Tanz zwischen Ästhetik und Spiritualität: Theoretische und empirische Annäherungen [1 ed.] 9783666570810, 9783525570814


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German Pages [595] Year 2018

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Tanz zwischen Ästhetik und Spiritualität: Theoretische und empirische Annäherungen [1 ed.]
 9783666570810, 9783525570814

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Tatjana K. Schnütgen

Tanz zwischen Ästhetik und Spiritualität Theoretische und empirische Annäherungen

Research in Contemporary Religion

Herausgegeben von Hans-Günter Heimbrock, Stefanie Knauss, Daria Pezzoli-Olgiati, Hans-Joachim Sander, Trygve Wyller In Kooperation mit Hanan Alexander (Haifa), Carla Danani (Macerata), Wanda Deifelt (Decorah), Siebren Miedema (Amsterdam), Bonnie J. Miller-McLemore (Nashville), Garbi Schmidt (Roskilde), Claire Wolfteich (Boston) Band 26

Vandenhoeck & Ruprecht

Tatjana K. Schnütgen

Tanz zwischen Ästhetik und Spiritualität Theoretische und empirische Annäherungen

Vandenhoeck & Ruprecht

Die Arbeit wurde im Jahr 2017 von der FakultÐt fþr Philosophie, Kunst-, Geschichtsund Gesellschaftswissenschaften der UniversitÐt Regensburg als Dissertation angenommen. Download des Zusatzmaterials unter: vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/tanz Code: VSS3WR5y

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.de abrufbar.  2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Gçttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschþtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Korrektorat: Felicitas Sedlmair, Gçttingen Satz: 3w+p, Rimpar

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage j www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-1145 ISBN 978-3-666-57081-0

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A Klärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fragestellung und Aufbau der Untersuchung . . . . . . . . . . . 2. Systematische Sachklärung der Schlüsselbegriffe: Tanz – Spiritualität – Kunst – Ästhetische Erfahrung . . . . . . . . . . . 2.1 Tanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Spiritualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Ästhetische Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Präsenz als Schlüssel zu ästhetischer Erfahrung . . . 2.4.2 Ästhetische Erfahrung im Licht unterschiedlicher Bestimmungen von Erfahrung . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Ästhetische Erfahrung im Kontext des Semiotischen und des Performativen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3.1 Ästhetische Erfahrung unter semiotischen Gesichtspunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3.2 Ästhetische Erfahrung unter performativen Gesichtspunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spiritualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ästhetische Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beiträge Philosophischer Phänomenologie . . . . . . . . . . . . . 3.1 Anthropologie der Phänomenologen: Konsequenzen für den Tanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Tanz in der phänomenologischen Bildungstheorie . . . . . . Sichtbarmachen anthropologischer Grundbedingungen . . . Ephemeres Phänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alltagsüberschreitende Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . Zeitphänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erzeuger von Präsenzen und Gestalter des Raumes . . . . . Spannungsfeld von Können und Nicht-Können . . . . . . . Unkontrollierbare Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Soziales Phänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

4. Körperlichkeit, Bewegung und Tanz in Bibel und Theologie . . 4.1 Biblische Körperkonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Näfäsch: Kehle – Leben – Seele . . . . . . . . . . . 4.1.2 Von der Schönheit menschlicher Körper . . . . . . 4.1.3 Der Körper im frühen Christentum . . . . . . . . . 4.2 Systematisch-theologische Einsichten zu Körper und Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Die traditionelle Rede von der Gottebenbildlichkeit des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Die Sakramentalität des Leibes in der Befreiungstheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Gott in Bewegung – Die Theologie des Lebens von Jürgen Moltmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Menschen in Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.5 Weitere theologische Aspekte . . . . . . . . . . . . 4.3 Tanz in Bibel und Christentumsgeschichte . . . . . . . . . 5. Körper, Bewegung und Tanz – praktisch-theologische Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Leiblichkeit und Abendmahl: Weichenstellungen in der Liturgik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Liturgische Bewegung: Leiblichkeit . . . . . . . . . 5.1.2 Manfred Josuttis: Körperliches Verhalten im Gottesdienst am Beispiel Abendmahl . . . . . . . . 5.1.3 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Nicht-essentialistische Körperkonzepte: Gendersensible Liturgik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Real bodies im Gottesdienst: Liturgisches Embodiment bei Andrea Bieler . . . . . . . . . . . 5.2.2 Liturgisches Auftreten und geschlechtliche Authentizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Corporealität in der performativen liturgischen Praxis von Frauen: Brigitte Enzner-Probst . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Corporealität und Performativität . . . . . . . . . . 5.3.2 Die Corporealität von Tanz in Frauenliturgien . . . 5.3.3 Die Performativität von Tanz in Frauenliturgien . . 5.3.4 Transformation im liminalen Raum des Tanzes . . 5.3.5 Corporeale Entstehung von Wissen im Tanz . . . . 5.3.6 Perspektiven für liturgischen Tanz . . . . . . . . . 5.3.7 Theologische Relevanz corporeal-performativer Gottesdienstgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.8 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Körper und Bewegung in der Bildungsarbeit . . . . . . . . 5.4.1 Bibliodrama . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 Performative Religionsdidaktik . . . . . . . . . . .

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Inhalt

5.5 Tanz in der Praktischen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.1 Tanz als Gebet: Ronald Sequeira . . . . . . . . . . . . 5.5.2 Bewegte Spiritualität – getanzte Gottesdienste: Teresa Berger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.3 Liedtanz in der Religions- und Gemeindepädagogik: Siegfried Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.4 Die Spiritualität meditativer Kreistänze: Gabriele Koch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.5 Eine Theologie des Tanzes für die Religionspädagogik: Petra Pfaff . . . . . . . . . . . . 5.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Der Weg zum Tanz als Kunst und Spiritualitätspraxis – tanzwissenschaftliche Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Tanz und Spiritualität in der Bühnenkunst bis zur Jahrhundertwende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Selbsterfahrung und Körperaneignung im Kunsttanz des 20. Jahrhunderts: Rudolf von Laban, Martha Graham, Anna Halprin, Pina Bausch . . . . . . . . . 6.2 Rudolf von Laban . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Biographische Notizen . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Künstlerisches Profil . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Selbsterfahrung und Körperaneignung . . . . . . . . 6.2.3.1 Raumschaffende energetische Körper . . . . . . . . . 6.2.3.2 Persönlichkeitsbildung durch Bewegungserfahrung . 6.2.3.3 Ästhetik, Energie und Spiritualität bei Laban . . . . 6.3 Martha Graham . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Biographische Notizen . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Künstlerisches Profil . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2.1 Tanz als verborgene Sprache der Seele . . . . . . . . 6.3.2.2 Tanz als Kunst im gesellschaftlichen Kontext . . . . . 6.3.3 Selbsterfahrung und Körperaneignung . . . . . . . . 6.3.3.1 Körperbild: Instrument und Symbol für das Leben selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3.2 Die Schönheit tanzender Körper . . . . . . . . . . . 6.3.3.3 Selbsterfahrung im Tanz: Aneignung der Innenwelt . 6.3.3.4 Heilsamer Tanz im Kopf: „Tanz erinnert“ und „Tanz gesehen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3.5 Tanzausbildung als Kultivierung des Selbst . . . . . . 6.4 Anna Halprin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Biographische Notizen . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Künstlerisches Profil . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3 Selbsterfahrung und Körperaneignung . . . . . . . .

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Inhalt

6.4.3.1 Der Life-Art-Process: Selbsterfahrung und Persönlichkeitsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3.2 Das Bewegungsritual: Den Körper als Instrument aneignen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3.3 Kunst zwischen Performance und Gesellschaftstransformation: Tanzrituale . . . . . . . 6.5 Pina Bausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.1 Biographische Notizen . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.2 Künstlerisches Profil . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.3 Selbsterfahrung und Körperaneignung . . . . . . . . 6.6 Zusammenfassung und Auswertung . . . . . . . . . . . . . . 6.6.1 Bezug zu Kultur und Gesellschaft . . . . . . . . . . . 6.6.2 Tanzverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6.3 Selbsterfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6.4 Körperaneignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6.5 Spiritualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6.6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Kirchentanz – Tanz in Liturgie und Spiritualität . . . . . . . . . . 7.1 Entstehung der Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Anfänge in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1.1 Liturgische Bewegung: Aloys Goergen . . . . . . . . 7.1.1.2 Volkstänze als Quelle meditativer Tänze . . . . . . . 7.1.1.3 Meditation des Tanzes: Bernhard Wosien . . . . . . . 7.1.1.4 Die Sacred Dance Guild . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Die Entwicklung in Deutschland in den 1980er und 90er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.3 Ein Porträt des Tänzers Hans-Jürgen Hufeisen . . . . 7.1.4 Weitere Entwicklung auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Tanz als Medium zur Reform von Kirche – Literarische Diskurse der Kirchentänzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Tanz als Metapher für Fest und Freude in der Kirche 7.2.2 Tanz-Impulse für eine leibfreundliche Kirche . . . . 7.2.3 Versöhnung von Tanz und Kirche . . . . . . . . . . . 7.2.4 Suche nach adäquaten Tanzsprachen . . . . . . . . . 7.2.5 Lebendigere Gottesdienste mit Tanz . . . . . . . . . 7.2.6 Erfüllung im Christendasein und Vertiefung des Lebens durch Tanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.7 Tanz als bedeutungsgenerierendes ästhetisches Medium im Spannungsfeld von Dienst an der Botschaft und der Vereinnahmung durch dieselbe . . 7.3 Die Christliche Arbeitsgemeinschaft Tanz in Liturgie und Spiritualität e.V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

7.4 Zur Situation anhand von teilnehmender Beobachtung . . . 7.4.1 Ein Tanztag mit meditativen Kreistänzen . . . . . . . 7.4.1.1 Tänze zur Passionszeit aus der Finnischen Messe . . 7.4.1.2 Ein Pausengespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.1.3 Eine Übung zur Körperwahrnehmung . . . . . . . . 7.4.1.4 Choreographien zur Johannes-Passion . . . . . . . . 7.4.1.5 Weitere Pausengespräche . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.1.6 Ostern entgegentanzen mit Bach und Folklore . . . . 7.4.1.7 Reflexion der eigenen Eindrücke . . . . . . . . . . . 7.4.2 Ein Wochenende mit Tanz und Bibelarbeit . . . . . . 7.4.2.1 Gedanken und Erwartungen vor Beginn . . . . . . . 7.4.2.2 Eine kleine Seminargruppe von Frauen . . . . . . . . 7.4.2.3 Erste Erfahrungen mit der „Körperreise“ . . . . . . . 7.4.2.4 Abendgespräch über Männer in der Tanzszene . . . 7.4.2.5 Spannung zwischen Struktur und Freiheit . . . . . . 7.4.2.6 Tanz zwischen Kunst und therapeutischem Ansatz . 7.4.2.7 Bibelauslegung durch Tanz – intensive Arbeit in der Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.2.8 Ein Tanzgottesdienst mit Performance . . . . . . . . 7.4.2.9 Reflexion der Gottesdienstfeier . . . . . . . . . . . . 7.4.3 Die „Werkstatt Tanzgottesdienst“ . . . . . . . . . . . 7.4.3.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.3.2 Gottesdienst 1 – Ankommen . . . . . . . . . . . . . 7.4.3.3 Gottesdienst 2 – Advent . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.3.4 Gottesdienst 3 – Frühlingsblüte . . . . . . . . . . . . 7.4.3.5 Reflexionsrunden in der Werkstatt Tanzgottesdienst . 7.4.3.6 Reflexion der teilnehmenden Beobachtung . . . . . . 7.4.4 Typen von Tanzgottesdiensten – eine Analyse . . . . 7.4.4.1 Die Grundstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.4.2 Rolle des Tanzes im Gottesdienst . . . . . . . . . . . 7.4.4.3 Weitere Ebenen der Kategorisierung . . . . . . . . . 7.4.5 Gottesdienstanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.5.1 Gottesdienst 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.5.2 Gottesdienst 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.5.3 Gottesdienst 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.5.4 Vergleich der Typen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.6 Tanzgottesdienst „Das kleine Ostern“ . . . . . . . . . 7.4.7 Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B Tanzenden das Wort geben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 1. Methodik der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 1.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277

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Inhalt

1.2 Forschungsdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Angaben zu den Gesprächspartnern . . . . . . . . . 1.2.2 Vom Gespräch zum Text . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Zum theoretischen Hintergrund der Arbeitsschritte . 1.2.4 Forschungsethische Überlegungen . . . . . . . . . . 2. Aussagen der Befragten in kirchlichen Tanzszenen . . . . . . . . 2.1 „Eine sehr schöne Art, sich zu bewegen“ – Zur Bedeutung von Tanz für Tanzende im Raum Kirche . . . . . . . . . . . 2.1.1 Tanzdefinitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Individuelle Bedeutung des Tanzens . . . . . . . . . 2.1.3 Bedeutung für Gesellschaft, Bildung und Kirche . . . 2.1.4 Zeitdiagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.5 Kirchenkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 „Ich wollte immer schon tanzen“ – Biographien von Kirchentänzern und -tänzerinnen . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Tanzerfahrungen in Kindheit und Jugend . . . . . . 2.2.2 Tanz als neue Chance im Erwachsenenalter . . . . . 2.2.3 Die Erarbeitung der Tanzkenntnisse und -fähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Was ich ohne den Tanz nicht gelernt hätte – Lernerfahrungen Tanzender . . . . . . . . . . . . . . 2.2.5 Der individuelle Weg zum Kirchentanz . . . . . . . . 2.2.6 Die Faszination des Kirchentanzes . . . . . . . . . . 2.3 „… ist ja schön, dass wir alle so unterschiedlich sind“ – Tanzstile, Formen und Deutungen . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Die von Kirchentänzern erfahrenen Tanzstile . . . . 2.3.2 Formen und Deutungen im meditativen Tanz . . . . 2.3.3 Freie Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Kreativität des Tanzens . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.5 Bedeutung von Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.6 Bedeutung des Raumes . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.7 Aktivitäten und Lehrerfahrungen . . . . . . . . . . . 2.4 „Im Tanz darf ich so sein, wie ich bin“ – Selbsterfahrung und Körperaneignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Die Erfahrung, sich im Tanzen selbst besser kennenzulernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Die Erfahrung der Selbstannahme durch das Tanzen. 2.4.3 Das Erleben positiver Gefühle im Tanz . . . . . . . . 2.4.4 Die Erfahrung von Grenzen und Herausforderungen im Tanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.5 Die Erfahrung des Zusammenwirkens von Körper und Geist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

Die Erfahrung der Erweiterung der eigenen Ausdrucksmöglichkeiten im stimmigen Zusammenwirken von körperlicher, geistiger und spiritueller Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.7 Die Erfahrung der Transformation des Lebens durch Tanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.8 Die Erfahrung der Erweiterung der Kommunikationsmöglichkeiten und des positiv erlebten Kontakts mit anderen . . . . . . . . . . . . 2.5 „Atme in deinem Tanz“ – Spiritualität im Tanz und getanzter Glaube . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Qualität und Spiritualität . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Entgrenzungserfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.3 Zentrierung des Selbst im Körper . . . . . . . . . . . 2.5.4 Spiritualität und christlicher Glaube . . . . . . . . . 2.6 „So viel Platz, so schöne Musik, hier möchte ich tanzen…“ – Kirchentanz und Tanz in der Kirche . . . . . . . . . . . . . . 2.6.1 Tanz im Gottesdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.2 Strukturelle Voraussetzungen von Gottesdiensten mit Tanz und Tanzgottesdiensten . . . . . . . . . . . 2.6.2.1 Eignung von Kirchenräumen . . . . . . . . . . . . . 2.6.2.2 Kooperation der Verantwortlichen . . . . . . . . . . 2.6.3 Erleben von Tanz im Kirchenraum . . . . . . . . . . 2.6.4 Erwartungen und Einstellungen von Kirchentänzern in Bezug auf das Gottesdienstgeschehen . . . . . . . 2.6.5 Körpererfahrung im Gottesdienst . . . . . . . . . . . 2.7 „Am Anfang war das Wort, und das sind alles körperliche Bewegungen“ – Tanz und theologisches Denken . . . . . . . 2.7.1 Tanz als Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.2 Wechselseitige Einflüsse von Tanz und Theologie . . 2.7.3 Bibel und Text-Hermeneutik . . . . . . . . . . . . . 2.8 „Eine Kunstform für sich“ – Tanz als Kunst im Kirchenraum 2.8.1 Tanz als künstlerische Sprache . . . . . . . . . . . . 2.8.2 Künstlerischer Tanz in der Kirche außerhalb des Gottesdienstes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8.3 Künstlerischer Tanz im Gottesdienst . . . . . . . . . 2.8.4 Verhältnis von Musik und Tanz (künstlerischer Aspekt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8.5 Kirchentanz als site-specific art . . . . . . . . . . . . 2.8.6 Tanz in der Kirche sehen . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8.7 Kunst als Möglichkeit der Gestaltung von Kirche . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2.4.6

344 345 349 352 352 354 356 357 362 362 372 373 374 375 376 377 381 381 383 389 394 394 396 397 398 400 400 401 402

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Inhalt

C Figurationen des Kirchentanzes – Spiritualität im Horizont ästhetischer Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kirchen-Tanz als Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ästhetische Erfahrung im Kirchentanz . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Präsenzerfahrungen im Kirchentanz . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Ästhetische Erfahrung im Horizont eines existenziellen Erfahrungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Transformation durch Kunsterfahrung . . . . . . . . . . . . Exkurs: Atmosphäre und Gefühl . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Figurationen ästhetischer Erfahrungen in unterschiedlichen Stilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Ballett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Kampfkunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Tango Argentino . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Indischer Tanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.5 5 Rhythmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.6 Soul Motion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.7 Tanz in der Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.8 Improvisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.9 Getanzte Bibelarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.10 Tanztheater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.11 Meditatives Tanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.12 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kunst im Kirchenraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zur religiösen Relevanz von ästhetischer Erfahrung bei der Rezeption von Kunsttanz im Kirchenraum . . . . . . . . . . . . . 5. Ästhetische Erfahrung und christliche Spiritualität . . . . . . . . 6. Spirituelle Transformationen im Kirchen-Tanz . . . . . . . . . . 6.1 Transformation von spirituellen Formen durch Tanz . . . . . 6.1.1 Gebet: vom gesprochenen zum getanzten Gebet . . . 6.1.2 Bibelbegegnung: vom gelesenen und rezitierten zum getanzten Wort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.3 Communio: in, mit und unter dem Tanz Leib Christi werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.4 Gottes Dienst im Tanz . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Spirituelle Transformation des Lebens . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Lernen und Heilsames erfahren . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Medium, das Gefühle revitalisieren kann . . . . . . . 6.2.3 Das Leben tanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Gott im Tanz vergebens suchen oder: Präsenz versus Abwesenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Umgang mit Erotik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Umgang mit Ehrenamtlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

405 405 415 415 421 425 429 437 438 440 442 450 454 456 458 463 468 471 473 477 478 488 493 497 501 502 504 506 507 510 511 512 513 515 517 519 521

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Inhalt

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Monographien und Aufsätze . . . . . . . . . . . . Internetquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . DVD/Film . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Empirische Quellen (Transkripte / Audiodateien)

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533 533 557 560 561

Anhang: Alle Kodes in der Reihenfolge der Verweise in Teil B, Kapitel 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580

Vorwort Die vorliegende Studie wurde als praktisch-theologische Dissertation an der Universität Regensburg verfasst. Zahlreichen Menschen gilt es zu danken für ihre Unterstützung. Ohne sie hätte dieses Buch nicht geschrieben werden können. An erster Stelle stehen die Tänzerinnen und Tänzer, die seit einigen Jahren meinen Lebensweg begleitet haben. Ich nenne meine Lehrerinnen und Lehrer an dieser Stelle: Thea und Georg Sosani, Lar Buhl, Wolfgang Maas, Christiane Solf, Sven Frais, Barbara Jeanne Lins und Wilma Vesseur. Viele weitere haben mich durch ihre Aktionen und Workshops angeleitet und angeregt, selbst tätig zu werden. Von ihnen können nicht alle namentlich genannt werden, die wichtigsten Wegbegleiter sind mir Frieder Mann, Monika Kreutz, Ri tte Beurmanjer, Manfred Büsing, Anke Kolster und weitere Mitglieder der Christlichen Arbeitsgemeinschaft Tanz in Liturgie und Spiritualität e.V. Über diesen Kreis hinaus haben sich mir zahlreiche Tanzerfahrene für eingehende Gespräche zur Verfügung gestellt. Für das mir entgegengebrachte Vertrauen danke ich. Klaus Raschzok, Martin Nicol und Peter Bubmann verdanke ich unmittelbar die Begeisterung für Praktische Theologie. Peter Bubmann prägte mich bei den ersten Schritten als wissenschaftliche Mitarbeiterin und führte mich in wissenschaftliche Netzwerke ein. Durch die umsichtige, geduldige und kompetente Begleitung meines Doktorvaters Michael Fricke lernte ich, mein Thema nicht nur theoretisch, sondern auch sozialwissenschaftlich-empirisch zu erschließen. Gespräche im Kreis der Doktoranden und mit Freundinnen, Barbara Eberhardt, Petrus Maritz und Jean Ritzke-Rutherford, mit Gefährten aus der Visionssucheleiterausbildung, aus den Weiterbildungen in Tanzpädagogik bei Barbara J. Lins und „Tanz der Gegenwart“ (mit Body-Mind Centering ) bei Wilma Vesseur sowie meinem Mann Arne Schnütgen halfen mir, die Dinge immer wieder an ihren richtigen Ort zu rücken. Meine Kinder motivierten mich, das Projekt zum erfolgreichen Abschluss zu bringen. Die Studierenden gaben mir den Ansporn, mein Thema in eine anschlussfähige, klare Sprache zu fassen. Dank gilt auch allen Personen, die in der Kirche Verantwortung übernommen haben für meine Beurlaubung als Pfarrerin für den Dienst an der Universität. Immer wieder erfuhr ich zudem Offenheit für meine Tanztheaterperformances an der Universität und in Kirchen. Ich danke der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern für den Zuschuss zu den Druckkosten. Den Herausgebern und Herausgeberinnen danke ich für die Aufnahme in die Reihe Research in Contemporary Religion, insbesondere Frau Professorin Dr. Daria Pezzoli-Olgiati für ihre freundliche Begleitung des Weges von einer sehr umfangreichen Dissertationsschrift hin zu diesem Buch.

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Vorwort

Mit der Arbeit verbindet sich der Wunsch, dem Thema Tanz in Spiritualität und christlicher Religionspraxis über die Grenzen der Praktischen Theologie hinaus mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Tanzende können von der Lektüre profitieren, indem sie die Weite des Feldes wahrnehmen und ihre Vorstellungen vom Potenzial des Kirchentanzes schärfen oder erweitern. Das Netzwerk der Aktiven wird umso lebendiger, je mehr das eigene Tun reflektiert und kommuniziert wird. Die Verständigung über die Sache innerhalb der Szenen und das Gespräch mit jenen, die sich nicht dazu zählen, gehört zu den Voraussetzungen, um jenen Bereich gelebter Religion, in dem die Synthese von Tanz und Spiritualität intendiert wird, besser zu verstehen und die Praktiken weiterzuentwickeln. Regensburg, den 27. 01. 2018

Tatjana K. Schnütgen

A Klärungen 1. Fragestellung und Aufbau der Untersuchung Tanz ist menschheitsgeschichtlich eine der ältesten Erscheinungen in allen Kulturen, als kultische Praxis, Kunst und zur Unterhaltung.1 In der Gegenwart steigt seine Bedeutung in Kunst und Kultur, nachdem er in der jüngeren Vergangenheit vor allem in Deutschland um seine angemessene Wahrnehmung kämpfen musste. In Bezug auf Tanz in der kirchlichen Praxis zeigt sich ein ambivalenter Befund. Zum einen gibt es erst seit einigen Jahrzehnten Versuche, Tanz und spirituelle Praxis zu verbinden – nach einer langen Zeit der Abstinenz vom Tanz, was mit der vorwiegend negativen Sicht des Körperlichen im Christentum zu tun hat. Zum anderen gibt es zwar nun die Kirchentanzbewegung, allerdings scheint sich diese auf „subkulturelle Tanzszenen“2 zu beschränken, also die kirchliche Praxis nicht breit zu durchdringen. Zudem scheint die Integration des Kunsttanzes in die Kirche zu stagnieren.3 In den Szenen der Kirchentänzer sammele ich seit über zehn Jahren eigene Erfahrungen. Dabei stellen sich mir diese als äußerst lebendige und vielfältige Szenen dar, die ständig expandieren und sich ausdifferenzieren, wenn auch scheinbar mit geringerem Elan als im Aufschwung der 1980er und 90er Jahre. In Erscheinung treten die Aktiven auf Katholikentagen und Evangelischen Kirchentagen. Spirituelle Tanzangebote sind Bestandteil der Programme von evangelischen und katholischen Bildungswerken oder Tagungshäusern, in der Regel als „Meditativer Tanz“ ausgeschrieben. Bekanntere Namen laden auch zu Tanzreisen ein. Tanzanleiter_innen halten Seminare, die eine große Breite von Tanzrichtungen aufweisen, in Gemeinden oder Einkehrhäusern. Gemeinden bieten spezialisierte Gottesdienstformen an, sogenannte „Tanzgottesdienste“. Tanzgruppen zeigen ihre selbst entwickelten Tanztheaterstücke in den Gemeinden einer ganzen Region. Bestimmte prägende Figuren bilden Tanzanleiter_innen in der von ihnen konzipierten Form von Tanz aus. Mit den Personen sind auch unterschiedliche Ziele sowie unterschiedliche Möglichkeiten spiritueller Praxis im weiten Rahmen des Christentums verbunden. Einer der für die Entstehung und Weiterentwicklung der Bewegung wichtigsten Kreise ist der Verein „Christliche Arbeitsgemeinschaft Tanz in Liturgie und Spiritualität e.V.“.4 Durch dessen bereits über 1 2 3 4

Vgl. Hartmann/Woitas, VII. Fermor 2001, 650. Vgl. Fermor 2001, 649. Im Folgenden abgekürzt CAT, vgl. die Darstellung unter A 7.3.

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Klärungen

zwei Jahrzehnte währende Vernetzungsarbeit und die regelmäßige Organisation von Kirchentanzfestivals und Symposien ist es dort gelungen, Multiplikator_innen des Kirchentanzes ganz unterschiedlicher Stilrichtung und spirituellen Prägung zu versammeln. Trotz dieser vielfältigen Präsenz kirchlicher Tanzszenen scheinen deren Aktivitäten und Angebote sowohl kaum von der Praktischen Theologie als auch von kirchlich-struktureller Seite aus ausreichend wahrgenommen zu werden. Kirchliche Tanzbeauftragte oder Tanz als Ausbildungsinhalt für kirchliche Mitarbeitende sucht man in der Regel vergeblich. Insgesamt ist die öffentliche, manchmal auch die innerkirchliche Sichtbarkeit der Bewegung gering. Die historische und sozialwissenschaftliche empirische Erforschung der Praxis Tanzender sowie deren Analyse anhand von interdisziplinären Begriffsrepertoires verspricht, Einsichten über einen von der Praktischen Theologie bislang wenig beachteten Bereich gelebter Religion zu ermöglichen. Dies bildet die Grundlage dafür, die Relevanz von Tanz für die Praktische Theologie insbesondere für theologische Ästhetik zu reflektieren. Es geht in dieser Praxis um „Tanzfigurationen“: die Formen und Figuren, die der Tanz selbst hervorbringt sowie die damit verbundenen mentalen Figurationen bzw. Denkfiguren in der Rezeption und die Figurationen im Sinne von Konstellationen, die sich durch die Bezüge von Tanz, kulturellem Kontext und Rezeption ergeben. Außerdem dreht sich das Tanzen um ästhetische Erfahrung, mit der, wie noch zu zeigen sein wird, Spielarten von Transformation einhergehen. Dies verweist auf ein besonderes Potenzial des Tanzes, das Selbst- und Weltverhältnis von Menschen temporär während des Tanzes oder nachhaltig über den Tanz hinaus zu verändern. Zudem ergibt sich eine Parallele zu meinem Verständnis von Spiritualität: spirituelle Erfahrung berührt Menschen in ihrer Existenz, ihr eignet etwas Prozesshaftes. Spirituelle Praxis schafft – wie der Tanz – Schwellenräume und wirkt so auf das (Er-)Leben von Menschen ein. Aus der Beobachtung dessen, dass es den sogenannten Kirchentanz5 überhaupt gibt, ergeben sich Fragen nach den Bedingungen seiner Entstehung wie auch nach seinen Intentionen und Erscheinungsformen.6 Das folgende Zitat eines Kirchentänzers zeigt in verdichteter Form sein Lebensgefühl im Tanz, wie es für viele andere Teilnehmende der Szenen in ähnlicher Weise beschrieben werden könnte: „Du bist schön, du hast Energie, du bist nicht

5 Anke Kolster begründet diesen Begriff mit der Parallelität zu Kirchenmusik. Er wird vielfach aufgegriffen für die tänzerischen Aktivitäten im kirchlichen Raum, z. B. durch Gereon Vogler, Monika Kreutz, Kersten Pfaff u. a. Tanz als spirituelle Praxis findet sich allerdings auch unter anderen Bezeichnungen wie Sacred Dance, Meditation des Tanzes, meditativer Tanz oder Tanzmeditation, Tanzandacht und Tanzgottesdienst, Bibel getanzt, bibliodans/Bibliotanz , Das Leben tanzen, tanGOttesdienst oder dance&praise , um nur einige zu nennen. 6 Mit dem Begriff „Kirchentanz“ verbindet sich in der Fachdiskussion häufig das verkürzte Verständnis einer Ästhetik, bei der das Ausführen spezieller Bewegungen mit Spiritualität aufgeladen wird. Vgl. Schwan 2014, 26.

Fragestellung und Aufbau der Untersuchung

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allein!“7 Tanzen kann ein positives Selbstgefühl von Schönheit und Energie erzeugen und momentan in eine Gemeinschaft einbinden. Eine zentrale Intention derer, die in den Szenen beteiligt sind, besteht darin, eine lohnende Erfahrung mit geformter Bewegung zu machen. Dies betrifft sowohl aktiv Tanzende als auch passive Rezipienten von Tanzaufführungen. Vorausgesetzt wird, dass die Erfahrung in beiden Fällen unter Beteiligung der körperlichen Dimension zustande kommt. Als Schlüsselbegriff erweist sich in diesem Zusammenhang „ästhetische Erfahrung“, die ganz wesentlich auch eine somatische Erfahrung ist. Der Begriff „ästhetische Erfahrung“ dient durchgängig als roter Faden, an dem sich die Überlegungen, die sich einer Fülle von Zugangsweisen verdanken, immer wieder bündeln lassen. Ein Zuwachs an Wissen darüber, auf welche Weise diese Erfahrung entsteht und wie sie qualifiziert werden kann, ist in mehrfacher Hinsicht nützlich, wie unten näher ausgeführt wird. Das, was Tanzende in ihrem Tun erleben und darüber sagen, ist eine wesentliche Quelle dieses Wissens. Daher integriert diese Arbeit einen qualitativ-empirischen Forschungsteil. Indem die Praktische Theologie mit Hilfe empirischer Methodik wahrnimmt, wie Kirchentanzende Erfahrungen mit Tanz als Kunst und Spiritualität beschreiben, lässt sich erklären, was Tanz für diejenigen bedeutet, die ihn praktizieren. Der Erfahrung von Frauen kommt darin besondere Aufmerksamkeit zu aufgrund deren vergleichsweise höheren Beteiligung am Kirchentanz.8 Auf der Mikroebene wissenschaftlicher Betrachtung geht es um Entwicklung und Gestalt subjektiver ästhetischer Praktiken und deren soziale Bedeutung. Diese Ebene wird in der vorliegenden Arbeit schwerpunktmäßig fokussiert. Gleichzeitig erschließt sich auf der Mesoebene ein bislang besonders schwer einzuordnendes Feld christlicher Gegenwartskultur. Die Beziehungen zwischen Kultur und Kirche können in großer Vielfalt sichtbar gemacht werden. Damit stellt die vorliegende Arbeit auch einen Beitrag zur Religionshermeneutik der Gegenwart dar, nicht zuletzt deswegen, weil von der Erlebnisförmigkeit gelebter Religion ausgegangen werden kann. Spiritualität liegt insbesondere in performativer Gestalt vor.9 Schließlich geht es auf der Makroebene um die Bedeutung der untersuchten ästhetischen Praktiken und 7 Hs13. Transkript unter „Downloads“ auf www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/tanz. 8 Die Entscheidung, mich sprachlich nicht auf die Verwendung des grammatischen Geschlechts zu beschränken und zum Beispiel konsequent Tänzer zu schreiben, auch wenn es sich um gemischte Gruppen handelt, begründe ich mit dem Anliegen, das Wirken von Frauen in diesem Bereich durch entsprechende Formulierungen präsent zu halten. Mir ist bewusst, dass Formen der inklusiven Sprache auch implizit aussondernd wirken können, da durch sie immer wieder das Weibliche als das Andere (vgl. S. de Beauvoir) des Männlichen betont wird. Da mir keine ideale Lösung bekannt ist, findet sich in der vorliegenden Arbeit eine Mischung inklusiver Formen, z. B. Tänzer_innen (mit Gender-Gap nach S. Herrmann) und teilweise aus sprachästhetischen Gründen stellenweise die Entscheidung für „Kirchentänzer“ anstatt von Beidnennung oder Gender-Gap. Zudem gebrauche ich das geschlechtsneutrale Verbalsubstantiv „Tanzende“, was meinem Untersuchungsgegenstand durchaus entgegenkommt. Vgl. Herrmann 2003. 9 Vgl. Heimbrock 2013, 127.

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Klärungen

Haltungen für die Kirche. Die Arbeit ist in drei Teile, A, B und C gegliedert. Diese Teile unterscheiden sich in Funktion und Zielsetzung voneinander. So hebt sich die empirische Forschung (Teil B) in Darstellungsweise und Diktion von den anderen Zugängen in Teil A und C ab. Dies versucht die Einteilung zu verdeutlichen. Die Begründung wird aus der folgenden Methodenreflexion ersichtlich.10 Praktische Theologie bietet unterschiedliche Zugänge zum Phänomen Kirchentanz. Sie kann entweder programmatisch, historisch oder empirisch vorgehen. Mit einem programmatischen Vorgehen verbinden sich Entwürfe, die bestimmte Formen von Kirchentanz konzipieren und theologisch oder gemeindepädagogisch begründen. Dazu zählen beispielsweise die Ansätze von Siegfried Macht und Petra-Christina Pfaff mit deren Programmatik von Tanz als Liedtanz oder Kreativtanz.11 Die Chance von Konzeptionen, die den Fokus auf eine einzige Form von Tanz richten, besteht in der Vertiefung, ihre Grenze in der geringen Reichweite. Bestimmte Stile werden propagiert, während die Bandbreite, die in den entsprechenden Netzwerken vorhanden ist, ausgeblendet wird. Ein historisches Vorgehen öffnet sich dagegen potenziell einer Vielzahl von Phänomenen und bietet abhängig vom Erkenntnisinteresse Einblick in ausgewählte Erscheinungsformen des Kirchentanzes in der Vergangenheit, die die Genese der gegenwärtigen Situation erhellen sowie Wahrnehmungs- und Deutungskategorien zur Verfügung stellen.12 Die historische Vorgehensweise, im Verbund mit systematisierenden interdisziplinären Reflexionen, prägt den Grundbestand des Teils A. Das vergangene Jahrhundert brachte Entwicklungen im säkularen Tanz hervor, die bereits verschüttet geglaubte Bezüge von Tanz und Spiritualität wiederbelebten. Tanz als Kunst erfuhr auch durch eine Pluralisierung des Verständnisses von Kunst insgesamt eine Fülle von Entwicklungsmöglichkeiten. Die Tanzwissenschaft entstand als neues interdisziplinäres Fach. In Philosophie und Theologie wurde Tanz als Thema wahrgenommen, begünstigt durch neue Körperkonzepte in Wissenschaft und Gesellschaft. Die Frage nach den Entstehungsbedingungen erfordert eine Darstellung dieser Entwicklungen, wobei sowohl historische als auch systematische Zugangsweisen zum Thema sich abwechseln und ergänzen. Anhand dessen soll das Klima entfaltet werden, in dem der Kirchentanz sich gegenwärtig verortet. Zunächst werden die Schlüsselbegriffe Tanz, Spiritualität, Kunst und ästhetische Erfahrung systematisch geklärt (A 10 Zur eingehenden Begründung und Darstellung der Methodik siehe B 1. 11 Vgl. die Darstellung der genannten Ansätze in A 5.5. 12 Philip Knäble weist darauf hin, dass sich in historischen Arbeiten zum Kirchentanz eine Art festes Quellenkorpus herausgebildet hat mit Bibelpassagen, Kirchenväterzitaten, Tanzverboten sowie den Beispielen Echternach, Sevilla und Auxerre. Sie werden in allen Arbeiten zu Tanz zitiert. Gegenwärtige Forschungen müssten darüber hinausgehen, indem ein Ausschnitt, in diesem Fall die Praxis im spätmittelalterlichen Frankreich neuen Fragestellungen unterzogen wird. Vgl. Knäble 2016. Eine weitere aktuelle historische Darstellung legte Emma-Elze Bongers vor. Vgl. Bongers 2016.

Fragestellung und Aufbau der Untersuchung

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2). Anschließend werden die philosophischen und theologischen Voraussetzungen skizziert, die die Entstehung einer spirituellen Tanzpraxis im Christentum plausibel machen (A 3–4). Schließlich wird das Phänomen Kirchentanz in neuere körperfreundliche Entwicklungen der Praktischen Theologie eingezeichnet (A 5). In einem nächsten Schritt geht es um die tanzhistorische Verortung der im Kirchentanz sich zeigenden Ansätze und Vorbilder sowie Anknüpfungspunkte für Spiritualität in der neueren Tanzgeschichte (A 6). Die Entstehungsgeschichte der Bewegung in Deutschland seit Mitte des letzten Jahrhunderts wird historisch nachgezeichnet und die aktuelle Situation wird durch eigene Wahrnehmungen in Teilnehmender Beobachtung13 erhellt (A 7). Auf diesem Hintergrund verfolge ich die Fragen nach den Intentionen und dem Potenzial des Kirchentanzes in den Teilen B und C weiter. An das, was Kirchentanz in seiner vielfältigen gegenwärtigen Form ausmacht, ist über Literaturstudium und Reflexion allein allerdings nicht heranzukommen. Im Zentrum des Kirchentanzes steht eine kulturkonstituierende Praxis, das Tanzen. Diese Praxis ereignet sich in kommunikativen Zusammenhängen, sie stellt Gemeinschaft her und teilt Persönliches mit. Konkrete Personen und Kontexte kommen damit ins Spiel. Empirisch-qualitative Forschung versetzt Praktische Theologie in die Lage, die Menschen mit und für die sie arbeitet, wahrzunehmen. Dadurch erarbeitet sie Voraussetzungen für angemessenes kirchliches Handeln. Sie erfasst die Relevanzsysteme der Beteiligten und hält sich daher mit vorgefertigten Kategorien zurück. Diesem Vorgehen liegt die Annahme zugrunde, dass die Erforschung der subjektiven Bedeutsamkeit für die Betroffenen zum Verständnis von deren Praxis beiträgt.14 Dem widmet sich Teil B der Arbeit. Im Folgenden wird dies begründet. Da das Interesse von Kirche an den in ihrem Kontext tanzenden Menschen aufgrund ihrer Würde als Subjekte, vorausgesetzt werden kann, erscheint es sinnvoll, in der wissenschaftlichen Theologie angemessene Zugänge zum Phänomen zu suchen und eine entsprechende Methodik zu entwickeln. Die Wahrnehmung der Relevanzsysteme der Betroffenen (Lamnek) bildet eine Voraussetzung für die Kommunikation des Evangeliums (Ernst Lange)15, die sich nicht in der Überbringung von Botschaften erschöpft, sondern das Gegenüber ernst nimmt und ihm begegnen will. Ein Schlüsselbegriff qualitativempirisch arbeitender Praktischer Theologie ist die Wahrnehmung. Von daher gesehen legt sich eine Forschung nahe, die sich in die Sache hineinbegibt, mit den Menschen des Forschungsfeldes mit Respekt, Interesse und 13 Vgl. A 7.4. Zur Situation anhand von teilnehmender Beobachtung. Die Methode der Dichten Beschreibung geht auf Clifford Geertz zurück. Vgl. Geertz 2007. Für weitere Erläuterungen siehe im gleichen Abschnitt unten. 14 Zur Bedeutung der Relevanzsysteme Betroffener für die qualitative Sozialforschung vgl. Lamnek 2005, 260 u. ö. Im Gegenzug dazu wird die Prädetermination der Forscherin gering veranschlagt. Vgl. Lamnek, 260. 15 Vgl. Lange 1981; Domsgen/Schröder 2014.

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Klärungen

Neugierde umgeht und ihnen zuhört. Dazu gehört die Teilnahme an der Praxis, das Mittanzen. Die Forscherin nutzte dabei Wege künstlerischer Forschung, die das eigene ästhetische Erleben einbezieht. Dabei entsteht künstlerisches Wissen, das mit sozialwissenschaftlicher Methodik kombiniert in eine qualitative Forschung eingebracht werden kann. Anke Abraham definiert dieses Wissen folgendermaßen: Künstlerisches Wissen ist ein Wissen, das sich zentral unserer leiblich-sinnlichaffektiven Vermögen und Resonanzen verdankt; dieses Wissen kann durch gedankliche Aktivitäten (mit-)konstruiert werden (und wird es in der Regel auch) und kann ebenso verbalisiert werden, aber es bezieht seine Stärke aus den Potenzialen leiblich-sinnlich-affektiver Wahrnehmungs- und Erkenntnistätigkeiten, die auch ohne kognitive Unterstützungen oder verbale Übersetzungen wirken – sowohl auf das Subjekt wie auch auf die materiale und soziale Umwelt – und Erkenntnisse erzeugen.16

Die Beziehungen zu den Erforschten bewegen sich in einem Feld zwischen professioneller Distanz und Identifikation.17 Vorausgesetzt wird, dass das im Forschungszeitraum gezeigte Engagement für die Anliegen der Tanzenden zur wissenschaftlich kritischen Sicht nicht in Konkurrenz tritt. In meiner empirischen Forschung verbinden sich Intuition und Wissenschaftlichkeit.18 Empirie beschränkt sich in dieser Studie nicht auf eine Datensammlung. Erfahrung (empeiria) im aristotelischen Sinne wird durch Leben und Lernen erworben. „,Erfahrungen machen‘ heißt etwas durchmachen und nicht etwas herstellen.“19 Daher liegt es nahe, den Tanzenden selbst das Wort zu geben und dem, was sie sagen, Raum zu geben. Leser_innen, die dieses „Wort“ angemessen wahrnehmen wollen, werden durch den Umfang des Teils B dieser Arbeit herausgefordert, sich Zeit zu nehmen und die Aussagen auf sich wirken zu lassen. Ein gewisser Überschuss an Informationen, die im daran anschließenden Teil C nicht erschöpfend behandelt werden können, ist beabsichtigt, da nur so dem, was die Tanzenden bewegt, Gehör verschafft werden kann.20 Beim Versuch, das, was Menschen beim Tanzen erleben, zu erforschen, sind erkenntnistheoretisch Grenzen gezogen. Beim Tanzen geht es um eine vorsprachliche, körperliche Erfahrung. Diese ist eingebettet in das Gesamte der Lebenswelt eines Individuums, die wie ein vorbewusstes Fundament fungiert. Aussagen von Tanzenden über ihr Erleben unterscheiden sich vom Erleben 16 Abraham 2016, 21. 17 Vgl. Lamnek 2005, 260 f. 18 Der Begriff Intuition gewinnt in der qualitativen Sozialforschung an Bedeutung, etwa bei Lamnek im Zusammenhang mit Biographieforschung. Vgl. Lamnek 2005, 697. 19 Waldenfels 1997, 19. 20 Für die Veröffentlichung wurde dieser Überschuss erheblich reduziert. Die Fülle der Aussagen kann anhand der Transkripte nachvollzogen werden. Vgl. „Downloads“ unter www.vandenhoeck-ru precht-verlage.com/tanz.

Fragestellung und Aufbau der Untersuchung

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selbst. Sie verwenden Deutungssysteme, die bereits nach Husserl sogenannten Vorurteilen unterliegen. Diese Deutungen sind nicht eins zu eins in eine Theorie transformierbar. Gedeutetes Erleben bildet das ab, was Tanzende über ihre Praxis denken. Was erforscht werden kann, ist nicht die Wirklichkeit einer somatischen Erfahrung selbst, sondern Konstruktionen von deren Bedeutung. Dementsprechend kann angenommen werden, dass die Deutungen der Tanzenden, aber auch die der Forscherin von vorgefertigten Annahmen über die Wirklichkeit beeinflusst werden. Von der Forscherin ist daher sowohl Selbstreflexivität gefordert bezüglich ihres Verhältnisses zu den untersuchten Praktiken21 sowie Zurückhaltung zu üben in Form einer bestimmten Haltung: „Die phänomenologische Haltung der Epoch oder des Einklammerns fordert die Zurückhaltung aller eingeschliffenen (Vor)-Urteile, aller Hypothesen und Theorien über die Wirklichkeit. Sie bildet eine Grundvoraussetzung dafür, dass die Rückfrage an die je schon stillschweigend fungierende Lebenswelt gelingt, indem sich eine erhöhte Aufmerksamkeit für gelebte Erfahrung einstellt.“22 Damit ist das Potenzial der Äußerungen Tanzender konturiert, Wirklichkeit abzubilden mit seinen Chancen und Grenzen. Die Chance der phänomenologischen Haltung besteht im intensiveren Wahrnehmen dessen, was sich zeigt, bei gleichzeitiger Vorsicht gegenüber überhöhenden oder banalisierenden Hypothesen. Diese Haltung ist für die Verarbeitung der Äußerungen, das Kodieren, von zentraler Bedeutung. Eigene Wahrnehmungen bei der Feldforschung stellen einen weiteren Aspekt der Generierung von Wissen dar. Wahrnehmungen, die über das intersubjektiv leichter nachvollziehbare Hören und Sehen hinausgehen, sind durch die zentrale Rolle des Körpers beim Tanzen gegeben. Was Körper beispielsweise durch den kinetischen Sinn wahrnehmen, lässt sich nicht ohne große Verluste in Textdokumente transponieren. Sowohl die Aussagekraft der aus der Teilnehmenden Beobachtung hervorgehenden Texte in dichter Beschreibung als auch die aus Gesprächen gewonnenen Sammlungen von Aussagen haben Grenzen. Forschungstechnisch ist eine Beschränkung auf die vorliegenden Texte geboten. Wissenschaftliche Theologie arbeitet mit Texten, hat es aber mit einer Wirklichkeit zu tun, die sich nicht allein in Texten fassen lässt. Dies wird schon daran deutlich, dass bei einer Körperpraxis wie dem Tanz das über Wahrnehmung und Erleben generierte Körperwissen konstitutiv für die untersuchte Realität ist. Neuere tanzwissenschaftliche und soziologische Forschung thematisiert daher zunehmend die kulturelle Relevanz des Körperwissens.23 Somit kann vorausgesetzt werden, dass auch die Realität, an der Praktische Theologie interessiert ist, die Praxis der Menschen in Kirche und 21 Vgl. Klein/Göbel 2016, 21. 22 Lotz 2007, 64. 23 Vgl. Behrens/Burkhard/Fleischle-Braun/Obermeier 2012; Franke 2009; Gehm/Husemann/von Wilcke 2007. Daneben kommt in der Soziologie das Körperwissen zunehmend in den Blick. Vgl. Keller/Meuser 2011; Hahn 2010; Hubrich 2013.

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Klärungen

Gesellschaft, durch solches Körperwissen mit konstituiert wird. Arbeiten der philosophischen Phänomenologie haben eine einseitig an Texten orientierte Auffassung von Kultur zugunsten des Körpers und seinen spezifischen Weisen des Welt- und Selbstzugangs aufgebrochen. Dem körperlichen Erleben selbst ist nach Merleau-Ponty nicht abzusprechen, dass es sich hierbei um eine Form von Bewusstsein handelt, die Zugang zu bestimmten Wissensformen schafft. Merleau-Ponty erweitert den Begriff Bewusstsein und bezieht ihn auch auf die Erfahrung im Leib, in Gefühlen, Wahrnehmungen und Kognitionen.24 Wahrnehmung erscheint als Weg der Erkenntnisgewinnung, jenseits des naturwissenschaftlich-empiristischen Erfahrungsbegriffs. Wahrnehmung ist abhängig von ihrem jeweiligen Subjekt. Seit Husserl25 gilt Intentionalität als zentraler Begriff der Phänomenologie. Das heißt: In jedem Akt der Wahrnehmung wird eine Beziehung zwischen dem Wahrnehmenden und dem Wahrgenommenen aufgebaut. Aktive und passive Aspekte treten gleichzeitig auf, wobei das Aktive meint, etwas zu erschließen, das Passive den Sachverhalt, dass sich etwas zeigt. Manches tritt hervor, anderes bleibt unthematisch. Inmitten einer Fülle anderer Sachverhalte erscheint etwas und tritt wahrnehmbar hervor. Beim Tanz wird grundsätzlich immer der Körper thematisch. Auf der Basis der erwähnten Vorarbeiten kann angenommen werden, dass das vorsprachliche körperliche Erleben von Tanz für die Individuen eine Form des Selbst- und Weltverhältnisses repräsentiert. Dem ist methodisch gesichert nur über die Verarbeitungsstufe des Erlebens, die Äußerungen, näherzukommen. Der Primat der Wahrnehmung in der Forschung ist so zu realisieren, dass die Forscherin im Feld selbst Erfahrungen macht, sinnliche Wahrnehmungen beschreibt und reflektiert.26 Dies ist deshalb nicht naiv, da die Perspektivität bewusst gemacht wird. Die Anerkennung von Intentionalität und Kontextualität27 von Erkenntnis nötigt zu einer Unterscheidung von eigenen sinnlichen Wahrnehmungen und der Behauptung von Wirklichkeit in Bezug auf das Forschungsfeld. Daher ist damit zu rechnen, dass sich die Gegenstände im Erkenntnisakt nicht nur zeigen, sondern auch entziehen. Die Tanzerfahrung als religiös zu identifizieren liegt nicht zwingend im Interesse derer, die sich tänzerisch betätigen, sondern vorwiegend im Interesse wissenschaftlich fundierter Wahrnehmung gelebter Religion28 in der 24 Vgl. Merleau-Ponty 1966. 25 Ohne die gesamte Gedankenführung Husserls nachvollziehen zu müssen, halte ich den Bezug auf sein Werk für erhellend, da die Erkenntnis der Intentionalität der Wahrnehmung in der sozialwissenschaftlichen Methodologie unter dem Stichwort Interessengeleitetheit der Forschung ein inzwischen mehrfach transformiertes Erbe dessen darstellt, z. B. in Habermas 1973. Habermas kritisiert an der Phänomenologie allerdings die implizite Fortsetzung des subjektphilosophischen Paradigmas und stellt diesem eine kommunikationstheoretische Deutung entgegen. Die kritische Theorie reflektiert den Interessenzusammenhang, in dem alle Theorie steht. 26 Vgl. Lotz 2007, 71. 27 Vgl. Lotz 2007, 71. 28 Gelebte Religion beschränkt sich nicht auf kirchliche Religion. Vgl. Heimbrock 2007; Failing/

Fragestellung und Aufbau der Untersuchung

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gegenwärtigen Lebenswelt. Es ist anzunehmen, dass bei Tanz Praktizierenden das Erleben auf einer vorwiegend nicht-verbalsprachlichen Ebene bzw. vorsprachlichen Ebene abläuft und ihnen in gewisser Weise vertraut ist. Die Suche nach dem Spirituellen im Tanz geht über eine „Begegnung mit dem, was religiöse Institutionen oder deren Experten als religiös bestimmt haben“,29 hinaus. Daher wird statt Religion der weitere Begriff Spiritualität verwendet. Während andere Forscher_innen mit vergleichbaren Ansätzen vor allem Phänomene im Alltag30 in den Blick nehmen, geht es in dieser Arbeit um das Phänomen Kirchentanz in seinen unterschiedlichen Facetten. Dieser ist nicht einfach in einen vorbewusst vertrauten Alltag mit seinen eingeübten Verrichtungen und manchmal eigentümlichen individuellen Präferenzen einzuordnen. Von Tanzenden als religiös verstandener Tanz hat bereits einen Bezug zu institutioneller Religionspraxis. Darüber hinaus verweist Tanz als Phänomen der Kultur jedoch auch auf einen weiteren Kontext, in dem der Rahmen säkular konzipiert ist. Auch hier kann meines Erachtens die Möglichkeit zu religiöser Erfahrungsdeutung vermutet oder zumindest nicht ausgeschlossen werden. Eine Untersuchung des Feldes Kirchentanz hat sich offenzuhalten für das, was sich den Tanzenden auch außerhalb kirchlicher Bezüge etwa im Kunsttanz spirituell zeigt und hat mit Einflüssen von Kunst auf kirchliches Tanzen zu rechnen. Die aus den Äußerungen der Tanzenden rekonstruierten Relevanzsysteme werden zeigen, ob Tanz aus Sicht der Tanzenden für ihre Spiritualität relevant ist. Der Verzicht darauf, Tanz auf seine Chancen zur Glaubensvertiefung zu befragen, geht zum einen einher mit der Anerkennung der Eigendynamik und des Eigenwertes dieser Praxis und der Selbstbestimmung von deren Subjekten. Die Frage nach dem Religiösen in der Tanzpraxis verfolgt nicht den Zweck, dieses den Zielsetzungen institutionalisierter Religion zuzuführen. Zum anderen ist m. E. aus theologischer Sicht das, was Menschen in ihrer Lebenswelt, bei entsprechender Aufmerksamkeit und Wahrnehmung erleben, durchlässig für das Geheimnisvolle, Staunenswerte, nicht Domestizierbare der Wirklichkeit. In dem, was Tanz für die Menschen bedeutet, anschließend bloß geprägte theologische Begrifflichkeiten wiederzuerkennen, hilft wenig weiter, sofern diese lediglich aus einer Dritte-PersonPerspektive eingebracht werden. In theologischem Verständnis stellt sich Wirklichkeit als nicht verfügbar und nicht beherrschbar dar.31 Sie ist prozessförmig und sie beruht darauf, dass sie gegeben ist, also Gabe ist in Form eines Geschehens. Doch auch ein forschungstheoretischer Grund liegt dem Verzicht auf die theologische Definition des Erfahrenen zugrunde. Mit der Entscheidung für eine Methodik, die Wert auf genaues Beschreiben legt, wie Heimbrock 1998. Ich füge für mein Forschungsfeld hinzu, dass der Bezug auf die Kirche bei „Kirchentanz“ allerdings im Namen angezeigt ist. 29 Lotz 2007, 74. 30 Lotz 2007; Mädler 2006. 31 Vgl. Heimbrock 2007, 57.

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sie von ethnologischer Feldforschung32 praktiziert wird, geht auch der Verzicht auf abstrahierende Begriffe einher. Eines der Merkmale der Ethnologie ist, dass sie sich der Interpretation von „der sehr intensiven Bekanntschaft mit äußerst kleinen Sachen her nähert“33. Das Anliegen von Teil B ist, genauer zu verstehen, was es mit der Erfahrung, die im Kirchentanz gemacht wird, auf sich hat. Dazu wird eine eigene Methodik zu entwickeln sein, die in der Einleitung zu Teil B dargestellt wird. Meine eigenen Beobachtungen34 werden durch die systematische Sammlung der Aussagen Tanzender ergänzt. Diese wurden mit Methoden qualitativer Sozialforschung, unter anderem dem sogenannten ero-epischen Gespräch35, gewonnen. Die Bedeutung, die Tanzende ihrem Tun beimessen, kann wichtige Aufschlüsse darüber geben, was Menschen dieser Szenen für ihre Spiritualität als konstitutiv ansehen. Die Untersuchung hat im Teil C das Ziel, herauszufinden, ob der Zusammenhang von ästhetischer und religiöser bzw. spiritueller Erfahrung im Kirchentanz plausibel gemacht werden kann. Dazu wird aufgezeigt, wie Denkfiguren, Zielvorstellungen und Tanzstile die ästhetische Wahrnehmung und Urteilsbildung beeinflussen. Ich will überprüfen, von welchen Bedingungen diese Erfahrungen abhängig sind, und Möglichkeiten ihrer Beschreibung erproben. Kulturwissenschaftliche und theologische Reflexionsperspektiven stellen Instrumente dar, mit denen die Erfahrungen in einen weiteren Kontext gestellt werden können. Dabei erweisen sich die Perspektiven der Semiotik und Performativität als besonders ertragreich, da sie das Spannungsfeld, in dem sich die Bedeutung des Tanzes für die Spiritualität der Befragten entfaltet, differenziert analysieren lässt. Die Frage nach dem Zusammenhang von Ästhetik und Theologie ist in der Praktischen Theologie bis in die Gegenwart immer wieder thematisiert worden.36 Diese Studie versucht auch dazu einen Beitrag zu leisten. Die Auswertung der Ansichten von Tanzenden kann außerdem als Seismograph für künftige Entwicklungen fungieren, indem der gegenwärtige Stand sichtbar wird.

32 33 34 35 36

Geertz 2007, 35. Geertz 2007, 30. Vgl. Teil A 7.4. Vgl. Girtler 2001. Vgl. Huizing 2015.

Systematische Sachklärung der Schlüsselbegriffe

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2. Systematische Sachklärung der Schlüsselbegriffe: Tanz – Spiritualität – Kunst – Ästhetische Erfahrung Zunächst ist zu zeigen, welche Facetten und Kontexte angesprochen sind, wenn die Begriffe Tanz, Spiritualität, Kunst und ästhetische Erfahrung in dieser Arbeit verwendet werden. Der Auswahl der Begriffe liegt die Annahme zugrunde, dass sie für das aus einem Ensemble von Praktiken zusammengesetzte Tun Tanzender relevant sind. Dies wird an deren Aussagen im Weiteren sichtbar werden. Praktiken verstehe ich sozialwissenschaftlich mit Gabriele Klein als ,sinnhaft regulierte Körperbewegungen, die von einem entsprechenden impliziten, inkorporierten Wissen‘ und von regelmäßigen ,Verhaltensroutinen im Umgang mit Artefakten […] abhängen.‘ Sie basieren auf einem vielschichtigen kollektiven Wissen. Dieses ist weniger ein Know-what als ein Know-how-Wissen, ,weniger ein mental Gewusstes/Bewusstes, sondern […] ein durch körperliche Übung inkorporiertes‘ Wissen zu verstehen. Praktiken also setzen nicht den Körper voraus, oder anders gesagt: ein Körper führt nicht Praktiken aus oder auf. Vielmehr ,steckt der Körper in den Praktiken.‘37

Bei „Tanz“, „Spiritualität“, „Kunst“ und „ästhetische Erfahrung“ handelt es sich nicht nur um Begriffe, sondern um komplexe Phänomene, die sich in Definitionen nur ansatzweise fassen lassen. Daher zeige ich mit verschiedenen Definitionsversuchen jeweils deren Perspektivität mit auf. Gleichzeitig lege ich meine eigenen Prämissen offen. Die religionshermeneutische Bedeutung der Aufgabe Praktischer Theologie in Bezug auf Tanz im Horizont von Ästhetik und Religion in der Gegenwart entfaltet sich sukzessive im Verlauf der Arbeit. Das Verhältnis von spezifischer „ästhetischer Erfahrung“ in unterschiedlichen Tanzpraktiken des erforschten Feldes zu einer „Tanzspiritualität“ kann erst nach der Darstellung der Aussagen Tanzender im Teil C genauer bestimmt werden. 2.1 Tanz Tanz entsteht aus der Bewegung von Körpern. Bewegung besteht nicht, ihre transitorischen Figurationen verflüchtigen sich scheinbar spurlos nach dem Ende des Tanzes.38 Tanz hinterlässt Spuren in Form von ästhetischer Erfahrung, tanzgeschichtlich und individuell wirksamen Erinnerungen, manchmal auch als religiös konnotierte Erfahrung. Tanz entwirft den Körper jederzeit neu, er gestaltet im körperlichen Medium Kraft bzw. Energie, Zeit bzw. Rhythmus, Raum und Form. Tanz schließt die Nichtbewegung, Stillstand und 37 Klein 2014, 31. 38 Vgl. Volkmann 2003, 93.

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Ruhe mit ein. Das Phänomen Tanz entzieht sich präziser begrifflicher Definitionen. Schreiben über Tanz kann sich der Realität immer nur nähern. Die Rede über Tanz hat mit Tanz nichts zu tun“39, stellte schon Mary Wigman, Protagonistin des Modernen Tanzes in Deutschland, fest. Diesen Mangel hat der begriffliche Umgang mit dem Phänomen mit jeder Reflexion einer im Erleben verankerten Erfahrung gemeinsam, kann jedoch konstruktiv genutzt werden. Statt Tanz angesichts der unmöglich scheinenden Aufgabe gar nicht wissenschaftlich zu thematisieren und damit den Körper tendenziell aus den Diskursen auszugrenzen, wird ein mehrdimensionaler Zugriff gewählt.40 Die Mehrdimensionalität von Tanz bringt bereits eine Fülle von möglichen literarischen Zugängen mit sich – poetische und wissenschaftliche, individuelle und universelle Aussagen. Aus der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Tanz gehen seit dem 20. Jahrhundert vermehrt tanzwissenschaftliche Werke hervor. Deren interdisziplinäre Methodik nutzt vielfältige bereits bestehende Zugänge zu kulturellen Phänomenen. Der kulturwissenschaftlich-semiotische Ansatz von Sabine Huschka verdeutlicht die zeichentheoretischen Implikationen von Tanz.41 Tanz ist kein Mysterium, von dem zu schweigen ist. Tanz ist selbst nicht schweigsam. Körper und Tanz tragen eine diskursive Dynamik in sich. Der Körper äußert sich in der Schrift, die der Tanz bietet. Eine Choreographie ist demnach ein Text mit einer eigenen materiellen Qualität wie auch andere Schriften und Texte. Im Unterschied zum Schreiben mit Instrumenten, Stift, Papier oder Computer fallen beim Tanz Schreibende und Schreibinstrument in eins. In der Mitte jeder Tanzbewegung befindet sich ein Tanzender, dessen Körperlichkeit sowohl individuell strukturiert als auch gesellschaftlich codiert ist. Es ist also entscheidend, den Tanzkörper nicht als Mittler eines Ausdruckskanons aufzufassen, als bloß Ausführenden spezifischer Bewegungen, der quasi als leere Folie von einer expressiven oder formalen Bewegungssprache beschrieben ist, sondern ihm als materiell lebendigem Konglomerat Aufmerksamkeit zu schenken und als solchen methodisch zu reflektieren.42

Im semiotischen Ansatz werden sowohl die Performativität von Tanz hervorgehoben wie auch dessen Codes untersucht. Der folgende Definitionsversuch bringt diese kombinierte Perspektive auf den Punkt: Tanz ist die automotorische, von Zwecken geleitete Bewegung höher entwickelter Organismen; diese bringen performative Gestalten und Figuren hervor, welche an einen Wahrnehmenden adressiert sind; dessen Aufmerksamkeit soll erweckt werden und ästhetische Attraktionen auslösen.43 39 40 41 42 43

Klein/Zipprich 2002, 1. Vgl. Huschka 2012, 21. Huschka 2012, 17–28. Huschka 2012, 25. Böhme/Huschka 2009, 8.

Systematische Sachklärung der Schlüsselbegriffe

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Während eine solche formale Fassung auch den Tanz von Tieren einschließt, bezieht sich die Wahrnehmung von Tanz als besondere Form von Wissenskultur auf menschliche Kulturen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass sich Wissen auch durch körperliche Performanz ausdrücken kann.44 Körperlich angelegtes Wissen kann demzufolge in künstlerischer, psychophysischer, ästhetischer, epistemologischer oder neurophysiologischer Hinsicht qualifiziert werden. Theologisch relevant ist die Frage, ob das Tanzen bei Akteuren und/ oder Zuschauern ein körperliches Wissen über die Möglichkeiten und Erlebnisweisen von Beziehungen zwischen dem Selbst und einer göttlichen (personalen oder nichtpersonalen) Wirklichkeit erzeugen kann und wie solches Wissen im eigenen Leben und im Leben der Kirche produktiv gemacht werden kann. Die semiotisch orientierte Tanzwissenschaft hat sich allerdings mit kirchlichen Tanzszenen oder religiös verstandenem Tanz bislang nicht beschäftigt. Der evolutionsgeschichtlich-kulturgeschichtliche Zugang setzt wiederum beim Tanz von Tieren ein, um von dort aus Tanz als ursprüngliches in allen Kulturen vorfindliches Verhalten zur Geltung zu bringen.45 In kulturhistorischer Perspektive ist nach Curt Sachs der Tanz „unsere Mutterkunst“46, die in Zeit und Raum gleichzeitig lebe. Da Tanz und Tanzende eine Einheit bildeten, unterscheide sich die rhythmische Bewegung von der Produktion plastischer Kunst, Bildwerken, Textilien oder Literatur. Die Bewegung bringe der Mensch im eigenen Körper hervor. „Noch sind Schöpfer und Geschöpf, sind Werk und Künstler Eines.“47 Der moderne Gebrauch des Wortes Kunst scheine nicht zu passen zur „quellenden Fülle dessen, was der Tanz ist“48. Ein enger Kunstbegriff führe beim Phänomen Tanz nicht weiter. Höchste Steigerung des Tanzes sei die menschliche Gottsuche.49 In Kulturen, in denen Tanz nicht geächtet wird, sondern „heiliger Akt und priesterliches Amt“ ist, in denen er Sache einer Gemeinschaft ist und mit den wichtigen Momenten individueller und gesellschaftlicher Relevanz verbunden wird, habe der Tanz die Chance, „gesteigertes Leben“ zu sein.50 Auch Max von Böhn unterstreicht im Tanz seine Herkunft aus der Natur. „Von allen Künsten, die der Mensch ausübt, ist der Tanz die ursprünglichste. Er empfing ihn von der Natur. Er teilt ihn mit den Tieren.“51 Im Gegensatz dazu stünden die Hochkulturen, zu denen er diejenige der Gegenwart rechnet. Von Böhn nimmt an, dass dort der Tanz lediglich Effekte vor Publikum erzielen wolle ohne die spirituelle Dimension. „Mit den Vgl. Böhme/Huschka 2009, 9. Vgl. Sachs 2007; von Böhn 1925. Sachs 2007, 1. Sachs 2007, 1. Sachs 2007, 1. Sachs 2007, 2. Sachs 2007, 2. Siegfried Macht vermutet in dieser Definition bereits den Ansatz zu „überhöhender Vergötzung“ des Tanzes. Vgl. Macht 2000, 15. 51 Von Böhn, 7.

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Füßen zu beten […] das haben wir verlernt.“52 Die Anfänge des religiösen Tanzes werden religionswissenschaftlich vorwiegend in einer unbestimmt weit zurückliegenden religionsgeschichtlichen Vergangenheit verortet.53 Dieses Verständnis kennzeichnet eine Strömung in der Tanzwissenschaft zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Parallel dazu verläuft in den Theatern der Aufbruch in den modernen Tanz, der mit einer Rückwendung zu mehr oder weniger imaginierten Ursprüngen in vorgeschichtlicher Zeit, teils auch der Antike verbunden ist.54 Gleichzeitig liegt der Fokus „auf der Auseinandersetzung mit dem seit der Moderne zentral bewerteten Phänomen der Bewegung respektive dem im Tanz als wichtigstes Strukturmoment angesehene [sic!] Phänomen der Körper-Bewegung.“55 Anders als in der semiotischen Tanzwissenschaft wird in der evolutionsgeschichtlich orientierten Kulturhistorie die gesellschaftliche Codierung des Tanzkörpers ausgeblendet, das Körperliche vorwiegend als naturgegeben hingenommen und dem Tanz die Fähigkeit zu unmittelbarem Ausdruck vorsprachlicher Zustände zugeschrieben. Die semiotische Sicht hat allerdings wenig zu den religiösen Funktionen von Tanz zu sagen, solange sie nicht mit den Einsichten des kulturwissenschaftlichen performative turn verbunden wird, wie unten zu zeigen sein wird. Die Rolle von Tanz in Religion und Ritus wird von der kultursoziologischen Forschung aufgegriffen, etwa von Gabriele Brandstetter und Gabriele Klein56, geht aber darüber hinaus. Eine entscheidende Grundannahme kultursoziologischer Herangehensweisen ist die Erkenntnis der Kulturabhängigkeit von Tanz. Von natürlichen, universellen Formen wird demnach nicht ausgegangen. Ursprüngliche wesensmäßige Bestimmungen von Tanz als heiligem Akt oder Gebet werden nicht angenommen. Dies unterscheidet den Ansatz von den älteren evolutionsgeschichtlich-kulturgeschichtlichen Prämissen und rückt ihn in die Nähe der semiotischen Perspektive. Gegenüber der semiotischen Sichtweise liegt der Schwerpunkt der Betrachtung jedoch auf soziologischen Fragestellungen, wie etwa Rollentheorien. Diese erlauben, die Frage nach religiösem Tanz aufzugreifen, ohne eine Vorentscheidung darüber zu treffen, ob sich im religiösen Kontext der wahre Sinn von Tanz erfüllt. Tanz ist demnach das, was in unterschiedlichen Tanzverständnissen vorzufinden ist. Gesellschaftliche Bestimmungen des Körperlichen werden in ihrem Bezug zu Tanzstilen in Kunsttanz, Gesellschaftstanz und Volkstanz aufgezeigt. Janine Schulze-Fellmann weist auf das Verschwinden des Männerkörpers aus dem Bühnentanz seit dem Aufkommen des Romantischen Balletts um 1830 hin und zeichnet die wechselvolle Geschichte der Inszenierung von Geschlecht samt 52 Sachs 2007, 3. 53 Vgl. Gundlach 2002, 176. Barbara Gundlach bezeichnet daher den Tanz auch als „(Nicht-)Gegenstand religionswissenschaftlicher Forschung“. Den Grund sieht sie in der Verdrängung des Tanzes aus der Religion im Christentum. Vgl. ebd. 54 Siehe dazu im Einzelnen die Darstellung unter A 6.1. 55 Huschka 2012, 34. 56 Vgl. Brandstetter 2007; Klein 1992.

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den soziokulturellen Folgen für die Tänzer_innen nach.57 Gabriele Klein untersucht die Rolle des Frauenkörpers in der Tanzgeschichte. Leitmotiv ihrer Untersuchung ist die Erkenntnis: „Einer der gesellschaftlich den Frauen zugewiesener Raum [sic!] ist der Tanzraum.“58 Unterschiedliche Körperbezüge von Männern und Frauen bilden den Fokus der Wahrnehmung. Damit wird Tanz als geschlechtsbedingtes Verhalten eingeordnet, kann also nicht geschlechtsneutral beschrieben werden. Auf eine universal gültige Definition von Tanz wird verzichtet. Was Tanz jeweils ist, erschließt sich durch das weitergehende Verständnis seiner Einbettung in gesellschaftskulturelle Zusammenhänge. Gabriele Brandstetter kommt demnach statt einer abschließenden Definition des Tanzes eher zu einer Beschreibung seiner Relevanz für wissenschaftliche Forschung: Tänze repräsentieren, vermitteln und aktualisieren in spezifischer Form Wissen vom Menschen, das auf jeweils unterschiedlichen historischen und kulturellen Voraussetzungen basiert. Sie sind Darstellungs- und Ausdrucksformen der Menschen, ihrer Verhältnisse zur Welt und ihrer Selbstverhältnisse.59

Tanz impliziert nicht eine transkulturelle universelle Anthropologie, sondern vielmehr jeweils unterschiedliche Verständnisse vom Selbst- und Weltverhältnis Einzelner oder von Gruppen. Damit thematisiert Tanz wie auch andere Kunstformen existenzielle Fragen. Unter anderem rückt Tanz als Krisenphänomen in den Fokus. Gesellschaftliche Veränderungen werden von Aufbrüchen im Tanz begleitet. Auf diese Weise ist Tanzkunst auch in der Lage, als Spiegel verdrängter Bedürfnisse und Lebensthemen zu fungieren. Als Kunst wird Tanz vor allem von neueren Theorien in den Blick genommen, die dessen Performativität im Rahmen eines ästhetischen Ansatzes reflektieren. Inspiriert durch die in den 1970ern durch Richard Schechner in den USA eingeführten performance studies trat die „Aufführung“ in den Fokus der Theaterwissenschaften. Ein erweiterter Theaterbegriff ermöglichte die Wahrnehmung von Tanzaufführungen und religiösen Ritualen.60 In den Künsten in Deutschland trat ebenfalls eine „performative Wende“61 ein, die bald kulturwissenschaftlich reflektiert wurde. Stellvertretend dafür stehen die Arbeiten der Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte. In deren „Ästhetik des Performativen“62 werden Wahrnehmungsansätze entfaltet, die die Theatralität des Tanzgeschehens zur Geltung bringen. Der Begriff der leiblichen Ko-Präsenz von Akteuren und Zuschauern erhellt die Dynamik einer Tanzaufführung unter rezeptions- und produktionsästhetischem Aspekt. Körperlichkeit wird eingehend reflektiert und weitere sinnlich wahrnehmbare 57 58 59 60 61 62

Vgl. Schulze-Fellmann 2016, 358 und 358–369. Klein 1992, 11. Brandstetter/Wulf 2007, 9. Vgl. Fischer-Lichte 2010, 22. Fischer-Lichte 2004, 30. Vgl. Fischer-Lichte 2004.

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Parameter eines Bühnengeschehens – Räumlichkeit, Lautlichkeit, Zeitlichkeit – betrachtet. Die Fragen, wie Bedeutung generiert wird und welche Rolle die Inszenierung für Prozesse spielt, die die Beteiligten in die Liminalität und Transformation führen, erhellen den Zusammenhang von Kunst und Leben. 2.2 Spiritualität In der Theologie werden Fragen christlicher Existenz, von Erfahrung und Transformation in der Disziplin der Praktischen Theologie meist in Verbindung mit Schlagworten wie Frömmigkeit oder Spiritualität reflektiert.63 Da Tanz in der Kirche kein Standardthema in der evangelischen Praktischen Theologie darstellt, erscheint es mir sinnvoll, zuerst nach dem zu suchen, was mit dem weit aufgespannten Begriff Spiritualität verbunden wird. Hierauf wird ein Begriff von Spiritualität konturiert, der verspricht, für die Erfahrungen Tanzender wie auch die Praktische Theologie anschlussfähig zu sein. Dabei sehe ich Praktische Theologie einerseits im Anschluss an Henning Schröer als einspruchsfähige Wissenschaft, die in die Kultur eintritt und kulturelle Lebensformen des Glaubens anerkennt64, sowie eine Integrationswissenschaft65, die das interdisziplinäre Gespräch innerhalb der Theologie und mit anderen Wissenschaften sucht, andererseits als Kunst der Wahrnehmung66 und Wirklichkeitswissenschaft67, die Phänomene christlicher Gegenwartskultur aufnimmt und interpretiert. Der moderne Begriff Spiritualität oder „spiritualit “ geht aus der französischen katholischen Ordenstheologie hervor68. Die sprachliche Wurzel liegt im lateinischen spiritus und dem entsprechenden Verb spirare. Das Wort spiritus verweist auf Vorstellungen von Seele, Geist, Begeisterung und Sinn, spirare auf das lebensnotwendige Atmen. Im Abendland ist der Begriff seiner Herkunft nach christlich gefüllt.69 Erst im 20. Jahrhundert wird er über 63 Als eigene Unterdisziplin wurde dieses Gebiet neuerdings von Klaus Raschzok als Aszetik entworfen. Vgl. Raschzok 2012. Gegenüber dem älteren Begriff „Frömmigkeit“, dessen Bedeutung sich auf „Innerlichkeit“ verengt hatte, bringt der Begriff der „Spiritualität“ „die das ganze Leben umgreifende Bedeutung des Gottesbezuges zur Geltung“. Krech/Hahn 2005, 9. 64 Vgl. Schröer 2003, 65. 65 Als „Integrationswissenschaft“ kann Praktische Theologie andere theologische Disziplinen integrieren: „Die Theorie der Praxis des Glaubens vollzieht sich als Integration der theologischen Denk-Bemühungen um den Glauben.“, Schröer 2003, 59. Gleichzeitig bezieht sich phänomenologisch geschulte integrative Theologie auf konkrete Wahrnehmungen: „Die Einzelheit ist der Fall konkreter integrativer Theologie, nicht die allgemeine Containerformel.“, Schröer 2003, 57. 66 Vgl. Grözinger 1987 und 1995. 67 Vgl. Heimbrock 2005. 68 Vgl. Dictionnaire de spiritualit asc tique et mystique, dessen 17 Bände vom Jesuiten Joseph de Guibert Ende der 1920er Jahre begonnen und erst 1995 abgeschlossen wurden. Vgl. Wiggermann, Sp. 708; Bucher 2014, 29. 69 Mit spiritus ist der Heilige Geist, die dritte Person der Trinität gemeint. Vgl. Wohlmuth 2006, 43.

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Frankreich hinaus gebräuchlicher und differenziert sich konfessionell aus. Daneben existiert eine zweite Linie aus dem englischen spirituality, einem Wort, dessen Reichweite von Anfang an über die Grenzen des Christentums hinausging.70 Die folgende Arbeitsdefinition setzt eine postchristlich geprägte Gesellschaft in Deutschland voraus; konfessionelle Aspekte sind nicht berücksichtigt, da das Phänomen sich, wie noch zu zeigen sein wird, von Anfang an in ökumenischer Weite gestaltet. Spiritualität ist individuell gestaltete Praxis, die sich von Glaubensüberzeugungen und Suchbewegungen nach Sinn nährt. Anders gesagt: spirituell ist, was Menschen subjektiv dafür halten, solange es um ihre eigene Praxis geht.71 Individuell gelebte Erfahrung ist wie Wind, den man spüren, aber nicht greifen kann.72 Von so verstandener Spiritualität kann nur in der Perspektive der Ersten Person gesprochen werden. Zuschreibungen von außen können damit nicht vorgenommen werden wie etwa im Stil „dieser Tanz ist spirituell, jener nicht“. Zwar setzt die Arbeitsdefinition voraus, dass es sich hierbei um wahrnehmbares Verhalten handelt. Ob dieses Verhalten jedoch (christlichen) Glaubensüberzeugungen und Suchbewegungen entspringt und diese „geistgewirkt“73 sind, kann nicht aus der Perspektive der dritten Person heraus entschieden werden. Diesen Anspruch müsste eine umfassende, allgemeingültige Definition von Spiritualität erfüllen. Eine solche Metadefinition ist einerseits aufgrund der Kontextabhängigkeit der Praktiken nicht sinnvoll, andererseits wegen der erkenntnistheoretisch begründeten Unerkennbarkeit des göttlichen Geistwirkens theologisch nicht angemessen. Mehr als einen Horizont abzustecken wird nicht gelingen, da Verallgemeinerungen die Sache sofort unscharf werden lassen. In der Gegenwart wird dieser Horizont entscheidend durch die im praktisch-theologischen Diskurs vielfach beschriebene „Religiosität in der postmodernen Gesellschaft“ konstituiert. An dieser Stelle kann der schillernde Begriff „Postmoderne“ nicht in allen Facetten beleuchtet werden. Daher gebe ich nur wenige Hinweise, die mir für die Konturierung der gegenüber der „Moderne“ modifizierten gesellschaftlichen und ideellen Voraussetzungen von Spiritualität bedeutsam erscheinen. Pluralität gilt als Schlüsselbegriff, da er mehrere Phänomene bündelt: das „Ende der Meta-Erzählungen, Dispersion 70 Vgl. Grom 2011, 14. Ähnlich bestimmt Traugott Roser den Begriff „spirituality“, der für eine universale Erfahrung von Transzendenz steht, die Religionsgrenzen überschreitend eher als „Bezogenheit auf das umgreifende eine Sein, das den Menschen als umfassendes Geistiges, Transmaterielles, Metaphysisches erscheint.“ Zitiert in: Raschzok 2012, 30. 71 Bei Hans Urs von Balthasar findet sich bereits 1958 in ähnlicher Weise der Begriff „Spiritualität“ als „subjektive Sicht der Dogmatik“, der Aspekt der Sinnsuche findet noch keine Berücksichtigung. Vgl. von Balthasar 1958, 341. 72 Vgl. Nye zitiert in: Bucher 2014, 28. 73 In der Veröffentlichung einer Arbeitsgruppe der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) von 1979 findet sich die auf protestantische Spiritualität gemünzte Aussage, Spiritualität sei „das wahrnehmbare geistgewirkte Verhalten des Christen vor Gott“; in: Wiggermann 2000, Sp. 709.

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des Subjekts, Dezentrierung des Sinns, Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, Unsynthetisierbarkeit der vielfältigen Lebensformen und Rationalitätsmuster“74. Deren Auswirkungen auf Religiosität sollen nur skizziert werden. Die Postmoderne brachte nicht die Religion zum Verschwinden, sondern vielmehr eine Erweiterung zu einem „Markt der religiösen Möglichkeiten“75. Heterogene Sinnangebote befinden sich in der Lebenswelt in enger Nachbarschaft. Menschen suchen darin nach einer Spiritualität, die zu ihnen passt. Religion wird individuell angeeignet und dem Lebensentwurf angepasst. Damit wird eine Option ergriffen, die sich durch den Bedeutungsverlust institutionell vermittelter Religion eröffnet hat. Erfahrungsnahe, vorreflexive Formen gewinnen dabei an Bedeutung. Da sich Formen von Rationalität76 pluralisieren, tritt die Vorherrschaft cartesianischer Weltsicht zurück, für die das begriffliche Denken zentral ist.77 Dadurch verliert sich weder das Interesse an Selbst- und Welterkenntnis, noch das an der Übersteigung der vorfindlichen Wirklichkeit hin auf ein alles begründendes Numinoses. Die Zugänge dazu allerdings pluralisieren sich, wobei ein Akzent auf subjektivem Erleben liegt. Das Spirituelle lässt sich erfahren. „Nicht Dogmen, sondern religiöse Erlebnisse bilden den Kern der neuen Religiosität. Ort der religiösen Vergewisserung ist das Individuum, das die religiösen Erfahrungen macht.“78 Religiöse Institutionen werden individueller Kritik unterzogen und zunehmend die Mitgliedschaft durch Austritt quittiert.79 Die Suchenden haben gewisse Ansprüche an religiöse Erlebnisse entwickelt. Viele Beispiele postmoderner Religiosität lassen erkennen, dass die Erlebnisorientierung allein den heutigen Zeitgenossen noch nicht zu genügen scheint. Erst wenn Erlebnisse eine Sakralisierung erfahren, sind sie mit der nötigen Weihe versehen, die ein geglücktes Leben erfordert.80 74 Welsch 2008, 7. Welsch plädiert für einen an Basis-Differenzen orientierten Begriff der Pluralität, im Gegensatz zum Pluralismus, der lediglich „Oberflächen-Buntheit“ signalisiere. Dies enthält weder ein Plädoyer für Indifferenz noch für Beliebigkeit. 75 Zimmerling 2003, 127. 76 Während Welsch ästhetische und ethische Rationalität für inkommensurabel hält, gehe ich von Möglichkeiten der Annäherung aus. Eine Unterscheidung beider ist dafür Voraussetzung. Welsch gelangt letztlich ebenfalls zu einem Konzept der Vereinbarkeit unterschiedlicher Rationalitäten in der sogenannten transversalen Vernunft, die eine gekonnte Verschleifung scheinbar unvereinbarer Formen von Vernunft darstellt. Vgl. Welsch 2008, Kap. XI. 77 Vgl. Welsch 2008, 264. 78 Zimmerling 2003, 128. 79 Sowohl in katholischer als auch evangelischer Kirche wird um 1974 ein Höhepunkt erreicht; ein weiterer deutlicher Anstieg liegt in den Jahren um die Wiedervereinigung Ende der 1990er Jahre. Ergebnis der Mitgliederenwicklung in der evangelischen Kirche ist ein deutlicher Rückgang im Bevölkerungsanteil. Während 1950 noch mehr als die Hälfte der bundesdeutschen Bevölkerung evangelisch war, sind es 2010 in Westdeutschland ohne Berlin nur noch knapp 32 %. Katholiken stellen einen Anteil von 36 %. Damit hat die katholische Kirche weniger Verluste erlitten. Vgl. Pollack 2016, 376. 80 Zimmerling 2003, 135.

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Eine solche Spiritualität wird den Kirchen nicht unbedingt zugetraut. Nicht sicher ist, ob es ihnen bereits gelungen ist, eine überzeugende „Praxis der Pluralität“ (Welsch) zu entwickeln, jenseits von Indifferenz und Beliebigkeit. Außerhalb der Kirchen hat sich inzwischen ein freier Markt entwickelt, auf dem die unterschiedlichsten Produkte die Zuschreibung „spirituell“ erhalten. Die Stadt Limburg etwa wirbt mit dem Slogan „Entschleunigung und Spiritualität“ für Wellness-Angebote81. Spirituelles tut gut und ist vage „ganzheitlich“. Ein Buchtitel wie „Praktische Spiritualität für Ungeduldige“ (Kerstin Reichl 2013) verspricht „Anfängern“ Orientierung und Anleitung ohne viel Zeitverlust. Spiritualität kann losgelöst von traditionell und institutionell angebundener Religiosität praktiziert werden. Die Unschärfe des Wortes „Spiritualität“ trägt dazu bei, dass das Religiöse sich in den Alltag hinein verstreut.82 Durch die Verkreuzung verschiedener Codes etwa aus ostasiatischen oder esoterischen83 Religiositäten kommt es zur Hybridbildung. Im Alltagssprachgebrauch hat sich eine Vorstellung von „Spiritualität“ durchgesetzt, die Bilder von Ruhe, Muße, Einkehr und Wohlbefinden bündelt, aber auch prozesshafte Aspekte wie Selbsterfahrung, Bewusstwerdung und Persönlichkeitsentwicklung einschließt.84 Der Körper erscheint als Quelle einer ganz eigenen Weisheit, was häufig zu einem aufmerksam spürenden Umgang mit ihm führt. Daneben stehen Körperpraxen, die den Körper als Ort der Inszenierung von Identität gebrauchen, in großer Freiheit dessen Erscheinungsbild modifizieren, ihn nachhaltig schmücken (Piercing, Tattoos), trainieren und leistungsorientiert optimieren. Beide Strömungen berühren Fragen von Lebenssinn und Glück. Theorie ist dazu nicht unbedingt nötig, Theologie auch nicht. Ludwig Wittgensteins Auffassung, die großen Fragen seien nicht durch theologische Reflexion lösbar, sondern nur dadurch, dass man etwas Sinnvolles mit dem eigenen Leben anfängt, antizipiert die Auflösung aller theologischen Sinnfragen. Wittgensteins dreifache Bestimmung religiöser Erfahrung kommt ganz ohne Gottesbezug aus, sie sei jeder Religi81 URL: http://www.limburgtourismus.de/wellness.aspx (2015/10/26). 82 Vgl. Ebertz 1998; Zimmerling 2003, 28. 83 Der Begriff „Esoterik“ blickt quasi von außen auf eine Vielzahl unterschiedlicher spiritueller Praktiken, die generell durch bestimmte weltanschauliche Grundelemente verbunden sind. „Unter dem Schlagwort Esoterik finden sich z. B. Astrologie, Channeling, Kartenlegen, Pendeln oder die Verwendung von Edelsteinen. Viele Methoden sind auf Heilung ausgelegt, oftmals unter Bezugnahme auf so genannte kosmische Energien oder (Selbst-)Heilungskräfte: Reiki, Geistheilung, Bachblüten, Aurasoma, Aromatherapie, schamanistische oder ayurvedische Verfahren sind nur eine kleine Auswahl. Essenziell sind auch Methoden, die der (Selbst-) Erkenntnis dienen, wie etwa Meditation oder Yoga. In der Regel werden die Praktiken aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgelöst und in ein esoterisches Deutungsmuster integriert, sodass aus einer Vielzahl von Techniken individuell gewählt werden kann und eine Offenheit gegenüber Neuem besteht.“ Vgl. Möller/Radermacher 2011. 84 In einem weitergehenden Zugriff wird unten „Spiritualität“ im Kontext des Protestantismus vorwiegend lutherischer Prägung ausgeleuchtet. Dabei steht erneut die Frage an, wie weit dieser Begriff trägt oder ob eher anderen Begriffen wie Frömmigkeit oder Askese (mit der dazu gehörenden wissenschaftlichen Disziplin der Aszetik) der Vorzug gegeben werden sollte.

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onskritik enthoben: 1) Das Staunen über die Existenz, 2) die Erfahrung der Geborgenheit oder von unbedingtem Vertrauen und 3) die Erfahrung von Schuld, Verantwortung und Gewissen.85 Religiöse Vorstellungen, die sich an überlieferten Texten abarbeiten, werden somit überflüssig. Dogmatische und rituelle Besonderheiten können getrost beiseite bleiben.86 Dies deckt sich mit den Ergebnissen empirischer Untersuchungen, die zeigen, dass zwar Interesse an Religion besteht, aber Kirche und Theologie dafür verzichtbar erscheinen. Man kann auch ohne Kirche christlich sein.87 Dieses ausgeweitete Verständnis wird von der Arbeitsdefinition als „individuell gestaltete Praxis, die sich von Glaubensüberzeugungen und Suchbewegungen nach Sinn nährt“, durchaus gewollt mit erfasst. Sie bietet Raum sowohl für die meist individuellen und undogmatischen Glaubensüberzeugungen als auch die Suchbewegungen. Beides durch spirituelle Praktiken in Form zu bringen, stellt sich als Herausforderung im Lebenslauf dar. Der biographische Ort der Praxis mitsamt der geschlechtlichen Identität88 stellt einen bestimmenden Kontext dar. Mehr oder weniger konfessionell geprägte kirchliche Praxis bietet einen Rahmen für Gestaltungen. Dieser Rahmen wird durch die Art und Weise gebaut, wie Kirche an individuell bedeutsamen Orten aktuell erlebt wird, biographisch in der Vergangenheit erlebt wurde, und was man von Kirche so erwartet (oder befürchtet). Daneben wirken auch Ausprägungen von „Spiritualität“ auf die Einzelnen ein, die in säkular getönten Vorstellungen von Wohlbefinden und Gesundheit sowie Elementen nichtmaterialistischer Weltsichten wie dem Einssein mit dem Kosmos in der Esoterik89 wurzeln. Die weite Arbeitsdefinition bietet den Vorteil, ganz unterschiedliche Spiritualitäten wahrnehmen zu können und deren Leistungen zu würdigen. Als heuristischer Begriff kann er aufmerksam machen für Spiritualitäten in Bibel und Kirchengeschichte sowie in der Kunst. Der subjektive Fokus erlaubt es, das, was unter Spiritualitätspraxis im Kirchentanz verstanden wird, erst schrittweise zu konstruieren, indem in Teil B dieser Arbeit den Tanzenden selbst das Wort gegeben und in Teil C theoriegestützt reflektiert wird. 85 Vgl. Wittgenstein in Theißen 2012, 297. 86 Vgl. Englert 2006, 24. 87 Pollack stellt Ergebnisse der Untersuchung von Austrittsgründen ehemaliger Kirchenmitglieder dar. In Westdeutschland spielt der Grund „Ich kann auch ohne Kirche christlich sein“ eine überdurchschnittlich große Rolle, mehr als andere. Weitere bedeutende Gründe sind Kirchensteuerersparnis, die Meinung, Kirche sei unglaubwürdig, sowie Gleichgültigkeit gegenüber der Kirche. Vgl. Pollack 2016, 377. 88 Gefragt sind weiterhin geschlechtsspezifische Räume, in denen Spiritualität entwickelt und praktiziert werden kann. Dabei ist die Diversität von Frausein oder Mannsein im Blick zu behalten sowie an einem von Frauen und Männern gemeinsam gelebten Glauben festzuhalten. In Tanzspiritualität ist die geschlechtliche Identität von besonderer Bedeutung, da das Körperliche, mithin das eigene Gefühl für das Frau-/Mannsein wichtig wird sowie die Inszenierung von Geschlechtlichkeit in Kleidung und Bewegung. Siehe dazu die Äußerungen in Teil B. 89 Zum Containerbegriff „Esoterik“ siehe oben Anm. 79.

Systematische Sachklärung der Schlüsselbegriffe

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Wie stellt sich die Diskussion um Spiritualität nun in der evangelischlutherischen Theologie dar? In der Vergangenheit wurde die Legitimität der Suche nach einer evangelischen Spiritualität angezweifelt90, die Dialektische Theologie hat zusätzlich als „Kahlschlag“91 gewirkt. „Neben der Infragestellung von Spiritualität wird die Förderung der Spiritualität in der evangelischen Kirche durch die Unsicherheit darüber gehindert, ob es eine besondere evangelische Spiritualität gibt.“92 Dennoch scheint sich als charakteristisch für protestantische Religionsstile die Besinnung auf „Subjektivität“ zu erweisen. Eine historische Wurzel gegenwärtiger Konzentration auf Subjektivität liegt bereits in der Reformation: „Gott ist für Luther nicht nur der Ursprung des Kosmos und der Heilsgeschichte, sondern in erster Linie der innere Grund der menschlichen Subjektivität.“93 Diese geistesgeschichtliche Wende hat Spiritualität gleichsam demokratisiert. Sie ist in der gesteigerten Bedeutung der Gewissensfreiheit und der Höherwertung des Individuums begründet.94 Die umfangreicheren aktuellen Darstellungen evangelischer bzw. christlicher Spiritualität von Peter Zimmerling95 und Corinna Dahlgrün96 zeigen eine Vielfalt von Formen auf. Der Begriff Spiritualität wird hier auch für historische Phänomene verwendet. Außerdem veröffentlichte das Lutherische Kirchenamt 2005 einen für die Lektüre von Laien bestimmten Band, der den Begriff Spiritualität evangelisch konturiert. Eine Gemeinsamkeit jener Ansätze ist, das christliche Leben als Weg zu bestimmen. Christliches Leben ist nach Martin Luther ein Werden, nicht ein Sein.97 Als Grundvollzüge evangelischer Spiritualität bestimmt Ralf Stolina Aktion und Kontemplation. Stolinas „Arbeitsdefinition“ bezeichnet mit Spiritualität „den Zusammenklang der für das religiöse Leben wesentlichen Momente Erkenntnis und Lehre – Erfahrung – Vollzug.“98 Unter Kontemplation wird eine Form von wortlosem Dialog zwischen Gott und Mensch jenseits von Diskursivität und Reflexivität verstanden, unter Aktion das Welt und Menschen zugewandte Handeln als Christ. Die Lehre nimmt zwar eine zentrale Stellung ein. Die Bedeutung von Vollzügen, Wiederholung und Übung wird aber auch gesehen. Nach Michael Beintker gehören scheinbar unproduktive Erfahrungen mit zu diesem Weg. Auch das Ausbleiben von ersehnten Glaubenserfahrungen ist bereits eine Glaubenserfahrung. Martin Luther habe dies in seinem berühmten Dreitakt von „Oratio, Meditatio und Tentatio“ zum Ausdruck gebracht.99 Zu den konstanten Er90 91 92 93 94 95 96 97 98 99

Vgl. Zimmerling 2003, 283. Zimmerling 2003, 284. Zimmerling 2003, 284. Barth 2004, 395. Vgl. Zimmerling 2003, 284. Vgl. Zimmerling 2003. Vgl. Dahlgrün 2009. Vgl. nur Möller 2005, 17. Stolina 2005, 63. Vgl. Beintker 2005, 58.

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scheinungsbildern evangelischer Spiritualität gehören Gebet100, Bibellese101, Gemeinschaft, Sakramente und Gottesdienst sowie eine dem Alltag zugewandte Haltung, die nach dem Vorbild Dietrich Bonhoeffers Christsein in der Diesseitigkeit102 verwirklicht. Aus dieser kurzen Übersicht nehme ich die genannten Erscheinungsbilder evangelischer Spiritualität mit, da diese sich als Felder erweisen, auf denen Tanz Beiträge zur Transformation des Gegebenen leisten könnte bzw. bereits leistet, was sichtbar zu machen wäre. Außerdem ist der Gedanke bedeutsam, das Ausbleiben des besonderen Erlebnisses in die Vorstellung von Spiritualität einzubeziehen. Die Frage nach dem Zusammenhang von Aktion und Kontemplation versuche ich in Gestalt des Konnexes von Ästhetik und Ethik wachzuhalten. Für die Beschäftigung mit Tanzpraktiken im Rahmen evangelischer Spiritualität stellen sich allerdings auch Hindernisse in den Weg. Dem konfessionsspezifischen Diskurs haftet eine unterschwellige Verurteilung von gestalteten Formen erfahrungsorientierter Spiritualität an. Wer meditiert, tanzt, wandert oder singt, um sich mit einer Suchbewegung nach Sinn auf den Weg zu machen, macht sich des Strebens nach „Selbstverwirklichung“ verdächtig und setzt sich dem Vorwurf aus, sich geistliche Erfahrungen oder gar das Reich Gottes ertanzen zu wollen.103 Stellvertretend für diese Stimmen zitiere ich lediglich einen längeren Abschnitt von Christian Möller, der, ohne vom Tanz zu handeln, dennoch spüren lässt, welcher Gegenwind im Protestantismus potenziell immer noch weht. Die Umschreibung lutherischer Spiritualität wird von Möller mit der expliziten Abgrenzung von „anderen Richtungen und Zielen von Spiritualität“ verbunden: 1. Gegenüber einer Spiritualität, die nach Vollkommenheit in der Heiligung strebt, kommt für lutherische Spiritualität der Schatz des Evangeliums in zerbrechlichen Gefäßen von Menschen zum Leuchten, die ihrer Sünde im Angesicht Christi auf befreiende Weise inne werden und deshalb mit ihrem ,Pfahl im Fleisch‘ fragmentarisch leben können. 2. Gegenüber einer Spiritualität, die den Alltag überwinden und zum Besonderen und Heiligen strebt, ist für lutherische Spiritualität das Einwandern in den Alltag und die Begeisterung für das Alltägliche und Nächstliegende kennzeichnend. 3. Gegenüber einer Spiritualität, die esoterisch auf Vergeistigung aus ist, ist für lutherische Spiritualität die Freude am Sinnlichen wie z. B. Wasser, Brot und Wein oder dem Zug der Sprache in den Gesang kennzeichnend. 100 101 102 103

Vgl. Möller 2005; Beintker 2005. Vgl. Möller 2005; Beintker 2005. Vgl. Möller 2005; Beintker 2005. Vgl. den viel zitierten Ausspruch von Heinz Zahrnt auf einem der evangelischen Kirchentage, der sinngemäß lautet, man könne sich das Reich Gottes nicht ertanzen.

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4. Gegenüber einer Spiritualität, die durch Meditation den menschlichen Willen zu überwinden sucht, um in das Ganze einer apersonalistisch gedachten Wirklichkeit einzutauchen, ist für lutherische Spiritualität das herzliche Verlangen nach dem Kommen und Wiederkommen Jesu Christi kennzeichnend, der im Menschen zum Subjekt der Heiligung und so zum Täter der wahrhaft guten Werke wird. Die heute weit verbreitete Sehnsucht nach Spiritualität ist gefährdet durch den Versuch, diese Sehnsucht zu funktionalisieren und zu instrumentalisieren, z. B. für die Steigerung von Gottesdienstzahlen, für die Gewinnung von Anhängern, für die Profilierung von Gemeindemanagement usw. Ihrem Wesen nach ist Spiritualität, zumal lutherische Spiritualität, zwecklos und gerade deshalb so inspirierend.104

Abgesehen davon, dass allein die Sprache („ihrer Sünde auf befreiende Weise inne werden“, „herzliches Verlangen“) für Menschen, die in der Gegenwart nach Spiritualität suchen, abständig wirken kann, werden Bedingungen dafür aufgestellt, wann Spiritualität als christlich anerkannt wird. Bedingungen verstellen die Sicht auf das, was für Menschen an der Basis relevant ist. Deren Relevanzsysteme sind gerade auch wegen der urreformatorischen Überzeugung vom Priestertum der Getauften zu beachten. Die Formen religiöser Sinndeutung und die konkret praktizierten Religionsstile sind heute selbst innerhalb der Kirche so verschieden, daß es einem Willkürakt gleichen würde, hier zwischen legitimer und illegitimer Wahrnehmung des Christlichen unterscheiden zu wollen. Allgemeines Priestertum aller Gläubigen in dieser Hinsicht würde besagen: Es gibt in religiösen Dingen keinen Kompetenzvorsprung, keine Wahrheitsprivilegien und kein Definitionsmonopol.105

Zudem legen solche durch die Bewahrung reiner Lehre motivierten Forderungskataloge gegenüber Formen bewusster Vermittlung von Spiritualität den Generalverdacht zugrunde, es handele sich um Ausflüsse von Gesetzlichkeit, die der Verwirklichung evangelischer Freiheit im Wege stehen.106 Notwendig scheint mir eine verstärkte Suche nach geeigneten fachgerechten Sprachformen, um spirituelle Tanzpraktiken in Kirchentanzszenen dem praktischtheologischen Diskurs verständlich zu vermitteln. Diese Sprachformen suche ich im interdisziplinären kulturwissenschaftlichen Diskurs, indem die Perspektiven Semiotik und Performativität eingebracht werden. Ich verspreche mir durch den Blick durch eine „fremde Brille“ neue Einsichten für das Eigene. Möllers Thesen sind inhaltlich möglicherweise mit den Zielsetzungen mancher Tanzender gut zu vereinbaren, mit dem Selbstverständnis anderer Tanzender nicht. Es gilt genau zu hören auf die Werte und Überzeugungen, aber auch auf die Erwartungen Tanzender, um diese zu traditionellen Vorgaben ins Verhältnis setzen zu können. Ein weiteres Hindernis ist: Protestantischer Gottesdienst ist erfahrungs104 Möller 2005, 34. 105 Barth 2004, 294. 106 Vgl. Zimmerling 2003, 275.

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gemäß wortzentriert und zwar auf das verbal verkündigte und gehörte Wort. In der Regel kennt er kaum sinnliche Elemente, Bewegungen oder Gesten. Werte wie Rationalität und Subjektivität prägen den Habitus. Jene gehörten zu den Stärken des Protestantismus, die seinen Fortbestand sehr viel mehr fördern könnten als etwa „Schulterschluß und Gemeinschaftsduseleien“, betont Ulrich Barth. Wesentlich sei die „religiöse Stärkung des Individuums von innen her.“107 Auf dem Hintergrund einer reflektierten und selbstbewussten protestantischen Identität kommt es so mitunter zu Abstoßungsreaktionen zwischen „Tanz“ und „Protestant“ bis hin zum regelrechten Ekel, wie ein Artikel des Journalisten Benjamin Lassiwe zum Thema offenlegt. Tanz im Gottesdienst bewirke eine „Selbstinfantilisierung“ der Kirche. Er sei „peinlich“. Auch wenn man die Sachkritik an manchen Tanzausführungen teilen kann, fällt doch der Tonfall der Verachtung auf108: Drei ältere Damen […] probten für den Gottesdienst […]. In dem Gemeindesaal mit […] typisch evangelischer Tristesse stellten sie sich in einer Reihe auf. Jede legte die Hände auf die Schultern ihrer Vorderfrau. Dann hoppelten [sic!] sie im Reigen durch den Raum. Zwei Schritte vor, ein Schritt zurück. Vor und zurück. Immer weiter. Der bis dahin redselige Fotograf fing an zu schweigen. Ich bat ihn dennoch um Fotos von den Damen. ,Benjamin, du hast meine Kamera vergewaltigt‘, sagte er schließlich im Zug nach Berlin.“ [Weitere Beispiele missglückter Tanzaktionen]. Die Kirche betreibt zwar Kindergärten, der Gottesdienst aber ist keiner. […] Eine über 500 Jahre entwickelte liturgische Tradition kann so falsch nicht sein – und sollte nicht gedankenlos auf dem Altar irgendwelcher modernen Trends [sic!] geopfert werden.109

Die Frage nach den Möglichkeiten von Kunst im Gottesdienst, auch der „Kunst“ von Laien und generell in der Kirche stellt sich anhand solcher Beispiele als zumindest ungeklärt dar.110 Das Verhältnis der Kirche zu Kunst ist generell als ambivalent zu bezeichnen. Eine Reflexion des Begriffs Kunst mit seinen Ambivalenzen erscheint daher angebracht. 2.3 Kunst Meist wird angenommen, der kulturgeschichtliche Ursprung von Tanz liege in religiösen Zusammenhängen. Doch bereits im alten Ägypten und in der Antike finden sich Hinweise auf Kunst-Tanz zu Unterhaltungszwecken. Inwiefern Tanz als Kunst verstanden wird, ist nicht unabhängig von den jeweiligen Kunstbegriffen zu klären, die in dem betreffenden kulturellen Kontext gelten. 107 Barth 2004. 396. 108 Auch aus der Perspektive eines Kirchentänzers werden einige Erscheinungen in der Praxis kritisch gesehen und als „peinlich“ tituliert, jedoch ohne einen solchen Tonfall der Verachtung. Vgl. Mann 2002, 65. 109 Lassiwe 2014, 36 f. 110 Außerdem scheint Laienbeteiligung ein Reizthema zu sein. Siehe dazu auch C 7.

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Diesbezüglich hat das 20. Jahrhundert eine große Pluralität erreicht. Damit geht eine Bandbreite unterschiedlicher Selbstverständnisse der Künstler_innen selbst einher. Kunstschaffende verstehen sich insbesondere im Tanz nicht nur als Schöpfer von Werken, sondern zunehmend auch als „facilitator“, mithin als Prozessbegleiter, die Wege aufzeigen, wie Menschen zu eigener künstlerischer Betätigung kommen und dabei Erfahrungen machen können.111 Im Tanz dienen sogenannte „scores“, Partituren aus Handlungsanweisungen als choreographisches Mittel. Vor allem Anna Halprin, eine avantgardistische Choreographin der Richtung „New Dance“112, hat durch eine solche künstlerische Arbeit die Begegnung von Profi- und Laientänzern quer durch alle Generationen arrangiert. Gleichzeitig löst zeitgenössische Kunst nicht selten programmatisch Irritationen beim Publikum aus, die dadurch in einen schwebenden Zustand geraten aufgrund der Verunsicherung, ob und welche Reaktion die Künstlerin von den Anwesenden erwartet. Die „Body Art“ von Marina Abramovic´113 bietet ein Beispiel für den Zwischenzustand zwischen ästhetischer Erfahrung und ethischer Herausforderung. In einem solchen Projekt, bei dem ihr über einen Zeitraum hinweg Schmerzen zugefügt wurden, kam es erst dann zum Ende der Aufführung, als Zuschauer eingriffen und die Künstlerin die Performance abbrach.114 Von einem einheitlichen Verständnis, was als Kunst gilt, kann derzeit nicht ausgegangen werden. Eine Strategie, dennoch zu einem Kunstbegriff zu kommen, der möglichst offen für die unterschiedlichsten Wirkungs- und Produktionsformen ist, stellt die Fokussierung auf die durch Kunst ausgelöste Erfahrung dar. Wolfgang Zacharias betont im Rahmen eines Ansatzes ästhetischer Bildung die Potentiale der bildenden, nicht-sprachlichen Nachahmung, die Bedeutung auch kunstspartenübergreifender Performativität, die Methode der Inszenierung und die besondere Qualität von gestalteten und wahrnehmungsintensiven, sowohl inhaltsbezogenen wie emotionalisierenden und erinnerungsmächtigen Erlebnissen, Ereignissen und Events.115

In der aktuellen philosophischen Ästhetik wird ästhetische Erfahrung als Merkmal von Kunst benannt. Das macht deutlich, dass Kunst nicht mehr ohne die entsprechenden Rezeptionsprozesse gedacht werden kann.116 Rezipienten gelangen über ästhetische Wahrnehmungen zu ästhetischer Erfahrung. Unter ästhetischer Wahrnehmung versteht Jerrold Levinson117 Wahrnehmung, die 111 112 113 114

Vgl. Umathum/Rentsch 2006, Abschnitt 4. Zum Begriff siehe Fleischle-Braun 2001, 121 f. und unten A 6.4. Vgl. Abramovic´/Abramovic´/Stooss 1998. Die 1946 in Belgrad geborene Künstlerin setzte sich 1974 in Neapel in einer sechsstündigen Performance den teils gewaltsamen Berührungen und Verletzungen durch ihr Publikum aus. 115 Zacharias 2013. 116 Vgl. Koch/Maar/McGovern 2012, 7. 117 Vgl. Levinson 2013.

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mit einer ästhetischen Einstellung einhergeht, einer gebannten Form von Aufmerksamkeit. Ästhetische Wahrnehmung ist „eine perzeptuelle Tätigkeit, bei der immer auch die Einbildungskraft und die verkörperte Leiblichkeit [embodied corporeality] des Betrachters eine Rolle spielen.“118 Nach Levinson ist „ästhetische Erfahrung normalerweise eine lohnende, wertvolle oder erstrebenswerte Erfahrung“.119 Diese muss nicht immer lustvoll oder erfreulich sein. Zudem ist bei Kunstwerken davon auszugehen, dass sie dafür gemacht sind, um ästhetische Erfahrungen auszulösen. Von ihnen erwarten Menschen in der Regel mehr, als nur die Gelegenheit zur Wahrnehmung vielschichtiger Gestaltungselemente, Formen oder Strukturen zu geben.120 Welchen Wert und Gehalt ein Kunstwerk hat, ist nach Martin Seel von bestimmten Arten der kulturellen Praxis abhängig. Grundsätzlich ist dieser nicht unabhängig von den Wirkungen auf die, die es wahrnehmen, feststellbar. Der Sinn des Kunstwerkes besteht darin, wahrgenommen zu werden. Kunst kann ein Publikum faszinieren, agitieren oder animieren.121 Im Kontext Kirche ist außerdem vom Zusammenhang von Ästhetik und Ethik zu reden. In der Tradition von Kierkegaard und der Dialektischen Theologie im 20. Jahrhundert wurde noch von einem Entweder-Oder ausgegangen.122 Inzwischen hat sich in der Praktischen Theologie ein Verständnis von Ästhetik als „Aisthesis“ durchgesetzt. Eine Theorie der Wahrnehmung aber öffnet sich hin auf Fragen nach der Wirkung des Wahrgenommenen im Lebensstil. Ästhetische und Ethische Theologie ergänzen sich, da erstere „die spielerische Identifikation mit Lebensentwürfen“ sowie „die Sensibilisierung und Stimulierung der Handlungsspielräume“ betont, letztere das „angemessene Wahrnehmen der ethischen Situation schult“, mithin nach Klaas Huizing eine „Kunst der Lebensführung“ darstellt.123 Die Verbindungen können allerdings noch enger gesehen werden. Ästhetische Praxis kann nach Max Fuchs im Rahmen kultureller Bildung als Form von Widerstand gegen unterschiedlichste Formen von Gewalt verstanden werden, die Angriffe auf die Selbstbestimmung von Menschen sind. Dieser Auffassung liegt die Erkenntnis zugrunde, dass Kunst ein Mittel individueller und sozialer Einflussnahme sein kann, die sowohl im emanzipatorischen als auch im manipulativen Sinn gebraucht werden kann. Der Zusammenhang von Ethik und Ästhetik ergibt sich in Form der Frage nach dem guten Leben. Kunst hat mit dem Glück zu tun, etwas gestalten zu können und eigene Leistungen zu erbringen. Dies ist für ein Menschenleben im Horizont der Ebenbildlichkeit Gottes von Bedeutung.124 118 119 120 121 122 123 124

Levinson 2013, 53. Levinson 2013, 42. Vgl. Levinson 2013, 43. Vgl. Seel 2013, 183. Vgl. Huizing 2015, 293. Huizing 2015, 294. „Immerhin hat Gott in der christlichen Mythologie den Menschen nach seinem eigenen Ebenbild geschaffen, was insbesondere bedeutet, dass er ihn mit einer Vielzahl von Fähigkeiten

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Eine weitere Facette ethischer Fragen rückt ins Blickfeld, wenn die Bedingungen künstlerischer Tätigkeit in der Gegenwart betrachtet werden, die zum Teil Züge von Ausbeutung125 aufweisen, aber auch von „Selbstausbeutung“ zum Beispiel in der freien Tanzszene, wie sie der Performancekünstler Jochen Roller zeigt126. Mitglieder von professionellen Tanzcompagnien im Ballett sind einer hohen körperlichen Beanspruchung ausgesetzt. Die Folge ist, dass ein „Ballettkörper“ nach dem 30., spätestens 40. Lebensjahr nicht mehr „bühnentauglich“ ist.127 Gewaltförmige Strukturen im ökonomisierten Kunstbetrieb werden mitunter durch Selbstverletzung in der Performancekunst (Marina Abramovic´) in Szene gesetzt. „Gewalt“ wird in diesem Fall als Teil des künstlerischen Prozesses angesehen. Kunst und Religion haben eine Geschichte wechselseitiger Beziehungen, von der an dieser Stelle nur die Phänomene des „Geniekults“128 des 18. und der „Kunstreligion“ des 19. Jahrhunderts erwähnt werden sollen. Kunstwerke wurden in diesem Kontext als Schöpfungen von herausragenden Persönlichkeiten mit dem Nimbus von Genialität umgeben. Kunst war auf Eliten bezogen.129 Werken bildender Kunst, Literatur130 oder musikalischen Kompositionen131 können in jenem Kontext religiöse Gefühle entgegengebracht werden, da sie die Rezipienten in die Sphäre der Erhabenheit führen. Der Besuch im Konzertsaal wird mit Andacht und Ergriffenheit verbunden, Gefühlen, die im religiösen Erfahrungsbereich wurzeln. Insbesondere Musik, die

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ausgestattet hat, produktiv tätig zu werden. All diese Fähigkeiten wurden aber im Paradies überhaupt nicht benötigt. In der Lebenswirklichkeit des Paradieses hatte der Mensch überhaupt keine Chancen, die Fähigkeiten, die ihm von Gott mitgegeben worden sind, zu erproben.“ Fuchs 2015, o.S. Pina Bausch macht in ihrem Stück Caf Müller sichtbar, „welche Energie die künstlerischen Kraftakte sie gekostet haben. Wie weiland Münchhausen zieht sie sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf, in den die ausbeuterischen Kräfte des Theaters sie geraten ließen.“ Schmidt 1992, 55. In seiner Trilogie „perform performing“ beschäftigt sich Jochen Roller mit „Sinn und Unsinn, Tanz als Arbeit zu betrachten“. Teil 1 „no money no love“ macht eine fiktive Kosten-NutzenRechnung auf. Ergebnis: Der Tänzer müsse in mehreren Berufen jobben, um tanzen und choreographieren zu können. http://www.jochenroller.de/stucke/perform-performing/ (2015/ 12/15). „Auf der Bühne stehen kann man nur bis 40. Diesen Satz hören die meisten Tänzer, wenn sie ihre Ausbildung beginnen.“ http://www.zeit.de/karriere/beruf/2010-10/beruf-taenzer-alter (2016/03/21). Die Idealisierung künstlerischer Genialität setzt sich im 19. Jahrhundert fort. Vgl. Lauster 2015, 574. Vgl. Fischer-Lichte 2001, 11. In den USAvertrat Thomas Carlyle die Auffassung, der Literatur käme religiöse Leistungskraft zu. So seien Literaten im Grunde besser als Theologen geeignet, das Wirken einer göttlichen Idee in der Welt zu interpretieren wie eine künstlerische „Priesterschaft, die mit den Mitteln der Literatur das Besondere und Individuelle der religiösen Erfahrung präziser zu fassen und zu vermitteln vermag.“ Lauster 2015, 591. Lauster spricht von „Versuchen, mit der Macht des Klanges eine transzendente Dimension zu erschließen.“ Lauster 2015, 578.

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sich von allen Aufträgen und Zwecken befreit, absolute Musik ohne Text oder Programm wird sakralisiert.132 Kunst tritt zur Religion in ein Konkurrenzverhältnis. Für Tanz als Kunst im gegenwärtigen kirchlichen Kontext kann das Wissen darum eine ungezwungene Begegnung erschweren, gerade wenn es um von liturgischen Funktionen oder religiösen Botschaften unabhängigen Tanz geht, einen Tanz, der nichts anderes als Tanz ausdrücken will. Demgegenüber könnte eine Auffassung von Kunstproduktion und –rezeption, die die Möglichkeiten ästhetischer Praxis in den Vordergrund stellt, geeignet sein, das schon Erreichte in einer „neue(n), stressfreie(n) Nähe133 von Kunst/Ästhetik und Religion“ weiterzuführen. Auf diese Weise entstehen Chancen, das Thema Tanz in die Theologie zu integrieren. Ästhetische Praxis ist ergebnisoffen und vage. Das hat sie mit religiöser Erfahrung gemeinsam.134 Sie bedarf der Reflexion und moralischen Rückbindung. Ästhetische Praxis besitzt das Potenzial utopischer Kraft, sie regt die Imagination135 eines anderen, besseren Lebens an. Kunst kann zur Motivation werden, über das Gegebene hinauszugehen. Die Beziehung von Kunst und Kirche gerät dann in Spannungen, wenn die Institution Kirche sich die Definitionsmacht über erlaubte oder passende ästhetische Praxis im eigenen Herrschaftsbereich vorbehält. Kunst beinhaltet einen Freiheitsgewinn.136 Die Bedeutung des Ästhetischen bzw. Aisthetischen137 beginnt bereits bei der Entwicklung von Wahrnehmungsfähigkeit, bei einer „aisthetischen Widerständigkeit“. Die Wirkungen von Kunst können nicht unabhängig von den Kontexten ihrer Ausübung diskutiert werden. Schließlich ist für diese Untersuchung die Tatsache relevant, dass in den Kulturwissenschaften unter dem Einfluss des semiotic turn die Funktion von Kunst als Selbst- und Weltzugang erörtert wird. Kunst ist auf Zeichenprozesse angewiesen. Tanz kann demnach als Text, also als komplexes Gebilde, das bestimmte Möglichkeiten der Bedeutungszuweisung eröffnet, betrachtet 132 Vgl. Lauster 2015, 576. „Die romantische Transformation des Christentums räumte der Musik die wichtigste Funktion in der Darstellung des Absoluten ein.“ Lauster ebd., 578. 133 Vgl. Huizing 2015, 298. 134 Vgl. Lauster 2015, 576. 135 Auch die Bibel regt die Imaginationskraft an, da sie von ihren Leser_innen verlangt, die angedeuteten Szenen, Situationen und Figuren, mithin die zahlreichen Leerstellen zu vervollständigen. Vgl. Utzschneider 2007, 11. 136 Zum Freiheitsgewinn durch Musik äußert sich Klaus Holzkamp. Analog dazu kann die Erfahrung durch Tanz möglicherweise formuliert werden. Das werden allerdings im Einzelnen die Forschungsergebnisse des empirischen Teils dieser Arbeit besser darlegen können. „In jedem Fall aber gewinne ich über die Musik eine neue Freiheit und Unabhängigkeit gegenüber den Anfechtungen und Wirrnissen des Naheliegenden. Indem ich durch meine Ergriffenheit von Musik, die mir keiner wegnehmen oder ausreden kann, mich selbst, meine Lebendigkeit, meine widerständige Präsenz in dieser Welt, quasi in reiner und gesteigerter Form erfahre, bin ich–mindestens vorübergehend – weniger bestechlich und nicht mehr so leicht einzuschüchtern.“ Holzkamp 1994, 90. 137 Der Begriff des Aisthetischen fokussiert den Aspekt der aisthesis (Wahrnehmung). Ästhetik bezieht sich damit nicht verengt auf „Schönes“, sondern auf (u. a. sinnlich) „Wahrnehmbares“.

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werden. Davon unterschieden kommen unter dem Einfluss des performative turn die Qualitäten von Tanz als vorsprachlichem Geschehen, das intensive leibliche Erfahrungen ermöglicht, in den Blick. Wie auch bei anderen prozessualen Kunstformen, etwa dem Theater, handelt es sich bei Tanz um eine Aufführung, die unter anderem durch die leibliche Ko-Präsenz der Anwesenden konstituiert wird. Diese Situation ermöglicht ästhetische Erfahrung, produziert sie allerdings nicht automatisch. Die spezifischen ästhetischen Erfahrungen in kirchlichen Tanzszenen werden in der Auswertung der Aussagen Tanzender noch näher zu qualifizieren sein. An dieser Stelle soll der Hinweis genügen, dass meiner vorläufigen Einschätzung nach ästhetische Erfahrung als Brückenglied zu religiöser Erfahrung betrachtet werden kann. Im Wahrnehmen und Verstehen dessen, was ästhetische Erfahrung ist, bietet sich die Chance, die Rolle von Tanz als Kunst und Praxis im Rahmen einer evangelischen Spiritualität nachzuzeichnen.

2.4 Ästhetische Erfahrung Die besondere Erfahrung, die Menschen beim Tanzen und beim Tanz Sehen138 machen, lässt sich mit dem Begriff ästhetische Erfahrung beschreiben. Darunter verstehe ich mit Fischer-Lichte einen Modus von Erfahrung, der in ästhetischer Wahrnehmung gründet, „die die Dinge in ihrem momentanen und simultanen Erscheinen wahrnimmt“.139 Dabei geht es also auch die unbewusst-bewusste Selbst- und Körperwahrnehmung von Tanzenden innerhalb der Figurationen von Formen oder Atmosphären und die somatischen Reaktionen, die sich bei Zuschauenden durch die Aufnahme der sich bietenden Eindrücke einstellen. Erfahrung ist auf Wahrnehmung angewiesen, ist aber mehr. Sie stellt ein komplexes Phänomen dar, das, wie aus den folgenden Ausführungen hervorgehen wird, sowohl aus somatisch wirksamem vorbewussten, vorsprachlichem Erleben und der Deutung von Erleben aufgebaut ist. Daher ist unter anderem zu fragen, ob sich ästhetische Erfahrung von lebensweltlicher alltäglicher Erfahrung unterscheidet. Die Verwendung des Begriffs ist, wie bereits der vorhergehende Abschnitt zeigte, nicht einheitlich. Ästhetische Erfahrung stellt einen Terminus dar, der disziplinenübergreifend verarbeitet wird. Einerseits ist Ästhetik ein Feld der Philosophie, deren Reflexionen hier nicht in umfassender Weise aufgegriffen werden können.140 138 Den substantivierten Infinitiv verwende ich, um anzudeuten, dass es sich beim visuell, betrachtenden Wahrnehmen von Tanz um eine eigens zu reflektierende Tätigkeit handelt. Diese Reflexion wird in dieser Arbeit immer wieder vorgenommen. 139 Vgl. Fischer-Lichte 2014, 98. 140 Doris Kolesch verweist auf die Gründung der Ästhetik als philosophische Disziplin durch Alexander Gottlieb Baumgarten (1714–1762), die die „Nobilitierung der niederen Erkenntnisvermögen institutionalisiert.“ Vgl. Kolesch 2014a, 7. Der Anspruch auf eine Wahrheit außerhalb der Philosophie wird anerkannt, sinnliche Erkenntnis gewürdigt.

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Andererseits sind Fragen der Ästhetik in den Künsten angesiedelt, dem Tanz, dem Theater, der Literatur, Musik und bildenden Kunst. Um der Genese des Begriffs gerecht zu werden, ist ein Blick in die Reflexion des Phänomens ästhetischer Erfahrung in der europäischen Kultur- und Philosophiegeschichte hilfreich. Die folgenden Überlegungen setzen beim Denken Hans Ulrich Gumbrechts ein, dessen Konzept aufgrund seiner Verwendung des Begriffes Präsenz explizit von tanz- und theaterwissenschaftlichen Beiträgen aufgegriffen wurde. Bei Gumbrecht zeigen sich Ansätze zu einer Erklärung der Sehnsucht nach ästhetischer Erfahrung in der Gegenwart und zu Möglichkeiten ihrer näheren Bestimmung.

2.4.1 Präsenz als Schlüssel zu ästhetischer Erfahrung Gumbrecht unterzieht die abendländische Geistesgeschichte im Interesse einer „Wiederkehr des Körperlichen“ und „Wiederverzauberung der Welt“141 einer kritischen Relektüre. Seine Zeitdiagnose stellt für den Menschen in der Gegenwart eine Sehnsucht nach Momenten der „Präsenz“, die „primär sinnfreien, intensiv erlebten Momente“142 fest. In seinen Überlegungen erweist sich Präsenz als Schlüsselbegriff zur Erschließung von ästhetischer Erfahrung. Ästhetische Erfahrungen sind demnach nicht ohne ihren kulturellen Kontext zu sehen. Sie werden etwa von der Psychoanalyse auch „als ,Symptom‘ für vorbewusste Bedürfnisse und Wünsche bestimmter Gesellschaften“143 interpretiert. Im Blick auf die Kulturgeschichte des Abendlandes kann mit Gumbrecht idealtypisch zwischen Präsenzkulturen und Sinnkulturen144 unterschieden werden.145 Gegen die seit der Aufklärung etablierte Vorherrschaft des Sinns bzw. der Repräsentation erhebt Gumbrecht Einspruch und antwortet mit dem programmatischen Anliegen, den verlorenen, ursprünglichen Erfahrungszusammenhang wieder herzustellen, um einen Weltverlust wettzumachen.146 Die Neuzeit ist als Folge des cartesianischen Erbes, der Trennung von res extensa und res cogitans, zeichentheoretisch durch „Repräsentati141 Vgl. Kreuzmair 2012, 234, 236. Vgl. Gumbrecht 2004. Roberto S. Mart nez 2006 stellt bei Gumbrecht eine „Wiederkehr der Existenzphilosophie“ fest. Vgl. Mart nez 2006, 1. 142 Gross 2015, 17. 143 Gross 2015, 20. 144 Synonym dazu werden die Begriffe „Subjektkulturen“, „Bedeutungskulturen“ und „Repräsentationskulturen“ verwendet. Vgl. Gross 2015. 145 Vgl. Kreuzmair 2012; Gross 2015; Mart nez 2006. 146 Vgl. Mart nez 2006, 3. Gleichzeitig relativiert Gumbrecht den Anspruch, die Gesellschaft zu verändern. „Ich behaupte jedoch nichts weiter, als dass wir uns genügend Zeit nehmen sollten, um über einige Konsequenzen der ausschließlichen Vorherrschaft der cartesianischen Weltsicht nachzudenken und auf sie zu reagieren; und es ist eine häufig begangene Verwechslung anzunehmen, das Nachdenken über etwas impliziere den Imperativ, dieses Etwas zu verändern oder gar zu ersetzen.“ Gumbrecht zitiert in: Mart nez 3, Anm. 5.

Systematische Sachklärung der Schlüsselbegriffe

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onsverhältnisse“ und eine „Unterprivilegierung von Materialität“ bestimmt.147 Sinn wird durch Interpretation und Deutung, mithin auf hermeneutischem148 Weg gebildet. Jacques Derrida spricht vom „Zeitalter des Zeichens“149. Bestimmend für die Moderne sei erkenntnistheoretisch das Subjekt-ObjektParadigma. Nach Gumbrecht handelt es sich dabei um „Metaphysik“. Dieses Wort bezieht sich „auf eine bestimmte Einstellung, auf eine Alltagseinstellung wie auch auf eine wissenschaftliche Betrachtungsweise, die dem Sinn der Phänomene einen höheren Wert beimißt als ihrer materiellen Präsenz.“150 Zwischen dem denkenden und dem empfindenden Ich entsteht ein Riss, der die unmittelbare Wahrnehmung der Gegenstände verhindert.151 Präsenzkulturen sind dagegen durch den zentralen Stellenwert des Körpers gekennzeichnet. Anhand der Aspekte in der linken Spalte lassen sich Sinnkulturen und Präsenzkulturen idealtypisch voneinander unterscheiden:152 Bedeutungs-Kultur Subjekt-Kultur Repräsentations-Kultur

Präsenz-Kultur

Selbstreferenz Im Zentrum steht ein (körperloses) Subjekt die „res cogitans“

Im Zentrum steht der Körper, die „res extensa“

Stellung des Subjekts

Körper ist interner Bestandteil, ist Zentrum des Kosmos (siehe Analogie Mikrokosmos/Makrokosmos). Körper und dessen Bewegungen konstituieren erst eine Kosmologie.

Subjekt steht in exzentrischer Beobachterposition sowohl außerhalb der Welt als auch dem eigenen Körper gegenüber. Die Welt wird aus Beobachterposition interpretiert.

147 Vgl. Mart nez 2006, 3. 148 Christiane Voss nimmt ähnliche Systematisierungen vor, wenn sie zwischen hermeneutischen und reflexions- bzw. präsenztheoretischen ästhetischen Ansätzen unterscheidet. Hermeneutische Ansätze favorisieren Interpretationsmodelle des Ästhetischen, sie sehen ästhetische Gegenstände als semiotische Gebilde. Präsenztheoretische Ansätze dagegen nehmen stärker die dynamischen Relationen innerhalb der Situation, in der es zu ästhetischer Erfahrung kommt, in den Blick. Vgl. Voss 2013, 196–197. 149 Vgl. Mart nez 2006, 2. Derrida und Gumbrecht verbindet die kritische Rekonstruktion der Geschichte des Abendlandes als Geschichte der Metaphysik. Während Derrida darin Spuren dessen sucht, was sich nicht zeigt, des Unzeigbaren, und annimmt, dass diese Spur (mit dem Neologismus diff rance bezeichnet) die Gegenwart durchstreicht, sieht Gumbrecht gerade die intensiver erlebte Gegenwart (Präsenz) als Ausweg. Vgl. Kolesch 2014b. 150 Gumbrecht 2004, 11. 151 Vgl. Mart nez 2006, 3. 152 Tabelle in Gross 2015, 18 f.

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Klärungen

(Fortsetzung) Bedeutungs-Kultur Subjekt-Kultur Repräsentations-Kultur

Präsenz-Kultur

Produktion von Wissen

Produktion von Erkenntnis durch Interpretation, durch das Subjekt. Wissen wird zur Basis der wissenschaftlichen Transformation der Welt.

Genese von Erkenntnis durch Offenbarung (göttliche O. oder Selbst-O.). Offenbarte kosmologische Gesetze werden vom Menschen zur magischen Beschwörung abwesender Objekte genutzt.

Zeit/Raum

Dominante Dimension ist die Dominante Dimension ist der Zeit (Transformation der Welt in Raum, er konstituiert sich um der Zeit normal und erwünscht). Körper im Zentrum (Veränderung = Unordnung im Kosmos).

Paradigma

Fortschritt / Entwicklung („heiße Kulturen“)

Typische Institution

Eucharistie (Produktion der Parlamentsdebatte (rationale Diskussionen „bestes Argument „wirklichen“ Anwesenheit des Transzendenten) möge sich durchsetzen“)

Zeichen

Die Signifikanten evozieren das Substanz braucht eine Form. abwesende Signifikat.

Produktion von Bedeutung

Durch Repräsentation / Interpretation

durch Verkörperung

Gefahren

Subjektkulturen können kalt, körperlos und unsinnlich werden. „cerebrale Wüste“

Präsenzkulturen riskieren einen Mangel an (Selbst-)Reflexion, eine Verschmelzung von Subjekt und Welt. „subjektivistische Überschwemmung“

Harmonie / Balance (zyklische „kalte Kulturen“)

Der Moment der Präsenz153 überwindet die Subjekt-Objekt-Spaltung, er verschafft ein intensives Erlebnis und verortet den Menschen körperlich ganz auf der Erde. Ästhetisches Erleben ist das Medium der Produktion154 von Präsenz. 153 Während bei Fischer-Lichte das Wort Präsenz vor allem die Bedingung der Wirkung einer Performance darstellt – die leibliche Ko-Präsenz von Akteuren und Zuschauern – (Fischer-

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In Abkehr von Husserls Transzendentalphilosophie, die eine Art vorsprachlicher Bedeutungshaftigkeit behauptet, eine vorgängige Präsenz, die nachträglich in Zeichen repräsentiert wird, betont Gumbrecht nicht die Zeitlichkeit, sondern die Räumlichkeit von Präsenz. Er schließt sich dagegen teilweise Martin Heideggers Ontologie des Daseins an, insofern darin die „körperliche Substantialität und die räumlichen Dimensionen des menschlichen Daseins“155 Bedeutung erlangen. Menschliche Körper bewegen sich nicht nur in Räumen, sei es in symbolischen oder physischen, sondern sie besetzen diese auch. Sie strukturieren Landschaften und stiften Weltbezug.156 Bei Heidegger ersetzt die Vorstellung vom „Sich-Entbergen des Seins“ den, auf eine Bedeutung verweisenden, Begriff der Wahrheit.157 Das NichtHermeneutische und Nicht-Semantische soll rehabilitiert werden. Neben Heideggers Existenzphilosophie158 treten im Entwurf Gumbrechts außerdem Denkfiguren aus einer ganz anderen Richtung, der Hermeneutik Hans Georg Gadamers. Dort findet sich die Annahme eines „nicht-hermeneutischen Volumens“ des Textes.159 In einem Text komme es zu einem Spannungsverhältnis zwischen den semantischen und nichtsemantischen Komponenten, ähnlich dem Spannungsverhältnis zwischen der Welt und der Erde, das auch Heidegger sieht. „Es ist die Komponente der Erde, die es

154

155

156 157 158 159

Lichte 2001 u. ö.) und in der Diskussion um liturgische Präsenz den Modus eines körperbewussten, rollengerechten Agierens von Liturgen bezeichnet (Thomas Kabel), ist bei Gumbrecht die Vokabel geprägt als Metapher für die intensiven Momente, in denen Menschen gleichsam auf vorprädikativer Ebene von den Wirkungen von Gegenständen, Musik, Kunst, Menschen berührt werden. Gleichzeitig enthält auch bei Gumbrecht der Begriff Präsenz die Bedeutung von Gegenwärtigkeit, leiblicher Anwesenheit: „Auf einer allgemeineren Ebene sollte ich wahrscheinlich hinzufügen, daß der Wunsch nach Präsenz und Dinghaftigkeit, für den ich mich einsetzen möchte, ganz und gar nicht gleichbedeutend ist mit dem Wunsch, diese Dinge zu ,besitzen‘ oder auch nur an ihnen ,festzuhalten‘. Vielmehr möchte ich auf dem beharren, was sich durch bloßes (und sei’s noch so schwach ausgeprägtes) Wiederherstellen der Beziehung zu den Dingen dieser Welt wiedergewinnen ließe. Daß ich darauf achte, wie sich mein Körper (beim Wandern beispielsweise) zu einer Landschaft oder (beim Tanzen etwa) zur Präsenz anderer Körper verhält, läuft bestimmt nicht auf das gleiche hinaus wie der Wunsch nach Grundbesitz oder Tagträume von sexueller Dominanz.“ Gumbrecht 2004, 167. Das Wort Produktion ist nicht als mechanisch machbare Herstellung zu verstehen. Vom lateinischen „producere“ her gelesen, ergibt sich ein Vorführen und Nach-vorn-Rücken: „Mit anderen Worten, die Rede von einer ,Produktion von Präsenz‘ impliziert, daß der von den Kommunikationsmitteln herkommende Effekt der (räumlichen) Greifbarkeit durch im Raum stattfindende Bewegungen zunehmender oder abnehmender Nähe und zunehmender oder abnehmender Intensität beeinflußt wird.“ Gumbrecht 2004, 33. Vgl. Mart nez 2006, 4. Gumbrecht schätzt Heideggers Projekt einer Erarbeitung eines Repertoires von nichtmetaphysischen Begriffen und einer „Ontologie“ ohne Anlehnung an ontologische Richtungen und Tendenzen. Vgl. Gumbrecht 2004, 85. Gumbrecht gebraucht den Begriff „Sein“ (nicht um alles von Heidegger zu übernehmen), um unseren „Horizont zu erweitern“ „und uns so dabei zu helfen, in unserem Denken über die Grenzen der metaphysischen Tradition hinauszugelangen.“ Gumbrecht 2004, 87. Vgl. Mart nez 2006, 4. Vgl. Mart nez 2006, 4. Vgl. Heidegger 1993. Vgl. Mart nez 2006, 12.

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Klärungen

dem Kunstwerk oder dem Gedicht ermögliche, ,in sich dazustehen: Es ist die Erde, die dem Kunstwerk räumliches Dasein verschafft.‘“160

Präsenz, die sich durch ästhetisches Erleben herstellt, ist eine existenzielle Erfahrung. Das ästhetische Erleben ist daher auch nicht allein an Kunstwerke gebunden.161 Auch Sportereignisse werden in Betracht gezogen oder der zufällig im Alltag begegnende Anblick einer schönen Frau162. Ästhetisches Erleben besitzt einen „unhintergehbaren, existentiellen Kern […], der sich in der Struktur des Wunsches bzw. Verlangens zu sein manifestiert.“163 Im Oszillieren zwischen Präsenzeffekten und Sinneffekten kommt es zur ästhetischen Erfahrung. Diese scheint nicht denkbar zu sein ohne jenes Verschwimmen beider Dimensionen. Allerdings liegt beim Gebrauch des Begriffes Präsenz die Betonung auf den „Augenblicken der Intensität“164, deren Sinn zunächst in nichts anderem besteht, als dass sie sind. Die Momente gleichen einer plötzlichen Erscheinung, es sind ästhetische Epiphanien, die Momente der Fülle und Positivität darstellen.165 Hier spricht Gumbrecht nicht von Erfahrung, sondern von Erleben, ohne das Verhältnis beider präzise zu klären. Der ursprünglich religiöse Begriff Epiphanie steht neben einigen anderen für eine Offenheit des Konzepts ästhetischer Erfahrung hin zum Religiösen. Die Auffassung von Präsenz hat bewusste Anklänge an die christlich theologische Vorstellung der Realpräsenz Gottes etwa im Abendmahl. Diese stellt ein alternatives semiotisches Modell dar, „in dem Zeichen substantiell gedacht werden, und nicht auf Repräsentation basieren.“166 Allerdings ist ästhetische Erfahrung letztlich weniger Ausdruck eines religiösen Bedürfnisses des Menschen als eines existenziellen.167 So verliert sich der christlich-religiöse 160 Mart nez 2006, 12. 161 Ähnlich Fischer-Lichte in ihrer Definition ästhetischer Erfahrung: „Mit dem Terminus ,ä.E.‘ wird ein spezifischer Modus von E. bezeichnet, der sich im Umgang mit Kunst, aber auch mit anderen ästhetischen Phänomenen realisieren kann.“ Fischer-Lichte 2014, 98. 162 Vgl. Gumbrecht 2004, 118. 163 Mart nez 2006, 8. 164 Kreuzmair 2012, 237. 165 Vgl. Mart nez 2006, 9. 166 Mart nez 2006, 11. Gumbrecht favorisiert die aristotelische Verknüpfung von Substanz und Form, da „ein ausschließlich semiotischer (in meiner Terminologie: ausschließlich metaphysischer) Zeichenbegriff dem ästhetischen Erleben nicht gerecht werden kann.“ Gumbrecht 2004, 130. Dazu ist aus theologischer Sicht hinzuzufügen: Die Substantialität der Abendmahlselemente wird in der römisch-katholischen Theologie stark betont, in der lutherischen spricht man von Realpräsenz, die ebenfalls mehr als ein bloßes Für-etwas-anderes-Stehen meint. 167 Das Denken Gumbrechts führt ästhetische Erfahrung zwar auf ihre religiöse Grundlage zurück, will aber nicht theologisch sein. Vgl. Mart nez 2006, 11. Gumbrecht sieht sich nicht als Glaubenden. Sein Denken unterscheidet sich von Theologie im Wesentlichen darin, dass er kein Bedürfnis hat, die Frage nach der Transzendenz für sich zu stellen: „Letzten Endes hängt vielleicht alles davon ab, ob man sich geneigt (oder sogar genötigt) fühlt, Fragen über diese ,unbekannte Quelle‘ zu stellen, und ob man vielleicht geradezu den Wunsch hat, mit dieser Quelle in Verbindung zu stehen oder sich mit ihr zu verständigen.“ Gumbrecht 2004, 172.

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Bezug in einem religiös ungebundenen Beschwören des Kontaktes mit der Erde, dem Träumen mit dem Körper und dem Schwingen im Rhythmus mit den Dingen dieser Welt.168 In der erstrebten existenziellen Haltung zur Welt werden die Ich-Grenzen transzendiert. Nach Gumbrecht habe ästhetisches Erleben eine Stellung der „Insularität“169, das heißt, es ereigne sich im Abstand zum Alltag. In der Begegnung mit Dingen, Personen, Ereignissen oder Kunst erhalte es den Charakter einer Offenbarung.170 Allerdings treten bei diesem Konzept der Offenbarung die Sinnaspekte stark zurück. Kunst lasse sich daher nicht auslegen, nur erfahren. Kunst wolle keine Botschaft transportieren. „Eine Projektion ethischer Normen auf mögliche Gegenstände des ästhetischen Erlebens führt unweigerlich zur Erosion des Potential [sic!] eben dieser Gegenstände.“171 Die Betonung auf intensiven Momenten der Präsenz in Gumbrechts Konzept ästhetischer Erfahrung führt nun zur Nachfrage, wie solche Momente beschrieben werden können. Nüchtern stellt Gumbrecht fest: „Denn was wir spüren, ist wahrscheinlich nichts weiter als ein besonders hoher Grad des Funktionierens eines unserer allgemeinen kognitiven, emotionalen und vielleicht sogar physischen Vermögen. Der Unterschied, den solche Momente ausmachen, scheint auf etwas Quantitativem zu beruhen.“172 An dieser Bemerkung wird deutlich, dass das Konzept weniger auf der Basis empirisch fundierter Daten als auf Vermutungen gründet. Ob die Intensität der Präsenzerfahrung durch eine Steigerung von Quantität zustande kommt, die dann eventuell auch neurophysiologisch messbar wäre oder auf einer besonderen Qualität von Erfahrung beruht, bleibt bei Gumbrecht unklar. Es ist ungeklärt, wie subjektiv empfundene Qualität in objektiv messbare Quantität übergehen kann. Die Auseinandersetzung mit anders gefüllten Begriffen von Präsenz etwa in der Theatertheorie findet nicht statt. Gumbrechts Text unterscheidet stellenweise zwischen Erleben und Erfahrung, zuweilen verschwimmen beide Begriffe ineinander. Offen bleibt, ob die Unterscheidung zwischen Erleben und Erfahrung sinnvoll ist, da praktisch das eine nicht vom anderen abgelöst werden kann. Das Erleben stehe mehr auf der Seite von Präsenzeffekten, die Erfahrung auf der Seite von Sinneffekten, in der Wahrnehmung sei ein Oszillieren zwischen beiden anzunehmen. „Das ist der Grund, weshalb ein ausschließlich semiotischer (in meiner Terminologie: ausschließlich metaphysischer) Zeichenbegriff dem ästhetischen Erleben nicht gerecht werden kann.“173 Möglicherweise ist Gumbrechts Begriff von 168 169 170 171

Vgl. Gumbrecht 2004, 138 f. Vgl. Gross 2015, 20. Vgl. Gumbrecht 2004, 122. Vgl. Mart nez 2006, 13. Gross 2015, 20. Stellvertretend für die Haltung vieler Künstler steht das Beispiel von Roman Polanski, der sagte: „Wenn ich eine Botschaft hätte, würde ich sie mit der Post schicken.“ Gross 2015, 20. 172 Gumbrecht 2004, 119. 173 Gumbrecht 2004, 130. Gumbrecht stellt für seine Anliegen heraus, dass der Begriff „ästheti-

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Klärungen

ästhetischem Erleben allerdings besonders offen für das körperlich und räumlich wahrnehmbare Phänomen Tanz: „Wenn man unter Erleben eher ein Wahrnehmen als ein Erfahren versteht, wird das Erleben der Dinge dieser Welt in ihrer vorbegrifflichen Dinghaftigkeit ein Gefühl für die körperliche und räumliche Dimension unseres Daseins aktivieren.“174 Schließlich stellt sich außerdem die Frage nach der Möglichkeit, mit einem aus der Literaturwissenschaft heraus erarbeiteten verallgemeinernden Begriff von ästhetischer Erfahrung, der den Zugang zu unterschiedlichsten Gegenständen beschreiben soll, die Facetten spezifischer ästhetischer Erfahrung, zu denen die unterschiedlichen Spielarten von Kirchentanz Zugang verschaffen, zu erfassen. Nach Sichtung der mit sozialwissenschaftlicher Methodik aufbereiteten Äußerungen in Teil B wird zu zeigen sein, inwiefern sich dort Umschreibungen von Momenten intensiver Präsenz finden, für die Gumbrechts Konzept Erklärungswert hat. Die von Gumbrecht eingeforderte Aufmerksamkeit nicht nur für potenzielle Sinneffekte der Phänomene, sondern auch für die Materialität der wahrgenommenen Objekte ästhetischen Erlebens, d. h. unter anderem der Körper im Tanz könnte sich in den Äußerungen ebenfalls implizit aufweisen lassen. Zudem stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der Tanzerfahrungen zum Alltag. Daran ist zu überprüfen, ob der Begriff Insularität, den Gumbrecht von Michail Bachtin175 übernommen hat, für Kirchentanzerfahrungen geeignet ist. Ob sich, entgegen der These der Unvereinbarkeit von Ästhetik und Ethik, Möglichkeiten einer Verbindung von intensiven Erlebnismomenten und ethisch relevanten Gefühlen wie Empathie herstellen lassen, kann eventuell aus der Analyse der Aussagen der im Kirchentanz Aktiven hervorgehen. Die von Gumbrecht idealtypisch entworfene Unterscheidung von Sinnkultur und Präsenzkultur könnte die Chance bieten, Phänomene des Kirchentanzes systematisierend tendenziell eher der einen oder der anderen zuzuordnen. Schließlich lässt sich in Bezug auf Kirchentanz die Frage stellen, ob etwa gerade die in jenem Feld versammelten Praktiken eine Antwort auf die von Gumbrecht beschriebene zeitgenössische Sehnsucht nach einem „Gefühl des in-der-Welt-Seins“176 und dem „Gefühl, daß man im sches Erleben“ grundsätzlich sehr viel eher geeignet sei als der Erfahrungsbegriff, „denn die meisten philosophischen Traditionen bringen den Begriff ,Erfahrung‘ mit der Interpretation in Verbindung, also mit Akten der Sinnzuschreibung.“ Gumbrecht 2004, 120. Erleben will Gumbrecht orientiert an der philosophischen Phänomenologie verstehen „im Sinn der fokussierten Betrachtung oder Thematisierung bestimmter Gegenstände des Erlebens.“ Gumbrecht 2004, 120. „Das Erleben setzt voraus, daß einerseits eine rein physische Wahrnehmung bereits stattgefunden hat und daß, andererseits, eine aus Akten der Weltinterpretation resultierende Erfahrung darauf folgen wird.“ Gumbrecht 2004, 121. Ästhetisches Erleben unterscheidet sich von dem, was der Alltag hergibt. Dieser Alltag ist historisch und kulturell geprägt. Damit sind aber auch die Gegenstände ästhetischen Erlebens kulturell spezifisch. Ob nun auch das ästhetische Erleben selbst historischen Ausprägungen unterliegt, ist nicht festzustellen. 174 Gumbrecht 2004, 138. 175 Vgl. Bachtin 1996. 176 Gumbrecht 2004, 136.

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gleichen Rhythmus schwingt, wie die Dinge dieser Welt“,177 bieten könnten.178 Fraglich ist allerdings, ob eine solche kunstspartenübergreifende allgemeine Bestimmung, wie Gumbrecht sie bietet, allen Arten von Kirchentanz gerecht wird. Gegen die Konstruktion eines verallgemeinerbaren Begriffs ästhetischer Erfahrung wendet sich mit guten Argumenten Stefan Deines. Bestimmungen von ästhetischer Erfahrung tendieren dazu, einen kleinsten gemeinsamen Nenner verschiedenartiger Kunsterfahrung zu finden; dabei wird Marginales ausgeschlossen. Eine Analyse von Kunsterfahrungen sollte auch zum Ziel haben, die Relevanz von Kunstpraktiken zu explizieren. Dies ist in verallgemeinernder Form kaum möglich. Alternativ zu einer Metadefinition schlägt Deines darum einen pluralistischen Ansatz vor.179 Für das Projekt, ästhetischen Erfahrungen im Kirchentanz näher zu kommen, bedeutet dies, die Unterschiedlichkeit der Praktiken im Blick zu behalten. Das Datenmaterial ist demnach immer wieder auf die Kontexte der entsprechenden ästhetischen Erfahrungen zu befragen. Das ozeanische Gefühl180, verstanden als angenehme Harmonieempfindung, die sich in einer gebundenen Form im Kreistanz einstellen kann, unterscheidet sich von der Befindlichkeit der Irritation oder Bedrängnis, die sich möglicherweise beim Sehen einer Aufführung von Tanztheater in der Kirche ergibt.181 Die Erkenntnis Gernot Böhmes, eine ästhetische Theorie könne von den Praktikern lernen182, sowie den pluralistischen Ansatz Deines nehme ich in der Weise auf, dass die konkrete Praxis der Kirchentänzer letztlich zu unterschiedlichen Bestimmungen dessen, was ästhetische Erfahrung im Kirchentanz bedeuten kann, führen wird. Dies allerdings ist erst im dritten Teil dieser Studie (C) nach Sichtung der Aussagen der Akteure zu leisten. Ehe nun weitere Konzepte ästhetischer Erfahrung bzw. Präsenz in Grundzügen dargestellt werden, halte ich eine Klärung, in welchem Verhältnis Erfahrung zu ästhetischer Erfahrung steht, für weiterführend. Ästhetische Erfahrung lässt sich als solche nur dann überzeugend qualifizieren, wenn 177 Gumbrecht 2004, 138. 178 Ein naiver rückwärtsgewandter Essentialismus oder eine „seinsgeschichtliche Entmündigung der Kunst“ (Mart nez 2006, 16) kann Gumbrecht m. E. nicht vorgeworfen werden. Angesichts von Totalitarismen gibt es zum Konstruktivismus keine Alternative. Vgl. Gumbrecht 2004, 163–164 sowie die Bezugnahme auf das längere Zitat dieser Stelle in C 2.1. Allerdings möchte ich Mart nez Recht geben, dass es sich unter Umständen um eine „Reformulierung existenzphilosophischer Überlegungen“ handelt. Vgl. Mart nez 2006, 14. 179 Deines 2013, 246. 180 Freud verwendet den Begriff allerdings kritisch im Sinne einer Reaktion des primären Narzissmus. Vgl. Freud 1927. 181 Die von Schmitz getroffene Unterscheidung der Befindlichkeiten wird von Gernot Böhme aufgegriffen. Vgl. Böhme 2001, 85 f. Auf beiden Wegen kommt es zu einer Begegnung mit der eigenen Befindlichkeit: „Wenn ich nicht einfach bin, sondern mich spüre, liegt darin eine Tendenz, ich und mich zu unterscheiden: ich spüre mich.“ Böhme 2001, 85. 182 Böhme 2013, 17.

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Klärungen

deutlich gemacht werden kann, inwiefern sie Erfahrung ist und in welcher Weise sie eine besondere Erfahrung konstituiert.183

2.4.2 Ästhetische Erfahrung im Licht unterschiedlicher Bestimmungen von Erfahrung Die Verwendung des Begriffs Erfahrung variiert stark, je nach den philosophischen Prämissen. Differenzen in der Auffassung von Erfahrung wirken dann auch jeweils auf das Verständnis von ästhetischer Erfahrung ein. Der Begriff Erfahrung kann sich traditionell entweder auf phänomenales Erleben184 beziehen, etwa die synästhetische185 Erfahrung des Geschmacks frischer Erdbeeren, epistemisch verstanden werden als (auch leiblich-sinnliche) Erkenntnis186, beispielsweise der Wahrnehmung der spezifischen Konsistenz, Farbe und Struktur frischer Erdbeeren, wie auch existenziell187, wobei der Genuss der Erdbeeren zum Beispiel in Verbindung mit einer biographischen Schlüsselsituation steht. Alle Erfahrungen setzen ein rezipierendes Subjekt und etwas, das erfahren wird, voraus. In den genannten drei Formen von Erfahrung sind stets die Sinne beteiligt, die körperliche bzw. leibliche Dimension des Menschen ist betroffen. Sowohl epistemische als auch existenzielle Erfahrungen beziehen die kognitiven sinnzuweisenden Kapazitäten des Subjekts mit ein. Alle drei überschneiden sich und lassen sich kaum scharf voneinander trennen. Schließlich ist noch die Rede von Erfahrung im Singular. Diese ist das Ergebnis von Erfahrungen, die sich zu einem mehrdimensionalen Wissen, wie etwas ist oder wie etwas geht, summiert haben.188 183 Die Differenzen zwischen den Auffassungen ästhetischer Erfahrung beginnen oft bereits beim Begriff von Erfahrung, der diesen (unausgesprochen) zugrunde liegt. Vgl. Deines/Liptow/Seel 2013, 10. 184 Episoden phänomenalen Bewusstseins, wie sie in der analytisch geprägten Ästhetik in der Tradition des Empirismus (auch Kant) zugrunde gelegt werden. Vgl. Deines/Liptow/Seel 2013, 10 f. Phänomenal bewusst können sein: Körperempfindungen, Emotionen, Stimmungen, Träume, das Visualisieren von Szenen, die auditive Vorstellung von Sprache oder Klängen. Das sinnliche Erleben glaubt nichts und erkennt nichts. Vgl. Ebd., 12 f. 185 Mehrere Sinne sind beteiligt: Sehen, Schmecken, Riechen, Fühlen; außerdem das kinästhetische Empfinden beim Kauen. 186 Epistemische Akte der unmittelbaren Erkenntnis wie etwas ist, bzw. dass etwas der Fall ist. Vgl. Deines/Liptow/Seel 2013, 11. 187 Die neuere kontinentale Ästhetik knüpft an den von Hegel geprägten, reichhaltigeren Begriff der Erfahrung an, dem zufolge Erfahrungen vornehmlich auf eine bestimmte Weise bedeutsame Ereignisse oder Widerfahrnisse des menschlichen Daseins sind. Hans-Georg Gadamer entwickelt in „Wahrheit und Methode“ im Anschluss an Hegel einen Erfahrungsbegriff, der die Verkürzungen eines naturwissenschaftlich-empiristischen vermeidet. John Dewey entwickelt in der anglophonen Philosophie einen reichhaltigen existenziellen Erfahrungsbegriff in „Kunst und Erfahrung“. Vgl. Deines / Liptow / Seel 2013, 12. 188 Eine solche Erfahrungsbasis ist der Ausgangspunkt jeder neuen inhaltlichen oder strukturellen Modifikation von Erfahrungen. Vgl. Göhlich / Zirfas 2007, 180.

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Erfahrung im Sinne von Lebenserfahrung189 wird durch Erleben und Deutung erworben, also durch gefühlsmäßig affizierendes Erleben in der Reibung mit vielgestaltigen Gegenständen, aber auch in pathischen, das heißt passiv empfangenen Erlebnissen, die kognitiv verarbeitet werden. Sie stellt sich von selbst ein, ist weder lehr- noch lernbar190 und kann dennoch als das Ergebnis von Bildung gesehen werden. Aufgrund von Erfahrung bilden Subjekte ihren jeweiligen Selbst- und Weltbezug aus. Der Kommunizierbarkeit von Erfahrung sind Grenzen gesetzt, da sie sich nicht allein in kognitiv fassbaren Satzaussagen manifestiert. Die Verbindung von Erfahrung mit ästhetischer Erfahrung hängt von kunsttheoretischen Prämissen ab. Geht eine Kunstauffassung davon aus, dass Kunstwerke hauptsächlich Erkenntnis hervorbringen sollen, wird in der entsprechenden Definition ästhetischer Erfahrung die sinnliche Wahrnehmung (bzw. Episoden phänomenalen Bewusstseins) keine oder nur eine geringe Rolle spielen. Hingegen bietet es sich an, in dem Fall einen epistemischen Erfahrungsbegriff zugrunde zu legen. Epistemische Erfahrungen sind nicht unbedingt auf einen psychologischen Prozess des Schlussfolgerns angewiesen. Es kann sich plötzlich und unmittelbar zeigen, dass etwas der Fall ist oder wie etwas ist. Existenziell bedeutsame Erfahrungen unterscheiden sich nach Gadamer von solchen, die im naturwissenschaftlich-empirischen Sinn intersubjektiv nachvollziehbar sind. „Die ,Erfahrung, die man ›macht‹‘, ist für Gadamer im Gegensatz zu ,den Erfahrungen, die sich unserer Erwartung einordnen und sie bestätigen‘, die ,eigentliche Erfahrung‘ und ,ist immer eine negative‘: ,Wenn wir an einem Gegenstand eine Erfahrung machen, so heißt das, daß wir die Dinge bisher nicht richtig gesehen haben und nun besser wissen, wie es damit steht.‘“191 Der reichhaltige, existenzielle Erfahrungsbegriff hat etwas mit der Transformation des Subjekts zu tun. Damit geht ein veränderter Selbst- und Weltbezug einher.192 Die existenzielle Erfahrung hat lebensweltliche Bedeutsamkeit. Eigenschaften, die phänomenale, epistemische und existenzielle Typen von Erfahrungen verbinden, sind ihr zeitlicher

189 Vgl. zum Leben-Lernen Göhlich / Zirfas 2007, 187 f. Darunter sind unter anderem die Aspekte des Lebensbewältigungslernens, Lebensbefähigungslernen, biographischen Lernens und Lebenskunst zu verstehen. Ebd. 190 Vgl. Haeffner 2004, 22. Auf Realität bezogene Lebenserfahrung im höheren Sinn ist auf echtes, eigenes, nicht vorgestanztes Erleben angewiesen: „Damit Erfahrung zustande kommt, die mit Realität gesättigt ist und voll ,meine Lebenserfahrung‘ heißen darf, muß sie also einen Gegenhalt nicht nur an der Realität haben, die mir entgegenkommt, sondern auch an der Realität, die ich selber bin.“ Haeffner 2004, 31. 191 Gadamer zitiert in: Deines / Liptow / Seel 2013, 15. 192 „Deweys Erfahrungstheorie enthält zudem den Hinweis, dass die Bedeutsamkeit existenzieller Erfahrungen sich in ihrem affektiven oder, allgemeiner, phänomenalen Aspekt sowie in ihrer Einheit oder Abgeschlossenheit spiegelt, durch die sie aus dem Strom unseres bewussten Lebens herausragen.“ Deines / Liptow / Seel 2013, 15.

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Klärungen

Charakter193 und ihre Bezogenheit auf einen Inhalt oder Gegenstand, ohne dass dieser allerdings begrifflich fassbar sein muss. Was macht nun die Besonderheit einer ästhetischen Erfahrung aus? Manche Kunsttheorien postulieren eine bestimmte Qualität für ästhetische Erfahrungen. Immanuel Kant beispielsweise qualifiziert diese als interesseloses Wohlgefallen, Monroe C. Beardsley als bestimmte Intensität des Erlebens.194 Demgegenüber stehen Bestimmungen, die den Inhalt der Erfahrung hervorheben. Im Fall der ästhetischen Erfahrung, die sich an phänomenale Erfahrungen anschließt, besteht dieser Inhalt lediglich im Gegebensein des ästhetischen Objekts oder traditionell in der Empfindung von Harmonie, Schönheit oder Erhabenheit. Kommt eine epistemische Komponente hinzu, können formale Strukturen des Objekts, sogenannte ästhetische Eigenschaften, die Erfahrung als ästhetische qualifizieren.195 Werden ästhetische Erfahrungen vor allem als komplexe begriffen, steht in der Regel ein existenzieller Erfahrungsbegriff im Hintergrund. Ästhetische Erfahrung kommt dann in der Konfiguration mehrerer Komponenten zustande. Die Gegenstände zeigen sich uns in ihrer zeitlichen und räumlichen Verfasstheit sowie ihrer Materialität. Eine Konstellation196 von durch ästhetische Objekte ausgelösten Erlebnissen, von beteiligten kognitiven Einstellungen oder Handlungsbereitschaften, Emotionen, somatischen Empfindungen, inneren Bildern und vielem mehr machen in ihrer Gesamtheit die ästhetische Erfahrung aus. Das Ästhetische kann also entweder als intrinsisches oder relationales Merkmal der Erfahrung aufgefasst werden.197 Der Unterschied zwischen Erfahrung und ästhetischer Erfahrung kann demnach nicht eindeutig benannt werden. Der Begriff ästhetischer Erfahrung bestimmt sich durch den Bezug auf den jeweiligen zugrunde liegenden Erfahrungsbegriff. Komplexere Bestimmungen ästhetischer Erfahrung beziehen Sinnerfahrung und Präsenzerfahrung mit ein. Sie basieren auf einem existenziellen Erfahrungsbegriff, der Figurationen beschreibt, die Subjekte bis hin zur Transformation angehen können. Für die Beschreibung ästhetischer Erfahrung im Kirchentanz ist prinzipiell mit allen genannten Formen zu rechnen. Von besonderem Interesse allerdings sind die komplexen Begriffe, da sie geeignet scheinen, eine Brücke zu spirituellen Erfahrungen zu bilden. Auch 193 In Deweys Begriff ästhetischer Erfahrung spielt das Prozesshafte eine bedeutende Rolle. Es können typische Phasen dieses Prozesses, ein sogenanntes narratives Ablaufmuster, angegeben werden. Vgl. Voss 2013, 205. 194 Vgl. Deines / Liptow / Seel 2013, 17. Gumbrecht nennt Momente intensiver Präsenz als Charakteristikum ästhetischer Erfahrung, fasst allerdings Intensität weniger als Qualität, sondern als Quantität auf. S. o. 195 Dies ist bei No l Carroll der Fall. Vgl. Carroll 2013. 196 Vgl. Deines / Liptow / Seel 2013, 18 f. 197 In Kants Ästhetik scheinen beide Sichtweisen aufgenommen zu sein. So bleibt es zum Beispiel nicht bei der Feststellung, etwas sei schön, sondern entscheidend ist die Rezeption des Schönen mit Lust. Ebenso kann das interesselose Wohlgefallen als Merkmal der Erfahrung verstanden werden oder als Bedingung ihrer Möglichkeit. Vgl. Deines/Liptow/Seel 2013, 19.

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spirituelle Erfahrungen sind als komplexe Figurationen aufzufassen. Komplex verstandene Spiritualität und Transformation stehen in einem engen Bezug. 2.4.3 Ästhetische Erfahrung im Kontext des Semiotischen und des Performativen Paradigmatisch für einen Begriff von ästhetischer Erfahrung, der sich auf einen existenziellen Erfahrungsbegriff bezieht, steht die Theatertheorie von Erika Fischer-Lichte. Für Fischer-Lichte handelt es sich bei der ästhetischen Erfahrung um eine moderne Variante liminaler Erfahrung. Das Liminale wurde in den Ritualtheorien Arnold van Genneps198 und Victor Turners199 herausgearbeitet. In gewisser Weise ist die ästhetische Erfahrung an die Stelle von funktionslos gewordenen Ritualen der Gegenwart getreten.200 Allerdings geht es Fischer-Lichte nicht allein um eine kulturtheoretische, sondern auch um eine kunsttheoretische Reflexion, die miteinander verknüpft werden. Bei der theatralen Aufführung besteht eine Wechselbeziehung zwischen den von ihr ausgelösten Wirkungen und emotionalen Reaktionen und dem Wunsch der Zuschauenden, das Wahrgenommene zu deuten. „In der Aufführung und ihrer Rezeption gehen Semiotisches und Performatives eine unlösbare Verbindung miteinander ein.“201 2.4.3.1 Ästhetische Erfahrung unter semiotischen Gesichtspunkten In der Perspektive der Semiotik tritt in der ästhetischen Erfahrung der Aspekt in Produktion und Rezeption besonders hervor, der mit dem Zeichencharakter des Kunstwerks interagiert – die Erfahrung von Sinn. Kunstwerke werden wahrgenommen als Objekte, die sich mitteilen, nach Jan Mukarˇovsky´ im Falle des autonomen Kunstwerkes in selbstreferentieller Weise.202 Das bedeutet, Kunstwerke ermöglichen eine ästhetische Erfahrung, die nicht darin besteht, eine Mitteilung über etwas anderes zu erhalten. Dementsprechend handelt sich um eine Erfahrung, die nicht mit einer Abbildung von Wirklichkeit rechnet, sondern damit, dass sich im Kunstwerk etwas zeigt oder zur Erscheinung kommt, dessen semantischer Gehalt erst im Akt der Rezeption konstituiert werden kann. An einem Beispiel aus dem Tanz will ich dies näher erläutern: Ein Körperteil, etwa die Hand kann, indem die ästhetische Funktion von ihr Besitz ergreift, zum Zeichen werden. Die Bedeutung, die sie im Alltag, 198 199 200 201 202

Vgl. Van Gennep 1965. Vgl. Turner 1969. Vgl. Fischer-Lichte 2001, 22. Fischer-Lichte 2001, 23. Nach Jan Mukarˇovsky´ verweist das autonome Kunstwerk seiner Bestimmung nach auf nichts außerhalb seiner selbst, auf seine eigene Struktur. Vgl. Fischer-Lichte 2001, 40.

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Klärungen

außerhalb der Tanzaufführung, hat, wird umcodiert. Das Instrument Hand, das im Alltag als Werkzeug zum Erreichen von Handlungszielen dient, kann im Tanzkörper plötzlich nichtmenschlich, vielleicht pflanzenartig wirken, Vitalität verkörpern, verdorrend oder wachsend erscheinen. Hände im Tanz stehen aber auch in Beziehung zu Händen im Alltag, und zwar über den Körper des Tänzers, der im Alltag mit demselben Körper sein Leben meistert. Was im Tanz gesehen wird, kann den Blick auf den eigenen Körper203 und den eigenen Alltag verändern: Indem der Rezipient im Akt der Rezeption eine Wirklichkeit konstruiert, verändert sich dadurch also auch seine Haltung der Wirklichkeit gegenüber. Die Autonomie der ästhetischen Zeichen avanciert dergestalt zur Bedingung der Möglichkeit für ein Einwirken des Werkes sowohl auf das Subjekt als auch auf die Wirklichkeit, nämlich vermittelt über das Subjekt, das im Prozeß der Bedeutungskonstitution die ihm fehlende semantische Dimension aufbaut und auf diese Weise zu einer neuen Einstellung der Wirklichkeit gegenüber gelangen mag.204

Indem Mukarˇovsky´ Kunst durch die Dominanz der ästhetischen Funktion bestimmt, schließt er andere Funktionen, wie etwa die emotionale, nicht aus. Allerdings ist hohe Kunst von bescheidener Kunst durch ihre deutlichere ästhetische Dominanz zu unterscheiden. In der weniger hohen bescheidenen Kunst, etwa der Volkskunst, dominiert die emotionale die ästhetische Funktion. Zum Rezeptionsprozess gehört die emotionale Funktion in jedem Fall dazu. Grund für die Dominanz der jeweiligen Funktion ist die Haltung des Rezipienten.205 Ästhetische Texte, also auch Tanzaufführungen, denen, wie Fischer-Lichte sagt, eine eigenständige semantische Dimension fehlt,206 „eröffnen mit dem jeweiligen Evozierungsfeld für verschiedene Rezipienten zugleich die Möglichkeit, die verwendeten Zeichen unterschiedlich stark emotional zu besetzen.“207 Nicht im Werk selbst liegt das Emotionale vor, das gleichsam nur den Mechanismus der Psyche bewegt (wie im Reiz-ReaktionsModell), vielmehr besteht hierin eine „mögliche Folge jenes Prozesses, in welchem der Rezipient den einzelnen Elementen und Teilstrukturen eines Werkes eine Bedeutung beilegt.“208 Reflexion und Emotionalität sind demnach 203 In Raimund Hoghes Stücken, in denen sein Körper zu sehen ist, der, nach eigener Aussage, einen Kontrast darstellt zu idealen Tanzkörpern, ein Körper, „den man im Allgemeinen nicht als schön empfindet“, wird der Zuschauer auf sich selbst und seinen eigenen Körper zurückgeworfen. „Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als den eigenen Körper zu spüren oder das Theater zu verlassen.“ Hoghe 2005, 56. 204 Fischer-Lichte 2001, 43. 205 Der damit verbundene Verzicht, inhaltliche Kriterien für die Unterscheidung von hoher und Volkskunst zu nennen, könnte ein Modell darstellen für den Umgang mit Formen von Kirchentanz, die sich aus Volkstanzelementen und einfachen Choreographien zum Mitmachen speisen. 206 Vgl. Fischer-Lichte 2001, 44 f. und öfter. 207 Fischer-Lichte 2001, 45. 208 Fischer-Lichte 2001, 45.

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verwandte Rezeptionsweisen. In diesem Zusammenhang geht es nicht um Identifikation. Diese nämlich kassiert die reflexive Distanz. Mukarˇovsky´ definiert das Kunstwerk als Zeichen, denn „es kann weder mit dem individuellen Stand des Bewußtseins seines Urhebers noch mit dem eines das Werk wahrnehmenden Subjekts identifiziert werden, noch mit dem, was wir das materielle Werk nannten“209. Ein Zeichen setzt sich zusammen aus dem signifiant, dem Bedeutenden (das materielle Werk) und dem signifi , der Bedeutung (dem Bedeuteten, dem ästhetischen Objekt). In den Sprachen, die zur sachlichen und alltäglichen Kommunikation verwendet werden, ist die Beziehung zwischen beiden einigermaßen stabil, im Kunstwerk nicht.210 Das Zeichen verweist auf die Wirklichkeit als Ganzes, nicht nur auf Ausschnitte. Ein Objekt kann zum ästhetischen Zeichen werden, wenn ihm diese Funktion von einem Subjekt zugesprochen wird. Die Stabilisierung der ästhetischen Funktion ist Sache eines Kollektivs.211 Das Zeichen selbst ist autonom. Als solches verweist es auf ein besonderes Verhältnis zur Wirklichkeit, nicht auf etwas aus dieser Wirklichkeit.212 Fischer-Lichte entwickelt den bei Mukaˇrovsky´ in Anlehnung an Ferdinand de Saussure213 lediglich zweistellig konzipierten Zeichenbegriff unter Rückgriff auf Charles W. Morris214 zum dreidimensionalen weiter. Dieser ist leistungsfähiger, da sich die in der ästhetischen Erfahrung relevanten Relationen der Semiose komplexer darstellen lassen.215 Namentlich sind dies die Relation des Zeichens zu anderen Zeichen (syntaktische Dimension), die Relation des Zeichens zum Gegenstand (semantische Dimension) und die Relation des Zeichens zum Interpreten (pragmatische Dimension). Die unverzichtbare Rolle der Rezipienten für die Konstitution des Kunstwerks tritt in diesem Modell sehr viel deutlicher hervor. Die Erfahrungen der Rezipienten sind demnach Teil der pragmatischen Dimension des Kunstwerks. Eine mechanische Zuordnung von Artefakt und Erfahrung wird ausgeschlossen. Das Gesamte der sozialen Erscheinungen entspricht der semantischen Dimension. Das Soziale ist von den Erfahrungen des Subjektes abhängig.216 Dem ästhetischen Zeichen eignet nicht eine semantische Dimension per se, sondern diese kommt ausschließlich im Zusammenspiel der Dimensionen zum Tragen. Somit ist das ästhetische Objekt „als Produkt jenes Prozesses zu begreifen, in welchem die Bedeutung des

209 210 211 212 213

Fischer-Lichte 2001, 52. Vgl. Fischer-Lichte 2001, 52. Vgl. Fischer-Lichte 2001, 55. Vgl. Fischer-Lichte 2001, 57. Ferdinand de Saussure (1857–1913) gilt als Vordenker der Semiotik (sprachwissenschaftliche Zeichentheorien). Vgl. De Saussure 1931. 214 Charles W. Morris (1901–1979) entwickelte ausgehend vom dreistelligen Zeichenbegriff von Charles Sanders Pierce (1839–1914) ein eigenes Modell. Vgl. Morris 1988. 215 Vgl. Fischer-Lichte 2001, 60. 216 Vgl. Fischer-Lichte 2001, 61.

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ästhetischen Zeichens konstituiert wird.“217 Semiotische Ästhetik geht davon aus, dass Kunstwerke nur dann verstanden werden können, wenn ihr Zeichencharakter beachtet wird. Daher übernimmt die Ästhetik hermeneutische Aufgaben. Hermeneutik richtet sich auf das Verstehen, nicht das Erklären. Beim Erklären wird ein erlerntes Bedeutungssystem angewendet, beim Verstehen dagegen werden die Bedeutungssysteme dessen, der den Text produziert hat, und die des Interpreten miteinander vermittelt.218 Ästhetische Texte verfügen nicht über den stabilisierenden Faktor einer eigenständigen semantischen Dimension, das Gefüge von syntaktischer, semantischer und pragmatischer Dimension ist instabil, was letztlich ihre erhöhte Vieldeutigkeit bedingt.219

2.4.3.2 Ästhetische Erfahrung unter performativen Gesichtspunkten Die Überlegungen von Fischer-Lichte zu einer Ästhetik des Performativen ergänzen die semiotische Perspektive um wesentliche Aspekte. Ihr kommt ein hoher explikativer Wert zu.220 Entscheidend ist, zwischen dem Semiotischen und dem Performativen keinen zu scharfen Gegensatz zu konstruieren.221 Eine performative Ästhetik setzt andere Schwerpunkte als eine semiotische. Prozesse der Bedeutungserzeugung interessieren „nur so weit, als sie die Wahrnehmung bestimmter sinnlicher Qualitäten sowie bestimmte physiologische und affektive Wirkungen auf den Wahrnehmenden ermöglichen, beeinflussen oder bedingen.“222 Die sinnlichen Qualitäten des Prozesses der Bedeutungserzeugung stehen im Zentrum der Wahrnehmung: die Gestalt eines Körpers, seine Ausstrahlung, die Art und Weise, wie eine Bewegung ausgeführt wird, die Energie, mit der sie vollzogen wird, der Klang einer Stimme, sein Timbre und Volumen, der Rhythmus von Bewegungen, das Licht und der Raum mit seiner Atmosphäre sowie der besondere Modus, in dem Zeit erfahren wird.223 Die Bedingungen der Wahrnehmung von Performances sind wesentlich durch ihren Charakter als Aufführungen unter leiblicher Ko-Präsenz der Anwesenden geprägt. Akteure und Zuschauer sind in eine face-to-face-Interaktion eingebunden. Die körperlich anwesenden Zuschauer nehmen die körperlichen Bewegungen, das gesamte Verhalten der Akteure wahr, sie erspüren Atmosphäre und Dimensionen des sie umgebenden Raumes und empfinden die Zeit auf eine bestimmte Art. Reaktionen auf die Ausstrahlung der Per217 218 219 220 221

Fischer-Lichte 2001, 62. Vgl. Fischer-Lichte 2001, 90. Vgl. Fischer-Lichte 2001, 93. Vgl. Fischer-Lichte 2001, 150. Gegen Josette F ral, die das Performative bzw. die Performance durch die Abwesenheit von Narration und Repräsentation charakterisiert. Vgl. Fischer-Lichte 2001, 141. 222 Fischer-Lichte, 143. 223 Vgl. Fischer-Lichte 2001, 142.

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former stellen sich ein, „die sie [die Zuschauenden] als erotisch oder abstoßend, kalt oder dämonisch erfahren, spüren die Kraft und die Energie, die von ihnen ausgeht, und empfinden so ihren eigenen Körper auf eine ganz spezifische Weise.“224 In, mit und unter der Aufführung bringen die Anwesenden Bedeutungen hervor, die ohne die Performanz nicht denkbar wären, denn den Körpern oder Bewegungen an sich kommt keine Bedeutung an sich zu. Das, was geschieht, ist das, was die Beteiligten schließlich betrifft. „In seinem Verlauf werden Energien ausgetauscht, Kräfte entbunden, Aktivitäten in Gang gesetzt, Transformationen durchlaufen.“225 Die Wirkungen sind nicht unbedingt auf Dauer gestellt. Der Sinn der Performance erfüllt sich bereits in seinem Vollzug. Beim Tanz entsteht in der Regel nicht nur ein visueller Raum, sondern gleichzeitig ein Klangraum, sei es durch Musik, sei es lediglich durch die Geräusche, die Körper in Bewegung verursachen. Die Gleichzeitigkeit bringt Beziehungen hervor, die Präsenzen können zu Repräsentanzen werden. Die Körperlichkeit des Tanzes ist in der Lage, die Anwesenden leiblich zu affizieren. Paradigmatisch für solche Wirkungen ist das Sportstück von Elfriede Jelinek in der Inszenierung von Einar Schleef 1998 in Wien. Die Schauspieler vollzogen anstrengende Übungen mit höchstem Einsatz über eine Dreiviertelstunde hinweg. Während manche Zuschauer sich der Situation durch das Verlassen des Theaters entzogen, blieben einige bis zuletzt. Fischer-Lichte beschreibt die ungewöhnlichen Erfahrungen eines Zuschauers, der die Anwesenheit aushielt: er geriet in eine Art Trance-Zustand, in dem er das energetische Feld, das sich zwischen Darstellern und Zuschauern bildete und mit zunehmender Dauer immer mehr verstärkte, mit großer Intensität leiblich spüren konnte. Der Zuschauer wurde auf diese Weise nicht nur affiziert – er wurde zu einem neuen Erleben gebracht und somit möglicherweise auch transformiert.226

Eine performative Ästhetik widmet sich Klärungen des Verhältnisses zwischen den beteiligten Körpern und fragt nach Subjekt und Objekt; sie beschreibt, wie Raum und Zeit sich konstituieren und wie sie erfahren werden und erhebt die Arten der Entstehung von Bedeutung in den wahrgenommenen performativen Prozessen.227 Die Entdeckung eines raum-zeitlichen Kräftefeldes, das zwischen den Körpern der Beteiligten entsteht und von philosophischen Phänomenologen (Merleau-Ponty, Böhme) und Kulturanthropologen (Turner) beschrieben wird, greift Fischer-Lichte auf und fragt nach den Bedingungen, unter denen das Affiziertsein in Transformation übergeht.228 224 225 226 227 228

Fischer-Lichte 2001, 144 f. Fischer-Lichte 2001, 145. Fischer-Lichte 2001, 148. Vgl. Fischer-Lichte 2001, 149. Vgl. Fischer-Lichte 2001, 150. Zum Phänomen der Zwischenleiblichkeit siehe Eberlein 2016.

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Für eine Ästhetik des Performativen, die am Ereignischarakter der Aufführung ansetzt, wird die Kategorie des ,Zwischen‘ zu einer Leitkategorie avancieren. Auszugehen ist nicht von einzelnen Größen, die unabhängig voneinander affiziert werden und sich verwandeln, ohne doch dabei sich einander in dem Sinne anzuverwandeln, daß sie miteinander identisch würden.229

Im zeitgenössischen Tanz spielt das Performative, die Überschreitung der Repräsentationsfunktion der durch Tänzerkörper erzeugten Zeichen eine wichtige Rolle, die in tanzwissenschaftlichen Arbeiten, unter anderem von Gerald Siegmund anhand des Werkes von Xavier Le Roy230 reflektiert wird. ,Kann die Produktion eines Tanzstücks zum Prozeß und zur Produktion selbst werden, ohne zum Produkt im Sinne von Darstellung und Vorführung zu werden?‘, fragt Le Roy und verlagert damit die Diskussion weg vom Körper, der einen Inhalt repräsentiert oder, wie in der Moderne üblich, ein Verhältnis zur Welt formuliert, hin zum performativen Akt der Hervorbringung eines sozialen Verhältnisses zwischen den Körpern des Tänzers und den Körpern der Zuschauer.231

Die für die Rezeption von Performances charakteristische ästhetische Erfahrung nennt Fischer-Lichte eine Schwellenerfahrung, strukturanalog zu den von Arnold van Gennep und Victor Turner beschriebenen transformativen Übergangsritualen. Das sich in leiblicher Ko-Präsenz von Akteuren und Zuschauern vollziehende Geschehen erzeugt eine Art Liminalität. Selbst in der Moderne ist vom Fortbestehen sogenannter liminaler Erfahrungen auszugehen. Traditionell vollziehen Individuen im Durchgang durch das Ritual einen sozialen Statuswechsel, Gruppen konstituieren sich als soziale Gemeinschaften. In Momenten von communitas etabliert sich ein die Unterschiede nivellierendes intensives Gemeinschaftsgefühl. In den dazugehörenden Prozessen werden Symbole in Gebrauch genommen, die individuelle und kollektive Interpretationen des Geschehens auslösen.232 Für die gegenwärtige Kunst gilt nicht die Gleichsetzung mit dem Ritual, vergleichbar ist jedoch die Erfahrung von Liminalität – mit der Möglichkeit zur Transformation. Mit dem Wort Transformation ist nicht zwingend eine bleibende Veränderung gemeint, sie kann sich lediglich auf die Zeit des Kunstereignisses erstrecken bzw. lediglich subkutan als Erinnerung mit ungeklärten Folgen weiterbestehen. Interessant ist der Zusammenhang von ästhetischer Erfahrung und Transformation. Im 229 Fischer-Lichte 2001, 150. 230 Es handelt sich um den renommierten Choreographen und zeitgenössischen Tänzer Xavier Le Roy (*1963). Seine jüngsten Werke „produce situations that explore the relationships between spectactors / visitors / performers and the production of subjectivities.“ URL: http://www.xavi erleroy.com/page.php?id=ac7d13b59a24c4d4b778159b56ef6d1135577d7e&lg=en (2016/08/ 09). „Xavier Le Roy gilt mittlerweile als ein Klassiker des zeitgenössischen Tanzes. Einige seiner Stücke wie „Self Unfinished“ (1998) und „Product of Circumstances“ (1999) sind seit ihrer Entstehung ununterbrochen auf Tournee.“ Cramer 2016. 231 Le Roy zitiert in: Siegmund 2006, 378. 232 Vgl. Fischer-Lichte 2001, 348.

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Gegensatz zum Ritual wird bei der ästhetischen Erfahrung Transformation nicht als Statuswechsel gedacht. Die Veränderung der Gesellschaft ist nicht ausdrücklich intendiert, jedoch auch nicht ausgeschlossen, wie die Arbeit von Anna Halprin (vgl. A 6.4) zeigt. Im Blick auf Tanz kann davon ausgegangen werden, dass unterschiedliche Arten von Wahrnehmungen gemacht werden können und dadurch Möglichkeiten ästhetischer Erfahrung eröffnet werden. Außerdem ist anzunehmen, dass Tanz zu einer Veränderung körperlicher und affektiver Zustände führt. Ein Zusammenhang der Gefühlsänderungen mit Körperzuständen wird hier mit Antonio Damasio233 vorausgesetzt. Körperlich kann sich, analog zu den Veränderungen, die Fischer-Lichte für einen Theaterbesuch annimmt, der Zustand der Tanzenden in physiologischer, energetischer, affektiver und motorischer Hinsicht ändern.234 Tanz ist als Medium ohne Worte vorwiegend unter performativen Aspekten gut zu erfassen, die semiotische Perspektive ist sinnvoll, jedoch nachgeordnet. Von Tanz angeregte ästhetische Erfahrung im Zwischenzustand lässt zwar auch unterschiedliche Wahrnehmungsmodi und Deutungsstrategien durchspielen, viel mehr noch werden allerdings die Transformationen, die die Selbst- und Weltwahrnehmung des rezipierenden Subjektes betreffen und mit denen eine Veränderung des körperlichen Zustandes der Rezipienten einhergeht, für diese Arbeit von Interesse sein.235 Semiotische und performative Perspektive werden von mir mit Fischer-Lichte als einander ergänzend aufgefasst. Für beide ist der Körper Basis der Erfahrung. Im Prozess der ästhetischen Erfahrung tritt so besonders plastisch hervor, dass Bedeutung ohne den Körper nicht zu denken und zu haben ist, daß es sich bei Bedeutung in diesem Sinne immer um verkörperte Bedeutung handelt.236

Gefühle sind zwar stets im Bedeutungssystem des Rezipienten mitverankert. Je stärker die gefühlsmäßige Reaktion wird, desto weniger ist jedoch der Ursprung im Bedeutungssystem bewusst; die körperliche Erfahrung tritt deutlicher hervor.237 Ästhetische Erfahrung wird in Theateraufführungen gerade deshalb als Schwellenerfahrung erlebt, weil sie nicht einzelne, spezifische Funktionen betrifft und aktualisiert, sondern eine integrale Erfahrung ermöglicht, die auf Veränderung des ganzen Menschen zielt. Ästhetische Erfahrung im Theater stellt als eine Schwellenerfahrung eine Intensivierung, Beschleunigung und zugleich Bewußtwerdung spezifischer Transformationsprozesse dar. Sie läßt das zuschauende Subjekt nicht nur Veränderungen durchleben, die es als lebendigen Organismus betreffen, oder solche, die auf 233 234 235 236 237

Vgl. Damasio 2013. Vgl. Fischer-Lichte 2001, 353. Vgl. Fischer-Lichte 2001, 355. Fischer-Lichte 2001, 356. Vgl. Fischer-Lichte 2001, 357.

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seine Imagination und seinen Intellekt zielen, sondern vor allem Transformationen, in denen und durch die es sich als ,embodied mind‘ erfährt.238

Die Aussagen der Tanzenden werden zeigen, inwiefern deren Praxis nach eigener Einschätzung transformatorische Wirkungen hat. Sicher ist, dass mit jedem Tanz der eigene Körper zur Aufführung gebracht wird. Die Tanz-Bewegungen finden in einem sozialen Kontext statt, sie wirken auf die Körper der Tanzenden und die der Mittanzenden in spezifischer Weise ein. Nach den Wirkungen von Körperpraktiken fragt auch die Kultursoziologie und verweist ebenfalls auf die Schlüsselrolle des Begriffs Performance.239 Die kulturelle Bedingtheit von Erleben und Erfahrung wird betont. Die kultursoziologische Reflexion von Performativität eröffnet außerdem Möglichkeiten, genauer zu erfassen, was Körper sind. Im Hinblick auf die Konstruktion geschlechtlicher Körperbilder wäre diese zu beachten, was im Rahmen dieser Arbeit nur am Rande geschehen kann. 2.5 Zusammenfassung Im Blick auf das zu erarbeitende Verständnis des Phänomens Tanz in kirchlichen Tanzszenen und seiner Verortung im Feld von Spiritualität, Kunst und Ästhetischer Erfahrung ergibt sich aus der voranstehenden Sachklärung folgender Ertrag: Tanz Auch wenn Tanz flüchtig ist und sich allein performativ konstituiert, ist es dennoch sinnvoll, über Tanz zu schreiben. Darstellungen von Tanz haben zu berücksichtigen, dass es sich um kulturelle Praxen handelt, genauer um Körperpraxen, die im Zusammenhang der jeweiligen kulturellen Kontexte gedeutet werden müssen. Dem Körper ist nach Huschka als „materiell lebendigem Konglomerat“ Aufmerksamkeit zu schenken.240 Für die Untersuchung von Praktiken in kirchlichen Tanzszenen bedeutet das, nicht nur die Stilistik mit möglichen tanzgeschichtlichen Referenzen zu beachten, sondern auch die religiösen Praktiken, die den Tanz in sich aufnehmen wie etwa Gottesdienst oder Bibelarbeit. Eine unvoreingenommene Sicht auf die Praktiken Tanzender in der Kirche kann am besten in Orientierung an der kultursoziologischen Sichtweise (Brandstetter, Klein) gelingen, die unter Tanz das versteht, was in unterschiedlichen Tanzverständnissen vorzufinden ist, während die (ältere) kulturgeschichtliche Sicht Tanz religiös überhöht und die gesellschaftliche Codierung des Tanzkörpers ausblendet. Eine theoretische Entscheidung darüber, ob Tanz bereits religiös ist oder seine Erfüllung be238 Fischer-Lichte 2001, 357. 239 Vgl. u. a. den Gebrauch der Kategorie Performativität bei Judith Butler. Vgl. Butler 2003; 2007. 240 Huschka 2012, 25.

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sonders in der Religion findet, kann nicht getroffen werden. Zu überprüfen wäre anhand der Äußerungen Tanzender, ob die Einschätzung bestätigt werden kann, dass Tanz in der Lage ist, als Spiegel verdrängter Bedürfnisse und Lebensthemen zu fungieren. Spiritualität Auch Spiritualität kann als Feld von Praktiken verstanden werden. Für die Aktiven im Kirchentanz kann zwar stets ein irgendwie gearteter Bezug zu christlichen Traditionen angenommen werden. Ob sich das religiöse Erleben in den Szenen allerdings lediglich als Vertiefung oder Ausdruck christlicher Glaubenshaltungen verstehen lässt, ist auf dem Hintergrund neuerer religionssoziologischer Erkenntnisse (Pollack u. a.) fraglich. Die Einordnung des Phänomens Spiritualität in eine postchristliche, von postmoderner Pluralität (Welsch) gekennzeichnete Gesellschaft zeigt, dass ein weites Verständnis angemessen ist, das sich als individuell gestaltete Praxis, die sich von Glaubensüberzeugungen und Suchbewegungen nach Sinn nährt, konturiert. Das Erleben steht im Vordergrund. Zwar ist das Erlebnis grundsätzlich offen für subjektive Deutungen, gestützt durch kollektive Deutungsmuster aus den Diskursen entsprechender relevanter sozialer Bezugsgruppen. Jedoch sind christlichen Deutungen der Tanzpraktiken in zweifacher Weise Grenzen gesetzt. Einmal durch die Tatsache, dass Tanzerleben in besonderer Weise bereits ohne Deutung intensiv ist, da Tanzen den Alltag transzendiert, zum anderen durch die noch kaum etablierte Praxis christlicher Deutungen, bedingt durch das Fehlen einer greifbaren Tanztradition in den christlichen Kirchen im hiesigen Kulturkreis. Daher sind in einer zu beschreibenden Tanzspiritualität vor allem theoretische Wahrnehmungsmuster von Interesse, die den performativen Aspekt der Praktiken in den Vordergrund rücken (Fischer-Lichte) und zeigen, welche Rolle Ritualität und Leiblichkeit dabei einnehmen. Kunst Die Entscheidung dafür, den Fokus auf das Erleben der Rezipienten zu legen, begründet sich durch neuere Entwicklungen in der Kunsttheorie. Ein zeitgemäßes Kunstverständnis bezieht die Rolle der Rezipienten entscheidend mit ein. Im Blick auf Kirchentanz ist festzuhalten, dass es hier nur um ein weites Verständnis von Kunst gehen kann, das auch das Tun von Laien angemessen berücksichtigt. Rezipienten sind dann sowohl solche, die Kunsttanz religiös rezipieren als auch Tanzende, die, während sie aktiv eine Choreographie mitvollziehen, diese als Kunstwerk mit der Offenheit hin zu Spiritualität rezipieren. Zudem hat sich auch der Kunsttanz im 20. Jahrhundert dahingehend entwickelt, dass Performances prozessorientiert und unter Einbezug von

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Laien entwickelt werden (Halprin u. a.). Tanz generiert eine Fülle von Erfahrungen. Diese kann, unter Rückgriff auf neuere kunstphilosophische Arbeiten (Deines, Seel u. a.), genauer als Ästhetische Erfahrung begriffen werden. Interessant für die Einordnung ästhetischer Praxis ist die Einsicht, durch die Auffassung von Ästhetik als Aisthesis Wechselbeziehungen von Ästhetik und Ethik sichtbar machen zu können (Huizing). Tanzpraktiken sind auch daraufhin zu befragen, inwiefern sie auf den Lebensstil der Aktiven Einfluss nehmen, ob sie zu Gewaltfreiheit anleiten oder Widerständigkeit lehren (Zacharias).

Ästhetische Erfahrung Die differenzierte Reflexion des Bedeutungsspektrums von Ästhetischer Erfahrung ergab, dass es sich hierbei nicht lediglich um ein Bündel gleichzeitig auftretender sinnlicher Erlebnisse handelt, sondern um ein Produkt komplexer Verarbeitungsvorgänge, die auf existenzielle Erfahrungen und deren transformatorisches Potenzial verweisen. Charakteristisch für die stark körperlich akzentuierte Erfahrungswelt Tanzender dürfte das Moment der Präsenz (Gumbrecht) sein. Gerade dies wird noch an konkreten Beispielen herauszuarbeiten sein. Augenblicke intensiver Gegenwärtigkeit sind, so meine Annahme, nicht auf Dauer in Reinform zu bewahren. Sie verbinden sich mit subjektiven Deutungsversuchen der Tanzenden. Gerade deshalb ist eine empirische Untersuchung, die die Relevanzsysteme der Befragten herausarbeitet, für das Verstehen von Tanz in kirchlichen Szenen so wichtig. Für die Interpretation der Ergebnisse wird ein Vorgehen zu wählen sein, das sowohl die semiotischen als auch die performativen Anteile der Tanzerfahrung herausarbeitet (Fischer-Lichte). Es wird zu fragen sein, ob Tanzende, so wie es Theorien der Performativität im Verbund mit Ritualtheorien (Turner) nahelegen, Erfahrungen von Transformation machen. Dabei bedarf insbesondere nicht nur die Körperlichkeit und Zeitlichkeit des Tanzens, sondern auch dessen Räumlichkeit, die als konstitutiv für die Ästhetische Erfahrung einzuschätzen ist, weiterer Reflexion. Das bedeutet, dass das Verhältnis von Kirchenraum und Tanzerfahrung zu thematisieren ist. Außerdem werden die unter den leiblich anwesenden Tanzenden (Fischer-Lichte) und in den entsprechenden Räumen erspürten Atmosphären mitzubedenken sein.

3. Beiträge Philosophischer Phänomenologie Von der Annahme ausgehend, dass Tanz in der Kirche gegenwärtig zunehmend akzeptiert wird, gilt es nun die Strömungen herauszuarbeiten, die zu einer veränderten tanzfreundlichen Anthropologie beitragen. Insbesondere die Perspektive der Phänomenologie wird in der Tanzwissenschaft vermehrt

Beiträge Philosophischer Phänomenologie

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aufgegriffen. Dabei sind Erkenntnisse zur Anthropologie von besonderem Interesse. Beim Tanz steht der Körper im Zentrum, das Physische wird thematisch. Menschen werden im Tanz mit elementaren Bedingungen des Menschseins konfrontiert. Auch wenn sich diese im Einzelnen anhand kultureller Prägungen ausformen, ist am Tanz zu erkennen, was Menschen universal in Grundzügen gemeinsam241 ist. Von den Entwürfen der Phänomenologie (Husserl, Merleau-Ponty, Schmitz, Waldenfels) ausgehend ist im folgenden Abschnitt 3.1.1 vom Leib die Rede. In der Philosophie sind bezüglich des Verhältnisses von Leib und Seele entscheidende Weichen gestellt worden. Zwei neuere tanzphilosophische Entwürfe, von Malda Denana und Miriam Fischer, verdeutlichen den philosophischen Mehrwert einer Beschäftigung mit dem Thema Tanz. Sie nehmen Bezug auf Schriften von Paul Val ry und Jean Luc Nancy. Dabei kommen Entwürfe zustande, deren Körperkonzepte den Leib-Seele-Dualismus überwinden, Tanz unter künstlerischem Aspekt reflektieren und für die Untersuchung des gegenwärtigen Phänomens Kirchentanz Anregungen verschaffen. In 3.1.2 gilt es, die Auswirkungen der Körperkonzepte der Phänomenologie in der Bildungstheorie zu betrachten, da dort in komprimierter Form die Anthropologie des Tanzes zu greifen ist.

3.1 Anthropologie der Phänomenologen: Konsequenzen für den Tanz In der Philosophie ist Tanz in den vergangenen beiden Jahrzehnten zunehmend zu einem Thema avanciert, das anthropologisch relevante Fragestellungen zu bündeln vermag. Diese neueren Denkbewegungen basieren auf den Arbeiten der phänomenologischen Philosophie seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Vor allem unter Rückgriff auf die anthropologischen Entwürfe von Helmut Plessner, Edmund Husserl, Maurice Merleau-Ponty, Gabriel Marcel und Hermann Schmitz entstehen Reflexionen, die dem Körperlichen Gewicht geben. Damit wird einer langen, den Körper vernachlässigenden philosophischen Tradition der Abschied gegeben. Insbesondere die Rezeption der wirkmächtigen Theorien von Descartes in der Aufklärung hatte das Körperliche in den als geistlos gedachten Bereich der Materie verwiesen. Bewegung und Bewegtwerden traten auseinander.242 Der als unbewegt geltende Geist löste im Bereich der Dinge, gewissermaßen in der „Körpermaschine“, Bewegungen aus. Die Vorstellung vom Leib-Seele-Dualismus reiche in unterschiedlichen Nuancierungen weit zurück, nimmt der Religionswis241 Die Problematik, dass solche Überlegungen geschlechtliche Differenz nicht berücksichtigen, stelle ich hier bewusst zurück, um an anderer Stelle Möglichkeiten zur Differenzierung wahrzunehmen. 242 Vgl. Waldenfels 2007, 15.

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senschaftler Müller an, ohne dies allerdings tatsächlich beweisen zu können.243 Nach Hermann Schmitz (*1927) sei bereits zu Zeiten Demokrits und Platons ein folgenschwerer Paradigmenwechsel zu verzeichnen, in dessen Zuge Innenwelt und Außenwelt des Menschen auseinanderträten, die sogenannte introjektionistische Reduktion: Mit der Beschneidung der Außenwelt um mannigfaltige Qualitäten gehe das Zurücktreten derselben in eine innere Sphäre unbestimmter Erfahrung einher. Die Aufspaltung des Menschen in eine Seele und einen Körper und die Gliederung der Erfahrung nach dualistischem Muster führe zudem dazu, dass leibliche Regungen nicht ganzheitlich zuzuordnen sind und sich der Bestimmung von der einen wie von der anderen Seite her entziehen.244

Seele und Geist definierten sich demnach als das vom Körper Unterschiedene. Die menschliche Körperlichkeit besaß für anthropologische Reflexionen bis vor kurzem kaum Relevanz. Die jahrhundertelangen philosophiegeschichtlichen Entwicklungen führten Schmitz zufolge zur Verdrängung von Leiblichkeit, des affektiven Betroffenseins, zur Verkürzung des Raumverständnisses, zur Verkennung der Gefühle in ihrer leiblich vermittelten Atmosphärenhaftigkeit und zur Aufspaltung der binnendiffusen Bedeutsamkeit von Situationen in messbare Einzelwerte.245 Schmitz entdeckt das eigenleibliche Spüren und fasst es begrifflich. Die Empfindungen des gespürten Leibes, der darin mehr ist als der vorfindliche Organismus Körper246, verschafft die Gewissheit, da zu sein.247 Heftige Gefühle wie Angst, Erschrecken, Schmerz oder Freude führen zu einem spürbaren Zustand, der „ohne Kenntnisnahme vom sichtbaren und tastbaren Körper auskommt und […] dem Menschen [gestattet], sich hier und jetzt zu finden.“248 Im Anschluss an Merleau-Ponty und im Zuge einer Revision der Empfindungslehre wird von Waldenfels das „Empfinden wieder in den Bereich des affektiven Empfindens und der Motorik eingegliedert“249. Husserl bringt als Metapher für das Körperliche den Leib als 243 Dem Religionswissenschaftler Klaus E. Müller zufolge gab es bereits seit alter Zeit eine dualistische Weltanschauung. Er denkt an das Ende des Mittelpaläolithikums von ca. 70 bis 60 000 v. Chr. (vgl. Müller 2014, 154). Demnach besaßen bereits die Neandertaler eine dualistische Weltanschauung. „Der immanenten, stofflichen und räumlich wie zeitlich gebundenen mundanen stand eine immaterielle, entsprechend räumlich wie zeitlich entgrenzte transzendente Welt gegenüber, wobei erstere ihre Kraft, das heißt Bewegungs- und Lebensfähigkeit, aus der letzteren schöpfte. Menschen und Tiere hatten, da sie einen Verbund aus stofflicher Leib-, Vital- und Spiritualkraft in Gestalt der Seele darstellten, an beiden teil.“ Müller 2014, 148 f. 244 Andermann 2012, 131. 245 Vgl. Andermann 2012, 132. 246 Der Körper wird von Schmitz verstanden als „eine feste, stetig zusammenhängende, durch eine rings umschließende Oberfläche bedeckte Masse in einem Umfeld […], in dem er seinen fest bestimmten Platz hat.“ Schmitz 2011, 1. 247 Vgl. Soentgen 2011, 4. 248 Schmitz 2011, 3. 249 Waldenfels 2000, 77.

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Umschlagstelle von Selbst und Welt ins Spiel. Merleau-Ponty greift Husserls Ansatz auf in der „Phänomenologie der Wahrnehmung“250. Im Zentrum jeder Wahrnehmung und am Beginn der Begegnung mit dem Ich und der Welt steht der Leib. Er stellt im Anschluss an Husserl fest: „Als die Welt sehender oder berührender ist so mein Leib niemals imstande, selber gesehen oder berührt zu werden.“251 In den philosophischen Entwürfen wird der Begriff Leib als umfassender Begriff für den Menschen verwendet. Das Verständnis vom Menschen steht in engem Zusammenhang mit dem Verstehen seiner leiblichen Verfasstheit. Dies zieht eine neue Verhältnisbestimmung des Körperlichen zum Menschlichen nach sich. Den Entwürfen gemeinsam ist grundsätzlich der Doppelcharakter des Körpers. In Anlehnung an Helmut Plessner kann formuliert werden: Menschen haben einen Körper und sind Körper. Bereits an dieser Paradoxie wird die Herausforderung, dass Menschen sich immer wieder zu ihrem Körper in Relation setzen müssen, obwohl sie immer schon in einer Relation zu ihm stehen, deutlich. Gemeinsam ist der Phänomenologie auch die Erkenntnis, dass über subjektive leibliche Erfahrungen nur in der Perspektive der ersten Person gesprochen werden kann.252 Erfahrung beruht auf Wegen, sie hat prozesshaften Charakter. Die Phänomenologie hat es daher nach Merleau-Ponty mit einem Sinn in statu nascendi zu tun.253 Zu beschreiben ist eine dynamische Wirklichkeit, nicht eine, die aus bereits fertig abgeschlossenen Gegebenheiten besteht. Das Denken kann das Phänomen von Bewegung und Tanz allerdings nie ganz einholen.254 Die tanzphilosophischen Entwürfe neuerer Zeit stehen weitgehend in der Tradition der Phänomenologie. Daher gelangen sie zu differenzierten Körperkonzepten, an deren Komplexität sich auch die Reflexion in dieser Arbeit orientiert, ohne den heute ungebräuchlich gewordenen Begriff Leib zu übernehmen. In der Tanz- und Bewegungswissenschaft hat sich das Wort Körper im Sinne eines geistvollen lebendigen psycho-physischen Konglomerats durchgesetzt. Die sorgfältige Klärung von Körperkonzepten ist umso mehr von Bedeutung, als in dem Bestreben, sich von älteren, den Körper abwertenden Vorstellungen abzugrenzen, in der Literatur zu Kirchentanz gewisse Einseitigkeiten vorkommen können. Damit meine ich etwa die häufig vertretene Auffassung „ich bin mein Körper“, ohne die andere Seite der Medaille „ich habe einen Körper“ angemessen zu berücksichtigen.255 In den im Folgenden besprochenen tanzphilosophischen Entwürfen nehmen die Überlegungen ausgehend von der Unhintergehbarkeit des Körperlichen den Tanz als Paradigma für ein menschliches Selbst- und Weltverhältnis in den Blick. 250 251 252 253 254

Vgl. Merleau-Ponty, 1966. Merleau-Ponty 1966, 117. Vgl. Andermann 2012, 136; Depraz 2012. Vgl. Merleau-Ponty 1966, 313. Das Denken führt Voraussetzungen ein, „die nur geeignet sind, uns zu verbergen, wie Bewegung für uns allererst entspringt.“ Merleau-Ponty ebd., 312. 255 Vgl. u. a. Pfaff 2006.

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Klärungen

Beispiele sind Bernhard Waldenfels256 in einem Aufsatz sowie Malda Denana257 und Miriam Fischer258 in Monographien. Waldenfels beschäftigt sich mit dem „Wunder der leiblichen Bewegung“259. Seine Überlegungen setzen einen Schwerpunkt bei der Reflexion der Bewegung als Selbstbewegung.260 Dem Sinnlichen kommt dabei außer einer Bedeutung für die Bewegung und das Leben die einer Art des „Zur-Welt-Seins“261 zu. Selbstbewegung ist nicht eine reine Angelegenheit von bewussten Willensentscheidungen. Sie kann auch als Antwort auf pathische Regungen, die aus dem Inneren aufsteigen, verstanden werden. In dem, wie diese Selbstbewegung ausfällt, kann sich auch die Empfindung der Fremdheit gegenüber sich selbst einstellen. „Die Fremdheit der Selbstbewegung haftet an deren innersten Antrieben.“262 Beim gemeinsamen Tanz mit anderen finden sich Tänzerinnen in einer Situation der Zwischenleiblichkeit vor. Bei Tanzfiguren wie dem Pas de deux oder dem Tanz in einer Gruppe kommt es zum Ineinander von eigenen und fremden Bewegungen.263 Im Zwischen zeichnet sich ein Kräftefeld ab. Das Eigene geht im Gemeinsamen nicht auf. Auch wenn Bewegungen gemeinsam vollzogen werden, ist da nicht ein bloßes Nachahmen, sondern ein Mitmachen – Mimesis. Das heißt, „im Mitmachen entsteht Eigenes aus dem Fremden. […]. Alles Mitsein hat Züge einer Mitbewegung.“264 Denana gewinnt die anthropologische Fundierung des Tanzes durch Überlegungen zum Körperwerkzeug, das doppelt wirkt, in Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit, gleichzeitig natürlich und künstlich und zu dessen exponierter Bewegungskompetenz (Arnold Gehlen). Von dort aus wird Tanz näher bestimmbar im Spannungsverhältnis zwischen Ausdruck und Darstellung. Schließlich konturiert sie Tanz als „Geste, Pathosformel und Symptom“ unter Rückgriff auf Gedanken von Giorgio Agamben, Aby Warburg, Sigmund Freud und Paul Val ry. Tanz definiert Denana als Kunst, die unter ästhetischen Gesichtspunkten rezipiert wird und schließt damit klassischen und zeitgenössischen Bühnentanz ebenso ein wie die Produktionen der freien Tanzszene und des Tanztheaters.265 Denanas Arbeit versucht, eine Lücke zu schließen, da bislang Tanz vorwiegend unter kulturanthropologischen und nichtphilosophisch anthropologischen Fragestellungen betrachtet wurde. Künstlerischer Tanz sei deshalb anthropologisch bedeutsam, weil er als selbstbezügliche Ausdrucks- und Darstellungspraxis in der Lage sei, anthropologische 256 257 258 259 260 261 262 263 264 265

Vgl. Waldenfels 2000. Vgl. Denana 2014. Vgl. Fischer 2010. Waldenfels 2007, 17. Vgl. Waldenfels 2007, 14. Waldenfels 2000, 85. Waldenfels 2007, 19. Vgl. Waldenfels 2007, 19 f. Waldenfels 2007, 20. Vgl. Denana 2014, 9.

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Grundstrukturen sichtbar zu machen und zu intensivieren.266 Auch für Kunsttanz in der Kirche scheint mir diese Spur beachtenswert.267 Vorbildlich ist auch die Bedeutung, die Denana der Ästhetik für ihren Entwurf einräumt. Fischer setzt sich mit tanzphilosophischen Überlegungen unter anderem von St phane Mallarm , Paul Val ry und Jean-Luc Nancy auseinander, nach eingehender Klärung der Verarbeitung des Leib-Seele-Problems bei Descartes und der phänomenologischen Antworten darauf durch Edmund Husserl und Maurice Merleau-Ponty. Sie plädiert für ein Lernen der Philosophie vom Tanz.268 Parallelitäten sind darin gegeben, dass auch Philosophie sich nur lebendig und performativ realisieren könne. Anhaltspunkte findet sie bei Val rys Verständnis von Tanz als Körperschrift.269 Prägnant wird dies von Nancy herausgearbeitet, der von sich sagt: „quand je pense, je danse.“270 Denken sei ebenso wie Tanz etwas Prozesshaftes, ein Werden. Zugleich sei dessen Materialität zu beachten, denn so wie der Tanz lasse sich Denken nur durch Körper hindurch zeigen. Auch Tanz generiere Wissen. Dies sei als Körperwissen zu verstehen, das zu einer Mitteilung im Vollzug befähige. Fischer erwartet von der Beschäftigung mit dem verkörperten und performativen Wissen des Tanzes einen „Einfluss auf unser generelles Verständnis von Wissen und Wissenschaft“271. Würde die korporale und performative Idee von Wissen akzeptiert, müsste an den Oppositionen von Theorie und Praxis nicht in der überlieferten Form festgehalten werden.272 Die Erfahrungsebene nimmt Fischer eher nebenher mit in den Blick. Sie bringt den Zustand im Tanz mit den Figuren in Zusammenhang, ein Gedanke, der durch empirische Forschung noch einmal auf andere Weise beleuchtet werden könnte. In Anschluss an Val ry kann gesagt werden, dass im Zentrum des Tanzes die „Schaffung eines Zustandes“273 stehe, der dadurch hervorgerufen werde, dass unsere Glieder „eine Folge von Figuren“274 ausführen, „die sich fortlaufend miteinander verketten und durch ihre Wiederholung eine Art von Trunkenheit erzeugen“275. Der Hinweis auf Rausch in der Tanzerfahrung scheint mir relevant für die Suche nach einer genaueren Qualifikation spirituellen Tanzens. Ist der Rausch notwendig oder nur möglich im spirituell verstandenen Tanz?

266 267 268 269 270 271 272 273 274 275

Vgl. Denana 2014, 12. Vgl. C 1 und 7. Vgl. Fischer 2010, 351 ff. Vgl. Fischer 2010, 296 ff. Nancy zitiert nach Fischer 2010, 346. Vgl. Fischer 2010, 353. Vgl. Fischer 2010 mit Bezug auf Thesen von Gabriele Brandstetter, 353. Val ry zitiert nach Fischer 2010, 309. Val ry zitiert nach Fischer 2010, 310. Val ry zitiert nach Fischer 2010, 310.

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Klärungen

3.2 Tanz in der phänomenologischen Bildungstheorie Ein Wirkungsfeld hat sich den oben gesichteten körper- und tanzphilosophischen Ansätzen in der Verarbeitung des Themas Tanz in der phänomenologisch ausgerichteten Pädagogik eröffnet, vor allem bei denjenigen Autor_innen, die sich mit ästhetischer Bildung beschäftigen. Deren Gedanken sollen deshalb hier dargestellt werden, weil im Gespräch mit der Bildungstheorie Aspekte des Phänomens Tanz zutage treten, die in den unterschiedlichen Beiträgen der Tanzwissenschaft eher verstreut zu finden sind. Die im Folgenden erläuterten Aspekte von Tanz bieten mehr als eine Definition, was den Umfang und die Vielfalt der Facetten betrifft. Zudem lässt der bildungstheoretische Blick Aspekte dessen hervortreten, was unter der Transformation von Menschen durch Tanz verstanden werden kann. Sie sollen, der besseren Übersicht wegen, im Folgenden nach Stichworten gebündelt werden:

Sichtbarmachen anthropologischer Grundbedingungen Tanz entsteht nicht als etwas Zusätzliches zum Leben, sondern greift das Gewöhnliche auf und baut es um.276 Er arbeitet mit der Realität von Schwerkraft, Gewicht, Bewegung, nicht dagegen. Mit dem Raum und einer gegebenen Choreographie wird umgegangen. Was die Bewegung hemmt, kann ihr auch dienen. „Insofern die Stasis sich so als gleichsam gefrorene Kinesis erweist, sozusagen als Hemmung und Widerständigkeit der Bewegung auftritt, verstehen sich Stasis und Ruhe von der Kinesis und Bewegung her.“277

Ephemeres Phänomen Das Flüchtige des Tanzes278 verweist auf die grundlegenden Bedingungen menschlicher Bewegung. Im Tanz wird „der bewegte Körper […] – bedingt durch einen willentlichen Vorgang subjektiver Stilisierung und Inszenierung – zum manifesten Symbol der flüchtigen Bewegung im Raum.“279 In bildungstheoretischer Hinsicht wirft das die Frage auf, ob und welche Spuren flüchtiger Tanz im Subjekt hinterlässt. Liebau und Klepacki betonen, es sei „eben nicht die flüchtige Bewegung, die im Subjekt bleibt, sondern das Vermächtnis dessen, was die Bewegung mit dem sich bewegenden Subjekt gemacht hat.“280 276 277 278 279 280

Vgl. Stenger 2008, 83. Vgl. Denana 2014, 9. Stenger 2008, 84. Vgl. Fischer 2010, 329 u. ö. Liebau/Klepacki 2008, 70 f. Liebau/Klepacki 2008, 71.

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Das Ephemere ist charakteristisch für die Performativität des Tanzes. Was performativ aufgeführt wird, hat die Chance, Übergänge darzustellen. „Betrachtet man Tanz als transitorisches performatives Ereignis, dann ist nicht nur das von Bedeutung, was anwesend ist, sondern vielmehr das, was physikalisch nicht anwesend, aber in der Bewegung präsent ist.“281 Im Tanz wird daher auch „Nicht-Ganzheitlichkeit“282 erfahren als Bewusstsein des noch nicht Gewordenen und des Vergehenden.

Alltagsüberschreitende Bewegung Tanz gilt als eine „Spielart“283 von Bewegung. Er wird der Kunst und dem Fest, der Auszeit zugeordnet. Tänzer nehmen dabei ihren Körper anders als im Alltag in Gebrauch. Tanzbewegung ist keinerlei pragmatischen Zwecken unterworfen, es handelt sich um selbstzweckliche Vollzüge.284 Zwar können Tanzbewegungen wie Alltagsbewegungen aussehen, die Inszenierung hebt sie jedoch eindeutig aus dem Alltag heraus.285 Tanzen inszeniert den dynamischen Körper. Im Unterschied zum Leistungskörper im Sport strebt dieser keine messbaren Ziele an. Der Tanz vereint Leistungsinteresse und Leistungsfähigkeit mit Kunst, Unterhaltung und Erholung. Beide Seiten ergänzen einander, „was den Tanz selber zu einer Art erstem Choreographen menschlicher und kultureller Selbstgestaltung werden lässt.“286 Tanz stellt menschheitsgeschichtlich eine Sprache sowohl in Religion als auch in Kunst dar. Auch mit der individuellen Geschichte verknüpfen sich Tanzanlässe. An Wendepunkten im Leben werden nicht selten Tänze besonders erinnert (der erste Tanz mit dem späteren Partner). Solche getanzten Zeiten können unter anderem als „signifikante Phasen menschlicher Praxis als biographisch bedeutsam wahrgenommen, erfahren, reflektiert“287 werden.

Zeitphänomen Tanzbewegungen ereignen sich in Raum und Zeit. Sie machen das Phänomen Zeit auf jeweils charakteristische Weise sichtbar, abhängig von der geteilten Tanzauffassung. „Während man beispielsweise im modernen Tanz ,sog. ex281 Liebau/Klepacki 2008, 76. Vgl. zum Thema Abwesenheit im Tanz auch Siegmund 2006 und die Reflexion in C 7. 282 Vgl. Liebau/Klepacki 2008, 77. 283 Waldenfels 2007, 14. 284 Vgl. Klepacki 2008, 107. Allerdings ist hier einzuwenden, dass Menschen auch tanzen, um Geld zu verdienen. Diese Realität bricht das Ideal der Selbstzwecklichkeit auf. 285 Rudolf von Laban, Pina Bausch u. a. verarbeiten in ihren Choreographien Alltagsbewegungen. 286 Stenger 2008, 81. 287 Liebau/Klepacki 2008, 70.

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terne zeitliche, rhythmische und bewegungsstrukturierende Faktoren‘ zu überwinden suchte, um dem Tänzer einen Freiraum zu schaffen, in dem er sich selbst mit der Bedeutung der Zeit konfrontieren konnte, ist im klassischen Ballett hingegen das Streben nach 100 %iger Erfüllung vorgegebener zeitlicher Strukturen ein zentraler Bestandteil der Kunst.“288 Zeit, Raum und Bewegung bilden einen Zusammenhang, mit dem Tänzer sich jeweils bewusst auseinanderzusetzen haben. Das Rhythmische macht deutlich, dass subjektive und objektive Zeit zwar nicht deckungsgleich, aber auch nicht beziehungslos sind. Tänzer synchronisieren sich mit der Musik, wobei sie Spielräume nutzen können und den Tanz etwa bewusst zur Musik kontrastieren.289 Menschen treten individuell verschieden in affektive und leibliche Resonanz mit Rhythmen. Die Bewegung spielt sich also zeitlich gesehen im Spannungsfeld von Vorgabe und Ausführung, Dehnung und Raffung, individueller und kollektiver Zeit ab.290 Ruhe kann als Bestandteil von Tanz gelten. „Sie ist nicht das Gegenteil der Bewegung, sondern deren Unterbrechung und der Grund, von dem die Bewegungsfiguren sich abheben.“291

Erzeuger von Präsenzen und Gestalter des Raumes Im Tanzen verdichten sich Raum und Zeit. Die körperliche Präsenz der Tanzenden konzentriert sich gleichsam im Hier und Jetzt.292 Der Tanz verändert die Erfahrung des Raumes. Das Hier ist Ausgangspunkt, das Dort ist Zielpunkt. Das sind keine beliebigen Raumstellen, sondern bevorzugte ZeitOrte.293 Bewegungsrichtungen verleihen den Bewegungen eine besondere Qualität. Vorwärtsbewegung und Rückwärtsschritte tragen in sich die Symbolik von Fort- und Rückschritt, ebenso Aufstiegs- und Abstiegsbewegung, „die gegen die Schwerkraft des eigenen Leibes ankämpft oder sie zu nutzen versteht.“294 Ein aufrechter Gang hat auch eine ethische Note – er setzt sich ab vom Kriecherischen. Es handelt sich um die Erfahrung, sich im Gleichgewicht zu halten und vor dem Fall zu hüten. „Gehen und Stehen sind auf Bodenhaftung angewiesen.“295 Tanz kreiert im Raum Qualitäten wie Nähe und Ferne. 288 Liebau/Klepacki 2008, 74. 289 Ein Tanzen gegen die Musik vermag die Macht der Musik zu begrenzen. Waldenfels bemerkt zum Unterschied zu einer denkbaren Musik der Macht: „Man mag es einer List der Kunst zuschreiben, dass die Macht der Musik sich nie völlig in eine Musik der Macht überführen lässt.“ Waldenfels 2007, 24. 290 Vgl. Liebau/Klepacki 2008, 75. 291 Waldenfels 2007, 22. 292 Vgl. Klepacki 2008, 110. 293 Vgl. Waldenfels 2007, 21. 294 Waldenfels 2007, 21. 295 Waldenfels 2007, 21.

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Dies sind keine messbaren Abstände, sie verweisen gleichsam auf Spielräume der Bewegung: Jede Bewegung, auch die Tanzbewegung, die dazu führt, dass der Raum sich dehnt und zusammenschrumpft, oszilliert zwischen Annäherung und Entfernung, zwischen Ankunft und Abschied, und beides tritt zugleich auf, da kein Hier sich in ein Überall verwandeln lässt. In diesem Spiel von Nähe und Ferne bekundet sich eine eigentümliche Form der Fremdheit einschließlich der Möglichkeit, dass Naheliegendes in die Ferne rückt und Vertrautes unheimlich anmutet.296

Mit dem Kontrast von Enge und Weite kann gespielt werden. Im Spiel manifestiert sich Freiheit. Auch ein einfaches Gehen im Raum vermittelt etwas davon, was es heißen kann, Raum einzunehmen. „Die Freiheit ist ein Kennzeichen, Lohn, Ergebnis kundiger Disziplin. Allein der Tänzer versteht zu gehen; der Sänger zu sprechen; der Denker zu lächeln.“297

Spannungsfeld von Können und Nicht-Können Tanzen erfordert den Mut, sich unfertig zu zeigen. Was Tanzende können, ist immer ein begrenztes Können. Es kommt zu Erfahrungen mit den eigenen und fremden Grenzen, mitunter auch zu Scham. Das Eigene erscheint vorläufig, gemessen an der Vollkommenheit der angestrebten Bewegungen. Tanzend können Menschen sich selbst vorübergehend fremd werden. Das ästhetisch Ideale und das physikalisch Unmögliche führen in ihrem Zusammenspiel dazu, dass eine Tanzbewegung aufgefasst werden kann als ein sublimiertes ästhetisch-performatives Korrelat von physikalischer Gesetzmäßigkeit, Raumwahrnehmung und Bewegungsmöglichkeit. Tanzen wäre sodann zu verstehen als eine Zeit der Selbst-Befremdung, von Fremd-Befremdung, vielleicht auch von Scham, von Selbstkontrolle, von Grenzerfahrung und von präsentativer Gestaltung des physikalisch Abwesenden.298

Mit dem ich kann, das die Spuren eines anonymen es geht an sich trägt, verändert sich das traditionelle ich denke und ich will.299

Unkontrollierbare Prozesse Beim Tanzen vollzieht sich menschliche Tätigkeit in einer Mischung aus Aktivität und Passivität. Der Tanz integriert Menschen in einen gerichteten Be296 297 298 299

Waldenfels 2007, 22. Val ry 1918, 53. Liebau/Klepacki 2008, 71. Waldenfels verweist dabei auf Husserl 1952, Hua IV, §60. Vgl. Waldenfels 2007, 25.

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Klärungen

wegungsfluss, der gleichzeitig einen Raum öffnet für Überraschungen. Es handelt sich um den Unterschied zwischen Nachvollzug und geplantem Tun. „Dass er sich im Tanz bewegt, heißt da mindestens ebenso sehr, dass der Tanz ihn bewegt. Es gibt da kein eindeutiges Subjekt und Objekt, nur ein Changieren, einen Fluss, einen Schwebezustand.“300 Beim gemeinsamen Tanzen entsteht etwas Neues, das weder der eine noch die andere genauso gewollt hat und haben kann und das beiden (und allen anderen) als Unerwartetes, als kontingent Wirkliches und also wirklich Mögliches gegenübertritt und damit Bildung in Gang setzt oder doch zumindest in Gang setzen kann. Die innere Unendlichkeit des Tanzes ist Teil dieses Spiels der Wahrnehmung, das zugleich durch Dauer und Intensität, Fluss und Bruch, Übergang und Grenze gekennzeichnet ist.301

Soziales Phänomen Tanz ist dadurch als solcher erkennbar, dass ein kollektives Wissen über Tanz vorhanden ist und anerkannte kulturell geprägte Konventionen für bestimmte Formen existieren. Tanz wird daher nicht nur in institutionalisierten Tanzsituationen erkannt, sondern auch im Alltag.302 In der Regel hat Tanz einen klaren Anfang und ein Ende, so dass die Tanzsituation vom Alltag unterscheidbar ist. Liebau und Klepacki beschreiben einen offenen Tanzabend mit Volkstänzen, bei dem Lehrstunde und praktische Ausübung ineinander griffen: „Fast alle übten, guckten auf die Nachbarn, versuchten, die eigene Form zu finden – eine geradezu idealtypische Situation kollektiver Mimesis, eben nicht der Nachahmung, sondern der Mitahmung.“303 Das Kunstwort Mitahmung deutet den individuellen Anteil am Vollzug vorgegebener Bewegung an. Kunst Tanz gehört zum menschlichen Kunstschaffen. Kunst verändert Wahrnehmungsgewohnheiten, Tanz verändert Bewegungsgewohnheiten. Zwar entlastet die Automatisierung der Bewegung vom ständigen Zwang der Bewegungskontrolle, kann aber auch an das Gewohnte fesseln. Wenn das nicht festgestellte Tier festgestellt wird, kommt es zum Absterben von Fremdheitsimpulsen, die uns aus unseren Gewohnheiten reißen. Dann würden Kunst und Technik zu einer zweiten Natur.304 Kunst entsteht aber nicht aus Gewohnheiten 300 301 302 303 304

Liebau/Klepacki 2008, 73. Vgl. Liebau/Klepacki 2008, 73. Vgl. Liebau/Klepacki 2008, 69. Liebau/Klepacki 2008, 72. Vgl. Waldenfels 2007, 26.

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oder Automatismen. Sie fordert heraus zu neuen Sichtweisen und neuen Erfahrungen. Die Kunst kann als „Begleiterin des Menschen“ aufgefasst werden, insofern sich „der Mensch in der Kunst einen Spiegel schafft, indem er seiner selbst und der Welt auf eine eindringliche und der Notwendigkeit enthobene Weise ansichtig wird“305. Solche Begleitung ist als Möglichkeit der Freiheit gedacht. Dem Menschen als dem Freigelassenen der Natur (Herder) ist die Verantwortung für seine Bildung selbst übertragen. Außerdem kann Tanz als künstlerische Sprache aufgefasst werden. Die Sprache des Tanzes liegt noch vor jedem prädikativ, propositional und repräsentativ angesetzten Sprachverstehen. Ihre Ausdruckskraft erlangt sie durch ihren wahrnehmbaren und erfahrbaren performativen und transformatorischen Sinn.306 Das sprachlichkommunikative Potenzial des Tanzes macht Überlegungen erforderlich, wie das Getanzte zu entschlüsseln ist. Hermeneutische Fragen stellen sich insbesondere auch in der Begegnung von Tanz und Theologie. Insgesamt wird deutlich, dass Phänomenologische Tanzphilosophie ein Feld von unterschiedlichen Körperkonzepten darstellt. Eine Aussagekraft über den Körper und den Tanz im universalen Sinn kann damit nicht verbunden sein, zumal tanzstilistische Differenzierungen selten eingebracht werden. Die universalisierende Rede von Körpern und der Tanzerfahrung unabhängig von der Wirkung gesellschaftlicher Geschlechterkonstruktionen ist kritisch zu sehen. Es bleibt unklar, ob bei der Rede von Körpern vom Normalfall des männlichen Körpers ausgegangen wird, wie es in der Tradition philosophischer und theologischer Anthropologie üblich war. In die weitere Arbeit aufzunehmen sind jedoch die angebotenen Wahrnehmungsperspektiven, die für die unterschiedlichen Facetten des Phänomens Tanz sensibilisieren. In den Interviews gilt es diese zu beachten, ohne sich durch sie einschränken zu lassen. Die Rezeption der phänomenologischen Tanzphilosophie in der Praktischen Theologie steht noch aus und verdient solche Bemühungen vor allem im Feld der Liturgiewissenschaft. Vor dem praktischtheologischen Forschungsüberblick steht im Folgenden eine biblische und systematisch-theologische Verortung von Körperlichkeit und Bewegung in ihrer anthropologischen Bedeutung.

4. Körperlichkeit, Bewegung und Tanz in Bibel und Theologie Die folgende Übersicht motiviert sich vorwiegend durch die Frage nach der biblischen Anthropologie von Körper und Bewegung als Voraussetzung für das Verstehen des Phänomens Tanz im Kontext biblischer Textwelten (4.1). Vom Menschen aus frage ich außerdem nach Gottesbildern und ansatzweise 305 Hirsch 1992, 576. 306 Stenger 2008, 82.

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nach weiteren für Tanz relevanten theologischen Perspektiven (4.2), bevor das Thema Tanz in exegetischer und kirchenhistorischer Perspektive entfaltet wird (4.3). Die Auswahl von Beiträgen dient dazu, den theologischen Hintergrund der von Kirchentänzern literarisch geführten Diskurse zu erhellen.307 Die Darstellung setzt nicht zuletzt deshalb bei biblischer Anthropologie und deren Resonanz in systematisch-theologischen Denkfiguren ein, weil sowohl Tanzende als auch Skeptiker in ihnen Vorgaben der eigenen Glaubenstradition suchen. Der Einsatz bei anthropologischen Fragestellungen legt sich auch aufgrund der Beobachtung nahe, dass ein Blick in die Konkordanz zur deutschen Lutherbibel zum Erschließen des Themas Tanz in der Bibel kaum etwas beiträgt. Die hierin enthaltenen Verweise nennen nur wenige Stellen.308 Dies ist nicht zuletzt ein Problem der Übersetzung.309 Im Hebräischen stehen mehrere Vokabeln für Tanzen oder Tanz, die nicht immer so übersetzt werden, dass deutsche Leser_innen dies mit Tanzen assoziieren.310 Zudem ist wohl davon auszugehen, dass Tanz bei Festen so selbstverständlich dazu gehörte, dass er nicht gesondert erwähnt wurde.311 Sowohl in Bibelübersetzungen wie allgemein in der Aufnahme des Themas Tanz in der Theologie schlagen sich Vorverständnisse nieder.312 Da sich die Einstellung zum Tanz im protestantischen Christentum nicht vom Verständnis des Menschen und seiner Körperlichkeit ablösen lässt, beschäftigt sich der nächste Abschnitt 4.1 mit biblischen Körperkonzepten. Feministisch-theologische und befreiungstheologische Einsichten haben schließlich auch über die Exegese hinausgehend entscheidend das Feld eröffnet. Für Tanzende bietet diese Entwicklung in der Theologie die Chance, Anschlussmöglichkeiten zu 307 Vgl. 7.2. 308 Tanz: 2Mo 32,18; Jer 31,4. Tanzen (Auswahl): 2Mo 32,19; Ri 21,23; 2Sam 6,5; Spr 26,7; Pred 3,4; Mt 11,17; Mt 14,6; Lk 15,25; Reigen (Auswahl): 2Mo 15,20; Ri 11,34; Ri 21,23; 1Sam 18,6; 1Sam 21,12; 2Sam 6,5; Ps 30,12; PS 149,3; Hld 7,1. 309 In Jdt 15,16 steht springen; in Ex 32,6 Lust treiben für zahaq; 310 Vgl. zu den hebräischen Vokabeln für Tanz und entsprechenden Bibelstellen Berger 1985a, 16–21; Pfaff 2006, 42–45. 311 Vgl. dazu Berger 1985a, 17–19. Berger nennt als Hinweis den Erntetanz Ri21,19–23, der auf Tanz als Bestandteil solcher Jahreskreis-Feste schließen lässt, den Siegestanz Ex15, 20 f als Beispiel eines möglicherweise festen Brauches, was auch durch 1Sam18,5–7; Jdt15,12 f. und 3Makk6,32 gestützt wird. Tanz gehört vermutlich zu Hochzeiten, wofür ein eher vager Hinweis Hld 7,1 steht. Luther übersetzt Reigen. Belege in Psalmen verweisen auf Tanz in Form von Prozessionen als Teil von Gottesdiensten: Ps 149,2; 68,25 f.; 150,4; u. ö. Tanztypische Instrumente wie Trommeln, Tamburin, Becken, Zimbel werden genannt. Davids Tanz vor der Lade (2Sam 6,14.16; 1Chron 15,29) kann evtl. als Prozessionstanz aufgefasst werden. Der rituelle Tanz um sakrale Objekte ist Negativbeispiel (Goldenes Kalb 2Mose 32,5 f. und Baalspropheten 1Kön18,26–29). Priesterliche Satzungen zum Kult erwähnen Tanz nicht. Insgesamt sind die Aussagen allerdings eher zufällig und ergeben kein kohärentes Bild damaliger Praxis. Geiger erwähnt die Vokabel machalot, die in der hebräischen Bibel für den Tanz von Frauen verwendet wird. Vgl. Geiger 2007, 56. 312 Gotthard Fermor spricht von einer „massiven Verdrängungs- und Abwehrgeschichte“, der auch die praktisch-theologische Theorie gegenüber steht. Vgl. Fermor 2001, 648.

Körperlichkeit, Bewegung und Tanz in Bibel und Theologie

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finden, statt sich als diejenigen, die ihre Praxis gegen Kirchengeschichte und Dogmatik verteidigen müssen, gleichsam am theologischen Nicht-Ort wiederzufinden. 4.1 Biblische Körperkonzepte In der Frage nach den Vorstellungen vom Menschen und der Sicht auf Männerund Frauenkörper in der Bibel führen die sogenannten klassischen Anthropologien des Alten oder Neuen Testaments nicht unbedingt weiter. Problematisch erscheinen dabei die von systematisch-theologischen Prämissen aus geleitete Gewichtung und Einordnung der biblischen Befunde.313 Dabei fallen die Bevorzugung von Themen protestantischer Prägung, aber auch die Orientierung an der Perspektive auf den Menschen als einen im Normalfall männlichen auf.314 Bestimmte Sinnesorgane werden auf Kosten anderer bevorzugt bedacht. So wird in Hans Walter Wolffs Anthropologie des Alten Testaments das Ohr als Organ des Hörens weitaus intensiver behandelt als das Auge, obwohl dies dem statistischen Vorkommen der Begriffe in der hebräischen Bibel nicht entspricht.315 Claus Westermann geht zurückhaltender vor und verzichtet auf den Entwurf einer „Anthropologie des Alten Testaments“.316 Insgesamt legen systematisch-theologische Raster zur Erfassung der Lebenspraxis im antiken Israel den Schluss auf eine darin liegende normative theologische Anthropologie allzu selbstverständlich nahe. Die Vielfalt der Texte und ihrer Voraussetzungen lässt jedoch keine verallgemeinerbare Sicht auf „den Menschen des Alten Testaments“ zu, zumal wie Marie Theres Wacker anmerkt, „in gut androzentrischer Manier die Frau dem Mann als dem eigentlichen Menschen subsumiert“317 wird. Daher wurde ein für die Gottesmetaphorik bedeutendes Organ, die Gebärmutter häufig übersehen.318 313 Dies zeigt Anna Kiesow in einem Forschungsüberblick. Vgl. Kiesow 2003, 29–41. 314 Bei Preuß finden sich die Überschriften „Der Mensch vor Gott“, „Sünde und Schuld“. Vgl. Preuß 1992, 105–198. 315 Vgl. Kiesow 2003, 32; Auge ist der dritthäufigste Begriff (868), Angesicht der häufigste und Hand an zweiter Stelle. Wolff dagegen hält die Prävalenz des Ohres, vermutlich protestantisch wortzentriert, vor dem Auge für unverkennbar. Schon Luther erklärte in der Genesisvorlesung von 1535/45 Augenwunder seien viel kleiner als Ohrenwunder. Vgl. Kuhlmann 2008, 215. Schroer/Staubli entfalten in ihrem Band die „Augentheologie“ der Bibel. Vgl. Schroer/Staubli 2005, 13. 316 Vgl. Kiesow 2003, 33. 317 Wacker zitiert nach Kiesow 2003, 33. Unter Androzentrismus ist nach Ina Praetorius „die für patriarchal organisierte Gesellschaften charakteristische Vorurteilsstruktur zu verstehen, durch die – naiv oder vorsätzlich – die conditio humana mit den Lebensbedingungen erwachsener Männer ineinsgesetzt wird. Aussagen über ,den Menschen‘, die von männlichen Lebens- und Erfahrungszusammenhängen abgeleitet sind, wird von androzentrischen Denkern also universale Gültigkeit zugesprochen: der Mann ist das Maß alles Menschlichen.“ Praetorius zitiert nach Schroer/Staubli 2005, 16. 318 Vgl. dazu die Ausführungen von Schroer/Staubli 2005, nur 55–66. Rächäm Gebärmutter ist

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Klärungen

Vielversprechender als systematisch-theologische Verallgemeinerungen ist für diese Arbeit der Überblick über die biblischen Vorstellungen in Bezug auf den menschlichen Körper. Angesichts der Bedeutung des Körpers für das Tanzen gibt die Darstellung ausgewählter Körperkonzepte im Zusammenhang mit den konnotierten emotionalen und geistigen Vorgängen möglicherweise relevante Hinweise auf damalige kulturelle Voraussetzungen der Körperpraxis Tanz. Silvia Schroer und Thomas Staubli stellen fest, dass für die Untersuchung von „Funktion, Zeichencharakter und Symbolik des menschlichen Körpers“ unter anderem in künstlerischen Medien wie Tanz „der Beitrag der Bibel und des Alten Orient zum Thema als besonders anregend empfunden wird, weil er in der Lage ist, eingleisige westliche Diskussionen kreativ aufzubrechen.“319 Körperteile werden in ihrem Bedeutungsfeld dargestellt; die räumlichen Verhältnisse von oben und unten, vorne und hinten, innen und außen werden einbezogen. Die Wahrnehmung des Körpers erweitert theologisch überlieferte einseitige oder körpervergessene Bilder. Weibliche Organe sind nicht nur als Sitz von Mütterlichkeit, sondern ebenso in ihrem Zusammenhang zu weiblichem sexuellen Begehren zu sehen. Ein abendländisches dichotomisch oder trichotomisch unterteiltes Menschenbild ist der Hebräischen Bibel fremd.320 Dennoch werden in der Exegese immer wieder Fragestellungen wie die Suche nach passenden hebräischen Worten für die Begriffe Fleisch, Seele oder Geist (bzw. Ich) an die Texte herangetragen.321 Starkes Interesse ruft der Begriff näfäsch hervor, aber auch eine Fülle anderer Körperteile wird philologisch erfasst. Insgesamt ist es nach Kiesow allerdings ein ungelöstes Problem, wie man mit solchen auf Begriffe ausgerichteten Forschungen „der Eigenheit der hebräischen Sprache, ihrem Reichtum an verbalen Ausdrucksmöglichkeiten“ gerecht werden kann.322 Schroer und Staubli erheben den Gebrauch der hebräischen Worte an möglichst vielen Stellen. So geht es statt um eine Übersetzung in Begriffe um das Erfassen eines Bedeutungsfelds. Die Ausdrücke bieten in der Zusammenschau einen „Schlüssel […], um das Denken und das Menschenbild Israels oder bestimmter Schriften aufzuschlüsseln.“323 So sind beispielsweise die Knochen

319 320 321 322 323

nach lew Herz das zweithäufigste innere Organ. Rächäm ist mit rachamim, dem Ausdruck für menschliches und göttliches Mitgefühl eng verwandt. Vgl. Kiesow 2003, 35. Schroer/Staubli 2005 im Vorwort zur 2. Auflage, XIV. Vgl. Schrey 1990, 638. Vgl. Albertz 1992, 465 f. Albertz betont das Fehlen einer Abwertung des Leiblichen, eines Leib/Seele-Dualismus, hält aber auch fest: „Es gibt keine ,göttlichen Elemente‘ im Menschen.“ Albertz 1992, 466. Vgl. Kiesow 2003, 34. Kiesow 2003, 35. Allenfalls abgegrenzte Studien wie etwa zu Körperbildern in den Psalmen erscheinen ihr gegenwärtig sinnvoll. Vgl. ebd., 36. Vgl. dazu das alternative Vorgehen von James Barr, der die Semantik allein über den konkreten Textzusammenhang erschließt und ein statistisches Vorgehen ablehnt. Schroer/Staubli 2005, 14.

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„als Grundsubstanz des Körpers […] Synonym für die Person des betenden Menschen“324. Dies kommt dem stereometrischen semitischen Denken nahe, das Begriffe nicht in Kategorien ordnet, sondern synthetisch kombiniert.325 Dualismen wie Leib und Seele oder Körper und Geist liegen diesem Denken fern. 4.1.1 Näfäsch: Kehle – Leben – Seele Am Wort näfäsch ist dies exemplarisch deshalb gut zu zeigen, weil die Geschichte der Übersetzungen über das griechische psyche und schließlich das deutsche ,Seele‘ offenbar einer folgenreichen Engführung gleichkam, die mit einer Abwertung des Leiblichen einherging. Die Ausführungen bei Schroer/ Staubli zum Körperteil Kehle (näfäsch) sind überschrieben „Die atmende Kehle: Knotenpunkt des Lebens und Symbol der Person“326. Erfasst wird die Bedeutung von näfäsch durch Betrachtung der Tätigkeit und der Möglichkeiten dieses Organs. Die nach Atemluft und Nahrung gierige Kehle wird so zum Symbol des bedürftigen, nach Leben lechzenden Menschen.327 Ganz elementar verdichtet sich die Lebenskraft eines Menschen in seinem Atem. Des Menschen Lebendigkeit hängt psychosomatisch mit der Gabe der Atemfunktion zusammen.328 „So repräsentiert die näfäsch im biblischen Menschenbild das Zentrum der Vitalität, Lebenskraft und Lebensgier. Sie kann schmerzen, frohlocken, hingerafft oder aus Todeszuständen errettet werden, sie lechzt nach der Nähe Gottes und wird am Ende nur bei Gott ganz ruhig (vgl. Jer 6,16; Ps 62,2; 131,1).“329 Körper und Seele bilden keinen absoluten Gegensatz. „Ps 16,9–10a; 63,2; 84,3 zeigen, daß Fleisch als hebräisches Äquivalent für Leib im Parallelismus sogar gleichgesetzt werden kann mit Seele“330 (näfäsch). In der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel (Septuaginta) werden an 600 von 755 Stellen näfäsch mit psyche übersetzt und damit das, was in der griechischen Kultur darunter verstanden wurde, in die Bibellektüre des gesamten griechischen Sprachraums eingetragen. Ein Teil dieser Vorstellungen wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit von zeitgenössischen philosophischen Konzepten und literarischen Werken wie der Ilias des Homer geprägt. In der Ilias ist die psyche/Seele des Patroklos ein luftiges rauchartiges Wesen – ein Bild, das im Volksglauben verortet ist.331 In der 324 Albertz 1992, 465. Albertz nennt Stellen, an denen deutlich wird, wie die Not des Menschen ihm bis in die Knochen dringt (vgl. unsere Redensart erschüttert bis in Mark und Bein): Ps 6,3; Ps 32,3 u. ö. Ebd. 325 Vgl. Albertz 1992, 19. 326 Schroer/Staubli 2005, 45. 327 Schroer/Staubli 2005, 46. 328 Vgl. Düsing 2008, 8. 329 Schroer/Staubli 2005, 49. Ähnlich Albertz 1992, 466 und Seebaß zitiert in: Albertz 1992, 466. 330 Schrey 1990, 639. 331 Vgl. Schroer/Staubli 2005, 51.

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griechischen Philosophie entsteht die Zuschreibung von Präexistenz, Seelenwanderung und Läuterung der Seelen.332 Die Seelen können zu den Göttern aufsteigen, die Inkarnation dagegen wird als Fall aufgrund von Sünde aufgefasst.333 Die griechische Anthropologie hat uns als ihr Erbe nicht nur die Spaltung von Seele und Leib hinterlassen, sondern auch die Verachtung für den Leib, der der unsterblichen und viel wertvolleren Seele eben nur ein Gefängnis, ein Grab sein kann und darum von ihr unbedingt in jeder Hinsicht beherrscht werden muss.334

Aristoteles allerdings sieht den Körper positiver. Dieser ist von der Seele als Lebensprinzip (energeia) durchdrungen.335 Der Vorrang der Vernunft gegenüber dem Körperlichen bleibt bestehen.

4.1.2 Von der Schönheit menschlicher Körper Wenn Seele und Leib bzw. Körper im hebräischen Denken kein Gegensatzpaar bilden, fragt sich nun, was zum Körper im Sinne einer umfassenden Entität gesagt werden kann. Grundsätzlich scheint es so zu sein, dass der Mensch als Mann und Frau insgesamt als gute Schöpfung Gottes gesehen wird, also auch sein Körper. Im Buch Genesis ruft Gott vor dem Schöpfungsakt aus: „Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei“ (Gen 1,27), und nach getaner Arbeit befindet sein Blick „siehe, es war sehr gut“ (Gen 1,31). Die Menschen sind gut in Gottes Augen, sie sind auch schön, denn dies schwingt in tov/gut ebenso mit. Dem ersten Menschenpaar wird damit keine ,Schönheit‘ im Sinne eines ästhetischen Ideals zugeschrieben. Es geht nicht um makellose Proportionen, reine Haut oder das ideale Verhältnis von Fett und Muskelmasse im Körper. Dies kann deswegen angenommen werden, weil es in der hebräischen Bibel keine isolierte Betrachtung des Körpers gibt. Eine nur körperliche Schönheit liegt nicht auf der Linie der Denkweise. In Sprache und Bildkunst dominiert nicht die Orientierung an ästhetischen Werten, vielmehr geht es um die Wirkung, die eine Wahrnehmung hat.336 Die Macht von Kehle, Hand, Auge und Fuß ist wichtiger als deren Aussehen. Jenes Konkrete weist über sich hinaus. Schönheit definiert sich über Beziehung. Das Schönheitsideal ist kein Körper- sondern ein Verhältnisideal. […] Gott ereignet sich da, wo die Beziehungen unter den Menschen sein Wirken zulassen […] in der 332 333 334 335 336

Vgl. Schroer/Staubli 2005, 52. Vgl. Gloy 1990, 645. Schroer/Staubli 2005, 53. Vgl. Düsing 2008, 13. Vgl. dazu Schroer/Staubli 2005, 21.

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respektvollen Gemeinschaft, wo jede und jeder geachtet wird und in seinen Nächsten Gottes Ebenbild sieht.337

So ist jeder Körper gleich wertgeschätzt, unabhängig von dessen Annäherung an diverse kulturell geprägte Körperideale. Nicht zuletzt wird das Körpersein des Menschen biblisch gewürdigt durch zahlreiche Körpermetaphern, die auf Gottes Wirken in der Welt verweisen. Anders als eine vergeistigte Worttheologie es nahelegt, die nur dem immateriell gedachten Wort Gottes Wirkung zuschreibt, sehen biblische Autoren (und Autorinnen?) keine Schwierigkeit, Gott Arme, Hände, Augen und vieles mehr zuzuschreiben. Dabei geht es nicht um das stereotype Bild vom Vater oder vom alten bärtigen Mann. Im Psalm 17 (Vers 15) erfreut sich der Beter an Gottes Gestalt (hebr. temunah), an ihr möchte er sich sattsehen. Laut Wortstatistik kommt allerdings kein komplettes Ebenbild eines menschlichen Leibes zustande. So hat Gott zwar Eingeweide, eine Nase, einen Arm, ein Gesicht, eine rechte Hand, Ohren, Augen, Hände, einen Mund, Füße, eine Kehle und ein Herz, dagegen keine Glatze oder Bart, nicht Haut noch Haare, kein Blut, keine Knochen, weder Fleisch noch Brüste (obwohl es mehrfach das Gottesbild der stillenden Mutter gibt)338 und keine Genitalien, d. h. kein Geschlecht.339 Gottes Körper wird nicht auf seine Gestalt reduziert, zentral ist die Wahrnehmung der Beziehung zum Menschen und zur Welt, die in den Körpermetaphern zum Ausdruck kommt. Gottes Wirken erleben Menschen nicht nur als innere Bewegtheit. Anhand von Körpererfahrungen wird Gottes transformierendes Handeln beschrieben. Exemplarisch seien hier nur zwei Stellen genannt: „Von dem Herrn kommt es, wenn eines Mannes Schritte fest werden“ (Ps 37,23a) und „Ich gehe einher in der Kraft Gottes des Herrn“ (Ps 71).340 Werden auch solche Aussagen einbezogen, ergibt sich das Bild eines Menschen – Mann oder Frau –, der den eigenen Körper als Ort341 der Gotteserfahrung erlebt. Nach Gerhard von Rad herrscht in der Welt der „penetrante Immanenzwille Gottes“342. Demnach gehört es meines Erachtens sowohl zur Bestimmung des Menschen in Bezug 337 Schroer/Staubli 2005, 22. 338 Hos 11,4; Jes 49,15; Jes 66,10–13; vgl. Ps 131,2. Vgl. Schroer/Staubli 2005, 4. 339 Darstellungen in der Umwelt zeigen bevorzugt Göttinnen mit einem freundlichen Angesicht sowie hörenden Ohren. Diese Charakteristika finden sich auch in Gottesbildern der hebräischen Bibel. Daneben kommen ebenso Elemente vor, die in der Umwelt typisch für männliche Gottheiten sind wie der ausgestreckte Arm und die starke Hand. Vgl. Schroer/Staubli 2005, 4. 340 Weitere Stellen ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Siehe, du hast viele unterwiesen und matte Hände gestärkt (Hi 4,3). […] er wird meinen Fuß aus dem Netze ziehen (Ps 25,15). Du stellst meine Füße auf weiten Raum (Ps 31,9). […] der Herr, unser Gott sei uns freundlich und fördere das Werk unserer Hände bei uns… (Ps 90,17). Gott könnte […] verderben das Werk deiner Hände (Pr 5,5). […] Fürchte dich nicht, Zion! Laß deine Hände nicht sinken! Denn der Herr, dein Gott ist bei dir […] (Ze 3,16 f.). 341 Noch in der Alten Kirche gelang es, Denkmodelle zu entwickeln, „die den menschlichen Leib als Ort der Gotteserscheinung und als mögliche Ausdrucksform des Göttlichen achteten.“ Kuhlmann 2008, 222. 342 V. Rad zitiert in: Schrey 1990, 639.

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auf sein Verhalten, „diese Welt zum Eigentum Gottes zu machen, sie für Gott zu heiligen“343 als auch in Bezug auf sein Erleben, Gott erfahren zu können im irdisch vergänglichen Körper.

4.1.3 Der Körper im frühen Christentum Paulus ist ebenso wie Jesus Jude. Seine Auffassung vom Menschen beruht auf der Überlieferung der Hebräischen Bibel. Das Körperliche gehört selbstverständlich zur menschlichen Existenz. Jesus berührt und heilt Menschen. Dabei wird nicht etwas angeblich Immaterielles im Menschen isoliert angesprochen, sondern die Zuwendung zum Körper schließt die Person im Ganzen ein. Jesus isst und trinkt, er weint, hat Schmerzen und leidet. Jesus empfindet Freude und feiert mit den Menschen. In den Evangelien wird dieser menschliche Zug nicht unterschlagen. Die neutestamentlichen Schriften sehen in Jesus von Nazareth Gott inkarniert.344 Das Göttliche hat einen menschlichen Körper angenommen und durchdrungen. Gott wird von einer Frau geboren und teilt von Anfang bis Ende alle elementaren menschlichen Bedürfnisse. Die Grundbedingungen menschlicher Existenz sind auch für Jesus und seine Jünger_innen ambivalent. Gott hat sie liebevoll ausgestattet; gleichzeitig erweist sich das Leben als mühselig und ständig von Scheitern bedroht.345 Die Erzählungen machen ganz deutlich, dass unter dem Körper Jesu keine bloße Hülle zu verstehen ist, innerhalb derer ein luftiger göttlicher Kern schwebt. Die Art und Weise, wie sich Paulus zum Thema Körper äußert, entzieht solchen von der Gnosis an das frühe Christentum herangetragenen Ideen den Boden. Mit der Verwendung des Begriffs soma346 im Korintherbrief setzt Paulus Maßstäbe. Nach Paulus ist soma die „menschliche Person, sofern sie in irdischen Lebenszusammenhängen steht“347. Soma geht sogar darüber hinaus. An Paulus‘ Auseinandersetzung mit der Vorstellung von Erlösung und Jenseitsexistenz wird deutlich: das Geistige kann nicht vom Körperlichen abgelöst werden; auch in der Auferstehung ist die Beziehung zu Gott an soma geknüpft. Die Verdoppelung von soma in soma psychikon und soma pneumatikon (1 Kor 15) erscheint geeignet, den der Gnosis zugeneigten unter den Empfängern des Korintherbriefes die Bedeutung der Leiblichkeit für das Leben als Christen aufzuschließen. Neues Leben in der Auferstehung ist folglich ohne Leiblichkeit nicht denkbar. Der Leib ist kein Kerker der Geist343 Schrey 1990, 639. 344 Joh 1,14 u. a. 345 Diese Sicht menschlicher Existenz gibt es auch in der Hebräischen Bibel. Sie wird nicht nur, aber besonders deutlich, in der jahwistischen Urgeschichte vertreten. Vgl. Albertz 1992, 467. 346 Soma ist auch der Begriff, mit dem in den synoptischen Abendmahlserzählungen der Leib, mithin die Gabe des Lebens Jesu bezeichnet wird. Auch hier ist nicht eine Körperhülle gemeint, sondern die Person. 347 Schrey 1990, 640.

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seele oder eines intelligiblen höchsten Seelenteiles. Damit wird orphischen und platonischen Vorstellungen implizit widersprochen. Auch die manichäische Identifizierung des Leibes mit dem Bösen348 ist Paulus und dem gesamten Neuen Testament fremd.349 Asketische Lebensentwürfe, die sich durch Verleugnung des eigenen Körpers und Rückzug in die Kontemplation auf das Jenseits vorzubereiten trachten, haben keine Grundlage in den biblischen Texten. 4.2 Systematisch-theologische Einsichten zu Körper und Bewegung Wer der Mensch theologisch gesehen ist, verdichtet sich in der Rede von der Gottebenbildlichkeit. Neuere befreiungstheologische Entwürfe verstehen es, den Leib stärker zu würdigen, als es jene traditionellen Explikationen der imago dei vermochten. In Wechselwirkung mit der Anthropologie kommt es auch zu anderen Akzenten in der Gotteslehre, wie Jürgen Moltmann mit der Rede vom bewegten Gott zeigt. Menschen kommen durch den bewegenden Gott in Bewegung. Weitere systematisch-theologische Loci verändern sich ebenfalls durch eine Theologie, die anfängt, den Körper nicht mehr zu vernachlässigen. Die Kulturtheologie Tillichs, die Tanz einen positiven Ort zuweist, wird kurz skizziert.

4.2.1 Die traditionelle Rede von der Gottebenbildlichkeit des Menschen Theologische Anthropologie hat sich über Jahrhunderte vor allem an den Begriffen für Gottesebenbildlichkeit abgearbeitet und dabei vorwiegend eine spekulative Imago-Dei-Theologie entwickelt.350 Relevant geworden für das Verständnis der Verantwortung des Menschen für Erde und Mitgeschöpfe ist eine religionswissenschaftlich gewonnene Erkenntnis: der Mensch ist, wie es sonst in der altorientalischen Umwelt nur für Könige gilt, würdig, dialogischer Partner Gottes zu sein. Die Vorstellung vom Ebenbild Gottes wird dadurch demokratisiert.351 Gottebenbildlichkeit besteht weder in einem göttlichen Kern im Menschen noch in bestimmten geistigen oder körperlichen Qualitäten des Menschen. Sie ist ein Relationsbegriff, der auf das enge Gottesverhältnis des Menschen verweist.352 Darum sollen Menschen andere Menschen 348 349 350 351 352

Vgl. Böhlig 2013, 42–47. Vgl. Schrey 1990, 641; Vgl. Albertz 1992, 466. Vgl. dazu Schroer/Staubli 2005, 1–3; Schrey 1990, 638. Vgl. Schrey 1990, 639. Vgl. Albertz 1992, 470. Diesen Ansatz halte ich für weiterführend, allerdings gelingt eine eigene Thematisierung des Körpers damit noch nicht. Bisher hat theologische Reflexion die Gottebenbildlichkeit vorwiegend unter Vernachlässigung des Körpers bzw. Leibes bestimmt. Ausnahmen bilden Hermann Gunkel und Gerhard von Rad. Vgl. Schroer/Staubli 2005, 11 f.

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nicht töten, sie würden sich am Bild Gottes vergehen.353 Karl Barth hat besonders auf die pluralische Selbstaufforderung Gottes ,Lasst uns Menschen machen‘ hingewiesen, die nicht nur den Menschen, sondern auch Gott selbst als in sich differenzierte Einheit auffasst. So ist für das Menschsein einerseits die Beziehung zu Gott, der in sich trinitarisch eine lebendige Communio darstellt, wesentlich, andererseits die geschlechtliche Verschiedenheit. Das Bild Gottes verwirklicht sich also nur in der kommunikativen zwischenmenschlichen Beziehung, die über die Grenzen der Geschlechter hinausgehend gedacht wird.354 Beide, Mann und Frau, mithin alle damals bekannten Gender, entsprechen dem Bild Gottes. Diese allgemeinen Überlegungen können zur Klärung von Körperkonzepten noch wenig beitragen. Theologie hat sich über die Jahrtausende hinweg darum wenig gekümmert. Der Körper wurde im Christentum vorwiegend im Zuge einer Abwertung des Leibes gegenüber der Seele oder den geistigen Vermögen des Menschen thematisiert. Ein genauerer Blick war dazu nicht notwendig. Daran hat die Aufklärung nichts geändert. Die Neuzeit bringt sogar eine Verschärfung, denn erst da kommt es zum „rigorosen Dualismus zweier selbständiger, unabhängiger Entitäten“355. Leib und Seele sind unverbundener als je zuvor.

4.2.2 Die Sakramentalität des Leibes in der Befreiungstheologie Aufgebrochen wird die negative Grundierung christlicher Körperkonzepte in größerem Umfang erst durch die theologischen Arbeiten in feministischer und befreiungstheologischer Perspektive. Es kommt zur Entdeckung der ,Sakramentalität‘ des Leibes.356 Der im 20. Jahrhundert gewonnene Blick der Befreiungstheologie nimmt Menschen in ihrer ganzen Wirklichkeit down to earth wahr, die das Körperliche einschließt. „Gott lässt sich nicht zwischen oder neben den Dingen dieser Welt finden. […] Ohne, dass Gott in den Dingen aufginge, ist er in ihnen gegenwärtig, weil die Dinge für den, der tief genug hinschaut, trans-parent sind.“357 An den geschundenen Körpern der Armen zeigt sich die Gottferne der Gesellschaft. Der Körper ist nach Leonardo Boff durchlässig für Gottes Gegenwart. Er ist „ein zentrales Sakrament, da wir ihm innewohnen, da er uns in den Anderen ständig gegenwärtig ist.“358 Der Leib 353 Diese Zuspitzung ist charakteristisch für die Priesterschrift. Vgl. Albertz 1992, 469.f. 354 Vgl. der Verweis auf Barth von Schroer/Staubli 2005, 2. Bei Barth bildet lediglich eine heterosexuelle Paarbeziehung den Hintergrund, gegenwärtig hat sich der Horizont geweitet. Schöpfungsordnungen werden nicht als ontologische Festlegungen verstanden, Geschlecht nicht substantiell, sondern weithin als gesellschaftliche Konstruktion. 355 Gloy 1990, 643. 356 Vgl. Schroer/Staubli 2005, 10 f. und 24–32. 357 Boff 2010, 12 f. 358 Schroer/Staubli 2005, 10.

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wird im Leib Christi zum Symbol göttlicher Segensfülle, in der Heilung der Körper verwirklicht sich symbolisch Gottes Gegenwart. An die paulinische Verheißung eines neuen Geschöpfs (2 Kor 5,17) wird angeknüpft. Individuen und Gemeinschaften finden darin die Erlaubnis, befreiende Impulse aus Kirche, Kultur und Politik aufzunehmen und Lebensverbesserung zu erstreben. Ort der Erneuerung ist primär eine körperlich erlebbare Realität. Der Körper kommt als Tempel des Heiligen Geistes (1 Kor 6,19) in den Fokus, und zwar mit deutlicher Priorität auf dem Indikativ vor dem Imperativ. Ivone Gebara (*1944), eine Ordensfrau aus Lateinamerika, setzt auf dem Hintergrund einer von machismo359 geprägten Gesellschaft mit ihrem theologischen Denken beim Körper ein und entwickelt eine ,humanozentrische‘ Anthropologie.360 Die mexikanische Theologin Mar a Pilar Aquino (*1956) spricht von der befreienden Aktivität Gottes im Leben der Frauen.361 Bei Gebara und Aquino sind Frauen Subjekte, die in diesem Leben zu Auferstehungserfahrungen gerufen sind. Nicht nur für Lateinamerika bedeutet diese Sicht eine Erweiterung: Denn bis heute steht die theologische Wissenschaft zu einem guten Teil im Banne eines patriarchalen Triumphalismus, wonach der menschliche Geist menschlicher und damit auch göttlicher ist als der menschliche Körper, verbunden mit einer Geschlechterhierarchie, wonach der Mann das A, die Frau das B (Barth) ist […]. [Sie] steht im Sog dieser leibskeptischen, männerzentrierten Theologie.362

Im Leben von Menschen darf und soll es zur Bewegung kommen, die Auferstehungserfahrung ist nicht zuletzt an das Erleben erweiterten Raumes gewiesen (wenn auch nicht gebunden). Raum will durchmessen sein, von unten nach oben, in die Breite und Tiefe. ,Gottes Ebenbild‘ hat es bis heute nicht leicht, Bewegung in der Beziehung zu Gott als berechtigte Möglichkeit zu sehen, handelt es sich doch bei tradierten Gottesbildern häufig um einen nicht gerade beweglichen Gott. Gott stellt in der Beziehung zur Welt deren Gegensatz dar. Das Göttliche steht außerhalb, Gott und Kreatur scheinen so auf die sicherste Weise voneinander unterschieden. Gott ist der unbewegte Beweger, die bewegte Welt ist das, was die Seele durch Stille und Einkehr fliehen sollte.

359 „Noch im 3. Jahrtausend ist der machismo in Lateinamerika, aber auch in Europa allgegenwärtig. Machismo steht für übersteigerte männliche Dominanz und Agressivität, sowohl gegenüber Frauen als auch Geschlechtsgenossen, für Eifersucht und übertriebenes Ehrgefühl. http://www.informationsbuero-nicaragua.org/neu/index.php/rundschreiben/rundschreiben12006/154-maenner-krieger-heulsusen-und-gewalttaeter (2015/05/07). 360 Vgl. Gebara 1991. 361 Vgl. Eckholt 2011, 131. Die Methodik der Sozial- und Kulturanalyse unterscheidet ihre Arbeiten von den Werken z. B. von Guti rrez u. a. Aussagen über Gott können nicht ohne Rücksicht auf die Wirklichkeit der Armen, des Rassismus, der Verletzungen von Menschenwürde gemacht werden. 362 Schroer/Staubli 2005, 11.

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4.2.3 Gott in Bewegung – Die Theologie des Lebens von Jürgen Moltmann Die Theologie Moltmanns (*1926) wird wegen ihrer Leibfreundlichkeit im Diskurs von Kirchentänzern nicht selten positiv aufgegriffen.363 Er entfaltet in „Der lebendige Gott und die Fülle des Lebens“ ein Gottesbild, das sich von der Vorstellung des unbewegten Bewegers verabschiedet.364 Moltmann tritt für eine Heiligung des Lebens ein. Sein Buch von 2014 dreht sich um eine Theologie des Lebens, ausgehend von der Atheismusdebatte. Sein Ziel, den „springenden Punkt“, fasst er christologisch: „Die Auferweckung Christi von den Toten und die Erscheinung des göttlichen Lebens in ihm.“365 Das Buch handelt von der Liebe zum Leben. „Ich will eine Transzendenz darstellen, die nicht unterdrückt und entfremdet, sondern befreit und lebendig macht, von der man sich nicht abwenden muss, sondern die einen mit Lebensfreude füllt.“366 Traditionelle Zuschreibungen von Gottes Eigenschaften werden auf ihre Tragfähigkeit überprüft: die Unbeweglichkeit, Leidensunfähigkeit, Allmacht, Allgegenwart und Allwissenheit. Die Unbeweglichkeit (lat. immutabilitas) stellt eine Vergleichsaussage dar. Das bedeutet, Gott ist im Vergleich mit dem Irdischen keiner Veränderung ausgesetzt, er ist unabhängig, da er nicht an Anderem gründet, nur in sich selbst. An sich kann nur von einem theion mit dieser Eigenschaft die Rede sein, von einem allgemeinen Göttlichen. Vom göttlichen Subjekt kann immutabilitas nicht ausgesagt werden, ohne es seiner Lebendigkeit zu berauben. „Der lebendige Gott kann nicht für unveränderlich und unbeweglich gehalten werden, ohne dass man ihn für ,tot‘ erklärt.“367 Gott kann sich bewegen, wenn er ein lebendiger Gott ist. Ihm kommt die Freiheit zu, sich selbst zu bewegen, er wird nicht von fremden Mächten oder Launen bewegt. „Gott kann schöpferisch aus sich herausgehen und zu seiner Ruhe am Sabbat kommen.“368 Sein Schöpferhandeln ist spielerisch, jedoch in anderem Sinne, als Menschen spielen: „Der schöpferische Gott spielt mit seinen eigenen Möglichkeiten und schafft aus dem Nichts das, was ihm wohlgefällt.“369 In der Gotteserfahrung Israels ist von Gottes Treue auszugehen. Dies wird jedoch nicht um den Preis angenommen, dass Gott darauf festgelegt wäre, denn er kann auch Reue zeigen. Die Vorstellung der Reue Gottes bildet einen Gegensatz zur immutabilitas, nicht aber zur Treue. Reue und Treue schließen 363 Vgl. u. a. Conzetti 2000; Kreutz 2000; Mann 2002. Die ehemalige Assistentin von Moltmann, Carmen Rivuzumwami (*1961) beschäftigte sich intensiv mit der systematisch-theologischen Perspektive des Tanzes. Vgl. Rivuzumwami 2002. 364 Vgl. Moltmann 2014. 365 Moltmann 2014, 10. 366 Moltmann 2014, 10. 367 Moltmann 2014, 45. 368 Moltmann 2014, 45. 369 Moltmann 1972, 24.

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einander nicht aus. In der Sintfluterzählung (Gen 8, 21–22) bereut Gott, Menschen erschaffen zu haben. Die Ich-Aussage Gottes beim neuen Bund mit der Menschheit (Gen 9,9–11) zeigt seine Fähigkeit, durch die Treue die Reue zu überwinden. Gott ist bereit, Schmerz auf sich zu nehmen. Der Gedanke des zur Reue fähigen beweglichen Gottes findet sich auch bei Jörg Jeremias und JanDirk Döhling370– nachdem er lange von abendländischer Theologie (außer von Luther371) übergangen wurde372. Wenn Gott jedoch nur von sich selbst bewegt werden kann, können Menschen ihn nicht zu etwas bewegen. Anders gesagt: die Bewegung Gottes, die das Leiden seines Volkes (Ex 3,7) beantwortet, ist ein Vorgang in Gott. Von seinem eigenen Erbarmen wird er zur Befreiung Israels bewegt. Das Erbarmen aber ist eine Reaktion auf das Leiden seines Volkes. Gott kommt herab, um bei ihm zu sein. So bezeichnet Moltmann das Gespräch Moses mit Gott im brennenden Dornbusch (Ex 3) auch als eine „Schechinageschichte“373. Gott kann so als bewegter Gott374 gedacht werden. Die Gebete in den Psalmen wenden sich an einen Gott, der sich bewegen kann und bewegen lässt. Gott wird gebeten, sich den Menschen wieder zuzuwenden (Ps 90,13), ihn wach wahrzunehmen (Ps 44,24) und sich zum Menschen in Not aufzumachen (Ps 44,27). In Gott ein freies Subjekt zu sehen führt dazu, sowohl seine Anwesenheit als auch seine Abwesenheit als Möglichkeiten zuzulassen.375 Psalmensprache kennt das Erscheinen Gottes ebenso wie sein Verborgensein. Die Metapher für Gottes Gegenwart ist häufig sein (An-)Gesicht, also ein Körperteil als Zeichen für das Ganze. Das Angesicht kann leuchten oder verborgen werden. Gefühlsbewegungen wie Liebe und Zorn können Gott zugeschrieben werden. Moltmann weist Kritik an vermenschlichenden Gottesvorstellungen zurück: „Wer alle diese Aktionen und Passionen Gottes als Anthropomorphismen ablehnt und sie für die Gottheit nicht angemessen hält, nimmt die Gottebenbildlichkeit des menschlichen Subjekts nicht ernst.“376 Die Behauptung von Gottes Unbeweglichkeit377 erweist sich letztlich als „unmenschliche Metapher“378, die Tanzpraxis zwar nicht verhindern kann, 370 371 372 373 374 375 376 377

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Vgl. Jeremias 1997; Vgl. Döhling 2009; Vgl. Crüsemann 2012, 76–80. Luther: „Deus detestatur apatheian […]“. WA 44, 553, 16. Vgl. Crüsemann 2012, 76. Moltmann 2014, 46. Schechina bedeutet Einwohnung Gottes. Crüsemann kritisert Döhlings Buchtitel „Der bewegliche Gott“ als zu schwach. Es müsse nicht nur von der Möglichkeit zur Bewegung geredet werden, sondern von einem bewegten und sich und andere bewegenden Gott. Vgl. Crüsemann 2012, 80. Vgl. C 7. Moltmann 2014, 46. Maria-Gabriele Wosien erhofft durch den Reigentanz u. a. eine „Überwindung unseres zivilisierten, vollendeten Gottes, der sich schon lange nicht mehr bewegt.“ Wosien 1988, 53. Auch Teresa Berger verabschiedet das Gottesbild des unbewegten Bewegers. Vgl. Berger 1985a, 53. Zu den Autorinnen siehe u. a. A 7. Moltmann 2014, 46.

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aber doch theologisch illegitim erscheinen lässt. Mehr als die Aussage der Unterschiedenheit Gottes von der Welt leistet sie nicht. Gott erreichen können diese Festlegungen nicht.

4.2.4 Menschen in Bewegung Menschen, die sich zum beweglichen Gott in Beziehung sehen, werden ihrerseits in Bewegung gesetzt.379 Gottes Bewegung bewegt auch den Menschen.380 Abraham hört den Ruf, das bisher Vertraute hinter sich zu lassen und loszugehen. Den Versklavten in Ägypten tut sich ein Weg auf, der sie in die Freiheit führt und von ihnen selbst, auf eigenen Füßen beschritten wird. Gottes Umkehr381 bietet den Rahmen für menschliche Umkehr. Sowohl Gott als auch Menschen haben die Möglichkeit zur Transformation. Für den Weg mit Jesus ändern Jüngerinnen und Jünger ihr Leben, sie kehren um. Umkehren und Nachfolgen sind Bewegungsmetaphern, die die Bedeutung von bis in den Körper hineinreichenden Erfahrungen für christliche Spiritualität in nuce enthalten. Im Körpererleben verankerte Gefühle, im Körpergedächtnis gespeicherte Erfahrungen lösen sich in der Bewegung und fließen in die lebendige Ausgestaltung spiritueller Formen und eines Lebensstils für Individuen und Gemeinschaften ein. Diese speist sich aus der Schöpferkraft Gottes, an der Menschen durch die Gabe der Kreativität teilhaben. Sich an ihr zu freuen und dies auch auszudrücken gibt Moltmann zufolge menschlichem Leben Sinn. Aisthesis steht mit ethischen Aspekten in Zusammenhang: „Wer die Freude ergreift, die den Schöpfer und sein eigenes Dasein umfaßt, löst sich von der angstvollen Existenzfrage nach dem Wozu ab. Er wird dann immun gegen die herrschenden Ideologien, die dem Menschen Lebenssinn versprechen, um ihn für ihre Zwecke zu mißbrauchen.“382 Die christliche Freiheit, die einerseits als ethische Herausforderung begriffen werden kann und andererseits als Gut, das Glaubenden durch den Heiligen Geist verliehen ist, wird erweitert durch das Erleben von Freiheit in innerer und äußerer Bewegung. Dazu gehört auch die Freiheit, still zu werden und zur Ruhe zu kommen. Wenn aus Bewegung Tanz wird, ist der Übergang in eine andere Qualität erfolgt. Eine gelassene Freude am383Dasein mag sich einstellen. 379 Prophetische Gerichtsansagen richten sich immer wieder an die Unbeweglichen, an Menschen, die Verhaltensänderung ablehnen. Vgl. Crüsemann 2012, 78. 380 Vgl. van der Leeuw 1957, 84. 381 Döhling arbeitet als semantischen Kern des sowohl für Gott als auch Menschen gebrauchten Verbs nchm heraus, dass es sich dabei um einen „fundamentalen Wandel der Einstellungs- und Handlungsoptionen“ des Subjekts handelt. Crüsemann 2012, 79. Gleiches gilt für das Verb shub/umkehren. 382 Moltmann 1972, 26. 383 Vgl. Moltmann 1972, 29.

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4.2.5 Weitere theologische Aspekte Die anthropologischen Überlegungen dieses Abschnittes weisen zahlreiche Überschneidungen mit anderen theologischen Loci auf. Ohne weiter darauf eingehen zu können, sollen hier lediglich einige bedenkenswerte Themen genannt werden, die für ein theologisch gegründetes Verständnis von Tanz relevant sind. In der Mehrzahl finden sie sich bereits zumeist in tanztheologischen Überblicksaufsätzen sowie Lexikonartikeln. Wenige einflussreiche systematische Theologen sind dem Tanz gewogen. Auf der einen Seite steht die ironisch-ablehnende Position von Karl Barth, der fragte: „Was soll man davon halten, wenn man ernste Männer unter Zurückgehen noch hinter den Katholizimus sogar die Einführung des kirchlichen Tanzes ernsthaft in Erwägung ziehen hört?“384. Barths Theologie war für die kirchliche Praxis in Deutschland wirkungsgeschichtlich von hoher Bedeutung. Auf der anderen Seite ist Paul Tillich zu nennen, dessen Kulturtheologie Tanz herausstellte als Chance zur Auseinandersetzung mit dem, was uns unbedingt angeht.385 Daher ist ein Blick auf dessen Hauptgedanken dazu angebracht. Tillich verfügte über die Erfahrung mehrerer Begegnungen mit der Tänzerin Mary Wigman, deren Ausdruckstanz ihn zur Reflexion über Tanz und Theologie inspirierte. Allerdings setzte er sich nicht mit tanzimmanenten Parametern auseinander. Tillichs Perspektive war das Eintreten für jegliche expressive künstlerische Form, da sie Aspekte dessen, was uns unbedingt angeht, auszudrücken vermag.386 Seine Gedanken zum Schöpferischen menschlicher Kulturtätigkeit im Horizont der Pole dynamic und form sind für kreativ arbeitende Tänzer anregend, da sie Fragen der Transformation und der Überwindung des Chaos durch Form aufgreifen.387 Seine Theology of Culture stellt die Notwendigkeit heraus, Theologie von einem Standpunkt (standpoint) aus zu betreiben. Sie beruhe nicht auf empirischer Wissenschaft, sondern sei Ergebnis eines kreativen Aktes im Kontext einer Gemeinschaft bzw. der Kirche, „a creative act of the circle in which the individual moves.“388 Die besondere spirituelle Qualität dieses Kreises zu der auch die Kultur beiträgt, hat Auswirkungen auf die jeweils eigene Theologie. Religion insgesamt sei eine 384 Zitiert nach: Fermor 2001, 650. 385 Vgl. Pfaff 2006. Sie entfaltet eine theologische Grundlegung des kreativen Tanzes in der Religions- und Gemeindepädagogik unter fast ausschließlichem Bezug auf die theologischen Überlegungen Tillichs. 386 Vgl. Schwan 2009, 216 f. 387 Tillich betont: „Growth is dependent on the polar element of dynamics in so far as growth is the process by which a formed reality goes beyond itself to another form which both preserves and transforms the original reality.” Tillich, Systematic Theology Vol. 3, 50 f. zitiert nach der Anthology von Taylor 1991, 251. 388 Tillich 1919, zitiert nach der englischen Übersetzung in der Anthology von Taylor 1991, 36.

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komplexe „attitude of spirit“389, also mehr als Dogmatik oder Gefühl. Ästhetik bedeute für die Kirche die Chance, Religion in Form zu bringen. Tillichs Sprache, die mit zahlreichen Metaphern und Bewegungsbildern umgeht, macht sie für Tanzende zugänglich. Tanz kommt als Medium, das Symbole der Religion auszudrücken vermag, in den Blick. In ihm manifestiert sich unter bestimmten Bedingungen (Expressivität) das Unbedingt-Wirkliche. Tillich erkennt dies nicht in den elegant schreitenden Feiertänzen Mary Wigmans390, sondern in den ekstatischen ,dämonischen‘ Tänzen. Tanz stellt bei Tillich jedoch weder ein Objekt noch Medium religiöser Verehrung dar, wird mithin auch nicht als möglicher Teil der Liturgie angesehen. Da Tillich allerdings nach Pfaff391 offenbar die Fähigkeit eines Tanzstils, letzte Wirklichkeit auszudrücken, an dessen Grad der Expressivität koppelt, wird im Rahmen dieser Arbeit seinem Ansatz nicht weiter nachgegangen. Darin unterscheidet sich die vorliegende Arbeit von der Tanztheologie Pfaffs. Die Prämissen meiner Untersuchung der Erfahrung Tanzender beinhalten die Annahme, die religiösen bzw. spirituellen Potenziale von Tanz nicht an stilistischen Kriterien festmachen zu können, sondern dass diese vielmehr im Spannungsfeld ästhetischer Erfahrung in Produktion und Rezeption von Kunst im Zusammenspiel mit deren Kontexten aufzuspüren sind. Zudem ist mit Alexander Schwan die Theologie der Kultur symboltheoretisch zu hinterfragen, denn mit dem Symbol, dem Tanz, werde, bei Tillich, zugleich unmittelbarer Zugang zu dem von ihm Repräsentierten verschafft. In einer Art lutherischer Version sakramentaler Realpräsenz käme dem Tanz die Macht zu, Absolutes sakramental zu vergegenwärtigen.392 Dies ist mit einer zeitgemäßen semiotisch informierten Theologie nicht zu vereinbaren, wie sie etwa von Michael Meyer-Blanck vertreten wird.393 In Übertragung von Meyer-Blancks Theorie des Abendmahls auf die Präsenz des Göttlichen im Tanz kann dagegen gesagt werden, es handele sich bei der religiösen Dimension um ein hermeneutisches und nicht um ein soteriologisches Ineinander von menschlicher Tanz-Sprache und göttlichem Wort.394 In der Christologie erweist sich der Blick auf den Topos der Inkarnation395 als fruchtbar. In Jesus Christus macht sich Gott leiblich berührbar. Menschliche Körper sind würdige Medien der Begegnung mit Gott. Körperlich realisieren sich sowohl Leiderfahrungen, die Jesus Christus in Leben und Tod

389 Tillich 1919, ebd. 39. 390 Gemeint sind weite Raumwege, die gemessenen Schrittes mit stilisierten Arm- und Körperhaltungen getanzt werden, sowie der meist vertikale Bewegungsablauf, der die Tänzerin als Medium zwischen Himmel und Erde darstellt. Vgl. Schwan 2009, 220. 391 Vgl. Pfaff, 92. 392 Vgl. Schwan 2009, 224. 393 Vgl. Meyer-Blanck 1997. 394 Vgl. Meyer-Blanck 2003. 395 Siehe oben 4.2.1 und 4.2.2 zur Leiblichkeit Gottes bzw. Inkarnation.

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geteilt hat, sowie die Erfahrung von Heilung mit der Hoffnung und Vorfreude auf eine eschatologisch396 realisierte Befreiung von Leid. Die Trinitätslehre klang oben bereits an. Sie stellt ein dynamisches Theologumenon dar. Die Rede von der innertrinitarischen Gemeinschaft und Kommunikation regt Tanzende an, etwa die Figur der Perichoresis397 aufzugreifen und sich künstlerisch damit auseinanderzusetzen. In diesem Zusammenhang gewinnt der dritte Glaubensartikel ebenfalls an Relevanz. Pneumatologisch können die vergemeinschaftenden Wirkungen von Tanz gewürdigt werden. In der Begegnung und Kommunikation erfahrenes Geistwirken kann sich in Tanz manifestieren. Die wenigen existierenden tanztheologischen Veröffentlichungen greifen die Theologumena Schöpfung, Inkarnation, Erlösung, Vollendung, sowie die menschliche Existenz insgesamt auf.398 Auch in den Gesprächen mit den Tanzenden spielen Theologumena eine Rolle, vor allem ,Schöpfung‘ und ,Gnade‘, die für die Deutung der Tanzerfahrung wichtig sind. In der Christentumsgeschichte spielen Bezugnahmen auf das Vorkommen von Tanz in der Bibel eine ambivalente Rolle. Im Gegensatz zu den biblischen ganzheitlichen Körperkonzepten stehen im Hintergrund der kirchlichen (Anti-)Tanzgeschichte399 tendenziell leibfeindliche Entwicklungen in der christlichen Theologie. Daher wird Tanz unter anderem auch mit Bezug auf biblisch erwähnten Tanz abgelehnt. Da es zum Verständnis der Entstehungsbedingungen des Kirchentanzes nicht notwendig ist, die Zusammenhänge im Einzelnen herauszuarbeiten, sollen Spuren des Tanzes in Bibel und Kirchengeschichte nur kurz skizziert werden. Ein Interesse von Kirchentänzern an den biblischen und historischen Wurzeln besteht insofern, als mit einer Anknüpfung an die Tradition die Hoffnung auf breitere kirchliche Anerkennung verbunden wird. 4.3 Tanz in Bibel und Christentumsgeschichte In der Hebräischen Bibel stellt Tanz kein eigenes Thema dar. Die den Schriften zugrunde liegenden theologischen Diskurse thematisieren Tanz zwar gelegentlich, entwickeln jedoch keine Tanztheologie.400 Es ist zu vermuten, dass 396 Zur Erlösungshoffnung vgl. Fermor 2001, 650. 397 Das Thema wird unter anderem von Ri tte Beurmanjer im sogenannten bibliodans aufgegriffen und von meinem Tanzstück 3@g*d.com, Oktober 2016. Zur theologischen Reflexion siehe McDougall 2002; Durand 2005. 398 Vgl. u. a. Berger 1985a. 399 Zu den Tanzverboten siehe die Details bei Bertaud 1957, 32 f. Helga Gundlach merkt dazu an: „In Deutschland wurden die Verbote strenger als in jedem anderen europäischen Land umgesetzt.“ Gundlach 2002, 175. 400 Vgl. Schnütgen 2015. Implizit stehen theologische Überlegungen dahinter, wenn in der jüdischen Auslegungstradition zwischen der Legitimität des Tanzes der Mirjam am Schilfmeer (Ex

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Tanz deswegen kaum erwähnt wird, weil er selbstverständlich zur Kultur gehörte, nicht nur in Israel, sondern auch im „mediterranen Großraum“401. In der Liturgie, zumindest in der normativen überlieferten Form des Buches Leviticus spielt er keine Rolle. Ob der Tanz Davids als Teil einer Liturgie gelten kann, ist zu bezweifeln.402 Einige Texte verdeutlichen gewissermaßen nebenher die Bedeutung von Tanz als Ausdruck von Freude, auch im Gegensatz zur Trauer (vgl. Ps 30,12 u. ö.). Die Stellen, in denen Tanz negativ gerahmt ist durch den Abfall Israels (Ex 32,6) und die Anrufung Baals (1Kön18), verurteilen nicht den Tanz an sich. Anlässlich des Tanzes von David wird in der Gestalt der Ehefrau Michal möglicherweise einer tanzkritischen Strömung eine Stimme verliehen (2Sam 6,20). In der Auslegungsgeschichte treten solche Stellen auf dem Hintergrund einer kirchlichen Tradition, die Tanz aus ihrer Praxis ausgeschieden hat, übermäßig stark hervor. Das Neue Testament bietet ähnlich wie die Hebräische Bibel einerseits das Bild von Tanz als Ausdruck von Freude, Feier und gemeinsamem Spielen (vgl. Lk15,25; Lk7,32), andererseits einen wiederum negativ konnotierten Tanz (vgl. den Tanz der Tochter der Herodias Mk6,19 ff.). Der Rückgang auf biblische Texte erbringt demnach nicht mehr als Spuren und konnte die Tanzbewegungen im 20. Jahrhundert ebenso wenig überzeugend begründen wie die Spurensuche in der Kirchengeschichte. Das Verhältnis war nie „unproblematisch“403. Die Theologen der Alten Kirche sahen im Tanz Reste des Heidentums. Trotz einer immer wieder anzutreffenden Wertschätzung einiger Autoren404 für die Kunst und für Tanz setzte sich die ablehnende Haltung durch. Die in der griechischen Antike hoch geschätzte Tanzkunst erfuhr im römischen Reich eine Abwertung. Die Sicht der damaligen Bischöfe auf den Tanz war vorwiegend durch die Beurteilung seiner Inhalte bestimmt. Negativ fiel das Urteil zu den lasziven Stoffen aus der heidnischen Mythologie aus.405 Die Tänze von Christen an Grabmälern von Märtyrern vereinten vermutlich vorchristliche

401 402 403 404

405

15,20 f.) und dem Tanz mit Spottlied der Frauen über Sauls Unterlegenheit gegenüber David (1Sam 18,5–9) unterschieden wird. Vgl. Ebach 2008. Koch 2002, 46. Backman plädiert für einen Prozessionstanz. Dem kann ich mich aufgrund der Singularität der Sache nicht anschließen. Vgl. Backman 1952, 10. Vgl. Berger 1982, 340. Aurelius Augustinus setzt sich ausführlich mit dem Thema Tanz auseinander. In einer seiner Frühschriften (De musica) entfaltet er normative Vorstellungen vom Tanz. Dieser sei der Musik untergeordnet, freies Tanzen sei per se lasziv. Vgl. Mayer o. J., 2. Später verurteilt Augustin den Tanz christlicher Mädchen in De virginibus 3,26–31. Vgl. Mayer, o. J., 4. Außerdem äußern sich im weitesten Sinne tanzfreundlich Lukian von Samosata, Gregor von Nazianz, Gregor von Nyssa und Hrabanus Maurus. Vgl. Rahner 1965, 8 f. Allerdings beziehen sich meines Erachtens die erwähnten Stellen auf einen metaphorischen Gebrauch des Tanzes als Sinnbild der Lebensführung. Häufiges Motiv der Kirchenväter wie auch bei Mechthild von Magdeburg ist die Tanzmetapher für die himmlischen Freuden. Vgl. Mayer, o. J. 4.

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Totenkulte, Kult-, Volks- und Kunsttänze.406 Sie waren vom bischöflichen Verbot betroffen. Zudem trug die Tatsache, dass Tanz in Mysterienreligionen und Gemeinschaften, die von der Mehrheit nicht als christlich anerkannt wurden, praktiziert wurde, zur Abdrängung des Tanzes aus dem kirchlichen Christentum bei. Im Mittelalter fanden sich gelegentlich Tänze im Gottesdienst407, außerdem musik-dramatische Formen wie das Mysterienspiel. In der Spiritualität der christlichen Mystik bei Teresa von Avila408 und Hildegard von Bingen gewann Tanzen Bedeutung, ohne dass sich Tanz breiter etablieren konnte. Ein spiritualisiertes Verständnis von Tanz fand sich in christlicher Kunst409, in Lied410 und Predigt. Tanz diente als Metapher für den Lebenswandel auf der Erde und als Bild festlicher Freude im Himmel. Jesus galt Mystiker_innen als Meister der Tänzer.411 Demgegenüber stand die Duldung von Tanz als ,weltliches‘ Vergnügen bei Hochzeiten412. In der Volkskultur stellte Tanz ein selbstverständliches Festelement von Jahreskreisfesten und beim Begehen von Lebensstationen dar. Tanz konnte so zwar noch lose mit christlichen Glaubensthemen wie etwa Erntedank verbunden werden, spielte jedoch im offiziellen Gottesdienst keine Rolle. Tanz nahm seine eigene Entwicklung, unabhängig von kirchlichen Erlaubnissen und Verboten, im Volkstanz, bei Hof und zunehmend als eigene Kunstsparte. Von der kulturhistorischen Forschung werden enge Zusammenhänge von Tanz und Kult angenommen.413 Im Blick auf die zurückliegende Kirchengeschichte wäre die Frage interessant, welche Körperkonzepte und Erfahrungsmöglichkeiten sich jeweils in den spirituell verstandenen Tänzen zeigen. Im Rahmen dieser Arbeit wird dies nicht möglich sein. Auffallend ist in religionsgeschichtlichen Darstellungen, dass Tanz dort gelegentlich als ,machtvoll‘ qualifiziert wird. Die Ablehnung des Tanzes in der offiziellen christlich-spirituellen Praxis könnte Anzeichen dafür sein, dass dessen Macht nicht nur erahnt, sondern auch gefürchtet wurde. Gelegentlich wird in religiösen Quellen außerhalb des Christentums ein von ihm ausgelöstes Machtgefühl bezeugt. Im Sufismus scheint der Tanz heilige Kräfte freizusetzen. Tanzen kann die Umstände des eigenen Lebens positiv beeinflussen.414 Der Gründer der Mevlevi-Derwische Rumi415 ist überzeugt: „Wer die Kraft des 406 407 408 409 410 411 412 413 414 415

Vgl. Mayer, o. J. 5. Vgl. Backman 1952, 39–43. Vgl. Koch 2002, 63–65; Vgl. Backman 1952. Vgl. Berger 1985b, 7. Siehe dazu die Darstellungen des Totentanzes, vgl. Moltmann/Sundermeier 2006. Referenzen auf den himmlischen Tanz der Engel finden sich in zahlreichen katholischen Kirchenliedern. Vgl. Backman 1952, 44. So in der bernhardinischen Mystik, wie ein Lied nachweist. Vgl. Berger 1987, 266. Vgl. Backman 1952, 32. Vgl. Berger 1985a, 9–13. Im Rahmen dieser Arbeit lässt ein sich ein kulturgeschichtlicher Vergleich nicht durchführen. Siehe dazu: Keuchen/Lenz/Leutzsch/Schroeter-Wittke 2008; Klein 1992; Vgl. Gerlitz 2001. Vgl. Berger 1985a, 10. Dschalal ad-Din ar-Rumi war ein persischer Mystiker (1207–1273).

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Reigens kennt, wohnt in Gott.“416 Das scheint für den Tanz als Erfahrung der Seins-Mächtigkeit zu sprechen. Jedoch hat nicht der Tanz allein Macht, sondern der Konnex mit der spirituellen Wirklichkeit, auf die er sich ausrichtet. Da das Thema Tanz in der Praktischen Theologie erst im Begriff ist, sich zu etablieren, stellt sich nun die Aufgabe, der Bearbeitung der Themen Körperlichkeit, Bewegung und Tanz in der Disziplin nachzugehen und die noch wenigen zum Kirchentanz veröffentlichten Werke in jenen Kontext zu stellen.

5. Körper, Bewegung und Tanz – praktisch-theologische Perspektiven In Kapitel 5 zeige ich Voraussetzungen für die gesteigerte Wahrnehmung der körperlichen Dimension in der Praktischen Theologie aus historischen Gründen zunächst in der Liturgik auf. Diese illustrieren das Klima, das das Aufkommen von Tanz als praktisches Anliegen kirchlich gebundener Menschen vorbereitete. Dazu wähle ich exemplarisch Autorinnen und Autoren aus unterschiedlichen theologischen Strömungen. Die Darstellung der zum Verständnis des Wandels in der Wahrnehmung der Bedeutung des Körpers durch die Praktische Theologie relevanten Vorgeschichte geht in die Sichtung tanztheologischer417 Beiträge über. Für die theologischen und spirituellen Aufbrüche der Liturgiebewegung stehen Wilhelm Stählin (1883–1975) als evangelischer und Romano Guardini (1885–1968) als katholischer Theologe. Zum Denken beider weist die Liturgik von Manfred Josuttis (*1936–2018) Querverbindungen auf. Josuttis thematisiert Fragen, die neue Aspekte zur Rolle des Körperlichen im Gottesdienst beitragen. Eine weitere Voraussetzung für die bedeutsamere Rolle des Körperlichen in der Liturgik entsteht aus der Wahrnehmung der Performativität von Gottesdiensten. Stellvertretend für diese schon recht breite Literaturströmung sollen Arbeiten von Andrea Bieler (*1963) und Brigitte Enzner-Probst (*1949) stehen. Die Auswahl berücksichtigt mein Anliegen, das Körperliche des Gottesdienstes auch in einen gendersensiblen Kontext zu stellen. 5.1 Leiblichkeit und Abendmahl: Weichenstellungen in der Liturgik Ein für die Spiritualität im Sinne von gelebter Religion zentraler Bereich ist im Christentum der Gottesdienst. In der Liturgik, der praktisch-theologischen Disziplin, die diesen reflektiert, ist im 20. Jahrhundert ein Aufbruch zu bewegten Formen vollzogen worden. Die Bewegung in der Liturgik und allen 416 Vgl. Berger 1985a, 11. 417 Darunter sind Werke zu verstehen, die Tanz im Kontext der Praktischen Theologie reflektieren.

Körper, Bewegung und Tanz – praktisch-theologische Perspektiven

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voran die Liturgische Bewegung hat neben biblischer und systematischer Theologie einen wesentlichen Anteil an den günstigeren Voraussetzungen für die Wahrnehmung von Tanz in der praktischen Theologie. Gleichzeitig haben die Bewegungen zum besonderen Klima beigetragen, das den Kirchentanz hervorbrachte. Eine wesentliche Veränderung bestand in einer veränderten Auffassung des Körperlichen im Gottesdienst. Tanz kommt dabei als für die Liturgie mögliche Kunstform oder Beteiligungsform der Gemeinde in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts noch nicht in den Blick.

5.1.1 Liturgische Bewegung: Leiblichkeit In der Liturgiegeschichte des 20. Jahrhunderts kam es vielfach zu einer Hinwendung zur sogenannten Leiblichkeit. Der Begriff geht auf Einflüsse der Phänomenologie und Lebensphilosophie zurück. Im Unterschied zum materialistischen Körperbegriff wird damit das umfassende nichtdualistische Verständnis des Menschen angezeigt. Zwei Fachvertreter, einen evangelischen und einen katholischen möchte ich für die erste Jahrhunderthälfte herausgreifen – Wilhelm Stählin und Romano Guardini. Beide werden in der Liturgiewissenschaft immer noch stark beachtet.418 Der Pfarrer und Professor für Praktische Theologie Wilhelm Stählin entwirft vor allem in den 1920er bis 40er Jahren im Zuge von Reformbestrebungen für die evangelische Kirche eine leiblich akzentuierte Theologie. Er engagiert sich in der Berneuchener Arbeit und in der Michaelsbruderschaft.419 Ein Anliegen ist ihm die spirituelle und liturgische Ausbildung der künftigen Pfarrer.420 Theologische Inhalte erschließt er vor allem von der Sakramentenlehre her, wobei die Bedeutung des kirchenrechtlichen Gedankens der ,Sakramentsverwaltung‘ zugunsten der Erfahrung des ,mysteriums‘ zurücktritt. Mit Luthers Formulierung ,in, mit und unter‘ umschreibt er die in Gott liegende Geheimnishaftigkeit des sakramentalen Lebens der Kirche.421 Im Mysterium422 liegt Kraft zur Erneuerung der Kirche. Die energetischen Aspekte des Rituals kehren bei Manfred Josuttis phänomenologisch-kulturtheologisch gerahmt später wieder, bemerkt Olaf Richter: „Stählins Beschreibung des Glaubensgeheimnisses als reale Kraft, die greifbare Wirkungen und Wandlungen im Leben der Glaubenden hervorbringe, erinnert teilweise an das aktuelle Konzept von Manfred Josuttis einer kirchlichen 418 419 420 421 422

Vgl. Meyer-Blanck 1994; Richter 2006. Vgl. Richter 2006, 107. Vgl. Richter 2006, 107 f. Anm. Das Pfarramt stand Frauen damals noch nicht offen. Vgl. Richter 2006, 112. Vgl. die Mysterientheologie von Odo Casel (1886–1948), die neben Stählin auch Romano Guardini beeinflusst hat. Casel hat mit dem Begriff des „Pascha-Mysteriums“ die Ausarbeitung der Liturgiereform des zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) entscheidend mitprägt.

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Praxis im Kraftfeld des Heiligen.“423 Gemeinsam ist beiden meines Erachtens nicht nur die Wahrnehmung von Kraft und Kräften im Gottesdienst, sondern auch die Wahrnehmung der transformatorischen Wirkungen für die mitfeiernden Anwesenden.424 Stählin reflektiert die Wandlungen durch den Glauben im Prisma des Begriffs Leben. Daneben tritt als zweite Kategorie der Begriff Leib. Es sind leibliche Lebenstatsachen, die die Theologie prägen. Ein Denken von der Praxis her wird mit der Theologie verwoben. Leiblichkeit ist die Kategorie, mit der Stählin versucht, Menschen und Kirche zusammenzudenken, denn Kirche ist Leib Christi.425 Dies macht verständlich, dass die liturgische Praxis für ihn zu einem prioritären Thema wird. Er schreibt: „Der Gottesdienst ist das Schicksal der Kirche.“426 Wird der Gottesdienst von der Leiblichkeit her gedacht, kommen Formfragen als Fragen nach der Kraft und Wirkung von Formen in den Blick. Nicht um vordergründig ästhetische Probleme geht es, sondern um Wahrnehmung, um Aisthesis, ein Begriff, den Stählin allerdings selbst nicht gebraucht. Sinnliche Elemente im Gottesdienst, „leibliche Gebärde, Stimme, Klang und Form“427 erreichen die leibliche Responsivität von Menschen. Mit der Akzentuierung der Leiblichkeit schafft Stählin Voraussetzungen für die zunehmende Beachtung des Körperlichen in der Liturgiewissenschaft und in der Praxis. Tanz ist nicht im Blick. Die Frage nach tänzerischen Formen stellte sich seinerzeit noch nicht, da die Kirchentanzbewegung keine wahrnehmbare Größe darstellte. Das Wirken des Kultur- und Religionsphilosophen Romano Guardini ist mit der katholischen Liturgischen Bewegung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eng verbunden. Sie speist sich aus den Einflüssen von Lebensphilosophie, Phänomenologie und Jugendbewegung sowie der Abwendung vom Materialismus nach dem 1. Weltkrieg.428 1918 veröffentlichte Guardini eine Sammlung von liturgiedidaktischen Aufsätzen, weit vor der Entstehung des Begriffs Liturgiedidaktik. Einige Gedanken aus diesem zentralen Werk „Vom Geist der Liturgie“429 verdeutlichen die Bedeutung des Leibes im Gottesdienst. Durch die Schriften hindurch ziehen sich wiederkehrende Anliegen unter wechselnden Perspektiven. Erstens: Die individuelle Frömmigkeitspraxis des Einzelnen ist von der gemeinsamen liturgischen Gottesdienstfeier zu unterscheiden. „Die Liturgie sagt nicht ,Ich‘, sondern ,Wir‘„430. Die feiernde Gemeinde ist Paradigma der gesamten Kirche. Darin 423 424 425 426 427 428

Richter 2006, 114. Der agendarische Gottesdienst wird als Weg in das Leben bezeichnet. Vgl. Josuttis 1991. Vgl. Richter 2006, 115. Stählin zitiert in: Richter 2006, 117. Stählin zitiert in: Richter 2006, 118. Vgl. Richter 2006, 75 f. Mit dem Projekt liturgischer Bildung für Menschen, die der Kirche entfremdet sind, verbanden sich Hoffnungen, einen Weg aus der Krise zu finden. Vgl. Richter ebd., 77. 429 Guardini 1918. 430 Guardini 1918, 32.

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sieht Guardini einen Unterschied zum protestantischen Gottesdienstverständnis seiner Zeit, das mehr auf den Einzelnen gerichtet ist.431 Zweitens: Guardini rechnet grundsätzlich mit der Differenz der im Gottesdienst Versammelten. Die Veranlagungen und Vorlieben, die Schwächen und Lieblingsgedanken der einzelnen unterscheiden sich.432 Das Gefühl in der Liturgie ist vom Gefühlsleben und –ausdruck des Einzelnen jedoch zu unterscheiden, der Abstand „von der durchschnittlichen Gefühlslage“433 dürfe nicht zu groß werden. Das Sprach-Bild von der „nüchternen Trunkenheit des Geistes“ drückt etwas von dem idealerweise ruhigen, gebändigten Gefühl aus.434 Drittens: Der Schlüssel dazu, eine größere Anzahl von Menschen im Gottesdienst mit der Liturgie zu erreichen, liegt in der Beteiligung der Anwesenden. Es kommt auf die Mitbetenden an, um das Ganze im Fluss zu halten. Denn „die Grundform des Betens ist die handelnd voranschreitende“435. Auffällig ist bezüglich der Beschreibung der Messe der Verzicht auf die Unterscheidung von liturgischen Rollen. Mit Guardini sind Liturg_innen nicht mit dem Kopf des Leibes in Vertretung Christi zu identifizieren. Viertens: Das gottesdienstliche Geschehen ist Sache des ganzen Leibes Christi, in dem sein Geist als „Macht“436 wirkt, die die gemeinsam Feiernden in jenen Leib einfügt. Guardinis Denken betont ebenso wie Stählin die prozessuale, energetische Seite des Gottesdienstes. Leib Christi meint kein entkörperlichtes Konstrukt, sondern schließt die Körperlichkeit der Anwesenden mit ein. Im Rahmen der Überlegungen zu liturgischer Symbolik reflektiert Guardini die Bedeutung von Räumen.437 Räume gehören zu einer vom Geistigen unterschiedenen, aber nicht getrennten Sphäre des Körperlichen. Das Erschließen leiblich-räumlicher liturgischer Symbole ist auf eine Haltung angewiesen, die sowohl den Zusammenhang zwischen Körperlichem und Geistigem anerkennt, als auch deren Unterschiedenheit akzeptiert. „Ein Symbol entsteht, wenn etwas Innerliches, Geistiges seinen Ausdruck im Äußerlichen, Körperlichen findet. Nicht also, wenn – wie in der Allegorie – irgendein geistiger Inhalt durch Übereinkunft an etwas Körperliches geknüpft wird, wie z. B. ,die Gerechtigkeit‘ an das Bild der Waage.“438 Es geht um die Kommunikation eines Innerlichen über das Äußerliche. „So ist der Leib natürliches Ausdrucksbild der Seele, die unwillkürlich entstehende Bewegung Bild eines seelischen Vorganges.“439 Angesprochen sind damit auch Hand-

431 432 433 434 435 436 437 438 439

Vgl. Guardini 1918, 17. Vgl. Guardini 1918, 21. Guardini 1918, 23. Guardini 1918, 23, Anm. 5. Guardini 1918, 27. Guardini 1918, 33. Vgl. Guardini 1918, 49. Guardini 1918, 52. Guardini 1918, 53.

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lungssymbole, sogenannte Elementargebärden, die den ganzen Körper beim Beten einbeziehen. Darunter ist etwa zu verstehen, daß der geistlich bewegte Mensch kniet, sich verneigt, die Hände faltet oder auflegt, die Arme ausbreitet, an die Brust schlägt, etwas darbringt usw. Diese Elementargebärden können sich reicher entwickeln oder sich untereinander zusammenfügen. So entstehen die vielfältigen Kultgebärden, z. B. der Friedenskuß oder der Segen. Oder bestimmte Gedanken finden ihren Ausdruck in entsprechenden Bewegungen, so der Glaube an das Geheimnis der Erlösung im Kreuzzeichen. Endlich können sich eine ganze Reihe derartiger Bewegungen verbinden. Dadurch bildet sich die gottesdienstliche Handlung, in der ein reichentwickelter geistiger Inhalt zu äußerem, bildhaften Ausdruck gelangt […]. Die Dinge [z. B. Patene, Weihrauch, TS] verstärken die ausdrückende Kraft des Körpers und seiner Bewegungen, sind gleichsam eine Ausweitung des Körperbestandes über seine natürlichen Grenzen hinaus.440

Im Licht aktueller semiotischer Gottesdiensttheorien könnte dies so gesagt werden: Das Körperliche wird in seiner Zeichenfunktion gesehen, der Körperausdruck sowie die von Dingen und Räumen verwendeten Codes generieren Bedeutung. Bei diesem Gedanken bleibt Guardini jedoch nicht stehen. Wer die Liturgie mit wirklicher Hingabe mitlebt, der wird erfahren, daß der körperlichen Bewegung, der Handlung, dem Dinglichen tatsächlich eine große Bedeutung innewohnt. Einmal enthält es große Möglichkeiten des Eindrucks, der Erkenntnis, der geistlichen Erfahrung und vermag eine Wahrheit viel stärker und überzeugender zu machen, als das bloße Wort es kann. Dann hat es auch eine befreiende Wirkung, indem es das Innenleben voller zum Ausdruck bringt, als es wiederum das bloße Wort vermag.441

Das Erleben der Bewegung führt zu Erfahrungen im Hier und Jetzt, deren Bedeutung konstitutiv an den Vollzug gebunden ist. Diese Überlegungen deuten eine Richtung an, die in späteren performativ akzentuierten Gottesdiensttheorien weitergeführt wird. Liturgie mit Spiel zusammenzudenken ist ebenfalls einer von Guardinis Anstößen für die weitere Liturgietheorie bis in die Gegenwart geworden. Das Liturgische wird völlig aus dem Bereich der vordergründigen Zwecke, Mittel und Ziele ausgenommen. Liturgie gleicht einem Kunstwerk: „Das Kunstwerk hat keinen Zweck, wohl aber einen Sinn, nämlich den, ,ut sit‘, daß es da sei […]“442 Die Liturgie schafft einen Spielraum der Freiheit in ihren Formen. „Vor Gott ein Spiel zu treiben, ein Werk der Kunst – nicht zu schaffen, sondern zu sein, das ist das innerste Wesen der Liturgie.“443 Guardini fordert seine Leser auf, sie sollten „einmal verzichten auf das Erwachsensein […] und sich entschließen, zu spielen, so wie David tat, als 440 441 442 443

Guardini 1918, 54. Guardini 1918, 55 f. Guardini 1918, 60. Guardini 1918, 65.

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er vor der Bundeslade tanzte.“444 Der Begriff Tanz dient hier als Metapher für eine spielerische Haltung, es geht nicht um Tänze im Gottesdienst. Guardinis Liturgiedidaktik legt den Leser_innen den Gottesdienst selbst als Kunstwerk vor, das voll und ganz genügt. Über die Elementargebärden hinaus Bewegungen einzuführen oder Kunsttanz zu integrieren liegt meines Erachtens nicht auf der Linie Guardinis. Gottesdienst hat mit Kunst die Abwesenheit von Zwecken gemeinsam. Eine bloß schöngeistige ästhetische Auffassung wird sowohl dem Kunstwerk als auch der Liturgie nicht gerecht. Religion ist mehr als schöner Schein, sie hat auch Macht. Diese wirkt sich vor allem im „tätigen Kirchenleben“ aus, während im „beschaulichen Leben der Kirche die Schönheit“445 ihren Platz hat. Im Zentrum der Bedeutung der Liturgie steht die Lebensbedeutung für uns. „Nicht um ausdrucksfähige Gebärden also und um stilgewaltige Worte darf es sich für uns hier handeln, als ob wir vor einer geistlichen Schaubühne stünden, sondern darum, mit unserer wirklichen Seele dem wirklichen Gott ein wenig näher zu kommen, um unsere allerpersönlichste, bitter ernste Herzensangelegenheit.“446 Das Tun ist im Gottesdienst dem Sein untergeordnet. Das Sein ist als Werden gedacht. „Nicht auf das Handeln kommt es im Grunde an, sondern auf das Werden.“447 Die dem Gottesdienst zugeschriebene transformatorische Wirkung ist von der Auffassung der Liturgie als Kunstwerk nicht zu trennen. Gefühle, Bewegungen und absichtsloses Spiel vor Gott sind Stichworte, die der Leiblichkeit Bedeutung geben. Im Blick sind rezeptionsästhetische Fragen; es geht um Wirkungen, die zwar von Gott und nicht von der Liturgie abhängen, aber mit dem quasi performativen Mitvollzug der Liturgie in einem engen Zusammenhang gesehen werden. Die Sichtweise des Gottesdienstes als Kunstwerk scheint offen für den Austausch mit den Künsten, bleibt jedoch im Grunde streng auf die überlieferte Liturgie bezogen. Eine an einer Tanztheologie interessierte Leserin wird bei Guardini zwar den Körper gewürdigt sehen, der das Medium des Tanzes ist, vielleicht noch die Elementargebärden als Anfang einer Bewegung deuten können. Gleichzeitig sind Grundgedanken Guardinis geeignet, Tanz kritisch zu hinterfragen. Da die Liturgie das eigentliche Kunstwerk ist, müsste sorgfältig geprüft werden, inwiefern Tanz-Elemente den Fluss der Liturgie hemmen oder fördern. Die Vorstellung von der Liturgie als freies Spiel vor Gott, das mehr ein Werden und Sein ist als ein Tun, öffnet die Messe für Tanz, der sich in diesem Sinne versteht. Einen Deuterahmen für das Verständnis der Bedeutung von Bewegung im Gottesdienst bietet schließlich auch Guardinis Betonung des bewussten Mitvollzugs der gottesdienstlichen Bewegungen. Die Gebärde muss nicht notwendigerweise zum Tanz ausgebaut werden. Sie ver444 445 446 447

Guardini 1918, 67. Guardini 1918, 70. Guardini 1918, 77 f. Guardini 1918, 86.

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ändert sich bereits durch die Sensibilisierung der Körperwahrnehmung und zwar auf der Erfahrungsebene. Tanzende, so ist anzunehmen, dürften durch ihre besondere Schulung für Körperwahrnehmung auch für die in der Liturgie enthaltenen Bewegungen besonders sensibilisiert sein. Gespräche mit Kirchentänzern könnten konkrete Hinweise darauf erbringen (vgl. B 6.5).

5.1.2 Manfred Josuttis: Körperliches Verhalten im Gottesdienst am Beispiel Abendmahl Nach den Aufbrüchen der Liturgischen Bewegung kam erst Jahrzehnte später wieder Interesse am Leiblichen in der Liturgie auf. Die Situation Mitte der 1970er Jahre war durch eine „Neuakzentuierung der liturgischen Lage gekennzeichnet“448. Es wurde neu nach dem Abendmahl gefragt. In jenem Klima sind auch die ersten Tanzaktivitäten auf Kirchentagen aufgekommen. Auf der Suche nach einer Vermittlung von freien Liturgien und der klassischen Messform wurde 1979 für das „Forum Abendmahl“ auf dem DEKT449 das „Integrationsmodell Feierabendmahl“450 entwickelt. „Es schlägt Brücken […] und verbindet die Aufbruchsbewegung der Jugend […] mit dem Gemeindealltag vor Ort“451. In den Gemeinden veränderte sich die traditionelle Grundhaltung der Scheu, Ernsthaftigkeit und tiefsitzenden Angst nur zögerlich. Über die Entdeckung der neben Sündenvergebung und Präsenz Christi wichtigen Dimensionen von Danksagung, Versöhnung und Gemeinschaft, unter anderem durch die Arbeit ökumenischer Studiengruppen, gelang es, den Fest- und Feiercharakter zu entfalten. Die „liturgische Klimawende“452 wurde auch von kritischen Stimmen begleitet. Zu ihnen zählt Manfred Josuttis. Etwa zeitgleich mit den erwähnten Kirchentagen fragten er und Gerhard Marcel Martin auf eine andere Weise nach dem Abendmahl.453 Im Ideal der fröhlichen Mahlfeier sah Josuttis einen zweifelhaften Fortschritt. „Das mag ein Fortschritt sein, aber ein Fortschritt in jenem Prozeß, der auf vielen Gebieten zu einer Verharmlosung religiöser Elementarphänomene geführt hat.“454 Die traditionell „niederdrückende Stimmung“ könne auch „Ausdruck einer Ahnung gewesen sein, daß das re448 Lindner 1995, 874. 449 Auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEKT) in Hamburg 1981 wurde diese Arbeit im Forum fortgesetzt. 450 Cornehl zitiert in: Lindner 1995, 875. 451 Lindner 1995, 875. 452 Schroer zitiert in: Lindner 1995, 876. 453 Zusammen mit einer Gruppe von Theologen und Wissenschaftlerinnen verschiedener kulturwissenschaftlicher Fachrichtungen entstanden auf zwei Arnoldshainer Tagungen 1979 und 1980 neue Zugangswege zum Phänomen Abendmahl, die im Sammelband „Das heilige Essen“ vorliegen. 454 Josuttis/Martin 1980, 27.

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ligiöse Mahl elementare Schreckenserfahrungen menschlicher Existenz beschwört und bannt.“455 Josuttis‘ kulturwissenschaftliches Projekt mündet in den ausgeführten Entwurf in „Der Weg in das Leben“. Hier ist das Kapitel „Essen“ Zentrum und Ziel sowohl für das Buch wie auch für den Gottesdienst selbst. Das Essen beim Abendmahl gehört in eine Reihe mit anderen Formen heiligen Essens und ist nur zu verstehen vom elementaren Vorgang des alltäglichen Essens aus.456 Manfred Josuttis nähert sich der Bedeutung des Körperlichen im Gottesdienst über die Verhaltenstheorie, um der „wirklichkeitserschließenden Kraft“ leiblichen Verhaltens im Gottesdienst nachzugehen.457 Die Aspekte von Spiel oder Kunst treten demgegenüber zurück. Das Mysterium (Casel, Stählin) sowie die Rede von der in der Liturgie präsenten Kraft und Macht (Stählin, Guardini) finden sich bei Josuttis wieder. Gottesdienst ist ein Weg, der im leiblichen Vollzug von Gehen, Sitzen, Sehen, Singen, Hören, Essen und noch einmal Gehen ablesbar ist. Schon der Beginn des Mahlteils wird mit einer Bewegung markiert. „Die Körper, für lange Zeit in der Kirchenbank ruhig gestellt, dürfen sich zum Sakramentsempfang wieder bewegen.“458 Die leibliche Erfahrung des Essens hat neben einer physiologischen Seite auch psychologische, soziologische und kulturgeschichtliche Aspekte. Im Bereich der Leiblichkeit als Körpererleben in der Abendmahlsfeier hat Josuttis’ Ansatz in der Ausführung 1991 noch Lücken, die sich aber mit Hilfe seiner späteren Aufsätze verringern. Er nähert sich den Möglichkeiten von Körpererleben über Erkundungen im Bereich afrikanischer Rituale, da Europäerinnen diesbezüglich „Analphabeten“ seien.459 Dabei entdeckt Josuttis, dass Haltungen des Körpers im Raum, besonders, wenn sie einem Modell, wie etwa dem „Zeichen des heiligen Kreuzes“ folgen, unter den Einfluss energetischer Kräfte geraten lässt. Leiblichkeit in der Liturgie heißt demgemäß: Ein Leibraum, der sich in seiner spezifischen Konstellation im Weltraum befindet und sich für die mediale Aufgabe sachgemäß präpariert hat, wird im umfriedeten Gefüge des Gotteshauses von einer transpersonalen Atmosphäre erfasst. In seiner Ein-Stellung ist der dann nicht nur von theologischen Lehren und frommen Gefühlen erfüllt; vielmehr fließen durch ihn ,Ströme des lebendigen Wassers’ (Joh 7,38).460

Josuttis Thematisierung des leiblichen Verhaltens im Gottesdienst weist auf die Bedeutung körperlicher Erfahrung für religiöse Erfahrung hin. Seine Sicht sensibilisiert für die Wirkungen und Atmosphären im Vollzug. Die Gottes455 456 457 458 459 460

Josuttis/Martin 1980, 27. Vgl. Josuttis/Martin 1980, 119. Vgl. Josuttis 1997, 93. Josuttis 1991, 247. Vgl. Josuttis 1997, 94. Josuttis 1997, 100.

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dienstfeier wird dadurch für eine körperorientierte spirituelle Praxis relevant. Ein Weiterdenken in Richtung Tanz ist nicht erkennbar. 5.1.3 Zwischenfazit Die vorgestellten liturgischen Entwürfe haben die zentrale Stellung des Abendmahls und Neudeutung der Vorstellung vom Leib Christi gemeinsam. Leiblichkeit wird bei Stählin, Guardini und Josuttis in jeweils spezifischer Weise thematisiert, ohne dass die mögliche Rolle körperlicher Bewegung über die agendarisch vorgesehenen Bewegungen hinaus angedacht wird. Zu überprüfen ist nun, ob neuere leiblich orientierte liturgiewissenschaftliche Entwürfe den Körper im Gottesdienst als bewegten oder tanzenden vorzustellen bereit sind. Dabei nehme ich an dieser Stelle als Kontrast und Ergänzung feministische Entwürfe auf. Während in der älteren Liturgiewissenschaft die Kategorie Gender noch keine Rolle spielt, ändert sich dies durch neue interdisziplinäre Fragestellungen, entweder mehr von der interkulturellen Theologie oder der theologischen Frauenforschung inspiriert. Die Entwürfe verstehen sich als kontextuelle Theologie im multikulturellen und postchristlichen Umfeld. Exemplarisch dafür stehen Beiträge von Andrea Bieler zum Gottesdienst sowie von Brigitte Enzner-Probst zu Frauenliturgien461. Auch bei Bieler fokussiere ich zum besseren Vergleich das Thema Abendmahl. Enzner-Probst dagegen ist wegen ihrer Untersuchung von Performativität im Zusammenhang mit Korporalität bzw. Corporealität auch von der Methodik her eine Arbeit, die bereits einen Überschneidungsbereich mit meinen Fragestellungen aufweist. Hier wird auch erstmals Tanz in einer evangelischen Monographie zur Liturgik breiter reflektiert, allerdings nicht als Hauptthema. Gemeinsam ist beiden Autorinnen, Geschlecht nicht essentialistisch zu verstehen, sondern als etwas, das diskursiv und performativ hergestellt wird. 5.2 Nicht-essentialistische Körperkonzepte: Gendersensible Liturgik 5.2.1 Real bodies im Gottesdienst: Liturgisches Embodiment bei Andrea Bieler Theologie ist nach Bieler nicht etwas, das aus Texten hervorgeht, sondern in der Interaktion entsteht. In diesem Prozess wird ein gefühlter Sinn (felt sense462) von Gott und Welt hervorgebracht. Folgerichtig lehnt sie „essentialist constructs with universal validity“463 ab. 461 Vgl. Enzner-Probst 2008. 462 Bieler 2004, 132. Der Terminus findet sich auch im „Prozess-Modell“ bei Eugene Gendlin. Vgl. Gendlin 2016. Er basiert auf der Annahme, dass der ganze Körper eine Interaktion mit der Umwelt ist. Ebd. 242–246.

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Ihr liturgischer Ansatz ist unter anderem auf der Basis von ritual studies erarbeitet.464 Gemäß lutherischer Auffassung vom sakramentalen Charakter des Wortes tut selbiges, was es sagt.465 Liturgien seien mehr als Texte, sie involvierten Handlungen, Orte und Zeiten. Daher könne Liturgie auch phänomenologisch beschrieben werden unter den Aspekten der Performanz, des Rituals und der Ritualisation466. Konkrete Körper seien beteiligt, deren Interaktion Raum und Zeit strukturiere. In Ritualen gingen Menschen mit Macht um, sie unterhielten Beziehungen und praktizierten ihren Glauben. Gottesdienst wird als rituelle Performance verstanden. Das rituelle Tun sei ein wirkliches Tun, nicht das Vorführen eines Tuns. „Performance in the ritual is theatrical, or quasi-theatrical: Something is acted out…“467 Bieler kritisiert den gegenwärtigen praktisch-theologischen Diskurs in Deutschland, da Fragestellungen vernachlässigt worden sind, „die sich mit Macht und Herrschaft, kultureller und ökonomischer Globalisierung sowie Armut und Reichtum befassen“468. Ihr eigener Standort war zeitweise die multikulturelle Gesellschaft in Kalifornien, USA, ein Kontext, der mitgebrachte Konzepte als nicht mehr hilfreich erscheinen ließ.469 Stattdessen erlebte sie eine „Fluidität von Identität“, die im Gottesdienst zur „Inszenierung von Mehrdeutigkeit“ führen könne.470 Eine „radikale Kritik der eigenen kategorialen Voraussetzungen“ folge daraus, und zwar angesichts der „Pluralisierung der Lebenswelten“ auch in Deutschland.471 Mit Hilfe der kritischen Lektüre des Konzeptes der Hybridität und unter Verwendung der Ritualtheorie von Catherine Bell beschäftigt sich Bieler unter anderem mit dem Abendmahl.472 Mit Bell legt sie hierbei einen strategischen Prozess der ,Ritualisation’ zugrunde, „in dem bestimmte Handlungen symbolisch aufgeladen werden“, um so die Eucharistie vom alltäglichen Vorgang des Essens zu unterscheiden.473 Bieler fragt, wie der Satz „Dies ist mein Leib“ Wirklichkeit beanspruchen könne. Sie stellt bei liberalen Protestanten in den USA ein entkörperlichtes Abendmahlsverständnis fest.474 Sie glaubt, es bestehe Angst davor, nach der 463 464 465 466 467 468 469 470 471 472 473 474

Bieler 2004, 133. Vgl. die Zwischenüberschrift „Liturgical theology informed by ritual studies“, Bieler 2004, 130. Vgl. Bieler 2004, 130. Zu Ritualisation siehe Bielers Rezeption der Theorie von Catherine Bell, zitiert in: Bieler 2002, 20 f. Tom Driver zitiert in: Bieler 2004, 131. Bieler 2002, 13. Bielers Beispiel ist das Konzept der Ich–Identität, das bei samoanischen/tonganesischen Migrantinnen „ad absurdum geführt“ wird, da diese ganz im Bezug auf das Wir leben. Vgl. Bieler 2002, 14. Bieler 2002, 14. Bieler 2002, 16. Vgl. Bieler 2002, 19. Bieler 2002, 19. Vgl. Bieler 2006, 82.

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verleiblichten Präsenz Christi zu fragen, die doch unser eigenes Leibverständnis qualifiziere. Real bodies – wirkliche Körper, mithin die Feiernden selbst, sollen als Ort der sakramentalen Begegnung wahrgenommen werden. Dies gelingt über das Medium metaphorischer Sprache. Metaphorische Sprache verwirklicht sich auch als sogenannte „embodied metaphor“475. Derartige Metaphern gehen vom Körper aus und erweitern die menschliche Imagination. Allerdings können solche Metaphern ihre kritische Wirkung nur dann entfalten, wenn sie nicht im Sinne einer Aussage über metaphysische Realitäten missverstanden werden. Sie benötigen den ständigen Kontakt zur Eucharistie, zur offenen, pluralen und zentrierten Versammlung.476 Gemeinsam mit der Neutestamentlerin Luise Schottroff (1934–2015) legt Bieler den Entwurf einer eucharistischen Liturgietheologie auf der Grundlage sozialgeschichtlicher und befreiungstheologischer Exegese vor. Darin verbindet sich das Thema Leiblichkeit beziehungsweise Körperlichkeit mit einer durch ,ritual studies‘ angeleiteten Analyse des Abendmahlsgeschehens. In „Das Abendmahl. Essen, um zu leben“477 formulieren die Autorinnen ihre Option für die „Eucharistie als Auferstehungsfeier“. Damit wird abendmahlstheologisch die eschatologische Dimension fokussiert. Nur unter konsequentem Bezug auf die materiale Realität von Körpern, von Brot und Wein, wie sie in liturgischer Praxis vorkommt, und mit Referenz auf das alltägliche gelebte Leben kann diese sinnvoll entfaltet werden. Die ontologische Dimension der Gegenwart Christi im Abendmahl tritt zurück. Das Abendmahl wird im Kontext von Liturgie und Leben wahrgenommen. Leben, das vom liturgischen Handeln im Abendmahl inspiriert ist, nennen Bieler/Schottroff „eucharistisches Leben“. Sie kommen zu dem Schluss, dass „die frühen christlichen Gemeinschaften die Auferstehung des Leibes inmitten der Wirklichkeit des römischen Imperiums feierten.“478 So gelingt es auch, die Spendeformel „Christi Leib für dich gegeben“ neu zu erschließen. Sie kann im Rahmen der Praxis der anamnesis verstanden werden, die zwischen der „Erinnerung des Leidens in der Perspektive der Auferstehung und der Verherrlichung und Fetischisierung von Gewalt“ unterscheidet.479 Einen besonderen Akzent setzen die Bezugnahmen auf das Körpergedächtnis, einer Form von leiblicher Erinnerung, die durch leibliche Erfahrungen, u. a. die Anwesenheit an bestimmten Orten wachgerufen werden kann. Bielers Entwurf ist aus interkultureller Praxis erwachsen. Er zeigt eine Fülle von Möglichkeiten, das Abendmahl in enger Verbindung mit christlicher 475 Bieler 2006, 82 f. Ihre Metapherntheorie stützt sich im Wesentlichen auf Gail Ramshaw. Ramshaw wiederum bezieht sich auf Ricœur. Sie definiert Metaphern als „that use of speech in which the context demonstrates that a factually or logically inaccurate word is on the deepest level true.” Ebd. 83. 476 Mit Verweis auf Gordon Lathrop, Bieler 2006, 84. 477 Bieler/Schottroff 2007. 478 Bieler/Schottroff 2007, 28. 479 Bieler/Schottroff 2007, 29.

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Lebenspraxis zu feiern. Daraus erwächst eine lebensnahe praktische Spiritualität. Die Leiberfahrung Einzelner ist im Leib Christi nicht aufgehoben und belanglos, sondern gerade Teil einer sich in solidarischer Gemeinschaft leiblich realisierenden Auferstehungserfahrung. Dies ist für die Konturierung einer Spiritualität Tanzender deswegen relevant, weil sie die Bedeutung einer leiblichen Glaubenspraxis nicht auf den Gottesdienst beschränkt, sondern deren Relevanz für eine alltäglich gelebte Spiritualität zeigt. Der erweiterte Spiritualitätsbegriff von Bieler/Schottroff sensibilisiert dafür, darauf zu hören, welche Auswirkungen Tanzspiritualität im Leben der Kirchentänzer hat.

5.2.2 Liturgisches Auftreten und geschlechtliche Authentizität Im Weiteren soll der gendersensible Fokus eines neueren Aufsatzes dazu beitragen, einen Baustein des theoretischen Hintergrundes zu skizzieren, der mir für die genaue Wahrnehmung der Praxis im Kirchentanz notwendig erscheint. Im Kirchentanz sind vorwiegend Frauen aktiv. Dies sind sie auch in liturgischen Rollen, wenn sie im Gottesdienst tanzen. Bieler fragt nach der Herstellung von Geschlecht im Ritualkontext.480 Die Tatsache, dass die Person, die der Liturgie vorsteht, wie selbstverständlich als Mann oder Frau wahrgenommen wird, ist auf die darunterliegenden Darstellungs- und Wahrnehmungsprozesse zu befragen. In Aufnahme theaterwissenschaftlicher Begriffe werden diese von Bieler als Inszenierungs- und Rezeptionsprozesse bezeichnet.481 Diese sind ständig im Fluss. Der kulturelle Kontext bestimmt, wie Geschlecht hergestellt wird. Durch Körpertechniken wie den Umgang mit Haaren, Kleiderordnungen oder körpersprachlichen Konventionen wird sozusagen „die Oberfläche des Geschlechtes“ inszeniert.482 Der normalisierende Blick (Michel Foucault) der anderen gibt uns eine Geschlechtsidentität. Zugleich werden durch ihn „soziale Machtkämpfe in unsere Leiber, in unsere Haut und unsere Genitalien eingeschrieben“483. Mit Catherine Bell kann auch von einem ritualisierten Körper gesprochen werden. Durch Handlungen, besonders in so einem stark strukturierten Umfeld wie einem Gottesdienst wird das Körper-Selbst gestaltet.484 Das Geschlecht der liturgisch Handelnden tritt nach Bieler besonders dann in den Vordergrund der Rezeption, wenn Irritationen auftreten. Als Beispiele genannt werden die überraschte Wahrnehmung einer schwangeren Pfarrerin durch eine ex-katholische Gottesdienstbesucherin und der Wechsel der Aufmerksamkeit der Feiernden von der Taufhandlung auf das schwule Paar, dessen Kind getauft wird. Durch die 480 481 482 483 484

Bieler 2008, 203–207. Bieler 2008, 204. Vgl. Bieler 2008, 204. Bieler mit Bezug auf Foucault in: Bieler 2008, 205. Vgl. Bieler 2008, 205.

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Verschiebung der Wahrnehmung stellt sich auf der Seite der Rezipierenden eine Erweiterung der normativen Vorstellungen von Geschlecht durch zuvor ungewohnte Verknüpfungen ein.485 Auf Tanzende im Gottesdienst hin weitergedacht, sind Chancen produktiver Irritationen von Genderkonzepten in Betracht zu ziehen. Vorstellbar ist die Überraschung, einen Mann tanzen zu sehen mit feinen, im kulturellen Kontext feminin besetzten Körperbewegungen oder eine Frau, die Kampfbewegungen ausführt.486 Auf solche Irritationen der Mimesis wird in der Aufnahme der Aussagen Tanzender noch zu achten sein. Darüber hinaus scheint die Zielvorgabe des gendersensiblen Ansatzes von David Plüss auch für den Kontext Kirchentanz lohnend „individuelle Spielräume für eine authentische Geschlechtlichkeit zu gewinnen“487. Plüss bestimmt Authentizität performativ, also nicht als Übereinstimmung mit ontologischen Gegebenheiten. Sie kann nicht von außen festgestellt werden, als heuristisches Analysemodell wäre sie hilfreich.488 Wie der Begriff des Authentischen im Tanz näher zu bestimmen ist, muss vorerst unbeantwortet bleiben.

5.3 Corporealität in der performativen liturgischen Praxis von Frauen: Brigitte Enzner-Probst Da Enzner-Probst (*1949) sich auf die Reflexion von Liturgien beschränkt, setzt ihr Entwurf stimmig die Reihe der in A 5.1 und 5.2 dargestellten liturgiewissenschaftlichen Arbeiten fort und gilt nicht als Monographie zum Thema Kirchentanz. Mit Werken, die den Tanz ins Zentrum stellen, beschäftigt sich 5.5. Da Enzner-Probst jedoch auch wesentliche Themen anspricht, die den Kirchentanz betreffen, ergibt sich in der Struktur nun eine unvermeidliche Pendelbewegung der Gedanken von, den Tanz vorbereitenden, Ansätzen hin zur Reflexion von Tanz und wieder zurück zu weiteren Beispielen von körperorientierten Vorläufern in der Praktischen Theologie, bevor genuine Tanzmonographien zu Wort kommen.

5.3.1 Corporealität und Performativität Mit der theaterwissenschaftlichen Kategorie Performance als Zentralbegriff nimmt Brigitte Enzner-Probst im Rahmen ihrer praktisch-theologischen Habilitationsschrift die vielgestaltige Praxis der Frauenliturgiebewegung in 485 Vgl. Bieler 2008, 206 f. 486 Für beides finden sich Beispiele in Teil B. Bemerkenswert ist: auf die Kampfbewegungen der Frau wurde mit weitaus mehr Irritation reagiert als auf die Performance des Mannes. 487 Plüss 2008b, 192–203. 488 Vgl. Plüss, David 2008a, 211–215.

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den Blick. Dazu untersucht sie Liturgiesammlungen und analysiert diese auf dem Hintergrund eigener Erfahrungen im Forschungsfeld. Den Liturgien ist trotz mancher Unterschiede die Bedeutung von Körperlichkeit gemeinsam. Alle signifikanten Gestaltungsweisen haben Körperbezug: berühren, fühlen, tönen, sich äußern, schreien, sich bewegen und tanzen.489 Der Körper ist einerseits nicht loszulösen von gesellschaftlichen Konstruktionen, andererseits auch etwas Vorgegebenes und dadurch „Widerständiges“490. Was er ist und bedeutet, ist nicht völlig durchschaubar. Enzner-Probst sieht daher eine „dekonstruktive Chance im Rekurs auf Körperlichkeit.“491 Um die menschliche Existenz weder auf eine spiritualistische noch auf eine materialistische Seite zu ziehen und die Gegenüberstellung von Individualität und Sozialität zu überwinden, führt Enzner-Probst den Neologismus ,Corporealität‘ ein. Dieser dient als liturgiestrategischer Begriff. Geprägt wurde der Terminus corporeality bereits in der theologischen Frauenforschung in den Niederlanden als Gegenstück zum Ausdruck spirituality.492 Dieser Begriff fasst den Körper nicht als das dem Begrifflichen entgegengesetzte Materielle auf, sondern wertet ihn als „konstitutiv für Sinn, Bedeutung und Verstehen.“493 Die sinnliche Eigenund Fremdwahrnehmung wird mit individuellen Deutungsprozessen und gesellschaftlichen Zuschreibungen vermittelt. Corporealität weist über „den Dualismus essentialistischer und konstruktivistischer Oppositionen“494 hinaus. Die Materialität des Körperlichen ist nur durch den stets stattfindenden Deutungsprozess greifbar.495 Ob die Verwendung des Begriffes außerhalb des Zusammenhangs mit seinem Entstehungskontext sinnvoll ist, sieht EnznerProbst selbst skeptisch.496

5.3.2 Die Corporealität von Tanz in Frauenliturgien In der Untersuchung des empirischen Materials in Form von Gottesdienstprogrammen und Ablaufnotizen tritt Tanz als eine der signifikanten Gestaltungsweisen in Frauenliturgien hervor. Tanzbeschreibungen und Bewegungsanleitungen enthalten häufig auch Gesten und Gebärden. In der Mehrzahl der Liturgiesammlungen kommt Tanz vor; zusammen mit Tanz wird 489 490 491 492 493 494 495 496

Vgl. Enzner-Probst 2008, Kapitel V, 136–228. Enzner-Probst 2008, 65. Enzner-Probst 2008, 65. Vgl. Enzner-Probst 2008, 67. Enzner-Probst 2008, 67. Enzner-Probst 2008, 67. Vgl. Enzner-Probst 2008, 67. Vgl. Enzner-Probst 2008, 68. Da meine eigene Forschung an einer Spiritualitätspraxis interessiert ist, die Körperlichkeit nicht als das Andere der Spiritualität begreift, wenn auch die Zusammenhänge eng sind, und mithin der Gegensatz zu spirituality wegfällt, soll im Weiteren corporeality nicht verwendet werden.

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auch Raumerfahrung reflektiert.497 Tanzen drückt die Erfahrung aus, auf dem Weg zu sein und sich selbst und andere wahrzunehmen, schreibt eine Gruppe sinngemäß.498 In Anleitungen finden sich rituelle Elemente499, wie etwa die Vater-unser-Choreographien von Hilda-Maria Lander oder Gabriele Wosien, Bewegungsmeditationen bei Teresa Berger und Prozessionen500. Tanz kommt vorwiegend in der gebundenen Form als Kreistanz zum Mittanzen für alle vor. Unterschieden werden kann dabei die Stellung des Tanzes im Gesamten der Liturgie. Er kann als zusätzliches Element eingebracht werden (additiv), traditionelle Elemente wie Predigt oder Gemeindelied ersetzen (substitutiv) oder die Liturgie im Ganzen prägen, wenn ihm die Stellung als einer zum Wort gleichberechtigten Sprache eingeräumt wird.501 Letzteres geschieht meist unter Beteiligung professioneller Tänzerinnen.502 Einzelne Gemeinden bieten regelmäßig einen Tanzgottesdienst als sonntäglichen Hauptgottesdienst oder im sogenannten zweiten Programm an.503 Den Mehrwert von Tanz im Gottesdienst beschreibt Enzner-Probst folgendermaßen: Wer sich im Gottesdienst bewegt, gerät unweigerlich in Kontakt, nimmt Kommunikation auf, mit sich selbst, mit den anderen Gottesdienst Feiernden, mit dem Raum, in dem die Liturgie stattfindet. Die Betonung der kinästhetischen Dimension bedeutet eine Verstärkung corporealer Kommunikation.504

Außerdem werden Gottesdienst und erotisch-sinnliche Kommunikation zusammengebracht.505 Kreistänze verweisen auf eine transzendente Sinnmitte, verbunden mit Schöpfungssymbolen. Dies ermögliche Menschen, sich in der Bewegung auf den Rhythmus der Schöpfung einzulassen. „Die tanzenden Frauen wissen sich in Übereinstimmung mit den Gesetzen der Natur und verstärken diese umgekehrt durch ihre Bewegungen, durch ihren Tanz.“506 Mit ihrer Art, selbstverständlich kinästhetischen Ausdruck in die gottesdienstliche Kommunikation zu integrieren, nähern sich die Frauen nach EnznerProbst „impliziten Sinn-Erfahrungen, die ihrerseits gestaltet, ins Wort geholt 497 498 499 500 501 502 503 504 505 506

Vgl. Enzner-Probst 2008, 218. Liturgiegruppe in Münster, vgl. Enzner-Probst 2008, 218. Vgl. Enzner-Probst 2008, 220. Vgl. Enzner-Probst 2008, 221 f. Vgl. Enzner-Probst 2008, 222. Vgl. Enzner-Probst, 225. Nicht ganz nachvollziehbar erscheint mir die Einordnung der Veranstaltung Liturgischer Tag Tanz auf dem DEKT 2001, bei dem Männer und Frauen zusammen wirkten, in den Kontext Frauenliturgien. Z. B. Melanchthongemeinde Fellbach; St. Johanniskirche, München; Tanzandachten von Emma-Elze Bongers in Norwegen; vgl. Enzner-Probst, 222. Diese Beispiele vertreten keine reinen Frauenliturgien, sondern Tanzgottesdienste bzw. –andachten für die ganze Gemeinde. Enzner-Probst 2008, 226. Vgl. Enzner-Probst 2008, 226. Vgl. Enzner-Probst 2008, 227. Was das Verstärken der Gesetze der Natur durch den Tanz bedeuten soll, erschließt sich mir nicht. Ein naturmagisches Verständnis kann nicht ernsthaft gemeint sein.

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und mit theologischer Tradition vermittelt werden wollen.“507 Enzner-Probst ist es ein Anliegen, zu zeigen, dass Tanz und Corporealität insgesamt nicht lediglich als sozialisationsbedingtes Faible von Frauen gelten können. Die Tanzpraxis gründet in theologischen Intentionen.508

5.3.3 Die Performativität von Tanz in Frauenliturgien Frauenliturgien werden unter Bezug auf das Performance-Verständnis von Richard Schechner (Performance Studies)509 als Performance und Präsenzgeschehen bezeichnet.510 Tanz ist als Teil dieses Geschehens zu verstehen. Für den Tanz relevante Schlüsselbegriffe sind das ,performative Zeigen‘ und das ,präsentative Symbol‘. Das performative Zeigen hat seinen Sinn im Akt des Zeigens selbst. Es wird nicht ,auf‘ etwas gezeigt, vielmehr geht es um ein ,SichZeigen‘.511 Der Tanz kann in diesem Sinne als performativ verstanden werden. Er findet im Präsens statt, präsentiert also Wirklichkeit im Jetzt. Als „präsentatives Symbol“ (Susanne K. Langer) wird Tanz aufgrund seines transitorischen Charakters eingeordnet.512 Ein solches Symbol schafft seine Bedeutung im Prozess der Darbietung. In Symbolisierungsprozessen liegen präsentative im Gegensatz zu diskursiven Zeichenrelationen vor. Notwendig sind sie, um neue Erfahrungen zu deuten und zu verstehen.513 Das Kunstwerk der Performance schafft nicht fixierbare Spiel-Räume, greift entweder Alltägliches oder geprägte kulturelle Formen auf, um sie in anderem Kontext neu zu zeigen und damit zu verfremden.514 Zeit wird besonders gestaltet und erfahren, etwa durch das Wiederholen von Bewegungsfolgen im Tanz, während Körper, Atem, Raum und Gemeinschaft wahrgenommen werden. Ein ZeitRaum zum Verweilen wird geschaffen. Raum entsteht für kontemplierendes Wahrnehmen, in dem die semantische Dimension von Zeichen „verschwimmt“515. Da es in den Liturgien auch zu Aufführungssituationen kommt, wird die Seite der Rezipienten ebenfalls unter Rückgriff auf Schechners Performance Studies in den Blick genommen.516 Die Resonanz der Zuschauenden ist konstitutiv für die Performance. Es kommt zum Kontakt zwischen Performern und Zuschauern. Das Resonanzkonzept hat „den Vorteil, dass gerade 507 Enzner-Probst 2008, 227. 508 Vgl. 228. In dieser Arbeit stellt C 6.1.4 die theologische Relevanz der corporeal-performativen Gestaltung von Gottesdiensten dar. 509 Schechner verarbeitet auch Ritualtheorien. 510 Vgl. Enzner-Probst 2008, 252 ff. 511 Vgl. Enzner-Probst 2008, 253. 512 Vgl. Enzner-Probst 2008, 253. Ausführlicher bei Lachmann 2000, 52–81. 513 Vgl. Enzner-Probst 2008, 254. 514 Vgl. Enzner-Probst 2008, 255. 515 Enzner-Probst 2008, 257. 516 Vgl. Enzner-Probst 2008, 258 ff.

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die vor- und nichtsprachlichen Formen von Kommunikation als deren Basis deutlich werden.“517 Im Teilen von Erfahrungen des Angerührtseins, von Glücks- oder Leiderfahrungen entsteht communitas. Unverfügbare Flow-Erfahrungen können sich einstellen. In Schechners Theorie wird ein weiterer, auch für die Reflexion von Tanz in der Kirche relevanter Gesichtspunkt aufgegriffen – die Bildung von Milieus rund um die Performances. Durch milieuspezifische Kennzeichen wie gemeinsam erzählte Geschichte sowie geteilte Kleidungs- und Musikpräferenzen wird Wirklichkeit performativ geschaffen. So kann eine „eigentümliche enge Kohäsion“518 in den Gruppen festgestellt werden. Beim Tanz in Frauenliturgien entstehen „unterschiedliche Resonanzbeziehungen“519. Arbiträre liturgische Gesten haben den Charakter persönlicher Zeige-Handlungen; Austausch und Zuwendung geschieht unter Einbezug kinästhetischer Zeichen. Den meisten Liturgien geht es darum, die Teilnehmenden zum Mittanzen zu ermutigen; Kunsttanz hat geringe Bedeutung. Ein Reigentanz um die Mitte wird bevorzugt, da die Tanzenden sich hierbei offenbar intensiver miteinander verbinden und neue Mittanzende leicht integrieren können. Die Kreisform scheint für das Entstehen der liturgischen Performanz konstitutiv zu sein. „Der Kreis der feiernden Gemeinschaft muss erst geschlossen, durch Bewegung und Übung corporealer Präsenz gestimmt werden, damit es überhaupt zu einer liturgischen Performance kommen kann.“520 Dies wird anhand des Schechner’schen Eruptionsmodells wie ein Ring der Solidarität um einen heißen Kern herum vorgestellt. Diese Mitte ist nicht darstellbar, sie kann „umtanzt, umwandelt, betrachtet, aber nicht definiert“521 werden. Es handelt sich um eine „abwesende Anwesenheit“522. Theologisch ausgedrückt ist dies (nach Eberhard Jüngel) charakteristisch „für das Geheimnis der Anwesenheit Gottes in der Welt“523. Auf diese ausgesparte Mitte beziehen sich die Feiernden und wandeln sie in Tanz und Gebärde um. Die nicht definierte Mitte symbolisiert den Bezugspunkt jeder Liturgie, eine „letzte Seins- und Sinntiefe.“524 Daneben kommen Prozessionen vor, die eine Wegstruktur verwenden sowie Spiralformen als Verbindung von Kreis und Weg.

517 Enzner-Probst 2008, 263. 518 Enzner-Probst 2008, 276. Allerdings kann dies nur auf dem eigenen Erfahrungshintergrund postuliert werden, die Textquellen geben darüber keinen Aufschluss. 519 Enzner-Probst 2008, 269. 520 Enzner-Probst 2008, 269. 521 Enzner-Probst 2008, 270. 522 Enzner-Probst 2008, 270. 523 Enzner-Probst 2008, 270. 524 Vgl. Enzner-Probst 2008, 270.

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5.3.4 Transformation im liminalen Raum des Tanzes Noch vor allem Zeigen und symbolisierenden Präsentieren steht die Funktion des Kreistanzes, „den liminal-imaginären Raum zu konstituieren und damit die Grundbedingung für das Gelingen resonanter Kommunikation zu schaffen.“525 Auf die Gestaltung des Raumes und die stimmige Gestalt der Liturgie wird Wert gelegt, denn es geht um die Wirkung auf die Feiernden. SharingPhasen steigern die „Adhäsion und Resonanz der Feiernden“ im gleichzeitigen Wissen, dass „das Entscheidende eben nicht gemacht werden [kann], weder in zwischenmenschlicher noch in transzendenter Perspektive.“526 Schließlich werden im Dialog mit dem Konzept theatraler Performances Frauenliturgien als Transformationsgeschehen qualifiziert.527 Ritualtheoretische Überlegungen dienen dazu, die Beschaffenheit eines liminalen Raumes zu beschreiben. Er ist ein Bewegungsraum, der durch Begehung erlebbar wird.528 Ein besonderer Ort wird aus „der kulturellen ,Wildnis‘ einer anonymen Gesellschaft ausgegrenzt, damit darin performativ-rituelle Ereignisse, Wirklichkeiten spezifischer Art erfahren werden können.“529 Menschen beheimaten sich in den angelagerten Milieus und finden dort ihre Form von ,Öffentlichkeit‘.530 In diesem Zusammenhang kommt die genderspezifische Einschränkung des Bewegungsraums von Frauen zur Sprache. Enzner-Probst verweist auf empirische Untersuchungen zu gestischem Verhalten, das von Rollenvorschriften bestimmt wird, und zwar männlichem wie weiblichem.531 Dominanz- und Unterwerfungsgesten sowie die Vorstellung einer anständigen Sitzhaltung sind genderspezifisch bis in die Gegenwart hinein weitgehend fixiert. Im liminalen Raum aber kann jeder anders sein. Im Performancetheater (Schechner) kann es zu einem Transformationsgeschehen kommen. Dies gilt in ähnlicher Weise für die Frauenliturgien, da sie analog zu theatralen Performances liminale Räume schaffen. Im liminalen Raum der Frauenliturgie treffen sich zyklische und lineare Zeiterfahrungen. Symbol für die angestrebte Balance von beidem sind entweder Kreis und Linie im Wechsel oder die Mischform, die Spirale.532 Die Gefahr, in der Nische eines liminalen Raumes verweilen zu wollen und zu versäumen, Öffentlichkeit herzustellen, sieht 525 526 527 528

529 530 531 532

Enzner-Probst 2008, 271. Enzner-Probst 2008, 272. Vgl. Enzner-Probst 2008, 276 ff. Vgl. Enzner-Probst 2008, 281 f. Da die performative Gestaltung des Raumes zur Performance gehört, werden keine Räume, deren Bedeutung durch kulturelle Prägungen bereits die Erwartungen festlegt, gewählt, sondern unerwartete Räume, die Neugier wecken (Hinterhöfe, Schlachthöfe, Hallen). Daraus zieht allerdings Enzner-Probst nicht die Konsequenz einer Diskussion von Funktion oder Dysfunktion kirchlicher Raumangebote. Enzner-Probst 2008, 286 f. Enzner-Probst 2008, 288. Enzner-Probst 2008, 288 f. Enzner-Probst 2008, 290–294.

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Enzner-Probst und diskutiert sie ausführlich. Die Autorin kommt zu dem Schluss: „Erst durch das Öffentlichmachen der eigenen Praxis also […] wird das genderkritische Potenzial von Frauenliturgien gesamtkirchlich wirksam.“533 5.3.5 Corporeale Entstehung von Wissen im Tanz Corporealität stellt die zentrale performative Kategorie für die Liturgie allgemein und Tanz im Besonderen dar. Die Ausführungen zur Bedeutung des Körpers beschäftigen sich ausführlich mit Tanz. Damit stellt die Untersuchung einen innovativen liturgiewissenschaftlichen Beitrag dar. Theaterwissenschaftliche Körperkonzepte wie der ,energetische Körper‘ erhellen das Potenzial des Körperlichen im Gottesdienst. „Der energetische Körper vermittelt sich zunächst und ganz elementar durch Berühren, durch Fühlen und Tasten, durch Haut und die Präsentation von Nacktheit.“534 Die Körperoberfläche spiegelt innere Vorgänge. Hier wird die Bedeutung der Materialität von Körpern deutlich. Im Performancetheater zeigen sich diese mit einem Bedeutungsüberschuss, der nicht damit erklärt werden kann, dass sie auf etwas außerhalb von sich selbst verweisen oder Beziehungen darstellen.535 In corporealer Wahrnehmung und Aktion wird „wildes Wissen“ aktiviert und hergestellt.536 In Gebärde und Tanz kommt ein anderes Wissen zum Vorschein. Es hat weniger mit Gelerntem und Gelesenem zu tun als mit „den eigenen Erfahrungen“ und der „persönlichen Lebenswelt“.537 Im Tanz wird dieses Wissen entfaltet, denn hier riskiert ein Mensch sich ganz, die Grenzen von Körper und Seele verwischen sich.538 Der energetische Körper gilt als Quelle von Symbolisierungen. Das bedeutet, dass er nicht nur Semiosen produziert, sondern auch durch seine Präsenz wirkt. Er hat die Potenz, berührbar zu sein und Kontakt zuzulassen. In Frauenliturgien kommt diese energetische Dimension im Fühlen und wechselseitigen Berührungen zum Tragen.539 Denn Körper sind auch resonanzfähig. Mit diesem Gedanken wird das energetische Körperkonzept von Enzner-Probst in das Soziale der Gottesdienste hinein verlängert. „Der Körper selbst wird als Ort resonanter Kommunikation begriffen.“540 Er ist auch der Ort transformativer Erfahrungen. Im Gottesdienst verändert gerade der Tanz „die eigene Körper- und Weltanschauung“ und 533 534 535 536 537

Enzner-Probst 2008, 296. Enzner-Probst 2008, 304. Vgl. Enzner-Probst 2008, 306. Vgl. Enzner-Probst 2008, 307. Vgl. Enzner-Probst 2008, 310. Richard Schechner nennt dies „Repertoire-Wissen“, das im Körper angesiedelt sei als „living embodied memory“. Vgl. Enzner-Probst 2008, 310 f. 538 Vgl. Enzner-Probst 2008, 311. 539 Vgl. Enzner-Probst 2008, 315 f. 540 Enzner-Probst 2008, 333.

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beeinflusst den Wechsel von „Energie- und Bewusstseinsebenen.“541 Die corporeale Transformation wird mit einer rein semantischen Hermeneutik nicht erfasst, weil die Erfahrungen kaum kommunizierbar sind.542

5.3.6 Perspektiven für liturgischen Tanz Enzner-Probst untersucht Liturgien und darin unter anderem den Tanz als liturgisches Element. Dies ist der Grund dafür, alle besprochenen Phänomene als „liturgischen Tanz“ zu bezeichnen. Tanz in Frauenliturgien wirkt auf die Gestalt von Liturgie und Verkündigung zurück, so die These EnznerProbsts.543 Kennzeichnend für Tanz in Frauenliturgien sei die „Wiederentdeckung von Tanz als Ausdruck von Meditation, Spiritualität und Glaube auf der einen Seite und als liturgisches Element auf der anderen Seite“, sowie die wechselseitige Verschränkung beider Aspekte.544 Die Erkenntnis, dass die transformative Kraft des Tanzes erst dann erfahrbar wird, wenn Raum für Tanz und Bewegung eröffnet wird, zeitigt Anfragen für das Gottesdienstverständnis in der Gegenwart insgesamt. Tanz hat deswegen besondere Möglichkeiten, zu Gebet und Glaubensausdruck zu werden, weil der Körper sich als energetischer, resonanter und sich als ein „sich selbst transzendent übersteigender erfahren“545 kann. Abhängig von der Auffassung der Tanzenden können sich religiöse Konnotationen einstellen. Wird Tanz als liturgische Sprache aufgefasst, stellen sich „ästhetisch-gestalterische“ und „theologische“ Aufgaben. Es gilt, dem Tanz als einer eigenständigen liturgischen Sprache den „entsprechenden, gleichberechtigten Raum“ zur Entfaltung zu geben.546 Für die liturgiewissenschaftliche Diskussion erweist sich vor allem ein entsprechendes Körperkonzept als zentral. 541 Vgl. Enzner-Probst 2008, 334. 542 Um die Performativität von Tanz in den untersuchten Liturgien herauszuarbeiten, bezieht sich Enzner-Probst auf tanz- und theaterwissenschaftliche Erkenntnisse anhand des „Tanzes des Zufalls“ von Merce Cunningham, des „Experimentellen Theaters“ (Living Theatre bzw. Theater der Bilder), „Ontologisch-hysterischen Theaters“ (Richard Foreman), „Body Art“ (Meredith Monk), „Improvisationstheater“ (Isadora Duncan), „Performance“ (Richard Schechner) und „Tanztheater“ (Pina Bausch). Deren jeweils unterschiedliche künstlerische Ansätze lassen sich auf gemeinsame Merkmale zurückführen: „Was im alltäglichen Leben verschwiegen wird, was unter der Decke der kulturellen Bedeutungen nicht mehr elementar und ursprünglich erfahrbar ist, wird freigelegt und gezeigt. […] Erfahrungen von Transformation, gesteigerter Energie, unterschiedlichen Bewusstseinsebenen brechen das gewohnte Konzept des Körpers als einer autonomen, in sich abgeschlossenen Größe auf.“ Enzner-Probst 2008, 340 f. 543 Vgl. Enzner-Probst 2008, 360. Die Behauptung, im Verein CATwürde demgegenüber Tanz eher im additiven oder substitutiven Sinn verstanden, wird allerdings nicht überzeugend belegt. 544 Enzner-Probst 2008, 360. 545 Enzner-Probst 2008, 361. 546 Vgl. Enzner-Probst 2008, 362.

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Der Körper in seiner energetischen, resonanten und transformativen Dimension verändert die ,Stimmung‘ und bewirkt in sich selbst und anderen Transformation, etabliert veränderte Energie, Bewusstseins- und Wahrnehmungsebenen, die in jedem Fall religiös, im Bereich des christlichen Gottesdienstes dann aber theologisch interpretiert werden müssen.547

Sie äußert die Hoffnung, der Tanz werde nicht nur die Praxis, sondern auch das theologische Verstehen des Gottesdienstes verändern. Die liturgische Performance ist auf die „Erneuerung von Kirche ausgerichtet“548. Im Blick auf gendertheoretische Überlegungen im Zusammenhang der Strategie des undoing gender kommt Tanz in Frauenliturgien eine bedeutende Rolle zu. Die mit Tanz und mit dem Gottesdienst insgesamt verbundenen Transformationsprozesse wirken sich auf übernommene Genderrollen aus. Enzner-Probst postuliert eine Unterbrechung der Dichotomien von Natur und Geist, Körper und Geist sowie von Sex und Gender, da sich Frauen das vorprädikative Symbolisieren wieder aneignen.549 Die Kategorie der Differenz wird geschärft, normierende Frauenbilder in Gesellschaft und Kirche entschärft.

5.3.7 Theologische Relevanz corporeal-performativer Gottesdienstgestaltung Der Beitrag zur theologischen Relevanz der corporeal-performativen Gestaltung von Gottesdiensten arbeitet folgende Gesichtspunkte heraus. Zunächst wird die liturgietheologische Bedeutung von Corporealität und Performativität erhellt und anschließend der Gottesdienst als Raum des ungeteilten Daseins, gemeinschaftlicher ,Sinn-Geburt‘, heilsamer Wandlung und Überraschung theologisch qualifiziert. Da auch für Tanzgottesdienste die theologischen Ausführungen in weiten Teilen Gültigkeit besitzen, lohnt sich ein kurzer Blick darauf. Zunächst kann die religionssoziologische These, das verstärkte Auftreten performativer Kunstarten sei Zeichen einer Kulturkrise, für das Verständnis des Kirchentanzes etwas beitragen. Wenn Enzner-Probst annimmt, die corporeale, performative Praxis von Frauenliturgien sei als Versuch einer kritischen Revision von Gottesdienstpraxis zu werten, möglichst um „zu einer neuen, Frauen einschließenden symbolischen Ordnung in der Kirche zu gelangen“, dann könnte dies analog auch für die Praxis von Kirchen-Tanzenden anzunehmen sein. Erwartungen und Reformwünsche sollten demnach unter den Perspektiven sein, unter denen die Aussagen Tanzender zu bündeln

547 Enzner-Probst 2008, 362. 548 Enzner-Probst 2008, 363. 549 Vgl. Enzner-Probst 2008, 381.

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sind550. Die Betonung von Corporealität und Performativität hebt verschiedene liturgietheologische Themen auf die Tagesordnung: das Präsentische oder ,qualifizierte Dasein‘ als schöpfungstheologische Interpretation von Wirklichkeit, das Mitsein mit Anderen in einer pneumatologisch zu interpretierenden kommunikativen Gemeinschaft und der Wandlungscharakter liturgischer Feiern, in dem die soteriologische Dimension des Gottesdienstes zu Tage tritt. In Teil C dieser Arbeit wird zu überprüfen sein, inwiefern diese liturgietheologischen Themen durch die Untersuchung der Wirklichkeit Kirchentanzender bestätigt werden können. Corporealisierung bedeutet im Gottesdienst „Ich zeige mich – ganz!“551. Die Tatsache, dass Menschen im Gottesdienst ganz da sein dürfen, bedeutet die Bejahung des Gut-Seins der Schöpfung. Wenn das Gute und dessen Begrenzung im Leiden vorkommen, Charismen und Fragmentarisches sowie die Sinne angesprochen werden, dann wird Gottesdienst gefeiert im Sinne eines qualifizierten Daseins. Daraus erwächst Ermutigung, sich in aller Ambivalenz anzunehmen.552 Damit verbunden ist eine Sicht des Gottesdienstes als Raum der grundsätzlichen Akzeptanz. Die Sinndimension von Corporealität kann nicht unabhängig vom Körperlich-Materiellen gebildet werden, quasi als Hintersinn oder additiv hinzugefügte arbiträre Bedeutung. Gottesdienst wird als Raum bestimmt, in dem die Feiernden nicht nur regressiv Bestätigung erfahren, sondern auch progressiv gemeinsam Sinndeutung gestalten.553 Dem Vertrauen in die Wirkung des Wortes allein werden damit Grenzen gesetzt. „Wenn Wirklichkeit dazu auffordert, sich an ihrem fortwährenden Ereignis verantwortlich zu beteiligen, so wird jede bewusste Wahrnehmung, alles verantwortliche Handeln zu einem schöpferischen Akt.“554 Die Erkenntnis der durch Übung steigerungsfähigen corporealen Präsenz lässt an eine Wiederbelebung der Aszetik als Lehre von der ganzheitlichen Übung von Corporealität denken. Liturgische Präsenz von Verantwortlichen fängt bei corporealer Präsenz an.555 Ein Gottesdienst, der Corporealität zulässt und wahrnimmt, zeigt sich vielstimmig. Wird Vielstimmigkeit mit dem Konzept resonanter Kommunikation verbunden, entsteht Neues, ohne dass eine übergeordnete Struktur diese ,bändigen‘ müsste.556 Sich-zeigen geht mit der Wahrnehmung des Sichzeigens der anderen einher. Durch Partizipation, die von bloßem Aktionismus zu unterscheiden ist, entsteht der Gottesdienst als gemeinschaftliches Ereignis. Fließen von Energie untereinander und die Unverfügbarkeit des Entste550 Bündelnde Begriffe in diesem Sinn werden in Teil B unter anderem „Zeitdiagnose“ und „Kirchenkritik“ sein. Vgl. B 2.1.4 und B 2.1.5. 551 Enzner-Probst 2008, 416. 552 Vgl. Enzner-Probst 2008, 417. 553 Vgl. Enzner-Probst 2008, 419. 554 Enzner-Probst 2008, 419. 555 Vgl. Enzner-Probst 2008, 420–423. 556 Vgl. Enzner-Probst 2008, 422.

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henden können vorsichtig pneumatologisch interpretiert werden. EnznerProbst bietet statt der in westlicher Theologietradition vorherrschenden spiritualisierenden oder individualisierenden Verengung des Geistbegriffes eine Alternative in Rückbindung an corporeal fundierte biblische Vorstellungen vom Wirken des Geistes. Im Gottesdienst manifestiert sich die Gegenwart des Geistes corporeal-relational. Die Kraft des Geistes schafft den Zwischenraum, in dem sich Verstehen ereignet und gemeinschaftlich Sinn geboren wird. Bei performativer Praxis ist die Möglichkeit des Misslingens realistisch einzubeziehen. Das Ereignis, das Eigentliche ist nicht machbar. Letztlich wird auch das, was gelingt, immer „zurückbleiben hinter dem, was möglich ist und sich zeigen will.“557 5.3.8 Fazit Die innovative Arbeit bedenkt bereits wesentliche Perspektiven des Potenzials von Tanz im Gottesdienst. Auf der Basis von Liturgiesammlungen, die formale Beschreibungen und gelegentlich Einblicke in die erwarteten und erfahrenen Wirkungen bieten, kann die zentrale Kategorie Performativität allerdings lediglich für den Kontext Frauenliturgien herausgearbeitet werden. Eine ausreichende Wahrnehmung der ästhetischen Erfahrung ist im untersuchten Liturgiekontext aufgrund der Grenzen der Methodologie nicht möglich. Dazu sind weitere Wege empirischer Forschung in Betracht zu ziehen. Teil B und C dieser Arbeit leisten einen solchen weiterführenden Beitrag.

5.4 Körper und Bewegung in der Bildungsarbeit Eine verstärkte Wahrnehmung des Körperlichen in der Religionspädagogik und kirchlichen Bildungsarbeit ist zeitgleich zur Formierung einer Kirchentanzszene erfolgt. Die im Folgenden skizzierten Ansätze stellen meines Erachtens eine Weiterführung der bisher erwähnten Veränderungen der Körperkonzepte im Zuge neuer Praktiken der Körperkulturbewegung um die Wende zum 20. Jahrhundert, Einsichten der Phänomenologie und neuer Konzepte der Religions- und Gemeindepädagogik nach der anthropologischen Wende dar. Tanz wird zunächst nur gelegentlich in Betracht gezogen. Die wenigen neueren Monographien zu Tanz werden anschließend vorgestellt.

557 Enzner-Probst 2008, 426. Sie bezieht sich hier auf das Identitätskonzept von Henning Luther.

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5.4.1 Bibliodrama In der Diskussion bibliodramatischer Praxis in der Praktischen Theologie seit den 1980er Jahren rückte die performative558 Dimension zunehmend ins Bewusstsein. Bibliodrama hat sich inzwischen in verschiedene Handlungsfelder hinein ausdifferenziert; am stärksten ist sie in der Erwachsenenbildung verortet.559 Als gewinnbringend – auch im Blick auf tänzerische Möglichkeiten der Bibelauslegung – erweist sich die Auflösung des Gegensatzes von Textund Personbezug durch die bibliodramatischen Methoden560. Männer und Frauen mit und in ihren Körpern sind die zentralen Medien der Erschließung biblischer Texte und Themen, ihre Körper können als „Aufführungsort“561 bezeichnet werden. Begegnung tritt als Schlüsselkategorie hervor.562 In praktischer und theoretischer Literatur zu Bibliodrama scheint Tanz überraschenderweise keine große Rolle zu spielen. Marcel Martin hebt jedoch den Einfluss der Ausdrucks-Tänzerin Katya Delakova auf die Szene von Körperarbeit und Bibliodrama in Europa hervor563. Sie arbeitete mit Tanz zur Verwirklichung „sozialistischer und ästhetischer Befreiung“ und entwickelte in ihrer eigenen Schule die art of movement, in die auch Elemente aus dem Volkstanz einflossen.564 Zu lernen ist von einer solchen Tänzerin: Wohin ich wirklich mein Bewußtsein schicken, wofür ich innere Vorstellungen entwickeln kann, dort werde ich lebendig, dort gelingen auch Bewegungsabläufe, ja Lebensbewegungen, die bis dahin so gut wie nicht ,machbar‘, weil im Tiefsten nicht vorstellbar erschienen.565

Ein neuer Zugang zum Körper, bei dem Bewusstsein und Bewegung sich wechselseitig beeinflussen, kann durch eine Art neurologischen und geistigen Nachreifungsprozess entstehen.566 Hierbei scheinen bei Martin körperliche Erfahrungen in einer vom Tanz inspirierten Körperarbeit Bedeutung erlangen zu können. Zivilisationsbedingt degenerierte Körper, sogenannte ,tödliche Körper‘ lassen sich ,auferwecken‘.567 Zur Überwindung des nachhaltigen 558 Enzner-Probst sieht darin Ähnlichkeiten zur liturgischen Praxis in der Frauenliturgiebewegung. Vgl. Enzner-Probst 2008, 238. 559 Vgl. Rosenstock/Rosenstock 2003. Bibliodrama entstand vorwiegend im evangelischen Raum, wurde in der katholischen Kirche jedoch auch aufgegriffen. Der Boom scheint in Deutschland gegenwärtig allerdings bereits vorbei zu sein, während in anderen europäischen Ländern das Interesse weiter steigt. Vgl. Aigner 2015, 185. 560 Vgl. die Rezension von Elisabeth Naurath zu Aldebert 2001. Naurath 2003, 134–137. 561 Martin 1995; Keßler 1996. 562 Vgl. Aldebert 2001. 563 Vgl. Martin 1995, 22 f. 564 Martin 1995, 22. 565 Martin 1995, 23. 566 Vgl. Martin 1995, 23. 567 Vgl. Martin 1995, 27.

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Eindrucks christlicher Ikonographie des Abendlandes mit dem toten Corpus Christi in seiner Mitte sind Bilder der Lebendigkeit und Berührung aufzurichten, der ,Auferstehungsleib‘.568 Die Metapher vom Leib Christi569 für die leibhaftig existierende Gemeinde gibt der bibliodramatischen Körperarbeit die Anbindung an Leben schaffende Bilder. Im Bibliodrama-Prozess haben Körper, Bewegungs- und Wahrnehmungsübungen unterschiedliche Funktionen, sie zentrieren und regen die Teilnehmenden zum Experimentieren, zum Ausdruck wie auch zum Eindruck an.570 In den Übungen eröffnen sich „unendliche Spielmöglichkeiten“571. Leistungsdruck entsteht nicht, jeder bewegt sich selbstbestimmt, in Eigenregie. Die Bewegung fördert Wahrnehmung und Interaktion. Der von Martin favorisierte linguistisch-strukturalistische Bibelzugang572, eine synchrone Textanalyse an elementaren Strukturen entlang, wird im Kirchentanz in seinen bibelorientierten Varianten wieder aufgegriffen.573 Daher gelten die folgenden Beschreibungen auch für die im Tanz erarbeiteten Bibelauslegungen, etwa im bibliodans und ähnlichen Formaten. Die Mehrdeutigkeit von Texten wie auch von Erfahrung wird geachtet. Bibliodramatische Textauslegung vollzieht sich in der „Interleiblichkeit einer mündigen Gemeinschaft“574. Schamgrenzen, die von den Agierenden selbst registriert werden, schützen vor Entblößung oder Verletzungen.575 Während bei Keßler die Rolle des Körpers in der Bibelarbeit zuweilen ein wenig einseitig das Sichtbarmachen von Text576 betrifft, da Körper sichtbar sind, kann sie der Körperarbeit ein Potenzial für die Selbst-Erfahrung zugestehen: „Die Körperarbeit führt den Menschen sich selbst zu.“577 Für das Weiterdenken der Erfahrungen aus dem Bibliodrama scheint mir für tänzerische Bibelarbeit die Erkenntnis festhaltenswert, dass es um einen Zugang zur Exegese für alle, also auch für Laien geht. Laien werden ermächtigt, in der Begegnung mit biblischer Sprache ihre eigene, leibliche Sprache zu entwickeln. Dem Körper wird eine Form von Denkvermögen und die Fähig568 Vgl. Martin 1995, 28. 569 Vgl. Martin 1995, 29. 570 Vgl. Martin 1995, 31. Von großer Bedeutung ist Körperarbeit in der Eingangs- und Anwärmphase. Vgl. Keßler 1996, 49. Vgl. Aigner 2015, 60 f. 571 Keßler 1996, 50. 572 Vgl. Martin 1995,43–47. Vgl. Keßler 1996, 45–48. 573 Dies trifft auf die Arbeit von Ri tte Beurmanjer u.v.a. zu, die ihren bibliodans als Schwesterchen des Bibliodrama bezeichnet. 574 Keßler 1996, 174. 575 Vgl. Keßler 1996, 174. 576 Eine deutliche Textorientierung vor der Erfahrungsorientierung wird auch von Sunny James C. zu Panitz vertreten. Vgl. Zu Panitz, Sunny James C. (1996): Bibliodrama. Teilhabe an Wirkung und Inhalt der Heiligen Schrift, Waltrop. Im Bibliodrama hat die Eigenständigkeit und Vieldeutigkeit des Textes Vorrang vor der sinnlichen Wahrnehmung und der Selbsterfahrung, es kann dennoch als spiritueller Übungsweg angelegt werden. Vgl. Radeck 1998. 577 Keßler 1996, 183.

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keit zu eigenem Wissen zugeschrieben. Zuweilen werden ethische Konsequenzen der Bibliodramaarbeit ins Auge gefasst sowie deren Möglichkeiten als kirchliche Kulturarbeit gesehen.578 Dies hängt mit einer theologischen Deutung des Körpers als Ort von Transformation zusammen. Im Spiel ereignet sich Theodramaturgie579 insofern, als das Gottesverständnis der Spielenden inszeniert wird und zudem bei den Zuschauenden Resonanzen entstehen können. Somit handelt es sich um eine spirituelle580 Praxis. Die enge Beziehung dieser Spiritualität zu Musik, Atem, Stimme, Klang und Körper lässt an eine Offenheit für tänzerische Arbeit mit der Bibel denken. Allerdings kann ich in den etablierten Netzwerken und Szenen581 noch kaum582 die tänzerische bibliodramatische Arbeit entdecken. Dies bedeutet, dass die in dieser Weise arbeitenden Kirchentänzer_innen sich eher in Tanznetzwerken als in Bibliodramanetzwerken integrieren.

5.4.2 Performative Religionsdidaktik Die Herkunft der performativen Religionsdidaktik583 erklärt sich aus der gestiegenen Bedeutung der Korporalität. Im Anschluss an den body turn in den Kulturwissenschaften der 1970er und besonders im Körperjahrzehnt der 1990er Jahre entwickelte sich eine umfassende Körperkultur, die neue Körperkonzepte bietet. Dies zeigte sich auch in der Theologie, und zwar besonders in der Gottesdiensttheorie und in der Religionspädagogik. Ein praktischtheologischer Diskurs über Körperlichkeit mit den Schlüsselkategorien Raum und Körper wurde angeregt. „Religion selbst wird in dem leiblichen Vollzug religiöser Praxis wirklich, kommt dort zum subjektiven Ausdruck und zum 578 Vgl. Teichert 2001. 579 Vgl. Teichert 2001. 580 Von Corinna Dahlgrün werden Bibliodrama-Methoden zu den Methoden und Medien christlicher Spiritualität gerechnet. (Bedauerlicherweise wird Tanz in der umfangreichen Monographie lediglich bei den Praktiken pfingstlicher Gemeinden kurz gestreift.) Vgl. Dahlgrün 2009, 569–573. 581 Ohne den Begriff näher zu begründen oder herzuleiten, verwendet Aigner im Blick auf die europaweiten Aktivitäten im Bibliodrama den Terminus „Bibliodrama-Szene“ im Singular. Vgl. Aigner 2015, 180 ff. In der Charta des Europäischen Bibliodramanetzwerkes EBN finden sich zwar durchaus für tänzerische Methoden offene Formulierungen, allerdings an keiner Stelle die explizite Nennung dieser Möglichkeit. Kreative Inszenierung ist für Bibliodrama konstitutiv, ebenso Methodenvielfalt, und in der Ausbildung werden Körper und Bewegung geschult. Vgl. http://www.bibliodrama-ebn.eu/documents/GrundsatzpapierEuropaeisches NetzwerkBibliodrama.pdf (2016/01/05). 582 Möglicherweise bildet das Netzwerk Playing Arts eine Ausnahme. Tanz ist auch hier allerdings nicht ausdrücklich vertreten. Vgl. www.playing-arts.de (2016/01/05). Explizit hat W.Ortspiel – Werkstatt für Bibliodrama e.V. Tanz mit im Programm: http://www.wortspiel-bibliodrama.de/ uploads/media/Wortspiel_Prog_2015.pdf (2016/01/05). 583 Vgl. Roth 1997; Vgl. Mendl 2006; Vgl. Dressler 2007; Vgl. Klie/Leonhard 2008; Vgl. Mendl 2008; 42; Vgl. Roth 2006/2011.

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intersubjektiven Austausch.“584 Mit dem Bezug auf den leiblichen Vollzug sind die Performativität von religionsdidaktischen Zeigehandlungen und die mimetischen Prozesse im probeweisen Tun der Schüler_innen angesprochen. Die am Religionsunterricht Teilnehmenden erfahren ihren Körper ganz neu, nämlich als Bühne.585 Der Begriff Performativität bezieht sich auf das Zusammenspiel von Produktion und Rezeption, er bündelt Inszenierung, Korporalität und Wahrnehmung. „Als performativ gelten dementsprechend solche Vorgänge, die sich in der synchronen Produktion und Rezeption von Zeichen vollziehen und nichts als die Erfahrung der Beteiligten hinterlassen.“586 Unterricht muss nicht erst performativ gemacht werden, er ist immer schon performativ: „Man kann nicht nicht inszenieren.“587 Dies erklärt sich, wenn die Kennzeichen des Performativen näher betrachtet werden. Bei einer Performance handelt es sich um ein Live-Ereignis, das in der leiblichen KoPräsenz der Akteure und Zuschauer zustande kommt, es ist nur im Moment des Vollzugs greifbar und hinterlässt kein materielles Produkt. Das transformative Potenzial der Performance und damit auch des Religionsunterrichts ist wegen des Vollzugscharakters hervorzuheben. Performances konstituieren Wirklichkeit, da allen Beteiligten neue Körper und Geist bewegende Erfahrungen ermöglicht werden. Es werden Erfahrungsräume geschaffen, in denen ein neues Selbst- und Weltverständnis erprobt werden kann.588 Der Unterrichtsgegenstand wandelt sich von gelehrter in gelebte Religion.589 Das Methodenspektrum eines leiblichen, performativ angelegten Religionsunterrichts ist deutlich ausgeweitet gegenüber dem früher vorherrschenden textorientierten. „In diesem Zusammenhang finden Elemente von Theaterund Spieldidaktik, Gestaltpädagogik inkl. Psychodrama, Sensory Awareness, Kinesiologie und anderen körper- und bewegungsorientierten Ansätzen, religionspädagogisch-praktisch das Bibliodrama, Begehungen und liturgischer Tanz zunehmend Anklang.“590 Als eine der wenigen Religionspädagog_innen nimmt Elisabeth Buck in ihren zahlreichen, auch theoretisch gut fundierten Praxisbänden ausdrücklich tänzerische Methoden auf.591 Darin finden sich neben Bewegungsspielen Choreographien zu Chorälen und Liedern592 sowie Hinweise zur Anleitung freier tänzerischer Bewegung. Neuere religionspädagogische Monographien593 zu Tanz liegen zwar inzwischen von Siegfried 584 585 586 587 588 589 590 591 592 593

Roth 1997, 42. Vgl. Roth 1997, 42 f.; Ebenso Buck. Roth 1997, 48. Husmann 2008. Vgl. Roth 1997, 49. Vgl. Leonhard 2008. Leonhard 2006, 22. Vgl. u. a. Buck 2010; dies. 2005. Vgl. Bubmann/Schnütgen 2014, 177–189, hier besonders 186 f. Eine knappe Darstellung religionspädagogischer Werke vor dem Jahr 2000, die Tanz thematisieren, findet sich bei Macht 2000, 25 ff.

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Macht und Petra Pfaff vor, allerdings nicht unter der Theorie-Perspektive der Performativität. Diese Schriften bearbeiten neben dem Feld des schulischen Religionsunterrichts auch die Gemeindepädagogik.

5.5 Tanz in der Praktischen Theologie Die Schwierigkeit, sich mit dem nach Tanzstilen bereits stark ausdifferenzierten Kirchentanz wissenschaftlich auseinanderzusetzen, spiegelt sich einerseits darin wieder, dass es nur wenige neuere monographische Werke594 dazu gibt, andererseits die Wahrnehmung mehrerer Tanzstile bislang noch nicht in solchen Formaten595 versucht wurde. Dies liegt vor allem daran, dass die meisten Veröffentlichungen programmatisch vorgehen und empirische Forschungen, wie sie für die vorliegende Arbeit durchgeführt wurden, bislang keine Rolle spielen. Das Thema Erfahrung wird nicht eigens bearbeitet, mit ästhetischer Erfahrung beschäftigt sich keine der gesichteten Arbeiten. Lediglich Enzner-Probst (vgl. A 5.3) und Koch beziehen empirische Methoden in ihre Forschung mit ein. Enzner-Probst wertet Gottesdienstprogramme und Tanzbeschreibungen aus, sie führt keine methodisch kontrollierten und dokumentierten Gespräche. Koch gibt an, sie verwende Methoden ethnologischer Feldforschung. Allerdings bleibt die Methodik unscharf und wenig nachvollziehbar. Einen Vorstoß in die Richtung, nach dem zu fragen, was die Tanzenden tun und wie sie ihr Tun deuten, erkenne ich in der von ihr durchgeführten Forschung anhand von Fragebögen. Die Auswertung ist nachvollziehbar und methodisch abgesichert, lässt aber keinen tieferen Einblick in Denken und Erleben der Tanzenden zu. Zunächst werden in der Absicht, einen Forschungsüberblick596 zu bieten, aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Werke von Teresa Berger und Ronald Sequeira dargestellt, die Tanz im Zusammenhang mit Liturgie reflektieren. Anschließend werden als Beispiele für Veröffentlichungen seit der Jahrtausendwende die Bücher von Macht, Koch und Pfaff kurz vorgestellt. Der 594 Eine von Gereon Vogler zusammengestellte Bibliographie zu Tanz in Liturgie und christlicher Spiritualität mit Anspruch auf Vollständigkeit kann unter www.kirchentanz.de eingesehen werden (2016/01/06). Nur die neueren Werke stehen in Bezug zu dem Phänomen Kirchentanz im 20. Jahrhundert. Die älteren übergehe ich daher. 595 In der sogenannten Anleitungsliteratur sowie in Sammelbänden (vgl. Vogler/Sudbrack/ Kohlhaas 1995; Kreutz 2000) und Tagungsbänden (vgl. Vogler 1991; Vogler 1992) werden dagegen eine Vielzahl von Stilen reflektiert sowie Grundfragen zum Tanz in der Kirche erörtert. Die wichtigsten Gedanken erhalten Raum u. a. in der Darstellung der Geschichte des Kirchentanzes unter A 7.1 bis 7.3. 596 A 5.5 bietet einen Forschungsüberblick im engeren Sinne, da die vorgestellten Monographien Tanz als Hauptthema behandeln. Das in A 5.3 dargestellte liturgiewissenschaftliche Buch von Enzner-Probst ist insofern ebenfalls Teil des Forschungsüberblicks, als es sich in Teilen mit Tanz auseinandersetzt.

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Reihung der Monographien liegt die Chronologie der Erscheinungsdaten zugrunde. Diplom597- oder Masterarbeiten598 wurden nicht berücksichtigt. 5.5.1 Tanz als Gebet: Ronald Sequeira In Reaktion auf die verstärkt in den 1970er und 80er Jahren auftretende neue Praxis des liturgischen Tanzes kommen Fragen auf, die von Ronald A. Sequeira (1938–2016)599 aufgegriffen und liturgiewissenschaftlich bearbeitet wurden. Der indische Katholik beeinflusste die damalige Lage in den Niederlanden und Deutschland durch seine Veröffentlichungen, aber auch durch praktisches Engagement. Auf dem Hintergrund der ausdifferenzierten Gebärdensprache der klassischen indischen Tanzkunst entwickelte er unter anderem ein Modell für das Vaterunser. Weitergeführt wurde diese Idee für den europäischen Kontext auf Seminaren, Gemeindewochenenden und Kirchenbzw. Katholikentagen. Die Tatsache, dass Tanz unter anderem als Medium der Kommunikation des Evangeliums in der Praktischen Theologie in den Blick gekommen ist, verdankt sich nicht zuletzt den Arbeiten Sequeiras.600 Der in Mumbai aufgewachsene und bei Karl Rahner promovierte Theologe macht auf die „Bedeutung von Gebärden und Bewegungen in der Kommunikation mit Gott aufmerksam.“601 Sequeira fordert die Gleichberechtigung von Wort, Ton und Bewegung in der Liturgie. Der Gottesdienst ist ein Fest. In ihm soll eine liturgische Gebärdensprache als „Gebetsgut aller Christen“602 praktiziert werden. Ohne zeitgemäße Gebetsgebärden sei die Liturgie nicht zu erneuern.603 Damit sind neue liturgische Bewegungssymbole gemeint, die die bisher üblichen Körperhaltungen ablösen. Dem Gottesdienst angemessen ist das Niveau symbolisch-sprachlicher Bewegung im Gegensatz zu rein rhythmischer oder mimisch-pantomimischer Bewegung.604 597 Zahlreiche theologisch ausgebildete Aktive der Kirchentanzbewegung haben ihre Diplomarbeiten oder andere wissenschaftliche Abschlussarbeiten in unterschiedlichen Studiengängen zu relevanten Themenstellungen verfasst, z. B. Manfred Büsing, Anke Kolster, Frieder Mann, Deborah Burrer, Heike Klaas und viele andere. 598 Z. B. die Masterarbeit von Helga Barbara Gundlach Sonnemann 2000. Ihr Buch wird lediglich in der Darstellung des Diskurses von in der Kirchentanzbewegung engagierten Autor_innen berücksichtigt. Vgl. A 7.2. 599 Vgl. Sequeira 1977a und 1977b, 1980. 600 Vgl. Grethlein 2012. 601 Grethlein 2012, 543. 602 Sequeira 1977b, 135. 603 Vgl. Sequeira, unveröffentlichter Brief an Teresa Berger vom 16. 4. 1980, zitiert in: Berger 1985a, 44. Koch u. a. sieht dieses Anliegen Sequeiras kritisch, da vor allem ein gemeinsamer Deutungshorizont einer solchen Sprache fehle. Dies lasse „das Gewinnen einer Verbindlichkeit nonverbaler Ausdrucksform als unrealistisch erscheinen.“ Koch 2002, 208. Besser wäre, von authentischen Bewegungen auszugehen. Vgl. Koch, ebd. 604 Vgl. Sequeira 1977b, 174. Berger bezweifelt den Wert dieser Unterscheidung, um die Liturgiefähigkeit von Bewegung anzugeben. Vgl. Berger 1985a, 47.

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Problematisch erscheint das auf Gebetsausdruck verengte Tanzverständnis Sequeiras.605 Das dieser Arbeit zugrunde liegende Verständnis von Tanz wird die Überlegungen über diese bereits gelegentlich in die Praktische Theologie integrierten Impulse Sequeiras hinauszuführen haben.

5.5.2 Bewegte Spiritualität – getanzte Gottesdienste: Teresa Berger Die katholische Liturgiewissenschaftlerin Teresa Berger (*1956)606 versucht, den in Frauenliturgien entwickelten Tanz für Gottesdienstfeiern in der ganzen Gemeinde fruchtbar zu machen. Erfahrungen in der anglikanischen Kirche veranlassten sie zu dem Vorhaben, der Bewegung als elementarer Ausdrucksdimension im Gottesdienst einen Platz zu geben.607 Die Veröffentlichung Liturgie und Tanz aus dem Jahr 1985 zeigt anthropologische Aspekte, historische Daten und theologische Perspektiven auf. Berger profiliert ihr Anliegen als Tanz, der „Grundausdrucksweise des glaubenden Menschen“ sei.608 Damit kommen alle Teile des Gottesdienstes für die tänzerische Umsetzung in Betracht, nicht nur die Gebete wie bei Sequeira. Um die Liturgiefähigkeit von Bewegung zu beurteilen, schlägt sie eine kontextuelle Vorgehensweise vor, denn Bewegungen seien „fast nie eindeutig“609. Folgendes Beispiel führt sie an: „Ich erinnere mich an einen Tanz, den Kinder in einem Gottesdienst aufführten. Ihre Bewegungen waren rein rhythmischer Art. Aber allein durch die Tatsache, daß sie um den Altar tanzten, erhielten ihre Bewegungen eine intensive Aussagekraft.“610 Berger reflektiert die von ihr anvisierte Praxis des liturgischen Tanzes theologisch. Dabei ist ihr Ziel nicht die Entwicklung einer neuen exotischen Genitiv-Theologie, sondern die Reflexion des Problems des Tanzes von einer theologischen Perspektive aus. Theologische Fragen werden auf der Basis der phänomenologischen Bestimmung von Tanz erörtert. Tanz betont – im Einklang mit der biblischen Anthropologie – die Körperlichkeit positiv. Darüber hinaus geht es um die „Realität menschlicher Existenz“611, mithin die Grundsituation des Daseins. Der Tanz kann die Theologie in dieser Hinsicht etwas lehren.612 Weder theologische Aussagen zu 605 Vgl. Berger 1985a, 45 f. 606 Berger lehrt ökumenische Theologie und Liturgik. Ihre Veröffentlichungen zu Tanz sind im Kontext eines feministischen Ansatzes der genderwissenschaftlichen Erneuerung der Liturgik zu sehen. Obwohl in den USA tätig, ist sie kein Mitglied der Sacred Dance Guild. 1994 wurde ihr von der Kirchenleitung das nihil obstat verweigert, als sie auf einen Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft der Ruhruniversität Bochum berufen wurde. In mehreren Veröffentlichungen äußert sie sich zu liturgischem Tanz. Vgl. Berger 1982, 1983, 1985a, 1985b, 1987, 1988. 607 Berger 1982, 339. 608 Vgl. Berger 1985a, 46. 609 Berger 1985a, 48. 610 Berger 1985a, 48. 611 Berger 1985a, 50. 612 Vgl. Berger 1985a, 50.

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Klärungen

Schöpfung noch zu Erlösung kommen an der Leiblichkeit vorbei. Nicht von der Erlösung vom Leib ist theologisch zu reden, sondern von der Erlösung des Leibes. Das fragmentierte Menschenbild eines Leib-Seele-Dualismus ist nicht aufrechtzuhalten.613 Die Erfahrung der Einheit mit sich selbst verbindet sich mit der von Freiheit. Dies kann eschatologisch gedeutet werden: „Bis zu einem gewissen Grad sehe ich im Tanz eine ,eschatologische Vorfreude‘ gegeben dadurch, daß er nicht-alltägliche Erfahrungen vermittelt, die an Ahnungen und Hoffnungen der menschlichen Existenz rühren, welche hier und jetzt nur als Augenblickserfahrungen und in Vergänglichkeit existieren können.“614 In der Flüchtigkeit des Tanzes liegt ein Hinweis auf die menschliche Vergänglichkeit.615 Das Schöpferische des Tanzes drückt einen Aspekt der Gottebenbildlichkeit aus. Diese schließt die geistige und leibliche Dimension ein. Berger verabschiedet die Vorstellung von Gott als unbewegtem Beweger.616 Ihr Fazit lautet daher: Tanz beinhaltet auf eine faszinierende Art und Weise Aspekte, die in die Theologie übersetzt, auf Schöpfung, Inkarnation, Erlösung und Vollendung verweisen, und damit menschliche und glaubende Existenz nachzeichnen.617

Zum Ausdruck des Glaubens kann Tanz aufgrund seines Symbolwertes werden. Diesen hat der Tanz bereits als Tanz, da er eine „jenseits seiner Zeichenwelt vorgegebene Wirklichkeit besagt“618. Bedeutung erhält der konkrete Tanz im Kontext seines Erfahrungshorizontes, das heißt innerhalb des Gottesdienstes.619 Dem Menschen, auch dem glaubenden eignet die Fähigkeit zur Symbolbildung. Tanz stellt eine Möglichkeit dar, neue Symbole zu bilden. Die kirchlichen seien nicht mehr tragfähig, da sie den Zusammenhang mit außerkirchlicher Realität verloren hätten.620 Tanz und Gebärden sind sowohl als Glaubensausdruck wie auch als Glaubensvollzug anzusehen.621 Berger ist sich der Notwendigkeit bewusst, eine Semiotik von Tanz und Bewegung zu entwerfen.622 Werden die Phänomene Tanz und Gottesdienst in Beziehung gesetzt, ergeben sich Affinitäten in der Festlichkeit wie auch in der Fähigkeit beider Größen, durch ihren Vollzug zum Symbol zu werden.623 In der Theorie werden die Konzepte Gottesdienst, Fest und Tanz zwar inzwischen selbstverständlich 613 614 615 616 617 618 619 620 621 622 623

Vgl. Berger 1985a, 51. Berger 1985a, 52. Vgl. Berger 1985a, 52. Vgl. Berger 1985a, 53. Berger 1985a, 54. Berger 1985a, 54. Vgl. Berger 1985a, 55. Vgl. Berger 1985a, 56. Vgl. Berger 1985a, 56. Vgl. Berger 1985a, 57. Vgl. Berger 1985a, 58.

Körper, Bewegung und Tanz – praktisch-theologische Perspektiven

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nebeneinander gestellt. Die Praxis bleibt dahinter zurück. Berger vermisst die Erfahrung des Gottesdienstes als Fest.624 Den letzten Grund des Festes sieht sie mit Joseph Pieper darin, „daß es gut ist, zu sein!“625 Tanz ist „festliche Bejahung, Zustimmung zu dem, was ist.“626 Festliches und Spiel kommen im Tanz zusammen.627 Zustimmend verweist sie auf Gerhard Marcel Martins Thesen zur Gottesdienstreform. Diese postulieren die „Kirche als progressive Subkultur“628. Dem entsprechen nach Berger Liturgien der Befreiung statt der Wiederholung einer Zwangskultur. Kritisch weist sie eine nur additive oder gelegentliche Integration des Tanzes im Gottesdienst zurück. Auf diese Weise reduziert würde Tanz den Charakter des Exotischen nicht verlieren. Entscheidend für einen Mentalitätswandel ist die Integration von Tanz und Bewegung in das individuelle Gebetsleben. In der Liturgie des Alltags zeigt sich, „wie bewegend und beweglich unser Glaube wirklich ist.“629 Für die Tanzpraxis im Gottesdienst bleibt das Desiderat, eine stimmige Terminologie zu entwickeln. Die Vielzahl der bislang verwendeten Begriffe trägt zur Unklarheit bei. Mit dem Begriff liturgischer Tanz ist bei Berger keine Festlegung auf Tanzstile oder -formen verbunden.630 Die Aufgabe weiterer Differenzierung ist damit noch nicht geleistet. Bergers Entwurf entspricht dem Ideal einer durch Tanz und Bewegung bereicherten individuellen Spiritualität und einer radikal gewandelten gottesdienstlichen Praxis. Inwieweit die Tanzenden den Wunsch nach allzeit tänzerisch bewegten Gottesdiensten teilen, wird anhand deren Äußerungen (Teil B) zu sehen sein. In Bergers aktuellen Veröffentlichungen spielt Tanz jedoch nur noch eine marginale Rolle, die Bewegungsdimension des Gottesdienstes im Spiegel der im römisch-katholischen Ritus traditionell vorgesehenen Gesten und Gebärden findet hingegen weiterhin ihre Beachtung.631 Daher vermute ich, dass sie den Anspruch, den Tanz als festen Bestandteil des Gottesdienstes zu konzipieren, nicht aufrechterhalten konnte.

624 625 626 627 628 629 630 631

Vgl. Berger 1985a, 60. Berger 1985a, 60 f. Berger 1985a, 61. Vgl. Berger 1985a, 62. Martin, Gerhard Marcel zitiert in: Berger 1985a, 63. Berger 1985a, 67. Vgl. Berger 1985a, 71. Siehe dazu die Einträge in ihrem Blog unter: http://www.praytellblog.com/index.php/author/ tberger/ (2016/01/05).

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Klärungen

5.5.3 Liedtanz in der Religions- und Gemeindepädagogik: Siegfried Macht Die Dissertationsschrift Mit Liedern tanzen. Der Liedtanz als Medium der Religionspädagogik632 des evangelischen Theologen und Kirchenmusikers erschien im Jahr 2000. Macht (*1956), der selbst tanzt und anleitet, erarbeitet mit dem Liedtanz eine eigene Form des Bewegens zu Liedern im Kontext schulischer und gemeindlicher Religionspädagogik und begründet diesen theologisch. Ausgehend von einer Verhältnisbestimmung von Theologie und Ästhetik fragt der Autor nach dem wechselseitigen Zusammenhang von Offenbarung und Kunst. Mit der Nachfrage nach Hermeneutik und Semiotik kommt ein erkenntnistheoretisches Interesse ins Spiel. Der Liedtanz wird versuchsweise zwischen den Polen von Authentizität und Ritualisierung eingeordnet. Die mögliche Rolle des Liedtanzes in unterschiedlichen aktuellen religionspädagogischen Konzeptionen wird konturiert. Vor einer ausführlichen theologischen Reflexion von Wesen, Chancen und Grenzen des Tanzes erörtert der Autor Tanz als geschichtliches Phänomen und nimmt Bezug auf biblische Perspektiven im Hinblick auf Leiblichkeit. Zuletzt werden wesentliche Elemente des Liedtanzes beschrieben und interpretiert. Die Bandbreite von religionspädagogischer Arbeit mit Liedtänzen zeigt sich im abschließenden Kapitel anhand von modellhaften Beispielen. Die theologische Verortung des Tanzes geschieht im Dreischritt von Schöpfungstheologie, Inkarnation und Rechtfertigung. Einer theologischen Legitimation des Tanzens wird eine Absage erteilt und gleichzeitig der Tanz als kulturelles Phänomen gleichermaßen von überhöhten Heilserwartungen wie auch vom Vorwurf ethischer Fragwürdigkeit befreit. Der Tanz muss „nicht mehr erwirken […] was Gott bereits geschenkt hat. Gerade in diesem entzweckten Grund macht der Tanz Sinn, bildet und lässt lernen.“633 Tanzpraxis sei theologisch zu diskutieren im Spannungsfeld von Gesetz und Evangelium. Damit verortet Macht seine Reflexion in klassischen protestantischen Kategorien. Gegenüber den in der Kirchengeschichte zahlreichen gottesdienstlichen Tanzverboten ist festzuhalten: Die „diakonische Qualifikation“, mithin die helfende Wirkung des stark beziehungsbezogenen Tanzes verleiht ihm „theologische Dignität“634, da es der Nächstenliebe entspricht, Gutes zu tun. Grenzen des Gebetstanzes im Gottesdienst werden durch das Beispiel der elitären Glossolalie markiert. Diese ist für andere unverständlich und besser im persönlichen Gebet verortet.635 Auch Gebetstanz kann als fremd oder unzugänglich aufgefasst wer-

632 633 634 635

Siegfried Macht unterstützt den Verein CAT durch seine Mitarbeit und Mitgliedschaft. Macht 2000, 285. Macht 2000, 154. Im 1. Korintherbrief äußert sich Paulus kritisch zur Glossolalie (Zungenrede) im Gottesdienst. Vgl. 1Kor 14.

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den.636 Möglicherweise legt Macht um der Verständlichkeit willen Wert auf den Bezug des Tanzes zu Liedtexten. Gerade der Liedtanz erweist sich als vielseitiges Medium, da Text, Musik und Bewegung darin einfließen.637 Elementare Formen sind für die generationenübergreifende Arbeit in der Gemeinde und für gottesdienstliche Praxis am besten geeignet. Damit greift Macht die Kategorie des Volkstümlichen in seinen Überlegungen auf. Er stellt die Vorteile von gebundenen Schrittfolgen heraus und hebt die Bildungschancen hervor als „Abarbeiten des Individuums an geprägter Form“638. So verstandener liturgischer Tanz hat feste Formen, ist auch im schulischen Religionsunterricht einsetzbar und vermeidet den Zwang zum authentischen Ausdruck. „Die (freigestellte) feste Form ist als die uns zugespielte so ins Spiel zu bringen, dass Rechtfertigungstheologie darin zum Unterrichtsprinzip wird.“639 Gerade weil der Mensch nichts machen muss, um zu seinem Heil zu kommen, nicht einmal tanzen, ist er befreit zu einem Leben in der „Gewissheit einer Gegenwirklichkeit, die sich auf den Menschen zubewegt“640 und kann als solchermaßen Befreiter auch erleben, wie dies tanzen lässt. Diese Argumentation, die implizit freien Formen wie Improvisation oder Tanzdrama durch den Begriff Zwang einen Verlust an Freiheit unterstellt, erscheint mir nicht schlüssig. Warum kann ein Mensch, der zum „Leben in der Gewissheit einer Gegenwirklichkeit“ befreit ist, dies am besten in einer festen Tanzform erleben? Gerade solche Annahmen, die sich auf das Erleben von Freiheit oder Zwanghaftigkeit beziehen, sollten durch empirische Forschung unterstützt werden, statt sie aus einer Mischung von Theologie und Ästhetik herzuleiten. In der Arbeit werden folgerichtig andere religionspädagogisch relevante Formen des Tanzens wie Ausdruckstanz oder Modern Dance nicht berücksichtigt, was Macht allerdings nicht als „Urteil über ihre Wertigkeit“ verstanden wissen will.641 Da empirische Forschungen fehlen, lassen sich keine Aussagen darüber treffen, welche Erfahrungen Tanzende beim Liedtanz machen. Einen Beitrag zur Diskussion der besonderen Ästhetik von Tanz stellt die eingehende Reflexion der Spannung von Form und Freiheit dar, die allerdings nicht immer ganz überzeugen kann.

636 Vgl. Macht 2000, 157. 637 Neben den theologischen Werken zu Tanz trägt Macht in zahlreichen praktischen Veröffentlichungen, in umfangreicher Seminartätigkeit in Lehrerbildung und Erwachsenenbildung, auf Tanz-Wander-Reisen, bei Angeboten auf Kirchentagen und seinen Kursen als Professor für Kirchenmusik in Bayreuth zur Verbreitung des Liedtanzes bei. Tanz in Kombination mit Gesang oder Musik wird von Macht auch als Medium in der Kirchenraumpädagogik vermittelt. Macht ist Experte für historische Tänze und bezieht sie wechselseitig auf evangelische Choräle. 638 Macht 2000, 286. 639 Macht 2000, 286. 640 Macht 2000, 286. 641 Macht 2000, 20.

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Klärungen

5.5.4 Die Spiritualität meditativer Kreistänze: Gabriele Koch Die katholische Theologin Koch (*1961) tanzt ebenfalls selbst.642 Sie verfügt über eine Ausbildung im meditativen Tanz643 und Erfahrungen mit Anleitung. Mit der religionswissenschaftlichen Studie Der formgebundene Tanz. Praxis, Chancen und Grenzen als religiöser Ausdruck und liturgisches Element promovierte sie an der Universität Mainz.644 Nachdem mit Sequeira, Berger und Macht programmatische Arbeiten besprochen wurden, verspreche ich mir zunächst von Koch, ein Modell zu erhalten, wie empirisch gearbeitet werden kann. Insgesamt stellt sich die Arbeit allerdings wiederum als programmatischer Entwurf dar, da der formgebundene Gemeinschaftstanz und seine Leistungen nicht aus der Empirie, sondern aus der Literatur begründet werden. Nach einer Klärung der Begriffe Tanz und Religion erläutert Koch in allgemeiner Form Grundsätze ethnologischer Forschung, da sie sich wissenschaftlich einem „randständigen Phänomen“645 widmet. Zu den Grenzen von Tanz-Forschung aus der Erste-Person-Perspektive merkt sie kritisch an: „das teilnehmende Beobachten und Erlernen eines Tanzes in einer anderen Kultur ermöglicht zwar das Hineingehen in die je andere Rolle, ist aber nicht der Schlüssel zum emotionalen und religiösen Leben einer anderen Kultur.“646 So bleibt auch das unklar, was sie in teilnehmender Beobachtung möglicherweise an Erkenntnissen gesammelt hat. Texte in dichter Beschreibung fehlen. In einem knapp gehaltenen empirischen Teil mit durch Fragebogen erhobenen Zustimmungen zu vorgegebenen Aussagen sucht Koch dann weniger die Perspektive Tanzender auf, um ihre Erfahrungen zu verstehen, als dass sie relativ allgemeine Daten ermittelt, um die untersuchte Tanzpraxis generell zu konturieren.647 Die Phänomenologie des Tanzes wird vorwiegend in historischer Perspektive entfaltet. Die Voraussetzungen der heutigen Praxis werden durch reichhaltiges Material informativ erläutert. Formgebundenen Gemeinschaftstanz charakterisiert Koch „als von vorgegebenen Bewegungs- und Schrittmustern ausgehend, die die Tänzer sich aneignen, bis sie den tragenden Grund einer automatisierten, rhythmischen Bewegung internalisiert haben, wobei wenig individuelle Bewegungsfreiheit und Improvisation vorgesehen ist.“648 Mit dem Tanz verbundene, von jeher überlieferte Gebärden, Gesten und Haltungen verortet sie „im Zusammenhang mit religiösem Vollzug in christlichem oder außerchristlichem Be642 Sie ist Mitglied im Verein CAT. 643 Weitere, zum Teil nicht wissenschaftliche Werke zu meditativem und sakralem Tanz können unter www.kirchentanz.de gefunden werden. 644 Sie erschien 2002 unter dem Titel: Spiritualität in Bewegung. Tanz als Gestalt religiösen Lebens. 645 Koch 2002, 28 ff. 646 Koch 2002, 37. 647 Vgl. Koch 2002, 152–163. 648 Koch 2002, 12.

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reich“649. Die Teilnahme großer Gruppen von Tanzlaien bringt die Entwicklung einfacher Bewegungselemente mit sich. In der Regel ist der Tanz nicht zur Aufführung gedacht. Meist werden die Formen mit Bezeichnungen wie Meditation des Tanzes, Meditativer Tanz oder Sakraler Tanz belegt. Sie sieht darin eine Praxis, die weniger auf Kirche als auf religiöse Offenheit hin ausgerichtet ist und dadurch eine Brücke bildet zu Menschen in ihrer Lebenswelt. Der formgebundene Gemeinschaftstanz stellt einen Begegnungsort für kirchenverbundene, -distanzierte und -fremde Menschen dar, wo praktischer Dialog im gemeinsamen Tun stattfindet, es entsteht ein Ort spiritueller Aufbrüche. Sowohl innerhalb der Großkirchen (überwiegend) als auch außerhalb hat sich hier ein Raum entwickelt, in dem innerkirchlich auch Kirchenferne und jenseits der Kirchen auch kirchenverbundene Christen einen Platz haben.650

Die speziellen Leistungen für Erfahrungen im Rahmen der Spiritualität der Tanzenden werden aus der Literatur abgeleitet. Sie siedeln sich bezogen auf die Kategorie Feier innerhalb der (polaren?) Strukturen von Sinne und Sinn, Form und Freiheit, Teilnahme und Teilhabe, Vermehrung und Vertiefung sowie Zweck und Spiel an. In Bezug auf die Kategorie Versammlung bewegen sich Tanzerfahrungen zwischen Einheit und Einheitlichkeit, bezogen auf den Gottesdienst zwischen Lehre und Vollzug, sowie Gegenwart und Vergegenwärtigung.651 Die Darstellung der Erfahrungsmöglichkeiten652 verbindet sich mit argumentativen Passagen, die sich mit Kritik auseinandersetzen, die dem formgebundenen Gemeinschaftstanz als religiöser Praxis entgegengebracht werden. Koch selbst sieht auch „Gefahren“, die mit dem beschriebenen Tanz verbunden sein können: „Jede meditative Praxis birgt Gefahren, wenn Menschen sie aus individuellen Abwehr- oder Fluchtmotiven heraus suchen, dabei in Abhängigkeit von Führergestalten gelangen und ernsthafte Ich-Störungen entwickeln.“653 Unklar ist, ob solche Fehlentwicklungen von der Forscherin in der Praxis tatsächlich identifiziert werden konnten, was wiederum das Desiderat sorgfältiger empirischer Forschung im Feld Kirchentanz unterstreicht. 5.5.5 Eine Theologie des Tanzes für die Religionspädagogik: Petra Pfaff Die im Tanz ausgebildete evangelische Theologin (*1961) entfaltet in ihrer 2006 erschienenen Dissertation „Beweg Gott und Mensch“ Grundzüge einer Theologie des Tanzes in Schule und Kirche. Der Bezugspunkt ist Tanz in der 649 650 651 652

Koch 2002, 12 f. Koch 2002, 215. Vgl. Koch 2002, 181–214. Diese Erfahrungen werden zwar überzeugend und nachvollziehbar beschrieben, bleiben jedoch Postulat, das durch die Literaturverweise (nichtempirischer Forschung) lediglich bestätigend abgesichert wird. 653 Koch 2002, 193.

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Klärungen

Tradition von Mary Wigman und Gret Palucca, in der Gegenwart als moderner Ausdruckstanz oder Kreativtanz bezeichnet. Pfaff geht es um die sinnvolle und respektvolle Annäherung von Kultur und Religion, von (Ausdrucks-)Tanz und Kirche.654 Dazu markiert die Kulturtheologie Paul Tillichs den Königsweg. Pfaff will damit aus praktisch-theologischer Perspektive einen Beitrag leisten, Bewegung und Tanz theologisch zu reflektieren und systematisch zu begründen, mit dem leitenden Interesse, diese als genuine Ausdrucksweisen des Menschen nicht nur innerhalb der Kultur, sondern auch in der Religion als Verdichtung dessen, ,was unbedingt angeht‘ darzustellen.655

Sie verfolgt die Intention, Tanz nicht nur „systematisch und religionspädagogisch zu begründen“, sondern auch „mit Praxisbeispielen als ,praxis pietatis‘ in den Protestantismus zu re-integrieren“656. Der fachliche Transfer für die Praktische Theologie wird exemplarisch in der Teildisziplin Religionspädagogik vollzogen.657 Auffällig ist die Annahme, die Differenzen der Tanzformen seien „Erscheinungsformen“, Phänomene, die im „Wesen des Tanzes“ begründet sind.658 Auf der Basis von Paul Tillichs Kulturtheologie entwickelt Pfaff eine an die Korrelationsmethode angelehnte „bewegte Hermeneutik“, die zur Formulierung einer „bewegten Theologie“ führen soll.659 Damit verbindet sich die Erwartung, dass es dem Tanz „nicht mehr verwehrt werden [kann,] sich zu positionieren.“660 Eine apologetische Absicht zeigt sich immer wieder mehr oder weniger explizit. Kirchentänzern soll argumentativer Rückhalt geboten werden: „Wenn sie dann nach dem Referenzrahmen gefragt werden, ich biete ihn an.“661 Die Tanz ablehnende Haltung in der Kirche wird hinterfragt: „Ist sie allein biblisch?“662 Kämpferisch gibt sich der Schluss: „Beweg Gott und Mensch bloß im Herzen, im reflexiven Akt??? Hier ist mehr Bewegung in Leib und Seele, in der Korrelation von Leibarbeit und Kopfarbeit, als so manchem lieb ist!“663 Im Herzstück der Arbeit, der bewegten Theologie, werden theologische Begrifflichkeiten von Paul Tillich in Bezug zum Phänomenalen des Tanzes gesetzt. Den Tanz selbst bezeichnet sie als Korrelat664, da er Gegensätze mit654 655 656 657 658 659 660 661 662 663 664

Vgl. Pfaff 2006, 12. Pfaff 2006, 12. Vgl. ebd., Klappentext. Vgl. Pfaff 2006, 13. Vgl. Pfaff 2006, 14. Siehe zum Vergleich die Differenzierung der Auffassungen von Tanz oben in A 2.2. Das „Wesen des Tanzes“ wird vorwiegend auf der Grundlage der Ausführungen der Tänzerin Dorothee Günther (Ausdruckstanz) beschrieben. Vgl. Günther 1962. Vgl. Pfaff 2006, 14. Pfaff 2006, 14. Pfaff 2006, 9. Pfaff 2006, 37. Pfaff 2006, 267. Pfaff 2006, 107.

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einander in Beziehung setzt: Bewegung gegen Regression, Phantasie gegen Monotonie, Hingabe gegen Autismus, Gottbezüglichkeit gegen Gottvergessenheit und weitere positiv-negative Oppositionspaare. Die Vieldimensionalität menschlichen Lebens in Tillichs Dimensionsontologie, die Suche nach Eindeutigkeit und die Wirklichkeit von Zweideutigkeit spiegeln sich im Phänomen Tanz wieder.665 Mit Tillich erwartet Pfaff, dass „das Ewige immer wieder in den Erfahrungshorizont des Menschen einbrechen und ihn für das ,ewige Leben‘ im ,Reich Gottes‘ sensibilisieren“666 kann. Tanz sieht sie im Blick darauf als etwas, zu dem „unbedingt die christliche Botschaft als sinnstiftender Korrelationspunkt treten muss“.667 Von dieser Forderung her gelesen erweist sich jedoch nicht der Tanz als ergänzungsbedürftig, sondern vor allem die Theologie, die an ihm lernt, sich zu bewegen668, Ekstase und Expression zu schätzen669. Aus der Gottesbezogenheit ergibt sich ein expressiver Tanzstil.670 Dem Tanz wird eine spirituell-heilende Dimension zugeschrieben und theologisch mit der „Überwindung der Zweideutigkeiten als ein Leben bei Gott identifiziert.“671 Echte spirituelle Erfahrung, die durch die Annäherung an Symbole entsteht, verdichtet die Berührung durch die göttliche Dimension.672 Die Bindung an Tillich’sche Begrifflichkeiten bringt eine gewisse Engführung mit sich. Der Gebrauch des Symbolbegriffs verhindert eine Auseinandersetzung mit dem Zeichenbegriff der Semiotik, Erfahrung wird lediglich im Horizont von Offenbarung im Tillich’schen Sinn geklärt. Dabei bleibt kein Raum mehr für Tanzerfahrung, die nicht per se Grenzerfahrung oder ekstatisch ist. Religiöse Erfahrung im Tanz behält dadurch immer den Geschmack einer ganz besonderen, die „eine erschreckend intensive Inanspruchnahme des ganzen Menschen“673 ist und die zur Mitteilung im Symbol drängt. Die „performative Qualität“ [sic!] eines Tanzes wird dem Kriterium der Authentizität unterworfen. Damit wird die emotionale Betroffenheit der Tänzerinnen zum Maßstab erklärt, der darüber entscheidet, inwiefern die Aufführung tatsächlich performativ ist.674 Fehlt die Betroffenheit, „werden die Tanzschritte 665 666 667 668

669 670 671 672 673 674

Vgl. Pfaff 2006, 113. Pfaff 2006, 116. Pfaff 2006, 116. Vgl. Pfaff 2006, 118. Mit der Frage der Akzeptanz von Tanz in der Kirche scheint für Pfaff ein Bekenntnisstatus verbunden zu sein: Die „völlige Ablehnung des Tanzes“ ließe sich „als Verlust der Entwicklung von Lebensmöglichkeiten und damit letztlich als Abkehr vom Leben und von Gott bezeichnen.“ Ebd. Vgl. Pfaff 2006, 122. Vgl. Pfaff 2006, 129. Pfaff 2006, 129. Vgl. Pfaff 2006, 132. Pfaff 2006, 146. Darin zeigt sich der Unterschied zwischen einem von der Theaterwissenschaft eingeführten Begriff von Performativität und einem lediglich auf John Austins Sprechakttheorie bezogenen, den Pfaff zugrunde legt. Tanz- und theaterwissenschaftlich wäre hier mindestens noch vom Rezeptionsgeschehen in der Performance zu reden.

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Klärungen

hohl und verflachen zum Zeichen.“675 Hier wird deutlich, dass die theoretische Durchdringung der Fragen, ob es nicht-performative Tänze geben kann sowie welche Beziehung zwischen dem Gefühl der Performer und dem des Publikums besteht, noch weitere Arbeit erfordert.676 Für die Bibel-Hermeneutik sei Tanz eine mögliche Form von Textzugang, mit Gerd Theißen eine ästhetische Spielart einer praktischen Vermittlungsform.677 In einem Praxisteil wird dies anhand von drei tanzpädagogisch-religionspädagogischen Einheiten678 aufgezeigt. Dabei spielt die Kreativität eine zentrale Rolle, es ist an Tanz mit Improvisationstechniken gedacht. Pfaff umreißt Konturen einer „Kreativen Tanzdidaktik“, die mit nachvollziehbaren Beispielen etwas vom Potenzial von Tanz erahnen lassen, der sich an Bibeltexten und Themen abarbeitet. Der in Seminaren erarbeitete Tanz kann im Gottesdienst aufgeführt werden. Liturgischer Tanz, das heißt Tanz, der im Sinne Bergers im Gottesdienst eine Funktion übernimmt, wird nicht reflektiert. Insgesamt kann der Entwurf die Engführung auf Ausdruckstanz und dessen theologische Begründung mit Tillichs Begriff von Expressivität nicht überwinden. Die stark programmatische Arbeit muss für das Ziel, eine Tanztheologie zu formulieren, vieles andere beiseite lassen. Meines Erachtens liegen die für die Praktische Theologie notwendigen Fragestellungen jedoch nicht auf der Ebene der Legitimation von Tanz für die protestantische praxis pietatis, sondern auf der Ebene, das Phänomen Tanz und insbesondere Kirchentanz und seine Bedeutung für die Kirche noch besser zu verstehen. Dazu sind nicht allein programmatische, sondern auch empirische Arbeiten notwendig. 5.6 Zusammenfassung Tanz und Religion haben im Christentum nicht mehr als eine episodenhafte Geschichte. Weder aus der Bibel noch aus der Kirchengeschichte können eine spirituelle Tanzpraxis für individuelle Frömmigkeit oder Gottesdienst noch Tanz als Kunst mit einer besonderen Funktion in der Kirche legitimiert werden, wie in A 4 gezeigt wurde. In Kapitel 5 werden einige Entwicklungen in der Praktischen Theologie sichtbar gemacht, die in der Kirchentanzbewegung Resonanz erfahren haben, ohne dass es darin notwendigerweise explizit um Tanz oder dessen Begründung ging. In der Liturgiewissenschaft konnten anhand der Beispiele in 5.1–5.3 Guardini, Stählin, Josuttis, Bieler, Plüss und Enzner-Probst Spuren einer anthropologischen Wende hin zur „Leiblichkeit“ 675 676 677 678

Pfaff 2006, 155. Vgl. meine eigenen Überlegungen zu diesen Fragen in C. Vgl. Pfaff 2006, 108. Anscheinend haben sich in zwei von drei Veranstaltungen nur Frauen bzw. Mädchen eingefunden. Gründe werden nicht reflektiert. Die Genderfrage spielt in dem Buch insgesamt keine Rolle.

Der Weg zum Tanz als Kunst und Spiritualitätspraxis

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beleuchtet werden, die generell eine wichtige Voraussetzung für Tanz in Liturgie und Spiritualität darstellt. In 5.4 zeigt sich, wie die Wende zur Leiblichkeit in der kirchlichen Bildungsarbeit und Religionspädagogik zu Innovationen geführt hat, die religiöse Bildungarbeit für die Möglichkeit von Tanz öffnen. Der Überblick über praktisch-theologische Werke in A 5.5 schließlich hat gezeigt, dass die Frage, ob Tanz überhaupt legitimiert werden muss, selbst umstritten ist. Berger begründet Tanz in der Kirche anthropologisch, Pfaff kulturtheologisch, Macht verzichtet bewusst auf eine theologische Rechtfertigung. Meine Schlussfolgerung aus den Vorarbeiten ist, dass das Phänomen Tanz zunächst vor allem besser verstanden werden sollte. Daher liegt es nahe, auch historische Darstellungen zum Tanz und Kirchentanz nicht in der Absicht zu verfassen, das Gegebene zu legitimieren, sondern es gründlicher zu erfassen.

6. Der Weg zum Tanz als Kunst und Spiritualitätspraxis – tanzwissenschaftliche Perspektiven 6.1 Einführung Das Kapitel 6 soll das Phänomen Kirchentanz im Kontext seiner Entstehensbedingungen zugänglich machen. Es beginnt bei der Darstellung wichtiger Vertreter_innen des Kunsttanzes im 20. Jahrhundert, eingeleitet durch die Vorgeschichte ihres Auftretens. Ausgewählt wurden jene Persönlichkeiten, die den Aktiven im Kirchentanz, die sich im Gespräch zu ihren Vorbildern geäußert haben, als relevant gelten. Darüber hinaus gehören sie zu den bedeutenden Figuren, die Kunsttanz in Deutschland bis heute prägen und in der Tanzwissenschaft daher bis in die Gegenwart hinein stark beachtet werden. Da Theologie sich mit Tanz noch wenig beschäftigt hat, sehe ich die Notwendigkeit, Kenntnisse zu vermitteln, die die kulturelle Bedeutung von Kunsttanz anhand dieser konkreten Beispiele aufzeigen. Ein bedeutendes Gewicht liegt dabei auf der Darstellung von Selbsterfahrung und Körperaneignung im Kunsttanz des 20. Jahrhunderts anhand des Werkes und der Ansätze von Rudolf von Laban, Martha Graham, Anna Halprin und Pina Bausch. Gerade der Aspekt „Selbsterfahrung und Körperaneignung“ verspricht Anschlussmöglichkeiten für die Frage nach der besonderen ästhetischen Erfahrung im Kirchentanz. Während der Tanzwissenschaftler Stüber diese Perspektive in seiner Geschichte des Modernen Tanzes in Bezug auf Martha Graham erstmals berücksichtigt, findet sie sich in tanzwissenschaftlichen Werken zu den anderen Protagonisten nicht. Daher erforderten meine Ausführungen dazu eigene Forschungsarbeiten. Quellen sind Primärliteratur in Form von Selbstaussagen von Choreograph_innen und Tänzern sowie tanzwissenschaftliche

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Klärungen

Sekundärliteratur, die implizit Aussagen zu jenen Fragen macht. Die relativ ausführliche „Fremden-Führung“ in der Welt des Kunsttanzes679 dient im Wesentlichen dazu, die Genese von unterschiedlichen Tanzverständnissen im Kirchentanz nachvollziehbar zu machen, aber auch dazu, die Basis zu verdeutlichen, auf der sich Gemeinsamkeiten ergeben. Dem schließt sich die Entstehungsgeschichte des Kirchentanzes im engeren Sinne an (A 7), innerhalb derer auch die, in Schriften nachvollziehbaren, Diskurse der Kirchentänzer_innen systematisch geordnet rezipiert werden. Jene tragen zum Verständnis dessen bei, was unter Kirchentänzern diskutiert wird und welche Fragen ihnen wichtig sind. Da es sich dabei nicht um wissenschaftliche Arbeiten handelt, haben sie im Forschungsüberblick (A 5.3 und 5.5) keinen eigenen Raum erhalten. Zuletzt wird Einblick in die derzeitige Wirklichkeit in kirchlichen Tanzszenen gegeben, basierend auf eigenen Beobachtungen bei der Teilnahme an verschiedenen Angeboten in jenem Feld. Damit kommt das Methodenrepertoire empirischer Feldforschung bereits in A ins Spiel, bevor B weitere empirische Daten präsentiert.

6.1.1 Tanz und Spiritualität in der Bühnenkunst bis zur Jahrhundertwende Die Frage stellt sich nun nach dem Spirituellen des Tanzes in der Zeit bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts und im Kunsttanz des 20. Jahrhunderts. Die chronologische Darstellung verbindet sich mit der systematischen Perspektive in Gestalt der Frage nach der Erfahrung im Tanz. Bedeutende Entwicklungen im Bühnentanz werden dargestellt und deren Konsequenzen für das Spektrum von Erfahrungen und Erlebnisweisen im Tanz angedeutet. Körperkonzepte und Erfahrungen mit dem Tanz verändern sich ständig. Sie sind nicht zuletzt abhängig von gesellschaftlichen Kontexten, Geschlechtsrollenzuschreibungen und Tanzstilen. Für den Kunsttanz des 20. Jahrhunderts ist die unmittelbare Vorgeschichte vor allem als Hintergrund relevant, vor dem sich die Entwicklung des zeitgenössischen Tanzes abhebt. Tanz als Bühnenkunst wurde gesellschaftlich breiter rezipiert, nachdem das Ballett sich vom höfischen Ursprung emanzipierte und zunehmend zum festen Programm-Bestandteil der Opernhäuser aufstieg. Dort wurden in der Blütezeit gegen Ende des 19. Jahrhunderts vorwiegend mythologische Stoffe und Märchen verarbeitet. Das Körperkonzept der klassischen Balletttänzerin im Tutu beinhaltete „Keuschheit und Unnahbarkeit“680, die ihr bis zur Perfektion trainierter, mechanisierter Körper ausstrahlte.681 Der Spitzenschuh 679 Darin unterscheidet sich die vorliegende Arbeit von denen von Sequeira, Berger, Macht, Koch, Pfaff und anderen. Im Gegenzug fällt die Darstellung der Geschichte von Tanz im Christentum oder anderen Religionen knapp aus. Sie ist m. E. bereits gut erschlossen. 680 Das Tutu verhüllt das Becken und verleugnet damit dessen Vitalkräfte. 681 Vgl. Klein 1992, 127.

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kann als Symbol der Erdentbundenheit gelten, er erlaubt nur „geringen Bodenkontakt und ein trippelndes Bewegen“682. Im Ballett gelten streng systematisierte Bewegungsprinzipien, die den Körper disziplinieren. Dies lässt sich nach Gabriele Klein „nicht nur als notwendiges Resultat des langfristigen Zivilisationsprozesses abendländischer Gesellschaften im Übergang zur bürgerlich-industriellen Gesellschaft beschreiben, sondern ist gleichermaßen als vorläufiges Ergebnis der Geschichte patriarchaler Gesellschaften interpretierbar.“683 Die klassische Ballerina jener Zeit steht für einen „Prozeß der Enthebung vom eigenen Seinsgefühl“684. Die Körperbewegungen folgten formalen Gesetzen, abstrahiert von eigenen Empfindungen. Klassische Tänzerkörper spiegelten „die fortschreitende Zurücknahme des menschlichen Affekthaushaltes im europäischen Zivilisationsprozeß.“685 Auf der Bühne präsentierten sich die gemessenen Körperhaltungen als „Zeichen eines beherrschten, sich selbst gewissen, dominierenden Ichs.“686 In der Erfahrung der Tänzerinnen dürften Triebverzicht und Körperdisziplinierung eine große Rolle gespielt haben. Tanz und Religion scheinen zudem zwei vollständig getrennten Lebensbereichen anzugehören. Mit der Körperkulturbewegung in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts kam es in vorwiegend bürgerlichen Kreisen in Deutschland zu einer neuen Körperästhetik. Sie zielte auf die Überwindung der zivilisationsbedingten Entfremdung von Natur und Körper. Schön ist der natürliche Körper, Nacktheit fördert Durchblutung und Stoffwechsel, Kleidung verweichlicht.687 Die sogenannte Lebensreform transportierte allerdings tendenziell rückwärtsgewandte Geschlechtsrollenmodelle. Im Zuge der zivilisationskritischen Gedanken wurde die Emanzipation der Frauen abgelehnt.688 Dementsprechend entwickelten sich Tanzkonzepte, die dem „Wesen des Weiblichen“ besonders entgegen kamen. Die Tänze der Amerikanerin Isadora Duncan in Deutschland 1902/3 wurden wegen ihrer Ästhetik begeistert aufgenommen. Sie tanzte barfuß in wehenden Kleidern. Damit verkörperte sie „das Ideal des allgemeinen Freiheitswunsches, die romantische Sehnsucht nach geistiger, seelischer und körperlicher Ungebundenheit.“689 Ähnliche Wirkungen erreichten die Auftritte von Lo e Fuller690 und Ruth St. Denis, beide stammten 682 683 684 685 686 687 688 689 690

Vgl. Klein 1992, 126. Klein 1992, 129. Klein 1992, 130. Schlicher 1987, 153. Schlicher 1987, 154. Vgl. Klein 1992, 134–140. Vgl. Klein 1992, 134 f. Vgl. Klein 1992, 141. Die hochbegabte Puritanerin studierte Philosophie, wurde jedoch später zum Prototyp des modernen Tanzes. Sie „befreit den Tanz vom Erzählauftrag.“ Ihr Tanz erzeugt spiralartige Bilder, die das Energetische symbolisieren. Abstrahierend inszeniert sie das „Verschwinden des Tanzkörpers in der Kinesphäre der permanent verschwindenden Lichterfiguren“. Ihre Pionierleistung wird allerdings von der Nachwelt weitgehend übergangen. Vgl. Bahr 2002.

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ebenfalls aus den USA. Die Körper- und Bewegungserfahrungen im „Einklang mit der Natur“ favorisierten Formen, die die Kinästhetik und das Gespür förderten.691 Der Körper wird zum Ort „authentischer Erfahrung“, seine äußere Bewegung wird von innerer Bewegtheit erzeugt und gestaltet.692 Bewegung wird in ihren energetischen Möglichkeiten gesehen, das heißt, in ihrer Eigenschaft, mit Kräften umzugehen. Im Gegensatz zum Ballett mit seinem Ideal der Schwerelosigkeit arbeiteten die Tänzerinnen nun mit der Masse und Schwere des Körpers und erweiterten dadurch das Bewegungsvokabular. Tanzbewegungen brauchten nicht mehr in erster Linie schön zu sein. Dem Alltag entnommene Bewegungsqualitäten wie Hämmern, Schlagen, Stoßen, Schleifen, Wischen, Flattern und andere wurden vor allem von Rudolf von Laban693 systematisch integriert. Insgesamt erfuhr der Tanz eine deutliche kulturelle Aufwertung. Nicht mehr das Ballett allein repräsentierte von da an den westlichen Tanz in Europa.694 Zeitgleich trat in den USA eine neue Generation von Tänzerinnen und Tänzern auf, die, typisch für die Moderne, das Phänomen der Bewegung ins Zentrum stellten. Die Suche nach neuen Bewegungsformen führte zu den kulturellen Wurzeln des Tanzes, zu den Ursprüngen im Ritual. Die „Spur okzidentaler spiritueller Belebung“695 blieb nicht der einzige Ansatz, KunstTanz mit Religiosität zu verbinden. Isadora Duncan gestaltete ihren Tanz nach Modellen der Antike, einer Zeit, in der sich Religion und Kunst noch nicht getrennt hatten. Ihr „Tanz der Zukunft“ war motiviert von der „Utopie des im Tanz bewirkten friedlichen Zusammenlebens der Menschen.“696 Duncan stellte im Tanz Gestalten und Themen wie eine antike Priesterin oder Erlösung dar. Sie bekannte, für die „Schönheit des menschlichen Fußes […] eine religiöse Empfindung“697 zu haben. Ruth St. Denis‘ Tanzkunst griff orientalische Formen auf und kreierte „in eklektizistischer Verbindung von buddhistischen, vedischen und christlichen Lehren und Heiligenbildern einen spirituell konzipierten Tanzstil“698. Sie sah Künstler und Heilige als Brüder699. 1934 gründete sie einen „Rhythmic Choir“ mit dem Ziel, Choreographien in Kirchen aufzuführen, was nicht immer auf Gegenliebe stieß. Roseman sieht dies als Initialzündung für Tanz in der Kirche und bemerkt dazu: „… the liturgical dance movement owes her a great

691 692 693 694 695 696 697 698 699

Vgl. Huschka 2012, 29. Vgl. Huschka 2012, 29. Siehe unten A 4.2.1. Vgl. Huschka 2012, 32. Huschka 2012, 34. Huschka 2012, 36. Duncan 1903 zitiert in: Huschka 2012, 107. Huschka 2012, 115. „So if we regard the saint and the artist as two sons of the same mother, we shall perhaps understand them a little better.” Ruth St. Denis zitiert nach Roseman 2004, 87.

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debt.“700 In der Folge entstanden vielerorts in den Gemeinden „Bewegungschöre“. Auf das Engagement St. Denis‘ und ihres Tanzpartners und Ehemanns Ted Shawns soll außerdem die Gründung der Sacred Dance Guild in den USA zurückgehen, von der wegen ihres Vorbildcharakters für liturgischen Tanz in Deutschland noch zu reden sein wird.701 Auf der Bühne verkörperte sie verschiedene Göttinnen aus unterschiedlichen Kulturen.702 St. Denis‘„Sacred Dance“ lässt sich auf christlich geformte Glaubensvorstellungen nicht einengen. Gendertheoretisch interessant ist ihre Überzeugung, im Tanz die Dichotomie von Männlichkeit und Weiblichkeit aufzulösen.703 Zu ihren Schülerinnen gehörte auch Martha Graham, deren Auffassung von Tanz sich allerdings bald von ihrer Lehrerin absetzte. 6.1.2 Selbsterfahrung und Körperaneignung im Kunsttanz des 20. Jahrhunderts: Rudolf von Laban, Martha Graham, Anna Halprin, Pina Bausch Was unter Tanz als Kunst zu verstehen ist, soll hier nicht in allgemeiner Form, sondern im Kontext prägender Entwicklungen des 20. Jahrhunderts erörtert werden. Besonders im Blick sind daher die prägenden Gestalten, die im Grunde so etwas wie eine Schule, den Modern Dance und dessen Weiterentwicklungen hervorgebracht haben. Deren Einflüsse wirken sich ganz entscheidend auch auf das Erfahrungsspektrum der Tänzer_innen aus, bis hin zu den gegenwärtig im Raum Kirche aktiven Tanzenden, Laien und Professionellen. Wegen ihrer Prägekraft für einige Kirchentänzer eignen sich für die Darstellung in besonderer Weise Rudolf von Laban, Martha Graham und Pina Bausch, bekannte Bühnenschaffende des letzten Jahrhunderts mit weiter Ausstrahlung und die generell etwas weniger bekannte, inzwischen hochbetagte Anna Halprin, deren spezifischer Beitrag jedoch ebenfalls unter kirchlich und therapeutisch Tanzenden sowie in der Contact Improvisation-Szene nachhaltig wirkt. Halprin steht am Beginn der Entwicklung des Postmodern Dance, weist aber auch darüber hinaus. Grahams und Labans Arbeit legten weit über die Grenzen der USA und Deutschlands hinaus Grundlagen des modernen bzw. zeitgenössischen Tanzes. Die in diesem Spektrum entstandenen Techniken und Stile sind in Deutschland seit 2014 Teil des immateriellen UNESCO-Kulturerbes.704 Mein Interesse an der Kunst paart sich mit der 700 701 702 703

Roseman 2004, 89. Mehr unter 4.3.1.2. Vgl. Roseman 2004, 92. Vgl. Roseman 2004, 102. Für die gegenwärtige Diskussion nicht weiterführend erscheint mir das Ideal, beides in einem überpersönlichen Prinzip zu vereinen. Vgl. dazu St. Denis: „… in the regenerating and renewing of the individual these elements [man and woman] are understood and used impersonally.” Zitiert nach Roseman 2004, 101. 704 https://www.unesco.de/kultur/immaterielles-kulturerbe/bundesweites-verzeichnis/eintrag/

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Aufmerksamkeit für deren Möglichkeiten auf dem spiritualitätsaffinen Feld der Selbsterfahrung und Körperaneignung. Die Künstler werden jeweils mit wenigen biographischen Notizen vorgestellt und ihr künstlerisches Profil konturiert. Aus Selbstzeugnissen wie Schriften und Äußerungen in Filmen sowie tanzwissenschaftlicher Sekundärliteratur halte ich es für möglich, sich indirekt den subtilen Themen Selbsterfahrung und Körperaneignung im Tanz der dargestellten Protagonistinnen sowie der Rezipienten in gewissen Grenzen zu nähern. Bezüge zu Religion und Spiritualität tauchen dabei auf, werden aber nicht systematisch weiterverfolgt. Keine der Tänzer_innen intendiert den Entwurf einer christlichen Tanzkunst. Alle stammen jedoch aus einem mehr oder weniger christlich geprägten soziokulturellen Umfeld in den USA bzw. Deutschland, Halprin entstammt einer jüdischen Familie. In unterschiedlicher Form zeigen sich Bezüge zu Spiritualität und Sinnsuche. Die Werke weisen mitunter Anspielungen auf biblische und christliche Themen705 auf. Den Porträts sind jeweils charakteristische Zitate vorangestellt.

6.2 Rudolf von Laban Ein Gedanke Gottes ist in mir erwacht. Erlebe ich diese Spannung nun vollbewußt und weiß ich sie in mein Leben einzuweben, so bin ich ein Tänzer. Andernfalls bin ich vielleicht ein Gelehrter, ein Priester, ein Träumer, ein guter oder schlechter Werkender oder sonst etwas, aber Tänzer bin ich nicht. Rudolf von Laban706

moderner-tanz-stilformen-und-vermittlungsformen-der-rhythmus-und-ausdruckstanzbewe gung.html (2016/07/05). Damit werden in Deutschland entstandene „verschiedene ästhetische Stile sowie Vermittlungspraktiken des modernen, freien und expressiven Tanzes“ gewürdigt, unter anderem das Werk von Rudolf von Laban. […] Die verschiedenen Tanzstile und Vermittlungstraditionen der Rhythmus- und Ausdruckstanzbewegung haben heute allesamt einen herausragenden Stellenwert in der Praxis der Tanzerziehung, vor allem in der tänzerischen Grundlagenausbildung sowie im Rahmen der künstlerischen Tanzproduktion bei der Erarbeitung von modernen und zeitgenössischen Tanztheater-Choreografien. […]“ Ebd. 705 Selbst Pina Bausch, deren Werk am wenigsten von den vier vorgestellten Choreograph_innen religiöse Bezüge herstellt, spielt auf ein christliches Thema an, wenn sie 1976 ein Stück herausbringt unter dem Titel: Die sieben Todsünden der Kleinbürger, Fürchtet euch nicht. Vgl. Schlicher 1987, 268. 706 Laban 1922, 7.

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Laban (1879–1958) war nicht nur Tänzer, sondern auch Choreograph und Tanztheoretiker mit weitreichendem Einfluss auf Kunsttanz, Laientanz und die akademische Tanzausbildung. Labans Credo ist: „Jeder Mensch ist ein Tänzer.“707 Ausgehend von einer besonderen ästhetischen Einstellung der Welt gegenüber, in der etwa Erscheinungen als „raumbeanspruchende Ballung“708 aufgefasst werden, kann der Tänzer von verschiedenen Phänomenen (Baumkonturen, Stern) ergriffen werden. Tanz versteht er als „die ursprünglichste Kunst des Menschen“709, in einem Brief an den Verleger seiner Autobiographie spricht er aber auch von einer „herzlich unbekannten Kunst“710. Tanz ist in seinen Augen so elementar, dass ohne ihn Leben verkümmert: Der Tanz spricht nicht durch den Verstand zum Herzen wie das rührende Wort, sondern zum Herzen geradeaus und von dort erst nachträglich vielleicht auch zum Hirn, zum Verstehen. Tanz ist eben kein Bild, keine Allegorie, sondern blühendes Leben selbst. Wir haben diese unmittelbare Herzenssprache so sehr nötig, daß wir ohne sie unweigerlich verkommen müssen.711

Laban gilt als „Mitbegründer und Chefideologe des neuen deutschen Tanzes“712, des Ausdruckstanzes. „Tanz ist für ihn die individuelle Gestaltung seelischer Vorgänge.“713 Sein Denken ist auf Einflüsse des Musikers und Gymastikerziehers mile Jaques-Dalcroze, der Tänzerin Isadora Duncan, der Gymnastik von Bess Mensendieck und dem Pädagogen FranÅois Delsarte zurückzuführen.714 Die metaphysische Bedeutung des Tanzes entlehnt Laban der Mystik unter anderem des Sufismus.715 Bewegung gilt ihm als Weltprinzip. Laban sucht das „Reich der Seele“ für den Tanz und kulturell für die Gesellschaft zu erschließen.716 Die Wiederentdeckung des Körpers in den 1920er Jahren in Sport, Gymnastik und Wandervogelbewegung propagierte ein neues Lebensgefühl und eine neue Ästhetik. Der Körper war von jahrhundertalten Zwängen zu befreien, das Natürliche der Nacktheit wurde geschätzt. In Labans Schriften wird dies gleichsam als Befreiung zu einem neuen Menschsein gefeiert und in religiös anmutender Sprache beschrieben: Welcher Schatz ist aus dem Meer der sich stets neu erzeugenden Formen, aus dem Urquell des Lebens, aus der Bewegung zu heben! Das können wir nur in den Berichten aus Zeiten ahnen, in denen der Mensch eurhythmisch lebte. Sie sind vorbei, 707 708 709 710 711 712 713 714 715 716

Schmidt 2002, 72. Laban 1922, 6. Laban 1981, 15. Laban 1989, 7. Laban 1989, 217. Schmidt 2002, 67. Fleischle-Braun 2001, 58. Fleischle-Braun 2001, 58. Vgl. Huschka 2012, 166. Vgl. Huschka 2012, 168.

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aber sie leben in unserer Sehnsucht. Wir können sagen, dass heute in unserem gymnastischen Streben ein Schritt zum Wiedererwachen getan ist.717

Im Nationalsozialismus erlebte der Ausdruckstanz durch Gleichschaltung seinen Niedergang. Staatlich gefördert, aber ideologisch dominiert – unter Ausschluss jüdischer Künstler – verband sich der Ausdruckstanz in verhängnisvoller Weise mit dem Regime. Die Tänzer verhielten sich in der Regel kritiklos und ließen sich unter anderem für die Inszenierung der Olympischen Spiele 1936 in Berlin instrumentalisieren. Daran war auch Laban beteiligt, bevor er anschließend ins Exil ging. Nach dem Krieg endete in Deutschland die Entwicklung des Ausdruckstanzes.718 6.2.1 Biographische Notizen Rudolf von Laban (Rudolf Laban de Varalja), der 1879 im ungarischen Pressburg (Bratislava) als Sohn eines Offiziers geboren wurde, war als Jugendlicher zunächst Cs rd stänzer. Im Alter von 15 Jahren verließ er das Elternhaus, das seine künstlerischen Ambitionen ablehnte.719 Er ging bei einem Maler in die Lehre, machte Erfahrungen mit Regieassistenz und Bühnentechnik. Um 1900 nahm er ein Kunststudium in Paris auf. Ab 1907 tanzte er unter anderem in Wien. 1910 gründete er eine Tanzschule, in der auch Mary Wigman, später eine der bekanntesten deutschen Ausdruckstänzerinnen lernte. Sie tanzte in einer seiner ersten größeren Choreographien eine der Hauptrollen. Auf dem Monte Verit in der Schweiz (Ascona) erprobte er meist während der Sommermonate mit Gleichgesinnten neue Lebenskonzepte, die sich vom bürgerlichen Lebensstil abwandten.720 Kleidung und Lebensmittel wurden selbst hergestellt, die Lebensweise war vegetarisch und pazifistisch. In der dortigen von ihm geleiteten Schule für Kunst umfasste der Unterricht Bewegungskunst, Wortkunst, Tonkunst und Formkunst.721 Von 1915–1918 führte er die Laban-Schule in Zürich.722 Nach dem ersten Weltkrieg kehrte er nach Deutschland zurück. Seine erste tanzphilosophische Schrift „Die Welt des Tänzers“ wurde 1920 veröffentlicht. Sie versucht, „tänzerische Einsicht zu wecken“, weniger durch Belehrung, sondern durch einen „Tanz der Gedanken“.723 1922 folgte die Gründung der Tanzbühne Laban in Hamburg, 1926 die Gründung seines Choreographischen Instituts in Würzburg, das 1927 nach Berlin verlegt wurde.724 Seine aktive Zeit als Tänzer fand 717 718 719 720 721 722 723 724

Laban zitiert in: Schmidt 2002, 68. Vgl. Schmidt 2002, 71. Vgl. Moore 2009, 228. Vgl. Schmidt 2002, 72. Vgl. Fleischle-Braun 2001, 55. Vgl. Huschka 2012, 165. Laban 1922, 3. Vgl. Schmidt 2002, 72.

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durch einen Unfall auf der Bühne 1928 ihr Ende. 1930–1934 leitete er das Ballett der Staatsoper in Berlin. Sein besonderes Interesse galt „Bewegungschören“. Diese Gruppentänze mit Laientänzern beinhalteten eine ambivalente Führerideologie, sie zielten nicht nur auf gemeinsame Ausdrucksformen, sondern auch auf eine gemeinsame Empfindung. Dies lässt zumindest eine Beschreibung von Mary Wigman vermuten: „Wir empfinden tatsächlich zusammen. […] Die Arbeit an der Gemeinschaft ist Dienst an der Idee.“725 Als Laban die internationalen Tanzwettspiele für die Olympischen Spiele 1936 organisierte, fiel er wegen ideologischer Differenzen beim Regime in Ungnade.726 1937 floh er nach England und gründete dort schließlich 1946 das Art Movement Studio in Manchester, wo er bis zu seinem Tode 1958 tätig war. Als merkwürdig im doppelten Sinn kann die Nutzung seiner Bewegungsanalysen727 für die Optimierung von Arbeitsabläufen in Fabriken gesehen werden.728 Als Tanzwissenschaftler widmete er sich konsequent nicht nur der Tanzpädagogik für das Training professioneller Tänzer und der Erarbeitung künstlerischer Tanzstücke. Sein Interesse galt auch dem Laientanz und der Lehrertanzausbildung.729 Seine Konzeption der im Entstehen begriffenen Tanzwissenschaft umfasst die Gebiete Choreosophie, die Theorie der Ethik und Ästhetik des neuen Tanzes und der Tanzerziehung, die Choreologie als Theorie der räumlichen und zeitlichen Gesetze im Tanz und die Choreographie, die Theorie der Bewegungsartikulation und Notation.730 Letzlich gilt jedoch: „Tanz erklärt sich nur im Tanz.“731 In Großbritannien gab Labans Wirken bis heute nachhaltige Impulse für die Integration von Tanzerziehung in die schulische Bildung. Sowohl um Tanz gesellschaftlich-kulturelle Relevanz zu verleihen, als auch dafür, Menschen 725 Wigman zitiert in: Schmidt 2002, 73. 726 „Sein monumentales Spektakel Vom Tauwind und der Neuen Freude unter Mitwirkung von 1.000 Laientänzern wurde jedoch nach der Generalprobe von Propagandaminister Joseph Goebbels (1897–1945) aus dem Programm genommen, entsprach die differenzierte und intellektuell geprägte Laban’sche Bewegungsästhetik doch nicht der nationalsozialistischen Ideologie.“ http://www.folkwang-uni.de/home/tanz/izt/geschichte/rudolf-von-laban/ (2016/ 06/28). 727 Laban strebte nach „Beherrschung der Bewegung durch Erklärung“ (Laban 1922, 2). Es ging um „eine umfassende Aufklärung ihrer menschheitsbildenden, leistungseffizienten und religiös-ästhetischen Wertigkeit“. Huschka 2012, 168. 728 „Am industriellen Arbeitsplatz, wo fließendes Hand-in-Hand-Arbeiten, d. h. rationelle Arbeitsabläufe, im Vordergrund stehen, lautete Labans Devise: ,die richtige Arbeitskraft am richtigen Arbeitsplatz‘. Bei der Auswahl von Führungsleuten hingegen, und weiter auch in der therapeutischen Behandlung von psychisch Kranken (ein seit den sechziger Jahren neues Feld der Antriebsbeobachtung) kommt es mehr darauf an, welche besonderen Antriebselemente das Individuum verwendet und in welcher Form und Zusammensetzung.“ Vorwort von Perrottet in: Laban 1989, 246. 729 Vgl. Huschka 2012, 168 f. 730 Vgl. Huschka 2012, 169. 731 Laban 1922, 9.

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zufriedener zu machen, diente die Entwicklung seines modern educational dance in Zusammenarbeit mit Lisa Ullmann (1907–1985).732 Tai F. Deharde entwickelte Labans pädagogisches Konzept weiter, da ihr die Möglichkeiten, emotionale Ausdrucksqualitäten zu erreichen, ungenügend erschienen.733 Die Bewegungslehre Labans wird bei Deharde zur Grundlage von Improvisationstechniken, diese seien „Mittel zur Selbsterkenntnis, Selbsterfahrung und schöpferischer Selbstgestaltung“734.

6.2.2 Künstlerisches Profil Laban grenzte sich – wie schon die deutsche Ausdruckstanzbewegung der ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts – vom klassischen Ballett ab. Sein Konzept von Tanz fasste er unter den Begriff ,Tanztheater‘, das mehrere künstlerische Medien einbezieht. Mit dem Tanztheater, das er als „spartenübergreifendes Kunstwerk“735 verstand, zielte Laban auf eine Veränderung des Menschen. Tanz verstand Laban als „dreidimensionale bewegte Plastik“736. Dessen Sprache ist die Bewegung. Bühnenbilder werden dadurch überflüssig. Das Publikum sollte das Geschehen im Idealfall wie in einer Arena von allen Seiten einsehen können.737 Das neue Tanztheater definierte sich nicht nur durch die Konzeptionierung des Bühnenraumes, sondern auch durch seine Unabhängigkeit von der Oper, dem Ort, an dem üblicherweise die Ballette aufgeführt wurden. „Tanztheater“ ist damit sowohl neue Kunstform neben Oper und Theater als auch ein neuer Ort, ein eigenes Haus mit Ensemble.738 Tanz sollte sich von den anderen Künsten emanzipieren, mehr noch, er sollte „ins Zentrum des menschlichen Lebens rücken“739. Ästhetisch ist das Tanztheater nach Laban durch die Körperbewegung bestimmt. Prinzipiell öffnet sich dadurch der Kunsttanz allen körperlichen Ausdrucksformen.740 Die festgelegten Figuren, Schritte und Positionen des klassischen Balletts verlieren ihre Gültigkeit. Statt wie im Ballett harmonische Repräsentation anzustreben, ging es Laban um „das gesamte Spektrum der Bewegungs- und Ausdrucksmöglichkeiten.“741 Ausdruck wird durch „Gebärden“ erreicht: „Der Weg zwischen zwei ausdrucksvollen Körperspannungen, die mit entsprechenden Gemütsbewegungen und Verstandesregungen 732 733 734 735 736 737 738 739 740 741

Vgl. Vogel 2007, 199 f.; Vgl. Fleischle-Braun 2001, 102. Vgl. Lampert 2007, 19. Lampert 2007, 19. Servos 2001, 175. Servos 2001, 175. Vgl. die von Laban angefertigte Skizze in: Laban 1989, 227. Vgl. Servos 2001, 175. Schmidt 2002, 73. Vgl. Servos 2001, 175. Servos 2001, 176.

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gleichzeitig ablaufen und mit derselben eine untrennbare Einheit bilden, ist tänzerische Gebärde.“742 Laban kennt auch klangliche und gedankliche Gebärden. Von der Bedeutung und Macht von Bewegungen ist er überzeugt.743 Mit seiner Bewegungsausdrucks- und Raumlehre (Eukinetik und Choreutik) erschloss er für den Tanz ein nuanciertes Feld von Bewegungsführung und reichen Varianten von Bewegungsqualitäten. Der Bewegungsansatz erfolgt hierbei stets zentral aus der Körpermitte heraus.744 Alltagsbewegungen wurden in die Choreographie einbezogen. Auch soziale Themen lieferten Bühnenstoffe. Labans Bewegungslehre setzte sich durch seinen künstlerischen Anspruch deutlich von den zeitgenössischen Gymnastiksystemen ab.745 Kunsttanz als „Ausdruckstanz“ thematisiert das Leben in seiner spannungsvollen Einheit von gegensätzlichen Erfahrungen. Er kommuniziert mit einer eigenen Grammatik den Ausdruck von Lebensbewegungen. Tanz drückt Dinge aus, die nicht unbedingt eindeutig mit dem Wort wiedergeben werden können, aber dennoch verständlich und sinnvoll sind. Die Inhalte können verbal umschrieben werden.746 Zwar war Laban selbst am Hässlichen oder Grotesken letztlich nicht interessiert, da er die „Eurhythmie“, die Wohlordnung, der „Kakorhythmie“ vorzog.747 Durch die Ausweitung der Ausdrucksmöglichkeiten des tanzenden Körpers bereitete er m. E. allerdings spätere Tanztheaterkonzepte vor, die sich auch dem Unharmonischen öffnen, wie zum Beispiel bei Pina Bausch.748 Labans Rhythmus-Begriff ist weniger musikalisch als räumlich gemeint. Tanz ahmt nicht einfach einen musikalischen Rhythmus nach. „Der Tanzkörper bildet ästhetisch ein architektonisch-rhythmisches Klanggebilde aus.“749 Bewegungsausdruck kommt durch die „räumlichen Konfigurationswandel der Körperformen“ sowie auch Gebärden als „raumrhythmische Ordnung“ zustande.750 Deren Sinnhaftigkeit vermittelt sich dem 742 743 744 745

746 747 748 749 750

Laban 1922, 13. Laban 1922, 73. Vgl. Schmidt 2002, 73. Laban schreibt: Im Kunsttanz wird dieses Bewegungsgesetz [der Gymnastik, TS] noch viel weiter ausgebaut. Dort finden wir gewisse Maße als Ausdrucksbuchstaben, Ausdrucksworte, Ausdruckssätze; die Grammatik erweitert sich also zu einer Syntax, zu einer Harmonielehre und auch zu einer Poetik der Bewegungserscheinung. In der gewöhnlichen Gymnastik ist von diesen Kombinationen keine Rede. […] Die Kunst kann uns aber von allem sprechen, was das menschliche Leben erfüllt, und nicht nur von einer aus ideellen Zweckmäßigkeiten getroffenen Auswahl. Sie kann auch von Leid und Missmut, von Trauer und Disharmonie, von Groteske und Wirrheit bis zum Irrsinn sprechen. Kunst schildert das menschliche Leben mit seinen sämtlichen Polen und Gegensätzen. Kunst ist keine Übung, die irgendwelche Teile der Lebenserscheinung bevorzugt. Zitiert in: Schmidt 2002, 68. Vgl. Laban 1926, zitiert in: Huschka 2012, 177. Vgl. Schmidt 2002, 69. Der Einfluss von Laban wird an Pina Bausch durch ihr Studium bei einem Laban-Schüler, Kurt Jooss vermittelt. Huschka 2012, 177. Vgl. Huschka 2012, 177 f.

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Zuschauer durch Empathie.751 Die Musik ist für Laban ein Medium, das im Rhythmus die Elemente von Kraftspannung und Zeit vereint. Neben Harmonien und Melodien ist Rhythmus ein für den Tanz wesentlicher Teil der Musik. Rhythmus und Bewegung allein ergeben jedoch noch keinen Tanz: Rhythmische Musik ist ein Anreiz zum Bewegen, aber erst wenn ein ganz durchgebildeter Bewegungsablauf mit einer bestimmten Komposition von Raumformen und Energiequalitäten um den Rhythmus herum aufgebaut worden ist, kann man von eigentlichem Tanz sprechen.752

Rudolf von Laban schuf mit der von ihm entwickelten Tanzschrift eine Systematik, die eine konsequente Vermittlung des jungen modernen Tanzes ermöglichen sollte. Die sogenannte Labannotation basiert auf den beiden zentralen Elementen seiner bewegungsanalytischen Systeme: der „Eukinetik, die die dynamischen Aspekte der Bewegung über die Parameter Raum, Zeit, Kraft und Bewegungsfluss beschreibt“, und der „Choreutik, welche den sich bewegenden Körper im Verhältnis zu ihn umgebenden geometrischen Strukturen wie Kubus oder Ikosaeder betrachtet“753. Tanz stellt Beziehungen her etwa zu einem Gegenstand, einer oder mehreren Personen oder einem Teil des eigenen Körpers.754 Das Erlernen der Labannotation erfordert von Tanzstudierenden nicht nur die Übernahme eines Schriftsystems, sondern auch fundierte Kenntnisse der Laban‘schen Bewegungsanalyse. Mit der Schrift können in abstrahierter Form Bewegungen in den Dimensionen Raum und Zeit erfasst werden, die Lageveränderung einzelner Körperteile zum Raum, chronologisch und simultan, sowie Bewegungsqualitäten und choreographische Arrangements notiert werden. Sie stellt sowohl ein Instrument zur Bewegungsanalyse wie auch zur Komposition und Archivierung von Choreographien dar. Bis heute werden Studierende an der Folkwang Universität darin unterrichtet. Laban gab wirkungsmächtige Anstöße an die nächsten Generationen weiter. Er wirkte über die Grenzen Deutschlands hinaus, vor allem in England nach der Emigration. Über seinen Schüler Kurt Jooss, der auch die Tanzabteilung der Folkwang-Schule in Essen 1927 mitgründete und nach seiner Rückkehr aus dem englischen Exil ab 1949 einige Protagonistinnen des Tanztheaters der 1960er und 70er Jahre ausbildete, z. B. Pina Bausch, Reinhild Hoffmann und Susanne Linke, leben seine Einflüsse in Deutschland fort.755 William Forsythe, zeitgenössischer Choreograph, konzipiert seine Improvisation Technologies ausgehend von Labans Bewegungslehre. In Forsythes’ Tanzästhetik „wird die Improvisation als räumlich orientierte, formale Be751 752 753 754 755

Vgl. Huschka 2012, 178. Laban 1981, 109. Drewes 2012 o.S. Vgl. Kennedy 2014, 73. Vgl. Servos 2001, 177.

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wegungserzeugung verstanden“756. Labans Grundkonzept, seine „Bewegungsthemen“757 und „Antriebsaktionen“ (s. u.) bilden sowohl in Amerika als auch in Europa bis heute die Basis für kreativen und experimentellen Tanz. Auch in der Tanztherapie kommt sein System zum Einsatz.758

6.2.3 Selbsterfahrung und Körperaneignung Laban betrieb experimentelle Tanzforschung, bei der er unter anderem zu einer „tiefgehenden Beobachtung der körperlichen Artikulationsmöglichkeiten“759 anregt. Im folgenden Abschnitt ist zumeist der Blick auf das Individuum gerichtet. Zur tänzerischen Erfahrung gehört allerdings auch das Phänomen, sich durch die Bewegung zu anderen in Beziehung zu setzen. Antja Kennedy zufolge spielt der Gedanke der Beziehung von Anfang an eine Rolle bei Laban, verstärkt allerdings erst in seinem Buch The Mastery of Movement on the Stage (1959)760. Eine bewegte Beziehung etabliert sich zu einem Gegenüber, einem Gegenstand, Personen oder eigenen Körperteilen. Abstände verringern oder vergrößern sich. Das physische In-Kontakt-Kommen mit etwas ereignet sich, indem Tanzende „berühren, gleiten, Übertragen des Gewichtes, tragen und halten“761. Beziehung stellt sich auch über den Raum hinweg, ohne Berührung her.762

6.2.3.1 Raumschaffende energetische Körper Das künstlerische Ideal ist mit dem Bild eines autonomen, an keine Zwänge gebundenen Menschen eng verknüpft. „Der Mensch war Laban zufolge nurmehr seiner eigenen Erfahrung verpflichtet, die der Tanzkünstler in überpersönlichen Werken formulieren sollte.“763 Laban differenziert in seinen Ausführungen nie zwischen Mann und Frau, männlichem und weiblichem Körper oder männlichen und weiblichen Bewegungen. Im Mittelpunkt steht das Gemeinsame menschlicher Körper. Grundsätzlich stellt sich Laban den 756 757 758 759 760 761 762

Lampert 2007, 20. Vgl. Laban 1981, besonders 39–65. Vgl. Fleischle-Braun 2001, 61. Fleischle-Braun 2016, 57. Dt. Kunst der Bewegung, Wilhelmshaven 1988. Laban zitiert in: Kennedy 2014, 74. Tanzpädagogisch relevant ist heute die auf dieser Basis erarbeitete Systematisierung durch Ann Hutchinson, die fünf Abstufungen der Beziehung unterscheidet. Diese geben an, „ob der Tänzer sich eines Gegenübers gewahr ist, es anspricht, in der Nähe bleibt, es berührt oder unterstützt.“ Kennedy 2014, 74. Unterschieden werden kann auch die Dauer der Beziehung (kurzzeitig, vorübergehend, anhaltend) und die Art (passiv, aktiv). Vgl. Kennedy 2014, 76. 763 Servos 2001, 176.

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Körper als von Bewegungsenergie durchflutet vor. Diese gewinne im Tanz Gestalt. Dem entspricht seine Ausdruckstheorie: Körperlicher Ausdruck resultiert danach aus einer Serie von Ereignissen, die sich eines nach dem anderen durch den Körper hindurch bis an dessen Oberfläche kanalisierten und dem spirituell-inneren Bereich eine visuelle Ansicht geben. Niedergeschlagen hat sich ein Ausdruck der Seele764, wahrgenommen in einer Art Empfindung im Körper. Die Empfindung oder das Gefühl des Körpers löst sich in der Bewegung (oder einer Geste) nach außen.765

Der tänzerische Ausdruck einer spirituellen Innenwelt realisiert sich demnach in einem Dreischritt von innerer Regung, körperlicher Affizierung und äußerer Gestalt. Auf diesem Weg der Transformation ruft der energetische Zustand des Körpers den Wechsel von Anspannung und Abspannung hervor. Der Körper tritt außerdem in ein dynamisches Verhältnis zum Raum.766 Jede Bewegung wirkt auf den Körper, verändert und destabilisiert ihn, da eine stabile, vertikale, symmetrische Struktur verlassen wird. Durch die Bewegung wird ein kinetischer Tanzraum geschaffen, der Körper ist selbst Raum, mit einem durch ihn definierten Umraum, der Kinesphäre oder Raumkugel767. Dieser Bereich ist dadurch definiert, dass er mit normal ausgestreckten Gliedmaßen ohne Veränderung des Standortes erreicht werden kann.768 Körperraum und Kinesphäre treten wiederum mit dem Tanzraum in Beziehung, so dass sich alle drei dadurch transformieren. Tanzende sind also nicht lediglich Objekte, die im Raum ihre Position ändern: Vielmehr ist der Tanzkörper als einer aufgefasst, der in Bewegung seinen eigenen Zustand verändert und als eigene Raumexistenz einem dynamischen Prozess unterliegt. Körper und Raum werden in einer sich durchdringenden Beziehung gedacht, in der sich beide, unstet und relativ, gegenseitig bedingen.769

Das bedeutet, der Tanzraum als solcher ist keine objektive Größe, kein Newtonscher absoluter Raum, den Tänzer lediglich als Bedingung vorfinden, sondern die Bewegung erschafft den Raum, weil sie ihn erst wahrnehmbar macht. Die Tanzende kommuniziert Ausdruck mit raumschaffender Bedeutung. Das unterscheidet den Ausdruckstanz vom Ballett. Denn im klassischen Tanz wird dem Körper eine Position innerhalb einer vorgegebenen Weltord764 Unter Seele versteht Laban „jenen von Träumen erfüllten Teil unseres Seins“ (Laban 1981, 112). „Wir Künstler und insbesondere wir Tänzer haben die Aufgabe, in das Reich der Seele hineinzuleuchten.“ (Laban 1989, 171). Dies soll nicht nur Reichen zugänglich sein. „Was wir leisten, gehört allen Menschen.“ (Laban 1989, 172). 765 Huschka 2012, 169. 766 Vgl. Huschka 2012, 170. 767 Vgl. Laban 1991, 21. 768 Vgl. Laban 1981, 100. 769 Huschka 2012, 172.

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nung zugewiesen, die „kosmologische Symbolkraft“770 hat, indem sie auf absolute Herrschaft verweist, sei es der Hof in der Monarchie oder auch Gott in einer denkmöglichen religiösen Version des Balletts. Tänzer eignen im Tanz ihren Körper über eine intensive Relation zur Kinesphäre und den durch die Bewegung erzeugten Tanzraum an. Sie gewinnen dadurch eine Art „Lebenserfahrung“, bei Laban gefüllt durch die Fähigkeit zur „Konzentration auf bestimmte Rhythmen und Raumformen der Bewegung“771. Die Aneignung der Raumharmonielehre Labans erfolgt über die systematische Erarbeitung der Beziehungen von Körper und Raum mittels schwingender Bewegungen von der Körpermitte aus in verschiedene Richtungen. Alle Raumdimensionen werden auf diese Weise erfasst und eine determinierte Koordination des Körpers eingeübt. Der Körper erlangt Flexibilität in alle Richtungen. Zudem steigert sich die „Erfahrung der eigenkörperlichen Raumtiefe“772, also das Bewusstsein für den Raum, den der eigene Körper darstellt, nach Innen und im unmittelbaren Bewegungsumraum, der Kinesphäre. Der Körper einer sich bewegenden Person stellt eine Einheit dar, die „dem inneren Impuls eines mysteriösen autonomen Willens“773 folgt. Deharde allerdings sucht die Erschließung des „Erlebnisbereiches“ des körperlichen Innenraums noch weiter zu treiben. Zwar sehe Laban den Menschen als Mittelpunkt, „um den herum die verschiedenen Bezugspunkte im Raum verbunden werden. Der Mensch verbindet; er ist aber noch nicht wirklich einbezogen.“774 Der Schlüssel zu emotionalen Ausdrucksqualitäten liege darin, die Wahrnehmungsfähigkeit zu erweitern bis hin „zu transpersonalen Seins-Erfahrungen“775. Im Modern Dance geht es um das Erlernen von Bewegungsprinzipien776, nicht einzelner Bewegungsmuster oder Schritte. Dies stellt einen Unterschied etwa zu historischen oder Volkstänzen dar. „Verglichen mit den Überresten mittelalterlicher Volkstänze und mit den Bewegungsformen aus der Zeit absolutistischer Herrscher ist der ,Modern Dance‘ reicher an Gesten und Schritten und bietet mehr Freiheit.“777 Zu den Grundlagen einer freien Tanztechnik gehört der Umgang mit acht elementaren Antriebsaktionen: Drücken, Flattern (leichtes Schlagen), Stoßen (Stechen), Schweben (Fliegen), Wringen, Tupfen, Peitschen, Gleiten.778 Es lassen sich allerdings eine Vielzahl wechselnder Schattierungen und Zwischentöne innerhalb dieser Primäraktionen

770 771 772 773 774 775 776 777 778

Huschka 2012, 173. Laban 1981, 113. Huschka 2012, 176. Laban 1991, 28. Vgl. Deharde 1978, 29. Vgl. Deharde 1978, 29. Vgl. Laban 1981, 22. Laban 1981, 16. Vgl. Laban 1981, 75–89.

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unterscheiden.779 Das Repertoire entstammt Alltagsbewegungen, setzt also bei der alltäglichen Körpererfahrung von zeitgenössischen Menschen an.780 Weder wird eine archaische Natürlichkeit postuliert, noch werden gekünstelte Verrenkungen erfunden.

6.2.3.2 Persönlichkeitsbildung durch Bewegungserfahrung Die Selbsterfahrung der Tanzenden wird von Laban explizit kaum thematisiert. Erfahrung bezeichnet im Grunde Erfahrung mit körperlicher Bewegung: „Das völlige Eintauchen in ein so wesentliches Medium des Lebens wie die Bewegung hat den Vorteil, daß es die Erfahrung mit praktisch verwendbaren Körperaktionen vergrößert.“781 Er kann sagen: „Our own movements and those we perceive around us are basic experiences.“782 Dabei geht es vorwiegend um Raumerfahrung, beispielsweise um ein Gefühl dafür, dass durch Bewegung Räume dynamisiert werden. Allerdings geschieht durch das Tanzen auch Persönlichkeitsbildung in dem Sinn, dass eine Schulung in dem Ensemble von Bewegungsqualitäten, die Facetten menschlicher Erfahrung und menschlichen Verhaltens verkörpern, den Menschen Potenziale ihrer Persönlichkeit eröffnen kann, die sie ohne den Tanz vernachlässigt hätten.783 Der Bewegungsfluss des freien Tanzes ist wie Wasser lebenserhaltend: Der Fluß der Bewegung erfüllt all unsere körperlichen Funktionen und unsere Handlungen, er setzt die uns schädlichen inneren Spannungen frei; er ist ein Mittel der zwischenmenschlichen Kommunikation; denn all unsere Ausdrucksformen wie Sprechen, Schreiben und Singen werden vom Bewegungsfluß getragen. Tanz, im Sinne eines völligen Eintauchens in den Bewegungsfluß bringt uns daher in engere Berührung mit einem Medium, das all unsere Aktivitäten trägt und durchdringt.784

Laban ist überzeugt, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene durch Tanz ihre Persönlichkeit bilden können. „Tanz erfordert Überwindung der Trägheit.“785 Er hebt die Leistung Isadora Duncans hervor, die sich als Pädagogin und Tänzerin für die Wirkung von Bewegung auf die „innere und äußere Haltung dem Leben gegenüber“786 interessiert hatte. Diese Suche war neu und bemerkenswert, da sie genau in die Zeit der Industrialisierung fiel. 779 780 781 782 783 784 785 786

Vgl. Laban 1981, 116. Vgl. Laban 1981, 42. Laban 1981, 113. Laban zitiert in: Huschka 2012, 173. Vgl. Laban 1981, 115 u. ö. Laban 1981, 112. Laban 1922, 10. Laban 1981, 18.

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Die Bewegung hatte man bis dahin – zumindest in unserer Zivilisation – nur als Mittel zum Zweck angesehen, dessen sich der Mensch zum Erreichen eines praktischen Zieles bediente; nun erschien sie als machtvolle unabhängige Kraft, fähig, innere Zustände hervorzurufen, die sich im Menschen oft stärker als sein Wille erwiesen. Dies war eine recht beunruhigende Entdeckung zu einer Zeit, in der durch Willenskraft vollbrachte Leistungen als höchstes Ziel menschlichen Strebens galten.787

Die Antriebskräfte gelten ihm als Ausdruck der im Menschen lebendigen Energie, sie können und sollen verfeinert und intensiviert werden. Dadurch entwickeln sich verschiedene Energiequalitäten. „Bewegungsantrieb ist der gemeinsame Nenner für alle die Bestrebungen von Körper und Geist“788. Durch die konsequente Pflege des Tanzens kann das spontane Wachsen und Entfalten dieser Energiequalitäten unter Umständen das ganze Leben hindurch bewahrt werden. Da dies in unserer Zivilisation nur allzu selten geschieht, ist es verständlich, warum bei Jugendlichen und Erwachsenen das Bedürfnis zu tanzen proportional in dem Maß abnimmt, in dem sie älter werden. Sie werden einfach überfordert von ihren alltäglichen Pflichten und dem vielfachen Einsatz von einzelnen, isolierten Energiequalitäten, die für ihre Aktivitäten notwendig sind. Dem Erwachsenen wird es schließlich genauso unmöglich, eine größere Anzahl von Gelenken zu koordinieren, wie es dem Kleinkind unmöglich war, die Gelenke isoliert zu gebrauchen. […]789 Wir haben also festgestellt, daß Tanzen die Unlustgefühle auflöst, die entstehen, wenn bei Aktionen mit isolierten Gelenkbewegungen die Bewegung des ganzen Körpers unterdrückt wird. Wir fanden hierin eine der Ursachen für das Bedürfnis zu tanzen. Ein anderer, nicht weniger gewichtige Grund liegt darin, daß diese im Tanz freigesetzten Bewegungen des ganzen Körpers aus einer mehrfach wiederholten Reihe simultaner Energiequalitäten besteht, die sorgsam miteinander ausbalanciert sind; diese Ausgewogenheit verschafft einen ähnlichen ästhetischen Genuß wie die Farbkomposition eines Bildes oder Klangharmonien in der Musik.790

6.2.3.3 Ästhetik, Energie und Spiritualität bei Laban In diesem Zusammenhang lohnt es sich, den Begriff Energie näher zu betrachten. Energie ist eine Qualität, ähnlich der griechischen en rgeia791, die von Tanzenden erzeugt und erfahren werden kann. Jeder muskuläre, mentale und imaginäre Krafteinsatz bringt energetische Ausdrucksgestalten hervor. Diese haben eine ästhetische Dimension, da sie Wirkungen bei Zuschauern 787 788 789 790 791

Laban 1981, 18 f. Laban 1981, 32. Laban 1981, 32. Laban 1981, 32 f. Vgl. Huschka 2013, 204.

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erzeugen. In einer eigenen effort theory klassifiziert Laban Ausdrucksschemata „nach räumlichen und zeitlichen Aspekten, dem Einsatz von Kraft und ihrem Charakter des flow (Bewegungsfluss)“792. Was der Ausdruckstanz ausdrückt, sind nicht subjektive Erlebnisse, Gefühle oder Wünsche der Tanzenden. Ausdruck ereignet sich vielmehr in dem komplexen Geschehen, das Körper und Räume energetisiert und durch den Wechsel von Bewegungsqualitäten und Raumrichtungen sinnhafte Formen komponiert, deren Inhalte zwar nicht verbal übersetzt, durch Empathie aber doch begriffen werden können. Durch die detailliert ausgearbeitete Tanztechnik verfügen nach Laban geschulte Tänzer_innen über Strategien, um Energie im Körper zu aktualisieren und Verwandlungsprozesse anzuregen. Denn „Energie tritt im Tanz als Bewegung auf und entfaltet sich durch die anwesenden Körper auf der Bühne in bewegungstechnischen und kompositorisch angelegten Transformationsvorgängen.“793 Ausgehend von Huschkas These, Körpertechniken sprächen von „Energie in den unterschiedlichsten spirituellen Figurationen, womit ihre Qualitäten eher mit Aspekten des Religiösen als des Ästhetischen belegt sind“794, nehme ich nicht nur bei Laban, sondern auch in anderen Tanztechniken einen Zusammenhang von Tanz und Spiritualität (in einem weiten Sinne) an. Während Huschka sodann ihr Interesse am Energetischen als „ästhetische Kategorie“795 bekundet und ihre eigene Auffassung von Spiritualität nicht weiter offenlegt, geht es dieser Arbeit viel mehr um Fragen des Ästhetischen in ihrer Beziehung zum Spirituellen und zur Religion. Kann Energie außer einer ästhetischen Funktion, der „ästhetische[n] Wirkungskraft“796, auch eine spirituelle Funktion haben? Hierfür wird zu klären sein, inwiefern ästhetische und spirituelle Erfahrung zu unterscheiden sind und was sie gemeinsam haben. Ist es überhaupt möglich, ästhetische Wirkungen von spirituellen zu trennen? In Teil C, Kapitel 5 wird dies noch zu reflektieren sein. Insgesamt kann mit Moore festgestellt werden, that Laban was concerned to integrate scientific outlook with a spiritual perspective that recognized human movement as more than a physical phenomenon. […] Beyond the secular manifestations of theatrical and social dance, he longed to recover the transformative power of movement.797

792 793 794 795 796 797

Huschka 2013, 204. Huschka 2013, 202. Huschka 2013, 203. Huschka 2013, 203. Huschka 2013, 204. Moore 2009, 246. Moore entwirft diese Spiritualität unter Bezug auf die Kategorie Rosikruzianismus. Allerdings gelingt es ihr nicht, Einflüsse im Einzelnen nachzuweisen außer einer allgemeinen Tendenz zu holistischem Denken.

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Einerseits scheint Labans Spiritualität von intensiven Naturerfahrungen geprägt zu sein.798 Andererseits kann er von Tanz und Erfahrungen mit Körperbewegung mitten im Leben in einer Sprache reden, die beinahe religiöse Züge trägt: Was man in einer Bewegung erlebt, kann man niemals mit Worten sagen. Es gibt ein andächtiges Schreiten, das wir kaum beachten. Höhere Dinge als bloße Zärtlichkeit und Hingabe strömen dabei in uns hinein und aus uns heraus.799

Als Choreosophie bezeichnet Laban eine Wissenschaft, deren Wurzeln er bei den Pythagoräern verortet, im Grunde aber als noch weit archaischer auffasst: Die Weisheit der Kreise ist so alt wie die Erde. Sie gründet auf einer Auffassung vom Leben und auf seiner Bewußtwerdung, die in der Magie verwurzelt ist und von den Völkern in den Anfängen der Zivilisation gepflegt wurde. Spätere religiöse, mystische und wissenschaftliche Epochen setzten die Tradition fort. Die ursprünglichen Überzeugungen von der außerordentlichen Rolle, die der Kreis in der Harmonie, im Leben, ja sogar in der ganzen Existenz spielt, überdauerte die vielen Wechsel in Geisteshaltung, Stimmung und Gefühl, die sich durch die ganze Menschheitsgeschichte hindurchziehen.800

Anhand von Beobachtungen beim sakralen Tanz der Derwische801 und Schwertertanz stellt sich bei Laban die Erkenntnis ein, Tanzen könne Macht über Menschen erlangen und sie in einen anderen Bewusstseinszustand treten lassen, „ein Wunder, eine unbegreifliche Naturüberwindung!“802. In der Beobachtung internationaler Volkstänze beeindruckt Laban die „Macht des Gemeinschaftstanzes“803. Religiös überhöht erscheint Labans Tanzverständnis in folgenden Äußerungen aus dem Jahr 1935: Der Tanz rührt nicht nur allgemein stimmungsmäßig [wie die Musik, TS], sondern er überzeugt. An einem lebendigen Menschen, der sich als Ganzes, seinen Körper inbegriffen, erhöht und opfert, nehmen wir Kämpfe von Willensregungen wahr. Der Tanz zeigt uns den Menschen in einem Zustande, in dem sein ganzes Wesen über das Rohmaterielle siegt oder zumindest dagegen ankämpft. Der Dichter-Philosoph und auch der Musiker stellen sich mehr abseits vom Leben. Sie lassen Töne oder Gedanken sprechen. Der Tänzer durchtränkt das Lebendigste, den menschlichen Leib mit den sonst nur abseits wahrnehmbaren Gewalten und stellt seinen Leib damit in höherer Erscheinungsform vor uns. Wir sehen den Quell durch diese Form hindurch, 798 In seiner Autobiographie zeigt sich die enge Beziehung zur Natur an vielen Stellen. Unter anderem bezeichnet er die Erde als seine Vertraute. Vgl. Laban 1989, 24. 799 Laban 1989, 49 f. 800 Laban 1991, 7. 801 Anhänger des mystischen muslimischen Mevlevi-Ordens, gegründet vom Sufi Rumi. 802 Vgl. Laban 1989, 69–73. 803 Laban 1989, 143.

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wir sehen die eigenste Wirklichkeit einer anderen höheren Welt, die wir sonst nur im Gewissen verspüren.804

Die Kampf und Sieg-Rhetorik entspricht dem damaligen Zeitgeist805 und repräsentiert eine Religiosität ohne nennenswerten Zusammenhang mit dem Christentum. Außerdem spricht sich in dem Zitat ein anachronistischer GeistMaterie-Dualismus aus. Bemerkenswert ist allerdings, dass gerade der Körper, der ansonsten der Materie als Leib zugeschlagen wird, durchsichtig für Transzendenz werden kann. Geradezu befreiend wirkt die Bemerkung: „Das Heitere, ja selbst das Derbe, kann oft durchsichtiger in die Tiefe der Seele blicken lassen, als die feierliche Zurückhaltung.“806 Gewollt sakrale, feierlichgemessene Haltungen und Tanzformen wären demnach nicht wirkungsvoller oder spiritueller, sondern möglicherweise sogar hinderlich. 6.3 Martha Graham To me, the body says what words cannot. I believe that dance was the first art. […] Dance is the hidden language of the soul, of the body. Martha Graham807

Die US-Amerikanerin Martha Graham (1894–1991) setzte sich in ihrem Werk bewusst mit ihrem puritanischen Erbe auseinander.808 Ihre Stücke standen häufig in Beziehung zu christlichen oder biblischen Themen.809 Spirituelle 804 Laban 1989, 219 f. 805 Labans Autobiographie von 1935 (vgl. Laban 1989) offenbart seine Anfälligkeit für nationalsozialistisches Gedankengut. In tanzwissenschaftlicher Literatur wird dies aufgrund der Emigration Labans und dem Zerwürfnis mit dem NS-Regime m. E. nicht ausreichend gesehen. Die Autobiographie enthält aus heutiger Sicht an zahlreichen Stellen rassistische Äußerungen. Davon ist besonders die Schilderung seiner Reise in die USA betroffen. Er schreibt von dienenden Rassen (vgl. 147) und der Unfähigkeit der ,Neger‘ zu höheren Kulturleistungen (vgl. 168). Er dichtet in völkischer Diktion (vgl. 190) und rühmt sich der Nähe zu Wagner und seinem Sohn Siegfried (vgl. 212). 806 Laban 1989, 220. 807 Graham 1985. 808 „I’ve always said there are three things I never discuss: one is religion, one is politics and one is sex. I don’t discuss politics. I tell them about religion, what I was brought up as, but I never give an opinion about religion. I was brought up on the Bible by my Presbyterian grandmother, and I went to Sunday school and church, but I was never a sectarian person. When I was about 13 or 14 I was teaching Sunday school and playing the organ down in the playroom with the children.” Graham 1985. 809 Vgl. U. a. 1926: Baal Shem, 1927: Madonna, 1929: Vision of the Apocalypse, 1931: Two Primitive Canticles (solo), Ave, Salve, 1931: Primitive Mysteries (MG and group): Hymn to the Virgin, Crucifixus, Hosanna, 1950: Judith, 1951: The Triumph of Saint Joan und viele andere. Daneben steht ein Werk, in dem spirituelle Themen und die Auseinandersetzung mit Religiosität immer wieder Raum einnehmen. Im Mittelpunkt steht dabei der Mensch mit seinem Leben und den erlebten psychischen Prozessen.

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Anregungen bezog sie sehr stark aus dem Buddhismus, beschäftigte sich aber auch mit dem antiken Mythos der Griechen sowie religiösen Riten unterschiedlicher Kulturen, z. B. indianischer. Kirchenräume gehörten äußerst selten zu ihren Auftrittsorten; soweit sich feststellen ließ, trat sie nie im Gottesdienst auf. 6.3.1 Biographische Notizen Die Tänzerin und Choreographin gilt neben Laban als Schlüsselfigur für die Entstehung des Modern Dance. Darunter ist eine eigene tänzerische Bewegungssprache zu verstehen, eine neue Art, mit Bewegung und Musik umzugehen im Unterschied zu dem „hoch spezialisierten Zeichensystem des klassischen Balletts“810. Paradoxerweise ist sie selbst mit diesem Etikett nicht glücklich: „,Modern Dance – moderner Tanz‘ veraltet so schnell. Aus diesem Grunde verwende ich immer den Ausdruck ,Contemporary Dance – zeitgenössischer Tanz‘, der zu seiner bestimmten Zeit gehört. Ich spreche überhaupt nie von ,Modern Dance‘, den gibt es nicht.“811 Als Tanzpädagogin812 entwickelte sie die bis in die Gegenwart praktizierte Graham Technique, eine Bewegungslehre und anspruchsvolle Körperschulung, ohne sich je dieses Ziel gesetzt zu haben.813 Zeitlebens verstand sie sich in erster Linie als Tänzerin und nahm im hohen Alter nur schweren Herzens Abschied von der Bühne.814 Graham kommt relativ spät zum professionellen Tanz. Sie wird 1894 in einem mütterlicherseits puritanischen, gutsituierten815 Elternhaus in Pittsburgh geboren. Die Gemeinde aus „frommen, bigotten Presbyterianern“ langweilte sie „zu Tode“816. Der Vater war eine Zeitlang katholisch, und auch sie hat einige positive Erfahrungen mit katholischen Kirchenräumen und Gottesdienst.817 In ihrer Jugend in Santa Barbara, Kalifornien, wächst der Drang zu tanzen. Während manche annehmen, der Vater, ein Psychiater, habe den Tanz stark abgelehnt, betont sie selbst ihre freiheitliche Erziehung, bei der 810 Rosiny 2007, 11. 811 Graham 1992, 236. Sie unterschied prinzipiell nur zwischen zwei Arten von Tanz, gutem und schlechtem; vgl. Schmidt 2002, 96. Aktuell setzt sich die definitorische Schwierigkeit mit dem Begriff Zeitgenössischer Tanz fort. Vgl. Rosiny 2007, 12. 812 Sie lehrte Merce Cunningham und andere bedeutende Tänzer_innen des 20. Jahrhunderts. 813 „I never set out to create a technique. I started out on the floor to find myself, to find what the body could do, and what would give me satisfaction – emotionally, dramatically and bodily. But I did not ever dream of establishing a technique. I still can’t believe anything like that happened.” Graham 1985. 814 In der Autobiographie notiert sie, als Tänzerin von der Nachwelt erinnert werden zu wollen (vgl. Graham 1992, 236). Mit 75 tanzte sie zum letzten Mal auf der Bühne, noch mit 96 Jahren wirkte sie als Choreographin. 815 „I was brought up with money. […] Through all my childhood, all my education, I had no privation.” Graham 1985. 816 Graham 1992, 51. 817 Vgl. Graham 1992, 53.

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sie ermutigt wurde, zu tun, was sie mochte.818 1916 nach Abschluss der High School und dem Tod ihres Vaters tritt sie – 22jährig – in die legendäre Denishawn-School ein. Deren Gründer Ruth St. Denis und Ted Shawn unterrichten sie zunächst noch nicht im Tanzen. Graham hatte bis dahin keinerlei Ausbildung genossen. Erst im Laufe der Zeit kann sie durch ihr Talent überzeugen und wird in die Tanz-Company aufgenommen, wo sie Hauptrollen erhält. Die Schüler werden in Ballett, Orientalischem Tanz und später auch in modernem deutschem Tanz geschult. Der Tanzstil lebt von Emotionen und macht Anleihen bei fremden Kulturen wie etwa der Kultur der Azteken und des Hinduismus. Grahams Lehrer betonen die Universalität des Tanzes, Individualität und Kreativität werden angeregt. Davon werden auch die später mit Graham prägenden Gestalten des Modern Dance Doris Humphrey und Charles Weidman angezogen. Als Graham die Company 1923 im Alter von 29 Jahren verlässt, ist sie eine hervorragende dramatische Tänzerin, allerdings „still enmeshed in an eclectic und essentially decorative technique and style“819. Es folgt eine Zeit des „heartsearching“820, technischer Experimente und der Entwicklung. Sie vertieft ihr Verständnis der modernen Welt und ihres Platzes darin. Innerhalb weniger Jahre befreit sie sich von den Einflüssen Denishawns und findet zu ihrem Stil.821 1925 erhält sie einen Lehrauftrag in New York822. Als unabhängige Künstlerin debütiert sie dort 1926 mit ihrer ersten Tanzgruppe „M. G. and Trio“823. Bereits 1924 gründet sie in Manhattan die Martha Graham School of Contemporary Dance.824 Louis Horst ist bis 1948 ihr Klavierbegleiter und musikalischer Direktor. Ihm verdankt sie nicht nur die Kompositionen für einige ihrer bekanntesten Stücke. Er interessiert sie auch für zeitgenössische Kunst wie etwa die Maler Matisse und Kandinsky, für zeitgenössische Musik, macht sie auf primitiven Tanz825 aufmerksam und gibt ihr Rückhalt in anstrengenden kreativen Phasen, in denen sie bis an ihre eigenen Grenzen ging 818 Vgl. Sabin 1962, o.S.; Schmidt 2002, 96. Vgl. dagegen Graham 1992, 60: „Was auch immer über mich und meine Erziehung gesagt worden ist, meine Eltern waren niemals dagegen, daß ich Tänzerin werden wollte. […] Sie störten meine Pläne niemals. Ich durfte alles tun, was ich wollte.“ 819 Sabin 1962, o.S. 820 Sabin 1962. 821 Ihre Leistung besteht nach Sabin darin, einen für zeitgenössische Menschen bedeutsamen Tanz geformt zu haben: „she has forged a dance, that leads us to the wellsprings of life itself, a dance that is vitally important to every one of us.“ Sabin 1962, o.S. 822 An der neu eröffneten School of Dance and Dramatic Art der Eastman School of Music. 823 Vgl. Schmidt 2002, 96. 824 Nach Schmidt 2002, 97. 825 In diesem Zusammenhang ist darunter Tanz aus den Quellen der Traditionen indigener Völker zu verstehen. Gundlach weist darauf hin, dass primitiver Tanz relevant ist für die Suche nach religiös verstandenem Tanz, da von der Annahme ausgegangen wird, dass „in sogenannten primitiven Gesellschaften alles religiös ist, somit keine Trennung zwischen Religiösem und Nicht-Religiösem Tanz existiert“. Gundlach 2002, 181.

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(agonizing creative struggles)826. In den 1950ern bringen ihr Tourneen in Europa und Asien Weltruhm. Sie ist mehrfach in Israel und macht auf den Orient nachhaltig Eindruck. 1957 tanzt sie das Solo Judith zur Eröffnung der Benjamin Franklin Kongresshalle in Berlin. Der 1956 gedrehte Film A Dancer’s World erhält mehre Preise auf internationalen Filmfestivals. Graham hinterlässt bei ihrem Tod 1991 ein beeindruckendes Lebenswerk. Bereits 1962 wird dies von Robert Sabin auf den Punkt gebracht: In the thirty-five years since that historic concert in 1926 Martha Graham has added a new language and concept to world dance. She has revolutionized lighting, costuming, stage design and musical composition for dance. She has created over 125 works, many of them undisputed masterpieces. She has trained and inspired two generations of modern dancers.827

Rückblickend auf ihr Lebenswerk stellt der Tanzkritiker Jochen Schmidt fest, dass sie „zu den Jahrhundertfiguren nicht nur der Tanz-, sondern der Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts“828 gehöre.

6.3.2 Künstlerisches Profil 6.3.2.1 Tanz als verborgene Sprache der Seele Grahams Tanz geht zurück an die Quellen des Tanzes. Diese Suche nach dem Ursprung versteht sie als spirituellen Weg. Tanz sei die verborgene Sprache der Seele. So entsteht ein Tanz, der als „kinetisches Psychogramm“829 bezeichnet werden kann. Er macht innere psychische Prozesse auf abstrahierte Weise sichtbar. Ihre Stücke gleichen „Erkundungsfahrten ins Herzensinnere.“830 Entscheidend ist, dass nicht etwas außerhalb des Menschen durch die Bewegung vordergründig imitiert wird, sondern die Bewegung im Inneren ihre Quelle besitzt. Daher sagt sie: „dance is an absolute. It is not knowledge about something, but is knowledge itself. In that sense it is like music. […] Every dance is a kind of fever chart, a graph of the heart.“831 Um den Körper zu befreien, so dass er in der Lage ist, eine innere Landschaft sichtbar zu machen, entwickelt sie eine eigene Technik. Die Grundelemente sind perkussive und dynamische Energie-Impulse im Körper und dessen enge Beziehung zum Boden.832 Körper bewegen sich im Wechsel von contraction und release. Diese 826 827 828 829

Vgl. Sabin 1962. Sabin 1962. Schmidt 2002, 99. Werner Jakob Stüber überschreibt seine Ausführungen über Martha Grahams Tanz mit „Tanz als kinetisches Psychogramm“, Stüber 1984, 125. 830 Schmidt 2002, 97. 831 Martha Graham zitiert in: Sabin 1962. 832 Vgl. Sabin 1962. Siehe dazu auch den Film A Dancer’s World von 1956.

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wechselnden Zustände sind analog zum Atemrhythmus zu sehen. Sie strömen durch den gesamten Körper.833 „Das Anzapfen dieses Energiezentrums ist verbunden mit dem Wunsch, emotionale Zustände und Erinnerungen an psychische Zustände aufzuschließen, die die Gefühle der Rollenfigur, die die Tänzerin tanzt, für die privaten Erinnerungen der Tänzerin durchlässig macht.“834 Jeder einzelne Tanz erfordert seine eigene Technik und schöpferischen Ansatz, sie glaubt, „that content and form are functions of each other.“835 Formen werden nicht einem vorgegebenen Kanon entnommen und mit Inhalten gefüllt, sondern im Kontext immer wieder neu entwickelt. Für den Sinngehalt, dessen Deutung jedoch weitgehend den Zuschauenden abverlangt wird, ist die Form konstitutiv. Der Tanz ist eine eigene Sprache mit anderen Möglichkeiten als die gesprochene Sprache. In einigen Stücken werden Sprache und Tanz kombiniert. Die Worte tragen in dem Fall das Werk nicht, bereichern es jedoch. Dies kann sie sagen von den poetischen Worten in einem ihrer letzten Stücke (Song of Songs), die sie als schön und für das Stück unverzichtbar empfindet. Grundsätzlich hält sie jedoch den Körper für ein einzigartiges und der Wortsprache überlegenes Ausdrucksinstrument, weshalb Tanz die älteste Kunst sein dürfte: To me, the body says what words cannot. I believe that dance was the first art. A philosopher has said that dance and architecture were the two first arts. I believe that dance was first because it’s gesture, it’s communication. That doesn’t mean that it’s telling a story, but it means it’s communicating a feeling, a sensation to people. Dance is the hidden language of the soul, of the body.836

Die Musik wiederum hat ihr eigenes Recht als Sprache. Sie ordnet weder den Tanz der Musik unter, in dem Bestreben sie zu interpretieren, noch umgekehrt. „I do not interpret the music. That’s why I could never do a symphony or a sonata or something like that. I feel the music interprets itself, it speaks its own language.“837 6.3.2.2 Tanz als Kunst im gesellschaftlichen Kontext Ihr künstlerisches Schaffen ist im Kontext gesellschaftlichen Wandels zu sehen. Der Contemporary Dance von Graham nimmt Stellung zur zunehmenden Mechanisierung von Lebensbereichen, deren Rhythmus sich der Körper fügen muss. Dem Erschrecken über die Zerstörungspotenziale des Ersten Weltkriegs und der daraus resultierenden Wirtschaftskrise folgt der 833 Vgl. Willke 2010, 92. 834 Siegmund 2008, 39. 835 Sabin 1962. Bei ihrem Tod hinterließ sie fast 200 Stücke. Vgl. http://www.welt.de/13365427 (Abruf 2015/06/10). 836 Graham 1985. 837 Graham 1985.

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Verlust des Vertrauens in die Zukunft. Die Selbstverständlichkeit von Wohlstand und Fortschritt verliert sich. Für viele Menschen ist die Existenz ungesichert. Graham kann „Bewegungsgestalten, die in ihrer Qualität diese Probleme unterschlagen, nicht als adäquaten Ausdruck ihrer Erfahrungsumwelt betrachten.“838 Dieser Ansatz findet in der New-Deal-Ära von Präsident Roosevelt große Resonanz. Er kam einer linksliberal akzentuierten Popularisierung von Bildungsgütern entgegen. Kunst kann den Wandel im Denken und Leben der Menschen zum Ausdruck bringen, ist Graham überzeugt. Der Tanz gewinnt seine Qualität aus dem spezifischen Rhythmus der Zeit und dessen Psychodynamik. Schöne, fließende Bewegung hält sie vor dem Hintergrund für lediglich gefällig und wenig bedeutsam. „Ich wollte sie als eine mit innerer Bedeutung, mit Erregung und Drängen geladene.“839 Stücke wie American Provincials (1934), Frontier (1935) und Appalachian Spring (1944) erforschen die Psychologie ihres Landes, eingebettet in den historischen Kontext. Die Inszenierung ist hier wie auch bei anderen Themen einfach gehalten, die minimalistischen Bühnenbilder des Bildhauers Isamu Noguchi tragen dazu bei. Auch die Bewegungen sind schlicht bis abstrakt, Alltagsbewegungen integriert sie allerdings nicht. „Da die Tanzform von sozialen Bedingungen bestimmt wird, ist der amerikanische Rhythmus durchdringend und hart, bar von Unwesentlichem. Er ist etwas, das nur auf sich selbst bezogen ist, nicht aufgesetzt ist, ein Teil von dem Geist, der gewillt war, einem Pionierland die Stirn zu bieten“, betont Graham.840 In Deep Song (1937) thematisiert sie das Leid spanischer Frauen im Bürgerkrieg, indem psychische Prozesse sichtbar gemacht werden. Äußere Handlungsabläufe treten demgegenüber zurück. Sie sagt: „Ich stimme mit Picasso darin überein, dass ein Portrait keine physische oder geistige Ähnlichkeit aufweisen sollte, sondern vielmehr eine psychologische Ähnlichkeit“841. Anders als im bisherigen klassischen Tanz betreten nun erwachsene Frauen mit Kopf und Körper, nicht nur Jungfrauen oder Automaten, die Bühne.842 Neben gesellschaftspolitischen Motiven kommen in ihrem Werk auch religiöse zum Zug. Beide Stränge finden sich in dem Stück Appalachian Spring, „das ein Widerspiel verkörpert von ungebändigter lustbetonter Erwartungsfreude auf der einen und der hemmenden und bedrückenden Wirkung eines puritanischen Erbes auf der anderen Seite.“843 Die Bewegungen des Evangelisten sind sperrig und verkrampft, während der Tanz des verliebten Paares von explosiver Lebendigkeit ist. Die tänzerische Bewegung ist von Abstraktion gekennzeichnet. Graham interessieren der intersubjektive Moment und die psychischen Prozesse in einer bestimmten Situation. Eine Fülle von Stücken bezieht sich auf biblische 838 839 840 841 842 843

Stüber 1984, 126. Martha Graham, zitiert in Stüber 1984, 126. Übersetzung Stüber. Graham zitiert in: Stüber 1984, 127. Graham zitiert in: Stüber 1984, 129. Vgl. Schmidt 2002, 98. Stüber 1984, 127.

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und christliche Motive. Stellvertretend dafür sind zu nennen die Soli Judith, Gospel of Eve (1950) und The Triumph of Saint Joan (1951). Im Stück Lamentation (1930) geht es um Schmerz. Das Tanzsolo von Graham zeigt eine in einen dehnbaren Stoff gehüllte Frau, die sich zur Musik von Zoltan Kodaly windet, so dass der Eindruck einer zum Zerreißen gespannten Haut entsteht. Allerdings bleibt der Anlass des Schmerzes verborgen. Ein Gefühl wird abstrakt, kontextlos dargestellt. Darin scheint jedoch nach Stüber auch eine gewisse Problematik zu liegen: Wo in ihren Choreographien (vgl. Lamentation) Beweggründe tänzerisch unvermittelt bleiben, besteht die permanente Gefahr, daß ihr Tanz in eine Demonstration expressiver Exaltation abgleitet, weil im gestalterischen Akt der Bezug zu außerpsychischen Momenten nicht gegeben ist, und der dargestellte Prozeß in seiner choreographischen Konzeption allzu sehr von psychomotorischer Eigendynamik genährt wird. Nicht immer gelingt es ihr, diese Gefahr durch formale Gestaltung und unter Berücksichtigung theatralische [sic!] Elemente aufzufangen.844

Sobald außerpsychische Momente ins Spiel kommen, etwa durch die bei Zuschauern sich einstellenden Konnotationen (siehe unten), kommt die abstrakte Form m. E. zu ihrem Recht. Ihr Werk beinhaltet beides, abstraktere und mehr theatralische Choreographien. Mit Hardt plädiere ich dafür, zwischen Emotionalität und Abstraktion keinen Gegensatz zu konstruieren.845 Mit der Filmkunst gemeinsam haben die Stücke die schnellen Schnitte, Rückblenden und traumhaften Episoden.846 Choreographien erarbeitet Graham von einem gefühlsmäßigen Stimulus aus. Die entsprechende Bewegung bildet das Leitmotiv. Den Tänzern wird ein Freiraum gewährt, sich die Bewegungen in ihrem dramaturgischen Sinn zu erschließen.847 Der Tanz geht über subjektivistische oder rein emotionale Bewegungsgestalten hinaus. Stilistisch erschließt sie diesbezüglich Neuland, da die Vorläufer des Modern Dance um die Jahrhundertwende (Isadora Duncan, Ruth St. Denis) „emotionelle Antriebsmomente und atemphysiologische Rhythmen“848 ins Zentrum stellten. Bei Isadora Duncan geht Bewegung vom Solarplexus aus. Emotionale Gehalte aus dem Lebensumfeld werden in den Bewegungen reflektiert, unter anderem auch Naturphänomene wie das Wachsen einer Blume.849 Ruth St. Denis, Grahams erstes Vorbild, erzielte Wirkungen „durch die Suggestivkraft der Persönlichkeit der Tänzerin und ihrer orientalisch-mystischen Thematik.“850 BewegunStüber 1984, 130. Vgl. Hardt 2006. Vgl. Stüber 1984, 131. “I don’t try to tell the dancers exactly what a dance means before they do it. I can correct it and tell them what they have done after they have done it, and what it means to me. But I don’t say, ‘Be fearful here,’ ‘Be angry here’, because I think that’s intrusion.” Graham 1985. 848 Stüber 1984, 15. 849 Vgl. Stüber 1984, 125. 850 Stüber 1984, 106.

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gen werden aus einer emotionellen Befindlichkeit heraus erzeugt, Technik spielt eine untergeordnete Rolle. St. Denis schließt erotische Implikationen aus, sie verfolgt mystisch-religiöse Ziele, Kontemplation im Tanz und Erleuchtung. Politische Bezüge fehlen in ihrem Werk. Mit Graham ist ein neuer, amerikanischerer Stil verbunden.851 „Amerika ist nicht an Impressionismus interessiert. Unsere dramatische Stärke liegt in Energie und Vitalität.“852

6.3.3 Selbsterfahrung und Körperaneignung Die puritanische Auffassung vom Leben hat immer die Tatsache geleugnet, daß […] sowohl der Körper als auch der Geist an der Erfahrung beteiligt sind, und Kunst kann außer durch das ungeteilte eigene Sein nicht erfahren werden. Martha Graham853

6.3.3.1 Körperbild: Instrument und Symbol für das Leben selbst Graham tanzte bis ins hohe Alter. Sie teilt mit den meisten Menschen die Erfahrung, nicht oder nicht mehr den idealen Körper mitzubringen. Auf den perfekten Körper komme es jedoch weniger an. Die Replik auf das Kompliment eines amerikanischen Baseballspielers kehrt andere Werte heraus: Branch Rickey once said, ‘The thing I like about your dancing’ – he didn’t know a thing about dancing – ‘the thing I like about your dancing is every time you put your arm up, the ball seems to come right into your hand.’ And I thought that was the best definition I’d ever had. So instead of waiting for the ideal body, I wait for the person whose hand goes up and the ball comes.854

Einmal bezeichnet sie als ihr tänzerisches Ideal, „athlete of God“855 zu sein. An dem 1954 von ihr verfassten Text „God’s Athlete“ zeigen sich Aspekte ihres Verhältnisses zum Körper, das sie in ihren Tanzklassen vermittelt. Körperliches wie kleine schöne Knochen bewegt Tänzerinnen zu einer Art religiösen Bewunderung: „In a dancer there is a reverence for such forgotten things as the 851 Ein Stipendium (1932) der Guggenheim Memorial Foundation, das erste für einen Tänzer, hätte ihr ermöglicht, in Deutschland bei Mary Wigman zu studieren. Dies lehnte sie ab, da sie sich zunächst damit befassen wollte, einen explizit amerikanischen Stil zu entwickeln. Sie studierte daher in Mexiko. Vgl. Graham 1992, 143. 852 Graham, zitiert in: Stüber 1984, 126. 853 Graham zitiert in: Stüber 1984, 137. 854 Graham 1985, o.S. 855 Graham zitiert in: Leabo 1962, o.S.

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miracle of the small beautiful bones and their delicate strength.“856 Die Körper der Tänzer sind deren künstlerischen Instrumente, die diese durch diszipliniertes Erlernen der Tanz-Technik in Gebrauch nehmen. Das macht sie in gewisser Weise göttlich. Deren Schönheit offenbart sich darin, dass sie im Tanz aufgehen. Der Tanz spricht mit einer kultivierten Sprache.857 Erst durch das Körper-Instrument wird Tanz zu einem starken Symbol für das Leben selbst: „I think the reason dance has held such an ageless magic for the world is that it has been the symbol of the performance of living. Many times I hear the phrase … the dance of life. It is close to me for a very simple and understandable reason. The instrument through which the dance speaks is also the instrument through which life is lived … the human body.“858 Tanz ist für Graham ein unmittelbares Ausdrucksmittel, das den Einflüssen von Sozialisationsprozessen nicht unterworfen ist.859

6.3.3.2 Die Schönheit tanzender Körper Die implizite Erotik tanzender Körper wird bei Graham nicht schamhaft unterdrückt.860 Sexualität steht in Verbindung mit dem für Graham zentralen Atemrhythmus. Typisch für die Tanzbewegungen im Modern Dance ist die kontrollierte Muskelbewegung vom Unterleib aus. Es ist die konvulsivische Bewegungsqualität, „die treibend-stoßende Bewegungen energiemäßig in der Pelvis gut kontrollierbar macht und so jenes präzise timing ermöglicht, das den Eindruck tänzerischer Spontaneität erweckt.“861 Diese Spontaneität ist nicht von Emotionen abhängig, sie ist vielmehr eine Form der objektivierten Emotion. Lust darf dabei entstehen, sie ist auch eine kreative Kraft. „Die Lust ist eine wunderschöne Sache und das ist es, wo der Tanz herkommt, aus der Lust. Und das, was dich eine Drehung machen lässt ist für den Tänzer zuallererst die Lust sich zu drehen, so dass alles aus der Lust heraus entsteht; und wo ist die Lust für die meisten Leute angesiedelt, außer zwischen den Beinen.“862 Tanzende Körper sind schön. Deren Schönheit möchte Graham auch sichtbar machen durch bekleidungsfrei bleibende Körperpartien.863 856 Graham, zitiert in: Leabo 1962, o.S. 857 “I use the words gods and goddesses principally, I think, to mean beautiful bodies – bodies that are absolute instruments. And I believe in discipline, I believe in a very definite technique. You have no right to go before a public without an adequate technique, just because you feel. Anything feels – a leaf feels, a storm feels – what right have you to do that? You have to have speech, and it’s a cultivated speech. And in that sense, I think, I use gods and goddesses.” “To me, the only sin is mediocrity.“ Graham 1985, o.S. 858 Graham 1985, o.S. 859 Vgl. Willke 2010, 92. 860 “When people have said, ‘Your dances are erotic.’ I’ve replied that I’ve always regarded eroticism as a beautiful word. I’m not ashamed to be linked to it.” Graham 1985, o.S. 861 Stüber 1984, 136. 862 Graham zitiert in: Stüber 1984, 136.

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Die Bejahung der Körper samt ihrer Geschlechtlichkeit entspringt nach Stüber der Bemühung, in einer industrialisierten, technokratischen Massengesellschaft Individualität zu verwirklichen und zu erhalten. Dies lässt Elemente eines positiven Selbstbezugs hervortreten. Es kann „die Rückgewinnung eines körperlich-sinnlichen Eigengefühls, dem der Tanz sichtbaren Ausdruck verleiht, das Zurückgehen auf ursprüngliche körperliche Erfahrung, identitätsstabilisierend wirken.“864 Die libidinöse Besetzung von Umwelt fungiert dann als Gegenbewegung zu einer Umwelt, die nicht mehr Medium lustbetonter Erfahrung ist, da sie auf ein Konsumgut reduziert worden ist. Nunmehr kann die Umwelt durch die eigene zum Tanzkunstwerk gestaltete Körperlichkeit besetzt werden. „Der sinnliche Ursprung der ästhetischen Lust ist dabei nicht verdrängt, die Befriedigung der Sinne vollzieht sich nicht an der reinen Form eines außerhalb des Subjekts gelegenen Kunstobjekts. Sie wird vielmehr am eigenen Leib unter Einschluß aller körperlich-geistigen Wechselbezüge geleistet, gründet also nicht in einer bloßen ästhetischen Haltung, der das Erlebnis des Kunstgegenstandes, dem ein Betrachter gegenübertritt, zugeschrieben wird.“865

6.3.3.3 Selbsterfahrung im Tanz: Aneignung der Innenwelt Körperliche Bewegung ist wahrhaftig, sie kann nicht lügen. Die Bewegung fungiert als „barometer telling the state of the soul’s weather to all who can read it.“866 Nicht nur Bewegung, sondern auch Ruhe zeichnen ein Selbstporträt des Seins. Der Inbegriff davon ist posture, ein Moment dynamischen Ruhens, „wenn der Körper für die angespannteste, feinfühligste Aktion sich aufbaut, der Körper im Moment größter potentieller Fähigkeit“867. Die posture hat Ähnlichkeiten mit der posa, einem Element des Innehaltens in den Hofballetten der Frührenaissance in Italien. Die posa vermittelt die vergangenen und zu machenden Bewegungen miteinander. Graham sieht in der posture ein Grundelement des Tanzes: „Für jeden wahren Tänzer existiert in seiner Bewegung ein Moment des Einhaltens, der ihm persönlich zugehört, eine Intensität des Aufmerkens, die sein ganzes Wesen belebt. Man kann ihn als Geist […] oder Imagination bezeichnen […] Dieser Akt ähnelt sehr dem des Zuhörens. Es handelt sich um eine völlige Konzentration auf einen gegebenen 863 “I was stripping the body, but I hadn’t yet reached the point of the leotards. I know that I use lavish costumes now, and I know that I undress the men very much – I’m perfectly aware of that – but their bodies are so beautiful that I see no reason not to, if one is reticent and understanding. It’s not curiosity we’re after, it’s the revelation of beauty.” Graham 1985, o.S. 864 Stüber 1984, 137. 865 Stüber 1984, 137. 866 Graham, ebd. 867 Graham zitiert in: Stüber 1984, 138.

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Augenblick.“868 Damit ist ein mimetischer Prozess umschrieben, der zur Aneignung der eigenen Innenwelt führt. Tanzende kommen zu sich selbst in der Vereinigung von körperlicher und geistiger Arbeit. „Das Können eines Tänzers basiert auf seiner Fähigkeit zuzuhören, mit seinem ganzen Körper zu lauschen. Wenn ich von der Notwendigkeit spreche, auf seinen eigenen Körper zu lauschen, vergesse ich niemals, den edlen Löwen im Vorspann der MGMFilme zu erwähnen. Wenn er sich zur Seite wendet, wendet er sich vollständig ab. Er zieht sich zurück und besinnt sich auf sein Löwendasein, hört auf sein Inneres. Er besitzt jene Fähigkeit, sich in sich selbst zurückzuziehen und wartet nicht darauf, daß ihn jemand anschaut. Er lauscht. Wohin? In sich hinein. Und der Körper wird zurückgehalten, bis er sich bewegen soll.“869 Der Tanz entsteht also „aus einer inneren Notwendigkeit heraus“, er ist „von Emotionalität getragen“870. 6.3.3.4 Heilsamer Tanz im Kopf: „Tanz erinnert“ und „Tanz gesehen“ In ihren Lebenserinnerungen beschreibt Graham Situationen, die die Möglichkeiten von Tanz erahnen lassen. Die Tanzerfahrung bezieht sich in den ersten beiden Fällen auf in der Erinnerung nacherlebten Tanz, im dritten Fall auf die Erfahrung einer Zuschauerin, die den Tanz bei einer Bühnenvorstellung aufnahm. Während eines Fluges nach Teheran kam die Maschine, in der Martha Graham saß, in Schneestürme, zum Absturz fehlte nicht viel. Da tanzte sie innerlich ihr Stück Errand into the Maze dreimal durch bis zur wohlbehaltenen Landung. Sie bewältigte Todesangst. In einer Situation mit hohem Stress gelang es ihr, im Inneren einen Zufluchtsort zu schaffen. Nicht zufällig wählte sie ausgerechnet dieses Stück. Es symbolisierte für sie „die Reise durch Unwägbarkeiten in das Leben.“871 Ein weiteres Mal bedeutete ihr das innere Nachvollziehen des Tanzes die Rettung. Mit 94 erlitt Graham einen Schlaganfall, sie konnte nicht mehr sprechen, nur noch verstehen. „Ich spulte Errand into the Maze immer wieder in meinem Innern ab, die Tänze waren Lebenslinien für mich, an denen ich mich orientieren konnte.“872 Schließlich erzählt Graham von einer Zuschauerin, die das Stück Lamentation sah. Die Frau hatte durch einen Verkehrsunfall ihren neunjährigen Sohn verloren, war aber unfähig gewesen zu weinen, bis sie Lamentation gesehen hatte. In dem Solo war es Graham darum gegangen, „die Fähigkeit, aus unserm Innern Gefühle herauszulassen, das Ausmaß und die Grenzen der Leidensfähigkeit zu erleben und zu erproben.“873 Das Sehen des Tanzes hatte der Zuschauerin geholfen, ihr 868 869 870 871 872 873

Graham zitiert in: Stüber 1984, 138. Graham 1992, 253. Willke 2010, 92. Graham 1992, 266. Graham 1992, 270. „Als ich hinter der Bühne war, mein Kostüm ablegte und mein Make-up entfernte, klopfte es an

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eigenes Gefühl der Trauer zu aktualisieren und zum Ausdruck zu bringen. Möglicherweise wurde der Tanz zu einer geeigneten Projektionsfläche für eigene Erfahrungen, das Bühnengeschehen erweiterte wohl auch das eigene Erlebte durch die Abstraktion ins allgemein Menschliche, was die Erlaubnis zum Trauern erleichterte. Eine ergänzende Deutung wäre die Übertragung von Gefühlen durch Ansteckung874, erscheint jedoch vor dem Hintergrund biographisch einschneidender Erfahrungen wie jene der betroffenen Frau nicht hinreichend. Nachvollziehbar werden solche Erfahrungen durch die Annahme einer körperbezogenen Gedächtnisleistung, Graham spricht von motor memory. Den Begriff motor memory (Körpergedächtnis) entwickelt sie aus Anregungen bei Freud, der im Zusammenhang mit dem Innervationsvorgang von Körpergedächtnis spricht. Die Choreographien sollen beim Zuschauer das motorische Erinnerungsvermögen aktualisieren, wodurch ein kinästhetischer Prozess in Gang gesetzt werden soll, der archetypische Erfahrungs- und Bedeutungsinhalte überträgt.875 In der zunehmend digitalisierten Welt der 1990er Jahre sieht Graham dann auch Parallelen zwischen Körpern und Datenbanken.876 Ob ihre Arbeit bewusste therapeutische Ziele hatte, ist fraglich. Jedoch weist manches darauf hin, dass Individuationsprozesse877, die nach Stüber auch von C.G. Jung intendiert werden, von ihren Choreographien angestoßen werden können. Diese bringen als Schöpfungen des Unbewussten Symbole hervor. Die Zuschauer werden durch die Stücke zu Zeugen, die sich mit den archetypischen Charakteren identifizieren können.878 Beispielhaft für den tänzerischen Umgang mit Symbolen sind ihre Stücke über Stoffe aus der griechischen Mythologie (z. B. Night Journey, 1947). Parallel dazu zeigen weltgeschichtliche Entwicklungen den Menschen als irrational, von Mythen bestimmt und dogmenhörig, während der optimistische Fortschrittsglaube durch die Schrecken des Weltkrieges zum Erliegen gebracht wurde. Geschichte wird zunehmend fatalistisch aufgefasst. Graham gelang es, psychische Inhalte vom Unbewussten ins Bewusste zu holen. „Die Suggestivkraft ihrer Tanzwerke erklärt sich dann so, daß ihre Gestaltung des dem Unbewußten entstam-

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der Tür. Eine Frau kam in meinen Umkleideraum. Sie hatte offensichtlich viel geweint und sagte zu mir: ,Sie werden niemals ermessen, was Sie für mich heute abend getan haben. Ich danke Ihnen.‘ […] Ich lernte in dieser Nacht, daß es immer eine Person im Publikum gibt, die man ansprechen kann.“ Graham 1992, 120. Aktuelle neurophysiologische Erklärungen verweisen statt auf Ansteckung auf sogenannte Spiegelneuronen, eine Struktur im Gehirn, die Gefühle in Resonanz bzw. Antwort auf beim Gegenüber wahrgenommene Gefühle hervorbringt. Spiegelneuronen aktivieren auch motorische Strukturen beim bloßen Betrachten motorischer Aktionen anderer. Vgl. Bauer 2013. Vgl. Stüber 1984, 132. “Actually, the body’s very like a computer. It has a memory bank, an enormous memory bank.” Graham 1985, o.S. Individuationsprozess nach Jung: ein irrationaler Lebensprozess, der sich in Symbolen ausdrückt. Vgl. Stüber 1984, 132. Vgl. Willke, 93.

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menden, urtümlichen, also archetypischen, Bildes gewissermaßen eine Übersetzung in die Sprache der Gegenwart ist.“879 6.3.3.5 Tanzausbildung als Kultivierung des Selbst Die Härten eines Tänzerlebens seien nur mit Hilfe einer inneren Haltung zu bestehen, die dem unbeirrbaren Glauben Abrahams ähnelt, meint Graham. Im Interview äußern sich Tänzer ihrer Company im Rückblick zu dem, was ihnen die Kraft gab, die Anforderungen zu meistern: das verbindende Gefühl, gemeinsam an etwas Bedeutsamen zu arbeiten und das Glück, sich darin ausdrücken zu können.880 Tänzer unterziehen sich in der Ausbildung einem tief in die Persönlichkeit reichenden Wandel. Nicht nur der Körper transformiert sich durch das Training, was allein schon seelische Spuren hinterlässt, auch innere Reife wird erworben. Das Selbst wird kultiviert, das Sein, wie sie es ausdrückt: „Then there is the cultivation of the being. It is through this that the legends of the soul’s journey are re-told with all their gaiety and their tragedy and the bitterness and sweetness of living. It is at this point that the sweep of life catches up the mere personality of the performer and while the individual (the undivided one), becomes greater, the personal becomes less personal. And there is grace. I mean the grace resulting from faith … faith in life, in love, in people, in the act of dancing. All this is necessary to any performance in life which is magnetic, powerful, rich in meaning.” Das Wort Gnade wird im tänzerischen Kontext neu mit Leben gefüllt. Tanzen kann auf der Basis von Vertrauen zu einer Gnadenerfahrung führen, die eigene Person wird weniger wichtig, während das Individuum an sich, der andere Mensch, wertvoller wird. 6.4 Anna Halprin Für mich ist Tanz sichtbar gemachter Atem. Denn wenn ich aufhöre zu atmen, bewege ich mich nicht mehr. Anna Halprin881

Die heute hochbetagte Tänzerin und Choreographin Anna Halprin (*1920) versteht sich als Künstlerin.882 Ihr Werdegang verläuft in unterschiedlichen unabgeschlossenen Phasen, die ihren Weg bis heute begleiten. So versteht sie auch Tanz – er transformiert Menschen im Ganzen, deren Denken, Emotio879 Stüber 1984, 134. 880 Vgl. die Äußerungen von Tänzer_innen im Film: New Interviews with six Dancers, auf der DVD: Martha Graham. Dance on Film, Criterion Collection, USA 2007. 881 Halprin zitiert in: Hillauer 2015, o.S. 882 Vgl. Wittmann 2009b.

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nalität und Bewegung. Tanz ist für Halprin in erster Linie Kunst, nicht Therapie. Seine heilenden Potenziale lernte sie jedoch bei ihrer Krebserkrankung am eigenen Leib kennen.883 Halprin tanzte nicht nur mit professionell ausgebildeten Tänzer_innen. Ihre Tanzprojekte bezogen Künstler unterschiedlicher Sparten ein, Aidskranke oder auch Alte. Sie überschreitet Grenzen.884 Auf ihr Wirken gehen der Postmodern Dance zurück, die Entstehung von Contact Improvisation, Großgruppenrituale wie „Circle the Mountain“, „Earth Run“, „Planetary Dance“ und die kreative Methodologie des „Life-Art-Process“. Letzterer entspringt der Erkenntnis, dass sich gerade „in künstlerischen Ausdrucksformen […] dem nach Heilung Suchenden der Sinn einer Lebensfrage [erschließt]“885. Gleichzeitig kann sich der Life-Art-Process mit der Entstehung von Performance-Kunst886 verknüpfen, deren Schwerpunkt auf der ästhetischen Erfahrung liegt. Die Intention bestimmt die Ausrichtung. Claudia Fleischle-Braun ordnet Halprins Schaffen in die US-amerikanische Strömung des New Dance ein, die sich sowohl vom vorwiegend durch Martha Graham codifizierten Modern Dance als auch von der Ästhetik des Postmodern Dance absetzt.887 Dies gilt, auch wenn Halprin Einflüsse auf bedeutende Protagonisten des Postmodern Dance hatte (Merce Cunningham). Zum New Dance werden die Werke des Judson Dance Theatre und weiterer der freien, nicht an städtische oder staatliche Bühnen gebundenen Compagnien gezählt. Außerdem entstehen in diesem Umfeld die Ansätze der Contact Improvisation (Steve Paxton, Nancy Stark Smith), des Body Mind Centering (Bonnie Bainbridge Cohen), der Bartenieff-Fundamentals (Irmgard Bartenieff) und Release Work (Mary Fulkerson). Ihnen ist gemeinsam, dass es sich um ein neues Konzept der Tanzausbildung handelt, die unterschiedliche biographische und kulturelle Hintergründe der Lernenden nutzt. Künstlerisches Merkmal ist die Klarheit der Bewegungen und die starke Präsenz der Tanzenden.888

6.4.1 Biographische Notizen Anna Halprin wurde 1920 in Wilmette, Illinois als Hannah Dorothy Schuman, Tochter einer gebildeten Jüdin lettischer Abstammung und eines aus Odessa immigrierten Vaters geboren. Ein Kindheitserlebnis prägte ihr Verständnis von Tanz und Spiritualität lebenslang. Sie beobachtete ihren Großvater beim 883 Halprin erkrankte 1972 im Alter von 52 an Darmkrebs. Vgl. Hillauer 2015, o.S. 884 In der Laudatio zur Verleihung des „American Dance Festival Award“ 1997 für ihre Lebensleistung heißt es: „Generations of Dancers have been inspired by Anna, whose multi-faceted ideas have transcended traditional boundaries, embraced uncharted seas of expression and always encouraged freedom and the purity of unrestricted creativity.” 885 Schorn 2009b, 107. 886 Vgl. Fischer-Lichte 2001, 140. 887 Vgl. Fleischle-Braun 2001, 122. 888 Vgl. Fleischle-Braun 134–145.

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selbstvergessenen Tanz in der Synagoge.889 So erhielt das Gottesbild Halprins die Züge ihres tanzenden Großvaters. Seit sie vier Jahre alt war, wurde sie in Tanz unterrichtet. Mehr als die Ballettkinderklasse lag ihr der Tanz nach Isadora Duncan. Hier fühlte sie sich frei und wohl.890 Im Alter von 17 tanzte sie ihr erstes Solo und nahm an einem Workshop am Bennington College teil, wo sie Doris Humphrey begegnete (1937).891 Da sie nicht gleich in deren Company – ohne vorheriges Studium – eintreten wollte, nahm sie in Madison, Wisconsin ein Universitätsstudium bei Margaret H’Doubler auf, das sie 22jährig 1942 mit dem B.A. abschloss. Später verlieh dieselbe Universität Halprin die Ehrendoktorwürde für ihr Werk. In den 1940er Jahren trat sie eine Zeitlang in Doris Humphreys Company auf.892 1943 nahm sie Unterricht bei der Ausdruckstänzerin Hanya Holm.893 Sie war auch zeitweise Mitglied der Martha Graham Dance Company, bevor sie Mitte der 1940er Jahre den Broadway verließ.894 Geistige Prägungen erhielt Halprin durch die Beschäftigung mit den philosophisch-ästhetischen Gedanken John Deweys895, dessen pädagogische Reformansätze schon den Unterricht in ihrer Schulzeit beeinflusst hatten und nun erneut durch Margaret H’Doubler an sie herangetragen wurden. Die Zusammenarbeit mit Fritz Perls, dem Begründer der Gestalttherapie inspirierte sie.896 Wichtig wurde auch ein Werk von Mabel Todd The Thinking Body, in dem die Autorin „mit Hilfe anatomischer Visualisierungen und körperlicher Bewegungsaufgaben den Eindruck, den Vorgänge des Denkens und Fühlens in der grundlegenden Struktur des Körpers und seinen Bewegungs889 Vgl. Video „Portraits in Faith – Anna Halprin“, https://www.youtube.com/watch?v=cc6G x92aeQs (Abruf 2015/06/15). Halprin tanzt im Alter von 74 Jahren ihren nach Erinnerungen an die Begegnungen mit ihrem chassidischen Großvater und inspiriert von weiteren Einflüssen ihres eigenen langen Tänzerlebens kreierten „Grandfather Dance“. Vgl. Wittmann 2009a; Vgl. Hillauer 2015, o.S. 890 Vgl. Wittmann 2009a, 17. 891 Vgl. Wittmann 2009a, 17. 892 Vgl. Ross 2009. 893 Vgl. Fleischle-Braun 2001, 127. 894 Vgl. Hillauer 2015, o.S. 895 Der Philosoph und pädagogische Reformer John Dewey schrieb 1934 sein Werk Art as Experience, einen Beitrag zur philosophischen Ästhetik. Kunst wird als eingebettet in den Kontext der Erfahrungen von Individuen und lokalen Gemeinschaften verstanden. Erfahrung/experience meint bei Dewey nicht die subjektive Aufnahme einer objektiven vom Subjekt unabhängigen Welt, sondern die handelnde Interaktion mit dieser. Handeln umfasst Tun und Erleiden. Aufgrund von praktischer Erfahrung/experience werden Bedeutungen aktiv konstruiert. Dabei spielt zwischenmenschliche Kommunikation eine zentrale Rolle. Im Kunstwerk kommt in besonderer Weise die qualitativ-ästhetische Dimension von Erfahrung/experience zum Tragen. Kunst steht in Wechselwirkung mit der Erfahrung/experience sowohl der Künstlerin als auch der Rezipienten. „Das Werk kommt erst zustande, wenn ein menschliches Wesen in der Weise mit dem Produkt zusammenwirkt, daß das Ergebnis eine Erfahrung darstellt, die auf Grund ihrer befreienden und geordneten Vermögen Freude vermittelt.“ Dewey 1980, 249. Damit wird auch Wahrnehmung zum kreativen Akt. Kunst kommuniziert, ihr wohnt ein kritisches Potenzial inne. Sie ist tendenziell grenzüberschreitend. 896 Vgl. Fleischle-Braun 2001, 126.

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eigenarten hinterlassen“,897 erforschte. Halprin interessierte sich für Biologie und ein Leben in Nähe zur Natur. Außerdem empfing ihre Ästhetik Einflüsse vom Bauhaus898, was sich in ihrem Verständnis von Räumen innerhalb und außerhalb des Körpers widerspiegelt.899 Ihre ersten eigenen Soli kreierte sie zu jüdischen Themen.900 Jahrzehntelang wirkte sie an ihrem Lebensort und durch Welttourneen mit dem von ihr 1955 gegründeten San Francisco Dancer‘s Workshop (SFDW). In Europa tourte sie 1963 und 1965. Sie entwickelte Tanzrituale für politisch wache Menschen, die sich mit sozialen und ökologischen Fragestellungen der Gegenwart befassen, deren wichtigstes der jährlich wiederholte Circle the Earth: A Planetary Dance for Peace ist. Der rituelle Tanz für Frieden wurde unter anderem in Berlin 1995901 vollzogen. Im 1978 mit ihrer Tochter Daria gegründeten TamalpaInstitute hielt sie Choreographie-Kurse ab, an denen die späteren Protagonistinnen der avantgardistischen Judson-Church-Bewegung902, Meredith Monk, Yvonne Rainer und Trisha Brown teilnahmen. Auch der später bedeutende Choreograph Merce Cunningham, Musiker (u. a. John Cage, Luciano Berio) und Dichter fanden sich ein auf dem 1954 von ihrem Mann Lawrence Halprin und dem Architekten Arch Lauterer in die freie Natur gebauten legendären Dance Deck oder Tanzdeck. Das „Dance Deck“ ist „ein schwebender Holzboden, der in den Wald ufert und dabei zwei riesige Bäume umschließt“903. Der Tanz in der Natur veränderte ihren Zugang zur Tanzkunst. Sie wollte nun vermehrt reelle Dinge tanzen.904 Die Schüler erhielten die Aufgabe, gewöhnliche Tätigkeiten wie das Kehren mit einem Besen ohne besonderen Energieaufwand oder Bühnenpräsenz auszuführen. Auch Gesang wurde in das choreographische Material einbezogen. Beim Improvisieren lernten sie, schnelle Entscheidungen zu treffen, berichtet Trisha Brown in ihrer Autobiographie.905 Ab 1996 hatte Halprin einen Lehrstuhl beim American Dance Festival inne. Das Verzeichnis des Jewish Women’s Archive beschreibt zusammenfassend ihre Leistung: „Through her performing and teaching […] Anna Halprin helped to redefine American modern dance as a contemporary ritual and a

897 Wittmann 2009a, 19. 898 Das Bauhaus ist eine avantgardistische Kunstschule für Architektur, Kunst und Design, die 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründet wurde. Sie steht für Funktionalismus und Klassische Moderne. 899 Vgl. Wittmann 2009a, 19. 900 Vgl. Ross 2009. 901 Anlässlich des 50. Jahrestages der Unterzeichnung der Potsdamer Verträge mit 400 Teilnehmenden. 902 Schmidt nennt diese eine „Rebellion gegen die Konventionen der vorangegangenen Generation des Modern Dance“, Schmidt 2002, 280. 903 Wittmann 2009a, 23. 904 Vgl. Wittmann 2009a, 23. 905 Vgl. Schmidt 2002, 283.

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forum for the artist as a morally and socially engaged individual.”906 Die amerikanische Tanzprofessorin Janice Ross hebt ihre Bedeutung als Rollenmodell hervor: „Anna Halprin war damals das einzige Rollenmodell dafür, dass eine Frau eine Familie und eine Karriere als Tänzerin haben konnte. Es ist schon provokant, wenn diese Frau, die als Erste nackt auf einer amerikanischen Bühne tanzte, nun als Urgroßmutter immer noch auftritt. So bürstete sie unsere Vorstellungen über das Altwerden gegen den Strich.“907 Seit sie eine Krebserkrankung überstand, gibt sie mit ihrer Arbeit gesellschaftlich marginalisierten Gruppen eine Stimme, Menschen anderer Hautfarbe, Alten, Gefolterten und unheilbar Kranken. Sie thematisiert Intensivmedizin und Tod, tanzt mit Aidspatienten und vergewaltigten Frauen.908 Bei Margret H’Doubler hatte sie bereits mit der Vorstellung gebrochen, dass Tanz nur eine schöne Bewegung sei.909 Vielmehr sind Tanz und Bewegung von den inneren Haltungen und Gefühlen der Tänzer hervorgebracht. Auf diese Weise entstehen die „ursprünglichen, authentischen, nicht-codifizierten und nichtstilisierten“910 Bewegungen. In Improvisationen erforscht sie diese Prozesse. Das Beiheft zum Film über ihr Lebenswerk stellt fest: Halprin betrachtet den Tanz als Antwort auf die Kräfte unseres sozialen und natürlichen Umfelds. Improvisation und Experiment sind ihr die wichtigsten Mittel des kreativen Ausdrucks. Früh verbindet Halprin in ihren Choreografien alltägliche Gesten und Bewegungen mit persönlichen Geschichten. Ihre Bühne waren und sind der Ozean, ein Fahrrad, eine Küche. Unvergesslich zum Beispiel, wie sie sich an der Pazifikküste mit 82 Jahren den Wellen hingibt und daraus eine Performance kreiert.911

Sie schuf 150 abendfüllende Theaterstücke und erhielt zahlreiche Ehrungen. 2017 wurde ihr Ritual „Planetary Dance“ auf der Biennale Arte in Venedig im Medium Text, Bild und Video präsentiert und in der Stadt durchgeführt. Verdient hat sie die internationale Beachtung, da ihr Werk innovativ Kunst, postmoderne Heilungsrituale und kommunitäre Formen der Auseinandersetzung mit Herausforderungen der gegenwärtigen Welt verband.

906 907 908 909 910 911

Ross 2009. Ross zitiert in: Hillauer 2015, o.S. Vgl. Fleischle-Braun 2001, 125. Vgl. Caux 2004. Fleischle-Braun 2001, 127. http://www.projektorfilm.de/Projektorfilm/Auf_DVD/Eintrage/2010/11/25_Eintrag_1_files/ Presseheft_BMV_Deutschland.pdf (2015/06/11).

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6.4.2 Künstlerisches Profil Im Stammbaum des Modern Dance nach Don McDonagh geht Halprin aus der Linie Humphrey-Weidman hervor.912 Humphrey steht für die Entdeckung der tanztechnischen Nutzung von fall und recovery (Verlust und Wiedergewinnnung des Gleichgewichts). Eines ihrer bekannten Stücke ist die tänzerische Übersetzung der Bachmusik Air on the G-String.913 Ihren Schülern gab sie die Einsicht mit: „Es gibt nur eine Sache, die sich zu tanzen lohnt: die Bedeutung der persönlichen Erfahrung.“914 Mit ihrer tanztheoretischen Arbeit915 nimmt sie tanztechnische und wirkungsästhetische Prinzipien in den Blick und bereitet durch ihre Konzeptionierung des Tanztheaters Züge des späteren Werkes von Pina Bausch vor.916 Weder die große Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts von Jochen Schmidt noch das neuere „Tanzlexikon“917 widmen Anna Halprin einen eigenen Abschnitt, eine Ausnahme stellt das Werk über Modernen Tanz von Fleischle-Braun dar.918 Dennoch gehört sie zu Amerikas bedeutenden Künstlerinnen als Tänzerin und Choreographin. Neben Merce Cunningham beeinflusste sie den postmodernen Tanz. Auch die Contact Improvisation erhielt Impulse durch zahlreiche Schüler/innen Halprins.919 Prägungen erhielt sie von Grotowskis Living Theatre. Ihre Körperarbeit leitet mehr zu einem kreativen Prozess an, als dass sie Bewegungen vorschreibt. Die Bewegung wird improvisiert, deren emotionale Kraft zum Ausdruck gebracht. Alltag und Kunst nähern sich aneinander an. „Ziel ihrer Körper- und Bewegungsarbeit ist es, die Natur des Tanzes zu verstehen und die natürliche, d. h. die authentische Tänzerin zu entwickeln.“920 Ihr war nach den Worten des Ehemannes Lawrence wichtig, dass „dance essentially draws on primitive needs that express life forces.”921 Damit nimmt 912 Sowohl Doris Humphrey als auch Charles Weidman erhielten wie Martha Graham ihre erste Prägung in der Denishawn-Schule und Company. Bei Denishawn hatte Humphrey allerdings nicht gelernt, sich zu bewegen wie sie selbst, eher wie jemand anders, ein Japaner, Chinese oder Spanier. So entwickelte sie schließlich einen eigenen Ansatz. Vgl. Schmidt 2002, 94 f. 913 Schmidt 2002, 94 f. 914 Doris Humphrey zitiert in: Schmidt 2002, 101. 915 The Art of Making Dances, 1959. Vgl. dt. Ausgabe: Humphrey 1991. Auf Humphrey’s Choreographiebuch basiert die tanzpädagogische Veröffentlichung für Kirchentänzer von Monika Kreutz. Vgl. Kreutz 2000b. 916 Vgl. Schmidt 2002, 101. Ihre Choreographien sind nicht auf Musik angewiesen, Bühnenbilder oder Kostüme werden funktionslos. Ein Beispiel ist das Stück „Water Study“ von 1928; vgl. Schmidt 2002, 102. Das Stück „Shakers“ thematisiert den Hiatus zwischen ekstatischer Frömmigkeit und sinnenfeindlicher Askese. Vgl. Schmidt 2002, 102. 917 Das große Tanzlexikon 2016. 918 Vgl. Fleischle-Braun 2001, 125–139. 919 Vgl. Kaltenbrunner 2009, 19. Contact Improvisation wurde 1972 von Steve Paxton, einem USamerikanischen Tänzer und Choreographen entwickelt. Vgl. Stark Smith, Nancy 2009, 30. 920 Kaltenbrunner 2009, 18. 921 http://www.annahalprin.org/about_bio.html (2015/06/10).

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sie Abschied von der Bedeutung einzelner herausragender Persönlichkeiten auf der Tanzbühne. Selbst und Gruppe treten in Interaktion. Sie wendet sich dem Leben mit seinen elementaren Bedürfnissen, dem Atem, der Natur, dem Sozialen zu. Das Universale des Tanzes wird in diesem Zusammenhang plausibel. Tanz, sagt sie, sei die Mutter aller Künste, da in allen Künsten der Körper involviert sei. Der Körper sei das zentrale Instrument und die einzige Art und Weise, in der Menschen mit der Welt in Beziehung treten könnten. Er sei auch der einzige Weg, „to call upon the Spirit World“.922 Die Performancekunst ihrer Schüler_innen des Judson Dance Theatre schließlich wird im Grunde zu einer Körperbotschaft, deren Inhalt nicht Emotion ist, sondern die Bewegung selbst.923 Zwischen Alltagsbewegungen und Tanzbewegungen wird nicht mehr unterschieden. Anna Halprin hat die Entideologisierung von Tanz und Körperbildern entscheidend vorbereitet. Der Körper ist nicht mehr Medium zur Darstellung von Gefühlen oder Archetypen wie bei Martha Graham, sondern dient zur Erforschung (Exploration) von Bewegungen und dem ihnen innewohnenden Leben.

6.4.3 Selbsterfahrung und Körperaneignung 6.4.3.1 Der Life-Art-Process: Selbsterfahrung und Persönlichkeitsentwicklung Durch eigene Krankheit und in der Arbeit mit Schwerkranken entdeckte Halprin die heilende Wirkung des Selbstausdrucks in den Künsten, in Malerei und Tanz. Sie glaubt an die Verbindung zwischen Bewegung und der heilenden Kraft des Tanzes.924 Gott bewahre mich vor den Gedanken, die die Menschen nur in ihrem Geist denken. Er, der ein dauerhaftes Lied singt, denkt im Mark der Knochen.925

Durch Bewegung gelingt es ihr, sich mit einer höheren Macht verbunden zu fühlen, sie erfährt Hoffnung und erlangt die Kraft, sich der Krebserkrankung zu stellen. Im Tanz erlebt sie ein vom Alltagserleben unterschiedenes Bewusstsein, das Hingabe und Intensität einschließt.926 Halprins Ansatz bei der Erfahrung und den Lebensgeschichten der Tanzenden führt zu kunsttherapeutischen Prozessen. Sie geht von der „komplexen Verbundenheit der verschiedenen körperlichen und geistigen Ebenen des 922 Vgl. Halprin im Interview mit Ken Dychtwald 2012: https://www.youtube.com/watch?v= SiUE0-NveZo (Abruf 2015/06/16). 923 Vgl. Willke 2010, 97. 924 “[…] committed to a belief in the connection between movement and the healing power of dance.“ http://www.annahalprin.org/about_bio.html (2015/06/10). 925 Anna Halprin zitiert dieses „Gebet“ von William Butler Yeats in Halprin 2000, 34. 926 Vgl. Video „Portraits in Faith – Anna Halprin“, https://www.youtube.com/watch?v=cc6G x92aeQs (2015/06/15).

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Menschen aus“ und spricht in diesem Zusammenhang gerade dem Tanz „eine hohe Wirkkraft für die Persönlichkeitsentwicklung zu“927. Zwischen Bewegung und Gefühl kommt es zu einem natürlichen Feedback928, was bedeutet, dass Gefühle körperliche Zustände und Bewegungen beeinflussen sowie dass Bewegungen und Haltungen umgekehrt auch Gefühle anregen können. „Diese Wechselwirkung zwischen Bewegung und Gefühl ist ein wichtiges Element des menschlichen Ausdrucks.“929 Halprins Bewegungsarbeit geht in vier Stufen930 vor, dem sogenannten RSVP-Zyklus931. Inhalte, Motivationen und Ziele sowie Quellen werden gesammelt und benannt (Ressource). Ein Plan des Prozesses, der letztlich zur Performance führt, wird entworfen (Score). Die Aktion wird evaluiert und über das weitere Vorgehen entschieden (Valueaction). Die Idee wird realisiert (Performance). In komplexen Themen wird der emotionale Anteil erspürt, Erfahrung gesammelt und in Handlung überführt. Mit den entstehenden Tänzen gelingt eine Vertiefung und Gestaltung des Lebens von Individuen und Gemeinschaften. Therapie im engeren Sinn ist nicht intendiert, der Akzent liegt auf Kunst. Kreatives Handeln ist auf eine hohe Wahrnehmungsfähigkeit angewiesen. Blockaden auf emotionaler, mentaler und physischer Ebene können die schöpferische Ausdruckskraft behindern und bringen den Fluss zwischen Eindruck und Ausdruck zum Erliegen. In der Körperarbeit werden die Sinne „sensibilisiert, um die Sprache des Körpers erfassen zu können“932. Vier Grundwahrnehmungen konstituieren die Ganzheit des Menschen: körperliche, emotionale, mentale und spirituelle. Während die ersten drei im Modell der drei Ebenen aufgenommen sind, da sie durch Sinne und Vernunft erfolgen, liegt die vierte jenseits davon.933 Die Wahrnehmung ist das Tor zur Erfahrung. Gelingt das Zusammenwirken der drei Ebenen, können Menschen sich integriert erleben. Der Life-Art-Process intendiert auf der körperlichen Ebene, sich im Körper heimisch zu fühlen. Das Spüren und Empfinden ist der Weg zum emotionalen Fühlen. Emotionen verleiblichen sich in spezifischer Weise in Gestik, Mimik, Haltung und Stimme. Das emotionale Erleben kann aber auch von außen nach innen beeinflusst werden. Außerdem wirkt der physisch und emotional kongruente Ausdruck auf die Zuschauenden, bei Halprin meist Zeugen genannt. Ein Feedback ereignet sich. Klischeehafte, durch Stile stark vorgeformte Bewegungen behindern diesen Wirkzusammenhang. Es spricht allerdings nichts dagegen, die Bewegung in Tanz zu überführen. Wenn aus der Bewegung künstlerischer Tanz wird, tritt auch die mentale Ebene der Wahrnehmung hinzu. Sie schließt intellektuelle Aktivitäten 927 928 929 930 931 932 933

Zepter 2013, 29. Vgl. Halprin 2000, 28. Halprin 2000, 28. Vgl. die Beschreibung der Stufen in: Kaltenbrunner 2009, 19. Ausführlicher siehe unten. Vgl. Schorn 2009a, 51. Vgl. Schorn 2009a, 52.

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wie Reflektieren und Analysieren ein, aber auch imaginative, das Träumen und Assoziieren.934 Auf der spirituellen oder transpersonalen Ebene ereignet sich die „Suche nach Lebenssinn, nach Verbundenheit zur Natur sowie zu den Menschen untereinander.“935 Diese vollzieht sich vor allem in verschiedenen Ritualen, die von Einzelnen oder Gruppen gestaltet und vollzogen werden. Basis für den Kontakt zu anderen ist die Fähigkeit, sich selbst erst einmal leiblich zu spüren.

6.4.3.2 Das Bewegungsritual: Den Körper als Instrument aneignen Der Körper ist ein Instrument, das durch Bewegung ganz unterschiedliche Erfahrungsfelder erschließen kann. Dieses Instrument als „Resonanzorgan“ und „Ausdrucksorgan“ einzustimmen ist Teil der Begründung für das Bewegungsritual.936 Im Bewegungsritual geht es um einfache Bewegungsabläufe, die regelmäßig in großer Selbstverständlichkeit vollzogen werden sollten, wie „Essen und Schlafen“937. Generell stellen Rituale für Halprin eine Kraftquelle dar. Das Ritual gibt ihr eine Möglichkeit, „meine Energie wieder aufzuladen, meine Gefühle wiederzuerwecken, meinen Geist zu entspannen und meinen Körper in der Bewegung ausruhen zu lassen.“938 Im Ritual, das über einen Zeitraum mehrerer Jahre hinweg entstand, findet Halprin eine Meditationsform. Für die Ausführung empfiehlt sie, eine Zeit am Tag dafür auszusondern und einen Ort dafür zu bereiten, der „ästhetisch anspricht“ und mit frischer Luft versorgt sei, am besten unter freiem Himmel. Auch die Kleidung solle dem Ritual entsprechen. Möglichst wenig oder sehr bequeme Kleidung komme dem entgegen.939 Im Bewegungsritual können die Ausführenden etwas für sich selbst tun, was Halprin als „Geschenk an Zeit und Raum“ bezeichnet. Sie können loslassen.940 Auffällig ist, wie Funktionen, die auch von religiösen Ritualen wie etwa dem christlichen Gottesdienst erfüllt werden, dem Bewegungsritual zugeschrieben und in der Ausübung erlebt werden. Der Einführung zu den Übungen ist jedoch nicht zu entnehmen, was genau Halprin unter Ritual versteht. Von religiösen Ritualen grenzt sie das Bewegungsritual nicht ausdrücklich ab. Auch in der Sekundärliteratur wird der Begriff Ritual ohne weitere Reflexion hingenommen941. Schorn ordnet das Ritual vorwiegend ein in den Zusammenhang von Bewegungsstudien und die Erforschung der Ge934 935 936 937 938 939 940 941

Vgl. Schorn 2009a, 54. Schorn 2009a, 55. Vgl. Schorn 2009a, 56. Vgl. Halprin 1987, 8. Halprin 1987, 9. Vgl. Halprin 1987, 21. Vgl. Halprin 1987, 9. So bei Schorn 2009, Life/Art Process, wo sie recht ausführlich das Bewegungsritual beschreibt.

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setzmäßigkeiten und Möglichkeiten von Bewegung.942 Dies bestätigt zunächst auch meine Beobachtung, dass Halprin an keiner Stelle explizit religiöse Ziele erwähnt. Ihre Definition des Bewegungsrituals lautet: „Das Bewegungsritual ist der Versuch, eine Reihe grundlegender Bewegungsabfolgen des menschlichen Körpers systematisch zu erfassen und zu strukturieren, in der Hoffnung, dir damit zu einem vertieften Körperbewußtsein zu verhelfen.“943 Allerdings liegt m. E. in dem Ritual das Potenzial, eine die Körperlichkeit integrierende Spiritualität praktisch zu fördern. Die Übungen bieten einen Rahmen für individuell gestaltete spirituelle Praxis. Auch das Vorwort von Jim Burns scheint solche Potenziale anzunehmen, wenn er vom Feiern des Rituals spricht und der Hoffnung, dass Menschen sich so der Kräfte ihres sich bewegenden Körpers bewusst werden, „daß der Tanz zur Kunst wird, das Leben zu feiern.“944 Burns stellt das Bewegungsritual in einen Zusammenhang mit anderen Ritualen, die er am Tamalpa-Institut erlebt hat. Das im Tanz Erlernte half ihm in anderen Lebenssituationen. Daher rührt die Erkenntnis, „daß das Leben selbst ein Tanz ist.“945 Dem Tun verbindet sich der Ausblick auf ein Leben, das vom Individuum selbst gestaltet wird. Tänzer werden zum Schöpfer des Tanzes ihres eigenen Lebens.946 Das Ritual besteht aus vier Teilen. Nur die Beschreibung des ersten Teils, in dem Bewegungen am Boden vorwiegend im Liegen ausgeführt werden, ist veröffentlicht. In Teil zwei folgen Bewegungen im Stand. Fallen und Aufrichten, Schwingen und Balanceakte werden vollzogen. Teil drei enthält Bewegungen im Raum, Gehen, Laufen, Springen und Teil vier kombiniert alle Möglichkeiten. Da Menschen unterschiedlich sind, vervielfachen sich die Möglichkeiten mit jeder neuen Person, die es ausführt.947 Die systematisch geordneten Bewegungen bieten eine Struktur, die den Ausführenden einen Rahmen gibt für eigene schöpferische Arbeit.948 Es handelt sich also nicht um starr von außen vorgegebene, zu imitierende Muster. Das Ritual wirkt auf die Ausführenden jeweils anders. Sicher ist nur, dass es unmittelbar nach dem Vollzug merkliche Auswirkungen auf Stimmung und Ansprechbarkeit hat.949 Manche fühlen sich schläfrig, andere voller Energie, Gefühle können aufgekommen sein, sinnlich-erotische Stimulation, manche erleben sich ganz ruhig und zentriert. Die Intention ist primär ganz neutral, 942 Vgl. Schorn 2009, Life/Art Process, 57, 59. Sie sieht die Forschungen von Mabel Todd an der Basis des Entwurfs. 943 Halprin 1987, 16. 944 Burns 1987, Vorwort in: Halprin, 6. 945 Burns 1987, Vorwort in: Halprin, 6. 946 Vgl. Burns 1987, Vorwort in: Halprin, 7. 947 Vgl. Halprin 1987, 16. Halprin zufolge setzen weder Alter noch Korpulenz Grenzen. Sie verweist auf die maximale Perfektion von T’ai-Chi-Lehrern im Alter zwischen 80 und 90 Jahren und betont: „Korpulente Menschen können leicht wie eine Feder sein.“ Halprin, ebd. 19. 948 Vgl. Halprin 1987, 24. 949 Vgl. Halprin 1987, 23.

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die Widerstände und Verspannungen in den Muskeln zu lockern oder zu lösen. Die Reaktionen der Teilnehmer unterliegen keinerlei Bewertung. Es geht nur um die Wahrnehmung dessen, wie es jetzt ist: „Mach dir gedanklich klar, wie sich das anfühlt. Sei im Jetzt.“950 Sowohl Selbsterfahrung als auch Körperaneignung werden intendiert. Aspekte der Selbsterfahrung sind das Wahrnehmen von Gefühlen, die die Bewegungen individuell auslösen und der eigenen Vorstellungen, die die Bewegungen begleiten. Explizit wird die Möglichkeit der Körperaneignung in Aussicht gestellt, nämlich „meinen Körper als zu mir gehörend zu beanspruchen, im Unterschied zum von außen auferlegten stilisierten Tanz oder anderen Tanztechniken“951. Die Bewegung erhöhe die Wahrnehmungsfähigkeit des kinästhetischen Sinns. Indem eine Grundeigenschaft des Lebens intensiver und bewusster erlebt wird, könne sich das Lebensgefühl insgesamt verändern. Das Leben wird spannend. Halprin wünscht sich, „daß wir lebendiger leben und alle zu Tänzern werden.“952 Die erhöhte Selbstwahrnehmung könne potentiell nicht nur zur Körperaneignung, sondern zur Aneignung des eigenen Lebens führen. So werde Tanz zumindest als stets präsente Möglichkeit im Alltag erfahrbar: „Dein alltägliches Leben als Fußgänger ist bereits ein potentieller Tanz.“953 Halprin zufolge lassen die Bewegungen das Wechselspiel von Schwerkraft, Trägheit und Schwungkraft erleben. Beim Ändern der Bewegungsrichtung würden Tänzer mit der Trägheit konfrontiert. Um diese zu überwinden, müsse Willenskraft aufgebracht werden. Mit Schwerkraft und Schwungkraft zu arbeiten sorge für zunehmende Selbstverständlichkeit, damit umzugehen. Letztlich bereite es Vergnügen, sich den Kräften zu überlassen. Die rationale Kontrolle nehme ab und die Bewegung entwickle mehr Energie. Dies sei vergleichbar mit dem Erlebnis auf einer Kinderschaukel, wo der „Körper sich harmonisch der Schwerkraft, Trägheit und Schwungkraft hingibt.“954 Der Umgang mit muskulärem Widerstand und Entspannung erzeuge Rhythmus in den Bewegungen. Spannung richtig zu dosieren solle erlernt werden durch die aufmerksame Selbstwahrnehmung. Die Spielräume der Sehnen und Gelenke würden erkundet und zunehmend realistisch eingeschätzt, zum Teil auch noch erweitert. Bei geringer Kenntnis des eigenen Körpers komme es zu unökonomischem Krafteinsatz in den Bewegungen.955 Wenn man sich effizient bewege, könne man sogar während der Bewegung ausruhen. Es sei wichtig, sich kennenzulernen und zu wissen, wer man ist, um seinen eigenen Stil entwickeln zu können. Dies trage zur Selbstheilung bei. Die eigene Bewegung könne als natürlich empfunden werden, als zu einem selbst 950 951 952 953 954 955

Halprin 1987, 23. Halprin 1987, 9. Halprin 1987, 11. Halprin 1987, 11. Halprin 1987, 13. Vgl. Halprin 1987, 14.

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gehörig, im Gegensatz zu kopierter, von außen aufgenötigter Bewegung.956 Als grundlegender Bewegung gilt dem Atem besondere Aufmerksamkeit. Mit dem bewussten, nicht forcierten Atem beginne das Ritual. Die Wirbelsäule als „Ursprungsort jeglicher Bewegung“ werde fokussiert und die verschiedenen Bereiche aufgespürt. Jede Bewegung betreffe den ganzen Körper, da bei der Bewegung eines Körperteils der übrige Körper sich dieser Bewegung anpasse. Durch das Praktizieren des Rituals werde ein Gefühl für das Zusammenspiel aller Körperteile entwickelt.957 Körperaneignung schließt bei Halprin auch das Wahrnehmen der Schwächen ein. Das eigene Körperbild ist veränderbar. Dabei ist an Schwächen wie ein Hohlkreuz oder das Hochziehen von Schultern gedacht. Es gehe nicht darum, den Körper einem gesellschaftlich oder kulturell gängigen Ideal anzupassen, sondern sich dem persönlich bevorzugten Körperbild anzupassen.958

6.4.3.3 Kunst zwischen Performance und Gesellschaftstransformation: Tanzrituale Im vierten Teil des Bewegungsrituals, das Kombinationen beinhaltet, beschäftigt sich Halprin neben den Themen Bewegungsvariation und Bewegungsexploration auch mit Bewegungsimprovisation.959 Einerseits geht es darin um Kunst, andererseits wird in den freien Improvisationen nicht vorwiegend der Tanz, sondern der sich ausdrückende tanzende Mensch spürbar. In therapeutischen Zusammenhängen ist Improvisation Bestandteil eines psychokinetischen Visualisierungsprozesses, der hier allerdings nicht näher beschrieben werden soll.960 Interessant als Phänomen im Zwischenbereich von Kunst und gesellschaftlicher Transformation sind die mit Lawrence Halprin gemeinsam entwickelten RSVP-Cycles und die Großgruppenrituale. Die Struktur961 der RSVP-Cycles repräsentieren Grundprinzipien kollektiver Kreativität. Unter den Cycles/Zyklen sind individuelle (im Innenkreis) und kollektive (im Außenkreis) Prozesse zu verstehen, die sich gegenseitig beeinflussen. Vier Schritte gehören zu dem Modell: R = resources, S = scores, V = valueaction, P = performance. Statt einer ungenauen deutschen Übersetzung sollen die Begriffe kurz umschrieben werden. Resources: Die Beteiligten nähern sich einem Thema durch Erstellen von Wortfeldern und die folgende Exploration der Begriffe durch innere Bilder und schließlich Bewegungen. Fragen werden gesammelt, die wiederum zur 956 Vgl. Halprin 1987, 15. 957 Vgl. Halprin 1987, 18. 958 Vgl. Halprin 1987, 19. Inwiefern die Orientierung an äußeren Idealen beim Einzelnen nicht doch eine Rolle spielt, wird vermutlich individuell unterschiedlich sein. 959 Vgl. Schorn 2009a, 63. 960 Siehe dazu z. B. Schorn 2009a, 64–73 und Fleischle-Braun 2001, 127. 961 Graphik siehe Schorn Life-Art-Prozess, 73.

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Erinnerung von Szenen führen. Diese können in Bewegungssequenzen gestaltet werden. Bilder, Texte, Musik und weitere Quellen können helfen, das Thema zu erschließen. Die durch Improvisation erarbeiteten Bewegungen und Sequenzen bilden die resources für den nächsten Schritt, das scoring. Score: Darunter ist der Plan für die Performance zu verstehen. Er entsteht im Kollektiv, bzw. durch die Beiträge der Gruppe. Der score benennt das Thema und die Intention des Tanzes, genauer „die Motivation der Teilnehmenden, sich mit einem gewählten Thema auseinanderzusetzen, sowie der Wunsch, Veränderungen im persönlichen und kollektiven Lebensbereich bewirken zu wollen.“962 Unter den zuvor gesammelten Ressourcen werden einige ausgewählt und in eine zeitliche und räumliche Abfolge gebracht. Der Einsatz von Musik, Licht und Texten wird so vermerkt, dass es für alle Beteiligten nachvollziehbar ist. In der Transparenz der Entscheidungen macht sich der Anspruch einer praktischen Demokratie bemerkbar. Die Verabredungen können zu einem eher geschlossenen oder offenen score führen, je nach Anteil der kreativen Freiräume.963 Performance: Die Aufführung auf einer Bühne oder inmitten der Lebensräume einer Stadt bzw. in der Natur intensiviert den Zeichencharakter der Aktionen. Die Zusehenden sind Zeugen, nicht einfach „spectators“964. Sie nehmen die Intentionen des Tanzes wahr und sind herausgefordert, sich mit den Zielen zu solidarisieren. Das unterscheidet eine solche Tanzaufführung von anderen, die lediglich unterhalten oder anregen wollen. Beide, Performer und Zeugen setzen sich dem Risiko aus, von dem Geschehen berührt oder verändert zu werden.965 Valuaction966: Dieser Neologismus ist aus value (Wert) und action (Tat) zusammengesetzt. Bei dem Schritt nach der Performance geht es um ein Feedback, das in Veränderungsvorschläge für die nächste Performance mündet. Sowohl Zeugen als auch Performer nehmen daran teil. Der Fokus liegt auf dem durch die Performance ausgelösten Resonanzgeschehen. An die Auswertung kann sich ein weiterer RSVP-Cycle anschließen.967 Anna Halprin hat den Tanz als Ritual für Menschen des 20. und 21. Jahrhunderts neu mit Inhalt gefüllt. Halprin erklärt, was sie unter dieser Form von Ritual versteht, folgendermaßen:

962 Schorn 2009a, 75. 963 Vgl. Schorn 2009a, 76. 964 Anna Halprin gebraucht den Begriff witness, während sie das Wort spectator ablehnt. Vgl. Schorn 2009a, 77. 965 Vgl. Schorn 2009a, 77. 966 Der Schritt Valuaction ist sowohl vor als auch nach Performances anzusiedeln. 967 Vgl. Schorn 2009a, 77.

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The ritual has the intention to confront a specific life issue with the purpose of bringing about a desired change, vision or transformation. A ritual is the enactment of the myth. The myth emerges, when we confront a real life issue.968

Eine solche reelle Lebensfrage ist das Thema Frieden, das seit 1980 viele der Rituale bestimmt hat. Durchgeführt wurden sie meist um den Mount Tamalpais, gelegentlich auch an anderen Orten in aller Welt. Exemplarisch für andere Rituale beschreibt Schorn den Earth Run, ein Friedensritual, das 1985 entstand.969 Dessen Thema ist: Wir sind ein Teil der Erde und für den Frieden auf der Erde verantwortlich. Damit verbindet sich die Intention, sich für Frieden zu engagieren. Der Earth Run folgt einem geschlossenen score und ist dadurch leicht in ähnlicher Form wiederholbar, was an unterschiedlichen Orten bereits geschehen ist. Zusätzlich zu dem festgelegten Plan werden ergänzende Performances vor Ort mit den Teilnehmern nach dem Modell der RSVP-Cycles erarbeitet. Vor Beginn wird der Ritualort vorbereitet. Ein in Form eines Quadrates zentrierter Platz, der die vier Himmelsrichtungen versinnbildlicht, entsteht. In der Mitte liegen symbolische Gegenstände. Zur Begehung des Rituals sind Freunde, Bekannte und Familien eingeladen. Sie nehmen am Earth Run nach einer Einweisung selbst teil oder haben nach eigener Wahl die Funktion von Zeugen. Die Bewegungen sind vorwiegend Laufen, Gehen und Stehen im Kreis jeweils bezogen auf eine der vier Himmelsrichtungen. Am Rand nehmen Trommler ihre Plätze ein. Die Anwesenden werden begrüßt und kurz in den Anlass des Rituals eingeführt. Jeder Teilnehmer ordnet sich selbst einer der vier Seiten bzw. Himmelsrichtungen zu und nimmt im Stehen oder am Boden mit Blick zur Mitte Platz. Es folgt die Phase der Widmung. Einzelne am Lauf Teilnehmende treten vor und benennen, wofür oder für wen sie dabei sind, dazu erklingen ruhig pulsierende Trommelschläge. Anschließend treten sie in den Kreis und reihen sich in den Laufreigen ein. Durch Richtungswechsel nach innen werden kleinere Laufkreise eröffnet, bei denen mit kleineren Schritten gelaufen wird, durch Richtungswechsel nach außen lassen sich weitere Kreise eröffnen, die je weiter vom Zentrum entfernt, desto größere Schritte erfordern. Im Zentrum bieten sich vier Haltepunkte an zum Besinnen und Ruhen, bevor der Lauf fortgesetzt wird. Die Dauer ist abhängig von der Energie der Teilnehmenden und Zeugen. Halprin berichtet von Beobachtungen einer wachsenden wechselseitigen Bezogenheit der Laufenden untereinander während solcher Läufe, so dass sie darin eine Art „larger organism“ sieht, „communicating with and being moved by a group spirit.“970 Zuletzt folgt der Schritt valuaction, die Auswertung unter dem Fokus der Resonanz. Die rituelle Herangehensweise an tänzerische Bewegung zeigt sich auch in Tänzen im Raum der Natur, einem besonderen, die Körpergrenzen erwei968 Halprin in Schorn 2009a, 78. 969 Vgl. Schorn 2009a, 79–81. 970 Halprin zitiert in: Schorn 2009a, 80.

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ternden Erfahrungsraum. Der Aufenthalt in der Natur ist sinnlich anregend und öffnet die Wahrnehmung auf allen Kanälen. Der dreifache Sinn, menschliche Körper mit der Natur in Kontakt zu bringen, liegt für Halprin in ihrer Auffassung vom Körper als Mikrokosmos der Erde, ihrem künstlerischen Interesse an Naturprozessen als ästhetische Anregungen (guidelines) und in der Vorstellung von der Natur als Heilerin.971 Eine Art Landschaft findet sich auch im Inneren des Individuums. Diese gilt es zu erkunden, bevor man in den Kontakt mit der Natur eintritt. Dabei können Teilnehmer die Ähnlichkeiten mit der Natur entdecken und begreifen, wie sehr sie Teil der Natur sind. Ein Gang mit verbundenen Augen (sensory walk) sensibilisiert die Sinne Tasten, Riechen, Fühlen, Raumorientierung, Hören.972 Zurück im geschlossenen Raum werden Bilder der Eindrücke gemalt und den anderen mitgeteilt. Die Leitung hat die Aufgabe, nicht nur die nährende, gute Seite der Natur zu berücksichtigen, sondern auch die bedrohliche. Naturelemente fordern zur Entdeckung und Erkundung mit dem Körper heraus. Wind, Wasser, Baumrinde, Gras und Sand halten jeweils eigene Möglichkeiten bereit, sich mit ihnen zu beschäftigen, mit ihnen handgreiflich umzugehen, sanft zu berühren oder Beobachtungen zu machen. Zusammenhänge erschließen sich, die eigene Person findet Widerhall in dem, was aus der Natur entgegenkommt. Halprin präzisiert: „I seek to understand the natural world as a reflection of my human experience.“973 Da sich in den Teilnehmenden Resonanz zeigt auf die Begegnung mit der Natur, werden nun Antworten in kreativer Körperarbeit gefunden. Auch aus der Naturerfahrung können neue kollektive Rituale hervorgehen. Künstlerisch interessant an den Ritualen ist die Überwindung der sogenannten vierten Wand974 zwischen Bühnentänzern und Publikum, mit der sich auch schon die Choreographen William Forsythe oder Felix Ruckert befasst haben. Charakteristisch für den künstlerischen Ansatz im Tanz ist für Anna Halprin ihr kinästhetisches Denken. Nach Gabriele Wittmann ist sie immer „vom eigenen Spüren und Erkunden der Bewegung“975 ausgegangen. Ein zentrales Charakteristikum guter Kunst prägt ihre Arbeiten, bis hin zu den Großgruppenritualen: „die Reduktion auf einige wenige künstlerische Prinzipien, die sie tragen.“976 Ihre Prägung durch den Modern Dance ließ sie hinter sich und entwickelte neue experimentelle Formen, die Improvisation und Exploration integrieren und mit anderen Darstellungsmitteln kombinieren. Ihre Kunst antwortet auf die großen Fragen unserer Zeit. Sie versteht es, politische Lebensformen wie die Demokratie mit dem traditionell sehr hierarchisch aufgestellten Tanz zu verbinden und findet einen neuen Umgang mit 971 972 973 974 975 976

Vgl. Schorn 2009a, 82. Vgl. Schorn 2009a, 82. Halprin zitiert in: Schorn 2009a, 82. Vgl. dazu Schorn 2009b. Wittmann 2009, 87. Wittmann 2009, 87.

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den Zuschauern. Improvisation in Kollektiven gehört inzwischen zu den Methoden einiger gegenwärtig bekannter Choreographen (William Forsythe, Felix Ruckert, Anne Collod).

6.5 Pina Bausch Und es war immer ein ganz wichtiger Ausdruck für mich, Bewegung tanzen. Und alle die Gefühle, die ich hatte, die konnten da enthalten sein in diesen Bewegungen… Pina Bausch977

Der Name Pina Bausch (1940–2009) steht nicht nur für die Anfänge des Tanztheaters, sondern auch für dessen weitreichenden Einfluss im zeitgenössischen Tanz bis hin zu den Improvisationstänzer_n in kirchlichen Szenen. In Pina Bauschs Werk finden sich praktisch keine Bezüge zu Christentum und Theologie. Die Wirklichkeit von Kirche und Glauben bietet nicht einmal Anlass, sie im Tanz kritisch aufzugreifen, wie es bei Martha Graham stellenweise geschieht. Dennoch verweisen ihre Stücke in einer Art und Weise auf das Leben, die Sehnsucht nach Sinn und nach Freiheit, dass sie auch theologisch zu denken geben.978 Die Theologin Mareike Hartmann erkennt in ihnen Existenzielles, an das die Theologie anknüpfen kann. Es gehe um die Suche nach einem geglückten, sinnvollen Dasein, in einer ehrlichen und authentischen Weise, die nicht ,weichspült‘ und ausblendet, die das Scheitern und die vielen Brüche nicht harmonisch integriert und auflöst, sondern anzeigt und auch anklagt. Das Leiden an so vielen Facetten des Lebens ist stets wahrnehmbar und hinter allem die große Sehnsucht [eine Tänzerin im Film-Interview979 spricht explizit von Sehn-Sucht] nach dem Sinn im Leben, der auch körperlich erfahrbar werden will.980

6.5.1 Biographische Notizen Die 1940 geborene Philippine (Pina) Bausch verlebte ihre Kindheit in Solingen, ihre Eltern betrieben ein kleines Hotel mit Restaurant. Einerseits genoss sie viele Freiheiten zum Spielen, der kleine Garten war ein Kinderparadies981, 977 978 979 980 981

Pina Bausch zitiert in: Koldehoff 2016, 161 f. Vgl. Hartmann 2015, 192. Vgl. die filmische Hommage in ihrem Todesjahr 2009 von Regisseur Wim Wenders: „Pina“. Hartmann 2015, 195. Vgl. Linsel 2013, 14.

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andererseits musste sie im Betrieb bereits früh mitarbeiten. Kriegserlebnisse wie Fliegeralarm und die Zerstörung von Solingen mischen sich in die Erinnerungen.982 In der Wirtschaft beobachtete sie die Gäste, hörte zu und verarbeitete ihre Wahrnehmungen in der Phantasie.983 Sänger des benachbarten Theaters nahmen die lebhafte, gelenkige Pina bereits zum Kinderballett mit, als sie erst fünf Jahre alt war.984 Später sagte sie im Interview über ihren Weg zum Tanz: Ich hab als kleines Kind getanzt, ich hab mich immer bewegt. Da wusste ich gar nicht, dass es ein Theater gibt. Und es war immer ein ganz wichtiger Ausdruck für mich, Bewegung tanzen. Und alle die Gefühle, die ich hatte, die konnten da enthalten sein in diesen Bewegungen, alles, was ich auch… was vielleicht keinem andern verständlich machen konnte, aber ich wusste, das ist enthalten. Das war der Ort, wo das alles enthalten sein konnte: in einer Bewegung.985

Im Alter von 14 Jahren ging sie bereits nach Essen an die Folkwangschule zum Tanzstudium, das sie 1959 abschloss.986 Dort standen klassischer und moderner Tanz, europäische Folklore, Komposition, Tanz- und Kunstgeschichte, Sprechunterricht und Chorgesang auf dem Stundenplan.987 Die Schule in einem ehemaligen Klostergebäude hatte eine besondere Atmosphäre: „Überall auf den Fluren habe man Klänge, Melodien und Texte gehört, es habe nach Farben gerochen, und in allen Ecken hätten Musikstudenten gesessen und geübt.“988 Ihr Lehrer war der Laban-Schüler Kurt Jooss, Mitbegründer der Folkwang-Schule, die sich bald als führende Ausbildungsstätte für modernen Tanz in Deutschland etablierte.989 Die Fakultät für Tanz war mit praktischen Ausbildungen für verschiedene Sparten und theoretischen Fächern wie vergleichende Tanzwissenschaft und dem Seminar für Tanzkritik gut aufgestellt.990 Von Jooss lernte Bausch im Tanz existenziell zu fragen: „Was will und muss ich ausdrücken? Was ist mein Eigenes? In welche Richtung will ich gehen?“991 Ein Stipendium ermöglichte ihr das weitere Studium an der Juilliard School, New York. Dort lernte sie sowohl die Lim n- als auch die Graham-Technik.992 Sie tanzte zeitgleich in der Dance Company Paul Sanasardo 982 Vgl. Bausch 2007 zitiert in: Koldehoff 2016, 295. Ihre Stücke verweisen häufig auf Sterben und Tod. Vgl. Meyer 2016, 18. 983 Vgl. Linsel 2013, 15. 984 Vgl. Pina Bausch zitiert in: Koldehoff 2016, 52. 985 Vgl. Pina Bausch im Interview mit Eva-Elisabeth Fischer 1992 zitiert in: Koldehoff 2016, 161 f. Vgl. Film von Fischer/Käsmann, 1994. 986 Vgl. Linsel 2013, 21. Vgl. Hoghe 1986, 157. 987 Vgl. Linsel 2013, 24. Vgl. Pina Bausch zitiert in: Koldehoff 2016, 52 f. 988 Linsel 2013, 25. 989 Linsel 2013, 25. 990 Linsel 2013, 26. 991 Linsel 2013, 31. 992 Dies war ungewöhnlich, da die Schüler sonst nur in einer von beiden Techniken unterrichtet wurden. Vgl. Linsel 2013, 40.

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und Donya Feuer. Nach einem Jahr gingen die Mittel des Stipendiums zur Neige, sie erhielt eine Stelle in der Ballettkompanie der Metropolitan Opera, außerdem beim New American Ballett bis sie 1962 schließlich nach Essen zurückkehrte als Mitglied des Ensembles von Jooss, des Folkwang-Balletts, dessen Leitung sie ein Jahr später übernahm.993 Dort machte Bausch ihre ersten größeren Choreographien. 1969 gewann sie mit einem expressionistischen Stück „Im Wind der Zeit“ den Kölner Choreographenpreis.994 Noch war ihre Kunst „nicht im Mindesten interessiert an Realität noch sozialer Kritik.“995 Zur Spielzeit 1973/74 wurde Bausch Direktorin des Tanzensembles der Wuppertaler Bühnen. Dort löste sie das Ballett ab und erarbeitete eine eigene, ihr entsprechende Form, das Tanztheater auf der Basis einer „nicht himmelanstrebenden, sondern erdennahen Modern Dance-Technik“996, die sich von der Martha Grahams deutlich unterschied. Indem es sich zunehmend etablierte, entwickelte sich das Tanztheater zum Begriff für eine eigene Gattung.997 Das Wuppertaler Publikum liebte sein Ballett und reagierte in der ersten Zeit mit Ablehnung. Jede Premiere war ein Skandal.998 Bausch hatte viele Jahre um Anerkennung und gute Arbeitsbedingungen zu ringen.999 Bis zuletzt probte sie in einem ehemaligen Kinosaal, der Lichtburg. Ab 1983 leitete sie zusätzlich die Tanzabteilung der Folkwangschule Essen und unterrichtete dort Tanzklassen.1000 Mit dem Tanztheater Wuppertal gab sie Gastspiele in Europa, Amerika, Asien und Australien.1001 Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Kyoto-Preis 20071002. 1980 starb ihr Lebensgefährte Rolf Borzik. Die Lähmung angesichts dieses Verlusts überwand sie durch die Weiter-Arbeit an ihrem neuen Stück 1980. Gemeinsam mit dem chilenischen Professor für Ästhetik und Literatur Ronald Kay bekam sie 1981 ihren Sohn Salomon. Zu dieser Zeit erreichte ihr Schaffen ihrer eigenen Aussage nach einen „mentalen Gipfel“1003. „Nachdem ich erleben

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Vgl. Linsel 2013, 45–47. Vgl. Hoghe 1986, 157. Vgl. Schmidt 1992, 40. Schmidt 2002, 303. Schmidt 1992, 42. Dies darf man sich nicht als gezielte Strategie vorstellen. Sie arbeitete so, wie es ihr richtig erschien. Das Tanztheater ist eher Ergebnis dieses konsequenten eigenen Weges als ein zuvor gesetztes Ziel. Vgl. das Interview mit der Kostümbildnerin Marion Cito zitiert in: Servos 2001, 271. Vgl. Hoghe 1986, 18–20. „Das Publikum wollte die heile Welt von ,Schwanensee‘ und nicht mit ansehen, wie Paare sich bekämpfen und quälen.“ Meyer 2016, 13. Vgl. Linsel 2013, 64. Vgl. Pina Bausch im Gespräch mit Jochen Schmidt 1983, zitiert in: Koldehoff 2016, 88 f. Vgl. Hoghe 1986, 157. Zu weiteren Preisen siehe die Chronik von Anne-Kathrin Reif zitiert in: Koldehoff 2016, 334–347. Schmidt 2002, 305.

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musste, wie ein Mensch stirbt, habe ich auch erleben dürfen, wie ein Mensch geboren wird. Und wie sich dadurch die Sicht auf die Welt verändert.“1004 Pina Bausch hinterlässt bei ihrem Tod 2009 ein Lebenswerk von nahezu 50 Choreographien.1005 Das Tanztheater1006 hat sich bis heute in Deutschland an zahlreichen alternativen Spielorten der freien Tanzszene etabliert (Berlin, Hebbel-Theater; Frankfurt/Main, Mousonturm; Hamburg, Kampnagelfabrik; teils auch an Bühnenhäusern wie Ulm, Weimar, Basel, Münster). Für die internationale Tanzgeschichte hat das neue deutsche Tanztheater ebenso große Bedeutung wie der Ausdruckstanz der 1920er und 30er Jahre.1007 Anregungen des Tanztheaters finden sich inzwischen in Theater, Oper und Film.1008 Tanzstücke in aller Welt gehen auf ihren ästhetischen Einfluss zurück.1009 6.5.2 Künstlerisches Profil Die ersten Werke 1968 Fragmente und 1969 Im Wind der Zeit offenbarten Bauschs Doppelbegabung für den Tanz wie auch die Choreographie.1010 In erster Linie aber ging es ihr darum, zu tanzen und etwas zu tanzen zu haben: Ich wollte immer tanzen. Ich musste tanzen. Das war die Sprache, in der ich mich ausdrücken konnte. […] Es ging mir immer nur darum, dass ich in diesem Stück etwas tanzen konnte, was mir wichtig war.1011

In Wuppertal gab sie den Wunsch zu tanzen vorwiegend an andere weiter, ein Verzicht, der auch mit Schmerz verbunden war.1012 Pina Bausch verhalf mit dem Wuppertaler Tanztheater dem neuen deutschen Tanztheater zu internationaler Reputation.1013 Charakteristisch sind die Öffnung des Tanzes über Spartengrenzen hinaus zu Sprache1014 und Gesang. In allem ist eine Suchbewegung zu spüren: „Immer überlegt man: Was ist Tanz?“.1015 Sie verwendete in ihren Stücken Musik überraschend unterschiedlicher Stilrichtungen, unter 1004 Bausch 2007, zitiert in: Koldehoff 2016, 313. 1005 Vgl. Klein 2014, 25. 1006 Tanztheater hat nach Schmidt „etwas mit der geistigen Haltung eines Choreographen zu tun, mit seiner Abkehr von gewissen Konventionen und ästhetischen Absprachen, der des linearen Erzählens, beispielsweise“. Schmidt 2002, 299 f. 1007 Vgl. Servos 2001, 181. 1008 Vgl. Servos 2001, 11. 1009 Teils tradieren sich ihre Stücke an Orte, an denen ihre Kompanie nie auftrat über heimlich mitgeschnittene Videos, die unter der Hand weitergereicht werden. Vgl. Schmidt 2002, 302. 1010 Vgl. Linsel 2013, 51. 1011 Bausch zitiert in: Linsel 2013, 52. 1012 Vgl. Linsel 2013, 54 f. 1013 Vgl. Servos 2001, 178. 1014 Im Tanztheater Bauschs spielt das Wort eine den musikalisch-tänzerischen Strukturen untergeordnete Rolle. Insgesamt haben sich die Stücke mit einem größeren tänzerischen Anteil als haltbarer erwiesen. Vgl. Schmidt 1992, 9. 1015 Bausch 1998 in einem Interview mit Marion Meyer, in: Meyer 2016, 165.

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anderem von Gustav Mahler, Christoph Willibald Gluck, Schlagermusik, Igor Strawinsky, Kurt Weill, B la Bart k, Evergreens, Volkslieder, George Gershwin, Peter Kreuder, Tangos (Carlos Gardel), Chansons (Edith Piaf), Franz Schubert, Heinrich Schütz, Henry Purcell, Felix Mendelssohn-Bartholdy, Billie Holiday, Fred Astaire, Brahms und Bach.1016 Charakteristisch sind zudem die sinnlichen Bühnenbilder ihres Lebensgefährten Rolf Borziks (später auch von Peter Pabst), bei denen die Tänzer auf Erde, Wasserlachen, Blumen, Rasen, Mauersteinen oder Laub tanzen.1017 So wurde die Natur […] zum Partner des Tänzers auf der Bühne, aber auch zum Widerpart, zu einem Element der Reibung. […] Am Ende sehen Borziks Bühnenräume stets anders aus als zu Beginn: wüst, leer, zerstört, aufgewühlt. Auch die Tänzer sind verändert und gezeichnet von Erde, Laub und Wasser – sie erzählen das intensiv gelebte Leben, also auch von Vergänglichkeit, Tanz als Leben, Leben als Tanz.1018

Pina Bauschs Stücke transportieren „die Lust am Umgang mit wirklichen Sachen […,] die Lust, sich wirklich auszusetzen und wirkliche Erfahrungen zu machen – ohne Angst, naß zu werden.“1019 Neue Stücke entwarf sie, ohne Bewegungsmaterial von anderen zu verwenden, da sie nur so „das ausdrücken“ könne, was ihr „am Herzen lag“1020. Ihr erstes Wuppertaler Stück 1974 trägt den Titel Fritz. Hauptperson ist ein kleiner Junge, dessen phantasiegelenkte Wahrnehmung der Welt thematisiert wird.1021 Einen bedeutenden thematischen Schwerpunkt vieler Stücke bildete „das Unverständnis zwischen den Geschlechtern, die Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit und deren Verhinderung durch die Konventionen […], die Beengung kleinbürgerlicher Verhaltensweisen und die Zwänge der Geschlechterrollen.“1022 Sie erzählte Geschichten von Liebe und der Sehnsucht danach, wobei es ihr um Emanzipation ging, nicht allein der Frau, sondern des Menschen.1023 Der Tanzkritiker Jochen Schmidt sieht ihre Stücke „voll von feministischen Details und Sympathie für das Schicksal der Frauen in einer von Männern gemachten und regierten Welt“ und einen thematischen Schwerpunkt beim „Kampf der Geschlechter“,1024 obwohl Bausch selbst sich nicht als Feministin verstand. An Frauen und Homosexuelle herangetragene Zuschreibungen einer besonderen weiblichen oder schwulen Affinität zu 1016 Vgl. Hoghe 1986, 157–159. Bausch sagt: „Die Musik ist natürlich für mich sehr wichtig und von meiner Arbeit untrennbar.“ Gespräch mit Lothar Schmidt-Mühlisch im Jahr 2000 zitiert in: Koldehoff 2016, 239. 1017 Vgl. u. a. Almod var 2013, 10; vgl. Servos 2012, 30 f. Vgl. Linsel 2013, 97. 1018 Linsel 2013, 71. 1019 Hoghe 1986, 34. Ähnlich sieht dies Schmidt: „Hier gab es für das Theaterpublikum Erfahrungen zu machen wie niemals zuvor und nirgends sonst.“ Schmidt 1992, 28. 1020 Bausch zitiert in: Linsel 2013, 56. 1021 Vgl. Linsel 2013, 63. 1022 Servos 2001, 179. 1023 Vgl. Linsel 2013, 81. 1024 Schmidt 2002, 304.

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Körperlichkeit, Tanz und Bewegung wies sie zurück.1025 An einer spezifisch weiblichen Ästhetik lag ihr nichts. Dagegen betonte sie, dass viele Skalen von Frausein und Mannsein möglich seien „und Bereiche, wo das ineinander gehen kann“1026. Das Bewegungsrepertoire umfasste Alltagsbewegungen – oft auf das Minimale reduzierte Gesten – die, von Oberflächlichkeit befreit, innere Empfindungen ausdrücken.1027 Damit folgte sie der Tanzauffassung Labans, der bereits mit dem strengen Ballett-Kodex gebrochen hatte und jede Bewegung für geeignet hielt, sie in eine tänzerische zu überführen. Die Bühnenästhetik ihres Tanztheaters beinhaltete dramaturgische Techniken wie „Collage und Montage, Wiederholungen, simultane Handlungen, szenische Zuspitzungen, Brechungen von ernsten und heiteren Situationen“1028 und basierte auf einer ungewöhnlichen Körpersprache sowie der Kombination von Tanz, Sprache, Musik und Gesang. Sie entwickelte nach und nach ihre charakteristische individuelle Arbeitsweise mit den Tänzer_innen. Jeder wurde in seiner Eigenständigkeit ernst genommen und gefördert, auch Tänzerinnen, die nicht dem asketischen Körperideal des Balletts entsprachen.1029 Vorher war Bausch von ihren eigenen Bewegungen ausgegangen. Sie hatte das, was zu tanzen war, selbst ausprobiert und dann den Tänzern beigebracht. Das Stück über Macbeth1030 brachte eine Wende: „Ich musste mir etwas anderes ausdenken. So begann ich, Fragen zu stellen.“1031 Von da an befragte sie die Tänzer_innen. Meist über hundert Fragen stellte sie ihnen bei den Proben.1032 Das bedeutete eine Entscheidung für den Ausgangspunkt des Tanzes im Kopf, nicht im Körper: „Die Schritte Vgl. im Gespräch 1975 mit Edmund Gleede zitiert in: Koldehoff 2016, 26 f. Hoghe 1986, 28. Vgl. Servos 2001, 179. Linsel 2013, 86; Schmidt 2002, 300. Vgl. Linsel 2013, 76. 80. Jo Ann Endicott formuliert die Wirkung dieser akzeptierenden Haltung: „Klar, ich war nicht wie andere Tänzerinnen, hatte auch ein dickes Gesicht – aber ich konnte tanzen, und ich konnte mich zeigen, so wie ich bin. Und Pina mochte mich so, wie ich war, wie ich bin.“ Endicott zitiert in: Linsel 2013, 80. „Sie hat mich akzeptiert, ohne mich ändern zu wollen.“ Endicott zitiert in: Meyer 2016, 175. 1030 Aufgeführt wurde es 1978 unter dem Titel: Er nimmt sie an der Hand und führt sie in das Schloß, die anderen folgen. 1031 Linsel 2013, 78; Schmidt 2002, 304. 1032 Vgl. Klein 2014, 25. Beispiele für Fragen: Was macht ihr, wenn ihr zärtlich seid? Bausch 1998 im Gespräch mit Roger Willemsen, zitiert in: Koldehoff 2016, 188. Immer wieder fragte sie nach Weihnachten. Vgl. Bausch 1982 im Gespräch mit Jochen Schmidt, zitiert in: Koldehoff 2016, 78. Weitere Fragen finden sich bei Hoghe 1986 [Auswahl]: Ich tue, als ob ich ganz allein sein will – aber eigentlich will ich, dass jemand kommt; Geliebtwerdenwollen – was wir alles tun, damit uns jemand gern hat; (29). Was fällt euch zu Frühling ein? Was heißt das: keusch sein? (40). Geht einmal, wie Schnellgeher gehen; (41). Wir zeichnen verletzbare Stellen auf den Körper und zeigen, warum sie verletzbar sind; (42). Was ihr nicht könnt, aber euch von anderen Leuten abgeguckt habt; (44). Verirrt in den Bergen; (57). Könnt ihr mal machen, was wir trösten genannt haben? (58). Mariendarstellungen; Wie man ein Tier tötet; (84). Etwas, was mit Mut zu tun hat; (87). Sätze in denen Gott vorkommt; (104). Schweigen; (112). Was ist es, was einen nach Hause zieht? (154).

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sind immer woanders hergekommen; die kamen nie aus den Beinen. […] Früher habe ich aus Panik, aus Angst, vielleicht noch mit einer Bewegung angefangen und habe mich noch gedrückt vor den Fragen. Heute fange ich mit den Fragen an.“1033 Die Stücke wurden mit den Tänzer_innen gemeinsam erarbeitet, die dadurch zu Co-Autoren wurden. Szenische Vorschläge wurden gesammelt, Stichworte und Reaktionen auf ihre Fragen, eine Herangehensweise, die heute unter dem Begriff Artistic Research1034 weithin praktiziert wird. Die Tänzer und Tänzerinnen suchten nach Antworten, mit ihrem Körper, mit ihrer Stimme, mit Materialien und Requisiten. […] Die Proben wurden auf Video aufgezeichnet. Das Video diente wie die Aufzeichnungen mitunter als Gedächtnisstütze und als Hilfe, wenn es zu Wiederholungen kam, nämlich dann, wenn Pina Bausch sich entschieden hatte und den Tänzern mitteilte, was sie von dem Gezeigten nochmals sehen wollte.1035

Diese Freiheit brachte den Verzicht auf Sicherheiten und Konventionen mit sich, aber auch einfallreichere Ergebnisse. „Ich muss alles aus meinem Kopf tun; was ich gelernt habe, hilft mir nichts“1036. Bausch arbeitete mit dem, was Menschen in ihrem Leben betrifft – Ängste, Freuden, Träume. Ihr berühmter Satz: „Mich interessiert nicht, wie die Menschen sich bewegen, sondern was sie bewegt“1037 fasst Bauschs Priorisierung der Lebensthemen gewöhnlicher Leute treffend zusammen. Zu Beginn der Probenarbeit für ein neues Stück kann ein Thema nie klar benannt werden. „… das ist sehr, sehr schwierig, wenn man nicht weiß, was man tut […] Und man gar nichts sagen kann… Man ist also ganz … nackt und bloß irgendwie“1038. Fragen entwickeln sich aus dem Gefühl, aus der Gegenwärtigkeit heraus: „… dass ich versuche zu fühlen, was ich fühle, in dieser Zeit. Also irgendwo, aus diesem Da heraus kommen die Fragen. Und natürlich durch das, was ich sehe [,] kommen auch neue… Fäden, neue Gedanken“1039. Während des Suchens ist das Thema bereits da, aber noch nicht sichtbar: „Es ist in mir, in uns, in dieser ganz bestimmten Zeit. Im Moment des Suchens sind wir dann nicht Tänzer und Choreographen, sondern Menschen.“1040 Das Tanztheater stellt keine Technik dar. Es „verkörpert eine bestimmte Haltung zur Welt, die mit unbestechlicher Ehrlichkeit und Genauigkeit die Menschen und ihr Verhalten anzuschauen vermag, ohne sie zu Pina Bausch im Gespräch mit Jochen Schmidt 1982, zitiert in: Koldehoff 2016, 77 f. Vgl. Klein ebd. Klein 2014, 25. Bausch 1990 im Gespräch mit Veit Mölter zitiert in: Koldehoff 2016, 129. Bausch zitiert in: Linsel 2013, 87. Bestätigend nimmt Bausch erneut ihr berühmt gewordenes Zitat in ihrer Rede anlässlich der Verleihung des Kyoto-Preises 2007 auf. Vgl. Koldehoff 2016, 313. 1038 Bausch 1987 im Gespräch mit Ruth Berghaus zitiert in: Koldehoff 2016, 92. 1039 Koldehoff 2016, 94. 1040 Bausch 1987 im Gespräch mit Ingrid Seyfahrth zitiert in: Koldehoff 2016, 124.

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bewerten.“1041 Eines der Themen für eine Tanzszene ist die Angst im Dunkeln. Assoziationen von Nächten in der Kindheit bis zur Angst vor dem Sarg finden darin Platz. Gebannt wird die Angst von Momenten der Heimat, die eine Kraftquelle darstellen, aber auch von Humor.1042 Die Stücke von Pina Bausch bieten deutungsoffene, in meinen Augen oft surrealistisch1043 anmutende Bilder. „Der Zuschauer wird selbst kreativ in dem Zustand oder der Bewegung, oder in der Stimmung, in der er sich gerade befindet. Beim ersten Mal sind die meisten Zuschauer irritiert; eigentlich sind die Stücke auch nicht für einmal gucken gedacht.“1044 Eindeutige Interpretationen verwirft die Choreographin: „Man kann immer auch umgekehrt gucken.“1045 Was Zuschauer zu sehen bekommen, kann allerdings unverhofft mit den historischen Kontexten der Aufführung verschmelzen und neue, emotional stark wirksame Lesarten produzieren. So ist in Palermo Palermo zu Beginn eine einstürzende Mauer zu sehen. Die Uraufführung fand wenige Wochen nach dem Mauerfall statt. Beim Anblick der stürzenden Mauerteile brach das Publikum spontan in Applaus aus. Tatsächlich wurde die Idee zu der Szene vor dem Fall der Berliner Mauer und unabhängig davon geboren (aber selbst das lässt sich nicht mit Sicherheit behaupten).1046 Eine richtige oder ursprüngliche Deutung der Mauer lässt sich nicht benennen: „Die Mauer ist für jeden an jedem Tag etwas anderes.“1047 Das Stück Nelken beinhaltet eine Szene, bei der sich ein Tänzer und eine Tänzerin Erde über den Kopf rieseln lassen während sie in einem Feld von Nelken stehen. In Moskau wurden diese Szene und das Stück insgesamt wegen der Begräbnissymbolik der Blumen und dem einem Trauerritus vergleichbaren Erdwurf auf die damals in der Sowjetunion herrschende Trauer um die Opfer eines Erdbebens hin interpretiert.1048 Die semantische Offenheit des im Medium von Tanz, Bühnenbild, Musik und vielem mehr Gezeigten ermöglicht Zuschauern eine individuelle oder auch kollektive Aneignung vor dem eigenen biographischen und gesellschaftlichen Hintergrund. Es geht Pina Bausch generell nicht darum, etwas realistisch wiederzugeben, es sind Abstraktionen von Gefühlen oder von 1041 Servos 2001, 7. 1042 Vgl. Linsel 2013, 91. 1043 In der Sekundärliteratur über Pina Bausch findet sich m.W. keine Erwähnung dieses sich mir aufdrängenden Eindrucks von Surrealismus. Der von Guillaume Apollinaire bereits 1917 in einem Programmzettel für das Ballett Parade, ein avantgardistisches multimediales Tanztheater verwendete Begriff „surrealistisch“ fungierte anschließend auch als Bezeichnung für literarische Werke und bildnerische Kunst. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Guillaume_ Apollinaire (2016/05/31). Eine Ausnahme bildet die Bemerkung von Schmidt über das Stück „Orpheus und Eurydike“. Es sei ein „surrealistischer Alptraum […] wie von Ren Magritte entworfen“. Vgl. Schmidt 1992, 44. 1044 Bausch 1987 im Gespräch mit Ingrid Seyfarth zitiert in: Koldehoff 2016, 125 f. 1045 Hoghe 1986, 18. 1046 Vgl. Linsel 2013, 116. 1047 Bausch 1990 im Gespräch mit Veit Mölter zitiert in: Koldehoff 2016, 130. 1048 Vgl. Film von Linsel 2006, bei ca. 34‘.

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„etwas, das auch da ist“.1049 Der Sinnzusammenhang des Gesehenen ergibt sich erst in der Rezeption. „Der Schlüssel liegt beim Publikum, das auf sein Interesse und seine Alltagserfahrungen hin befragt wird. Sie wollen und müssen mit dem Geschehen auf der Bühne verglichen, in Beziehung gesetzt werden.“1050 Zuschauer müssen sich vor dem, was sie sehen, selbst klären, da es keine Illusionen anbietet, die sich folgenlos konsumieren lassen. Sie werden mit einer Realität konfrontiert, die ihre Sinne erregt. Mit alltäglichen Kleidungstücken geben sich die Tänzer als Personen zu erkennen. Nach Bausch geht es darum, „sich nicht abheben [zu] wollen, sich nicht entrücken, sich nicht verkleiden [zu] wollen.“1051 Sie „möchte, daß sie als Menschen gesehen werden, die tanzen.“1052 Für die Tanzenden bedeutet dies den Verzicht auf den Rückzug hinter die Maske der Rolle, mit der Chance, neue Möglichkeiten in sich zu entdecken.1053 Die Akteure zeigen etwas von sich, Dinge, die einen biographischen Bezug haben, ohne dass der Zuschauer weiß, „wie privat es ist“1054, vermutet die Tänzerin Meryl Tankard. Für den Tänzer Dominique Mercy bedeutet die Arbeit im Tanztheater eine „Arbeit an der eigenen Geschichte.“1055 Das wirft die Frage auf, ob es für die Tänzer schamauslösend oder peinlich werden könnte, sich so offen zu zeigen. Raimund Hoghe, Bauschs Dramaturg in den Jahren von 1980 bis ca. 1989, ist überzeugt: In neue Zusammenhänge gebracht, verlieren die persönlichen Zitate das, was sie zur bloßen Selbstdarstellung und Selbstentblößung machen könnte, und gewinnen eine neue Realität, eine andere Bedeutung und Form, die sie über das nur Private hinausführt.1056

Die Bewegungsräume der Bühnenbilder machen die Bewegungen der Tänzer hörbar. Mehr als in einer bloßen Kulisse transportiert sich Körpererleben, wo sich Erde, Wasser, Gras und Fels den Tanzbewegungen gegenüber widerständig verhalten. Die Elemente tragen Symbolkraft in sich, „Wasser verbindet Himmel und Erde“1057, was Assoziationen zu menschheitsgeschichtlichen Mythen – etwa auch der Schöpfungsgeschichte anregt. Gezeigt wird Erleben und Erfahrung, die auch in jedem Zuschauer selbst angelegt ist. Grundlegend für die besonderen Möglichkeiten sinnlich-somatischer Rezeption von Bauschs Bühnenstücken dürfte ihr erweitertes Verständnis von Tanz sein: „Es 1049 1050 1051 1052 1053 1054 1055

Vgl. Bausch im Film von Linsel 2006, bei ca. 32‘. Servos 2001, 23. Pina Bausch zitiert in: Servos 2001, 261. Servos 2001, 261. Vgl. Meryl Tankard, zitiert in: Hoghe 1986, 82. Hoghe 1986, 81. Vgl. Hoghe 1986, 135. „Das ist ja auch der Grund, warum wir was machen, über alle diese Gefühle sprechen, unschöne und häßliche auch. Ach, ich kann es so schlecht sagen, es ist so selbstverständlich – die Sachen richtig angucken und einfach weitersuchen.“ Mercy in: Hoghe 1986, 135 f. 1056 Hoghe 1986, 81. 1057 Suchy 2006, 40.

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kann fast alles Tanz sein. Es hat mit einem bestimmten Bewußtsein, einer bestimmten inneren körperlichen Haltung, einer ganz großen Genauigkeit zu tun: Wissen, Atmen, jedes kleine Detail. […] Es gibt so viele Dinge, die sind Tanz, auch ganz gegensätzliche Dinge. Tänze sind auch aus Nöten entstanden, nicht nur aus Freude […]“.1058 Tanzen können alle, wenn fast alles Tanz ist. Die Menschen auf und vor der Bühne unterscheiden sich nicht länger in Tänzer und Nicht-Tänzer, die vierte Wand – die Grenze von Akteuren und Zuschauern – wird tendenziell durchlässig. Allen gemeinsam ist das Körperliche, das Tanz erst konstituiert: „Was ist Tanz? Der stärkste Ausdruck ist der Körper. Man kann etwas nicht besser ausdrücken. Aber die Form muss stimmen, man muss sich fragen, woher ein Gefühl kommt.“1059 Bauschs Priorisierung des Gefühls motiviert meines Erachtens auch die Deutungsversuche ihrer Kunst durch Publikum und Tanzkritik. Julia Stenzel wies darauf hin, dass zu den wichtigsten Hintergrundmetaphern solcher Interpretationen die „Metapher von körperlicher Bewegung als mentaler Regung“1060 gehört. Diese dürfe nicht überstrapaziert werden im Sinne einer anthropologischen Konstante.1061 Historizität und kulturelle Bedingtheit1062 derartiger Metaphern anzuerkennen dient nicht zuletzt einer Konturierung der Verstehensbedingungen von Bauschs Choreographien. 6.5.3 Selbsterfahrung und Körperaneignung Im Tanz des 20. Jahrhunderts lassen sich prinzipiell zwei Typen von Körperverständnis ausmachen – Körper der Erfahrung und Körper der Bezeichnung.1063 Gerade dem Tanz werden in der Welt des Theaters Möglichkeiten einer körperlichen Spielweise und Selbsterfahrung auf der Bühne zuerkannt.1064 Während etwa im Postmodern Dance1065 die Physis des Körpers thematisiert und als Subjekt in Szene gesetzt wird1066, treten im Tanztheater bei 1058 1059 1060 1061 1062

1063 1064 1065

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Pina Bausch zitiert in: Servos 2001, 253. Bausch 1998 im Gespräch mit Marion Meyer und Frank Scurla, zitiert in: Koldehoff 2016, 206. Stenzel 2006, 24. Vgl. Stenzel 2006, 29. Stenzel zeigt anhand von Interpretationen einer Szene aus Caf Müller durch den Tanzkritiker Norbert Servos, den damaligen Dramaturgen Bauschs Raimund Hoghe und den britischen Tanzkritiker Ramsay Burt u. a. den Einfluss sprachlicher Wendungen wie „auf Händen tragen“ für die Sicht auf das Geschehen. Burt, in dessen Sprache es diesen Ausdruck nicht gibt, kommt zu ganz anderen Schlüssen als die beiden Deutschen. Vgl. Stenzel 2006, 26–28. Vgl. Klein 1999, 28. Vgl. Schlicher 1987, 17. Z. B. Merce Cunningham, Yvonne Rainer, Trisha Brown und die Judson Church Company. Bausch erlebte die Anfänge während ihres Studiums in New York mit. Einflüsse auf ihr Werk sind in der Darstellung des Körpers als gesellschaftliches Konstrukt zu verzeichnen, ansonsten schließt sie sich eher den zentralen Ideen des deutschen Ausdruckstanzes an. Vgl. Volkmann 2003, 96. Vgl. Klein 1999, 29.

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Pina Bausch, anknüpfend an die „Körperfigur des Ausdruckstanzes“, Körper als Medium der Erfahrung auf.1067 Allerdings geht es dem Tanztheater anders als dem Ausdruckstanz nicht um eine „Kommunikation zwischen innerer und äußerer Natur“, sondern „um das Verhältnis zwischen intimen und öffentlichen Körpern.“1068 An den individuellen Körpererfahrungen der Tänzer_innen bilden sich gesellschaftliche Körpervorstellungen ab.1069 Auf der Bühne zeigen Tänzer, was man normalerweise nicht öffentlich macht, Schamgrenzen verschieben sich und verschwimmen. „Aus Gesten wie Sich-Streicheln, mit dem Po wackeln, Sich-gegenseitig-Befummeln und Sich-selbst-Ohrfeigen werden kleine Tänze, entwickeln sich regelrechte Tanzformationen.“1070 Gleichzeitig kann darin eine „Chronik der Gefühle“, eine werkstattartige Sammlung und Collage von Befindlichkeiten der jeweiligen historischen Kontexte entdeckt werden, eine Art „Land- und Zeitvermessung der Bundesrepublik Deutschland“1071. Klischees von „masculinity“ und „femininity“1072 werden bewusst eingesetzt, „gefiltert durch die Geschichte individueller Erfahrung“1073. Während in der Ästhetik des klassischen Bühnentanzes disziplinierte Körper als Symbol für die „Freiheit der Seele“ einzustehen haben und blutende Füße weggelächelt werden, rückt das Tanztheater Individuen mit ihrer eigenen „Körperbiographie“ ins Rampenlicht.1074 Im Fokus steht dabei das subjektive Erleben der Tänzer. Sie machen durch ihre Persönlichkeit „die Bewegung des Menschen im Leben oder durch das Leben“1075 transparent. Ein Gegenbild zur bürgerlich-repressiven Kultur mit ihrer „Berührungsangst vor der Realität“ (Herbert Marcuse) entsteht, jenseits der „Trennung von Kultur und Zivilisation – von Kunst und Alltag, von Seele und Körper, von Privatsphäre und Öffentlichkeit“1076. Der Umgang mit dem eigenen Körper als Körper der Erfahrung auf der Bühne war von den Tänzer_innen in den von Bausch initiierten kreativen Prozessen erst zu erlernen. Anders als im Ballett sind nicht die Körpertechniken oder Ausdruckskonzepte zentral für diese mentalitätsgeschichtliche Erinnerungsarbeit, vielmehr geht es um Ergebnisse einer „Körper-Suchbewegung in einer Archäologie der Gefühle“1077. 1067 1068 1069 1070 1071 1072 1073 1074 1075 1076 1077

Vgl. Klein 1999, 28. Klein 1999, 28 f. Vgl. Volkmann 2003, 91. Schlicher 1987, 146. Vgl. Brandstetter 2006, 21. Brandstetter 2006, 24. Brandstetter 2006, 26. Vgl. Schlicher 1987, 24 f. Volkmann 2003, 94. Schlicher 1987, 19 f. Brandstetter 2006, 25. Brandstetter sieht daher im Wuppertaler Tanztheater seit den 1970er Jahren einen grundlegenden Beitrag zu einer Kulturgeschichte des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts (Vgl. ebd. 32.). Es stellt „ein Archiv eines so noch nicht analysierten Strukturwandels der Öffentlichkeit“ dar (ebd. 33).

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Bausch lag daran, jeden einzelnen Tänzer als Menschen, den sie kennenlernen möchte wahrzunehmen. Gleichzeitig wollte sie „jeden unterstützen, von sich aus Dinge zu finden, die er von sich selber nicht kennt.“1078 Tänzer_innen waren bei den Proben herausgefordert, auf die Fragen Bauschs individuelle, stimmige Antworten zu finden. Diese Selbstexploration fiel anfangs vielen schwer. Ihnen stand im Weg, dass sie es gut machen wollten und mit ihren Bewegungen oder kleinen Spielszenen in Klischees verfielen. „Man versucht das ja so gut zu machen, dass es alles gar nicht stimmt…“1079 Überraschendes, Neues entsteht erst, wenn Klischees und die Frustration darüber, dass die Klischees nicht weiterbringen, überwunden werden.1080 Dieser Prozess fand bei den Tanzenden statt und später bei der Aufführung auch bei den Zuschauenden. Bausch bewegte der Wunsch, dass man die Tänzer auf der Bühne wirklich kennenlernen kann. „Ich finde es sehr schön, wenn man sich am Ende einer Vorstellung jedem ein wenig näher fühlt, weil er etwas von sich gezeigt hat.“1081 Zuschauer erleben in den Stücken Bauschs nicht nur Nähe und Wiedererkennen, sondern auch die Verfremdung ihrer alltäglich eingeübten Verhaltensweisen und Denkmuster. Mittels der angebotenen Gegenbilder zur Alltagswirklichkeit verwirklicht sich eine nicht dualistische „Schule des Sehens“1082. Nicht nur das Sehen von Tanztheaterstücken transformiert sich auf diesem Weg. Auch in der Welt außerhalb des Theaters kann anders wahrgenommen werden. So ist etwa Rhythmus in der Alltagsumgebung wahrzunehmen. Er findet sich „in allen kleinen, großen, wichtigen Dingen des Lebens. Überall herrscht der Rhythmus vor“1083, schreibt Bausch. Die Imagination der Zuschauer wird angeregt, die Trennung von Traum und Wirklichkeit verwischt, Unbewusstes sichtbar gemacht. „Wer zuschaut, meint, eine tiefe Sehnsucht zu spüren und kann den Drang nachvollziehen, zu tanzen“1084. Spannungen zwischen scheinbar Unvereinbarem werden nicht nur gezeigt, sondern ausgehalten.1085 Eine Zuschauerin sagt über ihre ambivalenten Gefühle: „Ich war manchmal so betroffen, und ich fühlte mich auch manchmal angegriffen […,] weil ich dachte: Was ist denn hier los? Hier bin ich doch vielleicht auch gemeint.“1086 Teils sind extreme Reaktionen, positive wie negative, zu verzeichnen, die Stücke lassen keine Lauheit zu und erfordern 1078 1079 1080 1081 1082 1083 1084 1085

Bausch 2007 zitiert in: Koldehoff 2016, 311. Bausch 1987 im Gespräch mit Ruth Berghaus, zitiert in: Koldehoff 2016, 98. Vgl. Koldehoff 2016, 98. Bausch zitiert in: Koldehoff 2016, 311. Servos 2001, 179. Bausch zitiert in: Linsel 2013, 31. Suchy 2006, 40. Ich denke hier an die zärtliche Zuneigung zwischen einer Tänzerin und einem Nilpferd (Arien 1979) (vgl. Bausch in Servos 2001, 261) oder den Zwang zur Gewalt, der sich im Frühlingsopfer (Le Sacre du Printemps 1975) ausdrückt, während er gleichzeitig aufgelöst und überwunden werden will. 1086 Anonym, zitiert in: Koldehoff 2016, 100.

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Parteinahme.1087 Diese Ambivalenz kann ihre eigene Art von Schönheit entwickeln.1088 Statt Gefühlslagen durch kulturell tradierte theatrale Codes quasi nur zu zitieren, so dass diese dann verstandesmäßig erfasst werden, will Bausch das Gefühl in dem Moment entstehen lassen, so dass es erlebt wird. Sie will ein Drama so machen, „dass das gerade plötzlich passiert, dass es darum geht, dass man dieses Gefühl erlebt, dass das Gefühl da ist, dann muss man in jeder Zeit andere Zusammenhänge suchen, wie man das fühlen kann.“1089 Anders als im alltagssprachlichen Sinn sind für Bausch Gefühle nichts Ungreifbares oder Ungefähres, sie sind etwas Präzises. Sie stellen eine „Art Wissen“ dar „ein anderes, ganz genaues Wissen.“1090 Das Tanztheater lässt „die tradierte Spaltung von Leib und Seele, Körper und Geist“1091 nicht gelten. Allerdings präsentiert sich dort nicht eine naive Ganzheitlichkeit. Häufig scheint jeder Körperteil für sich zu tanzen, dennoch vermittelt sich „das Bild eines ganzen Körpers, der tanzt, der tanzen kann oder zumindest tanzen will. Es bleibt auch das Bild eines zerstörten Körpers, aber immer in seinem Willen zur Bewegung.“1092 Der Umgang der Choreographin mit der Körperlichkeit der Tänzer vermittelt Hinweise darauf, wie die Tänzer_innen selbst sich in ihrem Körper gefühlt haben mochten. Ein Beispiel ist Bauschs Bemerkung zu Jo Ann Endicott, einer australischen Tänzerin, die ihr voriges Ballett-Ensemble verlassen hatte, weil sie aus dortiger Sicht zu dick geworden war. Bei Pina Bausch tanzte sie in einem durchsichtigen Chiffonkleid. Ihren Vorschlag, die Figur mit Schminke zu retuschieren, wehrte Bausch ab: „Du musst so bleiben, wie du bist, du bist doch wunderschön.“1093 Mit der Abkehr von den Schönheitsidealen des Balletts war die Hinwendung zu einer anderen Art von Schönheit verbunden, „zu der auch Schrägheit, Rauheit, Sprödigkeit, Schrecken“1094 gehörten. Es gehe um den „lebendigen Körper mit all seinen Regungen“1095. Die Gültigkeit der christlich tradierten Paarung des willigen Geistes mit dem schwachen Fleisch1096 für den Blick auf das Körper1087 Vgl. Schmidt 1992, 29. 1088 Im religionspädagogischen Seminar „Pina“ (PTI Bonn 29.4.–1. 5. 2016, Leitung Harald Schroeter-Wittke / Gotthard Fermor) äußerten sich Studierende in Reaktion auf im Film von Wim Wenders (2009) gezeigte Tanzszenen teils mit poetischen Wortkombinationen, unter anderem: Schönheit der Ambivalenz; Fließen, Freiwerden, Lösen, Leben, Lieben; Totengedenken; Platz haben. 1089 Bausch 1992 im Film-Interview Fischer / Käsmann, zitiert in: Koldehoff 2016, 165. 1090 Bausch 1992 im Film-Interview Fischer / Käsmann, zitiert in: Koldehoff 2016, 171. 1091 Servos 2001, 14. 1092 Schlicher 1987, 148. 1093 Bausch, zitiert in: Linsel 2013, 80. 1094 Linsel 2013, 87. 1095 Servos 2001, 89. 1096 Vgl. Mt 26,41. In der Perikope vom Wachen bzw. misslungenen Wachen der Jünger mit Jesus vor seiner Verhaftung im Garten Gethsemane werden keine allgemeingültigen abwertenden Aussagen über das Körpersein des Menschen getroffen, wohl aber vom Konflikt zwischen Wollen und Können geredet. Erst die spätere Leibfeindlichkeit christlicher Theologie lässt solche Stellen in diesem Licht wahrnehmen.

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liche des Menschen wird entkräftet, da sich gerade an der leiblichen Erfahrung die Einsicht entzünde.1097 In einer Art „Archäologie des Alltags“1098 muss der Körper jedoch erst wieder hinter den zu erstarrten Floskeln verkümmerten Verhaltensweisen freigelegt werden. Dies erfordert zwar einerseits die persönlich getönten Antworten der Tänzer, andererseits aber vielschichtige Prozesse der Verfremdung mittels der choreographischen Komposition. Die individuelle Bewegungsantwort wird damit sozusagen vom Körper des Tänzers abgelöst und in der Montage durch Verfremdung und die Wiederholung als typisches, den gesellschaftlichen Zwängen unterliegendes Bewegungsmuster dargestellt.1099

Vermittelt durch das choreographische Verfahren tritt ein geschichtlich gewordener Körper auf die Bühne, der von sozialen, gesellschaftlichen und ökonomischen Einflüssen auf seine Techniken der Beherrschung erzählen kann.1100 In Bauschs Stücken lässt sich erahnen, was mit dem von Norbert Elias so genannten Prozess der Zivilisation1101 im Blick auf körperliches Verhalten einhergeht. „Was der einzelne tagtäglich an körperlicher Zurichtung, Reduzierung bis hin zu tragikomischer Selbstdressur erlebt, wird auf der Bühne durch provokante Wiederholung, Verdopplung und so weiter ausgestellt und damit erfahrbar gemacht.“1102 Themen wie Nähe, Distanz, Scham, Gewalt oder Angst, wie sie in alltägliches Verhalten eingelassen sind, verknüpfen sich damit. Alltägliche Körperkommunikation stellt das Forschungsfeld dar, das von den Tänzer_innen zu erkunden ist. Dabei treten auch eingeschliffene Rituale zutage, die auf tiefere Bedürfnisse verweisen. Im Stück 1980 sind es Kindheitsrituale wie das Einverleiben einer Suppe, Löffel für Löffel „Pour maman, pour papa, pour la tante Marguerite…“1103. In diesem Ritual sind vielschichtig Gefühlslagen angelegt, Trauer in der Erinnerung, Geborgenheit in der Heimat der Kindheit und ein feiner Humor, der mit dieser Komplexität umzugehen hilft.1104 Das gleiche Stück thematisiert das Altwerden, indem ein Bogen von der Kindheit ausgehend nachgezeichnet wird zu den Motiven von Abschied, Einsamkeit, Tod und Trauer: Was Altern bedeutet, lässt sich begreifen, wenn man auf der Bühne die Bewegungen von alten Menschen […] mit denen der jüngeren Tänzer vergleichen kann oder wenn 1097 1098 1099 1100 1101 1102 1103 1104

Vgl. Servos 2001, 15. Servos 2001, 89. Volkmann 2003, 96. Vgl. Servos 2001, 33. Vgl. Elias 1997. Servos 2001, 24. Servos 2001, 90. Vgl. Linsel 2013, 91.

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Judy Garland Somewhere Over the Rainbow in zwei Versionen unmittelbar hintereinander singt: im Alter von 16 Jahren und in einer späteren Aufnahme mit schon brüchiger, verlebter Stimme.1105

Generell gilt für das Sehen von Bauschs Stücken, dass man darin „einem Reservoir authentischer Erfahrung, die in ein System eingängiger Zeichen übersetzt wird“ begegnen kann und so eine „Welt der Erfahrung“ betritt.1106 Diese Erfahrungsmöglichkeit behält Angebotscharakter, es geht nicht um Zwang und Belehrung. Norbert Servos spricht daher von einem „Theater der Erfahrung, das Wirklichkeit ästhetisch vermittelt, in direkter Konfrontation als Körperwirklichkeit erlebbar macht.“1107 Eine Zuschauerin verweist auf ihr intensives Erleben: „… in der Form hab ich noch kein Erlebnis gehabt, und ich kann nur sagen, dass das eben sehr an die Substanz geht.“1108 Im Gegenüber zum Publikum verwehrt sich das Tanztheater Bauschs seinerseits Zwängen. Es widersetzt sich „Vorzeigezwängen und der stummen Erwartungshaltung des Publikums“1109. Stattdessen will es „zu einer gemeinsamen Erkundung lebendiger Innenwelten“1110 einladen. Dabei kommt es zu der Entdeckung, dass Tänzer etwa bei Wiederaufnahmen Rollen, die ohne ihr Zutun entwickelt wurden, dennoch authentisch ausfüllen können.1111 Was getanzt wird, entpuppt sich als „ein Teil von uns“, und Zuschauende erkennen möglicherweise wie Bausch selbst, „dass ich plötzlich Qualitäten habe, von denen ich nie geglaubt habe, dass ich sie habe […]. Wir haben viel mehr, als wir glauben.“1112 Dazu legt die Inszenierung nicht selten ihre Prozesshaftigkeit offen. Zuschauern wird der Blick über die Bühnenillusion hinaus auf den Werkcharakter des Stückes gewährt.1113 „Das Gemachte, Entwickelte tritt ganz offensichtlich auch als solches auf.“1114 Das Gesehene kann sodann durchaus ethische Relevanz entwickeln. Servos sieht in Bauschs Tanztheater die Utopie vom aufrechten Gang vervollständigt, einem Symbol für die Emanzipation des Menschen, das „mit dem ganzen Körper, mit allen Sinnen erlernt sein“1115 will. Während das Tanztheater sich zwar bewusst nicht als moralische Instanz gibt 1105 1106 1107 1108 1109 1110 1111

1112 1113 1114 1115

Servos 2001, 91. Vgl. Servos 2001, 94 f. Servos 2001, 22. Anonym, zitiert in: Koldehoff 2016, 106. Servos 2001, 32. Servos 2001, 32. In der Pina Bausch-Ausstellung in der Bundeskunsthalle Bonn 2016 (4. März – 24. Juli 2016) wurden Videoaufnahmen gleicher Szenen nebeneinander gezeigt, die von unterschiedlichen Tänzern ausgeführt werden. Aufgefallen sind mir dort sowohl die Übereinstimmung in Stimmung und Ausstrahlung wie auch die besondere Note, die jede Tänzerin individuell beiträgt. Bausch 1992 im Film-Interview Fischer / Käsmann, zitiert in: Koldehoff 2016, 172. Vgl. die Schminkszenen im Stück Arien 1979, bei denen die Tänzer Einblick in die Situation vor dem Auftritt zu geben scheinen. Beschrieben in: Servos 2001, 80. Servos 2001, 32. Servos 2001, 35.

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und frei von Ideologien bleiben will, gelingt es ihm doch, das Menschenrecht auf Glück und Liebe auszusprechen und auf eine Hoffnung zu verweisen. Diese ist lesbar als die Hoffnung, dass, „geht man nur beharrlich durch alle Irrtümer und tragikomischen Verwicklungen hindurch, man an einen Ort gelangt, an dem man ganz bei sich selbst und zugleich ganz in der Welt sein kann – ohne die Nöte der Verzweiflung und Einsamkeit, ohne konventionelle Beschränkungen und ohne die absurden Verrenkungen der Selbstdressur.“1116 Auch wenn Bausch sich auf keine Religion stützt, so konturiert sich durch ihre Haltung zur Welt so etwas wie eine kompromisslose Menschenliebe. Die angedeuteten Prozesse der Selbstwerdung berühren nicht nur das Soziale und Politische, sondern sprechen meines Erachtens auch von dem, was im Christentum die Suche nach tiefer Beziehung zu dem ausmacht, was das Leben trägt. „Immer wieder klingen in den Stücken Momente an, die bezeugen, dass ein Einruhen in der Welt, ein Aufgehobensein möglich ist.“1117 Aus dem Blickwinkel der Endlichkeit blickt die Choreographin auch mit Humor auf das Leben.1118 Tragik und Komik machen die unlösbaren Widersprüche menschlicher Existenz sichtbar, nehmen sie aber mit Lächeln auf, statt daran zu verzweifeln. Die Hoffnung behält das letzte Wort. Wenn die Tanzenden aus sich herausholen, was bereits in ihnen steckt, und so die Spannungen des Lebens auszuhalten, in Körper zu fassen und trotz alledem mit einer gewissen Leichtigkeit – der menschlichen Schwere zum Trotz – zu verbinden vermögen: Dann eröffnen sich neue Erfahrungsräume, auch für die Theologie.1119

Für Bausch selbst bedeutet das Tanztheater die Möglichkeit, dort Dinge tun zu dürfen, die im normalen Leben nicht möglich oder erlaubt sind. Darin liegt die Chance, sein Wissen zu erweitern und daraus Kraft zu gewinnen: Manchmal können wir etwas nur dadurch klären, dass wir uns dem stellen, was wir nicht wissen. Und manchmal bringen uns die Fragen, die wir haben, zu Erfahrungen, die viel älter sind, die nicht nur aus unserer Kultur stammen und nicht nur von hier und von heute handeln. Es ist so, als bekämen wir dadurch ein Wissen zurück, das wir zwar immer schon haben, das uns aber gar nicht bewusst und gegenwärtig ist. Es erinnert uns an etwas, das uns allen gemeinsam ist. Das gibt uns eine große Kraft.1120

6.6 Zusammenfassung und Auswertung Zusammenfassend sind nach der voranstehenden Fremden-Führung Fragen zu stellen, die für einen Vergleich der Konzepte geeignet sind. Erstens ist zu 1116 1117 1118 1119 1120

Servos 2001, 7. Servos 2001, 13. Vgl. Servos 2001, 17. Hartmann 2015, 198. Bausch 2007, zitiert in: Koldehoff 2016, 315.

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klären, inwiefern sich die Ansätze als gegenkulturelle Entwürfe verstehen, mithin Tanz als Zeichen einer Kulturkrise gilt. Zweitens sind die Tanzverständnisse zu vergleichen. Drittens ist nach der Selbsterfahrung und viertens nach Arten der Körperaneignung zu fragen. Fünftens lohnt sich auch noch die Rückfrage nach der Spiritualität des Tanzes oder der künstlerischen Ansätze. 6.6.1 Bezug zu Kultur und Gesellschaft Bei allen Vertretern lässt sich ein spezifischer Bezug zu Kultur und Gesellschaft eruieren. Rudolf von Laban vertritt die Ästhetik der Jahrhundertwende in der Körperkulturbewegung von Sport- und Gymnastik- bis hin zur Wandervogelbewegung. Dort werden Ideale der Natürlichkeit und Authentizität favorisiert. Der Monte Verit steht bei Laban für eine Lebensphase des Experimentierens mit alternativen Lebensformen. Eingebettet ist dies gesellschaftskulturell in eine Zeit zunehmender Industrialisierung. Auffallend ist bei Laban, dass er sich durch seine Überlegungen zu Bewegungsvorgängen in der industriellen Massenfertigung aktiv mit diesen Gegebenheiten auseinandersetzt. Zivilisationsbedingte Trägheit werde durch den modern educational dance überwunden. Für Laban steht der moderne Tanz im Kontext einer Kulturkrise. Martha Graham überwindet bereits die frühen kulturkritischen Ansätze von Isadora Duncan und Ruth St. Denis. Sie befasst sich mit der kulturellen Gegenwart der amerikanischen Gesellschaft und strebt danach, einen Tanzstil zu finden, der jenem modernen Amerika entspricht. Ihr Schaffen ist im Kontext der Wirtschaftskrise nach dem Ersten Weltkrieg, in der linksliberalen New-Deal-Ära (Roosevelt) zu sehen. Anna Halprin hat mit dem Tanzort am Mount Tamalpais, auf dem Dance Deck mitten in der Natur einen Raum geschaffen, der zunächst von kulturellen und gesellschaftlichen Zwängen unabhängig macht. Sie wendet sich allerdings mit ihrer Ritualarbeit gesellschaftspolitischen Themen, Frieden sowie Naturschutz zu und öffnet ihre Tanzarbeit für therapeutische Anliegen. Halprins Tanz intendiert unter anderem die Transformation von Individuum und Gesellschaft. In Pina Bauschs Tanzstücken wird keine Reform gefordert, den Zuschauern aber deren alltägliche Wirklichkeit in ihrer Komik und Tragik so vor Augen geführt, dass implizit der Wunsch nach etwas Anderem erweckt wird. Mit surrealistischer Poesie gelingt Bausch häufig dieser Blick auf das Jenseits der Verhältnisse. 6.6.2 Tanzverständnis Im Tanzverständnis aller vier zeichnet sich ein enger Zusammenhang von Körperbewegung, Emotion und Potenzial zur Transformation ab. Laban versteht Tanz als individuelle Gestaltung seelischer Vorgänge. Seine Arbeit versucht jene Vorgänge nicht einfach abzubilden, sondern auch zu beein-

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flussen, etwa indem bisher vernachlässigte Energien angeregt werden und Menschen sich neue Bewegungsqualitäten, innere und äußere, erschließen können. Im Tanz gewinnt die spezifische Bewegungsenergie Gestalt, die einen Menschen durchflutet. Graham hebt wie Laban das Potenzial von Tanz hervor, Sprache der Seele zu sein. Die Bewegung komme von innen und übertrage sich über das Energiezentrum im Becken (Pelvis) auf den ganzen Körper. Typisch für diese Bewegungen ist der Wechsel von Anspannung und Abspannung (contraction und release), analog zum Atemrhythmus. Für Anna Halprin kann Tanz Menschen transformieren, deren Denken, Emotionalität und Bewegung. Erweitert zur Performance-Kunst vertieft Tanz die Möglichkeiten zu ästhetischer Erfahrung. Tanz ist mehr als eine schöne Bewegung. Vielmehr sind Tanz und Bewegung von den inneren Haltungen und Gefühlen der Tänzer hervorgebracht. Pina Bausch fragt nach dem, was Menschen bewegt, nicht wie sie sich bewegen. Sie schafft keinen normierten Tanzstil, sondern kreiert ein Gesamtkunstwerk aus geschulten Tanzbewegungen, Alltagsbewegungen, Musik, Klang, Sprache und Bühnenbildern.

6.6.3 Selbsterfahrung Die Möglichkeiten zur Selbsterfahrung stehen in Beziehung zum Menschenbild und zum Tanzverständnis. Beide sagen etwas darüber aus, was sich im Tanz erfahren lässt und was er Menschen zu vermitteln imstande ist. Allen Tänzer_innen gemeinsam ist die Auffassung, Tanz sei allen Menschen zugänglich. „Was wir leisten, gehört allen Menschen“, sagt Laban.1121 Halprin wünscht sich, „daß wir lebendiger leben und alle zu Tänzern werden.“1122 Keine Lebensphase ist dabei ausgeschlossen, alle vier tanzen selbst bis ins Alter. Laban sieht jeden Menschen von seiner ihm eigenen Bewegungsenergie und verschiedenen Antriebskräften bewegt, die er im Tanz in Form bringen kann. Dieses Gestalten zeigt ihm etwas von seiner Persönlichkeit, informiert ihn also. Das Bewusstwerden der Bewegung der Tänzerin im Raum und in Beziehung zu anderen verschafft ihr einen lebendigen Kontakt mit ihrer Umwelt. Graham weiß, dass Tanzende zu sich selbst kommen in der Vereinigung von körperlicher und geistiger Arbeit. Dazu ist das Lauschen auf körperliche Impulse notwendig. Halprin betont die Wechselwirkung zwischen Bewegung und Gefühl. Tanz sieht sie als Weg, die eigene Persönlichkeit weiterentwickeln zu können. Durch Körperarbeit können vier Grundwahrnehmungen sensibilisiert werden, die die Ganzheit des Menschen konstituieren: körperliche, emotionale, mentale und spirituelle. In Bauschs Stücken kann die Lust, wirkliche Erfahrungen zu machen, erlebt werden. Der Tanz regt eine polyästhetische sinnliche Wahrnehmung an. Die Lebenserfahrung der Tänzer_innen 1121 Laban 1989, 172. 1122 Halprin 1987, 11.

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fließt über die Methode des Artistic Research in die Stücke ein. Das Tanzen verändert deren Blick auf sich selbst und das Leben. Das Tanztheater verkörpert eine bestimmte Haltung zur Welt, ein ehrliches, genaues Schauen. 6.6.4 Körperaneignung Ein Vergleich der Arten der Körperaneignung setzt beim theoretischen Körperverständnis an und erstreckt sich dann auf die Praxis. Die vier Choreographen sehen jeweils auf ihre Weise den Körper als Medium der Erfahrung. Laban schätzt den natürlichen Körper, an einer Differenzierung in männliche und weibliche Körper liegt ihm nichts. Dieser Körper wird angeeignet, indem er sich mit den in ihm waltenden Energien und Antrieben vertraut macht und lernt, damit gestalterisch umzugehen. Graham sieht den Körper als Instrument, das im Zuge intensiver Schulung die Sprache der Seele sprechen lernen kann. Dieses Instrument ist dasselbe, durch das das Leben gelebt wird und daher besonders ausdrucksstark. Die Bejahung des Körpers, auch seiner Fähigkeit zur Lust wirkt identitätsstabilisierend. Für Halprin ist der Körper auch ohne Ausbildung lebendig und kontaktfähig, spürend und aktiv. Der Körper ist nicht mehr Medium zur Darstellung von Gefühlen oder Archetypen wie bei Martha Graham, sondern dient zur Erforschung (Exploration) von Bewegungen und dem ihnen innewohnenden Leben. Durch das Üben des Körperrituals kann ein Körpergefühl erzeugt werden, das unangestrengtes Bewegen ermöglicht. Der Körper ist ein Instrument, das durch Bewegung ganz unterschiedliche Erfahrungsfelder erschließen kann und eingestimmt werden muss in seine Aufgabe als „Resonanzorgan“ und „Ausdrucksorgan“. Bausch präsentiert Körper, an denen die Spuren zivilisationsbedingter Zurichtung sichtbar werden. Letztlich geht es nicht nur darum, sich mit seinem Körper gut zu verstehen, sondern sich auch mit Momenten der Entfremdung auseinanderzusetzen. 6.6.5 Spiritualität Bei Laban erscheint einerseits der Tanz selbst religiös überhöht, was nicht zuletzt am Pathos seiner Schriften liegt. Andererseits befasst er sich mit Aspekten von Tanz wie Persönlichkeitsbildung, Kontakt mit den individuellen Antriebskräften und Energien sowie dem Leben in der Natur. Diese berühren spirituelle Fragestellungen im weitesten Sinn. Befreiend wirkt die Einsicht, dass weniger die besonderen sakralen Haltungen für das Heilige transparent sind, sondern gerade auch das Heitere, Derbe, mithin das Authentische. Graham thematisiert Religiöses bewusst in Überschreitung ihrer puritanischen Prägung. Den Potenzialen des Körpers, symbolisiert in kleinen schönen Knochen bringt sie beinahe religiöse Verehrung entgegen. Tanz gewährt in Zeiten von emotionalem Stress einen Zufluchtsort. Durch die Kultivierung des

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Selbst im Tanz, das sich zunehmend weitet, hin auf allgemein menschliche Erfahrungen wird so etwas wie Gnade erlebt und ein Glaube (faith) oder Vertrauen ins Leben ausgebildet, in die Liebe, die Mitmenschen und den Akt des Tanzes. In Halprins Schaffen fließen Kunst und Spiritualität zusammen. Wurzeln dafür liegen im Kindheitserlebnis des tanzenden jüdischen Großvaters. Halprin sieht im Tanz die Mutter aller Künste, da er für das Körperliche steht, das in ihnen allen enthalten ist. Auch in der Spiritualität sei der Körper zentral. Er sei der einzige Weg, sich an die spirituelle Welt zu wenden (to call upon the Spirit World). Ästhetik und Ethik berühren sich in den politisch engagierten Großgruppenritualen. Tanz ist eine Kunst, das Leben zu feiern. Bausch ist nicht erkennbar religiös. Zum Thema Spiritualität äußert sie sich nie. Implizit fragen ihre Tanzstücke nach den Ambivalenzen des Lebens, nach Glück und Erfüllung, ohne Schmerz und Scheitern auszublenden. 6.6.6 Fazit Für den Kirchentanz bilden die von den Protagonisten des Modern Dance und modernen Tanztheaters die entscheidende, in der tanzgeschichtlichen Entwicklung des 20. Jahrhunderts errungene Basis. Das im Kunsttanz erreichte Verständnis von Tanz bereitet die breite Tanzbewegung, in der vorwiegend Laien wirken, vor, da der Körper als Medium der Erfahrung und Tanz als Möglichkeit aller Menschen gesehen wird. Dies gilt grundsätzlich für jeden im Kirchentanz praktizierten Stil, wie die Gesprächsgänge (Teil B) deutlich zutage bringen. Diese Menschen, die eine Spiritualität erstreben, in der der Zugang zu Glaubenserfahrungen im weitesten Sinne über ästhetische Erfahrung gesucht wird, können in den beschriebenen Errungenschaften Anstöße zu eigener Aktivität finden und beziehen sich häufig explizit darauf. Darüber hinaus stellt sich das, was der Bühnentanz im Bild der dargestellten Choreograph_en ist, als ein Bereich von Kultur dar, dessen Potenzial zur Auseinandersetzung mit existenziellen Themen vom Protestantismus mit Gewinn noch weit mehr wahrgenommen werden könnte. Im folgenden Kapitel werden weitere Impulse für die Kirchentanzbewegung beschrieben, die teils von innerhalb, teils von außerhalb der Kirchen stammen.

7. Kirchentanz – Tanz in Liturgie und Spiritualität Der Weg zum Tanz in christlicher Liturgie und Spiritualität soll in 7.1 anhand markanter Einflüsse und Personen nachgezeichnet werden. Die Liturgische Bewegung in Deutschland machte Versuche, Tanz in die Liturgie zu integrieren. Bernhard Wosien prägte stark durch seine Konzeption einer Meditation des Tanzes. In diesem Zusammenhang ist nach der Stellung des

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Volkstanzes in jener Geschichte zu fragen. Im Kontrast zur deutschen Entwicklung steht diejenige in den USA in Gestalt der Sacred Dance Guild. Anschließend wird, anhand von mir in der vorliegenden Forschung bekannt gewordenen Daten und wenigen Quellentexten, die Geschichte des Kirchentanzes der 1980er und 90er Jahre skizziert, ohne den Anspruch, eine vollständige historische Aufarbeitung zu bieten. Eine solche ist ein Forschungsdesiderat.1123 Nicht alle Personen, die die Bewegung gefördert und geprägt haben, konnten genannt werden. Die Kirchentänzer haben durch ihre Veröffentlichungen auch dazu beigetragen, einen Fach-Diskurs zu begründen. Dessen Hauptthemen sollen unter einer von mir gewählten Perspektive gebündelt vorgestellt werden. Als wichtigste Gruppierung im Feld Kirchentanz gilt der Verein Christliche Arbeitsgemeinschaft Tanz in Liturgie und Spiritualität e.V. (CAT). Deren Ziele und Profil werden beschrieben. In 7.4 stelle ich die Ergebnisse der Forschung in Teilnehmender Beobachtung vor. Die Einblicke in ausgewählte Situationen werden in der Ersten-Person-Perspektive in dichter Beschreibung dargeboten.

7.1 Entstehung der Bewegung Der Begriff Bewegung stammt aus dem Selbstverständnis des neu entstehenden Feldes Kirchentanz vor allem in den 1980er und 90er Jahren, er wird häufig genannt.1124 Im soziologischen Sinn kann ebenfalls von Bewegung gesprochen werden, in dem Sinne, dass es sich um Akteure des Wandels handelt. Deren Handlungen (das Tanzen u. a.) antworten in den Kirchen auf eine bestimmte Unzufriedenheit mit der vorgefundenen Situation, in der Regel in defensiver Weise, und versuchen dort soziale Machtverhältnisse einschließlich der Produktion von Wissen und ethischen Regeln zu verändern.1125 Eine zusammenhängende Geschichte der Entstehung künstlerisch-spiritueller TanzPraxis in der evangelischen Kirche in Deutschland liegt bislang nicht vor. Deren umfassende Darstellung kann in dieser Arbeit nicht geleistet werden. 1123 Die historische Arbeit von Knäble stellt eine Ausnahme dar. Dort wird auf knapp neun Seiten unter dem Titel „Liturgischer Tanz (1970–2012)“ unter Bezug auf Kirchentagsveranstaltungen und theologische Veröffentlichungen die neue kirchliche Tanzpraxis dargestellt. Die Forschungen wurden häufig von Theolog_innen geleistet, die einer Einführung von Tanz in christliche Spiritualitätspraxis und Liturgie gegenüber aufgeschlossen waren. Unter anderem werden die Arbeiten von Mitgliedern des sogenannten Eranoskreises und deren Schülern gewürdigt. Unter den genannten Autoren sind u. a. der Rahnerschüler Ronald Sequeira, Teresa Berger, John Davis und Gereon Vogler, der zudem eine beachtliche Forschungsstelle für sakralen Tanz aufgebaut hatte. Außerdem wird auf das erhöhte Interesse für christliche Thematiken im Kunsttanz Mitteleuropas verwiesen. Unberücksichtigt blieben die Einflüsse Goergens sowie der einschlägigen Veranstaltungen des Vereins CAT. Vgl. Knäble 2016, 143–151. 1124 Unter anderem von Manfred Büsing und Wolfgang Hildemann, vgl. Vogler 1991, 101;103. 1125 Vgl. den Begriff soziale Bewegungen nach Touraine 1983, 143.

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Zum Verständnis der in den Interviewaussagen vorausgesetzten Kontexte wähle ich daher nur einige mir relevant erscheinende historische Aspekte und das Wirken weniger prägender Persönlichkeiten aus. Meine Perspektive ist stark von dem, was ich durch die Gesprächspartner über das Phänomen gelernt habe, und außerdem von meinen eigenen Erfahrungen im Umkreis der in der CAT e.V. organisierten Aktiven geprägt sowie durch Literaturstudium schließlich in gewissem Umfang geweitet. Als Quellen dienten neben Veröffentlichungen von Protagonisten wie Wosien und Berger Texte, die als repräsentativ für die Diskurse von Tanzleitenden seit den 1980er Jahren gelten kann. Hinzugenommen wurden wenige Werke, die für das Genre Anleitungsliteratur stehen. Charakteristisch für die Geschichte der Bewegung sind die konfessionsübergreifenden wechselseitigen Einflüsse ganz unterschiedlicher Strömungen, Kreise und Persönlichkeiten.

7.1.1 Anfänge in Deutschland 7.1.1.1 Liturgische Bewegung: Aloys Goergen Aloys Goergen1126 (1911–2005) kommt durch den Einfluss der Schriften Romano Guardinis zur Jugendbewegung. Außerdem begegnet er früh Künstlern des Bauhauses (wie auch Anna Halprin). Er studiert Theologie und Philosophie, wird Assistent von Guardini, zum katholischen Priester ordiniert und erhält 1969 an der Universität München die Professur am Lehrstuhl für Philosophie der Ästhetik und der symbolischen Formen, schließlich 1979 auch einen Lehrauftrag für Liturgiewissenschaft an der katholischen Fakultät Bamberg. Bereits Ende der 1940er, Anfang der 1950er Jahre integriert er Meditation und Schauspiel in die Liturgie des Pfingst- und Osterfestes in deutscher Sprache. Sein Anliegen ist die Entwicklung einer sogenannten Glaubensästhetik, die „Lehre von den Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit die Glaubensbotschaft wahrgenommen werden kann“1127. Seine Gedanken entfalten Wirkung im „akademischen, politischen und künstlerischen Raum.“1128 Seit 1958 praktiziert er im Kreis Gleichgesinnter Tanz in der Liturgie. Dieser dient der Vergegenwärtigung der Heilsgeschichte wie auch der Hoffnung trotz allen Leides. Tanz ist kein Mittel der Weltflucht. Vielmehr ist darin eine Möglichkeit zu sehen, „die religiöse Dimension des Ästhetischen wie die ästhetische Dimension des Religiösen wieder zu entdecken und das Geheimnis des Glaubens zu verkörperlichen.“1129 Liturgischer Tanz ist ganz auf das Schriftwort bezogen. Das Wort Gottes ist es, das den Menschen zum 1126 1127 1128 1129

Die Angaben zur Vita Goergens entnehme ich Koch 2002, 138–142. Koch 2002, 138. Koch 2002, 139. Koch 2002, 139.

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Tanz bewegt, ihm ist jede Bewegung untergeordnet. Tanz soll „die Begegnung mit dem Wort Gottes und dem personalen christlichen Gott ermöglichen.“1130 Im Goergen-Kreis wird Tanz, Bewegung, Wort und Ton in schlichten Formen kombiniert. „Das WORT treibt die Bewegung, die Geste, den Tanz hervor.“1131 Getanzt wird ausschließlich zu auswendigem Gesang.1132 Ein Labyrinth-Ritual eröffnet die Sonntagsmesse in dem von seinem Kreis gegründeten spirituellen Zentrum in Rattenbach. Dabei bewegen sich die Teilnehmenden auf ihrem Weg dem Kreuz als dessen Mittelpunkt entgegen. Alle rituellen Gegenstände sind schlicht und aus wertvollem Material künstlerisch gestaltet. Kunst wird verstanden als Bereich, in dem die Kirche keinen Deutungsanspruch besitzt. Goergen „selbst übt große Zurückhaltung im Deuten und Interpretieren.“1133 Das Subjekt des Tanzes ist die Gemeinde, ihr Du ist „der Gott Israels und Jesu“1134. Goergen benennt schon damals ein Desiderat der Tanzforschung: „In der theologischen Literatur des In- und Auslandes gibt es tiefe und wahre Reflexionen über das, was Gemeinde, Kult, Meditation und auch Tanz im philosophischen Sinn und im heutigen kulturellen Kontext bedeutet, von denen man aber weiß, daß es weiterhin keine Reflexionen über Selbsterfahrenes, Selbstgetanes und Selbstvollzogenes sind, sondern Denkarbeit. Es fehlt ihnen der Biß.“1135 Tanzforschung auf einer materialen Erfahrungsbasis wurde von Goergen allerdings nicht mehr selbst verwirklicht. Die empirische Untersuchung in dieser Arbeit schließt, wenn auch spät, eine Forschungslücke, da m. E. hier auch Enzner-Probsts und Kochs empirische Forschungen ergänzungsbedürftig sind. Einflüsse der tänzerischen Linie der Liturgischen Bewegung sind in Teilen der aktuellen Kirchentanzbewegung nachweisbar.1136 Die klare Verhältnisbestimmung von Wort und Tanz findet sich auch in Aussagen von aktuell Tanzenden wieder.

7.1.1.2 Volkstänze als Quelle meditativer Tänze Dem Ansatz Goergens nur wenig verwandt ist die Arbeit des Ballettmeisters Bernhard Wosien. Seine Wirkungsgeschichte ist allerdings ungleich größer. Wosiens Einfluss lebt aktuell in Schülerinnen weiter, die jeweils ganz eigene Ansätze aus seinem Erbe weiterentwickelt haben und über weitreichende 1130 Koch 2002, 139. 1131 Goergen zitiert in: Koch 2002, 141. 1132 Vgl. Koch 2002, 140. Bis in die Gegenwart wird diese Form von Tanz mit Gesang in dem Kreis praktiziert, der sich auf jene von Goergen initiierten Ansätze bezieht. Die Autorin erlebte dies mehrfach in Rattenbach, Bayern im sogenannten Kairos-Haus mit Peter F. Bock und Barbara Dotzler-Okay. 1133 Koch 2002, 140. 1134 Goergen zitiert in: Koch 2002, 141. 1135 Goergen zitiert in: Koch 2002, 140. 1136 Siehe unten die Ausführungen zu kairos.

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Seminartätigkeit die Szenen mitprägen.1137 Zunächst sind allerdings die kulturgeschichtlichen Wurzeln der Meditation des Tanzes in den (südost-)europäischen Volkstänzen zu betrachten. Da diese Linie in den derzeitigen Kirchentanzszenen eine größere Rolle spielt als die direkt vom Kunsttanz herkommende, verdient sie an dieser Stelle eine Darstellung. Einerseits geht es darum, die spezifische Geschichte in Deutschland aufzuzeigen, die sich von anderen europäischen Ländern unterscheidet, andererseits das unterschwellige Unbehagen, das manche Tanzende mit Kreistänzen verbinden, verstehbar zu machen. Die Tatsache, dass ausgerechnet südosteuropäischer und israelischer Volkstanz und nicht etwa deutscher in der Kirchentanzszene heute so populär sind, wird nicht nur anhand der Rolle Wosiens, sondern erst vor dem Hintergrund der Volkstanzgeschichte in Deutschland nachvollziehbar. Schon ein flüchtiger Blick in Tagungsprogramme und Flyer von meditativen Tanzangeboten offenbart die Bedeutung der internationalen Folkloretänze für kirchliche Erwachsenenbildung. Allerdings ist angesichts der historischen Gegebenheiten hierzulande diese Entwicklung nicht selbstverständlich. Volkstanz meint nach Hoerburger den Tanz, der „in der anonymen Grundschicht eines Volkes durch direkte Tradition, ohne Eingriff von seiten eines Organisators und in funktioneller Verbindung mit dem traditionellen Leben des Volkes gewachsen ist.“1138 Während in Europa insgesamt der Volksoder Nationaltanz zwar relativ lebendig blieb, kam es im deutschen Bildungssystem zum Abbruch der Traditionen infolge der nationalsozialistischen Herrschaft. Dies wirkte sich auf die kulturelle Verwurzelung von Tanz in der Gesellschaft aus. Tanz führt bis heute eine Randexistenz in den öffentlichen Schulen, wie Lehrpläne zeigen. Corinna Vogel untersucht die Situation des Tanzes in deutschen Grundschulen von 1400 bis 1990 und beschreibt anschließend die Situation zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Anhand von Darstellungen über Tanz in der primary school Großbritanniens, der basisschool der Niederlande und in der deutschen Grundschule kommt sie zu einer die drei Länder vergleichenden Darstellung.1139 Für die Situation in Deutschland gilt: „Der Tanz konnte sich in der Grund- bzw. Volksschule, nachdem er in der Form des höfischen Tanzes Mitte des 18. Jahrhunderts als zentraler Unterrichtsinhalt und wichtiges Erziehungsmittel abgeschafft wurde, weder im Musikunterricht noch im Sportunterricht dauerhaft etablieren. Lediglich zum Ende des 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es ernsthafte Bemühungen, Tanz in den Schulunterricht zu integrieren, welche sich jedoch nicht durch1137 Dazu zählen folgende, in den Interviews erwähnten, vor allem durch ihre Fortbildungstätigkeit in die Breite wirkenden bzw. gewirkt habenden Personen: Maria-Gabriele Wosien, Friedel Kloke-Eibl, Nanni Kloke, Elisabeth Hämmerling, Günther Hammerstein, Hilda-Maria Lander, Maria-Regina Zohner. Vgl. Koch 2002, 146. 1138 Hoerburger 1961, zitiert in: Bröcker 2001, 188. 1139 Vgl. Vogel 2007.

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setzen konnten.“1140 Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts wurde versucht, den Tanz in schulische Bildung einzubeziehen. Vor allem die neuen Tanzstile wie Ausdruckstanz waren mit pädagogischen Zielen gut vereinbar und fanden sowohl in Lehrplänen für das Fach Musik (ab 1914) als auch in Sportlehrplänen (seit 1929) einen Platz. Die Umsetzung wurde allerdings durch fehlende Ausbildung der Lehrenden behindert. Im Nationalsozialismus galten schließlich nur deutsche Volkstänze als legitime Form, was der späteren Tradierung und Rezeption von Volkstänzen im Weg stand. Durch die Indienstnahme der Volkstänze im Nationalsozialismus und die unreflektierte Integration des Tanzes in die Ideale der musischen Erziehung der 1950er Jahre war der Tanz noch lange Zeit nach dem Ende des Dritten Reiches mit dem Makel der faschistischen bzw. musischen Vergangenheit behaftet. Erst in den letzten Jahrzehnten konnte sich der Tanz sowohl von seiner faschistischen als auch musischen Vergangenheit lösen und unvoreingenommen als schulischer Unterrichtsinhalt betrachtet werden.1141

Anders verlief die Entwicklung in England und in den Niederlanden. Die tanzpädagogische Szene in Großbritannien wurde durch die Immigration des Tanzwissenschaftlers und Tänzers Rudolf von Laban 1933 nachhaltig beeinflusst.1142 In den 1930er Jahren ereignete sich in Großbritannien anders als im autoritären Deutschland eine kulturelle Hinwendung zum Individuum. „Die pädagogische Arbeit von John Dewey sowie Friedrich Fröbels Ideen zur Wichtigkeit der Selbsttätigkeit, des Spiels und zur kindlichen Kreativität waren die Hauptstränge der aktuellen Diskussion.“1143 Durch den Einfluss der schwedischen Pädagogin Martina Bergmann Osterberg, die Ideen des Schweden Henrik Ling aufgriff, änderten sich die Inhalte im Lehrplan zur Körpererziehung zugunsten von Tanz. Volkstänze aus Schweden, England und Griechenland förderten die Anmut der Schüler_innen und vermittelten die Eigenarten von Nationaltänzen. An diese positive Entwicklung konnte dort nach dem Zweiten Weltkrieg angeknüpft werden. Die Situation in den Niederlanden unterscheidet sich in den Fächern Musik und Sport nicht wesentlich von Deutschland. Es gibt allerdings in der Basisschool zusätzlich das Schulfach beweging, in dem „Tanz differenziert unterrichtet und einer theoretischen Reflexion unterworfen“ wird.1144 Ein anderes Tanzverständnis liegt zugrunde: „Während in Deutschland der Schwerpunkt auf den gebundenen Tänzen liegt, liegt der Schwerpunkt in den Niederlanden auf der Improvisation und dem Ausdruck eigener Ideen und Empfindungen durch Tanz.“1145 Da in den Niederlanden eine nationale Tanztradition fehlt, lebt der Tanz von 1140 1141 1142 1143 1144 1145

Vogel 2007, 108. Vogel 2007, 108. Vgl. Vogel 2007, 199. Vogel 2007, 224. Vogel 2007, 257. Vogel 2007, 257.

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vielfältigen Einflüssen. Er wird als plurales kulturelles Phänomen aufgefasst und gelebt. Tanz wird als selbstverständlicher Teil der Kultur verstanden.1146 Die Aufwertung des Volkstanzes in Deutschland unterlag durch den Bruch im Nationalsozialismus einer wechselvollen Geschichte. Ende des 19. Jahrhunderts war der Volkstanz aus unterschiedlichen Gründen als wertvolles Kulturgut in den Blick gekommen. Mit dem Ziel der Bewahrung regionaler oder nationaler Identität versuchten gebildete Kreise dem Vergessen der Tänze entgegenzusteuern. Es kam zur Gründung von Trachtenvereinen (z. B. Bayern), Volksmusik- und Volkstanzgruppen.1147 Im Zuge der Brauchwiederbelebung wurden die alten Tänze allerdings häufig zu Vorführtänzen, die auf der Bühne, zuweilen im Ausland, typisch deutsche bzw. bayerische Kultur inszenierten.1148 Bis 1933 entwickelten sich die Vereine und Tanzkreise frei nach ihren unterschiedlichen Zielen. So waren in Norddeutschland die geselligen Funktionen des Volkstanzes stärker betont worden. Tänze wurden nicht als unveränderlich betrachtet und zu neuen „Jugendtänzen“ umgearbeitet. Der Verband deutscher Tanzkreise (1928 gegründet) vereinte die verschiedenen Richtungen. 1933 wurde der Verband aufgelöst, in den Reichsbund Volkstum und Heimat integriert und nationalistischen Zielsetzungen unterworfen.1149 Jüdische Tanzlehrer wurden ausgeschlossen. Sowohl Männer- als auch Frauentänze wurden gefördert. Die Pflege der Gemeinschaft stand neben dem nationalen Gedanken und der Stärkung der Wehrkraft im Mittelpunkt. Außerdem zielten die Tänze auf die öffentliche Inszenierung von Bewegungsgleichheit.1150 Aus dem Tanz wurde eine „systemkonforme Kulturform“, die im Volk einen festen Platz finden sollte.1151 Afroamerikanische Einflüsse wurden vehement abgelehnt. Dies sollte sich in der Bundesrepublik ändern. Neue Formen der Jugendarbeit wie Gruppenpädagogik und interkulturelle Kontakte Studierender mit amerikanischer und englischsprachiger Kultur führten zu Veränderungen in der Nachfrage. Beliebter wurden internationale Tänze aus dem angloamerikanischen Raum, aus Südosteuropa und Israel. Israelische Tänze hatten in der jungen Nation identitätsstiftende Funktionen, wurden in Deutschland aber ebenfalls nachgefragt. In den 1970er Jahren bekamen internationale Tänze durch die Folklore-Welle noch mehr Zulauf.1152 Zum Repertoire der Volkstänzer kamen zunehmend angloamerikanische Tänze (Square Dance, Mixer, Country Dances), südosteuropäische, israelische und französische Tänze (Kreis- und Reihentänze der Bretagne, Gascogne und

1146 1147 1148 1149 1150

Vgl. Vogel, 269. Vgl. Bröcker 2001, 208. Vgl. die Ausführungen zum Schuhplattler bei Bröcker 2001, 209 f. Vgl. Bröcker 2001, 211 f. Die Abwehr fester Reigenformen durch einige Kirchentanzende erklärt sich unter anderem aus dem fragwürdigen nationalsozialistischen Erbe. 1151 Bröcker 2001, 213. 1152 Vgl. Bröcker 2001, 216.

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Zentralfrankreichs).1153 Ein großes europäisches Tanzfestival findet jährlich in Gennetines/Frankreich statt, Le Grand Bal de l’Europe mit Tänzen aus ganz Europa und mehreren Tausend Teilnehmern.1154 Aktuell erfährt Volkstanz neues Interesse auch im Bereich von Kunsttanz durch Crossover-Projekte zeitgenössischer Choreograph_innen.1155

7.1.1.3 Meditation des Tanzes: Bernhard Wosien Bernhard Wosien (1908–1986) verwendete neben eigenen Choreographien das Bewegungsmaterial südosteuropäischer Volkstänze bzw. vollständige überlieferte Tänze, zahlreiche davon aus Griechenland, um daraus die Meditation des Tanzes zu gestalten. Wosien war evangelisch; er wuchs in einem Pfarrhaus auf und war begeistert in der Jugendbewegung. Er studierte evangelische Theologie, Kunstgeschichte, Malerei und Tanz. Das Theologiestudium führte er nicht zu Ende, der Tanz faszinierte ihn weitaus mehr: „Die Muse des Tanzes hatte in mir einen neuen und tieferen religiösen Grund zum Aufleuchten gebracht.“1156 Hier erlebte er „den Einklang von Leib, Geist und Seele im musischen Bereich“1157. Er bekennt, „die Feierlichkeit und klassische Schönheit des Tanzes“ ginge ihn „ganz persönlich“ an, sie stelle „eine musische Botschaft der göttlichen Welt“ dar.1158 Tanz sei wie Musik eine wortlose Sprache, deren Wert er für sich entdeckte. Wosien wurde ein erfolgreicher Ballett-Tänzer1159 und Choreograph. Nach seinem Rückzug von der Bühne widmete er sich dem Unterricht und der Erforschung der alten Reigen Südosteuropas. In München hatte er an der Fachschule für Sozialarbeit einen Lehrauftrag für Bewegung und Tanz (ab 1960) und in Marburg integrierte er Tanz und Bewegung in die Sonderschulpädagogik (1965–1986).1160 Tanz habe seiner Erfahrung nach heilpädagogische, therapeutische Bedeutung.1161 Die ersten Tanzmeditationen auf der Basis internationaler Folkloretänze entstanden vermutlich in den 1960er Jahren.1162 In ihnen wird mit zahlreichen überlieferten Formen gearbeitet, meist mit Reigentänzen, seltener mit Grup1153 Vgl. Bröcker 2001, 217. 1154 Vgl. Bröcker 2001, 217. 1155 Vgl. http://www.kampnagel.de/de/programm/heute-volkstanzen-ein-tanzfonds-erbe-pro jekt/ (2014/09/02). 1156 Wosien 1995, 17. 1157 Wosien 1995, 16. 1158 Vgl. Wosien 1995, 16. 1159 1936 tanzte er mit der Berliner Staatsoper zur Eröffnung der Olympischen Spiele in Berlin (Vgl. Wosien 1995, 18). Martha Graham dagegen, an die ebenfalls eine Einladung ergangen war, lehnte diese aus moralischen Gründen ab. Rudolf von Laban nahm ebenfalls nicht teil, obwohl er vorgesehen war, da er vor der Aufführung beim Regime in Ungnade fiel. 1160 Vgl. Koch 2002, 143. 1161 Vgl. Wosien 1995, 56–58. 1162 Die mir verfügbaren Quellen lassen keine sichere Aussage zu.

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pentänzen1163. Als Ketten-, Kreis- und Reigentänze1164 bezeichnete Formen bilden den Grundbestand der europäischen Volkstänze. Die Tanzenden bilden dabei mit oder ohne Handfassung entweder einen geschlossenen Kreis, Halbkreis oder neben- bzw. hintereinander tanzend eine Reihe/Kette, manchmal wird auch in der Spirale getanzt. In Wosiens Choreographien zur Meditation finden Gebetsgebärden und als religiös empfundene Gesten sowie Haltungen Verwendung. Ihre religiöse Tönung gewinnen diese aus seiner „tiefe(n) Bejahung der Schöpfung“ im Rahmen einer „holistisch-kosmischen Religiosität“1165. Sein Ansatz speist sich zum Teil aus der evangelischen Prägung der jungen Jahre. So ist für ihn die Leibarbeit des Tänzers eine Arbeit „von innen her an Gottes Ebenbild“, der Leib durch Christus geheiligt und die „christliche Meßfeier“ [sic!] eine „Erinnerung an das getanzte Gebet“, die in deren Ablauf und Bewegungssprache noch enthalten ist.1166 Allerdings geht es Wosien, anders als der Liturgischen Bewegung nicht um das Tanzen des Wortes, sondern, in Überschreitung von christlichen Glaubensvorstellungen, um eine „numinose, allgemein-anthropologische Erfahrung“1167. Gegenstand der Meditation ist der Tanz selbst, keine weiteren Inhalte. So spricht Wosien von „Meditation des Tanzes“, dessen Bewegungen auf traditionellen europäischen Volkstänzen basieren: In den ältesten Formen der Kreis-Reigen fand ich zur Meditation des Tanzes, als einem Schreiten in die Stille. Diese Meditation wurde für mich und meine Schüler Gebet ohne Worte, Einstimmung des harmonischen Akkordes von Geist, Seele und Leib.1168

Das Andante ist im meditativen, als Gebet verstandenen Tanzen mit dem Allegro Vivo zusammen zu sehen.1169 Meditatives Tanzen ist demnach nicht immer langsam getragen, sondern mitunter lebendig und energiereich. Wosiens mystische Spiritualität ist von den Tänzen der Mevlevi-Derwische inspiriert.1170 Ihm geht es dabei weniger um inhaltliche Aspekte der SufiFrömmigkeit, als vielmehr um Lehren, die aus der „Achtung vor der Form“1171 gezogen werden können. Derart erhebt sich der Tänzer „hinaus auf eine Ebene 1163 Die für meditative Formen weniger bedeutenden Gruppentänze können in der Gasse, im Viereck oder Kreis getanzt werden. Dabei werden Paare gebildet. Im Viereck aufgestellt tanzen vier Paare, etwa die Quadrille oder Country Dances (Kontratanz). Im Kreis können Paare entweder miteinander und umeinander herum tanzen oder jeweils im Kreis herum die Partner/in wechseln. Vgl. Bröcker 2001, 198–200. 1164 Vgl. Bröcker 2001, 196–198. 1165 Koch 2002, 144. 1166 Vgl. Wosien 1995, 61. 1167 Vgl. Koch 2002, 143. Vogler sieht die Verbindung von Wosiens Begeisterung für die Volkstänze mit einer „gänzlich esoterischen Weltsicht“ noch weitaus kritischer. Vgl. Vogler 1992b, 38. 1168 Wosien 1995, 96. 1169 Vgl. Wosien 1995, 98. 1170 Vgl. Wosien 1995, 99 ff. 1171 Vgl Wosien 1995, 101.

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erhöhten Daseins, wo religiöses Leben beginnt und religiöse Kräfte wirksam werden.“1172 Die Seele kann auf die Reise gehen. Deutungen religiöser Erfahrungen werden nicht von außen vorgegeben. Entscheidend ist Gottes unverfügbares Wirken im Tanz: „Kommt es zu einem Tiefenerlebnis, dann bleibt es dem einzelnen überlassen, sich eine Anschauung der Welt herzustellen, die er braucht. Im Suchen der Menschen nach Gott sucht Gott sich selbst. Wo religiöses Leben beginnt, geht es nicht vom Menschen aus, sondern da ist tatsächlich Gott schon am Werk.“1173 1974 reist Wosien zum ersten Mal nach Findhorn, einer 1962 in Nordschottland gegründeten spirituellen Gemeinschaft, die seit David Spanglers Wirken1174 auch für New Age steht. Spiritualität wird in Findhorn als Bewusstseinserweiterung verstanden, ohne konstitutiven Bezug zu bestehenden positiven Religionen. Es wird Kontakt gesucht mit den in Pflanzen und der Natur existierenden Bewusstseinsformen.1175 Das von Wosien damals dort erlebte Ritual der Einstimmung (attunement) des stillen Stehens transformiert er in ein Tanzen in die Stille. Einerseits gibt er durch seine Meditation des Tanzes, dort Sacred Dance genannt, der Gemeinschaft Neues, andererseits hinterlassen die Begegnungen dort Spuren in seinem Denken.1176 Tanzen bezeichnet Wosien unter anderem als esoterischen Weg, was mit der Herkunft des Tanzes aus dem ältesten Kulturschaffen der Menschheit zusammenhängt.1177 Die christlich-jüdische Kultur sieht er in der Krise, deren Werte würden im Inneren nicht mehr gespürt.1178 Seit 1976 etabliert sich in Findhorn eine tänzerische Arbeit, die die Basis darstellt für ein internationales Netzwerk der Tanzmeditation.1179 Einflüsse der Erfahrungen in Findhorn mit Sacred Dance finden sich bis in die Gegenwart bei Tänzerinnen,1180 von denen auch die Kirchentanzszene profitiert. In Kursen geben bzw. gaben Schülerinnen Wosiens praktisches Wissen, aber auch seinen spirituellen Ansatz teils in eigener, veränderter Fassung weiter: Friedl Kloke-Eibl1181, Hilda-Maria Lander, Marie-Luise Soltmann und besonders seine Tochter Maria-Gabriele Wosien, die diese Bewegung (im soziologischen Sinne) in der Nachfolge Wosiens am meisten geprägt hat.1182 Der auf Wosien zurückgehende Sacred Dance ist, trotz mancher Über1172 1173 1174 1175 1176 1177 1178 1179 1180 1181

Wosien 1995, 102. Wosien 1995, 102. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Findhorn_Foundation (2015/12/29). Vgl. https://www.findhorn.org/deutsch/ (2015/12/29). Vgl. Wosien 1995, 111 ff. Vgl. Wosien 1995, 22. Vgl. Wosien 1195, 111 f. Vgl. Wosien 1995, 21. Vgl. Erfahrungsberichte in den Interviews, vor allem von S. Kloke-Eibl leitet seit 1981 das Ausbildungsinstitut „Meditation des Tanzes – Sacred Dance“, ist Vorsitzende eines gleichnamigen Fachverbandes sowie Herausgeberin der Fachzeitschrift „Balance“. Vgl. http://www.sacreddance.de/ (2016/07/16). 1182 Vgl. Vogler 1992b, 38 f.

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schneidung, vom US-amerikanischen Verständnis zu unterscheiden. Dieses wird im folgenden Abschnitt anhand der Vereinigung Sacred Dance Guild dargestellt. 7.1.1.4 Die Sacred Dance Guild Die Gründung der Sacred Dance Guild1183 (SDG) in den USA fällt in das Jahr 1958. Bereits 1917 hatten Ruth St. Denis und Ted Shawn liturgische Stücke in einem protestantischen Gottesdienst getanzt. Das Interesse daran führte zu einem interkonfessionellen Zusammenschluss mit dem Ziel, die Bemühungen um den gottesdienstlichen Tanz zu koordinieren.1184 Die Sacred Dance Guild versteht spirituellen Tanz in interreligiöser Weite. Sie führt unterschiedliche religiöse Traditionen zusammen. Dies zeigt sich auf ihrer Homepage im Internet in Form von Zitaten von Ruth St. Denis, HopiIndianern und Bernhard Wosien.1185 Ihr dort formuliertes Credo bringt Spiritualität und Kunst zusammen. Tanz solle helfen, mit Gott verbunden zu sein und trage zur Humanisierung der Welt bei: Sacred dance has told the story of the human spirit before recorded time. Our Sacred Dance Guild embraces, supports, and is an advocate for Dance as a Sacred Art. Sacred Dance creates moments of awe and wonder and nourishes the souls of the givers and receivers and, in doing so, helps to create a more compassionate and peaceful world. Sacred Dance is dance in which connection to The Divine is the intent. The Sacred Dance Guild, through its members, has been exploring Sacred Dance in all its forms for 52+ years. We warmly invite you to dance along with us on this amazing journey and in daring to define Sacred Dance.1186

Sacred Dance versteht sich als Angebot, das religiöse Grenzen überschreitet und Generationen verbindet. Interessierte werden eingeladen, sich ganz unkompliziert zu den ,Sacred Dancers‘ zu rechnen: No matter where you are in relation to dancing and The Divine, from beginner to experienced, structured to free form, youth to elder, thin to thick, conscious or classical, religious or spiritual, if you are merging the Sacred with dance, love to dance your prayers and you find a connection to spirit when you move, then you are a Sacred Dancer…1187 1183 Von deren Aktivitäten gingen Impulse für einige deutsche Kirchentänzer aus, eine eigene christlich-theologisch fundierte Praxis zu entwickeln. 1184 Berger weiß von etwa 500 Mitgliedern um 1985. Vgl. Berger 1985a, 40. Anke Kolster nennt 1988 die Zahl 700. In: Rundbrief an Kirchentanz-Interessierte nach der Studienreise in die USA 1988, 2. (unveröffentlichtes Manuskript). Den größten Zuwachs an Mitgliedern verzeichnete die Sacred Dance Guild (SDG) in den 1970er und 80er Jahren. Vgl. http://sacreddan ceguild.org/about/about-sdg/ (Abruf 2015/12/23). 1185 Vgl. http://sacreddanceguild.org/about/sacred-dance-quotes/ (2016/07/30). 1186 http://www.sacreddanceguild.org/sacreddanceis.php (Abruf 2013/10/08). 1187 http://www.sacreddanceguild.org/sacreddanceis.php (Abruf 2013/10/08).

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Mit dem weiten Begriff prayer verbindet sich spirituelle Praxis in unterschiedlichen Formen. Tanz wird in einer großen stilistischen Bandbreite integriert, was die Bewegung vom Ansatz Wosiens deutlich unterscheidet.1188 Improvisation und Bewegungsgebet, getanzte Weihnachtslieder, feministischtheologische Tanzworkshops und einfache Gemeindetänze spiegeln jeweils unterschiedliche religiöse, konfessionelle und soziale Kontexte.1189 Die SDG beschreibt folgende Erscheinungsformen von Sacred Dance anhand der Orte und Anlässe: „A performance in a theatre, studio, or park, for the benefit of an audience; Part of a religious service in a church, synagogue, or temple, to enhance worship; A communal event with many participants, to raise awareness and strengthen ties within a community; A personal practice, done alone or in a group, to facilitate spiritual and personal growth. It can be all these things and more. What defines sacred dance is not its outward elements, but its inward intention.“1190

Außerdem werden folgende Strömungen unterschieden1191: Liturgical Dance (Teil des Gottesdienstes, dient durch Gesten und Bewegung der Vertiefung oder Erweiterung von Botschaften, Deutungen und Symbolen); Cultural Dances (traditionelle Tänze mit religiösen Elementen, die die Tänzer und Zuschauer miteinander und der natürlichen Welt verbinden); Conscious Dance (mit dem Ziel des Selbstausdrucks, der Meditation und der Verbindung/connection1192; Trance, Contact Improvisation, Kreativtanz, Körpergebet und Kreistänze); Contemporary Dance (mit Rückbezug auf Gründer des Modern Dance – Isadora Duncan, Ruth St. Denis, Ted Shawn, Martha Graham – professionelle Tänzer und Choreograph_en des zeitgenössischen Tanzes: „Often fusing styles and genres, and experimenting with space and presentation, a new generation of dancers are exploring the sacred in contemporary ways.“). Zu den Mitgliedern der SDG zählen professionelle Tänzer_innen. Unter 1188 Anke Kolster berichtet von einer Tänzerin, die traditionellen hinduistischen Tanz mit Modern Dance verbindet. Sie traf die Wigman-Schülerin Erika Thimey, die in den 1930er Jahren in den USA als eine der ersten wieder in Kirchen tanzte. Die ca. 90 Teilnehmer_innen eines Festivals im Alter von 16–80 Jahren wählten praktische und theoretische Workshops unter den Themen: Einführung in polynesische Tänze, Auseinandersetzung mit New Age, außerdem mit indianischen und Sufi-Tänzen, was für eine christliche Europäerin nicht ganz leicht gewesen ist. Vgl. Kolster 1988, 3. 1189 Vgl. Kolster 1988, 4. 1190 Vgl. http://sacreddanceguild.org/about/about-sacred-dance/ (2016/09/17). 1191 Vgl. http://sacreddanceguild.org/about/about-sacred-dance/ (2016/09/17). 1192 Connection wird hier ohne Objekt verwendet, es bleibt also offen, mit wem oder was Verbindung eingegangen wird. Meinem Verständnis nach unterliegt dies der Selbstbestimmung der Tanzenden. Sich verbinden (mit Gott, mit anderen, mit sich) halte ich für einen Impuls, der in der Spiritualität von Tanzenden generell eine große Rolle spielt.

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ihnen sind hauptamtliche liturgische Tänzer_innen wie Carla DeSola, die an der Kathedrale St. John the Divine, New York angestellt ist. Mit ihrer Liturgical Dance Company tanzte sie in den 1980er Jahren unter anderem zu Ausschnitten der Matthäus-Passion von Bach. Doug Adams veröffentlichte eine Reihe praxisorientierter Bücher.1193 Auf akademischer Ebene hat sich Sacred Dance als Thema an der Pacific School of Religion in Berkeley, Kalifornien etabliert. Die deutsche Kirchentänzerin Anke Kolster, Mitglied der SDG, berichtet von sowohl jährlichen mehrwöchigen Tanzworkshops in Berkeley als auch vom Studiengang Religion and Dance1194, der im Rahmen des Theologiestudiums angeboten wird. Insgesamt zeichnen sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum Verständnis von Sacred Dance, der sich von der Linie Wosien herleitet, ab. Gemeinsam ist grundsätzlich die Bereitschaft, Spiritualität nicht allein auf christliche Religiosität zurückzuführen, sondern von anderen Kulturen und Religionen zu lernen und ausgewählte Elemente selbst zu nutzen. Der wesentliche Unterschied besteht in der für eine netzwerkartige Plattform wohl typischen Vielfalt von Tanzstilen, die das Kreistanzrepertoire des Sakralen Tanzes weit übersteigen. Die historischen Wurzeln des Sacred Dance der USA liegen zudem eher im Modern Dance, während der Sacred Dance nach Wosien bzw. Findhorn Einflüsse europäischer Volkstänze und des Balletts aufweist. Damit wird deutlich, dass der eine Begriff nicht ohne große Verzerrung durch den anderen Begriff ersetzt werden kann. Häufig verwenden die Aktiven daher das deutsche Wort Sakraler Tanz1195, um sich in weitestem Sinne der WosienLinie anzuschließen.

7.1.2 Die Entwicklung in Deutschland in den 1980er und 90er Jahren Im Gegensatz zur Situation in den USA ist Teresa Berger zufolge Tanz in der Kirche in Deutschland zu Beginn der 1980er Jahre noch „eine exotische Rarität“, die für Besonderes wie den Kirchentag, spezielle Gottesdienste und die Kinderkirche reserviert ist.1196 Das Misstrauen gegenüber den ekstatischen Aspekten von Tanz hatte so lange verhindert, dass dieser ein „integrierter Bestandteil des Gottesdienstes“ wurde, vermutet Berger.1197 Die historische Problemlösung, Tanz zu verbannen, sei heute zu relativieren. Ein wichtiges 1193 Vgl. Adams 1971; ders. (Hg.) (1978); ders. (Hg.) (1980). 1194 Der in der Kirchentanzszene langjährig aktive Tänzer und Theologe Frieder Mann ist graduiert im Studiengang „Religion and Dance“ Berkeley. Vgl. http://www.friedermann.de/c_v. htm (2015/12/29). Das dort 1987 von Doug Adams gegründete Center for the Arts, Religion and Education (CARE) bietet weiterhin Kurse in Sacred Dance, Dance and Religion und im weiten Bereich von Kunst und Religion an. Vgl. http://www.care-gtu.org/ (2015/12/29). 1195 Vgl. u. a. Wosien, M.-G. 1988. 1196 Vgl. Berger 1982, 340. 1197 Vgl. Berger 1982, 341.

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Motiv für die Überwindung der alten Verbote sei die „Ablehnung der zwanghaften Bewegungsarmut“.1198 Die Frage, ob Bewegung und Tanz im Gottesdienst sein dürfe, kann von ihr 1985 „mit einem vorsichtigen ,ja‘“1199 beantwortet werden. Durch liturgiewissenschaftliche Veröffentlichungen und Praxisbücher motiviert Berger Laien zum Tanz im Gottesdienst. Berger ist einerseits im Tanz selbst aktiv, andererseits ist sie als Theologin literarisch tätig. Während es bis in die 1980er Jahre kaum Veröffentlichungen zu Tanz in Liturgie und Spiritualität gab, vervielfachten sich die Beiträge von da an.1200 Die neuen Veröffentlichungen beruhen häufig auf Praxiserfahrungen, die bereits in die 1960er und 1970er Jahre zurückreichen. Die 1960er Jahre sind einerseits geprägt vom Wirken Bernhard Wosiens1201. Marie-Luise Soltmann beispielsweise lernt Wosiens Arbeit erst Ende der 1980er durch Findhorn kennen, praktiziert jedoch seit den 1950er Jahren Volkstanz, dessen Bedeutung sich später durch das Spirituelle für sie verändert.1202 Andererseits sind auch andere Versuche zu verzeichnen, Tanz für Laien als Spiritualitätspraxis zugänglich zu machen. Dazu gehört die Arbeit von Hilda-Maria Lander, die um 1968 beginnt, mit Gehörlosen und Hörenden in der Gemeinde zu tanzen.1203 Nadia Kevan sammelt seit 1970 Erfahrungen mit sakralem Tanz in England, ehe sie sich ab 1980 mit Tanz in die Kirchen in Deutschland einbringt.1204 In Hannover gründet sich 1979 die Arbeitsgemeinschaft Biblischer Tanz, ein kleiner Kreis theologisch interessierter und tänzerisch erfahrener Studentinnen und eines Studenten. Zu diesem Zeitpunkt spielt Tanz in der evangelischen Kirche keine Rolle, „eher bei den Katholiken“, schildert Manfred Büsing seine Suchgeschichte im Rückblick.1205 Er erzählt: Das, was ich versuche, mitzuteilen und zu erzählen, entspringt aus einer Arbeit, die seit zehn Jahren in Hannover getan wird, der Arbeitsgemeinschaft Biblischer Tanz. Sie hat sich gegründet mit drei Menschen, die mit bestehenden Tanzformen nicht mehr ganz zufrieden waren. Eine Frau kam von Ballett, ich selber habe früher sehr intensiv Gesellschaftstanz gepflegt bis hin zur Turnierklasse, eine andere Frau hatte

1198 Vgl. Berger 1982, 341. 1199 Berger 1985b, 8. 1200 Nach Koch ist eine vollständige Sichtung nicht mehr möglich. Vgl. Koch 2002, 147. Die Mehrzahl der Schriften besteht allerdings aus Anleitungsliteratur. Julia Koll sieht 2007 eine „gewisse Unübersichtlichkeit der religiösen Tanzszene“. Koll 2007, 237. Knäble verzeichnet eine Forschungslücke bezüglich der „gegenwärtigen Bestrebungen zum Tanz im kirchlichen Kontext“. Knäble 2016, 144. 1201 Vgl. Wosien 1988, 9. 1202 Vgl. Soltmann 1989, 13. 1203 Vgl. Lander 1983, 276. 1204 Vgl. Kevan 2000, 182. 1205 Vgl. Die Geschichte von einem Menschen, der auszog, den Kirchentanz zu suchen, in: Büsing 1991, 92.

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immer Disco-Veranstaltungen in einem Jugendheim zu beaufsichtigen: Da mußte es doch noch etwas anderes geben!1206

Zu Beginn der 1980er Jahre wurde Gisela von Naso (1917–2008) zur sogenannten „Ahnfrau des Kirchentanzes“1207. Sie wirkte bis 2005 auf Katholikenund Kirchentagen als Tänzerin und Choreographin mit. Von Naso war professionelle Tänzerin und Schülerin der deutschen Ausdruckstänzerin Mary Wigman, als junge Frau tanzte sie im Stück „Preziosa“ des Choreographen Bernhard Wosien. Die Kriegsjahre, Besatzung, zweite Ehe und Scheidung verhinderten eine Fortsetzung der Tanzkarriere. Erst mit dem Ruhestand trat der Tanz wieder in ihr Leben. Als sie auf Lanzarote junge Männer beim Tanz am Altar in der Weihnachtsmesse sah, wusste sie sofort: „Das musst du machen.“1208 Mit einer Gruppe von acht Frauen, Tanzlaien, begann von Naso ab 1983 regelmäßig in der Frankfurter Alten Nikolaikirche im Gottesdienst zu tanzen.1209 Dies war mit dem Wunsch verbunden, den Tanz für alle erlebbar zu machen. Tanz betrachtete sie als Teil der Liturgie.1210 Das Ziel ihrer „Praxis des Kirchentanzes“ war es, Tanz in seiner ursprünglichen Form als Kult und Gottesdienst wieder in den Kirchenalltag einzubringen. Meine Intention ist es, eine Form zu schaffen, die einfach und nachvollziehbar ist und jeden Menschen erreichen kann. Ich möchte die Menschen dazu bewegen, am Gottesdienstgeschehen leibhaftig teilzunehmen, mit allen Sinnen – mit Körper, Seele und Geist – und in der einfachen Gebetsgebärde, wie es schon die alten Meister dargestellt haben.1211

Sie erreichte Ausdruckskraft mit einfachen, klaren Bewegungen. In intensiver Zusammenarbeit mit den Pfarrern entstanden Gottesdienste, bei denen die Gemeinde häufig in die Bewegung einbezogen wurde. Durch Seminartätigkeit in Gemeinden und Tagungshäusern verbreitete sie unter anderem ihre Vaterunser-Choreographie1212, die aus ruhigen Gebärden, Schritten und Drehungen zu Gesang besteht. Ihr getanztes Vaterunser1213 wurde vielfach aufgegriffen1214, teils vereinfacht.1215 Daneben stehen eigene Entwürfe zum

1206 1207 1208 1209 1210 1211 1212 1213 1214 1215

Büsing 1991, 91 f. Vgl. Echtler 2002, 25. Echtler 2002, 25. Über 200 Gottesdienste wurden in 22 Jahren von dieser Frauengruppe gestaltet. Vgl. Evangelische Sonntagszeitung 2005, 13. Vgl. http://www.kirchentanz.de/personen/naso.html (2015/12/27). Von Naso 2000, 37. Anleitung in: von Naso/Sengensspeick-Roos/Geissler 2000, 107 f. Sie tanzt mit ihrer Gruppe in der Nicolaikirche in Frankfurt/M. (o. J.): https://www.youtube. com/watch?v=6HffoSg-1YE (2016/07/29), Kamera und Bearbeitung: Uwe Kampmann – Kreativstadt Offenbach a.M., hochgeladen 2009. Vgl. Wosien 1988, 119–121; Büsing/Kies 2000, 40 f. Vgl. Schönberger 2000, 177 f.

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Vaterunser von anderen Tanzleiter_innen, die ebenfalls als Tanz verstanden werden.1216 Die katholische Theologin und Tänzerin1217 Gertrud Prem (*1962) aus München setzte anders an. Ab 1980 leitete sie die inzwischen nicht mehr tätige Folkloretanzgruppe Ursoaica und seit 1986 das gleichnamige Folkmusicensemble.1218 Sie ist seit 1984 Dozentin in Tanzseminaren (Workshop Liturgischer Tanz beim Katholikentag München). 1985 begann sie über die Diözese Würzburg neu choreographierte Tänze zu Neuen Geistlichen Liedern (NGL) weiterzugeben.1219 Das Ziel war der Einsatz im Gottesdienst, so dass diese von ihrer Funktion her als Liturgische Tänze aufzufassen sind. In Zusammenarbeit mit der Gruppe Taktwechsel von Klaus Simon schulte sie Jugendgruppenleiter, Jugendgruppen und –bands, 1986 wurde die Zielgruppe der hauptamtlichen Mitarbeiter_innen in Schule, Gemeinde und Jugendarbeit erreicht, organisiert über das Würzburger Bischöfliche Jugendamt. Ein Werkheft für Liturgischen Tanz entstand. In der Diözese Eichstätt wurden Choreographien von Prem zum Messias von Händel uraufgeführt. Neben Klassik und Folklore arbeitet sie bis heute mit NGL, Pop und HipHop. Simon bewertete die Neuerungen in der Weiterbildungsarbeit als „Exodus“, denn einige „wenige haben begonnen […,] auszubrechen aus dem eindimensionalen traditionellen Kirchenmusikschema und aufzubrechen in ein ,neues Land‘ von ganzheitlichen Ausdrucksformen des Glaubens.“1220 Inzwischen ist Prem seit über 30 Jahren konstant im Feld Kirchentanz aktiv. Hilda-Maria Lander blickte in ihrem tanzpädagogischen Werk von 1983, das sich an die Zielgruppe der Tanzenden in Gottesdienst und Gemeinde richtet, auf eine langjährige Erfahrung im Frankfurter Tanzkreis zurück. Landers Bücher und Seminare gemeinsam mit Maria-Regina Zohner und ihre Tätigkeit als Professorin für Sozialpädagogik in Nürnberg trugen zur Verbreitung von Fähigkeiten im Umgang mit Tanz in der Kirche bei. Ein Band von 1987 reflektiert die Möglichkeiten, mit Tanz zu meditieren. Diese werden in einen weiten Horizont religiöser auch außerchristlicher Meditationsformen gestellt.1221 1216 Durch den tänzerischen Ansatz unterscheiden sich die Vaterunser-Choreographien deutlich von Gebärden zum Vaterunser, die aus der Deutschen Gebärdensprache übernommen wurden und stärker einzelne Worte durch abbildhafte Bewegungen repräsentieren. Vgl. Erzbistum Berlin (2014) https://www.youtube.com/watch?v=KSSrc0Uoulk (2016/07/29). 1217 Prem ist katholische Diplom-Theologin, Musik- und Tanzpädagogin und Choreographin. 1218 Ursoaica bedeutet auf rumänisch „die kleine Bärin“. Diese Benennung geht auf den Gründungsort, die Pfarrei St. Ursula in München zurück. 1219 Vgl. Simon 1987, 272–274. Zum Neuen Geistlichen Lied vgl. Hahnen 1998. 1220 Simon 1987, 273. 1221 Lander/Zohner schätzen die Frage, ob mit Tanzen (überhaupt, nicht nur christlich!) meditiert werden kann, zu dieser Zeit als umstritten ein. Vgl. Lander/Zohner 1987, 10.

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Stellvertretend für eine Reihe weiterer Persönlichkeiten mit einem Wirkungskreis in unterschiedlichen Szenen stehen die im Folgenden kurz erwähnten Personen. Christine Bittner veröffentlichte 1982 ein Büchlein, das aus gemeindlichen Tanz-Projekten mit Jugendlichen erwachsen ist. Bittner setzte auf Ausdruckstanz, Lander/Zohner1222 verbreiteten überlieferte und neu choreographierte Tänze, fördern aber auch den freien Ausdruck. Charlotte Willberg (*1932) initiierte eine Tanzarbeit an der Evangelischen Akademie Tutzing und führte an der Gemeindeakademie Rummelsberg das Format Tanztag ein. In der Gemeinde hatte sie 1978 zunächst gesellige Tänze geleitet, über die Arbeit von Bernhard Wosien erhielt ihre Tätigkeit ab 1979 eine Wendung und spirituelle Tiefe. Sie gab die Einflüsse Wosiens an Anastasia Geng (1922–2002) weiter, deren Bachblütentänze1223 in kirchlichen Tanzmeditationskreisen rezipiert werden. Kersten Elisabeth Pfaff (*1962), die zunächst ein evangelisches Theologiestudium abschloss, fand ebenfalls zuerst zum Tanz und suchte dann eine Verbindung zwischen Spiritualität und Körper.1224 Seit den 1990ern vermittelt sie Tänze in Gemeinden und auf Kirchentagen, tanzt in Gottesdiensten und choreographiert.1225 Von Gereon Vogler (*1959) sind seit 1980 Versuche bekannt, Gottesdienste tänzerisch zu gestalten.1226 Der katholische Theologe begleitete den Aufbruch kritisch reflexiv; gleichzeitig engagierte er sich als Tanzleiter des Kreises für Tanz und Liturgie, Mönchengladbach. In den Jahren 1991 bis 1996 organisierte er eine Reihe von sechs Mönchengladbacher Symposien.1227 Ein Einblick in die damaligen Diskussionen lohnt sich, da sich dort Fragestellungen kristallisieren, die bis heute diskussionswürdig sind. Die Themen der Symposien scheinen Tanz als Kunst als dramatische Dimension der Liturgie und als Weise der Kontemplation und heilsamen rituellen Bewältigung von Trauer auszuloten. Vogler war Herausgeber der seit 1994 erscheinenden Zeitschrift choreae. Zeitschrift für Tanz, Bewegung und Leiblichkeit in Liturgie und Spiritualität, die inzwischen eingestellt wurde.1228 In den Tagungsbänden spiegeln sich 1222 1223 1224 1225 1226 1227

Vgl. nur Lander/Zohner 1988, 1992, 1997, 1998. Vgl. URL: http://bachbluetentaenze.at/bachblutentanze/geschichte_bachb/ (2018/01/27). Vgl. Pfaff 2013, 22–23. Vgl. Pfaff 2013a, 13. Vgl. URL: https://tanzalsweg.com/ (2018/01/27). Vgl. Vogler 2000, 164. Vgl. zu den Tagungen im deutschsprachigen Raum Koch 2002, 172. Erwähnt werden diese auch von Knäble 2016. Unter anderem gaben die liturgiewissenschaftlichen Seminare von Aloys Goergen in Wien, später auch von Albert Gerhards Impulse. Gereon Vogler begann 1989 mit der Sichtung der deutschsprachigen Literatur zum Thema Sakraler Tanz sowie dem Bibliographieren von Veröffentlichungen zu Religion und Tanz weltweit in seiner Forschungsstelle. Dort werden auch die Titel von mehrheitlich katholisch-theologischen Diplom-, Magister-, Examensarbeiten und Dissertationen gesammelt. Vgl. http://www.kirchen tanz.de/wissenschaft/forschungsstelle.htm (2013/02/26). 1228 Diese Zeitschrift fokussiert den kirchlich geprägten Tanz im gegenwärtigen Christentum. Vgl. Koch 2002, 173.

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unterschiedliche Einschätzungen dessen, wo der Kirchentanz zu Beginn der 1990er Jahre steht. Die Referentenliste von 1991 zeugt von der Ambition, ganz unterschiedliche Akteure ins Gespräch miteinander zu bringen. Ronald Sequeira äußert sich zur Möglichkeit, Tanz aus anderen Kulturen wie zum Beispiel Indien auf die Situation in Deutschland zu übertragen. Maria-Gabriele Wosien stellt ihr Konzept von Sakralem Tanz vor. Vogler reagiert kritisch und ordnet diese Bewegung Sakraltanz kulturgeschichtlich in die gesellschaftlichen Umbrüche der 1970er Jahre ein. Damals wurden, charakteristisch für die seit den 1980ern diskutierte Postmoderne, die Grenzen des Wachstums erkannt.1229 Der Glaube an das Gute im Archaischen zog ein großes Interesse für Tanzformen nach sich, die sich als ursprünglich und dadurch besonders menschenfreundlich gaben. Der Sakrale Tanz wird von Vogler als esoterisches Denkgebäude, die archaischen Formen als Konvention und die Bezüge zur Archetypenlehre C.G. Jungs als unwissenschaftlich verworfen. Der intellektuelle Zugriff von einigen Protagonisten wie Maria Gabriele Wosien u. a.1230, die die philosophischen und mythologischen Grundlagen des Sakralen Tanzes herausarbeitet, stelle zu dem Umstand, dass dessen Vertreter das Rationale gerne zugunsten des Gefühls abdrängen, einen gewissen Widerspruch dar. Bestimmte Tanzformen – der Reigen, die Spirale, Kreuzformen – würden eigenmächtig sakralisiert, deren Überlieferung in ungebrochener Form werde in naiver Weise postuliert. Weiblichkeit erhalte eine Art Weihe abgeleitet aus alten Kulten und Naturgegebenheiten.1231 Demgegenüber fordert Vogler die Besinnung auf ernsthafte religiöse Akte, die nicht allein aus dem Erzeugen und dem Aufnehmen einer Stimmung bestehen.1232 Nicht nur die eigene Definition oder ein kirchlicher Ort könne den Tanz sakral machen.1233 Während manche Teilnehmende die vorgebrachten Wertungen nicht nachvollziehen können,1234 kommt Vogler zum Schluss, „daß die Ouvertüre des Aufbruchs, des ganz Neuen vorbei ist.“1235 Der Hauptteil sei noch zu leisten, „nämlich die Frage nach dem Selbstverständnis unseres je eigenen Tuns und dem der je eigenen Gruppe. […] Ich muss gestehen, daß ich inzwischen nicht mehr daran glaube, daß alle die Leute, die hier waren, auch alle dasselbe beabsichtigen.“1236 Büsing dagegen sieht 1991 die Bewegung durchaus noch im Aufbruch und betont angesichts der Differenzen die Notwendigkeit, keinen bestimmten für alle gültigen Standort festzulegen. Dazu gebraucht er das Bild eines Hauses, das 1229 1230 1231 1232 1233 1234

Vgl. Vogler 1991b, 66. Vgl. Soltmann 1989; Lurker 1981. Vgl. Hämmerling 1995. Vgl. Vogler 1991b, 79. Vgl. Vogler 1991b, 60. Eine Teilnehmerin reagiert betroffen, weil das Wort meditativ bei manchen ein Unbehagen hervorruft. Vgl. Vogler 1991, 104. Eine andere fordert Klärungen, weil das Wort naiv im Zusammenhang mit Kreistanz fiel. Vgl. Vogler 1991, 105. 1235 Vogler 1991, 99. 1236 Vogler 1991, 99 f.

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ohne passenden Plan vorschnell konstruiert wird und dann „nur sehr windschief“ werden könne.1237 Eine Vision für künftige Formate „wäre eine Tagung mit Referenten und Referentinnen, wo nicht drei oder vier vorne sitzen, sondern wo man sich zusammensetzt, wo man gegenseitig hospitieren kann, wo es Streit und Versöhnung gibt […].“1238 Bereits zehn Jahre zuvor hatte Gertrud Weidinger gefordert, diejenigen, denen der Liturgische Tanz ein Anliegen ist, an einem gemeinsamen Tisch zu versammeln.1239 Büsing entwickelte als Mitglied der Christlichen Arbeitsgemeinschaft Tanz in Liturgie und Spiritualität e.V. (CAT) gemeinsam mit anderen (Anke Kolster u. a.) ein solches Format unter dem Titel „Kirchentanzfestival“. Dieses wird bis heute in der anvisierten Mischung von Theorie und Praxis umgesetzt, allerdings mit dem Schwerpunkt auf dem Tun, die Reflexion erhält weniger Raum.1240 Das stärker reflexive Format Symposium fand ebenfalls seine Fortsetzung im neuen Verein. Ein weiteres Element, das zur Bündelung der Kräfte im zu gründenden Verein CAT e.V. beitrug, ist in einem von Goergens Arbeit inspirierten Kreis zu finden. 1995 entsteht aus katholischer Initiative Kairos, das Forum für Integrative Tiefenpädagogik und Gestaltarbeit in Unterricht und Spiritueller Begleitung e.V., eine ökumenische Gemeinschaft, die Bewegung und Tanz als wesentliches Element ihrer Spiritualität und Liturgie versteht.1241 Kairos experimentiert mit der Liturgiegestaltung durch Laien. Liturgie wird als „Feier gottvoll glückenden Lebens“1242 verstanden. In der Vorgeschichte von Kairos spielt die Glaubensästhetik Goergens1243 eine wegweisende Rolle. 1968 hatte dieser das Theologische Forum in München gegründet, in den 1980er Jahren siedelten sich spätere CAT-Mitglieder in Rattenbach an, wo ein organisatorisches und spirituelles Zentrum entstand.1244 Die von Kairos später weitergeführte Landakademie Rattenbach ist ein Ort, an dem mit liturgischen, kultischen Formen von Tanz schon früh praktische Erfahrungen gesammelt wurden und dies bis in die Gegenwart fortgesetzt wird.1245 Bevor die Rolle weiterer Orte bedacht wird, lohnt sich noch ein Blick auf die Lage außerhalb West-Deutschlands. Mehr als Andeutungen sind hierbei nicht 1237 1238 1239 1240 1241 1242 1243 1244 1245

Vgl. Vogler 1991, 102. Vogler 1991, 103. Vgl. Weidinger 1987, 322. Weitere Desiderata wie die längst fälligen Diskussionen um „Veröffentlichung und Darstellung, um Honorare“ (vgl. Vogler 1991, 103) haben ihren Ort eher in den Mitgliederversammlungen und der Arbeit des Vorstands erhalten. Die Gemeinschaft ist weiterhin aktiv, bildet aus und veranstaltet Arbeitstreffen von Kirchentänzern. Vgl. http://www.kairos-forum-bock.de/ (2015/12/27). Vgl. http://www.kairos-forum-bock.de/über-kairos/ (2015/12/27). Zu Goergen siehe oben. Vgl. Koch 2002, 139. Zu Aloys Goergen und dem spirituellen Zentrum in Rattenbach vgl. Koch 2002, 138–142.

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zu leisten. Die deutsche Situation war innerhalb Europas stark durch das Bemühen um Vernetzung und Reflexion gekennzeichnet. Für die Aktivitäten in der DDR steht der professionelle Tänzer Manfred Schnelle (1936–2016), der, vom Ausdruckstanz (Marianne Vogelsang) her kommend, den Dresdner Barocktanz in zahlreichen Kirchen-Aufführungen kultivierte. Er war in den Szenen der BRD bekannt, unter anderem deshalb, weil er seine Form von Kirchentanz auch auf Kirchentagen vermittelte, und wirkte prägend. Für England war der Aufbruch des Sacred Dance von Findhorn aus charakteristisch. Die Anglikanische Kirche kennt Kirchentanz, der vom Sacred Dance zu unterscheiden ist, als Liturgical Dance1246. 1984 legte der Theologieprofessor Davies ein historisches Werk zum liturgischen Tanz vor, in dem auch Hinweise zur praktischen Umsetzung enthalten waren.1247 In anglikanischen Gemeinden außerhalb von England (u. a. USA, Canada, Trinidad) scheint Tanz gegenwärtig stärker vertreten zu sein.1248 In Frankreich gründeten die Schwestern Ren e und Josette Foatelli in Paris bereits in den 1950er Jahren eine Schule für religiösen Tanz, um Tänzerinnen für Auftritte in Kirchen zu schulen.1249 Die Sozialarbeiterin und christliche Mystikerin Madeleine DelbrÞl (1904–1964) inspirierte ein Denk-Modell für die Idee eines Lebenstanzes für Gott. Sie verband Gegensätze, indem sie einerseits durchaus kommunistisch motiviert für Arbeiter in Ivry eintrat, andererseits aus ihrer reichen eigenen Tanzerfahrung heraus gläubig katholisch ihr Leben in einem berühmt gewordenen Gebets-Gedicht, dem Ball des Gehorsams (1949) als Tanz deutete: „[…] Wir haben aus unserem Leben eine Turnübung gemacht. Wir vergessen, dass es in deinen Armen getanzt sein will… […]“.1250 Seit den 1970er Jahren ist die Integration von klassischem Bühnentanz in religiöse Darstellungen, etwa in Choreographien von Maurice B jart und seit den 1990ern von Catherine Golovine, greifbar.1251 Initiativen für liturgischen Tanz gibt es seit den 1980er Jahren. Die Innovation ist mehr im Bereich der katholischen Kirche angesiedelt. Eine Bewegung wie in Deutschland ist jedoch nicht greifbar. Bekannt wurde die katholische Ordensfrau und Balletttänzerin 1246 Beispiel aus Devonshire: https://www.youtube.com/watch?v=xbBzjYizPWw (2016/08/12). Die Internet-Recherche ergibt Einblick in Aufführungen, bei denen vorwiegend Mädchen oder junge Frauen beteiligt sind. Liturgische Tanzgewänder verhüllenden Charakters scheinen typisch zu sein. Es werden geistliche Lieder durch den Tanz interpretiert. 1247 Vgl. Davies 1975. 1248 Es findet sich hier mitunter auch der Begriff Church Dance Ministry. Vgl. https://www.youtu be.com/watch?v=agP6i_ac46M (2016/08/12). 1249 In der cole de danse religieuse lehrten diese Ballett zu religiöser Musik und gregorianischen Gesängen. Aus der Praxis erwuchs eine theoretische Arbeit von Ren e Foatelli mit umfassenden historischen Recherchen: Les danses religieuses dans le christianisme, Paris 1947. Vgl. Knäble 2016, 141. 1250 Vgl. Steinmetz 1989. Zu ihrem 100. Geburtstag 2004 wurde mit Bezug auf ihren Tanztext ein Frauengottesdienst in Speyer veranstaltet. Vgl. http://cms.bistum-speyer.de/madeleine-delb rel/index.php?mySID=e9000e66c61658d5fdad2ce9ed157162&cat_id=23234 (2016/07/30). 1251 Vgl. Knäble 2016, 146.

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Mireille N gre (*1943), unter anderem durch einen Tanz für Papst Johannes Paul II. von 1983. Sie verstand es als ihren Auftrag, als Künstlerin „neue Formen für den Ausdruck des Glaubens zu finden und sie der Kirche und der Welt anzubieten.“1252 Obwohl N gre ihr Wirken durch eine rege Aktivität als Autorin mehrerer Bücher und Fernsehauftritte öffentlich machte, scheint daraus keine Bewegung hervorgegangen zu sein.1253 Die aktuellen Strömungen, in Frankreich etwa in Konventen1254 und Freikirchen, werden in deutschen Kreisen m.W. nicht wahrgenommen.1255 In den Gesprächen der Beforschten spielen sie keine Rolle. Demgegenüber sind die Aktivitäten in Norwegen über die lutherische Kirchenmusikerin Emma-Elze Bongers (*1946) mit der deutschen Bewegung gut vernetzt; sie investierte 1993–94 ein Studienjahr Liturgischer Tanz in neun Ländern Europas. Seit 1997 leitet sie die Elzeg rd Liturgisk Verksted in Reinsvoll. Bongers veranstaltete sogenannte Tanzandachten (Danse-andakter): eine getanzte Liturgie, bestehend aus Ordinarium und kirchenjahresgemäßem Proprium, bei der alle zu Live–Musik tanzen und singen.1256 Gebundene und experimentelle Formen wie eine Bibellesung, bei der im Gehen Worte, die individuelle Resonanz hervorrufen, ausgesprochen werden1257, finden zusammen zu einer stimmigen Form. In Norwegen gab es außerdem mit Ragni Kolle (*1943) Tanzperformances in Kirchen (Missa Vigilate 1967), Experimente, denen ambivalente Reaktionen folgten. In diesem Zusammenhang ist auch von kirkedans die Rede.1258 In den Niederlanden etablierte sich 1967 die Gemeinschaft De Hooge Berkt als Ort, an dem Tanz im Rahmen christlicher Spiritualität praktiziert wurde.1259 Daneben stehen Persönlichkeiten wie Ri tte Beurmanjer, die individuell als Pfarrerin der reformierten Kirche ihren Weg zum Tanz fand und das Konzept bibliodans 1252 N gre 1985, 137. 1253 Die ehemalige Ballettänzerin und Ordensfrau Sara Schemann steht in Deutschland für eine ähnliche Biographie. Schemann jedoch arbeitete mit zahlreichen Aktiven der Kirchentanzszene zusammen, z. B. mit Barbara Jeanne Lins. 1254 Die wenigen Rechercheergebnisse verweisen auf Aktivitäten im Karmel und bei Franziskanern. Es dürfte weit mehr geben, wie mündlichen Informationen zu entnehmen ist. 1255 In Paris existiert seit 2012 eine Schule für Liturgischen Tanz (Danse Liturgique) unter dem Motto „Pour exprimer le souffle divin“ (um den Atem/Hauch/Geist Gottes auszudrücken). Deren Bezugs-Kirche, Centre du R veil Chr tien, die Gründung eines kongolesischen Pfarrers (RC), ist zum Spektrum christlicher Gemeinschaften der Erweckungsbewegung afrikanischer Herkunft zu rechnen. Ausgebildet wird in Tanztechniken, Körperschulung und Spiritualität. Stilistisch scheint es sich um Ausdruckstanz mit dem Bewegungsmaterial des Modern bzw. Contemporary Dance zu handeln. Vgl. http://ecolefrancaisedanseliturgique.com/ (2016/07/ 30). 1256 Ein ausgearbeitetes Beispiel findet sich in: Bongers 2000, 86–95. 1257 Diese Idee findet sich in der Arbeit des Kirchenmusikers Gerd Kötter nach Monika Kreutz (vgl. Kreutz 2000a, 147). Bongers gibt ihre Quelle an. Vgl. Bongers 2000, 87. 1258 Vgl. zu weiteren Kirchentänzer_innen in Europa die umfassende Monographie von Bongers 2016. 1259 http://www.hoogeberkt.nl/ (2016/07/29). Derzeit werden Tanzangebote durch die Theologin und Tänzerin Leonie van Straaten geleitet.

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entwickelte. Aus der Schweiz sind zahlreiche Aktivitäten in diesem Kontext bekannt, zumal die stets tanzaffine Frauenliturgiebewegung dort sehr lebendig war. Es gab und gibt auch Tanzgottesdienste in Gemeinden1260 und Klöstern1261. Sowohl norwegische, niederländische als auch Schweizer Aktive sind nach Deutschland vernetzt. Die Deutschen Evangelischen Kirchentage und etwas zögerlicher die Katholikentage bieten Raum, ein größeres Publikum mit dem Kirchentanz zu erreichen.1262 Exemplarisch für die Protagonisten der Tanzbewegung auf den Evangelischen Kirchentagen vor der Wende zum neuen Jahrtausend steht an dieser Stelle ein Porträt von Hans-Jürgen Hufeisen.

7.1.3 Ein Porträt des Tänzers Hans-Jürgen Hufeisen Der als Musiker weitaus bekanntere Hufeisen (*1954)1263 wirkte als Tänzer und Choreograph großer Bühnenwerke mit Tanztheater, vor allem auf den Deutschen Evangelischen Kirchentagen. In der Schweiz führt Hufeisen bis heute aufwändig angelegte Werke auf. Er setzte sich in den 1980er Jahren mit der von ihm empfundenen Körperlosigkeit in der christlichen Verkündigung auseinander. Durch die Zusammenarbeit mit Walter Hollenweger1264 gelangte er zu Erfahrungen mit nonverbalen Formen der Bibelauslegung, zunächst durch eigene Flötenmusikimprovisationen, später auch durch Tanztheater. Der mittelalterliche Troubadour Südfrankreichs sowie norditalienische Mysterienspiele regten eigene Choreographien an. Tanz steht für ihn in enger Beziehung mit bildender Kunst, ein Gedanke, der auch die Arbeit mit seinem Ensemble Stuttgarter Theater der Bilder inspiriert hat. Gemälde, deren Motiven der geronnene Augenblick einer Bewegung anzusehen ist, faszinieren ihn. Tanz ist nicht zwingend musikbezogen, als Kunstform besitzt er Eigenständigkeit. Eine eigene Tanzausbildung befähigt ihn zu Aufführungen, die ein hohes Maß an Körperbeherrschung voraussetzen. Seine Tanzvorhaben in der Kirche führten gelegentlich zu Konflikten mit Projektpartnern, die nicht ausreichend Verständnis für Tanz mitbrachten. So fehlte zum einen die Wertschätzung für die Mitwirkenden durch mangelhafte Raumausstattungen, zum anderen war einer Scheu zu begegnen, christliche Themen durch kör1260 1261 1262 1263

Vgl. u. a. durch Pfr. Conradin Conzetti, vgl. Conzetti 2000a, 96–100. Ein Beispiel sind monatliche Tanzgottesdienste im Kapuzinerkloster Rapperswil. Zur Bezeichnung Kirchentanz siehe unten. Die Quelle der Aussagen ist ein im empirischen Teil anonym ausgewertetes Interview, das in einer persönlichen Begegnung 2014 zustande kam. Wegen ihres in kirchentanzhistorischer Hinsicht wertvollen Informationsgehaltes soll eine Zusammenfassung an dieser Stelle bereits einfließen. 1264 Vgl. Hollenweger 1984. Vgl. darin die Rolle der Flöte in: Schwarz und Weiß, 37–47. Vgl. Birnstein 2014, 94–103.

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perliche Darstellungsformen zu erschließen, bei denen Körper bis hin zu Nacktheit sichtbar waren.1265 Tanz kann den Horizont von Menschen verändern, auch wenn sie nur zusehen, ist Hufeisen überzeugt, denn Tanz ist ein verständliches Medium. Ein Gedanke, den er bei Joachim-Ernst Berendt1266 fand, die eigene Melodie, die jeder Mensch in sich habe, ermögliche überhaupt erst das Hören von Musik, lässt sich auch auf Tanz übertragen. Tanz ist etwas, das Menschen von Anfang an mitbringen, es ist nichts Fremdes. So ist zu beobachten, dass beim Anschauen von Tanz körperlich etwas geschieht, in Atmung und Muskelspannung. Aber auch Kirche kann sich verändern von einer pfarrerzentrierten Institution hin zu einer Gemeinde, in der die Gaben der Region, von Tanzschulen über Gärtnereien bis hin zu Schafzüchtern einbezogen werden. Durch ihre Mitwirkung an künstlerischen Verkündigungsprojekten wird den beteiligten Laien ein anderer Zugang zu christlichen Inhalten geschaffen und Glauben letztlich reichhaltiger, vielleicht auch nachhaltiger darstellbar. Das Engagement für liturgischen Tanz, für das unter anderem die Buchveröffentlichung mit Jörg Zink „Wie wir feiern können“1267 steht, möchte er inzwischen anderen überlassen, etwa der CAT1268. Für die Weiterentwicklung der Kirchentanzszene wünscht er sich die Öffnung für Tanzformen und Tanzende in der weltweiten Kirche, zum Beispiel in Afrika und Lateinamerika.1269 Die Möglichkeiten, Tanz einzubeziehen, um mit gesellschaftspolitischen und weltpolitischen Themen umzugehen, werden seiner Ansicht nach in jenen Kreisen noch zu wenig genutzt. In der eigenen Arbeit wird die politische Dimension an vielen Stellen deutlich, so z. B. in den Projekten mit Walter Hollenweger (u. a. zu Rassismus), Jörg Zink oder Margot Käßmann (Kindersoldaten). Durch die Erziehung im Kinderheim des Erziehungsvereins Neukirchen-Vluyn ist die Auseinandersetzung mit politischen Themen für ihn ganz selbstverständlich von Jugend an.

1265 Vgl. Birnstein 2014, 100–103. 1266 Geprägt hat ihn u. a. die Lektüre von Nada Brahma. Vgl. Berendt 1983. 1267 Vgl. Zink/Hufeisen 1992, 186–198. Hufeisen gibt Hinweise zu sogenannten natürlichen Ordnungen in Musik, Raum und Formen. Auf die Bedeutung des Atems wird verwiesen. Vgl. ebd. 191. 1268 Christliche Arbeitsgemeinschaft Tanz in Liturgie und Spiritualität e.V. Ausführliche Darstellung siehe unten. 1269 In der CAT bringen Mitglieder bereits Tanztraditionen aus einem weiten weltweiten Horizont ein, so z. B. klassischen indischen Tanz (Baratha Natyam), argentinischen Tango, israelische Tänze, traditionelle Tänze aus ganz Europa mit dem Schwerpunkt auf Ost- und Südosteuropa u.v.m. Der Austausch mit Tänzern der weltweiten Kirche ist allerdings tatsächlich noch nicht in Gang gekommen. Die Kritik an fehlenden gesellschaftspolitischen Bezügen ist noch zu differenzieren.

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7.1.4 Weitere Entwicklung auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag Die weitere Entwicklung von Tanzformaten auf dem Kirchentag wie getanzte Bibelarbeiten, meditative Tanzandachten, Tanzgottesdienste, Tango-Gottesdienste1270, Workshops mit Improvisation oder biblisch-thematischem Tanztheater geht anfangs weitgehend auf Initiativen aus dem Kreis der in der Christlichen Arbeitsgemeinschaft Tanz organisierten Kirchentänzer_innen zurück. Vom Kirchentag gehen Impulse für eine veränderte Gemeindepraxis aus, wenn auch die religionsphänomenologische Struktur des Festes1271 als Gegenbild zum Alltag den Wirkungen Grenzen setzt. Wegweisend für die gemeindliche Verbreitung dürften bislang die mehrfach im Programm der Kirchentage aufgenommenen konzentrierten Veranstaltungen im Zentrum Tanz, dem Forum Getanzte Liturgie1272 sowie Bibelarbeiten mit Tanz in großen Hallen und das Format Liturgischer Tag Tanz1273 gewesen sein. Mit seiner Vielfalt von Ausdrucksformen für den Gottesdienst, darunter auch getanzte Ausdrucksweisen, hat der Kirchentag auch Spiritualität geprägt. Er wurde zum Schrittmacher für Gottesdienste in neuer Gestalt.1274 Die Einführung von Tanz beim Kirchentag (DEKT) verlief keineswegs konfliktfrei, die Ansichten reichen von Begeisterung bis Ablehnung. Erinnert sei an den Evangelischen Kirchentag 1983 in Hannover. Während versucht wurde, das Motto des Kirchentages im Tanz auszudeuten, bemächtigte sich ein Kritiker des Mikrofons und nannte die Darstellung ,getanzten Kirchensex‘.1275

Bevor die CAT näher beschrieben wird, gilt es, im Rückblick auf die vergangenen Jahrzehnte anhand einiger Beobachtungen in Aufsätzen, Symposiums-Dokumentationen und Anleitungsbüchern die Diskurse der Kirchentänzer noch einmal konzentriert in Schlüsselthemen zusammenzufassen. Da mir die Erwartung an den Tanz, Kirche in Bewegung bringen, mithin reformieren zu können, typisch erscheint, bildet bei der folgenden Darstellung das Thema Kirchenreform die Hauptreflexionsper1270 Tango-Gottesdienste bzw. „tanGOttesdienste“ werden seit 1999 von einem Team um den evangelischen Diakon und Seelsorger Manfred Büsing auf den Kirchentagen veranstaltet. 1271 Vgl. Steinacker 1990, 109. 1272 Vgl. Käßmann 2005, 101. 1273 Vgl. Liturgischer Tag Tanz „Siehe, du bist sehr schön“ – Tanz-Erotik-Gottesdienst beim 29. DEKT, Frankfurt a. Main 2001 mit ca. 2400 Teilnehmenden. Mitwirkende Vereinsmitglieder waren Manfred Büsing, Wolfgang Burggraf, Anke Kolster, Frieder Mann. Außerdem waren die professionellen Tänzerinnen Prof. Nadia A. Kevan und Gisela von Naso (mit Tanzgruppe) beteiligt, sowie Vertreter_innen von Kirche und Wissenschaft (Margot Käßmann, Prof. Dr. Hans-Jürgen Benedict, Dr. Brigitte Enzner-Probst, die auch Vereinsmitglied ist). Vgl. http:// www.kirchentanz.de/specials_kirchentanz/Frankfurter_Kirchentag/liturgischer_tag_tanz. htm (2015/12/29). 1274 Vgl. Käßmann 2005, 100. 1275 Kuppig 1995, 11.

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spektive. Dabei kommen zum einen weiterhin aktuelle Visionen zum Ausdruck, die zur andauernden Strukturreform der EKD inhaltliche Impulse beisteuern könnten. Zum anderen scheinen die Wünsche inzwischen durch Erfahrungen in der Praxis teils zum Erliegen gekommen, teils als unrealistisch erkannt. Teil B dieser Arbeit kann daher unter anderem als Kommentar der Gegenwart zu den Gedanken in der Anfangszeit gelesen werden. 7.2 Tanz als Medium zur Reform von Kirche – Literarische Diskurse der Kirchentänzer Ganz allgemein ist der Diskurs von der Überzeugung getragen, dass es sich lohnt, Tanz in die Kirche entweder neu oder noch stärker zu integrieren.1276 Die Hoffnung besteht, durch das Engagement für den Kirchentanz einen Aufbruch gestalten zu können in einer Zeit des geistesgeschichtlichen Umbruchs.1277 Stellvertretend dafür steht der Pathos Mireille N gres, auch wenn sie nicht unmittelbar in der deutschen Bewegung gewirkt hat: Ich glaube an die Auferstehung des Tanzes selbst. Er wird auferstehen, wenn er aus anderen Werten als denen der profanen Welt erwächst. Dieses Ostern der Kunst bricht an dem Tag an, an dem der Tanz als ein Gut der Kirche angenommen wird. Dann wird er anerkannt als eine Zeichensprache, mit der die Christen ihre Freude am Glauben, die Feier ihres Glaubens bezeugen können.1278

Mit dem Aufbruch verbindet sich generell die Hoffnung, die Kirche1279 werde Tanz in Liturgie und Gemeindearbeit anerkennen und aktiv integrieren. 7.2.1 Tanz als Metapher für Fest und Freude in der Kirche Tanz firmiert in den Texten als wirkungsvolle Metapher, um Wünsche nach einer Kirche, die sich dem Leben zuwendet und mehr Feste feiert, zu bündeln. Unsere Kirchen könnten, nach Büsing, zu „bewohnbaren Häusern – zu Festhallen der christlichen Gemeinschaft“ werden, würden sie sich dazu bewegen lassen, Tanz (aber auch Essen, Trinken und Feiern) als Teil ihrer Gestaltungsformen zu integrieren.1280 Tanz kann Spiel und Freude steigern. Er steht seinerzeit bei Kreutz für die Fröhlichkeit und das Feiern, die durch das Evangelium ausgelöst werden.1281 Die Metapher Tanz wird im Diskurs jedoch Vgl. Kreutz 2000, 3; Von Naso 2000, 35; Jestädt 2000, 127; Berger 1987, 265. Vgl. Vogler 1991, 5. N gre 1986, 89. Dies gilt für die Großkirchen evangelisch und katholisch, aber auch für Methodisten und Pfingstgemeinden, wie mir in vielen Gesprächen bewusst wurde. 1280 Büsing 1991, 96. 1281 Vgl. Kreutz 2000c, 31. 1276 1277 1278 1279

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immer schon auf die Idee hin überschritten, nicht nur so zu feiern, als ob wir tanzten, sondern sie verweist auf tatsächliche Praxis. Überschritten wird aber auch der Gedanke, allein um der Freude und des Festes willen zu tanzen. Tanz nimmt den Menschen körperlich in Anspruch. Das transformiert sein Bild von sich selbst als Christenmensch, da die körperliche Dimension nun in die Spiritualitätspraxis integriert wird.

7.2.2 Tanz-Impulse für eine leibfreundliche Kirche Tanz antwortet auf ein „tiefes Bedürfnis nach der Erfahrung heilsamer und spiritueller Leiblichkeit“,1282 meint Vogler. Otto Betz betont die Bedeutung der Wiederentdeckung des religiösen Tanzes „für die Kirchen Europas“: „Endlich bekommt der Leib mit seiner Gestensprache und dem Reichtum seiner Ausdrucksmöglichkeiten wieder seine Chance geboten. […] Endlich zeichnet sich heute eine Überwindung der Leibverkümmerung ab“.1283 Leibliche Erfahrungen schließen die Möglichkeit zu nonverbalen Glaubenserfahrungen ein und sind deshalb wertvoll, weil sich in der Begegnung mit dem Göttlichen nicht alles gleich in Worte fassen lässt.1284 Ein Bezug auf die Theologie Moltmanns findet sich bei Kreutz als Zusammenfassung der in zahlreichen hier nicht näher angegebenen Texten anzutreffenden Wendung, dass wir nicht vom, sondern im Leib erlöst würden (u. a. Berger 1985a): „Leiblichkeit ist das Ende der Erlösung der Welt“.1285 Conzetti schöpft aus der Pneumatologie Moltmanns: „Der Geist des Lebens sucht eine Spiritualität des Körpers und überwindet damit die Leib-Seele-Trennung.“1286 Wenn Menschen in der Kirche entdecken können, dass sie Leib sind, mithin offen für die Möglichkeit, Leib Christi zu sein oder zu werden, transformiert dies auch die Kirche.1287 Voraussetzung wäre jedoch, dass die Gemeinde die Sprache des Körpers wieder erlernt.1288 Ohne einen positiven Bezug zum eigenen Körper ist dies nicht zu erreichen. Die Akzeptanz des eigenen Körpers1289 ist mit der Fähigkeit, sich selbst anzunehmen, eng verknüpft, die mit der Intention christlicher Existenz nicht nur vereinbar ist, sondern ihr Gelingen auch fördert. Beim Verstehen der christlichen Themen kann am Körper nicht vorbeigegangen werden: „Die Themen der ChristInnen Liebe, Vertrauen, Gnade, Ehre, Hoff-

1282 1283 1284 1285 1286 1287 1288 1289

Vogler 1991, 5. Betz Vorwort von 1990 zitiert nach Wosien 1995, 8. Kreutz 2000c, 31. Kreutz 2000c, 32. Conzetti 2000, 33. Vgl. Bongers 2000, 87. Vgl. Horsch 1987, 304. Vgl. Kreutz 2000a, 139.

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nung, Aufrichtigkeit, Transzendenz, Geburt und Tod und Auferstehung – sie müssen in den Zellen des Körpers verstanden werden.“1290

7.2.3 Versöhnung von Tanz und Kirche Auf der einen Seite stehen die Erfahrungen von Tänzern, die entdecken, dass sie ihren Glauben mit diesem Teil ihres Lebens stärker in Kontakt bringen wollen. Daher wird nach Neuem gesucht, in der Überzeugung, dass es noch etwas anderes geben müsste als Ballett, Turniertanz und Disko.1291 In gesteigerter Form findet sich der vom Tanz aus erlebte Versöhnungswunsch bei Tänzerinnen wie Mireille N gre, Sara Schemann und anderen. N gre sieht in ihrer Begabung und Biographie ein „Apostolat des Tanzes“1292 begründet, das sie allerdings erst dann umsetzen kann, als ihr Tanz und ihre Tanzpädagogik nachgefragt wird. Dahinter stehen Biographien, in denen der Tanz zunächst zurückgestellt oder aufgegeben wird zugunsten einer glaubwürdigen christlichen Lebensweise, schließlich jedoch in Form eines religiösen Ausdrucks neu in die Religiosität integriert wird. Der Tanz verändert sich um der neuen Aufgabe willen. Eine andere Blickrichtung ergibt sich, wenn ein Mensch, der sich als Glied der Kirche begreift, danach fragt, wie sich die Kirche verändern müsste, um mit Tanz und Kunst zu einem versöhnten Miteinander zu kommen. Berger fragt, warum der Tanz der Kirche verloren gegangen ist und wie das zu ändern wäre: „Wie können wir diesen Ausdruck unseres Glaubens wiedergewinnen?“ In solche und ähnliche Fragestellungen sind die zahlreichen Bemühungen einzuordnen, religionswissenschaftlich Tanz als Menschheitskonstante auszuweisen. Außerdem fließt ein beträchtliches Maß an Energie in die selbstgestellte Aufgabe, historische Nachweise für eine positive Rolle des Tanzes in der Kirchengeschichte und im alten Israel zusammenzutragen. Denn die Hoffnung besteht, dass, wenn Tanz als selbstverständliche kulturelle Form im Rahmen der Religionsausübung in biblischen Texten aufgezeigt werden könnte, kirchen- und bibeltreue Skeptiker leichter zur Aufnahme von Tanz in die Kirche zu bewegen sein würden. Andere scheinen den Weg gehen zu wollen, durch die Qualität des Tanzes dessen Akzeptanz als die Kirche bereichernde Kunst anzubahnen. Der Tanz sei Tanz, nicht mehr und nicht weniger. Nicht der Tanz habe sich der Kirche anzupassen, sondern die Kirche sich für den Tanz zu öffnen. Auch die sehr anpassungsbereite N gre „möchte die Kirche mit dem Tanzen wiederversöhnen. Und mit der Kunst allgemein.“1293 Daher schreibt sie kein wissenschaftliches Werk mit historischen 1290 1291 1292 1293

Kevan 2000, 182. Vgl. Büsing 1991, 91 f. N gre 1985, 110. N gre 1985, 135.

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Belegen, sondern tanzt einfach mit den Fähigkeiten, die ihr zur Verfügung stehen. In gewisser Weise steht mit der Versöhnung von Tanz und Kirche auch das Thema der Versöhnung von Kirche und Welt auf dem Spiel: „Die unglückselige Trennung, hier die Kirche (die Gute) und da die Welt (die Böse) wollen wir nicht durch Tanz weitertradieren.“1294 Lander sieht in der fehlenden sakralen Tanztradition durchaus Vorteile. So könne Tanz aus dem profanen in den sakralen Bereich hinein umgewandelt werden und von dort aus im Alltag positiv weiterwirken.1295 Symbolische Existenzen für die wechselseitige Versöhnung von Tanz und Kirche sind gar nicht so selten. Hiermit meine ich, Typen ausmachen zu können. Einen Typus sehe ich, der sich in den Lebensentwürfen der Tänzertheologen und –theologinnen wie auch in tanzenden Ordensfrauen oder -männern manifestiert – Tanzpfarrer/in, Tanz-Diakon/in und Tanznonne/ Tanzmönch. Daneben findet sich ein weiterer Typus: die tanzenden Kirchenmusiker_innen – Tanzkantor. Schließlich der Typus des Religions- und Sportlehrers mit Tanzausbildung, auch Rhythmiklehrerinnen. Anke Kolster, die zu letzteren zählt, erdachte den Begriff Saltator, Saltatorin (Saltatrix) als neu zu schaffendes kirchliches Berufsbild. Klarmachen möchte ich anhand dieser tastenden Zusammenschau, dass es tatsächlich eines glaubwürdigen Lebensentwurfs bedarf, um den als überaus groß empfundenen Spagat zwischen Tanz und Kirche überbrücken zu können.

7.2.4 Suche nach adäquaten Tanzsprachen Vor allem für den Gebrauch von Tanz in der Liturgie stellt sich die Frage nach einem gottesdienstgemäßen Stil. Ein breiter Konsens besteht darüber, dass Tanz im Gottesdienst mehr als eine „Auflockerung“ ist, sondern ein Beitrag zur „Qualität der Liturgie“.1296 Strittig ist von Anfang an, ob eine ästhetisch und liturgisch adäquate Tanzsprache auf den bereits in der Liturgie angelegten Elementargebärden (Guardini) aufbauen1297 und für den Gottesdienst eigens konzipiert werden sollte1298 oder Tanz lediglich durch die funktionale Einbindung in die Liturgie gottesdienstgemäß wird. In letzterem Fall gewinnt die Stilfrage eher in Bezug auf die Qualität und Professionalität des Tanzes Gewicht. Die Frage taucht auf, unter welchen Bedingungen ein Tanz Gebet sein 1294 1295 1296 1297 1298

Lander 1983, 12. Vgl. Lander 1983, 12. Vgl. Büsing/Kies 2000, 13. Vgl. Pahl 1992, 29 u. ö. Bittner 1982, 51 f. „Genauso wenig, wie man ein Gebet oder Lied von einem Tonträger in den Gottesdienst einspielen würde, ist es ratsam, dies beim Tanz zu tun.“ – Gemeint sind meditative Tänze, die lediglich in die Liturgie importiert werden – „Sollen die Bewegungsformen eine echte liturgische Ausdrucksweise sein, ist es einfach notwendig, sie von der Liturgie her zu entwickeln.“ Büsing/Kies 2000, 26.

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kann.1299 Sequeira, der aus einem kulturellen Hintergrund mit einer hochdifferenzierten religiösen Gebärdentanzsprache kommt, sieht im deutschen Kontext noch Entwicklungsbedarf. Der liturgische Tanz stecke noch in den „Kinderschuhen“; das Baby müsse nicht nur laufen lernen, sondern auch eine Sprache erwerben.1300 Tanzbewegungen seien für den Gottesdienstgebrauch dahingehend zu befragen, ob sie verständlich sind. Dies werden sie nicht unbedingt nur dadurch, dass abbildhafte ins Pantomimische gehende Bewegungen verwendet werden, die wiederum einem künstlerischen Anspruch1301 oft nicht genügen, sondern durch die „Einheit von Wort-, Ton- und Bewegungsausdruck.“1302 So erlangt argentinischer Tango, eine klar geformte Tanzsprache, in Verbindung mit dem Thema der Gottesbeziehung und eng eingebunden in die Liturgie Würde als Ausdrucksform.1303 Mann unterscheidet zwischen prosaischem und poetischem Tanz, um die Differenz zwischen laienhaftem Gemeindetanz als emotionalem Selbstausdruck und Tanz mit professionellem Anspruch und kommunikativer Funktion zu markieren.1304 Auch der Musikgebrauch wird befragt. Im Gegensatz zu Üblichkeiten in der Praxis fordern Wortführer_innen den Einsatz von Live–Musik aus Gründen der Ästhetik.1305 Fraglich ist einigen der Einsatz von Tänzen aus anderen Kulturen. Einerseits taucht das Problem auf, welches Recht wir zur Aneignung dieser Tänze beanspruchen könnten1306, andererseits sei ein Tanz, der aus gottesdienstfremden Kontexten stammt, liturgieästhetisch fragwürdig, da er einen bloßen Importartikel darstelle. Verkündigend kann Tanz werden, sofern „der leibliche Ausdruck die biblische Dramatik kinästhetisch präsent zu machen vermag.1307 Uneinigkeit besteht auch in der Frage, wie professionell diejenigen sein sollten, die sich mit Tanz in einem Gottesdienst ausdrücken. Einige Stimmen befürworten die allgemeine Zugänglichkeit von Tanz und lehnen Professionalität geradezu ab.1308 Das Ziel vieler literarisch tätiger Anleiter zusammenzufassen scheint mir das Anliegen Landers, Bausteine für eine (religiöse) Tanzkultur beizutragen.1309

1299 1300 1301 1302 1303 1304 1305

1306 1307 1308 1309

Vgl. Vogler 1991, 9; Bittner 1982, 44–46. Vgl. Sequeira 1991, 100. Vgl. Pahl 1992, 32. Pahl 1992, 32. Vgl. Büsing 2000, 160. Vgl. Mann 2002, 66. „Als ich las, dass im Mittelalter in den Kathedralen getanzt worden war, wurde mir nicht nur endgültig klar, daß ein Tanz zu einer von der Konserve in die Liturgie eingespielten israelischen oder griechischen Musik immer ein Murks bleiben würde, sondern auch, daß nur eigene, neu zu findende Tanzformen mit genuin kirchlicher Musik überzeugend sein könnten.“ Vogler 1991, 18. Vgl. Gerhard Schinke zitiert nach Vogler 1991, 105. Vogler 2000, 166. Vgl. Gabriele Wollmann zitiert in: Vogler 1991, 106. Vgl. Lander 1983, 34.

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7.2.5 Lebendigere Gottesdienste mit Tanz Weitgehend einig sind sich die Autor_innen in der Überzeugung, Tanz sei geeignet für den Gottesdienst. Büsing sieht im Tanz das Potenzial, eine „echte gottesdienstliche Handlung“ zu sein.1310 Dementsprechend ist der Beitrag von Tanzgruppen als Dienst zu sehen.1311 Das Gute, das Tanz tun kann, entfaltet sich im Gottesdienst, dem „Kristallisationspunkt des Gemeindelebens“1312 optimal, denn Gott ist Bewegung und der Gottesdienst Ort der Begegnung. In Wechselbeziehung zu dem, wie stark Tanz von der Integration in die Liturgie profitiert, steht die positive Veränderung des Gottesdienstes durch Tanz. Katholische Tanzleitende streben häufig eine Verwirklichung der von Guardini geforderten Wiederbelebung der Elementargebärden an. Tanz stelle eine ausgearbeitete Körpersprache dar und schöpfe die Bewegungsdimension, die im Zweiten Vatikanum befürwortet wird, erst voll aus.1313 Eine Kirche, in der getanzt werde, sei zeitgemäß, attraktiv und überwinde die tradierte Leibfeindlichkeit. Bedenken werden um des Erfolges der Sache willen geäußert, nicht zur generellen Infragestellung von Kirchentanz. Tanz sollte nicht vorschnell und nicht additiv in den Gottesdienst eingefügt werden.1314 Es komme auf die Echtheit an.1315 Eine Gottesdienstfeier solle den ganzen Menschen erreichen. Die bisherigen quasi körperlosen Liturgien seien zu überwinden. Berger charakterisiert die Situation: „Es scheint, als ob wir unsere Leiblichkeit abstreifen, bevor wir durch das Kirchenportal treten, um dann als leiblose, rein geistige Wesen vor Gott zu stehen.“1316 Um der Einführung des Tanzes im Gottesdienst nicht durch Dilettantismus den Weg zu verbauen, veröffentlichen Tanzleiter_innen Hinweise wie etwa Büsing seine zehn Thesen zum Tanz in der Liturgie1317, die Liturgiewissenschaftlerin Pahl Kriterien für die Liturgiefähigkeit eines Tanzes1318 und die Religionspädagogin Kuppig Thesen zur Arbeit mit Tanz in der Gemeinde1319. Zahlreiche Arbeitshilfen und Modelle zeigen auf, wie Gebet getanzt werden kann, von Lob über Fürbitte bis zum Segen, und bieten gruppendidaktische Wege zur Erarbeitung einer getanzten Verkündigung. Ausgeführte Gottesdienstentwürfe sollen „Mut zu Bewegung und Tanz in Gemeinde und Gottesdienst“1320 machen. Im Gegensatz dazu 1310 1311 1312 1313 1314 1315 1316 1317 1318 1319 1320

Vgl. Büsing/Kies 2000, 12. Vgl. Bittner 1982, 85. Büsing/Kies 2000, 20. Vgl. Bittner 1982, 40 f. Vgl. Lander 1983, 14. Vgl. Schinke in: Vogler 1991, 107. Berger 1987, 267. In: Büsing/Kies 2000, 15. Vgl. Pahl 1992, 31–33. Vgl. Kuppig 1995, 65–74. Siehe die vielfältigen Vorschläge im gleichnamigen Buch von Monika Kreutz herausgegeben. Kreutz 2000.

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äußert sich Frieder Mann mit seinen Thesen zum liturgischen Tanz1321 ablehnend gegenüber dem Anliegen, Tanz als integralen Bestandteil von Gottesdiensten einzuführen. Sein Beweggrund ist, einerseits die Autonomie der Tanzkunst zu achten und andererseits den Ritualcharakter des Gottesdienstes. Tanz sei nur dann einzubeziehen, wenn er entsprechende Qualität besitze und liturgisch gut eingebunden sei. Sinnvoll und wertvoll sei Tanz im Gottesdienst demnach nicht regelmäßig, sondern eher bei besonderen Themen und Anlässen.1322 Faktisch hat sich Tanz bisher in keinem sonntäglichen Gemeindegottesdienst als feste Größe etablieren können, was allerdings nicht unbedingt auf eine bewusste Beendigung der Kontroverse zugunsten der Position Manns hindeutet. Gründe dafür könnten auch zahlreiche praktische Hindernisse sein, von denen etwa in den Gesprächen mit den Befragten (Teil B) berichtet wird.

7.2.6 Erfüllung im Christendasein und Vertiefung des Lebens durch Tanz Persönliche Spiritualität, Gemeinschaft, Seelsorge und Ethik sind im Aufbruch der Tanzbewegung weniger häufig, jedoch erkennbar mitbedacht worden. Tanz eröffnet neue Dimensionen des menschlichen Lebens. Mit dem Augustinus historisch nicht korrekt zugeschriebenen Spruch O Mensch lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel nichts mit dir anzufangen wird nicht selten unterstrichen, dass Tanz nicht nur eine weltliche Angelegenheit sei, sondern Menschen dem, worum es im christlichen Glauben zentral gehe, näher bringe. Wenn Tanz nur im Gottesdienst und nicht auch im persönlichen spirituellen Leben eine Rolle spiele, würde er sich jedoch nicht im Christentum etablieren.1323 Das Entscheidende ist die „Liturgie des Lebens“, die zeigen wird, „wie bewegend und beweglich unser Glaube wirklich ist.“1324 Tanz wird eingezeichnet in einen lebenslangen Prozess, der mit Üben und gesteigerter Reifung verbunden ist.1325 Tanzleiter_innen schreiben und reden aus der Erfahrung heraus, wie Tanz mit ihrer eigenen Biographie verwoben ist und was sie persönlich dem Tanz verdanken. Sie geben eine Auffassung des Körperlichen weiter (den Leib lieben lernen)1326 und wollen ein weiteres Publikum für die Erfahrung interessieren, dass der Leib zum Medium der Wahrhaftigkeit1327 und spiritueller Transzendenzerfahrungen1328 werden kann. Walter Hollenweger teilt bezüglich der Bibelauslegung, die nicht nur im Gottesdienst, 1321 1322 1323 1324 1325 1326 1327 1328

Vgl. Mann 2002, 65–70. Mann 2002, 70. Vgl. Berger 1987, 268. Berger 1987, 268. Vgl. von Naso 2000, 39. Vgl. Kreutz 2000b, 13. Vgl. Kreutz 2000c, 30. Vgl. Kreutz 2000c, 32.

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sondern auch in persönlicher Spiritualitätspraxis ihren Ort hat, die für ihn überraschende Erkenntnis mit, dass er durch die tänzerischen Auslegungen Hufeisens bei den Bibelarbeiten beim DEKT 19831329 in Hannover „einen Schritt über die von mir bisher geübte narrative Exegese hinausgehen konnte.“1330 Er ist dort zur Überzeugung gelangt, dass „das erzählte, getanzte und gesungene Evangelium etwas auszurichten vermag gegen Gleichgültigkeit und Gewalt“1331. Darin spiegelt sich ein Topos, der sich auch bei anderen Autor_en findet. N gre nennt das Tanzen eine „außergewöhnliche Schule der Gewaltlosigkeit. Es lehrt uns, unsere unbewußten Mächte und Gewalten zu kontrollieren und zu leiten.“1332 Fähigkeiten wie Sensibilität, Willenskraft, Mut und Ausdauer werden geschult.1333 Auch im Feld der Seelsorge wird Tanz als Medium entdeckt. Menschen lassen sich durch tänzerische Arbeit in der Trauer begleiten.1334 Das transformatorische Potenzial des Tanzes kann sogar noch durch Gegner des Tanzes im Christentum unterstrichen werden, da das allegorisierende Verständnis von dem Wissen darum lebt. Dazu zählt etwa der Ausspruch von Augustinus: „Unser Tanz ist die Änderung des Lebens.“1335

7.2.7 Tanz als bedeutungsgenerierendes ästhetisches Medium im Spannungsfeld von Dienst an der Botschaft und der Vereinnahmung durch dieselbe Im Diskurs spielt der Begriff ästhetische Erfahrung keine Rolle. Dennoch werden Aspekte des Phänomens in einer Weise bedacht, die mit semiotischen und performativitätstheoretischen Perspektiven kompatibel sind. Vorrang hat die Reflexion der Tatsache, dass Tanz Bedeutung generiert und Gehalte ausdrückt. Der Tanz wird als Symbolsprache vorgestellt, die mehrdeutig ist.1336 Die Problematik, die auftritt, wenn Tanzbewegungen als Ausdruck einer schon bestehenden Aussage verstanden werden und sozusagen nur eine feststehende Wahrheit vermitteln sollen, führt Simone Fopp zu der Frage: „Wie kann Tanz in der Kirche vorkommen, ohne von einer sogenannten ,Botschaft‘ vereinnahmt zu werden?“.1337 Sie kritisiert isolierte Zuschreibungen zu Bewegungen, 1329 Im Dokumentationsband zum DEKT 1983 werden weder die Bibelarbeiten von Hollenweger noch sonstige Veranstaltungen mit Tanz erwähnt. Auch in Hollenwegers eigener Veröffentlichung der Bibelarbeiten zeigt sich die Schwierigkeit, getanzte Verkündigung zu verschriftlichen. In der Konsequenz unterbleibt sie. Vgl. Luhmann/Neveling-Wager 1984; Hollenweger 1984. 1330 Hollenweger 1984, 50. 1331 Hollenweger 1984, 51. 1332 N gre 1986, 94. 1333 Vgl. N gre 1986, 94. 1334 Vgl. Lander/Zohner 1992. 1335 Bittner 1982, 31. 1336 Vgl. Lander 1983, 25–33. 1337 Fopp 2003, 344.

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wie sie in der Praxis des Kreistanzes vorkommen. Zum Beispiel: „die Leiterin kommentiert: ,Wir beten an‘, man macht eine Armbewegung nach außen: ,Wir teilen‘. Ihnen tut aber bloß der Arm weh nach viermaliger Wiederholung dieser Bewegung.“1338 Im Diskurs wird die Denkfigur, dass Tanz an sich neutral und nicht selbst heilig bzw. sakral ist,1339 mit unterschiedlicher Konsequenz ernst genommen. Vogler nimmt für das Heilige des Tanzens folgende Bestimmung vor: Tanz ist selber nicht heilig, er kann nur Heiliges versuchen auszudrücken, Heiliges (zu) tanzen also […]. Nur einer ist heilig, weiß das Volk Gottes seit uralten Zeiten. Er macht heilig, er hat uns heilig gemacht. Das läßt uns tanzen, beten im Tanz – zur Ehre Gottes.1340

Für den Umgang mit Deutungen und Interpretationen durch Tanzleitende bedeutet dies, sich zurückzuhalten und den Tanzenden bzw. Zuschauenden Spielraum für die eigene Imagination zu lassen.1341 Auffällig ist bei Margarete Horsch, dass sie von dieser Erkenntnis zwar ausgeht, in ihren Tanzbeschreibungen allerdings Vorschläge zur spiritualisierenden Deutung einzelner Tanzbewegungen vorherrschen: „Jeder nimmt mit beiden Händen das Lob aus seiner Mitte, reicht es empor, bis beide Arme weit nach oben gestreckt sind. […] Die Freude macht uns weit, wir öffnen uns und begegnen unserem Nächsten.“1342 Die Erklärung zur Bewegung legt den Ausführenden ein Gefühl nahe und verhindert das authentische eigene Entdecken der Emotion. Niemand lässt sich gerne ein Gefühl vorschreiben. Außerdem wird auf diese Art der Wegcharakter einer Tanzerfahrung abgekürzt, ein Ziel, z. B. in der ausholenden Bewegung Freude zu empfinden, kann als erreicht angesehen werden. Der Prozess kommt zum Stillstand. Eine andere Form der Tanzvermittlung streben Lander/Zohner an. Sie warnen, wir sind ,Räuber‘, wenn wir so schnell wie möglich eine feste Tanzform, eine Gebärde stehen haben wollen, denn wir berauben uns sämtlicher Erfahrungen am Wege. […] Der Natur entsprechendes Zeitmaß des Lernen-Lehrens, des Entfaltens ist für uns vorrangig geworden.1343

In einer entschleunigten Form des Lehr-Lern-Prozesses komme es darauf an, Teilnehmenden Zeit dafür zu lassen, die Bewegungsklischees, die aus einer erlernten „Belehrungskultur“ her stammen und habitualisiert wurden, in einer neuen „Lernkultur“ zu relativieren, um Neues hervorzubringen, das aus Beziehungen erwächst und mehrdeutig ist.1344 In einem früheren Buch finden 1338 1339 1340 1341 1342 1343 1344

Fopp 2003, 345. Vgl. Bittner 1982, 39; Vogler 1991, 81. Vogler 1991, 81. Vgl. Horsch 1987, 305. Horsch 1987, 305 f. Lander/Zohner 1997, 14. Lander/Zohner 1997, 24.

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sich allerdings auch bei Lander Deutungsmuster, die mit Tanzformen identifiziert werden, wie ein „kosmischer Bezug“ der Kreis-Tanzrichtung „gegensonnen“ (entgegen dem Uhrzeigersinn) in einem von B. Wosien überlieferten Tanz.1345 Denkbar, aber nicht mit Sicherheit nachzuweisen, ist ein Lernprozess bei Lander, der sich in der m. E. veränderten Sichtweise von 1997 niedergeschlagen haben könnte. Von anderen, etwa Macht, wird die Möglichkeit, Zuschreibungen in ihrer Orientierungsfunktion positiv zu würdigen, ergriffen, indem sie als historische Information über Konventionen der Deutung in überlieferten Tänzen angesehen werden. So können eine Kreisform oder ein Dreiertakt für das Göttliche stehen, ein Viereck oder Vierertakt für das Menschliche, die Schlangenlinien für eine Suche und die Spirale für den Weg in die Krise und aus ihr heraus. Dabei wird der Nachteil, bewusst oder unbewusst (?), in Kauf genommen, dass jede von außen aufgesetzte Zuschreibung das eigene Spüren in den Hintergrund treten lässt. Auch bei der Interpretation von Bibeltexten durch Tanz wird die Gefahr greifbar, zwischen Text und Tanzenden Distanz zu schaffen, wenn Anleitende den Bibeltext vorab auslegen und mit festen Formen diese Interpretation über das Medium Tanz an die Teilnehmenden vermitteln. Das kommt einer Ein-Mann-Bibelarbeit bzw. Ein-Frau-Bibelarbeit gleich, die beinahe monologisch wie in einer verbal gehaltenen Andacht transportiert wird. In so einer Form wird der Tanz für die Botschaft vereinnahmt. Kreutz dagegen lässt die Teilnehmenden ihre eigenen Interpretationen finden und tänzerisch ausdrücken.1346 Gegen das Angebot von deutenden Bildern ist generell nichts einzuwenden, ist doch in der säkularen Tanzpädagogik die Verbindung von Bewegung und Imagination durchaus üblich. Der entscheidende Unterschied ist, dass es sich bei jenen Bildern in der Regel um Vorstellungen handelt, die dazu dienen, eine bestimmte Bewegungsintensität oder –qualität mental zu unterstützen. Dies nutzen Lander/Zohner wiederum in einem späteren Buch. Die Empfehlung zu Vorstellungen „stehen wie eine Kiefer“, „Bälle ins Wasser drücken“, „Baum umarmen“ sind nicht als eigenmächtige Sakralisierungen, sondern als mentale Brücken zu intensiverer Bewegungserfahrung zu sehen.1347 Mit der Reflexion des Potenzials des Tanzes, Bedeutung zu generieren, werden Fragen berührt, die in das Gebiet der Semiotik fallen. In der Kirchentanz-Literatur der 1980er und 90er Jahre fehlen jedoch Reflexionen, die das Semiotische explizit und theoriegestützt thematisieren. Erst Fopp (2003) nimmt Erkenntnisse der Semiotik auf – Umberto Eco öffnete die Semiotik in Richtung auf visuelle Codes – und spricht von einer „Semiotik des Tanzes“1348. Die Schweizer Pfarrerin tanzt Modern Dance und lernt Graham-Technik. Für 1345 Vgl. Lander 1983, 51. Beispiel, das über eine Unterstützung der Bewegungsqualität hinausgeht: „Die Armbewegungen sollen die Erde, das All symbolisieren.“ Ebd. 177. 1346 Vgl. Kreutz 2000d, 140. 1347 Vgl. Lander/Zohner 1998, 132 f. 1348 Vgl. Fopp 2003, 348.

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einen Semiotik-Kongress im Fach Theologie1349 reflektiert sie Erfahrungen mit sakralem Tanz in der Gemeinde und zeigt den Nutzen einer semiotisch geschulten Perspektive auf. Beim Tanz in der Kirche sind sowohl Körpercodes als auch Glaubenscodes beteiligt, beide sind komplex. Der Wahrnehmung der Codes liege zunächst die Annahme zugrunde, dass sie kulturell bedingt und situationsabhängig sind. Desweiteren sei von einer unendlichen Semiose, also einer fortdauernden Produktion von Bedeutungen durch Individuen und Gesellschaft auszugehen. So sei auch das Evangelium keine „festgeschriebene und abgeschlossene Wahrheit“1350. In der Kirche werde nach ihrer Beobachtung jedoch oft so getanzt, dass sehr schnell vom Körper abgesehen wird. Sie weist auf die Einschätzung von Josef Sudbrack hin, dass „die Interpretation von Tanz als Ausdruck mystischer Freude oder als Emporsteigen zu ewigen Gütern den Blick auf den Körper und seine Gestaltungsmöglichkeiten verstellte.“1351 Daher fragt sie weiter: „Wie kann in der Kirche getanzt werden, ohne dass eine der Perspektiven ausgeklammert werden muss, sondern dass Tanz- bzw. Körpercodes und Glaubenscodes miteinander zu tanzen beginnen?“1352 Eine Lösung wird noch nicht formuliert. Im Laufe der Ausführungen klärt sich die Fragestellung jedoch noch weiter. Die beiden folgenden Fragen weisen den Weg zu einer der Körperlichkeit des Tanzes angemessenen Haltung: Wie entsteht eine Offenheit für die unendliche Semiose als Voraussetzung des Dialogs zwischen Tanz und Theologie bzw. zwischen Tanz und kirchlicher Praxis bzw. wie können Rahmenbedingungen geschaffen und gewährleistet werden, die diese ,Offenheit‘ und neue Interpretationen ermöglichen? Wie kann mit einer gewissen ,Exklusivität‘ der Tanz bzw. Glaubenscodes (Wissensunterschiede je nach Tanz- und Körpererfahrung, unterschiedliche Möglichkeiten zu deren Reflexion und unterschiedliche ,Kirchennähe‘) umgegangen werden?1353

Fopp selbst zieht noch nicht den Schluss, auch die Reflexionsperspektive der Performativität für die Wahrnehmung des Kirchentanzes einzubeziehen. In ihrem Aufsatz wird es gerade an einer Stelle spannend, wo sich diese Perspektive nahelegt. Sie vergleicht die Erfahrung einer einfachen Körperübung in einem säkularen Tanztraining mit dem Erleben eines Gemeinde-Kreistanzes. Bei dieser Übung schieben sich Vorstellungen von Wiedergeburt, Auferstehung und Verwandlung ins Bewusstsein, während der Kreistanz „vor allem blockiert“ habe. Er „hat entweder das Gefühl geweckt, man sei eben nicht talentiert für diese Weise von Spiritualität, oder er hat zur Opposition gegen 1349 10. Internationaler Kongress der Semiotik DGS e.V. in Kassel 2002, Sektion Theologie zum Thema Körper. Fopp vermisst die Einladung der Theologen an Tanz- oder Sportwissenschaftler. 1350 Vgl. Fopp 2003, 349. 1351 Fopp 2003, 349. 1352 Fopp 2003, 348. 1353 Fopp 2003, 350.

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die Leiterin veranlasst.“1354 Fopp erkennt immerhin, dass das Beobachten und Ausüben von Tanz „neue semantische Pfade“ sein könnten.1355 Noch nicht explizit wird: Das Performative des Tanzes ist es, das auf dem Körper, seiner Wahrnehmung und dem ephemeren Erleben damit basiert. Das, was sich beim Tanzen verbalsprachlichen Deutungen zunächst entzieht, was in intensiven Augenblicken von Präsenz erlebt werden kann, stellt ein Feld dar, das sowohl die wissenschaftlichen Diskurse als auch diejenigen der Kirchentänzer bisher noch stark vernachlässigt haben. Festzustellen ist eine gewisse Aufmerksamkeit für diese Dimension, aber auch das Bedürfnis, sich davor zu schützen und Grenzen zu ziehen, damit der christliche Charakter des Tuns gewahrt bleibt. Symptomatisch für die strittige Rolle von Körpererfahrung und Gefühl ist die Aussprache beim 1. Mönchengladbacher Symposium. Gabriele Wosien nimmt das Tanzen im Kirchenraum als etwas Besonderes wahr. Sie formuliert Dankbarkeit und Verbundenheit mit dem, was der Raum denen bedeutet, die davor darin beteten.1356 Ihre Position wird insgesamt jedoch wenig unterstützt. Eine Teilnehmerin möchte gar nicht so auf ihren Körper achten und an ihm arbeiten. Sie will lieber ihre Seele vorrausschicken und lässt den Körper nachkommen.1357 Horsch dagegen weist dem Körper eine zentrale Rolle zu, im Bild der Erde: „Diese Erde muss bearbeitet, gepflügt werden. […] Ob etwas daraus wächst ist ein Geschenk des Himmels.“1358 An anderer Stelle meint sie wiederum, ein „Schwelgen in Gefühligkeit“ ausschließen zu müssen.1359 Vogler weist die bloße Kultivierung von Innerlichkeit durch Sakrale Tänze zurück und fragt kritisch nach dem, was da in der Mitte des Kreises sein soll. Denn schließlich ist die Mitte eines Menschen ja nicht so etwas wie das ,Auge‘ eines Hurrican, also ein ruhender Pol inmitten aller Stürme. […] Abgesehen davon, daß es abwegig ist, sich die Psyche räumlich vorzustellen und da eine ,Mitte‘ ausmachen zu wollen, ist die Ruhe in all diesen Stürmen nur zu erreichen, indem die Stürme von Grund auf gestillt werden.1360

Viel spricht dafür, angesichts der im dargestellten Diskurs nicht immer geglückten wechselseitigen Kommunikation über die Möglichkeiten, in christlicher Weise stimmig religiös tanzen zu können, zunächst bei der Körpererfahrung anzusetzen. Für diese allerdings mag der Platz in der Kirche, an dem man bisher stand, saß, sang oder betete, nicht der geeignete Ort zu sein. Denn dafür müssten nach Fopp erst die „mit diesem Platz verbundenen Codierungen durchbrochen werden“1361. Ob ein verändertes Körpergefühl im Er1354 1355 1356 1357 1358 1359 1360 1361

Fopp 2003, 346. Vgl. Fopp 2003, 348. Wosien zitiert in: Vogler 1991, 98. Hedwig Kempkes-Oechsler zitiert in: Vogler 1991, 107. Horsch zitiert in: Vogler 1991, 107. Horsch 1987, 304. Vogler 1991, 80. Fopp 2003, 351.

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leben eines gewöhnlichen Gottesdienstrituals nicht doch möglich ist, werde ich anhand der Aussagen Tanzender zu zeigen versuchen. Die Geschichte der dargestellten Diskurse liegt historisch gesehen vor der Gründung des ökumenischen Vereins CAT, teils auch parallel zu den ersten Jahren. Im Verein werden die genannten Schlüsselthemen explizit und implizit weiterbearbeitet.

7.3 Die Christliche Arbeitsgemeinschaft Tanz in Liturgie und Spiritualität e.V. Das Interesse an einer möglichen Rolle von Tanz in der Liturgie, den theologisch-anthropologischen Implikationen des Tanzes für die individuelle und gemeinsame Glaubenspraxis im Christentum jenseits konfessioneller Grenzen sowie der Wunsch nach Verlebendigung der Gemeinden dürften zusammengeflossen sein in der Gründung des ökumenischen Vereins „Christliche Arbeitsgemeinschaft Tanz in Liturgie und Spiritualität e.V.“, abgekürzt CAT, 1997 im Kloster Aldersbach.1362 Vernetzungsbemühungen von Einzelnen führten engagierte, theologisch gebildete Tanzinteressierte und Tänzerinnen zusammen – zum Zeitpunkt der Gründung bestand der Verein aus zehn Mitgliedern: Barbara Dotzler-Okay, Peter Bock, Anke Kolster, Dr. Gabriele Wollmann, Melitta Matousek, Gerd Kötter, Maria Pagel, Hildegard Linn, Gabriele Koch, Wolfgang Burggraf, Stephan Leupold, Gertrud Prem und Barbara Jeanne Lins. Die Satzung gibt als Ziele des Vereins an: a) Vertieftes Verständnis für den Bewegungsausdruck und die Bewegungserfahrung im christlichen Glauben und im liturgischen Raum zu wecken. b) Bewegte Formen des Gebetes, kirchlichen Feierns und der Verkündigung zu fördern. c) Entsprechende Bemühungen miteinander zu verbinden.1363

Inhalt der Arbeit ist das gesamte Spektrum von Tanz und Bewegungsausdruck in Gottesdienst, Gebet, Meditation, Bibelarbeit, religiös-therapeutischer Arbeit, Religionspädagogik und Verkündigung u. a. in all ihren Formen, Stilen und Aufführungsweisen. 1998 gibt die Gründungsvorsitzende Anke Kolster eine Übersicht über die Tanzangebote im kirchlichen Raum in Deutschland heraus.1364 Im Titel findet sich der Begriff Kirchentanz1365, der anders als die in den USA eingeführte Bezeichnung Sacred Dance den kirchlichen Rahmen des Tanzens betont. Ebenso wie die Kirchenmusik kann Kirchentanz in der Gemeinde in verschiedenen Feldern und auf unterschiedlichen Niveaus praktiziert werden, von der Laientanzgruppe bis zur professionellen künstlerischen 1362 1363 1364 1365

Eine zusammenhängende historische Darstellung der Vereinsgeschichte liegt noch nicht vor. http://www.christliche-ag-tanz.de/content/satzung (2016/08/03). Kolster 1998. Dieser Begriff geht auf Anke Kolster zurück. Vgl. www.kirchentanz.de (2015/12/27).

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Performance. Der Begriff ist nicht auf bestimmte Tanzstile oder Funktionen des Tanzes festgelegt und hat dadurch das Potenzial, vor allem in reflexiven Zusammenhängen Gemeinsamkeiten zwischen den Szenen zu postulieren. Er existierte weit vorher, wie die bisherige Darstellung gezeigt hat, und wird in der Folge vielfach in der Literatur aufgegriffen1366. In anderen Sprachen werden parallele, aber auch divergierende Bezeichnungen verwendet. Das norwegische kirkedans sowie manche Verwendungen des Terminus Danse Liturgique, Sacred Dance (SDG), Liturgical Dance oder Church Dance sind verwandt durch ihre Weite. Gleichzeitig verweisen der Gebrauch der Worte Kirchentanz oder Danses d’Eglise häufig nur auf das historische Phänomen von Laien- und Klerikertänzen im Mittelalter. Dies trägt wiederum zu seiner Unklarheit bei. Obwohl der Begriff seinen Ursprung in der Praxis hat und einige sich damit identifizieren, bevorzugen Tänzerinnen häufig engere Bezeichnungen, die ihrer Spezialisierung eher gerecht zu werden scheinen1367. Der Verein verzeichnet über die zwei Jahrzehnte seines Bestehens ein beständiges Wachstum an Mitgliedern.1368 Neben anderen Netzwerken1369 von spirituell Tanzenden und zahlreichen Zusammenschlüssen bestimmter Schulen, die aus der Fortbildungsarbeit einzelner Protagonistinnen wie beispielsweise Maria Gabriele Wosien oder Friedel Kloke-Eibl hervorgehen, ist die CAT programmatisch kirchlich-christlich orientiert und in ihren Angeboten weitgehend auf Gemeindearbeit und Gottesdienst bezogen. Soweit ich das beurteilen kann, scheint die Religionspädagogik bei den organisierten Veranstaltungen weniger einbezogen zu werden, auch wenn einzelne Mitglieder mit Tanz religionspädagogisch arbeiten1370 und die Satzung den Bereich Religionspädagogik ausdrücklich berücksichtigt. Das Mitglieder-Profil des Vereins entspricht in hohem Maße den für diese Arbeit vorwiegend interessanten Tänzerinnen. Daher verdient der Verein exemplarisch für die Kirchentanzbewegung einen genaueren Blick. Die Bestandsaufnahme vom Beginn des Jahres 2016 bietet Einblick in Zielsetzungen, Mitglieder und deren Wirkungsbereiche. Alle im Folgenden verwertetenen Angaben stammen aus den Selbstbeschreibungen der Mitglieder, die auf der Homepage im Mitgliederbereich veröffentlicht sind. Mit Erlaubnis des Vorstands verwende ich die anonymisierten Daten. Die CAT e.V. ist außerhalb von kirchlich-institutionellen Strukturen entstanden. Deren ökumenische Ausrichtung liegt sicher unter anderem in ihrem Charakter als Bewegung der Basis begründet. Als Zielsetzung wird auf der Homepage angegeben: „Tanz und Gebärde als wichtige Erfahrungs- und 1366 Vgl. Echtler 2002, 25. Unter den Mitgliedern der CAT bezeichnen nur wenige ihr Tun explizit als Kirchentanz z. B. Anke Kolster, Kersten E. Pfaff. 1367 Beispiel: Sr. Monika Gessner (OP) bevorzugt den Begriff „Bibel getanzt“. 1368 1998 hat die CAT 30 Mitglieder, 2002 sind es erstmals über 100, 2018 sind es 217. Vgl. für die Zahlen der Mitgliederentwicklung http://christliche-ag-tanz.de/ (2018/09/07). 1369 Vgl. die Abonnenten der Zeitschrift „Kreise ziehen“, die Internetplattform „Choretaki“ u.v.m. 1370 Siegfried Macht u. a.

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Ausdrucksweise in den verschiedenen Formen von Liturgie und christlicher Spiritualität zu entfalten und weiter zu verbreiten.“1371 Der im Verein vertretene Kirchentanz integriert eine Vielfalt von Stilen: „Die vielfältigen Ausdrucksweisen umfassen Gebetsgebärde und leibliche Präsenz im (liturgischen) Raum, gemeinschaftlicher Kreistanz und Soloperformance, Improvisation und Choreographie. Dabei sind uns das tänzerische Niveau wie auch die theologische Reflexion wichtig.“1372 Einige Mitglieder treten auch als Autoren tanztheologischer und praktischer Beiträge hervor.1373 Der Verein veranstaltet im Zweijahresturnus Symposien mit wissenschaftlichen Vorträgen. Die Workshops der dazwischen liegenden Festivals repräsentieren unterschiedliche Verknüpfungsweisen von Tanz mit Spiritualität, Liturgie oder Bibelarbeit. Auf Kirchen- und Katholikentagen erfolgen Angebote sowohl von Seiten einzelner Mitglieder wie auch von Seiten des Vereins. Am Beispiel der Mitgliederstruktur wird ersichtlich, dass Kirchentanz vorwiegend von Frauen praktiziert wird – nur 28 von 203 Mitgliedern sind männlich.1374 Die im Verein organisierten Tänzerinnen üben soziale1375, pädagogische1376, kirchliche1377, künstlerisch-pädagogische1378 oder Gesundheitsberufe1379 aus, kaum andere.1380 Das formale Bildungsniveau scheint insgesamt hoch zu sein, angesichts der Mitglieder mit Doktortitel, akademischem Studium und kirchlichen Ämtern.1381 Die angegebenen Aktivitäten bewegen sich mehrheitlich im wei-

1371 http://christliche-ag-tanz.de/ (2015/12/27). 1372 http://christliche-ag-tanz.de/ (2015/12/27). 1373 So zum Beispiel Manfred Büsing z. T. mit Holger Kies , Gabriele Koch, Anke Kolster, Monika Kreutz, Siegfried Macht, Frieder Mann, Hannelie Jestädt, Ursula Biasin, Gertrud Prem, Roswitha Busch-Hofer, Heike Klaas u. a. 1374 Die Daten basieren auf der Mitgliederliste (Stand 2016), die auf freiwilliger Basis auch Angaben zu Beruf und Tanztätigkeit veröffentlicht. Nur ein Teil der Mitglieder gab entsprechende Informationen an. Da die hier verwendeten Angaben in stark verallgemeinerter Form eingeflossen sind, dürfte ein Rückschluss auf die Personen, mithin ein Missbrauch personenbezogener Daten, ausgeschlossen sein. Die Erlaubnis des Vorstandes wurde im März 2016 erteilt. 1375 15 Erzieherinnen und Sozialpädagoginnen; 1376 Ca. 35 üben einen Lehrberuf aus, unter anderem als Religionslehrerin, Rhythmik, Musikoder Sportlehrer. 1377 Etwa 10 Gemeindereferenten/Pastoralassistenten/Diakone, 15 Theolog_innen und 21 Pfarrer_innen stellen die größte Gruppe dar. Nimmt man die Religionslehrer hinzu, ergibt sich ein signifikant hoher Anteil an theologisch gebildeten Tänzern. Dazu kommen eine Reihe hauptamtlicher Kirchenmusiker_innen, darunter ein Kirchenmusikdirektor und ein Kirchenmusikprofessor. 1378 Tanzpädagoginnen, Tanztherapeuten, Tanzsozialtherapeuten, (semi-)professionelle freiberufliche Tänzer ca. 20. 1379 Einige Ärzte sind dabei, sowie Physiotherapeut_en u. ä. 1380 Eine Minderheit von Mitgliedern macht keine Angaben zum Beruf, einige wenige geben Ruhestand an. 1381 Mehrere Promovierte in Theologie, eine habilitierte Theologin, ein Kirchenrat, ein Kirchenmusikprofessor sind verzeichnet.

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ten Feld des meditativen Tanzes1382, wenige nennen dagegen Sakralen Tanz1383. Tanz im Zusammenhang mit Bibelarbeit stellt noch einen beachtlichen Anteil der Nennungen dar1384, gefolgt von Tanz in Gottesdiensten, als Gebet oder Liturgie1385. Unter den Mitgliedern, die Angaben gemacht haben, waren einige, die andere im weitesten Sinne kirchentänzerisch ausbilden1386. Außerdem wurden genannt: Ausdruckstanz (5) und Tanz für Aufführungen z. B. als Predigt (6), Tanzexerzitien oder Tanztage (mindestens 4), Folkloretanz (9), Bewegung, Körperschulung und Improvisation (6), Tanzprojekte mit professionellem Contemporary Dance (4), Tanztheaterprojekte (3), Liedtänze für den Religionsunterricht, teils mit Neuem Geistlichem Lied (5), Tanz und Natur (2), Stile wie authentic movement oder Jazz Dance (jeweils 1-mal), Tanz mit Yoga, Quigong, Märchen, argentinischer Tango, als Tanzfest und allgemein Spiritualität (jeweils 1–2mal). Der Verein ist mit dem Deutschen Bundesverband Tanz (DBT), der Deutschen Bischofskonferenz und dem Deutschen Liturgischen Institut durch etablierte Kontakte vernetzt. Einige Mitglieder gehören Orden an, meist Dominikanerinnen. Institutionen wie das Deutsche Liturgische Institut, die Evangelische Trinitatis Kirchengemeinde Bonn, das katholische Tagungshaus Ohrbeck (Ehrenmitglied), die Hochschule für evangelische Kirchenmusik Bayreuth, das Institut St. Dominikus Speyer, der Verein Kairos e.V., die katholische Landvolkshochschule Der Petersberg, das Kloster Hegne, die evangelische Liturgische Konferenz Niedersachsen e.V. und die Liturgische Tanzgruppe Mirjam Fuldatal sind juristische Mitglieder.1387 Die organisierten Kirchentänzer erreichen über ihre Angebote in Tagungshäusern, Gemeinden und auf den Kirchen- sowie Katholikentagen eine Vielzahl von Menschen.1388 Die meisten, die über ihre Angebote Auskunft geben, erwähnen regelmäßige Angebote entweder für feste Gruppen oder in offener Form in unterschiedlichen Formaten (monatlich, jährlich, Tanzabende, Tanztage, Wochenenden, ganze Wochen als Tanzurlaub u. ä.). Die in der CAT vertretenen Stile und Formate repräsentieren die christlichspirituellen Tanzszenen im Bereich der Großkirchen sehr gut. Eine Übersicht über die Formen von Tanz und Bewegung im evangelikalen oder pfingstkirchlichen Bereich ist auf der gegebenen Datenbasis nicht möglich. Einen Einblick in die je spezifische ästhetische Erfahrung einiger Stile beschränke ich im Teil C auf diejenigen, die in den Gesprächen (Teil B) erwähnt wurden. Der Diskurs der 1980er und 90er Jahre kann in der Gegenwart aus einem gewissen Abstand heraus betrachtet werden. Die Darstellung des Wirkens der CAT bildet die Brücke zur Gegenwart. Doch noch stellt sich kein lebendiger 1382 1383 1384 1385 1386 1387 1388

Über 30 Angaben. Nur 7 Angaben. 14 Angaben. Gottesdienste werden 13mal genannt, Gebet und Liturgie 10mal. 8 Angaben. Angaben nach dem gedruckten Mitgliederverzeichnis von September 2014. Genaue Zahlen existieren nicht.

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Eindruck der Möglichkeiten dieser Szenen ein. Während in Teil B den Tanzenden das Wort gegeben werden soll, um aus ihrer Sicht zu erzählen, was ihnen wichtig ist, steht nun ein Einblick mit anderer Methodik an. Einige exemplarische eigene Erlebnisse im Feld stehen an dieser Stelle zur Verfügung. Sie bieten den subjektiven Blick der Forscherin, die zu jenem Zeitpunkt zwar schon einige Reflexionen zum Thema angestellt hatte, aber beileibe noch keinen systematisch zu nennenden Überblick besaß. Beides, Schlüsselthemen des Diskurses und ausgewählte Wahrnehmungen, Schönes und Irritierendes aus der Teilnehmenden Beobachtung unterziehe ich in Teil C einer Reflexion unter anderem im Vergleich mit den Aussagen der Gesprächspartner. 7.4 Zur Situation anhand von teilnehmender Beobachtung Mit der Methode der dichten Beschreibung1389, einer phänomenologisch orientierten Wahrnehmung aus der Erste-Person-Perspektive gebe ich im Folgenden exemplarisch Einblick in drei unterschiedlich akzentuierte spirituelle Tanzangebote für Laientänzer_innen, bzw. Tanzleiter_innen sowie einen öffentlichen Tanzgottesdienst. Zur Methodik der Forschungsarbeit nehme ich zu Beginn des empirischen Teils B Stellung. Die Beschreibungen wurden jeweils in zeitlicher Nähe zur entsprechenden Veranstaltung von mir angefertigt und geben neben Informationen auch meine subjektiven Eindrücke wieder. 7.4.1 Ein Tanztag mit meditativen Kreistänzen Im evangelischen Gemeindehaus einer Kleinstadt treffen sich auf Einladung von drei Tanzleitenden etwa zwanzig Frauen und zwei Männer aus einem Umkreis von rund 50 Kilometern. Die Veranstaltung ist als Tanztag ausgeschrieben, ein gängiges Format, wie ich aus meinen Recherchen weiß. Der Rahmen lässt meditative Tänze erwarten, also Tanzen nach festen Schritten in Reigenformen. Obwohl sich nicht alle bereits kennen, ist die Atmosphäre freundlich und gelöst. Ich bin gespannt und registriere mit Interesse die Äußerungen in der Vorstellungsrunde. Viele betonen, sie freuten sich auf die Tänze. Die Tanzleiter stellen sich vor. Die Tänze haben Kirchenjahresbezug. 7.4.1.1 Tänze zur Passionszeit aus der Finnischen Messe Die Veranstaltung beginnt mit vier bis fünf Tänzen aus der sogenannten Finnischen Messe. Jene scheint vielen schon vertraut zu sein. Zu Beginn liest 1389 Vgl. Geertz 1987. Zur dichten Beschreibung siehe unten B 0.

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die Tanzleiterin einen besinnlichen Text. Mein Blick schweift zur gestalteten Mitte. Dort liegt ein Tuch aus nachtblauem Samt, darauf eine große weiße Muschel, ein trockener gewundener Ast, ein Teelicht im Glasschälchen. Der Text spricht von der Nacht, dem Dunkel, es klingen Lebenserfahrungen einer gewissen Schwere an. Ein Bild bleibt hängen: die Nacht durchzieht ein Riss, durch den es hell scheint. P zeigt die Tanzbewegungen und Schritte, erklärt dazu, was sie tut, alle dürfen gleich mitmachen. Ein paarmal werden die Schritte wiederholt, bis alles klar ist. Anschließend setzt die Musik ein, beim Tanzen wird nun nicht mehr gesprochen, die Anweisungen werden beim ersten Mal auf das Nötigste beschränkt, beim zweiten und dritten Tanzen erfolgen alle Impulse nur noch nonverbal. Vor der Einführung jedes Tanzes werden einige Sätze verlesen, mal ein Kurzkommentar zu einem Teil der ursprünglichen Finnischen Messe, mal die deutsche Übersetzung eines Liedtextes der Messe. Die finnischen Lieder thematisieren Glaubenserfahrungen in heutiger Sprache, die Sinnsuche, das Wenden an einen Erlöser. Charakteristisch für die Tänze scheinen der Dreiertakt und viele Drehungen zu sein. Auch wenn die Lieder von den Schwierigkeiten des Exodus und der Sehnsucht nach Veränderung reden, ist die Musik eher schwungvoll. Die optimistische Tönung kann ich mir mit der Hoffnung auf Befreiung erklären. Die Lieder sind harmonisch eher einfach gestrickt und eingängig. Der Entstehungskontext von Jugendgottesdiensten im Finnland der 1980er Jahre fällt mir ein. Vermutlich hatte dieser Stil seine Zeit. Dennoch ziehen mich die Tänze in ein Geschehen hinein. Gleich der erste Tanz fordert einiges an körperlicher Koordination durch Drehungen und Überkreuzschritte, bei denen teilweise der Oberkörper spiralartig in die dem Schritt entgegengesetzte Richtung gedreht wird. Die Teilnehmenden haben offenbar Tanzerfahrung, sie tanzen recht bald die Schritte im Tempo mit. Ungenauigkeiten werden nicht korrigiert, sie verlieren sich auch zunehmend, je öfter die Schritte sich wiederholen. Diese erste Tanzeinheit dauert etwas mehr als eine Stunde. 7.4.1.2 Ein Pausengespräch In der Pause komme ich ins Gespräch, unter anderem mit einer Frau, die erklärt, inwiefern das Tanzen für sie Meditation ist. Sie komme dabei zu sich, sie finde Ruhe und gleichzeitig komme sie „in ihre Kraft“. Sie könne sowohl Ruhe als auch Energie spüren. Das Tanzen helfe ihr, Abstand zu gewinnen gegenüber belastenden Problemen. Daher finde sie auch seelische Entlastung, sie fühle eine „heilende Wirkung“. Musik und Tanz gäben ihr einen Zugang zu intensiven Gefühlen und böten Formen, diese mit einem körperlichen Ausdruck zu füllen. Beim Tanzen könne sie zeitweise „außer sich“ sein und zeitweise „in sich“. Als ich das höre, habe ich den Eindruck, sie redet von den beiden klassischen Richtungen spiritueller Erfahrung, der Ekstase und der Kontemplation. Ich bin gespannt, ob dies andere Äußerungen auch noch

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bestätigen werden. Tatsächlich höre ich im Gruppeninterview1390 im Anschluss an den Tanztag noch mehr davon. 7.4.1.3 Eine Übung zur Körperwahrnehmung Der Raum ist inzwischen umgestaltet. Tücher liegen schön drapiert auf dem Boden, dazu auf jedem Tuch ein Tennisball. Die zweite Tanzleiterin fordert uns auf, durch den Raum zu gehen, in „unserem Tempo“. Dazu spricht sie von der kirchenjahreszeitlichen Einordnung der Passionszeit. Jede solle sich einen Platz im Raum suchen bei einem Tuch und sich dort hinstellen. Eine KörperÜbung folgt, mit Händereiben, die Hände werden auf das Gesicht gelegt, die Schultern massiert, Arme und Finger ausgestrichen, dann die Beine vom Rücken aus. Die Berührung aktiviert, ich merke die Veränderung im Fußgefühl nach dem Massieren mit dem Tennisball. Mein Körper fühlt sich lebendig an, die Berührung ruft eine veränderte Wahrnehmung und Befindlichkeit hervor. Wir dürfen die Tücher hochnehmen und sie am Platz stehend bewegen. Im Spiel mit dem Tuch bewegen wir uns anschließend durch den Raum, und zunehmend beziehen wir den Kontakt mit anderen mit ein. Es macht Spaß. Manche sind zum Kontakt bereit, und es ergeben sich kommunikative Begegnungen über die Tücher, Spiele mit Nähe und Distanz. Es folgt eine Pause. 7.4.1.4 Choreographien zur Johannes-Passion Bald geht es weiter, ein Tanzleiter kündigt Tänze zur Johannespassion von Bach an. Als Einstieg dient ein Tanz zu einem Klavierstück aus einem KonzertLivemitschnitt. Der Leiter hat die Choreographie selbst entworfen. Zur Erklärung der Schritte pfeift er beeindruckend sicher die Melodiemotive vor. Die Struktur der Choreographie arbeitet die musikalischen Motive, etwa den Wechsel von Melodiemotiven (Arie und Glöckchen) heraus. Die Musik spricht mich sehr an, auch die genaue musikalische Analyse des Tanzleiters, die es mir möglich macht, die Motive leicht wiederzuerkennen. Der Wechsel der Tanzmotive erfolgt an der Musik entlang. Wir sind auf genaues Hören angewiesen. Ein intensives Musikerlebnis erschließt sich mir über diese Form der Umsetzung. Die Tänze zur Johannespassion arbeiten mit einigen wenigen Schrittmotiven, die variiert werden. Diesmal tritt zur Musik Text hinzu, mit dem die Schritte motivisch korrespondieren. Die Rufe Herr im Eingangsstück erhalten eine eigene Bewegung, eine Öffnung der Arme mit aufgerichtetem Körper, dazu werden zwei deutliche Schritte gesetzt. Die Handfassung wird dazu gelöst, jede setzt ihre Schritte zwar gleichzeitig, aber individuell in verschiedene Richtungen an ihrem Ort. Vor zwanzig Jahren sang ich dieses 1390 Vgl. die Angaben im Literaturverzeichnis, Empirische Quellen 13.

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Oratorium selbst im Chor mit, Musik und Text sind mir immer noch vertraut. Der Bezug zu den Worten hat sich inzwischen allerdings verändert, so dass ich das immer wiederkehrende preisende „Herr, unser Herrscher“ als durchaus fremd empfinde, genauso wie die körperliche Geste des Öffnens der erhobenen Arme zu diesem Text. Musikalisch war es stimmig. Schließlich nähere ich mich beim Vollziehen der fremden Bewegung dann auch mit neuerwachtem Interesse dem Text, der biblische Gottesanreden anklingen lässt. Die getanzten Stücke der Johannespassion liefern in ihren Arien und Choraltexten immer wieder Motive, die zu tänzerischen Elementen verarbeitet werden. In einem Tanz werden die Bibelworte „Wohin sollen wir gehen?“ mit einem Schrittmuster belegt (Ausfallschritt und zurück mit Gewichtsverlagerung auf den anderen Fuß zum Ausgangspunkt), die Hände dürfen frei bewegt werden in Andeutung einer fruchtlosen Suche der Jünger. Ein anderer Tanz bewegt sich zwischen unterschiedlichen Perspektiven, die das Libretto anbietet – das Aufsehen zu Gott, dem Ruhm zusteht, das Denken an den Weg der Passion und das Empfinden der Niedrigkeit der eigenen Person. Die Schrittmuster im Kreis, teilweise Zacken und Mäander erinnern mich an eine Dornenkrone. Andererseits wird mir auch klar, dass der Wechsel von Rühmen angesichts der Passion und der eigenen niedergedrückten Demut wiederum ein mir im Moment fremder Gestus ist. Eine feste Form wird geboten, die ich zunächst einfach tänzerisch fülle, das Gefühl kommt dem nur zögerlich nach. An einer anderen Stelle geht es um die Trauer des Petrus über sein Unvermögen, zu Jesus zu stehen. Die angebotene Bewegung kommt mir klischeehaft1391 vor (Hände vors Gesicht), ich versuche anderes. Der eigene Ausdruck wird hier wie an mehreren weiteren Stellen vom Tanzleiter ausdrücklich ermutigt. Insgesamt ergibt das eine spannende Mischung von eigener Auseinandersetzung mit den musikalischen und textlichen Vorgaben der Johannespassion.

7.4.1.5 Weitere Pausengespräche In der Mittagspause mit einem aus mitgebrachten Speisen zusammengestellten kalten Buffet ergeben sich Gespräche mit verschiedenen Frauen über ihren Zugang zum Tanzen und ihre Erfahrungen damit. Ich spreche eine Frau an, die während der letzten Einheit eine relativ zurückhaltende Körpersprache und Mimik hatte. Sie erzählt, dass klassische Musik ihr nicht so liegt, sie bevorzuge die Finnische Messe. Die Schwere der Musik von Bach mit dem recht fremdartigen Text biete ihr weniger Möglichkeit, sich frei zu fühlen und in der Musik sowie im Tanz aufzugehen. Besonders beeindruckt mich eine Teilnehmerin, die den Versuch macht, 1391 Diese Feststellung ist nicht abwertend gemeint, eher diagnostizierend. Auch Pina Bausch beschäftigte sich angesichts der Bewegungsideen ihrer Tänzer mit der Frage, was Klischee ist und was nicht.

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ihren Bewusstseinszustand beim Tanzen genauer zu bestimmen. Sie gebraucht probeweise das Wort „Trance“, eine Art waches Wahrnehmen dessen, was sich über die Sinne vermittelt, das Körperempfinden, das Spüren der anderen im Kreis, während der verbale Gedankenfluss zum Erliegen kommt und das Tanzen selbst das Innere ausfüllt. 7.4.1.6 Ostern entgegentanzen mit Bach und Folklore Am Nachmittag folgen weitere Tänze zur Musik von Bach. Ostern wird nun thematisiert, da der Tanzleiter uns aus der Passionsstimmung herausführen will. Ein österliches Motiv stammt aus der letzten Nummer der Passion. Ein weiteres Stück ist aus einem weltlichen Hymnus Bachs auf den Landesherrn entnommen, in dessen Schutz die Menschen sicher wie Schafe weiden können. Die Tanzleiterin nimmt anschließend die Teilnehmenden zur griechischen Musik wortlos mit, die Tanzenden schauen den Schritt ab und versuchen sich einzuklinken. Anschließend führt sie mit dem Verweis auf die Ostersonne das Thema Sonnentänze ein und erklärt die Schritte des Tanzes Kalimera. Weitere Tänze unterschiedlicher Herkunft werden nebeneinandergestellt, darunter der von Bernhard Wosien choreographierte Sonnentanz, ein Tanz zur Musik von Angelo Branduardi zum Sonnengesang des Franz von Assisi und ein Sonnentanz aus indianischer Tradition. Der indianische Tanz hinterlässt bei der Runde einen tieferen Eindruck. In der Schlussphase wird er auf vielfachen Wunsch hin wiederholt. Die Bewegungen unterscheiden sich von anderen meditativen Tänzen. Zuerst werden die Hände vor den Körper in Höhe des Unterleibs gehalten, sie schlagen wie auf ein Trommelfell in die Luft, rechts, vorne und links. Dazu wippen die Beine locker in den Knien. Es folgt eine springbrunnenartige Bewegung der Hände von unten nach oben, was mehrfach wiederholt wird. Der englische Kehrvers des indianischen Liedes wiederholt sich lange, dazu gehört ein Gehen in Tanzrichtung mit Anstellschritten, während die rechte Hand im oberen Rücken der Vorderfrau ruht. Schließlich wird der Tag durch einen Ostertanz aus der Finnischen Messe und einen weiteren Tanz abgerundet. Einige Teilnehmerinnen bleiben, um meine Forschung zu unterstützen und erzählen über ihre individuellen Zugänge zum Tanz.1392 7.4.1.7 Reflexion der eigenen Eindrücke Der Tag hinterlässt zahlreiche Fragen. Ist Tanz ein Weg, auf dem Menschen ihren Glauben ausdrücken oder vertiefen können? Die Veranstaltung war von Mitgliedern eines christlich-ökumenischen Tanzvereins im Gemeindesaal 1392 Große Teile dieses Gruppengesprächs sind in B 2.5.4 abgedruckt.

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einer katholischen Kirche durchgeführt worden. Die Gespräche zeigten: Religion und Glaube aus christlicher Herkunft werden von den Einzelnen sehr unterschiedlich konnotiert, überwiegend werden damit offenbar Glaubensinhalte und bestimmte für wahr zu haltende Sätze verbunden. Am ehesten steht die Tanzerfahrung noch mit dem schillernden Begriff Spiritualität in Beziehung. Deutlich überwiegt bei den Schilderungen der Wirkungen der Tänze die individuelle psychische Dimension. Tanzen tut gut, unterschwellig vollziehen sich prozessartig Veränderungen, das Befinden wird durch diese Praxis transformiert. Geht es um die unsichtbare Religion in der sichtbaren?1393 Die Gesprächspartnerinnen sind noch Kirchenmitglieder, haben aber eigene Präferenzen, die dem Mainstream1394 kirchlicher Frömmigkeit nicht entsprechen. Sie bevorzugen vor allem mystische Traditionen, quer zu den Religionsgrenzen von Sufismus bis zu ostasiatischen Meditationswegen. Sind vor diesem Hintergrund diejenigen Bemühungen der CAT, die die Liturgiefähigkeit des Tanzes fördern wollen, nicht obsolet? Diejenigen, die vom Tanzen stark angesprochen werden, suchen nicht in erster Linie einen Weg, die Liturgie zu verlebendigen. Die Gestaltung individueller Spiritualität und der Zuwachs an Erfahrungen, die von den Teilnehmerinnen als heilend qualifiziert werden, stehen im Mittelpunkt. Im Gegenzug rufen die in Tanz gegossenen biblischen Texte entweder Widerstand hervor oder werden schlichtweg ausgeblendet. Eine tänzerische Auseinandersetzung mit Bibeltexten durch choreographierte Tänze ist auch für Menschen, die in diesen Kreisen sehr gerne tanzen, nicht unbedingt ein einfach zu bewältigender Weg. Es stellt sich die Frage nach den Gottesvorstellungen und dem, was an den Tänzen für die Tanzenden tatsächlich religiös konnotiert ist. Dabei ergibt sich die Schwierigkeit, dass die Tanzenden selbst ihr Tun nicht immer als religiöse Praxis einstufen, zumindest nicht, wenn sie danach gefragt werden. Ich vermute, solange ein religiös-substantielles Verständnis bei mir als Interviewerin angenommen wird, scheint das Religiöse eher abgewehrt zu werden. Spiritualität dagegen ist den Tänzerinnen als Begriff offen genug, um das der Seele Wohltuende auch auf Unbedingtes, eine unverfügbar von außen zukommende Wirklichkeit, zu beziehen.

1393 Vgl. Luckmann 1991. 1394 Damit meine ich ein Konstrukt, das sich dann ergäbe, wenn die z. B. in Veröffentlichungen der EKD ausgedrückten Vorstellungen von evangelischer Spiritualität nebeneinander gelegt würden.

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7.4.2 Ein Wochenende mit Tanz und Bibelarbeit 7.4.2.1 Gedanken und Erwartungen vor Beginn Einige Monate zuvor hatte ich mich bereits zum Seminar eines Tanztherapeuten und evangelischen Pfarrers angemeldet. Das Thema ist eine Bibelstelle, der Kampf am Jabbok (Gen 32), laut Ausschreibung unter dem Fokus des Ringens um Gottes Nähe und Begleitung. Dies soll erschlossen werden mit Kreativem Tanz.1395 Zum Seminar haben sich sechs Teilnehmerinnen gemeldet. Ich erwarte, dass es anhand von Jakob um das Motiv des Kampfes geht, mit Bezug auf eigene Kämpfe. In Genesis 32 wird die Begegnung Jakobs mit einem Unbekannten nachts am Fluss erzählt. Ich frage mich, was dieser starke Text bei mir wohl an eigenen Lebenserinnerungen auslösen wird. Im Alltag versuche ich dunkle Momente lieber zu verdrängen. Im Tanz geht so ein Thema wohl viel näher als im Gespräch. Aus eigenen Erfahrungen kenne ich die Schwierigkeit, zu einem Text in die freie Bewegung zu kommen, ohne pantomimisches Nachspielen von Textelementen. Daher bin ich nun sehr gespannt, wie der Kursleiter mit diesen durchaus texthermeneutisch zu nennenden Problemen umgehen wird. Ich bin auch gespannt, was die Rolle der Musik betrifft. Im Gespräch mit dem Kursleiter hörte ich zuvor, wie wichtig ihm die sorgfältige Auswahl ist. In vielen anderen Seminaren ist mir jedoch auch der Gedanke begegnet, den Text selbst die Musik sein zu lassen, die den Tanz führt. 7.4.2.2 Eine kleine Seminargruppe von Frauen Beim Abendessen in dem evangelischen Tagungshaus gelingt es schnell, sich miteinander bekannt zu machen. Wie in Tanzkreisen üblich stelle ich mich mit meinem Vornamen vor. Auf meine Nachfrage erzählen einige, dass sie schon mehrmals dabei waren. Nur A ist wie ich das erste Mal dabei. R findet durch den Kreativen Tanz einen besonderen Zugang zur Bibel, es gehe viel tiefer, meint sie. Dadurch, dass der Körper dabei ist, sind auch die Gefühle besser spürbar. Die Bibeltexte kommen näher, da sie ins Erleben hineingenommen werden. S ist schon seit 20 Jahren immer wieder dabei. Sie kommt vom Tanzsport. Die schwierige Seite leistungsorientierten Tanzens deutet sie an, indem sie Erfahrungen mit Punktrichtern durchblicken lässt. Das habe sie hinter sich. Inzwischen genieße sie es, sich beim Kreativen Tanz auf ihre eigene Art bewegen zu können. Der Leistungsgedanke sei hiermit nicht vereinbar. Das biblische Tanzen wolle sie ganz entschieden von sportlichen Ambitionen frei halten. 1395 Kreativer Tanz beruht auf der Bewegungslehre von Rudolf von Laban.

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7.4.2.3 Erste Erfahrungen mit der „Körperreise“ In einem nicht allzu geräumigen Gruppenraum mit schönem Parkettboden finden sich alle ein und nehmen im Kreis Platz um eine gestaltete Mitte aus einer Tonschale mit Kerzen und einem kleinen bunten Holzkreuz im Stil der Frauen aus Nicaragua, daneben einer aufgeschlagenen Bibel, die auf der linken Buchseite ein Chagall-Bild zeigt, den Kampf Jakobs mit dem Engel. Um dieses Arrangement herum sind zahlreiche bunte Chiffontücher wie Blütenblätter angeordnet. Wir sitzen auf dicken Yogakissen. Der Leiter eröffnet den Abend, indem er die Struktur des Wochenendes sehr knapp erläutert. Anschließend nutzen in der Vorstellungsrunde viele die Gelegenheit, zu betonen, wie viel ihnen die Teilnahme an der bewegten Bibelarbeit bedeute. Sie wollen es immer wieder machen und dabei bleiben. Es folgt eine erste Bewegungseinheit. Wir stehen auf und tanzen am Platz, angeleitet zu einer „Körperreise“. Sie besteht darin, unterschiedliche Körperteile zu fokussieren und diese zu bewegen, von unten (Füße, Knie) über die Mitte (Hüfte, Bauchnabel, unterer und oberer Rumpf) nach oben (Schultern, Nacken und Kopf). Ich bin ganz bei mir, vermeide es, die anderen zu beobachten. Das käme mir übergriffig vor. Schließlich beobachten die anderen mich ja auch nicht, denke ich. Trotzdem rechne ich immer ein bisschen damit. Später sprechen mich manche auf die Art, wie ich tanze an, also wurde ich doch beobachtet. Das Bewegen geht gut, allerdings kann ich nicht die Füße bewegen, ohne auch den Rest des Körpers irgendwie zu beteiligen. Anschließend bekommen wir die Aufgabe, einen Körperteil isoliert zu bewegen. Bei mir ergibt es sich, dass sich der Kopf bewegt und den Rest des Körpers anführt. Das tue ich einfach, ohne darüber nachzudenken. Später in der Gesprächsrunde überlege ich, warum es ausgerechnet der Kopf war. Vielleicht hatte ich Lust dazu, weil ich die letzten eineinhalb Tage in kopflastigen Sitzungen verbracht hatte? Dem isolierten Bewegen folgt eine Zeit der Bewegung unter dem Thema „Ganz bei mir“. Dazu hole ich mir wieder das Yogakissen etwas näher und probiere Bewegungen am Boden aus, der Boden dient als Partner, ich schmiege mich an, gebe mich hin und entdecke dabei die Beziehung von Hand und Fuß. Später sage ich, wie sehr diese Verbindung von Hand und Fuß ein Signal an mich war, dass ich und mein Tun redensartlich „Hand und Fuß“ haben möchten. Die spielerische Kontaktimprovisation mit Hilfe eines Massageballes, der zwischen den Körpern zweier Tanzpartner bewegt werden sollte, ohne zu Boden zu fallen, sorgt für seltsame Verrenkungen und teils für Körpernähe, die sich sonst nicht ergeben hätte und nicht immer eindeutig angenehm war. Es kommt aber auch zu manchen komischen Situationen, häufig zum Verlieren des Balles, was Gelächter auslöst. Nach der Gesprächsrunde gibt es noch einen letzten freien Tanz zur Musik eines aktuellen Popsongs. Mir fällt auf, dass ich beim Tanzen bewusst auf mich selbst und meine Bewegungen konzentriert bin. Den anderen möchte ich im

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Moment nicht zusehen, vielleicht aus Sorge, dann für mich selbst den Faden zu verlieren. Wir nehmen wiederum Platz auf dem Boden, um die Lesung eines Bibeltextes zu hören. Die Schöpfungsgeschichte aus Genesis 1 stellt eine Brücke dar zwischen dem Segen in Genesis 32 (Jakob erhält im Kampf Segen) und dem Handeln Gottes am Beginn der Welt, so erläutert es der Leiter. Nach dem Aaronitischen Segen, den wir im Stehen empfangen, löst sich die Runde auf. 7.4.2.4 Abendgespräch über Männer in der Tanzszene Danach setze ich mich mit einigen Teilnehmerinnen und dem Leiter zusammen. Der Pfarrer erzählt von seiner Arbeit in der Gemeinde. Zwei Abende die Woche bietet er Tanz an, darunter einen regelmäßigen Kurs über acht Abende. Etwa zehn Frauen sind dabei, Männer konnten nicht für längere Zeit für die Teilnahme gewonnen werden. Oft kommen sehr viel ältere Männer. Männer hätten oft wenig Beziehung zu ihrem Körper als Sensor und Ausdrucksmedium für Gefühle. Sie sind dazu erzogen worden, Gefühle nicht an die Oberfläche kommen zu lassen. Männer, die teilgenommen haben, waren häufig zwar motiviert, ihre Grenzen zu überschreiten und Neues zu wagen, dann aber doch zu gehemmt. Sie empfanden die freie Bewegung als Überforderung. Der Tanztherapeut bedauert es, keine Kräfte frei zu haben, um Angebote speziell für Männer zu konzipieren. Dazu brauche es auch geeignete Räume. Sein Kirchenraum in der Gemeinde sei nicht einladend genug und könne den nötigen Schutz, den insbesondere Männer brauchten, nicht bieten. 7.4.2.5 Spannung zwischen Struktur und Freiheit Am nächsten Morgen beim Frühstück begrüßen sich alle freundlich. Im Tanzraum fällt mir die gestaltete Mitte erneut auf. Diesmal kommt sie mir dominant vor, ich fühle mich in die Kreisform „eingepasst“. Tatsächlich verbringen wir den Vormittag jede an ihrem Platz im Kreis, in der gleichen Ordnung wie am Vortag. Die Übungen beziehen den Raum nicht ein, stellenweise versuche ich, von „meinem“ Platz weg zu tanzen und Kontakt zu Mittänzerinnen zu suchen. Besonders eine gefällt mir, sie bewegt sich phantasievoll und schön. Dabei fühle ich mich jedoch beinahe rebellisch, es ist offenbar so nicht gedacht, denn alle anderen bleiben, wo sie sind. Auch die Kontaktaufnahme funktioniert kaum. Anders als gestern sehe ich mir nun auch hin und wieder an, was im Raum passiert. Das löst unterschiedliche Empfindungen aus, von Sympathie bis Verlegenheit z. B. bei Bewegungen, die ich als zaghaft wahrnehme. Ähnlich wie am Vortag werden von unten nach oben alle Körperteile oder Körperpartien bewegt, anschließend von oben nach unten, indem die Einzelteile sich miteinander verbinden.

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Zu Beginn liest der Leiter einen längeren Bibeltext vor. Er kündigt die Lesung sowie andere Lesungen als Segenstexte an. Der erste, Gen 12, erzählt den Ruf an Abraham und den Aufbruch mit den ersten Reiseetappen. Ich merke, dass das Aufbruchsmotiv mit der Aufforderung, die Heimat zu verlassen, mich viel stärker trifft, als die Versprechen der göttlichen Stimme. Nach einer Bewegungseinheit wird Psalm 24 vorgelesen. Die Lesungen sind ausdrucksvoll, nicht aufdringlich vorgetragen, das gefällt mir. Mir wird bewusst, dass der erste Bibeltext in meinem Tanzen gar nicht vorkam. Zwar versuche ich, ein paar Gedanken zu behalten, das gelingt aber nicht so recht, da ich mit den Bewegungsaufgaben beschäftigt bin. Beim Mittagessen erfahre ich, dass die Texte im Seminar noch eine Rolle spielen werden, im Gottesdienst am Sonntag. Daher seien sie schon zu Gehör gebracht worden. Die Übungen orientieren sich an Bewegungsthemen Labans, die sich mit den Parametern Zeit, Raum und Kraft verbinden. Die Qualitäten plötzlich und kontinuierlich werden unter dem Begriffspaar Jetzt und Immer angekündigt. Dazu werden zwei unterschiedliche Musikstücke gespielt, das eine lädt eher zu plötzlichen Bewegungen ein, das heißt, solchen, die einen klaren Anfang und ein klares Ende haben, das andere bietet mehr Anregung für kontinuierliche Bewegungen. Ähnlich werden die Qualitäten direkt und indirekt eingeführt. Diese fallen mir deutlich leichter umzusetzen. Ich ordne sie jetzt klar nur einem Musikstück zu. Auch die Mittanzenden kommen mit dem Bewegungsthema gut zurecht. Zum Thema Kraft führt der Leiter die Laban’schen Bewegungsqualitäten fest und zart ein. Ein stark rhythmischer Popsong erklingt. Es fällt mir leicht, der Musik die Qualität fest zuzuordnen, und ich versuche, mich entsprechend zu bewegen; im Kopf läuft zuweilen der Gedanke mit „mache ich das jetzt richtig?“ Bei der Qualität zart holen mich die Selbstzweifel nicht mehr ein, ich bin ganz im Bewegungsfluss und kann es genießen, wie ich von meinen eigenen Ideen überrascht werde. In der anschließenden Gesprächsrunde äußern die Teilnehmerinnen systematisch an der Folge der Qualitäten entlang, welche ihnen leicht fielen, zusagten, sie ansprachen und welche Widerstände auslösten, nicht so gerne angenommen wurden oder Fluchtgedanken erzeugten. Mittags erfahre ich, wie sehr dieser Umgang mit den Bewegungsqualitäten für die Teilnehmerinnen transparent ist auf ihre Befindlichkeit. Es gelingt ihnen, daraus Hinweise auf ihre eigene Lebenshaltung zu erschließen, obwohl dies in der Gesprächsrunde nicht explizit wird. Auch die Laban’schen Bewegungsdimensionen werden in ähnlicher Weise erarbeitet. Mit einem letzten freien Tanz werden wir in die Mittagspause entlassen. 7.4.2.6 Tanz zwischen Kunst und therapeutischem Ansatz Der Nachmittag beginnt nach Pause und Kaffeetrinken mit dem bereits bekannten Schritt für Schritt durch die Körperteile spüren, sie bewegen und

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schließlich verbinden. Alle machen bereitwillig mit, die meisten kennen das Ritual schon gut. Ich habe langsam das Gefühl, den Ablauf auswendig zu wissen, die Aufmerksamkeit sinkt. Endlich kommt es nun in den Bewegungsaufgaben zur Einnahme des Raumes. Die Anleitung regt an zu Bewegungen am Platz, deren Impulse von Körperteilen ausgehen, dann zu Bewegungsimpulsen, die sich in den Raum hinein richten, in unterschiedliche Richtungen und schließlich in Impulse, die den ganzen Raum einbeziehen. Es darf zu Begegnungen kommen, nicht forciert, aber nun erlaubt, so interpretiere ich es. Eine Gesprächsrunde im Sitzen, jeder auf seinem Platz, folgt. Die Teilnehmerinnen beschreiben, was ihnen leicht fiel, was sie erlebt und wahrgenommen haben. Mehrfach höre ich die Äußerung, man habe sich lebendig gefühlt, die Erweiterung der Bewegungsmöglichkeiten genossen. Eine Teilnehmerin erkennt für sich, dass sie weniger Kraft und Lebensfreude spüre, als sie es sonst und früher erlebt habe. Auf die meisten Äußerungen antwortet der Leiter in einer wohlwollend beratenden Haltung. Besonders bei einer Teilnehmerin mahnt er zur Geduld, was sie bereitwillig aufgreift. Der in Tanztherapie ausgebildete Leiter interveniert immer wieder recht konkret in den Gesprächen. Die Gruppe rechnet anscheinend damit, mich haben die beratenden Interventionen jedoch irritiert. Brechen hier Unterschiede auf zwischen einer therapeutisch verstandenen Arbeit mit Bibel und Tanz und einer eher bildungsorientierten, die sich an subjektorientierten Ansätzen ausrichtet? Einen Vergleich mit einer anderen therapeutisch ausgerichteten Bibelarbeit kann ich momentan nicht leisten, erinnere mich aber an die Tanzangebote einer anderen Leiterin im Rahmen von Trauerbegleitung oder der Begleitung von Menschen mit Gewalterfahrung. Ob das Erzählen von den Tanzerfahrungen, das zu dieser Arbeit dazu gehört, dort ebenfalls in Beratung mündet? Ich kann mir die Frage nicht beantworten, bin aber froh, dass auf meine Selbstmitteilung hin keine weiteren Deutungen durch den Leiter hinzutreten. Nun liest der Leiter die Geschichte vom Kampf am Jabbok vor, eine frei gestaltete Erzählung. Das archaische Element des Kampfes mit einem geheimnisvollen Mann wird darin in die Traumwelt des Jakob verlegt. Die Methode der biblischen Nacherzählung kennen die Teilnehmerinnen bereits, erfahre ich später. Anschließend folgt ein freies Tanzen (am Platz), das das Motiv des Kampfes als Thema anbietet. Mir liegt die Musik eher nicht, die anderen Teilnehmerinnen steigen aber gut ein, im Augenwinkel nehme ich viele Armbewegungen wahr, der Leiter, der immer auch mittanzt, hat lebhafte Bewegungen, ich höre die Füße auf dem Boden schwer auftreten. Mein Kampftanz fühlt sich mehr und mehr wie ein Luftgefecht an, ich bekomme keinen rechten Widerstand zu fassen, weiß nicht, wie ich den imaginären Gegner oder Kampfpartner packen soll. In der Runde höre ich von vielen, wie schwer es gefallen ist, tatsächlich Bewegungen auszuführen, die mit Angriff, Kraft und Kampf zu tun haben. Manchen wird bewusst, dass sich hier ein Defizit spiegelt, das sie in ihrem Leben als fehlende Klarheit und zu wenig entschlossenes Auftreten erleben. Ich versuche mir vorzustellen, wie es wäre,

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mit Männern in der Runde zu sitzen. Würde es ihnen in einer gemischten Gruppe leicht oder schwer fallen, von den eigenen Grenzen und Defiziten zu sprechen? Die Methode erfordert ein hohes Niveau an Vertrauen gegenüber den Gesprächsteilnehmern und dem Leiter. Die Frauen äußern sich reflektiert über ihre psychische Befindlichkeit. Ausgangspunkt ist immer die Überlegung, „wie ging es mir mit dem Tanzen?“. Sehr deutlich wird mir an der Stelle, dass der Zugang über die Tanzimprovisation andere Chancen bietet als rein gesprächsbasierte Bibelarbeit. Die Zugänglichkeit von Gefühlen, von psychischen Konfliktlagen und Bedürfnissen scheint mir sehr viel stärker gegeben.

7.4.2.7 Bibelauslegung durch Tanz – intensive Arbeit in der Gruppe Der Rest des Nachmittags steht für eine Gruppenarbeit zur Verfügung. In Dreiergruppen lesen und besprechen wir den Bibeltext noch einmal. Aus den Erkenntnissen im Gespräch sind Ideen für eine choreographische Umsetzung zu entnehmen. Ich bin froh über die gemeinsame Arbeit mit der Frau, die mir durch ihre Bewegungen sympathisch ist. Rasch wird mir deutlich, dass ich gerne in Antwort auf die Jakobsgeschichte die Wandlung von Kampf und Sieg in Segen und Beziehung erleben will. Eine Teilnehmerin weiß dagegen sehr deutlich, dass ihr die Körperlichkeit eines Kampfgeschehens nicht liegt, so finden wir in der Gruppe zu einer Dramaturgie auf zwei Zeitebenen: Jakob träumt, er beginnt als Doppelgestalt schlafend im Stehen, dann löst sich ein Teil des Doppel-Jakobs und erwacht, während der schlafende Teil weiterträumt. Die Tänzerin setzt dazu die im Seminar erschlossenen Bewegungsqualitäten allmählich und indirekt ein. Eine weitere Tänzerin übernimmt die Rolle des Angreifers. Eine Kampfszene mit Mitteln der Kontaktimprovisation entsteht. Teilweise versuchen wir, das Tempo bewusst auf Zeitlupe zu bringen. Das ist für Beobachter sehr intensiv, und für uns mindert es die Verletzungsgefahr, denn keine von uns ist ausgebildete Profi-Tänzerin. Die „choreographierten“ Improvisationen sollen im Gottesdienst als Performance vorkommen. 7.4.2.8 Ein Tanzgottesdienst mit Performance Für den Sonntagvormittag 9:30 Uhr ist der Gottesdienst im schon bekannten Gruppenraum vorgesehen. Die Gruppe ist unter sich. Die gestaltete Mitte ist zusätzlich mit Teelichtern geschmückt. Eine feierliche Atmosphäre breitet sich aus. Schon beim Frühstück war die gespannte Erwartung im Blick auf die Aufführung zu spüren. Ich nehme mir vor, im Gottesdienst wahrzunehmen, auf welche Weise die Mitfeiernden zur Gestalt des Gottesdienstes beitragen. Mich interessiert, woran sich die Beziehung zueinander zeigt, die in einer Zeit intensiver körperlicher und geistiger Arbeit entstanden ist. Welche Rolle wird

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der Liturg einnehmen? Was bedeutet es für den Gottesdienst, dass darin Tanzen Raum erhält? Pünktlich läuten die Glocken der benachbarten Kirche. Anschließend erklingt von CD Instrumentalmusik, unverkennbar von Bach. Erst danach spricht der Liturg ein paar Worte zur Begrüßung. Der Ablauf des Gottesdienstes ist mir nicht klar, und ich registriere, dass mir ein liturgisches Geländer fehlt. Zehn (!) Minuten Sitzen in Stille werden angekündigt. Darauf war ich nicht gefasst. In einigen Gesprächen hatte ich von den kirchlich Tanzenden gehört, sie könnten die sitzende Meditation weniger vertragen und würden daher das Meditieren in Bewegung vorziehen. Die Anwesenden scheinen jedoch gut mit dem stillen Sitzen klarzukommen. Ich versuche, die ersten fünf Minuten bis zum Signal der Klangschale meinen Gedankenfluss zu beruhigen, die zweiten fünf Minuten vergehen mit dem Spüren der Sitzhaltung, immer wieder mit dem Aufrichten vom Steißbein her, wie es sich vom Tanztraining her nahelegt, und mit der Beruhigung des Atemrhythmus. Zuletzt fühle ich mich wirklich beruhigt, soll nun aber aufstehen und in Bewegung kommen. So ganz leicht fällt mir das nicht, aber wie alle anderen erhebe ich mich und vollziehe das Ritual der Körperreise mit. Im Sitzen sind alle eingeladen, gemeinsam laut Psalm 24 zu lesen, manche sprechen nicht laut mit. Sie scheinen das Hören des Psalms zu bevorzugen, vielleicht finden sie es nicht angemessen, so eine liturgische Rolle zu übernehmen? Dies kann ich aber nicht mehr im Gespräch klären. Auf die Psalmlesung folgt weitere Bach-Musik. Auf dem Text-Blatt sehe ich, dass alle Stücke aus der Kantate BW 49 stammen. Die Texte sind fromme Selbstreflexion „Ich gehe und suche mit Verlangen“. Ein wenig fehlt mir im Gottesdienst der Anstoß, selbst ins Gebet zu kommen. An keiner Stelle kommt Gebet explizit vor, das Vaterunser fehlt, es gibt aber auch kein getanztes Gebet etwa mit Gebärden oder einen freien, als wortloses Körper-Gebet eingeführten Tanz. Der Liturg hat als einziger den Überblick über den Ablauf, er kündigt ein Element nach dem anderen an. Ich fühle mich dabei nicht ganz wohl, da ich nicht einschätzen kann, was passiert. Mir wird bewusst, wie stark sich mein Gottesdiensterleben an der liturgischen Struktur die ich kenne, orientiert. Der Bibeltext Gen 32,23–33 wird nun verlesen, diesmal nach Luther. Nach der anschließenden Bach-Arie „Mein Mahl ist zubereit“ wird eine Seite des Raumes zur Bühne erklärt. Meine Gruppe zeigt als erste ihre Performance. Es ist ein intensives Erlebnis. Wir dürfen gleich danach erzählen, vom Entstehungsprozess, vom Erleben, von unseren Deutungen. Im Prozess war mir wichtig, die Geschichte nicht pantomimisch nachzuspielen, das hätte mir weder künstlerisch noch bibelhermeneutisch genügt. Daher strebte ich eine gewisse Abstraktion und Verfremdung an. Allerdings war das Bedürfnis, eine fühlbare Kampferfahrung zu machen, so groß, dass sich eine Spiel-Szene ergab, bei der der Kampf des Jakob im Zentrum stand. Erstaunlich war, beim Üben zu merken, welche Rolle der Blick, das Gesicht und dann auch die Hände für unsere, nicht immer

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bewusst geplante, Interpretation der Jabbok-Erzählung spielen. Der Schlag auf die Hüfte geht im Text knapp an den Genitalien vorbei, der Stelle, die wesentlich für die Reproduktion der Nachkommen ist. Stimmiger war für mich stattdessen die neuzeitliche Erfahrung der Liebe und des Liebesschmerzes, der im Herzen Verletzungen bewirkt. In der Aufführung entwickelte sich eine neue Dynamik, der Kampf zwang mich über weite Strecken in die Defensive, immer neue Angriffe der unheimlichen Gestalt kamen, vornehmlich von hinten. Dann aber konnte ich den Gegner zu fassen kriegen, hielt die Beine gepackt und drückte ihn am Arm mit dem Oberkörper zu Boden. Hinterher hörte ich, dass aus dieser Lage für die andere Tänzerin kein Weg herausgeführt hätte. Das war der Wendepunkt. Blicke kamen ins Spiel, die Augen trafen sich und öffneten sich wie Fenster ins Innere der Anderen. Die Musik endete. Stille trat ein, schließlich ein Glockenschlag (der Beginn des nächsten Stückes auf der CD), und die Hände kamen zusammen. Gemeinsam brachten wir uns an den Händen haltend in eine Sitzhaltung einander gegenüber. Die Hände des Unbekannten umschlossen meine nun von oben. Unerwartet berührte mich diese Geste, ich fühlte das Bedürfnis, die Augen zu senken, dem gab ich nach und entdeckte dabei einen Moment lang eine Haltung von Demut. Das geschah wie von selbst. Aus der Runde kamen noch weitere Reaktionen auf unseren Tanz. Die zwei Ebenen mit dem träumenden und dem kämpfenden Jakob lösten Interpretationen aus zur Beziehung zwischen beiden. Der Träumende schien wie ein Wächter die Kämpfenden zu begleiten. Das Kämpfen erschien manchen Zuschauerinnen quälend lange, so dass sich Besorgnis einstellte, ob dies durchzuhalten sei. Tanzende können und sollten nur so weit gehen, wie sie die Sache beherrschen, wurde betont. Uns haben Techniken der Kontaktimprovisation geholfen, die Begegnungen der Körper zu meistern. Die Performance der anderen Kleingruppe zeigte drei Jakob-Figuren, die zunächst einzeln in ihren eigenen, vielleicht psychischen Kampf vertieft waren, wie im Traum aufeinander zugingen, aber keinen Kontakt fanden. Die zweite Szene zeigte die Personen wiederum einzeln auf ihrem Platz, diesmal mit den Händen die eigenen Körpergrenzen entlangstreichend, es wirkte wie ein Bewusstwerden seiner Selbst mit seinen Grenzen. Das erneute Aufeinanderzugehen führte zu einem intensiven harmonischen Beziehungsgeschehen mit gegenseitiger Wahrnehmung und Berührung. Die Tanzenden erzählten im Austausch, dass diese Art der Umsetzung des Kampfmotivs ihnen ermöglicht habe, sich mit ihren eigenen Kämpfen zu beschäftigen, aber auch in dem gemeinsamen Bewegen eine Art Lösung aus der einsamen Selbstbezogenheit zu erfahren. In der Arie, die alle im Sitzen anhörten, wurde eindringlich die Botschaft gesungen: Ich bin herrlich, ich bin schön. Mir schien dies wie eine evangelische Zusage – wir unvollkommenen, kämpfenden und sehnsuchtsvollen Menschen werden durch einen uns liebend anblickenden Gott vorbehaltlos angenommen. Die Kantate BW 49 verfolgt den Weg der Seele, die mit ihrem

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Bräutigam Christus zärtliche Beziehungen aufnimmt und sich mit ihm vereinigt. Ohne dass dies ausdrücklich so beabsichtigt gewesen sein konnte, ergaben sich Anknüpfungspunkte an die Verwandlung des Inneren in der Gottesbeziehung, wie sie in den Performances von Teilnehmerinnen in umschreibender Weise wahrgenommen wurde. Es wurde noch einmal im Stehen frei getanzt, bevor in einer Abschlussrunde die Zeit des Seminars rückblickend von jeder Einzelnen in wenigen Sätzen resümiert wurde. In vielen Voten traten Äußerungen hervor, die sich auf eine gesteigerte Selbsterkenntnis bezogen. Das klang für mich stimmig, gleichzeitig fragte ich mich nach der Bedeutung des Tanzes, aber auch der Bibelarbeit. Waren Tanz und Bibelarbeit nur Vehikel für die Beschäftigung mit sich selbst? Eine Teilnehmerin nahm allerdings die Bibelarbeit auch zum Anlass, die politischen Konflikte unserer Zeit zu erinnern. Jakobs Kampf am Jabbok öffnet den Blick für Alternativen zum Kampf, löst jedoch nicht im Handumdrehen die großen und kleinen Kriege. Der Gottesdienst schließt mit einer sehr fröhlichen freien Tanzphase durch den ganzen Raum und dem Empfangen des Aaronitischen Segens in der DuForm. Dazu steht der Liturg mit im Kreis und erhebt die Hände zur Segensgeste. Die Bewegung erfolgt sehr bewusst und überzeugend. Ich erfahre später von mehrfacher Fortbildung in Liturgischer Präsenz1396 bei Thomas Kabel. 7.4.2.9 Reflexion der Gottesdienstfeier Der Beobachtungsfokus, den ich vor Beginn des Gottesdienstes festgelegt hatte, erbrachte Wahrnehmungen zur Rolle des Liturgen. Außerdem hatte ich mir vorgenommen, im Gottesdienst wahrzunehmen, auf welche Weise die Mitfeiernden zur Gestalt des Gottesdienstes beitragen. Da der Liturg als einziger Bescheid wusste über den Ablauf des Gottesdienstes, ergab sich ein Gefälle im Wissen. Er hatte passende Musik gewählt und dazu Lesungs-Texte. Bestimmte übliche Gottesdienstelemente wie liturgische oder freie Gebete, Glaubensbekenntnis, Vaterunser und Gemeindelieder kamen nicht vor. Die Musik kam ausschließlich aus zweiter Hand. Die Mitfeiernden hatten Chancen zur aktiven Gestaltung des Gottesdienstgeschehens in den Performances und den Gesprächsrunden sowie in den angeleiteten und freien Tanzteilen. Da den Feiernden die Möglichkeit fehlte, die vorgesehene Dramaturgie von Anfang an mitzuverfolgen, kam dem Liturgen die Rolle eines Führers ins Unbekannte, im besten Fall ins verheißungsvolle 1396 Es geht bei Kabel um eine Gottesdienstauffassung, die lebendige Spiritualität fördert. Er schreibt: „Die Arbeit an der Präsenz im Gottesdienst stellt eine Perspektive integraler Spiritualität dar, die den Gottesdienst nicht auf eine bestimmte Theologie reduziert. Die Erfahrung zeigt, dass es nicht um die perfekte Form des Gottesdienstes geht, sondern gerade in der unterschiedlichen Gestaltung sich spirituelles Bewusstsein entwickeln kann.“ http://www. liturgischepraesenz.de/Willkommen.html (2016/08/03).

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oder geheimnisvolle Heilige zu. Konterkariert wurde eine solche etwa im Sinne Josuttis zu erwägende Führerschaft durch lange Gesprächsteile. Während der Führer ins Heilige mehr oder weniger hinter der Heiligen Wirklichkeit, für die er Raum frei hält, zurücktritt, trat die Person des Liturgen in der Figur des Therapeuten stark in Erscheinung. Es wurde nicht deutlich, inwiefern der Liturg sich selbst in die Form hineingibt und selbst auf das biblische Wort antwortet. Traditionell gilt nicht der Liturg als Erfinder der Form. Er hört in der Predigt selbst auf die Anrede der biblischen Texte und verantwortet persönlich eine für die Zuhörer transparente, deren eigene Begegnung ermöglichende, Rede. Der Liturg in diesem Gottesdienst redete nie in der ersten Person. Er verschwand als Person, indem er sich in den Gesprächen nur moderierend oder beratend einbrachte, nicht aus persönlicher Betroffenheit. Die liturgischen Texte wurden von ihm gelesen (der Psalm unter Beteiligung einiger Teilnehmerinnen), ausgewählt waren Bibeltexte (Psalm 24 und Gen 32, 23–33) und der Aaronitische Segen. Ein explizites Angebot, ins Gebet einzutreten, unterblieb. Die Tanzrunden unterschieden sich nicht von den tanzpädagogisch-tanztherapeutisch konzipierten Angeboten außerhalb des Gottesdienstes. Das gemeinsame Feiern drohte auf diese Weise immer wieder in Einzelaktivitäten am Platz zu zerfallen. Eine zentrale Rolle kam den Tanzperformances zu. In einem traditionellen Gottesdienst käme ihnen die Funktion der Verkündigung zu. Dieses Element war im Verlauf des Wochenendes deutlich als Höhepunkt zu erkennen. Eine intensive Begegnung mit dem Thema fand statt. Die Gesprächsrunden gaben Raum für eine persönliche, verbal formulierte Antwort auf das Thema. Sie griffen formal allerdings die Methodik des Vortages auf, als über die eigene tanzende Auseinandersetzung mit dem Kampfmotiv in der Gruppe reflektiert wurde. Liturgisch gesehen stellten die Gespräche eher fremde Elemente dar. Sie dienten offensichtlich der Vertiefung des Gesehenen, mischten sich allerdings mit therapeutisch beratenden Interventionen, so dass die Grenzen zwischen Gottesdienst und Seelsorge verflossen. Sowohl in den Performances als auch in den Gesprächen zeigte sich die Beziehung der Teilnehmerinnen, die durch die gemeinsame körperliche und geistige Arbeit entstanden ist, und das Rollenverständnis des Liturgen, der sowohl allwissender Moderator als auch Therapeut war, zumindest weitgehend kein Liturg im traditionellen Sinne. Insgesamt habe ich ein Beispiel eines Tanzes mit therapeutischem Anspruch erlebt. Die deutenden Interventionen im Gespräch und teilweise getanzten Interventionen ordne ich der therapeutischen Methodik zu. Als Theologin hatte ich vielfältige Erfahrungen mit Bibelarbeit bereits mitgebracht. Die Zugangsweise über eine Tanzimprovisation und eine getanzte Gruppenarbeit war spannend und ertragreich. Demgegenüber war die Beschäftigung mit dem Text in der Bibelarbeit vergleichsweise knapp angelegt. Die Motive aus der Jakob-Erzählung bieten sich für Tanz an: das Wegmotiv, das Kampf- und das Segensmotiv. Die Bewegungsaufgaben nach Laban waren sehr eng an tanztechnischen Themen ausgerichtet. Mir jedenfalls gelang an

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der Stelle noch keine Übertragung auf biblische oder persönliche Themen. Den Teilnehmerinnen, die lange dabei sind, erging es anders. Sie betonten immer wieder, dass das Tanzen und Bibelarbeiten sie über die Jahre in zunehmender Tiefe erreicht und persönliche Veränderungen angestoßen habe.

7.4.3 Die „Werkstatt Tanzgottesdienst“ Bei diesem Tagesworkshop handelte es sich um eine Veranstaltung vor allem für Tanzleiter_innen, um an unterschiedlichen Formaten von Tanzgottesdiensten zu arbeiten. Im Mittelpunkt stand dabei das Erleben von Praxisbeispielen. Meine Rolle darin war die einer Teilnehmerin. Da ich einigen Teilnehmenden bekannt war und diese von meinem Dissertationsprojekt wußten, löste meine Anwesenheit keine Fragen aus. Ich nahm mir vor, den Werkstatt-Tag aus der Perspektive teilnehmender Beobachtung im Nachhinein zu protokollieren. Da mir Texte und Abläufe schriftlich vorlagen, konnte ich meine Erinnerungen daran gut festmachen.

7.4.3.1 Rahmenbedingungen Drei Tanzgottesdienste werden jeweils zunächst in ca. 45 Minuten durchgeführt und anschließend jeweils 10–15 Minuten lang in der Gruppe kommentiert. 20 Teilnehmerinnen sind teils aus der näheren Umgebung, teils von weiter her angereist. Unter den fünf Leitungspersonen ist auch ein Mann, M aus Süddeutschland. Die Gesamtleitung hat eine methodistische Pfarrerin, die eine Ausbildung in Tanztherapie bei Elke Willke, einer renommierten Fachvertreterin, begonnen hat. Das Treffen findet im Bildungshaus in einem großen Raum statt, der aus zwei Teilen besteht, die durch eine Trennwand abgrenzbar sind. Zwar fallen mir an der nicht besonders hohen (ca. 4 m) Decke Gemälde mit den Symbolen der vier Evangelisten auf, insgesamt jedoch spiegelt die Atmosphäre das Pragmatische eines Mehrzweckraums durch das gemeindehaustypische Mobiliar. Sakrale Stücke wie Taufstein oder Altar fehlen bzw. fallen mir nicht auf. Da ich kurz nach Beginn ankomme, kann ich über die Begrüßung nichts berichten. Ich stelle sie mir warmherzig vor. Viele kennen sich untereinander. Die Mitte, um die sich die Workshop-Teilnehmer_innen erwartungsvoll aufgestellt haben, ist zurückhaltend dekoriert. Der erste Tanzgottesdienst wird von E geleitet, die ich bereits in mehreren Veranstaltungen als Tanzleiterin erlebt habe, jedoch noch nicht in einem Gottesdienst. Die Leiterinnen des zweiten, AH und AS sind mir nicht bekannt. Am Nachmittag findet der letzte Gottesdienst statt, der von M geleitet wird.

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7.4.3.2 Gottesdienst 1 – Ankommen E präsentiert einen eng an den traditionellen liturgischen Stücken orientierten Gottesdienst. Als roter Faden dient das Thema „Ankommen“. Tanz wird so eingesetzt, dass er die liturgischen Stücke vertritt bzw. substituiert (EnznerProbst). Ein Kyrie, ein Gloria, eine Predigt und der Segen werden getanzt. Die Tänze sind einfache Mitmachtänze, die nach kurzer Zeit in die Füße gehen und Raum bieten für sinnliche Wahrnehmungen. Das Tanzen im Kreis geschieht mit Handfassung, es wird um eine gestaltete Mitte getanzt. Im Wechsel kommen instrumentale Musikstücke, mal im Vierer-, mal im Dreiertakt zum Einsatz und Lieder von CD mit christlichem Hintergrund (Gerhard Schöne, Reinhard Börne), hier ohne explizit biblische Bezüge oder Glaubensaussagen. Die Predigt ist ein getanztes Lied von Gerhard Schöne zum Thema „Zeit haben“. E zeigt die Schritte zunächst allein in der Kreismitte, sie erklärt, was sie tut, z. B. vier Schritte in Tanzrichtung, verknüpft das Zeigen aber auch mit Interpretationen über die Lebensrelevanz der Bewegungen. Eine Drehung wird psychologisch als Abgeben nach außen gedeutet, ein Heben der Arme geht „zu Gott“ und Ähnliches. Ich bin im Zweifel, ob mir die Deutungen helfen oder ob sie eher stören. Kurz überlege ich, inwiefern sie verzichtbar sind. Daraufhin stellen sich punktuell auch Widerstände ein gegen die Erklärungen der Bedeutung meiner Bewegungen. Das Spüren dessen, was im Körper vor sich geht und welche Gefühle dies auslöst, scheint mir ausreichend zu sein. Die Schritte gehen vorwärts oder rückwärts, seitlich oder zur Mitte, nebeneinander oder gekreuzt. Es gibt eine gewisse Variationsbreite in E‘s selbst choreographierten Tänzen. Charakteristisch sind die ausdrucksstarken Handund Armbewegungen. Der Kopf wird nicht gesondert bewegt, eher nur mitgenommen nach unten oder oben. Auch die Hüften kommen nicht explizit zum Einsatz. Das Thema Ankommen bot keinen Anlass, auch schnellere oder temperamentvolle Tänze einzuführen, etwa mit Stampfen oder Klatschen, die sonst auch zum Repertoire von E gehören. In der Praxis bietet E an verschiedenen Orten öffentliche Tanzgottesdienste an, sie hat allerdings von dieser Bezeichnung Abstand genommen, weil ihr in der katholischen Kirche als Frau und Laiin zumindest in ihrem Umfeld vermittelt wurde, sie sei zum Halten von Gottesdiensten nicht berechtigt. Daher lädt sie ein zu Andachten in einem Kloster. Dort kann sie sehr stabil schon seit Jahren bei den mehrmals im Jahr stattfindenden Treffen 60–80 Teilnehmer_innen sammeln. Sie arbeitet grundsätzlich auch in größeren Räumen ohne Mikrophon, um keine Distanz durch die künstliche Schallquelle zu erzeugen. Zu besonderen Gelegenheiten arbeitet sie mit Livemusikern zusammen, sonst ist sie auf funktionierende CD-Player angewiesen. Vor der 10 minütigen Reflexionsrunde ist eine Pause angesetzt. Die brauche ich jetzt auch, um das Erlebte nachklingen zu lassen.

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7.4.3.3 Gottesdienst 2 – Advent Der zweite Gottesdienst stellt nach einer kurzen Einführung und einem Begrüßungstanz einen biblischen Text ins Zentrum, den Lobgesang des Zacharias. Die beiden mir unbekannten Frauen leiten im Wechsel. Beiden kann ich Sympathie entgegenbringen. Allerdings merke ich auch, wie ich mich nur zögerlich ihrer Leitung anvertraue. Dieses leichte Zögern entstand vermutlich aus der Information, sie würden ohne tänzerische Ausbildung Gottesdienste anbieten. Während des Gottesdienstes kommt es zu unklaren Situationen, das Gefühl, Gottesdienst zu feiern, tritt dadurch zeitweise zurück. Die Bewegungen des ersten Tanzes – ein Aufeinanderzugehen, in die Augen sehen, leichtes Verneigen, Zurückgehen und Weitergehen zum nächsten Partner – werden ganz zurückhaltend als Begrüßung gedeutet. Da keine weiteren Interpretationen für die einzelnen Bewegungen angeboten werden, finde ich Raum für eigene. Mir fällt es nicht bei jedem Gegenüber leicht, es offen anzusehen und den Blick auszuhalten. Es ist kein alltägliches Begrüßen, das oft nebenbei und manchmal nur andeutungsweise geschieht. Ein indischer Gruß geht mir dabei durch den Kopf: Namaste1397. Ich deute die sanfte, mit erhobenen Händen verneigende Gebärde in meinen Worten als „Mein Heiliges in mir grüßt das Heilige in dir“. Oder ist mir gerade die Begrüßung zwischen Maria und Elisabeth näher? Mit Spannung verfolge ich, ob der Tanz so lange geht, dass ein Begrüßen mit jeder Teilnehmerin möglich ist. Dies gelingt sogar mehrmals. Der Bibeltext wird durch ein kurzes Narrativ über die Verheißung an Zacharias eingeleitet, anschließend verlesen. Vor dem erneuten Verlesen werden die Teilnehmerinnen aufgefordert, einen Satz oder ein paar Worte zu behalten, die ihre Aufmerksamkeit erregen, durch einen Bezug zum eigenen Leben oder auch durch ein Fragezeichen, eine Irritation. Dieser Satz soll groß auf ein Blatt geschrieben werden, dann eine Geste oder Bewegung dazu gefunden werden. Nach etwas knapp bemessener Zeit stellen alle, die wollen, ihre Bewegung vor. Wieder habe ich den Eindruck, dass mit Tanz, diesmal mit tanztherapeutischer Arbeitsweise, in laienhafter Weise umgegangen wird. Manche Gebärden oder Bewegungen wecken mein Interesse, andere empfinde ich zunächst als phantasielos. Am Ende stelle ich fest, dass ich als Einzige meine Bewegung nicht vorgestellt habe. Mir war in der Zeit nichts Passendes eingefallen. Ich werde nicht gesondert aufgefordert, etwas zu zeigen. Allen ist das Prinzip der Freiwilligkeit klar. Weitere Aspekte des Textes wurden durch Kreistänze vertieft, schließlich sollen die Gesten aus der ersten Runde noch einmal wiederholt werden, dazu der gewählte Textteil ausgesprochen. In einer zweiten 1397 Laut Deepak Chopra macht dieser Gruß die folgende Aussage: „Ich ehre in dir den göttlichen Geist, den ich auch in mir selbst ehre – und ich weiß, dass wir somit eins sind.“ wikipedia.org/ wiki/Namaste (Abruf 2015/01/13).

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Runde fällt die verbale Sprache weg, die Gesten werden nacheinander mit fließenden Übergängen von einer Tänzerin zur anderen gezeigt. Dieser Teil wird von den Leiterinnen als Predigt bezeichnet. Auf mich wirken die erneut gezeigten Gesten beim zweiten und dritten Mal zunehmend stimmig. Einerseits haben sich die Gesten teils leicht verändert, z. B. ist ein zunächst recht angespanntes Anheben der Arme nun runder und gelöster, andererseits haben die Teilnehmerinnen mehr von ihrer anfänglichen Unsicherheit abgelegt. Da reihum jede ihre Geste zeigt, komme ich auch dran. Das Prinzip der Freiwilligkeit wird nun nicht mehr konsequent durchgehalten. Denkbar wäre in so einer Situation eine kleine Hand-Geste zur nächsten Tänzerin oder ein Kopfschütteln. Das fällt mir allerdings erst später ein. Die Dynamik der im Kreis durchlaufenden Bewegung hat mich dazu bewegt, vielleicht sogar gedrängt, eine spontan gefundene Bewegung einzubringen. Das Mitmachen erleichtert hat mir das Wissen, keine „fertige“ Sache präsentieren zu müssen. Dennoch frage ich mich, ob nicht auch eine unausgesprochene Erwartung der Leiterinnen dadurch vermittelt wird, dass das Angebot, nichts zu zeigen, unterbleibt. Die Leiterinnen führen nach eigener Aussage hin und wieder Tanzgottesdienste in einer Kirche durch. 7.4.3.4 Gottesdienst 3 – Frühlingsblüte Der dritte Gottesdienst, geleitet von M, wird als passend zur Oster- bzw. Frühlingszeit vorgestellt. Er bietet eine Kombination von Kreistänzen und freiem Tanzen. Eingeleitet wird mit einem Satz von Rose Ausländer: „Ich bin der Atem der Erde, ich blühe in vielen Farben.“1398 Ein von mir als lang empfundenes meditatives Eröffnungsgebet thematisiert das Daseindürfen in Gottes Gegenwart. Die Aussage „Hier sind wir, Gott, vor Dir, so wie wir sind“ wird als Leitmotiv mehrfach wiederholt. Mein Körpergefühl ist angesprochen bei den Worten „damit deine Lebenskraft in uns fließt, dein Atem trägt, treibt und weitet mich.“ Beim ersten Tanz werden sehr einfache ruhige Schritte im Kreis mit Handfassung gegangen, dazu singen wir den Refrain des Liedes „Du bist ewig“, das mir unbekannt ist, sich aber durch die einfache Melodie und die Wiederholungen gut einprägt. Die Worte wenden sich in doxologischer Gebetssprache an ein Du: „Du bist ewig, du bist nahe, du bist Licht und ich bin dein.“ Singen und dazu Tanzen fällt den meisten nicht schwer. Nun wird ein Text aus dem Buch Jesaja verlesen (Jes 35,1–10). Die Rede ist vom Erblühen der Wüste. Eine Verheißung an Verzagte wird ausgesprochen, die Pracht Gottes wird in Sprachbildern blühender Natur symbolisiert. Ich erkenne die prophetische Zusage an die Blinden, Tauben und Lahmen wieder, da sie im Lu1398 Ablauf und Gottesdiensttexte liegen der Verfasserin als Manuskript vor.

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kasevangelium Jesu Worte seiner Nazareth-Predigt sind. Aufmerksam nehme ich wahr, wie die Worte vom Lahmen, der springen wird, sich in Körperempfindungen umsetzen, die Beine sind angesprochen als Ort der Gottesnähe. Anschließend gibt M in frei formulierten Worten einen kurzen verbalen Impuls zum Nachdenken. Dabei wird der Frühling der dunklen Winterzeit gegenübergestellt und mit Gottes befreiendem Handeln verbunden. Gottes Gnade sorgt dafür, dass dies schon gegenwärtig ist wie ein Same, höre ich noch. Meine Befürchtung einer längeren Auslegung bestätigt sich nicht. Ich bin erleichtert, Zeit zu haben, die beim Hören entstandenen Bilder betrachten zu können, dazu wird eine Körperübung angeleitet. Vorausgeschickt wird die Zusage, nichts tun zu müssen, sich wahrzunehmen. Die Anleitung der Körperbewegungen wird mit (fast zu) zahlreichen interpretierenden Worten verbunden. So heißt es zum Beispiel „Führe die Kraft des Schöpfergottes, der uns Mutter und Vater ist, durch deinen ganzen Körper…“ oder „Spürst du nicht, wie es dich schon nach oben über dich hinaus in die Höhe zieht, aus der Dunkelheit, aus der Erde heraus? „1399 Die Bewegung wird im Stehen ausgeführt und beginnt in aufrechter Haltung. Zunächst folgt das Neigen des Kopfes, dann das Beugen des Oberkörpers, die Hände ziehen nach unten, schließlich ist der Rumpf ganz nach unten ausgerichtet, eine Spannung in den Kniekehlen und den Wadenmuskeln ist zu spüren. Nun gehen wir in eine zusammengezogene Haltung am Boden und hören die Ansage „Ein Same bist du“ – die Knie sind gebeugt, der Rücken gerundet, der Kopf neigt sich nach unten, die Oberschenkel ruhen auf den Waden. Die Füße haben nur noch an den Ballen Bodenkontakt, die Hände sind flach neben den Knien auf dem Boden und stützen leicht. Die interpretierenden Worte entfalten den Gedanken der frei geschenkten Gnade Gottes. Ganz langsam soll ich nun wieder in die Aufrichtung kommen. Das kenne ich von vielen Tanztrainings und genieße hier besonders die Langsamkeit. Diesmal ist das Aufrichten für mich mehr als das Ende einer Dehnungsübung. Dazu höre ich die Worte „Wachse dem Himmel entgegen.“ Ich kann damit den Gedanken des Wandels vom Winterdunkel zur Rückkehr in ein Leben in der Aufrichtung verbinden. Die Arme werden nun zur Seite gestreckt, wie Jesus am Kreuz, denke ich. Eine Spannung ist da. Die Worte interpretieren: „Jesus hat diese Spannungen für uns überwunden, damit alles in uns zur Reife kommen kann, was Gott in Dir von Anfang an angelegt hat.“ Mit dem Anwinkeln der Arme und Heben der Hände wird ein Zuwenden zu Gott verbunden, das sich im Hochrecken der Arme „in den Himmel hinein“ noch steigert. Die Bewegung stellt für mich mehr eine interpretierende Weiterführung als eine Vertiefung des gehörten Jesaja-Textes dar. Die Körperübung steht an der Stelle der Predigt. War es dem Tanzleiter wichtig, die Predigt innerhalb der Anweisungen zur Übung unterzubringen? Ich habe immer 1399 Mir lagen Texte vor, die im Gottesdienst verwendet wurden, wodurch es mir möglich war, das Gesagte und meine Reaktion darauf leichter zu rekonstruieren.

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wieder das Empfinden, dass die Worte mich lenken wollen. Ich frage mich, ohne eine Antwort zu finden, ob eine gesprochene Predigt, die ja von den Hörer_innen auch ein inneres Mitgehen verlangt, weniger steuernd ist? Die Frage der gelungenen Verbindung von Wort und Tanz merke ich mir als bedenkenswert. Eine Art Antwort, so etwas wie ein Glaubensbekenntnis, stellt das nachfolgende freie Tanzen dar. Was innerlich bewegt, wird zum Anstoß für die Gesten, Gebärden, Wege und Drehungen im Raum. Hinterher wird mir klar, dass ich in der Bewegung eine eigene Qualität von Freiheitserfahrung gefunden habe. Indem ich den Worten zuhörte, hatte ich innere Bilder, vielleicht auch Assoziationen zu Leiden von Menschen, die Ungerechtigkeit und Unfrieden erleben. Beim Tanzen waren die Worte nicht mehr da, stattdessen ein Spüren von Freiräumen für den körperlichen Ausdruck, am Rande auch die Wahrnehmung der anderen in der Vorsicht, niemanden zu behindern oder anzustoßen, und ein Erstaunen über die eigenen spontan entstehenden Bewegungen. Der Körper zeigte sich mir als Quelle von Kreativität, gleichsam aus dem Bauch heraus. Im Stehen sprechen alle das Vaterunser. Ein entfalteter Segen wird vorgetragen. Darin fange ich die Worte auf: Entfaltungsmöglichkeiten, fester Boden unter den Füßen, über das Dunkle hinauswachsen und in Staunen versetzt werden. Mir wird klar, wie sehr die Tanzerfahrung des Beters die Formulierungen angeregt hat und stelle fest, dass mein Hören bestimmter Begriffe mit dem konkreten Erleben im Gottesdienst zu tun hat. Ein Segenstanz im Kreis schließt den dritten Gottesdienst der Werkstatt ab. 7.4.3.5 Reflexionsrunden in der Werkstatt Tanzgottesdienst In den Reflexionsrunden nach den einzelnen Gottesdiensten wird von den Teilnehmerinnen und dem Teilnehmer vorwiegend Lob und Zustimmung geäußert zu einzelnen Elementen sowie zur Gesamtgestalt. Kritische Stimmen sprechen die dichte Aufeinanderfolge vieler verschiedener Elemente an. Zuweilen wurde eine Verlangsamung vermisst, außerdem war insgesamt der Anteil repetitiver Strukturen gering. Das bedeutet, manche hätten sich die mehrfache Wiederholung einiger Tänze gewünscht. Im Tagungsprogramm war jeweils eine Dreiviertelstunde pro Gottesdienst vorgesehen und eine Viertelstunde Rückmeldung im Kreisgespräch. Damit war der Zeitrahmen knapp bemessen. Die Durchführenden freuten sich über die positiven Reaktionen. Allerdings brachten sie wiederholt die Schwierigkeit zur Sprache, unter Laborbedingungen Gottesdienst zu feiern. In der Regel würden sie sich und den Teilnehmenden mehr Zeit lassen, auch öfter Elemente wiederholen oder wieder aufnehmen. Statt mit Musik vom CD-Player würde häufiger mit Live–Musikern zusammengearbeitet. Zudem spielt der Raum für Gottesdienstfeiern wie auch für Tanz insgesamt eine wichtige Rolle. Man legt Wert

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auf eine sorgfältige Vorbereitung des Raumes. E gestaltet zum Beispiel eine Mitte. Das Gottesdiensterleben in einem sakralen Raum, in dem etwa durch einen Altar deutliche Schwerpunkte gesetzt sind, unterscheidet sich von einer Gemeindesaal-Atmosphäre. Bei den Teilnehmerinnen der Werkstatt überwogen jedoch die eigenen Erfahrungen mit Andachten oder gottesdienstlichen Elementen in Gemeindehäusern. Gründe dafür sind häufig nicht tanzgeeignete Kirchen oder Widerstände der Gemeindeleitung. Überwiegend wird das Halten eines Tanzgottesdienstes in einem dafür geeigneten sakralen Raum bevorzugt, so ist mein Eindruck. In einer knapp halbstündigen Gesprächsrunde zum Abschluss der Tagung kommt unter anderem eine Reihe von offenen Fragen zur Sprache. Dabei dominiert kollegialer Austausch, am Rande werden einige grundsätzliche Problemkreise angesprochen, ohne diese sofort vertiefen zu können. Als ungeklärt wird die Rolle von Klerikern bei den Tanzgottesdiensten benannt. Die von den Tanzleiterinnen erlebten Rollenverständnisse reichen von unbeteiligt bis unterstützend mitwirkend. Außerdem wird gefragt, welche Rolle Tanz im Gemeindegottesdienst spielen kann. Unter katholischen Kirchentänzern gibt es negative Erfahrungen mit dem Begriff Tanzgottesdienst, da kirchenamtliche Vorgaben die Leitungsfunktionen von Laien im Gottesdienst stark einschränken. Unklar ist mir, ob es z. B. von der katholischen E gewünscht wäre, künftig Tanzgottesdienste in Zusammenarbeit mit einem Priester oder einer Pfarrer_in zu halten oder ob das von den Teilnehmenden gut angenommene Format einer Solo-Leitung durch die Tänzerin eine solche Teamarbeit nicht zulassen würde. Der Austausch ergab die Erkenntnis, dass Tanzgottesdienste im sogenannten zweiten Programm gut in das Gottesdienstangebot einer Gemeinde integriert werden können, im Gemeindegottesdienst am Sonntagmorgen hingegen die Möglichkeiten, bewegte Elemente oder gar Tänze einzubringen, doch skeptisch gesehen werden. Wer es mit tänzerischen Laien zu tun hat, sollte sie nicht mit komplizierten Schritten oder Bewegungen überfordern. Überfordern kann auch die Ausdrucksweise. Ist von Gebärden die Rede, schreckt dies tendenziell ab. Ein Grund dafür könnte in der Assoziation zur Gehörlosensprache liegen. Werden Tanzgottesdienste als besondere Gottesdienste angeboten, ist mit Teilnehmenden zu rechnen, die kommen, um zu tanzen. In einem solchen Gottesdienst darf sich das Bewegen dann nicht auf Gebärden beschränken oder ganz langsame Schritte, so würden die Menschen unterfordert. Der Einsatz von professioneller Tanzperformance bzw. Laiendarbietungen in einem besonderen Tanzgottesdienst wurde in der Runde nicht angesprochen. Erkannt wurde in der Diskussion die positive Rolle von Humor und Lockerheit bei der Vermittlung der Tänze. Um ein gewisses, möglichst gering zu haltendes Maß an tanzpädagogischen Elementen ist nicht herumzukommen. In einem Gottesdienst kann sich meditative Vertiefung ereignen und innere Ruhe einstellen, wenn Elemente mehrmals vorkommen. Dabei ist nicht nur an die mehrmalige Wiederholung eines neu vermittelten Tanzes zu denken,

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sondern auch an die Wiederholung, evtl. variiert und in einen anderen Kontext gestellt, an anderen Stellen des Gottesdienstes. Freie Elemente, die das Vorgegebene strukturell aufbrechen, sind für unerfahrene Tanzende oft schwer umzusetzen. Die Erfahrung zeigt, dass eine Tanzgemeinde nicht nur zahlenmäßig wachsen kann, sondern auch an der Fähigkeit zunimmt, mit der Freiheit im Tanzen umzugehen. Wer tanzt, zeigt sich. Diese Herausforderung ist bei einem Kreistanz geringer. Für Tanzanfänger können jedoch auch im Kreistanz schon Hemmungen vorhanden sein, sich mit ihren Körperbewegungen dort zu zeigen. Leichter fällt das Mitmachen, wenn die Leitungsperson hohe Akzeptanz genießt. Dazu trägt ein als authentisch bezeichneter Leitungsstil bei. Das dahinterstehende Verständnis von Authentizität wurde nicht näher ausgeführt. Das Problem der Verknüpfung von Wort und Tanz wurde nicht thematisiert. 7.4.3.6 Reflexion der teilnehmenden Beobachtung In der Situation der Veranstaltung war eine teilnehmende Beobachtung problemlos möglich. Notizen konnten allerdings nur in geringem Umfang vor Ort gemacht werden, da die Tagesstruktur keine längeren Schreibphasen erlaubte. Die Pausengespräche sind in die Beobachtung eingeflossen. Eine Schwierigkeit bestand darin, nicht nur das eigene Erleben zu registrieren, sondern auch das der Anderen im Blick zu behalten. Während die Wahrnehmung der Mittanzenden bei den Kreistänzen meist gut gelang, war dies in der Körperübung und im freien Tanzen nicht der Fall. Insgesamt liegt nun der Schwerpunkt des Berichts auf dem eigenen Erleben. Deutlich wurde die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen dem Gottesdiensterleben unter den gegebenen Laborbedingungen und den Gottesdiensten in der sogenannten Realität. Trotz Laborsituation war mir dennoch stellenweise ein tiefes Eintauchen in die Sache selbst möglich. Während der Versuche ergaben sich einige Beobachtungsschwerpunkte: Ich versuchte zu spüren, wodurch Kontakt unter den Teilnehmenden hergestellt wird. Die Verbindung von Wort und Tanz weckte mein Interesse. Dort, wo sich Widerstände im Erleben gezeigt hatten, vermutete ich Fragestellungen, die weiter verfolgt werden sollten. Gestaunt habe ich über die Verschiedenheit der einzelnen Modelle. Die Gottesdienste wurden nicht dezidiert als konzeptionell profilierte Modelle präsentiert. Fragen der Konzeption konnten entsprechend in den Reflexionsrunden kaum diskutiert werden. Jeder Gottesdienst stand für sich allein als jeweils typisches Exemplar der Arbeitsweise einer bestimmten Person. Die Persönlichkeit der Anleitenden erwies sich als wichtiger, jedoch nicht einziger Faktor für das Erleben im Gottesdienst. Unterschiede ergaben sich auch auf struktureller Ebene. Mit der Struktur ist ein Faktor angesprochen, der weniger personengebunden ist. Meine Beobachtungen können hier ansatzweise unterschiedliche konzeptionelle Entscheidungen sichtbar machen.

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7.4.4 Typen von Tanzgottesdiensten – eine Analyse Die Unterschiede der am Werkstatt-Tag erlebten Gottesdienste erforderten meines Erachtens einen zweiten Zugriff, diesmal nicht in dichter Beschreibung, sondern analytisch. Es war zu prüfen, ob die Beispiele anhand ihres Verhältnisses zur Grundstruktur und weiterer Kriterien genauer bestimmt werden können. Die Analyse ergibt Anhaltspunkte für abgrenzbare Gottesdiensttypen. 7.4.4.1 Die Grundstruktur Der Untersuchung der Struktur liegt die These zugrunde, dass der Umgang mit den liturgischen Stücken vorerst ein sinnvolles Kriterium unter anderen darstellt, um Typen voneinander abzuheben. Der Begriff Gottesdienst legt den Bezug auf den Normalfall von Gottesdienst nahe, der von protestantischen oder katholischen Christen sonntags erlebt wird. Da sich die Gottesdienstordnungen jedoch nicht nur interkonfessionell, sondern auch je nach Landeskirche unterscheiden, soll hier ein einfaches, in verschiedene Traditionen übersetzbares Modell zugrunde gelegt werden: die Grundstruktur1400 von Eröffnung und Anrufung, Verkündigung und Bekenntnis, Sendung und Segen. Das Abendmahl als traditionell zweitem Höhepunkt neben der Predigt spielt in Tanzgottesdiensten kaum eine Rolle1401, da sie in der Regel als Wortgottesdienste gefeiert werden, außerdem vielfach ökumenisch. Folgende liturgische Stücke bzw. Grundschritte1402 können im Gottesdienst vorkommen: Eröffnung und Anrufung Eröffnung: MusikzumEingang–Begrüßung–Eingangslied–Vorbereitungsgebet–Psalm Anrufung: Kyrie – Gloria – Gebet Verkündigung und Bekenntnis Lesungen: Lesung (Altes Testament/Epistel) – Lied – Lesung (Epistel/Evangelium) Bekenntnis: Glaubensbekenntnis – Lied Predigt und Dankopfer: Predigttext und Predigt – Musik/Stille Abendmahl Sendung und Segen Abkündigungen – Fürbitten – Vaterunser – Segen – Musik.

1400 Die Grundstruktur geht auf das 1974 von der Lutherischen Liturgischen Konferenz unter der Federführung von Frieder Schulz erarbeitete Strukturpapier zurück, das von der Voraussetzung einer „gleich bleibenden Grundstruktur des Gottesdienstes bei variabler Ausformungsnotwendigkeit“ ausgeht. Schwier 2008, 97. Vgl. Schulz 1981. 1401 In der Anleitungsliteratur finden sich gelegentlich Tänze zur Messliturgie. 1402 Vgl. EG 673.

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7.4.4.2 Rolle des Tanzes im Gottesdienst Tanzgottesdienste können danach unterschieden werden, welche liturgischen Stücke vorkommen und in welcher Form diese eingebunden sind, rein verbal, verbal mit Tanz gedoppelt oder nonverbal nur durch Tanz vertreten. Sie können sich voneinander unterscheiden im Grad der Orientierung an der (dreiteiligen, um das Abendmahl verkürzten) Grundstruktur. Tanzgottesdienste oder getanzte Gebete sowie Andachten sind denkbar, die sich von der traditionellen Struktur lösen und eine Ordnung finden, die sich aus dem Tanz heraus ergibt. Für den Tanz im Gottesdienst ist jedes Mal eine bestimmte Rolle charakteristisch. So hat Brigitte Enzner-Probst in ihrer Untersuchung der liturgischen Praxis von Frauen folgende Möglichkeiten für die Rolle des Tanzes im Gottesdienst benannt1403: 1. Tanz und Bewegung stellen ein zusätzliches Element zur ansonsten verbal gehaltenen Liturgie dar. 2. Tanz und Bewegung substituieren ein verbales durch ein getanztes liturgisches Stück. 3. Tanz und Bewegung bestimmen die gesamte Struktur des Gottesdienstes bis hin zu den Inhalten. Grundsätzlich sind also additive und substituierende Verfahren möglich, bis hin zur Rolle des Tanzes als struktur- und inhaltsbestimmend. Gleichzeitig mit der Rolle des Tanzes wird stets nach der Rolle des gesprochenen Wortes zu fragen sein. 7.4.4.3 Weitere Ebenen der Kategorisierung Nachgeordnet sind weitere Merkmale geeignet, um zwischen Typen von Tanzgottesdiensten zu differenzieren. Auf der Ebene der Grobstruktur finden sich weitere konzeptionelle Entscheidungen in Bezug auf die eingesetzten Tänze oder Tanzphasen, die sich auf das Erscheinungsbild des Gottesdienstes auswirken. Dazu ist die Unterscheidung zwischen choreographierten und traditionellen Kreistänzen, der Performance von Solisten bzw. Ensembles und freiem Tanzen geeignet. Auf einer weiteren Ebene ist die Frage zu klären, wer tanzt. So kann zwischen Tänzen oder deren Vorformen wie Gebärden oder Mitgehen mit der Musik durch Klatschen o. ä. unterschieden werden, die von der ganzen Gemeinde mitgemacht werden, Tänzen oder Tanzstücken, die von einer gemeindlichen Laien-Tanzgruppe gezeigt werden, oder Performances von tänzerisch Ausgebildeten (professionelle Tänzer oder weitergebildete Laien). Die Intention des Einsatzes von Tänzen kann die Beteiligung der Gottes1403 Vgl. Enzner-Probst 2008, 222.

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dienstgemeinde sein, die Vertiefung des religiösen Erlebens oder der künstlerische Dialog mit Themen und Texten. Am schwersten greifbar ist die Ebene der Korporalität eines Tanzgottesdienstes. Damit stellt sich die Frage nach dem Umgang mit dem Körper als Medium religiöser Erfahrung. Die Intensität des Erlebens kann nicht allein an der äußeren Gestalt des Modells entschieden werden, da Erleben auf der Ebene des Subjekts angesiedelt ist und sich der Beobachtung von außen nicht vollständig erschließt. Auch verbale Zeugnisse des Erlebens distanzieren den Sprechenden oder Schreibenden vom Erleben. Deutungen und Gewichtungen überführen das Erlebnis in Erfahrung. Damit liegt die der Arbeit übergeordnete Forschungsfrage nach dem religiösen Erleben im Tanz auf der am tiefsten verborgenen Ebene. In einigen wenigen Vermutungen soll bereits anhand der in der Werkstatt Tanzgottesdienst erlebten Beispiele der Versuch gemacht werden, die Intensität des (religiösen) Erlebens in ein fließendes Kontinuum einzuzeichnen. Zuletzt ist noch anzumerken: Die Präferenzen der Leitenden bestimmen deren Möglichkeiten mit, in einem Tanzgottesdienst Erlebnisräume Gestalt werden zu lassen. Die Annahme, ein Lied mit Bewegungen im Familiengottesdienst mitzumachen, unterscheide sich in der Erlebnisintensität von dem eigenen freien Tanzen in Auseinandersetzung mit einem Text oder Thema, ist zunächst einmal hinterfragbar. Die Form kann eine Rolle spielen, ebenso ist aber die Persönlichkeit der Anleitenden sowie deren Kompetenz, für eine bestimmte Situation dem eigenen Tanz- und Gottesdienstverständnis adäquate wie auch mit dem Kontext der Gottesdienstfeiernden kompatible Angebote zu machen, ein wichtiger Faktor, damit Räume für das (religiöse) Erleben entstehen können. 7.4.5 Gottesdienstanalyse 7.4.5.1 Gottesdienst 1 Eine enge Orientierung am liturgischen Ordinarium eines Wortgottesdienstes zeigte sich an der Auswahl der Stücke. Außerdem sagt E immer wieder an, welches liturgische Element durch den folgenden Tanz vertreten wird. So wurden Tänze als Kyrie, Gloria, Predigt und Segen eingesetzt. Gemeindelieder entfielen, teils wurde zu Songs christlicher Liedermacher getanzt. Der rote Faden Ankommen gab Anlass zu thematischen Assoziationen wie Zeit haben. Bei den getanzten Liedern kamen Textbotschaft und Tanz zusammen. Insgesamt wirkte das Thema weniger strukturbildend als die traditionelle liturgische Ordnung. Der Weg zum Raum für religiöses Erleben führte über die Schritte und Gesamtgestalt der Tänze, die Struktur der Liturgie und die Inhalte, die in Form von Liedtexten und Interpretationen der Tanzbewegungen durch die Leiterin

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vermittelt wurden. Tatsächlich war die Leiterin in dem von ihr präsentierten Beispiel klar führend. Die Schritte folgten bestimmten Vorgaben, dem eigenen Erleben der Teilnehmer_innen wurden psychologische und christliche Deutungen vorgeordnet oder beigegeben. Die Abfolge der Teile stand fest. Weitung erfuhr die enge Führung durch die körperliche Präsenz der Leiterin, die mit ästhetisch schönen, sicheren Bewegungen vortanzte, energiereich animierte und ihre Deutungen grundsätzlich nur als Angebote verstand. 7.4.5.2 Gottesdienst 2 Im Mittelpunkt stand ein biblischer Text unter einem kirchenjahreszeitlichen Fokus. Der Tanz zur Begrüßung wurde keinem liturgischen Stück explizit zugeordnet. Er bildete dramaturgisch die Markierung des Beginns, vielleicht eine Anrufung, und fungierte zudem als gruppenpädagogischer Auftakt. Der Bezug auf den sorgfältig eingeführten und zweimal im Ganzen verlesenen Text bestimmte das freie Tanzen und die Präsentation im Kreis. Die Leiterinnen brachten keine weiteren verbalen Stücke ein. Auch die noch folgenden Kreistänze stellten sie durch kurze Ansagen in eine Beziehung zum Text. Die zurückhaltende Leitung gab dem eigenen Erleben in den gebundenen Tänzen Raum. Die Möglichkeit zum freien Tanz und die Suche nach dem eigenen Ausdruck für etwas Ansprechendes im Text ließen ebenfalls einen weiten Freiraum. Die Deutung des Textes wurde individualisiert und ins Nonverbale transponiert. Bei der Präsentation im Plenum entstand eine Dynamik, die das Erleben intensivierte, gleichzeitig war die Freiheit, sich dem zu entziehen, gering. Ein manipulatives Überwältigen kann allerdings nicht festgestellt werden, da die Wahl, wie und was präsentiert wurde, der Einzelnen überlassen blieb. Religiöses Erleben in Form von Deutungen konnte sich entfalten in Auseinandersetzung mit dem gehörten, erinnerten, präsentierten und in den Präsentationen der Anderen gespiegelten Text. Auf das Erleben wirkte sich außerdem die insgesamt weniger professionelle Leitung aus, die gleichwohl als Personen die Sache authentisch vertraten. 7.4.5.3 Gottesdienst 3 Das Zentrum des Gottesdienstes war weder die liturgische Struktur noch der Bibeltext, sondern der Motivkomplex Frühling, Ostern, Aufbruch ins Leben, der sich zunehmend zum Thema „Ich bin ein Same, in den Gott Leben hineingelegt hat“ entwickelte. Verglichen mit den anderen beiden Gottesdiensten waren die verbalen Anteile der Leitung höher. Eine Botschaft sollte vermittelt werden, das körperliche Erleben diente zur Vertiefung der intendierten Inhalte. In die sorgfältige Formulierung der Gebetstexte, der Übungs-Anleitung und des Segens war viel sprachliche Phantasie eingeflossen.

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Die Tanzenden erhielten einerseits Raum, sich in die Kreistänze einzubringen, zu singen, das Vaterunser laut mitzubeten, sie bewegten sich zu einem Musikstück frei. Damit war die Aktivität der Teilnehmenden hoch, eine Intensivierung von Erleben wurde damit angebahnt. Die Rolle der gesprochenen Texte war jedoch ambivalent. Einerseits boten sie reichhaltige Bilder, die möglicherweise an innere Bilder, Gedanken und Wünsche der Tanzenden anschlussfähig waren. Auf der anderen Seite könnte hinter der Entscheidung, zur Bewegung viele Deutungen anzubieten, der Wunsch gestanden haben, das Erleben des Tanzes durch die Worte religiös zu machen. Dem Tanz als religiöse Erlebensmöglichkeit wurde von außen zur Tiefe verholfen. Ob dies religiöses Erleben intensivierte oder Widerstände erzeugte, wird individuell unterschiedlich gewesen sein. 7.4.5.4 Vergleich der Typen Besonders an dem zuletzt genannten Beispiel bricht die Frage nach der Rolle des Wortes im Verhältnis zur Rolle des Tanzes auf. Die diesbezügliche Unterschiedlichkeit der drei erlebten Gottesdienste legt den Versuch nahe, probeweise Typen zu konstruieren und in vorläufig drei Varianten darzustellen. Typ 1 betont den Tanz als Medium von psychologisch-geistlichen Wahrheiten, die verbal als Deutung oder Liedtext eingebracht werden. Typ 2 geht mit dem Tanz als Medium der individuellen Auseinandersetzung mit einem Bibeltext um. Typ 3 setzt das Wort als Medium ein, um Bewegung und Tanz tiefer erleben zu lassen.

Auf der Grundlage von Teil B wird in C in einem dialogischen Verfahren wechselseitiger Einflüsse von Empirie und Theorie die Frage zu klären sein, was unter religiöser Erfahrung zu verstehen ist und wie sich diese zu unterschiedlichen Tanzarten verhält. Außerdem könnte die Beziehung von Wort und Tanz genauer beleuchtet werden. Da anzunehmen ist, dass sich das Erleben eines Tanzgottesdienstes in der Situation eines Werkstatt-Tages von dem eines Tanzgottesdienstes, zu dem eine Gemeinde öffentlich einlädt, unterscheidet, wird im Folgenden nun ein „authentischer“ Tanzgottesdienst beschrieben. Auch hier sind Orte und Personen anonymisiert. 7.4.6 Tanzgottesdienst „Das kleine Ostern“ Dieser Gottesdienst in der evangelischen Gemeinde einer Großstadt ist seit Jahrzehnten eine Institution. Er findet etwa viermal im Jahr statt und scheint der einzige dieser Art in dieser Stadt zu sein.

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Von der S-Bahn-Station bis zur Kirche gehe ich etwa zehn Minuten durch ein eher nobles Stadtviertel. Dort verkehren S-Bahn, U-Bahn und Straßenbahn, es gibt kleine Kneipen und Restaurants, viele Leute sind unterwegs, nicht wenige auf edlen Fahrrädern. Vor der Kirche spielt ein Mädchen Fußball mit einem Erwachsenen, vielleicht dem Vater? Die Tür zur Kirche steht offen. Es ist ein warmer Frühlingstag. Eine Viertelstunde vor Beginn trete ich ein, die Leiterin bewegt sich geschäftig, freut sich aber, als ich mich zu erkennen gebe. Auf Veranstaltungen sind wir uns bereits begegnet. Eine hochbetagte Dame tritt ein, sie ist sehr schlecht zu Fuß. Das spricht für den Gottesdienst, denke ich, wenn auch nicht so mobile Menschen sich dorthin trauen. Der Raum ist eine Kirche im Backsteinstil, wohl 19. Jahrhundert, der Grundriß in Kreuzform. Die Vierung ist völlig frei, etwa 35 Stühle stehen im Halbkreis. Die Mitte ist betont durch eine große Glasvase mit einigen Zweigen. Zwei violette Bänder und ein rosafarbenes Band sind darin befestigt, außerdem hängen dort drei Brezen. Das finde ich kurios und frage mich, ob das ein regionaler Osterbrauch ist. Auf bereitliegenden Liedzetteln ist das Thema „Das kleine Ostern“, passend zum Sonntag Lätare, angekündigt. Auf dem Liedzettel ist auch schon das Datum des nächsten Tanzgottesdienstes vermerkt. Im Osten des Raumes befindet sich ein durch Stufen erhöhter Bereich. Diese Seite des Raumkreuzes ist durch einen Säulenumgang hervorgehoben. Der Raum füllt sich langsam und ohne Eile. Während des Glockenläutens kommen noch vier Frauen und eine kommt dazu, als alle schon erwartungsvoll im Kreis stehen. Insgesamt sind es dreiundzwanzig Teilnehmer_innen, darunter zwei Männer. Der Kirchenmusiker leitet den Gottesdienst im Team mit einer Pfarrerin und der Ehrenamtlichen Br. Nach dem eher kurzen Glockengeläut steht er auf, stellt sich mittig hin, den Ostchor im Rücken, die Kreismitte vor sich und macht mit den Händen eine einladende Bewegung. Sofort erheben sich die Anwesenden und stellen sich miteinander in den Kreis. Der Kirchenmusiker reicht seinen Nachbarn die Hände, die rechte mit der Handfläche nach oben, die linke mit der Handfläche nach unten. Alle tun es ihm nach. Im Tempo der Musik von Händel (eine Sarabande meine ich zu erkennen) geht der Leiter vier Schritte nach rechts und nimmt durch seinen Bewegungsimpuls den Kreis im Ganzen gleich mit. Nach den vier Schritten folgt ein leichter Pendelschritt auf der Stelle. Da ich direkt neben dem Leiter im Kreis stehe, bekomme ich den Schritt erst dann mit, als die Mittanzenden mir im Kreis gegenüber diese Bewegung mitvollziehen. Ich kann es dort abschauen, muss also nicht auf die Füße meines Nebenmanns oder meine eigenen Füße schauen. Es ist leicht und stört auch nicht, wenn die Bewegung da und dort ein wenig anders ausfällt. Der Wechsel von Gehen und Pendeln auf der Stelle ist wesentlich. Auf dem internen Ablaufzettel der Mitwirkenden, den ich später mitnehmen darf, steht unter dem Punkt „Tanz“ die Beschreibung „gehen/stehen“. Anschließend ergreift die Pfarrerin das Wort, ganz umstandslos vom Kreis aus, was ich angenehm finde. Sie ist schwarz gekleidet in langem Rock,

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leichtem Pullover und Poncho – kein Talar. Das Eingangsvotum ist dem Kanzelgruß nachempfunden: „Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes…“. Sie führt in das Proprium des Sonntags Lätare ein und lässt thematische Stichworte anklingen. Die Frage nach dem, was uns nährt, und der Verweis auf die Suche nach Kraft für das Leben werden verbunden mit der Erwartung des Osterfestes. Die Zweige in der Mitte tragen die liturgischen Farben der Passionszeit (violett) und des Sonntags (rosa). Mit den Brezen verbindet sich das Stichwort „Brotsonntag“. Augenzwinkernd kommt die Bemerkung, dass die drei Öffnungen der Breze drei Durchblicke, quasi trinitarisch, auf Ostern geben, denn es dauert noch drei Wochen bis dahin. Außerdem verbirgt sich in der Brezen-Form eine Gebetshaltung. Das macht mich nun wirklich neugierig, und ich blicke in der Runde in andere interessierte Gesichter. Der tanzleitende Kirchenmusiker tritt nun aus dem Kreis heraus ein wenig vor in Richtung Mitte, er macht den Schritt vom Anfang noch einmal vor und erläutert den Wechsel von Gehen und Stehen, den wir „für die …-kirche“ täten. Es geht also um eine besondere Raumerfahrung: das Gehen zur Musik und das Lauschen auf die Musik, die in der Akustik des hohen Raumes gut schwingt. Wir tanzen das Stück noch einmal mit den Schritten angefasst im Kreis. Ein zweites Mal wird in zwei Gruppen getanzt. Das bedeutet, es bilden sich zwei Reihen, die eine von G angeführt, die andere von Br, der dritten Person im Leitungsteam. Die Gruppen beginnen versetzt, so dass die einen gehen, während die anderen stehen. So entsteht ein kleiner getanzter Kanon. Danach kündigt der Musiker ein gemeinsames Lied an. Alle setzen sich und hören auf die Einstimmung durch die Orgel. Während des Singens pausiert die Orgel, der Leiter begleitet den Gesang mit einem kunstvollen Klatschen, das, wie jeder versteht, nicht zum Mittun gedacht ist. Der Gesang ist beherzt, das Lied scheint allen bekannt: In dir ist Freude EG 389. Anschließend erklingt der Ruf: „Wohl denen, die in Deinem Hause wohnen.“ zweimal, so dass die Mitfeiernden einstimmen können. Der Ruf stammt aus Psalm 84 und untergliedert das von der Pfarrerin und Br vorgetragene Psalmgebet. Dies alles funktioniert ohne Erklärung oder Regieanweisungen, was für das stimmige Ineinander der Elemente spricht. Die Pfarrerin stellt sich nun auf die Stufen vor ein Standmikrofon und richtet einen geistlichen Impuls an die Versammelten zu einer Stelle aus Johannes 12. Ihre Worte umkreisen das Bild vom Weizenkorn, das in die Erde fällt und sterben muss, indem einige lebensnahe Situationen genannt werden, die ein Loslassen mit sich bringen. Dann folgt ein Verweis auf Johannes Tauler und seine Systematik des Loslassens in drei Stufen. Ein überraschender Gedanke des Mystikers: auch die eigenen Gottesbilder sind loszulassen. Sehr passend, denke ich, dass die Pfarrerin bei diesem Gedanken das Wortemachen beendet und ein Tanz folgt. Br fordert mit einer Geste zum Aufstehen auf. Sie erklärt eine Folge von Gebärden und macht sie gleichzeitig vor. Die Hände werden in verschiedene

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Haltungen gebracht, die ständig fließend ineinander übergehen. Es gibt keinen Stillstand. Der Atemfluss wird mitvollzogen, während die Hände wie von unten nach oben blütenartig „hochwachsen“, sich die Arme öffnen und weit zur Seite gehen, dann wieder zur Körpermitte zurückkehren und mit den Handflächen nach unten über eine imaginäre Ebene in Bauchhöhe streichen von innen nach außen und diese Kreisbewegung bis hinter den Rücken fortsetzen. Die Hände streichen ein wenig am unteren Rücken hinab, schwingen nach unten, während durch Kniebeugen der Körperschwerpunkt nach unten geht. Schließlich kommen die Hände vor dem Körper wieder zusammen und wenden sich von der Haltung mit den Fingerspitzen nach unten, den Handrücken gegeneinander langsam nach oben mit den Handflächen aneinander. Zu einem orientalisch anmutenden Gesang von CD, der eher Schleifen beschreibt, Melismen, also kaum rhythmisch ist, wiederholen alle die Gebärdenfolge. Br ermutigt dazu, das eigene Tempo zu wählen oder sich von ihren Bewegungen leiten zu lassen. Zum nächsten geistlichen Impuls setzen sich alle wieder. Die Pfarrerin spricht über eine Stelle aus Jesaja 66 „Siehe, ich bereite den Frieden bei euch wie einen Strom“. Die Utopie vom Frieden wird verbunden mit dem Vorgeschmack auf den großen Frieden in verschiedenen Alltagserfahrungen, die aber nicht näher ausgeführt werden. Wir hören die Zusage, im Vertrauen auf Christus Frieden erleben und auf den großen Frieden in der Vollendung hoffen zu können. Anschließend folgt ein Tanz nach der von CD eingespielten Musik Ciaconna (von Pluhar). G zeigt den Schritt innerhalb des Kreises, es ist ein MayimSchritt, das heißt im Wechsel ein Seitschritt und ein Kreuzschritt, entweder vor oder hinter dem anderen Fuß. Mit drei Schritten kommt man in eine Drehung hinein, dann wird der Schwung abgefangen, indem ein Fuß vor dem anderen kreuzt und dann beide nebeneinander gesetzt werden. Bei den Bewegungen geht es nicht nur um die Schritte. Im Augenwinkel sehe ich, wie der Leiter die Arme mitnimmt, so dass auch die Drehung viel Schwung erhält. Die Mittanzenden setzen je nachdem auch intuitiv die Arme ein. Zum nächsten geistlichen Impuls sitzen alle wieder. Die Pfarrerin legt das Wort „Ich bin das Brot des Lebens“ aus Johannes 6 aus. Alltägliche Situationen werden geschildert, in denen so etwas wie Hunger aufkommt, der dennoch kein echter Hunger ist. Der Griff nach Essen überdeckt häufig, wonach uns wirklich hungert. „Die Frage, wonach hungert mich?“ findet eine Antwort in dem Angebot Jesu. Er ist das Brot des Lebens. Im anschließenden Tanz zu einer beschwingten orientalischen Musik im Dreier-Takt denke ich zwar schnell nicht mehr an Brot und Sattwerden. Ich komme aber so in Bewegung, dass ich meine Energie spüren kann. Wieder werden die Arme und Hände zu ausdrucksstarken Gebärden eingesetzt: eine Hand am gestreckten Arm nach außen, die andere zur Brust, dann Wechsel. Die Figur wird wiederholt, dann folgt die Figur in einer Variante noch zweimal. Diesmal ist die Hand wie ein Spiegel nach oben gerichtet, die Tanzende

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sieht zur Hand hin. Die dritte Figur ist ein Drehen, während die beiden Hände leicht überkreuzt auf der Brust liegen. Dazu bewegen sich alle im Kreis in Tanzrichtung nach dem Muster Schritt – Tipp – Schritt, was leicht und belebend wirkt. Das Stück wird anschließend wiederholt. Jede kann frei ihre Varianten gestalten und sich dazu außerhalb der Kreislinie bewegen. Als alle wieder sitzen, wird noch einmal ein Teil aus Psalm 84 gelesen. Der Psalmtext kehrt wieder in dem Chorwerk von Brahms „Wie lieblich sind deine Wohnungen“. Dazu werden nun die Schritte der Ciaconna von vorhin getanzt. Der Kirchenmusiker führt ins Tanzen ein und ermutigt dazu, den Unregelmäßigkeiten in Tempo und Rhythmik der Musik nachzugeben und die Schritte intuitiv anzupassen, frei, ohne etwas richtig machen zu wollen. Der Tanz wird in der Gruppe auf der Kreislinie getanzt. Das gibt ausreichend Orientierung, so dass ich die Freiheit genießen kann. Beim von der Pfarrerin vorgetragenen Fürbittengebet stehen alle im Kreis. Es darf jede eine Gebetshaltung wählen, die Pfarrerin nennt ein paar Beispiele mit Bezug auf die in den Tänzen vorgekommenen Gesten. Im Augenwinkel sehe ich tatsächlich ganz unterschiedliche Haltungen. Es scheint keinen Gruppenzwang zu geben. Wir beten im Kreis stehend gemeinsam das Vaterunser. Dann spricht die Pfarrerin den Segen, einige bekreuzigen sich selbst. Auch die gehbehinderte Frau nehme ich nun wieder wahr. Sie ist mit im Kreis dabei. Zum Abschluss wird der Brahms noch einmal zum freien Tanz eingespielt. Dazu bewegen sich die Tänzer_innen durch den ganzen Raum, den der Kreis bietet. Als die Musik endet, wenden sich manche zum Gehen, andere stehen noch in Grüppchen zusammen und reden. 7.4.7 Reflexion Der Tanzgottesdienst „Das kleine Ostern“ bietet ein Beispiel eines Gottesdienstes, der seit langem von einem kleinen Kreis von ca. 20–30 Leuten gut angenommen wird. Im Vergleich zu den in der Werkstatt Tanzgottesdienst durchgeführten Beispielen lassen sich einige Besonderheiten hervorheben. Das Team aus einem Kirchenmusiker, einer Pfarrerin und einer ehrenamtlichen Tanzleiterin war fachlich besonders gut aufgestellt. In der „Werkstatt“ (s. o.) waren weder Pfarrer oder Priester noch professionelle Kirchenmusiker beteiligt, allerdings war ein Diakon beteiligt. Der Kirchenraum bot weiten Raum durch flexible Bestuhlung und einen ebenen Boden, auf dem es sich gut tanzen ließ. Außerdem hatte die Kirche die Ausstrahlung eines sakralen Raumes, nicht eines Gemeindehauses. Dadurch wurde das Tanzen deutlich in einen christlich-spirituellen Kontext integriert. Die Mitte des Kreises war mit einem kirchenjahreszeitlich passenden Gesteck geschmückt, das im Gottesdienst auf das Sonntagsproprium hin ausgedeutet wurde. Erfahrungsmöglichkeiten waren in einer großen Breite gegeben durch den

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Wechsel von gebundenen und freieren Tänzen, Gebärdengebet, Singen am Platz, Hören von verkündigenden Wortbeiträgen und Stille. Charakteristisch ist für diesen Tanzgottesdienst die Wiederholung der Tänze und die Wiederkehr und stimmige Verflechtung einzelner Elemente, wie etwa Tanz- oder Gebärdenhaltungen in der frei gewählten Gebetshaltung zum Vaterunser sowie die Wiederholung des einfachen Grundmusters eines Tanzes in Varianten, die unterschiedlich viel Freiraum zur Eigengestaltung zulassen. Das Prinzip der wiederholenden Vertiefung gab dem Gottesdienst insgesamt eine meditative Prägung. Im Blick auf die aus den Beispielen der Werkstatt konstruierten Typen von Beziehungen zwischen Wort und Tanz fällt auf, dass der Tanzgottesdienst zu keinem der Typen so recht zu passen scheint. Während Typ 1 den Tanz als Medium von psychologisch-geistlichen Wahrheiten betont, die verbal als Deutung oder Liedtext eingebracht werden, ist hier an keiner Stelle eine Deutung zu den Tanzschritten oder Armbewegungen erfolgt. Die Einführung in die Tänze vollzog sich fast unmerklich locker durch sofortiges Mittun. Deutungen wurden mit dem Schmuck verbunden. Wortteile waren deutlich als solche erkennbar und vom Tanzen abgesetzt, also nicht in die Tänze mit hinein gepackt. Typ 2 ging mit dem Tanz als Medium der individuellen Auseinandersetzung mit einem Bibeltext um, ein Ansatz, der hier höchstens implizit erkennbar war, jedoch nicht den gesamten Gottesdienst dominierte. Der Unterschied bestand darin, dass auf Wortteile Tanz folgte, der den Teilnehmenden keine subjekte Aneignung mit arbiträrer Zeigehandlung abverlangte. Es folgten angeleitete Tänze, bei denen die Verbindung zum Wort von den Tanzenden selbst durch eigene subjektive Deutungen gesucht werden konnten, aber nicht mussten. Typ 3 setzte das Wort als Medium ein, um Bewegung und Tanz tiefer erleben zu lassen. Worte und Bewegungen wurden dazu häufig kombiniert. Bei G waren die Worte in Verkündigung und Liedtext, in Gebeten und Begrüßung vom Tanz formal klar getrennt. Das vertiefte Erleben kam nicht durch aufgesetzte Theologumena zustande, sondern durch die variationsreiche Wiederholung. Ein Thema gab dem Gottesdienst insgesamt den roten Faden, wurde gedanklich umkreist und mit den Tänzen insofern vertieft, als beim Bewegen das Gehörte tiefer eindringen und sozusagen durch den Körper fließen konnte. Damit werden die oben aufgefundenen Typen durch das letzte Praxisbeispiel relativiert. Gleichzeitig erweist sich die Frage nach dem Verhältnis von Tanz und Wort als ein heuristisches Werkzeug, das hilft, wesentliche Charakteristika eines einzelnen Gottesdienstes sichtbar zu machen. Der Tanzgottesdienst zum Sonntag Lätare sperrt sich gegen das Schema, das Wort durch den Tanz auszulegen oder den Tanz durch das Wort. Eher geht es um eine meditative Vertiefung, eine kreisende, fast spiralförmige Bewegung im gemeinsamen Feld von Wort und Tanz, wobei ein Thema hörend, singend und

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bewegend in der Tiefe angeeignet wird. Dieser kann nun als Typ 4 bezeichnet werden. In den in B 2.6 dokumentierten Erfahrungen mit Tanzgottesdiensten treten unschwer erkennbar weitere Typen1404 hervor. Allerdings kann im Rahmen dieser Arbeit die Reihe von Systematisierungen nicht fortgesetzt werden, um den Schwerpunkt nicht aus dem Auge zu verlieren. Was die bisherigen Beobachtungen zeigen, ist, dass die Tanzgottesdienste offenbar das Potenzial ästhetischer Erfahrung nutzen, um Menschen zu einer eindrücklichen Form der Begegnung mit religiösen Themen auf einer bis ins Körperliche reichenden tieferen Ebene zu bieten. Der Tanz im Tanzgottesdienst stellt möglicherweise ein Modell dar, wie ein Feiern in leiblicher Ko-Präsenz durch das Ineinander von Bewegung, Körperwahrnehmung, Wahrnehmung der anderen Menschen, Musik und Raum erlebnismäßig intensiviert werden kann. Die durch das Tanzen angestoßene wache Präsenz in der Wahrnehmung, die Sensibilität für Klang, Form und inneres Berührtsein kann ohne allzu große Anstrengung auch für das Erleben von Gebet, Lied, Predigt und Segen angenommen werden. Wenn Tanz das Leitmedium im Gottesdienst darstellt, so erhält, wie ich vermute, der ganze Gottesdienst eine andere Tönung durch die differenziertere offenere Rezeptionshaltung der Mitfeiernden, sofern sich diese auf das Geschehen gut einlassen können. Da in den Gesprächen (vgl. B) häufig nur von Tanz als einem additiven Element im Gottesdienst gesprochen wurde und weder eine große Zahl von Tanzgottesdiensten gezielt unter diesem Aspekt untersucht wurde, noch die Frage nach den Unterschieden zwischen normalen Gottesdiensten und Tanzgottesdiensten explizit gestellt wurde, kann die oben formulierte Vermutung nicht umfassend belegt werden. Eine Ausnahme bilden lediglich die Aussagen von G in B 2.6. Gleichzeitig kann sicherlich nicht nur Tanz als künstlerisches Medium im Gottesdienst für intensive ästhetische Erfahrungen sorgen. In dieser Arbeit soll allerdings gezeigt werden, welche besonderen ästhetischen Erfahrungen für Tanz spezifisch sind. Dazu dient unter anderem das Hören darauf, was die Tanzenden aus ihrer Praxis erzählen.

8 Zusammenfassung In Teil A wurde das Ziel verfolgt, mittels historischer und systematischer Analysen das Klima für die Entstehung von Kirchentanz zu skizzieren. Dies geschah nach Einführungen und Begriffsklärungen (Kapitel 1 und 2) in 1404 Tanz im Gottesdienst kann auch als Performance eingebracht werden und so mit einem Thema korrespondieren. So wird sowohl von Hs und F als auch von Be berichtet, wie Tanzperformance in Gottesdienste einfließt, die ein sozialpolitisches, biblisches, seelsorgliches (Trauer) oder historisches Thema haben. Vgl. B 2.6.

Zusammenfassung

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mehreren Perspektiven: Philosophie (Kapitel 3), Biblische und Systematische Theologie (Kapitel 4), Praktische Theologie (Kapitel 5) und Tanzwissenschaft (Kapitel 6). Der Darstellung der Anfänge der Entstehung kirchlicher Tanzszenen folgten Einblicke in die Praxis, die in Teilnehmender Beobachtung gewonnen wurden (Kapitel 7). In Kurzform können die Ergebnisse nicht ohne gewisse Verkürzungen formuliert werden. Wenn ich dies nun trotzdem angehe, geschieht es mit der Zielsetzung, der Leserin, die Teil A zunächst überspringt, um sich zuerst mit Teil B oder C zu beschäftigen, einen Überblick über das bisher Geleistete zu bieten. Als Ouvertüre dienten Klärungen der Bedeutungsspektren der Begriffe Tanz, Spiritualität, Kunst und Ästhetische Erfahrung. Mit diesen Termini wird in der vorliegenden Arbeit durchgehend umgegangen. Im Rahmen unterschiedlicher Herangehensweisen an das Phänomen Tanz hat sich die kultursoziologische Auffassung als weiterführend erwiesen: Tanz ist das, was in unterschiedlichen Tanzverständnissen vorzufinden ist. Die kulturellen Kontexte des Tanzes, mithin die Kirche oder (christliche) Spiritualitätspraxen, tragen zum Verstehen entscheidend bei. Spiritualität wurde im Kontext postmoderner und aktueller postchristlicher Gesellschaft als fluides Phänomen beschrieben, das gleichzeitig innerhalb evangelischer Theologie als wesentlich für die Lebendigkeit von Glaubenspraxis angesehen wird. Meine Arbeitsdefinition „Spiritualität ist individuell gestaltete Praxis, die sich von Glaubensüberzeugungen und Suchbewegungen nach Sinn nährt“ diente der Zusammenschau von fluktuierender und christlich orientierter Spiritualität. Die Feststellung, dass es sich bei Tanz um Kunst handelt, ungeachtet dessen, ob ein Kunstbegriff von elaborierter, professioneller Kunst oder Laienkunst vorliegt, verlangte nach einer Klärung. Sie mündete in der Erkenntnis der zentralen Stellung der Rezeption, mithin der durch Kunstbegegnung ausgelösten ästhetischen Erfahrung. Diese wird grundsätzlich als gewöhnliche Erfahrung qualifiziert, die dennoch besondere Merkmale aufweist. Sie basiert auf ästhetischem Erleben und changiert zwischen somatischer Grenzerfahrung (Liminalität in der Performance) und Sinngebung (Semiose). Daher bietet sich für die Analyse von ästhetischer Erfahrung im Tanz durchgängig der doppelte Rekurs auf semiotische Theorien sowie Theorien der Performativität an. Der Bezug auf philosophische Theorien sowie im Folgekapitel auf Theologie erfolgte unter der Prämisse, geistesgeschichtliche Strömungen zu beschreiben, die möglicherweise die Entstehung von kirchlichen Tanzszenen plausibel machen. Zentraler Punkt ist dabei die Untersuchung des Körperverständnisses in der Phänomenologie und phänomenologischer Tanzphilosophie mit ihren Auswirkungen auf Tanzauffassungen (Bildungstheorie) sowie der Theologie in Bibel und Lehrbildungen. Dabei fällt auf, dass beide Fachdiskurse erst im 20. Jahrhundert körperfreundlichere Anthropologien in größerem Ausmaß hervorgebracht haben. In der Theologie haben feministi-

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sche und befreiungstheologische Ansätze sich besonders stark mit dem Thema Leiblichkeit auseinandergesetzt. Diese Beobachtung setzt sich in der Sichtung praktisch-theologischer Ansätze fort. Allerdings liegt dort vor den feministisch-befreiungstheologischen Aufbrüchen ein liturgietheologischer Aufbruch in katholischer und evangelischer Theologie. Im Zuge einer Entwicklung, die den Leib immer stärker wertschätzt, als Leib Christi im Abendmahl und in Gestalt der Menschen, die die Kirche bilden, kommen erst in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auch religionspädagogische Ansätze auf, wie das Bibliodrama oder die performative Religionsdidaktik, bei denen die Körperlichkeit der Lernenden konsequent mitbedacht wird. Einige Arbeiten, die Tanz in der Praktischen Theologie thematisieren, wurden mit ihren Erträgen dargestellt. Das Desiderat empirischer Forschung trat dabei deutlich hervor. Außerdem fiel die meist fehlende Anbindung an tanzwissenschaftliche Diskurse auf. Daher führte Kapitel 6 in tanzgeschichtliche Grundlagen ein. Dort wurden, über übliche tanzwissenschaftliche Darstellungen hinaus, bestimmte Aspekte, die für die Praxen in kirchlichen Tanzszenen bedeutsam sind, stärker beleuchtet: Im Kunsttanz vollziehen sich im 20. Jahrhundert nicht zufällig Veränderungsprozesse auf dem Feld der Körper- und Tanzverständnisse. Besonders die Protagonisten des sogenannten Modern Dance stehen für die Wende zum Paradigma der Bewegung im Tanz und für das Verständnis vom Körper der Erfahrung, teils auch zum energetischen Körper. Unterschiede und Gemeinsamkeiten der dargestellten Tänzer und Choreographinnen machen deutlich, welche Linien vorhanden sind. Sie stellen einen Rahmen dar, der die Ausbildung kirchlicher Tanzszenen neben den gezeigten geistesgeschichtlichen Wandlungen stark beeinflusst hat. Diese Einflüsse wurden im Kapitel 7 schließlich nicht mehr nur postuliert, sondern anhand historischer Entwicklungen und den Topoi in den literarischen Diskursen der Kirchentänzer_innen aufgezeigt. Im gleichen Kapitel ging es sodann um die Beschreibung von Praxis-Ausschnitten in der ErstePerson-Perspektive. Die Beispiele beziehen sich auf Tanz unterschiedlicher Stilrichtungen in Seminarformaten und Workshops für verschiedene Zielgruppen. Erste Analysen der Beobachtungen erbrachten für den Forschungsprozess eine gesteigerte Aufmerksamkeit im Hinblick auf die erwähnten Problemlagen und Fragestellungen. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf den Fragekreisen rund um das Thema Tanz im Gottesdienst bzw. Tanzgottesdienst (vgl. 7.4.3 bis 7.4.7). Zu Beginn des zweiten Teils der Studie wird die hier und im weiteren Fortgang eingesetzten Forschungsmethodik dargestellt.

B Tanzenden das Wort geben Tanzenden wird das Wort gegeben. Das heißt, sie erhalten Raum zum Reden, und ihnen wird zugehört. Teil B stellt dar, was die Tänzer von ihren Erfahrungen erzählen. Diese Narrative sind in Milieus entstanden, wo das „Wort“ im spirituellen Sinn – biblische Worte, die als Anrede Gottes gedeutet werden – getanzte Reaktionen auslöst. Die Worte Tanzender machen stellenweise deutlich, dass sie mit dem „Wort“ ringen und nicht immer eine Antwort möglich ist. Manchen haben die Worte gefehlt, um das Erlebte ausdrücken zu können. In den Worten der Tanzbegeisterten ist etwas vom Glück zu spüren, das Dasein als Gabe erleben zu können.

1. Methodik der Forschung Zunächst wird eine Einführung in die Struktur des Teils B gegeben, und Querverbindungen zum Teil A werden aufzeigt (1.1). Anschließend stelle ich mein Forschungsdesign vor. Die Gesprächspartner werden anhand einiger Merkmale beschrieben (1.2.1), Entscheidungen zum Umgang mit den Daten auf dem Weg vom Gespräch zum Text erläutert (1.2.2), die Arbeitsschritte im Einzelnen aufgeführt (1.2.3), deren theoretischer Hintergrund offengelegt (1.2.3) und Überlegungen zur Forschungsethik dargestellt (1.2.5). 1.1 Einführung Teil A erarbeitete anhand interdisziplinär aufgestellter Begriffsklärungen Werkzeuge zur adäquaten Wahrnehmung des Phänomens. Die tanzwissenschaftlichen, philosophischen und theologischen Ausführungen sowie die historische Frage nach dem Werden der Kirchentanzbewegung konturierten den sozialen und geistesgeschichtlichen Kontext des Kirchentanzes. Insgesamt wurde dadurch das Klima, in dem sich Kirchentanz bis zu seinen heutigen Formen entwickelt hat, multiperspektivisch erfasst. Das, was Kirchentanzende selbst über sich und ihr Tun sagen können, ist nun daran anzuschließen. Grundsätzlich ergeben sich unterschiedliche Möglichkeiten der Verhältnisbestimmung zwischen dem, was Tanzende sagen und dem, was über Tanz geschrieben wurde. Möglich ist, dass Tanzende das bereits Dargestellte durch ihre Aussagen voll oder partiell bestätigen, ihm widersprechen, es ausdifferenzieren oder auch engführen. Außerdem kom-

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Tanzenden das Wort geben

men auch Aussagen von Zuschauern zu Wort.1 Der Dialog geschieht durch das Nebeneinanderstellen in dieser Arbeit zunächst implizit. Er ereignet sich beim Lesen. In der Lektüre entsteht, dem jeweiligen Erkenntnisinteresse2 der Leserin entsprechend, ein erstes Zwiegespräch. Die unübersehbar vielen Lesarten sollen im Folgenden nicht unnötig eingeschränkt werden, lediglich einige Verbindungsspuren deute ich hier im Rückblick auf Teil A und im Übergang zu Teil B an, ehe in Teil C ausgewählte Aspekte im Dialog mit Tanzwissenschaft, Ästhetik und Theologie weiter reflektiert werden. Der empirische Teil in Kapitel 2 ist in acht Abschnitte untergliedert. Deren Inhalt ist das Ergebnis von bestimmten, unten im Einzelnen besprochenen, Arbeitsschritten. Themen sind: die Bedeutung von Tanz (2.1), die Biographien der Kirchentänzer_innen (2.2), die durch sie praktizierten Formen und Stile sowie die Deutungen, die sie damit verbinden (2.3), die Selbsterfahrung und Körperaneignung im Tanz (2.4), die Spiritualität im Tanz (2.5), der Tanz in der Kirche bzw. im Gottesdienst (2.6), der Zusammenhang von Tanzerfahrung und theologischem Denken (2.7) und die Erfahrung von Tanz als Kunst (2.8). Abgeschlossen wird die Darstellung durch eine Zusammenfassung (3). Folgende Hinweise auf die inneren Zusammenhänge mit Teil A dienen dem Überblick: Zu 2.1 „Eine sehr schöne Art, sich zu bewegen“ – Zur Bedeutung von Tanz für Tanzende im Raum Kirche: Tanz kann kaum abschließend definiert werden, so ist der erste Versuch einer Begriffsklärung in A 2.1 resümiert worden. Unterschiedliche Theorieperspektiven erbringen jeweils spezifische Sichtweisen auf den Tanz. Aussagen darüber, was Tanz aus der Erste-Person-Perspektive3 ist und bedeutet, können nur von den Tanzenden selbst eingebracht werden. Für eine Kunst, deren Medium die Person als Ganze ist und die direkt an Korporalität gebunden ist, stellen aus der Erfahrung gewonnene Umschreibungen eine wichtige Quelle dar zur Bestimmung, worum es sich handelt. Zu 2.2 „Ich wollte immer schon tanzen“ – Biographien von Kirchentänzerinnen und -tänzern: Die Erkenntnis, dass Spiritualität mit Transformation zu tun hat, wie Abschnitt A 2.2 behauptet, bildet eine mögliche Spur des Zugangs zu den individuellen Biographien Tanzender. Deren Narrative sind zwar kaum reduzierbar auf verallgemeinernde Aussagen. Dennoch werde ich vorsichtig

1 Eine der wenigen methodologischen Arbeiten, die sich mit der Erforschung der Zuschauerperspektive beim Tanz befassen, ist ein Aufsatz von Anna Wieczorek. Sie vertritt, ebenso wie diese Arbeit, eine Präferenz sozial- und kulturwissenschaftlicher Methodik, etwa Zuschauerinterviews, deren Transkripte ausgewertet werden. Vgl. Wieczorek 2017, 89; 99. 2 Der Vorschlag von Lesarten, die bei den Rezipienten angesiedelt sind, greift über das, was die Forscherin selbst in den Grenzen ihres jeweils zum Ausdruck gebrachten Erkenntnisinteresses benennen kann, hinaus. Das Erkenntnisinteresse ist stets Teil des Prozesses zur Erforschung gelebter Religion. 3 Vgl. Depraz 2012.

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strukturierend vorgehen anhand von Lebensphasen, Ausbildungs- und Lernerfahrungen. Zu 2.3 „… ist ja schön, dass wir alle so unterschiedlich sind“ – Tanzstile, Formen und Deutungen: Wie vielfältig Kirchentanz sein kann und dass er teilweise auch ganz anders genannt wird, ist einer der Erträge des Kapitels A 7. Narrationen halten sich nicht an systematische Ordnungen. Wenn Menschen von ihrem Leben erzählen, treten sehr bald Aussagen darüber zutage, was sie wo mit wem machen. Aus den Erzählungen ergänzt sich das Panorama der Stile durch die gelebte Tanzpraxis. Zu 2.4 „Im Tanz darf ich so sein, wie ich bin…“ – Selbsterfahrung und Körperaneignung im Kirchentanz: Aufgrund der Einblicke in die neuen Entwicklungen im Tanz des 20. Jahrhunderts in Kapitel A 6 ist die Bedeutung von Selbsterfahrung und Körperaneignung im Kunsttanz deutlich geworden. Das Werk Labans, Grahams, Halprins und Bauschs hat Kirchentanzende nicht nur zur Auseinandersetzung mit diesen Künstler_n als Impulsgeber_n zeitgenössischer Tanzstile veranlasst. Alle vier stellen auf ihre Weise auch ein Paradigma dafür dar, dass Tanz eine Kunst ist, die Menschen Erfahrungen mit sich selbst machen lässt und ihnen eine spezifische Weise der Aneignung ihrer Körperlichkeit ermöglicht. Tanzerfahrung und Körperbilder werden sich aller Voraussicht nach wechselseitig beeinflussen. Erfahrungen mit dem eigenen weiblichen Körper der Tänzerinnen oder mit der Männlichkeit der Tänzer und verschiedener Spielarten der Verknüpfung von Körper, Intellekt und Spiritualität dürften in den Äußerungen implizit vorliegen. Aussagen über Selbsterfahrung stehen, wie ich vermute, in einem inneren Zusammenhang mit der Spiritualität der Tanzenden. Zu 2.5 „Atme in deinem Tanz“ – Spiritualität im Tanz – getanzter Glaube: Das Literaturstudium konnte zur Verbindung von Tanz und Spiritualität noch wenig Erhellendes beitragen. Zwar sind die philosophischen und theologischen Einsichten zur Anthropologie des Tanzens in A 3 und 4 ein Beitrag, um dessen Bedeutung für das Humane zu umschreiben. Woran sich jedoch spirituelle Erfahrung im Tanzen festmacht, konnte noch kaum plausibel gemacht werden. Gerade dies ist auch in den Aussagen der Tanzenden ein schwieriger Punkt. Direkte Nachfragen bieten sich nicht an, da die Person der Forscherin, eine evangelische Pfarrerin, durch ihre bloße Präsenz die Aussagen möglicherweise bereits in eine Richtung lenkt. Zu befürchten wären zudem Aussagen, die sich in Allgemeinplätzen erschöpfen, da das Spirituelle unsagbar ist. Eine bessere Strategie scheint mir, das, was implizit in den Aussagen vorliegt, aufmerksam wahrzunehmen, auf der Suche nach dem, was eben nicht explizit gesagt werden kann. Zu 2.6 „So viel Platz, so schöne Musik, hier möchte ich tanzen…“ – Kirchentanz und Tanz in der Kirche: Viele Tanzende haben Erfahrungen mit Tanz im Gottesdienst, wenige mit Tanzgottesdiensten. Diese stellen einerseits Wissen dar, das in die Darstellung in geordneter Weise einfließen sollte. Dazu zählen die Aussagen zur Verwendung von Tanz im Gottesdienst und Er-

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kenntnisse über günstige Rahmenbedingungen. Andererseits bieten die Aussagen im Zusammenhang mit dem Thema Gottesdienst auch Einblicke in Gottesvorstellungen und Menschenbilder. Außerdem äußern sich die Tanzenden zu ihrem durch den Tanz veränderten Körpererleben unter anderem im sogenannten normalen Gottesdienst. Das Thema der Körperlichkeit der Liturgie, wie in A 5 aufgegriffen, erhält dadurch einen Kommentar aus der Erfahrung heraus. Zu 2.7 „Am Anfang war das Wort… und das sind alles körperliche Bewegungen“ – Tanz und theologisches Denken: Wenn Theologie sich bewegt, wie A 4 andeutet, und zunehmend die Leiblichkeit achtet, ist zu erwarten, dass auch Tanzende Erfahrungen machen mit der Veränderung ihrer Theologie durch die Bewegung. Ein Teil der Tanzenden verfügt über theologische Bildung, andere äußern sich laientheologisch. Zu achten ist auf die Thematisierung des (hermeneutischen) Umgangs mit biblischen Texten und mit der Liturgie, mit Gottesvorstellungen und deren Zusammenhang mit ethischen oder politischen Themen. Die Eigenschaften des Tanzes als eigene Sprache, mit der Unsagbares Ausdruck findet, ist ebenfalls diesem Kapitel zuzuordnen. Zu 2.8 „… eine Kunstform für sich“ – Tanz als Kunst im Kirchenraum: In den Interviews ist die Frage von Interesse, was den Tanzenden Tanz als künstlerische Sprache bedeutet. Die in A 2.3 angebotene Begriffsklärung bietet einen Hintergrund für die Lektüre der Aussagen. Vorsichtig systematisierend soll zwischen Kunst außerhalb und innerhalb des Gottesdienstes unterschieden werden. Außerdem ist mir wichtig, zu erfahren, wie Tanzende die Beziehung zwischen Musik und Tanz unter künstlerischem Aspekt sehen, was ihnen die Raumbezogenheit des Tanzes bedeutet und was über Rezeptionsvorgänge dieser performativen Kunst zu sagen ist. Es ist zu erwarten, dass Tanzende jeweils für ihre eigene Praxis Möglichkeiten entdeckt haben, Kunst und Kirche zusammen zu denken. Ansatzweise könnten sich Hinweise auf die mit dem Tanzen verbundene ästhetische Erfahrung (vgl. A 2.4) finden. Zugleich nehme ich an, dass in allen Kapiteln ästhetische und spirituelle Erfahrung indirekt thematisiert werden. Daher wird auch die Auswertung in Teil C immer wieder mit der Fülle der Aussagen zu tun haben, da die vorläufigen Zuordnungen meist anderen Stichworten folgen. 1.2 Forschungsdesign Das Ziel der qualitativ-empirischen Studie ist, das Feld Kirchentanz als Ausschnitt der Wirklichkeit sichtbar zu machen und praktisch-theologisch zu verstehen. Den Tanzenden soll mit ihren Sichtweisen, ihrem Wissen und ihren Erfahrungen eine Bühne geboten werden. Dem recht offen formulierten Ziel entsprechend, das Feld zu explorieren, ist die Fragestellung, zu der die Studie einen Beitrag leistet, mehrdimensional. Die oben erwähnten Themenbereiche bilden die Hauptdimensionen bzw.

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Kernkategorien, die sich nach Sichtung des Datenmaterials ergeben haben. Dadurch entfaltet sich wie ein Panorama ein Blick auf die Aktivitäten und das Erleben von Kirchentänzer_n. Diese Öffnung zieht nach sich, im Teil C den Fokus wieder etwas schärfer zu stellen, nämlich auf die Bedeutung der Erfahrung Tanzender mit der ästhetischen Erfahrung des Tanzes als Kunst und als Praxis der Spiritualität. Zu den Verbindungen beider wird C wiederum theoretische Denkmodelle einbeziehen. Wie bereits durch die in teilnehmender Beobachtung entstandenen Praxisbeschreibungen deutlich wurde, liegt meinem Vorgehen eine ethnographische Methodik zugrunde. Dazu gehören Gespräche im Feld, die teilweise in die Texte in dichter Beschreibung4 eingeflossen sind. Den Hauptteil der empirischen Untersuchung bilden jedoch Gespräche, die im Zeitraum von 2012–2014 von mir geführt wurden. Bewogen hat mich dazu die Überlegung, dass anhand von Gesprächen in einer Mischung von offenen und halbstrukturierten Formen auch Erzählpassagen vorkommen, die vieles aufdecken können, was in gezielten Fragen nicht herauszuarbeiten wäre, da bei letzteren häufiger das Phänomen erwünschter Antworten auftritt. Narrative Episoden sind selbst prozesshaft strukturiert und sind so in der Lage, nicht nur soziale Konstellationen oder Ergebnisse von Prozessen zu benennen, sondern Prozesse im Kleinen auch nachzubilden. Erzählungen gleichen Bewegungen, sie bilden flüchtige Figurationen. Der Begriff Figuration verweist auf die entstehenden und wieder zerfließenden Aussagen, die für einen Moment einen klangsprachlichen Körper, eine Figur haben. Die Figuration steht im Zusammenhang mit der Imagination – im Französischen wird damit der Vorgang des „Sich-etwas-Vorstellens“ (se figurer) bezeichnet. Die in den Erzählungen aufscheinenden Erfahrungsfigurationen bilden einen Ausschnitt von Wirklichkeit ab, in Gestalt von erzählter Wirklichkeit. Sie ergeben in der Regel komplexe Konstellationen unterschiedlicher Aspekte. Als solche produzieren sie wiederum neue Texte, in dem Moment, wo aus dem Gesprochenen Geschriebenes wird.5 In allen Verarbeitungsstufen des Kodierens und Typologisierens ist von einer wechselseitigen, nicht genauer definierbaren Beeinflussung von Erkenntnisinteresse, Methodik und Ergebnis auszugehen. Im Folgenden sollen das methodische Vorgehen und die Rahmenbedingungen der Forschung im Einzelnen dargestellt werden. 4 Bezüglich der Forscherhaltung, dem Vorgehen und der Reichweite dichter Beschreibung orientiere ich mich an Geertz 2007. Außerdem wurde bei der Beobachtung auf einen Wechsel von Gesamtperspektive und Teilnehmerperspektive geachtet, das heißt, das Ganze der Praxis wurde wahrgenommen sowie bestimmte Ausschnitte in der Rolle einer Teilnehmerin. Zur Methodologie vgl. ergänzend Alkemeyer 2017, 149–155. 5 Jene Texte, die sogenannten Transkripte, konnten wegen ihres Umfangs nicht in die Druckfassung der Arbeit mit aufgenommen werden. Sie sind jedoch digital zugänglich und stehen weiteren Forschungen zur Verfügung. Diejenigen, die mit Tanz in kirchlichen Szenen eigene Erfahrungen haben, werden eventuell ebenfalls Interesse am Wortlaut der Gespräche haben. „Downloads“ unter www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/tanz.

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Zum Einsatz kamen als Methoden der Erforschung gelebter Religion die teilnehmende Beobachtung6 mit anschließender dichter Beschreibung, informelle Gespräche im Feld und gezielt vereinbarte eingehende Einzel- und Gruppengespräche mit Mitgliedern des Vereins CAT sowie mit weit mehr Tanzenden über jenen Kreis hinaus. Hinzu kommen Recherchen in Text- und Filmmaterial im Internet, deren Ergebnisse lediglich zu meinem Verständnis mancher in den Gesprächen benannter Sachverhalte oder Personen dienten, in dieser Arbeit wegen der Informationsfülle allerdings keinen Raum erhalten. Die Kontakte zu den weit über 50 Personen, die sich in den Gesprächen äußerten, ergaben sich über bereits im Verein geknüpfte Bekanntschaften.7 Von dort aus kamen auf der Basis der sogenannten Netzwerkanalyse8 weitere hinzu. Um Verzerrungen9 zu vermeiden, war es wichtig, die Grenzen des anfänglich anvisierten Kreises der CAT zu überschreiten. Daraus entstanden 36 Gespräche, das heißt 31 Einzel- und 5 Gruppengespräche, darunter auch ein Ehepaargespräch und ein Familiengespräch.10 Am Ende der Literaturliste findet sich eine Liste „Empirische Quellen“ mit Angaben zu Ort, Datum und Dauer der Gespräche. Die Transkripte geben Gespräche von einer Gesamtdauer von über 27 Stunden wieder. Sie sind in digitaler Form zugänglich. Kriterien für die Auswahl der Probanden waren neben dem pragmatischen Kriterium der Verfügbarkeit oder Erreichbarkeit das Einbeziehen unterschiedlicher Tanzstile, Geschlechter, Alter (was nur sehr bedingt gelang), Wohnorte und Grade der Professionalität. Da Umfang und genaue Merkmale des Feldes nicht von Anfang an feststanden, ist das Verfahren des Theoretical Sampling,11 ein iteratives Vorgehen gewählt worden. Das bedeutet: nach der Auswertung einiger Gespräche waren weitere Kontaktpersonen zu gewinnen, um entweder durch Ähnlichkeit Vergleichbarkeit herzustellen oder durch Abweichung zur Anreicherung der Daten beizutragen. Anhand der einleitenden Texte zu jedem Transkript ist nachvollziehbar, auf welche Weise der jeweilige Kontakt zustande kam. Anstatt eine umfassende Repräsentation der 6 Einbezogen habe ich nur solche Beispiele, bei denen die Selbstbeobachtung beim Tanzen eine Rolle spielt. Sehr ertragreich hätte ich mir daneben auch teilnehmende Beobachtung als Rezipientin von gesehenem Tanz im Gottesdienst oder auf der Bühne vorstellen können. Dies musste aus Platzgründen unterbleiben. 7 Da im Nachhinein nicht mehr nachvollziehbar ist, wieviele Teilnehmer sich jeweils in den Gruppengesprächen äußerten, ist die Angabe 50 nur ungefähr, nicht genau, was sich teils in der Darstellung der Charakteristika der Informanten (s. u. B 1.2.1.) in Form einiger ca.-Angaben niederschlägt. 8 Vgl. Bochinger/Engelbrecht/Gebhardt 2009a, 29. 9 Nach Lamnek spielt die Auswahl von relevanten Fällen eine bedeutende Rolle, um Verzerrungen zu vermeiden. Vgl. Lamnek 2005, 189. 10 Den jeweiligen Einleitungstexten der Transkripte sind Zusatzinformationen zu den Gesprächspartnern sowie zu Dauer und Umständen der Gespräche zu entnehmen. 11 Das Theoretical Sampling steht im Rahmen der Grounded Theorie Methodologie von Glaser/ Strauss für eine sukzessive Auswahl der Stichprobenelemente im oben beschriebenen Sinn. Vgl. Lamnek 2005, 188.

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Gedanken der Protagonisten der Szenen zu versuchen, lag der Schwerpunkt zunehmend auf der Bandbreite von Erfahrungen bzw. Lebenswelten, weshalb bewusst nicht nur „Tanzprofis“, sondern auch „Tanzlaien“ zu Wort kamen. Die Suche wurde eingestellt, als eine theoretische Sättigung12 eintrat, also keine relevanten Ähnlichkeiten und Unterschiede im Datenmaterial zu finden waren. Nach den genannten Merkmalen lassen sich die für längere Gespräche gewonnenen Tanzenden im Folgenden charakterisieren. 1.2.1 Angaben zu den Gesprächspartnern Unter den ca. 50 Personen sind 14 männlich. Der Anteil der männlichen Gesprächspartner liegt damit deutlich über dem, der insgesamt für die Beteiligten in der Kirchentanzszene angenommen werden kann.13 Die Begründung für eine verhältnismäßig hohe Beteiligung von Männern an den Gesprächen liegt in meinem Interesse für die männliche Perspektive in einer anscheinend weiblichen Domäne und liegt zudem im Verfahren des Theoretical Sampling. Die Tatsache, dass es nicht gelang, Gesprächspartner_innen im Alter von unter 40 zu gewinnen, verweist zum einen auf die Altersstruktur der Szenen, zum anderen darauf, dass ich bestimmte Szenen (die jüngeren, z. B. Tanz in der Jugendkirche, in Freikirchen o. ä.) gar nicht bzw. nur marginal berücksichtigt habe.14 Das Alter15 der Gesprächspartner_innen bewegt sich zwischen 40 und 83 Jahren, der errechnete Altersdurchschnitt beträgt rund 58 Jahre, wobei die Gruppe von 40–45 Jahren mit 8 Personen stark vertreten war und noch häufiger die Gruppen von 51–55 (10) und von 56–60 (10). 29 von ihnen sind Deutsche und arbeiten vorwiegend in Deutschland, eine ist Niederländerin, wirkt aber auch in Deutschland, ein Deutscher lebt in der Schweiz, hat jedoch auch in Deutschland einen Wirkungskreis, eine Deutsche lebt in Findhorn (Nordschottland), gibt aber in Deutschland häufig Kurse.16 Die Untersuchung konzentriert sich damit klar auf den Kontext in Deutschland. Unter den vertretenen Berufen finden sich Religionslehrer_innen (7), Pfarrer_innen bzw. Theologinnen, Pastoralreferent_innen o. ä. (9), Ehrenamtliche 12 Vgl. Lamnek 2005, 191. 13 Vgl. die Mitglieder der CAT (von 203 Mitgliedern im Jahr 2016 sind nur 28 männlich). In der Umfrage von Koch 1998 geben dagegen die meisten Befragten an, dass sie den Männeranteil in den Gruppen und Angeboten bei 10–20 % ansiedeln. Vgl. Koch 2002, 156. 14 Mein Erfahrungshorizont ist von den Mitgliedern der CAT geprägt, die wenige Kontakte in jüngere Tanzszenen hat. 15 In der Erhebung von Koch geben 64 % der Befragten an, die Teilnehmer_innen ihrer Angebote wären vorwiegend im Alter von 30–50 Jahren. Fast zwanzig Jahre später sind viele vermutlich einfach dabeigeblieben, aber älter geworden, sind also 50–70 Jahre. Mit meinen Gesprächspartnerinnen ergeben sich Überschneidungen mit jener Kohorte, es sind nur wenige Jüngere hinzugekommen. Vgl. Koch 2002, 156. 16 Zur Verteilung der Wohnorte siehe unten die Tabelle.

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in der Gemeindearbeit mit pädagogischen Weiterbildungen (9), Tanzpädagoginnen bzw. Tanztherapeut_innen und tänzerisch Weitergebildete (25) sowie professionell ausgebildete Tänzerinnen (4). Nicht studiert haben mindestens 8. Von den Tänzern haben mindestens 6 eine professionelle musikalische oder kirchenmusikalische Ausbildung. Mindestens17 19 Befragte sind evangelisch, davon die meisten lutherisch, einige reformiert, mindestens 4 in einer Freikirche, die anderen sind römisch-katholisch. Nicht alle sind als Tanzanleitende tätig, mindestens 8 Befragte beschränken sich auf die Teilnahme. Mit Tanz treten in der Öffentlichkeit, meist in Kirchen, 28 der Befragten auf. Als Tanzstile sind in den Biographien vertreten: Modern/Contemporary Dance, dazu gerechnet Kreativtanz, Jazztanz und Improvisation (26), Ballettausbildung oder Kurse in Ballett (mindestens 8), meditativer Tanz (16), klassischer indischer Tanz, Kathak und Bharatanatyam (2), Butoh (1), argentinischer Tango (2), Soul MotionTM (1), 5 Rhythmen 18 (1). In Kampfkunst sind zusätzlich vier ausgebildet, einer hat ein Studium in „Religion and Art (Dance)“ in Berkeley absolviert, zwei haben Tanz in Remscheid studiert, eine in Arnheim, eine in Amsterdam. Workshops und/oder längere qualifizierende Fortbildungen bieten 12 an. Als Lehrer_innen oder richtungsweisende Tänzer werden genannt: Rudolf von Laban, Martha Graham, Anna Halprin, Bernhard Wosien, Gabriele Wosien, Friedel Kloke-Eibl, Nanni Kloke, Elisabeth Hämmerling, Gabriele Wollmann, Wilma Vesseur, Barbara J. Lins (alle voranstehenden jeweils mehrfach) und Vinn Arjuna Marti sowie Kazuo Ono.19 Mindestens 11 sind Mitglieder in der CAT, eine ist es nicht mehr aus Altersgründen. Zu beobachten ist, dass, wer Tanzausbildungen oder Fortbildungen absolviert hat, in der Regel auch selbst anleitet.20 Die Tabelle bietet einen Überblick. Merkmal

Differenzierende Beschreibung der Gesprächspartner

Geschlecht

13 männlich, Rest weiblich (unbestimmte Anzahl zwischen 37–39). zwischen 40 und 83, Durchschnitt 58 (8 von 40–45; 2 von 46–50; 10 von 51–55; 10 von 56–60, 2 von 70–74, 2 über 80). mind. 29 Deutsche, 1 Niederländerin.

Alter

Nationalität

17 Bei denen, die sich in der Gruppe geäußert haben, liegen mir keine sicheren Informationen vor. Daher kann der Anteil der nur Teilnehmenden um bis zu 10 Personen höher liegen. 18 Der 5 Rhythmen-Tanz wird in C 2.4.5 näher erläutert. 19 Selbstaussagen dazu liegen vor in Teil B 2.2.3. 20 Vgl. u. a. Teil B 2.3.7.

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(Fortsetzung) Merkmal

Differenzierende Beschreibung der Gesprächspartner

Wohnorte

Raum Köln-Bonn 22, Raum Regensburg-München 7, Raum Nürnberg 6, Raum Stuttgart 4, Raum Hannover/Hamburg 3, neue Bundesländer 2 (Berlin und Weimar), weitere in Bayern 2, Pfalz 1, Zürich 1, Amsterdam 1, Findhorn 1. Religionslehrer_innen (7), Pfarrer_innen bzw. Theologinnen, Pastoralreferent_innen o. ä. (9), Ehrenamtliche in der Gemeindearbeit mit pädagogischen Weiterbildungen (9), Tanzpädagoginnen bzw. Tanztherapeut_innen / tänzerisch Weitergebildete (25), professionell ausgebildete Tänzerinnen (4), ohne Studium (8). Mind. 6 mit professioneller musikalischer oder kirchenmusikalischer Ausbildung. Mind. 19 evangelisch, davon die meisten lutherisch, einige reformiert, mind. 4 in einer Freikirche, die anderen römisch-katholisch. Mind. 8 ohne eigene Tanzangebote. Mind. 28. Modern/Contemporary Dance mit Kreativtanz, Jazztanz und Improvisation (26), Ballettausbildung oder Kurse in Ballett (mindestens 8), meditativer Tanz (16), klassischer indischer Tanz, Kathak und Bharatanatyam (2), Butoh (1), argentinischer Tango (2), Soul MotionTM (1), 5 Rhythmen . 4 1 Heidelberg/Berkeley, 1 Arnheim, 1 Amsterdam, 1 Remscheid. 12

Berufe

Musikalische Ausbildung Konfession

Nur teilnehmend Öffentlich mit Tanz auftretend Tanzstile

Ausbildung in Kampfkunst Studium in Tanz Anbieter von Workshops oder qualifizierenden Fortbildungen Lehrer_innen, Vorbilder

Mitglieder der CAT

Mehrfach: Rudolf von Laban, Martha Graham, Anna Halprin, Bernhard Wosien, Gabriele Wosien, Friedel Kloke-Eibl, Nanni Kloke, Elisabeth Hämmerling, Gabriele Wollmann, Wilma Vesseur, Barbara J. Lins. Einfach: Vinn Arjuna Marti, Kazuo Ono. ca. 11

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1.2.2 Vom Gespräch zum Text Begegnungen mit Gesprächspartnern fanden entweder am Rande von Tanzfestivals statt, in Kirchengemeinderäumen, bei den Tänzern zuhause oder, um lange kostspielige Reisen zu vermeiden, in fünfzehn Fällen am Telefon. Die Gespräche sind von unterschiedlicher Dauer, von 30 bis 90 Minuten, abhängig vom Redebedürfnis des Gegenübers. Die befolgten Regeln zur Herstellung der Transkripte der wma-Audio-Dateien21 orientieren sich an guter Lesbarkeit, der Schwerpunkt liegt auf der Wiedergabe der verbalen Inhalte.22 Daher sind dialektbedingte Aussprachen leicht geglättet (z. B. verschluckte Silben ausgeschrieben), Pausen in den Gesprächen werden durch (…) angezeigt, nicht jede Füllsilbe (äh) ist verzeichnet. Wortlaut und Satzbau sind unverändert belassen. Die Entscheidung für ein einfaches Transkript, bei dem die Gestik des Gegenübers nicht weiter protokolliert wird, ist wegen der besseren Vergleichbarkeit mit Telefoninterviews getroffen worden. Am Telefon entfällt der semantische Gehalt der Körpersprache. Bei der Wiedergabe der Aussagen wechseln sich Originalzitate mit zusammenfassenden Abschnitten und Aussagen in der dritten Person ab. Das Originalzitat in der ersten Person wurde dann gewählt, wenn es besonders plastisch war oder wenn das Zitat durch Pausen und Abbrüche für eine Suchbewegung des Gegenübers charakteristisch war. Es ist durch Lettern en petit hervorgehoben. Jeder Abschnitt zweiter Ordnung wird durch einen Themenüberblick eingeführt. In Klammern steht jeweils die Nummerierung der entsprechenden Unterabschnitte dritter Ordnung, z. B. 2.2.2. In den zusammenfassenden Darstellungen der Inhalte der Äußerungen finden sich regelmäßig Kürzel in Klammern als Verweise auf die Kodes, z. B. K3-2-4. Das Verfahren der Generierung von Kodes erläutert 1.2.3. Im Anhang kann die vollständige Liste und Aufschlüsselung der idealtypischen Sätze nachgeschlagen werden. Bei der Methodik der Gesprächsführung fand ein Lernprozess statt. Während die ersten Gespräche noch an vorformulierten Fragen eines relativ umfangreichen Leitfadens orientiert waren, gelang es zunehmend, auf die den Gesprächen eigene Dynamik einzugehen. Meine Rolle war von Anfang an als vorwiegend Zuhörende konzipiert. Mit zunehmender Erfahrung traten bestimmte Themen wiederkehrend hervor, so dass eventuelle Nachfragen um der besseren Vergleichbarkeit der Aussagen willen sich hierauf konzentrierten. Zu diesen häufigeren Fragen gehören: Wie bist du zum Tanzen gekommen? Wo tanzt du? Welche Stile bevorzugst du? Was fasziniert dich am Tanz, so dass du dabeigeblieben bist? Was hättest du ohne das Tanzen nicht gelernt? Verändert Tanzen Menschen? Dadurch ergibt sich eine Mischform aus bio21 Aufgrund von Hörqualität und flexibler Datenverarbeitung wurde eine digitale Speicherform gewählt. Vgl. Dresing/Pehl 2011, 8. 22 Vgl. Die Transkribier-Regeln nach Dresing/Pehl 2011, 11 f., 15–17.

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graphischem und fokussiertem Interview. Beispiel für eine Frage aus dem Repertoire des biographischen bzw. narrativen Interviews23 ist „Wie bist du zum Tanzen gekommen?“. Diese weite Frage lädt zum Erzählen ein. „Oberstes Handlungsziel des narrativen Interviews ist es, über expandiertes Erzählen die innere Form der Erlebnisaufschichtung des Informanten hinsichtlich der Ereignisse zu reproduzieren, in welche er handelnd und erleidend selbst verwickelt war.“24 Ein fokussierter Fragestil wurde lediglich bei der Frage: „Verändert Tanzen Menschen?“ eingesetzt. Diese Frage mit hypothesentestendem Charakter25 wurde erst dann öfter verwendet, als bereits einige Gesprächspartner das Thema Veränderung von sich aus eingebracht hatten. So wurde eine bessere Vergleichbarkeit der Aussagen erreicht. Die Mischung aus offenen und halbstrukturierten Gesprächsformen wurde gewählt, da es sich bei der Anzahl der Fälle um maximal mittlere Fallzahlen26 handelt. Daher wurde auch kein standardisierter Fragebogen eingesetzt. Darüber hinaus war die empirische Arbeit dieser Phase durch die Haltung des ero-epischen Gesprächs von Roland Girtler27 theoriegestützt. Die teilnehmende Beobachtung ergänzte das ero-epische Gespräch. Hiermit gemeint ist ein „eingehendes Gespräch, […] bei dem es um Erzählungen und Geschichten geht, die sich so ziemlich auf alles einer Kultur oder Gruppe beziehen können.“28 Vom Begriff Interview, einem Terminus der Journalistensprache, ist diese Form von Gespräch gemäß Girtler deutlich abzugrenzen. Allerdings hat sich in der qualitativen Sozialforschung der Begriff Interview für solche Formen wie das ero-epische Gespräch etabliert. Die Beziehung der Gesprächspartner ist hier nach Girtler die von Gleichen, der Forscher tritt nicht als „Verhörender“ auf.29 Einschränkend ist zu jenem Anspruch allerdings zu sagen, dass zwar in den Gesprächen kein Verhörcharakter, aber durchaus eine ungleiche Rollenverteilung vorherrschte, da die Gesprächsanteile der Probanden klar überwogen. Gespräche im Sinne von qualitativen Interviews waren es, da es, anstatt „einfache und schnell verwertbare Erkenntnisse“ zu erzielen, um eine „genaue Einsicht in tiefere soziale und kulturelle Zusammenhänge“30 ging. In einem solchen qualitativen Interview, das das Gegenüber angemessen respektiert, ist es aus forschungsethischen31 Gründen wichtig, die Gesprächspartner_innen über das Forschungsprojekt zu informieren. Dazu gehört die Bereitschaft, auf Wunsch den Tänzerinnen die Vgl. Schütze 1987. Schütze 1987, 49. Vgl. Lamnek 1989, 78 ff. Als mittlere Fallzahl gelten 20–100 Probanden. Girtler 2001. Zum ero-epischen Gespräch siehe besonders 147–168. Vgl. Girtler 2001, 147. Vgl. Girtler 2001, 147. Wichtig sei es, von den Leuten, mit denen man spricht, „akzeptiert“ zu werden, als jemand, der „in Ordnung“ sei. Vgl. Girtler 2001, 149. Daran habe ich mich orientiert. 30 Vgl. Girtler 2001, 148. 31 Zu weiteren forschungsethischen Überlegungen siehe unten B 1.2.5. 23 24 25 26 27 28 29

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Texte der Gesprächsprotokolle anschließend zur Verfügung zu stellen, was auch geschehen ist. Die Namen sind aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes anonymisiert, auch Ortsnamen und anderes, was zur schnellen Identifikation geeignet ist, sind verschleiert. Das Anliegen war nicht die Analyse ganzer Profile Einzelner, sondern die Sammlung von Aussagen aus möglichst unterschiedlichen Erfahrungshintergründen, mit denen sich letztlich eine Bandbreite von Sichtweisen überzeugend darstellen lässt. Beim ero-epischen Gespräch wird das Gegenüber nicht lediglich durch Fragen unter Zugzwang gebracht; die Forscherin bringt auf Nachfrage in zurückhaltender Weise auch etwas von sich selbst ein, wie etwa die eigenen Präferenzen beim Tanzen oder Vorerfahrungen. Beim Entdecken der Welt der Gesprächspartner_innen ging es daher darum, sich nicht mehr nur von dem vorbereiteten Leitfaden führen zu lassen, sondern auch vom Gegenüber. Dadurch wird die eigene Rolle zu der einer Lernenden. Bei den Redenden ist daraufhin in den meisten Fällen Interesse entstanden, sich zu äußern und teils Gedanken zu entwickeln, die sie, nach eigener Aussage, in der Form zuvor noch nicht hatten. Für beide Seiten konnten sich die Begegnungen also als ,bereichernd‘ erweisen. Zudem sind sowohl die Gesprächssituationen wie auch die dabei entstanden Audiodateien angefüllt mit sinnlich-leiblich-affektiven Informationen, die über das Körpergedächtnis der Forscherin zur Verfügung stehen.32 Aus dieser Arbeitsweise heraus entstanden Transkripte, die nicht nur aufgrund ihrer Länge eine Herausforderung darstellten, sondern auch wegen ihrer inneren Struktur. Sie sind von einem natürlichen Hin- und Herspringen zwischen Themen geprägt. Je nach individueller Geschichte und Schwerpunktsetzung kamen zudem recht unterschiedliche Thematiken zur Sprache. Die methodischen Schritte, die zur geordneten Darstellung von ausgewählten Aussagen führten, gliedern sich wie folgt: • Transkription der Audio-Dateien; Nummerierung der Aussagen nach Blöcken (neuer Block in der Regel nach Sprecherwechsel). • Sichten der ersten Transkripte nach angesprochenen Thematiken. • Ordnen der Aussagen unter probeweise entworfene Überschriften; Straffen des Materials durch Zusammenfassungen und Transformation der Aussagen von der 1. in die 3. Person (um redaktionelle Eingriffe bereits deutlich zu kennzeichnen); prägnant erscheinende Aussagen sind als Originalzitat durch Anführungszeichen gekennzeichnet. • Anpassen und Vermehren der Probeüberschriften anhand des zunehmenden Datenmaterials. • Festlegen der thematisch bündelnden Überschriften und Sammeln aller Aussagen quer durch die Protokolle unter jeweils einer Überschrift. 32 Zum künstlerischen Forschungsprozess im Zuge der Erstellung biographisch-narrativer Transkripte und deren Auswertung vgl. Abraham 2016, 27–30.

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• Sichten der einzelnen Themen nach möglichen typischen Aussagen und probeweises leicht abstrahierendes Formulieren von typischen Satzaussagen bzw. Kodes. • Ordnen der ausgewählten Aussagen eines Ober-Themas unter ,Kodes‘, dabei ständiges Nachjustieren der Formulierung von typischen Satzaussagen. • Strukturieren der Darstellung der Kodes und Verbinden mit Einleitungen oder nötigen Zusatzinformationen, um das Datenmaterial für Leser ,verdaulich‘ zu gestalten.

1.2.3 Zum theoretischen Hintergrund der Arbeitsschritte Dem Anliegen, in den Gesprächen dem Gegenüber nicht die eigene Vorstellungswelt aufzuzwingen, entspricht eine vielfach strukturierende Arbeit am Datenmaterial. Diese bestand im Auswählen, Interpretieren und Gewichten der Daten. Anhand der Textoberfläche der dargestellten Sätze hat sich die untersuchte Wirklichkeit in mehrdimensionale, aus den Begegnungen im Feld heraus generierte Fragerichtungen fragmentiert. Um wieder zurück zum lebendigen Originalgespräch zu gelangen, können die im Internet einsehbaren Transkripte herangezogen werden.33 Auf diese Weise lässt sich der Weg von der Begegnung bis zum interessegeleiteten Wiedergeben des Gesagten transparent machen. Damit ist ein wesentliches Prüfkriterium für die Güte qualitativer Forschung erfüllt.34 Das Generieren der in Teil B dargestellten typischen Satzaussagen orientiert sich am methodischen Ensemble der Grounded Theory Methodology (GTM)35. Der oben beschriebene Weg ist nur scheinbar linear verlaufen. Tatsächlich handelte es sich um ein iteratives Verfahren, bei dem drei verschiedene Kodierungsformen ineinandergreifen; das offene, axiale und selektive Kodieren, das zuletzt zur Formulierung von Kernkategorien führt. Beim offenen Kodieren ist der Kontakt mit dem gesprochenen Originalton eng; kleinteilige in–vivo-Kodes kommen zustande. Dabei handelt es sich zum Beispiel um die Aussage: „dass man einfach so eine Wachheit mitnimmt, dass man vielleicht auch den eigenen Körper präsenter erlebt und dass das mehr auch in den Alltag rüberschwappt. Und da hab ich schon das Gefühl, das ist bei mir auch der Fall“ (E24). Das Kürzel E24 bezeichnet den Abschnitt im Gesprächstranskript der befragten Person E. Jede Aussage kann durch die Nummerierung im Gesprächszusammenhang aufgefunden werden. Über das Finden von Achsenkategorien wie zum Beispiel ,Lernerfahrungen durch den 33 Vgl. unter „Downloads“ auf www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/tanz etc. 34 Lamnek benennt als Gütekriterium objektiver Forschung ausdrücklich die Transparenz. Vgl. Lamnek 2005, 180. 35 Mey/Mruck 2001; Flick 2012.

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Tanz‘ können sämtliche von unterschiedlichen Gesprächspartnern gemachten Aussagen quergelesen werden. Auf diese Weise können die Aussagen noch einmal feiner differenziert und einem konstruierten Aussagesatz zugeordnet werden. Am Beispiel des zitierten Satzes ist das die Aussage: ,Meine Herangehensweise an das Alltagsleben hat sich verändert.‘ Beim selektiven Kodieren geht es schließlich darum, die Sache in einen größeren Zusammenhang zu stellen, etwa zu entscheiden, ob die Lernerfahrungen im Rahmen der biographischen Darstellungen oder im Kapitel Selbsterfahrung aufzuführen sind. Diese sind in die Kernkategorie ,B 2.2 Biographien von Kirchentänzerinnen und -tänzern‘ eingebunden. Für die eingehende Auswertung von Biographien, die den Rahmen dieser Arbeit überschritten hätte, kämen Möglichkeiten der Klassifizierung in Frage wie zum Beispiel „Spiritual life narrative“36. In den Gesprächen kommen narrative Elemente dieser Färbung vor, verbunden und vermischt mit ganz unterschiedlichen anderen. Die Entscheidung ging dahin, die Vielfältigkeit der Narrative möglichst wenig verfremdet wiederzugeben. Eine weitere mögliche sozialwissenschaftliche Fragestellung bezüglich des Feldes Kirchentanz ist die nach der Einordnung in Begrifflichkeiten wie Subkultur oder Szene. Ohne die diesbezügliche Entscheidung, meist von ,Szene‘ oder ,Szenen‘ zu sprechen, detailliert begründend ausführen zu können, beschränke ich mich auf wenige Hinweise37. Im Zusammenhang mit Kirchentänzern von einer Subkultur zu reden, kann in gewissen Grenzen sinnvoll sein. Dies wäre der Fall, wenn sich Kirchentanz als soziologisches Gebilde konturieren ließe, in dem ein Set von bestimmten Normen gültig ist, das in Abgrenzung zur herrschenden Hauptkultur von kirchlichem Leben entworfen wurde.38 Die Rückschlüsse auf Normen, die sich durch weitere Auswertung von B 2.1.4 und 2.1.5 (Zeitdiagnose, Kirchenkritik), in B 2.2.4.6 (Einstellung zu Kirche und Glauben, B 2.6.4 (Erwartungen und Einstellungen von Kirchentänzern in Bezug auf das Gottesdienstgeschehen und B 2.7.2 (Wechselseitige Einflüsse von Tanz und Theologie) ergeben könnten, wären geeignet, hier weitere Forschungsfragen anzuschließen. Das Wort Szene dagegen hat deutliche Anklänge an Theater und Choreographie. In der Soziologie sind vor allem Szenen der Jugendkultur zunehmend gut erforscht. Unter ,Szene‘ wird im Allgemeinen ein soziales Netzwerk verstanden. Dieses entsteht 36 Vgl. Smith/Watson 2010. Smith und Watson beschäftigen sich mit schriftlichen Erzählungen. Deren Einschätzung, worum es sich bei solchen Erzählungen handelt, trifft auf die Beschäftigung mit den Gesprächen zu: „We might best approach life narrative, then, as a moving target, a set of shifting self-referential practices that, in engaging the past, reflect on identity in the present.“ Ebd. 1. Dies verdeutlicht zudem, dass es sich bei den Äußerungen um Identitätskonstruktionen in einem bestimmten Kontext, der Gesprächssituation mit einer tanzenden promovierenden Pfarrerin, zu einem bestimmten Zeitpunkt der eigenen Biographie handelt. 37 Vgl. zu Szene Hitzler 2010. Zum Begriff Kleine soziale Lebenswelten, der hier nicht aufgegriffen werden soll: vgl. Honer 1993. Dieser Begriff wurde in neuere musiksoziologische Forschungen zum Kirchenlied eingebracht. Vgl. Kaiser 2012. 38 Grundzüge einer solchen kirchlichen Hauptkultur wären dann allerdings erst einmal darzustellen.

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durch Sozialisationsprozesse im Freizeitbereich. Die Szene ist durch gemeinsame Interessen, Überzeugungen, Vorlieben oder Geschmäcker von Menschen charakterisiert. Was die Szene ausmacht, ist von außen gesehen oft unklar. Wer zur Szene gehört, hat nicht selten Schwierigkeiten, den Überblick zu bekommen, und damit auch Probleme, seine eigene Stellung darin zu verstehen. Szenen orientieren sich an einem gemeinsamen Thema. Von dort aus beziehen sie Gesinnung, habitualisiertes Verhalten und teils äußeres Auftreten. Diese Überlegungen machen bereits deutlich, dass der Begriff der Szene im Zusammenhang mit Kirchentanz noch einer genaueren Überprüfung bedürfte.39 Für die Zwecke dieser Arbeit gebrauche ich den Begriff Szene, um ein Gemeinsames der Tanzenden zu postulieren: die Erfahrung, mit Tanz einem spirituellen Bereich nahezukommen, der sich je nachdem unterschiedlich religiös konnotieren lässt. Die hier vertretene These, die weder schon im Begriff Kirchentanz oder Szene enthalten ist, besagt, dass das Spirituelle mit den Möglichkeiten von Tanz als Kunst und seinen Potenzialen ästhetischer Erfahrung zu tun hat. Daher erschöpft sich das Nachdenken nicht in der sozialwissenschaftlichen Analyse der gegebenen Daten.

1.2.4 Forschungsethische Überlegungen Die Methoden sollen ethisch verantwortet eingesetzt werden. Quellen für solche Wissenschaftsethik sind Codices wie die „Regeln guter wissenschaftlicher Praxis“ der DFG.40 Die Kontrolle der Umsetzung liegt während des Forschungsprozesses bei der Autorin. Nach Abschluss können Verstöße vermutlich nicht mehr in vollem Umfang auch von geschulten Leser_innen erkannt werden. Im Allgemeinen setzen dieser und andere Codices bestimmte Normen, damit die Selbstbestimmung der sogenannten Beforschten geachtet wird. Die freiwilligen Teilnehmer müssen darüber informiert werden, was mit den Aussagen geschieht, und dem ausdrücklich zustimmen. Es darf nicht dazu kommen, dass die Privatsphäre von Teilnehmer_innen verletzt wird oder diese irgendwie geschädigt werden. Auch wenn sich zum Zeitpunkt des Beginns der Gespräche das Forschungsziel noch nicht ganz klar angeben lässt – es darf jedenfalls keines vorgetäuscht werden. Bei teilnehmender Beobachtung ist es allerdings meist nicht angemessen, offen über ein im Kopf der Forschenden mitlaufendes Projekt zu informieren. Damit würden die Bedingungen vermutlich verändert, und die Beobachtungen müssten immer unter Vorbehalt 39 Das äußere Erscheinungsbild ist alles andere als einheitlich. Klischees lassen sich nicht aufrechterhalten. Die vor ein paar Jahrzehnten von meditativen Tänzerinnen bevorzugten farbenfrohen Kleider und weiten Röcke sind kaum noch zu sehen, Improvisationstänzerinnen legen in der Regel unauffällige sportlich-bequeme Tanzkleidung an. 40 vgl. DFG Denkschrift : Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis http://www.dfg.de/download/ pdf/dfg_im_profil/reden_stellungnahmen/download/empfehlung_wiss_praxis_1310.pdf (2013/05/17).

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formuliert werden. In vielen Fällen war dieses Vorgehen unproblematisch. Bei der Teilnahme in einem Tanzgottesdienst fiel die Forscherin unter anderen Mitfeiernden in der Regel gar nicht auf. Erst, wenn sie in einem relativ festen Kreis auftauchte, konnte es zu Fragen kommen. In dem Fall war maßvolle Aufklärung tatsächlich geboten. Die Methoden, wie die Forscherin die Kontaktdaten ihrer Interviewpartner_innen herausfand, legte sie jeweils offen. Die Regeln von Ethik-Codices sind also an die jeweiligen Methoden anzupassen und sollten nicht die Forschung unangemessen einschränken.41 Daher wurden nicht immer die Identitäten wichtiger Personen aus der Szene verschwiegen, die die Befragten erwähnten. Die Namen der Befragten allerdings wurden stets verschlüsselt, auch wenn es sich bei einzelnen um wichtige Protagonisten handelte, um eine einheitliche Darstellung von Gesprächsaussagen zu gewährleisten.

2. Aussagen der Befragten in kirchlichen Tanzszenen In den folgenden acht Unter-Kapiteln wird unter zusammenfassenden Überschriften (Kernkategorien) auf idealtypische Aussagen (Kodes) Bezug genommen, und die Ergebnisse werden resümierend dargestellt. In Klammern stehen jeweils die entsprechenden Kodes (vgl. die Übersicht unten). Ausgewählte wörtliche Zitate (en petit) unterstreichen einzelne Aspekte. Weitere Angaben in Klammern (z. B. A12, Ko7 o. ä.) beziehen sich auf den Fundort im Transkript des Interviews.42 2.1 „Eine sehr schöne Art, sich zu bewegen“ – Zur Bedeutung von Tanz für Tanzende im Raum Kirche 2.1.1 Tanzdefinitionen Tanzdefinitionen sind eher Sache der Tanzwissenschaft als der praktisch Tätigen. Auf Nachfragen, die nicht in allen Gesprächen erfolgten, nannten die Befragten Umschreibungen des Phänomens: Tanz ist Bewegung in Raum und Zeit (K1-1-1), Körperbeherrschung (K1-1-2), eine Ausdrucksform (K1-1-3), transportiert Emotionen (K1-1-4), bildet Gemeinschaft (K1-1-5), ist eine spirituelle Sprache und Erfahrungsweise (K1-1-6) und etwas allgemein Zugängliches, denn alle können tanzen (K1-1-6). Die Betonung der Bewegung beim Tanz ist eine typische Errungenschaft des Modernen Tanzes. Sie spiegelt sich in der gelegentlichen Reduktion des 41 Vgl. Murpy/Digwall in: Flick, 59. 42 Alle Transkripte sind unter „Downloads“ auf www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/tanz zugänglich.

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Tanzes auf „Bewegung“ (Ko6, Ro13) und in der Definition, Tanz sei eine (bewusste) Bewegung in Raum und Zeit (A22), wobei auch der Faktor Energie (Ta37) und die Richtungen im Raum (Et40) eine Rolle spielen. Der Ballett-Tänzerin Ko ist der Aspekt Körperkontrolle wichtiger als den anderen Interviewten (Ko4-5), die Tanztheaterleiterin Ea gebraucht dafür das etwas mehr mit äußerer Kontrolle konnotierte Wort „Disziplin“ (Ea21), während Ke eine Verbindung zwischen dem Thema Körperbeherrschung durch Technik und dem ihr wichtigen Aspekt des Ausdrucks sucht (Ke12). Tänzer schätzen die Fähigkeit des Tanzes, etwas auszudrücken (Kl1, Ko12) und dadurch etwas auszusagen, das über das gesprochene Wort hinausgeht (F7). Tanzen hat dann Ausdruck, wenn es berührt (Ke16). Ko reflektiert das Problem, warum nicht alle Tänzer Ausdruck haben, und verweist auf deren unterschiedliches Talent (Ko14-15). Es geht beim Ausdruck vor allem um Gefühle (Ko24, Ke17, M10, M16, C27). Dieser Gedanke zieht sich durch die Äußerungen von Gesprächspartnern unterschiedlicher Tanzrichtungen (Ballett, Ausdruckstanz, Improvisation, Meditation und Tanztheater). Gemeinschaftsbildung schreiben Ro und Ir vor allem dem Meditativen Tanzen zu (Ro9, Ir11). Tanz kann spirituelle Erfahrungen eröffnen, da er eine spirituelle Sprache ist (Ke27). Eine Definition von christlichem Tanz scheint nicht möglich zu sein (Ma18, M2). Tanz „an sich“ ist nicht christlich (R2). Meditativer Tanz wird dadurch bestimmt, dass er zur Sammlung (Ro11) bzw. inneren Zentrierung führt und Symbole des Lebens enthält (C3-4). Von der Grundüberzeugung, dass alle Menschen tanzen können, gehen grundsätzlich alle Befragten aus. Man kann einfach mitmachen als eine oder einer unter Gleichen (Ma16, Ir15-17, M12). Einzelne betonen zwar, dass eine Tanzperformance auch Können erfordert (Fr, Ko), stellen aber die Möglichkeit jedes Menschen, sich tänzerisch auszudrücken, nicht in Frage.

2.1.2 Individuelle Bedeutung des Tanzens Unter diesem Punkt sind Äußerungen gesammelt, die über das Allgemeine hinaus persönlich werden, indem individuelles Erleben benannt wird: Im Tanzen wird die eigene Bewegung im Raum bewusst erfahren (K1-2-1), es verschafft angenehme Gefühle43 (K1-2-2) und es ist Mittel des positiv erlebten persönlichen Ausdrucks (K1-2-3). Tanzen stellt eine Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten in viele Richtungen dar (K1-2-4) und eine Art Lebensbegleitung (K1-2-5). Die durch Tanz vollzogene bewusste Bewegung im Raum wird als faszi43 Zum Erleben positiver Gefühle im Tanz vgl. B 2.4.3 (genannt werden mehrfach Leichtigkeit, Weite, Freiheit, Geborgenheit, intensives Wohlbefinden).

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nierend (Ha8), Freude auslösend (Mn16) und begeisternd (Re4) erlebt. Die Raumerfahrung durch Bewegung bezieht sich auf den Tanzraum (C4), den eigenen Körperraum (C69) und symbolisch den eigenen Lebensraum (Sa25). Wenn Sie mal die beiden Hände anschauen von Gott und Abraham in der Sixtinischen Kapelle und Sie diese Handhaltung, dann ist das ein festgehaltener Tanz. Oder wenn ich mir die Teppiche anschaue, die im Vatikan hängen von Raphael, dann haben die ganzen Figuren, die dort dargestellt sind, immer eine festgehaltene Bewegung. Sie kommen irgendwoher und gehen irgendwo hin. […] und das hat mich dann fasziniert. Dann habe ich gesagt, das möchte ich mit meinem Körper eigentlich auch tun (H8).

Tanzende nennen häufig das Gefühl der Freude in den Nuancen von schöner Stimmung (GT19), einem überwältigenden Gefühl (GT2), Festlichkeit (C28), Heiterkeit (Mn7) und Spaß (Ha3). Außerdem kann Tanzen trösten (GT3) im Spektrum von Heilwerden und Geborgensein (GT5), es nährt (G7), entlastet (Mn), es fühlt sich kraftvoll und stärkend an (E23, G25), es gibt Souveränität (Ta6). Die Möglichkeiten des Tanzes als Ausdrucksmittel empfinden Tanzende häufig als Stärkung (GT5), Erweiterung des emotionalen Ausdrucks (B13, GT6, Jo4, Re23, Mn5) und künstlerisches Medium für Gefühlsausdruck in einem christlich-religiösen Kontext (F10). Die Ambivalenz des Ausdrucks deutet G an (G12), ohne das Thema der größeren Verletzlichkeit zu explizieren. […] weißt du ja selber, dass in der Bewegung natürlich man sich auch offenbart, ja. Du kannst dich nicht hinter deinem Talar verstecken (G12).

Genannt werden Körperwahrnehmung und die Möglichkeit, eine ästhetische Form zu finden für das, was ausgedrückt werden soll (Et33). Die Lust an der Multidimensionalität der Betätigung, der Horizonterweiterung und Ausweitung der Bewegungsmöglichkeiten (Be24) wird ergänzt um das spirituelle Erleben (M12). Tanz ist ja nicht im Sinne einer Aufführung, dass ich was darstelle für andere, sondern dass ich für mich die Möglichkeit bekomme, zum einen meinen Körper wahrzunehmen und mit meinem Körper im Tanzen die Musik so als Vehikel nehme, um das, was ich ausdrücken will, ja, ist schwierig, nicht nur in Bewegung zu bringen, sondern auch in einen Rhythmus (Et33).

Lebensbegleitung durch Tanz wird in den Äußerungen verstanden im biographischen Sinn, als Konstante im Leben (Re2, Gr6, Ko2, Sa26, Ta11), Unterstützung in Lebenskrisen (Gi8), Spiegel für das, woraus das Leben besteht (Re4, Ro22, Sb27, F28) oder ein Mittel der Lebensbewältigung (Ta6, Be23). Das Tanzen hat mich eigentlich immer begleitet (Re2).

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Der Tanz in meinem Leben ist da und geht einfach nicht mehr weg. Und ich kreise drum rum (Ta11).

2.1.3 Bedeutung für Gesellschaft, Bildung und Kirche Tanzen trägt nach Meinung von Kirchentänzern zur Gestaltung von Gesellschaft und Kirche bei, wobei dies bereits bei den positiven Erfahrungen in einer Tanz-Gruppe (K1-3-1) beginnt. Der Tanz in der Gruppe gibt den Tänzern etwas. Tanzen ist sinnvoller Bestandteil von christlicher Bildungs- und Gemeindearbeit (K1-3-2), eine Möglichkeit, auf künstlerische Art und Weise politisch aktiv zu werden (K1-3-3) und in Kontakt mit fremden Kulturen zu kommen (K1-3-4). Kirchentänzer schreiben dem Tanzen das Potenzial zu, durch ihn persönlich transformiert zu werden, aber auch in der Kirche etwas zu verändern (K1-3-5), und sehen eine Wechselwirkung mit dem Glauben (K1-3-6). Tänzerinnen profitieren vom Tanzen in der Gruppe durch das Erleben von Kontakt, Berührung und Nähe (Mn45, Mn16, M5), der Gemeinsamkeit im Glaubensausdruck (St12) und der Reziprozität im Geben und Nehmen (Gr27). Felder des Einsatzes sind Freizeiten mit ehrenamtlichen Mitarbeitenden der Gemeinde (M8), in der Schule (M8), in der Klinikseelsorge (M8) und in der Fortbildung von Mitarbeitern in Sozialberufen (F12), in Seminaren der kirchlichen Erwachsenenbildung (Sb27), im Gottesdienst (G30, Sa13, Me2934, R14), in der Seelsorge und Nachbarschaftsarbeit (R14). Tanz hat in der Bildungsarbeit aber auch Grenzen (F7), da nicht alles nonverbal ausgedrückt werden kann. Künstlerischer Tanz trägt zur Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Fragen in kirchlichem Rahmen bei, wie Rassismus (Ha15), Hexenverfolgung (Be5), Heimat, Armut oder Menschenwürde (Hs9, Hs5) oder die politische Brisanz der Lebensgeschichte Bonhoeffers (Ha55-57). Meditative Kreistänze beziehen Traditionen aus internationaler Folklore ein, so kommen viele Kulturen zusammen (As4). Die Tänze im Weltgebetstag der Frauen (WGT) tragen zur Einfühlung in die fremde Kultur bei (Mu14). Von transformierenden, d. h. die Persönlichkeit verändernden Wirkungen des Tanzes sind viele überzeugt (Sb26, Sa21, Ke26). Eine Stimme schränkt ein, eventuell, um einen Automatismus auszuschließen (Si24). Die Veränderung berichten die Tänzer_innen vor allem aus eigener Erfahrung (Ke37, Si23, C54, U73-74). Gruppen (St33) und die Kirche insgesamt (Sb28) können sich ebenfalls durch Tanzen verändern. Die Veränderung wird darauf zurückgeführt, dass Tanzen einen Prozess bewirkt (Sa21, Si23). Ein Zuammenwirken von Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis ist damit verbunden (Si23).

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Ich würde sagen, das Tanzen hat mein ganzes Leben verändert. Also nicht nur das Tanzen, sondern die Gemeindearbeit“ (U72). […] „schuld daran ist das Tanzen. Damit hat es angefangen. Das ist mein Leben. (U74).

Tanzen ist Glauben in dem Sinne, dass er den Glauben stärkt (A36), Prozesse der Heiligung und Heilung fördert (Gi36), sich ein dem Bereich Gottes zugeschriebenes Feld auftut, in dem sich Freiheit und Leben entfalten (Sa21), Spiritualität im weiten ökumenischen Sinne mit Körperarbeit und Körperausdruck zusammenkommen (Gr2.1, Gr3) und die Gottesbeziehung gefeiert werden kann (M3). 2.1.4 Zeitdiagnose Mit „Zeitdiagnose“ sind von Tanzenden geäußerte Einschätzungen der Situation in Gesellschaft und Kirche gemeint, die unmittelbar Bedeutung für deren Praxis im Kirchentanz haben. So wird festgestellt, dass in den Gemeinden ein breites Angebot geschätzt wird (K1-4-1), die einzelnen Gemeindeglieder aber auch auf ihre Individualität Wert legen (K1-4-2). Man meint, in den Gemeinden fänden Menschen nicht das, was sie ersehnen (K1-43), unter anderem, weil die abendländische Kultur tanzfeindlich ist (K1-4-4). Wenn getanzt wird, wird dies automatisch erotisiert wahrgenommen (K1-45). Im Alltagsleben kommt Bewegung immer weniger vor (K1-4-6). Strenge Konfessionalität wird als überholt eingestuft (K1-4-7). Unter dem, was Menschen in der Kirche suchen, ist auch Tanz (G30, Me4345). Besonders G unterstreicht das Positive eines pluralen Angebots (G30, G40-41). Während G Gemeindegliedern dieses Bedürfnis zugesteht, obwohl es bedeutet, dass dadurch mehr Distanz gesucht wird statt einer Tanzerfahrung in Gemeinschaft (G29), diagnostiziert Ha kritisch einen gesellschaftsbedingten Trend zur Vereinzelung (Hs34). Dann suchen sie eigentlich in unseren Hauptgottesdiensten auch ihre Individualität, indem sie ja da sich hinsetzen und da hinsetzen und Tanz sucht schon auch Gemeinschaft. Auch, wenn du dich nicht anfässt, du machst was gemeinsam und unser Bildungsbürgertum…, das ist nicht leicht (G29). Als dialogische Existenz, die wir ja nun mal sind, wie Martin Buber immer sagt, ne wir sind im Du und leben ja in einer Gesellschaft, die das Gegenteil versucht, uns beizubringen, die Single-Leute mit ihren Smartphones in der Hand, die dann reinoperiert sind, quasi. Tanzen ist einfach anders, es ist Begegnung (Hs34).

Sehnsüchte der Menschen können von der Kirche oft nicht bedient werden (Ma16, Ma18). Eine Unzufriedenheit mit dem, wie Kirche ist, löst Trotz aus und die Suche nach mehr (A15). Die Tänzer_innen drücken ihre Kritik an jenem kulturellen Erbe aus (Ha26, Ke7). Sie meinen, dass der gegenwärtigen Gesellschaft etwas fehlt, das andere

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Kulturen noch bewahrt haben (Ir71). In der Kirche wird Angst vor der Körperlichkeit des Tanzes wahrgenommen (St40-41). Die kulturelle Prägung lässt sich durch positive Erfahrungen mit Tanz verändern (Ke44, Sb27). Tanz unterliegt in der von den Tanzenden erlebten Kultur einer Wahrnehmung, die durch Vorstellungen von Erotik und Verbotenem bestimmt ist (Ko72, Ko76-79, Be57). Ja, wenn die Mannsbilder so äh, [lacht] schwach sind, dass sie das so erotisch finden, dann kann man ihnen nicht helfen (Ko72). Wir sind schon so erzogen, dass jeglicher Hüftschwenker ja erotisch sein könnte (Ko76).

In der alltäglichen Lebenswelt nehmen die Gelegenheiten zur Bewegung bereits in der Kindheit ab (Ko36-40). Unzufriedenheit mit der Kirche schlägt sich auch in einer Kritik an deren Konfessionalität nieder (Ir64, Ku5). 2.1.5 Kirchenkritik Die Kirchentänzer formulieren auf der Grundlage von Gottesdiensterfahrungen, der Begegnung mit Hauptamtlichen und den Grenzen, an die sie mit ihrer Tanzpraxis stoßen, Aspekte von Kirchenkritik. Nicht zu überhören ist dabei ein Unterton von Enttäuschung gegenüber einer Institution, an die man (noch) Erwartungen hat. Die Spiritualität, die man in der Kirche finde, spreche nicht an (K1-5-1). Dort dominierten Grenzziehungen und Bewertungen (K1-5-2). Außerdem seien die Gottesdienste wenig attraktiv (K1-5-3). Kirche habe Tanz in ihrer Geschichte aus der Religion abgedrängt (K1-5-4), und folglich sähen die Hauptamtlichen Tanz nicht gerne (K1-5-5). Kirche fürchte Erotik (K1-5-6). Sie habe Bestrebungen, den Tanz zu etablieren, zu wenig gefördert (K1-5-7). Auch die Kirchenräume hinderten Tanz (K1-5-8). Abgerundet wird dieses Thema durch Äußerungen, die von gelegentlicher Tanzfreundlichkeit in Kirchen berichten (K1-5-9). Das Tanzen stelle sich als Alternative dar zu den spirituellen Praktiken der Kirche. An der Kirche störe das Institutionelle, positiv erlebt würden Gestaltungsmöglichkeiten (Ku3). In der Kirche werde das Erleben vermisst, Gott zu spüren, beim Tanzen trete es ein (Ku4). Die wortsprachlichen Formen in der reformierten Kirche würden den Anfängen, in denen mit Bildern verkündigt wurde, als wenig ansprechend gegenübergestellt (Ha47-49). Die Reformierten machen das und die Unierten ja noch extremer, da dürfen Sie ja noch nicht mal eine Kerze auf dem Tisch haben, es würde vom Zentrum des Denkens ablenken. Puh (Ha49).

Die Kritik an Grenzziehungen und Bewertungen findet sich implizit in den Meinungen, in der Kirche sei man eingeengt durch übermäßige Strenge (Mu26-27), es gehe dogmatisch (R17, Ma24) und hierarchisch (Gi16, G29)

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sowie streng konfessionell zu (Ku5). Unzufriedenheit löse das Festhalten am Buchstaben der Liturgie (Et59) und die Differenz zwischen Verkündigung und Lebenswandel bei Pfarrern aus (Fr17). Tanzen überwinde die Absolutheit von Grenzen und Bewertungen (Ku5). … das ist katholisch, das ist evangelisch und das ist das, und wenn du dazugehörst, dann darfst du das nicht, und wenn du dazugehörst, dann darfst das nicht (Ku5).

Das Gottesdienstritual, bei dem man passiv die Wortverkündigung empfange, werde als wenig attraktiv empfunden (Ku2, G2). Die Wirkung, die sich einstelle, sei das Gegenteil von dem, was erhofft werde (Ma10, M12, Ma15). Die Sprache und Wortzentrierung entspreche nicht dem, was man für seine Spiritualität als stimmig empfinde (Ma16, Hs2, G23-24). Bewegungselemente, die der Gottesdienst von sich aus enthalte, seien nicht so vermittelt worden, dass sich ein bewusstes Erleben einstelle (F16), mehr Bewegung werde gewünscht (Jo30). Die Gottesdienste würden als mit unterschiedlichen Elementen überfüllt empfunden (G5). Wenn man so lang Kirchenmusiker ist wie ich, dann ist einem manchmal die Wortverkündigung, ja, wie soll ich sagen, vielleicht zu einseitig (G2). … dann mach ich mich sonntagsmorgens auf den Weg und dann geh ich eigentlich trauriger zurück als ich schon gekommen bin (Ma15).

Das Fehlen von Körperlichkeit in Theologie und Kirche (Ke5) werde aus der Geschichte hergeleitet (Si56, Be40, Et59). Die Konsequenz dessen sei, dass Gemeindeglieder Kirche und Tanz oft erst einmal nicht zusammenbringen (E41, C9, Hs23). Wenn sie sich auf den Tanz einließen durch geschickte Anleitung (C10, Ha26), seien sie erstaunt (Hs23) und begeistert, dass es in der Gegenwart Möglichkeiten für Tanz in der Kirche gebe (U67, Ma22). … ich hab die Rückmeldungen immer wieder, dass die Gottesdienstbesucher ganz begeistert davon sind. Und wenn die sowas noch nie gesehen haben oder so. Jetzt war wieder Jubelkonfirmation, und die kommen jetzt nach vierzig Jahren wieder das erste Mal in die Kirche, die waren [zieht Luft ein] ganz begeistert, dass es sowas gibt, dass man da tanzen kann (U67).

Mit den Hauptamtlichen sind Pfarrer gemeint (G33, Be56) oder Priester (Et58). Als Gründe werden Ängste vor dem Nicht-Rationalen vermutet (G13, G15), das Festhalten an Hierarchien und daraus resultierende Machtkämpfe (G11). Den Tanzenden werde vermittelt, dass sie stören (Me26). Thematisch passend sind hier auch die gegenteiligen Voten (M16, Mu11), die betonen, es gäbe keine Widerstände, da sie diese implizit als Normalfall annehmen. Also tanzfreundlich sind sie nicht alle. Ich denke gerade dadurch, dass die Priesterschaft rein männlich ist, fehlt da so manchmal einfach so ein bisschen auch der Zugang zur Körperwahrnehmung (Et58).

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Konkrete Erlebnisse mit der Angst von Pfarrern vor dem Tanz aufgrund der automatisierten Verbindung von Tanz und Erotik werden erzählt (Ko71-72, Ha9, H59). Kritisch wird angemerkt, dass der Kirchentanz sich davon einengen lasse, insbesondere durch die als zwanghaft erlebte Wahl besonders hochgeschlossener Kleidung (Ko72, Mu5, Si56). Im Gegensatz dazu steht Ha zur Körperlichkeit des Tanzes (Ha9), er habe sogar einmal nackt getanzt (H59). Ich habe gesagt, nein, dieses Phänomen Sexualität im Raum des Tanzes, denn wenn ich tanze, arbeite ich mit meinem Körper, nicht mit meinem Verstand alleine. Und der Körper kann mehr ausdrücken als im Augenblick das gesprochene Wort (Ha9).

Da Tanz und Kirche gut zusammenpassten (Re37), wird von der Kirche erhofft, den Kirchentanz mehr zu fördern, z. B. durch Professionalisierung (A28). Gleichzeitig wird festgestellt, dass sich die Etablierung von Kirchentanz etwa in Gottesdiensten über längere Zeit nicht verbessert habe (G38). Dem Kirchentanz selbst fehle Offenheit für internationale Vernetzung (Ha16), aber auch eine ausreichende finanzielle Förderung (Ha45). Auch der Kirchentag nehme zu wenig wahr, auf welche Bedingungen Tanz angewiesen sei, und komme diesen daher auch nicht entgegen (Ha59). Der Wunsch, in der Kirche zu tanzen, könne wegen der ungeeigneten Räume oft nicht verwirklicht werden (E41, Me26, R36, Ha58). Die Tänzer empfänden die Unfreundlichkeit der Räume dem Tanz gegenüber, tanzten jedoch trotzdem (Ha6-7, Me26). Gi erwähnt explizit die guten räumlichen Bedingungen für ihre Aktivität, im Wissen um den Normalfall (Gi47). Der Tänzer und die Tänzerin brauchen einen Tanzboden, schlicht und einfach einen Tanzboden. So wie der Redner und Sprecher oder Autor das Buch braucht, das Papier (Ha58).

Tanzfreundliche Haltungen begegneten Tanzenden in Gemeinden und übergemeindlichen Einrichtungen und Strukturen (Ir57-58, Sa39-40, U39, U59, U61, U65, St7, St13, C56). Es gibt keine Widerstände, aber es bleiben schon immer ein paar sitzen. Es ist halt nicht… ich hab oft zum Abschluss auch Lieder, wo man mitsingen kann. Und die können dann… ich mein’, das einfachste ist zum Beispiel ,Bewahre uns Gott‘ und ,Gottes guter Segen‘ und so weiter, solche Sachen. Also einige bleiben dann immer sitzen. Es wäre auch bei so einem großen Gottesdienst ja auch gar nicht so viel Platz (U39).

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2.2 „Ich wollte immer schon tanzen“ – Biographien von Kirchentänzern und -tänzerinnen Die Einstiegsfrage in die Gespräche „Wie bist du zum Tanzen gekommen?“ eröffnete den Probanden einen weiten Raum, alles zu erzählen, was sie für ihren Weg zum Kirchentanz als relevant erachteten. Diese meist umfangreichen Narrative besitzen allerdings in erster Linie für die Befragten Relevanz. Außerdem erfüllen sie eine Funktion in der Gesprächssituation. Mit den Erzählungen zeigen sich die Befragten der Forscherin. Sie eröffnen einen Einblick in ihr Leben, was eine Gesprächsatmosphäre des Vertrauens voraussetzt. Die biographische Erzählung bot in vielen Fällen den Rahmen, um Informationen über die eigenen Aktivitäten, Präferenzen, Werte, Sichtweisen und Erlebnisse darin einzufügen. Biographische Motive, die für das Verständnis des Phänomens Kirchentanz, seiner Entstehung und der Beschaffenheit dieses sozialen Feldes relevant sind, werden im Folgenden je nach Relevanz und Prägnanz stark zusammengefasst, da die Erzählungen einen für das Ziel dieser Arbeit zu hohen Informationsüberschuss beinhalten. Typisches der Tanzerfahrungen in Kindheit und Jugend wird gezeigt (2.2.1). Tanz wird häufig als neue Chance im Erwachsenenalter erlebt (2.2.2). Tanzende investieren Zeit und Geld, um sich ihre Tanzkenntnisse und –fähigkeiten zu erarbeiten (2.2.3). Tanzende schildern, was sie durch den Tanz gelernt haben (2.2.4). Sie berichten, wie sie zum Kirchentanz gekommen sind (2.2.5) und was sie daran fasziniert (2.2.6).44

2.2.1 Tanzerfahrungen in Kindheit und Jugend Die Mehrheit der Befragten hat bereits in Kindheit und Jugend zumindest einzelne Erfahrungen mit Tanz gemacht. Typisch für das eigene aktuelle Selbstbild ist die Aussage, immer schon gerne getanzt zu haben (K2-1-1). Bezüglich der Jugendzeit wurden überwiegend positive (K2-1-2), daneben einige wenige negative Erfahrungen (K2-1-3) genannt. Die Aussage, immer schon gerne getanzt zu haben, wiederholt sich in vielen Gesprächen. Sie trifft m. E. eine starke Aussage über das aktuelle Selbstbild der Tanzenden. Die Erinnerung an erste Begegnungen mit Tanz in der Kindheit, die Begeisterung für Bewegung oder die frühen Wünsche nach Tanz ist für die meisten Befragten noch sehr präsent.45 Ballett hatte für viele eine besondere

44 In Zitaten sind Auslassungen folgendermaßen markiert: […]. Sinnerschließende Ergänzungen der Autorin stehen im Zitat ebenfalls in eckigen Klammern: [Ergänzung]. 45 Vgl. Ea1, Be24, F1, Ha1, Sa2, Ta1–2, Gr1, Hs1, Mr2, Mn5–6, Si2, B3.

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Faszination ausgeübt und teilweise die Vorstellungen von Tanz geprägt.46 Manchmal blieb es beim Wunsch, da die Möglichkeiten fehlen (R4, Ro4). In der Jugendzeit wurde Tanz als Möglichkeit genutzt, Emotionen auszuleben (vgl. GT9). Die sexuelle Identität habe sich durch die Chancen entwickelt, im Paartanz mit dem anderen Geschlecht formell geregelt beim Standardtanz47 oder Volkstanz (vgl. Mu4, Mn15) zusammenzukommen und dabei positive Erfahrungen zu machen. Die Jugendlichen schätzten auch das Gemeinschaftserlebnis (vgl. St6). Das Ballett-Training in der Jugendzeit sei anspruchsvoll gewesen, und wenige gaben an, dabeigeblieben zu sein, dann aber mit Überzeugung (vgl. F2-3, Me2, Fr3, Ta2). Die mit dem Standardtanz implizit verbundene Thematisierung der Geschlechterbeziehung belastete das Tanzen gelegentlich (A1), für andere ergaben sich Negativ-Erfahrungen durch die fest vorgegebenen Schritte und Bewegungen (G1, G19, Jo2). Beim Ballett oder Turniertanz fühlten sich Jugendliche, die zuvor sehr gerne getanzt hatten, auf einmal unwohl, es erschien ihnen „affig“ (Ke1), „peinlich“ (Ke1) oder „spießig“ (S2). Andere Interessen rückten in den Vordergrund.

2.2.2 Tanz als neue Chance im Erwachsenenalter Typisch für einen Teil von Tänzern ist, dass sie erst im Erwachsenenalter die Möglichkeit sahen, mit Tanz anzufangen. Ein Hinweis auf das eigene Selbstverständnis steckt in der Aussage, immer schon gerne getanzt haben zu wollen (K2-2-1). Das, was am Tanzen fasziniert, verrät etwas über die Wirkung von Aspekten des Tanzes im Leben der Befragten (K2-2-2). Einige Befragte stellen eine Wechselwirkung von Künsten (Musik) (K2-2-3) und anderen Körperpraktiken (Kampfkunst) (K2-2-4) mit dem Tanz in ihrem Leben fest. Aussagen zum lange unerfüllten Wunsch nach Tanz sind aufschlussreich für das Feld Kirchentanz, da es historische Gegebenheiten, die in A 4.3 entfaltet werden, noch einmal aus der subjektiven Perspektive einzelner Tanzender beleuchtet. Dabei tritt besonders die Rolle christlicher Einstellungen gegenüber dem Tanz hervor. In der Generation Jugendlicher der 1950er und 60er Jahre erschienen Tanzen und christliches Engagement nicht miteinander vereinbar, was von den Hauptamtlichen in der Kirche teils auch später noch so gesehen wurde (U22-23, Ba5). Ohne religiöse Gründe zu nennen, blieb ein geeignetes Tanztraining manchmal ein unerfüllter Wunsch, teils mangels Angeboten oder Finanzierungsmöglichkeiten (vgl. C2, B3, A1, Ea1, Ba5). Und dann war ich ja im EC, Entschiedenes Christentum, da war das Tanzen ja direkt verpönt. […] Aber ich habe zuhause, wir haben eine große alte Wohnung gehabt mit 46 Vgl. B3, F6, Me1, Ke1, Gr1, Ma1, Gi6, Ko1, Ko68, Ba1–2. 47 Vgl. M4, Ma1, S2, Ro4–5, Hs1, Si3–5, St5–6, A1, Mn15.

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einem riesigen Gang, und da erinnere ich mich, dass ich dann zu der Musik einfach so getanzt hab, so Ausdruckstanz. Also irgendwie war es schon in mir, ne? Aber es ist nie gefördert worden. Das war damals nicht, Tanzen (U22-23). Was? Tanzen kannste als Hobby, aber Tänzerin kommt gleich nach Huren (Ba5).

Erstbegegnungen mit Tanz im Erwachsenenalter waren häufig Schlüsselerlebnisse. Sie lösten in vielen Fällen Faszination aus, quer durch unterschiedliche Tanzstile: indischer Tanz (Be24), zeitgenössischer Tanz (B1), israelischer Volkstanz und getanzte Meditation (Gi2-3), Rock’n’Roll, Salsa und Tango (Hs1). Das Fesselnde48 bestehe in den vielen Möglichkeiten des Tanzes, der Tanz könne geradezu infizieren (Hs1). Mit der Ausdifferenzierung der Tanzangebote und künstlerischen Ausübung von Tanz in den letzten Jahrzehnten ergaben sich unterschiedlichste Anlässe, die die Interviewten in Kontakt mit ihrer späteren Leidenschaft brachten. Orte des Kontakts mit Tanz sind die freie Kulturszene (Be), die Kirchengemeinde (B1, Gi2-3), die Schule (G19) oder ein Auslandsaufenthalt (Hs1). Die Liebe zur Musik geht oft mit positiven Tanzerfahrungen einher und steht oft sogar an erster Stelle (GT15-16, E7, Et12, G1, Ha2, Si5). Getanzt wird zu Kirchenmusik und Klassik, Gesang und eigener Musik. Die intensive Körperschulung in der asiatischen Kampfkunst und ihr positiver Einfluss auf die Psyche haben einige Tänzer zu einer bewegten Spiritualität im Tanz geführt. Sie bildet teils den Zugang (Sb1-2, E7) oder eine wertvolle Ergänzung (Me16-17).

2.2.3 Die Erarbeitung der Tanzkenntnisse und -fähigkeiten Für eine Einschätzung des untersuchten Feldes ist der Grad der Professionalisierung der Befragten von Interesse. Einige der Tanzleiterinnen oder Performer sind gründlich im Tanz ausgebildet (K2-3-1), andere haben in der Regel kürzere Fortbildungen, etwa zweijährige berufsbegleitende Weiterbildungen vorzuweisen (K2-3-2). Einige Aktive äußern sich zur subjektiven Bedeutung der großen Namen der Geschichte des Modern Dance (K2-3-3). Tanzausbildungen haben spätere Kirchentänzer nicht selten im Doppelstudium Theologie und Sport mit Schwerpunkt Tanz erhalten (A1-2, Fr4-5, Fr7, Fr9, Mr). Manche Theolog_innen schlossen eine Tanzausbildung an das Studium für das Pfarramt an (R5, Sb3, Ke9). Eine andere Linie ergibt sich von den Tänzern her, die aufgrund ihres Glaubens (Ba10-12) oder ihres Interesses an christlichen Themen in Kirchen tanzen (Be13-14, Ta3) bzw. ihre Tätigkeit als Tänzerin und Leiterin einer Tanzschule als Berufung verstehen, ohne explizit in Kirchen oder Gemeindezusammenhängen zu tanzen (Ko68). Die 48 Vgl. ausführlicher in B 2.4.

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genannten (außer Ba) sehen sich nicht als Kirchentänzerinnen49, sondern als Tänzerinnen, die gelegentlich in Kirchen tanzen. In den Biographien wird die Spannung zwischen Wünschen, den Tanz schon eher und noch professioneller betrieben zu haben, und den beruflichen Weichenstellungen als Lehrer (Fr, A, Mr) und Pfarrer (Sb, R, Ke) spürbar. Einige Befragte nahmen spezielle tanzspirituelle Ausbildungen, beispielsweise Dance&Praise 50, oder Fortbildungen, die erwachsenen Berufstätigen eine (nicht-professionelle) Tanzausbildung ermöglichen, gezielt in Anspruch, um mit Tanz in der Kirche (ehrenamtlich) tätig zu werden, (B, Et, G, M, Sa, St). Darunter sind katholische Theologen (Et, M, St), ein evangelischer Kirchenmusiker (G) und Erzieherinnen (B, Sa). Andere Kirchentänzer nehmen den Weg über säkulare Tanzfortbildungen (vgl. Ha, Re, Gr, R, Hs, U, Si, Ke, Sb). Zu einer spirituellen Tanzpraxis, die sich nicht explizit als Kirchentanz versteht, hat der Weg von Ea, S, Gi und E geführt, auch wenn gelegentlich im Raum der Kirche Angebote gemacht werden. Kirchen-Tänzer haben nicht selten einen von christlichen Tanzausbildungen unabhängigen Werdegang. Dies gilt fast immer für die studierten Tänzer (siehe oben), manchmal auch für Persönlichkeiten, die auf dem Weg von Weiterbildungsangeboten (Kreativer Tanz, Ausdruckstanz, Tanztherapie u. a.) säkularer Anbieter selbstständig Ansätze von christlichem Tanz entwickelt haben (Ha, Ke, Sb u. a.). Sie habe sich im Lauf der Zeit in Kursen Kenntnisse in Tanztherapie, Tanzpädagogik und Tanzmedizin angeeignet. Zusätzlich habe sie sich in Ballett, Modern Dance, z. B. Lim n-Technik51 weitergebildet, sie habe Zusatzausbildungen in deutschen Großstädten und in New York gemacht. Das sei so gekommen, weil ihr die Technik irgendwann wichtig geworden sei (Si29). Sie hatte am Anfang nur diese Grundlagen. Ke kam wie auch Sb (Sb3) über Theologiestudium und Tanztherapieausbildung zum Tanz in der Kirche. S sei in Findhorn „aufgeblüht da mit 28 wie so eine Blume, die die ganze Zeit so im Dunkeln war“ (S9). Sie habe sich später bei verschiedenen Lehrerinnen im Sacred Dance ausbilden 49 Professionelle Tänzer_innen, die Pionierinnen für Kirchentanz waren, sind Manfred Schnelle (†), Gisela von Naso (†) und Sara Schemann. 50 Das Ausbildungskonzept Dance&Praise verbindet Körperschulung, Tanzpädagogik und Glaube in ökumenischer Offenheit. Durch die Tänzerin, Choreographin und Tanzpädagogin Barbara J. Lins werden in dieser zweijährigen Weiterbildung Laientänzer_innen befähigt, Tanzangebote zu machen, die Menschen niederschwellig zu Bewegungserfahrungen (im Bewegungsrepertoire des Modern Dance) und Körperwahrnehmung anleiten und die dabei in kreativer Gruppenarbeit entstehenden Scores (Bewegungsaufgaben; kleine choreographische Einheiten) zu Performances für die Gemeinde auszubauen. Diese Ausbildung gehört zu den wenigen (vielleicht ist sie auch die einzige), die für die im Feld Kirchentanz wesentlichen Formate wie Tanzgottesdienst, Bibelarbeit mit Tanz, Performance und Meditation (Gebet) solide Kenntnisse vermitteln u. a. in Tanzpädagogik, Musikanalyse, Anatomie, Liturgie, Tanz und Theologie, Tanzgeschichte, Tanzanalyse, Choreographie. Hausaufgaben und Lehrproben, Präsentationen eigener Choreographien und ein Abschlussprojekt sichern die Qualität der Arbeit. 51 Der aus Mexiko stammende amerikanische Tänzer, Tanzpädagoge und Choreograph Jos Lim n (1908–1972) war Schüler von Doris Humphrey, mit der er 1947 die Lim n-Dance-Company gründete.

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lassen (S21). Gi lernte bei Chadigha Kissel Tanzmeditation (Gi3). E betont, er habe Tanz nicht als klassische Tanzausbildung studiert, sondern es sei immer Hobby gewesen. Er habe längere Zeit auch Modern Dance gemacht (E7). Er hat für sich freie Formen des Tanzes entdeckt, also weniger Choreographie wie im Modern Dance. Die fünf Rhythmen habe er längere Zeit getanzt, ein Art Tanzmeditation. Vor etwa 14 Jahren lernte er Soul MotionTM kennen (E9). Ich hab selbst mich hingesetzt, irgendwas entwickelt und dann habe ich gemerkt, ich komme nicht weiter, und dann bin ich zu den Profis und habe gesagt, ich muss jetzt noch Ausbildungen haben, ich habe sehr spät mit Tanzen angefangen, ich muss jetzt nochmal richtig Ballett lernen und all das und bin dann richtig nochmal in Ausbildung gegangen und habe das von der Pieke auf gelernt, damit ich Methodik, Pädagogik weitergeben konnte, und habe dann meinen Teams, die ich hatte, später und auch Kleingruppen, mit denen wir dann in Deutschland oder auch im Ausland rumgezogen sind, kleine Inszenierungen und auch große Inszenierungen gemacht (Si29). Also ich habe, genau, ich hab halt durch diese Tanztherapieausbildung gemerkt, das ist mein Medium, ich habe zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl gehabt mit 28, hier bin ich angekommen. Hier bin ich richtig. […] Und da drüber hab ich gemerkt, ich muss das oder ich möchte das einfach gerne ausbauen und so viel tanzen wie es irgendwie geht. Und ich hab eben im … damals war das die Tanzwerkstatt in […], das hieß nachher Tanzhaus […], da hab ich eben viele Jahre jeden Tag Tanztraining gehabt, professionelles Tanztraining und hab viele Workshops gemacht also zehn Jahre eigentlich alles mitgenommen, was ich irgendwie kriegen konnte und viel ausprobiert und eben dann auch Sachen wieder sein gelassen, wenn ich gemerkt habe das geht nicht mehr. Ich konnte zum Beispiel kein Ballett, das habe ich ein paarmal probiert und so wie das unterrichtet wurde, habe ich gemerkt, das möcht ich nicht mehr. Da fängt der Körper vielleicht an zu schwitzen, aber innerlich war ich kalt, also ich war nicht wirklich berührt (Ke9).

In den biographischen Erzählungen tauchen die Namen bekannter Tänzer bzw. Tanzleiterinnen auf, die vor allem für die Meditation des Tanzes (Bernhard Wosien), Sacred Dance (Maria Gabriele Wosien) und die verschiedenen Spielarten von Tanzmeditation oder getanzter Meditation stehen (Friedel Kloke-Eibl, Nanni Kloke, Elisabeth Hämmerling52, Gabriele Wollmann, Hilda Maria Lander, Chadigha Kissel und Wilma Vesseur). Durch ihre Veröffentlichungen hatte die Ordensfrau Hilda Maria Lander, mit Einschränkung auch Elisabeth Hämmerling weiten Einfluss. Zu den von diesen Persönlichkeiten 52 Burggrabe erwähnt „Elisabeth Hämmerling, die 2010 verstorbene Tanzpädagogin und Labyrinthkennerin, die einige von uns in den 1990er Jahren erstmals nach Chartres führte und so die anderen ,nachzog‘“. Burggrabe 2011, 8. Außerdem veröffentlichte Hämmerling Bücher u. a. zu Frauenreligiosität, die Reflexion und praktische Beispiele von Meditation und Tanz verbinden. Vgl. Hämmerling 1984; dies. 1995. Hämmerling war eine Schülerin von Gabriele Wosien (vgl. S23).

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mehr oder weniger geprägten Tänzer_innen gehören Ma, C, St, G, Ku, S und Gi (Ma2, C2, St1, St13, G1, G32, Ku3, Gi3-4, S21, S24). Aus der europäischen Geschichte des Kunsttanzes tauchen die Namen Rudolf von Laban (v. a. Ke9, R5) und Pina Bausch (Mr4, Ha2) häufiger auf. Auch die zeitgenössische Tanzszene mit ihren aktuellen Produktionen wird von Kirchentänzern wahrgenommen (u. a. G32), und manche Anregung verarbeitet. Einflüsse aus den USA finden sich bei Fr (Sacred Dance/Cynthia Vincent Henry), bei Sb (Tanztherapie/Elaine Siegel) und bei E (Meditation/Vinn Arjuna Marti). […] was mich eben sehr interessiert, ist der zeitgenössische Tanz, New Dance fand ich auch interessant und vor allem Dingen eben Laban. […] das ist das, was mich interessiert, und das hab ich mir dann in England geholt in Sommerschulen, dieses Wissen, ähm, wie man eben mit diesen Grundgesetzen von Bewegung umgeht, Raum, Zeit, Kraft und Fluss. Und das war da sehr genial, also die haben da eben mit Laban Tanztraining gemacht und nachmittags [haben] wir Choreographie gemacht damit und da hab ich so dieses Handwerkszeug ein bisschen gelernt, wie kann man mit einfachen Mitteln Laien auch dazu bringen, in einer relativ kurzen Zeit eine Choreographie zu machen. Und das fand ich richtig super. So dass man da so niederschwellig damit arbeiten kann (Ke9).

2.2.4 Was ich ohne den Tanz nicht gelernt hätte – Lernerfahrungen Tanzender Der Gedanke, dass Tanz die eigene Persönlichkeit durch zahlreiche mehrdimensionale Lernerfahrungen bereichert hat, zieht sich als cantus firmus quer durch die Äußerungen der Befragten. Diese lassen sich zusammenfassen unter den Stichworten Resilienz (K2-4-1), Kohärenzgefühl (K2-4-2), Sozialkompetenz (K2-4-3), Körperbezug (K2-4-4), Horizonterweiterung in geistiger und künstlerischer Hinsicht (K2-4-5) und einer veränderten Einstellung zu Kirche und Glauben (K2-4-6). Die Befragten sehen Schritte der Persönlichkeitsentwicklung, indem sie ihr Verhalten im Alltag stärker von ihren Ressourcen her gestalten (K2-4-1-1). Die im Tanz erlernten inneren Haltungen werden angeeignet, indem sie mit Lebenserfahrung verbunden werden (K2-4-1-2). Dadurch helfen diese, mehr kreative Lösungen für Probleme zu finden, insgesamt selbst kreativer zu tanzen oder die Tanzangebote ideenreicher zu gestalten (K2-4-1-3). Ein gemeinsamer Tenor der folgenden Äußerungen ist die Annahme, mit Alltags-Stress besser umgehen zu können (Kl5, As3, E24). Re dagegen weiß um solche Wirkungen des Tanzes, vermisst sie aber bei sich selbst (Re40, Re43). Re hat einen anstrengenden Beruf als Lehrerin. […] und ich merke, dass ich da manchmal auch mich überfordert fühle oder einfach in der Gefahr bin […], irgendwie so aus mir rauszurutschen. […] dann mir tut das Tanzen dann insofern gut, dass ich dann einfach wieder merke, wo ich bin, wo ich

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selber stehe […] das muss natürlich jetzt anderweitig auch in den Alltag rein, aber da hilft mir das Tanzen einfach besonders (Re40). Es ist halt, das Rausrutschen ist halt eher von mir selber weg, dass ich dann irgendwo mich selber nicht mehr finde und bei mir nicht mehr zuhause bin, so. Es ist eher, wenn ich Sachen mach, die ich eigentlich nicht will. Oder die ich irgendwo nicht bewusst mach, ja vielleicht kann man es so sagen. Nicht irgendwo, sondern wo ich mich jetzt von außen treiben lass. So was, was ich vielleicht auch gar nicht möchte (Re43).

Von der Verbindung zur Lebenserfahrung ist weiter unten (B 3.2.10) noch mehr zu sagen. Unter dem Aspekt des Lernens hat sich nur C dazu geäußert. Der Tanz „spricht“ zu ihren Erfahrungen (C59). Die Erfahrung der Kreativität im Tanz verbessert die Kreativität des Denkens (GT8). Im Tanz kommen die erworbene Kreativität in der Improvisation und der Ausdrucksfähigkeit zum Tragen (M14, Sa10). Die Kreativität weitet sich auf die Art der Gestaltung der Angebote durch die Tanzleiterin aus (Et26). Ich habe ja dieses kreative Tanzen, die Ausbildung auch gemacht und so. Und ich habe gemerkt, dass es mich verändert hat im Sinn, dass ich im Denken auch kreativer wurde. Also dieses Tanzen hat mich, weil ich es halt ein wenig intensiver gemacht habe in der Zeit, habe ich richtig gemerkt, oh jetzt überlege ich anders, ich gehe anders an die Sachen ran. Also das ist mir […] so zueigen geworden, dass ich mit irgendwelchen Problemen ganz kreativ rangehe und immer irgendwie denke, da gibt es eine Lösung und überlege, und dann gibt es immer irgendwie eine Lösung. Und das kam wirklich durch dieses Tanzen (GT8).

Die Tanzenden beschreiben als Wirkungen ihrer Tanzpraxis Phänomene psychischer Ausgeglichenheit (Kohärenzgefühl). Konkret werden genannt: ein freundlicher, gnädiger Umgang mit sich selbst (K2-4-2-1), die Haltung der Achtsamkeit (K2-4-2-2), handlungsfähig zu sein (K2-4-2-3), die Geschlechtlichkeit bewusst zu integrieren – Weiblichkeit (K2-4-2-4) und Männlichkeit (K2-4-2-5) und ein gesteigertes Selbstvertrauen (K2-4-2-6). Das Wort Gnade, das im christlichen Kontext auf die Annahme des Menschen durch Gott hinweist, wird auf die im Tanzen erlernte Selbstannahme angewendet (GT41-21). Das besonders prägnante Zitat steht für zahlreiche andere Aussagen zum Thema der erlernten Selbstannahme. […] ich denke, Gnade erlebt man da, wo gnädig mit einem umgegangen wird und wo man auch selber lernt, gnädig mit sich selber zu sein. […] Ein aktives Angenommensein. Wenn man das beim Tanzen erfährt, dann ist das ganz toll. Aber das ist ja nicht automatisch so (GT41-42).

Das Wort Achtsamkeit ist aus dem Kontext östlicher Spiritualität entlehnt. Es scheint besonders gut den spezifischen Bewusstseinszustand Tanzender wiederzugeben. Der lebendige Kontakt zur eigenen Innenwelt scheint ebenso eine Rolle zu spielen (As1) wie die Wahrnehmung der Umwelt in einer pa-

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thischen Qualität des Erlebens (Ku2). Der einzelne Moment enthält so reiche Erlebnismöglichkeiten, dass S lange bei einem Tanz bleiben kann (S18). In der Praxis des Tanzens ist die Erfahrung enthalten, selbst zu handeln, speziell in der Improvisation (R19). Die Stärkung der Kohärenz unterstreicht M, ohne sich damit auf Improvisationstanz festzulegen (M14). Ich denke, die [Teilnehmenden an Tanzworkshops] lernen Körpergefühl, Improvisieren, das heißt: das, was man nicht weiß, zu akzeptieren, und dass man einen Weg sucht durch einen Tanz. Und man weiß nicht, was kommt. Also das heißt, dass man auch lernt, sich zu öffnen für das Unvorhersehbare und zu hören: was passiert da, was kommt jetzt? Dass man sich öffnet, um sich überraschen zu lassen (R19).

Die Aussagen von Be (Be51) und Ea zeigen verdichtet, dass die im Tanzen gewonnene Selbstannahme sich auf die eigene Weiblichkeit ausdehnt. […] da ist auch unwahrscheinlich viel Sinnlichkeit, sehr viel Ja zu mir und meinem Körper. Also ich habe, das würde ich sagen, ist eigentlich der größte Schatz, ich habe dadurch gelernt, meinen Körper anzunehmen und zu lieben, weil ich brauche ihn ja zum Tanzen, und ich habe ein großes Thema gehabt mit meinem Körper, mit meiner Weiblichkeit, mit meiner Sexualität, sehr viel Schmerz, sehr viel Verletzung, und ich habe eben mit 19 angefangen zu tanzen und habe immer zu Boden geguckt. Alle Tanzfotos, die es da gibt von mir, die sind so, dass ich zu Boden gucke und meine Tanzlehrerin sagte, was suchst du denn da unten? Du sollst doch so schauen. Ich konnte es nicht. Ich wollte mich auch nie im Spiegel anschauen, weil ich wollte ja für mich sein (Ea32).

Sowohl Ma als auch M erwähnen explizit ihre Identität als Mann im Zusammenhang ihrer Tanzpraxis (Ma10, M9). Ich würde es [Tanzen] nicht nur als Methode abtun, sondern die Bewegung gehört mit zu meinem Wesen und damit auch zum meinem Ausdruck als Mann und als Mensch (M9).

Die Metaphern von körperlicher Aufrichtung (Ea32-33), Standfestigkeit und Schlagkraft (Me16) deute ich als Selbstvertrauen. Das Vertrauen wächst, Krisen bewältigen zu können (M14) und etwas auf die Beine zu stellen (Gr4). Und habe dann sogar noch gelernt, mich aufzurichten, und es hat über Jahre gedauert (Ea32). Ich bin zwar schon aufrecht gestanden, aber irgendwie war der Kopf immer so und die Augen sonstwo […]. Das war körperlich und seelisch sichtbar bei mir. Und das sage ich auch den Frauen immer, die oft auch so zu mir kommen, auch mit dieser Körperhaltung, wo ich sage, so war ich auch mal. Zwar jetzt vielleicht nicht nur so, aber schaut, ich habe mich aufgerichtet, und das war für mich der Tanz. Weil das von mir kam, ganz tief von mir (Ea33).

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Ich will nicht sagen, dass der Tanz grundsätzlich jede Krise, also da man eine Lösung findet, aber man bekommt auf alle Fälle auch das Vertrauen, ähm, ich habe etwas, ich habe Kraft, ich habe die Erfahrung gemacht, Situationen … einfach mit denen umzugehen. Im Tanz habe ich gelernt, mit Krisen auch umzugehen. Es möchte mir einfach ein Stück Selbstvertrauen geben, besser durchs Leben zu gehen (M14).

Mit „Sozialkompetenz“ werden in diesem Zusammenhang Qualitäten und Fähigkeiten bezeichnet, die Grundlagen für die allseitig zufriedenstellende Gestaltung des sozialen Lebens darstellen. Dazu gehören eine nichtwertende Haltung sich selbst und anderen gegenüber (K2-4-3-1), eine offene Haltung fremden Kulturen gegenüber (K2-4-3-2), anderen in der Gruppe zu vertrauen (K2-4-3-3), den eigenen Wahrnehmungen und Entscheidungen zu trauen (K24-3-4), sich ausdrücken zu können (K2-4-3-5), die eigenen Emotionen kontrollieren zu können (K2-4-3-6) und soziale Konflikte in Gruppen erkennen und lösen zu können (K2-4-3-7). Die nicht wertende Einstellung verschafft dem Gefühl der Leichtigkeit (Ea32, Jo21) mehr Raum und gibt überhöhten Ansprüchen an die Leistungen im Tanz den Abschied (Vo). Es geht um den Verzicht, sich selbst (Ea49, Vo8) oder andere (Gi8) zwanghaft Idealvorstellungen anzupassen. Was ich nicht gelernt hätte [ohne das Tanzen]? Was mir fehlen würde vielleicht auch? Leichtigkeit, Leichtigkeit habe ich dadurch noch mehr erfahren, wobei ich schon Leichtigkeit auch habe, aber da habe ich es sehr erfahren (Ea32). Ich hatte auch sehr strenge Lehrer, die mich sehr bewertet haben, früher ganz am Anfang, so Ballett und so. Mehr und das Bein noch mehr [mit angestrengter Stimme] und du musst da üben Ea, du musst üben. Und das hat mich immer so gestresst, weil ich war Vollzeit berufstätig und hab so gedacht: Ich will aber nicht mehr üben. Irgendwie wehrt sich mein Körper. Ich will keinen Spagat können. Ich kann es nicht. Ich brauche es auch nicht (Ea49). […] dass es [das Tanzen] mich eher lockerer macht und freier und unbekümmerter, das bestimmt. Also von daher also mir würde schon viel fehlen, wenn ich nicht mehr tanzen könnte, ja (Jo19).

Die Lernerfahrung, die in vielen Tanzangeboten durch den vielfach üblichen Einsatz von Musik und Tänzen aus internationaler Folklore oder Weltmusik zumindest potenziell zustande kommt, betont Ku (Ku6). Ihr wird bewusst, dass sie durch den Tanz und diese Musik noch einmal anders mit den Kulturen und Religionen in Kontakt kommt. Sie merkt, dass die Informationen, die sie bisher hatte, ziemlich einseitig waren. Ihre Erkenntnis ist, dass das Leben nicht so schwarz-weiß ist, es noch ganz viele Grautöne und ganz viele bunte Farben dazwischen gibt. Sie geht tatsächlich auch inzwischen anders auf andere Menschen zu und findet, Tanz fördere Toleranz. Mu erlebte in Afrika die dortige Kultur durch den Tanz vermittelt intensiver (Mu14). Speziell Tanztheatergruppen seien sehr stark auf eine vertrauensvolle gute

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Zusammenarbeit angewiesen, da sie neben dem prozessorientierten Tanzen auch produktorientiert seien (Gr28). Generell gelte für Tanzgruppen, dass in ihnen der soziale Sinn (M14), mithin das gegenseitige Vertrauen, gefördert werde. Die Lernerfahrung, dass dem eigenen Urteil und Denken vertraut werden könne, haben mehrere Befragte gemacht (Vo9, B31, Ea49, G1, M14). Eine Form von Selbstvertrauen ist entstanden, das Indikator für Individuationsprozesse ist. Dieses Selbstvertrauen kann sich an der bewussten Ausführung der Schritte festmachen, der selbstgewählten Tanzkleidung, der zugrunde gelegten Tanztheorie oder –philosophie sowie dem Bewältigen von Krisen. Das Wachsen an der Aufgabe, sich im Tanz einem Publikum gegenüber auszudrücken, teilen Be (Be28-30) und Gr mit (Gr12). Also ich muss neue Ausdrucksformen dazulernen, die ich sonst nie gelernt hätte. Zum Beispiel den Mose, oder selbst die Hexe. Ich selber hätte mich nie in die Lage versetzt, wie fühlt sich das an, wenn man irgendwie auf dem Folterstuhl sitzt oder verhört wird. Das machst du ja als normaler Mensch nicht. Du denkst dich gar nicht so weit rein. Und bei der Hexenperformance war ich einfach gezwungen, darüber nachzudenken und das auch mir vorzustellen und zu empfinden. Das ist ein ziemlich schmerzhafter Prozess gewesen (Be30).

Zur Lernerfahrung des Umgangs mit den eigenen Emotionen gehört die Erfahrung, sie wahrzunehmen, zunehmend besser kontrollieren zu können, dabei aber auch die eigenen Grenzen anzuerkennen (B22, B23). Gefühle sollen nicht alles dominieren (Ma9-10). Partnerübungen, Paartanz und Kontaktimprovisation bringen Tanzende durch den engeren Körperkontakt in eine intensivere Beziehung. Dies löst Gefühle aus, die in einem Tanzangebot unbedingt einen Rahmen brauchen, in dem diese nicht das ganze Erleben überwältigen, aber dennoch erlaubt sind. Stellvertretend für andere zeigen C und Ea, dass es in Tanzkreisen auch zu Reibungen, Widerstand oder Machtkämpfen kommen kann (C24, Ea 8-9, Ea20). Ein Zuwachs an Fähigkeiten besteht darin, diese Konflikte wahrzunehmen und negatives Erleben nicht aus dem Gruppengeschehen abzudrängen (C24). Sie [Anastasia Geng] hat sehr unterschiedliche Mittanzende gehabt, also da war, hat auch viel Protest erlebt, und dadurch hab ich gemerkt, wie … dass nicht alles im Tanzen so harmonisch ist, wie sich’s ansieht. Dass die Menschen es sehr unterschiedlich erleben. Und dass ich als Leitende das sehr vorsichtig… behutsam mit dem Sprechen sein muss, damit es Raum gibt auch für […] das Negative (C24). […] das Stück hat unsere Gruppe dann ziemlich irgendwann in die Krise gebracht, weil es so viel Kraft gekostet hat. Es hat wirklich viel Kraft gekostet (Ea8). Ich habe gesagt, mir ist das wichtig, […] ich wollte es bestimmen, weil es mein Stück war. Es war meine Geschichte. Und das haben sie auch mitgetragen (Ea20).

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Zum Thema Körperbezug machen die Befragten mehrere Aussagen: Die Freude an der Bewegung hat sich verstärkt (K2-4-4-1), die Körperwahrnehmung sich weiterentwickelt (K2-4-4-2), durch neue Schritte und Bewegungsarten bzw. Tanzstile sind dem Körper neue Möglichkeiten zugewachsen (K2-4-4-3), Körperkontrolle und Bewegungsrepertoire haben sich erweitert (K2-4-4-4), und ein erhöhtes Bewusstsein für die eigenen Grenzen konnte auf Lebenssituationen übertragen werden (K2-4-4-5). Tanzen erzeugt bei Re Freude an der Körperbewegung, mehr als sie es zuvor in anderen Zusammenhängen erlebt habe (Re39). Also so die Freude an der Bewegung, die hat sich da schon sehr verstärkt, muss ich sagen, ja. […] ich glaub das ist über die Bewegung und über die Musik schon für mich jetzt einfach eine gute Möglichkeit (Re39).

Körperwahrnehmung stellt eine grundlegende Qualität für Tanzende dar, die sich weiterentwickelt (F18, R19). Aus dem Sich-Spüren, dem im Körper verankerten Präsenzgefühl und dem Tanz entwickelt sich ein sich gegenseitig förderndes Wechselspiel (E8, E24, Ke7). Neue Tanzstile und -schritte sind ebenfalls Lernerfahrungen (F2, T42, Ha3). Zunächst wirkten diese unmittelbar auf das Körpererleben. Insgesamt scheint das Neue eine Bereicherung zu sein (Me15, Re11, Ma12). Tanzende geben an, Körperkontrolle entwickelt und ihre Bewegungsmöglichkeiten erweitert zu haben. Mit Körperkontrolle ist eine gewisse körperliche Selbstverständlichkeit gemeint (Be51), das Verfügen über Tanztechnik (F18) und mehr Beweglichkeit (Hs1). Positive Grenzerfahrungen unterschiedlicher Art werden angesprochen, mit der Körpertechnik (F18), der Bandbreite von Tanzstilen (Si16), der Ausdauer (B5), aber auch den pädagogischen und didaktischen Fähigkeiten (C36, St29, Ko68, Sb36). […] das ist auch unheimlich lebendig, lebensvoll und im Moment (F18).

Die Erfahrung, die im Umgang mit symbolischen Formen im Tanzen erworben wird, führt zur geistigen und künstlerischen Erweiterung des Horizonts, indem Symbole stärker in ihrer Mehrdeutigkeit wahrgenommen werden (K24-5-1). Im Umgang mit den Wahrheiten anderer, mit theologischen Positionen und liturgischen sowie musikalischen Präferenzen wird mehr Toleranz erworben (K2-4-5-2). Insgesamt wird das Verständnis für Tanz als Kunst, das auch ein Moment der Unverfügbarkeit enthält, vertieft (K2-4-5-3). Symbole und deren Deutungen spielten vorwiegend im Sacred Dance oder der Tanzmeditation eine Rolle (C22). Die Auffassungen weisen insgesamt eine höhere Offenheit gegenüber der Mehrdimensionalität von Symbolen auf. Deutlich wird, dass die Symbole Deutungen herausfordern (C5, Re8). Nicht immer komme es unter den Teilnehmenden zum verbalen Austausch darüber (Re9).

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In einer Gruppe vorwiegend freikirchlich geprägter Teilnehmerinnen in der Ausbildung lernt Et, Unterschiede zu ihrer katholischen Prägung anzuerkennen und stehen zu lassen (Et25-26). In der Tanztheatergruppe findet eine Auseinandersetzung mit Maria statt, Gr fällt die neue entmythologisierende Sichtweise zuerst schwer, dann erscheint sie ihr gewinnbringend (Gr18, Gr22). In der Tanzausbildung lernt Ke, Bühnen-Tanzstücke mit einer neuen Haltung anzusehen (Ke8, Ke15). Sie ist anspruchsvoller geworden. Ko unterscheidet zwischen den tänzerischen und den choreographischen Fähigkeiten einer berühmten Tänzerin (Ko70). Die Tanzerfahrung wandelt Einstellungen gegenüber der Kirche (K2-4-6-1), erweitert die Gebetspraxis um die Gestalt „Tanz“ (K2-4-6-2), bringt Tanz und Rechtfertigungsglauben in ein angemessenes Verhältnis (K2-4-6-3), verändert den Blick auf das eigene Menschsein (K2-4-6-4) und verschafft (im Tango) Erfahrungen, die durch eine Strukturanalogie zu Glaubenserfahrungen Glauben erschließen helfen (K2-4-6-5). Tanz kann Kirche verändern. Das haben die Befragten erfahren, es brauche jedoch Zeit und geschehe nicht ohne Irritationen und Widerstände (Hs2, Ma12, Ma20, Ma28, Ma30, Sb37). Tanzbewegung im Kirchenraum ist im Werden, es geht wesentlich langsamer voran, als wie bei mir persönlich sozusagen, weil’s vielleicht mit Mutter Kirche oder Vater Geist oder Vater Kirche oder so, dass ja die etwas behäbig sind so als Eltern (Ma28).

Nur Mn hat als Lernerfahrung formuliert, was auch zahlreiche andere ausgesagt haben (vgl. B 5.4.6): Tanz könne Gebet sein (Mn62). A formuliert wie eine spirituelle Entdeckung, dass Tanz für sich genommen bereits wertvoll sei. Er bedürfe keiner, durch die Verknüpfung mit Bibeltexten sekundär hinzugefügten, evangelischen Rechtfertigung (A25). Durch die längere Tanzerfahrung schätzt Ma inzwischen „Kopf“ und „Körper“ als gleichwertig ein und interpretiert sein Menschsein schöpfungstheologisch (Ma9-10). Bei Be habe sich durch das Tanzenlernen eine sowohl körperliche als auch geistige „Anmut“ eingestellt (Be51). Die Glaubenserfahrung und die eigene Auffassung vom Dasein als Mensch erhalten in einem Paartanz wie dem Tango Argentino weiterführende Impulse, etwa durch die Erfahrung des „Gehaltenseins“ (T48, V20-30, Ma12, M21, Ma27). 2.2.5 Der individuelle Weg zum Kirchentanz In den narrativen biographischen Passagen der Gespräche zeigen sich individuell unterschiedliche Wege zum Kirchentanz. Verallgemeinerbare Aspekte sind: der Ausgangspunkt beim Wunsch nach Tanz in der Kirche (K2-5-1), die Bemühungen um Aus- und Weiterbildungen, um dem Ziel Tanz in der Kirche näher zu kommen (K2-5-2), und der Einstieg in kirchliche Tanzszenen durch

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Tanzenden das Wort geben

persönliche Begegnungen (K2-5-3). Unter die Erstbegegnung fallen auch negative Erfahrungen mit Formen des Kirchentanzes (K2-5-4). Übereinstimmend für katholische und evangelische Kirche tauchen Berichte auf, denen zufolge es in den 1980er Jahren keinen Tanz gegeben habe (Fr9, C59, Mu4, Et9, Et11). Der Wunsch nach mehr Körperlichkeit, Bewegung und Tanz sei bei A und Ke schon im Theologiestudium aufgebrochen (Ke5, Ke7, A4, A14, A16). Die Feststellung des Mangels an Bewegendem in der Kirche in der Zeit um 1975 ist mit Unzufriedenheit verbunden (Ma1-2). Manche Befragte benennen die Situation rückblickend als Defizit (Gi2-3, Gr1, Mu5). Auch die freie Tanzszene sei erst im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts expandiert (Ea2). Die Ausschnitte aus den Narrativen weisen auf die für die spätere Tätigkeit als Tanzleiter relevanten Berufe und Ausbildungen hin. Insgesamt werden Studien und Zusatzausbildungen genannt in den Fächern Theologie (Sb7, Ke5, St9, R2, Et10, Hs44) oder Lehramt Religion (Fr4, Mr2, A2), Psychologie (S2-3), Musik (G1, Ha2), Sport mit Schwerpunkt Tanz (Fr4, Mr2, A2), Physiotherapie (Si15), Tanztherapie (Sb3, Ke8, E19), Kunstgeschichte (F4-5) und Tanz (Ko1, Fr, Ba, Ha) sowie Tanzpädagogik (Ba, Si16, B, Et, Gi5). Bei allen ist eine Tendenz zum kontinuierlichen Weiterbilden zu beobachten. Die genannten Biographien stehen für viele, in denen das Thema Tanz in der Kirche erst allmählich einen größeren Raum einnahm. Dies liegt unter anderem daran, dass es keine auf Kirchentanz spezialisierten Ausbildungsgänge gibt. Kirchentanz war und ist kein flächendeckendes Angebot in den Kirchengemeinden. Inzwischen ist er in den Programmen kirchlicher Bildungshäuser und Einrichtungen für Erwachsenenbildung vertreten, seltener auch in Gemeinden. Oft erfolgt der erste Kontakt nicht durch gezielte Recherche – was inzwischen durch die Internetpräsenz der Angebote sehr viel leichter geworden ist – sondern auf Empfehlung hin, gelegentlich auch auf Großveranstaltungen wie Festivals und Kirchentagen (GT54, Kl8-9, As2, Ku3, Ro2, Vo6, Gr3). Selten gibt es tanzende Vorbilder in der Familie (A1). Bei einigen (GT54, Kl8-9, As2, Ku3) führte der Erstkontakt zu einer dauerhaften Praxis. Nur vereinzelt wird von Erstkontakten mit spiritueller Tanzpraxis berichtet, die nicht besonders fesselten. Ein Beispiel ist S, die den Sacred Dance in Findhorn zunächst nicht ansprechend gefunden habe (S8). […] habe ich dann gedacht, oh Gott, wie langweilig, weil das wiederholt sich ja alles dauernd. Ein paar Schritte und das ist es dann… (S8).

2.2.6 Die Faszination des Kirchentanzes Die Faszination des Kirchentanzes konkretisiert sich anhand von Aussagen zu spirituellen Schlüsselerlebnissen (K2-6-1), der Anziehungskraft des Neuen am Kirchentanz (K2-6-2), der Erfüllung des Anliegens, Tanz und Spiritualität zu

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verbinden (K2-6-3), der Möglichkeit, ohne Partner zu Tanzveranstaltungen gehen zu können (K2-6-4), der Freiheit von Leistungsdenken (K2-6-5), der Möglichkeit, Spiritualität körperlich erfahren zu können (K2-6-6), und der Chance, sich im Kirchentanz ehrenamtlich betätigen zu können (K2-6-7). Tanzen und Spiritualität kommen bei den Interviewten auf unterschiedliche Weise in einem Schlüsselerlebnis zusammen, je nach ihrem Verständnis sowohl vom Einen als auch vom Anderen. Bei S fließen in die Vorstellung von Spiritualität Bilder von einer idealen Gemeinschaft ein. Sie sieht Chancen in der Wandlung der eigenen Wahrnehmung der Welt und der Anderen, in der Bezogenheit auf Gott und in der Möglichkeit, zu plötzlicher Erkenntnis (Erleuchtung) zu kommen. Spiritualität sei dann wertvoll für sie, wenn sie auch heilsam für die Betreffende und ihr Umfeld sei (S18, S20-21). Spiritualität könne auch bedeuten, etwas zu erfahren, das helfe, Trauer zu bewältigen (GT3) oder die Würde des Menschen zu stärken (Hs1). Kirchentanz wird kaum lediglich aus dem Motiv heraus begonnen, etwas Neues zu machen. Gegenüber Adressaten, die für das Tanzen motiviert werden sollen, kann die Neuheit der Form jedoch eine Rolle spielen. St richtet sich an Jugendliche (St13), U wird mit dem Motiv des Neuen für die Mitarbeit gewonnen (U8). Ein neues Berufsbild – die Kirchentänzerin oder Kirchentanzpädagogin – blieb seit den Anfängen des Kirchentanzes eine unerfüllte Vision (A28). Die Vorstellung von Spiritualität unterscheidet sich individuell, sie zerfällt in einzelne spirituelle Anliegen. Es geht bei Ma um das Ausdrücken eines inneren Bewegtseins durch den Glauben (Ma2), bei Mr um die Chance des Tanzes, eine Botschaft zu verkündigen (Mr2, Mr4), Gr nutzt die Gebärden, um eine ausdrucksvolle Gebetsform zu haben (Gr.2.1), und Ro praktiziert im Tanzen Meditation (Ro2). Auch St kann tanzend meditieren, sieht den Tanz aber auch in seiner liturgischen Funktion (St13). Sa fühlt sich selbst zur Tanzleitung herausgefordert durch ein Berufungserlebnis (Sa11), und auch Si entdeckt im Lobpreis durch Tanz ihre Bestimmung von Gott her (Si8). Sb findet im Tanz eine Möglichkeit, wirksamer Seelsorge zu betreiben (Sb1), S dagegen will Therapie und sonstige inhaltliche Füllungen aus dem Tanz heraushalten und pflegt eine Art reine Tanzspiritualität (S24). Bei U ist die Verbindung von Tanz und Spiritualität im Gegensatz dazu nur sehr lose gegeben (U11). Die Verknüpfung wirkt sekundär. Ir nennt ein Motiv, das Frauen häufig in Tanzkreise bringt: Sie können ohne Partner tanzen (Ir9). In den Kreisen von S fühlen sich (deshalb?) ältere Frauen angesprochen (S58). Wie die Äußerungen unter „Selbsterfahrung und Körperaneignung“ B 4 noch ausführlicher darstellen, schätzen spirituell Tanzende die Abwesenheit von Leistungsdruck (Jo2-3).

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[…] das ist dann das, was das Leben weitet und wo es nicht da drauf ankommt, dass jeder Schritt sitzt. Und wenn ich mal drauskomme, darf ich drauskommen und ich finde dann auch wieder hinein (Jo3).

Die Körperbezogenheit von Tanz und die ausdrucksvollen Gebärden ermöglichen eine Art frommen Selbstausdruck (GT16, Gr2.1). In den sich wiederholenden Schritten kann ein anderer Bewusstseinszustand erreicht und Selbstannahme eingeübt werden (GT15, Jo2-3). Tangotanz fasziniert und bildet eine Brücke zu spiritueller Suche (Hs11-12). […] Wo ist mein König-Sein? Wo ist meine Kraft? Wo kommt die her, beziehungsweise, wo habe ich sie verloren? Kann ich sie wieder finden und suchen? (Hs12).

Tanzanleitung wird von einigen in der Freizeit gelegentlich oder regelmäßig ehrenamtlich ausgeübt (Re2-3, Ir1, Me, Sa, Mr). Daneben steht die freiberufliche Tätigkeit als Tanzanleiter (Gi, E9, Ke, Ma, Fr) bzw. als Ausbilderin (R37), die häufig mit dem Hauptberuf verknüpft wird (B, Ea, Et, Sb, Si, M, A, G). Um genauere Angaben zum Verhältnis zwischen den finanziellen Aufwendungen für die eigene Tanzausbildung und den Einnahmen durch die Tätigkeiten machen zu können, fehlen Daten. Ko, Ta und Ba erwirtschaften ihren Hauptverdienst durch Tanzpädagogik. Vom Anbieten spiritueller Tanzangebote lebt S relativ bescheiden. Kirchliche Subventionierung der tänzerischen Fortbildungen wird nicht erwähnt (außer für C). Ta ist freischaffende Tänzerin, sie tritt auch in Kirchen auf (Ta38). Ähnliches gilt für Be. Also ich halte das auch durchaus, wenn ich auch rückblicke, durchaus für einen Zufall, dass ich immer noch tanze. Und für einen Glücksfall, muss ich auch sagen. Dass ich immer genügend Jobs hatte, um nicht zu sagen, so jetzt muss ich doch umschwenken und mich irgendwie anstellen lassen, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Da hat auch der Zufall und das große Glück was damit zu tun, dass ich immer weiter auf dem Weg schreiten kann (Ta38).

2.3 „… ist ja schön, dass wir alle so unterschiedlich sind“ – Tanzstile, Formen und Deutungen Die Kirchentänzer haben in der Regel mit einer Vielfalt von Stilen Erfahrungen gesammelt, individuell und im Querschnitt gesehen (2.3.1). Es gibt verschiedene Formen im meditativen Tanz und entsprechende Deutungen durch die Tanzenden (2.3.2) sowie Tanzerfahrungen in freien Stilrichtungen und in der Performance (2.3.3). Kreativität steht mit den jeweiligen Stilen in Zusammenhang (2.3.4). Je nach Tanzform und Ansatz zeigen sich auch verschiedene Verständnisse bezüglich der Bedeutung des Raumes (2.3.5) und der Musik (2.3.6). Die Vielfalt der Herangehensweisen an den Tanz zeigt sich auch anhand der Aktivitäten und Lehrerfahrungen der Tanzenden (2.3.7).

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2.3.1 Die von Kirchentänzern erfahrenen Tanzstile Die Befragten berichten von Tanzstilen, die sie kennengelernt haben, und zeigen auf, was ihnen an dem jeweiligen Stil gefällt oder nicht. Damit geben sie implizit Hinweise auf die damit verbundenen ästhetischen Erfahrungen. Der Abschnitt 2.3.1 gibt Einblick, welche Tanzstile von den Befragten praktiziert wurden und werden (K3-1-1), in die Gründe, warum ihnen der eine oder andere nicht zusagt (K3-1-2), vermittelt ein Bild von der breit aufgestellten Tanzpraxis vieler (K3-1-3) und legt bei denen, die sich für eine Tanzart als Schwerpunkt entschieden haben, die Gründe ihrer Präferenz offen (K3-1-4). Da sich die Hinweise auf die Stile innerhalb längerer Gesprächspassagen verstreut finden, wird die Sachlage mit Verweis auf den Fundort im Transkript zusammenfassend dargestellt. Besonders prägnante Zitate, die die mit dem Stil verbundenen Emotionen und ästhetischen Erfahrungen illustrieren, runden das Bild ab. Die Namen von bekannten und bedeutenden Tanzlehrern, Choreographinnen oder Autoren wurden bewusst nicht anonymisiert, um deren Einflüsse auf die Szenen nachvollziehbar zu machen. Die meisten Befragten sind tänzerisch schon herumgekommen. Über die Motive machen sie keine eindeutige Aussage. Bei manchen, die Unterschiedliches ausprobieren, kann Neugierde oder Aufgeschlossenheit für Neues vermutet werden (B12, Ba12, Ba24), bei anderen eine Suche nach Bewegungen, die einem besser liegen (Me21, F5, Sa10, E45, Ea1, Sb5-6, Ta3) oder Spaß machen und gleichzeitig grundlegend sind (F10, Ha3, GT49). Mehrere Tanzstile können parallel ausgeübt werden (Ma2 und viele andere). Ballett wird häufig praktiziert, weil es als gute Körperschulung gilt (Ba24, F10, Ea1, C76, Ha16, Ta2). Die Faszination mancher Tanzstile wird gerade im Gegenüber zu Ballett beschreibbar, da sie ganz anders seien (Be16-17, Me16-17). Was Me ganz besonders gefällt am indischen Tanz ist, dass er anders als im Ballett nach unten gehe. Die stampfenden Bewegungen seien sehr erdverbunden, während beim Ballett die Tänzerin immer nach oben strebe und versuche, den Körper leicht zu machen (Me21). Erfahrungen mit Ballett-Training sind bei den Tänzer_n mehrfach anzutreffen. Die Bandbreite reicht von mehrjähriger Ausbildung (Ba12, F10, Fr, Ma, Me, Ta2), teils professionell (Ko), bis zu kürzeren Trainings von drei Jahren und weniger (Ea1, Ha16, Sb). Insgesamt ist bemerkenswert, dass die Interviewten zwar das spezifische ästhetische Erleben, das bestimmte Tanzstile ermöglichen, suchen, sich aber offen für andere Erfahrungen zeigen. Eine elaborierte Tanztechnik wird allgemein stark wertgeschätzt. Die teils strengen und anstrengenden Trainings werden von den Tänzern als sinnvoll erachtet. So verweist Ba darauf, dass Ballett ihr dazu gedient habe, ihr Instrument, also den Körper zu stimmen (Ba24). Ich habe mir eingebildet, ich brauche das, um Basis-Kenntnisse zu haben oder eine bessere Haltung, bessere Technik (Ea1).

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[…] das [Tanz der 5 Rhythmen ] fand ich total klasse. Weil ich da einfach auch rausgehen konnte und ein Stück weit frei werden konnte und […] das hat was Befreiendes und aber auch gleichzeitig so etwas Leermachendes, also mal wieder leer wieder und dass es wieder gefüllt werden kann (GT7).

Bestimmte Tanztechniken lägen dem eigenen Körper nicht (F5), die Erfahrung mit einer Tanzleiterin wirke sich negativ auf den Zugang zu einem Tanzstil aus (Ro26), das Ballett wird als zu äußerlich abgelehnt (Ke), das Bild, das man sich von einem Tanz gemacht hat, verhindere positive Erfahrungen (Hs32), bzw. der Weg, den man als Tänzer bewusst eingeschlagen habe, wird als konträrer Weg zu einem bestimmten Tanzstil gesehen (Sb38-39, S62). Durch die negativen Erfahrungen haben die Interviewten sich offenbar nicht generell vom Tanzen abbringen lassen. Allerdings vermitteln die Äußerungen den Eindruck, als führte das Erlebte zu relativ festgefügten Urteilen über die betreffenden Stile, was erklärt, warum die Kommunikation der Tanzenden untereinander nicht immer gut gelingt: […] hier konnte ich nicht ich selbst sein (Ro26). […] oh Gott, auch der liturgische Tanz, das ist mir ein Greuel eher. Ich find’ das toll, dass es das gibt, aber es einfach… da sind wir Menschen, ist ja schön, dass wir alle so unterschiedlich sind. Also mein Ding ist es einfach nicht (Hs32). […] ich finde da nicht nach Hause. Ich brauche die Struktur, die hilft mir, in die Struktur hinein- und über die Struktur hinauszuwachsen, sonst fühle ich mich verloren (S62).

Eine Reihe von Gesprächspartnern haben sich ausdrücklich zur parallelen Ausübung mehrerer Stile geäußert. Das Phänomen findet sich sowohl bei Laien, die an Angeboten lediglich teilnehmen, als auch bei ausgebildeten Tanzleiter_n. So kommt es zur Kombination von meditativem Tanzen und Ausdruckstanz (GT5), Paartanz (Jo2) und freiem Tanz (Jo2, Ma2). Das Ballett kann gleichzeitig als tänzerisch unbefriedigend und nützlich für die eigene Tanztechnik gesehen werden (Ke5). Die Offenheit, Verschiedenes auszuprobieren (z. B. GT, Ir, Jo) und manche Stile sogar parallel zu praktizieren (z. B. Ma), steht neben der Suche nach einem der Person entsprechenden Tanzstil (z. B. Ke9) sowie dem Bedürfnis, den Körper tänzerisch weiterzubilden (Ke). Die Vielfalt der parallel ausgeübten Tanzstile reduziert sich oft dann, wenn Tänzer_innen dazu übergehen, Tanzangebote zu leiten. So bieten Gi und S bewusst nur Tanzmeditation in festen Formen an, St tanzt vorwiegend formgebundene Gemeinschaftstänze, Fr dagegen arbeitet in seinen Angeboten mit verschiedenen Formen von Improvisation. Auch Et leitet zu Tanzimprovisation an (Et37). E bietet Soul MotionTM an (E11). Für R ist die Entscheidung klar auf Improvisationstanz gefallen (R33), sie formuliert es wie eine Erwählungserfahrung: er „hat mich gewählt“. Das Beispiel der Teilnehmerin Ir zeigt eine Konzentration auf formgebundene Gemeinschaftstänze

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(Ir4-6). Die Äußerungen zeigen in gewissen Grenzen, worum es bei den im kirchlichen Kontext als spirituelle Praxis ausgeübten Tanzstilen ästhetisch geht und warum den Tanzenden ausgerechnet dieser Stil als sinnvoll für sie erscheint.53 Grenzen liegen in mangelnder Präzision und sind durch die Gesprächsverläufe mit wechselnden Themen bedingt. Der recht knappe Überblick lässt erahnen, dass Tanzen als spirituelle Praxis nicht in erster Linie von der Wahl eines bestimmten Tanzstiles abhängt, sondern zunächst eine weite Bandbreite vorliegt. 2.3.2 Formen und Deutungen im meditativen Tanz In der Wahrnehmung sowohl von Kirchentänzer_n als auch von außenstehenden Beobachtern dieser Szenen ist meist der umgangssprachlich sogenannte meditative Kreistanz typisch für kirchliches Tanzen. Die folgenden Äußerungen helfen, diese Szene differenzierter zu erfassen. Die Unterschiede innerhalb der Szenen deuten sich an (K3-2-1). Vorherrschende Formen und symbolische Deutungen werden aufgezeigt (K3-2-2). Ein Bündel von Aussagen beschäftigt sich mit der Bedeutung der gestalteten Mitte (K3-2-3) und ein weiteres mit der Tanzrichtung (K3-2-4). Außerdem wird Einblick in die Gründe gegeben, warum die (angeblich) uralte Herkunft der Tänze geschätzt wird (K3-2-5), die choreographierten dagegen als weniger erdverbunden gelten (K3-2-6). Obwohl meditativer Tanz einfach aussieht, ist dennoch eine Freude auch an komplizierteren Schrittfolgen zu verzeichnen (K3-2-7). Zahlreichere Stimmen sprechen sich allerdings für einfache Schritte aus (K32-8). Die gebundene Form des Kreistanzes bietet nach Einschätzung einiger auch Freiheit und das Gefühl, so sein zu dürfen, wie man ist (K3-2-9). Die Tänze sprächen Lebenserfahrungen an (K3-2-10). Zuletzt werden noch vereinzelte kritische Stimmen dokumentiert (K3-2-11). Die unterschiedlichen Traditionslinien und Verständnisse innerhalb der ,meditativen‘ Tanzszene spiegeln sich in den Bemühungen der Tanzenden, durch Abgrenzungen von anderen ,Schulen‘ ihre eigenen Anliegen deutlich zu machen. Der Titel ,Meditatives Tanzen‘ sei zu ungenau (C29), eine Teilnehmerin reflektiere die Benennung weniger als eine Tanzleiterin (Ir49-50). Ins Spektrum passten Bachblütentänze und Tänze zur Finnischen Messe (Ir52-53) sowie israelische Volkstänze (St20). Von manchen Tanzenden wird ein Unterschied gemacht zwischen christlicher Tanzmeditation (z. B. von Wollmann) und der aus Findhorn (St14-15). Aus der Tradition Findhorn werden Tanzmeditationen jedoch auch in den kirchlichen Kontext eingebracht (S25-26). Polaritäten im Verständnis ergeben sich durch die Gegensätze von ,Meditation des Tanzes‘ oder ,Tanzmeditation‘, meditative Versenkung oder fröhlicher Volkstanz, christlich oder esoterisch. 53 Vgl. die vertiefende Darstellung in C 2.4.

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Tanzenden das Wort geben

Es ist mir so schwergefallen, einen Weg zu finden, wie ich den Tanz vertiefen möchte [,…] ich wollte dann lieber länger ringen, als irgendwie was dazunehmen, was ich schon kenne (S27).

An die meditative Szene sind weitere Fragen zu richten: Inwiefern werden die Bewegungsformen als überpersönliche Symbole verstanden? Werden bestimmte Merkmale besonders geschätzt? Lassen die Formen Freiraum für die Einzelnen? Können Lebensthemen oder Grunderfahrungen des Menschseins im Tanz aufgegriffen werden? Weitere Klärungen erbringen die im Folgenden zusammengestellten Äußerungen. Im ,meditativen Tanz‘ scheint es ein bestimmtes überliefertes Repertoire an Bewegungsformen und Haltungen zu geben, wie die Reigenform, aber auch Kette und Spirale, die Handhaltungen und die Körperausrichtung. Tänzer schätzen das Vorhandensein einer Form (St25). Mit den Haltungen, Schrittmustern und Raumformen werden häufig Symbole (die Mitte, der Kreis und vieles mehr) assoziiert (Ku7, As5, Vo10, Ku8, Re14, C3-4, Gi20). Für Ma repräsentiert der Kreis ein „Grundsymbol“ von Harmonie (Ma18). Die Äußerungen geben einen ansatzweisen Einblick in die Bedeutung der Schritte, Gesten und Bewegungen für diejenigen, die sie praktizieren. So ein Rührteig, wenn du den einfach aufs Blech kippst, dann zerläuft der. Der muss irgendwie in einer Form drin sein. Ob das jetzt eine Rosenform ist oder eine Gugelhopfform oder eine Rehrückenform, das ist schön, aber das Wichtige ereignet sich irgendwo anders (St25). Oder auch selbst, wenn ich rückwärts gehe, äh, dann bin ich nicht verloren, sondern dann werde ich wieder mitgenommen, die Mitte ist ja da oder das Zentrum, oder ich komm’ immer wieder in die Balance auch ne, diese, das sind einfach find ich Wahnsinnsschritte“ (Vo10). Und dann halt wirklich so diese unterschiedlichen Gebärden auch, die im Tanz auch vorkommen, […] ich mein, manche haben ja nur Schritte, da geht es dann eher in den Schritten, und manche Tänze, die haben ja dann auch noch die Gebärden drin, die auch also für mich eine sehr große Bedeutung haben (Re14).

Texte, Musik und gestaltete Mitte ergeben einen Gesamteindruck. Die floral oder mit Kerzen, Steinen, Figuren, Tüchern markierte Mitte regt die Phantasie an (As3, Ro11), sie hilft, sich auszurichten (Ro11, Jo22, Re5), sie hat symbolische Bedeutung (Ro34-35, C24), da sie auf „eigene Mitte“ verweist (Gi16). In die Gestaltung fließt gelegentlich viel Mühe (St31, Ro32). C nimmt an, Anastasia Geng habe die gestaltete Mitte eingeführt (C24). Ich hab den Eindruck, das ist für das meditative Tanzen hilfreich, diese Mitte zu haben und um diese Mitte ’rum zu tanzen (Jo22).

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Wir tanzen gemeinsam um eine Mitte und zur Mitte, gehen, aber auch mal wieder weg zu sein, dann in die Richtung gehen, in eine andere Richtung gehen, sich drehen, den Blick verändern, die Blickrichtung, also solche Dinge. …(Re5).

Pragmatische (S44-46) oder symbolische Deutungen lassen die Tanzrichtung entgegen dem Uhrzeigersinn als richtig erscheinen. Man geht der Sonne entgegen und wendet das Herz zur Kreismitte (Gi16). In den Formen der traditionellen Volkstänze werden aufgrund der ihnen zugeschriebenen uralten Herkunft (C3, St29, Ro15) archetypische Symbole entdeckt (St30, Gi20, A26). Ihnen wird eine hohe Erlebnisqualität zugeschrieben (Vo10). [Die Tänze, die] wirklich einen unglaublich alten Hintergrund haben, dieses Streicheln von der Erde praktisch bei den griechischen Tänzen (Vo10).

Der Boden, auf dem getanzt wird, spielt eine Rolle für das Zusammenspiel zwischen traditioneller Erdhaftigkeit von Tänzen und dem Erleben dieser Erdverbundenheit. Ein choreographierter Tanz passt nicht für das Tanzen im Freien (C81). Dazu erzählt sie ein Erlebnis mit Gabriele Wosien (C81). Erfahrene Kreistänzer_innen geben sich nicht mit den immer gleichen einfachen Schritten zufrieden, sie schätzen Variationen und kompliziertere Bewegungsfolgen (Ro15, Ir27, St25, St29). Implizit wird deutlich, dass Tanzen sowohl als körperliche als auch als geistige Herausforderung begriffen wird. […] da ist das Zusammenspiel von dem Rhythmus-Aufnehmen, diese Schrittkombination mit dem Wippen, mit dem Drübersetzen, mit dem Langsamen, mit dem Spüren im ganzen Körper, also von Fußsohle über die Knie, die die Bewegung machen, über die Hände, die vielleicht in einer Reigenfassung hoch sind, das Zusammenspiel macht die… da ist der Schritt dann nicht mehr egal. Also ich kann nicht einfach eins, zwei, drei gehen bei so einem Tanz, da würde etwas verloren gehen (St29).

Die folgenden Äußerungen betonen die Chancen der Tänze mit einfachen Schritten (Ro18, U18, Ku9). Von außen gesehen wirken diese oft simpel. Das Gesagte verweist jedoch auf eine Einfachheit, die aus der Reduktion der Komplexität der Schritte und den mehrfachen, ohne Zeitdruck vollzogenen Tanzrunden entsteht. Die Reduktion erinnert an andere Meditationspraktiken mit einfachen wiederholenden Elementen, bei denen Reizeindrücke bewusst eingeschränkt werden (U79-80). Nicht die Komplexität des Tanzes, sondern das gemeinsame Erleben steht im Vordergrund (Ir26). […] eigentlich muss der [Tanz] so sein, dass ich gar nicht anders mich dazu bewegen kann, als wie das da angegeben ist (U20). […] wenn du dich auf sehr viele komplizierte Schritte konzentrieren musst, bist du wieder sehr im Kopf und kannst dich innerlich nicht so auf die Bewegung, auf dieses Sich-Bewegen und gleichzeitig Bewegt-Sein, da kann man sich dann nicht drauf

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einlassen, wenn man ständig drüber nachdenken muss, welcher Fuß kommt jetzt vor welchen und welche Schritte waren das jetzt und wann kommt die nächste Drehung, das geht dann alles wieder so in Richtung Kopfarbeit und das, was hier stattfindet, das ist nicht im Kopf, das ist in mir (Ku9).

Menschen, die meditative gebundene Tänze lieben, können über die individuelle Ausführung der Formen zur Erfahrung kommen, so sein zu dürfen, wie sie sind. Einige, nicht alle, Tanzleiterinnen unterstützen aktiv die Wahrnehmung und Akzeptanz der Verschiedenheit. Im Folgenden wird eine besonders plastische Beschreibung von C wiedergegeben, die auch für andere, sich ähnlich äußernde Tanzende steht. Sie unterscheidet zwischen dem, was sie bei Nanni Kloke und bei Friedel Kloke-Eibl erlebte, und macht die unterschiedliche Wirkung auf die Selbsterfahrung deutlich (C73-75). [Bei Nanni Kloke ist es] „so eine persönliche Weise, mich zu bewegen.“ Die unterstützt sie, dafür gibt sie Formen, die das zulassen. Das heißt, wenn sie so einen Tanz einübt mit ihren Formen, „dann sieht das bei jedem Mittanzenden anders aus. Und immer schön“ (C73). Das ist ihre Ausrichtung und ihr Thema [Nanni Klokes], dass jeder in seiner Weise diese Formen tanzt. C hat im letzten Kurs [altersbedingt] schon meistens an der Seite gesessen und fasziniert zugeschaut. Kloke hatte nach einer portugiesischen Fado-Musik einen Tanz, der viel Nachgeben und Gebärden hatte, und C guckte fasziniert zu, wie das aussah. Da waren kleine Zierliche und dann waren da große, Unbeholfene, die wurden schön alle, weil das für sie stimmig war. Es ist genau das, sagt Nanni Kloke, was sie möchte. Die Ballettschule im Gegensatz dazu, die hat ein bestimmtes Bewegungsvokabular. Es geht da um die Ausrichtung und die Aufrichtung. In der Meditation des Tanzes bei der Friedel ist es zwar kein strenges Ballett-Training so an der Stange, aber es ist schon ein sehr genaues Hinschauen. C hat anfangs sehr viel bei Friedel getanzt, ist dann aber, als Nanni mit ihren Tänzen anfing, dorthin gegangen, weil sie merkte, da darf sie die C sein. Da muss sie sich nicht nach einem Standard bewegen (C74-75).

Tanzende finden in meditativen Tänzen Assoziationen zu Lebensthemen (Ro20, Ku7), Gefühle und alltägliche Lebensbewegungen (As5, Ku8, Vo10-11). C findet eine Art Lebenshilfe in den Bewegungssymbolen (C24). Ruhe und Lebhaftigkeit fänden gleichermaßen Platz (C29, Re17-18). Die Freiheit von Leistungsansprüchen (Gi8, Jo3) ist ein Thema, das quer durch die Tanzstile immer wieder benannt wird. Dazu finden sich in der Sammlung zur Überschrift ,Selbsterfahrung‘54 daher noch weitere. […] wo ist da Hilfe für mich, wo ist da etwas von mir, was passiert da, was wird da erzählt in den Tanzformen von mir? (C24). Meditatives Tanzen meint, die Symbolsprache einfacher Kreis- und Reigentänze zum Tragen kommen zu lassen, es bewusst machen, wiederholend in der Bewegung. Und 54 Vgl. B 2.4.2.

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darin den je eigenen Erfahrungen Raum und Zeit geben. Also einfach besinnlich gemeinsam, dazwischen auch irdisch, erdig, kraftvoll und heiter-kommunikativ (C29). […] also meditative Tänze, da stellt man sich dann was ganz Ruhiges vor, und das ist es eigentlich jetzt nicht nur. Sondern es ist ja irgendwie alles, was zum Leben gehört, ist ja da drin auch. […] Ja, genau mal das Power, mal Stampfen, das tut ja genauso gut, dazu wie jetzt so eher ganz ruhig, also es ist ja alles irgendwo darf ja alles drin sein (Re17-18).

Verschiedene kritische Einwände gegen manche Formen und Einstellungen werden im Folgenden erhoben. Anfängliche Vorbehalte gegen die Strukturiertheit relativierten sich für G und Ma im Lauf der Zeit (Ma2). Et empfindet das meditative Tanzen als weniger anspruchsvoll. Auch ein Kreistanzleiter nimmt gewisse Ambivalenzen des Tanzens im Kreis wahr (St). Die Gestaltung der Mitte wird weitgehend unhinterfragt als Standard gesehen. Die Äußerungen von C und S relativieren die Selbstverständlichkeit dieser Gestaltungsform und weisen auf Nachteile hin (C16, C23, S69, S71). Kritik am meditativen Tanz sei zu üben, wenn er nur „äußerlich“ bleibe (A26), stark mit philosophischen Vorgaben arbeite (G1), oder grundsätzlich, weil er so „unpolitisch“ sei (Hs33). Das [früher übliche] Erscheinungsbild von Tanzleiterinnen konnte Widerstände wecken (G15). […] mein erster Satz, als ich das das erste Mal mitgemacht habe, ich bin doch kein Strafgefangener, der mit hundert Sträflingen immer im Kreis rumläuft (Ma2). [Die Kreisform] kann beengen, das kann begrenzen und das kann unheimlich Heimat und geborgen sein, das kann rund sein und gleichzeitig einsperren (St30). […] wenn es nur äußerlich aufgetragen wird, dann passiert es nicht automatisch“ (A26). […] die war halt dann in ihren Birkenstock-Sandalen und eine Dame und fließende Röcke, das ist für manche Pfarrer schon schwer, ja (G15).

2.3.3 Freie Formen Die folgenden Äußerungen geben in die Praxis freier Tanzformen Einblick. Tänzer_innen kommen hier zu Wort, die sehr selbständig innovativ arbeiten, unabhängig von überlieferten Tänzen. Sie haben mit dem Bewegungsvokabular des Modern Dance, Tango oder des indischen Tanzes Improvisationen entwickelt (K3-3-1 bis K3-3-4). Einige Aussagen stehen für die Strömung des Kirchentanzes, die Tanz für Performances einsetzt (K3-3-5 bis K3-3-6). In den 1980er Jahren versuchte unter anderem A, so etwas wie Kirchentanz entstehen zu lassen. Die Tänzer_innen erzählen von ihrer spezifischen Arbeitsweise (A8, A16, Ba18, B7, B13, Be, Et41, Et44, Ha16, Ke25, Sb4-5, U20,

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U55-56, Ma). Sie nennen Kreativtanz (A8, Sb), Improvisation (A8, Et, B13), Modern Dance (A8, B7), Ausdruckstanz (B7, Ke), Butoh (A55), zeitgenössische und klassische Tanztechniken unter dem Titel Dance&Praise (Ba56), Tanztheater oder Theater der Bilder (B7, Ha16), Tanz mit Bibelarbeit (A, Sb), eigene Liedtänze (U) und Tango Argentino57 (Ma12). Also ich forme mit dem Körper diese Bilder, aber die Bilder halte ich in einem Augenblick fest. Das, was der Maler ja macht, womit ich ja begonnen habe, eigentlich mir über den Tanz Gedanken zu machen. Plötzlich verwandel ich mit dem Körper Bewegung zu statischen Bildern (Ha16).

Aus Platzgründen werden nicht alle Befragten mit ihrer Arbeit hier erwähnt, sondern es wird nur auf besonders prägnante Stilrichtungen verwiesen. Interessant ist, dass sich unter Teilnehmenden innerhalb bestimmter Szenen (z. B. meditativer Kreistanz) Erwartungen an „Tanz“ aufbauen, die dann in Angeboten anderer Stilrichtungen enttäuscht werden können (Et41). Die Tanzleiterin im Beispiel findet einen Weg, damit konstruktiv umzugehen (Et44). […] da gab es zum Teil auch welche, die hatten eben so Wochenenden meditativen Tanz schon gemacht […]. Also so, dass das so ein fertiger Tanz im Kreis ist, mit Schritten und eventuell die Arme ein bisschen bewegt dazu. Und so eine offene experimentelle Form, das haben zum Schluss haben dann ein oder zwei Ehepaare oder Frauen vor allem gesagt, das war ihnen zu wenig Tanz (Et41). Aber deswegen habe ich das ja nicht einfach so durchgezogen, sondern habe immer wieder so zwischendurch so Elemente gehabt, wo ich auch mal was ausprobieren konnte, also was zum Spüren, so Ausprobieren, wie fühlt sich das denn an, wenn ich, weiß ich nicht, ungeduldig bin oder wenn ich fröhlich bin und leichtfüßig oder wenn ich Schwierigkeiten und Probleme habe…. Also so dieses Spüren und Ausprobieren, das ist ja nicht selbstverständlich (Et44).

Sowohl von Hs als auch von Ma wird die Nähe des Tangos zu Lebenserfahrungen als Vorteil beschrieben (Hs33, Hs45, Ma12). [Tango] ist ein gutes Transportmittel einfach auch, Menschen zu erreichen oder auch in ihnen wieder was zum Klingen zu bringen, zu wecken und auch so ein Stück Aufstand wagen und sich nicht abfinden (Hs33). Das ist immer wieder neu ein Entdecken und wow, auf einmal, ja, das passt. […] Beim Tanzen gibt es ja im Grunde keine Fehler. Wenn ich merke, grad beim Tango, Scheiße, 55 Vgl. z. B. auf dem Kirchentanzfestival der CAT am Hesselberg 2015. http://www.dekanathegau. de/html/media/dl.html?i=93039 (2015/07/04). 56 Vgl. https://danceandpraise.wordpress.com/ (2015/07/04). 57 Der erste Tangogottesdienst auf einem Kirchentag wurde 1999 in Stuttgart gefeiert. Inzwischen ist Ma nicht mehr einzige, der diese Idee weiterentwickelt.

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steh ich in der Sackgasse? Ich komm doch automatisch wieder raus. Das ist eher lustig (Hs45).

Ma findet zum Tango nach vielen Jahren der Suche und des Ausprobierens von Tanzformen in der Kirche oder in persönlicher Frömmigkeit (Losungen tanzen). Die längere Passage von Ma zeigt in prägnanter Weise auf, wie er sich diese Nähe zum Leben, aber auch zum Glauben vorstellt: ja dann nach vielen Jahren, ich weiß gar nicht auch nicht mehr genau, warum das so war, ist da plötzlich dieser Tango mir ja über den Weg gelaufen, ähm, Tango Argentino, der mein, auch mein Tanzen, mein Denken, auch mein Glaubensleben nochmal beeinflusst hat, im guten Sinne, aber auch nochmal auch verändert hat und über diesen Umweg, völlig weltlicher Tango, hat ja nun mit Kirche erstmal nix irgendwie groß zu tun, hab ich gemerkt, dass Begrifflichkeiten im kirchlichen Kontext im Glauben, im Gottesdienst, Nachfolge zum Beispiel, Begleitetwerden, Gesehenwerden, das große Wort Liebe, aber auch Verlassenwerden, Abschiedsschmerz und so, Vokabeln, die ich auch in den Psalmen wiederfinde, dass das im Tango sich auch wiederfindet, ohne dass man das jetzt gleichsetzen kann oder so. Und im Tanzen mich beschäftigend mit Tango habe ich, wenn man so will, ein Stück weit auch wieder ’ne Brücke gefunden oder so zu diesen alten biblischen Begriffen und konnte die plötzlich wieder verstehen oder begreifen oder überhaupt auch mal nachspüren. Also wenn ich singe, Führe mich o Herr und leite, oder ich bin in der Nachfolge Gottes oder ich weiß nicht was auch immer, dann sind das Worte, ja, die ich auch gedanklich irgendwie mehr erfassen und klären kann, aber was es heißt, geführt zu werden, oder von jemand begleitet zu werden, eine Hand im Rücken zu haben, gerade im Tango ist ja auch ne sehr enge Tanzhaltung teilweise, dann werden mir diese alten biblischen Worte, die teilweise gar kein Leben mehr hatten, für mich zumindest wieder nachvollziehbar und erspürbar. Ich würde nicht sagen, dass, wer Tango tanzt, z. B. Gott näher ist oder dass Tango gar eine missionarische oder irgendwie so eine Funktion hat. Aber es ist wie eine Brücke oder eine Hilfe, eine Verstehenshilfe oder eine Gefühlshilfe sozusagen, so würde ich das heut deuten. Und letztendlich hat mich dieser weltliche Tanz Tango, wenn man so will, ein Stück weit auch in der Kirche gehalten, weil ich dann wieder mit diesen alten kirchlichen Worten nicht mehr sehr viel anfangen konnte, das war wie eine große Reise, ich hab ja auch energetisch mit Reiki gearbeitet und andere Dinge mehr und auch im buddhistischen Kontext, und es war aber nie ein ganz weg, sondern wie ein großer Umweg, und nun bin ich wieder, wenn man so will, im Heimathafen so n’bisschen wieder angekommen oder kann damit leben, weil ich es erlebt habe, was damit gemeint ist, wenn das gesagt wird, so in etwa. Ich wünsch’ es mir letztendlich für die Kirche, dass man nicht so lange Reisen machen muss, dass Gottesdienst, Predigt, Verkündigung ähm, das ist auch manchmal natürlich so. Ich glaub schon, dass es auch ganz begnadete Predigerinnen und Prediger

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gibt, die einen einfach so berühren und so bewegen, dass man auch das nachfühlt und dass es auch ein Stück weit ganzheitlich wird, das glaub’ ich schon, dass es geht. Aber manchmal braucht es auch Umwege, ja. Und da ist es gut, dass es da Tanz gibt, der sagt, ja, das ist so ne Umwegstrecke mal (Ma12).

Die beiden klassischen indischen Tanzrichtungen Kathak (vgl. Be41-43) und Bharatanatyam (vgl. Me21) bieten ein ganz bestimmtes Erfahrungs- und Ausdrucksspektrum. Der Tanz lässt sich historisch weit zurückverfolgen, bis heute werden die Entwicklungen in den aktuellen Tanz integriert. Die Bewegungen gehen nach unten zur Erde hin und wirken anmutig, auch beim Stampfen. Das Zitat belegt den freien Umgang mit dem klassischen Tanzrepertoire. Ich mach ja sehr verschiedene Sachen und bin eigentlich ausgebildet in klassischem indischen Tanz, und mein Tanzstil, den ich mache, der Kathak aus Nordindien, der benutzt eigentlich keine Maske. Und das ist jetzt quasi eine künstlerische Freiheit von, dass ich ein bisschen die indische Tanzgebärdensprache nutze, weil ich einfach darin die Ausbildung hab und aber trotzdem nicht klassisch indisch rüberkommen will, sondern mit Hilfe der Maske wiederum auch mich wegbewege von diesem traditionellen Tanzstil, und das ist quasi mein Hilfsmittel, um davon wegzukommen. Und eigentlich dadurch bin ich zwar nicht wirklich zuordenbar, was das eigentlich ist, was ich mache, aber das lässt mir natürlich dann den Freiraum, das zu machen, wie ich es kann und will (Be13).

Mehrere der im kirchlichen Bereich Tanzenden gehen mit Methoden des kreativen Tanzes oder Ausdruckstanzes an Bibeltexte heran (A8, Et17-18, Et37-38, R3, Sb11, Mr12-13). Sie ermöglichen einerseits den Teilnehmerinnen ihrer Seminare einen leiborientierten Zugang, andererseits stellt diese Methodik einen Weg dar, um Tanzperformances mit Bibelbezug zu entwickeln. Dabei kommen auch Textarbeit und Gespräch zum Einsatz. Im Gottesdienst wird Tanz in verkündigender Funktion oder ergänzend dazu von einigen Tänzern eingebracht in Form von Solos (F21, Fr20, Be5, Be10, Ba45) oder Gruppenaufführungen (Mr14, Gr13, Ke25). B tritt mit ihrem Mann, einem Märchenerzähler auf. Auch wenn z. B. F sich gegen den Begriff Performance ausspricht, da er Assoziationen an Kunstprojekte mit komplizierten gedanklichen Konzepten wecke (F21), ist der Terminus sinnvoll. Ich verwende ihn im Sinne von Aufführung (Fischer-Lichte). Die Themen der Performances sind weit aufgespannt: Hexenverfolgung, Flüchtlingspolitik, die biblische Tamar, die vergewaltigt wurde, liturgische Stücke. Kunst und Verkündigung gehen ineinander über. Wenn Laien auftreten, sind ihnen die Identifikation mit dem Tanz und der persönliche Bezug zum Thema wichtiger als Professionalität (Ke25). […] dann wichtiger, dass die innerlich verbunden sind mit dem Geschehen und das am Sonntag auch verkörpern. Und das war immer so, dass eigentlich in den sieben Jahren, wo ich das jetzt mache, dass die Gemeinde gesagt hat: Oh, die waren da ja total

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drin, ja, das überträgt sich total. Und das ist mir wichtig, dieser Punkt, dass die das sich zueigen machen können und dass es zu ihrer Choreographie wird und die nicht irgendwas runtertanzen, was ich denen da aufoktroyiere (Ke25).

Die Kleidung wurde von Interviewten dann erwähnt, wenn sie Gegenstand von Diskussionen war (Be10, Ko72) oder als besonders gelungen empfunden wurde (Mn63-64). Be trägt eine Maske bei vielen Performances, was vom Publikum manchmal hinterfragt wird (Be11, Be13, Be47). Während Mn verhüllende Kleidung bei Kirchentänzerinnen als angemessen und schön empfindet, sieht Ko die, wie sie meint, zwanghafte Vermeidung jeder Erotik im Kirchentanz kritisch (Ko72).

2.3.4 Kreativität des Tanzens Tanzende greifen das Thema Kreativität in unterschiedlichen Facetten auf. Sie betonen, dass es ein wesentlicher Aspekt der Tanzerfahrung ist, sich kreativ ausdrücken zu können (K3-4-1) und dass die Kreativität ein für sie unverzichtbares Freiheitselement darstellt (K3-4-2) sowie etwas schafft, das sich von einem Produkt rationalen Denkens unterscheidet und daher erstrebenswert ist (K3-4-3). Kreativität ist Teil des Weges zur Erarbeitung neuer Tänze (K3-44). Bei der als besonders kreativ geltenden Improvisation führen bestimmte Voraussetzungen zum Erfolg wie Talent, Übung und Offenheit (K3-4-5). Feste Choreographien bieten Tanzenden keinen ausgewiesenen Raum für Kreativität, funktionieren aber auch nicht ohne Freiheit und individuelle Gestaltung (K3-4-6). Meditative Tänze geben vorwiegend nur den Leiterinnen Gestaltungsfreiraum (K3-4-7). Der Wunsch, kreativ zu sein, führt zum Interesse am Tanz (B20, GT7, Mr3). Die Erfahrung von Freiheit liegt in der kreativen Methode begründet (Sb15, Sb16). Der Tanz vermittelt ein Gefühl von Handlungsfreiheit in einer Tanzsituation (Ta34-35). Beim Tanzen zeigt sich der Charakter von Kreativität in der Emergenz von Bewegungsimpulsen (E13, E17) sowie im Ansprechen von ,Herz und Gefühl‘ (Et18). Das hohe Darstellungs-Potenzial des kreativen Mediums Tanz spricht Ea an (Ea1), während Jo von der Kombination mit anderen kreativen Techniken (Schreiben, Dichten) erzählt (Jo14). R ist die Verbindung von intuitiver, kreativer Arbeit und verbaler Kommunikation wichtig. Das Erleben wird wieder versprachlicht (R22). Da habe ich schon gemerkt, wow, das kreative Tanzen ist ja echt spannend. Du kannst sogar Gewürze vertanzen. Du kannst Farben vertanzen, du kannst den Stuhl vertanzen, den Schrank. Das war für mich eine ganz neue Dimension. Also völlig schräg, aber es war machbar. Es war richtig kognitiv möglich und geistig, körperlich, und das fand ich so schräg und witzig (Ea1).

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Kreativ ist dann für mich, ja eher, wenn ich das Ganze dann wieder umsetz’ in Worte, also wenn ich meine Gedichte schreibe, wobei da ja auch die Intuition eine Rolle spielt, weil das gibt Impulse von außen und Impulse von innen, und Intuition empfind ich dann als einen Impuls von innen, und ich denke, das trifft es da bei diesem freien Tanzen auch, das ich dann die Rhythmen oder diese Klänge höre, und dann das ja was in mir berührt, das dann über die Intuition wieder ja sich in diese Formen im Tanz umsetzt und sich ausdrückt (Jo14).

Einige Äußerungen zeigen nicht nur, dass ein kreativer Prozess nötig ist, sondern geben auch Beispiele eines Prozesses (B15, B20, Ea2, G1). Ta betont, dass eine längere Phase des „Lauschens“ dem Entwickeln von Bewegungsfolgen vorangehe (Ta9). In den Transkripten finden sich verstreut Bemerkungen bezüglich der Vorausetzungen zur Improvisation. Diese werden im Folgenden unter den Stichworten Talent, Übung und Offenheit gebündelt. Dadurch wird deutlich, dass es nicht nur um Begabung geht, sondern auch um Qualitäten, die im Lebenslauf erworben werden können. Talent: Das kreative Tanzen, das Improvisieren sei bei manchen Kindern einfach da. Einige seien sehr phantasievoll, anderen falle nichts ein. Sie blieben einfach stehen „wie ein Ölgötze“. Bei denen, die das gerne machten, „da fließt es, die drehen sich, die hüpfen, die schwingen, die wälzen sich“ (Ko58-59). Kreativität beim Tanzen fände S sehr schön, aber das sei nicht ihre Stärke. Auch ihre Choreographien mache sie nicht selbst (S59-60). Die Arbeit von Wilma Vesseur, die eigene Choreographien macht, finde sie wunderbar, sie selbst könne es nicht (S62). Übung: Gr falle das Improvisieren schwerer, als eine feste Form auszufüllen. Das sei nach wie vor so (Gr5). Sie habe aber in der Tanztheater-Gruppe gelernt, etwas Eigenes zu zeigen und neue Ideen zu entwickeln (Gr12). Offenheit: St stellt fest, dass in seinen Kursen stets ein deutlicher Frauenüberschuss zu verzeichnen sei. Gründe sieht er in der Tatsache, dass sich grundsätzlich in kirchlicher Bildungsarbeit mehr Frauen als Männer ansprechen ließen, wenn es um den musischen oder kreativen Bereich geht. Nur, wenn es um Theologie gehe, oder in einem Diskussionsforum sei das Geschlechterverhältnis in etwa ausgewogen. Sobald es um Kreativität, Gestalten oder Musisches gehe, seien die Frauen zahlreicher. Es falle ihnen leichter, so etwas mitzumachen (St17-18). Die improvisierte Bewegung setzt einiges innerlich voraus. Nicht jeder sei in der Lage, sich darauf einzulassen, oder wolle sich darauf einlassen. Manche gewönnen im Laufe der Zeit die innere Freiheit, sich frei zu bewegen, sich dabei nicht zu verlieren, sondern sich dabei zu finden und auch Gottes Nähe zu finden und vieles mehr. Es gebe aber auch Menschen, die Angst davor haben, weil sie innerlich spürten, dass sie sehr gebunden seien und dass durch die Bewegung möglicherweise Dinge, die sie gut in ihrem Körper und in ihrem Seelenleben weggepackt hätten, damit diese nicht übermächtig würden oder

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an die Oberfläche dringen könnten, freigestoßen werden könnten. Da führe dann gar kein Weg dorthin (Sb28). Bei festen Formen würden laut Ko Tänzer nicht kreativ. Um Ausdruck zu haben, seien Freiheit und Individualität auch in vorgegebenen Choreographien wichtig. Daher entwerfe sie Choreographien, die zu den Tänzern passten. Ausdruck komme erst zustande, wenn Tänzerinnen ihr Eigenes einbrächten (Ko60). Die folgenden Aussagen zeigen, was die Leiterinnen bei der Gestaltung ihrer Tanzangebote bewegt, wenn sie Tänze auswählen, die Mitte gestalten und neue Choreographien entwickeln. S wählt Tänze aus, die sie in ständig neuen Fortbildungen lernt. Von den choreographierten Tänzen nimmt sie meist die von Nanni Kloke, einen kleineren Teil von Friedel Kloke-Eibl und Gabriele Wosien. Zur anderen Hälfte verwendet sie jedoch traditionelle Tänze. Da ist die Gemeinschaft vollständig im Mittelpunkt, nicht der Einzelne. Das sind Tänze aus Griechenland, der Roma-Tradition, dem Balkan. Der individuelle Weg der Entwicklung im Tanz ist natürlich mehr betont bei den choreographierten. Bei den traditionellen ist das Gemeinsame mehr betont. Ein interessanter Aspekt ist die ganz charakteristische Reise, auf die man genommen wird durch die oft enge Tanzhaltung, die einfachen Schrittfolgen und die besondere Rolle der Musik. Eine wirkliche Reise bei traditionellen Tänzen hat man nur, wenn es Live–Musik ist, wenn man nicht weiß, wie die spielen, und wenn dann die Improvisationen der Musiker letztlich die Tänzer innerlich einladen, genauso wie derjenige, der improvisiert mit zu einer Reise genommen zu werden, während die anderen Musiker den Rhythmus halten, so wie die eigenen Schritte auch den Rhythmus halten. Das ist so eine ganz andere Reise, und sie verbindet diese beiden Dinge miteinander (S61).

S gestaltet eine Mitte oder lässt sie von den Gastgeberinnen gestalten, wenn sie als Referentin eingeladen ist. Die Menschen liebten die Mitte, daher mache sie das, aber diese sei sehr bescheiden bei ihr. Eine Kerze stehe da, besonders zu Weihnachten (S68). St investiert jedes Mal neu Phantasie, um die Mitte schön zu gestalten (St31). St hat ziemlich bald angefangen, zu sagen, ach das Lied ist schön, wieso gibt es da keinen Tanz dazu, und sich selber Schritte zu überlegen oder einfallen zu lassen. Sie sind ihm einfach gekommen. Er habe Lust bekommen, zu einem Lied etwas zu machen oder zu einer Musik. So habe er angefangen, nicht nur Tänze von anderen zu verwenden oder Folkloretänze als meditative Tänze zu verwenden oder Folkloretänze als Folkloretänze zu tanzen, sondern eigene Choreographien zu entwickeln, zu erfinden und die zu verwenden und mit Gruppen zu tanzen (St20). Er verspüre große Lust, interessante Schrittkombinationen zu tanzen, weiterzugeben und zu erfinden. Das mache ihm Spaß, weil es eine Vielfalt ergebe, aber diese sei kein Selbstzweck (St25). Er habe eine Mischung, auch von den Sachen, die ihm selbst eingefallen seien. Da seien ganz einfache Sachen dabei, bei denen man sich versenken könne, wo man das

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aufgreife, was man von anderen Tänzen auch kenne, vielleicht mit kleineren Abwandlungen: vier Schritte hin, vier Schritte zurück, vier Schritte wiegen, vier Schritte zur Mitte, vier Schritte zurück. Das Grundschema könne man variieren, das komme dann immer wieder. Er habe Sachen zu Telemann oder Vivaldi, die haben eine kompliziertere Choreographie (St27). 2.3.5 Bedeutung von Musik Dieser Abschnitt geht auf die Bedeutung der Musikerfahrung für das Tanzen generell und speziell in Gottesdienst und Kirchenraum ein. Zum Thema Musik finden sich unter der Fragestellung, wie das Verhältnis von Musik und Tanz unter künstlerischem Aspekt gesehen wird, weitere Aussagen in B 2.8.4. Tanz ist nicht immer auf Musik angewiesen. Wenn Musik und Tanz zusammenkommen, ergeben sich spezifische ästhetische Erlebnismöglichkeiten: Die Harmonie von Musik und Tanz (K3-5-1-1), die Intensivierung des Musikerlebnisses durch das Tanzen (K3-5-1-2), der Einfluss der Rhythmik auf die Tanzbewegung (K3-5-1-3), die Anregung des körperlichen Mitgehens und die dadurch erlebte Verlebendigung (K3-5-1-4) sowie das gemeinsame Erlebnis durch das Hören und Tanzen der Musik (K3-5-1-5). An den Aussagen von Be, T und Si wird deutlich, welche Chancen Tanz zu Live–Musik hat, speziell beim Zusammenwirken von stimmiger musikalischer und tänzerischer Improvisation (Be6, Be7). Die Tanzperformance passe besonders gut, wenn die Musik bereits tänzerisch angelegt sei und deren Stimmung sich im Tanz spiegle (T26, T28). Si habe in der Zusammenarbeit mit Musikern das gegenseitige Aufeinandereingehen so empfunden, dass die Musik ihr entgegenkomme wie eine Schöpfung des Heiligen Geistes und insgesamt die Performance als Sprechen Gottes gedeutet werden könne (Si4647). In gebundenen Formen gebe die Musik außerdem Orientierung, sofern die Choreographie genau dazu passe (Re13-14). Die in der Musik enthaltenen musikalischen Bewegungen würden durch Tanzbewegungen intensiver erlebt (GT2, Ea45), die Musik genauer wahrgenommen und in das Körpererleben übernommen (GT54, As1, U26, U28). Musikalische Vorlieben, wie die Musik von Bach, führten dazu, sich zu jener Musik bewegen zu wollen (G1, S68). […] ich finde, durch das Tanzen ist es intensiver, als wenn man nur die Musik hört. Die Bewegung macht mit meiner Seele doch intensiver noch etwas (GT2). Speziell zum gestrigen Tag ist es ein Eindringen in die Musik, besonders Bach immer wieder mehr herauszuhören und in den Körper fließen zu lassen (GT54). Sobald die Musik einsetzt […], dann fällt man da hinein irgendwie (As1).

In den Äußerungen ist das Verständnis von ,Rhythmus‘ unterschiedlich. Der Aspekt des Metrums wird von Be und Ir angesprochen. Im Kathaktanz werde

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mit den Füßen ein Rhythmus gestampft (Be24). Ir orientiere sich beim Tanzen am Takt. Das geschehe intuitiv, sie müsse nicht zählen (Ir24-25). Ko weist auf die Wirkung der Taktart hin. Walzer habe andere Wirkungen als Marschmusik (Ko13). Für C sei der Rhythmus eine Art erlebbare Qualität der Musik, die mit messbarer Zeit nichts zu tun habe (C81). Ha spricht vom Tempo der Musik, das umso besser begriffen werden könne, wenn Bewegung dazu komme, selbst dann, wenn sie nur imaginiert werde (Ha68). Somatische Wirkungen von Musik werden als Vorform von Tanz gedeutet. Musik bewege etwas im Körper, aber auch im Geist (U75). Bewohner eines Seniorenheims gingen mit der Musik körperlich mit, die Menschen verlebendigten sich zusehends (Kl12). Ro hebt als einzige Tänzerin explizit die Wirkung von Musik hervor, Verbundenheit unter den Tanzenden herzustellen. Gemeinsame Bewegung zur Musik lasse „Gemeinschaft“, also nicht nur ein Gemeinschaftsgefühl entstehen (Ro16). Musik spielt für die Spiritualität, die sich in Gottesdiensten ausdrückt, eine große Rolle. Überraschend vielfältig erscheint die Musik in spirituellen Tanzangeboten im Kirchenraum (K3-5-2-1). Musik aus unterschiedlichen religiösen Traditionen bringt spirituell deutbares Erleben hervor (K3-5-2-2). Tänzer nutzen im Gottesdienst Musik auch, um Jüngere anzusprechen (K3-52-3) oder um sich für fremde Kulturen zu öffnen (K3-5-2-4). Tanz gewinnt an Ausdruckskraft in der Verbindung mit Musik und Text (K3-2-5-5). Einzigartig unter den Aussagen ist der Bericht von Hs, dessen Gottesdienste von einem Dialog zwischen Musik, Text und Tanz geprägt seien. Die Vielfalt der Stilrichtungen von Klassik, Rock, Liedern und Weltmusik zeigen exemplarisch Me, Re und St. Me schätzt die große Bandbreite von Stilrichtungen (Me37). Re bevorzugt eine Mischung von Weltmusik und Klassik (Re5). Auch die klassische Musik bietet ganz unterschiedliche Stile (St13). Die öffnende Wirkung von Musik wird von Ku und Ma aufgegriffen. Ku meint, Klassik und religiöse Musik, auch aus Islam und Judentum, bringe ihr Gott näher, da sie sich Gott als Vielfalt vorstelle (Ku4). Ma habe erfahren, wie Musik andere Erfahrungsräume öffne (Ma18). […] die Musik, sei es nun Bach oder Piazolla, oder welche Musik es auch immer sein mag, es gibt da glaub ich ganz ganz viel, dass die noch mal Weiten und Herzen und Räume öffnet, die man sonst im normalen Umfeld nicht öffnen kann. Und ist es ne große, hat es ne große Bedeutung, und da muss man gucken, wie man es füllt (Ma18).

Die Leiter St, Hs, und U wählen Musik der Zielgruppe entsprechend aus. Die Musik der Jugendlichen schaffe ihnen einen Raum, in dem sie sich gerne aufhalten (St11). Ein Pfarrer müsse dafür vielleicht alte Werte über Bord werfen (Hs20-21). Der Wiedererkennungseffekt von Popmusik biete einen Anknüpfungspunkt, um sich im Gottesdienst wohlzufühlen (U21).

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[…] die Jugendlichen hatten ihre eigenen Lieder, Janssenslieder und so etwas. Die haben sie selbst gespielt und gesungen, Schlagzeug war dabei. Dieses Tanzen, das waren auch Jugendliche, die das gemacht haben, das war so ein eigener Ausdruck, ein Forum, eine Gelegenheit, mit einem jungen Ausdruck in den Gottesdienst reinzugehen (St11).

Zur Musik aus fremden Kulturen werden in den Beispielen von Vo und Mu Kreistänze getanzt. Vo erschließt sich die anfangs fremde Musik über die Tänze (Vo7). Im Weltgebetstag bilde Musik einen Bestandteil der Annäherung an ein fremdes Land (Mu9). Die Musik spiele in der Verbindung mit Text und Bewegung eine wichtige Rolle. Fremdgewordene Texte aus Chorälen gingen wieder nahe (G2). Die Intensität rühre zu Tränen (Gi8). Im Neuen Geistlichen Lied stecke der Impuls zum Tanzen, der noch zu wenig genutzt werde (Ha24). Getanzte Taiz lieder seien wie Gebete (Re28). Das polyästhetische Erlebnis wird im folgenden Beispiel umschrieben: […] ich mache selber Musik, und diese Verbindung von Musik und Bewegung, die finde ich einfach total genial … „Wenn man merkt, man kann diese Texte ausdrücken. Also die bleiben dann nicht geistig irgendwo oben schweben, sondern man kann die mit dem Körper und durch die Musik wird es auch ausgedrückt, also diese Verbindung, also das ist mir heute ganz bewusst geworden bei dieser Passion an dem Anfang, wo ja die vielen kleinen Schritte sind und auch die Musik ja so wrr. Ne, so wurr, also wird wirklich durch diese Schritte dann so ausgedrückt [unverständlich] durch den Körper auszudrücken also finde ich total toll (GT15).

Im nächsten Votum geht es vor allem um die wechselseitig sich verstärkende Verbindung von Kirchenraum und Kirchenmusik (GT54). Ich kann mich auch noch an das Magnifikat von Bach in einer Kirche getanzt zu haben und diesem Gefühl der großen unermeßlichen Kraft, die ganz besonders in diesem leeren Kirchenraum zu spüren war, sehr gut erinnern. Auch konnte ich das Weihnachtsoratorium im Tanz erleben, es ist einfach eine Intensität, die sich nicht beschreiben läßt (GT54).

Typisch nur für Hs ist die stark kommunikativ geprägte Art des Gottesdienstfeierns. Bei der Tanzimprovisation kommt ein Zwiegespräch zustande durch die spürende Einstellung, die sich in folgenden Fragen verdichtet ausdrückt: Wie antwortet sie [die Partnerin] mir? Wie geht sie auf mich ein und was signalisiert sie mir? (Hs4).

Analog erlebt der Pfarrer Hs im Gottesdienst die Offenheit für Überraschungen. Er stellt sich auf die Menschen, die da sind, ein: Das ist ein Tanzelement, finde ich (Hs4).

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2.3.6 Bedeutung des Raumes Die Tänzer waren grundsätzlich der Meinung, der Raum, im komplexen Sinn, nicht nur im Sinn von Quadratmetern, habe große Bedeutung für das Erleben des Tanzes. Nur Ir (K3-6-1) beschränkte sich darauf, die Ausmaße des Raumes, den Platz zum Tanzen als bedeutsam einzustufen. Einige Aussagen sprechen von dem Zusammenwirken von Raum im physikalischen und im psychisch-geistlichen Sinn (K3-6-2). Eine intensive Raumerfahrung durch das Tanzen wird von einigen angesprochen (K3-6-3). Die Größe des Raums ermöglicht unterschiedliche Teilnehmerzahlen. Ungünstig sei es, wenn es zu eng werde. Im Grunde spiele der Raum selbst keine Rolle, Hauptsache, der Raum biete Platz (Ir45). Einige Tänzer sagen aus, für ihren Tanz physischen und psychisch-geistlichen Raum zu benötigen. Das Wort Raum füllt Fr auch mit spirituellen Vorstellungen (Gnade). So ist die Rede von einem Raum, in dem er „sein darf“ (Fr28), ob in einem tatsächlichen Raum oder draußen im Freien (Fr29). Ro qualifiziert das Räumliche der freien Natur mit der Spannung von „unendlich“ und „Getragen sein“ (Ro14). Für Sa gibt es einen Raum in ihr, eine Innenwelt, in der Gott wirkt (Sa9). Der Tanzraum wird symbolisch verstanden als einzunehmendes Land (Sa25, Sa27). Aus der Tanzlehre Labans leitet Ke die Beziehung zwischen der Einstellung des Tanzenden zum Raum und der Stimmung des Tanzes her (Ke41). Dieses Wissen helfe ihr beim Tanzen. Die Sonne, die mich bestrahlt, der Regen, der auf die Haut fällt, dem kann ich eine Vorgabe geben, sozusagen, der mich streichelt, der mich liebkost, der mich sein lässt, wie ich bin (Fr29).

Ha nutzt Tanzbewegungen, um den Kirchenraum intensiver erfahren zu lassen (Ha26). Sa erzählt von der Atmosphäre, die ein Tanz im Raum hinterlassen könne (Sa33). 2.3.7 Aktivitäten und Lehrerfahrungen Im Zusammenhang des Unter-Kapitels 2.3, das sich mit Stilen und Formen beschäftigt, ist nun auch von den Aktivitäten Tanzender als Leiter_in und Lehrende zu sprechen. Hier zeigen sich noch einmal prägnant Unterschiede im Stil sowie Typisches. Die Profile der Tänzer unterscheiden sich etwa darin, welche Zielgruppen sie gewöhnlich ansprechen können (K3-7-1). Als stilübergreifend typisch für das Feld kann die Problematik gelten, Nähe und Distanz im Tanzkreis bzw. der Gruppe auszubalancieren (K3-7-2). Die Bedeutung einer Aufwärmphase wird nicht von allen gesehen (K3-7-3), kann also als charakteristisch nur für bestimmte Tanzende gelten. Die Tanzleiterin R gibt sehr reflektiert Auskunft über ihre Zielsetzungen (K3-7-4). Textlesungen einzubeziehen sei eine Stilfrage. Dabei interessiert, wie die Leiterin diese nutzt

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(K3-7-5). S äußert sich ausführlicher zu ihrem persönlichen Stil im Umgang mit Struktur und Anleitung (K3-7-6). Mehrere Leiter_innen teilen die Erfahrung, dass ihre Angebote auch (ungeplante) seelsorgliche Aspekte haben (K3-7-7). Aufschlussreich für Schwierigkeiten, die von Tanzleitenden in der Realität gemeistert werden, sind die Berichte über den Umgang mit Widerständen von Teilnehmenden (K3-7-8). Die Befragten berichten von kleinen Kreisen (Jo) mit älteren Teilnehmern (Jo27), überwiegend Frauen (Et61, St18), was Ke als Zeichen für die Weiblichkeit des Tanzes deutet (Ke29). Ke findet in ihrem Kreis Frauen vor, die eine spirituelle Erfahrung suchen, ohne christlich sein zu wollen (Ke29). Ro erwähnt ein Phänomen, das als typisch gelten kann: ein fester Stamm bilde sich (Ro9). Die Leute sind halt überwiegend schon älter, was einerseits von dem, was sie an Lebenserfahrung und Lebensweisheit mitbringen, [schön ist], andererseits finde ich schade, dass jüngere Leute nur sporadisch da mitmachen (Jo27).

Die Äußerungen dokumentieren die gruppenpädagogische Geschicklichkeit der Tanzleiter_innen, den Teilnehmenden sowohl Nähe als auch Distanz zu ermöglichen (M15) und ihnen die Verantwortung für das Achten auf die eigenen Grenzen in die eigenen Hände zu legen (R29). Aufwärmen bedeutet für R, in Kontakt mit dem eigenen Körper zu kommen durch explorierende Bewegungen (R27). Dies geschehe in humorvoller, leichter Atmosphäre. Nicht nur R bietet einen Rahmen, in dem Menschen mit ihren Gefühlen, mit anderen Teilnehmern und mit Gott in Kontakt treten können. Ihre Äußerung zu diesem Thema ist allerdings besonders prägnant. Sie habe die Leute in einem seelsorglichen Seminar für Menschen mit Missbrauchserfahrungen dazu eingeladen, mit Wut oder mit Leere zu tanzen, und habe gefragt, wo bist du jetzt, mehr bei der Wut oder mehr bei der Leere, sie hätten geredet und dann nochmals getanzt (R21). Sie versteht sich als facilitator, da sie ein Gespräch zwischen Teilnehmer und Text, zwischen Teilnehmer und Teilnehmer, zwischen Teilnehmer und Gott vielleicht, ermögliche. Das Medium seien die Fragen und Tanzaufträge. Sie kreiere einen Raum, in dem dies geschehen könne (R28). Die in vielen meditativen Tanzangeboten integrierten Textlesungen sind für Ro „Angebote“. An anderer Stelle bezieht sich As auf die positive Wirkung von solchen Texten (As3). Ungeklärt bleiben muss, ob nicht manche dieser Lesungen auch stören, da dazu keine Äußerungen vorliegen. Ro kann sich vorstellen, dass der Text nicht gefalle, dennoch bleibe sie bei den Lesungen (Ro21). Die Ausführungen von S geben einen Einblick in ihren persönlichen Stil, machen jedoch gleichzeitig eine Grundfrage von Tanzvermittlung deutlich, den Umgang mit Freiheit und Struktur (S63-67). Themen gäben Struktur. Damit entspricht S einer Erwartung der Teilnehmerinnen, sie selbst brauche

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kein Thema. Solche Themen seien verschiedene Aspekte des Menschseins, Liebe, das Miteinander und das Ersehnen des Miteinanders als Spiegel des Ersehnens der größeren Verbindung. Gedichte sollten nicht eine Erfahrung auf abgekürztem Weg anbieten. Lieber tanze sie zuerst und gebe dann ein Gedicht in den Prozess, das aufgrund der Tanzerfahrung noch tiefer berühren könne. Da die Mystik ihre Heimat sei, wählt sie Texte von Rumi, Meister Eckart oder Mechthild von Magdeburg (S63-67). Auch in Tanzangeboten, die nicht von tanztherapeutisch geschulten Leitern wie Sb, Ke oder R veranstaltet werden, kommt es zu seelsorglich zu nennenden Wirkungen. Es werden Angst, Abschied (M15), Krankheit und Trauer (Ro22) bearbeitet. Das Tanzen stärke und schütze in Krisen (Sb12). In der Tanzvermittlung haben Leiterinnen immer wieder mit Widerständen oder Schwierigkeiten der Teilnehmenden zu tun. Die Beispiele zeigen exemplarisch einen Umgang damit. C erlebte Widerstände gegen das Gehen auf der Kreisbahn, bei einer Teilnehmerin kam die Assoziation an Juden im Ghetto auf (C20). Wenn man sich aus Versehen anrempelte, reagierte sie humorvoll und sagte, beim Tanzen komme man sich eben näher, man spüre sich (HW12). Gi erzählt von gelegentlichen Widerständen bei Teilnehmenden, etwa, wenn die Musik nicht gefalle. Das komme an einem Seminar-Wochenende, wenn sie die Teilnehmenden weniger gut kenne, eher vor als in den laufenden Kursen. Auch wenn sie vorher einleitend erkläre, was sie tut, seien manche irritiert, z. B. von langen Pausen, wenn die Menschen etwas anderes gewohnt seien. Sie forderten dann ein, mehr zu tanzen (Gi10). A berichtet, bei Zuschauern ihrer Tanzsoli könne es vorkommen, dass sie sagen, sie hätten nichts verstanden, es hätte ihnen aber trotzdem viel gegeben (A23). Widerstände können in Seminargruppen von Sb auftauchen, wenn Menschen mit einem schwierigen Thema belastet in den Tanz hineingingen (Sb13). Er beobachte bei angstbesetzten Menschen, dass Tanz statt Freiheit eher Verhärtung auslösen könne (Sb28). Gottesdienstteilnehmer, die in ihrer Körperlichkeit nicht zuhause seien und davor Angst hätten, reagierten ablehnend, wenn sie Tanz in der Kirche sähen (Sb36). Andere sagten, der Tanz lenke sie vom Gottesdienst ab (Si54). 2.4 „Im Tanz darf ich so sein, wie ich bin“ – Selbsterfahrung und Körperaneignung Die Selbsterfahrung im Tanz vermittelt sich über das Körpererleben. Der Körper wird beim Tanzen in besonderer Weise als zum Ich zugehörig erlebt, sozusagen angeeignet. Solches Erleben ist nicht nur beim Tanz im kirchlichen Zusammenhang zu verzeichnen, sondern im Tanz generell. In 2.4 zeigt sich ein Spektrum von Erfahrungen, die mit dem Erleben des Ich, im und mit dem Körper in engem Zusammenhang stehen: Sich selbst besser kennenzulernen (2.4.1), sich selbst annehmen zu können (2.4.2), positive Gefühle zu erleben (2.4.3), herausgefordert zu werden und an seine Grenzen zu kommen (2.4.4),

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des Zusammenwirkens von Geist und Körper gewahr zu werden (2.4.5), die Erweiterung der eigenen Ausdrucksmöglichkeiten durch das spezifische Zusammenwirken von Körper, Geist und Spirituellem zu erleben (2.4.6), Veränderung im eigenen Leben festzustellen (2.4.7), die Möglichkeiten zu Kontakt und Kommunikation zu erweitern (2.4.8). 2.4.1 Die Erfahrung, sich im Tanzen selbst besser kennenzulernen Dieser Abschnitt setzt ein bei der Problematik, das Erleben beim Tanz nicht leicht in Worte fassen zu können (K4-1-1). Dies ist zu Beginn des Kapitels eine wichtige Feststellung, da diese die Grenze der dargestellten Äußerungen andeutet. Die Tanzenden äußern sich, so gut es geht. Grundsätzlich geht es um einen Bereich, der dem Rationalen und Verbalsprachlichen kaum zugänglich ist. An den Aussagen muss dementsprechend eine gewisse Vagheit auffallen, z. B. „zu mir kommen“ (K4-1-2). Tanz ermöglicht generell eine gesteigerte Selbstwahrnehmung, was stellvertretend einige Äußerungen illustrieren (K41-3). Weil die Tanzerfahrung kostbar sei, werde die Gefahr gesehen, diese durch Reden zu zerstören (C28) oder ihr mit Worten nicht gerecht zu werden (Kl5, Kl1-3). Die Intensität und der Facettenreichtum des Erlebens könnten verbal nicht angemessen vermittelt werden (GT54). Ea scheitert daran, zu sagen, woher sie die Art ihrer Bewegung nehme (Ea45). Dennoch ist es so, dass die Gesprächspartner sich bemühen, die richtigen Worte zu finden, und dass sie teilweise um den passenden Ausdruck ringen. Was sie sagen, ist durchaus transparent für das Erlebte. Gleichzeitig zeigt sich in den Schwierigkeiten der Versprachlichung ein Grundproblem der Vermittlung von Erleben und Symbolisierung des Erlebens in Sprache. Weder ist dem Erlebenden sein Erleben in der Reflexion eins zu eins zur Hand, noch kann es wirklichkeitsgetreu in Worten abgebildet werden. Der Kode fasst abstrahierend Unterschiedliches zusammen: das Zur-RuheKommen in der Meditation (GT15, Ir19-23), die Entdeckung des Selbst in der Pubertät (Sa3) und als junge Erwachsene (Ke26), das Erkennen der eigenen Bedürfnisse (Ke26) und Gefühle (GT9), das Bewusstwerden, wie man sich in einer Entscheidung positionieren kann (Ro23-25, Sa24), das Bewusstsein der Identität in der Abgrenzung zu anderen (A16). […] da kann ich mich finden und auch zu mir finden und zu meiner Mitte kommen, dass ich alles andere ausblenden kann und mich dann wirklich auf mich konzentrieren kann, um wieder Kraft zu schöpfen (GT15).

B erlebt durch die Selbstwahrnehmung in einer Körperübung neu einen wertschätzenden Umgang mit sich (B22, B49). C findet eigene Erfahrungen in den Tanzsymbolen gespiegelt (C3-4). Für G besteht das Achtsamsein mit sich selbst darin, Sprachbilder durch das Körpererleben länger bei sich zu behalten

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(G3). Improvisation könne das Bild von sich überraschend erweitern (Et46, R23). Beim Tanzen erlebe Ta sich als in besonderer Weise ,souverän‘ (Ta5, Ta8, Ta32-33). 2.4.2 Die Erfahrung der Selbstannahme durch das Tanzen Die Gespräche vermitteln den Eindruck, dass gerade die Suche nach und das Erleben von Selbstannahme typisch für kirchliche Tanzszenen ist. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass Menschen erleben, im Tanz so sein zu dürfen, wie sie sind (K4-2-1). Daher möchten sie darauf achten, beim Tanzen nicht (wie sonst?) fremdbestimmt zu werden (K4-2-2). Leistungsanforderungen werden zurückgestellt (K4-2-3). Es geht nicht darum, Anerkennung von außen durch Tanz zu erzielen (K4-2-4). Tanzende erleben sich als schön und finden es bemerkenswert, dass der Tanz dazu anscheinend einen Raum öffnet, in dem dies ,erlaubt‘ ist (K4-2-5). Der Tanz gibt das Gefühl, so sein zu dürfen, wie man ist (Me23-24), ohne die Sorge um das eigene Bild in den Augen der anderen (Jo16, Ea50). Spirituell gedeutet handelt es sich um eine Gnadenerfahrung (GT41-42), die auch als Daseindürfen bzw. als am-rechten-Ort-Sein übersetzbar sei (Ke9). Also auch das Unbekümmerte und eben Nicht-Fragen, was denken denn die anderen von mir, halten die mich für verrückt, sondern ich kann dann einfach jetzt sein, wie ich bin und wie ich mich gerade fühle, und das halt in dieser Bewegung des Tanzes ausdrücken (Jo16). Ein aktives Angenommensein. Wenn man das beim Tanzen erfährt, dann ist das ganz toll. Aber das ist ja nicht automatisch so (GT41-42). Und der neue Weg, denke ich, ist die Spiritualität jetzt bei mir so. Ich nenne es jetzt wirklich Spiritualität, so dieses noch mehr bei mir sein im Tanzen (Ea50). Der Tanzsaal ist der Ort, wo ich aufatme und meine Socken ausziehe, da barfuß stehe und das Gefühl hab, hier bin ich da. Hier bin ich richtig. So, das ist mein Ort, das ist eigentlich mein Ort (Ke9).

Fremdbestimmung kann sich in Zwängen ausdrücken (Ea50), Vorschriften (Ro25) und Leistungsdruck (GT42-43). Auch in Tanzangeboten kommt Fremdbestimmung vor (Ro25), sie wird abgelehnt. Bewertungen (von Tanzleitern) stehen im Gegensatz zu dem, was GT unter Gnade versteht: du kannst so sein, wie du bist (GT44). […] und dann wirst du dumm angeguckt deswegen und dann gibt es immer irgendwelche, wo du merkst, wie du insgeheim kritisiert wirst. Das ist so ungnädig, es liegt nicht am Tanzen das Gnädige, sondern das Gnädige liegt daran, dass etwas transportiert wird an innerer Haltung, was bedeutet, du kannst so sein, wie du bist. Und das habe ich durchaus so erlebt als Kind durch das Christentum. Ja, die Person

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Jesu, die ist für mich gerade auch durch eine Religionslehrerin, die das für mich sehr plastisch gemacht hat, jemand gewesen, zu dem kann man immer kommen (GT44).

Tanzende schätzen es, einen Bereich zu haben, in dem Leistungsansprüche keine Rolle spielen. Dafür sorgen sie aktiv. Ma macht sich bewusst, dass Tanzen auf geschenkten Gütern (Musik, Bewegung, Körper) beruhe (Ma16). Auch sorgfältige Anleitungen können entlasten und Geborgenheit vermitteln (Ma3). Das bewusste Verabschieden von Leistungsansprüchen entlaste stark (C32-33). Dafür sei es sinnvoll, Perfektionsansprüche zeitweise zurückzustellen (GT5) und andere sowie sich selbst nicht hart zu bewerten (R18, Ea48, Ea50). Musik ist uns geschenkt, Bewegung ist uns geschenkt, Körper ist da und dann kann es auch, es braucht auch kein Studium, keinen langen Vorweis, kann gleich im wahrsten Sinne des Wortes losgehen (Ma16). […] den Körper sich bewegen und ausdrücken lassen, ohne zu denken, was ist irgendwie in Richtung richtig und falsch, oder wie schaut es aus oder so, sondern einfach in einen Ausdruck [zu] gehen (GT5). Gerade in der [freien] Tanzszene habe ich sehr viel Bewertung erlebt unter den Tänzern, ganz viel leider, vor allem hier in R.: ,Ihr seid ja keine richtigen Tänzer. Das ist doch gar nicht Tanz.‘ (Ea48). Bewertung ist ein großes Thema gewesen, und davon will ich mich mehr und mehr verabschieden.“ (Ea50).

Tanzen löst Reaktionen der Umgebung aus, unter anderem auch Anerkennung. Sa, Ea und Si erzählen, dass sie sich davon unabhängig gemacht hätten (Sa6, Sa32, Sa38, Ea49, Si16). Aus dieser Haltung heraus folge eine eigene Praxis als Anleiterin, in der Bewertung und Kritik keine Rolle spielten (Ea50). Im Unterricht habe ich es [das Bewerten] sowieso nicht mehr, also ich habe es sowieso nie. […] Es darf jeder mal vortanzen, wir wechseln immer durch (Ea50).

Bemerkenswert ist die Beobachtung, dass die im Folgenden zitierten Frauen eine Erlaubnis brauchen, um sich schön finden zu dürfen. Der Tanz eröffne ihnen diese Möglichkeit (Sa, C, Mn). Einige Frauen erzählen von dem Erlebnis, im Tanzen die Erlaubnis, sich schön zu finden, kennenzulernen. Die Jugendliche Sa kann, wenn sie tanzt, dies gut auch vor einem Spiegel tun (Sa3). C war die Erlaubnis, sich schön zu finden, vor den Tanzerfahrungen unbekannt (C37). Eine von den Lehrerinnen, bei denen sie getanzt habe, habe dies ausdrücklich gesagt: wir tanzen das Jetzt, und erlaubt euch, euch schön zu finden, macht euch auch schön. So wie diese Lehrerin das Tanzen gelehrt und geübt habe, sei ihr der Körper sehr angenehm und schön gewesen. Sie habe sich gerne bewegt und habe es schön gefunden, auf die Hand und auf die Füße zu achten. Es sei schön für sie gewesen, zu lernen wie ein Fuß gesetzt wird und wie nicht. Immer in dem Moment, wo sie

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ihn verkehrt gesetzt habe, habe sie dann irgendeine Spannung bemerkt. Wenn sie die Spannung entdeckt habe und lassen konnte, dann habe sich der Fuß richtig gesetzt (C37). Ein positives Gefühl des Zufriedenseins mit sich selbst stellt sich bei Mn ein (Mn24). Sie sagt: „Ja. Also so eins mit sich und ich find mich schön, also ich finde es schön, so wie ich bin. Ich fühle mich wohl in meiner Haut.“ (Mn25). 2.4.3 Das Erleben positiver Gefühle im Tanz Das Erleben positiver Gefühle trägt dazu bei, dass die Befragten gerne tanzen und über lange Zeit ihres Lebens beim Tanz bleiben. Als positive Gefühle werden genannt: Leichtigkeit (K4-3-1), Weite (K4-3-2), Freiheit (K4-3-3), Geborgenheit (K4-3-4) und Wohlbefinden (K4-3-5). Die im Tanz erlebte Leichtigkeit strahle auf das Lebensgefühl aus (As1-2, Ea32, GT21-22). Nicht ganz eindeutig ist bei manchen, ob die Leichtigkeit nur während des Tanzens erfahren wird oder das Lebensgefühl nachhaltig verändert (Mn22). Spannend ist die Erfahrung von Sa, dass ein Raum durch Tanz eine Atmosphäre von Leichtigkeit erhalte (Sa33-34, vgl. die Reflexion und das Zitat in C 2.3). Wie man sich dann auch selber bewegt, manchmal hat man das Gefühl, man schwebt innerlich, weil alles leicht wird (As1-2). Ich fühle mich immer total leicht dann und jung und wie wenn [einige lachen belustigt, vielleicht, weil sie sich darin wiedererkennen?] ich nicht schon die ganzen Jahre da auf dem Buckel hätte [erneutes Gelächter] (GT21-22).

Nicht immer kann klar entschieden werden, ob die Weite des Tanzes sich im Alltag fortsetzt. Kl verweist auf das Raum-Gefühl von Bewegung und Weite im Tanz und vergleicht damit das Erleben des Alltags-Raums, der sich zunehmend erweitere (Kl5). F spricht von der erlebten Weite im Unterricht und im Gottesdienst bei der (eigenen) Performance (F18). Bei GT verstärke sich das Erleben von Weite im Kirchenraum und im Tanz wechselseitig (GT54). […] dann hab ich eher so’n Gefühl nicht von Grenze, sondern von Öffnung und Weitung und Ausdehnung. Und ich hab’s immer auch beschrieben, wenn ich tanze, gehe ich in einen anderen Raum. Also das hat was mit den Dimensionen zu tun, die wir so … in denen man denkt. Also da geht man ein Stück in ’ne andere Dimension, und da berührt sich natürlich auch Spiritualität und Tanz und Transzendenz, weil man den Raum, der Raum einen trägt oder der Raum schwer ist, aber man eigentlich im Tanz auch über den Raum hinausgeht. Und die Arbeit zum Beispiel ist, die Vorbereitung auf dieses Tanzen … ein Stück ist körperlich sich vorbereiten, warm machen, Muskeln erwärmen und weich machen, das ist ein Teil, aber ein anderer Teil ist einfach sich öffnen, das heißt, versuchen, sich von dem zu lösen, was einen so im Hier und Jetzt hält, was Alltag ist, also so sich zu lösen von Erwartungen, die andere an

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einen haben, die man selber an sich hat, das hat dann auch was mit Vertrauen zu tun, also Sich-Anvertrauen. Und es ist auch ja so, dass nur Teile bei mir fest vorgeplant sind, es ist auch viel Improvisation… (F18). Ich kann mich auch noch an das Magnifikat von Bach in einer Kirche getanzt zu haben und diesem Gefühl der großen unermeßlichen Kraft, die ganz besonders in diesem leeren Kirchenraum zu spüren war, sehr gut erinnern (GT54).

Besonders das freie Tanzen vermittelt das Erleben von Freiheit (Jo11, Sa22, Sb28). GT erlebt dies kathartisch als Energieabbau und Zulassen von positivem Kontrollverlust (GT7, GT9-12). Befreiung von schweren Gefühlen könne auch in Tanzformen mit festgelegten Bewegungen erlebt werden (Re24). Biblische Texte, die Befreiung thematisieren, würden im Tanz intensiver erlebt (Sa, Sb28). […] einfach so, ohne viel zu denken, und jetzt ohne auch darauf zu schauen, was die anderen um mich machen, mich einfach da hineingeben (Jo11). […] was Befreiendes und aber auch gleichzeitig so etwas Leermachendes (GT7).

Geborgenheit (As1, GT4, GT16, M10) ist in gewisser Weise ein Pendant zum Freiheitsgefühl. Bei GT kristallisiert sich das Getragensein in der Gruppe im Bild des kommunizierenden Energiestroms durch die Hände (GT15, Ro2, Ro11-12, Ma3, Ma12). Die Erfahrung symbolisiere ein Getragenwerden durch den Glauben im Alltag. Wichtig sei, dass etwas ,Geistiges‘ körperlich gespürt werden könne. Ja und dieses Getragenwerden dann von der Gruppe, das finde ich dann auch immer total genial. Das strömt durch die Hände durch, glaube ich, irgendwie strömt da eine Energie, und das gibt mir dann auch Energie, und ich denke, ich kann auch Energie geben, ja, und das füllt mich dann wieder total auf, um eben wieder in den Alltag zu gehen, ja und mit dem Glauben, also ich, so fühle ich mich vielleicht im Geistigen vom Glauben getragen, aber da kann ich es irgendwie körperlich spüren (GT15).

Die folgenden Äußerungen postulieren implizit ein spezifisches Wohlbefinden, das sich beim Tanzen immer einstellt (Ko31, Ko35) oder einstellen kann (Ha9, GT2, Hs3, Gi46, Ea23). Die Intensität wird durch prägnante Formulierungen unterstrichen: „Kokon von Wohlbefinden“, „Eins-Sein mit sich selbst“ (Gi46), „Grinsen“, „immenses Glücksgefühl“ (Hs3). Ea erzählt das Beispiel einer Frau, die sich unmittelbar nach dem Tanz verliebt habe, um die Intensität des Wohlbefindens, das eine positive Ausstrahlung verleihe, auszudrücken (Ea23). […] ich bin mit mir im Reinen und es ist alles gut (Gi46). […] schnellen Tango-Valse dreht, oh geil, das ist einfach ein herrliches Gefühl (Hs3). […] es ist einfach eine Intensität, die sich nicht beschreiben lässt (GT54).

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2.4.4 Die Erfahrung von Grenzen und Herausforderungen im Tanz Die Tatsache, dass Tanzen Menschen in einer vieldimensionalen Weise herausfordert, erklärt einen Teil seiner großen Faszination. Beim Tanzen werde volle Konzentration erlebt (K4-4-1). Eine nicht alltägliche, intensive Auseinandersetzung mit Gefühlen werde angestoßen (K4-4-2). Die Erfahrung, die eigenen Grenzen zu erkennen und sie zu erweitern, stärke das Selbst (K4-4-3). Tanzperformances würden gerade für Laien Hemmschwellen bergen, die sich allerdings in der Praxis als überwindbar erwiesen (K4-4-4). Tanz stelle Menschen auch vor die Aufgabe, einen Weg zu finden, ihn in ihr alltägliches Leben zu integrieren (K4-4-5). Ein Beispiel, in dem die Frage, ob Tanz Teil des eigenen Lebens werden könne, existenzielle Fragen anrührt, kommt zu Wort (K4-4-6). Die Angst vor dem Alter, im Hinblick auf den Abbau körperlicher Fähigkeiten, wird von Tanzenden durch geeignete Vorbilder überwunden (K44-7).58 Die vom Tanzen geforderte Aufmerksamkeit und Konzentration werde oft positiv erlebt (Re7, S30, Kl7, Gi45), „wie Magie“ sagt Ea (Ea24). Sie zeige Tanzenden aber auch deren Grenzen auf (Kl7). Tanzleiterinnen gingen darauf in besonderer Weise ein (S30, Gi41). […] dann bin ich jetzt einfach im Moment da (Re7). Ich bin dann voll drin, und das ist dann, wie wenn du in einen anderen Film einsteigst. Also wie wenn das ein anderes Leben ist für mich (Ea24). Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Ja, das ist wie ein Zauber, wie Magie, wie Kraft (Ea24).

Beim Tanzen kommt es zur Auseinandersetzung mit eigenen und fremden Gefühlen, besonders in Formen des Ausdruckstanzes und Tanztheaters, jedoch nicht ausschließlich. Die Gefühle, mit denen sich Tanzende auseinandersetzen, weisen eine hohe Bandbreite von Wut bis Freude auf (Mn8-10). Auffällig ist auch deren Intensität, etwa in der Freude, oder beim Überwältigtwerden von Tränen (GT18-19). Einige Aussagen erläutern die Bedeutung des Kontaktes mit den eigenen Gefühlen (Ea29) und dem eigenen Erleben (Gr12, Gr18). Tanzen bringe zur Auseinandersetzung mit bisherigen eingefleischten Mustern und fordere heraus, auch andere Gefühle zuzulassen (G19, GT6). Gefühle, die in der eigenen Biographie eine Rolle spielten, erhielten eine künstlerisch verarbeitete Gestalt (Ea2). Das Ausgangsgefühl könne das Erleben des Tanzes (Tango) färben (Hs35). Eine besondere Herausforderung entstehe, wenn Tanz dazu führe, sich mit Gefühlen anderer Personen zu be58 Während in der kommerziellen Tanzclubkultur der Tanz alter Menschen als gesellschaftlich nicht angemessen und peinlich bewertet wird (vgl. Balzer 2017), sind m. E. ältere und alte Menschen in kirchlichen Szenen mit großer Selbstverständlichkeit integriert.

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schäftigen (Be30). Auch der formgebundene Gemeinschaftstanz enthalte Möglichkeiten zum Gefühlsausdruck. Diese entfalteten sich als Eindruck der Form auf die Psyche, gewissermaßen von außen nach innen (GT6). Oder das trifft mich wirklich im Innersten. Da kommen mir dann plötzlich die Tränen, oder ich könnt weiß woher jetzt oder ich empfinde Wahnsinnsfreude oder das kann man auch so toll ausdrücken (GT18). […] da bin ich immer wieder hochgegangen [in den Raum im 2. Stock ihres Hauses], wenn […] ich gemerkt habe, oh, jetzt habe ich irgendein Thema, oder jetzt freut mich was oder jetzt belastet mich was. Musik an und einfach getanzt, manchmal auch Videokamera aufgestellt und dann war ich erstaunt, was da für Bewegungen entstanden sind, weil das so ganz tief rauskommt. Das hätte ich ein zweites Mal nicht mehr tanzen können (Ea29). Also ich bin in einem neutralen Zustand und ich gehe in eine Form oder in einen Ausdruck […], und das Gefühl folgt, und ich kann da was in mir erzeugen, quasi von außen erzeugen, was dann in mir ist, und ich lebe dadurch bestimmte Seiten, die ich sonst in dem Moment jetzt gar nicht gelebt hätte, aber die mir guttun, also mich erweitern auch ein Stück. Mein […] Gefühl erweitern sie und auch meine Möglichkeiten, mich auszudrücken, das macht ja was mit mir, das was ich ausdrücke, ist ja auch ein Eindruck, also ich denke, in einen Ausdruck gehen, ist auch ein innerer Eindruck, und das erweitert mich (GT6). Ich kann auch je nachdem in welcher Situation ich gerade bin, in einer Trauer, in einem Schmerz Tango nochmal ganz anders erleben und mich selber auch darin mit meinem Partner zusammen (Hs35).

Nicht nur die Grenzen der eigenen Gefühlswelt können sich erweitern, sondern auch die Erfahrungen mit den eigenen körperlichen Fähigkeiten. Die Grenze der eigenen Fähigkeiten wird von vielen bewusst erlebt (Kl1, Gr12, Hs3) und durch Ausbildung (Ba26, Ba28, Ha4) und Übung ungewohnter Bewegungsabläufe (Ir18) erweitert. Ich kann nicht tanzen (Kl1). […] da lernt man ja wirklich alles, und zwar, indem ich mich nicht bewege, einen Ausdruck gebe, also ich muss meinen Körper stabil halten, und trotzdem gehe ich mit meinen Füßen, mit meinen Beinen… das fand ich eine sehr sehr gute Erfahrung (Ha4). Gleichzeitig ist es natürlich auch immer für einen Mann die Anstrengung, oh Gott, was mach ich denn jetzt? […] Oh, Scheiße, da muss ich ja jetzt reagieren, also es ist so, man muss ganz viel in die Vorlage gehen […]. Zum Tango gehört einfach auch ganz viel Übung, ganz viel Praktizieren (Hs3).

Die Selbsterfahrung bei der Performance hat durch die Aufregung Grenzen, diese schwindet allerdings im Tun. Die Frage: Können Tänzer während einer

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Aufführung noch sich selbst spüren? beantwortet sich indirekt positiv durch die Aussage von U (U25), und B. B erlebt sich auf der Bühne ganz in die Tanzrolle vertieft. Sie spüre sich in der Rolle (B14). Ko dagegen legt Wert darauf, dass es in der Aufführung um das Sich-Spüren gar nicht geht (Ko16). […] also wie ich dann direkt auf der Bühne war, da war dann das Lampenfieber eigentlich weg. Da war ich dann mittendrin (U25).

Nur eine Befragte hat sich so prägnant zu den Schwierigkeiten geäußert, dem Tanz im Alltag einen angemessenen Platz einzuräumen (Ea27-28). […] das ist so, was mir schwer fällt, drum frag ich immer Frauen ,wie kannst du das verbinden, Studium, Beruf, Kunst, Beruf, Kunst, Familie…‘. Ich tu mich momentan ein bisschen schwer, also ich kann es schon verbinden, aber es ist immer nur so der Ansatz vom Tanz. Es ist immer nur so ein bisschen Tanz. Da Tanz, da Tanz… Aber dieses, dass ich wieder Stücke mach, dass ich nur mich tanz, nicht unterrichten jetzt, mein ich, da habe ich richtig Angst davor (Ea27). […] genau, das find ich momentan nicht. Weil ich so das Gefühl habe, ich kann es nur noch ganz. Also ich kann nur noch voll tanzen, immer mehr und würde das andere am liebsten nur noch als Randgebiet machen, Haushalt, Familie. Aber […] momentan […] geht so ein bisschen die Post im Kopf ab, und ein Stück weit lasse ich es dann wieder los und denk mir, es kommt so, wie es kommen soll (Ea28).

Der Stellenwert von Tanz im Leben kann existenzielle Bedeutung erlangen. Exemplarisch für andere stehen hier etwas ausführlicher die Erfahrungen von Ba, einer professionellen Tänzerin (Ba23). In ihren Anfängen war sie von Selbstzweifeln angesichts ihres Wunsches zu tanzen belastet. Obwohl nach einem Tanzauftritt auf einer Feier viele Menschen auf sie zugekommen seien, die sagten, „oh das hat mich total berührt“ und diese Reaktionen ihr wichtig gewesen seien, sei sie trotzdem kurz darauf „in ein wahnsinniges Loch gefallen“. Sie habe sehr gezweifelt. „Also das war richtig schrecklich, da kann ich mich noch sehr dran erinnern.“, betont sie. Das seien Zweifel gewesen, ob es nicht peinlich gewesen sei und vieles mehr. Bei einer persönlichen Gebetszeit sei sie durch die Felder spaziert und habe „so ziemlich geschimpft mit Gott“, vor allem deshalb, weil dadurch ihre Sehnsucht nach Tanz wieder aufgebrochen sei. Es habe keinen Sinn ergeben, die zu spüren, denn was nütze ihr die Sehnsucht, wenn sie das Tanzen nicht leben könne, zum Beispiel, indem sie es zu einem Beruf mache. Während des Gespräches, bei dem sie wirklich laut in den Wind hinein redete, sei ihr ein Psalmvers in den Sinn gekommen: „Freu dich am Herrn und tu das, was dein Herz begehrt, er wird dir den Weg bereiten, und in Klammern noch: und es ist mehr, als du dir vorstellen kannst.‘ Diese Worte hätten sie anhalten lassen, als wäre sie von außen gebremst worden. Nun habe sie gefragt, ,Wer verbietet mir, dass ich tanze?‘ An sich habe es ihr niemand verboten. Wenn sie tanze, habe sie es in jedem Fall sehr gut machen wollen, professionell eben. Die Erinnerungen an die Einstellung ihres Pfarrers hätten sich aber auch zu Wort gemeldet. Damals habe er gesagt, das

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Tanzen ,kommt gleich nach Prostitution, die werden alle magersüchtig, die verdienen kein Geld‘. All diese negativen Punkte seien sehr massiv hochgekommen. Sie habe in dieser Situation gute seelsorgerliche Begleitung gehabt, die das mit ihr angeschaut hätten und sie ermutigt hätten, diesen Weg anzugehen. Nachdem sie ein Jahr lang gar nicht getanzt habe, was nicht gut funktioniert habe, wollte sie sich damals darauf einlassen, es anders zu versuchen. Das wollte sie dann so machen, dass es sie erfüllte. So habe sie erneut begonnen, Tanztraining zu nehmen, diesmal in A., um auf etwa sechs Stunden wöchentliches Training zu kommen (Ba23). Weitere Aussagen zeigen, wie Tanz zu einem Teil des Lebens für die Tänzerin geworden ist (Ea15, Ea23, Ke9, As2). […] dann sagt er [der Fotograf] zu mir, und das hat mich jetzt so berührt… und dann sagt er zu mir, weißt du Ea, ich hätte dich jetzt filmen sollen, wie du über die Arbeit gesprochen hast und wie du über den Tanz gesprochen hast, das waren zwei verschiedene Eas. Die eine war voll im Kopf und die andere war im Herz (Ea23). Der Tanzsaal ist der Ort, wo ich aufatme und meine Socken ausziehe, da barfuß stehe und das Gefühl hab, hier bin ich da. Hier bin ich richtig. So, das ist mein Ort, das ist eigentlich mein Ort (Ke9).

Den Aussagen zum Thema „Altern“ ist abzuspüren, dass vom Beispiel alter Tänzer_innen die Ermutigung ausgeht, selbst weiterzumachen. Alte Tänzer seien sogar besonders berührend (Hs7-8) und merklich reifer (Be25). Das hat dann nichts mehr mit Alter zu tun oder im Gegenteil – je älter man wird, umso intensiver wird es (Hs7).

2.4.5 Die Erfahrung des Zusammenwirkens von Körper und Geist Tanzende betonen immer wieder die Bedeutung der Möglichkeit, im Tanz Körperliches und Geistiges nicht mehr als gegenläufige, sondern als zusammenhängende Dimensionen zu erleben. Beide sind im Tanz aufeinander angewiesen (K4-5-1). Die Tanzbewegung lässt sich nicht auf rein rationale Funktionen zurückgeführen; mithin kommen Tanzende in Kontakt mit anderen Kräften, die die Bewegung steuern (K4-5-2). Das Körperliche wird allerdings auch immer wieder vom Verstand her bewertet, was zuweilen für die Entstehung von Scham sorgt (K4-5-3). Die wechselseitige Bezogenheit scheint eine anerkannte Tatsache zu sein, wird aber von unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen her begriffen. Während Ko ausgehend vom griechischen Menschenbild den Körper vom Geist her begreift (Ko8), setzt R die Entstehung des Tanzes im Körper an (R5). Körper und Bewegung würden durch Tanz „entdeckt“ (Re4), und die Fähigkeiten des Körpers, eine eigene Form von Wissen zu haben, werde wahrgenommen (Ta8, Ta12). Körper und Geist gehörten zusammen (Ma8, Ko6), die

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Kenntnis des Körpers werde auch verstandesmäßig reflektiert, und es werde auf die Einflüsse von Bewegung auf innere Haltungen hingewiesen (Ko31). Bewusst vollzogene Körperbewegungen stellten auch eine geistige Leistung dar (S33). Wenn wir zum Beispiel mit den Tänzen, wenn wir eine Gebärde nach rechts machen und dann nach rechts lostanzen, das ist von großer Bedeutung für nicht nur die körperliche Ebene, sondern für die ganze Harmonie und das Die-Verbindung-Suchen, dass dann zum Beispiel der linke Arm nicht irgendwo hängt, kannst du dir vorstellen, dass ich den linken Arm wahrnehme, während ich mit dem rechten was mache, das meine ich mit Linien, weißt du? Und das ist spannend, das ist einfach unendlich spannend. Da braucht man keine großen Tänze für, da kann man ganz einfache Dinge machen. Schon, wenn du zur Mitte gewandt gehst, im Kreis stehst, das entspricht ja von der Ruheposition her der ersten Position. Schon wenn du dich dann spiralst, also einfach nur um einen Schritt nach rechts zu gehen, gleichzeitig aber die Schulter links auf der Kreislinie geöffnet lässt, wenn du das spürst und nur den Schritt setzt, ohne ihn zu gehen, dann spürst du – es ist eine andere Welt. Es ist ein Schritt, du bist in einer anderen Welt, das ist eine Spirale im Körper, dein Herz ist gedreht, eine Spannung ist entstanden, weil du dich von der Mitte abgewandt hast. In der Spannung tanzen wir, und immer wieder wenden wir uns wieder zur Mitte, und all diese Dinge körperlich auch zu erleben, nicht nur als Bild (S33).

Während die Äußerungen oben die Einheit von Körper und Geist gedanklich zu erfassen versuchen, beschäftigen sich die folgenden Aussagen mit dem Erleben einer relativen Eigendynamik der körperlichen Seite im Tanz. Tanz werde nicht vom reflexiven Bewusstsein gesteuert. Durch Tanz komme etwas „in Gang“ (Ma7), das Bewegen erfolge intuitiv (Jo14), was in der fast automatisierten Bewegung im meditativen Tanz besonders deutlich werde (GT3, Ro18, Ro20). Im freien Tanzen begegneten Menschen einer sonst weniger leicht zugänglichen, nicht reflexiven Ebene (GT5, Gr15). Jo, E und Fr wollen das Sich-Bewegen nicht steuern (Jo13, E14-15, Fr23). Es habe offenbar mit Selbstannahme und Loslassen fester Bilder zu tun, das anzunehmen, was dabei herauskomme, denn „es ist, was es ist“ (Fr23). Alles, was nur über Verstand und nur auf der reinen Kopfebene ist, das bringt bei mir auch nicht viel in Gang. Das kann ich abspeichern, ich kann’s mir merken, es kann auch vielleicht doch mal beeindrucken, aber äh erst wenn’ mit mir irgendwas macht, wenn ich in Widerstand dazu gehen kann und dann mich damit auch auseinandersetzen kann oder wenn es mich stärkt oder so, dann macht es Sinn. Und das kann ich über Tanz und Bewegung… habe ich da eine gute Möglichkeit auf jeden Fall (Ma7). Also da beim Trommeln ist es so der Rhythmus, der dann ja so sich dann mit meinem Herzschlag verbindet und wo ich dann auch einfach mich hineingebe und drauflos tanze (Jo13).

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Tanzen macht den Körper zum Thema und kann daher Scham auslösen. In der Scham wirken Körper und Geist zusammen. Es wird von den Tanzenden wahrgenommen, dass beim Tanzen das Körperliche im Vordergrund steht – anders als sonst im Leben – und mit Bewertungen der Umwelt, realen oder gedachten in Verbindung gebracht. Bewertungen des Körperlichen seien kulturell verankert (Ha26) oder biographisch (Si21). Tanzleiterinnen müssten dies einbeziehen und Schutzräume bieten (Gr10, Si22), auch weil das Zeigen von Gefühlen ebenfalls schamauslösend sein könne (Gr12, Si22). Scham sei beim Tanzen hinderlich (Gr11). Und so [wie mit dem Klavierspielen] ist es mit dem Tanz. Ich sehe was in meinem Kopf oder habe schon mal was irgendwo auf der Bühne gesehen und merke auch, das könnte der Körper hinkriegen, aber ich merke, es geht doch gar nicht. Und dieser Schritt von – ich kann gar nicht auf einem Bein stehen – bis hin – ich kann im Raum herumwirbeln – braucht es für den einen Menschen gar nicht einen langen Weg und für die anderen Menschen braucht es einen langen Weg, um da hinzukommen, weil die vielleicht eine ganz schlechte natürliche Koordination haben, die natürlich auch in seelischen oder geistlichen Blockaden hängen kann (Si21).

2.4.6 Die Erfahrung der Erweiterung der eigenen Ausdrucksmöglichkeiten im stimmigen Zusammenwirken von körperlicher, geistiger und spiritueller Dimension Eine für den Tanz typische Form der Selbsterfahrung ist die, eine komplexe Erfahrung machen zu können, da Körperliches, Geistiges und Spirituelles integriert wird und zugleich dadurch auch der Selbstausdruck erweitert wird. Am Tanz gefällt, dass so gegensätzliche Gefühle und Erfahrungen angesprochen werden (K4-6-1). Tanz bewege Unsichtbares, Nichtmaterielles und drücke es aus. Dadurch verändere sich etwas im Inneren des Menschen (K4-62). Tanz bringe durch seine Komplexität das Leben der Tänzerin umfassend in Bewegung. Dabei wirkten Körpergeschichte, Bewusstes und Unbewusstes zusammen (K4-6-3). Die Bandbreite der Erfahrungen könne entweder bereits in einem Tanz enthalten sein (S38, Gi8-9) oder in der Zusammenstellung unterschiedlicher Tänze berücksichtigt werden (C30). Die Tanzformen brächten durch das Erleben und dessen bewusste Wahrnehmung Erfahrungen hervor (C30). Einerseits könne Tanz Inneres ausdrücken (Ma2, M9, Kl5), Gefühle und Haltungen wie z. B. Liebe (Kl5), andererseits veränderten sich durch den künstlerischen Ausdruck innere Zustände und Einstellungen (B19), z. B. zur Befreiung der Seele (Et20). Der Körper spürt etwas quasi Nicht-Materielles, er überschreitet also nach Meinung Tanzender rein sinnliche Wahrnehmungen. Dadurch könne dieses Ungreifbare (Abstraktes wie Erlösung, Auferstehung, vgl. Et) Menschen berühren (Si29 u. a.).

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Wie drücke ich das jetzt aus? Also der Körper ist manchmal auch, drückt manchmal auch Dinge aus, die ich vielleicht anders gar nicht spüren würde (Et19). Der Körper spürt was, ja von Tiefen bis Höhen bis ja abstrakte Dinge, wie weiß ich nicht, Erlösung oder Auferstehung. Also Dinge, die sonst abstrakt sind, die ich groß erklären müsste, kann ich mit dem Körper durch Bewegungen anders zum Ausdruck bringen (Et20). Das Spektrum ist sehr breit, weil ich von der Technik komme, aber auch von der inneren Bewegung. Es gehört beides zueinander, und das ist vielleicht in meinen heutigen Seminaren auch, es geht nicht die Technik ohne die innere Berührung und es geht nicht die innere Berührung ohne die Technik. Also du kommst immer an Grenzen. Es gehört beides zusammen. Und für mich ist das Optimum, beides zu vermitteln (Si29).

Bei den folgenden Aussagen liegt die Betonung nun weniger auf der Wahrnehmung als solcher, sondern auf den Wirkungen der Körperimpulse (Ro25), der Körpergeschichte und des Unbewussten auf das Bewusste und daraus resultierend auf die eigene Lebensbewegung (Re4, Fr32, M9, M13) im umfassenden Sinn. Diese Kreistänze sind Lebenstänze, und da finde ich einfach alles wieder, was zum Leben gehört, alle Seiten auch (Re4). Also ich kann nicht nicht mein Leben tanzen. Sobald ich mich bewege, habe ich mich, meinen Körper dabei mit all seinem Gewordensein, mit seiner Potenzialität und mit meinen Entscheidungen, mit meiner Bewusstheit, mit meiner Psyche (Fr32).

2.4.7 Die Erfahrung der Transformation des Lebens durch Tanz Die unter 2.4.6 dargestellten Sichtweisen bereiten bereits den Gedanken vor, dass das Leben durch Tanz transformiert werden kann. Ein zutiefst spirituelles Thema, die Wandlung, wird von den Befragten in Beziehung zu Selbsterfahrung und Körperaneignung, jedoch ohne expliziten Bezug zum Glauben umschrieben. Körperausdruck lasse das Dargestellte bis in die Innenwelt, das Psychische vordringen (K4-7-1). Die Bewältigung des Alltags gelinge durch die im Tanzen gesammelte Erfahrung besser (K4-7-2). Tanzende beobachteten, dass und wie das Tanzen sie selbst und andere verändert habe (K4-7-3). In Lebenskrisen zeige sich das verändernde Potenzial von Tanz besonders deutlich (K4-7-4). Auch wenn die Autorin nie direkt danach gefragt hat: Tanzende drücken häufig die Überzeugung aus, dass das Tanzen heilende Wirkung habe (K4-7-5). Der Vollzug sei wesentlich dafür, dass das, was der Körper ausdrückt oder darstellt, ins Innenleben eindringe. Genannt werden temporäre Veränderungen durch die im Tanzen entstehende Stimmung (Ma2, GT54, B14, Gr12), aber

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auch die Möglichkeit, durch erlernte Körperübungen seine Gestimmtheit im Alltag beeinflussen zu können (F16). Die Möglichkeiten der Körpererfahrung werden von Gi höher geschätzt als die des Verbalen (Gi37). […] der Tanz zieht mich immer wieder an, dafür bin ich sehr dankbar. Speziell zum gestrigen Tag ist es ein Eindringen in die Musik, besonders Bach immer wieder mehr herauszuhören und in den Körper fließen zu lassen. Freude und auch Trauer ausdrücken zu können (GT54).

Wenn es um Erfahrungen geht, die in den Alltag mitgenommen werden können, ist die Rede von Transformation, die nachhaltiger zu sein scheint. Im Tanz erlebte Kraft und Achtsamkeit (As1) sowie eine andere Wahrnehmung der Umwelt (Ku1) wirken im Alltag weiter. Man kann Alltagsstress abbauen (B14, Mn7). Be erlebt eine tiefere Verbundenheit mit ihrem Mann. Re kann die nachhaltigen Wirkungen bei sich nicht entdecken, wünscht sich diese aber (Re26). GT erfährt eine Stärkung ihrer kreativen Fähigkeiten, die ihr dabei helfen, im Alltag mehr Neues auszuprobieren (GT8). Ich glaub schon, dass man sich immer wieder daran erinnern kann, aber oft vergisst man es auch oder gerät einfach weg davon, wenn der Alltag mich da zu arg jetzt da beansprucht, dann kann es leider, obwohl es jetzt eigentlich gut wäre, man könnte das jetzt wirklich als Haltung auch irgendwo so weiter ja einfach machen oder weiter in einem selber tragen, aber das ist bei mir jetzt manchmal einfach leider nicht so (Re26).

Während die vorangegangenen Aussagen implizit von Veränderungen sprechen, thematisieren die Tanzenden im Folgenden ausdrücklich, dass Tanzen temporär (Ir29, St33, G21, G23, Hs34) und nachhaltig (Re25, C54, C58, Ke37, S56, GT5, Fr) Menschen positiv verändere. Die verbesserte Stimmung zeige sich im Gesicht (G23), am Lächeln (Ir29), an der eingetretenen Ruhe (St23), bei Lindy Hop, Tango und Salsa seien sie glücklich (Hs34). Körperliche Fähigkeiten und „innere Grundrhythmen“ hätten sich bei C gewandelt sowie die Toleranz eigenen Fehlern gegenüber (auch bei R), mit sich gnädig sein nennt es GT. Ke sei näher an sich selbst herangekommen (Ke37). Selbstbewusstsein werde gestärkt (GT5). S sei durch das Tanzen verändert worden. Seitdem sei sie an eine fortwährende Suche herangeführt worden, die sie immer empfänglicher mache (S56). Ältere Frauen stellten fest, dass ihnen das Tanzen wichtig geworden sei (S). GT erlebe ein Angenommensein, eine Gnadenerfahrung (GT41-42). GT gehe kreativer an Alltagsprobleme heran (GT8). St berichtet facettenreich von mehreren Veränderungen vor allem seiner Spiritualität (St32). Fr wolle nicht Veränderung erzielen, diese ereigne sich einfach. Dies komme einer Erfahrung von Gnade gleich (Fr23). […] ich habe noch keinen erlebt, der wo nicht mit einem Lächeln wieder aus so einem Kreistanz rausgeht (Ir29). Das Tanzen hat mich total verändert (C54).

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Oh ja, total, ganz und gar (S56). […] ist mir das so zueigen geworden, dass ich mit irgendwelchen Problemen ganz kreativ rangehe und immer irgendwie denke, da gibt es eine Lösung, und überlege, und dann gibt es immer irgendwie eine Lösung. Und das kam wirklich durch dieses Tanzen (GT8). […] ich glaub, dass meine gesamte Beschäftigung mit Meditation oder mit Liturgie oder mit Spiritualität oder diese ganze Glaubenssache sich sehr sehr stark so geworden ist, wie sie ist, weil ich das Ganze mit Tanz verbunden habe. Was sich da genau verändert? Die Lust, etwas nicht nur im Kopf oder im Wort zu haben, sondern in den Füßen und in den Beinen und im Bauch und in den Händen. Also Gebet ohne Worte tanzen zu können zum Beispiel ist eine Veränderung, also für eigene Spiritualität also zum Beispiel. Also am Morgen aufzustehn und in so Grundgebärden zu gehen, die so aus den Tanzschritten kommen von den Armen oder Verneigen und sowas. Ist einfach ein körperlicher Ausdruck (St32). Hey, das Leben ist schön (Fr23).

Einige Aussagen erzählen von der Hilfe, die das Tanzen in der Gruppe in einer Lebenskrise bedeutet habe. Diese Hilfe wird von Kl als Heilung qualifiziert. Dies stimme ihn dankbar (Kl7). Vo schildert den Unterschied zwischen einer Lebensphase, in der sie sich rastlos erlebt hat, und der Konzentration und Ruhe beim Tanzen (Vo5). Diese beiden Äußerungen stehen für ähnliche andere. Tanzende sagen aus, der Tanz habe heilende Wirkung. Dabei sprechen sie aus ihrer subjektiven Erfahrung heraus von Heilung, es gehe nicht um medizinisch feststellbare Wirkungen des Tanzes. Explizit heilende Wirkungen macht GTam meditativen Tanzen fest (Gt5, GT7), für B habe sich im kreativen bzw. zeitgenössischen Tanz ein leichtes Burnout-Syndrom gebessert (B21). Jo nennt eine Depression, während der er nicht mehr habe tanzen können, sich aber gewünscht habe, dann wieder durch das Tanzen „aufgeladen“ zu werden, so wie er es schon oft erlebt habe (Jo8). GT gab an, Heilung in Trauerarbeit erlebt zu haben (GT3). Eine Frau, die im Tanzangebot von Ea gelernt habe, sich aufzurichten, habe dabei ein eindrückliches, sie wandelndes Erlebnis gehabt (Ea35). Ea entdeckt, dass sie besonders sensibel und wirksam arbeiten könne, wenn es um Verletzungen gehe, die sie selbst kenne. Ohne dass dies genannt worden wäre, liegt hier eine Anspielung auf das Konzept des wounded healer59 vor. Von einer anderen Frau sei sie als „Heilerin“ tituliert worden (Ea26). Ea gibt an, das Zusammenwirken von Tanz und tanzvermittelnder Person erkannt zu haben (Ea27). Gr nennt „körpertherapeutische Prozesse“ (Gr20). Das 59 “Wounded healer is a term created by psychologist Carl Jung. The idea states that an analyst is compelled to treat patients because the analyst himself is ‘wounded’. The idea may have Greek mythology origins. Research has shown that 73.9 % of counselors and psychotherapists have experienced one or more wounding experiences leading to their career choice.” http://en.wikipe dia.org/wiki/Wounded_healer (2015/05/29).

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Tanzen in der Gruppe habe M als Ritual erlebt, das bei Trauerarbeit helfen könne (M1). Sb habe eine Stressphase mit Körpertechniken aus der Kampfkunst besser bewältigen können (Sb7). GT bezieht sich auf Erfahrungen mit den 5 Rhythmen und erwähnt zudem die therapeutisch arbeitende Anna Halprin, um zu unterstreichen, dass Tanz auch jener selbst geholfen habe (GT7). […] ja und so heilsam, also ich empfinde es dann als so heilsam. Aber das ist nicht was, wo ich an irgendwas festmachen kann, das passiert einfach. Das ist das Eine für mich, dieses meditative Tanzen (GT5). Das ist für mich auch so was Heilendes, wenn so Kraft, die erstmal erschöpft ist, durch den Alltag, wenn die dadurch wieder aufgeladen wird (Jo8). […] da ganz also gemerkt, dass es mich unterstützt hat in damaliger schwerer Trauerarbeit. Also es war für mich irgendwie fast die Rettung … (GT3). […] ein Erlebnis [ist] für mich so einprägsam gewesen. Da war eine Frau, die war sechzig, auch über den Frauenbund, und die war sehr groß und die hat wirklich, die ist wirklich so gegangen, ich kann das gar nicht. Die hat wirklich so fast wie einen Buckel gehabt und ist eigentlich eine sehr attraktive Frau, und da habe ich so Bambus-Stäbe, und dann machen wir so Übungen, die wir dann an den Rücken halten, als Partner, und dann bewegst du dich, und dann lässt du den Bambus-Stab, tust ihn wieder weg und solltest dich immer aufrichten. Und dann ist die so gegangen und hat sie bei der Feedbackrunde gesagt, das ist das erste Mal seit zwanzig Jahren, die hat wirklich ein heftiges Schicksal gehabt, dass sie praktisch die Umgebung anders wahrnimmt durch das Aufrichten. Und es sind ganz viel Tränen bei ihr geflossen und die hat sich dann extra noch mal bei mir alleine bedankt, die hat mich in den Arm genommen und hat gesagt, sie hat so viel gelernt durch diesen Bambus-Stab oder durch dieses Aufrichten, durch dieses Tanzen, und da habe ich gesagt, aber das warst ja du. Ich habe versucht, ihr zu sagen, das bist ja du, auch du hast es gewagt, es zu tun. Ich habe ja nur den Impuls gesetzt und hättest ja sagen können, nein, das mache ich jetzt nicht. Es ist ja jeder frei. Und da habe ich das Gefühl, das ist aber passiert, auch wieder irgendwie durch das, dass ich das selber erlebt habe, gebe ich den Leuten das, weil ich es erlebt habe, glaub ich (Ea35). […] das geht sogar so weit, das hat mal eine Frau gesagt […], und das hat mich echt fast umgehaut, du bist eine Heilerin. Habe ich gesagt, was bin ich? Ich tanze. Genau, hat sie gesagt. Und du heilst mit deinem Tanz. Sie hat auf diese sieben, acht oder neun Termine hat sie so viel Heilung gespürt und so viel Gutes, und das hat sie halt mir sagen wollen. Das hat sie mir unter vier Augen gesagt. Du bist für mich eine Heilerin. Ich mein’, mit diesem Wort bin ich immer vorsichtig, weil das ist so …, aber ich habe dann irgendwann kapiert, was sie meint (Ea26). Sie [die Kräfte] liegen im Tanz und sie [die Teilnehmerin] hat aber auch gesagt, und das ist was, wo ich jetzt anfange, das wirklich anzunehmen und zu sagen, ja, das stimmt. Das konnte ich immer selber nicht annehmen. Sie hat gesagt, das bist auch du Ea. Das ist deine Art, wie du mit uns

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tanzt, wie du es uns erklärst, wie du reingehst in das Ganze. Du bist mit Haut und Haaren bist du drinnen und das, komischerweise ist mir das so nie bewusst gewesen, weil ich habe es einfach gemacht. So wie wahrscheinlich ein Maler einfach sein Bild malt oder ein Sänger singt. Also wenn er es mit, weißt, was ich mein, mit Herzenskraft macht (Ea27). Für mich ist das Tanzen eigentlich auch mal ein Stück Heilwerden im Tanz, weil ich hatte ganz schlechte Erfahrungen mit besonderen Vorgaben beim Tanzen, also in der Schule mussten wir so komische Kreistänze machen, also die waren für mich schrecklich, also da habe ich dann auch, weil ich mich da ständig verhaspelt habe und so weiter, den dann gegen mich gehabt, und jetzt ist es das, wenn ich einfach so frei tanzen kann… es macht mir schon noch ein bisschen Probleme, so mit diesen Vorgaben, aber wenn ich so frei tanzen kann, zum Beispiel habe ich mal nach Gabrielle Roth getanzt, das […] mit diesen Rhythmen, das fand ich total klasse. Weil ich da einfach auch rausgehen konnte und ein Stück weit frei werden konnte und eben auch Dinge ausdrücken konnte, die ich sonst nicht verbal oder so aus mir rausgeben kann, und das hat was Befreiendes und aber auch gleichzeitig so etwas leer machendes, also mal wieder leer wieder und dass es wieder gefüllt werden kann. […] das war auch nach Anna Halprin, die den Atem tanzt. Also das ist auch ein phantastisches Erlebnis gewesen, also da waren wir in der Natur auf einer Lichtung und haben dann ganz viele Naturempfindungen bekommen und sind von dieser Atmosphäre mit getragen worden und das war wunderbar, also (GT7).

2.4.8 Die Erfahrung der Erweiterung der Kommunikationsmöglichkeiten und des positiv erlebten Kontakts mit anderen Grundsätzlich sind Kommunikation und Kontakt als lebenswichtige menschliche Erfahrungen anzusehen. Durch Tanzen erweiterten sich die Kommunikationsmöglichkeiten um das Nonverbale (K4-8-1). Kommunikation im Tanz führe dazu, Beziehung zu erleben (K4-8-2), eine Erfahrung, die über Kommunikation noch hinausgeht. Die zwischenmenschliche Begegnung mit den Mittänzern wird als intensiv eingestuft (K4-8-3). Die Reziprozität von Geben und Nehmen beim Tanzen wird hervorgehoben (K4-8-4). Das Erleben vertiefe sich durch Berührung (K4-8-5). Der Eindruck, sich von der Gruppe getragen zu fühlen, benenne Wirkungen noch konkreter (K4-8-6). Freiheit, ein auf das Ethische verweisender Wert, werde beim Miteinander im Tanzkreis erlebt (K4-8-7). Der eigene Tanz verändere sich durch die Inspiration der anderen Mittanzenden (K4-8-8). Eine liebende Haltung werde von einzelnen intensiver im Tanzkreis erfahren (K4-8-9). Die Wirkungen des Tanzens in der Gruppe werden als Geistwirkungen gedeutet (4.8.10). Die nonverbale Verständigung durch das Tanzen sei für interkulturelle Begegnungen von Bedeutung (Ha26). Auch für die Spiritualität, den Kontakt mit Gott, brauche man den Körper (Ha26).

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Also wenn ich in Südafrika mit Menschen eine Inszenierung mache und mit ihnen tanze, da muss ich nicht viel erklären, das geht sofort (Ha26).

Durch das Tanzen erlebe Fr Beziehung in der Gruppe. Das ereigne sich schon automatisch, er spüre die Wärmeausstrahlung der anderen (Fr27). G genieße die Gruppe, was sich an Adjektiven wie „schön“ (G19) und „ganz toll“ (G23) festmacht. Das Tanzen intensiviere Begegnungen. Das Gemeinschaftserlebnis werde gesteigert und bereichert (St12). Tanzen sei Begnung (Hs34). Man finde schnell zusammen (Ir12). Für den Kontakt sei die Berührung (der Hände) wesentlich (GT15, GT17). Intensiv sei auch die gemeinsame Arbeit an einem Tanztheaterstück (Gr10, Mr13). Beim Tanzen spüre man das Gegenüber mehr als im Gespräch (Ro9-10). Das strömt durch die Hände durch, glaube ich, irgendwie strömt da eine Energie, und das gibt mir dann auch Energie, und ich denke, ich kann auch Energie geben (GT15). Da ist so eine Schwingung da (GT17). Ich glaube eben, dass es auch ein kollektives Empfinden ist, das uns ursprünglich eingeschrieben ist, in unser Menschsein (GT32).

Einige Aussagen kreisen um das Thema Geben und Nehmen unter den Aspekten, dass es um ein Schenken und Beschenktwerden gehe (Kl5, Kl10), dass jeder einen besonderen Beitrag für die Gruppe habe (Ku1), eine positive Energie miteinander geteilt werde (Jo7) und Kontakt entstehe (Ro13). Also im Moment des Tanzens ist es schön, einfach also zum einen, um eine gemeinsame Mitte tanzen, dann auch im Kreis dann zu spüren, dass da irgendwie auch eine gute Energie fließt, das spür ich natürlich nicht immer, aber das ist so im Lauf des Tanzens merkt man das einfach. So dass es den meisten also gut, es geht mal der ein oder anderen mal jetzt nicht so gut, aber es ist meistens so, dass die anderen auch sich irgendwie hineingeben können, sich fallen lassen können und das nenn ich jetzt mal positive Energie, die dann auch fließt so, wenn wir miteinander im Kreis sind und auch an den Händen fassen, dass das spürbar ist. Das ist sowas, das allen gut tut, da ist irgendwie auch so eine heilende Kraft da (Jo7).

Körperliche Berührung tritt in den folgenden Äußerungen als Element hervor, welches die Erlebnis-Qualität intensiviert (Mn45). Sie ereigne sich in freien Formen (Ostergottesdienst A25) ebenso wie in gebundenen Kreistänzen (A26, GT17, GT32). Menschen spürten, dass sie sonst im Leben ein Defizit an körperlicher Berührung hätten (A26). Gleichzeitig bedürfe die Berührung des Überschreitens von Hemmschwellen, besonders im Fall der Kontaktimprovisation60. Manche Menschen hätten hiermit Probleme (Ea28-29). [Die Kontaktimprovisation] geht tiefer, wobei ich viel mit Berührung mach’ bei meinen Kursen, also es passiert immer was mit Berührung. In Partnerübungen oder mal zu viert in der Gruppe was zu erarbeiten. Und […] durch das Tanzen [habe ich] 60 Vgl. Anna Halprin, Steve Paxton.

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auch gelernt, Berührung zuzulassen. Ich konnte es früher auch nicht haben, aber durch den Tanz habe ich gelernt, passiert das so leicht (Ea29).

Für das Gefühl, von der Gruppe getragen zu sein, habe die Berührung Bedeutung (GT15), das Gemeinsame im Gegensatz zum Einsamen (GT16), eine kollektive Urerfahrung (GT32), ein Angenommensein von den anderen (Kl9) und die positive Erfahrung, bei sich sein zu können und gleichzeitig in den Kreis eingebunden zu sein (Ku1). In einem Gruppensetting wie bei Sb, das von einem tanztherapeutischen Ansatz geprägt ist, scheint die Gruppe zweitrangig zu sein. Sb setzt seinen Ansatz ab gegen eine in seinen Augen symbiotische Gruppenerfahrung, die den Kreistanz präge (Sb40). Im Gegensatz dazu steht die Äußerung von Ku (Ku1), die ausgesagt, dass das eigene Empfinden beim Kreistanz an erster Stelle stehe und erst in zweiter Linie das Tanzen in der Gruppe unterstützend trage. Ja und dieses Getragenwerden dann von der Gruppe, das finde ich dann auch immer total genial. […] und das füllt mich dann wieder total auf, um eben wieder in den Alltag zu gehen, ja und mit dem Glauben, also ich … so fühle ich mich vielleicht im Geistigen vom Glauben getragen, aber da kann ich es irgendwie körperlich spüren (GT15). […] ich kann da so sein, wie ich bin, und werde trotzdem gehalten, auch wenn mal die Schritte nicht stimmen. Das ist alles nicht so wichtig, sondern ich kann bei mir sein und bin trotzdem in diesem Kreis gehalten und aufgefangen selbst, wenn wir nicht verbunden sind (Ku1).

Mehrfach wird deutlich, dass das Gemeinsame in einem Tanzkreis nicht unbedingt stets als symbiotische (vgl. 4.8.7, Sb40), sondern auch als Freiheitserfahrung gedeutet wird. Dies wird daran festgemacht, dass es keine Hierarchien gibt (G3, S28). Gr schätzt die Freiheit, in der Tanzgruppe jeweils nur für ein Projekt eine Verpflichtung eingehen zu müssen. Dies passe auch zu der freien Arbeitsweise in dieser Gruppe (Gr7). Die Wahrnehmung der Bewegung der anderen Tanzenden inspiriere mitunter zu eigenen Bewegungen. Sie mache neugierig auf deren individuelle Auseinandersetzung mit einem Bibelvers (B19), in der Ehe schweiße es zusammen, einander so genau wahrzunehmen (B14, B30). Die gegenseitige Wahrnehmung in der Gruppe beim Soul MotionTM inspiriere nicht nur, sondern könne zur Einübung einer wertschätzenden Aufmerksamkeit für das Gegenüber genutzt werden (E16, E26). Ta brauche diese Inspiration nicht regelmäßig, könne diese aber ab und zu „genießen“ (Ta36). Das Tanzen in der Gruppe mache Spaß und gebe Vergleichsmöglichkeiten (Ko43). Ein leistungsorientiertes Tanzen werde durch Kompetition und Kooperation gefördert (Ko44). Der Tanz einer Gruppe auf der Bühne habe mehr Möglichkeiten zum Ausdruck (Me24-25). Nur S hat in prägnanter Weise formuliert, dass das Tanzen sie in eine

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liebende Haltung bringe (S53, S55-56). Dies ist im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Ethik und Ästhetik von Interesse. […] dann angefangen zu tanzen und das hat sich auch so erfüllt für mich, dass ich das Gefühl habe, dieses Eintauchen in das Nichtunterscheidende, in das Akzeptierende, in das Wertschätzende zum Anderen im Kreis macht mich zu einem besseren Menschen als ich vielleicht sonst… liebevoller und gebender, akzeptierender und offener… das hilft mir diese Seiten in mir, die kommen einfach dann heraus, die kommen sonst nicht immer heraus. Ich habe ja auch [lacht], weißt du, Familie, Kinder, Partner etc., die kommen nicht immer heraus, da kommen sie heraus und da ich sehr viel tanze, kann ich sehr viel da drin leben und das verstärken, das ist mehr auf diese Ebene bezogen (S56).

Tanzende sagen aus, in der Gemeinschaft das Wirken des Heiligen Geistes erfahren zu können. Das christliche Glaubensbekenntnis geht vom Wirken des Geistes Gottes in der ,Gemeinschaft der Heiligen‘ (dritter Glaubensartikel des apostolischen Credo) aus. Die Tanzenden deuten die erfahrenen positiven Effekte der sozialen Komponente des Tanzens als Geistwirkung (Kl5) oder Wirkung des Glaubens (Mn38). Durch die Bewegung entstehe Nähe und Berührung, die die Nähe im Bibelkreis übertreffe (Mn42-44). Der gemeinsame Glaube schaffe Vertrauen (Mr10, Gr10). Mit anderen da sein ,dürfen‘ spiegelt für Fr die gemeinsame Geschöpflichkeit. Erschaffung von Leben und Beziehung habe im weitesten Sinn auch mit dem Wirken von Gottes Geist zu tun (Fr23). 2.5 „Atme in deinem Tanz“ – Spiritualität im Tanz und getanzter Glaube Die zum Thema Spiritualität passenden Kodes sind unter vier Aspekten geordnet. Erstens geht es um den Zusammenhang von ,Qualität und Spiritualität‘ (5.1), zweitens um positiv erlebte ,Entgrenzungserfahrungen‘ (5.2), drittens um Erfahrungen der ,Zentrierung des Selbst im Körper‘ (5.3) und viertens um die Bezüge zwischen individueller ,Spiritualität und christlichem Glauben‘ (5.4). 2.5.1 Qualität und Spiritualität Das Stichwort Qualität vermag mehrere Aspekte zu bündeln. Zunächst geht es um Tanzqualität, die durch Qualifikation mittels Aneignung einer ausgearbeiteten Bewegungslehre entsteht (K5-1-1). Diese Lehre wirkt sich auf die Spiritualität mit aus. Im Beispiel von Ba wird der Anspruch deutlich, durch die Qualität im Sinne von Perfektion einen Tanzstil zu finden, der dem Anliegen des Gotteslobes genügen kann (K5-1-2). Schließlich geht es um Qualitäten im Sinne von bestimmten Eigenschaften des Tanzes, die beim Zuschauer Berührung auslösen (K5-1-3). Tänzer finden bei bestimmten Tanzlehrern Anregungen für ihre Spiritua-

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lität. Die Bewegungslehre von Laban hat Einfluss auf Ke’s Spiritualität. Sie benennt konkret, was ihr wichtig ist (vgl. die Ausführungen zu Labans Bewegungslehre und Spiritualität unter A 6.2). Es gehe nicht um eine verkopfte Lehre, sondern um das innere „Angebundensein“ im Tanz (Ke11). S bezieht sich auf die Einflüsse von Bernhard und Gabriele Wosien, Nanni Kloke, Friedel Kloke-Eibl und Elisabeth Hämmerling (S31). [In Deutschland wird die Laban-Lehre auf eine verkopfte Art weitergegeben], da fehlt das Leben, da fehlt der eigentliche Geist, der spirit von dem, was Laban wollte, weil er war ein Künstler und das kann man nicht einfach extrahieren (Ke11).

Für Gott zu tanzen bringt höchste Ansprüche an die Qualität des Tanzes mit sich (Ba28). Qualität im Sinne einer körperlichen Ausrichtung meine gleichzeitig eine Ausrichtung auf das Spirituelle, so vage es auch sein mag (S35, 3738). Während Ba Gott als Gegenüber ihren Tanz darzubringen scheint, ist bei S Gott kein Gegenüber, eher ein unbekanntes, im Inneren des Selbst zu suchendes Numinoses. Explizit mit einem Gehaltensein durch Gott könne Mn Anweisungen zu bestimmten Bewegungsqualitäten im säkularen Tanztraining verbinden, da sie eigenständig nach Bezügen suche (Mn18). Und da stelle ich mir dann auch vor, zum Beispiel, wenn eine Anweisung heißt, werft alles… die Erde trägt euch schon oder so, ja? Sage ich: Gott trägt mich, er ist mein Halt, er ist mein Fels, auf dem ich stehe. Das mache ich mir so zueigen, auch wenn meine Tanztrainerin etwas anderes sagt. Ich verbinde das einfach im Glauben (Mn18).

Die Tatsache, dass ein Tanz berührt, wird mit seiner Qualität in Verbindung gebracht, im Sinne von Eigenschaften, die im Zuschauer individuell etwas auslösen (Ea17, Ke25, Gr16-17, Mr16, Hs9-10, Si55). Gut sei ein Tanz, wenn er Menschen zu berühren vermöge (Be36, Ko63). Das sei nicht vom tänzerischen Niveau abhängig (Ko62). So könne ein Tanz wie ein „stummer Schrei“ wirken, der das „Blut gefrieren“ lasse (Hs9-10), oder Emotionen auslösen, die noch nach langer Zeit erinnert werden könnten (Kl1-3, Mu27). Das Berührtwerden zeige sich gerade auch an Abwehrreaktionen von Zuschauern, an einem Wegsehen (F10, F12-13, F23, Me49-51). Gerade Improvisationstanz gehe „in den Bauch“. Da könne man sich entweder schützen wollen oder diesen Stil mögen (Hs30). Ha bezieht sich auf das Atmen im Tanzen (Ha23) und die Bildhaftigkeit, die beim Zuschauer „Berührung“ auslösten (Ha24). Ob Menschen berührt seien, hänge von verschiedenen Faktoren ab: ob sie eingeführt worden seien in die besondere Haltung, in der Tanz mit größtmöglicher Offenheit rezipiert werde (Fr22, A23, Mn53), ob sie die angebotenen Bilder gerne aufnähmen (Ma24) und ob sie für diese Form von Kunst überhaupt empfänglich seien (Me17) oder eher das Wort brauchten (Mn56). Kritik am Tanz könne auch Anzeichen dafür sein, dass er Gefühle ausgelöst habe (B31, Ea6). T sei die Freiheit wichtig, den Tanz selbst zu deuten (T40-41).

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[Ein Tangotänzer hat] eine Tanzperformance hingelegt, die hat uns das Blut gefrieren lassen. […] Einen Tango mit einem Stuhl tanzen ist eigentlich unmöglich, aber da stand die Zeit still. Den zu sehen, wie der mit diesem Stuhl sich bewegte, mit den Füßen mit dem Stuhl spielte, ohne dass er umkippte, Hammer, ne. Und die Suche dann nach Dialog, nach einem Gegenüber, der aber kein Gegenüber ist. Das sind dann schon Schreie irgendwo (Hs9-10). [Eine Reaktion auf die Tanzperformance von Be im Gottesdienst war], dass die total berührt sind (Be36). Es kamen Frauen [nach dem Tanztheaterstück] auf mich zu. Eine kam heulend, hat sich mir an den Hals geschmissen, hat gesagt, danke, danke, danke, dass du das endlich zeigst. Ich habe […] mich in sehr vielen Szenen wiedergesehen (Ea17). Das kriegen wir ganz oft zurück, dass wir hören, das hat mich so berührt, wie schön, dann kommt das Geschenk spätestens dann, wenn man nicht von der Dichtheit schon spürt, dann kommt es spätestens in dem Moment auch an (Gr27). Wo ist mein König-Sein? Wo ist meine Kraft? Wo kommt die her, beziehungsweise, wo habe ich sie verloren? Kann ich sie wieder finden und suchen? Also das motiviert zum Wieder-Suchen bei sich selbst, zum Sich-Entdecken auch und zu merken, da ist viel mehr in mir drin, als ich es für möglich halte oder man mir sagt (Hs12). Atme. Atme in deinem Tanz, dann atmet das Publikum mit dir mit. Also die Atmung hat im Tanz eine ganz wichtige Rolle. Aber da bin ich nun mal Flötist. Der Flötenspieler kann ohne Atmung, und die muss er beherrschen in einer Perfektion, kann er nicht spielen. Und wenn ich diese Atmung umsetze, dann auch in die Bewegung eines Tanzablaufes, einer Choreographie, dann habe ich sofort das Publikum dabei. Da ist das Geheimnis, kann das Publikum mit mir eine Bewegung mitgehen, indem ich einund ausatme? In allen Bewegungen, die ich tue im Tanz, hat die Atmung, ist Atmung eigentlich die Trägerin der Bewegung (Ha23).

2.5.2 Entgrenzungserfahrungen Tanzen schafft einen Raum, der anders ist als der Alltag (K5-2-1), er verändert das Zeitempfinden in dem Moment (K5-2-2), lässt eine Sehnsucht nach mehr spüren, ohne dass dies näher bestimmbar wäre (K5-2-3), führt in einen Zustand, in dem man in etwas Größerem aufgeht (K5-2-4) und lässt Himmel und Erde verbunden erscheinen (K5-2-5). Das Alltagsleben mit den vielen Anforderungen, die ,zerfleddern‘, werde unterbrochen, und gewissermaßen werden die Grenzen geweitet, so dass man auftanken könne (GT15). […] eben im Alltag, eben im Beruf, in der Familie, da sind so viele Anforderungen, die kommen von außen auf einen zu ne, viele verschiedene, und da bin ich dann oft in der Gefahr, dass ich mich zerfleddere und nicht weiß, wo ich anfangen soll […] ich

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muss erstmal zu mir kommen und mich auftanken […], das füllt mich dann wieder total auf, um eben wieder in den Alltag zu gehen (GT15).

Tanz beinhaltet einen spezifischen Umgang mit der Zeitdimension. Das Zeitempfinden könne aufgrund der durch Butoh-Tanz erworbenen Erfahrung beeinflusst werden (Be51-52). Eine spezifische Zeiterfahrung könne sich ebenso auch unvermittelt einstellen. Für Hs habe die Zeit stillgestanden, als er einem Tango zugesehen habe (Hs9). Tanzende erleben sich als Suchende (Ta8, GT54, S35). Im Gruppengespräch meditativ Tanzender wird auf eine Schwingung verwiesen, ein Begriff, der das Überschreiten der Grenzen des Ich hin auf ein unbestimmtes ,Mehr‘ anklingen lässt (GT54, Me20-22). S formuliert den Zusammenhang zwischen Suche und Sehnsucht (S35, S37-38). Erstmal suchen, dann finden, und dann … und wenn du dann gefunden hast und gleichzeitig ein gewisses Maß an Hingabe hast, dann von dort aus sich zu öffnen, weist dann wirklich über meine körperlichen Linien weit hinaus (S37). […] wenn ich jetzt Balance tanze, viermal wiegen, vier Schritte gehen, das ist alles, und ich bin mit dieser Spirale im Körper beschäftigt, mit dem Öffnen, das dadurch entsteht, dann kann mir da total heiß werden und es kann alles, ein Schritt kann alles enthalten (S37).

Das Aufgehen in einem Größeren wird als besonderer Zustand beschrieben. Dazu werden Metaphern zu Hilfe genommen, z. B. ,wie ein Tropfen im Meer‘ (Vo2). Es entsteht eine Spannung zwischen ,bei sich sein‘ und ,sich loszulassen‘ (Vo3-4). Ma benennt explizit die Sehnsucht, in ein größeres Ganzes einzugehen (Ma17). Die bestimmende Metapher in Ma’s Äußerung ist das ,Mehr zwischen Himmel und Erde‘ (Ma18). Für S stelle sich durch die Ausrichtung auf die Linien, die durch den Körper gehen, der Zustand des Verbundenseins in mehreren konkret benannten Dimensionen ein (S32). Ich bin einerseits wie der Tropfen, also ich bin ganz bei mir, in mir, und dann aber wie der Tropfen im Meer, also wirklich dieses Ganze (Vo2). Ich glaub’, dass [beim Tangotanzen] die Sehnsucht einsetzt, jedenfalls bei mir, wenn ich merke, dass mehr da ist als oder mehr da sein sollte als das, was ich real erlebe, anfassen kann, sehen kann, wahrnehmen kann. Und dann ist eine Sehnsucht da, mich neu nochmal wieder einzuordnen in ein größeres Ganzes, sag ich mal. Und das auch erlebbar zu machen und erfahrbar zu machen (Ma17). [Tanz halte ich für eine gute Alternative zu obskuren spirituellen Angeboten oder dem Einstellen der Suche], wo ich auch ohne große Vorleistung, ohne Bekenntnisse, ohne Finanzen oder so, wo ich in dieses Spirituelle auch eintauchen kann (Ma17). [Das Spirituelle des Tanzens ist] vielschichtig, es ist individuell, es ist subjektiv. Das ist gleichzeitig die Gefahr, weil es auch nicht definierbar ist und gleichzeitig auch die Chance, weil es nicht definierbar ist. Und weil sich Räume für mich eröffnen, die

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Tanzenden das Wort geben

ich… ja, wo ich diese Entdeckungsreisen, von denen ich am Anfang ja schon mal sprach, auch machen kann entsprechend. Und ich glaube, dass es eben, wie sagt man so schön, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gibt als nur das Reale, was ich sehe, oder das gesprochene Wort oder den Kopf und den Verstand oder so (Ma18). [Für ihre Fortbildungen verwendet sie einen Ausschreibungstext, der ihre Haltung komprimiert wiedergibt61]: Wir suchen nach Harmonie im Tanz und nicht nach Perfektion. Harmonie wird sichtbar, wenn sich die Hingabe an eine Gebärde in der Achtsamkeit des Schrittes spiegelt, wenn die eine Seite des Körpers ihre Entsprechung in der Anderen findet, wenn der Aufrichtung die Ausrichtung folgt und wenn wir dem Geheimnis der Spirale nachspüren (S32).

Die Verbindung zwischen Himmel und Erde wird körperlich als Aufgespanntsein, Aufrichtung und Ausrichtung erlebt (GT14, GT54, GT30, S35). Musik und Text sowie bestimmte Gebärden unterstreichen die Verbindung. Na jetzt mit dieser Passion, mit diesen Texten, irgendwie war das diese Verbindung von der Erde zum Himmel, also diese Gebärden da, also da kann man auch den Glauben ausdrücken, finde ich (GT14). Dann der Sonnentanz mit der Verbindung zur Erde und zum Himmel, dieses Erdhafte nach oben zu bringen, lässt einem einfach die Schöpfung ein wenig mehr verstehen (GT54). Der [Rhythmus] macht auch was mit einem, und der gibt auch die Verbindung zur Erde, und das andere ist die Verbindung nach oben. Also das ist so Aufgespanntsein zwischen Himmel und Erde (GT30).

2.5.3 Zentrierung des Selbst im Körper Mit Zentrierung des Selbst ist ein für die Spiritualität in kirchlichen Tanzszenen typisches Streben zur eigenen ,Mitte‘62 gemeint (K5-3-1). Darunter wird eine heilsame innere Bewegung verstanden, die einen besseren Zugang zum eigenen Körper und seiner Weiblichkeit vermittelt (K5-3-2). So wird der Körper zum Medium für die Gottesbeziehung, wobei die Geschlechtlichkeit ausdrücklich einbezogen ist (K5-3-3). In prägnanter Weise formuliert GT – stellvertretend für andere – die Bedeutung dessen, dass sie zu ihrer ,Mitte‘ kommt. […] da kann ich mich finden und auch zu mir finden und zu meiner Mitte kommen, dass ich alles andere ausblenden kann und mich dann wirklich auf mich konzentrieren kann, um wieder Kraft zu schöpfen (GT15). 61 S zitiert den Text im Gespräch. 62 Zur Kritik vgl. Vogler in A 7.2.7.

Aussagen der Befragten in kirchlichen Tanzszenen

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Bei den folgenden Aussagen zum Selbstverhältnis als weiblicher Körper (Ta4, Be51) ist vorausgesetzt, dass es sich um ein zentrales Feld der Auseinandersetzung mit der eigenen Person und dem Körper als Ort der Gottsuche oder Gottesbegegnung handelt. Daher sind sie dem Thema ,spirituelle Erfahrung im Tanz‘ zugeordnet. Der Körper wird im Gebet zum Medium für den Kontakt mit Gott. Dabei spielt der Bezug zur individuellen Geschlechtlichkeit, der Weiblichkeit eine positive Rolle. Ba spricht von „weiblichen Erfahrungen“, Ke sieht im Weiblichen eine größere Nähe zur spirituellen Sprache Tanz (Ba18, Ke27). So wie ich stehe, liege, sitze vor Gott, das macht was aus, wie ich bete (Ba19).

2.5.4 Spiritualität und christlicher Glaube Der Bezug der spirituellen Erfahrungen auf geprägte Figurationen christlichen Glaubens ist mitunter nur sehr indirekt gegeben. In der Feststellung, Tanz sei ein Ritual (K5-4-1), fehlt der explizit christliche Bezug. Die Aussagen passen unter diese Überschrift, da die Annahme einer strukturellen Ähnlichkeit von Tanz und Religion darin enthalten ist. Spiritualität und Tanz werden miteinander in enge Beziehung gesetzt, wenn davon die Rede ist, dass Tanz eine spirituelle Praxis darstellt. Hierbei ergibt sich allerdings ein Spektrum unterschiedlicher Bezüge (K5-4-2). Weitere Aussagen gehen auf die Bedeutung der Tanzpraxis für die eigene Spiritualität ein. Die Befragten sind der Meinung, dass sie durch das Tanzen ihren christlichen Glauben leben können (K54-3). Tanzen gewinnt für die christliche Praxis auch dadurch Relevanz, dass dabei konfessionelle und kulturelle Grenzen überwindbar erscheinen (K5-44). Diejenigen, die Tanz als Medium in der Bibelarbeit einsetzen, sind der Meinung, dass dies persönliche Erfahrungen mit den Texten ermöglicht (K54-5). Tanzen führe manche Befragte ins Gebet (K5-4-6) und initiiert m. E. mithin religiöse Praxis. Tanz wird mit rituellem Handeln in Verbindung gebracht, nach Aussage Tanzender ist er ein Ritual. Einerseits scheint an religiöse Rituale gedacht zu sein, die durch Tanz zelebriert oder mit Tänzen gestaltet werden. Der Bezug zum Christentum ist nicht explizit (GT33-34). Die andere Äußerung von GT sieht möglicherweise im Ritual ein Geschehen, das Menschen den Zugang zum Spirituellen, Transzendenten eröffnet, ohne dass dabei gedankliche Vollzüge eine Rolle spielen (GT35-36). Diese Rituale, ne? Tanz ist ja auch ein Ritual. Na alle Rituale sind tanzbar (GT33-34). Es gibt Trancetänze. Auf jeden Fall, wenn man sich bewegt, kommt man einfach in eine andere Stimmung, das ist dann irgendwie, wenn der Körper und die Seele und bewegt sich, das spürt man und denkt auch spirituell. Das ist für mich spirituell, und zwar das, also das ist ein Zugang, finde ich, für Menschen, die jetzt nichts mit Glauben

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Tanzenden das Wort geben

oder so zu tun haben, weil du automatisch in eine Spiritualität reingenommen wirst und du musst nicht wissen, ich bin jetzt … es ist so (GT35-36).

Nicht für alle Tanzenden, die sich auf kirchlich ausgeschriebene Angebote einlassen, ist die Verbindung von christlicher Spiritualität und Tanz zentral. Während sich in einer Äußerung von Hs quasi nebenbei eine Umschreibung dessen findet, was ein spiritueller Mensch ist, – einer, der ,viel spürt‘ (Hs30) – fällt es offenbar schwer, das abstrakte Wort Glauben63 auf Nachfrage zu füllen. In einem Gruppengespräch herrscht erst einmal nachdenkliches Schweigen zu dem Thema (vgl. GT13). Der Gesprächsgang streift mehrere Themen, unter anderem die Bedeutung der Musik für die spirituelle Prägung der Tanzpraxis. Das Gespräch zeugt vom Ringen um ein Verständnis von Spiritualität, das sich mit der Tanzerfahrung verbindet. Während das Wort ,Glaube‘ eher Assoziationen an rational akzentuierte Inhalte aufruft, wird Spiritualität in den Äußerungen als etwas benannt, das energiereich und lebenspendend ist, das Kontakt herstellt untereinander und mit dem unbestimmt Göttlichen. Eher vage Bezüge zum Christentum finden sich beispielsweise in der Metapher der ,Verbindung von Erde und Himmel‘. Erwähnt wird die Möglichkeit, Texte auszusuchen, die einen Kirchenjahresbezug haben. Spiritualität und christliche Tradition werden voneinander unterschieden. Da Spiritualität die tiefste Ausdrucksform des Menschen ist, lässt sie sich auch in anderen Religionen finden, und zwar manchmal noch intensiver (GT38-39). Da alles eins ist, gehört das Christentum aber auch mit dazu. Tanzende suchen nach dem Urwüchsigen in der Spiritualität. Sie finden es gelegentlich leichter in indianischen oder östlichen Traditionen, da im Christentum das Kognitive so stark betont wird. Sie suchen auch nach dem Gnädigen, das heißt, nach einer bestimmten inneren Haltung, die beim Tanzen gefördert wird, und besagt ,du kannst so sein wie du bist‘. Ku findet das Spirituelle darin, dass sie beim Tanzen in Kontakt mit ihrer Qualität als Geschöpf kommt (Ku2). […] der Kantor, ein spirituell intensiver Mensch, der viel spürt (Hs30). Na jetzt mit dieser Passion, mit diesen Texten, irgendwie war das diese Verbindung von der Erde zum Himmel, also diese Gebärden da, also da kann man auch den Glauben ausdrücken, finde ich (GT14), […] also doch, das ist mir wichtig, das zu leben. Also nicht nur hochgeistig, sondern … also das ist das auch, was mich zum Tanzen gebracht hat, also dieses mit meinem Körper. […] Wenn man merkt, man kann diese Texte [von Weihnachten, Passion] ausdrücken. Also die bleiben dann nicht geistig irgendwo oben schweben, sondern 63 Die Frage an die Gruppe lautete (I3, Gespräch 13): „Wenn Glaube etwas ist, was dich im Tiefsten berührt, was dich irgendwie bewegt und auch auf den Weg bringt, hat dann Tanzen damit irgend etwas zu tun? Ihr habt da heute unter der Überschrift Ostern getanzt. Gibt es da eine Verbindung?“

Aussagen der Befragten in kirchlichen Tanzszenen

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man kann die mit dem Körper, und durch die Musik wird es auch ausgedrückt (GT15). […] und dann gerade empfinde ich schon so, wenn da so eine geistliche Musik da ist, dann ist natürlich auch noch die Dimension Gott vorhanden. […] Das finde ich nicht immer ganz einfach [auszudrücken], was das dann mit mir macht, ne? Aber es macht was mit mir (GT16). […] da geht es auch ums Innerste, zum Beispiel bei Augustin, der schreibt ,Ich lobe den Tanz‘, wo er am Schluss sagt [unverständlich] oh Mensch tanze, sonst wissen die Engel im Himmel nichts mit dir anzufangen [lacht, andere lachen mit]. Damit outet er sich als Mann, finde ich. Das finde ich eine Drohung, oh Mensch tanze… also eine Einladung ist es nicht. [Alle lachen]. Aber ich finde den Text an sich sehr schön. Also er drückt es eigentlich sehr klar aus, was Tanz eigentlich bedeutet. Ich meine, Tanz war ja zu allen Zeiten Gebet. Es war ja die erste Sprache der Menschen, da war immer auch die Verbindung zum Allerhöchsten. (GT25-27). Dass diese Eigenheit unseres ganzen Wesens, da gehört einfach der Körper hat einen wesentlichen Teil, dass der Körper Gebet ausdrückt. Das hat man ja hauptsächlich in den mystischen Traditionen. Die großen Mystiker, die haben ja alle auch vom Franz über die Hildegard und wie die alle heißen, die haben ja alle den Tanz auch als Element gehabt, den Heiltanz. Und auch da heute auch dieser indianische Tanz, der hat ja auch ganz viel Kraft (GT32). Ja, genau [Sp. hat nichts mit Glaubenssätzen zu tun, Aussage der Interviewerin], sondern es passiert einfach, ohne dass ich vielleicht das jetzt in Worte fassen muss. Also Spiritualität hat für mich auch was mit Berührt- mit Innern, mit tiefem Berührtsein zu tun. Ich denke, Tanz berührt. Ich weiß nicht, ob immer, vielleicht immer (GT37). Spiritualität hat seinen Sitz ja auch im Herzen, und das ist auch die tiefste Ausdrucksform des Menschen, sei es jetzt in Worten was zu sagen oder in der Bewegung. Also finde ich. Und das ist auch wieder so eine Verknüpfung. Dass auch etwas ausgelebt wird, was eigentlich immer da ist, was aber irgendwo untergeht. Aber da ist die Möglichkeit, sich auszudrücken und anzuknüpfen (GT38). Ja, die [Tänze aus anderen religiösen Traditionen] sind oft finde ich noch intensiver. Also wir singen auch viel, wir haben so meditatives Singen, das ist auch ähnlich. Also das ist eine andere Form. Ich denke, alles, was man in der Gruppe macht und was mit Musik zu tun hat und so, da machen wir ja ganz aus anderen Religionen. Die SufiLieder und so weiter und da machen wir zum Teil auch mit Bewegungen so dazu. Und was vielleicht da ein bisschen leichter ist. Also das Urwüchsige ist da mehr so. Also Christentum ist immer so ein bisschen die Gefahr, das schon wieder über den Kopf zu machen, und da ist man in den Schritten und also die Christen und ihre Religion ist ein bisschen anders wie, finde ich, wie andere Religionen, die sind mehr verkopft. Und wenn ich jetzt schon diesen indianischen Tanz habe, wo ich diese Gebärden Erde und Wasser und die Elemente tanzen und was auch immer… (GT39).

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Tanzenden das Wort geben

Liegt das nicht auch daran, dass wir sozusagen… wir haben eine christliche Tradition und haben damit eine Vergangenheit und gehen unbefangener ran an andere. Vielleicht manchmal an andere Sachen, kommt vielleicht auch darauf an, was für eine Vergangenheit man hat. Also ich, ja… (GT40). Ich überlege mir gerade, ja mir geht es gut mit dem Christentum. Ich hatte eine Mutter, die hat mit mir gebetet. Also es für mich, es war ganz komisch, wir waren eigentlich ein Elternhaus, war jetzt nicht christlich geprägt, aber es waren christliche Elemente da und die waren alle positiv. Das Nachtgebet war positiv, und ja später dann habe ich unglaublich positiven Religionsunterricht erlebt. Für mich waren das also lauter Positivangebote. Vielleicht auch im Gegensatz zu meinem Vater, der sehr Distanz zum Glauben gehalten hat und der für mich gar nicht positiv war. Das war für mich also sozusagen ja, du hast vorhin was von Gnade gesagt, ich denke Gnade erlebt man da, wo gnädig mit einem umgegangen wird und wo man auch selber lernt, gnädig mit sich selber zu sein (GT41). […] und dann gibt es immer irgendwelche, wo du merkst, wie du insgeheim kritisiert wirst. Das ist so ungnädig, es liegt nicht am Tanzen, das Gnädige, sondern das Gnädige liegt daran, dass etwas transportiert wird an innerer Haltung, was bedeutet, du kannst so sein, wie du bist. Und das habe ich durchaus so erlebt als Kind durch Christentum. Ja die Person Jesu, die ist für mich gerade auch durch eine Religionslehrerin, die das für mich sehr plastisch gemacht hat, jemand gewesen, zu dem kann man immer kommen (GT44). Also das Christliche ist es für mich nicht, aber das kommt von meinem Erfahrungsschatz her, was ich mit Christentum erfahren habe. Deshalb habe ich viel tiefere spirituelle Erfahrungen, gerade, was die östlichen Traditionen angeht. Nicht mit dem Christentum, weil ich da negativ geprägt wurde in der Kindheit, schon im Kindergarten. Und von daher war das ein no-go. Und dann habe ich es aber anders gefunden. Erstmal so gar nicht und dann wieder gefunden. Naja, dann wieder so ein bisschen rückwärts ist es gegangen, jetzt kann ich es ein bisschen annehmen, aber nicht so richtig. Aber für mich ist es trotzdem alles Eins. Von daher ist auch das Christentum drin. Von daher kann ich nicht sagen, … das ist ja trotzdem dasselbe, bloß das ist ein bisschen verzwickter ausgedrückt, wo ich halt nicht so den Zugang dazu hab, ne? (GT45-46). Das [Spirituelle im Tanz] ist natürlich auch abhängig davon, welche Tanztraditionen noch gelebt worden sind. Das ist ja bei uns, die Tanztraditionen haben ja einen ganz anderen Aspekt bei uns. Es gibt Länder, da ist es noch ganz anders gelebt. Also was man zum Beispiel von der Anastasia Geng weiß, dass die Letten unheimlich viel tanzen. Dann wissen wir, es gibt unheimlich viele neue israelische Tänze, wunderschöne israelische Tänze, zwar teilweise sehr anspruchsvoll von den Choreographien her, aber da lebt halt die Tanztradition. Die Griechen leben ja sehr haben ja sehr viel Trauertänze oder also die Trauertänze sind ja auch… (GT48).

Aussagen der Befragten in kirchlichen Tanzszenen

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Ba ist, im Unterschied zu den oben zitierten Befragten, ein Beispiel einer sehr bewusst an christlich traditionellen Glaubensinhalten und -praxis orientierten Tänzerin, die Tanztraining in einer christlichen Compagnie erhielt und Choreographie erlernte (Ba28). Das Wort Glauben ist für sie positiv gefüllt. Ähnliches gilt für Mn, die an die Kraft von Gebet und Segen glaubt (Mn26). In den Tanzgruppen wird der Unterschied zwischen evangelisch und katholisch durch gemeinsames Tanzen (Jo5, Vo7) und Entwerfen von Tanzstücken (Gr2.1) überbrückt. Persönliche Erfahrungen mit den biblischen Texten beruhen darauf, dass der Tanz die kinästhetische Intelligenz anspreche (Si20). Ein ,Glücksfühl‘ sei damit verbunden, sich körperlich mit einem Bibeltext auseinanderzusetzen (A17). As gelinge es durch den Tanz, sich die Worte ,anziehen‘ zu können (As3). Ein Wort könne sowohl verinnerlicht oder verkörperlicht (GT16, Mr17, M8, Ma5) als auch ausgedrückt werden (Me21). Die Identifikation mit der Befreiungserfahrung einer biblischen Figur gelinge sehr gut im Tanz (Sb28). Es gibt ja eine kinästhetische Intelligenz des Menschen, das heißt, diese Bewegung macht etwas begreiflich. Man selbst wird erstmal sehr verletzlich, weil man etwas ausdrückt […] Auf einmal merkst du, ich gebe ja was […], ein Geschenk, und ich merke, du nimmst es, du freust dich, da passiert dann was. Ist ja etwas anderes, als wenn ich mir das nur vorstelle. Und im Tanzen passiert das auch. Du tanzt zum Beispiel einen Bibelvers, einen Psalm, ein Gleichnis, und auf einmal erlebst du das, bist mitten drin, und das ist diese kinästhetische Intelligenz, die geht in viel tiefere Schichten, als wenn du es nur sprichst oder nur singst. Deswegen ist Tanzen so schwierig, aber auch gleichzeitig so tief. Also ich würde sagen, tiefer als alles andere [lacht]. […] Wenn du noch dazu singst und vielleicht wie der Herr Hufeisen64 ein Instrument spielst, das ist natürlich, that’s it. […] Aber das gibt noch mehr Tiefe in das Ganze, wenn man diese verschiedenen Medien zusammenführt (Si20). Mehr als mit Körper kann ich mich mit dem Wort nicht auseinandersetzen. Das möchte ich gerne, dieses Glücksgefühl oder diese Erlebnismöglichkeit, die hab ich sehr gerne weitergegeben (A17). Das ist auch eine ganz tolle Sache, dass man also einfach sozusagen die Texte nicht bloß in den Kopf kriegt, sondern in den Körper (GT16).

Übereinstimmend wird die Feststellung getroffen, dass Tanzen ins Gebet führt (GT27, GT32, Jo10, Vo1, Kl6, Kl10, Ku3). Die Bewegung sei die Form, in der Beten gut gelinge (Jo). Das vorgestellte Gottesbild von Ku sei ,Gott, alles in allem‘ (Ku4). Also ich merk, ich tu mich schwerer mit der Form, wo ich einfach nur still dasitz’, also so Meditation, die ja entweder christliche Stille oder vom Zen her geprägte Stille, die 64 Der Flötist, Komponist, Tänzer und Choreograph Hans Jürgen Hufeisen. Anm. d. Verf.

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Tanzenden das Wort geben

Stille macht mir nichts aus, aber das still Dasitzen, […] das ist dann nicht meins. Während jetzt mit Bewegung kann ich gern einige Mal eine halbe Stunde oder auch mal eine Stunde mich bewegen und merk dann eher, das, was ich vorhin beim meditativen Tanzen beschrieben habe, dass das so meine Lebensenergie zum Fließen bringt und ja meine Kraft auflädt und erneuert. Und von daher ist so das Mich–inden-Tanz-Hineingeben schon eine Form von Gebet. Also ich hab das in dem, was ich geschrieben hab, auch beschrieben, dass Gott mir meine Füße zum Tanzen gegeben hat (Jo10).

2.6 „So viel Platz, so schöne Musik, hier möchte ich tanzen…“ – Kirchentanz und Tanz in der Kirche Kirchentanz im Sinn von Liturgischem Tanz ist gemeint, wenn im Gottesdienst getanzt wird oder ein ganzer Gottesdienst im Zeichen des Tanzes gestaltet wird. In C 6.1.4 werden einige von den Befragten erwähnten Erfahrungen und Fragestellungen reflektiert. Unter der Überschrift 2.6.1 wird das Erleben von Tanz im Gemeindegottesdienst (K6-1-1) und in besonderen Tanzgottesdiensten (K6-1-2) anhand der Äußerungen dargestellt. Dabei wird deutlich, dass die beiden Formate sich hinsichtlich der Möglichkeiten von Tanz stark unterscheiden. Unter 2.6.2 werden daher Äußerungen wiedergegeben, die sich mit den strukturellen Voraussetzungen von Gottesdiensten mit Tanz und von Tanzgottesdiensten beschäftigen. Der Einfluss des Kirchenraums auf das Erleben von Tanz wird unter 2.6.3 thematisiert. Tanzende werden sodann unter 2.6.4 als ganz gewöhnliche Gottesdienstbesucher zu ihren Erwartungen angehört. 2.6.5 verdeutlicht die Bedeutung der Tanzerfahrung für das Körpererleben beim Mitfeiern jeglichen Gottesdienstes. 2.6.1 Tanz im Gottesdienst Die folgenden Kodes verstehen sich eher als Vorüberlegungen zum Thema. Dies wird durch die Stellung noch vor 2.6.1.1 und eine entsprechende Zählung deutlich gemacht. Zu Anfang sind Aussagen versammelt, die betonen, dass der Tanz in der Kirche und im Gottesdienst eigenen Wünschen, Ideen oder Träumen entspringt (K6-1-0-1). Als Überzeugung der meisten Befragten kann gelten, dass der Tanz generell als passend zum Gottesdienst angesehen wird (K6-1-0-2). Kirchentanz ist ein junges Phänomen. Unter denen, die heute in der Kirche tanzen, finden sich immer noch einige Pioniere, die zu ihrer Zeit Tanz in der Kirche ganz ohne Vorbilder als neue Praxis für sich entdeckt haben. Nicht alle Gesprächspartner_innen waren Pioniere. Die meisten lassen aber ahnen, wie ungewöhnlich und schön die Wünsche nach Tanz und Bewegung in der Kirche ihnen vorkamen. Allen gemeinsam ist, dass Tanz in Kirche und Gottesdienst

Aussagen der Befragten in kirchlichen Tanzszenen

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sich als Erfüllung eigener Wünsche, Ideen oder Träume darstellt (Gr1, Mu19, Ba23, Hs1, B25, Be41). Unterschiedliche, sich gegenseitig nicht ausschließende Motive werden genannt. Die Schönheit und Atmosphäre des gottesdienstlichen Kirchenraums inspiriere zum Tanzen (Gr1). Erfahrungen mit religiösem Tanz in einer anderen Kultur erweiterten die eigenen Vorstellungen von dem, was in einem Gottesdienst möglich sei (Mu19, Be41). Das eigene Bedürfnis werde entdeckt, sich in der Sprache des Tanzes auszudrücken und dies im Gottesdienst zu tun (Ba23, Hs1). Gemeindeglieder wünschten sich, im Gottesdienst Tanz zu sehen (B25). Eine Tanzmeditation zu vollziehen, auch unabhängig von einem Kirchenraum, werde als Gottesdienst erlebt (Ku1-2). Die Möglichkeit, in der Kirche heutzutage tanzen zu können, werde als positive Veränderung gegenüber früheren Zeiten qualifiziert (Re2, Gr1). In den Interviews wird häufig die Einschätzung geäußert, Tanz und Gottesdienst seien nicht als Gegensätze zu sehen, vielmehr würden sie gut zueinander passen. Grundsätzlich spricht sich z. B. Sb für eine differenzierte Sichtweise aus (Sb31). Die Überlegungen, warum Tanz gut in den Gottesdienst passt, nehmen unterschiedliche Ausgangspunkte. Der Gottesdienst bietet eine Bühne, um dort den Beitrag der christlichen Tanzgruppe zu zeigen (vgl. Mn52). Im afrikanischen Gottesdienst sei durch den Tanz die Liturgie besser nachvollziehbar geworden (Mu20), was durch die bereits erfolgte Aufnahme von Tanzvorschlägen im Evangelischen Gottesdienstbuch für den deutschen Kontext ebenfalls als denkbar erscheine (Ma30). Tanz im Gottesdienst gehe auch aus den Bestrebungen der 1960er/70er Jahre hervor, der Jugend zeitgemäße Gestaltungsräume zu gewähren (St11). Ein Jugendgottesdienst mit Tanz sei ein richtiger, vollwertiger Gottesdienst (C49-52). Der gesellschaftliche Pluralismus sei heutzutage Anlass, im ausdifferenzierten kirchlichen Angebot auch Tanz einzubeziehen (G30). Tanz füge sich insbesondere als Verkündigung unter bestimmten Voraussetzungen gut in die Liturgie ein (St11, Si60, C49-62). Die Verbindung von Tanz und Gebet erzeuge positive Emotionen und das Gefühl, etwas miteinander zu teilen (Jo21, Mu19, Mu22). Ein solches visuell nachvollziehbares Gebet habe besondere ästhetische Qualitäten (B48), es sei zudem ausdrucksvoll (T6). Da es im Gottesdienst thematisch um die Würde des Menschen gehe und die Feier strukturell eine besondere Zeiterfahrung eröffne, ergäben sich Querverbindungen zur Würde-Erfahrung und zur Zeit-Erfahrung des Tanzes (Hs1, Be55). Da ist gar keine Frage, dass das in einen Gottesdienst, vielleicht in einen Jugendgottesdienst gehört und ein richtiger Gottesdienst ist (C49-52). [Sie konnte] hier und da mal kleine Dinge sagen zu Tanz, wie man Tanz betrachtet und was es bedeutet, und einfach unterstützend vorher vielleicht so eine kleine Anleitung zum Tanzen geben […], und die waren eigentlich alle begeistert.“ (Si60).

Nicht jeder Gottesdienst, in dem ein Tanz vorkommt, ist gleich ein Tanzgottesdienst. Tanz kann auch ein liturgisches Gestaltungselement sein, das

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Tanzenden das Wort geben

punktuell in einem Sonntagsgottesdienst eingesetzt wird. Nach der Darstellung der Tanzpraxis in besonderen Gottesdiensten soll die Praxis in Sonntagsgottesdiensten aufgezeigt werden, sofern sie in den Interviews greifbar wird. Im Folgenden liegt der Fokus darauf, die Bandbreite von gottesdienstlicher Tanzpraxis anhand der Aussagen in den Blick zu nehmen. Stärker analytisch formulierte Kodes werden weiter unten eingesetzt. In der Fülle gottesdienstlicher Formate in den beiden großen Kirchen, vor allem aber den protestantischen, wird gelegentlich eine Aktion für die ganze Gemeinde angeboten. Auch Tanz gehört zu solchen interaktiven Elementen, zum Beispiel in einer Liturgischen Nacht (M8), einem Abendgottesdienst (E29), in Andachten65 (Ha16), beim Weltgebetstag (Mu5, Mu7, Re22) und im Frauengottesdienst66 (B45). Ich mein, noch schöner [scil. als vorgeführte Tänze] ist natürlich, das hab ich auch schon erlebt, wenn es einmal Schritte sind oder Gebärden, die alle machen von der Bank aus. Das find ich auch toll. Das habe ich auch schon in einzelnen Gottesdiensten mal erlebt, aber da war ich halt jetzt einfach nur dabei, beim Weltgebetstag der Frauen mal oder so. Da kann ich mich erinnern, da haben mal wirklich alle so einen einfachen Schritt gemacht in der Bank, und das fand ich zum Beispiel auch toll, wenn da jeder jetzt wirklich mitmacht (Re22).

Der Tanz im Sonntagsgottesdienst begegnet in den Interviews als gelegentlich eingespieltes zusätzliches Gestaltungselement, nie als fester Bestandteil des sonntäglichen Ablaufs. Familiengottesdienste werden in der hier zugrundeliegenden Logik zu den Sonntagsgottesdiensten gerechnet, sofern sie zur üblichen Zeit am Sonntagvormittag als Gottesdienst für die ganze Gemeinde angeboten werden. Insgesamt entsteht das Bild einer Praxis, die sich ansatzweise etablieren konnte: Schon jetzt werde schon sehr häufig Gottesdienst gefeiert mit Tanz (C43). Am Sonntagvormittag würden vor allem in Familiengottesdiensten Tanzelemente zum Mitmachen angeboten (Sa34, Sa36-37, S, G30-31, C40, C43-45/HW21-23, HW20, U38, Ir54), und an besonders für innovative Spiritualität profilierten Gottesdienstorten wie Klöstern oder spirituellen Zentren (G30-31, C40, Me46). Der Segenstanz ist für die ganze Gemeinde, da haben wir schon große Gottesdienste gehabt, da hat der Bischof mitgetanzt. Und auch schon Muslime haben mitgetanzt. Wenn was ist, laden wir auch von unserer muslimischen Nachbargemeinde ein und ja. Einmal da haben, glaub’ ich, fünf oder sechs Pfarrer im Talar mitgetanzt. Das war schon was [lacht] (U38).

Die Gestaltung des gemeindlichen Sonntagsgottesdienstes ist ein sensibles Thema. In den Interviews wird angesprochen, worin die Grenzen einer Beteiligung der Gemeinde an Tänzen bestehen. In den 1970er Jahren habe ein 65 Vgl. Zink/Hufeisen 1992. 66 Vgl. Enzner-Probst 2008.

Aussagen der Befragten in kirchlichen Tanzszenen

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Hindernis in mangelnder Erfahrung mit Tanz bestanden (St8). Nach einer Welle der Begeisterung für Tanz im Gottesdienst im folgenden Jahrzehnt seien die Grenzen schnell deutlich geworden (HW18). In anderen Kulturen sei Tanz in der Kirche selbstverständlich (Ko70). Bewegung im Gottesdienst stoße in Deutschland jedoch nicht zuletzt an kulturelle Grenzen. Tanzende versuchten daher häufig, sich möglichst wenig anstößig zu verhalten, etwa was die Kleidung angehe (Ko72, Si60). Der Gedanke besonderer heiliger Gesten, die aus einer überkulturellen Bewegungssprache stammten, wird von Si (vgl. Si60-62) – m.E. unsachgemäß, wie noch zu zeigen sein wird67 – ausgeweitet auf ein universelles Verstehen tänzerischer Gesten, was demnach das passende Bewegungs-Repertoire von vorneherein einschränkt. Ganz grundsätzlich stellt sich die Frage nach dem Gottesdienstverständnis der Feiernden. Es gilt realistisch einzuschätzen, welche Bedürfnisse Menschen zur Teilnahme am Gottesdienst veranlassen. Auch für Tänzer bestehe kein selbstverständliches Verlangen danach, sich im Gottesdienst inmitten der Gemeinde tänzerisch zu bewegen (Fr33, Si54, Jo21). Auch Tanzleiter, die gute Erfahrungen mit der Einladung zum Tanz an die Gemeinde im Sonntagsgottesdienst verzeichnen, kennen Vorbehalte, wenn sich die Gemeindesituation ändert (vgl. Sb31-32). Anleitende haben durch die Erfahrungen im Sonntagsgottesdienst erkannt, was geht und was nicht. Sie stellten sich auf die begrenzten Möglichkeiten durch die Raumverhältnisse oder die Kleidung der Feiernden ein (G29, HW18). Mehrere Befragte äußern sich zur Frage, wie meditatives Tanzen im Gottesdienst vorkommen kann. Einige empfinden das meditative Tanzen als ungeeignet für die Vorführung. Tanz, der im Sinne eines Meditationsweges praktiziert wird, habe den Charakter eines in subjektiver Innerlichkeit erlebten Geschehens, bei dem sich ein quasi voyeuristischer Zugriff durch die Blicke Unbeteiligter verbiete und daher die Präsentation in einem Gottesdienst abgelehnt werde (Ro18, E25).68 Sollten meditative Tänze im Sinne von choreographierten oder traditionellen Volkstänzen, die in anderem Kontext den Ausgangspunkt für die individuellen Meditationserfahrungen der Tanzenden bieten, in einem Gottesdienst zum Zusehen angeboten werden, erhielten diese ihre Legitimität durch ihre Funktion als liturgische Tänze (U49). Letztere verstehen sich grundsätzlich als Teil des Gottesdienstes und nicht als Einlage, bei der die Beteiligten zeigen, was sie können. Tanz ist, wenn er keine der Liturgie hinzugefügte ,Aufführung‘ darstellt, Teil der Liturgie und in diesem Sinne liturgischer Tanz. Einige Befragte erläutern, inwiefern Tanz sich mit den liturgischen Teilen gut verbinde. Sowohl Tänze zum Mitmachen als auch mehr oder weniger professionell dargebotene Tänze 67 Vgl. die sozialgeschichtlich orientierte Perspektive auf Tanz, die die kulturelle Kodierung von Körpern zugrundelegt (Klein u. a.) in A 2.1. Siehe auch die Diskussion der weiblichen Anlage zum Tanz in C 1 anhand der Äußerungen von Ke. 68 Vgl. die Reflexion in C 6.1.4.

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können abhängig vom Verständnis der Gottesdienstfeiernden würdige Versionen aller liturgischen Rubriken sein. Die beiden klar hervortretenden Funktionen sind Gebet als Kyrie, Gloria, Vaterunser, Fürbitten, Segen, Begleitung von Gebeten in Liedform (Re19-21, Mu20, C41-42, Jo21, Mu61) und Verkündigung als Kommentar zur Lesung, Predigt oder Auslegung von Liedtexten (Ke21, Fr20, Sb32). Damit Tanz nicht zur ,Show‘ und ,Extrawurst‘ wird, ist eine behutsame Einführung in das Sehen von Tanz im Gottesdienst ein sinnvoller Weg (A19, Ma22). Aus der Sicht der Laien, die getanzte Beiträge in einem Gottesdienst präsentieren, kann das Gefühl für deren liturgische Bedeutung aufgrund des Lampenfiebers in den Hintergrund treten (U48-49). Eine Tanzperformance könne sich als künstlerischer Beitrag zum Gottesdienst verstehen, ohne ein liturgisches Element darzustellen (Ta25). In dem Fall kann Tanz in einem Nebeneinander mit anderen, sprachlichen Äußerungen in den Dialog treten. Zudem ergibt sich möglicherweise ein Dialog mit dem Kirchenraum und dem Gottesdienstgeschehen insgesamt. Neben dem Verständnis von Tanz als Liturgischem Tanz stellen Konzepte wie Kunst in der Kirche und site-specific art69 alternative Lesarten bereit. In dem Fall ergreift die Gottesdienstgemeinde die Chance zum Dialog mit einer bestimmten Kunstform und findet dabei selbst die Inspiration zu neuem Ausdruck (vgl. Ta25). Analog dazu ist m. E. die Praxis zu sehen, im Gottesdienst Werke bildender Kunst zur Geltung zu bringen oder eine künstlerisch wertvolle musikalische Aufführung zu integrieren. Bei kirchlichen Großveranstaltungen wie dem Deutschen Evangelischen Kirchentag werden im Gottesdienst verschiedentlich Bühnen-Beiträge von Künstlern integriert. Tänzer seien auf so einer Bühne in Distanz zur ,Gemeinde‘ und entsprechend exponiert (Me5). Während bei der künstlerischen Interpretation von Bibeltexten auch die Wahl der klanglichen Begleitung von Bedeutung ist, entfällt diese Herausforderung bei der Interpretation von christlichen Liedern oder Chorälen. Lieder und Musik sind von jeher gestalterische Elemente, die einen festen Bestandteil der Liturgie bilden. Im Sinne der vertanzten Lieder haben die Tänze unterschiedliche Intentionen wie Gebet, Lobpreis, Besinnung oder evangelistischer Aufruf zum Glauben. Im evangelikalen und pfingstlerischen Spektrum unterstützen Tanzgruppen den gottesdienstlichen Lobpreis (vgl. die Beispiele in Si16-17, Si19). Die Botschaft der Liedtexte werde durch tänzerische Bewegungen zur Musik körperlich inszeniert. Solche Gruppen stellten sich der Aufgabe, Tanzvokabular etwa aus dem Modern Dance so zu verwenden, dass es dem Gottesdienst angemessen sei. Dies zeigt das Beispiel von Si. Die Themen der Lieder gäben den Choreographien eine bestimmte Richtung (Mn54-55). U leite liturgische Tänze mit Senioren im Gottesdienst an. In der Regel seien die Lieder oder Choräle, die die als Prädikantin ausgebildete Frau passend auswählt, Grundlage eigener, einfacher Choreographien. Die 69 Siehe die Ausführungen zu site-specific art bei Hiddemann 2007 und in Kap. B 8.

Aussagen der Befragten in kirchlichen Tanzszenen

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Kombination von Lied und Tanzdarbietung stellt eine Form synästhetischen Erlebens bereit, die ein hohes Maß an Aufmerksamkeit generiert (vg. Si54, Mn54-55, U35-37). Eine solche Dichte von Eindrücken überfordert möglicherweise auch. Anders als gegenüber dem Klang könnten sich Feiernde dem Tanzeindruck jedoch entziehen, indem sie die Augen abwenden. Diejenigen, für die der Tanz eine ,Ablenkung‘ bedeute, hätten die Wahl, in welchem Maß sie sich auf die Wahrnehmung jenes zusätzlichen Mediums einlassen wollten (Si54). Manche finden das ganz klasse, weil sie das sehen, was sie singen, und dann auch ihnen noch mal bewusster wird, was sie singen (Si54).

Der Tanz zu einem biblischen Psalm (Ba23, Sa27) oder einem anderen Gebetstext erfülle die liturgische Funktion eines Gebetes (Fr20) entsprechend den üblichen Gattungen. Die tänzerische Interpretation von Texten erfordere hohes Geschick in der Abstimmung zwischen den beiden Sprachen, der verbalen und der nonverbalen, körperlichen (Ba23). Psalmen, die auf eine Bandbreite menschlicher Grunderfahrungen verweisen, können durch Bewegung interpretiert werden. Diese Auseinandersetzung kann zwischen einem getanzten Dialog mit dem göttlichen Gegenüber oder einer Besinnung auf eigene Erfahrungen changieren. Eine Fülle von Möglichkeiten eröffnet sich durch die Interpretation von Psalm, Kyrie, Gloria, Bitte um den Heiligen Geist, Fürbitten, Vaterunser oder Segen. Laientänzer, die mehr oder weniger tänzerisch weitergebildet sind, bieten mitunter ganze Tanztheaterstücke an, die im Gottesdienst an die Stelle der Verkündigung treten. Sie träten mit ihrem Programm meist regional begrenzt in verschiedenen Gemeinden auf (Mr6-8). Mr lege Wert darauf, sich nicht mit Profikünstlern vergleichen zu wollen (Mr6). B tanze zum Programm ihres Mannes, der Märchenerzähler ist (B25). Die Tanzgruppe von Me zeige israelische Tänze (Me11). Eine Verbindung von Kunst und politischem Engagement ergibt sich durch Tanzperformances, die in politischen Gottesdiensten stattfinden (Be5, Hs5, Hs9). Dabei wirkten Tanz und Musik in einer Einheit zusammen.70 [Ein Thema wie Armut in Deutschland, Flüchtlinge aus Palästina oder Einsamkeit] kann man dann so ganz anders benennen und kriegt da eine ungeheure Tiefe durch die Musik (Hs9).

Tanzleiterinnen und Tanzleiter bieten ihre Seminare mit überregionaler Reichweite häufig über das Wochenende an (R14, Et46, Et48, Sb32-33, A18, Ke25). Eine Gruppe findet sich auf Zeit zusammen und erarbeitet gemeinsam Choreographien und Improvisationen. Dabei werden die Tänzerinnen und Tänzer sowohl eine Art ,Gemeinde auf Zeit‘71 als auch eine ,Tanzkompanie auf 70 Siehe dazu ausführlicher B 2.8 Tanz als Kunstform im Kirchenraum. 71 Vgl. die Forschungen von Kristian Fechtner, Peter Bubmann, Birgit Weyel u. a. im EKD-For-

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Zeit‘. Der Abschluss-Gottesdienst der Tanz-Seminar-Tagung kann gleichzeitig der Gottesdienst für andere Gruppen des Tagungshauses oder der gastgebenden Gemeinde sein. Gemeindeglieder werden mit einer ihnen eventuell bislang im Kontext von Kirche unbekannten Ausdrucksform konfrontiert und zur Erweiterung ihres Horizontes angeregt (Et46, Et48, A18). Einzelne Gottesdienstorte versammeln eine Feiergemeinde, die mit Tanz im Gottesdienst bereits gut vertraut ist. Ke reflektiert Fragestellungen, die typisch für die Aufgabenstellung der getanzten Verkündigung sind. Der Tanz wird von Ke als Kompromiss zwischen den individuellen Prozessen bei der Erarbeitung, dem künstlerischen Anspruch und dem Anliegen, verständliche Aussagen zu transportieren, beschrieben (Ke25). Die Frage nach der Bedeutung des Tanzes72 ist mit der nach der Spiritualität des Kirchentanzes eng verbunden. Tanz hat für Tanzende nicht nur Bedeutung in dem Sinne, dass die verbalen Texte in Tanztexte übertragen werden. Das Tanzen verknüpft sich auch mit unterschiedlichen Erlebnisqualitäten und Erfahrungsebenen. Tanzen bietet eine Unterbrechung des Alltags. Der Anklang an die Beschreibung des Gottesdienstgeschehens durch Friedrich Schleiermacher ist sicher nicht zufällig. Sowohl der Alltag der täglichen Lebenswelt als auch der allsonntäglich übliche Gottesdienst erfahren eine heilsame Unterbrechung. Als qualitative Erlebnisbeschreibungen treten hervor: das Sich-beschenkt-Fühlen (Gr26, Ir55), das Empfinden des Gottesdienstes als ,gelungen‘ (Gr26), der Spaß (Ir55), das ästhetische Raumempfinden (Ir55), Liebe zu Formen der aktiven Beteiligung (G9), Wahrnehmen von Resonanz bis hin zu starken emotionalen Reaktionen wie Tränen oder ,Selig‘-Sein (G23), im Fall eines Auftritts könne Lampenfieber ausgelöst werden (U48), Wahrnehmen einer Veränderung der Stimmung, die am Gesichtsausdruck ablesbar sei (G23). Bei den Tanzenden selbst sei die Erlebnisebene oft stark berührt. Aber auch die anwesenden Beobachter oder Zuschauer zeigten Reaktionen. Es hat was Stärkendes. Wenn wir nach Hause fahren, ich merk das immer wieder nach so einem gelungenen Gottesdienst, fühle ich mich anders, irgendwie anders im Alltag (Gr25).

Menschen, die Tanz aus der Zuschauerperspektive verfolgen, erleben dies individuell verschieden. Gottesdienstteilnehmer gehen im Anschluss auf die Tanzenden zuweilen aktiv zu und geben Rückmeldung oder stellen Fragen aus schungsverbund Gemeinde auf Zeit. http://www.uni-tuebingen.de/fakultaeten/evangelischtheologische-fakultaet/lehrstuehle-und-institute/praktische-theologie/praktische-theologieiii/forschung/ekd-forschungsverbund-gemeinde-auf-zeit.html (2015/03/03). Gruppen, die sich auf einem Pilgerweg gemeinsam aufmachen, Mitwirkende bei christlichen Musikprojekten u. ä. lassen sich als punktuelle Angebote verstehen, bei denen sich in einer bestimmten Form Kirche als Gemeinde auf Zeit konstituiert. Ähnliches wäre im Blick auf Teilnehmende an Tanzwochenenden zu untersuchen. Interessant ist dabei, was die zusätzliche Qualifikation als Tanzkompanie auf Zeit an unverwechselbaren Merkmalen in das Format Gemeinde auf Zeit einträgt. 72 Vgl. die ausführliche Darstellung in B 2.1.

Aussagen der Befragten in kirchlichen Tanzszenen

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Interesse (Mn53, Mn56, B11). Bei den einen könne es zu intensivem Miterleben kommen, stellen die Tänzer_innen fest (Mu11, Mu13, T32-33, Mn56, B26, Ma22), bei anderen zu Indifferenz oder Aversion (Mu19, Mn53, Si). Vielen ist dies bewusst, und sie erkennen die Unterschiede an (Be40, Si55). Auch T geht davon aus, dass so ein Tanz ungewöhnlich ist. Die Akzeptanz mancher Formate sei abhängig von den Präferenzen und Vorerfahrungen der Adressaten (B29). Tanzen als körperbetonte Kunst verweist implizit auf die erotische Dimension des Körperlichen. Im Gottesdienst oder bei Kunstprojekten in Kirchen wirke dies provokant. Das Erotische des Körperlichen werde mit gemischten Gefühlen registriert (F14-15, V12-14, T18-21). Dennoch sei die Kirche kein Ort, an dem erotische Töne fehlten (F14-15). Tanz könne peinlich werden durch Laienhaftigkeit (Mr11).73 Vom Tangogottesdienst könnten auch anfangs Skeptische oft etwas mitnehmen (Ma22). Tänzer und Tanzleiter gingen mit der Unsicherheit der Zuschauenden konstruktiv um, indem sie darauf eingingen und durch Einführungen und Seh-Hilfen von dem Druck, alles verstehen zu wollen, entlasteten (B31, Fr18). Insgesamt scheine es den Wünschen und Sehnsüchten von Menschen zu entsprechen, Tanz in der Kirche zu sehen (B26, Ma24). Tanz mache Inhalte anschaulicher (Mn56, Be, Ma24). Die Eindrücke fänden Resonanz auf einer sinnlichen und emotionalen Ebene (Ke25, Ma24, Fr). Zuschauende gingen in körperliche Resonanz mit dem gesehenen Tanz (Fr). Eigene Sinnkonstruktionen könnten auf dem visuellen Eindruck aufgebaut werden (Mn53, Ma24). Im Tanz, der eine Form von Sprache darstellt, kommt etwas zum Ausdruck, was Worte nicht sagen können. Zudem kann die nonverbale Tanzsprache sich in der Form mit verbalen Botschaften verbinden, dass etwas Neues entsteht. Politische Themen erhalten durch den Tanz im wahrsten Sinn des Wortes einen Körper, werden sinnlich und emotional erfahrbar und bringen verdichtete Botschaften hervor, die bis in tiefe Schichten der Person hinein Wirksamkeit entfalten können (Hs5, Hs13). Existentielle Lebensthemen werden auf mehrdimensionale Art erschlossen und sind anschlussfähig an Gottesdienste bis hin zu Begräbnisfeiern (M15, F29). Vom Tanz verkörperte Botschaften unterscheiden sich von Verbalsprache durch den geringeren Grad an festgelegten Bedeutungen. Da sie körperlich-emotionale Resonanz hervorrufen, können Zuschauer Zugang zu eigenen Stimmungen, Empfindungen, Bildern und Erinnerungen finden (F10). Tanzgottesdienste bilden ein besonderes Gottesdienstformat74. Einen ersten Versuch, dessen Spielarten zu konturieren, stellen die beobachtende Teilnahme und Forschung am Gegenstand anhand der „Werkstatt Tanzgot-

73 Vgl. die Äußerungen von Lassiwe in A 2.2. 74 In dem Sammelband zum Sonntagsgottesdienst von Fechtner ist das Fehlen von Hinweisen auf die sich zunehmend etablierenden Tanzgottesdienste ein Symptom für die noch ungenügende Aufmerksamkeit für diese Praxis. Vgl. Fechtner 2008.

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tesdienst“75 dar. Die Befragten beschreiben nun die Vorzüge von Tanzgottesdiensten aus ihrer Perspektive (K6-1-2-1). Mehrere Kodes entfalten Aspekte der Praxis. Es geht um den zeitlichen Rhythmus, in dem die Gottesdienste angeboten werden (K6-1-2-2). Die Verhältnisbestimmung von Tanz und Liturgie ist Thema, wenn festgestellt wird, dass in manchen Beispielen Tanz die meisten liturgischen Elemente gestaltet (K6-1-2-3), in anderen sich der Gottesdienst nicht an der traditionellen Liturgie orientiert (K6-1-2-4). Der Kode 6-1-2-5 gibt Einblick in das, was in einem meditativen Tanzgottesdienst realisiert wird: Mitmachtänze und Tänze zum Zuschauen. Tanzgottesdienste werden generell nur von bestimmten Gruppen gut angenommen (K6-1-2-6). Die Weiterentwicklung des Formats Tanzgottesdienst stößt an Grenzen (K6-12-7). Aus der Erfahrung der Tanzgottesdienste erwachsen Erkenntnisse, aus denen Leiter lernen können (K6-1-2-8). Tanzgottesdienste in der Version von G leben von der rituellen Struktur mit Kreisform, Aufbrechen der Kreisform und mehrfachen Wiederholungen einzelner Bewegungsmotive in unterschiedlichen Zusammenhängen. Unter den besonderen Vorzügen dieser Tanzgottesdienste sind: die besondere Atmosphäre (G21), die Möglichkeit, Menschen zu integrieren, die es im Leben schwer haben (G20, G26), das meditative Vertiefen eines Themas durch Verweilen und Repetition (G3), eine ,nährende‘ Alternative zu haben zu Predigten, die mitunter Aversionen auslösten (G36). Die Gottesdienstformate unter der Überschrift „Tanzgottesdienste“ sind durch die Abstände etwas Besonderes, Unalltägliches (Hs15-16, G38). Charakteristisch für Tanzgottesdienste ist oft, jedoch nicht generell76, dass Tanz die Gestaltung vieler bis aller Elemente traditionskontinuierlicher77 Liturgie prägt. Der liturgische Bezug mache den Tanzgottesdienst als Gottesdienst erkennbar (Ma22, G7). Ein Glaubensbekenntnis findet G nicht notwendig, die Rolle nehme der Tanz ein, der auf die Verkündigung antworte (G35). […] es ist kein Seminar, kein Workshop, kein Meditationskreis, es ist ein Gottesdienst in einer Kirche, das finde ich auch ganz wichtig, und es sind ganz wesentliche Elemente von einem Gottesdienst drin. Gebet vor allen Dingen, Gebet gesprochen, Gebet getanzt, eine Lesung gehört, eine Lesung getanzt (G7).

Daneben stehen Modelle von Tanzgottesdiensten, die sich in ihrer Dramaturgie von der traditionellen Liturgie lösen (Hs5, Hs30). Dafür steht insbe75 Vgl. A 7.4.3. 76 Vgl. A 7.4.3. 77 Raschzok versteht unter traditionskontinuierlichem Gottesdienst das Format am Sonntagvormittag. Vgl. Raschzok 2008. Die Liturgische Konferenz schlägt für die Weiterarbeit an der Agende vor, auf die „prägende Formkraft des traditionskontinuierlichen Gottesdienstes an Sonn- und Feiertagen [zu setzen], der für die alternativen Gottesdienstformen eine in der Regel nicht auf den ersten Blick erkennbare Form- und Prägekraft besitzt, weil er durch seine Kontinuität protestantische Glaubensidentität sichert.“ (ebd. 24).

Aussagen der Befragten in kirchlichen Tanzszenen

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sondere die durch Hs vertretene Linie von Tango-Gottesdiensten. Der Tango gibt ein Modell für den Dialog im Führen und Folgen ab, der sich nicht nur im Tanz selbst spiegelt, sondern auch im improvisierten Miteinander von Wortbeiträgen und Musik bei dem Thema umkreist wird (Hs30). Der Ansatz von Ma, den Hs auch kennt, orientiert sich stärker an der traditionellen Liturgie (Hs28). Hs bezieht sich auf die Liturgie, indem er sich von ihr absetzt. B nennt ein Format von Tanzgottesdienst, bei dem meditative Tänze im Mittelpunkt stehen (B35). Über den Grad der Orientierung an traditioneller Liturgie kann nichts ausgesagt werden. Dieser Gottesdienst erfährt seine musikalische Ausgestaltung nicht durch Lieder, sondern allein durch die Musik, zu der getanzt wird. In der Regel werden im Sacred Dance klassische Instrumentalstücke bevorzugt.78 Den Tanzenden bieten die Titel inhaltliche Anknüpfungspunkte, häufig bei erfahrungsorientierten Themen. Der Raum ist durch eine gestaltete Mitte um einen Punkt zentriert, der den Tanzenden Orientierung vermittelt. Die Liturgie verzichtet weitgehend auf längere verbale Elemente. So kommen weder Lesung, Predigt oder ein Glaubensbekenntnis vor. Das einzige längere gesprochene Stück ist das gemeinsame Vaterunser. Neben dieser einfach gehaltenen Form einer Tanz-Andacht finden sich im untersuchten Feld noch andere Formen.79 Die Frage nach den gesellschaftlichen Milieus, die Tanzgottesdienste annehmen, lässt sich nicht leicht beantworten. Die Äußerungen zeichnen das Bild sehr unterschiedlich aufgestellter Zielgruppen, von älteren Frauen, die auch sonst gerne Meditation praktizieren (bei G8-9), bis hin zu jüngeren Leuten, die sich gerne einmal auf etwas Neues einlassen (bei Hs2). Ob Tanzgottesdienste eine Chance darstellen, mehr und andere Menschen durch kirchliche Gottesdienstangebote zu erreichen, wird unterschiedlich wahrgenommen. Während das an einen Meditationsweg angelehnte Format von G vorwiegend wache, kritische Frauen im reifen Alter anzieht, kann Hs mit den Tango-Gottesdiensten Jüngere ansprechen und ihnen eine attraktive Kirche bieten. In den Aussagen der Interviewten zu anderen Themen findet sich eine Fülle weiterer Hinweise auf unterschiedliche Milieus. Eine eingehendere Untersuchung dieses Aspektes, die hier nicht geleistet werden kann, erlaubt es eventuell, eine Zuordnung von bestimmten Merkmalen der Gottesdienste und den davon angesprochenen Milieus zu konstruieren. Die Tanzgottesdienste bringen auch nicht mehr Leute in die Kirche, aber sie bringen diesen dreißig Leuten alle zwei Monate etwas (G41).

Während Hs seine Tango-Gottesdienste in eine vielfältige offene Gemeindearbeit integriert, worin Potenzial stecke (Hs42), liegen Gs Interessen eher 78 Vgl. Wosien 1988. 79 vgl. die Ausführungen zur „Werkstatt Tanzgottesdienst“ (A 7.4.3 und 7.4.4), „Typen von Tanzgottesdiensten“, „Gottesdienstanalyse“ (7.4.5), den Tanzgottesdienst „Das kleine Ostern“ (7.4.6) und die „Reflexion“ in 7.4.7.

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darin, Tanzgottesdienste noch weiter zu entwickeln und stärker publik zu machen. Damit habe er nur begrenzten Erfolg gehabt (G30, G39). Die quantitative und qualitative Weiterentwicklung von Tanzgottesdiensten stelle eine Aufgabe der Gegenwart und Zukunft auch für die Christliche AG Tanz80 dar (G38-39, G43). Aus seiner reichen langjährigen Erfahrung heraus schildert G erworbene Erkenntnisse und Fähigkeiten, die ihm bei der Leitung der Gottesdienste zugutekämen. Die folgenden, durch Aussagen konkretisierten abstrahierenden Sätze skizzieren die Anfänge des Entwurfs eines einfachen Leitfadens für Leitende in Tanzgottesdiensten (G20, G31). Weitere Lernerfahrungen finden sich in anderen Interviewpassagen, die sich nicht explizit auf Tanzgottesdienste beziehen und daher an dieser Stelle nicht berücksichtigt sind. • Die Tänze dürften nicht zu schwierig sein: Behinderte und Menschen mit psychischen Belastungen tanzen dann auch mit. • Die Anleitung sollte in professioneller Weise geschehen: die Art, wie der Tanz vorgemacht werde, sei von großer Bedeutung, um andere zum Mitmachen zu motivieren. • Die Gefühle der Menschen im Kreis seien zu achten: die Menschen, die da sind, sollten wahrgenommen werden mit dem, was sie mitbrächten. Zwang vertrage sich nicht mit Tanz.

2.6.2 Strukturelle Voraussetzungen von Gottesdiensten mit Tanz und Tanzgottesdiensten Zu den strukturellen Voraussetzungen des Tanzens haben sich die Interviewten sehr differenziert geäußert, vor allem zur Raumfrage.81 An dieser Stelle werden nun lediglich Aussagen wiedergegeben, die sich unmittelbar auf Tanzgottesdienste beziehen. Die Eignung der Räume spielt ebenso eine Rolle (2.6.2.1) wie die gelingende Kooperation mit Hauptamtlichen (2.6.2.2).

80 Vernetzung wird im Verein Christliche AG Tanz geleistet, darüber hinaus aber auch durch Fachzeitschriften (Kreise ziehen), Angebote auf Kirchen- und Katholikentagen, Netzwerken von Absolventen von Tanzausbildungen (Sacred Dance, Dance&Praise , Kreativer Tanz und bewegte Bibelarbeit, Bibel getanzt, bibliodans, Tanz der Gegenwart, Das Leben tanzen u.v.m.), Anhängern des Folkloretanzes (www.choretaki.de) oder durch die Tanzleiter_innen, die regional oder überregional tätig sind (Wilma Vesseur, Kersten Pfaff, Edgar Spieker, Frieder Mann, Nanni Kloke, Manfred Büsing, Anke Kolster, Sr. Monika Gessner OP, um nur einige zu nennen). Außerdem bieten Klöster (Dominikanerinnen, Speyer etc.) und Bildungshäuser Seminare an, bei denen die Tanzenden untereinander in Kontakt kommen und hier und da zu Versuchen der Umsetzung in ihrem Heimatkontext angeregt werden. 81 Vgl. Tanzenden das Wort geben 2.3.6, 2.6.3 und 2.8.5.

Aussagen der Befragten in kirchlichen Tanzszenen

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2.6.2.1 Eignung von Kirchenräumen Die im Folgenden präsentierten Aussagen verdeutlichen, was die Tanzenden als einen geeigneten Raum ansehen (K6-2-1-1). Alle Eigenschaften des Kirchenraumes sind von Bedeutung, wenn es darum geht, dass darin getanzt wird. Es ist notwendig, sich mit diesen Voraussetzungen auseinanderzusetzen (K6-2-1-2). Der Boden, die Dimensionen in Höhe, Breite und Länge, das Mobiliar, die Anordnung der Prinzipalstücke, die Helligkeit und Raumtemperatur, die Situierung der Feiernden und zahlreiche weitere Faktoren nehmen Einfluss auf die Möglichkeiten des Tanzes im Raum. Jedem Raum eignet zudem eine Affinität zu bestimmten Atmosphären. Tanzende berichten, dass sie versuchen, sich mit ungeeigneten Räumen zu arrangieren (K6-2-1-3). Wenige erzählen von sehr geeigneten Kirchen (K6-2-1-4). Die Möglichkeit, in der Kirche zu tanzen, wird oft durch fehlende Akzeptanz gehindert (K6-2-1-5). Ein geeigneter Raum sei nicht zu klein (Et52, Mn47, R26), frei (Gi22, G28, Sb21) und möglichst quadratisch (Gi22), hell (Gi22, Mn) und mit Holzfußboden (Gi22-23, Sb21). Er strahle eine besondere Atmosphäre der Ruhe oder der Spiritualität aus (Ro14, Sb20-21, Sb37, Si52). Oftmals finde sich keine geeignete Kirche (Me26). Die Auseinandersetzung mit dem Raum sei für den Tanz einerseits aus pragmatischen, andererseits aus künstlerischen Gründen notwendig (Be60-61). Die Aussagen machen Phantasie und Engagement deutlich, das die Tanzenden investieren, um auch in schlecht geeigneten Räumen tanzen zu können (z. B. Gi22-23). Für Ir stelle sich dieses Problem gar nicht, da sie meint, man könne überall tanzen (Ir46-48). Der Tanz könne sich dem Raum immer anpassen. Die Einflüsse des Raumes könnten allerdings so stark werden, dass es viel Energie koste, diese auszugleichen (Ke41, R26). So ein Ausgleich werde durch tanzpädagisches Geschick geschaffen (Si52). Als geeignet wird ein einfacher Raum empfunden, der Klarheit ausstrahlt (E10), offen ist und bewegliche Bänke oder Bestuhlung aufweist (Et53, Mu61, Hs, Ha, Sa28, U35, U40) sowie Schutz und Geborgenheit vermittelt (R26, Hs27). Manche Kirchen seien explizit so gestaltet, dass in ihnen getanzt werden könne (E10, E41, U60). Der Pfarrer Hs schildert einen vorbildlichen Umgang mit dem Kirchenraum (Hs22-23). Der Raum werde als Ort gesehen, an dem von der Bestattung bis zur Tanzparty alles stattfinden könne. Gerade dadurch werde dieser Raum wertvoll. Die Atmosphäre, die durch Kunstwerke und Einrichtung entsteht, wird sehr bewusst von Hs wahrgenommen. Nur Hs spricht von den besonderen Eigenschaften von Bänken für die soziale Atmosphäre (Hs27). Holz ist Materie, und darüber fließt was, dieses Zusammen-auf-einer-Bank-Sitzen, Zusammen-in einem-Boot-Sitzen, das ist was anderes, als einzeln auf einem Stuhl sitzen (Hs27).

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[…] und das ist natürlich ideal für uns, um in der Kirche zu tanzen. Wir haben den Altar mit einem Tanz eingeweiht… Ja, das war damals [lacht] in der Zeitung ganz groß, so was hat’s da noch nicht gegeben. Und seitdem tanzen wir in der Kirche, nicht jeden Sonntag, aber zu besonderen Gottesdiensten (U35).

Ha beschreibt, wie er die Akzeptanz seiner Projekte in Kirchenräumen erlebt hat. Dabei treten konfessionelle Unterschiede hervor (Ha50-51). Die größere Tanzfreundlichkeit katholischer Gemeindeleitungen kann allerdings nicht durchgängig bestätigt werden.

2.6.2.2 Kooperation der Verantwortlichen Als hinderlich erweist sich, wenn kirchliche Amtsträger Tanzgottesdienste nicht unterstützen (K6-2-2-1), förderlich ist eine gute Zusammenarbeit mit Pfarrern (K6-2-2-2) und Kirchenmusiker_innen (K6-2-2-3). G versucht, Gründe dafür auszuloten, was Amtsträger hindert, die Gottesdienste gerne zu sehen oder als bedeutend zu erachten. G stellt ein ,begrenztes Verständnis für die Sache‘ fest. Im katholischen Gottesdienst dürften sie nicht tanzen, nur im Gemeindehaus (G39). Pfarrer hielten an der Dominanz des Wortes fest (G25). Die Zusammenarbeit mit denen, die Gottesdienste in den Gemeinden leiteten, sei wesentlich. Als besonders gelungen werde eine Arbeit auf Augenhöhe mit der Pfarrerin empfunden (G2, G37). Die Zusammenarbeit kann auch dann als gelungen erlebt werden, wenn die Kooperation vorwiegend in Absprachen, etwa mit dem Priester, besteht, der Liturg jedoch die Leitung alleine behält (C46, Ir54, Et51-52). In den Beispielen aus evangelischen bzw. freikirchlichen Kreisen werde auf Initiative der Gottesdienstleitung Tanz integriert, um Themen vorzubereiten oder zu vertiefen (Si54, Sa34, Jo26). Die Aussagen zeigen unterschiedliche Möglichkeiten der fruchtbaren Kooperation. Zwar wird häufig ein anti-hierarchisches Modell bevorzugt; wo dies allerdings nicht den ortsüblichen Gewohnheiten entspricht, lassen sich auch stärker hierarchische Modelle nicht unbedingt als dysfunktional qualifizieren. In beiden Fällen scheint der Erfolg von Tanzinitiativen zu einem guten Teil abhängig von der Unterstützung der Kirchenleitung zu sein. Inwiefern Kirchenleitungen Tanz fördern können, unterscheidet sich auf der konkreten Ebene der Leitung. Eine Gemeindeleitung hat andere Möglichkeiten und Grenzen als die Leitung einer ganzen Diözese oder Landeskirche. Der Einsatz von Livemusik erfordert intensive Absprachen und teils auch eine längere gemeinsame Arbeitsphase, im besten Fall mit dem Ergebnis eines tänzerisch-musikalischen Werkes, bei der beide Seiten ihren Eigenwert behalten (Ke21, Be5, Be7, T26). Tanz zu Live–Musik sei eine Herausforderung, die sich lohne, der sich aber bei weitem nicht alle Tanzleiterinnen stellen. Ein intensives synästhetisches Erlebnis werde geboten. Die Zusammenarbeit

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zwischen Tänzer(n) und Musiker(n) enthalte kreatives Potenzial. Gruppen greifen aus pragmatischen Gründen82 dennoch meist auf Musik von verschiedenen Speichermedien zurück. 2.6.3 Erleben von Tanz im Kirchenraum Die Tanzenden machen Aussagen zum Erleben des Kirchenraumes im Tanz. Sie stellen fest, dass sie dort gerne mit anderen tanzen (K6-3-1) und sie die Kraft dieses Raumes spüren können (K6-3-2). Einige gehen von der Vorstellung aus, der Raum sei sakral (K6-3-3). Sie erleben, dass das Tanzen ihre Beziehung zum Kirchenraum positiv verändere (K6-3-4). Wenige empfinden das Besondere der Kirche so stark, dass sie eine Scheu spüren, dort zu tanzen (K6-3-5). Einige Aussagen zeigen einen unbefangenen Umgang mit dem Kirchenraum. Jo tanzt meditative Tänze im Gottesdienst (Jo21). Mn kann den Kirchenraum genießen und verspürt keine Berührungsängste (Mn47). Mit einer Tanzgruppe könne der Raum noch besser eingenommen werden als im Solotanz (Me25). In dem synästhetischen Erlebnis von Musik, Bewegung und Raumerfahrung werde die Kraft des Kirchenraumes gespürt (GT54). Ea erlebt sich selbst als gestärkt durch die Kraft des Kirchenraumes, gleichzeitig begegne ihr etwas Göttliches, das sie demütig mache (Ea41). Es war gigantisch, es war so… ich habe mich so stark gefühlt, habe gedacht, ich bin die Stärkste hier, ich habe so viel Raum, ich habe so viel Kraft, aber die Kraft kommt von irgendwo her, die kommt von oben, ich weiß nicht. Und ich habe so eine … ah es war wenn ich zurückdenk, so eine tiefe Ehrfurcht, eine tiefe Demut, es war alles. Es war so eine Getragensein, also es war wirklich was Göttliches. Und teilweise auch wieder so verrückt. Naja diese Szene, diese Schwestern, die sowas noch nie gesehen haben, und wir fegen da durch die ganze Kirche, dass die Post abgeht (Ea41).

Der Kirchenraum biete für den Tanz einen Rahmen, der eine besondere konzentrierende Wirkung habe (Jo21). Die Kirche führe in einen Raum jenseits des Alltags (F16). Dort zu sein und zu tanzen werde als Ehre empfunden (Me26). Ein Kirchenraum habe eine wirksame Atmosphäre, die Symbolebene werde berührt und die Nähe Gottes anders erfahren (Sb22-23). Es sei schwer in Worte zu fassen, was der Raum mit einem macht (Ta20). Innerhalb der Kirche bilde der Altarraum eine besondere Zone (V18), bei der Ir allerdings keine besondere Scheu empfinde (Ir59-61). Ea gehe mit einer spürbaren Präsenz im Raum so um, dass sie ein Zwiegespräch beginne, fast wie eine Szene aus ,Don Camillo‘ (Ea38-39). Auch Partygäste in der Kirche könnten wahrnehmen, dass es ein besonderer, ein gelebter Ort sei (Hs24). 82 Vgl. B 2.8.4.

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[…] und sind dann durch die ganze Kirche gefegt, hinter, vor, ringsrum, den Altar, alles mit einbezogen [lacht], und ich habe so das Gefühl gehabt, hoffentlich sehen die das jetzt nicht als Blasphemie (Ea38). Ohh, [atmet aus] ich hab große Angst gehabt, Ehrfurcht, also ich hab so ne tiefe Ehrfurcht gehabt, weil da ist so ein Riesenkreuz drin, und ich kenne ja diese Kreuze, weil ich hab oft Exerzitien dort gemacht. Da habe ich gesagt, Entschuldigung, Jesus [sie spricht es englisch aus], aber wir müssen jetzt da tanzen, ich hoffe, das stört dich jetzt nicht, [lacht], ich hab echt so ein Zwiegespräch geführt, wie wir allein beim Proben waren. Da hat die Claudia gesagt, das gefällt ihm doch. Sie ist ja evangelisch, ich bin katholisch. Ja, habe ich gesagt, aber weißt du, in der katholischen Kirche und so… Und ich bin mir dann vorgekommen wie bei Don Camillo [lacht], so jetzt wird er gleich antworten [lacht] und wird sagen, jetzt komm! (Ea39).

Durch den Tanz könne eine ,innige‘ Beziehung zum Raum aufgebaut werden (Sb24). Tanz und Raum würden zu Spielpartnern (F17). Der Raum inspiriere die tänzerische Auseinandersetzung mit ihm. Ta lasse sich vom Raum inspirieren und nehme seine Impulse wie z. B. Höhe oder Stärke der Mauern auf (Ta18-19). Eine Scheu, den Kirchenraum mit Tanz einzunehmen, benennen jeweils unterschiedlich Mu, E und Mn. Bei Mu herrscht der Eindruck vor, dass Tanz zwar in Afrika üblich sei, aber dass es in Deutschland in einer Kirche anders sei (Mu36). E habe an Teilnehmenden seiner Seminare die Scheu beobachtet, sich in der Kirche Raum zu nehmen (E22). Mn kenne die Berührungsängste vieler Leute, sich im Raum um den Altar herum zu bewegen (Mn48-50). […] weil ich da, das ist ja ein Gotteshaus, und da kann ich nicht einfach rumtanzen, wenn der andere betet und kniet (Mn49-50).

2.6.4 Erwartungen und Einstellungen von Kirchentänzern in Bezug auf das Gottesdienstgeschehen Die Befragten haben generell Interesse am Gottesdienst und reflektieren ihre Erwartungen an die Liturgie (K6-4-1). Sie formulieren mehrfach das Ideal eines nicht-hierarchischen Umgangs unter den Gottesdienstfeiernden (K6-42). Körperliche Gesten, die etwas spüren lassen, wie der Segen und eine Sprache, die lebensnah ist wie die Psalmen, werden wertgeschätzt (K6-4-3). Gottesdienste sollen Raum bieten, zum eigenen Gebet zu finden (Mu18-19). Die Praxis liturgischer Gebete stelle eine Form von Theologie dar (G35). Gottesdienste sollten nicht so wortzentriert sein (G36). Der Gottesdienst solle berühren (Ma12). Gottesdienste würden attraktiver, wenn sie sich vom klassischen Schema lösten und Raum gäben, dass Neues aus dem Moment heraus entstehen könne (Hs2, Hs5). Wer Tanzgottesdienste selbst hält oder erlebt, reflektiert offenbar genau, was ihm oder ihr der Gottesdienst bedeutet. Gebet, Predigt, Traditionsgebundenheit der Liturgie sind nicht die einzigen rele-

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vanten Stichworte. Tanzende bringen ein spezifisches Körpergefühl und eine gesteigerte Aufmerksamkeit für körperliche Vorgänge auch in Bezug auf die sogenannten normalen Gottesdienste mit. In den weiteren Verläufen der Interviews finden sich Belege für diese These. Für die meisten Tanzgottesdienste ist eine antihierarchische Struktur charakteristisch. Der Kreis ist die anti-hierarchische Form par excellence. Darin tritt die Leitung für Momente hervor, wenn Schritte ein paar Mal gezeigt werden oder kurze Ansagen erfolgen. Erfahrungen des Wechsels von Geführtwerden und selbst Führen werden in Partnerübungen (z. B. Tango) oder in der Form der Kette bzw. Schlange gemacht, bei der der ,Kopf‘ wechselt. In Spiral- und Labyrinth-Tänzen geht es nicht um die Ideen der Person, die anführt, sondern um die gemeinsame Erfahrung der Symbole durch das Abschreiten oder Nachtanzen bestimmter Wegmuster. G drückt die Erwartung eines nicht hierarchischen Verhältnisses von Gottesdienstleitung und Feiernden aus (G3, G27). Die Liturgin tanzt mit im Kreis. In der Predigt wird nicht gesagt, „wie es geht“, der Begriff „Herr“, mit dem viele Schwierigkeiten haben, komme kaum vor. Die beiden Tanzgottesdienstleiter G und Ma knüpfen an alttestamentlich bezeugte Gebetsformen an, Psalmen und Segen (G35, Ma19). Gott anzurufen ist kein christliches Privileg. Begriffe aus der esoterischen Szene unterstreichen das weite Gottesverständnis, in dem viele, auch nicht traditionell sozialisierte Mitfeiernde etwas für sich finden können. Der Begriff der Energie spielt in den Tanzszenen in unterschiedlichem Maß eine Rolle. Nicht zuletzt bei Rudolf von Laban kommt die Energie als eine bestimmende Komponente des Tanzes vor. Ich glaube an ein großes Ganzes, Gott, Universum, Kosmos oder Energie. Ich glaube, jeder hat das Recht, diese Energie anzurufen. In Psalmen beten, Segen geben und empfangen, ist ein Teil dieser Energie (Ma19).

2.6.5 Körpererfahrung im Gottesdienst Während in der Darstellung der Bedeutung des Tanzes im Gottesdienst für die Tänzer unter B 2.6.3 der Fokus auf dem Erleben des Gottesdienstes durch Tanz lag, wird im Folgenden nach der Körpererfahrung im Gottesdienst gefragt. Anhand der Äußerungen wird zu überprüfen sein, ob Tanzerfahrene ihre körperliche Eigenwahrnehmung als verbessert einschätzen. Diese Perspektive wird zunächst bezogen auf Erfahrungen in Gottesdiensten mit Tanz (2.6.5.1)83, in einem zweiten Schritt auch auf Gottesdienste, in denen kein Tanz vorkommt, d. h. auf katholische (2.6.5.2)84 und evangelische (2.6.5.3)85. Diese 83 Vgl. im Anhang die Kodes K6–5–1–1 bis K6–5–1–4. 84 Vgl. im Anhang die Kodes K6–5–2–1 bis K6–5–2–3. 85 Vgl. im Anhang die Kodes K6–5–3–1 bis K6–5–3–5.

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Trennung ist notwendig, weil es konfessionelle Unterschiede beim Einbeziehen körperlicher Gesten und Haltungen gibt. Tanzende stellen fest, dass es in gewisser Weise legitim ist, auch den Körper im Gottesdienst einzusetzen. Die Intensität von Tanz im Gottesdienst anderer Kulturkreise beeindruckt. Tanz im Gottesdienst verändert sowohl die körperliche Eigenwahrnehmung als auch die Selbstwahrnehmung. Tanzenden ist wichtig, dass im Gottesdienst der Körper sichtbar und hörbar werden darf. Zum Menschsein gehört das Bedürfnis, sich mit dem Körper zu bewegen. Von Gott her ist „das Körperliche“ gewollt (vgl. Ir69). Auch wenn der Gedanke des Körpers als Gottesgabe in den übrigen Äußerungen nicht explizit zu greifen ist – eine grundlegende Wertschätzung des Körperlichen in diesem Sinne zieht sich durch alle Interviews. Für Ir ist die Erkenntnis zentral, bewegliche Gliedmaßen zu haben und diese einsetzen zu dürfen. Dies wird auf die Situation Gottesdienst bezogen. Auch dort sollte der Körper eine positive Funktion haben. Im Kontrast zum Umgang mit dem Körper in der Religionsausübung des eigenen Kulturkreises stellen die Schilderungen aus dem Sufismus86 (S40-43) und aus Afrika (Mu15-17) andere, für die Interviewten sehr attraktive Herangehensweisen dar. Ebenso deutlich wird allerdings auch, dass das Beobachtete und Erlebte auf den deutschen Kontext nicht einfach übertragbar ist. Mu betont, wie sehr das körperliche Bewegen sie hineinnehme in das, was liturgisch anstehe (Mu23-25). Insgesamt sei dies eine wohltuende Erfahrung. Tänzer und Tänzerinnen erleben beim Tanzen im Gottesdienst ihren Körper anders als im Alltag. Ein sprachliches Bild könne durch den „ganzen Körper fließen“ (G3). Das, was im Körper wahrgenommen wird, verbindet sich mit Beschreibungen wie Öffnung, Weite, Ausdehnung und Fließen (F18). Theologische Aussagen und Bilder finden Eingang in körperliches Erleben. Der Körper kann zum poetischen und spirituellen Medium werden (Mn44). Wo Tanzende beobachtet werden, setzen sich unweigerlich die Zuschauer mit ihnen in eine Beziehung. Tänzer zeigen sich offener als die üblicherweise mit weiten Gewändern ausgestatteten liturgisch Tätigen (G12). Nackte Füße und leichte Bekleidung rühren an das Nackte, Ungeschützte der Zusehenden, ohne dass diese selbst ihren Schutz durch Kleidung und Sitzplatz preisgeben müssten (T29, V21). Die Aussagen katholischer Befragter zur Körpererfahrung im Gottesdienst offenbaren zunächst, dass das Körperliche eine geringe Rolle spielt. Allerdings bietet gerade die römisch-katholische Liturgie die Erfahrung intensivierende Haltungen und Gebärden. Die Kreisform kann nach Meinung Tanzender den traditionellen Formen eine weitere, intensivierende Form hinzufügen. 86 Der Drehtanz, das sogenannte Sema-Ritual, ist Bestandteil der kultischen Handlungen des Mevlevi-Ordens. Dieses Ritual wird jährlich in Konya, Türkei zu Ehren des Gründers Mevlana abgehalten. Vgl. www.fanafillah.ch (2015/12/09). Beispiel auf youtube: https://www.youtube. com/watch?v=hidNtJ0hTAE (2014/12/10).

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Deutsche Gottesdienste werden als relativ bewegungsarm wahrgenommen. Mit dem Fehlen von Bewegung kann auch ein geringeres Maß an innerer Beteiligung assoziiert werden (Mu29, V3). Ähnliche Aussagen sind für den evangelischen Kontext denkbar. Somit stellen derartige Äußerungen keine Besonderheit der katholischen Gottesdienstwirklichkeit dar. Den Aussagen ist gemeinsam, dass bestimmte traditionelle Haltungen wie Stehen oder Knien und Gebärden wie das Kreuzschlagen als Akt körperlichseelischer Beteiligung am Gottesdienst gedeutet werden. In der interviewten katholischen Familie ist das Bewusstsein dafür neben den Erfahrungen in Afrika auch auf die Rezeption der Schriften Guardinis zurückzuführen. Katholische Gottesdienste bieten auch ohne Integration besonderer Bewegungsoder Tanzelemente Muster, wie der Körper einbezogen werden kann. Die Gesten haben sowohl eine deiktische Funktion, sie zeigen Bedeutung an, wie auch eine Wirkung nach innen auf die Akteure. Das Bekreuzigen hat sinnliche Qualitäten durch den Kontakt mit Weihwasser und die Berührung des eigenen Körpers. Mu helfe dieses Spüren, den Moment zu markieren, an dem sie bewusst den Alltag hinter sich lasse und „ganz da“ sei (Mu37). Ebenso hat diese Handlung aber auch die Bedeutung einer Geste, die recht genau codiert ist einerseits durch das Hineinnehmen der Akteurin in eine priesterliche Rolle (vgl. Mu43), andererseits durch die Zuschreibung einer dreifachen Absichtserklärung gegenüber dem Wort des Evangeliums (Mu41). Das Knien und die Kniebeuge betrifft eine Bewegung in der unteren Hälfte des Körpers. Die Beine, die zum Stehen und zur Fortbewegung im Alltag dienen, werden eingeknickt. Die Körperlänge reduziert sich. Dies könne recht beschwerlich sein, da die Gelenke und Bänder beansprucht werden. Die Interviewten wollten dennoch bei manchen Gelegenheiten nicht darauf verzichten (Mu35, T1, V89). Nicht nur Knien, sondern auch Stehen sei an bestimmten Stellen des Gottesdienstes mit Ehrerbietung konnotiert. So komme es im Gottesdienst zum sinnvollen und sinnenfälligen Wechsel von Stehen, Sitzen und Knien. Bei der Predigt komme für T eine Art lauschende Haltung hinzu, bei der der Kopf erhoben sei (T4). Ja, ich mache ein Kreuzzeichen mit dem Weihwasser, und dann bin ich da (Mu37). Ich versuche zu verstehen, ich will es weitervermitteln, ich will es in meinem Herzen haben (Mu41).

In katholischen Gottesdiensten fehlt die für das evangelische Abendmahl typische Kreisform. Als Bereicherung versteht sie Jo und nimmt sie in Gottesdienste, die er leitet, auf. Die Beschreibungen zeigen, in welcher Funktion das Körperliche gesehen wird: es wird eine Bewegung von den Plätzen in den Kreis hinein vollzogen, der durch die Berührung der Hände noch enger geschlossen wird. Durch das Stehen im Kreis wird der Altar in die Mitte genommen. Mit Kindern ergibt sich eine kommunikative Situation, bei der lebhafte Bewegung zum Lied in geordneter Form zugelassen wird. Jo verbindet positive Gefühle mit dem Kreis, es ist schön, verbindet und es macht Spaß (Jo31-32).

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Tanzenden das Wort geben

Wenn Tanz das Erleben des Körpers steigert, dann führt ein Gottesdienst ohne Tanz möglicherweise zum Gegenteil. An den Aussagen in Bezug auf das Erleben in evangelischen Gottesdiensten ist nun zu überprüfen, ob Menschen, die sonst gerne tanzen, in Gottesdiensten ohne Tanz wieder in ein körpervergessenes Verhalten zurückfallen. Nimmt die Tanzerfahrung Einfluss auf das Körpererleben in der Kirche? Wollen Tänzer unbewegte Gottesdienste grundsätzlich nicht mehr und ziehen sich daraus zurück? Gibt es im evangelischen Gottesdienst, in dem Knien und Bekreuzigen praktisch nicht vorkommen, überhaupt Möglichkeiten, seinen Körper positiv zu spüren? Einige Befragte rechnen damit, dass Tanzerfahrung Einfluss hat auf das eigene Körpererleben im Gottesdienst. Sie schätzen körperliche Berührung im Gottesdienst und spüren beim Segen ein energetisches Geschehen durch Berührung. Die Bedeutung des Körpergefühls von Liturgen wird unterstrichen. Defizite von Pfarrer_n im Umgang mit ihrem Körper werden erwähnt. Die eigene Körpererfahrung im Gottesdienst ist für einige Befragte ein Ort, an dem Gottes Gegenwart gespürt werden kann. Im Folgenden geht es um die Stimmen von Tanzerfahrenen, die bereits selbst Tanz in der Kirche erlebt haben und sich nun auf die Feiern in normalen Gottesdiensten beziehen. Gründe für die gesteigerte Körperwahrnehmung sehen Sb im Körpergedächtnis (Sb25), F in der erlernten Aufmerksamkeit für die Umgebung und für das eigene Spüren (F16). Auch in evangelischen Gottesdiensten kann im Stehen gesungen werden, was Ba stark in ihrer inneren Ausrichtung auf Gott als „dem Anderen“ (Ba15) unterstützt. In evangelischen Gottesdiensten ist besonders bei den Sakramenten Taufe und Abendmahl Berührung vorgesehen, weitere Möglichkeiten wie das Salben haben Eingang gefunden in das Repertoire vieler Gemeinden. Auch die Erfahrungen mit dem Salben katholischer Befragter (V27 u. a.) werden aus systematischen Gründen an dieser Stelle genannt. Taufe, Segen und Salbung lassen eine Berührung durch fremde Hände als Berührtwerden erfahren (Ha26, Hs17-20). Ein Gemeindeglied empfängt die Berührung durch die Liturgin als Instrument der erbetenen heilmachenden Berührung Gottes. Mu erlebt dies dennoch nicht als hierarchische Asymmetrie, im Gegenteil. Der Tänzer zeige, wie leicht der Rollenwechsel vom Empfangenden zum Gebenden sein kann (Mu63). Auch fühle sie sich mit allen Anwesenden stark verbunden (Mu67). Die Berührung und körperliche Nähe der Gemeindeglieder von Hs untereinander, die Atmosphäre und die Vorliebe für große Tanzveranstaltungen im Kirchenraum bedingten einander. Ein neuer Stil des Umgangs ist hier kreiert worden, der vermehrt Jüngere anspricht. Solche Gemeinden dürften innerhalb der landeskirchlich organisierten die Ausnahme darstellen. Das Körperliche wird zum bedeutsamen Faktor für qualitatives und quantitatives Gemeindewachstum. Beim Segnen könnten Liturginnen zum Medium für einen Energiefluss werden (Ha28). Damit würden Erfahrungen benannt, die sonst eher im Reiki verortet würden (Ma19).

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Segnen im obengenannten Sinne wird als Aufgabe eingeschätzt, die einen erfahrenen Umgang mit dem eigenen Körper voraussetzt (Ha27). Die inneren Bilder wirken sich bis in die Haltung hinein aus. Auch ohne körperliche Berührung strahlt die sichtbare Körperhaltung der Pfarrerin eine Kraft aus, die jene nicht aus sich selbst schöpfen muss, sondern die ihr zuwächst. Beim Tanzen haben Pfarrer Defizite (HW24-25/C28). Von F wird aufmerksam wahrgenommen, wie ein Liturg agiert, vor allem dessen Präsenz (F13). Dies sehe er mit dem „Tänzerauge“ (ebd.). Diese Angsthaltung [des Pfarrers beim Segnen] brauche ich nicht, sondern ich brauche ja eigentlich die Vergrößerung einer Kugel und sage, ich umarme das Volk (Ha27).

Mn erzählt von dem Gefühl der Präsenz des Göttlichen, in dem Fall des Auferstandenen, das sie beim Tanzen in der Kirche spüren könne (Mn46). […] es gibt hier zwei unter uns, so, ja. Das ist irgendwie ganz nah. Und das wünsche ich mir natürlich mehr für die Kirche (Mn46).

2.7 „Am Anfang war das Wort, und das sind alles körperliche Bewegungen“ – Tanz und theologisches Denken Die kirchliche Lehre verortet die Präsenz Gottes im Gottesdienst in der Gestalt eines sozialen Geschehens (Wo zwei oder drei…), als Hörereignis (viva vox evangelii) und als persönliche leiblich erfahrbare Zuwendung (Taufe und Abendmahl). In den Gesprächen wurde die Frage nach der Gottesvorstellung selten explizit gestellt. Indirekt ist aus den Aussagen zu erschließen, was Tanzende im weitesten Sinne unter Gotteserfahrung verstehen und wie sie Tanzen und Glauben in Beziehung setzen. Dabei spielen jene Praktiken, in denen Bibelwort und Tanz in Dialog gebracht werden, eine besondere Rolle. Das verbale Wort und der Tanz können miteinander kommunizieren, weil der Tanz auch eine Form von Sprache ist (2.7.1). Tanz und Theologie stehen in der Praxis Tanzender nicht beziehungslos nebeneinander. Sie treten in ein Verhältnis wechselseitiger Einflüsse (2.7.2). In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, darauf zu hören, wie Tanzende sich zur Bibel und zu hermeneutischen Fragen verhalten (2.7.3). 2.7.1 Tanz als Sprache Tanzwissenschaftlich besteht Einigkeit darüber, dass Tanz unter linguistischsemiotischem Aspekt betrachtet werden kann. So spricht man etwa vom Vokabular des Modern Dance oder von der Grammatik, die einer Tanzsprache zugrunde liegt. Auch die Tanzenden bringen häufig ähnliche Sichtweisen ein

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(vgl. Si14-15). Die Sprache des Tanzes beruht auf Körpersprache (K7-1-1), einer Sprache, die einigen mitunter mehr liegt als die verbalen Ausdrucksweisen (K7-1-2). Allerdings versteht es sich nicht von selbst, mit einer solchen Sprache umgehen zu können. Sie muss erlernt werden (K7-1-3). Soll sie ein sinnvolles Medium der Kommunikation sein, muss sie auch verständlich sein (K7-1-4). Tanz kann in besonderer Weise das aussprechen, was die Seele bewegt (K7-1-5). Daher kann im Tanz auch Gebet ausgedrückt werden (K7-1-6). Nicht alle Tanzenden sehen Tanz als ihre bevorzugte Gebetssprache an (K7-17). Tanz hat jedoch das Potenzial, Göttliches im weitesten Sinne mitzuteilen (K7-1-8). Der Körper kommuniziere durch eine eigene Sprache. Er könne durch seine Anwesenheit (Kopräsenz) mit anderen Körpern Beziehung aufnehmen (Fr27). Dadurch entstehe bereits eine Art Kommunikation (Fr32, Ha18). Man könne sich ausdrücken (Ir64). Es falle leichter, sich mit dem Körper auszudrücken (Gr4). Mit Worten könne man nicht sagen, was da ausgedrückt werden solle (Ta30). Ja, ich behaupte ja, dass ich eigentlich immer nur eins sagen will, immer das gleiche, jedes Stück ja, ich habe das Gefühl, ja. Aber ich kann es ja nicht in Worten sagen, sonst müsste ich ja vielleicht aufhören mit dem Stückemachen oder so, ich weiß. Aber ich kann… ich glaube, dass es letztlich immer die Kreisbewegung um das eine ist, was ich sagen will. Mir ist es bis jetzt noch nicht befriedigend gelungen, würde ich mal sagen. Deshalb mach’ ich vielleicht auch weiter [lacht] (Ta30).

Die Ausdrucksformen des Tanzes müssten erlernt werden, damit man etwas ausdrücken könne (Be30, Mr5). Dazu müssten regelrecht Vokabeln und Grammatik gelernt werden. Dann könne auch eine Botschaft mit dem Ziel der Verkündigung transportiert werden (Ko26, Ko28). Tanz- und Verbalsprache würden bei Choreographien zu Liedern kombiniert. Es komme darauf an, den Tanz als eigenständige Sprache zu entwickeln (Si15). […] es ist so, wie wenn Sie eine Fremdsprache lernen, müssen Sie Vokabeln lernen, und erst, wenn Sie ein gewisses Quantum an Vokabeln haben und an Grammatik haben, dann sind Sie in der Lage, in dieser Fremdsprache auch Sätze zu bilden. Und ähnlich ist es beim Tanzen. Erst, wenn ich ein bestimmtes Maß an Vokabular und an Grammatik habe, kann ich auch das tänzerisch umsetzen.“ (Ko26). […] versuchten wir dann zu entwickeln, dass es eine Tanzsprache wurde, also getanzt, die Lieder waren ja wie Gebete, ne also, oder Choräle. Wir haben dann also den Text genommen und haben versucht, etwas ganz Eigenes darauf zu bewegen, Gebärden, nicht nur Sprache, sondern halt etwas Eigenes zu überlegen dazu. Parallel habe ich einfach Bücher studiert, also Körpergesten (Si15).

Bei der Performance komme es darauf an, dass das Publikum die körperliche Sprache verstehe. Eine solche müsse die Tänzerin erst finden (Be30). Die nonverbale Sprache des Tanzes sei mit der Sprache der Musik vergleichbar; sie

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sei aussagekräftig und werde verstanden (Ha15). Der Körper könne durch die Bewegung im Raum Abstrakta wie Auferstehung ausdrücken (Et21-22). Alle Gefühle und Lebensäußerungen könnten im Tanz kommuniziert werden (Ko23). Dabei sei der ganze Körper beteiligt (Ko55). Bei Tanzfiguren zu Liedern bestehe nur eine sehr lose Verbindung zur Botschaft (U51-52). Die Auffassung von Martha Graham, Tanz sei die Sprache der Seele (vgl. A 4.2.2), findet sich wörtlich bei Ke wieder (Ke17). Tanzen lasse innere Seelenbilder entstehen (Ke17). Die Wirkung auf die Seele könne Tränen auslösen (Gi14). Körperausdruck könne das Innere mehr bewegen als Reden (Sb1). [Er sah,] „dass man über viele Dinge tausendmal reden kann und sie auch totreden und sich nichts bewegt und dass manchmal der Ausweg dann im Körper liegt (Sb1).

Tanz sei eine ursprüngliche Gebetssprache (GT27). Zum Gebet gehöre das Hören auf das, was mit einem spricht. Das könnten Bewegungsimpulse sein (E34). Tanzen und Beten gehörten zusammen (Sa26). Ich meine, Tanz war ja zu allen Zeiten Gebet. Es war ja die erste Sprache der Menschen, da war immer auch die Verbindung zum Allerhöchsten (GT27).

Ko, die sich als tanzende Glaubende versteht, aber sich nicht mit Anliegen des „Kirchentanzes“ identifiziert, meint, für das Gebet gebe es genügend Worte. Daher setze sie Tanz nicht zum Beten ein (Ko45-46). Man kann im Tanz Segen mitteilen, man kann Gott mitteilen. Das hat Kraft (Mn26). Es ist schön, Religion so auszudrücken (Gr5). Zur vertikalen Kommunikation mit Gott gehört auch die Horizontale untereinander (M12). Biblische Geschichten können transportiert werden (Sb35). Durch Tanz kann gepredigt werden, denn Tanz ist eine Sprache (Si14-15).

2.7.2 Wechselseitige Einflüsse von Tanz und Theologie Tanzende, die theologisch gebildet sind, erzählen häufig von ihrer Suche nach mehr Körperlichkeit und Lebendigkeit, denn „es muss noch was anderes geben“ (vgl. Ke). Die Aussagen stellen zunächst dar, wie Tanzende die wissenschaftliche Theologie sehen (2.7.2.1)87. Tanzende füllen Theologumena durch die Erfahrungen in der Bewegung (2.7.2.2)88. Ethische Fragen werden bearbeitet, wo Tanz und politische Theologie verbunden werden (2.7.2.3)89. Das Verständnis von Liturgie und Gottesdienst ist ein weiteres theologisches Thema, das von Tanzenden bedacht wird (2.7.2.4)90. Tanzende haben in der protestantischen Theologie eine Tendenz zur 87 88 89 90

Vgl. im Anhang die Kodes K7–2–1–1 bis K7–2–1–6. Vgl. im Anhang die Kodes K7–2–2–1 bis K7–2–2–8. Vgl. im Anhang die Kodes K7–2–3–1 bis K7–2–3–5. Vgl. im Anhang die Kodes K7–2–4–1 bis K7–2–4–4.

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Leibfeindlichkeit wahrgenommen, da im Studium eine leiblose Theologie vermittelt worden sei. Manchen Tanzenden gelang es, im Studium Tanz und Theologie miteinander zu kombinieren. Theologisches Arbeiten und Tanz können miteinander verbunden werden. Durch die Tanzpraxis verändert sich das theologische Denken. Die Tanzerfahrung wird auch theologisch reflektiert. Nicht nur explizit die theologische Wissenschaft, sondern der Protestantismus allgemein wird für vorwiegend leibfeindlich gehalten (Sb10). Im Theologiestudium sei der Intellekt einseitig betont worden und das Leibliche ausgeblendet (A1, Ke6). Durch die Äußerungen zieht sich die Motivation, nach dem Leiblichen und der Bewegungsdimension zu suchen. Bei Sb und St ist die Frustration über die wissenschaftliche Theologie weniger der Grund für die Suche als persönliche Beweggründe (Sb10) und ein Schlüsselerlebnis (St9). Die Beobachtung, dass Wissenschaft für Leiblichkeit oder Tanz nichts übrig habe, wiederholt sich jedoch auch hier (St10). […] es muss noch was anderes geben, um das Wort lebendig zu machen (A1).

Die Verbindung Tanz und Theologie als Studienfach ist so selten, dass nur einer der Befragten einschlägige Erfahrungen hat. Fr studierte in einem spezialisierten Studiengang in Berkeley, Kalifornien. Zwar war die Theologie seines Erachtens nicht ausgearbeitet genug, aber eigene Reflexionen, Gespräche mit Rivuzumwami sowie die Arbeiten von Adams und Schwebel hätten dabei geholfen, sich der Theorie zu nähern (Fr10-11). A habe angefangen, zum Thema Tanz und Kirche theologisch zu arbeiten, in dem Gefühl, Pionierarbeit zu leisten. Erst über die Sacred Dance Guild sei sie an entsprechende Literatur gekommen (A4-5). Fr habe begonnen, das Thema selbst in Veröffentlichungen zu bearbeiten (Fr11). Das Bedürfnis nach Körperlichkeit sei bei Sb am Anfang gestanden, bevor er die Verbindung zur Theologie gesucht habe (Sb10). Sein Königsweg sei inzwischen die kreative Bibelarbeit mit der Methodik der Laban’schen Bewegungsthemen (Sb11). Die Veränderung des eigenen theologischen Denkens sei so schwer greifbar, dass die Tanzenden nicht mit Gewissheit, sondern nur im Modus der Vermutung über solche Transformationen reden möchten. Erst im Reden darüber scheine sich für Jo ein Zusammenhang herzustellen zwischen seinem Bild eines Gottes, der Menschen bedingungslos akzeptiere, der diese ihre Erfahrungen machen lasse, der es schätze, wenn die Weisheit vor ihm tanze und der eine große Weite habe (Jo17-18). Im Tanzen suche Jo daher vor allem die Erfahrung der Weite. St meint, seine Theologie sei durch den Tanz ,geerdet‘ oder ,gekörpert‘ worden. Der Körper spiele in der Liturgie nun eine größere Rolle, die Bedeutung der Botschaft der Menschwerdung könne er spüren. Tanz und Schöpfungstheologie stünden in einem engen Zusammenhang. Sein Gottesbild sei beeinflusst worden (St34-35).

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[…] es ist dadurch insgesamt viel mehr geerdet und gekörpert (St34). Naja, geerdet sagt man doch, ich mein aber, natürlich, wenn der Körper Teil der Erde ist, ist es auch geerdet, gilt das Wort, aber gekörpert heißt für mich, also wie Verneigen, kriegt für mich ein ganz großes… oder Arme verkreuzen oder eigene Mitte spüren, so Körpermitte oder Arme ausbreiten. Da kriegt sowas Theologisches wie Lobpreis oder Sich-klein-Machen kriegt eine körperliche Dimension und dadurch … ich glaub, das hat mein ganzes Gottesbild auch irgendwie beeinflusst. Diese Zuwendung, also ich hab sehr starke, also wo mir das Herz aufgeht ist Menschwerdung zum Beispiel, also die Botschaft von Weihnachten. Das kann ich selber spüren, was das bedeuten könnte oder so eine Ahnung, was das heißt, weil ich selber auch Mensch bin, und im Körper kann ich das spüren, Mensch zu sein und diese Verbindung, diese theologische Aussage, Gottes Sohn wird Mensch, das kriegt durch den Tanz eine körperliche Dimension für mich, also das ist Schöpfungstheologie vielleicht jetzt auf Körper fokussiert (St35). […] weil dieser Gott jemand ist, der mich ausprobieren lässt und der mich auch Fehler machen lässt […] von daher passt dieses Bild von der Weisheit, die unbekümmert vor Gott tanzt, auch so zu meiner Theologie und zu meinem Gottesbild. Und zu dieser Weite, in der ich Gott mir vorstelle und auch erlebe und zu dem, was Jesus gelebt hat, in dem, wie er mit anderen umgegangen ist, also für mich ist da auch eine große Weite drin […]. (Jo17) Tanzen macht mich schon auch weit, und von daher passt das auch zu der Weite dessen, in der ich den christlichen Glauben versteh und versuch ihn zu leben und auch weiterzugeben (Jo18).

Während das Vorangehende die im Moment des Gesprächs angestoßenen Überlegungen wiedergibt, stellt dieser Kode einen Rückblick auf die theologische Reflexion der Tanzenden dar. Die Erfahrung als Tanzender werde theologisch durchdacht (Fr12-15). Die eigene Erfahrung werde durch Bibelstellen, die unvermutet begegnen, bestätigt (Si39-43). Dabei komme es zu einem Ineinander von Erleben und biblischer Vergewisserung. Nicht jedes beliebige Erleben lasse sich im Bibelwort verwurzeln (Si44). Ja, es ist eine Perspektive auf die Tanzerfahrung. Und wenn es Erfahrungen sind von In-Kontakt-Sein, von Wertschätzung des eigenen Körpers beim Mich-Bewegen, Verhältnis zum eigenen Körper zu kriegen, dann ist für mich das… dann sind das für mich grundlegende religiös, christlich-religiöse Kategorien auch. Oder In-Beziehung-Sein, Kontakt aufnehmen, so meine Kraft spüren dürfen, also diese ganze Bandbreite von Leben. Von zart und fest und bis … ja, so. Also so diese ganze Spannbreite von Leben, die sich in der Bewegung widerspiegelt, … die sind für mich theologisch, also sozusagen, ich kann damit Theologumena auf eine körperliche Ebene, auf einer körperlichen Ebene auch erfahrbar machen. [Das] ist vielleicht ein großer Anspruch, aber sozusagen, eine Erfahrung machen, die ich in Analogie setzen kann. Also, gerade so das Grundlegende, was weiß ich, wenn ich von der Rechtfertigung ausgehe, die Annahme, die grundlegende Annahme meines, von mir als Mensch mit all meinen Fehlern und meinen Unzulänglichkeiten und meiner Schuld.

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Und meiner Unzufriedenheit mit meinem Körper, meinem gebrechlichen Körper, wenn ich da in die Wahrnehmung gehe und diese Wahrnehmung verbinde mit der Einladung, das wahr sein zu lassen, so wie es eben ist. Und das im Körper spüren, mir das sagen lasse, dann denke ich, geht das, ist das eine Erfahrung, die ich analog setzen kann, zu dem, um was es in der Rechtfertigung geht (Fr14). Ja, und die Rückwirkung auf meinen Glauben, auf meine Spiritualität durch die körperlichen Erfahrungen. Dass ich dann vielleicht etwas damit anfangen kann, mit diesem großen theologischen Grund, theologischen Ansatz der Rechtfertigung, weil damit das GeschöpfSein, da kann ich dann, weil ich damit eine Erfahrung gemacht habe, eine körperliche Erfahrung von … kann ich dann vielleicht auch etwas theologisch damit anfangen (Fr15).

,Theologumena‘ sind abstrakte theologische Begriffe wie Gnade oder Rechtfertigung. In der körperlichen Erfahrung des Tanzes bekommen diese einen Erlebnischarakter. Um solche Zugänge zu finden sind sekundär hinzugefügte Deutungen nicht wesentlich, sondern die unverfügbar sich ereignende individuelle Entdeckung. Die Erfahrung, das Dasein zu feiern wird als theologische Erschließungserfahrung plausibel. Durch die Querverbindung zwischen Grazie und Gnade erschließt sich ein bedeutender theologischer Begriff. Gottes Geistwirken wird in eine Beziehung zum Tanz gesetzt. In Tanzszenen wird man auch mit außerchristlichen religiösen Gedanken konfrontiert. Da Tanzen etwas Religiöses ist, verweist es auf den Bereich der spirituellen Praxis. Im Tanzen ereignet sich eine Hinwendung zu Gott. Die körperliche Erfahrung gebe Zugang zum Begriff Rechtfertigung, da man dazu geführt werde, in der Wahrnehmung das, was ist, wahr sein zu lassen und es anzunehmen, wie es ist (Fr14). In dem spielerischen zweckfreien Bewegen spürt er ein Da-sein-Dürfen. Darin sei ein schöpfungstheologischer Zuspruch enthalten (Fr23). Die Verbindung von Theologie und Tanz kommt nicht zwingend dadurch zustande, dass den Tänzen sekundär christliche Deutungen hinzugefügt werden. Es liegt ein Vorteil darin, dies nicht zu tun. Aus der Erfahrung heraus kommt es zu unerwarteten individuellen Entdeckungen, was der Tanz mit dem christlichen Glauben zu tun hat (C78). Muss ich das füllen für das Christliche, oder kann ich solange hinschauen, bis ich entdecke: Das ist das, wovon Jesus Christus, seine Geschichten erzählen? (C78)

In der Aussage von Fr wird das Dasein-Dürfen als grundlegende theologische Annahme durch den Verweis auf das Erleben plausibilisiert. Ein theologischer ,Anspruch‘ oder ,Tiefsinn‘ würde jedoch das elementare Erleben ,überlagern‘ und werde daher nicht angestrebt (Fr23). Es ist, was es ist (Fr23).

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Ohne dass der buddhistisch orientierte Tanzlehrer es intendiert haben kann, veranlasst die Verbindung zwischen Grazie und Gnade R, die Verbindung von Tanz und Theologie für sich weiter auszubauen (R6). Der Geist ist die trinitarische Person, die durch die Verwandtschaft mit dem Atem, Hauch (Fr24), Wind (Si35), dem Feuer (Si36) und der Beweglichkeit ohne Schwierigkeit in Beziehung gesetzt wird zum Tanzen. Der Begriff Energie könne nicht unbedingt für pneumatologische Deutungen vereinnahmt werden (Fr24). Ob dies an dem inflationären Gebrauch in esoterischer Literatur liegt, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Nichtchristliche Gedanken werden angetroffen in Gestalt der esoterischen Ideen bei Bernhard Wosien. Solange die Erdhaftung nicht verloren geht und es vorwiegend um Tanzvermittlung und nicht um das Transportieren einer Weltsicht geht, komme C gut damit zurecht (C77). R begegnet in der Tanzausbildung buddhistischem Gedankengut (R6). Die Verbindung von Tanz und Religion wird in individueller Weise gefüllt. R arbeitet sie als evangelische Theologin bewusst heraus (R8). S entdeckt das Religiöse in der Erfahrung, beim Tanzen ihre liebevolle Seite ausleben zu können (S56). Im Tanzen selbst ist die Hinwendung zu Gott enthalten (C12-15). Es handelt sich um eine Ausrichtung, die nicht verbal eingebracht werden muss, sondern in der Praxis liegt. Im Tanzen kann die Vorstellung, mit Gott zu tanzen, dominieren, oder die Vorstellung vor Gott zu tanzen. Nachfolgendes Zitat verbalisiert das komplexe Empfinden, Gott sei präsent und könne inwendig in der Person ,tanzen‘ (Si34-35). […] für mich ist da Jesus in mir und ich in Jesus und wenn ich tanze, tanzt er in mir und ich in ihm – und Gott ist da irgendwie drumrum, weiß ich jetzt nicht, den stelle ich mir jetzt nicht als bärtigen Mann auf einem Stuhl vor oder so, sondern er ist da (Si34).

Einige Äußerungen zeigen einen Zusammenhang auf zwischen den Werten der Tanzenden, das heißt ihrer impliziten Ethik, und ihrer spirituellen Tanzpraxis. Das Tanzen öffnet die Person für das Leid anderer. Ein bescheidener Lebensstil wird als stimmig mit der Tanzpraxis gesehen. Die Kritik am Tanz besteht darin, dass er zu unpolitisch sei. Das Thema Gerechtigkeit hat zu Tanz und Glauben keine direkte Verbindung. Eine politisch-theologische Dimension kann dem Tanzen dennoch zugestanden werden. Die Öffnung geschieht durch die spezifische innere Haltung der Offenheit beim Tanzen, die auch für Nöte anderer sensibilisiert (A33).

Die spirituelle Tanzpraxis wirkt sich bei S in der Form aus, dass materielle Bedürfnisse keinen hohen Stellenwert besitzen (S74). […] natürlich nehme ich auch Geld für meine Seminare, ich lebe ja auch davon, aber dass dieses Geld das mit so einer Art von Arbeit verdient ist, kann für mein Emp-

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finden jetzt nicht in grob materielle Dinge hineinfließen, also Bescheidenheit im Lebensstil und die Hütte hier, die ich habe, oder wie ich mein Leben lebe, […] hängt ganz eng damit zusammen (S74).

Die Aussagen von A und Ha kritisieren Tanz in den kirchlichen Tanszenen als zu unpolitisch und fordern implizit, dass das Politische eine größere Rolle spielt. Unter ,politisch‘ wird gesellschaftspolitisches Engagement verstanden, das auch globale Fragen im Blick hat (A32-33, Ha19). Das Politische kann durch den Tanzanlass hereingenommen werden, durch die Themen und Musiken. Die Wut über Ungerechtigkeit in der Welt zu tanzen, könne den ersten Schritt zu einem realen Engagement darstellen (A34, A17). Das Statement von A sieht die Verwirklichung von Gerechtigkeit als Ausübung von Glauben an. Glauben erfährt sie im Tanzen, die Ausübung, mit allen Konsequenzen für die Ethik, sei mehr als Tanzen (A35-38). […] da hab ich so eine kleine Performance gemacht auch mit anderen zusammen, da ging es auch um Wut über Ungerechtigkeit, aber die Wut ist auch wieder etwas Persönliches und nicht was Politisches. Aber als Voraussetzung, um politisch zu werden, ist Wut dann wieder wichtig. Mir war es immer wichtig, das zu nehmen, um Voraussetzungen zu schaffen, um dann auch sensibel und aktiv politisch zu sein (A34). […] Gerechtigkeit ist noch mehr als was körperlich ist. Also ich kann Hunger oder so kann ich mal versuchen nachzuspüren (A35). Ja, da wär für mich Gerechtigkeit und Politik ist Ausübung von Glaube und ist nicht Glaube. Und so ist auch also Tanzen ist Glaube für mich, möglich, den Glauben zu stärken, aber die Ausübung dieses Glaubens, das ist mehr als Tanzen. Also mit nur Tanzen so. Aber dieser Bezug zu der Gerechtigkeit ist mir da ganz wichtig. Aber ja, da hast du mir gerade geholfen, das so zu sagen. Also Glauben und Gerechtigkeit ist die Ausübung von Glauben (A36).

Die theologischen Präferenzen wie etwa die Befreiungstheologie schlagen sich in dem nieder, was im Tanzen gesucht wird: das befreiende Element (Sb27). Auch Tanzarbeit kann letztlich eine politische Dimension enthalten (Hs!). Ha macht dies an zahlreichen Details fest: die bereichernde Begegnung der Kulturen überzeugend zu tanzen, den Tanz mit einem profilierten Wortbeitrag zu kombinieren, die Arbeit mit einem starken Symbol – dem abgesägten Kreuz (auch wenn es sich zufällig ergeben hat) (Ha19, Ha21, Ha55-58). […] dann wurde vor den Augen der Leute das Kreuz abgesägt ssst, Boden gleich. Und das haben aber alle als Intro verstanden vom Bonhoeffer-Requiem. (Ha56). Das war dann im Prinzip, Boah, jetzt sägen sie erstmal die Kirche ab. (Ha57). Im Nachhinein habe ich mir gesagt, die Idee hätte ich eigentlich auch haben können, ne? Das war ein tolles Intro. (Ha58).

Die folgenden Äußerungen sind unter der Perspektive gesammelt, dass es in ihnen um Liturgie und Gottesdienst als theologisches Thema geht. Die Aussage, der Gottesdienst sei zentral, ist theologisch zu verstehen. In der Fest-

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stellung, die Liturgie habe in der Gestalt der Liturgen einen körperlichen Aspekt, verweist auf praktisch-theologische Fragestellungen. Tanz und Theologie werden im Gottesdienst verbunden durch die Aufnahme von Themen aus den Psalmen. Im Gottesdienst werden biblische Erzählungen durch Tanz lebendig. Im Gottesdienst, der Zentrum des Gemeindelebens ist, konkretisiert sich die umfassende Zusage des Evangeliums. Der Tanz verbinde sich damit (Hs2) Der Tango im Gottesdienst habe implizit eine religiös relevante Aussage (Hs13). Du kannst leben, du hast nicht nur ein Recht darauf, sondern du kannst das. Du bist schön, du hast Energie, du bist nicht allein. Du bist, ich sage immer connected, du lebst in Beziehung, anders geht es gar nicht. Das kannst du spüren (Hs13).

Liturgen wirken in Gottesdiensten und Kasualien durch ihre Körperlichkeit. Berührung spielt eine Rolle bei Taufe und Segnung (Ha26-27). Ein Pfarrer könne als Medium [des Segens] angesehen werden (Ha28). Theologische Themen aus den Psalmen sind etwa der Einzug Gottes unter die Gläubigen (Sa31) oder auch menschliche Krisensituationen (R21). Diese beiden Beispiele vertreten eine Fülle anderer Ideen, die in den Gesprächen verstreut immer wieder auftauchen. Tanzende arbeiteten theologisch, um ihre Performance zu entwerfen und die dargestellte biblische Situation gut zu erfassen (Be32-33).

2.7.3 Bibel und Text-Hermeneutik Dieser Abschnitt geht zunächst auf die Bedeutung der Bibel für die Praxis der Tanzenden ein (2.7.3.1)91. Anschließend kommt der hermeneutische Umgang der Tanzenden mit der Bibel in den Fokus (2.7.3.2)92. Die Bibel hat persönliche Bedeutung für die Tanzenden. Dem Tanz als Medium für die Erschließung von Bibeltexten werden in der Praxis von Theologen Vorbehalte entgegengebracht. Tanzende verfolgen das Anliegen, Bibeltexte und Tanz in Beziehung zu setzen. Besondere Vorteile von Tanz gegenüber verbaler Auslegung werden benannt. Die körperliche Auseinandersetzung mit dem Bibelwort ist intensiv. Diese Intensität ist selbstbestimmt durch die Tanzenden. Nicht jedes Wort kann gleich stark ansprechen. Der Tanz vertieft die persönliche Beziehung zu bestimmten Textstellen. Tanz kann neue Sichtweisen auf die Texte eröffnen. Die Bibel ist ein besonderes Buch und handelt von Themen, die für das Leben relevant sind (Mr4, Gr18). Ma, ein theologisch gebildeter Tänzer, kenne Ängste und Widerstände 91 Vgl. im Anhang die Kodes K7–3–1–1 bis K7–3–1–9. 92 Vgl. im Anhang die Kodes K7–3–2–1 bis K7–3–2–8.

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Tanzenden das Wort geben

gegen die Verbindung von Tanz und Bibelauslegung aus eigener Erfahrung (Ma4). G spricht von den Widerständen von Theologen in seinem Umfeld, auch bei den Jüngeren (G15-16). G zeigt Verständnis dafür, da ein gewisser Anspruch an den Tanz im Gottesdienst gestellt werden müsse (G28-29). Gleichzeitig klingt auch die Erwartung an die Theolog_innen durch, ihre Scheu vor der Bewegung zu überwinden (G33). Si will mit dem Verweis auf das Negativ-Beispiel der Herodias die theologische Legitimität ihres Tanzes mit seiner positiven Wirkung begründen (Si59). Das Anliegen, die Bibel anders, lebendiger auszulegen, stand am Anfang von As Geschichte mit dem Kirchentanz (A1). Begleitet von einer professionellen Tänzerin tanzten sie in einer Kleingruppe regelmäßig die Losungen (A2-4). In einer Tanztheatergruppe lassen sich Bibelarbeit und Tanz miteinander verbinden (Gr6.1). Die Bibeltexte mit einem Tanzstil aus einer fremden Kultur auszudrücken und dabei Bibel intensiver zu erleben, reize sie (Me20). Das Tanzen von Bibeltexten sei eine Idee, die sie in die Gemeinden trage (Ke21). Da das Wort Bewegung sei, dürfe das Wort nicht fleischlos bleiben (Ha69). Im bibliodans werde mit Bibeltexten gearbeitet (R2-3). Nicht alle Befragten haben so etwas schon kennengelernt, bekunden jedoch Interesse (Re36). Wort ist Bewegung. Und das hat keiner wie Joachim Ernst Berendt bewiesen, sogar in der Herkunft des Wortes. Wie das Wort selbst, er verbindet nachher das Om mit Wort, wie die ganze Schöpfung aus dem Griechischen, Lateinischen zusammenkommt. Wir haben halt immer aus dem Wort ein fleischloses Wort gemacht. Das wäre fast eine theologische Aussage [lacht] (Ha69).

G werde von der Wortverkündigung allein nicht mehr erreicht (G2-3). Er bevorzuge Tanz, weil die Bewegung das Wort in einer vertiefenden Weise erschließe (G23). Wenn man so lang Kirchenmusiker ist wie ich, dann ist einem manchmal die Wortverkündigung, ja, wie soll ich sagen, vielleicht zu einseitig (G2).

Die Körpererfahrung ist die intensivste Art und Weise, sich mit dem Bibelwort auseinanderzusetzen (A17). As Textauswahl sei nicht selektiv gewesen, sondern sei dem Perikopenplan der Evangelischen Kirche gefolgt (A17). Inzwischen seien ihr viele Bibelstellen ,unter die Haut‘ gegangen (A20). Tanz und Bewegung seien eine „gute Möglichkeit“ im Umgang mit der Bibel (Ma7). Durch die sinnliche Wahrnehmung empfinde sie dies als tiefgehende Hinführung zum Wort (Mr16). A betont den hohen Grad an Selbstbestimmung, der die Bibelarbeit mit Tanz von anderen Formen unterscheide: Butoh sei ein „selbstgemachter“ Raum, in dem man selbst bestimmen könne, wie intensiv etwas werde. Auch eine Kleinigkeit könne Bedeutung bekommen (A25). Letztlich nehme sie sich inzwischen sogar die Freiheit, nicht jedesmal auf der Grundlage eines Bibel-

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textes zu tanzen, sondern die Wohltat eines Tanzes ohne ,rechtfertigenden‘ Bibelbezug zu genießen (A25). Bestimmte Bibelstellen rückten in den Fokus der Aufmerksamkeit, weil sie impliziten Körperbezug hätten (E39-40). Et suche für die Gruppenarbeit mit Tanz und Text selbst Bibelstellen aus. Dieser biblische Rückbezug mache ihr Tanzen auch zu einer spirituellen Praxis (Et37). Jo spreche die Stelle mit der tanzenden Weisheit [vgl. Spr 8,30] besonders an (Jo16). Ke komme im Tanz wieder auf die Bibelstellen zurück, die ihr im Studium wichtig gewesen seien (Ke17). Gott wohnt nicht in Tempeln, die von Menschenhand gebaut sind, sondern wohnt in dir, und du bist der Tempel. [Da denkt er sich dann], holla, da stehen ja Sachen in der Bibel, mit denen kann ich ja wirklich was anfangen (E39). […] also mir gefällt das wirklich so, dass beschrieben wird, die Weisheit verhält sich wie ein Kind, so unbekümmert, und schaut eben auch nicht groß darauf, ob jetzt andere auf sie schauen, sondern sie ist inspiriert jetzt, oder sie freut sich, in der Nähe Gottes zu sein, und drückt das aus in ihrem unbekümmerten Tanz. Ich finde, das trifft das so mein Gefühl, beides zu sein im Tanzen irgendwie. Also auch das Unbekümmerte und eben Nicht-Fragen, was denken denn die anderen von mir, halten die mich für verrückt, sondern ich kann dann einfach jetzt sein, wie ich bin, und wie ich mich gerade fühle, und das halt in dieser Bewegung des Tanzes ausdrücken (Jo16).

Die Tanzenden kennen unterschiedliche Wege, die Beziehung zum Text herzustellen. B tanze zu Bibeltexten als persönliche Meditation. Der Text erlange Relevanz für Lebensfragen (B16, B18). Bibeltexte kämen über das Körperliche des Tanzes bei ihr an, das sei ählich wie im Judentum, bei dem das Wort auch im Herzen ankommen müsse (B16). In der Gruppe und in Partnerarbeit würden Verse aus Psalmen durch Tanz erschlossen (Sa27, Sa32). [Es] hat schon so richtig gekribbelt in mir, dass ich gemerkt hab, ja, wenn ich diesen Vers gehe, also wenn ich das Wort gehe, kommt plötzlich das zurück. […] ich muss mich dem entgegenstrecken, also da spür ich, dass das körperlich mehr dann im Herz ankommt, als wenn es nur im Kopf bleibt (B16). [In der dramatischen Bibelarbeit mit Tanz,] da bin ich durch die Tür gegangen, ja vielleicht muss ich das privat dann auch mal machen, dass ich mal aufsteh’ und nicht immer nur rumjammer’ oder trauer’, sondern ich steh’ jetzt mal auf und geh’ durch die Tür. Wie ist denn das Gefühl, wenn ich durch die Tür gehe? Schaffe ich es denn, und was löst es bei mir aus, wenn da so eine imaginäre Tür vor mir auftaucht? Das hat aber sehr viel bewirkt, dass man innerlich auch gedacht hat, ja das schaff’ ich. Ich kann ja aufstehen, ich kann ja durch die Tür gehen. Warum denke ich immer, ich bin irgendwie zu schwach, irgendwas zu bewegen? (B18).

R nimmt bei Teilnehmerinnen eines Seminars nach dem Tanz zu einem Paulustext eine offenere Haltung wahr, nachdem sich zunächst Ablehnung dem Text gegenüber gezeigt hatte (R19-20). Auch A kennt Widerstände ge-

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Tanzenden das Wort geben

genüber Texten (A20). Generell gelingt es, diese im Seminar zu überwinden (A22). Menschen verstehen eine Bibelstelle neu (Mn33-34). In den Seminaren von Ke suchen Teilnehmende explizit die Auseinandersetzung mit Bibeltexten im Tanz (Ke31). „Oh, so habe ich das noch gar nicht gesehen. Plötzlich habe ich das und das noch gesehen.“ Sie sehen eine Bibelstelle anders (Mn33-34).

Tanz ermöglicht Laien einen Zugang zu Bibeltexten. Erkenntnisse aus der Bibelauslegung fließen in Choreographien ein. Aus Sicht eines Seminarteilnehmers kann festgestellt werden, dass die Tanzpädagogin im Unterricht implizit ihr theologisches Denken transportiert. Tanzleiterinnen selbst verweisen darauf, dass ihr theologisches Denken, das sie im Studium erworben haben, Einfluss auf ihren Unterrichtsstil habe. Tanzende sind sich der Mehrdimensionalität von Bibeltexten bewusst und gehen mit dem Text auf unterschiedliche Weise in Resonanz. Tanzende werden in der Bibelarbeit auch mit eigenen Widerständen gegenüber manchen Texten konfrontiert. Im Tanz können Begriffe und Texte der Bibel erschlossen werden. Das Tanzverständnis erfährt durch die Bibelarbeit eine Ausweitung. In der Tanztheatergruppe lesen sie gründlich den Bibeltext und sprechen darüber (Mr12). Der Kirchenmusiker G ist sich seines eigenen Zugangs zur Bibel bewusst, der von einer großen Weite geprägt sei (G33). Der Musiker und Tänzer Ha schildert, wie er sich mit dem Buch der Offenbarung beschäftigt habe. Die Erzählung bezeugt den Prozess von der Bibelauslegung eines theologischen Laien bis hin zum Entwurf eines Tanztheaterstücks (Ha30-36). Eine Art persönliche Textmeditation liegt der Hermeneutik der Tänzer_innen zugrunde. A lässt das, was sie durch Bibellektüre vom ,Evangelium‘ verstanden hat, in Choreographien einfließen (A26). Ba arbeitet das, was sie in einem Psalm anspricht, durch Ausdruckstanz für ein Publikum heraus (Ba23). Be ringt damit, die Entdeckungen, die sie am Text gemacht hat, künstlerisch so umzusetzen, dass dem Publikum Verstehenshilfen gegeben werden. Nicht immer kann sie sich den Text, zu dem sie tanzt, aussuchen (Be31, Be38-39). Bei Ea liegt eine intuitive Vorgehensweise vor, weniger eine intensive Textlektüre (Ea38). F hat Motive des Textes aus Ezechiel in getanzte Bilder transformiert (F23). Im Pfingstgottesdienst schafft er inszenatorisch bewusst eine Brücke zwischen Ostern und Pfingsten. Über die Texthermeneutik der Ballettszenen zu Jesaja 55 können keine näheren Angaben gemacht werden. Interessant ist im Beispiel von Me, dass versucht wurde, einen nicht-narrativen Text tänzerisch zu gestalten (Me6-8). Wie kann das sein, mit welcher energetischen Präsenz schaffe ich das, das darzustellen, dass das Wasser vor den Menschen zurückweicht? Das sind ja ganz neue Erfahrungen, die jetzt nicht in dem Sinne real sind, aber ich muss sie mir so real vorstellen, um sie darstellen zu können (Be31).

Aussagen der Befragten in kirchlichen Tanzszenen

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[…] und wir haben überhaupt nicht gewusst, wir haben uns kurz diese Bibelstelle [die Frau am Jakobsbrunnen] durchgelesen, gesagt, o.k. wir wissen jetzt, um was es geht, und dann haben wir da so reingespürt. Wie machen wir das jetzt? Also ich bin jetzt die Frau, das ist der Brunnen – das haben wir uns alles mehr so symbolisch vorgestellt (Ea38).

Im Beispiel von G transportiert die Tänzerin Wilma Vesseur93 ihr theologisches Denken indirekt (G32-33). Sie hat auch Theologie studiert und einen offenen Ansatz entwickelt. Die im Theologiestudium erworbene texthermeneutische Kompetenz fließt in die Art des Unterrichtens von Et und R ein. Das bedeutet, dass nicht engführend die Textinterpretation von der Leiterin festgelegt wird, sondern die Teilnehmenden Raum erhalten zur eigenen Auseinandersetzung (Et25). Diese Rolle bezeichnet Et als ,Wegbereiterin‘ (Et28). Ähnlich sieht sich R, wenn sie von sich sagt, dass sie Mediatorin zwischen Text und Tanzenden ist (R28). Also eher so, dass ich da Wegbereiterin bin. Ich bring zum Beispiel… also ich hab so zu der Stelle Maria Magdalena am Grab habe ich einen Tanz entworfen, den ich immer wieder verändern kann, je nach Gruppe, mit der ich das zum Beispiel mache. Dass ich eher so Wegbereiterin bin, dass ich so erschließe, das und jenes steckt so in dem Text drin, das kommt uns entgegen, so aus dem, was an Worten drinsteckt, aber was damit transportiert wird und was das bei jedem selber jetzt auslöst und bewirkt, dafür bin ich eigentlich Wegbereiterin (Et64).

In den folgenden Voten äußern sich Tänzer, die ein Theologiestudium absolviert haben. Ihnen ist generell wichtig, mit der Mehrdimensionalität der Texte produktiv umzugehen, das heißt, damit in Resonanz zu gehen. Ke lasse sich zu inneren Bildern inspirieren (Ke32). Ma gehe mit dem Wort in Kontakt wie mit einer Tanzpartnerin (Ma4-6). Sb ist ein spielerischer Umgang mit dem Text wichtig, man könne unterschiedliche Rollen erproben (Sb16). R ermöglicht den Teilnehmenden ihrer Seminare, durch die Vielfalt der Methoden in Kontakt mit dem Text zu kommen (R21). Ich glaube, das ist immer eine ganz wichtige Erfahrung, dass man eben nicht auf einen Zustand oder ein Erleben festgenagelt ist, und das ist sozusagen für das persönliche Leben wichtig, aber das ist glaub’ ich auch spannend eben einfach für die biblischen Geschichten, weil [ich] da ihre Dimensionen und ihre Möglichkeiten, Interpretationsmöglichkeiten und Deutemöglichkeiten für das Eigene viel besser ausloten kann. Und ein bisschen spielen kann mit den Rollen, kann, oder Personen oder Situationen, die da eben geschildert werden. Ne, also man kann da so einen Rollenwechsel mal vollziehen und ist halt dann mal mehr in der Position Jesu oder ist in der Position der Pharisäer oder ist in der Position eines Menschen, der von Jesus gerade geheilt wird oder wie auch immer. Also man kann da so ein bisschen auch hin 93 Vgl. http://www.substanz.ch/ (2016/08/16).

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Tanzenden das Wort geben

und her springen und eben vielfältige Entdeckungen und Erfahrungen dabei machen (Sb16).

A nimmt die Widerstände von Tanzenden wahr und deutet diese als Widerstände gegen den Text (A20). Begriffe aus dem kirchlichen Kontext erhalten wieder Leben und können verstanden werden. Ma erläutert dies an einer Fülle von Begriffen wie z. B. Nachfolge, Geführtwerden (Ma12). Mn lässt die Mitglieder ihrer Tanzgruppe in einer Übung das Geführtwerden erleben (Mn29). Mr erhält auf die Tanztheaterstücke die Rückmeldung, dass sie helfen, die Lesung verständlich zu machen (Mr16). Weltliche Körperübungen verbinden sich mit Bibeltexten, etwa das Bild vom Leib aus der Tanztherapieausbildung mit dem paulinischen Bild aus 1Kor 12 (Si28). Si geht es darum, dass sie aus der Bibellektüre heraus ein Verständnis für Körperlichkeit, für Körpersymbolik und Körperausdruck entwickelt habe, das ihren Zugang zu Tanz erweitert habe (Si28). […] ich hab versucht, alle Körperteile zu studieren, die irgendwie in der Bibel vorkommen, und habe versucht, zu sehen, in der Bibel, wofür stehen diese Körperteile, und das bin ich mit meinen Teams durchgegangen, und wir haben damit dann versucht, wo denn Gleichnisse oder Psalmen waren, wo man das sehr gut ausdrücken konnte, zum Beispiel haben wir Psalm 1 oder Psalm 18, wunderbar, das ist glaub ich, wo der David in den Tiefen, und die Tiefen verschlangen mich, und der Herr holte mich heraus, und dann rannte er dem Feind hinterher, und das kann man wunderbar körperlich ausdrücken (Si28).

2.8 „Eine Kunstform für sich“ – Tanz als Kunst im Kirchenraum Die Voraussetzung dafür, mit Kunst-Tanz in der Kirche zu arbeiten, ist, Tanz als künstlerische Sprache zu verstehen (2.8.1). Die Darstellung trennt aus systematischen Gründen zwischen Kunsttanz außerhalb (2.8.2) und innerhalb des Gottesdienstes (2.8.3). Äußerungen zum Verhältnis zwischen Musik und Tanz erhellen das Verständnis von Tanz als autonome Kunstform (2.8.4). Zum Verhältnis des Tanzes im Kirchenraum tragen Aussagen bei, die unter dem Stichwort Tanz als site-specific art vorgestellt werden (2.8.5). Die Perspektive der Zuschauer einer Performance kommt unter 2.8.6 zum Ausdruck. Schließlich verweist ein Beispiel auf die Möglichkeiten, durch Kunst kirchliches Leben zu gestalten (2.8.7). 2.8.1 Tanz als künstlerische Sprache Im ersten Kode geht es um die kommunikativen Möglichkeiten von Tanz und Bewegung (K8-1-1). Die nonverbale Sprache des Tanzes entkräftet die Do-

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minanz der Worte in der Kirche (K8-1-2). Dies ist möglich, weil Tanz sich auf andere Weise ausdrücken kann und daher anderes leistet (K8-1-3). Tanz ist in der Lage, etwas zu erzählen und zu verkündigen (K8-1-4). Da die Sprache des Tanzes auch Grenzen hat, passt sie im Gottesdienst nicht immer (K8-1-5). Tanz birgt das Risiko nicht gelingender Kommunikation (K8-1-6). Die Nichteindeutigkeit des Tanzes sei seine besondere Chance und sollte daher Deutungen bewusst offen lassen (K8-1-7). Vielfach wiederholt sich diese Einschätzung: Tanz und Bewegung seien eine Art Sprache (vgl. B 2.1.1. und B 2.7.1). Tanz und Bewegung könnten kommunizieren (Mn27-28). Die Einsicht, dass Tanz eine Sprache darstelle, sei geradezu eine Voraussetzung dessen, sich durch Tanz auszudrücken (Sb35). Typisch für viele Tanzende ist, dass sie die Fülle der Worte in der Kirche manchmal als Last empfänden und daher das Schweigen und Tanzen bevorzugten (Kl4-5, Ku12, Gi14). Worte könnten etwas verschleiern, der Körper sei ehrlicher, und sein Ausdruck werde über Kultur und Altersgrenzen hinweg verstanden (Gr10, Ko25, Ea46). Mit Worten kann man mehr verschleiern als mit dem Körper. Ist auch manchmal peinlich, also manchmal hat man ja so, weiß man selber, wie sieht das aus, wie fühlt man sich? (Gr10).

Wer tanze, höre nicht nur, sondern arbeite mit dem ganzen Menschen, wobei die kognitive Dimension überstiegen werde (Ha26, Ha9, E34). Dies führe eher zu Glück und Erfüllung (E34). Abstraktes werde auf körperliche Weise übersetzt und dadurch ganzheitlich nahegebracht (Et20, Et23). Körperausdruck könne sichtbar machen, was zwischen den Zeilen stehe (Ha10)94. Die Sinne würden einbezogen (Ha11). Wenn ich tanze, arbeite ich mit meinem Körper, nicht mit meinem Verstand alleine. Und der Körper kann mehr ausdrücken als im Augenblick das gesprochene Wort (Ha9). Dinge, die sonst abstrakt sind, die ich groß erklären müsste, kann ich mit dem Körper durch Bewegungen anders zum Ausdruck bringen (Et20).

Im Tanztheater können Gleichnisse erzählt werden oder die Passionsgeschichte (Si16). Der indische Kathak könne zur Darstellung von Narrationen verwendet werden (Be19). Über die Erfahrung der erzählenden Kraft von Musik begreift Ha, welches Potenzial diesbezüglich auch im Tanz liegt (Ha15). Es war ja damals sehr modern im Ganzen, was kreativ war, dass man auf die Straße geht, und jetzt diese Szene, Jesus stirbt am Kreuz und die Auferstehung, diese Sache war ganz modern (Si16). 94 Ähnlich formuliert es Hugo Kükelhaus: „Das, worauf es ankommt, steht zwischen den Zeilen. Das, worauf es ankommt, ist ein ,Dazwischen‘“. Kükelhaus 1975, 140.

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Tanzenden das Wort geben

Da die Sprache des Tanzes wie jede Sprache ambivalent sei, denn sie könne Positives wie Negatives ausdrücken, passe sie im Gottesdienst nicht immer. Mit diesem Argument begründet sie, dass nicht alle Stilarten im Gottesdienst angemessen seien (Si57). Tanzsprache kann auch mißlingen. Unter einer misslungenen tänzerischen Äußerung wird von Ke ein nicht aussagekräftiger ,geschwätziger‘ Tanz verstanden (Ke15), von Ta eine Tanzperformance, die vom Publikum nicht verstanden werden kann (Ta27). Ich hab mich auch vollgelabert gefühlt auf der Bühne, auf der Körperebene sozusagen (Ke15).

Die Tanzsprache sollte als deutungsoffene Sprache verwendet werden (Be3637). Das Offene dieser Sprache führt aber auch dazu, dass Teilnehmende an Tänzen gegensätzliche Erfahrungen mit bestimmten Formen machen können (C25-27). Symbolische Formen seien dann bedeutungsreich, wenn auch eine dunkle Seite darin sei (C25-27). Im religiösen Bereich will E keine Deutungen vorgeben (E33). Menschen verstünden etwas in den Bildern, die der Tanz biete, ohne dass dies exakt festgelegt sei (Ha24).

2.8.2 Künstlerischer Tanz in der Kirche außerhalb des Gottesdienstes Die folgenden Kodes stellen Erfahrungen mit Kunsttanz im Kirchenraum dar, ohne dass diese in einen Gottesdienst eingebunden sind (K8-2-1). Es handelt sich um professionell inszenierte Darbietungen (K8-2-2). Bei Kirchentanz in der Bedeutung als Tanz im Kirchenraum geht es um die Kirche bzw. den Gebetsraum (auch Synagoge, vgl. B) als Ort, an dem getanzt wird. Wenige Äußerungen beziehen sich auf tanzkünstlerische Projekte außerhalb eines Gottesdienstes. T sowie Va und Mu erwähnen ein anspruchsvolles, nicht unumstrittenes Kunstprojekt mit Blinden.95 Anschließend erzählt sie von einer eindeutig positiven Erfahrung (T30). Bei den Gesprächspartnerinnen handelt es sich ausnahmslos um Tänzerinnen mit einem persönlichen Bezug zu Glaube und Kirche. Durchgängig wahrnehmbar ist die Intention, Kunst in der Kirche im Dialog zu Glaubensthemen und zu dem spezifischen religiös konnotierten Raum zu betreiben. B verweist auf eine Aufführung eines Stückes, das von einer Szene im Garten Eden ausgeht. Der Aufführungsort war eine Synagoge. Sie konnte besonders die positive Resonanz genießen (B31). […] schon richtig ein Erlebnis, dann noch der Tanz dazwischen, und jemand hat gesungen, das fand sie schon Wahnsinn und ganz toll (T30). 95 Vgl. T7, T14, T23, V16–17, Mu55–56.

Aussagen der Befragten in kirchlichen Tanzszenen

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Professionelle geistliche Tanzprojekte sind eine Seltenheit. Ha verweist auf vielbeachtete Aufführungen. Dabei werden auch Schwierigkeiten nicht verschwiegen (Ha5, Ha55).

2.8.3 Künstlerischer Tanz im Gottesdienst Wenn künstlerischer Tanz in den Gottesdienst eingebracht wird, treten Tänzer_innen auf, die in bestimmten Tanzstilen geschult sind (K8-3-1). Recht selten sind die Beispiele, in denen Tanz ein politisches Thema im Gottesdienst kommentiert (K8-3-2). Für das Gelingen eines künstlerischen Tanzbeitrages werden bestimmte Voraussetzungen benannt (K8-3-3). Tänzer_innen erarbeiten Gottesdienstbeiträge mit den Mitteln von Ausdruckstanz (Ba23), zeitgenössischem Tanz und Performancekunst (T16, T33) oder einem eigens entwickelten gestischen Stil, der von einem im Ballett geschulten Tänzer umgesetzt wird (F10). Der Ausdruck der Tanzenden ruft, wenn es gelingt, bei den Zuschauern Resonanz hervor. In der Regel konfigurieren sich dabei nicht unbedingt verbale Aussagen, sondern Reaktionen auf der Gefühlsebene und in der Welt der bildlichen Vorstellungen. Dieser tänzerische Ausdruck, den ich da jetzt gefunden hab, der hat an vielen Stellen Gestisches (F10).

Be’s Tanz kommentiert die Flüchtlingspolitik und die Hexenverfolgungen (Be5), der Tanz im Tangogottesdienst bei Hs thematisiert Heimatlosigkeit, Armut und Menschenwürde (Hs5, Hs9-10). Diese Beispiele machen deutlich, dass der Tanz die emotionale Seite der politischen Fragen zugänglich machen kann. Die Befragten Fr und F zeigen auf, wodurch Tanz zu einem unter künstlerischen Gesichtspunkten gelungenen Tanz im Kontext Gottesdienst oder Kirche wird. Tanz sollte als autonome Kunst verstanden werden (Fr20). Der Tanz solle aussagekräftig sein, aber sich nicht darauf beschränken, etwas Persönliches vom Tänzer zu erzählen, denn es gehe darum, den Raum offen zu halten für etwas, das größer als alles Persönliche sei (F22). Die Chance von Kunst sei, dass sie Bilder biete für etwas, von dem im Grunde nicht geredet werden könne, dem Glauben (Fr18). [Ein Tanz als persönliches Glaubensbekenntnis wäre ihm] peinlich, und dann würd’s wirklich auch schamvoll, weil dann alle Leute denken, ja ist ja interessant, was der so… ’ne also deshalb dieses Zurücktreten. […] wenn’s um die Inhalte, Ideen, Botschaften, was auch immer geht, dann gibt’s so die großen, in meinen Augen großen Künstler, das sind die, die eben dann zurücktreten, also die dann ’nen Schritt zurück machen, um Raum zu lassen für das, was größer ist (F22).

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Tanzenden das Wort geben

2.8.4 Verhältnis von Musik und Tanz (künstlerischer Aspekt) Das Verständnis von Tanz als Kunst profiliert sich, wenn er zu einer anderen Kunst, der Musik ins Verhältnis gesetzt wird. Dies ist umso wichtiger, als Tanz generell meist in Verbindung mit Musik aufgeführt und ausgeführt wird. Eine Auffassung, die von mehreren geteilt wird, besteht darin, den Tanz als primär und die Musik als sekundär anzusehen (K8-4-1). Eine Steigerung dessen besteht in der Position, dass Musik für Tanz nicht unbedingt nötig ist (K8-4-2). Eine andere Linie betont die Führungsrolle der Musik beim Tanzen (K8-4-3). In der gleichen Logik kann gesagt werden, dass der Tanz eine Musik umsetzt, allerdings nicht nur um der Musik willen, sondern um Tanz und Musik auf ein Thema abgestimmt zu kombinieren (K8-4-4). Die Mittelposition besteht in der Ansicht einer Gleichwertigkeit von Musik und Tanz (K8-4-5). Die pragmatische Frage, ob Tanz zu Livemusik bevorzugt wird, generiert zwei unterschiedliche Positionen. Die positive Antwort (K8-4-6) ist verbreiteter als die negative (K8-4-7). Durch mehrere Äußerungen zieht sich der Grundgedanke, dass Tanz eine eigenständige Kunst ist. Musik wird daher eher als Begleitung aufgefasst. Es könne auch gegen die Musik getanzt (A23) oder sich zu einem eher neutralen ,Musikboden‘ bewegt werden (Mn36-37, R25). Me würde es als Einschränkung des künstlerischen Anspruchs von Tanz verstehen, wenn er die Musik ,eins zu eins‘ umsetzen würde (Me36). Menschen trügen in sich eine individuelle Gestimmheit, die einer inneren Musik vergleichbar sei, zu der getanzt werden könne (Si45). Ta brauche die Musik nicht, um in Bewegung zu kommen (Ta28). Also Gott lässt seine Gesänge in uns. Gott hat mir ein Lied gegeben, ja? Gott hat wie meinem Leben Bestimmung gegeben, einen Weg, glaube ich, auch dass in Phasen meines Lebens bestimmte Musik oder ein bestimmter Tanz entstehen kann, und ich glaube, dass wir auch einen bestimmten Rhythmus tanzen können. Und ich kann bestimmte Tänze nicht tanzen, weil ich so bin, wie ich bin (Si45).

Mehrere Voten verweisen auf die Praxis, ohne Musik zu tanzen. Musik passe nicht immer. Man könne zu Bibeltexten tanzen (Mn36). Musik könne vom Spüren ablenken (Si46). Bei einer Performance könne auch ohne Musik Wirkung erzielt werden (F23). Manchen Seminarteilnehmerinnen erscheine der Tanz zum inneren unhörbaren Rhythmus zunächst ungewohnt (Ea44). Statt Musik könne auch eine Vorstellung oder ein Bild umgesetzt werden (Ha22-24). Ro könne ohne Musik tanzen, allerdings helfe ihr Musik auch (Ro16). Ähm, ja, zum einen ja, [ist mir Musik] sehr [wichtig], aber ich tanze auch in der Stille. Also das ist was, was so jetzt mehr kommt als früher, also wo ich auch teilweise mit den Frauen schon so gearbeitet habe. Spür deinen eigenen Rhythmus, ist für viele sehr befremdlich, so: da ist doch nichts. Doch da ist was. Du spürst den Impuls. Und

Aussagen der Befragten in kirchlichen Tanzszenen

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das finde ich, also für mich eine ganz ganz spannende Sache, weil ich so merke, da ist so viel Musik in mir oder in uns und Impulse, die auch raus möchten, wenn wir es nur wahrnehmen können oder zulassen (Ea44).

Einige Tanzende betonen die große Bedeutung von Musik für ihre Tanzpraxis. Sie könne den Ausgangspunkt darstellen (Mn8, Mn10, B), die Basis des Tanzes (Ko16), und sie liefere Emotionen, die Bewegungen generierten (B15). Generell stimuliere Musik (Sb) und unterstütze bestimmte Bewegungsqualitäten (Sb17-18). Musik und Tanz sollten zum Thema passen. Beide Kunstformen ergänzten sich, den Primat habe das Thema (U37, Sa13-14, Sa17, Sa24-25, Sa32, C5). So könne zu Textmusik getanzt werden (Et46, Et48, V28), etwa zu einem selbst gesungenen Lied (Sa32, C80). Nur C stellt fest, dass alle Tanzenden gerne singen. Im Detail schildert C, wie stark die Aussage der Musik eine selbstständige Größe bilde. Die Musik entfalte ein Thema (Tod, Auferstehung, Aufblühen), das vom Tanz ausgeleuchtet werde. Die Rhythmen von Wort, Musik und Tanz ergänzten sich und interpretierten sich gegenseitig (C80). Lied, Kirchenjahresthema und Tanz bildeten eine Einheit (F24). Die Musik, zu der von der Tanztheatergruppe getanzt wird, passe auch zum Bibeltext (Mr12). Eine evangelistische Botschaft werde sowohl durch den Liedtext, die Vertonung und den Tanz unterstützt (Si45). Musik und Tanz könnten gleichwertig miteinander durch simultane Improvisation kooperieren (Si47-48). Die Rolle der Musik in Es Angeboten sei die eines direkten Dialogpartners mit dem improvisierten Tanz (E16). Bei Salsa und Tango sei die Musik eine wichtige Inspirationsquelle (Hs). Im Gottesdienst könne Musik, die sich von der traditionellen Orgelmusik absetze, Raum zur Improvisation mit Texten und Bewegungen bieten (Hs1-4). Um Musik besser zu verstehen, nähere Ha sich ihr über Tanz, z. B. beim Menuett (Ha4). Ha spricht auch von der Kombination von Musizieren und Tanzen in einer Person (Ha20-21). Musik ,produziere‘ Stimmungen (Ke31) oder lade sie ein (R25). Generell sehen Tanzende die Vorteile von Livemusik. Sie habe höhere Qualität, wenn gute Musiker engagiert würden (Ta28, Si28), sie spreche das Publikum mehr an (Be48). Musik und Tanz seien eng verzahnt (G30, G32). Livemusik sei wichtiger als ein zusätzliches Tanzsolo (Sa35). Tanzen zu Livemusik sei intensiver, aber auch risikoreicher, da es zu Überraschungen kommen könne (S61, Me38). Nur96 die Seniorentanzleiterin U gibt offen zu, dass sie eine berechenbare Musikgrundlage bevorzuge (U41-42). 96 Meine Beobachtungen in der Praxis, die allerdings nicht systematisch dokumentiert sind, zeigen, dass es sich bei Livemusik um die Ausnahme und bei der Musik von Tonträgern um die Regel handelt. Organisatorische Gründe wie die Schwierigkeit, Musiker zu bekommen und zu bezahlen, dürften hierfür der Grund sein. Dies kann ich im Hinblick auf die Organisation meiner eigenen Tanzstücke bestätigen.

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Ja, CD ist halt wirklich, da hab ich dann schon geübt dazu, und bei Livemusik, vor allem beim Posaunenchor, naja [lacht], dann spielt der vielleicht etwas langsamer oder schneller oder anders (U42).

2.8.5 Kirchentanz als site-specific art Site-specific art97 ist Tanz dann, wenn er auf die Bedingungen des Raums künstlerisch eingeht (K8-5-1) und zu einem Dialog mit dem Raum führt (K85-2). In kirchlichen Tanzszenen wird dieses Konzept bislang nicht in großem Umfang aufgenommen.98 Be stellt sich auf den Raum ein. Dies hat sowohl eine pragmatische als auch eine künstlerische Seite. Es handelt sich nicht um site-specific art, da der Aspekt des bewussten Dialogs entfällt (Be60-61). F lässt sich auf den Kirchenraum ein. Er arbeitet mit Faktoren, die dieser ihm bietet: Seine Geschichte, seine Atmosphäre (F17). Manchmal habe er bei einem Raum das Gefühl, er müsse gegen ihn antanzen. Er habe aber auch Räume erlebt, die ihn „mitnehmen“. Ta arbeitet sehr bewusst mit dem Raum und kann ihre Kunst auch als site-specific art sehen, indem sie dem Raum eine Subjekthaftigkeit zugesteht und damit tanzend in Kontakt tritt. Das Gegenteil davon sei, eine Kirche nur als Kulisse zu verwenden (Ta18-19, Ta26-27). [Sie würde nicht sagen, dass ein Raum] irgendwas Bestimmtes will und das will er von jedem, sondern das ist natürlich – eine Flucht inspiriert mich, mitzugehen, eine Höhe inspiriert mich: Konkurrenz und es mit ihr aufzunehmen. Eine Höhe, eine Säule inspiriert mich, mich anzuschmiegen oder sie zu entfernen, also diese Architektur sendet einen Impuls, und ich spiele damit, antworte, reagiere (Ta18).

2.8.6 Tanz in der Kirche sehen Tanz, der in der Kirche als performative Kunstform aufgeführt wird, ist auf die Resonanz mit den Rezipient_en angewiesen. Die folgenden Kodes beschäfti97 Vgl. Hunter 2005, 368: “In site-specific dance performance, then, the body gives form to ideas and responses to the site as experienced by the choreographers and performers (and latterly by the audience, as discussed later).” Siehe auch Stock 2011. Sie versteht darunter eine künstlerische Tanz-Performance an einem öffentlichen Ort, die den Charakter einer Unterbrechung oder Intervention hat. Das Publikum ist konstitutiv, es vollzieht Raumwechsel mit und entscheidet selbst über die Blickwinkel der Wahrnehmung. Im Tanz setzen sich Tänzer mit den Räumen bewusst durch die Kommunikation des Körpers auseinander. Es ist „a bodily process whereby the individual experiences the site-phenomenon corporeally in an immediate process of ,transaction‘.“ Hunter in: Stock 2011, 2. 98 Ohne Belege aus den Gesprächen anführen zu können, scheint mir der Bezugspunkt für bewusste tänzerische Auseinandersetzung mit dem Raum eher im Rahmen der Kirchenraumpädagogik zu liegen. Vgl. Macht, www.siegfriedmacht.de (2016/10/02).

Aussagen der Befragten in kirchlichen Tanzszenen

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gen sich mit den Reaktionen der Zuschauer und charakterisieren das Geschehen, das durch die Performativität des Tanzes ausgelöst wird. Zuschauer deuten das Gesehene selbständig (K8-6-1). Durch die Performance entsteht eine Beziehung zwischen Performern und Zuschauern (K8-6-2). Emotionen werden angerührt (K8-6-3). Die Tanzenden sind an Rückmeldungen der Zuschauer interessiert (K8-6-4). Grundsätzlich liegt die Deutungshoheit über die bewegten Bilder, die sich im Gottesdienst durch die Performances dem Auge bieten, bei den Betrachtenden. Mehrere Äußerungen betonen die spezifische Ausdrucksmöglichkeit des Tanzes, die sich mit verbalsprachlichen Aussagen nicht verrechnen lässt (Fr18, Fr22-23) Tanz im Gottesdienst sei ein Bildanstoß, den jeder selbst deuten müsse (Ma22). Ha sieht die Beziehung durch den Atem der Tänzerinnen etabliert (Ha23). Der Tanz erzeuge im Gottesdienst eine Stimmung, die beide, Zuschauer und Tanzende spüren könnten (Gr15). Manche Themen würden durch die Ausdrucksform des Tanzes so transportiert, dass sie Zuschauer unmittelbar emotional berührten (Gr15-17, Mn53). Die Beziehung komme nicht automatisch zustande (Mn53). Zuschauer hätten bei der Performance weggesehen (Be59, F10, F13) oder hätten die Kirche verlassen (Me46-51). Tanzende meinten, darin könne sich emotionale Berührung ausdrücken (Be59, F10, F13, F23). Menschen könne es peinlich sein, wenn bei der Tanzenden etwas von der Persönlichkeit sichtbar werde (Me). Die Gebärden hätten Tränen ausgelöst (G21). Manche fingen beim Tanztheater an zu weinen, auch Männer (M16). Improvisation erreicht Menschen direkt, ohne den Umweg über Schutzmechanismen (Hs30). Tanzende erleben neben positiven (Gr14) auch kritische Reaktionen (Mn56, Me17). Für negative sind sie dankbar, da sich ihnen oft ehrliche Rückmeldungen anschließen, die wertvoller sind als pauschales Lob (B31, Be11). Auf die Kritik könne durch Erläuterungen reagiert werden (B31, Be36). Ko hält Kritik für subjektiv begründet und unabhängig vom Niveau der Tanzenden (Ko62). 2.8.7 Kunst als Möglichkeit der Gestaltung von Kirche Die vom Kode (K8-7-1) vertretenen Aussagen stellen Tanz als Möglichkeit, sich in der Kirche gestaltend einzubringen, ins Zentrum. Kunstprojekte mobilisieren Künstler zur Zusammenarbeit, Hauptamtliche der Kirche treten dabei in die zweite Reihe. Wesentliches Merkmal von Kunstprojekten ist die Chance zur Zusammenarbeit von Menschen, die ganz unterschiedliche Bindungsformen zur Kirche oder zur Gemeinde besitzen. Die Gaben der Menschen kommen zum Tragen (Mr13). Die Künste treten zusammen, um Neues entstehen zu lassen (Si49-50, Ha). Im Unterschied zur sonstigen Gemeindearbeit können Hauptamtliche in die zweite Reihe zu-

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Tanzenden das Wort geben

rücktreten und sollten dies auch tun, um Raum zu schaffen, für das künstlerische Engagement (Ha37, Ha39). Der Pfarrer muss auch nicht alles tun, oder die Pfarrerin. Die meinen, was die alles selbst tun müssen, nee. Übergibt man die Verantwortung in gewissen Bereichen wirklich komplett dem Laien (Ha37).

3. Zusammenfassung Teil B bot ein Panorama von Zugangsweisen zu Tanz in Spiritualitätspraxen kirchlicher Szenen. Darin wird auf Aussagen Bezug genommen, die aus meist längeren Narrativen stammten, den Interviews. Die Inhalte jener Gespräche wurden mit der Methode der Kodierung geordnet und mit Hilfe von Kernkategorien und Überschriften systematisiert. In Kapitel 1 sind die wissenschaftlichen Grundlagen dazu dargestellt. Das Forschungsdesign mit dem theoretischen Hintergrund in Gestalt der Grounded Theory Methodology (GTM) wurde erläutert. In Kapitel 2 konnten sowohl Zugänge zu einem noch wenig wissenschaftlich erschlossenen Phänomen geschaffen als auch die Zugänge der Tanzenden zu ihrem Tun dargestellt werden. Die Ausführungen boten in den Unterkapiteln 2.1 bis 2.8 in konzentrierter Form jeweils eine Bandbreite von Aussagen zu den Themen Bedeutung des Tanzes, biographische Zugänge, Stile und Formen, Selbsterfahrung und Körperaneignung, Spiritualität, Kirchenraum, Theologie und Kunst. Die unter 2.1 dargestellten Definitionsversuche stammen aus der Erfahrung. Dabei klingen die meisten Motive, die durch die folgenden Kapitel noch vertieft werden, bereits an. Tanz ist Bewegung im (Kirchen-)Raum, ist eine Sprache des Ausdrucks, eine Form, in der Erfahrungen mit sich, anderen und der Welt möglich sind, die Menschen verändern können, und Tanz ist Kunst. Allen gemeinsam ist die Überzeugung, dass alle Menschen tanzen können. Einblicke in die individuelle Bedeutung sowie in die Bedeutung für Gesellschaft und Kirche bestätigen die Bandbreite von Tanzverständnissen. Außerdem wurde dargestellt, wie Tanzende die kulturellen und kirchlichen Bedingungen sehen und aufgezeigt, was den Befragten an ihrer Kirche kritikwürdig erscheint. Die Darstellung in 2.2 von sehr individuellen Aussagen zur Biographie vermittelt daneben auch gewisse Linien, die für die Befragten typisch erscheinen. Viele von ihnen hatten in der Kindheit und Jugend zwar Lust zum Tanzen, aber keine Gelegenheit. Einige stießen mit ihren Wünschen auf Widerstand aus der Kirche. Diejenigen, die frühe Tanzerfahrungen machen konnten, lernten meist Ballett. Später ließen sie häufig Tanztechnik und Ästhetik des Balletts hinter sich auf der Suche nach Gefühl, Ausdruck, Spontaneität und Authentizität. Typisch für eine Mehrheit der Kirchentänzer_innen

Zusammenfassung

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ist die Aussage, erst im Erwachsenenalter mit Tanz angefangen zu haben. Anhand der unterschiedlichen Ausbildungswege wird deutlich, welchen Einsatz die Befragten geleistet haben, um sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu professionalisieren. Dabei lernten die Tänzer mehr als nur tanzen. Der Überblick über die Lernerfahrungen zeigt die Bandbreite dessen, was dem Tanz an Wirkungen zugeschrieben wird. Schließlich geben Aussagen zum Einstieg in den Kirchentanz Einblick in das, was die Befragten dort für sich finden. 2.3 beschäftigt sich mit der Bandbreite von Stilen sowohl im Querschnitt als auch im Längsschnitt. Einige Befragte verfügen über Erfahrungen mit mehreren Stilen und sind in der Lage, zu vergleichen. An den Aussagen wird deutlich, dass unterschiedliche Stile verschiedene Erfahrungsfelder eröffnen können. Die jeweils spezifische ästhetische Erfahrung konnte aus den Interviews nicht ausreichend eruiert werden, so dass in Teil C dazu noch einmal vertieft gearbeitet werden soll. Die Vielfalt von Formen verweist auf einen oft genannten Aspekt, die Kreativität von Tanz. Auch der Musikgebrauch sowie der Umgang mit dem Raum erzeugen stilistische Unterschiede. Anhand der aus der Lehrtätigkeit heraus geschilderten Erfahrungen wird ebenfalls Typisches der Stile sichtbar. In 2.4 wird reflektiert, inwiefern Tanzende einen Zugewinn an Selbsterfahrung erleben und wie Tanz ihnen hilft, ihren Körper anzueignen. Zwar werden die Aussagen nicht immer explizit auf Tanz in Spiritualität bezogen. Allerdings geben sie Einblick in das Erleben von Menschen, die im Kirchentanz ihr Aktionsfeld gefunden haben. Typisch ist die Feststellung, durch Tanz die Fähigkeit zur Selbstannahme gestärkt zu haben. Tanz lässt Körper und Geist in angenehmer Weise zusammenwirken. Dabei ist nicht von einem nur auf Wohlfühlen ausgerichteten Tanz auszugehen. Die Tanzenden erleben ihre Grenzen. Sie erweitern ihre Ausdrucksmöglichkeiten, indem sie sich in fremde, oft unangenehme Gefühle hineinversetzen. Ohne es intendieren zu können, kommt es beim Tanzen, manchmal plötzlich, manchmal in längeren Prozessen zur Transformation des eigenen Lebens. Mut steigt, Kreativität wächst, Stress wird abgebaut, Wunden und Trauer bekommen Raum und Anregung zum Heilen, das Lebensgefühl wird positiver. Die Kommunikation mit anderen wird als beglückend erlebt. Die Reflexion der Spiritualität des Tanzes in 2.5 dreht sich um die Qualität des Tanzes, die Erfahrung von Entgrenzung sowie von Zentrierung im Körper und den Möglichkeiten der Synthese mit dem Glauben. Qualität soll der Tanz haben, der im Gottesdienst geboten wird, etwa aufgrund der Anlehnung an eine Bewegungslehre. Ein solcher Tanz hat Qualitäten, die (unverfügbare) Wirkungen bei Zuschauenden auslösen. Entgrenzungserfahrungen weiten die Grenzen des Ich. Sie überschreiten die Erfahrungswelt des Alltags. Tanzen zentriert Menschen in ihrem Körper, konzentriert und sammelt den Geist. Verbindungen mit dem Glauben finden indirekt statt, zuweilen aber auch durch explizite Deutungen des Tanzes mit Denkfiguren aus der christlichen

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Tradition und der Bibel. Tanz vertieft und intensiviert Beten und Bibelauslegung. Der Kirchenraum als Ort und der Gottesdienst kommen in 2.6 in den Blick. Unterschiedliche Möglichkeiten, im Gottesdienst Tanz einzubinden, und dafür geeignete Rahmenbedingungen werden greifbar. Die Beziehung von Tanz und Raum wird reflektiert. Tanzende äußern sich zu ihren Erwartungen an den Gottesdienst und erzählen von der Auswirkung des durch Tanz gewonnenen Körpergefühls auf ihr gewöhnliches Gottesdiensterleben. Da unter den Tanzenden eine Reihe theologisch Gebildeter sind, bot es sich an, die Äußerungen zum Verhältnis von Tanz und Theologie zu bündeln (2.7). Voraussetzung für den Dialog ist zunächst die Feststellung, dass Tanz als eine eigene Sprache ernstzunehmen ist. Die Einflüsse des Tanzes auf das Betreiben von Theologie werden formuliert, wenn auch manchmal nur tastend. Schließlich zeigt ein Blick auf die Bibel-Hermeneutik Tanzender, was die Verbindung von Tanz und Bibelarbeit leisten kann. Einige Tanzende reflektieren Tanz als Kunst (2.8). Die Tanzsprache ist eine künstlerische Ausdrucksform. Kunsttanz, der bislang selten im Zusammenhang mit dem Begriff Kirchentanz mitbedacht wurde, hat das Potenzial, eine Kunstform in der Kirche zu werden. Der Tanz ist eine Kunst, die in der Regel mit einer weiteren Kunst, der Musik, kombiniert wird. Daher wird hier auch das Verhältnis zwischen Musik und Tanz unter künstlerischem Aspekt beleuchtet. Tanz im Kirchenraum entfaltet außerdem noch einmal neue Aspekte, wenn er unter dem Blickwinkel der site-specific art betrachtet wird. Die TanzKunst erzeugt Wirkungen, was an den Äußerungen von Rezipienten sichtbar wird. Schließlich nennt der letzte Abschnitt noch Chancen einer Zusammenarbeit verschiedener Akteure bei größeren Tanzprojekten. In Ansätzen sind Konturen unterschiedlicher Szenen hervorgetreten. Generell wird an den Äußerungen deutlich, dass es sich um Szenen handelt, die ein Gefühl von Zugehörigkeit vermitteln können, da bestimmte Sichten von Insidern geteilt werden. Die Szenen haben unsichtbare Grenzen, es gibt ein Außerhalb, das von den Menschen gebildet wird, die nicht verstehen, welche Erfahrungsfelder die Praxis im Einzelnen eröffnet. Gleichzeitig ist immer wieder der Anspruch deutlich zu spüren, mit den Tänzen Angebote zu machen, die ohne Vorkenntnisse mitvollzogen werden können. Anhand einer genaueren Untersuchung der Stile in C wird noch deutlicher, welche Werte und Ansprüche in den Szenen vorhanden sind. Teil B zeigt die vielfältigen Zusammenhänge von Spiritualität und Tanz in den untersuchten kirchlichen Szenen. Da B konkrete Beispiele lieferte, können die Fragestellungen aus A nun in C geerdet und Antworten gesucht werden.

C Figurationen des Kirchentanzes – Spiritualität im Horizont ästhetischer Erfahrung Die Überlegungen im dritten Teil dieser Arbeit setzen eine Verwandtschaft zwischen Ästhetik und Religion voraus, vermittelt über den Begriff der ästhetischen Erfahrung. Lauster zufolge, der mit einem Begriff von ästhetischer Erfahrung in Analogie zu Kunsterfahrung arbeitet, haben religiöse und ästhetische Erfahrung Gemeinsames und Unterschiede. Sowohl in der religiösen wie in der ästhetischen Erfahrung stellt sich im Bewusstsein die Erfahrung eines Sinns ein, beide Erfahrungsarten durchbrechen den alltäglich vertrauten und gewohnten Umgang mit der Wirklichkeit, beide stellen sich ungesucht ein und können nicht vom Menschen selbst herbeigeführt werden, beide haben schließlich ein transzendierendes Moment. […] Der entscheidende Unterschied ist die Vagheit der ästhetischen Erfahrung, sie kommt ganz ohne begriffliche Zumutungen aus, mit denen die religiöse Erfahrung im Christentum auf einen bestimmten Sinn festgelegt wird.1

Im Folgenden soll Kirchentanz unter der Prämisse betrachtet werden, dass die in jenem Feld vorfindlichen Tanzpraktiken Kunst sind. Was mit Kunst in diesem sehr vielgestaltigen Kontext gemeint ist, soll zunächst im Anschluss an die Ausführungen in A 2.3 unter Rückgriff auf kulturwissenschaftliche Sichtweisen erklärt werden. Dabei erfährt auch der Begriff ästhetische Erfahrung eine nochmalige Schärfung über die Überlegungen in Teil A hinaus. Diese wird zeigen, ob Lausters Vorschlag der Verhältnisbestimmung zwischen Ästhetik und Religion trägt und inwiefern Korrekturen vorgenommen werden müssen angeleitet durch die Erkenntnisse der im Feld Kirchentanz vorfindlichen individuell und kollektiv gestalteten Praktiken.

1. Kirchen-Tanz als Kunst Die Frage nach den Kunstverständnissen im Feld Kirchentanz greift auf die beiden kulturwissenschaftlichen Paradigmen Semiotik und Performativität zurück. Vorläufig soll die Fragestellung formuliert werden als Frage nach dem von den Gesprächspartnern vertretenen Potenzial des Tanzes, Bedeutung 1 Lauster 2015, 576.

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herzustellen und nach der Rolle der Performativität für dessen charakteristische Wirkungen. Kunst bringt ästhetische Erfahrungen hervor. Einerseits wird in der Kunstphilosophie seit Kant versucht, anhand der an Werken möglichen ästhetischen Erfahrungen Kunst als solche auszuweisen.2 Andererseits verweisen ästhetische Erfahrungen auf die entsprechenden Kunstpraktiken eines bestimmten Feldes. Die Bandbreite von ästhetischen Erfahrungen im Kirchentanz soll in diesem Teil der Arbeit mit einem pluralistischen Ansatz herausgearbeitet werden, bevor darüber hinaus eine Charakterisierung der „Spiritualität des Kirchentanzes“ versucht wird.3 Dabei ist das für ästhetische Erfahrung typische Oszillieren zwischen Präsenzerfahrung und Sinndimension, die sich auch in dem Wechselspiel der Perspektiven zwischen Semiotik und Performativität andeutet, vorauszusetzen. Nach Erika Fischer-Lichte wurde das Selbstverständnis der Geisteswissenschaften von zwei Wenden beeinflusst, die ihre Neudefinition als Kulturwissenschaften herbeigeführt haben: der semiotic turn in den 1970ern und der performative turn in den 1990ern. Der eine bildete das Paradigma der „Kultur als Text“ heraus, der andere die Erklärungsmetapher von der „Kultur als Performance“.4 Beide Perspektiven überlappen sich sowohl zeitlich als auch inhaltlich. Während die semiotische Perspektive kulturelle Handlungen und Ereignisse im Hinblick auf ihre Bedeutungen betrachtet, richtet sich die performative auf die prozessualen, tendenziell flüchtigen Aspekte. Auch in der praktischen Theologie wurden Semiotik und Performativität rezipiert. Deren Verarbeitung in den Theaterwissenschaften gab Impulse für eine Reihe von liturgiewissenschaftlichen5 und religionspädagogischen6 Arbeiten. Während die Semiotik nach den Bedingungen der Möglichkeit für die Entstehung von Bedeutung fragt und unterschiedliche Semiosen in den Blick nimmt, stehen beim Performativen seine Fähigkeit der Wirklichkeitskonstitution, seine Selbstreferentialität (die Handlungen bedeuten das, was sie vollziehen), seine Ereignishaftigkeit und die Wirkung, die es ausübt, im Mittelpunkt des Interesses.7

Beide Perspektiven lassen sich aufeinander beziehen, sie ergänzen einander. Dies bringt die Schwierigkeit mit sich, dass im Grunde nicht vom einen ohne das andere geredet werden kann. Die folgenden Abschnitte zur Frage nach der Kunst im Kirchentanz legen daher das Textparadigma oder das Paradigma der 2 Stefan Deines weist die Bestimmung des Wesens der Kunst anhand einer durch sie ausgelösten, einheitlich beschreibbaren ästhetischen Erfahrung mit Recht ab. Vgl. Deines 2013, 220. 3 Deines kritisiert den meist verallgemeinernden Gebrauch des Begriffs ästhetische Erfahrung in der Kunstphilosophie. Die Vielfalt der Phänomene verdient grundlegende Beachtung. Vgl. Deines 2013, 219. 4 Vgl. Fischer-Lichte 2001, 9. 5 Vgl. Friedrich 2001; Richter 2006; Neijenhuis 2007; Plüss 2007; Enzner-Probst 2008. 6 Hier sind vor allem Veröffentlichungen mit dem Thema performative Religionsdidaktik zu nennen. 7 Fischer-Lichte 2001, 20.

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Performance zwar jeweils als Fluchtpunkt zugrunde, werden aber gelegentlich beides thematisieren. Zunächst versuche ich, die genannten Paradigmen als Brennpunkte zu gebrauchen, um relevante Aussagen als solche zu erkennen und sie zu strukturieren. Die Pluralität und mithin auch die Komplexität der Erfahrungen werden in einem daran anschließenden Schritt zu betrachten sein. Das Datenmaterial, wie es in Teil B dargestellt ist, bietet Einblick in die Sichtweisen Tanzender.8 Insgesamt finden sich nur wenige explizite Aussagen zu Tanz als Kunst.9 Dies liegt nicht zuletzt an den eingesetzten Gesprächsimpulsen und Fragen.10 Hauptthemen der Gespräche sind die individuelle Bedeutung des Tanzens und die Erfahrungen damit im eigenen Leben, einschließlich der erlebten Resonanz im kirchlichen Kontext. Aus den Daten können demzufolge nur einzelne Elemente zum Thema Kirchentanz als Kunst entnommen werden. Implizit bezieht sich durchaus eine Reihe von Aussagen auf Themen, die für eine Kunst-Theorie11 des Tanzes relevant sind.12 Da ist zunächst die Rolle des Körpers für die Aussagekraft des Tanzes und seine die Sinne ansprechende Materialität zu nennen. Das Besondere an Tanzkunst ist, dass der Körper ihr Medium ist. Einige Tänzer vertreten primär die Auffassung des Körpers als Instrument, das den zu kommunizierenden Aussagen dient. Sie betonen das Potenzial des Tanzes, Geschichten und Befindlichkeiten anschaulich in Szene zu setzen. In Spannung dazu steht ein Tanzverständnis, das einige andere vertreten: Tanz deutet nur an, bietet bewegte Bilder und lässt den Zuschauenden anhand dieser Vorgaben Freiheit, Bedeutung zu konstruieren. Kunsttheoretisch gesprochen reflektieren Tanzende in beiden Fällen vorwiegend die bedeutungsgenerierenden Aspekte des Tanzes und folgen damit dem semiotischen Paradigma, kulturelle Äußerungen zu betrachten und zu produzieren. Dem gegenüber stehen weniger Äußerungen, die sich mit der Aufführung von Tanz befassen und darin unter anderem die Erfahrungen der Zuschauenden thematisieren. Diese beziehen sich unausgesprochen auf die Performativität von Tanz. Kirchentanz ist je8 Die Angaben zu den in C verwendeten Daten beziehen sich in der Regel auf Teil B, das entsprechende Kapitel und auf verarbeitete Äußerungen (B 2.1.1 o. ä.), sowie bei direkten Zitaten auf den Fundort im Transkript (Re16 o. ä.). 9 In B 2.8 sind die meisten für das Thema Tanz als Kunst relevanten Aussagen gebündelt. 10 Die Fragen waren variabel, eine Zusammenstellung wäre nicht übersichtlich genug. Was im Einzelfall von mir in die Gespräche eingebracht wurde, ist anhand der Transkripte nachzuvollziehen. Siehe unter „Downloads“ auf www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/tanz. 11 Die Formulierung einer solchen kann in dieser Arbeit nicht mehr geleistet werden. Absehbar allerdings ist, dass sie nur pluralistisch sein kann, da sie es mit einer Vielzahl von Kunstverständnissen zu tun hat. Dabei wäre die Rolle von Laien in jedem Fall konstruktiv mit einzubeziehen. 12 Zum Teil sind nicht nur Aussagen, die unter B 2.8 Tanz als Kunst im Kirchenraum gesammelt wurden, heranzuziehen, sondern auch solche aus anderen Sammlungen. Besonders Äußerungen, die auf ein bestimmtes Körperbild oder Körperverständnis schließen lassen, sind von Interesse.

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doch nicht immer Tanz zum Zusehen. Meditationen und tänzerische Bibelarbeiten brauchen einen geschützten Rahmen, das heißt in der Regel: keine Bühne. Tanzaufführungen machen demnach nur den kleineren Teil des gesamten Spektrums aus. Dies wirft die Frage auf, welche Rolle die Performativität von Tanz abseits von eindeutig ausgewiesenen Bühnen, zu denen auch der Gottesdienst gehört, spielt. Kann Tanz angemessen verstanden werden, wenn seine Performativität nicht beachtet wird?13 Was unterscheidet eine Tanztheateraufführung im Gottesdienst von der auf einer Theaterbühne? Gibt es nicht-performativen Tanz? Es ist zu zeigen, welche heuristische Funktion die performative Perspektive hat angesichts der unterschiedlichen Formen von Kirchentanz. Zunächst soll nun die Auswertung der Tänzeraussagen unter semiotischer Perspektive erfolgen. Intendiert wird ein tanzwissenschaftlich geschulter Blick auf den zu untersuchenden Ausschnitt religiöser Praxis mit dem Ziel, sich dieser durch zunehmend genauere Beschreibungen zu nähern. Unter den zahlreichen Möglichkeiten, das Semiotische zu explizieren, wähle ich als Hauptperspektive diejenige, die in den theaterwissenschaftlichen Schriften Erika Fischer-Lichtes vertreten und in der Tanzwissenschaft stark rezipiert wird.14 Sowohl Theater als auch Tanz arbeiten mit dem Körper, mit Raum, Licht und Klang. Daher bieten sich Erkenntnisse aus der Theaterwissenschaft auch dafür an, zu beschreiben, inwiefern bei Aufführungen von Tanz als Kunst geredet werden kann. Semiotische Ästhetik geht von der Prämisse aus, dass Kunst nur dann angemessen verstanden werden kann, wenn ihr Zeichencharakter beachtet wird. Kunstwerke werden als „Texte“, also Gewebe von Bedeutungen, aufgefasst. Damit rückt die Frage nach der Entstehung von Bedeutung ins Zentrum. Unter anderem untersucht eine semiotische Ästhetik die Bedingungen, unter denen Texten Bedeutung zugeschrieben wird, und auf welche Weise dies vor sich geht. Der Ästhetik kommt dadurch eine hermeneutische Aufgabe zu.15 Beim Entstehen von Bedeutung sind subjektive und intersubjektive Anteile beteiligt. Verständigung entsteht aufgrund von intersubjektiven Bedeutungsanteilen, die subjektiven machen sie erforderlich. Lebensgeschichtliche Erfahrungen, Religion, Kultur, geschichtlicher Kontext und Kommunikationssituation bilden Dimensionen eines unabschließbaren Zeichenprozesses, der wiederum unabschließbare Prozesse hervorbringt. Zuschauer bringen bestimmte Voraussetzungen mit.16 Bedeutung ist zugleich „Produkt, insofern sie von der bisherigen Lebenspraxis bedingt ist, und Produzent, insofern sie 13 Vgl. die Definition von Huschka in A 2.1. Unter C 2.3 werden diese Fragen zu klären versucht. 14 Vgl. u. a. Weber 2012; Thurner 2009; Krauß 2009; Siegmund 2006; Klein/Sting 2005; Hartmann 2002. 15 Vgl. Fischer-Lichte 2001, 78. 16 „Der implizite Wissensschatz der Zuschauer*innen (zum Beispiel Erwartungshaltungen/Vorwissen) interagiert also mit den künstlerischen Praktiken, die auf der Bühne sichtbar werden.“ Wieczorek 2017, 91.

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die weitere Lebenspraxis bedingt.“17 Kunst kann nicht erklärt, aber verstanden werden. Objekte, die nicht als Zeichen hervorgebracht wurden (natürliche Objekte), können nur erklärt werden, während Objekte, die von Menschen hervorgebracht sind (Handlungen, Texte, Tänze), und eine Bedeutung manifestieren, das Verstehen herausfordern. Beim Erklären wird ein erlerntes Bedeutungssystem angewendet. Beim Verstehen werden die Bedeutungssysteme dessen, der den Text produziert hat, und die des Interpreten miteinander vermittelt.18 Nach Ranci re ist die Aufführung „eine dritte Sache, die niemand besitzt“19. Bei ästhetischen Texten, zum Beispiel Tanzperformances, spitzt sich die Aufgabe insofern zu, als ihre besonderen Merkmale zu beachten sind. Ästhetische „Texte“ verfügen nicht über den stabilisierenden Faktor einer eigenständigen semantischen Dimension. Das Gefüge von syntaktischer, semantischer und pragmatischer Dimension ist instabil, was letztlich ihre erhöhte Vieldeutigkeit bedingt.20 Im folgenden Abschnitt geht es um die Fokussierung auf Aussagen Tanzender, die auf Tanzkunst Bezug nehmen. Tanzende, die sich über die Rolle des Tanzes in Aufführungen kirchlicher Kontexte äußern, scheinen sich im Großen und Ganzen klar darüber zu sein, dass Tanz Kunst ist: Kirchentanz sei eine Kunst, die in der Gemeinde etwas bewege (vgl. B 2.8.7). Tanz stelle eine eigenständige Kunstform dar (vgl. B 2.8.3), die sich auf unterschiedliche Weise mit anderen Künsten verbinden könne. Tanz sei nicht per se abhängig von Musik, die Bedeutung von Musik werde jedoch häufig betont. Das Tanzen habe das eigene Kunstverständnis weiterentwickelt (vgl. B 2.2.4.5). In dem Zusammenhang spielt neben den Wünschen nach mehr professionellem Tanz und mehr Professionalität der Laientänzer ein Wunsch nach Authentizität der Aufführungen eine Rolle. Diese gilt als Qualitätsmerkmal nicht nur für den Kirchenraum, sondern auch für andere Bühnen. Gewährsleute aus der Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts sind dafür Rudolf von Laban und Pina Bausch: Das Publikum dürfe nicht als Applauspublikum für akrobatische Leistungen missbraucht werden. Das sei kein Tanz. Bei Laban dagegen wird eine Tänzerin berührt, da das Tanzen Geist und Seele habe, einen Inhalt habe und nicht „einfach runtergeturnt“ werde (vgl. B 2.1.1; Ke16). Der Ausdruck müsse authentisch sein. Es sei wichtig, an die Bewegung, an die Gesten, die man macht, innerlich angebunden zu sein, das innerlich zu begleiten. Man solle meinen, was man mit der Bewegung sagt (vgl. B 2.2.4.4). Der Tanz könne tanztechnisch und akrobatisch gut sein und dennoch abgespalten von der Persönlichkeit. Ein Beispiel für bedeutungshaltigen Tanz sind die Tanzaufführungen von Pina Bausch, von ihnen sei eine Tänzerin über zehn Jahre lang geprägt. Bauschs Aufführungen hätten sie sehr stark beeindruckt, 17 18 19 20

Fischer-Lichte 2001, 79. Vgl. Fischer-Lichte 2001, 90. Wieczorek 2017, 92. Ranci re spricht auch vom emanzipierten Zuschauer. Vgl. Fischer-Lichte 2001, 93.

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weil da Persönlichkeiten mit ihrer Geschichte auf der Bühne stünden (vgl. B 2.2.4.5). Ein Tänzer stellt fest, dass man sich in der Bewegung offenbare (vgl. B 2.1.2). Die Rolle der Choreographin sei folgerichtig die eines facilitator. Die Leiterin z. B. im bibliodans gebe nicht Bewegungen vor, da sie ein Gespräch zwischen Teilnehmer und Text, zwischen Teilnehmer und Teilnehmer und vielleicht zwischen Teilnehmer und Gott ermögliche. Das Medium seien die Fragen und Tanzaufträge. Sie kreiere einen Raum, in dem das geschehen könne (B 2.3.7). Eine Befragte traut dem authentischen Körper-Ausdruck viel zu: „Der Körper spürt was, ja von Tiefen bis Höhen, bis ja abstrakte Dinge wie weiß ich nicht Erlösung oder Auferstehung. Also Dinge, die sonst abstrakt sind, die ich groß erklären müsste, kann ich mit dem Körper durch Bewegungen anders zum Ausdruck bringen.“ (B 2.4.6.2, Et20). Kunsttanz und Selbstausdruck sind tanztheoretisch jedoch voneinander zu unterscheiden, auch bei Pina Bausch.21 Dieses Wissen ist unter Kirchentänzern weniger etabliert, aber dennoch nachzuweisen: Ta, eine professionelle Tänzerin, die, nicht nur, aber auch, in Kirchen auftritt, betont, auf der Bühne habe nicht jedes ihrer Stücke zum Ziel, dass sie sich gut fühle.22 Der „Lebenstanz“ habe etwas mit Dienen und Zurücktreten zu tun.23 Tanz sei ein Ausdrucksmittel, nicht nur für das Eigene, sondern für Erfahrungen, in denen sich andere wiedererkennen könnten.24 Hier ergeben sich Annäherungen an das Werk zeitgenössischer Choreographen. Raimund Hoghe „interessiert die Verbindung von persönlicher Biographie mit kollektiver Biographie.“25 Weitgehend klar scheint den Tanzenden die Tatsache zu sein, dass Tanz über keine eigenständige semantische Dimension verfügt, auch wenn dies eher indirekt ausgedrückt wird.26 Allerdings wird diese Erkenntnis in unter21 Raimund Hoghe, der in den 1980er Jahren bei Pina Bausch Dramaturg war, erinnert sich: „Pina Bausch hat einmal gesagt, es komme nicht darauf an, seine Gefühle ,auszukotzen‘. Manche Leute denken, es reicht, wenn sie ihre Gefühle auf der Bühne präsentieren. Aber es reicht eben nicht, für mich reicht es jedenfalls nicht.“ Hoghe 2005, 55. 22 Vgl. B 2.1.2; Ta6. 23 Vgl. B 2.3.3; F21. 24 F sagt im Gespräch (vgl. Transkript): „meine Erfahrung ist, dass tänzerischer Ausdruck oftmals eine Weite mitbringen kann, die gesprochene Sprache nicht so hat, weil Worte, gesprochene Worte, geschriebene Worte oft eindeutiger, vielleicht enger besetzt sind. Und dass in einer Geste und einer Bewegung mehr stecken kann als in einem gesprochenen Wort. Und deshalb auch dieses Sich-Wiederfinden und Wiedererkennen in dem tänzerischen Ausdruck vielleicht leichter fällt. Ähm, weil eben es weiter ist.“ (F7). 25 Hoghe 2005, 54. 26 Beispiele: Tanz ist ja nicht im Sinne einer Aufführung, dass ich was darstelle für andere, sondern dass ich für mich die Möglichkeit bekomme, zum einen meinen Körper wahrzunehmen (Et33). Es gab Reaktionen vom Publikum, die ausgesagt haben, sie hätten überhaupt nicht verstanden beim Zuschauen, was sie da gemacht hat, aber es hätte ihnen viel gegeben. Dann hat sie immer vom Körper-Gedächtnis gesprochen und darauf hingewiesen, dass sie sich im Alltag an ihre Körperhaltungen erinnern werden, die sie in Bezug auf dieses Wort gemacht haben, allein dadurch, dass sie immer wieder wahrnehmen, wie andere Menschen sich bewegen und halten (vgl. B 2.3.7; A23).

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schiedlichem Maße tatsächlich berücksichtigt. Grob lassen sich zwei Strömungen unterscheiden, von denen die im Folgenden beschriebene dem Tanz tendenziell eine eigenständige semantische Dimension zutraut, da angenommen wird, dass Tanzbewegungen etwas außerhalb ihrer selbst bedeuten können. Die andere Strömung nimmt eher die Instabilität des Gefüges von Syntax, Semantik und Pragmatik in der Kunst ernst und betont die Vieldeutigkeit von Tanz. Tanzende, die das Potenzial von Tanz zur Kommunikation betonen, sehen darin auch die Chance, sich verständlich auszudrücken.27 Dazu passt ein Verständnis des Körpers, das ihm Eigenschaften wie Ehrlichkeit zuschreibt. Das Körperliche ist authentisch, es kann Gefühle weniger verschleiern. Darin wird ein Mehrwert des Körperausdrucks gegenüber dem verbalen gesehen.28 Das Ideal wird vertreten, dass Bewegungen Ausdruck haben sollen.29 Körper und Persönlichkeit der Tänzer treten zurück, sie haben dienende Funktion.30 Durch Kombination mit Gesten, Gebärden und pantomimischen Elementen wird verdeutlicht, welche Geschichte oder Befindlichkeit dargestellt wird. Ein Text, zum Beispiel aus der Bibel, ein Lied, eine Musik, ein Thema, Situationen und Gefühle werden in Tanz „umgesetzt“. Man kann alles „vertanzen“. Der Tanz dient einer Botschaft, er wird verstanden als Medium der Verkündigung. Tänzer reagieren auf Inhalte von außen, die gefühlsmäßige Reaktion wird in Tanzbewegungen übersetzt. So kommt eine Art Dreischritt31 vom Inhalt zum Tanz zustande. Die Bewegungen lassen sich von Zusehenden entschlüsseln, weil sie aus dem kulturell bekannten Repertoire stammen, das überdeutlich und verdichtet zur Anschauung gebracht wird.32 Vor allem die für den meditativen Tanz choreographierten Formen versuchen, eine Symbolik zu transportieren.33 Eigenen Beobachtungen zufolge kann es bei Tanzlaien innerhalb dieser Logik auch bei freien Formen zu symbolisierenden oder schematischen Bewegungen kommen.34 So werden etwa die Arme gehoben, um Freude zu zeigen, der Kopf gesenkt zum Zeichen der Trauer. Während im Kunsttanz längst vom „Verlust des Bewegungszeichens in einem fest veran-

27 28 29 30 31

Vgl. B 2.4.4; 2.7.1; 2.8.1. Vgl. B 2.8.1; 2.7.1. Vgl. B 2.8.3; 2.7.1. Vgl. B 2.3.3; 2.3.6. In den Anfängen des modernen Tanzes entdeckt Siegmund etwa bei Lo e Fuller ein dreigliedriges Ausdrucksmodell: „Ein Eindruck oder Affekt löst in der Seele eine Empfindung aus, die durch Bewegung ausgedrückt wird.“ Siegmund 2006, 117. Die Materialität des Körpers tritt bei einem solchen Tanzverständnis zurück zugunsten eines anwesend-abwesenden Körpers. Siegmund sieht, dass im „Inneren der Ästhetiken genau jener Tänzerinnen, die sich selbst gerne die Befreiung des Impulses und damit des Körpers zuschreiben, […] die „alte‘ Entkörperlichung des Balletts weiter [wirkt].“ Siegmund 2006, 114. Vgl. auch den Dreischritt bei Laban. 32 Vgl. B 2.8.1; 2.1.1; 2.5.3; vgl. Si15 in: 2.7.1; vgl. B30 in: B 2.7.1. 33 Vgl. B 2.6.6; vgl. B 2.4.1. 34 Vgl. meine Beobachtungen in A 7.4.3.3.

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kerten Bedeutungshorizont“35 auszugehen ist, versuchen manche Tanzpraktiken im Kirchentanz, diesen ungeschehen zu machen. Das Potenzial von Tanz, Bedeutung zu produzieren, wird in Aufführungen, die sich etablierter künstlerischer Bewegungssprachen bedienen, auf hohem Niveau genutzt. Geschichten aus dem Leben, wie das Schicksal von Flüchtlingen, von als Hexen verfolgten Frauen, von Menschen, die Heimat suchen, einsam oder Hartz IV-Empfänger sind, werden als künstlerisch erzählbar angesehen. Die teils recht professionellen Tanzperformances gebrauchen ein eingeführtes Tanzvokabular aus den Stilen Ballett, Modern/Contemporary Dance, klassischem indischen Tanz oder Tango Argentino.36 Körperschulung, Tanztraining und –unterricht sind dafür unverzichtbare Voraussetzung: Ausdruck kann nur gelingen, wenn Tanz Körperbeherrschung bedeutet. Professionelles Tanzen stellt den Ausdruck als Wirkung einer künstlerischen Leistung in den Vordergrund im Gegensatz zu einem Ausdrucks-Tanz, der das Eigene der Tänzerin ausdrücken will.37 Ein stärker an der semantischen Unselbständigkeit von Tanz ausgerichtetes Verständnis ergibt sich aus Äußerungen wie diesen: Der Tanz habe etwas Mystisches [Geheimnisvolles, offenes?] dadurch, dass man dies nicht so „platt und eindeutig präsentiert“ (vgl. Be36–37). Tanz vermeidet das Festlegen und Definieren. Er bietet Bilder an, deren Bedeutung nicht schon vorab vom Tänzer festgelegt ist und von den Zuschauern demnach auch nicht einfach ergriffen werden kann (vgl. Fr18). Eine Art Verstehen ereignet sich aufgrund des Gesehenen. Dies ist nicht planbar, allerdings auch nicht unabhängig von der Vorgabe des Tanzes. Wer Tanz sieht, erhält keine Erkenntnis, die er dann „hat“. Religiöse Deutungen werden nicht vorgegeben (vgl. E33). Die eigene Welt der Bilder hat sich durch den Tanz eventuell beim Zuschauer verändert, er hat assoziative Anregungen, die ihn zu eigenen Deutungen bringen. In bewegten Bildern werden eigene Erfahrungen wiedererkannt wie Führen und Folgen, Gehaltenwerden.38 Tanz wird als ernstzunehmender Dialogpartner der Predigt vorgestellt, er ist eine eigenständige Kunstform. Tanz wird der Musik gleichwertig gegenübergestellt (vgl. B 2.8.4). Er vermittelt eine nonverbale Botschaft. Die Materialität bewegter Körper konstituiert den Zeichencharakter des Tanzes. An der Ästhetik eines flatternden Tuches oder den Geräuschen der Füße auf dem Kirchenboden macht sich unter anderem die Wahrnehmung von dessen Materialität fest (vgl. B 2.8.4). Die Beziehung der tanzenden Körper zum sie umgebenden und durch den Tanz hergestellten Tanzraum rückt ins Blickfeld.39 Der Raum ist im Tanz nicht etwas Objektives, er „spielt 35 Siegmund verortet diese Entwicklung historisch bereits zwischen 1682 (M nestrier, Ballett) und 1892 (Lo e Fullers Impressionismus). Siegmund 2006, 119. 36 Vgl. B 2.8.3. 37 Vgl. B 2.4.4. 38 Vgl. B 2.8.6; 2.6.1.1. 39 Vgl. B 2.6.3.

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mit“ (F17). Die Architektur kann Impulse senden, auf die der Tanz antwortet (vgl. B 2.8.5). Eine solche Konzeption des Zusammenspiels von Raum und Tanz wird in der Regel mit site-specific art bezeichnet. Die Tänzer zeigen nicht nur einen Tanz, sie verkörpern auch Persönlichkeiten, die Ausstrahlung haben.40 In dieser Logik spielt die Geschlechtlichkeit der Tänzerkörper eine Rolle, während sie dies beim Tanz, der mit seinen Bewegungen auf Inhalte außerhalb des Tanzes verweist, nicht unbedingt tut. An dieser Stelle wird eine Unterscheidung notwendig. Dazu dient ein Blick in den professionellen Kunsttanz. Kunsttheoretisch ist von der Bedeutung der Materialität der ästhetischen Objekte, also der tanzenden Körper auszugehen. Der Geschlechtlichkeit der Körper kommen abhängig von den Vorentscheidungen der Choreographie unterschiedliche Rollen zu.41 Pina Bausch etwa spielt stark mit herkömmlichen Geschlechtsrollenstereotypen. Zu sehen sind Männer im Anzug, geschminkte Frauen im Kleid, die von den Männern gehoben, gestützt und auch fallen gelassen werden. Gleichzeitig unterläuft sie Normierungen, indem sie auch Tänzer_innen engagiert, deren Körper nicht den gängigen Vorstellungen gerecht werden. Andere Choreographien, wie etwa die von Raimund Hoghe, stellen ebenfalls die Materialität der Körper ins Zentrum, bieten aber andere weiblich-männliche Körperbilder. Heute ist es da wieder normierter. Heute sind alle jung, schön und in Topform. Die Damen haben lange Haare, tragen Abendkleider und Highheels, und die Herren stecken in Anzügen oder weißem Hemd. Das entspricht nicht meinem Männer- und Frauenbild – ich suche etwas anderes […] Ich finde es wichtig, dass die Zuschauer ihren eigenen Körper spüren42.

Kunst setzt sich im Rahmen postmoderner Orientierung an konstruktivistischen Positionen mit Körpern als sozial geprägten, formbaren, nicht durch ontologische, biologische Voraussetzungen bestimmten Größen auseinander. Je nachdem werden die überkommenen Normierungen aufgegriffen und außer Kraft gesetzt oder von vorneherein ignoriert. Da ein zeitgenössisches Kunstverständnis ohne die Perspektive der Rezeption auf dem Weg ästhetischer Erfahrung nicht mehr auskommt, ist die Rolle der Zuschauer bei der Produktion von Bedeutung zu beachten. Die Irritationen bringen gewohnte Schemata ins Wanken, sie machen die mitgebrachten Vorstellungen bewusst. In den Voten der Kirchentänzer ist die Geschlechtlichkeit der Körper in mehrfacher Hinsicht thematisiert worden. Viele Kirchentänzer gelangen durch Tanz zu einer intensiveren Körperwahrnehmung. Dabei wird auch die eigene Geschlechtlichkeit bewusst. Dies passiert unabhängig von klassischen Mann-Frau Tanzsituationen, wie zum Beispiel dem Paartanz mit seinen fest40 Vgl. B 2.2.4; 2.3.4; 2.4.4. 41 Zu Geschlechtsrollen im Kunsttanz, vor allem im Blick auf den Wandel von Männlichkeits- und Weiblichkeitskonzepten vgl. Schulze-Fellmann 2016. 42 Hoghe 2005, 56.

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gelegten Rollen. Die Möglichkeit, sich in gebundenen oder freien Formen mit seinem Körper äußern zu können, wird für die ganze Person inklusive ihrer Geschlechtlichkeit in Anspruch genommen: So heißt es: „ich als Mann“ – oder „meine Weiblichkeit“. Einer findet, er würde das Tanzen nicht nur als Methode abtun. Die Bewegung gehöre mit zu seinem Wesen und damit auch zu seinem Ausdruck als Mann und als Mensch (vgl. M9). Ein anderer sagt, er wolle auch als älterer Mann in Bewegung bleiben (vgl. Ma10). Unter B 2.5.3 finden sich Aussagen in Bezug auf den Kode: Im Tanz werde der eigene weibliche Körper zum Medium für einen persönlichen Kontakt mit dem Göttlichen (K5–3–3). In ihrer Tanzerfahrung entdeckt beispielsweise Ke ein „Wissen des Körpers, als eine Weisheit, die Traditionen von Tempeltanz in sich trägt“ (Ke27). Dieses Wissen schreibt sie vor allem dem weiblichen Körper zu. Ob es sich dabei um essentialistische Auffassungen des Körpers handelt, kann nicht mit Sicherheit entschieden werden. Im Gegensatz zu solchen männlich-weiblichen Zuschreibungen stehen konstruktivistische Modelle, die von der kulturellen Modellierung auch des Geschlechtlichen ausgehen. Der unbegrenzten Formbarkeit des Geschlechts widersetzt sich jedoch die – auch künstlerisch belangvolle – Materialität des Körpers. Ihr eignet eine gewisse Trägheit, die nicht alle Veränderungen zulässt. Dies hat beispielsweise auch Judith Butler herausgestellt. Sie schlägt eine „Rückkehr zum Begriff der Materie“ vor, „jedoch nicht als Ort oder Oberfläche vorgestellt, sondern als ein Prozeß der Materialisierung, der im Laufe der Zeit stabil wird, so daß sich die Wirkung von Begrenzung, Festigkeit und Oberfläche herstellt, den wir Materie nennen.“43 Deutlich wird allerdings, dass die Tanzenden ihre Männlichkeit bzw. Weiblichkeit im Tanz als positiv erleben. Tanzen verschafft einen Zugang zum eigenen, geschlechtlich sich positionierenden Körper in seiner „Jemeinigkeit“44. Die Wahrnehmung Tanzender, das Körperliche werde in der Kirche als unmittelbar erotisch konnotiert und damit als unpassend aufgefasst, soll später im Kontext der Reflexion von Kirchentanz als spirituelle Praxis aufgegriffen werden. Körper sind im Tanz nicht immer als schon mit bestimmten Bedeutungen besetzte Geschlechtskörper im Blick. Die Vorstellung des Körpers als autonomes Zeichen im Sinne von Mukarˇovsky´45 findet unter anderem Niederschlag in der u. a. von der Künstlerin Anna Halprin inspirierten Tanzpraxis, wie sie unter anderem in der Methodik von Dance&Praise zu beobachten ist.46 In einem mit Laien entwickelten Tanztheaterstück wurde mit Hand- und Fingerbewegungen experimentiert. Die Hände wandelten im Tanz ihre All43 44 45 46

Butler 2007, 32. Haeffner 2004, 21. Vgl. Fischer-Lichte 2001, 40. Die geschilderte Szene hat die Autorin im Rahmen der sog. Sommertanzwoche in Maihingen 2015 unter der Leitung von Kerstin Schlue mitgetanzt.

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tagsbedeutung als Handlungsinstrumente. Sie mutierten zu pflanzenartigen, selbstständigen Wesen, sie zogen, wuchsen, verdorrten, flatterten und erstarrten. Gleichzeitig blieb für die Zuschauer das Wissen präsent, dass die Körper der Tänzer außerhalb des Tanzes elementare Lebensbedeutung für alle alltäglichen Vollzüge besitzen. Gerade die zuletzt beschriebene Szene macht deutlich, dass es im Tanz aufgrund der Materialität der beteiligten Körper zu Figurationen kommt, die den Tanz von anderen Künsten unterscheidet. Im Tanz geht es um eine spezifische ästhetische Erfahrung, genauer um eine Bandbreite von Erfahrungen, die nun, basierend auf den Äußerungen Tanzender und im Anschluss an die kunstästhetischen Diskurse aufgefächert werden können.

2. Ästhetische Erfahrung im Kirchentanz Das für Hans Ulrich Gumbrecht so zentrale Stichwort Präsenz im Sinne von intensiven Momenten der Gegenwärtigkeit, der Fülle, dem Schwingen im Rhythmus mit den Dingen dieser Welt und dem Merkmal der Insularität stellt in diesem Abschnitt die erste Reflexionsperspektive dar.

2.1 Präsenzerfahrungen im Kirchentanz Zunächst ist festzuhalten, dass die kulturhistorische Analyse Gumbrechts in manchen Aussagen widerzuhallen scheint: Ha diagnostiziert eine Entkörperlichung in unserer religiösen abendländischen Welt. Diese habe es „geschafft, dass wir eine Scham entwickelt haben, spontan mitzugehen.“ (Ha26). Gesellschaft und Theologie hätten uns entfremdet vom Körper (vgl. B 2.1.4). Bei Gumbrecht wird diese Diagnose mit dem Begriff „Weltverlust“ zusammengefasst. Dieser sei zwar auf dem Hintergrund der philosophie- und gesellschaftsgeschichtlichen Entwicklungen unvermeidlich, gleichzeitig sei der Wunsch nach „Präsenz“ deswegen aber nicht abzudrängen. Die Sehnsucht nach Momenten der Intensität verdiene Beachtung. Die andere – wichtigere, aber weniger ,epistemologische‘ – Antwort auf die Frage, warum wir unbedingt die ,Metaphysik überwinden‘ wollen, läuft darauf hinaus, daß wir zumindest intuitiv das Gefühl haben, die metaphysische Weltsicht hänge mit dem zusammen, was ich ,Weltverlust‘ nenne. Hier liegt ein wichtiger Grund, weshalb wir das Gefühl haben, zu den Dingen dieser Welt keinen Kontakt mehr zu haben.47 […] Angesichts des Wegs, auf dem [sic!] uns das abendländische Denken geführt hat, und angesichts der verheerenden politischen Wirkung philosophischer Theorien und 47 Gumbrecht 2004, 68 f.

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Ideologien, die sich auf ontologische Prämissen stützen und absolute Wahrheit beanspruchen, kann es durchaus sein, daß wir zumindest in praktischer Hinsicht gar keine Alternative haben zu jener Palette von Weltanschauungen, die wir unter Bezeichnungen wie ,Konstruktivismus‘ oder ,Pragmatismus‘ subsumieren. Aber das Wohnen in (wesentlich pluralischen) Welten, von denen wir wollen, daß sie durch sich verändernde Mengen von Begriffen, Diskursen und Erzählungen geprägt und ,konstruiert‘ werden, erzeugt offenbar den Wunsch nach etwas, was diese Begriffe, Diskurse und Erzählungen – zumindest aus konstruktivistischer oder pragmatischer Perspektive gesehen – nicht einmal mehr zu berühren vorgeben. Und vielleicht wird auch dieser Wunsch um so stärker, je vollendeter wir unseren Konstruktivismus kultivieren.48

Bemerkenswert an der Einordnung der Sehnsucht nach Präsenz durch Gumbrecht ist die Zurückweisung ontologisch-essentialistischer Weltsichten und die gleichzeitige Anerkennung von Konstruktivismus und Pragmatismus. Letzteren soll jedoch gemäß Gumbrecht nicht die letztgültige Interpretation von Wirklichkeit überlassen werden. Dadurch ergibt sich eine Haltung, die geprägt ist vom Aufgespanntsein zwischen weltoffenem Pluralismus und dem Wunsch, den Weltverlust auf dem Weg intensiver Erfahrungen zu überwinden. Eben dies nehme ich auch bei Kirchentanzenden wahr. Äußerungen wie die von Ke (Ke27, s. o.), die scheinbar essentialistisch einen in den weiblichen Körper eingeschriebenen Hang zu Tanz und Spiritualität annehmen, stehen gleichzeitig im Kontext von selbstbewussten Lebensentwürfen. So nimmt Ke das Recht auf eigenständiges Theologietreiben über die Vorgaben überholter Traditionen hinaus und die Gestaltung einer Rollenmuster sprengenden Körperpraxis in Anspruch. Dies ist ohne die selbstverständliche Voraussetzung postmodern-pluralistischer Anschauungen nicht denkbar oder zumindest widersprüchlich. Die in A 2.4 gestellte Frage nach dem Auffinden von Präsenzerfahrungen im Kirchentanz lässt sich mit einigen ausgewählten Beispielen problemlos beantworten. Der Begriff Präsenz bei Gumbrecht fokussiert das Erleben von Gegenwärtigkeit, eine positive Empfindung von Fülle, die sich zunächst noch nicht begrifflich artikuliert oder irgendeiner religiösen Deutung unterzogen wird. Präsenz ist mehr räumlich als zeitlich konturiert. Ähnliches kann in Äußerungen von Kirchentänzer_n wiedergefunden werden: Einer von ihnen weiß nicht, wie er es ausdrücken soll, was ihn in diesen Jahren, wo er das jetzt mitmacht, berührt und was ihn bewegt (B 2.4.1; Kl5). Eine meint: „Wie man sich dann auch selber bewegt, manchmal hat man das Gefühl, man schwebt innerlich, weil alles leicht wird.“ (B 2.4.3; As1–2). Für Kl ist Tanz Bewegung, Weite im Raum (vgl. Kl5). M fühlt sich im Tanz „mitgenommen“ (vgl. M10). Beim Tanzen erlebe man den eigenen Körper vielleicht präsenter (B 2.2.4, E24). Wichtig findet einer der Improvisationstänzer in dem Zusammenhang: 48 Gumbrecht 2004, 163 f.

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„Es ist, was es ist.“ (Fr23). Wenn er sich bewege, dann spüre er seinen Körper. Der Bewegungssinn ist angesprochen. Er spürt die Einladung in der Bewegung, sich auch genuß- und lustvoll spüren zu dürfen und dasein zu dürfen. Dies erlebt er in einem dialektischen Sinne: mit dem, was ihn einschränke, was ihm nicht passe, was ihm vielleicht wehtue. Er erlebt dieses ganze Bild, dass es nicht nur Schmerz ist, sondern dass woanders auch was Schönes noch dabei ist (vgl. Fr23). Auch scheinbar einfache Formen ließen „Fülle“ erfahren. „Wenn du dann das reduzierst auf nur die Spirale und dir anschaust, was die Derwische machen, wenn sie drehen….“. Jedes einzelne Element biete schon eine Fülle (vgl. S38). Besonders viele Äußerungen, die implizit auf das Erleben von intensiver Gegenwärtigkeit hinweisen, finden sich in der Praxis meditativer Kreistänze: Das Ziel vom meditativen Tanz ist, eine innere Zentrierung zu erreichen, nicht ein Nach-außen-Präsentieren, sondern ein Sich-selbst-erfahren-nach-innen (B 2.1.1; Ro18). Wenn sie tanze, sei sie ganz bei sich selbst (B 2.1.2; C33). Bei einer Frau stelle sich ein langanhaltendes Gefühl von „Eins-Sein mit sich selbst“, ein „Kokon von Wohlbefinden“ (B 2.4.3, Gi46) ein. „Oder das trifft mich wirklich im Innersten. Da kommen mir dann plötzlich die Tränen, oder ich könnt weiß woher jetzt, oder ich empfinde Wahnsinnsfreude…“ (B 2.1.2; GT2). „[…] wo ja die vielen kleinen Schritte sind und auch die Musik ja so wrr. Ne, so wurr, also wird wirklich durch diese Schritte dann so ausgedrückt [unverständlich] durch den Körper auszudrücken“ (B 2.5.4; GT15). „Ich kann mich da hineingeben, ich kann mich fallenlassen. Ich kann bei mir sein“ (B 2.1.2; Jo4). […] und auch wirklich zu mir kommen. Wirklich so also so, man gerät ja öfters auch von sich wieder weg“ (B 2.1.2; Re23) „…es ist einfach eine Intensität, die sich nicht beschreiben lässt.“ (B 2.4.3; GT54). Ku hat Kreistanz mitgemacht „und hab sofort gespürt, dass mich das total berührt“ (B 2.2.5; Ku3). Gi bemerkt: „ich bin im Kreis, und es fließt und das ist wunderbar“ (B 2.3.2; Gi8). Es seien viele Tränen geflossen, weil die Texte und die Tänze, die Musik sie so berührten (vgl. B 2.3.5; Gi8). Auch wenn die semantische Dimension ins Spiel kommt, wird darauf geachtet, dass sie nicht dominiert. Wosien habe die Grundformen der Schritte benannt, so dass deren Symbolgehalt klar geworden sei. Dies sei C wichtig gewesen, und sie habe es geschätzt, dass die Deutung hierbei nicht festgelegt worden sei (vgl. B 2.3.2; C4). Anhand der hier wiedergegebenen Äußerungen tritt eine Form ästhetischer Erfahrung hervor, die kaum oder wenig zwischen Präsenz und Sinngebung oszilliert. Das Erleben im Moment zählt. Das Tun berührt, teilweise fließen Tränen. Konkrete Auslöser zu benennen, erscheint weder möglich noch erheblich. Was erlebt wird, darf zwar subjektiv gedeutet werden, muss es aber nicht. Die Praxis verweist zurück auf sich selbst, ist selbstreflexiv. Unter Umständen geben mehrdimensionale Symbole einen Rahmen, Festlegungen sind nicht erwünscht. Vielen scheint wichtig, zur Ruhe zu kommen. Dazu gehört eine gewisse Gelassenheit im Tun. Diese bildet eine möglicherweise für den meditativen Tanz typische ästhetische Einstellung, die sich genauer cha-

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rakterisieren lässt als Bereitschaft, sich frei von Leistungsdruck voll und ganz den Bewegungsformen hinzugeben, sich darin zu entspannen und etwas Gutes und Schönes zu tun: Das Tanzen habe sie empfunden als Entlastung und als Möglichkeit, etwas möglichst schön zu tun, ohne Druck (vgl. C32). Wenn sie angespannt gewesen sei, habe sie sich da entlasten können (vgl. Mn7). „Es geht wirklich drum, zu entspannen, zur Ruhe zu kommen, und dann wirklich jetzt ja auch sich was Gutes zu tun.“ […] „das ist dann das, was das Leben weitet und wo es nicht da drauf ankommt, dass jeder Schritt sitzt. Und wenn ich mal drauskomme, darf ich drauskommen, und ich finde dann auch wieder hinein.“ (vgl. Jo3). Eine „physische Nähe“ und „Greifbarkeit“49 tritt auf, zusammen mit dem intensiven Erleben von Räumlichkeit. Eine „solche Form der Präsenz, die der Sinndimension entschlüpft, muß in einem Spannungsverhältnis zum Prinzip der Repräsentation stehen“50. Raumerfahrung ist über das Erleben zeitlichlinearer Phänomene hinaus offener für synästhetisches Erleben. Tanzen ist die bewusste Bewegung in Raum und Zeit: Diese erläutert eine Tanzleiterin anhand von Elementen aus Bühnenstücken von Pina Bausch. Bausch ließ eine Profitänzerin eine halbe Stunde mit dem Rennrad im Kreis auf der Bühne herumfahren (B 2.1.1; A22). Ta versteht Tanz als Komposition von Zeit, Raum und Energie (B 2.1.1; Ta37). Tanz erschaffe durch Bewegungen Räume. Tanz reagiere aber auch mit den ihn aufnehmenden vorgegebenen Räumlichkeiten. Manche Räume würden durch ihre besondere „Energie“ als Tanzräume geschätzt (B 2.3.2; C81; 2.6.2.1). GT nennt das „Gefühl der großen unermeßlichen Kraft, die ganz besonders in diesem leeren Kirchenraum zu spüren war“ (B 2.3.5; GT54). Sa hat erfahren, dass auch für andere, die den Tanz nicht miterlebt haben, sich die Raumwahrnehmung verändere (B 2.3.6, Sa33)51. Auch das Tanzen unter freiem Himmel kann als besondere Raumerfahrung gelten. Ro erinnert sich an Tanzfeste in der Bretagne: Wenn sie dort mit über hundert oder ja fünfhundert Menschen tanze, dann sei der Raum unendlich, und sie fühle sich trotzdem getragen. Es sei für sie ein tiefes spirituelles Erleben (B 2.3.6; Ro14). Tänze ermöglichten Wegerfahrungen, durch einen Weg mit Geh-Tänzen werde der Tanzraum erfahren (B 2.3.2; Gi25). Fr schließlich qualifiziert mitunter den Tanzraum durch eine theologische Vorgabe, die 49 Vgl. die Bezugnahme von Gumbrecht auf Jean Luc Nancy. Gumbrecht 2004, 70. 50 Gumbrecht 2004, 77. Der Begriff „Repräsention“ ist darüber hinaus ein schillernder Begriff, der in der aktuellen Sprach- und Kulturforschung eine zentrale Rolle spielt. Den Diskursen ist die Tendenz gemeinsam, die Vorstellung von „Repräsentation“ zu dynamisieren. Unvorhergesehenes und Diffuses tragen zu Repräsentationsprozessen bei. Damit ist das Verständnis Gumbrechts, das beim Diskursiven ansetzt, wesentlich erweitert, der Kontrast zur „Präsenz“ abgemildert. Vgl. Gruber/Mokre 2016. „Re-Präsentation impliziert […] die Wiedergewinnung einer ursprünglichen, verlorengegangenen Präsenz. Als solche hat sie in der Menschheitsgeschichte zunächst mit dem in der profanen Zeit verloren gegangenen Göttlichen, und daher mit Mythos und Ritus, zu tun.“ Rössner 2017, 8. 51 Ausführlicher siehe unten.

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Gnade, und fragt: was tut sich für mich körperlich, wenn ich mir vorstelle, ich bin jetzt im Raum des Dasein-Dürfens? (B 2.3.6; Fr28). Körperraum, physischer Raum und Vorstellungsraum interagieren auf diese Weise miteinander. Gelingt es im Kirchentanz, in Momenten das zu verwirklichen, was ein Zeitgenosse wie Gumbrecht ersehnt, nämlich „eine Schicht in den kulturellen Objekten und in unserem Verhältnis zu ihnen zu erreichen und zu denken, die mit keiner Sinn-Schicht identisch ist.“?52 Ein Mitschwingen im Rhythmus mit den Dingen dieser Welt könnte eine treffende Metapher sein für das Erleben, das sich häufig beim Tanzen im Kreis einstellt. Die Sinndimension der Tänze tritt zurück. Auf diese Weise werden Erfahrungen von Präsenz erzeugt: Für Ma bildet der Kreis ein Grundsymbol von Harmonie. Alle tun das Gleiche. Besonders von der Musik glaubt er, „dass die noch mal Weiten und Herzen und Räume öffnet, die man sonst im normalen Umfeld nicht öffnen kann.“ (B 2.3.2; Ma18). Es könne jedoch nicht darum gehen, Deutungen vorzugeben. Das Gemeinsame habe „große Bedeutung, und da muss man gucken, wie man es füllt“ (B 2.3.2; Ma18). St würde grundsätzlich sagen, der Kreis sei die wiederkehrende Grundform und ein Ursymbol. Den Kreis gebe es nicht ohne Mitte, auch wenn man die nicht sehe. Die Kreisform sei eine archaische, magische Form (vgl. B 2.3.2; St30). Verschiedene Äußerungen Tanzender betonen den intensivierten Kontakt mit der Erde. Bei Gumbrecht hat der Begriff „Erde“ in Anlehnung an Heidegger53 eine gewisse Bedeutungsschwere. Zwischen „Welt“ und „Erde“ bestehe ein Spannungsverhältnis, parallel zu den von Gadamer festgestellten semantischen und nichtsemantischen Komponenten eines Textes. Mit dem Begriff Welt verbindet Gumbrecht „Konfigurationen von Dingen im Kontext spezifischer kultureller Situationen“, mit Erde54 „Dinge, die unabhängig von ihren spezifischen kulturellen Situationen gesehen werden“55. Die folgenden Statements deuten, meine ich, auf ein an vorkulturellen oder archaischen Ursprüngen orientiertes Verständnis von „Erde“ hin: Die Tänze, die „wirklich einen unglaublich alten Hintergrund haben, dieses Streicheln von der Erde praktisch bei den griechischen Tänzen“ findet Vo einfach toll (vgl. B 2.3.2; Vo10). Choreographierte Kreistänze haben weniger Korrespondenz zur Erde als Volkstänze (vgl. B 2.3.2). C bietet Tanz an, der „…auch irdisch, erdig, kraftvoll und heiter-kommunikativ“ ist (C29). Re betont für die meditative Kreistanzszene die Bedeutung von „Power“ und „Stampfen“ (B 2.3.2; vgl. Re17-18; vgl. Re5). Der Kode „Tanz lässt mich die Verbindung von Himmel 52 Gumbrecht 2004, 73. 53 Gumbrecht schätzt Heidegger, weil er der einzige Philosoph aus der jüngeren Vergangenheit sei, der in Sein und Zeit programmatisch längere Zeit ein Repertoire an nichtmetaphysischen Begriffen erarbeitet habe. Vgl. Gumbrecht 2004, 85. 54 „Es ist die Komponente der Erde, die es dem Kunstwerk oder dem Gedicht ermögliche, ,in sich dazustehen: Es ist die Erde, die dem Kunstwerk räumliches Dasein verschafft.‘“ Mart nez 2006, 12. 55 Gumbrecht 2004, 97.

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und Erde erleben“ (B 2.5.2; K5-2-5) fasst mehrere Aussagen zusammen.56 Ein mehr an biblische Vorstellungen angelehntes Verständnis findet sich in dem Votum von Sa, für die „das Land einnehmen“ ein „ganz starker Charakter von Tanz“ ist (Sa25).57 Der von Michail Bachtin eingeführte Begriff Insularität dient Gumbrecht dazu, die Präsenzerfahrungen noch näher zu qualifizieren durch ihr Herausgehobensein aus dem Alltag: Es mag zwar grundsätzlich richtig sein, daß alle unsere (menschlichen) Beziehungen zu den Dingen dieser Welt sowohl auf Sinn als auch auf Präsenz beruhen müssen, aber dennoch behaupte ich, daß wir unter den heutigen Kulturverhältnissen einen bestimmten Rahmen benötigen (nämlich die Situation der ,Insularität‘ und die Einstellung der ,fokussierten Intensität‘), um die produktive Spannung, das Oszillieren zwischen Sinn und Präsenz, wirklich zu erleben, anstatt die Präsenz einfach einzuklammern, wie wir es in unserem überaus cartesianischen Alltagsleben offenbar ganz automatisch tun.58

Die Tanzenden haben sich zur Beziehung zwischen der Tanzerfahrung und ihrem Alltag recht differenziert geäußert. Einerseits scheinen manche beim Tanzen eine gewisse Alltagsferne zu schätzen, andererseits sehen andere den engen Lebensbezug der Tänze als zentral an: Eine meint, es komme häufig vor, dass sie im Tanz mehr sie selbst sei als sonst im Leben (B 2.4.2; Me23). „Also auch das Unbekümmerte und eben Nicht-Fragen, was denken denn die anderen von mir? Halten die mich für verrückt? Sondern ich kann dann einfach jetzt sein, wie ich bin und wie ich mich gerade fühle, und das halt in dieser Bewegung des Tanzes ausdrücken.“ (B 2.4.2; Jo16). „Der Tanzsaal ist der Ort, wo ich aufatme und meine Socken ausziehe, da barfuß stehe und das Gefühl hab, hier bin ich da. Hier bin ich richtig. So, das ist mein Ort, das ist eigentlich mein Ort.“ (B 2.4.2; Ke9). Da findet eine Bereicherung statt, vor der man sich im Alltag scheut, vielleicht weil man die nicht braucht (B 2.4.4; Be30).59 Von anderen Befragten wird ein Alltagsbezug bewusst hergestellt. „Das Leben tanzen“ (vgl. Fr) meint ein In-Kontakt-Sein mit der eigenen Wirklichkeit, den schönen und den Schattenseiten. Die Insularität wird relativiert durch die beschriebenen Wirkungen der Tanzerfahrungen bis in den Alltag hinein. So verändert nicht nur der Alltagsbezug den Tanz, sondern auch der Tanz den Alltag. Unter B 2.4.7 „Die Erfahrung der Transformation des Lebens durch Tanz“ sind Wirkungen des Tanzes auf den Alltag dargestellt: Der Tanz lässt Erfahrungen machen, die in den Alltag mitgenommen werden (K4–7–2). Dazu wird ausgesagt, dass sich die eigene Herangehensweise an das Alltags56 Siehe auch Schemann 1999, 99: „Je besser ich mit der Erde im Kontakt bin, um so leichter kann ich nach oben wachsen und mit dem Himmel in Berührung sein.“ 57 Siehe auch Schemann 1999, 99: „Dabei nehme ich neues Land ein, ein neues Stückchen Erde gibt mir Halt, lässt zu, dass ich mich verwurzele.“ 58 Gumbrecht 2004, 127. 59 Mehr dazu siehe unter B 2.5.2 Entgrenzungserfahrungen.

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leben verändert habe. Im Leben im Alltag erschließe oder erweitere sich etwas (vgl. Kl5). Ein Ziel von Soul MotionTM ist, dass das, was die Tanzenden im Tanz üben, auch eine Auswirkung haben soll im Alltag. Damit ist gemeint, dass zum Beispiel die Präsenz in den Alltag hinübergerettet werden kann. Dies wäre dann gelungen, wenn man aus dem Tanzrahmen oder aus der Kirche herausgeht, man dann nicht immer wieder in die alten Muster zurückfalle, sondern „dass man einfach so eine Wachheit mitnimmt, dass man vielleicht auch den eigenen Körper präsenter erlebt und dass das mehr auch in den Alltag rüberschwappt. Und da hab ich schon das Gefühl, das ist bei mir auch der Fall.“ (E24). Das Kohärenz-Gefühl scheint gestärkt worden zu sein, wie viele Beispiele zeigen (vgl. B 2.2.4). Das Körpergefühl intensiviert sich und damit für einige ihr Zugang zur individuellen Weiblichkeit oder Männlichkeit. Einer findet, dass Tanz auch eine Nahrung sei und etwas Stärkendes habe (vgl. B 2.1.2; G7; G25). Tanzschritte würden als Bilder des [Lebens-]Weges oder als Lebensbilder verstanden (vgl. B 2.1.1; C3). „Diese Kreistänze sind Lebenstänze, und da finde ich einfach alles wieder, was zum Leben gehört.“ (Re4). Tanz wird als eine Art Lebensbegleitung verstanden (vgl. Be26). Das Tanzen hatte eine Befragte gestützt, sogar „gerettet“ (vgl. Gi8). Ein Tänzer macht die Erfahrung, dass Körperbewegung auch was mit Selbstwahrnehmung zu tun habe und mit Selbstsorge (vgl. B 2.1.3; F12). Ein Kode resümiert: Das Selbstvertrauen sei durch Tanzen gewachsen (vgl. K2–4–2–6). Tanzen sei einerseits ein Lebensgefühl, andererseits ein Lebensstil geworden (vgl. Sa26). F begegnet Lebensfragen mit Tanz und nennt dies „Lebenstanz“ (B 2.1.2; vgl. F28). Eine Tänzerin beschreibt ihr Tanzen und auch ihr Denken als „Kreisen zum Kern“. Sie umkreise, entferne sich und komme wieder näher (vgl. Ta11). Typisch für ästhetische Erfahrung in kirchlichen Tanzszenen scheint generell die Präsenzerfahrung zu sein, die nicht durchgängig religiös gedeutet wird. Sie ist raumbezogen, sucht die Verbindung zur vorkulturellen Größe „Erde“ und ist trotz ihrer Alltagsenthobenheit bis in das Lebensgefühl im Alltag wirksam.

2.2 Ästhetische Erfahrung im Horizont eines existenziellen Erfahrungsbegriffs Existenziell bedeutsame Erfahrungen stehen nach Gadamer im Gegensatz zu naturwissenschaftlich-empirischen Erfahrungen. Diese verhelfen Subjekten zu einem veränderten Selbst- und Weltzugang. Der reichhaltige, existenzielle Erfahrungsbegriff bezieht sich im Zusammenhang mit ästhetischer Erfahrung auf die vorübergehenden oder nachhaltigen transformatorischen Wirkungen der Kunsterfahrung. John Dewey verweist bereits 1934 in seiner Erfahrungstheorie auf den affektiven, bzw. phänomenalen Aspekt der ästhetischen Er-

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fahrungen. Diese ragten aus dem Strom unseres bewussten Lebens heraus.60 Die lebensweltliche Bedeutsamkeit der im Kirchentanz sich ereignenden existenziellen Erfahrungen ließ sich an Aussagen der Wirkungen im Alltag aufzeigen. Dies ist nur eine Möglichkeit, um die Bezüge zum existenziellen Erfahrungsbegriff darzustellen. Ein weiteres Merkmal besteht in seiner Komplexität. Existenzielle Erfahrung entsteht in komplexen Figurationen.61 Während die oben wiedergegebenen Aussagen sich mehr oder weniger deutlich auf die Transformation des Selbstbezugs konzentrieren, ohne dass dies besonders beabsichtigt war, kommt es nun darauf an, anhand von sozialen und ethisch relevanten Erfahrungen im Tanz das Potenzial zur Veränderung des Weltbezugs zu eruieren. Zunächst wird Voten von Tanzenden Raum gegeben, die die Komplexität der Erfahrungen in den gebotenen Konfigurationen deutlich machen. Diese hängt zum Teil mit der gleichzeitigen Anregung verschiedener Dimensionen des Menschseins zusammen, der somatischen, pragmatischen, affektiven und der kognitiven: Be findet einen nicht endenden Kosmos an Möglichkeiten und Erfahrungsgebieten. Dieser sei unendlich, so werde es einem auch nicht langweilig. Ein Reiz bestehe auch in der Kombination musikalischer und intellektueller Aspekte (vgl. B 2.1.2; Be24; 2.1.3; U75). Tanzen vereine so viele Erlebnisaspekte – Raumerfahrung, Musik- und kinetische Erfahrung, Wahrnehmung und Spüren –, dass es zu einer hohen Intensität komme, die sich mit Worten kaum beschreiben lasse (vgl. B 2.4.1; GT54). Ein Tänzer betont nach einer längeren Phase der einseitigen Körperbetonung wieder neu den Zusammenhang von Körper und Verstand beim Tanzen (B 2.4.5; Ma8). Komplexität könne auch in ganz einfachen Formen erlebt werden: Wenn wir zum Beispiel mit den Tänzen, wenn wir eine Gebärde nach rechts machen und dann nach rechts lostanzen, das ist von großer Bedeutung für nicht nur die körperliche Ebene, sondern für die ganze Harmonie und das Die-Verbindung-Suchen, dass dann zum Beispiel der linke Arm nicht irgendwo hängt, kannst du dir vorstellen, dass ich den linken Arm wahrnehme, während ich mit dem rechten was mache, das meine ich mit Linien, weißt du? Und das ist spannend, das ist einfach unendlich spannend. Da braucht man keine großen Tänze für, da kann man ganz einfache Dinge machen.62

Das Verständnis von gesehenem Tanz beruht nicht nur auf kognitiver, sondern auch auf somatischer Wahrnehmung: Bei einer Performance gab es Reaktionen vom Publikum. Zuschauende hätten gesagt, sie hätten überhaupt nicht verstanden, was die Tänzerin da gemacht habe, aber es hätte ihnen viel gegeben. Daraufhin habe die Choreographin vom Körper-Gedächtnis gesprochen und erklärt, dass sie sich im Alltag an die Körperhaltungen erinnern 60 Vgl. Deines/Liptow/Seel 2013, 15. Vgl. Dewey 1980, 47–71. 61 Vgl. A 2.4. 62 B 2.4.5; S33.

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würden, die sie in Bezug auf dieses Wort gesehen hätten, dadurch, dass sie immer wieder wahrnähmen, wie andere Menschen sich bewegen und halten.63 Daher ist anzunehmen, dass die somatische Wahrnehmung, die auch beim Zuschauen spürbar ist, dazu beitragen kann, die Sensibilität gegenüber anderen in ihrer Körperlichkeit anzuregen. Weitere Aussagen klären die Frage, ob Menschen beim Tanzen eine höhere soziale Sensibilität erlangen. Die soziale Dimension von Kirchentanz, die sich in der Vorstellung von Verbundenheit kristallisiert, ist evident. Sie ist ein zentraler Faktor der Komplexität ästhetischer Erfahrung und findet sich durchgängig und stilübergreifend: In einem Kreistanz ist es nicht erforderlich, dass ich ein Professor oder Manager bin, sondern ich kann auch als ganz einfache Frau, ganz einfacher Mann in den Kreis mitgenommen werden. Das lenkt den Blick auf die inneren Qualitäten von Menschen und nicht nur auf den äußeren Stand in einer Gesellschaft oder Gruppe.64 Tanzende finden „auch Geborgensein vielleicht“.65 Das Sich-im-Kreis-Bewegen und eine-Gruppe-Sein hat einen der Befragten fasziniert: ein Kreis zu sein, der dasselbe erlebt, die zusammen singen, tanzen und auch etwas Gemeinsames ausdrücken.66 Ein Kirchenmusiker ist begeistert, wenn im Familiengottesdienst an die hundert Leute eine Gebärde mitmachen.67 Die Musik trägt dazu bei, Verbundenheit untereinander beim Tanzen zu spüren. Geborgenheitserfahrungen kristallisieren sich in Situationen, in denen Trost erlebt wird: Im Tanzkreis der Kurseelsorge war ein offenbar recht niedergeschlagener Soldat, dessen Rückkehr nach Afghanistan bevorstand. An diesen Tanz schloss sich ein Gruppengespräch an. Die Tanzenden hätten letztlich gespürt, wie wichtig es sei, wenn man in einer guten Gruppe in der Begegnung mithilfe des Tanzes entspannen könne.68 Eine andere Tanzgruppe habe für ein schwer krankes Gruppenmitglied in dessen Abwesenheit getanzt und dann erneut, als sie gestorben war. Die Leiterin betont die soziale Bedeutung des gemeinsamen Ausdrucks von Lebenserfahrungen, Belastungen, aber auch Freude im Tanz.69 Ethische Relevanz70 erhalten die Tanzerfahrungen, wenn das ästhetische Erleben mit Deutungen von Freiheitserfahrung, Wahrnehmung der Menschenwürde und einer neuen Verortung des Selbst in der Welt verbunden wird. Ein gestiegenes Selbstbewusstsein scheint die Basis zu sein für „Souveränität“ im Sinne von Handlungsfreiheit (vgl. Ta6, GT5, Ro23). Die Äußerungen von Be, Ke, Sb, Ha, Ea und Ta beziehen sich auf freie, improvisatorische und theatrale Tanzstile, As tanzt meditativ: Der Tanz sei das Einzige, was einem 63 64 65 66 67 68 69 70

Vgl. B 2.3.7; A23. Vgl. B 2.1.1; M12. B 2.1.2; GT4. Vgl. B 2.1.3; St12. Vgl. B 2.1.3; G30. Vgl. B 2.3.7; M15. Vgl. B 2.3.7; Ro22. Siehe auch die Aussagen in B 2.7.2.

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wirklich erlaube, frei zu sein.71 Für Sb sei vor allem der Freiheitsaspekt wichtig. Sein Beispiel ist der Tanz, der die Heilung der verkrümmten Frau thematisch aufgreift. Diese Geschichte führe in den aufrechten Gang. Das körperlich erfahrbare Motiv des „aufrechten Gangs“ sei dabei zentral.72 Mit Freiheit habe außerdem zu tun, dass man in der tänzerischen Praxis auch an Widerständen und Blockaden arbeite sowie an dem vorwiegend funktionalen Körperbild, das in unserer Gesellschaft weitergegeben werde.73 So habe der tanztherapeutisch arbeitende Improvisationstänzer entdeckt, dass die Bewegung und der Tanz befreiend wirken, „aus vielen Zwängen und Korsetten, in denen wir uns allzu häufig bewegen“.74 „Tanz ist frei, es ist frei. Ich möchte das positiv erleben und keine Zwänge, und keiner, der mir sagt, Ea, du musst es so machen, so ist es richtig“.75 Im Tanztheater wird Freiheit genutzt, indem gesellschaftlich-politische Themen auch provokant auf die Bühne gebracht werden.76 Ein in der Kirche praktizierender Tangotänzer sieht im Tango eine Stärkung der menschlichen Würde. Er ist davon überzeugt, dass Tango und Gottesdienst aufgrund der gemeinsamen Menschenwürdethematik aufeinander bezogen werden können.77 Man könne sich auf faszinierende Weise selbst darin erkennen und nach seiner eigenen Würde zu fragen beginnen, dem eigenen „König-Sein“ und der eigenen Kraft.78 Aufgrund dieser mit politischen Themen verknüpften Tanzerfahrung hinterfragt er die meditative Tanzpraxis und den „liturgischen Tanz“, weil dieser kaum politisch sei.79 Wenn sich Menschen auf Tanzangebote einlassen, dann machen sie in der Regel die Entdeckung, dass sie sich und ihre Verortung in der Welt nochmals auf eine ganz andere Art und Weise kennen- und annehmen lernen.80 Eine Tänzerin erklärt sich die Welt stets zuerst körperlich und sinnlich, wenn sie versucht, Dinge zu verstehen. Dies betrifft auch ihr Verständnis von Beziehung. Sie erlebt Beziehungen als Bewegung.81 Das Einlassen auf fremde Kulturen hat nach Einschätzung mancher mit der Wahrnehmung von Bewegungen und Musik aus internationalen Kontexten zu tun. Im Tanz kristallisiere sich das Faszinierende der anderen Kultur.82 Besonders in der Kreistanzszene begegnet die Sichtweise, dass internationale 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82

Vgl. B 2.1.2, Be27. Vgl. B 2.1.3; Sb27. Vgl. B 2.1.4; Ke44. B 2.1.4; Sb27. B 2.4.2; Ea50. Vgl. B 2.1.3; Ha55–57. Vgl. B 2.2.6; Hs1. Vgl. B 2.2.6; Hs12. Vgl. B 2.3.2; Hs33. Vgl. B 2.3.7; Sb12, Sb36. Vgl. B 2.4.5; Ta12. Vgl. die Faszination durch religiösen Tanz in Tansania, Amerika und Südosteuropa bei Gisela von Naso. Vgl. von Naso 2000, 35.

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Tänze eine Begegnung mit fremden Kulturen darstellen und die Einstellung dem Fremden gegenüber positiv verändert.83 Da Tanz nonverbal ist, wird die Kommunikation mit Menschen anderer Kulturen erleichtert, was die Arbeit in interkulturellen Tanztheaterprojekten (in Südafrika) lohnend macht.84 Die von den Tanzenden verwendeten Begriffe Freiheit und Menschenwürde beruhen nicht explizit auf theologisch-ethischen Überlegungen, sondern werden unterschiedliche Konnotationen haben, die nicht näher festzustellen sind. Dennoch deutet sich bei den Befragten eine Öffnung auf ethische Fragen und Themen durch ihre Tanzpraxis an. Ethische Relevanz stellt sich tatsächlich nicht nur als angewiesen auf bestimmte Deutungsleistungen der Tänzer dar. Tanz-Ästhetik wird auch dort für Verhalten und Einstellungen von Menschen wichtig, wo liminale oder liminoide Erfahrungen gemacht werden. Diese These, die besagt, dass Menschen im Tanz Transformation als wichtigen Teilaspekt erleben, soll im folgenden Abschnitt überprüft werden. Dies kann sichtbar gemacht werden anhand der Reflexion von Tanz unter der Perspektive der Performativität. In C stellten wir bereits fest, dass es beim „Performativen [um] seine Fähigkeit der Wirklichkeitskonstitution, seine Selbstreferentialität (die Handlungen bedeuten das, was sie vollziehen), seine Ereignishaftigkeit und die Wirkung, die es ausübt“ geht.85 Außerdem hat die Perspektive der Performativität Bedeutung für die Erklärung von Situationen der Liminalität. Liminales, also Schwellenerfahrungen, ist im Tanzsehen wie auch im Tanzen angelegt. 2.3 Transformation durch Kunsterfahrung Erklärungswert für das Liminale im Ästhetischen besitzt die Theorie von Fischer-Lichte, die in kunsttheoretischen Reflexionen zur Performance Art, wie sie im Zitat von Lange (s. u.) zum Ausdruck kommt, vielfach verarbeitet wurde. Fischer-Lichte sieht in der Performance Chancen, liminale Erfahrungen zu machen, und zwar sowohl beim Rezipieren der Performance wie auch als aktiv Beteiligte. Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Performativität produziert Schwellenerfahrungen, die Menschen verändern können. Das Performative erzeugt Präsenzerfahrungen, der Schwerpunkt liegt nicht mehr auf dem Deuten, sondern auf affektivem, somatischem Erleben. Damit werden Akzente im Leben gesetzt, die sich vom Fluss des Alltags unterscheiden. Bewußtes performatives Handeln macht in einer Zeit des medialen Zeitdiktats nicht nur biographisch-facettierte, spielerisch oder ausdauermäßig hervorgebrachte Körpererfahrungen, sondern auch neue, ungewohnte subjektive Raum- und Zeiterfahrungen produktiv. Denn jeder Performanceentwurf thematisiert zunächst die individuelle Spur des (sich) suchenden […] Ichs im rhizomartig angelegten Netz der 83 Vgl. u. a. B 2.1.3; As4. 84 Vgl. B 2.4.8; Ha26. 85 Fischer-Lichte 2001, 20.

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Möglichkeitsfelder. […] Außerdem lehrt die Performance Art mit ihrer Nähe zum ,als-ob‘ des Spiels, dass das Oszillieren des Ästhetischen zu Kunst sich zwischen Wahrnehmung des Inneren und des Außen, zwischen Improvisation und Regel sowie zwischen der positiven Registrierung von Zufall und Arbeit am Konzept abspielt.86

In den Aussagen der Tanzenden tritt das Prozesshafte ebenfalls hervor. In Tanzerfahrungen inbegriffen sind auch neue Selbstwahrnehmungen, die durch Körperwahrnehmungsübungen in Kirchentanzangeboten ausgelöst werden. Intensive Emotionen stellen einen Schlüssel zur Wahrnehmung neuer Lebensräume dar: Wenn die Menschen anfangen, zu gähnen oder zu weinen, findet eine der Tanzleiterinnen das wunderbar, weil sie dann wisse, die Teilnehmer seien berührt, und dies dürfe sein.87 Es komme öfter vor, dass jemand weint. Ein Pfarrer erinnert sich, er habe beim Salsatanzen „ein Grinsen im Gesicht und da ein immenses Glücksgefühl“.88 Wodurch das Berührtsein oder Glücksgefühl im Einzelnen ausgelöst wird, kann nicht festgestellt werden. Anzunehmen ist wohl ein Komplex von Tanzbewegung, Musik und sozialem Kontakt. Über einmalige oder wiederholte Emotionsbewegung hinausgehend bestehen Erfahrungen der Veränderung einer Lebenslage durch die Modifikation von Gefühlen. Dabei wird eher ein über längere Zeiträume wiederholtes Erleben der Begegnung mit Choreographien, Musik und Menschen vorausgesetzt. Die prozesshafte Transformation wird mit dem Begriff Heilwerden beschrieben. Das Tanzen hat beispielsweise eine Teilnehmerin der Tanzmeditation in schwerer Trauerarbeit unterstützt: „Also es war für mich irgendwie fast die Rettung […] ja und so heilsam, also ich empfinde es dann als so heilsam. Aber das ist nicht was, wo ich an irgendwas festmachen kann, das passiert einfach. Das ist das Eine für mich, dieses meditative Tanzen. […] Für mich ist das Tanzen eigentlich auch mal ein Stück Heilwerden im Tanz“.89 Heike Walz, die das Phänomen Tango Argentino in interkultureller Perspektive theologisch reflektiert, bezieht sich auf eigene biographische Erfahrungen, wenn sie dessen heilsame Wirkungen von Freude bis Gleichgewicht und Verarbeitung von Ambiguitäten in (interkulturellen) Situationen benennt.90 86 87 88 89 90

Lange 2006, 102 f. Vgl. B 2.3.7; Gi10. B 2.4.3; Hs3. B 2.1.2; GT3, GT5, GT7. Walz 2012: „Je ne suis pas une danseuse professionelle, mais danser, pour moi, signifie joie, sortie de moments difficiles et s’ouvrir la vie par de nouveaux chemins. Ce fut aussi un rem de et une forme de r sistance la souffrance. Quand j’avais ving-cinq ans je dansais de la ,danse moderne‘. J’ai appris que je souffrais de l’arthrose au pied gauche. Au milieu de traitements inutiles et d’une op ration vaine, une femme en Suisse me recommenda de danser ,le tango argentin‘. Cela m’aida trouver un meilleur quilibre, tant dans la r alit sensible que dans le sentir methaphorique.“ In Wuppertal lernte sie sowohl das Tanztheater von Pina Bausch kennen als auch die positiven Wirkungen der Tanztherapie: „Cela me fascina d’exp rimenter quel point la danse a un effet lib rateur pour exprimer des sentiments et des conflits en un bal

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Der Tanz öffnet möglicherweise eine Art Schwellenraum, in dem liminale Erfahrung zu Veränderung führt: Zur These, dass Tanzen Menschen verändert, sagt einer der Tanzenden „Eindeutig ja.“91 Tanzen sei etwas ganz stark Dynamisches, und es verändere. Es gehe ein Prozess los, es verändere etwas.92 Tanz sei ein Weg. Dieser Gedanke habe bei einer Tänzerin mit ihrer Biographie zu tun. Tanz sei für sie ein Weg zu sich selber hin.93 Tanzen verändere Menschen, hoffe sie, wisse es aber sicher zu sagen im Blick auf sich selbst.94 Eine andere vertritt den Standpunkt, dass Tanzen Menschen verändern könne, aber nicht müsse. Allerdings betont sie, dies selbst erlebt zu haben. Die Veränderung könne sich sehr klar und einschneidend an einem Tag vollziehen, bei manchen in mehreren Jahren und bei manchen auch nicht.95 Die Veränderung geschehe durch Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis, das gehe zusammen. Es könnten auch irgendwelche Knoten im Leben gelöst werden.96 Eine hochbetagte Tänzerin sagt im Rückblick über sich, das Tanzen habe sie „total verändert“.97 Die Selbsterfahrung im Tanz führe zu einer wertschätzenden, aufmerksameren Haltung im Umgang mit dem Selbst vermittelt über die Körpererfahrung.98 Dies könne sich im Rahmen von begleitenden Körper-

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improvis . […] Je compris la danse th rapie comme moyen pour exprimer l’indicible, dans ma situation: les exp riences interculturelles.“ Vgl. B 2.1.3; Sb26. Vgl. B 2.1.3; Sa21. Vgl. B 2.1.3; Ke26. Vgl. B 2.1.3; Ke37. Vgl. B 2.1.3; Si24: Si beschreibt ein Beispiel: „Und da hatten wir einen jungen Mann, der war groß, sehr stark, also muskulös, nicht dick meine ich jetzt, ein richtiger Kerl, der hat also Modern Dance, Jazz Dance, Ballett gelernt und der hatte immer so eine Haltung wie jemand, der gar keine Kraft hat. Und Ziel war, morgens haben alle Schüler zusammen biblische Lehre gehört und nachmittags kam dann meine Klasse zum Tanzen. Und eine Woche lang ging es um das Thema Gottvater und wir als die Kinder Gottes, aber auch der menschliche Vater und also der leibliche Vater und der Sohn. Und wir haben diese Themen aufgegriffen im Tanzen und haben versucht, das zu verarbeiten. Also heute würde man Tanztherapie vielleicht sagen, nur christliche Tanztherapie würde ich das jetzt so nennen, habe ich mit denen dann einiges aufbereitet in dem Thema, und da war dann auch Zeit, sich berühren zu lassen, über die Dinge nachzudenken und darum Gott zu bitten, dass er einen berührt, und an dem Morgen hat Gott diesen jungen Mann an einem ganz bestimmten Punkt in seinem Leben mit seinem leiblichen Vater berührt, wo eine tiefe Wunde war, die Gott dann irgendwie bearbeitet hat, dann noch mit seelsorgerlichen, also mit Menschen zusammen, und am nächsten Tag stand der im Ballett wie eine Eins da und hat die Sprünge wie ein richtiger Tänzer gemacht. Und das hat der dann nicht mehr verloren. Der hatte auf einmal eine Spannung, das haben die Worte, die also, wenn ich sag, steh grade, zieh den Schädel hoch, spann diesen und jenen Muskel an, der hat das nicht hinbekommen, also diese Ansagen haben nicht das in dem Mann hervorgeholt, deswegen denke ich, es muss erstmal in uns was passieren, bevor etwas Äußerlich passieren kann, und das war für mich so ein [schnipst], plötzlicher Augenblick, wo so was passiert ist, was ich hier und da erleben durfte in der Tanzarbeit, aber nicht… die schon Ausnahmen sind, aber wo ich merke, Gott berührt Menschen.“ (Si25). Vgl. B 2.1.3; Si23. Vgl. B 2.1.3; C54. Vgl. B 2.1.3; B49.

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übungen ereignen oder im Tanz.99 Eine Tänzerin findet im Tanzen Souveränität. Damit meint sie eine bestimmte Haltung in ihrem Körper. Es müsse nicht sein, dass sie tanze, um souverän zu sein, sondern sie müsse Gelegenheit haben, sich auch für einen Moment zurückzuziehen und zu lauschen. Hierbei stelle sich ein inneres Loslassen ein.100 Die in den genannten Aussagen beschriebenen Veränderungen können dem performativen Paradigma zugeordnet werden. Tanz schafft einen liminalen Raum. Das Prozesshafte ist erkennbar, die somatische Affizierung und die Einflüsse von an sich flüchtigen Erlebnissen. Damit sind jedoch noch nicht alle Merkmale des Performativen angesprochen. Konstitutiv für das Performative im Sinne Fischer-Lichtes ist darüber hinaus die leibliche Ko-Präsenz von Akteur_innen und Publikum. Angesichts des Erlebens von Veränderung auf der Ebene der Selbstwahrnehmung, die ganz ohne Publikum auszukommen scheint, mag die These der für Performances typischen Liminalität zunächst weit hergeholt sein. Wann kommt im Kirchentanz ein Publikum ins Spiel? Sollte die liminale Erfahrung in performativen Kunstformen vor allem diejenigen, die sich als Zuschauer_innen dem Geschehen überlassen, betreffen, dann liegt es nahe, sich zuerst deren liminalem Erleben zuzuwenden, bevor weitere Überlegungen zur Ko-Präsenz der Beteiligten angestellt werden. Die Gottesdienstgemeinde ist in dem Moment, wo sie den Tanzenden zusieht, Publikum.101 Zunächst ist festzuhalten, dass Zuschauer Tanzperformances im Gottesdienst gelegentlich ambivalent erleben. Die Choreographie kann Irritationen auslösen, etwa weil überraschend eine erotisch konnotierte Komponente wahrgenommen wird.102 Ein Tangopaar in der Kirche tanzen zu sehen nimmt Menschen in eine solch ambivalente Aufführungssituation hinein. Während manche skeptisch oder ablehnend reagieren, empfinden andere das Gesehene als Erweiterung ihres Horizonts. Manche Menschen sind berührt.103 Äußerungen positiver Reaktionen überwiegen. Tanztheater, das im Gottesdienst als getanzte Predigt gezeigt wird, kann die Anwesenden berühren.104 Den Zuschauenden gefällt die gesamte Einheit des Stücks, die Stimmigkeit von Musik, Choreographie, Bewegung und Interpretation von Seiten der Tänzer, unabhängig von der Professionalität.105 99 Vgl. B 2.4.1; B22. 100 Vgl. Ta8. 101 Aufschlussreich sind vor allem Äußerungen in B 2.6.1, die Bezüge zu K6–1–1–13: „Reaktionen aus der Gemeinde auf den Tanz im Gottesdienst“ und das Thema in B 2.8.6 „Tanz in der Kirche sehen“, darin vor allem die im Kode K8–6–2 konzentrierte Aussage „Der Tanz etabliert eine Beziehung zwischen Zuschauer und Tänzern“ sowie in K8–6–3 „Mein Tanz hat bei Zuschauern Emotionen angerührt.“ 102 Vgl. B 2.6.1; V12–14. 103 Vgl. B 2.6.1; Ma22–24; 2.5.1.3. 104 Vgl. B 2.6.1; Ke25. 105 Vgl. Ko62. Zur Verschmelzung von Einzelaktionen zu einer harmonischen Gesamtbewegung und der Wahrnehmung der Einzelaktionen als Teilakte in einem Kraftfeld: vgl. Alkemeyer

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Das Phänomen, sich berührt zu fühlen, lässt sich als somatisch-affektive Wirkung der Aufführung interpretieren. Die Körper der Tänzer stehen im Zentrum der Performance, die Zuschauer werden körperlich affiziert. Berührung verweist auf Gefühlsreaktionen, mithin körperlich-geistige Vorgänge. Affizierung meint jedoch nicht die naive Annahme, dass sich die Gefühle der Tänzer_innen auf das Publikum übertragen. Zwischen den Gefühlen der Akteure und der Zuschauenden muss unterschieden werden, da „emotionale Kommunikation zwischen Publikum und Tänzern selten direkt abläuft“106, betont der professionelle Tänzer Joshua Monten. „Die Komplexität der Erfahrungen der Tänzer und Tänzerinnen wird vom Publikum nicht miterlebt.“107 Zuschauer-Feedbacks, von denen Monten berichtet, fallen ähnlich verallgemeinernd aus wie die oben von den Kirchentänzern ausgesprochenen.108 Mitunter bleibt ein besonderes Detail109 im Gedächtnis, das viele der anderen flüchtigen Eindrücke überstrahlt. Zudem muss der Zusammenhang110 von Bewegungswahrnehmung und Bewegungskompetenz des wahrnehmenden Subjekts mit bedacht werden. Wer selbst tanzt, nimmt an Tanzenden mehr und anderes wahr. Beim Auswerten dessen, wie Kirchentanzende über Gefühle reden, ist darüber hinaus nicht zu vergessen, dass sich damit Strategien verbinden könnten, die eigene Praxis in einem ästhetischen Feld zu platzieren.111 Die Aussagen beschreiben kein „essenzielles Verhältnis von Tanz und Emotion“112. Die Performativität von Tanz macht sich auch daran fest, dass das Geschehen nicht nur Gefühle, sondern auch Atmosphären113 hervorbringen kann. Zunächst ist der Begriff Atmosphäre im Unterschied zum subjektiven Gefühl zu präzisieren.

Exkurs: Atmosphäre und Gefühl Gernot Böhme arbeitet den Begriff Atmosphäre im Rahmen einer „neuen Ästhetik“ aus. Darin wird ein Zwischenstatus der Atmosphäre zwischen Subjekt und Objekt vertreten. Er folgt zum einen Walter Benjamin, der dem

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2017, 145–146. Diese Forschungsperspektive weist auf die Entstehung von Wirkung in einem überindividuellen nicht-subjektivistischen Sinn hin. Monten 2006, 54. Monten 2006, 61. Dies lässt sich auch durch die Interviews von Zuschauern einer Pina-Bausch-Aufführung bestätigen. Diese sind offenbar stark affiziert, finden aber kaum präzise Formen sprachlichen Ausdrucks dafür. Vgl. Wieczorek 2017. Vgl. Monten 2006, 60. Siehe dazu: Ficola 2006, hier 68. Vgl. Hardt 2006, 139. Hardt 2006, 139. Vgl. Böhme 2013.

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Kunstwerk, sofern es „original“ ist, eine spürbare Aura zuschreibt, die in die leibliche Befindlichkeit aufgenommen werden kann.114 Zum anderen verarbeitet Böhme die Leibphilosophie von Hermann Schmitz, der mit seinen Beschreibungen an Alltagserfahrungen wie die gespannte Atmosphäre in einem Raum oder die heitere eines Gartens anknüpft.115 Die Subjekt-Objekt-Dichotomie wird durch Schmitz’ historische Analyse eines Wandels in der anthropologischen Verortung von Gefühlen überwunden. Gefühle und Atmosphären können neu als nicht lediglich im Innenleben der Subjekte vorhanden verstanden, sondern als Ekstasen der Gegenstände ebenso auch den Objekten zugeschlagen werden, m. E., ohne dass es dadurch zu einer Verobjektivierung oder Essentialisierung von Emotionen kommt. Gefühle gehören vielmehr einer Art Zwischenstatus an, sind also nicht mehr lediglich innere, seelische Wirklichkeiten. Der Mensch wird verstanden als „Leib“, in seiner „Selbstgegebenheit“; sein „Sich-Spüren“ ist „ursprünglich räumlich“116: „Sich leiblich spüren heißt zugleich spüren, wie ich mich in einer Umgebung befinde, wie mir hier zumute ist.“117 Das kritische Potenzial einer Ästhetik der Atmosphären liegt nach Böhme darin, politische118 oder ökonomische Macht, die bei der Befindlichkeit des Menschen ansetzt, sichtbar machen zu können. Ästhetik wird als Grundbedürfnis von Menschen erkannt und nicht mehr einseitig den Eliten zugestanden.119 Eine Ästhetik der Atmosphären kann deutlich machen, daß die Umwelt, daß die Umgebungsqualitäten für das Befinden des Menschen verantwortlich sind. Niemandem ist gleichgültig, wie er sich befindet. An dieser Stelle schlägt die Rehabilitation der angewandten Kunst und der Ästhetisierung des Alltagslebens um in eine Kritik der Lebensverhältnisse: Es zeigt sich, daß zu einem menschenwürdigen Dasein auch eine ästhetische Dimension gehört.120

Ich betrachte das von den Tänzern gebrauchte Wort „Stimmungen“ als Hinweis auf das, was Böhme mit „Atmosphären“ bezeichnet. Es ist zwar nicht möglich, zu entscheiden, wie die Tänzer_innen sich „Gefühl“, „Stimmung“ oder „Resonanz“121 genau vorstellen. Der auch allgemein gebräuchliche Bedeutungsaspekt von „Stimmung“ im Sinne von „Atmosphäre“ kann aber in den folgenden Äußerungen vorausgesetzt werden:122 Ein Tänzer binde Gesten 114 115 116 117 118 119 120 121 122

Vgl. Böhme 2013, 27. Vgl. Böhme 2013, 28–34. Vgl. Böhme 2013, 31. Böhme 2013, 31. Als Beispiel für machtpolitischen Missbrauch von ästhetischen Mitteln führt Böhme den Film von Leni Riefenstahl Triumph des Willens an. Vgl. Böhme 2013, 43. Vgl. Böhme 2013, 41. Böhme 2013, 41 f. In jüngster Zeit wurde der Resonanz-Begriff im Rahmen einer „Soziologie der Weltbeziehung“ wissenschaftlich ausgearbeitet durch Hartmut Rosa. Vgl. Rosa 2016. Von den Probanden wurde darauf nicht explizit Bezug genommen. Die Gespräche wurden vor 2016 geführt. Diesen sehe ich in der Begriffserklärung zu „Stimmung“ im Rechtschreibduden unter Punkt 2

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in einen Fluss von Bewegungen ein. Jeder, der es sehe, könne es verbinden mit eigenen Erlebnissen, Gefühlen und Stimmungen.123 Es komme nicht darauf an, dass im Tanztheater eine Geschichte erzählt werde, sondern es sei von Bedeutung, dass etwas in Resonanz mit der eigenen Person gehe. Die inneren Seelenbilder, die dabei entstünden, könnten nicht in Worte gefasst werden. Es seien eher Stimmungen. Tanzen sei die Sprache der Seele.124 Die Stimmung sei unterschiedlich. In einem Gottesdienst könne sie sehr dicht sein, manchmal sei sie sehr fröhlich. Die Menschen seien oft sehr berührt.125 Sehr selten gebe es auch Tränen. Es gebe Momente, in denen deutlich werde, dass Gebärden solche intensiven Gefühlsregungen auslösten.126 Im Publikum sei beobachtet worden, dass sie „total berührt sind, weil das eben mehr transportiert als nur das Wort. Es ist ganz stark visuell, es ist ganz stark emotional und ganz stark sinnlich, und das ist eine Erfahrung, die lässt sich rein durch Wort nicht herstellen.“127 Die genannten Beispiele nehmen ihren Ausgangspunkt bei individuellen Reaktionen. Stimmungen gehen hierüber hinaus, wie etwas Überindividuelles. Sie sind zwar nicht unabhängig von subjektiven Gefühlen, gehen aber auch darüber hinaus. Die „fröhliche“ oder „berührte“ Stimmung, die in einem Gottesdienst entsteht, dürfte ganz ähnlich, wie Böhme die Atmosphäre auffasst, eine intersubjektiv greifbare Umgebungsqualität bilden. Menschen werden berührt, leiblich affiziert. Dies ist eine räumlich akzentuierte Erfahrung.128 Der Tanz trägt zum Entstehen dieser Atmosphäre bei. Noch deutlicher zeigt sich die Vorstellung vom Zwischenstatus der Atmosphäre zwischen Subjekt und Objekt in folgender Äußerung einer Tanzleiterin, die von der Veränderung in der Atmosphäre im Kirchenraum spricht und diese, veranlasst durch die Reaktion einer später den Raum aufsuchenden Person, dem dort vollzogenen Tanz zuschreibt: Ähm, und dann war das so genial, dann kamen, kam eine Erzieherin mit ganz kleinen, also die die äh, Krippenkinder. Und die kamen rein und die haben nur gestaunt, dass wir da sind, dann haben sie gesagt, oh, bereitet ihr gerade was vor? Und dann sage ich, nein, wir bereiten nichts vor, wir treffen uns einfach hier zum Tanzen und zum Beten. Boa, das finde ich aber toll, dass ihr das macht, war dann die Reaktion von der Erzieherin. Und dann hat sie gemeint: Ich spüre das auch, es ist hier echt was anders. Also das, das war für uns der Eindruck – zuerst war so eine Schwere in der Kirche,

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repräsentiert: „[ästhetischer] Eindruck, Wirkung, die von etwas ausgeht und in bestimmter Weise auf jemandes Empfindungen wirkt; Atmosphäre“. http://www.duden.de/rechtschrei bung/Stimmung (2016/06/10). Vgl. B 2.6.1; F10. Vgl. B 2.1.1; Ke17. Vgl. B 2.8.6; Gr15–16. Vgl. B 2.8.6; G21. Vgl. B 2.8.6; Be36. Vgl. die Betonung des Räumlichen in der Präsenzerfahrung bei Gumbrecht.

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sowas puh, es war einfach, stark Schweres und danach, wie wir diese, wie wir uns bewegt hatten und diesen, also einfach diese diesen Psalm gesprochen hatten und dann aber auch die Bewegungen dazu gemacht haben und dann auch dieses mit dem Einziehen mit den Tüchern – da war so eine Leichtigkeit dann da. Das war nicht mehr diese Schwere, die da war, sondern es war wirklich, also ist gewichen. Also es ist einfach freier Raum entstanden.129

Der im Gottesdienst gezeigte Tanz etabliert Beziehungen zwischen den Zuschauern und den Tanzenden. Dies nennt Fischer-Lichte die „leibliche KoPräsenz“130 der Beteiligten. Die Beziehung wird von den Tanzenden teilweise über somatische Phänomene wie den Atem erklärt: Atme. Atme in deinem Tanz, dann atmet das Publikum mit dir mit. […] wenn ich diese Atmung umsetze, dann auch in die Bewegung eines Tanzablaufes, einer Choreographie, dann habe ich sofort das Publikum dabei. Da ist das Geheimnis: Kann das Publikum mit mir eine Bewegung mitgehen, indem ich ein- und ausatme? In allen Bewegungen, die ich tue im Tanz, hat die Atmung, ist Atmung eigentlich die Trägerin der Bewegung.131

Eine weitere Beziehungsebene ergibt sich durch Identifikation: Zuschauer finden sich da wieder, wo eine im Tanz dargestellte Situation an ihre eigene anknüpft, an das eigene Empfinden und das eigene Erleben in dem Moment.132 Die Verbindung von Bibeltext, Lesungen und Tanz erreicht viele Menschen ganz intensiv, Frauen wie Männer. Besonders Männer reagierten bei einem Stück über Maria, die Mutter Jesu mit Rührung. Es handelte sich um ein sehr dichtes Erleben.133 Nach einem Tanz zur Lesung Ezechiel 37 im Gottesdienst sagte danach jemand, es sei „richtig gruselig“ gewesen.134 Starke Empathie, Tränen und „Gruseln“ (Gänsehaut?) sind demnach besonders intensive Gefühlsregungen, die durch eine Tanzperformance bei Zuschauern ausgelöst werden können. Das Phänomen, dass Tanz Macht hat, Beziehung herzustellen, wird besonders deutlich an den Situationen, in denen Zuschauer sich dem scheinbar entziehen wollen: Tänzer nehmen wahr, dass im Publikum Leute wegsehen oder auf den Boden blicken. Warum sie das machen, kann eine Tänzerin nicht genau sagen.135 Ein Tänzer erklärt sich dieses Zuschauerverhalten dadurch, dass die Körpersprache und der Tanz sehr viel direkter wirken und anspre129 Sa33. Dies stellt eine Art Spitzensatz dar. Verbreiteter dürfte die weiterhin an der Gefühlsintrojektion orientierte Vorstellung sein von Atmosphäre als Produkt von (objektiv messbarer) physischer Wärmeausstrahlung oder inneren Vorgängen wie Visualisierungen (vgl. B 2.4.8; Fr27). 130 Vgl. Fischer-Lichte 2012, 54 ff. u. ö. 131 B 2.8.6; Ha23. 132 Vgl. B 2.8.6; Gr17. 133 Vgl. B 2.8.6; Mr16. 134 Vgl. B 2.8.6; F23. 135 Vgl. B 2.8.6; Be59.

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chen können. Menschen spüren es oft intuitiv, dass etwas angerührt wird, an einer Stelle wo sie vielleicht im Moment nicht hinschauen wollen, wo Ängste sind. Sie fürchten, dass sie in eine Bewegung mit ungewissem Ausgang kommen, wenn sie schauen und fühlen.136 Während seines Auftritts zur Hmoll-Messe blickte der Bischof, sonst kunstinteressiert, auf den Boden. Der Tänzer nimmt an, dass Dinge berührt worden seien, die mit dem Thema Scham zu tun haben, da das Tanzen auch mit Sexualität etwas zu tun habe, mit Sinnlichkeit und Erotik. Dafür sei der Kirchenraum ein ungewohnter Ort.137 Eine Tänzerin erlebte, dass in einem katholischen Gottesdienst einige während ihres Tanzes die Kirche verließen. Sie deutet dieses Verhalten auf deren Einstellung zum Tanzen: sie hätten den Tanz nicht ertragen und nicht akzeptiert. Die Tanzkleidung sei ihrer Meinung nach nicht besonders freizügig gewesen.138 In einer freikirchlichen, offen eingestellten Gemeinde hätten einige Leute bei ihrem Tanz betreten zur Seite geblickt. Den Grund vermutet sie in einem Gefühl der Peinlichkeit: Peinlichkeit, das ist jetzt mir peinlich. Ich bin hier, um eine Predigt zu hören, und dann steht da eine und bewegt sich, und vielleicht haben die auch gespürt, dass ich eben gerne tanze, da geschieht ja auch mit meinem Gesicht etwas. Das heißt, ich zeige etwas von mir, und das ist dann peinlich, und man möchte doch gerne die Maske dann behalten, die traditionelle Maske des Teilnehmers, der eben teilnimmt und konsumiert und eben nicht involviert ist. Da ist so eine bestimmte Grenze, die nicht überschritten werden möchte, denke ich (Me51).

Den Wirkungen der leiblichen Ko-Präsenz der Beteiligten auf Zuschauerseite entsprechen auch Wirkungen auf der Seite der Akteure. Allerdings meine ich, sie sind nur zu einem Teil Resonanzen auf die Zuschauer. Was die Akteure erleben, ist zusätzlich abhängig von ihrer Selbstwahrnehmung im Tanz. Man kann sagen, auch die Akteure gehen in einen Schwellenzustand: Während des Tanztheaters erlebt eine Befragte, dass sie sich selber da hineingebe. Besonders, wenn sie den Garten des Riesen oder die Kinder darstelle, wie diese tanzten und sprängen im Garten, merke sie, dass das selber mit ihr auch etwas mache.139 Eine Laientänzerin habe Bewegung erfahren im gleichzeitigen „Hören“, was das mit ihr mache. Das bedeute, zu spüren, was bei ihr innerlich passiere, wenn sie etwas ausdrücke.140 Das gute Gefühl mache für sie auch aus, dass sie als Gruppe den Menschen, die das gesehen hätten, etwas gegeben hätten, da komme wieder etwas zurück.141 Die voranstehenden Beispiele stehen für das Erlebnis des perceiving while performing142. 136 137 138 139 140 141 142

Vgl. B 2.8.6; F10. Vgl. B 2.8.6; F13. Vgl. Me46–48. Vgl. B 2.4.7; B14. Vgl. B 2.4.7; Gr12. Vgl. B 2.8.6; Gr27. Vgl. Marbach, 22.

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Gilt Performativität auch für Tanzformen, die nicht auf der Bühne stattfinden? Wenn das Performative zu tun hat mit der „Resonanz“143 der Beteiligten untereinander, halte ich es für denkbar, den nicht als Aufführung144 gedachten Gemeinschaftstanzformen das Performative zuzuschreiben. Auch der in einem Tanzkreis vollzogene Tanz wird in gewisser Weise inszeniert. Er lebt von der leiblichen Ko-Präsenz der Beteiligten. Die Tänze werden stets in einen Rahmen eingebunden, die Atmosphäre spielt hierbei eine große Rolle. Durch das Leiterverhalten werden Reize gesetzt für die Entstehung einer konzentrierten, ruhigen oder wertschätzenden Atmosphäre, aber auch durch die Raumgestaltung mit einer geschmückten Mitte. Das eigene Tanzen wie auch das Tanzen der Mittänzer_innen wird wahrgenommen. Zudem kann die vorgestellte, manchmal durch Gebet angerufene Gegenwart Gottes so etwas wie einen wahrnehmenden Dritten darstellen, samt der Möglichkeit, mit Resonanz zu rechnen oder diese zu spüren.145 Die Anleitungsliteratur geht mit diesem Gedanken ganz selbstverständlich um, wenn Tänze als Gotteslob bezeichnet werden.146 Die folgenden Beispiele beziehen sich auf das Erleben von Tanzgottesdiensten unabhängig von einer Aufführung: Ein Tänzer erlebt eine Art des Selbst-zur-Ruhe-Kommens; nicht nur die Leute, die zum Tanzen da seien, kämen zur Ruhe, sondern er auch, obwohl er dort anleite, dies sei ihm wichtig. Dies passiere während des Tanzens durch die Musik, durch den Schritt. Dies nähmen auch andere Menschen wahr.147 Im Tanzgottesdienst sei eine besondere Atmosphäre wahrzunehmen.148 Die Bewegung verändere die Leute. Das sehe man an den Gesichtern.149 Charakteristisch sei das Erleben von Entschleunigung. Es gebe retardierende und repetitive Elemente, die verweilen

143 Vgl. Rosa 2016. Rosa leistet mit seinem Buch einen Beitrag zu einer „Soziologie des guten Lebens“ (14), eine Frage, „die im gesellschaftlichen Diskurs nahezu tabuisiert wurde“ (18). „Meine These ist, dass es im Leben auf die Qualität der Weltbeziehung ankommt, das heißt auf die Art und Weise, in der wir als Subjekte Welt erfahren und in der wir zur Welt Stellung nehmen; auf die Qualität der Weltaneignung.“ (19). Eine solche qualitativ wertvolle Weltbeziehung ist von „Resonanz“ geprägt. Da in der Spätmoderne Resonanzbeziehungen strukturell gefährdet sind, gilt es, Räume dafür bereitzuhalten. M. E. können Tanzräume auch Resonanzräume in diesem Sinne sein. 144 Dies gilt in der Regel auch für das Tanzen in Tanzgottesdiensten. Der Berner Pfarrer Conradin Conzetti fordert alle zum Tanzen auf. Zu bedenken gibt er: „Eingeladen seien alle, niemand müsse mitmachen; wer sitzenbleibe, möge aber bedenken: wir tanzen für uns, nicht wie im Ballett zum Zuschauen.“ In: Conzetti 2000, 97. 145 Die Vorstellung eines Tanzes für Gott (außerhalb des Meditationstanzes) ist explizit nur von Ba entwickelt worden, die daraus die Motivation für ihre Arbeit an der Qualität des Tanzes bezog. Vgl. B 2.4.4; B 2.5.1. 146 Vgl. nur Jestädt 1996, 36 u. ö. 147 Vgl. B 2.4.7; St33. 148 Vgl. B 2.6.1; G21. 149 Vgl. B 2.4.7; G21–23.

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lassen. Solche Merkmale wirken auf der vorsprachlichen Ebene.150 Die Mitte eines Tango-Gottesdienstes sei dessen „Energie“.151 Im gemeinsamen Tanzen erfahren die Tänzer gegenseitige Resonanz152. Diese vermittelt sich nonverbal: Beim Tanzen spielt auch Ausstrahlung eine Rolle, die mit Raumbewusstsein zusammenhängt. Ein Tänzer erlebt ein vorgestelltes und physisch spürbares Öffnen des Körpers in den Raum hinein, ein Ausstrahlen in den Raum hinein. Damit sei er dann automatisch schon in Beziehung zu den anderen, die im gleichen Raum seien. Diese könne er entweder physisch spüren, je nachdem, wie nah jemand stehe. Er spüre die physische Wärmeausstrahlung, könne es aber sozusagen als Visualisation miteinbeziehen.153 Beim gemeinsamen Bewegen nach Schritten im Kreis entstehe ein Gemeinschaftserlebnis, das faszinierend sei und das Erleben beim gemeinsamen Musizieren und Singen noch einmal steigere.154 Tanzen sei einfach anders als so eine Single-Existenz, es sei Begegnung und Freude beziehungsweise beim Tango auch Schmerz. Je nachdem, in welcher Situation man gerade sei, in Trauer oder Schmerz, könne man den Tango nochmal ganz anders erleben und sich selber auch darin mit seinem Partner zusammen.155 Eine Befragte habe mit Leuten getanzt, die zuvor noch nie getanzt hätten. Trotzdem habe das wunderbar harmoniert.156 Im Grunde sind Tanzende in den Angeboten, von denen Kirchentanzende berichten, noch viel mehr als in einer Theaterperformance157 in eine face-toface-Interaktion eingebunden. Die körperlich anwesenden Beteiligten reagieren auf die Ausstrahlung der anderen Akteur_innen, sie spüren ihre Kraft und Energie. Dies vermittelt den einzelnen eine spezifische Körpererfahrung158: „Das strömt durch die Hände durch, glaube ich, irgendwie strömt da eine Energie, und das gibt mir dann auch Energie, und ich denke, ich kann auch Energie geben.“159 „Da ist so eine Schwingung da.“160. Man fühle sich beschenkt durch die Menschen in der Gruppe, auch vielleicht dadurch, dass etwas ströme, es sei ein Geben und Nehmen.161 Dies sei heilend, befreiend und schön.162 Eine Tänzerin meint, dass man es wirklich spüre, dass jeder in die

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Vgl. B 2.6.1; G26. Vgl. B 2.6.1; Hs2. Vgl. B 2.4.8. Vgl. B 2.4.8; Fr27. Vgl. B 2.4.8; St12. Vgl. B 2.4.8; Hs34–35. Vgl. B 2.4.8; Ir12. Diese ist der Ausgangspunkt für Fischer-Lichtes Theoriebildung. Vgl. Fischer-Lichte 2001, 144 f. Vgl. B 2.4.8; GT15. Vgl. B 2.4.8; GT17. Vgl. B 2.4.8; Kl5. Vgl. B 2.4.8; Kl10.

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Gruppe etwas Besonderes hineingebe.163 Ein Tänzer versucht, das Gruppenerlebnis zu beschreiben: Also im Moment des Tanzens ist es schön, einfach also zum einen, um eine gemeinsame Mitte tanzen, dann auch im Kreis dann zu spüren, dass da irgendwie auch eine gute Energie fließt, […] das nenn ich jetzt mal positive Energie, die dann auch fließt so, wenn wir miteinander im Kreis sind und auch an den Händen fassen, dass das spürbar ist. Das ist so was, das allen gut tut, da ist irgendwie auch so eine heilende Kraft da.164

Es sei ein Kontakt untereinander da […] ein Geben und Nehmen, dass ihre Energie fließen könne nach außen, sie aber auch Energie aus dem Raum erhalte. Wenn Menschen sich zusammen bewegten, die sich vom Gleichen bewegen ließen, vom gleichen Gedanken, von der gleichen Musik, da entstehe eine Intensität, die anregend sei und gleichzeitig zur Entspannung führe.165 Eine Befragte empfindet es als Bereicherung, dass man Segen mitteilen könne, dass man Gott mitteilen könne mit oder ohne Worte. Sie glaube an die Kraft des Gebets oder des Segens. Dies bedeute, dass es etwas mache mit anderen Menschen, auch wenn sie es jetzt nicht explizit in Worte fasse, weil dies eine Kraft sei, die nicht sichtbar sei.166 Die Kirchentänzer demonstrieren durch die Erinnerung an intensive Momente, dass sie in dieser Situation in der Lage gewesen seien, Wahrnehmungen zu machen, die in ihnen Eindrücke hinterlassen haben. Es handelt sich um ein Wahrnehmen, das nicht nur Informationen sammelt, sondern affektive Betroffenheit auslöst. Die Wirklichkeit der Bewegungen und der Bilder erreicht sie in ihrem Leib. Im Sinne Böhmes ist Wahrnehmen […] im Grunde die Weise, in der man leiblich bei etwas ist, bei jemandem ist oder in Umgebungen sich befindet. Es sind weder Empfindungen noch Gegenstände oder deren Konstellationen, wie die Gestaltpsychologie meinte, was zuerst und unmittelbar wahrgenommen wird, sondern es sind die Atmosphären, auf deren Hintergrund dann durch den analytischen Blick so etwas wie Gegenstände, Formen, Farben usw. unterschieden werden.167

Angesichts der gottesdienstlichen Kontexte von Kirchentanz, der Einbettung in kirchliche Erwachsenenbildung oder gemeindliche Gruppenarbeit kann an dieser Stelle der Schluss gezogen werden, dass eine Wechselwirkung vorhanden ist zwischen der Wahrnehmung von christlichen Inhalten und den von Tanz beeinflussten Atmosphären. 163 164 165 166 167

Vgl. B 2.4.8; Ku1. B 2.4.8; Jo7. Vgl. Ro13-Ro15. Vgl. B 2.4.8; Mn26. Böhme 2013, 48.

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2.4 Figurationen ästhetischer Erfahrungen in unterschiedlichen Stilen Die Tanzstile unterscheiden sich nicht nur durch ihre historische Genese, ihr Bewegungsrepertoire, das sich zu einer wiedererkennbaren Tanzsprache formiert, oder die Themenbezüge. Tanzpraktiken lassen sich als ästhetische Praktiken verstehen. Religiöse Erfahrung im Kirchentanz hat ganz wesentlich etwas mit ästhetischer Erfahrung zu tun. Die jeweils spezifischen Möglichkeiten für Akteure und Zuschauende, ästhetische Erfahrungen zu machen, sind im Folgenden für die im Feld Kirchentanz anzutreffenden Stile im Wechselspiel von tanzwissenschaftlichen Einsichten und den Aussagen Tanzender darzustellen. Dadurch verengt sich die Bandbreite der Bewegungsstile und Tanzformen auf diejenigen, die von den Gesprächspartnerinnen beschrieben wurden, andere können nicht berücksichtigt werden.168 Besprochen werden Ballett, Kampfkunst, Tango, Indischer Tanz, die 5 Rhythmen , Soul MotionTM, Tanz in der Natur, Improvisation, Tanztheater und Meditatives Tanzen. Die Erläuterungen zeigen die unterschiedlichen Erfahrungen, die sich in den Gesprächen andeuten, ergänzt und kommentiert durch weitere tanzwissenschaftliche Sekundärliteratur. Sie spiegeln insofern nicht die objektive Wirklichkeit kirchlicher Tanzszenen, da sie nicht nach der Häufigkeit ihres Vorkommens gewichtet wurden. Einerseits lässt die Forschungsmethodik keine Rückschlüsse über die zahlenmäßige Repräsentanz zu, andererseits ist das Ziel der folgenden Passagen, die Vielfalt von ästhetischer Erfahrung aufzuzeigen. In der Darstellung zeigt sich gelegentlich, inwiefern der kirchliche Kontext die ansonsten „weltlichen“ Tänze und Tanzstile zu transformieren vermag. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Rolle des alternden Menschen im Feld Kirchentanz. Während professioneller Bühnentanz zwar den alternden Menschen bereits entdeckt hat169 und im Freizeitbereich ebenfalls keine Alters-Grenzen gesetzt sind, vermag der Kirchentanz doch in weitaus stärkerem Maß die Würde und Reife älterer Tänzer_innen wertzuschätzen.170 168 Historischer Tanz, Liedtanz, Biodanza, Street Dance, Folklore, afrikanischer Tanz, Butoh u. a. sind weitere Stile, die von Angehörigen kirchlicher Tanzszenen praktiziert werden. 169 Pina Bausch führt im Jahr 2000 ihr Stück „Kontakthof“ mit „Damen und Herren ab 65“ auf. 170 Vgl. die Erfahrungen der über 80jährigen C (vgl. C69: „ich tanz‘ für mich selber. Das heißt, ich setze das fort, was ich als Vorbereitung für meine Angebote immer gemacht hab‘, diese Sachen zu üben, und ich mach‘ es jetzt, weil ich merke, ich hab‘, auch wenn ich nur ‘ne halbe Stunde tanze oder drei Tänze, ich hab ‘ne andere Haltung, also nicht mehr so dies [macht den Körper schlaff]. Und es richtet mich anders aus. […] Schon allein das regelmäßig zu machen, eröffnet mir den Raum, der ich auch bin. Und das hab‘ ich so gemerkt, gerade, wenn es bedrängend ist, das Vielerlei zu tun, sogar bei uns Senioren, dass mir das innerlich und äußerlich gut tut. Das ist die Qualität.“), sowie die Äußerungen von Hs zu älteren Tangopaaren (vgl. Hs6: „Tango ist ja Gehen, ich hab‘ mal einen 80jährigen Tangomeister in Medell n, Kolumbien erlebt, der war der Crack, die Frauen haben sich um den gerissen. Das war der Hammer. Um den rum turnten die jungen Paare und legten da die wahnsinnigsten Verrenkungen hin, und der ging nur, und der

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2.4.1 Ballett Eine klassische Ballettausbildung formt Körper zu idealisierten Repräsentationsfiguren tanzender Körper, präpariert sie zu geometrischen Figuren und sucht „libidinöse Energien“ und „Unreinheiten“ zu transzendieren.171 Damit stellt sich Ballett als hoch disziplinierte Bewegungsweise dar. Die Tanzkörper haben sich bestimmten Bewegungscodes anzupassen. Dem Einsatz von Ballett im Kirchentanz mit Laienbeteiligung sind Grenzen gesetzt. Ballett steht traditionell für eine Ästhetik der Anmut und Harmonie. In den Biographien vieler Kirchentänzer_innen spielen Erfahrungen mit Ballett eine Rolle172, manchmal blieb es bei dem Wunsch, Ballett zu tanzen. Ballett steht für den professionellen Tanz schlechthin. In den öffentlich geförderten Theatern und in Tanzschulen173 dominiert immer noch die Schulung in dieser klassischen Tanztechnik. Der Weg zur Berufstänzerin174 führt in der Regel über eine Ballettausbildung. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Ballettgeschichte stellt sich ambivalent dar. Ballett übt eine Faszination auf Zuschauende aus: „…wenn ich Tänzer sehe, im Ballett oder so, das gefällt mir dann auch wieder teilweise so sehr, konzentriert und so. Das hat auch was Tolles, diese Gesten und so.“.175 Eine Tänzerin drückt aus, dass sie dankbar für ihre Ballettausbildung sei, die ihr eine grundlegende Form von Tanzsprache vermittelt habe, mit Grammatik und Vokabular.176

171 172 173 174

175 176

war ein Kaiser. Der hat eine Strahlkraft gehabt, nur Gehen!“) und von Be zur Reife älterer indischer Tänzer (vgl. Be25: „die Inder legen sehr viel Wert auf Reife. Das heißt, als alter Mensch hast du noch sehr viel Bedeutung, weil du hast eine Reife erlangt, auch im Tanz, die ist von ganz großer Bedeutung, und das ist ganz anders als im westlichen. Du bist im Ballett… bist du mit 35 schon Oma, und im Prinzip musst du da schon ans Aufhören denken. Und im Vergleich zum indischen Tanz bist du da grad mal in der Mitte deiner Kraft. Und es gibt indische Tänzer, die noch mit 70, 80 auf der Bühne stehen und bejubelt werden. Gerade der Ausdrucksaspekt ist ja so wichtig im indischen Tanz, und die erreichen da natürlich ihre größte Stärke im Alter, im gestischen und mimischen Ausdruck.“). Unter A 6 finden sich Hinweise auf die Möglichkeiten von Tanz für ältere Menschen anhand der Darstellungen vor allem von Martha Grahams und Anna Halprins Leben sowie die Thematisierung des Alterns bei Pina Bausch. Vgl. Huschka 2012, 295 f. Vgl. u. a. B 2.1.1 Ea, Be, F, Ha, Sa, Ta, Hs, Mr, Mn, Si, B, Fr, B, F, Me, Ke, Gr, Ma, Gi, Ko, Ba, A. In Tanzschulen werden daneben auch Modern Dance, Jazzdance, HipHop angeboten, dazu immer wieder neue weniger langlebige Techniken (Aerobic, Zumba). Der Beruf Tänzer beruht auf dem im 19. Jahrhundert zur Blüte gelangten Ballett. Die Techniken des Balletts gehen allerdings bis ins 16. Jahrhundert zurück. Berufstänzerinnen und -tänzer gab es nach Max von Böhn bereits im alten Ägypten. Vor dem Hausherrn führten diese Tänze in unterschiedlichen Stilen von ruhig bis akrobatisch auf; beide Geschlechter traten leicht bekleidet auf. Vgl. von Böhn 29 f. B 2.3.1; GT7. Vgl. B 2.3.1; Ke2.

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Selbst Ballett zu tanzen, wird zwiespältig erlebt: Beim Ballett habe eine später freie Tänzerin immer mehr gemerkt, dass dies ihr zu eng sei. Sie störe das Vorgegebene, die Betonung der Arm- und Beinbewegungen und Drehungen.177 Eine Tanztheaterleiterin betont die Suche nach Tanzerfahrungen, die mit ihrer inneren Stimmung, ihrer Befindlichkeit zu tun haben. Die finde sie weniger im Ballett.178 Einer Befragten sei Ballett nach einiger Zeit langweilig geworden.179 Einigen Tänzer_innen mit Balletterfahrung wurde der strenge Codex zu eng, sie suchten nach Stilen, die sich hiervon absetzen. Für andere ist gerade die Tanzsprache Ballett für die Verkörperung von Gebeten und Verkündigungsinhalten besonders geeignet. Dem Choreographen John Neumeier gelang es in den 1980er Jahren mit dem Ballett zur Matthäus-Passion von J. S. Bach, das Theaterpublikum für die Verbindung von klassischem Tanz und Glaubenstexten der Bibel zu interessieren. Die an der John Cranko-Schule ausgebildete Balletttänzerin und spätere franziskanische Ordensfrau Sara Schemann entwickelte Meditationstanz, liturgischen Tanz und Verkündigungstanz aus der klassischen Ballett-Ästhetik heraus. Sie erinnert sich an ein Schlüsselerlebnis ihrer Kindheit, als sie im Publikum die erste Schwanensee-Aufführung sah. Anschließend sagte sie: „So möchte ich auch einmal zu den Menschen sprechen. Der Tanz ist eine schöne Sprache, man kann damit über das Gute und das Böse sprechen und viel erzählen.“180 Neben dem narrativen Potenzial der Ballett-Codes schätzen Kirchen-Tanzende auch die ästhetischen Erfahrungen im übenden Nachvollzug des sogenannten Exercise. Das Ballettexercise en croix in vier Richtungen wird Schemann „zu einem Sinnbild des Kreuzes“; so werde „das einfache Üben“ für sie bereits „zu einem Gebet“.181 Auch der ehemalige Balletttänzer Bernhard Wosien vermittelte in der Meditation des Tanzes das Bewegen im Kreuz. Über seine Schülerin Friedel Kloke-Eibl wird weiterhin Ballett-Ästhetik in den von ihr gelehrten Sacred Dance eingebracht. Eine Teilnehmerin berichtet über Kloke-Eibl: Sie war langjährige Mitarbeiterin von Bernhard Wosien, hat also ganz… ist auch diejenige, die am konsequentesten die Meditation des Tanzes lehrt. Sie hat Ballettschule schon von Kindheit an, und das Tanzen von Bernhard Wosien basiert auf… berühmter und wichtiger Tänzer… seiner tänzerischen, wie nennt man das, auf der Exercise, der klassischen Exercise, also der Tanzarbeit an der Gestalt des Menschen. Das ist das, was der Tänzer lernen und üben muss: Ausrichtung, Haltung, Öffnung. […] ist immer ein kleines Stück auch Schulung, die Meditation en croix, im Kreuz,

177 178 179 180 181

Vgl. B 2.3.1; Ea1. Vgl. B 2.3.1; Ke7. Vgl. Me15. Schemann 1999, 79. Schemann 1999, 87.

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das ist die Ausrichtung. Und alle ihre Tänze, sie kreiert viele und sehr schöne Tänze, haben im Grunde diese Wurzeln (C73).

Die Übung im Ballett, so streng oder monoton sie manchmal von außen anzusehen sein mag, bedeutet eine von der Körpererfahrung initiierte innere Arbeit an der Persönlichkeit. Die ästhetischen Werte von Haltung, Ausrichtung und Öffnung übertragen Tänzerinnen auf ihre Lebenseinstellung. Die klassische Kreuzform wird als Verbindung mit Christus gedeutet und diese in einem geduldigen Übungsprozess gestärkt. Schemann erweitert die vom Ballett gebotenen Möglichkeiten schließlich für sich, als sie die Erfahrung macht, dass die Mitte der Ursprung all jener Bewegungen war, die ich als echt empfand. Ich spürte, wie jede Emotion, die sich im Körper ausdrückte, sich aus der Mitte heraus auf alle Glieder hin ausbreitete. Daraus entstanden ganz neue Bewegungen, in die ich Empfindungen meiner Seele hineinlegen konnte. Auf diese Weise begann ich, manchmal mit mir selbst oder mit Gott zu sprechen.182

Mit dem Bewegen aus der Mitte heraus kommen bereits Techniken des Modern- und Contemporary Dance ins Visier. In der Regel dienen Balletttechniken in kirchlichen Tanzszenen lediglich als Bezugspunkt für die Ästhetik mancher Kreistanzströmungen. Ballett als Performance erfordert intensive Schulung. Solche professionellen Kirchenaufführungen werden hier allerdings nicht weiter reflektiert, da mir keine Compagnie bekannt ist, die sich darauf spezialisiert hat.

2.4.2 Kampfkunst Auch wenn Kampfkunst kein Tanz ist, sollen die spezifischen Erfahrungen hier reflektiert werden, da sie für einige Tänzer_innen einen wichtigen Teil ihrer Tanzgeschichte darstellen. Generell ist Kampfkunst wegen seiner rituell-religiösen Wurzeln interessant.183 Körperbewegung und (östliche) Spiritualität verbinden sich hier relativ leicht. In den Biographien spielt Kampfkunst mitunter eine Rolle als neue Körpererfahrung, die den Weg zum Tanz ebnet oder die Ballettechniken ergänzt. Ein Befragter findet ähnliche Bewegungserfahrungen, die man in der Kampfkunst macht, im Tanz wieder.184 Eine Tänzerin hat ihren eigenen Stil 182 Schemann 1999, 88. 183 Unter anderem gebrauchten die Shaolin-Mönche Japans die Kampftechnik Karate. Sie verbanden damit einen spirituellen Weg und eine Lebensschule. Heute ist Karate in Europa allgemein zugänglich, auch für Kinder. Seine Herkunft aus buddhistischer, taoistischer und konfuzianischer Spiritualität wird teilweise verdrängt von der Auffassung von Karate als Sport. Vgl. Brockers 1998; Kenei 2007. 184 Vgl. B 2.3.3; Sb5.

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entwickelt: KaWo – die Kampfkunst aus dem Wort.185 Kampfkunst habe ein aggressives Element, das ihr gefalle.186 Damit könne sie z. B. einen Psalmtext darstellen. Es gehe nicht um spiritual warfare187. Für sie sei es „einfach ein Hineinlassen der kämpferischen Texte der Bibel in den Körper. Ein intensives Studieren des kämpferischen Wortes, der kämpferischen Aspekte“.188 Ein Tanzleiter praktizierte vor seiner Ausbildung zum Soul Motion -Lehrer Shotokan Karate und ließ sich zum Nia Teacher ausbilden.189 Die spezifischen ästhetischen Erfahrungen aus der Kampfkunst stellten eine Bereicherung dar. Er betont: „…diese ostasiatische Sichtweise von Bewegung und Energiewahrnehmung ist mir da auch vertraut […] Wahrnehmung im Körper, es geht natürlich letztlich auch um Präsenz und Atem190, natürlich dann diese taoistischen Begriffsweisen und die Sichtweisen von Yin und Yang und wie sich das im Körper wiederfindet und Lebensenergie, das Chi und diese Sichtweise fand ich einfach ansprechend, und damit konnte ich auch was anfangen“.191 Karate, zuvor eine Kampfkunst zur Einübung ins Töten, kann eine spirituell-religiöse Dimension gewinnen, da sie im originalen Kulturkreis zur spirituellen Schulung weiterentwickelt wurde. Der Ursprung dieser Praxis im japanischen Zen-Buddhismus steht im Gegensatz zur abendländischen Sportkultur.192 Dies macht einerseits deren Attraktivität für Menschen plausibel, die Spiritualität und Körpererfahrung zu verbinden suchen, andererseits stellt sich die Herausforderung eines kulturellen Brückenschlags zu einer fremden Religiosität. Den Befragten scheint dies ohne Konflikte zu gelingen. Durch Karate kann sich „eine faszinierende, ästhetische Situation“193 in einem Kampf einstellen. Dies geschieht nur aufgrund langen Übens. Spirituelles Erleben, das mit dem Beschreiten eines solchen oder anderen Übungsweges (s. o. Ballett) verbunden ist, öffnet über die langsam verinnerlichte Körpererfahrung Menschen für einen Zustand, in dem die Bewegung nicht mehr aus der bewussten Willensentscheidung zu kommen scheint und ein Übender „nur noch sein momentanes Sosein“ wahrnimmt, „ohne Unterscheidung 185 Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=5lDp2qiG7KY (2016/03/21). 186 Vgl. B 2.3.1; Me16–17. 187 Der Gedanke, sich als Christ in der Welt mit dämonischen, widergöttlichen Mächten auseinandersetzen zu müssen, und die Beschäftigung mit entsprechenden Techniken ist vorwiegend in evangelikalen (Billy Graham), pfingstlerischen (Derek Prince) und charismatischen Strömungen (Healing Ministries) angesiedelt. Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Spiritual_warfare (2016/08/05). 188 Me19. 189 Vgl. E7. 190 Gemeint ist die Hara-Atmung. „Auf der Grundlage dieser Zen-Atmung wurden im Karate-D Techniken und Übungsformen entwickelt, die einerseits die Atmungssysteme besonders schulen sollen und andererseits dazu beitragen, Körper und Geist im Training zu entspannen und sogar in Verbindung von Atmung und Körperspannung ein Höchstmaß an Dynamik und Kraftentfaltung zu erzielen.“ Brocker 1998, 158. 191 E7–8. 192 Vgl. Brocker 1998, Einleitung. 193 Brocker 1998, 181.

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zwischen dem Übenden und dessen, was er gerade macht.“194 Die Erfahrung von intensiven Momenten der Präsenz, in denen sich die Grenze von Subjekt und Objekt verwischt, deutet sich hier an, „Momente des Eins-Seins“195. Der Gewinn östlicher Kampfkünste erweist sich vor allem in der Praxis, die Reflexion in Bezug auf deren Ort innerhalb der christlich-spirituellen Tanzszenen bleibt eine Herausforderung.

2.4.3 Tango Argentino Tango Argentino entstand Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts in Buenos Aires, einem Schmelztiegel von europäischen Immigranten und Arbeitssuchenden aus dem argentinischen Hinterland und im gesamten Mündungsgebiet des Rio de la Plata.196 Seine Musik drückt, zuweilen schwermütig, die schwierigen Verhältnisse des Anfangs aus – Heimatverlust, soziale Konflikte, Partnermangel oder Arbeitslosigkeit. Der Paartanz Tango ist inzwischen zu einer transkulturellen Sprache geworden.197 Er steht für Leidenschaft und Eleganz, für „Passion, Sehnsucht, Trauer oder Liebe“198, aber auch für die Dynamik zwischen den Geschlechtern. Im argentinischen Tango, wie er in deutschen Tangoschulen gelehrt und auf Milongas, speziellen Tanzabenden, getanzt wird, tritt die Ambivalenz von Körperpraxis und kulturellen Konstruktionen besonders deutlich anhand der dargestellten Geschlechtsrollen zutage. Zudem wird er auf verschiedenste Weise funktionalisiert.199 Kultursoziologische Tanzforschung200 arbeitet anhand dieses spannungsreichen Feldes unterschiedliche Modelle heraus, die auch im Hinblick auf die spezifischen ästhetischen Erfahrungen von Interesse sind. Da zum Tango im Kontext des christlichen Gottesdienstes bislang keine explizit empirischen Forschungen vorliegen, ist der Gegenstand der Tanzforschung stets der in den 194 195 196 197 198 199

Brocker 1998, 179. Brocker 1998, 181. Vgl. Launhardt/Schuster 1998, 101. Vgl. Berger 2006, 35. Vgl. Walz 2012. Klein/Haller 2006, 168. Er wird in Eheberatungseminaren, in der Psychotherapie sowie in Managementkursen eingesetzt. Vgl. Launhardt/Schuster 1998, 110; Gunia/Quiroga Murcia 2017. Zur politischen Instrumentalisierung des Tango u. a. im Peronismus vgl. Klein 2006. Tanz hat mit Sport gemeinsam, dass es sich um eine performative Kulturtechnik handelt mit der Grundproblematik, die allem Sozialen gemeinsam ist: das Zusammenspiel von Struktur und Handlung. Das Soziale wird nur wirklich, wenn es sich performativ vollzieht. Vgl. Klein 2006, 7–9. 200 Forschungen im Sinne von ethnographischer Feldforschung mittels beobachtender Teilnahme, Leitfaden- und problemzentrierten Interviews sowie teilweise Fragebögen liegen u. a. vor von Launhardt/Schuster 1998, Villa 2002, Berger 2006, Klein/Haller 2006. Die dort präsentierten Ergebnisse zur ästhetischen Erfahrung im Tango dienen als Vergleichspunkt für die in dieser Arbeit für den Kirchentanz erhobenen Aussagen.

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entsprechenden säkularen Tanzszenen vorfindliche.201 Reflektiert wird dabei unter anderem die geschlechtstypische Aufteilung der Rollen innerhalb des Tanzpaares in Führende und Folgende, der Frau wird grundsätzlich, aber nicht immer, das Folgen zugeordnet. Paula Irene Villa betont bei ihrer Analyse des Tangos die „Gleichzeitigkeit von Materialität einerseits und symbolisch-kultureller Konstruktion andererseits.“202 Somatisches Fühlen und symbolische Ebene greifen unauflöslich ineinander. Ihre Feldforschung basiert auf teilnehmender Beobachtung. Villa zeigt, inwiefern die „Ver-körperung“ von Geschlecht und kulturell-ethnischer Identität im Tango eine spannungsreiche Verbindung eingehen.203 Das Erleben wird von ihr aus der Perspektive einer Frau beschrieben. Die Bewegung, Haltung, ja selbst die hohen Schuhe bewirken aus ihrer Sicht „nicht nur visuell wirksame interaktionsrelevante Instrumente der Geschlechterinszenierung, sondern bewirken zugleich subjektiv binnenwirksame, körperliche Erfahrungen.“204 Die Inszenierung des Frau-Seins sei von den ästhetischen Erfahrungen beim Tanzen nicht zu trennen. Erklärt werde der Reiz solcher Darstellungen des Weiblichen durch die Interpretation des Tangos im Sinne eines Tuns mit „karnevalistischem Charakter“205. „Den Tänzerinnen ist gerade daran gelegen, sich anders als im Alltag zu kleiden, zu bewegen, zu erleben.“206 Gerade in Gesellschaften mit fortgeschrittener Frauenemanzipation sei der Tango sehr beliebt, stelle also keinen Widerspruch dazu dar.207 Trotzdem bleibt ein gewisses Unbehagen über die bereitwillige Rollenübernahme der von ihr beobachteten Frauen bei der Autorin spürbar: „Frauen sind weniger raumgreifend, sitzen wesentlich mehr, lassen sich bewegen – Männer verkörpern Dynamik und Mobilität.“208 Da, wie sie zutreffend bemerkt, Mann und Frau „im argentinischen Tango jeweils ein Set von Bewegungen, Wissen, leiblichen

201 Der einzige mir bekannte wissenschaftliche Aufsatz einer Theologin zum Thema Tango beschäftigt sich mit der Frage nach der theologischen Relevanz der Entstehung des Tango in einer soziokulturellen Krise, sowie mit den Lebensthemen von Schmerz und Hoffnung in den Texten der Tangolieder. Tango wird jedoch nicht nur aufgrund dieser Texte als spirituelle Sprache identifiziert. Der Tanz selbst, die Bewegungen enthalten Stoff für die Reflexion von interkulturellen und Gender-Ambiguitäten. Walz fragt außerdem nach dem Phänomen Tango und seinem Beitrag zu ethischen und ästhetischen Fragen, das heißt, sie rückt ihn in die Nähe einer prophetischen Stimme. Beispiele von Tangogottesdiensten, auch in Deutschland, verweisen auf die Sinnhaftigkeit, mit Tango christliche Spiritualität zu gestalten. Vgl. Walz 2012. 202 Villa 2002, 180. 203 Vgl. Villa 2002, 181. 204 Villa 2002, 184. 205 Villa 2002, 186. Vgl. Walz 2012. 206 Villa 2002, 186. 207 Vgl. Nau-Klapwijk zitiert in: Villa 2002, 194. 208 Villa 2002, 189. Dies vermittelt implizit auch die in empirischer Forschung gewonnene Erkenntnis von Berger: „Während der Führende danach fragt, ob sein Gegenüber ihn versteht, fragt die Folgende, ob sie ihr Gegenüber versteht.“ Berger 2006, 47. Berger allerdings problematisiert dies nicht unter dem Gender-Aspekt.

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Empfindungen und Darstellungsweisen“209 bildeten, eröffne sich darin auch die Möglichkeit, die Rollen zu abstrahieren und nur von der Rolle des oder der Führenden210 bzw. Folgenden zu reden. Das Rollenspiel biete viele Möglichkeiten, andere und neue leibliche Praxen zu konstruieren.211 Entweder nehme die Frau eine Führenden-Rolle ein und tanze mit Frauen, oder der Tango werde dekonstruktivistisch interpretiert212 und die Naturalisierung213 der Rollen ausgehebelt, indem die Tanzenden sich stärker auf einen Dialog einlassen.214 Klein/Haller würdigen den Tango als Tanz, der in besonderer Weise die Möglichkeit verschaffe, sich in die „Muster hybrider Identitäten“ einzutanzen und einen „wesentlichen Beitrag zu den Authentifizierungsstrategien in einer medialisierten Gesellschaft [leiste], in der eine Trennung zwischen Schein und Sein, Realem und Fiktivem immer schwieriger, aber zur Selbst-Vergewisserung umso nötiger“215 werde. Welche bewusst-unbewussten Inszenierungsstrategien hinter den in den Beschreibungen angedeuteten Erfahrungen der „Kirchentanz-Tangueros“216 stehen, kann nur vermutet werden. Hinweise ergeben sich durch die vom Tänzer Ma verwendete abstrahierende Diktion führend-folgend. Die Faszination des Tanzes wird von ihm auch mit ansonsten für die Frauenrolle typischen Erfahrungen verbunden – dem Gehaltensein, Geführtwerden und Begleitetwerden. Vor einer eingehenderen Betrachtung der Erfahrungen mit Tango in der Kirche ist festzuhalten, dass tanzwissenschaftlich gesehen der Tango als be209 Villa 2002, 193. 210 „Die Bedeutung von ,führen‘ ist [in Tango-Diskursen] immanent verwoben mit Begriffen wie etwa folgen, aktiv/passiv, Impuls, Energie, männlich/weiblich, gehen, warten, stehen, Musikalität usw. Und all diese Begriffe sind gleichfalls keine objektiven ,Dinge‘, sondern ihrerseits ebenfalls verwiesen auf andere Begriffe und u. U. auf andere Diskurse.“ Villa 2009, 109. 211 Dazu gehört auch der sogenannte Queer-Tango. Vgl. Walz, 9. Eine queere Strategie zur Veruneindeutigung von Geschlecht und Sexualität und die Infragestellung heterosexueller Normativität verfolgen die Tango-Dozentinnen Ute Walter und Marga Nagel. Vgl. Walter/Nagel 2008, http://gendertango.wordpress.com/ (2016/04/01). Die weibliche Tanzkompanie TangoMujer spielt bewusst mit traditionellen Rollenbildern und Dualismen. Vgl. Hartmann 2008, 53 ff. 212 Vgl. Villa 2002, 201. 213 Zum Problem der Naturalisierung vgl. Klein/Haller 2009. 214 Launhardt/Schuster beschreiben unterschiedliche Interpretationen der Geschlechterrollen, von der Erwartung der Unterordnung der Frau bis zu der Ansicht, die Frau habe mehr Gestaltungsmöglichkeiten als in anderen Paartänzen. Die Tangolehrerin Marita F. betont sinngemäß: Tango kann als Dialog verstanden werden. Es ist ein Zuhören und Sagen. Die Partner begleiten sich gegenseitig. Vgl. Launhardt/Schuster 1998, 106 f. Dialogfähigkeit im Tango bedarf allerdings gezielter Übung. „Es braucht, ausser dem Willen, etwas zu verändern, ein hohes Mass an Selbstbeobachtung und Mut, sich in gewisser Weise identitätsgefährdenden Prozessen zu stellen, die Sicherheiten und gewohnte Interpretationsmuster in Frage stellen.“ Walter/ Nagel 2008, 3. 215 Klein/Haller 2006, 170. 216 In den Tango-Szenen werden männliche Tangotänzer auch Tangueros, weibliche Tänzerinnen Tangueras genannt.

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sonders ambivalent erlebter Tanz gilt.217 Empirische Feldforschung in TangoKursen in Tübingen fördert diese Ambivalenz anhand von Beobachtungen der Forschenden, Fragebögen und Interviews mit den Tanzschülern zutage.218 Bei keinem anderen außereuropäischen Tanz fand sich eine solche Vielfalt von Interpretationsmöglichkeiten.219 So begegneten einerseits Erfahrungen von ausgeprägter Leistungsorientierung und Versagensangst, andererseits die Betonung von Leichtigkeit und Gefühlsausdruck.220 In den Tanzsalons und auf den Veranstaltungen, den Milongas, erleben die Tangueros und Tangueras das beglückende Gefühl, als Tanzpartner gewählt zu werden, können aber auch eine sich durch unterschiedliche Tanzniveaus ergebende Hierarchisierung als Schwierigkeit beschreiben: „Ich habe aber natürlich meistens mit Georg getanzt, weil ich mich an die anderen nicht herangetraut habe und weil du äußerst selten aufgefordert wirst. […] Ich habe mich da auch erst hochgetanzt.“221 In jedem Fall gilt der Tango innerhalb moderner Diskurse als emotional intensiv.222 Klein/Haller, die im Rahmen eines Forschungsprojekts „Transnationale Identität und körperlich-sinnliche Erfahrung“ auch Ergebnisse zum Bereich Gefühl vorstellen, beleuchten unter anderem die sprachliche Herstellung von Gefühl und Bewegung.223 Für den Tango ist eine Bandbreite von möglichen Verhältnisbestimmungen zwischen Gefühl und Bewegung zu verzeichnen: Tanzbewegungen können Ausdruck von Gefühlen sein, Medien für Gefühle oder sie können Voraussetzungen für Gefühle sein. Gefühle können Medien oder Effekte von Tanzbewegungen sein.224 An den tangotypischen Bewegungsformen, Haltungen und Musiken lassen sich die spezifischen ästhetischen Erfahrungen dieses Tanzes festmachen. Der Tango lebt von kontinuierlicher Improvisation.225 Die Tanzenden interpretieren die Musik, die von melancholischen Liedern bis zu fröhlichen Milongas und flotten Tango-Valses changieren kann.226 Zu dieser ständig im Entstehen 217 Vgl. die Belege bei Berger 2006. So wird in den Erfahrungen der Tanzenden die Praxis auf einem Kontinuum zwischen Rangieren und Tanzen beschrieben, das Frustrierende benannt, z. B. „Körbe kriegen“, und gleichzeitig auf die Momente zu warten, in denen „dieses verzögerungsfreie Einverständnis“ sich einstellt. Vgl. ebd., 44. 218 Vgl. Launhardt/Schuster 1998. 219 Vgl. Launhardt/Schuster 1998, 110. 220 Vgl. Launhardt/Schuster 1998, 104 f. 221 Carola S. [gekürzt] in: Launhardt/Schuster 1998, 105. 222 Vgl. Villa 2009, 111. 223 Vgl. Klein/Haller 2006, 157. In diesem Projekt wird unter anderem der Stellenwert der Tänze anderer Kulturen für die Konstitution der für unsere Gesellschaft charakteristischen hybriden Identitäten erforscht. 224 Vgl. Klein/Haller 2006, 158 f. 225 Vgl. Hartmann 2008, 49; Klein 2006, 10; Launhardt/Schuster 1998, 106 f.; Vgl. Villa 2002, 197. Vgl. Berger 2006, 36. 226 Inzwischen haben sich die Tango-Musiken stilistisch stark diversifiziert. Es gibt neben der traditionellen, meist melancholischen Textmusik nicht nur den Tango Nuevo von Astor Piazolla und Co, sondern auch Elektrotango, cross over mit Jazz und weiteren Strömungen von Weltmusik. Vgl. Villa 2009, 120.

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begriffenen Choreographie trägt vorwiegend die Führenden-Rolle bei, teils auch die Folgenden-Rolle. Das Paar tanzt in engem körperlichem Kontakt. Die Folgenden-Rolle bestimmt die jeweilige Nähe. Im Grunde hängt die Haltung von der Stimmung, teils auch von der Choreographie ab. Meist sind die Oberkörper der Tanzenden zueinander gewandt, sie berühren sich (je nach Stil) bis zur Taille.227 Der Oberkörper „bleibt immer aufrecht und würdevoll“228 und wird ruhig gehalten, die Dynamik der Bewegung betrifft Beine und Füße. Tragen Frauen hohe Schuhe, verschiebt sich die Körperachse, was zu mehr Beckenbewegungen führt und tendenziell die Tänzerin stützbedürftiger macht.229 Zudem hat die Folgende die Achse stets über einem Bein, was einerseits ein labiles Gleichgewicht, andererseits eine flexible Beweglichkeit erzeugt. In der Führendenposition besteht die Herausforderung darin, zu spüren, auf welchem Bein das Gegenüber steht und welcher Schritt als nächstes möglich ist.230 Führende müssen verständliche körperliche Aussagen machen, etwa durch Veränderungen in der Torsion des Oberkörpers231, des Muskeltonus in den Beinen oder Gewichtsverlagerungen, keinesfalls durch Ziehen oder Druck. Insgesamt sind die Körper durch einen flexiblen Muskeltonus bestimmt, also weder zu entspannt, noch verspannt. Dies gilt auch für die Folgenden. Denn „wer allzu unsicher und zerbrechlich ist, hat mit dem Tango genauso Schwierigkeiten wie jemand, der starr und angespannt ist“232, betont die Tango-Lehrerin Lidia Ferrari. Von beiden Tanzpartnern ist ein hohes Maß an spürender Wahrnehmung gefordert, das Visuelle oder Sprachliche entfällt als Mittel der Verständigung.233 Nur der Körper, nicht aber das Nachdenken sei zu der nötigen Komplexitätsreduktion, die für choreographische Entscheidungen nötig seien, in der Lage.234 Ob der Tango Erotik und Leidenschaft erfahren lässt, wird unterschiedlich beurteilt. Villa hält diese Aspekte für „gezähmt“, sie würden „mehr angerufen, also rhetorisch-diskursiv beschworen, als dass sie faktisch leiblich-affektiv erlebt werden“235. Die körperliche Nähe erfordere, sich aufeinander einzulassen für die Dauer des Tanzes oder der Tanda, einer Reihe von 4–5 Tänzen. Die reglementierende Begrenzung wird als Vorteil erlebt: „Man kann relativ dicht zusammen tanzen und genießen, aber das war’s dann, es sind bestimmt keine Verpflichtungen 227 Vgl. Hartmann 2008, 49. Villa beschreibt einen sehr direkten Körperkontakt. In kaum einem anderen Tanz werde so eng umschlungen und im „beständigen Ganzkörperkontakt“ getanzt. Vgl. Villa 2002, 195. 228 Launhardt/Schuster 1998, 109. 229 Vgl. Villa 2002, 184. 230 Vgl. Berger 2006, 42. 231 Vgl. Berger 2006, 37. 232 Ferrari in: Hartmann 2008, 49. 233 In einer qualitativ-empirischen Forschung von Christiane Berger nannten die Befragen als primäre Verständigungsmittel Gespür, Hineinspüren, Körper, Intuition. Dies mache den „Reiz und die Problematik des Tango-Tanzens“ aus. Vgl. Berger 2006, 38. 234 Vgl. die Aussage von Debra in: Berger 2006, 42. 235 Villa 2002, 196.

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da.“236 Eine Art von Erotik wird von Heide G. als „so eine Wärme“237 beschrieben, die sich aber auch mit einer Frau einstellen kann. Walter H. hat es so erlebt, dass es durch die körperliche Nähe auch anfangen könne, „zu knistern“238. Statt Erotik passe möglicherweise der Begriff „Intensität“ sehr viel besser. „Diese Intensität kann vielerlei Formen annehmen: meditative Harmonie, spielerische Bewegungsfreude, technisches Können – oder eben auch erotisch aufgeladene Intimität“239 – jeweils für die Dauer der Musik. Ob sich entweder eine als intim empfundene, symbiotische oder sinnlich-erotische Beziehungsqualität erleben lässt, entschieden Tanzende nicht rational, dies passiere „leiblich-vorreflexiv“240. Der besondere Tangogenuss stelle sich ein, wenn sich das Nacheinander von Führen und Folgen zunehmend zur Empfindung einer Gleichzeitigkeit verschiebe.241 Insgesamt transportiere ein tanzendes Tango-Paar idealtypisch242 den „Ausdruck von Harmonie und Lebenserfahrung“243. Gerade die Ästhetik von Würde, Reife und Versenkung gebe älteren Menschen einen besonders geachteten Platz im Tango. Dieser Tanz lasse sie „wunderschön“244 aussehen. Bei den kirchentanzenden Tangotänzern finden sich einige der im säkularen Rahmen zu machenden Beobachtungen und Einschätzungen wieder. Auffallend ist allerdings die Abwesenheit von „exotisierenden AlteritätsRhetoriken“245, die Männern und Frauen essentialistisch natürliche Rollenmuster zuschreiben.246 Das Führen und Folgen sind Positionen, keine geschlechtstypischen Rollen.

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Manfred M. zitiert in: Launhardt/Schuster 1998, 108. Launhardt/Schuster 1998, 108. Launhardt/Schuster 1998, 108. Villa 2002, 196. Siehe dazu weitere Belege bei Berger 2006, 46. Vgl. Berger 2006, 44. Dabei sind viele Zwischentöne im Bereich der Pole von harmonischer Verschmelzung und spannendem Frage-Antwort-Spiel möglich und gewünscht. Vgl. Berger 2006, 48. Klein/Haller zählen zur Inszenierung m. E. folgende spielerische Momente: „das Verschieben und Stoppen der Füße des Partners, das rhythmische Aufstampfen, das Verhaken und Warten“ (Klein/Haller 2006, 169 f.). Berger fragt schließlich angesichts des Harmonieideals kritisch: „Warum richtet sich das Begehren der Tangotänzerin bzw. des Tangotänzers, die bzw. der doch um der Verständigung willen den Tanzpartner bzw. die Tanzpartnerin in die Arme schließt, auf einen Zustand von Glückseligkeit, in dem die körperlich-leibliche Verständigung so uneingeschränkt funktioniert, dass durch die Auflösung der Ich-Du-Differenz ein Dialog nicht mehr möglich ist?“ ebd. 51. Vgl. Launhardt/Schuster 1998, 109. Marita F. fasziniert besonders die Ausstrahlung älterer Tanzpaare, die „so schön zusammen ihren Tango tanzen, so versunken […] Du kannst stundenlang zusehen, und es ist einfach nur wunderschön.“ Zitiert in: Launhardt/Schuster 1998, 110. Villa 2009, 114. Der Kirchen-Tanguero Ma betont: Tango sei kein Macho-Tanz, wie es in Showvorführungen dargestellt werde (vgl. B 2.4.6.5, Ma27). Paula-Irene Villa plädiert dafür, die klassischen Positionen des Führen und Folgens überhaupt fallenzulassen. „Wenn der Tango als permanente Improvisation zweier Menschen mit einem

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Heute, ich unterrichte ja auch Tango, ist es so, dass man eine eher führende Person und eine eher folgende Person braucht, wobei das nicht an das Geschlecht gebunden ist. Es tanzen auch zwei Männer oder es tanzen zwei Frauen (Ma27).

Dieses Wechselspiel sei ein Bild für die Sehnsucht nach einem liebevoll begleitenden Gott: Und als ich das erste Mal einen Tango gesehen habe, fällt mir jetzt wieder ein, war mit mein erster Gedanke, so wünsche ich mir Gottesbeziehung, also dass es a) individuell ist, dass man jemanden Schönes im Arm hat oder von jemand Schönem im Arm gehalten wird und dass [b)] keiner ist, der sagt, da geht’s lang, sondern wir tanzen den Weg jetzt zusammen, und mal führst du, und mal führst du [sic!], mal folge ich, mal wirst du von mir gefolgt, sozusagen und, ja. Und das ist im Tango drin und das ist für mich ein Bild und damit ein Stück weit eine Erfüllung meiner letztendlich wiederum Gottessehnsucht. Dass ich mir so auch die Beziehung zu Gott vorstelle und wünsche (Ma27).

Ma setzt die ästhetische Erfahrung, die sich mit dem Berühren, Geführt- und Gehaltenwerden, Begleitetwerden verbindet, in einen christlich-religiösen Deuterahmen: […] hab ich gemerkt, dass Begrifflichkeiten im kirchlichen Kontext im Glauben, im Gottesdienst, Nachfolge zum Beispiel, Begleitetwerden, Gesehenwerden, das große Wort Liebe, aber auch Verlassenwerden, Abschiedsschmerz und so, Vokabeln, die ich auch in den Psalmen wiederfinde, dass das im Tango sich auch wiederfindet, ohne dass man das jetzt gleichsetzen kann… wieder ’ne Brücke gefunden oder so zu diesen alten biblischen Begriffen und konnte die plötzlich wieder verstehen oder begreifen oder überhaupt auch mal nachspüren… was es heißt, geführt zu werden, oder von jemand begleitet zu werden, eine Hand im Rücken zu haben, gerade im Tango ist ja auch ne sehr enge Tanzhaltung.247

Das Gehaltensein spielt beim Tanzen eine Rolle, denkt auch die blinde Tänzerin T. Gerade, wenn man mit einem Partner tanzt […], ist es wichtig, dass man nicht ganz allein da ist.248 Diese Erfahrung ist mit dem Tandemfahren vergleichbar. Vorne sitzt der Pilot, und sie hinten lässt sich darauf ein.249 Der Tänzer Hs stellt das affektive Betroffensein und die Glücksgefühle heraus: Wenn das „funkt“, ist es genauso, „wow“.250 Ein intensiver Moment stellt sich ein beim Drehen eines schnellen Tango-Valses mit der Partnerin: Wenn man

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Dritten, der Musik nämlich, definiert wird, dann wäre es doch an der Zeit, dass jeder Schritt von beiden Tanzenden gemeinsam entschieden wird.“ Villa 2009, 120. B 2.3.3, Ma12. Vgl. B 2.2.4; T48. Vgl. B 2.2.4; V29–30. Vgl. B 2.4.3; Hs3.

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einen „schnellen Tango-Valse dreht, oh geil, das ist einfach ein herrliches Gefühl“.251 Der Tango macht Menschen nicht gläubiger, er sollte nicht funktionalisiert werden (vgl. Ma12). Die oben getroffenen Feststellungen zur gelegentlichen Anwesenheit von Leistungsorientierung können auch im kirchlichen Rahmen bestätigt werden, wenn auch in abgeschwächter Form. Tangotänzer scheinen in der Rolle des oder der Führenden stärker zwischen kognitiven Leistungen und Körperwahrnehmung zu pendeln: Sie können es als Anstrengung empfinden, zu überlegen, was sie als Nächstes zu tun haben, beziehungsweise auf das einzugehen, was die Partnerin macht.252 Verglichen mit anderen Tänzen erfordert dies besonders viel praktische Übung.253 Der Tango gibt den Tanzenden etwas zurück für diese Mühe. Die besondere Ausstrahlung älterer Tanzpaare wird fasziniert wahrgenommen: Hs sieht, was da für eine Kraft drin liege, dass der [Alte] sich so bewege und es mit so einer Strahlkraft tue. Es sei der Tango, der hier auch eine Energie schenke. „Das hat dann nichts mehr mit Alter zu tun, oder im Gegenteil – je älter man wird, umso intensiver wird es.“ Im Alter ist es dann so, dass man nichts mehr beweisen muss, es ist geradezu Blödsinn, das zu wollen, das sind Kindereien, sondern er kann nur in die Tiefe, in die Mitte reingehen.254 Das Thema Erotik wird von den Tangotänzern kaum explizit angesprochen. Zur Erotik des Tanzes befragt, formuliert der Kirchentänzer und Tangolehrer Ma: Ich sag mal so, die Erotik ist gar nicht das, so wird Tango manchmal dargestellt, deswegen ist Tango auch so bei manchen auch negativ besetzt, weil man gleich denkt, huch, was ist das denn? Manche tanzen einfach Tango, weil’s einfach nur Spaß macht, wie man auch andere Tänze tanzt. Wenn’s gutgeht, hat man natürlich einen guten Partner, eine gute Partnerin, mit der das Tango-Tanzen dann noch mal mehr Spaß macht, aber es braucht nicht unbedingt diese Erotik, oder die ist auch nicht immer da.255

Im Vordergrund stehen Erfahrungen der Geborgenheit, der liebevollen Nähe, des Vertrauens, Begleitens und Begleitetwerdens, der Unterstützung. Wenn es „funkt“, stellen sich Glücksgefühle ein. Im Tango kann auf intensive Weise geglückte menschliche Beziehung erlebt und anschaulich gemacht werden. Unter Umständen, das heißt mit entsprechender Offenheit für solche Deu251 252 253 254 255

Hs3. Vgl. B 2.4.3; Hs3. Vgl. B 2.4.4; Hs3. Vgl. B 2.4.4, Hs7–8. Siehe auch die Äußerung von Hs in der Einleitung von C 2.4 (vgl. Hs6). Ma26.

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tungen sowie eventuell durch Predigtgedanken angeleitet, kann darin auch ein Spiegel der Intimität zwischen Gott und Glaubenden gesehen werden. Auf das Potenzial des Tangotanzes, Menschen mit einer Performance zu ernsten politischen und gesellschaftlichen Themen auf der affektiven Ebene anzusprechen, geht der Pfarrer und Tanguero Hs mehrmals ein. In seinen Tangogottesdiensten leiste der Tanz einen Beitrag dazu, Fragen der Menschenwürde, Armut oder Heimatlosigkeit für theologische Reflexion aufzuschließen. Walz, die diese von Hs angebotenen Gottesdienste ebenfalls kennt, schreibt dem Tango die Qualität einer spirituellen Sprache zu, die transkulturelle Verständigung leisten könne. Darüber hinaus könne der Tango eine ästhetische Sprache des Widerstands sein.256 Nur wenige Andeutungen finden sich dazu in Äußerungen der Befragten. Dies lässt vermuten, dass in kirchlichen Szenen die Möglichkeiten des argentinischen Tangos noch lange nicht ausgeschöpft sind und weitere Entwicklungen durchaus denkbar sind.

2.4.4 Indischer Tanz Sowohl Kathak als auch Bharatanatyam sind Formen des klassischen indischen Tanzes. Ihr Ursprung liegt in den Tempeln des Hinduismus257. Be erklärt die Anziehungskraft, die der Kathak für sie hat, unter anderem aus seiner geschichtlichen Entwicklung.258 Die folgende Darstellung der Geschichte geht auf die Erläuterungen von Be zurück. Durch die Invasion der Mogulen in Indien habe Kathak seinen Charakter stark verändert. Die Mogule seien nicht an hinduistischen religiösen Geschichten interessiert gewesen, daher sei der Schwerpunkt mehr in Richtung Unterhaltung gegangen, was den FußtechnikAspekt und die Tanztechnik insgesamt sehr stark in den Vordergrund gerückt habe. So sei der reine rhythmische Tanz mit Virtuosität und vielen Drehungen entstanden. Trotzdem habe das Religiöse weiterhin eine Rolle gespielt, denn vor allen Dingen der Sufismus habe Kathak geprägt. Kathak-Tänzer hätten religiöse Sufi-Poesie dargestellt. Berühmte Lieder von Sufi-Mystikern seien ein wichtiger Schwerpunkt im Kathak gewesen. Als die Briten Indien erobert hatten, habe es einen tiefen Einschnitt in der Weitergabe gegeben, da diese den Tanz nicht gern gesehen hätten. Das Problem sei offenbar gewesen, dass Tanz an den Höfen auch eine erotische Komponente besessen habe, allerdings erst in einer dekadenten Phase. Tänzerinnen hätten an den Höfen Liebesdienste leisten müssen. Daraufhin hätten die Briten diese Tanztraditionen radikal zerstört. Nach der indischen Unabhängigkeit seien deren Überreste wieder ausgegraben worden. Glücklicherweise habe es immer noch Kathak-Familien gegeben, die den Tanz im Geheimen weitergegeben hätten. Daher habe es noch 256 Vgl. Walz 2012. 257 Vgl. Be41. 258 Vgl. Be41–43.

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echte Quellen gegeben. Der Kathak habe sich bis an die Wurzeln rückverfolgen lassen. Der Bharatanatyam sei demgegenüber fast ganz verschwunden gewesen und habe erst anhand von Tempelskulpturen und Abbildungen rekonstruiert werden müssen. Deswegen könne man beim Bharatanatyam nicht hundertprozentig davon ausgehen, dass er original sei. Der moderne indische Tanz sei, nachdem die klassischen Tänze seit der indischen Unabhängigkeit wieder bühnenfähig geworden seien, durch viele auch staatliche Schulen zur Blüte gekommen. Der Kathak sei heute ein weltlicher Bühnentanz. Man könne aber bei einer traditionellen Aufführung von indischem Tanz alle Aspekte, die jemals im Tanz existiert hätten, also sowohl die religiösen Hintergründe, dann die Mogul-Ära und die moderne Entwicklung, alles in einer Performance vereint finden. Dies finde Be ganz toll, weil dies immer wieder den Bogen zur Antike schlage. Es werde nichts rausgestrichen, sondern alles mitbedacht und einbezogen, es werde nichts ausradiert aus der Entwicklung des Tanzes. Die Begeisterung Be’s für den Tanz ist der historischen Beschreibung anzumerken. Möglicherweise erfolgten Vergleiche der ästhetischen Erfahrung bzw. der Körpererfahrung wegen der klaren, anmutigen Bewegungen meist auf der Folie des klassischen Balletts Europas. Ein wesentlicher Unterschied liege in dem engen Kontakt zur Erde, die Bewegungen strebten nach unten. Me tanzt Bharatanatyam, Be den Kathak. Beide treten damit in Kirchen auf. Teilweise verbinden sie die erlernten Muster mit anderen selbst entwickelten Elementen. Körperhaltung und gewisse Armbewegungen seien zwar dem Ballett ähnlich, nur die Füße, die ganze innere Haltung, wo der Schwerpunkt und die Energie sitze, sei in Indien ganz anders.259 Man mache [im Kathak] viel Fußarbeit, dadurch müsse man sehr gut geerdet sein, während Ballett nach oben strebe, mit Spitze. Die Energie ziehe nach oben, man strebe an, zu fliegen. Diesen Gedanken gebe es im klassischen indischen Tanz nicht. Da gehe alles nach unten und in die Breite. Natürlich hielten sie auch die Arme nach oben, aber das, was man im Inneren des Körpers empfinde, sollte nach unten streben.260 Was auch Me ganz besonders gefalle am indischen Tanz, sei, dass er anders als im Ballett nach unten gehe. Die stampfenden Bewegungen seien sehr erdverbunden, während beim Ballett die Tänzerin immer nach oben strebe und versuche, den Körper leicht zu machen, dass sie möglichst kein Gewicht habe, dass sie möglichst schwebe auf Spitze und so, und hier sei es ganz anders. Man stampfe, und dabei sehr anmutig. Es sei praktisch wieder eine Verbindung zwischen der Kampfkunst und dem Ballett. Und doch wieder so ganz anders, weil es eben aus dieser anderen Kultur komme.261 Im Kathak habe Be gesehen, dass die Inder sehr viel Wert auf Reife legten.262 Die von Claudia Fleischle-Braun in teilnehmender Beobachtung durchge259 260 261 262

Vgl. Be17. Vgl. Be18. Vgl. Me21. Vgl. Be25.

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führte kulturethnologische Tanzforschung stellt im Barathanatyam spezifische Körpererfahrungen fest. Diese Forschung bestätigt und ergänzt die Beschreibungen der Kirchentänzerinnen. Nach Fleischle-Braun erfolgen die Bewegungen aus einer Grundstellung heraus: ein „tiefer erdverbundener Stand in halber Kniebeuge mit auswärts gerichteter Fußstellung“263. Die Mimik wird kontrolliert, Gebärden und Handgesten (Mudras) unterliegen einer Kodifizierung, der Blick geht häufig zur Hand. Mit den Füßen werden rhythmische Schläge, Schritte und Beinbewegungen aus einer statischen Grundposition heraus ausgeführt. Die Bewegungen zeichnen geometrische Muster nach und sind vorwiegend richtungsbezogen. Körperteile bewegen sich isoliert und simultan. Sie folgen mit pulsierender Energie der rhythmischen Phrasierung der Musik. Die Tänzerin ist, auch wenn sie in der Gruppe tanzt, Solistin.264 Während die Kirchentänzerin Be die geerdete Ästhetik des Tanzes, die gleichzeitig von Anmut geprägt ist, schätzt,265 verzeichnet Fleischle-Braun bei sich eine ambivalente Reaktion. Auf europäische Tänzerinnen kann das feminine Ideal von „Schönheit, Reinheit, Anmut und Spiritualität“ befremdend wirken, die „Kontrolliertheit und normative Festlegung der körpersprachlichen Ausdrucksform“ Widerstände auslösen, vermerkt Fleischle-Braun.266 In Indien wird mit der strengen Technik das „Streben nach innerer Wahrhaftigkeit“267 gefördert. Begrüßungs- und Abschiedsrituale unterstreichen eine hierarchische Unterordnung gegenüber den Lehrmeistern im klassischen indischen Tanz.268 Fleischle-Braun wurde bei ihrem Experiment der Teilnahme am Unterricht in Bharatanatyam deutlich, dass in der Aneignung und Vermittlung eines kulturellen Tanzstils sich nicht nur objektiv-materielles Wissen über die spezifische Artikulation der Bewegung mit subjektiven Körpererfahrungen und Bewegungsgefühlen verbinden, sondern auch Geisteshaltungen, Wertvorstellungen und Weltsichten. […] Die beim Erlernen der bewegungstechnischen Formen immer wieder erlebten koordinativen Irritationen und Überforderungen lassen die stark verankerte habituelle Prägung des eigenen Bewegungsverhaltens bewusst werden. Solche Gelegenheiten […] veranlassen einen Bezug zu sich selbst und das Reflektieren der persönlichen Bedeutsamkeit.269

263 Fleischle-Braun 2012, 245. 264 Vgl. Fleischle-Braun 2012, 245. 265 „Was ich nicht gelernt hätte, wäre Anmut, und zwar so eine körperliche und auch eine geistige Anmut oder auch im geistigen Sinne sogar so eine Art Demut. Das habe ich wirklich durch das Tanzen entwickelt und hab auch durch das Tanzen eine gewisse Weiblichkeit entwickelt, und die hätte ich nicht ohne das Tanzen“ (Be51). 266 Fleischle-Braun 2012, 246. 267 Fleischle-Braun 2012, 246. 268 Vgl. Fleischle-Braun 2012, 247. 269 Fleischle-Braun 2012, 248.

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In der Begegnung mit einem kulturell fremden Tanzstil wie dem Bharatanatyam kommt es insgesamt gesehen zu gewinnbringenden ästhetischen Erfahrungen.270 Fleischle-Braun resümiert: Das Aushalten und der respektvolle Umgang mit ambivalenten Erfahrungen sind ein wichtiger Bestandteil des in der interkulturellen Begegnung liegenden Lern- und Bildungsprozesses. Für das tanzende Subjekt ist damit immer auch ein Prozess der Selbstformung und körperlichen Transformation verbunden, bei dem das Streben nach Authentizität und Zugehörigkeit und die Anerkennung der kulturellen Diversität mit ihren jeweils verschiedenartigen Erfahrungswelten und ,Lesarten‘ der Welt in Einklang gebracht werden muss.271

Fleischle-Brauns Feststellung, die Choreographiearbeit gehe von der semantischen Bestimmbarkeit der Bewegungen aus und akzentuiere daher die „imitierend-narrative Auslegung“,272 findet sich in ähnlicher Weise bei den Kirchentänzerinnen. Letztere sind sich bewusst, dass das Kunstverständnis im klassischen indischen Tanz von der Überzeugung geprägt ist, Lieder und mythologische Stoffe in die Sprache des Tanzes transponieren zu können. Die Gesten sind allgemein verständlich, mithin semantisch bestimmbar – zumindest in den Kulturen des indischen Subkontinents.273 Die Erfahrungen der Kirchentänzerinnen differenzieren das von Fleischle-Braun gezeichnete Bild aber auch, da Be mit dem Bewegungsmaterial des klassischen indischen Tanzes sehr frei umgeht. Sie schafft ihre eigene Tanzsprache, deren semantische Bestimmbarkeit nicht mehr in der gleichen Weise vorausgesetzt werden kann wie für die festgelegten überlieferten Bewegungen. Durch die Körpersprache Kathak hat sie ihre Ausdrucksmöglichkeiten erweitert. Sie nutzt deren Bewegungen für ihre eigenen improvisierten Choreographien.274 Ihre Stoffe für Aufführungen stellt sie nicht ausschließlich in narrativer Weise dar.275 Be’s Tanz wirkt stark durch ihre ruhige Präsenz, die mit Hilfe einer Maske noch verstärkt wird.276 270 Vgl. Me21: „wie ein Fenster in einen Ozean in eine neue Welt mit diesen vielen fremden Bewegungen und Handgesten mit den ganz anderen Bewegungen.“ 271 Fleischle-Braun 2012, 249. 272 Fleischle-Braun 2012, 246. 273 „Indien ist ein Riesenland, und wenn Künstler durch die Gegend gezogen sind, die sind ganz schnell in einen Bereich reingekommen, wo man eine andere Sprache spricht, wo man keine gemeinsame Sprache hat, und das war immer auch der Versuch, wie bei unserer deutschen Gebärdensprache mittels eines gestischen Alphabets Sachen erzählen zu können“ (Be19). 274 Vgl. B 2.2.4; Be13–14; vgl. Be6 275 Berufung des Mose/Flüchtlingspolitik vgl. Be5, verfolgte Hexen (vgl. Be3), Psalm 8, Jona (vgl. Be39) u. a. 276 „So eine Maske hat aber irgendwie was Schamanisches, finde ich. Das verwandelt einen so stark, dass man über die Person nicht mehr nachdenkt. Und das ist wiederum, auch wenn man etwas verliert, nämlich die Gesichtsmöglichkeit, gewinnt man doch ne andere Präsenz, und das ist sehr stark.“ (Be11). Den Eindruck ruhiger Präsenz entnehme ich einem nicht veröffentlichten Video einer Performance auf dem ÖKT in München.

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Me transponiert christliche Mythologie bzw. erzählte Heilsgeschichte in Bharatanatyam. Die Mudras, Haltungen und Bewegungen zeigen, worum es geht. Stoffe wie Schöpfung und Erlösung werden in einer stark stilisierten Tanzsprache gestisch-narrativ umgesetzt. Tanzunkundige verstehen diese Sprache nicht unmittelbar.277 Me hält diese Sprache für verständlich innerhalb der indischen Kultur. Die erzählende Aufgabe hat ihren Ursprung in den Tempeln.278 In ihren Aufführungen erläutert Me die Mudras, um Zuschauern einen Zugang zur intendierten Bedeutung zu geben.279 Aufällig ist, dass die Kirchentänzerinnen von den in der Ausbildung auftretenden koordinativen Irritationen aufgrund eigener habitueller Prägungen (Fleischle-Braun) kaum reden. Me erweitert allerdings auch das Bild, das Fleischle-Braun zeichnet. Da sie durch die Ausbildung bei einem Pater, Dr. George Saju SJ280 aus Indien, einem Bharatanatyam-Tänzer und katholischen Priester Formen tänzerischer christlicher Verkündigung lernte, schafft Me für ihren Kontext in Deutschland eine Verbindung von Tanz und Erzählung, die sich als Brücke zwischen verschiedenen Kulturen versteht. So kommt zum Reiz des Exotischen einer „neuen Welt“ ein originales Anliegen, die Verkündigung, das die Tänzerinnen Me und Be stark mit ihren christlichen Wurzeln verbindet und bei Be zu einem freien, durch Kathak angeregten und geschulten Stil führt. 2.4.5 5 Rhythmen In expliziten Kirchentanzangeboten werden meines Wissens die 5 Rhythmen nicht integriert, obwohl er häufig Teil des Angebotsspektrums kirchlicher Häuser und konfessioneller Erwachsenenbildungseinrichtungen ist. Von einigen Aktiven im Kirchentanz wird er in den dafür typischen Szenen praktiziert und mit Spiritualität in Verbindung gebracht. Die Befragten hielten auch diese Erfahrungen für relevant, daher erfolgt hier eine kurze Einführung. Der Tanz der 5 Rhythmen wurde von der amerikanischen Musikerin Gabrielle Roth (1941–2012) konzipiert. Er ist rechtlich geschützt, um den in einer bestimmten Weise ausgebildeten Vermittler_innen281 ein erkennbares Profil auf dem „Markt“ zu ermöglichen. Sein Ursprungszusammenhang ist die individuelle spirituelle Suche der von katholischen Ordensschwestern streng körperfeindlich erzogenen Roth. Diese Suche hängt mit dem Verlust ihrer 277 278 279 280

Dies ist die Sichtweise von Be in Be22. Vgl. Me33–34; vgl. Me30. So habe ich es selbst erlebt, z. B. auf Kirchentanzfestivals, bei denen Me auftrat. Vgl. http://www.kirche-und-dialog.de/fileadmin/uploads/mk/a_aktuell/a_nachrichten-termi ne/IndienTanz_Flyer_low.fh10_dis-2.pdf (2016/03/22). 281 Gabrielle Roth bildete die Mehrzahl der Lehrenden selbst in Kalifornien aus. Dieses Erbe wird von ihrem Sohn Jonathan Horan inzwischen weitergeführt. Akkreditierte Lehrer werden angehalten, sich regelmäßig fortzubilden (i.R. alle zwei Jahre). Vgl. www.5rhythms.com (2016/10/ 04).

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Körperaneignung zusammen, der unmittelbar ihre Religiosität mit betraf: „Irgend jemand hatte den Sex aus Gott und Gott aus meinem Körper herausgenommen.“282 Als junge erwachsene Frau findet sie nach Jahren des Balletttrainings durch intuitive Improvisation die fünf Rhythmen. Sie werden von Roth in einer sie übersteigenden Wahrheit verankert und rhetorisch archaisiert: In der Hingabe an die wilde ekstatische Umarmung des Tanzes habe ich eine Sprache von Mustern entdeckt, die uns zuverlässig zu universellen Wahrheiten führt, die älter sind als die Zeit. Im Rhythmus des Körpers lassen sich die Spuren unserer Heiligkeit nachzeichnen, die Wurzeln, die zu allem Anfang zurückführen.283

Roths ekstatische Bewegungsmeditation bietet ganz spezifische ästhetische Erfahrungen durch das freie Ausleben fünf unterschiedlicher Bewegungsqualitäten. Diese sind systematisch als Weg angelegt. Die Bezeichnungen benennen universelle Energiemuster (flowing, staccato, chaos, lyrical, stillness) statt klassischer beschreibender Begriffe, wie sie Laban entwickelt hat (z. B. indirekt, allmählich, stoßend…). Gabrielle Roths Tanz basiert auf der Vorstellung, durch die verschiedenen Phasen in der freien Tanzimprovisation grundlegende menschliche Erfahrungsfelder zu berühren, sie zu ihrem Recht kommen zu lassen und letztlich in die Persönlichkeit zu integrieren. Im Tanz geht es vor allem um Selbsterfahrung.284 Die Erfahrungen mit dem Tanz reichen von Entspannung und Glück bis zu Heilwerden und spirituellem Erleben. GT schätzt am 5-Rhythmen-Tanz das Befreiende sowie den Wechsel von Leerwerden und Gefülltwerden: „…das fand ich total klasse. Weil ich da einfach auch rausgehen konnte und ein Stück weit frei werden konnte und eben auch Dinge ausdrücken konnte, die ich sonst nicht verbal oder so aus mir rausgeben kann, und das hat was Befreiendes und aber auch gleichzeitig so etwas Leermachendes, also mal wieder leer wieder, und dass es wieder gefüllt werden kann.“285 Auch E tanzte längere Zeit die 5 Rhythmen . Ergänzend lassen sich anhand eines im Internet einzusehenden Erfahrungsberichts die Wahrnehmungen während der einzelnen „Rhythmen“ differenzieren: Flowing: […] Die Tanzenden um mich herum lassen sich treiben wie Schiffe auf dem Strom. […] Staccato: […] Die Trägheit verwandelt sich allmählich in Kraft. […] Chaos: […] Der Raum um mich herum verwandelt sich in ein mit der Musik vibrierendes Wildwasser […] Lyrical: […] Ich wische mir den Schweiß von der Stirn 282 Roth 2007, 17. 283 Roth 2007, 32. 284 „Ich springe wie mit Federschuhen auf und ab, will gar nicht aufhören, lache und fühle mich aufgeladen und total wohl. Ich muss nichts tun. Keine Performance hinlegen, einfach zulassen, was der Körper will.“ Erfahrungsbericht in: http://spuren.ch/content/magazin/single-ansichtnachrichten/datum////5-rhythmen-tanzen-wie-beten.html (2016/03/18). 285 B 2.3.1; GT7.

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und lasse mich in ein simples Bewegungsmuster fallen […] Stillness: […] Fasziniert beobachte ich, wie der Bewegungsimpuls [der Musik] in meinem Körper nachhallt. Mein Atem bewegt mich […].286

Ein Leistungsgedanke wird diesem Tanz genauso wenig gerecht wie der Anspruch, eine Performance für andere zu bieten. Er geht von dem unter Kirchentänzer_innen verbreiteten Credo aus: alle können tanzen.

2.4.6 Soul Motion Soul MotionTM, die spirituelle Tanzpraxis von E, ist eine Tanzmeditation als Körpergebet. Diese wird seit etwa 20 Jahren durch den Amerikaner Vinn Arjuna Mart , einem Tänzer, Choreograph und spirituellen Lehrer entwickelt.287 Sie ist als Trademark eingetragen, da die Soulmotion-Lehrer mit ihrer Aktivität auch kommerzielle Zwecke verbinden. Die Teilnahme an Seminaren ist kostenpflichtig. Beim getanzten Gebet bzw. Körpergebet in der Kirche handelt es sich allerdings um ein offenes, genuin kirchliches Angebot von E, bei dem wie auch sonst in Andachten und Gottesdiensten kein Eintritt verlangt wird. Die Bandbreite möglicher ästhetischer Erfahrungen hängt sehr stark von dem ab, was sich im Augenblick durch die Musik, die anderen Teilnehmer und die eigene Aktivität sowie Selbstwahrnehmung ergibt. Dennoch können einige präzisere Aussagen anhand der Erklärungen von E herausgefiltert werden. Soul MotionTM arbeitet mit der Vorstellung, dass es einen Energiefluss gibt vom Herzen durch die Arme bis in die Hände hinein und vom Energiezentrum Hara durch die Beine bis in die Füße, letztendlich in den Boden hinein. E praktiziert dies in Stille, aber auch in Bewegung. Stilles Sitzen gehöre nicht so sehr zu Soul MotionTM dazu, aber er integriere dies auch in seiner Arbeit.288 E erklärt: soul motion stammt Vinn Arjuna Mart , den hab ich vor 14 Jahren kennengelernt. Da habe ich einfach recht schnell das Gefühl gehabt, das spricht mich einfach sehr an, so von der Art der Bewegung, von der Art, in Kontakt zu gehen mit sich, mit anderen Menschen, mit ja auch mit dem Universum, mit der göttlichen Kraft, und da bin ich einfach so eingetaucht und habe das viele Jahre praktiziert.289 286 http://www.die-tanzpraxis.de/ueber5rhythmen/5RFrameset.html (2016/03/18). 287 „Soul Motion is a conscious dance practice designed by Vinn Arjuna Mart offering a leadership path both on and off the dancefloor. Using guided movement inquiries, teachings, and periods of open dance passages students discover their creative artistry by way of dance relationships, and cultivation of the still point in the moving center.” Vinn Arjuna Mart in: www.soulmotion.com (2016/03/23). 288 Vgl. B 2.3.1; E11. 289 E9.

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Die spezifische ästhetische Erfahrung ist eng verbunden mit der Improvisation. Worte, die mir wichtig sind, und zu denen ich immer wieder zurückkomme, sind eben Präsenz, Achtsamkeit, Akzeptanz, also das, was gerade da ist an Körperempfindung oder auch an Gefühlen und auch an Gedanken, das anzunehmen, wahrzunehmen, nicht wegdrängen zu wollen, sondern mit denen zu sein und zu gucken, was möchte von dort aus entstehen, wenn ich eben jetzt kein Ziel suche, nichts erreichen möchte, sondern einfach mich bewege…. da passiert unglaublich viel, also das ist das Spannende, also gerade, wenn man nichts erreichen will, ergeben sich meist in Form in Bewegungsimpulsen, ergeben sich oft ganz spannende Dinge […] Auf der reinen Bewegungsebene bin ich manchmal selber überrascht, was an Bewegungen dann sich plötzlich zeigt, an Impulsen, die mein Körper fast von selber wie sich sucht, ohne dass ich das Gefühl habe, ich mache aktiv wirklich was (E12-13).

Soul MotionTM versteht sich vorwiegend nicht als Kunst, sondern als Meditationsweg. „Das ist diese Dimension, die man innerlich erlebt, die kann man irgendwie schwer irgendwie nach außen als Präsentation als Performance zeigen“.290 Musik dient als Unterstützung und Inspirationsquelle. Sie ist in der Wahrnehmung gleichwertig zur Wahrnehmung der im Raum präsenten Menschen. Sowohl von der Musik als auch durch die Wahrnehmung der Bewegungen anderer können Tänzer_innen Bewegungsimpulse erhalten. Es geht nicht darum, zur Musik zu tanzen oder eine Choreographie zu machen. Die Musik begleitet lediglich. Für viele Teilnehmer ist dies ungewohnt, sie versuchen, sich der Musik anzupassen. E will diese Sichtweise umkehren und sagt, dass „die Musik zu dir kommt und dich in deinen Bewegungen begleitet“. Leistungsdruck kann bei manchen gerade bei vieldeutiger Musik entstehen, die keinen klaren beat hat. Ähnlich wie bei den 5 Rhythmen ist ein Tanzangebot in Phasen, sogenannten „Landschaften“291 strukturiert: den inneren Tanz allein (Dance Intimate), die Begegnung mit einem Partner (Dance Communion), Verbundenheit mit der Gemeinschaft (Dance Community) und schliesslich das Einschwingen in den großen Tanz des Universums (Dance Infinite).292

Soul MotionTM wird beispielsweise in der evangelischen Kirche der Stille in Hamburg regelmäßig durch den Tanztherapeuten und Soul Motion -Lehrer Edgar Spieker293 angeboten. Die Teilnehmer sind eingeladen, einem Thema 290 291 292 293

E25. Vgl. http://www.edgarspieker.de (2016/03/22). http://www.edgarspieker.de (2016/03/22). Vgl. http://www.edgarspieker.de/index.php?page=edgar (2016/03/22).

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oder einer Fragestellung in Bewegung nachzuspüren. Teilnehmer äußern sich in einem Informationsvideo zu ihren Erfahrungen damit294: Ich höre die Musik, und dann kommt etwas von innen heraus. Es ist wie meine Klangschale, die sich öffnet, und es purzelt nur so. Ich bin manchmal unglaublich erstaunt, was da alles in mir ist.295 Wenn ich Soul MotionTM tanze, bin ich einfach ich, bin ich lebendig und meistens glücklich, aber alles andere, was auch da ist, darf dann auch da sein.296 Auf der Basis von Stille finde ich mich, finde ich den Rhythmus meines Lebens, wie es gerade ist, in der Musik und im Tanzen den Rhythmus der anderen. Und das zusammen tanzen ist ein Geschenk, ist gesund, macht Freude – ja, ein Geschenk.297

Die Pastorin der Kirche der Stille Irmgard Nauck nimmt am Körpergebet teil. Sie formuliert ihr Verständnis von Soul MotionTM: „Die eigene innere Fülle wird umso erfahrbarer, je mehr die Teilnehmenden lernen, sich absichtslos dem Moment hinzugeben.“298 Gemeinsam mit der Pastorin werden auch Gottesdienste mit Tanz veranstaltet. Innerhalb kirchlicher Tanzszenen nimmt dieses Angebot eine Sonderstellung ein, da das Gebet mit einer ekstatischen Form von Tanz gestaltet wird, statt wie meist üblich in kontemplativer Weise durch wiederholende Gebärden und Kreistänze. 2.4.7 Tanz in der Natur Schon die frühen Tänzerinnen der Moderne wie Ruth St. Denis haben sich von Naturbildern inspirieren lassen. Tanz und Natur werden bis heute durch Imagination in Verbindung gebracht.299 Prägend für die Tänzer_innen, die tatsächlich in die Natur gehen, um sich dort unter anderem tänzerisch zu bewegen, dürften mehrere Vorbilder sein. Anstöße aus den USA haben den Tanz in der Natur gefördert – die Arbeit der Tänzerin Anna Halprin300, die Anliegen der site-specific performance, des New Dance301, der Contact Im294 295 296 297 298 299

Vgl. Soul Motion Film auf www.edgar.spieker.de. Eigenes Transkript (2014/08/14). „Renate“ im Soul Motion Film. „Angela“ im Soul Motion Film. „Friedrich“ im Soul Motion Film. Nauck/Gidion 2013, 69. Ein praktisches Beispiel ist der Volkshochschulkurs von Eva Zachmann in Stuttgart, der mit Hilfe von Phantasiereisen virtuelle Gänge in die Natur bietet. Vgl. http://www.vhs-stuttgart.de/ index.php?id=42&kathaupt=11&knr=161-30187&kursname=Natur+erleben+durch+Tanz (2016/03/22). Der Tanztechnik-Band von Eric N. Franklin favorisiert Naturbilder als Vorstellungen für Übungen. Vgl. Franklin 2009. 300 Vgl. A 6.4.2. Halprin schuf mit ihrem Mann Lawrence eine Tanzfläche aus Holz, mitten im Wald des Mont Tamalpais, das sogenannte Dance Deck. 301 New Dance ist aus dem Modern Dance in der Tradition Martha Grahams und zahlreicher anderer Protagonisten des Bühnentanzes in den USA im 20. Jahrhundert hervorgegangen. Für

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provisation und die mit der Vision Quest302 verwandte Ritualarbeit in der Natur bzw. Naturexerzitien. Halprin entwickelte Großgruppenrituale wie Circle the Mountain, Earth Run und Planetary Dance, die unter freiem Himmel getanzt werden. Wenige der Gesprächspartner_innen bezogen sich auf Tanzerfahrungen in der Natur: „Also das ist auch ein phantastisches Erlebnis gewesen, also da waren wir in der Natur auf einer Lichtung und haben dann ganz viele Naturempfindungen bekommen und sind von dieser Atmosphäre mit getragen worden, und das war wunderbar, also“.303 Fr könne in Beziehung gehen mit der natürlichen Umgebung und dabei vielleicht einen Zuspruch bekommen. Da sei zu entdecken die Erde, die ihn einlade, sich einzugraben, der Baum, der ihn einlade, an ihm herumzuspinnen, zu spielen, zu klettern, seine Kraft zu spüren, der ihn beschütze durch seine Äste, der Felsen, an den er sich anlehnen dürfe. Die Natur gebe ihm sehr viele Möglichkeiten, einerseits des Gespiegelt-Werdens, andererseits als Zuspruch. Vielleicht ergebe sich auch ein Anspruch, darauf zu reagieren.304 Tanzen unter freiem Himmel kann als besondere Raumerfahrung gelten. Ro erfahre bei einem Tanzfest in der Bretagne den Raum draußen als unendlich, ein Gefühl, das sie positiv qualifiziert als „getragen“ und „spirituell“.305 Die Ausschreibung eines „Naturkurses“ des Tänzers, Choreographen und Studienrats für Sport und evangelische Religion Frieder Mann, Mitglied der CAT, zeigt einen Ansatz, bei dem ein Ritual der Schwellenerfahrung in der Natur Bewegungserfahrungen, je nachdem auch Tanz, einschließt. Der Naturkurs wird von Mann unter der Rubrik „Tanz und Kirche“306 ausgeschrieben und unter Kirchentänzern beworben. Die dortigen ästhetischen Erfahrungen stehen in dem weiten Kontext von Bewegunggestaltung, Körpererleben, Performance und Naturbegegnung. Aus der Naturbegegnung und unseren inneren Bildern entstehen stimmige Gesten und Bewegungsmotive. Sie bilden die Grundlage für das Ritual, in dessen Verlauf wir

302

303 304 305 306

eine Verbindung von New Dance und Naturerfahrung vgl. http://www.christinefreitag.de/new dance (2016/03/22). Die Visionssuche (Vision Quest) wird in Europa seit den 1990er Jahren vor allem durch das von Dr. Steven Foster und Meredith Little entwickelte Format eines „Übergangsritus“ (rite of passage) zur persönlichen Sinnsuche geprägt, die mit Elementen aus der Tradition nordamerikanischer Indianer und einem sozialpädagogischen Modell konzipiert sowie einem naturpsychologischen Entwicklungsmodell unterstützt ist und durch geschulte Leiter in der Tradition der School of Lost Borders (gegr. 1981) angeboten wird. Mit den Angeboten ist eine Auszeit in der Natur verbunden. Vgl. http://www.schooloflostborders.org/ (2016/10/07). B 2.3.1; GT7. Vgl. B 2.3.6; Fr29. Vgl. B 3.6.2, Ro14. http://friedermann.de/tanz_und_kirche.htm (2016/10/04).

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uns auf eine Reise einlassen. Eine Reise, auf der eine Trans-Formation geschehen kann. Mit der Natur als mystischer Wegbegleiterin zum Geheimnis des Lebens.307

Im Naturkurs dienen jeweils morgens festgelegte Bewegungsfolgen und Körperreisen308 dazu, „im Körper und im Raum anzukommen“309; sie machen die Teilnehmer_innen „sensibel für Wahrnehmungen, transparent für neue Erfahrungen und ausdrucksfähig“.310 Dabei werden elementare Bewegungsformen und Haltungen wie Stützen, Rollen, Drehen, Liegen, Sitzen, Knien, Stehen erfahren, die Material bieten für die in verschiedenen Naturumgebungen (Wasserfall, Hochgebirge, Wald, Felsen, Lichtung) individuell entwickelten Gestaltungsformen, ohne die Teilnehmenden darauf festzulegen.311 Vor Ort erfolgt die Begegnung mit der Umgebung zunächst über sinnliche Wahrnehmungen, das Erspüren der eigenen Emotionen und der Beziehungen, die sich zwischen dem Individuum und der Umgebung in Form von Haltungsund Bewegungsimpulsen zeigen. Die Teilnehmenden folgen dabei in Eigenregie ganz ihren Wahrnehmungen. Sie können den „Aufforderungscharakter“ dessen, was ins Auge fällt, entdecken und entscheiden, wie sie reagieren: „Will ich z. B. den Stein werfen oder will er mich in Bewegung bringen?“312 Die Erkundung mündet in eine kleine Inszenierung, die in einem als Bühne abgegrenzten Bereich vor „Zeugen“ gestaltet wird. In diesem Zusammenhang ist sowohl von „Ritual“ als auch von „Performance“ die Rede. Das Wort Ritual verweist auf die Möglichkeit, aus einer Schwellenerfahrung transformiert hervorzugehen, ebenso das Wort Performance, wenn man die theaterästhetische Theorie Fischer-Lichtes zugrunde legt.313 Ästhetische Erfahrungen314 stellen sich auf der Seite der Ausführenden wie der Zuschauenden ein. Schon die Vorbereitung findet gewissermaßen in der Schwellenwelt statt und birgt Chancen zu veränderter Selbst- und Weltwahrnehmung: Denn bei der Entstehung, die eigentlich keine ,Vor‘-bereitung ist, werden bereits alle möglichen faszinierende [sic!] und erschreckende Grunderfahrungen und lebensgeschichtliche Themen potenziell angesprochen: auf dem Weg sein, suchen, frustriert werden, zweifeln, staunen, sich verbunden fühlen, überrascht werden, Dankbarkeit spüren, Sehnsucht nach der hier nur fragmentarisch erlebten Einheit, internalisierter Leistungsanspruch, resignieren, gut und schön dastehen wollen etc.315. 307 Ausschreibungsflyer 2014. Siehe auch www.friedermann.de. 308 Gemeint sind, so wie ich es erlebt habe, Anleitungen zur Körperwahrnehmung durch verbale Impulse, sich auf ein bestimmtes Körperteil mental zu konzentrieren und sich von konkreten Bildern und Vorstellungen zu unterschiedlichen Empfindungen anregen zu lassen. 309 Mann 2009, 101. 310 Mann 2009, 101. 311 Vgl. Mann 2009, 102. Die Autorin hat an einem dieser Naturkurse im Piemont teilgenommen. 312 Mann 2009, 104. 313 Diese Verbindung stellt Mann nicht explizit her. 314 Der Begriff ästhetische Erfahrungen ist Teil meiner Deutungsperspektive, bei Frieder Mann taucht der Begriff, soweit ich es überblicke, nicht auf. 315 Mann 2009, 106.

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Die Begehung führt die Teilnehmenden an die besonderen Orte, an denen jeder einzelne sein Ritual vollzieht. Sie werden dabei Zeugen einer „Per-formance“, weil „etwas ,durch‘ die ,Form‘ scheint – etwas, das immer schon mehr ist, als ich zeigen kann und will – je nachdem, inwieweit ich mich darauf einlasse.“316 Das Wahrnehmen der Performance erfordert auf Seiten der Anwesenden ein achtsames Mitvollziehen, eine Einstellung, die weniger das Rationale akzentuiert, als sich mutig auf die Dynamik des Geschehens einlässt. Was beim Zusehen an Wahrnehmungen, Bildern und Gedanken entsteht, bezeichnet Mann als „unsere […] Kunstwerke, unsere Filme, in denen wir uns wiedergefunden haben.“317 Diese stellen für die eigene Lebensdeutung relevante ästhetische Erfahrungen dar, die in einem abschließenden „sharing“ der Gruppe mitgeteilt werden. Was da geteilt wird, ist „im wahrsten Sinne des Wortes wunder-bar“318. Das Erleben kann während der Performance variieren. Das Gesehene kann berühren, über das nur Subjektive hinausgehen, das chronologische Zeitgefühl außer Kraft setzen und dazu führen, dass „ich mich als ganz gegenwärtig erfahre“319. Die Performance kann als Tanz bezeichnet werden im Rückgriff auf das Tanztheater von Pina Bausch, denn auch einfache Bewegungen oder (abstrahierte) Alltagsverrichtungen sind in jenem Kontext Tanz.320 Als Ritual kann die Naturarbeit bezeichnet werden, da es eine „religiöse Spur“321 darstellt. Im Ritual kommt „Leben verdichtet zum Ausdruck“322. In den Performances weisen Kategorien wie „Spiel, Beziehung, Wahrnehmung, Improvisation etc. strukturelle Parallelen zur religiösen Erfahrung“323 auf. Mit Bezug auf Paul Tillichs Kulturtheologie fasst Mann Kunst als Sprache von Religion auf, die einen Geschmack für das Unendliche (Schleiermacher) vermitteln kann. Das Vollziehen des Rituals in einem liminalen Raum, mit Grenzerfahrungen, communitas und Integrationsphase bietet die Möglichkeit zur Transformation. Teilnehmende erleben, dass sich die Welt ihrer Bilder verändert, in dem Sinne, dass ihre Selbst- und Weltwahrnehmung modifiziert wird – in einem Setting, das Freiheit bietet ohne manipulative Methoden. Das Religiöse bleibt offen, wird also nicht auf traditionell christliche Deutungen explizit enggeführt. Gleichwohl ist die Arbeit auf dem Hintergrund einer evangelischen Spiritualität konturiert. Naturreligiosität kann hier nicht vermutet werden, denn die Orte, an denen getanzt oder performt wird, entfalten ihre Kraft nicht aus sich heraus, weil sie „Natur“ sind, sondern nur „wenn ich sie

316 317 318 319 320 321 322 323

Mann 2009, 107. Mann 2009, 108. Mann 2009, 108. Mann 2009, 109. Vgl. Mann 2009, 109. Mann 2009, 109. Mann 2009, 109. Mann 2009, 110.

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für mich auch in diesen ,heiligen‘ Kontext stelle, mich dazu in Beziehung setze.“324 Gleichzeitig finden sich auf dem Markt auch „säkulare“ bzw. spirituell offene Angebote, auf die jene für die Ritualarbeit von Mann als Spuren des Religiösen benannten Kategorien durchaus auch zutreffen mögen.325 Die besondere Chance der Umgebung „Natur“ kann mit Mann vielleicht darin gesehen werden, dass die Tänzerin die Natur mit ihrem Tun nicht beeindrucken kann, wie auch umgekehrt die Natur kein Interesse an der Tänzerin hat, da sie nichts weiter ist als Dasein. „Da wir in dem Sinne nichts voneinander wollen, darf ich so sein, wie ich bin“326. Dies kann als befreiend erlebt werden, so dass die im Alltag nicht beachteten Seiten der Person in dieser Umgebung eine Einladung erhalten, sich zu entfalten. Der Ansatz Anna Halprins sensibilisiert für den Zeichencharakter der Aktionen. Zusehende sind Zeugen,327 die die Intentionen des Tanzes wahrnehmen und dadurch zur Solidarisierung herausgefordert werden. Performer und Zeugen setzen sich dem „Risiko“ aus, von dem Geschehen berührt oder verändert zu werden.328 Von spontanen Tänzen in der Natur, prägenden Erlebnissen in der Jugend, berichtet auch die spätere professionelle Tänzerin Sara Schemann: „Wenn ich draußen in der Natur war, legte ich manchmal Gott die Welt ans Herz und fühlte darin Weite und Hoffnung. Und der Gedanke, für Gott zu tanzen, schien mir etwas ganz Natürliches zu sein.“329 Schemann setzt auf ihre Weise ein Ritual in der Natur um, das Gott als Zeugen hat und in aller Freiheit den eigenen Impulsen folgt. Der Tanz in der Natur wird in kirchlichen Tanzszenen, da er draußen und nicht in kirchlichen Räumen stattfindet und keine Bibeltexte oder Lieder aus christlicher Tradition integriert sind, weniger wahrgenommen. Die Aussagen der Tanzenden und die vorgestellten Ansätze geben Einblick in eine spirituelle Praxis, die Menschen in ihrer Selbst- und Weltwahrnehmung für Neues öffnen

324 Mann 2009, 111. 325 Eine Anbieterin beschreibt die Möglichkeiten von Tanz in der Natur folgendermaßen: Wir begeben uns an einen Ort in der Natur, wo wir uns hautnah mit der Umgebung verbinden, der Atmung der Erde lauschen und unsere Sinne für eine feinfühlige Wahrnehmung öffnen. Durch tiefe Entspannung erfährt unser bewegender Körper die Zuverlässigkeit des weichen Bodens, die Aufgerichtetheit der Bäume, die Freiheit des Wassers und die Weite der stillen Naturkräfte. Mit derselben Selbstverständlichkeit beginnen wir einander zu rollen, weich zu fallen und tanzende Körperwelten zu schaffen. Im Tanz begegnest du dir und dem Gegenüber, erfährst Nähe und Intimität, aber auch Distanz und Rückzug. Du bist eingeladen, aus deiner Fragilität wie auch aus deiner Wildheit zu schöpfen und einen gemeinsamen Tanz des Augenblicks wachsen zu lassen. http://www.earthandwaterdance.com/tanz-in-der-natur.html (2016/03/22). 326 Mann 2009, 111. 327 Anna Halprin gebraucht den Begriff „witness“, während sie das Wort „spectator“ ablehnt. Vgl. Schorn 2009a, 77. 328 Vgl. Schorn 2009a, 77. 329 Schemann 1999, 81.b

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kann und die christlich-spirituelle Deutungen einlädt, ohne sie zwingend von vorneherein mit dem Tun zu verknüpfen.

2.4.8 Improvisation Improvisation ist eine freie Art, in eine Tanzbewegung zu kommen und neue Formen zu erkunden. Im Feld Kirchentanz spielen Improvisationstechniken eine zunehmend große Rolle. Der Begriff der Improvisation erfährt im 20. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Entstehung „offener Kunstwerke“ Aufmerksamkeit.330 Im Bühnentanz etablierte sich Improvisation als Live-Art zunächst innerhalb des amerikanischen postmodern dance der 1960/70er Jahre und ist heute Teil der zeitgenössischen künstlerischen Tanzpraxis. Bereits Rudolf von Laban begründete eine Didaktik der Tanzimprovisation.331 Anna Halprin gab experimentelle Impulse an zahlreiche Künstler wie Trisha Brown, Steve Paxton und das Judson Dance Theatre332. Vorlaufende Einflüsse auf den postmodern dance sind auch in den aleatorischen Choreographien von Merce Cunningham333 zu finden. Cunningham ließ seine Tänzer_innen die Choreographien unabhängig von der Musik lernen, erst bei der Aufführung wurden Tanz und Musik nebeneinandergestellt. Alle Körperimpulse sind so verinnerlicht worden, dass sie von äußeren Faktoren wie Musik unabhängig sind.334 Cunninghams Choreographien arbeiten mit dem Zufallselement, die Bewegungen erscheinen völlig unvorhersehbar. Grundlage ist die strukturelle Konzeption einer ästhetischen Unabhängigkeit von Körper und Bewegung. Sein Credo lautet „dance is motion not emotion“335. Nicht die Expression, sondern die Form steht hierbei im Mittelpunkt, wobei Zuschauer in den Formen durchaus Ausdruck erfassen können, weitaus mehr jedoch überraschende bewegungsästhetische Ereignisse. Die Körper werden zu neuen ungewohnten Bewegungen geführt. Die semantische Instabilität von Tanzbewegungen wird nicht durch irgendeine Anbindung an 330 Vgl. Lampert 2007, Einleitung, 13. Gabriele Klein sieht den Ursprung der Improvisation im zeitgenössischen Tanz bei den populären Tänzen, z. B. dem Tango Argentino. Vgl. Klein 2006, 10. 331 Vgl. von Laban, Rudolf (41998): Der Moderne Ausdruckstanz in der Erziehung, Wilhelmshaven. Vgl. Lampert 2007, 17. 332 Die Gruppe traf sich in der Judson Memorial Church, New York, Washington Square. Die Kirche wurde seit 1948 für kulturelle Veranstaltungen genutzt; sie dient(e) einer Baptistengemeinde als Gottesdienstort. Vgl. Huschka 2012, 256. 333 Merce Cunningham (1919–2009) bildet ein sich jeder klaren Einordnung widersetzendes Bindeglied zwischen Modern Dance und postmodern dance. Er war Mitglied in der Company von Martha Graham, tanzte aber auch mit Anna Halprin. 334 Vgl. Huschka 2012, 230. 335 Zitiert nach Bischof 2006, 6. Zu den anti-emotionalen Lesarten des Postmodern Dance siehe auch Hardt 2006.

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musikalische und sonstige Codes abgefedert, sondern völlig konsequent künstlerisch genutzt. Cunningham schreibt: Beim Tanz hat mich das auch immer interessiert, und das tut es auch heute noch: Wie kann man sich selbst in ein unbekanntes Land versetzen und dann eine Lösung, einen Weg herausfinden, nicht unbedingt die einzige, aber immerhin eine plausible Lösung. Das erfordert natürlich unkonventionelle Verhaltensweisen.336

Streng genommen improvisieren Cunninghams Tänzer nicht, sie setzen eine per Zufallsprinzip entstandene Bewegungskomposition um. Es kommt zur Begegnung mit fremdartigen, konstruierten Bewegungsabläufen, mit denen sich die Tänzer_innen konfrontiert sehen. „Viele der Bewegungskonstrukte durchkreuzen nämlich radikal ihre koordinativ manifestierten Körperstrukturen und Bewegungsmuster.“337 Das irritierende Moment zwischen Körper und Bewegung macht den Tänzern das Körperliche zunächst fremd, um es dann in neuen Abläufen wiederzugewinnen. Tänzer können im bewussten Nachvollzug des Übergangs vom Physischen zu neuen Bewegungsformen „energetische Entdeckungen einer neuen Art“338 machen. „Hierdurch sucht Cunningham, eine bewusste Art des Tanzens zu realisieren, die ein präsentisches Erleben in sich zurückholt, jenen, in den Worten von Cunningham gesprochenen, ,flüchtigen Moment, in dem du dich lebendig fühlst‘“339. Der Grundidee von Improvisation kommt der aleatorische Tanz recht nahe. Aleatorik gilt als eines der Kriterien für Bestimmungen des Postmodernen.340 Steve Paxton, einer der Protagonisten der künstlerischen Improvisationstanz-Szene, zeigte bereits während seiner Zeit am postmodernen Judson Dance Theater Interesse an „so genannten untänzerischen, weil untrainiert ausführbaren Bewegungen wie einfachem Gehen, Essen oder Sich-Entkleiden.“341 Die Aufgabe stellt sich, „Bewegungen im Gestus objektiver Unaufgeregtheit auszuführen, ohne Repräsentationsgedanken an eine präzise Körperform oder gar mit der Intention, neue oder andere Bewegungen zu ermöglichen.“342 Weder die Tänzer noch der Tanz selbst präsentieren sich als bedeutend. Huschka sieht hier Einflüsse des Buddhismus.343 Trisha Brown, ein weiteres Mitglied von Judson Church hatte 1959 die Improvisationsklassen von Anna Halprin besucht. Sie bündelt ihre Improvisations-Erfahrungen zu 336 337 338 339 340

Cunningham zitiert in: Huschka 2012, 234. Huschka 2012, 238. Huschka 2012, 239. Huschka 2012, 239. Außerdem werden genannt: „u. a. Unbestimmtheit, Fragmentarisierung, Hybridisierung, […], Offenheit der Form, Auflösung des Ich, Pluralismus, A-Referentialität und Selbstreferentialität. Huschka 2012, 248. „Der postmodern dance entwickelt seine Aufführungskunst in Nähe zu alltäglichen Bewegungsaktionen und Körperäußerungen, wodurch zentrale ästhetische Maximen des Bühnentanzes obsolet werden“ (Huschka 2012, 251). 341 Huschka 2012, 252. 342 Huschka 2012, 254. 343 Vgl. Huschka 2012, 255.

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choreographischen Verfahren. Von der Choreographie werden Strukturen gesetzt und über Aufgabenstellungen, Anweisungen oder Aufträge vermittelt, die im Moment des Tanzens umgesetzt werden.344 Browns Erfahrungen bereicherten die Improvisationsgruppe Grand Union, die sich 1970 formierte.345 Die Gruppe bot auf der Bühne reine Improvisation. Steve Paxton gehörte auch der Grand Union an. Er widmete sich bereits an der Judson Church der Arbeit mit Laien. Das verwendete Bewegungsmaterial war alltäglich unspektakulär, besaß jedoch dadurch das Potenzial, zur Analyse der gesellschaftlichen Konstitution des Körpers anzuregen.346 Die in den Gesprächen mit Kirchentanzenden verbalisierten Erfahrungen stammen nicht aus dem Kontext von Bühnentanz, können aber einen solchen vorbereiten. Unterschiedliche Impulse bringen die Teilnehmer in Bewegung, etwa Bewegungsaufträge, die mehr auf das spielerische Entdecken zielen oder das Setzen von Kontexten für das freie Bewegen in Gestalt einer bestimmten Musik, (Bibel-)Texten oder thematischen Motiven. Die Äußerungen lassen ahnen, wie schwer Improvisation manchem anfangs fällt, zeigen aber auch die Faszination von freier Bewegung. Die Herangehensweise vom kinetischen Gefühl des Körpers aus lernte die Theologin, Improvisationstänzerin und Tanzpädagogin bei einem Improvisationskurs kennen und empfindet, dies habe ihr gut getan.347 Das eigene Bewegen und sich den Freiraum dafür zu nehmen, liegt auch Sa.348 Was E noch spannender [als meditativen Tanz] findet, sei das Freie, Impulsen zu folgen.349 Im kreativen Tanz gehe es um Individuation, um die ganz persönliche Auseinandersetzung und Erfahrung.350 Bei der Kombination von festen Formen und Improvisation gebe es „keine durchgehende einheitliche Tanzrichtung, sondern da gibt es den Kreis, da gibt es das Viereck, dann gibt es das Gegenüber, es gibt vorne und hinten, es gibt die Auflösung vom Kreis und wieder das Zusammenkommen. Und das Ganze nicht nur als Bewegung zu bezeichnen, sondern als Tanz“351, […] „so ein Zwischenstück mit einer eigenen Bewegung zu machen, die anders ist als die meiner Nachbarn rechts und links, das erfordert schon Mut.“352 Beim Improvisieren kreativ zu sein, fällt ihr nach wie vor schwerer, als einer festen Form zu folgen.353 Typisch ist die aufmerksame Körperwahrnehmung, so das Spüren und Ausprobieren.354 Ein 344 345 346 347 348 349 350 351 352 353 354

Vgl. Huschka 2012, 267 f. Vgl. Huschka 2012, 270 f. Vgl. Huschka 2012, 273. Vgl. B 2.4.5; R5. Vgl. B 2.3.1; Sa10. Vgl. B 2.3.1; E45. Vgl. B 2.3.1; Sb40. B 2.3.1; Et37. B 2.3.2; Et44. Vgl. B 2.3.4; Gr5. Vgl. B 2.3.3; Et44.

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Tänzer betont die Bedeutung der Intuition beim freien Tanzen.355 Ein anderer ist überrascht, was an Bewegungen sich plötzlich zeige, an Impulsen, die sich sein Körper fast von selber suche, ohne dass er das Gefühl habe, er mache aktiv etwas.356 Ähnlich erfuhr es eine andere Befragte, die erstaunt war, „was da für Bewegungen entstanden sind, weil das so ganz tief rauskommt. Das hätte ich ein zweites Mal nicht mehr tanzen können“.357 Durch das Improvisieren sei dann auch Neues dabei, Unvorhergesehenes.358 Es gebe Menschen, die Angst davor hätten, weil sie innerlich spürten, dass sie sehr gebunden seien und dass durch die Bewegung möglicherweise Dinge hochkämen, die sie gut in ihrem Körper und in ihrem Seelenleben weggepackt hätten, damit diese nicht übermächtig würden.359 Wenn es ums Wort gehe oder um Theologie, zum Beispiel in einem Diskussionsforum, sei das Geschlechterverhältnis ausgewogen, aber sobald es um Kreativität, Gestalten oder Musisches gehe, seien die Frauen zahlreicher und täten sich leichter, da mitzumachen.360 Manche gewönnen im Laufe der Zeit die innere Freiheit, sich auch frei zu bewegen, sich dabei nicht zu verlieren, sondern sich dabei zu finden und auch Gottes Nähe zu finden und vieles mehr.361 Kontaktimprovisation geht unter anderem auf Steve Paxton zurück, der diese Technik auf der Basis von Tai Chi und Aikido (Kampfkünste) entwickelte. Sie ist sowohl in zeitgenössischen Tanzstücken als auch in sogenannten Jams362 verortet. Als eigenständige Tanz- und Aufführungstechnik basiert die Kontaktimprovisation auf einer zwischen zwei oder mehreren Tänzern ausgeführten Bewegungstechnik des direkten, sinnenintensiven und weitflächigen Körperkontakts. […] Das Tanzen, meist in Duos oder in kleinen Gruppen, initiiert ein flukturierendes [sic!] Zusammenspiel der Eigengewichte der beteiligten Tänzer, wodurch Bewegungsabläufe des gegenseitigen und miteinander ausgeführten Lehnens, Hebens, Gleitens, Rutschens, Balancierens, Sich-Verschlingens, Verhakens, Führens, Schleuderns, Ziehens usw. entstehen, entsprechend dem Können und der situativ geleisteten Aufmerksamkeit der Tänzer.363

Im Fall der Kontaktimprovisation364 ist Berührung zwischen Tänzern ausgesprochen wichtig. „Die Kontaktimprovisation arbeitet gezielt mit körperli355 356 357 358 359 360 361 362

Vgl. B 2.4.5; Jo14. Vgl. B 2.3.4; E13. B 2.4.4; Ea29. Vgl. B 2.4.1; R23. Vgl. B 2.3.4; Sb28. Vgl. B 2.3.4; St17–18. Vgl. B 2.3.4; Sb28. Die Vermittlung von Kontaktimprovisation ist wenig institutionalisiert. Sie ist meist in Workshops und Festivals der freien Tanzszene angesiedelt. Als Hochburg gilt die Tanzfabrik in Berlin. Vgl. Aerni/Rytz 2012. 363 Huschka 2012, 274. 364 Vgl. Anna Halprin, Steve Paxton.

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chen Kontaktweisen zur Generierung und Formierung zwischenleiblich strukturierter Bewegungen.“365 Die dabei entstehende Intensität ist für manche der Befragten ungewohnt: […] ich habe ja auch Kontaktimprovisation gemacht, selber Workshops besucht, habe es auch mit Gruppen schon gemacht. Da haben die meisten Menschen Probleme, massive Probleme mit dieser Berührung, mit diesem Dauernd-in–Verbindung-Sein.“ Die Kontaktimprovisation „geht tiefer, wobei ich viel mit Berührung mach’ bei meinen Kursen, also es passiert immer was mit Berührung. In Partnerübungen oder mal zu viert in der Gruppe was zu erarbeiten. Und […] durch das Tanzen [habe ich] auch gelernt, Berührung zuzulassen. Ich konnte es früher auch nicht haben, aber durch den Tanz habe ich [es] gelernt, passiert das so leicht.366

Huschka verweist auf den soziokulturellen Entstehungszusammenhang der Kontaktimprovisation: „Innerhalb unserer technologisch überfremdeten Gesellschaft kommt sie einer kulturkritischen Praxis gleich, in der ,das Bedürfnis nach Hautkontakt‘ […] an eine interaktive und überdies demokratisch organisierte Bewegungspraxis rückgebunden ist.“ Daher kann angenommen werden, dass auch für Tänzer in kirchlichen Tanzszenen nicht nur Berührungserlebnisse allein das Erfahrungsspektrum bilden, sondern gleichzeitig Begegnungsweisen eingeübt werden, die in bewusstem Kontrast zu hierarchisch oder funktional erlebten Alltagswelten stehen. Generell steht Improvisation für die Konvergenz von Intuition und Rationalität, Spontaneität und Diskurs. Dies wird in einigen Äußerungen greifbar: Die unterschiedlichen kreativen Methoden und das Gespräch sind einer Tanzleiterin wichtig, damit es nicht nur beim Erleben bleibt, sondern auch versprachlicht, was passiert. Da kommt noch mehr „Einsicht dazu. Es ist nicht nur der Körper, auch der Kopf gehört dazu.367 Es bedeutet immer ein Stück Freiheit, sich ganz in die Tiefe hineinlassen, aber gleichzeitig zu wissen, man kann und darf auch ganz anders. Eine wichtige Erfahrung ist, dass man nicht auf einen Zustand oder ein Erleben festgenagelt ist. Das ist für das persönliche Leben wichtig, aber auch für die Arbeit mit Bibeltexten.368 Unterschiedliche Formen tanzend zu improvisieren, schlägt auch Sara Schemann vor. Neues auszuprobieren sei die besondere Chance dabei. Aus dem „eigenen Bewegungsmuster“ könne ausgebrochen werden, glaubt Schemann, auch wenn „es manchmal gar nicht so leicht“ sei.369 Es lohne sich, denn wenn es „geschieht, schenkt uns dies ein Gefühl von Befreiung und Selbständigkeit, es schenkt ein Bewusstsein über die eigenen Möglichkeiten.“370 365 Huschka 2012a, 314. Die von Huschka gemeinte „Zwischenleiblichkeit“ geht auf den Begriff der intercorporeit von Merleau-Ponty zurück, der bei Waldenfels weiter ausgearbeitet wird. 366 Ea28–29. 367 Vgl. B 2.3.4; R22. 368 Vgl. B 2.3.4; Sb16. 369 Vgl. Schemann 1999, 104. 370 Schemann 1999, 104.

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Kontaktimprovisation bzw. Gruppenimprovisation in Gottesdiensten und an ungewöhnlichen Tanzorten bietet die professionelle Compagnie X–motion unter der künstlerischen Leitung von Frieder Mann. Die Selbstbeschreibung vermittelt gut die Unterschiede zwischen den experimentellen Wurzeln in den USA und einer für den kirchlichen Kontext deutungsoffenen und anregenden Form. Ohne in die Subjektivität und Expressivität des Ausdruckstanzes bzw. des Modern Dance zurückzufallen, bildet der Tanz eine Brücke für etwas, das auch außerhalb des Tanzes existiert – die Lebensprozesse – und verbleibt daher nicht in reiner Selbstbezüglichkeit. Der Tanz steht für sich, unabhängig von musikalischen Vorgaben. Tanzend zu improvisieren ist für uns eine künstlerische Form, in der sich grundlegende Lebensprozesse abbilden. Es bedeutet, sich auf das Unvorhersehbare und Intuitive einzulassen, in jedem Moment spürend, fühlend, denkend und handelnd gegenwärtig zu sein, sich dem kreativen Fluss anzuvertrauen, das Entstehende mitzutragen, zu beeinflussen und Verantwortung zu übernehmen. Der Prozess des Improvisierens macht nicht nur bei uns performenden Künstlern und Künstlerinnen die Überraschung und den Zauber aus, sondern das Wissen darum auch bei den Zuschauenden.371

Improvisation kann zu einem Gleichnis für das Leben werden, das in jedem Moment Unvorgesehenes bereithalten kann. Ebenso wie man das Leben nicht proben kann, ist in der Improvisation das, was im Moment geschieht, das Eigentliche. Dies mache wach und präsent und lasse das Leben bewusster und aus einer größeren Freiheit heraus gestalten und gleichzeitig empfänglich sein für das, was nicht hergestellt werden kann. Dadurch wird Improvisation für eine christliche Spiritualitätspraxis interessant. 2.4.9 Getanzte Bibelarbeit Die getanzte Bibelarbeit ist, im Unterschied zu den anderen dargestellten Stilen, eher ein Genre. Dieses ist von der Verwendung in christlicher Spiritualitätspraxis geprägt. Stilistisch gesehen werden in der Regel Improvisationstechniken eingesetzt. Der Tanz zielt auf narrative oder expressive Darstellung von Erkenntnissen, von Aspekten der Texte oder Fragen. Außerdem sind Formen gemeint, die durch freies, intuitives Bewegen ein Begegnungsfeld zwischen dem individuellen Körperwissen und dem Text erzeugen, in dem sich ein Erleben ereignen kann, das mitunter neue Einstellungen und Gedanken dem Text gegenüber hervorbringt. Damit steht die getanzte Bibelarbeit einerseits dem Tanztheater nahe, andererseits der Improvisation. Eine Ausnahme bilden solche Bibelarbeiten, die mit formgebundenen Gemeinschaftstänzen oder Liedtänzen den Text auslegen, indem Aspekte tänzerisch 371 www.friedermann.de (2016/03/23).

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ausgelebt werden. Bei ersteren Formen steht die Subjektivität der Lektüre der Teilnehmer_innen im Zentrum, bei letzteren die Auslegung der Tanzleiter und das Gemeinschaftserlebnis im Nachvollzug einer geprägten Form. Zunehmend Zulauf erhalten Tanzleiter, die ihre eigene Konzeption entwickelt haben. Sie sind unter Bezeichnungen wie bibliodans, Bibel getanzt, Kreative Bibelarbeit mit Tanz oder Bibliotanz zu finden. Der Anklang an Bibliodrama ist nicht zufällig gewählt. Eine Tänzerin und evangelisch-reformierte Pfarrerin bietet vor allem in den Niederlanden den sogenannten bibliodans an. Sie nennt es Bibliodans in Anlehnung an das Bibliodrama. Die Methodik beschreibt sie in einer Ausschreibung für einen Fortbildungskurs für Tanzbegleiterinnen im bibliodans: Die Begleitung des bibliodans ist ein kreativer Prozess. Man entwickelt Instruktionen für die Tanzimprovisationen und baut ein Programm auf, in dem Tanz und Reflexion ein integriertes Ganzes formen. Man versucht den Text, den Tanz und die spirituelle Intention des Tanzers [sic!] gerecht zu werden. Man schöpft einen urteilsfreien, respektvollen Raum, in dem die Tänzer entdecken, was ihre Beziehung zu der göttlichen Dimension ernährt.372

Alle befragten Tanz-Bibelarbeiter sind studierte Theolog_innen.373 Auffällig ist der häufige Zugriff auf durch Laban entwickelte Tanztechniken. Da die theologischen Laien sich nicht explizit dazu geäußert haben, weshalb sie keine getanzte Bibelarbeit praktizieren, kann über die Gründe nur spekuliert werden. Vorstellbar sind der Respekt vor der Bibel und das Wissen, dass zur sachgerechten Auslegung eine Ausbildung benötigt wird. Gleichzeitig bietet jedoch die tänzerische Bibelarbeit gerade Laien neue Chancen, sich auslegend mit der Bibel zu befassen, und fördert damit den selbstständigen Bibelumgang. Im Gespräch sagt R: ich habe erfahren, dass durch diese Arbeit mit Tanzimprovisation, meine Spiritualität, ich konnte das gestalten. Es gab auch Einsichten, Entdeckungen und Erfahrungen über das Geistliche. Und dann hab ich gedacht: ja, das interessiert mich, und dann hab ich auch gedacht, ich möchte das gern auch weitergeben. Das, was man aus tiefe Körpererfahrungen mitnehmen kann, dass sich da das Geistliche auch öffnet. […] Ich denke auch, dass das Tanzen in diesem religiösen Kontext, das Zuhören, das öffnet auch das Zuhören zu Gott.374

372 http://www.christliche-ag-tanz.de/content/eine-bibliotanz-session-entwickeln-ein-mini-trai ning (2015/07/04). 373 Einen weiteren Überblick über konzeptionelle Fragen und das Feld der Aktiven bietet die evangelische Theologin Astrid Thiele-Petersen. In ihrem Buch führt sie in die Grundlagen des Bibliotanzes ein und leitet zu einer eigenen tänzerischen Arbeit mit Gruppen zur Bibel an. Vgl. Thiele-Petersen 2018. 374 R16; R19.

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Sb375 entwickelte in seiner Arbeit die Verbindung von kreativem Tanz und bewegter Bibelarbeit. In der Tanztherapieausbildung habe er sich auf seelsorgliche Themen konzentriert, die leibbezogen erarbeitet wurden. Die erste Unterrichtspraxis bestand in Kursen, in denen er kreativen Tanz, das heißt im Prinzip Laban’sche Bewegungsthemen unterrichtete. Dies fand schon im kirchlichen Rahmen statt. Als Pfarrer habe er irgendwann mehr machen und es stärker in die eigene Arbeit einbringen wollen. So sei er darauf gekommen, biblische Themen mit dem Tanz zu verbinden und zu versuchen, ob es nicht möglich sei, sich mit biblischen Texten und Motiven auch noch mal auf einer anderen Ebene als im klassischen Bibelgespräch zu beschäftigen. Der Versuch habe zu der Entdeckung geführt, auch bei den Kursteilnehmenden, dass dies offensichtlich wunderbar funktioniere. Der methodische Ansatz beruhe auf einer Mischform von Seelsorgerlichem auf der einen Seite, weil es da auch immer um die eigene Lebensgeschichte gehe, und auf der anderen Seite auf der Auseinandersetzung mit biblischer Tradition, Geschichten und Motiven. Er betont, dass dies auf eine ganz andere Weise geschehe, als es sonst in der Kirche üblich sei. Aus der tänzerischen Bibelarbeit mit Laien entstehen auch Tanztheaterchoreographien, die für die Aufführung im Gemeindegottesdienst konzipiert werden. In der Regel stehen diese sinnvollerweise an Stelle der Predigt, da es sich um eine kreative Form von Textauslegung handelt. Sowohl Mr als auch Ke erarbeiten auf der Grundlage von Bibelarbeiten Tanzstücke. Während Mr eine feste Tanzgruppe leitet, die sich regelmäßig trifft, erarbeitet Ke das Stück an einem Wochenende jeweils in der Gemeinde vor Ort, in die sie eingeladen wird. In der Tanzgruppe von Mr fangen sie – nach Textauswahl, Bibelarbeit und Auswahl von Musik – an zu improvisieren und etwas auszuprobieren. Dann kristallisiert sich im Dialog und im Ausprobieren heraus, was ihnen wichtig ist. Sie wollen mehr als nacherzählen, sondern auch Gefühle zum Ausdruck bringen. Im Laufe der Jahre hätten sie versucht, immer abstrakter zu werden, um nicht nur das Darstellerische oder Erzählende herüberzubringen. Poetische Texte, die neben die Bibeltexte gestellt werden, bringen ihre Gedanken zum Ausdruck, die sie bei der Textarbeit hatten. In der tänzerischen Vorbereitung arbeiten sie mit Laban’schen Techniken. Beim Solo-Tanz im Gottesdienst sei in Ke der Wunsch gewachsen, die inneren Bilder zu den Texten in so eine Form zu bringen, dass andere dies auch mittanzen können. Sie habe das Tanzen von Bibeltexten in die Gemeinden tragen wollen. Adressaten seien Menschen gewesen, die, wie sie, das seelische Bedürfnis hätten, sich über Tanz auszudrücken, die aber keine Tanzausbildung hätten. Daraufhin habe sie Kirchentanzstücke für Laien entwickelt. Beim Umsetzen des Textes und der Übertragung in den Kirchenraum hätten ihr die choreographische Erfahrung der Soloarbeit sowie die erlernte Laban-Technik 375 Zum folgenden Abschnitt vgl. Sb11.

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geholfen. Seit nunmehr zehn Jahren sei sie in dieser Weise tätig [d. h. seit 2007]. Bei der tänzerischen bzw. getanzten Bibelarbeit geht es um eine Form, die noch wenig Anerkennung in Gemeinden oder Fortbildungsprogrammen für kirchliche haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter_innen gefunden hat. Anders als bei Bibliodrama oder Bibliolog fehlen entsprechende Verbreitungsstrukturen. Die Entwicklung eines einheitlichen Konzepts ist bislang nicht Ziel der in diesem Feld engagierten Einzelpersonen. Das Interesse von Kirchenleitungen konnte noch kaum geweckt werden. Daraus erklärt sich das Bestreben von Kirchentänzer_n, sich noch stärker mit Publikationen Gehör zu verschaffen.376 2.4.10 Tanztheater Im Tanztheater werden expressive und narrative Techniken kombiniert. Das in den 1960er und 70er Jahren in Deutschland als Bühnengenre entwickelte Tanztheater377 untersucht menschliche Körper in ihrem gesellschaftlich geprägten Bewegungsverhalten, aber auch die kulturellen Prägungen der Tanzkunst.378 Entgegen einer in jener Zeit herrschenden reaktionären Kunstpolitik, die an deutschen Opernhäusern erneut allein den klassischen Tanz förderte, suchten die Choreographen des Tanztheaters wirklichkeitsbezogene Themen zu stärken und brachen die hierarchischen Strukturen, wie sie in klassischen Kompanien herrschten, auf.379

Laien-Tanzgruppen, die in Kirchen Aufführungen zu Themen, biblischen Texten und Narrationen gestalten, setzen bei subjektiven Lebenserfahrungen der Tänzerinnen an, ohne explizit die sozial konstruierten Einschreibungen in die Körper zu demaskieren. Das Ziel liegt vorwiegend in einer subjektiven Aneignung der Stoffe und Themen und in der Entwicklung von für die Gemeinde verständlichen Bewegungsformen. Die Gehalte sind in der Regel gewichtiger als die Form, auch wenn beide untrennbar sind. Den Bewegungen liegen Emotionen zugrunde, es kommt darauf an, was die Menschen bewegt. Für viele Akteure ist das damit verbundene Erleben auf der Bühne beeindruckend, manchmal geradezu kathartisch.380 Besonders spannend ist die 376 Ri tte Beurmanjer verfasst zu bibliodans eine Doktorarbeit. Von Astrid Thiele-Petersen stammt eine aktuelle Publikation zu Bibliotanz (vgl. Thiele-Petersen 2018). Beide sind evangelische Theologinnen bzw. Pfarrerinnen. 377 Vgl. die Ausführungen zu Pina Bausch in Teil A. Weitere Protagonisten des Tanztheaters auf deutschen Bühnen sind Johann Kresnik, Reinhild Hoffmann, Gerhard Bohner, Susanne Linke u. a. 378 Vgl. Huschka 2016, 278. 379 Huschka 2012, 279. 380 Vgl. Schemann 1999, 109. Die gestaltete Form wirke auf die Akteure, gleichzeitig habe sie nach außen eine Mitteilung.

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Tatsache, dass im Gegensatz zu anderen Kunstformen, in denen „die berauschende Energie der Schöpfung getrennt von der Aufregung [eintritt], dass die Öffentlichkeit das Werk sieht“381, dies in der Tanzperformance gleichzeitig geschieht. Zuschauer im Gottesdienst sind mithin weniger bloßes Publikum, sondern vielmehr so etwas wie „Zeugen“382. Das Erleben der Tänzer auf der Bühne wird in den Gesprächen häufig mit dem Begriff Präsenz bezeichnet: Die Tänzerinnen waren „da ja total drin, ja, das überträgt sich total“.383 In der Tanztheatergruppe passiere ein Verinnerlichen der Bewegung. Dabei entstehe Präsenz. Dann gehe es so aus den Füßen nach innen, wenn man nicht mehr überlegen müsse, wie der nächste Schritt gehe, sondern in der Gruppe in den jeweiligen Kirchen tanzen könne.384 „Da war ich dann mittendrin.“385 „Ich bin dann voll drin, und das ist dann, wie wenn du in einen anderen Film einsteigst. Also wie, wenn das ein anderes Leben ist für mich. […] Ja, das ist wie ein Zauber, wie Magie, wie Kraft, wie keine Ahnung“.386 Neben der Präsenzerfahrung bildet das Semiotische einen wichtigen Bezugspunkt. Dabei versuchen die Tänzerinnen Authentizität mit Professionalität zu verbinden, was nicht immer gelingt. Das Ziel, subjektive Gefühlslagen auszudrücken, wird von den einen angestrebt, von anderen ambivalent gesehen. Sie versuchen, auszudrücken, was in ihnen ist. Das ist nicht immer leicht, denn sie zeigen dabei viel von sich. Das Transportieren dessen, was im Inneren wahrgenommen wird nach außen, gelingt nicht immer.387 Eine sagt: „…das war so so krass, wir waren da so echt auf der Bühne, so authentisch, also ich wenn da so zurückdenk und die Bilder jetzt wieder so vor mir seh‘. Es war eigentlich genial, es war der Oberhammer. Weil wir letztendlich uns selber getanzt haben.“388 Die professionelle Balletttänzerin Ko trennt klar zwischen Selbsterfahrung und Bühnenperformance. In dem Moment, wo sie auf der Bühne stehe, tanze sie für jemand anderen, und da sei die Perspektive eine ganz andere.389 Die im professionellen Bühnenbetrieb aufgeführten Tanztheaterstücke und die von Laien in Kirchen gestalteten leben m. E. von der gemeinsamen ästhetischen Überzeugung, „lebensweltliche Realien alltäglicher Existenz zu Momenten der Wirklichkeitsfindung im Tanz und auf dem Theater machen zu müssen mit einer durchaus sinnenbewussten Artikulationsweise der tanzen381 Arsem 2006, 93. 382 Auch bei Pina Bauschs Tanztheater wird Nähe zum Publikum hergestellt, „so etwas wie eine Eingemeindung“, die auf „eine bewusste Zeugenschaft des Gesehenen“ zielt, „die den betrachtenden Blick und damit die Rolle des Zuschauers mit einer anteilnehmenden Verantwortung belegt.“ Huschka 2012, 292. 383 B 2.3.3; Ke25. 384 Vgl. B 2.4.5; Gr15. 385 B 2.3.1; U25. 386 B 2.4.4; Ea24. 387 Vgl. B 2.4.4; Gr12. 388 B 2.4.4; Ea2. 389 Vgl. B 2.4.4; Ko16.

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den Körper.“390 Die Körperlichkeit der Tänzer, ihre Offenheit für das im Tanzen sinnlich Erfahrbare hat im Kontext Kirche das Potenzial, die dort erwünschten tendenziell repressiven Haltungen implizit herauszufordern. Tänzer, die sich körperlich und nicht verbal ausdrücken, verweisen auf ein in der Kirche kaum beachtetes Humanum. Auch den Zuschauern wird damit ihr Körper in gewisser Weise zurückgegeben, der im Alltag funktionalisiert, in der Religion jedoch vielfach abgespalten erlebt wird. Wie auch bei Pina Bausch tritt in den Kirchentanztheatern der Kunstcharakter391 hinter dem Beitrag zur Emanzipation von Akteuren und Zuschauern zurück, im christlichen Kontext ist das Ziel Verkündigung, Bewusstmachen und Befreien. Durch Improvisation und Reflexion392 werden die Tänzerinnen am Entstehen der Stücke beteiligt und somit zu Ko-Autoren der Werke. Die Improvisationen beziehen sich nicht wie bei Cunningham oder dem postmodern dance auf den physischen Körper mit seinen fast unendlichen Bewegungsmöglichkeiten, sondern immer auf den von Erfahrungen durchzogenen Körper.

2.4.11 Meditatives Tanzen

Ästhetische Erfahrung durch den meditativen Tanz entsteht in Resonanz auf seine formalen Besonderheiten – Strukturiertheit, Wiederholung, Einfachheit, Zentrierung, Körperwahrnehmung, Balance, Harmonie, Richtungs- und Tempowechsel, Gemeinschaft, Ausgerichtetsein, Energiestrom und Trance, in dem Sinne, dass zeitweise der Strom der Gedanken zur Ruhe kommt. Die Raumeinnahme spielt gegenüber dem besonderen Zeitempfinden eine untergeordnete Rolle. Kunsterfahrung ist dadurch gegeben, dass eine Auseinandersetzung mit choreographischen Formen stattfindet. Unterschiedliche Bewegungsqualitäten sind in den Choreographien erlebbar. Grundform ist ein Gehen im Kreis zur Musik. Die Art, wie die Schritte gesetzt werden, ist vorgegeben, nach rechts, nach links, eng, weit, gekreuzt, gegangen, getippt, angestellt, gesprungen, gehüpft, gebürstet, gezogen u.v.m. Zu meditativen Tänzen zählt auch eine Reihe von (süd-)osteuropäischen Volkstänzen. So kommt eine Bandbreite von ruhigeren und lebhafteren Tänzen zustande. Wesentlich sei nicht ein bestimmtes Tempo, sondern der Nachvollzug in einer besonderen Einstellung der „Konzentration und Offenheit“393. Das Sicheinlassen auf den Tanz könne zu einem „Leerwerden“ führen: 390 Huschka 2012, 280. 391 Weder Ke noch Mr erheben den Anspruch, mit den Laientanztheatern Kunst darzubieten. Pina Bausch wollte ebenfalls keine Kunst machen. 392 Bei Pina Bausch erfolgte die Beteiligung durch eine charakteristische Methode des Fragenstellens. Vgl. Huschka 2012, 285. 393 Kohlhaas 1995, 71.

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Figurationen des Kirchentanzes

Je intensiver die Tanzenden sich auf die Meditation im Tanz einlassen können, desto potenzieller wird die Leere, die uns die Fülle des Da-Seins erkennen lässt. Das Übermaß an ablenkenden Reizen vorbeiziehen lassen, sich nicht daran festhalten, sondern leer werden, um zum Uns-Wesentlichen zu gelangen. Dann kann die Kreismitte zum Symbol dessen werden, was uns zentriert, was uns lenkt und leitet und woraufhin wir uns ausrichten.394

Die Arme und Hände vollziehen eigene Bewegungen, oft gestische, aber auch solche, die sich aus dem Bewegungsfluss ergeben, wie ein Mitnehmen der Hände bei einer Drehung. Knie und Rumpf werden gelegentlich gebeugt oder gestreckt, insgesamt sind kaum Bewegungen des Unterleibs zu beobachten. Erotische Komponenten sind nicht vorgesehen. Die aus der Überlieferung stammenden Männertänze oder Frauentänze werden – aus ihrem historischen Zusammenhang herausgelöst – von allen getanzt. Elemente der Paarbildung kommen vor, allerdings nicht unbedingt zwischen Mann und Frau. Zwar werden Kreistänze auch in Gottesdiensten vorgeführt, aber der eigentliche Ort ist eine Gruppe, die sich mit der Intention trifft, tanzend zu meditieren. Eine Mischform ist der gemeinsame Tanz aller in einem Tanzgottesdienst, wenn nach der Einladung an die Gemeinde noch „Zuschauer“ sitzen bleiben. Die Tanzbewegungen und Schritte orientieren sich in der Regel an klar rhythmisch strukturierter Musik, die manchmal auch typische Gliederungsprinzipien aufweist wie wiederholende Teile und Variationen. Sie bestimmt den emotionalen Gehalt des Tanzes.395 Für das Erleben des Tanzes sind ästhetische Wahrnehmungen wesentlich, wie das Hören auf die Musik, die Wahrnehmung der Mittanzenden und die eigenen somatischen Reaktionen während des Tanzens. Die Möglichkeiten ästhetischer Wahrnehmung und ästhetischen Erlebens werden sowohl in der Literatur396 als auch in den Gesprächen implizit beschrieben. „Ich brauche die Struktur, die hilft mir, in die Struktur hineinund über die Struktur hinauszuwachsen, sonst fühle ich mich verloren“.397 Der Tanz sei ein Medium der Auseinandersetzung mit Gestalten. Anders als beim bloßen Anschauen dringe die Gestalt beim Nachbilden durch das eigene Tanzen „tiefer in die eigene Existenz hinein“398. Die repetitiven Strukturen führen Tanzende in einen Zwischenzustand, bei dem das aktive Reflektieren, Deuten oder Beurteilen zurücktritt zugunsten somatischer Empfindungen. Die Bewegung verselbständigt sich im Körper. 394 Hammerstein 2016, 9. 395 Vgl. Kohlhaas 1995, 70. 396 Vgl. Kohlhaas 1995, 71. Die Perspektive der Wahrnehmungen kommt insgesamt bei Kohlhaas wenig vor. Sie betont jedoch: „Während ich tanze, bin ich ja nicht nur aktiv in Bewegung, sondern werde gleichzeitig zur Hörenden, nehme Verschiedenes wahr und auf. Ich höre gleichermaßen nach außen, auf das, was die Musik angibt, als auch auf das innere Echo dieser Musik.“ Ebd. „Ganzheitlich meditierend bewegen und tanzen bedeutet, daß intensivere Erfahrungen gemacht werden können.“ Kohlhaas 1995, 77. 397 B 2.3.1; S62. 398 Sudbrack 1995b, 86.

Ästhetische Erfahrung im Kirchentanz

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Ein Tänzer empfindet die Intention des Tanzens darin verwirklicht, dass durch die Wiederholung im Körper irgendwann ein Automatismus entstehe und man in eine Versenkung hineinkomme.399 Eine andere Befragte erklärt: „Meditativer Tanz wiederholt sich immer wieder, und ich soll ja auf die Musik hören, ich soll ja die Musik in mich, die soll in mir sein oder auch der Text, und deswegen kann ich da nicht schwierige Tanzfiguren bringen“.400 Zur Frage, was im Tanz meditiert wird, können die Antworten unterschiedlich ausfallen, der Tanz selbst oder der Körper im Tanz. Wie in der Wortmeditation, bei der ein Wort wiederholt wird, geht es C zufolge in der Meditation des Tanzes um die Meditation eines kleinen, einfachen Schrittelements, z. B. des Pilgerschritts (drei vor, einen zurück).401 Gehen und Zögern kommen zusammen beim Pilgerschritt. Ku merkt dann, sie könne ja weitergehen, sie werde mitgenommen.402 Im Verständnis von S dagegen ist der Gegenstand der Meditation der Körper im Tanz, nicht unbedingt der Tanz, wie es von Bernhard Wosien und Friedel Kloke-Eibl in der „Meditation des Tanzes“ konzipiert ist. Meditationsgegenstand sei der Tanz und das Selbst darin als Objekt der Wahrnehmung, der Zentrierung.403 Tanzende geben an, die Schritte und Bewegungen ließen sie Gestalten in der Bewegung erfahren, die sie veranlassten, nach solchen Gestalten im eigenen Leben zu fragen. Die Rückwärtsschritte im Tanz eröffneten die Bewusstwerdung von Rückschritten im Leben und böten einen tanzenden Umgang damit an, in der Regel den Richtungswechsel wieder nach vorne. Ähnliches gelte für das mit dem Tanz bewusst verbundene Ein- und Ausatmen, das in der Choreographie des Tanzes integrierte Innehalten oder den Nachvollzug von Gebärden. Ku verweist auf das Gehen und Wieder-Innehalten, Finden der Balance, die immer wieder neue Zuwendung zur Mitte.404 Eine andere Tänzerin in der Gruppe meint: „Oder auch selbst, wenn ich rückwärts gehe, äh, dann bin ich nicht verloren, sondern dann werde ich wieder mitgenommen, die Mitte ist ja da oder das Zentrum, oder ich komm’ immer wieder in die Balance auch, ne, diese, das sind einfach find ich Wahnsinnsschritte“.405 Das Schrittmotiv erlaube die Assoziation an Rückschritte, die im Leben auch dazu gehörten.406 Ir mag es, dass es Tänze gebe, die ganz absichtlich nach rückwärts gingen. Wenn diese im Kreis getanzt würden, entstehe „so eine gewisse Schwingung, und durch diese Schwingung kommt man halt auch wieder woanderst an.“ Es sei ihr schon auch wichtig, nicht immer nur vorwärts zu gehen, sondern auch mal

399 400 401 402 403 404 405 406

Vgl. B 2.3.1; E45. B 2.3.2; U20. Vgl. B 2.3.2; C3. Vgl. B 2.3.2; Ku7. Vgl. B 2.3.2; S25–26. Vgl. B 2.3.2; Ku7. B 2.3.2; Vo10. Vgl. B 2.3.2; C3.

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Figurationen des Kirchentanzes

innezuhalten oder mal zurückzublicken auf das, was gewesen sei.407 Diesen Wechsel von Einatmen, Ausatmen wirklich zu spüren, sei wichtig.408 Beim Innehalten gibt Vo sich Zeit.409 Die Gebärden hätten für Re eine „sehr große Bedeutung“.410 Gi gehe es um das Ausgerichtetsein der Tänzer und Tänzerinnen.411 Die Gruppenerfahrung spielt für viele eine bedeutende Rolle. Diese ist nicht unbedingt symbiotisch, es wird auf individuelles Erleben Wert gelegt. C weist zu Beginn jeder Einheit immer auf das Empfangen und Weitergeben hin, das in der Handhaltung angezeigt wird412, durch alle gefassten Hände laufe etwas hindurch. Nach Wosien fließe ein Strom durch [die gefassten Hände], das sei die eine Richtung des Stromes, während sie in die andere Richtung gingen, das sei der Bewegungsstrom. Mit diesen beiden Strömen hätten sie es immer zu tun, mit der Zeit und der Zeit entgegen.413 Gi findet, am Kreis sei das Wesentliche, durch die Handhaltung in den Fluss zu kommen und gleichzeitig jeder für sich zu sein im Fluss.414 Durch die Kreisform entstehe so etwas wie ein Mittelpunkt.415 Sie tanze am liebsten so, dass sie die Mitte im Blick behalte, nicht so sehr die anderen Personen, das helfe ihr, sich selbst zu zentrieren.416 Die gestaltete Mitte sei Symbol für die eigene Mitte. Wenn man sich da hinwende, dann sei man mit seinem Blick und mit seinem Herzen bei dieser Mitte, und gleichzeitig habe man vorne und hinten den ganzen Kreis im Blick, ohne dass man die Menschen anschaue.417 Auf die Mitte bezogen seien offenbar viele Gesten: zum Beispiel das Sich-Öffnen, Sich-Zurückziehen, dann das … Begegnung mit anderen und Eher-bei-mir-Sein, dann mich zum Himmel öffnen, auf der Erde sein, also wirklich so die Erde spüren. Dann die Mitte, einfach so diese Mitte, die einfach auch wichtig ist. Wir tanzen gemeinsam um eine Mitte, und zur Mitte gehen, aber auch mal wieder weg zu sein, dann in die Richtung gehen, in eine andere Richtung gehen, sich drehen, den Blick verändern, die Blickrichtung, also solche Dinge.418

Die Tanzfiguren werden als „natürlich“ empfunden. Sie sollen möglichst einfach sein. Die Choreographien oder überlieferten Tänze seien nur im Ganzen stimmig. Es lohne sich, die Einzelheiten in Ruhe mit dem Gespür zu 407 408 409 410 411 412 413 414 415 416 417 418

Vgl. B 2.3.2; Ir327. Vgl. B 2.3.2; Ku8. Vgl. B 2.3.2; Vo11. Vgl. B 2.3.2; Re14. Vgl. B 2.3.2; Gi20. Gemeint ist folgende Handhaltung: die rechte Hand öffnet sich, die linke Hand wird in die geöffnete Hand der linken Nachbarin gelegt. Vgl. B 2.3.2 C18–20. Vgl. B 2.3.2; Gi8. Vgl. B 2.3.2; C11. Vgl. B 2.3.2; Ro11. Vgl. B 2.3.2; Gi16. B 2.3.2; Re5.

Ästhetische Erfahrung im Kirchentanz

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erfassen: „da ist das Zusammenspiel von dem Rhythmusaufnehmen, diese Schrittkombination mit dem Wippen, mit dem Drübersetzen, mit dem langsamen, mit dem Spüren im ganzen Körper, also von Fußsohle über die Knie, die die Bewegung machen über die Hände, die vielleicht in einer Reigenfassung hoch sind, das Zusammenspiel macht die… da ist der Schritt dann nicht mehr egal.419 „und dass man auch Zeit hat, einfach nachzuspüren.420 Die Schritte werden als eingängig empfunden, „eigentlich muss der so sein, dass ich gar nicht anders mich dazu bewegen kann, als wie das da angegeben ist“.421 „Beim Meditativen, da bin ich ja mit meinem ganzen Körper, Kopf, Seele, Körper [gefordert]“.422 „Wenn du dich auf sehr viele komplizierte Schritte konzentrieren musst, bist du wieder sehr im Kopf und kannst dich innerlich nicht so auf die Bewegung, auf dieses Sich-Bewegen und gleichzeitig BewegtSein, da kann man sich dann nicht drauf einlassen, wenn man ständig drüber nachdenken muss, welcher Fuß kommt jetzt vor welchen.“423 Folgende Voten grenzen sich von meditativem Tanz ab: „Die Frauen, die zu mir kommen, die sagen, sie wollen fröhliche Tänze. Und meditative Tänze brauchen eine andere Anleitung und Einstimmung.424 Ein Tänzer meint, es gehe dabei auch um eine symbiotische Gemeinschaftserfahrung, die er nicht suche.425 Beide Äußerungen stehen im Kontrast zu dem, was Tanzende, die lange in der Praxis des meditativen Tanzes tätig sind, aussagen. Weder kann bestätigt werden, dass meditative Tänze das Fröhliche ausschließen, noch dass es dabei um eine nur symbiotische Gemeinschaftserfahrung geht. Tanz als Medium einer Meditationspraxis leitet zur Sammlung an, indem die Wahrnehmung auf die Bewegungsführung gelenkt wird. So kommt das Paradox zustande, durch Bewegung zur Ruhe kommen zu können.426 Meditatives Tanzen kommt nicht ohne übende Wiederholung aus.427

2.4.12 Fazit Der Überblick über die Stile hat gezeigt, dass zwischen unterschiedlichen ästhetischen Erfahrungen differenziert werden kann. Demnach kann nicht verallgemeinernd von der ästhetischen Erfahrung im Feld des Kirchentanzes die Rede sein. Dementsprechend ist auch die verallgemeinernde Rede von der 419 420 421 422 423 424 425 426 427

B 2.3.2; St29. B 2.3.2; Re14. B 2.3.2; U20. B 2.3.2; U79–80. B 2.3.2; Ku9. B 2.3.1; U16. B 2.3.1; Sb38–39. Vgl. Lander/Zohner 1998, 143. Vgl. Koll 2007, 233. 238.

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Figurationen des Kirchentanzes

religiösen Erfahrung des Tanzes oder dem „religiösen Tanz“ nur begrenzt sinnvoll. Bestimmte Kennzeichen ästhetischer Erfahrung wie etwa die simultane mehrdimensionale sinnliche Wahrnehmung von Raum, Bewegung, Körperempfinden, Musik/Klang, Rhythmus, interpersonelle Begegnungen oder die Präsenzerfahrungen sowie die Bezogenheit auf existentielle Erfahrungen finden sich zwar stilübergreifend. Gleichzeitig sind Praktiken wie u. a. Improvisation, gebundener Kreistanz, Tango oder Tanztheaterperformance hinsichtlich ihrer Möglichkeiten zu ästhetischer Erfahrung nur in der Differenzierung gut zu erfassen. Daher lässt sich der Schluss ziehen, dass in diesen unterschiedlichen Möglichkeiten auch verschiedene Spielarten religiöser Erfahrung, mithin auch spiritueller Praxis angelegt sind. Im Folgenden ist dem Wort „Kirche“ im häufig verwendeten Begriff Kirchentanz im Sinne eines spezifischen Raumes nachzugehen. Nicht das gesamte Aktivitäts-Spektrum kirchlicher Tanzszenen spielt sich in Kirchenräumen ab, wie im voranstehenden Abschnitt deutlich wurde. Kirchenräume sind jedoch in dem hier unternommenen Reflexionsgang, bei dem es um Kunst und ästhetische Erfahrung im Horizont des Spirituellen geht, von hoher Bedeutung aufgrund ihres Charakters als von theologischen Vorgaben beeinflusste, künstlerisch gestaltete Räume.

3. Kunst im Kirchenraum Tanz gestaltet Bewegung in Zeit und Raum. Künstlerischer Tanz, der sich in der Kirche zeigt, bekommt es mit einem besonderen Raum zu tun. Ein Tänzer sagt aus: […] wenn ich in die Kirche reingehe, also so zumindest gibt es ja auch unterschiedliche Verständnisse von Kirchenraum, aber dass ich im Grunde aus dem Alltag rausgehe, also so kann man es auch verstehen. Und dass es ein besonderer Raum ist und wenn ich also jeden Schritt, den ich mache, und wenn ich die Tür öffne, dann ist das schon ein Weg raus aus dem Alltag und aus dem, was mich sonst so vielleicht besetzt oder beschäftigt oder sorgt oder so. Und das ist dann ein Weg irgendwo hin, ne?428

Angesichts dieser Wahrnehmung erscheint eine Klärung des spezifischen Status von Kirchenräumen für die Religionsausübung im Protestantismus notwendig. Eingezeichnet in dieses Panorama präzisiert sich anschließend die Bedeutung kirchentänzerischer Praxis in jenen Räumen. Die theologische Diskussion über die Besonderheit des Kirchenraums gegenüber anderen Räumen stand lange Zeit im Zeichen der Unterscheidung von heilig und profan. Dabei schien es stets nur zwei Alternativen zu geben – 428 F16.

Kunst im Kirchenraum

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die ontologisch gedachte Heiligkeit von Kirchen und die funktionale Auffassung vom Kirchenraum. Diese Dualität war allerdings weder in den Anfängen des Christentums429 von großer Bedeutung, noch stellt sie in der Gegenwart die einzige Möglichkeit dar, über Kirchenräume zu denken.430 Wenn dem Kirchenraum nun keine substanzielle Heiligkeit zugeschrieben wird, er aber mehr sein soll als ein für verschiedene Zwecke des Gemeindelebens bereitgestellter Saal, was macht ihn dann besonders? Denn „ein besonderer Raum“ ist die Kirche bis heute, wie die oben stehende Aussage stellvertretend für andere zeigt. Kirchenräume sind besondere Räume, trotz der Abgesänge auf religiöse Erfahrungen in der Moderne und der Verabschiedung heiliger Räume in der funktional ausdifferenzierten Gesellschaft.431 In der Wahrnehmung heutiger Menschen ist die Kirche immer noch der Raum, in dem Gottesdienst gefeiert wird. Was Jesus dem Tempel als Zweck zuschrieb432 – er soll ein Haus für das Beten sein – gilt auch für Kirchengebäude der Gegenwart. Im Kirchenraum bildet der Altar nach Alfred Lorenzer das „Organisationszentrum“433 und den „Angelpunkt des Raumes“434. Was an ihm geschieht, überträgt sich auf den Raum insgesamt. Das, was Menschen in dem Raum tun, konstituiert seine Wirkung. Klaus Raschzok arbeitet diesen Zusammenhang unter dem Stichwort „Der Feier Raum geben“ heraus. Seine phänomenologisch geschulte Kirchenraumtheorie überwindet die problematische Alternative von Heiligkeit und Profanität durch den Blick auf die wechselseitigen Erschließungsprozesse zwischen Raum und Menschen. Der Raum wirkt durch die Spuren seiner Nutzung.435 Gleichzeitig weist er über die vergangene und gegenwärtige Nutzung hinaus auf eine Utopie von Gottesdienst am Ende der Zeit. Die Bedeutung von Kirchenräumen überschreitet ihre bloße Funktionalität als Gehäuse für eine Feier, stellt sich aber auch nicht als heilig in einem essentialistischen Sinn dar. Die Bedeutung von Kirchenräumen macht sich auch nicht an den in ihm präsentierten Bedeutungsträgern quasi als semiotisches Gebilde einer „Stein gewordenen Predigt“436 (Christian Möller) fest. Kirchenräume beziehen ihre Wirkung daher, dass in ihnen Gottesdienste gefeiert werden als Räume der Begegnung zwischen Gott und Mensch.437 Selbst außerhalb des Gottesdienstes seien die Spuren der Feier noch vorhanden und könnten dem Raum gewissermaßen anhaften, ohne dass damit eine objektive, dem Eingreifen eines transzendenten Gottes zugeschriebene 429 430 431 432 433 434 435 436 437

Vgl. Umbach 2005, 135 ff., 345. Vgl. Umbach 2005, 313. Gemeint sind die Abgesänge zum Beispiel durch Alfred Lorenzer. Vgl. Umbach 2005, 313 f. Nach den Synoptikern (Mt 21,13//Mk 11,17//Lk 19,46) zitiert Jesus Jesaja 56,7 „mein Haus wird ein Bethaus heißen“ (Übersetzung Luther 1984). Joswig 2003, 91. Joswig 2003, 99. „In Spuren offenbart sich das Heilige auf zweideutige Weise.“ Umbach 2005, 304. Vgl. Raschzok 1998, 113. Vgl. Raschzok 1998, 125.

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Figurationen des Kirchentanzes

Wirkung postuliert werden muss. In dem folgenden Zitat von Raschzok wird allerdings keine eindeutige Entscheidung für oder gegen ein solches Eingreifen getroffen. Dennoch ist die Vorstellung von Spuren des Flüchtigen, das im Kirchenraum geschieht, etwa der Segen in einer Taufhandlung, von Erklärungswert für die spürbare Atmosphäre, die die Tanzenden häufig benennen. Kirchenräume tragen einmal Spuren der Lebensgeschichte ihrer gottesdienstlichen Nutzer, ihrer Beterinnen und Beter mit sich. Kirchenräume tragen aber auch Spuren des Wirkens von Christus, des Wirkens von Gott Vater und dem Heiligen Geist in sich438.

Manfred Josuttis hat demgegenüber darauf hingewiesen, wie sehr im Protestantismus der „Kontakt mit der Gottesmacht […] an die Anwesenheit der Amtsträger gebunden“439 wird. Phänomenologisch gesehen gebe es eine Synchronie zwischen pastoraler und göttlicher Anwesenheit.440 Statt des reformatorischen Priestertums aller Gläubigen wird von der Pfarrperson in einem Solo-Auftritt das Wort Gottes vermittelt. Das – körperlos vorgestellte – Wort mache Gott in dem Geschehen gegenwärtig. Werden allerdings die Räume als etwas Materielles mit einbezogen – die Anwesenden als Leibräume und der Ortsraum als äußere Hülle der Leiblichkeit441 – eröffnet sich das Feld für Erfahrungen des Heiligen, die Menschen auch in ihrer Körperlichkeit erreichen.442 Kunst kann auf den Kirchenraum in unterschiedlicher Weise reagieren. Entweder spiegelt der künstlerische Ansatz in bewusster Reaktion die Auseinandersetzung mit dem Raum wider: seiner Gestalt und seinen Atmosphären. Dies folgt dem Ansatz der sogenannten site-specific performance443. Oder der Tanz geht in irgendeiner Form eine Verbindung mit dem Gottesdienst ein. Mischformen beider Aspekte sind denkbar. Unter dem Aspekt der ästhetischen Erfahrung ist zunächst festzuhalten, dass der Kirchenraum von sich aus zu ästhetischen Wahrnehmungen und Deutungen anregt. Mit dem Tanz kommt ein Element hinzu, das mit diesem 438 439 440 441 442

Raschzok 1998, 127; vgl. Umbach 2005, 302. Josuttis in: Umbach 2005, 312. Umbach 2005, 312. Vgl. Umbach 2005, 313. Gerade Tänzer verfügen über Erfahrungen mit dem Raumbewusstsein: „Einmal bildet der Leib in sich einen Bewegungsraum, durch den die Tanzbewegung gestaltet wird; zum anderen geht er z. B. als dieser Leib durch den Raum, d. h. er bahnt sich seinen Weg. […] Das Ziel für den Tänzer ist: eine grösstmögliche Sensibilisierung und Differenzierung seines Bewegungsverhaltens in Raum und Zeit, die in der Bewegungsform zu einer Gestaltung der Aussage verschmolzen sind; dann bewegt der Tänzer mit seiner durch die ,Form‘ wirksam werdenden Energie ,den Raum mit der Zeit‘.“ Deharde 1978,78 f. 443 Vgl. Hiddemann 2007, 156–167. Vgl. Victoria Hunter in der Fußnote zur Einleitung: B 2.8.5. Der Begriff site-specific art schließt die site-specific performance ein. Um diese geht es in einem Tanz, der einen künstlerischen Dialog mit dem Kirchenraum führt.

Kunst im Kirchenraum

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Raum Beziehungen eingeht. Der Tanz ist ein Medium der Raumerfahrung. Dies gilt nicht nur für die Tanzenden, sondern auch für die Zuschauenden. Die leibliche Ko-Präsenz der Gottesdienstfeiernden wird intensiviert durch das körperlich sichtbare Geschehen im Tanz, der die Feiernden sowohl in ihrem eigenen Körper zu verorten vermag wie auch deren Körper im Kirchenraum. Der in künstlerischer Hinsicht geforderte Umgang mit dem Raum ist ohne entsprechende ästhetische Erfahrung nicht denkbar. Tänzer müssen Architektur, Musik und Bewegung in Einklang bringen. Dazu sind diese auf die Fähigkeit einer „ästhetischen Reflexivität“ angewiesen. Die Notwendigkeit eines Raum-, Form- und Zeitempfindens im Tanz korrespondiert mit der Fähigkeit, einer Bewegung Gestalt verleihen zu können, das heißt, sie in den Raum hineinzuschreiben, sie also zu choreographieren. Choreographie als Raumschrift meint die Fähigkeit eines reflexiven Verhältnisses und Umgangs mit körperlicher Bewegung, wobei Reflexivität hier nicht, wie begriffsgeschichtlich üblich, als ein kognitiver Prozeß verstanden werden soll, sondern, in Anlehnung an den britischen Soziologen Scott Lash als ,ästhetische Reflexivität‘ gedacht werden kann, als eine Reflexivität, die dem körperlich-sinnlichen Empfinden entspringt.444

Tanz spiegelt auf dem Weg der ästhetischen Reflexivität die Potenziale des Kirchenraums. Die Tanzgeschichte des letzten Jahrhunderts enthält eine Vielzahl von Beispielen künstlerisch professioneller Tänzer_innen, die gerade Kirchen als Auftrittsort wählten – darunter einige der ersten Ausdruckstänzerinnen wie Isadora Duncan und Ruth St. Denis. Die Choreographin und Solotänzerin Barbara Jeanne Lins sieht daher Kirche als Raum für Kunst, für Musik, Malerei, Bildhauerei, aber auch für Tanz. Zwischen Kunst und dem, wofür die Kirche steht, gibt es Parallelen. Denn Kunst ist schöpferisch, sie kann nicht nach ihrem Nutzen bewertet werden, und sie beschäftigt sich mit Wirklichkeiten wie „Emotionen, Intuition, Ästhetik“, die das Rationale transzendieren.445 Tanz passt in die Kirche aufgrund der Affinität von Religion und Kunst. Menschen drücken sich künstlerisch aus und kommunizieren ihre Art der Erschließung von Wirklichkeit. Auf diesem Weg kommt es zum Dialog mit Glaubenszeugnissen. Auch autonom verstandene Kunst kann frei in einen solchen Dialog eintreten. Es muss nicht immer ein Tanz mit sakralem Habitus – sollte es einen solchen geben – sein. Tanzkunst ohne Gottesdienstbezug am Aufführungsort Kirche stellt eine Form von site-specific performance (Hunter) dar. Damit sei ein Publikum nicht leicht zu erreichen, denn die Situation, „in einer Kirche zu arbeiten, ohne sich auf ein Kirchenpublikum verlassen zu können und gleichzeitig den ungewöhnlichen Spielort an ein Tanzpublikum, das Kirchen eher meidet, kommunizieren zu müssen“446, stellt eine hohe Anforderung an solche und ähn444 Klein 2006, 11. 445 Vgl. Lins 2000, 44 f. 446 Hiddemann 2007, 158.

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Figurationen des Kirchentanzes

liche Projekte dar. Ein Beispiel dafür ist das Projekt Bach2000, bei dem zeitgenössischer Tanz in der Kaufmannskirche in Erfurt aufgeführt wurde. Damit wurde bewusst Kunst als gleichwertiger Dialogpartner in den Kirchenraum geholt. Für die Akteure, Tänzer der freien Tanzszene, bedeutete dies, sich auf die besonderen Qualitäten des Raumes einzulassen. Der Kirchenraum als Ort, auf den die tänzerische Darstellung künstlerisch reagiert, also nicht nur im Sinne der Bewältigung technischer Probleme, wurde allerdings von den professionellen Tanzensembles nur zögerlich wahrgenommen. Man versuchte von Seiten der kirchlichen Kulturarbeit, den „Raum als qualifiziertes Gegenüber, auf das das Stück zu reagieren hat“,447 deutlich zu machen. Eine Schwierigkeit für die Realisierung war, dass es in Erfurt offenbar kein Publikum gab, das sich für Kirchentanz interessiert. Die in der dortigen protestantischen Kirchenkultur um das Jahr 2000 nicht besonders ausgeprägte Tradition des Kirchentanzes wurde allerdings durch die tänzerische Kulturveranstaltung eher nicht befriedigt, da sowohl der Bezug auf einen Ausdruck des Glaubens wie auch auf den Tanz als liturgisches Element fehlten. Ein weiterer Beitrag in diesem Rahmen kam von Tanja Matjas aus Weimar. Sie sollte den Dimensionen des Kirchenraums begegnen, indem ein Raum im Raum geschaffen wurde durch mehrere Podeste auf einem Gerüst. Der Organisator Frank Hiddemann hätte stattdessen das Veranstaltungsformat Gottesdienst als förderlich für die Kommunikation des Vorhabens angesehen, denn: „Kirchenpublikum in eine nicht gottesdienstlich integrierte Tanzveranstaltung im kirchlichen Raum zu locken, ist schwierig.“448 Die andere mögliche Interessengruppe, das Publikum für zeitgenössischen Tanz in Thüringen, war schmal und schwer erreichbar. Beide Sorten von Publikum wiesen kaum Überschneidungen auf. Presseberichte zum Bach-Geburtstag und über das Tanzprojekt verhalfen der Veranstaltung zum Erfolg. Daneben stehen zahlreiche Projekte, die zeitgenössischen Tanz in einen Gottesdienst integrieren. Darunter sind die Beiträge von Barbara Jeanne Lins, solo und mit ihren Compagnien Exodus und Tipping Point, Auftritte von Frieder Mann, solo und in der Compagnie X–Motion, von Felix Grützner in der Kirche Maria Lyskirchen in Köln oder die Performances449 von Beate Gatscha bei Kirchentagen, unter anderem dem Ökumenischen Kirchentag in München 2010 sowie von Tanja Matjas beim Erfurter Kirchentag und in Gottesdiensten des Frauenwerks Thüringen.450 Auch die Tänzerin und Gemeindepädagogin Heike Klaas (*1964) arbeitet mit site-specific performance

447 Hiddemann 2007, 159. Matthias Kuhlglatz, ein junger Choreograph aus Köln, der bereits mit Bach-Produktionen Erfahrung hatte, entwickelte für diesen Rahmen ein 30-minütiges Stück. Vgl. ebd. 448 Hiddemann 2007, 161. 449 Der Tanz fungierte dabei als nicht näher bezeichnetes liturgisches Element zwischen Psalmlesung und Predigt. Vgl. Hiddemann 2007, 161, Anm. 498. 450 Die exemplarische Aufzählung bildet nur einen kleinen Bruchteil solcher Initiativen ab.

Kunst im Kirchenraum

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in Kirchen (und in der Natur). Sie führt Choreographieprojekte in Kirchen durch und tanzt im Gottesdienst.451 Bereits die erste Generation von Kirchentänzern in Deutschland wie Gisela von Naso oder Manfred Schnelle452 ist durch Auftritte in Kirchen in Erinnerung. Besonders der Tänzer Schnelle verdient an dieser Stelle Aufmerksamkeit, da er seinen Kirchentanz in der damaligen DDR im Widerstand gegen die dort herrschende Kulturpolitik entwickelte und praktizierte.453 Seine Abwendung von der Gegenwart und Hinwendung zum Dresdner Barocktanz dürfte mit der Situation in der DDR zu tun gehabt haben. Er hatte von seiner Lehrerin Marianne Vogelsang (1912–1973)454 Ausdruckstanz in der Entsprechung von Intuition und Raum gelernt „und vor allem, wie man existenzielle Erfahrungen in der Bewegung thematisiert“455. Schnelle, der bis ins Alter von 80 Jahren noch tanzte und Seminare z. B. u. a. auf Kirchentagen hielt (zuletzt in Stuttgart 2015) beeindruckte durch seinen Ausdruckstanz in Kirchen zu Orgelmusik.456 Die Tänzerin Gisela von Naso gestaltete in ihrer selbst entwickelten Form des Kirchentanzes aus Kreistanz und Ausdruckstanz seit den 1980er Jahren Tanzgottesdienste in der Alten Nikolaikirche in Frankfurt am Main. Sie legte besonderen Wert darauf, den Tanz in die Liturgie einzubinden. Der Tanz sollte weniger ein Kunstereignis darstellen, er wurde als Erweiterung der Beteiligung der Gemeinde am Gottesdienst verstanden. In einem Raum wie einer Kirche zu tanzen, ist zugleich Herausforderung und Glück.457 Für Zuschauende kommt es zu einer komplexen ästhetischen Erfahrung, die von der Raumerfahrung in der Kirche entscheidend mitbestimmt wird. Aus der Sicht eines Teilnehmers an der getanzten Liturgie im Frankfurter Dom 1994 mischen sich unterschiedliche Eindrücke: Atmosphäre und Würde des Raumes, Atmosphäre und Geist des Tanzes von zehn Frauen und Männern, das Weiß des 451 Vgl. http://www.vertanzworten.de/choreographische-projekte/ (2016/08/13). Die professionelle Ausbildung in Laban-Bartenieff-Bewegungsstudien bzw. movement analysis führen Klaas zu einer intensiven Begegnung und Auseinandersetzung mit dem Kirchenraum. Vgl. Klaas 2007. 452 Zu von Naso und Schnelle siehe auch die historische Darstellung in A 7.1.3. 453 Gruhl 2016. 454 Die Solotänzerin und Choreographin studierte bei Gret Palucca (1902–1973). Ihr Ausbildungskonzept verband auf der Grundlage von Klassischem Tanz auch Neuen Tanz bzw. Modernen Tanz und Volks- bzw. Folkloretanz. Schnelle tanzte 1993 die von Vogelsang choreographierten Bach-Präludien. Vgl. Fleischle-Braun 2001, 73–77. 455 Fleischle-Braun 2001, 73. 456 „Und wer Manfred Schnelle als Tänzer erlebt hat, etwa wenn er vornehmlich in Kirchen die Traditionen des Ausdruckstanzes lebendig werden ließ, spürt, dass sein Tanz in der Korrespondenz zur Besonderheit der Architektur und Tradition sakraler Räume zu Orgelmusik, ,ein ganz eigenes, tiefes Gefühl für die Wirklichkeit‘, widerspiegelt. So der Eindruck nach einem Abend in der Geraer Johanniskirche. Es gebe sicher nur ganz wenige Tänzer, ,die Architektur, Musik und Bewegung so meisterlich in Einklang zu bringen verstehen, wie Manfred Schnelle‘, heißt es weiter“. Gorgas, Gabriele in: Gruhl 2016. 457 Vgl. von Naso 2000, 41.

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Altars und des Bodens um den Altar, das Schwarz der Kleidung der Tänzer, die Stille und die Eleganz der Bewegung, der getragene Schritt und der Elan der Drehung, der Schmerz der Buße und die gegenseitige Tröstung, die Sammlung des Gebets und der Jubel der Anbetung bildeten eine Einheit.458 Das empirische Datenmaterial bietet sowohl Hinweise auf die ästhetische Erfahrung von Tänzern in Reaktion auf den Kirchenraum wie auch von Zuschauern. Im Folgenden wird zwischen Tanz außerhalb oder innerhalb des Gottesdienstes aufgrund der vielen Überschneidungen nicht differenziert. Im Fokus ist an dieser Stelle Tanz als Kunst in der Kirche. Wahrnehmungen der Tanzenden treten in der folgenden Darstellung mit Theorie in einen virtuellen Dialog. Zunächst ist festzustellen, dass nur wenige Kirchen überhaupt für Tanzaufführungen oder Gemeindetanz geeignet sind: Oft sind einfach gar keine Möglichkeiten da, sich in einer traditionellen Kirche zu bewegen. Allein durch die vielen Bankreihen ist man dann „irgendwie festgenagelt“.459 Wenn sie mal die Bänke herausnehmen, wie im Vatikan im St. Petersdom, dann erlebt man die Größe. Das hat etwas. In den Moscheen stehen auch keine Bänke.460 Ein Pfarrer berichtet vom Zersägen von Kirchenbänken, um den Tanz bei ihnen zu ermöglichen.461 Die Raumaufteilung mit einem unverrückbaren Altar und die Kälte in den Kirchen stören beim Tanzen, da es die Beweglichkeit einschränkt. Ansonsten sind die Kirchen immer sehr kalt, und das wirkt sich dann auf die Beweglichkeit der Füße aus, auf das Körpergefühl, der kalte Marmorboden ist unangenehm. Also die Kirchen sind für Tänzer rein von diesen Dingen her eher unangenehm (vgl. B 2.1.5, Me26; vgl. B 2.7.1, HW18; vgl. B 2.7.1, Mr8, vgl. B 2.7.2). Die Beobachtungen der Tanzenden veranlassen dazu, der Frage nachzugehen, welche historischen Gründe hinter den von ihnen erlebten Spannungen zwischen Tanz und Kirchenraum stehen. Kirchenräume sind offenbar selten geräumig oder behaglich462 genug für Tanz. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass seit der Reformationszeit das „Kirchengestühl in Form von festen Bänken“463 zum Raumprogramm protestantischer Kirchen gehört. In einer Predigt von 1522 wird jedoch von Luther die Bedeutung des Kircheninventars, unter anderem der Bilder, für den evangelischen Gottesdienst gegenüber der des Evangeliums kultkritisch abgewertet.464 Dennoch kamen die Gemeinden 458 459 460 461 462

Vgl. Waas, Martin in: von Naso 2000, 41 f. Vgl. B 2.1.5; E41. Vgl. B 2.7.1; Ha26. Vgl. B 2.7.1; Hs27. Kalte Kirchen widersprechen dem architektonisch relevanten Wert der „thermischen Behaglichkeit“, der seit 1967 von Povl Ole Fanger als Kriterium an Räume angelegt wird, um das Raumklima zu bewerten. Vgl. Bauer 2014. 463 Umbach 2005, 202. 464 „Denn das [15] sind alliß menschen fundle und auffsetz, die gott nit acht, und den rechten [16] gottisdienst mit yhrem gleyssen vordunckeln. Es darff nur eynerley, des [17] Euangeli, das man das wol treybe, und darauß solchen gottis dienst dem [18] volck bekand mache, das ist die

Kunst im Kirchenraum

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nicht umhin, gottesdienstgemäße Raumgestaltungen zu entwickeln. Nach 1522 betont Luther sodann die pädagogische Funktion der Ausstattung von Kirchenräumen.465 Exemplarisch gut zu zeigen ist dies an der Haltung zu Bildern. Nicht die Bilder an sich sind verwerflich – Gott verbietet sie nicht – sondern der Missbrauch von Bildern. Generelle Verbote auszusprechen, würde Menschen unnötigerweise gefangen nehmen.466 Auch das Malen, Spielen, Singen und Sagen wird, wenn es die Aufnahme des Christuszeugnisses unterstützt, von Luther positiv bewertet.467 Aufgrund der gottesdiensttheologischen Bedeutung der Wortverkündigung setzten sich die festen Bänke in Kirchen durch, da sie ein konzentriertes Hören der Predigt sichern. Zwar gab es im Westdeutschland der Nachkriegszeit und darüber hinaus zahlreiche Kirchenneubauten. Diese setzten vermehrt das theologische Modell der Agora als „Kirche für andere“ um: eines Mehrzweckraumes, in dem auch Gottesdienst gefeiert wird – lutherisch funktional gedacht und am vernünftigen Gottesdienst im Alltag der Welt interessiert.468 Im Gegensatz dazu favorisieren die 1989 durch den Evangelischen Kirchenbautag formulierten „Wolfenbütteler Empfehlungen“469 wieder die Gottesdienstfeier in einem Raum, dessen Gestaltungsformen sich an denen früherer Generationen orientieren. Helmut Umbach sieht in ihnen tendenziell „die erste Form von (postmodern) wiedergewonnener protestantischer ,Sakralität‘“470. Dort heißt es: „Durch seine gegenwärtige Gestaltung und Ausstattung soll die Begegnung der Gemeinde mit dem lebendigen Gott zum Ausdruck kommen.“471 Die Empfehlungen betonen den Respekt vor historischen Räumen und die Zentralstellung des Altars in der Mitte der Gemeinde.472 Einerseits dürfte die Wahrnehmung der Wirkungen und des Potenzials von (Sakral-)Räumen, die dadurch unterstrichen wird, für Tänzer_innen gut nachvollziehbar sein. An-

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rechte glock und orgelln tzu dießem gottis dienst.“ Martin Luther, Weihnachtspostille 1522, WA 10/I, 18–58, hier 39, Z. 15–17. Vgl. Umbach 2005, 205. „Wenn der gemeyn man weyß, das es nicht eyn gottis [15] dienst ist, bildniß setzen, wirt erß woll selbs nach lasßen on deyn treyben [16] unnd sie nur von lust wegen odder umb schmuck willen an die wend malen [17] lasßen odder sonst brauchen, das on sund sey, wie kemen wyr ynn das [18] gefenckniß, das uns menschen verbieten sollten, das gott nicht verbotten hatt?“ Martin Luther, von beider Gestalt des Sakraments zu nehmen, 1522, WA 10/II, 11–41, hier 34, Z. 14–18. Vgl. Umbach 2005, 207. Zu den tanzfreundlichen Kirchen, die mir im Verlauf meiner Forschungen bekannt wurden, gehört u. a. die St. Markus-Kirche in Nürnberg-Gibitzenhof mit einem runden Altar, um den regelmäßig getanzt wurde. In München, St. Johannis fanden zweimonatlich Tanzgottesdienste statt (Kirchenmusikdirekor Gerd Kötter). In Hamburg, Kirche der Stille, einem offenen Raum mit einer Art Oktogon als Mitte finden Tanzmeditationen mit soul motionTM (Edgar Spieker) statt. Beschlossen wurden die Empfehlungen erst 1991. Vgl. Umbach 2005, 283. Umbach 2005, 289. Wolfenbütteler Empfehlungen an die Gemeinden, 12. April 1991, in: Umbach 2005, 285. Vgl. Umbach 2005, 289.

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dererseits ergeben sich aus Sicht der Tanzenden durch fest montiertes Mobiliar, das durchaus Konsequenz eines solchen Raumprogramms sein kann, aber nicht muss, Herausforderungen. Die folgenden Äußerungen verdeutlichen die positiven Erfahrungen der Tänzer mit dem Kirchenraum. Sie überwinden gegebene Hindernisse und erleben mitunter Kirchen, in denen sehr gut getanzt werden kann: Hindernisse überwinden Kirchentänzer oft gegen Widerstände und Verständnislosigkeit des Umfelds.473 Einige Kirchen sind besonders geeignet.474 Manchmal löst die Ausstrahlung des Kirchenraums den Wunsch aus, darin zu tanzen. Eine Tänzerin erinnert sich an den intensiven Eindruck vom Kirchenraum bei der Kommunion mit neun Jahren: „so viel Platz, so schöne Musik, hier möchte ich tanzen.“475 Auch Ba habe sich schon als junge Tänzerin im Gottesdienst einer Klosterkirche zum Tanz im Kirchenraum hingezogen gefühlt.476 Me empfinde es als Ehre, wenn sie im Gottesdienst tanzen dürfe, und das spüre sie dann auch.477 Tanzende spüren die Kraft eines Kirchenraumes, wenn sie sich dort bewegen.478 „Ich kann mich auch noch an das Magnifikat von Bach in einer Kirche getanzt zu haben und diesem Gefühl der großen unermeßlichen Kraft, die ganz besonders in diesem leeren Kirchenraum zu spüren war, sehr gut erinnern“.479 Eine andere sagt aus: Es war gigantisch, es war so… ich habe mich so stark gefühlt, habe gedacht, ich bin die Stärkste hier, ich habe so viel Raum, ich habe so viel Kraft, aber die Kraft kommt von irgendwo her, die kommt von oben […].480

Der Kirchenraum wird durch den Tanz körperlich angeeignet: Der Tanzraum versinnbildlicht für eine Tänzerin ein einzunehmendes Land, das sie mit ihren Schritten einnimmt und sagt, das ist hier ihr Boden, den sie mit Leben füllen will.481 Ein Musiker lässt in Großveranstaltungen den Kirchenraum „in seiner Dreidimensionalität“ erleben: Wenn er zum Beispiel mit einer großen Polonaise den ganzen Kirchenraum erfährt, geht er wie in Spiralen um jede Säule herum, alle Leute gehen mit, und da können drei- oder vierhundert Leute mitmachen.482 Auch von einer Gemeindetanzleiterin wird das prozessionsartige Tanzen der Anwesenden vom Tor bis zum Altar und durch die Seiten-

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Vgl. B 2.1.5, Ha6–7, Ha58, Me26. Vgl. B 2.7.2. Vgl. B 2.6.1; Gr1. Vgl. B 2.6.1; Ba23. Vgl. B 2.1.5; Me26. GT und Sa beziehen sich auf Situationen außerhalb eines Gottesdienstes. GT54. B 2.7.3; Ea41. Vgl. B 2.3.6, Sa25. Vgl. B 2.3.6, Ha26.

Kunst im Kirchenraum

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schiffe berichtet.483 Der künstlerische Beitrag des Tanzes von Ta im Gottesdienst nahm räumlich und thematisch Bezug auf zum Kirchenraum und zum Gottesdienst.484 Von künstlerisch tanzenden Solotänzern wird der Ort, an dem in der Kirche getanzt wird, bewusst gewählt, und Zuschauende nehmen dies im Sinne einer impliziten Beziehung von Tanz und Raum wahr (vgl. B 2.7.1, Mu61). Die Kraft und Würde des Kirchenraums wird von den Tanzenden wahrgenommen. Es kommt zu einer Art respektvoller Aneignung der Kraft des Raumes bei Ea, die schließlich diese Kraft als eine ihr „von oben“ verliehene in sich selbst spürt. Der Kirchenraum kann durch Bewegung und Tanz in seiner Dreidimensionalität wahrgenommen werden. Zuschauende verknüpfen beim Sehen stets schon Raum und Tanz. Das Anliegen, die Würde dieses Raumes zu wahren, führt aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen, wie dies zu geschehen habe, auch zu Konflikten. Dabei wird deutlich, dass Kunsttanz sich mit der Würde des Kirchenraums auseinandersetzen muss: Ein Choreograph berichtet, er habe dies anhand von Kritik für ein Bühnenbild erlebt, bei dem die Bühne über den Altar bzw. auf der gleichen Höhe gebaut war. Das habe ausgesehen, als sei der Altar die Bühne. Er würde dies heute wahrscheinlich so nicht mehr machen wegen der Pietät.485 Pietät scheint angebracht, da mit der Vorstellung von der Heiligkeit des Kirchenraumes auf Seiten der Gottesdienstbesucher oder der verantwortlichen Geistlichen gerechnet wird. Weniger theologisch als phänomenologisch ist allerdings m. E. von der Heiligkeit von (Kirchen-)Räumen zu reden. Nach Michel Foucault sind Räume immer mit Qualitäten aufgeladen.486 Selbst in der Gegenwart seien sie nicht vollständig entsakralisiert. Mit dem Begriff Heterotopien487 bezeichnet er Orte, an denen sich deren Funktion für eine Kultur oder Religion spürbar bündle. Die Lektüre solcher Räume käme gleichermaßen einer mystischen und realen Beschreibung gleich.488 Tanz biete eine Form von Lektüre des Raumes durch seine spezifische Auseinandersetzung mit dessen Qualitäten. Der Tanz im Kirchenraum vermittle Erlebnisse unterschiedlicher Qualitäten, unter anderem auch ästhetischer Art. Von der Heiligkeit des Raumes ist in den folgenden Aussagen nicht explizit die Rede. Die Beschreibungen des Erlebens greifen jedoch sowohl ungreifbar Mystisches wie auch Reales auf: Als qualitative Erlebnisbeschreibungen treten das ästhetische Raumempfinden hervor oder das Wahrnehmen von Resonanz bis hin zu starken emotionalen Reaktionen wie Tränen oder Seligsein.489 Damit Tanz für die Zuschauer nicht 483 484 485 486 487 488 489

Vgl. B 2.7.1, Sa36–37. Vgl. B 2.7.1, Ta25. Vgl. B 2.7.2; Ha51. Vgl. Umbach 2005, 316. Foucault 1992. Vgl. Foucault 1992, 40. Vgl. B 2.7.1, Ir55; G23.

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Figurationen des Kirchentanzes

zur Show und Extrawurst werde, sei eine behutsame Einführung in das Sehen von Tanz im Gottesdienst ein sinnvoller Weg.490 Mit der Reflexion von Tanz als Aufführung im Kirchenraum wird dessen Performativität thematisch. Der Tanz in der leiblichen Ko-Präsenz von Akteuren und Zuschauern spricht die Anwesenden auf unterschiedlichen Ebenen an: Eine Solotanzperformance im Gottesdienst kann als spannend empfunden werden.491 Tanz, der erotische Assoziationen auslöst, ist im Kirchenraum ungewohnt und teils auch nicht gern gesehen.492 Tangotanz von einem professionellen Paar im Kirchenraum zu sehen, kann über die somatische Erlebnisebene das Verständnis für humanes Dasein vertiefen. Ein Zuschauer sagt, ich verstehe jetzt, was das heißt – gehalten werden. Manchen Leuten wird die Beziehung von Bewegungen in den Psalmen und im Glauben durch den Tanz klarer. Emotion, geführt werden, Rückenstärkung bekommen, begleitet werden, gehalten sein.493 Das, was im Kirchenraum geschieht, verändert dessen Wahrnehmung durch die Menschen. Tanz lässt Spuren im Kirchenraum zurück, in der Erinnerung der gesehenen Bilder und getanzten Raumwege, im Körpergedächtnis anhand somatischer Reaktionen und letzlich im Gesamterlebnis, das die Künste Musik, Tanz und Architektur intensiv nahebringt. Was aber verändert sich für die Zuschauer und Gottesdienstbesucher an der Wahrnehmung von Tanz durch jenen Rahmen, der der Glaubensausübung gewidmet ist? Welche Wirkung hat dieser spirituelle Rahmen, der im Kirchenraum per se gegeben ist, auf die Rezeption von Tanzperformances? Ist das Ästhetische durch den Raum schon religiös getönt? Daher ist die praktisch-theologische Frage zu stellen, ob ästhetische Erfahrungen in einem Kirchenraum mit religiösen oder spirituellen Erfahrungen gleichzusetzen sind oder Differenzierungen im Verhältnis von ästhetischer und spiritueller Erfahrung aufgezeigt werden können. Dies ist die Aufgabe des folgenden Abschnitts.

4. Zur religiösen Relevanz von ästhetischer Erfahrung bei der Rezeption von Kunsttanz im Kirchenraum Tanz ist Kunst im Kirchenraum. Der Kontext Kirche verändert die Wahrnehmung des Tanzes. Diese Ausgangsthese für die weiteren Reflexionen ist auf dem Hintergrund einer rezeptionsästhetischen Sicht formuliert. Aufgrund der Ähnlichkeit zur Rezeption von Filmaufführungen in der Kirche lässt sich die Plausibilität der These exemplarisch aufzeigen, da diese Situation bereits 490 491 492 493

Vgl. B 2.7.1; A19, Ma22. Vgl. B 2.7.1, T33. Vgl. B 2.7.1; F14–15. Vgl. B 2.7.1; Ma24.

Zur religiösen Relevanz von ästhetischer Erfahrung

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praktisch-theologisch reflektiert ist. Wird ein Film in der Kirche gezeigt, dann „werden die Bilder des Filmes in einen neuen Kontext gestellt, den von Leiden, Tod und Auferstehung, sichtbar in der Kreuzigungsgruppe und dem Auferstehungsbild nahe der Empore.“494 Ähnliche Zusammenhänge sieht Gunter Kennel auch für die Wahrnehmung von Musik. Kirchenmusik wird nicht dadurch geistliche Musik, dass sie irgendwelche bestimmten Qualitäten habe. Jede Musik könne prinzipiell den Status geistlicher Musik erhalten.495 Denn die Rezeption von Musik sei nicht nur durch die Hörer_innen mit ihren Befindlichkeiten und Vorerfahrungen oder die aktuelle Realisierung des Stückes selbst beeinflusst, sondern auch „durch den Wahrnehmungskontext, also die Situation, in der sie das Musikstück gerade hören, geprägt durch den Raum, den Veranstaltungstyp, die Funktion, die die Musik darin spielt, u. ä.“.496 Der Raum Kirche sowie der Veranstaltungstyp Gottesdienst verändert demnach die Rezeption der Musik und tönt die ästhetische Erfahrung gewissermaßen religiös. Dies nehme ich analog für die Rezeption von Tanz an. Tanz erhält in dieser Perspektive den Charakter einer Kunstform, die, ebenso wie Musik, innerhalb eines religiösen Kontextes die Chance enthält, Zugang zu religiöser Erfahrung zu geben. Damit ist allerdings weder gesagt, dass jede Form von Tanz solche Zugänge gleich gut bietet, noch dass sich religiöse Erfahrung durch die Rezeption von Tanz nicht auch in säkularen Umgebungen ereignen kann. Tanz lässt sich nicht lediglich durch das Setzen in einen kirchlichen Kontext für den Gottesdienstgebrauch funktionalisieren. In erster Linie handelt es sich um Kunst, die um ihrer selbst willen rezipiert wird. Um für die Zuschauer Bedeutung zu erlangen, sind in zweiter Linie deren individuelle ästhetische Einstellung und Wahrnehmung sowie die Wahrnehmungssituation von Belang. Daher kann ich mich der Überlegung Alexander Schwans auch nicht uneingeschränkt anschließen, der mit Jean Luc Nancy „jede Tanzbewegung mit Aspekten von Öffnung, Loslösung und Überschreitung“497 verbunden sieht. Es sei denn, es werde die Rezeption konsequent mit einbezogen. Dann allerdings könnten tatsächlich „auch die Figurationen und DeFigurationen von Bewegung in einen Bezug zu Spiritualität“ gesetzt werden, „wie sie in vielen Arbeiten der Choreographieszene von New York bis Amsterdam und Berlin begegnen.“498 Vorerst kann also festgestellt werden: Tanz im Kirchenraum kann bei entsprechender Einstellung und Vorerfahrung der Rezipienten und einem nachvollziehbaren Bezug zum Aufführungskontext in der ästhetischen Erfahrung auch Aspekte religiöser Erfahrung eröffnen. Allerdings bestehen gegen Kunst in der Kirche, die nicht für die Ohren, sondern

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Kirsner/Wermke 2009, Glück, 35. Vgl. Kennel 1998, 283. Kennel 1998, 283. Schwan 2014, 26. Schwan 2014, 26; Außerdem vgl. Schwan 2009, 225.

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Figurationen des Kirchentanzes

die Augen bestimmt ist, traditionelle Vorbehalte.499 Diese hängen theologisch mit dem Bilderverbot zusammen. Das Bilderverbot sagt aus, dass Absolutes und Transzendentes sich nicht darstellen lässt. Im Bilderverbot des Alten Testaments schwingt die Warnung mit, Gott festzulegen auf bestimmte gestalthafte Vorstellungen. Darin enthalten ist nicht nur die Voraussetzung, Kultbilder zurückzuweisen, sondern auch die Erkenntnis, dass Gottesvorstellungen in der Bibel eine ästhetische Komponente besitzen, die sich nicht auf statisch Visuelles reduzieren lässt.500 Auch Glaube ist nicht in einem Bild darstellbar. Daher kennt der protestantische Gottesdienst kaum Elemente, die den Gesichtssinn ansprechen. So ist das Credo im Gottesdienst eben auch nichts Sichtbares, sondern tritt stets in Gestalt einer flüchtigen sprachlichen Performance in Erscheinung. Es wird gesprochen, und während des Sprechens hören die Ausführenden diesem Credo zu (perception while performing501). Das Bekennen wird aufgeführt. Dies ist flüchtig, performativ, und daher erschöpft sich der Sinn des Credos nicht in seinen überlieferten, schriftlich fixierten Formulierungen. Tanz liefert Bewegungs-Bilder, er ist performativ. Dadurch ergeben sich Überschneidungen mit den bewegten Bildern von Filmen. Aus diesem Grund können an dieser Stelle praktisch-theologische Überlegungen zur Rezeption von Filmen weiterhelfen. Nach Deleuzes Kino-Theorie kann im Film unterschieden werden zwischen solchen, die schwerpunktmäßig Wahrnehmungsbilder, Aktionsbilder oder Affektbilder sind.502 Bilder können im Kontext Kirche also unterschiedlichen Funktionen dienen, ohne sie gleich unangemessen zu funktionalisieren. Tanz, der eine performative Kunst ist und auf eine Weise Aussagen macht, die – analog zur Aufführung des Credo – flüchtig sind, legt Glaubensinhalte oder Gottesbilder nicht statisch fest. Könnte Tanz eine Form von Bildgestaltung sein, die dem Verdikt des Bilderverbotes nicht automatisch unterliegt? Die Rezeption von Tanz kennt in dem durch die Semiotik beschriebenen Bedingungsgefüge nicht nur die Stelle des im Grunde autonomen Kunstwerks, sondern auch die Stelle der Rezipienten und die des Kontextes. Solange von den Rezipienten oder den in der Situation gegebenen Lesehinweisen die bewegten Tanzbilder nicht auf eine Bedeutung festgelegt 499 Schon Luther bevorzugte die Ohrenwunder gegenüber Augenwundern. Vgl. Kuhlmann 2008, 215. 500 Utzschneider verweist auf eine Argumentation Albrecht Grözingers: „Das biblische Bilderverbot begründe ,eine theologische Ästhetik, die ,Erscheinung‘ und ,Verborgenheit‘ Gottes zusammendenknen muss‘.“ Utzschneider 2007, 304. In der Bibel ist von einer Spannung zwischen „Darstellbarkeit und Undarstellbarkeit“ auszugehen. Utzschneider 2007, 317. Angemessene Bilder sind demgemäß eher Szenen, etwa die Vorstellung vom Auferstandenen in der Emmaus-Szene. Damit wird m. E. der Ambivalenz der Tatsache, dass Menschen Bilder brauchen, sich Gott aber in den Bildern gleichzeitig entzieht, versucht Rechnung zu tragen. Die figurale Sprache der Bibel eröffnet dem Tanz ein weites Feld, sich ebenfalls szenisch, figural und eindeutig uneindeutig auszudrücken. 501 Vgl. Hahnen 1998, 166. 502 Vgl. Deleuze 1989, 100.

Zur religiösen Relevanz von ästhetischer Erfahrung

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werden, dürfte der – von mir hier nur prophylaktisch eingebrachte – Vorwurf des Verstoßes gegen das Bilderverbot haltlos sein. Bewegte Bilder dienen nicht zuletzt der Weltorientierung, mithin einem Aspekt der Ethik: die Welt kann im Spiegel der Kunst neu und anders wahrgenommen werden. Sowohl Religion als auch Kunst ermöglichen eine Distanz zur Welt. Ein Theater – Tanztheater oder Filmtheater503 ist strukturell ein religiöser Raum – die Performance erfordert von den Zuschauern ein Einswerden mit dem Geschehen auf der Bühne. Vom Film kann gesagt werden, er sei „gleichsam eine religiöse Offenbarung ohne Religion, ein Wundern, ohne dass der Name Gottes genannt wird“504. Allerdings erschöpft sich das, was religiös im Christentum von Belang ist, nicht in Erlebnissen des Einswerdens. Georg Seeßlen bringt den weiterführenden Gedanken ein, dass ein Film gerade dann „wirklich religiös“ sein kann, wenn „er zunächst einmal die Sakralität oder Pseudosakralität seines eigenen Mediums transzendieren kann“, etwa dadurch, dass er seine Erzählprinzipien offenlegt.505 Brüche, Rückblenden und Einstellungen, die die Fiktionalität brechen und den Zuschauer an ungeteilter Identifikation hindern, schaffen Distanz. Es wird keine ungebrochene Illusion gewährt; der Verdacht, dass jede Geschichte, auch die des eigenen Lebens, die Vergangenheit und die Gegenwart eine Konstruktion ist, um dem Chaos der Weltwahrnehmung ein Gerüst zu geben, wird geweckt und wachgehalten.506

Der Tanz hält an der Bedeutung materialer Wirklichkeit fest. Er spielt mit den Oberflächen, die die Bilder bewegter Körper bieten, und fordert durch seine Performanz Reaktionen heraus, die den Anwesenden unter die Haut gehen. Eine Scheinwelt entsteht ohne mehr sein zu wollen als Schein. Etwas anderes wird von ihr beschienen – Bilder, die im Kopf der Zuschauer entstehen, somatische Empfindungen, die das Körpersein der Anwesenden bewusst machen. Abwesendes erhält durch die Platzhalterfunktion der Aufführung Raum, sich im Zwischenraum flüchtig zu präsentieren. Indem sich eine Schattenwelt vor den Blicken des Publikums bildet, die keinen besonderen Nutzen zu haben scheint, eröffnet sich eine Tanzkunst, die sich nicht für anderes, auch nicht für Religion umstandslos vereinnahmen lässt. Tanz als autonom verstandene Kunst vermag im Kontext christlicher Religion zu einem wertvollen Dialogpartner zu werden, viel mehr als ein Tanz, der etwa mit vorgeführten Bewegungen zum Lied nur nette Akzente setzt und affirmativ gottesdienstliche Dank- und Lobhaltungen unterstreicht.507 In der Tanzperformance wird eine 503 504 505 506 507

Vgl. die griechische Wurzel im Verb theio – ich betrachte. Seeßlen 1989, 95. Vgl. Seeßlen 1989, 92.95. Kirsner 2000, 18. Damit soll nicht Kunsttanz gegen Gemeindetanz ausgespielt werden. Es gibt für affirmative Tanz- und Bewegungselemente im Gottesdienst ohne Zweifel immer wieder ebenfalls einen adäquaten Ort. Ein Beispiel ist ein liturgischer Tanz, der die Freude beim Gloria ausdrückt und

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Figurationen des Kirchentanzes

Wirklichkeit auf flüchtige Weise konstruiert – analog zu den im Lebensvollzug individuell geleisteten Wirklichkeitskonstruktionen der Zuschauer. Doch es gibt die Leerstellen, die Risse im Konstruierten, in die unverhofft Unverfügbares einbrechen kann. Eine Präsenz stellt sich ein, ein Angeschautwerden, ein Gefühl für den Raum der Gnade – einfach da sein zu können. Im Zusehen erzählen sich die Anwesenden individuell Geschichten und holen ihren eigenen Sinn in das Stück hinein. Ein solcher subjektiv gefundener Sinn übersteigt den Wert jeder von vorne herein in die Aufführung gelegten moralischen oder religiösen Botschaft. Im Gottesdienst stellt dies ein ungewöhnliches Verfahren dar, das Erwartungen durchkreuzen kann. Die Reise, auf die die angeschauten Körper mitnehmen können, bringt Menschen ihrer eigenen Körperlichkeit näher. Solche ästhetischen Erfahrungen haben Kraft, das Erleben des Gottesdienstes als Prozessgeschehen, bei dem jede Feiernde beteiligt ist, mit Körper, Sinn und Vernunft zu verändern. Tanz wirft die Anwesenden zurück auf den alten Sinn des Wortes erfahren, das im Grunde ein Verb der Bewegung ist: sachen, dinge erfahren, erforschen, erkunden und nicht selten mit einem vorausgeschickten verbum des gehens, wodurch gleichsam äuszerlich ausgedrückt, was ursprünglich in erfahren selbst gelegen war: gehe hin und erfahr mir das; gehet und erfahret uns; mache dich auf und erfahr es; gehet durch die gassen zu Jerusalem und schawet und erfaret, und sucht auf irer straszen, ob ir jemand findet, der recht thu. Jer.5,1.508

Die Erfahrung des Angeblicktwerdens, die auch eine religiöse Erfahrung ist, wie sie in biblischen Texten immer wieder in der Begegnung von Gott und Mensch erzählt wird, ereignet sich, wie ich vermute, nicht selten über den Weg ästhetischer Erfahrung. Rilke erzählt von der ersten Begegnung mit einer Skulptur, dem archäischen Torso Apollos: „Da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Du musst dein Leben ändern.“509 Ästhetische Erfahrung wird im Sinne des Rilkezitats sowie nach Levinson510 als wertvolle Erfahrung verstanden. Sofern sie die Selbsterkenntnis im Sinne von transformierender Selbstwahrnehmung und umfassender Selbstannahme erwirkt, ist sie offen und öffnend für das Lebensfreundliche der christlichen Religion, für Staunen und SichGerufen-Wissen.

in dieser Funktion möglichst klar sein sollte. Entscheidend ist, sich bewusst zu machen, was jeweils intendiert ist. Dies verhindert auch Enttäuschungen, da von Kunsttanz eben dies, das bloße Unterstreichen eines Gebets, nicht unbedingt zu erwarten ist, sondern in der Regel Widerständigeres. 508 Grimm/Grimm 2004. 509 Rainer Maria Rilke zitiert nach: Kirsner/Wermke 2009, 27. 510 Vgl. A 2.3.

Ästhetische Erfahrung und christliche Spiritualität

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5. Ästhetische Erfahrung und christliche Spiritualität In der Reflexion des Verhältnisses von ästhetischer Erfahrung und Spiritualität sind bereits von anderen Fachautoren geleistete Vorarbeiten von Interesse. Zunächst ist jedoch festzuhalten, dass die Tanzenden selbst ihr Tun einer individuellen und in Gemeinschaft praktizierten spirituellen Praxis im Rahmen mehr oder weniger traditioneller Religionsformen zuordnen. In vielen Variationen ist in den Gesprächen die Rede von der Integration von Tanz in die im Christentum etablierten religiösen Praktiken Gebet, Liturgie und Verkündigung, Bibelarbeit und Andachtsformen, die die Innerlichkeit kultivieren sowie Begegnung und Horizonterweiterung über die eigene Kultur hinaus initiieren. Darüber hinaus werden Erfahrungen benannt, die auf intensive Momente von Präsenz sowie auf innere Bewegungen oder Bewegtwerden im Horizont von Transzendenzerfahrungen hinweisen. Darunter sind die in Teil B 2.5 versammelten Äußerungen unter den Stichworten Qualität, Entgrenzung, Zentrierung und der Bezug zum christlichen Glauben besonders zu beachten. Vor weiterführenden Überlegungen gilt es, einige Schritte zu rekapitulieren, die in der Praktischen Theologie zum Thema Ästhetik bereits gegangen worden sind. Im Protestantismus hat sich ästhetische Theologie stets vorwiegend auf die Rezeption der Bibel konzentriert.511 Dies liegt unter anderem an einem tradierten Bild der Identität des Protestantismus, die sich in zwei aufeinander bezogenen Prinzipien manifestiert: Die Bibel als Formalprinzip und die Rechtfertigungslehre als Materialprinzip.512 Allerdings kann Ulrich Barth zeigen, dass es sich dabei um ein Konstrukt des 19. Jahrhunderts handelt, das relativiert werden muss. De facto kam es in der protestantischen Religionspraxis nie zu einer Aktualisierung des neutestamentlichen Christentums. Auch war die Rechtfertigungslehre nicht das einzige Kriterium für Identität. Beide Identitätsmerkmale wurden im 19. Jahrhundert als hemmend empfunden, „weil es die kulturellen und religiösen Innovationsmöglichkeiten eher unterdrückte als beförderte.“513. Angebahnt wird eine solchermaßen veränderte Haltung bereits in der Aufklärung durch die Reflexionen zur religiösen Bedeutung von Kunst etwa durch Wilhelm Heinrich Wackenroder und Alexander Gottlieb Baumgarten.514 Wackenroder entdeckt in der Kunst eine „Spur vom Finger Gottes“.515 Kunstwerken und ihren Schöpfern wird göttliche Inspiration zugeschrieben, ihnen gegenüber nimmt Wackenroder eine Haltung religiöser Begeisterung ein. 511 Auch Huizing geht in seiner Ästhetik Teil I Der erlesene Mensch zunächst klassisch vom Bibelleser aus. Vgl. Huizing 2015. 512 Vgl. Barth 2004, 8. 513 Barth 2004, 8. 514 Vgl. Fritz 2011. 515 Vgl. Barth 2004, 232.

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Figurationen des Kirchentanzes

Wackenroder hat erkannt, daß auf dem Wege herkömmlicher Ästhetik, Kunsttheorie, Kunstkritik und Kunstgeschichte das ästhetische Erleben selber – jedenfalls wie er es verstand – letztlich nicht gefördert wird. Die göttliche Inspiration großer Kunst findet ihre angemessene Entsprechung allein in der Kunstandacht. Eine profane Einstellung zur Kunst wäre ein Widerspruch in sich.516

Sinnlichkeit sieht Wackenroder als „die kräftigste, eindringlichste und menschlichste Sprache […,] worin das Erhabene, Edle und Schöne zu uns reden kann.“517. In der Musik erfolgt eine Verdichtung der im wirklichen Leben verloren herumirrenden Gefühle.518 Der rationalistische Vollkommenheitsbegriff für Kunst entfällt. Nach Wackenroder ist, wie ich es verstehe, in der Rezeption von Kunst also vor allem die ästhetische Erfahrung519 eine Brücke zu dem, was Menschen von Gott her betreffen könnte. Wackenroder wird oft mangelnde Reflexion vorgeworfen, er formt seine Betrachtungen in der literarischen Gestalt von Gefühlsbekundungen. Barth sieht allerdings die ins Spiel gebrachten Grundbegriffe als Theoriesegmente eines durchdachten Konzepts. Wackenroder setzt anders als andere Autoren nicht den transzendentalen Einbildungsbegriff Fichtes fort. „Wackenroders Reflexionsdimension lag vielmehr im Bereich der Beschreibungsproblematik. Seine Frage lautete: „Wie läßt sich das Ästhetische nach seinem Produktions-, Werk- und Rezeptionsaspekt so beschreiben, daß dessen Transzendenzdimension dabei nicht zum Verschwinden gerät?“520 Denken und Sprache kann das Ästhetische nicht völlig erfassen, es ist dynamisch wie Zeit und Bewegung. Es gibt ein Empfinden ohne Worte. Das Methodenproblem führt zu folgenden Ergebnissen: „erstens, der Aufweis der Unendlichkeitsdimension des Fiktionalen, zweitens, die Entdeckung der Aporetik der Darstellung des Nichtdarstellbaren, und drittens, das Postulat der Abkehr vom Mimesis-Ideal der traditionellen Ästhetik einschließlich der Klassik.“521 Er verbindet die Einsichten zu einer Theorie der Kunstandacht. Damit bringt er ein „soziokulturelles Phänomen der beginnenden Moderne auf den Begriff“522. Das Erleben von Kunst, ihrer Formen und Gehalte und deren Rezeption in der Empfindung erhält somit einen Platz in protestantischer Religionspraxis. Der Berliner Theologe F.D.E. Schleiermacher verringerte um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert die Distanz zwischen Kunst und Theologie. Kunstfertigkeit einerseits und Erfahrung des Unbedingten andererseits stellen Gemeinsamkeiten beider Bereiche dar. Die Praktische Theologie wird als Kunstlehre bezeichnet, Religion als Erfahrung, Anschauung und Gefühl. Re516 517 518 519

Barth 2004, 233. Wackenroder zitiert nach Barth 2004, 236. Vgl. Barth 2004, 238. Diesen Begriff verwendet er selbst nicht, soweit ich sehe. Er gehört in andere Zusammenhänge, die in dieser Arbeit bereits dargestellt wurden. 520 Barth 2004, 249. 521 Barth 2004, 251. 522 Barth 2004, 251.

Ästhetische Erfahrung und christliche Spiritualität

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ligionspraxis etwa in Form von Gottesdiensten wird als Gestaltungsaufgabe begriffen, es geht um darstellendes Handeln. Tillichs Kulturtheologie dagegen versuchte den Brückenschlag zwischen theologischer und weltlicher Ästhetik. Beide Bereiche verbinden sich in dem Duo Form und Gehalt. Der Grundgedanke ist, dass sich in der Kunst Form realisiert, in der Theologie Gehalt.523 Die Kunst ist umso autonomer, je mehr sie Form ist, mit dem Gehalt steigert sich die Theonomie. Allerdings stellt sich hier das Problem, ob die religiöse Erfahrung lediglich an den Gehalt gebunden ist und ob und wie die Form zur Erfahrung des Religiösen beiträgt. Tillich gestand nur bestimmten Stilen, nämlich den expressiven (in der bildenden Kunst und im Tanz) zu, eine religiöse Bedeutung haben zu können. Dadurch wird das Konzept eines autonomen Kunstwerkes wieder relativiert und zu Unrecht einzelne, zeitgebundene Stilrichtungen mit einer Affinität zum Religiösen in Verbindung gebracht. Tillichs Deutungsversuch halte ich für nicht mehr angemessen im Blick auf die Entwicklungen im zeitgenössischen Tanz. Kunst besteht eben auch in einem freien Spiel der Formen, ohne sogleich mit existenziellen Gehalten in Korrelation gesetzt werden zu müssen.524 Die Frage nach dem religiösen Kunstwerk kann mit der Anbindung an Gehalte nicht beantwortet werden. Stattdessen legt die Konzentration auf die Wirkung des Kunstwerkes, seine Resonanzen, die Frage nach dem Zusammenhang von ästhetischer und religiöser oder spiritueller Erfahrung nahe. Wilhelm Gräb trifft folgende Unterscheidungen: „Ästhetische Erfahrung spricht sich als immanente Glückserfahrung aus, religiöse Erfahrung als transzendentale Ursprungserfahrung. In ästhetischer Erfahrung kommt dem Individuum die Welt endlich entgegen. In religiöser Erfahrung weiß es sich unendlich von ihr unterschieden.“525 Die Reflexionen in dieser Arbeit legen demgegenüber die Annahme nahe, dass das Religiöse sich als Deutungskategorie mit einer sinnlichen Wahrnehmung verbinden kann, deren ästhetische Seite keine eigenständige semantische Dimension besitzt. Auch mit Huizing ist Gräbs einseitige Bestimmung des Religiösen anhand einer apersonalen Totalitätserfahrung zu kritisieren. Die „Leiberfahrung“ in ästhetischer und religiöser Erfahrung sei stärker herauszuarbeiten.526 Für die Reflexion von Tanz hat daher eine Konturierung des religiösen Moments lediglich im subjektiven Gefühl deutliche Grenzen. Ein personales Element ist im Tanz, der nicht die Tänzerin und ihre materielle Körperlichkeit auslöschend nur abstrahierend von geistigen Wirklichkeiten sprechen will, stets im Spiel. Es gilt also, die Materialität der ästhetischen Erfahrung nicht gegen das Geistige einer spirituellen Erfahrung auszuspielen. Die Tatsache, dass es sich beim Tanzen um – in der Bandbreite unterschiedlicher Stile – bewegte Körper handelt und 523 524 525 526

Vgl. zum folgenden Gedankengang Huizing 2015, 299 f. Vgl. Huizing 2015, 300. Gräb 1998, 66. Vgl. Huizing 2015, 303.

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dass diese auch geschlechtlich codiert sind, macht gerade das Spezifische möglicher religiöser Erfahrungen aus. Tanz integriert das Leibliche in die Religiosität, so dass die Bedeutung des eigenen Daseins als leiblicher Mensch Eingang findet in die Welt religiöser Deutungen der Betroffenen. Tanz verschafft zudem Erfahrungen, die die Welt der Zuschauenden nicht nur durch außeralltägliche Erlebnisse öffnen, sondern mehr noch die Möglichkeit beinhalten, einen Bruch mit dem Gewohnten zu inszenieren. Dieser kann die Rezipienten in einer Weise berühren, dass die Erfahrung eine Art Autorität gewinnt. Die Erfahrung wird bedeutsam, weil sie erlernte Vorstellungen von Beziehung zwischen Menschen, zu sich und dem, was das Leben bedingt, neu formatiert. Dadurch wird eine nur subjektive Gefühligkeit überwunden. An dieser Stelle lohnt sich daher noch einmal ein Blick auf Schmitz’ Gefühlstheorie, dessen Thema die Überwindung eines subjektiven Konzepts von Gefühl in phänomenologischer Perspektive ist. Für die hier vertretene Überzeugung der überpersönlichen Bedeutung von Gefühlen hat sein Ansatz sowohl Stärken als auch Grenzen. Ästhetische Erfahrung erschöpft sich mit Schmitz nicht unbedingt in einem nur subjektiven Gefühl. Der Philosoph widmet sich einer Rekonstruktion der Geschichte der Gefühle im Abendland. Gefühle seien keine lediglich inneren Zustände von Individuen, sondern Teil eines Umfassenderen, der Atmosphären. Gefühle sind überpersönliche, räumlich ergossene Atmosphären, die ebenso als ergreifende Mächte Subjekte durch affektives, leibliches Betroffensein heimsuchen, wie nach Art des Wetters gleichsam ,in der Luft liegen‘ und sich als objektive Gefühle, um umschriebene Gegenstände verdichtet, der Wahrnehmung darbieten können.527

Diese Atmosphären betten Leiber ein oder suchen sie heim. Menschen werden von Atmosphären affektiv betroffen. Nach Schmitz ist das Göttliche eine Atmosphäre, die mit der Autorität von Gefühlen auftritt. Dieses Heilige trete so ernst auf, dass es eine Verpflichtung mit sich bringe528 Atmosphären könnten sich auch im Personalen inkarnieren. Josuttis bestimmt ähnlich wie Schmitz den Unterschied von ästhetischer und religiöser Erfahrung mit der gesteigerten Intensität letzterer, die mit Macht ein „Körpergeschehen“ auslöse.529 Dieses Denkmodell ist zugegebenermaßen verlockend, um zur Behauptung fortzuschreiten, in Tanzgruppen manifestiere sich Heiliges durch das gemeinsame Einschwingen in die Tänze und die dadurch produzierten Atmosphären. Einzelne Wahrnehmungen könnten dies stützen. Allerdings möchte ich diesen Gedanken weniger stark machen. Denn das Bild vom Religiösen, das mit Macht Menschen ergreift, stellt meines Erachtens eine Engführung dar. Demgegenüber ist die Wahrnehmung ins Spiel zu 527 Schmitz 1964, Bd. 3.2, 80 f. 528 Vgl. Schmitz 1990, 442. 529 Vgl. Josuttis zitiert in: Mertin 1998, 250; Huizing 2015, 304.

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bringen, dass sich in den Berichten Tanzender selten ein spektakuläres, überwältigendes Erlebnis findet. Das Erleben schlichter Gesten der Zuwendung des Händereichens, das Staunen über die langsame Vertiefung eines Daseinsgefühls durch die Übung einfacher Schrittformen, das Erspüren des Humanen an den eigenen und fremden Grenzen sowie das unverhoffte Glück in der Improvisation legt es nahe, nach anderen, passenderen Bildern zu suchen. Im Zusammenhang mit der Erfahrung Tanzender hat sich Transformation als heuristische Kategorie erwiesen. Spirituell wird es, wenn Menschen tief berührt werden, wenn sie geweitet werden (Entgrenzung) oder zu ihrer Mitte gelangen (Zentrierung). Die Vorstellung von Transformation ist weder auf ein plötzliches Ergriffensein noch auf das Allmählich-Prozesshafte von Veränderungen festgelegt, vielmehr ist m. E. beides mit diesem Begriff verknüpft. Transformation im Sinne der von Fischer-Lichte dargestellten Wirkungen einer Performance, sei diese angesehen oder selbst vollzogen, kann temporär oder nachhaltig sein. Ein Zwischenzustand wird erreicht und wieder verlassen. Das Erfahrene hinterlässt Spuren. Die Rede von Transformation in den Traditionen christlicher Spiritualität gehört zu den zentralen Themen. Menschen sind auf dem Weg zu einem Leben, in dem sich zunehmend die Verbindung zum Göttlichen manifestiert, ohne dass damit der Gedanke verbunden wäre, sich selbst aufzuwerten. Spiritualitätspraxis rechnet mit Gottes Wirken und gleichzeitig mit der Widerständigkeit des Menschen in seiner leibseelischen Situiertheit. Luther spricht davon, wenn er sich und die Menschheit generell vor Gott als „Bettler“ bezeichnet.

6. Spirituelle Transformationen im Kirchen-Tanz Transformation ist neben communitas eine der Kategorien, die sowohl für ästhetische Erfahrung in durch Kunstbegegnung initiierten Schwellensituationen (Fischer-Lichte) als auch in dem, was unter christlicher Spiritualität verstanden werden kann, von Bedeutung ist. Für die Spiritualität des Kirchentanzes ist sie ein zentrales Merkmal, das sich wie ein roter Faden durch die Berichte der Tanzenden zieht. Sowohl in der Rezeption von (Kunst-)Tanz als auch bei der aktiven Teilnahme am Tanzen, das sich in der Gleichzeitigkeit von Perzeption und Performanz vollzieht, ist das Erreichen eines Schwellenzustands möglich, in dem sich verschiedene Arten von Transformation ereignen können. Dabei ist zu denken an die häufig zitierte Erfahrung der Präsenz, getönt von einem als gnadenhaft erlebten Da-sein-Dürfen, ebenso wie die zahlreichen Erfahrungen von gesteigerter Bereitschaft, sich selbst als schön, lebendig, verbunden und in Ordnung anzunehmen. Alle Erfahrungsberichte, die zeigen, wie Menschen sich durch den Tanz momentan geweitet oder zentriert fühlen, aber auch langfristig neue innere Haltungen den eigenen

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Fehlern gegenüber erworben haben, reden von Transformation. Spirituelle Praxis konstituiert sich als transformierende ästhetische Erfahrung in den Figurationen des Tanzes. Anders als Lauster unterscheide ich nicht zwischen ästhetischer Erfahrung, die vage ist, und religiöser Erfahrung, die mit den Gehalten der Religion zu tun hat. Durch die konsequente Orientierung an einem kunstwissenschaftlichen Begriff ästhetischer Erfahrung konnte in dieser Arbeit gezeigt werden, dass performativen Kunstwerken wie Tanz, denen eine eigenständige semantische Dimension fehlt, in der Rezeption in einem typischen Prozess des Oszillierens zwischen Präsenzerfahrung und Sinndimension Deutungen beigelegt werden. Der Begriff Rezeption muss hier unbedingt in dem Sinn verstanden werden, dass Tanzrezeption durch passives Ansehen von Tanz, aber auch durch den aktiven Vollzug von improvisierten und choreographierten Tanzformen zustande kommt.530 Besonders dann, wenn im Kirchenraum getanzt wird und Bezüge zu Liturgie, Bibeltexten und religiösen Haltungen wie Dankbarkeit, Freude oder Gottsuche vorhanden sind, fehlt es nicht an Nahrung für individuelle Deutungsleistungen. Der dem Tanz fehlende semantische Gehalt wird durch diese Bezüge ergänzt. Semiotische Analysen könnten sich den Einzelphänomenen annähern. Einzelanalysen sind jedoch nicht Gegenstand dieser Arbeit. Allerdings bleibt es dabei, dass es sich bei Tanzerfahrung auch um etwas Vages handelt. Das Erleben von Fülle, von Präsenz, einem qualifizierten Dasein (Enzner-Probst), dem Mitschwingen mit den Dingen dieser Welt, die Überwindung des Weltverlusts oder Wiedergewinnung eines Bezugs zur Erde (Gumbrecht) konnte als bedeutender Zug im Erleben vieler Tanzender dargestellt werden. Ist dieses Unbestimmbare, Atmosphärische (Böhme) ebenfalls als religiöse Erfahrung anzusehen? Gibt es nicht die Momente, in denen jeder Bezug zu Kirche, Theologie und christlichem Glauben völlig zurücktritt? Welchen Wert haben das Erleben von Resonanz, Öffnung, Kreativität, Ruhen oder Versenkung für eine christliche Tanzpraxis? Trotz der Fülle der Daten und den offenkundigen transformatorischen Leistungen des Tanzens im Leben der Individuen und im Gemeindegeschehen, in Kirchentag und Bibelarbeit sind solche Fragen immer noch zu stellen. Schließlich finden sich auch in der teilnehmenden Beobachtung (A 7.4) und in den Gesprächen (B) Anhaltspunkte für Tanzpraxis innerhalb kirchlich (organisierter) Tanzszenen, der es anscheinend nicht um christliche Religiosität geht, sondern eher um eine Form gefühlsorientierter spiritueller Vertiefung,

530 Auch aktiv getanzte Tänze haben einen Aspekt von Rezeption, da während des Vollzugs die Tanzenden das, was sie tanzen, z. B. das Kunstwerk der Choreographie aufnehmen und wahrnehmen. Es handelt sich beim Tanzen also um eine bewegte Form von Rezeption, die eben nicht nur Hören oder Sehen in Anspruch nimmt, sondern auch den kinästhetischen Sinn. Daher kann von aktiv oder passiv Rezipierenden im Tanz gesprochen werden. Auch sogenannte passive Rezipienten erleben ein Mitvollziehen durch somatische Resonanz.

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bei der kultur- und religionsübergreifend vieles willkommen ist.531 Im Diskurs der 1980er und 90er wurde daher vielfach das ,nur‘ Erlebnismäßige kritisch angefragt und der Wert der vorsprachlichen, nichtdiskursiven, nicht repräsentierenden Tanzpraxis angezweifelt (vgl. A 7.2). Das Verhältnis zwischen Tanz und Heiligem sei zu bestimmen, forderte Vogler. Am Ende vielgestaltiger komplexer Gedankengänge in dieser Arbeit kann es immer noch nicht mit Sicherheit bestimmt werden. Das Heilige, so würde ich vermuten, geschieht, indem es sich unvorhersehbar in den Figurationen des Tanzes den aktiv oder passiv Rezipierenden zeigt und diese mit einer gewissen Autorität (Schmitz), die auch eigene Haltungen zu Selbst, Welt und Gott angeht, temporär oder auf Dauer transformiert. Ob sich das Tanzen stets von (christlichen) Glaubensüberzeugungen und Suchbewegungen nach Sinn nährt, wie die anfänglich formulierte Arbeitsdefinition von Spiritualität lautet, ist nicht eindeutig nachzuvollziehen. Den Schluss zu ziehen, hier müsse nun jede einzelne Praktik gründlicher Prüfung und der Unterscheidung der Geister (Dahlgrün, Möller) unterzogen werden, halte ich jedoch keineswegs für zwingend, wie die folgende Überlegung – zugegeben etwas unorthodox – zu zeigen versucht. Das, was in der Tanzerfahrung vage bleibt, kann möglicherweise einen Platz im Gesamtbild erhalten, indem eine Denkfigur des jüdischen Theologen Michael Fishbane berücksichtigt wird. Fishbane fragt: „Sind wir lediglich natürliche Wesen, oder gibt es einen geheimnisvolleren Zugang zu unserer Existenz – einen, der zwar nicht von der Erde abgeschnitten ist, wohl aber zu sie übersteigenden Intuitionen und Realitäten übergehen könnte?“532 Darin liegt ein Interesse für das Spirituelle menschlichen Lebens, das gewissermaßen ins Leibliche und elementar Humane eingeschrieben ist, noch vor jeder expliziten Zuordnung zu irgendeiner positiven Religion. Dem Leben, so wie es ist, können schon durch bloße Evaluation Erkenntnisse entnommen werden. „Demzufolge lebe ich mit und vor einem konkreten Phänomen als ein empfindliches menschliches Subjekt – und nicht als ein entkörperlichter Verstand.“533 Wenn sich eine lebendige Beziehung zu den Dingen ergibt, kann sie Einklang (attunement)534 genannt werden: „Es gibt kein ,Selbst‘ hier und ,Objekt‘ dort: es gibt eher eine Zusammengehörigkeit, sozusagen eine Verstrickung, die meine Einschätzungen und Beurteilungen nur verdichten.“535 Unser bloßes Sein in einer durch menschliche Kultur und Sprache geformten Welt eröffnet Zugänge zu einer recht elementaren Spiritualität: „Language is thus both a symbolic form that abstracts us from the ,brute‘ facticity of things, and the means for their ,spiritual‘ appropriation and internalization.“536 Eine 531 Vgl. A 7.4.1.7 sowie K5–4–3 „Durch Tanzen kann ich meinen christlichen Glauben leben.“ Vgl. Anhang. 532 Fishbane 2012, 387. 533 Fishbane 2012, 388. 534 Vgl. Fishbane 2008. 535 Fishbane 2012, 388. 536 Fishbane 2008, 15.

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solche auch durch künstlerische Sprachen zu erreichende spirituelle Internalisierung von Welt schafft Einklang. Einklang ist nicht etwas, das wir der Welt hinzufügen, sondern der Kern unseres Lebensprozesses – verflochten mit und impliziert in der Offenlegung unserer Existenz für unser Bewusstsein. Auf diese Weise sind das Sehen und Hören der Welt, unser Sprechen zu Personen und das Antworten auf diese sowie unsere Beschäftigung mit Büchern, Musik und Kunst zu betrachten – alle beinhalten Zeit und Raum, und alle sind verschiedenartig durch unser Wissen, unsere Empfindsamkeit und unsere Werte konditioniert.537

Interessant ist nun, wie Fishbane diese bereits spirituell zu nennende Weltaneignung zu dem ins Verhältnis setzt, was im Judentum heilig ist, der Torah. Solche Vorgänge des Einklangs führen uns hin zu Gott, ohne von Gott zu sprechen; sie bereiten uns auf den Himmel vor, ohne vom Himmel zu sprechen; und sie offenbaren heilige Gebote, ohne sich jemals auf das Heilige als solches zu beziehen. All dies ist Geflüster von Theologie und deshalb etwas Großartiges und Wunderbares, aber wir selbst verbleiben innerhalb unseres normalen Bewusstseins unserer selbst als ,Gestalter‘ oder ,Erzeuger‘ von Erfahrungen. In uns als natürlichen Wesen könnte unser erhöhtes Bewusstsein eine geschärfte Wahrnehmung solcher poiesis einbringen; aber dies ist noch keine Theologie.538

Momente, in denen sich wie durch einen Riß etwas zeigt, ähnlich wie Gumbrechts Momente intensiver Gegenwärtigkeit, deuten die gelegentlich außeralltägliche Qualität auf dieser Erfahrungsebene an. Fishbanes Verweis auf Erhabenheit bietet einen Anknüpfungspunkt zur Bedeutung dieses Begriffs im frühromantischen Denken Wackenroders539. Plötzlich unseres kognitiven Halts beraubt, fühlen wir uns überflutet von diesem unaussprechlichen Geschehen, jenseits aller irdischen Wahrnehmung. Dies ist eine tiefgreifende Ehrfurcht. Dies bezeichnet das Judentum als yir’ah gedolah […] Gefühl des Großartigen und Erhabenen.540

Die Spiritualität des Einklangs ist Geflüster von Theologie. Sie hat ihren Wert und ihren Ort, ist jedoch noch nicht Theologie im Sinne einer von einer Hermeneutik der Torah durchdrungenen Weltwahrnehmung. Um diesen Ort genauer zu bestimmen, greift Fishbane auf eine traditionelle Unterscheidung zurück, und zwar die zwischen der geschriebenen Torah (torah shebiktav), deren Interpretationen und Überarbeitungen, der mündlichen Torah (torah 537 538 539 540

Fishbane 2012, 388. Fishbane 2012, 389 f. Vgl. Fritz 2011; Vgl. Barth 2004, 225–256. Fishbane 2012, 390. Fishbane gebraucht einen weitaufgespannten Begriff von yir‘ah bzw. jir’at. Üblicherweise wird darunter Gottesfurcht verstanden, etwa in den Gottesbegegnungen Gen 28,17; Ex 3,5; Ex 20,18–21 oder in der, im Glauben vollzogenen, Wahrnehmung von Gottes Handeln in Geschichte und Natur Ex 14,31, Dtn 10,20 f., Mi 7,15–17. Vgl. Neumann 2003, 467.

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she-be’al peh) und einer von Fishbane als primordiale Matrix bezeichneten torah kelulah.541 Letztere steht für Gottes ursprüngliche universale Wirksamkeit. Durch die geschriebene und mündliche Torah wird die ursprüngliche ins Leben und in die Kultur hinein vermittelt. Im Grunde liegt die torah kelulah nicht außerhalb von Theologie und Hermeneutik, sondern bildet ihre Basis. Sie ist „erfahrene Existenz“ und dadurch der Kern theologischen Bewusstseins. Diese nur im Erleben gegründete nicht formulierte Theologie mag sogar „eine theoretische Basis für eine Form primärer ontologischer Ethik liefern“, denn sie ist bestimmt durch Dankbarkeit für das Geschenk des Seins.542 Aus dem Wissen um die torah kelulah erwächst die Erkenntnis, wie das unruhige, von vielem abgelenkte Bewusstsein des Menschen, dessen Sinn für das Erhabene (yir’ah gedolah), mithin eine konsequent an der gegebenen Religion ausgerichtete Praxis ins Wanken oder in den Hintergrund gerät, wieder ins Lot kommt: „Fokussiere und lenke den Geist hin zu dem Geschehen von Dingen, die durch die Unendlichkeit der Existenz gegeben werden, und unterziehe Herz und Körper einem angemessenen Einklang des Geistes und der Bedürfnisse weltlichen Seins.“543 Fishbanes Modell stellt eine Möglichkeit dar, die körperorientierten performativen Praktiken des Kirchentanzes als Teil des Theologietreibens der Kirche zu würdigen. Es entlastet davon, Tanz, der per se genauso wenig wie Bücher, Bilder oder Musik heilig ist, immer wieder durch aufgesetzte christliche Deutungen religiös machen zu wollen. Des weiteren bietet Fishbane eine Zusammenschau von außeralltäglichen religiösen Erfahrungen und dem alltäglichen Üben und Ausrichten. Beides ist in der Wahrnehmung der Spiritualitätspraxis in kirchlichen Tanzszenen zu berücksichtigen. Im Folgenden soll Bilanz gezogen werden im Hinblick darauf, was Kirchentanz in Kirche und bei Einzelnen verändert und verändern könnte. Dazu nehme ich noch einmal einzelne Gedanken des bisher in der Arbeit Dargestellten auf und beziehe mich dabei vor allem auf die mit dem Phänomen in Bezug stehenden Diskurse in Philosophie, Theologie, Tanzwissenschaft und Geschichte des Kirchentanzes.

6.1 Transformation von spirituellen Formen durch Tanz Im Folgenden resümiere ich die Transformationen traditioneller Erscheinungsformen evangelischer Spiritualität, wie sie sich in den Relevanzsystemen Betroffener darstellen, und stelle sie in den Kontext der Reflexionen aus Teil A. Eine Vorentscheidung darüber, ob sich daraus Erfordernisse ableiten lassen, diese Erscheinungsformen dauerhaft zu verändern, oder ob es sich um 541 Vgl. Fishbane 2012, 391 f. 542 Fishbane 2012, 392. 543 Fishbane 2012, 393.

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ein Möglichkeitsspektrum temporärer für die Dauer des Ereignisses erfahrbarer Transformationen handelt, ist damit noch nicht getroffen. Betrachtet werden Gebet, Bibelbegegnung, Gemeinschaft und Gottesdienst. 6.1.1 Gebet: vom gesprochenen zum getanzten Gebet Eine Voraussetzung dafür, sinnvoll von einem körperlich vollzogenen Gebet sprechen zu können, ist die in der phänomenologischen Philosophie des 20. Jahrhunderts erreichte Überwindung des Leib-Seele-Dualismus. Körper sind nicht mehr als geistlose Materie zu sehen, ihnen eignet eine besondere Form des Denkens, Wissens und der Sprache. In der phänomenologischen Bildungstheorie wird der vorprädikative Charakter und eigene Wert der Sprache des Tanzes betont. Außerdem wichtig für das Verständnis von getanztem Gebet ist die Erinnerung an den sozialen Charakter von Tanz. Durch Mitahmung entsteht Kommunikation und Resonanz unter den Betenden. Theologisch kann gesagt werden, dass auch in der Körpersprache der Heilige Geist wirken kann. Menschen sind mit ihrem Körper Ebenbild Gottes. Christen erwarten nicht die Erlösung vom Leib, sondern im Leib (Berger). Die Seele (näfäsch) oder Lebenskraft ist zudem nicht abstrakt geistig zu denken, sondern im Zusammenhang mit der Körperlichkeit zu begreifen. Martha Graham nennt Tanz die Sprache der Seele. Die Lebenskraft des Menschen manifestiert sich unter anderem im Atem, von dem auch jeder Tanz lebt. In Anna Halprins Tanzverständnis ist Tanz sichtbar gemachter Atem (breath made visible). Mit Moltmann ist von einem Gott zu reden, der sich durch Beten bewegen lässt und der uns Menschen in Bewegung bringt. Im Gegensatz dazu ist in lutherischer Spiritualität allerdings das Gebet in ruhig gestellter Körperhaltung, im Sitzen oder Stehen typisch. Besonders die Psalmen wenden sich an den bewegenden beweglichen Gott. Die Möglichkeit seiner Abwesenheit wird ebenfalls in den Psalmen thematisiert. Gerade Psalmen bieten Tanzenden theologische Themen für das Gebet und inspirieren zu Choreographien. Gebet an sich ist bereits performativ, da es flüchtig ist und seine Wirkungen von der leiblichen Realisierung in Stimme, Haltung und körperlicher Energie mitbestimmt werden. Daher hebt Enzner-Probst die Bedeutung der Körperlichkeit für die Liturgie hervor. Ein Gebet hat mit einem Tanz gemeinsam, dass beide präsentative Symbole sind, mithin ihre Bedeutung im Prozess des Vollzugs schaffen. Die Diskurse in der praktischen Theologie und in den Schriften der Kirchentänzer greifen leibfreundliche Strömungen der Theologie auf. Teils verweisen sie auf körperlich (mit-)vollzogene Gebete anhand des Beispiels der Gebetsgebärden des Heiligen Dominikus und die Praktiken in anderen Kulturen und Religionen (Derwischtanz; klassischer indischer Tanz). Zum Teil manifestiert sich im Zuge solcher Überlegungen auch ein verkürztes Tanzverständnis. Ronald Sequeira sah die Chance von Tanz beinahe nur im Gebet. Er erstrebte eine liturgische Gebärdensprache

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aller Christen und wollte von dort aus die Liturgie erneuern. Unter den Tanzenden finden sich – wenig überraschend – nur vereinzelte Voten, die ein gesprochenes Gebet bevorzugen. In der Praxis ist ein getanztes Gebet eine selbstverständliche Vorstellung. Auch wenn immer wieder Sequeiras enges Tanzverständnis kritisiert wird, finden sich doch zahlreiche Stimmen, die ebenso wie er eine Kirchenreform auf dem Weg der Erneuerung der Liturgie mittels Bewegung und Tanz erhoffen. Aus diesem Anliegen heraus sind in der Kirchentanzbewegung Erfahrungen gesammelt worden, die sich in der Forderung resümieren lassen, dass Tanz als liturgische Sprache im Gottesdienst Raum benötigt. Dabei geht es um Raum in der Liturgie und Raum in der Kirche im buchstäblichen Sinn. In der Praxis haben sich mehrere Wege herauskristallisiert, um von einem getanzten Gebet sprechen zu können. Die Wege lassen sich nach dem Grad staffeln, in dem der Tanz als Sprache sui generis aufgefasst wird. Erstens werden gesprochene Gebete durch Tanzbewegungen kommentiert oder ausgelegt bzw. einem Körpererleben zugänglich gemacht. Dies ist der Fall bei den zahlreichen Varianten des getanzten Vaterunsers (vgl. u. a. von Naso) und anderen Gebetstexten. Zweitens werden gesprochene und getanzte Gebete nebeneinandergestellt. Die Bewegungen verstehen sich in diesem Fall nicht als direkte Interpretation der Worte. Einem gesprochenen Gebet folgt ein getanztes Gebet (vgl. Tanzgottesdienst von G; G7). Drittens gibt es das Modell des Körpergebets. Dabei werden Bewegungen ohne erklärende Worte vollzogen (vgl. u. a. die Urgebärden von Willigis Jäger/Beatrice Grimm)544. Verschiedene Bewegungsrichtungen und -qualitäten werden einbezogen, ein Körpergefühl545 entsteht. Viertens empfinden Tanzende ganze Tänze entweder als Gespräch mit Gott oder als Bewegen in der Gegenwart Gottes. Zum differenzierten Ausdruck und zum Reagieren auf die dadurch entstehende Resonanz mit einem göttlichen Gegenüber im Zwiegespräch führen eher Improvisationstechniken als vorgeschriebene Schritte oder Haltungen. Getanzte Gebete haben ihren Ort in Gottesdienst und Andacht. Insbesondere die improvisierte Zwiesprache bedarf jedoch keines strukturierenden Rahmens und keiner Tanzgruppe. Ein getanztes Körpergebet eröffnet die Chance, in der persönlichen Spiritualität Erfahrungen im Spektrum von Gefühlen und Stimmungen im Vorsprachlichen, der Suche nach Begegnung und Kontakt mit dem Grund, der das eigene Leben trägt bis hin zum tänzerischen Gestalten des persönlichen Dialogs mit einem personal vorgestellten Gott und der vorgeformten Bewegung zu verbalen Gebeten wie Psalmen zu machen. Die individuelle und kollektive Gebetspraxis im Protestantismus wird transfor544 Julia Koll analysiert das Erleben verschiedener Formen von Körpergebet. Vgl. Koll 2007. Obwohl in den Gesprächen kein Beispiel von Körpergebet erwähnt wird, ist es an dieser Stelle um der Systematik willen aufzuführen. Eigene Erfahrungen bestätigen die Praxis des Körpergebets in den untersuchten Szenen. 545 Für Präzisierungen siehe Koll 2007.

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miert durch die Erweiterung der Formen. Mut und Möglichkeit zu persönlichen Arten, sich an Gott zu wenden mit allem, was das Selbst ausmacht, scheinen im Feld des Kirchentanzes durch die unterschiedlichen Angebote kultiviert zu werden. Wie entschlossen sich jemand in so einer Begegnung riskiert oder zeitweise regredierend Geborgenheitsgefühle pflegt, ist individuell verschieden. Der Unterschied kann nicht von vorneherein am Tanzstil festgemacht werden. Einerseits sind auch in der Improvisation bei Ungeübten mitunter Tendenzen zu Wohlfühlbewegungen zu beobachten, andererseits findet sich auch in Kreistänzen eine große Ernsthaftigkeit und Präsenz im Vollzug. 6.1.2 Bibelbegegnung: vom gelesenen und rezitierten zum getanzten Wort Bibelarbeit ist im Protestantismus in der individuellen Praxis und in Gruppen bis hin zu großen Massenveranstaltungen (Bibelarbeit auf dem DEKT) verortet. Die lutherische Denkvoraussetzung für die Freiheit von Laien, sich selbständig mit biblischen Texten auseinanderzusetzen, liegt im Priestertum aller Getauften. Auch die Bibliodramaarbeit, bei der ein ähnliches Körperverständnis wie im Tanz zugrunde liegt, begründet sich durch diese reformatorische Ermächtigung von Laien. Im Zusammenhang mit Tanz ist eine doppelte Hermeneutik gefragt. Einerseits geht es um das Erschließen der biblischen Texte, andererseits entstehen durch den Tanz neue Texte, semiotische Gebilde, deren Lektüre ebenfalls erst erlernt werden muss. Diese Schwierigkeit wird greifbar an einem Beispiel aus der teilnehmenden Beobachtung. Zu einem Liedtext, der einen mir fremden theologischen Gestus hatte (ein Libretto, kein Bibeltext), trat eine Bewegung im Tanz, deren Gestus mir ebenfalls fremd blieb. Im Idealfall sollten sich die Bewegungen des Bibeltextes und die des Tanzes gegenseitig erschließen und eine Gestalt oder Figuration bilden, in der sich das eigene Leben neu anschauen lässt und die für die Beschäftigung mit dem Bibelwort öffnet. Um mit Tanz als Mittel der Textinterpretation umzugehen, muss die Sprache des Tanzes erlernt werden. Sowohl in den Diskursen der Kirchentänzer (Mann) wie auch in den Gesprächen (vgl. B 2.7.3) findet sich diese Forderung wiederholt. Die bibliodramatische Tanzarbeit eröffnet Raum für Veränderungen im Gottesverständnis. Tanzende berichten zudem davon, dass die Bibelarbeit ihr Tanzverständnis erweitert habe. Semantische Verwandtschaft wird entdeckt zwischen Grazie, grace und Gnade. In der Bibelarbeit setzt beispielweise eine Tänzerin die eigenen Erkenntnisse in einer Choreographie für die Gruppe um. Der Umgang mit der Rolle in der Gruppe hat etwas mit ihrem Bibelverständnis zu tun, die Bibel sieht sie als für Laien zugänglich. In der Auslegung geht sie von mehreren Dimensionen des Textes aus, die unterschiedliche Resonanz hervorrufen. Die Reaktionen helfen, Begriffe zu erschließen. Widerstände gegen den Text können auch zutage treten.

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Im Feld Kirchentanz begegnen unterschiedliche Weisen, tanzend mit Bibeltexten umzugehen. Anzutreffen ist zum einen die Bibelandacht, vorbereitet von einer Tanzleiterin, die sich durch die individuelle Arbeit am Text und durch das Gebet öffnet für Motive und Themen und davon ausgehend nach Resonanz in bereits existierenden Choreographien sucht, aber auch neue Choreographien aus solch existenzieller Lektüre entstehen lässt. Tanzende werden in solchen Angeboten formgebundenen Gemeinschaftstanzes etwa in Bibel getanzt von Sr. Monika Gessner (OP) mit einer Bibellesung konfrontiert und anschließend in die Tanzschritte, denen vorsichtig relativ weite Deutungen kommentierend hinzugefügt werden, eingeführt546. Den Tanzenden bleibt es überlassen, ob sie den Interpretationen der Tanzleiterin folgen, in den Bewegungen eigene Bezugnahmen zum Text erleben oder dem Text lediglich bei den sich wiederholenden Tänzen selbständig nachsinnen. Formen wie die bewegte Bibelarbeit547, bibliodans548 und Bibliotanz 549 setzen auf Improvisation, einzeln und in der Gruppe. R bekennt sich zur strukturalistischen Exegese, die es ihr erlaube, die Elemente des Textes auszumachen, die mit Raumvorstellungen und kinästhetischen Kodes zusammenhängen. In bibliodramatischen Tanzformen spielen die individuelle Aneignung der Texte und die Kombination mit Gesprächen eine große Rolle, während die Essenz der Erfahrung in Bibel getanzt eher im wortlosen meditativen Nachvollzug liegt, im „Nicht-mehr-Machen, sondern Sein“550. Ein Mehrwert von Tanz in der Bibelarbeit besteht darin, dass Tanzsettings bestimmte, tanzaffine Menschen motiviert, sich mit einem biblischen Text zu beschäftigen. Der Tanz trägt durch die Mischung von Ausdrucks- und Eindrucksgeschehen dazu bei, eindrückliche, nachhaltige Erlebnisse mit Texten hervorzubringen. Unabhängig von theologischer Vorbildung gewinnen Menschen neue Einsichten und Einstellungen. Eine Tänzerin erzählt: „Ja, als ich damit [dem Text aus dem Buch Exodus] gearbeitet hab, war ich erst total fasziniert und dachte: Wow, Mose war ein ganz Großer“ (Be33). R beobachtet bei Teilnehmerinnen eines Tanzseminars mit Paulustexten: „Die meisten dachten, Paulus ist verrückt und das ist ein dogmatischer Mann, und dann haben die getanzt mit einem kleinen Textteil und … dann: vielleicht hm, ist das doch nicht so doof.“ (R19). Tanz lässt eine Spiritualität, die auch heute noch bereit ist, sich an Bibeltexten zu schulen, persönlich relevant werden. Tanzende bringen das, was sie berührt, in Bewegung. Sie gestalten ihre Fragen und Antworten tänzerisch und 546 Vgl. http://www.institut-st-dominikus.de/Exerzitienhaus/Bibelgetanzt.htm (2016/08/12). 547 Vgl. Pfr. Sebastian Kühnen, http://www.kreativertanzundbewegtebibelarbeit.de/ (2016/08/ 15). 548 Vgl. Ri tte Beurmanjer, werkplaats voor dans en christelijke spiritualiteit, http://www.riettebe urmanjer.nl/ (2016/08/15). 549 Vgl. Astrid Thiele-Petersen, http://www.astrid-thiele-petersen.de/?c=bibliotanz&m=tanz (2016/08/03). Vgl. Thiele-Petersen 2018. 550 Vgl. http://www.institut-st-dominikus.de/Exerzitienhaus/Bibelgetanzt.htm (2016/08/12).

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sprachlich-kommunikativ. Daran wird nicht nur sichtbar, dass Tanzende selbstbewusst Spiritualität als individuell gestaltete Praxis verstehen, sondern diese Spiritualität durch den Austausch in der Gruppe vielfach andere anregt. 6.1.3 Communio: in, mit und unter dem Tanz Leib Christi werden Christenmenschen, die miteinander tanzen, kommen in Kontakt miteinander. Wer sich bewegt, gerät unweigerlich in Kontakt (Enzner-Probst). Performativitätstheoretisch ergibt sich im Zustand der Liminalität eine besondere Form von communitas (Fischer-Lichte, Enzner-Probst). Beziehung ereignet sich, das ist schön. Es ist eine Schönheit nach dem Vorbild Gottes. Theologisch hat der Begriff Schönheit nichts mit einem ästhetischen Ideal zu tun, sondern vor allem mit Relationen. Gottebenbildlichkeit verwirklicht sich auch in der Aufnahme von Beziehung. In der Trinität ist communio (K. Barth) vorgebildet. Beziehung zieht Kontakt und Berührung nach sich.551 Dies geschieht physisch intensiv in der Kontaktimprovisation oder im argentinischen Tango, weniger dicht mag die Berührung in Kreistänzen oder je nachdem in tanzdramatischen Formen sein. Berührung geschieht allerdings auch unter der Haut in der Psyche, ist also nicht allein auf physischen Kontakt beschränkt. Tanzen transformiert Vorstellungen vom Leib Christi. Gemeinschaft oder communio verändert sich von einer theologischen Denkfigur hin zu einer Erfahrung realer Körper. Für diese Überschreitung traditioneller Spiritualität ist der von Enzner-Probst geprägte Begriff Corporealität aussagekräftig. Er verweist auf die Notwendigkeit, Angelegenheiten des Leiblichen, reale Lebenserfahrungen, Hunger, Gerechtigkeit und Freude an Schönheit mit in den Kreis zu nehmen, um den Altar im Abendmahl und in den Tanzkreis. Theologisch bedeutsam für Überlegungen des Christusbezuges von Kirchentanz sind Gedanken aus der Befreiungstheologie: der Leib wird im Leib Christi zum Symbol für die göttliche Segensfülle. In, mit und unter Leben und Leiblichkeit ist, nach Stählin, Christus in seiner Kirche anwesend. Dies hat für die Anwesenden transformatorische Wirkungen (Josuttis). Am Beispiel des Abendmahls zeigt auch Bieler, dass der Leib Christi sich real in den Körpern der Anwesenden verleiblicht. Christliche Existenz verwirklicht sich unter anderem in sakramentaler Durchlässigkeit (Bieler/Schottroff). Ich verstehe dies so, dass im Körper der Anderen das Angebot für Beziehung gesehen werden kann. So kann ein Mensch bereit werden, die Auferstehung des Leibes zu feiern. Im Tanz kann communitas (Enzner-Probst) erfahren werden. Sie öffnet und gibt eine Grundtönung dafür, im Christusbezug auch communio zu erfahren und dadurch verändert zu werden. Communitas entsteht durch das Teilen von Erfahrungen, die Resonanz zwischen Zuschauern und Tänzern, aber auch durch soziale Faktoren. Im Kirchentanz bilden sich einzelne Szenen oder 551 Vgl. Schmidt/Schetsche 2012. Vgl. Huschka 2012a.

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communities, die in sich Kohärenz besitzen, wenn ein Musikgeschmack geteilt wird und sich Präferenzen im Kleidungsstil vereinheitlichen. Durch Musik kann Verbundenheit gespürt werden. Wo Kreistänzer den Kreis schließen und lostanzen, kann eine Art Ring der Solidarität entstehen (Enzner-Probst). Tanzende meinen, es sei faszinierend, ein Kreis zu sein und gemeinsam etwas auszudrücken. Durch Sharingphasen in Tanzgruppen kommt es zu weiterer Resonanz, die Adhäsion innerhalb der Gruppe steigert sich. Der Körper wird neuentdeckt als durchlässig, aktiv und pathisch, statt ihn als autonome abgeschlossene Größe zu sehen. Dies lässt mit dem Symbol des Leibes Christi entsprechend neue Erfahrungen machen. Wenn die Gemeinde sich als Leib Christi begreift, beginnt sie Subjekt liturgischer Gestaltung, nicht nur Konsumentin zu sein. 6.1.4 Gottes Dienst im Tanz Gottesdienste mit Tanz und Tanzgottesdienste bieten eine Transformation der üblichen Formen. In den Prozess der Liturgie werden Formen eingespielt, die Prozesse sichtbar machen. Tanz braucht sich nicht auf die in den Anfängen der Bewegung so stark gemachte Erwartung beschränken, den Festcharakter der Feier zu intensivieren. Gottesdienst hat mehr Möglichkeiten als diejenige, ein fröhliches Fest zu bieten. Tanz ist auch nicht nur ein Instrument, um die Gemeinde mehr zu beteiligen (und sie teils damit zu überfordern). Kunsttanz kann im Dialog mit Themen und Texten, mit Lesungen und Predigt ästhetische Erfahrung bieten, ein Erlebnis, das Rezipienten sowohl zu eigenen Deutungen motiviert, wie auch jene durch dessen Performativität in eine Schwellenwelt führt, in der Raum ist für die Transformation von Gedanken und Gefühlen. Die Liturgik im 20. Jahrhundert hatte den Gottesdienst vermehrt von der Leiblichkeit her gesehen. Stählin begriff daher Ästhetik im Sinne von Aisthesis als Thema der Liturgik. Guardini verband in der kulturellen Krise nach dem Ersten Weltkrieg Hoffnungen mit liturgischer Bildung. Sein Anliegen bestand darin, den Anwesenden bewusst zu machen, dass sie es sind, die die Liturgie im Fluss halten. Seine Betonung des Vollzugs verweist bereits auf die Bedeutung der Kategorie Performativität für künftige Liturgik. Die Liturgie sah Guardini als Kunst, die Menschen transformiert. Sie bietet einen Rahmen für das absichtslose Spiel vor Gott. Das Spiel stellt einen Gegenpol zum Ernst der Liturgie dar. Mit Guardini kann Tanz, der den Fluss der Liturgie hemmt, kritisch gesehen werden. Seine Liturgik sensibilisiert für Körperwahrnehmung und den bewussten Vollzug von Gebärden, ein Anliegen, das auch im Diskurs der Kirchentänzer vielfach aufgenommen wird (Pahl; Berger u. a.). Die Überwindung des im Diskurs oft vertretenen Ideals des Gottesdienstes als fröhliches Fest – da Tanz und Gottesdienst Affinität zum Fest haben (Berger) – kann mit den Bedenken Josuttis’ und Martins begründet werden, die sich kritisch gegen die Verharmlosung religiöser Elementarphänomene wenden. Sie wollen vielmehr ein Bewusstsein schärfen für heilige Orte. Das leibliche

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Verhalten im Gottesdienst wird in seiner wirklichkeitserschließenden Kraft gedeutet. Der Körper selbst ist als Raum zu sehen (Leibraum), im Zwischenraum der Körper entstehen Atmosphären. Hier setzt der Mehrwert phänomenologischer Beschäftigung mit dem Gottesdienst an (Bieler). Daher vertrete auch ich selbst eine Praktische Theologie, der es nicht darum geht, festzustellen, wie es „richtig“ ist, sondern zu zeigen, in welchen Figurationen sich etwas ereignet. Das Performative, nicht Festgeschriebene kann positiv gewertet werden. Performativ handeln ist kein Tun „als-ob“, sondern ein aktuelles Tun im Hier und Jetzt. Gottesdienst findet in Deutschland prinzipiell in einem multikulturellen Kontext statt, es mischen sich verschiedene Milieus, Lebensstile und Präferenzen. Was immer sich in so einem Gefüge ereignet, ist mehrdeutig (Bieler). Enzner-Probst entdeckt in den ästhetischen Liturgien der 1990er, zu denen auch die Tanzgottesdienste gehören, die Erfahrung, den eigenen Körper explorieren und feiern zu können. Sie entwirft ihre Liturgik in der Erwartung, die Erfahrung aus getanzten Liturgien für die Veränderung der Gottesdienstpraxis fruchtbar machen zu können. Im Diskurs der Anfänge ist gerade diese Hoffnung noch besonders stark. Berger und andere betonen, dass der Fortschritt solcher Reformen an Bedingungen geknüpft ist. Die Gemeinde müsse die Körpersprache sprechen und verstehen lernen. Tanz würde jedoch immer ein exotisches Element im Gottesdienst bleiben, wenn er nicht Teil persönlicher Frömmigkeit werde. Eine liturgisch adäquate Tanzsprache sei erst zu entwickeln (Vogler). Um mit Tanz stimmige Gottesdienste feiern zu können, werden verschiedentlich Thesen entworfen. Sie sind von der Überzeugung getragen, beim Gottesdienst handle es sich um den „Kristallisationspunkt des Gemeindelebens“552. In der Praxis sind die Erfahrungen ambivalent, wie ich in der teilnehmenden Beobachtung feststellen konnte. Freie Liturgien scheinen Liturgen mitunter zu viel Macht zu verleihen. Freie Bewegungen im Gottesdienst stehen in der Gefahr, klischeehaft zu werden. Gebundene Bewegungen schränken den authentischen Ausdruck ein. Das Prinzip der Freiwilligkeit muss immer bewusst gemacht und geschützt werden. Andererseits kann es auch in den durch Texte, Musik, eigene Bewegung und Reflexion entstehenden Figurationen zu tiefen Erlebnissen kommen, etwa einer Erfahrung, die den Rechtfertigungsglauben erschließt (A 7.3.2.2). Die in A 7.4.3.2 ermittelten Typen erweisen sich angesichts der in B 2 sichtbar gewordenen Vielfalt als (erweiterbare) Möglichkeit, die Gottesdienste im Hinblick auf das Zusammenspiel von Wort und Tanz zu ordnen. Weitere Typologien ergeben sich, wenn die Rahmung verglichen wird, und zwar durch die Unterscheidung zwischen liturgischem Tanz im Gottesdienst oder in besonderen Tanzgottesdiensten (vgl. B 2.6.1). Auch die verwendeten Tanzstile sowie die Akteure – professionelle Tänzer_innen oder Laien, einzelne, Gruppen oder die ganze Gemeinde – verändern jeweils das Bild und die 552 Büsing/Kies 2000, 20.

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Wirkungen. Um diese Wirklichkeit angemessen zu erfassen, wären zusätzliche empirische Forschungen notwendig, die eine große Zahl solcher Gottesdienste untersuchen. Allerdings sind Tanzgottesdienste und Gottesdienste mit Tanz auch in der Gegenwart ein marginales Phänomen geblieben, was den Nutzen einer solchen quantitativ-empirischen Erforschung in Frage stellt. Äußerungen von Tanzleiter_innen erklären zumindest ansatzweise, was die stärkere Integration von Tanz in das Gemeinde- und Gottesdienstleben hemmt. Gute Räume sind rar. Oft bleibt nur das Gemeindehaus. Kirchliche Amtsträger sind skeptisch gegenüber der Leitung einer Liturgie durch Laien. In den Gemeinden begegnen Tanzleitende Abwehrhaltungen gegenüber dem Wort Tanz oder vielmehr dem damit vermeintlich verbundenen Anspruch von Eleganz und Körperbeherrschung. Wünsche, durch Tanz konfessionelle Unterschiede zu überbrücken, scheitern manchmal an mangelnder Kompetenz in den Gemeinden, Ökumene überzeugend zu gestalten. Nicht zuletzt die Trennungen am Abendmahlstisch, die fehlende Freiheit zu gemeinsamer Eucharistie verhindert dies. Dem stehen zahlreiche positive Erlebnisse gegenüber, die in den Gesprächen ermittelt werden konnten. So ist es für die meisten selbstverständlich und plausibel, dass Tanz und Gottesdienst miteinander vereinbar sind. Zwar weiß man, dass die Beteiligung der Gemeinde an Grenzen stößt, oft gelingt es jedoch gut. Eine Voraussetzung dafür scheint zu sein, dass die Tänze in die Liturgie eingebunden sind, also als echte gottesdienstliche Handlung (Büsing) verstanden werden. Mit vielen Stimmen im Diskurs stimmt die Beobachtung Tanzender überein, dass ein nur vorgetanzter Kreistanz zur Aufführung gerät, was als Verrat an seinem meditativen Charakter empfunden wird. Anders ist es dort, wo die meditativen Tänze von der Gottesdienstgemeinde insgesamt vollzogen werden, etwa in einem speziellen Tanzgottesdienst. In so einem Rahmen schätzen es Tanzende, dass sich gegenüber dem herkömmlichen Gottesdienst ein nicht-hierarchisches Miteinander ergibt. Wo getanzt wird, ist auch mehr zu spüren. Tanzende schätzen häufig auch Berührungen im normalen Gottesdienst, wo sie sich anbieten (Friedensgruß, Segen). Es wird vielfach bestätigt, dass das sensibilisierte Körperbewusstsein Tanzender ihnen ein intensiveres Mitfeiern auch sogenannter traditionskontinuierlicher Gottesdienste (Raschzok) ermöglicht. Für mich waren die Berichte aus einer Gemeinde spannend, wo Tanz in politische Gottesdienste eingeflossen ist. Insgesamt scheint es, dass die Arbeit innerhalb des prophetischen Auftrags von Kirche, gesellschaftspolitisch etwas zu bewegen, die Chancen von Tanz noch sehr viel stärker wahrnehmen könnte und umgekehrt Tanzende sich durch ihre Kunst vermehrt für andere553 engagieren sollten. 553 Gemeint ist z. B. ein Tanztheaterstück zum Thema Flüchtlinge (ein solches wurde von mir für die Aufführung in der Neupfarrkirche Regensburg am 24. 04. 2016 konzipiert) oder die tanzpädagogische Arbeit mit Flüchtlingen, Jugendlichen und in der Arbeit zur Integration von Menschen mit Behinderung. Dies alles gibt es, bleibt aber bisher ein Randphänomen.

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Aus den Gesprächen und der Reflexion der Literatur ziehe ich den Schluss, dass Tanz im Gottesdienst langfristig nur dann eine Chance hat, wenn in der Kirche die liturgietheologische Aufgabe ernstgenommen wird, praxisorientiert an Anthropologie und Gottesbild zu arbeiten und das weithin schon gewonnene differenzierte, in Philosophie, Theologie, Tanzwissenschaft, empirischer Praktischer Theologie und Liturgik ausgearbeitete Körperverständnis noch viel konsequenter zur Basis der Gestaltungsaufgabe Gottesdienst macht. 6.2 Spirituelle Transformation des Lebens Formen von Spiritualität in den Kirchentanzszenen sind dann angemessen erfasst, wenn ihr Potenzial zur Transformation von Menschen berücksichtigt wird. Transformation ereignet sich in einer Bandbreite von wahrnehmbarer Veränderung von Haltungen sich selbst und der Welt gegenüber und dem liminalen Zustand, der im Tanz nur vorübergehend zu einem Erlebnis des Einsseins mit sich und der Welt führt. Letzteres ist deswegen auch eine Transformation, weil die Momente intensiver Präsenz – mit dem Gefühl, das es gut ist, wie es ist, der Zustimmung zum Ich mitsamt des Körpers – das Erleben, das im fragmentierten und funktionalisierten Alltag vorherrscht, temporär verändern. Zugespitzt kann gesagt werden: typisch für die Spiritualität des Kirchentanzes ist die Suche und Erwartung von Menschen, in den ästhetischen Figurationen von Tanzsettings transformierende Erfahrungen zu machen. Diese werden als unverfügbar verstanden. Sie sind nicht methodisch machbar. Lernerfahrungen Tanzender beziehen sich auf ihr Selbstbild (Selbstannahme) und auf ihren Umgang mit Lebensthemen bis hin zur Reaktion auf Bibeltexte und Gottesbilder. Das, was für die spirituellen Praktiken im Tanz charakteristisch ist, kann nur in Wechselwirkung mit den entsprechenden ästhetischen Erfahrungen beschrieben werden, die sich je nach Form und Stil unterscheiden. Das spannungsvolle progressive Sich-Riskieren in der Improvisation ist nicht ohne weiteres vergleichbar mit einem tendenziell regressiven meditativen Tanzen, bei dem es zu Ruhe und Versenkung kommt. Beides kann zu einer religiösen Erfahrung werden, muss es aber nicht. Ebenso wie die ästhetische Erfahrung ist die religiöse nicht machbar. Präsenzerfahrung sowie intuitives Verstehen und Deuten der polyästhetischen Eindrücke beim Tanzen ereignen sich unverfügbar. Als gemeinsame Merkmale von Spiritualität im Tanz können gelten: Erstens die zentrale Stellung des Körpers, zweitens die Rolle des Sozialen und drittens die hermeneutische Vermittlung von Tanz und Glaube. Diese drei Merkmale dienen allerdings nicht der Fest-Stellung einer Tanz-Spiritualität. Vielmehr zeigen sie einige Bedingungen an, die Tanz bieten kann für eine individuell gestaltete spirituelle Praxis, die sich von Glaubensüberzeugungen und Suchbewegungen nach Sinn nährt.

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• Der Körper ist zentral, da durch ihn Erfahrung gesucht und gebildet wird. Ein zeitgemäßes Kunst-Tanzverständnis kann auf die Materialität des Körpers nicht verzichten. Im besten Fall beschränkt sich seine Rolle nicht darauf, Durchgangsstation für höhere geistige Sphären zu sein, sondern er wird als Ort der Gotteserfahrung begriffen. Der resonante Körper wird im Erfahrungsfeld der unverfügbaren Wirklichkeit Gottes nicht einfach wie eine leere Buchseite von einer vorformulierten Bewegungssprache beschrieben, sondern ist „lebendiges Konglomerat“ (Huschka). Der Körper ist dann nicht allein Medium der Erfahrung, sondern die Art und Weise, wie Erfahrung zustande kommt. Vermittelt durch eine dementsprechende Art des Umgangs mit dem Körper, dem eigenen und dem anderer Menschen, kann sich Transformation erlernter dysfunktional gewordener Körperbilder ereignen. • Das Soziale zieht sich wie ein roter Faden durch alle Stile. Es ist im Tanz von hoher Bedeutung und zeigt sich in den gemeinsamen Figurationen, in gegenseitiger Wahrnehmung und vielfach in Berührungen. Dem glaubenden Subjekt wird durch die Spielregeln des Tanzes hindurch ein Raum eröffnet, in dem es sich auf den Anderen hin überschreiten kann. Eine von Subjektivität und Individualität geprägte Spiritualität kann sich transformieren in eine, die außerdem Intersubjektivität und Soziales zu schätzen weiß und solche Erfahrung bewusst zu gewinnen sucht. • Die fehlende semantische Dimension von Tanzbewegungen zieht die Notwendigkeit nach sich, hermeneutisch mit Tanz umzugehen. Einerseits liegt der Schlüssel zur Deutung in der Performativität des Tanzes, der durch körperlich-emotionale Affizierung rezipiert wird und im Individuum auf Stimmungen und biographisch bedingte Vorstellungswelten trifft. Andererseits kombiniert sich Tanz in der Kirche mit überlieferten Vorstellungswelten des christlichen Glaubens, die sich im Raum, den Themen, dem Kirchenjahr, der Musik und in Texten manifestieren. Im Zuge der Vermittlung tritt zudem der personale Faktor hinzu. Anleitende und KirchenTanz-Künstler sind Personen, in deren Lebensentwurf sich eine glaubwürdige Art darstellt, Spiritualität in, mit und unter dem Tanz zu leben und diese als Deutungs- und Praxis-Modell fortgesetzter unabschließbarer Transformation im Sinne einer Theologie auf dem Wege (theologia viatorum) anbieten. 6.2.1 Lernen und Heilsames erfahren Im Tanzen kann sich buchstäblich eine Haltung verändern, im übertragenen Sinn auch eine Einstellung zum Leben. Schon durch die phänomenologische Bildungstheorie war Kunst als Begleiterin in Lebensprozessen eingeschätzt worden. Der Mensch hat das Potenzial zur Veränderung. Er ist das nicht festgestellte Tier. Auch die Tanzenden sprechen davon, dass Tanz ihnen zur Lebensbegleitung geworden ist (B 2.1.2). Die Möglichkeiten des Lebens weiten

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sich, transformierende Wirkungen werden erfahren (B 2.1.3). Im Tanz wird Trost erlebt, er ist aber auch Quelle eines Lebensgefühls von Souveränität. Die in B 2.2.4 dargestellten Lernerfahrungen zeugen von einem Zuwachs an Resilienz, Kohärenz, Sozialkompetenz und einem verbesserten Körperbezug. Damit lässt sich die Wirkung der seelsorglichen Dimension von Kirchentanzangeboten beschreiben. In den Szenen sind zum Teil Tanzanleitende tätig, die über eine Ausbildung in Tanztherapie oder andere therapeutische Fähigkeiten verfügen. Besonders in Formaten, in denen mit Tanzimprovisation gearbeitet wird, treten Chancen für heilsame Lernerfahrungen zutage. Menschen lernen sich selbst besser kennen und lernen, sich anzunehmen wie sie sind (B 2.4.1; 2.4.2). In der „Bewegten Bibelarbeit mit kreativem Tanz“, in „bibliodans“, „Bibliotanz “ und vergleichbaren Angeboten stehen die Auseinandersetzung mit Lebensthemen im Licht biblischer Texte oder die Beschäftigung mit theologischen Themen (Passion, Trinität u.v.m.) im Mittelpunkt. Das seelsorgliche Potenzial biblischer Texte wie etwa die Heilung der verkrümmten Frau potenziert sich durch die Körperarbeit mit Tanz. Nicht zu unterschätzen ist auch die Tatsache, dass Tanz in die Beschäftigung mit Grenzen, Leid, Tod und Trauer eine Komponente einbringt, die Menschen zu einer veränderten Selbstwahrnehmung führt als lebendige, wendige und kontaktfähige Personen. Tanzen macht nicht zuletzt vielen einfach Spaß. Humor und Leichtigkeit sind Eigenschaften, die es Leitenden eigenen Berichten zufolge ermöglichen, die Teilnehmenden zu lockern. In einer Gruppe, die sich tanzend kennenlernt, besteht eine besondere Qualität des Kontaktes und des Vertrauens. Dies stellt für die in solchen Gruppen üblichen Gespräche eine wichtige Ausgangsbasis dar.

6.2.2 Medium, das Gefühle revitalisieren kann Tanz berührt Menschen und aktiviert vernachlässigte Gefühle, Energien und Antriebskräfte (Laban). Besondere Bedeutung hat das Erleben positiver Gefühle. Tanzende berichten von Leichtigkeit, Weite, der Erfahrung von Freiheit, Geborgenheit und Wohlbefinden (vgl. B 2.4.3). Angesichts des komplexen Entstehens von Gefühlen, wie es durch die Reflexionen von Schmitz, aber auch durch neuere neurophysiologische Forschungsbeiträge (Bauer; Damasio554) dargestellt wird, ist plausibel zu machen, dass für ein reicheres Gefühlsleben das Soziale und Körperorientierte des Tanzes förderlich ist. Die Geschichte des Defizits an Gefühlen in Theologie und Kirche kann an dieser Stelle nicht nachgezeichnet werden. Lauster weist prinzipiell auf den Ursprung des Ge-

554 Antonio Damasio spricht dem Gefühl eine eigenen Erkenntnis- und Orientierungswert zu. Vgl. Lauster 2010, 58.

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fühls im Sinnlichen hin. Außerdem eignet ihnen ein Widerfahrnischarakter.555 Er plädiert für die Wiedergewinnung eines ureigenen Themas der Theologie und die Rückbesinnung auf eine Traditionslinie, die durch eine stark wort- und sprachzentrierte Fassung des Glaubensbegriffs die Bedeutung des Gefühls für die Religion unnötigerweise in den Hintergrund gedrängt hat.556

Werden Gefühle neu als Quelle der Erkenntnis entdeckt, ist es denkbar und wünschenswert, auch die theologische Bedeutung von Gefühlen weiter auszuarbeiten. Einer Konkurrenz zwischen Verstand und Gefühl ist dabei entgegenzuwirken.557 Im Tanz stellen sich Menschen der Herausforderung, mit ihren Gefühlen umzugehen und die eigenen Grenzen kennenzulernen (vgl. B 2.4.4). In der Gruppe wächst auch der Mut, eigene Grenzen zu erweitern, vor allem aber die eigenen Ausdrucksmöglichkeiten auszuweiten (vgl. B 2.4.6). Der Kontakt zur eigenen Gefühlswelt kann herausführen aus Selbstbezogenheit, zum Mitgefühl anleiten und Menschen für das Leid anderer öffnen. Glaube als Kraft, die Leben und Leib verändert (Stählin), kann unter solchen Bedingungen wirksam ins Spiel kommen. Die Freiheit, sich mehr und weiter zu bewegen, und die Erfahrung, von anderen darin unterstützt zu werden, ist transparent für die Deutung auf das ermächtigende Wirken des Heiligen Geistes. Tanzformen, die Teilnehmenden Freiraum geben, sich auszudrücken, bieten grundsätzlich einen geeigneten Rahmen. Dazu gehören die Angebote im Spektrum von Tanzimprovisation, tanzdramatische Formen (Tanztheater, Bibelarbeit mit Tanz) und tanztherapeutisch angeleitete Einheiten.

6.2.3 Das Leben tanzen Nicht jeder Tanz ist ein explizites Gebet, eine Bibelauslegung oder Darstellung eines in der Liturgie angelegten Gefühls (Freude beim Gloria o. ä.). Die Chance von Tanz ist der Schritt ins Unbekannte, das Bewegen in Überschreitung der im Alltag eingefleischten Körperlichkeit. Wer improvisiert, entscheidet sich in jedem Moment neu, bewusst oder unbewusst, würdigt das Vorfindliche, die gesetzte Zeit, den Raum und die Mittanzenden durch die Offenheit, sich davon bewegen zu lassen, zu spüren, zu reagieren, zu genießen oder sich abzu-

555 Vgl. Lauster 2010, 60. 556 Lauster 2010, 61. 557 „Eine Theologie der Gefühle zielt nicht auf eine einseitige und ausschließliche Berücksichtigung der Dimension des eigenen Erlebens, ebenso wenig ist ihr an einer Auflösung dogmatischer Begriffe gelegen. Vielmehr geht es darum, den Zusammenhang zwischen Begriff und Gefühl zu erhellen.“ Lauster 2010, 63.

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grenzen.558 Die Bewegung des eigenen Lebens kann im Tanz gespiegelt, neu entdeckt und daraufhin angesehen werden, wo Transformation dessen was ist, möglich oder wünschenswert ist. Das Heilige eines solchen Tanzens ist nicht leicht in theologischer Sprache fassbar. Bonhoeffers Theologie, die in der Praxis seines Lebens entstanden ist, enthält einen m. E. kompatiblen Begriff von Heiligkeit. Er erinnert sich in „Widerstand und Ergebung“ an ein Gespräch mit einem jungen Priester. Statt wie dieser ein Heiliger werden zu wollen, formulierte Bonhoeffer seinen Lebenswunsch so: ich möchte glauben lernen. Den Weg dazu fand er nicht durch ein möglichst heiliges Leben, sondern in einem Leben der Diesseitigkeit: Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen – sei es einen Heiligen oder einen bekehrten Sünder oder einen Kirchenmann (eine sogenannte priesterliche Gestalt!), einen Gerechten oder einen Ungerechten, einen Kranken oder einen Gesunden – und dies nenne ich Diesseitigkeit, nämlich in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge und Mißerfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten leben – dann wirft man sich Gott ganz in die Arme, dann nimmt man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern die Leiden Gottes in der Welt ernst, dann wacht man mit Christus in Gethsemane, und ich denke, das ist Glaube.559

Improvisationstanz lebt wesentlich davon, nichts aus sich machen zu wollen. Mit dem, was sich ergibt, kann ein Tänzer das Dasein feiern (vgl. B 2.7.2). Mitten im Spiel mit dem Fremden und dem Nahen, mit Enge und Weite begegnen vielleicht unerwartet Erfahrungen des aufrechten Ganges, die durchaus eine ethische Note in sich tragen. Die Ahnung Hollenwegers, durch Tanz könnten Sensibilität und Gewaltlosigkeit kultiviert werden, bestätigt sich in manchen Äußerungen und durch meine eigene Erfahrung.560 In der Weisheit Tanzleitender (z. B. Lander/Zohner u. a.), die gebundene Formen lehren und hierbei davor warnen, nicht zum Räuber einer Tanzform zu werden, indem man sie möglichst schnell zur Perfektion zu bringen sucht und damit zum Abschluss oder Verschluss bringt, sehe ich ein Ethos, das Menschen Zeit lässt für Wachstumsprozesse. In diesem Ethos werden spirituelle Praktiken nicht als Methode zur Vollkommenheit missdeutet, sondern individuell mit Leben gefüllt. Es gilt mit Geduld und Nachsicht gegenüber eigenen und fremden Schwächen auf einem Übungsweg unterwegs zu sein. Tanz hat dabei besondere Vorzüge. Denn Tanz ist nicht feststellbar, er ist kein Produkt, sondern immer neu. Er verwirklicht sich nur im Vollzug. Die Vorgabe, Tango 558 In diesem Sinne habe ich die metaphorische Wendung „Das Leben tanzen“ in den Kursen von Frieder Mann kennengelernt. Vgl. http://friedermann.de/tanz_und_kirche.htm (2016/08/15). 559 Bonhoeffer, Dietrich (1998): Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, DBW 8, hg. von Christian Gremmels et al. Gütersloh, 541. 560 Tanzende sind keine besseren Menschen. Auch auf Tanzfestivals gibt es Konflikte, Zänkereien, Missverständnisse und Ungeduld. Wovon hier jedoch die Rede ist, ist ein Ethos, das die Basis der gemeinsamen Arbeit darstellt. Dieses Ethos ist das Ergebnis der Geschichte, die in dieser Arbeit zu erzählen versucht wird.

Gott im Tanz vergebens suchen oder: Präsenz versus Abwesenheit

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im Gottesdienst sei keine Show (Büsing), weist ebenfalls in diese Richtung. Gleiches gilt für das Tanztheater, das meines Erachtens dann gelungen ist, wenn es nicht mit aller Macht etwas zeigen will, sondern Räume öffnet durch die Figurationen von Musik, Choreographie, Improvisation und Medieneinsatz561, so dass sich den Zuschauenden etwas zeigt. Kein Ziel, keine Botschaft ist zu erreichen. Wäre dies der Fall, kann auf Tanz getrost verzichtet werden, dann genügt ein Text. Eine Haltung der Gelassenheit und Absichtslosigkeit wird daher in den Tanzkreisen vielfach kultiviert. Insbesondere im Format Tanz in der Natur erkenne ich dieses Ethos wieder. Eine Naturerfahrung ist offenbar ebenso wie ein bewusst getanzter Reigen562 nicht zu rauben. Sie gilt als unverfügbar. In dieser Betonung des pathischen Moments liegt ein entscheidender Unterschied zu einem im Sport- und Freizeitbereich anzutreffenden Tanzverständnis, das die Kirchentänzer teils sehr bewusst hinter sich gelassen haben. Kultiviert wird die ästhetische Erfahrung, das Spüren, Wahrnehmen, Empfangen, Dasein im Moment und Staunen über das, was entsteht.

7. Gott im Tanz vergebens suchen oder: Präsenz versus Abwesenheit Tanz bringt Menschen Gott nicht unbedingt näher. Manchmal spüren Tanzende einfach nichts oder nichts Besonderes. Dies ist die notwendige und möglicherweise schamhaft verschwiegene Prämisse der Vorgabe, die Erfahrung nicht zu rauben. Wenn Tanz nicht zur Methode oder religiösen Übung herabsinken soll, kommen Tanzende an der Erfahrung des Schweigens und Verborgen-Seins Gottes nicht vorbei. Aus tanzwissenschaftlicher Sicht ergeben sich Parallelen zum modernen und zeitgenössischen Tanz, in der die Erfahrung der Abwesenheit563 in die Performance als Schatten eingeschrieben ist. Der tanzende Körper produziert sowohl imaginäre Körperbilder, die seinen realen Körper als imaginären Körper überlagern und verstellen, als auch einen anderen, neuen symbolischen Körper, der als Versprechen des Tanzes am Horizont erscheint und zu dem die Zuschauer bewegt werden sollen. Analog dazu ist die Bewegung des Körpers nicht einfach Ausdruck seiner selbst, sondern nur im Zwischenraum zwischen den drei 561 Es handelt sich nicht um eine Aufzählung notwendiger, sondern möglicher Elemente. 562 In der Praxis begegnet die Erwartung, mit einem Tanz rasch die Atmosphäre lockern zu können oder einen Gottesdienst attraktiver zu machen. Dies führt dazu, dass ganz niederschwellige einfache Tänze in kurzer Zeit vermittelt werden, die dann quasi als Fastfood der Gemeinde verabreicht werden. 563 Vgl. Siegmund 2006.

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Kategorien zu verstehen, einem Raum, der, wie die Poetiken der Tanzmoderne gezeigt haben, von Abwesenheiten durchzogen ist.564

Im Oszillieren zwischen Semiosen und vorsprachlichen Schwellenerfahrungen kommt Tanz entgegen als Anregung, Repräsentationen von etwas Abwesendem zu sehen und gleichzeitig in der Präsenzerfahrung Ahnungen zu erhalten von Lebensfülle, Schrecken oder unerfüllbarem Genuss, der nicht auf der Bühne „existiert“, sondern im Zuschauer selbst ephemere Gestalt annimmt. Mit Gerald Siegmund gehe ich davon aus, dass es „den Tanz“ nicht gibt565, mithin auch nicht den Tanz in der Kirche. Tanz in der Kirche kann zum Emblem für Abwesendes werden. Gleichzeitig ist Tanz in der Kirche tatsächlich weithin abwesend, im Sinne von nicht verwirklicht. Dies führt mich zu einem Versuch, Tanz im Verhältnis zur Kirche zu bestimmen, der dessen mehr oder weniger offensichtliche Nicht-Existenz weiter bedenkt. Denn auch wenn Tanzende eine für sie bedeutsame Geschichte in der Kirche haben und ihr Tun vielfältig und wertvoll ist – an der realistischen Feststellung, dass insgesamt gesehen das Phänomen während der vergangenen Jahrzehnte innerhalb institutionalisierter kirchlicher Strukturen marginal geblieben ist, kommt man nicht vorbei. So kann in kritischer Absicht auch von der Nicht-Existenz und dem Fehlen von Kirchentanz gesprochen werden. In Anlehnung an einen Begriff von Julia Kristeva bezeichne ich Kirchentanz im Zusammenhang seines Fehlens probehalber als Abjekt566. Das Abjekt ist eine Sache, die weder eindeutig Subjekt noch Objekt darstellt. In erster Linie bezieht das Abjekt seine Existenz daraus, dass es auf einen bestimmten Ort bezogen ist, der es quasi „ausgespuckt“, es „weggeworfen“ und von sich „getrennt“ hat. Es fragt nicht, „wer“ oder „was“ bin ich, es fragt nach dem Ort, an dem es platziert bzw. von dem es ausgeschlossen wurde. Der Ort, der aus Sicht der Praktizierenden das Sein von Kirchentanz begründet, ist die Kirche. Allerdings stellt diese sich nicht selten als eine den Tanz ausschließende Kirche dar. Dies gilt heute weniger als in der Vergangenheit, als Theologie noch den Körper aufgrund seiner Materialität als den seelenlosen Part menschlicher Wesen bestimmte. Paradoxerweise scheint es gerade dieses vormalige Abdrängen des Körperlichen durch das Christentum zu sein, das die Entstehung des (säkularen) modernen Tanzes mitbestimmt hat. Siegmund begründet diese Annahme mit einer These von Pierre Legendre: „Der Text des Tanzes, der ,den Tanz‘ hervorbringt und legitimiert, [wird] mit Pierre Legendre als christliches Gesetz definiert, das auf einem Tanzverbot gründet.“567 Das Tanzverbot definiert Tanz implizit als das, was aus dem Chris564 Siegmund 2006, 172. 565 Vgl Siegmund 2006, 452. 566 Vgl. Kristeva 1980. Kristeva (*1941) ist eine bulgarische Autorin, Psychoanalytikerin und Philosophin, die in Frankreich lebt. Seit 1973 ist sie Inhaberin eines Lehrstuhls an der Universität Paris. 567 Siegmund 2006, 452.

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tentum ausgeschlossen wurde, mithin ein „Ausgespucktes“.568 Dieses „Abjekt“ ist tendenziell bedrohlich, ihm kommt ein Dasein an den Grenzen zu. Den Tanz kann ich mir, in den von Kristeva vorgeschlagenen Metaphern mit nicht allzu großer Mühe als das Abjekt vorstellen, das die Grenzen der wortzentrierten kirchlichen Praxis „belagert“569. Angesichts der historischen Tanzverbote, aber auch der enttäuschten Aussagen Tanzender, wenn sie von immer neuerlichen Zwängen, sich zu legitimieren erzählen, von widrigen Rahmenbedingungen und teils versteckter, teils offener Ablehnung ihrer Praxis bis hin zum Ekel570, ist der Begriff Abjekt möglicherweise tatsächlich von heuristischem Wert. Konkret festzumachen ist die mit dem Tanz verbundene Konflikthaftigkeit darüber hinaus an bestimmten Themen, „heißen Eisen“, erstens dem Umgang mit Erotik und zweitens der Frage nach dem liturgischen Wirken von Laien. 7.1 Umgang mit Erotik Tanz macht Körper sichtbar, die geschlechtlich codiert sind. In den Gesprächen wird deutlich, wie stark Tanz immer wieder mit (weiblicher) Erotik identifiziert und daher als für die Kirche unpassend qualifiziert wird (getanzter Kirchensex, DEKT 1983). Exemplarisch kommen hier zwei professionelle Tänzerinnen zu Wort. „Tanzen kannste als Hobby, aber Tänzerin kommt gleich nach Huren.“, antwortete ein Pfarrer angesichts von Ba’s Berufsplänen (Ba5). Ko erging es ähnlich: [Ich habe,] als ich 20 war, Kontakt gefunden zu einer Gemeinde, war eine BillyGraham-Evangelisation, und äh, dann hatte ich das erste Gespräch mit dem Pastor, ob ich in dieser Gemeinde beitreten kann, ja ich bin Christ. Alles klar. Ja, und was machen Sie denn beruflich? Ich werde Tänzerin. Ach so, ja, naja, aber jetzt sind sie ja Christ, äh, was haben Sie sich denn da so vorgestellt? Da sage ich Tänzerin. Also ich sah in seinem Blick, dass er sich das Rotlicht und das Kabarett da vorgestellt hat, oder was weiß ich den Table Dance, nur nicht klassische Tänzerin.571

Zu Körperübungen während der Pausen einer Kirchenkonferenz fand „der Ältestenrat […], dass das nicht schicklich sei, weil doch viele Damen vielleicht einen Rock anhaben und weil der ja dann hochrutschen könnte“.572 Kritisch merkt Ko an, der Kirchentanz passe sich solchen Fehlhaltungen unbewusst an: „Ich mein’, es ist ja auch, wenn man so Kirchentanz anschaut, die sind alle 568 Siehe auch Gundlach 2002, 176. 569 Siegmund wirft im Zuge einer Verhältnisbestimmung von Tanz und Theater in unserer Kultur die Idee auf, der Tanz erscheine „als Abjekt des Theaters, dessen Grenzen er belagert und bedroht.“ Siegmund 2006, 453. 570 Vgl. die Äußerungen von Benjamin Lassiwe in A 2.2. 571 Ko71. 572 Ko72.

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lange Ärmel bis da oben zu, dass nur ja nicht irgendwas verrutscht, es könnte ja verrutschen. Es soll ja nicht erotisch sein.“573 Implizit geht es um Genderfragen. Menschen, die tanzen, sind keine geschlechtslosen Wesen, ebenso wenig wie Menschen, die eine Liturgie feiern.574 Die, das Übliche überschreitenden, tänzerischen Bewegungsrepertoires können tendenziell überkommene Rollenmuster irritieren: eine Frau zeigt Kampfbewegungen, ein Mann tanzt weich und zart. Mit Bieler kann hier an die produktive Kraft von Irritationen erinnert werden, mit Plüss daran, dass sich Authentizität nur in der Performance selbst bestimmen lässt, es also keinen objektiven Kodex für die liturgische Rolle inklusive ihrer Männlichkeit oder Weiblichkeit geben dürfte. Ein Beispiel mag dies illustrieren, anhand eines häufig erotisch konnotierten Tanzes, dem Tango Argentino.575 Die Liturgin eines Tanzgottesdienstes wechselte nach der Predigt, in der Bilder, die visuell im Tango transportiert werden, als Metaphern für die Gottesbeziehung gedeutet wurden, in die Rolle der Tänzerin.576 Für die Dauer von zwei Minuten tanzte sie versunken in einer liebevollen Tangoumarmung mit einem Partner. Die Szene trug das Potenzial für Irritation in sich. Tango, der von Außenstehenden immer noch manchmal mit dem Rotlichtmilieu identifiziert wird, kann als befremdend oder anstößig im Rahmen eines Gottesdienstes empfunden werden. Wird jedoch die performativ hervorgebrachte Authentizität berücksichtigt und die Stellung in der Liturgie als getanzter Kommentar zur Predigt, mithin echte gottesdienstliche Handlung (Büsing), wird ein anderer Blick auf die Szene möglich. Im Fluß der Liturgie, der die Anwesenden ins Geschehen mit hineingezogen hat, im Vollzug durch die Tänzerin und den Tänzer, denen es in dem Augenblick auf den Leib geschrieben war, den Tango so und nicht anders zu improvisieren, ergab die Performance Sinn. Den Anwesenden, die sich dazu äußerten, gelang es, den Tanz für sich sinnvoll zu rezipieren. Dies ist nicht selbstverständlich. Kommunikation des Evangeliums durch Performance, zumal durch Improvisation beinhaltet stets die Gefahr des Scheiterns. Nicht ohne Grund stellen sich Aktive der Kirchentanzszenen, vor allem in der CAT immer wieder der Thematisierung von Erotik, noch selten von Gender im Kontext Kirchentanz.

573 Ko72. 574 Für die Liturgiewissenschaft hat Meyer-Blanck die Wahrnehmung der Kategorie Geschlecht noch vor Bieler, Plüss, u. a. angemahnt. Vgl. Meyer-Blanck 1997, 24. 575 Abschlussgottesdienst des Kirchentanzfestivals 2016 auf dem Hesselberg in Franken. Die Liturgin/Predigerin/Tänzerin war die Autorin selbst. Sofern jemand die Performance als hermetisch oder anstößig empfunden haben mag, gab es hierzu keine Äußerung. 576 Die Predigt, die gemeinsam mit Astrid Thiele-Petersen verfasst wurde, ist veröffentlicht innerhalb eines berichtenden Artikels über das Festival. Vgl. Gergen-Woll 2016, 13–15.

Gott im Tanz vergebens suchen oder: Präsenz versus Abwesenheit

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7.2 Umgang mit Ehrenamtlichen Die Problematik der Beteiligung von Ehrenamtlichen im Sinn von Laien stellt sich in zweifacher Weise. Zum einen geht es um theologische Laien, die im Kirchentanz zur Bibelauslegung anleiten oder Liturgien vorstehen. Der Verweis auf das reformatorische Ideal des Priestertums der Getauften reicht nicht, um die Bedenken zu zerstreuen. Der Beruf der Theologin und das von der Kirche verliehene Amt hat in der Praxis weiterhin hohes Gewicht. Mit Recht ist von kirchlichen (auch ehrenamtlichen) Mitarbeitenden zu erwarten, dass sie theologische Bildung erwerben, um andere fachgerecht spirituell begleiten zu können. Dies gilt auch für Tanzleiter_innen. Zum anderen geht es um tänzerische Laien. Auch wenn die Einblicke in die Wirklichkeit der Befragten hohes Engagement in Bezug auf tänzerische Ausbildungen offenlegen konnten: Es bleibt doch weithin dabei, dass in dem Bereich nur wenige professionell Tanzende tätig sind. Tanz aber ist eine Kunst, die Bemühungen um Qualität erfordert, wenn sie nicht zu einem netten auflockernden, aber letztlich überflüssigen Additiv degenerieren soll. Diese heißen Eisen stellen eine konstante Herausforderung dar. Auf der anderen Seite kann jedoch auch angenommen werden, dass zunehmend Tanzende wie Nicht-Tanzende in der Kirche über eine gemeinsame ästhetische Praxis verfügen. Die Kunst des Tanzes steht nicht allein in der Kirche. Ihre Geschwister sind Kirchenmusik, Architektur577, bildende Kunst in der Kirche und eben auch in bedeutendem Ausmaß das „Wort“ in Lied- und Choraltexten, in biblischen Passagen, in Lyrik, Gebeten und Segenssprüchen. Kirchliche Praxis öffnet sich immer wieder ganz bewusst den Grenzen und sucht an den Rändern nach inspirierenden Überschneidungen mit kulturellen Praktiken, die die Imagination von Gegenwelten zur Konkurrenzgesellschaft erlauben. Einsichten aus der Tanzwissenschaft bieten der Praktischen Theologie Anhaltspunkte, womit sie es zu tun hat. Tanz mit künstlerischem Anspruch macht nicht einfach Unsichtbares präsent durch abbildhafte Bewegungen zur deutlicheren Belehrung oder Steigerung der Anschaulichkeit. Tanzkunst, und das ist ihre besondere Chance, schafft auf einzigartige Weise Embleme der Abwesenheit. Sie stehen für das Begehren eines Anderen, einer Person oder einer Vorstellung von Heimat, von Zugehörigkeit und Anerkennung, die für immer außer Reichweite ist. […] Seit der Renaissance ist unsere Welt zunehmend säkularisiert worden, und seit dem späten achtzehnten Jahrhundert ist Kunst Teil der autonomen Sphäre der Ästhetik und nicht der Religion.578 577 Dazu zähle ich auch das Innere des Kirchenraumes, dessen Raumverhältnisse, Bebilderung, Lichtverhältnisse und Schmuck mit Blumen, Paramentik etc. 578 Siegmund 2006, 469.

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Tänzerische Inszenierungen von Ritualen wie etwa Lettere Amorose von Raimund Hoghe (2000) bedienen sich der Kunst der rituellen Ersetzung. Hier wird nicht Präsenz geschaffen, sondern „nur gegeben, um uns die Abwesenheit, die hinter ihr liegt, sehen und fühlen und uns über sie nachdenken zu lassen.“579 Wenn Raimund Hoghe Abwesenheit inszeniert, legt er die christlichen Wurzeln unserer Vorstellung vom Künstler als Stellvertreter oder sogar Sündenbock, der uns auf der Bühne vertritt, bloß. Da sich alle Körper durch die Erbsünde von der Gnade entfernt haben, brauchen wir jemanden (und jemandes Körper), um die gefallenen Körper hin zur Sphäre der Seele zu transzendieren. Das ist es, was der Tänzer tut.580

Im Fall Hoghes vertritt er die Zuschauenden bei der Erinnerung an „Abwesenheit“ mit einem Körper, der sich nicht für schönes Tanzen in der klassischen Tradition der schönen Seele eignet. […] Er nimmt die Rolle des Künstlers als Sündenbock an und bleibt doch ein ungewöhnlicher Sündenbock, der sich weigert, geopfert zu werden. Diese Weigerung, zu verschwinden, hinauszugehen und seinen ungeeigneten Körper mitzunehmen, unterbricht das Ritual.581

Wenn Tänzer in der Kirche tanzen, bringen sie sich mit ihrem Körper ein, so wie er ist, mit allen Schwächen. Mit ihren zuweilen die Spuren des Alters tragenden Körpern tanzen sie stellvertretend, aber nicht, um den Tanz der Zusehenden zu ersetzen. Um ein Opfer im religiösen Sinn handelt es sich nicht. Die Denkfigur des Opfers der Tänzer findet sich gelegentlich in tanzphilosophischen Schriften, allerdings ohne soteriologische Ansprüche.582 Erfahrbar ist für jede Tanzende die Tatsache, in dem Moment des Sich-Präsentierens dem Beschaut-Werden preisgegeben zu sein, mithin eine unbewusstbewusste Form von Selbsthingabe dem Geschehen anhaftet. Aufschlussreich für kirchliches darstellendes Handeln dürfte der Konsens der PerformanceStudies sein, der darin besteht, „dass die Präsenz der Darsteller das Präsens der Aufführung auflädt und auf diese Weise Erfahrungen ermöglicht, die man in unserer verdinglichten Warenwelt, in der das Subjekt nur noch als Konsument vorkommt, anders nicht machen kann.“583 Darin liegt die Einschätzung begründet, Performance als kritische Praxis ansehen zu können. Unter 579 580 581 582

Siegmund 2006, 469. Siegmund 2006, 469. Siegmund 2006, 470. Vgl. Jean-Luc Nancy, zitiert in: Schwan 2009, 225: „Ich würde sagen, dass die geringste künstlerische Gebärde etwas Heiliges erzeugt, ob dies nun beabsichtigt ist oder nicht, und dass dies beim Tanz vielleicht besonders sichtbar ist. Jedenfalls gibt es beim Tanz etwas, das – wenn ich so sagen darf, – weniger profan als bei den anderen Künsten ist. Wenn jemand eine Tanzgebärde macht, löst er sich gleich von der alltäglichen Existenz. […] Was beim Tanz vielleicht besonders wichtig ist, ist diese Gebärde der Opfergabe.“ 583 Siegmund 2006, 451.

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der Perspektive des Tanzes von Abwesenheit ist allerdings Performance eher deswegen als kritische Praxis zu verstehen, „weil sie in dieses In-BewegungVersetzen, in dieses verkörperte Wiederholen von Normen und Praktiken, Abwesenheiten einführt, die den Verlust markieren, der jeder Aufführung und jedem an der Aufführung beteiligten Subjekt innewohnt.“584 An dieser Aufführung haben die Anwesenden in Form einer ästhetischen Erfahrung teil. Eine ästhetische Erfahrung im Changieren zwischen Präsenz und Abwesenheit machte ich vor mehr als zehn Jahren eindrücklich im Kirchen-KunstTanz. Es handelt sich um die Performance „The unanswered question“585 von Frieder Mann 2005 auf dem Evangelischen Kirchentag in Hannover, die ich hier aus der Erinnerung wiedergebe: Der Tänzer bewegt sich auf dem leeren Platz in der Mitte der Kirche, die Zusehenden befinden sich im Schatten am Rand. Keine Verkleidung kostümiert ihn als jemand. Seine weite graue Hose, ein weißes T-Shirt, nackte Füße spiegeln mich selbst als Mensch. Er tanzt und tanzt nicht, ich sehe sein Innehalten, Zusammensinken, suchendes Laufen, Wenden und Winden. Ein Verlust wird erinnert, eine unnennbare Frage zitiert und gerade durch die Verweise auf das Abwesende diesem Unsagbaren ein Platz offen gehalten, in den dieses einzubrechen vermag oder, weniger pathetisch, als Versprechen ahnen lässt, ohne dass es ertanzt werden könnte.

8. Zusammenfassung Wer tanzt, bewegt sich innerlich und äußerlich. Wer sich auf diese Bewegung einlässt, kann von der Wahrnehmung zur Erfahrung kommen. Die Tänzerinnen und Tänzer erzählen in den dokumentierten Gesprächen vielfach davon, sich schön zu fühlen, Energie zu spüren und Begegnung zu erleben. Die theoretischen Überlegungen zu Ästhetik und Körpererfahrung bieten einen Deute-Rahmen für die spontanen Äußerungen der in den kirchlichen Tanzszenen Beteiligten. Im Tanzen kann in besonderer Weise eine ästhetische beziehungsweise kinästhetische Erfahrung gemacht werden, die durch Berührung, Bewegung und Stille, Raum- und Zeiterfahrung sowie vom Musikerleben geprägt ist. Tanz ist performativ, er wird inszeniert und aufgeführt. Tanz ist kommunikativ, da die Äußerungen des Körpers wie ein „Text“ aus Bewegungen gelesen werden können. Im Teil C dieser Arbeit zeigten die semiotische und die performative Perspektive jeweils unterschiedliche Wirkungen des Tanzes auf. Durch die Überlegungen des Zusammenhangs von Ästhetik und Spiritualität wurde deutlich, dass die spezifische kinästhetische Erfahrung einzelner Tanzstile, 584 Siegmund 2006, 451. 585 Zu der gleichnamigen Musik des US-amerikanischen Komponisten Charles Ives (1874–1954). Es ist ein experimentelles, dissonanzreiches Stück für Trompete, Flöten und Streichquartett.

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sowie die innere Haltung der Tanzenden, die Kontexte, in denen getanzt wird und die spirituellen Praxen, auf die das Tanzen Bezug nimmt, eine Rolle spielen. Kapitel 1 thematisiert die Frage nach dem Kirchen-Tanz als Kunst. Plurale Kunstverständnisse in der Folge des semiotic turn und des performative turn werden dabei zugrunde gelegt. Tanz kann als Text bezeichnet werden, der Deutungen hervorruft (semiotische Perspektive). Tanz ist eine Aufführung, die Menschen auf somatischer Ebene berührt und in eine Schwellenwelt versetzt (performative Perspektive). Beide Perspektiven werden vorausgesetzt, wenn die Aussagen Tanzender im Blick auf mögliche Elemente einer KunstTheorie des Kirchen-Tanzes wahrgenommen werden. Zweifellos wird von den meisten Befragten Tanz als Kunst verstanden. Diese Kunst steht für sich und ist nicht zwingend auf Musik angewiesen. Im Zentrum steht das Medium Körper. Dieser wird von einigen Kirchentänzern vorwiegend als Instrument zur Kommunikation semantischer Gehalte wie Geschichten oder Gefühle aufgefasst. Andere betonen, dass die Körperbewegung nur etwas andeutet, das Zuschauer frei aufnehmen und selbst interpretieren können. Angesichts von Tanz im Zusammenhang mit Gebet und Meditation wird die in A 2.1 gesetzte Annahme, dass es sich bei Tanz immer um ein performatives Geschehen handelt, hinterfragt. Erst Kapitel C 2 erbringt diesbezüglich eine Klärung. An Tanz als Kunst wird von Befragten teilweise der Anspruch gestellt, professionell und gleichzeitig authentisch zu sein. An dieser Stelle brechen Unterschiede auf im Tanzverständnis. Während einige von ihnen die Funktion des Selbstausdrucks betonen, erachten andere diesen Aspekt als unnötig für Kunsttanz, einige wenige sogar als störend. Werden die beiden Paradigmen Semiotik und Performativität an die Äußerungen herangetragen, treten, vergröbernd gesagt, zwei Richtungen hervor. Die eine Strömung unter den Kirchentänzer_innen traut dem Tanz eine eigenständige semantische Dimension zu. Vom Tanz wird erwartet, verständlich zu sein und auf etwas außerhalb der Tanzbewegungen verweisen zu können. Er soll von Zuschauenden entschlüsselt werden können. Auf authentischen Gefühlsausdruck wird Wert gelegt. Mit Hilfe etablierten Tanzvokabulars aus Stilen wie Ballett, Modern Dance oder Tango wird etwas erzählt. Die andere Strömung geht von der Instabilität des Gefüges von Syntax, Semantik und Pragmatik aus, das heißt, Tanz ist vieldeutig. Entsprechend gegenwärtiger Auffassungen in der Tanzwissenschaft wird ernstgenommen, dass die Zeichenhaftigkeit von Bewegungen sich von bestimmbaren Deutungshorizonten gelöst hat. Dem Tanz werden demzufolge weder religiöse Deutungen vorgegeben, noch Anspielungen auf Religion abverlangt. Er ist vielmehr als Angebot deutungsoffener Bilder zu begreifen. Ein weiteres Merkmal von Tanz als Kunst ist dessen Materialität. Immer hat Tanz mit Körpern zu tun und mit deren Beziehung zum Raum. Außerdem verweist die Körperlichkeit auf Geschlechterrollen. Bühnentanz ist derzeit vom Konstruktivismus geprägt, Geschlechterrollen werden aufgelöst und teils fragmentiert. Einige unter den Befragten thematisieren

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demgegenüber den Gewinn, den die Tanzerfahrung für ihre Körperannahme und Kongruenz mit einer geschlechtlichen Identität bedeutet. Ob im KirchenTanz essentialistische Körperauffassungen vorherrschen, lässt sich allerdings nicht mit Sicherheit klären. Vielen Befragten sind die unwillkürlich beim Tanzen hergestellten erotischen Konnotationen bewusst. Damit wird unterschiedlich umgegangen, durch Vermeidung oder Gestaltung. Manche bekunden ihr Unbehagen angesichts dessen, dass die Kirche Erotik verschweigt oder verdrängt. Dazu nimmt C 7.1 ebenfalls Stellung. Kapitel 2 beschäftigt sich mit der Charakterisierung von Spielarten ästhetischer Erfahrung, die aus den Aussagen Befragter ermittelt werden können. In Auseinandersetzung mit den Begrifflichkeiten Gumbrechts586 in 2.1 kann für ästhetische Erfahrung im Kirchentanz geltend gemacht werden, dass sie grundsätzlich zwischen Sinn- und Präsenzerfahrung oszilliert, dabei aber ausgiebig Präsenz-Momente bietet, in denen Weltverlust überwunden wird, eine Sehnsucht erfüllt und intensive Gegenwärtigkeit erlebt wird, die Menschen ganz bei sich ankommen lässt, Raumerfahrung verschafft, (verlorenen) Kontakt zur Erde herstellt und durch relative alltagsenthobene Einzigartigkeit (Insularität) geprägt ist, aber auch im Alltag weitreichend wirken kann. Religiöse Deutungen des Tanzes spielen eine geringe Rolle. Bezüglich der Wirkungen im Leben nennen die Befragten: das Überwinden alter Muster, eine gesteigerte Wachheit, das Gefühl, genährt zu sein, das Wiedererkennen von Lebensthemen in den Tänzen sowie die sich daraus ergebende Vorstellung, im Leben begleitet zu werden. Außerdem ist die Stärkung von Selbstvertrauen zu nennen. In 2.2. wird überprüft, welche weiteren Erkenntnisse gewonnen werden können, wenn ein existenzieller Erfahrungsbegriff zugrunde gelegt wird. Ästhetische Erfahrung im Horizont eines komplexen, existenziellen Erfahrungsbegriffs transformiert nicht nur den Selbstbezug (vgl. C 2.1), sondern auch den Weltbezug. Bei den Befragten deutet sich eine Öffnung auf ethische Fragen und Themen durch ihre Tanzpraxis an. Theologisch-ethische Begriffe wie Freiheit und Menschenwürde werden herangezogen, um bestimmte Aspekte der Tanzerfahrung zu beschreiben: das Freisein von Zwängen, die Inanspruchnahme künstlerischer Freiheit, um erkannte Wahrheiten prophetisch-provokant auszudrücken, das Glück, in der Schönheit und Würde von Tangotanzenden den Wert des Einzelnen zu erfahren. Tanzen lässt Menschen sich körperlich-sinnlich in der Welt verankern. In einigen Aussagen zeigt sich die Offenheit für fremde Kulturen, denen im Medium des Tanzes begegnet werden kann. Tanz trägt zur Überwindung kultureller Grenzen bei. 2.3 nimmt die These auf, dass Tanzen transformiert. Diese zieht sich wie ein roter Faden durch die unterschiedlichen Zugangsweisen zum Phänomen „Tanz und Spiritualität“. Inwiefern Kunsttanz den Kunstbegriff erweitert und Tanzaufführungen Zuschauer in liminale Zustände führen können, wurde in 586 Vgl. A 2.4.1.

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Teil A im Kapitel 6 angedeutet. Anhand der Darstellung der Kunst von vier Protagonist_innen des Modernen bzw. zeitgenössischen Tanzes und des Tanztheaters und der mit diesen Praxen verbundenen Körperaneignung und Selbsterfahrung wurden auch die Möglichkeiten der Tänzer, selbst durch den Tanz transformiert zu werden angedeutet. Das Paradigma der Performativität verweist auf liminale Erfahrung in der Kunsterfahrung. Die Untersuchung zeigte, dass transformierende liminale Erfahrungen auch in Praktiken verschiedener kirchlicher Tanzszenen gemacht werden können. Die Aussagen geben Einblick in intensive Emotionen bis hin zu einem „Glücksgefühl“ und dem Eindruck „heil“ geworden zu sein. Das Betrachten von Tanz in Kirche affiziert Menschen auf vorsprachlicher Ebene. Dabei kann nicht von einer einfachen Übertragung der Gefühle der Tanzenden mittels Einfühlung auf die Zuschauenden ausgegangen werden. Mit Böhme ist über eine nur subjektive Auffassung von Gefühl hinauszugehen und die Entstehung von intersubjektiv greifbaren Umgebungsqualitäten, den sogenannten Atmosphären zu reden. Es handelt sich hier um eine räumlich akzentuierte Erfahrung. In der leiblichen Ko-Präsenz (Fischer-Lichte) von Tänzern und Zuschauern, aber auch in der Interaktion der Tanzenden untereinander treten mitunter intensive Gefühlsregungen auf wie starke Empathie, Tränenfluss und Gruseln. Die Macht des Tanzes tritt gerade an den Beispielen zutage, in denen sich Zuschauer diesem Einfluss entziehen wollen durch Wegsehen. Das Paradigma der Performativität, das auf die Entstehung von Schwellenräumen aufmerksam macht, erhellt auch die Erlebnisse der Befragten, die angeben, sich beim Tanzen ihrer Wahrnehmungen und Empfindungen gewahr zu werden. Daher ist auch dort, wo Tanzende ohne ausgewiesenes Publikum agieren, Performativität auszumachen. Einige Kirchentänzer erleben den Tanz in der Gleichzeitigkeit als Teilnehmende und Beobachtende, und vielfach wird von der Vorstellung ausgegangen, in Gegenwart eines Dritten zu tanzen. Die Gegenwart Gottes miteinzubeziehen, ist besonders für Tanz, der sich als Gebet und Meditation versteht, naheliegend. Vielfältige Resonanzen entstehen bei Tänzern untereinander und zwischen Tanz und Raum. Das gemeinsame Erleben wird intensiviert durch die Wahrnehmung der Ausstrahlung der anderen. Stil- und szeneübergreifend kann gesagt werden, dass Tanzen als Geben und Nehmen aufgefasst wird. Anzunehmen ist, dass die Atmosphären, die in den Tanzräumen durch die gemeinsame Bewegung produziert werden, in Wechselwirkung treten können mit religiösen Gehalten, die darin kommuniziert werden. In 2.4 wird durch die Darstellung verschiedener ästhetischer Praktiken bzw. Tanzstile das jeweils spezifische Repertoire aufgezeigt, das sie für ästhetische Erfahrung bereithalten. Dies erfolgt im Wechselspiel zwischen Aussagen der Befragten, tanzwissenschaftlichen Einsichten und vereinzelt angereichert durch die Ergebnisse empirischer Untersuchungen anderer Autor_innen.

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• Ballett bietet das Erfahrungsfeld von tänzerischer Disziplin, Schönheit und Harmonie. Einige Kirchentänzer nutzen die klassische Tanzsprache zum künstlerischen Ausdruck und orientieren sich teilweise in den Kreistanzchoreographien an deren Ästhetik. Darüberhinaus bietet Ballett-Training Formen, mit denen im Sinn einer spirituellen Übung umgegangen wird. • Erfahrungen mit Kampfkunst sind Teil der Geschichte einiger Befragter, in der sie spirituell getönter Körpererfahrung begegnet sind. • Während Tangoszenen in Europa bislang eher unter kultursoziologischem Aspekt untersucht und beschrieben wurden, etwa als Raum, der hybride Identitätsbildung zulässt und das (karnevaleske) Spiel mit geschlechtlichen Identitäten ermöglicht, erweitert diese Arbeit die Forschung um die Themen ästhetische Erfahrung und Spiritualität. Der Tango Argentino bietet bestimmte kinästhetische Körpererfahrungen und eine Tanzsprache, bei der eine subtile, von außen nicht unbedingt sichtbare Kommunikation für den fortwährenden Fluss von Improvisation sorgt. Tangueros und Tangueras, die für die spirituellen Erfahrungen, die sich dabei zeigen können, offen sind, beschreiben den Tanz als Möglichkeit, die Beziehungshaftigkeit des christlichen Glaubens auf neue Weise wiederzuentdecken. Sie erleben es als beglückend, vom Gegenüber als Mensch mit Würde und Schönheit gesehen zu werden, ausgewählt zu sein für Momente intensiver Nähe und Präsenz, in denen Geborgenheit, Gehaltenwerden, Begleitetwerden, Überraschungsmomente und vieles mehr erfahren werden können. Manche wünschen die Gottesbeziehung so wie die achtsame Kommunikation im Tango, andere sind fasziniert von der würdigen Ausstrahlung der Tänzer bis ins hohe Alter hinein. • Im indischen Tanz liegt eine klassische Tanzsprache vor, ähnlich dem Ballett. Allerdings streben die Bewegungen nach unten zur Erde hin. Der Tanz transportiert Gefühle und Geschichten und erzeugt bei Zuschauern starke Affekte. In der Kirche wird er zur Verkündigung und für eine an dessen Ästhetik angelehnte Form von Tanztheater genutzt. • Die fünf Rhythmen bieten ein Repertoire verschiedener Energiemuster, die Aspekte der eigenen Persönlichkeit zum Ausdruck bringen und sie für eine Zuwendung zum Leben auch in seinen undefinierbaren, den Verstand übersteigenden, Dimensionen weiten. • Soul Motion versteht sich als spirituelle Tanzpraxis. Sie ist eine ekstatische Form im Unterschied zu den häufigeren meditativ-kontemplativen Stilen. Vereinzelt wird sie in Gottesdienst und Andacht integriert. • Wer in der Natur tanzt, tritt in Interaktion mit einem besonderen, belebten Erfahrungsraum. Diesen kann die Tänzerin nutzen, um gespiegelt zu werden und auf das, was sich zeigt, zu antworten. Tänzer erleben sich, improvisierend oder mit festen Schrittfolgen bewegend, als Teil der Schöpfung. Der Tanz in der Natur öffnet Menschen für eine neue Selbst- und Weltwahrnehmung. Er lädt christlich-spirituelle Deutungen ein, ohne sie dem Tun von vorneherein aufzusetzen.

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• Die vielfach im Kunsttanz entwickelten Improvisationstechniken bieten Kirchentänzern ungewohnte Bewegungsabläufe und lassen sie energetische Entdeckungen machen. Die Voraussetzung dazu besteht in geeigneter Anleitung, die neue Erfahrungen initiiert durch Aufgabenstellungen und Anregungen. Tänzer erleben sich darin als lebendig, sie finden es spannend, freien Impulsen zu folgen. In der Contact Improvisation kommt Begegnung dazu sowie das Spiel mit dem Eigengewicht der Tänzer, mit Führen, Ziehen, Druck und Balance. • Die getanzte Bibelarbeit setzt meist improvisatorische Tanzstile ein, um in der Begegnung mit dem Text zu narrativ-expressiven Choreographien für den Gottesdienst zu kommen oder in der Einzel- und Gruppenarbeit selbständig aus dem Moment heraus Bibel zu interpretieren. Meist theologisch gebildete Leiter_innen begleiten das Geschehen. Teilweise erfolgt eine Bibelarbeit bzw. biblische Meditation auch durch feste Choreographien, die auf der Basis der Bibelinterpretation der Leiterin bestimmte Aspekte des Textes den Mittanzenden nahebringen, häufig in Kombination mit Wortbeiträgen. • Tanztheater erbrachte für den Bühnentanz die Hinwendung zum Humanum, zu wirklichkeitsbezogenen Themen. In Kirchengemeinden oder kirchlichen Großveranstaltungen werden im Tanztheater politische oder biblische Themen im stimmigen Zusammenwirken von Gehalt und Form durchgearbeitet. Die Stücke transportieren Geschichten, Ideen, Gefühle und Stimmungen. Meist werden die Stücke im Kollektiv entwickelt. Der von Erfahrung durchzogene Körper kommt in einem sakralen Raum zur Geltung und erschließt Körperausdruck und Körpererfahrung für Gottesdienstfeier und Verkündigung. • Der meditative Tanz beinhaltet eine Begegnung mit tänzerischen Formen. Entweder kann die Choreographie meditiert werden oder die von ihr ausgelöste Körpererfahrung. Erlebt werden Sammlung, Zur-Ruhe-Kommen, Konzentration auf die Bewegungsführung und die zentrierende Gestalt, die sich durch die gemeinsame Ausführung im Kreis ergibt. Die übende Wiederholung führt zur Automatisierung, so dass der Geist frei wird, die Bewegung bewusst mitzuvollziehen, ohne davon besetzt zu werden. Insgesamt wird in 2.4 deutlich, dass jeweils eine charakteristische ästhetische Erfahrung Spielmaterial anbietet für die Ausbildung einer tänzerischen Spiritualität. Tanzspiritualität kann es demnach nur im Plural geben. Kapitel 3 beschäftigt sich mit dem Einfluß des Kontextes „Kirche“ auf den Tanz. Der spezifische Status von Kirchenräumen kann, die theologische Dichotomie von heilig und profan überwindend, phänomenologisch bestimmt werden (Raschzok, Foucault). Dadurch erhalten die Materialität des Raumes sowie die Leiblichkeit der Menschen in ihm mehr Aufmerksamkeit. Über die Frage hinaus, was Kirchenräume mitbringen, kann auch gesehen werden, was Menschen in Kirchenräumen durch ihre leibräumliche Präsenz einbringen.

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Tanz und Raum geben sich gegenseitig etwas. Tanz spiegelt auf dem Weg der ästhetischen Reflexivität die Potenziale des Kirchenraums. Der Tanz wird geformt durch seine spezifische Art der Lektüre des Raumes, indem er sich mit dessen Qualitäten auseinandersetzt. Kapitel 4 fragt nach der religiösen Relevanz von Kunsterfahrung im Kirchenraum. Analog zu den Einflüssen des Raumes bei der Rezeption von Filmen oder Musik ist auch für Tanz anzunehmen, dass eine Verbindung mit der symbolischen Welt des Kirchenraums aufgebaut wird. Nicht der Tanz selbst hat also Macht, Menschen für religiöse Erfahrungen zu öffnen, sondern es ist, gegen Schwan, eine konsequent rezeptionsästhetische Deutung der Reaktionen stark zu machen. Tanz im Kirchenraum kann erst bei entsprechender Einstellung und Vorerfahrung der Rezipienten und einem nachvollziehbaren Bezug zum Aufführungskontext in der ästhetischen Erfahrung auch Aspekte religiöser Erfahrung eröffnen. Der Tanz hält an der Bedeutung materialer Wirklichkeit fest. Er lässt Bilder im Kopf der Zuschauer entstehen und somatische Empfindungen, die das Körpersein der Anwesenden bewusst machen. Abwesendes erhält durch die Platzhalterfunktion der Aufführung Raum, sich zu präsentieren. Indem eine Kunst zum Zuge kommt, die keinen besonderen Nutzen zu haben scheint, eröffnet sich ein Erfahrungsspektrum, das sich nicht unbedingt für Religion vereinnahmen lässt. Tanz könnte so, als autonom verstandene Kunst, in der Kirche zu einem wertvollen Dialogpartner werden. Die durch Tanz im besten Fall angestoßene Selbsterkenntnis im Sinne von transformierender Selbstwahrnehmung und umfassender Selbstannahme ist offen und öffnend für das Lebensfreundliche der christlichen Religion. Kapitel 5 fragt nach der Verhältnisbestimmung von ästhetischer Erfahrung und christlicher Spiritualität. Dabei geraten Ansätze von Wackenroder, Schleiermacher, Tillich und Gräb in den Blick. Wackenroders Frage nach angemessenen Beschreibungen der Erfahrungen, ohne deren Transzendenzdimension auszublenden, erweist sich dabei als bleibend aktuell. Gräbs Ansatz offenbart die Problematik der Unterscheidung von ästhetischer und spiritueller Erfahrung. Die Inbezugsetzung beider Erfahrungsweisen durch die Befragten selbst ist dort greifbar, wo Tanz in die im Christentum etablierten religiösen Praktiken integriert wird. Tanz integriert das Leibliche in die Religiosität, so dass die Bedeutung des eigenen Daseins als leiblicher Mensch Eingang findet in die Welt religiöser Deutungen der Befragten. Über Josuttis und andere hinaus kann Spiritualität in den Äußerungen nicht nur als seltenes Gipfelerlebnis wahrgenommen werden, sondern viel häufiger als Haltung gegenüber Selbst, Welt und Mitmensch, die sich in einer Praxis langfristig einstellt. Transformation erweist sich somit in der Arbeit als heuristische Kategorie, die zweierlei erfasst, das plötzliche Ergriffenwerden vom Heiligen und die allmähliche prozesshafte Veränderung. Im Erleben schlichter Gesten der Zuwendung des Händereichens, im Staunen über die langsame Vertiefung eines Daseinsgefühls durch die Übung einfacher Schrittformen, im Erspüren des Humanen an den eigenen und fremden Grenzen sowie im unverhofften

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Glück in der Improvisation zeigen sich spirituelle Erfahrungen inmitten ästhetischer Erfahrung. Wesentlich ist, zu sehen, dass das Spirituelle darin nicht objektivierbar ist. Es wurzelt im Vorsprachlichen, im Erleben von Atmosphären, die Leiber einbetten und mit Autorität auftreten können und konkretisiert sich nur gelegentlich in expliziten religiösen Deutungen seitens der Tänzer oder Zuschauer_innen. Die empirische Untersuchung in dieser Arbeit zeigt außerdem auf, wie ästhetische Erfahrung aufgrund religiöser Deutung Teil spiritueller Praxis auch dann werden kann, wenn die Kunst des Tanzes nicht von vorneherein mit sprachlich fassbaren Gehalten und Intentionen verbunden ist. Außerdem wird der Aspekt stark gemacht, dass die Materialität der ästhetischen Erfahrung im Tanz einen lediglich vergeistigten Begriff von Spiritualität verhindert. Kapitel 6 entfaltet die spezischen Leistungen von Tanzspiritualität für die Transformation traditioneller Praxen christlicher Religiosität, die dann zum Tragen kommen, wenn es zur bewussten Integration von Tanz in Gebet, Bibelbegegnung, Gemeinschaft und Gottesdienst kommt. Darüber hinaus wird aufgezeigt, wie sich in der Perspektive der Befragten das Leben verändert, wenn Tanzspiritualität darin Bedeutung gewinnt. Zunächst fragt Kapitel 6 noch einmal nach dem Vagen der Tanzerfahrung und der Möglichkeit, dieses Unbestimmbare in einer Theorie christlicher Spiritualität zu würdigen. Während dies mit dem Ansatz von Lauster nicht überzeugend gelingt, eröffnet die Denkfigur des attunement von Michael Fishbane einen Weg, um auch das Vorsprachliche theologisch deuten zu können. Das sogenannte attunement bedeutet: „Es gibt kein ,Selbst‘ hier und ,Objekt‘ dort: es gibt eher eine Zusammengehörigkeit, sozusagen eine Verstrickung, die meine Einschätzungen und Beurteilungen nur verdichten.“587 Durch diese Brille hindurch betrachtet, wird Tanz nicht als bloße Methode zu sehen sein, die Gottesdienst und Gebet lediglich auflockert oder verlebendigt. Tanz ist ein eigenständiger genuiner Zugang zu christlicher Spiritualität und verändert die Formen von innen heraus. • Als Gebet und performative liturgische Sprache ist Tanz von persönlichem Ausdruck geprägt und gibt leiblicher Resonanz darin Raum. • Tanz lässt eine Spiritualität, die bereit ist, sich an Bibeltexten zu schulen, persönlich relevant werden. In einer Mischung von Ausdrucks- und Eindrucksgeschehen kommt es zu nachhaltigen Erlebnissen mit den Texten. • Communitas entsteht in liminalen performativ erzeugten Räumen, wie auch die Abendmahlsgemeinschaft (communio) einer ist. Tanz führt hin zu Erfahrungen des Kontakts untereinander, des inneren und äußeren Berührtseins und des Prozesses, eine solidarische Gruppe zu werden. Das Erleben des Abendmahls verändert sich dort, wo die tanzerfahrenen Teilnehmer ihre Erfahrungen des Kontaktes realer Körper integrieren und sich 587 Fishbane 2012, 388.

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als Leib Christi begreifen, so dass der Kreis Subjekt liturgischer Gestaltung wird. • Gottesdienst verändert sich durch Tanz, da den Anwesenden ihr eigener Körper bewusst gemacht wird, ob sie nun mittanzen oder nicht. Die Leiblichkeit von Liturgie wird erfahrbar. Dies ermöglicht es, die Liturgie im Fluss zu halten. Ein Zusammenspiel von Wort und Tanz ergibt sich und produziert neue hermeneutische Wege. Durch Tanz im Gottesdienst und Tanzgottesdienst wird die liturgietheologische Aufgabe der Kirche an Anthropologie und Gottesbild zu arbeiten herausgefordert. Transformation des Lebens ereignet sich in einer Bandbreite von wahrnehmbarer Veränderung von Haltungen sich selbst und der Welt gegenüber und dem liminalen Zustand, der im Tanz vorübergehend zu einem Erlebnis des Einsseins mit sich und der Welt führt. Lernerfahrungen Tanzender beziehen sich auf ihr Selbstbild (Selbstannahme) und auf ihren Umgang mit Lebensthemen bis hin zur Reaktion auf Bibeltexte und Gottesbilder. Als gemeinsame Merkmale von Spiritualität im Tanz können gelten: die zentrale Stellung des Körpers, die Rolle des Sozialen und die hermeneutische Vermittlung von Tanz und Glaube. • Die in der Studie dargestellten Lernerfahrungen zeugen von einem Zuwachs an Resilienz, Kohärenz, Sozialkompetenz und einem verbesserten Körperbezug. • Im Tanz stellen sich Menschen der Herausforderung, mit ihren Gefühlen umzugehen und die eigenen Grenzen kennenzulernen. Die Freiheit, die Bewegungsspielräume zu erweitern, eingefahrene Muster zu verlassen und die Erfahrung, von anderen darin unterstützt zu werden, ist transparent für die Deutung auf das ermächtigende Wirken des Heiligen Geistes. • Die Bewegung des eigenen Lebens kann im Tanz gespiegelt, neu entdeckt und daraufhin angesehen werden, wo Transformation dessen was ist, möglich oder wünschenswert ist. Von Bonhoeffers Theologie der Diesseitigkeit angeleitet, kann dies vor allem den Verzicht, etwas aus sich machen zu wollen, bedeuten. Tanzende erleben sich in der Improvisation inmitten der Fülle der Aufgaben, aber auch der Ratlosigkeiten. Sie können erfahren, was es bedeutet, sich dem Leben in die Arme zu werfen und zu sehen, was wird. In theologischer Sprache gesagt, handelt es sich um Gottvertrauen. Mit dem, was sich ergibt, kann ein Tänzer das Dasein feiern. In dieser Offenheit verwirklicht sich ein Ethos, das Menschen Zeit lässt für Wachstumsprozesse. Spirituelle Praktiken werden nicht als Weg zur Vollkommenheit missdeutet, sondern individuell mit Leben gefüllt. Kapitel 7 reflektiert die Beobachtung, dass Tanz bis heute in kirchlich angebundener Spiritualität marginalisiert ist. Er existiert wie etwas Ausgesondertes, Abgespaltenes, ein Abjekt (Kristeva) an den Rändern der Kirche. Mögliche Gründe werden anhand zweier „heißer Eisen“, der Beteiligung von

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Laien und der Erotik im Tanz dargestellt. An der Grenze dessen, was Tanz leisten kann, wird zuletzt noch einmal seine besondere Chance deutlich: dem Abwesenden einen Platz frei zu halten. Damit wird theologisch gesprochen auf den Spielraum des Heiligen Geistes verwiesen. Tanz als Phänomen zwischen Ästhetik und Spiritualität kann für unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen von Interesse sein. Dies versucht diese Arbeit zu zeigen. Die komplexen Phänomene Tanz, Ästhetik und Spiritualität begegnen sich im Feld Kirchentanz in einzigartiger Weise. Ihr Zusammentreffen erzeugt Anlässe für einen multilateralen Dialog. In dem daraus entstehenden Gespräch von Tanzenden und Kirche, von Tanzwissenschaft und Praktischer Theologie hat sich das Bemühen um eine Sprache, die Zugänge zum Phänomen schafft, als zentral erwiesen. Einerseits sind wissenschaftliche Kategorien wie Semiotik und Performativität interdisziplinär kompatibel. Andererseits kann die Sprache Tanzender durch genaues zeitintensives Zuhören, wie es qualitativ empirische Forschung praktiziert, immer besser verstanden werden. Die vorliegende Studie zeigt die Bedeutung von Tanz, Ästhetik und Spiritualität für dieses noch wenig erforschte Gebiet „Gelebter Religion“ (Heimbrock) auf und nimmt dabei den Ausgangspunkt in dem, was für die Tanzenden selbst relevant ist. Auf der Mikroebene wissenschaftlicher Erforschung wurde die Entwicklung und Gestalt subjektiver ästhetischer Praktiken und deren soziale Bedeutung sichtbar gemacht. Die Tanzenden haben erzählt, wie sie zum Tanzen gekommen sind, was sie daran fasziniert, wie sie tanzen und was das Tanzen mit ihnen macht. Auf der Ebene praktischer Lebenserfahrung zeigt sich so jeweils ein spezifisches Verhältnis von Tanz, Ästhetik und Spiritualität. Menschen sprechen über Tanz, wie sie ihn aus persönlicher Erfahrung kennen, sie wissen, dass dabei ihre ästhetischen Wahrnehmungen eine Rolle spielen, da sie sie benennen (ohne den Begriff zu verwenden) und sie dabei in Erfahrung ummünzen. Außerdem versuchen sie gelegentlich, ihre Werte zu benennen, die ästhetischen Urteilen zugrunde liegen. Hineinverwoben in das Erleben und Deuten sind Erfahrungen – mit dem Selbst, mit der Gemeinschaft, mit den im Tanz erlebten künstlerischen Gestalten (Choreographien), mit Texten und mit Praktiken – die von den Tanzenden als spirituell aufgefasst werden. Dabei begegnen christlich geprägte Auffassungen von Spiritualität und solche, die sich von traditioneller Religiosität gelöst haben. Theologumena wie Gnade oder Geschöpflichkeit werden in bestimmten Beispielen auf eine Weise erschlossen, die vorprädikative Erfahrungen von intensiven Momenten der Präsenz, von Mitahmung und Mitsein ins Zentrum stellt, mithin eine pathische Qualität aufweisen, die für christliche Spiritualität typisch ist. Spezifisch für Tanz ist jedoch, dass auch ohne expliziten Bezug auf religiöse Denkfiguren, Deutungen und Textbezüge für die Tanzenden ein Erleben zustande kommt, das mit spiritueller Erfahrung zu tun hat, zum Beispiel in der Öffnung für Lebendigkeit, im Sich-Zeigen, Sich-Riskieren. Das Reden

Zusammenfassung

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der Betroffenen über solche Erfahrungen musste notwendig tastend und manchmal vage bleiben. Auf der Mesoebene der Theorie erwiesen sich Begriffe aus der Ritualforschung in der Form, wie sie in der Theaterwissenschaft (Fischer-Lichte) und Tanzwissenschaft rezipiert wurden, als Hilfen, um zu verstehen, worum es bei ästhetischer Erfahrung geht. Die Erkenntnis, es im Tanz mit einem performativen Geschehen zu tun zu haben, – einem Geschehen, das in einen Zwischenzustand führt, in dem bestimmte Erfahrungsqualitäten mit erhöhter Wahrscheinlichkeit erlebt werden, nämliche solche, die transformieren, die das Zeitempfinden sowie das Selbst- und Weltbild betreffen und communitas schaffen – machte aufmerksam auf die Stellen in den Erzählungen, die von Wandel, von Lernerfahrungen (Resilienz, Kohärenz, Selbstannahme, Problemlösung) und einem besonderen unalltäglichen Kontakt mit den Tanzpartnern sprechen (Berührung, Gehaltensein, Energiefluß, Wärme). Da die ästhetische Erfahrung keine fixe Kategorie ist (Deines), die der lebendigen Praxis als Schablone vorgegeben werden kann, kam es darauf an, die Vielfalt von ästhetischen Erfahrungen, die in den einzelnen Stilen möglich sind, zu würdigen, ohne damit der Vielgestaltigkeit von Tanz in kirchlichen Zusammenhängen Grenzen gesetzt zu haben. Eine unsagbare Form von Wissen, das Körperwissen, erhält dadurch einen Platz in christlicher spiritueller Praxis. Der Körper wird in christliche Religionspraxis integriert, und zwar als lebendiges Konglomerat, nicht mehr als Widerpart von Seele und Geist. Das Körperwissen Tanzender wird christlicher Spiritualität zur Verfügung gestellt. Was in der Tanzspiritualität vorsprachlich, flüchtig performativ und nicht christlich zu vereinnahmen ist, kann zudem mit einem weiten Herzen gewürdigt werden. Die hier vorliegende empirische Rekonstruktion und theoretische Reflexion von Kirchentanz ist trotz einer Suche nach Regelhaftem und Typischem, um es anschließend beschreiben zu können, letztlich sehr interessiert daran, die Sache nicht festzulegen, auch nicht zu sagen, wie es richtig ist, sondern Raum zu lassen für Andersartigkeit, in großer Offenheit für die Veränderbarkeit der Welt. Die Bedeutung der untersuchten Praktiken für die Kirche (Makroebene) sollte anhand der Ergebnisse dieser Arbeit jeweils kontextspezifisch eruiert und anschließend in eine adäquate Praxis vor Ort überführt werden. Angesichts der Fülle des Materials und der pluralen Methodik kann festgehalten werden, dass die Bearbeitung des Themas Tanz in der Praktischen Theologie eine unabgeschlossene Aufgabe darstellt. Diese kann nur interdisziplinär gelingen im Dialog mit der Tanzwissenschaft. Davon könnte auch die Tanzwissenschaft profitieren. Denn während die Tanzwissenschaft sich vor allem mit professionellem Kunsttanz historisch und systematisch beschäftigt und nur gelegentlich das Erleben von Laientänzern untersucht, und dabei bisher kaum die spirituellen Potenziale der Tanzerfahrung gewürdigt hat, sind diese in der vorliegenden Arbeit entfaltet. Mit den verwendeten Kategorien aus Semiotik und Performativitätstheorie ist sie ein

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Figurationen des Kirchentanzes

Angebot zur Rezeption in außertheologischen Disziplinen. Dies gilt auch für die Religionswissenschaft, die sich programmatisch theologischer Deutungen enthält. Die methologische Herangehensweise über sozialwissenschaftliche Empirie bietet Anschlussmöglichkeiten, um in der interkulturellen religionswissenschaftlichen Forschung rezipiert werden zu können. Die Arbeit stellt einen Beitrag dar zur Erforschung gelebter Religion in einer postchristlichen Gesellschaft. Gleichzeitig gibt sie Einblick in die Möglichkeiten und Bedürfnisse Einzelner, zwischen unterschiedlichen spirituellen Kulturen zu wandern. Diese Erkenntnisse machen die Studie auch für die Praktische Theologie wertvoll. Die dargestellten philosophischen und biblischen Grundlagen der Entstehung des Kirchentanzes machen auf Strömungen aufmerksam, deren Rezeption zu einer körperfreundlicheren Praktischen Theologie führt. Am Beispiel der Liturgik wurde sichtbar, dass die Bewegung hin zur Wahrnehmung der leiblichen Dimension des Menschen zur Erweiterung der Gottesdiensttheorien beitragen konnte. Das Abendmahlsverständnis als Feier von leiblichen Menschen sowie die neueren gendersensiblen Arbeiten begünstigen die Wahrnehmung von Tanz als ernstzunehmendem Ausdruck alternativer Zugänge zum Gottesdienst. Auch Religions- und Gemeindepädagogik bewegen sich auf ganzheitliche Konzepte zu. Pädagogische Subjektorientierung öffnet das Methodenspektrum und bezieht Körpererfahrung und Körperbewegung deutlich häufiger ein. Tanz geht einen Schritt weiter. Das Interesse praktischer Theologie für den Tanz ist gemessen an den Chancen noch relativ gering. In dieser Arbeit ging es daher auch darum, die Welt des Tanzes durch ausführliche Einblicke der Praktischen Theologie vertrauter zu machen. Die Geschichte des Tanzes außerhalb der Kirche ist weitaus größer als innerhalb. Dennoch ist es gelungen, historische Spuren aufzuzeigen, die die Entfaltung der Szenen bis in die Gegenwart plausibel machen. Dabei sind auch Desiderate zutage getreten. Eines davon ist die Arbeit an der theologischen Hermeneutik tänzerischer Erfahrung und Aufführungspraxis. Wenn Praktische Theologie auch eine Verstehensbemühung um die Kommunikation des Evangeliums darstellt, dürfte die Erkenntnis, dass es sich bei Tanz um ein Bündel unterschiedlicher Energien handelt, die von lebendigen Körpern zur Wirkung gebracht werden und Aussagekraft entfalten können, Anstöße geben, um die weitere Erforschung voranzutreiben.

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Literatur

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Monographien und Aufsätze

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Grözinger, Albrecht (1995): Praktische Theologie als Kunst der Wahrnehmung, Gütersloh. Gruber, Gernot/Mokre, Monika (Hg.) (2016): Repräsentation(en). Interdisziplinäre Annäherungen an einen umstrittenen Begriff, Wien. Guardini, Romano (1918): Vom Geist der Liturgie, 201997, Mainz/Paderborn. Gumbrecht, Hans Ulrich (2004): Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Präsenz, Frankfurt/M. Gundlach, Helga Barbara (2002): Tanz als Gegenstand religionswissenschaftlicher Forschung in Deutschland, in: Klein, Gabriele/Zipprich, Christa (Hg.): Tanz Theorie Text, Jahrbuch Tanzforschung 12, Münster, 173–191. Gunia, Hans/Quiroga Murcia, Cynthia (2017): Tango in der Psychotherapie, München/ Basel. Günther, Dorothee (1962): Der Tanz als Bewegungsphänomen, Hamburg. Habermas, Jürgen (1973): Erkenntnis und Interesse, Frankfurt/M. Haeffner, Gerd (2004): Erfahrung – Lebenserfahrung – religiöse Erfahrung. Versuch einer Begriffsklärung, in: Ricken, Friedo (Hg.): Religiöse Erfahrung. Ein interdisziplinärer Klärungsversuch, Münchener philosophische Studien 23, Stuttgart, 15–39. Hahn, Alois (2010): Körper und Gedächtnis, Wiesbaden. Hahn, Kornelia/Meuser, Michael (Hg.) (2002): Soziale Repräsentationen des Körpers – Körperliche Repräsentationen des Sozialen. Beiträge zu einer Soziologie des Körpers, Konstanz. Hahnen, Peter (1998): Das ,Neue Geistliche Lied’ als zeitgenössische Komponente christlicher Spiritualität, Theologie und Praxis 3, Münster. Halprin, Anna (1987): Bewegungsritual, Basel. Halprin, Anna (2000): Tanz, Ausdruck und Heilung. Wege zur Gesundheit durch Bewegung, Bilderleben und kreativen Umgang mit Gefühlen, Synthesis Verlag, Essen. Hämmerling, Elisabeth (1984): Orpheus Wiederkehr. Der Weg des heilenden Klanges. Alte Mysterien als lebendige Erfahrung, Interlaken. Hämmerling, Elisabeth (1995): Mondgöttin Inanna. Ein weiblicher Weg zur Ganzheit, Stuttgart. Hammerstein, Günter (2016): Lebensbahnen – die Fülle. Überlegungen zur Fülle als Symbol, in: Lebensbahnen. Die Fülle im Tanz, Neue Kreise ziehen. Fachzeitschrift für meditativen und sakralen Tanz 3/2016, 8–9. Hardt, Yvonne (2006): Reading emotions. Lesarten des Emotionalen am Beispiel des modernen Tanzes in den USA (1945–1965), in: Bischof, Margrit/Feest, Claudia/Rosiny, Claudia (Hg.): e-motion, Jahrbuch Tanzforschung 16, Münster, 139–155. Hartmann, Annette (2002): Doing Tango – Performing Gender. Zur (De-)Konstruktion von Geschlechtsidentitäten in Literatur und Tanz, in: Klein, Gabriele/Zipprich, Christa (Hg.): Tanz Theorie Text, Jahrbuch Tanzforschung 12, Münster, 367–381. Hartmann, Annette (2008): Tango – ein Spiel mit geschlechtlichen Dichotomien, in: Oster, Martina/Ernst, Waltraud/Gerards, Marion (Hg.) (2008): Performativität und Performance. Geschlecht in Musik, Theater und Medienkunst, Focus Gender 8, Hamburg, 48–57. Hartmann, Annette/Woitas, Monika (2016): Das große Tanzlexikon. Tanzkulturen – Epochen – Personen – Werke, Laaber. Hartmann, Mareike (2015): „Mensch, lerne tanzen“. Theologische Blicke auf das Phänomen Tanz, in: Geist und Leben (GuL) 88. Jg., Heft 2, 189–198.

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Literatur

Hauschildt, Eberhard/Schwab, Ulrich (Hg.) (2002): Praktische Theologie für das 21. Jahrhundert, Stuttgart. Hedwig-Jahnow-Forschungsprojekt (Hg.) (2003): Körperkonzepte im Ersten Testament. Aspekte einer Feministischen Anthropologie, Stuttgart. Heidegger, Martin (1993): Sein und Zeit, Tübingen. Heimbrock, Hans-Günter (2007): Praktische Theologie als Empirische Theologie, in: Dinter, Astrid/Heimbrock, Hans-Günter/Söderblom, Kerstin (Hg.): Einführung in die Empirische Theologie. Gelebte Religion erforschen, Göttingen, 17–59. Heimbrock, Hans-Günter (2013): Leben. Praktische Theologie als Theorie „Gelebter Religion“ und der Begriff der Erfahrung, in: Weyel, Birgit/Gräb, Wilhelm/Heimbrock, Hans-Günter (Hg.): Praktische Theologie und empirische Religionsforschung, Leipzig, 121–142. Herrmann, Jörg/Mertin, Andreas /Valtink, Eveline (Hg.) (1998): Die Gegenwart der Kunst. Ästhetische und religiöse Erfahrung heute, München. Herrmann, Steffen Kitty (2003): Performing the Gap – Queere Gestalten und geschlechtliche Aneignung. In: arranca! 2003, Nr. 28, Aneignung I, Berlin, 22–26. (Wiederabdruck in: A.G. Gender-Killer (Hg.) (2007): Das gute Leben, Münster, 195–204). Hiddemann, Frank (2007): Site-specific Art im Kirchenraum. Eine Praxistheorie, Leipzig. Hirsch, Walter (1992): Mensch X, philosophisch, in: Theologische Realenzyklopädie (TRE), Bd. 22, Berlin/New York, 567–576. Hitzler, Ronald (32010): Leben in Szenen. Formen juveniler Vergemeinschaftung heute, Wiesbaden. Hoghe, Raimund (2005): Den Körper in den Kampf werfen, in: Klein, Gabriele/Sting, Wolfgang (Hg.): Performance. Positionen zur zeitgenössischen szenischen Kunst, Bielefeld, 51–57. Hollenweger, Walter J. (1984): Das Fest der Verlorenen. Die Bibel erzählt, getanzt und gesungen, München. Holzkamp, Klaus (1994): Musikalische Lebenspraxis und schulisches Musiklernen, in: Olias, Günther (Hg.): Musik lernen: Aneignung des Unbekannten, Essen, 87–109. Honer, Anne (1993): Lebensweltliche Ethnographie. Ein explorativ-interpretativer Forschungsansatz am Beispiel von Heimwerkerwissen, Wiesbaden. Horsch, Margarete (1987): Bewegung und Tanz im Gottesdienst, in: Katechetische Blätter (KatBl) 112. Jg., Heft 4 „Musik und Tanz“, München, 303–306. Hubrich, Michael (2013): Körperbegriff und Körperpraxis. Perspektiven für die soziologische Theorie, Wiesbaden. Huizing, Klaas (2015): Ästhetische Theologie. Der erlesene Mensch. Der inszenierte Mensch. Der dramatisierte Mensch, Gütersloh. Hummel, Maria Elisabeth (2000): Tanz als Gebet, in: Kreutz, Monika (Hg.): Mut zu Bewegung und Tanz in Gemeinde und Gottesdienst. Materialhefte der Beratungsstelle für Gestaltung von Gottesdiensten und anderen Gemeindeveranstaltungen 89, Frankfurt/ M., 188–191. Humphrey, Doris (1991): Die Kunst, Tänze zu machen. Zur Choreographie des Modernen Tanzes, Wilhelmshaven. Hunter, Victoria (2005): Embodying the Site: the Here and Now in Site-Specific Dance Performance, in: NTQ 21:4 (November 2005), Cambridge, 367–381.

Monographien und Aufsätze

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Huschka, Sabine (2006): Tanz als Medium von Gefühlen. Eine historische Betrachtung, in: Bischof, Margrit/Feest, Claudia/Rosiny, Claudia (Hg.) (2006): e-motion, Jahrbuch Tanzforschung 16, Münster, 107–122. Huschka, Sabine (22012): Moderner Tanz. Konzepte, Stile, Utopien, Hamburg. Huschka, Sabine (2012a): Körperkontakt im Tanz. Ästhetische Betrachtungen seiner Artikulation, in: Schmidt, Renate-Berenike/Schetsche, Michael (Hg.) (2012): Körperkontakt. Interdisziplinäre Erkundungen, Gießen, 309–329. Huschka, Sabine (2013): Low Energy – High Energy. Motive der Energetisierung von Körper und Szene, in: Gronau, Barbara (Hg.): Szenarien der Energie. Zur Ästhetik und Wissenschaft des Immateriellen, Edition Kulturwissenschaft 8, Bielefeld, 201–221. Huschka, Sabine (Hg.) (2009): Wissenskultur Tanz. Historische und zeitgenössische Vermittlungsakte zwischen Praktiken und Diskursen, Bielefeld. Husmann, Bärbel (2008): Inszenierung und Unterricht. Oder: Man kann nicht nicht inszenieren, in: Klie, Thomas/Leonhard, Silke (Hg.): Performative Religionsdidaktik. Religionsästhetik – Lernorte – Unterrichtspraxis, Praktische Theologie heute 97, 26–37. Jeremias, Jörg (1997): Die Reue Gottes. Aspekte alttestamentlicher Gottesvorstellung, Neukirchen. Jestädt, Hannelie (1996): Bewegung und Tanz im Familiengottesdienst. Leibhaftig beten, Düsseldorf. Jestädt, Hannelie (2000): Unser Leben sei ein Fest – Lasst uns tanzen aus Freude an Gott!, in: Kreutz, Monika (Hg.): Mut zu Bewegung und Tanz in Gemeinde und Gottesdienst. Materialhefte der Beratungsstelle für Gestaltung von Gottesdiensten und anderen Gemeindeveranstaltungen 89, Frankfurt/M., 120–127. Josuttis, Manfred (1991): Der Weg in das Leben. Eine Einführung in den Gottesdienst auf verhaltenswissenschaftlicher Grundlage, München. Josuttis, Manfred (1997): Leiblichkeit in der Liturgie. Anstiftung zur Spurensuche, in: Klessmann, Michael/Liebau, Irmhild (Hgg.): „Leiblichkeit ist das Ende der Werke Gottes“. Körper – Leib – Praktische Theologie, Göttingen, 92–100. Josuttis, Manfred/Martin, Gerhard Marcel (Hgg.) (1980): Das heilige Essen. Kulturwissenschaftliche Beiträge zum Verständnis des Abendmahls, Stuttgart/Berlin. Joswig, Benita (2003): Altäre. Theologie und Kunst im urbanen Raum – ein Tischprojekt, Praktische Theologie und Kultur 12, Gütersloh. Kaiser, Jochen (2012): Religiöses Erleben durch gottesdienstliche Musik. Eine empirischrekonstruktive Studie, Göttingen. Kaltenbrunner, Thomas (32009): Contact Improvisation, Aachen. Käßmann, Margot (2005): Spiritualität des Deutschen Evangelischen Kirchentages, in: Krech, Hans/Hahn, Udo (Hg.): Lutherische Spiritualität – Lebendiger Glaube im Alltag, Lutherisches Kirchenamt, Hannover, 99–102. Keller, Reiner/Meuser, Michael (Hg.) (2011): Körperwissen, Wiesbaden. Kennedy, Antja (Hg.) (2014): Bewegtes Wissen. Laban/Bartenieff-Bewegungsstudien verstehen und erleben, Berlin. Kennel, Gunter (1998): Autonomie und Funktionalität von Musik aus Praktisch-Theologischer Perspektive, in: Praktische Theologie (PrTh), 33. Jg, H. 4, 282–295.

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Literatur

Keßler, Hildrun (1996): Bibliodrama und Leiblichkeit. Leibhafte Textauslegung im theologischen und therapeutischen Diskurs, Praktische Theologie heute Bd. 20, Stuttgart/ Berlin/Köln. Keuchen, Marion/Lenz, Matthias/Leutzsch, Martin/Schroeter-Wittke, Harald (Hg.) (2008): Tanz und Religion. Theologische Perspektiven, Frankfurt/M. Kevan, Nadia (2000): Bewahre uns Gott, EG 171, in: Kreutz, Monika (Hg.): Mut zu Bewegung und Tanz in Gemeinde und Gottesdienst. Materialhefte der Beratungsstelle für Gestaltung von Gottesdiensten und anderen Gemeindeveranstaltungen 89, Frankfurt/ M., 182–184. Kiesow, Anna (2003): Auf der Suche nach dem Menschen. Forschungsüberblick zu ,Anthropologien des Alten Testaments’, in: Hedwig-Jahnow-Forschungsprojekt (Hg.): Körperkonzepte im Ersten Testament. Aspekte einer Feministischen Anthropologie, Stuttgart, 29–41. Kirsner, Inge (2000): Religion und Kino, Mythos und Wirklichkeit, in: dies./Wermke, Michael (Hg.): Religion im Kino. Religionspädagogisches Arbeiten mit Filmen, Göttingen, 12–40. Kirsner, Inge/Wermke, Michael (2009): Das Glück & die Reise & der Tod, in: dies./Wermke, Michael (Hg.): Passion Kino. Existenzielle Filmmotive in Religionsunterricht und Schulgottesdienst, Göttingen, 9–43. Kirsner, Inge/Wermke, Michael (Hg.) (2000): Religion im Kino. Religionspädagogisches Arbeiten mit Filmen, Göttingen. Kirsner, Inge/Wermke, Michael (Hg.) (2009): Passion Kino. Existenzielle Filmmotive in Religionsunterricht und Schulgottesdienst, Göttingen. Klaas Heike (2014): LBBS als Basis für das Ballett Exercice, in: Kennedy, Antja (Hg.): Bewegtes Wissen. Laban/Bartenieff-Bewegungsstudien verstehen und erleben, Berlin, 209–213. Klaas, Heike (2007): Kurzporträt, in: „Bewegtes Wissen visuell. DVD zum Text“, in: Kennedy, Antja (Hg.) (2014): Bewegtes Wissen. Laban/Bartenieff-Bewegungsstudien verstehen und erleben, Berlin. Klein, Gabriele (1992): FrauenKörperTanz. Eine Zivilisationsgeschichte des Tanzes, Weinheim/Berlin. Klein, Gabriele (1999): Körper der Erfahrung – Körper der Bezeichnung. Leibliche Wirklichkeiten im Tanz, in: Tanzdrama 48, 1999/4, 27–31. Klein, Gabriele (2006): Fußball und Tango. Politische und ästhetische Aspekte des Verhältnisses von Sport und Tanz, tanzjournal 4/2006, 7–11. Klein, Gabriele (2009) (Hg.): Tango in Translation. Tanz zwischen Medien, Kulturen, Kunst und Politik, Bielefeld. Klein, Gabriele (2014): Praktiken des Übersetzens im Werk von Pina Bausch und dem Tanztheater Wuppertal, in: Wagenbach, Marc (Hg.): Tanz Erben. Pina lädt ein, Bielefeld, 25–33. Klein, Gabriele/Göbel, Hanna Katharina (2017): Performance und Praxis. Ein Dialog, in: dies. (Hg.): Performance und Praxis. Praxeologische Erkundungen in Tanz, Theater, Sport und Alltag, Bielefeld, 7–42. Klein, Gabriele/Göbel, Hanna Katharina (Hg.) (2017): Performance und Praxis. Praxeologische Erkundungen in Tanz, Theater, Sport und Alltag, Bielefeld.

Monographien und Aufsätze

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Klein, Gabriele/Haller, Melanie (2006): Bewegtheit und Beweglichkeit. Subjektivität im Tango Argentino, in: Bischof, Margrit/Feest, Claudia/Rosiny, Claudia (Hg.) (2006): emotion, Jahrbuch Tanzforschung 16, Münster, 157–172. Klein, Gabriele/Haller, Melanie (2009): Körpererfahrung und Naturglaube. Subjektivierungsstrategien in der Tangokultur, in: Klein, Gabriele (Hg.): Tango in Translation. Tanz zwischen Medien, Kulturen, Kunst und Politik, Bielefeld, 123–136. Klein, Gabriele/Sting, Wolfgang (Hg.) (2005): Performance. Positionen zur zeitgenössischen szenischen Kunst, Bielefeld. Klein, Gabriele/Zipprich, Christa (2002): Tanz Theorie Text: Zur Einführung, in: dies. (Hg.): Tanz Theorie Text, Jahrbuch Tanzforschung 12, Münster 1–14. Klein, Gabriele/Zipprich, Christa (Hg.) (2002): Tanz Theorie Text, Jahrbuch Tanzforschung 12, Münster. Klepacki, Leopold (2008): Ästhetische Transformationen von Alltagsbewegung: Anthropologie des Verharrens – Thesen zur Genese tänzerischer Bewegung aus Alltagskontexten, in: ders./Liebau, Eckart (Hg.): Tanzwelten. Zur Anthropologie des Tanzens, Erlanger Beiträge zur Pädagogik 6, 107–111. Klepacki, Leopold/Liebau, Eckart (Hg.) (2008): Tanzwelten. Zur Anthropologie des Tanzens, Erlanger Beiträge zur Pädagogik 6, Münster/New York/München/Berlin. Klessmann, Michael/Liebau, Irmhild (Hgg.): „Leiblichkeit ist das Ende der Werke Gottes“. Körper – Leib – Praktische Theologie, Göttingen. Klie, Thomas (Hg.) (1998): Der Religion Raum geben. Kirchenpädagogik und religiöses Lernen. Grundlegungen, Veröffentlichungen des Religionspädagogischen Instituts Loccum 3, Münster. Klie, Thomas/Dressler, Bernhard (2008): Performative Religionspädagogik. Rezeption und Diskussion 2002–2008, in: Klie, Thomas/Leonhard, Silke (Hg.): Performative Religionsdidaktik. Religionsästhetik – Lernorte – Unterrichtspraxis, Praktische Theologie heute 97, Stuttgart, 225–236. Klie, Thomas/Leonhard, Silke (Hg.) (2008): Performative Religionsdidaktik. Religionsästhetik – Lernorte – Unterrichtspraxis, Praktische Theologie heute 97, Stuttgart. Knäble, Philip (2016): Eine tanzende Kirche. Initiation, Ritual und Liturgie im spätmittelalterlichen Frankreich. Koch, Gabriele (2002): Spiritualität in Bewegung. Tanz als Gestalt religiösen Lebens, Viersen. Koch, Gertrud/Maar, Kirsten/McGovern, Fiona (Hg.) (2012): Imaginäre Medialität/Immaterielle Medien, München. Köhler, Hanne (2000): Tanzgottesdienst zu Psalm 30, in: Kreutz, Monika (Hg.): Mut zu Bewegung und Tanz in Gemeinde und Gottesdienst. Materialhefte der Beratungsstelle für Gestaltung von Gottesdiensten und anderen Gemeindeveranstaltungen 89, Frankfurt/M., 128–136. Kohlhaas, Emmanuela (1995): Tanz im Chorgestühl? Gedanken zum Tanz auf dem Hintergrund einer kontemplativen Spiritualität, in: Vogler, Gereon/Sudbrack, Josef/ Kohlhaas, Emmanuela: Tanz und Spiritualität, Mainz, 56–80. Kolesch, Doris (22014a): Art. Ästhetik, in: Fischer-Lichte, Erika/Kolesch, Doris/Warstat, Matthias (Hg.): Metzler Lexikon Theatertheorie, Stuttgart/Weimar, 6–13. Kolesch, Doris (22014b): Art. Präsenz in: Fischer-Lichte, Erika/Kolesch, Doris/Warstat, Matthias (Hg.): Metzler Lexikon Theatertheorie, Stuttgart/Weimar, 267–270.

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Literatur

Koll, Julia (2007): Körper beten. Religiöse Praxis und Körpererleben, Praktische Theologie heute 85, Stuttgart. Kolster, Anke (2000): Worte werden Fleisch. Einführung in den Kirchentanz entlang eines Gottesdienstes mit Tanz, in: Kreutz, Monika (Hg.): Mut zu Bewegung und Tanz in Gemeinde und Gottesdienst. Materialhefte der Beratungsstelle für Gestaltung von Gottesdiensten und anderen Gemeindeveranstaltungen 89, Frankfurt/M., 79–85. Kolster, Anke (Hg.) (1998): Angebot Kirchentanz. Eine Übersicht für Tanz im kirchlichen Leben, Willich. Krauß, Jutta (2009): Spiritualität und männliche Körperkonzepte. Signifikationsräume im zeitgenössischen Tanz, in: Fischer, Dagmar-Ellen/Hecht, Thom (Hg.): Tanz, Bewegung & Spiritualität. Dance, Movement & Spirituality, Leipzig 2009, 176–189. Krech, Hans/Hahn, Udo (Hg.) (2005): Lutherische Spiritualität – Lebendiger Glaube im Alltag, Lutherisches Kirchenamt, Hannover. Krech, Hans/Hauschildt, Friedrich (2005): Einleitung, in: Krech, Hans/Hahn, Udo (Hg.): Lutherische Spiritualität – Lebendiger Glaube im Alltag, Lutherisches Kirchenamt, Hannover, 9–13. Kreutz, Monika (2000a): Guten Morgen – du Schöne. Beispiele eines Tanzworkshops, in: Kreutz, Monika (Hg.): Mut zu Bewegung und Tanz in Gemeinde und Gottesdienst. Materialhefte der Beratungsstelle für Gestaltung von Gottesdiensten und anderen Gemeindeveranstaltungen 89, Frankfurt/M., 139–148. Kreutz, Monika (2000b): Hinführung zu Tanz und Bewegung im Gottesdienst und Gemeindearbeit, in: dies (Hg.): Mut zu Bewegung und Tanz in Gemeinde und Gottesdienst. Materialhefte der Beratungsstelle für Gestaltung von Gottesdiensten und anderen Gemeindeveranstaltungen 89, Frankfurt/M., 11–29. Kreutz, Monika (2000c): Theologische Überlegungen zum Kirchentanz, in: dies (Hg.): Mut zu Bewegung und Tanz in Gemeinde und Gottesdienst. Materialhefte der Beratungsstelle für Gestaltung von Gottesdiensten und anderen Gemeindeveranstaltungen 89, Frankfurt/M., 30–32. Kreutz, Monika (Hg.) (2000): Mut zu Bewegung und Tanz in Gemeinde und Gottesdienst. Materialhefte der Beratungsstelle für Gestaltung von Gottesdiensten und anderen Gemeindeveranstaltungen 89, Frankfurt/M. Kristeva, Julia (1980): Pouvoirs de l’horreur. Essai sur l’abjection, Paris. Kruschkova, Krassimira (2006): Unmögliche Tränen. Über Emotionen im zeitgenössischen Tanz und in Performance, in: Bischof, Margrit/Feest, Claudia/Rosiny, Claudia (Hg.): e-motion, Jahrbuch Tanzforschung 16, Münster, 71–85. Kuhlmann, Helga (2008): „Wir haben euch aufgespielt und ihr habt nicht getanzt.“ Mt 11,17. Tanzfeindschaft und Tanzfreundschaft in der christlichen Religion. Theologische Perspektiven, in: Keuchen, Marion/Lenz, Matthias/Leutzsch, Martin/SchroeterWittke, Harald (Hg.): Tanz und Religion. Theologische Perspektiven, Frankfurt/M., 215–234. Kükelhaus, Hugo (1975): Fassen, fühlen, bilden. Organerfahrungen im Umgang mit Phänomenen, Köln. Kunz, Ralph/Kohli-Reichenbach, Claudia (Hg.) (2012): Spiritualität im Diskurs. Spiritualitätsforschung in theologischer Perspektive, Praktische Theologie im reformierten Kontext 5, Zürich.

Monographien und Aufsätze

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Kuppig, Kerstin (1995): Tanz als Ausdruck des Glaubens. Der religiöse Tanz in Unterricht, Gruppe und Gemeinde, Limburg. Laban, Rudolf von (1922): Die Welt des Tänzers, Stuttgart. Laban, Rudolf von (1981): Der moderne Ausdruckstanz in der Erziehung. Eine Einführung in die kreative tänzerische Bewegung als Mittel zur Entfaltung der Persönlichkeit, Wilhelmshaven. Laban, Rudolf von (1989): Ein Leben für den Tanz, Faksimiledruck der Ausgabe von 1935, hg. u. komment. v. Claude Perrottet, Bern/Stuttgart. Laban, Rudolf von (1991): Choreutik. Grundlagen der Raumharmonielehre des Tanzes. Aus dem Englischen übertr. von Claude Perrottet, Wilhelmshaven. Lachmann, Rolf (2000): Susanne K. Langer. Die lebendige Form menschlichen Fühlens und Verstehens, München. Lämmermann, Godwin/Platow, Birte (Hg.) (2014): Evangelische Religion – Didaktik für die Grundschule, Berlin. Lamnek, Siegfried (1989): Qualitative Sozialforschung. Bd. 2 Methoden und Techniken, München/Weinheim. Lamnek, Siegfried (2005): Qualitative Sozialforschung, Weinheim. Lampert, Friederike (2007): Tanzimprovisation. Geschichte, Theorie, Verfahren, Vermittlung, Bielefeld. Land, Ronit (2012): Das Wahrnehmen. Reflexionen über einen Dialog zwischen Körper und Ästhetik, in: Behrens, Claudia/Burkhard, Helga/Fleischle-Braun, Claudia/Obermeier, Krystyna (Hg.): Tanzerfahrung und Welterkenntnis, Jahrbuch Tanzforschung 22, Leipzig, 251–259. Lander, Hilda-Maria (1983): Tanzen will ich. Bewegung und Tanz in Gruppe und Gottesdienst, München. Lander, Hilda-Maria/Zohner, Maria-Regina (1987): Meditatives Tanzen, Stuttgart. Lander, Hilda-Maria/Zohner, Maria-Regina (1988): Bewegung und Tanz – Rhythmus des Lebens. Handbuch für die Arbeit mit Gruppen, Mainz. Lander, Hilda-Maria/Zohner, Maria-Regina (1997): Lehrerlebnis Tanz. Meditatives Tanzen in Gruppen, Mainz. Lander, Hilda-Maria/Zohner, Maria-Regina (1992): Trauer und Abschied. Ritual und Tanz für die Arbeit mit Gruppen, Mainz. Lander, Hilda-Maria/Zohner, Maria-Regina (1998): Geschmack an Erde und Himmel. Hildegard von Bingen. Ein Zugang durch Tanz und QiGong, Mainz. Lange, Ernst (1981): Kirche für die Welt, München/Gelnhausen. Lange, Marie-Luise (2006): Über Lebendigkeit oder die Präsenz des (Un-)Sichtbaren, in: dies. (Hg.): Aktionskunst lehren – Aktionskunst lernen, Berlin/Milow/Strasburg, 101–142. Lange, Marie-Luise (Hg.) (2006): Aktionskunst lehren – Aktionskunst lernen, Berlin/ Milow/Strasburg. Lassiwe, Benjamin (2014): Neuerliche Selbstinfantilisierung. Alles was peinlich wirken könnte, hat im Gottesdienst nichts zu suchen, in: Zeitzeichen. Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft, 15. Jg., Heft 11, 36–37. Launhardt, Ivonne/Schuster, Martina (1998): Tango Argentino. Faszination und Widersprüche, in: Bechdolf, Ute (Hg.): Tanzlust. Empirische Untersuchungen zu Formen

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Literatur

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Monographien und Aufsätze

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Monographien und Aufsätze

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Empirische Quellen (Transkripte / Audiodateien)

Empirische Quellen (Transkripte / Audiodateien) Einzelgespräch Einzelgespräch Einzelgespräch Einzelgespräch Gruppengespräch Einzelgespräch Einzelgespräch Einzelgespräch Einzelgespräch Einzelgespräch Einzelgespräch Einzelgespräch Gruppengespräch Einzelgespräch Einzelgespräch Einzelgespräch Einzelgespräch Einzelgespräch Gruppengespräch Einzelgespräch Einzelgespräch Einzelgespräch Einzelgespräch Einzelgespräch Gruppengespräch Gruppengespräch Einzelgespräch Einzelgespräch Einzelgespräch Einzelgespräch Einzelgespräch Einzelgespräch Einzelgespräch Einzelgespräch Einzelgespräch Einzelgespräch

A B Ba Be C/HW E Ea Et F Fr G Gi GT Ha Hs Ir Jo Ke Kl, As, Vo, Ku Ko M Ma Me Mn Mr, Gr Mu, V, T R Re Ro S Sa Sb Si St Ta U

telefonisch telefonisch telefonisch telefonisch Hausbesuch telefonisch Hausbesuch telefonisch telefonisch Festival Gemeinde Hausbesuch Gemeinde Gemeinde telefonisch Katholikentag telefonisch Katholikentag Gemeinde Ballettschule Festival Katholikentag Tagung telefonisch Gemeinde Hausbesuch Festival telefonisch Festival telefonisch Festival telefonisch Tanzstudio telefonisch Seminar telefonisch

04. 09. 2014 04. 09. 2014 09. 07. 2014 20. 08. 2014 04. 07. 2014 21. 08. 2014 10. 09. 2014 18. 09. 2014 20. 06. 2014 02. 05. 2014 30. 03. 2014 14. 06. 2014 07. 03. 2015 27. 11. 2014 25. 08. 2014 30. 05. 2014 03. 09. 2014 30. 05. 2014 14. 06. 2014 19. 06. 2014 08. 06. 2012 31. 05. 2014 26. 07. 2014 18. 09. 2014 15. 06. 2014 14. 06. 2014 09. 07. 2012 03. 09. 2014 03. 05. 2014 13. 11. 2014 03. 05. 2014 18. 08. 2014 28. 11. 2014 27. 08. 2014 27. 09. 2014 11. 08. 2014

43’ 45’ 50’ 55’ 95’ 42’ 60’ 54’ 43’ 34’ 40’ 35’ 30’ 64’ 38’ 35’ 47’ 53’ 42’ 50’ 22’ 39’ 33’ 35’ 28’ 48’ 36’ 28’ 28’ 90’ 23’ 50’ 68’ 60’ 36’ 51’

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Anhang: Alle Kodes in der Reihenfolge der Verweise in Teil B, Kapitel 2

2.1 „Eine sehr schöne Art, sich zu bewegen“ – Zur Bedeutung von Tanz für Tanzende im Raum Kirche 2.1.1 Tanzdefinitionen K1-1-1 Tanzen ist Bewegung in Raum und Zeit. K1-1-2 Tanzen ist Körperbeherrschung. K1-1-3 Tanzen ist eine Form von Ausdruck. K1-1-4 Tanz transportiert Emotionen. K1-1-5 Tanzen bildet Gemeinschaft. K1-1-6 Tanzen ist eine spirituelle Sprache und Erfahrungsweise. K1-1-7 Alle können tanzen. 2.1.2 Individuelle Bedeutung des Tanzens K1-2-1 Tanzen lässt mich durch meinen Körper eine bewusste Bewegung im Raum erfahren. K1-2-2 Tanzen verschafft mir angenehme Gefühle K1-2-3 Im Tanzen kann ich mich ausdrücken und erlebe das positiv. K1-2-4 Beim Tanzen weiten sich meine Möglichkeiten in viele Richtungen. K1-2-5 Tanzen stellt eine Art Lebensbegleitung dar. 2.1.3 Bedeutung für Gesellschaft, Bildung und Kirche K1-3-1 Mir gibt das Tanzen in der Gruppe etwas. K1-3-2 Tanz ist für mich sinnvoller Bestandteil einer christlichen Bildungs- und Gemeindearbeit. K1-3-3 Durch Tanz kann ich auf künstlerische Art und Weise politisch aktiv werden. K1-3-4 Tanzen bringt in Kontakt mit fremden Kulturen. K1-3-5 Tanzen hat transformierende Wirkungen. K1-3-6 Tanzen und Glaube haben eine gegenseitige Wirkung. 2.1.4 Zeitdiagnose K1-4-1 Gemeindeglieder schätzen ein breites Angebot. K1-4-2 Gemeindeglieder legen Wert auf ihre Individualität. K1-4-3 Heutige Menschen finden in der Kirche nicht, was sie ersehnen. K1-4-4 Die abendländische Kultur ist tendenziell leibfeindlich. K1-4-5 Tanzen wird automatisch erotisiert wahrgenommen.

Anhang: Alle Kodes in der Reihenfolge der Verweise in Teil B, Kapitel 2 563 K1-4-6 Das Alltagsleben ist zunehmend bewegungsarm. K1-4-7 Strenge Konfessionalität gilt als überholt. 2.1.5 Kirchenkritik K1-5-1 In der Kirche finde ich nicht die Formen von Spiritualität, die mich ansprechen. K1-5-2 In der Kirche dominieren Grenzziehungen und Bewertungen. K1-5-3 Gottesdienste sind wenig attraktiv. K1-5-4 Kirche hat Tanz in ihrer Geschichte aus der Religion abgedrängt. Die Rückkehr des Tanzes wird als positiv erlebt. K1-5-5 Hauptamtliche der Kirche sehen Tanz im Gottesdienst nicht gerne. K1-5-6 Kirche hat Angst vor Erotik. K1-5-7 Kirche hat Bestrebungen, den Kirchentanz besser zu etablieren, nicht genügend unterstützt. K1-5-8 Kirchenräume sind nicht tanzfreundlich. K1-5-9 Kirche hat sich an vielen Stellen tanzfreundlich gezeigt. 2.2 „Ich wollte immer schon tanzen“ - Biographien von Kirchentänzern und -tänzerinnen 2.2.1 Tanzerfahrungen in Kindheit und Jugend K2-1-1 Ich habe schon immer gerne getanzt. K2-1-2 Ich habe in der Jugendzeit positive Erfahrungen mit Tanz gemacht. K2-1-3 Ich habe in der Jugendzeit negative Erfahrungen mit Tanz gemacht. 2.2.2 Tanz als neue Chance im Erwachsenenalter K2-2-1 Ich wollte immer schon gerne tanzen, konnte es aber erst später verwirklichen. K2-2-2 Als ich im Erwachsenenalter mit Tanz stärker in Berührung kam, hat er mich fasziniert. K2-2-3 Die Liebe zur Musik hat mich zum Tanz gebracht. K2-2-4 Erfahrungen in Kampfkunst habe ich im Tanz eingebracht. 2.2.3 Die Erarbeitung der Tanzkenntnisse und -fähigkeiten K2-3-1 Ich habe eine Tanzausbildung absolviert. K2-3-2 Ich habe Tanztrainings absolviert oder Tanzfortbildungen gemacht. K2-3-3 Tänzer_innen, Choreograph_innen oder Tanzlehrer_innen haben mich inspiriert oder geprägt. 2.2.4 Was ich ohne den Tanz nicht gelernt hätte – Lernerfahrungen Tanzender 2.2.4.1 Entwicklung der Persönlichkeit und psychischer Widerstandskraft (Resilienz) K2-4-1-1 Im Alltagsleben kann ich meine psychischen Ressourcen besser nutzen. K2-4-1-2 Ich habe gelernt, die Tanzbewegung mit Lebenserfahrung zu verknüpfen. K2-4-1-3 Ich habe kreatives Denken gelernt.

564 Anhang: Alle Kodes in der Reihenfolge der Verweise in Teil B, Kapitel 2 2.2.4.2 Psychische Ausgeglichenheit (Kohärenzgefühl) K2-4-2-1 Ich habe gelernt, gnädig mit mir selber zu sein. K2-4-2-2 Ich habe Achtsamkeit erlernt oder mich darin geübt. K2-4-2-3 Ich habe das Gefühl, handlungsfähig zu sein, gestärkt. K2-4-2-4 Ich habe Weiblichkeit entwickelt. K2-4-2-5 Tanzen gehört zu meinem Mannsein. K2-4-2-6 Mein Selbstvertrauen ist gewachsen. 2.2.4.3 Sozialkompetenz K2-4-3-1 Ich habe eine weniger wertende Lebenseinstellung gelernt. K2-4-3-2 Ich bin fremden Kulturen gegenüber offener geworden. K2-4-3-3 Ich habe gelernt, mich den anderen in der Gruppe anzuvertrauen. K2-4-3-4 Ich verlasse mich zunehmend auf meine eigenen Erfahrungen, um herausfinden, was richtig und falsch ist. K2-4-3-5 Ich habe meine Ausdrucksfähigkeiten erweitert. K2-4-3-6 Ich habe gelernt, Emotionen mehr zu kontrollieren und dabei die Grenzen der Kontrollierbarkeit kennengelernt. K2-4-3-7 Ich habe gelernt, mit Konflikten in Tanzkreisen zu rechnen und damit umzugehen. 2.2.4.4. Körperbezug K2-4-4-1 Die Freude an der Bewegung hat sich verstärkt. K2-4-4-2 Meine Körperwahrnehmung hat sich weiterentwickelt. K2-4-4-3 Ich habe neue Schritte und Tanzrichtungen kennengelernt. K2-4-4-4 Ich habe Körperkontrolle gelernt und meine Bewegungsmöglichkeiten erweitert. K2-4-4-5 Die positive Erfahrung von Grenzen kann ich im Umgang mit Tanz in verschiedenen Situationen verwerten. 2.2.4.5. Geistige und künstlerische Horizonterweiterung K2-4-5-1 Ich habe gelernt, Deutungen von Symbolen nicht festzulegen. K2-4-5-2 Ich habe gelernt, mich mit anderen Auffassungen von Theologie, Musik oder Liturgie auseinanderzusetzen. K2-4-5-3 Ich habe mein Verständnis für Tanz als Kunst weiterentwickelt. 2.2.4.6 Einstellung zu Kirche und Glauben K2-4-6-1 Ich habe erfahren, dass Kirche sich verändern kann. K2-4-6-2 Ich habe gelernt, Gott im Tanz anzubeten. K2-4-6-3 Ich kann gelassener den Tanz an sich genießen ohne religiöse Rechtfertigung. K2-4-6-4 Ich sehe mein Menschsein nun anders. K2-4-6-5 Beim Tango habe ich das Einlassen auf Gehaltenwerden gelernt. 2.2.5 Der individuelle Weg zum Kirchentanz K2-5-1 Tanz in der Kirche hätte ich mir schon früher gewünscht, aber den gab es

Anhang: Alle Kodes in der Reihenfolge der Verweise in Teil B, Kapitel 2 565 nicht. K2-5-2 Ich habe ein Studium, eine Berufsausbildung oder weitere nichttänzerische Fortbildungen absolviert. K2-5-3 Durch Einladung oder Vorbild anderer habe ich Kirchen-Tanz kennengelernt. K2-5-4 Meine erste Erfahrung mit Tanz und Spiritualität war nicht überzeugend. 2.2.6 Die Faszination des Kirchentanzes K2-6-1 Ich hatte ein spirituelles Schlüsselerlebnis beim Tanzen. K2-6-2 Ich habe mit Kirchen-Tanz begonnen, um etwas Neues zu machen. K2-6-3 Ich habe mit Kirchen-Tanz begonnen, um die Liebe zum Tanzen und spirituelle Anliegen zu verbinden. K2-6-4 Ich bin beim Kirchen-Tanz geblieben, weil ich dort ohne Partner tanzen kann. K2-6-5 Ich bin beim Kirchen-Tanz geblieben, weil es dort nicht um Leistung geht. K2-6-6 Ich bin beim Kirchen-Tanz geblieben, weil ich dort Spiritualität körperlich erleben kann. K2-6-7 Mit meinen Tanzkenntnissen habe ich ein ehrenamtliches oder berufliches Betätigungsfeld für mich gefunden. 2.3 „… ist ja schön, dass wir alle so unterschiedlich sind“ – Tanzstile, Formen und Deutungen 2.3.1 Die von Kirchentänzern erfahrenen Tanzstile K3-1-1 Ich habe verschiedene Tanzstile kennengelernt. K3-1-2 Ich habe negative Erfahrungen mit einem bestimmten Tanzstil gemacht. K3-1-3 Ich praktiziere mehrere Tanzstile parallel. K3-1-4 Ich praktiziere derzeit hauptsächlich einen Stil. 2.3.2 Formen und Deutungen im meditativen Tanz K3-2-1 Das meditative Tanzen beinhaltet unterschiedliche Herangehensweisen. K3-2-2 Beim meditativen Tanzen herrschen symbolisch deutbare und ein bestimmtes Erleben bietende Formen wie das Bewegen im Kreis vor. K3-2-3 Die gestaltete Mitte beim meditativen Tanzen regt durch ihre Ästhetik die Imagination und eigene Deutungen an. K3-2-4 Die Bewegung um die Mitte entgegen dem Uhrzeigersinn sehe ich als die passende Tanzrichtung an. K3-2-5 Ich schätze bei meditativen Tänzen aus Volkstanztraditionen die uralte Herkunft. K3-2-6 Choreographierte Kreis-Tänze haben weniger Korrespondenz zur Erde als Volkstänze. K3-2-7 Beim Tanzen machen mir kompliziertere Schrittfolgen großen Spaß. K3-2-8 Ich schätze die Einfachheit der Schritte. K3-2-9 Im meditativen Tanzen kann ich Individuelles in die Formen einbringen. Ich darf so sein, wie ich bin. K3-2-10 Meditative Tänze sprechen meine Lebenserfahrungen an. K3-2-11 Am meditativen Kreistanz sehe ich manches kritisch.

566 Anhang: Alle Kodes in der Reihenfolge der Verweise in Teil B, Kapitel 2 2.3.3 Freie Formen K3-3-1 Ich habe meinen eigenen Stil bzw. Arbeitsweise mit Tänzen entwickelt. K3-3-2 Tango liegt mir, da er nah an den Erfahrungen heutiger Menschen ist. K3-3-3 Meine bevorzugte Form des Ausdruckstanzes ist der klassische indische Tanz geworden. K3-3-4 Ich setze einen kreativen Tanzstil für die Erschließung von Bibeltexten ein. K3-3-5 Ich tanze im Gottesdienst eine Performance mit Bezug zum Thema. K3-3-6 Bei der Tanzperformance wird eine besondere Kleidung getragen. 2.3.4 Kreativität des Tanzens K3-4-1 Ich schätze beim Tanzen die Möglichkeit zum kreativen Ausdruck. K3-4-2 Kreativität ist für mich ein Freiheitselement. K3-4-3 Beim kreativen Arbeiten schaffe ich etwas, das nicht rein verbal oder verstandesmäßig produziert ist. K3-4-4 Für die Erarbeitung von Tänzen benötige ich einen kreativen Prozess. K3-4-5 Die Fähigkeit zur Improvisation beruht auch auf mitgebrachten Voraussetzungen. K3-4-6 In festen Formen werden Freiheit und Individualität nicht ausgelöscht. K3-4-7 Beim Anleiten von meditativen Tänzen nehme ich Gestaltungsaufgaben wahr. 2.3.5 Bedeutung von Musik 2.3.5.1 Zusammenhang von Musik und Tanzerfahrung K3-5-1-1 Das harmonische Zusammenspiel von Musik und Tanz nehme ich als angenehm wahr. K3-5-1-2 Durch Tanz erlebe ich die Musik intensiver. K3-5-1-3 Beim Tanzen bewegt mich der Rhythmus der Musik. K3-5-1-4 Musik regt ein körperliches Mitgehen an und verlebendigt Menschen. K3-5-1-5 Die Musik hilft, Verbundenheit unter den Tanzenden herzustellen. 2.3.5.2 Bedeutung von Musik für Tanz in Gottesdienst und Kirchenraum K3-5-2-1 Ich tanze zur Musik unterschiedlicher Stilrichtungen. K3-5-2-2 Die breite Vielfalt von Musikstilen, zu denen ich tanze, öffnet mich und andere für das Außeralltägliche. K3-5-2-3 Im Gottesdienst setze ich ein Spektrum von Musikstilen ein, um jüngere Leute zu erreichen. K3-5-2-4 Im Gottesdienst wird zu Musik aus fremden Kulturen getanzt. K3-5-2-5 Die Verbindung von Musik, Text und Bewegung empfinde ich als besonders ausdrucksstark. K3-5-2-6 Der Tanz zur Kirchenmusik lässt mich die Kraft des Kirchenraums intensiv spüren. K3-5-2-7 Meine Gottesdienste sind von kommunikativer Musik- und Tanzerfahrung geprägt.

Anhang: Alle Kodes in der Reihenfolge der Verweise in Teil B, Kapitel 2 567 2.3.6 Bedeutung des Raumes K3-6-1 Der Raum hat für das Tanzen keine Bedeutung. K3-6-2 Mein Tanz braucht physischen und psychisch-geistlichen Raum. K3-6-3 Tanz ermöglicht ein intensives Raumerleben. 2.3.7 Aktivitäten und Lehrerfahrungen K3-7-1 Ich kann nur einen bestimmten Kreis von Teilnehmenden ansprechen. K3-7-2 Als Tanzleiter versuche ich, Nähe und Distanz im Tanzkreis auszubalancieren. K3-7-3 Eine Aufwärmphase finde ich wichtig. K3-7-4 Ich will Menschen einen Rahmen ermöglichen, in dem sie mit ihren Gefühlen, mit anderen Teilnehmern und mit Gott in Kontakt treten können. K3-7-5 Textlesungen verstehe ich als Angebot. K3-7-6 Ich gebe nur so viel Struktur wie nötig, der Tanz steht im Mittelpunkt. K3-7-7 In den Tanzangeboten ereignen sich nahezu seelsorgliche Prozesse. K3-7-8 Ich habe einen konstruktiven Umgang mit Widerständen von Teilnehmenden gefunden. 2.4 „Im Tanz darf ich so sein, wie ich bin“- Selbsterfahrung und Körperaneignung 2.4.1 Die Erfahrung, sich im Tanzen selbst besser kennenzulernen K4-1-1 Das Reden über das im Tanz Erlebte vollzieht sich in der Spannung zwischen Klärung und Verzerrung. K4-1-2 Im Tanzen kann ich zu mir kommen. K4-1-3 Die Selbstwahrnehmung im Tanz eröffnet einen erweiterten und wertschätzenden Zugang zu mir selbst. 2.4.2 Die Erfahrung der Selbstannahme durch das Tanzen K4-2-1 Im Tanz darf ich so sein, wie ich bin. K4-2-2 Im Tanzen will ich nicht fremdbestimmt sein. K4-2-3 Im Tanzen halte ich mich und andere frei von Leistungsansprüchen. K4-2-4 Die Sehnsucht nach Anerkennung durch andere steht nicht (mehr) im Zentrum. K4-2-5 Beim Tanzen spüre ich die Erlaubnis, mich schön zu finden. 2.4.3 Das Erleben positiver Gefühle im Tanz K4-3-1 Im Tanzen erlebe ich Leichtigkeit. K4-3-2 Das Tanzen ist mit dem Erleben von Weite verbunden. K4-3-3 Das Tanzen ist mit dem Erleben von Freiheit verbunden. K4-3-4 Im Tanzen finde ich ein Gefühl von Geborgenheit. K4-3-5 Das Tanzen löst ein intensives Gefühl von Wohlbefinden aus. 2.4.4 Die Erfahrung von Grenzen und Herausforderungen im Tanz K4-4-1 Das Tanzen fordert volle Aufmerksamkeit und Konzentration. K4-4-2 Beim Tanzen kommt es zur Auseinandersetzung mit eigenen und fremden Gefühlen.

568 Anhang: Alle Kodes in der Reihenfolge der Verweise in Teil B, Kapitel 2 K4-4-3 Beim Tanzen gehe ich an die Grenzen meiner Fähigkeiten und erweitere sie. K4-4-4 Die vor der Performance erlebte Aufregung schwindet im Tun. K4-4-5 Tanz ist schwierig in die Anforderungen des Alltags zu integrieren. K4-4-6 Die Frage nach dem Stellenwert von Tanz im eigenen Leben hat existentielle Bedeutung. K4-4-7 Das Beispiel alter Tänzer ermutigt dazu, selbst weiterzumachen. 2.4.5 Die Erfahrung des Zusammenwirkens von Körper und Geist K4-5-1 Im Tanz geht es um die wechselseitige Bezogenheit von Körper und Geist. K4-5-2 Die Tanzbewegung wird nicht vom reflexiven Bewusstsein gesteuert, sondern von anderen Instanzen. K4-5-3 Tanzen macht den Körper zum Thema und kann daher Scham auslösen. 2.4.6 Die Erfahrung der Erweiterung der eigenen Ausdrucksmöglichkeiten im stimmigen Zusammenwirken von körperlicher, geistiger und spiritueller Dimension K4-6-1 Die Tänze bieten eine Bandbreite von Erfahrungen, von Stille bis Kraft. K4-6-2 Durch Tanz kann Nichtmaterielles einen künstlerischen Ausdruck bekommen und innere Haltungen können sich verändern. K4-6-3 Beim Tanzen gerät das Leben in Bewegung durch den engen Zusammenhang von Körper und Körpergeschichte, Bewusstsein und Unbewusstem. 2.4.7 Die Erfahrung der Transformation des Lebens durch Tanz K4-7-1 Das körperlich Dargestellte dringt im Vollzug ins Innenleben ein. K4-7-2 Der Tanz lässt Erfahrungen machen, die mit in den Alltag genommen werden. K4-7-3 Das Tanzen hat mich und andere verändert. K4-7-4 Das Tanzen in der Gruppe hat mir in einer Lebenskrise geholfen. K4-7-5 Der Tanz hat heilende Wirkung. 2.4.8 Die Erfahrung der Erweiterung der Kommunikationsmöglichkeiten und des positiv erlebten Kontakts mit anderen K4-8-1 Das Tanzen ermöglicht eine Verständigung auf der nonverbalen Ebene. K4-8-2 Durch das Tanzen in der Gruppe kann ich Beziehung erleben. K4-8-3 Das Tanzen ermöglicht intensive Begegnungen mit den Mittänzern. K4-8-4 Beim Tanzen erlebe ich ein Geben und Nehmen. K4-8-5 Die Berührung beim Tanzen vertieft das Erleben. K4-8-6 Von der Gruppe fühle ich mich getragen. K4-8-7 Beim Miteinander im Tanzkreis erlebe ich Freiheit. K4-8-8 Die Bewegungen der Mittanzenden inspirieren mich. K4-8-9 Ich erlebe mich in einer liebenden Haltung beim Tanzen, mehr als sonst. K4-8-10 In der Gruppe kann ich das Wirken von Gottes Geist erfahren. 2.5 „Atme in deinem Tanz“ – Spiritualität im Tanz und getanzter Glaube 2.5.1 Qualität und Spiritualität K5-1-1 In der Bewegungslehre von bestimmten Tanzlehrern finde ich Anregungen

Anhang: Alle Kodes in der Reihenfolge der Verweise in Teil B, Kapitel 2 569 für meine Spiritualität. K5-1-2 Die Qualität des eigenen Tanzes hat eine religiöse Bedeutung. K5-1-3 Einem Tanz zuzusehen berührt innerlich. 2.5.2 Entgrenzungserfahrungen K5-2-1 Tanzen unterbricht den Alltag. K5-2-2 Der Tanz ermöglicht eine spezifische Zeiterfahrung. K5-2-3 Im Tanzen erlebe ich die Sehnsucht nach einem unbestimmten Mehr. K5-2-4 Im Tanzen gehe ich in etwas Größerem auf. K5-2-5 Tanz lässt mich die Verbindung von Himmel und Erde erleben. 2.5.3 Zentrierung des Selbst im Körper K5-3-1 Im Tanzen komme ich zu meiner Mitte. K5-3-2 Das Tanzen gibt einen besonderen Zugang zur eigenen Weiblichkeit. K5-3-3 Im Tanz wird mein weiblicher Körper zum Medium für einen persönlichen Kontakt mit dem Göttlichen. 2.5.4 Spiritualität und christlicher Glaube K5-4-1 Tanz ist ein Ritual. K5-4-2 Der Tanz stellt für mich eine spirituelle Praxis dar. K5-4-3 Durch Tanzen kann ich meinen christlichen Glauben leben. K5-4-4 Tanzen überwindet konfessionelle und kulturelle Grenzen. K5-4-5 Das Tanzen ermöglicht persönliche Erfahrungen mit biblischen Texten. K5-4-6 Das Tanzen führt mich ins Gebet. 2.6 „So viel Platz, so schöne Musik, hier möchte ich tanzen…“. Kirchentanz und Tanz in der Kirche 2.6.1 Tanz im Gottesdienst K6-1-0-1 Tanz in Kirche und Gottesdienst entspringt eigenen Wünschen, Ideen oder Träumen. K6-1-0-2 Tanz wird als zum Gottesdienst passend wahrgenommen. 2.6.1.1 Liturgischer Gemeindetanz im Gottesdienst K6-1-1-1 Die ganze Gemeinde wird zu einem Tanz eingeladen (Besonderer Gottesdienst). K6-1-1-2 Die ganze Gemeinde wird zu einem Tanz eingeladen (Sonntagsgottesdienst). K6-1-1-3 Die Beteiligung der Gemeinde an Tänzen oder Gebärden im Sonntagsgottesdienst stößt an Grenzen. K6-1-1-4 Meditatives Tanzen eignet sich nicht als Performance in einem Gottesdienst. K6-1-1-5 Der Tanz im Gottesdienst wird als Teil der Liturgie wahrgenommen. K6-1-1-6 Der Tanz im Gottesdienst wird weniger als Teil der Liturgie wahrgenommen, sondern als Auftritt.

570 Anhang: Alle Kodes in der Reihenfolge der Verweise in Teil B, Kapitel 2 K6-1-1-7 Eine gemeindliche Tanzgruppe mit regelmäßigen Treffen tanzt zu einem Lied. K6-1-1-8 Zu einem Gebet oder Psalm wird getanzt. K6-1-1-9 Die Tänzer_innen treten in verschiedenen Gemeinden im Gottesdienst auf (Sonntag) als Verkündigung. K6-1-1-10 In einem Gottesdienst mit politischem Thema wird eine (professionelle) Tanz-Performance eingebracht. K6-1-1-11 Das in einem (Wochenend-)Tanzseminar Erarbeitete wird in den Gottesdienst integriert. K6-1-1-12 Bedeutung des Tanzes im Gottesdienst für die Tänzer. K6-1-1-13 Reaktionen aus der Gemeinde auf den Tanz im Gottesdienst. K6-1-1-14 Der Tanz vermittelt eine Botschaft. 2.6.1.2 Tanz in besonderen Tanzgottesdiensten K6-1-2-1 Tanzgottesdienste haben besondere Vorzüge. K6-1-2-2 Die Gottesdienste finden in größeren Abständen in der Gemeinde statt. K6-1-2-3 Der Tanz gestaltet die meisten liturgischen Elemente des Gottesdienstes. K6-1-2-4 Der Gottesdienst orientiert sich nicht an der traditionellen Liturgie. K6-1-2-5 Bei einem meditativen Tanzgottesdienst bringt eine Gruppe MitmachTänze und kompliziertere Kreistänze als Darbietung in die Liturgie ein. K6-1-2-6 Tanzgottesdienste werden von bestimmten Gruppen gut angenommen. K6-1-2-7 Die Weiterentwicklung des Tanzgottesdienstes stößt an Grenzen. K6-1-2-8 Aus der Praxis der Tanzgottesdienste sind Lernerfahrungen zu gewinnen. 2.6.2 Strukturelle Voraussetzungen von Gottesdiensten mit Tanz und Tanzgottesdiensten 2.6.2.1 Eignung von Kirchenräumen K6-2-1-1 Zum Tanzen in der Kirche brauche ich einen geeigneten Raum. K6-2-1-2 Tanz im Kirchenraum erfordert im Vorfeld die Auseinandersetzung mit der Ausstattung. K6-2-1-3 Ich arrangiere mich mit ungünstigen Räumen, um doch noch tanzen zu können. K6-2-1-4 Ich kann mein Tanzangebot in einer besonders geeigneten Kirche durchführen. K6-2-1-5 Tanz im Kirchenraum wird nicht immer problemlos akzeptiert. 2.6.2.2 Kooperation der Verantwortlichen K6-2-2-1 Tanzgottesdienste werden von kirchlichen Amtsträgern nicht immer gerne gesehen oder als bedeutend erachtet. K6-2-2-2 Bei gelungenen Tanzgottesdiensten oder Gottesdiensten mit Tanz ist die Kooperation mit Pfarrer_innen von hoher Bedeutung. K6-2-2-3 Tänzer arbeiten im Gottesdienst eng mit (Kirchen-)Musiker_innen zusammen.

Anhang: Alle Kodes in der Reihenfolge der Verweise in Teil B, Kapitel 2 571 2.6.3 Erleben von Tanz im Kirchenraum K6-3-1 Ich tanze gerne mit anderen im Kirchenraum. K6-3-2 Ich kann die Kraft des Kirchenraumes beim Tanzen spüren. K6-3-3 Der Kirchenraum ist für mich ein besonderer (sakraler) Raum. K6-3-4 Tanzen in der Kirche verändert die Beziehung der Tanzenden zum Kirchenraum. K6-3-5 Manche Tanzende empfinden eine Scheu, den Kirchenraum mit Tanz einzunehmen. 2.6.4 Erwartungen und Einstellungen von Kirchentänzern in Bezug auf das Gottesdienstgeschehen K6-4-1 Ich reflektiere meine Erwartungen an die Liturgie. K6-4-2 Ich bevorzuge ein nicht hierarchisches Verhältnis von Gottesdienstleitung und Feiernden. K6-4-3 In Psalmen und Segen ist es mir wichtig, etwas zu spüren von der Beziehung von Gott und Mensch im Gottesdienst. 2.6.5 Körpererfahrung im Gottesdienst 2.6.5.1 Körpererfahrung beim Tanzen im Gottesdienst K6-5-1-1 Ich finde, der Körper ist von Gott gegeben, um ihn auch zum Gottesdienst feiern einzusetzen. K6-5-1-2 Mich beeindruckt Tanz im Gottesdienst anderer Kulturkreise, da er dort eine intensive, die Körperwahrnehmung ansprechende Erfahrung darstellt. K6-5-1-3 Das Tanzen im Gottesdienst bringt eine veränderte Körperwahrnehmung mit sich, die mit meiner Selbstwahrnehmung in Beziehung steht. K6-5-1-4 Im Gottesdienst finde ich wichtig, dass durch Bewegung der Körper sichtbar und hörbar wird. 2.6.5.2 Körpererfahrung im katholischen Gottesdienst ohne Tanz K6-5-2-1 Im Gottesdienst nehme ich wahr, dass für gewöhnlich das Körperliche eine geringe Rolle spielt. K6-5-2-2 Die traditionellen Haltungen und Gebärden führen bei mir zu einer Intensivierung des Erlebens. K6-5-2-3 Ich empfinde die Kreisform als Bereicherung der traditionellen Haltungen des katholischen Gottesdienstes. 2.6.5.3 Körpererfahrung im evangelischen Gottesdienst ohne Tanz K6-5-3-1 Ich rechne damit, dass die geschulte Körperwahrnehmung eines Tänzers sich auf sein Körperbewusstsein im Gottesdienst auswirkt. K6-5-3-2 Ich schätze körperliche Berührung im Gottesdienst. K6-5-3-3 Beim Segen spüre ich ein energetisches Geschehen durch Berührung. K6-5-3-4 Ich bedauere, dass Pfarrer_innen Defizite haben im Umgang mit ihrem Körper.

572 Anhang: Alle Kodes in der Reihenfolge der Verweise in Teil B, Kapitel 2 K6-5-3-5 In der Körpererfahrung manifestiert sich für mich Gottes Gegenwart im Gottesdienst. 2.7 „Am Anfang war das Wort […] und das sind alles körperliche Bewegungen“- Tanz und theologisches Denken 2.7.1 Tanz als Sprache K7-1-1 Der Körper kommuniziert durch eine eigene Sprache. K7-1-2 Das Ausdrücken durch den Körper im Tanz liegt mir manchmal mehr als das Verbale. K7-1-3 Eine Tanzsprache, die auch Gefühle transportiert, muss erarbeitet oder erlernt werden. K7-1-4 Die Sprache des Tanzes soll verständlich sein. K7-1-5 Tanz ist die Sprache der Seele. K7-1-6 Tanz ist eine Sprache für das Beten. K7-1-7 Beim Beten bevorzuge ich Worte. K7-1-8 Tanz ist ein Medium, um Göttliches mitzuteilen. 2.7.2 Wechselseitige Einflüsse von Tanz und Theologie 2.7.2.1 Wissenschaftliche Theologie in der Perspektive Tanzender K7-2-1-1 Den Protestantismus halte ich für vorwiegend leibfeindlich. K7-2-1-2 Im Theologiestudium wurde eine leiblose Theologie vermittelt. K7-2-1-3 Mein Studium hat Tanz und Theologie miteinander verbunden. K7-2-1-4 Mein theologisches Arbeiten habe ich mit dem Thema Tanz verbunden. K7-2-1-5 Ich vermute, dass mein theologisches Denken sich durch Tanz verändert hat. K7-2-1-6 Ich habe meine Erfahrung als Tanzender theologisch reflektiert. 2.7.2.2 Theologumena in der Erfahrung Tanzender K7-2-2-1 Theologumena kann ich im Tanz körperlich erfahren. K7-2-2-2 Ich gebe den Tänzen keine christlichen Deutungen, mache aber selbst subjektiv Entdeckungen, die meinen christlichen Glauben bereichern. K7-2-2-3 Im Tanz kann ich das Dasein feiern. K7-2-2-4 Ich sehe eine Verbindung zwischen Grazie/grace und Gnade. K7-2-2-5 Das Tanzen steht in einer Beziehung zum Geistwirken Gottes. K7-2-2-6 In Tanzkreisen und bei Tanzlehrern wurde ich mit nichtchristlichen religiösen Gedanken konfrontiert. K7-2-2-7 Tanzen ist für mich etwas Religiöses. K7-2-2-8 Tanzen beinhaltet für mich eine Hinwendung zu Gott. 2.7.2.3 Ethik und politische Theologie K7-2-3-1 Tanzen öffnet mich für das Leid der anderen. K7-2-3-2 Tanzen beeinflusst meinen Lebensstil, ich lebe bescheiden. K7-2-3-3 Tanz sollte auch politisch sein.

Anhang: Alle Kodes in der Reihenfolge der Verweise in Teil B, Kapitel 2 573 K7-2-3-4 Das Thema Gerechtigkeit hängt nur indirekt mit Glauben und Tanz zusammen. K7-2-3-5 Tanzen hat für mich eine politisch-theologische Dimension. 2.7.2.4 Liturgie und Gottesdienst K7-2-4-1 Für mich ist der Gottesdienst zentral im Gemeindeleben. Dort hat auch Tanz seinen Ort. K7-2-4-2 Im Gottesdienst wirken die Liturgen auch durch ihre Körperlichkeit. K7-2-4-3 Theologische Themen für den Tanz finde ich in Psalmen. K7-2-4-4 Tanz ist ein Medium, um sich in biblisch erzählte Situationen hineinzuversetzen. 2.7.3 Bibel und Text-Hermeneutik 2.7.3.1 Bedeutung der Begegnung mit der Bibel für Tänzer K7-3-1-1 Die Bibel hat Bedeutung für mein Leben. K7-3-1-2 Theologen haben Ängste und Widerstände, wenn im Tanz mit Bibelthemen umgegangen wird. K7-3-1-3 Ich will Tanz und Bibelauslegung verbinden. K7-3-1-4 Gelegentlich bevorzuge ich Tanz gegenüber der Bibelauslegung durch Wortverkündigung. K7-3-1-5 Durch Körpererfahrung gelingt eine intensive Auseinandersetzung mit dem Bibelwort. K7-3-1-6 Die Tanzenden bestimmen die Intensität der Auseinandersetzung selbst. K7-3-1-7 Ich lasse mich von bestimmten Bibelstellen stärker ansprechen. K7-3-1-8 Im Tanz stelle ich eine persönliche Beziehung zum Bibeltext her. K7-3-1-9 Ich merke an den Reaktionen der Teilnehmenden, dass durch Tanz neue Sichtweisen auf Bibeltexte ermöglicht werden. 2.7.3.2 Bibelhermeneutik durch Tanzende K7-3-2-1 Als theologischer Laie habe ich meine eigenen Zugänge zur Bibel. K7-3-2-2 Eigene Erkenntnisse aus der Bibellektüre setze ich in Choreographien um. K7-3-2-3 Tanzpädagoginnen vermittelten mir implizit ihr theologisches Denken. K7-3-2-4 Das im Studium erworbene Bibelverständnis beeinflusst mein Rollenverständnis als Leiterin. K7-3-2-5 Ich gehe von mehreren Dimensionen des Textes aus, die bei mir unterschiedliche Resonanz erzeugen können. K7-3-2-6 In der getanzten Bibelauslegung treten Widerstände gegen die Texte zutage. K7-3-2-7 Der Tanz hilft mir, Begriffe und Texte der Bibel zu erschließen. K7-3-2-8 Bibelarbeit hat mein Tanzverständnis erweitert. 2.8 „Eine Kunstform für sich“ – Tanz als Kunst im Kirchenraum 2.8.1 Tanz als künstlerische Sprache K8-1-1 Tanz und Bewegung sind eine Art Sprache.

574 Anhang: Alle Kodes in der Reihenfolge der Verweise in Teil B, Kapitel 2 K8-1-2 Die Sprache des Tanzes entlastet von der Fülle der Worte. K8-1-3 Die Körpersprache des Tanzes leistet anderes als die Verbalsprache. K8-1-4 Durch Tanz kann eine Geschichte erzählt oder verkündigt werden. K8-1-5 Die Sprache des Tanzes passt im Gottesdienst nicht immer. K8-1-6 Tanzsprache kann auch misslingen. K8-1-7 Die Sprache des Tanzes soll Deutungen noch offen lassen. 2.8.2 Künstlerischer Tanz in der Kirche außerhalb des Gottesdienstes K8-2-1 Die Tänzer_innen führen Tanz als künstlerische Performance in einem religiösen Raum auf. K8-2-2 Meine geistlichen Tanzprojekte inszeniere ich professionell. 2.8.3 Künstlerischer Tanz im Gottesdienst K8-3-1 Tanzbeiträge im Gottesdienst werden mit den Mitteln verschiedener tänzerischer Stile (Ballett, Ausdruckstanz oder zeitgenössischer Tanz) erarbeitet. K8-3-2 Ein künstlerischer Tanzbeitrag kommentiert im Gottesdienst ein politisches Thema. K8-3-3 Unter bestimmten Bedingungen ist künstlerischer Tanz im Kontext Gottesdienst gut gelungen. 2.8.4 Verhältnis von Musik und Tanz (künstlerischer Aspekt) K8-4-1 Die Musik ist sekundäre Begleitung, der Tanz ist zuerst da. K8-4-2 Tanz ist auf Musik nicht unbedingt angewiesen, auch in der Stille kann getanzt werden. K8-4-3 Mein Tanzen geht von der Musik aus. K8-4-4 Beim Tanzen setze ich eine zum Thema passende Musik um. K8-4-5 In meinem Tanzstil sind Musik und Tanz gleichwertig. K8-4-6 Zum Tanzen bevorzuge ich Livemusik. K8-4-7 Livemusik verunsichert mich beim Tanzen, lieber verlasse ich mich auf eine CD-Aufnahme. 2.8.5 Kirchentanz als site-specific art K8-5-1 Als Tänzerin gehe ich auf die Bedingungen des Kirchenraums ein. K8-5-2 Tanz im Kirchenraum führt mich zu einem Dialog mit dem Raum. 2.8.6 Tanz in der Kirche sehen K8-6-1 Die Zuschauer deuten das Gesehene selbst. K8-6-2 Der Tanz etabliert eine Beziehung zwischen Zuschauer_n und Tänzer_n. K8-6-3 Mein Tanz hat bei Zuschauer_n Emotionen angerührt. K8-6-4 Mir ist wichtig, die Reaktionen der Zuschauer wahrzunehmen, sowohl Anerkennung als auch Kritik. 2.8.7 Kunst als Möglichkeit der Gestaltung von Kirche K8-7-1 Kunstprojekte mobilisieren Künstler zur Zusammenarbeit, Hauptamtliche der Kirche treten dabei in die zweite Reihe.

Personenregister

Abraham, Anke 22, 288 Abramovic´, Marina 41, 43 Adams, Doug 212, 384 Agamben, Giorgio 70 Almod var, Pedro 185 Aquino, Mar a Pilar 87 Aristoteles 82 Augustinus 94, 230, 231 Ausländer, Rose 259 Avila, Teresa von 95 Bachtin, Michail 52, 420 Backman, E. Louis 94 f. Bainbridge Cohen, Bonnie 167 Bartenieff, Irmgard 167, 483 Barth, Karl 86, 87, 91, 506 Barth, Ulrich 40, 493, 494, 500 Bausch, Pina 43, 73, 115, 135, 139 f., 145 f., 171, 181–200, 243, 279, 305, 409 f., 413, 418, 426, 429, 437 f., 461, 471–473 Beardsley, Monroe C. 56 Beintker, Michael 37 f. B jart, Maurice 219 Bell, Catherine 105, 107 Benedict, Hans-Jürgen 223 Benjamin, Walter 429 Berendt, Joachim-Ernst 222, 390 Berger, Teresa 78, 89, 93–96, 110, 123–127, 130, 134–136, 201 f., 210, 212 f., 224–226, 229 f., 442 f., 445–447, 502, 507 f. Berio, Luciano 169 Betz, Otto 225 Beurmanjer, Ri tte 15, 93, 120, 220, 471 Bieler, Andrea 96, 104–108, 134, 506, 508, 518 Bingen, Hildegard von 95

Bittner, Christine 216, 227–229, 231, 232 Bock, Peter 203, 218, 236 Boff, Leonardo 86 Böhme, Gernot 28 f., 53, 61, 429–431, 436, 498, 524 Böhn, Max von 29, 438 Bongers, Emma-Elze 20, 110, 220, 225 Bonhoeffer, Dietrich 38, 295, 388, 514, 529 Brandstetter, Gabriele 30 f., 64, 71, 191 Brown, Trisha 169, 190, 463–465 Bubmann, Peter 15, 122, 367 Buck, Elisabeth 122 Buhl, Lar 15 Büsing, Manfred 15, 124, 201, 213, 214, 217, 218, 223, 224, 226–229, 238, 372, 508, 509, 515, 518 Burggraf, Wolfgang 223, 236 Butler, Judith 64, 414 Cage, John 169 Carroll, No l 56 Casel, Odo 97, 103 Conzetti, Conradin 88, 221, 225, 434 Cranko, John 439 Cunningham, Merce 115, 155, 167, 169, 171, 190, 463 f., 473 Dahlgrün, Corinna 37, 121, 499 Damasio, Antonio 63, 512 David 78, 94, 100, 394 Davies, John 219 Deharde, Tai F. 144, 149, 480 Deines, Stefan 53–56, 66, 406, 422, 531 Delakova, Katya 119 DebrÞl, Madeleine 219 Deleuze, Gilles 490 Delsarte, FranÅois 141

576

Personenregister

Denana, Malda 67, 70–72 Derrida, Jacques 47 Dewey, John 54–56, 168, 205, 421 f. Döhling, Jan-Dirk 89 f. Dotzler-Okay, Barbara 203, 236 Driver, Tom 105 Duncan, Isadora 115, 137 f., 141, 150, 160, 168, 197, 211, 481 Enzner-Probst, Brigitte 96, 104, 108–119, 123, 134, 203, 223, 257, 265, 364, 406, 498, 502, 506–508 Eberhardt, Barbara 15 Eco, Umberto 233 Fechtner, Christian 367, 369 F ral, Josette 60 Ferrari, Lidia 446 Fischer, Miriam 67, 70–72, 182, 193, 195 Fischer-Lichte, Erika 31, 43, 45, 48–50, 57–66, 167, 324, 406, 408 f., 414, 425, 428, 432, 435, 460, 497, 506, 524, 531 Fleischle-Braun, Claudia 23, 41, 141 f., 144, 147, 167 f., 170 f., 177, 451–454, 483 Foatelli, Josette 219 Foatelli, Ren e 219 Fopp, Simone 231–235 Foreman, Richard 115 Forsythe, William 146, 180 f. Foucault, Michel 107, 487, 526 Frais, Sven 15 Franklin, Erik N. 458 Freud, Sigmund 53, 70, 165 Fricke, Michael 15 Fuchs, Max 42 f. Fulkerson, Mary 167 Fuller, Lo e 137, 411 f. Gadamer, Hans Georg 49, 54 f., 419, 421 Gatscha, Beate 482 Gebara, Ivone 87 Gehlen, Arnold 70 Geng, Anastasia 216, 309, 318, 360 Gennep, Arnold van 57, 62 Gergen-Woll, Katrin 518 Gerhards, Albert 216 Gessner, Monika 237, 372, 505

Girtler, Roland 26, 287 Golovine, Catherine 219 Grözinger, Albrecht 32, 490 Grützner, Felix 482 Guardini, Romano 96–101, 103 f., 134, 202, 227, 229, 379, 507 Gumbrecht, Hans Ulrich 46 f., 49–53, 56, 66, 415 f., 418–420, 431, 498, 500, 523 Gundlach-Sonnemann, Helga Barbara 30, 93, 124, 156, 517 Halprin, Anna 41, 63, 66, 135, 139, 140, 166–180, 197–200, 202, 284 f., 348–350, 414, 438, 458, 459, 462–464, 466, 502 Halprin, Daria 169 Halprin, Lawrence 169, 171, 177, 458 Hämmerling, Elisabeth 204, 217, 284, 285, 304, 353 Hammerstein, Günther 204, 474 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 54 Heidegger, Martin 49, 419 Heimbrock, Hans-Günter 19, 24 f., 32, 530 Hiddemann, Frank 366, 480–482 Hoffmann, Reinhild 146, 471 Hoghe, Raimund 58, 182 f., 185 f., 188–190, 410, 413, 520 Hollenweger, Walter 221–223, 230, 231, 514 Holm, Hanya 168 Homer 81 Horsch, Margarete 225, 232, 235 Horst, Louis 156 Hufeisen, Hans-Jürgen 221 f., 231, 361, 364 Huizing, Klaas 26, 42, 44, 66, 493, 495 f. Humphrey, Doris 156, 168, 171, 303 Huschka, Sabine 28–30, 64, 138, 141–143, 145 f., 148–152, 408, 438, 463–467, 471–473, 506, 511 Husserl, Edmund 23, 24, 49, 67–69, 71, 75 Hutchinson, Ann 147 Jaques-Dalcroze, mile Jelinek, Elfriede 61 Jeremias, Jörg 89

141

Personenregister Jesus 84, 90, 92, 95, 193, 243, 260, 270, 376, 385–387, 393, 395, 479 Jestädt, Hannelie 224, 238, 434 Jooss, Kurt 145 f., 182 f. Josuttis, Manfred 96–98, 102–104, 134, 255, 480, 496, 506, 507, 527 Jüngel, Eberhard 112 Jung, Carl Gustav 165, 217 Käßmann, Margot 222, 223 Kant, Immanuel 54, 56, 406 Kennedy, Antja 146 f. Kennel, Gunter 489 Kevan, Nadia 213, 226 Kiesow, Anna 79 f. Kissel, Chadigha 304 Klaas, Heike 124, 238, 482 f. Klein, Gabriele 23, 27 f., 30 f., 64, 95, 136 f., 184, 186 f., 190 f., 281, 290, 365, 408, 442, 444 f., 447, 463, 481 Kloke, Nanni 204, 284, 285, 304, 320, 327, 353, 372 Kloke-Eibl, Friedel 204, 209, 284, 285, 304, 320, 327, 353, 439, 475 Knäble, Philip 20, 201, 213, 216, 219 Koch, Gabriele 41, 94 f., 123 f., 130 f., 136, 202–204, 207 f., 213, 216, 218, 236, 238, 283 Kodaly, Zoltan 160 Kolle, Ragni 220 Kötter, Gerd 220, 236, 485 Kolster, Anke 15, 18, 124, 210–212, 218, 233, 227, 236–238, 372 Kreutz, Monika 15, 88, 123, 171, 220, 224, 225, 229, 230, 233, 238 Kristeva, Julia 516 f., 529 Kühnen, Sebastian 505 Kükelhaus, Hugo 395 Laban, Rudolf von 73, 135, 138–155, 182, 186, 197–199, 205, 207, 246, 249, 255, 279, 284 f., 305, 331, 353, 377, 384, 409, 411, 455, 463, 469 f., 483, 512 Lamnek, Siegfried 21 f., 282 f., 287, 289 Lander, Hilda-Maria 110, 204, 209, 213, 215 f., 227–229, 231–233, 304, 477, 514 Lange, Ernst 21,

577

Lange, Marie-Luise 425, 426 Langer, Susanne K. 111 Lash, Scott 481 Lassiwe, Benjamin 40, 369, 517 Lathrop, Gordon 106 Lauterer, Arch 169 Le Roy, Xavier 62 Legendre, Pierre 516 Leupold, Stephan 236 Levinson, Jerrold 41 f., 492 Linke, Susanne 146, 471 Linn, Hildegard 236 Lins, Barbara Jeanne 15, 220, 236, 284, 285, 303, 481, 482 Linsel, Anne 181–189, 192–194 Lorenzer, Alfred 479 Luther, Henning 118 Luther, Martin 37, 78 f., 89, 97, 252, 479, 484 f., 490, 497 Maas, Wolfgang 15 Macht, Siegfried 20, 29, 122 f., 128–130, 135 f., 233, 237 f., 400 Magdeburg, Mechthild von 94, 333 Mallarm , St phane 71 Mann, Frieder 15, 44, 88, 124, 212, 223, 228, 230, 238, 372, 459–462, 468, 504, 514, 521 Maritz, Petrus 15 Marti, Vinn Arjuna 284, 285, 305 Martin, Gerhard Marcel 102 f., 119 f., 127, 507 Matjas, Tanja 482 Matousek, Melitta 236 Maurus, Hrabanus 94 Mensendieck, Bess 141 Merleau-Ponty, Maurice 24, 61, 67–69, 71, 467 Meyer-Blanck, Michael 92, 97, 518 Möller, Christian 35, 37–39, 479, 499 Moltmann, Jürgen 85, 88–90, 95, 225, 502 Monk, Meredith 115, 169 Monten, Joshua 429 Moore, Carol-Lynne 142, 152 Morris, Charles W. 59 Mukarˇovsky´, Jan 57–59, 414

578

Personenregister

Nancy, Jean-Luc 67, 71, 418, 489, 520 Naso, Gisela von 214, 223, 224, 230, 303, 424, 483, 484, 503 Nauck, Irmgard 458 Naurath, Elisabeth 119 Nazianz, Gregor von 94 N gre, Mireille 220, 224, 226 Neumeier, John 439 Nicol, Martin 15 Noguchi, Isamu 159 Nyssa, Gregor von 94 Pagel, Maria 236 Palucca, Gret 132, 483 Paulus 84 f., 128, 391, 505 Paxton, Steve 167, 171, 350, 463–466 Perls, Fritz 168 Pezzoli-Olgiati, Daria 15 Pfaff, Petra-Christina 18, 20, 69, 78, 91 f., 123, 131–136 Pfaff, Kersten Elisabeth 18, 216, 237, 372 Piazolla, Astor 329, 445 Pieper, Joseph 127 Plessner, Helmut 67, 69 Plüss, David 108, 134, 406, 518 Prem, Gertrud 215, 236, 238 Rainer, Yvonne 169, 190 Ramshaw, Gail 106 Ranci re, Jacques 409 Raschzok, Klaus 15, 32 f., 370, 479 f., 509, 526 Richter, Olaf 97 f., 406 Ricœur, Paul 106 Rilke, Rainer Maria 492 Ritzke-Rutherford, Jean 15 Rivuzumwami, Carmen 88, 384 Roller, Jochen 43 Ross, Janice 168–170 Roth, Gabrielle 121 f., 349, 454 f. Rumi 95, 153, 333 Sabin, Robert 156–158 Sachs, Curt 29 f. Samosata, Lukian von 94 Saussure, Ferdinand de 59 Schechner, Richard 31, 111–115

Schemann, Sara 220, 226, 303, 420, 439 f., 462, 467, 471 Schinke, Gerhard 228 Schleef, Einar 61 Schleiermacher, Friedrich 368, 461, 494, 527 Schlue, Kerstin 414 Schmidt, Jochen 43, 141–145, 155–157, 159, 169, 171, 183–188, 193, 506 Schmitz, Hermann 53, 67 f., 430, 496, 499, 512 Schnelle, Manfred 219, 303, 483 Schnütgen, Arne 15 Schottroff, Luise 106 f., 506 Schröer, Henning 32 Schroer, Silvia 79–83, 85–87, 102 Schulz, Frieder 264 Schulze-Fellmann, Janine 30 f., 413 Schwan, Alexander 18, 91 f., 489, 520, 527 Schwebel, Horst 384 Seel, Martin 42, 54–56, 66, 422 Seeßlen, Georg 491 Sequeira, Ronald 123–125, 130, 136, 201, 217, 228, 502 f. Shawn, Ted 139, 156, 210 f. Siegmund, Gerald 62, 73, 158, 408, 411 f., 515–517, 519–521 Soltmann, Marie-Luise 209, 213, 217 Solf, Christiane 15 Sosani, Georg 15 Sosani, Thea 15 Spieker, Edgar 372, 457, 458, 485 St. Denis, Ruth 137–139, 156, 160 f., 197, 210 f., 458, 481 Stählin, Wilhelm 96–99, 103 f., 134, 506 f., 513 Stark Smith, Nancy 167, 171 Staubli, Thomas 79–83, 85–87 Stolina, Ralf 37 Stüber, Werner Jakob 135, 157, 159–166 Sudbrack, Josef 123, 234, 474 Theißen, Gerd 36, 134 Thiele-Petersen, Astrid 469, 471, 505, 518 Tillich, Paul 85, 91 f., 132–134, 461, 495, 527

Personenregister Todd, Mabel 168, 175 Turner, Victor 57, 61 f., 66 Ullmann, Lisa 144 Umbach, Helmut 479 f., 484 f., 487 Utzschneider, Helmut 44, 490 Val ry, Paul 67, 70 f., 75 Vesseur, Wilma 15, 284 f., 304, 326, 372, 393 Villa, Paula Irene 442–448 Vogelsang, Marianne 219, 483 Vogler, Gereon 18, 123, 201, 208 f., 216–218, 224 f., 228 f., 232, 235, 356, 499, 508 Wacker, Marie Theres 79 Waldenfels, Bernhard 22, 67 f., 70, 73–76, 467 Walz, Heike 426, 442–444, 450 Warburg, Aby 70 Weidinger, Gertrud 218 Weidman, Charles 156, 171

579

Wenders, Wim 181, 193 Westermann, Claus 79 Weyel, Birgit 367 Wigman, Mary 28, 91 f., 132, 142 f., 161, 211, 214 Willberg, Charlotte 216 Willke, Elke 158, 162, 164, 165, 172, 256 Wittgenstein, Ludwig 35 f. Wollmann, Gabriele 228, 236, 284, 285, 304, 317 Wolff, Hans Walter 79 Wosien, Bernhard 200, 202–204, 207–214, 216, 233, 244, 284 f., 304, 371, 387, 439, 475, 476 Wosien, Gabriele 89, 110, 204, 209, 217, 235, 237, 284 f., 304, 319, 327, 353 Zacharias, Wolfgang 41, 66, 258 Zimmerling, Peter 34 f., 37, 39 Zink, Jörg 222, 364 Zohner, Maria-Regina 204, 215, 216, 231–233, 477, 514 Zu Panitz, Sunny James 120

Sachregister

Abendmahl 50, 84, 92, 96 f., 102, 103, 104, 105, 106, 264, 265, 276, 379, 380, 381, 506, 509, 528, 532 Abwehrreaktion 78, 131, 206, 353, 509 Affektivität 22, 55, 60, 63, 68, 74, 288, 421 f., 425, 429, 436, 446, 448, 450, 496 Aisthesis 42, 44, 66, 90, 98, 507 Alltag 25, 35, 38, 45, 47, 50–52, 57 f., 59, 65, 73, 76, 106 f., 111, 115, 126, 127, 138, 171, 176, 189, 191, 192, 194, 223, 227, 246, 271, 289, 290, 296, 305 f., 337 f., 341, 345 f., 348, 351, 354 f., 368 410, 415, 420–422, 430, 443, 461–462, 473, 485, 501, 510, 513, 523, 568 f. – Alltagsbewegungen 73, 145, 150, 159, 170, 172, 186, 198, 320, 464 f. – Alltagsüberschreitend 73, 238, 339, 370, 375, 378 f. , 403, 405, 420–422, 425, 467, 478, 496, 500, 501, 513, 520, 523, 531 Alten Kirche 83, 94 Alter 40, 43, 151, 155, 161, 167 f., 175, 194 f., 198, 211, 248, 282–284, 300–302, 313, 332, 339, 342, 346, 371, 395, 402, 414, 437 f., 447, 449, 483, 520, 525, 568 alter Orient 80, 85 Ambiguität 426, 443 – Ambivalent 17, 40, 84, 93, 143, 192, 220, 268, 395, 428, 438, 445, 452 f., 472, 508 Androzentrismus 79 Anthropologie 31, 61, 66–68, 70, 72, 77–82, 85, 87, 91, 118, 125 f., 135, 190, 208, 236, 275, 279, 342, 430, 510, 529 Antrieb 70, 143, 160, 199 – Antriebsaktionen 147, 149 – Antriebskräfte 151, 198, 199, 512 Archetyp- 165, 166, 172, 199, 217, 319

Arme (Körperteil) 83, 100, 219, 232, 242 f., 257, 259 f., 271, 322, 347, 384, 411, 447, 451, 456, 474, 514, 529 Armut 86–87, 105, 213, 295, 367, 397, 450 Ästhetik 18, 26 f., 31, 38, 41 f., 44–46, 52, 54, 56, 60–62, 66, 71, 92, 128 f., 137, 141, 143, 146, 151, 167–169, 183, 186, 191, 197, 200, 202, 218, 228, 278, 352, 402, 405, 408, 411 f., 425, 429 f., 438–440, 447, 452, 481, 490, 493–495, 507, 519, 521, 525, 530, 565 Ästhetisch 22, 26, 28, 29, 31, 34, 41, 42, 44, 45, 47, 48, 50, 51, 52, 53, 54, 56, 57, 58, 60, 66, 70, 72, 82, 98, 101, 115, 119, 134, 140, 141, 143, 144, 145, 151, 152, 163, 168, 171, 174, 180, 184, 195, 198, 202, 227, 228, 267, 275, 294, 315, 317, 328, 330, 363, 366, 368, 374, 375, 409, 413, 415, 417, 418, 423, 425, 426, 429, 430, 431, 437, 440, 441, 443, 450, 460, 463, 464, 472, 474, 480, 481, 487, 488, 489, 490, 494, 495, 506, 508, 510, 519, 524, 527, 530 Aszetik 32, 35, 117 Atem 81, 111, 121, 158, 160, 162, 166, 172, 177, 198, 220, 222, 252, 259, 271, 349, 386, 401, 432, 441, 456, 502 Atmosphäre 45, 60, 66, 68, 103, 182, 240, 251, 256, 262, 300, 331 f., 337, 349, 362, 370, 373, 375, 380, 400, 429–432, 434, 436, 459, 480, 483, 496, 498, 508, 515, 524, 528 Auferstehung 84, 87, 106, 107, 120, 224, 226, 234, 344 f., 382, 395, 399, 410, 489, 506 Aufführung 19, 31, 41, 45, 53, 57, 58, 60–62, 63, 64, 111, 119, 131, 133, 178, 188, 192, 207, 219, 221, 236, 239, 251,

Sachregister 253, 294, 324, 341, 365 f., 396, 407–410, 412, 428, 429, 434, 439, 440, 451, 453 f., 463, 466, 470 f., 484, 488, 489, 490–492, 509, 520–522, 523, 527, 532 Auge 79, 82 f., 121, 141, 180, 188, 197, 235, 250, 253, 258, 271, 272, 274, 307, 335, 348, 351, 367, 381, 388, 397, 401, 460, 490 Ausdruck 28, 30, 31, 37, 50, 65, 70, 77, 80, 83, 94, 99 f., 102, 109 f., 115, 119–121, 124, 125, 126, 129 f., 132, 143, 144 f., 148, 149, 151 f., 155, 158, 159, 162, 163, 165, 167, 170 f., 172, 173, 174, 181 f., 190, 199, 205, 211, 215, 216, 220, 223, 224, 225, 226, 227, 228, 231, 234, 236, 238, 241, 243, 248, 261, 262, 267, 278, 280, 292, 293 f., 295, 296, 306, 307, 309, 313, 314, 324, 327, 329, 330, 334, 336, 340, 344 f., 347, 351, 358, 359, 366, 368, 369, 381, 382, 383, 394 f., 397, 401, 402, 403, 404, 409–412, 414, 423, 425, 429, 438, 445, 447, 452, 461, 463, 470, 482, 485, 503, 505, 508, 513, 515, 522, 525, 526, 528, 532, 562, 564, 566, 568, 572 – Ausdruckstanz 91, 129, 132, 134, 140, 141 f., 144, 145, 148, 152, 168, 184, 190 f., 205, 214, 216, 219 f., 239, 293, 302 f., 316, 322, 324, 339, 392, 397, 412, 463, 468, 481, 483, 566, 574 Bachblütentänze 216, 317 Balance 48, 113, 175, 209, 318, 355, 473, 475, 526 Bauch 247, 261, 271, 347, 353 Bauhaus 169, 202 Beine 162, 187, 242, 244, 253, 260, 307, 308, 340, 344, 347, 379, 439, 446, 452, 456 Berührung 41, 69, 84, 92, 109, 114, 120, 133, 147, 150, 180, 191, 242, 253, 274, 295, 345, 349–353, 359, 375, 379 f., 389, 401, 420, 426, 429, 446, 448, 466 f., 506, 509, 511, 521, 528, 531, 563, 568, 571 Beteiligung 19, 40, 97, 99, 110, 117, 255, 265, 283, 364, 368, 378 f., 438, 473, 483, 509, 519, 529, 569

581

Bewegung 18, 19, 27, 28, 29, 30, 36, 40, 47, 49, 60, 61, 64, 67, 68, 69, 70, 72 f., 75 f., 85, 87–90, 96–104, 110, 112, 115, 118–122, 124–127, 129 f., 132 f., 138, 141, 143–153, 155, 157, 159–163, 167, 169–182, 186–194, 198–203, 207–209, 211, 213–221, 223 f., 228 f., 231–233, 237, 239, 242–244, 246–252, 254, 257–262, 265–269, 271, 273 f., 276, 280 f., 292–294, 296–298, 300 f., 305, 307, 310, 312, 315, 318–320, 322, 324, 326, 328–330, 332, 334–338, 340, 342–345, 351 f., 354, 356, 359, 361 f., 365–367, 375, 378 f., 381–383, 385, 389–391, 394 f., 398 f., 402, 409–411, 413 f., 416–418, 420, 424, 428, 431–434, 436, 440 f., 443, 445 f., 451–454, 456–458, 460 f., 463–467, 471 f., 474 f., 477 f., 481, 483 f., 487–494, 502–505, 507 f., 514 f., 519, 521 f., 524–526, 529, 532, 562, 564–566, 568, 571–573 Bewegung (sozial) 17, 18, 21, 96, 97, 98, 102, 108, 118, 119, 124, 134, 137, 140, 141, 144, 169, 197, 200, 201, 202, 203, 207, 209, 211, 217, 219, 220, 221, 224, 237, 277, 503, 507 Bewegungsanalyse 143, 146 Bewusstsein 24, 54 f., 73, 115, 116, 119, 149, 153, 172, 209, 234, 244, 254, 306, 310, 314, 334, 343, 379, 405, 435, 467, 480, 500 f., 507, 509, 568 Bharatanatyam 284, 285, 324, 450–454 Bibel 18, 20, 36, 44, 77–84, 93 f., 121, 134, 226, 233, 237, 243, 245, 246–250, 267, 275, 311, 324, 351, 352, 361, 366, 372, 381, 385, 389–392, 394, 399, 403, 411, 432, 439, 441, 465, 469, 490, 493, 504 f., 510, 526, 573 – Bibelarbeit 64, 120, 223, 231, 233, 236, 238, 239, 246, 247, 372, 384, 390, 392, 404, 408, 468–471, 493, 498, 504, 505, 512, 513, 526 – Bibel-Hermeneutik 119, 120, 134, 221, 230, 252, 389, 392, 403, 404, 513, 519, 526 – Bibellektüre 38, 81, 220, 392, 394, 493, 573

582

Sachregister

Bibliodans 18, 93, 120, 220, 372, 390, 410, 469, 471, 505, 512 Bibliodrama 119–122, 276, 469, 471, 504, 505 Bibliotanz 469, 471, 505, 512 Bilderverbot 490 f. Bildungstheorie 67, 72, 275, 502, 511 Biographie 22, 36, 54 f., 73, 140, 141, 142, 153, 154, 155, 165, 167, 169, 181, 188 f., 191, 220, 226, 230, 278, 284, 287 f., 290, 294, 300, 303 f., 311 f., 339, 344, 402, 410, 425–427, 438, 440, 511, 563 Body Art 41, 115 Brust 83, 100, 271 f. Bühne 32, 43, 101, 122, 137, 139, 142, 143, 144, 152, 155, 159, 164, 165, 167, 169, 170, 171, 172, 178, 183, 184, 185, 186, 188, 189–192, 194, 195, 198, 206 f., 221, 252, 280, 282, 311, 341, 344, 351, 363, 366, 396, 408–410, 418, 424, 434, 438, 451, 460, 465, 471 f., 487, 491, 516, 520 Bühnentanz 30, 70, 136, 180, 191, 200, 219, 311, 437, 451, 458, 463–465, 522, 526 Christliche Arbeitsgemeinschaft Tanz in Liturgie und Spiritualität e.V. (CAT) 17, 115, 128, 130, 201 f., 213, 218, 222 f., 236 f., 239, 245, 282–285, 322, 459, 518 Christus 92, 208, 254, 270, 271, 386, 440, 480, 506, 514 Choral 122, 129, 243, 330, 366, 382, 519 Choreographie/choreographieren 28, 43, 58, 65, 72 f., 110, 122, 138, 142 f., 145 f., 160, 165, 169, 171, 183 f., 190, 207 f., 214 f., 216, 219, 221, 238, 242, 244, 245, 251, 257, 265, 290, 303–305, 317, 319, 325–328, 354, 360 f., 365, 366 f., 382, 392, 411, 413, 419, 426, 428, 432, 446, 453, 457, 463, 465, 470, 473, 475 f., 481, 483, 489, 498, 502, 504 f., 515, 525, 526, 530, 573 Choreologie 143 Choreosophie 143, 153 Choreutik 145 f. Code 28, 35, 100, 193, 233 f., 438, 439, 464

Connection 172, 210 f. Contact Improvisation 139, 167, 171, 211, 526 Contraction 157, 198 Dance Deck 169, 197, 458 Dasein 49 f., 52, 54, 90, 116 f., 125, 164, 181, 209, 230, 259, 277, 311, 335, 386, 417, 419, 430, 462, 474, 488, 496, 497, 498, 514 f., 517, 527, 529, 572 Denishawn 156, 171 Derwisch 95, 153, 208, 417, 502 Deutscher Evangelischer Kirchentag (DEKT) 102, 110, 223, 231, 504, 517 Dichte Beschreibung 23, 130, 201, 264, 281, 282 Diesseitigkeit 38, 514, 529 Disziplin/disziplinieren 32, 35, 45, 75, 96, 137, 162, 191, 293, 438, 525, 530, 532 Dreischritt 128, 148, 411 Dualismus 67, 80, 86, 109, 126, 154, 502 Ehrenamtlich 269, 272, 283, 285, 295, 303, 313, 314, 471, 519, 565 Einklang 125, 138, 207, 453, 481, 483, 499–501 Ekstatisch/Ekstase 92, 133, 171, 212, 241, 430, 455, 458, 525 Elementargebärden 100 f., 227, 229 Emanzipation 42, 137, 185, 195, 473 Embodied 42, 64, 106, 114 Empirisch/Empirie 18, 19, 20, 21, 22, 24, 36, 44, 51, 55, 66, 71, 91, 109, 113, 118, 123, 129, 130, 131, 134, 203, 221, 240, 242, 268, 276, 280, 281, 282, 287, 421, 442, 443, 445, 446, 484, 509, 510, 524, 528, 530, 531, 532, 561 Energie 18 f., 27, 35, 43, 60 f., 63, 82, 97, 99, 103, 114–117, 137 f., 146, 147 f., 151 f., 157, 158, 161, 162, 169, 174–176, 179, 198 f., 208, 226, 241, 267, 271, 276, 293, 323, 338, 350, 358, 362, 373, 377, 380, 386, 389, 392, 418, 435 f., 438, 441, 444, 449, 451 f., 455, 456, 464, 472, 473, 480, 502, 512, 521, 525, 526, 531, 532, 571 England 143, 146, 205, 213, 219, 305

Sachregister Entgrenzung 68, 352, 354, 403, 420, 493, 497, 569 Ephemer 72 f., 235, 516 Erde 48, 49, 50, 51, 85, 92, 95, 153, 179, 180, 183, 185, 188, 189, 233, 235, 259, 260, 270, 317, 319, 321, 324, 353, 354, 355, 356, 358, 359, 384, 387, 419, 420, 421, 451, 452, 459, 462, 476, 498, 499, 523, 525 Erfahrung 17–20, 22–24, 26–28, 32–38, 41–47, 50–57, 59–64, 66, 68 f., 74 f., 77, 79, 83, 90–93, 96 f., 100, 103, 106, 109–112, 114 f., 118–120, 122 f., 125–127, 129–131, 133, 135–138, 142, 145, 147, 149 f., 152 f., 155, 161, 163–165, 167 f., 171–173, 185, 189–191, 194–196, 198–200, 202, 207–209, 213, 215, 218, 221, 224–226, 230–232, 234, 237, 239, 241, 243, 245–247, 253–255, 262 f., 266, 268, 274–281, 283, 286, 291, 293, 295, 297, 300 f., 306–312, 314–316, 320 f., 324 f., 332–335, 337–342, 344–349, 351 f., 355, 357, 360–365, 367, 370, 372, 377–380, 383–387, 389, 392 f., 395 f., 402 f., 405–408, 410, 412 f., 415–417, 419–423, 425–429, 431, 437–445, 448 f., 451, 453–461, 464 f., 467, 469 f., 473 f., 477–484, 486, 488 f., 492–498, 500 f., 503, 505–508, 510–516, 520 f., 523–532, 563–569, 571 f. – ästhetische 18–20, 26, 27, 41, 42, 45, 46, 47, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 62, 63, 64, 66, 92, 118, 123, 135, 167, 198, 200, 231, 239, 274, 275, 280, 281, 291, 315, 403, 405, 406, 413, 415, 417, 421, 423, 425, 437, 439, 441, 442, 443, 445, 448, 451, 453, 455, 456, 457, 459, 460, 461, 473, 477, 478, 480, 481, 483, 488, 489, 492, 494, 495, 496, 497, 498, 507, 510, 515, 521, 523, 524, 525, 526, 527, 528, 531 – epistemische 54–56 – existenzielle 31, 50 f., 54–57, 66, 181, 200, 339, 341, 421 f., 483, 495, 505, 523 – liminale E./Schwellene. 57, 62, 63, 75, 133, 149, 275, 310, 425, 427, 428, 459–461, 516, 524

583

– Nature. 153, 180, 459, 515 – Selbsterfahrung 35, 120, 135, 140, 144, 150, 176, 190, 197, 198, 203, 278, 279, 290, 320, 333, 340, 344, 345, 402, 403, 427, 455, 472, 524 – Somatische/leibliche/Körpere. 23, 83, 103, 106, 107, 119, 138, 149, 163, 181, 191, 194, 225, 234, 235, 275, 346, 377, 380, 386, 390, 425, 440, 441, 443, 445, 469, 526 – spirituelle 17 f., 21, 25 f., 29, 34–36, 38, 39, 43, 44, 45, 56 f., 71, 83, 84, 87, 88, 90–92, 93, 95–97, 100, 103, 104, 107, 120 f., 131, 133 f., 136, 138, 148, 152, 154, 157, 166, 173–175, 198–201, 203, 209–211, 213, 216, 218, 225, 230, 239–241, 254, 266, 268, 272, 277, 279 f., 291–294, 297, 303, 311–314, 316, 317, 329, 331 f., 334, 335, 344 f., 346, 352, 353, 355, 357 f., 360, 364, 378, 386 f., 390, 414, 418, 437, 440–443, 450, 454–456, 462 f., 469, 478, 488, 489, 492, 493, 494, 495, 497–501, 510, 514, 522, 525, 527–532, 562, 565, 568 f. Erleben 19, 22–25, 28, 34, 45, 48, 50–52, 54–56, 61, 64, 65. 83, 84, 90, 100, 123, 129, 164, 173, 175, 176, 183, 184, 189, 191, 192, 195, 234, 235, 246, 250, 251, 252, 256, 261, 263, 266–268, 277, 281, 293–295, 297, 298, 307, 309, 315, 319, 325, 329, 330, 331, 333–335, 347–340, 342–344, 349, 355, 362, 367, 368, 375, 377, 378, 380, 385, 386, 390, 393, 394, 401, 403, 414, 416–420, 423–428, 432–435, 441, 443, 445, 447, 455, 458, 461, 464, 467, 468, 471, 472, 474, 476, 486, 487, 492, 494, 497, 498, 501, 503, 505, 510, 512, 513, 521, 524–531, 565, 567–569, 571 ero-episch 26, 287, 288 Erotisch/Erotik/erotisiert 61, 110, 161, 162, 223, 175, 296, 297, 299, 325, 369, 414, 428, 433, 446, 447, 449, 450, 474, 488, 517, 518, 523, 530, 562, 563 Erste-Person-Perspektive 130, 240, 276, 278

584

Sachregister

Esoterik/esoterisch 35 f., 38, 208, 209, 217, 317, 377, 387 Essentialistisch/Essentialismus/Essentialisierung 53, 104, 109, 414, 416, 430, 447, 479, 523 Ethik/ethisch 34, 38, 41, 42, 43, 51, 52, 66, 74, 90, 121, 128, 143, 195, 200, 201, 230, 277, 280, 287, 291, 292, 349, 352, 383, 387 f., 422, 423, 425, 443, 491, 501, 514, 523, 572 Ethnologische (Feld-)Forschung/ethnographisch 26, 123, 130, 281, 442, 452 Eukinetik 145 f. Evangelikal 239, 366, 441 Evangelisch 17, 32–34, 37–40, 45, 96, 97, 102, 104, 119, 128, 129, 131, 201, 207, 208, 213, 216, 221, 223, 224, 239, 240, 245, 246, 253, 268, 275, 276, 279, 284, 285, 298, 303, 311, 312, 361, 363, 366, 368, 374, 376, 377, 379, 380, 387, 390, 457, 459, 461, 469, 471, 484, 485, 501, 521, 571 Evolutionsgeschichtlich-kulturgeschichtlich 29 f. Exegese 78, 80, 106, 120, 231, 505 Exploration 172, 174, 177, 180, 192, 199 Familiengottesdienst 266, 364, 423 Feministisch/Feministin 78, 86, 104, 125, 185, 211, 275, 276 Fest/Festival 18, 73, 78, 95, 102, 124, 126 f., 157, 167, 169, 202, 207, 211, 218, 223–225, 238, 239, 270, 286, 294, 312, 322418, 454, 459, 466, 507, 514, 518 Fest (Qualität) 68, 78, 83, 127, 129, 136, 206, 230, 232, 233, 239, 240, 243, 249, 261, 292, 301, 307, 316, 325–327, 332, 338, 343, 364, 366, 385, 411, 414, 465, 470, 484–486, 525, 526 Fest(gelegt)e Form 129, 144, 179, 240, 243, 316, 325–327, 338, 453, 460, 465, 525, 526 Figurationen 18, 27, 45, 56 f., 145, 152, 281, 357, 405, 415, 419, 422, 437, 489, 498 f., 504, 508, 510 f., 515 Figuren 17 f., 26, 28, 44, 49, 70 f., 74, 78,

135, 137, 144, 157, 253, 294, 318, 382, 383, 403, 438, 475 f., 530 Findhorn 209, 212 f., 219, 283, 285, 303, 312, 317 Finnische Messe 240, 241, 243, 244, 317 Fleisch/fleischlos/eingefleischt 38, 80 f., 83, 193, 339, 390, 513 Flow/Flowing 112, 152, 455 Folklore/Folkloretanz 182, 204, 206, 207, 215, 239, 244, 295, 308, 327, 372, 437, 483 Folkwang 143, 146, 182, 183 Frankreich 20, 33, 207, 219–221, 516 Frau 19, 31, 40, 50, 78 f., 82–84, 86 f., 94, 97, 107 f., 110 f., 113, 116, 119, 134, 137, 147, 159 f., 164 f., 170, 185, 213 f., 219, 227, 238, 240 f., 243, 244, 247, 248, 251, 257 f., 265, 269, 272, 295, 307, 313, 322, 326, 332, 336, 338, 341, 346–348, 354, 364, 366, 371, 393, 398, 412 f., 417, 423 f., 432, 437, 443 f., 446–448, 455, 474, 477, 483, 512, 518 Frauenbilder/-rolle 116, 170, 413, 443, 444, 518 Frauenforschung 104, 109 Frauenkörper 31, 79 Frauenliturgien 104, 108–116, 118, 119, 125, 219, 221, 364 Frauentänze 206, 474 Frauenüberschuss 326, 332, 466 Frausein 36, 186, 443 Freiheit 35, 39, 44, 75, 77, 88, 90, 100, 126, 129, 131, 149, 181, 187, 191, 248, 261, 263, 267, 272, 293, 296, 313, 317, 320, 324–327, 332 f., 337 f., 349, 351, 353, 390, 407, 423–425, 461 f., 466–468, 504, 509, 512 f., 523, 529, 566–568 Frei (Qualität/Gefühl) 89, 101 f., 150, 167–169, 174, 184, 196, 216, 243, 250, 254, 260, 263, 268 f., 272 f., 302, 308, 312, 316, 324, 326, 331, 336, 348, 351, 373, 418, 424, 432, 439, 453 f., 455, 459, 463, 465 f., 468, 481, 495, 508, 522, 526, 530 Freie Form/freier Tanz 94, 122, 129, 140, 149, 150, 177, 243, 246 f., 249 f., 252, 254, 259, 261, 263, 265–267, 272 f., 304, 314,

Sachregister 316, 321–326, 338, 343, 349 f., 411, 414, 423, 455, 466 Freikirchlich 311, 374, 433 Frömmigkeit 32, 35, 98, 134, 171, 208, 245, 323, 508 Freude 38, 68, 84, 90, 94 f., 143, 168, 187, 190, 224 f., 232, 234, 270, 294, 310, 317, 339, 346, 411, 423, 426, 435, 458, 491, 498, 506, 513, 564 Fuß-/Füße 30, 82 f., 90, 137, 138, 176, 191, 242, 243, 247, 250, 257, 260, 261, 269, 271, 319, 320, 322, 329, 335–337, 340, 342, 347, 354, 362, 378, 412, 420, 446, 447, 450–452, 456, 472, 477, 484, 521 Gebärden 101, 109, 124, 126 f., 130, 144 f., 208, 214 f., 228, 252, 258, 261 f., 265, 270 f., 273, 313 f., 318, 320, 324, 347, 356, 358 f., 364, 378 f., 382, 401, 411, 431, 452, 458, 475 f., 502, 503, 507, 569, 571 Gebet 30, 38, 89, 115, 124 f., 127, 128, 172, 208, 211, 214, 219, 227, 229, 236, 239, 252, 254 f., 259, 264 f., 267, 270, 272–274, 303, 311, 313, 330, 341, 347, 357, 359, 360–363, 366–367, 370, 376 f., 382 f., 396, 434, 436, 439, 456, 458, 484, 492 f., 502 f., 505, 513, 519, 522, 524, 528, 569 f. Gefühl 24, 36, 43, 52–53, 56, 63, 68, 90, 92, 99, 101, 103, 134, 148, 150, 152 f., 158, 160, 164–166, 170, 172–177, 181 f., 187–193, 198–199, 217, 232, 234 f., 241–243, 246, 248, 250 f., 257 f., 289, 293–294, 301, 304, 308 f., 317, 320, 325, 330, 332–335, 337–342, 344, 348, 351–353, 363, 366, 369, 372, 376, 379, 381–384, 391, 400, 402, 403, 410 f., 415–418, 420 f., 426, 429–431, 433, 445, 449, 456 f., 459, 465–467, 470, 483, 486, 492, 494–496, 500, 503, 507, 510, 512 f., 522–526, 529, 562, 564, 567, 572 Geist 32, 33, 35, 67–69, 80 f., 84, 87, 90, 93, 98 f., 116, 118, 122, 151, 154, 159, 161, 163, 172, 174, 193, 207 f., 214, 220, 225, 258, 311, 328 f., 334, 342–344, 349, 352 f., 367, 386, 387, 403, 409, 441, 480, 483, 499, 501 f., 513, 526, 529–531, 568

585

Gemeinde 17, 39, 40, 97, 98, 102, 110, 120, 121, 124, 125, 129, 139, 155, 203, 211, 213–216, 219, 221–225, 228, 229, 230, 234, 236, 237, 239, 240, 244, 248, 254, 256, 262, 265, 266, 268, 272, 284, 285, 286, 295, 296, 298, 299, 302, 303, 312, 324, 362–368, 371, 374, 380, 389, 390, 401, 409, 428, 433, 463, 470, 471, 479, 483, 484, 485, 486, 491, 498, 507, 508, 509, 515, 517, 526, 562, 569, 570, 573 Gemeindepädagogik 91, 118, 123, 128, 532 Gemeinschaft 19, 21, 29, 38, 62, 83, 87, 90 f., 93, 95, 102, 106 f., 111 f., 117, 120, 143, 168, 173, 206, 209, 218, 220, 224, 230, 292, 296, 313, 327, 329, 352, 457, 473, 493, 502, 506, 528, 530, 562 Gemeinschaftstanz 130. 131, 153, 316, 434, 468, 505 Gender 19, 86, 104, 107 f., 116, 443, 444, 518 Gendersensibel 96, 104, 107, 108, 532 Gendertheoretisch 116, 139 Genderfrage 134, 518 Gesten 40, 109, 112, 113, 127, 130, 149, 170, 186, 191, 208, 211, 225, 258 f., 261, 272, 318, 365, 376, 378, 379, 409, 411, 430, 438, 453, 459, 476, 497, 527 Gewalt-/vergewaltigt 40, 41–43, , 66, 87, 101, 106, 153, 170, 192, 194, 231, 250, 324, 514 Glaubensästhetik 202, 218 Glück 35, 42, 166, 196, 200, 277, 314, 395, 455, 483, 497 Glücksgefühl 338, 361, 426, 448, 449, 524 Gnade 93, 166, 200, 225, 260, 270, 306, 331, 335, 346, 60, 386, 387, 419, 492, 497, 504, 520, 530, 572 Göttin 83, 139 Göttlich 29, 33, 43, 48, 80, 83, 84, 85, 87, 88, 92, 133, 162, 207, 225, 233, 249, 258, 367, 375, 381, 382, 414, 418, 456, 469, 480, 493, 494, 496, 497, 503, 506, 569, 572 Gott 33, 37 f., 42 f., 50, 79, 81–90, 92, 96 f., 100 f., 104, 112, 124, 126, 128, 131–133, 140, 149, 172, 186, 202 f., 208–211,

586

Sachregister

219 f., 229, 232, 243, 246, 248, 253, 257, 259 f., 267, 270, 277, 294, 296 f., 299, 306, 312 f., 316, 323, 326, 328 f., 331 f., 340 f., 349, 352 f., 357, 359, 361 f., 375, 377 f., 380 f., 383–387, 389, 391, 398, 410, 427, 434, 436, 440, 448, 450, 455, 462, 466, 469, 479 f., 484 f., 490–494, 497, 499–504, 506 f., 511, 514 f., 524, 564, 567 f., 571 f. Gottebenbildlichkeit 85, 89, 126, 506 Gottesbezug 32, 35 Gottesbild 77, 83, 87, 88, 89, 168, 270, 361, 384, 385, 490, 510, 529 Gottesdienst 38–40, 64, 78, 95–105, 107 f., 110 f., 114, 116–118, 124–128, 131, 134, 155, 174, 210–216, 223, 227–230, 236 f., 239, 249, 251 f., 254–269, 272–274, 276, 278–280, 282, 295, 297–299, 323 f., 328–330, 333, 337, 354, 362–381, 383, 388–390, 394–397, 399, 401, 403 f., 408, 424, 428, 431–433, 442, 448, 450, 456, 458, 468, 470, 472, 474, 479 f., 482–492, 495, 502 f., 507–510, 515, 518, 525 f., 528 f., 532, 563, 566, 569–574 Gottesdiensterleben 252, 262, 263, 404 Gottesdienstgemäß 227, 485 Gottesdienstgeschehen 214, 254, 290, 366, 368, 376, 571 Gottesdiensttheorie 100, 121, 532 Gotteserfahrung 83, 88, 381, 511 Gottes Gegenwart 86, 87, 89, 259, 380, 572 Gottsuche 29, 357, 498 Grazie 386, 387, 504, 572 Habitus 40, 481 Hand 57 f., 79, 82 f., 143, 161, 184, 186, 244, 247, 254, 257, 259, 271 f., 296, 323, 334, 336, 414, 448, 452, 476 Handfassung 208, 242, 257, 259 Handhaltung 294, 318, 476 Hände 40, 58, 83, 100, 190, 232, 242–244, 252–254, 258, 260, 269–272, 294, 319, 332, 338, 347, 350, 379 f., 414, 435 f., 456, 474, 476 f. Händereichen 497, 597 Heilig 29 f., 32, 38, 84, 87, 90, 95, 98, 102 f., 120, 138, 199, 232, 255, 258, 328, 352,

365, 367, 455, 462, 478–480, 487, 496, 499–502, 507, 513 f., 520, 526 f., 529 f. „Heiligen Geist“ 87, 90, 328, 352, 367, 480, 513, 529, 530 Heiligung 38, 39, 88, 296 Hermeneutik 49, 60, 115, 128, 132, 389, 392, 500 f., 504, 532, 573 Hüfte 247, 253, 257, 297 Humor/humorvoll 188, 194, 196, 262, 332, 333, 512 Imagination 44, 64, 106, 163, 192, 232 f., 281, 458, 519, 565 Immutabilitas 88 Improvisation 129 f., 139, 146, 167, 170 f., 177 f., 180 f., 205, 211, 223, 238 f., 251, 284 f., 293, 306 f., 316, 321 f., 325–328, 335, 338, 367, 399, 401, 426, 437, 445, 447, 455, 457, 461, 463–465, 467 f., 473, 478, 497, 504 f., 510, 515, 518, 525 f., 528 f., 566 Insularität 51 f., 415, 420, 523 Inszenierung 30, 32, 35 f., 41, 61, 72 f., 105, 107, 121 f., 142, 159, 195, 206, 304, 350, 443, 447, 460, 520 Intensität 49–51, 56, 61, 76, 163, 172, 266, 330, 334, 338 f., 378, 389, 415, 417, 420, 422, 436, 447, 467, 496, 573 Intentionalität 24 Interkulturell 104, 106, 206, 349, 425 f., 443, 453, 532 Johannespassion 242 f. Judson Dance Theatre 167, 172, 463, 464 Judson Church 169, 190, 463, 464, 465 Jugendgottesdienst 241, 363 Kairos 203, 218, 239 Kathak 284 f., 324, 328, 395, 450 f., 453 f. Katholikentag 17, 124, 215, 221, 238 f., 372, 561 Katholisch 17, 32, 34, 50, 95–98, 107, 119, 125, 127, 130, 155, 202, 215 f., 218 f., 224, 229, 239, 245, 257, 262, 264, 276, 284 f., 298, 303, 311 f., 361, 374, 376–380, 433, 454, 571

Sachregister Kinästhetisch 54, 110, 112, 165, 176, 180, 228, 361, 498, 505, 521, 525 Kinesphäre 137, 148 f. Kirche (Institution) 17, 19–21, 23, 25, 29, 32–37, 39 f., 42, 44, 64–66, 71, 83, 87, 91 f., 94, 97 f., 101, 112, 116, 119, 123127, 131–135, 139, 181, 200 f., 203, 213, 215, 219–227, 229, 231, 234, 257, 275 f., 278–280, 290, 295–299, 301–303, 305, 311 f., 323, 362–366, 368, 369, 371, 381, 384, 388, 390, 395, 396, 401–402, 404, 424, 459, 470, 473, 481, 498, 501, 506, 509–512, 516 f., 519, 523, 527, 529–532, 562–564, 574 Kirchenbank 103, 484, 485 Kirche (Gebäude) 53, 138, 211, 212, 219–221, 235, 245, 252, 259, 262, 269, 272, 278, 279, 284, 298, 302, 303, 314, 323, 330, 333, 338, 362, 363, 369, 370, 373–376, 380, 381, 394, 397, 400, 401, 410, 414, 421, 428, 431, 433, 471, 472, 473, 478, 479, 481–486, 488–490, 503, 509, 511, 516, 517, 519–521, 524–526, 562, 564, 569–571, 574 15, 17, 19–21, 23, 25, 29, 32–37, 39 f., 42, 44, 53, 64–66, 71, 83, 87, 91 f., 94, 97 f., 101, 112, 116, 119, 123–125, 127, 131–135, 138 f., 181, 200 f., 203, 211–213, 215, 219–227, 229, 231, 234 f., 238 f., 245, 252, 257, 259, 262, 269 f., 272, 275 f., 278–280, 284, 290, 292, 295–299, 301–303, 305, 311 f., 314, 323, 330, 333, 338, 362–366, 368–373, 375 f., 380 f., 384, 388, 390, 394–397, 400–402, 404 f., 410, 414, 421, 424, 428, 431, 433, 439, 444, 447, 451, 456–459, 463, 470–473, 478 f., 481–490, 497 f., 501, 503, 506, 509–512, 516 f., 519–527, 529–532, 562–565, 569–571, 574 Kirchengeschichte 36, 79, 93–95, 128, 134, 226 Kirchenmusik 18, 129, 215, 236, 239, 302, 303, 330, 489, 519, 566 Kirchenmusiker/in 128, 220, 227, 238, 269, 270, 272, 298, 303, 374, 390, 392, 423 Kirchenreform 223, 224, 503 Kirchentänzer 17–19, 40, 53, 78, 88, 93,

587

102, 107, 121, 132, 136, 139, 171, 201, 210, 212, 218, 220, 223, 224, 235, 239, 262, 276, 278, 281, 290, 295, 297, 300, 302, 303, 304, 313–315, 317, 325, 376, 402, 410, 413, 416, 429, 436, 438, 449, 452–454, 456, 459, 471, 483, 486, 502, 504, 507, 515, 522, 524–526, 563, 565, 571 Kirchentanz 16, 18–21, 25 f., 36, 52 f., 56, 58, 65, 67, 69, 93, 96 f., 107 f., 116, 120, 123, 130 f., 134–136, 200 f., 210, 213–215, 217, 219–221, 224, 229, 233 f., 236–238, 274, 277, 279 f., 290 f., 296, 299–301, 303, 311–313, 321, 325, 362, 368, 383, 390, 396, 400, 403–409, 412, 414–416, 419, 422 f., 428, 436–438, 442, 444, 454, 463, 477 f., 482 f., 497, 501, 504–506, 510, 516–519, 523, 530–532, 563–565, 569, 574 Kirchentanzfestival 18, 218, 322, 454, 518 Kirchenväter 20, 94 Klang 43, 54, 60 f., 98, 121, 145, 151, 182, 198, 274, 326, 367, 408, 478 Knie 244, 247, 260, 319, 379 f., 460, 474, 477 Kniebeuge 271, 379, 452 Knien 100, 376 Knochen 80 f., 83, 161, 172, 199 Kode 286, 289 f., 292, 334, 352, 362, 364, 370, 377, 383, 385, 389, 394, 396, 400 f., 414, 419, 421, 428, 505, 562 Kommunikation des Evangeliums 21, 124, 518, 532 Kompanie 184, 471 Konfessionalität 296, 297, 563 Konfessionell 33, 36, 211, 236, 298, 357, 374, 378, 454, 509, 569 Konfessionsübergreifend/interkonfessionell 202, 210, 264 Kontakt 51, 106, 110, 111, 114, 137, 147, 174, 180, 198, 199, 206, 209, 226, 239, 242, 248, 253, 260, 263, 282, 283, 289, 295, 302, 306, 308, 312, 332, 334, 339, 342, 349, 350, 357, 358, 372, 379, 385, 393, 400, 414, 415, 419, 420, 426, 436, 446, 451, 456, 466, 467, 480, 503, 506,

588

Sachregister

512, 513, 517, 523, 528, 531, 562, 567, 568, 569 Kontaktimprovisation 247, 251, 253, 309, 350, 466–468, 506 Kontemplation 37 f., 85, 161, 216, 241 Ko-Präsenz, leibliche 31, 45, 48, 60, 62, 122, 274, 428, 432–434, 481, 488, 524 Körper 23 f., 27–29, 35, 47–49, 51 f., 58, 60–64, 67–69, 71–73, 77, 80–87, 90, 92, 96, 100 f., 103–107, 109, 111, 114–116, 118–122, 136–138, 141, 145–149, 151–154, 157–159, 161–166, 168 f., 171–177, 180, 186 f., 189–191, 193–196, 198–200, 211, 214, 216, 222, 225 f., 234 f., 242, 244, 246–248, 252 f., 257, 261, 266, 271, 273, 276, 279–281, 288 f., 294, 299, 304, 307 f., 310 f., 315 f., 319, 322, 326, 328–330, 332–334, 336, 340, 342–346, 349, 352, 355–359, 361 f., 365, 369, 377–380, 382–385, 395, 400, 403, 407 f., 410–417, 421 f., 428 f., 435, 437 f., 440–442, 446, 451, 455–460, 462–468, 471, 473–475, 477, 481, 488, 491 f., 495, 501–503, 506–508, 510 f., 515–517, 520–522, 526, 528 f., 531 f., 562, 568 f., 571 f. Körpergedächtnis 90, 106, 165, 288, 380, 488 Körperreise 247, 252, 460 Körperverständnis 190, 199, 275, 407, 504, 510 Körperwahrnehmung 45, 102, 274, 294, 298, 303, 310, 380, 413, 426, 449, 460, 465, 473, 507, 564, 571 Kreativtanz 20, 132, 211, 284 f., 322 Kreis 15, 17, 91, 112 f., 137, 153, 179, 202 f., 206, 208, 213, 216, 218, 220, 222 f., 232, 235, 237, 243–245, 247 f., 254, 257, 259, 261, 267, 269–272, 282, 292, 313, 318, 320–322, 332, 343, 350–352, 372, 374, 377, 379, 417–419, 423, 435 f., 465, 473, 475 f., 506 f., 526, 529, 565, 567 Kreistanz 53, 110, 113, 130, 204, 211, 212, 217, 232, 234, 238, 240, 258, 259, 263, 265, 267, 268, 295, 317, 321, 322, 330, 345, 346, 349, 350, 351, 417, 419, 421,

423, 424, 440, 458, 474, 478, 483, 504, 506, 509, 525, 565, 570 Krise 98, 233, 307, 333, 389, 443 Kultur 17, 19, 24 f., 29, 32, 46–48, 81, 87, 91 f., 94, 98, 130, 132, 139, 155 f., 191, 196 f., 200, 206, 209, 212, 217, 228, 287, 295–297, 308, 329 f., 363, 365, 388, 390, 395, 406, 408, 424 f., 445, 451, 453 f., 487, 493, 499, 501 f., 517, 523, 532, 562, 564, 566 Kulturgeschichtlich 29, 30, 40, 64, 95, 103, 204, 217 Kulturkrise 116, 197, 209, 507 Kultursoziologisch 30, 64, 275, 442, 525 Kulturtheologie 85, 91, 132, 461, 495 Kulturwissenschaftlich 26, 28, 30, 31, 39, 102, 103, 278, 405 Kunst 17, 19, 20, 25, 27, 29, 31, 32, 36, 40–46, 50, 51, 53, 54, 58, 62, 64, 65, 70, 73, 74, 76, 77, 92. 94, 95, 100, 101, 103, 128, 134, 138, 139, 141, 142, 145, 147, 156, 158, 159, 161, 167, 168–173, 175, 177, 180, 183, 188, 190, 191, 200, 203, 210, 212, 216, 221, 224, 226, 249, 275, 278–281, 291, 301, 310, 324, 341, 353, 366, 367, 369, 394, 396–398, 400–409, 411, 413, 415, 426, 430, 457, 461, 473, 478, 480–482, 484, 488–491, 493–495, 500, 507, 509, 511, 519, 520, 522, 524, 527, 528, 564, 573, 574 Kunstbegriff 29, 40 f., 275, 523 Kunstwerk 42, 43, 50, 55, 57, 59, 60, 65, 100, 101, 111, 144, 163, 373, 408, 419, 430, 461, 463, 490, 493, 495, 498 Labyrinth 203, 304, 377 Laien 37, 40, 65 f., 120, 139, 200, 213, 218, 222, 237, 262, 265, 305, 316, 324, 339, 366, 392, 402, 407, 414, 465, 469–472, 504, 508 f., 517, 519, 530 Laientänzer 41, 143, 240, 303, 367, 409, 433, 531 Lauschen 164, 198, 270, 326, 379, 428, 462 Leben 18, 22, 29, 32, 34 f., 37 f., 42, 44, 55, 58, 70, 72 f., 79, 81, 84, 87 f., 90, 92, 95, 97 f., 101, 103, 105–107, 115, 120, 129 f., 133, 140–142, 144–146, 150 f., 153 f.,

Sachregister 159, 161 f., 164, 166, 169, 172 f., 175 f., 181, 185, 187, 191–193, 196, 198–200, 204, 209, 214, 218 f., 224–226, 230 f., 250, 258, 260, 267, 270 f., 279, 290, 293–296, 300 f., 304, 308, 314, 321, 323, 334, 337, 339, 341 f., 344 f., 347, 350, 352 f., 357 f., 360, 370, 372, 385, 387, 389, 393 f., 398, 403, 407, 412, 418, 420–422, 425, 427, 434, 438, 458, 460 f., 467 f., 472, 475, 486, 491 f., 494, 496–499, 501, 503 f., 506, 510 f., 513 f., 523, 525, 528 f., 568 f., 573 Lebenserfahrung 55, 149, 198, 241, 305 f., 317, 322, 332, 423, 447, 471, 506, 530, 563, 565Lebenskrise 294, 345, 347, 568 Lebenstanz 219, 345, 410, 421 Lebenswelt 22 f., 25, 34, 105, 114, 131, 283, 290, 297, 368 Leib 24, 42, 65, 67–69, 71, 74, 80–87, 92, 96–99, 101, 103–107, 120, 126, 128, 132, 134 f., 153 f., 163, 167, 193, 207 f., 216, 225, 229 f., 276, 280, 384, 394, 430, 436, 480, 496, 502, 506 f., 513, 518, 526, 528 f. Leib Christi 87, 98, 99, 104, 107, 120, 225, 276, 506, 507, 529 Leistung 36, 42, 130 f., 150 f., 156, 169, 308, 343, 409, 412, 449, 498, 528, 565 Leistungsanspruch 320, 336, 460, 567 Leistungsdruck 120, 313, 335, 418, 457 Leistungsorientiert 35, 246, 351, 445, 449 Liebe 88 f., 185, 193, 196, 200, 225, 230, 253, 270, 302, 307, 320, 323, 333, 344, 368, 442, 448, 563, 565 Liebevoll 84, 352, 387, 448, 449, 518 Liedtanz 20, 128 f., 239, 322, 437, 468 Life-Art-Process 167, 172–175, 177 Liminalität 32, 62, 275, 425, 428, 506, 510, 523 f., 528 f. Liminal 57, 62, 113, 425, 427, 428, 461, 510, 523, 524, 528, 519 Liturgie 92, 94, 97–116, 118, 123–125, 127, 135, 200–202, 213 f., 216, 218, 220, 222–224, 227–230, 236, 238 f., 245, 265 f., 280, 298, 303, 347, 363, 365 f., 370 f., 376, 378, 383 f., 388, 389, 483, 493, 498, 502 f., 507–509, 513, 518 f., 529, 564, 569–571, 573 Liturgik 96, 104, 507 f., 510, 532

589

Liturgische Bewegung 97, 200, 202 Liturgische Tanz 215, 218, 219, 228, 316, 365, 366 Lust 56, 78, 162 f., 185, 198 f., 247, 294, 327, 347, 402, 485 Macht 43, 74, 82, 88, 92, 96, 99, 101, 103, 105, 145, 153, 172, 201, 231, 430, 432, 441, 480, 496, 508, 515, 524, 527 Machtkampf 107, 298, 309 Mann 79, 82, 83, 86, 87, 107, 108, 139, 147, 169, 171, 250, 256, 297, 307, 324, 340, 346, 359, 367, 387, 413, 414, 423, 427, 458, 463, 474, 505, 518 Männer 30 f., 36, 79, 82 f., 87, 91, 110, 119, 185, 206, 214, 227,, 240, 248, 251, 269, 283, 326, 401, 413, 432, 443, 447 f., 474, 483 Männlichkeit/Mannsein 36, 139, 186, 279, 306, 413 f., 421, 518, 564 Männlich 19, 36, 77, 79, 83, 87, 113, 139, 186, 238, 283, 284, 298, 413, 414, 444 Meditation 18, 35, 39, 115, 131, 203, –208,, 211, 236, 241, 252, 293, 302–305, 313, 334, 347, 361, 371, 391, 408, 439, 474 f., 522, 524, 526 Meditation des Tanzes 18, 131, 200, 204, 208, 209, 304, 317, 320, 439, 475 „Meditativer Tanz“ 17, 18, 130, 131, 203, 204, 208, 223, 227, 239, 240, 244, 262, 284, 285, 293, 295, 314, 316–318, 320–322, 325, 327, 332, 343, 347, 348, 362, 365, 370, 371, 375, 411, 417, 424, 426, 437, 465, 473, 475, 477, 509, 510, 526, 566, 569 Methode 21, 26, 35, 41, 54, 119, 121–123, 181, 199, 240, 250 f., 282, 291 f., 307, 324 f., 393, 402, 414, 461, 467, 473, 514 f., 528 – Methodik 19–22, 25 f., 28, 52, 87, 104, 123, 240, 255, 278, 281, 286, 304, 324, 384, 414, 469, 531 – Methodologie 24, 118, 167, 281 f. Mimesis 70, 76, 108, 494 Mitte 21, 28, 102, 110, 112, 120, 168, 179, 204, 232, 235, 241, 247 f., 251, 256 f., 262, 269 f., 272, 317–319, 321, 327 f., 334, 343,

590

Sachregister

350, 356, 371, 379, 385, 419, 434–436, 438, 440, 449, 458, 474–476, 485, 497, 521, 565, 569 Mittelalter 95, 228, 237 Mittelalterlich 20, 149, 221 Modern Dance 129, 139, 149, 155, 156, 160, 162, 167, 169, 171, 180, 183, 200, 211, 212, 233, 276, 302–304, 321, 322, 366, 381, 427, 438, 458, 463, 468, 522 Mönchengladbacher Symposium 216, 235 Monte Verit 142, 197 Mount Tamalpais 179, 197 Musik 43 f., 46, 49, 61, 74, 94 f., 121, 129, 146, 151, 153, 155 f., 158, 160, 169, 171, 178, 184–186, 188, 198, 205, 207, 215, 219–222, 228, 238, 241–244, 246 f., 249 f., 252–254, 261, 264 f., 269–272, 274, 279 f., 294, 301 f., 308, 310, 312, 314, 318, 320, 327–330, 333, 336, 340, 346, 356, 358 f., 362, 366 f., 370 f., 374 f., 382, 388, 392, 394 f., 397–399, 404, 409, 411 f., 417, 419, 422–424, 426, 428, 434, 436, 442, 445, 447 f., 452, 455–458, 463, 465, 470, 473–475, 478, 481, 483, 486, 488 f., 494, 500 f., 507 f., 511, 515, 521 f., 527, 563 f., 566, 569 f., 574 Mysterien- 95, 97, 221 Mystiker 95, 219, 270, 359, 450 Mythos 155, 418 Natur 29, 76 f., 110, 116, 137 f., 153, 160, 169, 171 f., 174, 178–180, 185, 191, 197, 199, 209, 232, 239, 259, 331, 349, 437, 458–462, 483, 500, 515, 525 New Age 209, 211 New Dance 41, 167, 305, 458, 459 Niederlande 109, 124, 204 f., 220, 469 Norwegen 110, 220 Ohr 79, 83, 489 f. Ökumenisch 33, 102, 125, 218, 236, 237, 244, 264, 296, 303, 482, 509 Ordensfrau 87, 219, 220, 227, 304, 439 Orientalisch 138, 156, 160, 271 Ostern 224, 244, 267–270, 272, 358, 371, 392

Pacific School of Religion 212 Passion 89, 212, 242–244, 330, 356, 358, 439, 442, 512 Passionszeit 240, 242, 270 Pelvis 162, 198 Performance 31, 41, 48, 60–62, 64 f., 105, 108, 111–113, 115 f., 122, 133, 162, 166 f., 170, 173, 177–179, 198, 211, 237, 251–255, 265, 274 f., 303, 314, 321, 324 f., 328, 337, 340, 382, 388 f., 394, 398, 400 f., 406 f., 422, 425 f., 428 f., 440, 450 f., 453, 455–461, 480–482, 490 f., 497, 515, 518, 520 f., 566, 568–570, 574 Performativ 19, 28, 30 f., 45, 57, 60–66, 71, 73, 75, 77, 100 f., 104, 108, 111–114, 116, 118 f., 121 f., 133 f., 235, 276, 280, 400, 406, 408, 425, 428, 434, 442, 490, 498, 501 f., 508, 518, 521 f., 528, 531 – Performative Religionsdidaktik 121, 276, 406 Performative turn 30, 45, 406, 522 Performativität 26, 28, 31, 39, 41, 64, 66, 73, 96, 104, 108, 111, 115–118, 122 f., 133, 234, 275, 400, 405–408, 425, 429, 434, 488, 507, 511, 522, 524, 530 Perspektivität 24, 27 Phänomenologie 23 f., 32, 52, 66 f., 69, 71 f., 77, 97 f., 105, 118, 125, 130, 240, 275, 479 f., 487, 496, 502, 508, 511, 526 Planetary Dance 167, 169, 170, 459 Pluralität 33–35, 41, 65, 407 Plural 106, 206, 296, 416, 522, 526, 531 Pneumatologie 225 Pneumatologisch 93, 117 f., 387 Postchristlich 33, 65, 104, 275, 523 Postmodern 33 f., 65, 139, 167, 170 f., 190, 217, 275, 413, 416, 463 f., 473, 485 Postmodern Dance 139, 167, 171, 190, 463, 464, 473 Praktiken 16, 19, 23, 27, 33, 35 f., 52 f., 64 f., 118, 121, 297, 381, 405, 408, 437, 478, 493, 501 f., 510, 514, 519, 521, 524, 527, 529–531 Praktische Theologie 18–21, 23, 32, 96, 97, 125, 132, 134, 275, 368, 494, 508, 532 Präsenz 18, 44, 46–53, 56, 61, 66, 74, 92, 102, 106, 112, 114, 117, 167, 235, 238,

Sachregister 254, 267, 274, 279, 375, 381, 392, 415–421, 441 f., 453, 457, 472, 492 f., 497 f., 504, 510, 515, 520 f., 523, 525 f., 530 Präsenzkultur 46–48, 52 Predigt 95, 110, 239, 255, 257, 259–261, 264, 266, 274, 323, 366, 370 f., 376 f., 379, 412, 428, 433, 470, 479, 482, 484 f., 507, 518 Priestertum 39, 480, 504, 519 Protestantisch 33, 37, 39, 40, 78, 79, 99, 128, 134, 210, 264, 364, 370, 383, 482, 484, 485, 490, 493, 494 Protestantismus 35, 38, 40, 132, 200, 384, 478, 480, 493, 503 f., 572 Prozession 78, 94, 110, 112, 486 Qualität 28, 41, 45, 51, 56, 60, 68, 74, 85, 90 f., 133, 151 f., 159, 195, 226 f., 230, 233, 249, 261, 303, 307 f., 310, 326, 329, 350, 352 f., 358, 363, 379, 399, 403, 423, 434, 437, 450, 482, 487, 489, 493, 500, 503, 512, 519, 527, 530, 568 f. Rational 34, 40, 48, 176, 217, 298, 325, 334, 342, 358, 447, 461, 467, 481 Rattenbach 203, 218 Raum 18, 22, 27, 29, 31, 36, 40, 48 f., 60 f., 72–76, 83, 87, 94, 103, 105, 110 f., 113, 115–117, 119, 121, 123, 131, 133, 136, 139, 146–149, 154, 174 f., 179 f., 197 f., 202, 206, 216, 218, 221 f., 235 f., 238, 242, 248–250, 252, 254–258, 261 f., 266–270, 272, 274, 277 f., 282, 285, 292 f., 299 f., 303, 305, 308 f., 312, 314, 321, 325, 329, 331 f., 335, 337, 340, 344, 354, 371–373, 375 f., 382, 390, 393, 396 f., 399–404, 408, 410, 412 f., 416, 418 f., 422, 425, 428, 430–432, 435–437, 455, 457, 459–461, 469, 478–483, 485–489, 491 f., 500, 503 f., 507 f., 511, 513, 516, 521 f., 524–528, 531, 562, 567, 570 f., 574 – Raumbewusstsein 435, 480 – Raumerfahrung 110, 150, 270, 294, 331, 375, 418, 422, 459, 481, 483, 523 Rausch 71, 99, 472 Rechtfertigung 128, 135, 311, 385 f., 564

591

– Rechtfertigungsglauben 311, 508 – Rechtfertigungstheologie/-lehre 129, 493 Reflexivität, ästhetische 481 Reformierte Kirche 220, 297 Reigentanz 89, 112, 207 f., 320 Release 157, 167, 198 Relevanzsystem 21, 25, 39, 66, 501 Religion 15 f., 18 f., 24 f., 27, 30, 34, 36, 43 f., 65, 73, 91 f., 96, 101, 118, 121 f., 128, 130, 132, 134, 136–138, 140, 152, 154, 196, 209, 212, 216, 227, 245, 278, 282, 284, 297, 308, 312, 357–359, 383, 387, 405, 408, 459, 461, 473, 481, 487, 491 f., 494 f., 498 f., 501 f., 513, 519, 522, 527, 530–532, 563 – Religion, gelebte 18, 19, 24, 96, 122, 278, 282, 530, 532 Religionshermeneutik 19 Religionspädagogik 118, 121, 128, 131 f., 135, 236 f. – Religionsdidaktik 121, 276, 406 Religiöser Tanz 30, 213, 219, 225, 228, 424, 478 Repetitiv 261, 370, 434, 474 Resonanz 22, 74, 78, 111–113, 114, 121, 134, 159, 165, 174, 178–180, 199, 220, 368 f., 392 f., 396 f., 400, 407, 430 f., 433–435, 473, 487, 495, 498, 502–507, 524, 528, 573 Rezeption 18, 31, 41, 44, 56–59, 62, 67, 77, 92, 105, 107, 122, 133, 189, 205, 275, 280, 379, 413, 488–490, 493 f., 497 f., 527, 532 Rezeptionsästhetisch 101, 488, 527 Ritual 31, 57, 62 f., 66, 97, 103, 105 f., 111, 138, 169 f., 174 f., 177–180, 194, 203, 209, 250, 252, 348, 357, 378, 459–462, 520, 569 Rolle 23, 30–32, 36, 42, 45, 55 f., 59, 62, 65, 93–96, 99, 104, 107, 116, 119 f., 123, 127 f., 130, 134, 137, 147, 153, 161, 168, 177, 184, 189, 195, 204, 211, 213, 218, 220 f., 226, 230 f., 235 f., 246, 249, 251 f., 254–256, 261 f., 264–266, 268, 281 f., 286, 288, 293, 301, 306, 310, 313, 319, 326 f., 329–331, 336, 339, 341, 354, 357, 370, 372, 377–379, 381, 384, 387, 389,

592

Sachregister

393, 399, 406–410, 413 f., 418, 434 f., 437 f., 440, 443 f., 446–450, 460, 462 f., 472 f., 476, 504 f., 510 f., 518, 520, 522 f., 529 f., 571 RSVP-Zyklus/-Cycle 173, 177–179 Rücken 242, 244, 260, 269, 271, 323, 348, 448, 488 Sacred Dance 18, 139, 201, 209–212, 219, 236, 237, 303–305, 310, 312, 371, 372, 384, 439 Sacred Dance Guild 139, 201, 210, 384 Sakralisierung 34, 233 Sakrament 38, 86, 92, 97, 103, 105, 106, 380, 485, 506 Saltatrix 227 Scham 75, 120, 162, 189, 191, 194, 342, 344, 397, 415, 433, 515, 568 Schön / Schönheit 18, 19, 44, 50, 56, 58, 82, 101, 137, 138, 158, 159, 161, 162, 170, 192, 193, 198, 199, 207, 223, 240, 242, 247, 248, 253, 267, 278, 279, 292, 294, 314, 316, 318, 320, 325–327, 332, 335–337, 347, 350, 354, 356, 359, 360, 362, 363, 364, 379, 383, 389, 413, 417, 418, 420, 435, 436, 439, 440, 447, 448, 452, 460, 486, 494, 497, 506, 520, 521, 523, 525, 562, 565, 567, 569 Schöpfung 43, 82, 93, 110, 117, 126, 128, 165, 189, 208, 248, 328, 356, 390, 454, 472, 525 Schöpfungstheologie/schöpfungstheologisch 117, 128, 311, 384–386 Schritte (Tanzschritte) 40, 74, 92, 133, 144, 149, 179, 186, 214, 240–242, 244, 257, 259, 262, 266 f., 269–273, 301, 309 f., 312, 314, 317–320, 322, 327 f., 330, 347, 351, 355 f., 359, 364, 377, 417, 421, 435, 452, 473–475, 477, 486, 503, 505, 564 f. Schweden 205 Schweiz 142, 221, 233, 283 Schwellenraum 18, 427, 524 Score 41, 173, 177–179, 303 Seele 32, 67 f., 71, 80–83, 85–87, 99, 101, 114, 126, 132, 141, 148, 154, 157, 191, 193, 198 f., 207–209, 214, 225, 235, 245, 253, 326, 328, 344, 357, 382 f., 409, 411,

431, 440, 466, 477, 502, 516, 520, 531, 572 Segen 87, 100, 229, 248, 249, 251, 254 f., 257, 261, 264, 266 f., 272, 274, 299, 361, 364, 366, 367, 376 f., 380, 383, 389, 436, 480, 506, 509, 519, 571 Selbstreferentialität (von Kunstwerken) 406, 425, 464 Selbstwahrnehmung 176, 334, 378, 421, 426, 428, 433, 456, 492, 512, 527, 571 Sema-Ritual 378 Semiotic turn 44, 406, 522 Semiotik 26, 39, 57, 59, 126, 128, 133, 233 f., 405 f., 490, 522, 530 f. Semiotisch 28–30, 47, 50, 51, 60, 63, 66, 92, 100, 231, 275, 381, 407, 408, 472, 479, 504, 521, 522 Sinnkultur 46 f., 52 Sinnlichkeit 307, 433, 494 Sinnlich 22, 24, 31, 38, 40, 44, 45, 54, 55, 60, 66, 70, 98, 109, 110, 120, 163, 175, 180, 185, 189, 198, 257, 288, 344, 369, 379, 390, 424, 431, 445, 447, 460, 473, 478, 481, 495, 513, 523 Sinnsuche 33, 140, 241, 459 Somatisch 19, 23, 45, 56, 81, 189, 275, 329, 422, 423, 425, 428, 429, 432, 443, 474, 488, 491, 498, 522, 527 Soul Motion 284, 285, 304, 316, 351, 437, 441, 456–458, 485, 525 Spiel 21, 42, 73, 75 f., 88, 93–95, 100 f., 103, 120–122, 127–129, 131, 136, 142 f., 159, 176, 177, 181, 183, 184, 190, 192, 202, 205, 207, 221, 224, 227, 246, 247, 249, 252 f., 262, 269, 279, 304, 310, 319, 327, 330, 344, 354, 361, 369, 375, 386, 393, 400, 412, 413, 425 f., 444, 447, 459, 461, 465, 466, 477, 478, 481, 485, 491, 495, 507, 508, 511, 513 f., 523, 525 f., 529 Spielraum 74, 75, 100, 108, 111, 176, 232, 242, 529, 530 Spirale 113, 208, 217, 233, 318, 343, 355 f., 417, 486 Spiritualität 17–21, 25–27, 32–39, 45, 57, 64 f., 90, 95 f., 107, 109, 115, 121, 123, 125, 127, 130 f., 135 f., 140, 151–153, 167, 175, 197, 199–201, 208–213, 216,

Sachregister 218, 220, 222 f., 225, 230, 234, 236, 238 f., 245, 254, 275, 278 f., 281, 296–298, 302, 306, 312 f., 329, 335, 337, 346 f., 349, 352 f., 356–359, 364, 368, 373, 386, 402–406, 416, 440 f., 443, 452, 454, 461, 469, 489, 493, 497, 499–503, 505 f., 510 f., 521, 523, 525–531, 563, 565, 568 f. Stille 87, 208 f., 252 f., 264, 361, 398, 456–458, 462, 484 f., 521, 568, 574 Stillstand 27, 232, 271 Stimmung 54, 102, 116, 153, 175, 188, 195, 217, 294, 328, 331, 345 f., 357, 368 f., 399, 401, 430 f., 439, 446, 503, 511, 526 Subjekt-Objekt 47, 48, 430 Suche 25, 37, 39, 71, 78, 80, 102, 133, 138, 150, 156 f., 181, 187, 196, 227, 233, 243, 267, 270, 279, 283, 296, 314–316, 323, 335, 343, 346, 354, 355, 383 f., 402, 422, 439, 454, 503, 510, 531 – Gottsuche 29, 209, 357, 498 – Sinnsuche 33, 140, 174, 241, 459 Symbol 62, 72, 81, 87, 92, 99, 111, 113, 126, 133, 137, 161 f., 165, 191, 195, 211, 256, 293, 310, 318 f., 377, 388, 417, 474, 476, 502, 506 f., 564 Symposium 218, 223, 235 Synästhetisch 54, 366, 374 f., 418 Szene 16–19, 26, 44, , 54, 65 f., 121, 178, 181, 188, 195, 204 f., 216, 219, 237, 240, 281, 283, 290–292, 315, 317, 322, 339, 354, 402, 404, 444, 450, 503, 506, 512, 532 Szenen 39, 204, 510, 518 Tamalpa-Institut 169, 175 Tango 185, 222 f., 228, 239, 284 f., 302, 311, 321–323, 338–340, 346, 354 f., 370 f., 377, 389, 399, 412, 424, 426, 435, 437, 442–450, 463, 478, 506, 514, 518, 522, 525, 564, 566 Tango Argentino 311, 322, 323, 412, 426, 442, 463, 518, 525 Tangogottesdienst 322, 369, 397, 443, 450 Tanz als Kunst 19, 20, 40, 44, 45, 134, 139, 158, 216, 278, 280, 291, 310, 367, 394, 398, 404, 407, 408, 484, 522, 564, 573

593

– Tanz als künstlerische Sprache 77, 280, 394, 573 Tanzform 132, 154, 213, 217, 222, 228, 233, 320, 321, 323, 338, 344, 434, 437, 498, 505, 513 Tänzerische Form 98, 526 Tanzgeschichte 21, 31, 93, 171, 184, 303, 409, 440, 481 Tanzgottesdienst 17, 18, 110, 116, 221, 223, 240, 251, 256, 257, 259, 261, 262, 264–266, 268, 269, 272, 273, 274, 276, 279, 292, 303, 362, 362, 369–372, 374, 376, 377, 434, 474, 483, 485, 503, 507–509, 518, 529, 570 Tanzkompanie 367, 368, 444 Tanzphilosophie 77, 275 Tanzpraktiken 38, 39, 65, 66, 405, 412, 437 Tanzraum 31, 148, 149, 248, 294, 331, 412, 418, 486, 524 Tanztag 216, 239 f., 242 Tanztheater- 17, 53, 70, 115, 140, 144–146, 171, 181, 183 f., 186–193, 195 f., 199 f., 221, 223, 239, 293, 308, 311, 322, 326, 339, 350, 354, 367, 390, 392, 394, 395, 399, 401, 408, 414, 424, 426, 428, 431, 433, 437, 439, 461, 468, 470–473, 478, 491, 509, 513, 515, 524–526 Tanztheologie 91, 92, 93, 96, 101, 134, 238 Tanztherapie 147, 250, 256, 303, 305, 312, 426 f., 512 Tanzverbote 20, 93, 128, 516, 517 Tanzverständnis 30, 64, 125, 136, 153, 197 f., 205, 275, 276, 392, 402, 407, 411, 502–504, 511, 515, 522, 573 Tanzwissenschaft 20, 29 f., 66, 72, 135, 143, 182, 275, 278, 292, 408, 501, 510, 519, 522, 530 f. Tanzwissenschaftlich 23, 28, 62, 135, 140, 154, 276, 277, 381, 408, 437, 444. 515, 524, 531 Teilnehmende Beobachtung 263, 282, 287 Theaterwissenschaft 31, 46, 107 f., 114 f., 133, 406, 408, 531 Theatral 31, 57, 113, 160, 193, 423 Theologie-/-theologie 21, 23, 26, 32,

594

Sachregister

35–37, 42, 44, 50, 77–79, 83, 85–89, 91–93, 96–98, 104, 106, 118, 121, 125–126, 128 f., 131–135, 181, 193, 196, 202, 207, 212, 216, 225, 234, 238, 254, 275 f., 278, 280, 290, 298, 302 f., 312, 326, 376, 381, 383–389, 393, 402, 404, 415, 416, 466, 493–495, 498, 500–502, 506, 508, 510–514, 516, 529, 564, 572 Trance 61, 211, 244, 357, 473 Transformation 18, 32, 38, 44, 48, 55–57, 61–64, 66, 72, 90 f., 101, 113, 115 f., 121, 148, 152, 177, 179, 197, 278, 288, 345 f., 384, 403, 420–422, 425 f., 453, 461, 497 f., 501 f., 507, 510 f., 514, 527–529, 568 Transformatorisch 64, 66, 77, 98, 101, 231, 421, 498, 506 Transzendenz- 33, 50, 88, 154, 226, 230, 337, 493, 494, 527 Trinität 32, 93, 506, 512 Typen 55, 190, 227, 264 f., 268, 273 f., 371, 508 Unbeweglichkeit (Gottes)

88 f.

Verhalten 29, 31, 33, 60, 84, 102 f., 113, 150, 187, 192, 194, 291, 305, 380, 381, 425, 433, 464, 508 Versenkung 317, 447, 475, 498, 510 Volkstanz 30, 58, 76, 95, 119, 149, 153, 201, 203–208, 212, 213, 301 f., 317, 319, 365, 419, 473, 565 Vorsprachlich 22, 24 f., 30, 34, 45, 49, 435, 499, 503, 516, 524, 528, 531 Wahrnehmung 17, 20–26, 29, 31 f., 39, 41 f., 44 f., 47, 51 f., 54 f., 60, 63, 69, 76, 80, 82 f., 96–98, 107 f., 114, 116, 117 f., 120, 122 f., 168, 173, 176, 180, 182, 185, 198, 234 f., 240, 242, 253 f., 257, 261, 263, 274, 277, 297, 306, 308, 313, 317, 320,

344–346, 351, 367, 386, 390, 400, 412, 414, 422–424, 426, 428, 436, 441, 446, 455, 457, 460–462, 474 f., 477–480, 484 f., 488 f., 495 f., 500 f., 511, 518, 521, 524, 530, 532 Weiblichkeit 139, 217, 306 f., 332, 356 f., 413, 414, 421, 452, 518, 564, 569 Weihnachten 186, 327, 358, 385 Weisheit 35, 153, 332, 384 f., 391, 414, 514 Weite 33, 75, 210, 237, 329, 337, 378, 384, 385, 462, 512, 514, 567 Wort Gottes 83, 202, 203, 480 Zeichen 47–51, 57–60, 62, 89, 103, 111 f., 116, 122, 133 f., 137, 195, 197, 332, 362, 409, 411, 414, 425, 478 Zeichenbegriff 50, 51, 59, 133 Zeichentheoretisch 28, 46, 59 Zeit-/zeitlich (Dimension von Tanz, Zeiterfahrung) 27, 29, 32, 46, 48, 49, 60–62, 68, 73–75, 103, 105, 111, 113, 143, 146, 152, 159, 174, 178, 249, 251, 261, 292 f., 299 f., 303–306, 321, 329, 337, 353–355, 363, 370, 416, 418 f., 425, 427, 461, 473, 476–481, 494, 500, 513–515, 521, 562, 569 Zeitgenössischer Tanz 62, 136, 139, 140, 155, 181, 211, 279, 302, 305, 347, 463, 482, 495, 515, 524 Zentrierung 293, 352, 356, 403, 417, 473, 475, 493, 497, 569 Zeugen 165, 173, 178 f., 460–462, 472 Zuschauer 29, 31, 41, 48, 58, 60–62, 111, 122, 146, 151, 160, 164, 165, 181, 183, 188–190, 192, 195, 197, 211, 278, 333, 352, 353, 368 f., 378, 394, 397, 401, 408, 409, 412 f., 415, 432, 433, 454, 463, 472–474, 487–489, 491 f., 506, 515 f., 522–525, 527 f., 574 Zwischenleiblichkeit 61, 70, 467