155); dens., ZGR 1988, 314 (323, 353, 374); vertiefend dens., Rechtsfortbildung, S. 223 ff.; ebenso auch im Anschluss daran Greiner, Rechtsfragen, S. 154: Rechtsüberzeugung einer herrschenden Lehre kann System- und Prinzipienkonformität einer Rechtsfortbildung indizieren. Mit Recht weist Preis, RdA 1989, 327 (330 f., 335) darauf hin, dass eine „allgemeine Rechtsüberzeugung“ im Sinne von Einmütigkeit – zumal im Arbeitsrecht – keine notwendige Bedingung für eine bestimmte Rechtsfortbildung ist. Bestehe eine verbreitete, nicht notwendig einmütige Rechtsüberzeugung in der Literatur, könne selbst eine Rechtsfortbildung contra legem bei lückenhaften oder veralteten Gesetzeswerken verfassungsrechtlich möglich sein. Spreche sich eine deutliche Mehrheit des Schrifttums gegen eine bestimmte Lösung extra oder contra legem aus, sei eine gleichwohl vorgenommene Rechtsfortbildung regelmäßig durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. Für den Fall, dass das Schrifttum über die Frage, ob und welch eine rechtsfortbildende Lösung zu bevorzugen sei, gespalten ist, sei zu unterscheiden: Stehe eine Rechtsfortbildung contra legem in einem kodifizierten Rechtsgebiet in Rede, führe die Spaltung des Schrifttums regelmäßig dazu, eine Rechtsfortbildung abzulehnen, weil der verfassungsrechtlich gewollte Geltungsanspruch des positiven Rechts dann nicht nachhaltig genug erschüttert sei. Der Richter sei dann aus Respekt vor der demokratisch legitimierten Grundentscheidung bei nachkonstitutionellen Gesetzen verpflichtet, seine eigenen Vorstellungen über zweckmäßige und vernünftige Regelungen zurückzustellen. Anders sei die Lage jedoch in einem Rechtsbereich, in dem anerkanntermaßen eine Kodifikation fehlt (vgl. insofern zum Arbeitskampfrecht aber Preis, a. a. O., S. 334, bei Fn. 67). Durch ein gespaltenes Schrifttum werde der Richter hier nicht auf ein bestimmtes Entscheidungsverhalten festgelegt. Das Merkmal der „allgemeinen Rechtsüberzeugung“ hindere hier nicht, verfassungsrechtlich sowohl die eine wie die andere Lösung für vertretbar zu halten (freilich werde die Rechtsfortbildung umso mehr als geglückt erscheinen, je systemgerechter sie erfolgte und je deutlicher allgemeine Prinzipien der Rechtsordnung zum Vorschein kämen).
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Lösungen, etwa der von Greiner beschrittene Weg einer Schärfung der Reaktionsmöglichkeiten der Arbeitgeberseite736, vorstellbar sind, die sich in dem durch die bisherigen Weichenstellungen des BAG vorgegebenen Rahmen halten würden.737 Kann nach dem Gesagten das Fehlen eines klaren gesetzlichen Leitbildes die grundsätzliche Zulässigkeit („Ob“) der hier vorgeschlagenen Rechtsfortbildung schon deshalb nicht in Frage stellen, weil anderenfalls eine (weitere) gesetzesvertretende Rechtsfortbildung im Bereich des Arbeitskampfrechts wegen weithin fehlender gesetzlicher Anhaltspunkte für ihre Ausgestaltung nahezu ausgeschlossen wäre, so wiegt der Vorhalt, es mangele auch an einem allgemeinen Rechtsprinzip, an dem sich der rechtsfortbildende Richter orientieren könnte738, potentiell schwerer.739 Auch ihm kann jedoch begegnet werden: Als allgemeines Rechtsprinzip, auf dem das Modell der Synchronisation der tarifvertraglichen Laufzeiten aufbaut, wurde hier, die rechtstheoretischen Darlegungen von John Rawls zum zivilen Ungehorsam740 fruchtbar machend, der Grundsatz der Einschränkung der Ausübung von Rechten durch das gleiche Recht anderer herausgearbeitet.741 Natürlich bewegt sich dieser Grundsatz, wie alle Rechtsprinzipien, auf einer hohen Abstraktionsstufe, so dass man sich fragen kann, ob er es erlaubt, 736 Greiner, Rechtsfragen, S. 132, 427 ff., 450, 468, 473, 474 ff., der diesen Weg (a. a. O., S. 473) für „de lege lata wohl alternativlos“ hält (nochmals S. 480 f.: „einzige de lege lata tragfähige Antwort“, „de lege lata . . . fast unausweichlich“); s. auch schon dens., NZA 2007, 1023 (1027) und dens., Anm. zu LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80, S. 45 (55) – lösende Aussperrung. 737 s. allerdings zu grundsätzlicher Kritik an dem Konzept des Ausgleichs von Paritätsverschiebungen durch Stärkung der Reaktionsmöglichkeiten der Gegenseite unter dem Aspekt einer bedenklichen Eskalation des Arbeitskampfes oben B. III. 3. d) bb); aus der Literatur allgemein Lieb, ZfA 1982, 113 (142) und in Auseinandersetzung mit Greiners Vorschlag Kamanabrou, ZfA 2008, 241 (264); Jacobs, FS Buchner, S. 342 (347); Loritz, FS Buchner, S. 582 (594); Sittard, ZTR 2008, 178 (183); immerhin einschränkend jetzt auch Greiner, Rechtsfragen, S. 474, der mit Blick auf die „Flashmob“Entscheidung des BAG (Urteil vom 22. 9. 2009, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 174 [H. J. Willemsen/Mehrens]) die Zulassung „vergleichbar destruktiver“ Kampfstrategien der Arbeitgeberseite für „gesellschaftspolitisch kaum wünschenswert“ erachtet und die Lockerung arbeitskampfrechtlicher Restriktionen auf Arbeitgeberseite auf deren klassisches Kampfmittel, die Aussperrung, begrenzen will. – Man meint, den Schrecken über die potentiellen Konsequenzen der im eigenen Konzept angelegten Eskalationsspirale förmlich zu spüren (wobei indes zu bemerken ist, dass Greiner selbst der „Flashmob“Entscheidung kritisch gegenübersteht, s. a. a. O. S. 469 f. [dort Fn. 593], 474 [mit Fn. 623]). 738 Greiner, Rechtsfragen, S. 449. 739 Zur Bedeutung von Rechtsprinzipien für die Entwicklung richterrechtlicher Regeln noch einmal Langenbucher, Richterrecht, S. 3 ff., 37 ff., 45 mit Fn. 23 (zum Arbeitskampfrecht), S. 56 ff.; s. dazu auch Preis, RdA 1989, 327 (333, 335). 740 s. nochmals Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, insb. S. 411 f. 741 s. o. B. III. 3. a) aa) (2); zur Verallgemeinerungsfähigkeit dieses Gedankens über die Konstellation des zivilen Ungehorsams hinaus nochmals Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 413: Der Fall sei „auch dadurch lehrreich, daß er zeigt, wie die Aus-
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derart konkrete und vor allem derart detaillierte Folgerungen wie die zwingende Harmonisierung der Laufzeiten von unterschiedlichen Gewerkschaften abgeschlossener Tarifverträge richterrechtlich auszuformen, oder ob er nicht lediglich punktuelle Einzelfalllösungen wie die früher von Heß und Konzen sowie aktuell insbesondere von Reichold und Jacobs vorgeschlagenen742 trägt. Das jedoch ist eine Frage des zulässigen Ausmaßes der Rechtsfortbildung. (2) Im Hinblick auf das zulässige Ausmaß der Rechtsfortbildung („Wie“) wird das Feld durch zwei unterschiedliche, zueinander in einem Spannungsverhältnis stehende Anforderungen an eine richterrechtliche Lösung abgesteckt: Zum einen ist eine rechtssichere Gestaltung geboten, zum anderen verlangt das Prinzip der Gewaltenteilung in seiner Funktion als sachgemäßer Aufgabenverteilung, dass die Rechtsprechung richterrechtliche Regeln entsprechend ihrem gegenüber dem Gesetzgeber nur begrenzten Instrumentarium in einem „tastenden Vorgehen“ entwickelt.743 (a) Bei der Entwicklung von Richterrecht muss der Richter seinen Blick über den konkreten Fall hinaus auf den regelungsbedürftigen Interessenkonflikt insgesamt richten.744 Aus dieser Untersuchung des regelungsbedürftigen Interessenkonflikts hat er eine typisierbare Situation zu destillieren.745 Es ist sodann nach verallgemeinerungsfähigen Regeln zu suchen, die auf den typisierten Sachverhalt gleichmäßig angewandt werden können.746 Nur so kann sichergestellt werden, dass eine richterrechtliche Lösung rechtssichere Kriterien besitzt747 und die Rechtsentwicklung durch verallgemeinerbare Rechtssätze zu steuern vermag748.749 übung des Rechtes auf Nonkonformität, wie auch von Rechten überhaupt, manchmal durch das gleiche Recht anderer eingeschränkt wird.“. 742 s. die Darstellung oben B. II. 3. und die Kritik oben B. III. 2. 743 s. zu diesem Zwiespalt auch treffend Kamanabrou, Die Auslegung und Fortbildung des normativen Teils von Tarifverträgen, S. 112: „Zwar sollte der Richter nur so geringfügig wie möglich in die legislativen Aufgaben übergreifen, dabei muß er aber soweit vorausschauen, daß die von ihm entwickelten Grundsätze auch im nächsten Fall tragfähig sind.“; s. auch Wank, FS Kissel, S. 1225 (1245 f.); Preis, RdA 1989, 327 (335 f.); vgl. nunmehr ferner Greiner, Rechtsfragen, S. 155. 744 Langenbucher, Richterrecht, S. 40; Preis, RdA 1989, 327 (336); zur notwendigen Differenzierung zwischen Instanz- und Revisionsgerichten Wank, Rechtsfortbildung, S. 30 ff., 113 ff., 172 ff. und passim; s. auch dens., ZGR 1988, 314 (372). 745 Vgl. Langenbucher, Richterrecht, S. 41; Preis, RdA 1989, 327 (336). 746 Langenbucher, Richterrecht, S. 42; Preis, RdA 1989, 327 (335 f.). 747 Langenbucher, Richterrecht, S. 52. 748 Wank, ZGR 1988, 314 (372). 749 s. auch Kamanabrou, Die Auslegung und Fortbildung des normativen Teils von Tarifverträgen, S. 112 f.; Kissel, AuR 1982, 137 (142); Peter, RdA 1985, 337 (343); Preis, RdA 1989, 327 (335 f.); zu Kontinuität und Stabilität des Richterrechts s. Ipsen, Richterrecht, S. 219 ff., 239 f.; Wank, Rechtsfortbildung, S. 202 ff.; zur Stetigkeit der Rechtsprechung zuletzt Kissel, FS Hromadka, S. 189 ff.
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In unserem Zusammenhang hat das Postulat einer rechtssicheren richterrechtlichen Lösung vor allem eins zur Folge. Wie bereits dargestellt wurde750, hatte einst Heß gemeint, ein allgemein geltender Grundsatz, wann eine Tarifpluralität nicht mehr erstreikbar sei, könne nicht gefunden werden. Es komme vielmehr auf den Einzelfall an. Für das eine Unternehmen könnten schon die Folgen von zwei kurz hintereinander eingeleiteten Arbeitskämpfen schädigend sein, während ein anderes Unternehmen durchaus in der Lage sei, die Arbeitskämpfe mehrerer Gewerkschaften durchzustehen.751 Auch heute mag es noch so sein, dass einzelne Unternehmen auch alternierende Streiks unterschiedlicher Gewerkschaften verkraften könnten. Einen arbeitgeberischen Anspruch auf harmonisierte tarifvertragliche Laufzeiten mag man hier für unangebracht halten. Eine verallgemeinerungsfähige und damit rechtssichere Lösung muss aber von solchen Einzelfällen absehen. So, wie die Rechtmäßigkeit (Verhältnismäßigkeit) eines Arbeitskampfes nach verbreiteter Auffassung nicht dadurch berührt wird, dass einzelne (Grenz-) Betriebe oder Unternehmen – ohne eine entsprechende Absicht – in seiner Folge zusammenbrechen, und zwar auch, wenn dies voraussehbar war und in Kauf genommen wurde752, so kann es auch umgekehrt nicht auf die besondere Stärke einzelner Unternehmen ankommen. Die Lösung muss vielmehr aus Gründen der Rechtssicherheit insoweit vom Einzelfall abstrahieren; das wird hier durch den Anspruch der Arbeitgeberseite auf einen einheitlichen Beendigungszeitpunkt der Tarifverträge sichergestellt. (b) Zu der Forderung nach einer rechtssicheren Lösung liegt ein anderes Postulat der Entwicklung richterrechtlicher Regeln quer. Das Problem der Arbeitskampfpluralität, das aus dem neuen Gewerkschafts- und Tarifwettbewerb erwächst und dem mit der Synchronisierung der Friedens- und Kampfphasen im Wege einer Begrenzung der Streikhäufigkeit beigekommen werden soll, tritt erst gerade neu auf. Einen neuen Problemkomplex aber können die Gerichte kaum bereits in ihren ersten Entscheidungen umfassend und zutreffend bewältigen. Um eine funktionsfähige richterrechtliche Lösung zu entwickeln wird in der Regel vielmehr umfangreiches Fallmaterial gebraucht, das in einem Prozess von Versuch und Irrtum erlaubt, das beste Modell zu finden.753 Gerade dann, wenn richterrechtliches Neuland erobert wird, empfiehlt sich daher eine „Politik der kleinen Schritte“754, eine schrittweise Erarbeitung rechtlicher Maßstäbe755, ein 750
s. o. B. II. 3. a). Heß, ZfA 1976, 45 (77 f.). 752 s. o. B. III. 2. a) und die Nachweise in Fn. 225. 753 Allgemein Langenbucher, Richterrecht, S. 90; für das Arbeitskampfrecht skeptisch U. Fischer, RdA 2009, 287 (289 ff.). 754 Wank, ZGR 1988, 314 (372); s. auch dens., Rechtsfortbildung, S. 127 f., 184 und vor allem S. 206. 755 Kissel, AuR 1982, 138 (141); s. auch G. Müller, AuR 1977, 129 (136); dens., JuS 1980, 627 (635); dens., DB 1981, 93 (100): Vorgehen „Schritt für Schritt“. 751
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„tastendes Vorgehen“756. So können durch neue Prozesse die anstehenden Fragen weiter geklärt und kann die richterrechtliche Lösung nicht zuletzt durch die Auseinandersetzung mit wissenschaftlicher Kritik757 verfeinert werden.758 Jede neue Entscheidung nimmt im Idealfall Bezug auf die vorangegangene und entwickelt sie fort.759 So verschaffen sich die Gerichte wenigstens in gewissem Maße die Reifezeit und das timing, welche komplexe Neuregelungen erfordern und welche ihnen anders als dem Gesetzgeber nicht schon per se zur Verfügung stehen.760 Das „tastende Vorgehen“ ist daher auch ein Gebot des als Gewährleistung sachgerechter Aufgabenbewältigung verstandenen Gewaltenteilungsprinzips. Die hier vorgeschlagene Lösung erfüllt das Postulat des „tastenden Vorgehens“ dadurch, dass bei der Streikbeteiligung Nicht- und Andersorganisierter und bei ihrer Aussperrung, außerdem auch bei der Arbeitskampfrisikolehre761, vorerst „alles beim Alten“ bleibt. Da nach der hier vertretenen Ansicht die Erstreckung der Suspendierungswirkung des gewerkschaftlichen Streikaufrufs auf die Außenseiter von dem dynamisch verstandenen Maßstab der typischen Erforderlichkeit abhängig ist, ist die Streikbeteiligung Nicht- und Andersorganisierter nicht in Stein gemeißelt. Hiermit haben die Gerichte einen Spielraum, um die Lösung durch eine neben die durch die Laufzeitharmonisierung bewirkte Begrenzung der Streikhäufigkeit tretende zusätzliche Begrenzung der Streikintensität ggf., d. h., soweit es zur Verhinderung oder Korrektur gleichwohl eintretender Paritätsverschiebungen erforderlich ist, noch nachzujustieren. Insgesamt erfüllt daher die hier vorgeschlagene Lösung die an eine zulässige Rechtsfortbildung gestellten Anforderungen.
C. Zusammenfassung I. Die Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitskampfrecht steht in der Hauptsache vor der Aufgabe, einer drohenden Verschiebung der Kampfparität zu Lasten der Arbeitgeberseite infolge Vervielfachung der Arbeitskämpfe vorzubeugen. Nicht überzeugen können auf der einen Seite Tendenzen, arbeitskampfrecht756 Ipsen, Richterrecht, S. 204, 216 und vor allem S. 226, 234, ferner S. 240; s. auch Kamanabrou, Die Auslegung und Fortbildung des normativen Teils von Tarifverträgen, S. 112; Picker, JZ 1984, 153 (161): kasuistisch-tastendes Erschließen des Rechts; ferner Scholz, DB 1972, 1771 (1774 f., 1778 f.). 757 Zur Bedeutung des Dialogs zwischen Rechtsprechung und Wissenschaft im Arbeitskampfrecht s. Kissel, RdA 1988, 321 (322 ff.) und Lieb, RdA 1988, 327 (327 f.). 758 Langenbucher, Richterrecht, S. 114; Wank, Rechtsfortbildung, S. 184; s. auch Preis, RdA 1989, 327 (335); Greiner, Rechtsfragen, S. 154. 759 Langenbucher, Richterrecht, S. 114; s. auch Kissel, AuR 1982, 137 (141). 760 Vgl. Wank, Rechtsfortbildung, S. 206. 761 Zu deren Rechtsfortbildungscharakter nur Gamillscheg, KollArbR I, § 27 I. 7., S. 1263.
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lich „alles beim Alten“ zu lassen, und auf der anderen Seite Bestrebungen, einen Streik stets unter Führung nur einer einzigen Gewerkschaft zuzulassen; letztere Vorschläge können vor Art. 9 Abs. 3 GG nicht bestehen und sehen sich, wie auch die Verweisung der konkurrierenden Gewerkschaften auf die obligatorische Bildung einer Verhandlungs- und Tarifgemeinschaft, dem Einwand der Inkonsequenz ausgesetzt, da sie letztlich nicht die Tarifpluralität in das System der Arbeitskampfrechtsordnung integrieren, sondern weithin die überkommene Tarifeinheit im Betrieb konservieren. Nicht praxisgerecht ist der Rückzug allein auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung und auf Rechtsmissbrauchsverbote im Einzelfall. Die vorzugswürdige Lösung lässt sich als kombiniert institutionalisiert-individueller Ansatz charakterisieren. Ihr Herzstück ist eine über einen Anspruch der Arbeitgeberseite gegen die konkurrierenden Gewerkschaften auf Festlegung eines einheitlichen Beendigungszeitpunkts realisierte Laufzeitharmonisierung, die zu zeitlich synchronisierten Friedens- und Kampfphasen führt, Streikkaskaden verhindert und den Arbeitsfrieden sichert; es bleibt bei einzelnen Verhandlungsrunden mit Ergebnissen, die für einen längeren Zeitraum gelten, die Drohkulisse des Dauerarbeitskampfes fällt in sich zusammen. Weitergehende Restriktionen, insbesondere die Pflicht zur Bildung eines gemeinsamen Streikkomitees und ein an das Vorhandensein einer funktionsfähigen Tarifordnung anknüpfender Schlichtungszwang, sind abzulehnen (womit über ein allgemeines, d. h. pluralitätsunabhängiges Schlichtungserfordernis nicht geurteilt ist). II. Die durch die Laufzeitharmonisierung bewirkte Begrenzung der Streikhäufigkeit entschärft das weitere Problem der Streikintensität, mit dem die Frage der Erstreckung der Suspendierungswirkung des gewerkschaftlichen Streikaufrufs auf nicht und anders organisierte Arbeitnehmer angesprochen ist. Zumindest bis auf Weiteres ist auch im pluralistischen Tarif- und Arbeitskampfrechtssystem davon auszugehen, dass die Möglichkeit der Einbeziehung der nicht und auch der anders organisierten Arbeitnehmer in den Streik zur Gewährleistung einer funktionierenden Kampfordnung typischerweise erforderlich ist; auf andere legitimatorische Erwägungen, besonders auf die Frage der Partizipation der Außenseiter am Kampfergebnis (die im Falle der realisierten Tarifpluralität jedenfalls auf Seiten der Andersorganisierten nicht mehr gegeben wäre), kommt es nicht an. Der Maßstab der typischen Erforderlichkeit ist dynamisch. Schon deshalb kann es einen „Grundsatz der arbeitskampfrechtlichen Einheit der Belegschaft“ als eigenständiges, rechtliche Ableitungen gestattendes Rechtsprinzip nicht geben; über das Verhältnis eines solchen vermeintlichen „Grundsatzes“ zur Tarifeinheit oder Tarifpluralität nachzusinnen, ist daher müßig. III. Nicht- und Andersorganisierte können (weiterhin) auch ausgesperrt werden; die Friedenspflicht aus „ihrem“ Tarifvertrag steht der Einbeziehung Letzte-
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rer in „fremde“ Arbeitskämpfe – Streik oder Aussperrung – nicht entgegen. Eine „Wiederbelebung“ der lösenden Aussperrung sollte schon aus grundsätzlichen Überlegungen nicht weiter verfolgt werden. IV. Die Arbeitskampfrisikolehre kann auch unter den Bedingungen eines pluralistischen Tarif- und Arbeitskampfrechtssystems in unveränderter Form Bestand haben. V. Das hiesige Modell kann zulässigerweise im Wege richterlicher Rechtsfortbildung in das bisherige System des Arbeitskampfrechts implementiert werden. Es erfüllt die zentralen, gegenläufigen Forderungen der Rechtssicherheit auf der einen und der Entwicklungsoffenheit und Anpassungsfähigkeit auf der anderen Seite („tastendes Vorgehen“). Auch auf der arbeitskampfrechtlichen Ebene ist somit erwiesen: Die Tarifpluralität lässt sich unter Beachtung der einschlägigen verfassungs-, gesetzes- und richterrechtlichen Vorgaben stimmig in das System der Arbeitsrechtsordnung einpassen.
Schlussbemerkung I. 1. Herschel hat es als ein Charakteristikum des Arbeitsrechts beschrieben, dass sich aus seiner Entwicklung immer wieder die Notwendigkeit ergebe, „das junge Recht in das überlieferte einzufügen“.1 Diesen Einpassungsprozess für das Recht der Tarifpluralität zu fördern, war Ziel der Untersuchung. Sie hat sicher nicht alle Folgeprobleme der Freigabe von Tarifpluralitäten ansprechen können, zumal sich weitere wohl erst nach der nun erfolgten Umsetzung des Paradigmenwechsels als solche zu erkennen geben werden. Es ist zu hoffen, dass durch vertiefte Behandlung einiger besonders wichtiger Fragestellungen zur Vervollständigung des Bildes eines freiheitlicheren und gleichwohl funktionsfähigen Tarifund Arbeitsrechtssystems beigetragen werden konnte. In diesem System kann die Tarifpluralität, flankiert man den tarifkollisionsrechtlichen Paradigmenwechsel durch die sich aus dem jeweiligen systematischen und teleologischen Kontext der einschlägigen verfassungs-, gesetzes- und richterrechtlichen Vorgaben ergebenden Anpassungen und Neuorientierungen in den Bereichen des Arbeitsvertrags-, des Tarif-, Betriebsverfassungs- und Arbeitskampfrechts, ihren Platz finden. Sie ist in ihm kein „Störfaktor“ oder „Fremdkörper“, sondern im Gegenteil ein systemverträgliches und systemstabilisierendes Element der Dialektik von Einheit und Vielheit in einem Gleichgewicht von Ordnung und Freiheit. 2. Lässt sich demnach die Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung einpassen, so ist damit auch belegt, dass der einfache Gesetzgeber die betriebliche Tarifeinheit entgegen Heinze und Ricken nicht normativ in dieser Arbeitsrechtsordnung verankert hat. Zugleich müssen verschiedentlich vorgetragene Forderungen nach einer expliziten Kodifikation der Tarifeinheit unerhört bleiben. Solche Forderungen hat es schon vor den Beschlüssen des 4. Senats des BAG vom 27. Januar und des 10. Senats vom 23. Juni 2010 gegeben2 und sie wurden nun nach der vollzogenen Rechtsprechungsänderung ungleich vehementer an den Gesetzgeber herangetragen. Es konnte nicht mehr wirklich überraschen, dass 1 Herschel, AuR 1976, 225; s. auch jüngst P. Hanau, FS Bauer, S. 385 ff. zur Dynamik des Arbeitsrechts (S. 395 ff. zur Zukunft der Tarifeinheit). 2 Vgl. etwa Göhner, FS Bauer, S. 351 (362 f.); Huke, APuZ 13–14/2010, S. 7 (10); Hundt, FAZ vom 11. 9. 2007, S. 12; Lesch, Industrielle Beziehungen 2008, 303 (327); R. Wolf, SAE Heft 1/2008, S. III; jüngst Brocker, NZA Beilage 3/2010, S. 121 ff.; s. auch den Hinweis von Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (118, Fn. 13; 121, Fn. 27) und dems., NZA Beilage 3/2010, S. 99 (103, Fn. 23) auf einen entsprechenden Präsidiumsbeschluss der BDA; zur Möglichkeit der Festschreibung der betrieblichen Tarifeinheit durch den Gesetzgeber auch Franzen, ZfA 2009, 297 (312 ff.); eine Kodifizierung ablehnend Zachert, Mitbestimmung 4/2008, S. 16 (17).
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nunmehr auch DGB und BDA gemeinsam für eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit nach dem Mehrheitsprinzip („Grundsatz der Repräsentativität“) nebst Erstreckung der Friedenspflicht aus dem danach vorrangigen Tarifvertrag auf konkurrierende Gewerkschaften streiten.3 Eher schon machte die positive Resonanz staunen, die ihr Vorstoß im politischen Raum auslöste. Die Bundesarbeitsministerin und sogar die Bundeskanzlerin sollen dem Anliegen Sympathie entgegenbringen4, ein stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion will notfalls gleich die Verfassung ändern5, auch beim liberalen Koalitionspartner und in den Reihen der SPD stößt das Vorhaben auf offene Ohren6. Gegenüber Kodifizierungsbestrebungen ist schon früher eingewandt worden, eine Normierung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb sei verfassungswidrig.7 Das Gleiche wird jetzt dem gemeinsamen Regelungsvorschlag von DGB und BDA attestiert.8 Aus dem hier eingenommenen Blickwinkel kommt es da3 Gemeinsames Eckpunktepapier von DGB und BDA „Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie sichern – Tarifeinheit gesetzlich regeln“, zu finden unter dem bei Greiner, NZA 2010, 743, Fn. 1 angegebenen Link; außerdem Pressemitteilung Nr. 107 des DGBVorsitzenden Sommer sowie Pressemitteilung Nr. 29/2010 des BDA-Präsidenten Hundt vom 23. 6. 2010; s. auch R. Wolf, ZRP 2010, 199. 4 s. FAZ vom 22. 6. 2010, Nr. 141, S. 13 (Artikel „Das Ende der Tarifeinheit naht“); FAZ vom 24. 6. 2010, Nr. 143, S. 11 (Artikel „Warnungen vor Dauerstreiks“); FAZ vom 19. 7. 2010, Nr. 164, S. 11 (Artikel „Bundesrichterin warnt vor Tarifgesetz“); s. auch Schunder, NZA Beilage 3/2010, S. 97, aber auch Freckmann/K. Müller, BB 2010, 1981 (1985, 1986). 5 s. FAZ vom 25. 6. 2010, Nr. 144, S. 13 (Artikel „Politiker trauern Tarifeinheit nach“); FR vom 24. 6. 2010, Nr. 143, S. 13 (Artikel „Gericht kippt Tarifeinheit“); s. auch Handelsblatt vom 24. 6. 2010, Nr. 119, S. 4 (Artikel „Neuanfang in der Tarifpolitik, Ende eines Monopols“). 6 s. FR vom 24. 6. 2010, Nr. 143, S. 13 (Artikel „Gericht kippt Tarifeinheit“); Die Welt vom 24. 6. 2010, S. 9 (Artikel „Weg frei für Spartengewerkschaften“) sowie den Entschließungsantrag der rheinland-pfälzischen Landesregierung im Bundesrat vom 6. 7. 2010, Bundesrats-Drucksache 417/10; außerdem FAZ vom 19. 7. 2010, Nr. 164, S. 11 (Artikel „Bundesrichterin warnt vor Tarifgesetz“). 7 Band, Tarifkonkurrenz, S. 142; HWK/Henssler, 3. Aufl. 2008, § 4 TVG Rn. 48 a. E. (soweit ersichtlich, nicht mehr in der 4. Aufl. 2010, s. dort § 4 TVG Rn. 58 ff.); Jacobs, NZA 2008, 325 (329); Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1796; ders., Anm. zu BAG 22. 3. 1994 EzA TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 10, S. 12 (14); jüngst Dieterich, GS Zachert, S. 532 (537 f.); anders Schliemann, FS Hromadka, S. 359 (370); ders., FS Bauer, S. 923 (937). 8 Für Verfassungswidrigkeit Greiner, NZA 2010, 743 ff.; Jacobs, Leserbrief „Tarifpluralität in vielen Unternehmen“, FAZ vom 8. 7. 2010, Nr. 155, S. 38; ders., ZRP 2010, 199; Reichold, FAZ vom 1. 7. 2010, Nr. 149, S. 8; ders., Gutachten, S. 9 ff.; s. auch Lipinski/Hund, BB 2010, 1991 (1992); Löwisch, BB Heft 28–29/2010, S. I; Melot de Beauregard, DB Heft 26/2010, S. M 1 sowie I. Schmidt, in: FAZ vom 19. 7. 2010, Nr. 164, S. 11 (Artikel „Bundesrichterin warnt vor Tarifgesetz“) und S. 13 (Interview unter der Überschrift „Ein Gesetz zur Tarifeinheit in dieser Atmosphäre kann nicht gutgehen“); anders ein Ende Juli 2010 vorgelegtes, von der BDA in Auftrag gegebenes, bislang – soweit ersichtlich – unveröffentlichtes Gutachten von Rupert Scholz.
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rauf nicht entscheidend an.9 Jedenfalls ist die akzeptierte Tarifpluralität „näher“ an der Verfassung als jede im Wege der Tarifverdrängung hergestellte Tarifeinheit; da sie sich auch in das System der Arbeitsrechtsordnung einpassen lässt, besteht für eine gesetzliche Festschreibung der Tarifeinheit kein Anlass. 3. a) Der Nachweis, dass die Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung integrierbar ist, lässt auch Vorschläge für vermittelnde Lösungen, die im Letzten jeweils auf eine wenigstens teilweise Konservierung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb hinauslaufen, obsolet erscheinen. Alle diese Bestrebungen10 sind gegenüber der Akzeptanz der Tarifpluralität nachrangig. Das gilt für die Aufrechterhaltung der Tarifeinheit unter Modifizierung ihres Bezugsrahmens, etwa als „Tarifeinheit in der Sparte“, ggf. kombiniert mit einem Austausch des Spezialitätsprinzips als Kollisionsregel gegen einen Grundsatz der Repräsentativität (Mehrheitsprinzip). Es gilt des Weiteren für den Vorschlag Buchners, den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb nur dort anzuerkennen, wo der Arbeitgeber durch arbeitsvertragliche Bezugnahme auf den vorrangigen, sich nach dem Prinzip der betrieblichen Tarifeinheit durchsetzenden Tarifvertrag selbst die Voraussetzungen für eine Umsetzung der Tarifeinheit in seinem Betrieb schafft11, sowie für Modelle, die zwischen – hinzunehmenden – „gewillkürten“ und – bei einem „berechtigten Vereinheitlichungsinteresse“ des Arbeitgebers aufzulösenden – „zufälligen“ Tarifpluralitäten unterscheiden. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesen Konzeptionen, die jede für sich dogmatische Angriffsfläche bieten, erübrigt sich. Abzulehnen ist insbesondere auch der de lege ferenda von Hromadka unterbreitete Vorschlag. Sein Gesetzesentwurf schreibt den Grundsatz der Tarifeinheit fest und bestimmt den anzuwendenden Tarifvertrag nach den überkommenen Spezialitätskriterien der h. M.12 Um den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität Rechnung zu tragen, sieht er vor, den Mitgliedern der Gewerkschaft, deren Tarifvertrag verdrängt wird, zum Ausgleich einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit den Mitgliedern
9 Auch der 4. Senat des BAG lässt jetzt in seinem Anfragebeschluss vom 27. 1. 2010 offen, ob der Gesetzgeber eine die betriebliche Tarifeinheit vorschreibende Regelung schaffen könnte, s. NZA 2010, 645, unter B. I. 3. d) ee) (4) (a) (aa) der Gründe, Rn. 88 des Beschlusses; die Bedeutung der Frage, ob der Tarifeinheitsgrundsatz verfassungswidrig ist, relativiert auch F. Bayreuther, DB Heft 14/2010, S. M 1. 10 Ausführliche Darstellung vermittelnder Ansichten, die für eine alternative oder differenzierende Ausgestaltung der betrieblichen Tarifeinheit eintreten, bei Greiner, Rechtsfragen, S. 312 ff.; zu dessen eigenem Ansatz einer (tarifzuständigkeitsbasierten) dynamisch-repräsentativen Tarifeinheit (a. a. O. S. 337 ff., 348 ff.) s. die kurze Darstellung oben Teil 1, Kapitel 3, unter A. 11 Buchner, BB 2003, 2121 (2125); ders., FS 50 Jahre BAG, S. 631 (635 f.); als Teilelement seines Modells einer „dynamisch-repräsentativen Tarifeinheit“ jetzt auch erwogen von Greiner, Rechtsfragen, S. 353 f. 12 Hromadka, NZA 2008, 384 (389); s. dazu jüngst Dieterich, GS Zachert, S. 532 (536, 537 f., Fn. 20) einerseits, Göhner, FS Bauer, S. 351 (363) andererseits.
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der obsiegenden Gewerkschaft einzuräumen.13 Der Vorsitzende des für das Tarifrecht zuständigen 4. Senats des BAG Bepler hält eine Lösung wie die von Hromadka vorgeschlagene offenbar schon de lege lata für möglich. Man könne erwägen, den Grundsatz der Tarifeinheit nur mit der Maßgabe aufrechtzuerhalten, dass der verdrängende Tarifvertrag im Wege verfassungskonformer Auslegung der §§ 3, 4 TVG auch auf die anders organisierten Arbeitnehmer mit zwingender Wirkung angewendet wird. Als Vorbild könne § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB dienen.14 Gegen diese Vorschläge spricht jedenfalls, dass danach der Arbeitnehmer einen Anspruch allein auf die sich aus dem verdrängenden Tarifvertrag ergebenden Arbeitsbedingungen hat. Auch nach Buchner soll – mit Blick auf das Ziel der Tarifeinheit im Betrieb konsequent – die Bezugnahmeklausel zur arbeitsvertraglichen Anwendung der Bedingungen natürlich nicht des verdrängten, sondern des verdrängenden Tarifvertrages führen. Dies jedoch erscheint aus dem Blickwinkel des Art. 9 Abs. 3 GG kaum weniger bedenklich als die Verweigerung jeglichen tariflichen Schutzes, ignoriert es doch die von den Arbeitnehmern mit ihrem Gewerkschaftsbeitritt getroffene Wahl. Die anders organisierten Arbeitnehmer haben einen Anspruch auf ihre tariflichen Arbeitsbedingungen; die Lehren Beplers und Buchners sowie auch der Regelungsvorschlag von Hromadka bedeuten für sie nicht anders als die „reine“ Lehre der Tarifeinheit im Betrieb eine legitimationslose Fremdbestimmung15. Gegenüber Versuchen, die Tarifeinheit im Betrieb mit Hilfe einer Gleichstellungsverpflichtung des Arbeitgebers gegenüber den an den verdrängten Tarifvertrag gebundenen Arbeitnehmern zu „retten“, ist in Anbetracht der auch dadurch nicht erledigten Bedenken aus Art. 9 Abs. 3 GG die stimmige Einpassung der Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung vorrangig. b) Die von Bayreuther vorgeschlagene Differenzierung zwischen hinzunehmenden sog. „gewillkürten“ und bei einem „berechtigten Vereinheitlichungsinteresse“ des Arbeitgebers aufzulösenden sog. „zufälligen“ Tarifpluralitäten 16 – ähn13 Hromadka, NZA 2008, 384 (388, 390); s. auch schon dens., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 124 (129); dazu jetzt auch Franzen, ZfA 2009, 297 (313, 316). 14 Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (125). 15 Vgl. Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1798; dens., Anm. zu BAG 22. 3. 1994 EzA TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 10, S. 12 (15); in diese Richtung auch F. Bayreuther, BB 2005, 2633 (2640); s. auch Plümpe, Die kleine Gewerkschaft, S. 99 f.; ferner Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (109). 16 F. Bayreuther, NZA 2007, 187 (188 f.); s. auch schon dens., NZA 2006, 642 (643 ff.) und dens., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 130 (140 ff.); ferner dens., NZA 2008, 12 (12 f.) unter Berufung auf LAG Sachsen 2. 11. 2007 LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 80 (Greiner), unter E. IV. 3. a) der Gründe; anders aber noch ders., Tarifautonomie, S. 388 in Auseinandersetzung mit Schliemann. Erwogen, im Ergebnis aber verworfen wird eine ähnliche Differenzierung auch von Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (515 ff.); ablehnend auch Jacobs, NZA 2008, 325.
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liche Ansätze waren bereits zuvor in der Literatur diskutiert worden17 und haben auch gewissen Niederschlag in der Rechtsprechung des 4. Senats des BAG gefunden18 – bedeutet zwar eine Teilaufgabe (für „gewillkürte“ Tarifpluralitäten), aber eben auch eine Teilaufrechterhaltung (für „zufällige“ Tarifpluralitäten bei berechtigtem Vereinheitlichungsinteresse des Arbeitgebers) des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb. Auch ihm gegenüber erscheint daher die stimmige Einpassung der – sei es „gewillkürten“, sei es „zufälligen“ – Tarifpluralität in das System der Arbeitsrechtsordnung prioritär. Die gegen dieses Konzept vorzubringenden dogmatischen Bedenken brauchen daher hier nicht erst entfaltet zu werden.19 4. Die Freigabe der Tarifpluralität ihrerseits bedurfte nicht etwa, wie es teilweise vertreten wurde, eines Tätigwerdens des Gesetzgebers. Der Auffassung, die Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit könne nicht Sache der Rechtsprechung sein, nur der Gesetzgeber könne ein stimmiges Alternativmodell erarbeiten, das allen beteiligten Interessen gerecht wird20, ist entgegenzuhalten, dass die Tarifpluralität, da im TVG angelegt, den durch den Gesetzgeber geschaffenen und daher bereits de lege lata gesetzeskonformen Zustand darstellt. Notwendig ist daher für die Freigabe der Tarifpluralität keine gesetzliche Regelung, sondern nur die Loslösung des BAG von seiner Rechtsfortbildung in Gestalt des Prinzips der zwingenden Tarifeinheit im Betrieb und damit die Rückkehr zum Gesetz, wie
17 Der, soweit ersichtlich, erste Ansatz in dieser Richtung findet sich für Betriebsübergangsfälle (§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB) bei Zöllner, DB 1995, 1401 (1403 f., Fn. 35); weit gediehene Überlegungen dann vor allem bei Schliemann, NZA Sonderbeilage zu Heft 24/2000, 24 (32) und dems., FS Hromadka, S. 359 (372 ff.) sowie bei Wendeling-Schröder, AuR 2000, 339 (341 f.); s. auch schon dies., Anm. zu LAG Niedersachsen 12. 11. 1999 LAGE TVG § 4 Tarifpluralität Nr. 3, S. 5, 12, 14; später jedoch nicht mehr aufgegriffen bei ders. in Kempen/Zachert, § 4 Rn. 188. Des Weiteren Schaub, ArbR-Hdb., § 203 Rn. 66; ders., RdA 2003, 378 (380) und – unter Berufung auf Schaub – Fitting, § 77 Rn. 81; vgl. auch schon den Aufruf zur Suche nach differenzierten Lösungen bei Schaub, BB 1995, 2003 (2005). Ferner Henssler/Heiden, Anm. zu BAG 28. 3. 2006 AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 4, unter VII.; Lehmann, BB 2008, 1618 (1626) und jüngst Richardi, FS Buchner, S. 731 (737). 18 s. BAG 11. 2. 2004 – 4 AZR 94/03 – juris, unter II. 3. b) dd) der Gründe. 19 Für dogmatische Kritik an der Differenzierung zwischen gewillkürten und zufälligen Tarifpluralitäten s. Botterweck, Gewerkschaftspluralismus, S. 77 f.; HWK/Henssler, § 4 TVG Rn. 60; Jacobs, NZA 2008, 325; Reichold, RdA 2007, 321 (325 f.); dens., in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 146 (147); s. ferner Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (113 f.) sowie Insam/Plümpe, DB 2008, 1265 (1269) und zuletzt Lobinger, ZfA 2009, 319 (423) sowie Greiner, Rechtsfragen, S. 314 ff. und Sittard, Tarifnormerstreckung, S. 242; ebenfalls ablehnend Wallisch, FS Löwisch, S. 427 ff., der sich aber für die uneingeschränkte Beibehaltung des Prinzips der Tarifeinheit im Betrieb ausspricht; in diesem Sinne auch Hromadka, in: Lehmann, Tarifverträge der Zukunft, S. 124 (129); gegen Wallisch zutreffend Lobinger, a. a. O., S. 422. 20 Hromadka, GS Heinze, S. 383 (393); s. auch dens., in: FAZ vom 14. 5. 2003, S. 19; Meyer, NZA 2006, 1387 (1391 f.) sowie das Fazit der rechtsvergleichenden Analyse von Lautenschläger, Tarifeinheit, S. 156 f.
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sie jetzt mit den Entscheidungen des 4. und des 10. Senats vom 27. Januar, vom 23. Juni und vom 7. Juli 2010 erfolgt ist. Mit Recht stellte daher schon Jacobs dem Vorwort zu seiner Untersuchung programmatisch die Picker’sche Formel von der „formlosen Kassation kraft besserer Einsicht“21 voran22. Nach hiesiger Ansicht machen auch die Einpassungsprozesse im Arbeitsvertrags-, Tarif-, Betriebsverfassungs- und Arbeitskampfrecht, welche die neue tarifkollisionsrechtliche Weichenstellung begleiten müssen, eine Befassung des Gesetzgebers nicht erforderlich23; sie können sämtlich im Wege der Auslegung oder richterlichen Rechtsfortbildung von der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte, voran des BAG, bewältigt werden. II. 1. Bei den Tarifakteuren hat die nunmehr vom 4. und vom 10. Senat des BAG vollzogene Änderung der Rechtsprechung zur Tarifpluralität ein gespaltenes Echo hervorgerufen. Der Riss verläuft aber nicht zwischen dem Gewerkschafts- und dem Arbeitgeberlager, sondern mitten durch das Gewerkschaftslager. Während der DGB im Verein mit der BDA mit dem dargestellten Vorschlag einer Kodifikation der Tarifeinheit nach dem Grundsatz der Repräsentativität reagierte, haben die tarifpolitisch relevanten Spartengewerkschaften den Rechtsprechungswechsel durchweg begrüßt; auf den Vorstoß von DGB und BDA sowie einen diesen aufgreifenden Entschließungsantrag der rheinland-pfälzischen Landesregierung im Bundesrat vom 6. Juli 201024 haben die Gewerkschaft der Flugsicherung, die GDL, der Marburger Bund, UFO, der Führungskräfteverband Chemie VAA und die Vereinigung Cockpit mit der Beauftragung der Professoren Däubler und Rieble mit der Erstellung eines Rechtsgutachtens reagiert, das untersuchen soll, inwieweit die vorgebrachten Regelungsvorschläge mit nationalem Verfassungs- und europäischem Recht vereinbar sind.25 Auch der dbb beamten21
s. Picker, JZ 1984, 153 (158, 161); bekräftigend Picker, JZ 1988, 62 (73). Jacobs, Tarifeinheit, Vorwort; richtig auch Giesen, NZA 2009, 11 (18): „Die Richter, die das Prinzip der Tarifeinheit im Betrieb entwickelten, haben es in der Hand, das Prinzip auch wieder zu beseitigen.“; Buchner, NZA 2007, 1411: Mit einer Änderung des Richterrechts müsse immer gerechnet werden; Zachert, Mitbestimmung 4/2008, S. 16 (17); zuletzt Greiner, Rechtsfragen, S. 306, 342 f., für den allerdings Bedenken bleiben und der daher eine gesetzgeberische Entscheidung dieser Frage für wünschenswert hält; s. in diese Richtung auch jüngst Thüsing, NZA Beilage 3/2010, S. 104 (107 f.); ders., EWiR 2010, 505 (506); ders., BB Heft 33/2010, S. I. 23 s. aber demgegenüber Bepler, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts 2007, S. 109 (124): Ein Umsteuern in der Frage der Tarifpluralität machte „zahlreiche, möglicherweise nicht ohne eine Gesetzesänderung machbare Anpassungen in anderen Bereichen (z. B. im Betriebsverfassungsrecht oder im Arbeitskampfrecht) nötig“. 24 Bundesrats-Drucksache 417/10 vom 6. 7. 2010; s. schon oben Fn. 6. 25 s. stellvertretend die Pressemitteilungen der GDL, des MB und der VC vom 16. 7. 2010. Aktuelle Gutachten zur Frage der Kodifikation der Tarifeinheit gibt es bereits von Reichold (Gutachten im Auftrag der dbb tarifunion) und von Scholz (im Auftrag der BDA, s. o. Fn. 8). Außerdem hat sich auf Initiative von Preis und Thüsing eine Gruppe von Arbeitsrechtsprofessoren konstituiert, die dem BDA/DGB-Vorschlag eine unabhängige Alternative entgegensetzen will, s. FAZ vom 19. 7. 2010, Nr. 164, S. 11 22
Schlussbemerkung
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bund und tarifunion stellte sich hinter die beiden BAG-Senate und gegen den DGB/BDA-Vorstoß26, dergleichen der Christliche Gewerkschaftsbund27. Verbandspolitisch ist aber auch aus Sicht der DGB-Gewerkschaften28 zu gewärtigen, dass Gewerkschafts- und Tarifwettbewerb, Koalitionspluralismus und, als seine Realisierung, Tarifpluralität auch ihr Gutes haben können. Wettbewerb deckt Missstände auf.29 Er kann als Entdeckungsverfahren begriffen werden, das Anpassungsflexibilität fördert und dessen Ergebnisse man bewusst nicht anstreben könnte.30 Damit ist er gleichsam Quelle der Innovation31, weshalb ein Wettbewerb der Gewerkschaften um innovative Tarifpolitik sinnvoll ist und nicht weiter durch die erzwungene betriebliche Tarifeinheit unterbunden werden darf.32 Den Gefahren, die ein Gewerkschafts- und Tarifwettbewerb, wie jeder Wettbewerb, auch mit sich bringen kann, und die seine rechtliche Einhegung im Grundsatz unabweisbar erscheinen lassen, kann auch ohne eine durch die Rechtsordnung erzwungene Tarifeinheit angemessen begegnet werden: Eine wichtige Rolle (Artikel „Bundesrichterin warnt vor Tarifgesetz“) und Handelsblatt vom 12. 7. 2010, S. 14 (Artikel „Wettlauf gegen das Tarifchaos“) sowie Thüsing, BB Heft 33/2010, S. I; s. zur Frage der „Unabhängigkeit“ dieses Entwurfs aber auch FAS vom 15. 8. 2010 (Artikel „Bezahlte Gutachten“). 26 Pressemitteilung vom 24. 6. 2010 sowie Flugblatt „Tarifautonomie/Nr. 1 Juli 2010“. 27 Pressemitteilungen des CGB vom 23. 6. 2010 und der CGM vom 24. 6. 2010 sowie der DHV vom 14. 6. 2010. 28 Dass auch in diesen die Position, Gewerkschafts- und Tarifpluralität seien Übel, die es per Gesetz zu bekämpfen gelte, nicht von jedem geteilt wird, zeigt die Stellungnahme des Justitiars der IG Metall, Klebe, in: Mitbestimmung 5/2010, S. 44 f.: Die neue Rechtsprechung bringe für die Gewerkschaften keine Nachteile; s. auch dens., AuR 2010, 137 sowie bereits Zachert, Mitbestimmung 4/2008, S. 16 (17, 19): Ein differenzierter Umgang der Rechtsprechung mit dem Grundsatz der Tarifeinheit berge tarifpolitisch mehr Chancen als Risiken. 29 Jacobs, NZA 2008, 325 (330); ders., bei Bepler/U. Fischer/Ubber, BLJ 2007, 139 (140); mit Blick auf den Wettbewerb der nicht organisierten Arbeitnehmer zuletzt Reuter, FS Birk, S. 717 ff. (728); mit Blick auf die Tarifpluralität bereits Reuter, JuS 1992, 105 (107); Salje, Anm. zu BAG 20. 3. 1991 SAE 1993, 79 (81); s. auch Hümmerich/ Holthausen, NZA 2006, 1070 (1078). 30 Zum Wettbewerb als Entdeckungsverfahren s. in unterschiedlichen Zusammenhängen BGH 28. 6. 2006 NJW 2006, 2618, Rn. 28 des Urteils; OLG Düsseldorf 19. 9. 2000 NJW 2001, 686, Rn. 139 des Urteils; Eidenmüller, ZGR 2007, 484 (489); dens., JZ 2009, 641 (648 f.); Fikentscher, GRUR Int 2009, 635 (636); Fleischer, AG 1997, 491 (495); Grundmann, ZGR 2001, 783 (805); Meessen, JZ 2009, 697 (698); dens., WuW 2010, 6; Möschel, AG 1998, 561 (563); Oebbecke, DÖV 2007, 177 (185); Oppermann/ S. Müller, GRUR 2005, 280 (284); Reuter, FS Böhm, S. 521 (530 f.); Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 60; Säcker, AG 2004, 180 (181); Spindler, AG 2006, 677 (678); Zöllner, GmbHR 2006, 1 (11) und aktuell Becker/Kingreen, NZS 2010, 417 (418) m.w. N. 31 s. auch Koop, Tarifvertragssystem, S. 44; in anderen Zusammenhängen Becker/ Kingreen, NZS 2010, 417 (418); Eidenmüller, JZ 2009, 641 (648). 32 Rieble, ZfA 2005, 245 (256); s. auch dens., BB 2004, 885; im Ansatz anerkennend auch Heinze/Ricken, ZfA 2001, 159 (178).
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Schlussbemerkung
spielen hier das Erfordernis der sozialen Mächtigkeit als Voraussetzung der Tariffähigkeit von Arbeitnehmerkoalitionen, das die für den Fall der Freigabe von Tarifpluralitäten teilweise befürchtete Wiederkehr des vorkoalitionsrechtlichen Unterbietungswettbewerbs der Arbeitnehmer nunmehr auf kollektiver Ebene verhindert33, sowie die zur Einpassung der Tarifpluralität in das Arbeitskampfrecht vorgeschlagenen Neujustierungen, welche die Gefahren einer mit der Tarifpluralität ggf. einhergehenden „Arbeitskampfpluralität“, besonders die Gefahr einer „Dauerbestreikung“, einzudämmen geeignet sind. Der Regelungsvorschlag von DGB und BDA läuft darauf hinaus, gewerkschaftliche Arbeit dort zwangsweise zu unterbinden, wo sie besonders erfolgreich ist, wo Gewerkschaften neu gegründet werden und erhebliche Mitgliederzuwächse verzeichnen.34 Das ist nicht der richtige Weg. Ein Beispiel könnte man sich an der Position des dbb beamtenbund und tarifunion nehmen, der erkannt hat, dass die neue Rechtsprechung der Weiterentwicklung der Tariflandschaft Rechnung trägt und die nicht aufzuhaltende Ausdifferenzierung der Berufswelt und der Interessen der Arbeitnehmer widerspiegelt. Zwar bringe gewerkschaftliche Pluralität auch Spannungsfelder zwischen den jeweiligen Einzelinteressen mit sich, es obliege aber den Sozialpartnern, Ausgewogenheit zwischen den unterschiedlichen Beschäftigtengruppen zu erreichen.35 Demgegenüber wollen DGB und BDA zurückdrängen, was nicht mehr zurückzudrängen ist.36 2. Wie Buchner zutreffend bemerkt37, ist auch von den Befürwortern der Tarifpluralität anerkannt, dass die betriebliche Tarifeinheit berechtigten personal-, tarif-, verbands- und ordnungspolitischen Belangen entsprechen kann.38 Wer daher Tarifpluralität verhindern will, muss sie tarifpolitisch bekämpfen.39 Solidarität kann man nicht von oben verordnen.40 Die Tarifeinheit darf daher nicht von Rechts wegen garantiert, sondern muss von den Tarifvertragsparteien dadurch 33 s. auch aktuell den Hinweis von I. Schmidt, FAZ vom 19. 7. 2010, Nr. 164, S. 13 (Interview unter der Überschrift „Ein Gesetz zur Tarifeinheit in dieser Atmosphäre kann nicht gutgehen“). 34 Greiner, NZA 2010, 743. 35 Pressemitteilung vom 24. 6. 2010 sowie Flugblatt „Tarifautonomie/Nr. 1 Juli 2010“. 36 Reichold, FAZ vom 1. 7. 2010, Nr. 149, S. 8; s. zuletzt auch treffend Jacobs, ZRP 2010, 199: „Die Tarifeinheit im Betrieb ist tot, und kein Gesetz wird sie wieder zum Leben erwecken.“. 37 Buchner, NZA 2007, 1411. 38 s. etwa P. Hanau, NZA 2003, 128 (132); Reuter, JuS 1992, 105 (110); Richardi, FS Wißmann, S. 159 (171); dens., Anm. zu BAG 28. 3. 2006 RdA 2007, 117 (120); Wiedemann/Arnold, ZTR 1994, 443 (448); Winzer, Tarifgeltung, S. 13; Witzig, Tarifeinheit, S. 42, 50; s. auch G. Müller, Arbeitskampf und Recht, S. 60; zuletzt erneut Richardi, FS Buchner, S. 731 (734) sowie Franzen, ZfA 2009, 297 (306 f.). 39 Jacobs, NZA 2008, 325 (330); jüngst erneut ders., FS Buchner, S. 342 (344). 40 Jacobs, NZA 2008, 325 (329); s. auch Koop, Tarifvertragssystem, S. 298; Rieble, ZAF 2005, 218 (222); nicht überzeugend daher Nielebock, FS ZVK-Bau, S. 107 (111).
Schlussbemerkung
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verdient werden, dass sie keiner Arbeitnehmergruppe im Geltungsbereich ihrer Tarifverträge Anlass geben, nach Alternativen zu suchen.41 Gerade für die Tarifakteure kommt es also darauf an, was sie aus dem neuen Wettbewerb machen. Vor allem die Mitgliedsgewerkschaften des DGB müssen die Ursachen für ihre schwindende Bindungsfähigkeit näher in den Blick nehmen, anstatt konkurrierende (und erfolgreiche) Organisationen auf juristischem Wege zu attackieren.42 Der notwendige Anpassungsdruck darf den Sozialpartnern nicht durch die erzwungene Tarifeinheit erspart werden; nur wenn die Arbeitnehmer über Alternativen verfügen, können die Tarifvertragsparteien sich nicht zu Lasten von Minderheiten einigen, sondern müssen Lösungen suchen, die allen Betroffenen gerecht werden.43 Dort, wo das nicht gelingt, teilweise vielleicht auch nicht (mehr) gelingen kann, weil die Interessenlagen auf Arbeitnehmerseite zu sehr ausdifferenziert sind, lässt sich nach den Ergebnissen der vorgelegten Untersuchung aber auch die Tarifpluralität ohne Systembrüche in die Arbeitsrechtsordnung integrieren. Dem BAG, insbesondere seinem 4. Senat, gebührt daher Respekt dafür, dass er die Kraft aufgebracht hat, „den Entwicklungen geänderter Tarifwelten mutig voranzuschreiten“44, indem er den verfassungs- und einfachrechtlichen Vorgaben Rechnung getragen und das Prinzip der Tarifeinheit im Betrieb zugunsten der Tarifpluralität aufgegeben hat.
41 Reuter, JuS 1992, 105 (110); s. auch Jacobs, NZA 2008, 325 (329 f.); Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2007/2008, Nr. 555, S. 364: Die Gewerkschaften sollten besser als bisher den Interessen aller Berufsgruppen Rechnung tragen, so dass der Anreiz, Spartengewerkschaften zu gründen, schwindet; Lesch, Industrielle Beziehungen 2008, 303 (326); Schroeder/ Greef, Industrielle Beziehungen 2008, 329 (347 f.). Eindringlich auch Däubler, Anm. zu LAG Hessen 22. 7. 2004 und LAG Rheinland-Pfalz 22. 6. 2004 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 168 und Nr. 169, unter VI.; s. auch Dieterich, KJ 2008, 71 (75); Zachert, Mitbestimmung 4/2008, S. 16 (19) und jetzt F. Bayreuther, ZfA 2009, 747 (760) sowie Greiner, Rechtsfragen, S. 3; skeptisch aber jüngst Loritz, FS Buchner, S. 582 (592, mit Fn. 31). 42 Jacobs, Leserbrief „Tarifpluralität in vielen Unternehmen“, FAZ vom 8. 7. 2010, Nr. 155, S. 38; ders., ZRP 2010, 199. 43 Reuter, JuS 1992, 105 (110). 44 So der Appell von Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 (517) vor der Rechtsprechungsänderung; s. auch Reichold, RdA 2007, 321 (322).
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– Richterrechtliche Regulierung und Ausgleich der Interessen beim Arbeitskampf – Bilanz und Perspektiven –, in: Oetker, Hartmut/Preis, Ulrich/Rieble, Volker (Hrsg.) – 50 Jahre Bundesarbeitsgericht, München 2004, S. 577–593 – Gesetzliche Regelungen des Streikrechts?, in: DRiZ 2007, S. 341 – Anmerkung zu BAG 22. 10. 2008 – 4 AZR 784/07 –, in: AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 66 – Interview, in: Mitbestimmung Heft 4/2008, S. 16–19 – Der Streik der Lokführer und die Phantasie der Juristen, in: Schubert, Jens M. (Hrsg.) – Sozialer Dialog in der Krise – Social dialogue in crisis?, Liber amicorum Ulrike Wendeling-Schröder, Baden-Baden 2009, S. 23–33 (zitiert: Liber amicorum Wendeling-Schröder) – Einheitsgewerkschaft und Koalitionspluralismus – ein schwieriger Spagat, in: Baeck, Ulrich/Hauck, Friedrich/Preis, Ulrich/Rieble, Volker/Röder, Gerhard/Schunder, Achim (Hrsg.) – Festschrift für Jobst-Hubertus Bauer zum 65. Geburtstag, München 2010, S. 1195–1206 Zerres, Thomas: Fortgeltung tarifvertraglicher Regelungen beim Betriebsübergang im Falle arbeitsvertraglicher Bezugnahme, in: NJW 2006, S. 3533–3537 Zeuner, Albrecht: Gedanken zum Verhältnis von Richterrecht und Betätigungsfreiheit der Beteiligten, in: Gamillscheg, Franz/Hueck, Götz/Wiedemann, Herbert (Hrsg.) – 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, München 1979, S. 727–744 Zippelius, Reinhold: Juristische Methodenlehre, 10. Auflage, München 2006 Zmarzlik, Johannes/Anzinger, Rudolf: Jugendarbeitsschutzgesetz, Kommentar, 5. Auflage, München 1998 Zöller, Richard: Zivilprozessordnung, Kommentar, 27. Auflage, Köln 2009 Zöllner, Wolfgang: Tarifmacht und Außenseiter, in: RdA 1962, S. 453–459 – Die Sperrwirkung des § 59 BetrVG, in: Dietz, Rolf/Hübner, Heinz (Hrsg.) – Festschrift für Hans Carl Nipperdey zum 70. Geburtstag 21. Januar 1965, Band II, München/Berlin 1965, S. 699–720 – Die Fortentwicklung des Richterrechts zum Arbeitskampf, insbesondere zur Aussperrung, in: DB 1985, S. 2450–2459 – Die Zulässigkeit einzelvertraglicher Verlängerung der tariflichen Wochenarbeitszeit, in: DB 1989, S. 2121–2126 – Einführung, in: Lieb, Manfred/von Stebut, Dietrich/Zöllner, Wolfgang (Hrsg.) – Arbeitskampfrecht, Symposion Hugo Seiter zum Gedächtnis, Berlin 1990, S. 11–20 – Materielles Recht und Prozeßrecht, in: AcP 190 (1990), S. 471–495 – Veränderung und Angleichung tarifvertraglich geregelter Arbeitsbedingungen nach Betriebsübergang, in: DB 1995, S. 1401–1408 – Gerechtigkeit im Arbeitsverhältnis, in: Köbler, Gerhard/Heinze, Meinhard/Hromadka, Wolfgang (Hrsg.) – Europas universale rechtsordnungspolitische Aufgabe im Recht des dritten Jahrtausends, Festschrift für Alfred Söllner zum 70. Geburtstag, München 2000, S. 1297–1322
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Sachwortverzeichnis AGB-Gesetz 174 ff., 207 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz 96 ff., 149 ff., 319 (Fn. 81) Allgemeinverbindlicherklärung 36 (Fn. 6), 101, 103 ff., 109 ff., 121 ff., 277 (Fn. 158), 345, 355 f. Altersdiskriminierung 149 (Fn. 275) Anerkennungsmodell (Großbritannien) 528 f., 592 (Fn. 385) Anerkennungstheorie 348 Anfragebeschluss 35 f., 38, 43, 44 (Fn. 49), 48, 57 (Fn. 11, 12), 93 (Fn. 126), 94, 119 (Fn. 118), 148 (Fn. 267), 162 (Fn. 6), 197, 258, 261, 288, 289 (Fn. 232), 306, 516, 547, 555 (Fn. 218), 671 (Fn. 9) Anscheinsbeweis 151 Anschlusstarifvertrag 293 Arbeitnehmer-Entsendegesetz 39, 65 (Fn. 46), 80, 85, 113 f., 115, 123 (Fn. 143), 277 (Fn. 158), 422 Arbeitnehmerschutzprinzip 484 f. Arbeitsbedingungen – Allgemeine 339, 607 (Fn. 451) – formelle und materielle 434 ff., 468, 504 Arbeitskampfbereitschaft 519, 611 Arbeitskampfparität 519, 521, 526 ff., 570 f., 575, 608 f., 619 f., 639, 642 f., 645, 648, 650 Arbeitskampfrecht 52, 53, 288, 297 ff., 299 ff., 510 ff. Arbeitskampfrisikolehre 601 f. (Fn. 420), 640 f., 645 ff., 666 Arbeitslosengeld 607 Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel s. Bezugnahmeklausel
Arbeitszeit 80, 235, 380, 383 f., 385 ff., 467 f. Arglisteinwand 138 AT-Angestellte 462 Auslegung – von Bezugnahmeklauseln 166 ff. – von Tarifnormen 317 Ausschlussfristen 131, 135, 136 Außenseiterwettbewerb 277 f., 675 (Fn. 29) Außerordentliche Kündigung von Tarifverträgen 538, 557 Aussperrung 632 ff., 653, 666 – „kalte“ 641 – lösende 643 ff., 652 (Fn. 670) – selektive 609 (Fn. 460), 633 (Fn. 561), 634 (Fn. 568), 637 (Fn. 584), 642 (Fn. 617) Auswahlrichtlinien 85 f., 365 Autonomietheorie 347 ff. Balkanisierung 52, 513, 521, 540, 545, 546 Bargaining unit 71 (Fn. 6), 529, 589, s. auch Verhandlungseinheit BAT s. Bundes-Angestelltentarifvertrag Baugewerbe 104 ff., 109, 112 ff., 119 BDA 47 (Fn. 76), 297, 669 (Fn. 2), 670, 674 ff. BDSG s. Datenschutz Befristete Tarifverträge 525 f., 532, 580 ff. Begriffsjurisprudenz 133 (Fn. 200) Belgien (Rechtsvergleichung) 589 Bergmannsversorgungsschein-Beschluss 349 ff.
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Sachwortverzeichnis
Berufsgewerkschaft 196 f. (Fn. 205), 512 (Fn. 16), 631 Berufsgruppentarif 168, 196 f. Beschäftigungssicherung 470, 494 (Fn. 287) Besetzungsregelungen s. Qualitative Besetzungsregelungen Bestimmtheitsgebot 202 (Fn. 234), 353 ff. Betrieb s. Betriebsbegriff Betriebliche Mitbestimmung 52, 79, 414 ff. Betriebliche Normen s. Betriebsnormen Betriebliches Bündnis für Arbeit 494 (Fn. 287) Betriebsabsprachen 436 ff., 446, 447, 458 (Fn. 122), 459 (Fn. 124, 127), 460 (Fn. 129), 468, 474 (Fn. 187), 478 (Fn. 205), 503 (Fn. 326) Betriebsbegriff 106 (Fn. 67), 324 ff. Betriebsbuchhaltung s. Rechnungswesen Betriebsfrieden 524, 602 Betriebsnormen 51, 59, 63, 64, 65 (Fn. 46), 67 (Fn. 54),81 f., 85 f., 90 f., 305 ff., 384 ff., 418, 470, 504 ff., 555 Betriebsrisiko 645 ff., 649 Betriebsstilllegung 647 f. Betriebsübergang 37 ff., 87 ff. Betriebsverfassungsnormen 59, 60 f., 63, 64, 67 (Fn. 54), 81 f., 83, 84, 85 f., 384 ff., 418, 470, 492 f. Betriebsverfassungsrechtliche Normen s. Betriebsverfassungsnormen Bezugnahmeklausel 41 ff., 51, 90, 101, 128, 136, 161 ff., 294, 603 ff., 613 f., 625 ff., 635, 672 Billigkeitskontrolle 240 ff. Blitzaustritt 153 ff. Blitzschutzanlagen-Fall 35 Branchengewerkschaft 49, 286, 295, 395, 521, 534 ff., 553, 572, 579, 620, 629, 644 Branchentarifvertrag 168, 197, 274, 606, 653 Bundes-Angestelltentarifvertrag 197
Bundesdatenschutzgesetz s. Datenschutz Chancengleichheit konkurrierender Gewerkschaften 440 f., 457, 475 Christliche Gewerkschaft Metall 40, 217, 292, 401, 497 (Fn. 307), 613 – Tariffähigkeit 40, 217, 292 Christlicher Gewerkschaftsbund 675 CGZP 298 (Fn. 277), 390 (Fn. 39) DAG 197, 481 (Fn. 227), 541 Daseinsvorsorge 512, 539 Datenschutz 97 (Fn. 17), 101 Dauerschuldverhältnis 224 dbb beamtenbund und tarifunion 674 f., 676 Delegation 347 ff. Delegationsnorm 349 ff. Delegationstheorie 348 Demokratieprinzip 126, 315 (Fn. 58), 344 f., 346 ff., 558 (Fn. 230), 562 Deutsche Angestelltengewerkschaft s. DAG Deutsche Bahn AG 49, 136, 139 f. (Fn. 226), 281 (Fn. 176), 283, 512, 514, 521 (Fn. 58), 599 (Fn. 407), 626 DGB 166 f., 284 ff., 297, 395 f., 476, 541 (Fn. 147), 563 (Fn. 252), 579, 620, 670, 674 ff. Differenzierungsklausel 460 (Fn. 131) Diskriminierungsverbote 97 (Fn. 17), 98 f., 148 ff., 244, 407 ff., 457 ff. Dogmatik (Begriff) 50 f. (Fn. 95) Doppelnormen 91, 363 (Fn. 297), 370 ff., 385 f. (Fn. 23), 389 (Fn. 34), 419, 435 (Fn. 84), 443, 467 Durchsetzungsfähigkeit s. Mächtigkeit EDV 50 Einheit der Belegschaft – arbeitskampfrechtliche 296, 570 f., 611, 613, 630 ff., 643, 645, 652 – tarifrechtliche 296
Sachwortverzeichnis Einheitlicher Gewerkschaftsbegriff 40, 276 (Fn. 151) Einheitsgewerkschaft 287 (Fn. 217), 295 Einschätzungsprärogative 559 Einstweilige Verfügung 516 (Fn. 38) Einwirkungspflicht 616 „Englische Verhältnisse“/„Englische Krankheit“ 513 (Fn. 27), 545, 594 Equal pay und equal treatment 407 ff. Ermittlung der Gewerkschaftszugehörigkeit 47 f., 51, 94 ff. Erosion der Tarifeinheit 37 ff. Existenzgefährdung 536 f., 556 f. Fernbleiberecht 344 f. Feststellungsklage 183 ff. Finnland (Rechtsvergleichung) 589 Firmentarifvertrag s. Haustarifvertrag Flashmob 511, 542 f. (Fn. 157), 562 (Fn. 246), 663 (Fn. 737) Fortgeltung von Tarifnormen nach Betriebsübergang 37 f., 87 ff. – individualrechtliche/kollektivrechtliche 38, 93 (Fn. 126) Fragerecht des Arbeitgebers 51, 94 ff., 127 ff., 233 f., 634 f. Frankreich (Rechtsvergleichung) 590 Freiwilligkeitsvorbehalt 229 Friedenspflicht 519 f., 522 ff., 548 ff., 577 ff., 599, 612 ff., 637, 653 f., 670 Führungskräfteverband Chemie VAA 674 Funktionseliten 286, 296 (Fn. 271), 602 Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems 510, 603, 608 ff., 617 ff., 628, 631, 638 ff., 642, 650 Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems 71, 73, 74, 153 f., 251 ff., 266 ff., 475, 495, 497, 510, 523 f., 568, 575, 660 GDBA 165, 599 (Fn. 407) GDF s. Gewerkschaft der Flugsicherung
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GDL s. Gewerkschaft Deutscher Lokführer Gefälligkeitstarifvertrag 217, 401 f., 487 (Fn. 260) Gegenbegriffe 326 ff. Gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien 36 (Fn. 6), 103 ff., 392 (Fn. 57) – Beitragseinzugsverfahren 103 ff. – Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität 36 (Fn. 6), 107 ff. Gemeinwohl 512 Gerechtigkeit 243, 271 (Fn. 126), 392, 561 f. – ausgleichende 243 – austeilende 243 – Lohngerechtigkeit 149 (Fn. 275), 271 (Fn. 126) Geschäftsgrundlage s. Störung der Geschäftsgrundlage Gesetzeskonkurrenz 55 Gesetzeslücke 48, 260 f., 391 Gesetzessinntheorie 134 (Fn. 206), 135 (Fn. 209), 393 (Fn. 60), 423 (Fn. 32) Gesetzesvorrang 431 Gesetzliche Regelung der Tarifeinheit 50, 297, 669 ff. Gewaltenteilung 558 (Fn. 230), 655, 657, 660 f., 664, 666 Gewerkschaft der Flugsicherung 284, 541 (Fn. 148), 674 Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste 294 (Fn. 258) Gewerkschaft Deutscher Lokführer 136, 139 f. (Fn. 226), 165, 196 f. (Fn. 205), 284, 512, 563 (Fn. 252), 674 Gewerkschaftsbeiträge 100 Gewerkschafts-Hopping 51, 152 ff., 465 f. (Fn. 147) Gewerkschaftspluralität 79, 301, 414, 488, 494 (Fn. 287), 599, 675 Gleichbehandlung 135, 241 ff., 406, 457 ff., 612, 618, 629 – Gleichbehandlungsgrundsatz 241 ff., 457 ff., 460 f.
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Sachwortverzeichnis
– in der Reihe/in der Zeit 135 – von Leih- mit Stammarbeitnehmern s. Equal pay und equal treatment Gleichstellungsabrede 41 f., 136, 145, 164, 191, 230 Großbritannien (Rechtsvergleichung) 285 (Fn. 204), 528 f., 541 (Fn. 148, 149), 588 ff. Grundrechtsausgestaltung 72 ff., 253 ff., 255 ff., 475, 523 ff. – Abgrenzung zum Grundrechtseingriff 73 ff., 254 ff., 524, 573 ff. Gruppenegoismus 282, 283 f., 288, 521, 552, 563 (Fn. 252), 597 Günstigkeitsprinzip 114, 117 (Fn. 112), 136, 140, 162, 163, 198, 226, 232, 234, 277 (Fn. 158), 287, 295 (Fn. 262), 392 (Fn. 57), 396, 429 ff., 433 ff., 452, 457 f., 474 (Fn. 189), 506, 605 Haustarifvertrag 110, 136, 201, 203, 217, 218, 223, 236, 302, 502 (Fn. 317), 511, 520, 617 – Erstreikbarkeit 511, 520 – Vorrang gegenüber Verbandstarifvertrag 203 HBV 481 (Fn. 227) IG BCE 285 (Fn. 200), 295 (Fn. 262) IG Medien 572 IG Metall 105, 161 (Fn. 2), 302, 497 (Fn. 307), 502 (Fn. 317), 613 Indienstnahme der Koalitionen 122 ff. Institutsgarantie 124 (Fn. 149) Italien (Rechtsvergleichung) 589 IT-Betreuer 514, 541 Kartellfunktion 75, 76, 277 Kassation kraft besserer Einsicht 297, 632 (Fn. 560), 674 Kernbereichslehre 39 Klageänderung 190 Kleinbetrieb 150 (Fn. 282), 405 ff. Kliniken 541
Koalitionsfreiheit 71 ff., 78, 81, 88, 97 (Fn. 17), 152, 287, 474, 529 f., 532, 548, 550, 573 ff. – als Diskriminierungsverbot 97 (Fn. 17), 432, 487, 629 – als Freiheitsrecht 122, 267 ff., 555 – als normgeprägtes Grundrecht 254 ff. – negative 88 f. (Fn. 104), 90 ff., 278, 344 f., 347, 472 (Fn. 179) Koalitionspluralismus 120, 268, 277, 293, 414, 457, 565 ff., 592 (Fn. 386), 594, 629, 675 Koalitionswettbewerb 76, 297, 565, 629 Kollektives Betteln 527 Kollektivnormen 51, 59, 62, 63, 65, 69, 81, 305 ff., 384 ff., 471 ff., 492 ff., 593 Kollusion 401 f. Kompetenz-Kompetenz der Tarifparteien 357 ff. Konkurrenzparadoxon 75 Konzern s. Tarifeinheit im Konzern Kündigungsfristen 404 ff. Kurzarbeitergeld 607 Lagerdenken 476 (Fn. 196) Laufzeitharmonisierung 522 ff., 569 ff., 615, 621 ff., 654 Legitimation – Begriff 347 – der Tarifnormsetzung (mit Außenseiterwirkung) 346 ff. – Lehre vom Vorrang der mitgliedschaftlichen Legitimation (Auflösung von Tarifkonkurrenzen) 114, 491, 496, 501 Leiharbeit – Gleichbehandlung s. Equal pay und equal treatment – Leiharbeitsrichtlinie 398 (Fn. 85), 408 (Fn. 126), 409 ff., 412 (Fn. 145) – Tarifverträge 294 (Fn. 258), 298, 299 (Fn. 280), 407 ff. Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers 145 f., 163, 165, 195, 204 ff., 627 Leistungsprinzip 287 (Fn. 215)
Sachwortverzeichnis Lohnausgleichskasse 112 Lohngerechtigkeit s. Gerechtigkeit Luftverkehr 514, 541, 633 Mächtigkeit 51, 77, 213, 251 ff., 291 ff., 397 ff., 484 f., 488, 490 f., 519, 553, 560, 610, 676 Majorisierung 284, 287 (Fn. 217) Manteltarifvertrag 470 Marburger Bund 197 f., 563 (Fn. 252), 674 Marktbeherrschende Stellung 512 (Fn. 20) Maßregelungsverbot 95, 96, 148 ff. Median-Wähler 284 Mehrheitsprinzip 64 f., 70, 77, 156 (Fn. 314), 270 (Fn. 119), 290, 294, 373, 422 (Fn. 27, 28), 432, 470, 475, 492, 670, 671 Meistbegünstigungsklausel 599 f., 625 f. Minderheitsgewerkschaften 40, 395, 494 (Fn. 287), 518 f., 551 ff., 579 Mindestarbeitsbedingungengesetz 39 (Fn. 22) Mischbetrieb 219 Mitbestimmung s. Betriebliche Mitbestimmung Mitgliederverluste der Gewerkschaften 161, 295, 476, 620 Mitgliedschaftsauskunftsklausel 158, 216, 220, 231, 578, 635 Monopolkommission 40 (Fn. 64), 281 (Fn. 174), 282 (Fn. 180), 522 (Fn. 61), 538 (Fn. 127), 543 f. (Fn. 162), 565 f. (Fn. 262), 569 (Fn. 281), 573 (Fn. 304), 576 (Fn. 316), 597 (Fn. 402), 633 (Fn. 561) Monopolstellung s. Marktbeherrschende Stellung
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Negative Tarifvertragsfreiheit 344 f. Negativer Wettlauf 282, 288, 544 (Fn. 163) Niederlande (Rechtsvergleichung) 589 Normsetzungsprärogative 125, 403, 474 (Fn. 187), 475, 499 Notdienstvereinbarungen 533, 585 ff., 595, 598 Notwehrlüge 144 (Fn. 254) Obiter dictum 37 (Fn. 15), 49, 182, 191, 198 (Fn. 214), 434 (Fn. 80) Obliegenheit 127 ff., 130 ff., 587 – Begriff 131 – zur Offenbarung der Gewerkschaftszugehörigkeit 127 ff., 130 ff. Offenbarungspflicht 95 Öffnungsklauseln 417, 470, 490 ff. Ordnungsfunktion des Tarifvertrages 122 ff., 270 Österreich (Rechtsvergleichung) 591 f. OT-Mitgliedschaft 154 (Fn. 303) Partizipation 603 ff., 625 ff., 638, 646, 648 f., 650 f. Partizipationsarbeitskampf 511, 617 Perplexität 170 Personalverwaltung 46, 141 ff. Persönlichkeitsrecht 98 f. Pfändungsfreigrenzen 137 (Fn. 220) Politik des Gesetzes 402 Politischer Arbeitskampf 562 Portugal (Rechtsvergleichung) 589 Praktische Konkordanz 304, 524 f., 530, 575 Priorität 156 (Fn. 313), 169 f., 191 Prozessökonomie 187 f. Qualitative Besetzungsregelungen 331
Nachbindung 38, 155 ff., 606 Nachweisgesetz 237 (Fn. 398), 248 Nachwirkung 37, 235 (Fn. 390), 428 Negative Koalitionsfreiheit s. Koalitionsfreiheit
Rechnungswesen 141 ff. Recht auf Arbeit 98 f. Recht zur Lüge 144 Rechtsetzungsgemeinschaft 56, 432, 483
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Sachwortverzeichnis
Rechtsfortbildung 48, 53, 186, 260, 511, 542, 564 (Fn. 254), 594, 653, 655 ff. – gesetzesimmanente 261 – gesetzesübersteigende 261 – gesetzesvertretende 524, 643, 659, 661 – Grundsatz der Tarifeinheit als 48, 260, 673 Rechtsklarheit 73, 289, 516 Rechtsmissbrauch 537 f., 557 ff., 576 Rechtsprechungsänderung – zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln 41, 229 – zur Tarifeinheit/Tarifpluralität 35 ff., 46, 48, 53, 614 Rechtssicherheit 73, 218, 289, 483, 487 f. (Fn. 260), 516, 557 ff., 594, 620 (Fn. 515), 649, 664 f. Rechtsstaatsprinzip 315 (Fn. 58), 344 f., 346 ff., 558, 562 Rechtsvergleichung 528 f., 588 ff. Regelungsabreden s. Betriebsabsprachen Regelungslücke s. Gesetzeslücke Relativität der Begriffsbildung 325 Repräsentationsprinzip s. Mehrheitsprinzip Repräsentativität 77 (Fn. 45), 163, 168 f., 191, 389 ff., 398, 422 (Fn. 28), 479, 480 ff., 492, 670, 671 Revisionsklausel 599 f. Richtigkeitsgewähr 212, 215 (Fn. 303), 223, 278, 382, 399 Rosinentheorie 81, 176, 181 Sachgruppenvergleich 198, 200, 396 (Fn. 77), 605 Sachverständigenrat 45, 47 (Fn. 76), 155 (Fn. 309), 192 f. (Fn. 182), 283, 597 (Fn. 402), 677 (Fn. 41) Sanierungstarifvertrag 136, 494 (Fn. 287) Sanktionstheorie 351 (Fn. 243) Schichtsysteme 380 Schlichtung 530, 534 ff., 538, 584, 596 f.
Schlüsselpositionen 275, 281, 539, 640 Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 207 Schutzpflicht 73, 390 Schweden (Rechtsvergleichung) 589 Sekundäre Gewerkschaftsrechte 40 f., 276 (Fn. 151) Single table bargaining 528, 531 Solidarität 285 f., 552, 566, 594, 601 ff., 626, 648 (Fn. 654), 676 Sozialauswahl 365 Sozialauswahlrichtlinien s. Auswahlrichtlinien Soziale Mächtigkeit s. Mächtigkeit Sozialkassen s. Gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien Sozialplantarifvertrag s. Tarifsozialplan Spanien (Rechtsvergleichung) 528 f. Spartengewerkschaft 49, 168, 196 f. (Fn. 205), 274 f., 280, 281 ff., 395, 476, 512, 518, 521, 526, 534 ff., 538, 551 ff., 572, 579, 602, 606, 619, 628, 674 Spartentarifvertrag 274 f., 606, 628 Spezialistengewerkschaft s. Spartengewerkschaft Spezialität 43, 47, 65 (Fn. 46), 163, 168, 191, 201 Spezialitätsprinzip 43, 47, 64, 65 (Fn. 46), 70, 77, 105, 107 f., 112 f., 115, 118, 120 f., 156, 202 ff., 270 (Fn. 119), 283 (Fn. 184), 373, 432, 475, 550, 671 Standortverlagerung 633 Störung der Geschäftsgrundlage 153 (Fn. 302), 154 f., 224 (Fn. 348), 580 (Fn. 330), 659 (Fn. 718) Streikkaskaden 301, 522, 545, 559, 569, 573, 575, 577 f., 598, 616 Strukturelle Unterlegenheit des Arbeitnehmers 73 ff., 129 f., 268, 270, 271, 278, 290, 561 Syllogismus 318 Symmetrie 637 (Fn. 583) Sympathiestreik s. Unterstützungsstreik Synallagma 81, 223
Sachwortverzeichnis Synchronisation von Friedenspflichten s. Laufzeitharmonisierung System – Begriff 267 f. (Fn. 106) – bewegliches 399 f. Systemgerechtigkeit 215 (Fn. 301) Tarifdiktat 293, 401 Tarifdispositives Gesetzesrecht 51 f., 86 f., 124 (Fn. 151), 204 (Fn. 249), 215, 381 ff., 482 Tarifeinheit – dynamisch-repräsentative 70 ff., 216 (Fn. 310), 288 (Fn. 222), 592 (Fn. 385), 671 (Fn. 10, 11) – im Konzern 106 (Fn. 67) – im Unternehmen 70 f., 106 – in der Sparte 274 ff., 592 (Fn. 385), 671 – partielle 199 (Fn. 219), 232 – tarifzuständigkeitsbasierte 70 f., 288 (222), 671 (Fn. 110) Tariffähigkeit 39, 40, 51, 217, 221, 251 ff., 610 f. Tarifgemeinschaft 295, 422 f. (Fn. 28), 476, 520 ff., 564, 565 ff., 576 Tarifkollision 55, 68 – Begriff 55 Tarifkonkurrenz – Begriff 55 f. – betriebsweite 51, 56, 58 ff., 67 (Fn. 54), 69 (Fn. 55), 81, 83, 85, 111 f., 384 ff., 417 ff., 435 (Fn. 84), 442 f., 466 f., 470 (Fn. 170), 491 ff., 555, 593 – Untersuchungsumfang 54, 64 f., 117 (Fn. 113) – Verhältnis zur Tarifpluralität 56 ff., 58 ff., 65 ff., 82, 384, 418 (Fn. 12) Tarifmehrheit 67 f., 69, 164, 478, 483 – Begriff 67 f. – Verhältnis zu Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität 67 f. Tariföffnungsklauseln s. Öffnungsklauseln
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Tarifparallelität 46 (Fn. 65) Tarifpluralität – Begriff 56 – „faktische“ 93 – gewillkürte 671 ff. – Verhältnis zur Tarifkonkurrenz 56 ff., 58 ff., 65 ff., 82, 384, 418 (Fn. 12) – zufällige 671 ff. Tarifsozialplan 329, 460 (Fn. 131), 511, 542 – Erstreikbarkeit 511 Tariftreue 123, 277 (Fn. 158) Tarifüblichkeit 426 ff., 430, 478 ff. Tarifvorbehalt 52, 53, 79, 83, 87, 414 ff., 469 ff. Tarifvorrang 52, 53, 79 f., 83, 87 f., 89 ff., 414 ff., 416 ff. Tarifwettbewerb 477, 507 f., 565 (Fn. 259), 567 (Fn. 271), 675 Tarifzensur 213, 221, 399, 554 (Fn. 211) Tarifzuständigkeit 70 f., 299 (Fn. 280), 301 ff., 398 (Fn. 83) Tatbestandstheorie s. Sanktionstheorie Teilnichtigkeit von Tarifverträgen 472 Teilstreik 647, 649 f. Teleologische Begriffsbildung 314 ff. Teleologische Reduktion 117 (Fn. 112), 133 ff., 139, 156 (Fn. 311), 212 f., 391 ff., 423, 426 (Fn. 45), 473, 482, 486 f. Tendenzbetrieb 97 Theater 46 Theorie der Wortsinngrenze s. Wortsinngrenze Transnet 165, 284, 599 (Fn. 407) Transparenzgebot 146, 200, 202, 204, 206 ff. Türkei (Rechtsvergleichung) 588 f. TVöD 197 UFO s. Unabhängige Flugbegleiter Organisation Überbietungswettbewerb 282 f., 288
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Sachwortverzeichnis
Überraschungsschutz 224 Ultima-ratio-Gebot 538, 597 Umgestaltung 258 ff. Umgruppierung 43, 102 Umschlagtheorie 257 (Fn. 43) Umwandlung 85 f. Unabhängige Flugbegleiter Organisation 39, 40, 273, 275, 286 (Fn. 211), 292, 541 (Fn. 148), 674 – Tariffähigkeit 39, 40, 273, 292 Unklarheitenregelung 51, 163, 170 ff., 237, 249 Unterbietungswettbewerb 75, 77, 253, 266 f., 277 ff., 290, 676 Unternehmen – Begriff 327 – Tarifeinheit s. Tarifeinheit im Unternehmen Unternehmensautonomie 302 (Fn. 305), 329 ff., 530, 532 (s. auch Unternehmerfreiheit) Unternehmerfreiheit 330, 523, 524, 575 (s. auch Unternehmensautonomie) Unterstützungsstreik 511, 523 (Fn. 64), 542, 558 (Fn. 228), 570, 615 (Fn. 489), 617, 622 Urlaubskasse 112, 113, 125 f. USA (Rechtsvergleichung) 541 (Fn. 148, 149), 588 ff., 592 f. Verbandsprinzip 460 Verbrauchervertrag 178 Ver.di 197 f., 284 f., 401 (Fn. 98), 481 (Fn. 227), 541, 572 Vereinigung Cockpit 199 f. (Fn. 220), 541 (Fn. 148), 674 Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände 197 Verfassungskonforme Auslegung 89 (Fn. 105), 343 ff., 672 Verhältnismäßigkeitsprinzip 263 f., 266, 413, 514, 518, 524 (Fn. 70), 533, 537 f., 540, 557 ff., 575, 614
Verhandlungsanspruch 599 Verhandlungseinheit 71 (Fn. 6), 529, 589, 592 (Fn. 385) (s. auch Bargaining unit) Vertrag zu Lasten Dritter 550, 600 Vertragsfreiheit 98, 100 Vertrauensschaden 139 ff., 234 Vertrauensschutz 165 (Fn. 20) Verwirkung 131, 133 ff., 136, 139 Vorrangtheorie 425 ff., 435, 459 (Fn. 124) – modifizierte 426 Vorverständnis 128 (Fn. 174), 475 f., 508 Wahlrecht des Arbeitgebers s. Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers Wahlrecht des Arbeitnehmers 156 (Fn. 314), 180 Wandel des Normumfeldes 52 f., 87, 310, 382 f., 417 Wechselbezüglichkeit von Arbeitsbedingungen 333 ff., 504 f. Weltanschauung 96 f., 149, 280 Wesentlichkeitstheorie 260 (Fn. 61), 368 (Fn. 317), 370 (Fn. 318), 558 (Fn. 230) Wettlauf s. Negativer Wettlauf Widerrufsvorbehalt 206 ff. Widerstandsrecht 562 Wirtschaftsrisiko 646 f., 649 Wortsinngrenze 134, 391, 423 (Fn. 32), 482 Ziviler Ungehorsam 561 ff., 663 Zufallsgeschenke 229, 499 ff. Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes 104 ff., 106, 112, 116 Zustimmungsersetzung 43 Zwei-Schranken-Theorie 425 ff., 435, 459 (Fn. 124), 478 (Fn. 205)