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German Pages 296 Year 2013
Symbolische Interaktion in der Residenzstadt des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit
Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit Band 9
Herausgegeben von Andreas Ranft und Andreas Pečar
Gerrit Deutschländer, Marc von der Höh, Andreas Ranft (Hg.)
Symbolische Interaktion in der Residenzstadt des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit
Akademie Verlag
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Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Marc von der Höh Symbolische Interaktion in der Residenzstadt des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. Zur Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Matthias Müller Die Bildwerdung des Fürsten. Das Verhältnis von Realpräsenz und medialer Fiktion als Aufgabe symbolischer Kommunikation in den höfischen Bau- und Bildkünsten des 15. und 16. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Andreas Bihrer Einzug, Weihe und erste Messe. Symbolische Interaktion zwischen Bischof, Hof und Stadt im spätmittelalterlichen Konstanz. Zugleich einige methodische Ergänzungen zu den Ergebnissen der aktuellen Adventusforschung . . . . . . . . . .
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Arend Mindermann Zur Präsenz des Stadtherrn und des niederen Adels im spätmittelalterlichen Göttingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Joachim Schneider Symbolische Elemente der Konfliktaustragung zwischen Hof und Stadt. Zeugnisse der Chronistik aus dem 14. bis 16. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Andreas H. Zajic Repräsentation durch Inschriftenträger. Symbolische Kommunikation und Integration des Adels zwischen Hof und Grundherrschaft in den beiden österreichischen Erzherzogtümern im 15. und 16. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . .
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Matthias Meinhardt Von Zeichen und Leichen. Die Residenzstadt Dresden als Darstellungsraum von Fürsten und Höfen im 16. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Gerrit Deutschländer Die Stadt- und Schlosskirche zu Dessau – ein Ort symbolischer Interaktion zwischen Hof und Bürgerschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
Jan Brademann Gesellschaftlicher Wandel und Umbruch im Spiegel symbolischer Kommunikation. Zu kulturgeschichtlichen Forschungsfeldern in Halle an der Saale zwischen 1450 und 1550 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Michael Hecht Lehnszeremoniell und Wahlverfahren. Zur symbolischen Inszenierung politischer Ordnung in der Salz- und Residenzstadt Halle (15.-18. Jahrhundert) . . . .
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Stephan Selzer Symbolische Interaktion in der Residenzstadt des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. Eine kurze Bestandsaufnahme am Ende der Tagung . . . . . . . .
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Register der Orts- und Personennamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort
Der seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts zu beobachtende Prozess der Residenzbildung darf nicht losgelöst vom städtischen Umfeld gesehen werden. Gleich ob sich die Residenz in einer bereits bestehenden Stadt entfaltete oder ob sich um die fürstliche Residenz eine neue städtische Siedlung bildete: Stadt und Residenz waren in jedem Fall eng aufeinander bezogen und miteinander verbunden. Insofern kommt der Untersuchung des Verhältnisses zwischen Stadt und Hof in der Residenzstadt für das Verständnis des Residenzbildungsprozesses, aber auch für die weitere Entwicklung der Residenzen maßgebliche Bedeutung zu. Zum vorläufigen Abschluss des eng in das Feld der Residenzenforschung eingebundenen Forschungsprojektes „Stadt und Residenz im mitteldeutschen Raum“ an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg wurde im November des Jahres 2006 eine Tagung veranstaltet, die sich einem zentralen, in diesem Zusammenhang bisher aber zu wenig beleuchteten Aspekt der vielschichtigen Problematik zuwendete: der symbolischen Interaktion zwischen Hof und Stadt in der Residenzstadt. Hof und Stadt werden dabei als zwei ganz unterschiedlich generierte soziale Sphären verstanden, die in der Residenzstadt auf sehr verschiedenen Ebenen aufeinander einwirkten. Vorträge zu unterschiedlichen Medien und Feldern der symbolischen Interaktion sollten beleuchten, ob und in welcher Weise diese beiden Systeme miteinander in Beziehung traten. Beispielsweise konnten Wappen, Inschriften und Architekturformen den Anspruch oder schlicht die Präsenz des Stadtherrn und seines Hofes gegenüber der Stadt demonstrieren. Von städtischer Seite hervorgebrachte Zeichen mochten im Gegenzug den städtischen Autonomieanspruch verdeutlichen oder die Zugriffsversuche des Hofes abzuwehren suchen. In anderer Weise, aber mit grundsätzlich vergleichbarer Intention wirkten Rituale und zeremonielle Handlungen in den Stadtraum hinein. Höfische und städtische Feste, Herrschereinzüge oder Huldigungen, schließlich auch religiöse Prozessionen und Bestattungsrituale stellten jeweils Besetzungen des Stadtraums oder von Teilen desselben durch den Hof, durch die Stadt oder durch beide gemeinsam dar. Von Interesse war und ist, welcher Formen sich Stadt und Hof bedienten, wenn sie mit der jeweils anderen Seite in Beziehung traten. Die Befunde sind freilich nicht immer so eindeutig und vergleichsweise unproblematisch zu interpretieren wie im Falle von Wappen und Inschriften. Unter einer methodologischen Perspektive ist daher zu fragen, welche symbolischen Formen überhaupt als Medien der symbolischen Interaktion zwischen Hof und Stadt aufgefasst werden können. Darüber hinaus muss der Blick ebenso auf die räumliche Dimension solcher Interaktionen und die
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Vorwort
Wertigkeit städtischer Topographie gerichtet werden. Zu denken ist hier u. a. an privilegierte Orte der Interaktion zwischen Stadt und Hof wie etwa an die städtische Pfarrkirche, wenn sie zugleich Hofkirche war, oder auch an den Außenbereich des Schlosses, in dem Stadt und Hof ganz konkret aneinander stießen. Schließlich stellt sich die entscheidende Frage, ob die jeweiligen Botschaften überhaupt die andere Seite erreichten bzw. wie sie verstanden und beantwortet wurden. Hier kann nur die Analyse von Konflikten um derartige symbolische Formen weiterhelfen oder aber die Auswertung von Berichten der städtischen oder höfischen Historiographie im weitesten Sinne. Unter welcher Perspektive man sich den Phänomenen auch nähert, in den Blick geraten immer Formen symbolischen Handelns im Spannungsfeld zwischen Hof und Stadt. Trotz dieses Spannungsfeldes scheint es geboten, sich nicht von Anfang an auf ein Konfrontationsmodell der Residenzbildung festzulegen, denn gerade auf der Ebene der symbolischen Kommunikation lassen sich Phänomene beobachten, die im Gegenteil auf eine Integration der beiden Sphären bzw. gesellschaftlichen Systeme ausgerichtet sind. Zudem darf die diachrone Dimension des Problems nicht ausgeblendet werden. Der Stadtherr und sein Hof waren auch vor der Residenzbildung mehr oder weniger oft in den Städten präsent. Es geht also nicht bloß um eine Analyse einzelner Formen symbolischer Interaktion, sondern darum, diese mit der Frage nach dem Wandel zu verbinden, den Hof und Stadt durch die Residenzbildung erfahren haben. Insofern verstehen sich die Beiträge dieser Tagung als methodischanalytische Explorationen eines Forschungsfeldes, dessen weitere Bearbeitung reichen Ertrag für das Verständnis residenzstädtischer Gesellschaften und ihres Wandels verspricht. Für ihre freundliche Unterstützung bei der Durchführung der Tagung danken wir der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, die mit ihren historischen Räumlichkeiten unserer Tagung ein atmosphärisch stimulierendes Ambiente geboten hat. Unser Dank geht weiterhin an Alexander Lehmann, Verena Spilcke-Liss und Sylvia Opel, die durch große Umsicht bei der Organisation für einen reibungslosen Tagungsverlauf gesorgt haben. Besonderer Dank gilt Joachim Seibt, der neben vielen anderen Verpflichtungen am Lehrstuhl die letzten Arbeiten an der Druckvorlage vorgenommen hat, und schließlich Manfred Karras vom Akademieverlag, der unser Unternehmen zusammen mit seiner Mitarbeiterin Claudia Kühne auf bewährte Weise über teilweise schwierige Wegstrecken bis zur Publikation gelotst hat. Nachdem die Vorbereitung dieses Tagungsbandes mehr Zeit in Anspruch genommen hat als gedacht, freut es uns umso mehr, dass die Ergebnisse der Tagung nun endlich gedruckt vorliegen. Gerrit Deutschländer
Marc von der Höh
Andreas Ranft
Symbolische Interaktion in der Residenzstadt des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit Zur Einleitung Marc von der Höh, Bochum Seit Beginn der Erforschung des Residenzbildungsprozesses wurde auf den engen Zusammenhang zwischen den entstehenden Residenzen und ihrem städtischen Umfeld hingewiesen.1 Residenzbildung ohne städtisches Umfeld, so kann man heute auf der Basis umfangreicher Forschungen sagen, war in Spätmittelalter und Früher Neuzeit undenkbar.2 Gleichwohl lag der Schwerpunkt der Erforschung der Residenzen 1
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Vgl. schon Hans PATZE, Die Bildung der landesherrlichen Residenzen im Reich während des 14. Jahrhunderts, in: Stadt und Stadtherr im 14. Jahrhundert, hrsg. von Wilhelm RAUSCH (Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas, Bd. 2), Linz 1972, S.1-54, sowie in der Folge Hans PATZE und Gerhard STREICH, Die landesherrlichen Residenzen im spätmittelalterlichen Deutschen Reich, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 118 (1982), S. 205-216; Klaus NEITMANN, Was ist eine Residenz?, in: Vorträge und Forschungen zur Residenzenfrage, hrsg. von Peter JOHANEK (Residenzenforschung, Bd. 1), Sigmaringen 1990, S. 11-43, und den Forschungsüberblick von Andreas BIHRER, Curia non sufficit. Vergangene, aktuelle und zukünftige Wege der Erforschung von Höfen im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für Historische Forschung 35 (2008), S. 235-237. Vgl. Andreas RANFT, Residenz und Stadt, in: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich, Bd. 2: Bilder und Begriffe, hrsg. von Werner PARAVICINI, bearb. von Jan HIRSCHBIEGEL und Jörg WETTLAUFER (Residenzenforschung, Bd. 15,2), Ostfildern 2005, Teilbd. 1: Begriffe, S. 27-32, Teilbd. 2: Bilder, S. 95-107; Matthias MEINHARDT und Andreas RANFT, Das Verhältnis von Stadt und Residenz im mitteldeutschen Raum. Vorstellung eines Forschungsprojektes der Historischen Kommission für Sachsen-Anhalt, in: Sachsen und Anhalt 24 (2002/2003), S. 391-405, und demnächst Gerrit DEUTSCHLÄNDER und Matthias MEINHARDT, Was ist Residenzstadtbildung?, in: Sachsen und Anhalt. Die Erträge der Forschungen zu spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Residenzen sind jetzt durch das Handbuchprojekt der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen erschlossen: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich, hrsg. von Werner PARAVICINI, bearb. von Jan HIRSCHBIEGEL und Jörg WETTLAUFER, Bd. 1: Ein dynastisch-topographisches Handbuch, Bd. 2: Bilder und Begriffe, Bd. 3: Hof und Schrift (Residenzenforschung, Bd. 15,1-3), Ostfildern 2003-2007; eine aktualisierte Bibliographie bieten Jan HIRSCHBIEGEL, Dynastie – Hof – Residenz. Fürstliche Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Allgemeine Auswahlbibliographie zu einem Projekt der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften in Göttingen (Mitteilungen der Residenzen-Kommission, Sonderheft 4), Kiel 2000; DERS., Auswahlbibliographie von Neuerscheinungen zu Residenz und Hof 19952000 (Mitteilungen der Residenzen-Kommission, Sonderheft 5), Kiel 2000; DERS. und Silke
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Marc von der Höh
lange Zeit auf dem Hof und den sich hier durch die Residenzbildung einstellenden Veränderungen.3 Erst in jüngerer Zeit wandte man sich den Folgen der Residenzbildung für die entsprechenden Städte zu und untersuchte die auf vielen Ebenen erkennbaren Wechselbeziehungen zwischen Stadt und Hof.4 Dieses Verhältnis zwischen Stadt und Hof während und nach der Residenzbildung stand im Zentrum des Forschungsprojektes „Stadt und Residenz im Mitteldeutschen Raum“ am Institut für Geschichte der Universität Halle-Wittenberg, aus dessen Abschlusstagung der hier nun vorliegende Sammelband hervorging.5 Mit dem Thema „Symbolische Interaktion in der Residenzstadt“ widmete sich die Tagung einem Aspekt des Themas, dessen Relevanz sich schon auf dem gemeinsam mit der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaft zu Göttingen organisierten Symposium „Der Hof und die Stadt“ erwiesen hatte.6 Schon die hier rein quantitativ zutage getretene Relevanz des Themas7 unterstrich die Notwendigkeit, sich der symbolischen Interaktion in einer eigenen Tagung zuzuwenden, um so Möglichkeiten und Chancen einer methodischen und thematischen Konzentrierung der Fragestellung auszuloten.8 Die Organisatoren der Tagung haben daher Vertreter unterschiedlicher Disziplinen eingeladen, aus ihrer spezifischen Perspektive einen Blick auf Formen symbolischer Interaktion in der
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MEIER, Auswahlbibliographie von Neuerscheinungen zu Residenz und Hof 2001-2005 (Mitteilungen der Residenzen-Kommission, Sonderheft 8), Kiel 2006. Andreas RANFT, Adel, Hof und Residenz im späten Mittelalter, in: Archiv für Kulturgeschichte 89 (2007), S. 61-89; Werner PARAVICINI, Die Gesellschaft, der Ort, die Zeichen. Aus der Arbeit der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, in: Spätmittelalterliche Residenzbildung in geistlichen Territorien Mittel- und Nordostdeutschlands, hrsg. von Klaus NEITMANN und Heinz-Dieter HEIMANN (Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landesgeschichte, Bd. 2), Göttingen 2008, S. 15-40, zur Hinwendung zu den Höfen vor allem S. 18; BIHRER, Curia non sufficit (wie Anm. 1); sowie MEINHARD/RANFT, Verhältnis (wie Anm. 2). Zu nennen sind hier etwa die Beiträge in: Der Hof und die Stadt. Konfrontation, Koexistenz und Integration in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von Werner PARAVICINI und Jörg WETTLAUFER (Residenzenforschung, Bd. 20), Ostfildern 2006; Susanne PILS und Jan Paul NIEDERKORN, Ein zweigeteilter Ort? Hof und Stadt in der Frühen Neuzeit (Forschungen und Beiträge zur Wiener Geschichte, Bd. 44), Innsbruck, Wien und Bozen 2005. Einen Überblick bieten RANFT, Residenz und Stadt (wie Anm. 2); MEINHARDT/RANFT, Verhältnis (wie Anm. 2) und DEUTSCHLÄNDER/ MEINHARDT, Was ist Residenzstadtbildung? (wie Anm. 2). MEINHARDT/RANFT, Verhältnis (wie Anm. 2). PARAVICINI/WETTLAUFER, Der Hof und die Stadt (wie Anm. 4). Der Abschnitt „Krieg der Zeichen“ umfasst nahezu die Hälfte aller im Tagungsband vereinten Beiträge (12 von insgesamt 25), schaut man bei den übrigen Beiträgen dann genauer hin, stellt man fest, dass auch einige von diesen sich überwiegend oder zumindest teilweise auch mit der symbolischen Seite des Themas beschäftigen. Auf den Hof konzentriert betonen die Bedeutung der „semiologischen“ Perspektive PARAVICINI, Gesellschaft (wie Anm. 3) und Peter-Michael HAHN und Ulrich SCHÜTTE, Thesen zur Rekonstruktion höfischer Zeichensysteme in der Frühen Neuzeit, in: Mitteilungen der Residenzen-Kommission 13-2 (2003), S. 19-47.
Zur Einleitung
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Residenzstadt zu werfen. Hierbei wurde der theoretische und methodische Rahmen bewusst offen gehalten, um möglichst viele unterschiedliche, einander ergänzende oder auch konkurrierende Zugänge zusammenzubringen, zu diskutieren und zu bündeln. Zunächst jedoch einige Worte zur Konzeption der Tagung. Residenzbildung kann zunächst als ein Phänomen des Raumes bzw. der Topographie aufgefasst werden. Mit der Etablierung einer ortsfesten Hofhaltung in engem räumlichen Zusammenhang mit einer städtischen Siedlung entsteht eine neue topographische Konfiguration, die Residenzstadt. Diese ist geprägt durch das Vorhandensein eines mehr oder weniger stark abgegrenzten Residenzbereichs aber auch durch eine stärkere architektonische Präsenz von unterschiedlichen Funktionsbauten des Stadtherrn und seines Hofes in der Stadt.9 Residenzbildung ist sicher aber nicht ausschließlich ein topographisches Phänomen. Das ergibt sich schon daraus, dass es in vielen Fällen in den Städten bereits vorhandene Burg- bzw. Schlossanlagen des Stadtherrn waren, die zur Residenz ausgebaut wurden. Zentral für die Definition der Residenz ist, dass hier eine permanente Hofhaltung etabliert wird, entsprechend ist nicht das Vorhandensein eines stadt- und landesherrlichen Residenzbaus in der Stadt von Bedeutung, sondern die kontinuierliche Anwesenheit des Landesherrn und seines Hofes.10 Residenzbildung erscheint vor diesem Hintergrund als zunächst ebenfalls räumliches Aufeinandertreffen von zwei unterscheidbaren sozialen Systemen, auf der einen Seite dem hierarchisch abgestuften und auf ein Zentrum, den Fürsten bzw. Dynasten ausgerichteten Hof,11 auf der anderen Seite der Stadt als genossenschaftlichem Verband (rechtlich) gleichgestellter Bürger.12 Die in der Folge einsetzenden 9 10 11
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Pointiert RANFT, Residenz und Stadt (wie Anm. 2), S. 27 f. Vgl. die in Anm. 1 aufgeführten Titel zur Bestimmung des Begriffs „Residenz“. Vgl. zu einer theoretischen Bestimmung des Hofbegriffs den Forschungsüberblick BIHRER, Curia non sufficit (wie Anm. 1), S. 246-251, sowie die wichtigen Beiträge in: Hof und Theorie. Annäherung an ein historisches Phänomen, hrsg. von Reinhard BUTZ, Jan HIRSCHBIEGEL und Dietmar WILLOWEIT (Norm und Struktur, Bd. 22), Köln, Weimar und Wien 2004, hier insbesondere die Beiträge von Reinhard Butz und Lars-Arne Dannenberg, Jan Hirschbiegel und Aloys Winterling. Die Diskussion um die soziale und politische Verfasstheit der vormodernen Stadt ist ungleich breiter als die entsprechende Diskussion um den Hof. Einen Überblick über die Versuche, das „Städtische“ zu bestimmen bei Frank G. HIRSCHMANN, Die Stadt im Mittelalter, (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 84) München 2009, S. 61-70. Vgl. stellvertretend für vieles die wichtigen Beiträge von Ulrich MEIER und Klaus SCHREINER, Bürger- und Gottesstadt im späten Mittelalter, in: Sozial- und Kulturgeschichte des Bürgertums. Eine Bilanz des Bielefelder Sonderforschungsbereichs (1986-1997), hrsg. von Peter LUNDGREEN (Bürgertum, Bd. 18), Göttingen 2000, S. 43-84; DIES., Regimen civitatis. Zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Ordnung in alteuropäischen Stadtgesellschaften, in: Stadtregiment und Bürgerfreiheit. Handlungsspielräume in deutschen und italienischen Städten des Späten Mittelalter und der Frühen Neuzeit, hrsg. von Klaus SCHREINER und Ulrich MEIER (Bürgertum, Bd. 7), Göttingen 1994, S. 11-34; Wolfgang MAGER, Genossenschaft, Republikanismus und konsensgestütztes Ratsregiment. Zur Konzeptualisierung der politischen Ordnung in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen deutschen Stadt, in: Aspekte
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Marc von der Höh
sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Verflechtungen und Verbindungen zwischen beiden Systemen lassen jedoch erkennen, dass sich im Laufe der Zeit aus Hof und Stadt die Residenzstadt ausbildete, in der trotz der bestehenden Grenzen und des politisch-sozialen Gefälles beide Teilsysteme doch untrennbar miteinander verbunden sind.13 Diese Integration der beiden Systeme kann als Ergebnis permanenter und auf nahezu allen Ebenen des residenzstädtischen Lebens stattfindender Interaktionen aufgefasst werden. Man kann hier an die engen Verflechtungen zwischen Hofökonomie und Stadtwirtschaft denken, die Entstehung auf den Hof bezogener Märkte oder auch an die Konzentration von Produktionsstätten in der Residenzstadt, die den Bedarf des Hofes an Luxusgütern aber auch Produkten des täglichen Gebrauchs sicherstellten.14 Auf der politischen Ebene ist etwa eine verstärkte Einflussnahme des Landesherrn auf die Selbstverwaltung der Residenzstadt zu beobachten, die weit über die übliche stadtherrliche Stellung des Fürsten oder Dynasten hinausging und verständlicherweise großes Konfliktpotential barg.15 Daneben ist an eine Vielzahl sozialer Beziehungen zwischen Hof und Stadt zu denken, z. B. an die Einbindung von Angehörigen der städtischen Eliten in die Hof- und Landesverwaltung oder auch an deren Teilnahme an höfischen Festlichkeiten, sei es nun als geladene Gäste oder aber als Publikum.16
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der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts. Politische Theologie – Res Publica-Verständnis – konsensgestütze Herrschaft, hrsg. von Luise SCHORN-SCHÜTTE (Historische Zeitschrift, Beihefte N.F. 39), München 2004, S. 12-122. MEINHARDT/RANFT, Verhältnis (wie Anm. 2); Werner PARAVICINI und Andreas RANFT, Über Hof und Stadt, in: PARAVICINI/WETTLAUFER, Der Hof und die Stadt (wie Anm. 4), S. 13-17; RANFT, Residenz und Stadt (wie Anm. 2); MEINHARDT/DEUTSCHLÄNDER, Was ist Residenzstadtbildung? (wie Anm. 2). Auch hier seien neben den zusammenfassenden Beobachtungen von RANFT, Residenz und Stadt (wie Anm. 2), S. 28 f., nur einige jüngere Einzelstudien genannt: Sybille SCHRÖDER, Luxusgüter aus London. Die Stadt und ihr Einfluß auf die materielle Kultur am Hof Heinrichs II. von England, in: PARAVICINI/WETTLAUFER, Der Hof und die Stadt (wie Anm. 4), S. 359-369; Ulf Christian EWERT, Fürstliche Standortpolitik und städtische Wirtschaftsförderung. Eine ökonomische Analyse des Verhältnisses von Hof und Stadt im vormodernen Europa, ebd., S. 429-447; Marc VON DER HÖH, Stadt und Grafenhof in Stolberg/Harz im 15. Jahrhundert, ebd., S. 487-511. Wichtige neue Impulse gibt Matthias MEINHARDT, Dresden im Wandel. Raum und Bevölkerung der Stadt im Residenzbildungsprozess des 15. und 16. Jahrhunderts (Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Bd. 4), Berlin 2010. Im Überblick RANFT, Residenz und Stadt (wie Anm. 2), S. 29 f. Joachim SCHNEIDER, Nach dem Sieg des Bischofs: Soziale Verflechtungen der Würzburger Ratsfamilien mit dem bischöflichen Hof, in: PARAVICINI/WETTLAUFER, Der Hof und die Stadt (wie Anm. 4), S. 89-109; Christian SCHNEIDER, Eliten des Hofes – Eliten der Stadt. Ständische Verhaltenskonzepte und gesellschaftliche Identitätsbildung im Reflex der Literatur um Herzog Albrecht III. von Habsburg (1365-1395), in: ebd., S. 449-470; Christian HESSE, Städtisch-bürgerliche Eliten am Hof. Die Einbindung der Residenzstadt in die fürstliche Herrschaft, ebd., S. 471-486; VON DER HÖH, Stadt und Grafenhof (wie Anm. 14); MEINHARDT, Dresden im Wandel.
Zur Einleitung
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Für die Analyse dieser Vernetzungsphänomene erscheint der Begriff der Interaktion, verstanden als ein wechselseitig aneinander orientiertes und aufeinander bezogenes Handeln von Personen oder Gruppen, besonders geeignet, da er einmal theoretisch relativ offen und damit an eine ganze Reihe sozialwissenschaftlicher Theoriebildungen anschließbar ist,17 da er andererseits die Gesamtheit der zu beobachtenden Phänomene politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Kontakt-, Kommunikations- und Vernetzungsphänomene zu fassen vermag. Der Begriff verweist dabei auf die Tatsache, dass Handlungen in der Residenzstadt stets im Spannungsfeld zwischen den Teilsystemen Hof und Stadt verortet werden können. Mit den symbolischen Interaktionen wird hier ein Segment aus der Vielzahl beobachtbarer Interaktionsphänomene zwischen Hof und Stadt thematisiert. Als symbolische Interaktion sollen hier ganz unterschiedliche Formen symbolischen Handelns bezeichnet werden, vom zeichenhaften Handeln im engeren Sinne in Form etwa von Ritualen oder Zeremonien,18 bis hin zum ‚Handeln mit Zeichen‘, dem Anbringen von Zeichen im Raum, etwa von Wappen, Inschriften oder Monumenten im weitesten Sinne, oder der symbolhaften Ausgestaltung dieses Raumes durch architektonische Gestaltung.19 Gerade diesen symbolischen Interaktionen kommt große Bedeutung zu, ist „Residenzstadtbildung“20 doch immer mit Aushandlungsprozessen verbunden, die mit der 17
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Zu denken ist hierbei etwa an Georg Simmels Konzept der Wechselwirkung (einführend Birgitta NEDELMANN, Georg Simmel (1858-1918), in: Klassiker der Soziologie, Bd. 1: Von Auguste Comte bis Norbert Elias, hrsg. von Dirk KAESLER, München 1999, S. 127-149; Hartmut ROSA, David STRECKER und Andrea KOTTMANN, Soziologische Theorien, Konstanz 2007, S. 88-108, S. 92 ff. zum Interaktions-Begriff) oder an den symbolischen Interaktionismus in der Tradition von George H. Mead und Herbert Blumer (einführend Annette TREIBEL, Einführung in soziologische Theorien der Gegenwart, 4. Aufl. Opladen 1997, S. 107-128, zum Interaktions-Begriff vor allem S. 108 ff). In letzter Zeit wird der Begriff der Interaktion immer häufiger im Sinne Luhmanns als „Kommunikation unter Anwesenden“ aufgefasst. Vgl. hierzu neben André KIESERLING, Kommunikation unter Anwesenden. Studien über Interaktionssysteme, Frankfurt am Main 1999, die geschichtswissenschaftliche Umsetzung dieser theoretischen Position mit Blick auf die vormoderne Stadt durch Rudolf SCHLÖGL, Vergesellschaftung unter Anwesenden. Zur kommunikativen Form des Politischen in der vormodernen Stadt, in: Interaktion und Herrschaft. Die Politik der frühneuzeitlichen Stadt, hrsg. von DEMS., Konstanz 2004, S. 9-62; bzw. mit Blick auf den Hof Aloys WINTERLING, „Hof“. Versuch einer idealtypischen Bestimmung anhand der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte, in: BUTZ/HIERSCHBIEGEL/WILLOWEIT, Hof und Theorie (wie Anm. 11), S. 77-90. Der Interaktions-Begriff soll hier jedoch bewusst offen gehalten werden, entsprechend wird nicht die systemtheoretische Engführung durch Luhmann zugrunde gelegt. Vgl. den Überblick über die Forschungen zur symbolischen Kommunikation bei Barbara STOLLBERG-RILINGER, Symbolische Kommunikation in der Vormoderne, in: Zeitschrift für Historische Forschung 31 (2004), S. 489-527. Vgl. zur Bestimmung des Symbol-Begriffs in der neueren Kulturgeschichte STOLLBERG-RILINGER, Symbolische Kommunikation (wie Anm. 18), S. 496 ff. DEUTSCHLÄNDER/MEINHARDT, Was ist Residenzstadtbildung? (wie Anm. 2).
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Marc von der Höh
Residenzbildung einsetzen und die weitere Geschichte der Residenzstadt begleiten. Die sich in der Folge des so genannten performative turn immer mehr durchsetzenden Einsicht, dass es eben gerade solche symbolischen Interaktionen sind, die für die Konstituierung von sozialen und politischen Strukturen grundlegend sind, gibt dem Thema zusätzliche Relevanz: Symbolische Interaktion ist in diesem Sinne nicht nur ein Epiphänomen sozialer oder politischer Prozesse, sondern für diese konstitutiv.21 In der symbolischen Interaktion wird konkret das neu zu gestaltende Verhältnis zwischen der Stadt und dem sich in ihr etablierenden Hof ausgehandelt. Dabei vermag die Analyse symbolischer Interaktionen etwa die politischen und gesellschaftlichen Werte der Residenzstadt aufzudecken und die Konstituierungs- und Reproduktionsmechanismen von gesellschaftlicher und politischer Ordnung in den Blick zu nehmen.22 Zentral für das Thema ist hierbei natürlich die Frage, wer in der Residenzstadt eigentlich handelt bzw. interagiert. Wie oben formuliert kann man die Residenzbildung als Aufeinandertreffen, Verschränkung bzw. gar Integration zweier gesellschaftlicher Systeme auffassen. Dieses Grundmodell darf jedoch gerade bei der Analyse von Interaktionsphänomenen nicht einem differenzierten Blick auf Stadt und Hof im Wege stehen. Im Einzelfall muss entsprechend immer geklärt werden, wer eigentlich agiert: Ist es der Hof als ganzes, der mit der Stadt in Beziehung tritt, ist es der Fürst oder seine Familie, oder sind es einzelne Gruppen oder Individuen aus der Hofgesellschaft, die hier in Erscheinung treten?23 Gleiches gilt für die Stadt: Auch diese tritt dem Hof nicht als einheitliches Gebilde gegenüber. Auch hier gilt es also, die jeweils agierenden Personenkreise zu identifizieren und möglicherweise zusätzlich ihre Einbettung in die Stadtgesellschaft zu bestimmen. Man wird hier so etwa zwischen den wirtschaftlichen, kulturellen oder politischen Führungsgruppen der Stadt und der Gesamtheit der Stadtbewohner unterscheiden müssen, wird mit abgestufter Ferne oder Nähe der jeweiligen Gruppen und Einzelakteure zu Hof und Landesherrn rechnen und dies in der Analyse der Interaktionsformen berücksichtigen müssen. In diesem Sinne stellen etwa im vorliegenden Band Michael Hecht und Jan Brademann für Halle an der Saale die Bedeutung der Pfännerschaft heraus, die als eigene Gruppierung sowohl mit dem Rat der Stadt und der Stadtgemeinde als auch mit den 21
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Jürgen MARTSCHUKAT und Steffen PATZOLD, Geschichtswissenschaft und „performative turn“. Eine Einführung in Fragestellungen, Konzepte und Literatur, in: Geschichtswissenschaft und „Performative turn“. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit, hrsg. von Jürgen MARTSCHUKAT und Steffen PATZOLD (Norm und Struktur, Bd. 19), Köln, Weimar und Wien 2003, S. 1-31; STOLLBERG-RILINGER, Symbolische Kommunikation (wie Anm. 18), vor allem S. 494 ff. Vgl. für den Gesamtkontext auch HAHN/SCHÜTTE, Thesen (wie Anm. 8) sowie BIHRER, Curia non sufficit (wie Anm. 1), S. 264-272. Das mangelnde Interesse der Forschung an der Kunstförderung durch Angehörige des Hofes stellt auch BIHRER, Curia non sufficit (wie Anm. 1), S. 257, fest.
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Angehörigen des Hofes und dem Stadt- und Landesherrn interagierten. Beide Beiträge zeigen, dass symbolische Interaktion also in Halle nicht schlicht zwischen Stadt und Hof zu denken ist, sondern dass ein differenzierter Blick unabdingbar ist. Einen die Akteure betreffenden Sonderfall führt Andreas Zajic vor, der für die Habsburger Höfe zeigen kann, dass hier nicht oder nur sehr oberflächlich in die Residenzstadt integrierte Hofangehörige tätig waren, die auf der anderen Seite selber Residenzen in ihren Grundherrschaften ausbildeten. In der zeitgenössischen Chronistik hingegen überwiegt, wie Joachim Schneider zeigen kann, der Landesherr als Akteur. In den wenigen Fällen, in denen auch Angehörige des Hofes als Handelnde auftreten, kommt diesen die Rolle eines „Puffers“ zu, der zwischen dem Stadtherrn und der Stadt vermittelt, wenn dieser selber nicht bereit ist, direkt mit der Stadt bzw. dem Stadtrat zu kommunizieren. Arend Mindermann richtet für den Fall der gescheiterten Residenzbildung in Göttingen den Fokus auch auf den in der Stadt ansässigen Adel. Er kann zeigen, dass die Stadt hier durchaus Unterschiede macht zwischen den Bürgerrecht erwerbenden Adligen, die sich zudem teilweise zusätzlich in den Dienst der Stadt stellten, und denen, die dazu nicht bereit waren. Andreas Bihrer schließlich weist darauf hin, dass die bischöflichen Einzüge in Konstanz nicht immer auf die Stadt bzw. den Stadtrat ausgerichtet waren, sondern dass weit häufiger der bischöfliche Hof und die Geistlichkeit der Diözese Adressaten der mit den Einritten verbundenen Botschaften waren. Die Formen und Funktionen symbolischer Interaktion in der Residenzstadt sind wesentlich durch die spezifischen Umstände der Residenzbildung in den untersuchten Städten und die sich in der Folge entwickelnden Ausprägungen des Grundmodells „Residenzstadt“ bestimmt. Die Forschungen zu Stadt und Residenz scheinen dabei vor allem durch zwei Modelle bestimmt zu sein. Ein Teil der Forschung sieht unter Betonung des Ereignischarakters der Residenzbildung das Eindringen und Festsetzen des Fürsten und seines Hofes in der Stadt als mit großem Konfliktpotential verbundenen Einschnitt in der Geschichte der zukünftigen Residenzstadt.24 Residenzbildung und die hiermit verbundenen Auseinandersetzungen zwischen Fürst, Hof und Stadt wurden in eine seit dem Hochmittelalter zu beobachtende Kontinuitätslinie eingereiht, als Fortsetzung des spannungsreichen Verhältnisses zwischen Stadt und Stadtherr gesehen.25 Eine andere Perspektive legt den Fokus hingegen eher auf die wechselsei24
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Dies spiegelt auch der Titel der ersten Sektion des Symposiums der Residenzenkommission in Halle „Nach dem Sieg: Stadt und Hof als Gewinner und Verlierer“; die entsprechenden Beiträge in: PARAVICINI/WETTLAUFER, Der Hof und die Stadt (wie Anm. 4), S. 37-138. Ein grundsätzlich spannungsreiches Verhältnis deutet auch die zweite Sektion „Krieg der Zeichen?“ an, ebd. S. 131-346. So schon PATZE/STREICH, Landesherrliche Residenzen (wie Anm. 1), S. 208 f. Kein Zufall ist es hierbei, dass Hans Patzes grundlegender Aufsatz „Die Bildung der landesherrlichen Residenzen im Reich während des 14. Jahrhunderts“ in einem Band zu Stadt und Stadtherr im 14. Jahrhundert erschienen ist, PATZE, Bildung (wie Anm. 1).
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tigen Verflechtungen zwischen Stadt und Hof, betont somit einerseits die strukturellen Bedingungen der Stadt als Voraussetzung für die Residenzbildung und andererseits die Folgen der Residenzbildung für Hof und Stadt, die beide durch die Residenzbildung Veränderungen erfuhren. Thematisiert werden hierbei die schon angesprochenen wirtschaftlichen Verflechtungen, aber auch die sozialen Verflechtungen, etwa die Verbindungen von Angehörigen des Hofes zur städtischen Gesellschaft oder aber die zentrale Rolle der Stadtbevölkerung als Personalreservoir für die ansässigen Höfe.26 Die Konzentration auf die symbolische Interaktion zwischen Stadt und Hof vermag diese beiden Zugänge zusammenzuführen, waren doch beide, sowohl die Ereignisse im Zusammenhang der Residenzbildung (konfliktreich oder nicht) als auch die sich anschließende weitere Entwicklung der Residenzstadt gleichermaßen durch Formen symbolischer Interaktion bestimmt. Gerade die durch den gemeinsamen Ansatz hergestellte Vergleichbarkeit lässt jedoch die Unterschiede zwischen den einzelnen Residenzstädten und ihrer jeweiligen Genese besonders deutlich hervortreten. Diese Unterschiede betreffen sowohl die Grundkonstellationen vor, während und nach der Residenzbildung, also die Frage, ob hierbei eher Konfrontation und Konflikt oder Integration und Konsens vorherrschten, als auch das Spezifische der jeweiligen Stadt, in der die Residenzbildung stattfand, und das Spezifische des jeweiligen Hofes, der sich in der Stadt niederließ. Mit der Frage der Machtverhältnisse in der Residenzstadt setzt sich Matthias Meinhardt in seinem Beitrag intensiv auseinander. Er kommt für Dresden zu dem Ergebnis, dass am Ende der Residenzstadtbildung das fürstlich-höfische Element über das städtisch-bürgerliche dominiert habe. Einen Schritt weiter gehend stellt er die These auf, dass nur ein durch Fürst und Hof dominiertes System Residenzstadt auf Dauer stabilisierbar gewesen sei. Eine Dominanz des städtisch-bürgerlichen Elements hätte hingegen unweigerlich zur Verdrängung der Residenz geführt. Einen anderen Akzent setzen Jan Brademann und Michael Hecht: Sie betonen, dass sich nach den unübersehbar konfliktreichen Anfängen der Residenzbildung in Halle ein Grundkonsens in der Residenzstadt eingestellt habe, den Brademann gar als „symbiotische Kultur des Gebens und Nehmens“ beschreibt. Beide betonen zudem die Besonderheiten Halles als Salzstadt, in der den mit der Saline verbundenen symbolischen Kommunikationen für das Verhältnis von Stadt und Hof besondere Bedeutung zugekommen sei. Die auch für Halle geltenden Besonderheiten einer geistlichen Residenz kann Andreas Bihrer in seinem Beitrag schärfen: Das von ihm ins Zentrum gestellte Verhältnis zwischen Hof und Fürst erfährt aufgrund der nicht-dynastischen Sukzession eine besondere Ausprägung. In diesem Sinne kann er die Einzüge der Konstanzer 26
MEINHARDT/RANFT, Verhältnis (wie Anm. 2); RANFT, Residenz und Stadt (wie Anm. 2); PARAVIÜber Hof und Stadt (wie Anm. 13). Vgl. auch die Beiträge in: PARAVICINI/WETTLAUFER, Der Hof und die Stadt (wie Anm. 4). CINI/RANFT,
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Bischöfe jeweils als Neukonstituierungen des bischöflichen Hofes auffassen. Schließlich vermag der Beitrag von Andreas Zajic eine Lanze für die nicht-fürstlichen Residenzen zu brechen, die neben den fürstlichen Residenzen gleichfalls in die Forschung miteinbezogen werden sollten. Phänomene der Interaktion zwischen Hofangehörigen und Stadt findet er im Bereich der Sepulkralkultur nicht so sehr in den Residenzen der Habsburger, sondern in den Klein-Residenzen, die die Angehörigen der Habsburger Höfe in ihren eigenen Grundherrschaften ausbildeten und wo diese als Stadtherren mit der Stadt und den Angehörigen ihres eigenen Hofes interagierten. Wie wichtig die politischen Rahmenbedingungen für die Deutung symbolischer Interaktionen sind, vermag das Beispiel der Erneuerung von Kirchenbauten durch den Stadtherrn zu zeigen, auf das sowohl Arend Mindermann als auch Gerrit Deutschländer in ihren Beiträgen eingehen. Den Neubau der Pfarr- und Schlosskirche in Dessau kann Deutschländer vor dem Hintergrund einer konfliktfreien und vom Stadtherrn dominierten Residenzbildung überzeugend als eine Übernahme der städtischen Kirche durch den Stadtherrn und seinen Hof, mithin als Indiz für die starke Stellung des Fürsten deuten. Arend Mindermann wertet hingegen die vergleichbare Erneuerung der Jacobi-Kirche in Göttingen durch den Fürsten als Versuch, in einer Situation der Schwäche die stadtherrliche Stellung zu unterstreichen bzw. zu stärken. Die oft hervorgehobene Offenheit symbolischer Formen der Kommunikation oder Interaktion bzw. – wie es Joachim Schneider in diesem Band formuliert – deren „bewusst in Kauf genommene Ambiguität“ erweist sich hier als hermeneutische Herausforderung. Die Medien symbolischer Interaktionen in der Residenzstadt lassen sich in zwei Gruppen unterteilen: Auf der einen Seite stehen die flüchtigen Formen des zeichenhaften Handelns, also etwa neben den Gesten und Gebärden des Alltags städtische und höfische Feste sowie Rituale unterschiedlichster Art. Auf der anderen Seite stehen die Phänomene relativer Dauer: Die Gestaltung der Topographie und der Architektur oder das Anbringen von Zeichen in der Residenzstadt, also von Wappen, Bildern und Monumenten. In der Folge des performative turn hat in der deutschsprachigen Mediävistik zur Zeit gerade die Untersuchung ritueller Formen symbolischer Kommunikation Konjunktur.27 Auf der Suche nach potentiellen Untersuchungsfeldern könnte man an dieser Stelle eine vollständige Liste städtischer, höfischer und gemeinsam städtischhöfischer Rituale aufführen: Alle diese Formen sind für die Frage nach der symbo27
Barbara STOLLBERG-RILINGER, Zeremoniell, Ritual, Symbol. Neue Forschungen zur symbolischen Kommunikation in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, in: Zeitschrift für Historische Forschung 27 (2000), S. 389-406; Frank REXROTH, Rituale und Ritualismus in der historischen Mittelalterforschung. Eine Skizze, in: Mediävistik im 21. Jahrhundert, Stand und Perspektiven der internationalen und interdisziplinären Mittelalterforschung, hrsg. von Hans-Werner GOETZ und Jörg JARNUT (Mittelalterstudien, Bd. 1) München 2003, S. 391-406; STOLLBERG-RILINGER, Symbolische Kommunikation (wie Anm. 18).
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lischen Interaktion in der Residenzstadt von Relevanz. Um das Spektrum grob zu umreißen, reicht ein Blick in die Beiträge dieses Sammelbandes: Untersucht werden von den Autoren neben den einen besonderen Platz einnehmenden Ritualen des Herrschereinzugs (Bihrer, Schneider, Brademann), höfische Leichenbegängnisse (Meinhardt, Deutschländer), kirchliche Rituale im engeren Sinne (Brademann), Belehnungen, Huldigungen und Privilegienbestätigungen (Hecht, Brademann, Mindermann, Müller), Rituale der Ratswahl und -setzung (Brademann), Rituale des Gerichtswesens (Hecht, Brademann), um nur die zentralen Formen aufzuführen. Einig sind sich alle Autoren dieses Bandes, dass diesen rituellen Formen ein performativer Charakter zukommt, dass diese also nicht nur die gesellschaftlichen und politischen Strukturen bzw. die diesen zugrunde liegenden Ordnungsvorstellungen und Wertsysteme spiegeln und zum Ausdruck bringen, sondern dass diese performativen Akte die entsprechenden Strukturen im Vollzug hervorbringen. Drei Zugänge bzw. Interpretationsebenen scheinen hierbei von besonderer Bedeutung zu sein. 1. Der Bezug zum Raum. Gleich, ob man wie etwa Matthias Meinhardt höfische Rituale als Formen der Aneignung des städtischen Raumes betrachtet, dem Ritual also eine bedeutungs- und damit raumkonstituierende Funktion zuweist, oder ob man umgekehrt die Bedeutung der Rituale aus dem Sinn-/Bedeutungspotential städtischer oder höfischer Räume ableitet (so etwa Arend Mindermann oder Michael Hecht): Der Kategorie des Raumes kommt bei der Interpretation ritueller Interaktionen in der Residenzstadt zentrale Bedeutung zu. 2. Die soziale Dimension. Der Kreis der am Ritual teilnehmenden Personen und deren Anordnung kann auf die soziale Konstellation der Residenzstadt zurückgeführt werden. Dass etwa die Vertreter der Stadt in den kurfürstlichen Leichenzügen erst hinter dem rangniedrigsten Angehörigen des Hofes mitzogen, kann Matthias Meinhardt überzeugend auf das sich auch in anderen Zusammenhängen zeigende Verhältnis zwischen Stadt und Hof in Dresden beziehen. In vergleichbarer Weise interpretiert Michael Hecht den Teilnehmerkreis des so genannten Lehntafelhaltens in Halle als Hinweis auf dessen Charakter als Konsens- und Integrationsritual. Interessant für die vorliegende Fragestellung ist auch der von Gerrit Deutschländer vorgeführte Fall der Teilnahme des Dessauer Stadtrats an den Beisetzungsfeierlichkeiten des Fürsten in Dessau 1587, bei denen den Vertretern der Residenzstadt gegenüber den anderen Städten des Territoriums keine herausgehobene Stellung zugewiesen wurde. Wie so oft ist auch hier eine unterbleibende Aktion ebenso signifikant wie ihre Durchführung. 3. Ritual als Kommunikation bzw. Mitteilung. Die Einritte der Bischöfe in Konstanz interpretiert Andreas Bihrer auch als Kommunikationen im engeren Sinne, also als Übermittlungen konkreter Botschaften an einen Adressatenkreis. Diese ReKonkretisierung des Rituals mit Blick auf eine Stellungnahme zu Amtsvorgängern oder gar als „Regierungsprogramm“ erscheint gerade beim Herrschereinzug ange-
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sichts einer die Differenzen doch zu leicht verwischenden, auf Performanz des Konsenses fixierten Tendenz der aktuellen Ritualforschung dringend geboten. Auch im vorliegenden Band zeichnet sich so Kritik am postulierten performativen Charakter der Rituale bzw. an den daraus abgeleiteten Konsequenzen ab. Insgesamt scheint die Einsicht in den performativen Charakter der Rituale oftmals die dem Ritual vorausgehenden, es begleitenden und auch nach seinem Vollzug noch vorhandenen Konfliktlinien in den Hintergrund zu drängen. Zweifel am Automatismus des Performativen vermögen etwa die von Joachim Schneider analysierten Fälle eines bewussten Missbrauchs der mit den Ritualen verbundenen Konventionen zu wecken. In eine andere Richtung führen die Beobachtungen Schneiders zu den Absprachen bzw. Planungen vor der Durchführung der performativen Akte: Wenn das Ritual Ergebnis einer vorausgehenden diskursiven Klärung der Situation war, inwieweit hatte es dann noch performativen Charakter? Schließlich setzt sich Schneider mit der Quellengebundenheit unserer Vorstellung von der Rolle der Rituale auseinander. Hierbei kommt er zu dem Ergebnis, dass die auf narrative Stringenz ausgerichtete Chronistik sich besonders auf rituelle Verdichtungen von Ereigniszusammenhängen konzentrierte (und diese im übrigen nicht selten im Spiegel der nachfolgenden Ereignisse umgestaltete), während ausführlichere Quellen, wie etwa Spittendorfs Denkwürdigkeiten, deren Eingebundenheit in diskursive Aushandlungsprozesse offenlegen. Man kann sich also fragen, ob das zur Zeit vorherrschende Bild von der Wirkmächtigkeit der Rituale – auch im Zusammenhang der Integration von Stadt und Hof in der Residenzstadt – nicht letztlich auf deren übersteigerte Präsenz in den historiographischen Quellen zurückzuführen ist. Wie immer man auch den performativen Charakter der Rituale einschätzt: Nach der Residenzbildung wird man diese immer im Spannungsfeld zwischen Stadt, Rat, Stadtherr und Hof sehen müssen. Dies zeigen die folgenden Einzelanalysen in eindringlicher Deutlichkeit. Ein oft nicht ganz einfach von Ritualen zu trennendes aber dennoch wichtiges Feld symbolischer Interaktion stellt das Fest dar. Viele der rituellen Formen werden von Festen begleitet, man denke etwa an die Herrschereinritte, das gleiche gilt für Hochzeiten, Taufen und andere an den Lebenslauf gebundene Formen, die einerseits einen rituell-liturgischen Kern haben, gleichwohl aber in Feste eingebunden sind. Daneben ist auch an Turniere, gemeinsame Mähler, Tanzveranstaltungen oder ähnliche okkasionelle Festveranstaltungen zu denken.28 Feste sind in besonderer Weise Anlässe 28
Höfische Feste im Spätmittelalter, hrsg. von Gerhard FOUQUET, Harm VON SEGGERN und Gabriel ZEILINGER (Mitteilungen der Residenzen-Kommission, Sonderheft 6), Kiel 2003; Michail BOJCOV u. a., Feste und Feiern, in: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich, Bd. 2,1 (wie Anm. 2), S. 483-531; Jan HIRSCHBIEGEL, Religiosität und Fest an den weltlichen Fürstenhöfen des späten Mittelalters, in: Fürstenhof und Sakralkultur im Spätmittelalter, hrsg. von Werner RÖSENER und Carola FEY (Formen der Erinnerung, Bd. 35), Göttingen 2008, S. 141-157; Helen WATANABE-
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auch symbolischer Interaktion zwischen Stadt und Hof. Hierbei kann man ebenso wie im Falle der Rituale eine räumliche und eine soziale Dimension unterscheiden, also nach dem Ort der Feste und deren Teilnehmerkreis fragen. Als den Normalfall wird man sicher das höfische Fest in Schloss oder Burg und das städtische an den städtischen Orten, seien es nun Rathaus, Tanzhaus oder Marktplatz, ansehen können. Von besonderem Interesse sind aber natürlich die Transgressionen oder Vermischungen der beiden Sphären, wobei man hier wohl nur an höfische Feste denken wird, die auch den städtischen Raum einbeziehen und weniger an eine Nutzung höfischer Räume durch die Stadt. Beispiele für ersteres liefert etwa der Beitrag von Matthias Meinhardt, der für Dresden zeigen kann, dass der eigentlich städtische Altmarkt regelmäßig vom Hof für seine Festveranstaltungen genutzt wird. Vergleichbare Formen räumlicher Grenzüberschreitungen mit mehr oder weniger integrativem Charakter sind bei Herrschereinzügen, wie sie Jan Brademann und Andreas Bihrer untersuchen, natürlich die Regel. Einen Sonderfall präsentiert Arend Mindermann mit den Turnieren Ottos des Quaden in Göttingen: Diese kann er in den Zusammenhang von Versuchen des Herzogs einordnen, in der Stadt seine Residenz zu errichten. Wichtig ist im Falle der Feste natürlich auch der Teilnehmerkreis, also die soziale Dimension des Festes: Nimmt der Fürst oder nehmen Angehörige des Hofes an städtischen Festen teil? Werden im Gegenzug die Bürger oder zumindest die städtische Führung zu den höfischen Festen zugelassen und wenn ja: nehmen sie aktiv teil oder sind sie nur als (staunendes) Publikum der höfischen Prachtentfaltung zugelassen? Ganz in das von Gerrit Deutschländer entworfene Bild des Verhältnisses zwischen Stadt und Residenz in Dessau passen etwa seine Beobachtungen, dass die Bürgerschaft hier nicht an den höfischen Festen teilnahm. Den ritualisierten Charakter gegenseitiger Einladungen lässt der von Joachim Schneider analysierte Fall der Gefangennahme des Landshuter Stadtrates während einer Einladung auf die stadtherrliche Burg erkennen: Auch Feste unterlagen offensichtlich bestimmten Regeln bzw. waren mit Konventionen verbunden, in diesem Fall mit der Wahrung des Friedens. Aus anderen Untersuchungen wird deutlich, dass gegenseitige Einladungen in ein System des Gabentauschs eingebunden waren: Für beide Seiten gilt, dass die ausgesprochene bzw. angenommene Einladung immer mit einer erwarteten bzw. gewährten Gegenleistung verbunden war, wobei hier in der Regel wohl eine gewisse Asymmetrie angenommen werden kann.29 Wie schon im Falle der Teilnahme an Ritualen ist
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O’KELLy und Anne SIMON, Festivals and Ceremonies. A Bibliography of Works Relating to Court, Civic and Religious Festivals in Europe 1500-1800, London u. a. 2000. Jan HIRSCHBIEGEL, Das Neujahrsfest an den französischen Höfen um 1400, in: FOUQUET/VON SEGGERN/ZEILINGER, Höfische Feste (wie Anm. 28), S. 18-38; Ulf Christian EWERT und Jan HIRSCHBIEGEL, Gabe und Gegengabe. Das Erscheinungsbild einer Sonderform höfischer Repräsentation am Beispiel des französisch-burgundischen Gabentausches zum neuen Jahr um 1400, in:
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auch im Falle der Feste eine Nichtteilnahme bzw. ein Ausschluss wohl mindestens ebenso signifikant wie deren Gegenteil.30 Vor jeder konkreten architektonischen Ausgestaltung spiegelt die Topographie die Grundfiguration der Residenzstadt.31 Residenzbildung ist – wie schon oben festgestellt – zunächst ein topographisches bzw. ein Raum-Phänomen. Entsprechend prädisponiert die Lage der Residenz bzw. der landesherrlichen Burg oder des Schlosses in Relation zur städtischen Siedlung mit ihren Funktionsbauten die Interaktionen in der Residenzstadt. Zu denken ist hier etwa an die in konkretem Sinne zu verstehende Heraushebung der Residenz aus der Residenzstadt: Der Lage von Burg oder Schloss auf einer Erhebung in oder über der Stadt kommt natürlich (neben den pragmatischen Motiven) auch ein symbolischer Wert zu.32 Im aktuellen Zusammenhang von größerem Interesse sind jedoch die direkten Eingriffe in die Topographie der Residenzstadt bzw. deren Gestaltung. Zunächst ist hier an die Bautätigkeit des Landesherrn nach der Residenzbildung zu denken. Wie werden die Bauten der Residenz in die (vorhandene) Stadtstruktur eingepasst? Werden diese in einem bestimmten Bereich konzentriert und gar mit einer architektonischen Grenzziehung, etwa in Form einer Mauer, vom Rest der Stadt abgetrennt oder kann man eine Durchdringung der Stadt durch die Architekturen der Residenz und des Hofes feststellen? Unter dem Begriff der „Aneignung des Raumes“ hat dies Matthias Meinhardt für Dresden in seinem Beitrag untersucht und festgestellt, dass die fürstlichen Bauten hier nicht auf den Bereich des Schlosses beschränkt blieben, sondern sich auf einer die Stadt durchziehenden Achse erstrecken, wobei signifikanter Weise der Bereich der eigentlichen Bürgerstadt frei von fürstlichen Bauten blieb. Doch nicht nur der Fürst interagiert über die Architektur: Arend Mindermann kann für Göttingen zeigen, dass das dortige Rathaus bei einem Umbau geradezu als Gegenentwurf, als „städtische Burg“ der Burg des Landesherren entgegengesetzt wurde. Signifikant ist aber nicht
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Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 87 (2000), S. 5-37; VON DER HÖH, Stadt und Grafenhof (wie Anm. 14). Zum Phänomen „negativer Kommunikation“ Heinz DUCHHARDT, Krönungszüge. Ein Versuch zur „negativen Kommunikation“, in: Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von Heinz DUCHHARDT und Gert MELVILLE, (Norm und Struktur, Bd. 7), Köln, Weimar und Wien 1997, S. 291-301. PARAVICINI, Gesellschaft (wie Anm. 3), S. 27 f. RANFT, Residenz und Stadt (wie Anm. 2); Jens FRIEDHOFF, Architektonische Verzahnung von Stadt und Residenz, in: Höfe und Residenzen, Bd. 2,1 (wie Anm. 2), S. 244-247; Peter-Michael HAHN, Das Residenzschloss der frühen Neuzeit. Dynastisches Monument und Instrument fürstlicher Herrschaft, in: Das Gehäuse der Macht. Der Raum der Herrschaft im interkulturellen Vergleich. Antike, Mittelalter, Frühe Neuzeit, hrsg. von Werner PARAVICINI, (Mitteilungen der ResidenzenKommission, Sonderheft 7) Kiel 2005, S. 55-74. Vgl. auch hier die Beiträge in: PARAVICINI/ WETTLAUFER, Der Hof und die Stadt (wie Anm. 4), insbesondere von Ulrich Schütte, Heiko Laß, Patrick Boucheron, Guido von Büren, Matthias Müller und Andras Sohn.
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nur das Bauen, sondern auch (oder vielleicht noch mehr) das Abreißen, das Beseitigen vorhandener Gebäude im Zusammenhang der Residenzbildung. Eine eindeutige Botschaft stellt hierbei die von Arend Mindermann und Joachim Schneider untersuchte Zerstörung der landesherrlichen Burg in Göttingen dar: Klarer lässt sich der Widerstand der Stadt gegen die geplante stadtherrliche Residenzbildung wohl nicht ausdrücken. Einen Parallelfall in entgegengesetzter Richtung stellt das von Matthias Meinhardt angeführte Ansinnen der sächsischen Fürsten dar, das städtische Rathaus abzureißen, um so mehr Platz für die höfischen Festveranstaltungen auf dem Altmarkt zu schaffen. Auf der Ebene von Architektur und Topographie ist aber nicht nur das Bauen und Abbauen/Abreißen signifikant: Ebenso Teil des Spektrums symbolischer Interaktion sind Phänomene der Umdeutung bzw. Übernahme vorhandener Bauwerke. Gerrit Deutschländer schildert in seinem Beitrag die konsequente Übernahme der städtischen Pfarrkirche in Dessau durch Fürsten und Hof. Wiederum im Zusammenhang der gescheiterten Residenzbildung in Göttingen kann Arend Mindermann die Umdeutung der ursprünglich fürstlichen Jacobi-Kirche zu einer städtischen Kirche plausibel machen. Insgesamt wird man sagen können, dass Kirchen und ihre Ausstattungen ein zentrales Feld der Interaktion zwischen Stadt, Hof und Stadtherrn in der Residenzstadt waren. Die von Deutschländer für Dessau beobachtete nahezu vollständig fehlende symbolische Präsenz der Bürgerschaft in „ihrer“ Pfarrkirche wird man wohl als Sonderfall ansehen müssen. Häufiger war eine parallele Nutzung auch mit konkurrierenden oder nebeneinander stehenden symbolischen Repräsentationen in Form von Wappen, Grabsteinen usw. verbunden. Einen anderen Fall symbolischer Übernahme von Architektur führt Matthias Meinhardt vor. Waren die Stadttore Dresdens zuvor durch die Wappen der Stadt ein Symbol der autonomen Stadtgemeinde, so werden diese nach der Erneuerung der Befestigungsanlagen durch fürstliche Wappen und auf das Fürstenhaus bezogene bildliche Darstellungen belegt und somit Teil der fürstlichen Repräsentationsstrategie. Hiermit ist ein Bauteil angesprochen, das in besonderer Weise Ort und Medium symbolischer Interaktion in der Residenzstadt war: Die Stadt- und Schlosstore als Orte des Übergangs. Die Stadtbefestigung, das hat die Stadtgeschichtsforschung für unterschiedliche Zusammenhänge herausgearbeitet, war Symbol der Stadt. Ihre Ausschmückung mit Wappen, Darstellungen der Stadtpatrone, Inschriften usw. machte sie zu besonders herausgehobenen Bauten der städtischen Selbstdarstellung.33 Nach der Residenzbildung werden sie in vielen Fällen von den Fürsten und Dynasten übernommen, die hier ihre Stellung als Stadtherren in besonderer Weise zum Ausdruck 33
Cord MECKSEPER, Kleine Kunstgeschichte der deutschen Stadt im Mittelalter, Darmstadt 1982, S. 90 ff.; die symbolische Bedeutung der Stadtbefestigung blendet weitgehend aus: Die Befestigung der mittelalterlichen Stadt, hrsg. von Gabriele ISENBERG und Barbara SCHOLKMANN, (Städteforschungen, A 45), Köln, Weimar und Wien 1997.
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brachten, wie Matthias Meinhardt für Dresden oder Andreas Zajic für die Residenzen des landsässigen österreichischen Adels zeigen können. Neben den Stadttoren sind es vor allem auch die Schlosstore, die durch ihre heraldische und epigraphische Ausgestaltung zu Medien symbolischer Interaktion werden.34 Ingesamt wird man der architektonischen Abgrenzung des Residenzbereiches große Bedeutung bei der Untersuchung residenzstädtischer Interaktionen zuweisen können. Dies ist einmal ganz konkret zu verstehen, war doch die fortifikatorische Gestaltung der Nahtstelle zwischen Stadt und Burg bzw. Schloss ein entscheidender Hinweis auf die Beziehungen zwischen beiden Bereichen. Dies zeigt Joachim Schneider für das hessische Frankenberg, wo die Residenzanlage durch eine neu angelegte Mauer gegen die Stadt abgegrenzt wurde, während von der am Rande der Stadt liegenden Residenz ein Tor nach außen den unabhängigen Zugang des Stadtherrn ermöglichte. In dieser auch aus anderen Residenzstädten bekannten Konstellation spiegelt sich natürlich das grundsätzliche Misstrauen der Stadtherren ihrer Stadt gegenüber, gegen die man sich im Notfall verteidigen wollte. Dass dies durchaus von der Stadt bzw. der städtischen Führung verstanden wurde, machen die von den Frankenbergern dieser Befestigung der Residenz entgegengesetzten Gräben und Türme deutlich. Die Gegenbefestigung der Stadt ist hier allerdings ein Indiz für die äußerst angespannte Situation zwischen Stadt und Stadtherrn, die ihre Lösung letztlich in der Zerstörung der stadtherrlichen Burg fand. Kann man jeder Verteidigungsanlage immer auch einen symbolischen Wert zuweisen, so gilt das sicherlich umso mehr für die Grenze zwischen Residenz und Stadt. So weist Matthias Müller auf die besondere Aufmerksamkeit hin, die man dieser „empfindlichen Gelenkstelle“ zwischen den beiden Bereichen widmete. Hierbei war das Schlosstor für ihn aufgrund seiner Zugang grundsätzlich ermöglichenden gleichzeitig jedoch reglementierenden Funktion ein integrierendes und zugleich distinguierendes Symbol. Müller weist hierbei neben der Ausgestaltung der Toranlagen mit Wappen und bildlichen Darstellungen auf die bislang noch nicht angesprochene Bedeutung der architektonischen Formung für die symbolische Interaktion hin. So vermag er am Beispiel der Schlosstore zu zeigen, dass das verbreitete Motiv des Turmes Gerichtsbarkeit und Wehrhaftigkeit symbolisiere und damit zentrale Bereiche der stadtherrlichen Stellung betone. Die oft über den Schlosstoren liegende Turmstube mit Beobachtungsfenster, die der herrschaftlichen Sphäre zugeordnet ist, kann er überzeugend auf das Fürstenideal der Zeit beziehen. Auch Müllers Interpretationen des Erker-Motivs an Schlössern und Rathäusern unterstreicht die Bedeutung des kunsthistorischen Zugangs für die Untersuchung symbolischer Interaktionen in der Residenzstadt. 34
Uwe ALBRECHT, Portale, in: Höfe und Residenzen, Bd. 2,1 (wie Anm. 2), S. 410-411; Matthias MÜLLER, Das Schloss als Bild des Fürsten. Herrschaftliche Metaphorik in der Residenzarchitektur des Alten Reichs (1470-1618) (Historische Semantik, Bd. 6), Göttingen 2004, S. 140-142.
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Wie oben ausgeführt finden symbolische Interaktionen in der Residenzstadt aber natürlich nicht nur zwischen der Stadt und dem Fürsten statt. Gerade im Bereich der Architektur sind auch die Angehörigen des Hofes als Akteure in den Blick zu nehmen. So weist etwa Arend Mindermanns Beitrag auf die Bedeutung der adligen Freihäuer in der Stadt hin, deren Lage und architektonische Ausgestaltung ebenfalls in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist. Architektur und Topographie sind jedoch nicht nur als Ganzes zeichenhaft und bilden damit ein wichtiges Feld symbolischer Interaktion, sie werden in der Residenzstadt auch zum Träger weiterer Zeichen. Zu denken ist hier zunächst an Monumente und bildliche Darstellungen, etwa Grablegen und Epitaphe in den Kirchen der Residenzstädte, an die Bildprogramme der Residenzbauten und Rathäuser, wie sie Matthias Müller in diesem Band in den Blick nimmt, oder aber auch an die Ausstattungen der Kirchen, wie die von Arend Mindermann untersuchten Altartafeln der Jacobi- und der Franziskanerkirche in Göttingen, die in gegenseitiger Bezugnahme das problematische Verhältnis von Stadt und Stadtherrn widerspiegeln. All diese Formen sind auf zwei Ebenen für die Untersuchung der symbolischen Interaktion zwischen Stadt und Residenz fruchtbar zu machen: Einerseits lässt sich die Bedeutung etwa einer bildlichen Darstellung durch kunstgeschichtliche Analysen herausarbeiten, andererseits kann man sie – wie auch Wappen und Inschriften – als Markierungen innerhalb der Topographie der Residenzstadt lesen. Je nachdem, ob sich die jeweiligen Formen auf den Stadtherrn und seinen Hof oder auf die Stadt beziehen bzw. von diesen in Auftrag gegeben wurden, markieren sie höfisch-stadtherrliche bzw. städtische Räume. Besondere Bedeutung kommt hierbei – das zeigen auch die in diesem Band versammelten Beiträge – Wappen zu.35 Einmal mehr zeigt sich hier der omnipräsente Charakter des heraldischen Zeichensystems im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit.36 Wappen werden – wie bereits angesprochen – an Stadt- und Schlosstoren angebracht, an Rathäusern und sonstigen städtischen Funktionsbauten, aber auch an oder in den Privathäusern von Bürgern oder Hofangehörigen, sie dominieren als Totenschilde oder auf Grabplatten, Epitaphien und gestifteten Objekten die Kirchen35
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Leider konnte der auf der Tagung präsentierte Beitrag von Kilian Heck nicht für die Druckfassung gewonnen werden. Vgl. jedoch Kilian HECK, Genealogie als Monument und Argument. Der Beitrag dynastischer Wappen zur politischen Raumbildung der Neuzeit (Kunstwissenschaftliche Studien, Bd. 98), München und Berlin 2002. Werner PARAVICINI, Gruppe und Person. Repräsentation durch Wappen im späteren Mittelalter, in: Die Repräsentation der Gruppen, hrsg. von Otto Gerhard OEXLE und Andrea VON HÜLSEN-ESCH, Göttingen 1998, S. 327-389; Wappen als Zeichen. Mittelalterliche Heraldik aus kommunikationsund zeichentheoretischer Perspektive, hrsg. von Wolfgang ACHNITZ, Das Mittelalter 11/2 (2006); Christoph Friedrich WEBER, Wappen, in: Enzyklopädie des Mittelalters, hrsg. von Martial STAUB und Gert MELVILLE, Darmstadt 2008, Bd. 1, S. 261-263; Markus SPÄTH, Wappen, in: Höfe und Residenzen, Bd. 2,1 (wie Anm. 2), S. 289-291.
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räume, spielen eine wichtige Rolle bei rituellen Handlungen wie Einzügen oder Leichenbegängnissen. Wie Matthias Müller unter Rückgriff auf die kunsthistorische Auseinandersetzung mit Wappen noch einmal unterstreicht,37 steht das Wappen symbolisch für dessen Träger, vertritt in gewisser Weise dessen reale Präsenz. Als code social38 spiegelt das heraldische Zeichensystem aber vor allem die Stellung der wappenführenden Personen, Gruppen oder Institutionen in der Gesellschaft, wodurch sie zu prominenten Medien der symbolischen Interaktion zwischen Stadt, Hof und Stadtherr werden. Indem sie etwa Besitz, politische oder rechtliche Zugehörigkeit anzeigen, sind sie besonders geeignet, zur Markierung und Abgrenzung städtischer und höfischer Räume eingesetzt zu werden. Dies zeigt etwa Matthias Meinhardt für Dresden, wo heraldische Darstellungen an Stadttoren ein Mittel der Durchdringung des Stadtraums durch die Fürsten darstellten. Gerade Stadt- und Schlosstore waren prominente Orte heraldischer Interaktion, wie auch die Ausführungen von Matthias Müller oder Andreas Zajic zeigen. Heraldische Zeichensetzungen im Zentrum der Stadt stellen hingegen die von Matthias Müller untersuchten Wappen am Torgauer Rathauserker oder auch das von Arend Mindermann angeführte Beispiel des welfischen Löwen auf dem Göttinger Marktplatz dar. Neben dieser Ebene einer heraldischen Pragmatik sind die jeweils angebrachten heraldischen Zeichen selber für eine Analyse der Interaktionen zwischen Hof und Stadt fruchtbar zu machen. So kann Matthias Müller die Wappendarstellung auf dem Cranach-Triptychon als konkrete politische Stellungnahme Kurfürst Johann Friedrichs in der angespannten Situation nach der Einführung der Reformation interpretieren. Eine von Müller am Ende seines Beitrags untersuchte Wappendarstellung am Marburger Rathaus spiegelt in aller Deutlichkeit die Unterordnung der Stadt unter den Stadtherrn. Das 1540 vom Fürsten gestiftete Wappen der Stadt Dessau zeigt neben dem alten Wappen der anhaltischen Fürsten das der Herren von Waldersee, von dem sich die fürstliche Stadtherrschaft ableitete, ohne irgendwelche städtischen Symbole aufzuführen und betont so – wie Gerrit Deutschländer noch einmal hervorhebt – die dominante Stellung des Stadtherrn. Dass das Portal der Marienkirche auf dem neuen Ratssiegel Dessaus das Wappen des Stadtherrn trägt, weist in die gleiche Richtung. Schließlich erweisen sich Inschriften als verbreitetes Medium symbolischer Interaktion in der Residenzstadt.39 Wie bildliche Darstellungen und Wappen können diese als Markierungen höfisch-stadtherrlicher und städtischer Räume aufgefasst werden. Daneben oder sogar vor allem bilden sie aber gewissermaßen den Übergang zwischen symbolischen Formen im hier zugrunde gelegten Sinne und diskursiven Formen der Interaktion, bestehen sie doch aus im öffentlichen Raum der Residenzstadt ange37 38 39
Hans BELTING, Wappen und Porträt. Zwei Medien des Körpers, in: Das Porträt vor der Erfindung des Porträts, hrsg. von Martin BÜCHSEL und Peter SCHMIDT, Mainz 2003, S. 89-100. Michel PASTOUREAU, Traité heraldique, 2. Aufl. Paris 1993, S. 246. Detlev KRAACK, Inschriften, in: Höfe und Residenzen, Bd. 2,1 (wie Anm. 2), S. 294-296.
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brachten Texten, mithin um sprachliche Mitteilungen, haben daneben aber aufgrund ihrer spezifischen graphischen Formung auch einen visuell-zeichenhaften Charakter. Als solche treten sie oft in Kombination mit heraldischen oder bildlichen Darstellungen auf, etwa an Stadt- und Schlosstoren, auf den von Matthias Müller untersuchten Bildnissen und Erkern. Die von Andreas Zajic untersuchten inschriftlichen Zeugnisse öffentlicher Interaktion zeigen jedoch, dass es durchaus sinnvoll ist, sie im Zusammenhang mit den hier zuvor angesprochenen Formen zu untersuchen, erlauben sie doch oft, die Bedeutung oder symbolische Funktion ihrer Trägerobjekte zu rekonstruieren, ob es nun Architekturelemente oder sonstige Gegenstände sind. Die folgenden Beiträge stellen weitere Schritte in Richtung auf eine umfassendere Erforschung der Residenzstädte dar. Weitere Untersuchungen müssen folgen, die sich auf hier nicht oder nur am Rande behandelte Teilaspekte richten sollten. Einzufordern ist dabei eine noch stärkere Ausweitung des Blicks auf alle Akteure der Residenzstadt. Hier ist etwa an die Angehörigen des Hofes zu denken, die vorgeprägt durch die Konzentration auf die konfliktreiche Phase der Residenzbildung aus dem Fokus geraten sind. Doch auch die von der Stadt ausgehenden Interaktionen könnten noch genauer untersucht werden: Wie interagierten die Stadt, die städtische Führung oder sonstige Gruppen innerhalb der Bürgerschaft in den Fällen erfolgreicher Residenzbildung? Beeinflusst die Residenzbildung städtisch-bürgerliche Ausdrucksformen? Angeklungen ist dies im Beitrag von Jan Brademann, der auf eine „Verhöfischung“ der städtischen Eliten in Halle hinweist. Im Gegenzug wäre auch einmal nach Veränderungen höfisch-adliger Codes durch den Kontakt mit dem städtischen Milieu zu fragen, mithin wäre eine Perspektive einzunehmen, die durch die Faszination, die von der höfischen Kultur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit ausgeht, verhindert wird. Die hier versammelten Beiträge belegen jedoch, dass die Analyse symbolischer Interaktionsformen einen äußerst fruchtbaren Zugang zur Geschichte des vielfältigen Beziehungsgefüges zwischen Stadt und Residenz zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit darstellt. Insbesondere hat sich die eingangs formulierte Annahme bestätigt, dass gerade die methodisch-thematische Konzentration auf symbolische Interaktionen in der Lage ist, die unterschiedlichen Phasen und Ausprägungen des zur Entstehung der Residenzstadt führenden Prozesses vergleichend in den Blick zu nehmen. Das hier liegende Potential gilt es in Zukunft weiter auszuschöpfen.
Die Bildwerdung des Fürsten Das Verhältnis von Realpräsenz und medialer Fiktion als Aufgabe symbolischer Kommunikation in den höfischen Bau- und Bildkünsten des 15. und 16. Jahrhunderts Matthias Müller, Mainz Am Beginn des folgenden Beitrags über „Die Bildwerdung des Fürsten“ in der Umbruchszeit vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit steht ein politisches Bild aus der Gegenwart. Es ist ein Bild, das einerseits aus der aktuellen Perspektive in das Thema der Tagung einzuführen vermag, andererseits aber auch den großen historischen Abstand verdeutlicht, der zwischen moderner Gegenwart und vormoderner Vergangenheit sowohl in den Ansprüchen und der Qualität des politischen Verhältnisses zwischen einem Regenten und seinen Untertanen als auch in der zeichenhaften Kommunikation dieses Verhältnisses besteht. Wer im September des Jahres 2005, während des Bundestagswahlkampfes, bereit war, bei seinen Stadtspaziergängen den Werbeplakaten der Parteien ein wenig Aufmerksamkeit zu schenken, konnte bei der SPD ein denkwürdiges Plakatmotiv (Abb. 1) entdecken: Es zeigte uns den damaligen Titelverteidiger im Amt des Bundeskanzlers, Dr. Gerhard Schröder, wie er mit entschlossenem, kampfbereitem Blick aus dem Plakat heraus zum Betrachter blickt. Das Porträt des Kanzlers ist bis ins kleinste Detail perfekt inszeniert und darf als Meisterleistung der modernen politischen Bildpropaganda gelten. So wurde das Bild des Kanzlers an seinen Rändern beschnitten und damit im bekannten und seit dem 15. Jahrhundert praktizierten sog. Close-up-Verfahren das Porträt des Kanzlers so nahe wie möglich an die ästhetische Bildgrenze gerückt. Auch wendet sich der Kanzler nicht einfach frontal an seine Betrachter, sondern erweckt den Eindruck, als habe er seinen Kopf in einer spontanen Reaktion soeben erst aus einer Geradeaushaltung mit nach vorne gerichtetem Blick nach rechts zu seinem potentiellen Wähler gedreht. Der Kanzler befindet sich dabei in einer raumlosen Sphäre, die durch ihr strahlendes Weiß und das Fehlen jedweder Gegenstände Klarheit und Zeitlosigkeit suggeriert. Eine wohlkalkulierte, die faltige Gesichtslandschaft (Abb. 2) Gerhard Schröders fein akzentuierende Licht- und Schattenmodulation sorgt zudem dafür, dass der willensstarke, mit festem Blick und geschlossenem Mund vor uns erscheinende Kanzler das Idealbild des visionären Tatmenschen und Staatslenkers verkörpert. Da nicht alle Wähler über das semantische Rüstzeug von Kunst- bzw. Bildwissenschaft-
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lern verfügen, wurden rechts neben dem Gesicht des Kanzlers Textzeilen angeordnet, die unmittelbar aus ihm herauszuwachsen scheinen. Sie erläutern schwarz auf weiß („Kraftvoll, mutig, menschlich“), welche Nuancen der Betrachter des Plakats im Gesichtsausdruck des mächtigsten Regenten im deutschen Staate erkennen soll: Tatkraft, Mut und Menschlichkeit. In einem weiteren, unmittelbar darunter angeordneten Textblock, der durch seinen roten Fond nach besonderer Aufmerksamkeit verlangt, wird dann erläutert, welchem Ziel die in den Textzeilen postulierten Regententugenden dienen sollen: der sozialen Verfasstheit des deutschen Staates („Damit Deutschland sozial bleibt“). Noch eine Zeile tiefer erfährt der Betrachter dann, wie er – als der eigentliche Souverän im demokratischen Staate – seinem bildlich präsenten Regenten zu einer weiteren Amtszeit verhelfen kann: „Beide Stimmen: SPD“ ist dort auffordernd zu lesen. Diese Textzeile ist unmittelbar auf den roten Fond gesetzt und schafft damit die Verbindung zu einem weiteren Textblock, der sich unmittelbar links hinter dem Kopf des Kanzlers befindet: „SPD“ steht dort weiß auf rot zu lesen. Es ist das offizielle Logo der traditionsreichen Arbeiterpartei, die aufgrund von Plazierung und Dimension ihres Logos auf diesem Plakat merkwürdig klein in den Hintergrund gedrängt erscheint. Auch diese Gestaltung ist wohlkalkuliert und von politischer Aussagekraft: Nicht die SPD, sondern Schröder, nicht die Parteiinstitution, sondern der amtierende Kanzler soll sich dem potentiellen Wähler als die zu unterstützende politische Instanz empfehlen, womit zugleich auch eine selbstredende Aussage über die seinerzeitige Schwäche der SPD und die Imagestärke Gerhard Schröders getroffen wurde. Es wäre jedoch ein Missverständnis, diese zurückhaltende, entrückte Anordnung des SPD-Logos nur als Ausweis der institutionellen Schwäche einer einstmals großen Volkspartei zu werten. Dafür ist die Symbolik sprichwörtlich viel zu hintergründig: Angebracht unmittelbar am Ohr des Kanzlers, deutet das Logo zugleich subtil darauf hin, dass das Regierungshandeln des bundesdeutschen Regenten aus der engen Verbindung mit seiner Partei erwächst, für deren Wünsche und Vorstellungen der Kanzler stets ein offenes Ohr besitzen muss. Die ikonologische Analyse eines zeitgenössischen Regentenporträts soll an dieser Stelle nicht weitergeführt werden. Es konnte gezeigt werden, wie sehr das Wahlplakat aus dem Bundestagswahlkampf von 2005 ein beachtliches Beispiel moderner bildlicher Regierungspropaganda und zugleich ein Lehrbeispiel für das Verfahren symbolischer bzw. zeichenhafter Kommunikation und Interaktion zwischen Regent und Untertan im städtischen Raum der demokratischen Gegenwart darstellt. Es soll uns nun als Ausgangspunkt dienen, um von hier aus den Blick zurückzuwerfen auf die Verhältnisse in deutschen Residenzstädten der Umbruchszeit vom späten Mittelalter zur beginnenden Frühen Neuzeit.
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Ein fürstliches Werbebild aus dem 16. Jahrhundert: Lucas Cranachs Kurfürsten-Triptychon in der Hamburger Kunsthalle Ich beginne diesen Rückblick mit einer gewollten Zuspitzung und stelle neben das Bild des deutschen Bundeskanzlers aus dem Jahre 2005 das Bild eines deutschen Kurfürsten – mutmaßlich aus dem Jahr 1535.1 Das Bild ist der rechte Flügel eines monumentalen Triptychons (Abb. 3), das der sächsische Hofmaler Lucas Cranach d. Ä. in einer für das sächsische Fürstenhaus politisch schwierigen Zeit konzipierte.2 Heute befindet es sich in der Hamburger Kunsthalle. Für unser Thema – die Formen symbolischer Kommunikation und Interaktion in der Residenzstadt und die Bildwerdung des Fürsten im städtischen Raum – ist dieses Bildwerk von besonderem Interesse, da es in dieser und in einer reduzierten Fassung mittels zahlreicher gemalter oder auch druckgraphisch produzierter Kopien vervielfältigt und als propagandistisches Kommunikationsmedium an in- und ausländische Fürsten- und Königshöfe verschickt wurde.3 Auch im sächsischen Territorium und seinen Städten fanden die Kopien Verbreitung. Auch wenn genauere Forschungen noch fehlen, dürfen wir sogar vermuten, dass einige der Kopien in den Rathäusern kursächsischer Städte ihre Präsentation erfuhren. In jedem Fall war der Bildentwurf Lucas Cranachs auf die 1
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Das Triptychon ist undatiert und wird vor allem wegen des kurfürstlichen Wappens, das die erst 1535 durch Kaiser Karl V. gegenüber Johann Friedrich von Sachsen zugesicherte Kurwürde der ernestinischen Wettiner demonstriert, in die Zeit um 1535 datiert (zur Literatur siehe Anm. 2). Zum Bild siehe auch meine Analyse in: Matthias MÜLLER, Bilder als Waffen nach der Schlacht. Die Stilisierung Kurfürst Johann Friedrichs von Sachsen zur imago pietatis und die Fortsetzung des Schmalkaldischen Krieges in der konfessionellen Bildpropaganda, in: Bereit zum Konflikt. Strategien und Medien der Konflikterzeugung und Konfliktbewältigung im europäischen Mittelalter, hrsg. von Oliver AUGE u. a. (Mittelalter-Forschungen, Bd. 20), Ostfildern 2008, S. 311-339. Siehe darüber hinaus Gustav PAULI, Die Sammlung alter Meister in der Hamburger Kunsthalle, in: Zeitschrift für bildende Kunst 55, N.F. 31 (1920), S. 21-30; Max J. FRIEDLÄNDER und Jakob ROSENBERG, Die Gemälde von Lukas Cranach, 2. Aufl. Basel u. a. 1979, S. 137, Nr. 338; Kunst der Reformationszeit, Ausstellungskatalog Burgk 1983, Kat.-Nr. E 44 und E 45, S. 333-335; Bestandskatalog der Hamburger Kunsthalle, München 1994, Kat.-Nr. 5; Michael ENTERLEIN und Franz NAGEL, Katalog der Darstellungen Johann Friedrichs des Großmütigen. Das Herrscherbild als Aufgabe, in: Verlust und Gewinn. Johann Friedrich I., Kurfürst von Sachsen, hrsg. von Joachim BAUER und Birgitt HELLMANN (Bausteine zur Jenaer Stadtgeschichte, Bd. 8), Weimar u. a. 2003, S. 119-292, S. 136 f.; Glaube und Macht. Sachsen im Europa der Reformationszeit, Ausstellungskatalog Dresden 2004, S. 153, Kat.-Nr. 212. Neben verschiedenen, noch nicht systematisch erforschten Kopien in verkleinertem Format des Kurfürstentriptychons und einzelner Porträttafeln wurden nach Ausweis der Quellen alleine von den zu einem Diptychon zusammengefassten Tafeln mit den Porträts Friedrichs des Weisen und Johanns des Beständigen und den bedruckten Papierbögen 60 Exemplare angefertigt. Diesen Großauftrag erhielt die Cranach-Werkstatt nach dem Regierungsantritt Johann Friedrichs von Sachsen im Jahr 1532: LX par teffelein daruff gemalt sein die bede churfursten selige vnd lobliche gedechtnus. Siehe FRIEDLÄNDER/ROSENBERG, Lukas Cranach (wie Anm. 2), S. 137, Nr. 338.
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öffentliche Wahrnehmung ausgerichtet und kalkulierte zudem bewusst mit einem der lateinischen Sprache nicht unbedingt mächtigen Publikum bzw. einem Publikum, das der deutschen Sprache zur Entstehungszeit des Bildes einen besonderen kulturpolitischen Stellenwert zubilligte. Die Konzeption des repräsentativen, hochoffiziellen Bildwerks vermag nun geradezu paradigmatisch alle jene Aspekte und Kriterien aufzuzeigen, die ein fürstliches Bildnis in der beginnenden Frühen Neuzeit zum vielschichtig argumentierenden Medium symbolischer Kommunikation zwischen den verschiedenen Ebenen fürstlicher Herrschaft – von den in- und ausländischen Grafen, Fürsten- und Königshöfen über die Landstände bis hin zu den bürgerlichen Ratsherren – werden ließ. Darüber hinaus können wir auch exemplarisch und auf höchstem Niveau die bildlichen Verfahren studieren, mit deren Hilfe die Cranach-Werkstatt hochprofessionell alle bildlichen Werbekampagnen und Stilisierungen des sächsischen Fürstenhauses ausarbeitete. Was zeigt uns das Triptychon und welches kommunikative Anliegen verfolgten seine Konzepteure und Auftraggeber? Von einem durchgehenden Landschaftsraum hinterfangen erscheinen in den drei Bildtafeln die drei aufeinanderfolgenden Kurfürsten Friedrich der Weise, Johann der Beständige und Johann Friedrich der Großmütige. Auf den Brüstungsfeldern unterhalb ihrer Porträts kleben bedruckte und bemalte Papierbögen, die in deutscher Sprache und in Form von Versen Selbsterklärungen der drei wichtigsten Vertreter des zum Protestantismus konvertierten sächsischen Kurfürstenhauses darbieten. Ihr Inhalt stellt eine bemerkenswerte Form des fürstlichen Eigenlobs dar, indem Friedrich der Weise und Johann der Beständige wortreich und in der Ichform gehalten ihre politischen, diplomatischen und militärischen Verdienste für Kaiser und Reich und die Erneuerung des christlichen Glaubens aus dem Geist des Evangeliums proklamieren. Der einzige Fürst, der schweigt und noch dazu in umgekehrter Haltung den Blicken der beiden anderen Kurfürsten ausgesetzt wird, ist Johann Friedrich auf dem rechten Flügel (Abb. 4). Doch es ist ein beredtes Schweigen, das in einer komplexen Verschränkung allegorischer und heraldischer Elemente aufgehoben wird. Wir sehen Johann Friedrich von Sachsen, den Großmütigen, wie er in der Darstellung Lucas Cranachs mit selbstbewusst vor der Brust ineinandergelegten und auf einer Steinbrüstung abgestützten Händen vor einer Felsenlandschaft erscheint. Während sein Gesicht von einer außerhalb des Bildes befindlichen Lichtquelle hell erleuchtet wird, ist sein Blick in eine unbestimmte, visionäre Ferne gerichtet. Ähnlich wie beim Kanzlerbildnis (Abb. 1 und 2) aus dem Wahlkampfjahr 2005 soll auch dieser Regent Tatkraft, Mut und Menschlichkeit – im zeitgenössischen Sprachgebrauch „landesherrliche Fürsorglichkeit“ – ausdrücken. Doch anders als im Regentenporträt des deutschen Kanzlers wird hierbei nicht nur auf die Aussagekraft der Physiognomie vertraut, sondern zusätzlich das Element der allegorisch aufgefassten Landschaft eingesetzt. Diese präsentiert Johann Friedrich von Sachsen sowie
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seine Vorgänger Johann den Beständigen und Friedrich den Weisen als Regenten inmitten einer sogenannten Weltenlandschaft,4 wie sie in der niederländischen Malerei des 15. Jahrhunderts als Sinnbild eines im höheren Auftrag Gottes bzw. Christi tugendhaft regierten Territoriums und seiner Städte entwickelt wurde. Als Beispiele seien genannt: die Inkunabel dieser Bilderfindung, die mit Städten und Menschen besetzte „Weltenlandschaft“ Jan van Eycks im Bild der Madonna des burgundischen Kanzlers Rolin (1434) (Abb. 5), sowie das Memorialtriptychon, das Rogier van der Weyden für Catherine de Brabant, die Witwe des 1452 verstorbenen Finanzberaters am Hof der Valois, Jean Braque, malte (Abb. 6). Im Bildnis Johann Friedrichs (Abb. 4) ist sie Teil des alle drei Tafeln umfassenden Landschaftsraums und wurde auf einen nur kleinen Ausschnitt am linken Bildrand begrenzt. Den rechts anschließend gewonnenen Platz nutzten Cranach und seine Werkstatt für einen auffallend dominant ins Blickfeld gerückten Felsen. Es könnte sich dabei um ein sehr persönliches, in der Forschung bislang übersehenes allegorisches Element Johann Friedrichs von Sachsen handeln, der damit in einer für ihn heiklen politischen Konstellation sein Selbstverständnis als protestantischer Landes- und Kirchenherr in der Nachfolge des Apostels Petrus, des Felsens des christlichen Glaubens, eine bildliche Form zu geben versuchte.5 4
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Zur Diskussion und Definition des Begriffs siehe Philine HELAS, Porträt und Weltenlandschaft, in: Porträt – Landschaft – Interieur. Jan van Eycks Rolin-Madonna im ästhetischen Kontext, hrsg. von Christiane KRUSE und Felix THÜRLEMANN (Reihe Literatur und Anthropologie, Bd. 4), Tübingen 1999, S. 31 f. Der Schlüssel zum Verständnis des auffallenden Felsmassivs im Rücken des sächsischen Kurfürsten befindet sich dabei möglicherweise in jenem dreizehn Jahre nach dem Kurfürstentriptychon entstandenen Kapselmedaillon der Weimarer Kunstsammlungen, das Johann Friedrich 1548 seiner Gemahlin, Sibylle von Cleve, aus seiner kaiserlichen Gefangenschaft als sehr persönliches Andenken zusandte. Klappt man das Medaillon auf, so findet man links das Bildnis Johann Friedrichs und rechts eine lateinische Inschrift, die nach Hinweisen auf Leben und Schicksal des Kurfürsten und der Erwähnung des 1548. Jahres nach der Geburt Christi mit der folgenden Nennung seines Geburtstages endet: NATUS EST AUTEM PRAEDICTUS PRIN / CEPS ANO M.C.III DIE VENERIS / POST DIEM PETRI ET PAVLI / SPES MEA CHRISTVS (Der vorgenannte Fürst aber wurde 1503 am Tag der Venus geboren [30. Juni], nach dem Tag von Petrus und Paulus, meine Hoffnung ruht in Christus). Die ausdrückliche Nennung der beiden wichtigsten Apostel und Begründer der christlichen Kirche könnte uns auf die richtige Fährte setzen. Es mag zunächst erstaunlich klingen, doch erhält die folgende Deutung nicht zuletzt angesichts der seit 1532 mit ganzer Kraft betriebenen Stilisierung Johann Friedrichs zum Beschützer des reformatorischen Erbes durchaus Plausibilität: Wenn Johann Friedrich 1548 als Gefangener des Kaisers ausdrücklich die zeitliche Nähe seines Geburtstages zum Gedenktag an Petrus und Paulus hervorhebt, dann rückt er auch seine Person und sein Amt bewusst in eine spirituelle Nähe zu den beiden großen Aposteln der frühen christlichen Kirche. Eine besondere auch symbolische Verbundenheit scheint Johann Friedrich dabei für Simon Petrus empfunden zu haben, dessen Ehrenname Petrus (d. i. ,der Fels‘) nach christlicher Überlieferung auf die besondere Stellung des Apostels als erster Zeuge der Auferstehung Christi zurückgeht und die Petrus damit zugleich als Fels der Kirche auszeichnete. Das Kapselmedaillon befindet sich heute im
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Rein äußerlich betrachtet, unterscheidet dieses Element des Landschaftsraumes – neben der Distanz schaffenden Steinbrüstung – das Porträt Johann Friedrichs von Sachsen von demjenigen Gerhard Schröders am deutlichsten. Denn wenn auch im Porträt des sächsischen Kurfürsten keine Textzeilen enthalten sind, so spricht das auf der gemalten Steinbrüstung im Vordergrund angebrachte kursächsische Wappen für die heraldisch bewanderten Zeitgenossen eine umso deutlichere Sprache. Es zeichnet Johann Friedrich mit allen Insignien des sächsischen Landesherrn, Kurfürsten und Reichserzmarschalls in den Ländern sächsischen Rechts aus. Von besonderer Brisanz waren die Insignien des Kurfürsten und Reichserzmarschalls. Denn als das Triptychon (Abb. 3) in der Cranach-Werkstatt konzipiert wurde, hatte Kaiser Karl V. Johann Friedrich entweder noch nicht oder gerade erst mit der Kurwürde belehnt, die er nach dem Tode Johanns des Beständigen und dessen Eintreten für die Reformen Martin Luthers nicht ohne weiteres auf den Erbfolger zu übertragen gedachte.6 Mit anderen Worten: Das Triptychon mit den Porträts der drei sächsischen Kurfürsten entstand in einer für Sachsen gefahrvollen Situation, in der die bildliche Kommunikation des politischen, auf das Kurfürstentum und die Reichsämter fixierten Anspruchs gegenüber allen Institutionen politischer Gewalt – vom Kaiser und König über die Fürsten bis hinunter zu den Landständen und Städten – ein dringliches Gebot der Stunde war. Von daher ist die heimliche Hauptperson des Triptychons Johann Friedrich selbst, der durch seine Vorgänger im Amt, die sich in ihrer Haltung beide nach rechts zu Johann Friedrich wenden, bild- und wortreiche Unterstützung erfährt. Als bereits verstorbene Vorväter und Vorgänger im Amt erscheinen sie den irdischen Zeitläuften entrückt vor dem idealtypischen Szenarium eines glücklich und friedlich regierten Territoriums7 und bestätigen den Betrachtern des Bildes in suggestiver bildlicher wie textlicher Form den rechtmäßigen Anspruch ihres Nachfolgers im Amt des sächsischen Kurfürsten. Das Kurfürstenwappen an der Brüstung erscheint dabei wie der bestätigende, triumphale Schlussakkord jener Lobeshymnen, die zuvor auf den vorgeschalteten Texttafeln unterhalb von Friedrich dem Weisen und Johann dem Beständigen zu lesen waren und die mit ihren Hinweisen auf die Loyalität dieser
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Goethe Nationalmuseum der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen (Inv.-Nr. KKg/00597). Siehe auch Weimarer Klassik. Wiederholte Spiegelungen. 1759-1832, Katalog zur ständigen Ausstellung im Goethe-Nationalmuseum Weimar, hrsg. von Gerhard SCHUSTER u. a., München 1999, Kat.-Nr. 1, S. 46. Zu den politischen Umständen und Hintergründen siehe Georg MENTZ, Johann Friedrich der Großmütige 1503-1554, Teil 2, Jena 1908, S. 12 ff., sowie Hans PATZE und Walter SCHLESINGER, Geschichte Thüringens, Bd. 3, Köln und Graz 1967, S. 228 f. Wichtige Vergleichsbeispiele für diese Art der Darstellungsform einer politisch-allegorischen Landschaft sind Jan van Eycks Rolin-Madonna (1534/35, Paris, Louvre) sowie das MontefeltroDiptychon von Piero della Francesca (ca. 1471, Florenz, Uffizien) (Die Tafel mit dem Bildnis Federicos da Montefeltro zeigt Abb. 7 in diesem Beitrag).
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beiden sächsischen Kurfürsten gegenüber Maximilian I. und Karl V. den legitimen Anspruch Johann Friedrichs des Großmütigen auf die Kurfürstenwürde beschwören.8 Dass sich dieser Anspruch nicht nur auf verliehene Rechte und Privilegien gründet, sondern seine Kraft auch aus der traditionsreichen Verbindung dieser Rechte und Privilegien mit einer altehrwürdigen Dynastie bezieht, die sich gewissermaßen in Johann Friedrich selbst verkörpert, verdeutlicht nicht nur die Präsenz der Amtsvorgänger, sondern auch kompositorisch die Präsentationsweise des Kurfürstenwappens im Kontext des Bildnisses Johann Friedrichs (Abb. 4). Das Wappen ist zwar einerseits auf einer Steinbrüstung angebracht, die den fiktiven Bildraum Johann Friedrichs vom realen Raum des Betrachters trennt, doch da diese Steinbrüstung durch die aufliegenden Hände unmittelbar mit dem Körper Johann Friedrichs verbunden ist, erscheint auch das Wappen wie eine Applikation des dahinter aufragenden Fürstenkörpers. Erst kürzlich hat der Kunsthistoriker Hans Belting in anderem Zusammenhang darauf aufmerksam gemacht, dass bei dieser Darstellungsform die wechselseitige Repräsentanz von Wappen und Person thematisiert wird, wodurch das Wappen gewissermaßen zu einem heraldischen Bildnis der Person und die Person zu einer personalisierten Form des Wappens avanciert.9 Wir können noch einen Schritt weitergehen und in Anlehnung an das zeitgenössische Verständnis vom corpus principis formulieren, dass sowohl das Wappen als auch das Bildnis des Fürsten den in Stadt und Land präsenten Amtskörper des Regenten bezeichnen. Dieser wiederum war – ebenfalls
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Dank einer Notiz des kursächsischen Geheimsekretärs, Hofpredigers und Historiographen Georg Spalatin, die dieser auf die Rückseite eines Blattes im „Codex Gothanus“ geschrieben hat (Forschungsbibliothek Gotha, Chart. A 122, Bl. 28v), kennen wir den Verfasser des Textes unter dem Bildnis Friedrichs des Weisen: Es war Martin Luther, der nach den Worten Spalatins am 9. Juli 1525 in der Grünen Stube von Schloss Lochau Reimverse für das noch leere Feld unter dem von Cranach konzipierten Gedächtnisbild an den verstorbenen sächsischen Kurfürsten verfasst hat (siehe hierzu mit Literatur und Nachweisen Ingetraut LUDOLPHY, Friedrich der Weise. Kurfürst von Sachsen, [Göttingen 1984] Reprint Leipzig 2006, S. 18f.). Die Texte sind sprachlich im Duktus von Chroniktexten abgefasst und besitzen eine standardisierte Form. In dieser Form wurden sie auch auf die zahlreichen Kopien (siehe hierzu Anm. 3) der Cranachschen Fürstenbildnisse von Friedrich dem Weisen und Johann dem Beständigen übertragen, wobei auch das technische Verfahren standardisiert und als aufklebbarer Papierdruck ausgeführt wurde. Im Rahmen meines DFG-Forschungsprojektes zum Kulturtransfer in höfischen Bildkonzepten deutscher Fürstenhöfe des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit entsteht derzeit eine Dissertation, in der Ruth Hansmann M. A. anhand von bislang unbeachtetem Archivmaterial die über Luther hinausgehende Herkunft dieser Texte und ihre besonderen dynastisch-memorativen Bezüge aufzeigen kann. Hans BELTING, Wappen und Porträt. Zwei Medien des Körpers, in: Das Porträt vor der Erfindung des Porträts, hrsg. von Martin BÜCHSEL und Peter SCHMIDT, Mainz 2003, S. 89-100. Siehe auch Andreas BEYER, Das Porträt in der Malerei, München 2002, S. 113 ff. Erste Überlegungen hierzu finden sich bereits in Hans BELTING und Christiane KRUSE, Die Erfindung des Gemäldes. Das erste Jahrhundert der niederländischen Malerei, München 1994, S. 46.
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nach zeitgenössischem Verständnis – verbunden mit dem dynastischen Körper, von dem der Fürst abstammte und von dem her er seine Dignität bezog. Halten wir an dieser Stelle für einen Moment inne und fassen kurz die inhaltlichen und formalen Kriterien symbolischer Kommunikation, die in diesem Porträttriptychon für die mediale Kommunikation frühneuzeitlicher Fürstenherrschaft maßgeblich gewesen sind, zusammen. Die Kernbotschaft der drei Fürstenbildnisse bezieht sich in ihrem allgemeinen Teil auf die in der frühneuzeitlichen Regentenliteratur fixierte Definition des Fürsten als eines fürsorglichen, starken und durch die glanzvollen Taten seiner Vorväter ausgezeichneten Landesherrn, der, mit den Tugenden der Fortitudo wie der Sapientia ausgestattet, zum politischen, wirtschaftlichen und religiösen Wohle seines Landes wie des ganzen Reiches regiert. Versehen mit der Providentia Dei, der von Gott gegebenen Weitsicht, vermag er als vicarius Christi sein Territorium mit den Städten und Dörfern durch allen „Unrath“ hindurch – wie es Reinhard Lorich in seiner „Paedagogia Principum“ 1595 formulierte10 – sicher zu führen, eine Führung, die letztlich auch eine eschatologische Dimension besaß und auf das Ende aller Tage ausgerichtet war. Herausgestellt wird darüber hinaus die unauflösbare, enge Verbindung zwischen dem Körper des Fürsten und seiner Dynastie und dem zu regierenden Territorium. Das Triptychon bezieht diese Verbindung in besonderer Weise auf das für Kursachsen gefährdete Privileg des Kurfürsten- und Reichserzmarschallamtes. Um diese inhaltlichen Aspekte in eine bildliche Form kleiden zu können, greifen Auftraggeber und Künstler auf gestalterische Verfahren zurück, deren Konzepte bereits in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in den Niederlanden und in Italien entwickelt worden waren und seit dem Ende des 15. Jahrhunderts auch ihre vermehrte Rezeption in den offiziellen Herrscherproträts des Alten Reichs fanden. Als Beispiel aus Italien sei hier das berühmte, mit einer Innen- und einer Außenseite versehene und einem Diptychon zugehörige Bildnis des Herzogs Federico da Montefeltro (Abb. 7) genannt (gemalt gegen 1472 von Piero della Francesca), und, als Beispiel aus dem Alten Reich, das Porträt des jungen Kaisers Karl V. (Abb. 8), entworfen und gestochen im „Wahlkampfjahr“ 1519 von Hans Weiditz. Zum Konzept dieser Bildwerke gehören zum einen die suggestiv und mit körperhafter Präsenz aus dem Bildraum in den Betrachterraum hineinwirkenden Porträts, denen andererseits durch die vorgesetzten, mit panegyrischen Ruhmestexten bzw. Wappen versehenen Steinbrüstungen (beim Montefeltro-Bildnis in einer weiteren Darstellung auf der Rückseite befindlich) gleichzeitig das nötige Maß an 10
Reinhard LORICH, Junger Fürsten zu herzn Christlich erziehung, Marburg 1537; Neuauflage unter dem Titel „Paedagogia Principum“ Frankfurt am Main 1595, zit. nach: Beatrice Weber-Kuhlmann, Reinhard Lorich: Paedagogia Principum. Wie man Herrn Kinder rechtschaffen unterweisen sol, 1595, in: Politische Tugendlehre und Regierungskunst. Studien zum Fürstenspiegel der frühen Neuzeit, hrsg. von Hans-Otto MÜHLEISEN, Theo STAMMEN und Michael PHILIPP (Studia Augustana, Bd. 2), Tübingen 1997, S. 49.
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Distinktion verschafft wird, und zum anderen die hinterfangende Landschaft mit ihrem wohlgeordneten Territorium. Anzumerken ist allerdings, dass diese Bildelemente nicht immer alle gleichermaßen in einem Porträt zum Einsatz kommen mussten und viele deutsche Herrscherporträts beispielsweise auf die Hintergrundslandschaft verzichten. Obwohl es sich bei Cranachs Kurfürstentriptychon (Abb. 3) um ein ganz besonderes Bildwerk für eine besondere historische Situation handelt, entspricht die inhaltliche wie formale Grundstruktur damit ganz der seit der Mitte des 15. Jahrhunderts in Südwesteuropa und seit dem beginnenden 16. Jahrhundert sich auch in Nordeuropa zunehmend etablierenden Konvention fürstlicher Repräsentationsbildnisse im öffentlichen Raum. Hier, bei der Gattung der Fürstenbildnisse, unterscheiden sich die medialen Strategien fürstlicher Kommunikation zwischen den europäischen Ländern seit dem 16. Jahrhundert im Grundsatz nur noch wenig. Mediale Präsenz des Fürsten im städtischen Raum: Der Rathauserker als Sinnbild für die Allgegenwart des fürstlichen Stadtherrn Im Alten Reich wurde jedoch neben diesen auf Tafeln gemalten Herrscherbildnissen noch eine andere Form bildlicher Kommunikation im öffentlichen Raum entwickelt, die in den benachbarten Ländern – ob nun Italien, Frankreich oder die Niederlande – in dieser Systematik und Konsequenz nicht zur Anwendung gelangte. Es ist der mit Herrscherporträts, allegorischen und heraldischen Bildwerken und Inschriften geschmückte Schloss- und Rathauserker (Abb. 9-11). In dieser aufwendigen Form sollte er im Repräsentationsbau deutscher Residenz- und Reichsstädte aber auch in den nachgeordneten Städten landesherrlicher Territorien im Verlauf des 16. Jahrhunderts zu einem Standardelement der architektonischen Ausstattung werden. Immer dann, wenn diese Erkerarchitekturen mit den Bildnissen von Fürsten versehen waren, die ihnen zumeist in Form von Bildreliefs appliziert wurden, ergab sich im Vergleich zu den zuvor thematisierten transportablen Fürstenporträts eine bemerkenswerte Erweiterung des medialen wie inhaltlichen Konzeptes und der Leistungsfähigkeit als Medien der symbolischen Kommunikation im öffentlichen Raum. Denn anders als die mobilen Fürstenbildnisse, deren Materialität und Handhabung in der Regel nur einen abgeschlossenen Raum für die Entfaltung der beabsichtigten kommunikativen Wirkung zuließen und damit notgedrungen auch den Rezipientenkreis – ob nun im Schloss, im Rathaus oder im vornehmen Bürgerhaus – einschränkten, agierten die Erkerbildnisse in einem deutlich erweiterten öffentlichen Raum. Wenn – wie in Torgau – der Rathauserker zudem genau in die Achse jener Straße gerückt wird, die vom Marktplatz abgehend unmittelbar zum Residenzschloss führt (Abb. 9), dann wird
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das interaktive, zwischen städtischer und höfischer Sphäre vermittelnde Moment der Erkerarchitekturen besonders evident.11 Doch auch ohne eine solche zeichenhaft wirksame Achsenbildung entfalteten die Schloss- und Rathauserker ihr kommunikatives Potential im Straßenraum, wobei den applizierten Bildnissen und Wappen hierbei eine wesentliche Funktion bei der Sichtbarmachung der den Erkern innewohnenden Zeichenhaftigkeit zukam. Vor allem jene Bildnisse, die an den Erkern von Rathäusern angebracht wurden, erhielten in der symbolischen Interaktion zwischen Fürst und Stadt den Rang von kontinuierlich wirksamen Kommunikatoren und führen uns somit auch direkt ins Zentrum unseres Themas. Ein beredtes Beispiel für diese mediale Funktion, bei der in einem komplexen Verweisverfahren die Architektur der Erker und die Bildnisse und Wappen mit der physischen Präsenz des Fürsten und der Ratsherren korrespondieren, ist der quellenkundlich detailliert überlieferte zeremonielle Ablauf des 1586 erfolgten Huldigungsaktes für den neuen sächsischen Kurfürsten Christian I. in Freiberg12 Nachdem der Kurfürst auf dem „hohen Tritt“ des Rathauses die Huldigungsrede und die Eidesformel entgegen- und den Anwesenden den Handschlag abgenommen hatte, „begab [er] sich in die Rathsstube, wo er in dem großen Erker ans Fenster trat und sich hier von der ganzen Bürgerschaft, welche mit entblößtem Haupte auf offnem Markte stand, den Eid leisten ließ“.13 Dem hohen Besuch entsprechend, ließen die Bürger Freibergs ihr Regierungsgebäude angemessen schmücken und den Ratserker mit schwarzem Tuch ausschlagen. Dasselbe schwarze Tuch hing auch aus dem Erkerfenster nach außen und verdeckte dabei heraldische oder figürliche Bildwerke, die als Reliefs ansonsten unterhalb der Erkerfenster sichtbar gewesen wären. Erst nachdem der Kurfürst das Rathaus verlassen hatte, die Huldigungsfeierlichkeiten beendet und die schwarzen Samttücher wieder eingeholt waren, wurden auch diese außen am Ratserker angebrachten Bild- bzw. Wappenreliefs wieder sichtbar. Es ist ein in der Geschichte des Bildes traditionsreicher Vorgang des Verhüllens und Enthüllens von 11
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Zum zeichenhaften, kommunikativen Einsatz der Wappen im Straßenraum einer Residenzstadt siehe auch den modellhaften Beschreibungsversuch für die einstmals freigräfliche Stadt Büdingen von Kilian HECK, Genealogie als Monument und Argument. Der Beitrag dynastischer Wappen zur politischen Raumbildung der Neuzeit, München 2002, S. 85-132. Gustav Eduard BENSELER, Geschichte Freibergs und seines Bergbaues, 2 Bde., Freiberg 1853. Zum zeremoniellen Ablauf siehe auch Jutta BÄUMEL, Das Trauerzeremoniell für Kurfürst August von Sachsen 1586 in Dresden und Freiberg, in: Dresdner Kunstblätter 31 (1987), S. 208-216. Die folgenden Ausführungen zur zeichenhaften Bedeutung der Rathauserker sind eine erweiterte Fassung meiner Darlegungen in: Matthias MÜLLER, Ihr wollet solche Gebäude fürstlichst ins Werk richten! Das Rathaus der Residenzstadt als Repräsentationsbau des Fürsten, in: Der Hof und die Stadt. Konfrontation, Koexistenz und Integration in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von Werner PARAVICINI und Jörg WETTLAUFER (Residenzenforschung, Bd. 20), Ostfildern 2006, S. 281-295. BENSELER, Geschichte (wie Anm. 12), S. 908.
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Bildwerken,14 die nur in der physischen Abwesenheit des Fürsten an seine Stelle treten sollten. In diesem Moment aber, in dem rein äußerlich die besondere, nicht alltägliche Situation der öffentlichen Schau des Fürsten im Fenster des Ratserkers bereits Vergangenheit war, musste der aufmerksame Betrachter erleben, dass die Inbesitznahme des städtischen Rathauses durch den Fürsten keineswegs ein temporäres Ereignis war, sondern als ein immerwährender Akt verstanden wurde, der auch dann noch andauerte, wenn der Fürst nicht mehr physisch präsent war. Wurden die schwarzen Samttücher in Freiberg vom Erker weggezogen, so gaben sie – übrigens bis heute – den Blick auf das sächsische Haus- und Kurwappen sowie das meißnische und dänische Wappen (der Gemahlin Augusts I.) frei. An den Erkern anderer sächsischer und thüringischer Rathäuser aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts – so in Torgau (Abb. 9 und 10) oder Altenburg (Abb. 11) – werden zudem die Porträtbildnisse des Fürsten und seiner Gemahlin sowie weiterer verstorbener und lebender Mitglieder des regierenden Herrscherhauses gezeigt. In welchem Maße dabei der fürstlichen Dynastie als Ganzes gedacht werden sollte, belegt der ursprüngliche und dann vereinfachte Plan für die bildliche Ausstattung des Torgauer Rathauserkers. Wie das entsprechende Ratsprotokoll aus dem Jahr 1577 festhält,15 sollten außer den Bildnissen des regierenden Fürstenpaares auch die Bildnisse der verstorbenen Landes- und Stadtherren Herzog Heinrich und Kurfürst Moritz sowie des Kurprinzen Christian am Erker angebracht werden. Auf diese Weise wäre auch im Bild die in der Erbfolge tradierte fürstliche Stadtherrschaft am Rathaus angezeigt und die vergangene, gegenwärtige und künftige Herrschergeneration den Bürgern ständig vor Augen gehalten worden.16 Die bildliche Präsenz des Fürstenhauses war daher gleichbedeutend mit der kontinuierlichen Präsenz des Fürsten und seiner Dynastie in effigie und verlängerte das Geschehen und die Gültigkeit des am Beispiel Freibergs vorgeführten Huldigungsaktes gewissermaßen in die Zukunft der Geschichte einer solchen landesherrlichen Stadt. Im übrigen besaßen die Rathäuser landesherrlicher Städte auch in ihren Innenräumen Porträts der fürstlichen Landesherren. Wie für Torgau überliefert, hingen diese lebensgroßen Bildnisse in der Ratsstube, von der aus der Fürst für den Huldigungsakt auch den Ratserker betreten musste.17 Die immerwährende Präsenz des von den Bürgern gehuldigten Fürsten und seiner Dynastie erschöpfte sich jedoch nicht im Vorweisen ihrer Bildnisse. Zumindest in 14
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Siehe hierzu Johann Konrad EBERLEIN, Apparitio regis – revelatio veritatis. Studien zur Darstellung des Vorhangs in der bildenden Kunst von der Spätantike bis zum Ende des Mittelalters, Wiesbaden 1982. Die Denkmale der Stadt Torgau, bearb. von Peter FINDEISEN und Heinrich MAGIRIUS, Leipzig 1976, S. 225. Weshalb auf die Vergegenwärtigung der vergangenen und der künftigen Generation verzichtet wurde, ist nicht bekannt. FINDEISEN/MAGIRIUS, Denkmale (wie Anm. 15), S. 233. Anfang des 18. Jahrhunderts hingen in der Torgauer Ratsstube elf Kurfürstenbildnisse.
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Torgau trat zur bildlichen Präsenz darüber hinaus die Vergegenwärtigung des Fürsten im Medium der Inschrift, die der schriftlichen und damit dauerhaften Verkündigung der fürstlichen Huldigungsrede diente. Um gleichsam die Huldigungsworte des Kurfürsten am Ort ihres Vortrags zu verewigen, wurde am Ratserker (Abb. 10) genau zwischen die beiden Bildnisse des Kurfürstenpaares eine Inschriftenkartusche plaziert, auf der in lateinischer Sprache das gegenseitige Huldigungsversprechen des Fürsten und seiner Untertanen für den Betrachter jederzeit ansichtig bleibt. Als ob die Inschrift dem aus Stein gemeißelten, lebensnahen Porträt des sächsischen Kurfürsten August I. die fehlende Stimme verleihen sollte, verkündet der lateinische Text die notwendige Zusammenarbeit von obrigkeitlicher Herrschaft und Bürgern und die besondere Fürsorgepflicht des Kurfürsten August und seiner Gemahlin Anna als Eltern des Vaterlandes für die Bewahrung der Religion und des Friedens: NON TAMEN OMNINO IMPERIUM CIVESQUE LABORANT PRINCIPE SVB TALI CVRA EST RELLIGIO PACISQVE PATRIAEQVE PARENTEM.
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CVIVS CVI MAXIMA
DECVS REX MAXIME REGVM AVGVSTAM TVERARE DOMVM
Nicht im geringsten leiden Herrschaft und Bürger unter einem solchen Fürsten, dessen größte Sorge der Religion und der Anmut des Friedens eines jeden gilt. Der größte aller Könige möge den erhabenen Vater der Häuser und des Vaterlands schützen.18
In diesem Bemühen wird das Kurfürstenpaar gestärkt durch die vier Kardinalstugenden Prudentia, Justitia, Fortitudo und Temperantia, die im zweiten Obergeschoss des Erkers, oberhalb der Fürstenporträts, in allegorischer Form in Rollwerkkartuschen erscheinen. Vorbilder aus der Geschichte findet das Kurfürstenpaar in den vier guten Helden Gottfried von Bouillon, Karl der Große, Julius Caesar und Alexander der Große, die sich im dritten Obergeschoss, ähnlich wie der Kurfürst und seine Gemahlin, in einer Loggia mit – im Unterschied zu den Kurfürstenbildnissen19 – geschlossenen Vorhängen präsentieren.20 Die in der Torgauer Inschrift mit dem Huldigungsversprechen zum Ausdruck gebrachte Fürsorgepflicht des fürstlichen Stadtherrn gegenüber seinen städtischen Untertanen verbleibt nun aber nicht auf der Ebene von Text und Bild, sondern findet ihre wichtige Ergänzung in der metaphorischen Aussagekraft der Architektur des Rathauserkers. Aufgrund seiner allgemein wirksamen und hier kurz zu erläuternden Architekturmetaphorik enthielt jeder Ratserker auch ohne eine entsprechende Inschrift eine besondere regentenethische Aussage, die die Huldigung der Bürger gegenüber ihrem fürstlichen Stadtherrn mit der umgekehrt wirksamen Verpflichtung des Fürsten zu immerwährender beschützender Fürsorge verband. Ähnlich wie die 18 19 20
Für Hilfestellungen bei der Übersetzung danke ich Dr. Oliver Auge (Greifswald). Zu den Bildnissen des Kurfürstenpaares und ihrer Gestaltung siehe weiter unten! Die Brustbilder tragen die Bezeichnungen: GOTTFRIED BVLONIVS, CAROLVS MAGNVS, IVLIVS CAESAR, ALEXANDER MAGNVS.
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Erker an den landesherrlichen Residenzschlössern (Abb. 12), von denen sie ja letztlich für den Rathausbau abgeleitet worden sind, verkörperten die Ratserker mit ihren Bildnisreliefs das architektonische Sinnbild des wachsamen, beschützendkontrollierenden Regentenblicks auf das Geschehen in der Stadt und im Land. Hoch über den Köpfen seiner Untertanen und zugleich mitten unter ihnen thront der Fürst als Inkarnation göttlicher Sapientia und Providentia, mit deren Hilfe er alles, was im Reich und in der Stadt geschieht, sehen und sein Territorium und die darin befindlichen Städte vorausschauend und beschützend regieren kann. Erasmus von Rotterdam hat dies in seiner „Institutio principis christiani“ (1515) in ein prägnantes Bild gekleidet und die Forderung formuliert, Fürsten sollten „vorne und hinten Augen haben“.21 In der Stadt wird diese Aufgabe des vorausschauenden, stets wachsamen Regierungshandelns an die Ratsherren delegiert, die in Stellvertretung des fürstlichen Stadtherrn die Regierung ausüben. Wie sehr eine solche Vorstellung im Denken der Zeit angelegt war, vermögen entsprechende Formulierungen in den damals publizierten Regentenspiegeln zu belegen.22 Noch zu Beginn des 17. Jahrhunderts gebraucht Martin Moller die Metapher des sehenden Herrschers bzw. des von oben in sein Land herabblickenden Herrschers, wenn er in seinem „Regenten Büchlein“ (1605) mit der Diktion des protestantischen Predigers nachdrücklich von den Herrschenden die christliche Regentenethik einfordert. Der Kernsatz lautet wörtlich: „Also sie [die Regenten, Anm. M.M.] auch in demuetiger Furcht Gottes / von jhren Schloessern vnd hohen Rath-Haeusern herab sehen / vnd jhrer armen Vnterthanen / welche auch Gottes Kinder / vnd mit dem Blutt Christi erkauffet sein / hertzlich vnd Vaeterlich warnemen“.23 Deutlich werden bei Moller die herausgehobene Position der fürstlichen Residenzschlösser und städtischen Rathäuser und der von oben herab auf seine Untertanen gerichtete Blick bzw. das Sehen des Fürsten und der in seinem Namen regierenden städtischen Ratsherren als aufeinanderbezogene Elemente der Regentenikonographie charakterisiert. Für die effektvolle Visualisierung dieses wechselseitig aufeinander bezogenen Schutzbündnisses kam der Gestaltung der Rathäuser mit durchfensterten und bildge21
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Erasmus von Rotterdam, Institutio principis christiani [1515], zit. nach: Erasmus Desiderius von Rotterdam: Ausgewählte Schriften, Ausgabe in acht Bänden, hrsg. von Werner WELZIG, Darmstadt 1967-1980, Bd. 5 (1968), S. 218 f. Zu Erasmus’ „Institutio“ siehe unter anderem auch Eberhard VON KOERBER, Die Staatstheorie des Erasmus von Rotterdam, Berlin 1967, sowie Ludwig SCHRADER, Der Herrscher nach Erasmus von Rotterdam, in: Der Herrscher. Leitbild und Abbild in Mittelalter und Renaissance, hrsg. von Hans HECKER (Forschungsinstitut für Mittelalter und Renaissance, Studia humaniora, Bd. 13), Düsseldorf 1990, S. 179-200. So fordert Reinhard Lorich in seiner „Paedagogia Principum“ (1537), dass die Fürsten „Hertzer / Augen / vnnd Waechter deß Vatterlandes [sein sollen] / welche allerest fuehlen / ersehen vnd vernemmen moegen / zufaelligen Vnraht“ (Lorich, Erziehung, wie Anm. 10). Martin MOLLER, Scheda Regia. Regenten Büchlein des hochlöblichen Röm. Käyser Iustiniani primi, Görlitz 1605, zit. in: MÜHLEISEN/STAMMEN/PHILIPP, Tugendlehre (wie Anm. 10), S. 264.
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schmückten Erkern eine herausragende Aufgabe zu. Ähnlich den exponiert plazierten Schlosserkern (Abb. 12), deren Ausrichtung auf das weite Land bereits das wachsame Schauen des Regenten in sein Territorium versinnbildlichten, vermochten die Ratserker an den Rathäusern durch ihre Ausrichtung auf den öffentlichen Platz- und Straßenraum den aufmerksamen Blick der Ratsherren auf das städtische Gemeinwohl zu veranschaulichen. Doch erst durch die Anbringung von Bildwerken mit den Bildnissen des Fürsten und seiner Gemahlin bzw. – wie in Altenburg – der regierenden Herzöge erfüllte sich der ganze programmatische Sinn dieser architektonischen Inszenierung. Denn in der bildlich gegebenen Form des immer präsenten, seine Untertanen unentwegt anblickenden Fürstenpaares wurde nicht nur das Versprechen des Schutzbündnisses zwischen Stadtherrn und Bürgerschaft auf der bildlichen Ebene sichtbar eingelöst, sondern darüber hinaus auch an die tiefere theologische Begründung dieses immerwährenden Angeschautwerdens durch den Herrscher und – in umgekehrter Perspektive – das Anschauen des Herrschers erinnert. Die untergründig wirksame theologische Fundierung ergibt sich aus der Definition des fürstlichen Amtsinhabers als vicarius Christi. Als solcher hat jeder Fürst besonderen Anteil am Wesen Gottes und damit auch am zeit- und raumübergreifenden Sehen des verborgenen Gottes, wie sie in besonderer Weise Nikolaus von Kues formuliert hat. Von der anteilnehmenden, fürsorglichen Betrachtung der Menschen durch Gott, die den Menschen umgekehrt zugleich die Gnade der verhüllten Anschauung Gottes selbst gewährt, schreibt Nikolaus von Kues in seinem Traktat „De Visione Dei“: „Was anderes ist Dein Sehen, Herr, wenn Du mich mit liebendem Auge betrachtest, als dass ich Dich sehe: indem Du mich ansiehst, lässt Du, der verborgene Gott, Dich von mir erblicken. Jeder vermag Dich nur insoweit sehen, als Du es ihm gewährst. Nichts anderes ist es Dich zu sehen, als dass Du den Dich Sehenden ansiehst. (...) Niemals schließt Du Deine Augen, niemals wendest Du Dich ab“.24 Martin Mollers Forderung an die Fürsten und Ratsherren, dass sie ihre Untertanen hertzlich vnd Vaeterlich warnemen sollen, besitzt in der von Nikolaus von Kues gegebenen Definition des „liebenden Auges“, dessen Sichtbarkeit für den Menschen nur in abgestufter, verhüllter Form gewährleistet ist, ihren eigentlichen Maßstab. Und auch die architektonische wie bildkünstlerische Gestaltung der Schloss- und Rathauserker bezieht aus dieser theologischen Definition des unentwegt auf den Menschen 24
Quid aliud, domine, est videre tuum, quando me pietatis oculo respicis, quam a me videri? Videndo me das te a me videri, qui es deus absconditus. Nemo te videre potest, nisi in quantum tu das, ut videaris. Nec aliud te videre, quam quod tu videas videntem te. (...) Nam numquam claudis oculos, numquam aliorsum vertis (Nicolai de Cusa, Opera omnia, hrsg. von H. D. RIEMANN, Bd. 6, Hamburg 2000, S. 17; deutsche Übersetzung in: Nikolaus von Kues, Vom Sehen Gottes, übers. von D. und W. DUPRÉ, Zürich und München 1987, S. 23). Zur Bedeutung der theoretischen Schriften Nikolaus von Kues’ für die bildende Kunst siehe Eberhard HEMPEL, Nikolaus von Cues in seinen Beziehungen zur bildenden Kunst (Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Phil.-hist. Klasse, Bd. 100, Heft 3), Berlin 1953.
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gerichteten Gottesblicks letztendlich ihre ikonographische Maßstäblichkeit. Zunächst sind es die in den Platz- oder Straßenraum hinausgerückten Fenster, die im Öffnen und Verschließen und damit in der Gewährung und Hermetisierung des Blicks auf die Personen im Inneren der Erker Medien der Herrschaftsinszenierung bilden. Hinzu kommen die Bildnisreliefs, die unterhalb der Fenster in den Brüstungszonen angebracht wurden und damit unmittelbar auf die Fenster bezogen sind. Überall dort, wo im Alten Reich solche Bildnisse im 16. Jahrhundert an Schloss- oder Rathauserkern angebracht wurden (Abb. 13), folgen sie in ihrem kompositorischen Aufbau einem weitgehend einheitlichen Grundschema. Bemerkenswert ist, dass dieses Grundschema zwei Traditionen besitzt: In den Dreißiger Jahren des 15. Jahrhunderts führte es Jan van Eyck für den Typus des Erinnerungsbildes ein, auf dem einer bereits verstorbenen oder räumlich weit entfernten Person zu unvergänglicher und gleichwohl auch unfassbarer Präsenz gegenüber ihren Freunden verholfen wurde. Die Inkunabel ist Jan van Eycks berühmtes Bild „Leal Souvenir“ von 1432 (Abb. 14). In der Mitte des 15. Jahrhunderts konzipierte dann in der italienischen Malerei Andrea Mantegna ein besonderes kompositorisches Verfahren für die Darstellung von Personen der christlichen Heilsgeschichte. Mantegnas Inkunabel hierfür ist das Porträt des hl. Marcus von ca. 1455 (Abb. 15). Aufgabe dieser Darstellungsform war es, der Imagination der physischen Realpräsenz einer in Wirklichkeit doch unfassbar entrückten heiligen Person bildlichen Ausdruck zu verleihen. Wenn dieses Schema nun um 1500 im Alten Reich auf das Medium der öffentlich zur Schau gestellten Herrscherporträts – zunächst im Tafelbild, später auch im plastischen Reliefbild – übertragen wird, dann bleibt der ursprünglich memoriale und sakrale Charakter dieser Bilderfindung nicht nur unterschwellig erhalten. Vielmehr wird – gleichsam in Aktualisierung eines alten, in der Darstellung Ottos III. im Aachener Liuthar-Evangeliar (Abb. 16) aus der Zeit um 996 überlieferten Darstellungsschemas – die Doppelnatur des Fürsten als einer irdischen Person, die zugleich die Funktion eines vicarius Christi ausübt, zur Anschauung gebracht. So wie Kaiser Otto III. in der Buchmalerei mit seinen Füßen auf der Erde und mit seinem Kopf im Himmel thront (pedes in terra, caput in coelo) und damit als Spiegelbild der Doppelnatur Christi erscheint,25 so fungieren die Herrscherbildnisse an den Rathauserkern
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Siehe hierzu ausführlich Ernst KANTOROWICZ, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München 1990, S. 81 ff. (noch mit Zuschreibung an Otto II. aufgrund der älteren Datierung in die Zeit um 975), sowie Henry MAYR-HARTING, Ottonische Buchmalerei. Liturgische Kunst im Reich der Kaiser, Bischöfe und Äbte, Stuttgart und Zürich 1991, S. 78 ff. Zum insgesamt wenig überzeugenden Versuch einer kritischen Abschwächung von Kantorowicz’ Deutungsansatz siehe Louis GRODECKI u. a., Le Siècle de l’An Mil, Paris 1973, S. 135. Zur mittlerweile weithin akzeptierten Spätdatierung in die Jahre um 996 siehe Hartmut HOFFMANN, Buchkunst und Königtum im ottonischen und frühsalischen Reich, 2 Bde., Stuttgart 1986, S. 307; zur wenige Jahre früheren Datierung in die Zeit um 990 siehe Florentine MÜTHERICH,
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aber auch in den zuvor behandelten Tafelbildern als Repräsentanten einer zwischen Himmel und Erde vermittelnden Regentschaft. Und so wie auf dem Frontispiz des Aachener Liuthar-Evangeliars ein Schleier in Höhe der Brust des thronenden Kaisers auf symbolische Weise den irdischen Himmel als Grenzbereich zum göttlichen Himmels bezeichnet,26 markieren in dem zu Anfang thematisierten Kurfürstentriptychon von Lucas Cranach (Abb. 3) der blaue Himmel mit seinen Wolkenschleiern die Grenze zu dem sich darüber wölbenden kosmischen Himmel. In den Fürstenporträts des Torgauer Rathauserkers (Abb. 10 und 13) aber auch der Rathauserker im thüringischen Altenburg (Abb. 11) ist ein solcher Himmel als Hinweis auf den transitorischen Charakter der gezeigten Herrschergestalten nicht vorhanden. Dafür wurde ein anderes Element zur Markierung der Grenze zwischen zwei miteinander verbundenen und zugleich voneinander geschiedenen Bereichen verwendet: Es ist der Vorhang. Vorhang und Schleier sind seit der Antike vielschichtig konnotierte Sinnbilder für den Vorgang der Präsenz und Absenz, für die Gegenwart und die Verborgenheit Gottes27 bzw. der Götter und der von ihnen eingesetzten irdischen Regenten. Denn nach den Worten des Pseudo-Dionysius Areopagita aus dem 5./6. Jahrhundert ist es „nicht möglich, dass der urgöttliche Strahl unmittelbar in uns hineinleuchte, es sei denn verdeckt durch die bunte Fülle heiliger Umhüllungen; diese sind [...] der Fassungskraft unserer Natur angepasst“.28 Und so wird noch unter Ludwig XIV. das Hofprotokoll vorsehen, das Stellvertreterbildnis des Königs zu besonderen zeremoniellen Anlässen mit einem Vorhang vor den Augen seiner profanen Betrachter zu verhüllen. Ein besonders prominentes und anspruchsvolles dieser Staatsporträts Ludwigs XIV. ist das von Hyacinthe Rigaud aus den Jahren 1701/02 (Abb. 17). Einhundertvierzig Jahre später sollte dieser effigies-Charakter des absolutistischen Herrscherporträts jedoch in jenem berühmten Frontispiz zu Titmarsh (William Makepeace Thackeray) „The Paris Sketchbook“ (Abb. 18) gnadenlos in Frage gestellt werden: Der Zeichner wählt dafür das Bild des entkleideten und quasi
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Zur Datierung des Aachener ottonischen Evangeliars, in: Aachener Kunstblätter 32 (1966), S. 66-69, hier S. 68 f. KANTOROWICZ, Körper (wie Anm. 25), S. 87 ff. Zur tradierten Vorstellung, dass sich religiöse Wahrheiten nur in verhüllter bzw. verschleierter Form dem menschlichen Auge offenbaren, siehe Klaus KRÜGER, Das Bild als Schleier des Unsichtbaren. Ästhetische Illusion in der Kunst der frühen Neuzeit in Italien, München 2001, S. 15 f. (mit Literatur- und Quellenbelegen). Die Aussage Dominus dixit ut habitaret in nebula (1 Kg. 8,12) findet sich im Alten Testament an verschiedenen Stellen: 2 Chron. 6,1; 2 Mose 20,21; 5 Mose 4,11. Etenim neque possibile est, aliter lucere nobis divinum radium, nisi varietate sacrorum velaminum anagogice circumvelatum, et his, quae secundum nos sunt, providentia paterna connaturaliter et proprie praeparatum (Dionysius Areopagita, De caelesti hierarchia [Ioannis Scoti versio], I, 2 [Patrologiae cursus completus, series Latina, accurante Jacques-Paul MIGNE], Paris 1844-1851, Sp. 1035-1070, hier Sp. 1038). Siehe hierzu auch KRÜGER, Schleier (wie Anm. 27), S. 16 f., mit weiterer Literatur.
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nackten Sonnenkönigs, der sich dabei als ein dürres, kraftloses Männchen entpuppt. Eine solch schonungslose Bloßstellung mussten die sächsischen Kurfürsten im 16. Jahrhundert glücklicherweise noch nicht befürchten. Und so wird am Torgauer und Altenburger Rathauserker noch ganz ohne böse Vorahnung der französischen Revolution das Vorhang-Motiv geschickt in seiner traditionsreichen ikonographischen Bedeutung als verhüllendes und enthüllendes Element des Herrschers benutzt. Auf den ersten Blick mag zunächst nur der Eindruck des soeben hinter dem Vorhang hervorgetretenen Fürsten entstehen, der sich zusammen mit seiner Gemahlin den Blicken der Untertanen präsentiert. Doch darüber hinaus – und hier ganz in der soeben skizzierten theologisch-politischen Tradition stehend – wird mit diesem bildlichen Verfahren aber auch auf die besondere Medialität und Funktionsweise des Herrscherbildnisses verwiesen, dessen Status als effigies des abwesenden Herrschers in der zeremoniellen höfischen Praxis seine temporäre Verhüllung bzw. Enthüllung bedingte.29 Kommunikationsmedium einer abgestuften Distinktion des Fürsten: Das Schlosstor Das hier sichtbar werdende Moment der Distinktion, das den Regenten bei aller fürsorglichen Zuwendung zu seinen Untertanen doch auch in deutlicher Form als entrückt und unzugänglich ausweist, lässt sich anhand eines anderen Mediums herrschaftlicher symbolischer Kommunikation und Interaktion im residenzstädtischen Raum noch wesentlich stärker herausarbeiten. Es ist das Torgebäude, dessen Wirksamkeit sich im Bereich der Residenzstadt zum einen in Gestalt des Stadttores und zum anderen in Form des Schlosstores manifestiert und das nun im letzten Teil am Beispiel des Schlosstors Gegenstand der Analyse sein soll. Ähnlich wie bei den Rathauserkern werden auch bei den Schlosstoren von den fürstlichen Bauherren und ihren Architekten sowohl die Ausdrucksmöglichkeiten einer metaphorisch verstandenen Architektur als auch der allegorisch verschlüsselten Bildkünste genutzt. In ihrer grundlegenden aber auch einfachsten Gestalt besitzen diese Tore einen hochaufragenden, mit einer zentralen Durchfahrt und darüber liegenden Beobachtungsfenstern versehenen Baukörper, dessen Fassade in der Regel mit den heraldischen Zeichen des Schlossherrn versehen wurde. Auch hierfür bietet Torgau (Abb. 19) ein anschauliches Beispiel, dem als weitere Beispiele das stadtseitige Tor des Köthener Schlosses und des Neuen Schlosses in Baden-Baden ergänzend zur Seite gestellt werden können. Alle diese Torbauten schaffen mit ihrem wuchtigen Erscheinungsbild und dem demonstrativen Vorweisen der fürstlichen Wappen ein deutliches Moment der 29
Siehe hierzu EBERLEIN, Studien (wie Anm. 4).
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Distinktion und Abriegelung gegenüber dem Bereich des städtischen Raumes vor der sog. Schlossfreiheit. Damit erfüllen sie nicht nur funktional, sondern auch visuell eine zentrale Forderung der Hofordnungen für den Torwächterdienst. Beispielhaft für viele andere ähnlich formulierte deutsche Torwächterordnungen des 16. Jahrhunderts zitiere ich die für unser Thema zentralen Sätze aus des „Pörtners Ordnung“, die 1568 im Auftrag des badischen Markgrafen Karls II. für das Schloss in Durlach bei Karlsruhe abgefasst wurde: Der Portner sol bey seinem Aydt gutt Achtung und Uffsehens haben, daß niemands inn das Schloß gange dann, wer ordenlich darein gehörtt, doch ein jeder zu seiner Zeitt; und, wo jemands darfur kombt, der nit Hofgesindt ist, den sol er nit hineinlaßen, sonder ine befragen, was er wölle, und, zu wem er wölle, solches anzeigen. / Er soll auch sein vleißig uffsehen haben, daß niemandts nichts auß dem Schloß trag von Brott, Wein und anderm, und, so er das sieht, solches bey seinem Aydt annzeigen [...] / Item, der Thorwartt sol niemandt zwischen den Maalenn oder zu unordentlichen Zeitten uß[-] und einlaßen, one bevelch [...] / Item, der Thorwarth soll Abendts undt morgenns, wann man zublasenn hatt, die Porten beschließen undt one bevelch niemandes einlaßen, der zu spath fur die Portten kombt, sonder die Schlüßel alsbaldt dem Haußhoffmeister oder Hausvogt uberanttworten. / Item, er soll auch innsonderheit kein frömbden Botten one Bevelch des Hoffmeisters oder anderer, die ime Bevelch zu gebenn haben, einlaßen. / Als auch bißher sich vil beflißen, under dem schein, daß sie Milch, Krautth, Hüner, Visch oder Anders inn die Küchin zu tragen, in das Schloß [zu] schleichen, da man inen dann one bevelch eßen und drinckhen inn der Kuchin undt sonst gegeben, Deßgleichen die handtwercksleuth: deren keinen soll der Portner einlaße, sonder solches in der Kuchin anzeigen, dasjenig, so man bringt, vor der Portten zu holenn wißen; ußgenomen, so die Metzger fleisch tragen, Die soll er damitt hineinlaßenn. Damit aber dannoch inn die Kuchin komme, was darein gehört, sol jemandes daruff bescheidenn werdenn, der solche sach empfahe und hineintrage.30 Unmissverständlich wird in diesen Leitsätzen eines umfassenden Sicherheitsreglements für das fürstliche Schloss die Grenze definiert, die den Bereich des Residenzschlosses vom Bereich der bürgerlichen und handwerklich strukturierten Residenzstadt trennt. Innerhalb der fein abgestuften Übergänge vom zentralen, kaufmännischhandwerklich definierten Bereich einer Residenzstadt hin zum engeren höfischen Bereich des Schlosses als Regierungs-, Verwaltungs- und Wohnsitz des Fürsten war das Schlosstor gewissermaßen die empfindlichste Gelenkstelle, an der es die Autorität des Stadtherrn und des Schlossherrn gleichermaßen zu sichern galt. Ihre eindrücklichste symbolische Form hat diese abgestufte Hermetisierung des Fürsten innerhalb 30
Hofordnung des Markgrafen Karl II. von Baden-Durlach (1568), zit. nach Arthur KERN, Deutsche Hofordnungen des 16. und 17. Jahrhunderts (Denkmäler der deutschen Kulturgeschichte, Abt. 2), Bd. 2, Berlin 1907, S. 134 f.
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seiner Residenzstadt von der Hand Albrecht Dürers erfahren, der 1527 für den böhmischen und ungarischen König und kaiserlichen Statthalter im Reich, Ferdinand I., den idealisierten und formalisierten Entwurf einer königlichen Residenzstadt zeichnete (Abb. 20). Diesen Entwurf, in dem die torbesetzten Gelenkstellen einer Residenz besondere Beachtung erfuhren, hat Ulrich Schütte einer gedankenreichen Neuinterpretation unterzogen und eindrücklich auf die von Dürer postulierte Zusammengehörigkeit von Stadt und Schloss bei der Definition und Ausbildung einer Residenzstadt hingewiesen.31 Insgesamt erfüllte das Schlosstor innerhalb des Gesamtorganismus’ einer Residenzstadt sowohl eine integrierende als auch eine distinguierende Aufgabe. Dieser Bedeutung entsprechend, bekleidete der Inhaber des Torwärteramtes daher auch ein hochoffizielles Amt, dessen enge, vertrauensvolle Anbindung an den Fürsten besonders in der Vereidigung und dem sanktionierenden Strafmaß (Turmstrafe) zum Ausdruck gebracht wurde, wie sie auch in der teilweise zitierten baden-durlachschen Hofordnung Erwähnung finden. In dieser Hinsicht und in seiner Funktion als Torschließer und Torhüter war der Torwärter der Stellvertreter des Fürsten und lieh diesem gleichsam seinen wachsamen Blick auf das Geschehen an der Grenze zwischen Stadt und Schloss bzw. zwischen dem weiteren und dem engsten Bereich der höfischen Residenz. Für die Gestaltung des Torgebäudes selbst ergab sich daraus die Aufgabe, dem solchermaßen überhöhten, von funktionalen wie symbolischen Aspekten bestimmten Torwärterdienst das angemessene Gehäuse bereitzustellen. Ein Überblick über die verschiedenen Formen und Typen von Schlosstoren vermag zu zeigen, dass dabei in der Regel auf die Gestalt des Turmes zurückgegriffen wurde, selbst wenn es sich, wie etwa bei der Augustusburg in der Nähe von Chemnitz oder dem Aschaffenburger Schloss, nur um turmartige Aufsätze handelt.32 Die bevorzugte Wahl der Turmform erfolgte vor allem unter Berücksichtigung der mit ihr behafteten Bedeutungsmuster, die den Turm zur symbolischen Form für herrschaftliche Gerichtsbarkeit, Wehrhaftigkeit und die hiermit verbundene Tugend der Fortitudo werden ließen. In diese rechtlich und militärisch besetzte Zeichenhaftigkeit, die beim Schlosstor zunächst das Rechtsinstitut des Burgfriedens vergegenwärtigen soll,33 fügt sich der Aspekt der in den Hofordnungen formulierten patriarchalischen Wachsamkeit und Wehrhaftigkeit des Fürsten gegenüber Stadt und Land nahtlos ein. Es vermag daher nicht zu verwundern, dass sich die feine Differenzierung zwischen den einzelnen miteinander verschränkten Funktionsbereichen des Schlosstors in seiner äußeren Form grundsätzlich 31 32
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Ulrich SCHÜTTE, Militär, Hof und urbane Topographie. Albrecht Dürers Entwurf einer königlichen Stadt aus dem Jahre 1527, in: PARAVICINI/WETTLAUFER, Hof und Stadt (wie Anm. 12), S. 131-154. Siehe hierzu Matthias MÜLLER, Das Schloß als Bild des Fürsten. Herrschaftliche Metaphorik in der Residenzarchitektur des Alten Reichs (1470-1618) (Historische Semantik, Bd. 6), Göttingen S. 140-142. Siehe hierzu ebd., S. 232-235.
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nicht widerspiegelt, sondern der mit Elementen der Wehrarchitektur (wie Erker, Flankentürmchen und Zugbrücke) und der besitzanzeigenden Heraldik gestaltete Torturm die alles umfassende Grundform darstellt. Dennoch verfügen fast alle Schlosstore über ein Merkmal, durch das besonders der wachsame Blick des Schlossherrn, dessen Augen den Ein- und Ausgang des Schlosses kontrollieren, architektonisch zum Ausdruck gebracht wird. Es sind gesonderte Turmstuben, die sich über der Tordurchfahrt in einem der Obergeschosse der Torbauten befinden und nach außen hin durch Fenster in Erscheinung treten. Diese Räume dienten keineswegs, wie man annehmen könnte, dem Torwächter als Wohn- und Aufenthaltsort,34 sondern waren oftmals der herrschaftlichen Sphäre zugeordnet. So zeichnen sich die Oberräume des spätmittelalterlichen Torturms der Moritzburg in Halle (Abb. 21) durch aufwendige Gewölbebildungen und Vorhangbogenfenster aus und ist der Raum an der Spitze des Turmes nur über eine gesonderte Treppe zu erreichen. Im ersten Obergeschoss des 1619 veränderten Torgauer Schlosstors (Abb. 19) befand sich unmittelbar über der Tordurchfahrt das Appartement des Hofmarschalls und damit die Wohn- und Diensträume des ranghöchsten Beamten der fürstlichen Hofhaltung.35 Und in Güstrow lag über dem Schlosstor (Abb. 22) im ersten Obergeschoss eine unbeheizte, mit einer gewölbten Nische ausgestattete Kammer, die laut einer Quelle aus dem Jahr 1563 dem anschließenden herzoglichen Appartement zugeordnet war.36 Zwar ist ihre genaue Nutzung nicht geklärt und Stephan Hoppe möchte eine Funktion als Studierraum bzw. Schreibstube ausschlie-
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Die Wachstube mit zugehöriger Schlafkammer befand sich für gewöhnlich im Erdgeschoss des Torbaus. Siehe hierzu die mitteldeutschen Beispiele bei Stephan HOPPE, Die funktionale und räumliche Struktur des frühen Schloßbaus in Mitteldeutschland. Untersucht an Beispielen landesherrlicher Bauten der Zeit zwischen 1470-1570 (Veröffentlichungen der Abteilung Architekturgeschichte des Kunsthistorischen Instituts der Universität zu Köln, Bd. 62), Köln 1996. Dem herrschaftlichen Charakter dieses Appartements entsprach auch die Raumausstattung. Das Torgauer Inventar von 1610 erwähnt unter anderem das kurfürstliche Wappen an der Decke der Stube und ein Himmelbett in der Kammer. Siehe auch HOPPE, Struktur (wie Anm. 34), S. 233 f. Bei der Quelle handelt es sich um eine Abrechnung des Baumeisters Franz Parr, in dem der Torraum im Zusammenhang mit Stuckarbeiten an den Decken genannt wird. Der Auftrag lautete: die drey Decken in M.[eines] g.[nädigen] H.[errn] gemechern, Item der Cammer Jungker stueben neben dem Vorsahl vber dem thor mit decken vnd Anderm zierlich ausputzen. Mecklenburgisches Landeshauptarchiv Schwerin, Renterei-Register, Güstrower Register 1563-1564, zit. nach: Gerd BAIER, Stuckdekor und Stukkateure des 16. und 17. Jahrhunderts im Güstrower Schloß. Ein Vorbericht, in: Mitteilungen des Instituts für Denkmalpflege, Arbeitsstelle Schwerin, Nr. 19, Schwerin 1970, S. 108 f. Siehe zur Raumrekonstruktion auch Stephan HOPPE, Die ursprüngliche Raumorganisation des Güstrower Schlosses und ihr Verhältnis zum mitteldeutschen Schloßbau. Zugleich Beobachtungen zum „Historismus“ und zur „Erinnerungskultur“ im 16. Jahrhundert, in: Burgen und frühe Schlösser in Thüringen und seinen Nachbarländern (Forschungen zu Burgen und Schlössern, Bd. 5), München 2000, S. 134 f.
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ßen,37 doch ergeben sich durch die zentralen Ausblicke auf den Zufahrtsweg zum Schloss immerhin bemerkenswerte Parallelen zur Tradition von Torbauten französischer Schlösser. Dieser Bezug zum französischen Schlossbau lässt sich beim Güstrower Torturm auch in der architektonischen Form erkennen, der im Grundtypus auf Torbauten wie die Porte Dorée von Schloss Fontainebleau (Abb. 23) rekurriert. Auf eine im damaligen Alten Reich außergewöhnliche Weise wurde hier ein französischer Bautypus rezipiert, der in Frankreich seit Vincennes nach Ausweis der Quellen38 auch für die Verbildlichung des princeps sapiens, des weisen und wachsamen Herrschers stand. Auf diese Weise ist in Güstrow unter der Bauherrschaft von Herzog Ulrich III. von Mecklenburg und ausgeführt von seinem Architekten Franz Parr eine Torarchitektur entstanden, die im deutschen Schlossbau des 16. Jahrhunderts in architektonisch außergewöhnlich anspruchsvoller Form die traditionsreiche französische Vorstellung vom Herrscher als garde-clef et fermeure de chasteaux et citez et villez zu veranschaulichen versuchte. Mit diesen Worten lobte Christine de Pisan zu Beginn des 15. Jahrhunderts in ihrer Biographie über Karl V. von Frankreich die prudence des Königs und charakterisierte ihn als weisen Führer seines Volkes und Schlüsselverwahrer und Torschließer der Schlösser, Städte und Dörfer.39 Diesen hier von Christine de Pisan in ihrer Biographie über Karl V. literarisch formulierten Anspruch sollten in der Architektur die Schlosstore kommunizieren. Sie taten dies im Medium einer semantisch klar besetzten Architektursprache sowie im Medium einer nicht minder klaren heraldischen Sprache. Wie wir am Beispiel von Cranachs Kurfürstentriptychon (Abb. 3) gesehen hatten, vertraten und verkörperten die Wappen des Fürsten diesen selbst und ließen ihn in diesem Medium auch am Schlosstor, d. h. an der empfindsamen Grenze von höfischer Stadt und höfischem Schloss, quasi in effigie gegenwärtig sein. Möchten wir abschließend das institutionelle Verhältnis des fürstlichen Stadtherrn zu seinen in der Residenzstadt lebenden Bürgern in ein prägnantes Bild fassen und damit zugleich auch eine in den landesherrlichen Residenzstädten der beginnenden Frühen Neuzeit gängige Form der symbolischen Kommunikation verwenden, so sollten wir einen Blick nach Marburg werfen. Dort wurde 1524 anlässlich der Fertigstellung des neuen Rathauses ein prachtvoller Wappenstein (Abb. 24) in die Außenwand des Rathaustreppenturms eingelassen,40 der bis heute folgendes denkwürdige 37
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HOPPE, Raumorganisation (wie Anm. 36), S. 135. Statt dessen schlägt Hoppe eine Nutzung als herzoglichen Garderobenraum „im Sinne einer guarderobe im französischen bzw. italienischen Schloßbau oder aber ihre Belegung durch untergeordnete Diener des Herzogs“ vor. Christine de Pisan, Le livre des fais et bonnes meurs du sage roy Charles V, hrsg. von Suzanne SOLENTE, 2 Bde., Paris 1936, Bd. 2, S. 40. Ebd., S. 21 ff. und S. 27. Zum Wappenstein siehe Friedrich GORISSEN, Ludwig Jupan von Marburg, Düsseldorf 1969, S. 146 f.
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Motiv zeigt: Wir blicken in ein querschnittartig wiedergegebenes Gebäude, in dessen Obergeschoss, das von einem schmuckvollen Netzrippengewölbe überfangen wird, die hl. Elisabeth als Ahnfrau des hessischen Landgrafenhauses mit dem hessischen Landeswappen auf quadriertem Schild und dem Modell der Elisabethkirche thront. Für die Repräsentanz der bürgerlichen Stadt verbleibt hingegen nur das darunterliegende Kellergeschoss, unter dessen einfach gestaltetem Tonnengewölbe sich der Löwe mit den Marburger Stadtwappen sprichwörtlich kauern muss! Selbst wenn die im vornehmen Obergeschoss thronende hl. Elisabeth hier auch die Stadt und Land vereinende Landesmutter versinnbildlicht,41 so dominiert in der bildlichen Darstellungsform, die die Gestalt Elisabeths mit den heraldischen Insignien Landgraf Philipps des Großmütigen verbindet, doch unübersehbar das Moment fürstlicher Repräsentanz im städtischen Raum.
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Ebd., S. 147.
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Abb. 1 Wahlplakat der SPD mit Bundeskanzler Gerhard Schröder aus dem Bundestagswahlkampf 2005
Abb. 2 Ausschnitt aus Abb. 1
Abb. 3
Lucas Cranach, Kurfürstentriptychon (ca. 1535, Hamburg, Kunsthalle)
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Abb. 4 Ausschnitt aus Abb. 3: Bildnis Johann Friedrichs I. von Sachsen
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Abb. 5 Jan van Eyck, Madonna des Kanzlers Rolin (ca. 1434/35, Paris, Louvre)
Abb. 6
Rogier van der Weyden, Braque-Triptychon (1452, Paris, Louvre)
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Abb. 7 Piero della Francesca, rechte Tafel mit dem Bildnis Federicos da Montefeltro aus dem Porträtdiptychon des Federico da Montefeltro und der Battista Sforza (ca. 1471/74, Florenz, Uffizien)
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Abb. 8 Hans Weiditz, Porträt des jungen Kaisers Karls V. (Stich von 1519)
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Abb. 9 Torgau, Blick auf das Rathaus mit dem Ratserker
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Abb. 10 Torgau, Rathaus, Ratserker
Abb. 11 Altenburg, Rathaus, Ratserker
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Abb. 12 Torgau, Schloss, Ansicht von der Elbseite mit seitlichen Erkern (Zustand 2004)
Abb. 13 Torgau, Rathaus, Ratserker, Bildnis von Kurfürstin Anna von Sachsen
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Abb. 14 Jan van Eyck, Leal Souvenir (1432, London, National Gallery)
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Abb. 15 Andrea Mantegna, Hl. Marcus (ca. 1455, Frankfurt am Main, Städelsches Kunstinstitut)
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Abb. 16 Darstellung Ottos III. im Aachener Liuthar-Evangeliar, um 996
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Abb. 17 Hyacinthe Rigaud, Porträt Ludwigs XIV. (1701/02, Schloss Versailles)
Abb. 18 Ludwig XIV. auf dem Frontispiz zu Titmarsh (William Makepeace Thackeray) „The Paris Sketchbook“ (1840, London, British Library)
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Abb. 19 Torgau, Schloss, Außenansicht des inneren Schlosstors
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Abb. 20 Albrecht Dürer, Schloss des Königs, Grundriss der Befestigungswerke, aus: Albrecht Dürer, Etliche vnderricht/ zu befestigung der Stett/ Schlosz/ vnd flecken, Nürnberg 1527
Abb. 21
Halle, Moritzburg, Torturm
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Abb. 22 Güstrow, Schloss, Torturm im Westflügel
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Abb. 23 Fontainebleau, Porte Dorée, Außenansicht
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Abb. 24
Marburg, Rathaus, Wappenstein am Treppenturm
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Einzug, Weihe und erste Messe Symbolische Interaktion zwischen Bischof, Hof und Stadt im spätmittelalterlichen Konstanz Zugleich einige methodische Ergänzungen zu den Ergebnissen der aktuellen Adventusforschung Andreas Bihrer, Freiburg im Breisgau Bei den Konsekrationsfeierlichkeiten des Konstanzer Bischofs Hermann von Breitenlandenberg im Jahr 1466 kam beim abschließenden feierlichen Mahl für die geladenen Gäste Bärenfleisch auf den Tisch. Das Tier war einige Tage zuvor bei einer Bärenhatz erlegt worden, die mitten in der Stadt Konstanz auf dem Oberen Hof stattgefunden hatte, vor der bischöflichen Pfalz und der Kathedrale, auf dem zentralen Platz der Stadt, wo der Bischof Hof hielt oder die Bürger ihre Versammlungen durchführten.1 Ein solches Spektakel war auch für die Zeitgenossen, die dieses Ereignis notierten, ein eher außergewöhnlicher Bestandteil einer feierlichen Amtseinsetzung,2 die üblicherweise mit dem Einzug des Bischofs in die Stadt, mit dem feierlichen Empfang durch Bürger, Klerus, Hof und Gäste, der Weihe des neuen Ordinarius, der Übergabe von Geschenken und dem gemeinschaftlichen Festessen 1
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Chronicon Constantiense. Konstanzer Chronik von 307 bis 1466, in: Quellensammlung zur badischen Landesgeschichte, hrsg. von Franz Joseph MONE, Bd. 1, Karlsruhe 1848, S. 309-349, hier S. 349. Mit der Sigle REC werden im Folgenden die Regesten der Konstanzer Bischöfe zitiert, vgl. Regesta Episcoporum Constantiensium. Regesten zur Geschichte der Bischöfe von Constanz von Bubulcus bis Thomas Berlower 517-1496, hrsg. von der Badischen Historischen Commission, Bd. 1: 517-1293, bearb. von Paul LADEWIG und Theodor MÜLLER, Bd. 2: 1293-1383, bearb. von Alexander CARTELLIERI mit Nachträgen und Registern von Karl RIEDER, Bd. 3: 1384-1436, Bd. 4: 1436-1474, und Bd. 5: 1474-1480, bearb. von Karl RIEDER, Innsbruck 1895-1941. Nachlese zu den Konstanzer Bischofsregesten, hrsg. von Manfred KREBS, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 98 (1950), S. 181-283. Die Tierhatz innerhalb einer Stadt war eine im Mittelalter noch seltene Form der Jagd. Sie wird nicht erwähnt in: Jagd und höfische Kultur im Mittelalter, hrsg. von Werner RÖSENER (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 135), Göttingen 1997, und Werner RÖSENER, Die Geschichte der Jagd. Kultur, Gesellschaft und Jagdwesen im Wandel der Zeit, Düsseldorf und Zürich 2004.
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recht feste Formen besaß. Der Bär wurde gewiss nicht allein wegen seines Fleischs auf dem wichtigsten Platz der Stadt gejagt, der Bischof als Initiator verband mit diesem Akt symbolischer Interaktion eine ganz spezifische Aussage. Die ersten Einritte neu gewählter Ordinarien in ihre Bischofsstadt, vor allem aber die Einzüge der Könige und Kaiser haben schon lange das Interesse der Forschung geweckt: Anfangs beschäftigten sich mit dem Herrscheradventus die an Fragen der Stadtherrschaft oder der königlichen und fürstlichen Herrschaftspraxis interessierten Mediävisten und Frühneuzeithistoriker.3 Ab den 1980er Jahren verstand die von Themen der Nouvelle Histoire angeregte deutschsprachige Forschung die Herrschereinzüge als Feste, nun stand insbesondere die integrative Funktion solcher festlichen Ereignisse im Mittelpunkt der Studien.4 Nach dem „spatial turn“ auch in den Geschichtswissenschaften rückte die Rolle der Einzüge als zeichenhafte Aneignung von Raum in den Fokus des Interesses, Einritte verstand man als „symbolische Besetzung öffentlicher Räume“5 wie Straßen oder Plätze, und die Bedeutung des Einziehens durch Stadttore oder des Überschreitens von Brücken wurde hervorgehoben.6 3
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Zu den frühen Arbeiten zum Herrscheradventus gehören z. B. Anna Maria DRABEK, Reisen und Reisezeremoniell der römisch-deutschen Herrscher im Spätmittelalter (Wiener Dissertationen aus dem Gebiete der Geschichte, Bd. 3), Wien 1964, oder Winfried DOTZAUER, Die Ankunft des Herrschers. Der fürstliche „Einzug“ in die Stadt (bis zum Ende des Alten Reiches), in: Archiv für Kulturgeschichte 55 (1973), S. 245-288. Am umfassendsten untersuchte Tenfelde die Herrschereinzüge als Feste, vgl. Klaus TENFELDE, Adventus. Zur historischen Ikonologie des Festzugs, in: Historische Zeitschrift 235 (1982), S. 4584, und DERS., Adventus: Die fürstliche Einholung als städtisches Fest, in: Stadt und Fest. Zu Geschichte und Gegenwart europäischer Festkultur, hrsg. von Paul HUGGER, Stuttgart 1987, S. 4560. Zur integrativen Funktion mittelalterlicher Feste vgl. Peter JOHANEK, Fest und Integration, in: Feste und Feiern im Mittelalter, hrsg. von Detlef ALTENBURG, Jörg JARNUT und Hans-Hugo STEINHOFF, S. 525-540, bes. S. 525-526, oder Thomas ZOTZ, Die Stadtgesellschaft und ihre Feste, in: ebd., S. 201-213, hier S. 212. Vgl. auch die zahlreichen Artikel im Residenzenhandbuch zu Festen am Hof (Diverse Autoren, Feste und Feiern, in: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Bilder und Begriffe, hrsg. von Werner PARAVICINI, Teilbd. 1: Begriffe (Residenzenforschung, Bd. 15,2,1), Ostfildern 2005, S. 483-531) und den Sammelband zu städtischen Festen in anderen europäischen Regionen von Barbara HANAVALT und Kathryn L. REYERSON (Hrsg.), City and Spectacle in Medieval Europe (Medieval Studies in Minnesota, Bd. 6), Minneapolis und London 1994. Harriet RUDOLPH, „Stadtliche gemeinde und gewohnlich hofflager.“ Zum Verhältnis zwischen Stadt und Hof bei Herrscherbesuchen in der kursächsischen Residenz Dresden, in: Der Hof und die Stadt. Konfrontation, Koexistenz und Integration in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von Werner PARAVICINI und Jörg WETTLAUFER (Residenzenforschung, Bd. 20), Ostfildern 2006, S. 261-280, hier S. 261. Vgl. dazu die frühe Untersuchung zu räumlichen Aspekten des Kaisereinzugs am Beispiel Nürnbergs in der Frühneuzeit von Ulrich SCHÜTTE, Stadttor und Hausschwelle. Zur rituellen Bedeutung architektonischer Grenzen in der frühen Neuzeit, in: Zeremoniell und Raum, hrsg. von Werner PARAVICINI (Residenzenforschung, Bd. 6), Sigmaringen 1997, S. 305-324, hier S. 306-307.
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Thomas A. Brady formulierte in einer Ende der 1980er Jahre entstandenen Untersuchung, in der er am Beispiel des Einritts eines Straßburger Bischofs zur Reformationszeit den rituellen Charakter der Zeremonie heraushob, das Modell, das die gegenwärtige Deutung von Herrschereinzügen nachhaltig prägen sollte: Ihn interessierte das Verhältnis von Stadtherr und Bürgern (oder besser: und dem Rat), und er fasste die Zeremonien in die prägnante Formel „Riten der Unterwerfung, Riten der Autonomie“7. Brady hatte seinen Aufsatz vor allem als polemische Schelte der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft verfasst, der er vorwarf, sich im Gegensatz zur übrigen wissenschaftlichen Welt nicht der Erforschung von Ritualen zu widmen.8 Man könnte, wenn man die gegenwärtige deutsche Forschungslandschaft betrachtet, den Eindruck gewinnen, dass inzwischen alles getan wird, um Bradys Herausforderung zu begegnen. Wohl kaum ein Gegenstand, nennt man ihn Symbol, Ritual, Ritus, Zeremonie, symbolische Kommunikation oder Interaktion, wird in Deutschland momentan so angestrengt erforscht, an der Spitze stehen zahlreiche Sonderforschungsbereiche, daneben formierten sich Netzwerke, Forschergruppen und Graduiertenkollegs, außerdem entstanden zahlreiche Einzeluntersuchungen.9 Und so kommt die aktuelle Schwemme an neuen Studien zu Herrschereinzügen nicht überraschend,10 in erster Linie zum Adventus der Kaiser und Könige,11 inzwi7
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Thomas A. BRADY, Rites of Autonomy, Rites of Dependance: South German Civic Culture in the Age of Renaissance and Reformation, in: Religion and Culture in the Renaissance and Reformation, hrsg. von Steven OZMENT (Sixteenth Century Essays and Studies, Bd. 11), Kirksville 1989, S. 9-23, hier S. 9: „rites of autonomy, rites of dependance“. Ebd., S. 21-23. Einen Überblick zum Stand der Ritualforschung in der Mediävistik bietet Frank REXROTH, Rituale und Ritualismus in der historischen Mittelalterforschung. Eine Skizze, in: Mediävistik im 21. Jahrhundert. Stand und Perspektiven der internationalen und interdiszipliären Mittelalterforschung, hrsg. von Hans-Werner GOETZ und Jörg JARNUT (Mittelalterstudien, Bd. 1), München 2003, S. 391-406, zum Stand der Erforschung symbolischer Kommunikation des Mittelalters und der Frühneuzeit Barbara STOLLBERG-RILINGER, Zeremoniell, Ritual, Symbol. Neue Forschungen zur symbolischen Kommunikation in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, in: Zeitschrift für Historische Forschung 27 (2000), S. 389-405, dort auch die Nennung der zahlreichen Sonderforschungsbereiche und Graduiertenkollegs, vgl. ebd., S. 491-492. Zu Definitionen von Ritual und Zeremonie in der Forschung vgl. DIES., Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Begriffe – Thesen – Forschungsperspektiven, in: Zeitschrift für Historische Forschung 31 (2004), S. 489-527, hier S. 502-504. Vor einer ausufernden Benutzung des Ritualbegriffs warnte Klaus SCHREINER, Wahl, Amtsantritt und Amtsenthebung von Bischöfen. Rituelle Handlungsmuster, rechtlich normierte Verfahren, traditionsgestützte Gewohnheiten, in: Vormoderne politische Verfahren, hrsg. von Barbara STOLLBERG-RILINGER (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 25), Berlin 2001, S. 73-117, hier S. 76-77, der innerhalb seiner Untersuchung von bischöflichen Einzügen anmahnte, traditionsgestützte Gewohnheiten ohne Bedeutungen und Wirkungen, also folkloristisches Brauchtum, von rechtstechnischen Verfahren und von symbolischer Politik zu unterscheiden. Gerd Althoff spricht vom „gut erforschten Empfangszeremoniell sowohl der Herrscher wie der Landesherren im Spätmittelalter“ (Gerd ALTHOFF, Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft
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schen aber auch zum Einritt von Bischöfen12 – auf die Fragen nach der Form, den
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im Mittelalter, Darmstadt 2003, S. 173). Vgl. die Forschungsüberblicke und Literaturübersichten bei Werner PARAVICINI, Zeremoniell und Raum, in: DERS., Zeremoniell und Raum (wie Anm. 6), S. 11-36, hier S. 16; Michail A. BOJCOV, Qualitäten des Raumes in zeremoniellen Situationen: das Heilige Römische Reich, 14.-15. Jahrhundert, in: ebd., S. 129-153, hier S. 135; BRADY, Rites (wie Anm. 7), S. 11-12, Maureen C. MILLER, The Florentine Bishop’s Ritual Entry and the Origins of the Medieval Episcopal Adventus, in: Revue d’histoire ecclésiastique 98 (2003), S. 5-28, hier S. 10-15; Gerrit Jasper SCHENK, Zeremoniell und Politik. Herrschereinzüge im spätmittelalterlichen Reich (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters, Bd. 21), Köln, Weimar und Wien 2003, S. 15-46; Mark MERSIOWSKY und Ellen WIDDER, Der Adventus in mittelalterlichen Abbildungen, in: Der weite Blick des Historikers. Einsichten in Kultur-, Landes- und Stadtgeschichte. Peter Johanek zum 65. Geburtstag, hrsg. von Wilfried EHBRECHT u. a., Köln, Weimar und Wien 2002, S. 55-98, hier S. 55-57, oder zuletzt Harriet RUDOLPH, Entrée [festliche, thriumphale], in: PARAVICINI, Höfe und Residenzen (wie Anm. 4), Teilbd. 1, S. 318-323, hier S. 322-323. Einzüge waren im europäischen Ausland, so in England, Frankreich oder Italien, sogar noch häufiger ein Gegenstand der Forschung, vgl. RUDOLPH, Entrée (s. o.), S. 322. Zum Zeitpunkt des Abschlusses meines Manuskripts waren als Neuerscheinungen u. a. angekündigt: Formen der Integration und Distinktion in der frühneuzeitlichen Stadt, hrsg. von Horst CARL und Patrick SCHMIDT, Berlin 2006; Machträume der frühneuzeitlichen Stadt, hrsg. von Christian HOCHMUTH und Susanne RAU (Konflikte und Kultur, Bd. 13), Konstanz 2006; Adventusstudien, hrsg. von Peter JOHANEK und Gudrun TSCHERPEL, Köln 2008; André KRISCHER, Reichsstädte in der Fürstengesellschaft. Politischer Zeichengebrauch in der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2006; Die Ankunft des Anderen. Empfangszeremonien im interkulturellen und intertemporären Vergleich, hrsg. von Michael PESEK u. a., Frankfurt 2007; Gerrit Jasper SCHENK, Einzugsberichte, reichsstädtische, in: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Textband, hrsg. von Werner PARAVICINI (Residenzenforschung, Bd. 15,3), Ostfildern 2007; Harriet RUDOLPH, Das Reich als Ereignis. Formen und Funktionen der Herrscherinszenierung bei Kaisereinzügen (1558-1618), Köln 2010. Vgl. die umfassende Monographie zum Königseinzug im Spätmittelalter von SCHENK, Zeremoniell (wie Anm. 10). So wurden von der jüngeren Forschung meist einzelne Bischofseinzüge untersucht, so z. B. der Bischöfe von Augsburg: J. Jeffery TYLER, Lord of the Sacred City. The „episcopus exclusus“ in late medieval and early modern Germany (Studies in medieval and Reformation thought, Bd. 72), Leiden, Boston und Köln 1999, S. 140-145; André HOLENSTEIN, Die Huldigung der Untertanen. Rechtskultur und Herrschaftsordnung (800-1800) (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte, Bd. 36), Stuttgart und New York 1991, S. 441-444; Köln: Klaus MILITZER, Die feierlichen Einritte der Kölner Erzbischöfe in die Stadt Köln im Spätmittelalter, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 55 (1984), S. 77-116; André KRISCHER, Ceremonialia Coloniense. Zur symbolischen Konstitution kurfürstlicher Herrschafts- und reichsstädtischer Autonomieansprüche in Köln, in: PARAVICINI/WETTLAUFER, Hof und Stadt (wie Anm. 5), S. 327-346, hier S. 329-333; Magdeburg: Berent SCHWINEKÖPER, Der Regierungsantritt der Magdeburger Erzbischöfe, in: Festschrift für Friedrich von Zahn, Bd. 1: Zur Geschichte und Volkskunde Mitteldeutschlands, hrsg. von Walter SCHLESINGER, Köln und Graz 1968, S. 182-238; Riga: Hartmut BOOCKMANN, Der Einzug des Erzbischofs Sylvester Stodewescher von Riga in seinem Erzbistum im Jahre 1449, in: Zeitschrift für Ostforschung 35 (1986), S. 1-17; Speyer: Kurt ANDERMANN, Zeremoniell und Brauchtum beim Begräbnis und beim Regierungsantritt Speyerer Bischöfe. Formen der Repräsentation von Herrschaft im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Archiv für mittelrheinische
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Vorbildern und der Funktion oftmals mit den immer gleichen, zumindest mit ähnlichen Ergebnissen: Es sei bei den Einzügen – so der herrschende Konsens – ein kaum variiertes Schema, ein „Grundtyp“13 zur Anwendung gekommen, der erst in der Reformationszeit größere Änderungen erfahren habe.14 Des Weiteren stelle der Herrscheradventus eine Verbindung des spätantiken Empfangszeremoniells mit christlichen Vorstellungen dar, insbesondere der kaiserliche Einzug habe als Vorbild für den Einritt der Bischöfe und ab dem Spätmittelalter auch für den der weltlichen Landesherren gedient.15 Und drittens wurde der Herrschereinzug zumeist als kommunika-
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Kirchengeschichte 42 (1990), S. 125-177, hier S. 150-163; Gerhard FOUQUET, Das Festmahl in den oberdeutschen Städten des Spätmittelalters. Zu Form, Funktion und Bedeutung öffentlichen Konsums, in: Archiv für Kulturgeschichte 74 (1992), S. 83-123, hier S. 89-99; Straßburg: BRADY, Rites (wie Anm. 7), S. 15-19; Würzburg: SCHREINER, Wahl (wie Anm. 9), S. 98-102 oder Worms: ebd., S. 105-109. Diese Aufzählung ließe sich durch weitere vor allem ältere quellenkundliche, kirchenund kulturgeschichtliche Arbeiten verlängern. Mehrere Bischofsstädte bildeten den Untersuchungsgegenstand des von Peter Johanek in Münster geleiteten SFB-Projekts „Herrscherlicher und fürstlicher Adventus und bürgerliche Selbstdarstellung im Reich des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit“, das als Ergebnis eine Typologie des landesfürstlichen Adventus in seiner regionalen Differenzierung anstrebte. ALTHOFF, Macht (wie Anm. 10), S. 174. So konnte ein Einzug in den Einritt (HOLENSTEIN, Huldigung [wie Anm. 12], S. 435-460), das Schenken (ebd., S. 460-472) und das Mahl (ebd., S. 472-478) gegliedert sein. Zu einzelnen Bestandteilen wie den Begrüßungsgedichten und Prozessionshymnen vgl. Paul Gerhard SCHMIDT, Jubel und Resignation. Amtsjubiläen und Amtsniederlegungen von Bischöfen und Äbten in literarischen Texten des Mittelalters, in: Historische Zeitschrift 252 (1991), S. 541-557, hier S. 542-549, zur Spoliierung vgl. Alois NIEDERSTÄTTER, Königseinritt und -gastung in der spätmittelalterlichen Reichsstadt, in: ALTENBURG u. a., Feste und Feiern (wie Anm. 4), S. 491-500, hier S. 497, zur Weihe Odilo ENGELS, Der Pontifikatsantritt und seine Zeichen, in: Segni e riti nella chiesa altomedievale occidentale (Settimane di Studio del Centro italiano di Studi sull’alto Medioevo, Bd. 33), Spoleto 1987, S. 707-766, oder zum Mahl vgl. FOUQUET, Festmahl (wie Anm. 12), S. 89-99. Das Interesse der Forschung an der Wiederholung und Gleichförmigkeit ist in ihrem Verständnis des Einzugs als Ritual begründet, vgl. dazu den richtungsweisenden Aufsatz von DOTZAUER, Ankunft (wie Anm. 3), S. 258. Zur Veränderung der Einzugskultur durch oberitalienische und humanistische Einflüsse im 16. Jahrhundert vgl. RUDOLPH, Entrée (wie Anm. 10), S. 320. Zur Entwicklung des Adventus von der Antike zum Frühmittelalter vgl. u. a. DOTZAUER, Ankunft (wie Anm. 3), S. 245-253; TENFELDE, Ikonologie (wie Anm. 4), S. 48-55; oder Philipp BUC, The Dangers of Ritual. Between early Medieval texts and social scientific theory, Princeton und Oxford 2001, S. 37-44. Der königliche Einritt wurde meist als Vorbild für den bischöflichen Einzug gesehen (vgl. z. B. TYLER, Episcopus [wie Anm. 12], S. 125), die jüngere Forschung hat dieses Anhängigkeitsverhältnis aber in Frage gestellt, vgl. nur knapp Michail A. BOJCOV, Ephemerität und Permanenz bei Herrschereinzügen im spätmittelalterlichen Deutschland, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 24 (1997), S. 87-107, hier S. 90, und umfassend für die Einzüge von italienischen Bischöfen ab dem Hochmittelalter MILLER, Entry (wie Anm. 10). Zum Einritt des Landesherrn im Hoch- und Spätmittelalter vgl. DOTZAUER, Ankunft (wie Anm. 3), S. 253-263, und ALTHOFF, Macht (wie Anm. 10), S. 171-177. Es dürfte für zukünftige Forschungen lohnend sein, den bischöflichen Adventus separat zu untersuchen, denn beim Einzug eines weltlichen Fürsten
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tiver, als symbolischer Akt zwischen Stadtherr und Bürgergemeinde verstanden, als „Rechts- und Verfassungsakt“16, welcher der Form des Rituals bedurfte, um rechtswirksam zu werden. Durch, in und mit ihm konnte zwischen Stadtherr und Rat Herrschaft oder Autonomie befestigt oder relativiert, Konsens beschworen oder Gemeinschaft gestiftet werden.17 Normen und Werte wurden versinnbildlicht, die soziale Ordnung in der Stadt nicht nur abgebildet, sondern im Ritual geschaffen.18 Es liegt mir fern, diese Forschungsergebnisse kritisieren, in Frage stellen oder gar widerlegen zu wollen, es wäre ein Leichtes, diese Schlussfolgerungen auch am Beispiel der Einzüge der Konstanzer Bischöfe im Spätmittelalter ein weiteres Mal zu bestätigen. Mit der Bistumschronik des Konstanzer Ratsherrn Christoph Schulthaiß aus dem späten 16. Jahrhundert bietet diese Stadt sogar ein besonders aussagekräftiges Zeugnis:19 Schulthaiß begann seine Geschichte der Konstanzer Bischöfe als Kompilation älterer Chroniken, die Kleriker meist aus dem Umkreis des bischöflichen Hofs verfasst hatten. Bei der Darstellung der Regierungszeiten der Ordinarien ab dem späten 15. Jahrhundert setzte er jedoch einen eigenen, gegenüber seinen Vorlagen neuen Schwerpunkt: Nun stand die Konfrontation zwischen Bischof und Rat im Mittelpunkt, Schulthaiß interessierte sich dabei vor allem für die Einzüge der neu gewählten Ordinarien und die bei dieser Gelegenheit von ihnen zu leistenden Bestätigungen der städtischen Privilegien. Bei den letzten von Schulthaiß verfassten Bi-
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war der sakrale Aspekt deutlich geringer ausgeprägt, und der Königseinritt ähnelte eher der bischöflichen Huldigungsreise, da der König mehrere Reichsstädte auf seinem Umritt besuchte und diese nach kurzer Zeit wieder verließ. TENFELDE, Einholung (wie Anm. 4), S. 49. Diese Schlussfolgerung stand z. B. im Mittelpunkt der Arbeiten von DOTZAUER, Ankunft (wie Anm. 3), S. 253; HOLENSTEIN, Huldigung (wie Anm. 12), S. 434-444; oder zuletzt SCHREINER, Wahl (wie Anm. 9), S. 75. So wurden zuletzt in einem eigentlich dem Verhältnis von Stadt und Hof gewidmeten Sammelband die Einzüge in Bezug auf den „städtisch-fürstlichen Konflikt“ untersucht (KRISCHER, Konstitution [wie Anm. 12], S. 328), also auf den Gegensatz zwischen „kurfürstlicher Superiorität“ und „städtischer Freiheit“ hin in Blick genommen (ebd., S. 345). Die Adventus-Forschung betonte oftmals die Gegenseitigkeit und die Konsensherstellung bei Einzügen, vgl. z. B. HOLENSTEIN, Huldigung (wie Anm. 12), S. 442-444; SCHENK, Zeremoniell (wie Anm. 10), S. 509-510; oder SCHREINER, Wahl (wie Anm. 9), S. 116. Nach Gerd Althoff wurden zu diesen Anlässen hingegen nur „Konsensfassaden“ errichtet (ALTHOFF, Macht [wie Anm. 10], S. 176). Zuletzt wurde stärker die Demonstration von Herrschafts- oder Autonomieansprüchen innerhalb dieser Rituale herausgehoben, vgl. z. B. RUDOLPH, Verhältnis (wie Anm. 5), S. 262; oder KRISCHER, Konstitution (wie Anm. 12), S. 328. Zu weitergehenden Perspektiven der Ritualforschung vgl. STOLLBERG-RILINGER, Zeremoniell (wie Anm. 9), S. 399. Constanzer Bisthums-Chronik von Christoph Schulthaiß, hrsg. von Johann MARMOR, in: Freiburger Diöcesan-Archiv 8 (1874), S. 1-102. Zum Verfasser und dessen Umfeld vgl. Eugen HILLENBRAND, Die Chronik der Konstanzer Patrizierfamilie Schulthaiß, in: Landesgeschichte und Geistesgeschichte. Festschrift für Otto Herding zum 65. Geburtstag, hrsg. von Kaspar ELM, Eberhard GÖNNER und Eugen HILLENBRAND (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B: Forschungen, Bd. 92), Stuttgart 1977, S. 341-360.
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schofsviten äußerte sich der Konstanzer Ratsherr, gut versorgt mit Material der städtischen Kanzlei, fast nur noch zu den Einritten und den sich darum entspannenden Verhandlungen zwischen Bischof und Rat. Insgesamt umfasst diese Thematik fast ein Drittel seiner gesamten Chronik20 und spiegelt damit ein im 16. Jahrhundert gesteigertes Interesse der Bürger an den Einzügen des Ordinarius wider, das sich auch daran zeigt, dass der Konstanzer Rat zu dieser Zeit die bischöflichen Verschreibungen in einer repräsentativen Rechtshandschrift sammeln ließ.21 Im Folgenden soll aber ein anderer Aspekt in den Vordergrund gerückt werden, um das bisherige Bild zu ergänzen. Als Anregung dienen einige Beiträge der jüngeren Adventus-Forschung, die bislang noch kaum gewürdigt wurden. So hatte Michail Bojcov auf den Ereignischarakter der Einzüge, die Besonderheiten und insbesondere die Veränderung der Rituale aufmerksam gemacht, er nennt dies die „fortlaufende Singularisierung des Einzugsvorgangs“22. Statt einen idealtypischen Ablauf zu rekonstruieren, solle auf die Individualität jedes Einritts hingewiesen und die Formvielfalt des Herrscheradventus bedacht werden.23 Der bereits erwähnte Thomas A. Brady und in seinem Gefolge Jeffrey J. Tyler mit seinen Falluntersuchungen zu Konstanz und Augsburg betonten die spirituelle Dimension der Rituale und damit die sakrale Macht des Bischofs:24 Sie verstanden den Einzug als gleichermaßen herr20
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Schulthaiß, Bistumschronik (wie Anm. 19), S. 73-76 (Thomas Berlower), 76-79 (Hugo von Hohenlandenberg), 91-93 (Christoph Metzler), 94-101 (Markus Sittich von Hohenems). Diese detaillierten Schilderungen der Verhandlungen zwischen den Bischöfen und Räten in Konstanz sowie die schon lange edierte Bistumschronik selbst hätten eine wissenschaftliche Untersuchung verdient. In das große Kopialbuch der Stadt wurden bereits ab dem späten 15. Jahrhundert die Verschreibungen der Bischöfe aufgenommen, es fehlen aber die Urkunden Burkhards von Hewen von 1388 und Albrecht Blarers von 1407, also zwei der älteren Dokumente. In diesem Kopialbuch ist die Sammlung der Verschreibungen aber noch sehr unstrukturiert, die Urkundenabschriften sind weit verstreut verzeichnet, vgl. Konstanz, StadtA, A II 15, Bl. 36v-37r (1384), Bl. 136v-138r (1399), Bl. 41r-42r (1413), Bl. 44v-45r (1435), Bl. 59r-60r (1436), Bl. 96r-97v (1464) und Bl. 99r-100r (1466). Dies änderte sich im 16. Jahrhundert, als in einem um 1575 angelegten repräsentativ ausgestatteten Kopialbuch die Verträge zwischen Stadt und Bistum Konstanz zusammengestellt wurden. Die Verschreibungen wurden dabei in eine chronologische Ordnung gebracht, vgl. Konstanz, StadtA, G II 15 (ehemals A II 30), Bl. 30r-33r (1384), Bl. 34r-37v (1399), Bl. 42r-45v (1413), Bl. 46r-49v (1435), Bl. 50r-53v (1436), Bl. 54r-58r (1464), und Bl. 59r-62v (1466). Die Reihe der Verschreibungen schließt an die bedeutenden Urkunden aus der Zeit der großen Auseinandersetzungen zwischen Bischof und Stadt an, vgl. Bl. 1r-11r: Freyhaitt des Bischoffs und des Stiffts, mit Übersetzung (1155), Bl. 12r-14r: Richtungsbrieff (1255), Bl. 15r-16r: Verschreybung des Münzrechts (1325), Bl. 17r-22r: vermainte Freyhait (1357), und Bl. 23r-29v: Richtung (1372). BOJCOV, Ephemerität (wie Anm. 15), S. 91. Ebd., S. 88-89. Bojcov zielte dabei aber vor allem auf die lokal unterschiedlichen Ausprägungen der Einzüge, die er in den verschiedenen lokalen Traditionen und Rechtsverhältnissen begründet sah, vgl. ebd., S. 90-91. BRADY, Rites (wie Anm. 7), und TYLER, Episcopus (wie Anm. 12).
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schaftlichen und religiösen Akt, mit dem der eigentlich von den Bürgern als Stadtherr abgesetzte Bischof erneut in das Ringen um die Herrschaft eingriff. Brady und Tyler stellten die beachtliche Autorität der Ordinarien heraus, ja sahen einen Vorteil auf Seiten des Bischofs, da die Bürgergemeinde ihm bis zur Reformation auf religiösem Feld nichts Adäquates entgegensetzen konnte, da sie auf die „heiligen Riten“ keinen Zugriff besaß.25 Die beiden amerikanischen Historiker beleuchteten das Thema also nicht wie der Großteil der Forschung aus der Perspektive der erfolgreich nach Autonomie strebenden Bürger, sondern aus der Sicht des Bischofs.26 Doch auch sie und Bojcov interpretierten die Einritte vor dem Konflikt zwischen Stadtherr und Rat, erst wenige Verfasser haben auf weitere Konfliktlinien bei solchen Ritualen hingewiesen, so in älteren Aufsätzen Berent Schwineköper auf das Verhältnis von Landesherr und Untertanen in Magdeburg oder Hartmut Boockmann auf den Konflikt zwischen Bischof und Domherren in Riga.27 Diese vom Mainstream der Einzugsforschung abweichenden Blickrichtungen lassen sich gut mit aktuellen Forschungstendenzen in Verbindung bringen: So interessiert sich das hallische Projekt gerade nicht für das Verhältnis von Stadtherr und Rat,28 sondern für Bezie25
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BRADY, Rites (wie Anm. 7), S. 20; TYLER, Episcopus (wie Anm. 12), S. 4 und 170-171. Vgl. auch Edward MUIR, Ritual in Early Modern Europe (New Approaches to European History, Bd. 11), Cambridge 1997, S. 239-240, der diese Form aber eher als rein spirituelle denn als rechtliche Aussage wertete, vgl. ebd., S. 243. So hatte Kurt Andermann am Beispiel von Speyer gezeigt, wie es Rat und Bürgermeister gelang, ihre Herrschaftsauffassung zur Geltung zu bringen, und wie sich die Einzüge zu einem unwürdigen Zeremoniell zur Demütigung des Speyerer Bischofs entwickelten, vgl. ANDERMANN, Zeremoniell (wie Anm. 12), S. 167-168. SCHWINEKÖPER, Regierungsantritt (wie Anm. 12). Da Schwineköper den gesamten Amtsantritt untersuchte, spielte der Adventus nur eine untergeordnete Rolle in seiner Studie, vgl. ebd., S. 187190, 225-231. BOOCKMANN, Einzug (wie Anm. 12), S. 9-14; nur am Rand (ebd., S. 15-15) ging Boockmann auf das Verhältnis von Bischof und Bürgern beim Einzug ein. In der Stadtgeschichtsforschung wurde das Verhältnis von Bürgern und dem Bischof als Stadtherrn schon lange unter verfassungsgeschichtlicher Perspektive untersucht, eine Renaissance dieser Thematik begann ab den 1970er Jahren, als viele Fallstudien oder Beträge in Sammelbänden entstanden, vgl. z. B. Bischofs- und Kathedralstädte des Mittelalters und der frühen Neuzeit, hrsg. von Franz PETRI (Städteforschung Reihe A: Darstellungen, Bd. 1), Köln 1976; oder Stadt und Bischof, hrsg. von Bernhard KIRCHGÄSSNER und Wolfram BAER (Stadt in der Geschichte, Bd. 14), Sigmaringen 1988, und die Zusammenstellung bei Jörg WETTLAUFER, Zwischen Konflikt und Symbiose. Überregionale Aspekte der spannungsreichen Beziehung zwischen Fürstenhof und Stadt im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: PARAVICINI/WETTLAUFER, Hof und Stadt (wie Anm. 5), S. 19-33, hier S. 21-25. Zuletzt rückte dieses Forschungsfeld unter der Fragestellung nach Konfliktführung und Konsensfindung wieder neu in den Blickpunkt, vgl. z. B. Gudrun WITTEK, Einigkeit und Abgrenzung. Konfliktbewältigung durch Stadtbürgertum und Klerus in den Städten der Bistümer Halberstadt und Magdeburg im 13. und 14. Jahrhundert, in: Politische, soziale und kulturelle Konflikte in der Geschichte von Sachsen-Anhalt, hrsg. von Werner FREITAG, Klaus Erich POLLMANN und Matthias PUHLE (Studien zu Landesgeschichte, Bd. 1), Halle 1999, S. 57-77; Michael SCHOLZ, Konflikt und Koexistenz – Geistliche Fürsten und ihre Städte in Mitteldeutsch-
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hungen zwischen Stadt und Hof.29 Das Projekt geht von einer „strikten Abgrenzung“30 des herrschaftlich-hierarchisch strukturierten Hofs zur genossenschaftlich egalitären Stadt, von „zwei ganz verschiedenen, ja oft geradezu antagonistischen Systemen“31 aus, nimmt neben der Konfrontation auch Formen der „Koexistenz und partiellen Integration“32 in den Blick. Davon ausgehend schlägt das hallische Projekt die Untersuchung von Wechselbeziehungen vor, um auf diesem Weg ergründen zu können, wie sich durch Kontakt, Beeinflussung, Interaktion und soziale Vernetzung „die urbane Sonderform der Residenzstadt“33 entwickelte. Bei diesen Begegnungen nahmen, so eine der Ausgangsthesen, „die subtilen, aber äußerst wirksamen Formen symbolischen Handelns“34 eine wichtige Rolle ein.
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land im späten Mittelalter, in: ebd., S. 79-99, oder den Sammelband Bischof und Bürger. Herrschaftsbeziehungen in Kathedralstädten des Hoch- und Spätmittelalters, hrsg. von Uwe GRIEME, Nathalie KRUPPA und Stefan PÄTZOLD (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 206), Göttingen 2004. Die Hofforschung entwickelte ihr Interesse von den Residenzen her, anfangs oft von der Kunstgeschichte, später auch von der Herrscher-, Fürsten-, Bischofs- und Adelsgeschichte aus, vgl. z. B. Vorträge und Forschungen zur Residenzenfrage, hrsg. von Peter JOHANEK (Residenzenforschung, Bd. 1), Sigmaringen 1990; Residenzen. Aspekte hauptstädtischer Zentralität von der frühen Neuzeit bis zum Ende der Monarchie, hrsg. von Kurt ANDERMANN (Oberrheinische Studien, Bd. 10), Sigmaringen 1992; oder Südwestdeutsche Bischofsresidenzen außerhalb der Kathedralstädte, hrsg. von Volker PRESS (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B: Forschungen, Bd. 116), Stuttgart 1992, sowie insbesondere den Forschungsüberblick bei Matthias MEINHARDT und Andreas RANFT, Das Verhältnis von Stadt und Residenz im mitteldeutschen Raum. Vorstellung eines Forschungsprojektes der Historischen Kommission für Sachsen-Anhalt, in: Sachsen und Anhalt 24 (2002/2003), S. 391-405, hier S. 391-396. Inzwischen ist das Verhältnis von Stadt und Hof in Residenzstädten in den Mittelpunkt zahlreicher aktueller Forschungen gerückt, vgl. MEINHARDT/RANFT, Verhältnis (wie Anm. 28); Andreas RANFT, Residenz und Stadt, in: PARAVICINI, Höfe und Residenzen (wie Anm. 4), Teilbd. 1, S. 27-32; PARAVICINI/WETTLAUFER, Der Hof und die Stadt (wie Anm. 5), mit den Aufsätzen Werner PARAVICINI, und Andreas RANFT, Über Hof und Stadt, S. 13-17, WETTLAUFER, Konflikt (wie Anm. 28), und Andreas RANFT, Zusammenfassung, S. 513-522; oder: Ein zweigeteilter Ort? Hof und Stadt in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Susanne Claudine PILS und Jean Paul NIEDERKORN (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, Bd. 44), Innsbruck, Wien und Bozen 2005, zu Wien in der Frühneuzeit, darin auch der Überblick von Jörg WETTLAUFER, Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Erste Ergebnisse des Handbuchprojekts der ResidenzenKommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, S. 11-26. Zu Frankreich vgl. zuletzt La château et la ville. Conjonction, opposition, juxtaposition (XIe-XVIIIe siècle), hrsg. von Gilles BLIECK, Paris 2002, oder Château au ville, hrsg. von Anne-Marie COCULA (Scripta varia, Bd. 6), Paris 2002. RANFT, Residenz (wie Anm. 29), S. 29. RANFT, Zusammenfassung (wie Anm. 29), S. 514. Ebd. MEINHARDT/RANFT, Verhältnis (wie Anm. 28), S. 398. RANFT, Residenz (wie Anm. 29), S. 30.
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Vor dem Hintergrund dieser neuen Perspektiven lässt sich die folgende Ausgangsthese formulieren: Ein neu gewählter Bischof richtete sich mit seinen symbolischen Akten beim ersten Einzug nicht nur an die Bürger der Stadt, sondern auch an seinen Hof einschließlich des Domkapitels, zudem an die zahlreich bei solchen Anlässen anwesenden Kleriker der Diözese und an auswärtige Gäste, vielleicht desgleichen an seine Untertanen in den Besitzungen des Hochstifts, mit denen er jedoch vor allem bei seiner Huldigungsreise, seinem Umritt, Kontakt aufnahm.35 Somit dürften sich die Aussagen der verwendeten Rituale zwar in manchen Fällen an die Räte gerichtet haben und konnten auf den Konflikt um die Stadtherrschaft oder auf das Zusammenleben in der Stadt bezogen gewesen sein, aber vor diesem großen Publikum, vor diesem vielfältigen Adressatenkreis werden sie auch andere Bereiche betroffen haben. In der folgenden Falluntersuchung zu Konstanz soll deswegen gefragt werden, welche Absichten die neuen Ordinarien gegenüber Hof und Diözesanklerus ausdrückten, um so diese Aussagen neben die Bekundungen zur Stadtherrschaft stellen zu können.36 Auf die Inszeniertheit und die Variabilität von Ritualen war bereits hingewiesen worden,37 mit welch „reflektiertem Kalkül“38 sie in der Vormoderne eingesetzt wurden, ist seit einiger Zeit in den Blick der Forschung geraten.39 Deshalb sollen die Konstanzer Einzüge im Folgenden als einmaliges Ereignis in ihrem zeitgeschichtlichen Zusammenhang mit ihren aktuellen politischen und sozialen Bezügen betrachtet werden. Von dieser Perspektive aus müssen folglich die Einritte als individuelle Aussagen, als Zurschaustellung der Absichten des neu gewählten Bischofs verstanden werden, zugespitzt als politische Programme: als Stellungnahmen zu aktuellen Problemen, aber auch als Manifestationen langfristiger Vorhaben und als Demonstra35
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Zu Umritten frühneuzeitlicher Bischöfe bei ihrem Herrschaftsantritt, den „Huldigungsumritten“, vgl. HOLENSTEIN, Huldigung (wie Anm. 12), S. 436. Diese Reise durch das Territorium war besonders wichtig bei geistlichen Fürsten, da sich der Untertaneneid bei weltlichen Fürsten auch auf Nachkommen bezog, vgl. ebd., S. 437. Die Hofforschung beschäftigte sich zwar häufig mit Ritualen und insbesondere mit dem Zeremoniell, jedoch erst später mit dem Herrscheradventus, vgl. z. B. die Sammelbände Höfische Repräsentation. Das Zeremoniell und die Zeichen, hrsg. von Hedda RAGOTZKY und Horst WENZEL, Tübingen 1990; Zeremoniell als höfische Ästhetik im Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von Jörg Jochen BERNS und Thomas RAHN (Frühe Neuzeit, Bd. 25), Tübingen 1995; oder PARAVICINI, Zeremoniell und Raum (wie Anm. 6), die keine Studien zu Einzügen beinhalten. Eine Variabilität religiöser Rituale innerhalb der Einzugsfeierlichkeiten war jedoch durch die Grenzen ihrer liturgischen Form bestimmt, vgl. dazu MILLER, Entry (wie Anm. 10), S. 9. STOLLBERG-RILINGER, Kommunikation (wie Anm. 9), S. 492. Vgl. u. a. Gerd ALTHOFF und Ludwig SIEP, Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur französischen Revolution. Der neue Münsteraner Sonderforschungsbereich 496, in: Frühmittelalterliche Studien 34 (2000), S. 392-412, hier S. 392, oder Gerd ALTHOFF, The Variability of Rituals in the Middle Ages, in: Medieval Concepts of the Past. Ritual, Memory, Historiography, hrsg. von DEMS, Johannes FRIED und Patrick J. GEARY, Washington und Cambridge 2002, S. 71-87, hier S. 86.
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tionen der Grundeinstellungen der neuen Ordinarien vor einem großen Publikum. Modern gesprochen: Der Einzug des Bischofs war eine symbolisch formulierte Regierungserklärung, die an verschiedene Zielgruppen gerichtet war. Damit sollen bewusst bisherige Deutungen hinterfragt werden, welche die engen Grenzen der politischen Zeichensprache im oder durch das Zeremoniell betont hatten, da die Darstellung politischer Absichten die durch das Zeremoniell absichtlich herbeigeführte Verhaltenssicherheit gefährdet hätte. Politische Konkreta oder gar ernsthafte Differenzen seien, so eine Studie zum Herrschereinzug im Spätmittelalter, nicht in aller Öffentlichkeit und während der eher heiklen Situation eines Herrschereinzuges behandelt worden.40 Das Interesse der Forschung war lange nicht nur durch ihr vorrangiges Interesse an und von ihrer Sympathie für die bürgerliche Autonomiebewegung bestimmt worden, meist benutzte man überdies fast ausschließlich die städtische Chronistik und Verwaltungsschrifttum des Rats als Quellen. Im Folgenden sollen auch die Beschreibungen aus der Hand von Mönchen, Domherren und Kaplänen herangezogen werden. Allerdings ist es dabei fast nur möglich, sich auf Aussagen in der Geschichtsschreibung zu beziehen, denn zu den Konstanzer Einzügen des Spätmittelalters sind keine liturgischen und kaum juristische Texte oder Verwaltungsschrifttum verfasst worden oder erhalten geblieben41 sowie keine bildlichen Darstellungen überkommen.42 Selbstverständlich müssen der Blickwinkel, die Interessen und Aussageabsichten der Chronisten immer mitbedacht werden, zudem sollte in Erwägung gezogen werden, ob 40 41
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Vgl. SCHENK, Zeremoniell (wie Anm. 10), S. 510. Aus dem Mittelalter sind meist nur Augenzeugenberichte von Einritten überliefert, jedoch sind noch keine präzisen Instruktionen für Einzüge erhalten, vgl. BOJCOV, Ephemerität (wie Anm. 15), S. 94. Zur wichtigen Rolle der Liturgie beim bischöflichen Adventus ab dem Hochmittelalter, der genauen liturgischen Festlegung und Fixierung vgl. MILLER, Entry (wie Anm. 10), S. 9. Zu Prozessionen in Konstanz vgl. Helmut MAURER, Laienpfründe und Patriziat: Das Stäbleramt am Konstanzer Münster, in: Civitatum Communitas. Festschrift für Heinz Stoob zum 65. Geburtstag, hrsg. von Helmut JÄGER u. a. (Städteforschung, Reihe A: Darstellungen, Bd. 21), Köln und Weimar 1984, S. 622-629; und Christoph HEIERMANN, Die Gesellschaft „Zur Katz“ in Konstanz. Ein Beitrag zur Geschichte der Geschlechtergesellschaften in Spätmittelalter und früher Neuzeit (Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen, Bd. 37), Stuttgart 1999, S. 156-162; sowie zu Prozessionen im städtischen Bereich Andrea LÖTHER, Prozessionen in spätmittelalterlichen Städten. Politische Partizipation, obrigkeitliche Inszenierung, städtische Einheit (Norm und Struktur, Bd. 12), Köln, Weimar und Wien 1999. Bilder von den Einzügen der Konstanzer Bischöfe des Spätmittelalters sind nicht überliefert, lediglich die Altarsetzung Bischof Ottos von Sonnenberg wurde im frühen 16. Jahrhundert bildnerisch nachempfunden, vgl. Die Bischöfe von Konstanz, Bd. 1: Geschichte, hrsg. von Elmar L. KUHN u. a., Friedrichshafen 1988, S. 2. Diese Seltenheit ist für das Spätmittelalter nicht ungewöhnlich, vgl. BOJCOV, Ephemerität (wie Anm. 15), S. 94-98, und MERSIOWSKY/WIDDER, Adventus (wie Anm. 10), S. 97. Zur visuellen Darstellung von Einzügen im Mittelalter vgl. ebd., wo Bischöfe aber nur am Rand erwähnt und nicht separat untersucht werden.
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und inwieweit die Historiographen mit dem Wissen um die spätere Politik der Bischöfe den Ablauf der Einzüge entsprechend stilisierten. Schließlich muss im Auge behalten werden, dass in manchen Fällen vielleicht nur der Idealtyp eines Adventus und nicht das tatsächliche Geschehen wiedergegeben wurde.43 Am Beginn stehen die ältesten überlieferten Einzüge der Konstanzer Ordinarien aus der Mitte des 14. Jahrhunderts,44 die Untersuchung reicht bis zur eingangs erwähnten Bärenjagd 1466, da am Ende des 15. Jahrhunderts und in der Reformationszeit der Konflikt des Bischofs mit dem Rat für einige Zeit in den Mittelpunkt trat.45 43 44
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Vgl. zu dieser Tendenz BOJCOV, Ephemerität (wie Anm. 15), S. 99. Die Inthronisation von Bischöfen ist für das ostfränkisch-deutsche Reich erst nach der Mitte des 10. Jahrhunderts belegt, vgl. ENGELS, Pontifikatsantritt (wie Anm. 13), S. 726. Die Konstanzer Stadtchronistik setzte erst im späten 14. Jahrhundert, eine umfassendere Diözesangeschichtsschreibung erst im frühen 16. Jahrhundert ein. So unterliegt z. B. die Darstellung der Weihe Bischof Gebhards von Zähringen 1084 sicher einer späteren Stilisierung des Chronisten Gallus Öhem aus dem frühen 16. Jahrhundert, vgl. Gallus Öhem, Konstanzer Bistumschronik (Sankt Gallen, StiftsA, Bd. 339), S. 204r. Der Konstanzer Bistumsstreit ab 1475 und insbesondere die Regierungszeiten der Bischöfe vor und während der Reformation, Thomas Berlower und Hugo von Hohenlandenberg, wurden schon umfassender untersucht, vgl. Helmut MAURER, Geschichte der Stadt Konstanz, Bd. 1: Konstanz im Mittelalter, Teil 2: Vom Konzil bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts (Geschichte der Stadt Konstanz, Bd. 2), 2. Aufl. Konstanz 1996, und Martin BURKHARDT, Wolfgang DOBRAS und Wolfgang ZIMMERMANN, Geschichte der Stadt Konstanz, Bd. 3: Konstanz in der frühen Neuzeit. Reformation, Verlust der Reichsfreiheit, österreichische Zeit (Geschichte der Stadt Konstanz, Bd. 3), Konstanz 1991. Der Aufsatz will somit die bisherige Forschung ergänzen: Die Einzüge der Konstanzer Bischöfe kamen bislang nur bei Untersuchungen zu Auszug und Vertreibung der Ordinarien zur Sprache, vgl. hierzu TYLER, Episcopus (wie Anm. 12), und Andreas BIHRER, Winterthur als Bischofsstadt. Auszug, Aussperrung und Vertreibung von Konstanzer Bischöfen im Mittelalter, in: Zürcher Taschenbuch 124 (2004), 117-134. Tyler beschränkte sich weitgehend auf die Analyse des Adventus Heinrichs von Hewen 1436, vgl. ebd., S. 126-139, die anderen Einzüge erwähnte er nur kurz, da er zu diesen nur „brief accounts“ in der Chronistik gefunden habe, vgl. ebd., S. 126-127. Zu den Einzügen der Bischöfe Nikolaus von Frauenfeld und Nikolaus von Riesenburg vgl. BIHRER, Winterthur (siehe oben), zum Amtsantritt der Konstanzer Bischöfe der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts vgl. Andreas BIHRER, Der Konstanzer Bischofshof im 14. Jahrhundert. Herrschaftliche, soziale und kommunikative Aspekte (Residenzenforschung, Bd. 18), Ostfildern 2005, S. 451453. Die Konstanzer Stadtgeschichtsforschung ging nur am Rand auf Einritte von Bischöfen des Spätmittelalters ein, Maurer und Kramml hoben den königsgleichen Empfang heraus, der daran erinnert habe, dass die Stadt noch Bischofsstadt war. Peter F. KRAMML, Kaiser Friedrich III. und die Reichsstadt Konstanz (1440-1493). Die Bodenseemetropole am Ausgang des Mittelalters (Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen, Bd. 29), Sigmaringen 1985, S. 216; MAURER, Geschichte 1,2 (s. o.), S. 90-91. Schuster verstand die Einzüge hingegen lediglich als „symbolische Handlung“, die an den „verblichenen Status des Bischofs als Stadtherrn“ erinnert habe; im Mittelpunkt hätten nur „Höflichkeitsbekundungen und das Rituelle“ gestanden. Peter SCHUSTER, Eine Stadt vor Gericht. Recht und Alltag im spätmittelalterlichen Konstanz, Paderborn u. a. 2000, S. 279. Zu Einritten von Königen in Städte des Bodenseeraums vgl. Alois NIEDERSTÄTTER, Ante Portas. Herrscherbesuche am Bodensee 839-1507, Konstanz 1993, und DERS., Königseinritt (wie
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Bei den vier Konstanzer Bischöfen der Mitte des 14. Jahrhunderts lässt sich eine programmatische Aussage zu Beginn ihrer Regierungszeit besonders gut fassen, wohl auch deshalb, weil in drei der vier Fälle der gut informierte und an der Politik der Ordinarien interessierte Domherr Heinrich von Dießenhofen von den Einzügen berichtete.46 Bischof Nikolaus von Frauenfeld wollte durch die Einforderung von Geschenken von den Klöstern zu seiner erste Messen Mitte 1337 zum einen wohl die Abkehr von der finanziellen Misswirtschaft seines Vorgängers ankündigen und deutlich machen, dass er die Konsolidierung der bischöflichen Finanzen anstrebte.47 Zum anderen formulierte Nikolaus seinen Anspruch auf die Oberhoheit und Kontrolle der geistlichen Institutionen in seinem Bistum. Allerdings unterlag er in dieser Machtprobe den Klöstern und vor allem dem regionalen Adel, der durch Straßensperren verhinderte, dass den Bischof etwaige Abgaben erreichten.48 Sein Nachfolger Ulrich Pfefferhard trat sein Amt an, als der Konflikt zwischen Kaiser und Papst das Leben in der Diözese bestimmte. Der neue Bischof führte bei seinem Einzug die papsttreuen Dominikaner, welche von den kaiserlichen Konstanzer Bürgern vertrieben worden waren, wieder in die Stadt ein.49 Mit dieser Nutzung seines Rechtsanspruchs, beim ersten Einritt Vertriebene wieder in die Stadt zurückführen zu dürfen,50
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Anm. 13), Beispiele für den Herrscherempfang am Oberrhein bei Heinz KRIEG, Der feierliche Herrscherempfang, in: Spätmittelalter am Oberrhein, Teil 2: Alltag, Handwerk und Handel 13501525, Bd. 2: Aufsatzband, hrsg. von Sönke LORENZ und Thomas ZOTZ, Stuttgart 2001, S. 405-417, hier S. 406-409. Zu Heinrich von Dießenhofen vgl. Peter MORAW, Politische Sprache und Verfassungsdenken bei ausgewählten Geschichtsschreibern des deutschen 14. Jahrhunderts, in: Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im späten Mittelalter, hrsg. von Hans PATZE (Vorträge und Forschungen, Bd. 31), Sigmaringen 1987, S. 695-726; Brigitte HOTZ, Die Truchsessen von Dießenhofen und das Konstanzer Domkapitel zu Beginn des Großen Schismas, in: Itinera 16 (1994), S. 60-73; und BIHRER, Bischofshof (wie Anm. 45), S. 523-530. Zu Bischof Nikolaus von Frauenfeld und insbesondere zur Datierung seines Einzugs vgl. BIHRER, Winterthur (wie Anm. 45); Andreas BIHRER, Der Kaiser vor Meersburg. Politik und Handlungsspielräume Ludwigs des Bayern in Schwaben (1330-1338), in: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung 123 (2005), S. 3-32, und DERS., Der erste Bürgerkampf. Zur Verfassungs- und Sozialgeschichte der Stadt Konstanz in der Mitte des 14. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 153 (2005), S. 181-220. Die Chronik Johanns von Winterthur. Chronica Iohannis Vitodurani, hrsg. von Friedrich BAETHGEN (MGH Scriptores rerum Germanicarum, N. S. Bd. 3), 2. Aufl. Berlin 1955, S. 167. Johann von Winterthur schilderte diese Episode nicht, um die Legitimität des Bischofs anzugreifen, sondern um exemplarisch dessen vermeintliche Habgier zu demonstrieren. Heinricus Dapifer de Diessenhofen, Chronik, in: Fontes Rerum Germanicarum. Geschichtsquellen Deutschlands, hrsg. von Johann Friedrich BÖHMER, Bd. 4: Heinricus de Diessenhofen und andere Geschichtsquellen Deutschlands im späteren Mittelalter, hrsg. von Alfons HUBER, Stuttgart 1868, S. 16-126, hier S. 49-50. Vgl. zu Begnadigungen von Ausgewiesenen, die im Gefolge des Bischofs oder Königs in die Stadt eingezogen waren, und zur unterschiedlichen Rechtspraxis SCHUSTER, Stadt (wie Anm. 45),
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mit dieser symbolischen Handlung provozierte er die Bürger und positionierte sich als strenger Verfechter der päpstlichen Politik. Dieser letzte Aspekt dürfte für Ulrich im Vordergrund gestanden haben, denn er war nach einer Wahl, bei der sich die Stimmen der Domherren auf vier Anwärter verteilt hatten, und erst nach langen Verhandlungen Bischof geworden. Anfangs hatte Pfefferhard sich kaiserlicher Hilfe versichern wollen und war zu Ludwig dem Bayern gereist, später wechselte er die Seite, um die päpstlich gesinnten Domherren von seiner Kandidatur zu überzeugen. Mit seinem Einzug stellte Ulrich sich also eindeutig in das päpstliche Lager, vielleicht musste er auch eine Forderung seiner neuen Unterstützer umsetzen.51 Johann Windlock, der auf Pfefferhard folgende Konstanzer Bischof, nutzte nicht seinen Einritt, sondern seine erste Messe für eine spektakuläre programmatische Festlegung: Windlock kündigte an, die Teilnahme von nicht tonsurierten Domherren an der Messe zu verbieten, worauf diese den Besuch des Gottesdiensts demonstrativ und provozierend verweigerten.52 Mit diesem Paukenschlag machte Windlock seine rücksichtslose Reformpolitik gegen den verweltlichten Klerus öffentlich, wobei er in erster Linie die Domherren und Amtsträger am Hof im Blick hatte. Kurze Zeit später wurde der Bischof unter bis heute ungeklärten Umständen ermordet.53 Zu dieser Bluttat nahm sein Nachfolger Heinrich von Brandis Stellung, als er, wieder das bischöfliche Begnadigungsrecht beim Einzug fordernd, gemeinsam mit den Mördern seines Vorgängers die Stadt betrat, so die Formulierung Heinrichs von Dießenhofen.54 Brandis rehabilitierte damit die Gegner Windlocks und machte zugleich deutlich, dass er dessen Reformen nicht fortzuführen gedachte. Indem er aber kurz nach seiner ersten Messe den Leichnam seines Vorgängers in die Kathedralkirche umbetten ließ,55 bekundete Heinrich, dass er mit allen Seiten Frieden zu schließen gedachte: Sein Amtsantritt sollte der Beginn einer neuen Epoche der Eintracht sein. Das Zielpublikum der vier vorgestellten Bischöfe, vor allem Johann Windlocks und Heinrichs von Brandis, bildete also der bischöfliche Hof und insbesondere die Domherren und
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S. 278-285, der auch auf die Einzüge Heinrichs von Brandis, Nikolaus’ von Riesenburg und Heinrichs von Hewen eingeht. Zu Ulrich Pfefferhard vgl. Andreas BIHRER, Ein Bürger als Bischof: Der Konstanzer Bischof Ulrich Pfefferhard (1345-1351), sein Hof und die Stadt, in: Fürstenhöfe und ihre Außenwelt. Aspekte gesellschaftlicher und kultureller Identität im deutschen Spätmittelalter, hrsg. von Thomas ZOTZ (Identitäten und Alteritäten, Bd. 16), Würzburg 2004, S. 201-216. Heinrich von Dießenhofen, Chronik (wie Anm. 49), S. 91-92. Zu Johann Windlock und dessen Ermordung vgl. Andreas BIHRER, Die Ermordung des Konstanzer Bischofs Johann Windlock (1351-1356) in der Wahrnehmung der Zeitgenossen und der Nachwelt, in: Bischofsmord im Mittelalter. Murder of bishops, hrsg. von Natalie M. FRYDE und Dirk REITZ (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 191), Göttingen 2003, S. 335-392. Heinrich von Dießenhofen, Chronik (wie Anm. 49), S. 110. Ebd., S. 111.
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Amtsträger, in den Einzugsritualen nahmen die neuen Ordinarien damit dezidiert Stellung zu aktuellen Herausforderungen. Heinrich von Brandis verlor in einer der letzten großen Auseinandersetzungen des Stadtherrn mit der Bürgergemeinde weitere wichtige Rechte.56 Folglich stand unter seinen beiden Nachfolgern, Nikolaus von Riesenburg und Burkhard von Hewen, bei deren Einzug auch die Neuordnung der Herrschaftsverhältnisse in der Stadt im Rahmen des unter Heinrich geschaffenen Status quo eine zentrale Rolle.57 Dies schlug sich allerdings nicht in den Einzugsritualen nieder, sondern nur in den Verschreibungen, den Privilegienbestätigungen vor dem Rat, die von diesem Zeitpunkt an jeder neue Konstanzer Bischof zu leisten hatte.58 Die im Ritual ausbleibende Bezugnahme 56
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Zum Konflikt zwischen Heinrich von Brandis und der Stadt Konstanz vgl. Rüdiger SCHELL, Die Regierung des Konstanzer Bischofs Heinrich III. von Brandis (1357-1383) unter besonderer Berücksichtigung seiner Beziehungen zur Stadt Konstanz, in: Freiburger Diöcesan-Archiv 88 (1968), S. 102-204; Klaus D. BECHTOLD, Zunftbürgerschaft und Patriziat. Studien zur Sozialgeschichte der Stadt Konstanz im 14. und 15. Jahrhundert (Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen, Bd. 26), Sigmaringen 1981, S. 128-130, Helmut MAURER, Geschichte der Stadt Konstanz, Bd. 1: Konstanz im Mittelalter, Teil 1: Von den Anfängen bis zum Konzil (Geschichte der Stadt Konstanz, Bd. 1), 2. Aufl. Konstanz 1996, S. 211-218, SCHUSTER, Stadt (wie Anm. 45), S. 29-31; und TYLER, Episcopus (wie Anm. 12), S. 46-50. Zu Nikolaus von Riesenburg vgl. Brigitte DEGLER-SPENGLER, Die Bischöfe [des Spätmittelalters], in: Helvetia Sacra, Bd. 1,2,1: Das Bistum Konstanz, Basel und Frankfurt am Main 1993, S. 274-376, hier S. 232-327, und Eckart Conrad LUTZ, Spiritualis fornicatio. Heinrich Wittenwiler, seine Welt und sein „Ring“ (Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen, Bd. 32), Sigmaringen 1990, S. 47-50, zur Doppelwahl zuletzt Andreas BIHRER, Die Stadt Kaiserstuhl im Spätmittelalter (1294-1415). Handlungsspielräume und Funktionen einer Kleinstadt im Aargau, in: Argovia 118 (2006), S. 73-104, hier S. 86-87. Zu Burkhard von Hewen vgl. DEGLER-SPENGLER, Bischöfe (siehe oben), S. 333-336, und LUTZ, Spiritualis fornicatio (siehe oben), S. 50-57. Überlieferung der Verschreibungen: Nikolaus von Riesenburg am 14. Juni 1384 (Karlsruhe, GLA 5/7186 = REC 3, Nr. 6952, abgedruckt in: Das alte Konstanz in Schrift und Stift. Die Chroniken der Stadt Konstanz, hrsg. von Philipp RUPPERT, Konstanz 1891, S. 323-327), Burkhard von Hewen am 14. August 1388 (Karlsruhe, GLA 5/7188 = REC 3, Nr. 7176), Marquard von Randegg am 25. April 1399 (Karlsruhe, GLA 5/7189 = REC 3, Nr. 7589), Albrecht Blarer am 14. Januar 1407 (Karlsruhe, GLA 5/7190 = REC 3, Nr. 8003), Otto von Hachberg am 21. März 1413 (Karlsruhe, GLA 5/7191 = REC 3, Nr. 8340), Friedrich von Zollern am 4. Mai 1435 (Karlsruhe, GLA 5/7199 = REC 3, Nr. 9656), Heinrich von Hewen am 24. Dezember 1436 (Karlsruhe, GLA 5/7200 = REC 4, Nr. 9867), Burkhard von Randegg am 3. Juli 1464 (Karlsruhe, GLA 5/7202 = REC 4, Nr. 12867) und Hermann von Breitenlandenberg am 22. Dezember 1466 (Karlsruhe, GLA 5/7204 = REC 4, Nr. 13193). Eine Untersuchung der Verschreibungen der Konstanzer Bischöfe ist ein dringendes Desiderat, entgegen der älteren Einschätzung in der Forschung differieren die Urkunden durchaus, so unterschieden sie sich z. B. in Ausstellungsort, sozialem Rang der Zeugen und zeitlichem Abstand zum Einzug, ja zum Teil sogar im Wortlaut, vgl. dazu erste Hinweise bei Gisela MÖNCKE, Bischofsstadt und Reichsstadt. Ein Beitrag zur mittelalterlichen Stadtverfassung von Augsburg, Konstanz und Basel, Diss. Berlin 1971, S. 206, und TYLER, Episcopus (wie Anm. 12), S. 70-72 und 136. Außerdem dürfte es lohnend sein, auch die Rolle des bischöflichen Hofs in den Verschreibungen zu untersuchen. Im Zentrum der stadtgeschichtlichen Forschung stand bislang der rechtsge-
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betraf desgleichen die Burgrechtsverträge, welche die beiden Bischöfe mit dem Rat für fünf bzw. zehn Jahre abschlossen, um ihr rechtliches Verhältnis auf eine neue Basis zu stellen.59 Stattdessen waren die Inszenierungen der Amtsantritte Nikolaus’ wie Burkhards von der Demonstration ihres rechtmäßigen Anspruchs auf die Bischofswürde geprägt. Der Riesenburger war vor dem Hintergrund des Abendländischen Schismas als auswärtiger Kandidat ins Rennen gegangen und hatte die Zustim-
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schichtliche Aspekt, insbesondere die Frage, ob die Bürger dem Bischof im Gegenzug einen Treueid zu leisten hatten, vgl. zustimmend Walter DANN, Die Bischofsbesetzung des Bistums Konstanz vom Wormser Konkordat bis zur Reformation, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 100 (1952), S. 3-96, hier S. 58; Wilhelm BENDER, Zwinglis Reformationsbündnisse. Untersuchungen zur Rechts- und Sozialgeschichte der Burgrechtsverträge eidgenössischer und oberdeutscher Städte zur Ausbreitung und Sicherung der Reformation Huldrych Zwinglis, Zürich und Stuttgart 1970, S. 55, Peter Johann SCHULER, Bischof und Stadt vor Beginn der Reformation in Konstanz, in: Kontinuität und Umbruch. Theologie und Frömmigkeit in Flugschriften und Kleinliteratur an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, hrsg. von Josef NOLTE (Spätmittelalter und Frühe Neuzeit, Bd. 2), Stuttgart 1978, S. 300-315, hier S. 303, Brigitte DEGLER-SPENGLER, Geschichte – Das Bistum vom 13. bis zum 15. Jahrhundert, in: Helvetia Sacra, Bd. 1,2,1: Das Bistum Konstanz, Basel/Frankfurt am Main 1993, S. 92-122, hier S. 116; oder MAURER, Geschichte 1,2 (wie Anm. 45), S. 90, ablehnend hingegen MÖNCKE, Bischofsstadt (s. o.), S. 206, oder Peter F. KRAMML, Konstanz: Das Verhältnis zwischen Bischof und Stadt, in: KUHN, Bischöfe (wie Anm. 43), Bd. 1, S. 288-298, hier S. 292. Die Verschreibung Nikolaus’ von Riesenburg hatten KRAMML, Verhältnis (s. o.), S. 292, DEGLER-SPENGLER, Geschichte (s. o.), S. 116, MAURER, Geschichte 1,1 (wie Anm. 56), S. 224, SCHUSTER, Stadt (wie Anm. 45), S. 30, als Niederlage, TYLER, Episcopus (wie Anm. 12), S. 71, DANN, Bischofsbesetzung (s. o.), S. 52, MÖNCKE, Bischofsstadt (s. o.), S. 216-217, und LUTZ, Spiritualis fornicatio (wie Anm. 57), S. 49, als Erfolg des Bischofs gewertet. Bei einer zukünftigen Untersuchung wird es notwendig sein, die Verschreibung in ihren Gesamtkontext einzuordnen, so schloss Nikolaus am 26. Oktober einen Burgrechtsvertrag mit Zürich (REC 3, Nr. 6988) und erhielt am 14. Mai 1386 eine königliche Bestätigung der alten Ansprüche seines Vorgängers Heinrichs von Brandis, die den Konflikt mit den Bürgern ausgelöst hatten (REC 3, Nr. 7028). Burgrechtsverträge mit Konstanzer Bischöfen: Mangold von Brandis nach dem 27. Januar und vor dem 14. Juni 1384 als erwelter Bischof zu Costentz für fünf Jahre mit zwei Spießen (Konstanz, StadtA, A IV 1 (ältestes Bürgerbuch), Bl. 10v = REC 3, Nr. 6757, abgedruckt in: Bürgerannahme vom 13. bis 18. Jahrhundert, hrsg. von Franz Joseph MONE, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 8 (1857), S. 1-71, hier S. 56), Nikolaus von Riesenburg am 2. Juli 1384 für fünf Jahre mit zehn Spießen (Konstanz, StadtA, A IV 1 (ältestes Bürgerbuch), Bl. 11r (der letzte Satz ist ein späterer Nachtrag) = REC 3, Nr. 6955, abgedruckt in: Bürgerannahme (s. o.), S. 56, auch bei Christoph Schulthaiß, Collectaneen, Bd. 1: 203 bis 1498 (Konstanz, StadtA, A I 8-1), Bl. 18r, vgl. zum Kontext auch REC 3, Nr. 6954, 6956 und 6963) und Burkhard von Hewen am 14. August 1388 für 10 Jahre mit fünf Spießen (Konstanz, StadtA, A IV 1 (ältestes Bürgerbuch), Bl. 15r-v = REC 3, Nr. 7177, abgedruckt in: Bürgerannahme (s. o.), S. 56-57, auch bei Schulthaiß, Bistumschronik (wie Anm. 19), S. 51-52, und Schulthaiß, Collectaneen (s. o.), Bl. 46v. Die Forschung betonte bislang vor allem die Gleichwertigkeit der Partner, vgl. BENDER, Reformationsbündnisse (wie Anm. 58), S. 59-64; SCHULER, Bischof (wie Anm. 58), S. 303; oder SCHUSTER, Stadt (wie Anm. 45), S. 30.
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mung nur weniger Domherren gewonnen. Es sollte über ein Jahr, geprägt von auch militärischen Auseinandersetzungen, dauern, bis sich Nikolaus gegenüber seinem Gegner durchgesetzt hatte. Burkhard hatte zwar bei seiner Wahl die Mehrheit der Domherren hinter sich versammelt, bei ihm bedurfte es ebenfalls über ein Jahr an Verhandlungen an einer der päpstlichen Kurien, um ihm den Bischofsstuhl zu sichern. Die für Nikolaus von Riesenburg prekäre Situation zeigt sich bereits darin, dass er, um schnellstmöglich die Bischofsstadt zu erreichen, einen anderen Einzugsweg wählte als den gemeinhin üblichen. Außerdem waren einige der Konstanzer dem neuen Ordinarius gewappnet entgegen gezogen.60 Bereits in der offiziellen Version jedoch, die der Rat nur wohl wenige Tage später in das Bürgerbuch aufnehmen ließ, wird betont, dass der Empfang gerade nicht von den etablierten Gewohnheiten abgewichen hätte (als gewonlich ist); von der Ausnahmesituation des Einzugs, von Neuerungen wie der Verschreibung, die Nikolaus am Tag seines Adventus beurkundete, oder vom Konflikt zwischen Bischof und Bürgern um die Ausgewiesenen, die den Bischof bei dessen Einritt begleitet hatten,61 ist nicht die Rede.62 Indem auch die Chronisten bei ihren Schilderungen der Einzüge von Nikolaus wie später von Burkhard63 den Jubel, die breite Anerkennung, die Würdigkeit der neuen Amtsträger und den regelkonformen Vollzug der Riten betonten,64 präsentierten sie die beiden 60
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Chronik des Johannes Stetter/Chronik des Gebhard Dacher, in: RUPPERT, Konstanz (wie Anm. 58), S. 93. Im folgenden sprechen die Chronisten aber ausdrücklich davon, dass der Bischof erlich und herlich eingeführt wurde; es geschah ihm von den Konstanzer Bürgern vil er und würdigkait. Der Rat hatte am 23. Juni 1384 beschlossen, dass alle ehemals Ausgewiesenen am nächsten Sonntag die Stadt wieder zu verlassen hatten, es sei denn, es wäre eine Genugtuung ausgehandelt worden, vgl. Vom Richtebrief zum Roten Buch. Die ältere Konstanzer Ratsgesetzgebung. Darstellung und Texte, hrsg. von Otto FEGER (Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen. Neue Folge der Konstanzer Stadtrechtsquellen, Bd. 7), Konstanz 1955, Nr. 86. Dieser Beschluss wurde zumindest in einem Fall auch umgesetzt, vgl. ebd. Nr. 205. Bischoff Nyclaus: anno d. 1384 in vigilia Vitis et Modestis, der ward an ainem zinstag, do empfiengent [in] der burgermaister und der rat und fürtent bischoff Nyclausen in. Ze Krützlingen begegent si im an der brugge mit dem hailtum als gewonlich ist. Konstanz, StadtA, A IV 1 (ältestes Bürgerbuch), Bl. 11r = REC 3, Nr. 6955. Vom Amtsantritt Burkhards von Hewen am 19. August 1388 berichten nur zwei Quellen: Nota Burkardus episcopus de Hewen fuit introductus Constancia quarta feria ante [korrekt: post] assumpcionem beate virginis anno 88 ab incarnatione Domini. Chronik Hermanns von der Reichenau, Handschrift aus dem späten 11. Jahrhundert der Reichenau in Karlsruhe, Notiz des späten 14. Jahrhunderts auf Bl. 31, nach Herimanni Augiensis Chronicon, hrsg. von Georg Heinrich PERTZ, in: MGH SS 5, Hannover 1844, S. 67-133, hier S. 71, und ÖHEM, Bistumschronik (wie Anm. 44), S. 289. Mit Nikolaus von Riesenburg beginnt die Reihe der spätmittelalterlichen Konstanzer Bischöfe, die nun gewöhnlich im Münster geweiht wurden. Bei der Schilderung seiner Weihe wird erstmals der Ritus der Altarsetzung in Konstanz erwähnt, vgl. Stetter, Chronik/Dacher, Chronik (wie Anm. 60), S. 93. Umfassend zu den ab dem 14. Jahrhundert zahlreich belegten Altarsetzungen von Königen und Bischöfen Médard BARTH, Das „Setzen auf den Altar“ als Inthronisation weltlicher und kirch-
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Bischöfe als die jeweils richtigen Amtsinhaber.65 Auch wenn die Legitimität des neuen Ordinarius bei Einzügen stets eine zentrale Rolle spielte, war die Inszenierung dieser beiden Einritte gewiss genau darauf zugespitzt gewesen: die wichtigsten Zielgruppen der beiden anfechtbaren Kandidaten waren die Domherren als Wähler, außerdem der gesamte Hof und der Klerus in der Diözese, daneben die Bischofsstadt als symbolischer Ort und als Machtfaktor im Ringen um die Vorherrschaft im Bistum. Das Legitimitätsdefizit der beiden Anwärter bedurfte in besonderem Maß des Ausgleichs durch symbolische Kommunikation, die Loyalität ihnen gegenüber wurde durch Anwesenheit oder Beteiligung an den performativen Akten ausgedrückt. Berichte über den Adventus Marquards von Randegg, einem Kandidaten, der vom Papst gegen den ausdrücklichen Willen des Konstanzer Domkapitels eingesetzt worden war, sind nicht überliefert.66 Dies gilt ebenfalls für die Bischöfe des ersten Drittels des 15. Jahrhunderts, für Albrecht Blarer, Otto von Hachberg und Friedrich von Zollern.67 Alle drei empfingen nicht die Bischofsweihe, und möglicherweise veranstalteten sie auch keinen festlichen Einzug.68 Mit ihnen trat außerdem die Legitimitätsdemonstration zu Beginn der
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licher Würdenträger, mit besonderer Berücksichtigung des rheinischen Raumes, in: Archives de l’Église d’Alsace 30 (1964), S. 53-63; Reinhold SCHNEIDER, Bischöfliche Thron- und Altarsetzungen, in: Papstgeschichte und Landesgeschichte. Festschrift für Hermann Jakobs zum 65. Geburtstag, hrsg. von Joachim DAHLHAUS u. a. (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte, Bd. 39), Köln, Weimar und Wien 1995, S. 1-15; BOJCOV, Ephemerität (wie Anm. 15), S. 89; und SCHREINER, Wahl (wie Anm. 9), S. 101-104. Zu Nikolaus von Riesenburg vgl. aus bürgerlicher Perspektive Stetter, Chronik/Dacher, Chronik (wie Anm. 60), S. 93, Chronicon Constantiense (wie Anm. 1), S. 324 (et introductus fuit Constanciam cum magna reverentia), oder Schulthaiß, Collectaneen (wie Anm. 59), Bl. 18r. In den Bistumschroniken wird der Aspekt der Legitimität noch stärker zugespitzt, so in den Erweiterungen Gallus Öhems gegenüber seiner Vorlage, außerdem erwähnt er nicht die gerüsteten Bürger, vgl. ÖHEM, Bistumschronik (wie Anm. 44), S. 277, mit gleicher Tendenz Graf Wilhelm Werner von Zimmern, Konstanzer Bistumschronik (Gießen, UB, Hs. 469, Bl. 1-192), Bl. 132v-133r, oder SCHULTHAIß, Bistumschronik (wie Anm. 19), S. 49-50. Zu Marquard von Randegg vgl. DEGLER-SPENGLER, Bischöfe (wie Anm. 57), S. 337-340. Am 1. April 1399 ist Marquard in Gottlieben nachweisbar (REC 3, Nr. 7582), er leistete am 25. April 1399 die Verschreibung (REC 3, Nr. 7589) und ist am 16. Mai 1399 erstmals in Konstanz belegt (REC 3, Nr. 7592). Zu Albrecht Blarer vgl. DEGLER-SPENGLER, Bischöfe (wie Anm. 57), S. 340-343; und Andreas BIHRER, Konstanz und die Appenzellerkriege. Zu Gestaltungszielen, Konfliktaustragung und Konsensfindung von Stadt und Bischof, in: Die Appenzellerkriege – eine Krisenzeit am Bodensee?, hrsg. von Peter NIEDERHÄUSER und Alois NIEDERSTÄTTER (Forschungen zur Geschichte Vorarlbergs, Bd. 7), Konstanz 2006, S. 81-115, hier S. 105-114, zu Otto von Hachberg vgl. Udo JANSON, Otto von Hachberg (1388-1451), Bischof von Konstanz, und sein Traktat „De conceptione beatae virginis“, in: Freiburger Diöcesan-Archiv 88 (1968), S. 205-358, und DEGLER-SPENGLER, Bischöfe (wie Anm. 57), S. 343-348, und zu Friedrich von Zollern, ebd., S. 349-351. Zur Ablehnung der Bischofsweihe durch Albrecht Blarer vgl. BIHRER, Appenzellerkriege (wie Anm. 67), S. 113-114, durch Otto von Hachberg vgl. JANSON, Otto (wie Anm. 67), S. 222, und
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Amtszeit in den Hintergrund, denn zum ersten Mal seit 1274 hatte es nach dem Tod Marquards 1406 keinen Konflikt bei der Auswahl des Bischofs oder Doppelwahlen gegeben. Diese Phase der unproblematischen Sukzession sollte bis 1474 anhalten. Heinrich von Hewen, 1436 einstimmig zum Bischof gewählt, grenzte sich bei seinem Einzug ostentativ von seinen drei ungeweihten Amtsvorgängern ab, zugleich reagierte er auf das im 15. Jahrhundert stärker geistlich geprägte Rollenbild eines Ordinarius.69 Sein Einritt, von zahlreichen Chronisten so detailliert wie kein anderer spätmittelalterlicher Konstanzer Einzug geschildert,70 war eine großartige Inszenierung. Mit ihr betonte der neue Bischof sein geistliches Amt, seinen sakralen Status, vor allem nutzte er die christologischen Bezüge des Einzugrituals, um sich als neuen Christus darzustellen.71 Nicht zufällig ritt Heinrich an Heiligabend ein, seine erste Messe zelebrierte er am ersten Weihnachtsfeiertag und sein erstes Hochamt an Ostern,72 was seit 40 Jahren, wie die Chronisten bemerkten, nicht mehr geschehen sei. Als neuer Heiland, als Fürst des Friedens, wie er sich in Bezugnahme auf die Jesajaprophezeihung nannte, stilisierte sich Heinrich auch in späteren Jahren, so zum Beispiel als er als Friedensstifter den Alten Zürichkrieg beenden wollte. Da sein, nach dem Urteil
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durch Friedrich von Zollern vgl. REC 3, Nr. 9767. Alle drei Bischöfe leisteten die Verschreibung, aber bei keinem von ihnen wird von einer Weihe oder einem Einzug berichtet. Zu Friedrich von Zollern schreibt Christoph Schulthaiß sogar bei der Schilderung von dessen Wahl explizit: Darnacht was er nit ingefürn. Schulthaiß, Collectaneen (wie Anm. 59), Bl. 136r. Zu Heinrich von Hewen vgl. KRAMML, Friedrich III. (wie Anm. 45), S. 216-220, DEGLERSPENGLER, Bischöfe (wie Anm. 57), S. 351-356, und zuletzt Andreas BIHRER, „Ein fürst des fridens“. Vermittlungsbemühungen und Selbstinszenierung des Konstanzer Bischofs Heinrich von Hewen (1436-1462), in: Ein „Bruderkrieg“ macht Geschichte. Neue Zugänge zum Alten Zürichkrieg, hrsg. von Peter NIEDERHÄUSER und Christian SIEBER (Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Bd. 73), Zürich 2006, S. 154-165. Zum Einzug vgl. bereits TYLER, Episcopus (wie Anm. 12), S. 126-136. Besonders ausführlich in Chronik des Claus Schulthaiß, in: RUPPERT, Konstanz (wie Anm. 58), S. 270-285, hier 276-277, und Chronik des Gebhard Dacher, ebd., S. 191-194, davon abhängig Chronicon Constantiense (wie Anm. 1), S. 339, Zimmern, Bistumschronik (wie Anm. 65), Bl. 151v-152r, Schulthaiß, Collectaneen (wie Anm. 59), Bl. 140r-141r, oder Schulthaiß, Bistumschronik (wie Anm. 19), S. 58-60, zu weiteren Erwähnungen vgl. BIHRER, Vermittlungsbemühungen (wie Anm. 69), S. 161. Die Anspielung in Herrschereinzügen auf die erste Ankunft Christi auf Erden an Weihnachten, auf dessen Einzug an Palmsonntag und am Ende der Zeit wurde von der Forschung schon lange herausgestellt, vgl. DRABEK, Reisen (wie Anm. 3), S. 78-79, oder DOTZAUER, Ankunft (wie Anm. 3), S. 262-263. Zu Christusanalogien in bildlichen Darstellungen von Einzügen vgl. MERSIOWSKY/ WIDDER, Adventus (wie Anm. 10), S. 67. Zu diesen Analogien bei Heinrich von Hewen vgl. bereits TYLER, Episcopus (wie Anm. 12), S. 126-127. Für Bischofseinzüge wurden oft hohe Festtage gewählt, um den Christusbezug zu stärken, vgl. RUDOLPH, Entrée (wie Anm. 10), S. 320.
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der Zeitgenossen, „elender Friede“ den Konflikt aber nur verschärfte,73 verzichtete Heinrich von Hewen in der übrigen Amtszeit auf weitere Christusbezüge.74 Auch bei Heinrichs Nachfolger, Burkhard von Randegg, lässt sich die Nutzung des Einzugs für programmatische Aussagen besonders gut fassen,75 denn dieser betonte ebenfalls die geistlichen Aufgaben seines Bischofsamts, nun jedoch nicht mehr durch Christusanalogien, sondern indem der ehrgeizige Klosterreformer seinen Einzug und seine Weihe mit einer gleichzeitig von ihm einberufenen Bistumssynode verband.76 Durch die Synode war dem neuen Ordinarius ein großes und prominentes Publikum bei seinem Einzug gewiss,77 da die wichtigsten Vertreter des Diözesanklerus in Konstanz weilen mussten. Zugleich ist ab diesem Zeitpunkt sicher belegt, dass die Weihe von einem auswärtigen Bischof vorgenommen wurde, der gesamte Adventus entwickelte sich zu einem immer größeren Fest, das in das ganze Bistum ausstrahlen und auch über die Diözese hinaus wirken sollte. Diese Praxis übernahm sein Nachfolger Hermann von Breitenlandenberg,78 der sich ebenfalls vom Basler Bischof weihen
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Das Zitat nach: Die Klingenberger Chronik, wie sie Schodoler, Tschudi, Stumpf, Guilliman und Andere benützten, nach der von Tschudi besessenen und vier anderen Handschriften zum erstenmal ganz, und mit Parallelen aus gleichzeitigen ungedruckten Chroniken, hrsg. von Anton HENNE VON SARGANS, Gotha 1881, S. 327. Vgl. dazu BIHRER, Vermittlungsbemühungen (wie Anm. 69), S. 156-158. Zu Burkhard von Randegg vgl. KRAMML, Friedrich III. (wie Anm. 45), S. 220-221, und DEGLERSPENGLER, Bischöfe (wie Anm. 57), S. 356-358. Die Geschichtsschreiber erwähnten nie den Einzug, sondern immer nur Weihe und Synode, vgl. Dacher, Chronik (wie Anm. 70), S. 241-242, Chronicon Constantiense (wie Anm. 1), S. 346-347, als davon abhängige Beschreibungen vgl. Schulthaiß, Collectaneen (wie Anm. 59), Bl. 170r, und Schulthaiß, Bistumschronik (wie Anm. 19), S. 68. Diese enge Verbindung der Weihe mit der Synode betonten auch die Chronisten, denn sie integrierten z. T. ihre Berichte zur Synode in die Schilderungen der Weihe, Gebhard Dacher nannte zudem das Wirken Burkhards als Klosterreformer, vgl. Dacher, Chronik (wie Anm. 70), S. 241-242, Chronicon Constantiense (wie Anm. 1), S. 346-347. Rudolf von Montfort lud zu einer Synode vom 30. August bis zum 1. September 1327 ein (REC 2, Nr. 4142), von Burkhard von Hewen (REC 3, Nr. 7544) und Marquard von Randegg (REC 3, Nr. 7990) sind nur die Statuten erhalten. Otto von Hachberg veranstaltete zwischen März und vor dem 2. August 1423 eine Synode (REC 3, Nr. 9003) und Friedrich von Zollern vom 30. Mai bis zum 1. Juni 1435 (REC 3, Nr. 9661-9662); Heinrich von Hewen lud auf den 10. Juli 1441 ein (REC 4, Nr. 10472-10473), bereits am 6. November 1438 hatte er Statuten erlassen (REC 4, Nr. 10199). Die regelmäßige Abhaltung von Synoden an einem Sommertermin hatte sich also wohl ab Burkhard von Hewen, sicher ab Otto von Hachberg etabliert. Erst Burkhard von Randegg am 5. Juli 1463 (REC 4, Nr. 12704-12705) und Hermann von Breitenlandenberg am 6. Juli 1467 (REC 4, Nr. 13295) aber verbanden die Diözesansynode mit ihrem Einritt. Zu den Konstanzer Bistumssynoden im Spätmittelalter vgl. Konstantin MAIER, Die Konstanzer Diözesansynoden im Mittelalter und in der Neuzeit, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 5 (1986), S. 53-70, hier S. 56-61. Zu Hermann von Breitenlandenberg vgl. KRAMML, Friedrich III. (wie Anm. 45), S. 221-223, und DEGLER-SPENGLER, Bischöfe (wie Anm. 57), S. 358-360.
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ließ.79 Seine erste Messe hielt er am Konradstag ab, dem Festtag seines heiligen Amtsvorgängers, nur kurze Zeit später hielt er ebenfalls eine Diözesansynode ab. Mit der Erweiterung der Speisenfolge, wodurch die Bärenjagd in die Einzugsfeierlichkeiten integriert wurde, unterstrich Hermann noch stärker den Festcharakter seines Amtsantritts, zugleich seinen adeligen Habitus und damit die weltliche Seite seines Amts, seinen fürstlichen Rang – gegenüber Stadt, Hof und Klerus, aber auch gegenüber seinen fürstlichen Standesgenossen. Bereits unter seinem Vorgänger war der Konflikt um die Stadtherrschaft wieder stärker in den Vordergrund getreten, Burkhard hatte erst nach langen Verhandlungen die geforderte Verschreibung unterzeichnet und dabei substantielle Veränderungen des Rechtsinhalts durchsetzen können.80 Diese Auseinandersetzung sollte bei den folgenden Einzügen der Konstanzer Bischöfe bis zur Reformationszeit im Mittelpunkt stehen. Im Rückgriff auf einige besonders innovative Ansätze zur Erforschung von Herrschereinritten sowie mit Bezug auf die Fragen und ersten Antworten des hallischen Forschungsprojekts wurde anhand des Fallbeispiels Konstanz darzustellen versucht, wie vielfältig Intentionen, Adressaten und Repräsentationen symbolischer Interaktionen bei Einzügen des Bischofs in die Residenzstadt Konstanz waren: Die vier Bischöfe der Mitte des 14. Jahrhunderts formulierten im Einzug ihr politisches Programm, nahmen sehr präzise und explizit Stellung zu zentralen Herausforderungen ihrer Regierungszeit. Bei den drei Ordinarien, die um 1400 regierten, stand die Legitimitätsproblematik im Mittelpunkt. Die drei Amtsträger zu Beginn des 15. Jahrhunderts verzichteten auf eine Weihe und damit wohl auch auf einen Einzug. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts nutzten drei Ordinarien ihren Einritt, um ihr geistlich geprägtes 79
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Brief Hermanns von Breitenlandenberg an den Papst (REC 4, Nr. 13241), Dacher, Chronik (wie Anm. 70), S. 255-256, Chronicon Constantiense (wie Anm. 1), S. 349; Gregor Mangolt: Konstanzer Stadtchronik, Redaktion A (Konstanz, StadtA, A I 3), Bl. 18v; Schulthaiß, Collectaneen (wie Anm. 59), Bl. 171v; Schulthaiß, Bistumschronik (wie Anm. 19), S. 68. In keiner der Chroniken wird der Einzug Hermanns erwähnt, bei allen stehen die Weihe und die erste Messe im Mittelpunkt. Zur ersten Messe vgl. auch die offizielle Version des Rats in Konstanz, StadtA, A II 15 (großes Kopialbuch der Stadt Konstanz, Konstanz), Bl. 97v, und StadtA, G II 15 (ehemals A II 30) (Verträge zwischen Stadt und Bistum Konstanz), Bl. 63r = REC 4, Nr. 13187. Zum Konflikt um die Verschreibung unter Burkhard von Randegg vgl. KRAMML, Friedrich III. (wie Anm. 45), S. 221, und KRAMML, Verhältnis (wie Anm. 58), S. 294. Zum Verhältnis von Bischof und Bürgern im 15. Jahrhundert und zu deren alltäglichen Konflikten z. B. um Privilegien der Kleriker oder Gerichtsrechte des Bischofs in der Stadt vgl. BENDER, Reformationsbündnisse (wie Anm. 58), S. 84-91, SCHULER, Bischof (wie Anm. 58), S. 304, und MAURER, Geschichte 1,2 (wie Anm. 45), S. 93; zum ab Bischof Thomas Berlower nun grundsätzlich werdenden Streit um die Stadtherrschaft, der sich auch in Auseinandersetzungen um die Verschreibungen zeigte, BENDER, Reformationsbündnisse (wie Anm. 58), S. 89, und DEGLER-SPENGLER, Geschichte (wie Anm. 58), S. 116-117. Zu solchen Konfliktfeldern in anderen Städten vgl. WETTLAUFER, Konflikt (wie Anm. 28), S. 21-25.
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Bischofsideal zu propagieren, zugleich weiteten sie ihren Amtsantritt zu einem immer größeren Fest aus, das daneben über die Diözese hinaus ausstrahlen sollte. Ab dem Ende des 15. Jahrhunderts schob sich der Konflikt mit dem Rat in den Vordergrund. Die Verweise auf Einzüge vorheriger Amtsträger waren dann besonders stark, wenn sie zeitlich relativ kurz aufeinander folgten, so bei den kontrastiven programmatischen Aussagen der Bischöfe Pfefferhard, Windlock und Brandis, bei der Legitimitätsdemonstration der Ordinarien Riesenburg und Hewen oder bei der Verbindung mit der Synode bei Randegg und Breitenlandenberg. Die Zielgruppen der rituellen Akte des Bischofs bildeten neben den Bürgern und besonders den Räten auch (und in einigen Fällen in erster Linie) der Hof einschließlich des Domkapitels, der dortigen Kleriker und Verwaltungsbeamten sowie der Klerus der Diözese. Darauf wies nicht nur die Analyse der Aussagen und des intendierten Zielpublikums der Konstanzer Bischöfe bei ihren Einzügen hin, sondern dies reflektierten bereits die zeitgenössischen Chronisten: Während im 14. Jahrhundert meist noch formelhaft von Klerus und Volk die Rede war,81 wurden im 15. Jahrhundert die Aufzählungen detaillierter. Dabei nannten die Historiographen Ämter am Hof wie das eines Weihbischofs oder Marschalls, oder sie führten nun häufiger bei Auswärtigen deren genauen Herkunftsort an.82 In dieser Zeit trat die Beschreibung des großen Publikums, das alle sozialen Gruppen umfasst habe und die zum Teil von weit her angereist seien, ins Zentrum, in vielen Fällen machte die Beschreibung dieses Personenkreises neben der Schilderung des ordnungsgemäßen Einritts des Bischofs den Kern ihrer Darstellung aus.83 Selbst die städtischen Historiographen 81
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Die formelhafte Erwähnung von Klerus und Volk findet sich z. B. bei Heinrich von Dießenhofen, Chronik (wie Anm. 49), S. 91, über Johann Windlocks Einzug: receptus est per clerum et populum. Ähnlich auch zu Nikolaus’ von Riesenburg Einritt bei Stetter, Chronik/Dacher, Chronik (wie Anm. 60), S. 93, und ÖHEM, Bistumschronik (wie Anm. 44), S. 277: Der Bischof wurde vonn gaistlichen und welttlichen empfangen. Vgl. auch ÖHEM, Bistumschronik (wie Anm. 44), S. 289, zu Burkhard von Hewen. Dies zeigen die Beschreibungen des Einzugs Heinrichs von Hewen: Claus Schulthaiß nennt die zahlreichen Kleriker, Priester wie Mönche, daneben den Marschall und Weihbischof, vgl. Schulthaiß, Chronik (wie Anm. 70), S. 276-277. Gebhard Dacher erwähnt neben Weihbischof, Marschall, Äbten aus sechs Klöstern der Diözese vil ritter und knecht, darzu vil stettboten und die ander prelaten, dechan corherren und ander gaistlich herren, frömbd und haimbsch, am Ende mit Blick auf die Stadt Konstanz zudem Domherren, Räte, Münsterkapläne sowie Stiftsherren von St. Stephan und St. Johann, vgl. Dacher, Chronik (wie Anm. 70), S. 192-193, und gekürzt Zimmern, Bistumschronik (wie Anm. 65), Bl. 151v-152r. Christoph Schulthaiß erweitert diese Reihe um den Meister des Johanniterordens Hugo von Montfort und den Komtur des Deutschen Ordens, vgl. Schulthaiß, Bistumschronik (wie Anm. 19), S. 58-60. Gebhard Dacher konzentriert sich bei seiner Beschreibung der Weihe Burkhards von Randegg fast ausschließlich auf die Gäste: By der wihung, als vorstat, warent all die äbt, exempt und onexempt, die im Costentzer bistum do warent und ander vil pröbst, wirdig und andechtig, gaistlich und sust vil ander edel, ritter und knecht. Dacher, Chronik (wie Anm. 70), S. 242. Ähnlich verfährt er bei
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erwähnten regelmäßig neben den Bürgern die Kleriker und Höflinge als Publikum und Beteiligte des Ritus. Es zog also mit dem Bischof nicht nur ein neuer Stadtherr ein, sondern auch der Herrscher über Bistum und Hochstift, das neue Zentrum des Hofs. Den Höflingen gegenüber demonstrierte der frisch gewählte oder anderweitig bestimmte Ordinarius seine Legitimität, forderte Anerkennung und Loyalität ein. Der Hof, der während der Sedisvakanz ohne Haupt gewesen war, sollte auf den neuen Herrscher hin orientiert werden, wurde durch ihn und im Ritus des Einzugs neu geschaffen, konstituierte sich in der symbolischen Interaktion, wurde Wirklichkeit. Diese Transformation – das sei nachdrücklich unterstrichen – war die eigentliche Herausforderung für die Stadt und deren Bewohner. Der Einritt des Herrschers war ein Teil der Hofgenese, er bekam vor allem dann eine zentrale Bedeutung, wenn andere traditionelle Initiationsriten wie die einmütige Wahl gescheitert waren, sei es bei Doppelwahlen oder bei Ernennungen durch den Papst. Zukünftige Forschungen sollten Hof und Stadt nicht mehr als homogene Einzelakteure begreifen, sondern auch auf „Fraktionierungen“84 achten. Lediglich für die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts können für Konstanz bislang Aussagen hierzu gemacht werden,85 für die späteren Jahrzehnte wären dafür noch detaillierte sozialgeschichtliche Untersuchungen zu Gruppen und Parteien in Hof und Stadt nötig. Die Einbeziehung solcher Ergebnisse dürfte helfen, die Adressaten der Rituale genauer benennen und die beabsichtigten symbolischen Aussagen der Bischöfe besser verstehen zu können. Bei einer günstigeren Quellenlage wären außerdem vielleicht Aussagen darüber möglich, ob und inwieweit einzelne Gruppierungen am Hof oder in der Stadt die Einritte für ihre Zwecke instrumentalisierten, in die Gestaltung eingriffen und die Aussagen steuerten. Die Konstanzer Quellen stellen fast ausschließlich den einziehenden Bischof in den Mittelpunkt ihrer Darstellung, alle anderen Gruppen erscheinen in den historiographischen Berichten fast ausschließlich als Publikum, das den Rahmen für den Einzug abgab und die ihm zugewiesenen Rollen spielte: Die Repräsentation der Absichten des neuen Ordinarius stand im Zentrum, von einer symbolischen Interaktion, also von Aktion und Reaktion, lässt sich also nur bis zu einem gewissen Grad sprechen, denn vor allem der Bischof handelte und das Publikum reagierte. Interaktion im Sinn einer Reaktion, die nicht den Erwartungen oder vorherigen Aushandlungen entsprach, war im Konstanzer Fallbeispiel nur selten fassbar, am stärksten noch, als zahlreiche Dom-
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seiner Schilderung der Weihe Hermanns von Breitenlandenberg, vgl. Dacher, Chronik (wie Anm. 70), S. 255-256, und Chronicon Constantiense (wie Anm. 1), S. 349. RANFT, Zusammenfassung (wie Anm. 29), S. 521. Zu Gruppenbildungen am Hof und in der Stadt und zu deren unterschiedlichen Interessen vgl. für die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts BIHRER, Bischofshof (wie Anm. 45), bzw. DERS., Bürgerkampf (wie Anm. 47).
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herren der ersten Messe Johann Windlocks fernblieben oder als einige der Bürger Nikolaus von Riesenburg in Waffen stehend empfingen. Erst frühneuzeitliche Quellen lassen einen Einblick in die schwierigen Verhandlungen vor der Wahl und vor den Einritten zu. Die Einzüge der Bischöfe im Reich des späten Mittelalters sind schließlich nicht isoliert zu betrachten, sondern aus drei Perspektiven in den Blick zu nehmen: So sind sie mit den Einritten anderer Herrschaftsträger wie Könige und weltliche Fürsten zu vergleichen, daneben mit Einsetzungs- oder Initiationsriten anderer Herrschaftsträger. Zugleich muss neben Einzug und Weihe von Bischöfen der gesamte Prozess der Bischofserhebung und des Pontifikatsantritts untersucht werden, insbesondere der Wahlakt der Amtsträger ist bei der Analyse hinzuzuziehen.86 Schließlich sind die Einzüge in das gesamte Set symbolischer Interaktionen zwischen Bischof, Hof und Stadt einzuordnen, sind in Beziehung zu setzen zu Gottesdiensten, kirchlichen Festtagen, Prozessionen, Pontifikalhandlungen wie Abts- oder Altarweihen, Synoden, Begräbnissen oder zu Feiern von Jahrzeiten (um nur geistlich geprägte symbolische Handlungen zu nennen), daneben zu auf Dauerhaftigkeit angelegten zeichenhaften Aussagen durch Kunstgegenstände, Residenzen, Kirchen oder städtebaulichen Anlagen.87
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SCHREINER, Wahl (wie Anm. 9), S. 75, spricht von einem „geschlossenen, wenngleich zeitlich gesplitteten Handlungszusammenhang“. Zum Früh- und Hochmittelalter vgl. ENGELS, Pontifikatsantritt (wie Anm. 13), und bes. den Sammelband Die früh- und hochmittelalterliche Bischofserhebung im europäischen Vergleich, hrsg. von Franz-Reiner ERKENS (Beiheft zum Archiv für Kulturgeschichte, Bd. 48), Köln, Weimar und Wien 1998. Für die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts vgl. BIHRER, Bischofshof (wie Anm. 45), S. 430-461.
Zur Präsenz des Stadtherrn und des niederen Adels im spätmittelalterlichen Göttingen Arend Mindermann, Stade Besucher der Landesgalerie im Niedersächsischen Landesmuseum in Hannover werden sich zweifellos an das wohl größte Exponat dieser Sammlung erinnern: den Göttinger Barfüßeraltar von 1424. Bereits Hartmut Boockmann hat in seinem mehrfach aufgelegten, 1986 erstmals erschienenen opulenten Bildband über „Die Stadt im späten Mittelalter“ nachdrücklich auf eine Besonderheit dieses Altars hingewiesen, die uns mitten in unser Thema hineinführt: Dieses aufwendige Retabel „erweist sich an den am unteren Rand angebrachten 12 Wappen als die Stiftung des Landesherrn und der adeligen Familien des Göttinger Umlandes.“1 Boockmann meint zugleich, dass man „vielleicht damit rechnen [darf], daß sich diese Familien nicht erst anlässlich der Stiftung des Altar-Retabels zusammengefunden haben, sondern schon vorher in der Art eines Ritterbundes organisiert gewesen sind, dessen Kirche die Franziskanerkirche dann gewesen wäre.“2 Für den hier genannten Ritterbund haben sich seither keine weiteren Belege finden lassen. Doch auch ohne Rückgriff auf den von Boockmann postulierten Ritterbund ist es meines Erachtens möglich, diese Wappen und die ihnen innewohnende Symbolik angemessen erklären zu können. Hierzu muss man aber etwas weiter ausholen und den Blick zurückwenden in das Göttingen des späten 12. Jahrhunderts. Um 1150 war westlich der bereits im 10. Jahrhundert nachgewiesenen dörflichen Siedlung Gutingi3 eine erste urbane Siedlung um die St. Johannis-Kirche planmässig angelegt worden, vermutlich von einem Gründer aus dem Umfeld Herzog Heinrichs des Löwen. Nachdem diese erste Siedlung bereits vor 1180 durch die ebenfalls planmässige Anlage der Siedlung um St. Nikolai auf die doppelte Größe angewachsen war,4 kam es schon gegen Ende des 12. Jahrhunderts, wann genau ist nach wie vor 1 2 3 4
Hartmut BOOCKMANN, Die Stadt im späten Mittelalter, 3. Aufl. München 1994 (1. Aufl. 1986), S. 232 f., Nr. 362; vgl. hierzu unten Anm. 76 f. BOOCKMANN (wie Anm. 1), S. 233. Hierzu zuletzt Betty ARNDT und Andreas STRÖBL, Gutingi – Vom Dorf zur Stadt. Neueste Ergebnisse der stadtarchäologischen Arbeit, Göttingen 2005. Gaby KUPER und Arend MINDERMANN, Die Frühgeschichte der Stadt Göttingen. Sechs neue Thesen zu einem alten Problem, in: Göttinger Jahrbuch 39, 1991, S. 13-45, hier S. 30-33; Hans-Jürgen NITZ, Mittelalterliche Stadtplanung in Göttingen. Metrologische Grundrißanalyse als Beitrag der
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umstritten, nördlich der beiden bereits existierenden Siedlungskerne zur wiederum planmässigen Anlage einer weiteren Siedlung. Es entstand die Siedlung um die Kirche St. Jacobi mitsamt einer Stadtburg und einer großen Zahl von Adelshöfen.5 Damit änderte sich nicht nur die Größe, sondern in hohem Maße auch die Struktur der Stadt Göttingen. Vor der Gründung der Jacobi-Siedlung gab es in Göttingen weder eine Burg der Stadtherrn, der welfischen Herzöge also, noch ein großes zusammenhängendes Adelsviertel, wie es beispielsweise in Lüneburg unterhalb der Burg bestand und wie es in Braunschweig seit der Gründung des Hagen in den 1160er Jahren vorhanden war.6
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historischen Siedlungsgeographie zur Rekonstruktion der Stadtgenese, in: Göttinger Jahrbuch 44 (1996), S. 61-92, hier S. 65-70 und S. 77-81; hierzu zuletzt Arend MINDERMANN, Die Entstehung der Stadt Göttingen (10.-13. Jahrhundert), in: 1050 Jahre Göttingen. Streiflichter auf die Göttinger Stadtgeschichte, hrsg. von Klaus GRUBMÜLLER, Göttingen 2004, S. 9-31, hier S. 13-19. – An dem hier entwickelten, meines Erachtens gut begründeten Modell einer mehrkernigen Entstehung Göttingens wird hier weiterhin festgehalten, ungeachtet einer vor wenigen Jahren von Sven SCHÜTTE vorgelegten polemischen und stellenweise fehlerhaften Publikation (Die frühe Entwicklung einer hochmittelalterlichen Gründungsstadt: Mythos und Erkenntnis in Göttingen, in: Die Deutsche Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit, Mitteilungsblatt 15 (2004), S. 66-74; online: www.dgamn.de/mbl/mbl15/mib15_schuette.pdf). Die Fehlerhaftigkeit dieses erkennbar cum ira et studio geschriebenen Textes erweist sich z. B. an dem von Schütte vorgetragenen massiven Vorwurf, die mit der Göttinger Frühgeschichte befassten Historiker hätten nur einige wenige Schriftquellen rezipiert und sich „durch Ignorieren publizierter Befunde dann ihre Theorien passend gemacht“ (S. 71). Auch sollen sie sich Schütte zufolge, ausnahmslos dafür entschieden haben, eine wichtige schriftliche „Quelle gar nicht erst zur Kenntnis zu nehmen“, nämlich die Kölner Schreinskarten des 12. Jahrhunderts mit ihrer Nennung von Personen, die aus Göttingen stammten. Ein Blick auf die diesbezügliche Passage bei KUPER/MINDERMANN, Frühgeschichte, S. 33 mit Anm. 158, wo nicht nur genau diese Quelle ausführlich vorgestellt wird, sondern zudem auch ein älterer Beleg für deren Rezeption geboten wird, erweist bereits die völlige Haltlosigkeit dieses Vorwurfs und belegt zugleich Schüttes flüchtige und oberflächliche Arbeitsweise. Für beides sind weitere Belege anzuführen: Die Flüchtigkeit Schüttes zeigt sich z. B. auch in der stellenweise fehlerhaften Wiedergabe von Verfassernamen (S. 69, Nr. 5 ist „Andreas“ durch „Arend“ und „Boockmann“ durch „Schubert“ zu ersetzen); seine oberflächliche Arbeitsweise wird auch bei seinem Vorwurf angeblich fehlender Rezeption archäologischer Fundberichte sehr deutlich, wie schon ein Blick auf die bei KUPER/MINDERMANN, Frühgeschichte, S. 13, Anm. 1, sowie bei NITZ, Stadtplanung, S. 63-65, umfassend aufgeführten einschlägigen Titel erweist. Da Schütte demnach die von ihm kritisierten Arbeiten durchweg in völlig ungenügendem Umfang rezipiert hat, erübrigt sich eine detaillierte Auseinandersetzung mit seinen Thesen, die inhaltlich auf dem Forschungsstand der frühen 1980er Jahre stehengeblieben sind. Hierzu KUPER/MINDERMANN, Frühgeschichte (wie Anm. 4), S. 39 f. (hier datiert auf die Zeit kurz nach 1200); NITZ, Stadtplanung (wie Anm. 4), S. 68 f. (hier datiert auf die Zeit um 1180/90); hierzu zuletzt MINDERMANN, Entstehung (wie Anm. 4), S. 20-25. Thomas VOGTHERR, Wirtschaftlicher und sozialer Wandel im Lüneburger Landadel während des Spätmittelalters, (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, Bd. 24.5), Hildesheim 1983, S. 211-216; Wolfgang MEIBEYER, Herzog und Holländer gründen eine Stadt. Die Entstehung des Hagen in Braunschweig unter Heinrich dem Löwen, in:
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Der Stadtherr war aber in Göttingen bereits zuvor präsent gewesen, und zwar durch ein unmittelbar westlich der Johannis-Siedlung gelegenes, an den Zufahrtswegen von einzelnen großen Adelshöfen umgebenes Herrschaftszentrum. In der inzwischen erweiterten Stadt des beginnenden 13. Jahrhunderts aber hatte sich die Präsenz sowohl des Herzogs als auch des niederen Adels erheblich erhöht, schließlich gab es jetzt die neue Stadtburg mit den zahlreichen großen Adelshöfen südlich der Burg. Aber nicht nur durch seine Herrschaftszentren war der welfische Stadtherr den Göttingern stets gegenwärtig; auch am Markt gab es ein Symbol der Stadtherrschaft in Form eines aus Stein gefertigten, leider nicht mehr erhaltenen Bildes eines Löwen, des Wappentiers der Welfen. Die hierin zum Ausdruck kommende Herrschaftssymbolik unterstreicht bereits der im späten 16. Jahrhundert schreibende Göttinger Chronist Franciscus Lubecus, wenn er ausführt, Herzog Heinrich der Löwe habe in seinen landen und furnemen großen stedten den lewen aufrichten und setzen laßen, also furnemblich im schloß und der borch zu Braunsweig.7 Der ikonographische Bezug des Göttinger Löwenbildes zum großen Braunschweiger Löwenstandbild als der markantesten „Manifestation des herrschaftlichen Machtbewusstseins Heinrichs des Löwen“8 war den Zeitgenossen also noch im 16. Jahrhundert präsent. Das Göttinger Löwenbild, das auch in einer Urkunde von 1532 über nächtlichen Unfug genannt wird,9 war, wie ebenfalls der Chronist Lubecus überliefert, auf den market und auf die kirchofesmeuren, also auf der marktseitigen Friedhofsmauer der Johannis-Kirche, angebracht worden.10 Da Lubecus in seinen beiden Chroniken die Errichtung dieses Löwenbilds allerdings einmal, wie eben erwähnt, Herzog Heinrich dem Löwen zuschreibt, an anderer Stelle aber dessen Sohn, Kaiser Otto IV. ,11 bleibt letztlich unklar, wann genau jenes steinerne Bild errichtet wurde. Im frühen 13. Jahrhundert war es jedenfalls vorhanden. Im Zusammenhang mit der Zuschreibung des Löwenbildes in die Regierungszeit Kaiser Ottos IV. nennt Lubecus auch die Funktion des Bildes: Kaiser Otto IV. habe das Löwenbild anfertigen lassen, als „ein Zeichen, daß
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Braunschweigisches Jahrbuch 75 (1994), S. 7-28 hier S. 21-24; Arend MINDERMANN, Adel in der Stadt des Mittelalters. Göttingen und Stade 1300 bis 1600 (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen, Bd. 35), Bielefeld 1996, S. 333 f. Reinhard VOGELSANG (Bearb.), Franciscus Lubecus. Göttinger Annalen. Von den Anfängen bis zum Jahr 1588 (Quellen zur Geschichte der Stadt Göttingen, Bd. 1), Göttingen 1994, S. 71 (um 1588/95; zur Entstehungszeit der Chronik vgl. ebd., S. 10 und 17). Peter SEILER, Der Braunschweiger Burglöwe – Spurensicherung auf der Suche nach den künstlerischen Vorbildern, in: Heinrich der Löwe und seine Zeit. Herrschaft und Repräsentation der Welfen 1125-1235. Katalog der Ausstellung Braunschweig 1995, hrsg. von Jochen LUCKHARDT und Franz NIEHOFF, München 1995, Bd. 2, S. 244-255, hier S. 244. Urkunden der Stadt Göttingen aus dem 16. Jahrhundert, 1500-1533, hrsg. von A. HASSELBLATT und G. KAESTNER, Göttingen 1881, Nr. 618 (1532 März 18). Lubecus, Göttinger Annalen (wie Anm. 7), S. 71. Stadtarchiv Göttingen, AB III 2b: Franciscus Lubecus, Braunschweig-Lüneburgische Chronik, Bd. 2, S. 585 (Hs., Ende 16. Jh.).
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dieser Freimarkt unter dem besonderen Schutz des Landesherrn stand. Leider hat sich von dem nach 1590 nicht mehr erwähnten Denkmal keine Abbildung erhalten.“ 12 Seit 1231/32 sind Göttinger Ratsherren urkundlich bezeugt.13 Etwa zur selben Zeit, nachweislich seit 1250, waren die ältere Marktsiedlung um St. Johannis und St. Nikolai sowie die neue Siedlung um St. Jacobi erstmals von einer gemeinsamen Stadtmauer umgeben.14 Wir haben es spätestens seit der Mitte des 13. Jahrhunderts also nicht mehr nur mit mehreren urbanen Siedlungskernen zu tun, die sich räumlich an herrschaftliche Zentren anlehnten, sondern, der Definition Isenmanns folgend, mit einer mittelalterlichen Stadt im vollen rechtlichen Sinne.15 Die Jacobi-Siedlung mitsamt der darin gelegenen landesherrlichen Burg war demnach zu jener Zeit nachweislich ein Teil der Stadt Göttingen. Der in der JacobiSiedlung gelegene Burgbezirk aber bildete bis ins 16. Jahrhundert hinein eine rechtliche Sonderzone innerhalb der Stadt. Er umfasste nachweislich einen erheblich größeren Raum, als nur die Burg selbst, also den Bolruz bzw. Balrus, Ballerhus oder Ballnhus, wie die Burgstätte wohl aufgrund ihrer Bohlenbefestigung, im 14. und 15. Jahrhundert, nachweislich ab 1387, genannt wurde.16 Südlich der Burg, nordöstlich der Jacobikirche, lagen noch im 14. Jahrhundert drei Burgmannenhöfe. Sie befanden sich unmittelbar südlich des Balrus, also ohne jeden Zweifel außerhalb der befestigten Burg, und dennoch heißt es noch 1421 von den Häusern und Buden der Burgmannenhöfe der von Bovenden und der von Plesse, sie lägen up der vriheit up der borch;17 - up (!) der borch wohlgemerkt‚ „auf der Burg“ also, bzw. „innerhalb der 12
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Hans Georg GMELIN, Mittelalterliche Kunst in Göttingen, in: Göttingen. Geschichte einer Universitätsstadt, Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges, hrsg. von Dietrich DENECKE und Helga-Maria KÜHN, Göttingen 1987, S. 571-616, hier S. 572. Vgl. Peter AUFGEBAUER, „So hat man auch in Gottingen gehabt eynen Rholant ...“, in: Festgabe für Dieter Neitzert zum 65. Geburtstag, hrsg. von DEMS., Uwe OHAINSKI und Ernst SCHUBERT (Göttinger Forschungen zur Landesgeschichte, Bd. 1) Bielefeld 1998, S. 109-144, hier S. 109; Ernst SCHUBERT, Stadtgemeinde, Rat und Stadtherr in Göttingen im ausgehenden 14. Jahrhundert, in: Das Hochaltarretabel der St. Jacobi-Kirche in Göttingen, hrsg. von Bernd CARQUÉ und Hedwig RÖCKELEIN (Veröffentlichuungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 213; Studien zur Germania Sacra, Bd. 27), Göttingen 2005, S. 103-129, hier S. 105 f. Heinz MOHNHAUPT, Stadtverfassung und Verfassungsentwicklung, in: DENECKE/KÜHN, Göttingen (wie Anm. 12), S. 228-259, hier S. 231. Vgl. zuletzt MINDERMANN, Entstehung (wie Anm. 4), S. 27. KUPER/MINDERMANN, Frühgeschichte (wie Anm. 4), S. 42. Eberhard ISENMANN, Die deutsche Stadt im Spätmittelalter 1250-1500. Stadtgestalt, Recht, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Stuttgart 1988, S. 19-25. Peter A. MIGLUS, Die Stadtburg Bolruz. Funde und Befunde, in: 5 Jahre Stadtarchäologie. Das neue Bild vom alten Göttingen, hrsg. von Sven SCHÜTTE, Göttingen 1984, S. 17-19, hier S. 17, Abb. 18; MINDERMANN, Adel (wie Anm. 6), S. 24 f. und 396. Göttinger Statuten, hrsg. von Goswin FREIHEER VON DER ROPP (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens, Bd. 15), Hannover und Leipzig 1907, Nr. 225 (Ordinarius), S. 361, Stichwort „Wachte“, 1421 Juni 27. Vgl. MINDERMANN, Adel (wie Anm. 6), S. 25.
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Burg“, nicht etwa „bei der Burg“ oder „nahe der Burg“. Am Rande angemerkt sei hier, dass sich einer der beiden ebengenannten Burgmannenhöfe, derjenige der von Plesse, bis heute erhalten hat. Er beherbergt jetzt, nach mehrfachen Umbauten, das Städtische Museum.18 Der Bolruz und die Burgmannenhöfe aber bildeten nur eine rechtliche Sonderzone in einer auch ansonsten völlig dem Herzog zugeordneten, also mitnichten bürgerlichstädtischen Siedlung rund um St. Jacobi. Dies erweist sich auch an der Tatsache, dass in dieser Siedlung noch 1334 die dem herzoglichen Schutz unterstehenden Juden und deren Synagoge19 sowie einige Handwerker für den „gehobenen Bedarf“ des Herzogshofes, beispielsweise Kürschner und Schmiede, zu finden sind,20 aber kaum Kaufleute oder Ratsherren. Letztere wohnten vielmehr bevorzugt nahe dem Markt, also in der Nähe der Johannis-Kirche.21 Zu dieser „herzoglichen Sphäre“ innerhalb der Stadt Göttingen gehörte im 13. und frühen 14. Jahrhundert zweifellos auch die Jacobikirche, wenngleich nicht mehr feststellbar ist, ob sie jemals formal ein Teil des Rechtsbezirks der Burg, der Burgfreiheit also, gewesen ist. Für die Zugehörigkeit der Jacobikirche zur „herzoglichen Sphäre“ der Stadt Göttingen gibt es ein untrügliches Indiz: Im späten 13. und im frühen 14. Jahrhundert, nachweislich in den Jahren 1279, 1288, 1292 und 1318, hat der Stadtherr, Herzog Albrecht II., die städtischen Privilegien bestätigt. Als Handlungsort (actum) der darüber ausgestellten Urkunden ist ausnahmslos ein Platz in unmittelbarer Nähe der Jacobikirche angegeben, zumeist der Kirchhof.22 Deutlicher konnte der Herzog dem Rat der Stadt Göttingen kaum die rechtliche Sonderstellung der Jacobikirche deutlich machen, als dadurch, dass der Rat sich über Jahrzehnte hinweg stets zu dieser Kirche begeben musste, wenn es um die landesherrliche Bestätigung der städtischen Privilegien ging.23 Die Ausrichtung der Jacobikirche auf 18 19
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Vgl. MINDERMANN, Adel (wie Anm. 6), S. 31-42 und S. 395 f. Helge STEENWEG, Göttingen um 1400. Sozialstruktur und Sozialtopographie einer mittelalterlichen Stadt (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen, Bd. 35), Bielefeld 1994, S. 147-153. Der Sensenschmied Eckhard (Echardus Seysensmed) z. B. lebte unmittelbar neben dem Adelshof der von Roringen. Der Schmied Heinrich von Lengden (Henricus de Lengede faber) wohnte nicht weit von diesem Adelshof entfernt. Unmittelbar neben dem Adelshof der von Ludolfshausen lebte 1334 der Kürschner Nikolaus (Nicolaus Pellifex). Ebd. S. 318 f., WZR 1334, Nr. 339 f., Nr. 346 und Nr. 360 f. Ebd. S. 174-187. Vgl. KUPER/MINDERMANN, Frühgeschichte (wie Anm. 4), S. 42. – „Handlungsort ist hier wohl in dem Sinne zu verstehen, daß dort die Stadtprivilegien öffentlich bekannt gemacht wurden.“ Ebd., S. 42, Anm. 237. Anders SCHUBERT, Stadtgemeinde (wie Anm. 12), S. 112, der annimmt, es wurde „der Friedhof als Ort des Kompromisses gewählt: weder die herzogliche Burg noch das städtische Rathaus.“ Diese Deutung ist meines Erachtens wenig überzeugend. Dagegen spricht insbesondere, dass es sich bei der Jacobikirche seinerzeit noch um die Burgkirche handelte. Vgl. hierzu jüngst Arend MINDER-
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die Burg wird zudem an ihrem Patrozinium deutlich, wurde doch, wie Bernd Ulrich Hucker 1990 hervorgehoben hat, der hl. Jakob gerade um 1200 als „Ritterheiliger“ und „Schlachtenhelfer“ verehrt.24 All diese Privilegienbestätigungen fanden, wie eben erwähnt, während der Herrschaft Herzog Albrechts II. statt, eines Herzogs, der auch sonst Göttingens Rolle als herzogliche Residenz betont hat, z. B. durch den letztlich gescheiterten Versuch, im Jahr 1305 die vor der Stadt gelegene Georgskapelle in die Stadt hinein zu verlegen und zu einem Stift auszubauen, also ein klassisches Residenzstift zu schaffen.25 Wir sehen in diesen Privilegienbestätigungen ganz zweifellos ein weiteres Stück „symbolischer Interaktion“ vor uns, wurde dem Stadtrat doch in diesem Rechtsakt immer wieder aufs neue die in der Burg und insbesondere auch in der Jacobi-Kirche manifestierte herzogliche Stadtherrschaft deutlich vor Augen geführt. Dem Göttinger Rat mussten also nicht nur die landesherrliche Burg und der steinerne Löwe am Markt sondern auch die Jacobi-Kirche als explizites Symbol der welfischen Herrschaft über die Stadt erscheinen, was für die Zukunft noch von Bedeutung sein sollte. Daneben standen auch die in Burgnähe gelegenen Adelshöfe, insbesondere die Burgmannenhöfe mit ihren Sonderrechten, dem Stadtrat ständig vor Augen als eine stete Erinnerung an die seinerzeit durchaus noch begrenzte Ratsherrschaft innerhalb der Stadt. Nicht zuletzt aus diesem Grund sahen sich die Burg und Adelshöfe den beständigen Bestrebungen des Stadtrats ausgesetzt, den landesherrlichen Einfluss, wo es eben ging, zurückzudrängen, da die landesherrlichen Sonderrechte der vom Rat MANN,
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Von der Burgkirche zur „Bürgerkirche“. Die Pfarrkirche St. Jacobi im spätmittelalterlichen Göttingen, in: CARQUÉ/RÖCKELEIN, Hochaltarretabel (wie Anm. 12). Es wurde also vom Herzog ganz zweifellos der zur Burg gehörige sakrale Ort gewählt und eben kein „Kompromiss“-Ort. Bernd Ulrich HUCKER, Kaiser Otto IV. (MGH Schriften, Bd. 34), München 1990, S. 516 und S. 520; vgl. MINDERMANN, Adel (wie Anm. 6), S. 51. Vgl. Edgar HENNECKE, Die Kirchen in und um Göttingen, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte 42 (1937), S. 166-205, hier S. 189 ff.; Dietrich DENECKE, Göttingen. Materialien zur historischen Stadttopographie und zur Stadtplanung, Göttingen 1979, S. 14-16; Martin LAST, Die Topographie der Stadt vom 13. bis zum 16. Jahrhundert, in: DENECKE/KÜHN, Göttingen (wie Anm. 12), S. 70-106, hier S. 77; Reinhard VOGELSANG, Die Kirche vor der Reformation: Ihre Institutionen und ihr Verhältnis zur Bürgerschaft, in: ebd., S. 465-491, hier S. 468; NITZ, Stadtplanung (wie Anm. 4), S. 67 f. Vgl. hierzu zuletzt MINDERMANN, Burgkirche (wie Anm. 23), S. 135 f. Hierzu umfassend Malte PRIETZEL, Die Kalande im südlichen Niedersachsen. Zur Entstehung und Entwicklung von Priesterbruderschaften im Spätmittelalter, (Veröffentlichungen des Max-PlanckInstituts für Geschichte, Bd. 117), Göttingen 1995, S. 270-279, bes. S. 277 f.; grundlegend zu „Residenzstiften“: Peter MORAW, Über Typologie, Chronologie und Geographie der Stiftskirche im deutschen Mittelalter, in: Untersuchungen zu Kloster und Stift (Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Geschichte, Bd. 68; Studien zur Germania Sacra, Bd. 14), Göttingen 1980, S. 26-29; Guy P. MARCHAL, Das Stadtstift. Einige Überlegungen zu einem kirchengeschichtlichen Aspekt der vergleichenden Städtegeschichte, in: Zeitschrift für Historische Forschung 9 (1982), S. 461-473, hier S. 465 f.
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erkennbar angegestrebten, einem einheitlichen Recht unterworfenen städtischen communitas im Wege standen.26 Hier zeigt sich meines Erachtens eine Parallele zu dem Bemühen spätmittelalterlicher Stadträte, den innerstädtischen Besitz der „toten Hand“ einzuschränken, der ja ebenfalls nicht den städtischen Lasten unterlag. Allerdings wäre es völlig verfehlt, hieraus auf einen prinzipiellen Antagonismus zwischen dem Rat auf der einen und der adeligen Welt von Hof und Adelshöfen auf der anderen Seite zu schließen, wie ihn die ältere Forschung bis weit ins 20. Jahrhundert hinein so gern konstruierte.27 Auch hier zeigt sich wieder die Parallele zwischen dem innerstädtischen Besitz des Adels und dem der Geistlichkeit: Die Bemühungen der Stadträte, den Besitz von Adel und Geistlichkeit einzuschränken, sind in beiden Fällen keinesfalls als Indiz für eine prinzipielle Gegnerschaft zwischen Stadträten und diesen Bevölkerungsgruppen zu werten. Es handelte sich in beiden Fällen stets nur um partielle Interessengegensätze, die die Übernahme der städtischen Lasten betrafen und die es in jedem konkreten Einzelfall auszugleichen galt; nicht weniger, aber auch nicht mehr. Ansonsten musste dem Stadtrat durchaus an einem einigermaßen einvernehmlichen Verhältnis zum Landesherrn gelegen sein, nicht zuletzt schon deshalb, weil er es war, der den Kaufleuten die Wegesicherheit in seinem Territorium garantierte. Und wenn Herzog Otto der Quade der Stadt Göttingen 1380 damit drohen konnte, die geleiteten Wege um die Stadt Göttingen herumzuleiten,28 so zeigt dieses Beispiel, dass die Stadtherrn sich durchaus bewusst waren, welches Machtinstrument gegenüber der Stadt sie damit im Konfliktfall in ihren Händen hielten. Umgekehrt wird ein Herzog, der den Kaufleuten seinen Schutz auf den Straßen seines Territoriums gewährte, vom Rat keinesfalls als Gegner wahrgenommen worden sein, sondern als pflichtbewusster Landesherr. „Sachfremde Einflüsse vom Fürstenhof her mussten mit Rücksicht auf die inneren Verhältnisse einer Stadt abgewehrt werden, und mit dem gleichen Fürstenhof war in Rücksicht auf die Außenbeziehungen einer Stadt ein erträgliches Verhältnis anzustreben“, wie Ernst Schubert erst jüngst treffend formuliert hat.29 Nachdem, wie oben erwähnt, Herzog Albrecht II. von Braunschweig-Lüneburg den Anspruch auf die Residenzfunktion Göttingens auch in Form symbolischer Interaktionen deutlich machte, etwa bei den Privilegienbestätigungen in der Nähe der Jacobikirche, verzichtete dessen Nachfolger, Herzog Otto II., genannt „der Milde“ (13181345) in dieser Hinsicht auf explizite Machtdemonstrationen gegenüber der Stadt
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Hierzu MINDERMANN, Adel (wie Anm. 6), S. 336 f. Vgl. ebd., S. 6 f. Urkundenbuch der Stadt Göttingen bis zum Jahr 1400, bearb. von Gustav SCHMIDT (Urkundenbuch des Historischen Vereins, Bd. 6), Hannover 1863 (im folgenden zit. als UB Göttingen 1), Nr. 294. Vgl. SCHUBERT, Stadtgemeinde (wie Anm. 12), S. 106, Anm. 18. SCHUBERT, Stadtgemeinde (wie Anm. 12), S. 104-110; Zitat S. 106.
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Göttingen. Wenn er dem Rat 1319 sogar die herzogliche Neustadt verkaufte30 und damit eine für die Göttinger unliebsame Konkurrenzsiedlung in die Hände des Rates übertrug, zeigt dies wohl sehr deutlich, dass er insgesamt doch um ein gutes Verhältnis zum Rat bemüht war. Seine drei Nachfolger aber, der 1345 bis 1367 im Fürstentum Göttingen regierende Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg, der von 1367 bis 1394 regierende Herzog Otto III., dem die Nachwelt den wenig schmeichelhaften Beinamen „der Quade“, also „der Böse“ oder „der Streitsüchtige“, verlieh, sowie der 1394 bis 1435 regierende Herzog Otto IV., genannt „Cocles“ („der Einäugige“),31 setzten diese Politik Herzog Ottos II. allerdings nicht fort. Vielmehr sollte sich während der Regierungszeit dieser drei Herzöge das vom Rat durchaus angestrebte Einvernehmen mit Herzog und Adel nicht mehr aufrechterhalten lassen. Stattdessen kam es zu einer deutlichen Zuspitzung der eben angedeuteten Konflikte um die landesherrlichen Rechte in Göttingen. Es waren, wie ebenfalls Ernst Schubert nachweisen konnte, ohne Zweifel die Herzöge, die jetzt aktiv wurden und die Stadt damit zum Reagieren zwangen, wollte sie nicht auf einen Teil ihrer hergebrachten Privilegien verzichten.32 Auch hier wird von herzoglicher Seite wieder sehr deutlich auf das Mittel der symbolischen Interaktion gesetzt, und zwar in diesem Fall konkret in Form eines durchaus demonstrativen Kirchenbaus. Nachdem die zum Dominikanerkloster gehörige Paulinerkirche, die zur Deutschordenskommende gehörige Marienkirche, sowie die Johannis-Kirche und die Nikolai-Kirche, also nahezu alle städtischen Kirchen Göttingens, um 1320/1330 in gotischem Stil errichtet oder erneuert worden waren,33 empfand Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg offenbar die Notwendigkeit, auch die immer noch als Burgkirche dienende Jacobikirche in prachtvollerer Form neu erbauen zu lassen. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass der Herzog der Stadt damit auch seine Präsenz in Göttingen demonstrieren wollte, und zugleich seine Macht, den beiden Ordenskirchen sowie den Kirchenbauten der reichen Göttinger Kaufleute einen gleichrangigen Bau gegenüberzustellen. Jedenfalls erteilte er 1350 die Erlaubnis, die Jacobikirche in gotischem Stil neu erbauen zu lassen.34 Dieser 1361 begonnene Kirchenbau35 war 1367, als Herzog Ernst starb,36 noch unvollendet.37 Dass 30 31 32 33 34 35
Hierzu zuletzt ebd., S. 114. Wiard HINRICHS, Stammtafeln, in: Niedersächsische Geschichte, hrsg. von Bernd Ulrich HUCKER, Ernst SCHUBERT und Bernd WEISBROD, Göttingen 1997, S. 696-711, hier S. 698. SCHUBERT, Stadtgemeinde (wie Anm. 12), S. 106 f. Annelise ARFKEN, St. Jacobi-Kirche Göttingen (Kleine Kunstführer, Heft 1142) München, Zürich 1978, S. 2. Ebd.; VOGELSANG, Kirche (wie Anm. 24), S. 468. Anno d[omi]ni MCCCLXI k[alendae] dec[embris] r[eparata] c[apella] h[aec]. Werner ARNOLD (Bearb.), Die Inschriften der Stadt Göttingen (Die deutschen Inschriften, Bd. 19; Göttinger Reihe, Bd. 1), München 1980, S. 50, Nr. 8; vgl. auch Theo WEINOBST, Göttinger Kirchen. Ein Spiegelbild der Stadtgeschichte, Göttingen 1975 S. 13; ARFKEN, Jacobi-Kirche (wie Anm. 33), S. 2 f.
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es einer solchen offenkundigen herzoglichen Demonstration in Form eines Kirchenneubaus überhaupt bedurfte, zeigt bereits, wie sehr sich inzwischen die Machtverhältnisse innerhalb der Stadt zu ungunsten des Herzogs verschoben hatten, was wiederum die Herzöge nun mit aller Macht zu ändern versuchten. Beispielhaft zeigt sich die Änderung der innerstädtischen Machtverhältnisse auch daran, dass noch vor 1364 nahezu alle Adeligen ihre großen Höfe in der Stadt verlassen hatten und diese Höfe anschließend aufgeteilt worden waren, eine Entwicklung, die sich in dieser Zeit auch andernorts, beispielsweise in Lüneburg oder Stade, beobachten lässt.38 Wie die erhaltenen Göttinger Wortzinsregister von 1334 und 1364 ausweisen, waren von den 1334 noch zahlreich vorhandenen adeligen Höfen im Jahr 1364 kaum noch welche übrig geblieben.39 Dass die Angehörigen der städtischen Führungsschichten dabei ganz offenkundig finanzielle Notlagen der Adeligen, insbesondere nach der Pest von 1348/50, gezielt ausnutzen, um die Adeligen regelrecht auszukaufen, lässt sich für Göttingen zumindest im Fall der von Ludolfshausen belegen:40 Zwei Brüder aus dieser Adelsfamilie besaßen noch 1334 je einen Adelshof mit einer Straßenbreite von insgesamt zwei ganzen Wort, also stattlichen 75 Metern. 1354 war einer dieser beiden Brüder, der Knappe und Göttinger Bürger Dietrich von Ludolfshausen, gezwungen, eine Rente von 5 Mark für 60 Mark zu verkaufen, und den von ihm persönlich bewohnten Göttinger Adelshof (domo et area sua, quas Thidericus personaliter inhabitat) als Sicherheit einzusetzen. Er riskierte damit, bei Zahlungsunfähigkeit sein Wohnhaus zu verlieren. Wie sich zeigen sollte, ist genau dieser Fall eingetreten. Käufer der Rente war ein von einem Göttinger Ratsherrn abstammender, seinerzeit in Göttingen wohnhafter Fritzlarer Kanoniker. Ausweislich des Wortzinsregisters von 1364 gehörte der 1354 finanziell belastete Adelshof dann der Mutter eben dieses Klerikers. Dem Erwerb des Hofes war also ein Rentenkauf vorangegangen, der den zahlungspflichtigen Adeligen erkennbar finanziell überfordert hat, was dann letztlich zum Verlust des Adelshofs führte. Beim Hof des Knappen Dietrich von Ludolfshausen gibt es aber eine Besonderheit: Es heißt beim ebengenannten Rentenkauf ausdrücklich, dass der Rentenverkäufer, der Knappe Dietrich von Ludolfshausen, inzwischen Göttinger Bürger geworden war; er wird ausdrücklich als concivis noster bezeichnet. Bei ihm dürfte der Rat also keinerlei Druck zugunsten eines Hofverkaufs ausgeübt haben, da er der Göttinger Bürgerschaft angehörte. Er war somit einer jener Adeligen, die der Rat quasi aus der herzoglichen Sphäre 36 37
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Wie Anm. 31. Das Langhaus der Jacobikirche „muß mit der Weihe eines Marienaltars im nördlichen Seitenschiff 1383 fertiggestellt worden sein, während der Turm [...] zwischen 1427 und 1433 errichtet wurde.“ VOGELSANG, Kirche (wie Anm. 24), S. 468; vgl. ARFKEN, Jacobi-Kirche (wie Anm. 33), S. 3. MINDERMANN, Adel (wie Anm. 6) , S. 332-335. Ebd., S. 332 f. Zum Folgenden vgl. ebd., S. 53-55 (mit weiteren Nachweisen).
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herausgelöst hatte, und die mit ihrem militärischen Können nunmehr als Stadtbürger der Stadt dienten. „Eine zwischen 1340 und 1354 erlassene Bestimmung macht die Absichten des Rates besonders deutlich. Dieser Bestimmung zufolge konnten Adelige – militares, wie sie hier genannt werden – bei der Bürgeraufnahme von der Zahlung des eigentlich obligaten Bürgergeldes befreit werden (allerdings nur, wie der Rats selbstbewusst feststellt, wenn sie dessen wert sind (si sunt dingni [sic]), mussten aber den Bürgereid leisten und Schoss zahlen. Von der Schosspflicht wiederum konnten sie, wie es unnmittelbar darauf heißt, ebenfalls befreit werden, wenn sie zu Pferde dienten und bei Bedarf, sprich: bei Fehden, mit dem Rat ausritten (si autem servarent equos et equitarent cum consulibus ubi ipsum rogarent).“41 Ein Adeliger, der der Stadt diente und sich dem Stadtrecht unterwarf, war dem Rat als Bewohner immer willkommen. Auch die in Göttingen mehrfach nachweisbaren adeligen Welt- und Ordensgeistlichen blieben völlig unbehelligt.42 Ein weltlicher adeliger Stadtbewohner aber, der sich nicht (!) dem Stadtrecht unterwarf, war dem Rat im 14. Jahrhundert als Bewohner der Stadt zunehmend unerwünscht. Zwar lässt sich in Göttingen, anders als in Stade, keine direkte Aktivität des Rates beim Erwerb von Adelshöfen nachweisen;43 dass der Übergang der Adelshöfe in bürgerlichen Besitz aber ohne Zweifel im Interesse des Rates lag, ist evident. Der Erfolg dieser Verdrängung der Adeligen aus der Stadt heraus lässt sich auch an einer eher unerwarteten Stelle nachweisen, die zudem belegt, dass auch den Zeitgenossen die innerhalb weniger Jahrzehnte vollzogene und nahezu vollständige Abwanderung des Adels sehr deutlich aufgefallen ist: Während es in den ältesten Göttinger Kleiderordnungen aus den Jahren 1340 und 1354 noch ausdrücklich heißt, dass diese für die in Göttingen wohnhaften Adeligen nicht gelten sollten (ane guderhande vruwen bzw. ane guderhande lude), so fehlt eine derartige Bestimmung 1367. Sie war ganz offensichtlich nicht mehr nötig, denn abgesehen von den wenigen Burgmannenhöfen hatten nahezu alle Adeligen Göttingen inzwischen verlassen.44 Möglicherweise hatte ein erster heftiger Konflikt zwischen Herzog und Rat in den Jahren 1351 bis 1355 die Entfremdung zwischen beiden Seiten erheblich vertieft und den Rückzug des Adels aus der Stadt beschleunigt. Jener Konflikt hatte sich an dem 1351 vom Herzog an die Stadt verpfändeten Münz- und Wechselrecht entzündet und gipfelte 1355 in der kaum verhüllten, wenn auch letztlich vergeblichen Aufforderung des Herzogs an die Göttinger Handwerkergilden, den bisherigen Rat abzusetzen.45
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Ebd., S. 92; zur genannten Stadtrechtsbestimmung vgl. Göttinger Statuten (wie Anm. 17), S. 37 f., § 19.1. MINDERMANN, Adel (wie Anm. 6), S. 118-183. Vgl. z. B. MINDERMANN, Adel (wie Anm. 6), S. 196. Ebd., S. 332. Hierzu umfassend: SCHUBERT, Stadtgemeinde (wie Anm. 12), S. 118-125.
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Der Nachfolger Herzog Ernsts, der bereits genannte, von 1367 bis 1394 regierende Herzog Otto der Quade, setzte erkennbar die Politik seines Vorgängers fort und war von Beginn seiner Herrschaft an bestrebt, die Rolle Göttingens als herzogliche Residenzstadt des welfischen Fürstentums Göttingen noch stärker zu betonen, als dies bisher der Fall war,46 ein Bestreben, das in diametralem Gegensatz zu den Interessen des Göttinger Rates stand und deshalb nahezu zwangsläufig zu heftigen Konflikten führen musste. Allerdings bedeutet das nicht, dass der Herzog diese Konflikte bewusst angezettelt hätte. In seiner Sicht nahm er offenkundig lediglich die ihm zustehenden herrschaftlichen Rechte wahr. Es steht deshalb nicht im Widerspruch zu seiner sonstigen Politik, dass auch er, ebenso wie seine Vorgänger Geld bei der Stadt aufnahm. Auch wenn es dabei nur um 20 Mark Pfennige ging, die er sich unmittelbar vor dem später noch näher betrachteten Turnier von 1370 vom Rat lieh.47 Ausgetragen wurden die sich jetzt nach und nach verschärfenden Konflikte immer wieder auch in Form symbolischer Interaktionen zwischen Stadtrat, Adel und Herzog, wie im Folgenden deutlich werden dürfte. Ein erstes deutliches Zeichen dafür, dass Herzog Otto der Quade nachdrücklich anstrebte, die weitere Erosion seiner innerstädtischen Machtposition zu verhindern, ist bereits die Tatsache, dass er sich ganz offenkundig der bis dahin üblichen Praxis, Adelige als Neubürger für die Stadt zu verpflichten, nach Kräften entgegenstemmte. Die Stadt war nunmehr gezwungen, auf bezahlte Söldner zurückzugreifen. Der Wechsel von der Vergabe des Bürgerrechts an Adelige zur Einstellung der ersten adeligen Söldner lässt sich exakt auf die Jahre 1364 bis 1368 datieren;48 ein Bezug zum Regierungsantritt Herzog Ottos erscheint also zumindest sehr naheliegend. Es gab daneben aber noch deutlichere Formen symbolischer Interaktion von Seiten des Herzogs: Innerhalb von nur acht Jahren, zwischen 1368 und 1376, ließ Herzog Otto der Quade in Göttingen nicht weniger als fünf glanzvolle Turniere durchführen. Er verfolgte damit, wie Schubert erst jüngst treffend festgestellt hat, „ein klar erkennbares Ziel: Festigung des fürstlichen Ansehens in der Adelswelt, Demonstration seines Ansehens, engere Bindung des Adels an den Fürsten und damit Stärkung der Landesherrschaft.“49 Bei diesen Turnieren, die also zweifellos auch eine deutliche
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Hierzu jetzt grundlegend Ernst SCHUBERT, Artikel „Göttingen“, in: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Ein dynastisch-topographisches Handbuch, hrsg. von Werner PARAVICINI, Bd. 1-2, Ostfildern 2003, hier Bd. 2, S. 220 f.; vgl. auch MINDERMANN, Adel (wie Anm. 6), S. 187-189. – Eine moderne Biographie Herzog Ottos des Quaden fehlt; deshalb ist immer noch heranzuziehen Paul EHRENPFORDT, Otto der Quade. Herzog von Braunschweig zu Göttingen (13671394) (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens, Bd. 29), Hannover 1913. UB Göttingen 1 (wie Anm. 28), Nr. 261; vgl. SCHUBERT, Stadtgemeinde (wie Anm. 12), S. 115 f. MINDERMANN, Adel (wie Anm. 6), S. 97. SCHUBERT, Stadtgemeinde (wie Anm. 12), S. 107; vgl. hierzu auch MINDERMANN, Adel (wie Anm. 6), S. 183-187. Zu diesen Turnieren sowie weiteren höfischen Festen welfischer Herzöge vgl.
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herzogliche Machtdemonstration gegenüber dem immer selbstbewussteren Rat darstellten, musste die Stadt Bewirtungskosten übernehmen, insbesondere die Propinationen. Dies wird sicherlich, vorsichtig formuliert, nicht gerade zum gegenseitigen Einvernehmen beigetragen haben, auch wenn der Rat sich hier den Wünschen seines Stadtherrn kaum hätte verweigern können. Welchen Aufwand die Stadt für die Propinationen treiben musste, ist genau überliefert, da sich von mehreren dieser Turniere Propinationslisten erhalten haben. In jenen Listen ist verzeichnet, wieviele Adelige bei diesen Turnieren in Göttingen mindestens anwesend waren, und wieviel Wein ihnen der Göttinger Rat zur Begrüßung gereicht hat: 1368 waren es 107 adelige Teilnehmer, 1370 waren es sogar 154, 1374 ungefähr 70 bis 80. 1376 waren dann nur noch 63 Ritter und Knappen anwesend; daneben aber jeweils noch mehrere Herzöge, Grafen und Edelherren. Vom Turnier des Jahres 1371 sind keine Teilnehmerzahlen überliefert.50 Wie bereits an anderer Stelle hervorgehoben, wird auch zumindest beim letzten Turnier der Termin kaum zufällig gewählt worden sein, fand es doch ausgerechnet zu Fastnacht statt. „Da wohl anzunehmen ist, daß schon den Zeitgenossen das Spannungsverhältnis zwischen der Fastnacht als einem Fest der städtischen Bevölkerung und einem gleichzeitig stattfindenden, vom Stadtherrn veranstalteten Turnier durchaus bewusst geworden sein dürfte, wird man sagen können, daß Herzog Otto dem Rat und der städtischen Bevölkerung seine Präsenz in der Stadt kaum deutlicher demonstrieren konnte, als dadurch, gerade zu Fastnacht ein Turnier in Göttingen abzuhalten.“51 Ein weiterer heftiger Konflikt entwickelte sich in den Jahren 1369 bis 1372 um die Frage der Verlegung des Nörtener Stifts St. Peter nach Göttingen. Erkennbar wurde hier also (nach dem oben erwähnten gescheiterten Versuch von 1305)52 von herzoglicher Seite erneut versucht, in Göttingen ein Residenzstift einzurichten. Zugleich sollten diesmal dem nach Göttingen verlegten Stift die Göttinger Pfarrkirchen St. Johannis und St. Nikolai sowie die Fronleichnamskapelle inkorporiert werden. Wäre das gelungen, so wäre Göttingens Rolle als herzogliche Residenz zu Lasten des Einflusses des städtischen Rates nachdrücklich bekräftigt worden. Allerdings knüpfte der Papst die Verlegung an die Bedingung, dass sowohl der hiervon betroffene Mainzer Erzbischof als auch der Göttinger Rat dem zustimmen müsse,53 wovon zumindest bei Letzteren keine Rede sein konnte. Die Einzelheiten dieses Konflikts sind bereits an anderer Stelle ausführlich dargelegt worden,54 so dass sie hier nicht
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jetzt Ellen WIDDER, Alltag und Fest am welfischen Fürstenhof im 15. und 16. Jahrhundert, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 72 (2000), S. 11-43, bes. S. 36. MINDERMANN, Adel (wie Anm. 6), S. 183 f. Ebd., S. 187. Wie Anm. 25. VOGELSANG, Kirche (wie Anm. 24), S. 468; MINDERMANN, Adel (wie Anm. 6), S. 187. MINDERMANN, Burgkirche (wie Anm. 23), S. 140-142.
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wiederholt werden müssen. Hervorgehoben sei nur, dass es dem Rat gelang, durch eine Intervention beim Papst und beim Mainzer Erzbischof auch diese Verlegung letztlich im Jahr 1372 zu verhindern, womit der Rat zugleich erstmals direkten Einfluss auf die Geschicke der Burgkirche St. Jacobi genommen hatte. Eine weitere Reaktion des Rates aber ist meines Erachtens für unser Thema von noch größerer Bedeutung: Noch im Jahr 1369, also in demselben Jahr, in dem der Herzog die Stiftsverlegung betrieb, begann der Göttinger Rat, wie Moritz Heyne bereits 1899 treffend formuliert hat, „der Burg des trutzigen Herzogs einen trutzigen Gegenbau gegenüberzustellen, keinen Luxusbau, sondern einen wehrhaften Bau“,55 nämlich das Göttinger Rathaus, dessen Kernbau (Langhaus) zwar bereits 1270 erbaut worden war, das aber von 1369 bis 1371 wesentlich erweitert wurde.56 Erst jetzt, in den Jahren 1369/71, wird auch der stattliche Zinnenkranz auf dem (dendrochronologisch auf 1270 datierten) Dach des Langhauses angebracht worden sein, der diesen Bau noch heute dominiert. Ganz sicher war das stark vergrößerte Kauf- und Rathaus, dessen Erweiterung noch von Ottos Vorgänger, Herzog Ernst, im Jahr 1366 ausdrücklich genehmigt worden war,57 nicht im praktischen Sinn als „Befestigung“ konzipiert, sehr wohl aber, und dies ist von Heyne klar erkannt worden, in einem übertragenen Sinn: Der Burg des Herzogs war symbolisch eine „städtische Burg“ entgegengestellt worden – auch wenn dies ganz sicher nicht der Intention der herzoglichen Erlaubnis von 1366 entsprochen haben wird. In anderer Hinsicht war das Rathaus bereits kurz vor Beginn der Erweiterungsarbeiten zum Schauplatz einer städtischen Machtdemonstration geworden: Erstmals 1367, also unmittelbar nach dem Herrschaftsantritt Ottos des Quaden, konnte der Rat durchsetzen, dass die herzogliche Privilegienbestätigung auf dem Göttinger „Kaufhaus“ (uppe dem kophus to Gottingen), also dem bereits vor der Erweiterung bestehenden Teil des Rathauses, stattfand.58 Jetzt musste sich also der Herzog zum Rat begeben und nicht mehr, wie zuletzt noch 1318, der Rat zum Herzog. Eine weitere, noch symbolträchtigere Reaktion der Stadt bestand darin, dass sie um 1384 dem am Markt immer noch vorhandenen steinernen welfischen Löwenbild einen Roland entgegenstellte.59 Die Errichtung dieser Rolandstatue dürfte im Zusammenhang mit mehreren zugunsten Göttingens ausgestellten Urkunden König Wenzels der 55 56
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[Moritz] HEYNE, Der Bau unseres Rathauses 1369-1371, in: Protokolle über die Sitzungen des Vereins für die Geschichte Göttingens 2 (1899), Heft 2, S. 50-55, hier S. 53. Zum Rathausbau vgl. zuletzt Hans REUTHER, Architektur des Mittelalters und der frühen Neuzeit, in: DENECKE/KÜHN, Göttingen (wie Anm. 12), S. 530-570, hier S. 548-551; Abb. des Rathauses: ebd., S. 549, Abb. 13; MINDERMANN, Adel (wie Anm. 6), S. 188, Anm. 822. UB Göttingen 1 (wie Anm. 28), Nr. 47. Ebd., Nr. 248. Im Jahr 1399 fand die Privilegienbestätigung erneut im Göttinger Rathaus statt. Ebd., Nr. 377 f.; vgl. SCHUBERT, Stadtgemeinde (wie Anm. 12), S. 112. Zum Göttinger „Kaufhaus“ vgl. REUTHER, Architektur (wie Anm. 56), S. 548 f. Hierzu jetzt umfassend AUFGEBAUER, Rholant (wie Anm. 12), bes. S. 109-113 und 131-136.
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Jahre 1383 bis 1387 stehen, unter denen sich auch mehrere Privilegienverleihungen befanden.60 Und wenn es auch nur ein recht kleiner Roland von etwa 1 Meter Größe war,61 so war es doch ein deutliches Symbol der städtischen Privilegien, hat doch bereits Peter Aufgebauer zu Recht festgestellt: „Der Roland steht für städtische Freiheiten, die als vom Reich verliehen galten.“62 Diese augenfälligen Demonstrationen städtischer Macht in Form des zinnenbewehrten Rathauses und der Rolandstatue werden vom Herzog ganz zweifellos richtig verstanden worden sein. Im Jahr 1387 kumulierten die angestauten Konflikte und es kam zu einem Ereignis, das für die Göttinger Stadtgeschichte von einer gar nicht zu überschätzenden Bedeutung war: In einer Fehde zwischen dem Göttinger Rat und den adeligen städtischen Söldnern auf der einen sowie dem Herzog und zahlreichen mit ihm verbündeten Adeligen auf der anderen Seite wurde nicht nur die Burg Altengrone bei Göttingen eingenommen (unter Gefangennahme der Burgbesatzung) sondern insbesondere auch die herzogliche Stadtburg Bolruz zerstört.63 Insbesondere die mit der Eroberung der Stadtburg verbundene völlige Zerstörung des Burgturms erschien den Zeitgenossen so bemerkenswert, dass sie weit über Göttingen hinaus Aufmerksamkeit erregte. Ein Zeugnis hierfür ist die Lübecker Detmar-Chronik, die jene Turmzerstörung überliefert.64 Das Ausmaß der Zerstörungen erweist, um mit Ernst Schubert zu sprechen, dass diese „nicht mit spontaner Volkswut zu erklären sind. Zu fest war das Mauer60 61 62 63
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Ebd., S. 114 f. Ebd., S. 131. Ebd., S. 112. Zur Fehde von 1387 umfassend Ferdinand WAGNER, Die Göttinger Fehde von 1387 (Bücher der Spinnstube, Bd. 6), Göttingen 1922; vgl. auch Andrea BOOCKMANN, Urfehde und ewige Gefangenschaft im mittelalterlichen Göttingen (Studien zur Geschichte der Stadt Göttingen, Bd. 13), Göttingen 1980, S. 14 f.; MINDERMANN, Adel (wie Anm. 6), S. 24 (mit Nachweis weiterer Literatur) sowie jüngst SCHUBERT, Stadtgemeinde (wie Anm. 12), S. 104-111. Altohand dar na [d. i. nach der Eroberung der Burg Altengrone durch den Göttinger Rat] wart en dach tusschen hertogen Otten unde dem raade van Gotingen, des sprak mit homode hertoge Otte, he hedde noch enen torn stande in erer můren, dat vorantworden se vochliken; men do se wedder in de stad quemen, altohand beghunden se den torn to brekende, also dat dar des anderen dages nicht af en was. Aldus kregen se enen gantzen ende mit eren heren. Die Chroniken der deutschen Städte, Bd. 26: Die Chroniken der niedersächsischen Städte, Lübeck, Bd. 2, hrsg. von Karl KOPPMANN und Friedrich BRUNS, Leipzig 1899, Nachdruck Göttingen 1967, Detmar Chronik, S. 39, § 938 f., hier § 939 (irrtümlich zu 1390!); zu dieser Fehde, insbesondere zur Eroberung der Burg Altengrone durch die Göttinger, bei der 20 bis 30 Adelige gefangen genommen wurden, vgl. auch ebd., S. 17, § 879 sowie Die Chronica novella des Hermann Korner, hrsg. von J[acob] SCHWALM, Göttingen 1895, S. 336 f., § 1045 (694). Für den Hinweis auf die angeführten chronikalischen Quellenbelege danke ich PD Dr. Joachim Schneider, Würzburg; vgl. hierzu auch seinen Beitrag in diesem Band. – Zur Eroberung der Burg Altengrone vgl. auch Urkundenbuch der Stadt Göttingen von 1400 bis 1500, bearb. von Gustav SCHMIDT (Urkundenbuch des Historischen Vereins, Bd. 7), Hannover 1867, Nachträge zu Bd. 1, S. 451, Nr. *325a; zur Zerstörung der Göttinger Stadtburg und zur Einnahme von Burg Altengrone vgl. auch WAGNER, Fehde (wie Anm. 63), S. 20-31.
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werk, zu ausladend die gesamte Anlage, als daß der Abbruch nicht längere Zeit in Anspruch genommen hätte, Zeit genug, in der zur Vorsicht mahnende Ratsherren hätten einschreiten können. Die Zerstörung des Bolruz war das Werk des Gemeinen Mannes; kein Vornehmer legte damals Hand bei körperlicher Arbeit an.“65 In den Jahren nach der Fehde vollendete der Göttinger Rat das Zerstörungswerk: Ausweislich der Kämmereiregister wurde das Burggelände in den Jahren 1393 bis 1403 „auf Kosten der Stadt gründlich eingeebnet und dann mit kleineren Häusern überbaut.“66 Diese Einebnung wurde derart gründlich durchgeführt, dass es erst der Ausgrabungen der Göttinger Stadtarchäologie bedurfte, um überhaupt die genauen Abmessungen jener Burg rekonstruieren zu können.67 Auf die Einzelheiten dieser Fehde, die sich an Zehntrechten des Klosters Walkenried in der Göttinger Feldmark entzündet hatte, muss hier nicht näher eingegangen werden; wichtig ist in unserem Zusammenhang nur, dass der Herzog am Ende der Fehde die Zerstörung seiner Göttinger Stadtburg anerkennen musste.68 Zugleich musste er damit sämtliche Pläne aufgeben, die Stadt in immer stärkerem Maße zur herzoglichen Residenz auszubauen. Göttingen war von nun an, der Terminologie Olaf Mörkes folgend, eine „autonome Landstadt“,69 ohne dass dieser Zustand aber, wie Ernst Schubert jüngst zurecht hervorgehoben hat, zuvor von der Stadt gezielt angestrebt worden wäre.70 Zeitweilig geriet Göttingen sogar in die Nähe der Reichsunmittelbarkeit, wie die Reichsmatrikel von 1521 sowie zahlreiche Einladungen zu den
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SCHUBERT, Stadtgemeinde (wie Anm. 12), S. 109. Matthias UNTERMANN, Gebrochene Kontinuitäten: Stadtburgen, in: Deutsche Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit. Mitteilungsblatt 17 (2006), S. 58 f., hier S. 59. Wie Anm. 16. UB Göttingen 1 (wie Anm. 28), Nr. 328; zuletzt gedruckt in: Urkunden zur Geschichte des Städtewesens in Mittel- und Niederdeutschland 1351-1475, hrsg. von Friedrich Bernward FAHLBUSCH und Heinz STOOB (Städteforschung, Reihe C, Bd. 4), Köln und Wien 1992, Nr. 6 (1387 August 8). Olaf MÖRKE, Der gewollte Weg in Richtung „Untertan“. Ökonomische und politische Eliten in Braunschweig, Lüneburg und Göttingen vom 15. bis ins 17. Jahrhundert, in: Bürgerliche Eliten in den Niederlanden und in Norddeutschland, hrsg. von Heinz SCHILLING und Herman DIEDERIKS (Städteforschung, Reihe A, Bd. 23), Köln und Wien 1985, S. 111-134, hier S. 112. Ich halte diesen Terminus immer noch für treffend, ungeachtet der von SCHUBERT, Stadtgemeinde (wie Anm. 12), S. 105, vorgebrachten berechtigten Kritik an Mörkes Ansatz. Schubert weist mit guten Gründen die Ansicht zurück, dass in der Position der Stadt gegenüber dem Landesherrn das Ergebnis einer über Jahrzehnte gezielt verfolgten städtischen Politik gegen den Stadtherrn darstellt. Dies ändert jedoch meines Erachtens nichts daran, dass die Stadt im Gefolge der Fehde von 1387 de facto tatsächlich eine Position gegenüber dem Landesherrn erreichte, die deutlich über der der kleineren Landstädte lag und mit dem Terminus „autonom“ wohl am treffendsten charakterisiert ist, völlig unabhängig davon, ob dies von der Stadt zuvor angestrebt worden war oder nicht. Vgl. die vorige Anm.
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Reichstagen im späten 15. Jahrhundert ausweisen, ohne aber formell zur Reichsstadt zu werden, wie ebenfalls Ernst Schubert bereits 1979 nachweisen konnte.71 Die adelige und herzogliche Präsenz in Göttingen schien 1387 ihr Ende erreicht zu haben. Zumindest wird der Göttinger Rat bestrebt gewesen sein, einen solchen Eindruck zu erwecken. Adelige wurden künftig nur noch in Göttingen geduldet, wenn sie der Stadt dienten. Diese Adeligen erhielten Vergünstigungen, wie etwa die Befreiung von städtischen Lasten, wenn sie der Stadt Dienste leisteten. Dabei handelte es sich insbesondere um militärische Dienste als Stadthauptleute oder städtische Söldner, zu denen die waffenkundigen Adeligen besonders befähigt waren. Daneben konnten sie der Stadt aber auch „diplomatische Dienste“ leisten, um es einmal etwas salopp zu formulieren, indem sie als reitende Boten dienten, die beispielsweise für die Überbringung städtischer Fehdebriefe herangezogen wurden. Alle Adeligen aber, die sich nicht dem Stadtrecht unterwarfen, keine derartigen Dienste leisteten und keine städtischen Abgaben zahlten, wurden dagegen nach Möglichkeit aus der Stadt verdrängt.72 Verändert hatte sich in jener Zeit aber nicht nur die Präsenz des Adels in der Stadt, verändert hatte sich auch der Status der Jacobi-Kirche: Sie war jetzt von der Burgkirche zur „Bürgerkirche“ geworden;73 eine Entwicklung die mit der Errichtung des Jacobi-Altars im Jahr 1402 gekrönt wurde.74 Mit seiner Ikonographie richtete sich dieser Altar ganz klar gegen den früheren Stadtherrn, wie bereits an anderer Stelle ausgeführt wurde:75 Es fehlen unter den in Holz geschnitzten Heiligen der „Festtagsseite“ der hl. Michael, der hl. Blasius und der hl. Cyriakus, also diejenigen Heiligen, bei denen ein offensichtlicher Bezug zum Stadtherrn bestanden hätte, waren ihnen doch die für die Welfen wichtigsten Kirchen in Lüneburg und Braunschweig geweiht.76 Dagegen finden sich hier am linken Rand, also an sehr prominenter Stelle, 71
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Ernst SCHUBERT, König und Reich. Studien zur spätmittelalterlichen deutschen Verfassungsgeschichte (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 63), Göttingen 1979, S. 332; vgl. MINDERMANN, Adel (wie Anm. 6), S. 19 f. MINDERMANN, Adel (wie Anm. 6), S. 91. MINDERMANN, Burgkirche (wie Anm. 23), S. 150. Hierzu zuletzt umfassend CARQUÉ/RÖCKELEIN, Hochaltarretabel (wie Anm. 12) sowie Im Inneren das Gold des Himmels. Der Flügelaltar der Göttinger St. Jacobi-Kirche, hrsg. von Dirk TIEDEMANN, Göttingen 2002; vgl. auch Reinhard KIRCHNER, Der Jakobialtar in Göttingen. Eine Studie zur Form im Schönen Stil, Diss. Marburg 1979, Göttingen 1982. MINDERMANN, Burgkirche (wie Anm. 23), S. 144-147. Zur Bedeutung des Klosters St. Michaelis in Lüneburg sowie der Stifte St. Blasii und St. Cyriaki in Braunschweig für die welfischen Herzöge vgl. Uta REINHARDT, Die Welfen und das Kloster St. Michaelis in Lüneburg, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 54 (1982), S. 129-151, bes. S. 144-146; Eckhard MICHAEL, Die Klosterkirche St. Michael in Lüneburg als Grablege der Billunger und Welfen, in: Fürstliche Residenzen im spätmittelalterlichen Europa, hrsg. von Hans PATZE und Werner PARAVICINI (Vorträge und Forschungen, Bd. 36), Sigmaringen 1991, S. 293-310; Ernst DÖLL, Die Kollegiatstifte St. Blasius und St. Cyriakus zu Braunschweig (Braunschweiger Werkstücke, Bd. 36), Braunschweig 1967, S. 90-103; Hans PATZE, Bürgertum
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zwei Heilige, bei denen jeder Zeitgenosse zweifellos sofort einen Bezug zur Landgrafschaft Hessen und zum Erzstift Mainz hergestellt haben wird, nämlich die hl. Elisabeth von Hessen und die hl. Katharina, deren Marterinstrument, das Rad, hier absolut exakt die Form des roten Rades im Mainzer Wappenbild aufweist.77 Diese beiden ikonographischen Anspielungen auf Hessen und Mainz sind derart deutlich, dass sie damals sofort von jederman verstanden worden sein werden – auch und gerade vom welfischen Stadtherrn. Wir sehen hier also, wie ich meine, ein weiteres deutliches Beispiel für eine symbolische Interaktion zwischen dem herzoglichen Hof und der Stadt vor uns. Der seinerzeit amtierende Herzog Otto IV., genannt Cocles, konnte einen an so prominenter Stelle angebrachten, deutlichen Hinweis auf Göttingens Nähe zum hessischen Landgrafen und zum Erzbischof von Mainz, mit denen er zu dieser Zeit verfeindet war, zweifellos nur als Affront auffassen. In seiner langfristig angelegten Antwort auf diesen Affront griff auch Herzog Otto IV. zum Mittel der symbolischen Interaktion, indem er seinerseits mit einer deutlichen Demonstration seiner Präsenz in der Stadt Göttingen anwortete. Zweck dieser herzoglichen Demonstration dürfte gewesen sein, der Stadt zu zeigen, dass der Herzog eben auch nach der Zerstörung seiner Burg im Jahr 1387 noch über Einfluss in Göttingen verfügte, dass es dem Rat also keinesfalls gelungen war, ihn völlig aus der Stadt zu verdrängen. Die herzogliche Antwort auf die Errichtung des Retabels der Jacobikirche bestand darin, dass auch er ein solch prächtiges Retabel anfertigen ließ, nämlich den eingangs erwähnten 1424 fertiggestellten Barfüßer-Altar.78 Dieser Altar
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und Frömmigkeit im mittelalterlichen Braunschweig, in: Braunschweigisches Jahrbuch 58 (1977), S. 9-30, hier S. 12; MARCHAL, Stadtstift (wie Anm. 25), S. 469 f.; Ernst SCHUBERT, Stadt und Kirche in Niedersachsen vor der Reformation, in: Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte 86 (1988), S. 9-39, hier S. 13; Arno WEINMANN, Braunschweig als landesherrliche Residenz im Mittelalter (Beihefte zum Braunschweigischen Jahrbuch, Bd. 7), Braunschweig 1991, S. 160-178; Bernd SCHNEIDMÜLLER, Stadtherr, Stadtgemeinde und Kirchenverfassung in Braunschweig und Goslar im Mittelalter, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanon. Abt. 110 (1993), S. 135-188, bes. S. 144; Jörg SCHILLINGER, Die Statuten der Braunschweiger Kollegiatstifter St. Blasius und St. Cyriakus im späten Mittelalter (Quellen und Studien zur Geschichte des Bistums Hildesheim, Bd. 1), Hannover 1994, S. 172 f.; MINDERMANN, Adel (wie Anm. 6), S. 362. Vgl. TIEDEMANN, Flügelaltar (wie Anm. 74), S. 112, Abb. 78 („Katharina mit dem Rad“) sowie auch CARQUÉ/RÖCKELEIN, Hochaltarretabel (wie Anm. 12), beiliegende farbige Abbildung des Altars. Zum Mainzer Wappen vgl. z. B. die farbige Abbildung in: Johann Siebmachers Wappenbuch von 1605, hrsg. von Horst APPUHN, München 1999, S. 29. Vgl. zum Folgenden, wenn nicht anders angegeben, Inschriften Göttingen (wie Anm. 35), S. 69-77, Nr. 38; MINDERMANN, Adel (wie Anm. 6) S. 140-147 (jeweils mit weiteren Nachweisen). Zum Barfüßer-Altar jetzt grundlegend Martin SCHAWE, Ikonographische Untersuchungen zum Göttinger Barfüßer-Altar von 1424. Der geschlossene Zustand, Diss. phil. Göttingen 1987, Göttingen 1989; vgl. auch Reinhold BEHRENS, Der Göttinger Barfüßer-Altar. Ein Beitrag zur Geschichte der niedersächsischen Malerei des frühen 15. Jahrhunderts, Diss. phil. Göttingen 1937, Bonn 1939; Martin SCHAWE, Zur „Alltagsseite“ des Göttinger Barfüßeraltars von 1424, in: Niederdeutsche Beiträge
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wurde, wie die auf ihm angebrachten zwölf Wappen unmissverständlich ausweisen, eben nicht von der Stadt oder von einer Kirchengemeinde finanziert, sondern vom Herzog selbst und von elf ihm nahestehenden Adelsfamilien der näheren Umgebung Göttingens, nämlich der von Plesse, von Kerstlingerode, von Hardenberg, von Adelebsen, von Uslar, von Roringen, von Stockhausen, von Gladebeck, von Rusteberg, von Westernhagen (?) und von Grone (vgl. Abb. 2 und 3).79 Er diente der heute nicht mehr existierenden Franziskanerkirche80 als neuer Hochaltar. Die Wahl gerade dieser Kirche war kein Zufall, war doch das Göttinger Franziskanerkloster im 13. Jahrhundert von einem Vorgänger Herzog Ottos auf herzoglichem Grund und Boden gestiftet worden.81 Der Göttinger Rat hatte damit keine Möglichkeit, eine solche Stiftung zu verhindern. Auch aus einem anderen Grund war der Ort seiner Machtdemonstration vom Herzog gut gewählt: Zwischen dem Göttinger Franziskanerkloster und mehreren Göttinger Ratsfamilien bestanden durchaus enge Beziehungen, was schon daran deutlich wird, dass sich im 15. Jahrhundert Angehörige der Ratsfamilien Helmoldt, von Rode und Giseler von Münden im Franziskanerkloster beisetzen ließen.82 Angesichts der Nähe zwischen Göttinger Ratsfamilien und dem Franziskanerkloster dürfte diese herzogliche Demonstration ihr Ziel zweifellos erreicht haben.
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zur Kunstgeschichte 27 (1988), S. 63-84; DERS., Zum Vergleich: Der Barfüßeraltar, in: 700 Jahre Pauliner Kirche. Vom Kloster zur Bibliothek, hrsg. von Elmar MITTLER, Göttingen 1994, S. 93-95 (jeweils mit Nachweis weiterer Literatur). MINDERMANN, Adel (wie Anm. 6), S. 143. Die Wappen sind unter den Tafelbildern im mittleren aufgeklapptem Zustand sichtbar. Abbildung des gesamten Altars in aufgeklapptem Zustand: Johannes ZAHLTEN, Die mittelalterlichen Bauten der Dominikaner und Franziskaner in Niedersachsen und ihre Ausstattung – Ein Überblick, in: Stadt im Wandel, Bd. 4, hrsg. von Cord MECKSEPER, Stuttgart-Bad Cannstadt 1985, S. 371-412, hier S. 407, Abb. 16b; SCHAWE, Vergleich (wie Anm. 78), S. 94, Abb. 1; Eva SCHLOTHEUBER, Das Franziskanerkloster in Göttingen. Die Geschichte des Klosters und seiner Bibliothek (Saxonia Franciscana, Bd. 8), Werl 1996, S. 9 f. – Abbildung aller zwölf Wappen: Arend MINDERMANN, Die Beziehungen der Stadt Göttingen zum Niederadel im Spätmittelalter, dargestellt am Beispiel der Familie von Grone, in: Göttinger Jahrbuch 41 (1993), S. 35-60, hier S. 57, Abb. 7 (Schwarz-Weiß-Abbildung); MINDERMANN, Burgkirche (wie Anm. 23), S. 149, Abb. 3-6 (farbige Abbildung). – Abbildung des linken Flügels des Altars, auf der die ersten drei Wappen gut erkennbar sind: Inschriften Göttingen (wie Anm. 37), Taf. 10, Nr. 38 sowie MINDERMANN, Beziehungen (wie Anm. 79), S. 56, Abb. 6 (Schwarz-Weiß-Abbildungen); BOOCKMANN, Stadt (wie Anm. 1), S. 233, Abb. 362, sowie MINDERMANN, Burgkirche (wie Anm. 23), S. 148, Abb. 2 (farbige Abbildungen). Das Göttinger Franziskanerkloster befand sich auf dem Gelände des heutigen Wilhelmsplatzes. Vgl. WEINOBST, Kirchen (wie Anm. 35), S. 6; zur Geschichte des Franziskanerklosters jetzt grundlegend SCHLOTHEUBER, Franziskanerkloster (wie Anm. 79). SCHLOTHEUBER, Franziskanerkloster (wie Anm. 79), S. 5-8; zur umstrittenen Datierung der Gründung vgl. aber MINDERMANN, Adel (wie Anm. 6), S. 134-137. SCHLOTHEUBER, Franziskanerkloster (wie Anm. 79), S. 25 f.
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Wie eben ausgeführt, sind die Wappen der beiden ranghöchsten Familien, nämlich das der Welfen und das der Edelherren von Plesse, ganz links außen angebracht, also genau an der Stelle des Altars, an der sich auf der „Festtagsseite“ des Jacobi-Altars die Darstellung der hl. Elisabeth sowie der hl. Katharina befindet. Dies wird meines Erachtens kein Zufall sein, schließlich ließe sich ja auch eine völlig andere Gestaltung der Wappenanbringung denken, etwa mit einem (vielleicht etwas größer gehaltenen) herzoglichen Wappen an zentraler Stelle in der Mitte der Wappenreihe. Aber nicht nur die Reihenfolge der Wappen mit ihrer Betonung des linken Flügels verweist auf den Jacobi-Altar zurück, sondern auch die Größe des Barfüßer-Altars, ließen der Herzog und die elf Adeligen den Barfüßer-Altar doch in einer Größe anfertigen, die die ohnehin schon beeindruckende Größe des Jacobi-Altars deutlich übertraf: Mit seiner Breite von 7,87 Metern und seiner Höhe von 3,05 Metern ist der BarfüßerAltar von 1424, wie eingangs schon erwähnt, der größte erhaltene gotische Altar ganz Niedersachsens.83 Insgesamt war dieser Altar also, wie ich meine, eine durchaus beeindruckende Demonstration herzoglicher und adeliger Präsenz im Göttingen des 15. Jahrhunderts. Die auf dem Altar angebrachten Wappen sind demnach als Reaktion auf die vorangegangenen Konflikte zwischen dem Rat und dem Stadtherrn wohl hinreichend erklärbar. Ob man also gleich einen – ansonsten nirgends auch nur angedeuteten – Ritterbund in der Franziskanerkirche annehmen sollte, wie Hartmut Boockmann dies in seiner eingangs zitierten Bemerkung getan hat,84 möchte ich dahingestellt lassen. Abschließend bleibt festzuhalten, dass sich mit der Stadtburg, den Göttinger Adelshöfen, dem steinernen Löwenbild, den Privilegienbestätigungen, dem Rathausausbau, dem Roland, den herzoglichen Turnieren und schließlich mit dem Jacobiund dem Barfüßer-Altar eine ganze Reihe sehr markanter Beispiele für die „symbolische Interaktion in der Residenzstadt des späten Mittelalters“ haben nachweisen lassen, an der die Herzöge, der stadtsässige Adel und der Rat Anteil hatten. Die angeführten Beispiele zeigen, dass symbolische Akte von den Beteiligten ganz offenkundig sehr bewusst eingesetzt und demzufolge von den Adressaten ganz sicher auch verstanden worden sind.
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SCHAWE, Untersuchungen (wie Anm. 78), S. 63 f. Wie Anm. 1.
Symbolische Elemente der Konfliktaustragung zwischen Hof und Stadt Zeugnisse der Chronistik aus dem 14. bis 16. Jahrhundert Joachim Schneider, Mainz Der Chronist Johannes Nuhn berichtet in seiner um 1480 verfassten hessischen Landgrafenchronik über einen geplanten Aufstand der Kasseler Bürger gegen ihren Herrn im Jahre 1391, die Bürger hätten mit dem Landgrafen von Thüringen vereinbart, weiße Laken aus den Fenstern zu hängen als Erkennungssignal für den Zeitpunkt, an dem er die Stadt gefahrlos einnehmen könne.1 Nun umfassen symbolische Handlungselemente bekanntlich sowohl sprachliche als auch nichtsprachliche, also visuelle, gegenständliche, gestische und mimische Zeichen. Handelte es sich also hier, in dieser Anekdote Johannes Nuhns, um einen Fall symbolischer Kommunikation mittels eines visuellen Zeichens in einem Konflikt zwischen Fürst und Stadt? Wohl kaum – jedenfalls nicht im hier gemeinten Sinne bestimmter, wiederkehrender Handlungselemente symbolischer Kommunikation. Denn das Aufziehen einiger weißer Laken an sichtbarer Stelle wäre, falls sich der Vorgang so abgespielt hätte bzw. in der beschriebenen Weise verabredet worden wäre, als eine rein instrumentelle Kommunikation zu qualifizieren, die der Erreichung eines bestimmten Zwecks allein in dieser einen Situation gedient hätte.
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Chronica und altes Herkommen der Landtgrawen zu Döringen und Hessen und Marggraven zu Meißen, in: Selecta iuris et historiarum, Bd. 3, bearb. von Heinrich Christian SENCKENBERG, Frankfurt am Main 1735, S. 301-514, hier S. 395 f., Kap. 75. Zu den Vorgängen in Niederhessen Ingrid BAUMGÄRTNER, Niederhessen in der Krise? Städtischer Aufruhr im landgräflichen Kassel und im erzbischöflichen Hofgeismar, in: Nordhessen im Mittelalter. Probleme von Identität und überregionaler Integration, hrsg. von DERS. und Winfried SCHICH, Marburg 2001 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen, Bd. 64), S. 137-170, hier S. 148 f. Das angebliche verräterische Bündnis der Kasseler Bürger mit den auswärtigen Invasoren aus Thüringen ist offenbar nur chronikalisch überliefert. Siehe jedoch bereits, allerdings ohne die bei Nuhn berichteten Einzelheiten, Tilemann Elhen von Wolfhagen, Limburger Chronik, hrsg. von Arthur WYSS (MGH Deutsche Chroniken, Bd. 4,1), Hannover 1883; Neudruck Dublin-Zürich 1973, S. 85, §163.
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Bedeutungszuschreibung, Verständlichkeit und Bekanntheit symbolischer Handlungselemente im Sinne der Ritualforschung2 gehen dagegen über die jeweilige Einzelsituation hinaus, in der sie eingesetzt werden. Dabei ist den symbolischen Zeichen der Interaktion im hier gemeinten Sinn ein prinzipiell mehrdimensionaler Bedeutungsgehalt eigen, ohne dass freilich alle diese Ebenen in der jeweiligen Situation aktuell auch eine Rolle spielen müssen. Jene potenziellen Bedeutungsebenen sind der performative Charakter,3 das heißt, dass solche symbolischen Zeichen das bewirken oder herbeiführen sollen, was sie sprachlich oder szenisch bezeichnen oder darstellen. Weiterhin ist ihre Wirksamkeit meist eng mit der aktuell präsenten Öffentlichkeit verbunden, auf die sie einwirken sollen. Häufig sind sie durch eine bewusst in Kauf genommene Ambiguität charakterisiert. Und sie sind einerseits durch Regelbezogenheit, andererseits aber auch durch eine latente Innovationsfähigkeit gekennzeichnet.4 Im Sinne einer bildhaften Verdichtung hebt sich eine symbolische Kommunikation damit sowohl von einem rein instrumentellen kommunikativen Handeln ab, wie sie auch von einer begrifflich-abstrakten, diskursiv angelegten Kommunikation zu unterscheiden ist. Gleichwohl hat Barbara Stollberg-Rilinger zu Recht darauf hingewie-
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Inmitten der wohl noch weiter zunehmenden Publikationstätigkeit in diesem Forschungsfeld sei hier insbesondere verwiesen auf die luziden Erläuterungen von Barbara STOLLBERG-RILINGER, Zeremoniell, Ritual, Symbol. Neue Forschungen zur symbolischen Kommunikation in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, in: Zeitschrift für Historische Forschung 27 (2000), S. 389-405, bes. S. 389-391 und erneut DIES., Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Begriff – Thesen – Forschungsperspektiven, in: ebd. 31 (2004), S. 489-527, bes. S. 492-504. Die folgenden Passagen zur Begrifflichkeit und zur Abgrenzung symbolischer Kommunikation verdanken diesen beiden Aufsätzen das meiste. Dazu der instruktive Band von Jürgen MARTSCHUKAT und Steffen PATZOLD (Hrsg.), Geschichtswissenschaft und „performative turn“. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit, Köln, Weimar und Wien 2003, bes. die Einführung der Herausgeber (unter dem Titel des Gesamt-Bandes), ebd. S. 1-31 sowie der interdisziplinäre Beitrag von Erika FISCHER-LICHTE, Performance, Inszenierung, Ritual. Zur Klärung kulturwissenschaftlicher Schlüsselbegriffe, in: ebd., S. 33-54. Mit Zeugnissen aus dem höfischen Bereich des Spätmittelalters, jedoch kaum Kommunikationssituationen zwischen Herrscher und Städten einbeziehend: Christine REINLE, Herrschaft durch Performanz? Zum Einsatz und zur Beurteilung performativer Akte im Verhältnis zwischen Fürsten und Untertanen im Spätmittelalter, in: Historisches Jahrbuch 126 (2006), S. 2564. Allein innerstädtische symbolische Interaktionen behandelt Jörg ROGGE, Stadtverfassung, städtische Gesetzgebung und ihre Darstellung in Zeremoniell und Ritual in deutschen Städten vom 14. bis 16. Jahrhundert, in: Aspetti e componenti dell’identità urbana in Italia e in Germania (secoli XIV-XVI). Aspekte und Komponenten der städtischen Identität in Italien und Deutschland (14.16. Jahrhundert), hrsg. Giorgio CHITTOLINI und Peter JOHANEK (Annali dell’Istituto storica italogermanico in Trento/Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts in Trient, Contributi/Beiträge Bd. 12), Bologna und Berlin 2003, S. 193-226. STOLLBERG-RILINGER, Zeremoniell (wie Anm. 2), S. 391.
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sen,5 dass in den meisten Kommunikationssituationen sowohl instrumentelle, symbolische wie auch diskursive Elemente enthalten sind und dass es eine Frage der Perspektive und der Interpretation einer Situation ist, welche Elemente die Kommunikationsteilnehmer bzw. Beobachter wahrnehmen und in den Vordergrund rücken. Zudem muss betont werden, dass auch eine vornehmlich diskursiv angelegte Kommunikation auf verdichtete Abbreviaturen kaum verzichten kann. Nachdem namentlich die Arbeiten von Gerd Althoff6 sowie die von diesem mit Johannes Fried geführten Auseinandersetzungen über den Ablauf von Ritualen bei der Königserhebung des ottonischen Reiches7 zu einem problemgeschärften Grad der Reflexion im Umgang mit der chronikalischen Überlieferung jener Epoche geführt haben dürften, hat die Sichtung der spätmittelalterlichen Historiographie im Blick auf dieses Thema bis jetzt noch kaum begonnen.8 Hierbei aber ist es meines Erachtens dringend erforderlich, die Chronistik auch in diesem Falle nicht als bloßes Reservoir für eine Formenkunde9 symbolischer Kommunikation zu verwenden. Vielmehr sollte die mehr oder weniger gezielte Formung und Verformung des überlieferten Geschehens durch die Historiographen gerade auch für diesen Zeitraum, für den häufiger parallele Zeugnisse aus Akten und Urkunden zur Gewichtung der chronikalischen Berichte zur Verfügung stehen, im Dienste einer Analyse der Rituale und performativen Akte gezielt untersucht und fruchtbar gemacht werden. Die vorliegende Studie 5 6
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STOLLBERG-RILINGER, Symbolische Kommunikation (wie Anm. 2), S. 498 f. Gerd ALTHOFF, Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt 1997, wo eine neuartige Befragung der hochmittelalterlichen Historiographie eine zentrale Rolle spielt. Zur Auseinandersetzung um den Widukind-Bericht über Ottos I. Aachener Königskrönung zwischen Althoff und Fried abwägend und resümierend Hagen KELLER, Widukinds Bericht über die Aachener Wahl und Krönung Ottos I., in: Frühmittelalterliche Studien 29 (1995), S. 390-453. Die Forschungssituation ist stark in Bewegung. Vornehmlich in die Richtung einer Formenkunde gingen zunächst Arbeiten zu zentralen Ritualen im Umfeld des Königtums, die auch in das Spätmittelalter ausgreifen bzw. dieses hauptsächlich behandeln: Gerrit Jasper SCHENK, Zeremoniell und Politik. Herrschereinzüge im spätmittelalterlichen Reich (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters, Bd. 21), Köln, Weimar und Wien 2002; Rudolf J. MEYER, Königs- und Kaiserbegräbnisse im Spätmittelalter (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters, Bd. 19), Köln, Weimar und Wien 2000; Achim Thomas HACK, Das Empfangszeremoniell bei mittelalterlichen Papst-Kaiser-Treffen (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters, Bd. 18), Köln, Weimar und Wien 1999; Dynamik und Ambivalenz spätmittelalterlicher Rituale sind das Thema erster kleinerer, im Kontext des Heidelberger SFB ‚Ritualdynamik‘ entstandener Arbeiten von Gerald SCHWEDLER. Siehe diese in: Die Welt der Rituale. Von der Antike bis heute, hrsg. von Claus AMBOS u. a., Darmstadt 2005. Vgl. die dreiteilige Typologie mediävistischer Arbeiten im Umfeld der Thematik bei MARTSCHUKAT/PATZOLD, Geschichtswissenschaft (Einführung) (wie Anm. 3), S. 14-16, wobei hier besonders auf die dritte Gruppe von Arbeiten Bezug genommen werden soll, denen es nach MARTSCHUKAT/ PATZOLD (S. 16) darauf ankommt, „die jeweiligen Ziele und Absichten der ausgewerteten Texte genauer in den Blick“ zu nehmen.
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versucht dies für das hier gestellte Thema, für konflikthafte Interaktionen zwischen Hof und Stadt. Bei der näheren Analyse der Zeugnisse aus solchen Handlungskontexten wird indes nicht zu übersehen sein, dass vielfach allein der Stadtherr als der dominante Konfliktpartner der (Residenz-)Städte erscheint. Umso aufmerksamer sind jene Zeugnisse zu beachten, bei denen der Hof nicht völlig im Stadtherrn aufgeht, sondern wo auch Akteure aus dem Umfeld, aus dem höfischen Personenverband des Fürsten und seiner Residenz als Handlungsträger sichtbar werden. Die reichsweit, aber selbstverständlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit ausgewählten Fall-Beispiele aus der spätmittelalterlichen historiographischen Überlieferung habe ich in drei Abschnitten angeordnet: Zunächst geht es um symbolische Handlungselemente bei der Verdrängung eines Stadtherrn aus seiner Residenz bzw. Stadt-Burg, dann um solche beim (Wieder-)Einzug eines Herrn nach Konfliktbeendigung und schließlich drittens um die Ambivalenz symbolischer Interaktion anhand von Beispielen einer gezielten Umgehung und Irreführung beim Einsatz solcher Handlungselemente. 1. Mauerbau und Burgenbruch im Kontext der Verdrängung des Herrn aus der Stadt Die Stadt Göttingen war im späteren 14. Jahrhundert keine Residenzstadt, sie war auch kein vornehmlicher Aufenthaltsort der welfischen Herzöge, aber sie war eine welfische Stadt mit einer landesherrlichen Burg. Allerdings lassen einige Indizien darauf schließen, dass Herzog Otto III. der Quade (1367-1394) wohl beabsichtigte, die landesherrliche Repräsentanz in Göttingen auszubauen. Demgegenüber gelang es der Stadt in dieser Zeit, den Stadtherrn mit Burg und Amtleuten dauerhaft aus ihren Mauern zu verdrängen:10 Zunächst gewährte Herzog Otto, da er Geld benötigte, der Stadt neue Privilegien wie das Recht, den Schultheißen einzusetzen, und verpfändete ihr Münze und Geldwechsel. Der Konflikt mit der aufstrebenden Stadt entzündete sich am Ausgreifen Göttingens in das weitere Umland. 1387 beantwortete der Herzog diese Aktivitäten mit dem Bau einer neuen Befestigung in nächster Nähe der Stadt 10
Zum Folgenden der Beitrag von Olaf MÖRKE, Göttingen im politischen Umfeld: Städtische Machtund Territorialpolitik, in: Göttingen. Geschichte einer Universitätsstadt, Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges, hrsg. von Dietrich DENECKE und Helga-Maria KÜHN, Göttingen 1987, S. 260-297 sowie jüngst mit Präzisierungen Ernst SCHUBERT, Stadtgemeinde, Rat und Stadtherr in Göttingen im ausgehenden 14. Jahrhundert, in: Das Hochaltarretabel der St. Jacobi-Kirche in Göttingen, hrsg. von Bernd CARQUÉ und Hedwig RÖCKELEIN (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 213), Göttingen 2005, S. 103-129, hier S. 109-111. Materialreiche ältere Arbeit: Ferdinand WAGNER, Die Göttinger Fehde von 1387, Göttingen [1922]. Zur Präsenz von Adel und Stadtherr in Göttingen auch der Beitrag von Arend Mindermann in diesem Band.
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und begann schließlich mit deren gewaltsamer Abschnürung. Nach der Gefangennahme einer größeren Zahl von herzoglichen Adligen und Dienstleuten gelang es dann jedoch der Bürgerschaft, den Herzog zum Frieden und zu einer weitgehenden Anerkennung ihrer Umland-Interessen zu zwingen. Bereits im Verlauf der Fehde hatte Göttingen damit begonnen, die noch innerhalb ihrer Mauern bestehende Herzogs-Burg abzubrechen. Auch dies wurde nun im Frieden sanktioniert. In kurzen Worten berichten in Lübeck sowohl die so genannte Detmar-Chronik11 wie auch der Dominikaner Hermann Korner12 von diesem, doch relativ weit entfernten, Göttinger Konflikt. Die Detmar-Chronik unterstellt dem Herzog ausdrücklich Hochmut als entscheidende Triebfeder seines letztlich vergeblichen Vorgehens. Umme homodes willen sei er Feind der Stadt geworden. So habe er auch bei einem Verhandlungstag darauf hingewiesen, er habe ja schließlich noch einen Turm innerhalb der Stadtmauern stehen. Der Turm, das feste Haus in der Stadt, ist ein Symbol, ein sichtbares Zeichen für den Herrschaftsanspruch des Herzogs gegenüber der Stadt und wird dementsprechend in die Kommunikation eingebracht. Das mit homode vorgebrachte Argument des Herzogs hätten die Göttinger diesem allerdings nun sehr schnell aus der Hand geschlagen. Denn gleich nach ihrer Rückkehr hätten sie den Turm abgebrochen – und zwar so gründlich, dass schon am anderen Tag nichts mehr davon zu sehen gewesen sei.13 Aldus kregen se enen gantzen ende mit eren heren, resümiert die Lübecker Rats-Chronik, für die die Zerstörung der Burg offenbar die entscheidende Voraussetzung für einen dauerhaften Status quo der Stadt gegenüber den Welfen-Herzögen ist.14 Die Sensibilität in Lübeck für diese Göttinger Vorgänge dürfte mit der großen Bedeutung zusammenhängen, die man dort der siegreichen 11
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Detmar-Chronik, in: Die Chroniken der niedersächsischen Städte: Lübeck, Bd. 2, hrsg. von Karl KOPPMANN (Die Chroniken der deutschen Städte, Bd. 26), Leipzig 1899, S. 1-129, S. 39, § 938/939, hier fälschlich zu 1390. Eine andere, kürzere Variante des Berichts über die Göttinger Fehde ist in der Detmar-Chronik richtig zu 1387 datiert, doch fehlen hier die ausschmückenden Berichte aus § 939 über den Wortwechsel zwischen dem Herzog und den Abgesandten der Stadt, über den angeblichen Hochmut des Herzogs und über die Zerstörung der Stadtburg: ebd., S. 17, § 879. Hermann Korner: Chronica novella, hrsg. von Jakob SCHWALM, Göttingen 1895, S. 336 f., § 1045 zu 1391 bzw. S. 89, § 694 zu 1391; zu 1387 S. 325, § 999. SCHUBERT, Stadtgemeinde (wie Anm. 10) hat gegenüber dieser auch in Göttingen überlieferten Tradition vom raschen Abbruch der Burg darauf hingewiesen, dass der Abriss weit länger gedauert haben muss. Die Lübecker Berichte, die hier als Zeugnisse einer überstädtischen Bewusstseinsgeschichte gewertet werden, wurden in den Arbeiten zur Geschichte Göttingens bisher noch nicht herangezogen. Der Forschungsstand zur Detmar-Chronik zusammenfassend bei Wilfried EHBRECHT: Uppe dat sulck grot vorderffenisse jo nicht meer enscheghe. Konsens und Konflikt als eine Leitfrage städtischer Historiographie nicht nur im Hanseraum, in: Städtische Geschichtsschreibung im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Peter JOHANEK (Städteforschung, Reihe A, Bd. 47), Köln, Weimar und Wien 2000, S. 51-109, S. 86-92, S. 98-101.
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Schlacht von Bornhöved und der anschließenden Zerstörung der Burg des dänischen Stadtherrn in Lübeck im 13. Jahrhundert für die Geschichte der eigenen Stadt beimaß.15 Parallelen zu diesen kurzen Bemerkungen der Detmar-Chronik weist ein Bericht des hessischen Chronisten Wigand Gerstenberg über seine Heimatstadt Frankenberg auf. Die anderwärts offenbar nicht belegbare Geschichte erscheint zuerst in seiner hessischen Landgrafenchronik, die zwischen 1493 und 1517 entstanden ist.16 1373, berichtet Gerstenberg, habe Landgraf Herrmann II. dem Herrmann zu Treffurt und seiner Gemahlin die Stadt Frankenberg verliehen. Der Landgraf befahl den Bürgern, ihrem neuen Herrn zu huldigen. Doch die Diener dieses neuen Herrn auf der Burg hätten den Frankenbergern und nicht zuletzt den Bürgers-Frauen viel Verdruss und Schande angetan. Zudem hätten der Treffurter und seine Leute eine gegen die Stadt gerichtete rege Bautätigkeit entfaltet: Eine Mauer wurde vor der Burg gegen die Stadt hin errichtet, während nach außen hin ein neues Tor in die Burgmauer gebrochen wurde. Demgegenüber errichteten die Bürger zwei hohe Türme gegenüber der Burg und legten einen tiefen Graben an – Handlungs-Elemente des kalten Krieges, der wenig später in einen heißen überging. Die Bürger hätten nämlich die Burg erobert und ausgebrannt. Der Treffurter habe sich, da er ja nun keine bequeme Herberge in Frankenberg mehr gehabt habe, danach aus der Stadt zurückgezogen17, die Burg wurde allmählich abgerissen, die Steine wurden anderwärts verbaut, bis schließlich nichts mehr von der Burg zu sehen gewesen sei. Burgenbau, Gegenmaßnahmen der Stadt und die endliche Zerstörung einer Stadtburg sind im Falle Frankenbergs wie ähnlich auch im Falle Göttingens nicht nur 15
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Dazu Stephan SELZER, Fraenum antiquae libertatis – Stadtburgen und die Wiederbefestigung stadtherrlicher Macht im spätmittelalterlichen Reich, in: Die besetzte res publica. Zum Verhältnis von ziviler Obrigkeit und militärischer Herrschaft in besetzten Gebieten vom Spätmittelalter bis zum 18. Jahrhundert, hrsg. von Markus MEUMANN und Jörg ROGGE (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit, Bd. 3), Münster 2006, S. 89-118, hier S. 110 f. Landeschronik von Thüringen und Hessen, in: Die Chroniken des Wigand Gerstenberg von Frankenberg, hrsg. von Hermann DIEMAR (Veröffentlichungen der historischen Kommission für Hessen und Waldeck, Bd. 7,1), Marburg 1909, S. 1-355, hier S. 266 f. Im Wesentlichen gleich lautend dasselbe Ereignis auch in Wigand Gerstenbergs Stadtchronik von Frankenberg, in: ebd., S. 377-474, S. 436 f. Zum Werk Wigand Gerstenbergs jetzt Wigand Gerstenberg von Frankenberg 1457-1522. Die Bilder aus seinen Chroniken. Thüringen und Hessen. Stadt Frankenberg, hrsg. von Ursula BRAASCH-SCHWERSMANN und Axel HALLE (Untersuchungen und Materialien zur Verfassungs- und Landesgeschichte, Bd. 23), Marburg 2007. Eine Abbildung in der Stadtchronik Gerstenbergs zeigt die Inbrandsetzung der Burg: ebd., Abb. 10, mit Kommentar. Dazu näher Ulrich RITZERFELD, Zwischen Stagnation und Wandel. Frankenberg an der Eder zur Zeit Wigand Gerstenbergs, S. 25-41, hier S. 27 und S. 29 zu dem von Gerstenberg berichteten Ereignis sowie zu den entgegen Gerstenbergs Bericht wahrscheinlich noch weit länger sichtbaren Resten der Burg. Tatsächlich dürfte er in Wahrheit kaum je dort geweilt haben: DIEMAR, Landeschronik (wie Anm. 16), S. 267 Anm. 2.
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militärisch begründete Maßnahmen, sondern, wie die Chronik-Zeugnisse deutlich machen, auch Zeichen einer symbolischen Kommunikation des gegenseitigen Misstrauens und der verdeckten Feindschaft, die, wie im Falle Göttingens, auch unmittelbar in die Diskussion der streitenden Parteien eingebracht werden konnten. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Auseinandersetzung in den hier berichteten Fällen genau so gelaufen ist oder nicht. Vielmehr reproduzieren die Chronisten zeitgenössische Diskurse über die eng miteinander verbundenen Themen „Vertreibung eines Stadtherrn“ und „Zerstörung einer stadtherrlichen Burg/Residenz“ – konflikthafte Ereignisse, wie sie im Reich des 14. und 15. Jahrhunderts an vielen Stellen vorkamen.18 Im Falle Frankenbergs erscheinen zudem die „Diener“, das heißt der in der Burg anwesende Personenverband des Treffurters, als eine spezifische Bedrohung für die Bürgersfrauen – ein Stereotyp, das zum Beispiel auch in der etwa gleichzeitigen Stadtchronik Sigmund Meisterlins als ein Problem der Nürnberger kolportiert wird, das diese mit dem Gesinde der ehemaligen Burggrafenburg gehabt hätten, bevor die Stadt durch eine eigene Mauer gegenüber der Burg geschützt wurde.19 Die weitgehende Beseitigung einer Burg ist für die Chronisten Korner und Gerstenberg schließlich das „sichtbare“, unwiderlegbare Zeichen dafür, dass jene historische Epoche der Präsenz des Herrn und seines Hofes in der Stadt endgültig vorüber ist. 2. Der Einzug des Stadtherrn nach Konfliktbeendigung Das Gegenbild zur Vertreibung eines Stadtherrn und zur vollständigen Beseitigung einer einstmals unüberwindlich scheinenden, stadtherrlichen Burg ist der feierliche und siegreiche (Wieder-)Einzug eines Stadtherrn, der zugleich Ende und Entscheidung des Konflikts mit der Stadt signalisiert20 – und nicht selten durch neue Fes18
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Siehe die allerdings auf die symbolische bzw. diskursive Kommunikation zwischen den Parteien im Spiegel der Historiographie nicht näher eingehende Fall-Sammlung bei SELZER, Fraenum (wie Anm. 15), hier bes. S. 104, 109-113. Sigmund Meisterlin’s Chronik der Reichsstadt Nürnberg, bearb. von Dietrich KERLER und Matthias LEXER, in: Die Chroniken der fränkischen Städte: Nürnberg, Bd. 3 (Die Chroniken der deutschen Städte Bd. 3), Leipzig 1864; Neudruck Göttingen 1961, S. 32-178, hier S. 164 f.: … do fing der vorbenant burggraff Friderich und sein sun Johannes aber etwas newes wider die burger an, wann sie verhengten iren hoffbuben, daß sie herab von irer burg in alle gaßen lieffen und vil unzucht und mutwillens triben. Der Herrscher-Adventus wurde bislang vor allem im Umfeld des Königtums und im Kontext des Huldigungsgeschehens untersucht. Fürsten-Einzüge wurden dagegen noch relativ wenig berücksichtigt. Siehe etwa die Arbeit von SCHENK, Zeremoniell (wie Anm. 8) sowie jüngst Jan BRADEMANN, Autonomie und Herrscherkult. Adventus und Huldigung in Halle (Saale) in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Halle 2005, S. 11-22, zum Forschungsstand. Dazu die Rezension von André KRISCHER, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 6 [15.06.2007], URL: (17.11.2007). Siehe zu Fällen geistlicher Fürstentümer den Beitrag von Andreas BIHRER in diesem Band. Dazu jetzt der Überblick bei Werner FREITAG, Halle 806 bis 1806. Salz, Residenz und Universität. Eine Einführung in die Stadtgeschichte, Halle 2006, hier S. 90-103. Zu den Streitigkeiten um den Ablauf der vorangegangenen Huldigung BRADEMANN, Autonomie (wie Anm. 20), S. 40-44. Denkwürdigkeiten des hallischen Rathsmeisters Spittendorff, hrsg. von Julius OPEL (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen, Bd. 11), Halle 1880, S. 388-393. Der hier näher analysierte Bericht Spittendorffs über den Einzug des Fürsten 1478 blieb bei BRADEMANN, Autonomie (wie Anm. 20) außer Betracht, da er nicht im Zusammenhang einer Huldigung stand. Zitate: Denkwürdigkeiten Spittendorff (wie Anm. 22), S. 390 und 391. Solche bezeichnenden Formulierungen siehe ebd., S. 391 (zweimal) und auch schon S. 388.
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von Tettau war zugleich eine Drohung, wie er auch der Abklärung über die Modalitäten und über die Haltung der Spittendorff-Partei beim Einzug des Erzbischofs diente. Die Partei des alten Rates wählte den Weg der verminderten Konfrontation und erklärte, auf Harnische verzichten zu wollen: wir welden ungerne wieder unseren herren fechten, und so habe sich die Partei der Pfänner dann auch tatsächlich verhalten, wie Spittendorff betont.25 Der insoweit bereits zuvor in seinen Modalitäten abgesprochene Einzug fand am benannten Tag wie angekündigt statt. Spittendorff beschreibt eindrücklich den Zug, der unter dem Schutz von gepanzerten Trabanten stattfand. Auch die Bürger-Partei des Erzbischofs marschierte mit. Nur ihre beiden Anführer, die den Zug demonstrativ anführten, trugen keinen Harnisch, wobei allerdings einer der beiden, Spittendorff zufolge, ein langes Messer trug. Die Führerfiguren zeigten sich also öffentlich und weithin sichtbar – und demonstrierten zugleich, dass sie im Schutz des Erzbischofs und ihrer städtischen Gefolgsleute nichts zu befürchten hatten. Diese Gefolgsleute gingen in ihrem Harnisch gewissermaßen im bewaffneten Zug des Erzbischofs auf. Ernst von Sachsen ritt mit seinem adligen und geistlichen Gefolge vor das Rathaus, stieg dort ab und dankte den Bürgern, die ihn mit herein begleitet hatten, für ihre Unterstützung. Spittendorff als Vertreter der anderen Bürgerpartei hingegen gewinnt nur mühsam über adlige Mittelsmänner das Gehör des Erzbischofs, bittet demütig um Gnade. Doch wird seiner Partei beschieden, sie müsse bis auf weiteres 20 oder 30 Geiseln stellen, was durch einen förmlichen Schwur der Pfänner-Partei bekräftigt wird. Damit ist die Abfolge der vorwiegend rituell geprägten Handlungselemente zunächst beendet und die Machtfrage erst einmal für jeden sichtbar entschieden.26 Bald danach begann der Bau der Moritzburg als neuer Residenz und Symbol des erzbischöflichen Machtanspruchs über die Stadt.27 Spittendorffs Bericht ist das ausführlichste mir bekannte historiographische Dokument über einen derartigen Einzug im spätmittelalterlichen Reich, mit dem ein Stadtherr den Konflikt mit seiner Stadt siegreich – wenngleich auch noch nicht wirklich im Einvernehmen – beenden konnte. Besonders wertvoll für unseren Zusammenhang ist die dort mehrfach erscheinende Formel vom erkennen. Hierbei wird jeweils angedeutet, dass man sich mit der Auswahl eines bestimmten symbolischen Handlungselementes aus einer Anzahl von Alternativen für jeweils eine bestimmte zu erwartende 25 26 27
Ebd., S. 392. Ebd., hier S. 392/93. SELZER, Fraenum (wie Anm. 15), S. 101 f. mit Literatur; Ein „höchst stattliches Bauwerk“. Die Moritzburg in der hallischen Stadtgeschichte 1503-2003 (Forschungen zur hallischen Stadtgeschichte, Bd. 5), hrsg. von Michael ROCKMANN, Halle 2004 und dort insbesondere der Beitrag von Matthias MEINHARDT, Die Residenzbildung in Halle in der Residenzenlandschaft Mitteldeutschlands. Beobachtungen zum Verhältnis zwischen Stadt und Stadtherr im 15. und 16. Jahrhundert, S. 19-42.
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und anzustrebende Interpretation des Geschehens und der eigenen Haltung zu diesem entschieden habe bzw. habe entscheiden können. Im Folgenden sollen nun noch einige weitere chronikalische Berichte über ähnliche Geschehnisse zwischen Fürst und Residenzstadt im 15. Jahrhundert herangezogen werden. So berichtet auch die 1506 in der Residenz der Liegnitzer Linie der Piasten-Fürsten entstandene deutschsprachige Hofchronik von der feierlichen Rückkehr der angestammten „Herrschaft“: 1448 sei die Herzogin Hedwig zunächst durch die Liegnitzer Bürger vertrieben worden, die die Stadt bzw. das Fürstentum direkt der böhmischen Krone unterstellen wollten. Nach der Vertreibung der böhmenfreundlichen Partei in der Stadt konnte Hedwig 1454 mit ihrem unmündigen Sohn, dem künftigen Fürsten, zurückkehren. Die Bürger sandten jetzt nach ihr, ließen ire gnad pitten, das sie mitt irem sohne wolt komen gegen Lignitz, sie weren beraitt ire g. mitt allen ehren in gehorsam auffzunehmen. Bei der Ankunft der Fürstin kam ihr die Geistlichkeit mit allem Volk in einer feierlichen Prozession entgegen, empfing sie ehrenvoll und führte sie auf das Liegnitzer Schloss. Der Versöhnung und Wieder-Aufnahme durch die Residenzstadt ging diesem Bericht zufolge also eine Absprache über die Modalitäten und den feierlichen Einzug voraus.28 Über die Aufnahme des Würzburger Bischofs in die Stadt und die Wiederherstellung der Ordnung nach dem vollständigen Sieg gegen die Bürgerschaft im Jahre 140029 liegt neben einem umfangreichen, stark dramatisierenden historischen Gedicht30 das knappe zeitgenössische Zeugnis des Nürnbergers Ulman Stromer vor,31 das die rituellen Unterwerfungs- und Bestrafungsakte nur andeutet, während das Gedicht diese breit ausmalt und Zwiesprachen zwischen dem Bischof, seinen Hofleuten und den geschlagenen Bürgern einfügt. Stromer dagegen hebt knapp und nüchtern das schonungslos harte Strafgericht des Bischofs hervor, das hier einen etwas frag28
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Liegnitzer Chronik, in: Geschichtsschreiber Schlesiens des XV. Jahrhunderts, hrsg. von FRANZ WACHTER (Scriptores Rerum Silesiacarum, Bd. 12), Breslau 1883, S. 93-106, hier S. 102 f.; zu der Fürstenchronik Joachim SCHNEIDER, Liegnitzer Chronik, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon Bd. 11, 2., völlig neu bearbeitete Auflage Berlin und New York 2002, Sp. 923 f.; zu den berichteten Vorgängen knapp der Artikel: Liegnitz, in: Handbuch der Historischen Stätten Schlesiens, hrsg. von Hugo WECZERKA, 2. Aufl. Stuttgart 2003, S. 283-296, hier S. 285. Zu den Ereignissen zuletzt Joachim SCHNEIDER, Die Geschichte Würzburgs vom 13. bis 16. Jahrhundert, in: Würzburg, der Große Löwenhof und die deutsche Literatur des Spätmittelalters, hrsg. von Horst BRUNNER (Imagines Medii Aevi, Bd. 17), Wiesbaden 2004, S. 1-26, hier S. 11-14. Vom Würzburger Städtekrieg, hrsg. von Rochus FREIHERR VON LILIENCRON, in: Die historischen Volkslieder der Deutschen vom 13. bis 16. Jahrhundert, Bd. 1, Leipzig 1865, S. 161-201, hier S. 189-191. Über das historische Gedicht jüngst eingehend Ernst SCHUBERT, Das Lied vom Würzburger Städtekrieg (1397-1400), in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 64 (2004), S. 39-82. Ulman Stromers ‚Püchl von meim geslechet und von abentewr‘ 1349-1407, in: Die Chroniken der fränkischen Städte: Nürnberg, Bd. 1, hrsg. von Karl HEGEL (Die Chroniken der deutschen Städte, Bd. 1), Leipzig 1862, Neudruck Göttingen 1961, S. 3-106, hier S. 56-59, das Zitat S. 59.
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würdigen Charakter erhält: Nachdem sich nämlich die Bürger auf Gnade des Bischofs ergeben hätten, ließ der Bischof gleichwohl in der Stadt verbliebene Bürger festnehmen, durch die Stadt schleifen und töten – darunter etliche von den elczten und pesten geslechten. Von einem demütigen Empfang des Bischofs durch die verbliebenen Bürger ist hier nicht die Rede. Während das Gedicht also die Begegnung zwischen dem siegreichen Bischof und den Bürgern breit ausmalt und das anschließende strenge Strafgericht des Bischofs letztlich rechtfertigt, hebt der Nürnberger Reichsstadt-Bürger die zumindest exemplarische Verweigerung der erbetenen Gnade durch den zurückgekehrten Stadtherrn hervor. Über die Beilegung des Konflikts des Kurfürsten von der Pfalz mit der Stadt Amberg im Jahre 1453 berichtet am ausführlichsten und als Augenzeuge der später in Freising ansässige Chronist Veit Arnpeck in seiner lateinischen und deutschen Bayerischen Chronik von 1493/95.32 In Amberg waren im 15. Jahrhundert herkömmlicher Weise der Statthalter im pfalzgräflichen Nordgau sowie ein Landgericht ansässig, zeitweise unterhielt auch der pfalzgräfliche Kurprinz einen Filialhof am Ort. Ab 1451 versuchte Pfalzgraf Friedrich der Siegreiche, auch in seinem oberpfälzischen Fürstentum auf der umstrittenen Grundlage einer sogenannten Arrogation seine lebenslange Anerkennung als regierender Fürst anstelle seines Neffen Philipp durchzusetzen. Der Konflikt mit der Residenzstadt entzündete sich nun daran, dass die Mehrheit der Bürger in der Stadt den Erklärungen der pfalzgräflichen Beamten über diese eigenartige Rechtsfigur der Arrogation nicht zu folgen bereit war, sich dabei auf frühere, dem jungen Philipp geleistete Eide berief und die Huldigung gegenüber Friedrich verweigerte.33 Der offene Aufstand dauerte von März bis Juli 1453. Schließlich rückte Friedrich selbst mit bewaffneter Streitmacht heran. Man hieß ihn willkommen – Volk und Klerus wollten ihn feierlich mit einer Prozession und den Reliquien der Stadt empfangen, so Arnpeck. Der Kurfürst ließ sich jedoch, anders als die Liegnitzer Fürstin in einer entsprechenden Situation, nicht auf den religiös geprägten Unterwerfungs- und Versöhnungsritus ein, umging die Prozession und ritt durch ein anderes Tor in die Stadt ein. So war er frei, harte Strafen auszusprechen, gegen wen er wollte. Nach der Huldigung und der Auferlegung einer schweren Sondersteuer wurden 60 Männer
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Veit Arnpeck: Chronica Baioariorum und Ders.: Bayerische Chronik, in: Ders.: Sämtliche Werke, hrsg. von Georg LEIDINGER (Quellen und Erörterungen zur Bayerischen und Deutschen Geschichte. Neue Folge, Bd. 3), München 1915, Neudruck Aalen 1969, S. 1-443 bzw. S. 445-705, hier S. 264267 bzw. S. 539 f.; siehe Hinweise auf weitere Zeugnisse ebd. S. 264, Anm. 2. Wilhelm VOLKERT, Pfälzische Zersplitterung, in: Handbuch der bayerischen Geschichte, Bd. 3,3: Geschichte der Oberpfalz und des bayerischen Reichskreises bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, hrsg. von Andreas KRAUS, München 1995, S. 72-141, hier S. 76, mit Anm. 20; Birgit STUDT, Amberg, in: Fürstliche Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Ein dynastisch-topographisches Handbuch, Teilband 2: Residenzen, hrsg. von Werner PARAVICINI (Residenzenforschung Bd. 15,1), Ostfildern 2003, S. 9-11, hier S. 10.
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aufgrund von Denunziationen angeklagt. Bis auf zwölf wurden alle durch ihre Frauen freigebeten, acht verbannte man und vier wurden enthauptet. 3. Verweigerung und Missbrauch von Handlungselementen symbolischer Interaktion Bei der Verweigerung fürstlicher Gnade im Falle Würzburgs im Jahre 1400, und mehr noch im Falle Friedrichs des Siegreichen, der einem feierlichen Empfang in Amberg gezielt auswich, wird deutlich, dass Elemente konfliktbeendender symbolischer Interaktion auch verweigert werden konnten. Dies geschah insbesondere dann, wenn der Konflikt noch nicht oder von der einen Partei anders als von der Gegenseite beabsichtigt beendet werden sollte. Der bis dahin erreichte Status der Auseinandersetzung war dann vielleicht im Einzelfall mehrdeutig, man konnte sich über den nächsten Schritt und seine Bedeutung nicht einigen oder eine Partei ließ Handlungen des Partners wie im Falle Ambergs gezielt ins Leere laufen. Für die Chronisten waren solche Situationen offenbar von besonderem Interesse. Denn es wurden hieraus Schuldzuweisungen für die Eskalation eines Konflikts bzw. für scheinbar regelwidriges, krude gewaltsames Verhalten der einen oder der anderen Konfliktpartei abgeleitet. Keineswegs durchgängig ist damit zu rechnen, dass die Chronisten hier zuverlässig berichten – und zwar gerade weil eben solche Situationen als Argument für Schuldzuweisungen und damit als Motivierung eines gewaltsam ausartenden Geschehens dienen konnten. Zu diesem Komplex nun einige Beispiele, zunächst nochmals aus Bayern: Hier kam es in Landshut, der Haupt-Residenz des Teil-Fürstentums Niederbayern, in den Jahren 1408/10 zu einem Aufruhr gegen den Stadtherrn, Heinrich den Reichen. Zunächst hatte die Stadt während der vorangegangenen Jahre der Minderjährigkeit Heinrichs ihre Gerichtsbarkeit ausbauen können, die Zünfte hatten ebenfalls Kompetenzen gewonnen. Nun verweigerte die Stadt bei Regierungsantritt Heinrichs dessen Steuerforderungen und die Huldigung und verlangte stattdessen zunächst eine Bestätigung ihrer bisher erworbenen Privilegien, was Heinrich seinerseits verweigerte. Nach dem Ende dieses Aufstands 1410 sollte Heinrich dann ein System für Landshut schaffen, das die direkte Abhängigkeit von Bürgerschaft und Rat vom Herzog in allen Belangen und auf Dauer sicherstellte.34
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Theodor STRAUB, Bayern im Zeichen der Teilungen und der Teilherzogtümer (1347-1450), in: Handbuch der bayerischen Geschichte, Bd. 2: Das alte Bayern. Der Territorialstaat vom Ausgang des 12. Jahrhunderts bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, hrsg. von Andreas KRAUS, München 1988, S. 196-287, hier S. 279 mit Anm. 4; Andrea DIRSCH-WEIGAND, Stadt und Fürst in der Chronistik des Spätmittelalters (Kollektive Einstellungen und sozialer Wandel, Neue Folge, Bd. 1), Köln und Wien 1991, hier S. 86-88.
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Die zwischenzeitlichen Vorkommnisse, der Hergang des Konflikts also, ist fast ausschließlich chronikalisch überliefert. Andreas von Regensburg berichtet in seiner Weltchronik darüber einige Jahre später Folgendes: „Der noch junge Herzog Heinrich von Landshut versammelte um den 24. August 1408 ein großes Heer, wobei er das Gerücht verbreitete, er wolle den Herzögen von Österreich zu Hilfe kommen. Doch dahinter stand eine List des Herzogs: Denn er lud die Räte der Stadt Landshut auf seine dortige Burg ein, als wolle er ihnen das Regiment im Lande während seiner Abwesenheit übergeben. Nach dem Essen nahm er sie alle gefangen und zwang sie, dass sie zahlreiche weitere Mitbürger aus Landshut dazu brachten, sich ihm gefangen auszuliefern. Etwa 40 Bürgern entzog er teilweise das Vermögen. Deshalb entstand zwei Jahre später, 1410, ein Aufstand in der Stadt. Ein Teil (der Bürgerschaft) griff die Burg an, kehrte allerdings bald unverrichteter Dinge wieder in die Stadt zurück. Deshalb (wegen dieses Vergehens) bestrafte Herzog Heinrich viele mit dem Tode, andere wurden verbannt. Die Ursache war einerseits der Hass der Adligen gegen die Bürger, andererseits die Überheblichkeit der Bürger.“35 Damit wird eine latente Animosität zwischen Adligen und Bürgern in der Residenzstadt angedeutet, die der Kleriker Andreas von Regensburg letztlich auf moralische Unzulänglichkeiten (Hass und Überheblichkeit) der beiden Seiten zurückführt. In unserem Zusammenhang wichtiger ist jedoch die gezielte Täuschung der Bürger. Der Herzog wollte diese dem Bericht zufolge glauben machen, sie würden zur Übergabe der Regierungsgeschäfte auf die Burg gerufen, um sie dann durch das Vertrauen schaffende und Einvernehmen bestätigende Ritual der gemeinsamen Mahlzeit36 noch weiter in Sicherheit zu wiegen – bis er sie schließlich (nach dem Genuss von Alkohol) umso leichter überrumpeln konnte. Dieses von Andreas berichtete Vorgehen Heinrichs stellt selbstverständlich einen Missbrauch des Vertrauens in eingespielte Formen sozialer Interaktion dar, einen Missbrauch, den Andreas mit der Jugendlichkeit des Herzogs zu entschuldigen sucht. Ein vorangegangener Widerstand gegen Steuerforderungen oder das Pochen auf die städtischen Privilegien bleiben hingegen bei Andreas unerwähnt; der Trick des Herzogs diente vielmehr erst dazu, Steuern zu erpressen. Mir kommt es hier nicht auf die Frage der historischen Richtigkeit des bei Andreas wiedergegebenen Ablaufs an. So präsentiert der Chronist Ulrich Füetrer, dessen 35
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Andreas von Regensburg: Chronica pontificum et imperatorum Romanorum, in: Ders.: Sämtliche Werke, hrsg. von Georg LEIDINGER (Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte, Neue Folge, Bd. 1), München 1903, Neudruck Aalen 1969, S. 1-158 und S. 461-501, hier S. 121 f. Vgl. mit Beispielen Gerd ALTHOFF, Der frieden-, bündnis- und gemeinschaftstiftende Charakter des Mahles im früheren Mittelalter, in: Essen und Trinken in Mittelalter und Neuzeit, hrsg. von Irmgard BITSCH, Trude EHLERT und Xenja VON ERTZDORFF, Sigmaringen 1987, S. 13-26, hier S. 22-24; K. S. KRAMER, Mahl und Trunk, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. von Adalbert ERLER und Ekkehard KAUFMANN, Bd. 3, Berlin 1984, Sp. 154-156.
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Familie unmittelbar durch die Vorgänge in Landshut geschädigt wurde,37 einen stärker politisch motivierten Ablauf, bei dem die Szene auf dem Schloss keinen Platz hat, wo jedoch ebenfalls von der Gefangennahme, Enteignung und Verbannung von vier mächtigen Ratsbürgern als Ausgangspunkt des Konflikts die Rede ist.38 Vielmehr geht es mir um das Motiv der missdeuteten Situation, des Missbrauchs zeichenhafter Kommunikation im Bericht des Andreas. Mit diesem Motiv wurde sowohl die Entstehung wie auch die spätere Eskalation des Konflikts erklärt. Beide Berichte – bei Andreas wie bei Füetrer – enden freilich übereinstimmend mit der harten Bestrafung zahlreicher Bürger – oder in den Worten Füetrers: also wurden ir vil getödt, plent und sunst vertriben mit weyben und kinden. Ein ganz ähnliches Motiv wie das bei Andreas von Regensburg soeben erläuterte wird auch aus Würzburg für die Zeit des Bischofs Johann von Brunn (1411-1440) überliefert. Dieser brachte vor allem mit seinen Steuerforderungen die meisten wichtigen Kräfte des Hochstifts, insbesondere Adel und Domkapitel, gegen sich auf. In dieser Situation regte sich noch einmal – und für lange Zeit zum letzten Mal – der Widerstandsgeist der Würzburger Bürgerschaft, die im Windschatten des Domkapitels jetzt wieder auf mehr Selbstbestimmung drängte.39 Der Mainzer Chronist Eberhard Windeck, der aus seiner Heimat dergleichen Probleme einer Stadt mit Bischof und Geistlichkeit nur zu gut kannte, berichtet in seiner „Chronik über Kaiser Sigmund und seine Zeit“: „Im Jahre 1428 wurde der Bischof von Würzburg mit der Stadt Würzburg uneins und wollte ihr eine große Steuer auferlegen, die die Würzburger ihm nicht geben wollten. Da sandte der Bischof nach acht Domherren und nach acht der besten Bürger und lud sie zu ihm ein auf sein Schloss Frauenberg oberhalb der Stadt, dort wollte er mit ihnen reden. Als sie zu ihm kamen, hielt er sie fest (nahm sie gefangen). Auch hatte er heimlich Truppen angeworben, um diese in jener Nacht vor die Stadt zu führen und auf diese Weise Klerus und Bürger zu bezwingen. Als etliche Herren (vom Adel) davon hörten, vermittelten sie und brachten einen Vertrag zustande“ – der freilich nicht von langer Haltbarkeit bleiben sollte. Schließlich resümiert Windeck die Folgen für das Ansehen des Bischofs: „… ihm wurde es (in der Öffentlichkeit) übel ausgelegt, dass er so viele guter und ehrbarer Leute in gutem 37
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Über Füetrer Bernd BASTERT, Der Münchner Hof und Fuetrers ‚Buch der Abenteuer‘. Literarische Kontinuität im Spätmittelalter (Mikrokosmos. Beiträge zur Literaturwissenschaft und Bedeutungsforschung, Bd. 33), Frankfurt am Main u. a. 1993, S. 139-151, hier S. 140. Ulrich Füetrer: Bayerische Chronik, hrsg. von Reinhold SPILLER (Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte, Neue Folge, Bd. 2,2), München 1909, Neudruck Aalen 1969, S. 209 f., das folgende Zitat S. 210. Rolf SPRANDEL, Die Beziehungen der Bischöfe zu der Stadt Würzburg in dem Ratsprotokoll des 15. Jahrhunderts, in: Würzburger Diözesan-Geschichtsblätter 62/63 (2001), S. 527-539, hier S. 528 f.; Ulrich WAGNER, Geschichte der Stadt zwischen Bergtheim 1400 und Bauernkrieg 1525, in: Geschichte der Stadt Würzburg, Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Ausbruch des Bauernkriegs, hrsg. von DEMS., Stuttgart 2001, S. 114-165, hier S. 123-131.
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Glauben hatte einladen lassen und dass er sie dann, als sie zu ihm geritten waren, gefangennahm, ohne seine Ehre zu bewahren“,40 das heißt: sie in dieser Weise zu täuschen, ohne ihnen seine feindlichen Absichten bekannt zu machen. Im Ausdruck unbewarter ere schwingt die Praxis des Fehderechts mit, wonach man die Absicht, den Gegner zu schädigen oder gefangenzunehmen, durch die Übergabe einer Fehdeerklärung zuvor ankündigte, um „seine Ehre zu bewahren“, wie es formelhaft hieß – also eine symbolische Handlung im Kontext des gewohnheitsrechtlich geprägten Fehdewesens. Windeck nimmt für die Städte und deren Bürgerschaft ohne Zögern diese Formen des Fehderechts mit der Formel der „bewahrten Ehre“ sowie des guten Glaubens, solange Verhandlungen im Gange waren, in Anspruch. Diese Anschauung entspricht durchaus der zeitgenössischen Rechtsauffassung der freien Städte und der Reichsstädte, jedenfalls gegenüber Dritten,41 sie muss aber gegenüber einem Bischof, der noch Rechte im stadtherrlichen Kernbereich behauptete wie im Falle Würzburgs (oder auch von Mainz) als zumindest fraglich gelten, was der Mainzer Chronist freilich ignoriert. Die Zitierung fehderechtlicher Stichworte bei Windeck kam hier nicht von ungefähr, wie sich in seiner Chronik bereits drei Abschnitte später zeigt, in dem er anhand Bambergs auf einen weiteren Konflikt zwischen Residenzstadt und Bischof zu sprechen kommt und zunächst ausdrücklich an die zuvor berichteten Würzburger Vorgänge anknüpft. In diesem Bamberger Fall, der in den Kontext des dortigen, lang anhaltenden so genannten Immunitätenstreits gehört,42 ist es nun ausdrücklich die 40
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Eberhart Windeckes Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Zeitalters Kaiser Sigmunds, hrsg. von Wilhelm ALTMANN, Berlin 1893, § 284. Der Autor dieser Studie bereitet eine größere Abhandlung über Windeck und seine Chronik vor. Siehe einstweilen Joachim SCHNEIDER, Das illustrierte ‚Buch von Kaiser Sigmund‘ des Eberhard Windeck. Der wiederaufgefundene Textzeuge aus der ehemaligen Bibliothek von Sir Thomas Phillipps in Cheltenham, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 61 (2005), S. 169-180. Die von Windeck abgekürzt, aber im Grundsatz durchaus richtig wiedergegebenen Vorgänge werden ausführlich und auch aufgrund der urkundlichen Überlieferung überliefert durch Lorenz Fries: Chronik der Bischöfe von Würzburg 742-1495, hrsg. von Ulrich WAGNER und Walter ZIEGLER, Bd. 3: Von Gerhard von Schwarzburg bis Johann II. von Brunn (1372-1440), Würzburg 1999, S. 154-158; auch Fries spricht (ebd., S. 158) davon, die Handlungsweise (hofweis) des Bischofs gegenüber seinen Domherren (und nur diese werden von dem späteren Fries in diesem Zusammenhang genannt, nicht die Bürger!) sei dem Bischof vbel aüsgelegt worden. Thomas VOGEL, Fehderecht und Fehdepraxis im Spätmittelalter am Beispiel der Reichsstadt Nürnberg (1404-1438) (Freiburger Beiträge zur mittelalterlichen Geschichte, Bd. 11), Frankfurt am Main 1998, hier bes. S. 174-179. Diese Vorgänge aus der Regierungszeit des Bischofs Friedrich von Aufseß sind offenbar nur durch Windeck überliefert. Sie gehören in die Vorgeschichte des großen Bamberger Immunitätenstreits unter Bischof Anton von Rotenhan, der durch ein Privileg König Sigmunds für Bamberg von 1431 angeheizt wurde; vgl. Erich FREIHERR VON GUTTENBERG, Das Bistum Bamberg, Teil 1 (Germania Sacra, Abt. 2, Bd. 1), Berlin 1937, S. 246-253, hier S. 250; Helmut FLACHENECKER, Friedrich von
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missbräuchliche Verwendung einer Fehdeerklärung, die Windeck dem Bischof unterstellt: Der Bischof sei der „bösen Gewohnheit“ gefolgt, dass man seinem Gegner für sich allein eine Fehdeerklärung übersende, dann jedoch plötzlich mit hunderten von Helfern, die ihrerseits keinerlei Erklärung abgegeben hätten, vor dem Feind erscheine, diesen schädige und niederwerfe. Als sich die durch den Bischof von Bamberg in Dienst genommenen Ritter diesem üblen Spiel letztlich verweigern, begründen sie dies, Windeck zufolge, allerdings nicht mit der missbräuchlich ausgedehnten Fehdeerklärung, sondern, indem sie die Stadt insgesamt zu einem heiligen und damit für sie unantastbaren sakralen Symbol erklären: „Da kehrten viele von ihnen um und sprachen: ‚Bamberg ist ein erhabener Flecken und ein edles Dorf, das der heilige Kaiser Heinrich Gott befohlen und gewidmet hat: Wir wollen gegen diese Stadt nichts tun‘ – und zogen wieder davon“.43 Die Argumentation mit der höheren, sakralen Würde der Stadt, die hier bezeichnenderweise gegen den amtierenden Bischof gewendet wird, ermöglicht es den Akteuren in dieser Darstellung, aus dem Automatismus der konfliktgeladenen Interaktion einer in Teilen missbräuchlich geführten Fehdehandlung auszusteigen. Windeck war, wie erwähnt, als Mainzer Bürger für die Probleme der Bischofsstädte sensibilisiert. Etwa zwanzig Jahre nach seinem Tode, im Jahre 1462, sollte es in seiner Heimatstadt zu einer dramatischen Situation kommen, die in etwa derjenigen in Halle vom Jahre 1478 vergleichbar ist, die bereits oben ausführlich besprochen wurde. Die Parteiungen in der Mainzer Stiftsfehde von 1459 bis 1463 zwischen Dieter von Isenburg und Adolf von Nassau spiegelten sich auch in Konflikten innerhalb der Mainzer Bürgerschaft wider, was schließlich zur gewaltsamen Eroberung der Stadt durch Adolf von Nassau und im Gefolge dessen zur Kassation der herkömmlichen städtischen Freiheiten der Bürgerschaft führte.44 Aus Mainz selbst ist eine zeitnahe Chronistik über diese Vorgänge nicht erhalten. Lediglich ein Text aus dem Ende des 16. Jahrhunderts existiert, der jedoch ältere Berichte reproduziert bzw. verarbeitet hat. Ein uns hier besonders interessierendes Element jenes späten Berichts wird zudem durch zwei zeitgenössische Berichte, die die „Speyerer Chronik“ überliefert, bestätigt. Auch hier spielt ein entscheidender Irrtum der Bürger über das nächste bevorstehende Element symbolischer Interaktion zwischen Stadtherrn und Bürgerschaft eine Rolle, ein Irrtum, vielleicht auch Illusionen, die alsbald von einem bösen Erwachen abgelöst werden sollten:
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Aufseß (1370-1440), in: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, hrsg. von Erwin GATZ, Berlin 2001, S. 55 f. Windeckes Denkwürdigkeiten (wie Anm. 40), § 287, S. 238 f. Zur Einnahme der Stadt jüngst Kai-Michael SPRENGER, Die Mainzer Stiftsfehde 1459-1463, in: Lebenswelten Johannes Gutenbergs, hrsg. von Michael MATHEUS (Mainzer Vorträge, Bd. 10), Stuttgart 2005, S. 107-141, hier S. 137 f.
Symbolische Elemente der Konfliktaustragung
125
Nach dem Eindringen der Truppen Adolfs von Nassau und dem Ende der Straßenkämpfe wurden einen Tag später alle Bürger auf den Dietmarkt geboten. Die Bürger meinten, sie sollten nun dem Erzbischof Adolf von Nassau als ihrem Stadtherrn huldigen und würden anschließend ihre Privilegien bestätigt bekommen. Stattdessen jedoch mussten die verbliebenen Ratsherren sämtliche Privilegien dem Erzbischof und seinen Helfern aushändigen und alle Anwesenden mussten schwören, nicht wieder in ihre Häuser zurückzukehren, sondern die Stadt umgehend zu verlassen.45 Offenbar war vor der Versammlung auf dem Dietmarkt aus taktischen Gründen bewusst offen gelassen worden, welche symbolische Handlung zwischen Bürgerschaft und Stadtherr als nächstes folgen würde: die Huldigung und möglichst auch die Bestätigung der Privilegien, also die Aufnahme der Bürger in die Gnade des Stadtherrn – oder eine harte kollektive Bestrafung. Letzteres trat ein. Die Weckung von Illusionen über eine bevorstehende förmliche Begnadigung und der daraus resultierende Zustrom zu der Versammlung erleichterten es, dann unter latenter Androhung von Waffengewalt gegenüber den Versammelten auf dem engen Platz die förmliche Zustimmung der Bürger zu diesen Strafmaßnahmen zu erlangen und letztere unmittelbar anschließend durchzusetzen. Fassen wir die Beobachtungen kurz zusammen: Sich auf Gnade zu ergeben, auf Gnade zu hoffen, und dennoch hart bestraft zu werden, ist ein mehrfach in der Chronistik erscheinendes Motiv: So im Falle Würzburgs im Jahre 1400, aber auch in Amberg 1453 oder in Mainz 1462. Ist der Stadtherr siegreich, scheint eine harte Bestrafung zumindest einiger Rädelsführer unumgänglich gewesen zu sein, um den Sieg des Stadtherrn und die Unterwerfung der Stadt auch öffentlichwirksam darzustellen und im Bewusstsein der Lebenden und, zum Beispiel auf dem Wege über die Geschichtsschreibung, auch in der Erinnerung der Nachgeborenen zu verankern.46 45
46
Speierische Chronik, hrsg. von Franz Josef MONE, in: Quellensammlung der badischen Landesgeschichte Bd. 1, Karlsruhe 1848, S. 367-520, hier S. 477, weiterer knapper Bericht ebd., S. 478. Mainzer Chronik II 1459-1484, in: Die Chroniken der mittelrheinischen Städte: Mainz, Bd. 2, hrsg. von Karl HEGEL (Die Chroniken der deutschen Städte, Bd. 18), Leipzig 1881, S. 14-86, hier S. 5658. So übertreibt Veit Arnpeck: Chronica Baioariorum (wie Anm. 32), S. 405 f., wohl schon unter dem Eindruck lokaler mündlicher Überlieferung stehend, was die Zahl der Enthaupteten und wohl auch, was die fortdauernde symbolische Bestrafung der Aufständischen nach der Beseitigung des Münchner Regiments der 300 im Jahre 1403 angeht, dass nämlich einige Bürger noch ein Jahr lang Stricke um den Hals hätten tragen müssen. Siehe DIRSCH-WEIGAND, Stadt und Fürst (wie Anm. 34), S. 88-94, hier S. 92 f.; zu den Münchner Vorgängen jetzt auch Christine RÄDLINGER, Die große Krise. Finanzielle Probleme und Verfassungskämpfe, in: Geschichte der Stadt München, hrsg. von Richard BAUER, München 1992, S. 97-119. – Auch in dem bereits angesprochenen Fall des „Verrats“ der Kasseler Bürgerschaft berichtet die spätere Chronistik über ein hartes Strafgericht des Landgrafen, so Johannes Nuhn in der Chronica und altes Herkommen (wie Anm. 1) wie auch bereits die Limburger Chronik (ebd.); dieses Strafgericht ist allerdings gut belegt: BAUMGÄRTNER, Niederhessen (wie Anm. 1), S. 149.
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Joachim Schneider
Im Zustandekommen – oder Nicht-Zustandekommen – von Huldigung und Privilegienbestätigung als rechtsbegründende rituelle Akte verdichteten sich häufig die Konflikte in den Residenzstädten zwischen Stadt und Stadtherr. Diese Handlungselemente werden dementsprechend von den Chronisten häufig stärker hervorgehoben, während innere Widersprüche zwischen verschiedenen Parteien in den Städten und alltägliche Reibungspunkte und Überlagerungen zwischen Hof und Stadt in der auf Stringenz zielenden Geschichtsschreibung zurücktreten. Ausführliche Memoriale wie die des Münchners Jörg Kazmair über die Münchener Unruhen47 oder von Marcus Spittendorff aus Halle sind in dieser Hinsicht tendenziell anders charakterisiert: Hier erscheinen jene rituellen Akte nur als ein Element in einem länger andauernden, überwiegend diskursiv (und eben nicht nur in symbolischen Formen) ausgetragenen Konflikt. Im Ganzen steht die Interaktion zwischen (Residenz-)Stadt und Stadtherr eindeutig im Vordergrund. Nur recht selten erscheinen Reibungspunkte und Überschneidungen zwischen Hofgesellschaft und Stadtbürgertum als Elemente des Geschehens – und dann auch weniger in der Weise rituell-sichtbarer Interaktion, sondern vielmehr eher im Verborgenen: Bemerkungen bei Gerstenberg, bei Sigmund Meisterlin oder auch im Falle Landshuts bei Ulrich Füetrer48 sind hier zu nennen. Nur in dem fast protokollartigen Bericht Spittendorffs spielen die Räte und andere adlige Mitglieder des erzbischöflichen Hofes eine spezifische, funktionale Rolle in der in diesem Falle ausführlich überlieferten Kommunikation zwischen Stadt und Stadtherrn – und sei es diejenige, als „Puffer“ zu fungieren, das heißt, je nachdem, als Mittelsmänner oder auch als Abschirmung, solange der Erzbischof nicht bereit ist, mit den Pfännern auch direkt zu sprechen.49 Wichtige symbolische Elemente der Konfliktaustragung waren, wie wir sahen, das Verlangen nach der Verfügung über die Stadtschlüssel, provozierend wirkende Arbeiten an Befestigungen, die ostentative Besetzung der Stadtbefestigung mit Türmen und Toren,50 aber auch Bestrafungen an Leib und Leben, am Körper zu tragende Schand47
48
49 50
Jörg Kazmair’s Denkschrift, in: Die Chroniken der baierischen Städte: Regensburg, Landshut, Mühldorf, München, hrsg. von Karl August VON MUFFAT (Die Chroniken der deutschen Städte, Bd. 15), Leipzig 1878, Neudruck Göttingen 1967, S. 411-552, zur Frage der Huldigung S. 481 f. Füetrer (wie Anm. 38), S. 210: Danach führte die Liebesbeziehung einer Bürgersfrau zu einem Hofmann dazu, dass Aufstandspläne der Landshuter Bürger im Jahre 1410 dem Hofmeister verraten wurden. Siehe auch die Fälle Frankenberg bei Gerstenberg und Nürnberg bei Meisterlin (oben bei Anm. 16 und 19). Denkwürdigkeiten Spittendorff (wie Anm. 22), hier zum Beispiel S. 392 f. Zusätzlich zu den oben bereits im Zusammenhang genannten Zeugnissen ist hier noch der Zusatz in der Handschrift des Johannes Chrafft, Predigers zu Cham, zur Kaiser- und Papstchronik des Andreas von Regensburg zu nennen, wonach Pfalzgraf Friedrich der Siegreiche zu Amberg 1453 „betrügerisch wie ein Fuchs, wild wie ein Wolf und mächtig wie ein Löwe“ mit seinem riesigen Heer in Amberg eingeritten und die Tore mit Adligen sowie mit jeweils 40 Bauern besetzt habe: Andreas
Symbolische Elemente der Konfliktaustragung
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zeichen51 und die Verbannung – andererseits die feierliche Aufnahme bzw. das Einreiten des Herrn in die Stadt. Die potentielle, gelegentlich auch gezielt genutzte Ambivalenz von Teilhandlungen symbolischer Interaktion, Verweigerung oder Missbrauch und die Irreführung des Gegners über die Funktion und Bedeutung von Kommunikationselementen konnte ebenso beobachtet werden wie eine vorherige Abstimmung über Bedeutung und Einsatz bestimmter Elemente. Eine gezielte Irreführung des Gegners konnte der Situationsmächtige dazu nutzen, den Konflikt noch einmal zu verschärfen, die Konfliktbeendigung zunächst zu verweigern oder auch, um eine sonst unumgängliche allgemeine Begnadigung zugunsten der häufig vorgezogenen, harten Bestrafung von Rädelsführern zu vermeiden. Berichte und Vorwürfe über ein solches Verhalten, wenn dies hergebrachte, auf Verlässlichkeit abstellende Kommunikationsverfahren missachtete – solche Berichte konnten auch in polemischer Absicht vorgebracht und verbreitet werden, so dass sie in der Folge rufschädigend für den betreffenden Konfliktpartner wirken konnten, der „sich nicht an die Regeln hielt“ – wie dies etwa bei Heinrich dem Reichen von Landshut oder auch bei dem Bischof von Würzburg sichtbar wird. Auch wenn nicht wenige Konflikte in Residenzstädten ohne chronikalischen Niederschlag geblieben sind: Neben der urkundlichen und auch der monumentalen Überlieferung müssen die überlieferten Chroniken des Spätmittelalters, soweit sie denn entsprechende Berichte enthalten, als erstrangige Zeugnisse für das Geschehen, aber auch über die zeitgenössischen Diskurse gelten. Denn gerade hier, in den Chroniken, werden die symbolische Interaktion, werden rituelle Abläufe und schließlich auch die daraus resultierenden und damit verbundenen zeitgenössischen Deutungen über das Konflikt-Geschehen sichtbar.
51
von Regensburg: Chronica (wie Anm. 35), hier die Zusätze des Johannes Chrafft, ebd. S. 710 f., hier S. 711. Ein solches, hier eher vereinzelt erscheinendes Detail bei Veit Arnpeck, siehe bei Anm. 46.
Repräsentation durch Inschriftenträger Symbolische Kommunikation und Integration des Adels zwischen Hof und Grundherrschaft in den beiden österreichischen Erzherzogtümern im 15. und 16. Jahrhundert Andreas H. Zajic, Wien Patior ut potiar. Johann Michael Moscherosch, Centuria II. epigrammatum. Frankfurt 1665, Epigramm 37: Ad Aulicum.
Die Erforschung der Stände Österreichs im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit zählte in der jüngeren Vergangenheit nicht zu den hervorragenden Interessensgebieten der Geschichtswissenschaft: ein einschlägiger und dabei vor allem ältere Beiträge umfassender Literaturüberblick ist rasch zusammengestellt1. 1
Auf kleinere Beiträge und Detailstudien kann hier nicht eingegangen werden. Für das Spätmittelalter vgl. als ersten Überblick die knappen Zusammenfassungen bei Alois NIEDERSTÄTTER, Die Herrschaft Österreich. Fürst und Land im Spätmittelalter (Österreichische Geschichte 1278-1411), Wien 2001, S. 27-37 und 307-333 bzw. DERS., Das Jahrhundert der Mitte. An der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit (Österreichische Geschichte 1400-1522), Wien 1996, S. 45-60 und 215-221. Die Eckpunkte der Forschungsdiskussion zum österreichischen Adel des Spätmittelalters nach Otto Brunner umreißt Joachim SCHNEIDER, Spätmittelalterlicher deutscher Niederadel. Ein landschaftlicher Vergleich (Monographien zur Geschichte des Mittelalters, Bd. 52), Stuttgart 2003, S. 254-271, vgl. dazu die Rezension von Herwig WEIGL, in: Unsere Heimat. Zeitschrift für Landeskunde von Niederösterreich 75 (2004), S. 373-376. Völlig unterrepräsentiert ist die spezifische Situation in Österreich in der Darstellung bei Ernst SCHUBERT, Fürstliche Herrschaft und Territorium im späten Mittelalter (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 35), 2. Aufl. München 2006. Im weiteren Sinn prosopographisch ausgerichtet sind die ungedruckten Wiener Dissertationen von Eva ZERNATTO, Die Zusammensetzung des Herrenstandes in Österreich ob und unter der Enns von 1406 bis 1519, Diss. Wien 1966, und Georg TURBA, Der Ritterstand in Österreich um die Mitte des 15. Jahrhunderts, Diss. Wien 1970. Siehe zur Ausbildung von österreichischem Herren- und Ritterstand im Spätmittelalter (mit jedoch nicht allgemein akzeptierten Methoden und Ergebnissen) Peter FELDBAUER, Herren und Ritter (Herrschaftsstruktur und Ständebildung, Bd. 1), Wien 1973. Für den geplanten vierten Teil des Handbuchs der Göttinger Residenzen-Kommission, „Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Grafen und Herren“ (Siehe http://resikom.adw-goettingen.
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Andreas H. Zajic
gwdg.de/projekt.php#Grafen), werden Roman ZEHETMAYER und Günter MARIAN das Überblickskapitel über die Entwicklung des österreichischen Herrenstands bearbeiten. Für die Frühe Neuzeit vgl. die hilfreiche Bibliographie von Thomas WINKELBAUER, Der Adel in Ober- und Niederösterreich in der Frühen Neuzeit. Versuch eines Literaturüberblicks (seit etwa 1950), in: Spojující a rozdělující na hranici – Verbindendes und Trennendes an der Grenze (Opera Historica, Bd. 2), České Budějovice 1992, S. 13-33, überblicksweise zusammenfassend DERS., Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter (Österreichische Geschichte 1522-1699), Wien 2003, Bd. 1, S. 173-201. Im weiteren Sinn prosopographisch ausgerichtet sind wiederum zwei ungedruckte Wiener Dissertationen: Eva SCHIMKA, Die Zusammensetzung des niederösterreichischen Herrenstandes 1520-1620, Diss. Wien 1967; Dagmar SCHOPF, Die im Zeitraum von 1620-1740 erfolgten Neuaufnahmen in den niederösterreichischen Herrenstand, Diss. Wien 1966. Mehr oder weniger knappe Überblicke mit faktischen (in der Interpretation auch teilweise fehlerhaften und in der Synthese überholten) Informationen zu den Ständen Österreichs bieten Herbert HASSINGER, Die Landstände der österreichischen Länder. Zusammensetzung, Organisation und Leistung im 16.-18. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich N.F. 36 (1964), S. 989-1035 und 999-1009; Karl GUTKAS, Die Stände Österreichs im 16. Jahrhundert, in: Renaissance in Österreich. Niederösterreichische Landesausstellung Schloß Schallaburg 22. Mai bis 14. November 1974 (Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums, N.F. Bd. 57), 2. Aufl. Wien 1974, S. 384-403; Volker PRESS, Adel in den österreichischböhmischen Erblanden und im Reich zwischen dem 15. und dem 17. Jahrhundert, in: Adel im Wandel. Politik – Kultur – Konfession 1500–1700. Niederösterreichische Landesausstellung Rosenburg 12. Mai-28. Oktober 1990 (Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums N.F. Bd. 251), Wien 1990, S. 19-31 (mit mehreren faktischen Fehlern in Bezug auf einzelne Adelsfamilien); Richard PERGER, Die Zusammensetzung des Adels im Land unter der Enns, in: Adel im Wandel (wie oben), S. 33-43; Silvia PETRIN, Die Stände des Landes Niederösterreich (Wissenschaftliche Schriftenreihe Niederösterreich, Bd. 64), St. Pölten und Wien 1982; DIES., Die Niederösterreichischen Stände im 16. und 17. Jahrhundert, in: Adel im Wandel (wie oben), S. 285-306. Erst in jüngster Zeit beginnt sich im Zuge der Überwindung der historiographischen Paradigmata „Absolutismus“ bzw. „Dualismus“ von Landesfürst und Ständen (wieder) eine Auseinandersetzung mit den österreichischen Ständen als autonomem Forschungsgegenstand zu entwickeln, vgl. William D. GODSEY Jr., Herrschaft und politische Kultur im Habsburgerreich. Die niederösterreichische Erbhuldigung (ca. 1648-1848), in: Aufbrüche in die Moderne. Frühparlamentarismus zwischen altständischer Ordnung und monarchischem Konstitutionalismus 1750-1850. Schlesien – Deutschland – Mitteleuropa, hrsg. von Roland GEHRKE, Köln, Weimar und Wien 2005, S. 141-177; DERS., Adelsautonomie, Konfession und Nation im österreichischen Absolutismus ca. 1620-1848, in: Zeitschrift für Historische Forschung 33 (2006), S. 197-239; Bündnispartner oder Konkurrenten der Landesfürsten? Die Stände in der Habsburgermonarchie, hrsg. von Gerhard AMMERER u. a. (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Bd. 49), Wien und München 2007, darin bes. der Beitrag der Herausgeber, Die Stände in der Habsburgermonarchie. Eine Einleitung, S. 13-41; bzw. Arno STROHMEYER, Von Vätern und Köpfen. Anthropologische Dimensionen landesfürstlich-ständischer Kommunikationsräume in habsburgischen Territorien (16./17. Jahrhundert), S. 45-67, und Petr MAŤA, Wer waren die Landstände? Betrachtungen zu den böhmischen und österreichischen „Kernländern“ der Habsburgermonarchie im 17. und frühen 18. Jahrhundert, S. 68-89. Die Interaktion von Landesfürst und Ständen hatte zuvor schon Karin J. MACHARDY, Der Einfluß von Status, Konfession und Besitz auf das politische Verhalten des niederösterreichischen Ritterstandes 1580-1620, in: Spezialforschung und „Gesamtgeschichte“. Beispiele und Methoden-
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Auch die Frage nach der Integration des österreichischen Adels an den habsburgischen Höfen, bedeutendes methodisches Kernstück neuerer Hofforschung, wurde bisher nur zu einzelnen Regenten des 14. bis 18. Jahrhunderts konsequent gestellt und beantwortet.2 Für die Zeit nach 1620 liegen jetzt intensive Versuche der neueren Forschung vor, die Wechselbeziehungen zwischen Ständen/Adel und Landesfürsten/ Kaiser unter dem Gesichtspunkt der Überwindung des längste Zeit akzeptierten Absolutismusparadigmas neu zu beleuchten, wobei allerdings wiederum der analytische und interpretative Ansatz der Hofforschung dominiert.3
2
3
fragen zur Geschichte der frühen Neuzeit, hrsg. von Grete KLINGENSTEIN und Heinrich LUTZ (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit, Bd. 8), Wien 1981, S. 56-83 und DIES., War, Religion and Court Patronage in Habsburg Austria. The Social and Cultural Dimensions of Political Interaction, 1521-1622, Houndsmills, Basingstoke 2003, konsequent von der Seite der Stände, nicht von der Seite des Hofs her beleuchtet. Vgl. etwa Christian LACKNER, Hof und Herrschaft. Rat, Kanzlei und Regierung der österreichischen Herzoge (1365–1406). (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 41), Wien und München 2002 bzw. DERS., Österreich (ob und unter der Enns, Steiermark, Kärnten, Krain, Tirol, Vorderösterreich), in: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Ein dynastisch-topographisches Handbuch, hrsg. von Werner PARAVCINI, Teilbd. 2: Residenzen (Residenzenforschung, Bd. 15,1,2), Ostfildern 2003, S. 846-854; Paul-Joachim HEINIG, Kaiser Friedrich III. (1440-1493). Hof, Regierung und Politik (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii, Bd. 17), Köln, Weimar und Wien 1997; Heinz NOFLATSCHER, Räte und Herrscher. Politische Eliten an den Habsburgerhöfen der österreichischen Länder 1480-1530 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung Universalgeschichte, Bd. 161; Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches, Bd. 14) Mainz 1999; Stefan SIENELL, Die Geheime Konferenz unter Kaiser Leopold I. Personelle Strukturen und Methoden zur politischen Entscheidungsfindung am Wiener Hof (Beiträge zur Neueren Geschichte Österreichs, Bd. 17), Frankfurt am Main u. a. 2001. Zur Forschungsdiskussion um die Adelsintegration am Wiener Hof der Frühneuzeit und die Standpunkte und Methoden der Hofforschung im internationalen Zusammenhang vgl. Jeroen DUINDAM, Vienna and Versailles. The Courts of Europe’s Dynastic Rivals, 1550-1780, Cambridge u. a. 2003; Mark HENGERER, Kaiserhof und Adel in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Eine Kommunikationsgeschichte der Macht in der Vormoderne (Historische Kulturwissenschaft, Bd. 3), Konstanz 2004, S. 12-20; Andreas PEČAR, Die Ökonomie der Ehre. Der höfische Adel am Kaiserhof Karls VI. (1711-1740), Darmstadt 2003, S. 1-19. Zum Geheimen Rat nach 1620 vgl. immer noch Henry Frederick SCHWARZ, The Imperial Privy Council in the Seventeenth Century, Cambridge (Mass.) und London 1943. Vgl. zum aktuellen Standpunkt der Historiographie der frühneuzeitlichen Habsburgermonarchie und ihrer Höfe Jeroen DUINDAM, Im Herzen der zusammengesetzten Habsburgermonarchie: Quellen zu einer neuen Geschichte des Hofes, der Regierung und der höfischen Repräsentation, in: Die Habsburgermonarchie in der Frühen Neuzeit – eine exemplarische Quellenkunde, hrsg. von Josef PAUSER, Martin SCHEUTZ und Thomas WINKELBAUER (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 44), Wien und München 2004, S. 21-32; zuletzt programmatisch die Beiträge im Sammelband Die Habsburgermonarchie 1620 bis 1740. Leistungen und Grenzen des Absolutismusparadigmas, hrsg. von Petr MAŤA und Thomas WINKELBAUER (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa, Bd. 24) Stuttgart 2006, bes.
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Andreas H. Zajic
In der Folge werden zunächst die Strukturen der Integration des österreichischen Adels an den habsburgischen Höfen im zu untersuchenden Zeitraum knapp umrissen (1). Im Anschluss daran sollen beispielhaft Medien symbolischer Kommunikation mit epigraphischen Gestaltungsaspekten vorgestellt werden, die Aufschluss über Reflexe der Selbstsicht und Selbstverortung Adeliger zwischen Hof und Grundherrschaft geben können. Der Schwerpunkt wird dabei auf den inschriftlichen Titulaturen des österreichischen Adels (2), seinen Grablegen und deren Inschriften (3), der Interpretation von Adelsherrschaft im Rahmen von Bauinschriften (4) und schließlich der Selbstvergewisserung des Adels durch identitätsstiftende beschriftete Memorialobjekte liegen (5). Ein Exkurs zu den Medien symbolischer Kommunikation in einer adeligen Residenz (6) schließt den exemplarischen Überblick. 1. Einleitung: Die österreichischen Stände und der Adel am Hof – Versuch eines zeitlichen Längsschnitts Der landsässige österreichische, (Frei-)Herren und Grafen im Herrenstand sowie Ritter und Knechte im Ritterstand vereinigende Adel stellte noch bis ins späte 16. Jahrhundert eine nach der regionalen Herkunft relativ homogene und in Hinblick auf die ständische Hierarchie permeable Personengruppe dar, die ursprünglich landfremde Funktionsträger des landesfürstlichen bzw. königlichen und kaiserlichen Habsburgerhofs in der Regel rasch und erfolgreich integrierte:4 weit überwiegend
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(zum Standpunkt der neuen Zugangsweisen und mit ausführlichem Literaturüberblick zur lebhaften Forschungsdiskussion) DIES., Einleitung: Das Absolutimuskonzept, die Neubewertung der frühneuzeitlichen Monarchie und der zusammengesetzte Staat der österreichischen Habsburger im 17. und frühen 18. Jahrhundert, S. 7-42; Karin J. MACHARDY, Staatsbildung in den habsburgischen Ländern in der Frühen Neuzeit. Konzepte zur Überwindung des Absolutismusparadigmas, S. 73-98 und Petr MAŤA, Landstände und Landtage in den böhmischen und österreichischen Ländern (16201740). Von der Niedergangsgeschichte zur Interaktionsanalyse, S. 345-400. Parallel dazu wurde jüngst auch darauf hingewiesen, dass die früher oft als Ergebnis einer „absolutistischen“ Entwicklung angesehene Durchdringung des Untertanenverbands auf der Ebene der Grundherrschaften mit den Strukturen einer „staatlichen“ Zentralverwaltung auch nach 1620 tatsächlich eher auf der Nutzbarmachung und Überformung alter ständischer Ämterstrukturen wie des Verordnetenkollegs oder der Funktionen der Kommissare und Oberkommissare und der jenen entsprechenden Organisations- und Verwaltungseinheiten beruhte, vgl. dazu besonders die Arbeiten von William GODSEY Jr., etwa Stände, Militärwesen und Staatsbildung in Österreich zwischen Dreißigjährigem Krieg und Maria Theresia, in: AMMERER u. a., Bündnispartner (wie Anm. 1), S. 233-267. Aus der Blickrichtung der Hofforschung wurde naheliegenderweise meist der umgekehrte Integrationsprozess des landständischen Adels am bzw. durch den Hof im Sinne einer „Disziplinierung“ unterstrichen. De facto existieren im 15. Jahrhundert kaum noch landsässige Grafengeschlechter im Land, auch die Gruppe der Knechte hatte im Sinne ständischer Distinktion am unteren Rand des Niederadels praktisch fast völlig ihre Bedeutung verloren.
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erwarben die aus dem Ausland stammenden Funktionäre im Fürstendienst Landgüter in Österreich und damit auch die Landstandschaft.5 Für den österreichischen Adel hatte ein potentieller Karriereverlauf in landesfürstlichen bzw. königlichen Diensten noch im frühen 15. Jahrhundert nur bedingt eine attraktive Lebensperspektive dargestellt.6 Neben aufstrebenden rittermäßigen oder „adelsfähigen“ Bürgern der großen österreichischen Städte suchten im 15. Jahrhundert zunächst vor allem Niederadelige ihre Chancen im landesfürstlichen bzw. königlichen und kaiserlichen Verwaltungsapparat und Rat, wobei einzelnen prominenten Angehörigen des Rats Herzog Albrechts V. (als König: II.), oft erfolgreichen Finanzexperten, ein Aufstieg aus dem Niederadel wenigstens in den Freiherrenstand gelang. Der Regierungsantritt Friedrichs III. auf dem österreichischen Herzogsthron brachte zunächst eine von den Zeitgenossen mit Unruhe beobachtete Umwälzung in der Prosopographie der landesfürstlichen Räte mit sich.7 Während bis dahin Angehörige alter österreichischer Herrenfamilien im Rat dominiert hatten, nutzten nun vermehrt Karrieristen aus der Steiermark, die zuvor in regionalen Pfandschaften und Ämtern bedeutendes Barvermögen angehäuft hatten, die Chancen einer Anbindung an den Wiener bzw. Wiener Neustädter Hof Friedrichs III. Der aus steirischer Ritterfamilie stammende Kaspar von Roggendorf8 diente sich mit der Verwaltung verschiedener Mauten und in Söldnerführerfunktionen zunächst in den Herrenstand und zuletzt bis zum Kuchelmeister Friedrichs an dessen Sterbebett in Linz hoch und wurde von Maximilian I. als versierter Finanztechniker in die neuen landesfürstlichen Rechenkammern und das Niederösterreichische Regiment beordert. Kaspars Sohn Wilhelm 5
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Vgl. Georg HEILINGSETZER, Adel in der Stadt. Spätmittelalter und Frühe Neuzeit, in: Stadt und Prosopographie. Zur quellenmäßigen Erforschung von Personen und sozialen Gruppen in der Stadt des Spätmittelalters und der frühe Neuzeit, hrsg. von Peter CSENDES und Johannes SEIDL (Forschungen zur Geschichte der Städte und Märkte Österreichs, Bd. 6), Linz 2002, S. 382, mit dem Beispiel Gabriels von Salamanca(-Ortenburg). SCHNEIDER, Niederadel (wie Anm. 1), S. 256, stellte in Zusammenhang mit der Bindung des österreichischen Adels an den Landesherren fest, dass „landesfürstliche Ämter und unmittelbar dem Landesherren unterstehendes Gut vor allem im Osten des Landes nur eine ganz geringe Rolle spielten“, NIEDERSTÄTTER, Herrschaft (wie Anm. 1), S. 30 f. und 36 f. bzw. DERS., Jahrhundert (wie Anm. 1), S. 50 f. bewertete – allerdings auch mit Blick auf landfremde Amtsträger – die Aufstiegschancen spätmittelalterlicher Adeliger in hofnahen Funktionen oder als Söldnerführer positiver, konzedierte jedoch an anderer Stelle (Jahrhundert, S. 53), dass der Eintritt in ein Dienstverhältnis „den persönlichen wie politischen Spielraum eines Adeligen“ einengte. Vgl. HEINIG, Kaiser Friedrich III. (wie Anm. 2), S. 32-48. Siehe zu ihm Andreas ZAJIC, Kaspar von Roggendorf (gest. 1506). Karrierist und Kunstliebhaber, in: Waldviertler Biographien, Bd. 2, hrsg. von Harald HITZ u. a. (Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes, Bd. 45), Horn und Waidhofen a. d. Thaya 2004, 9-32. Zur Familie bereitet der Verfasser einen Beitrag im geplanten vierten Teil des Handbuchs der Göttinger ResidenzenKommission, „Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Grafen und Herren“ (wie Anm. 1) vor.
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Andreas H. Zajic
von Roggendorf9 wurde schließlich Obersthofmeister Ferdinands I., dessen Sohn Christoph als ausgesprochener Günstling10 Ferdinands 1537 in den Reichsgrafenstand erhoben. Den rasantesten Aufstieg erlebten wohl die mit den Roggendorfern verwandten steirischen Brüder Sigmund und Heinrich Prüschenk,11 die zunächst ebenfalls in den Freiherrenstand erhoben wurden und nach Aussterben der Grafen von MaidburgHardegg den Titel Reichgrafen von Hardegg, auf Glatz und im Machland an sich bringen konnten. Die Resistenz weiter Teile des österreichischen Herrenstands gegen Ämterlaufbahnen am habsburgischen Hof weichte sich um 1500 rasch auf und zunehmend mehr Herren „wußten die Vorteile zu nutzen, die ihnen eine Mitgliedschaft in den Hofkollegien bringen konnte, und nahmen zielbewußt an der Tätigkeit dieser Hof- und faktisch auch Staatsämter teil“ – ein neu entdecktes Aufgaben- und Perspektivenbündel, dessen Potential sich den böhmischen und mährischen Adeligen erst mit gewisser Verspätung ab den 1540er Jahren erschloss.12 Zahllose Beispiele zeigen, dass österreichische Adelige im 16. Jahrhundert gleichermaßen, wenn auch selten zeitlich nebeneinander, einerseits ständische Funktionen 9
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Siehe zu ihm in Zukunft knapp Andreas ZAJIC, Rog(g)endorf, Wilhelm von [Kurzbiographie], in: Who is Who in the Habsburg Empire, Bd. 1: Politics, Military, Jurisdiction 1526-1648, hrsg. von Géza PÁLFFY (in Vorbereitung), vgl. vorerst knapp Georg HEILINGSETZER, Karl V., Ferdinand I. und der österreichische Adel, in: Karl V. 1500-1558. Neue Perspektiven seiner Herrschaft in Europa und Übersee, hrsg. von Alfred KOHLER, Barbara HAIDER und Christine OTTNER, Wien 2002, S. 373-391, hier S. 386, mit Angabe der älteren Literatur. Zum Günstling/Favoriten als Sonderfall höfischer Patronage vgl. die Beiträge in Der Fall des Günstlings. Hofparteien in Europa vom 13. bis zum 17. Jahrhundert, hrsg. von Jan HIRSCHBIEGEL und Werner PARAVICINI (Residenzenforschung, Bd. 17), Ostfildern 2004. Siehe knapp NOFLATSCHER, Räte (wie Anm. 2), S. 157, und HEINIG, Kaiser Friedrich III. (wie Anm. 2), S. 69, dem der am Beginn seiner Karriere stehende Sigmund resümierend als „ein das besondere Vertrauen des Kaisers besitzender Ritter steirischer Herkunft mit Ambitionen in Oberösterreich“ gilt; ausführlicher ebd., S. 78-88. Siehe Jaroslav PÁNEK, Hofämter – Landesämter – Staatsämter zwischen Ständen und Monarchie an der Schwelle zur Neuzeit. Die böhmischen und österreichischen Länder im Vergleich, in: Ständefreiheit und Staatsgestaltung in Ostmitteleuropa. Übernationale Gemeinsamkeiten in der politischen Kultur vom 16.-18. Jahrhundert, hrsg. von Joachim BAHLCKE, Hans-Jürgen BÖMELBURG und Norbert KERSKEN, Leipzig 1996, S. 39-50, das obige Zitat auf S. 47 f. Dafür zogen der Innsbrucker und Ambraser Hof Ferdinands von Tirol nach dessen Statthalterschaft in Böhmen naheliegenderweise besonders viele Böhmen und Mährer an. Siehe Václav Bůžek, Der böhmische und mährische Adel am Hof Ferdinands von Tirol in Innsbruck und Ambras, in: Der Innsbrucker Hof. Residenz und höfische Gesellschaft in Tirol vom 15. bis 19. Jahrhundert, hrsg. von Heinz NOFLATSCHER und Jan Paul NIEDERKORN (Archiv für Österreichische Geschichte, Bd. 138), Wien 2005, S. 425-438. Zur mangelhaften Integration des ungarischen Adels am Wiener Hof nach 1526 siehe Géza PÁLFFY, Der Wiener Hof und die ungarischen Stände im 16. Jahrhundert, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 109 (2001), S. 346-381, bes. S. 376-381.
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bekleideten und andererseits Ämter der landesfürstlichen Verwaltung bedienten. Ein Wechsel vom ständischen Einnehmer- oder Obereinnehmer- in das landesfürstliche Vizedomamt oder vom Beisitzer der Niederösterreichischen Landrechte in die Niederösterreichische Regierung war keineswegs unüblich, sondern durchaus häufig zu beobachten.13 Ähnlich scheint der Karrieresprung vom Herrenstandsverordneten zu kaisernahen (oder wenigstens habsburgischen erzherzoglichen) Hofämtern oder Diensten der landesfürstlichen Verwaltung im späten 16. und im 17. Jahrhundert häufig erfolgt zu sein, da von der personalen Verflechtung die Interessen sowohl des Kaiserhauses als auch des Herrenstands profitieren konnten14. Umgekehrt übten zahlreiche Angehörige des Hochadels alternativ zu oder neben ihren Hofämtern auch hohe ständische Funktionen aus, zu deren Erlangung eine am Hof begonnene Karriere dienlich war.15 Entscheidend für die Fokussierung der Bezugsfelder, innerhalb derer die Verortung der eigenen Person erfolgen sollte, waren zweifellos Funktion und Intention des Mediums und der anzusprechende Adressatenkreis. Gundaker von Polheim (157513
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Dementsprechend häufig sind auch parallele Bezeichungen Verstorbener in Grabinschriften, etwa als kaiserlicher Rat einer- und Herrenstandsverordneter andererseits. Eine konsequente Analyse von Karriereverläufen österreichischer Adeliger unter diesem Gesichtspunkt könnte weitere Klärung bringen. Problemorientierte Studien zu den Inhabern ständischer Ämter des 16. und 17. Jahrhunderts fehlen aber bisher völlig, wohl nicht zuletzt deshalb, weil sie auf umfangreichen biographisch-prosopographischen Vorarbeiten aufbauen müssten. Vgl. HENGERER, Kaiserhof (wie Anm. 2), S. 541-546. Gundaker von Polheim wurde etwa im Jahr 1623 annähernd gleichzeitig Reichshofrat und Verordneter des Herrenstands unter der Enns, siehe Kurt HOLTER, Die verschollenen Grabmäler der Polheimer bei den Minoriten in Wels. Beiträge zur Geschichte der Welser Polheimer, in: Jahrbuch des Musealvereines Wels 16 (1969/70), S. 33-74, hier S. 51. Die von den Habsburgern forcierte Bevorzugung von kaisernahen Hofamtsträgern aus dem Herrenstand gegenüber Angehörigen ritterständischer Familien auch in rein ständischen Funktionen und Angelegenheiten zeichnete sich schon vor 1600 ab: Zur Verbitterung des Ritterstands unter der Enns hatte etwa den Vorsitz des Wiener Landtags vom 16. Juni 1591 in Abwesenheit des von Amts wegen zuständigen Landmarschalls (aus dem Herrenstand) nicht, wie gewöhnlich vorgesehen, der aus dem Ritterstand stammende Landuntermarschall geführt, sondern – mit ausdrücklicher Billigung Erzherzog Ernsts – der herrenständische Reichshofrat Gabriel Streun von Schwarzenau. Siehe Andreas ZAJIC, „Zu ewiger gedächtnis aufgericht“. Grabdenkmäler als Quelle für Memoria und Repräsentation von Adel und Bürgertum im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit. Das Beispiel Niederösterreichs (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 45), Wien und München 2004, S. 317. Zum massiven Druck Rudolfs II. auf die Stände, katholische Verordnete zu wählen, vgl. Arno STROHMEYER, Die Disziplinierung der Vergangenheit: Das „alte Herkommen“ im politischen Denken der niederösterreichischen Stände im Zeitalter der Konfessionskonflikte (ca. 1570 bis 1630), in: Die Konstruktion der Vergangenheit, hrsg. von Joachim BAHLCKE und Arno STROHMEYER (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 28), Berlin 2002, S. 99-127, hier S. 112-114. Vgl. zur Elitenmobilität „von der Region über den Hof oder zumindest vom Hof zur Region“, wobei der Hof „als Durchgangsstadium auch für erste Positionen an der Peripherie“ diente, NOFLATSCHER, Räte (wie Anm. 2), S. 9 f.
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1644) etwa verwendete 1620/23 in zwei auf sein Betreiben hin zusammengestellten genealogischen Handschriften zur Familiengeschichte („Epitaphium buech“ und „Chronologia Polhemia“) – also in einem dezidiert familial-binnenorientierten Zusammenhang – eine ausführliche Titulatur, die zunächst sämtliche Adelsprädikate des Trägers, alle Herrschaften und Güter und erst im Anschluss daran die kaiserlichen bzw. landesfürstlichen und Hofämter sowie ständischen Funktionen Gundakers, alles jedoch mit sichtbarem Bemühen um Vollständigkeit, referiert.16 Je enger die Einbindung des Einzelnen in höfische Netzwerke wurde, desto mehr einschlägiges Fachwissen galt es, zu sammeln, zu ordnen, zu verwalten und im Bedarfsfall abzurufen. Das geeignete Mittel hierzu war die meistverwendete verschriftlichte Speicherform frühneuzeitlichen Adelswissens, die Liste: Gundaker von Polheim hatte in seine „Chronologia Polhemia“ eine Zusammenstellung der österreichischen Adeligen, die zu seinen Lebzeiten vom Katholizismus zum Protestantismus (und umgekehrt) konvertiert waren, eine Liste der Hofräte Kaiser Matthias’, der kaiserlichen Kämmerer
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Siehe Österreichische Nationalbibliothek Wien (ÖNB), Handschrift (Hs.) Ser. nov. 13.979 („Epitaphium buech, darinnen seint begriffen deß geschlechts der herrn von Polhaimb grabschrifften und in welchem lannd und orth dieselben begraben. Durch den wolgebornen herrn herrn Gundackhern herrn zu Polhaimb, auf Liechtenegg, Partz, Stainhaus, Tegernbach und Rabbenberg, herrn der Statt Grießkhierchen, auch inhabern der herrschafft Schneberg, khay. Rudolphy II: rath und khay. Matthiae reichshofrath, camerer und hofcamerdirectorn, auch regenten der NÖ. lande und khay. Ferdinandi deß II: reichshofrath, cammerer und hofcamerdirectorn, auch Maximiliani erzherzogen zu Österreich etc. cammerer zusamben getragen anno MDCXX“) bzw. Niederösterreichisches Landesarchiv St. Pölten (NÖLA), Hs. 348 („Chronologia Polhemia sex mundi aetatum et plus ultra. Opus genealogicum illustrissimae simul et antiquissimae familie comitum ac baronum de Polhaimb. Daß ist: Geschlecht register deß löbl. und uhralten hauses der graven und herren vonn Polhaimb, zusamen getragen durch den hoch- und wollgebornen herrn herrn Gundakhern herrn zu Polhaimb, freyherrn auf Liechtenegkh, Parz, Stainhauß, Tegernbach und Rabenberg, Teutschen Altenburg, herrn der statt Grießkhirchen, auch innhabern der herrschafft Schneberg, khaysers Rudolphi 2 rath und khaysers Matthiae reichßhoffrath, camerer und hoffcamerdirectorn, auch regenten der NÖ. lande, und khaysers Ferd. 2. reichshoffrath, camerern und hoffcamervicepraesidenten, auch Maximiliani und Caroli erzherzogen zu Össterr. etc. camereren unnd der herren stänndt in Össterr. unter der Ennß verordenten etc. Anno 1623.“). Aufschlussreich für den Anspruch des letztgenannten Werks und dessen ursprünglich intendierte Einbindung in klassische chronikalische Strukturen ist der vorangestellte Vermerk, „daß zwar vermüg der summari uber dißes opusculum die insignia, imagines, symbola et res gestae tam imperatorum quam pontific. Romanorum hierinn inseriert werden solten, zu gewinnung der zeitt aber und weill daran wenig gelegen [weill solches anderwehrts zu befinden] außgelasßen worden“). Vgl. zu den Handschriften und Gundakers historisch-genealogischen Bestrebungen HOLTER, Grabmäler (wie Anm. 14), bes. S. 58-65. Zum literarischen bzw. memorativen Genus mixtum adeliger Familienbücher („Stammenbücher“, „Chroniken“) vgl. Birgit STUDT, Haus- und Familienbücher, in: PAUSER/SCHEUTZ/ WINKELBAUER, Habsburgermonarchie (wie Anm. 3), S. 753-766, zuletzt Haus- und Familienbücher in der städtischen Gesellschaft des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, hrsg. von DENS. (Städteforschung, Reihe A: Darstellungen, Bd. 69), Köln, Weimar und Wien 2007.
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und Hofkammerräte von 1615 sowie Verzeichnisse der Hofräte, Kämmerer und Hofkammerräte Ferdinands II. inseriert.17 Im 17. Jahrhundert brach eine bis dahin produktive Form der partiellen Adelsintegration am Wiener Hof völlig ab bzw. wurde durch wenigstens teilweise planvolle Wandlungen in der Struktur der Hofstaaten aufgegeben. Die lose Anbindung von vorwiegend, aber nicht ausschließlich Niederadeligen als „Diener von Adel ohne Amt“ an den habsburgischen Höfen des 16. Jahrhundert nahm nach einem quantitativen Höhepunkt unter Maximilian II. im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts stark ab, um unter Ferdinand II. völlig außer Gebrauch zu kommen. Als Kompensation für den Verlust dieses Modells, das eine differenzierte Bezeichnung von Hofnähe und -ferne ermöglicht hatte, erlebte das Kämmereramt eine wahre Inflation, die wiederum zur Aufrechterhaltung der Operationalisierbarkeit eine Unterscheidung zwischen „wirklichen“ (diensttuenden) und „unwirklichen“ (Titular-)Kämmerern zur Folge hatte.18 Der langfristige Trend führte also von einer im 16. Jahrhundert praktizierten Anbindung größerer Zahlen (überwiegend protestantischer) Niederadeliger zu einer Abschließung von kleineren Gruppen (de facto ausschließlich katholischer) Hochadeliger in hohen Hofämtern im 17. Jahrhundert. Dementsprechend beklagte sich der Ritterstand unter der Enns im 17. Jahrhundert über den zunehmenden Ausschluss von höheren Hofämtern als einer innerständischen Differenzierung via facti, die ihren Niederschlag auch auf zeremonieller19 Ebene in zunehmenden Titulatur- und Prädikatsstreitigkeiten zwischen beiden Ständen, aber auch innerhalb des Herrenstands fand, da etwa Rudolf II. 1604 auf einer Unterscheidung zwischen Hofadeligen und Nicht-Amtsträgern in den seitens der habsburgischen Kanzleien angewendeten Titula-
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Siehe HOLTER, Grabmäler (wie Anm. 14), S. 63. Vgl. DUINDAM, Vienna (wie Anm. 2), S. 74 f. und HENGERER, Kaiserhof (wie Anm. 2), S. 23 und S. 34-42. Zum Zeremoniell und seinem integrativen Potential für spätmittelalterliche Höfe vgl. Werner PARAVICINI, Zeremoniell und Raum, in: Zeremoniell und Raum, hrsg. von DEMS. (Residenzenforschung, Bd. 6) Sigmaringen 1997, S. 11-36; Karl-Heinz SPIEß, Rangdenken und Rangstreit im Mittelalter, in: ebd., S. 39-61; Paul-Joachim HEINIG, Verhaltensformen und zeremonielle Aspekte des deutschen Herrscherhofes am Ausgang des Mittelalters, in: ebd., S. 63-82 (mit Unterscheidung von drei Phasen am römisch-deutschen Herrscherhof [S. 65]: eine Zeit des „ungeschriebenen mittelalterlichen Gewohnheits-Zeremoniells“ bis 1486/93, „eine maximilianeische Übergangszeit“ bis 1519 und „die Neuzeit des schriftlich fixierten Zeremoniells“ nach 1519/27); für den Wiener Hof ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts siehe Der Wiener Hof im Spiegel der Zeremonialprotokolle (1652-1800). Eine Annäherung, hrsg. von Irmgard PANGERL, Martin SCHEUTZ und Thomas WINKELBAUER (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, Bd. 47), Innsbruck, Wien und Bozen 2007, darin eine nützliche knappe Zusammenfassung der unterschiedlichen Forschungszugänge zu Fragen von Hof und Zeremoniell von DENS., Zeremoniell und Zeremonielles Handeln am Wiener Hof. Eine Skizze, S. 7-14.
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turen bestand.20 Dass Präzedenz nach Amtsdauer in Hofämtern über ständische Zugehörigkeit gestellt wurde, hatte naheliegenderweise auch der österreichische Ritterstand im Rahmen des Prädikats- und Titulaturstreits mit dem Herrenstand 1607 akzeptiert.21 Erbitterung im Herrenstand hatte dagegen die kaiserliche Politik der (vor allem konfessionell selektiv) gesteuerten Standeserhebungen hervorgerufen, durch die sich die Stände mit der restriktiven Aufnahme der Nobilitierten und zu Herren gemachten Neuadeligen in die Stände nur bedingt wehren konnten.22 Zudem erleichterten Hofkarrieren einzelner Familienmitglieder den Zugang zum Hof und zum Hofdienst für nachfolgende jüngere Verwandte spürbar,23 eine Tatsache, die im Sinne familialer Maklerpatronage nahelegte, „zumindest ein Familienmitglied in der Nähe des Herrschers zu plazieren, um von dessen Gnadenfülle zu profitieren und weder individuell noch als Familie, sei es am Hof, sei es in der Adelshierachie insgesamt, zurückzufallen, setzte sich doch Herrschernähe potentiell in einen entsprechenden Rang innerhalb der Hierarchie des Adels um“.24 20
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Vgl. HENGERER, Kaiserhof (wie Anm. 2), S. 11 und S. 565-572 und ZAJIC, gedächtnis (wie Anm. 14), S. 316-324. Zur zunehmenden politischen und ökonomischen Marginalisierung des auch im fortschreitenden 17. Jahrhundert stärker evangelisch geprägten Ritterstands gegenüber dem Konversionen stärker aufgeschlossenen Herrenstand vgl. MACHARDY, War (wie Anm. 1). Siehe ein Schreiben des Ritterstands ob der Enns an Erzherzog Matthias, 1607 Dezember 8, Linz, NÖLA, Ritterstandsarchiv L I, ausführlicher zitiert bei ZAJIC, gedächtnis (wie Anm. 14), S. 318-320: unnd wirt sich ein jeder, wie er die jenigen, so bey irer khayserlicher Mayestat oder euer fürstlichen durchleucht hoch beambtet, iren tragenten digniteten nach, intitulirn soll, woll zu beschaiden wissen. Das aber solcher titl auf die unbeambten nachkhometen erben perpetuirt werden müeste, ut quod uni nobili in officio tributum est, id omnibus de familia postea conferri debeat, davon findet man uberal nichts. Gleichwohl sei es früher üblich gewesen, dass unter denen camerern, es sey ainer gleich des herrn oder ritterstandts, alzeit der elter, ohne unterschidt im dienste vorgehet, unnd denen des herrnstandts khain praerogativ ires herrnstandts halber verstattet oder eingeraumbt wirt. Vgl. das Schreiben eines Herrenstandsangehörigen an Georg Andreas von Hofkirchen, 1607 Oktober 8, Wien, NÖLA, Ritterstandsarchiv LI, ausführlich zitiert bei ZAJIC, gedächtnis (wie Anm. 14), S. 320-322: was khönnen wir alte ehrliche geschlachter [...] ihr mayestat hierinnen ordnung geben, dann da ihr mayestat heut ainen baurn zue einem fürsten erheben, so müesten wir ihne für einen fürssten halten und ehren. Siehe zur kaiserlichen Einflussnahme auf die Stände durch landständische Inhaber von Hofämtern im 17. Jahrhundert WINKELBAUER, Ständefreiheit (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 77 f.; STROHMEYER, Disziplinierung (wie Anm. 14), S. 111 f., für die Zeit ab 1620 GODESY, Adelsautonomie (wie Anm. 1). Siehe Thomas WINKELBAUER, Fürst und Fürstendiener. Gundaker von Liechtenstein, ein österreichischer Aristokrat des konfessionellen Zeitalters (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 34), Wien und München 1999, S. 255-263; HENGERER, Kaiserhof (wie Anm. 2), S. 559-564. Mark HENGERER, Zur symbolischen Dimension eines sozialen Phänomens: Adelsgräber in der Residenz (Wien im 17. Jahrhundert), in: Wien im Dreißigjährigen Krieg. Bevölkerung – Gesellschaft – Kultur – Konfession, hrsg. von Andreas WEIGL (Kulturstudien. Bibliothek der Kulturgeschichte, Bd. 32) Wien, Köln und Weimar 2001, S. 250-352, hier S. 259 f. Dementsprechend
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2. Differenzierung durch höfische Funktionen: zum Wandel inschriftlicher Titulaturen Im Zusammenhang von Selbstdarstellung und Repräsentation durch Grabdenkmäler als Ausschnitt eines größeren Zeichenkomplexes symbolischer Kommunikation25 ist bemerkenswert, dass in den österreichischen Grabinschriften des Spätmittelalters Verweise auf Hofämter fast generell fehlen. Grund dafür scheinen einerseits zunächst gewisse Bedenken der Angehörigen alter Hochadelsgeschlechter zu sein, überhaupt in den Fürstendienst zu treten, andererseits die Tatsache, dass Funktionen als herzoglicher oder kaiserlicher Rat bis ins frühe 16. Jahrhundert anscheinend noch nicht als Amt mit zugehörigem Amtstitel verstanden wurden. Als einer der frühesten Belege für die Aufnahme des Ratstitels sowie eines Hofamts in die Intitulatio eines österreichischen Adeligen innerhalb einer Inschrift des Totengedenkens ist die 1513 angefertigte Wappengrabplatte der Frau des Lienhart (Leonhard) Rauber von Plankenstein,26 des langjährigen Hofmarschalls Kaiser Maximilians I., in der Pfarrkirche Altpölla (PB Zwettl, Niederösterreich), zu betrachten (Abb. 1).27 Meist übergehen jedoch die Grabinschriften adeliger Amtsträger bis ins erste Drittel des 16. Jahrhunderts die höfischen bzw. Amtsfunktionen der Verstorbenen, die aus anderen Quellen erschließbar sind und etwa in urkundlichen Intitulationes sehr wohl regelmäßig Platz fanden.28 Signifikanterweise verwiesen etwa in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts mehrere (Kunst-)Handwerker in ihren Grabinschriften im Wiener Neustädter Dom auf ihre Tätigkeit am Hof Friedrichs III.,29 während zahlrei-
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bildeten sich hochadelige Führungsgruppen einiger weniger Familien heraus, die überdurchschnittlich viele Hofamtsträger stellten, vgl. DUINDAM, Vienna (wie Anm. 2), S. 105. Für den österreichischen Adel vgl. Renate HOLZSCHUH-HOFER, Kirchenbau und Grabdenkmäler, in: Adel im Wandel (wie Anm. 1), S. 91-101; Thomas WINKELBAUER und Tomáš KNOZ, Geschlecht und Geschichte. Grablegen, Grabdenkmäler und Wappenzyklen als Quellen für das historischgenealogische Denken des österreichischen Adels im 16. und 17. Jahrhundert, in: BAHLCKE/ STROHMEYER, Konstruktion (wie Anm. 14), S. 131-179 und ZAJIC, gedächtnis (wie Anm. 14). Zu ihm vgl. knapp NOFLATSCHER, Räte (wie Anm. 2), S. 241 f. und S. 354. Siehe Andreas Hermenegild ZAJIC, Aeternae Memoriae Sacrum. Waldviertler Grabdenkmäler des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Ein Auswahlkatalog (Staatsprüfungsarbeit am Institut für Österreichische Geschichtsforschung), Wien 2001, Kat.-Nr. 49: „Hye ligt die Edel fraw Rosina ge/porn von Misendorff hern Lienharde(n) / Rauber k(aiserlicher) M(aiestat) Rat Vnd hofmarschalk / elich Verphlicht gebessen Anno d(omi)ni / nach kristi gepurt 1513 Iar am / Neüntten tag febrvarij gestoben der / got genad“. Der oben erwähnte Kaspar von Roggendorf etwa verzichtete in der Inschrift seiner Tumbendeckplatte in Pöggstall (PB Melk, Niederösterreich) auf die Anführung seiner Funktionen als Statthalter und Regent Maximilians I., die sehr wohl zu seiner urkundlichen Intitulatio gehörten. Siehe Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich, Teil 2: Die Inschriften der Stadt Wiener Neustadt, bearb. von Renate KOHN (Die Deutschen Inschriften, Bd. 48), Wien 1998, Kat.-Nr. 71†
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che, auch aus dem Reich stammende Adelige keine näheren Hinweise auf ihre Beziehung zum Königs- bzw. Kaiserhof in ihre Grabinschriften aufnahmen. Möglicherweise verwies schon deren exklusiver Bestattungsort (meist die vom Hofadel stark frequentierte Neuklosterkirche) von vorneherein auf das Bezugsfeld Hof, sodass die Anführung etwaiger Funktionen unterbleiben konnte. Eine gewisse Avantgardefunktion kam auch in dieser Hinsicht anscheinend den gelehrten Hofangehörigen zu, deren Ämter sehr wohl Bestandteil inschriftlicher Repräsentation waren.30 Im späteren 16. und 17. Jahrhundert, als vollständige und meist ungewichtete Anführung aller (ständischer wie landesfürstlicher und höfischer) Ämter und Funktionen zum Normalfall adeliger Titulaturen gehörten, vertrat der inflationär vergebene kaiserliche Ratstitel in Grabinschriften offenbar vielfach die Stelle eines fehlenden („echten“ oder „wirklichen“) Hofamts.31
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(1455: „der Erbar Mayster Hanss Wohlgenannt, der des Rom[ischen] Kaysers Mahler gewesen ist“) und 92† (1463: „Procopius Zinner des Rom[ischen] Kay[sers] Seidennäder“). So bezeichnete sich der erste Lehrer des jungen Herzogs Maximilian, Jakob von Fladnitz (gest. 1466), der im Dom bestattet worden war, als „Domini Maximiliani Ducis Austriae Praeceptor“, Siehe KOHN, Inschriften Wiener Neustadt (wie Anm. 29), Kat.-Nr. 95†, Arnold von Loe um 1500 als „doctor · keyserlicher · recht / des · hofes · procurator“, ebd., Kat.-Nr. 155. Vgl. Hartmut BOOCKMANN, Zur Mentalität spätmittelalterlicher gelehrter Räte, in: Historische Zeitschrift 233 (1981), S. 295-316, und neuerdings zum vernachlässigten studierenden Adel Christian LACKNER, Adel und Studium. Adelige Studenten aus den habsburgischen Ländern an der Universität Wien im 15. Jahrhundert, in: Festschrift Heide Dienst zum 65. Geburtstag, hrsg. von Anton EGGENDORFER, Christian LACKNER und Willibald ROSNER (Forschungen zur Landeskunde von Niederösterreich, Bd. 30), St. Pölten 2004, S. 71-87. Im weiter unten behandelten Politischen Bezirk (PB) Eferding in Oberösterreich etwa (die Hinweise verdanke ich dem freundlich zur Verfügung gestellten Material von Kollegen Roland Forster) wurde im 16. und frühen 17. Jahrhundert neunmal der kaiserliche (bzw. einmal der erzherzogliche) Ratstitel in Inschriften des Totengedenkens aufgenommen. Drei Inschriften davon kombinierten diesen Titel mit einer anderen ständischen (einmal Einnehmer ob der Enns, einmal Herrenstandsverordneter) und/oder landesfürstlichen Funktion (ältester Landrat und Oberster bzw. Landrat). Einmal steht die Funktion eines Landrats ob der Enns alleine, zweimal die des Verordneten (beide Belege beim selben Amtsträger), zweimal die eines kaiserlichen Obersten (beide Belege beim selben Amtsträger) und einmal die eines Niederösterreichischen Kammerrats, wobei sich alle Titel nicht auf höfische Spitzenfunktionen beziehen. Ganz ähnlich der Befund der Beischriften der adeligen Porträts im Eferdinger Schlossmuseum/Familienmuseum Starhemberg: Zweimal wurde der Titel eines kaiserlichen Rats vermerkt, ergänzt durch die Würden eines kaiserlichen Kämmerers und Erbhofmeisters in Österreich (einmal) bzw. Hofkriegsratspräsidenten, einmal wurde die Funktion eines Herrenstandsverordneten unter der Enns mitgeteilt. Daneben erscheinen dreimal autonom ein Hofamt (zweimal Kämmerer bzw. einmal Mundschenk Erzherzog Matthias’) bzw. einmal ständische Funktionen (Obristleutnant ob der Enns und bestellter Rittmeister). Einmal wurden die Titel eines kaiserlichen Geheimen Rats und Obersthofmarschalls in Kombination angeführt. Vgl. in Zukunft den von Roland Forster für die Reihe „Die Deutschen Inschriften“ bearbeiteten Band mit den Inschriften des Politischen Bezirks Eferding.
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3. Der Ort der Grablege – zwischen Residenz und Grundherrschaft, zwischen Hof und Familie Mark Hengerer hat in zwei wichtigen Beiträgen32 schlüssig herausgearbeitet, dass der neue Hofadel der „zusammengesetzten“ Habsburgermonarchie nach 1620 zusehends zur Einrichtung prestigeträchtiger (Erb-)Grablegen in der Residenz überging. „Memoria als Ausweis erfolgreicher Integration war ein Element in einer Ökonomie der Aufmerksamkeit eines interaktionsbasierten politischen Systems, in dem Hof- und Verwaltungsämter für den Adel ein essentielles Instrument der Wahrnehmung seiner Teilhabe an Herrschaft waren“.33 Die Integration im Sozialraum Hof umfasste damit auch eine mediale Neuorientierung adeliger Sepulkralkultur, die bis dahin weit überwiegend in familial-genealogischen Zusammenhängen34 und auf den Bereich der adeligen Grundherrschaft hin ausgerichtet gewesen war. Hengerer konnte anschaulich machen, dass die Hofgesellschaft im 17. Jahrhundert um das knappe symbolische Kapital eines Begräbnisplatzes – besser einer Familiengruft – mit möglichst gut sichtbarem35 Grabdenkmal im medial
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Mark HENGERER, Adelsintegration und Bestattungen. Adelsintegration am Kaiserhof 1620 bis 1665, in: Mitteilungen der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 10 (2000), S. 21-35, und DERS., Dimension (wie Anm. 24). Mark HENGERER, Adelsgräber im Wien des 18. Jahrhunderts. Beobachtungen zu einer Archäologie des adeligen Gedächtnisses, in: Macht und Memoria. Begräbniskultur europäischer Oberschichten in der Frühen Neuzeit, hrsg. von DEMS., Köln, Weimar und Wien 2005, S. 381-420, hier S. 381. Vgl. zu (system-)theoretischen Grundlagen adeliger genealogischer Konzepte die instruktiven Beiträge in: Genealogie als Denkform in Mittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von Kilian HECK und Bernhard JAHN (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, Bd. 80), Tübingen 2000. Zur Sinnes- und Raumwahrnehmung bzw. zur Verarbeitung von Wahrnehmungseindrücken in Mittelalter und Frühneuzeit vgl. aus medientheoretischer Blickrichtung Hartmut BLEUMER und Steffen PATZOLD, Wahrnehmungs- und Deutungsmuster in der Kultur des europäischen Mittelalters, in: Wahrnehmungs- und Deutungsmuster im europäischen Mittelalter, hrsg. von DENS. (Das Mittelalter 8/2, 2003), S. 4-20, bzw. Sabine SCHMOLINSKY, Sinneswahrnehmung als verschriftlichte Erfahrung? Zu Mustern des Hörens und Sehens in mittelalterlichen Selbstzeugnissen, ebd., S. 107120. In neuerer Zeit postulierte auch Heike SCHLIE, Wandlung und Offenbarung. Zur Medialität von Klappretabeln, in: Medialität im Mittelalter, hrsg. von Karina KELLERMANN (Das Mittelalter 9/1, 2004), S. 23-43, hier S. 43, das „Vorhandsensein einer – wenn auch fragmentarischen – eigenen spätmittelalterlichen Medientheorie, die nicht schriftlichen, aber bildlichen Ausdruck“ fand; Detlev KRAACK, Von Wappen und Namen. Konstitution, Selbstdarstellung und Fremdwahrnehmung von Individuum und Gruppe im Spiegel der monumentalen Zeugnisse der spätmittelalterlichen Adelsreise, in: Menschenbilder – Menschenbildner. Individuum und Gruppe im Blick des Historikers, hrsg. von Stephan SELZER und Ulf-Christian EWERT (Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Bd. 2), Berlin 2002, S. 189-210, hier S. 207, hatte dagegen die Existenz einer entsprechenden „ikonographischen Grammatik“ in Frage gestellt.
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hoch aufgeladenen Sakralraum36 der Residenz konkurrierte. Am gefragtesten waren demnach Bestattungen in den nahe der Hofburg gelegenen Kirchen.37 Im Vergleich dazu war die dauerhafte Integration der wenigstens zeitweise in landesfürstlichen bzw. kaiserlichen Ämtern und Funktionen tätigen österreichischen Adeligen unter Berücksichtigung der Bestattungsorte Einzelner und mehrere Generationen Verstorbener umfassender Familiengrablegen im 15. und späteren 16. Jahrhundert nur bedingt erfolgreich verlaufen. Einerseits ist freilich für das letzte Viertel des 16. und das erste Viertel des 17. Jahrhunderts ein Bedeutungsverlust Wiens als Residenz38 nach der Übersiedlung des Kaiserhofs nach Prag in Rechnung zu stellen. 36
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Zur Rolle des Raums im Zeremoniell vgl. Juliusz CHROŚCICKI, Ceremonial Space, in: Iconography, Propaganda and Legitimation, hrsg. von Alan ELLENIUS, New York u. a. 1998, S. 193-216; theoretische (anthropologische) Grundlagen zur imaginativen Konzeption von (Stadt-)Räumen siehe knapp bei Rolf LINDNER, The Imaginary of the City, in: The Contemporary Study of Culture, Wien 1999, S. 289-294 bzw. Gerald STROHMEIER, Raumwahrnehmung, in: Menschen – Handlungen – Strukturen. Historisch-anthropologische Zugangsweisen in den Geschichtswissenschaften, hrsg. von Václav BŮŽEK und Dana ŠTEFANOVÁ (Opera Historica, Bd. 9), České Budějovice 2001, S. 439-444; das theoretische Modell praktisch umgesetzt am Beispiel Wien von Susanne Claudine PILS, Schreiben über Stadt. Das Wien der Johanna Theresia Harrach 1639–1716 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, Bd. 36), Wien 2002. Auch hier verstellt das neue Interesse an der medialen Nutzung des Wiener Sakralraums durch den Hof des 17. Jahrhunderts den Blick auf eine ältere sepulkrale Stratigraphie der Wiener Residenz. Die Augustinerkirche etwa war schon in der Mitte des 14. Jahrhunderts exklusiver Begräbnisplatz des hofnahen Hochadels gewesen. In der Georgskapelle der Augustinerkirche etwa ließen sich damals mehrere Angehörige der höfischen Adelsgesellschaft Hl. Georg von Templois bzw. Tempelaise beisetzen. Vgl. ZAJIC, gedächtnis (wie Anm. 14), S. 152 f. Das dort nach kopialer Überlieferung referierte Testament des Hans von Puchheim von 1352 jetzt nach dem Original ediert von Maximilian WELTIN, Die Anfänge der Herren von Puchheim in Niederösterreich, in: EGGENDORFER/LACKNER/ROSNER, Festschrift (wie Anm. 30), S. 189-209 (Quellenanhang). Vgl. zu Wien als mittelalterliche Residenz überblicksweise Alois NIEDERSTÄTTER, Wien, in: PARAVICINI, Höfe (wie Anm. 2), S. 624-629; für die Frühneuzeit: Wien. Geschichte einer Stadt, Bd. 2: Die frühneuzeitliche Residenz (16. bis 18. Jahrhundert), hrsg. von Karl VOCELKA und Anita TRANINGER, Wien, Köln und Weimar 2003. Bisher kaum problematisiert wurde die Entstehung einer neuen Wiener Residenz im 16. Jahrhundert nach der vornehmlich auf Innsbruck ausgerichteten Regentschaft Maximilians I. Bezeichnenderweise stieg Wien unter Ferdinand I. nicht als kaiserliche Residenz an die erste Stelle der habsburgischen Residenzorte auf, vgl. Renate HOLZSCHUHHOFER, Die Wiener Hofburg im 16. Jahrhundert. Festungsresidenz Ferdinands I., in: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 61 (2007), S. 307-325. Zur Bau- und Funktionsgeschichte der Wiener Hofburg im 16. und 17. Jahrhundert steht an der Kommission für Kunstgeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ein vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanziertes Forschungsprojekt „Die Wiener Hofburg im 16. und 17. Jahrhundert. Bau- und Planungsgeschichte, Funktion und Bedeutung“ (P18040) in Bearbeitung; vgl. . Dass auch die meist vernachlässigten nicht-kaiserlichen habsburgischen Höfe der Frühneuzeit instruktiver Forschungsgegenstand sind, belegt etwa NOFLATSCHER/NIEDERKORN, Innsbrucker Hof (wie Anm. 12), darin Heinz NOFLATSCHER, Normen, Feste und Integration am Innsbrucker Hof, S. 9-30, der, S. 13, die
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Die tatsächlich und persönlich in kaiserlichen Diensten Stehenden folgten Rudolf II. spätestens ab 1583 nach Prag, während Wien einmal mehr für längere Zeit auf den Status der landesfürstlichen habsburgischen Residenz zurückfiel. Bestehen blieb dessen ungeachtet aber die Funktion der Stadt als Hauptort des Erzherzogtums Österreich unter der Enns, Treffpunkt und Interaktionsplattform der Stände und Sitz der Landesverwaltung.39 Von den politischen äußeren Umständen als Rahmenbedingungen einer sepulkralen Orientierung nach dem Hof abgesehen, zeigen sich bei Betrachtung einzelner Lebensläufe adeliger Amtsträger ebenso individuelle Entscheidungen über die bewusste Festlegung eines langfristigen Lebensmittelpunkts, besonders in Hinblick auf Alterssitz und Grablege.40 Der schon im späten 16. Jahrhundert legendär verzeichnete und im 19. Jahrhundert endgültig zur populären Gestalt romantischen Wachauer Sagenguts gewordene Jörg (Georg, d. Ä.) Scheck von Wald darf hier als Vertreter einer größeren Gruppe von Räten Herzog Albrechts V. (als König: II.) vorgestellt werden, die einen rasanten Aufstieg erlebten. Scheck entstammte dem städtischen Steyrer
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durch die Existenz eines Fürstenhofs für die Stände attraktiven „Chancen politischer Partizipation und gemeinsamer Entscheidungsfindung“ unterstreicht und eine „Prestigeaufwertung eines Landes mit fürstlicher Residenz“ feststellt. Zum Aspekt des Wechselverhältnisses zwischen Stadt und Hof vgl. allgemein die Beiträge in: Der Hof und die Stadt. Konfrontation, Koexistenz und Integration in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von Werner PARAVICINI und Jörg WETTLAUFER (Residenzenforschung, Bd. 20), Ostfildern 2006; bes. Jörg WETTLAUFER, Zwischen Konflikt und Symbiose. Überregionale Aspekte der spannungsreichen Beziehung zwischen Fürstenhof und Stadt im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, S. 19-33; die Beiträge in: Ein zweigeteilter Ort? Hof und Stadt in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Susanne Claudine PILS und Jan Paul NIEDERKORN (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, Bd. 44), Innsbruck, Wien und Bozen 2005. Vgl. zur Niederlassung des Adels in den österreichischen Städten Herwig WEIGL, Städte und Adel im spätmittelalterlichen Österreich, in: Oberdeutsche Städte im Vergleich. Mittelalter und Frühe Neuzeit, hrsg. von Joachim JAHN, Wolfgang HARTUNG und Immo EBERL (Regio. Forschungen zur schwäbischen Regionalgeschichte, Bd. 2), Sigmaringendorf 1989, S. 74-100; Richard PERGER, Der Adel in öffentlichen Funktionen und sein Zuzug nach Wien, in: Adel im Wandel (wie Anm. 1), S. 269-283; Herbert KNITTLER, Zu den Führungsschichten in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten Österreichs, in: CSENDES/SEIDL, Stadt (wie Anm. 5), S. 29-41, und HEILINGSETZER, Adel (wie Anm. 5), S. 53-65. Zu Baugeschichte und Ausstattung des Wiener Landhauses siehe neuerdings die Beiträge im Bildband: Altes Landhaus. Vom Sitz der niederösterreichischen Stände zum Veranstaltungszentrum, hrsg. von Anton EGGENDORFER, Wolfgang KRUG und Gottfried STANGLER, [Wien 2006], und Friedrich POLLEROß, „Pro Deo, Caesare et patria“. Zur Repräsentation der Stände in Österreich vom 16. bis ins 18. Jahrhundert, in: AMMERER u. a., Bündnispartner (wie Anm. 1), S. 479-532, und Andreas KUSTERNIG, „Die Providentia erteilt der Austria den Auftrag zur Weltherrschaft“. Probleme um das Deckengemälde im „Großen Saal“ des Niederösterreichischen Landhauses – ein Werkstattbericht, in: ebd., S. 533-581. Vgl. dazu auch die von NOFLATSCHER, Räte (wie Anm. 2) zur prosopographischen Analyse herangezogenen Kategorien.
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Ritteradel.41 Seine Vorfahren und Verwandten hatten im 14. Jahrhundert und bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts ihre Familiengrablege in der Steyrer Stadtpfarrkirche dicht belegt,42 daneben aber bereits Engagement im Wiener Weinbau gezeigt. 1411 war Scheck noch Inhaber des finanziell einträglichen Steyrer Burggrafenamts, seit spätestens 1413 verlagerte er seine wirtschaftlichen und grundherrlichen Interessen und den Schwerpunkt seiner Besitzankäufe nach dem Osten. 1420 war er Inhaber des Dorfgerichts von Währing (heute Wien XVIII.) und Bergherr eines bedeutenden Teils der dortigen sowie anderer (heute) Wiener und niederösterreichischer Weinbauflächen, die er von einem Amtmann verwalten ließ. 1430 gehörte er zu den während der Abwesenheit Herzog Albrechts V. bestellten Regenten, spätestens im Folgejahr war er dessen Kammermeister. Im Februar 1438 wurde er neuerlich zum Statthalter und Regenten König Albrechts II. eingesetzt und leitete im Sommer des Jahres die österreichische Landesverteidigung gegen die polnischen Einfälle, wofür ihm im Folgejahr die fürstliche Freiung seiner Wachauer Burg und Herrschaft Aggstein (PB Melk, Niederösterreich)43 zuteil wurde. Seinen Funktionen am Wiener Hof entsprach offenbar eine Orientierung des Lebensmittelpunktes nach Wien. In der Gruft der hofaffinen Wiener Augustinerkirche befindet sich eine Wappengrabplatte zweier unverheirateter Töchter Schecks, die während der amtsbedingten Anwesenheit des Vaters am Wiener Herzogshof, möglicherweise sogar als Angehörige des Frauenzimmers der Herzogin, verstorben waren (Abb. 2). Nach dem Tod Albrechts – bei dessen Begräbnis hatte er innerhalb der ansonsten nur aus Angehörigen alter Hochadelsfamilien zusammengesetzten Gruppe des Römischen Reichs an dritter Stelle den Schild getragen44 – gehörte er anfangs dem Rat Friedrichs III. an, fungierte als dessen Regent und 1444 als Beisitzer des Kammergerichts. All diese Funktionen bedingten
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Umfangreiches Quellenmaterial zu Jörg d. Ä. Scheck von Wald habe ich in Zusammenhang mit der Bearbeitung der Inschriften des PB Krems in Niederösterreich für die Reihe „Die Deutschen Inschriften“ gesammelt. Siehe demnächst Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich, Teil 3: Die Inschriften des Politischen Bezirks Krems, bearb. von Andreas ZAJIC (im Druck). Die einzelnen Nachweise für das Folgende würden hier den Rahmen sprengen. Vgl. zu Scheck vorerst knapp Günther HÖDL, Albrecht II. Königtum, Reichsregierung und Reichsreform 1438-1439 (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii, Bd. 3), Wien, Köln und Graz 1978, S. 147 und S. 182, und HEINIG, Kaiser Friedrich III. (wie Anm. 2), S. 274 und S. 286 f. Sechs Grabinschriften von Angehörigen der Familie überliefert kopial – die Denkmäler sind verloren – ÖNB, Hs. 9221, Bl. 21. Siehe HÖDL, Albrecht II. (wie Anm. 41), S. 147 und S. 182. Siehe Rudolf J. MEYER, Königs- und Kaiserbegräbnisse im Spätmittelalter. Von Rudolf von Habsburg bis zu Friedrich III. (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii, Bd. 19), Köln, Weimar und Wien 2000, S. 162, Anm. 32.
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wohl eine einigermaßen kontinuierliche Präsenz Schecks in Wien,45 doch ist der Erwerb eines eigenen Hauses – der etwa für Schecks kaum in höfische Netzwerke eingebundenen Vetter Jörg Scheck von Wocking zu erschließen ist – bislang nicht nachzuweisen. Dagegen kaufte Scheck anscheinend wahllos Burgen und Güter in Streulage in Niederösterreich an und scheint auch keine traditionsstiftende Grablege in Wien eingerichtet zu haben. Während sein eigener Bestattungsort unbekannt ist, wurde seine Schwiegertochter in der Pfarrkirche Aggsbach – der Burg Aggstein gegenüber an der Donau gelegen – beigesetzt, wo wohl auch ihr Mann, Jörgs Sohn Koloman, seine letzte Ruhestätte gefunden hatte. Die Amtstätigkeit hatte in Schecks Fall wohl zu einer wenigstens zeitweiligen funktionalen Integration des Amtsträgers am Hof, nicht aber zu einer alle Aspekte der gesamten Lebensführung bestimmenden definitiven Neuorientierung geführt.46 Auch sein Kollege Hans (VI.) von Neidegg (Neidegger), zeitweise Hauptmann von Krain und Burggraf von Steyr sowie Kammermeister der Herzöge Wilhelm, Albrecht IV. und Albrecht V. von Österreich, zugleich einer der finanzkräftigsten und „mächtigsten Männer des österreichischen Ritteradels“, suchte seine Grablege fernab der Wiener Residenz in dem von ihm zusammen mit seinem Vater eingerichteten und bestifteten Paulinerkloster Unterranna, das im Herzen seines ausgedehnten grundherrlichen Besitzkomplexes im südlichen Waldviertel lag.47 Die bereits oben genannten Räte Friedrichs III. und Maximilians I., Kaspar von Roggendorf und Heinrich Prüschenk, Freiherr von Stettenberg, später Graf von Hardegg, können als signifikante Beispiele für eine Gruppe von Hoffunktionären zu Ende des 15. Jahrhunderts angeführt werden. Im Zentrum ihrer rasch akkumulierten und ausgedehnten Besitzkomplexe in Ober- und Niederösterreich entwickelten sie 45
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Hofämter am Wiener Hof bedingten eine wenigstens auf Amtsdauer erstreckte und wenigstens überwiegende Anwesenheit an der Residenz, vgl. zu sehr verallgemeinernd HEILINGSETZER, Adel (wie Anm. 5), S. 55: „Die Stadt übte also stets eine gewisse Anziehungskraft auf den Adel des Umlandes aus. Denn hier befand sich zunächst der Hof und die Residenz des Landesfürsten, und alle diejenigen, die in diesem Rahmen Ämter bekleideten oder Funktionen innehatten, mussten zumindest einen Großteil ihres Lebens anwesend sein“. Für das 17. Jahrhundert konstatierte HENGERER, Dimension (wie Anm. 24), S. 336, zurecht eine „durch den Hof bewirkte Umstrukturierung des sozialen Feldes des Adeligen, die so tiefgreifend war, daß eine Abweichung von der Familientradition [in der Wahl des Begräbnisplatzes, Anm. AZ] tunlich schien“. Siehe zu ihm LACKNER, Hof (wie Anm. 2), S. 103 f. (das obige Zitat S. 103) und demnächst ausführlich ZAJIC, Inschriften Krems (wie Anm. 41), Kat.-Nr. 80. Das Modell des adeligen Stiftergrabs in der Klosterkirche kann hier nicht diskutiert werden, vgl. neuerdings die Überlegungen von Carola FEY, Vom Kloster zur Residenz. Neue Begräbnisorte und individualisierte Frauenbestattungen bei den Pfalzgrafen bei Rhein und den Grafen von Sponheim im Spätmittelalter, in: Adlige – Stifter – Mönche. Zum Verhältnis zwischen Klöstern und mittelalterlichem Adel, hrsg. von Nathalie KRUPPA (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 227; Studien zur Germania Sacra, Bd. 30), Göttingen 2007, S. 261-290.
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einen deutlichen Zug zur Residenzenbildung48 nach fürstlichem Vorbild. Für die beiden ländlichen Residenzorte, einerseits Pöggstall (PB Melk, Niederösterreich),49 andererseits Grein (PB Perg, Oberösterreich)50 erwarben sie Marktrechte und ließen neue repräsentative Schlossbauten51 errichten, deren Namen an die der Bauherren angepasst wurde („Roggendorf in Pöggstall“ bzw. „Heinrichsburg“). Festen Bestandteil solcher Residenzensembles in Miniatur stellten oft neu eingerichtete Grablegen in möglichst enger räumlicher Verbindung mit dem Herrschaftssitz dar.52 In Niederösterreich ist so in dem halben Jahrhundert zwischen etwa 1475 und 1525 ein regelrechter Boom an Grufteinbauten in Pfarrkirchen bzw. Kapellen- und Kirchenneubauten in Zusammenhang mit neu konzipierten adeligen Grablegen zu konstatieren.53 48
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Zum mehrdeutigen Begriff der Residenz, an der sich „an einem einzigen Ort Mittelpunktsfunktionen verschiedenster Art häufen“ vgl. noch immer die Annäherung von Klaus NEITMANN, Was ist eine Residenz? Methodische Überlegungen zur Erforschung der spätmittelalterlichen Residenzbildung, in: Vorträge und Forschungen zur Residenzenfrage, hrsg. von Peter JOHANEK (Residenzenforschung, Bd. 1), Sigmaringen 1990, S. 11-43, das Zitat S. 37, in jüngerer Zeit den Überblick bei Gerhard FOUQUET, Hauptorte – Metropolen – Haupt- und Residenzstädte im Reich (13. – beginnendes 17. Jh.), in: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Ein dynastisch-topographisches Handbuch, hrsg. von Werner PARAVICINI, Teilbd. 1: Dynastien und Höfe (Residenzenforschung 15,1,1), Ostfildern 2003, 3-15. Siehe Susanne ZILLBAUER, Die Entwicklungsgeschichte der Burganlage von Pöggstall in Niederösterreich, Diplomarbeit Wien 1995; Spätmittelalter und Renaissance, hrsg. von Anna MADER und Werner TELESKO (Geschichte der Bildenden Kunst in Österreich, Bd. 3), München u. a. 2003, S. 274 (Kat.-Nr. 49 mit Abb.; Renate Holzschuh-Hofer). Vgl. Adel im Wandel (wie Anm. 1), S. 136 f. (Kat.-Nr. 5.31 mit Abb.; Silvia Petrin; Baurechnungen der „Heinrichsburg“). Zum Anspruch der fürstlichen Vorbilder vgl. Matthias MÜLLER, Spätmittelalterliches Fürstentum im Spiegel der Architektur – Überlegungen zu den repräsentativen Aufgaben landesherrlicher Schloßbauten um 1500 im Alten Reich, in: Principes. Dynastien und Höfe im späten Mittelalter, hrsg. von Cordula NOLTE, Karl-Heinz SPIEß und Ralf-Gunnar WERLICH (Residenzenforschung, Bd. 14), Stuttgart 2002, S. 107-145. Leider beantwortet Müller die von ihm selbst eingangs (S. 107) aufgeworfene Frage „Gibt es überhaupt den Typus des Reichsfürstenschlosses oder sind die Unterscheidungsmerkmale gegenüber den Schloßbauten des rangniederen Adels derart gering, daß es schwer fällt, den Reichsfürstensitz vom ,gewöhnlichen‘ Adelssitz zu unterscheiden?“ nicht. Die neben dem Pöggstaller Schloss freistehende und ungewöhnlich groß dimensionierte Schlosskapelle St. Ägidius wurde schließlich im 20. Jahrhundert zur Pfarrkirche des Marktes Pöggstall. Fürstliche Vorbilder ahmte Kaspar von Roggendorf offenbar auch in der ansonsten ungebräuchlichen separaten Herzbestattung (in der Pfarrkirche seiner Weinviertler Herrschaft Guntersdorf) nach. Vgl. für den fürstlichen Bereich Kurt ANDERMANN, Kirche und Grablege. Zur sakralen Dimension von Residenzen, in: Residenzen. Aspekte hauptstädtischer Zentralität von der Frühen Neuzeit bis zum Ende der Monarchie, hrsg. von DEMS. (Oberrheinische Studien, Bd. 10), Sigmaringen 1992, S. 159-187. Dagegen spielen Schlosskapellen als Begräbnisplätze des landständischen Adels in Österreich im 15. und 16. Jahrhundert fast gar keine Rolle. Vgl. aber zu möglichen spezifischen genealogischen
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Es erstaunt nicht, dass noch im 16. Jahrhundert weit überwiegend eine Abwendung von Wien als dem Ort der durchaus auch langjährigen höfischen Amtsausübung erfolgte, wenn die grundherrschaftliche Lebensbasis fernab der Residenz lag. Diese förderte die Neueinrichtung von adeligen Grablegen auf dem Land, selbst wenn im Einzelfall noch keine von einer potentiellen neuen Orientierung nach dem Hof divergierende familiale Tradition existierte. Der aus schlesischer, im 16. Jahrhundert mit mehreren Vertretern in habsburgische Dienste in den österreichischen Erbländern tretender Familie stammende Melchior (d. Ä.) von Hohberg hatte seine Karriere als Finanzexperte in ständischen Diensten begonnen. 1565 fungierte er als Raitherr der Stände unter der Enns, später stieg er zum Hofkammerrat Ferdinands I. und Maximilians II. auf.54 Als Inhaber von Ottenschlag (PB Zwettl, Niederösterreich) hatte er die 1864/69 abgetragene Pfarrkirche St. Hippolyt außerhalb des Marktes Ottenschlag nicht zuletzt als neue Grablege grundlegend umbauen lassen, wie die kopial überlieferte Inschrift seines verlorenen Grabdenkmals, ehemals im Chor der Pfarrkirche, betonte.55 Ein anderer langjähriger Amtsträger mehrerer Kaiser war Georg Teufel von Guntersdorf gewesen. Zunächst kaiserlicher Oberst über ein Regiment zu Pferd bzw. Kriegsgeneralzahlmeister, wurde er um die Mitte des 16. Jahrhunderts Hofkammerrat, dann deren „Deputierter“ zu den Sitzungen des 1556/57 neu eingerichteten Hofkriegsrats.56 1562 war Teufel Stadtkommandant von Wien, 1564 wurde er Kämmerer Maximilians II., im Folgejahr Nachfolger des verstorbenen Georg Ehrenreich als Hofkriegsratspräsident und erlangte 1566 mit seiner Familie die Erhebung in den Freiherrenstand. 1570 erwarb Teufel zwar von Hieronymus Beck von Leopoldsdorf ein Haus in Wien, baute aber daneben die Burg Gars am Kamp (PB Horn, Nieder-
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Konnotationen Ulrich SCHÜTTE, Sakraler Raum und die Körper der Fürsten. Schloßkapellen und genealogisches Denken in den thüringischen Territorien um 1700, in: HECK/JAHN, Genealogie (wie Anm. 34), S. 123-135. Siehe NÖLA, Hs. 78/1, S. 622, bzw. Hs. 236/3, S. 651 und S. 654 f. „A(nn)o 1566 den 11. Aprilis ist in Gott Seelig entschlaffen der Edl gestreng Ritter Herr Melchior von Hoberg vnd Guettmannstorf Röm. Kay. Mt. Hofkamer Rath, welcher diese Kirch neu erbauet hat, dem Gott genad“. Während sich diese Inschrift als Sterbevermerk auf einer „Tumba“ im Chor der Kirche befunden haben soll, existierte in der „crypta“ eine weitere Grabinschrift als Grabbezeugung: „Hier undten in diser grufft ligt begraben der Stiffter diser Kirchen, als der Edl Gestrenng Ritter Herr Melchior von hoberg vnd Guettmanstorff Zu dürrnbach vnd windorf, der Röm. Kay. Mt. Ferdinandi und Maximiliani gewester Hofkamer Rat Ist gestorben den 11. April. A(nn)o 1566, Seines alters im 56. Jahr“. Siehe die Transkriptionen in NÖLA, Hs. 78/1, S. 622. Vgl. ZAJIC, gedächtnis (wie Anm. 14), S. 258. Das oben genannte Polheimer Epitaphienbuch, ÖNB, Hs. Ser. nov. 13.979, überliefert zwar die Totenschilde und Sargtafeln der in Ottenschlag bestatteten Polheimer, übergeht jedoch naheliegenderweise die eben angeführten Inschriften. Zum Hofkriegsrat vgl. überblicksweise (mit Angabe der grundlegenden älteren Literatur) Géza PÁLFFY, Die Akten und Protokolle des Wiener Hofkriegsrats im 16. und 17. Jahrhundert, in: PAUSER/SCHEUTZ/WINKELBAUER, Habsburgermonarchie (wie Anm. 3), S. 182-195.
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österreich) als Zentrum der ausgedehnten landesfürstlichen Pfandherrschaft, die ihm 1549 verschrieben worden war, aus. In der mit der Burg- bzw. Schlossanlage baulich verbundenen (damaligen) Pfarrkirche St. Gertrud richtete Teufel eine mehrfach belegte Familiengrablege ein. Die Umschrift seines Totenschilds referierte Teufels (1564 verliehenen) Titel eines geheimen Rats und Hofkriegsratspräsidenten.57 Auch der aus Rovereto stammende Katholik Kaspar von Lindegg,58 der seine Karriere von allen bisher genannten Personen am konsequentesten als Fürstendiener zurückgelegt hatte, hatte zeitlebens keine Orientierung seiner Grablege nach dem Hof erkennen lassen. Um 1540 zunächst Rittmeister Ferdinands I., fungierte er 1548 als persönlicher Sekretär Erzherzog Maximilians auf dem Augsburger Reichstag und erlangte im selben Jahr den einfachen Adelstand, bald danach führte er den Titel eines königlichen bzw. kaiserlichen Rats Maximilians II., dem er ebenso wie später Rudolf II. als ältester Geheimsekretär diente. Zwischen 1567 und 1579 war er Wiener Stadtanwalt, Niederösterreichischer Klosterrat „von Haus aus“ und Zeugskommissar, 1568 wurde er in den Ritterstand unter der Enns aufgenommen. Neben seinen kaiserlichen Diensten fungierte er jedoch auch als Pfleger des Erzstifts Regensburg in Pöchlarn (PB Melk, Niederösterreich).59 Seine Familiengrablege ließ er nicht in Wien, sondern in der für seinen Adelssitz Mollenburg zuständigen Pfarrkirche Weiten (PB Melk, Niederösterreich) einrichten, deren Patronat er für diesen Zweck vom bayerischen Kollegiatstift Vilshofen bestandweise an sich brachte. In allen vorgenannten Fällen hatten langjährige Funktionen am Wiener Hof nicht zu einer dauerhaften Integration samt Neueinrichtung einer Grablege in Wien geführt.60 Ohne Hinterlassung epigraphischer Spuren oder anderer memorativer 57
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Siehe zu Teufel Matthias GLATZL, Die Freiherrn von Teufel in ihrer staats- und kirchenpolitischen Stellung zur Zeit der Reformation und Restauration, Diss. Wien 1950, S. 117-136, zu seinem Totenschild in Gars-Thunau die Angaben bei ZAJIC, Aeternae Memoriae Sacrum (wie Anm. 27), Kat.-Nr. 88. Siehe zu ihm am ausführlichsten ZAJIC, Aeternae Memoriae Sacrum (wie Anm. 27), Kat.-Nr. 94 f. Erstaunlicherweise referiert die lateinische Inschrift seines Totenschilds in Weiten seine Ämter als Rat der drei Kaiser Ferdinand, Maximilian und Rudolf sowie anscheinend das Amt des Wiener Stadtanwalts (praefectus), während die ausführlichere deutsche Inschrift seines Epitaphs ihn als Rat, Diener und Sekretär vierer Kaiser und Regensburger Pfleger von Pöchlarn bezeichnet. Ein ähnliches Festhalten an den traditionellen Familiengrablegen auf dem Lande und eine Resistenz auch des Hofadels gegen die Möglichkeiten symbolischer Repräsentation durch Grablegen an der Residenz zeigte auch der englische Adel im 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, vgl. Ronald G. ASCH, Begräbniskultur zwischen Hauptstadt und Provinz. Englische Begräbnisse und Grabstätten im Umkreis des Hofes (ca. 1550 bis 1660), in: HENGERER, Macht (wie Anm. 33), S. 253-270, hier S. 256 f. mit der Feststellung, dass „eher die Beerdigung in der Nähe des wichtigsten Landsitzes“ üblich gewesen sei und „selbst ein hoher Adeliger, der sein ganzes Leben am Hof verbracht hatte und in London ein großes Stadthaus besaß [...], sich am Ende für ein Begräbnis in der unmittelbaren Umgebung des wichtigsten Landsitzes seiner Familie entschied“. Zur Fokussierung der frühneuzeitlichen Sepulkralkultur des englischen Adels auf die Grundherrschaft vgl. auch
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Medien des städtischen Gedächtnisses verschwanden wohl die meisten Wiener Hoffunktionäre des 16. Jahrhunderts nach Beendigung ihrer Dienste aus Wien. Quartier hatten diese Residenzbewohner auf Zeit weit überwiegend in fremden Häusern genommen.61 Während die Angehörigen des Hofkriegsrats im 17. Jahrhundert meist Hofquartier zugewiesen bekamen, war dies im 16. Jahrhundert noch vielfach anders gewesen. Wilhelm (I.) von Hofkirchen etwa hatte als Hofkriegsratspräsident (15781584) kostengünstig im eigenen Haus gegenüber der gerade neu errichteten Stallburg gewohnt,62 während der zeitlebens in ständischen und kaiserlichen militärischen Diensten stehende Generallandobrist unter der Enns und Hofkriegsrat Wenzel Morakschi von Noskau zu Litschau 1592 um Entlassung aus dem kaiserlichen Amt ersuchte, da ihn die Haushaltung in Wien finanziell zu sehr belaste.63
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Frank DRUFFNER, Genealogisches Denken in England: Familie, Stammsitz und Landschaft, in: HECK/JAHN, Genealogie (wie Anm. 34), S. 145-153. Tomáš KNOZ, Grablegen und Grabkapellen des mährischen Adels von der Renaissance bis zum Barock. Thesen zur Problematik, in: HENGERER, Macht (wie Anm. 33), S. 449-482, hier S. 454, erklärt dagegen das Überwiegen ländlicher Bestattungen des mährischen Adels vor 1620 teilweise „mit der Absenz des Herrscherhofs [...] Diese zeichnete eine erhöhte Orientierung des mährischen Adels an eigenen Gütern und Besitzungen vor“. Vgl. zur besonders im 17. Jahrhundert heiklen Frage des standesgemäßen Logis des Hofadels in Wien PERGER, Zuzug (wie Anm. 39), bes. S. 274; HENGERER, Kaiserhof (wie Anm. 2), S. 146-152, und HENGERER, Dimension (wie Anm. 24), S. 270 f. Gundaker von Polheim hatte dagegen als Hofkammervizepräsident Ferdinands II. 1620 drei Wiener Freihäuser erworben. Siehe HOLTER, Grabmäler (wie Anm. 14), S. 50. Siehe Gustav REINGRABNER, Wolfgang (II.) von Hofkirchen (1555-1611). Schlossherr in Drösiedl und protestantischer Ständepolitiker, in: Waldviertler Biographien 1, hrsg. von Harald HITZ u. a. (Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes, Bd. 42), Horn und Waidhofen a. d. Thaya 2001, S. 23-40, hier S. 24. In einer Supplik vom 22. Oktober 1595, Litschau, bat Morakschi aus mehreren Gründen um Entlassung: zum einen habe er schon anlässlich seiner Berufung zu bedenken gegeben, dass es ihm als ein armer gesel schwerfallen würde, ohne eigenes Haus und Hausstand in Wien, zumal angesichts der herrschenden Teuerung, ganzjährig in der Stadt zu wohnen. Anders als die meisten anderen Hofkriegsräte, die Güter um Wien besäßen und ihre Lebensmittel von dort leicht und kostenlos nach Wien führen könnten, müsse er, da Litschau weit von der Stadt entfernt sei, alles teuer in Wien kaufen, und wie schwär es aber ainem, der bloß alles, waß ime auf khuchel unnd keller, roß unnd diener auflaufft, umb parr bezallung, zumal bey jeziger thewrung erkhauffen mueß, sich durchs gannzs [!] jar in der statt Wienn aufhahlten, fallen thuet, khan menigelich, besonnders die jenigen, so alda ir aigen gellt zehren müessen, auß teglicher erfahrung leicht erwegen. Darüber hinaus wolle er sich zur Ruhe setzen und sich um die Belange seiner Herrschaft Litschau kümmern. Gleichzeitig mache er sich zwar erbötig, alle Dienste, die keine ständige Anwesenheit in Wien erforderten, anzunehmen, ersuche aber ansonsten unter Beibehaltung des Titels eines Hofkriegsrates um Entlassung. Siehe Österreichisches Staatsarchiv, Finanz- und Hofkammerarchiv Wien, Niederösterreichische Herrschaftsakten L 41/B 2, Bl. 876. Das Gesuch wurde angenommen, eine Entlassung mit 10. Dezember ausgesprochen. Siehe ebd., Bl. 875.
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Schon während der Regierung Ferdinands I., Maximilians II. und der Prager Zeit des rudolfinischen Hofs waren deshalb Freihäuser in Wien zum Gegenstand adeliger Repräsentation geworden. Beleg dafür ist – neben dem Vertrag über die zahlenmäßige Einschränkung der Wiener Freihäuser von 155264 und der Ausdehnung des ständischen „Einstandsprivilegs“65 auch auf die Wiener Freihäuser 1565 – ein wenig bekannter mit Feder gezeichneter Wienplan, in dem 122 adelige Freihäuser und die Wohnhäuser der Hoftrabanten (Erzherzog Ernsts) eingezeichnet und benannt sind. Der Plan, wiewohl möglicherweise erst 1624/25 in Zusammenhang mit der nun im Interesse des nach Wien zurückgekehrten Hofs durchgeführten Revision der Freihäuser angefertigt, geht doch offensichtlich auf die Zeit zwischen 1576 und 1595, also die Dauer der Statthalterschaft Erzherzog Ernsts in Wien, zurück.66 Selbst engste Vertraute und ausgesprochene Günstlinge der Kaiser konnten letztlich fernab des Fluchtpunkts Hof bestattet werden – wobei freilich Motive der Familienräson in Rechnung gestellt werden müssen: die Aufwertung einer möglichst großes familieninternes Kohäsionspotential entwickelnden Erbgrablege durch einen prominenten Fürstendiener konnte den Hinterbliebenen eine entsprechende Entscheidung gegen die höfischen Bezüge in der Wahl des Bestattungsorts nahelegen. Im Fall des Kärntner Erbmundschenken und Statthalters der Niederösterreichischen Länder, Sigmunds von Dietrichstein, Freiherren von Finkenstein, dürfte ein Zusammenspiel von drei Faktoren zur Beisetzung in der Familienkapelle in der Stadtpfarrkirche Villach (Kärnten) geführt haben: die Herkunft aus Kärntner Familie und das Amt des Erbmundschenken in Kärnten, die Bemühung der Familie, ihren verstorbenen Spitzenvertreter in die Sphäre des Landes und an die Erbgrablege heimzuholen, und schließlich die Tatsache, dass das gegen Lebensende offenbare protestantische Engagement Dietrichsteins wohl schon zuvor eine gewisse Hofferne bedingt hatte. Im Jahr 1524 wurde für Dietrichstein eine Inschriftentafel (Abb. 3) in der Georgskirche der Wiener Neustädter Burg errichtet. Die Inschrift teilte in einem die gesamte Satzstruktur bestimmenden Setzungsvermerk mit, dass Kaiser Maximilian I. selbst das Denkmal für Dietrichstein und dessen Ahnen und Nachkommen neben dem Ort, den er selbst für sein eigenes Grabdenkmal erwählt habe, wegen dessen herausragender Pflichttreue und Verdiensten um die Geschicke Österreichs zu errichten befohlen 64 65
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Siehe Adel im Wandel (wie Anm. 1), S. 281 (Kat.-Nr. 12.12; Richard Perger). Das den Ständen unter der Enns 1559 gewährte „Einstandsprivileg“ gewährleistete deren Einflußnahme auf die Veräußerung von Herren- und Rittergütern an landfremde Adelige. Siehe PERGER, Zusammensetzung (wie Anm. 1), S. 34. Der Plan stammt möglicherweise aus der Hand, jedenfalls aus der Sammlung des ständischen Genealogen und Historikers Job Hartmann Enenkel von Albrechtsberg und befindet sich mit anderen Teilen der ehemaligen Bibliothek des Gelehrten in Stift Schlierbach in Oberösterreich (Stiftsarchiv A-XXIV/2/24). Siehe Kurt HOLTER, Beiträge zur Geschichte der Enenkel-Bibliothek, in: Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs 14 (1984), S. 305-324, hier S. 321 f. und Abb. 4.
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habe, ein Auftrag, dem seine Erben Karl V. und Ferdinand I. ihre Zustimmung geschenkt hätten.67 Bestattet wurde Dietrichstein jedoch offenbar eben in Villach, wohl in der Familienkapelle in der Stadtpfarrkirche, wo ihm jedenfalls Söhne, Töchter und Witwe ein monumentales figürliches Grabdenkmal errichten ließen. Auch hier bestimmt der Setzungsvermerk mit ausführlicher Nennung der Hinterbliebenen, die den Toten in seinen familialen Chargen vorstellen soll, den gesamten Text. Mit Anführung des Landeserbamts und unter Auslassung des Statthaltertitels unterstreicht die Inschrift noch stärker als die in Wiener Neustadt den persönlichen Einfluss des Verstorbenen im Geheimen Rat bzw. bei Hof.68 Der ebenfalls aus Kärntner Familie stammende katholische Geheime Rat, Oberstkämmerer und Obersthofmeister Wolf Rumpf von (zum) Wielroß, einflussreicher Vertreter der „spanischen Partei“ am Hof Rudolfs II. erwarb bereits 1604 – also noch vor der Rückkehr des Kaiserhofs nach Wien und durch seinen politischen Sturz 1600 gezwungenermaßen abseits des Prager Hofs – das Recht eines Grufteinbaus in der später als hochadeliger Bestattungsplatz stark frequentierten Wiener Augustinerkirche.69 Daneben versah er jedoch seine Herrschaft Weitra im niederösterreichischen 67
/ PRINCEPS · D(OMINVS) · MAXIMILIANVS · CAESAR · · QVEM · PRO / MONVMENTO · LEGIT · MAGNIFICO · D(OMINO) · SIGIS/MVNDO · A · DIETRICHSTAIN · BARONI · LIBERO / · IN · FINKENSTAIN · HOLLENBVRG · ET TALBERG / ARCHIPINCERNAE · CARINTHIAE · QVINQUE · / PROVINCIARVM · ARCHIDVCATVS · AVSTRIAE / INFERIORVM · LOCVMTENENTI · ET · MAIORI/BVS · SVIS · OB · FIDEM · SINGVLAREM · ET · RES / AVSTRIACAS · BENEGESTAS · ET · POSTERIS / EORVM · PONI · MANDAVIT · HAEC · DEINDE / PRINCIPES · EXCELLENTISSIMI · POTENTISSI/MIQVE · D(OMINVS) · CAROLVS · CAESAR · AVGVSTVS · ET / HISPANIARVM · REX · (ET)C(ETERA) · ET · D(OMINVS) · FERDINAN/DVS · PRINCEPS · ET · INFANS · HISPAN(IARVM) · ARCHI/DVX · AVSTRIAE · (ET)C(ETERA) · FRATRES · D(OMINI) · PHILIPPI / HISPAN(IARVM) · REGIS · (ET)C(ETERA) · FILII · EIVSDEM · CAES(ARIS) · / MAXIMILIANI · NEPOTES · RATA · HABVERE · AC / APPROBARVNT · SALVTIS · ANNO · MDXXIIII. Siehe KOHN, Inschriften Wiener Neustadt (wie Anm. 29), Kat.-Nr. 164†. Barbara von Rottal wurde auf einer eigenen kleinen Inschriftentafel unter dem Haupttext als Ehefrau Dietrichsteins eigens genannt. SIGISMVNDO · LIBERO · BARONI · A · VINKENSTEIN · HOLLNBVRG / ET · TALBERG · ARCHIDVCATVS · CARINTHIAE · HAEREDITARIO / PINCERNAE · DVORVM · MAXIMORVM · ATQVE · INVICTISSIMORVM / MAXIMILIANI · ET · FERDINANDI · ROM(ANORVM) · IMP(ERATORVM) · SECRETIORIS · CONSILII / NON POSTREMO · CONSILIARIO · ET · APVD · VTROSQVE · IN / MVLTIS · AC · MAGNIS · MAGISTRATIBVS · SVMMA · CVM · INTEGRI/TATE · VERSATO · AC · COGNITO · VIRO · SIGISMVNDVS · ADAMVS · ET / CAROLVS · POST · SE · IMPVBERES · RELICTI · FILII · HESTER · ET · ANNA / NECTVM · NOBILES · FILIAE · BARBARA · GEORGII · BARONISA · / ROTALL · FILIA · HVIVS · CONIVNX · VT · PATRI · ET · CONIVGI · SVM/MA · PIETATE · HOC · MONVMENTVM · POSVERE · QVI · VIXIT · / ANNIS · LIII · MENSIS · III · DIEBVS · VI · MORTVVS · VERO · IN ARCE / SVA · VINKENSTEIN · ANNO · A · NATO REDEMPTORE · / NOSTRO · CHRISTO · M · D · XXXIII · DIE · XIX · MENSIS · MAII. Siehe Herwig HORNUNG, Die Inschriften der Stadt Villach, Teil 1: Die Inschriften der Pfarrkirche St. Jakob (Neues aus Alt-Villach, Jahrbuch des Museums der Stadt Villach, Bd. 4), Villach 1967, Kat.-Nr. 29 (Abb. 12). Vgl. HENGERER, Dimension (wie Anm. 24), S. 290, mit Anm. 111, und ausführlich ZAJIC, gedächtnis (wie Anm. 14), S. 113 f. Allerdings haben sich keine Belege für die Errichtung einer Rumpfschen Grablege in der Augustinerkirche erhalten. Offenbar wurde Rumpf nach seinem Tod AD
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PERPETVAM
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Waldviertel mit gewissermaßen entschädigenden Stiftungen für das Bürgerspital und Stipendien für bedürftige (katholische) Schüler.70 Die auf den ersten Blick als konsequente Orientierung nach dem Wiener Hof erscheinende Ausrichtung der Begräbnisse der ursprünglich aus Tirol stammenden und als extrem habsburgtreu gezeichneten71 freiherrlichen Familie Trautson in der Wiener Michaelerkirche72 täuscht: zwar liegen mit Hans (II.) und Paul Sixt (I.) Trautson zwei bedeutende Hofmänner bzw. Günstlinge Rudolfs II. mit repräsentativen Grabdenkmälern in der Kirche bestattet, doch begann die Reihe der Trautsonschen Bestattungen von insgesamt über 40 Familienmitgliedern bereits 1551 mit einem im Alter von fünf Jahren frühverstorbenen Sohn des Truchsessen Kaiser Maximilians II., Hans (I.) Trautson, Kaspar, dem sich noch weitere Trautsonsche
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auch nicht in der Augustiner-, sondern in der damals gerade in Umbau begriffenen Wiener Franziskanerkirche beigesetzt. Siehe Herbert KNITTLER, Beiträge zur Geschichte der Herrschaft Weitra von 1581 bis 1755, Diss. Wien 1965, S. 36 (Den freundlichen Hinweis auf diese Angabe verdanke ich Wolfgang Katzenschlager, Weitra). Zu Rumpf vgl. Friedrich EDELMAYER, „Manus manum lavat“. Freiherr Wolf Rumpf zum Wielroß und Spanien, in: Die Fürstenberger. 800 Jahre Herrschaft und Kultur in Mitteleuropa, hrsg. von Erwein H. ELTZ und Arno STROHMEYER (Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums, N. F. Bd. 342), Korneuburg 1994, S. 235-252; zu seiner Rolle als Inhaber der Herrschaft Weitra siehe KNITTLER, Beiträge (wie oben), und Brigitte LERNET, Die Gegenreformation in der Herrschaft Weitra (1581-1600), Diplomarbeit Wien 1997; zu seiner Stellung als Oberstkämmerer Rudolfs zuletzt knappe Hinweise bei Alexander KOLLER, Der Kaiserhof am Beginn der Regierung Rudolfs II. in den Berichten der Nuntien, in: Kaiserhof-Papsthof (16.-18. Jahrhundert), hrsg. von Richard BÖSEL, Grete KLINGENSTEIN und Alexander KOLLER (Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturforum in Rom, Abhandlungen, Bd. 12) Wien 2006, S. 13-24, hier S. 20, und Jan Paul NIEDERKORN, Die Geheimverhandlungen des Prager Nuntius Spinelli über die Abtretung von Modena und Reggio an den Heiligen Stuhl (1600/01), in: ebd., S. 33-43, passim. Ausschlaggebend für den Rückzug nach Weitra und die geplante Einrichtung der Wiener Gruft war jedoch zweifellos der unerwartete Sturz Rumpfs und seine Entfernung vom Prager Hof im Jahr 1600. Siehe Heinz NOFLATSCHER, Regiment aus der Kammer? Einflußreiche Kleingruppen am Hof Rudolfs II., in: HIRSCHBIEGEL/PARAVICINI, Fall (wie Anm. 10), S. 209-234, und DERS., Monarchische Willkür? Zum Sturz Wolf Rumpfs und Paul Sixt (I.) Trautsons am Hof Kaiser Rudolfs II. (1600), in: Tirol – Österreich – Italien. Festschrift Josef Riedmann, hrsg. von Klaus BRANDSTÄTTER und Julia HÖRMANN, Innsbruck 2005, S. 493-516. Siehe zur repräsentativen Umgestaltung von Schloss Weitra nach ersten Entwürfen von Pietro Ferrabosco, der auch ein Freihaus für Rumpf in Wien plante, Adel im Wandel (wie Anm. 1), S. 126 f. (Kat.-Nr. 5.01-5.03; Eva Berger); Susanne HAYDER, „... wie das alt Schloß steet und das neu werden soll“. Die Geschichte von Schloß Weitra, in: Die Fürstenberger (wie Anm. 69), S. 227-230; MADER/TELESKO, Spätmittelalter (wie Anm. 49), S. 292 (Kat.-Nr. 73 mit Abb.; Renate Holzschuh-Hofer). Vgl. Franz HADRIGA, Die Trautson. Paladine Habsburgs, Graz, Wien und Köln 1996. Vgl. HENGERER, Dimension (wie Anm. 24), S. 250 f., S. 298, mit Anm. 142, und S. 347, und Ingeborg SCHEMPER-SPARHOLZ, Grab-Denkmäler der Frühen Neuzeit im Einflußbereich des Wiener Hofes. Planung, Typus, Öffentlichkeit und mediale Nutzung, in: HENGERER, Macht (wie Anm. 33), S. 347-380, hier S. 355 f., jeweils mit Angabe der grundlegenden älteren Literatur.
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Begräbnisse vor der Übersiedlung des Hofs nach Prag anschlossen.73 Dass der schließlich als einflussreicher Geheimer Rat, Obersthofmarschall Ferdinands I. und Obersthofmeister Rudolfs II. am 11. November 1590 tatsächlich am Hof in Prag verstorbene vicekayser Hans (II.) Trautson74 in Wien begraben wurde, scheint zunächst nicht ohne weiteres verständlich. Doch lässt sich vermuten, dass seine Überführung und (neuerliche) Beisetzung in Wien – das Trautsonsche Freihaus in der nahen Bräunerstraße stellte immerhin einen familialen Bezugspunkt dar – erst nach dem Sturz seines Sohnes Paul Sixt (I.) am Prager Hof 1600 erfolgten. Das monumentale Hochgrab mit Liegefigur75 (Abb. 4) wurde wohl ebenso erst nach dem erzwungenen Rückzug Paul Sixts in Wien errichtet und stellt deshalb das Gegenteil einer auf den Hof hin orientierten Wahl des Grabplatzes dar – ein Umstand, dem eine in klassisch-lateinischem Ton abgefasste und neben dem individuellen Totenlob beson-
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Vgl. die Transkription der verlorenen Inschriften in ÖNB, Hs. Ser. nov. 12.781 (Epitaphia Viennensia. Ex autographo Trausoniano cum supplemento, prout communicavit reverendissimus ac perillustris dom. Franciscus de Smitmer, metrop. ecclesiae ad S. Stephanum canonicus capitularis et comendator ord. equitum S. Joannis Hierosol. Anno 1785), S. 149-151. Vgl. Adel im Wandel (wie Anm. 1), S. 457 f. (Kat.-Nr. 19.14, mit Abb. des Kondukts; Beatrix Bastl; fehlerhaft). Eine ausführliche Beschreibung des Trauerzugs, der in die Prager Burgkapelle Allerheiligen führte, in: ÖNB, Hs. 9737x, Bl. 5r-6r. In dieser Quelle wird – vielleicht schon mit Rücksicht auf eine geplante Überführung nach Wien? – betont, dass der Leichnam Trautsons in der Kapelle lediglich ad tempus ausgestellt wurde. Siehe zu Trautson und seiner Rolle am Hof Rudolfs die in Anm. 69 angegebene Literatur. Siehe zum Grabdenkmal Geschichte der Bildenden Kunst in Österreich 3, S. 386 (Kat.-Nr. 177 mit Abb.; Cornelia Plieger) und zuletzt SCHEMPER-SPARHOLZ, Grab-Denkmäler (wie Anm. 72), S. 355 f. Pliegers Annahme, wonach vom ursprünglichen, durch mehrere Umgestaltungen der Kirche zerstörten, Grabdenkmal „nur mehr die Liegefigur, die Inschriftentafel und die Wappenkartuschen stammen“, während die Tumba in die Zeit um 1670, als die Grabdenkmäler der Trautson aus dem Chor an andere Stellen verlegt wurden, zu datieren sei, ist schwer zuzustimmen. Während die in Kapitalis ausgeführten beiden Inschriftentafeln durch die Verwendung von rundem U und konsequente Unterscheidung der Grapheme U und V nach dem Lautwert eine Entstehung wohl um 1670, jedenfalls nicht um 1600 erkennen lassen, könnte die Tumba durchaus schon zum Originalensemble gehört haben, für das jedoch – wie oben angedeutet – eine Entstehung erst nach 1600 anzunehmen ist. Typologisch erinnert das gesamte Grabdenkmal jedenfalls an vergleichbare, am Vorbild der Tumba Kaiser Ferdinands I. im Prager Veitsdom orientierte Grabdenkmäler von anderen Angehörigen der „spanischen Partei“ des Prager Hofs, mit denen Paul Sixt (I.) Trautson in bester Verbindung stand. Vgl. etwa das nach Entwürfen von Vredeman de Vries ausgeführte Grabdenkmal des böhmischen Oberstkanzlers Wratislaw von Pernstein/Vratislav z Pernštejna (gest. 1592) in der erzbischöflichen bzw. Pernsteiner Kapelle des Prager Veitsdoms. Siehe Pavel ŠTĚPÁNEK, Poznámky k vybraným náhrobníkům Španělů 16. a 17. století v Praze [Anmerkungen zu ausgewählten Grabdenkmälern von Spaniern des 16. und 17. Jahrhunderts in Prag], in: Epigraphica & Sepulcralia 1. Sborník příspěvků ze zasedání k problematice sepulkrálních památek, pořádaných Ústavem dějin umění AV ČR v letech 2000 až 2004, hrsg. von Dalibor PRIX und Jiří ROHÁČEK, Prag 2005, S. 217-233, hier S. 223f. und S. 232 (Abb.)
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ders ausführlich auf die Hofdienste des verstorbenen Vaters abgestellte Inschrift gewissermaßen kompensierend gegenübersteht.76 Dass der evangelische Adel im 17. Jahrhundert in der zunehmend auf den Kaiserhof hin orientierten und konfessionell wie medial katholisch geprägten Residenz Wien auf Schwierigkeiten bei der Inszenierung seiner Funeralkultur stieß, machte ein Ausweichen auf das Land, in die Sphäre der Grundherrschaft, mitunter ratsamer.77 Mitunter scheinen sich (nicht-katholische) konfessionelle Orientierung und fehlende Teilnahme an den Chancen des Hoflebens in einer offenbar bewussten Abwendung von einer Bestattung in der Residenz zu verzahnen. Die vorwiegend in der Steiermark begüterte freiherrliche Familie Rappach etwa hatte bereits im 14. Jahrhundert (mit dem 1353 verstorbenen Heinrich von Rappach einsetzend) mehrere Bestattungen im Wiener Minoritenkloster78 aufzuweisen gehabt. Nach der Mitte des 15. Jahrhunderts befanden sich einzelne Angehörige der Familie am Wiener Neustädter Hof Kaiser Friedrichs III. Auf die geglückte Integration an der dortigen Residenz weisen der Erwerb eines Freihauses in der Stadt und die Bestattung eines frühverstorbenen Kindes des Christoph von Rappach und der Johanna von Lamnitz in der ehemaligen Neustädter Dominikanerkirche St. Peter an der Sperr hin79. Im 16. Jahrhundert hatte 76 77 78
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Noch unklar ist, ob der Text der Inschrift noch dem Originalensemble entspricht oder eine Neufassung der Zeit um 1670 darstellt. Vgl. HENGERER, Kaiserhof (wie Anm. 2), S. 207 f. (für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts). Siehe zum Minoritenkloster als prestigeträchtigem spätmittelalterlichen Adelsbegräbnis Giovanni SALVADORI, Die Minoritenkirche und ihre älteste Umgebung. Ein Beitrag zur Geschichte Wiens, Wien 1894, und Brigitte JANATA, Begräbnis im Wiener Minoritenkloster anhand der Necrologien, Diplomarbeit Wien 1999. Siehe KOHN, Inschriften Wiener Neustadt (wie Anm. 29), Kat.-Nr. 116; Johanna von Lamnitz wurde jedoch 1492 am Familienbegräbnis bei den Wiener Minoriten beigesetzt. Siehe SALVADORI, Minoritenkirche (wie Anm. 78), S. 367. Zum bemerkenswerten figürlichen Grabdenkmal der Margarete von Rappach, in Auftrag gegeben von ihrem Mann, dem auch in der Inschrift als solchen bezeichneten Hofkammerrat und ungarischen Oberstproviantmeister Hieronymus Beck von Leopoldsdorf (gest. 1562), siehe zuletzt SCHEMPER-SPARHOLZ, Grab-Denkmäler (wie Anm. 72), S. 350 f. Zur in der Literatur öfters genannten Funktion Margaretes als Konkubine Maximilians vgl. ablehnend Manfred HOLLEGER, Maximilian I. und die Entwicklung der Zentralverwaltung am Hof und in den österreichischen Erbländern von 1510 bis 1519, Diss. Graz 1983, S. 312 f. und S. 316. Dass Maximilian jedenfalls mit mehreren Konkubinen Nachkommen besaß, war im 16. Jahrhundert allgemein bekannt. Selbst der kaisertreue ständische Historiograph und Jurist, Reichshofrat und Hofkammerpräsident Maximilians II., Reichard Streun von Schwarzenau, widmete in seinen „Maximiliani I. Vita et Gesta, colligiert und thaills aigenhendig zusammen getragen von den wohlgebohrnen herren herren Reichard Strein freyh: zu Schwarzenau der Röm: kay: may: reichs hofrath und cammerpraesidenten, dan erzherzog Mathiae zu Österreich gehaimber rath und obristen hofmaistern [...]“ (Oberösterreichisches Landesarchiv Linz, Schlüsselberger Archiv Hs. 9, S. 127-140) den vier angeblich allesamt aus dem Grafenstand entstammenden „schlafweibern“ Maximilians und der reichen Kinderschar aus diesen Verbindungen ausgiebigen Raum, wenn auch unter gleichsam entschuldigendem Hinweis auf die überlange Zeit des Kaisers als Witwer.
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die Familie sich offenbar wieder auf die alte Grablege bei den Wiener Minoriten besonnen, wo wiederum zahlreiche Angehörige des Geschlechts im Kreuzgang bzw. in der Familiengruft beigesetzt wurden80 (Abb 5). Im 17. Jahrhundert lassen sich – bei offenbar gleichzeitigem völligem Rückzug der Familie aus allen Hofdiensten – keine Rappachschen Bestattungen mehr in Wien nachweisen. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ließ sich selbst noch der mit höfischen Ambitionen umgehende kaiserliche Kürassieroberst und wirkliche Kämmerer (seit 1650) Karl Ferdinand von Rappach zu Allentsteig und Reinsbach fernab der Residenz in seiner Patronatskirche Allentsteig (PB Zwettl, Niederösterreich, dem dortigen Schloss unmittelbar benachbart) bestatten. In Allentsteig wurden im letzten Jahrhundertviertel noch weitere, in militärischen Diensten stehende Familienangehörige beigesetzt, erst im 18. Jahrhundert (1718) kehrten die Rappach zu ihrer alten Begäbnisstätte bei den Wiener Minoriten zurück.81 4. Inschriften in Schwellenpositionen zwischen „innen“ und „außen“: Portale. Adelige stadtherrliche Repräsentation bediente sich nicht selten der symbolischen Instrumentalisierung von Stadttoren durch Wappen82 und Inschriften, die den Herr80
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Dorthin war auch der einflussreiche Aufsteiger, Rat Friedrichs III., Niederösterreichischer Regimentsrat (seit 1510, ab 1513 Leiter des Niederösterreichischen Regiments mit dem Titel eines [Oberst-]Landhofmeisters) sowie Leiter der Rechenkammern Maximilians I. und Ferdinands I., Georg von Rottal, Freiherr zu T(h)alberg, seiner Frau, Margarete von Rappach, nach dem Tod 1525 mit seinem Grabdenkmal vorausgegangen. Zur kopial überlieferten Grabinschrift Georgs und seiner erst 1552 verstorbenen Frau, möglicherweise auf einem gemalten Epitaph angebracht, siehe ÖNB, Hs. Ser. nov. 12.781, S. 129. Vgl. SALVADORI, Minoritenkirche (wie Anm. 78), S. 364, 366 f., 369 f. und 374; HENGERER, Dimension (wie Anm. 24), S. 316, und die Angaben zu den Rappachschen Bestattungen in Pfarrarchiv Allentsteig, A 1,2,3.1 (Tauf-, Trauungs- und Totenbuch Bd. 1, 1631-1717), S. 258, und Klebezettel zwischen S. 364 und 365. Die Inschriften einzelner verlorener Grabdenkmäler der Rappach bei den Minoriten überliefert ÖNB Cod. Ser. nov. 12.781, S. 129 und 138, weitere bei SALVADORI, Minoritenkirche (wie Anm. 78), S. 329 und 332. Zu Wappen als komplexen Kommunikationsmedien und Zeichensystemen vgl. die einschlägigen Arbeiten von Kilian HECK, Ahnentafel und Stammbaum. Zwei genealogische Modelle und ihre mnemotechnische Aufrüstung bei frühneuzeitlichen Dynastien, in: Seelenmaschinen. Gattungstraditionen, Funktionen und Leistunsgrenzen der Mnemotechniken vom späten Mittelalter bis zum Beginn der Moderne, hrsg. von Jörg Jochen BERNS und Wolfgang NEUBER (Frühneuzeit-Studien, N.F. Bd. 2), Wien, Köln und Weimar 2000, S. 563-584; DERS., Genealogie als Monument und Argument. Der Beitrag dynastischer Wappen zur politischen Raumbildung der Neuzeit (Kunstwissenschaftliche Studien 98), München und Berlin 2002; KRAACK, Wappen (wie Anm. 35); neuerdings die Beiträge im Sammelband Wappen als Zeichen. Mittelalterliche Heraldik aus kommunikations- und zeichentheoretischer Perspektive, hrsg. von Wolfgang ACHNITZ (Das Mittelalter 11/2, 2006), vor allem Georg SCHEIBELREITER, Wappen und adeliges Selbstverständnis im Mittelalter,
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schaftsanspruch unmissverständlich schon am Eingang zur Stadt unterstreichen. Sigmund Graf von Schaunberg etwa ließ am neu errichteten Peuerbachertor seiner Residenzstadt Eferding (Oberösterreich) 1464 eine hochrechteckige Rotmarmorplatte anbringen, die über dem Wappen der Grafen in einer sechszeiligen Inschrift die mit einem Segenswunsch für den Stadtherrn verbundene Bauinschrift trägt: Das · gepaw · hat · lassen · machen / der · wolgeporn · herr · Graf · Sigm/vnd · Graue · zu · / Gemainem · nvcz · darvmb · Jm · go[t] / belan · hie · vn(d) · Ebigkich [sic!] · nach · Chr(ist)[i] / gepurd · m° · cccc° . vn(d) · Jm · lxiiij° · Jare83.
Stärker auf die Gerichtshoheit des hochadeligen Stadtherren abgestellt ist eine Bauinschrift in der Stadt Horn (Niederösterreich). Hans (IX.) von Puchheim84 ließ um 1540 wenigstens zwei heute noch erhaltene Inschriften an signifikanten Schwellenpositionen85 der Horner Topographie anbringen, die seine Position als Stadtherr und alleiniger Herrschaftsinhaber (seit 1512) in prestigeträchtiger Weise unterstreichen sollten. Die ältere dieser epigraphischen Quellen ist eine Bauinschrift von 1539 im Schlosshof86 (Abb. 6). Zwei über dem Südportal der nördlichen Torhalle wohl sekundär unmittelbar nebeneinander eingemauerte querrechteckige Tafeln (aus Sandstein?) mit schmaler Randleiste tragen eine inhaltlich durchlaufende, in je sechs Zeilen die beiden Schriftfelder zur Gänze einnehmende erhabene Inschrift:
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S. 7-27; Anja EISENBEISS, Wappen und Bilder im Diskurs – Das Beispiel der Habsburger, S. 98120; Hans Jürgen SCHEUER, Wahrnehmen – Blasonieren – Dichten. Das Heraldisch-Imaginäre als poetische Denkform in der Literatur des Mittelalters, S. 53-70. Der Stein befindet sich heute im Erdgeschoss des Eferdinger Ratshauses. Siehe vorerst Inschriften – sprechende Denkmäler der Geschichte. Katalog zur Ausstellung „Inschriften – sprechende Denkmäler der Geschichte“, März bis Dezember 2003 (Oberösterreichisches Landesarchiv Linz, Schloßmuseum Eferding, Stift Schlägl, Stadtmuseum Wels), Wien 2003, S. 14 f. (Abb.), in Zukunft FORSTER, Inschriften Eferding (wie Anm. 31). Siehe zu ihm (vor 1489-1545) knapp Gustav REINGRABNER, Die Herren von Puchheim auf Horn und Wildberg. Beiträge zu ihrer Genealogie, in: Das Waldviertel 14 (1965), S. 4-10 und 46-58, hier S. 5 f. und unpaginierte Tafel mit Stammbaum zwischen S. 48 und 49, bzw. DERS., Die Stadt und ihre Herren, in: Eine Stadt und ihre Herren. Puchheim. Kurz. Hoyos. Ausstellungskatalog Horn 1991, S. 13-54, hier S. 18-21. Zum symbolischen Zusammenhang von Schwellensituationen in/an Gebäuden und zeremoniellen Handlungen vgl. Ulrich SCHÜTTE, Stadttor und Hausschwelle. Zur rituellen Bedeutung architektonischer Grenzen in der frühen Neuzeit, in: PARAVICINI, Zeremoniell (wie Anm. 19), S. 305-324, zu Schlossportalen, S. 309-315. Siehe auch MÜLLER, Fürstentum (wie Anm. 51), S. 115-117. Erwähnungen bzw. Transkriptionen der Inschrift in neuerer Literatur bei Ralph ANDRASCHEKHOLZER und Martina FUCHS, Historische Inschriften in der Stadt Horn, in: Höbarthmuseum und Stadt Horn. Beiträge zu Museum und Stadtgeschichte, hrsg. von Ralph ANDRASCHEK-HOLZER und Erich RABL, Horn 1991, S. 47-100, hier S. 51 (Kat.-Nr. 5, mit Angabe älterer Literatur) und Ralph ANDRASCHEK-HOLZER, Historischer Führer durch die Stadt Horn, Horn 1992, S. 30 (Abb. 15).
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1539 iar ist dvrich gottes / gnadt von herrn hannsen / von pvecham erbdrvkses in / esterreich rö(mischer) vng(erischer) vnd · pehm(i)s(cher) / ki(ni)c(licher) me(iesta)t rat vnd peysizer im / lantzrechten in oestereich // rechter erbherr des schlos / vnd stat horn dyse porten / erpaven des hab gott low / sey vntertan der oberkaet / den sy tregt das scwert nit vm svst sy diet got damit
Während die Anführung des innerhalb der Familie Puchheim zwischen 1276 und 1711 erblichen Amts des Österreichischen Truchsessen87 sowie des wohl mit der Funktion des Landrechtsbeisitzers verbundenen Ratstitels durchaus den zeitgemäß üblichen Formen inschriftlicher adeliger Selbstdarstellung entspricht, ist die nicht zum Namen des Bauherren gehörige und unverkennbar an eine fürstliche Intitulatio anklingende Junktur DVRICH GOTTES GNADT ungewöhnlich und als Zeichen außerordentlichen Selbstbewusstseins zu werten. Der abschließende belehrende Spruch verweist auf die Blutgerichtsbarkeit des Landgerichts Horn. Über dem Hofportal des Bergfrieds im Schloss Wald (Gemeinde Pyhra, PB St. Pölten) befindet sich ein dort sekundär angebrachter bemerkenswerter Portalaufsatz von 1541 (Abb. 7). Zwei gedrungene Pilaster tragen ein Gesims mit Rundbogenlünette und bilden ein querrechteckiges Feld mit den aneinandergeschobenen Eheallianzwappen der Greiß von Wald und Mersburg. Unter dem Wappenfeld befindet sich eine sechszeilige gereimte Inschrift in zwei Blöcken, die den zuoberst auf der mit den kaiserlichen Doppeladler versehenen Lünette als Bekrönung angebrachten Hirschen – zugleich das Wappenbild von Feld 2 und 3 des gevierten Wappens der Greiß – und die im Zwickel zwischen den Ortstellen beider Schilde plazierte Taube erklärt: Der edl gestre(n)g Ritter Her Wilhalm von Greiss zw Walt / Dreier Ro(mischer) khai(serlicher) vnd khu(niglicher) [maiestat] Rad vnd obrister Jagermaister gezalt / Hat Jme zw ainem gemahell Avserkhorenn / Die wolgeborn frav barbara von Merspvrg geboren / Vier svn sie paide erzogen han / Hansen hans sigmunden Cristoffen sebastian // Welhen sie disen befelch gaben / das sie die figur liessen graben / Ain ieder der khvmb zvm erste(n) in das havs / nach alter gewo(n)haid sol er neme(n) die davben aus / vnd avs dem hirsche(n) tri(n)cken nach krafft / Zw bestätung gueter khünftiger fröntschaft.88
Der niederadelige Wilhelm Greiß zu Wald89 hatte als Funktionsträger dreier Könige und Kaiser eine prestigeträchtige Kontinuität im Herrscherdienst aufzuweisen, deren Betonung gegebenfalls zum Standardrepertoire inschriftlicher Intitulatio gehört90 und 87 88 89
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Siehe NIEDERSTÄTTER, Herrschaft (wie Anm. 1), S. 307. Transkription nach Aufnahme im Photoarchiv der Arbeitsgruppe Inschriften des Instituts für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Teile seines ursprünglich wohl monumentalen figürlichen Grabdenkmals befinden sich in der für Wald zuständigen Pfarrkirche Pyhra, die unter dem Patronat der Greiß stand. Hier verweist der zwischen den Beinen der gerüsteten Ganzfigur sitzende (Jagd-)Hund auf das Hofamt des Verstorbenen. Vgl. die Beispiele bei ZAJIC, gedächtnis (wie Anm. 14), S. 294 f. (Anm. 318).
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auch in der besprochenen Inskription Berücksichtigung findet. Die Gestaltung des in der Inschrift genannten Willkommbechers in Form eines Hirschen91 nimmt einerseits das Wappenbild der Familie auf, stellt aber andererseits eine Allusion zum Hofamt des Genannten, dem unter Herzog Rudolf IV. von Österreich eingerichteten Oberstjägermeisteramt, her.92 Unter der „Taube“ des versifizierten Textes könnte man sich eine in Ergänzung zum waidmännischen Willkommbecher gereichten Speisenbehälter, etwa eine Konfektschale, vorstellen, die es „auszuweiden“ galt. Die ursprünglich wohl am Übergang vom „Außen“ zum „Innen“ des Schlosses in einer Schwellensituation angebrachte Inschrift verortete also einerseits den Inhaber des Baus in konventioneller Weise genealogisch und in seiner Funktion am habsburgischen Hof, perpetuierte aber andererseits in Form einer steinernen Gebrauchsanweisung den zeremoniellen Moment des „Willkomms“.93 Dabei autorisiert die Inschrift den Traditionsgehalt der vermutlich entweder überhaupt neu geschaffenen oder wenigstens neu instrumentalisierten Objekte des Willkomms durch die vorgeblich alte „Gewohnheit“, das „alte Herkommen“ ihrer neuen Verwendung mit einem Schlüsselbegriff frühneuzeitlicher adeliger bzw. ständischer politischer Kontinuitätskonzepte.94 5. Identitätsstiftende Memorialobjekte Die sekundäre symbolische Aufladung tatsächlich oder vorgeblich „alter“ Familienerbstücke mit traditionsstiftenden und legendären Erinnerungswerten im Rahmen von bemerkenswerten „Willkomm“-Objekten belegt auch die „Pittener Eichel“ der freiherrlichen Familie Teufel von Guntersdorf.95 Die erst 1563 in den Freiherrenstand erhobene und 1566 in den Niederösterreichischen Herrenstand aufgenommene Familie ließ wohl um 1600 ein älteres vergoldetes silbernes Schaugefäß in Form einer Eichel mit einer ausführlichen Reiminschrift in Kapitalis versehen, die auf die 91
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Vgl. den hirschgestaltigen Becher („Zochascher Willkomm“) des Deutschordensritters Johann Wilhelm von Zocha von 1667 in der Schatzkammer des Deutschen Ordens in Wien (Inv.-Nr. G-026). Siehe Adel im Wandel (wie Anm. 1), S. 472 f. (Kat.-Nr. 20.16 mit Abb.; Bernhard Demel) und Wolfgang KRONES, Die Schatzkammer des Deutschen Ordens. Führung durch die Ausstellungsräume des Museums, Wien [ca. 2006], S. 52 f. (Kat.-Nr. 25). Siehe NIEDERSTÄTTER, Herrschaft (wie Anm. 1), S. 307. Zu höfischen und adeligen Trinkunterhaltungen bzw. „Willkomm“ und Trinkbüchern am Beispiel des Ambraser Hofs Erzherzog Ferdinands von Tirol vgl. knapp BŮŽEK, Adel (wie Anm. 12), S. 436 f. Vgl. STROHMEYER, Disziplinierung (wie Anm. 15), und neuerdings DERS., Konfessionskonflikt und Herrschaftsordnung. Widerstandsrecht bei den österreichischen Ständen (1550-1650) (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung für Universalgeschichte, Bd. 201; Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches, Bd. 16), Mainz 2006. Zur Familie vgl. vor allem GLATZL, Freiherren (wie Anm. 57).
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legendäre Kriegslist eines Vorfahren in topischer Erzählung Bezug nimmt: Wolf Teufel habe 1485 als Pfandinhaber und Hauptmann der landesfürstlichen Burg Pitten (PB Neunkirchen) die Belagerung durch die Truppen König Matthias Corvinus’ so lange abgewehrt, dass der ungarische König sich persönlich nach der Person des tapferen Verteidigers erkundigen wollte. Unter Zusicherung freien Geleits habe der ungarische König den ihm als Wolf Teufel vorgestellten Helden zu sich gerufen, der dem Belagerer aus den letzten Vorräten der Burg (ein Hase, weißes Mehl und ein Fässchen Wein) ein Festmahl kredenzen ließ. Dabei habe der König aus eben jener Eichel getrunken und sich erstaunt über den scheinbar unerschöpflichen Vorrat der Eingeschlossenen an herrenmäßigen Speisen und Getränken gezeigt.96 Der Pokal wurde wenigstens im späteren 17. Jahrhundert als „Willkomm“ auf Burg Pitten verwendet, Otto Christoph Teufel von Guntersdorf zu Pitten ließ 1672 sogar ein eigenes Gästebuch zur „Pittener Eichel“ anlegen. Die Neuschaffung ostentativ „alter“, traditionsstiftender Objekte etwa als Vehikel der Familienmemoria entsprach einem mittelalterlichen Schema der prospektiven Vergangenheitsdeutung: „alte“ Realquellen, etwa inschriftliche Medien wie Wandmalereien mit ihren sichtbar „altertümlichen“ und in ihrer Alterität bewusst wahrgenommenen Beischriften bildeten etwa schon für klösterliche Chronisten des Hochmittelalters eine Folie von ehrwürdiger Authentizität für die eigene narrativ neu zu konstruierende monastische Tradition.97 Die Errichtung von Memoriengräbern für längst verstorbene Stifter klösterlicher Gemeinschaften,98 die nicht selten in einer synkretistisch oder vollends phantastisch historisierenden Gestaltung, etwa auch einer bewusst künstlich geschaffenen Fremdheit einer Schriftart, hohes Alter vermitteln sollten, fand in entsprechenden Traditionssträngen des frühneuzeitlichen Adels Funktionsäquivalente. Zur Unterstreichung der möglichst hohen Verbindlichkeit und zur Erhöhung des Kohäsionspotentials künftiger Bestattungen an ihrer neu eingerichteten Grablege ließen etwa die bereits erwähnten Freiherren Teufel von Guntersdorf an der Pfarrkirche Winzendorf um 1610 einen (heute sekundär versetzten) rundbogig ausgeführten neuen Inschriftstein anbringen, der den jungen Herrenstand der Familie legitimieren und fast trotzig betonen sollte (Abb. 8):
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WEIL NOCH HAST WILDPRED IN DEIN GWALD,
/ DARZV WEISS BROD GVT VNGARISCH WEIN / SO MAGST Siehe Adel im Wandel (wie Anm. 1), S. 108 (Kat.-Nr. 4.16 mit Abb.; Richard Perger; die Inschrift nicht als sekundäre Zutat erkannt). Siehe Markus SPÄTH, Sehen und Deuten. Zur Bedeutung von Visualität in der Vergangenheitswahrnehmung klösterlicher Chronistik des 11. und 12. Jahrhunderts, in: BLEUMER/PATZOLD, Wahrnehmungs- und Deutungsmuster (wie Anm. 35), S. 67-82, hier S. 73-75. Siehe Walter KOCH, Memoriengräber. Darstellung – Text – Schrift, in: Épigraphie et iconographie. Actes du Colloque tenu à Poitiers les 5-8 octobre 1995 (Civilisation Médiévale, Bd. 2), Poitiers 1996, S. 125-142. DV WOL DER TEVFEL SEIN.
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ob iemant wer, der zweifeln wolt, obs teuflisch gschläct [!] auch alt sein solt und solchs neu edel sein vermain, widersprich ich uralter stain.99
Als Beispiel für eine eingangs angesprochene Karriere, die vom Hofdienst zur ständischen Funktionsausübung führte, kann hier die Laufbahn des Sigmund Adam von Traun dienen, der offenbar 1606 zunächst Fürschneider Erzherzog Matthias’ geworden war und nicht lange danach mutmaßlich anläßlich seines Avancements zum Oberststallmeister einen Glashumpen in Auftrag geben ließ, der die Wappenschilde von insgesamt 23 Angehörigen des Hofstaats samt Namensbeischriften der jeweiligen Amtsinhaber (je fünf Mundschenken und Fürschneider, sieben Panatiers und sechs Truchsessen)100 wiedergibt. Das Glas sollte offenbar in der Zusammensetzung der genannten Personen eine spezifisch selektionierte Kollegialität in Hofämtern101 abbilden und der Amts-Memoria Trauns dienen. Parallel zu seinen erzherzoglichen Hofdiensten fungierte Traun bis 1622 jedoch auch zeitweise als Verordneter des Herrenstands unter der Enns. 1632 wurde er schließlich – nach parallel ausgeübten ständischen und fürstlichen Diensten – Landmarschall des Erzherzogtums unter der Enns. Wenigstens zeitweilige Tangenten zwischen ständischem Engagement und Fürstendienst waren eben – wie oben angedeutet – nicht die Ausnahme, sondern normaler Bestandteil einer frühneuzeitlichen Ämterlaufbahn, durch die der Hof regionale (ständische) Eliten an sich zu ziehen verstand.102 99
Siehe Gertrud MRAS, ... Davon künd ich uralter Stein, in: Unsere Heimat. Zeitschrift für Landeskunde von Niederösterreich 72 (2001), S. 145-154, hier S. 146 f. mit Abb. 1; WINKELBAUER/KNOZ, Geschlecht (wie Anm. 24), S. 147, und Christopher Rhea SEDDON, Die alte Pfarrkirche „Maria Himmelfahrt“ zu Winzendorf als Begräbnisstätte der Freiherrn von Teufel, in: Sborník Prací Filozofické Fakulty Brněnské Univerzity, Ročník LI (2002), Řada Historická (C) č. 49/Studia Minora Facultatis Philosophicae Universitatis Brunensis, Annus LI (2002), Series Historica Nr. 49, Brünn 2004, S. 255-270, hier S. 261. 100 Museum für Angewandte Kunst Wien (MAK), Inv.-Nr. KHM 353. Siehe Ludwig IGÁLFFY-IGALY, Ein Abensberg-Traun’scher Humpen, in: Unsere Heimat. Zeitschrift für Landeskunde von Niederösterreich 72 (2001), S. 307-310 (Abb. 1). Hier jedoch mehrere falsche Daten zu den genannten Personen und unzureichend argumentierte Datierung des Glases in das Jahr 1613. Noch ungeklärt ist außerdem der hohe Anteil an mährischen Hochadeligen unter den selektiv angeführten Amtsträgern. 101 Vergleichbare gemeinschaftstiftende Funktionen übernahmen häufig adelige Stammbücher, die nicht selten überwiegend Einträge von Amtskollegen enthalten bzw. höfische Netzwerke abbilden, vgl. etwa Zdeněk HOJDA, Der Hofstaat Rudolfs II. und die Gesellschaft Prags im Licht des Stammbuchs des Hartschiers David von Krakau, in: Rudolf II, Prague and the World, Prag 1998, S. 244250; Christiane SCHWARZ, Studien zur Stammbuchpraxis der Frühen Neuzeit. Gestaltung und Nutzung des Album amicorum am Beispiel eines Hofbeamten und Dichters, eines Politikers und eines Goldschmieds (etwa 1550 bis 1650) (Mikrokosmos. Beiträge zur Literaturwissenschaft und Bedeutungsforschung, Bd. 66), Frankfurt am Main u. a. 2002. 102 Vgl. HENGERER, Dimension (wie Anm. 24), S. 259.
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6. Exkurs: Die Residenz im Kleinen Besondere – und bisher kaum geschenkte – Beachtung verdient die in Österreich angesichts der Zusammensetzung des landständischen Adels vor 1620 und der nicht immer befriedigenden Quellenlage nur in Ansätzen beobachtbare Ausbildung kleiner ländlicher oder städtischer Residenzen von Angehörigen des österreichischen Herrenstands. In der Mitte des 16. Jahrhunderts starb das bis ins späte 14. Jahrhundert wenigstens nach eigenem Anspruch reichsunmittelbare Grafengeschlecht der Schaunberg103 im Mannesstamm aus. Den Grafentitel hatten neben den Schaunbergern im 16. Jahrhundert nur noch die ursprünglich steirischen Ritteradeligen Prüschenk geführt, die – wie oben dargestellt – im Zug ihres Aufstiegs am Hof Friedrichs III. die Titel und Würden der Grafen von Hardegg, zu Glatz und im Machland erworben hatten. Für die kleine Schaunbergische Residenzstadt Eferding in Oberösterreich lässt sich die wirkungsvolle Anbindung niederadeliger Diener und Amtsträger der Grafen an ihre Herren anhand der Grabdenkmäler der Stadtpfarrkirche, die zugleich auch Grablege der Grafenfamilie selbst war,104 ausschnitthaft belegen. Sechs im Original erhaltene oder kopial (abschriftlich) überlieferte Grabdenkmäler erinner(te)n an niederadelige Angehörige des Schaunbergischen Hofs bzw. an deren Familienangehörige und andere Klienten.105 Einer der inschriftlich Genannten ist aus urkundlichen Quellen als Schaunbergischer Diener, ein anderer als gräflicher Kastner benannt. Beide Funktionen wurden in den jeweiligen Grabinschriften jedoch nicht angeführt. Der in 103
Siehe zu den Schaunbergern nach wie vor am ausführlichsten vier Wiener Dissertationen: Othmar HAGENEDER, Beiträge zur Geschichte der Herrschaft Schaunberg, Diss. Wien 1951; Anton BRANDSTETTER, Das Geschlecht der Herren und Grafen von Schaunberg, Diss. Wien 1951; Hellmuth MÜLLER, Die Herren und Grafen von Schaunberg in ihrem Verhältnis zum Land ob der Enns, Diss. Wien 1955, und Gertraud ULBRICH, Beiträge zur Geschichte der Grafen von Schaunberg. Das Ende des Geschlechts und die Auseinandersetzung um das Erbe, Diss. Wien 1968. Den als „Schaunberger Fehde“ bekannten Konflikt zwischen den Schaunbergern und den österreichischen Herzögen thematisiert als Ausweis der fürstenähnlichen Stellung des ausgestorbenen Grafengeschlechts ein Ölgemälde aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit Darstellung der habsburgischen Belagerung der Burg Schaunberg samt erklärender Beischrift als historischer Nachricht. Auftraggeber des Gemäldes waren Angehörige der Freiherren (bzw. Grafen) von Starhemberg, der Haupterben der Schaunberger. Vgl. in Zukunft FORSTER, Inschriften Eferding (wie Anm. 31). 104 Für sie gilt daher sinngemäß, was Arnd REITEMEIER, Hof und Pfarrkirche der Stadt des späten Mittelalters, in: PARAVICINI/WETTLAUFER, Hof und Stadt (wie Anm. 38), S. 175-182, hier S. 182, für die Pfarrkirchen fürstlicher Residenzstädte festgestellt hat: „Manche Residenzorte sollten nicht nur ein politisches und administratives Zentrum sein, sondern gemäß dem Wunsch der Fürsten auch Elemente eines sakralen Mittelpunkts umfassen“. Siehe zur Sepulkralfunktion von Sakralräumen an der Residenz auch ANDERMANN, Kirche (wie Anm. 52). 105 Vgl. zu niederadeligen Klienten an städtischen „Höfen“ bedeutenderer Herren WEIGL, Städte (wie Anm. 39), S. 76 f. (mit Anm. 14 zu Eferding).
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der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts verstorbene niederadelige Georg Woppinger zu Haimhof hatte dagegen eine spezifische – aufgrund der Unvollständigkeit der kopialen Überlieferung jedoch unbekannte – Funktion am Hof Georgs von Schaunberg in seine inschriftliche Titulatur aufgenommen, der um die Mitte des 16. Jahrhundert frühverstorbene Sohn Gangolf eines nicht näher bekannten Leopold erhielt ein Epitaph, das den Vater als ehemaligen Kanzler der Schaunberger vorstellt. Der offenbar nicht-adelige Michael Tallinger (gest. 1556) war nach Ausweis der Inschrift zu Lebzeiten Rentmeister der Grafen, der niederadelige Melchior Rösch von Geroldshausen gräflicher Diener und Verwalter der Herrschaft Eferding gewesen.106 Erstaunlicherweise verortete der letzte Schaunberger, Graf Wolfgang (II., gest. 1559), sich selbst am Ort der Erbgrablege, der Stadtpfarrkirche Eferding, in der Inschrift seines monumentalen Epitaphs107 sowohl in einem – gerade beim letzten Vertreter eines aussterbenden Geschlechts – naheliegenden genealogischen und familienzentrierten Bezugsfeld, als auch in einer unspezifischen höfischen Funktion. Die gereimte Inschrift betont zunächst die innerhalb der österreichischen Adelslandschaft herausragende Stellung des Geschlechts als Reichsgrafenstand und unterstreicht dessen durch lange Dauer legitimierte Herrschaftsbefähigung: Der Graven von Schaunberg Geschlecht / Hat Adelich löblich und Recht / Regirt etliche hundert Jhar / Als gefurste Graven furwar / Jm Romischen Reich [...],
um dann auf die Person des Verstorbenen überzugehen: [...] vil theurer helt / Graf Wolfgang war der letztgetzelt / Des Geschlechts Jm 1559 Jar / Den Zwelften tag Juny furwar / Auch Selligclich abschaiden thet / Als er Sibenundviertzig Jar gelebt het / Römischer Kaiserlicher Mayestat / Loblicher Erlicher Dienner und Rath [...].
Die Bezeichnung des letzten Schaunbergers als einfacher kaiserlicher Diener und Rat108 überrascht, nicht nur, weil sein Verwandter Johann wenige Jahre zuvor als Protestant extreme Abscheu vor dem Fürstendienst am katholischen Habsburgerhof 106
Siehe zu den Grabdenkmälern des Kaspar Hertting, Hans Tegernseer, Georg Woppinger, Leopold N., Michael Tallinger und Melchior Rösch von Geroldshausen in Zukunft FORSTER, Inschriften Eferding (wie Anm. 31). 107 Vgl. WINKELBAUER/KNOZ, Geschlecht (wie Anm. 24), S. 147 f. und demnächst FORSTER, Inschriften Eferding (wie Anm. 31). Signifikant für die häufig versatzstückartige, rein assoziative Verwendung von Bibelzitaten auf Grabdenkmälern des 16. Jahrhunderts ohne näheren inhaltlichen Bezug zu bildlicher Darstellung und Inschriftentext ist die Verwendung des aus dem Zusammenhang gerissenen Zitats Jes 38,1 (Bestell dein hausz den du wierst sterben und nit lebendig bleiben), das hier auf das Aussterben der Schaunberger gemünzt ist, während dem biblischen König Hiskija im Gegenteil weitere zehn Lebensjahre geschenkt werden. 108 Ob sich der Ratstitel überhaupt auf irgendein reales Hofamt Wolfgangs bezogen hat, ist fraglich. Mit dem Verkauf des Schaunbergerhofs in Wien an König Ferdinand I. 1548/49 scheint Wolfgang jedenfalls offenbar jegliches Engagement in Wien aufgegeben zu haben. Siehe FORSTER, Inschriften Eferding (wie Anm. 31).
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geäußert hatte.109 Die auf Funktionen als Diener von Adel ohne Amt verweisende Bezeichnung scheint dem Stand des Verstorbenen schlecht angemessen, zudem wird im gereimten Teil der Inschrift auch der Titel eines Obersterbmarschalls in Österreich und Steier übergangen. Bemerkenswert ist die Titulatur jedenfalls auch deshalb, weil sie belegt, dass die Selbstbezeichnung des Angehörigen eines führenden österreichischen Hochadelsgeschlechts als kaiserlicher Diener110 dem honor seines Stands keinen Eintrag mehr tat. Vielleicht hatten aber auch das Vorbild des einträglichen Hofdienstes von Wolfgangs Schwiegervater, Gabriel von Salamanca, oder die fernere historische Erinnerung an den bestbezahlten Rat Herzog Albrechts III. und Leopolds III. (1368), Ulrich Graf von Schaunberg, entsprechende Vorbehalte abgeschwächt. Zusammenfassung Die Integration des österreichischen Adels an den landesfürstlichen bzw. königlichen und kaiserlichen Höfen der Habsburger des 15. und 16. Jahrhunderts führte weit überwiegend auch bei langjährigen Funktionsträgern und Inhabern bedeutenderer Hofämter noch nicht zu einer Neuorientierung der Grablegen auf den Hof bzw. die Residenz in Wien hin, die im 17. Jahrhundert zu einem ausgeprägten Wettlauf um möglichst hofnah situierte Begräbnisstätten als Reflex der symbolischen Selbstverortung eines oligarchische Züge aufweisenden neuen und exklusiven Hofadels führte. Meist blieb der landständische Adel, dessen Anbindung an den auch niederadeligen Gruppen in höherem Maß als „point of contact“ im Sinn Geoffrey Eltons offenstehenden Wiener Hof im 16. Jahrhundert noch wesentlich lockerer war als nach 1620, vor der endgültigen Rückkehr des Kaiserhofs von Prag nach Wien den teilweise traditionsreichen Familiengrablegen in der Sphäre der Grundherrschaften und deren familial-binnenorientierten Konnotationen verhaftet. Parallel dazu scheint sich erst im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts eine adelige Sichtweise des Fürstendiensts zu konstituieren, die eine zunehmend zum Standard werdende Selbstbezeichnung der Verstorbenen mit ihren landesfürstlichen oder höfischen Ämtern im Rahmen von Inschriften des Totengedenkens mit sich bringt. 109
Siehe HEILINGSETZER, Karl V. (wie Anm. 9), S. 376. Graf Johann war 1548 vom einflussreichen Freiherrn Hans Hofmann von Grünbühel eingeladen worden, ein Hofamt bei Ferdinand I. zu übernehmen. Seine brieflich geäußerten schweren Bedenken teilte seine Frau Regina von Polheim aus konfessionellen Gründen in hohem Maße. 110 Vgl. daneben im unmittelbaren regionalen Umfeld von Eferding auch die Bezeichnung des Grazer Bürgers Wolfgang Frieß (gest. 1522) als Diener Maximilians I. bzw. des durch seinen Bruder Joachim (Kanzleischreiber der Geheimen österreichischen Hofkanzlei) in den Ritterstand aufgestiegenen Aschacher Ratsbürgers Melchior Geiger von Geigersperg als römisch kaiserlicher Majestät Diener (1631). Siehe demnächst FORSTER, Inschriften Eferding (wie Anm. 31).
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Dagegen erweisen sich Bauinschriften adeliger Schlossherren traditionell häufig als vorwiegend genealogisch ausgerichtet, auch dann, wenn die Ausgestaltung bedeutender ländlicher Adelssitze mit zentralen und repräsentativen Funktionen sich an fürstlichen Vorbildern orientiert. In diesen Fällen lässt sich mitunter auch die Anbindung niederadeliger Klienten an ihre herrenständischen Dienstherren in der Wahl der Begräbnisplätze beobachten. Auf die Sepulkralkultur des österreichischen Adels wirkten die politischen Veränderungen, die im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts zur Herausbildung der „zusammengesetzten“ Habsburgermonarchie der Frühen Neuzeit führten, mit ebenso wirkmächtigen Transformationsprozessen wie auf den landständischen Adel selbst ein. Anders als zuvor bedeutete nun die mangelnde Präsenz adeliger Familien in der Residenz unter Einschluss der Repräsentationsmedien Grablege und Grabdenkmal ein dauerhaftes Ausgeschlossensein von den Karriere- und Kontaktmöglichkeiten der Hofgesellschaft.
Repräsentation durch Inschriftenträger
Abb. 1 Wappengrabplatte der Rosina von Missingdorf (gest. 1513), Frau des Lienhart (Leonhard) Rauber von Plankenstein, Pfarr kirche Altpölla (PB Zwettl, Niederöster reich)
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Abb. 2 Wappengrabplatte der Apollonia und der Dorothea Scheck vom Wald (1. Dr. 15. Jh.), Augustiner kirche Wien, Krypta
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Abb. 3 Denkmal des Sigmund von Dietrichstein (1524), Georgskirche der Burg Wiener Neustadt (Niederösterreich; Kopie des 20. Jh.)
Repräsentation durch Inschriftenträger
Abb. 4 Grabdenkmal des Hans (II.) Trautson (nach 1600?), Michaelerkirche Wien
Abb. 5 Fragment vom Grabdenkmal der Margarete von Rappach (gest. 1552), Minoritenkirche Wien
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Abb. 6
Bauinschrift des Hans (IX.) von Puchheim (1539), Schloss Horn (Niederösterreich)
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Abb. 7 Bauinschrift der Greiß von Wald (1541), Schloss Wald (PB St. Pölten, Niederösterreich)
Abb. 8 Gedenkinschrift der Teufel von Winzendorf (um 1610), ehem. Pfarrkirche Winzendorf (PB Wiener Neustadt)
Von Zeichen und Leichen Die Residenzstadt Dresden als Darstellungsraum von Fürsten und Höfen im 16. Jahrhundert Matthias Meinhardt, Wolfenbüttel Als das Forschungsprojekt „Stadt und Residenz im mitteldeutschen Raum“ 2001 in Halle konzipiert wurde, war zunächst noch mehr Arbeitshypothese denn gesicherte Tatsache, dass Stadt und Hof in ausgehendem Mittelalter und anbrechender Neuzeit zunächst als zwei unterschiedlich sozial, politisch, ökonomisch und kulturell strukturierte und somit deutlich voneinander getrennte Systeme zu denken sind, die sich im Prozess der Residenzbildung erst zu einem neuen Ganzen zusammenfinden müssen.1 Die Residenzstadt als ein die Frühe Neuzeit in besonderer Weise prägender Sondertyp der Urbanität2 war demnach als das Ergebnis von Prozessen der Aushandlung und Erkämpfung, der Beanspruchung und Besetzung, der Zurückweisung und Annahme, der Verzahnung und Verschmelzung zu begreifen. Die hallischen Projektforschungen3 haben diese Hypothese dann weitgehend bestätigen können. Gleiches gilt für viele Beiträge eines in Kooperation mit diesem Projekt veranstalteten Symposiums der Residenzenkommission im Jahr 2004, durch welche die Zahl der betrachteten Orte
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Matthias MEINHARDT und Andreas RANFT, Das Verhältnis von Stadt und Residenz im mitteldeutschen Raum. Vorstellung eines Forschungsprojektes der Historischen Kommission für SachsenAnhalt, in: Sachsen und Anhalt 24 (2002/2003), S. 391-405. Hierzu pointiert Heinz SCHILLING, Die Stadt in der Frühen Neuzeit (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 24), München 1993, S. 21, 30 f., 59 f. Hierzu mit ausführlichen Hinweisen auf die einzelnen Projektpublikationen und weiterführenden Überlegungen: Gerrit DEUTSCHLÄNDER und Matthias MEINHARDT: Die fragmentierte Gesellschaft. Politische Gruppierungen in mitteldeutschen Residenzstädten des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit, in: Städtisches Bürgertum und Hofgesellschaft. Kulturen integrativer und konkurrierender Beziehungen in Residenz- und Hauptstädten vom 14. bis ins 19. Jahrhundert, hrsg. von Jan HIRSCHBIEGEL, Werner PARAVICINI und Jörg WETTLAUFER (Residenzenforschung, Bd. 25), Ostfildern 2011, S. 197-222.
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und Untersuchungsebenen noch erheblich ausgeweitet wurde.4 Und auch ähnliche Unternehmungen andernorts stützen diesen Befund.5 Rasch wurde deutlich, dass die beiden Systeme Hof und Stadt einen komplexen Prozess sozialer, ökonomischer, politischer und kultureller Integration durchliefen, den man als „Residenzstadtbildung“ bezeichnen kann. An dessen Ende stand zumeist die Dominanz des fürstlich-höfischen Elementes über das städtisch-bürgerliche, jedoch ohne dass die Erfüllung der wesentlichen Funktionen der Stadt für Fürst und Hof grundsätzlich beeinträchtigt wurden. Bei umgekehrter Machtdominanz scheint der Hybrid „Residenzstadt“ auf Dauer zumeist nicht stabilisierbar gewesen zu sein. Auffallend häufig und schnell lösten sich dann die Systeme wieder voneinander, nicht selten verliert sich die Residenzfunktion an einem Ort in solchen Fällen ganz. Residenzstadtbildung konnte sich ebenso im Konflikt wie friedvoll vollziehen, sie konnte diskontinuierlich oder aber recht stetig verlaufen. Topographische wie rechtliche Gegebenheiten, Nützlichkeitserwägungen, emotionale Dispositionen und konkrete Machtverteilungen verliehen diesem Prozess von Ort zu Ort individuelle Züge. Und oft lassen sich auf verschiedenen Handlungsfeldern ganz unterschiedliche Verläufe zur gleichen Zeit beobachten, was die einheitliche Charakterisierung der Residenzstadtbildung im Einzelfall nicht selten erschwert. Von Residenzstadtbildung ist jedoch wohl sinnvoll nur dann zu sprechen, wenn Fürst und Hof sich den Stadtraum aneigneten, ihre Präsenz sichtbar wurde, die Residenz im engeren Sinn als Quartier, administrativer Stützpunkt und Ort der herrschaftlichen Repräsentation über ihren engeren Bereich ausgriff und in die Stadt hineinreichte. Solange dies nicht der Fall war, spricht man treffender von einer Stadt mit Residenz oder einer Residenz bei einer Stadt.6 Denn auf Dauer im Raum weder konkret noch symbolisch erfahrbare Herrschaft blieb letztlich ganz unrealisiert, war bestenfalls folgenlos beansprucht.7 4
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Der Hof und die Stadt. Konfrontation, Koexistenz und Integration in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von Werner PARAVICINI und Jörg WETTLAUFER (Residenzenforschung, Bd. 20), Ostfildern 2006. Vgl. beispielsweise die Beiträge in Susanne PILS und Jan Paul NIEDERKORN, Ein zweigeteilter Ort? Hof und Stadt in der Frühen Neuzeit (Forschungen und Beiträge zur Wiener Geschichte, Bd. 44), Innsbruck, Wien und Bozen 2005. Dazu ausführlicher: Matthias MEINHARDT: Dresden im Wandel. Raum und Bevölkerung der Stadt im Residenzbildungsprozeß des 15. und 16. Jahrhunderts (Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Bd. 4), Berlin 2009, S. 19-22 u. 102-109. Wichtige Hinweise zum Problemfeld auch bei Andreas RANFT, Residenz und Stadt, in: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich, Bd. 2: Bilder und Begriffe, hrsg. von Werner PARAVICINI, bearb. von Jan HIRSCHBIEGEL und Jörg WETTLAUFER (Residenzenforschung, Bd. 15.II), Ostfildern 2005, Teilbd. 1: Begriffe, S. 27-32, Teilbd. 2: Bilder, S. 95-107. Zum Herrschaftsbegriff mit grundlegender Literatur allgemein: Reinhart KOSELLECK, Peter MORAW, Horst GÜNTER, Karl-Heinz ILTING und Dietrich HILGER, Artikel „Herrschaft“, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3, hrsg. von Otto BRUNNER u. a., Stuttgart 1982, S. 1-102. Zum Zusammenhang von Symbol und Herrschaft spezieller siehe (mit zahlreichen weiterführenden
Von Zeichen und Leichen
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Wenn die Aneignung des Stadtraumes durch Fürst und Hof für die Schaffung des urbanen Typs „Residenzstadt“ also konstitutiv ist, gebührt ihr freilich besondere Aufmerksamkeit. Und folgerichtig gehören dann zu den vordringlich zu klärenden Kernfragen jene nach den Strategien und Bedingungen einer solchen Aneignung. Am Beispiel Dresdens als Residenzstadt8 der albertinischen Herzöge und Kurfürsten von Sachsen soll dies hier geschehen. Dabei soll gezeigt werden, dass die Albertiner des 16. Jahrhunderts sich den gesamten Stadtraum aneigneten und dabei drei unterschiedliche Strategien nutzten. Unübersehbar und für Identität und Struktur der Stadt noch heute von großer Bedeutung, ist hier zunächst die Errichtung fürstlicher Großbauten im Stadtgebiet als erste Strategie der Raumbesetzung zu behandeln. Sodann erfolgte die Aneignung des Stadtraumes aber auch über eine fürstlich-höfische Selbstdarstellung mittels der Installation oft nicht erhaltener, nicht ganz so imposanter Zeichen, wie etwa Wappen, Fahnen, Standbilder und andere bildhafte Elemente. Und schließlich sind hier performative Akte zu berücksichtigen, die zwar von allen drei Strategien den flüchtigsten Charakter besitzen und daher im historischen Rückblick am leichtesten übersehen werden können, sich jedoch – wie noch zu zeigen sein wird – für eine vollständige Raumbesetzung als unverzichtbar erwiesen.9 Darüber hinaus gilt es zu fragen, aus welchen Gründen und für welche spezifischen Problemlagen man die unterschiedlichen Strategien jeweils einsetzte.10
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Literaturhinweisen) Gerd ALTHOFF, Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 2003; Steffen KRIEB, Artikel „Herrschaftszeichen“, in: PARAVICINI, Höfe und Residenzen (wie Anm. 6), Bd. 2/1, S. 276-280; zum Begriffskomplex Raum, Symbol und Herrschaft siehe zudem noch Thomas ZOTZ, Präsenz und Repräsentation. Beobachtungen zur königlichen Herrschaftspraxis im hohen und späten Mittelalter, in: Herrschaft als soziale Praxis. Historische und sozial-anthropologische Studien, hrsg. von Alf LÜDTKE (Veröffentlichungen des Max PlanckInstituts für Geschichte, Bd. 91), Göttingen 1991, S. 168-194; Marc BOONE und Thérèse de HEMPTINNE, Espace urbain et ambitions princières: les présences matérielles de l’autorité princière dans le Grand médiéval (12e siècle-1540), in: Zeremoniell und Raum, hrsg. von Werner PARAVICINI (Residenzenforschung, Bd. 6), Sigmaringen 1997, S. 279-304; PARAVICINI/WETTLAUFER, Der Hof und die Stadt (wie Anm. 4), hier besonders die Beiträge in Abschnitt II. „Krieg der Zeichen“; Harriet RUDOLPH, Artikel „Entrée [festliche, triumphale]“, in: PARAVICINI, Höfe und Residenzen (wie Anm. 6), Bd. 2/1, S. 318-323. MEINHARDT, Dresden im Wandel (wie Anm. 6). Zum Begriff des performativen Aktes siehe Erika FISCHER-LICHTE, Ästhetik des Performativen, Frankfurt am Main 2004, bes. S. 31 ff. Im geschichtswissenschaftlichen Kontext führen sodann die Beiträge in folgendem Sammelband weiter: Geschichtswissenschaft und „performative turn“. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit, hrsg. von Jürgen MARTSCHUKAT und Steffen PATZOLD (Norm und Struktur, Bd. 19), Köln, Weimar und Wien 2003. Die hier dargelegten Beobachtungen und Überlegungen knüpfen an verschiedene jüngere Linien der Forschung über Dresden an. Diese bilden zunächst Studien, die Impulse der „performativen Wende“ der Geschichtswissenschaft in die Dresdner Stadtgeschichtsschreibung eingespeist haben. Siehe hierzu Harriet RUDOLPH, Stadtliche gemeinde und gewohnlich hofflager. Zum Verhältnis zwischen Stadt und Hof bei Herrscherbesuchen in der kursächsischen Residenz Dresden, in:
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In Hinblick auf das facettenreiche Rahmenthema des hiesigen Tagungsbandes ist mit dieser Aufgabenstellung jedoch auch eine Beschränkung verbunden: die Begriffe „symbolische Interaktion“ und „symbolische Kommunikation“11 bezeichnen in der Regel einen komplexen Prozess sozialen Handelns, in dem über Zeichen, verstanden als Botschaften nonverbaler Natur im weitesten Sinne, konkrete Bedeutungsgehalte ausgetauscht werden. Die vollständige Erforschung dieses Prozesses betrachtet gleichermaßen Aussendung, Bedeutungen, Medien, Motive, Rezeptionen und Reaktionen.12 Das hier herangezogene Material und die mitgeteilten Beobachtungen beziehen
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PARAVICINI/WETTLAUFER, Der Hof und die Stadt (wie Anm. 4), S. 261-280; Alexandra-Kathrin STANISLAW-KEMENAH, „Zur Dienstwartung bei der Churfürstlich Sächsischen Begengnus zukomen“. Repräsentation fürstlicher Macht in den Begängnissen Herzog Albrechts (1501) und Kurfürst Augusts (1586) von Sachsen, in: Kunst und Repräsentation am Dresdner Hof, hrsg. von Barbara MARX, München und Berlin 2005, S. 72-96. Mit Pioniercharakter bereits lange vor der allgemeinen Etablierung der Begrifflichkeit: Jutta BÄUMEL, Das Trauerzeremoniell für Kurfürst August von Sachsen 1586 in Dresden und Freiberg, in: Dresdner Kunstblätter 31/6 (1987), S. 209-216. Anstöße wie Reibungspunkte ergeben sich ferner aus Beiträgen, die sich – vor allem aus bau- und kunsthistorischer Sicht – mit Formen und Funktionen der architektonischen Raumbesetzung befasst haben. Vgl. hierzu Matthias MÜLLER, Das Schloß als Bild des Fürsten. Herrschaftliche Metaphorik in der Residenzarchitektur des Alten Reiches (Historische Semantik, Bd. 6), Göttingen 2004; Heiko LAß, Die Etablierung der Residenzen in Dresden und Coburg 1540-1630. Überlegungen zur Struktur früher Residenzstädte im Alten Reich, in: PARAVICINI/WETTLAUFER, Der Hof und die Stadt (wie Anm. 4), S. 155-173. Und schließlich ist auf eine Reihe von Arbeiten zu verweisen, die sich der herrschaftlichen Repräsentation in Dresden zugewandt haben, so etwa Helen WATANABE-O’KELLY, Court Culture in Dresden from Renaissance to Baroque, Basingstoke 2002; Lorenz F. BECK, Residenzbildung und Ausbau des frühneuzeitlichen Territorialstaates im albertinischen Kursachsen im Lichte der archivalischen Überlieferung, in: Hof und Hofkultur unter Moritz von Sachsen, hrsg. von André THIEME und Joachim VÖTSCH, Beucha 2004, S. 41-56; vgl. außerdem die Beiträge in zwei Sammelbänden: Elbflorenz. Italienische Präsenz in Dresden 16.-19. Jahrhundert, hrsg. von Barbara MARX, Dresden 2000; DIES., Kunst und Repräsentation (wie eben). Mehrfach Bezug auf Dresden und die Wettiner nimmt auch Cornell BABENDERERDE, Sterben, Tod, Begräbnis und liturgisches Gedächtnis bei weltlichen Reichsfürsten des Spätmittelalters (Residenzenforschung, Bd. 19), Ostfildern 2006. Zum Begriffsverständnis siehe die Einleitung zum vorliegenden Band. Dort werden symbolische Interaktion und symbolische Kommunikation weitgehend in eins gesetzt, eine pragmatische Handhabung, der hier gefolgt werden soll. Siehe hierzu Ernst CASSIRER, Philosophie der symbolischen Formen, 2. Aufl. Darmstadt 1953; DERS., Der Begriff der symbolischen Form im Aufbau der Geisteswissenschaften, in: DERS., Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs, Oxford 1956, S. 171-200; Niklas LUHMANN, Was ist Kommunikation, in: DERS., Soziologische Aufklärung, Bd. 6, Opladen 1995, S. 113 ff.; DERS., Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt am Main 1984, S. 191 ff. Vgl. zur Überführung der dort entfalteten philosophischen und soziologischen Begriffe und Konzepte in die Geschichtswissenschaft über die Vormoderne Gerd ALTHOFF, Zur Bedeutung symbolischer Kommunikation für das Verständnis des Mittelalters, in: Frühmittelalterliche Studien 31 (1997), S. 370-389, und Barbara STOLLBERG-RILINGER, Symbolische Kommunikation in der Vormoderne.
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sich jedoch in erster Linie nur auf drei Aspekte des an sich umfassenderen Vorganges. Es sind dies die Medien, die Bedeutungen und die Motive von Fürst und Hof, so wie sie in den überlieferten Quellen zu Tage treten, die hier im Blickpunkt liegen. Nur punktuell in das Sichtfeld gerät hingegen, ob, wie und durch wen im einzelnen diese Botschaften rezipiert, verstanden oder missverstanden und schließlich beantwortet werden, um erneute Rezeptions- und Reaktionsprozesse auszulösen. Diese Reduktion ist weniger eine Folge von bescheidener Selbstbeschränkung als vielmehr eine Limitierung, die sich meist aus den Aussagegrenzen der hier gewählten Quellen ergibt und die – wenn überhaupt – erst durch weitere Nachforschungen überwunden werden kann.13 1. Fürstlich-höfische Großbauten: Die Achse im Norden der Stadt Ganz pragmatisch und zugleich symbolisch war freilich das Schloss das wichtigste Element herrschaftlicher Architektur (Abb. 1 u. 2). Erbaut wurde es am nordwestlichen Rand der Stadt, eine Lage, die für ein aus einer mittelalterlichen Stadtburg entwickeltes Schloss als durchaus nicht unüblich gelten kann. Bereits Umgestaltungen der Jahre zwischen 1468 und 148014 hatten aus der Burg, von der aus Überquerung und Verkehr auf der Elbe leicht zu sichern und zu kontrollieren waren, einen stärker auf die Wohn- und Verwaltungsfunktion denn auf Fortifikation abgestimmten Bau hoher repräsentativer Qualität geformt. Doch erst unter den Herzögen und Kurfürsten
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Begriffe – Thesen – Forschungsperspektiven, in: Zeitschrift für historische Forschung 31 (2004), S. 489-527. Zur forcierten Quellen- und Methodenkritik mahnen nicht zuletzt die prominent vorgetragenen Einwände an Konzepten symbolischer Kommunikation und die Skepsis gegenüber ihren Erkenntnismöglichkeiten, die hier im Einzelnen nicht wiederholt und diskutiert werden müssen. Besonders an der Ritualforschung hat sich Kritik entzündet. Einige weiterführende Hinweise müssen hierzu genügen: Philippe BUC, The Dangers of Ritual. Between Early Medieval Texts and Social Scientific Theory, Princeton u. a. 2001. Manches davon ist bereits in voraufgehenden Arbeiten des Autors angelegt gewesen, vgl. DERS., Ritual and Interpretation in the Early Medieval Case, in: Early Medieval Europe 9 (2000), S. 183-210; DERS., Martyre et ritualité dans l’Antiquité tardive. Horizons de l’écriture médiévale des rituels, in: Annales 52 (1997), S. 63-92; Hanna VOLLRATH, Haben Rituale Macht? Anmerkungen zu dem Buch von Gerd Althoff: Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 284 (2007), S. 385-400; Johannes FRIED, Ritual und Vernunft – Traum und Pendel des Thietmar von Merseburg, in: Das Jahrtausend im Spiegel der Jahrhundertwenden, hrsg. von Lothar GALL, Berlin 1999, S. 15-63, 421. Norbert OELSNER, Die Dresdner Burg im Mittelalter, in: Geschichte der Stadt Dresden, hrsg. von Karlheinz Blaschke, Bd. 1, Stuttgart 2005, S. 121-149, hier S. 141 ff.; Steffen DELANG und Norbert OELSNER, Das Dresdner Schloß im späten Mittelalter, in: Das Dresdner Schloß. Monument sächsischer Geschichte und Kultur, hrsg. von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, 3. Aufl. Dresden 1992, S. 53-56, hier bes. S. 54 f.
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Georg, Moritz, August und Christian I. wurde die spätgotische Anlage ab etwa 1520 bis zum Ende des 16. Jahrhunderts in jenes berühmte Renaissanceschloss verwandelt, dessen Abglanz heute noch in Dresden zu beschauen ist.15 Nordöstlich und südwestlich schloss man repräsentative Erweiterungsbauten an und schuf nach und nach gesonderten Raum für Einrichtungen der Hofwirtschaft und Landesherrschaft, so etwa für Münze, Gießhaus, Hofbäckerei, Hofbrauerei, Speicher, Wäscherei u. s. w.16 In mehreren Schritten ließen diese vier Fürsten überdies zwischen 1519 und 1591 die mittelalterliche Stadtbefestigung beseitigen und durch eine frühmoderne Festungsanlage ersetzen (Abb. 3 u. 4).17 Dabei wurde der Befestigungsring im Nordosten der Stadt weit ausgedehnt und der innerstädtische Raum um eine Neustadt erweitert, wodurch aus sozialtopographisch nachrangigem, vorstädtischem Grund ein neuer Teil der Innenstadt mit überwiegend gehobenem Sozialprofil wurde.18 Zusätzlich aufge15
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Zur baulichen Entwicklung des Dresdner Schlosses siehe OELSNER, Dresdner Burg (wie Anm. 14), S. 141 ff.; DERS., Das Dresdner Residenzschloss in der frühen Neuzeit, in: BLASCHKE, Geschichte der Stadt Dresden (wie Anm. 14), S. 432-446; Fritz LÖFFLER, Das Alte Dresden. Geschichte seiner Bauten, 16. Aufl. Leipzig 2006. Für die hier wichtigen Aspekte siehe dort vor allem S. 21 f., 24 f., 35, 48 ff.; Dirk SYNDRAM, Das Schloß zu Dresden. Von der Residenz zum Museum, München und Berlin 2001; MÜLLER, Schloß (wie Anm. 10); Ulrike HECKNER, Im Dienst von Fürsten und Reformation. Fassadenmalerei an den Schlössern in Dresden und Neuburg an der Donau im 16. Jahrhundert (Kunstwissenschaftliche Studien, Bd. 64), München und Berlin 1995, S. 15 ff.; Heinrich MAGIRIUS, Das Renaissanceschloß in Dresden als Herrschaftsarchitektur der albertinischen Wettiner, in: Dresdner Hefte 38 (1994), S. 20-31; Das Dresdner Schloß. Monument sächsischer Geschichte und Kultur, hrsg. von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, 3. Aufl. Dresden 1992; Walter MAY, Die höfische Architektur in Dresden unter Christian I., in: Dresdner Hefte 29 (1992), S. 63-71; DERS., Die wettinischen Schloßbauten des 15. und 16. Jahrhunderts und ihre Bedeutung, in: Sachsen und die Wettiner. Chancen und Realitäten, hrsg. von der Kulturakademie des Bezirkes Dresden (Sonderheft der Dresdner Hefte), Dresden 1990, S. 271-277; DERS., Architektur und Städtebau in Dresden während der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Dresdner Hefte 9 (1986), S. 54-66; Brunhild GONSCHOR, Gewölbestukkaturen des 16. Jahrhunderts im Dresdner Schloß, in: Sächsische Heimatblätter 22/1 (1976), S. 15-24; Brunhild WERNER, Das kurfürstliche Schloß zu Dresden im 16. Jahrhundert, Diss. Leipzig 1970; Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreiches Sachsen, hrsg. vom Königlichen Sächsischen Ministerium des Innern, bearb. von Cornelius GURLITT, Heft 22, Dresden 1901, S. 336 ff.; DERS., Das Königliche Schloss zu Dresden und seine Erbauer. Ein Beitrag zur Geschichte der Renaissance in Sachsen, in: Mitteilungen des Königlich Sächsischen Alterthumsvereins 28 (1878), S. 1-58. Hier ausführlicher: MEINHARDT, Dresden im Wandel (wie Anm. 6), S. 102 ff. Einen guten Überblick hierüber verschaffen Eva PAPKE, Festungsbau 1500-1648, in: BLASCHKE, Geschichte der Stadt Dresden (wie Anm. 14), S. 446-458; DIES., Festung Dresden. Aus der Geschichte der Dresdner Stadtbefestigung, Dresden 1997, S. 20 ff.; DIES., Der Ausbau der Festung Dresden unter Kurfürst Moritz, in: Dresdner Hefte 52 (1997), S. 44-50; DIES., Die befestigte Stadt und ihre Tore, in: Dresdner Geschichtsbuch 1 (1995), S. 23-44; GURLITT, Beschreibende Darstellung (wie Anm. 15), S. 311 ff. Zum Sozialprofil ausführlich MEINHARDT, Dresden im Wandel (wie Anm. 6). Um Verwechselungen auszuschließen, sei hier betont, dass mit dem Begriff „Neustadt“ nicht der rechtselbische
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wertet wurde dieses Gebiet noch durch wichtige fürstliche Bauten. Zwischen 1559 und 1563 entstanden dort das prächtige Zeughaus mit dem Hofkeller in seinen unterirdischen Räumen, außerdem der kurfürstliche Wagenhof (1573) und ein Kufenhaus (1589).19 Näher am Schloss errichtete man einen weiträumigen Baukomplex, bestehend aus dem Kanzleihaus (1565-67), einem großen, neuen Stallgebäude mit Gästelogis (1586-91), daran angeschlossen wurde eine Rennbahn und der so genannte Lange Gang, der das Bauensemble nach Norden begrenzte und als Verbindung zwischen Stall und Schloss diente. Auch die Hofapotheke fand hier Raum.20 Im Zentrum der Stadterweiterung lag der Neumarkt mit fürstlichem Pulverturm, umgeben von bürgerlichen und adeligen Bauten gehobener Qualität. Die nach dem Landesherren gleichen Namens bezeichnete, prächtig bebaute Moritzstraße führte vom östlichen Stadttor auf diesen Platz (Abb. 5).21 Schon in Monumentalität und Formsprache all dieser Bauten lagen natürlich Aussagen symbolischer Kommunikation, drückten sich Herrschaftsanspruch und Selbstverständnis von Fürst und Hof aus. Doch zahlreiche Malereien und Reliefs, Wappen und figürlicher Schmuck erweiterten das Ausdrucksrepertoire noch erheblich.22 Betrachtet man nun die Anordnung und Lage der fürstlichen Bauten im Gesamtstadtplan, scheint hier die These von Stadt und Hof als zwei getrennten Systemen schon topographisch Gestalt zu gewinnen: Die fürstlich-höfischen Bauten konzentrierten sich um eine von West nach Ost verlaufende Achse im Norden der Stadt, während die mittelalterliche Bürgerstadt von fürstlicher Bautätigkeit im größeren Stil nahezu unberührt blieb. Auf fürstlichen Befehl hin wurde ferner das Elbtor am
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Stadtteil gemeint ist, der heute diesen Namen trägt. Die rechtselbische Neustadt hieß ursprünglich Altendresden und wurde erst nach einem verheerenden Stadtbrand 1685 und dem daraufhin erfolgten Wiederaufbau als barocke Stadtanlage mit der Bezeichnung Neustadt belegt. Vgl. GURLITT, Beschreibende Darstellung (wie Anm. 15), S. 418 ff.; Joachim HERRMANN, Das Hauptzeughaus zur Zeit der Kurfürsten, in: Dresdner Hefte 9 (1986), S. 41-49; LÖFFLER, Das Alte Dresden (wie Anm. 15), S. 40, 62, 493; Stadtmuseum Dresden, K. 1. 18, gedruckt in: Atlas zur Geschichte Dresdens. Pläne und Ansichten der Stadt aus den Jahren 1521 bis 1898 auf 40 Lichtdrucktafeln, mit einem Abriß der geschichtlichen Ortskunde, hrsg. von Otto RICHTER, Dresden 1898, Taf. 4b); Benjamin Gottfried WEINART, Topographische Geschichte der Stadt Dresden (Reprint der zuerst in Dresden zwischen 1777-81 erschienen acht Hefte), Leipzig 1987, S. 29-46, zum Hofkeller hier bes. S. 34. LÖFFLER, Alte Dresden (wie Anm. 15), S. 42 ff., 63, 65 f.; GURLITT, Beschreibende Darstellung (wie Anm. 15), S. 405 ff.; Friedrich August Ô BYRN, Aus dem kursächsischen Marstall, in: Mittheilungen des Königlich Sächsischen Alterthumsvereins 25 (1875), S. 20-43. MEINHARDT, Dresden im Wandel (wie Anm. 6), S. 34 ff. und S. 41 ff. Hierzu ausführlich: MÜLLER, Schloß (wie Anm. 10); HECKNER, Im Dienst (wie Anm. 15); Arndt KIESEWETTER, Der Totentanz, in: Dresdner Schloß (wie Anm. 14), S. 66 f.; Heinrich MAGIRIUS, Das Georgentor, in: Dresdner Schloß (wie Anm. 14), S. 62-65; DERS., Die bildkünstlerische Ausgestaltung der Fassaden des Schlosses, in: ebd., S. 74-77.
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Schloss für den Durchgangsverkehr gesperrt. Dadurch leitete man alle von Norden und Osten kommenden Bürger und Besucher zunächst auf die neue, dicht mit herrschaftlicher Repräsentationsarchitektur besetzte West-Ost-Achse um.23 Doch sollte man hier nicht allzu schnell von der langfristigen und stets absichtsvollen Schaffung eines topographischen Dualismus sprechen. Dieser Dualismus ist zum einen nicht so vollkommen wie er zunächst scheint. So befanden sich mit dem Fraumutterhaus als Prinzen- und Witwensitz im Südosten oder verschiedenen Gebäuden für Hofhandwerker, Kriegsknechte und mehreren Freihöfen für Adel und hochrangige Hofbedienstete durchaus auch im übrigen Stadtgebiet Häuser mit fürstlich-höfischem Gepräge, wenn auch eher in Randlagen (Abb. 6).24 Zum anderen gründete die Konzentration fürstlich-höfischer Großbauten auf den Norden der Stadt wohl in erster Linie in pragmatischen Überlegungen, die rechtlichen, finanziellen und politischen Möglichkeiten der Fürsten folgten. Betrachtet man nämlich die so besetzten Räume näher, erkennt man, dass sie fast alle in Arealen lagen, auf welche die Fürsten aus verschiedenen Gründen einen vergleichsweise einfachen und preisgünstigen Zugriff hatten: So bebaute man mit dem Burg- bzw. Schlossareal zunächst nur alten fürstlichen Besitz. Das dann folgende Ausgreifen beschränkte sich fast ganz auf Raum, der mit der Einführung der Reformation in Dresden 1539 an die Landesherrschaft gefallen war: Es handelte sich hierbei um den Besitzkomplex der Franziskaner südwestlich des Burgbezirkes sowie um den größeren Teil der Frauenvorstadt. Gleiches gilt auch für die Errichtung des großen kurfürstlichen Jägerhofes im rechtselbischen Altendresden, der Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts auf dem Boden eines kassierten Augustiner-Eremiten-Klosters entstand.25 Die Überbauung bürgerlicher Grundstücke vermied man meist, wenngleich man dort, wo Bauabsichten mit bürgerlichen Eigentumsrechten kollidierten, durchaus auch Verkäufe erzwang. Doch betraf dies, gemessen an der Komplexität der fürstlichen Bautätigkeit des 16. Jahrhunderts, einen eher kleinen Teil der Bauflächen.26 Wohl also eher den nahe liegenden Möglichkeiten folgend als durch lang vorausschauende Planung besetzten die Albertiner mit Großbauten vornehmlich den Norden
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PAPKE, Befestigte Stadt (wie Anm. 17), S. 33; Elisabeth TILLER, Räume, Raumordnungen und Repräsentation: Dresden und seine Kunstkammer als Exempel frühneuzeitlicher Fürstensammlungen (1560-1630), in: MARX, Kunst und Repräsentation (wie Anm. 10), S. 40-71, hier S. 41 f. MEINHARDT, Dresden im Wandel (wie Anm. 6), S. 102 ff.; LÖFFLER, Das Alte Dresden (wie Anm. 15), S. 94, 487. Hierzu ausführlicher MEINHARDT, Dresden im Wandel (wie Anm. 6), S. 102 ff.; zum angesprochenen Kontext siehe Helga-Maria KÜHN, Die Einziehung des geistlichen Gutes im albertinischen Sachsen 1539-1553 (Mitteldeutsche Forschungen, Bd. 43), hier bes. S. 61, 67, 70, 115, 122, 133. MEINHARDT, Dresden im Wandel (wie Anm. 6), S. 102 ff.
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der erweiterten Stadt Dresden.27 Hier jedoch war ihre Präsenz erdrückend. Großbauten inmitten der mittelalterlichen Bürgerstadt waren hingegen rar, so dass hier eine andere Strategie der Raumbesetzung gefunden werden musste – und auch gefunden wurde, wie noch zu zeigen sein wird. Doch zuvor soll es hier um eine andere Form der Raumaneignung gehen, nämlich um die eingangs erwähnte fürstlich-höfische Selbstdarstellung mit Hilfe installierter Symbole. 2. Installierte Symbole – Stadttore, Festungsmauern, Moritzmonument und Lusthaus Als besonders wichtige Teile der Stadtanlage boten Tore besondere Chancen für Selbstdarstellung und Raumbesetzung. Diese besonderen Chancen lagen zum einen in der Weite des Rezipientenkreises: Bürgerschaft wie Hof, Einheimische wie Besucher und Durchreisende konnten hier platzierte Symbole kaum übersehen. An den Stadttoren erreichte man also Tag für Tag ein breites Publikum. Zudem konnte man über die Tore als Schlüsselpunkte symbolisch die gesamte Stadt in den Griff nehmen (Abb. 7). Bis zum 16. Jahrhundert, als der Befestigungsbau und die Stadttore noch weitgehend ungeschmälert in Händen von Bürgermeistern und Räten der Stadt lagen, verfügte Dresden über insgesamt vier, nach den Himmelsrichtungen angeordnete Haupttore: Das Elbtor lag im Norden, das Frauentor im Osten, das Seetor im Süden und das Willische Tor im Westen. Über diesen Toren ragten Tortürme auf, an denen Stadtwappen aufgemalt waren.28 Ergänzt wurde dieses Torsystem durch kleinere Pforten, von denen ein Durchlass im Südosten am Ausgang der Kreuzgasse besonders zu erwähnen ist. Wer durch eines der mit städtischen Symbolen versehenen Haupttore schritt, betrat oder verließ unzweifelhaft die bürgerliche Stadt Dresden.29 Im Zuge der Stadterweiterung und Umgestaltung der Wehranlagen zu einem frühmodernen Festungsring änderten sich die Verhältnisse grundlegend. Die Fürsten nahmen nun den Vertretern der Bürgerschaft die Hoheit über die Befestigungen aus der Hand.30 Wie bereits erwähnt, wurde das Elbtor für den Durchgangsverkehr gesperrt. 27
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Den Eindruck absichtsvollen Handelns erwecken andere Autoren, so beispielsweise LAß, Etablierung (wie Anm. 10), und TILLER, Räume (wie Anm. 23). Die besitzrechtlichen und ökonomischen Aspekte bleiben hier zugunsten einer Sicht ausgeblendet, die den Albertinern offenbar eine über mehrere Generationen reichende, stets bewusste und durchgeplante Handlungsstrategie zuschreibt, die ganz repräsentativen und ästhetischen Gesichtspunkten folgte. PAPKE, Befestigte Stadt (wie Anm. 17), S. 24 f. Hierzu auch MEINHARDT, Dresden im Wandel (wie Anm. 6), S. 34 ff. Matthias MEINHARDT, Chancengewinn durch Autonomieverlust. Sächsische und anhaltische Residenzstädte im Spannungsfeld zwischen fürstlichem Gestaltungswillen und politischer Selbstbestimmung, in: PARAVICINI/WETTLAUFER, Der Hof und die Stadt (wie Anm. 4), S. 37-62, hier S. 55 ff.
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Auch das südliche Stadttor am Ende der Seegasse als direkter Zugang zum Altmarkt wurde 1550 durch Mauerwerk für rund 200 Jahre verschlossen.31 Die Zugänge im Westen und Osten gewannen damit an Bedeutung. Das Elbtor blieb jedoch im Prinzip passierbar, war lediglich abgeriegelt. Mit seinem von Christoph Walther geschaffenen reichen Bildschmuck bildete es einen wichtigen Teil des Georgenbaues und so der Schlosserweiterung nach Osten. Zu sehen waren u. a. alttestamentliche Motive zum Sündenfall, ferner Motive zur Errettung durch Christus, ein bekannter Totentanz, Bildnisse des Herzogs Georg und seiner Frau sowie Herrschaftswappen des fürstlichen Auftraggebers (Abb. 8 u. 9).32 Neu angelegt und aufwändig ausgestaltet wurden auch die anderen Stadttore. Noch unter Moritz begann man 1548 im Westen das Willische Tor neu zu errichten. Doch erst unter August wurden die Arbeiten 1573 vollendet. Nach außen zeigten sich dem Betrachter am Tor zwei Löwen, der eine das sächsische, der andere das dänische Wappen haltend, womit heraldische Verweise auf den Kurfürsten August und seine Frau Anna installiert wurden. Darüber befand sich auf einem Sockel die personifizierte Justitia, flankiert von vergoldeten Löwen, Kur- und Rautenwappen. Auch ein Hinweis auf den Baumeister und kurfürstlichen Statthalter Graf Rochus von Lynar wurde in das Bildprogramm aufgenommen (Abb. 10).33 Die bislang eher unbedeutende Kreuzpforte im Südosten der Stadt wurde ab 1549 in das prächtige Salomonistor umgestaltet und so erheblich aufgewertet. Initiator war auch hier zunächst Moritz von Sachsen, Vollender des Baues wiederum erst sein Bruder August. Als Schmuck des Tores standen hier zwei Karyatiden vor Pilastern, die ein Gebälk stemmten, auf dem Wappenkrieger zu sehen waren. Darüber befand sich eine Darstellung des für das Tor Namen gebenden Salomons auf einem Thron, ferner die beiden zankenden Frauen, über deren Streit der weise König zu richten hatte (Abb. 11). 1593 beschränkte man den Verkehr durch das Salomonistor auf Fußgänger und erhöhte so die Frequenz am letzten hier zu erwähnenden Durchlass, dem Pirnaischen Tor.34 Christian I. ließ das Pirnaische Tor besonders aufwändig ausgestalten: Zwei niedere Torbögen umgaben rechts und links einen höheren und zeigten das Kurwappen, das Wappen der sächsischen Herzöge mit dem Rautenkranz sowie Krieger und Wappen der sächsischen Landesteile. In der Mitte krönte das Gesamtprogramm eine 31 32 33 34
PAPKE, Befestigte Stadt (wie Anm. 17), S. 32. MAGIRIUS, Renaissanceschloß (wie Anm. 15), S. 20-31, hier 21 f. LAß, Etablierung (wie Anm. 10), S. 163. Walter BACHMANN, Zur Geschichte der ehemaligen Kreuzpforte und des Salomonistores, in: Dresdner Geschichtsblätter 41 (1933), S. 101-110; Walter HENTSCHEL, Der künstlerische Schmuck des Salomonistores und sein Meister, in: Dresdner Geschichtsblätter 43 (1935), S. 179-183; DERS., Noch einmal: Das Salomonistor und sein Schmuck, in: Dresdner Geschichtsblätter 45 (1937), S. 13-14; LAß, Etablierung (wie Anm. 10), S. 163.
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Darstellung Christians I. auf springendem Pferd, das Kurschwert in der Hand. Sichtlich war diese Darstellung des Fürsten von Reiterstandbildern inspiriert, deren Traditionslinien in französischen und italienischen Vorbildern wurzelten.35 (Abb. 12) Im Verlauf des 16. Jahrhunderts verliehen also monumentalisierende Umbauten und herrschaftliche Bildprogramme an den Stadttoren den Zugängen in die Stadt einen neuen Charakter. Nicht mehr, wie noch zu Beginn des Jahrhunderts, zeigten hier Stadtrat und Bürgerschaft ihre Hoheit an. Vielmehr präsentierten Fürsten ihre Person, ihre Herrschaft über Stadt und Land, ihre 1547/48 erworbene Kurwürde, ihren Glauben, ihre Herrschertugenden oder ihre humanistische Kompetenz in bildkünstlerischem Glanz. Ganz gleich, durch welches der noch offenen Stadttore Dresdens man ausgangs des 16. Jahrhunderts schritt, stets wurde symbolisch vergegenwärtigt, dass man nunmehr eine fürstliche Residenz betrat oder verließ. Ein recht klarer Fall semiotischer Verdrängung bürgerlicher Ansprüche also. Doch die symbolische Umklammerung der Gesamtstadt beschränkte sich nicht auf die Tore. Auch die Mauern und Wehrgänge der Festungsanlage selbst waren mit fürstlichen Herrschaftszeichen geschmückt. Ein besonders prächtiges Element fand sich an der unweit des Pirnaischen Tores gelegenen Hasenbastei. Hier ließ Kurfürst August 1555 gut sichtbar das so genannte Moritzmonument anbringen. Das von Hans Walter II. geschaffene Kunstwerk markierte jene Stelle, bis zu der 1553 die von Moritz veranlassten Bauarbeiten an der neuen Fortifikation gelangt und nun von seinem Bruder August fortgeführt wurden. Durch das Zusammenspiel von bildlicher Darstellung und Platzierung des Monumentes übernahm August symbolisch zugleich Kurschwert, Residenzstadt und unvollendete Bauvorhaben von seinem im Braunschweigischen gefallenen Bruder. Gearbeitet aus Sandstein, zeigt die Darstellung, wie Moritz in einem Säulenbau das Kurschwert an seinen Bruder August weiterreicht. An den Seiten stehen die Gemahlinnen der beiden Fürsten, Agnes von Hessen in Witwentracht und Anna von Dänemark in Hofkleidung (Abb. 13).36 Auf einem besonders markanten Punkt der Festungsanlagen errichtete man zudem ein Bauwerk, das sich ebenfalls als kurfürstliches Herrschaftszeichen deuten lässt: auf der nordöstlichen Eckbastion, Jungfernbastei genannt, errichtete man nach Plänen des
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Robert BRUCK, Der bildkünstlerische Schmuck am Pirnischen Thore, in: Dresdner Geschichtsblätter 11 (1902), S. 98-99, mit Bildbeilage; Damian DOMBROWSKI, Das Reiterdenkmal am Pirnischen Tor zu Dresden. Stadtplanung und Kunstpolitik unter Kurfürst Christian I. von Sachsen, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, 3. Folge 50 (1999), S. 107-146; LAß, Etablierung (wie Anm. 10), S. 156. LÖFFLER, Das Alte Dresden (wie Anm. 15), Abb. 70, S. 60 f.; Manfred ZUMPE, Die Brühlsche Terasse in Dresden, Berlin 1991, S. 17 f.; LAß, Etablierung (wie Anm. 10), S. 164. Heute befindet sich das Moritzmonument umgesetzt und „erneuert“ an der nordöstlichen Ecke der Brühlschen Terasse.
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bedeutenden italienischen Renaissancekünstlers Giovanni Maria Nosseni37 ab 1589 in einem sich über viele Jahre hinziehenden, wechselvollen Bauprozess ein Lusthaus. Von diesem Gebäude hatte man nicht nur eine besonders schöne Aussicht auf die Elbe, ihre Ufer, die umliegende Landschaft und Teile der Stadt, so dass man füglich von einem Belvedere spricht; der überaus kostspielige Bau auf den Festungswerken war darüber hinaus auch weithin sichtbar, so dass man seinen Wert nicht nur vom Ausblick, sondern auch von seinem repräsentativen Anblick her bemessen kann.38 3. Performative Akte – das Beispiel der Leichenbegängnisse Wie bereits aufgezeigt, waren architektonische Mittel fürstlicher Raumbesetzungen im Kernbereich der alten Bürgerstadt vergleichsweise selten anzutreffen. Doch auch hier entwickelte man ein reichhaltiges Repertoire durch eine Fülle performativer Akte. Das Spektrum reichte von Stadtein- und -auszügen sowie Umzügen durch die Stadt bis hin zu Turnieren und Tierhatzen. Anlässe boten beispielsweise Herrscherbesuche, Feste aus dem Lebenskreis der fürstlichen Familien, aber auch solche anderer hochrangiger Mitglieder des Hofes. Auch militärische Aufgebote und Musterungen gerieten zu Inszenierungen (Abb. 14).39 Dank vergleichsweise guter Überlieferung eignen sich besonders Leichenbegängnisse für eine nähere Betrachtung. Die Trauerfeierlichkeiten anlässlich des Ablebens der Kurfürstin Anna 1585 sowie des Kurfürsten August 1586 werfen hier wiederum besonders helle Schlaglichter auf die Beziehung zwischen Fürst und Hof auf der einen 37
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Walter MACKOWSKY, Giovanni Maria Nosseni und die Renaissance in Sachsen, Berlin 1904; Monika MEINE-SCHAWE, Die Grablege der Wettiner im Dom zu Freiberg. Die Umgestaltung des Domchores durch Giovanni Maria Nosseni 1585-1594, München 1992. Walter BACHMANN, Nossenis Lusthaus auf der Jungfernbastei, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte 57 (1936), S. 1-29; GURLITT, Beschreibende Darstellung (wie Anm. 15), S. 506 f.; LÖFFLER, Das Alte Dresden (wie Anm. 15), S. 40 f., 70, 75. Karl von WEBER, Über Turniere und Kampfspiele, in: Archiv für sächsische Geschichte 4 (1866), S. 337-384; Georg BRÜCKNER, Die zu Dresden im April 1575 zu Ehren des Kaisers Maximilian II. veranstalteten Festlichkeiten, in: Archiv für sächsische Geschichte 4 (1866), S. 225-241; Paul RACHEL, Fürstenbesuche in Dresden, in: Dresdner Geschichtsblätter 16 (1907), S. 137-149 und 17 (1908), S. 229-244; DERS., Eine höfische Festordnung aus Kurfürst Augusts Tagen (1572), in: Dresdner Geschichtsblätter 16/4 (1907), S. 202-204; Hagen BÄCHLER und Monika SCHLECHTE, Die höfische Festkultur – Funktion und Wirkung, in: Dresdner Hefte 21 (1989), S. 3-11; BÄUMEL, Trauerzeremoniell (wie Anm. 10); Monika SCHLECHTE, Ein sächsischer Perseus? Die Hochzeit des Kurprinzen Christian im Jahre 1582, in: Dresdner Hefte 29 (1992), S. 80-84; Sieglinde NICKEL, Die Renaissancestadt als Festkulisse, in: Dresdner Geschichtsbuch 3 (1997), S. 17-36; WATANABEO’KELLY, Court Culture (wie Anm. 10), bes. S. 49 ff.; STANISLAW-KEMENAH, Dienstwartung (wie Anm. 10); BABENDERERDE, Sterben, Tod, Begräbnis (wie Anm. 10); RUDOLPH, Stadtliche Gemeinde (wie Anm. 10).
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Seite sowie Rat und Bürgerschaft auf der anderen, unterscheiden sich jedoch von früheren wie späteren Begängnissen kaum, so dass sie für das 16. Jahrhundert eine gewisse Repräsentativität beanspruchen können.40 Wenden wir uns zunächst dem Begängnis für die am 1. Oktober 1585 verstorbene Kurfürstin Anna zu. Die Federführung über die Organisation des Begängnisses hatte nicht allein ihr Gemahl August, sondern dieser gemeinsam mit dem Sohn Christian I. inne, wie aus einer schriftlichen Prozessordnung zu entnehmen ist.41 Die Leiche der Kurfürstin sollte am letzten Oktobertag, einem Samstag, vom Frauenzimmer in die Schlosskapelle und dann von dort mit feierlichem Geleit in die Kreuzkirche, also die Pfarrkirche der Stadt am Altmarkt, gebracht werden. Der Kirchraum war mit schwarzen Tüchern auszukleiden. Darauf waren achtzehn heraldische Darstellungen des wettinischen und dänischen Fürstenhauses sowie der kursächsischen Landesteile zu sehen. Samstags wie sonntags sollten sämtliche Glocken in und vor der Stadt für eine Stunde geläutet werden. Die Predigt wurde ausdrücklich dem Hofprediger Dr. Martinus Mirus zugewiesen, während dem Stadtpfarrer und Superintendenten Greser befohlen wurde, sich dieser Anordnung friedlich zu fügen.42 Nach der Trauerfeier in der Kreuzkirche verblieb der Leichnam über Nacht dort und wurde erst am nächsten Tag in feierlicher Prozession über Nossen nach Freiberg verbracht und dort in der albertinischen Familiengrablege beigesetzt.43 Besonders aufschlussreich ist die Aufstellung, die der Trauerzug einnahm: an der Spitze des Zuges sollten der kurfürstliche Stadthauptmann mit Wachtmeistern und Trabanten gehen, diesen dann ein kräftiger Schüler folgen, der ein großes Kreuz zu tragen hatte. Sodann kamen die übrigen Kreuzschüler, die vom Hof oft zu Sanges40
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Zu den Leichenbegängnissen in Dresden siehe auch BÄUMEL, Trauerzermoniell (wie Anm. 10) und STANISLAW-KEMENAH, Dienstwartung (wie Anm. 10), zum Komplex der Fürstenbestattung bei Wettinern und anderen Dynastien siehe zudem Wilhelm LOOSE, Das Begängnis des Herzogs Albrecht im Dom zu Meissen, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Meissen 5 (1895/96), S. 38-45; BABENDERERDE, Sterben, Tod, Begräbnis (wie Anm. 10). Gedruckt als Anlage zu [?] ENGELHARDT, Beschreibung der Begräbnisstätte der Churfürstin von Sachsen Anna, in: Mittheilungen des königlich sächsischen Vereins für Erforschung und Erhaltung vaterländischer Alterthümer 7 (1854), S. 26-37, hier S. 31-35. ENGELHARDT, Beschreibung (wie Anm. 41), S. 31 f. Eine solch ausdrückliche Anweisung scheint nicht ganz grundlos erfolgt zu sein. Greser hatte sich mehrfach als durchaus streitlustiger Mann erwiesen, der insbesondere bei Zuständigkeitsfragen Konflikten nicht aus dem Weg ging. Zu Person und Amtsführung Gresers siehe Fritz HERRMANN, Aus dem Leben Daniel Gresers, ersten evangelischen Pfarrers zu Gießen (1532-42), in: Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins, Neue Folge 9 (1900), S. 20-40; Heinrich BUTTE, Daniel Greser. Eines Hessen in Sachsen erfülltes Leben, in: Jahrbuch der hessischen kirchengeschichtlichen Vereinigung 2 (1950/51), S. 144-171; MEINHARDT, Dresden im Wandel (wie Anm. 6), S. 561 ff. Zu Martinus Mirus siehe Wolfgang SOMMER, Die lutherischen Hofprediger in Dresden. Grundzüge ihrer Geschichte und Verkündigung im Kurfürstentum Sachsen, Stuttgart 2006, S. 89 ff. ENGELHARDT, Beschreibung (wie Anm. 41), S. 35.
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diensten gerufen wurden, sowie die Geistlichen. Die nächste Abteilung stellten drei Marschalle, hinter denen die Herzöge Christian von Sachsen und Wolfgang von Braunschweig-Lüneburg mit je zwei Hofjunkern an der Seite schritten. Auf diese Gruppe folgte die Leiche der Kurfürstin, getragen von zwei sich abwechselnden Abteilungen von Sargträgern zu je 24 Mann, rekrutiert aus den führenden Adelsfamilien Kursachsens. Unmittelbar dahinter ging der trauernde Gemahl, Kurfürst August. Danach kamen Hofräte, Edelknaben und die Hofärzte. Es schlossen sich Hofmeister, Herzogin Anna von Sachsen und Sophie von Brandenburg, also Tochter und Schwiegertochter der Verstorbenen, jeweils in adeliger Begleitung, an. Auch die Gattin Herzog Wolfgangs von Braunschweig-Lüneburg bildete den Kern einer eigenen Abteilung. Nach ihr kamen das fürstliche Frauenzimmer, sodann das Frauenzimmer der in der Stadt wohnenden Räte, Doktoren und Sekretäre des Hofes; dahinter schritten die Mitglieder der Kanzlei, der Kammer und der Renterei, dann das übrige Hofgesinde. Erst als Schlussgruppe, also noch hinter Stubenheizern, Köchen, Eseltreibern und Türstehern des Hofes, folgten Rat und Bürgerschaft der Stadt, dann ganz am Ende deren Frauen.44 Eine ganz ähnlich nachgeordnete Positionierung der Bürgerschaft lässt sich im Übrigen bereits beim Transport der fürstlichen Leiche durch das Schloss sowie dann bei der Aufstellung in der Kreuzkirche beobachten.45 So ähnlich, dass hier eine weitere detaillierte Schilderung unterbleiben kann, sah die Ordnung für das Begängnis anlässlich des bald nach seiner Frau verstorbenen Kurfürsten August aus, das am 13. und 14. März 1586 ebenfalls in Dresden und Freiberg aufgeführt wurde. Daniel Bretschneider hat dieses Ereignis in einer Serie von kolorierten Kupferstichen eindrucksvoll festgehalten (Abb. 15 u. 16).46 Freilich spielten hier herrschaftliche Zeichen, wie etwa die Vorführung der kurfürstlichen Insignien, eine weit größere Rolle, doch das Grundmuster von Ablauf und Rangzuweisungen war nahezu identisch. Entscheidend ist für den hiesigen Zusammenhang, dass Rat und Bürgerschaft erneut vom nun allein die Feierlichkeiten bestimmenden Christian I. ins hinterste Glied des Leichenzuges und auf die nachrangigen Plätze in Schloss und Kreuzkirche verwiesen wurden.47 In diesen Leichenbegängnissen erkennt man also deutlich performative Akte, mit denen sich Fürst und Hof auch jenen Stadtraum aneigneten, der durch fürstliche 44 45 46 47
Ebd., S. 32. Ebd., S. 31 ff. Erhalten u. a. in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) unter der Signatur Hist. Sax. C. 23m. Vorzeichnus welcher gestalt weiland des Durchleuchtigsten Hochgeborenen Fürsten vnd Herrn, Herrn Augusti [...] Leiche [...] bestattet vnd beygesetzt worden, Leipzig 1586. Zu diesem Ereignis und den erwähnten Bilddarstellungen siehe auch BÄUMEL, Trauerzermoniell (wie Anm. 10) und STANISLAW-KEMENAH, Dienstwartung (wie Anm. 10). Aufschlussreich ist auch, dass Bretschneider in seiner bildlichen Darstellung des Zuges die bürgerlichen Abteilungen am Schluss des Zuges ganz fortließ, siehe SLUB, Hist. Sax. C. 23m.
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Bauten und fest installierte Zeichen nur eingeschränkt besetzt war. Gipfelpunkt dieser Aneignung war die Inbesitznahme der städtischen Pfarrkirche durch fürstliche Wappen und herrschaftliche Zeichen und die Reservierung der Predigt für den Hofprediger. Verbunden wurde die Aneignung mit einer demonstrativen Rangzuweisung, welche die Nachordnung von Rat und Bürgerschaft überaus deutlich zur Schau stellte. Diese zeigt sich nicht erst in der Kreuzkirche, sondern bereits zu Beginn der Zeremonie bei der Aufstellung im Schloss, dann in aller Deutlichkeit im Leichenzug durch die Stadt. Durch solche Großveranstaltungen, reich an Varianten und in durchaus beachtlicher zeitlicher Dichte, wurde der ältere Teil der Stadt um den Altmarkt immer wieder für fürstlich-höfische Inszenierungen in Anspruch genommen.48 Dadurch gelang es auch, jenen zentralen Raum der Stadt herrschaftlich zu besetzen, der auf den ersten Blick ein vorwiegend bürgerliches Gepräge bewahrt hatte. Dies gipfelte schließlich in dem Wunsch, diese performativen Akte weitgehend ungestört von allzu aufdringlicher bürgerlicher Symbolik aufführen zu können: man ersuchte die Stadtführung, das Rathaus abzureißen und an anderer, weit weniger zentraler Stelle neu zu errichten. Als Begründung gab man an, dass das Rathaus die fürstlichen Feste auf dem Altmarkt zu sehr beenge, eine offenbar vorgeschobene, nur scheinbar stichhaltige funktionale Argumentation, da mit Arealen im und um das Schloss sowie dem Neumarkt hinreichende Alternativen für die Entfaltung höfischer Festlichkeit zur Verfügung standen. Die Verlegung des wichtigsten baulichen Repräsentanten bürgerlicher Macht und Identität nahm man freilich nicht unwidersprochen hin. Bis 1707 konnte die Stadtführung die Umsetzung des von ihnen abgelehnten Ansinnens der Landesherren hinauszögern. Doch unter August dem Starken wurde das Rathaus auf dem Altmarkt dann doch abgebrochen und durch einen Neubau am Westrand des Marktplatzes ersetzt.49 4. Resümee Zum Schluss soll noch einmal kurz zurückgeblickt und der wichtigste Ertrag festgehalten werden. Die Nutzung von drei Strategien der Selbstdarstellung und Raumbesetzung durch Fürsten und Höfe im Dresden des 16. Jahrhunderts wurde deutlich: zunächst jene durch fürstliche Großbauten vor allem im nördlichen Stadtgebiet; dann 48
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Zum Zentrum städtischen Lebens und bürgerlicher Repräsentation siehe Wolfgang WEIGEL, Der Altmarkt von Dresden, in: Marktplätze. Betrachtungen zu Geschichte und Kultur, hrsg. von der Bauakademie der DDR – Institut für Städtebau und Architektur, Berlin 1990, S. 48-85, zum hiesigen Kontext bes. S. 56 ff.; Heidemarie WEIGAND, Zur Geschichte des Altmarktes, in: Dresdner Geschichtsbuch 2 (1996), S. 20-37. MEINHARDT, Chancengewinn (wie Anm. 30), S. 54 f.; MEINHARDT, Dresden im Wandel (wie Anm. 6), S. 74 f.
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mittels der Installation von Zeichen an Toren und Festungsanlagen, durch welche die gesamte Stadt zeichenhaft in den fürstlichen Griff genommen wurde; und schließlich durch performative Akte, in denen temporär auch jene Räume von Fürst und Hof durchdrungen und angeeignet werden konnten, die dauerhaft nicht ohne weiteres zu besetzen waren. Erst diese Kombination der verschiedenen Aneignungsstrategien ermöglichte einen vollständigen Zugriff auf den Stadtraum. Einer realen Inbesitznahme der ganzen Stadt standen ebenso politisch-ideelle Rücksichtnahmen, Nützlichkeitserwägungen, rechtstopographische Grundlagen und Grenzen der Ressourcen im Weg. Während Bereiche um das Schloss und später dann in der im Nordosten der Stadt gelegenen Neustadt mit Großbauten dicht und aufwändig besetzt wurden, fiel die permanente architektonische Präsenz von Fürst und Hof in der Altstadt um den Altmarkt bescheidener aus. Hier sorgten jedoch eine semiotisch eindeutige Markierung der Befestigungsanlagen und häufige performative Akte im Inneren der Altstadt und ihrer zentralen Kirche für eine kaum minder eindeutige Raumbesetzung. Die vorgeführten Strategien bringen allesamt Facetten fürstlicher und höfischer Selbstdeutungen im städtischen Raum zur Darstellung, deren Anspruch auf Vorrang vor Rat und Bürgerschaft überaus deutlich wird. Sie werfen folglich Licht auf Rangzuweisungen in den Beziehungen zwischen Fürst, Hof, Rat und Bürgerschaft. Dies wird auch dadurch nicht gemindert, dass mit bestimmten Zeichen zugleich auch noch andere Problemfelder berührt wurden. So speiste sich beispielsweise die auffällig häufige Betonung der Kurfürstenrolle in der fürstlichen Zeichensprache in Dresden wohl nicht zuletzt auch aus dem Legitimationsdefizit der Albertiner, ließ sich der Erwerb der Kurwürde doch schon von den Zeitgenossen mit einigem Recht als Judaslohn für den Vetternverrat deuten.50 In der Polyphonie der Zeichen kann indes für den Sprecher gerade ein wesentlicher Wert symbolischer Kommunikation liegen. Sie überhaupt zu beachten, zu sammeln und zu entschlüsseln, hat man für die Residenzstadt Dresden erst begonnen.
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Siehe zu diesem Aspekt Weiteres bei Gabriele HAUG-MORITZ, Judas und Gotteskrieger. Kurfürst Moritz, die Kriege im Reich der Reformationszeit und die „neuen“ Medien, in: Moritz von Sachsen – Ein Fürst der Reformationszeit zwischen Territorium und Reich, hrsg. von Karlheinz BLASCHKE (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte, Bd. 29), Leipzig 2007, S. 235-259. Zur Person beachte man neben dem Sammelband mit diesem Aufsatz aus der jüngeren Literatur vor allem Johannes HERRMANN, Moritz von Sachsen (1521-1553). Landes-, Reichs- und Friedensfürst, Beucha 2003, und THIEME/VÖTSCH, Hof und Hofkultur (wie Anm. 10).
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Abb. 1 Holzmodell der spätgotischen Burg Dresden, Blick von Südosten (Zustand um 1535)
Abb. 2
Holzmodell des Dresdner Schlosses, Blick von Südosten (wohl vor 1590)
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Abb. 3
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Dresden und Altendresden um 1500 nach Otto Richter und Cornelius Gurlitt
Abb. 4
Dresden um 1591 nach Otto Richter auf Grundlage eines Risses von Carl Heinrich Aster
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Abb. 5
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Grundriss von Dresden und Altendresden 1651 nach Samuel Nienborg
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Abb. 6
Fraumutterhaus, nach einem Kupferstich von 1680 (Detailansicht)
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Abb. 7
Dresden mit Wehranlagen und Toren nach dem Holzmodell der Stadt im Zustand von 1521
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Abb. 8 und 9 Nord- und Südansicht des Georgenbaus mit Georgentor. Kupferstich aus Anton Wecks Chronik der Residenz und Hauptfestung Dresden 1679/80
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Abb. 10 Willisches Tor nach einem kolorierten Kupferstich von Heinrich Friedrich Laurin (Zustand 1811)
Abb. 11
Salomonistor nach einer Zeichnung von Friedrich August Kannegießer (1821)
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Abb. 12 Pirnaisches Tor nach einem Kupferstich aus Anton Wecks Chronik der Residenz und Hauptfestung Dresden 1679/80
Abb. 13 Das Moritzmonument von Hans Walther (1526-1586) von 1553/54 (nach Verlegung an die Brühlsche Terrasse)
folgende Seite Abb. 15 und 16 Ausschnitte aus Daniel Bretschneiders Darstellung des Leichenbegängnisses für Kurfürst August von Sachsen, Dresden 1586
Abb. 14 Tierhatz auf dem Dresdner Altmarkt, Blick von Ost nach West. Aquarell von Daniel Bretschneider d. Ä., 1609
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Die Stadt- und Schlosskirche zu Dessau – ein Ort symbolischer Interaktion zwischen Hof und Bürgerschaft? Gerrit Deutschländer, Hamburg Beim Betrachten der ältesten Stadtansichten von Dessau wird der Blick unweigerlich auf den Turm der Marienkirche gelenkt, der die übrigen eher niedrigen Gebäude weit überragt. So auch auf dem Merian-Stich von 1650, auf dem der Kirchturm im Verhältnis zum Dachstuhl noch höher dargestellt ist als dies in Wirklichkeit der Fall war.1 Die früheste Darstellung von Marienkirche und Schloss findet sich auf einem Ölgemälde des jüngeren Cranach aus dem Jahre 1556, das die Taufe Christi zeigt.2 Das heilsgeschichtliche Ereignis ist hier an die Mulde und in die Gegenwart der fürstlichen Auftraggeber verlegt, die es sozusagen gemeinsam mit den Wittenberger Reformatoren bezeugen. Stärker noch als das Schloss sticht im Hintergrund der Szene die Marienkirche aus dem Stadtbild heraus. Ihre Rolle als sakrales Zentrum der Residenzstadt, die hier zum Ausdruck kommt, wird außerdem dadurch bekräftigt, dass über ihr und gleichzeitig über Christus der heilige Geist in Gestalt einer Taube schwebt. Wiederum als Wahrzeichen der Residenzstadt Dessau erscheinen Schloss und Marienkirche im Jahre 1587 auf dem Epitaph des Fürsten Joachim Ernst von
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Kupferstich von Caspar Merian (1627-1686) nach einer Zeichnung von Wilhelm Dilich (15711650) in: Martin Zeiller, Topographia superioris Saxoniae, Thuringiae, Misniae, Lusatiae etc., Frankfurt am Main 1650, Nachdruck Kassel 1964, nach S. 38. Vgl. Helmuth ERFURTH, Entwicklung der Stadtsilhouette, in: DERS. und Lutz REICHHOFF, Dessauer Veduten. Ansichten aus fünf Jahrhunderten, Teil 1 (Beiträge zur Stadtgeschichte, Heft 8), Dessau 1987, S. 14-30, hier S. 19 f.; Anhalt in alten Ansichten. Landschaft, Baukunst, Lebenswelten, hrsg. von Norbert MICHELS, Halle 2007, Nr. 49, S. 108 f. – Siehe zum Umgang mit vormodernen Stadtansichten Stefan PETZOLD, Pforzheim – eine Stadt im Bild. Zu einigen Stadtansichten des 16. und 17. Jahrhunderts und ausgewählten methodischen Aspekten der Vedutenforschung, in: Concilium medii aevi 7 (2004), S. 1-20. Berlin, Jagdschloss Grunewald, Inv.-Nr. GK I 2087; Die Gemälde im Jagdschloß Grunewald, bearb. von Helmut BÖRSCH-SUPAN, Berlin 1964, Nr. 54; Werner SCHADE, Die Malerfamilie Cranach, Dresden 1974, S. 93 f., mit Abb. 220; Dieter KOEPPLIN und Tilman FALK, Lukas Cranach. Gemälde, Zeichnungen, Druckgraphik, Bd. 2, Basel und Stuttgart 1976, Nr. 347, S. 495 f. – Siehe dazu Sibylle HARKSEN, Eine Ansicht von Schloß und Stadt Dessau, in: Dessauer Kalender 13 (1969), S. 37-40, hier S. 37; Ulla MACHLITT und Hans HARKSEN, Bausteine zu einer Geschichte der Stadt Dessau, Teil 2: Städtisches Leben im 15. Jahrhundert, in: Dessauer Kalender 23 (1979), S. 34-55, hier S. 54 f.
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Anhalt (1536-1587),3 dessen Sarkophag als das prunkvollste Grabdenkmal im Kirchenraum gelten kann.4 Auf all den genannten Abbildungen ist der Neubau der Marienkirche zu sehen, der 1506 nach dem Willen des Fürsten Ernst von Anhalt (gest. 1516) begonnen und in der Mitte des 16. Jahrhunderts fertig gestellt worden war.5 Der romanische Vorgängerbau wurde in mehreren Bauabschnitten durch eine spätgotische Hallenkirche, vorwiegend aus Backstein, ersetzt, mit polygonalem Chorschluss und eingezogenem Westturm. Der Baubeginn fällt in eine Zeit, als die Schlosskirchen in den benachbarten Residenzen Wittenberg und Halle bereits vor der Vollendung standen.6 Auch sonst sind die Verbindungen nach Sachsen und ins Erzstift Magdeburg kaum zu übersehen. An der Ausführung war zunächst der hallische Ratsbaumeister Ulrich von Schmiedeberg beteiligt, später Ludwig Binder, Sohn des magdeburgischen Dombaumeisters Sebastian Binder,7 sowie der sächsische bzw. magdeburgische Hofbaumeister Andreas
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Beschrieben bei August von RODE, Wegweiser durch die Sehenswürdigkeiten in und um Dessau, Heft 1, Dessau 1795, S. 129 f.; Marie-Luise HARKSEN, Kunstdenkmale des Landes Anhalt, Bd. 1: Die Stadt Dessau, Burg bei Magdeburg 1937, S. 31, Nr. 16; ERFURTH, Entwicklung (wie Anm. 1), S. 16-19. HARKSEN, Kunstdenkmale (wie Anm. 3), S. 37, Nr. 49. Siehe zur Baugeschichte Franz BÜTTNER PFÄNNER ZU THAL, Anhalts Bau- und Kunstdenkmäler, Dessau 1892-1894, Nachdruck Halle 1998, S. 338-348; Heino von BASEDOW, Die Schloß- und Stadtkirche zu St. Marien in Dessau, Diss. phil. Halle 1923, geringfügig gekürzt in: Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Geschichte und Altertumskunde 14 (1923/1924), S. 1-62, vollständig hrsg. vom Museum für Stadtgeschichte Dessau (Beiträge zur Stadtgeschichte, Nr. 12), Dessau 1993; Sibylle HARKSEN, Untersuchungen zur Baugeschichte von Schloß und Schloßkirche in Dessau, kunstgeschichtliche Diplomarbeit Halle-Wittenberg 1954; Häuserbuch der Stadt Dessau, bearb. von Franz BRÜCKNER, Heft 5, Dessau 1977, S. 435-444; Lutz MEIXNER, Die ehemalige Schloß- und Stadtkirche St. Marien in Dessau. Baugeschichte, Bedeutung, Zerstörung und Wiederaufbau, in: Dessauer Kalender 43 (1999), S. 2-17, bes. S. 2-8; DERS., Die Schloß- und Stadtkirche St. Marien in Dessau: Baugeschichte, Bedeutung, Zerstörung und Wiederaufbau, in: Denkmale in Raum und Zeit. Neue Beiträge zur Denkmalpflege, hrsg. von Sabine BOCK, Schwerin 2000, S. 185203, bes. S. 186-191; Ulla JABLONOWSKI, Der Regierungsantritt der Dessauer Fürsten Johann, Georg und Joachim im Jahre 1530, in: Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Landesgeschichte 15 (2006), S. 24-59, hier S. 34-38. Sibylle HARKSEN, Schloß und Schloßkirche in Wittenberg, in: 450 Jahre Reformation, hrsg. von Leo STERN und Max STEINMETZ, Berlin 1967, S. 341-365; Die Maria-Magdalenen-Kapelle der Moritzburg zu Halle, hrsg. von Heinrich L. NICKEL, Halle 1999, und zuletzt Markus Leo MOCK, Kunst unter Erzbischof Ernst von Magdeburg, Berlin 2007, S. 165-188. Sibylle HARKSEN, Ludwig Binder – ein mitteldeutscher Renaissancebaumeister, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe 7 (1957/1958), S. 701-714; DIES., Ludwig Binder in Dessau und Salzelmen, in: Dessauer Kalender 2 (1958), S. 62-64.
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Günther.8 An der bildlichen Ausgestaltung war die Wittenberger Cranachwerkstatt maßgeblich beteiligt.9 Die im Laufe des 16. Jahrhunderts entstandene Ausstattung der Marienkirche blieb im Wesentlichen bis 1945 erhalten. Das Silbergerät musste allerdings bereits 1537 an den Erzbischof von Magdeburg abgegeben werden.10 Nachdem das Fürstenhaus im Jahre 1596 zum reformierten Glauben übergetreten war, kamen nur wenige neue Stücke hinzu, doch nach allem, was bekannt ist, wurden trotz mancher Bemühungen keine älteren entfernt. Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (17401817) ließ die Kirche in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sehr behutsam im gotischen Stil erneuern, wie bereits zeitgenössische Beobachter bewundernd feststellten.11 1945 jedoch wurden die Kirche, das Schloss, die Stadt Dessau und alle nicht ausgelagerten Gegenstände durch Bomben zerstört. In ihren äußeren Hüllen sind die Kirche und der älteste Teil des Dessauer Schlosses seit Ende der 1990er Jahre wieder hergestellt,12 so dass sich dem Betrachter von der Muldeseite, wenn er die benachbarten Plattenbauten wegdenkt, eine Silhouette bietet, wie sie in der Mitte des 16. Jahrhunderts zu sehen war. Um sich eine Vorstellung von 8
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Der Baumeister Andreas Günther, der unter anderem für den Erzbischof von Magdeburg, die Herzöge von Sachsen und für Wolfgang von Anhalt in Bernburg tätig gewesen war, wurde Anfang 1540 mit der Einwölbung des Kirchenschiffs beauftragt, konnte die Arbeiten aber wegen anderer Aufträge nicht selbst beaufsichtigen. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abt. Dessau (künftig LHASA Dessau), GAR NS, Anhalt: Fürst Johann IV., Nr. 22, Bl. 1v f. [1538?] und ebd., Fürst Joachim, Nr. 8, Bl. 8v (1540 Februar 18); Anke NEUGEBAUER, Andreas Günther – Hofbaumeister Kardinal Albrechts von Brandenburg, in: Burgen und Schlösser in Sachsen-Anhalt 15 (2006), S. 230-260, hier S. 256; Ulla JABLONOWSKI, Frühe Renaissanceschlösser der Fürsten von Anhalt, in: ebd., S. 278-321, hier S. 287 und 290; DIES., Regierungsantritt (wie Anm. 5), S. 34 f. – Siehe zu Günther jetzt auch die Werkbiographie von Anke NEUGEBAUER, Andreas Günther von Komotau – ein Baumeister an der Wende zur Neuzeit, Diss. phil. Halle-Wittenberg 2007. BASEDOW, Schloß- und Stadtkirche, S. 42. – Für die Emporenbrüstung erhielt die CranachWerkstatt um 1550 einen Großauftrag. HARKSEN, Kunstdenkmale (wie Anm. 3), S. 21-26, Nr. 1-53. Siehe Andreas TACKE, Beobachtungen zum Qualitätsverfall bei Cranach d. J. und seiner Werkstatt. Zur Wiederverwendung der Erlanger Cranach-Zeichnungen für die Emporenbrüstung von St. Marien in Dessau, in: Cranach. Meisterwerke auf Vorrat. Die Erlanger Handzeichnungen der Universitätsbibliothek, hrsg. von Andreas TACKE, Bestands- und Ausstellungskatalog München 1994, S. 81-91. Siehe das Abgabeverzeichnis LHASA Dessau, GAR NS, Nr. 291, Bl. 34. – Der fürstliche Rentmeister Johannes Schultes hatte sich Ende 1536 vergeblich geweigert, das Silbergerät nach Halle zu schaffen, weil er es der Kirche nicht entfremden wollte. Kanzler Paulus von Berge an Fürst Georg III. von Anhalt, LHASA Dessau, GAR NS, Nr. 117, Bl. 48v (1536 Dezember 7). Siehe auch ebd., Bl. 54v (1536 Dezember 15). RODE, Wegweiser (wie Anm. 3), S. 122: „Mit feiner Auswahl ist das Alte genutzt und mit Geschmack ihm das Neue angepaßt.“ Siehe zum Schicksal der Ruine und zum Wiederaufbau: MEIXNER, Ehemalige Schloß- und Stadtkirche, S. 8-15; DERS., Schloß- und Stadtkirche, S. 191-200.
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den Innenräumen zu machen, ist man auf die ältere Literatur, Fotografien und Denkmalinventare angewiesen, die freilich manches Problem offen lassen. Andere Fragen wiederum konnten durch archäologische Untersuchungen geklärt werden, die im Zuge des Wiederaufbaus durchgeführt wurden.13 Seit dem frühen 16. Jahrhundert war die Dessauer Marienkirche sowohl Stadtpfarrkirche als auch Hof- bzw. Schlosskirche. Wie der Vorgängerbau befand sie sich fast genau in der Mitte zwischen dem fürstlichen Schloss und dem Haus am Markt, in dem der Rat seine Sitzungen abhielt, gehörte aber zusammen mit dem Kirchhof und den angrenzenden Gebäuden zum Schlossbezirk.14 Stadtpfarrer und Hofprediger wirkten nebeneinander und wurden beide durch den Fürsten in ihr Amt berufen.15 Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden der Frage nachgegangen werden, ob die Kirche als ein bevorzugter Ort symbolischer Interaktion in der Residenzstadt Dessau bezeichnet werden kann. Der Blick richtet sich zunächst auf Bekanntes zur Baugeschichte und zur Ausstattung. Wo es möglich ist, sollen die Befunde mit Hilfe verstreuter Nachrichten aus dem erhaltenen Fürstenbriefwechsel ergänzt werden. Die Stadt Dessau entwickelte sich zu einer festen Residenz der Fürsten von Anhalt, nachdem der Dessauische Landesteil in der Herrschaftsteilung von 1471 dem Fürsten Ernst zugesprochen worden war.16 Aufgewertet wurde der Ort zunächst dadurch, dass sich der Vater des Fürsten, der jahrzehntelang als Senior des Gesamthauses geherrscht hatte, 1474 in der alten Dessauer Marienkirche bestatten ließ und damit eine neue Familiengrablege begründete. Angeblich veranlasste er auch, dass die Gebeine seiner 13
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Wolfgang PAUL, Die Freilegung der Grüfte im Schiff der Marienkirche, in: Dessauer Kalender 36 (1992), S. 2-12; Hans-Peter HINZE: Rückkehr aus dem Vergessen. Archäologische Arbeiten an der Marienkirche, in: Dessauer Kalender 42 (1998), S. 54-61. Ulla MACHLITT und Hans HARKSEN, Bausteine zu einer Geschichte der Stadt Dessau, Teil 1: Die Anfänge der Stadt bis etwa 1400, in: Dessauer Kalender 22 (1978), S. 26-46, hier S. 40. Siehe die Auflistung der Stadtpfarrer und Hofprediger bei Hermann WÄSCHKE, Geschichte der Stadt Dessau. Eine Festgabe zur Einweihung des neuerbauten Rathauses, Dessau 1901, S. 213 f. und Hermann SUHLE, Zur Pfarrchronik der Schloß- und Stadtkirche zu St. Marie in Dessau 15261796, in: Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Geschichte und Altertumskunde 9 (1904), S. 433-441; Hermann GRAF, Anhaltisches Pfarrerbuch. Die evangelischen Pfarrer seit der Reformation, Dessau 1996, S. 46 f. MACHLITT/HARKSEN, Bausteine, Teil 2 (wie Anm. 2), S. 41; Frank KREIßLER, Aspekte der Residenzbildung. Dessau im 16. Jahrhundert, in: Die Fürsten von Anhalt. Herrschaftssymbolik, dynastische Vernunft und politische Konzepte in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Studien zur Landesgeschichte, Bd. 9), hrsg. von Werner FREITAG und Michael HECHT, Halle 2003, S. 160-170; DERS., Dessau. Die Geschichte der Stadt im Überblick, in: Dessau. Porträt einer Stadt, Dössel 2006, S. 157-188, hier S. 160-166; Matthias MEINHARDT, Chancengewinn durch Autonomieverlust. Sächsische und anhaltische Residenzenstädte zwischen bürgerlicher Selbstbestimmung und fürstlichem Gestaltungswillen, in: Der Hof und die Stadt. Konfrontation, Koexistenz und Integration in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von Werner PARAVICINI und Jörg WETTLAUFER (Residenzenforschung, Bd. 20), Ostfildern 2006, S. 37-62.
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Vorfahren ausgehoben und hier erneut bestattet wurden, wofür es jedoch keinen archäologischen Nachweis gibt.17 Die Absicht, die neue Grablege in eine längere Tradition zu stellen, erscheint aber durchaus glaubwürdig.18 Unter den angeblich umgebetteten Vorfahren wird immerhin der letzte Kurfürst von Brandenburg aus askanischem Geschlecht, der 1320 verstorbene Markgraf Waldemar, genannt. So wie Friedrich der Weise im benachbarten Wittenberg als Neugründer der Schlosskirche in Erscheinung trat,19 beanspruchte dies vermutlich auch Ernst von Anhalt für die Dessauer Marienkirche, als er den Grundstein für den Neubau legte. Hierbei soll auch der erstgeborene Sohn des Fürsten Ernst, der damals gerade zweijährige Johann, zugegen gewesen sein.20 Dies unterstreicht die Absicht, eine neue Tradition des dynastischen Gedenkens zu begründen. Obwohl der Rat der Grundsteinlegung vermutlich ebenfalls beiwohnte,21 ist über die Haltung oder Beteiligung der Bürgerschaft genauso wenig zu erfahren wie über etwaigen Unmut darüber, dass sich der Hof der Stadtpfarrkirche bemächtigte. Im benachbarten Wittenberg war dieser Zugriff bereits im 14. Jahrhundert erfolgt, obwohl beide Kirchen getrennt blieben. 1376 war die Stadtpfarrkirche der Schlosskirche inkorporiert worden, die zuvor bereits das Patronatsrecht erhalten hatte.22 Da die Wittenberger Schlosskirche seit 1507 auch Universitätskirche war, blieb den vornehmen Stadtbürgern wenig Raum zur Selbstdarstellung.
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Johann Christian HÖNICKE, Urkundliche Merkwürdigkeiten aus der Herzoglichen Schloß- und Stadtkirche zu St. Maria in Deßau, Dessau 1833, Nr. 5, S. 26; RODE, Wegweiser (wie Anm. 3), S. 137; WÄSCHKE, Dessau (wie Anm. 15), S. 36; PAUL, Freilegung (wie Anm. 13). Werner FREITAG, Anhalt und die Askanier im Spätmittelalter. Familienbewußtsein, dynastische Vernunft und Herrschaftskonzeptionen, in: Hochadelige Herrschaft im mitteldeutschen Raum (1200 bis 1600). Formen – Legitimation – Repräsentation, hrsg. von Jörg ROGGE und Uwe SCHIRMER (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte, Bd. 23), Stuttgart 2003, S. 197-226. Johannes MEISNER, Descriptio ecclesiae collegiatae omnium sanctorum Wittembergensis, Wittenberg 1668; Matthaeus FABER, Kurtzgefaßte historische Nachricht von der Schloß- und academischen Stiffts-Kirche zu Aller-Heiligen in Wittenberg und deroselbe Ursprung, Enweyhung, Privilegiis, Gottes-Dienste, Einkünffen, Zierathen und besonderen Merckwürdigkeiten, Wittenberg 1730, S. 14 und 19. Caspar SAGITTARIUS, Historia principum Anhaltinorum, hrsg. von Georg Heinrich GÖTZE, Jena 1686, S. 140; BECKMANN, Historie, Teil 3, S. 357 und Teil 5, S. 151; RODE, Wegweiser (wie Anm. 3), S. 119; WÜRDIG, Chronik, S. 17; Hermann WÄSCHKE, Anhaltische Geschichte, Bd. 2: Geschichte Anhalts im Zeitalter der Reformation, Köthen 1913, S. 73 f. BECKMANN, Historie, Teil 3, S. 373; Ludwig WÜRDIG, Vom alten Dessauer Rathhause und Rath, in: Anhaltischer Staats-Anzeiger 1882, Nr. 100. MEISNER, Descriptio, Nr. 10, S. 67 f. (1376 März 3); FABER, Nachricht (wie Anm. 19), S. 49. – Siehe allgemein: Arnd REITEMEIER, Hof und Pfarrkirche der Stadt des späten Mittelalters, in: PARAVICINI/WETTLAUFER, Hof und Stadt (wie Anm. 16), S. 175-182.
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Vor 1470 hatten die Fürsten von Anhalt die Marienkirche nur gelegentlich und keineswegs bevorzugt als Stifter bedacht.23 Die Ersterwähnung der Kirche im Jahre 1263 steht im Zusammenhang mit einer Zinsbefreiung durch den Fürsten Siegfried.24 1349 übereigneten ihr die Fürsten Albrecht II. und Waldemar I. mehrere Güter und Einkünfte und bezeichneten sich als Inhaber des Patronatsrechts.25 Eine Bedeutung für das dynastische Gedenken wird erstmals zu Beginn des 15. Jahrhunderts sichtbar, als die Fürsten Sigismund (gest. 1405) und Albrecht (gest. 1423) zwei Altaristen bepfründeten, die für das Seelenheil der Herrschaft Messe halten und sämtliche Ritter und Hofdiener in ihr Gebet einschließen sollten.26 In der Mitte des 15. Jahrhunderts stiftete Fürst Georg I. von Anhalt (gest. 1474) Seelmessen für alle verstorbenen Fürsten von Anhalt.27 Bereits im 13. und 14. Jahrhundert finden sich Dessauer Pfarrer als fürstliche Kapläne,28 Ende des 15. Jahrhunderts als fürstliche Räte.29 Der Rat und die Kirchväter sahen die fürstliche Zuwendung zu ihrer Pfarrkirche durchaus als Gewinn, denn 1467 ließen sie Seelmessen für die Fürstin Anna einrichten, die zur Ausgestaltung der Kirche beigetragen hatte.30 Der Neubau der Marienkirche stand allerdings ganz unter der Aufsicht des Fürstenhauses, das die Kirche zu einem einzigen Symbol seiner gottgewollten Herrschaft auszugestalten begann. Nach dem frühen Tod des Fürsten Ernst wurde der Bau durch dessen Witwe Margarethe, geb. Herzogin von Münsterberg, und ihre Söhne Johann, Georg und Joachim fortgeführt. Nichts blieb dem Zufall überlassen, wenn auch die Geldmittel knapp waren. Bis 1517 trieb die Fürstin den Kirchenbau soweit voran, 23
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Siehe für das 13. und 14. Jahrhundert Theodor STENZEL, Wanderungen zu den Kirchen Anhalts im Mittelalter, in: Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Geschichte und Altertumskunde 3 (1885), S. 413-433 und 4 (1886), S. 161-177, zu Dessau S. 426 f. Otto von HEINEMANN, Codex diplomaticus Anhaltinus, Teil 2, Dessau 1875, Nr. 284, S. 209 f. (1263 November 26). Otto von HEINEMANN, Codex diplomaticus Anhaltinus, Teil 3, Dessau 1877, Nr. 873, S. 623 f. (1349 August 23); BECKMANN, Historie, Teil 1, S. 354; MACHLITT/HARKSEN, Bausteine, Teil 1 (wie Anm. 14), S. 38. – 1439 erfolgte eine fürstliche Schenkung an den Katharinenaltar, 1457 an die Kalandsbruderschaft. Hermann WÄSCHKE, Regesten der Urkunden des Herzoglichen Haus- und Staatsarchivs zu Zerbst aus den Jahren 1401-1500, Dessau 1909, Nr. 319, S. 133 (1439 Mai 1) und Nr. 517, S. 240 (1457 April 8); BECKMANN, Historie, Teil 3, S. 357 und Teil 6, S. 20. WÄSCHKE, Regesten (wie Anm. 25), Nr. 15, S. 7 (1402 April 2); MACHLITT/HARKSEN, Bausteine, Teil 1 (wie Anm. 14), S. 40. WÄSCHKE, Regesten (wie Anm. 25), Nr. 367, S. 155 (1443 Februar 9). Wenige Jahre später erfolgte eine weitere Fundierung dieser Seelmessen, ebd., Nr. 467, S. 210 f. (1454 April 2). HEINEMANN, Codex (wie Anm. 25), Teil 3 und 4; Franz KINDSCHER, Zur Chronik von Dessau, in: Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Geschichte und Altertumskunde 1 (1877), S. 267-274, hier S. 268 f.; MACHLITT/HARKSEN, Bausteine, Teil 1 (wie Anm. 14), S. 38. Pfarrer Moritz Faber (gest. um 1511), WÄSCHKE, Regesten (wie Anm. 25), Nr. 1010, S. 468 (1485 Dezember 2); MACHLITT/HARKSEN, Bausteine, Teil 1 (wie Anm. 14), S. 38. BECKMANN, Historie, Teil 3, S. 357; WÄSCHKE, Regesten (wie Anm. 25), Nr. 686, S. 319 (1467 Oktober 5).
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dass eine flache Holzdecke eingezogen werden konnte. Vor der geplanten Weihe im Jahre 1523 bemühte sie sich um die Ausgestaltung der Fenster, wofür sie Geld bei fürstlichen Verwandten einwarb.31 In diesem Zusammenhang bezeichnete sie sich als procoratrix der kirchenfenster.32 Andere Fürsten und Bischöfe hatte sie bereits früher um Spenden gebeten.33 Vor allem aber stiftete sie Kirchgerät und liturgische Gewänder.34 Nachdem ihr Sohn Georg 1526 Dompropst von Magdeburg geworden war, bemühte er sich ebenfalls in besonderer Weise um die Dessauer Kirche.35 Bischof Adolf von Merseburg erklärte sich 1523 bereit, die Kirche zu konsekrieren, wollte aber zurückstehen, wenn der Magdeburger Erzbischof die Weihe selbst vornehmen könne.36 Der Erzbischof, Albrecht von Brandenburg, war bereits 1516 zur Begräbnisfeier für den Fürsten Ernst nach Dessau geladen worden37 und hatte gemeinsam mit Kurfürst Joachim von Brandenburg und Herzog Georg von Sachsen die Vormundschaft für die noch unmündigen anhaltischen Fürstensöhne übernommen. Der Fürstin Margarethe war er persönlich verbunden, denn noch kurz vor dem Tode ihres Gemahls hatte er beide in die Bruderschaft des heiligen Erasmus aufge-
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Fürst Georg III. an seine Mutter Margarethe, LHASA Dessau, GAR NS, Anhalt: Georg III., Nr. 1, Bl. 62r (1523 April 22): Das das fenster in der kirchen betrifft, hat myr m. g. h. dys antword gegeben, das e. g. solchs machen lassen, das wil seyn gnad gern bezalen. LHASA Dessau, GAR NS, Anhalt: Margarete, Nr. 6, Bl. 91r (1523 November 22, Beizettel). Erhalten ist auch der Teil einer Baurechnung, ebd. Bl. 89r: Item xxxxiiii flor. xvij gr. kosten die fenster ober die sacristi und ober das leichhaus. WÄSCHKE, Anhaltische Geschichte (wie Anm. 20), Bd. 2, S. 73 f. Bischof Hieronymus von Brandenburg gab Margarethe 1516 zwölf Gulden zu einem Fenster in der Marienkirche. LHASA Dessau, GAR NS, Nr. 163, Bl. 3 (1516 Januar 25). Der Kurfürst von Sachsen ließ in Wittenberg ein bemaltes Fenster fertigen und nach Dessau schicken. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Reg. Bb 4262, Bl. 72r (Ostern 1516); Georg BUCHWALD, Zur mittelalterlichen Frömmigkeit am kursächsischen Hofe kurz vor der Reformation, in: Archiv für Reformationsgeschichte 27 (1930), S. 62-110, hier S. 94; Robert BRUCK, Friedrich der Weise als Förderer der Kunst (Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Heft 45), Straßburg 1903, S. 301. Daran erinnerten der Rat und die Kirchväter 1550 in ihrem Bittschreiben an Fürst Joachim. LHASA Dessau, GAR NS, Nr. 291, Bl. 2r (1550 Oktober 20). 1527 erteilte er dem Stadtpfarrer Auskünfte über kirchliche Gebräuche und empfahl seinem Bruder Johann, die Orgel des Klosters Berge bei Magdeburg zu kaufen. LHASA Dessau, GAR NS, Anhalt: Fürst Georg III, Nr. 4, Bl. 34 (1527 Mai 22) bzw. Nr. 8, Bl. 7r (1527 Januar 2). Wenn die Orgel tatsächlich gekauft wurde, dann blieb sie nur wenige Jahre in Benutzung. 1549 ließ Fürst Johann für 1000 Gulden eine neue Orgel einbauen, die 1550 beim Einsturz des Turmes zerschmettert wurde. LHASA Dessau, GAR NS, Nr. 291, Bl. 2v-4r; BREITZ, Schloßkirchen-Orgel zu Dessau in alter und neuer Zeit, in: Anhalter Anzeiger 1929, Nr. 218. LHASA Dessau, GAR NS, Anhalt: Margarete, Nr. 6, Bl. 79 und Bl. 72 (1523 Januar 7 und März 18) und Georg III., Nr. 1, Bl. 86v (1523 April 13). LHASA Magdeburg, Rep A 1, Tit. I, Nr. 9, Bl. 1ar (1516 Juli 6).
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nommen.38 Er wollte die Weihe der neuen Marienkirche durchführen und tat dies am 15. Oktober, dem Tag der heiligen Hedwig. Einige Monate zuvor hatte Fürst Georg seiner Mutter offenbart, dass er es lieber gesehen hätte, wenn Bischof Adolf von Merseburg die Weihe vornähme, weil dieser aus dem anhaltischen Fürstenhaus stamme.39 Außerdem war der Bischof ein entschiedener Gegner Luthers, dessen Schriften er in seinem Gebiet einsammeln und Anfang 1521 öffentlich verbrennen ließ.40 Um den fürstlichen Herrschaftsanspruch und das Festhalten am Alten Glauben zu verdeutlichen, war der Kardinal aber ebensogut geeignet.41 Bischof Adolf wurde dann im Oktober 1524 gebeten, den Altar zu weihen.42 Nachdem der Dessauer Stadtpfarrer bereits im Frühjahr 1523 lutherisch gepredigt hatte,43 fand das Bekenntnis der Fürsten zum Alten Glauben seinen besonderen Ausdruck in der Altartafel, die Margarethe wahrscheinlich aus Anlass der Kirchweihe bei
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LHASA Dessau, GAR NS, Nr. 925, Bl. 11 (1516 April 30). Vgl. zur Erasmusbruderschaft Walter DELIUS, Reformationsgeschichte der Stadt Halle an der Saale (Beiträge zur Kirchengeschichte Deutschlands, Bd. 1), Berlin 1953, S. 17. LHASA Dessau, GAR NS, Anhalt: Georg III., Nr. 1, Bl. 86v (1523 April 13): Wyr hetten es aber lieber gesehen, wiewol uns der cardinal auch lieb ist, das m. g. h. [d. i. Bischof Adolf] het soln weyhen umb des nahmen willen und geschlechts, dieweil er auch eyn anhaldischer ist. – Adolf hatte 1517 den von seinem Vorgänger begonnenen Dom zu Merseburg geweiht. Vgl. Chronica episcoporum ecclesiae Merseburgensis, hrsg. von Roger WILMANS, in: MGH Scriptores, Bd. 10, Hannover 1852, S. 157-212, hier S. 210; Otto RADEMACHER, Die Merseburger Bischofschronik, Teil 4, Merseburg 1908, S. 51 f. Albert FRAUSTADT, Die Einführung der Reformation im Hochstifte Merseburg, Leipzig 1843, S. 38; Karl PALLAS, Die Versuche des Bischofs Adolf von Merseburg, den kirchlichen Neuerungen innerhalb seiner Diözese entgegenzutreten, und das Verhalten des Kurfürsten Friedrichs des Weisen und seines Bruders Herzogs Johann dazu, 1522-1525, in: Zeitschrift des Vereins für Kirchengeschichte der Provinz Sachsen 23 (1927), S. 1-54. Die Wittenberger Schlosskirche war 1503 ebenfalls durch einen Kardinal, Bischof Raimund von Gurk (1435-1505), geweiht worden. FABER, Nachricht (wie Anm. 19), S. 28-30. LHASA Dessau, GAR NS, Anhalt: Margarete, Nr. 6, Bl. 102 (1524 Oktober 5); WÄSCHKE, Dessau (wie Anm. 15), S. 41. Fürstin Margarethe an ihren Sohn Johann, LHASA Dessau, GAR NS, Anhalt: Fürstin Margarete, Nr. 2, Bl. 10 (1523 März 23): Wie unßer pastor alhir zu Deßaw geschickt ist, wist ir wol, der schalt monche, nunnen und pfaffen und reyst das volck fast wider sie. Ich hab von im gehort, das er geprediget hat, das nunnen und munche ursach sein, das der jungste tag nicht kommet und ander possen vil, darvon die lewt wenig beserung nemmen. Vgl. Ulla JABLONOWSKI, Bausteine zu einer Geschichte der Stadt Dessau, Teil 3,1: Die Stadt zwischen Reformation und Dreißigjährigem Kriege, in: Dessauer Kalender 24 (1980), S. 26-44, hier S. 42. – Der Name des Pfarrers wird nicht genannt. Möglicherweise handelt es sich doch um Egidius Faber, der 1524 mit Frau und Kind nach Wittenberg umzog und von 1543 bis 1548 erneut die Dessauer Pfarrstelle innehatte. Vgl. HÖNICKE, Merkwürdigkeiten (wie Anm. 17), S. 49; KINDSCHER, Zur Chronik (wie Anm. 28), S. 269 f.; GRAF, Pfarrerbuch (wie Anm. 14), S. 244.
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Lukas Cranach d. Ä. in Auftrag gab.44 Sie zeigt unter dem Gekreuzigten die Jungfrau Maria und den Evangelisten Johannes und etwas kleiner dargestellt Maria Magdalena, die kniend den Stamm des Kreuzes umfasst. Links bzw. rechts außen sind Johannes der Täufer mit dem Lamm und der heilige Franz von Assisi zu sehen. Vor allem anhand der Kleidung der Maria Magdalena kann die Entstehung der Altartafel in den Zeitraum zwischen 1520 und 1525 eingegrenzt werden,45 also in deutliche zeitliche Nähe zur Kirchweihe. Im Übrigen ist nichts zu erkennen, was wirklich dagegen spricht, in der Figur der Maria Magdalena im Gewand des frühen 16. Jahrhunderts die Fürstin Margarethe zu sehen, so wie dies in der älteren Literatur ganz selbstverständlich getan wurde.46 In den erbaulichen Schriften und Briefen, welche die fromme Fürstin verfasst hat, vertrat sie genau das, was mit dem Bild zum Ausdruck kommt, dass nämlich allein der Glaube an Christus und seine Heiligen vor drohendem Unheil, angedeutet durch die tiefschwarzen Wolken, schützt.47 Margarethe war es auch, die an der besonderen Bindung des Fürstenhauses an den Franziskanerorden festhielt,48 gegen den sich in der anhaltischen Stadt Zerbst bereits heftiger Unmut entlud.49 Aus Rücksicht auf ihre fromme Mutter und deren altgläubige Verbündete Albrecht und Joachim von Brandenburg und Georg von Sachsen, taten sich die fürstlichen Brüder Johann, Georg und Joachim von Anhalt zunächst schwer, der Reformation in 44 45
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HARKSEN, Kunstdenkmale (wie Anm. 3), S. 42, Nr. 74. Das Gemälde befindet sich jetzt in der Kirche St. Johannis zu Dessau. Werner SCHADE, Die drei Gemälde, in: Bilder erleben. Tafelbilder Lucas Cranach des Älteren und des Jüngeren laden ein. St. Johanniskirche Dessau, Dessau 1992, S. 21-27, hier S. 22; DERS., Eine Altartafel zur Weihe der Marienkirche von 1523, in: Dessauer Kalender 38 (1994), S. 24-26, hier S. 24. RODE, Wegweiser (wie Anm. 3), S. 130; HÖNICKE, Merkwürdigkeiten (wie Anm. 17), S. 44. Wilhelm HOSÄUS, Dichter und Dichterinnen aus dem Hause der Askanier, in: Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Geschichte und Landeskunde 4 (1886), S. 219-223, hier S. 221-223; DERS., Ein Glaubensbekenntnis der Fürstin Margarete von Anhalt, in: ebd., S. 567-571; Otto CLEMEN, Gebete der Fürstin Margarete von Anhalt-Dessau, in: ebd. 13 (1919), S. 1-6. Unter anderem hielt Margarethe Kontakt zu Augustin von Alveldt (gest. um 1535), seit 1524 Guardian der Franziskaner in Halle, mit dem sie sich über Glaubensfragen austauschte und dessen Konvent sie materiell unterstützte. LHASA Dessau, GAR NS, Nr. 19 (1521-1529), Auszüge bei Leonhard LEMMENS, Aus ungedruckten Franziskanerbriefen des 16. Jahrhunderts (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, Heft 20), Münster 1911, S. 35-43 und S. 82-84, Nr. 28-36, und Friedrich LOOFS, Nachträgliches zu Briefen Augustins von Alfeld, in: Zeitschrift des Vereins für Kirchengeschichte der Provinz Sachsen 18 (1921), S. 21-26. Vgl. Heribert SMOLINSKY, Augustin von Alveldt und Hieronymus Emser. Eine Untersuchung zur Kontroverstheologie der frühen Reformationszeit im Herzogtum Sachsen (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, Heft 122), Münster 1983, bes. S. 22 f. Heinrich BECKER, Reformationsgeschichte der Stadt Zerbst, in: Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Geschichte und Altertumskunde 11 (1912), S. 241-460, hier bes. S. 256 und 278 f.; Reinhold SPECHT, Zur Geschichte des Franziskanerklosters St. Johannis in Zerbst, in: Zerbster Jahrbuch 18 (1933), S. 17-42.
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ihrem Herrschaftsbereich zum Durchbruch zu verhelfen. Wahrscheinlich aus ungebrochener Hochachtung für Margarethe, die das Teilfürstentum Anhalt-Dessau in schweren Jahren für ihre Söhne gut verwaltet hatte, wurde das Altarbild nach dem Sieg der Reformation nicht gänzlich aus dem Kirchenraum entfernt, sondern mit einer Inschriftenplatte versehen als Epitaph für den Fürsten Joachim weiterverwendet, der bis zu seinem Tode in Dessau residiert hatte. Dies geschah ganz im Sinne der dynastischen Kontinuität, die durch die Glaubensfrage in Gefahr geraten war. Fürst Wolfgang von Anhalt-Köthen (1492-1566), der sich früh zu Luther bekannt hatte, hatte es 1530 nämlich abgelehnt, am Begängnis für seine altgläubige Verwandte, Fürstin Margarethe, teilzunehmen.50 Die Traditionen des dynastischen Gedenkens, deren herrschaftslegitimierende Bedeutung das Fürstenhaus gerade erst wiederentdeckt hatte, schienen bedroht. Bereits ein Jahr zuvor hatte sich Margarethes Sohn Georg darüber empört, dass die Bürger von Zerbst den Gottesdienst in der dortigen Bartholomäuskirche, die doch von seinen fürstlichen Vorfahren aufgerichtet und gestiftet worden war, eigenmächtig verändert hätten.51 Das Kloster Ballenstedt, die alte Grablege der Askanier, und die Abtei Nienburg waren im Bauernkrieg verwüstet worden und standen vor der Auflösung.52 Nachdem sich letztlich auch die fürstlichen Brüder in Dessau zum evangelischen Glauben bekannt hatten, musste der neue Schulterschluss mit Fürst Wolfgang und mit den Wittenberger Reformatoren nach außen hin sichtbar gemacht werden. Im Geiste, so kam zum Ausdruck, hätten sie schon immer dem evangelischen Glauben angehangen. Das oben vorgestellte Bild von der Taufe Christi war geeignet, die Eheschließung zwischen Johann von Anhalt und Margarethe von Brandenburg im Jahre 1534 in neuem Licht erscheinen zu lassen und den „Makel der Altgläubigkeit“ zu verwischen. Sämtliche anhaltische Verwandte und die Wittenberger Reformatoren stehen hinter dem Fürstenpaar. Tatsächlich aber war die Brautmesse im Februar 1534 durch den Halberstädter Weihbischof nach altem Brauch gefeiert worden, um der Forderung des Brautvaters zu entsprechen. Wegen eines Trauerfalls hatten Kurfürst Joachim, sein Sohn und sein Bruder Albrecht allerdings nicht an der Hochzeitsfeier teilnehmen können.53 Nicht einmal zwei Monate nach dieser Trauung, am Gründonnerstag, reichte der Hofprediger Nikolaus Hausmann (gest. 1538) das Abendmahl in der Dessauer Marienkirche erstmals unter beiderlei Gestalt. Die anhaltischen Fürstenbrüder hatten 50 51
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LHASA Dessau, GAR NS, Anhalt: Fürst Wolfgang, Nr. 2, Bl. 25v (1530 Juli 29, Fürst Wolfgang von Anhalt an seine Mutter). LHASA Dessau, GAR NS, Anhalt: Fürst Georg III., Nr. 8, Bl. 23r (1529 Juli 5). Siehe zur Sache BECKER, Reformationsgeschichte (wie Anm. 49), S. 306-309. – Ab 1565 wurde die Kirche unter Fürst Wolfgang von Anhalt ausgebaut: Hermann WIEMANN, Geschichte der Hof- und Stifts-Kirche zu St. Bartholomäi, Zerbst 1907. WÄSCHKE, Anhaltische Geschichte (wie Anm. 20), Bd. 2, S. 227-248. Ebd., S. 373; JABLONOWSKI, Regierungsantritt, S. 45 f.
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sich darum bemüht, dass der Kardinal dies dulden würde, was dieser jedoch nicht tat und sie wie der Kurfürst von Brandenburg, Herzog Georg von Sachsen und der ehemalige Hofprediger Peter Rauch ermahnte, die alten Gebräuche beizubehalten.54 Luther zeigte sich indes erfreut, dass sich die anhaltischen Fürsten trotz dieser mächtigen Gegner dem Evangelium zuwendeten.55 Immerhin hatte Kurfürst Joachim seiner Tochter und deren Gemahl angedroht, sie zu verstoßen, wenn sie vom Alten Glauben ablassen würden.56 Als Margarethe am Karfreitag 1538 den Armen die Füße wusch und das Abendmahl empfing, durften hierbei nur ihre Hofdamen anwesend sein.57 Erst um 1540 fand der Übertritt der Stadtgemeinde und des Hofes zum lutherischen Bekenntnis einen Abschluss, nachdem der Pfarrer Gregor Peschel, der seit 1531 an der Marienkirche gewirkt hatte, gestorben und Severin Star (gest. 1553) zum Nachfolger berufen worden war.58 Etwa zur gleichen Zeit übertrugen die Fürsten die Einkünfte der aufgelösten Kalandsbruderschaft an die Kirche,59 denn bereits im Oktober 1534 hatte eine Visitation ergeben, dass die Einkünfte und die personelle Ausstattung so dürftig waren, dass viele geistliche Aufgaben nicht wahrgenommen werden konnten.60 Als der Hofprediger in jenem Jahr an der Gicht und der Pfarrer am Fieber litt, 54
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Friedrich BOBBE, Nicolaus Hausmann und die Reformation in Dessau (Neujahrsblätter aus Anhalt, Heft 2), Dessau 1905, S. 19 f.; WÄSCHKE, Anhaltische Geschichte (wie Anm. 20), Bd. 2, S. 384 f.; LHASA Dessau, GAR NS, Nr. 923, Bl. 11 (1534 September 11, Kardinal Albrecht an die Fürsten Georg, Johann und Joachim von Anhalt); vgl. Ulla JABLONOWSKI, Anhaltische Quellen zu einer Biographie des Kardinals Albrecht von Magdeburg und Mainz (1490-1545), in: Erzbischof Albrecht von Brandenburg (1490-1545). Ein Kirchen- und Reichsfürst der Frühen Neuzeit, hrsg. von Friedhelm JÜRGENSMEIER (Beiträge zur Mainzer Kirchengeschichte, Bd. 3), Frankfurt am Main 1991, S. 57-70, hier S. 61 und 65; LHASA Dessau, GAR NS, Nr. 1287, Bl. 19 (1533 März 10, Peter Rauch an Fürst Johann von Anhalt). Weimarer Ausgabe, Briefe, Bd. 6, Nr. 2004 (1533 März 28, an Fürst Georg) und Nr. 2005, S. 442 (an demselben Tag an Fürst Johann): Darum sei e. f. g. kecke und furchte sich nicht fur der wellt regenten. Christus ist grosser denn alle teuffel, viel mehr auch denn alle fursten; Nr. 2056 (1533 Oktober 15, an die Fürsten Johann und Joachim) und Bd. 7, Nr. 2105 ([1534 April 5 oder 6], an alle drei Fürsten von Anhalt). Kurfürst Joachim I. von Brandenburg an seine Tochter Margarethe, LHASA Dessau, GAR NS, Nr. 167, Bl. 54r (1534 März 27). LHASA Dessau, GAR NS, Nr. 116, Bl. 64: Kanzler Paulus von Berge berichtet Fürst Joachim von Anhalt, das sich e. f. g. swester [d. i. seine Schwägerin Margarethe von Brandenburg] in dieser wochen gantz geistlich, cristlich alls ich sie die tage meins lebends gesehen, mit wasschung der armen lewten ir fwsse und sonst erzaigt. Wirdt sich hewte mit dem hochwirdigen sacrament sampt alle ire jungfrawen berichten lassen. […] Die wasschung der fwsse ist in eyner grosen stille gescheen. Darvon wissen wenig lewte dan die Dorothea allein. E. f. g. wolle solchs in geheym bey sich blieben lassen. JABLONOWSKI, Bausteine, Teil 3,1 (wie Anm. 43), S. 44. BECKMANN, Historie, Teil 6, S. 21 (1540 September 29). Reinhold SPECHT, Aus der Kirchenvisitation von 1534 im Kreise Dessau, in: Anhaltische Geschichtsblätter 15 (1939), S. 33-46, hier S. 44-46.
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musste eigens ein Prediger gerufen werden.61 Erst später erhielten beide Kirchenmänner Unterstützung durch je einen Kaplan.62 Die verzögerte Reformation in Dessau schien vor allem den ganz im Geiste des Protestantismus erzogenen Söhnen des Fürsten Johann von Anhalt erklärungsbedürftig. Das berühmte Abendmahlsbild des jüngeren Cranach,63 das als Epitaph für den Fürsten Joachim entstanden ist und in den gleichen Zusammenhang gehört, rückt nicht nur die fürstlichen Brüder Joachim und Georg in besondere Nähe zum Heilsgeschehen und zu den Reformatoren, sondern verdeutlicht ebenso die wiedergewonnene Einheit des Fürstenhauses. Im Hintergrund sind Fürst Wolfgang und Fürst Johann mitsamt seinen Söhnen zu sehen. Beachtung verdient auch der Umstand, dass die dargestellte Szene in einem herrschaftlichen Raum stattfindet, mit großer Wahrscheinlichkeit in der Hofstube des Dessauer Schlosses. In dieser Hofstube wurden in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts übrigens die fürstlichen Trauungen durchgeführt. Die Inschrift am Hauptportal aus dem Jahre 1532 forderte bezogen auf die Fürsten dazu auf, in Demut die göttliche Gnade zu erkennen und für Gerechtigkeit auf Erden zu sorgen.64 Das in der Kirche gezeigte Abendmahlsbild verweist eindeutig auf die höfische Lebenswelt. Der Maler selbst hat sich in der Rolle des Mundschenks dargestellt und im Hintergrund sind zwei weitere Hofdiener zu sehen, wobei in der Gestalt des Kochs der Kanzler Johann Ripsch (um 1505-nach 1574) und in der des Essenträgers der Hauptmann Johann von Heynitz (gest. nach Januar 1573) vermutet worden sind.65 Bis 1945 war das Innere des Kirchenraums deutlich von Gegenständen bestimmt, die an die fürstliche Familie erinnern sollten, und an Personen, die in enger Beziehung zu ihr standen. Ein 1537 angefertigtes Inventarium des liturgischen Geräts nennt 61 62
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Fürst Georg III. von Anhalt an Mag. Georg Helt, CLEMEN, Helts Briefwechsel, Nr. 103, S. 71 f. (1534 Juni 30). Reinhold SPECHT, Die anhaltischen Land- und Amtsregister des 16. Jahrhunderts, Teil 1 (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und des Freistaates Anhalt, Neue Reihe Bd. 17), Magdeburg 1935, S. 62; HÖNICKE, Merkwürdigkeiten (wie Anm. 17), Nr. 5, S. 35 (1553 Oktober 23). HARKSEN, Kunstdenkmale (wie Anm. 3), S. 31, Nr. 14, jetzt in der Kirche St. Johannis zu Dessau. SCHADE, Malerfamilie Cranach (wie Anm. 2), S. 95-97, mit Abb. 259; Peter FINDEISEN, Bildnisse der Fürsten Wolfgang und Joachim von Anhalt in Zerbst, Dessau und Köthen, in: „Es thvn iher viel fragen ...“ Kunstgeschichte in Mitteldeutschland (Beiträge zur Denkmalkunde in Sachsen-Anhalt, Bd. 2), Petersberg 2001, S. 171-186, hier S. 179. Kurt EHRLICH, Die Dessauer Schloßbauten bis zum Ausgang des sechzehnten Jahrhunderts, Diss. Dresden, Berlin 1914, S. 53 und 57: So spricht der herr, ein weiser rhume sich nicht seiner weisheit, ein starker rhume sich nicht seiner sterke, ein reicher rhume sich nicht seines reichtumbs, sundern wer sich rhumen wil, der rhume sich des, das er mich wisse und kenne, das ich der herre bin der barmherczigkeit. Recht und gerechtigkeit ubet auf erden, denn solches gefellet mir, spricht der herr. Jeremias ix. capitel. Anno domini 1532. JABLONOWSKI, Blutbuch, S. 70. Zu beiden Personen ebd. S. 69 f. und 93 f. Bei HÖNICKE, Merkwürdigkeiten (wie Anm. 17), S. 43, sind beide noch nicht identifiziert.
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auch Erinnerungsstücke an die anhaltischen Fürsten Rudolf (gest. 1510) und Magnus (1455-1524), Vettern des Kirchengründers, die enge Verbindungen zum kaiserlichen Hof unterhalten hatten.66 An repräsentativer Stelle befand sich das Grabdenkmal des Magisters Georg Helt (gest. 1545), der die Fürsten Georg und Joachim in ihren Jugendjahren gemeinsam unterrichtet hatte und später ununterbrochen in Georgs Diensten geblieben war.67 Neben der Sakristei befand sich das steinerne Grabdenkmal des im Dezember 1538 verstorbenen Kanzlers Paulus von Berge, der wie Helt in einem besonderen Vertrauensverhältnis zur fürstlichen Familie gestanden hatte. Die Grabinschrift wies auf seine Verdienste um die anhaltische Herrschaft hin, besonders darauf, dass unter seiner Kanzlerschaft alle verpfändeten Güter der Fürsten wieder ausgelöst wurden.68 Wahrscheinlich gemeinsam mit den Fürstenbrüdern stiftete er 1533 das Taufbecken, das mit den entsprechenden Wappen geschmückt war.69 Im Jahr darauf trat er erstmals an Fürst Georg mit der Bitte heran, die Taufpatenschaft für seinen neugeborenen Sohn zu übernehmen. Wenig später erinnerte er die Fürstenbrüder daran, wie er einst nach dem Tode ihres Vaters auf sie achtgegeben hatte, um sie daraufhin zu bitten, in gleicher Weise für seine Kinder zu sorgen, wenn er nicht mehr am Leben sein würde. Im Hofdienst war der Dessauische Kanzler zu großem Ansehen gelangt und 1530 durch den Kaiser in den Adelsstand erhoben worden. Seine Söhne erwarben zum einen Teil das Bürgerrecht und finden sich im Rat der Stadt, zum anderen Teil finden sie sich ebenfalls in Hofdiensten.70 An besonders auffälliger Stelle war im Kirchenraum der Marienkirche auch das Grabdenkmal des Ritters Jost von Heldorf (1490-1559) errichtet worden, der auf einem Gut in der Nähe von Dessau gelebt hatte.71 Sein Vater war einst Hofmeister der Fürsten Georg I. und Ernst von Anhalt gewesen, hatte aber auch Beziehungen zum brandenburgischen Hof unterhalten. Jost selbst wurde wahrscheinlich im Dienste des brandenburgischen Kurfürsten erzogen und erscheint 1512 als Gefolgsmann des Fürsten Wolfgang von Anhalt-Köthen.72 Mit Anhalt-Dessau um 1520 noch im Streit 66 67 68
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LHASA Dessau, GAR NS, Nr. 291, Bl. 36 (unvollständiges Verzeichnis der Ornate aus den 1530er Jahren). HARKSEN, Kunstdenkmale (wie Anm. 3), S. 35 f., Nr. 43. Ebd., S. 35, Nr. 42: Im jar MDXXXIX an s. Stephans tag in weinachten ist von dieser welt abgescheiden der erbar Paulus von Berga, welcher in das XLVI jar des hauses Anhalt getrewer rat und canczler gewesen und in seinem dinst alle vorsaczte guther der herschaft durch gotliche vorleye wieder eingeloset, des sehel der almechtige gnedig zu sein geruhe. Amen. Siehe Johannes WÜTSCHKE, Der Dessauische Kanzler Paulus von Berge (1475-1539), in: Dessauer Kalender 43 (1999), S. 18-25. HARKSEN, Kunstdenkmale (wie Anm. 3), S. 28 f., Nr. 3. Johannes WÜTSCHKE, Zur Genealogie des Dessauer Kanzlers Paulus von Berge (1475-1539), in: Genealogie 50 (2001), S. 737-746. Ebd., S. 36, Nr. 46. – Siehe zur Person: Ernst DEVRIENT, Das Geschlecht von Helldorff, Bd. 1: Familiengeschichte, Berlin 1931, S. 27-32; JABLONOWSKI, Blutbuch, S. 85. Ernst DEVRIENT, Das Geschlecht von Helldorff, Bd. 2: Urkundenbuch, Berlin 1931, Nr. 115 f., S. 48 f. (1512 März 29 und Oktober 4).
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um Triftrechte, findet er sich 1534 in ehrenvoller Stellung bei der Hochzeit des Fürsten Johann. Auf seinem Grabdenkmal ist er in voller Rüstung ohne Kopfbedeckung dargestellt. Die Inschrift weist aber nicht auf Verdienste um die Herrschaft, sondern auf seine Rechtgläubigkeit.73 Da Heldorf keine Erben hatte, war es ihm offenbar wichtiger seine Frömmigkeit zu zeigen als seine Bindung an den Hof. Gemeinsam mit seiner Frau stiftete er zwei Bilder für die Emporenbrüstung.74 An der Südaußenwand des Turmes findet sich schließlich ein weiterer Gedenkstein, in dessen Inschrift wiederum der lange treue Dienst für die Herrschaft besonders hervorgehoben wird.75 Der darin genannte Caspar von Drauschwitz stammte aus meißnischem Adel und war vielleicht schon als Edelknabe an den Dessauischen Hof gekommen. Zunächst diente er der Fürstin Margarethe, dann ihren Söhnen . Noch in der Mitte der 1530er Jahre befanden sich sowohl er selbst als auch seine Frau in der unmittelbaren Umgebung der Fürstenfamilie.76 Ein Nachkomme, Joachim von Drauschwitz, brachte es zum Prinzenhofmeister und wurde 1590 ebenfalls an der Marienkirche beigesetzt. Der Gedenkstein für den treuen Fürstendiener Caspar von Drauschwitz ist an einer Stelle angebracht, die die enge Bindung an das Fürstenhaus unterstreicht, denn der mächtige Turm der Marienkirche wurde offenbar in besonderer Weise als Zeichen fürstlicher Herrschaft gesehen. Bisher ist vor allem die Geldnot dafür verantwortlich gemacht worden, dass der romanische Westturm des Vorgängerbaus zunächst nicht abgebrochen wurde, doch es deutet Einiges auf den bewussten Erhalt eines baulichen Überrests, so wie dies für verschiedene mitteldeutsche Schlossbauten festzustellen ist.77 In den Turmknopf wurden 1553 neben Baunachrichten auch eine Geschichte der Fürsten von Anhalt und
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HARKSEN, Kunstdenkmale (wie Anm. 3), S. 36, Nr. 46: Im jar 1559 den 6. Julius ist der edel ernvest Jost von Heldorf zu Scholitz gesessen in rechtem erkenntnis und bekentnis entschlaffen. Got genade im und uns. Amen. Ebd., S. 24, Nr. 30 f. Ebd., S. 40, Nr. 59: Im jar 1542 montags nach Estomichi, welcher ist der 20. tag des hornungs, ist der erbar und veste Caspar von Drauswitz, nachdem er der herschaft viel jar treulich gedint, von diser welt christlich abgeschieden und alhir begraben ist. LHASA Dessau, GAR NS, Nr. 117, Bl. 25r (1534 August 19). Matthias MÜLLER, Das Schloß als fürstliches Manifest. Zur Architekturmetaphorik in den wettinischen Residenzschlössern von Meißen und Torgau, in: Hochadelige Herrschaft im mitteldeutschen Raum (1200 bis 1600). Formen – Legitimation – Repräsentation, hrsg. von Jörg ROGGE und Uwe SCHIRMER (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte, Bd. 23), Stuttgart 2003, S. 395441, hier S. 409-418; DERS., Das Residenzschloss als Haupt des Fürsten. Zur Bedeutung von Corpus und Caput im frühneuzeitlichen Schlossbau der Anhaltiner, in: FREITAG/HECHT, Fürsten von Anhalt (wie Anm. 16), S. 123-143; DERS., Das Schloß als Bild des Fürsten. Herrschaftliche Metaphorik in der Residenzarchitektur des Alten Reichs (1470-1618) (Historische Semantik, Bd. 6), Göttingen 2004, S. 143-174.
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zwei Bildnisse der Brüder Georg und Joachim eingeschlossen.78 Der Turm galt offenbar als ein sicherer Ort des dynastischen Gedächtnisses. Angeblich hatte die Marienkirche als einziges Gebäude den verheerenden Stadtbrand von 1467 überstanden, der vom Dessauer Schloss ausgegangen war.79 Vielleicht liegt hierin der Hauptgrund dafür, dass die Hofkirche nicht in den Baukörper des Schlosses einbezogen wurde, wie dies in Halle, in Wittenberg und später in Torgau der Fall war. In Wittenberg diente der nordwestliche Turm des Schlosses ebenfalls als Kirchturm und Aufbewahrungsort des fürstlichen Archivs.80 Wie schrecklich muss es für Hof und Bürgerschaft gewesen sein, als der Dessauer Marienkirchturm 1550 einstürzte, nachdem man versucht hatte ihn aufzustocken, um dem Turmwächter bessere Sicht zu ermöglichen.81 Fürst Joachim, der die Umbaumaßnahmen unterstützt hatte, nahm den Unglücksort betroffen in Augenschein. Die Gemeinde bat ihn dringend um Hilfe bei der Wiedererrichtung und bereits im Jahr darauf legte er gemeinsam mit seinem Bruder Georg den Grundstein, woran eine lateinische Inschrift an der Westwand des Turmes erinnert.82 Drei Jahre später war der von Ludwig Binder geleitete Wiederaufbau abgeschlossen. Die Glocken der Turmuhr wurden mit Wappen und Sprüchen versehen, die an Georg und Joachim erinnern,83 so dass die fürstlichen Bauherren sowohl am Sockel, im Glockenstuhl und in der Spitze des Turmes verewigt waren. Der romanische Rundbogenfries, mit dem 78
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HÖNICKE, Merkwürdigkeiten (wie Anm. 17), Nr. 1-5, S. 6-36. – Der Inhalt des Turmknopfes wurde am 22. März 1820 bei einer Reparatur entdeckt und entnommen. Die ersten drei Urkunden stammen aus der Feder Philipp Melanchthons. BECKMANN, Historie, Teil 3, S. 352; HÖNICKE, Merkwürdigkeiten (wie Anm. 17), Nr. 5, S. 24 f. (1553 Oktober 23). FABER, Nachricht (wie Anm. 19), S. 192 f. LHASA Dessau, GAR NS, Nr. 291, Bl. 3r-5r; HÖNICKE, Merkwürdigkeiten (wie Anm. 17), Nr. 4, S. 16 f. (1553). Über den Einstürz berichtet auch: Der selbständige Teil der Magdeburgischen Chronik von Georg Butzke (1467-1551), in: Die Chroniken der deutschen Städte, Bd. 27, Göttingen 1889, Nachdruck Göttingen 1962, S. 99-140, hier S. 137. – Ein Turmwächter ist seit der Mitte des 16. Jahrhunderts nachweisbar. Später leitete er gleichzeitig die Stadtpfeiferei und wurde sowohl vom Rat als auch vom Fürsten fest besoldet. Bernhard HEESE, Von Türmern und Stadtpfeifern, in: Anhalter Anzeiger 1934, Nr. 27; BRÜCKNER, Häusberbuch, Heft 5, S. 441. BECKMANN, Historie, Teil 3, S. 358 und HÖNICKE, Merkwürdigkeiten (wie Anm. 17), S. 5 (beide mit der Jahreszahl 1550); HARKSEN, Kunstdenkmale (wie Anm. 3), S. 11. Mit Auflösung der Kürzungen lautet die Inschrift: In nomine domini nostri Yesu Christi anno a nativitate eiusdem 1551 positum est fundamentum huius turris praesentibus reverendo et illustribus principibus domino Georgio praeposito Magdeburgensi et Misnensi et Joachimo fratribus principibus in Anhalt comitibus Ascaniae et dominis in Czerbst et Bernburck etc. Friedrich Winfrid SCHUBART, Die Glocken der Schloß- und Stadtkirche zu St. Marien in Dessau, in: DERS., Die Glocken im Herzogtum Anhalt. Ein Beitrag zur Geschichte und Altertumskunde Anhalts und zur Allgemeinen Glockenkunde, Dessau 1896, S. 188-194, hier S. 191-193; wieder in: Beiträge zur Stadtgeschichte, Heft 12, hrsg. vom Museum für Stadtgeschichte Dessau, Dessau 1993, S. 103-110, hier S. 106-109.
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der Unterbau des neuen Turmes schließt, darf sicher zurecht als Erinnerung an den Vorgängerbau angesehen werden. Unter der Turmhaube prangte ab 1554 der Reichsadler, der als ein Hinweis auf die Reichsunmittelbarkeit der Fürsten von Anhalt gedeutet werden kann wie als Ausdruck des Bemühens um ein gutes Verhältnis zum Kaiser, trotz der Hinwendung zur Reformation. Am Dessauer Schloss, an der Nordseite des Johannbaus, war bereits 1530 ein Reichsadler angebracht worden und auch am Bernburger Schloss befindet sich ein Bildnis des Kaisers.84 Der Verweis auf die Kaisertreue ist sicher auch vor dem Hintergrund der Verhandlungen zu sehen, die in den frühen 1550er Jahren am kaiserlichen Hof um die Rückgewinnung der Herrschaft Aschersleben geführt wurden, aber letztlich erfolglos blieben.85 Die Anbringung des Reichsadlers am Turm der Dessauer Marienkirche könnte aber ebenso dem besonderen Wunsch der Kirchenvorsteher entsprochen haben. In einem Schreiben an Fürst Joachim wiesen diese nach dem Einsturz des alten Turmes darauf hin, dass Kaiser Maximilian einst den Neubau ihrer Kirche aus besonderer Neigung zum Hause Anhalt unterstützt habe.86 Joachim sollte deswegen ebenfalls versuchen, kaiserliche Unterstützung zu erlangen, da sowohl die Stadt als auch das Fürstenhaus in großen Geldnöten waren, hervorgerufen durch den Stadtbrand von 1530 und frühere Bauvorhaben. Von Karl V. war es freilich zuviel verlangt, einen mittlerweile evangelischen Kirchenbau zu unterstützen, die Gemeinde hielt dies aber für möglich und bot ausdrücklich an, Christus für das Wohl des Kaisers anflehen zu wollen.87 Es war offenbar ganz im Sinne der Gemeinde, in und an der Marienkirche die irdischen Herrschaftsverhältnisse zu versinnbildlichen: über den Dessauer Bürgern die Fürsten von Anhalt und der Kaiser. Wo aber blieb die Herrschaft des städtischen Rates? Über das Selbstverständnis des Dessauer Rates, der durch den Fürsten jedes Jahr bestätigt werden musste, ist aus der Zeit um 1500 allerdings nicht allzuviel bekannt.88 Nur einige wenige Stiftungen wurden von fürstlichen Räten, dem Bürger84
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EHRLICH, Schloßbauten (wie Anm. 64), S. 41; Albert HAASE, Der kaiserliche zweiköpfige Adler am Dessauer Schlosse, in: Anhaltische Geschichtsblätter 8/9 (1932/1933), S. 26-30. – Irene ROCHLEMMER, Die Fürstenbildnisse am Wolfgangbau des anhaltischen Schlosses Bernburg, in: FREITAG/ HECHT, Fürsten von Anhalt (wie Anm. 16), S. 144-159, hier S. 146 f. und S. 151-153. Siehe LHASA Dessau, GAR I, fol. 65, Nr. 77 (1552-1556). LHASA Dessau, GAR NS, Nr. 291, Bl. 2r (1550 Oktober 20). Ebd., Bl. 6v. Siehe SPECHT, Amtsregister, Teil 1, S. 44; BECKMANN, Historie, Teil 3, S. 373 f.; Ludwig WÜRDIG, Vom alten Dessauer Rathhause und Rath, in: Anhaltisches Staats-Anzeiger 1882, Nr. 95-110; Bernhard HEESE, Lokator, Schultheiß und Rat. Die Anfänge der Selbstverwaltung der Stadt Dessau, in: Dessauer Kalender 1 (1957), S. 17-21; Frank KREIßLER, Das Dessauer Rathaus. Geschichte des Gebäudes und der städtischen Verwaltung, in: „Schauplatz vernünftiger Menschen“. Kultur und Geschichte in Anhalt-Dessau, Ausstellungskatalog Berlin 2006, S. 55-80; Barbara CZERANNOWSKI, Das Dessauer Rathaus als Ort städtischer Selbstverwaltung, in: Dessau. Porträt einer Stadt, Dössel 2006, S. 277-282.
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meister und dem Rat von Dessau und anderen Stiftern gemeinsam bedacht.89 Allgemein fällt ins Auge, dass es bis ins 16. Jahrhundert nur ein Ratssiegel, aber kein Stadtwappen gab.90 Ein solches wurde der Stadt erst 1540 von den Fürsten verliehen, nachdem die Sandvorstadt und die Muldevorstadt angelegt worden waren, wobei die Erstere dem fürstlichen Amtmann, die Letztere dem Dessauer Rat unterstand. Zur gleichen Zeit verliehen die Fürsten auch der Marienkirche ein eigenes Siegel, das ein Lamm mit einer Kreuzfahne und das fürstliche Wappen zeigt.91 Das neue Stadtwappen ist zusammengesetzt aus dem alten anhaltischen Wappen, dem gespaltenen Schild mit Adler und fünf Balken, und einem wohl erfundenen Wappen der Herren von Waldersee, von denen die Herrschaftsrechte über Dessau abgeleitet wurden. Städtische Symbole wie etwa Mauerwerk fehlten völlig. Der Rat war abhängig vom Hof und wurde zurechtgewiesen, wenn er die ihm aufgetragenen Pflichten nicht erfüllte. 1536 schlug der Kanzler Paulus von Berge dem Fürsten Georg zum Beispiel vor, eine „harte Schrift“ an den Bürgermeister Martin Querle zu richten, den er mehrfach ohne Erfolg gemahnt hatte, den Kirchhof und die städtische Lateinschule instandsetzen zu lassen.92 Im Dessauer Ratsschatz hat sich allerdings ein Willkommensbecher aus eben jener Zeit erhalten,93 der darauf hindeutet, dass die Ratsherren ihre Stadt nach außen hin zu vertreten wussten, wenngleich nicht klar ist, ob es sich bei diesem Becher nicht um ein Geschenk des Fürsten handelt. Als Fürst Johann und seine Gemahlin die Stadt Dessau nach der Herrschaftsteilung von 1546 verließen und ihre Residenz in Zerbst nahmen, stifteten sie zum Abschied eine Kredenzschale.94 Auf dieser wurden später die Stadtschlüssel überreicht, wenn die Bürgerschaft ihrem Fürsten die Huldigung leistete. Spätestens in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts war der städtische Rat von Männern bestimmt, die eine enge Bindung an den Hof hatten. Mehrfach finden sich etwa Söhne des Kanzlers Paulus von Berge im Amt des Bürgermeisters.95 Abgesehen von gemeinsamen Gottesdiensten gibt es wenige Hinweise auf symbolische Interaktion zwischen Bürgerschaft und Fürstenhof in der Marienkirche. Die bereits erwähnte Brautmesse für Johann und Margarethe war eine höfische Angelegenheit gewesen. Die Braut wurde von den Brüdern ihres Bräutigams in die Marienkirche geführt, den Zugang zum Kirchtor hielten bewaffnete Adlige frei und zwölf 89 90
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SPECHT, Kirchenvisitation, S. 45. Vgl. zum Folgenden: WÄSCHKE, Dessau (wie Anm. 15), S. 193-197; Adolf CRACKOW, Das Dessauer Stadtsiegel und Stadtwappen, in: Anhaltischer Kalender 1941, S. 64-68; Bernhard HEESE, Dessauer Stadtsiegel und Stadtwappen, in: Dessauer Kulturspiegel 4 (1957), S. 109-114. BECKMANN, Historie, Teil 3, S. 361 f.; HÖNICKE, Merkwürdigkeiten (wie Anm. 17), S. 37; BASEDOW, Schloß- und Stadtkirche, S. 86, Anm. 1. LHASA Dessau, GAR NS, Nr. 117, Bl. 53v (1536 September 13). HARKSEN, Kunstdenkmale (wie Anm. 3), S. 90, Nr. 2. Ebd., Nr. 1; BECKMANN, Historie, Teil 3, S. 372. WÜTSCHKE, Genealogie (wie Anm. 70), S. 741-744.
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Ritter waren es, die die Kerzen hielten.96 Aus der städtischen Oberschicht wurde keiner mit solch ehrenvollen Aufgaben betraut. Erst beim Hochzeitsmahl auf dem Schlosse verrichteten auch angesehene Stadtbürger Dienste. In der Marienkirche gab die Bürgerschaft also lediglich das Publikum ab. Anders bei der Beerdigung der Hofjungfrau Adelheid im Jahre 1537. Ihrem Sarg folgten nach der Fürstin und ihrem Hofstaat sämtliche Ratsherren mit ihren Ehefrauen und viele Stadtbürger, womit die vornehme Stadtgesellschaft und die Hofgesellschaft ihre Verbundenheit zeigten. In dem Bericht darüber heißt es jedoch ausdrücklich, dass es eine solche Zeremonie lange nicht gegeben hätte.97 Zur Beisetzung des Fürsten Joachim Ernst im Januar 1587 waren neben verschiedenen Fürsten, Grafen und Herren die Vertreter sämtlicher anhaltischer Städte sowie Abgesandte aus Nürnberg, Magdeburg, Halle und Leipzig geladen.98 Eine bevorzugte Stellung der Residenzstadt Dessau lässt sich nicht erkennen. Die Ratsgesandtschaften und die Dessauer Bürger bildeten das Ende des Leichenzuges in die Marienkirche. Unter den Personen, die den Sarg trugen oder ihn mit Fackeln begleiteten, befand sich wiederum kein einziger Stadtbürger.99 Von der Hochzeit, die Bernhard von Anhalt (1540-1570) und Clara von BraunschweigLüneburg-Gifhorn (1550-1598) 1565 in Dessau feierten, sind keine Einzelheiten überliefert.100 Die Vermählung der Prinzessin Agnes Hedwig von Anhalt (1573-1616) mit dem 60jährigen Kurfürsten August von Sachsen (1526-1586) fand im Januar 1586 im großen Saal des Dessauer Schlosses hingegen als rein höfisches Fest statt.101 Hat es in der Dessauer Marienkirche überhaupt eine symbolische Interaktion zwischen Bürgerschaft und Hof gegeben? Der Kirchenraum war über und über mit Zeichen fürstlicher Herrschaft besetzt und gleichsam ein Darstellungsraum der Fürsten. Alle Zeichen sagten, es lohnt sich, Gott zu gehorchen und den Fürsten zu dienen. Die überwiegende Zahl der Grabdenkmäler erinnerte an fürstliche Räte und Amtsträger und ihre Familien, aber nur selten an selbstbewusste und gottesfürchtige Bürger der
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LHASA Dessau, GAR NS, Anhalt: Johann IV., Nr. 46, Bl. 32v (Verordnung zur Brautmesse); WÄSCHKE, Anhaltische Geschichte (wie Anm. 20), Bd. 2, S. 374. 97 Kanzler Paulus von Berge an Fürst Georg III. von Anhalt, LHASA Dessau, GAR NS, Nr. 117, Bl. 75r f. (1537 Februar 15): So ist sie auch hewte gar erlich zur hoemessen zeit mit allen pristern, schulmeister, schulern mit gesange, kertzen, lichten mit nachvolgung meiner gnedigen furstin, des gesindes, aller dreyer rete und derselben irer frawen und vil person aus der stadt, loblich zw der erden bestadt, als ich in ethlichen jarn alhir nicht gesehen und vor irem gestule in der kirche begraben. 98 LHASA Dessau, GAR NS, Anhalt: Fürst Joachim Ernst, Nr. 285, Bl. 2 (1586 Dezember 7) und Bl. 12 f. [1586 Dezember]. 99 BECKMANN, Historie, Teil 5, S. 195 f.; Ludwig WÜRDIG, Fürst Joachim Ernst von Anhalt. Ein anhaltisches und deutsches Fürstenbild, in: Anhaltischer Staatsanzeiger 1886, Nr. 265 f. 100 BECKMANN, Historie, Teil 5, S. 178. 101 BECKMANN, Historie, Teil 5, S. 204-206; WÜRDIG, Fürst Joachim Ernst (wie Anm. 99), Nr. 264.
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Stadt. Nur ein Bürgermeister ließ im 16. Jahrhundert ein Epitaph anbringen.102 Unter den Stiftern der 53 Gemälde für die Emporenbrüstung befanden sich zwei weitere Bürgermeister,103 sonst aber nur Mitglieder des Fürstenhauses und des Hofes. Die ehemals städtische Pfarrkirche konnte von den anhaltischen Fürsten innerhalb kürzester Zeit vereinnahmt werden, ohne dass es Widerstand seitens der Stadtbürgerschaft gab. Trotz mancher Verwirrungen in der Reformationszeit wurde sie innerhalb eines Fürstenlebens in eine Stadt- und Hofkirche umgewandelt, in eine mustergültige „Residenzstadtkirche“, wenn man so will. Beim Gottesdienst konnten Hof- und Stadtgesellschaft vereint und dennoch nach ihrem Stand getrennt sein. Den Fürsten drängte es freilich bald nach mehr Erhabenheit, denn Joachim Ernst ließ sich trotz der geringen Entfernung zum Schloss einen hölzernen Gang bauen, durch den er ungestört in den Fürstenstuhl gelangen konnte.104 Solche Gänge gab es auch in Berlin-Cölln und Halle. In Dessau mag dahinter vor allem das Verlangen nach mehr Bequemlichkeit gestanden haben, denn bereits von der Gemahlin des Fürsten Johann wird berichtet, sie habe sich 1538 bei ihren häufigen Kirchgängen erkältet und sei ohnmächtig geworden.105 Die Stadt Dessau war zu Beginn des 16. Jahrhunderts ohne größere Auseinandersetzungen zur Residenzstadt geworden, deren Geschicke in den Händen der Fürsten lag. Rat und Bürgerschaft scheinen sich gefügt zu haben. In der Marienkirche lieferten sie den Fürsten jedenfalls keinen „Krieg der Zeichen“, sondern besetzten die Räume, die ihnen überlassen blieben. Immerhin befand sich das Ratsgestühl schräg gegenüber dem Fürstenstuhl, wie allerdings erst für das 18. Jahrhundert überliefert ist.106 Der Fürst hatte somit das Schloss und der Rat das Rathaus im Rücken. Ansonsten gab es auf den dreistöckigen Emporen kein Gegenüber von Hof und Bürgerschaft, sondern eher ein Oben und ein Unten. Selbst wenn die Abwesenheit von Konflikten nicht zwangsläufig auf Eintracht und Frieden schließen lässt, so muss festgestellt werden, dass die Residenznahme und die 102
Sigismund Bernitzer (1483-1544). BECKMANN, Historie, Teil 3, S. 360: Hoc recubant tumulo Sigismundi consulis ossa, ingenio clari consilioque viri, qui patriae curam summa cum laude gerebat, omnibus et pariter civibus aequus erat. Hic gremio Christi nunc morte soluta fovetur, qui sibi confugium spesque salutis erat. Qui obiit anno domini MDXLIII die Junii III. Anno aetatis suae LXI. Das Epitaph befand sich am siebten Nordpfeiler und war anscheinend bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht mehr erhalten. 103 HARKSEN, Kunstdenkmale (wie Anm. 3), S. 25, Nr. 43 (Lorenz von Berge, gest. 1552) und Nr. 45 (Adam Ban). 104 BASEDOW, Schloß- und Stadtkirche, S. 20. – Der Gang ist beschrieben bei BECKMANN, Historie, Teil 3, S. 358 und RODE, Wegweiser (wie Anm. 3), S. 120 und eingezeichnet in den Stadtgrundriss des 16. Jahrhunderts bei EHRLICH, Schlossbauten, S. 4, Abb. 3. 105 Kanzler Paulus von Berge an Fürst Joachim von Anhalt, LHASA Dessau, GAR NS, Nr. 116, Bl. 48r f. (1538 September 11). 106 RODE, Wegweiser (wie Anm. 3), S. 130 und 133 f.
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Ausprägung einer Residenzstadt in Dessau um 1500 ohne größere Widerstände abgelaufen ist. Im Verlauf des 16. Jahrhunderts nahm die Stadt dann einen gewaltigen Aufschwung, wie allein die Vervierfachung der Bevölkerungszahl nahe legt.107 Die Zahl der Hofbediensteten stieg in der Mitte des Jahrhunderts auf rund 120 an und um 1580 bereits auf mehr als 300.108 Vertiefende Erkenntnisse über die Residenzbildung in Dessau lässt ein Dissertationsvorhaben erwarten, das im Rahmen des hallischen Forschungsprojekts „Stadt und Residenz im mitteldeutschen Raum“ begonnen wurde.109 Festzuhalten bleibt, dass die Dessauer Marienkirche, die in der Mitte zwischen Rathaus und Schloss gelegen war, sowohl für die Bürger als auch für die Fürsten von hoher symbolischer Bedeutung war. Auf dem mittelalterlichen Ratssiegel war die alte Marienkirche so dargestellt, wie sie von Norden, also vom Rathaus aus zu sehen war. Nach dem Neubau wurde jedoch die Südansicht abgebildet, so wie sie vom Schloss aus zu sehen war. Die Änderung der Blickrichtung kann sicher zu Recht als Ausdruck der Zurückdrängung bürgerlicher Freiheiten und des Wiedererstarkens fürstlicher Herrschaft gesehen werden.110 Über der Kirchtür ist auf dem Siegelbild deutlich das fürstliche Wappen zu erkennen. Nur vereinzelt hatte der Rat um 1500 auch ein anderes Siegel benutzt, das lediglich für die Jahre 1476 und 1528 nachweisbar ist.111 Es zeigt ein Gebäude, in dem sich möglicherweise das nach dem Stadtbrand von 1467 errichtete und 1530 wiederum durch einen Brand zerstörte Rathaus erkennen lässt. Nach 1530 war die Marienkirche in jedem Fall das wichtigste Erkennungszeichen der Residenzstadt Dessau, auch wenn die von Matthäus Merian d. J. (1621-1687) überarbeitete und 1690 veröffentlichte Stadtansicht das fürstliche Schloss stärker in den Vordergrund rückte.112 Der Dessauer Bürgermeister Hans Messerschmit (gest. nach 1601) ließ 1596 auf seinem Steinepitaph in der Georgenkirche die Marienkirche und eine weiteres Gebäude, vermutlich ein Stadttor, darstellen.113 Im Verlauf der Frühen Neuzeit fand das Bild der Schlosskirche dann Eingang in das Stadtwappen, als 107
JABLONOWSKI, Bausteine, Teil 3,1 (wie Anm. 43), S. 31-33; KREIßLER, Aspekte (wie Anm. 16), S. 164; MEINHARDT, Chancengewinn (wie Anm. 16), S. 44 f. 108 Michael HECHT, Hofordnungen, Wappen und Geschichtsschreibung. Fürstliches Rangbewusstsein und dynastische Repräsentation in Anhalt im 15. und 16. Jahrhundert, in: FREITAG/HECHT, Fürsten (wie Anm. 16), S. 98-122, hier S. 101 f. 109 Verena SPILCKE-LISS, geb. GRAVE, Stadt und Residenz. Die Entwicklung Dessaus unter den anhaltischen Fürsten in Mittelalter und Früher Neuzeit, Diss. phil. Halle-Wittenberg, in Bearbeitung. 110 HEESE, Stadtsiegel (wie Anm. 90), S. 111; Ulla JABLONOWSKI, Bausteine zu einer Geschichte der Stadt Dessau, Teil 3,3: Die Stadt zwischen Reformation und Dreißigjährigem Kriege, in: Dessauer Kalender 26 (1982), S. 26-39, hier S. 27 f.; KREIßLER, Aspekte (wie Anm. 16), S. 163; DERS., Rathaus (wie Anm. 88), S. 60 und 62. 111 WÄSCHKE, Dessau (wie Anm. 15), S. 195; HEESE, Stadtsiegel (wie Anm. 90), S. 110. 112 ERFURTH, Entwicklung (wie Anm. 1), S. 20 f., mit Abb. 22/23. 113 HARKSEN, Kunstdenkmale (wie Anm. 3), S. 63, Nr. 10; ERFURTH, Entwicklung (wie Anm. 1), S. 18 f., mit Abb. 19.
Die Stadt- und Schlosskirche zu Dessau
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Bekrönung oder im Herzschild, bis das städtische Wappen 1935 endlich auch eine Mauerkrone erhielt. Der Dessauer Bürgerstolz hatte freilich bereits um 1900 eine unmissverständliche und weithin sichtbare Ausdrucksform gefunden, denn der Turm des 1901 eingeweihten neuen Rathauses übertraf nicht nur das Schloss sondern auch den Turm der Marienkirche an Höhe.
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Abb. 1
Gerrit Deutschländer
Caspar Merian, Stadtansicht von Dessau, um 1650
Abb. 2 Lucas Cranach d. J., Taufe Christi, im Hintergrund Stadt und Schloss Dessau (1556, Berlin, Jagdschloss Grunewald)
Gesellschaftlicher Wandel und Umbruch im Spiegel symbolischer Kommunikation Zu kulturgeschichtlichen Forschungsfeldern in Halle an der Saale zwischen 1450 und 1550 Jan Brademann, Münster Die historischen Wissenschaften haben die Bedeutung von symbolischer Kommunikation lange Zeit verkannt.1 Spätestens seit der kulturalistischen Wende (cultural turn) haben sie jedoch gelernt, durch die „ethnologische Brille“ zu sehen: Historiker gehen unter der Prämisse an symbolische Formen heran, dass alle kulturellen Phänomene auszudeuten sind. Insbesondere von der Kultursoziologie stammt die Einsicht in die fundamentale Bedeutung von Symbolen für die Stabilität und die Umgestaltung vormoderner Gesellschaften.2 Aus meiner Sicht sind es zwei Aspekte, die zu einer heuristischen Aufwertung symbolischer Kommunikation geführt haben: Erstens ist man überzeugt davon, dass Symbole mit Kalkül eingesetzt wurden, um Botschaften zu übermitteln, Ansprüche anzumelden, Einigung zu erzielen und Hierarchien abzubilden.3 Der zweite Aspekt liegt in der den Handelnden häufig nicht bewussten Leistungskraft ihres oft ganz zweckgerichteten Tuns innerhalb eines bestimmten, von wechselseitigen Erwartungshaltungen durchdrungenen kulturellen Systems, dem symbolischen Mehrwert von Kommunikation als Fortschreibung des soziokulturellen Deutungsrahmens. Das meint zum Beispiel die kollektive Selbstvergewisserung einer Gruppe, die Tradierung von Werten, aber auch die Fortschreibung sozialer Differen1
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Überarbeitete Version meines Vortrags vom 2. April 2007 im Rahmen der vom Verein für hallische Stadtgeschichte organisierten öffentlichen Vortragsreihe „Worte, Zeichen, Rituale. Kommunikation in der Stadt Halle um 1500“. Der Vortragsstil wurde weitgehend beibehalten. – Ich danke Gerrit Deutschländer für Hilfe und Kritik sowie die Anregung zu diesem Vortrag an vertrauter Stätte! Zur Neueren Kulturgeschichte vgl. Silvia Serena TSCHOPP und Wolfgang E. J. WEBER, Grundfragen der Kulturgeschichte, Darmstadt 2007; Geschichtswissenschaft und „performative turn“. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit, hrsg. von Jürgen MARTSCHUKAT und Steffen PATZOLD (Norm und Struktur, Bd. 19), Köln, Weimar und Wien 2003. Zu diesem Aspekt vor allem Gerd ALTHOFF, Zur Bedeutung symbolischer Kommunikation für das Verständnis des Mittelalters, in: Frühmittelalterliche Studien 31 (1997), S. 370-389; DERS., Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt 1997; DERS., Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 2003.
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zen. Die Macht des Symbolischen „schafft affektive Bindungen und Wertüberzeugungen, die jeder rationaldiskursiven Begründung vorausliegen“.4 Kommunikation ist Mitteilung, gekoppelt an Wahrnehmung und Verstehen. Ihre Allgegenwärtigkeit wird an einer Grundprämisse der Neueren Kulturgeschichte, dem Konzept der Performanz, deutlich: Bedeutungen jedweder Art werden erst durch ihre Artikulation, „im Augenblick des Äußerns, Aufführens oder sich Verhaltens“ hervorgebracht. Folglich ist die gesellschaftliche Realität nichts anderes als ein vielfältiges Geflecht von Kommunikationsbeziehungen. Normative Erwartungen und kollektive Werte treten dem Einzelnen als „objektiv Vorgegebenes“ gegenüber, werden wahrgenommen und bilden so die immer wieder neu zu konstruierende Wirklichkeit.5 Kommunikation ist nun streng genommen immer symbolisch, besteht doch unsere Sprache aus Zeichen. Doch das ist mit diesem Attribut nicht gemeint. Barbara Stollberg-Rilinger hat zwei prägnante Gegensätze formuliert, die zeigen, was symbolische Kommunikation ist bzw. was sie gerade nicht ist. Erstens: Sie ist nicht begrifflich-abstrakt oder diskursiv, das heißt sie funktioniert nicht als die überschaubare Abfolge klar zu entschlüsselnder Aussagen, sondern sie ist „momenthaft verdichtet, sinnfällig, mehrdeutig und unscharf“. Symbole in diesem Sinne sind Zeichen visueller, gegenständlicher oder gestischer Art. Symbolische Kommunikation ist aber auch noch etwas anderes nicht: Sie ist nicht rein instrumentell, erschöpft sich nicht in der Erreichung eines konkreten, in der Handlung angelegten Zwecks, sondern weist über sich hinaus. Sie stiftet einen hinter der Handlung, tiefer liegenden Sinn. Sie konstituiert religiös-liturgisches, zeremonielles und rituelles Handeln, sie wirkt in künstlerischen Formen, sie ist aber immer auch impliziter Bestandteil politisch-rechtlicher Verfahren und sozialer Interaktion innerhalb einer bestimmten kulturellen Ordnung. Welche Formen symbolischer Kommunikation fallen nun dem Historiker ein, der sich mit der Stadt Halle an der Saale zwischen 1450 und 1550 beschäftigt? Ich möchte zunächst fünf mir besonders lohnenswert erscheinende Forschungsfelder 4
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Barbara STOLLBERG-RILINGER, Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Begriffe – Thesen – Forschungsperspektiven, in: Zeitschrift für historische Forschung 31 (2004), S. 489-527, hier S. 505. Prägnant entfaltet ist dieser Ansatz in jüngeren Arbeiten zu politischen Institutionen an der Schnittstelle von Geschichtswissenschaft, Kultursoziologie und -philosophie. Vgl. z. B. Die Eigenart der Institutionen. Zum Profil politischer Institutionentheorien, hrsg. von Gerhard GÖHLER, Baden-Baden 1994; Institutionalität und Symbolisierung. Verstetigungen kultureller Ordnungsmuster in Vergangenheit und Gegenwart, hrsg. von Gert MELVILLE, Köln u. a. 2001. STOLLBERG-RILINGER, Symbolische Kommunikation (wie Anm. 4), S. 491, spricht vom „dialektischen Charakter des symbolischen Weltbezugs“. Aus der Fülle der Literatur ferner DIES., Einleitung: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, in: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, hrsg. von DERS. (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 35), Berlin 2005, S. 9-24; Die Wirklichkeit der Symbole. Grundlagen der Kommunikation in historischen und gegenwärtigen Gesellschaften, hrsg. von Rudolf SCHLÖGL, Bernhard GIESEN und Jürgen OSTERHAMMEL (Historische Kulturwissenschaft, Bd. 1), Konstanz 2004.
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vorstellen. An die von mir zunächst synchron ausgerichtete Beschreibung der Vielfalt der sozialen, kulturellen, politischen und religiösen Bezüge schließt sich ihre partielle diachrone Auffächerung an. Gerade die Dynamik dieser Krisen- und Blütezeit der Saalestadt eröffnet auf dem Sektor symbolischer Kommunikation neue Erkenntnismöglichkeiten.6 In einem zweiten Teil werde ich eines dieser Forschungsfelder exemplarisch vorstellen. Symbolische Kommunikation in Halle um 1500 1. Der politisch-rechtliche Sektor. Eine Kulturgeschichte des Politischen fokussiert – anders als die klassische politische oder die Ideengeschichte, die sich auf schriftliche Verfahrensregeln und Diskurse konzentriert – auf die im Symbol erfolgenden „Sinnzuschreibungen, Geltungsbehauptungen und Deutungskonflikte der Akteure“.7 Dabei ist entscheidend, dass die analysierten Formen der Repräsentation nicht von den „harten Fakten“ zu trennen sind. Erst durch die diskursive und symbolische Artikulation, durch performatives Handeln wird die politische Ordnung in der „städtischen Anwesenheitsgesellschaft“ (Rudolf Schlögl) soziale Realität.8 Statusänderung und die Anerkennung von (damit verbundenen) Entscheidungen und Entscheidungsbefugnissen konnten nur so Geltung erlangen.
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Als Kontrast vergleiche man die benannten Defizite bei Werner FREITAG, Perspektiven für eine neue hallische Stadtgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit. Ein Aufruf zur Diskussion, in: Halle zwischen 806 und 2006. Neue Beiträge zur Geschichte der Stadt, hrsg. von Holger ZAUNSTÖCK (Forschungen zur hallischen Stadtgeschichte, Bd. 1), Halle 2001, S. 186-205, und die neue Stadtgeschichte, die in vielem Neuland betritt: Geschichte der Stadt Halle, Bd. 1, hrsg. von Werner FREITAG und Andreas RANFT, Halle 2006. STOLLBERG-RILINGER, Einleitung (wie Anm. 5), S. 12. Zur Kulturgeschichte des Politischen vgl. Achim LANDWEHR, Macht – Diskurs – Wissen. Perspektiven einer Kulturgeschichte des Politischen, in: Archiv für Kulturgeschichte 85 (2003), S. 71-117; Andreas RÖDDER, Klios neue Kleider. Theoriedebatten um eine neue Kulturgeschichte der Politik in der Moderne, in: Historische Zeitschrift 283 (2006), S. 657-688. Zur Debatte jetzt auch Barbara STOLLBERG-RILINGER, Rezension zu: Geschichte der Politik. Alte und neue Wege, hrsg. von Hans-Christof KRAUS und Thomas NICKLAS, München 2007 (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-4-150). Rudolf SCHLÖGL, Vergesellschaftung unter Anwesenden. Zur kommunikativen Form des Politischen in der vormodernen Stadt, in: Interaktion und Herrschaft. Die Politik der frühneuzeitlichen Stadt, hrsg. von DEMS. (Historische Kulturwissenschaft, Bd. 5), Konstanz 2004, S. 9-61; DERS., Interaktion und Herrschaft. Probleme der politischen Kommunikation in der Stadt, in: STOLLBERGRILINGER, Kulturgeschichte (wie Anm. 5), S. 115-128; Patrick OELZE, Politische Kultur und soziale Ordnung in der frühneuzeitlichen Stadt. Das Projekt B4 im Kulturwissenschaftlichen Forschungskolleg/SFB 485 an der Universität Konstanz, in: Jahrbuch der historischen Forschung 2004, S. 77-87.
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Antje Diener-Staeckling hat die hallische Ratswahl des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit analysiert, die im Geheimen ablief, aber durch die Stuhlsetzung der neuen Ratsherren den Wandel eines Bürgers für jedermann sinnfällig und verpflichtend kommunizierte.9 Auch Huldigungen, von denen wir noch hören werden, zählten zu solchen politischen Ritualen. Hierher gehören aber auch die mit Formen symbolischer Kommunikation durchsetzten Akte innerstädtischer Entscheidungsfindung, etwa bei Einberufung des Burdings bzw. der Bürgerversammlung.10 Hier wurde der „Wertehimmel“ der von der feudalen Umwelt abgehobenen Welt der Stadtbürger immer wieder fortgeschrieben. Wahrzeichen und Räume städtischer Autonomie wie das Rathaus mit seiner Symbolik, die Ratswaage, der Marktplatz evozierten stadtbürgerliches Eigenheitsbewusstsein. Die hier besonders interessierenden Fragen dürften lauten, wie sich neben integrativen auch separative Symbole finden lassen, die auf Spannungen und Segmentierung innerhalb der Stadtgemeinschaft hindeuten, und wie die spätmittelalterliche Autonomie-Symbolik durch andere, hierarchische Symboliken verdrängt wurde. Ein zentraler, epochenübergreifender Wert der politischen Kultur in der Stadt war und blieb zweifellos der Konsens. Dies ließe sich an vielen öffentlichen Zeremoniellen und Ritualen zeigen. Die Fragen lauten ferner, wo dieser Wert bewusst symbolisiert wurde, weil man von Seiten der Akteure die politisch-rechtliche Gleichberechtigung betonte, auch wenn er durch vertikale Herrschaftsmechanismen verdrängt wurde; wo und wie seine Symbolik aufgrund von Verobrigkeitlichungsprozessen verdrängt wurde, während er von einer eher praktisch-politischen Ebene nicht wegzudenken war. Dies gälte es sowohl mit Blick auf das Verhältnis von Stadtherr und Elite als auch auf die Stellung des Rates innerhalb der Stadt zu untersuchen. Bürger konnte nur werden, wer dies in der wohl zentralsten rituellen Handlung der Stadt, dem Eid, vor Gott bekannte.11 Dabei ist jedoch ebenso wie bei Huldigungen nicht nur die transzendental-verpflichtende Komponente von Interesse, sondern vor allem die symbolisch-rituellen Handlungen, die Auskunft sowohl über die rechtlichen und politischen Strukturen als auch über die Konjunkturen sozialer Integration und
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Vgl. Antje DIENER-STAECKLING, Der Himmel über dem Rat. Zur Symbolik der Ratswahl in mitteldeutschen Städten (Studien zur Landesgeschichte, Bd. 19), Halle 2007; ferner DIES., Köre durch den Heiligen Geist. Die Ratswahl in Halle vom 14. bis 16. Jahrhundert, in: Halle im Mittelalter und im Zeitalter der Reformation. Neue Studien zur Geschichte der Stadt, hrsg. von Werner FREITAG und Thomas MÜLLER-BAHLKE (Forschungen zur hallischen Stadtgeschichte, Bd. 6), Halle 2006, S. 94-115. Vgl. Werner FREITAG, Salz, Residenz, Universität. Stationen der Stadtgeschichte Halles 806-1806, Halle 2005, S. 44. Wilhelm EBEL, Der Bürgereid als Geltungsgrund und Gestaltungsprinzip des deutschen mittelalterlichen Stadtrechts, Weimar 1958; Glaube und Eid. Treueformeln, Glaubensbekenntnisse und Sozialdisziplinierung zwischen Mittelalter und Neuzeit, hrsg. von Paolo PRODI (Schriften des Historischen Kollegs: Kolloquien, Bd. 28), München 1993.
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Separation geben. „Verfassungswirklichkeit und städtische Festkultur“ gehörten auch hier zusammen.12 Zentraler Sektor politisch-rechtlicher Entscheidungsfindung, aber auch der Herrschaftsausübung war das Gerichtswesen. Die zahlreichen öffentlichen Gerichte in der Stadt benötigten für ihre Legitimation Initiierungsriten. So musste zum Beispiel der Burggraf von Magdeburg zur Etablierung seiner Gerichtsherrschaft den Roland feierlich umreiten. Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen, seines Zeichens Burggraf von Magdeburg, beklagte sich daher während seines Streits mit Kardinal Albrecht um das Burggrafentum in den 1520er Jahren, ihm sei die Ausübung des Amtes dadurch verwehrt, dass – wahrscheinlich durch Albrecht – der Roland auf dem Markt an eine ungünstige Stelle versetzt und umzäumt worden sei. Als er im Schmalkaldischen Krieg am Neujahrstag 1547 in Halle einritt, bestand seine erste Handlung darin, den Roland wieder an seinen alten Ort zurückstellen zu lassen und ihn zu umreiten, um so seine Herrschaftsrechte zu restituieren.13 Auch der Schultheiß und die Bergschöffen, bzw. im Thal der Salzgräfe und die Thalschöffen, wurden in einem bestimmten Ritual mit dem Blutbann belehnt bzw. „in die Bank mit der Hand geleitet“. Dadurch wurde für jedermann ersichtlich, dass sie obrigkeitlich mit der Macht ausgestattet waren, Urteile zu fällen.14 Jeder Gerichtstag begann mit einer Hegung, die den Gerichtsort – vor dem Roland auf dem Markt oder, im Fall des Thals, während des Botdings, auf dem Kirchhof von St. Gertrauden bzw. an der Holzwarte – rituell aus dem profanen öffentlichen Raum heraustrennte.15 Über diese Gerichtstage ist sowohl auf städtischer als auch auf landesherrlicher Ebene für Halle nur sehr wenig bekannt, sodass Fragen nach einer symbolischen Wertevermittlung vor Gericht noch nicht beantwortet werden können. 12
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Wolf-Henning PETERSHAGEN, Schwörpflicht und Volksvergnügen. Ein Beitrag zur Verfassungswirklichkeit und städtischen Festkultur in Ulm (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm, Bd. 29), Ulm 1999. Vgl. Friedrich HÜLßE, Der Streit Kardinal Albrechts, Erzbischofs zu Magdeburg, mit dem Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen um die magdeburgische Burggrafschaft, in: Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg 22 (1887), S. 113-152, 261-288 und 360-392, hier S. 138. Vgl. die Beschreibung des Rituals in der Bergstadt am 3. Januar 1547 in: Johann Christoph von DREYHAUPT, Pagus Neletici et nudzici, oder Ausführliche diplomatisch-historische Beschreibung des zum ehemaligen Primat und Ertz-Stifft, nunmehr aber durch den westphälischen FriedensSchluß secularisirten Hertzogthum Magdeburg gehörigen Saal-Creyses ..., Teil 1, Halle 1749, S. 247 f. Für die Introduktion des Salzgräfen vgl. den Beitrag von Michael Hecht in diesem Band. Vgl. Christine D. SCHMIDT, Die Hegung des Gerichtsverfahrens – Formen und Funktionen eines rituellen Aktes, in: Symbolische Kommunikation vor Gericht in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Reiner SCHULZE (Schriften zur europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte, Bd. 51), Berlin 2006, S. 225-249; Rechtssymbolik und Wertevermittlung, hrsg. von DEMS. (Schriften zur europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte, Bd. 47), Berlin 2004. – Zu den hallischen Gerichten vgl. Heiner LÜCK, Berg und Tal – Gericht und Recht in Halle während des Mittelalters und der frühen Neuzeit, in: FREITAG/RANFT, Stadt Halle (wie Anm. 6), S. 239-257.
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Zum politisch-rechtlichen Sektor zählen auch die Formen der Interaktion der politischen Eliten mit auswärtigen Mächten, dem eigenen Landesherrn, aber auch anderen Städten und Fürsten, mit denen die Stadt bis 1478 Fehde führen, Bündnisse schließen, streiten und verhandeln konnte. Der Besuch einer Herrschers ist hier nur die schillerndste Form; auch der Empfang eines hohen Geistlichen wie Nikolaus von Kues 145116 war bis ins kleinste symbolische Detail geplant, ohne dass wir immer die Modalitäten erfahren würden. Groß war hier der Spielraum gewiss zumeist nicht, zu sehr waren, auch um der stabilisierenden Verhaltenssicherheit dieser Rituale wegen, die Teilnehmer an ungeschriebene Spielregeln gebunden. Schließlich ließe sich die im Laufe des Spätmittelalters immer manifestere Position des pfännerschaftlich dominierten Rates als innerstädtischer Obrigkeit kulturgeschichtlich untersuchen, die sich in distinktiven kollektiven wie individuellen Repräsentationsformen und -orten der Pfänner, aber auch in der Art und Weise öffentlicher Verkündung und Geltendmachung neuer Gesetze und Verordnungen niederschlug. Auch die Anfang und dann Mitte des 15. Jahrhunderts wieder aufbrechenden Spannungen um die Beteiligung breiterer Gruppen am Stadtregiment hatten ihre Artikulations- und Interaktionsformen im Medium symbolischer Kommunikation, gerade indem die traditionellen Repräsentationsformen, die ökonomisches in kulturelles Kapital umwandelten, ostentativ gestört wurden.17 Hier ist freilich, wie auch anderswo, der politische vom sozialen Sektor kaum zu trennen, denn die politische Exklusivität der Pfänner als oligarchischer Spitze der Stadt war erst in zweiter Hinsicht rechtlich bedingt.18 In erster Linie – und das gilt für die Frühe Neuzeit in wachsendem Maße – waren solche sich faktisch verfestigenden Herrschaftsstrukturen ein soziales
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Johannes Busch, Chronicon Windeshemense und Liber de reformatione monasteriorum, bearb. von Karl GRUBE (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete, Bd. 19), Halle 1886, S. 740. Der Pfänner Marcus Spittendorff berichtet über die Phase der Eskalation des Stadtkonflikts der 1470er Jahre von bestimmten, soziale Grenzen bewusst überschreitenden Handlungen. So wurde gegen die Trinkstubenordnung verstoßen: ein jedermann trank sein bier mit uns [den Pfännern]. Denkwürdigkeiten des hallischen Rathsmeisters Spittendorff, bearb. von Julius OPEL (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete, Bd. 11), Halle 1880, S. 170 f. Der alleinige Anspruch der Pfänner auf das Stadtregiment war 1428 aufgebrochen worden. Vgl. Michael RUPRECHT, Bürgergemeinschaft und Erzbischof in den inner- und außenpolitischen Konflikten 1412 bis 1478, in: FREITAG/RANFT, Stadt Halle (wie Anm. 6), S. 137-147, hier S. 141. In der Frühen Neuzeit bestanden keine rechtlichen Beschränkungen dieser Art mehr, dennoch stieg die Pfännerschaft wiederum zu einem patriciat de fait auf. Vgl. Michael HECHT, Geburtsstand oder Funktionselite? Überlegungen zum „Salzpatriziat“ im Zeitraum von 1400 bis 1700, in: Die Salzstadt. Alteuropäische Strukturen und frühmoderne Innovation, hrsg. von Werner FREITAG (Studien zur Regionalgeschichte, Bd. 19), Bielefeld 2004, S. 83-116.
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Phänomen, das durch die (symbolischen) Objektivierungen der Kultur vermittelt wurde.19 2. Kirche und Frömmigkeit.20 Im Spätmittelalter entfalteten die rituellen und liturgischen Frömmigkeitsformen in der Stadt eine nie da gewesene Pracht und Vielfalt. Freilich lässt sich auch dieses Forschungsfeld nicht gänzlich vom erstgenannten trennen. Kommune- und Gemeindebildung verliefen parallel. Christlich-religiöse Bezüge waren gesellschaftlich ubiquitär, spielten für die Rituale der politischen, der ökonomischen und sozialen Welt eine wesentliche, häufig legitimierende Rolle. Schwörtage oder Huldigungen wären ohne den transzendenten Bezug zu Gottes Zeugenschaft nicht denkbar. Auch der neu gewählte Rat erflehte immer auch den Beistand Gottes und berief sich zur Legitimation nicht nur auf den innerstädtischen Konsens, sondern auch auf Gottes Gnade. Frömmigkeit war auch mit sozialer Schichtung verbunden, etwa wenn es um Kirchenstuhlstreitigkeiten ging, über die wir bisher in Halle nichts wissen.21 Individuelle und kollektive Formen der Memoria zum Zweck des Seelenheils und der Repräsentation waren als Stiftungen, insbesondere für liturgisches Handeln, stets an karitative Zwecke gebunden.22 Neben das frömmigkeitsgeschichtliche Interesse an den vielfältigen Ausdrucksformen individueller Frömmigkeit, die im Allgemeinen ein gesteigertes Kontemplationsbedürfnis, Endzeiterwartung und eine existenzielle Sorge um das Seelenheil offenbaren, treten also auch hier sozialgeschichtliche Fragen. Wie stellte sich die hallische Stadtgemeinde, die in sich stark segmentiert war, als eine Einheit vor Gott, auf dessen fortwährendes Heil sie hoffte, dar? Welche Orte, gleichsam die Fixpunkte der hallischen Sakraltopographie, wurden im Ritual besonders hervorgehoben, welche nicht? In welcher Formation, die die soziale Hierarchie repräsentierte, vollzogen sich die zu vielfältigen Anlässen im Jahreslauf, zu besonderen politischen Ereignissen oder zur Abwehr von bösen Mächten stattfindenden Prozessionen in der Stadt? Welche spezi19
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Zu diesen Überlegungen vgl. ebd. und den Beitrag von Michael Hecht in diesem Band. Ferner Jan BRADEMANN, Integration einer Residenzstadt? Politische Ordnung und Kultur der Stadt Halle an der Saale im 16. und 17. Jahrhundert, in: Zeitschrift für historische Forschung 34 (2007), S. 569-608. Zu spätmittelalterlichen Frömmigkeit in Halle vgl. zuletzt Andreas RANFT, Die hallischen Pfarrgemeinden St. Gertruden und St. Marien im späten Mittelalter, in: Jahrbuch für hallische Stadtgeschichte 3 (2005), S. 10-38, und DERS., Kommune als Sakralgemeinschaft. Die Kirche in der Stadt, in: FREITAG/RANFT, Stadt Halle (wie Anm. 6), S. 115-130. Vgl. Jan PETERS, Der Platz in der Kirche. Über soziales Rangdenken im Spätfeudalismus, in: Ein anderer historischer Blick. Beispiele ostdeutscher Sozialgeschichte, hrsg. von Georg IGGERS, Frankfurt am Main 1991, S. 93-127; Thomas WELLER, Ius subselliorum templorum. Kirchenstuhlstreitigkeiten in der frühneuzeitlichen Stadt zwischen symbolischer Praxis und Recht, in: Raum und Konflikt. Zur symbolischen Konstituierung gesellschaftlicher Ordnung in Mittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von Christoph DARTMANN, Marian FÜSSEL und Stefanie RÜTHER (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme, Bd. 5), Münster 2004, S. 199-224. Vgl. RANFT, Sakralgemeinschaft (wie Anm. 20); FREITAG, Halle 806-1806 (wie Anm. 10), S. 82 ff.
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fischen korporativen Eigenheiten wurden dabei deutlich? Bekannt, aber von der Stadtgeschichtsforschung wenig beachtet ist der Bericht des Augustinerchorherrn Nikolaus Busch, der im Dienst der Klosterreform Mitte des 15. Jahrhunderts im Kloster Neuwerk als Propst tätig war:23 Am Markustag zog die Stadtbevölkerung mit dem Klerus in einer Prozession um die Stadtmauern. Dabei führte jede der fünf Pfarreien, die zunächst zum Gottesdienst in der Neuwerkskirche zusammenkamen, das corpus domini in eigener Monstranz mit. Die Abstellung dieses inflationären Gebrauchs durch Busch ging mit erheblichen Widerständen seitens der Pfarreien und Parochianen einher. Einerseits entsprach die mehrfache, unverhüllte Mitnahme des Allerheiligsten einem starken visuellen Heilsbedürfnis. Nach der Festlegung Buschs, es solle künftig nur noch eine Monstranz mitgeführt werden, stritten die Gemeinden um den rituellen Vorrang. Andererseits wird damit also deutlich, wie sehr noch vor der Gesamtstadt die einzelne Parochianengemeinde Identitätsanker der Einwohner war. Schließlich wurde gemeinsam entschieden, dass zukünftig die Monstranz der Marienkirche abwechselnd von den einzelnen Pfarreien der Prozession vorangetragen werden sollte.24 Das vielfältige spätmittelalterliche Prozessionswesen Halles harrt jedoch noch immer einer die weit verstreuten Quellen zusammenführenden Auswertung.25 Hinsichtlich der Symbolik des von den Erzbischöfen Ernst und Albrecht angehäuften Gnadenschatzes, des Hallischen Heiltums, und der zugehörigen Vorstellungswelten sind jedoch zuletzt wichtige Studien entstanden. Der Band von Andreas Tacke zur zweiten Moritzburgtagung 2004 hat wichtige Aspekte zur Bedeutung der liturgischen Klänge für das zentrale Ritual der Heiltumsweisung und seine „potenzierte Gesamtempfindung“, über die das ganze Jahr durchziehende liturgische Verehrung des hl. Mauritius im Neuen Stift und die Ähnlichkeit der hallischen Heiltumsweisungen mit ihrem Nürnberger Pendant erhellt.26 Über liturgische Formen der Albrechtzeit sind wir seit Walter Seraukys Musikgeschichte der Stadt Halle gut informiert, nur ansatzweise hingegen über die Formen der nachreformatorischen lutherischen Messen, die viele traditionelle Elemente beibehielten.27 Bei diesen Forschungen bleibt jedoch ein deutlicher Akzent auf den musikali-
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Vgl. Andrea LÖTHER, Prozessionen in spätmittelalterlichen Städten. Politische Partizipation, obrigkeitliche Inszenierung, städtische Einheit (Norm und Struktur, Bd. 12), Köln u. a. 1999, S. 124 ff. Vgl. ebd. Vgl. aber RANFT, Sakralgemeinschaft (wie Anm. 20), S. 126; FREITAG, Halle 806-1806 (wie Anm. 10), S. 87. Vgl. Andreas TACKE, „Ich armer sundiger Mensch“. Heiligen- und Reliquienkult am Übergang zum konfessionellen Zeitalter (Schriftenreihe der Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt, Bd. 2), Göttingen 2006. Vgl. Walter SERAUKY, Musikgeschichte der Stadt Halle, Halle und Berlin 1935, Bd. 1; Christhard MAHRENHOLZ, Der 3. Band von Samuel Scheidts Tabulatura Nova 1624 und die Gottesdienstord-
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schen Elementen, während die kulturanthropologischen Fragen nach dem Zusammenspiel von Raum, künstlerischer Ausgestaltung der Kirchen und Liturgie für die Evozierung von Heiligkeit und das religiöse Empfinden, den legitimatorischen Mehrwert im Sakralen und die Prägung einer bestimmten politischen Kultur bisher kaum diskutiert wurden.28 Die kunstgeschichtlichen Forschungen Hans-Joachim Krauses und anderer zur Marktkirche und den übrigen Gotteshäusern der Stadt böten hier eine Möglichkeit, die neueren Forschungen zur Sakralität des Kirchenraums lokalgeschichtlich zu erproben. Gerade die Marktkirche bestach durch ihr „in den Bau mit geradezu proklamatorischem Anspruch eingemeißeltes evangelisches Glaubensbekenntnis“29. Auch der Umgang mit dem Tod gehört zu den sozial- und mentalitätsgeschichtlich aufschlussreichsten Handlungs- und Kommunikationsfeldern. Über die zahlreichen Kirchhöfe, die Begräbnisplätze rings um die Pfarr- und Klosterkirchen, wissen wir heute ebenfalls nur wenig.30 Typisch für einen vorreformatorisch-integrativen Umgang mit dem Tod und den Toten sind jedoch Nachrichten, die verdeutlichen, dass sie multifunktional genutzt wurden.31 So standen auf dem Marienkirchhof, der auch als Lagerstätte genutzt wurde, Buden der Hallknechte.32 Auf dem Kirchhof der Ulrichskirche ließen den Kirchenvorsteher dieser Gemeinde 1437 eine Schule errich-
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nung der Stadt Halle, in: Die Musikforschung 1 (1948), S. 32-39, wieder in: DERS., Musicologica et Liturgica. Gesammelte Aufsätze, hrsg. von Karl Ferdinand MÜLLER, Kassel u. a. 1960, S. 114-121. Solche Ansätze bei Renate DÜRR, Politische Kultur in der Frühen Neuzeit. Kirchenräume in Hildesheimer Stadt- und Landgemeinden 1550-1750 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, Bd. 77), Gütersloh 2006; Wolfgang SCHNEIDER, Aspectus Populi. Kirchenräume der katholischen Reform und ihre Bildordnungen im Bistum Würzburg (Kirche, Kunst und Kultur in Franken, Bd. 8), Regensburg 1999. Hans-Joachim KRAUSE, Die Marktkirche zu Halle. Der Neubau und seine geschichtliche Bedeutung, in: Literatur, Musik und Kunst im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, hrsg. von Hartmut BOOCKMANN u. a. (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, PhilologischHistorische Klasse, Folge 3, Bd. 208), Göttingen 1995, S. 391-458, hier S. 412; Achim TODENHÖFER, Steinernes Gotteslob – die mittelalterlichen Kirchen der Stadt Halle, in: FREITAG/RANFT, Stadt Halle (wie Anm. 6), S. 207-226. Archäologische Forschungsergebnisse zum Friedhof der Marienkirche bei Volker HERRMANN, Ausgrabungen auf dem hallischen Markt. Neues zu Glaube, Macht und Handel im Zentrum der mittelalterlichen Stadt, in: Jahrbuch für hallische Stadtgeschichte 3 (2005), S. 39-64, hier S. 54 ff. Einen Überblick bietet jetzt Robert WERNER, Die Entwicklung der hallischen Friedhöfe unter besonderer Berücksichtigung der Neugründungen von 1851-1914, Magisterarbeit Institut für Geschichte, Halle-Wittenberg 2007, S. 33-45. Vgl. Arnd REITEMEIER, Die Kirchhöfe der Pfarrkirchen in der Stadt des späten Mittelalters, in: Leben bei den Toten. Kirchhöfe in der ländlichen Gesellschaft der Vormoderne, hrsg. von Jan BRADEMANN und Werner FREITAG (Symbolische Kommunikation und Gesellschaftliche Wertesysteme, Bd. 19), Münster 2007, S. 139-154. HERRMANN, Ausgrabungen (wie Anm. 30), S. 49.
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ten.33 Der Roland soll sich im 13. Jahrhundert vor dem älteren roten Turm auf dem Kirchhof zu St. Gertrauden befunden haben; in seiner unmittelbaren Nähe fanden Gerichtsverhandlungen des Thals statt.34 Bekannt sind die Maßnahmen Kardinal Albrechts während des Bauernkriegs, der die Bürger der einzelnen Viertel auf den Kirchhöfen der Stadt versammeln ließ, um sie zum Gehorsam aufzurufen und gegen die Aufständischen wappnen zu lassen.35 Derartige Kommunikationsformen standen in den Augen der Zeitgenossen nicht im Widerspruch dazu, dass die Kirchhöfe heilige Orte waren. Diese besondere Qualität wurde zwar in vielfältigen liturgischen Handlungen geschaffen und in Erinnerung gerufen, hielt aber zu dieser Zeit noch nicht zu einem im modernen Sinne disziplinierten Umgang mit dem Ort der Toten an.36 Sozialgeschichtlich von Interesse dürften die Orte und Formen des Begräbnisses und der Memorialkunst sein. Doch systematische Untersuchungen über die Gräber der hallischen Oberschichten in und an den Kirchen stehen aus.37 Die Vereinigung der Marien- und Gertraudenkirche Mitte des 16. Jahrhunderts hat spätmittelalterliche Zustände zudem weitgehend verwischt. 3. Die Salzstadt. Mit dem Stichwort Oberschichten leite ich zum nächsten Untersuchungsbereich über: Stadttypologisch blieb Halle epochenübergreifend eine Salzstadt. Dies beinhaltete rechtliche, politische, ökonomische und soziale Prägungen. Hier soll es vorrangig um symbolische Formen gehen, die mit Integrations- und Distinktionsprozessen zusammenhängen und dabei eine salzstädtische Spezifik besaßen, das heißt auf dem „weißen Gold“ gründeten.38 Die symbolischen Formen, die die Modalitäten der sozialen Ordnungsbildung fundierten, verwirklichten und fortsetzten, waren zum Einen sehr stark mit den Wertschöpfungsprozessen im „Thal“ verbunden. Das Selbstverständnis der Halloren baute auf ihrer vom Rest der Stadt abgegrenzten, feingliedrig differenzierten und von der fürstlichen Obrigkeit besonders anerkannten Arbeit im Salzbetrieb. Dies trat bei öffentlichen Festen immer wieder in Erscheinung. In die Arbeitsabläufe zum Teil eingebunden waren vielfältige Rituale, die dieses Selbstverständnis der Talarbeiter33 34 35 36 37
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Vgl. WERNER, Entwicklung (wie Anm. 30), S. 41. Vgl. LÜCK, Gericht und Recht (wie Anm. 15), S. 241. Vgl. Walter DELIUS, Die Reformationsgeschichte der Stadt Halle an der Saale, Berlin 1953, S. 34. Zu diesem Komplex vgl. BRADEMANN/FREITAG, Kirchhöfe (wie Anm. 31). Kunstgeschichtliche Annäherungen für die Frühe Neuzeit bietet Thorsten Friedrich HAß, Das Epitaph für Dr. jur. Henning Hammel aus der Ulrichskirche zu Halle an der Saale, kunstgeschichtliche Magisterarbeit Halle-Wittenberg 2002. HECHT, Funktionselite (wie Anm. 18); DERS., Symbiosen: Bürgerschaft und Residenz im 16. Jahrhundert, in: FREITAG/RANFT, Stadt Halle (wie Anm. 6), S. 273-285; Werner FREITAG, Die Salzstadt – Alteuropäische Strukturen und frühmoderne Innovation. Eine Einführung, in: DERS., Salzstadt (wie Anm. 18), S. 9-37; DERS., Halle: eine Salzstadt des Mittelalters, in: Halle und das Salz. Eine Salzstadt in Mittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von DEMS. und Heiner LÜCK (Forschungen zur hallischen Stadtgeschichte, Bd. 2), Halle 2002, S. 15-37.
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schaft immer wieder reflektierten.39 Auch die Pfänner, die zwar adelige Lebensweise imitierten, bezogen sich bei solchen Gelegenheiten symbolisch auf ihre Tätigkeit als Salzunternehmer. Die städtische Elite nutzte vielfältige Repräsentationsformen, wie das Wappenwesen, exklusive Versammlungsorte, ostentativen Luxus oder Erbbegräbnisse, zur Legitimation von Rang und Herrschaft.40 Das Ritual des Lehntafelhaltens ist hier nur als ein Beispiel hervorzuheben, jener feierliche Akt, in dem die exklusive Zugehörigkeit zur Gruppe der Pfänner mit entsprechendem Glanz aufwendig inszeniert wurde. Hier wurde zweimal jährlich das Verzeichnis der Thalgüter von drei verschiedenen Orten in der Stadt wie in einer Prozession auf dem Rathaus feierlich zusammengeführt und wieder abgeholt. Im Beisein des Rates, der höheren Talverwalter sowie domkapitularischer und erzbischöflicher Abgesandter wurde in einer hinsichtlich der Hierarchien genauestens reglementierten Zeremonie in der großen Ratsstube das Verzeichnis der Thalgüter aktualisiert. Allerdings standen diese von der Forschung bisher vornehmlich anhand frühneuzeitlicher Quellen analysierten Formen symbolischer Kommunikation meines Erachtens schon maßgeblich unter dem Signum der etablierten Residenz. Primäre Forschungsaufgabe müsste daher sein, die spätmittelalterlichen, vorresidenzstädtischen Repräsentationsformen der Eliten herauszuarbeiten. Die stadtbürgerliche Kultur hatte sich insbesondere in den Auseinandersetzungen mit den Landesherren als fundamental abgehoben von der feudalständischen Umwelt entwickelt. Aus der vergleichenden Stadtgeschichte liegen für ihre Beschreibung verschiedene Konzepte vor.41 Einige Anhaltspunkte dafür, wie sich diese Kultur im Ritual äußerte, können unten im Zusammenhang mit den Huldigungen des 15. Jahrhunderts gegeben werden. Die Pfänner waren Exponenten der politischen Ordnung und erstrebten im Spätmittelalter die Vergrößerung des ökonomischen und kulturellen Kapitals vor allem über den Erhalt und den Ausbau politischer Eigenständigkeit, was ein hohes Maß an Konfrontation einschloss. 4. Stadt und Hof. Genau dies änderte sich seit der Etablierung der Residenz. Damit sind wir beim nächsten Forschungssektor, dem Verhältnis von Stadt und Hof, angekommen. Auch hier sind letzthin wichtige Teilstudien entstanden und Qualifika-
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Vgl. Werner PIECHOCKI, Die Halloren. Geschichte und Tradition der „Salzwirkerbrüderschaft im Thale zu Halle“, Leipzig 1981, S. 149-155. Zum Folgenden vgl. den Beitrag von Michael Hecht in diesem Band; BRADEMANN, Integration (wie Anm. 19). Vgl. Wolfgang MAGER, Genossenschaft, Republikanismus und konsensgestütztes Ratsregiment. Zur Konzeptionalisierung der politischen Ordnung in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen deutschen Stadt, in: Aspekte politischer Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts. Politische Theologie – Res-publica-Verständnis – konsensgestützte Herrschaft, hrsg. von Luise SCHORN-SCHÜTTE (Historische Zeitschrift, Beiheft N.F. 39), München 2004, S. 13-122.
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tionsarbeiten im Entstehen begriffen.42 Mit der Residenzstadt hing ein neues Strukturelement der Fest- und Ritualkultur zusammen, nämlich die Tatsache, dass im Gesamtreservoir symbolischer Kommunikation das Gewicht von Repräsentativität und bestimmten Kulturtechniken zunahm, die auf der Gegenwart des Fürsten und seiner Entourage als Identifikations- und Projektionspunkt gründeten. Ohne die ökonomische und ebenfalls integrierende Kraft des Salzes zu unterschätzen:43 Soziales und kulturelles Kapital wurden innerhalb dieser neuen Ordnung nicht mehr aus der Konfrontation mit dem Landesherrn, sondern aus einer mehr und mehr symbiotisch geprägten Kultur des Gebens und Nehmens von Hof und städtischer Elite, unter Anerkennung fürstlicher Prärogative und der ständischen Hierarchie, gewonnen.44 Die Tauffeierlichkeiten für die Tochter des Administrators Christian Wilhelm 1616 sind das prominenteste Beispiel für die adelige Repräsentation der Pfänner als „Ritters-Leute“.45 Auch die individuelle Partizipation der städtischen Elite an höfischfürstlichen Feierlichkeiten, Hochzeiten, Begängnissen und der Dedikation von Publikationen für den Fürsten steht für eine residenzstädtische Kommunikationskultur. Die Begräbnisprozessionen in der Zeit des Administrators August, die Andrea Thiele als
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Michael SCHOLZ, „… da zoge mein herre mit macht hinein …“. Die Stadt Halle nach der Unterwerfung durch den Erzbischof von Magdeburg 1478, in: Der Hof und die Stadt. Konfrontation, Koexistenz und Integration in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von Werner PARAVICINI und Jörg WETTLAUFER (Residenzenforschung, Bd. 20), Ostfildern 2006, S. 63-87; DERS., Residenz, Hof und Verwaltung der Erzbischöfe von Magdeburg in Halle in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Residenzenforschung, Bd. 7), Sigmaringen 1998; Matthias MEINHARDT, Die Residenzbildung in Halle in der Residenzenlandschaft Mitteldeutschlands. Beobachtungen zum Verhältnis zwischen Stadt und Stadtherr im 15. und 16. Jahrhundert, in: Ein „höchst stattliches Bauwerk“. Die Moritzburg in der hallischen Stadtgeschichte 1503-2003, hrsg. von Michael ROCKMANN (Forschungen zur hallischen Stadtgeschichte, Bd. 5), Halle 2004, S. 19-42; Andrea THIELE, Zur Topographie Halles als Residenzstadt im 17. Jahrhundert. Kontinuitäten und Brüche rund um „Freiheit“ und Fürstental, in: ebd., 121-147; DIES., Grenzkonflikte und soziale Verortung in der „Residenz auf Abruf“. Halle unter dem letzten Administrator des Erzstifts Magdeburg, Herzog August von Sachsen-Weißenfels (1614-1680), in: Machträume der frühneuzeitlichen Stadt, hrsg. von Christian HOCHMUTH und Susanne RAU (Konflikte und Kultur – historische Perspektiven, Bd. 13), Konstanz 2006, S. 239258; DIES., Residenz auf Abruf? Hof- und Stadtgesellschaft in Halle in der Zeit des letzten Administrators des Erzstifts Magdeburg, August von Sachsen (1614-1680), Diss. Halle-Wittenberg 2009; Matthias MEINHARDT und Andreas RANFT, Das Verhältnis von Stadt und Residenz im mitteldeutschen Raum. Vorstellung eines Forschungsprojektes der Historischen Kommission für SachsenAnhalt, in: Sachsen und Anhalt 24 (2002/2003), S. 391-405. Vgl. Gerrit DEUTSCHLÄNDER, Der Kardinal und seine Stadt. Zum Verhältnis von Hof und Stadt in Halle an der Saale unter Albrecht von Brandenburg, in: Reformation der Renaissance – Renaissance der Reformation?, hrsg. von Klaus KRÜGER und Andreas RANFT, erscheint Berlin 2013 (im Druck); vgl. außerdem den Beitrag von Michael Hecht in diesem Band. Vgl. BRADEMANN, Integration (wie Anm. 19). Vgl. Hanns FREYDANK, Die Hallesche Pfännerschaft 1500-1926, Halle 1930, S. 88.
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Konsensrituale beschrieben hat, bestechen durch dieselbe Struktur.46 Rat und Pfänner hatten für die Aufrechterhaltung der Ordnung zu sorgen, nahmen dafür die Plätze direkt hinter Hof und Kanzlei ein, während die übrige Stadtbevölkerung zuschaute. Bereits unter Kardinal Albrecht zeigte sich das Streben der städtischen Elite nach ostentativer Zugehörigkeit zur Welt des Fürsten überdeutlich: 1529 wurde im Zusammenhang mit der Inkorporation der Marien- und Gertraudenkirche ins Neue Stift festgelegt, dass die Stiftskirche als Mutterkirche der Stadt eucharistische Quelle sein sollte, nicht nur für den Hof, sondern ebenfalls für die Ratsherren.47 Außerdem wurde der Kreuzgang von Albrechts Grabkirche zum Begräbnisplatz für Hofadel, Hofräte und Ratsherren bestimmt. Die Reformation hat die Umsetzung dieses Plans zwar vereitelt, es wird aber deutlich, welch wichtige Rolle der Fürst für die Selbstdarstellung und die Erinnerungspolitik des Rates schon in dieser Zeit spielte. Die Untersuchung von Stadt und Hof gehört streng genommen bereits zur diachronen Betrachtung, denn die Etablierung der Residenz 1507 bedeutete für die Stadtgesellschaft vor allem eines: tief greifenden Wandel. 5. Ritualität und Symbolik im Zeichen fundamentalen gesellschaftlichen Wandels. Nicht nur hinsichtlich der stabilisierenden, kontinuierlichen Fortschreibung gesellschaftlicher Strukturen, sondern auch mit Blick auf fundamentale Umgestaltungsprozesse sollte das Augenmerk auf symbolische Kommunikation gerichtet werden. Im betrachteten Zeitraum vollzieht sich zunächst einmal die städtische Reformation. Werner Freitag hat 2004 dafür mit guten Gründen den wesentlich von wechselseitiger politischer Rücksichtnahme zwischen Rat und Fürst geprägten Typus Residenzstadtreformation vorgeschlagen.48 Der schlechte Forschungsstand erlaubt allerdings bisher kaum, fundierte Aussagen zum religiösen Denken und Fühlen der Mehrzahl der Einwohner vor und nach Etablierung einer autonomen, lutherisch geprägten Stadtkirche zu machen. Wurden die tradierten Frömmigkeitsformen in einer Stadt, von der so viele Gläubige aus der Region angezogen wurden, da sie mit einem riesigen, die religiöse Heilssehnsucht befriedigenden und aufs Neue anstachelnden Gnadenschatz ausgestattet war, vielleicht besonders weit ins 16. Jahrhundert hinein verlängert? Das Dissertationsprojekt von Michael Ruprecht zum spätmittelalterlichen Stiftungswesen 46
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Andrea THIELE, Fürstliche Repräsentation und städtischer Raum: Begräbnisfeierlichkeiten in der Residenzstadt Halle zur Zeit des Administrators August von Sachsen-Weißenfels, in: Vergnügen und Inszenierung. Stationen städtischer Festkultur in Halle (Saale), hrsg. von Werner FREITAG und Katrin MINNER (Forschungen zur hallischen Stadtgeschichte, Bd. 4), Halle 2004, S. 29-46. Vgl. DIES., Residenz auf Abruf (wie Anm. 42). Paul REDLICH, Cardinal Albrecht und das Neue Stift zu Halle 1520-1541. Eine kirchen- und kunstgeschichtliche Studie, Mainz 1900, S. 313 f. Vgl. Werner FREITAG, Residenzstadtreformation? Die Reformation in Halle zwischen kommunalem Selbstbewusstsein und bischöflicher Macht, in: Kontinuität und Zäsur. Ernst von Wettin und Albrecht von Brandenburg, hrsg. von Andreas TACKE (Schriftenreihe der Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt, Bd. 1), Göttingen 2005, S. 91-118.
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in Halle könnte hierüber Aufschlüsse geben.49 Über Konflikte zwischen einer seit den 1540er Jahren lutherischen Pfarrgeistlichkeit und den eventuell an den alten Frömmigkeitsformen festhaltenden Stadtbewohnern wissen wir nicht nur in Halle bisher zu wenig. Prozessionen etwa besaßen ja nicht nur eine religiöse, sondern eine soziale, eine identifikatorische Valenz. Hier spiegelten und verstetigten sich soziale Hierarchien, hier erfuhr sich das Individuum als Teil eines politisch-rechtlichen Ganzen, dessen Unversehrtheit erfleht wurde. Die Transzendenz des Alltags, gesellschaftliches Prestigedenken, aber auch die Macht der eingeübten Tradition waren wichtige Gegenkräfte für die reformatorische Veränderung der symbolischen Ordnung.50 Ab wann und an welchen Stellen aber lassen sich im religiösen Ritual zunehmend Distanzen einer mehr und mehr von Luther inspirierten Bürgerschaft gegenüber den überkommenen Frömmigkeitsformen fassen? Gerade auch für die Durchsetzung der Reformation bietet es sich an, mentalen Wandel und Symbole analytisch zu kombinieren. Gerrit Deutschländer und ich haben gezeigt, wie während der Rituale in der Karwoche 1531 die unter der Oberfläche aufgekommenen Widersprüche an der kirchlichen Tradition zum Vorschein kamen und wie es gerade im öffentlichen Ritual zum Bruch zwischen dem Erzbischof und dem Rat kommen musste.51 Luthers Abendmahlsverständnis und politische Theorie sorgten für eine grundlegende Wandelung in der für die Stabilität der politischen Ordnung wichtigen symbolischen Interaktion. Die Einstellung einiger Ratsherren, politische Treue schließe religiöse Devianz nicht aus – symbolisiert im Handschlag bei anschließender Verweigerung der Kommunion in der traditionellen Form (sub una specie) – stieß bei einem Stadtherrn, der sich gemäß des traditionellen Amtsverständnisses für das Seelenheil der Ratsherren zuständig fühlte, auf Ablehnung und führte zum Eklat. Ein Ritualkonflikt markierte also den offenen Bruch mit der Alten Kirche, den Beginn der politischen Etablierung der Reformation. Aber auch das Verschwinden traditioneller altkirchlicher Frömmigkeitsformen, die vielseitigen architektonischen, symbolischen und rituellen Umsetzungsleistungen lutherischer Theologie gehörten zu den neuen Geltungsbehauptungen, die die Wahrnehmung und die Wertevorstellungen 49
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Michael RUPRECHT, Stiftungen im mittelalterlichen Halle. Zweck, Ausstattung und Organisation (Forschungen zu hallischen Stadtgeschichte, Bd. 15), Halle 2010; als Ausschnitt DERS., Gemeinwohl und Policey in den Stiftungen des hallischen Bürgers Nikolaus Schildberg, in: Jahrbuch für hallische Stadtgeschichte 2007, S. 41-60. Von der Forschung nicht beachtet wurde die partiell beobachtbare Weiterführung von Prozessionen im Luthertum. Vgl. jetzt Christian HELBICH, Pax et concordia. Erasmische Reformkonzepte, humanistisches Bildungsideal und städtische Kirchenpolitik in Dortmund, Essen und Bielefeld im 16. Jahrhundert, Münster 2012, S. 239 ff. Jan BRADEMANN und Gerrit DEUTSCHLÄNDER, Herrschaft und Ritual im Zeichen der Reformation. Die Karwoche des Jahre 1531 in Halle, in: Jahrbuch für hallische Stadtgeschichte 4 (2006), S. 11-42.
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der Menschen in der konfessionellen Stadt langfristig prägten. Hier ließen sich zahlreiche Symbole und Rituale im öffentlichen Raum und im privaten Lebensvollzug untersuchen.52 Das in die Moderne weisende Verdunsten sakraler Bezüge im politischen Ritual, das vielleicht im protestantischen Bereich früher einsetzte als im katholischen, erreichte bereits beim Herrschaftsantritt von Albrechts Nachfolger, Erzbischof Johann Albrecht von Brandenburg, 1546 ein neues Niveau.53 Die Reformation ist verantwortlich dafür, dass der Stadt heute die vielleicht eindrucksvollsten Belege religiöser Symbolik verloren sind, mit denen an ihrer statt Aschaffenburg wirkungsvoll, wenn auch mit anderer Motivation, kommuniziert: das Hallische Heiltum. Der Rat, obschon lutherisch, wehrte sich – die Gründe wurden bisher nicht analysiert – vergebens gegen die Fortnahme dieses und anderer Schätze.54 Auch die oben angesprochenen Umgangsformen mit dem Tod ließen sich hier anfügen. Neben neuen hygienisch-medizinischen Einstellungen steht ein grundlegender Wandel von Raum-, Heiligkeits- und Jenseitsvorstellungen mit der Schaffung und Nutzung des hallischen Stadtgottesackers seit 1557 in Verbindung.55 Für die Reformatoren war die mittelalterliche Geschäftigkeit und Unsauberkeit der Begräbnisplätze, die Orte der Andacht sein sollten, nicht mehr hinnehmbar.56 Kaum etwas wissen wir über Konflikte, die sich daraus ergaben, wenn die Möglichkeit, bei den Vorfahren bestattet zu werden, für einen Großteil der Bevölkerung bereits seit 1529 nicht mehr gegeben war, als noch unter dem altgläubigen Kardinal Albrecht die Kirchhöfe um St. Marien und St. Gertrauden aufgegeben, ein neues Begräbnisfeld auf dem Martinsberg geweiht und bezogen wurde.57 Auch noch nach der Etablierung des Stadtgottesackers blieben die Kirchen selbst, möglicherweise auch die alten Kirchhöfe für bestimmte Personen Ort des Begräbnisses und der Memoria.58 Es ist davon auszuge52
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Statt vieler Verweise: Heinz SCHILLING, Urban architecture and ritual in confessional Europe, in: Cultural Exchange in early modern Europe, Teil 1: Religion and Cultural Exchange in Europe, 1400-1700, hrsg. von DEMS. und Instvan Gyögy TÒTH (Cultural exchange in early modern Europe, Bd. 1), Cambridge 2006, S. 116-137; DERS., Die konfessionelle Stadt – eine Problemskizze, in: Historische Anstöße. Festschrift für Wolfgang Reinhard zum 65. Geburtstag, hrsg. von Peter BURSCHEL, München 2002, S. 60-83. Vgl. Jan BRADEMANN, Autonomie und Herrscherkult. Adventus und Huldigung in Halle (Saale) in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Studien zur Landesgeschichte, Bd. 14), Halle 2006, S. 44 ff. Der lutherische Rat verhandelte beim Weggang des Kardinals vehement um den Verbleib von Inventarien des Neuen Stifts; vgl. DELIUS, Reformationsgeschichte (wie Anm. 35), S. 68. Vgl. Klaus KRÜGER, „Allhier unser Ruhbettlein“. Der hallische Stadtgottesacker, in: FREITAG/ RANFT, Stadt Halle (wie Anm. 6), S. 393-404. Vgl. Johannes SCHILLING, Vorbereitung auf das Sterben und Andacht auf Friedhöfen. Ein Ratschlag Martin Luthers, in: Luther 76 (2005), S. 124-131. Bekannt sind lediglich die Widerstände seitens der von Begräbnisgebühren und Memorialstiftungen abhängenden Bettelorden der Stadt. Vgl. SCHOLZ, Residenz (wie Anm. 42), S. 269. Die Darstellung bei DREYHAUPT, Pagus (wie Anm. 14), I, S. 1018, man habe im Zuge der Aufgabe der alten Kirchhöfe um St. Marien und St. Gertrauden 1529 die in den Beinhäusern lagernden
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hen, dass die überkommenen Vorstellungen von der Heilsrelevanz der Nähe des Grabes zum Heiligen und damit zur Kirche, wie sie sich in den mit der Entstehung mehrerer Gräberschichten59 und der Nutzung von Beinhäusern einhergehenden hohen Begräbnisfrequenzen äußerte, nicht ad hoc verschwanden. Es bedurfte für die Akzeptanz kirchenferner Begräbnisplätze ebenso wie für die Durchsetzung disziplinierten Verhaltens auf denselben eines langen Bildungs- und Inkulturationsprozesses, der maßgeblich von symbolischer Kommunikation bestimmt war. Unter Wandel ist zweitens darauf Bezug zu nehmen, dass direkt nach der Installation des Hofes 1507 sich Stadt und Hof sozial und kulturell sehr fremd waren und die Interaktion erst lernen mussten. Die von der jüngeren Forschung herausgearbeitete Integration beider Systeme,60 die sich unter anderem in einer Harmonie gemeinsamer Ritualvollzüge artikulierte, war in der Frühphase der Implementierung des Kultursystems Hof noch kaum ausgeprägt.61 Hier sollte nicht nur den Mechanismen rechtlichpolitischer Integration nachgegangen werden. Kulturgeschichtlich von Interesse sind vor allem die symbolischen Formen soziokultureller Integration – in Zeremoniell und Ritual sowie in einer zunehmend „von oben“ gesetzten und durch ihre Symbolizität verinnerlichte Ordnung.62 Auch auf die Rolle von Kunst und Architektur höfischer Prägung ist hier zu verweisen, wie sie nach und nach das Aussehen und Symbolreservoir der Stadt veränderte. Es ist zu fragen, ob Residenzstadtarchitekturen habitusprägend – etwa als eine Art Vorstufe zur Sozialdisziplinierung – gewirkt haben können.63 Stellvertretend hierfür steht in Halle das große Werk des Nickel Hoffmann, über das wir jüngst durch Werner Broda stil- und bestandsgeschichtlich informiert worden sind.64 Zu der von Eva Maria Seng gestellten Frage nach der fürstlichen Städtebau-
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Gebeine in einer Grube hinter dem Roten Turm verscharrt, ist mit Vorsicht zu genießen, weil dieser Umgang mit den Gebeinen der (katholisch-altkirchlichen) Vorstellung entgegenstand, dass diese am Jüngsten Tag aus ihren Gräbern in geweihter Erde aufstehen würden. Vgl. ferner die Überlegungen von WERNER, Entwicklung (wie Anm. 30), S. 44. Für Halle vgl. HERRMANN, Ausgrabungen (wie Anm. 30), S. 54. Vgl. HECHT, Symbiosen (wie Anm. 38); BRADEMANN, Integration (wie Anm. 19). Für die Frühzeit vgl. jetzt DEUTSCHLÄNDER, Kardinal (wie Anm. 43). Vgl. BRADEMANN, Integration (wie Anm. 19). Vgl. die skeptischen Überlegungen von Martin DINGES, Residenzstadt als Sozialdisziplinierung? Zur Rekonstruktion eines kulturgeschichtlichen Forschungsgegenstandes, in: Disziplinierung im Alltag des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, hrsg. von Gerhard JARITZ (Veröffentlichungen des Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Bd. 17; Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Bd. 669), Wien 1999, S. 57-74. Vgl. Werner BRODA, Spurensuche Nickel Hoffmann. Ein Baumeister der „Deutschen Renaissance“ (~ 1515-1592), Diss. Marburg 1998.
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politik,65 die Teil der frühneuzeitlichen Verobrigkeitlichung von Rechtszuständen war, muss künftig die kulturgeschichtliche Frage nach der Wahrnehmung und der (disziplinierenden?) Wirkung von Residenzstadtarchitekturen hinzu treten. Als weiterer Wandel ist aber noch etwas anderes anzusehen. Ich habe eingangs festgestellt, es handele sich bei der betrachteten Phase um eine Krisen- und Blütezeit der Stadt. Mit Blütezeit ist die insbesondere mit Kardinal Albrecht verbundene Aufwertung der kulturellen, politischen Zentralität und Ausstrahlungskraft der Saalestadt gemeint.66 Hinter „Krise“ verbergen sich demgegenüber die sozialen Spannungen, die Halle bereits zu Beginn des 15. Jahrhunderts erschütterten und die in den 1470er Jahren kulminierten. Ohne sie wären die anschließenden, verfassungsgeschichtlich tief einschneidenden und in ihrer Drastik im mitteldeutschen Residenzbildungsprozess ungewöhnlichen Veränderungen der politischen und sozialen Ordnung nicht erklärbar,67 ja die anschließende kulturelle Blüte der Stadt nicht denkbar. Ich denke, es dürfte klar geworden sein, welche vielfältigen Untersuchungsfelder sich einer auf die Realität symbolischer Kommunikation abhebenden Heuristik in Halle zwischen 1450 und 1550 bieten. Für die drei genannten Felder gesellschaftlichen Wandels bergen Rituale und sonstige Formen symbolischer Kommunikation, insbesondere mittels einer komparativen Methode, reiches Erkenntnispotenzial. Das frühe 16. Jahrhundert ist nun für Halle als der Beginn einer stadtgeschichtlichen Epoche zu sehen, in der ein neuer, residenzstädtischer Typus politischer Ordnung und Kultur entstand. Bei ihm nahm sich die Integration der Stadt in den frühmodernen Staat viel stärker aus, als es der Blick auf fehlende Konflikte in dieser Zeit suggeriert. Gegenüber diesem kulturgeschichtlichen Prozess der langen Dauer, der sich besonders der Dialektik von Symbolen und Wertvorstellungen verdankte,68 soll im Folgenden der gesellschaftliche Umbruch im Mittelpunkt des Interesses stehen, der ebenfalls im Medium symbolischer Kommunikation seinen Ort besaß.
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Vgl. Eva-Maria SENG, Stadt – Idee und Planung. Neue Ansätze im Städtebau des 16. und 17. Jahrhunderts (Kunstwissenschaftliche Studien, Bd. 108), München 2003 (verstreut mit hallischen Beispielen). Vgl. TACKE, Kontinuität und Zäsur (wie Anm. 48); Der Kardinal Albrecht von Brandenburg. Renaissancefürst und Mäzen, Bd. 2: Essays, hrsg. von DEMS., Regensburg 2006; Hans-Joachim KRAUSE, Albrecht von Brandenburg und Halle, in: Erzbischof Albrecht von Brandenburg (14901545). Ein Kirchen- und Reichsfürst der Frühen Neuzeit, hrsg. von Friedhelm JÜRGENSMEIER (Beiträge zur Mainzer Kirchengeschichte, Bd. 3), Frankfurt am Main 1991, S. 296-356. Vgl. MEINHARDT, Residenzbildung (wie Anm. 42). Vgl. BRADEMANN, Integration (wie Anm. 19).
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Vom autonomen Selbstbewusstsein zur sozialen Krise – Ein Vergleich der Huldigungen 1446 und 1476 Die Huldigung mit ihren vielen Einzelheiten steht paradigmatisch für den erstgenannten Aspekt der Funktionsweise symbolischer Kommunikation in der Vormoderne. André Holenstein hat sie prägnant als „Verfassung in actu“ bezeichnet.69 Zu Beginn des Herrschaftsantritts des Stattherrn vollzogen, bestand sie aus dem Eid der Untertanen gegenüber dem Herrn, dessen Gegenleistung in Form des Schutzversprechens und der Privilegienbestätigung sowie verschiedenen, rituellen Elementen symbolischer Kommunikation. Durch ihre Teile, den actus, wurde die Rolle einer schriftlichen Verfassung, die es nicht gab, erfüllt. In ihm spiegelten sich die Verfassungsstrukturen – im weitesten Sinne – wider. So wurden auf eine symbolische Art und Weise den Beteiligten die geltenden Normen und bestehenden sozialen wie rechtlichen Strukturen innerhalb eines formalisierten Rahmens verdeutlicht und gleichsam fortgeschrieben. Allerdings bestanden sie nicht nur aus symbolischer, sondern auch aus diskursiver Kommunikation und instrumentellem Handeln. Rituelles Handeln war auch hier an Institutionalität und Schriftlichkeit gekoppelt. 1. Der Fall 1446: Semiautonome Stadt und selbstbewusstes Ritual. Seit dem Pontifikatsantritt Friedrichs von Beichlingen 1445 war bereits ein Jahr verstrichen, als Halle ihm als letzte Stadt des Erzstifts Magdeburg huldigte. Die Stadt hatte auf der Erteilung des Huldbriefes vor der Huldigung und der kostenlosen Erstbelehnung mit den Thalgütern (den Brunnen, Siedehütten und Soleanteilen im „Thal“, dem Gebiet der Salzquellen) bestanden. Darin lag das profitabelste Privileg der Stadt, das sie 1367 dem Erzbischof Dietrich abgerungen hatte. Erst als man den Burggrafen von Magdeburg, Kurfürst Friedrich von Sachsen, als Vermittler hinzu zog, gelang Mariä Himmelfahrt (15. August) im Kloster Neuwerk vor Halle die Einigung. Der Stadt ging es hierbei typischerweise um die Verteidigung ihrer Privilegien. Zur freien Erstbelehnung zu Gesamter Hand war 1428 noch ein weiteres hinzugekommen: die Einhaltung bestimmter Obergrenzen bei der erbrechtlichen Belehnung im Mannfall. Damit war den Erzbischöfen auch die letzte Möglichkeit, nach Gutdünken Lehnware zu erheben, beschränkt worden. Erzbischof Friedrich musste versuchen, von diesen Regelungen Abstand zu nehmen, schließlich folgten aus ihnen erhebliche Mindereinnahmen. Solche Huldigungskonflikte waren typisch und wurden, meist unter Mitwirkung von Vermittlern, gelöst. Erst ihr Ergebnis – zu dem die Modalitäten des Einzugs gehörten – bildete die Verfassungswirklichkeit ab und band beide Seiten daran. Schon der Weg zur Einigung verlief in ritualisierten Bahnen: Immer wieder 69
André HOLENSTEIN, Die Huldigung der Untertanen. Rechtskultur und Herrschaftsordnung (8001800) (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte, Bd. 36), Stuttgart und New York 1991. Im Folgenden werden nur die Quellenzitate belegt. Ansonsten vgl. BRADEMANN, Autonomie (wie Anm. 53).
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signalisierte man sich neben Verhandlungshärte auch Bereitschaft zum Einlenken. So ließ etwa der hallische Rat in der Verhandlungsphase „ein Lägel Malvisir“ zu Friedrich nach Nebra schicken.70 Nach langen und zähen Verhandlungen sagte der Erzbischof in einem von Friedrich von Sachsen bezeugten „Tedingebrief“ die kostenfreie Erstbelehnung zu, verpflichtete sich, die besagte Obergrenze für Lehnware in Höhe von neun Örtern (Vierteln) einzuhalten und versprach, die Privilegien in der Art und Weise seines Vorgängers Günther zu bestätigen.71 Auf den ersten Blick scheint damit alles beim Alten geblieben zu sein. Bei genauerem Hinsehen fällt jedoch ein bemerkenswerter Unterschied ins Auge: Die vom Erzbischof ausgestellten Briefe entsprachen in der Tat denen Erzbischof Günthers von 1404, aber erstmals wurden sie nach der Huldigung ausgestellt! Im Prozess der Konsensfindung hatten der Erzbischof und seine Räte dieses neue Prozedere durchgesetzt. Das Kräfteverhältnis hatte sich damit – zunächst wenig spürbar – zu Ungunsten der Stadt verschoben. Kommende Huldigungen wurden dadurch, wie man dreißig Jahre später schmerzlich erfahren sollte, präjudiziert. Bei dem am Sonntag vor Bartholomäus (22. August) stattfindenden Adventus ritten „die von Halle“ – Abgeordnete des Rats und der Bürgerschaft – dem Erzbischof mit 200 Pferden entgegen bis zur Residenz Giebichenstein, wo sie ihn offiziell begrüßten und einholten.72 Auf halbem Wege, am Stift Neuwerk, gesellte sich dem Zug nach den Schülern der Stadt fast das gesamte Spektrum städtischer Geistlichkeit hinzu. Serviten, Franziskaner und Dominikaner mit zwei Ministranten und einem Priester, der ein „silbern Crütze“ trug, gingen voran, gefolgt von den Pfarrern und Altaristen in feierlichen Chorröcken und Stolen und schließlich den Augustinerchorherren von St. Moritz und vom Neuwerk. Sie erteilten, mit Kreuzen und teilweise auch Fähnchen ausgerüstet, dem Erzbischof das Sakralgeleit und begannen damit nicht erst an der Stadtmauer, wie es die Regel war, weil dort die Immunität der städtischen Hauptkirche begann, sondern schon am Neuwerk, welches die Patronatsrechte über die Kirchen der Stadt sowie das Schulrecht besaß und die Grenze des bannus hallensis markierte. Zu Pferde folgte der Erzbischof mit seinem Hof und den Ratsherren. Ein Priester trug dem Fürsten ein „vorguldet Crütze uff eynem stabe“, die crux archiepiscopalis, voran. Dieses Privileg gehörte spätestens seit dem 13. Jahrhundert, als das Huldigungsritual im Erzstift im liber de consuetudinibus divinorum ecclesie Magdeburgensis schriftlich fixiert wurde, zu den festen Bestandteilen des Rituals.73
70 71 72 73
Gottfried OLEARIUS, Halygraphia Topo-Chronologica, Das ist: Ort- und Zeitbeschreibung der Stadt Hall in Sachsen, Leipzig 1667, S. 190. Stadtarchiv Halle, Altes Rotes Buch, Bl. 126r. DREYHAUPT, Pagus (wie Anm. 14), Teil 1, S. 126 ff. Dort auch die folgenden Zitate. Dazu Berent SCHWINEKÖPER, Der Regierungsantritt der Magdeburger Erzbischöfe, in: Festschrift für Friedrich von Zahn, Bd. 1: Zur Geschichte und Volkskunde Mitteldeutschlands, hrsg. von
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In der beschriebenen Formation übertrat der Zug die Schwelle des Stadttores, wahrscheinlich des Ulrichstores. Damit wurde der durch die Vertragspartner gefundene Konsens kommuniziert und verbindlich gemacht. Gleichzeitig rückte die Person des Erzbischofs als mit besonderer Gnade ausgestatteter Herrscher in den Blickpunkt der städtischen Öffentlichkeit. Einholung, Begrüßung durch Schulkinder und Jungfrauen, Ausschmückung mit Palmenzweigen waren Reminiszenzen an Jesu Einzug in Jerusalem am Palmsonntag. Doch auch politisch war der Einzug höchst relevant: Die Frage, wer an welcher Stelle einziehen durfte, war von entscheidender Bedeutung und daher auch Gegenstand der Verhandlungen gewesen. Die Reihenfolge wurde von den Zuschauern genau registriert, denn selten genug wurde die soziale und politische Hierarchie in Gänze erlebbar wie hier. Wer von den Bürgern in der Nähe des Erzbischofs einzog, der hatte offensichtlich in der Stadt das Sagen, der war zudem von der hohen Obrigkeit anerkannt. Der Erzbischof ritt herausgehoben zu Pferde. Am nächsten vor ihm gingen, als Repräsentanten des Archidiakonats, die Mönche vom Neuwerk, direkt nach ihm sein Hof und dann der Rat. Zwei Besonderheiten des Verlaufes werden 1446 hervorgehoben, in denen Unterlassungen von sonst üblichen zentralen Elementen liegen. Die Stadt verzichtete darauf, die Ankunft des Herrn durch das Läuten der Glocken bekannt zu machen. Und auch das „sacrament wart nicht mit mitgetragen“. Die mittelalterlichen Städte besaßen eine Vielzahl verschiedener Glocken, deren Schlagen unterschiedliche Bedeutungen trug, etwa Sturm, Markttag, Gerichtstag, Ratssitzungen. Welche Glocken aus Anlass eines fürstlichen Einzuges geläutet wurden, wissen wir nicht. Jedenfalls bildete die besonders feierliche und umfassende Ankündigung des Herannahens hoher Gäste durch städtische Glocken eine relativ eindeutig zu dekodierende Form des Läutens, die als „ausgesprochenes Ehrenrecht [...] einem bestimmten Kreise weltlicher und geistlicher Würdenträger zugebilligt wurde“.74 Wenn es normalerweise bedeutete, die Stadtbevölkerung möge sich für den anstehenden Einzug des zukünftigen Herrn vollzählig und andächtig bereit machen, so bedeutete das Ausbleiben, auf die Herstellung einer solchen Öffentlichkeit bewusst zu verzichten. Der Rat signalisierte dem Einziehenden damit Unzufriedenheit über dessen unnachgiebige Verhandlungshaltung und die Umgestaltung der alten Gewohnheit und verdeutlichte so der Öffentlichkeit seine Macht, das Zeremoniell selbst zu steuern. Hinter dem „Sacrament“ verbirgt sich das corpus Christi. Offensichtlich setzte man auch hier ein Zeichen, das noch schwerer wog. Wie zur Prozession gehörte zum Adventus die konsekrierte Hostie, die zumeist von dem unter einem Baldachin einherschreitenden obersten Ortsgeistlichen in einer Monstranz mitgeführt wurde. Der ansonsten realpräsente Christus, der für das Funktionieren der Herrschaft und für die
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Walter SCHLESINGER (Mitteldeutsche Forschungen, Bd. 50,1), Köln u. a. 1968, S. 182-238, hier bes. S. 224. Elsbeth LIPPERT, Glockenläuten als Rechtsbrauch, Freiburg im Breisgau 1939, S. 54.
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Erlösungssehnsucht der Bürger notwendige Heilsvermittler, fehlte also. Die Verantwortlichen wollten dem Erzbischof, der eben noch so selbstbewusst aufgetreten war, den charismatischen Glanz seines Einzugs dadurch beeinträchtigen, dass dem Volk das heilsrelevante Schauen des corpus Christi vorenthalten wurde. Auf dem Kirchhof der am Markt gelegenen Marienkirche angekommen, saß der Erzbischof ab, ging in die Kirche, um zu beten. Daraufhin wurde vom versammelten Klerus das Te Deum laudamus angestimmt, in das die anwesenden Bürger einstimmten, um die Fügung unter den göttlichen Willen, der der Herrschaft zu Grunde lag, zum Ausdruck zu bringen. Selbstverständlich wurde auch Eucharistie gefeiert. Nach der Messe begab sich der Erzbischof, gefolgt vom Heimlichen Rat, in das Rathaus in die „all umb mit gulden stücken und mit Tepten“ ausgeschmückte Dornze, den Ratssaal, wo bereits die übrigen Ratsherren, die Schöffen vom Berge und Teile des Hofes versammelt waren. Das Rathaus war Ort und Wahrzeichen städtischer Autonomie und in seiner architektonischen Ausgestaltung Quelle und Projektionspunkt für das bürgerliche Selbstverständnis. Hier schworen Rat und Schöffen, ihrem Herrn „getruwe und holt zu seyne als ein Mann seynem Herren thun sall, als uns Gott helffe und die heiligen.“ Daraufhin sicherte der Erzbischof zu, er wolle sich „kegen euch halden, als ein fromer Herre“, das heißt er wolle seine zuvor gemachten Versprechen und sich an Gottes Gesetze halten.75 Der Bezug beider Seiten zu Gott macht deutlich, dass dieser nicht nur der Begründer von Herrschaft war, sondern zusammen mit den Heiligen als die wichtigste moralisch-rechtliche Instanz angesehen wurde, die bei der Erfüllung der Pflichten helfen sollte. Der Rat ließ nun mehrmals Wein und Bier austeilen, sowie „Confecta uß zweien großen schusseln geben, die mit sieden tuchern, iglichs von zweien Ellen“ bedeckt waren. Durch diesen Schenkungs- und Speiseakt, meist durch ein opulentes gemeinsames Mahl ergänzt, wurde das zuvor verbal Vollzogene bekräftigt. Der repräsentative Konsum von Konfekt war exklusives Zeichen von Herrschaft und Würde, weil es außergwöhnlich teuer war und aus exotischen Ingredienzien bestand. Da der Erzbischof nicht nur Fürst, sondern Inhaber der höchsten Weihegewalt seiner Diözese war, wurde von ihm erwartet, dass er nun noch „die obersten“ segnete, das heißt das Gute auf sie übertrug, um Böses abzuwenden. Friedrich begab sich nun auf die „treppe bey den steyn“, die Rathaus-Freitreppe, einem sehr repräsentativen Ort städtischer schöpferischer Kraft. Eidleistung und Versprechen wurden mit der auf dem Markt versammelten Bürgerschaft in gleicher Weise wiederholt. In Begleitung von Rat und Schöffen begab sich der Herr dann zu den in der Marienkirche versammelten Innungen, die ebenfalls die Treue schworen. Als letzte soziale Gruppe folgte schließlich die Pfännerschaft, die in der Gertraudenkirche, dem ältesten Sakralgebäude Halles und Parochialkirche des Thals, huldigte. 75
DREYHAUPT, Pagus (wie Anm. 14), Teil 1, S. 127. Dort auch die folgenden Zitate.
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Wieder versprach auch der Erzbischof Treue. Die Pfänner ließen ebenfalls schenken. Zudem feierten sie mit dem Erzbischof eine Privatmesse. In dieser besonders repräsentativen Huldigung wurde weniger die vasallitische Beziehung zum Lehnsherrn der Thalgüter geknüpft, vielmehr wurde sie zur Selbstdarstellung und sozialdistinktiven Legitimitätsstiftung genutzt. Anschließend folgte ein spezifisch hallischer Brauch. Vom Topfmarkt ritt der Erzbischof, von den Moritz-Schülern geführt und besungen, zur Moritzkirche. Der Rat folgte bis zur Schmerstraße und bog dort Richtung Rathaus ab. Aus der Kirche kamen die Hallknechte mit einer Fahne entgegen und nahmen das erzbischöfliche Ross an sich. Dann führten sie es ins Thal und danach vor den Bierkeller, wo es der Erzbischof gegen eine Trinkspende wieder auslöste. Am nächsten Tag löste Erzbischof Friedrich seine Versprechen ein, ließ einen Huldbrief ausstellen, den sogenannten „großen brif“ und fügte im sogenannten kleinen Brief die Freie Erstbelehnung der Bürger „ane gifft und ane gabe“ hinzu. 2. Der Fall 1476: Sozialkonflikt und ein neuer Herrschaftsanspruch. Die Jahre 1476 bis 1478 bilden einen tiefen Einschnitt in der Geschichte Halles. In den Zwanziger- und Dreißigerjahren des 15. Jahrhunderts war die Stadt schon einmal von sozialen Spannungen zerrüttet worden, in deren Ergebnis die Pfännerschaft ihr Monopol am Ratsregiment verloren hatte. In den beginnenden 1470er Jahren brach die Kluft, offenbar nur unzureichend überbrückt, erneut auf. Pfänner wurden offen angefeindet und aus verschiedenen Gremien, etwa denen der Ratsmeister und der Bornmeister, zurückgedrängt. In dieser Situation innerer Zerrissenheit, die nach vergeblichen Vermittlungsversuchen befreundeter Hansestädte wie Magdeburg, Halberstadt und Braunschweig in bewaffneten Straßenkämpfen gipfelte, wurde die Stadt 1478 von Erzbischof Ernst militärisch eingenommen. Die von Ernst im Jahr darauf erlassene Regimentsordnung, die die älteren, aus der autonomen Bürgerschaft hervorgekommenen Willküren ablöste, verbriefte den Verlust eines Teils der städtischen Autonomie.76 Direkt vor und während der Huldigung 1476 hatte sich bereits ein neues, auf die Unterordnung der Stadt unter fürstlichen Willen und damit die Schmälerung der Autonomie abzielendes Herrschaftsverständnis angekündigt. Auf eine Woche nach dem Einzug in Magdeburg am 28. Oktober wurden je zwei Vertreter von Rat und Gemeinde der Städte des Erzstifts nach Magdeburg zitiert, um zu huldigen. Noch bevor sich Ernst auf Huldigungsreise begab, verlangte er seinen Städten kommissarisch vollzogene Treuezusagen ab, wie sie für die Frühe Neuzeit typisch werden sollten. Dies entspricht dem Umdenken eines Fürsten, der in der Folgezeit – bei gleichzeitiger Intensivierung der Ämterbildung und Verwaltung – immer mehr von der Reiseherrschaft Abstand nahm. In dieses Bild passt auch, dass erstmals in den Eid auch transpersonale Vorstellungen einflossen. Die Bürger wurden nicht nur darauf 76
Zu den einzelnen Folgen vgl. Werner FREITAG, Der Verlust der städtischen Autonomie und die zeitweise Entmachtung der Pfänner, in: FREITAG/RANFT, Stadt Halle (wie Anm. 6), S. 261 f.
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vereidet, „seyner Gnaden getrewe und gewertig zu seynd“, sondern auch, „seyner gnaden und seynes Stiffts beste zu tun und schaden zuuorwarnen“.77 Noch auffälliger ist allerdings, dass die aus dem Lehnswesen stammende Gegenüberstellung von Herr und Mann, wie sie noch 1446 aufgetreten war, von einer neuen Begrifflichkeit verdrängt wurde. Erstmals wurden nämlich die Bürger als „Unterthanen“ bezeichnet, die die Huldigung „seiner Gnaden“ als „eynem rechten Herrn von rechte pflichtig“ seien. Weitere Indizien sprechen für das neue herrschaftliche Selbstverständnis, das Ernst bzw. vor allem seine kurfürstlich-sächsische Entourage (der Erzbischof war gerade einmal 12 Jahre alt) entwickelt hatten und nun auch rituell umzusetzen gedachten. Ernst sei, das berichtet der Verfasser der Magdeburger Bischofschronik, mit so viel Pomp und Prunk empfangen worden, cuius in retroactis annis non est visa – „dessen man in zurückliegenden Jahren nicht gewahr geworden ist“.78 Ernst verzichtete dabei, darauf hat Markus Leo Mock kürzlich hingewiesen,79 auf das Vorantragen der crux archiepiscopalis, wie es 1446 selbstverständlich dazu gehört hatte. Stattdessen trug der Senior des Domkapitels dem Erzbischof ein Schwert voran, das im Gegensatz zum Kreuz nicht das geistliche Element bischöflicher Herrschaft, sondern ihre weltliche Komponente verkörperte und an kaiserliche Einzüge erinnerte. Man kann diese Entscheidung dahingehend deuten, dass Ernst sich zukünftig auf seinen Rang als Reichsfürst, auf weltliche Belange innerhalb seines Erzstifts, konzentrieren wollte. Gleichzeitig zeigte das Schwert eine härtere Gangart gegenüber den intermediären Gewalten seines Gebotsbereichs an. Die Hallenser sollten die ersten sein, die dies zu spüren bekamen. Die Schöffen huldigten dieses Mal getrennt vom Rat, und zwar, wie Peter Seydenschwantz meint, „in der banck alss dass eyn altte gewonheyt ist“.80 Nie zuvor und niemals wieder ist dies zwar belegt. Aber im Jahr 1476 trat neben Ernst immerhin sein Vater auf, als Burggraf von Magdeburg, der seit jeher für die Einweisung der städtischen Richter zuständig war. Die Huldigung der Schöffen wird daher zusammen mit ihrer Einweisung stattgefunden haben und diese geschah wirklich von alters her in den Schöffenbänken. Der Dualismus von Burggraf und Erzbischof war mit dem Regierungsantritt des Wettiners Ernsts unterbrochen worden: Beide Ämter lagen nun in der Hand einer Dynastie. Die bewusste Herauslösung der in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr zu dem Rat botmäßigen städtischen Richtern gewordenen Schöffen aus dem Huldigungsakt des Rates verdeutlichte den Willen der neuen Obrigkeit, zukünftig wieder stärker das Bestätigungsrecht der städtischen Richter – wie es die Regimentsordnung dann 1478 auch festhalten sollte – wahrzunehmen, und damit die 77 78 79 80
DREYHAUPT, Pagus (wie Anm. 14), Teil 1, S. 167. Gesta archiepiscoporum Magdeburgensium, hrsg. von Wilhelm SCHUM, in: MGH SS 14, Hannover 1883, S. 361-486, hier S. 480. Markus Leo MOCK, Kunst unter Erzbischof Ernst von Magdeburg, Berlin 2007, S. 17. Seydenschwantzsche Chronik, Marienbibliothek Halle, Hs. 172, Bl. 280r.
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Ernennungsmacht des Rates einzuschränken. Sie zeigt aber auch, dass an dieser Stelle der Stadtherr seinen Willen in Bezug auf das Ritual durchsetzen konnte. Die spätere Einnahme der Stadt hatte neben vielen anderen eine Ursache in einem mit dem städtischen Sozialkonflikt eigentümlich verquickten Huldigungskonflikt. Aufhänger war die kostenfreie Erstbelehnung der Pfänner mit den Thalgütern gewesen. Der Rat, innerlich zerrüttet, scheint eine nur sehr zaghafte und zögerliche Politik gegenüber dem neuen Herrn verfolgt zu haben, was seine Position innerhalb der rituellen Herrschaftsanbahnung von Anfang an schwächte. Von Anfang an verfolgte auf der anderen Seite der Fürst eine Politik mit dem Ziel einer inneren Schwächung der Saalestadt. Auf die Bitte des Rates, man möge sich „unterreden“, dass der Herr die Bürger „bey alter freiheit, privilegia und alder gewonheit lassen wolde“, ließ Ernst am 20. Oktober verlautbaren, er habe wichtigere Dinge zu tun und man solle die Verhandlungen auf die Zeit nach der Huldigung verschieben!81 Am Sonnabend, dem 3. November, traf Ernst in Begleitung von Kurfürst Ernst von Sachsen und Landgraf Wilhelm von Thüringen auf Burg Giebichenstein ein. Der Rat ritt ihm mit (nur) 60 Pferden entgegen. Man verkündete von fürstlicher Seite aus, Ernst wolle bereits am nächsten Tag einziehen und den Eid abnehmen. Die hallischen Abgeordneten entgegneten am nächsten Morgen, dass dies nicht geschehen könne, weil sie sich in dieser wichtigen Entscheidung erst mit den Ihren besprechen müssten. Am Nachmittag hieß es, man wünsche die gleiche Behandlung wie Magdeburg und erinnere daran, dass Ernsts Vorgänger stets Urkunden über die freie Erstbelehnung und die Privilegien ausgestellt hätten. Die Antwort der fürstlichen Räte lautete: „Was ir habet von altem herkomen, gewohnheit, freyheit und privilegiam, das will euch unser gnediger Herr lassen und niemands vorkurtzung tun“. Mit Blick auf die erste Belehnung hieß es, wenn Bürgerschaft und Rat „unvordinget huldunge teten“, dann wolle der Erzbischof, „was sich denn der ersten Lehen halben geburen wurde, ßeine Vorfaren gethan hetten und seine gnade pflichtig were [...] woll geburlichen halden“. Der Rat ließ sich auch auf diese vage mündliche Zusage ein und verabredete, am nächsten Morgen, dem 6. November, zu huldigen.82 Wie schon 1446 erhielt die Stadt dann den „großen Brief“ erst nach der Huldigung. Doch wie groß war das Entsetzen über die damit verbundenen Bedingungen, nachdem man bereits die Treue geschworen hatte! Der Erzbischof behauptete, dass man „davon [...] noch schriffte funde“, dass der Rat seinerzeit Erzbischof Friedrich 8.000 und Erzbischof Johann 3.000 Gulden gezahlt hätte. Zumindest Letzteres ist verbürgt. Der Rat hatte 1466 ein relativ großzügiges Geschenk gemacht.83 Das erwies sich nun, in 81
82 83
Denkwürdigkeiten Spittendorff (wie Anm. 17), S. 217 f. Und weiter: wen die huldunge geschehen were, so finde sich’s noch wol, auch was sie von möglichen privilegia und alter gewonheit hetten, da wolde sich seine gnade wol geburlich innen halten. Ebd., S. 223 und DREYHAUPT, Pagus (wie Anm. 14), Teil 1, S. 166. Vgl. FREITAG, Salzstadt (wie Anm. 38), S. 28.
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Verbindung damit, dass die Verhandlungsphase bereits verstrichen war und man bereits gehuldigt hatte, als verhängnisvoll. Denn die Kanzlei deutete diese 3.000 Gulden um: Es sei dies nämlich die fällige Lehnware für die Belehnung mit den Thalgütern. Damit war das wichtigste Privileg hinfällig! Doch damit nicht genug: Ernsts Räte verlangten nun, da die Höhe der Lehnware stets im Ermessen des Lehnsherren stand, satte 24.000 Gulden! Gleichzeitig betrieb man in der Stadt eine auf die Forcierung der Spannungen gerichtete Informationspolitik. Die besagten Summen, so argumentierte man, hätte bisher die gesamte Bürgerschaft gezahlt, doch hätten nur die Lehnsnehmer, also die Pfänner davon profitiert. Diese Ungerechtigkeit müsse aufgehoben werden, die Lehnsnehmer allein müssten die Lehnware bestreiten. Die Pfänner wichen jedoch nicht von dem Standpunkt ab, dass die Zahlung von Lehnware eine unrechtmäßige Neuerung sei. Die Konsultation der alten Urkunden, die die formale Rechtmäßigkeit ihres Standpunktes und die Unrechtmäßigkeit der landesherrlichen Position erwies, brachte noch einmal ein Stimmungsumschwung zu ihren Gunsten; den „Verrat“ der antipatrizischen Partei, durch welchen Ernsts Truppen dann am 20. September 1478 in die Stadt gelangten, konnte sie jedoch nicht mehr aufhalten. 1479 wurden für alle Pfannen und andere Stiftslehen feste Gebühren im Thron- bzw. Mannfall oder im Fall des Verkaufs festgesetzt. Das durch die freie Belehnung sich vermehrende Wohl der Pfänner wurde offenbar nicht mehr mit dem Gemeinwohl identifiziert. Die Kommunikation ihres Selbstverständnisses, das eine Deckungsgleichheit von Pfännerschaft und städtischem Regiment, von Salzherren-Wirtschaftspolitik und Stadtwohlstandspolitik, wie sie seit 1367 bei Huldigungsverhandlungen zu Tage getreten war, postulierte, gelang den Pfännern nicht mehr. Die seit März 1476 im Rat dominierenden Pfännergegner setzten sogar die Autonomie der Stadt aufs Spiel, indem sie die Schädigung ihrer Rivalen über die höchstnötige Verhandlungseinigkeit stellten. Die Tiefe dieses Konflikts muss sich dem Erzbischof und seinen Begleitern bereits im Verlauf der Huldigung glasklar offenbart haben. Zunächst schien alles wie gehabt seinen Lauf zu nehmen: Ernst ritt mit seinem Vater, seinen Vettern, den Bischöfen von Meißen, Naumburg und Merseburg sowie den Domherren in die Stadt ein. Einholende Geistlichkeit und Schüler begleiteten den Adventus mit dem liturgischen Gesang Advenisti desiderabilis, quem expectabamus in tenebris. In der Dornze, dem Ratssaal, nahm man dem Rat den Eid ab, sagte ihm zu, die Stadt bei ihren alten Rechten etc. zu lassen. Nach Schenken, Zutrinken und Konfektausteilen folgte auf der Rathaustreppe die Huldigung der Bürgerschaft, vor dem Marienkirchtor die der Innungen. Bei der darauf folgenden Huldigung in St. Gertrauden kam es jedoch zum Eklat. Der mittlerweile von Pfännergegnern dominierte Rat hatte bereits im Vorfeld geboten, Innungen und Pfänner mögen dieses Mal zusammen mit der übrigen Bürgerschaft auf dem Markt huldigen. Die Innungen hatten zunächst eingewilligt, jedoch
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lehnten die Pfänner dies ab mit der Begründung, es „wer gewönlich gewest, das die huldunge an vier enden geschehe“.84 Von erzbischöflicher Seite wurde daraufhin erklärt, man wünsche die Huldigung „als wie vor alter geschehen“. Dass dieser Befehl nicht umgekehrt lautete, sie gemäß den Vorgaben des Rates zu vollziehen, zeigt, dass dem Erzbischof und seinen Räten nicht an einer Entspannung der Situation in der Stadt gelegen war. Obwohl sie im Zuge der Einnahme der Stadt die Pfänner entmachteten, taten sie zu diesem Zeitpunkt nichts für ihre rituelle Schwächung. Nichts könnte die zur gleichen Zeit auch in anderen Belangen ablesbaren Bestrebungen, die Pfänner endgültig zu entmachten, besser verdeutlichen, als die Vorgänge beim Huldigungsakt in der Gertraudenkirche. Folgt man dem Ratsherrn Marcus Spittendorf, so platzten verschiedene Rats- und Innungsleute mitten in die Zeremonie hinein, drangen bestochene Bürger in den Chorraum, bis dass er voll und gedrange wurde.85 Sie traten die rituelle Ordnung mit Füßen, weil sie die dahinter stehende Ordnung nicht mehr duldeten. Wie wichtig den „Störenfrieden“ dieses Ziel war, zeigt sich auch daran, dass sie bewusst in Kauf nahmen, die durch die Anwesenheit des Erzbischofs besonders hoch anzusetzende sakrale Ordnung zu durchkreuzen. Möglicherweise wähnten sie zu diesem Zeitpunkt den Fürsten bereits auf ihrer Seite.86 Was waren die Gemeinsamkeiten beider Huldigungen?87 Ich denke, in Bezug auf die Leistungskraft des Rituals ist deutlich geworden, dass die Huldigungen trotz eines gewissen formalen Zwangs der rituellen Ordnung,88 die Erwartbarkeit herstellte und damit Einigung erleichterte, lebendig waren. Verbunden mit sozialen und rechtlichen Strukturen, aktuellen politischen Entwicklungen, maßgeblich geprägt von der Intention derjenigen, die Einfluss auf ihre Durchführung hatten, wurden durch das in ihnen angelegte instrumentelle und genuin symbolische Handeln politische Ansprüche artikuliert und abgeglichen. Die vorresidenzstädtische politische Kultur zeichnete sich, das wurde deutlich, vor allem dadurch aus, dass sich die politische Elite politische Gewinne vornehmlich durch die Erweiterung oder zumindest die Erhaltung von Autonomie und Autokephalie versprach. Bereits in der Verfolgung dieses Ziels unterschieden sich jedoch die beiden Huldigungen. 1446 wurde deutlich, wie mächtig die 84 85 86
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Denkwürdigkeiten Spittendorff (wie Anm. 17), S. 224. Ebd. In den Augen des Zinngießers Peter Seydenschwantz waren es die Pfänner, die der alten Gewohnheit nicht hatten nachgeben wollen, dass der Heimliche Rat mit dem fürstlichen Gefolge in die Gertraudenkirche folgte. Auch er berichtet jedoch davon, dass der Rat für eine Mark Leute in die Kirche forderte, allerdings geschah es nach seiner Darlegung zu Ehren Gottes und im Konsens des Erzbischofs. Vgl. Seydenschwantzsche Chronik (wie Anm. 80), Bl. 280r. Zwischen den beiden vorgestellten Huldigungen von 1446 und 1476 liegt noch jene des Jahres 1465/66 von Erzbischof Johannes von Pfalz-Simmern, über die jedoch kaum Einzelheiten bekannt sind. Die Adventus der Erzbischöfe waren im 13. Jahrhundert niedergeschrieben worden. Siehe oben Anm. 73.
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Stadt ihrem Stadtherrn gegenüber treten konnte. Ihre politisch Verantwortlichen verhandelten hartnäckig über die Bestätigung von Privilegien und die Modalitäten des Rituals, weil diese die Freiheit der Stadt verbürgten. Während des Einzuges verdeutlichten sie vermittels symbolischer Kommunikation, gegen die der Erzbischof machtlos war, allen Zwängen sakraler Ordnung zum Trotz ihre eigene Herrschaft. In der Tatsache, dass man auf eine Bestätigung der Privilegien vor dem Einzug verzichtete, lag ein Makel, der das glänzende Gesamtbild städtischer Autonomie bereits eintrübte. Die oben genannten Krisenerscheinungen innerhalb der Stadtgesellschaft bündelten sich in der Huldigung 1476 wie in einem Brennglas. Sie mündete in Verbindung mit dem neuen Herrschaftsbewusstsein des Stadtherrn, das – auch dies wurde symbolisch manifest – auf die Kumulation von Herrschaftsrechten angelegt war, direkt in die Unterwerfung der Stadt. Es war der größte Huldigungserfolg des 14. Jahrhunderts, die kostenfreie Erstbelehnung der Pfänner mit den Thalgütern, der, vom Stadtherrn unerwünscht, die sozialen Spannungen innerhalb der Stadt auf die Spitze trieb. Das traditionelle Ritual war nicht mehr in der Lage, sie zu überbrücken. „Gelebte Welt“ und „vorgestellte Welt“ (Clifford Geertz) hatten sich zu weit von einander entfernt.89 Sozialen und politischen Veränderungen sollte in den Augen der Innungsleute in neuen symbolischen Geltungsbehauptungen zu Wirkmächtigkeit verholfen werden. Damit wird zum einen die Wichtigkeit dieser symbolischen Handlungen in den Augen der Zeitgenossen überdeutlich; zum anderen sehen wir hier aber auch die Grenzen der Funktionalität von Ritualen: Die nötige, im Voraus zu geschehene Einigung über die Veränderung der symbolischen Tradition kam nicht zustande. Die Ordnung wurde im Vollzug zerstört. Alle späteren Herrschaftsantritte kannten übrigens nur noch die Huldigung des Rates und der Bürgerschaft.
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Clifford GEERTZ, Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, 2. Aufl. Frankfurt am Main 1991.
Lehnszeremoniell und Wahlverfahren Zur symbolischen Inszenierung politischer Ordnung in der Salz- und Residenzstadt Halle (15.-18. Jahrhundert) Michael Hecht, Münster Das Thema nach der Herstellung und Umgestaltung politischer Ordnung in der vormodernen Stadt gehört zu den klassischen Untersuchungsfeldern der historischen Forschung. In jüngster Zeit lässt sich dabei ein deutlicher Perspektivenwandel erkennen, der jenseits von normativen Texten und sozio-ökonomischen Strukturen die Handlungs- und Kommunikationsformen städtischer Herrschaft in den Blick rückt. Das Politische erscheint dabei nicht mehr als essentialistische Größe, sondern als Ergebnis von Sinnzuschreibungen, Geltungsbehauptungen und Deutungskonflikten der beteiligten Akteure.1 Folgt man diesen Prämissen, kam gerade in der „Anwesenheitsgesellschaft“ Stadt, in der die Interaktion zwischen Personen und Personengruppen die wichtigste Kommunikationsform darstellte, den Symbolen, Ritualen und Zeremonien eine entscheidende Rolle bei der Ausgestaltung von Herrschaft zu. Denn es kann als Kennzeichen der Kommunikation unter Anwesenden gelten, dass Präsenz verstärkt sinnlich erlebbar gemacht wurde, so dass der Interaktion ein performativer Grundzug eingeschrieben war.2 Die Analyse entsprechender Zeichensysteme und
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Allgemein zu dieser Perspektive Barbara STOLLBERG-RILINGER, Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? Einleitung, in: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, hrsg. von DERS. (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 35), Berlin 2005, S. 9-24. Vgl. zur Diskussion dieser Konzepte mit weiteren Verweisen auch Andreas RÖDDER, Klios neue Kleider. Theoriedebatten um eine Kulturgeschichte der Politik in der Moderne, in: Historische Zeitschrift 283 (2006), S. 657-688. Rudolf SCHLÖGL, Vergesellschaftung unter Anwesenden. Zur kommunikativen Form des Politischen in der vormodernen Stadt, in: Interaktion und Herrschaft. Die Politik der frühneuzeitlichen Stadt, hrsg. von DEMS. (Historische Kulturwissenschaft, Bd. 5), Konstanz 2004, S. 9-60; Uwe GOPPOLD, Politische Kommunikation in den Städten der Vormoderne. Zürich und Münster im Vergleich (Städteforschung, Reihe A, Bd. 74), Köln u. a. 2007; Jörg ROGGE, Stadtverfassung, städtische Gesetzgebung und ihre Darstellung in Zeremoniell und Ritual in deutschen Städten vom 14. bis 16. Jahrhundert, in: Aspetti e componenti dell’identità urbana in Italia e in Germania (secoli XIV-XVI) – Aspekte und Komponenten der städtischen Identität in Italien und Deutschland (14.-
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performativer Akte als Medien symbolischer Kommunikation erlaubt daher einen Einblick in die politischen Werte einer Gesellschaft und in die Mechanismen, durch welche die soziale Ordnung konstituiert, reproduziert und verändert wurde.3 Die Residenzstadt als urbane Sonderform des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit weist gegenüber dem von Rudolf Schlögl konzeptualisierten Idealtyp der Anwesenheitsgesellschaft und ihrer historischen Verkörperung in der vormodernen Stadt4 einige wesentliche Unterschiede auf: Durch die dauerhafte Anwesenheit des Herrschers und seines Hofes rekrutierten sich die Teilnehmer an den Kommunikationsprozessen nicht allein aus der korporativ verfassten Stadtgemeinde, vielmehr interagierten die Angehörigen verschiedener Sozialsysteme zwangsläufig in einer räumlich wie zeitlich dichten Weise. Dies hatte nicht nur Auswirkungen auf die Kommunikationsmedien – man denke beispielsweise an die durch Residenzarchitektur modifizierten Raum- und Zeichenprogramme – , sondern verweist auch auf divergierende Leitbilder politischer Ordnung, die sich unter anderem in unterschiedlichen Mechanismen der Entscheidungsfindung und unterschiedlichen Legitimationsmustern von Herrschaft manifestierten. Die neuere Forschung zur Residenzstadt hat dieses Spannungsfeld mit Begriffen wie Konfrontation, Koexistenz und Integration oder Konflikt und Symbiose abzustecken gesucht.5 Gleichzeitig wurde darauf aufmerksam gemacht, dass eine Bewertung der zeremoniellen Praktiken, Aushandlungsprozesse und Selbstvergewisserungen, die in dieses Spannungsfeld gehören, noch einer vertieften Untersuchung einzelner Fälle und Formen bedarf.6
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16. Jahrhundert), hrsg. von Giorgio CHITTOLINI und Peter JOHANEK (Annali dell’Istituto Storico Italo-Germanico in Trento, Contributi, Bd. 12), Bologna und Berlin 2003, S. 193-226. Barbara STOLLBERG-RILINGER, Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Begriffe – Thesen – Forschungsperspektiven, in: Zeitschrift für Historische Forschung 31 (2004), S. 489-528; Marian FÜSSEL und Thomas WELLER, Einleitung, in: Ordnung und Distinktion. Praktiken sozialer Repräsentation in der ständischen Gesellschaft, hrsg. von DENS. (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme, Bd. 8), Münster 2005, S. 9-22. Zuletzt: Rudolf SCHLÖGL, Kommunikation und Vergesellschaftung unter Anwesenden. Formen des Sozialen und ihre Transformation in der Frühen Neuzeit, in: Geschichte und Gesellschaft 34 (2008), S. 155-224. Jörg WETTLAUFER, Zwischen Konflikt und Symbiose. Überregionale Aspekte der spannungsreichen Beziehung zwischen Fürstenhof und Stadt im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Der Hof und die Stadt. Konfrontation, Koexistenz und Integration in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von Werner PARAVICINI und Jörg WETTLAUFER (Residenzenforschung, Bd. 20), Ostfildern 2006, S. 19-33; Andreas RANFT, Residenz und Stadt, in: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Bilder und Begriffe, hrsg. von Werner PARAVICINI, Teilbd. 1 (Residenzenforschung, 15,2,1), Ostfildern 2005, S. 27-32; anregend zudem: Patrick SCHMIDT und Horst CARL, Einleitung, in: Stadtgemeinde und Ständegesellschaft. Formen der Integration und Distinktion in der frühneuzeitlichen Stadt, hrsg. von DENS. (Geschichte: Forschung und Wissenschaft, Bd. 20), Berlin u. a. 2007, S. 7-30. Vgl. Martin DINGES, Residenzstadt als Sozialdisziplinierung? Zur Rekonstruktion eines kulturgeschichtlichen Forschungsgegenstandes, in: Disziplinierung im Alltag des Mittelalters und der frü-
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Im Folgenden soll die Salz- und Residenzstadt Halle im Mittelpunkt stehen.7 Hier etablierten sich im Gefolge einer spezifischen Konfliktkonstellation seit dem Ausgang des 15. Jahrhunderts zeremonielle Praktiken und Verfahren, die in Verbindung zur städtischen Saline standen und die die Grundmuster politischer Ordnung performativ vergegenwärtigten, verstetigten und in bestimmte Richtungen wandelten. Dies soll in einem Dreischritt untersucht werden: Zunächst wird ein kurzer Überblick zu den Kontextbedingungen gegeben, um anschließend das so genannte Lehntafelhalten einerseits und die Wahlen für das Amt des Salzgräfen andererseits in ihrer Bedeutung für die politische Kultur der Stadt zu analysieren. Intendiert ist damit ein mikroskopischer Blick auf einzelne Elemente kommunikativen Handelns, deren Verbindung zu anderen Praktiken der Ordnungsstiftung im Rahmen dieses Aufsatzes allenfalls am Rande thematisiert werden kann.8 Gleichwohl scheinen gerade die gewählten Inszenierungen geeignet, in einer Perspektive langer Dauer (15.-18. Jahrhundert) die Voraussetzungen, Ausdrucksmöglichkeiten und Dynamiken symbolischer Kommunikation in der vormodernen Residenzstadt in ihrer spezifischen Formung in Halle zu veranschaulichen.
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hen Neuzeit, hrsg. von Gerhard JARITZ (Veröffentlichungen des Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Bd. 17; Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Bd. 669), Wien 1999, S. 57-74; Birgit STUDT, Territoriale Funktionen und urbane Identität deutscher Residenzstädte vom 14. bis zum 16. Jahrhundert, in: CHITTOLINI/JOHANEK, Aspetti (wie Anm. 2), S. 45-68. Der vorliegende Aufsatz, entstanden 2007 (seitdem erschienene Literatur konnte nur an wenigen Stellen eingearbeitet werden), fasst Überlegungen zusammen, die ich auf dem Workshop „Vormoderne Konfliktbewältigung aus regionalgeschichtlicher Perspektive“ des SFB 496 und des Graduiertenkollegs „Gesellschaftliche Symbolik“ in Münster (Juni 2006) sowie auf dem 7. Tag der Hallischen Stadtgeschichte „Stadtgeschichtsforschung im Jubiläumsjahr. Bilanz – Erträge – Perspektiven“ (Dezember 2006) präsentiert habe. Für Anregungen danke ich insbesondere Elizabeth Harding, Jan Brademann und den Herausgebern dieses Bandes. Die hier vorgestellten Praktiken werden in meiner mittlerweile publizierten Dissertation in einen größeren Rahmen „patrizischer“ Institutionalisierung eingeordnet, vgl. Michael HECHT, Patriziatsbildung als kommunikativer Prozess. Die Salzstädte Lüneburg, Halle und Werl in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Städteforschung, Reihe A, Bd. 79), Köln u. a. 2010. Für einen weiteren Überblick mit einer Perspektivierung auf den Herrschaftswechsel von 1680 vgl. Jan BRADEMANN, Integration einer Residenzstadt? Politische Ordnung und Kultur der Stadt Halle an der Saale im 16. und 17. Jahrhundert, in: Zeitschrift für historische Forschung 34 (2007), S. 569608. Zur Residenz im 17. Jahrhundert vgl. jetzt auch Andrea THIELE, Residenz auf Abruf? Hof- und Stadtgesellschaft in Halle unter dem letzten Administrator des Erzstifts Magdeburg, August von Sachsen (1614-1680) (Forschungen zur hallischen Stadtgeschichte, Bd. 16), Halle 2011.
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1. Die Salz- und Residenzstadt Halle Am 21. September 1478 zog Erzbischof Ernst von Magdeburg mit militärischem Gefolge in Halle ein, setzte Teile der städtischen Eliten gefangen und begann kurze Zeit später mit dem Bau einer Burg, die 1503 zur dauerhaften Residenz der Landesherren (das heißt der Erzbischöfe bzw. später der protestantischen Fürstadministratoren) wurde.9 Die gewaltsame Unterwerfung der Stadt, die mit dem Verlust zahlreicher Autonomierechte einherging und den Beginn der Residenzbildung markiert, gründete einerseits in einem neuen herrschaftlichen Selbstverständnis des Erzbischofs bzw. seiner Räte,10 andererseits in einer Uneinigkeit und Fraktionierung der Bürgergemeinde, die sich die stadtherrliche Seite geschickt zunutze machte. Gleichzeitig verweisen die in Erscheinung tretenden Konfliktgegenstände auf den Charakter Halles als Salzstadt:11 Innerstädtisch lässt sich schon in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine zunehmende Konfrontation zwischen der so genannten Pfännerschaft als Korporation der an der Saline begüterten und mit Salzsiederechten versehenen Bürgern (dem „Salzpatriziat“) auf der einen Seite und Teilen der übrigen Bürgerschaft auf der anderen Seite erkennen. Die Führungsstellung der Pfänner im politischen Gefüge der Stadt wurde von den Handwerksmeistern der größeren Innungen nicht mehr allgemein akzeptiert; damit verbunden waren die auch aus anderen Städten bekannten Beteiligungskonflikte zwischen der Ratselite und ökonomisch erfolgreichen Aufsteigern. Bereits 1427 wurde eine neue Ratsverfassung eingeführt, die den Zugang der Pfänner zum Stadtregiment beschränkte, ohne damit dauerhaft die offenkundigen Interessensgegensätze zu entschärfen, die eine konsensorientierte Ratspoli-
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Matthias MEINHARDT, Die Residenzenbildung in Halle in der Residenzenlandschaft Mitteldeutschlands. Beobachtungen zum Verhältnis zwischen Stadt und Stadtherr im 15. und 16. Jahrhundert, in: Ein „höchst stattliches Bauwerk“. Die Moritzburg in der hallischen Stadtgeschichte 1503-2003, hrsg. von Michael ROCKMANN (Forschungen zur hallischen Stadtgeschichte, Bd. 5), Halle 2004, S. 19-42; Michael SCHOLZ, „... da zoge mein herre mit macht hinein ...“. Die Stadt Halle nach der Unterwerfung durch den Erzbischof von Magdeburg 1478, in: PARAVICINI/WETTLAUFER, Hof und Stadt (wie Anm. 5), S. 63-87. Vgl. Jörg ROGGE, Ernst von Sachsen, Erzbischof von Magdeburg und Administrator von Halberstadt (1476-1513), in: Mitteldeutsche Lebensbilder. Menschen im späten Mittelalter, hrsg. von Werner FREITAG, Köln u. a. 2002, S. 27-68; Michael SCHOLZ, Residenz, Hof und Verwaltung der Erzbischöfe von Magdeburg in Halle in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Residenzenforschung, Bd. 7), Sigmaringen 1998. Grundlegend zum Stadttyp: Werner FREITAG, Die Salzstadt – Alteuropäische Strukturen und frühmoderne Innovation. Eine Einführung, in: Die Salzstadt. Alteuropäische Strukturen und frühmoderne Innovation, hrsg. von DEMS. (Studien zur Regionalgeschichte, Bd. 19), Bielefeld 2004, S. 9-37; DERS., Halle: eine Salzstadt des Mittelalters, in: Halle und das Salz. Eine Salzstadt in Mittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von DEMS. und Heiner LÜCK (Forschungen zur hallischen Stadtgeschichte, Bd. 2), Halle 2002, S. 15-36.
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tik immer schwieriger erscheinen ließen.12 Definierten die Pfänner das gemeine Wohl in der Kommune über das Wohlergehen der Saline und die lukrative Salzproduktion, so bezichtigten ihre Gegner sie der Verfolgung eigennütziger Ziele und des Hochmuts gegenüber den Handwerkern.13 Auch die Auseinandersetzungen zwischen der Stadt und den Erzbischöfen basierten zum Teil auf Interessensgegensätzen bezüglich der Saline. Entscheidend dabei war, dass die grundherrliche Gewalt über die Solebrunnen beim Erzstift lag, wodurch die Kommune Einschränkungen der angestrebten Autokephalie hinnehmen musste.14 Der Ort der Salzgewinnung, das so genannte „Thal“, blieb ein Sonderrechtsbezirk in der Stadt, in dem die Tätigkeit erzbischöflicher Amtsträger augenfällig die Persistenz stadtherrlicher Rechte zum Ausdruck brachte. Hervorzuheben ist dabei die Funktion des Salzgräfen, der im Namen des Erzbischofs Gericht im Salineareal hielt und mehr als einmal in Konflikt mit dem Stadtrat geriet.15 Die Nutzung des Salzwerks durch die Pfänner gründete sich auf der erzbischöflichen Belehnung von hallischen Bürgern mit Salinenanteilen. Alle Mitglieder der Pfännerschaft, die die Versiedung der Sole exklusiv ausübten, waren somit dem Erzbischof durch eine Lehnsbindung verpflichtet, die im Gegensatz zu anderen Salzstädten nicht abgeschwächt oder in freies Eigentum umgewandelt wurde.16 Auseinandersetzungen um die Leistung der Lehnware und
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Andreas RANFT und Michael RUPRECHT, Kommunebildung, Sakralgemeinschaft und Stadtkonflikte – die Salzstadt Halle um 1100 bis 1478, in: Geschichte der Stadt Halle, Bd. 1: Halle im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Werner FREITAG und Andreas RANFT, Halle 2006, S. 99-155, bes. S. 137-147; zur Position der Pfännerschaft vgl. auch Hanns FREYDANK, Die Hallesche Pfännerschaft im Mittelalter, Halle 1927. Die pfännerschaftliche Sichtweise lässt sich gut aus der chronikalischen Hinterlassenschaft des Ratsmeisters und Pfänners Marcus Spittendorff aus dem 15. Jahrhundert erschließen, vgl. Denkwürdigkeiten des hallischen Rathsmeisters Spittendorff, hrsg. von Julius OPEL (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete, Bd. 11), Halle 1880. Die Gegenperspektive fand u. a. Eingang in das Geschichtswerk des Hamburger Chronisten Albert Krantz (1448-1517), in dessen „Saxonia“ es zu den Hintergründen der hallischen Konflikte heißt: Die Saltzjunckern, ein faules unnd hoffertigs Volck, verachteten jhre Mitbürger die Handtwercks Leute, unnd die der Stadt fürstehen solten, förderten den gemeinen nutz nicht so sehr, als jhren eigen nutz. Hier zitiert nach der Ausgabe von 1563, vgl. Albert KRANTZ, Saxonia. Weithleufftige, Fleissige und richtige Beschreibung, der Ankunfft, Sietten, Regiment ... der Sachsen ..., verdeutscht, erkleret unnd gebessert durch Basilius Faber, Leipzig 1563, Bl. 272. FREITAG, Salzstadt (wie Anm. 11), S. 13 ff., vgl. auch Erich NEUSS, Die Erzbischöfe von Magdeburg in ihrem Verhältnis zur Stadt Halle, in: Herbergen der Christenheit 1973/74, S. 31-46. Heiner LÜCK, Das „Thal“ als Bereich besonderer Gerichtsbarkeit und Rechtsaufzeichnung im Spätmittelalter, in: FREITAG/LÜCK, Halle (wie Anm. 11), S. 37-50; DERS., Berg und Tal – Gericht und Recht in Halle während des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, in: FREITAG/RANFT, Stadt Halle (wie Anm. 12), S. 239-257. Vgl. Michael HECHT, Geburtsstand oder Funktionselite? Überlegungen zum „Salzpatriziat“ im Zeitraum von 1400 bis 1700, in: FREITAG, Salzstadt (wie Anm. 11), S. 83-116; HECHT, Patriziats-
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andere Lehnspflichten wurden mitunter heftig geführt und erwuchsen zu allgemeinen Stadtkonflikten – so auch im Vorfeld der Ereignisse von 1478. Es bleibt somit festzuhalten, dass die Einnahme der Stadt durch den Erzbischof, die am Anfang der Residenzstadtbildung stand, eng mit Konflikten um die Saline verknüpft war, in denen die Pfänner sowohl gegenüber dem Stadt- und Lehnsherrn als auch gegenüber anderen Gruppen der Bürgerschaft in eine konfrontative Stellung geraten waren. Es lassen sich somit mehrere Konfliktparteien unterscheiden, deren divergierende Interessen und Ziele dem Leitbild einer konsensualen Herrschaft entgegenstanden.17 Der Versuch der Konfliktlösung durch das gewaltsame Vorgehen gegen die Pfänner und ihre Anhänger 1478 kann als eine deutliche Markierung erzbischöflichen Ordnungsanspruchs gedeutet werden, der jedoch nicht dauerhaft in agonaler Weise weiterverfolgt werden konnte. Zwar kam es nach der Einnahme der Stadt zu einer temporären „Ausschaltung“ der Pfänner, die in ihrer Gefangensetzung, der erzwungenen Abtretung eines Viertels ihrer Salinenanteile an den Erzbischof und ihrer bereits zuvor von ihren innerstädtischen Gegnern etablierten Ausgrenzung von der Entscheidungsfindung ihren Ausdruck fand.18 Jedoch wurde bereits mit der normativen Reorganisation der kommunalen Politik durch die „Regimentsordnung“ von 1479 sowie die „Thalordnung“ und „Willkür“ von 1482 der Weg zu einer „Normalisierung“ und Konsensfindung eingeschlagen. Weder die These einer radikalen Enteignung der Pfännerfamilien, wie von der älteren Forschung angeführt, noch die Behauptung ihrer längerfristigen Ausgrenzung aus der politischen Führungsschicht halten quellenkritischen Untersuchungen stand.19 Das neue Modell politischer Ord-
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bildung (wie Anm. 7), S. 39-47. Dort findet sich auch eine genauere analytische Abgrenzung der Solgutsbesitzer und der Pfänner (Siedeberechtigten) im engeren Sinne. Vgl. mit einem weiten Überblick zu historiographischen Konzeptionen städtisch-politischer Ordnung Wolfgang MAGER, Genossenschaft, Republikanismus und konsensgestütztes Ratsregiment. Zur Konzeptualisierung der politischen Ordnung in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen deutschen Stadt, in: Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts. Politische Theologie – Res Publica-Verständnis – konsensgestützte Herrschaft, hrsg. von Luise SCHORN-SCHÜTTE (Historische Zeitschrift, Beiheft N. F. 39), München 2004, S. 13-122; zum Konfliktbegriff vgl. Olaf MÖRKE, Der „Konflikt“ als Kategorie städtischer Sozialgeschichte des 16. Jahrhunderts, in: Beiträge zum spätmittelalterlichen Städtewesen, hrsg. von Bernhard DIESTELKAMP (Städteforschung, Reihe A, Bd. 12), Köln u. a. 1982, S. 144-161. Vgl. Jörg ROGGE, Reden, Streiten, Verhandeln. Innerstädtische Kommunikation und Stadtkonflikte in den 1470er Jahren in Halle, in: Aufruhr, Zwietracht und Gewalt. Konfliktlagen in der hallischen Stadtgesellschaft vom Mittelalter bis zur Neuzeit, hrsg. von Werner FREITAG und Michael RUPRECHT (Forschungen zur hallischen Stadtgeschichte, Bd. 7), Halle 2006, S. 28-41. Vgl. hierzu meine Ausführungen in Werner FREITAG, Michael HECHT und Andrea THIELE, Residenz und Stadtgesellschaft (1478-1680), in: FREITAG/RANFT, Stadt Halle (wie Anm. 12), S. 261-313, hier S. 273 ff., vgl. auch SCHOLZ, Stadt (wie Anm. 9); Manfred STRAUBE, Die Pfännerschaft der Stadt Halle im ausgehenden 15. Jahrhundert, in: FREITAG, Salzstadt (wie Anm. 11), S. 117-137.
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nung betonte die Kooperation von Stadtrat, Saline und Landesherr, wobei letzterer eine gegenüber der Zeit vor 1478 deutlich stärkere Position zugewiesen bekam. Neuere Untersuchungen zur politischen Kultur Halles in der Residenzstadtzeit (1503-1680) haben zwei Spezifika herausgestellt: Zum einen kann man eine relative Konfliktarmut und Konsensorientierung erkennen. Das bedeutet freilich nicht, dass Auseinandersetzungen zwischen Stadtrat und Landesherren, zwischen höfischer und bürgerlicher Sphäre ausgeblieben wären. Auch in Halle wurde über konfessionelle Standpunkte, finanzielle Lasten, jurisdiktionelle Kompetenzen sowie Präzedenz- und Rangfragen gestritten.20 Gleichwohl lassen sich ein gewisses Einvernehmen, eine Rücksicht auf die jeweils andere Seite und in diese Richtung wirkende Mechanismen des Aushandelns ausmachen.21 Zum anderen wurde für die Zeitspanne vom frühen 16. bis zum späten 17. Jahrhundert eine wachsende „Verhöfischung“ der städtischen Eliten hervorgehoben. Ratsherren und Pfänner orientierten sich an den Identifikationsmustern und Inszenierungstechniken der Residenz und verinnerlichten dabei zunehmend höfische Werte und Kommunikationsformen. Damit ist zugleich die sozialgeschichtliche Fundierung der Integration von Hof und Stadt angesprochen: Stadtrat, Pfännerschaft und gehobene Hofgesellschaft wuchsen im späteren 16. und verstärkt im 17. Jahrhundert zu einer Funktionselite zusammen, die durch Konnubium und Geschäftsbeziehungen verbunden war und einen problemlosen Wechsel zwischen den Bezugssystemen (etwa in der Ausübung von Funktionen in der Salinen-, Stadt- und Landesverwaltung) ermöglichte.22 Diese Beobachtungen lenken den Blick in besonderer Weise auf die Kommunikationsweisen und symbolischen Inszenierungen, die im Anschluss an die normativen Regelungen von 1479 und 1482 an der Konstituierung und „Implementierung“ der 20
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Vgl. exemplarisch Werner FREITAG, Residenzstadtreformation? Die Reformation in Halle zwischen kommunalem Selbstbewusstsein und bischöflicher Macht, in: Kontinuität und Zäsur. Ernst von Wettin und Albrecht von Brandenburg, hrsg. von Andreas TACKE (Schriftenreihe der Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt, Bd. 1), Göttingen 2005, S. 91-118; Jan BRADEMANN und Gerrit DEUTSCHLÄNDER, Herrschaft und Ritual im Zeichen der Reformation. Die Karwoche des Jahre 1531 in Halle, in: Jahrbuch für hallische Stadtgeschichte 4 (2006), S. 11-42; Jan BRADEMANN, Verschuldung, Kriegslasten und die Veränderung der politischen Ordnung – Halle im Dreißigjährigen Krieg, in: FREITAG/RUPRECHT, Aufruhr (wie Anm. 18), S. 62-92; Andrea THIELE, Grenzkonflikte und soziale Verortung in der „Residenz auf Abruf“. Halle unter dem letzten Administrator des Erzstifts Magdeburg, Herzog August von Sachsen-Weißenfels (1614-1680), in: Machträume der frühneuzeitlichen Stadt, hrsg. von Christian HOCHMUTH und Susanne RAU (Konflikte und Kultur – historische Perspektiven, Bd. 13), Konstanz 2006, S. 239-257; FREITAG/HECHT/ THIELE, Residenz (wie Anm. 19). BRADEMANN, Integration (wie Anm. 8). Ebd.; HECHT, Geburtsstand (wie Anm. 16), S. 91 f. und 99 f.; FREITAG/HECHT/THIELE, Residenz (wie Anm. 19), S. 277 ff. und 296 ff.; Werner FREITAG und Michael HECHT, Verlassene Residenz und Konsumentenstadt an der preußischen Peripherie (1680-1806), in: FREITAG/RANFT, Stadt Halle (wie Anm. 12), S. 405-429, hier S. 417 ff.
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politischen Ordnung mitwirkten. Während in jüngster Zeit mit dem Ratswahlritual, der Huldigung der Stadt gegenüber dem Landesherrn und der höfischen Festkultur Bereiche genauer untersucht wurden, die den Interaktionen zwischen Bürgergemeinde und Residenz gewidmet waren23, ist die symbolische Einordnung der Saline und der ihr Zugehörigen in das hallische Ordnungsmodell bislang noch nicht Gegenstand der Analyse geworden. In dem Maße, wie die Saline als Faktor des Umbruchs von 1478 eine entscheidende Rolle spielte, musste ihr jedoch auch bei der Konfliktbewältigung und der symbolischen Vergewisserung konsensorientierter Stadtherrschaft eine wichtige Rolle zukommen. Die im Folgenden untersuchten Phänomene stehen hierfür in besonderem Maße. 2. Das Lehntafelhalten Im Dezember 1730 wurden die „Herren Studiosi“ in Halle in einem Zeitungsartikel aufgefordert, der Ein- und Austragungen der Salinengüter in die „Erb-Lehen-Tafel“ beizuwohnen, da sie dabei „Gelegenheit haben“ würden, „durch den Königl. Steuer Rath Hrn. Tentzeln die wächsernen Tafeln, die der Römischen Art nach eingerichtet, sich vorzeigen zu lassen.“24 Was im 18. Jahrhundert die juristischen Gelehrten der Universität als ein Rechtsaltertum faszinierte, war ein Ereignis, das über mehrere Jahrhunderte für die Verfassungsstrukturen Halles eine herausragende Bedeutung besessen hatte. Eingerichtet im Anschluss an die Neuordnung der Stadt- und Salinenverfassung um 1480, wurde zunächst zweimal jährlich „die Lehntafel gehalten“, nämlich im Juni und Dezember (um Trinitatis und Luciae), bis man sich seit 1617 auf einen Termin (in der Regel um den 13. Dezember) beschränkte.25 Im Zentrum standen 23
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Vgl. Antje DIENER-STAECKLING, Der Himmel über dem Rat. Zur Symbolik der Ratswahl in mitteldeutschen Städten (Studien zur Landesgeschichte, Bd. 19), Halle 2008; Jan BRADEMANN, Autonomie und Herrscherkult. Adventus und Huldigung in Halle (Saale) in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Studien zur Landesgeschichte, Bd. 14), Halle 2006; Andrea THIELE, Fürstliche Repräsentation und städtischer Raum: Begräbnisfeierlichkeiten in der Residenzstadt Halle zur Zeit des Administrators August von Sachsen-Weißenfels, in: Vergnügen und Inszenierung. Stationen städtischer Festkultur in Halle, hrsg. von Werner FREITAG und Katrin MINNER (Forschungen zur hallischen Stadtgeschichte, Bd. 4), Halle 2004, S. 29-46. Wöchentliche Hallische Frage- und Anzeigungsnachrichten 1730, S. 769. Ein besonderes Interesse der juristischen Gelehrten an den Lehntafeln dokumentiert auch Johann Peter von LUDEWIG, HauptSchlüssel zum Verstand der Römischen Codicum, in: DERS., Gelehrte Anzeigen, in alle Wissenschafften, sowol geistlicher als weltlicher, alter und neuer Sachen, welche vormals denen Hallischen Wöchentlichen Anzeigen einverleibet worden, Teil 1, Halle 1743, Stück 241, S. 1094-1104. Vgl. auch FREYDANK, Pfännerschaft (wie Anm. 12), S. 184. Eine Aufnahme der Lehntafeln durch die erzbischöflichen Räte erfolgte im Anschluss an die Stadtkonflikte im Juli 1479, vgl. dazu Denkwürdigkeiten Spittendorf (wie Anm. 13), S. 418 ff., eine Abhaltung der Revisionen setzte jedoch offenbar erst im Laufe der 1480er Jahre ein.
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die Lehntafeln aus Holz und Wachs, in die mit einem Griffel die Namen der mit Solgut Neubelehnten eingeritzt sowie im Gegenzug diejenigen, die ihr Solgut verkauft hatten oder gestorben waren, ausgetragen (gelöscht) wurden.26 Die Tafeln selbst waren sehr aufwendig gefertigt, was auf ihre zeremonielle Bedeutung verweist. Wie aus den Rechnungen anlässlich ihrer Erneuerungen 1528 und 1681 hervorgeht, waren sie mit einem Hundeledereinband versehen und wurden in einer Schutzhülle aus sämischem Hirschleder aufbewahrt.27 Es existierten getrennte Lehntafeln für die Anteile an den einzelnen Solebrunnen (eine Tafel für den „Deutschborn“, eine für den „Gutjahrborn“ und eine für „Meteritz“ und „Hackeborn“), die in jeweils drei identischen Ausführungen vorlagen. Davon wurde ein Satz in der Klausur im Rathaus, einer im Gewölbe der Marienkirche und der dritte bei den Oberbornmeistern als Amtsträgern der Saline aufbewahrt. Das Prozedere des Lehntafelhaltens folgte einem gewohnheitsrechtlich normierten Ablaufplan, dessen ausführliche Kenntnis wir vor allem den Aufzeichnungen des Hofrats und Salzgräfen Friedrich Hondorff (1628-1694) verdanken.28 Demnach wurde vier Wochen vor dem Ereignis ein landesherrliches Edikt am Rathaus angeschlagen, das den genauen Termin bestimmte und alle diejenigen, die Solgut erworben hatten, zum Erscheinen aufforderte.29 Am Tag vor dem angesetzten Datum versammelten sich die Herren des Stadtrats im Rathaus, ließen die eigenen Exemplare der Lehntafel von der Klausur in die Kämmerei bringen und zogen in einer feierlichen Prozession in die Marienkirche am Markt, „woselbst ihnen der Kirchvater [...] das Gewölbe, darinne das Andere Exemplar der Lehntaffel lieget, eröffnet, der Hausvoigt aber [...] solche Lehntaffel, in einer höltzernen, mit Eisern Beschlägen verwahrten Laden [...] hinter den Raths-Personen her, auffs Rathhaus träget, und daselbst zu den andern
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Vgl. Hanns FREYDANK, Die hallischen Lehntafeln, in: Zeitschrift für das Berg-, Hütten- und Salinenwesen im Deutschen Reich 86 (1938), S. 419-428; DERS., Pfännerschaft (wie Anm. 12), S. 202 f. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abt. Magdeburg (im Folgenden LHASA MD) Rep. Db Halle A II Nr. 2, Bl. 74 ff. und Db Halle A XV A Nr. 16p; FREYDANK, Lehntafeln (wie Anm. 26), S. 423. Mit der Anfertigung der Tafeln wurde 1528 ein Klavichordienmacher aus Leipzig betraut. Friedrich HONDORFF, Das Saltz-Werck zu Halle in Sachsen befindlich, Halle 1670. Einen Wiederabdruck mit eigenen Kommentierungen fügte der Salzgräfe Dreyhaupt als Beilage A seinem Opus magnum bei, vgl. Johann Christoph von DREYHAUPT, Pagus Neletici et Nudzici, oder Ausführliche diplomatisch-historische Beschreibung des zum ehemaligen Primat und Ertz-Stifft nunmehr aber durch den westphälischen Friedens-Schluß sekularisirten Hertzogthum Magdeburg gehörigen SaalKreÿses..., Teil 2, Halle 1749; Neudruck Halle 2002. Nach dieser Ausgabe wird im Folgenden als HONDORFF/DREYHAUPT zitiert. Zu Hondorff vgl. auch Johannes MAGER, Kulturgeschichte der halleschen Salinen, 2. Aufl. Halle 1995, S. 16 f. Ein Teil dieser landesherrlichen Lehntafelpatente hat sich erhalten, vgl. LHASA MD, Rep. Db Halle A III, Nr. 29; Stadtarchiv Halle (im Folgenden StadtA Halle) HA Kap. XXVI, Nr. 21.
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Exemplare leget“.30 Am Tag darauf ließen die Oberbornmeister die bei ihnen aufbewahrten Lehntafelexemplare durch ihre Amtsknechte vor das Talhaus (den Ort des Salinengerichts) bringen, wo die Oberbornmeister mit dem Salzgräfen, dem Bornschreiber und dem Talvoigt zusammentrafen. In gemeinsamer Prozession ging man zum Rathaus, wobei die Amtsknechte die Lehntafeln trugen und im Rathaus ablegten. Dort warteten sodann die Ratsherren und Salinenrepräsentanten auf die Vertreter des Landesherrn (in der Regel der adlige Burghauptmann und ein gelehrter Hofrat mitsamt Sekretär) und einen Deputierten des Domkapitels (das 1554 seine Beteiligung am Lehntafelhalten durchsetzen konnte). Letztere wurden feierlich empfangen und in die Ratsstube geführt, wo alle Anwesenden hinter einer langen Tafel nach einer genauen Sitzordnung, die die soziale Rangfolge widerspiegelte, Platz nahmen.31 Nach einer kurzen Ansprache des fürstlichen Hauptmanns und einer durch den Stadtsyndikus gegebenen Antwort mit den „gewöhnlichen Curalia und Dancksagung gegen den Landes-Fürsten, das Dom-Capitul, und die Comissarien“ begann der Prozess des Einund Abschreibens der Solgutsbesitzer in die Lehntafeln. Dazu wurde mit einem „vor der Rathsstuben angemachten Glöcklein“ aufgefordert, dass nun „ein Geschlecht nach dem andern“ in die Stube treten sollte. Die anwesenden Vertreter des Landesherrn, des Rates und der Saline hatten zu prüfen, ob der Solgutserwerb korrekt von statten gegangen war und alle Voraussetzungen von den Aspiranten erfüllt wurden. Gab es keine Einsprüche, folgte der Belehnungsakt. Dazu reichte der fürstliche Hauptmann den Vasallen „seinen Hut oder Mütze dar, und wann sie mit der Hand dieselbe anfassen, beleihet er [...] in Namen des Landes-Fürsten, so wol den Principaln, [...] als auch zugleich dessen Brüder oder Vettern, denen die gesamte Hand daran bekennet wird“. Die Änderungen wurden von den anwesenden Sekretären und Schreibern in den Lehntafeln vollzogen und in mehreren Kopien auch auf Papier verewigt. Diese Registraturen und Protokolle sind seit 1486 in Auszügen und ab 1518 in lückenloser Folge erhalten, so dass genaue Einblicke in die Vorgänge in der Ratsstube möglich sind.32 Die Aus- und Abschreibungen der Solgutsbesitzer erfolgten so lange, bis alle Veränderungen eingetragen und alle Belehnungen vollzogen waren. Mitunter zog sich das Verfahren über zwei Tage hin. Nach einem gemeinsamen Essen der Beteiligten – der Rat servierte „Kuchen, Confect, und süssen, auch andern Wein“ – und der Verabschiedung der Kommissare des Fürsten und des Domkapitels, bildete die feierliche
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HONDORFF/DREYHAUPT, Saltz-Werck (wie Anm. 28), S. 98-106. Hieraus stammen auch die folgenden Zitate. Detailliert dazu FREYDANK, Lehntafeln (wie Anm. 26), S. 427. Zu unterscheiden sind die Abschriften der Lehntafeln von den Protokollen der Belehnungen und der dabei behandelten Sachen, vgl. dazu jetzt Michael HECHT, Belehnungsprotokolle und Besatzungsregister als Quellen für die hallische Stadtgeschichte des 15. bis 18. Jahrhunderts, in: Jahrbuch für hallische Stadtgeschichte 9 (2011), S. 137-156.
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Rückführung der Lehntafeln an ihre Verwahrungsorte („in der Procession, wie es hinauff geholet“) den Abschluss des Lehntafelhaltens.33 Das hier vorgestellte Zeremoniell gehörte zu den konstitutiven Elementen der Salinenverfassung in der Stadt, das allen Beteiligten gegenüber der rein funktionellen Begründung eines Lehnsverhältnisses einen symbolischen Mehrwert garantierte.34 Der Landesfürst konnte sich in Gestalt seiner Vertreter als Lehnsherr der Solgüter präsentieren und für seine herausgehobene Stellung rituelle Bestätigung durch alle Beteiligten erlangen. Zudem wurde der Status Halles als Residenzstadt sinnlich erfahrbar. Der Zug der landesfürstlichen Amtsträger von der Moritzburg auf das Rathaus, ihre Begrüßung und Bewirtung aktualisierte stets aufs Neue die Anwesenheit des Hofes in der Stadt und schuf einen Rahmen für Interaktionen zwischen den fürstlichen und den städtischen Räten, die nicht auf den Bereich des Lehnswesens beschränkt waren. Auch das Domkapitel brachte durch die Anwesenheit seines Vertreters den Anspruch auf das Kondominat im Erzstift und eingeforderte Mitspracherechte in Salinenfragen performativ zum Ausdruck.35 Gleichwohl war die Belehnung trotz der Betonung der landesherrschaftlichen Prärogative kein rein fürstlicher Akt. 33
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Zur konsensstiftenden Funktion des gemeinsamen Mahles vgl. auch allgemein Gerd ALTHOFF, Fest und Bündnis, in: Feste und Feiern im Mittelalter, hrsg. von Detlef ALTENBURG, Jörg JARNUT und Hans-Hugo STEINHOFF, Sigmaringen 1991, S. 29-38. Für das Reichslehnswesen der Frühen Neuzeit ist zuletzt mehrfach auf die Bedeutung des Zeremoniells hingewiesen worden, vgl. Matthias SCHNETTGER, Rang, Zeremoniell, Lehnssysteme. Hierarchische Elemente im europäischen Staatensystem der Frühen Neuzeit, in: Die frühneuzeitliche Monarchie und ihr Erbe. Festschrift für Heinz Duchhardt zum 60. Geburtstag, hrsg. von Ronald G. ASCH, Johannes ARNDT und Matthias SCHNETTGER, Münster 2003, S. 179-195; Barbara STOLLBERG-RILINGER, Das alte Reich als Lehnssystem, in: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806. Altes Reich und neue Staaten 1495-1806. Begleitband zur Ausstellung im Deutschen Historischen Museum, hrsg. von Heinz SCHILLING und Hans OTTOMEYER, Dresden 2006, S. 55-67; Christine ROLL, Archaische Rechtsordnung oder politisches Instrument? Überlegungen zur Bedeutung des Lehnswesens im frühneuzeitlichen Reich, in: zeitenblicke 6 (2007), Nr. 1 (URL: http:// www.zeitenblicke.de/2007/1/roll/index_html); zum umfassender untersuchten mittelalterlichen Lehnswesen vgl. auch Karl-Heinz SPIESS, Das Lehnswesen in Deutschland im hohen und späten Mittelalter (Historisches Seminar, N. F. Bd. 13), Idstein 2002; Iris KWIATKOWSKI, Das Lehnswesen im späten Mittelalter – Stand und Perspektiven der Forschung, in: Blicke auf das Mittelalter. Aspekte von Lebenswelt, Herrschaft, Religion und Rezeption. Festschrift Hanna Vollrath zum 65ten Geburtstag, hrsg. von Bodo GUNDELACH und Ralf MOLKENTHIN (Studien zur Geschichte des Mittelalters, Bd. 2), Herne 2004, S. 145-176. Die Rolle des Domkapitels im Herrschaftsgefüge des Magdeburger Erzstifts ist bislang unzureichend erforscht, vgl. Erich WEBER, Das Domkapitel von Magdeburg bis zum Jahre 1567. Ein Beitrag zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der deutschen Domkapitel, Diss. HalleWittenberg 1912; Wolfgang NEUGEBAUER, Die Stände in Magdeburg, Halberstadt und Minden im 17. und 18. Jahrhundert, in: Ständetum und Staatsbildung in Brandenburg-Preußen, hrsg. von Peter BAUMGART (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 55), Berlin u. a. 1983, S. 170-207.
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Die Mitwirkung der städtischen Gruppen war dem Ereignis deutlich eingeschrieben. Vor allem der Rat konnte eine selbstbewusste und auf eigenständige Repräsentationsleistungen verweisende Rolle spielen. Schon die Prozessionen der Ratsherren zur Marienkirche, die dem Transport der Lehntafeln dienten, mussten dem städtischen Publikum die besondere Funktion der kommunalen Obrigkeit im Kontext der Lehnsvergabe nachdrücklich vor Augen führen.36 Auch die Salinenvertreter, also der Salzgräfe sowie die Oberbornmeister als Repräsentanten der Solgutsbesitzer und Pfänner, verwiesen in ihren Handlungen außerhalb und innerhalb des Rathauses auf ihre Einbeziehung in die Kontroll- und Entscheidungsfunktionen bezüglich der Belehnungen. Überhaupt war das Lehntafelhalten darauf angelegt, das Miteinander der beteiligten „Parteien“ (Landesherrschaft, Stadtrat, Saline) in Szene zu setzen und ihre Konsensorientierung zu betonen, worauf schon die Symbolik der drei mal drei Lehntafelexemplare hindeutet. Schließlich war es aber auch für die zu Belehnenden selbst nicht unwesentlich, dem Zeremoniell beizuwohnen. Zum einen erkannten sie dabei die beanspruchten Rollen der beteiligten Obrigkeiten an und bekräftigten somit den Grundwert der Einigkeit, zum anderen konnten sie sich als Angehörige einer exklusiven und angesehenen städtischen Sondergruppe inszenieren. Die distinktive Funktion des Lehntafelhaltens als Initiationsritual für die Solgutsbesitzer ergab sich vor allem aus der Tatsache, dass die Zugehörigkeit zum landesherrlichen Lehnshof grundsätzlich ein hohes Prestige versprach und mit der Ähnlichkeit zu adligen Zeremonialformen in besonderem Maße symbolisches Kapital verhieß.37 Die feierliche Rahmung des Lehntafelhaltens darf jedoch den Blick nicht darauf verstellen, dass von den beteiligten Obrigkeiten bei der Zusammenkunft Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit der Belehnungen zu treffen waren. In die „Solennität“ wurden die Konfliktlösungsverfahren hinsichtlich der Salinenbeteiligungen integriert und damit zeremoniell „gezähmt“.38 Die Prüfung der Kriterien vor dem Belehnungs36
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Zur Bedeutung exklusiv-repräsentativer Prozessionen vgl. Andrea LÖTHER, Prozessionen in spätmittelalterlichen Städten. Politische Partizipation, obrigkeitliche Inszenierung, städtische Einheit (Norm und Struktur, Bd. 12), Köln u. a. 1999; für frühneuzeitliche Prozessionen vgl. exemplarisch Marian FÜSSEL, Hierarchie in Bewegung. Die Freiburger Fronleichnamsprozession als Medium sozialer Distinktion in der Frühen Neuzeit, in: SCHMIDT/CARL, Stadtgemeinde (wie Anm. 5), S. 31-55. In vergleichender Perspektive vgl. Michael HECHT, Zwischen Saline und Rittergut. Adlige Sälzer und Pfänner in der Frühen Neuzeit, in: Adel und Umwelt. Horizonte adeliger Existenz in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Heike DÜSELDER, Olga WECKENBROCK und Siegrid WESTPHAL, Köln u. a. 2008, S. 239-259; zum Zusammenhang von Distinktionsstrategien, sozialer Integration und gesellschaftlicher Ordnung auch SCHMIDT/CARL, Einleitung (wie Anm. 5). Zum engen Zusammenhang von Verfahren und Ritualen in der städtischen Interaktionskommunikation vgl. SCHLÖGL, Kommunikation (wie Anm. 4); für die Ebene des Reiches auch Barbara STOLLBERG-RILINGER, Zeremoniell als politisches Verfahren. Rangordnung und Rangstreit als Strukturmerkmale des frühneuzeitlichen Reichstags, in: Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsge-
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akt durch alle Beteiligten diente der Vergegenwärtigung der normativen Regelungen sowie ihrer Anwendung auf konkrete Fälle und Anpassung an aktuelle Zustände. Durch die Verschriftlichung der ausgehandelten Positionen wurden die Meinungen und Entschlüsse stets abrufbar gespeichert. Dadurch lässt sich auch heute noch nachvollziehen, inwieweit die fürstlichen und städtischen Räte unterschiedliche Interessen verfochten und um ihre Einflussmöglichkeiten rangen. Ein häufiger Konfliktpunkt betraf die Frage der Residenzpflicht für die zu Belehnenden. In den Ordnungen und Statuten war festgelegt, dass jeder Solgutsbesitzer ein dem Rat schossbares Haus in der Stadt bewohnen, das Bürgerrecht besitzen und sich die meiste Zeit des Jahres in Halle aufhalten musste. Dispensationen wurden Studierenden sowie Personen, die „Rei publicae causa“ abwesend waren, eingeräumt.39 Während der Rat sich in der Regel dafür einsetzte, dass diese Bestimmungen sehr strikt eingehalten wurden, war die fürstliche Seite eher zu Konzessionen und Fristgewährungen bereit, vor allem wenn die Betroffenen der eigenen Klientel entstammten. So bemühte sich 1521 und 1524 der erzbischöfliche Günstling Hans Schenitz, seinen in Halberstadt lebenden Bruder Wolfgang mit in die Lehntafel aufzunehmen, scheiterte aber am Veto der Ratsherren. Auch der fürstliche Hauptmann der Moritzburg, Hans von Teuchern, musste 1532 nach Solgutserwerb ein Bürgerhaus in der Ulrichstraße auf Druck des Rates kaufen. Der Versuch des Hofrats Heinrich Ebershausen, durch den Besitz eines Wohnhauses in der Domfreiheit seinen Residenzpflichten nachzukommen, wurde 1535 ebenfalls vom Rat erfolgreich angefochten. Auch die Söhne des erzbischöflichen Kanzlers Kaspar Barth, von denen Christian am Reichskammergericht in Speyer, Karl als kurbrandenburgischer Kanzler in der Neumark wirkten, wurden 1593 auf Betreiben der Ratsherren aus der Lehntafel gelöscht. Immerhin gelang es dem „Assessor Camerae“ Christian Barth im Jahr darauf, mit Hilfe einer „Intercession“ des Kammergerichts und Begründung seiner Abwesenheit „Rei publicae causa“ die Abschreibung seines Namens aus der Lehntafel rückgängig zu machen.40 Die Vertreter von Domkapitel und Landesherr versuchten hingegen darauf zu achten, dass Verkäufe von Solgut durch ältere, kinderlose Belehnte unterbunden wurden, da in diesen Fällen ein baldiger Heimfall der Güter an den Lehnsherrn zu erwarten war. So verhinderten die fürstlichen Räte 1528 eine Lehnsumschreibung von
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schichte, hrsg. von Johannes KUNISCH (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 19), Berlin 1997, S. 91-132. Grundlegend war die Willkür von 1482, vgl. DREYHAUPT, Pagus (wie Anm. 28), Teil 2, S. 314. Die erwähnten Fälle stammen aus LHASA MD, Rep. Db Halle A II, Nr. 1 und 2; zu den fürstlichen Räten in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts auch SCHOLZ, Residenz (wie Anm. 10), S. 42 ff.; zur ungewöhnlichen Karriere des Hans Schenitz vgl. Martin BRECHT, Erzbischof Albrecht und die Verurteilung seines Kämmerers Hans Schenitz 1535, in: ROCKMANN, Moritzburg (wie Anm. 9), S. 65-94.
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den Brüdern Ulrich und Hans Grünheide an den Stadtarzt Balthasar Ludwiger, obwohl sich der Stadtrat vehement für dieses Geschäft einsetzte. Auch der Kaufmann Hieronymus Wahle durfte im Jahr 1568 seine Güter zunächst nicht verkaufen. Als es ihm schließlich doch gestattet wurde, erschienen bezeichnender Weise der fürstliche Kanzler und zwei Hofräte als Käufer. Offensichtlich hatte man hier einen Kompromiss ausgehandelt, der für beide Seiten Vorteile verhieß. Auseinandersetzungen gab es auch, als der Erzbischof 1528 durch seine Vertreter verlautbaren ließ, die Solgüter des Selbstmörders Johann Krause als heimgefallen zu betrachten, anstatt sie dessen Erben zu übertragen. Da der Rat dieses sehr „hefftig anfochte“, machte die fürstliche Seite in dieser Angelegenheit einen Rückzieher.41 Das Lehntafelhalten bot also Gelegenheit, unterschiedliche Positionen vorzutragen und Verständigungen herbeizuführen. In besonders strittigen Fällen konnten die Vertreter des Stadtrates eine gesonderte Sitzung sämtlicher Ratsherren beantragen, wofür der Verlauf der Belehnung unterbrochen wurde. Die Vertreter des Landesherrn konnten sich hingegen nur auf ihre Mandate berufen. Weil dadurch ihr Verhandlungsspielraum geringer war, wurden etliche Konfliktpunkte immer wieder von einem Lehntafeltermin zum anderen vertagt. Hieran lag zweifelsohne ein Problem der Aushandlungsmechanismen, da alle Seiten mitunter eine Verzögerungstaktik präferierten, vor allem dann, wenn die Aufrechterhaltung des Status quo in ihrem Sinne war. Neben den Möglichkeiten, argumentativ und durch „Aussitzen“ Entscheidungen herbeizuführen, wurden auch symbolische Formen des Konfliktaustrags gewählt. Als etwa im Jahr 1600 die hallischen Ratsherren im Vorfeld des Lehntafelhaltens das Domkapitel (in Zeiten der Sedisvakanzregierung) schriftlich um eine Stellungnahme zu einem aktuellen Belehnungskonflikt ersuchten, jedoch keine Antwort erhielten, ließen sie ihren Unmut durch eine Störung des Zeremoniells zum Ausdruck bringen: Obwohl es „in stettem Brauch gewesen, das balde im Eintritt des Raths die Lehentaffell mit eingetragen unnd uff die Taffell gelegt, [...] so ist es doch dißmahls nicht geschehenn, sondern die Herren allerseits eine gute Zeit mußig gesessenn.“ Als der Domherr Johann von Arnim nach den Ursachen fragte, „warumb die Lehentaffell nicht hertzu gebracht unnd die Zeit vorgeblich vorschließen wurde“, antwortete der Ratssyndikus, dass man immer noch auf eine Antwort des Kapitels warte. Der Vertreter der Domherren reagierte erbost, „es hette bei ihnen ein seltzam unnd fast das Ansehen, als wollte ein Rath mit solcher Hinterhaltung der Lehentaffell ein hochwirdigk Domcapittell pfenden, unnd do es die Meinung haben sollte, konten sie die Lehentaffell woll bleiben laßen.“42 Dem Rat blieb daraufhin nichts anderes übrig, 41
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LHASA MD, Rep. Db Halle A II, Nr. 2, Bl. 66-73; Hanns FREYDANK, Urkundenbuch der Halleschen Pfännerschaft 1500-1926, Bd. 1, Halle (masch.) 1930, Nr. 621-624. Der Selbstmord des Hofrats Krause hatte einen konfessionspolitischen Hintergrund, vgl. auch Walter DELIUS, Die Reformationsgeschichte der Stadt Halle an der Saale, Berlin 1953. Die Zitate nach FREYDANK, Urkundenbuch (wie Anm. 41), Nr. 703 (mit angepasster Orthographie).
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als mit mehrmaligen Entschuldigungen die Lehntafeln zu holen und mit den Eintragungen zu beginnen, denn ein generelles Scheitern des Belehnungszeremoniells konnte nicht in seinem Interesse liegen. Diese und ähnliche Episoden machen auf grundsätzliche Probleme des Lehntafelhaltens aufmerksam, die zu einigen wesentlichen Änderungen im Verfahren beitrugen. Im späten 16. und vor allem im 17. Jahrhundert ist eine Stärkung der Rolle des Landesherrn und seiner Vertreter erkennbar. Das selbstbewusste Auftreten des Stadtrates wich nach und nach einem gehorsamen Ton. War nun eine Löschung von nicht residierenden Belehnten aus den Tafeln beabsichtigt, bemühte man sich um Rückendeckung durch Ausstellung entsprechender Edikte in der fürstlichen Kanzlei.43 Im Gegenzug gelang es den Landesherren immer leichter, Dispensationen von bestimmten Pflichten gegen die Interessen des Rates durchzusetzen.44 Damit steht ein prinzipieller Wandlungsprozess in Zusammenhang: Da der Konsensfindung während des Lehntafelhaltens die Gefahr innewohnte, den gesamten zeremoniellen Ablauf zu stören, und da die Aushandlungsmechanismen durch die vielen Verzögerungen nicht immer effizient waren, versuchten die Landesherren erfolgreich, die Entscheidungsfindungen auszulagern und dem Kompetenzbereich ihrer Kanzlei bzw. des Talgerichts zuzuordnen. So wurden die Käufer von Solgut im Lehntafelpatent des Fürstadministrators August aus dem Jahr 1643 aufgefordert, etwaige Konfliktpunkte im Vorfeld des Lehntafelhaltens von Kanzler und Hofräten klären zu lassen, „dan es soll uff der Lehentaffel niemandten streitige Sachen anzubringen noch Handtelung gestattet, sondern allein was [...] nicht irrig oder zweiffelhaftigk [...] zugelassen werden“.45 Da die Vertreter des Stadtrates und der Saline diesen Funktionsverschiebungen nicht widersprachen, wurde es schließlich allgemein üblich, dass sich Solgutsbesitzer zunächst Auflassungsscheine bei den Behörden ausstellen ließen, die Lehnware in der Kanzlei entrichteten und mit den entsprechenden Dokumenten zum Lehntafelhalten erschienen. Die Belehnung war sodann ein formaler Akt, der nur noch auf der Prüfung der amtlich erstellten Unterlagen basierte. Im Zuge dieser Wandlung des Verfahrens konnten Konflikte zwar nicht vollständig vermieden, jedoch in andere – zuförderst schriftliche – Kommunikationsformen überführt werden. Das Lehntafelhalten büßte seine Rolle als Entscheidungsinstanz zunehmend ein, konnte in dieser Weise jedoch seine Funktion als zentrales Konsensritual 43 44
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Vgl. etwa StadtA Halle HA Kap. XXVI Nr. 26 (mit Beispielen aus der Zeit von 1622-1684). LHASA MD, Rep. Db Halle A II, Nr. 1, Bl. 20, 27 und öfter, Rep. Db Halle A V, Nr. 55, sowie StadtA Halle HA Kap. XXVI, Nr. 10; im 18. Jahrhundert wurden Befreiungen von der Residenzpflicht gegen regelmäßige Zahlungen an die landesherrliche Rentei gewährt, vgl. LHASA MD, Rep. F 1 VIII, Nr. 15, Bl. 4-6, auch königliche Dispensationen waren nicht selten, hierzu ebd., Rep. Db Halle A IV, Nr. 127, 130 und 133. LHASA MD, Rep. Db Halle A III, Nr. 21, Bl. 10 f. Noch deutlicher sind die Formulierungen im Patent aus dem Jahr 1692, vgl. ebd., Bl. 2 f.
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behalten und sogar stärken. Als solches blieb es sowohl für den Hof, als auch für den Stadtrat und die Saline wichtig. Allerdings lässt sich erkennen, dass die Bereitschaft der zu Belehnenden, persönlich zu erscheinen, im Zuge der Auslagerung langfristig abnahm. Wurde es etwa 1527 noch als eine schwere Verunglimpfung empfunden, als ein Käufer von Solgut dem Zeremoniell fernblieb,46 kam es im 18. Jahrhundert häufiger vor, dass Vertreter für die Belehnungen gestellt wurden.47 Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass die repräsentativen und integrativen Funktionen des Lehntafelhaltens für die Obrigkeiten und die Mehrheit der Belehnten ihre Bedeutung behielten. Nur so ist zu verstehen, dass selbst nach der Aufhebung der Lehnsqualität der Solgüter 1722 der „Actus“ weitergeführt und erst im Jahr 1783 nach grundlegenden Änderungen der Salinenverfassung das Lehntafelhalten in Halle aufgegeben wurde.48 Dem Lehntafelhalten als Initiations-, Konsens- und Integrationsritual standen weitere zeremonielle Interaktionsformen im Rahmen der Salinenverfassung zur Seite, die hier der Vollständigkeit halber zumindest erwähnt werden sollen. Bei der „Besatzung der Talgüter“, die jährlich um den 20. Dezember stattfand, trafen sich der Stadtrat und die landesfürstlichen Kommissare auf dem Rathaus, um von den Pfännern die „Besatzzettel“, das heißt die Übersichten der von jedem im Folgejahr zu versiedenden Solgüter, entgegenzunehmen. Dabei mussten die Pfänner der Obrigkeit „mit einem Handtschlage an Eydes stadt“ versichern, sich gemäß der Talordnungen zu verhalten; gleichzeitig wurden die Bediensteten der Saline (Salzgräfe, Ober- und Unterbornmeister, Talvorsteher, Bornschreiber, Verschläger und Amtsknechte) auf ihre Amtspflichten vereidigt.49 Die „Verschlagung des Talguts“ fand jährlich um den 28. Dezember auf dem Rathaus in Anwesenheit der Vertreter von Landesherrschaft, Stadtregiment und Saline statt. Dabei wurde in zeremonieller Rahmung der Ertrag der Saline festgestellt und somit der Gewinn für die Pfänner ermittelt.50 Das so genannte 46
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Vgl. LHASA MD, Rep. Db Halle A II, Nr. 2, Bl. 60 f. (der Ratsmeister vermutete, dass der Nichterschienene ihn zu vorunglimpfen sich understehen würde). 1533 wurde es als gegen jedes Herkommen gerichtete Handlung beschrieben, dass eine Belehnung mit einem Vertreter des Beliehenen vollzogen wurde, da der zu Belehnende inhaftiert war und seinen Bruder geschickt hatte, ebd., Nr. 1, Bl. 4. Vgl. LHASA MD, Rep. Db Halle A II, Nr. 117. Eine grundlegende Untersuchung der Wandlungen des Zeremoniells nach dem Ende der Residenzstadtzeit und dem Übergehen Halles an Kurbrandenburg 1680 steht noch aus. Vgl. FREYDANK, Pfännerschaft (wie Anm. 24), S. 181-184 und 229. Registraturen der Besatzungen sind nicht in gleicher Dichte wie die des Lehntafelhaltens überliefert, vgl. für das 17. Jahrhundert StadtA Halle HA Kap. XXVI, Nr. 20; zu den einzelnen Ämtern auch Hanns FREYDANK, Die Beamtenorganisation und der Salzsiedebetrieb bei der Halleschen Pfännerschaft bis zu ihrer Umwandlung in eine Gewerkschaft, in: Kali und verwandte Salze. Zeitschrift für die Kali- und Steinsalzindustrie sowie das Salinewesen 22 (1928), S. 261-266 und 283-287. Vgl. HONDORFF/DREYHAUPT, Saltz-Werck (wie Anm. 28), S. 114-118; LHASA MD, Rep. Db Halle A VIII, Nr. 72-84; Rep. F 1 VII, Nr. 14, 16-18.
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„Friedewirken“ schließlich geschah am 24. Dezember jedes Jahres. Dabei gingen die fürstlichen Deputierten, die Ratsmeister und die Amtsträger der Saline gemeinsam vom Rathaus zum Salzwerk, wo zunächst die Talschöffen vereidigt und anschließend die Salzarbeiter über dem wichtigsten Solebrunnen durch den fürstlichen Hauptmann und den Salzgräfen auf die rechtlichen Normen der Talordnung verpflichtet wurden. Auf diese Weise erfolgte die symbolische Einbeziehung der Talarbeiterschaft in den kommunikativ vermittelten Grundwert des konsensualen Miteinanders der beteiligten obrigkeitlichen Gruppen.51 3. Wahl und Introduktion des Salzgräfen Die Bedeutung des Salzgräfenamtes ist bisher schon mehrfach angeklungen. Der Salzgräfe52 war wichtigster Amtsträger der Saline; ihm fiel nicht nur die Oberaufsicht über die Solebrunnen und die Talarbeiter zu, er war auch mit dem Bann (Halsgericht) im Salinenbezirk beliehen und hielt zweimal jährlich ein „Botgeding“ (Rügegericht) ab.53 Seine Funktionen während des Lehntafelhaltens, der Besatzung und des Friedewirkens wurden bereits erwähnt. Während es im 14. und 15. Jahrhundert um das Gräfenamt – zeitweise erbliches Mannlehen, zeitweise an den Stadtrat verpfändet – etliche Konflikte zwischen Erzbischof und Bürgerschaft gab, wurde auch in diesem Bereich nach 1478 eine normative Neuordnung in ausgleichendem Sinn unternommen: Gemäß den Statuten von 1482 und nachfolgenden Verträgen zwischen Stadt und Landesherrn verblieb es bei der fürstlichen Anbindung des Amtes, jedoch erhielt der Stadtrat das Wahlrecht für den Salzgräfen zugesprochen und die Kompetenzbereiche zwischen dem Talgericht und den städtischen Gerichten wurden exakter aufgeteilt. Nicht nur für allgemeine Entscheidungsfindungen und Konfliktregelungsmechanismen, sondern auch speziell für vormoderne Wahlverfahren hat die neuere Forschung ein Zusammenspiel von technisch-instrumentellen und symbolischen Elemen-
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Vgl. HONDORFF/DREYHAUPT, Saltz-Werck (wie Anm. 28), S. 113 f.; LHASA MD, Rep. F 1 VII, Nr. 15 und 19, zur Talarbeiterschaft vgl. auch Werner PIECHOCKI, Die Halloren. Geschichte und Tradition der „Salzwirkerbrüderschaft im Thale zu Halle“, Leipzig 1981; Manfred STRAUBE, Soziale Lebensbedingungen und soziale Sicherheiten von Arbeitern in der pfännerschaftlichen Saline Halle an der Saale in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: FREITAG/LÜCK, Halle (wie Anm. 11), S. 51-78; Erich NEUSS, Arbeitsverhältnisse und Löhne der Talarbeiterschaft im Spiegel von Talordnungen von 1424 bis 1616, in: ebd., S. 115-133. In der Literatur taucht auch häufiger die Bezeichnung „Salzgraf“ auf, jedoch ist der frühneuzeitliche Quellenbegriff fast durchgängig „Salzgräfe“ oder „Salzgreve“ (lateinisch comes salis bzw. saltzgravius). Vgl. HONDORFF/DREYHAUPT, Saltz-Werck (wie Anm. 28), S. 81-86 und 119-122.
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ten herausgestellt.54 Dies lässt sich auch für den hallischen Fall zeigen. Bereits die Tatsache, dass dem Stadtrat die Wahl eines landesfürstlichen Amtsträgers zufiel, besaß eine symbolische Dimension für die politische Ordnung der Stadt. Hinzu kommt, dass die Wahl eng mit dem Akt der Einsetzung des Gewählten in Verbindung stand, bei welchem Partizipationsrechte öffentlich sichtbar gemacht werden konnten. Hierzu boten die besonderen Bedingungen der Residenzstadt geeignete Möglichkeiten, wie die Ereignisse von 1518 belegen: Als der Salzgräfe Hans Zoch „wegen Schwachheit des Leibes“ von seinem Amt zurücktrat, wählte der Rat den städtischen Ratskammerschreiber Nikolaus Leonis zum neuen Salzgräfen und teilte diese Wahlentscheidung dem Erzbischof mit. Dieser schickte seinen Burghauptmann und seinen Kanzler „desselbigen Tages nach Mittage umb ein hor“ auf das Rathaus, wo Leonis von den fürstlichen Vertretern im Beisein aller Ratsherren vereidigt und mit dem Gerichtsbann belehnt wurde.55 Die Belehnung geschah unter der urkundlich aufgesetzten „Bedingung, wo er zu demselbigen Ampthe nicht tugelich und unserm gnedigsten Hern nicht gefelligk sein würde, so sol [...] er alßdan [...] solch Ampth [...] ahne alle Weigerung williglich verlassen“.56 Anschließend begaben sich die Ratsherren und die fürstlichen Vertreter gemeinsam mit dem neuen Salzgräfen vom Rathaus zum Salzwerk, wo vor dem Talhaus alle Angehörigen der Saline versammelt waren und Leonis durch „die berurten zwene Rethe von wegen unsers gnedigsten Hern eingefürt, investiret und [den] Bornmeistern, Schepffen und andern ernstlich [...] angesagt und bevohlen [wurde], Ihme als eynen Saltzgrefen des Thals nun hinforder gewertigk, gehorsam und rehtig zu sein“.57 Erkennbar ist somit eine komplexe Interaktion unter Beteiligung des Stadtrats, des Hofes und der Saline. 54
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Vgl. Technik und Symbolik vormoderner Wahlverfahren, hrsg. von Christoph DARTMANN, Günther WASSILOWSKY und Thomas WELLER (Historische Zeitschrift, Beihefte, Bd. 52), München 2010; Herstellung und Darstellung von Entscheidungen. Verfahren, Verwalten und Verhandeln in der Vormoderne, hrsg. von Barbara STOLLBERG-RILINGER und André KRISCHER (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft, Bd. 44), Berlin 2010. LHASA MD, Rep. A 2, Nr. 784 (unfoliiert). Genaue Angaben über den eigentlichen Wahlakt sind für diesen und die weiteren Fälle nicht überliefert. Die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts mehrfach ausbrechenden Auseinandersetzungen zwischen dem Erzbischof und dem sächsischen Kurfürsten um den Titel eines Magdeburger Burggrafen, die die zunächst von sächsischen Bevollmächtigten auszusprechende Weisung des Bannes mitunter verzögerte, bleiben im Folgenden unberücksichtigt, vgl. dazu Friedrich HÜLSSE, Der Streit Kardinal Albrechts, Erzbischofs von Magdeburg, mit dem Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen um die magdeburgische Burggrafschaft, in: Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg 22 (1887), S. 113-152, 261-288, 360392. LHASA MD, Rep. A 2, Nr. 784 (unfoliiert); Diese Klausel findet sich bereits bei der Belehnung des Salzgräfen Ulrich Voigt 1495, vgl. Hanns FREYDANK, Urkundenbuch der Halleschen Pfännerschaft im Mittelalter (961-1500), Bd. 3, Halle (masch.) 1926, Nr. 477. Später ließen sich die Landesherren die Rücktrittsklausel gewöhnlich durch ein Reversale des Gewählten versichern. LHASA MD, Rep. A 2, Nr. 784 (unfoliiert).
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Dass Wahlakt und Introduktionsritus indes nicht statisch waren, sondern Änderungen im Verhältnis zwischen Hof und Stadt zum Ausdruck brachten, kann anhand der Ereignisse von 1581 gezeigt werden.58 Nach dem Tod des Salzgräfen Friedrich Rode wählte der Stadtrat keine Person der eigenen Klientel zum Nachfolger, sondern den fürstlichen Hofrat Anton Freudemann, der zuvor als Professor der Rechte an der Universität Rostock gewirkt hatte.59 Auch fanden jetzt Belehnung und Ableistung des Eides nicht mehr auf dem Rathaus, sondern in der Residenz statt. Der Fürstadministrator ließ in der großen Kanzleistube „seine vornehmsten Räthe und Diener“ versammeln und den neuen Amtsträger durch den Hauptmann Wiprecht von Treskow belehnen. Erst daraufhin wurde der Stadtrat in die Residenz bestellt, wo er der Eidesleistung des neuen Salzgräfen beiwohnen durfte. Anschließend zogen die fürstlichen und städtischen Räte mit dem Neugewählten zunächst zum Marktplatz und sodann zur Saline, wo auf dem Talhaus und über den Solebrunnen die mehrteilige performative Amtsinvestitur erfolgte.60 Diese Verschiebungen bestätigen zunächst das unter der Prärogative der Landesherrschaft stehende symbolische Miteinander von städtischem und fürstlichem Regiment, das gerade im Bereich der Saline integrierend wirkte. Ein Blick auf die Namensliste der Salzgräfen macht zudem deutlich, dass seit 1520 durchgängig fürstliche Hofräte und Kanzler zu Salzgräfen erwählt wurden.61 Schaut man jedoch genauer auf die Strategien und das Zustandekommen der Wahlentscheidungen, so lassen sich Differenzen, Aushandlungsprozesse und Konflikte erkennen, die auf juristischem und symbolischem Feld ausgetragen wurden und die auf genuine Schwierigkeiten des normativen Arrangements bezüglich der Salzgräfenwahl aufmerksam machen. Dies berührt vor allem die Autonomie des Wahlverfahrens, die zwischen ratsherrlichem Wahlrecht und fürstlichem Konfirmationsrecht zerrieben zu werden drohte und damit Legitimitätsdefizite und Folgekonflikte produzierte.62 58
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LHASA MD, Rep. A 2, Nr. 858, Bl. 193-197. Zum Wandel des Einsatzes kommunaler und fürstlicher Repräsentationsformen am Beispiel italienischer Städte vgl. auch Christoph DARTMANN, Die Ritualdynamik nichtlegitimer Herrschaft. Investituren in den italienischen Stadtstaaten des ausgehenden Mittelalters, in: Invesititur- und Krönungsrituale. Herrschaftseinsetzungen im kulturellen Vergleich, hrsg. von Marion STEINICKE und Stefan WEINFURTER, Köln u. a. 2005, S. 125-136. Vgl. FREYDANK, Pfännerschaft (wie Anm. 24), S. 59 f. In ähnlicher Weise geschah auch die Introduktion 1619 (Arnold Engelbrecht) und 1653 (Michael König), über die ausführliche Berichte überliefert sind, vgl. LHASA MD, Rep. A 2, Nr. 858, Bl. 199-205 und Rep. Db Halle A V, Nr. 12, Bl. 15-18; vgl. auch die Zeremonialbeschreibung bei HONDORFF/DREYHAUPT, Saltz-Werck (wie Anm. 28), S. 81-83. Entsprechende Listen finden sich u. a. bei HONDORFF/DREYHAUPT, Saltz-Werck (wie Anm. 28), S. 121, und bei FREYDANK, Pfännerschaft (wie Anm. 24), S. 325 f., wobei in beiden Fällen der Wahltermin „1536“ in „1556“ zu korrigieren ist. Zur Bedeutung der Verfahrensautonomie für die Legitimität von Entscheidungen mit Blick auf einen an Niklas Luhmann orientierten Verfahrensbegriff vgl. Michael SIKORA, Der Sinn des Ver-
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Bereits 1555 ist erkennbar, dass Erzbischof Sigismund mit der auf einen städtischen Schöffen gefallenen Wahl nicht einverstanden war und stattdessen seinen Vertrauten Hieronymus Lindner, Professor in Frankfurt an der Oder, präferierte. Er argumentierte, dass „der Salzgreffe nicht eines Raths sondern des Erzbischoffs Gericht verwalten und also des Erzbischoffs Amptman im Thall sein“ soll, „so ist auch billich und recht eine soliche Persohn zuwelen, die dem Erzbischoffe leidlich“.63 Schließlich wählte der Rat einen Kompromisskandidaten, den erzbischöflichen Hofrat Paul Görlitz, der immerhin als Sohn eines Pfänners in der hallischen Elite sozial verankert war. Auch in der Regierungszeit des Fürstadministrators Joachim Friedrich von Brandenburg kam es zu ähnlichen Auseinandersetzungen. Der Regierungsrat Henning Hammel triumphierte gegenüber dem Stadtrat im Hinblick auf die 1575 vorgefallenen Ereignisse: „Man wüste auch wohl, wie es mit der Wahll des Salzgreffen zugangen, und daß man wohl ettliche gewählett, aber doch endlich D. Rhoden bringen müssen.“64 Der Hofrat Dr. Friedrich Rode war bei seiner Wahl zum Salzgräfen also auch nicht der Wunschkandidat der Wählenden gewesen.65 Rückenwind verspürten die städtischen Ratsherren, als 1627 nach dem Wechsel des Salzgräfen Arnold Engelbrecht in herzoglich-braunschweigische Dienste eine neue Wahl anstand. Der Fürstadministrator Christian Wilhelm von Brandenburg hatte aufgrund der Kriegsereignisse seine Residenz verlassen und deutlich an Legitimität verloren; ein Jahr später wurde er vom Domkapitel abgesetzt.66 In dieser Situation
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fahrens. Soziologische Deutungsangebote, in: Vormoderne politische Verfahren, hrsg. von Barbara STOLLBERG-RILINGER (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 25), Berlin 2001, S. 25-51. LHASA MD, Rep. A 2, Nr. 799, Bl. 72-83; ebd. Nr. 858, Bl. 187 f. LHASA MD, Rep. A 2, Nr. 842 (unfoliiert). Offenbar hatte der Rat zunächst den auch in erzbischöflichen Diensten stehenden Bartol Ude gewählt, vgl. Gottfried OLEARIUS, Halygraphia Topo-Chronologica, Das ist: Ort- und ZeitBeschreibung der Stadt Hall in Sachsen, Leipzig 1667, S. 295. Rode entstammte allerdings wie Görlitz der hallischen Ratselite; sein Vater Balthasar war 1566-1571 Ratsmeister gewesen, seine Mutter entstammte der bedeutenden städtischen Familie Drachstedt. Die Anspielung Hammels gegenüber den Ratsherren geschah im Kontext eines anderen Konflikts: 1592 verweigerte der Administrator die Konfirmation des neugewählten Stadtrates, da der Ratsherr Heinrich Guthaus, der turnusgemäß an der Reihe gewesen wäre, keine Berücksichtigung gefunden hatte. Auch hier berief sich das Wählergremium auf das Recht der freien Wahl, die Seite des Hofes hingegen auf das „alte Herkommen“. Vgl. LHASA MD, Rep. A 2, Nr. 842; StadtA Halle Handschriften B 1, Nota zu 1592. Verweigerte landesfürstliche Konfirmationen der Ratwahlen kamen nicht sehr häufig vor, so 1507, 1525 und mehrfach in der Reformationszeit, vgl. LHASA MD, Rep. A 2, Nr. 779 und 784, zur Ratswahl selbst neben DIENER-STAECKLING, Himmel (wie Anm. 23), DIES., Köre durch den Heiligen Geist. Die Ratswahl in Halle vom 14. bis 16. Jahrhundert, in: Halle im Mittelalter und im Zeitalter der Reformation. Neue Studien zur Geschichte der Stadt, hrsg. von Werner FREITAG und Thomas MÜLLER-BAHLKE (Forschungen zur hallischen Stadtgeschichte, Bd. 6), Halle 2006, S. 94-115. Zum ereignisgeschichtlichen Hintergrund vgl. Gustav Friedrich HERTZBERG, Geschichte der Stadt Halle an der Saale, Bd. 2, Halle 1891, (S. 426 ff.); Jan BRADEMANN, Gewalt, Not und Krisen – das
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entschied sich der Rat, den Bürgermeister Kaspar von Nordhausen zum neuen Salzgräfen zu wählen. Allerdings verweigerten die verbliebenen Hof- und Kanzleiräte sowie das Domkapitel in Magdeburg die Konfirmation und Amtseinführung des Gewählten. In umfänglichen Schriftstücken legten beide Seiten ihre Ansichten dar.67 Die Hofräte und Domkapitulare verwiesen auf die Tradition, „da doch gnugsamb wißent, daß bey Menschen gedencken keinem außm Rath zu solchem Officio elegiret“, sondern nur fürstliche Räte – „auch derselben theils uf des Landes Obrigkeit Contradiction, meisten theilß aber frey willig“ – gewählt worden waren. Es musste somit den fürstlichen Rechten abträglich sein, „wan der Raht zu Halle eine solche unbeschrenckte Election eines Salzgräffens, wieder das Herkommen haben und einem Landesfürsten in dies ansehnliche Ambt einen Diener wieder seinen Willen ufdringen solte“. Es sei daher folgerichtig, „daß man für der Wahl derowegen hette mit den Herren Rähten, welche Persohn auß demselbigen zuerwehlen, communiciren müssen“. Die städtischen Ratsherren hingegen argumentierten mit dem Recht zur „echten Electio“, die im Falle Nordhausens zudem einmütig gewesen sei, sowie mit der Qualifikation des Gewählten. Überdies habe es den Anschein, dass der Standpunkt der Gegenseite „mehr der Räthe, als der Herrschafft Interesse versiren thäte“. Da keine Seite zu einem Kompromiss bereit war und sich das Fehlen eines Salzgräfen unangenehm bemerkbar machte, wandte sich der Stadtrat während der kaiserlichen Besatzung Halles an den Grafen von Mansfeld als Statthalter, um die Investitur mit dessen Hilfe durchzusetzen. Die Hofräte kamen der Aufforderung des Statthalters jedoch nicht nach, so dass die Amtseinführung im April 1631 von Delegierten des kaiserlichen Kommandanten vorgenommen wurde. Für den Stadtrat war durch den Vollzug des Einsetzungsrituals der Konflikt beendet und ein neuer Salzgräfe installiert; die Räte und Domherren erkannten die Introduktion jedoch nicht an, da sie „ganz nulliter undt nicht gebräuchlicher Weise beschehen“, nämlich „manu militari mit Trommeln und Pfeiffen auch vielen Mußquetiren“ durchgeführt worden war. Als kurze Zeit später mit Ludwig von Anhalt ein schwedischer Statthalter in Halle einrückte, erhofften die Hofräte und Domkapitulare Unterstützung.68 Der Rat berief
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frühneuzeitliche Halle und seine Bürger im Krieg, in: FREITAG/RANFT, Stadt Halle (wie Anm. 12), S. 314-332, hier S. 316-318; ferner auch Rudolf JOPPEN, Das Erzstift Magdeburg unter Leopold Wilhelm von Österreich (1628-1635), in: Beiträge zur Geschichte des Erzbistums Magdeburg, hrsg. von Franz SCHRADER (Studien zur katholischen Bistums- und Klostergeschichte, Bd. 12), Leipzig 1969, S. 290-342. LHASA MD, Rep. A 2, Nr. 858 (hieraus auch die nachfolgenden Zitate). Zum Konflikt vgl. auch BRADEMANN, Verschuldung (wie Anm. 20). Zur schwedischen Statthalterschaft vgl. auch Markus MEUMANN, Die schwedische Herrschaft in den Stiftern Magdeburg und Halberstadt während des Dreißigjährigen Krieges (1631-1635), in: Die besetzte res publica. Zum Verhältnis von ziviler Obrigkeit und militärischer Herrschaft in den besetzten Gebieten vom Spätmittelalter bis zum 18. Jahrhundert, hrsg. von Markus MEUMANN und
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sich jedoch in einem Brief an den neuen Machthaber darauf, „es hetten Ihre Königl. Mayt. zue Schweden bey dero Ahnwesenheit alhiero zu Hall, Caspar von Northausen dafür [als Salzgräfen] passiren laßen, ja E.F.G. alß Königlicher Statthalter hette ihm den Titul des Salzgräffens gegeben“. Nach einer zweiten rituellen Amtseinführung durch die schwedische Seite 1632 war es schließlich der Tod Nordhausens im Juni 1633, der dem Konflikt ein vorläufiges Ende setzte. Bald jedoch gingen die Auseinandersetzungen weiter. Im Jahr 1635 wählten die Ratsherren nach dem Ableben des kurzzeitig amtierenden Hofrats Johann Schäffer erneut einen Bürgermeister zum Salzgräfen.69 Infolge der Kriegszeiten kam jedoch keine Amtseinführung zustande. Als schließlich seit Beginn der 1640er Jahre der neue Fürstadministrator August von Sachsen wieder dauerhaft in Halle residierte, änderte sich der Tonfall des Hofes gegenüber der Stadt. Dem Rat wurde unumwunden mitgeteilt, dass man die geschehene Wahl nicht konfirmieren werde und „das man aus den Hoffräthen wehlen müße“, ansonsten „so lange auslöschen“ wolle, „bis ein Uns gefelliges Individuum gewehlet und getroffen wierdt“. Da der Rat bei seiner Entscheidung blieb, ging der Fürst selbst auf Kandidatensuche, verständigte sich mit seinem Hofrat Johann Timäus und verordnete einen Termin für die Introduktion des so gefundenen Salzgräfen. Die Regierungsräte bestellten hierzu den Stadtrat auf die Residenz, wo ihm mitgeteilt wurde, er „hette sich der Salzgräffenwahl vor dißmahl verlustig gemacht, und weil nun mehr nicht übrig alß den aufgetragenen actum zu volstrecken, so wolten sie daßelbe itzo verrichten, hofften, der Rath würde dabey wie gebräuchlich sich auch finden laßen“. Den Ratsherren blieb als Zeichen ihres Protests nichts anderes übrig, als der Investitur fernzubleiben; gleichwohl wurde Timäus von den fürstlichen Delegierten mit den auch sonst üblichen Handlungen in der Kanzleistube und im Salinenbezirk als Salzgräfe eingesetzt und verrichtete dieses Amt bis zu seinem Tod im Jahr 1653. Der Stadtrat lernte aus dieser Niederlage. Der Entzug des Wahlrechts und der daraus folgende Ausschluss von den Introduktionsriten waren letztlich für das Ansehen der Ratsherren und ihre Stellung im politischen Gefüge kontraproduktiv gewesen. Bei den folgenden Salzgräfenwahlen achteten die Vertreter der Stadt penibel darauf, welche Signale im Vorfeld der Wahl aus der Residenz kamen und passten sich in ihrer „Entscheidung“ diesen Vorgaben an. Im Gegenzug steigerte sich der zeremonielle Aufwand bei der feierlichen Amtseinsetzung, während der die Ratsherren ihre Partizipation an der Salzgräfenwahl und ihre enge Verbundenheit mit den
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Jörg ROGGE (Herrschaft und soziale Systeme in der frühen Neuzeit, Bd. 3), Berlin u. a. 2006, S. 241-269. Es handelt sich um Andreas Schulze (1581-1643), der der Sohn eines vormaligen Salzgräfen war und sich daher eine landesherrliche Konfirmation erhoffte. Zu diesen Vorgängen vgl. LHASA MD, Rep. A 2, Nr. 873 (hieraus auch die folgenden Zitate).
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fürstlichen Amtsträgern öffentlichkeitswirksam zur Schau stellen konnten.70 Die symbolisch vermittelte Konsensorientierung diente damit zugleich der Kompensation einer relativen politischen Schwäche des Rates. Zusammenfassung Mit dem Lehntafelhalten sowie der Wahl und Einsetzung des Salzgräfen sind zwei Interaktionsformen analysiert worden, die im Repertoire symbolischer Kommunikation in der Residenz- und Salzstadt Halle einen hohen Stellenwert besaßen. In zeremoniell gerahmten Zusammenkünften konnten die Vertreter des fürstlichen Hofes, des städtischen Regiments und der Saline ihre jeweiligen obrigkeitlichen Funktionen sowie ihre Kooperationsbereitschaft zum Ausdruck bringen. Einhelligkeit und Konsensorientierung gerieten zu Grundwerten der politischen Ordnung, die regelmäßig vergewissert und reproduziert wurden. Nicht nur in der Interaktion der einbezogenen sozialen Gruppen, auch in der Nutzung der unterschiedlichen „Machträume“ der Stadt (Rathaus, Talhaus, Residenz) wurde ein Miteinander der Beteiligten öffentlich erlebbar und auf diese Weise die Integration von Kommune und Hof gefördert.71 Die den Kommunikationsweisen eingeschriebenen Distinktionspraktiken standen dem nicht im Wege, denn gerade durch sie wurde eine gesellschaftliche Ordnung gestiftet, die ein konsensuales Zusammenwirken der verschiedenen Obrigkeiten ermöglichte.72 Eine Untersuchung der Interaktionsformen über eine längere Dauer – hier vor allem zwischen spätem 15. und frühem 18. Jahrhundert – lässt Veränderungen sichtbar werden, die auf die Dynamik der politischen Ordnung in der Residenzstadt hindeuten. Nach einem agonalen Beginn der Residenzbildung und einer konfrontativen Positionierung der unterschiedlichen Akteursgruppen hinsichtlich der Saline wurden nach 1479 Mechanismen der Konfliktbewältigung installiert, die mit symbolischen Handlungen verknüpft waren. An die notwendigen Initiations- bzw. Investiturrituale wurden Praktiken der Verhandlung und Entscheidungsfindung angebunden, die den gemeinsamen Interessensausgleich in formalisierte Bahnen führten. Eine Zunahme von Konflikten während der Entscheidungsverfahren vor allem seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts verdeutlicht, dass die Interaktionen mit dieser doppelten Funktionalisierung gerade dann überlastet waren, als sich das Kräfteverhältnis der beteiligten Gruppen zugunsten der landesherrlichen Seite verschob. Als Folge wurden die 70
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Vgl. LHASA MD, Rep. Db Halle A V, Nr. 12; HONDORFF/DREYHAUPT, Saltz-Werck (wie Anm. 28), S. 81-83; Johann Peter VON LUDEWIG, Installierung des Saltzgravens, am 17. Oktober 1731, in: DERS., Anzeigen (wie Anm. 24), Stück 94, S. 288-290. Zu topographischen und „spatialen“ Perspektiven vgl. auch Christian HOCHMUTH und Susanne RAU, Stadt – Macht – Räume. Eine Einführung, in: DIES., Machträume (wie Anm. 20), S. 13-40. Vgl. SCHMIDT/CARL, Einleitung (wie Anm. 5), S. 10 ff.
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eigentlichen Entscheidungsverfahren aus dem engeren Kontext der symbolischen Praktiken ausgelagert und der fürstlichen Kanzlei zugewiesen. Somit konnten jedoch gleichzeitig die analysierten Interaktionen als Partizipationsrituale, die das Verhältnis von Stadtrat, Hof und Saline stabilisierten und für alle Beteiligten symbolischen Mehrwert verhießen, erhalten und gestärkt werden. Setzt man diese Ergebnisse in Beziehung zur Frage nach den besonderen Integrationsleistungen in der Residenzstadt Halle,73 so muss auf die exponierte Rolle der Saline für die Ausformung politischer Kultur verwiesen werden. Gerade die mit dem Salzwerk in Verbindung stehenden Kommunikationspraktiken generierten einen konsensorientierten Herrschaftsmodus, der nicht in allen Residenzstädten anzutreffen war.74 Insofern war hier die Saline – nicht nur in sozialer und ökonomischer Perspektive – der entscheidende Katalysator für die frühneuzeitliche Integration von Hof und Stadt.
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BRADEMANN, Integration (wie Anm. 8). Auf eine starke Konflikthaftigkeit des Verhältnisses von bischöflicher und kommunaler Verwaltung verweist beispielsweise Wolfgang WÜST, Augsburger Bürgerschaft, Domkapitel und Fürstbischof im 17. und 18. Jahrhundert: geistlich-weltliche Allianz oder politisch-ständischer Gegensatz?, in: Stadt und Bischof, hrsg. von Bernhard KIRCHGÄSSNER und Wolfram BAER (Stadt in der Geschichte, Bd. 14), Sigmaringen 1988, S. 65-95. Vgl. jetzt auch die Beiträge in Städtisches Bürgertum und Hofgesellschaft. Kulturen integrativer Beziehungen in Residenz- und Hauptstädten vom 14. bis ins 19. Jahrhundert, hrsg. von Jan HIRSCHBIEGEL, Werner PARAVICINI und Jörg WETTLAUFER (Residenzenforschung, Bd. 25), Ostfildern 2012.
Symbolische Interaktion in der Residenzstadt des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit Eine kurze Bestandsaufnahme am Ende der Tagung1 Stephan Selzer, Hamburg In den vergangenen Wochen erschien auf der Medienseite einer großen deutschen Tageszeitung eine Artikelserie, in der die Autoren ihre Erfahrungen besonderer Art beschrieben haben. Aufgetragen worden war ihnen, ohne Unterbrechung dem Tagesprogramm eines einzigen Fernsehsenders zu folgen. Nicht vierundzwanzig Stunden Arte, Kinderkanal, RTL oder TV Halle liegen hinter uns, aber immerhin acht Stunden prall gefülltes Vortragsprogramm. Und auch wir kannten zwar das Tagungsthema und die Vortragstitel, konnten aber nicht wissen, was uns erwarten würde, weil die Organisatoren aus gescheiten Gründen darauf verzichtet hatten, von den Referenten im Vorgang die Vortragsmanuskripte in Lang- oder Kurzfassung abzufordern. Wie die Zeitungsredaktion von den Fernsehbeobachtern, erwarten die Tagungsorganisatoren nunmehr von mir eine Bestandsaufnahme. Sie soll im Folgenden versucht werden und wird von den einfachsten Tatbeständen ausgehen: Was wurde in den Vorträgen der beiden Tagungstage hinsichtlich Ort, Zeit und Typus geboten? Die Vortragsinhalte umspannten einen Zeitraum von rund 400 Jahren. Die Themen setzten im 13. Jahrhundert ein und reichten bis weit ins 17. Jahrhundert fort. Diese zeitliche Lagerung ist annähernd deckungsgleich mit den Arbeitszielen des Projekts „Stadt und Residenz im mitteldeutschen Raum“.2 Sie entspricht überdies recht genau dem Arbeitsprogramm der Residenzenkommission bei der Göttinger Akademie der Wissenschaften,3 von der man mittlerweile allerdings hört, dass sie eine Verschiebung
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Der folgende Text gibt die am 25. November 2006 vorgetragenen Schlussgedanken wieder. Der mündliche Vortragsstil wurde beibehalten. Einige Literaturhinweise wurden ergänzt. Eine Einordnung der gedruckten Aufsätze unternimmt Marc von der Höh in seiner Einleitung. Matthias MEINHARDT und Andreas RANFT, Das Verhältnis von Stadt und Residenz im mitteldeutschen Raum – Vorstellung eines Forschungsprojektes der Historischen Kommission für SachsenAnhalt, in: Sachsen und Anhalt 24 (2002/2003), S. 391-405. Werner PARAVICINI, Die Gesellschaft, der Ort, die Zeichen. Aus der Arbeit der Residenzen-Kommission in: Spätmittelalterliche Residenzbildung in geistlichen Territorien Mittel- und Nordostdeutschlands, hrsg. von Klaus NEITMANN und Heinz-Dieter HEIMANN, Berlin 2009, S. 15-40.
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des zeitlichen Erfassungsrahmens in die Neuzeit plant.4 Das lässt sich für das hier in Halle debattierte Thema mit gleichem Recht sagen. Tatsächlich blieb ja das Phänomen der Residenz in Europa bis mindestens 1918 wirkungskräftig,5 wie etwa die schöne Ausstellung über Thüringen als Land der Residenzen bildkräftig gezeigt hat.6 Matthias Müller ist als Kunsthistoriker der Gegenwart sogar noch näher gerückt, indem er Regentenporträts sowohl der Ottonenzeit als auch des Bundestagswahlkampfs von 2005 zusammengeführt hat.7 Ebenso aspektreich wie schlüssig fügten sich verschiedene Hoftypen in den Vorträgen aneinander. Die Höfe und Städte von Reichsfürsten, weltlichen wie geistlichen gleichermaßen, wurden besprochen.8 Die soziale Spannweite der an ihren Residenzorten vorgestellten Fürsten und Herren war beträchtlich.9 Hinter der Königsdynastie an der Spitze der Hierarchie rangierten die mehrfach angesprochenen sächsischen Kurfürsten,10 recht weit unten mussten sich die Fürsten von Anhalt einordnen,11 doch standen die Anhaltiner noch über den Grafen von Isenburg und dem landsässigen Niederadel der habsburgischen Erlande.12 Herren über Hof und Stadt waren allerdings selbst solche Kleinen des Adelsgefüges,13 weshalb es wichtig ist, sie in die Betrach4 5
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Werner PARAVICINI, 12. Symposium der Residenzenkommission, in: Mitteilungen der Residenzenkommision der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 19,1 (2009), S. 11-14. Jüngste Literaturschau bei Andreas BIHRER, Curia non sufficit. Vergangene, aktuelle und zukünftige Wege der Erforschung von Höfen im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für Historische Forschung 35 (2008), S. 237-272. Neu entdeckt. Thüringen – Land der Residenzen. Essays, hrsg. von Konrad SCHEURMANN und Jördis FRANK, Mainz 2004. Siehe den Beitrag von Matthias Müller in diesem Band. Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich, hrsg. von Werner PARAVICINI, Teil 2: Bilder und Begriffe, 2 Teilbände (Residenzenforschung, Bd. 15), Ostfildern 2006. Zur Problematik siehe Stephan SELZER, Fürstenwandel an der Zeitenwende? Zugeschriebene Größe, Durchschnittshandeln und gesuchter Nachruhm bei weltlichen Reichsfürsten um 1500, in: Fürsten an der Zeitenwende zwischen Gruppenbild und Individualität. Formen fürstlicher Selbstdarstellung und ihre Rezeption (1450-1550), hrsg. von Oliver AUGE, Ralf-Gunnar WERLICH und Gabriel ZEILINGER (Residenzenforschung, Bd. 22), Ostfildern 2009, S. 11-32. Siehe vor allem die Beiträge von Matthias Müller, Joachim Schneider und Matthias Meinhardt. Siehe den Beitrag von Gerrit Deutschländer. Werner FREITAG, Kleine Reichsfürsten im 15. Jahrhundert – das Beispiel Anhalt, in: Sachsen und Anhalt 23 (2001), S. 141-160; Die Fürsten von Anhalt. Herrschaftssymbolik, dynastische Vernunft und politische Konzepte in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von Werner FREITAG und Michael HECHT (Studien zur Landesgeschichte, Bd. 9), Halle 2003; Hochadelige Herrschaft im mitteldeutschen Raum (1200 bis 1600). Formen – Legitimation – Repräsentation, hrsg. von Jörg ROGGE und Uwe SCHIRMER (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte, Bd. 23), Leipzig 2003. Residenzen. Aspekte hauptstädtischer Zentralität von der frühen Neuzeit bis zum Ende der Monarchie, hrsg. von Kurt ANDERMANN (Oberrheinische Studien, Bd. 10), Sigmaringen 1992; Landesherrliche Städte in Südwestdeutschland, hrsg. von DEMS. und Jürgen TREFFEISEN (Oberrheinische Studien, Bd. 12), Sigmaringen 1994; Grafen und Herren in Südwestdeutschland vom 12. bis
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tung zu integrieren, wenn es um eine Residenzen- und nicht um eine Fürstentagung geht.14 Schließlich noch zur Geographie der behandelten Städte: Zwischen Mainz und Dresden wurde die West-Ost-Ausdehnung des Reiches auf der längsten Strecke erfasst. Zwischen Süd und Nord reichte die Linie von Wien und Landshut immerhin bis nach Göttingen. Zwangsläufig mussten Lücken bleiben, und weiterhin wissen die Referenten nur zu gut, dass sie ihre Residenzstädte aus spezifischen Städtelandschaften und eigentümlichen Wirtschafsräumen zum Zwecke des Vergleichs herausgelöst haben.15 Allerdings bleibt zu bedenken, dass diese strukturellen Grundgegebenheiten um 1500 noch als krass unterschiedlich anzunehmen sind.16 Vielleicht waren sich deshalb die behandelten Städte (trotz des sie verbindenden Residenzcharakters) in vielen Faktoren unähnlich und standen sich in vielen Bereichen jeweils näher mit benachbarten Städten ohne Hofpräsenz. So ist schwer zu entscheiden, ob für das hier behandelte Thema der Bezugsrahmen des Reichs der am besten geeignete ist. Der einzig denkbare ist er natürlich nicht.17 Dass die betrachteten Phänomene gesamteuropäische waren, braucht man den Tagungsorganisatoren nicht zu erklären,18 doch ausmalen darf man sich schon, ob nicht auch Vorträge über den Krieg der Zeichen im Paris des Hundertjährigen Krieges,19 über symbolische Interaktion im Italien der Renaissance20 oder über Papst- und Kaiserhof21 befruchtend hätten sein können.
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ins 17. Jahrhundert, hrsg. von Kurt ANDERMANN und Clemens JOOS (Kraichtaler Kolloquien, Bd. 5), Epfendorf 2006. Siehe zukünftig: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich, Teil 4: Grafen und Herren. Gerhard FOUQUET, Ritterschaft, Hoch- und Domstift Speyer, Kurpfalz: Zu den Formen politischer, sozialer und wirtschaftlicher Verflechtung in einer spätmittelalterlichen Landschaft an Mittel- und Oberrhein, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 137 (1989), S. 224-240; DERS., Stadt, Herrschaft und Territorium – Ritterschaftliche Kleinstädte Südwestdeutschlands an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 141 (1993), S. 70-120. Peter MORAW, Das Reich und die Territorien, der König und die Fürsten im späten Mittelalter, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 63 (1999), S. 187-203. Werner PARAVICINI, Gab es eine einheitliche Adelskultur Europas im späten Mittelalter?, in: Europa im späten Mittelalter. Politik, Gesellschaft, Kultur, hrsg. von Rainer Christoph SCHWINGES, Christian HESSE und Peter MORAW (Historische Zeitschrift, Beihefte N.F. Bd. 40), München 2006, S. 401-434. Princely Virtues in the Middle Ages 1200-1500, hrsg. von István P. BEJCZY und Cary J. NEDERMAN, (Disputatio, Bd. 9), Turnhout 2007. Vgl. Simona SLANIČKA, Krieg der Zeichen. Die visuelle Politik Johanns ohne Furcht und der armagnakisch-burgundische Bürgerkrieg (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 182), Göttingen 2002. Vgl. Patrick BOUCHERON, Hof, Stadt und öffentlicher Raum. Krieg der Zeichen und Streit um die Orte im Mailand des 15. Jahrhunderts, in: Der Hof und die Stadt. Konfrontation, Koexistenz und Integration im Verhältnis von Hof und Stadt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von Werner PARAVICINI und Jörg WETTLAUFER (Residenzenforschung, Bd. 20), Ostfildern 2006, S. 229-248.
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Der Programmauftrag, den die Organisatoren an die Vortragenden gerichtet haben, ist höchst präzise formuliert. Den Referenten war im Exposé aufgetragen worden, „symbolische Interaktion zwischen Hof und Stadt“ zu studieren, wobei „Hof und Stadt [...] als zwei ganz unterschiedlich generierte soziale Sphären“ zu verstehen seien. Wie, so wird man zunächst mit Blick auf die Tagungsinhalte fragen müssen, wurde der Begriff der „symbolischen Interaktion“ gefüllt? Sehr auffällig ist, dass rund die Hälfte der Referenten diesen Kernbegriff mit dem der symbolischen Kommunikation vertauscht hat. Tatsächlich dürfte sich letzterer in der Mediävistik größerer Zustimmung erfreuen, weshalb er nicht zwangsläufig treffender sein muss.22 Die inhaltliche Vorgabe der Organisatoren hat darüber hinaus zur vielfältigen Ausgestaltung angeregt. So erfuhren wir von Herrscherporträts, Huldigungen, Architekturen, Wappen, Inschriften, Einzügen, Festen, Turnieren, Jagden, Grabdenkmälern, Leichenbegängnissen, Sakralräumen, Siegeln, Stadtschlüsseln – und das ist bei weitem noch keine vollständige Liste der angesprochenen Themenfacetten.23 Herausgegriffen und in ihrer Bedeutung exemplarisch sichtbar gemacht seien zunächst die Wappen. Die aus verschiedenen Vorträgen zu Tage tretende Wichtigkeit des Mediums24 kontrastiert nämlich recht stark mit dem niedrigen Ansehen der Heraldik in der deutschsprachigen Wissenschaft.25 Höchst eindrucksvoll wurden etwa Multifunktionalität und Omnipräsenz von Wappen am Beispiel der „Wappenlandschaft Büdingen“ vorgeführt.26 An der anschaulichen Überzeugungskraft des Büdinger Zeichenkosmos vermag die Tatsache nichts zu ändern, dass man diesem Beispiel, geführt etwa von Werner Paravicini durch eine imaginäre Stadt,27 seine Exzeptionali21 22 23 24 25
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Kaiserhof – Papsthof (16.-18. Jahrhundert), hrsg. von Richard BÖSEL (Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturinstitut in Rom, Abhandlungen, Bd. 12), Wien 2006. Kommunikation in mittelalterlichen Städten, hrsg. von Jörg OBERSTE, Regensburg 2007. Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich, Teil 2: Bilder und Begriffe, hrsg. von Werner PARAVICINI (Residenzenforschung, Bd. 15), Ostfildern 2005. Siehe die Beiträge von Matthias Müller und Matthias Meinhardt. Moderne heraldische Forschung wird im Gegensatz zu England und Frankreich im deutschsprachigen Raum kaum betrieben. Siehe als Übersicht Michel POPOFF, Bibliographie héraldique internationale. Paris 2003. Vgl. Heraldry, Pageantry and Social Display in Medieval England, hrsg. von Peter COSS und Maurice KEEN, Woodbridge 2002; Maurice KEEN, Origins of the English Gentleman. Heraldry, Chivalry and Gentility in medieval England, c. 1300 – c. 1500, Stroud 2005; Ludwig BIEWER, Wappen als Träger der Kommunikation im Mittelalter: Einige ausgewählte Beispiele, in: Medien der Kommunikation im Mittelalter, hrsg. von Karl-Heinz SPIEß (Beiträge zur Kommunikationsgeschichte, Bd. 15), Stuttgart 2003, S. 139-154; Wappen als Zeichen. Mittelalterliche Heraldik aus kommunikations- und zeichentheoretischer Perspektive, hrsg. von Wolfgang ACHNITZ (Das Mittelalter. Zeitschrift des Mediävistenverbandes, Bd. 11,2), Berlin 2006. Kilian HECK, Genealogie als Monument und Argument. Der Beitrag dynastischer Wappen zur politischen Raumbildung der Neuzeit (Kunstwissenschaftliche Studien, Bd. 98), München 2002. Werner PARAVICINI, Gruppe und Person. Repräsentation durch Wappen im späteren Mittelalter, in: Die Repräsentation der Gruppen. Texte – Bilder – Objekte, hrsg. von Otto Gerhard OEXLE und
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tät nehmen darf. Regionale Kataloge der bevorzugten Platzierungen von mittelalterlichen Wappen im historischen (nicht nur der erhaltenen im heutigen) Stadtraum, dürften recht aufschlussreich sein.28 An ihnen könnten Brennpunkte symbolischer Interaktion sichtbar werden, denn wie die Ortswahl für die Werbeplakate unserer Zeit beruhte auch die Anbringung von Wappen und Inschriften auf strategischen Überlegungen.29Als bevorzugte Orte benannt wurden in den Vorträgen mehrfach Sakralräume und Torbauten.30 Kurz angesprochen wurden auch Brunnen, die ebenfalls Wappenträger sein konnten31 und mithin nicht ausschließlich Orte mündlicher Kommunikation darstellten.32 In den jeweiligen Zusammenhängen wüsste man gerne mehr über die Schichtung der Wappen, weil sich in ihren Überlagerungen die Herrschaftsabfolgen abbilden. Zweifellos kein Einzelphänomen war das, was sich im Jahre 1329 in Parma ereignete. Nachdem die Stadtregierung sich Ludwig dem Bayern zugewandt hatte, wurde der Stadtraum von den Lilien Karls von Anjou gesäubert und an ihre Stelle der Reichsadler gesetzt.33 In der Bilderchronik des Giovanni Sercambi, die vor kurzem in Magdeburg ausgestellt war,34 finden sich ähnliche Phänomene für Lucca eindrucksvoll visualisiert. Für diese mittelitalienische Stadt liegt mittlerweile eine
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Andrea von HÜLSEN-ESCH (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 141), Göttingen 1998, S. 327-390. Ansätze dazu bei Harald DRÖS, Heidelberger Wappenbuch. Wappen an Gebäuden und Grabmälern auf dem Heidelberger Schloß, in der Altstadt und in Handschuhsheim, Heidelberg 1991. Vgl. Birgit STUDT, Symbole fürstlicher Politik. Stammtafeln, Wappenreihen und Ahnengalerien in Text und Bild, in: The mediation of symbol in Late Medieval and early Modern Times/Medien der Symbolik in Spätmittelalter und früher Neuzeit, hrsg. von Rudolf SUNTRUP (Medieval to early modern culture, Bd. 5), Frankfurt am Main u. a. 2005, S. 221-256. Siehe die Beitrage von Matthias Müller und Gerrit Deutschländer sowie Ulrich SCHÜTTE, Stadttor und Hausschwelle. Zur rituellen Bedeutung architektonischer Grenzen, in: Die Grenze. Begriff und Inszenierung, hrsg. von Markus BAUER und Thomas RAHN, Berlin 1997, S.159-176; auch in: Zeremoniell und Raum, hrsg. von Werner PARAVICINI (Residenzenforschung, Bd. 6), Sigmaringen 1997, S. 305-324. Susanne KRESS, „Der Mann uff dem Brunnen“. Die Wappnerbrunnen in Südwestdeutschland als städtische Identitäts- und Erinnerungssymbole im 16. Jahrhundert, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 136 (2000), S. 51-99. Katharina SIMON-MUSCHEID, Städtische Zierde – Gemeiner Nutzen – Orte der Begegnung. Öffentliche Brunnen in mittelalterlichen Städten, in: Die Stadt als Kommunikationsraum. Beiträge zur Stadtgeschichte vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Festschrift für Karl Czok zum 75. Geburtstag, hrsg. von Helmut BRÄUER und Elke SCHLENKRICH, Leipzig 2001, S. 699-720; ... zum allgemeinen statt nutzen. Brunnen in der europäischen Stadtgeschichte, hrsg. von Dorothee RIPPMANN, Trier 2008. Stephan SELZER, Deutsche Söldner im Italien des Trecento (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, Bd. 98), Tübingen 2001, S. 168 f. Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation. 962 bis 1806. Von Otto dem Großen bis zum Ausgang des Mittelalters, 2 Bde., hrsg. von Matthias PUHLE und Claus-Peter HASSE, Dresden 2006.
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Maßstab setzende Studie über Zeichen im Stadtraum vor,35 genauso wie wir für das benachbarte Pisa eine fundierte Analyse des hochmittelalterlichen Inschriftenbestandes unter mehr als hilfswissenschaftlichen Gesichtpunkten besitzen.36 Neben den Wappen wurden besonders häufig fürstliche Bauten in ihren symbolischen Funktionen angesprochen.37 Dies geschah in positiver wie negativer Ausprägung.38 Genauso wie durch neu errichtete Bauten der Stadtraum dem fürstlichen Willen gemäß umgeordnet wurde, fungierte der Abriss fürstlicher Gebäude und die Neubesetzung der Fläche, etwa die Zerstörung der Stadtburg durch die um ihre Autonomie kämpfende Bürgerschaft, als symbolisches Gegenbild.39 Für beide Phänomene, den Abriss wie den Neubau, wurde in der Diskussion nach zeitlichen Entwicklungslinien gefragt. Dieser Ansatz dürfte überhaupt wichtig sein. Aus einer Kirchturmperspektive ist er allerdings nicht durchzuführen, denn natürlich wird in einer Feinchronologie das Machtverhältnis zwischen Fürst und Stadt stets ortspezifisch gelagert sein. Doch ist tendenziell zu erwarten, dass im Reich nördlich der Alpen im 13. und 14. Jahrhundert eher die Städte in der Offensive waren, während das 15. Jahrhundert als eine Phase wachsender Fürstenmacht gelten kann.40 Zu parallelisieren mit dieser Entwicklungstendenz, ist die mehrfach vorgetragene Beobachtung der Tagungsteilnehmer, dass in den Residenzstädten des Reiches die symbolische Offensive der Fürsten im 15. Jahrhundert unübersehbar wird und im 16. Jahrhundert so wirkungsstark ausgeprägt war, dass eine symbolische Gegenwehr der Stadt kaum noch feststellbar sei. Das wurde für Wien, Dresden und Dessau recht eindrucksvoll gezeigt.41 Doch reicht der Befund sicherlich weiter;42 denn wer städtische Symbolpo-
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Max SEIDEL, Potere delle immagini, immagini del potere. Lucca città imperiale – iconografia politica, Venedig 2007. Marc VON DER HÖH, Erinnerungskultur und frühe Kommune. Formen und Funktionen des Umgangs mit der Vergangenheit im hochmittelalterlichen Pisa (1050-1150) (Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Bd. 3), Berlin 2006. Gottfried KERSCHER, Architektur als Repräsentation. Spätmittelalterliche Palastbaukunst zwischen Pracht und zeremoniellen Voraussetzungen. Avignon – Mallorca – Kirchenstaat, Tübingen u. a. 2000. Siehe die Beiträge von Arend Mindermann und Joachim Schneider. Shaping Urban Identity in the Late Middle Ages, Shaping urban identity in late Medieval Europe/ L’apparition d’une identité urbaine dans l’Europe du bas moyen âge, hrsg. von Marc BOONE und Peter STABEL (Studies in urban social, economic and political history of the medieval and modern Low Countries, Bd. 11), Leuwen 2000. Stephan SELZER, Fraenum antiquae libertatis – Stadtburgen und die Wiederbefestigung stadtherrlicher Macht im spätmittelalterlichen Reich, in: Die besetzte res publica. Zum Verhältnis von ziviler Obrigkeit und militärischer Herrschaft in besetzten Gebieten vom Spätmittelalter bis zum 18. Jahrhundert, hrsg. von Markus MEUMANN und Jörg ROGGE (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit, Bd. 3), Berlin 2006, S. 89-118. Siehe die Beiträge von Andreas Zajic, Matthias Meinhardt und Gerrit Deutschländer.
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litik der Frühen Neuzeit sehen will, muss nicht zufällig auf die Reichsstädte blicken, die eben einen Stadtherrn besaßen, der in ihnen nicht residierte.43 An der zwischen 1450 und 1550 aufreißenden Bruchlinie begannen auch andere Facetten des Themas zu leuchten. Das deckt sich mit dem mittlerweile recht deutlichen Befund, dass in den Jahrzehnten um 1500 die fürstlichen Herrschaftsformen im Reich einer hohen Veränderungsgeschwindigkeit unterlagen.44 Eine der Folgen dieses strukturellen Wandels dürfte sein, dass der die Tagung strukturierende Gegensatz zwischen Hof und Stadt unschärfer wurde, je weiter die Referenten im 16. Jahrhundert vorankamen. Die Vorgabe der Organisatoren hatte hier zwei Sphären oder Systeme akzentuiert. Bei genauerem Hinsehen verwischten sich, je länger die Frühe Neuzeit dauerte, die mittelalterlichen Grenzen von Stadt und Residenz immer mehr und wurden die Schnittmengen in Architektur, Sozialverband und Wertesystem immer größer.45 Am Bestand der Wiener Grabdenkmäler zeigte sich beispielsweise,46 dass die Aufträge von Hofangehörigen sich in ihrer repräsentativen Wirkungsidee weniger an Betrachter aus dem städtischen Sozialverband als vielmehr an andere Höflinge richtete, mit denen sie in Leben und Tod konkurrierten.47 Erneut zeigt sich mithin, dass die genaue Ermittlung der Adressaten symbolischer Kommunikation für die Beschreibung des Zeichenhaushalts von Stadt und Residenz entscheidend sein dürfte. Wer eigentlich symbolgestützt mit wem kommunizierte, 42 43
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Cities and the Rise of States in Europa A.D. 1000 to 1800, hrsg. von Charles TILLY und Wim P. BLOCKMANS, Oxford 1994. André KRISCHER, Reichsstädte in der Fürstengesellschaft. Politischer Zeichengebrauch in der frühen Neuzeit, Darmstadt 2006. Vgl. noch Bernd ROECK, Stadtgestalt und Macht in der europäischen Renaissance, in: Städtische Formen und Macht. Festschrift zur Vollendung des 65. Lebensjahres von Werner Joël, hrsg. von Michael JANSEN, Jochen HOOCK und Jörg JARNUT (Veröffentlichungen der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Stadtkulturforschung, Bd. 1), Aachen 1994, S. 109123, hier bes. S. 117; DERS., Rathaus und Reichsstadt, in: Stadt und Repräsentation, hrsg. von Bernhard KIRCHGÄSSNER und Hans-Peter BECHT (Stadt in der Geschichte, Bd. 21), Sigmaringen 1995, S. 93-114. Ernst SCHUBERT, Die Umformung spätmittelalterlicher Fürstenherrschaft im 16. Jahrhundert, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 63 (1999), S. 204-263; DERS., Vom Gebot zur Landesordnung. Der Wandel fürstlicher Herrschaft vom 15. zum 16. Jahrhundert, in: Die deutsche Reformation zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von Thomas A. BRADY (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien Bd. 50), München 2001, S. 19-61. Ein zweigeteilter Ort? Hof und Stadt in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Susanne Claudine PILS und Jan Paul NIEDERKORN (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, Bd. 44), Innsbruck u. a. 2005. Andreas ZAJIC, „Zu ewiger gedächtnis aufgerich“. Grabdenkmäler als Quelle für Memoria und Repräsentation von Adel und Bürgertum im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit. Das Beispiel Niederösterreichs (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 45), Wien u. a. 2004. Bernhard STERCHI, Über den Umgang mit Lob und Tadel. Normative Adelsliteratur und politische Kommunikation im burgundischen Hofadel 1430-1506 (Burgundica, Bd. 10), Turnhout 2005.
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wurde am Beispiel der bischöflichen Stadt Konstanz problematisiert.48 Genauso hat man überlegt und gezeigt, dass Reichsfürsten die Ziele ihrer symbolischen Einprägungen vorrangig in Konkurrenz zu den Bemühungen ihrer Standesgenossen anvisierten.49 Gleiches gilt für die andere in Konkurrenz gedachte Sphäre: Die mittelalterliche Stadt war bekanntlich ebenfalls kein einheitlicher Verband, sondern durchzogen von sozialen, politischen, ökonomischen und nachbarschaftlichen Furchen.50 Ein städtischer Rat konnte in seinen Ritualen mit dem Stadtherrn kommunizieren, aber richtete sich als genossenschaftliches Haupt ebenso an die Bürgerschaft.51 Die symbolische Interaktion innerhalb der Systeme Hof und Stadt in die Betrachtung einzubeziehen, wäre somit recht vielversprechend. Damit bin ich schon bei den Problemen und offenen Fragen. Dabei sei allerdings vorweg betont, dass der folgende vierfache Ausblick nicht eine andersartige Tagung oder abweichende Themen wünscht, sondern auf mehr Referate der vorgetragenen Art zielt: 1. Die Quellenproblematik ist in guter und richtiger mediävistischer Tradition mehrfach thematisiert worden. Sicherlich kann kein Zweifel daran bestehen, dass das verfügbare Informationsmaterial außeralltägliche vor alltäglichen Formen symbolischer Interaktion begünstigt. Die fürstliche Überlieferung ist sichtbar die reichere. Weiterhin schufen Konfliktsituationen stets umfangreicheres und anschaulicheres Quellenmaterial.52 Fast könnte man sich zu fragen geneigt sehen, ob es überhaupt Symbole des Einverständnisses zwischen Stadt und Fürst gab. Denn zweifellos besteht die latente Gefahr, den außeralltäglichen Konflikt der Zeichen für einen die Lebenswelt dominierenden Dauerzustand zu halten. Ebenso naheliegend, aber methodisch genauso fraglich ist es, bei der Abwägung von permanenten und flüchtigen Zeichen der symbolischen Interaktion die heutige Überlieferung und nicht die einstigen Proportionen zum Maßstab zu nehmen. Der Historiker mit seinem Blick auf die 48 49
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Andreas BIHRER, Der Konstanzer Bischofshof im 14. Jahrhundert. Herrschaftliche, soziale und kommunikative Aspekte (Residenzenforschung, Bd. 18), Ostfildern 2005. Stephan SELZER, Überlegungen zur Optik des Reichtags. Kleidung und Heraldik fürstlicher Besucher auf spätmittelalterlichen Reichsversammlungen, in: Politische Versammlungen und ihre Rituale. Repräsentationsformen und Entscheidungsprozesse des Reichs und der Kirche im späten Mittelalter, hrsg. von Jörg PELTZER, Gerald SCHWEDLER und Paul TÖBELMANN (Mittelalterforschungen, Bd. 27), Ostfildern 2009, S. 247-262. Simon TEUSCHER, Bekannte, Klienten, Verwandte. Soziabilität und Politik in der Stadt Bern um 1500 (Norm und Struktur, Bd. 9), Köln u. a. 1998, S. 267 f. Dietrich POECK, Rituale der Ratswahl. Zeichen und Zeremoniell der Ratssetzung in Europa (12.18. Jahrhundert) (Städteforschung Reihe A: Darstellungen, Bd. 60), Köln u. a. 2003; Antje DIENERSTAECKLING, Der Himmel über dem Rat. Zur Symbolik der Ratswahl in mitteldeutschen Städten (Studien zur Landesgeschichte, Bd. 19), Halle 2008. Arnold ESCH, Überlieferungschance und Überlieferungszufall als methodisches Problem des Historikers, in: Historische Zeitschrift 240 (1985), S. 529-570; wieder in: DERS., Zeitalter und Menschenalter. Der Historiker und die Erfahrung vergangener Zeiten. München 1994, S. 39–69.
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Schriftquellen wird dem Kunsthistoriker, der von den überlieferten Kunstwerken herkommt, bei einer Redimensionierung unterstützen können, ohne ästhetische Höchstleistungen von Künstlern unter seinen Papieren begraben zu wollen.53 2. Noch über eine weitere Schwierigkeitsschwelle kommt der Mittelalterforscher nur schwer hinweg, so sehr er sich auch darum bemühen mag. Gemeint sind die mehrfach gestellten Grundsatzfragen nach den Rezipienten der symbolischen Kommunikation und genauer nach deren Wahrnehmungen, Auffassungen und Reaktionen. Wie steht es eigentlich mit einem Symbolaustausch zwischen Hof und Stadt? Gab es das Phänomen gesunkener Symbole? Wie reagierten Bürger auf die Demütigung durch einen Ratshausabriss, wie sprachen sie über das neue Wappen am Brunnen oder den bevorstehenden Herrschereinzug? Wie kompensierten sie die Zurücksetzung durch Fürst und Hof, die Fremdheit in der gewandelten Heimatstadt? Aber empfanden sie dergleichen überhaupt so, wie wir es uns ausmalen? Über den gewollten Weg in Richtung Untertan ist treffend geschrieben worden.54 Von einem hinhaltenden Widerstand ist mit Blick auf Dresden gesprochen worden.55 Wie auch immer diese Fragen letztlich zu beantworten sind, stets waren bei gravierenden Systemanpassungen geeignete Ventile vonnöten, aus denen ein Überdruck an Unmut und Frustration abgelassen werden konnte. Über das Exil, ein bekanntes Phänomen der italienischen Stadtgeschichte, ist für das Reich nördlich der Alpen bisher wenig gearbeitet worden.56 Sind vielleicht auch die Gegenwelt des Karnevals und andere Feste der verkehrten Welt57 in diesem entlastenden Sinne wirkungsmächtig gewesen? Wie verbreitet waren Schmähschriften58 oder gar Pasquillen der Art, wie sie im päpstlichen Rom gegen die Kurie verfasst und an öffentlichen Plätzen angebracht wurden? 53 54
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Arnold ESCH, Über den Zusammenhang von Kunst und Wirtschaft in der italienischen Renaissance. Ein Forschungsbericht, in: Zeitschrift für Historische Forschung 8 (1981), S. 179-222. Vgl. Olaf MÖRKE, Der gewollte Weg in Richtung „Untertan“. Ökonomische und politische Eliten in Braunschweig, Lüneburg und Göttingen vom 15. bis ins 17. Jahrhundert, in: Bürgerliche Eliten in den Niederlanden und in Nordwestdeutschland. Studien zur Sozialgeschichte des europäischen Bürgertums im Mittelalter und in der Neuzeit, hrsg. von Heinz SCHILLING und Herman A. DIEDERIKS (Städteforschung, Reihe A: Darstellungen, Bd. 23), Köln u. a. 1985, S. 111-133. Siehe den Beitrag von Matthias Meinhardt und DERS., Dresden im Wandel. Raum und Bevölkerung der Stadt im Residenzbildungsprozeß des 15. und 16. Jahrhunderts (Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Bd. 5), Berlin 2009. Exile in the Middle Ages, hrsg. von Laura NAPRAN (International medieval research, Bd. 13), Turnhout 2004. Jacques HEERS, Vom Mummenschanz zum Machttheater. Europäische Festkultur im Mittelalter, Frankfurt am Main 1986; City and Spectacle in Medieval Europe, hrsg. von Barbara A. HANAVALT und Kathryn L. REYERSON (Medieval studies at Minnesota, Bd. 6), Minneapolis (Minnesota) 1994; Peter J. ARNADE, Realms of Ritual. Burgundian ceremony and civic life in late medieval Ghent, Ithaca (New York) u. a. 1996. Matthias LENTZ, Konflikt, Ehre, Ordnung. Untersuchungen zu den Schmähbriefen und Schandbildern des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (ca. 1350 bis 1600), mit einem illustrierten
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3. Es wäre ein recht nützliches Unterfangen, die unterschiedlichen fürstlichen Symbole und ihren Einsatz zu inventarisieren. Gute Ansätze dazu liefert beispielsweise eine neuere italienische Arbeit.59 Auf einer solchen Basis werden Grundfragen besser zu beantworten sein, die sich bereits jetzt aufdrängen. Hierzu gehört die Skizzierung der Entwicklungsrichtung im zeitlichen Längsschnitt, auf deren Notwendigkeit bereits verwiesen wurde.60 Zudem wäre zu untersuchen, ob es symbolische Felder gab, die nur zeitweilig besetzt wurden. Denn natürlich waren Rituale und Symbole nicht starr, sondern konnten neu ausgehandelt werden oder verschoben ihre Bedeutung unmerklich.61 Das gilt zumal für den Zeichenwandel durch Reformation und Konfessionalisierung.62 Jetzt verschoben sich Symbolsysteme nachhaltig: Keine Fronleichnamsprozession mehr, aber ein verheirateter Hofprediger in der fürstlichen Entourage. Welche Auswirkungen hatte diese symbolische Umbruchzeit für das hier behandelte Thema von Stadt und Hof? Seit wann lassen sich die Residenzen protestantischer und katholischer Reichsfürsten in ihrem Zeichenreservoir merklich voneinander abheben, und ab wann nahmen Zeitgenossen diese Veränderungen, deren Richtung und Ergebnisse wir aus der Rückschau kennen, als eine fundamentale Schwelle wahr? Weiterhin ist nach spezifischen Momenten zu fragen, in denen es zu einer hohen Zeichenproduktion kam: Sind Zeiten unsicherer Herrschaft oder schlecht legitimierte Nachfolgeschaften grundsätzlich Momente einer ausufernden Zeichenproduktion gewesen? Forcierten Machträger, bei denen politischer Anspruch und tatsächliche Lage auseinander traten, symbolische Interaktion?63 Interessant dürfte zudem der Blick auf Gegenzeichen sein. Auch dann und dort, wo eine symbolische Vereinheitlichung des Stadtraums gleichsam auf fürstlichem Monopol zu beruhen scheint, wird eine Welt gegenläufiger Rituale und Symbole bestanden haben. Die Orte dieser Zeichen und Handlungen waren nicht das Schlossportal, das Stadtzentrum oder der Festtag, sondern die urbanen Ränder, die Subkultur des Untergrunds, das „Milieu der
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Katalog der Überlieferung (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, Bd. 217), Hannover 2004. Luisa Clotilde GENTILE, Riti ed emblemi. Processi di rappresentazione del potere principesco in ara subalpina (XIII-XVI secc.) (Corti e principi fra Piemonte e Savoia, Bd. 2), Turin 2008. Siehe oben bei Anm. 2. Michail A. BOJCOV, Ephemerität und Permanenz bei Herrschereinzügen im spätmittelalterlichen Deutschland, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 24 (1997), S. 87-107. Edward MUIR, Ritual in Early Modern Europe (New approaches to European history, Bd. 11), Cambrdige u. a. 1997. Als Fallstudie siehe Jan BRADEMANN und Gerrit DEUTSCHLÄNDER, Herrschaft und Ritual im Zeichen der Reformation. Die Karwoche des Jahres 1531 in Halle, in: Jahrbuch für hallische Stadtgeschichte 4 (2006), S. 29-60. Karl der Kühne (1433-1477). Kunst, Krieg und Hofkultur, hrsg. von Susan MARTI, Till-Holger BORCHERT und Gabriele KECK, Ausstellungskatalog Brüssel 2008.
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Nacht“.64 Für den Kulturwissenschaftler bleiben sie wichtig, wenn sie auch wie Leuchtpunkte im Dunkeln weitaus schwieriger zu lokalisieren sind. 4. Die jetzt zu Ende gehende Tagung speiste sich nicht nur aus Impulsen der Residenzenforschung, sondern die Themenformulierung der Organisatoren war zweifellos ebenso angeregt durch die Forschungen einer modernen Kulturwissenschaft und solchen Großuntersuchungen, wie sie in Münster, Heidelberg, Konstanz und anderswo zu Ritual, Zeremoniell, Symbolik und Repräsentation betrieben werden.65 Diese Forschungen wurden primär angeregt von einer Generation von Forscherinnen und Forschern, die den Wissenschaftsduktus ihrer Vorgängergeneration skeptisch gegenüberstand. Dass sie über Zeremonien und Rituale zu forschen begann, wird in einigen Jahrzehnten forschungsgeschichtliche Deutungsversuche nach sich ziehen.66 Dass die eigene Lebenswelt wissenschaftliche Sichtweisen grundiert, ist unvermeidlich. Das gilt genauso für eine jüngere Historikergeneration, die sich nach der sie prägenden Umbrucherfahrung von 1989/1990 offenbar wieder mehr für den Raum, die Politik, das Individuum und die Wirtschaft zu interessieren beginnt. Entscheidend ist stets die Reflexion derartiger Bindungen. Sie könnte dorthin führen, zuweilen zurückhaltender zu argumentieren. Nur weil man es gewohnt ist, Rituale nicht als Höflichkeiten, sondern als Machtinstrument zu lesen, muss nicht hinter jeder symbolischen Handlung der Vergangenheit ein tiefgehendes Kalkül stehen.67 Häufig bedeutet eine Kleidungsfarbe nichts und eine Pfeife ist zuweilen wirklich nur eine Pfeife.68 Was damit anklingen soll: Man darf in dem hier behandelten Feld letztlich die Kombinatorik und gedankliche Verknüpfungsbereitschaft nicht unendlich weit treiben. Der Fächerblick über Land und Leute, den ein Erker erlaubt, kann als Symbol für die 64 65
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Frank REXROTH, Das Milieu der Nacht. Obrigkeit und Randgruppen im spätmittelalterlichen London (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 153), Göttingen 1999. Siehe hier nur Geschichtswissenschaft und „performative turn“. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit, hrsg. von Jürgen MARTSCHUKAT und Steffen PATZOLD (Norm und Struktur, Bd. 19), Köln u. a. 2003; Gerd ALTHOFF, Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 2003; Die Welt der Rituale. Von der Antike bis heute, hrsg. von Claus AMBOS u. a., Darmstadt 2005; Barbara STOLLBERG-RILINGER, Des Kaisers alte Kleider. Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Alten Reiches, München 2008; Spektakel der Macht. Rituale im Alten Europa 800-1800, hrsg. von Barbara STOLLBERG-RILINGER, Ausstellungskatalog Magdeburg 2008. Vgl. Frank REXROTH, Rituale und Ritualismus in der historischen Mittelalterforschung. Eine Skizze, in: Mediävistik im 21. Jahrhundert. Stand und Perspektiven der internationalen und interdisziplinären Mittelalterforschung, hrsg. von Hans-Werner GOETZ u. a. (Mittelalterstudien des Instituts zur Interdisziplinären Erforschung des Mittelalters und seines Nachwirkens, Paderborn, Bd. 1), München 2003, S. 391-406. Philippe BUC, The Dangers of Ritual. Between early medieval texts and social scientific theory, Princeton (New Jersey) 2001. Vgl. Wolfgang REINHARD, Manchmal ist eine Pfeife wirklich nur eine Pfeife. Plädoyer für eine materialistische Anthropologie, in: Saeculum 56 (2005), S. 1-16.
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Wachsamkeit des Fürsten als Landesherrn stehen. Er verliert die Dramatik eines orwellschen Überwachungsstaats, wenn er aus dem Reihenhaus eines hallischen Kollegen erfolgt. Durchgelaufen ist damit der Abspann dieser Tagung, den der uns begrüßende hallische Mediävist eingangs ankündigt hat. Zwischen seinem Sendebeginn und dem jetzigen Sendeschluss sind Sie dem Programm hoffentlich mit Interesse gefolgt, fühlen sich bereichert, haben nicht vorzeitig abgeschaltet, sondern sind auf weitere Fortsetzungsfolgen gespannt.
Register der Orts- und Personennamen —A— Aachen ....................................... 41, 42, 111 Adelebsen, Edelherren............................ 106 Adelheid, Hofjungfrau............................ 216 Aggsbach................................................ 145 Aggstein ........................................ 144, 145 Albertiner ................ 173, 178, 179, 183, 186 → Sachsen, Herzöge und Kurfürsten Alexander der Große ................................ 38 Allentsteig .............................................. 155 Altdorf, Konrad von → Konstanz, Bischöfe Altenburg ................................37, 40, 42, 43 Altendresden .................................. 177, 178 Altengrone.............................................. 102 Altpölla .................................................. 139 Alveldt, Augustin von ............................ 207 Amberg ........................... 119, 120, 125, 126 Anhalt (Anhaltiner), Fürsten......................... 25, 201–214, 217, 274 Adolf, Bischof von Merseburg... 205, 206 Agnes Hedwig ................................... 216 Albrecht ............................................ 204 Albrecht II. ........................................ 204 Anna.................................................. 204 Bernhard............................................ 216 Ernst........................... 200, 202–205, 211 Georg I. .................................... 204, 211 Georg II. (Ernsts Vater) ..................... 202 Georg III. ....201, 204–208, 210–213, 215 Joachim .............. 204, 205, 207–214, 217 Joachim Ernst .....................199, 216, 217 Johann IV. ................. 203–212, 215, 217 Leopold III. Friedrich Franz .............. 201 Ludwig .............................................. 269 Magnus.............................................. 211 Margarethe von Brandenburg .................. 208, 209, 215–217 Margarethe von Münsterberg ................... 204–208, 212 Rudolf ............................................... 211 Siegfried ........................................... 204 Sigismund ......................................... 204 Waldemar I........................................ 204 Wolfgang.................... 201, 208, 210, 212
Anjou, Karl von ..................................... 277 Arnim, Johann von ................................. 262 Arnpeck, Veit ......................... 119, 125, 127 Aschach.................................................. 163 Aschaffenburg .................................. 45, 235 Aschersleben .......................................... 214 Askanier ................................. 203, 204, 208 → Anhalt (Anhaltiner), Fürsten Augsburg, Bischöfe .................................. 68 Augsburg, Stadt ................................ 71, 148 Augustusburg ........................................... 45
—B— Baden-Baden ............................................ 43 Baden-Durlach, Markgrafen ..................... 45 Karl II. ................................................ 44 Ballenstedt, Kloster ................................ 208 Bamberg, Bischöfe ................................. 123 Anton von Rotenhan ......................... 123 Bamberg, Stadt ............................... 123, 124 Ban, Adam.............................................. 217 Barth, Familie Christian ............................................ 261 Karl ................................................... 261 Kaspar ............................................... 261 Basel ....................................................... 84 Bayern ....................................119, 120, 148, → Kaiser und Könige, Ludwig der Bayer Beck von Leopoldsdorf, Hieronymus............ 147, 154 Beichlingen, Friedrich von............................ → Magdeburg, Erzbischöfe Berge, Kloster......................................... 205 Berge, Lorenz von .................................. 217 Berge, Paulus von .... 201, 209, 211, 215, 217 Berlin-Cölln............................................ 217 Berlower, Thomas → Konstanz, Bischöfe Bernburg ................................ 201, 213, 214 Bernitzer, Sigismund .............................. 217 Binder, Ludwig............................... 200, 213 Binder, Sebastian.................................... 200 Blarer, Albrecht → Konstanz, Bischöfe Blumer, Herbert........................................ 13
286 Bodensee .................................................. 76 Böhmen ............................. 45, 118, 130, 134 Boockmann, Hartmut.............72, 89, 90, 107 Bornhöved.............................................. 114 Bouillon, Gottfried von................................. → Gottfried von Bouillon Bovenden, Edelherren .............................. 92 Brabant, Catherine de ............................... 31 Brandenburg, Bischöfe → Hieronymus Brandenburg, Markgrafen und Kurfürsten Albrecht, Erzbischof von Mainz ....... 201, 205–209, 225, 228, 230, 233–235, 237 → Magdeburg, Erzbischöfe Christian Wilhelm .................... 232, 268 → Magdeburg, Administratoren Joachim Friedrich .............................. 268 → Magdeburg, Administratoren Joachim I. ..........................205, 207–209 Joachim II. ........................................ 208 Johann Albrecht................................. 235 → Magdeburg, Erzbischöfe Margarethe ................. 208, 209, 215–217 Sigismund ......................................... 267 → Magdeburg, Erzbischöfe Sophie ............................................... 184 Waldemar .......................................... 203 Brandenburg, Markgrafschaft und Kurfürstentum ....................211, 261, 264 Brandis, Freiherren → Konstanz, Bischöfe Braque, Jean ............................................. 31 Braunschweig-Lüneburg-Gifhorn, Clara von........................................... 216 Braunschweig und Lüneburg, Herzöge ......... 93–95, 98, 99, 101–103, 107, 268 Albrecht II. .................................... 93–95 Ernst I. .................................. 96, 99, 101 Otto II., der Milde ......................... 95, 96 Otto III., der Quade ................................. 20, 95, 96, 99, 100–102, 112, 113 Otto IV., der Einäugige.........96, 105–107 Wolfgang........................................... 184 Braunschweig .............. 90, 91, 104, 181, 242 Breitenlandenberg, Hermann von ................. → Konstanz, Bischöfe Bretschneider, Daniel ............................. 184 Brunn, Johann von → Würzburg, Bischöfe Büdingen .......................................... 36, 276 Busch, Johannes ..................................... 226 Busch, Nikolaus ..................................... 228
—C— Caesar, Gaius Julius.................................. 38 Chemnitz .................................................. 45 Christine de Pisan ..................................... 47 Cleve, Sibylle von ........................................ → Sachsen, Herzöge und Kurfürsten Corvey, Widukind von ................................. → Widukind von Corvey Corvinus, Matthias → Ungarn, Könige Cranach, Lucas, d. Ä. ................................... 25, 29–32, 35, 42, 47, 201, 207 Cranach, Lucas, d. J. .............. 199, 201, 210
—D— Dacher, Gebhard........................... 83, 84, 86 Dänemark, Könige.................. 114, 180, 183 Anna...............................37, 38, 180–184 Dessau, Herrschaft...........202, 208, 211, 212 Dessau, Schloss ............................................ 199, 201, 202, 210, 213 214, 216–218 Dessau, Stadt ................................................ 17, 18, 20, 22, 25, 199, 201–208, 210, 211, 213–218, 278 Detmar ................................... 102, 113, 114 Deutschland, Bundesrepublik.................... 28 Dießenhofen, Heinrich von ................. 77, 78 Dietrichstein, Sigmund von............. 150, 151 Dilich, Wilhelm ...................................... 199 Donau..................................................... 145 Dorothea, Hofdame ................................ 209 Drachstedt, Familie................................. 268 Drauschwitz, Edelherren......................... 212 Dresden, Schloss ..... 175–178, 180, 183–186 Dresden, Stadt .............................................. 16, 18, 20–23, 25, 171, 173–186, 275, 278, 281 Dreyhaupt, Johann Christoph.................. 257 Dürer, Albrecht......................................... 45 Durlach............................................... 44, 45
—E— Ebershausen, Heinrich ............................ 261 Eferding...................................156, 161–163 Ehrenreich, Georg................................... 147 Elbe ........................................................ 182 Elton, Geoffrey ....................................... 163 Engelbrecht, Arnold, Salzgräfe ....... 267, 268
Register
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England ................................................. 276 Eyck, Jan van ............................... 31, 32, 41
—F— Faber, Egidius ........................................ 206 Finkenstein → Dietrichstein, Sigmund von Florenz ..................................................... 32 Fontainebleau ........................................... 47 Francesca, Piero della ......................... 32, 34 Frankenberg ..............................23, 114, 115 Frankfurt an der Oder ............................. 267 Frankreich .................... 35, 43, 47, 181, 276 Frankreich, Könige Karl V. ............................................... 47 Ludwig XIV. ...................................... 42 Frauenfeld, Nikolaus von.............................. → Konstanz, Bischöfe Freiberg...............................36, 37, 183, 184 Freising .................................................. 119 Freudemann, Anton ................................ 267 Fries, Lorenz .......................................... 123 Frieß, Familie ......................................... 163 Fritzlar ..................................................... 97 Füetrer, Ulrich .........................121, 122, 126
—G— Gangolf (Sohn des Leopold) ................... 162 → Schaunberg, Grafen Gars am Kamp........................................ 147 Geertz, Clifford ...................................... 247 Geiger von Geigersperg, Melchior.......... 163 Gerstenberg, Wigand ...............114, 115, 126 Giebichenstein................................ 239, 244 Gladebeck, Edelherren............................ 106 Glatz............................................... 134, 161 Görlitz, Familie ...................................... 268 → Halle an der Saale, Stadt Gottfried von Bouillon.............................. 38 Göttingen, Burg............................................ 92–94, 98, 101–103, 105, 107, 112–114 Göttingen, Fürstentum ........................ 96, 99 Göttingen, Stadt............................................ 10, 15, 17, 20–22, 24, 25, 89–107, 112–115, 273, 275 Gottlieben................................................. 82 Grein ...................................................... 146 Greiß von Wald und Mersburg, Familie 157 Greiß zu Wald, Wilhelm......................... 157
Greser, Daniel......................................... 183 Grone, Edelherren................................... 106 Grünheide, Familie ................................. 261 Günther, Andreas.................................... 201 Gurk ....................................................... 206 Güstrow.............................................. 46, 47 Guthaus, Heinrich................................... 268
—H— Habsburger ................................................... 15, 17, 131, 132, 134, 137, 141, 143, 147, 152, 158, 162–164, 274, → Österreich Hachberg, Otto von → Konstanz, Bischöfe Halberstadt, Stadt ........................... 242, 261 Halberstadt, Weihbischof........................ 208 Halle an der Saale, Moritzburg ..................... 117, 200, 213, 228–231, 251, 259, 261 Halle an der Saale, Stadt ............................... 14–16, 18, 26, 46, 116, 117, 124, 126, 171, 200, 201, 207, 216, 217, 221–228, 233–246, 249, 251, 252–256, 258, 259, 261–265, 267–272, 274 Halle-Wittenberg, Universität ................... 10 Hamburg........................................... 29, 253 Hammel, Henning................................... 268 Hannover .................................................. 89 Hardegg, Grafen ............................. 134, 161 → Prüschenk, Freiherren Hardenberg, Edelherren .......................... 106 Hausmann, Nikolaus....................... 208, 209 Heidelberg ...................................... 111, 283 Heilige Blasius............................................... 104 Cyriakus ............................................ 104 Elisabeth von Hessen ................. 105, 107 Elisabeth von Thüringen ...................... 48 Erasmus..................................... 205, 206 Franz von Assisi ................................ 207 Hedwig .............................................. 206 Jakob ................................................... 94 Johannes der Evangelist..................... 207 Johannes der Täufer........................... 207 Jungfrau Maria .................................. 207 Katharina ................................... 105, 107 Konrad von Altdorf ............................. 85 Marcus................................................. 41 Maria Magdalena ............................... 207 Markus .............................................. 228 Mauritius ........................................... 228 Michael ............................................. 104
288 Paulus.................................................. 31 Petrus .................................................. 31 Heldorf, Jost von ............................ 211, 212 Helmoldt, Familie................................... 106 Helt, Georg..................................... 210, 211 Hessen, Landgrafen .......................... 48, 105 Agnes ................................................ 181 Herrmann II. ..................................... 114 Philipp der Großmütige ....................... 48 Hessen, Landgrafschaft........................... 105 Hewen, Freiherren → Konstanz, Bischöfe Heyne, Moritz ........................................ 101 Heynitz, Johann von ............................... 210 Hieronymus, Bischof von Brandenburg 205 Hoffmann, Nickel ................................... 236 Hofkirchen, Wilhelm (I.) von ................. 149 Hohberg, Melchior (d. Ä.) ...................... 147 Hohenlandenberg, Hugo von ........................ → Konstanz, Bischöfe Hondorff, Friedrich, Salzgräfe ................ 257 Horn ........................................147, 156, 157
—I— Isenburg, Grafen..................................... 274 Dieter → Mainz, Erzbischöfe Italien ........................................................... 34, 35, 41, 69, 181, 182, 266, 275, 281
—J— Jerusalem ............................................... 240 Judas ...................................................... 186
—K— Kaiser und Könige........................................ 66, 70, 76, 77, 80, 81, 88, 135, 150, 157, 162, 163, 274, 275 Albrecht II. ........................133, 143–145 Ferdinand I. 134, 147, 148, 150, 151, 153 → Ungarn, Könige Ferdinand II. ..................................... 137 Friedrich III. 133, 139, 144, 145, 154, 161 Heinrich II. ....................................... 124 Karl V. ............ 29, 31–34, 151, 211, 214 Ludwig der Bayer ........................ 78, 277 Matthias .................................... 136, 160 Maximilian I. 33, 133, 139, 145, 150, 214
Maximilian II...... 137, 147, 148, 150, 152 Otto I. ............................................... 111 Otto II. ................................................ 41 Otto III. .............................................. 41 Otto IV. .............................................. 91 Rudolf II. ........... 137, 143, 148, 150–153 Sigmund ............................................ 122 Wenzel .............................................. 101 Kantorowicz, Ernst H. .............................. 41 Karl der Große.......................................... 38 Karl von Anjou....................................... 277 Karlsruhe.................................................. 44 Kärnten........................................... 150, 151 Kassel..................................................... 109 Kazmair, Jörg ......................................... 126 Kerstlingerode, Edelherren ..................... 106 Köln ......................................................... 90 König, Michael, Salzgräfe ...................... 267 Konstanz, Bischöfe .................................. 16, 18, 65, 70–72, 74–77, 79–82, 85–87, 280 Albrecht Blarer ........................ 71, 79, 82 Burkhard von Hewen ....71, 79–81, 84, 86 Burkhard von Randegg ............ 79, 84–86 Friedrich (III.) von Zollern ...... 79, 82–84 Gebhard von Zähringen ....................... 76 Heinrich von Brandis ............... 78–80, 86 Heinrich von Hewen ................................ 76, 78, 79, 83, 84, 86 Hermann von Breitenlandenberg.............. 65, 79, 84–87 Hugo von Hohenlandenberg................. 76 Johann Windlock ..................... 78, 86, 88 Konrad (I.) von Altdorf........................ 85 Mangold von Brandis........................... 80 Marquard von Randegg...... 79, 82–84, 86 Nikolaus von Frauenfeld................ 76, 77 Nikolaus von Riesenburg ......................... 76, 78–81, 86, 88 Otto von Hachberg................... 79, 82, 84 Otto von Sonnenberg ........................... 75 Rudolf von Montfort............................ 84 Thomas Berlower .......................... 76, 85 Ulrich Pfefferhard.................... 77, 78, 86 Konstanz, Bistum ......................................... 15, 71, 76, 77, 82, 84, 86, 87 Konstanz, Stadt............................................. 15, 18, 65, 70–72, 74, 76–79, 81–87, 280 Korner, Hermann ............................ 113, 115 Köthen...................................................... 43 Krain ...................................................... 145 Krantz, Albert......................................... 253 Krause, Johann ............................... 261, 262
Register
289
Kreuzlingen.............................................. 81 Kues, Nikolaus von .......................... 40, 226
—L— Lamnitz, Johanna von............................. 154 Landshut............ 20, 120–122, 126, 127, 275 Leipzig ........................................... 216, 257 Lengden, Heinrich von ............................. 93 Leonis, Nikolaus, Salzgräfe .................... 266 Liegnitz .......................................... 118, 119 Lindegg, Kaspar von .............................. 148 Lindner, Hieronymus.............................. 267 Linz........................................................ 133 Liuthar................................................ 41, 42 Lorich, Reinhard................................. 34, 39 Lübeck ....................................102, 113, 114 Lubecus, Franciscus ................................. 91 Lucca ..................................................... 277 Ludolfshausen, Edelherren ................. 93, 97 Dietrich ............................................... 97 Ludwiger, Balthasar ............................... 261 Luhmann, Niklas ............................. 13, 267 Lüneburg .................................... 90, 97, 104 Luther, Martin .............................................. 32, 183, 206, 208, 209, 228, 233, 234, 236 Lynar, Rochus von, Graf ........................ 180
—M— Machland........................................ 134, 161 Magdeburg, Administratoren August von Sachsen-Weißenfels 263, 270 Christian Wilhelm von Brandenburg........ 232, 268 Joachim Friedrich von Brandenburg 268 Magdeburg, Burggrafen...........225, 238, 243 Magdeburg, Erzbischöfe ............................... 201, 238, 243, 253–255, 257–259, 261–263, 265–267 Albrecht von Brandenburg................ 201, 205–209, 225, 228, 230, 233–235, 237 Dietrich von Portitz ........................... 238 Ernst von Sachsen ................................... 116, 117, 126, 228, 242–246, 251–253 Friedrich ........................................... 244 Friedrich von Beichlingen ......... 238–242 Günther von Schwarzburg ................. 239 Johann Albrecht von Brandenburg ..... 235 Johann von Pfalz-Simmern ........ 244, 246
Sigismund von Brandenburg .............. 267 Magdeburg, Erzstift ...................................... 200, 205, 238, 239, 242, 243, 253, 259 Magdeburg, Stadt ......................................... 72, 205, 216, 242, 268, 277 Mähren ................................................... 134 Maidburg-Hardegg, Grafen..................... 134 Mainz, Erzbischöfe ..........100, 101, 105, 122 Adolf von Nassau ..................... 124, 125 Albrecht von Brandenburg ...................... → Magdeburg, Erzbischöfe Dieter von Isenburg ........................... 124 Mainz, Erzstift ................................ 105, 124 Mainz, Stadt ............................122–125, 275 Mansfeld, Grafen .................................... 269 Mantegna, Andrea .................................... 41 Marburg........................................ 25, 47, 48 Mead, George H. ..................................... 13 Mecklenburg, Ulrich III., Herzog.............. 47 Meißen, Bischöfe.................................... 245 Johann von Weißenbach .................... 245 Meißen, Markgrafschaft.................... 37, 212 Meisterlin, Sigmund ....................... 115, 126 Melanchthon, Philipp.............................. 213 Melk ....................................... 144, 146, 148 Merian, Caspar ....................................... 199 Marian, Matthäus, d. J. ........................... 218 Mersburg, Barbara von ........................... 157 Merseburg, Bischöfe............................... 245 Adolf von Anhalt ....................... 205, 206 Thilo von Trotha................................ 245 Merseburg, Stadt..................................... 206 Messerschmit, Hans................................ 218 Mirus, Martinus ...................................... 183 Mollenburg............................................. 148 Moller, Martin .................................... 39, 40 Montefeltro, Federico da..................... 32, 34 Montfort, Grafen Hugo.................................................... 86 Rudolf → Konstanz, Bischöfe Morakschi von Noskau zu Litschau, Wenzel .............................................. 149 Moscherosch, Johann Michael ................ 129 Mulde ..................................... 199, 201, 215 München................................................. 126 Münden, Giseler von .............................. 106 Münster, Stadt .................................. 69, 283 Münster, Universität ....................... 234, 251 Münsterberg, Margarethe von 204–208, 212 → Anhalt (Anhaltiner), Fürsten
290
—N—
—P—
Naumburg, Bischöfe............................... 245 Heinrich von Stammer ....................... 245 Nebra ..................................................... 239 Nassau, Adolf von → Mainz, Erzbischöfe Neidegg (Neidegger), Edelherren ........... 145 Hans (VI.) ......................................... 145 Neumark................................................. 261 Neunkirchen ........................................... 159 Neuwerk, Kloster.....................228, 238–240 Niederbayern, Heinrich der Reiche, Herzog 120, 121, 127 Niederlande .................................. 31, 34, 35 Niedersachsen .................................. 89, 107 Nienburg, Kloster ................................... 208 Nikolaus von Kues (Cusanus)........... 40, 226 Nordgau ................................................. 119 Nordhausen, Kaspar (Caspar) von... 268, 269 Nörten .................................................... 100 Nossen.................................................... 183 Nosseni, Giovanni Maria ........................ 182 Nuhn, Johannes ...................................... 109 Nürnberg ........... 66, 115, 118, 119, 216, 228
Päpste .............. 77, 82, 85, 87, 100, 101, 275 Paris ........................................... 32, 42, 275 Parma ..................................................... 277 Parr, Franz .......................................... 46, 47 Pellifex, Nicolaus ..................................... 93 Peraudi, Raimund (Péraud, Raymond), Bischof von Gurk............................... 206 Perg ........................................................ 146 Peschel, Gregor ...................................... 209 Pfalz, Kurfürsten Friedrich der Siegreiche............. 119, 120 Kurprinz ............................................ 119 Philipp ............................................... 119 Pfalz-Simmern, Johann von .......................... → Magdeburg, Erzbischöfe Pfefferhard, Ulrich → Konstanz, Bischöfe Piasten.................................................... 118 Pirna ............................................... 180, 181 Pisa......................................................... 278 Pisan, Christine de .................................... 47 Pitten .............................................. 158, 159 Plesse, Edelherren ...............92, 93, 106, 107 Pöchlarn ................................................. 148 Pöggstall................................................. 146 Polen ...................................................... 144 Polheim, Gundaker von .......... 135, 136, 147 Portitz, Dietrich von ..................................... → Magdeburg, Erzbischöfe Prag ................. 142, 143, 150, 151, 153, 163 Prüschenk, Freiherren ..................... 134, 161 Heinrich..................................... 134, 145 Sigmund ............................................ 134 Pseudo-Dionysius Areopagita ................... 42 Puchheim, Familie .......................... 142, 157 Hans (IX.) von................................... 156 Pyhra ...................................................... 157
—O— Öhem, Gallus...................................... 76, 82 Orwell, George ....................................... 284 Österreich, Erzherzöge Ernst.......................................... 135, 150 Ferdinand I., Ferdinand II., Friedrich III., Karl V., Matthias, Maximilian I., Maximilian II., Rudolf II. → Kaiser und Könige Österreich, Erzherzogtum ............................. 129, 131–134, 136, 138, 139, 142, 143, 145, 147, 150, 157, 161–164 Niederösterreich ...................................... 133, 135, 139, 144–148, 150, 151, 155, 156, 158 Oberösterreich .... 134, 140, 146, 156, 161 unter der Enns .... 137, 143, 147–149, 160 Österreich, Herzöge................................ 121 Albrecht III. ...................................... 163 Albrecht IV. ..................................... 145 Albrecht V. ........................133, 143–145 Leopold III. ...................................... 163 Rudolf IV. ........................................ 158 Wilhelm ........................................... 145 Ottenschlag ........................................... 147
—Q— Querle, Martin ........................................ 215
—R— Randegg, Edelherren → Konstanz, Bischöfe Rappach, Freiherren........................ 154, 155 Rappach zu Allentsteig und Reinsbach, Karl Ferdinand................................... 155
Register
291
Rauber von Plankenstein, Lienhart (Leonhard)......................................... 139 Rauch, Peter ........................................... 209 Regensburg, Andreas von ........121, 122, 126 Regensburg............................................. 148 Reinsbach............................................... 155 Riesenburg, Nikolaus von............................. → Konstanz, Bischöfe Riga.......................................................... 72 Rigaud, Hyacinthe .................................... 42 Ripsch, Johann ....................................... 210 Rode, Familie ......................................... 106 → Göttingen, Stadt Rode, Friedrich, Salzgräfe .............. 266, 268 Roggendorf, Freiherren........................... 134 Christoph (Reichsgraf)....................... 134 Kaspar ....................................... 133, 145 Wilhelm ............................................ 134 Rolin, Nicolas..................................... 31, 32 Rom ....................................................... 281 Roringen, Edelherren........................ 93, 106 Rotenhan, Anton von, Bischof von Bamberg ............................................ 123 Rösch von Geroldshausen, Melchior....... 162 Rostock, Universität ............................... 267 Rovereto................................................. 148 Rumpf von (zum) Wielroß, Wolf .... 151, 152 Rusteberg, Edelherren ........................... 106
—S— Sachsen, Herzöge und Kurfürsten ................. 22, 29, 173, 179–182, 200, 201, 266, 274 Agnes von Hessen ............................. 181 Anna von Dänemark ....... 37, 38, 180–184 August I. ........ 37, 38, 176, 180–184, 216 August...................................... 263, 270 → Magdeburg, Administratoren Barbara.............................................. 180 Christian I. ... 36, 176, 180, 181, 183, 184 Christian II. ....................................... 37 Ernst (Kurfürst) ......................... 243–245 Ernst.... 116, 126, 228, 242–246, 251–253 → Magdeburg, Erzbischöfe Friedrich August I., der Starke........... 185 Friedrich II., der Sanftmütige..... 238, 239 Friedrich (III.) der Weise ........29–32, 203 Georg ................. 176, 180, 205, 207, 209 Heinrich .............................................. 37 Heinrich der Löwe ......................... 89, 91 Johann der Beständige ................... 29–32
Johann Friedrich I., der Großmütige ........ 25, 29–32, 33, 225 Moritz................... 37, 176, 177, 179–181 Sibylle von Cleve ................................ 31 Sophie von Brandenburg.................... 184 Wilhelm III. ...................................... 244 Sachsen, Herzogtum und Kurfürstentum ....... 29, 37, 180, 184, 200, 266 Salamanca, Gabriel von .................. 133, 163 Salomo ................................................... 180 Schäffer, Johann ..................................... 270 Schaunberg, Grafen ................ 156, 161, 162 Georg ................................................ 162 Johann ............................................... 162 Leopold (Kanzler der Grafen) ............ 162 Sigmund ............................................ 156 Ulrich ................................................ 163 Wolfgang II. .............................. 162, 163 Scheck von Wald, Georg d. Ä......... 143–145 Scheck von Wocking, Familie ................ 145 Schenitz, Hans von ................................. 261 Schenitz, Wolfgang von.......................... 261 Schlesien ............................................... 147 Schmiedeberg, Ulrich von....................... 200 Scholitz ................................................. 212 Schröder, Gerhard......................... 27–29, 32 Schubert, Ernst ........ 90, 95, 96, 99, 102–104 Schultes, Johannes .................................. 201 Schulthaiß, Christoph ......................... 70, 80 Schulthaiß, Claus................................ 83, 86 Schulze, Andreas, Salzgräfe.................... 270 Schwarzburg, Grafen Gerhard → Würzburg, Bischöfe Günther → Magdeburg, Erzbischöfe Schweden ............................................... 269 Schwerin .................................................. 46 Schwineköper, Berent............................... 72 Serauky, Walter ...................................... 228 Sercambi, Giovanni ................................ 277 Seydenschwantz, Peter.................... 243, 246 Seysensmed, Echardus ............................. 93 Simmel, Georg ......................................... 13 Sonnenberg, Otto von → Konstanz, Bischöfe Sperr....................................................... 154 Speyer, Bischöfe ...................................... 72 Speyer, Stadt ............................ 72, 124, 261 Spittendorff, Marcus ..................................... 19, 116, 117, 126, 226, 246, 253 St. Pölten ................................................ 157 Stade .................................................. 97, 98 Stammer, Heinrich von, Bischof von Naumburg.......................................... 245
292 Star, Severin ........................................... 209 Steier...................................................... 163 Steiermark ....................... 133, 134, 154, 161 Stettenberg, Freiherren ........................... 145 → Prüschenk, Freiherren Steyr............................................... 143–145 Stockhausen, Edelherren......................... 106 Stromer, Ulman ...................................... 118
—T— Tallinger, Michael .................................. 162 Tettau, Apel von ............................. 116, 117 Teuchern, Hans von................................ 261 Teufel von Guntersdorf, Freiherren 158–160 Georg ........................................ 147, 148 Otto Christoph, zu Pitten ................... 159 Wolf .................................................. 159 Thackeray, William Makepeace................ 42 Thüringen ................... 37, 42, 109, 244, 274 Timäus, Johann....................................... 270 Tirol ............................................... 134, 152 Titmarsh ................................................... 42 Torgau, Stadt ............... 25, 35, 37, 38, 42, 43 Torgau, Schloss .......................... 43, 46, 213 Traun, Sigmund Adam von..................... 160 Trautson, Freiherren ....................... 152, 153 Hans (I.) ............................................ 152 Hans (II.) ................................... 152, 153 Kaspar ............................................... 152 Paul Sixt (I.) .............................. 152, 153 Treffurt, Herrmann zu..................... 114, 115 Treskow, Wiprecht von .......................... 267 Trotha, Thilo von → Merseburg, Bischöfe
—U— Ude, Bartol, Salzgräfe ............................ 268 Ungarn ........................................... 134, 154 Ungarn, Könige Ferdinand I. ........................................ 45 Matthias Corvinus ............................. 159 Unterranna, Kloster ................................ 145 Uslar, Edelherren.................................... 106
—V— Valois ....................................................... 31 Villach............................................ 150, 151 Vilshofen................................................ 148 Vincennes................................................. 47 Voigt, Ulrich, Salzgräfe .......................... 266
—W— Wachau .......................................... 143, 144 Wahle, Hieronymus ................................ 261 Währing.................................................. 144 Wald, Schloss ................................. 157, 158 Waldersee, Herren ............................ 25, 215 Waldviertel..................................... 145, 152 Walkenried, Kloster................................ 103 Walter, Hans, II. ..................................... 181 Walther, Christoph ................................. 180 Weiditz, Hans ........................................... 34 Weißenbach, Johann von, Bischof von Meißen .............................................. 245 Weiten .................................................... 148 Weitra............................................. 151, 152 Welfen.......................................................... 25, 90, 91, 94, 99, 101, 104, 105, 107, 112, 113 Westernhagen, Edelherren ...................... 106 Wettiner....................... 22, 29, 174, 183, 243 → Sachsen, Herzöge und Kurfürsten Weyden, Rogier van der ........................... 31 Widukind von Corvey............................. 111 Wien, Hofburg ............................................. 137, 142, 144, 145, 147, 148, 151–154, 163 Wien, Stadt 142–145, 147–155, 275, 278, 279 Wiener Neustadt ...... 133, 139, 150, 151, 154 Windeck, Eberhard ......................... 122–124 Windlock, Johann → Konstanz, Bischöfe Winterthur, Johann von............................. 77 Winzendorf............................................. 159 Wittenberg, Schloss .........200, 203, 206, 213 Wittenberg, Stadt..... 199, 201, 203, 206, 208 Wittenberg, Universität........................... 203 Woppinger zu Haimhof, Georg ............... 162 Würzburg, Bischöfe................................ 127 Gerhard von Schwarzburg.......... 118, 119 Johann (II.) von Brunn............... 122, 123 Würzburg, Hochstift ............................... 122 Würzburg, Schloss.................................. 122 Würzburg, Stadt....... 119, 120, 122, 123, 125
Register
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—Z— Zerbst .............................. 207, 208, 213, 215 Zoch, Hans, Salzgräfe............................. 266 Zollern, Friedrich von → Konstanz, Bischöfe Zürich ................................................ 80, 83 Zwettl......................................139, 147, 155
Abbildungsnachweise: S. 49–63: Matthias Müller (Abb. 1, 2, 9–13, 19, 21–23), Bildarchiv des Verfassers und des Instituts für Kunstgeschichte der Universität Mainz (Abb. 3–8, 14–18, 20); S. 165–169: Österreichische Akademie der Wissenschaften, Institut für Mittelalterforschung, Arbeitsgruppe Inschriften; S. 187–197: Sächsische Landesbibliothek – Staatsund Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) / Deutsche Fotothek (Abb. 1–3, 7, 13), Otto Richter, Atlas zur Geschichte der Stadt Dresden, Dresden 1898 (Abb. 4), SLUB / Deutsche Fotothek, Regine Richter (Abb. 5), Fritz Löffler, Das Alte Dresden, Dresden 1955 (Abb. 6, 8, 9, 14), Städtische Galerie Dresden – Museen der Stadt Dresden, Franz Zadnicek (Abb. 10, 11), Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Gm 4° 270 (Abb. 12), SLUB, Hist.Sax.C.23m / Deutsche Fotothek, Klaus-Dieter Schumacher (Abb. 15, 16); S. 220: Matthäus Merian, Topographia Superioris Saxoniae […], Frankfurt 1650 (Abb. 1), Bildarchiv Foto Marburg (Abb. 2).
Autorenverzeichnis Andreas Bihrer, geb. 1970, studierte Geschichte, Germanistik und Politikwissenschaft in Freiburg und war dort von 1999 bis 2005 wissenschaftlicher Assistent am Seminar für Lateinische Philologie des Mittelalters, danach am Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte. 2012 erfolgte der Ruf als Professor für Mittelalterliche Geschichte an die Universität Kiel. Seine Forschungsschwerpunkte liegen u. a. auf den Gebieten der Medien- und Kommunikationsgeschichte, der Kirchen- und Konfessionsgeschichte sowie der Historischen Hilfswissenschaften. Jan Brademann, geb. 1977, studierte Betriebswirtschaftslehre, Geschichte, Politikwissenschaft, Galloromanistik und Landesgeschichte in Halle und Caen. Von 2005 bis 2011 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter in Münster, seit 2011 in Bielefeld. Er arbeitet u. a. zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Verfassungs- und Religionsgeschichte als Kulturgeschichte, zur Stadtgeschichte und zur sachsen-anhaltischen Landesgeschichte. Gerrit Deutschländer, geb. 1975, studierte Geschichte, Historische Hilfswissenschaften, Anglistik und Amerikanistik in Halle und Dublin, war von 2004 bis 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt „Stadt und Residenz im mitteldeutschen Raum“ an der Universität Halle-Wittenberg. Seit 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität der Bundeswehr in Hamburg. Er arbeitet vor allem zur Stadt-, Hof- und Residenzgeschichte, zur Universitätsgeschichte und zur städtischen Chronistik. Michael Hecht, geb. 1977, studierte Geschichte, Historische Hilfswissenschaften und Politikwissenschaften in Halle, Leipzig und Paris. Er war von 2002 bis 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Landesgeschichte am Institut für Geschichte in Halle, seit 2004 am Historischen Seminar in Münster. Er arbeitet vornehmlich auf dem Gebiet der vergleichenden Städtegeschichte, der historischen Verwandtschaftsforschung sowie zu fürstlichen Dynastien in der Frühen Neuzeit. Marc von der Höh, geb. 1970, studierte Geschichte, Germanistik und Historische Hilfswissenschaften in Köln und Rom, war von 2002 bis 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt „Stadt und Residenz im mitteldeutschen Raum“ an der Universität Halle-Wittenberg und ist seit 2006 wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Geschichte des Spätmittelalters an der Universität Bochum. Er arbeitet
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u. a. zu Erinnerungskulturen Europas, zur Adels- und Hofforschung sowie zur Sozialund Kulturgeschichte des Kölner Patriziats. Matthias Meinhardt, geb. 1969, studierte Geschichte, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Philosophie und Pädagogik in Kiel und war von 1999 bis 2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Geschichte des Mittelalters an der Universität Halle-Wittenberg. Seit 2009 arbeitet er an der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf der Stadt- und Hofgeschichte, der Kirchengeschichte sowie der Sozial- und Kulturgeschichte des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. Arend Mindermann, geb. 1961, ausgebildeter Buchhändler, studierte Mittlere und Neuere Geschichte, Anthropogeographie und Germanistik in Göttingen und ist seit 1996 wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Landschaftsverband der ehemaligen Herzogtümer Bremen und Verden in Stade. Er forscht u. a. zum Verhältnis von Stadt und Adel. Matthias Müller, geb. 1963, studierte Kunstgeschichte, Christliche Archäologie, Byzantinische Kunstgeschichte und Neuere deutsche Literatur in Marburg, Berlin und Hamburg, war ab 1999 Assistent, Oberassistent und Vertretungsprofessor in Greifswald und ist seit 2006 Inhaber des Lehrstuhls für Kunstgeschichte an der Universität Mainz. Er arbeitet u. a. zur Architektur und bildenden Kunst des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, zur politischen Ikonographie, zur Erinnerungskultur und zur Residenzkultur. Andreas Ranft, geb. 1951, studierte Geschichte, Rechtswissenschaft, Politikwissenschaft und Philosophie in Kiel. Nach seiner Promotion 1982 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hannover und Hochschulassistent in Kiel. Seit 1991 erfolgten Lehrstuhlvertretungen an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie den Universitäten in Greifswald und in Köln. 1998 wurde er zum Professor für Geschichte des Mittelalters an die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg berufen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf den Gebieten der Sozial- und Kulturgeschichte des Spätmittelalters sowie der Stadt- und Verwaltungsgeschichte. Joachim Schneider, geb. 1960, studierte Geschichte, Deutsch und Sozialkunde in Würzburg und Tübingen, war wissenschaftlicher Mitarbeiter, Assistent und Lehrstuhlvertreter am Institut für Geschichte der Universität Würzburg und arbeitete von 2003 bis 2008 in einem DFG-Projekt. Lehrstuhlvertretungen führten ihn an die Universitäten in Marburg und in Mainz. Er forscht schwerpunktmäßig zur spätmittelalterlichen Geschichtsschreibung, zur Geschichte des niederen Adels sowie zur Stadtund Dorfgeschichte.
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Stephan Selzer, geb. 1968, studierte in Kiel Geschichte, Ur- und Frühgeschichte, Archäologie, Volkskunde und Politikwissenschaft. Von 2000 bis 2006 war er wissenschaftlicher Assistent an der Professur für Geschichte des Mittelalters an der Universität Halle-Wittenberg. 2008 folgte er einem Ruf auf die Professur für Geschichte des Mittelalters an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr in Hamburg. Er forscht u. a. zur Sozialgeschichte des europäischen Adels und zur Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur der spätmittelalterlichen Städte. Andreas H. Zajic, geb. 1975, studierte Geschichte, Latinistik und Volkskunde in Wien und ist seit 2002 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in der Arbeitsgruppe Inschriften des Instituts für Mittelalterforschung. Als Gastprofessor für Mittelalterliche Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der österreichischen Geschichte lehrt er an der Universität Wien. Er arbeitet u. a. zu monastischen und adligen Erinnerungskulturen, zur nachantiken Epigraphik, zur Militärgeschichte sowie zu den Historischen Hilfswissenschaften.