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German Pages 408 Year 2004
Benjamin Schnieder Substanzen und (ihre) Eigenschaften
W DE G
Ideen &c Argumente Herausgegeben von Wilfried Hinsch und Lutz Wingert
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Benjamin Schnieder
Substanzen und (ihre) Eigenschaften Eine Studie zur analytischen Ontologie
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Gedruckt mit Hilfe der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. ISBN 3-11-018155-X Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© Copyright 2004 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Umschlaggestaltung: -l-malsy, kommunikation und gestaltung, Bremen Umschlagabbildung: An oak tree by Michael Craig Martin. With kind permission of the artist Druck und buchbinderische Verarbeitung: AZ-Druck, Kempten
Inhaltsverzeichnis
Prolog
IX
Einleitung
XIII
Teil I: Eigenschaften Kapitel 1: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
3
Eigenschaften im Rahmen einer deskriptiven Ontologie .... 7 Singuläre Eigenschaftsterme 17 Eine Frage der Individuierung: Attribute und Begriffe 53 Eigenschaftszuschreibung und einfache Prädikation 75 Begriffsanalysen 110 Erklärungen in der Ontologie der Eigenschaften 132 Ein Rückblick 150
Kapitel 2: 1. 2. 3. 4.
Attribute (universale Eigenschaften)
Adhärenzen (partikularisierte Eigenschaften)
Vorbemerkungen zur Kategorie der Adhärenz Adhärenzterme als Kennzeichnungen Trägerspezifität Der Adhärenzbegriff und sein Niederschlag im alltäglichen Diskurs
Appendix: Sind kanonische Terme für Adhärenzen wirklich relationale Kennzeichnungen?
153 155 175 197 215 224
VI
Inhaltsverzeichnis
Teil II: Substanzen Kapitel 3:
Substanzen (eine Einleitung)
1. Substanzbegriffe 2. Substanzen und Unabhängigkeit Kapitel 4:
Modal-existentielle Abhängigkeit
243 244 254 257
1. Generische Abhängigkeit 2. Individuelle Abhängigkeit 3. Substanzen als (modal-existentiell) unabhängige Entitäten
259 261 264
Appendix: Essentielle Adhärenzen
278
Kapitel 5: 1. 2. 3. 4.
Essentielle Abhängigkeit
Kit Fine über den Begriff der Essenz Abhängigkeit und Essentialität Substanzen als (essentiell) unabhängige Entitäten Essenz und Erklärung
Kapitel 6:
Explanatorische Abhängigkeit
1. Ein abgebrochener Pfad: Lowes Begriff explanatorischer Abhängigkeit 2. Ein besserer Ansatz 3. Einwände und Ergänzungen 4. Ein Rückblick auf Fine
295 295 298 302 310 315
316 338 349 358
Epilog
363
Literaturverzeichnis
365
Personenregister
377
Symbolverzeichnis
381
Sachregister
383
Dank Texte wachsen, nicht nur der Länge nach, an Diskussionen. Ich nutze die Gelegenheit, meine Dankbarkeit auszudrücken: Sie gilt vor allem und allen Wolfgang Künne und Kevin Mulligan, den beiden Betreuern meiner Dissertation, aus der dieses Buch hervorgegangen ist. Außerdem danke ich den folgenden Personen, die mir in verschiedenen Phasen meiner Arbeit mit Gesprächen und Kommentaren beigestanden sind: Thorsten Fellberg, Miguel Hoeltje, Philipp Keller, Goetz-Andreas Klages, Dan Löpez de Sa, Tobias Rosefeld, Alexander Steinberg, Helen Steward, Armin Tatzel, Roger Teichmann, Mark Textor, den Teilnehmern der Arbeitsgruppe Hamburger Kreis sowie denen eines Seminars zur Ontologie (Hamburg 2002), in dem ich Auszüge aus meiner Arbeit vorstellen durfte, und schließlich dem Publikum meiner Vorträge „Substance and Independence" (Barcelona 1999), „A Note on Particularised Properties and Bearer-Uniqueness" (Lund 2001) und „Talking About Properties" (Barcelona und Stirling 2003). Für ihre Hilfe beim Korrekturlesen des Manuskripts danke ich (soweit noch nicht genannt) Lisa Grunenberg, Nick Haverkamp, Mirja Holst, Kamran Monrocq, Schanett Riller, Moritz Schulz, Robert Schwartzkopff und Christian Tielmann. Neben solcherlei ideellem Beistand habe ich für diese Arbeit auch materielle Unterstützung erhalten, für die ich mich bedanken möchte: Erste Vorarbeiten zu meiner Dissertation stammen aus der Zeit eines vom DAAD finanzierten Studienjahres in Oxford. Während der Promotionsphase erhielt ich als Mitglied des IRIS-Projektes in Genf ein Doktorandenstipendium. Meine Dissertation wurde mit dem durch die GAP verliehenen „Philosophie-Preis zur Förderung der Analytischen Ontologie" ausgezeichnet, sowie mit dem durch die Joachim JungiusGesellschaft der Wissenschaften verliehenen „Förderpreis der Dr. Helmut und Hannelore Greve Stiftung für Wissenschaften und Kultur". Last but not least danke ich Prof. Michael Craig-Martin für die freundliche Erlaubnis, eine Reproduktion seines An Oak-Tree auf dem Cover und als Prolog zu verwenden.
Prolog
χ
Prolog
Q: To begin with, could you describe this work? A: Yes, of course. What I've done is change a glass of water into a fullgrown oak tree without altering the accidents of the glass of water. Q: The accidents? A: Yes. The colour, feel, weight, size.... Q: Do you mean that the glass of water is a symbol of an oak tree? A: No. It's not a symbol. I've changed the physical substance of the glass of water into that of an oak tree. Q: It looks like a glass of water.... A: Of course it does. I didn't change its appearance. But it's not a glass of water. It's an oak tree. Q: Can you prove what you claim to have done? A: Well, yes and no. I claim to have maintained the physical form of the glass of water and, as you can see, I have. However, as one normally looks for evidence of physical change in terms of altered form, no such proof exists. Q: Haven't you simply called this glass of water an oak tree? A: Absolutely not. It is not a glass of water any more. I have changed its actual substance. It would no longer be accurate to call it a glass of water. One could call it anything one wished but that would not alter the fact that it is an oak tree. Q: Isn't this just a case of the emperor's new clothes? A: No. With the emperor's new clothes people claimed to see something which wasn't there because they felt
they should. I would be very surprised if anyone told me they saw an oak tree. Q: Was it difficult to effect the change? A: No effort at all. But it took me years of work before I realized I could do it. Q: When precisely did the glass of water become an oak tree? A: When I put water in the glass. Q: Does this happen every time you fill a glass with water? A: No, of course not. Only when I intend to change it into an oak tree. Q: Then intention causes the change? A: I would change.
say
it
precipitates
the
Q: You don't know how you do it? A: It contradicts what I feel I know about cause and effect. Q: It seems to me you're claiming to have worked a miracle. Isn't that the case? A: I'm flattered that you think so. Q: But aren't you the only person who can do something like this? A: How could I know? Q: Could you teach others to do it? A: No. It's not something one can teach. Q: Do you consider that changing the glass of water into an oak constitutes an artwork? A: Yes. Q: What precisely is the artwork? The glass of water? A: There is no glass of water any more. Q: The process of change?
Prolog A: There is no process involved in the change. Q: Theoaktree? A: Yes. The oak tree. Q: But the oak tree only exists in the mind. A: No. The actual oak tree is physically present but in the form of the glass of water. As the glass of water was a particular glass of water, the oak tree is also particular. To conceive the category "oak tree" or to picture a particular oak tree is not to understand and experience what appears to
XI be a glass of water as an oak tree. Just as it is imperceivable, it is also inconceivable.
Q: Did the particular oak tree exist somewhere else before it took the form of the glass water? A: No. This particular oak tree did not exist previously. I should also point out that it does not and will ever have any other form but that of a glass of water. Q: How long will it continue to be an oak tree? A: Until I change it.
An oak tree (Michael Craig-Martin) Objects and printed text. Collection: National Gallery of Australia, Canberra. Copyright: the artist. Printed with the kind permission of the artist.
Einleitung:
Substanzen und (ihre) Eigenschaften Irgend jemand hat einmal gesagt, ein dickes Buch sei ein dickes Übel. Ich hoffe und denke, daß diese Einsicht zumindest keine generelle Gültigkeit besitzt - denn tatsächlich ist dieses Buch (wie auch meine Dissertation, auf der es basiert) länger geraten als geplant. Immerhin kann ich dafür einen Mitschuldigen ausmachen: das Thema. Dessen Komplexität bedingt, daß Einschränkungen im Umfang erhebliche Abstriche im Inhalt zur Folge gehabt hätten. Und so habe ich zwar bei der Überarbeitung meiner Dissertation zum Zwecke der Publikation hier und da Kürzungen vorgenommen, mich aber häufig für die Sache und gegen die Kürze entschieden. Ich hoffe hierbei auf die milde Nachsicht der Leserin wie des Lesers. Zum Thema: Meine Arbeit ist eine Studie zur analytischen Ontologie; ich beschäftige mich in ihr mit den drei traditionellen ontologischen Kategorien des Attributs, der Adhärenz und der Substanz. Auf den folgenden Seiten will ich versuchen, einen Eindruck davon zu geben, was es mit den genannten Begrifflichkeiten auf sich hat. a. Ontologie und Kategorien Die Ontologie ist eine alte, thematisch sehr spezifische, aber vom Anspruch her grundlegende philosophische Disziplin. Sie ist alt, und vor einiger Zeit wirkte sie tatsächlich bereits gebrechlich; sie war in die Jahre gekommen, und als die Metaphysik-Kritik gerade im schönsten Glänze stand, da war es denn auch um die Ontologie, eine Tochter der verpönten Metaphysik, ruhig geworden. Doch das Interesse an der Metaphysik und insbesondere an der Ontologie lebte wieder auf, als die analytische Philosophie ihre teils stark ideologisierten Kinderschuhe langsam hinter sich gelassen hatte und methodisch wie auch inhaltlich offener wurde. In den letzten Jahr-
XIV
Einleitung
zehnten erfreut sich die Beschäftigung mit ontologischen Fragestellungen in analytischer Manier einer regelrechten Renaissance. Womit beschäftigt man sich, wenn man ontologischen Fragen nachgeht? Wie Quine es einmal einflußreich formulierte, beschäftigt man sich mit der Frage danach, was es gibt. Wie Quines Kritiker schnell hinzufügten, bleibt diese Antwort allerdings hinter der philosophischen Wirklichkeit zurück. Nicht jeder, der sich fragt, ob es dieses oder jenes gibt, betreibt dadurch bereits ontologische Forschung. Historiker etwa mögen der Frage nachgehen, ob es König Arthur wirklich gegeben hat - aber Ontologen werden sie dadurch keine. Denn die Ontologie beschäftigt sich mit der Frage, welche Arten von Dingen es gibt; und sie ist darüber hinaus nur an bestimmten Arten von Dingen interessiert. Biologen fragen sich bisweilen, welche Arten von Dingen (genauer: von Lebewesen) es gibt, und sie verirren sich damit keinesfalls in die Ontologie. Womit sich Ontologen beschäftigen, sind grundlegende Arten von Dingen. Aber auch wenn Physiker sich fragen, ob es bestimmte Arten von Elementarteilchen gibt, und sie also auf der Suche nach Arten von Dingen sind, die doch wohl in einem gewissen Sinne grundlegend sind, so bleiben sie dabei noch immer Physiker. Was genau unterscheidet dann aber die grundlegenden Arten, für die sich Ontologinnen interessieren und die ich fortan ontologische Kategorien (wobei ich manchmal das „ontologisch" unterschlage) nenne, von anderen Arten und also von Gegenständen anders gelagerter Interessen? Ich kann die Frage an dieser Stelle nicht präzise beantworten, da eine solche Antwort den Rahmen einer Einleitung klar sprengen würde. Aber offen gesagt: Selbst wenn ich seitenweise Raum zur Verfügung hätte, wäre ich nicht unbedingt imstande, eine befriedigend präzise Antwort darauf zu geben, was eine ontologische Kategorie vor einer nicht-ontologischen auszeichnet. Die wenigen Antworten, die sich auf diese Frage in der Literatur finden, zeichnen weder ein einheitliches, noch ein klares Bild.1 Womöglich werden ontologische Kategorien nur von einem Band der Familienähnlichkeit zusammengehalten. Ich beschränke mich deshalb auf den Versuch einer Verständi1
Für einige aktuelle Antworten siehe beispielsweise Hoffman & Rosenkrantz 1994: 17-20, Lombard 1986: 20 und Lowe, Categories: insbesondere 179. Mit Westerhoffs Orders of Things wird demnächst eine detaillierte Studie zum Begriff einer ontologischen Kategorie erscheinen.
Einleitung
XV
gung durch die Angabe von Beispielen und einigen allgemeinen Bemerkungen. Als ontologische Kategorien werden bisweilen die folgenden Gegenstandsarten gehandelt: Begriff, Eigenschaft, Ereignis, Klasse, Körper, Loch, Menge, mereologische Summe, partikularisierte Eigenschaft, Person, Proposition, Prozeß, Sachverhalt, Schatten, Seele, Substanz, Tatsache, Zahl, Zustand. Das ist nun freilich eine inhomogene Liste, und tatsächlich kann man darüber streiten, ob man nicht einige der Einträge wieder aus ihr entfernen sollte. Wonach aber würde sich ein solcher Streit richten? Ich denke, Kategorien sollen in der Regel (i)
möglichst weite und allgemeine Arten von Gegenständen sein, und ihnen sollte
(ii) eine grundlegende Rolle in unserer begrifflichen Weltorientierung zukommen. Viel mehr will ich an dieser Stelle nicht zum Kategorienbegriff sagen; die drei Kategorien, mit denen ich mich in dieser Untersuchung beschäftigen werde, haben jedenfalls nicht nur in der obigen Liste, sondern in vielen (traditionellen wie auch modernen) philosophischen Kategoriensystemen ihren Eintrag und sie spielen, wenn ich nicht irre, durchaus eine zentrale Rolle in unserer Weltorientierung - so lautet zumindest der Grundtenor dieses Buches. (In jedem Fall spielen diese Kategorien eine wichtige Rolle in verschiedenen, nicht bloß ontologischen, philosophischen Debatten, so etwa in der Sprachphilosophie, der Philosophie des Geistes, der Philosophie der Mathematik, sowie in Theorien der Identität, der Kausalität, der Semantik etc.) b. Attribute, Adhärenzen, Substanzen Das soll an dieser Stelle zu den Begriffen der Ontologie und der Kategorie ausreichen; wie erwähnt, werden in dieser Untersuchung drei bestimmte Kategorien im Rampenlicht stehen: die Kategorien des Attributs, der Adhärenz und der Substanz. Eine einfache Aussage wie (1)
Woody ist witzig.
XVI
Einleitung
kann zur Veranschaulichung dessen dienen, was sich hinter jenen Bezeichnungen verbirgt. Wenn Woody witzig ist, so besitzt er eine bestimmte Eigenschaft, nämlich Witzigkeit. Und Witzigkeit, so kann man zu Recht behaupten, ist eine Eigenschaft, die nicht allein Woody sein eigen nennt. Hai Hartley und Peter Seilers tun es beispielsweise auch. Überhaupt sind die meisten Eigenschaften nicht auf einzelne Träger zugeschnitten: Starrsinn, Röte, Weisheit, Bosheit, Altersschwäche etc. sind Merkmale vieler verschiedener Menschen und Dinge. Dieser Art zu reden liegt eine Konzeption von Eigenschaften zugrunde, der zufolge Eigenschaften zumindest in der Regel verschiedenen Dingen gleichermaßen zukommen können. Eigenschaften in diesem Verständnis nenne ich Attribute. Sie sind das Thema von Kapitel 1 meiner Untersuchung. Aber es gibt noch einen anderen Sinn von „Eigenschaft", in dem eine Eigenschaft etwas ist, das in einer innigeren Verbindung zu ihrem Träger steht; so innig, daß prinzipiell keine zwei Dinge dieselbe Eigenschaft haben. Auch wenn zwei Leute gleichermaßen witzig sind, so kann man die Witzigkeit des einen zur Kenntnis nehmen, ohne auch die des anderen zu registrieren - weil man dem anderen vielleicht noch nie begegnet ist und so keine Chance hatte, seine Witzigkeit zu erleben. Zudem ist die Existenz von Woodys Witzigkeit eben an die Existenz von Woody gebunden; stirbt er eines Tages, so können wir zugleich den Verlust von Woodys Witzigkeit beklagen. Eigenschaften in dem hier einschlägigen Sinne des Wortes, verstanden als trägerspezifische Entitäten, nenne ich Adhärenzen. Im zweiten Kapitel beschäftige ich mich mit dieser ontologischen Kategorie. Aus den zwei Eigenschaftskonzeptionen erklärt sich übrigens der Titel dieses Buches - es handelt erstens von Substanzen, zweitens von ihren Eigenschaften in einem starken Sinne des Possessivpronomens, also von Adhärenzen, und es handelt drittens von Eigenschaften im zuerst genannten Sinn, also von Attributen. Ein schnelles Wort noch zu Substanzen: Wenn Woody witzig ist, so gibt es sowohl das Attribut Witzigkeit, das verschiedenen Leuten zugleich zukommen kann, als auch Woodys Witzigkeit, die um einiges enger an ihn gebunden ist. Aber natürlich gibt es dann auch allemal Woody und daher eine Substanz. Denn mit Substanzen, von denen der zweite Teil meiner Untersuchung (Kapitel 3 bis 6) handelt, meine ich im wesentlichen Personen sowie Dinge in einem engeren Sinne des
Einleitung
XVII
Wortes; insbesondere gehören zu ihnen die medium-sized dry goods der Alltagswelt. Ich stelle den für mich einschlägigen Substanzbegriff in Kapitel 3 näher vor, das auch einen Ausblick über die restlichen Substanzkapitel gibt. In diesen gehe ich der klassischen Idee nach, daß Substanzen sich durch eine bestimmte Form der ontologischen Unabhängigkeit auszeichnen (die sie insbesondere von Adhärenzen unterscheidet). Ich widme mich den drei beschriebenen Kategorien in drei separaten Teilen dieses Buches, die man zumindest großenteils auch unabhängig voneinander lesen kann. Doch das Verständnis einer jeden der drei Kategorien gewinnt durch das Verständnis der anderen, und die Frage nach dem Zusammenhang der drei Kategorien bildet eine Klammer der drei Untersuchungsteile. Daneben gibt es eine zweite Klammer, die zentrale Stellen meiner Arbeit verbindet: Wiederholt wird die Rede von begrifflichen Erklärungen sein; Erklärungen spielen in der Ontologie, wie in allen wissenschaftlichen Disziplinen, eine wichtige Rolle. Im Gegensatz zu Naturwissenschaftlern, die empirisch arbeiten und insbesondere um kausale Erklärungen vorgefundener Phänomene bemüht sind, ist das Metier der Ontologie ein begriffliches. Es wird sich für die Untersuchung als wichtig erweisen, ein Verständnis davon zu entwickeln, was eine begriffliche Erklärung sein kann, und dies bei einer der wichtigsten behandelten Fragen in Anschlag zu bringen: Ich verfolge, wie gesagt, im zweiten Teil dieser Studie die klassische Idee, daß Substanzen eine gewisse Form der ontologischen Unabhängigkeit genießen. Bei der Ausbuchstabierung eines Unabhängigkeitsbegriffs, der diese Idee rechtfertigt, erweist sich der Rekurs auf den Erklärungsbegriff als entscheidend. Doch dies sind Ankündigungen, die erst auf den letzten Seiten der Arbeit vollends eingelöst werden und an dieser Stelle farblos bleiben müssen. c. Sonstige Bemerkungen zu diesem Buch Eines will ich zumindest in dieser Einleitung (man mag das als Ausgleich für den Rest des Buches betrachten) - mich wirklich kurz fassen. Ich verzichte an dieser Stelle daher auf so manches, was man ansonsten in Einleitungen antrifft: Weder will ich allzu umfangreiche Ausblicke auf die wichtigen Thesen der Arbeit geben, noch will ich weitergehende Ausführungen, etwa zur Methode oder der Legitimität
XVIII
Einleitung
meines Projekts, machen. Zur letztgenannten belasse ich es bei einem Verweis auf die lange Tradition, in der meine Untersuchung steht. Was meine Vorgehensweise anbelangt, so bin ich zu sagen geneigt, sie sei der analytischen Philosophie verpflichtet (freilich ist das ein vager Hinweis, denn unter dem Titel der analytischen Philosophie firmiert ein unklares Gemenge von methodischen Ansätzen, Grundüberzeugungen und Positionen). Damit verbunden ist ein Umstand, der schon beim raschen Blättern im vorliegenden Buch auffallen wird: mein häufiger Gebrauch von logischer Symbolik in halbformalen Aussagen. Er ist im wesentlichen dem Bemühen um eindeutige Darstellungen geschuldet und sollte daher auch den formal wenig bewanderten Leser nicht abschrecken. In der Regel ist die Kenntnis formaler Systeme der Logik für das Verständnis dieser halbformalen Darstellungen zwar hilfreich, aber keine unabdingbare Voraussetzung. Symbole, die nicht zum Standardrepertoire der Prädikatenlogik gehören, erläutere ich in der Regel bei ihrer ersten Verwendung. Zudem wird im Symbolverzeichnis für jedes vorkommende Symbol angegeben, wie es zu lesen ist. Genug zur Methode; am besten wird man sie am Werk erkennen. Meine Sparsamkeit an Ausblicken dient auch der Vermeidung von Dubletten. Denn ich gebe meist vor Ort, also in den jeweiligen Kapiteln, Aus- und Rückblicke auf deren Inhalte, und wenn an einer Stelle tatsächlich etwas Substantielles zu meinem methodischen Ansatz zu sagen ist, dann hole ich das an eben der Stelle nach. Nun also zur Sache.
Teil I: Eigenschaften
Kapitel 1:
Attribute (universale Eigenschaften) Kapitelaufbau·. 1. Eigenschaften im Rahmen einer deskriptiven Ontologie a. Realismus b. Sparsamkeit und Überfluß 2. Singulare Eigenschaftsterme a. b. c. d. e. f. g. h.
Die Relevanz kanonischer Eigenschaftsterme Ein Überblick über Sorten von Eigenschaftstermen Kennzeichnungen Ausdrücke der Form „die Eigenschaft, F zu sein" Infinitivwendungen der Form „F zu sein" Übertragung der Ergebnisse auf Ausdrücke der Form „F-heit" Ein historischer Exkurs Zwischenbilanz
3. Eine Frage der Individuierung: Attribute und Begriffe a. b. c. d. e.
Ein Slogan Sprachliche Unterschiede Intensionale und hyperintensionale Individuierung Dispute über die Individuierung von Attributen und Begriffen Attribute als Funktionen oder Mengen
4. Eigenschaftszuschreibung und einfache Prädikation a. b. c. d.
Prädikation und Eigenschaften: Fragen der Priorität Die Synonymiethese (mit Varianten und Verfechtern) Drei Argumente gegen die Synonymiethese Ein Versuch des Entgegenkommens
Kapitel 1: Attribute
4 5. Begriffsanalysen
a. Analysen von Eigenschaftsbegriffen b. Eine (klassische) Analyse des kategorialen Eigenschaftsbegriffs c. Eine alternative Analyse d. Drei Arten der Quantifikation 6. Erklärungen in der Ontologie der Eigenschaften a.
Der erklärende Gebrauch von „weil"
b. Wie einfache Prädikation Eigenschaftszuschreibungen erklärt c. Andere begriffliche Erklärungen und Explananda 7. Ein Rückblick
Einleitendes In unserer begrifflichen Weltorientierung spielt die Kategorie der Eigenschaften eine wichtige Rolle. Uns stehen mehrere, mehr oder weniger äquivalente kategoriale Ausdrücke für diese Kategorie zur Verfügung: Es mag in gewissen Kontexten zwar Präferenzen dafür geben, eher von den Eigenschaften, Beschaffenheiten, Merkmalen, Zügen oder auch Charakteristika eines Dinges zu reden, aber die Unterschiede, die man durch die Wortwahl machen mag, sind eher in Nuancierungen zu verorten und werden in der hier angestellten ontologischen Untersuchung keine Rolle spielen.1 Ich werde die Terme also im weiteren als gleichwertig verwenden und sie alle als allgemeine Bezeichnungen der Kategorie der Eigenschaften zulassen. Neben den verschiedenen allgemeinen kategorialen Ausdrücken stehen uns viele Ausdrücke für Subkategorisierungen zur Verfügung, in welche die kategorialen Ausdrücke eingehen: So reden wir von den Charaktereigenschaften eines Menschen, den Geschmacksmerkmalen eines alten Weins oder dem Fahrverhalten eines Motorrollers. Außerdem stehen uns für Subkategorisierungen auch eigenständige Aus1
Die Liste der kategorialen Ausdrücke ist sicherlich nicht vollständig; beispielsweise redet man auch von Besonderheiten, Eigenarten, Eigenheiten, oder Qualitäten von Dingen.
Einleitendes
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drücke zur Verfügung: Die meisten Menschen haben Schwächen, viele haben echte Macken, und nur seltene Exemplare können mehrere Tugenden vorweisen. Die Existenz solcher spezieller Subkategorisierungen unterstreicht die Bedeutung, die der besagten Kategorie im Alltagsdenken und -sprechen zukommt. Wie erwähnt redet man manchmal von Eigenschaften; man kann dies in verschieden starken Sinnen der Phrase „reden von etwas" tun. Autoren können sich in einem totalitären System genötigt fühlen, von den Verfehlungen des Systems zu reden, aber dann tun sie wahrscheinlich gut daran, dies nicht allzu offenkundig zu betreiben. Man kann von Dingen reden, ohne sie zu erwähnen. Doch manchmal erwähnt man gewisse Dinge auch, und manchmal nimmt man sogar explizit auf sie Bezug, und so auch auf Eigenschaften. Uns steht dafür eine Unmenge von Ausdrücken zur Verfügung, die bestimmte Eigenschaften bezeichnen: Röte, Durchtriebenheit, Schnelligkeit, Charme, Spontaneität, Schwergewichtigkeit und Treue sind klare Beispiele für Eigenschaften. Eine (vielleicht: die) zentrale Gelegenheit, bei der man sich mittels solcher singulärer Terme auf Eigenschaften bezieht, steht in enger Verbindung mit der einfachen Verwendung atomarer Prädikate. Statt etwa zu loben, wie scharfsinnig Tim sei, kann man erwähnen, daß er über einen enormen Scharfsinn verfügt, statt zu mäkeln, der Wein schmecke modrig, kann man kritisch verlautbaren, er habe einen modrigen Geschmack, und statt eine Schokolade werbetechnisch als handlich auszugeben, könnte man auch die Rede ins Leben rufen, sie besäße diese praktische Handlichkeit. Generell kann man singulare Eigenschaftsterme durch relationale Prädikate wie „besitzt", „hat", „verfügt über" etc. mit Subjektausdrücken verbinden, und erhält dabei wohlgeformte Sätze, die (zunächst) wie stilistische Varianten einfacher, elementarer Aussagen erscheinen. So ist es allemal plausibel zu meinen, daß die Sätze in den folgenden Satzpaaren nur sprachlich verschiedene Vehikel derselben Aussage sind: (1)
Belmondo ist charmant.
(1 *)
Belmondo hat Charme.
(2)
Johanna war mutig.
(2*)
Johanna besaß Mut.
6
Kapitel 1: Attribute
Doch gleichviel, ob mit den gepaarten Sätzen tatsächlich genau dieselbe Aussage gemacht wird (eine Frage, die ich in Abschnitt 4 diskutiere), erschließen die Bezugnahmen auf Eigenschaften jedenfalls gewisse sprachliche Möglichkeiten, die bei einfachen Prädikationen nicht in derselben Weise gegeben sind. In Kontexten, in denen explizit auf Eigenschaften Bezug genommen wird, kann man - was gewiß zur Nützlichkeit des Sprachfragments beiträgt - den üblichen Apparat der Qualifikation, der Identität und anaphorischer Pronomina anwenden: (3)
Tim hat Scharfsinn, und ich schätze Scharfsinn. Also gibt es eine Eigenschaft, die ich schätze und die Tim hat. Diese Eigenschaft, die ich schätze und die Tim hat, ist keine andere als (oder auch: ist identisch mit) Scharfsinn. Sie ist es zudem, auf die sich das Pronomen, das Subjekt dieses Satzes ist, bezieht.
Es ist bezeichnend für dieses Sprachfragment der Rede von Eigenschaften, daß wir manchmal davon reden, daß zwei (oder mehr) Dinge dieselbe Eigenschaft (oder: eine gemeinsame Eigenschaft) hätten. Das wird in Aussagen wie den folgenden impliziert: (4)
Sicherlich hat bei weitem nicht jeder Scharfsinn, aber es gibt doch immer noch viele Menschen, die ihn haben.
(5)
Viele Lieder schlechter Rockbands haben die unangenehme Eigenschaft, mir auf den Magen zu schlagen.
Manchmal sagen wir es auch noch ausdrücklicher: (6)
Das Blau dort ist dieselbe Farbe wie die meiner verschwundenen Socken.
(7)
Laurel und Hardy teilen ihren Sinn für Humor.
(8)
Sterblichkeit ist das gemeinsame Los aller Menschen.
(9)
„Kann ich vielleicht Deinen Becher haben? Mein Kaffee ist mir zu heiß zum Trinken." - „Kannst Du haben, doch ich furchte, es macht keinen Unterschied, welchen Kaffee Du nimmst; beide haben dieselbe Temperatur."
Prototypische Beispiele für Eigenschaften sind - und dies ist ein wesentlicher Zug der alltäglichen Konzeption von Eigenschaften - von der Art, daß mehrere Dinge dieselbe Eigenschaft haben können. So
Eigenschaften in der deskriptiven
Ontologie
7
konzipierte Eigenschaften werde ich auch Attribute nennen. Daß etwas ein Attribut hat, drücke ich manchmal damit aus, daß es das Attribut exemplifiziere (also ist Exemplifikation das Haben eines Attributs). In diesem Kapitel entwickele (und verteidige) ich eine Konzeption von Attributen. Da ich mich dabei ausschließlich mit Attributen befasse (und nicht mit partikularisierten Eigenschaften, die ich im nächsten Kapitel diskutiere), bezeichne ich Attribute hier auch schlicht als Eigenschaften, Beschaffenheiten etc.; es sind darunter dann stets Eigenschaften konzipiert als Attribute zu verstehen.
1. Eigenschaften im Rahmen einer deskriptiven Ontologie In der analytischen Ontologie des letzten Jahrhunderts hat die Kategorie der Eigenschaften zwar immer eine prominente Rolle gespielt, aber in den, sagen wir mal, letzten 22 Jahren desselben fand ein regelrechter Boom in der Forschung über Eigenschaften statt, in dessen Zuge neue Fragen ins Licht der Aufmerksamkeit rückten und das Feld unübersichtlicher wurde. Daher werde ich in diesem Abschnitt eine rasche Verortung meiner Position in bezug auf vieldiskutierte Eckpunkte dieses Feldes vornehmen. Vor allem werde ich einige Fragen ansprechen, die ich im weiteren nicht umfassend thematisieren werde. So soll auch mein Anliegen dieses Kapitels durch Abgrenzung klarer umrissen werden. Der folgende erste Unterabschnitt stellt meine grundlegende Fragestellung vor und stellt klar, welche andere fundamentale Fragestellung ich nicht verfolge. Der zweite Unterabschnitt geht auf speziellere Fragen ein, denen derzeit in der Ontologie großes Interesse entgegengebracht wird, die aber für meine Leitfrage weniger zentral sind und daher hier nur kurz behandelt werden. a. Realismus In ontologischen Abhandlungen über Dinge einer Sorte φ dominieren meist zwei Arten von Fragen: (OF-1)
Gibt es cps?
(OF-2)
Was sind cps?
8
Kapitel 1: Attribute
Die erste dieser Fragestellungen werde ich in meiner Diskussion von Attributen grundsätzlich ausklammern und ihre Antwort einfach voraussetzen: Ich gehe im weiteren stets davon aus, daß es Attribute gibt. Was genau unter einer solchen Aussage, und damit unter Fragen vom Typ (OF-1), zu verstehen ist, wird in Debatten zur Ontologie ebenso diskutiert wie spezifische solcher Behauptungen. Insbesondere wird die Frage nach der Existenz von (ps in der Gefolgschaft von Quine und seinen Ansichten zur Ontologie häufig mit der Frage nach der Entbehrlichkeit bzw. Unentbehrlichkeit der Annahme von 9s fur verschiedene Bereiche gesprochen. Im Falle von Attributen diskutieren Philosophen beispielsweise deren Ent- und Unentbehrlichkeit für die Interpretation bestimmter umgangssprachlicher Äußerungen (insbesondere solcher, in denen augenscheinlich mit singulären Termen auf Eigenschaften Bezug genommen und etwas von ihnen ausgesagt wird),2 für Kontexte wissenschaftlicher Erklärung,3 oder für Theorien der Kausalität und/oder der Naturgesetze.4 Ich werde zu solchen Fragen der Verzichtbarkeit oder Unverzichtbarkeit von Eigenschaften vornehmlich schweigen. Allerdings beziehe ich, freilich ohne dafür zu argumentieren, Position in einer Frage, die mit dem ersten genannten Punkt (der Unentbehrlichkeit einer Ontologie von Eigenschaften zur Erklärung abstrakter Referenz) in engem Zusammenhang steht: Wenn ich sage, daß es Attribute gibt, dann gehe ich auch davon aus, daß wir häufig auf sie referieren, und davon, daß sowohl anscheinende Referenz auf sie als auch anscheinende Q u a l i fikation über sie zumindest in der Regel genau das sind, was sie zu sein scheinen; also Referenz bzw. Qualifikation. Dies ist der wesentliche Ausgangspunkt meiner Untersuchung zur Ontologie der Eigenschaften, wie sie im Alltagsdenken eine Rolle spielt und dabei im alltäglichen Sprechen und Handeln zum Ausdruck kommt. Wer Positionen unter Schlagworte bringen mag, kann die von mir vertretene Position eine realistische nennen.5 2
3 4 5
Für Diskussionen des Phänomens der abstrakten Referenz siehe beispielsweise Pap 1959, Jackson 1977, Loux 1978: Kap. 4, Künne 1983: 128-138. Siehe beispielsweise Jubien 1989:160, Sober 1981 (besonders 157f.). Siehe ζ. B. Armstrong 1983: bes. Kap. 6, Tooley 1987: bes. 67-91. So würde ζ. B. Teichmann (1992: 68) meine Position einordnen. Anhand der Frage, welche Art von Termen dem Realisten zufolge auf Eigenschaften referiert, unterscheidet Teichmann drei verschiedene Unterarten des
Eigenschaften in der deskriptiven Ontologie
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Aber Schlagworte sind notorisch vage, und es ist besser, zu Detailfragen überzugehen. Diese werden im wesentlichen der (OF-2) entsprechenden Frage - „Was sind Attribute?" - untergeordnet sein oder zumindest dazu dienen, eine angemessene Antwort auf diese Leitfrage zu finden. Dabei ist meine Untersuchung dem Geiste einer deskriptiven Metaphysik verpflichtet; ich versuche, die Konzeption von Eigenschaften, wie sie de facto im Alltagsdenken etabliert ist, zu ergründen. Weiterhin ist meine Untersuchung begrifflicher Natur; insbesondere geht es mir darum, ein Verständnis des Eigenschaftsbegriffs zu erlangen. Ein solches Verständnis eines Begriffs muß nicht, kann aber in einer Begriffsanalyse münden, und tatsächlich präsentiere ich in Abschnitt 5 dieses Kapitels einen Vorschlag zu einer solchen Analyse. Da ich meine Realismus-Annahme nicht verteidige, sondern sie einfach mache, kann man meine Untersuchung, wenn man denn will, „hypothetisch" lesen: Wenn wir die Alltagsontologie der Eigenschaften ernst nehmen und demgemäß Realisten sein wollen, was genau nehmen wir dann eigentlich ernst? Wie kann man den in ihr zentralen Eigenschaftsbegriff verstehen? Die Frage ist sicherlich auch dann von philosophischem Interesse, wenn die Entscheidung letztlich gegen die Realisten gefällt wird. Denn immerhin weiß man erst, wenn sie beantwortet ist, was genau man als Antirealist hinsichtlich Eigenschaften überhaupt ablehnt. b. Sparsamkeit und Überfluß Durch David Armstrongs einflußreiche Arbeiten über Universalien ist ein neues Streitthema innerhalb realistischer Positionen aufgekommen. Auch wenn man sich darüber einig ist, daß es Eigenschaften gibt, kann man sich noch immer trefflich über die Frage entzweien, welche und wie viele Eigenschaften es gibt. Mit einem von David Lewis geprägten Schlagwort kann man sagen, Armstrong vertrete eine spärliche Ontologie der Eigenschaften. 6
6
Realismus: (A) predicables (Prädikate) und property-names (singuläre Eigenschaftsterme) referieren; (B) nur property-names referieren; (C) nur predicables referieren. Meine Wahl lautet: singuläre Terme referieren (und sonst keine); ich falle also in Teichmanns zweite Klasse von Realisten. Lewis (1983: 1 Iff.; 1986: 59ff.) kontrastiert den „sparse view" von Armstrong mit einer „abundant conception" (manchmal auch: „redundant").
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Kapitel 1: Attribute
Man könnte zwar meinen, es gebe Eigenschaften, wie die, metallisch zu sein, oder die, nicht aus Stein zu bestehen, oder auch die triviale Eigenschaft, selbstidentisch zu sein; doch sollte man dies, so Armstrong, lieber nicht tun.7 Der Grund liegt in seiner Vorstellung davon, was eine Ontologie der Eigenschaften leisten soll; mit Lewis' Worten ist Armstrongs „guiding idea, roughly, [...] that the world's universals should comprise a minimal basis for characterising the world completely." (Lewis 1983: 12)8 Gäbe es die Eigenschaft, nicht aus Stein zu bestehen, so würde sie sicherlich auf anderen, basaleren Eigenschaften in dem Sinne basieren, daß die anderen Eigenschaften zu besitzen hinreichend dafür wäre, die in Frage stehende Eigenschaft zu haben.9 Beispielsweise könnte eine solche basalere Eigenschaft sein, aus Atomen bestimmter Valenzzahlen zu bestehen, da durch eine solche Eigenschaft (bei passender Valenzzahl) verbürgt wäre, daß was immer sie hat, kein Mineral sein kann. Folgt man Armstrongs Idee, daß die Palette der Eigenschaften, die man annimmt, gerade groß genug sein soll, um für eine komplette Beschreibung der Welt die Grundlage zu bilden, fallen alle Eigenschaften, die auf anderen basieren würden, aus. Es verbleiben nur basale bzw. fundamentale Eigenschaften (fundamental, nicht weil sie andere Eigenschaften fundieren, denn andere gibt es ja Armstrong zufolge nicht, aber weil sie das Fundament für alle wahren Beschreibungen der Welt bilden).10
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Siehe Armstrong 1978 II: 16f. Bezüglich „negativer" Eigenschaften siehe ferner Armstrong 1978 II: 23-29; 1989: 75-8; 1997: 38-43. Armstrong gibt verschiedene Kriterien für Fundamentalität an; fundamentale Eigenschaften sind (i) für echte Ähnlichkeit zwischen Dingen verantwortlich (siehe Armstrong 1997: 25) und (ii) geben Dingen ihre kausalen Kräfte (siehe Armstrong 1978 II: 43-47). Armstrong scheint anzunehmen, daß beide Kriterien dieselben Ergebnisse zeitigen; Zweifel an dieser Meinung wirft Oliver auf (1996: 32). Zudem könnte eine Eigenschaft F-heit auch in dem Sinne auf anderen Eigenschaften basieren, daß ein Gegenstand genau dann F-heit hat, wenn gewisse andere Dinge die basaleren Eigenschaften haben. Ich gehe hier der Einfachheit halber nur von dem oben genannten Fall aus. In einer späteren Publikation spricht Armstrong von nicht-basalen Eigenschaften auch als zweitklassigen Eigenschaften und sagt, sie würden auf seinen Universalien supervenieren. Dabei existieren diese supervenierenden Eigenschaften zwar, aber sie sind nichts anderes als das, worauf sie supervenieren (Armstrong 1997: 44f.).
Eigenschaften in der deskriptiven Ontotogie
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Dem spärlichen Eigenschaftsrepertoire eines Armstrong stellt Lewis eine Eigenschaftsontologie des Überflusses entgegen. Ihr zufolge gibt es allemal zu den meisten Prädikaten ihnen korrelierte Eigenschaften, aber noch etliche mehr.11 Sowohl Lewis wie auch Armstrong kommen zu ihren Ontologien über gewisse von ihnen zugrunde gelegte Ansprüche daran, was Eigenschaften für eine philosophische Theorie leisten sollen. Solche expliziten Vorstellungen können sich Philosophen gewiß erlauben, aber sie leiten wohl kaum in derart klarer Form eine alltägliche Konzeption von Eigenschaften. Jedenfalls ist diese sicherlich nicht von Armstrongs Ansprüchen geleitet. Die Alltagsontologie der Eigenschaften ist keinesfalls so sparsam wie seine Ontologie. Armstrong schließt diverse Musterbeispiele von Eigenschaften der alltäglichen Ontologie (Röte, metallisch zu sein, nicht dumm zu sein) als Eigenschaften in seinem Sinne aus. Das spricht freilich nicht gegen Armstrong, solange er seinen Ansatz nicht als einen deskriptiven ausgibt - was er aber auch nicht tun würde. Daß er sich der Diskrepanz zwischen seiner Auffassung von Eigenschaften und der alltäglichen Konzeption durchaus bewußt ist, kommt zum Ausdruck, wenn er schreibt: We shall have to accept that what ordinary discourse refers to as properties and relations are often not properties and relations in the sense in which the terms are used in this book. (Armstrong 1978 II: 18, meine Kursivierung)
Daher stehen aber seine und meine Annahmen in keinerlei Widerspruch (mindestens in keinem offenen, direkten). Ich untersuche den Alltagsbegriff einer Eigenschaft, Armstrong den Begriff von etwas, das gewissen Anforderungen der Fundamentalist entspricht; damit haben unsere Untersuchungen verschiedene Gegenstände. Ich brauche, um meine Untersuchung zu betreiben, Fragen der Fundamentalität nicht nachzugehen, und spare sie dementsprechend fortan aus. Umgekehrt meine ich, daß ein solches deskriptives Vorgehen in jedem 11
In Lewis' eigener Version gibt es ebenso viele Eigenschaften wie Mengen von möglichen Entitäten (Mengen also, die als Elemente Bewohner verschiedener möglicher Welten haben), was sich schon daraus ergibt, daß Lewis dazu neigt, Eigenschaften mit solchen Mengen zu identifizieren. Siehe z.B. Lewis 1983: 10-19; 1986: 50ff. Ich gehe auf Lewis' Position im Abschnitt 3.e. dieses Kapitels noch einmal genauer ein.
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Kapitel 1: Attribute
Falle auch für revisionäre Geister von einem gewissen Interesse sein sollte. Denn irgendwo hat jede Revision ihren Ausgangspunkt, und die meisten neuartigen Ideengebäude weisen noch hier und da Reste ihrer Wurzeln auf.12 Entspricht die alltägliche Eigenschaftsontologie also einer umfangreichen Ontologie in Lewis' Sinne? Die beiden beschriebenen Positionen von Lewis und Armstrong markieren hinsichtlich der Reichhaltigkeit an Eigenschaften zwei weit entfernte Punkte eines Kontinuums möglicher Optionen.13 Wie Michael Jubien bemerkt (Jubien 1993: 8), scheint der philosophisch unreflektierten Rede von Eigenschaften, zumindest auf den ersten Blick, eine zwar reichhaltige Ontologie, aber eben doch keine des Überflusses ä la Lewis zu entsprechen, sondern eine Position zwischen den angesprochenen Extremen. Denn wenn man ungewöhnliche, komplexe Prädikate in Betracht zieht, die beispielsweise Disjunktoren enthalten, wie etwa (1) χ ist schwergewichtig oder grün, oder Subjunktoren enthalten, wie etwa (2) χ ist blau, wenn χ vor Sylvester 2000 untersucht wird, ansonsten aber grün, dann werden vielleicht auch einige Nichtphilosophen zögern, von Eigenschaften zu reden, die diesen Prädikaten entsprechen. Freilich scheint mir dies kein genereller Zug von komplexen Prädikaten zu sein; auch Nichtphilosophen würden meines Erachtens 12
13
So nimmt Armstrong ζ. B. auf „seine" Eigenschaften, die Universalien im armstrongschen Sinn, mit üblichen Eigenschaftstermen Bezug; daher kann ihm eine Untersuchung der Semantik solcher Terme, wie ich sie im Abschnitt 2 dieses Kapitels anstellen werde, eigentlich nur willkommen sein. Wobei zumindest Lewis' Position nicht reichhaltig genug ist, um das Ende des Möglichkeitenspektrums auszumachen. Lewis' Eigenschaften sind intensional, also über ihr modales Profil individuiert, und eine hyperintensionale Individuierung (über gewisse kognitive Züge) ergibt eine umfangreichere Menge von Eigenschaften (mehr hierzu findet sich in Abschnitt 3 dieses Kapitels). Zudem könnte es auch am anderen Ende des Spektrums noch sparsamere Positionen als die Armstrongs geben (so akzeptiert Armstrong beispielsweise, was er „konjunktive Universalien" nennt, und wird dafür von Mellor des Überflusses gescholten - siehe Mellor 1997: 264f.).
Eigenschaften in der deskriptiven Ontotogie
13
ohne zu zögern verlauten lassen, daß man mit den folgenden Aussagen Personen gewisse Eigenschaften oder Eigenheiten zuschreibt: (3)
Er lacht sich immer fast zu Tode, wenn man ihn durchkitzelt.
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Wenn sie schwimmen geht, bekommt sie in der Regel Ausschlag.
Sätze dieser Art, mit denen man Dingen gewisse dispositionale Beschaffenheiten nachsagt, können hochkomplex sein und auch weitere Junktoren enthalten: (5)
Wenn man ihn piesackt, wird er entweder aggressiv oder verfällt in einen Zustand der Jämmerlichkeit.
Wenn man also bei einigen Prädikaten zögert, von korrelierten Beschaffenheiten zu reden, so liegt das zumindest nicht ausschließlich an der logischen Komplexität der Prädikate. Ich werde den Argwohn, den man bei einigen Prädikaten empfinden kann, ignorieren und im weiteren eine so reichhaltige Konzeption von Eigenschaften voraussetzen, daß es zu nahezu allen Prädikaten, sie mögen noch so komplex sein, ihnen entsprechende Eigenschaften gibt.14 Verleugne ich aber damit nicht meinen deskriptiven Ansatz? Ich denke nein, auch wenn das zunächst überraschend klingen mag; einerseits gestehe ich ein, daß wahrscheinlich nicht jede abgelegene Eigenschaft von unbedarften Sprechern akzeptiert wird, und andererseits will ich doch deren Ontologie mit der Annahme der Reichhaltigkeit abbilden. Daß sich dies beides zumindest nicht prinzipiell ausschließt, zeigt eine Überlegung Jubiens. Wenn man eingesteht, daß es bei gewöhnlichen Sprechern Grenzen der Akzeptanz von sonderbaren Eigenschaf14
Das „nahezu" erklärt sich vor allem aus der Gefahr von Antinomien; diese thematisiere ich weiter unten ausführlicher (siehe Abschnitt 2.e. dieses Kapitels). Zudem gilt, sofern man unter Prädikaten Typen von Ausdrücken versteht, eine Einschränkung auf solche, die frei von indexikalischen und demonstrativen Elementen sind. Den einzelnen Verwendungen von Prädikaten, die indexikalische oder demonstrative Elemente enthalten, sind aber Eigenschaften zugeordnet: Dem Prädikat „x sieht diesen Mann" ist keine Eigenschaft zugeordnet; dem Prädikat in einer konkreten (von einer angemessenen Zeigegeste begleiteten) Aussage „Auch er hat diesen Mann gesehen" schon.
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Kapitel 1: Attribute
ten gibt, so kann man die sinnvolle Frage stellen, woraus sich diese Grenzen erklären könnten. Sie werden sich sicherlich nicht aus dem Vorhandensein einer armstrongschen Motivation in der Alltagsontologie ergeben. Denn offensichtlich ist diese viel zu reichhaltig, als daß eine Idee der Fundamentalität der angenommenen Eigenschaften in ihr eine Rolle spielen könnte. Aber es gibt eine andere, vielversprechende Erklärung für die Herkunft der intuitiven Bedenken gegenüber einigen Eigenschaften, eine Antwort, die dann die Annahme einer sehr reichhaltigen Ontologie rechtfertigt: Die angesprochenen Prädikate sind höchst ungewöhnlich, und sogar so ungewöhnlich, daß man kaum ersehen kann, zu welchem Nutzen man sie je gebrauchen könnte. Und Analoges gilt für ihnen zugeordnete Eigenschaften: „We don't recognize such properties because we just don't have much use for them." (Jubien 1993: 9) Wenn diese Erklärung der Ablehnung allzu eigentümlicher Eigenschaften für gut befunden wird, dann scheint es legitim, dieser Ablehnung kein großes Gewicht zukommen zu lassen. Das Desinteresse an gewissen Dingen muß (und sollte) als Faktor einer ontologischen Konzeption nicht ausschlaggebend sein. Ein paar letzte Bemerkungen zu diesem Themenkomplex: Eine Klasse von Eigenschaften, deren Existenz bei Anhängern von Armstrong besonders umstritten ist, ist die Klasse leerer Eigenschaften. Armstrong vertritt einen sogenannten immanenten Realismus, wobei er zumindest teilweise in die Fußstapfen von Aristoteles tritt. Eigenschaften, so der immanente Realist, gibt es nicht unabhängig von Dingen, welche sie exemplifizieren (oder auch: Eigenschaften existieren in den Dingen, die sie exemplifizieren - der hier einschlägige Sinn von „in" ist freilich nicht leicht zu klären); es gelte daher: 15 (Immanenter Realismus 1) Nicht-exemplifizierte Eigenschaften gibt es nicht. Die Existenz einer Eigenschaft wird somit zu einem kontingenten Umstand. Denn die meisten (exemplifizierten) Eigenschaften hätten nicht exemplifiziert sein müssen und hätten, dieser Form des Realismus zufolge, in einem solchen Falle nicht existiert. Ebenso hätten Dinge so beschaffen sein können, daß diverse Eigenschaften exemplifiziert ge15
Siehe beispielsweise Armstrong 1997: 38.
Eigenschaften in der deskriptiven Ontologie
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wesen wären, die es de facto nicht sind. Es hätte dem immanenten Realismus zufolge also Eigenschaften geben können, die es, so wie die Dinge stehen, nicht gibt. Neben der existentiellen Abhängigkeit von Eigenschaften in bezug auf ihr Exemplifiziertsein, gehört für Armstrong noch eine weitere These zur Position des immanenten Realisten:16 (Immanenter Realismus 2) Eigenschaften sind örtlich lokalisiert, und zwar an eben den Orten, an welchen sich die Dinge aufhalten, die sie exemplifizieren. Auch in dieser Angelegenheit gehen Armstrong und ich unterschiedliche Wege. Ich vertrete eine Position, die Armstrong als transzendenten Realismus bezeichnen würde; sie kommt ebenfalls als Thesenpaar daher: (Transzendenter Realismus 1) Eigenschaften existieren unabhängig von den Dingen, welche sie exemplifizieren. (Transzendenter Realismus 2) Eigenschaften haben keine räumliche Position inne. Beide Thesen scheinen mir die Alltagsontologie der Eigenschaften besser zu treffen als Armstrongs Gegenposition. Es gibt, kann man seufzend bemerken, viel zu viele lobenswerte Eigenschaften, die leider niemand je an den Tag legt. Wenn man es bemerkt und es auch beim Wort nehmen will, so legt man sich auf die Existenz nichtexemplifizierter Eigenschaften fest. Was den zweiten Punkt angeht, scheint es keine etablierte Praxis zu geben, Eigenschaften räumliche Positionen zuzuschreiben. Zugegeben, es gibt ein paar Redewendungen, die Armstrong hier für die Gegenthese ins Feld führen könnte: Weinseligkeit ist eine Eigenschaft, sagt das Vorurteil, welche man in Frankreich häufig vorfindet, und allemal häufiger als beispielsweise in Alaska. Und wer einmal echte Schönheit sehen will, der sollte sich in die schottischen Highlands oder nach Island begeben. Hier scheint man Eigenschaften, Weinseligkeit und Schönheit, Örtlichkeiten zuzu16
Siehe beispielsweise Armstrong 1989: 98f.
16
Kapitel I: Attribute
ordnen: Weinseligkeit ist in Frankreich lokalisiert, Schönheit in Schottland. Doch liegt es ebenso nahe, dies als Redeweisen über die Exemplifikationen der Eigenschaften, also über diejenigen Dinge, welche die betreffenden Eigenschaften haben, zu verstehen. Beste Beispiele von schönen Landschaften finden sich in Schottland, viele Beispiele von weinseligem Volk in Frankreich. Angesichts dessen, daß solche Wendungen eher spärlich gebraucht werden und direktere Ortszuschreibungen an Eigenschaften unüblich sind (man fragt beispielsweise nicht, in Hinsicht auf eine Eigenschaft F-heit: „Wo befindet sich F-heit?"), scheint mir das letztgenannte Verständnis sinnvoller. Kurzum, ich beschäftige mich mit einer Konzeption von Eigenschaften, die weitestgehend konträr zu Armstrongs Auffassung steht: Mit einem reichhaltigen, transzendenten Eigenschaftsrealismus. Mit einem solchen meine ich, wie gesagt, der Alltagsontologie am besten gerecht zu werden, und um genau diese geht es mir ja. Armstrongs Theorie ist, auch wenn dies korrekt ist, weder aus dem Rennen noch überhaupt tangiert, da er ihr ohnehin andere Ziele auf die Fahnen geschrieben hat.17
17
Chris Swoyer (1996) stimmt mit dieser kein-Konflikt-Diagnose im Prinzip überein. Dennoch meint er, daß für Vertreter der beiden angesprochenen Projekte Raum für echten Disput verbleibt. Denn, so Swoyer, j e reichhaltiger eine Eigenschafts-Ontologie ist, desto geringer ist ihr Erklärungswert (für verschiedene philosophisch interessante Phänomene). Gesetzt, er hätte damit recht. Dann würde folgen, daß die Alltags-Konzeption von Eigenschaften kein starkes Instrument für bestimmte philosophische Zwecke darstellt - was eigentlich kaum verwundern sollte, da sie eben nicht für solche Zwecke etabliert wurde (die relevanten Sprachformen wurden uns nicht von Philosophen aufoktroyiert). Das wäre nun aber kein Einwand gegen deskriptive Theorien, sondern ein (mehr oder minder) interessantes meta-theoretisches Ergebnis. (Ob Swoyers Skepsis bezüglich des explanatorischen Werts einer reichhaltigen Eigenschafts-Ontologie berechtigt ist, werde ich in dieser Allgemeinheit nicht diskutieren; aber zumindest einen explanatorischen Zweck, für den Eigenschaften oft bemüht werden, diskutiere ich ausführlich in Abschnitt 6 dieses Kapitels; mit dem Ergebnis, daß sie dem angedachten Zweck nicht dienen können - was, wenn ich recht habe, freilich ebenso für Eigenschaften im Sinne Armstrongs gilt.)
Singulare
Eigenschaftsterme
17
2. Singulare Eigenschaftsterme a. Die Relevanz kanonischer
Eigenschaftsterme
Ich verteidige in diesem Kapitel, so meine Ankündigung vom Beginn, eine bestimmte Konzeption von Attributen. Diese Konzeption tritt mit dem Anspruch auf, unser alltägliches Verständnis von Eigenschaften zu erfassen und zu explizieren. Dazu untersuche ich die singulären Eigenschaftsbegriffe (damit meine ich Begriffe, unter denen jeweils eine Eigenschaft steht, wie den Begriff der Weisheit), die in ihm eine Rolle spielen, sowie den kategorialen Begriff einer Eigenschaft überhaupt (den Begriff, den der generelle Term „Eigenschaft" ausdrückt). Nun fällt jeder Gegenstand, unbestritten, unter eine Unzahl von Begriffen, und auf jeden Gegenstand kann mit einer Unzahl von singulären Termen korrekt Bezug genommen werden. Doch gibt es kanonische Terme, mittels deren wir auf Eigenschaften referieren. (Ausdrücke wie „Röte", „die Eigenschaft, rot zu sein" etc. Ich gehe im folgenden Abschnitt auf die verschiedenen Arten dieser Terme ausführlich ein.) Diese Terme nenne ich kanonisch, weil sie de facto die zentrale Rolle bei unserem Erwerb von Eigenschaftsbegriffen spielen. Wir lernen, auf Eigenschaften zu referieren, indem wir den Gebrauch dieser Ausdrücke erlernen. Insofern spielen die Begriffe, die von diesen Termen ausgedrückt werden, die zentrale Rolle in unserer Konzeption von Eigenschaften. (Möglicherweise hätten andere Begriffe diese zentrale Rolle spielen können; über diese teils psychologische Frage will ich keine Spekulationen anstellen.) Was im Rahmen meines, einer deskriptiven Ontologie verpflichteten, Ansatzes allein wichtig ist, ist die faktische Relevanz dieser Begriffe. Wer von unserer Konzeption von Eigenschaften, so wie sie nun einmal ist, ein adäquates Bild zeichnen will, der muß die kanonischen Eigenschaftsbegriffe (damit meine ich die Begriffe, die von den kanonischen Eigenschaftstermen ausgedrückt werden) gebührend berücksichtigen und versuchen, sie zu verstehen. Ich beginne daher mein Vorgehen mit einer Reflexion über die Arten und die Semantik von kanonischen Eigenschaftstermen. Wem dies Vorgehen bisweilen zu linguistisch anmuten mag, der rufe sich die Bedeutung desselben in Erinnerung: Ich untersuche die Semantik kanonischer Eigenschaftsterme, um Erkenntnisse über die ausge-
18
Kapitel 1: Attribute
drückten Begriffe zu gewinnen. Die sprachliche Fokussierung ist nicht Selbstzweck, und die Untersuchung ist von begrifflicher, nicht bloß linguistischer oder grammatischer Relevanz. b. Ein Überblick über Sorten von Eigenschaftstermen Uns stehen verschiedene Formen von Ausdrücken zur Verfugung, um Eigenschaften zu spezifizieren.18 Für viele Eigenschaften gibt es (meistens von Adjektiven) abgeleitete, eigenständige Substantive; hier eine kleine Beispielliste: Röte, Durchtriebenheit, Charme, Spontaneität, Schwergewichtigkeit, Schnelligkeit. Die Ableitungen sind, im Ganzen betrachtet, einigermaßen variabel, aber sie folgen doch gewissen verschiedenen Mustern.19 Häufig entstehen die Ableitungen durch Verknüpfung eines Adjektivs mit einem Suffix: durchtrieben spontan garstig belanglos
Durchtrieben - heit Spontan - eität Garstig - keit Belanglos - igkeit.
Manchmal sind die entsprechenden Adjektive aber auch morphologisch komplexer als die zugehörigen Substantive: mutig einfältig
Mut Einfalt.
Manchmal wiederum sind die Adjektive gleich komplex und unterscheiden sich nur in der Endung, wie etwa beim folgenden Paar: 18
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Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf die Formen sprachlicher Bezugnahme auf Eigenschaften im Deutschen. Allerdings ist die Möglichkeit der Übertragung auf andere Sprachen häufig offensichtlich gegeben und direkt ausführbar; so vergleiche man beispielsweise die kurze Liste von Eigenschaftstermen, die Strawson (1974a: 129) präsentiert. Die Variabilität der Ableitungen ist ein Umstand, den einige analytische Philosophen zu übersehen neigen, wenn sie in halbformaler Notation kommentarlos ein bestimmtes Muster herausgreifen und als einziges verwenden (im Englischen ist dies dann meist ,,-ness", im Deutschen ,,-heit").
Singulare Eigenschaftsterme
charmant
19
Charme.
Bei Adjektiven, die auf ein „t" enden, entsteht das Substantiv manchmal durch Änderung des Schlußkonsonantens in ein „z", so daß ebenfalls eine gleiche morphologische Komplexität der beiden korrelierten Ausdrücke vorliegt. Ein Beispiel: konstant
Konstanz,
Es gibt weitere Fälle, die nicht eindeutig in die bisherigen Schemata passen: „Röte" ist von „rot" durch das Auslaut-„e" sowie die Umlautbildung unterschieden. Das Beispiel von Farbprädikaten (oder eher Prädikatfragmenten) wie „rot" ist zudem interessant, da es zugeordnete Substantive zur Bezeichnung von Farben gibt, die morphologisch identisch mit den Farbprädikaten sind (sofern man die Großschreibung hierbei nicht gewichtet). In „Rot ist eine Farbe" ist „Rot" ein Substantiv und wird referentiell gebraucht, in „Rot war das Antlitz Cititzen Kanes, als seine Frau ihn verließ" ist „Rot" ein Adjektiv und wird prädikativ verwendet (hier kann aufgrund des Satzanfangs sogar die Großschreibung nicht als Unterscheidungsmerkmal zum Substantiv herangezogen werden). Eigenschaftsterme in Form eines einzelnes Substantivs, welches in systematischer Beziehung zu einem verwandten generellen Term steht, werde ich fortan als Terme der Klasse I bezeichnen. (Ich werde im weiteren einem verbreiteten Brauch folgen und „F-heit" als schematischen Vertreter von Ausdrücken der Klasse I benutzen; dies dient nur der Einfachheit der Notation und soll nicht die hier ausgeführte Mannigfaltigkeit der Formen dieser Ausdrücke vertuschen.) Es gibt aber neben den eher uneinheitlichen Substantivierungen zugleich einen systematischen Weg, aus jedem beliebigen generellen Term einen singulären zu bilden, der zur Bezeichnung einer Eigenschaft dient. So kann man zu einem generellen Term F die folgenden Eigenschaftsterme bilden: »die Eigenschaft, F zu sein«, »die Beschaffenheit, F zu sein« etc. (Ich verwende hier und im folgenden die französischen Anführungszeichen, »...«, der Genauigkeit zuliebe als gesonderte Zeichen zur selektiven Anführung; sie funktionieren also wie die Cornerquotes von
20
Kapitel 1: Attribute
Quine.)20 Die Klasse dieser Eigenschaftsterme (deren englische Entsprechung Ausdrücke der Form „the property of being F" sind) nenne ich fortan Klasse II.21 Die beiden bisher genannten Klassen von Eigenschaftstermen sind wahrscheinlich die gebräuchlichsten und jedenfalls diejenigen, denen in der philosophischen Literatur die meiste Aufinerksamkeit geschenkt wird. Es gibt allerdings noch weitere Terme, mit denen offenbar auf Eigenschaften Bezug genommen wird (bei der Zählung überspringe ich aus einem Grund, der erst später deutlich wird, eine Nummer und fahre statt mit Klasse III mit Klasse IV fort): Klasse IV: Manchmal verwendet man substantivierte Infinitive als Eigenschaftsterme; so kann man sagen „Dieses Buch zeigt den direkten Weg zum Reichsein a u f , oder auch „Alleinsein ist ein auf die Dauer unerträglicher Zustand". Klasse V: Man kann Eigenschaftsterme der ersten Klasse mit kategorialen Ausdrücken verbinden, so daß man Terme wie „die Eigenschaft der Weisheit", „die Tugend der Beharrlichkeit" etc. erhält.22 Klasse VI: Hin und wieder trifft man außerdem, insbesondere in älteren Texten, auf Wendungen wie „die Eigenschaft eines Kreises" oder „die Beschaffenheit des Goldes". Diese scheinen am ehesten als 20
21
22
Wer mit Cornerquotes nicht vertraut ist, kann sich bei Quine 1951: Kap. 1, §6, S. 33-37 kundig machen (oder er ignoriert sie und behandelt sie einfach wie gewöhnliche Anführungszeichen). Eine Bemerkung zur Präzision: Damit ein Term der Art „die Eigenschaft, F zu sein" tatsächlich wohlgeformt ist, dürfen nur bestimmte Ausdrücke fur „F" eingesetzt werden. Beispielsweise benötigen sogenannte count nouns einen Artikel (es darf also nicht einfach „Mann" eingesetzt werden), während Adjektive ebenso wie Massenterme keinen benötigen. Es sollte im weiteren stets diese Einschränkung mitverstanden werden. Damit sind dann sowohl Adjektive wie Substantive und Kombinationen aus beiden in das Schema integriert. Um auch Verben oder Verbphrasen zu berücksichtigen, muß man ihre Infinitive verwenden, wobei dann das Hilfsverb „ist" entfällt („die Beschaffenheit, in voller Blüte zu stehen", „die Eigenschaft, zu konvergieren"). Die entstehenden Ausdrücke sind (strenggenommen) mehrdeutig, denn statt mit „die Eigenschaft der Weisheit" auf die Eigenschaft, weise zu sein, Bezug zu nehmen, könnte man den Ausdruck als Kennzeichnung benutzen, um auf eine (kontextuell bestimmte) Eigenschaft Bezug zu nehmen, welche der Weisheit zukommt. Aber diese Ambiguität ist harmlos und wird in der Regel durch den Kontext eindeutig aufgelöst.
Singulare Eigenschaftsterme
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Varianten von Ausdrücken der Klasse II zu verstehen zu sein; so daß, wer etwa von der Eigenschaft eines Kreises spricht, damit schlicht die Eigenschaft, ein Kreis zu sein, meint. Manchmal aber scheint auch eine prominente Eigenschaft einer angegebenen Art von Trägern gemeint zu sein; man kann die Verfassung eines Bären haben oder das Gemüt eines Metzgers, und in manchen Kontexten wird man vielleicht die Wendungen „Beschaffenheit eines Bären" und „Beschaffenheit eines Metzgers" als Beschreibungen dieser Charakteristika akzeptieren. Klasse VII: Schließlich kann man Beschaffenheiten auch, ein Umstand, der häufig übersehen wird, mittels ganzer Satznominalisierungen spezifizieren.23 Jemand kann die unangenehme Eigenart haben, daß er immer, auch bei der unpassendsten Gelegenheit, widersprechen muß. Ein Kreis hat die Besonderheit, daß alle Punkte seiner Peripherie gleich weit von seinem Mittelpunkt entfernt liegen. Klasse VIII: Eine letzte, wichtige Art von Ausdrücken, die sich auf Eigenschaften beziehen, bilden schließlich reguläre Kennzeichnungen wie „die Farbe meiner Badezimmerkacheln", „die meistgenannte Tugend" oder „die Lieblingseigenschaft von Tarski". Der Zusatz „regulär", den ich hier eingefügt habe, wird sich im Laufe der folgenden Abschnitte erklären - ich werde dafür argumentieren, daß die zuvor genannten Ausdrücke sich von „regulären" Kennzeichnungen allesamt unterscheiden, obgleich einige von ihnen (insbesondere die Ausdrücke der Klasse II) durchaus mit Fug und Recht Kennzeichnungen genannt werden können - nur sind sie eben Kennzeichnungen einer höchst speziellen Sorte. Soviel an dieser Stelle zu den verschiedenen Arten von Eigenschaftstermen (im bilanzierenden Unterabschnitt h. präsentiere ich, nach erfolgten Erläuterungen, noch einmal eine, dann lückenlose, Auflistung der verschiedenen Klassen).
23
Wobei einige analytische Philosophen manchmal eine ähnliche Konstruktion gebrauchen, die nun allerdings äußerst gewöhnungsbedürftig ist: „so zu sein, daß p" - eine Eigenschaft, die ein beliebiger Gegenstand χ genau dann hat, wenn p. Damit soll alles die Eigenschaft haben, so zu sein, daß Schnee weiß ist, da Schnee nun einmal weiß ist. Manch ein Philosoph räumt solchen Eigenschaften sogar einen wichtigen theoretischen Stellenwert ein. So versucht sich Chisholm (1996: 23f.) an einer Reduktion von Propositionen auf eben solche Eigenschaften.
22
Kapitel 1: Attribute
с. Kennzeichnungen Es gibt verschiedene Arten singulärer Terme; im allgemeinen werden zumindest Kennzeichnungen und Eigennamen unterschieden.24 Ich werde im folgenden eine Einordnung der beiden vorgestellten Klassen I und II von Eigenschaftstermen versuchen. Da ich insbesondere die Frage erörtern werde, ob Eigenschaftsterme der Klasse II Kennzeichnungen sind, und die Frage, was genau eine Kennzeichnung ausmacht, nicht so banal ist, wie sie zunächst erscheinen mag, werde ich mit einigen diesbezüglichen Bemerkungen anfangen. Für eine informelle Verständigung darüber, was für eine Art von Ausdruck eine Kennzeichnung ist, wird häufig ein syntaktisches Kriterium angegeben: Eine Kennzeichnung ist ein Term, der mit einem bestimmten Artikel anfängt, ein Ausdruck von der Form (FK - Form von Kennzeichnungen)
der/die/das φ.
Der Ausdruck, fur den ,,φ" hier Platz hält, darf dabei sicherlich nicht eine vollkommen beliebige Form haben. Er sollte ein nominaler Ausdruck im Sinne der Linguistik sein, wobei er entweder einfach („Molch") oder komplex („grüner Molch", „Molch, der Fliegen unverdaulich findet") sein darf (gegebenenfalls sind die Endungen an die Bedürfnisse des Ausdrucks anzugleichen - „der grüne Molch" ist eine Kennzeichnung, während „der grüner Molch" ein grammatischer Fehlgriff ist). So hilfreich diese Charakterisierung zur Verständigung sein mag, ist es dennoch sowohl fraglich, ob man sie als notwendig, als auch, ob man sie als hinreichend nehmen sollte. Die Antwort auf diese Fragen hängt wesentlich davon ab, ob die Einordnung eines Terms als eine Kennzeichnung eine rein syntaktische Charakterisierung sein soll, oder auch semantische Überlegungen bei ihr eine Rolle spielen. Zunächst ist festzuhalten, daß (FK) offensichtlich im besten Falle Kennzeichnungen des Deutschen abdeckt, da „der", „die" und „das" eben nur die bestimmten Artikel des Deutschen sind. Auch reicht die 24
Eine weitere wichtige Klasse von singulären Termen bilden indexikalische Ausdrücke (insbesondere demonstrative Ausdrücke und Personalpronomina). Da Indexikalität im gegenwärtigen Kontext keine besondere Rolle spielt, lasse ich solche Ausdrücke im weiteren in der Regel außen vor.
Singuläre Eigenschaftsterme
23
Charakterisierung einer Kennzeichnung als bestehend aus einem bestimmten Artikel (ohne sich dabei auf die Wörter einer gegebenen Sprache zu beziehen, die in ihr als Artikel fungieren) kombiniert mit einem generellen Term nicht aus, um sinnvoll alle Sprachen abzudekken, da nicht jede Sprache über bestimmte Artikel verfügt. Es scheint abwegig, dem Lateinischen das Vorkommen von Kennzeichnungen abzusprechen. Doch diese enthalten keinen Artikel; ein Beispiel wäre etwa „pater Caesaris". Doch beschränken wir uns hier einmal auf das Deutsche, denn auch bei einem so begrenzten Interesse kann man die Güte der bisherigen Beschreibung von Kennzeichnungen als generelle Charakterisierung bezweifeln. Wird die obige Verständigung als strenge Definition genommen, und zählen also nur syntaktische Kriterien für die Klassifizierung eines Ausdrucks als Kennzeichnung, so wird eine semantische Theorie für Kennzeichnungen, wie Russells Theorie der Kennzeichnungen, sicherlich nicht alle Verwendungen von Kennzeichnungen abdecken können: Ein und derselbe Ausdruck, verstanden als morphologisch individuierte Buchstabenfolge, kann verschiedene Verwendungen aufweisen und dabei in der einen als singulärer Term, in der anderen hingegen nicht als ein solcher fungieren. So weist beispielsweise der Ausdruck „das Mädchen mit der Narrenkappe" die Form (FK) auf, und wird in (1)
Chrille sieht das Mädchen mit der Narrenkappe.
als singulärer Term verwendet. Doch dieselbe Zeichenfolge kommt in (2)
Chrille belustigt das Mädchen mit der Narrenkappe, indem er sie sich über die Ohren zieht.
vor. In diesem Satz bildet die Wortfolge allerdings keine semantische Einheit; vielmehr macht „das Mädchen" das grammatische Objekt von (2) aus, während die verbleibende Phrase, „mit der Narrenkappe, indem er sie sich über die Ohren zieht" als adverbiales Präpositionalgefuge fungiert. Außerdem scheint man Ausdrücke der Form (FK) manchmal zu verwenden, um generelle Aussagen zu treffen, wie beispielsweise in (3)
Das Herz pumpt Blut durch die Arterien,
oder auch in
24
Kapitel 1: Attribute
(4)
Die Frau, die ihn einmal heiratet, sollte gute Nerven haben. 25
Zwar bilden die in (3) und (4) verwendeten Ausdrücke der Form (FK) durchaus eine semantische Einheit, doch gehorcht ihr Gebrauch zum Zwecke genereller Aussagen anderen semantischen Regeln als denjenigen, denen die Standardbeispiele von Kennzeichnungen unterliegen (Satz (3) impliziert sicherlich nicht, daß es genau ein Herz gibt). Somit wird der Skopus einer semantischen Kennzeichnungstheorie bei einer rein syntaktischen, und damit sehr weiten Definition einer Kennzeichnung auf eine Unterklasse von Kennzeichnungen bzw. deren Verwendungen eingeschränkt. In beiden angesprochenen Fällen werden Terme der Form (FK) nicht als singuläre Terme verwendet. Man könnte nun dazu übergehen, einen Ausdruck nur relativ zu einer gegebenen Verwendung als Kennzeichnung zu bezeichnen, und dabei verlangen, daß er in ihr als singulärer Term verwandt wird. Damit allerdings gibt man bereits eine rein syntaktische Charakterisierung von Kennzeichnungen auf, da der Begriff eines singulären Terms sicherlich selber bereits unter Rekurs auf semantische Begriffe zu klären ist.26 Es bliebe dann noch immer die Frage bestehen, ob Kennzeichnungen eine rein syntaktisch charakterisierte i/«terklasse von singulären Termen (bzw. genauer: eine rein syntaktisch charakterisierte Unterklasse von Ausdrücken in Verwendungen als singuläre Terme) bilden oder nicht. 25
Das erste der beiden Beispiele ist von Moore (1944: 214f.) übernommen, das zweite von Vendler (1967: 53) entlehnt. Die Beispiele unterscheiden sich auf interessante Weise; im ersten Fall kann man, anscheinend ohne Sinnverlust, das Subjekt in den Plural setzen (und des Artikels berauben): (3*)
Herzen pumpen Blut durch die Arterien.
Im zweiten Fall klänge das Resultat mindestens unnatürlich: (4*)
26
Frauen, die ihn heiraten, sollten gute Nerven haben.
Doch vor allem scheint (4) tatsächlich eine strikt generelle Aussage zu sein, während (3) eine normative Komponente enthält (es ist die natürliche Funktion eines typischen Herzens, Blut zu pumpen; doch das ist verträglich mit der Existenz dysfunktionaler Herzen). Siehe beispielsweise die Definitionsversuche von Haie (1987: 16-21) und Künne (1983: 26f.), in denen einerseits der Folgerungsbegriff (Haie) und andererseits der Begriff des mit einer Äußerung Gesagten sowie der Wahrheitsbegriff { Künne) eine zentrale Rolle spielen, und vgl. Stirton (2000).
Singulare
Eigenschaftsterme
25
Nun haben einige Ausdrücke der vorgestellten Form (FK) eine etablierte Verwendung als singulare Terme, in der sie die semantischen Eigenschaften von Eigennamen aufzuweisen scheinen.27 Beispielsweise werden „das Heilige Römische Reich" und „das Schwarze Phantom" derartig verwendet und in Hinsicht auf diese Verwendung häufig als erstarrte Kennzeichnung bezeichnet. Das Erstarren als ein sprachgeschichtlicher Prozeß ist im übrigen für die Möglichkeit einer Verwendung eines Ausdrucks, der die Form einer Kennzeichnung hat, als ein Eigenname nicht essentiell. Tatsächlich bilden Ausdrücke mit einer solchen Geschichte sogar die Ausnahme unter den Termen, die zwar die Form einer Kennzeichnung haben, aber als Eigennamen verwendet werden. Denn man kann in einer expliziten Namens- oder Titelvergabe einen Term der fraglichen Form als Eigennamen einführen, und tatsächlich gehört dies Verfahren zu unserem vertrauten Alltag: Der Sturz der rebellischen Engel beispielsweise ist kein Sturz, sondern ein Gemälde von Bruegel, Der Mann ohne Eigenschaften ist weder ein Mann noch eigenschaftslos, sondern ein Roman, und The Verve haben allenfalls Elan, sind aber keiner, sondern eine Popband.28 Titel für' Kunstwerke, Geschichten, Gruppierungen etc. bilden die wohl größte Gruppe von Namen, welche häufig in Form von Kennzeichnungen daherkommen.29 27
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Ich sympathisiere mit der Auffassung, daß Eigennamen nicht synonym mit (irgendwelchen) Kennzeichnungen sind. Aber es sei angemerkt, daß auch einige Kennzeichnungstheorien von Eigennamen für meinen Punkt hinreichen würden. Angenommen, ein Eigenname „a" wäre in einer gegebenen Verwendung synonym mit der Kennzeichnung „der kontextrelevante Träger des Namens ,a"\ Dann gäbe es noch immer relevante semantische Unterschiede zwischen der Standardverwendung des Ausdrucks „das φ" als Kennzeichnung und der Verwendung desselben Ausdrucks als Eigenname (bei der er synonym wäre mit „der kontextrelevante Träger des Namens ,das φ'" - und so verwendet könnte er durchaus auf etwas zutreffen, das kein φ ist). Sicherlich steht die Bedeutung der für einen Titel gewählten Worte in der Regel in einem Zusammenhang zum Betitelten (Der Sturz der rebellischen Engel beispielsweise stellt einen solchen Sturz da). Aber letztlich obliegt es eben dem Titelverleiher, ob und was für eine Verbindung die Worte zum Betitelten haben - manchmal mag es sogar Gründe geben, einen Titel ohne jeden Bezug zum Träger zu wählen. Man beachte allerdings, daß die Verwendbarkeit als Titel natürlich mitnichten Ausdrücken vorbehalten ist, welche die Form von Kennzeichnun-
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Kapitel 1: Attribute
Andererseits gibt es Ausdrücke, die zwar nicht von der Form (FK) sind, die aber die Semantik von Standardbeispielen für Kennzeichnungen teilen und sogar synonym mit Ausdrücken dieser Form (in der Standardverwendung als Kennzeichnung) zu sein scheinen. Von besonderer Wichtigkeit sind dabei Genitivkonstruktionen wie „Katherines Lächeln" oder „Truffauts letzter Film"; diese haben nicht die angegebene Form (FK), doch scheinen sie gleichbedeutend mit Ausdrücken dieser Form, in unseren Beispielen mit „das Lächeln von Katherine" bzw. „der letzte Film von Truffaut". Es gibt neben Genitivwendungen weitere Beispiele; wenn der Postbeamte dem Schlange stehenden Pulk zuraunt: „Nächster bitte!", so scheint das „nächster" im Sinne der Kennzeichnungstheorie und als synonym mit „der nächste" zu verstehen zu sein. Angesichts solcher Überlegungen könnte man geneigt sein, und tatsächlich bin ich es, auch innerhalb der Klasse der singulären Terme den Titel einer Kennzeichnung nicht allein auf der Basis syntaktischer Kriterien zu vergeben.30 Die Alternative besteht darin, das Aufweisen der Form (FK) nicht mehr als hinreichend für die Einordnung eines Ausdrucks (in einer Verwendung als singulärer Term) als Kennzeichnung zu nehmen, sondern nur noch als einen Anhaltspunkt. Ausschlaggebend werden dann semantische Überlegungen. Ausdrücke, die zwar die Form (FK) aufweisen, aber in ihren semantischen Eigenschaften von Standardbeispielen für Kennzeichnungen abweichen, heißen dann nicht Kennzeichnungen, während es solche einer anderen Form, die aber dieselben semantischen Merkmale aufweisen und durch einfache grammatische Umformungen in Ausdrücke der Form (FK) überführbar sind, durchaus tun. Die Frage ist hauptsächlich terminologischer Natur, weswegen ich sie hier einfach durch ein schnel-
30
gen haben. Man kann Ausdrücke verschiedenster Kategorien dafür gebrauchen und seine Werke etwa Ein Frühling, Gehen, Vor dem Ruhestand oder Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen nennen. Angesichts der zweiten Überlegung, daß nämlich einige Ausdrücke, obgleich sie nicht von der Form (FK) sind, dennoch sinnvoll als Kennzeichnungen einzuordnen sind, könnte man freilich auch, festhaltend an einer rein syntaktischen Charakterisierung, die Form der betreffenden Ausdrücke feststellen und Kennzeichnungen dann als diejenigen Ausdrücke definieren, die letztere Form oder die Form (FK) instantiieren (vgl. hierfür Neale 1990: 35).
Singulare Eigenschaftsterme
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les Dekret löse. Ich übernehme die letztgenannte Terminologie, und verstehe unter einer Kennzeichnung also nicht alle, und nicht nur Ausdrücke der Form (FK). 31 Zudem werde ich im folgenden Russells Theorie der Kennzeichnungen als eine zumindest vielversprechende Semantik für Kennzeichnungen heranziehen, auch wenn es diverse kontrovers geführte Diskussionen über Russells Theorie gibt. 32 Dies scheint mir im gegenwärtigen Kontext, gleichviel, wie man letztlich zu ihr steht, aufgrund ihrer nicht zu leugnenden Vorzüge legitim (Kennzeichnungen sind j a nicht das eigentliche Thema dieser Arbeit). Zudem werde ich Russells Theorie nicht als eine Theorie des Sinns von Aussagen, die Kennzeichnungen enthalten, voraussetzen, sondern die schwächere und weniger kontroverse Annahme machen, daß seine Theorie zumindest für eine große Anzahl von Sätzen, die Kennzeichnungen enthalten, deren Wahrheitsbedingungen korrekt wiedergibt. Da ich nun also mit dem Terminus „Kennzeichnung" Ausdrücke mit bestimmten semantischen Eigenschaften klassifiziere, ist die Frage, ob Eigenschaftsterme wie „die Eigenschaft, durchtrieben zu sein" als Kennzeichnungen zu klassifizieren sind, kein absoluter Selbstgänger (was sie bei einer rein syntaktischen Definition von „Kennzeichnung" über die Form (FK) durchaus wäre). Aber da der Umstand, daß bestimmte Ausdrücke die Form (FK) aufweisen, noch immer ein guter Anhaltspunkt dafür ist, daß es sich bei ihnen um Kennzeichnungen handeln könnte, scheint diese Klassifizierung von Eigenschaftstermen der fraglichen Sorte allemal naheliegend. 31
32
Daher gelten mir also erstarrte Kennzeichnungen, obgleich ich diesen Titel beibehalte, nicht mehr als Kennzeichnungen. Der Zusatz „erstarrt" fungiert dabei in meinem Munde als ein modifizierender Ausdruck; während ein vor Schreck erstarrter Mensch gewiß noch ein Mensch ist, ist das Erstarren einer Kennzeichnung ein wesentlicher Wandel, der einen Wechsel der semantischen Kategorie des gegebenen Ausdrucks beinhaltet. Beispielsweise wird die Bedeutung von Donnellans Beobachtung, daß Kennzeichnungen nur manchmal attributiv, manchmal aber auch referentiell gebraucht werden, noch immer kontrovers behandelt. Zwar tendiere ich mit Neale (1990: vor allem 63-67 und 83-93) dazu, dieser Beobachtung semantische Relevanz abzusprechen und sie dem Gebiet der Pragmatik zuzuordnen, aber daran soll hier nichts hängen; wer besagtes Phänomen der Semantik zuschlägt, der beziehe, was ich im weiteren schreibe, stets auf attributiv verwendete Kennzeichnungen.
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Kapitel 1: Attribute d. Ausdrücke der Form „ die Eigenschaft,
F zu sein "
Doch ist ein wenig Vorsicht geboten. Falls es sich bei diesen Ausdrücken um Kennzeichnungen handeln sollte, so um durchaus besondere. Betrachten wir dazu einen repräsentativen Vertreter von Tennen der Klasse II: den Term „die Eigenschaft, durchtrieben zu sein". Dieser Ausdruck ist, falls er eine Kennzeichnung ist, eine Kennzeichnung einer besonderen Art, da er ein starrer Bezeichner („rigid designator") ist: er bezeichnet hinsichtlich jeder möglichen Welt denselben Gegenstand. 33 Und selbiges gilt für jeden Term der Klasse II, der überhaupt eine Eigenschaft bezeichnet - er bezeichnet sie in Hinblick auf jede mögliche Welt, die für eine Auswertung zugrunde gelegt wird. 34 Nun sind starre Kennzeichnungen zwar nicht die Regel, aber sie kommen eben durchaus vor. „Die gerade Primzahl" ist ein unkontroverses Beispiel. Doch der Ausdruck „die Eigenschaft, durchtrieben zu sein" weist neben seiner Starrheit noch weitere Besonderheiten auf. 33
34
Den Begriff eines starren Bezeichners hat Kripke (1980: 48f.) geprägt. Unter „Bezeichnern" hat man einfach singulare Terme zu verstehen. Kaplan (1977: 492f., insbesondere Fn. 16) hat darauf hingewiesen, daß Kripkes Formulierungen zwei verschiedene Definitionen von „starrer Bezeichner" herzugeben scheinen: Der ersten Definition zufolge ist ein starrer Bezeichner ein Ausdruck, der einen Gegenstand α hinsichtlich jeder möglichen Welt bezeichnet, in welcher α existiert, und der ansonsten keinen Gegenstand bezeichnet. Der zweiten Definition zufolge ist ein starrer Bezeichner schlicht ein Ausdruck, der einen Gegenstand α hinsichtlich jeder möglichen Welt bezeichnet. In seinem späteren Aufsatz „Afterthoughts" (1989: 569f.) berichtet Kaplan, Kripke habe ihm brieflich mitgeteilt, stets nur die folgende, dritte Definition intendiert zu haben: Ein starrer Bezeichner ist ein Ausdruck, der einen Gegenstand α hinsichtlich jeder möglichen Welt bezeichnet, in welcher α existiert, und der in keiner möglichen Welt etwas anderes als α bezeichnet. (Diese Definition läßt sowohl zu, daß ein starrer Bezeichner fur α hinsichtlich einer Welt, in welcher α nicht existiert, α bezeichnet, als auch, daß er hinsichtlich einer solchen Welt nichts bezeichnet; genau diese Neutralität, so Kripke, war für ihn entscheidend.) Ich weiche also von Kripkes Intentionen ab, wenn ich hier die zweite und einfachste Definition zugrundelege; aber es hängt nichts an dieser Entscheidung. Es gibt einige Terme der Klasse II, deren Starrheit in Frage gestellt wurde, wie etwa „die Eigenschaft, die Farbe reifer Tomaten zu haben". Zu Unrecht, wie Туе (1981: 24) und Schnieder („Property Designators, Predicates, and Rigidity") ausführen.
Singuläre
Eigenschaftsterme
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Eine Kennzeichnung der Form „der/die/das φ" bezieht sich, so die russellsche Analyse, genau dann auf einen Gegenstand, wenn er das einzige φ ist (und also kein weiterer Gegenstand ein φ ist):35 (Russells Analyse von Kennzeichnungen) „der/die/das φ" denotiert χ 6" drücken klarerweise verschiedene Propositionen aus, ungeachtet der Tatsache, daß sie nicht bloß dieselbe Extension, Intension und denselben kognitiven Wert haben, sondern obendrein in einem simplen Transformationszusammenhang stehen. Der Grund dafür, daß wir die Sätze als klarerweise nicht synonym erkennen, ist wiederum derselbe: In die von ihnen ausgedrückten Propositionen gehen verschiedene Begriffe ein.
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Dieser Begriff der kognitiven Gleichwertigkeit ist von Freges Begriff der Äquipollenz inspiriert; siehe Frege 1906: 213 und vgl. Evans 1982: 18f. sowie Künne 1983: 256. Auch wenn diese Beobachtungen auf die meisten Trios von Instanzen der Schemata zutreffen, so doch nicht auf alle; den Grund liefert Russells Antinomie, auf die ich in Abschnitt c., Argument (i) zu sprechen komme.
Eigenschaftszuschreibung und einfache Prädikation
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Das alles soll freilich keinerlei Einwand dagegen sein, daß Eigenschaftszuschreibungen und die entsprechenden einfachen Prädikationen synonym zu sein scheinen. Es soll lediglich zeigen, daß das Vorliegen der vier genannten Beziehungen zwischen Sätzen kein hinreichendes Kriterium für Synonymie ist - es ist aber auch eine offene und vieldiskutierte Frage, ob ein solches überhaupt zu haben ist. Insofern mag die Synonymiethese zwar äußerst plausibel sein, aber ein regelrechtes Argument für sie ist durch die bisherigen Beobachtungen noch nicht gegeben. c. Drei Argumente gegen die Synonymiethese Ich werde im folgenden drei Argumente entwickeln, die sich gegen die Synonymie von einfachen Prädikationen und entsprechenden Eigenschaftszuschreibungen richten, und die dadurch (VPE-2) stützen. In den Argumenten werde ich mich weitgehend auf Eigenschaftszuschreibungen der Form (FE-I) konzentrieren; mein Standardbeispiel ist dabei der Satz (EZ - Explizite Eigenschaftszuschreibung) Sokrates hat Weisheit. Meine Ausführungen lassen sich direkt und einfach auf Sätze der Form (FE-II) übertragen. Der Grund dafür, daß ich mein Augenmerk hauptsächlich auf die Satzform (FE-I) richte, ist allerdings nicht vollkommen arbiträr. Denn es gibt eine Möglichkeit, gegen die Synonymie von Sätzen der Form (FE-II) und (FP) zu argumentieren, die einem im Falle der Satzform (FE-I) nicht offensteht. Insofern wähle ich also bewußt den stärkeren Gegner für meine Argumente. Wodurch sind Instanzen von (FE-II) schlechter gestellt als Instanzen von (FE-I)? Instanzen des Schemas (FE-II) drücken Propositionen aus, die begrifflich reichhaltiger zu sein scheinen als die Propositionen, die durch entsprechende Instanzen von (FP) und von (FE-I) ausgedrückt werden. Zur Verdeutlichung betrachte man ein Beispiel: (1)
Sokrates ist weise.
(1 *)
Sokrates hat die Eigenschaft, weise zu sein.
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Kapitel 1: Attribute
In die von (1*) ausgedrückte Proposition geht der Sinn des generellen Terms „Eigenschaft" ein, der kategoriale Begriff [Eigenschaft]; doch scheint dieser kein Bestandteil der von (1) ausgedrückten Proposition zu sein. Dieses Bedenken veranlaßt beispielsweise Bolzano, der ja die Synonymie von Sätzen der Form (FP) und (FE-I) vertritt, zur Zurückhaltung gegenüber derselben These bei Sätzen der Form (FE-II). Wie erwähnt hält er dafür, daß jede Proposition drei logische Bestandteile aufweist: einen Subjektbegriff, der mittels des Kopulabegriffs [hat] mit einem Eigenschaftsbegriff verbunden ist. Man könnte daher versucht sein, so Bolzano, die allgemeine Form aller Propositionen durch den Ausdruck „A - hat - die Beschaffenheit b" darzustellen. Doch Bolzano widersteht diesem Versuch: Ich aber habe das Wort Beschaffenheit entweder weggelassen, oder es nur in eine Klammer beigesetzt, eben um zu erkennen zu geben, daß ich es nicht für einen wesentlichen Bestandteil aller Sätze erachte. Daß nämlich dieser Begriff auch hinzugefügt werden könne, ohne die Wahrheit des Satzes (falls er wahr ist) zu stören, gebe ich zu; daß er aber notwendig sey, und in allen Sätzen liege, glaube ich keineswegs. (Bolzano WL II: §136, S.51)
Wenn der Satz (EZ)
Sokrates hat Weisheit,
wahr ist, so allemal auch sein (anscheinend) begrifflich angereichertes Pendant (EZ*) Sokrates hat die Eigenschaft der Weisheit. Doch geht in die von (EZ*) ausgedrückte Proposition der kategoriale Begriff [Eigenschaft] ein, und es ist zumindest zweifelhaft, ob dies bei (EZ) auch der Fall ist. Man vergleiche die analogen Aussagen: (1)
7 ist prim,
und (2)
Die natürliche Zahl 7 ist prim.
Man kann eine wahre Aussage, deren grammatisches Subjekt der Zahlausdruck „7" ist, nicht der Wahrheit berauben, indem man das Subjekt um den appositiven Zusatz „die natürliche Zahl" anreichert.
Eigenschaftszuschreibung und einfache Prädikation
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Doch man kann mit guten und inzwischen hinlänglich bekannten Gründen verneinen, daß (1) und (2) dieselbe Proposition ausdrücken. Wegen des obigen Arguments, das nur die Synonymie von Sätzen der Form (FP) und solchen der Form (FE-II) in Frage stellt, werde ich mich also im weiteren nur mit Sätzen der Form (FE-I) befassen, die zumindest in Hinblick auf dieses Argument eindeutig besser gestellt sind. (Das Schema (FE-I) hat allerdings auch ein kleines Manko gegenüber dem Schema (FE-II): Einsetzungen von (FE-I) sind manchmal nicht ohne vorangehende Akte der Spracherweiterung zu haben, da eben Eigenschaftsterme der Klasse I nicht so zahlreich sind, wie es erforderlich wäre. Doch das soll uns hier nicht weiter kümmern.) Sind also die einfache Prädikation (EP)
Sokrates ist weise,
und die Eigenschaftszuschreibung (EZ)
Sokrates hat Weisheit.
im strengsten Sinne synonym? Sind sie sogar nichts als bloße stilistische Varianten voneinander? Ich präsentiere im weiteren mehrere Überlegungen gegen diese Annahme; den Auftakt machen zwei Argumente, die Zweifel an der Synonymiethese (TSV) mobilisieren sollen - ohne daß die Argumente dabei als echte Widerlegung derselben daherkommen; sie lassen ihrem Vertreter sicherlich Spielraum zur Reaktion. Insbesondere das erste Argument nutzt zudem, das sei vorweg geschickt, Beobachtungen, deren Konsequenzen umstritten sind. Aber in jedem Fall formulieren beide Argumente ernst zu nehmende Gründe gegen (TSV) und sollten ihren Proponenten so den Vorteil der prima facie Plausibilität ihrer Position nehmen - was sie in Hinblick auf deren Verteidigung in Zugzwang bringt. Die wichtigste Überlegung folgt zuletzt; sie richtet den Fokus auf die begriffliche Leistung, die der Erwerb des Sprachfragments, in welchem man explizit über Eigenschaften redet, bedeutet. Dort liegt der Kern meiner Zweifel an (TSV); der Erwerb des Sprachfragments geht mit dem Erwerb neuer Begriffe einher, welche in die von Eigenschaftszuschreibungen ausgedrückten Propositionen eingehen. Aber beginnen will ich, wie erwähnt, mit einem anderen Argument.
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Kapitel 1: Attribute
Argument (i): Eine mögliche Lehre der russellschen Antinomie Die bereits angesprochene Antinomie der Eigenschaft, sich nicht selber zu exemplifizieren, läßt sich nicht nur mit komplexen Eigenschaftstermen der Form „die Eigenschaft, F zu sein" formulieren. Definieren wir das Prädikat „ist russellig" folgendermaßen: (Df. R)
χ ist russellig 3y.y={z: ζ c i } ) . Und schließlich ist festzuhalten, daß auch nicht jede sinnvolle Aussage über Mengen als Aussage formulierbar ist, in welcher ein Gegenstand als Element einer Menge klassifiziert wird. Denn das Prädikat „хйх", welches nicht nur einen klaren Sinn hat, sondern vor allem wahre Anwendungsfälle aufweist, kann aus der bekannten Gefahr der Mengenantinomie heraus keine Menge spezifizieren. Zwar gilt beispielsweise: (R)
0 й 0,
aber nicht (R*)
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0 e { i m } .
Mit der „mengenfreien" Alltagssprache meine ich das Deutsche ohne eine Erweiterung um Aussagen der Mengenlehre. Diese These kann in der axiomatischen Mengenlehre auch als das Potenzmengenaxiom auftreten. Doch wird dieses häufig etwas weicher formuliert, so daß es für jede Menge m die Existenz einer Menge postuliert, unter deren Elementen sich alle Teilmengen von m befinden. Eine solche Menge kann freilich neben den Teilmengen von m noch andere Elemente haben. Zusammen mit dem Aussonderungsaxiom ergibt das so formulierte Potenzmengenaxiom dann den obigen Lehrsatz.
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Kapitel 1: Attribute
Denn letztere Aussage enthält einen leeren Mengenterm, da es die Menge aller Gegenstände, die nicht Element von sich selber sind, nicht geben kann. Nun beachte man das Folgende: Die Antinomie droht, wenn man den in (R*) enthaltenen Ausdruck „е{х: x i x } " im Sinne der (gewöhnlichen) Mengenlehre interpretiert. Denn dann handelt es sich bei dem Teilausdruck „{*: xix}" um einen singulären Term, der aber nachweisbarerweise keine Referenz haben kann. Deshalb kann (R*), verstanden im Sinne der Mengenlehre, nicht wahr sein. Wenn man aber den Ausdruck „e{x: x£x}" im Sinne der virtuellen Mengenlehre, also anhand von (Df. KM) verstehen wollte, so würde keine Antinomie drohen, und (R*) würde eine schlichte Wahrheit ausdrücken. Denn so gelesen bedeutet (R*) dasselbe wie (R**) 0 ist kein Element von sich selbst. Freilich ist (R*) im Sinne der virtuellen Mengenlehre kein wohlgeformter Ausdruck, da das Vorkommen eines Mengenausdrucks links vom Zeichen der Elementbeziehung nicht definiert ist. Die Lesart, in welcher (R*) synonym ist mit (R**) ist also eine hybride Lesart, die nur Sinn macht innerhalb einer Sprache, welche die gewöhnliche Mengenlehre beinhaltet, wobei wir allerdings für die Interpretation eines Teilausdrucks auf die Sprache der virtuellen Mengenlehre zurückgreifen. Eine solche Sprache kann es problemlos geben; sie entsteht, indem man beispielsweise das Deutsche zugleich um die virtuelle Mengenlehre und auch um die echte erweitert. Wichtig ist zu beachten, daß in der entstandenen Sprache gewisse Ausdrücke, die Mengensymbole enthalten, systematisch mehrdeutig sind. Nämlich alle solche Ausdrücke, die innerhalb der virtuellen Mengenlehre wohldefiniert sind; diese Ausdrücke haben sowohl eine Lesart, in welcher sie synonym sind mit einfachen Prädikationen (die Lesart der virtuellen Mengenlehre), als auch eine Lesart, in welcher sie dies nicht sind (die Lesart der echten Mengenlehre).
Eine
Analogie
Was ich vorschlagen möchte, ist ein bestimmtes Verständnis desjenigen Sprachfragments, in welchem explizit von Eigenschaften die Rede ist (der Kürze halber spreche ich von diesem Sprachfragment im wei-
Eigenschaftszuschreibung und einfache Prädikation
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teren als Eigenschaftsdiskurs), ein Verständnis, das sich an die zwei beschriebenen Lesarten von Mengenaussagen anlehnt. Auf einen kurzen Nenner gebracht, möchte ich vorschlagen, in bezug auf den Eigenschaftsdiskurs eine parallele Unterscheidung zu der zwischen virtueller und echter Mengenlehre anzuerkennen (also eine Unterscheidung zwischen virtuellem und echtem Eigenschaftsdiskurs). Darüber hinaus möchte ich die theoretische Fruchtbarkeit der Idee verdeutlichen, natürliche Sprachen als hybride Sprachformen im Sinne der oben beschriebenen imaginären Sprache zu betrachten, in die zugleich die virtuelle und die echte Mengenlehre integriert sind. Nur daß hier eben zugleich der virtuelle wie der echte Eigenschaftsdiskurs integriert sind. Mein Vorschlag bedarf sowohl klärender Ausführungen wie auch argumentativer Stützung. Zunächst also zur Klärung der Analogie und zur Idee des virtuellen Eigenschaftsdiskurses: Eines ist gewiß; jemand, der den Eigenschaftsdiskurs noch nicht beherrscht, könnte Eigenschaftszuschreibungen als bloße stilistische Varianten von einfachen Prädikationen erlernen. Er kann beispielsweise lernen, daß - ohne jegliche Änderung des Sinns - der Übergang von Johanna ist mutig, zu Johanna hat Mut, gestattet ist. Er kann (implizit oder explizit) ein Definitionsschema erlernen, das analog zu (Df. KM) kontextuelle Definitionen von Eigenschaftstermen als Bestandteilen von Prädikaten abgibt: (Df. KE - Kontextuelle Definition einer Eigenschaft) x hat.F:heit Df χ ist F. Wer Eigenschaftsterme so verwendet und erlernt, der erwirbt ein Sprachfragment, das ich in Analogie zu der virtuellen Mengenlehre als virtuellen Eigenschaftsdiskurs bezeichne. Ebenso, wie in der virtuellen Mengenlehre nicht wirklich von Mengen die Rede ist, da in ihr die Mengenterme nicht als singulare Terme verwendet werden, haben wir
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Kapitel 1: Attribute
keinen Grund, einem Sprecher, der Eigenschaftszuschreibungen nur und strikt anhand von (Df. KE) verwendet, zu attestieren, er verwende die Eigenschaftsterme als singuläre Terme und spreche tatsächlich von Eigenschaften. Wir haben mindestens dann keinen Grund, wenn wir nicht meinen, er müsse bereits in den einfachen Prädikationen von Eigenschaften sprechen. Zudem signifiziert der relationale Ausdruck „hat" (oder auch „besitzt"), wenn er als Bestandteil von Ausdrücken auftaucht, die anhand von (Df. KE) verstanden werden, keine Relation (ebensowenig, wie das Elementzeichen in der virtuellen Mengenlehre eine Relation signifiziert). Nun umfaßt der Eigenschaftsdiskurs aber mehr Sprachformen als nur die expliziten Eigenschaftszuschreibungen, die durch (Df. KE) eingeführt werden. Der vollständige Eigenschaftsdiskurs, der in der natürlichen Sprache etabliert ist, erlaubt wie erwähnt Identitätsaussagen über Eigenschaften, höherstufige Prädikationen und die Qualifikation in die Position von Eigenschaftstermen hinein. In Bezug auf Eigenschaften nominalistisch ausgerichtete Philosophen würden gewiß versuchen, diese Redeweisen weg zu analysieren. Ich will an dieser Stelle nicht über die Erfolgsaussichten solcher Paraphrasen streiten. Man erinnere sich, ich operiere unter einer realistischen Grundannahme, d. h. unter der Voraussetzung, daß anscheinende Referenz auf und Qualifikation über Eigenschaften in der Regel das ist, was sie zu sein scheint, eben Referenz und Qualifikation. Angenommen also, man könne keine befriedigenden Paraphrasen für diese Redeweisen finden, und wir nehmen diese Wendungen daher für bare Münze. Dann, so das Bild, welches ich vermitteln möchte, erlauben wir uns echten Eigenschaftsdiskurs, nicht bloß virtuellen. Die Rede von Eigenschaften ist dann nicht mehr bloß eine Variante einfacher Prädikation. Ebenso, wie gewisse Sätze sowohl in der virtuellen Mengenlehre als auch in der echten vorkommen, aber in ihnen verschieden zu interpretieren sind, gibt es eine Überschneidung derjenigen Sätze, die innerhalb des virtuellen Eigenschaftsdiskurses formulierbar sind, und derjenigen Sätze, die im echten Eigenschaftsdiskurs formulierbar sind. Insbesondere sind dies die expliziten Eigenschaftszuschreibungen; und genau wie im Falle der Mengenaussagen sind diese Sätze allerdings in beiden Eigenschaftsdiskursen unterschiedlich zu interpretieren.
Eigenschaftszuschreibung und einfache Prädikation
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Der Vergleich geht noch weiter. Tatsächlich halte ich es für attraktiv, den oben beschriebenen Lernvorgang des virtuellen Eigenschaftsdiskurses als eine de facto wichtige Stufe des Erlernens des echten Eigenschaftsdiskurses aufzufassen. Wer noch über keine Eigenschaftsausdrücke verfügt, erlernt solche möglicherweise kontextuell, im Sinne von (Df. KE), als Bestandteile von Ausdrücken, die lediglich synonyme Formulierungen von Aussagen sind, die er bereits zu machen vermag. Doch damit ist sein Lernprozeß noch nicht beendet; in der nächsten Stufe beginnt er, die kontextuell erlernten Eigenschaftsterme als singulare Terme zu verwenden, sie also aus den erlernten Satzformen zu isolieren und als Subjekte speziell auf Eigenschaften zugemünzter Prädikate zu verwenden, sowie gegenständliche, nominale Qualifikation in ihre Position durchzuführen. Mit dem Erlernen dieser Sprachformen geschieht der Übergang vom virtuellen Eigenschaftsdiskurs zum echten. Denn die jetzt erlernten Sprachformen sind genuin neu und erlauben keine Rückübersetzung in eigenschaftsfreien Diskurs. Das bedeutet, daß bei diesem Übergang eine neue Bedeutung für die Eigenschaftsterme erlernt wird; man erwirbt erst hier tatsächlich Eigenschaftsbegriffe und verwendet die Eigenschaftsterme als Ausdrücke dieser Begriffe. Auch wird ein echt relationaler Gebrauch der Bindewörter „hat" oder „besitzt" erlernt, in welchem sie die Beziehung der Exemplifikation signifizieren. Nun zur Erklärungsleistung dieses Bildes. Bisher habe ich zu der festen Intuition von Strawson und Quine, der Intuition also, daß es sich bei Eigenschaftszuschreibungen bloß um stilistische Varianten einfacher Prädikation handelt, nur Ablehnendes gesagt. Das jetzt entworfene Bild erlaubt es, weit mehr zu ihr zu sagen. Ich kann dieser Intuition nun einen echten Platz in meinem Vorschlag zum Verständnis des Eigenschaftsdiskurses zuweisen. Sie ist begründet in der Relevanz des virtuellen Eigenschaftsdiskurses für unseren Spracherwerb des echten Eigenschaftsdiskurses. Und sie ist darüber hinaus - schlicht wahr. Sie steht allerdings nicht in dem Gegensatz zu meiner These, in dem sie zu stehen scheint. Denn dem von mir vorgestellten Bild zufolge gibt es eben zwei korrekte Lesarten von Eigenschaftszuschreibungen, genau wie es in der imaginären hybriden Mengensprache zwei Lesarten von einfachen Mengenaussagen gibt. In der einen Lesart handeln die Eigenschaftszuschreibungen tatsächlich von Eigenschaften, in der anderen sind sie
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Kapitel 1: Attribute
synonym mit Aussagen, in welchen von Eigenschaften keine Rede ist. Und ich kann, dies sei nur nebenbei angedeutet, Strawson und Quine auch in ihrer These in bezug auf die Verpflichtungen von Eigenschaftszuschreibungen entgegenkommen. Alleine aufgrund des Gebrauchs von Eigenschaftszuschreibungen verpflichtet man sich nicht zur Annahme von Eigenschaften, weil der Gebrauch bloß solcher Aussagen eben problemlos als virtueller Eigenschaftsdiskurs interpretierbar ist. Die Verpflichtungen entstehen durch die weiteren Aussagen, die man mit Eigenschaftstermen zu bilden bereit ist, in welchen sich der Gebrauch dieser Terme als singulare Terme manifestiert. Hier nun stimme ich mit Quine überein, wie man beispielhaft an dem folgenden Zitat ersieht: If the parsing of certain words as abstract terms, general or singular, were to depend simply on parsing their combinations as predications in certain ways, and vice versa, then decisions on either point would be pretty empty. [...] Predication is but part of a pattern of interlocking uses wherein the status of a word as general or singular term consists. (Quine 1960: 119)
Daß Eigenschaftsterme tatsächlich als singulare Terme verwendet werden, konstituiert sich aus ihrem vielseitigen Gebrauch in Hinblick auf ihre Rolle in der Prädikation, auf die Möglichkeit der Qualifikation und ihrer Verwendbarkeit als logische Subjekte zusammen mit speziellen für sie gemachten Prädikaten (dies sind die in nach dem dritten Argument gegen die Synonymiethese aufgelisteten drei Verwendungsfelder). Die Verwendung von Eigenschaftstermen zum Zwecke der Prädikation alleine etabliert noch nicht ihre Verwendung als singulare Terme. Dennoch aber gilt, daß jemand, der den nötigen weiteren Schritt gegangen ist, auch mit den Eigenschaftszuschreibungen von Eigenschaften spricht, genau wie jemand innerhalb der echten Mengenlehre auch mit solchen Mengenaussagen von Mengen spricht, die eine Interpretation in der virtuellen Mengenlehre aufweisen und innerhalb von ihr also keine Aussagen über Mengen sind. Als letztes sei bemerkt, daß sich das von mir angebotene Bild gut mit folgendem Umstand verträgt: Wie gesehen, kann es die Eigenschaft, sich nicht selber zuzukommen, aufgrund ihrer antinomischen Natur nicht geben. Mithin hat man Grund, die Aussage (5)
Mut hat die Eigenschaft, sich nicht selber zuzukommen,
Eigenschaftszuschreibung
und einfache Prädikation
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zu bezweifeln. Doch wer diesen Satz zunächst abgenickt hat und hernach über die Antinomie unterrichtet wird, mag durchaus in einer Position wie der folgenden Zuflucht nehmen: „Gut, ich sehe ein, daß Du recht hast mit der Gefahr der Antinomie; aber dennoch kann man mit (5) doch etwas Korrektes sagen. Denn meint man damit nicht letztlich nur, daß Mut sich nicht selber zukommt?"
Gut gesprochen, würde ich sagen. Denn tatsächlich hat Satz (5), wenn ich ein treffendes Bild des Eigenschaftsdiskurses gezeichnet habe, eine Lesart, in welcher man mit ihm etwas Richtiges sagt. Denn wenn unsere Sprache wirklich ein Hybrid aus virtueller und echter Rede von Eigenschaften ist, so kann man für die Interpretation des Prädikats von (5) auf den virtuellen Eigenschaftsdiskurs zurückgreifen und versteht dann den ganzen Satz als synonym mit der wahren Aussage: (*5)
Mut kommt sich nicht selber zu.
Die Parallele zu der oben besprochenen Mengenaussage (R*)
0 e {*:*£*}.
und ihrer hybriden Lesart braucht wahrscheinlich nicht weiter kommentiert zu werden.
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Kapitel 1: Attribute
5. Begriffsanalysen Im folgenden möchte ich Konsequenzen aus meiner bisher vertretenen Position für zwei Arten von Begriffsanalysen in der Ontologie von Eigenschaften aufzeigen. Die zwei Arten ergeben sich aus der Unterscheidung zwischen Begriffen von (bestimmten) Eigenschaften (manchmal rede ich bei diesen auch von Eigenschaftsbegriffen - der Plural ist entscheidend) einerseits und dem kategorialen Eigenschaftsbegriff andererseits. Die vielleicht verwirrend klingende Distinktion sei noch einmal erläutert: Begriffe von Eigenschaften werden von singulären Eigenschaftstermen ausgedrückt, wie beispielsweise die Begriffe [Durchtriebenheit], [Röte], [Spontaneität] etc. Der kategoriale Begriff einer Eigenschaft wird von dem generellen Term „Eigenschaft" ausgedrückt, welcher kategorial ist, weil man mit ihm die Zugehörigkeit zu einer ontologischen Kategorie zuschreibt. Eine Analyse des kategorialen Eigenschaftsbegriffs galt für viele Philosophen als wünschenswertes, aber vielleicht nicht erreichbares Element einer umfassenden Eigenschaftstheorie. Die Analysierbarkeit von Eigenschaftsbegriffen hingegen war selten Gegenstand expliziter Diskussion;140 eine Unterlassungssünde, wie ich meine. Unser Verständnis des kategorialen Eigenschaftsbegriffs ist nicht unabhängig von dem Verständnis einzelner Eigenschaftsbegriffe. Daß diese eine Analyse zulassen, fügt sich in die von mir ausgearbeitete Position, nach welcher Eigenschaftsterme semantisch komplex sind. Ich will mit diesem Punkt, also mit einer Analyse von Eigenschaftsbegriffen, beginnen.
140
In einem Sinne war sie es doch; Sokratische Fragen der Art „Was ist Frömmigkeit?" können mit Fug und Recht als Fragen nach der Analyse bestimmter Eigenschaftsbegriffe bezeichnet werden. Mir geht es hier allerdings nicht um Analysen, die sich mit dem speziellen begrifflichen Gehalt eines gegebenen Eigenschaftsterms befassen. Ich versuche zu zeigen, daß alle Eigenschaftsbegriffe zunächst dieselbe Art von Analyse zulassen (auf die Sokratischen Fragen komme ich am Ende von Abschnitt a. noch einmal zu sprechen).
Begriffsanalysen
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a. Analysen von Eigenschaftsbegriffen Über die Begriffe, die durch Eigenschaftsterme ausgedrückt werden, lassen die obigen Überlegungen zu der Semantik dieser Terme interessante Rückschlüsse zu. Das Verständnis kanonischer Eigenschaftsterme ist, wie wir gesehen haben, in systematischer Weise von dem Verständnis der generellen Terme, von denen her die Eigenschaftsterme gebildet werden, abhängig. Daß das Verständnis eines Ausdrucks W] das Verständnis eines Ausdrucks w2 (oder eines synonymen Ausdrucks) voraussetzt, ist aber das wichtigste Kriterium, das uns zur Verfügung steht, um den von w\ ausgedrückten Begriff als dem von w2 ausgedrückten Begriff vorrangig anzusehen; somit haben meines Erachtens in der Tat die Begriffe, die von generellen Termen ausgedrückt werden, eine begriffliche Priorität vor Eigenschaftsbegriffen.141 Es läßt sich noch mehr sagen, als daß das Verständnis der Eigenschaftsterme das Verständnis der zugrundeliegenden generellen Terme voraussetzt. Wer weiß, was die Eigenschaft, durchtrieben zu sein, ist, der muß wissen, daß wer immer diese Eigenschaft hat, durchtrieben ist, und umgekehrt. Er muß also nicht alleine den zugrundeliegenden generellen Term „durchtrieben" verstehen (oder einen synonymen Ausdruck; man kann auch bar aller Deutschkenntnisse wissen, was Durchtriebenheit ist), sondern er muß eine systematische Verbindung zwischen den Bedingungen erkennen, unter denen ein beliebiger Gegenstand den generellen Term erfüllt, und den Bedingungen, unter denen ein beliebiger Gegenstand zu der besagten Eigenschaft in der charakteristischen Relation des Habens oder Exemplifizierens steht. Die Relation des Habens nenne ich hierbei charakteristisch, weil ein Verständnis davon, was eine Eigenschaft ist, mit dem Verständnis davon, was es heißt, eine Eigenschaft zu haben, untrennbar verwoben ist, wie ich im vorangegangenen Abschnitt ausgeführt habe. Wer den begrifflichen Apparat der Ontologie von Eigenschaften noch nicht beherrscht, der kann ihn nicht dadurch erwerben, daß er ausschließlich Eigenschaftsbegriffe erlernt, sondern er muß zugleich ein Verständnis der Relation des Habens erlernen, in welcher Dinge zu Eigenschaften 141
Für diese Priorität argumentiert auch Wiggins (1984: 320ff.), wobei seine Ausführungen, da sie im Rahmen einer Frege-Rekonstruktion stehen, terminologische Idiosynkrasien aufweisen (insbesondere, was den Ausdruck „concept" angeht).
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Kapitel 1: Attribute
stehen können. Diese Überlegungen erlauben die Formulierung eines Schemas für mindestens partielle Analysen von Eigenschaftsbegriffen: (РАЕ - Schema für partielle Analysen von Eigenschaftsbegriffen) In die Begriffe [die Eigenschaft, F zu sein] bzw. [F-heit] geht der Begriff [F] derart ein, daß man, um über einen der Eigenschaftsbegriffe zu verfügen, folgendes wissen muß: Wer oder was auch immer die Eigenschaft hat, die unter den Begriff fällt, ist F, und umgekehrt. (Und um das zu wissen, muß man offenbar über den Begriff [F\ verfügen.) Durchtriebenheit, beispielsweise, ist eine Entität, zu der alle und nur die, die durchtrieben sind, in der Relation des Habens stehen. Und man sollte niemandem, der dies nicht weiß, attestieren, den Begriff [Durchtriebenheit] zu beherrschen. Ich habe (РАЕ) als Schema für partielle Begriffsanalysen bezeichnet. Wieso diese Zurückhaltung? Gäbe (РАЕ) tatsächlich den Stoff für vollständige Begriffsanalysen ab, so wäre die folgende Aussage eine solche Analyse: (? Df. Weisheit) χ ist (die Eigenschaft) Weisheit χ ist eine Entität, die alle und nur diejenigen Dinge haben, die weise sind. Oder, etwas formaler: (? Df. Weisheit*)
χ = Weisheit Df. (Yy) (y hat χ
у ist weise).
Doch diese Analyse schlägt aus einem einfachen Grund fehl: verschiedene Eigenschaften können kontingenterweise exakt denselben Dingen zukommen. Wenn nun beispielsweise alle und nur die weisen Menschen eine bestimmte Haarfarbe hätten, so würde aus (Df. Weisheit) folgen, daß diese Haarfarbe nichts anderes ist als Weisheit - eine absurde Folgerung. Die Begriffsanalyse eines Eigenschaftsbegriffs sollte also dem intensionalen Zug von Eigenschaften gerecht werden.142 Daher optiere ich für die folgende Analyse von [Weisheit]:
142
Zur Intensionalität siehe Abschnitt 3.c. und 3.d.
Begriffsanalysen
ИЗ
(Df. Weisheit) χ ist (die Eigenschaft) Weisheit χ ist eine Entität, die notwendigerweise alle und nur diejenigen Dinge haben, die weise sind. Oder, etwas formaler: (Df. Weisheit*) χ = Weisheit О щ • (Vy) (y hat χ Ξχ (χ ist Träger von α)).
198
Kapitel 2: Adhärenzen
Das Prinzip der Trägerspezifität verlangt dann, daß keine Adhärenz verschiedene Träger hat; dies kann man durch die folgende Formel fassen: (TS - Trägerspezifität) Für alle Adhärenzen a, b und alle Dinge x, y: (χ ist Träger von а & у ist Träger von Ь&х*у)->аФ
b.61
Weniger formal gelesen wird (TS) in etwa zu: Jede Adhärenz α eines Trägers χ ist verschieden von jeder Adhärenz eines von χ verschiedenen Trägers y. Wenn (TS) tatsächlich konstitutiv für den Begriff der Adhärenz ist, so sollte man erwarten, daß die Wahrheit dieses Prinzips keine Sache des Zufalls ist, und ein anderer Lauf der Dinge das Prinzip nicht hätte falsifizieren könne. Es sollte mit Notwendigkeit gelten, und man könnte also auch für eine stärkere Variante unter Einbezug des Notwendigkeitsoperators plädieren: (TSM-1 - Trägerspezifität modal verstärkt-1) • Für alle Adhärenzen a, b und alle Dinge x, y: (x ist Träger von α & у ist Träger von Ь8схФу)^>аФ
b.63
Während (TSM-1) die Trägerspezifität von Adhärenzen in allen möglichen Welten sichert, ist dieses Prinzip logisch damit vereinbar, daß manche Adhärenzen in verschiedenen möglichen Welten verschiedene Träger haben. Johannas Mut beispielsweise kommt nach (TS) nur Jo62
63
Vgl. beispielsweise Mertz 1996: 10 (während ich mich hier auf monadische Adhärenzen beschränke, ist seine Version für beliebige w-adische Adhärenzen formuliert) und Wolterstorff 1970: 134. Das folgende Zitat aus Baumgartens Metaphysica (§194) enthält vielleicht eine klassische Version des Prinzips: „Ergo accidentia non existere possunt, nisi in substantiis, seu, поп existunt extra suas substantias." - Akzidentien können also nicht anders existieren, als in ihren Substanzen, bzw., sie existieren nicht außerhalb ihrer Substanzen. - Ob Baumgarten damit tatsächlich auf ein Prinzip der Trägerspezifität, oder nur auf ein Äquivalent zu (PT) hinauswill, hängt davon ab, wie stark er das „suas" auffaßt, was ich hier nicht klären kann. Eine modal verstärkte Version des Prinzips der Trägerspezifität findet sich beispielsweise bei Butcharov (1979: 185 - wobei Butcharov Adhärenzen letztlich skeptisch gegenüber steht) und bei Landesman (1973: 330; er verwendet sie, um Stouts Idee von Adhärenzen zu charakterisieren).
Trägerspezifität
199
hanna zu, und nach (TSM-1) hätte diese Adhärenz auch notwendigerweise nicht mehr als einer Person zukommen können. Allerdings wäre (TSM-1) auch dann wahr, wenn Johannas Mut in einer anderen möglichen Welt, sagen wir einmal, Sokrates zugekommen wäre, aber eben nur diesem. Um diese bizarre Möglichkeit auszuschließen, kann man einen weiteren Notwendigkeitsoperator in (TSM-1) einbauen: (TSM-2 - Trägerspezifität modal verstärkt-2) • Für alle Adhärenzen a, b und alle Dinge x, y: χ ist Träger von a
• ((у ist Träger von b &x*y)
a*b).64
Nach (TSM-2) ist es eine essentielle Eigenschaft einer Adhärenz, genau demjenigen Träger zuzukommen, dem sie tatsächlich zukommt.
b.
Problemfälle
Obgleich die Idee der Trägerspezifität von Adhärenzen bewährt und tradiert ist, scheint sie durch simple Gegenbeispiele widerlegbar zu sein:65 Ist ein Taschenmesser scharf, so gibt es seine Schärfe, eine Adhärenz. Ebenso aber gibt es die Schärfe seiner Klinge. Unbestreitbar ist das Messer verschieden von seiner Klinge; doch es scheint, daß die Schärfe des Messer nichts anderes ist als die Schärfe seiner Klinge. Wir haben mithin zwei Gegenstände, denen dieselbe Adhärenz zukommt, also zwei Träger für eine einzelne Adhärenz. 64
65
Ein ähnliches Prinzip findet sich beispielsweise bei Künne (1998: 238; bei ihm kommt der erste Modaloperator zwar nicht vor, scheint aber intendiert zu sein). Levinson präsentierte solche in seinem 1980 erschienenen Artikel „Particularized Attributes", doch dies blieb weitgehend unbemerkt; etwa zwölf Jahre nach dem Erscheinen von Levinsons Aufsatz brachten Lehrer und McGee in ihrem „Particulars, Individual Qualities, and Universals" analoge Beispiele an, offenbar im Unwissen um Levinsons Vorreiterschaft (Lehrer und McGee verwenden das Gelb einer Grapefruit und ihrer Schale als Beispiel; etwas unglücklich daran mag sein, daß Grapefruits bisweilen durch und durch gelb sind). Lowe (Identity: 79f.) schließlich präsentiert ähnliche Beispiele und Bordes (1998: 8) übernimmt sie (übrigens behandelt Bordes eines seiner Beispiele eher merkwürdig, da er zu übersehen scheint, daß die obere Hälfte eines Würfels nicht identisch mit dem Würfel ist; in einer Fußnote aber benutzt er auch ein Obst/Schalenbeispiel).
200
Kapitel 2: Adhärenzen
Man durchschaut schnell die Struktur des Beispiels und kann sodann analoge Fälle in Hülle und Fülle produzieren: Das Rot dieses Apfels ist eine Adhärenz, und es ist offenbar identisch mit dem Rot seiner Schale. Doch eine Schale macht noch keinen Apfel, und wiederum muß der Freund der Adhärenzen eingestehen, daß zwei Träger zu ein und derselben Adhärenz gefunden sind. Die Rechenleistung meines Computers ist nichts anderes als die Rechenleistung seines Prozessors, aber der Prozessor ist nur ein Teil meines Computer und keineswegs mit ihm identisch. Während diese Beispiele auf der unumstrittenen Nichtidentität von einem Ganzen und seinen Teilen basieren, hängt eine weitere Familie von Beispielen von einer kontroversen metaphysischen These ab. Viele Philosophen meinen, daß es Beziehungen der Konstitution gibt, welche von der Beziehung der Identität zu unterscheiden sind. So beispielsweise materielle Konstitution: Rodins Denker in Kopenhagen, eine Statue (kein Statuentyp), ist, nüchtern gesprochen, ein Klumpen Bronze. Freilich ist er kein beliebiger solcher Klumpen, sondern besitzt eine höchst künstlerische Gestalt. Nun drückt das „ist" in einer Aussage der Form „a ist b" häufig den Begriff der Identität aus; wer den Satz „Bruce Wayne ist Batman" äußert, der sagt damit dasselbe wie einer, der ein paar Worte mehr verwendet und „Bruce Wayne ist niemand anderes als Batman" oder „Bruce Wayne und Batman sind identisch" von sich gibt. Doch im Falle der Statue, so die Doktrin vieler Konstitutionalisten, ist dem nicht so. Das Standardargument hierfür lautet: (P-l)
Die Statue kann eine weitgehende Deformation nicht überstehen.
(P-2)
Der Bronzeklumpen kann eine weitgehende Deformation durchaus überstehen.
(K)
Also: Der Bronzeklumpen und die Statue haben verschiedene Eigenschaften und sind mithin nicht identisch.
Wo verschiedene Bedingungen der Persistenz vorliegen, da liegen verschiedene Eigenschaften vor, und verschiedene Eigenschaften implizieren verschiedene Gegenstände. Das „ist" in (1)
Dieser in Form gebrachte Bronzeklumpen ist Rodins Denker.
Trägerspezifität
201
kann daher keine Identität zuschreiben, sondern nur die hiervon verschiedene Beziehung der materiellen Konstitution.66 Wenn dem so ist, so haben wir es wiederum mit Adhärenzen, die mehrere Träger ihr eigen nennen, zu tun. Denn das Gewicht von Rodins Denker, das wird niemand leugnen, ist nichts anderes als das Gewicht des Bronzeklumpens, der die Statue konstituiert. Ein Gewicht, eine Adhärenz, aber zwei Träger, Klumpen und Statue. Es gibt weitere Unterscheidungen, die Adhärenzen mit mehreren Trägern generieren können, wie beispielsweise die zwischen einer Person und ihrem Körper. Belmondos Gewandtheit ist nichts anderes als die Gewandtheit seines Körpers; sind nun Belmondo und sein Körper, wie einige Philosophen annehmen, nicht ein und dieselbe Entität, sondern konstituierte und konstituierende Entität, so gibt es abermals zwei Träger für nur eine Adhärenz. c. Zwei Reaktionsmöglichkeiten Angesichts der genannten Beispiele könnte man sich schlicht und einfach von der Idee der Trägerspezifität verabschieden und sie für widerlegt erachten. Doch das wäre eine Überreaktion. Auch wenn sich eine Idee nicht allein durch die hohe Zahl ihrer Befürworter bewahrheitet, so bietet eine große Anhängerschaft doch immerhin einen Grund, die Idee nicht gleich beim ersten Anzeichen einer Problematik fallenzulassen - besonders, wenn es sich bei den Befürwortern um anerkanntermaßen helle Köpfe und bei der Idee um eine allemal attraktive handelt. Ich werde also im folgenden Reaktionsmöglichkeiten erwägen, die nicht in der Aufgabe der Idee, sondern höchstens ihrer Modifikation bestehen. In diesem Abschnitt will ich zunächst zwei solcher Möglichkeiten präsentieren. Die erste von ihnen kann, so wird sich zeigen, ihr Versprechen der raschen Hilfe nicht einlösen. Die zweite hingegen stellt eine echte Option dar. 66
Für eine Verteidigung der Unterscheidung zwischen Identität und Konstitution siehe beispielsweise Wiggins 2001: 34-43 (bei dem sich auch das obige Argument in klarer Form findet) und vgl. Lowe 1989: Kap. 7 (der übrigens verschiedene Arten der Konstitution unterscheidet und dafür hält, daß die Beziehung zwischen einer Person und ihrem Körper nicht die der materiellen Konstitution ist).
202
Kapitel 2: Adhärenzen
Beginnen wir mit der leeren Versprechung: Die betrachteten Gegenbeispiele zu (TS) teilen einen Zug, der sich bei näherer Prüfung als essentiell für alle denkbaren Gegenbeispiele erweisen könnte. In allen genannten Fällen stehen die beiden Gegenstände, die zugleich Träger derselben Adhärenz sind, nicht bloß in einer spezifischen Relation (einer mereologischen bzw. der Relation der Konstitution) zueinander. Sie werden zudem durch verschiedene sortale Terme beschrieben. Die Trägerpaare bestanden aus einem Taschenmesser und seiner Schneide, einem Apfel und seiner Schale, einem Computer und seinem Prozessor, einer Statue und einem Klumpen und schließlich aus einer Person und ihrem Körper. Auf der anderen Seite zeichnen sich die Standardbeispiele, mit welchen die Idee der Trägerspezifität meist eingeführt werden, durch entweder den zweifachen Gebrauch desselben sortalen Terms aus: „Die Röte der einen Rose ist, selbst wenn sie im Ton identisch ist, dennoch verschieden von der Röte jeder anderen Rose." oder durch die Angabe zweier Träger, die offenbar unter dasselbe naheliegende, aber nicht ausgesprochene Sortal fallen: „Johannas Mut ist verschieden von Sokrates' Mut (und dem jeder anderen Person)". Insofern könnte die Relativierung der Trägerspezifität auf Träger unter ein und demselben Sortal vielversprechend scheinen; eine entsprechend modifizierte Version von (TS) wäre:67
67
Die Idee, daß die Trägerspezifität von Adhärenzen auf Entitäten, die unter ein gemeinsames Sortal fallen, eingeschränkt werden sollte, kann man anscheinend in folgendem Zitat von Strawson wiederfinden (wobei Strawson „attributive tie" als Bezeichnung derjenigen Beziehung verwendet, die zwischen einem Gegenstand und seinen partikularisierten Eigenschaften besteht): „[...] the particular smile and the particular oration cannot, by the attributive tie, collect any other particulars of the same kind as Socrates." (Strawson 1959: 170, meine Hervorhebung). Es sei betont, daß Strawson die Einschränkung nicht in Beziehung zu dem von mir behandelten Problem setzt; von daher ist es ihm natürlich auch in keiner Weise anzulasten, wenn sich die Einschränkung bei diesem nicht als hilfreich erweist. Freilich macht Strawson nicht klar, für welchen Zweck eine solche Einschränkung sinnvoll sein könnte, und solange keine guten Gründe für ihre Akzeptanz vorliegen, sollte man sie nicht übernehmen.
Trägerspezifltät
203
(TS - Sortal-relativiert) Für alle Adhärenzen a, b und alle Dinge x, y: (x ist Träger von а & у ist Träger von b & χ * у & es gibt ein Sortal F, so daß sowohl χ wie auch у ein F ist) -> α * b. Wollte man wirklich auf die Karte von (TS - Sortal-relativiert) setzen, so sollte man sicherlich einiges mehr über sortale Terme und ihre Funktion berichten. Doch das will ich mir hier sparen - denn es gibt unabhängige Gründe, dieser Modifikation zu mißtrauen. Ich halte es für einen kontingenten Zug der problematischen Beispiele, daß sie mit Adhärenzen von Trägern zu tun haben, die mit verschiedenen sortalen Termen beschrieben werden. Obgleich dies ein kontingenter Zug ist, finden sich nicht ohne weiteres Beispiele, die ihn nicht teilen. Dies liegt meines Erachtens einfach daran, daß die meisten Gegenstände, mit denen wir im Alltag konfrontiert sind, nicht aus Teilen bestehen, die Gegenstände derselben Sorte wie sie selber sind. Einige Gegenstände aber bestehen aus solchen Teilen: Arcimboldos berühmte Porträts, auf denen sich Gesichter aus Früchten oder Gemüsen zusammensetzen, würden auch dann funktionieren, wenn die gemalten Gesichter aus kleineren gemalten Gesichtern bestehen würden. Ebenso könnte ein futuristisches Gebäude aus kleineren Gebäuden erbaut sein. Und um auf zwei tatsächliche Beispiele zu kommen: Der Tanz eines Ballettensembles setzt sich aus den Tänzen der Mitglieder zusammen, und die Papstkrone schließlich hat kleinere Kronen als Teile. Sobald man sich klargemacht hat, daß entsprechende Konstellationen also vorkommen können, kann man Fälle konstruieren, die Gegenbeispiele zu (TS - Sortal-relativiert) abgeben: (i) Zwei Liebespaare haben eine heftige Auseinandersetzung; die beiden Frauen beginnen, brutal aufeinander einzuschlagen, während die Männer sich darauf konzentrieren, das Volumen ihrer Stimmen zu demonstrieren. Hier gibt es einerseits die Auseinandersetzung zwischen den Frauen, eine brutale Auseinandersetzung, und andererseits die Auseinandersetzung zwischen den Männern, eine lautstarke. Schließlich gibt es die Auseinandersetzung zwischen den beiden Paaren, und die ist beides, brutal und lautstark. Nun ist die Brutalität des großen Streites die Brutalität des Streites zwischen den Frauen, und die Lautstärke des ganzen Streites ist die Lautstärke des Streites zwi-
204
Kapitel 2: Adhärenzen
sehen den Männern. (Und das relevante Sortal, das die verschiedenen Träger derselben Adhärenz beschreibt, ist natürlich „Streit".) (ii) Man stelle sich ein Mobile vor, das aus drei kleineren Mobiles zusammengesetzt ist. Eines von diesen ist auf markerschütternde Weise kitschig, die beiden anderen passieren in dieser Hinsicht als akzeptabel. Dennoch kann man das gesamte Mobile, aufgrund des einen Teils, schlichtweg nicht anders als kitschig nennen. Nun scheint der Kitsch des großen Mobiles identisch mit dem des kitschigen Teiles, welches selbst ein Mobile ist. Und wiederum haben wir eine Adhärenz, zwei Träger und ein Sortal („Mobile"), unter welches beide Träger fallen. Nach diesem Holzweg sehen wir also das Prinzip der Trägerspezifität, (TS), nach wie vor der Bedrohung durch die Gegenbeispiele ausgesetzt. Es gibt nun eine sehr direkte Möglichkeit des Umgangs mit ihr. Angesichts von potentiellen Gegenbeispielen zu einem Prinzip reagieren viele Philosophen mit einer Beschränkung der Reichweite des Prinzips. Die gefährlichen Fälle werden einfach explizit von der Geltung der in Frage stehenden These ausgeschlossen. So könnte man auf die Gefahr durch die mereologischen Fälle folgendermaßen reagieren (wobei „|"die Beziehung der Separatheit signifiziert):68 (TS* - Trägerspezifität*) Für alle Adhärenzen a, b und alle Dinge x, у: (л: ist Träger von а & у ist Träger von b&.x\y)-^-a*
68
Separatheit (oder auch: NichtÜberlappung) kann man durch den Begriff des (echten) Teils und den der Identität definieren: (Df. Separatheit) χ | у o d f i x*y
69
b.69
&.->x«y
&.->y«x.
Lehrer und McGee (1992: 43) schlagen wegen der problematischen Beispiele eine solche Modifikation des Prinzips der Trägerspezifität vor. Man beachte, daß die bisher betrachteten Gegenbeispiele bereits dann ausgeschlossen werden, wenn man von den Trägern der Adhärenzen verlangt, in keiner Teil-Ganzes-Beziehung zueinander zu stehen; was eine schwächere Forderung ist, als die in (TS*) integrierte Forderung nach Separatheit. Doch ähnliche Beispiele zu den bisherigen zeigen, daß die stärkere Forderung gut motiviert ist: Man stelle sich eine Trikolore vor. Das Weiß der linken zwei Drittel dieser Flagge ist identisch mit dem Weiß ihrer rechten zwei Drittel. Doch die linken und die rechten zwei Drittel der Trikolore
Trägerspezifität
205
Wenn man Konstitution als eine von der Identität verschiedene Beziehung akzeptiert, könnte man eine weitere Klausel in das Antezedens einbauen, die von den jeweils betrachteten Trägern der Adhärenzen verlangt, daß sie in keiner Beziehung der Konstitution zueinander stehen. Man käme dann zu: (TS** - Trägerspezifität**) Für alle Adhärenzen a, b und alle Dinge x, y: (x ist Träger von а & у ist Träger von b & χ | у & χ und у stehen zueinander in keiner Beziehung der Konstitution) α * b. d. Der Genitiv und die Subjektbeziehung Das Prinzip der Trägerspezifität, (TS), ist als ein ontologisches Prinzip intendiert, das von partikularisierten Eigenschaften und der Trägerrelation handelt. Die angeführten Problemfflle, mit denen wir die Korrektheit des Prinzips in Zweifel gezogen haben, sind der Alltagssprache entnommen. Es sind kanonische singulare Terme für Adhärenzen, Wendungen, in denen Adhärenzen mittels einer Genitivkonstruktion spezifiziert werden; wenn wir „F-heit" als Repräsentanten von Eigenschaftstermen nehmen, dann kann man kanonischen Termen für Adhärenzen die folgende Form attestieren: (FKA - Form kanonischer Terme für Adhärenzen) x's F-heit.70 Daß nun die Problemfälle tatsächlich geeignet sind, um (TS) zu widerlegen, hängt an einer bisher impliziten Annahme; daß nämlich der Genitiv in Wendungen der Form (FKA) dieselbe Relation signifiziert, die auch in (TS) thematisiert wird, die ontologische Trägerrelation. Adhärenzen haben Träger, denen sie, um eine althergebrachte Voka-
70
stehen in keinem Teil-Ganzes-Verhältnis zueinander; aber sie überlappen sich und sind also nicht separat. Alternativ und gleichbedeutend kann man „die F-heit des/der/von χ" verwenden. Ich erinnere daran, daß man anstelle eines Substantivs im Genitiv auch ein Possessivpronomen verwenden kann und ich mich nur der Kürze halber auf die eine der beiden Sorten von Ausdrücken konzentriere (wobei meine Ausführungen problemlos übertragbar sind).
206
Kapitel 2: Adhärenzen
bei zu bemühen, inhärieren. Die Identifikation dieser Relation mit derjenigen, die in Wendungen der Form (FKA) durch den Genitiv signifiziert wird, liegt allemal nahe - und damit das folgende Prinzip: (ISG - Inhärenz als Signifikat des Genitivs) Ein (nicht-leerer) kanonischer singulärer Adhärenzterm der Form „x's F-heit" referiert auf eine Adhärenz a, die χ inhäriert. So naheliegend dies aber auch sein mag, es ist gewiß legitim, ein paar Gedanken über mögliche Alternativen zu verlieren. e. Derivative Prädikation und ein dritter Weg Ich werde im folgenden ein Phänomen vorstellen, welches ich derivative Prädikation nenne. Dabei unterscheide ich zwei Unterarten derivativer Prädikation. Ich bespreche sie nacheinander: Viele Prädikate in der Alltagssprache haben Verwendungen, die man partitiv nennen kann. Im wesentlichen nenne ich die Verwendung eines Prädikates „ist F' in einer wahren atomaren Aussage ist Fi partitiv, wenn das folgende Schema erfüllt ist: (Partitive Prädikation) χ ist F, und zwar deshalb, weil es einen (prominenten) Teil у von χ gibt, welcher F ist. Einige Äpfel, so gestehen wir freimütig ein, sind rot. Und sie sind dies ungeachtet der Tatsache, daß natürlich die meisten ihrer Teile (ihr gesamtes Innenleben nämlich) keineswegs rot sind. Sie sind rot, und zwar, weil ihre Schalen rot sind. Also wird „ist rot", verwendet um gewöhnliche rote Äpfel zu beschreiben, partitiv verwendet. Dasselbe gilt beispielsweise von „ist scharf, wenn wir von Messern sprechen. Mein Taschenmesser ist scharf, korrekt, wobei aber viele seiner Teile ganz und gar nicht scharf sind. Das Messer ist dennoch scharf, und zwar, weil seine Klinge scharf ist. Eine kurze Bemerkung zu dem Klammerzusatz „prominent": Daß ein Gegenstand χ irgendeinen beliebigen Teil hat, der so und so beschaffen ist, sorgt in der Regel noch nicht dafür, daß χ ebenfalls so und so beschaffen ist. Hat ein Apfel irgendwo einen schwarzen Fleck, so ist er deswegen noch nicht schwarz. Damit ein Teil eine seiner Ei-
Trägerspezifltät
207
genschaften einem Ganzen vererbt, muß er eben prominent sein. Wann aber ist ein Teil prominent? Das scheint von vielen Faktoren abzuhängen, insbesondere von der Art des Ganzen, von dem er ein Teil ist, wie auch von der Eigenschaft, um deren Vererbung es geht. Man könnte wahrscheinlich für viele Spezialfälle Regelmäßigkeiten herausfinden, wie ein Teil beschaffen sein muß, um seinem Ganzen gewisse Eigenschaften zu vererben, aber ein generelles Prinzip ist hier meines Erachtens nicht zu haben. Die Kenntnisnahme des Phänomens der partitiven Verwendung vieler Prädikate sollte einen nicht zum abwegigen Schluß verfuhren, die meisten Dinge, die wir beispielsweise als rot bezeichnen, seien nicht wirklich rot. Festzustellen, daß ein Gegenstand χ nicht wirklich F ist, suggeriert, daß (i) χ in einem wörtlichen, streng genommenen Sinn von „ist F' nicht F ist, während es (ii) eine nicht-wörtliche oder laxe Verwendung von „ist F' gibt, in welcher man zu Recht von χ sagen kann, es sei F. Doch das ist gerade nicht der Fall beim Prädikat „ist rot". Der Prachtapfel dort drüben ist rot, und er ist wirklich rot; indem man dies sagt, impliziert man schlicht und einfach nicht, daß er durch und durch rot ist, daß alle seine Teile rot sind. Wir haben es hier nicht mit einer laxen Verwendung von „ist rot", sondern mit der tatsächlichen, zentralen Verwendung des Prädikats zu tun. Generell scheint es viele Prädikate mit partitiven Verwendungen zu geben, wobei es keine etablierte nicht-partitive Verwendungsweise desselben (oder eines äquivalenten) Prädikats gibt. Man könnte ein solches Prädikat erfinden: Bezeichnen wir etwas mit „np-rot" genau dann, wenn es rot ist, aber nicht deshalb rot ist, weil ein Teil von ihm rot ist. Das damit eingeführte Prädikat scheint allerdings kein Pendant im Deutschen zu haben, und auch scheint es keine eigenständige Verwendungsweise von „ist rot" zu geben, in welcher das Prädikat synonym mit „ist np-rot" wäre. Man kann die Rede von den partitiven Verwendungen von Prädikaten auch auf die signifizierten Eigenschaften übertragen. Läßt ein Prädikat keine partitiven Verwendungen zu, nenne ich die signifizierte Eigenschaft nicht-partitiv (ein Beispiel wäre die eben eingeführte NpRöte). Wird ein Prädikat nur partitiv verwendet, signifiziert es eine partitive Eigenschaft. Läßt ein Prädikat schließlich, wie viele umgangssprachliche Prädikate, sowohl partitive wie nicht-partitive Verwendungen zu (ohne dabei ambig zu sein), so signifiziert es eine par-
208
Kapitel 2: Adhärenzen
tiell partitive Eigenschaft. (So wäre also Röte ein Beispiel für eine partiell partitive Eigenschaft. Strikt analog kann man über relationale Prädikate reden: die Relation, zu küssen, oder die Relation, schärfer zu sein als, wären daher Beispiele für partiell partitive Relationen). Partitive Prädikation ist, wie vermerkt, eine von zwei Arten derivativer Prädikation. Die andere Art nenne ich konstitutive Prädikation. Sie hat eine analoge Erklärung zur partitiven Prädikation; nur ist hier keine Teil-Ganzes-Beziehung für die Korrektheit der derivativen Prädikation verantwortlich, sondern eine Konstitutionsbeziehung: (Konstitutive Prädikation) χ ist F, und zwar deshalb, weil es einen Gegenstand у gibt, der sowohl χ konstituiert als auch F ist. Beispielsweise wiegt die Skulptur dort drüben deshalb 14 Kilogramm, weil der Tonklumpen, welcher sie konstituiert, 14 Kilogramm wiegt. Der Begriff der derivativen Prädikation kann jetzt einfach disjunktiv erläutert werden: Eine Prädikation ist derivativ, wenn sie entweder partitiv oder konstitutiv ist. Eine Prädikation ist also derivativ, wenn sie das folgende Schema erfüllt: (Derivative Prädikation) χ ist F, und zwar entweder, (i) weil ein (prominenter) Teil von χ F ist, oder, (ii) weil es einen Gegenstand у gibt, der sowohl χ konstituiert als auch F ist. (Es sei betont, daß für meine Rede von derivativer Prädikation eben dasselbe gilt wie für meine Rede von partitiver: Derivative Prädikation in meinem Sinne ist nicht uneigentlich, nicht-wörtlich oder strenggenommen falsch. Insofern der Titel Grund zu solchen Assoziationen geben mag, sei hiermit explizit vor ihnen gewarnt.) Was man unter nicht-derivativen Eigenschaften, partiell derivativen und (schlicht) derivativen Eigenschaften und Relationen zu verstehen hat, erschließt sich direkt aus meinen entsprechenden Ausführungen zur partitiven Prädikation. Wenden wir jetzt unsere Aufmerksamkeit wieder den für (TS) anscheinend fatalen Fällen zu. Man sieht leicht ein, daß Genitivkonstruktionen der Form (FKA) häufig eine derivative Verwendung des
Trägerspezifität
209
Genitivs beinhalten. Diese kann partitiv sein: die Röte dieses Apfels ist des Apfels Röte, weil sie die Röte seiner Schale, eines Teils von ihm, ist. Des Messers Schärfe ist die seine, weil es die Schärfe seiner Klinge ist, und die Klinge wiederum ein Teil von ihm. Sie kann aber auch konstitutiv sein: Das Gewicht der Statue ist ihr Gewicht, weil es das Gewicht des Bronzeklumpens ist. Aus dieser Beobachtung erwächst nun eine weitere Möglichkeit, auf die Beispiele zu reagieren - und dabei gleichzeitig an (TS) festzuhalten. Denn warum nicht sagen, bei der Trägerrelation, von der (TS) handeln soll, also der für die Ontologie der Adhärenzen zentralen Relation der Inhärenz, handele es sich um eine nicht-derivative Relation? Dann würde es wahrscheinlich keinen (atomaren) alltagssprachlichen Ausdruck geben, um diese Relation zu bezeichnen, ebenso wie es keinen solchen Ausdruck für das Attribut Np-Röte gibt. Bestimmte Unterscheidungen, die für die Ontologie relevant sind, spielen eben in der Alltagssprache eine höchstens untergeordnete Rolle, so daß sie durch keine sprachlichen Konventionen abgebildet werden. Die Strategie, mit den Beispielen zu verfahren, besteht dann im wesentlichen in drei Feststellungen: (i)
Die ontologisch zentrale Trägerrelation, die Relation der Inhärenz, ist eine nicht-derivative Relation.
(ii)
Dementsprechend ist eine technische Lesart für das „ist Träger von" in den Prinzipien der Trägerspezifität (TS) geboten, eine, in der dieser Ausdruck ш'сйг-derivativ zu verstehen ist.
(iii) Der Genitiv in alltagssprachlichen Wendungen der Form (FKA) läßt derivative Verwendungen zu. Er signifiziert mithin eine partiell derivative Relation, und somit nicht die Relation der Inhärenz. Vielmehr signifiziert er einen engen Verwandten dieser Relation, nämlich diejenige Relation, die zwischen zwei Dingen χ und у besteht, wenn χ entweder in y, in einem Teil von y, oder in einem Gegenstand, der у konstituiert, inhäriert. Damit geht einher, daß wir im Alltag wahrscheinlich nur äußerst selten die Träger von Adhärenzen, verstanden als diejenigen Entitäten, denen die Adhärenzen inhärieren, spezifizieren. Häufig mag dies zudem ein schwieriges Unterfangen sein. Aber vom philosophischen Standpunkt aus mag man sich mit der Einsicht zufrieden geben, daß
210
Kapitel 2: Adhärenzen
ontologische Laien eben andere Interessen haben und verfolgen als eingefleischte Ontologen. Somit können wir es bei der ersten Version des Prinzips der Trägerspezifität, (TS), belassen, ohne aus Sorge um Gegenbeispiele einschränkende Klauseln einzubauen. Wir müssen lediglich die eineindeutige Korrespondenz zwischen Ausdrücken der Form (FKA) und solchen, die anstelle des Genitivs das technische Vokabular der Inhärenz verwenden, leugnen. f. Entscheidungsfindung In den vorangehenden Abschnitten habe ich zwei Alternativen vorgestellt, wie man auf die Bedrohung des Prinzips der Trägerspezifität reagieren kann; entweder man schließt gewisse, problematische Fälle durch die Einbindung einer entsprechenden Klausel direkt aus, oder man nimmt den geschilderten Standpunkt zur Relation der Inhärenz ein - daß sie nämlich nicht-derivativ ist, im Gegensatz zu der Relation, die vom Genitiv in kanonischen Adhärenztermen signifiziert wird (die partiell derivativ ist). Es steht also nun die Entscheidung zwischen beiden Optionen an. Ich favorisiere die zweite der diskutierten Optionen: Inhärenz betrachte ich als eine nicht-derivative Relation, deren partiell derivativer Gegenpart von dem Genitiv kanonischer Adhärenzterme signifiziert wird. Dies scheint mir im Einklang mit der traditionellen Idee von Adhärenzen zu stehen, und es erlaubt das Festhalten an gewissen plausiblen Prinzipien, die ansonsten bedroht würden: (i) Wer die nicht-derivative Relation der Inhärenz akzeptiert, kann die häufig vertretene Position einnehmen, Adhärenzen seien (permanent, d. h. zu allen Zeitpunkten ihrer Existenz) von ihren Trägern abhängig.71 Die folgende Formel stellt eine Möglichkeit dar, diese präzise zu fassen:
71
In späteren Teilen dieser Untersuchung werde ich verschiedene Begriffe von Abhängigkeit ausführlich diskutieren, weswegen ich an dieser Stelle lediglich einen solchen Begriff präsentiere, ohne ihn weiter zu kommentieren (das folgende Prinzip verwendet eine einfachere Variante des Begriffs permanenter Abhängigkeit, den ich in (Df. Abh-5) in Kapitel 4, Abschnitt 2 erkläre).
Trägerspezifität
211
(TAA - Trägerabhängigkeit von Adhärenzen) Für alle Adhärenzen α und alle Gegenstände x: α inhäriert χ • Vi (a existiert zu t -> χ existiert zu t).72 Versteht man die Rede von Inhärenz in (TAA) nicht in dem von mir eingeführten, nicht-derivativen Sinn, so erweist eine kurze Reflektion auf die potentiellen Gegenbeispiele zu (TS) auch (TAA) als unhaltbar. Die Röte dieses Apfels kann den Apfel durchaus überleben; schält man den Apfel und verspeist sowie verdaut sodann sein Inneres, so ist der Apfel offenbar dahin - aber die Röte, die einstmals auch seine war, existiert als die Röte seiner hinterbliebenen Schale fort. Wer die Rede von nicht-derivativer Inhärenz meiden will, der kann nicht zugleich den Standardversionen von Prinzipien über die Abhängigkeit zustimmen.73 (ii) Ein alter scholastischer Lehrsatz über Adhärenzen lautet: accidentia поп migrant e substantias in substantias - Adhärenzen wandern nicht von der einen zur nächsten Substanz.74 Mit einer nicht-derivativen Lesart ist dies korrekt und kann wie folgt festgehalten werden: (WAA - Wanderungsabstinenz von Adhärenzen) Für alle Adhärenzen α und alle Gegenstände x: α inhäriert χ -> -ι О 3y (y*x & α inhäriert д>). (WAA) folgt aus (TSM-2); wer lediglich eine (partiell) derivative Relation des Zukommens anerkennt, der muß (WAA) die Zustimmung versagen. Es gibt ein einfaches Rezept, um die Röte dieser Flagge „in eine andere Substanz wandern zu lassen", sie zur Röte einer anderen Flagge werden zu lassen: Man schneide die rote Partie dieser Flagge aus und nähe sie in die gewünschte andere Flagge ein. Die (partiell)
72
73 74
Vgl. beispielsweise Simons 1987: 306 und Künne 1998: 237 (Prinzip (B)). Thomasson (1999: 30) verwendet ausgerechnet den problematischen Fall des roten Apfels und seiner Röte als ein Beispiel einer konstanten Abhängigkeitsbeziehung (die Röte also soll konstant abhängig von dem Apfel sein). Vgl. Lehrer Ä M c G e e 1992: 43f. Zitiert nach Kant, Metaphysische Anfangsgründe А 104. Vgl. beispielsweise Leibniz' Monadologie (§7): „Und Akzidentien können sich nicht von ihren Substanzen lösen und außerhalb ihrer herumwandern [...]".
212
Kapitel 2: Adhärenzen
derivative Trägerrelation ist kontingent und kann über die Zeit hinweg zwischen einer Adhärenz und verschiedenen Trägern bestehen. (iii) Es ist plausibel, daß die Frage der Trägerspezifität von Adhärenzen unterschieden werden kann von der Frage nach der Individuierung von Adhärenzen, der Frage danach, ob zwischen Adhärenzen und ihren Trägern eine ontologische Priorität in der einen oder anderen Richtung besteht. 75 Doch wenn die Trägerrelation als (partiell) derivativ begriffen wird, so stellt sich die Frage, ob Adhärenzen über ihre Träger individuiert sind, in dieser Form allemal nicht mehr. Denn viele der Dinge, denen Adhärenzen im derivativen Sinne zukommen, sind nicht einmal Kandidaten dafür, daß die Adhärenzen durch sie individuiert würden. Der Beginn der Existenz ihrer Adhärenz kann dem Beginn ihrer eigenen Existenz vorangehen - man denke an die Röte, die von der einen Flagge in die andere verpflanzt wurde. Daher kann ihre Identität keine Priorität vor der Identität der Adhärenz haben. Man könnte die geschilderten Prinzipien natürlich auch als verfehlt abtun und gegebenenfalls nach Substituten für sie Ausschau halten. Durch die zweite angebotene Reaktion kann man sich diese Mühe ersparen.
g. Identitätsbedingungen
von
Adhärenzen
Es sei hier noch eine Konsequenz angesprochen, die Lowe aus seiner Beschäftigung mit den vermeintlichen Gegenbeispielen zu (TS) ziehen will; sie kommt im folgenden Zitat zum Ausdruck: [...] although properties or qualities plausibly do have particular instances, I think it is mistaken to categorize such property instances as being objects in their own right [...] For property instances, 'tropes' or, as I
75
Daß diese Fragen unterschieden werden sollten, zeigt sich unter anderem an Simons' Bündeltheorie (siehe Simons 1994, 1998: insbesondere 243246); ihr zufolge sind Adhärenzen die Teile, aus denen sich Substanzen zusammensetzen, wodurch Substanzen zu ontologisch nachgeordneten Entitäten werden (Simons unterscheidet zwischen einem essentiellen Kern von Adhärenzen und einer kontingenten Peripherie; mindestens die Kemadhärenzen werden ontologische Priorität genießen). Aber dennoch kann Simons an der Trägerspezifität von Adhärenzen festhalten, da zwischen den Adhärenzen eines Bündels Abhängigkeitsbeziehungen bestehen, die eine solche bewerkstelligen können.
Trägerspezifität
213
prefer to call them, 'modes' - appear to lack the fully determinate identity-conditions characteristic of objects proper. (Lowe, Primitives: 156) Eine umfassende Untersuchung von Lowes Behauptung, daß Adhärenzen keine vollständig bestimmten Identitätsbedingungen besitzen, würde die intensive Auseinandersetzung mit dem Begriff der Identitätsbedingungen voraussetzen - doch das ist ein langwieriges Unterfangen, auf das ich mich im Zuge dieser Untersuchung nicht einlassen will. Entsprechend fällt meine Antwort auf Lowes These teils etwas skizzenhaft aus; doch auch ohne die Thematisierung von Identitätsbedingungen läßt sich mindestens etwas zu Lowes Position sagen. Im wesentlichen führt Lowe für seine These das folgende Argument ins Feld: 76 Einige Fragen über die Identität von Adhärenzen scheinen problematisch zu sein. Es sind genau die oben diskutierten Fälle, an die Lowe hier denkt. Er fordert seine Leser beispielsweise auf, sich eine blaue Kugel vorzustellen; die Kugel ist, so Lowe, von der Ansammlung von Atomen, welche die Kugel konstituieren, zu unterscheiden. Dieser Atomhaufen nimmt dieselbe räumliche Position wie die Kugel ein, hat aber von ihr verschiedene Identitätsbedingungen. Die nun problematische Frage ist: Ist die Bläue der Kugel dieselbe Adhärenz wie die Bläue des Atomhaufens, oder sind hier zwei Blauadhärenzen im Spiel? Mit den obigen Ausführungen habe ich eine Antwort auf diese Frage bereitgestellt; es handelt sich bei der Bläue der Kugel um die Bläue des Atomhaufens; nun ist die Kugel deshalb blau, weil der sie konstituierende Haufen blau ist, und es ist nicht umgekehrt der Haufen, der konstituiert, blau, weil die konstituierte Kugel es ist. Daher ist die Kugel nur im derivativen Sinn Träger der Bläue, während die Bläue dem Haufen inhäriert. Lowe behagt allerdings die Antwort, es handele sich bei der Bläue der Kugel und der Bläue des Atomhaufens um dieselbe Adhärenz, deswegen nicht, weil er sie für unverträglich mit der Trägerabhängigkeit von Adhärenzen hält. 77 Doch hier irrt er; ich habe oben ausgeführt, daß die Verträglichkeit gegeben ist, wenn man die Abhängigkeit nur richtig versteht - Adhärenzen sind abhängig von den Entitäten, denen sie (nicht-derivativ) inhärieren. Sie sind nicht abhängig von (allen) Entitäten, von denen man korrekt sagen 76 77
Lowe, Identity: 79ff. Lowe, Identity: 81.
214
Kapitel 2: Adhärenzen
kann, sie seien ihre (so wie man zu Recht von der Bläue sagen kann, es sei die Bläue der Kugel). Was aber, wenn einen die von mir vorgeschlagene Antwort nicht zufriedenstellt? Lowe (der sie freilich nicht erwägt und also nur unzufrieden mit anderen möglichen Antworten ist) zieht die folgende Konsequenz aus seiner Diskussion der Problemfölle: The lesson, I suggest, is that we should not think of entities such as modes as possessing determinate identities at all. They are not themselves 'objects', somehow related to the objects which 'possess' them. Rather, they have an 'adjectival' status: they are, quite simply, particular ways objects can be. (Lowe, Identity: 82) Wie plausibel ist diese Reaktion? Darf man aus der Schwierigkeit, die gewisse Fragen hinsichtlich der Identität einer Adhärenz α und einer Adhärenz b bereiten, die Folgerung ziehen, diese Fragen hätten einfach keine Antwort - oder, in Lowes Worten, behaupten: „[...] there are no real facts of the matter which determine what the right answers to such questions are" (Lowe, Identity: 82)? Man könnte entgegnen: Wenn eine Klasse von problematischen Identitätsaussagen über Dinge der Sorte φ im einen Fall ausreicht, um zu deklarieren, solche cps ermangelten klarer Identitätsbedingungen, dann ist die Annahme nur recht und billig, daß auch in anderen Fällen die Existenz einer solchen Klasse für die analoge These hinreicht. Doch sicherlich will Lowe den entsprechenden Schluß nicht in allen Fällen problematischer Identitätsaussagen ziehen. Sonst sollte er wohl auch anderen, vielleicht sogar allen Arten von Dingen, unter anderem Substanzen, die für ihn Paradebeispiele von objects sind, den Status echter Gegenständlichkeit entziehen. Denn es gibt schwierige Fragen der Identität in bezug auf Körper (man denke an das Gedankenexperiment über Theseus' Schiff) ebenso wie in bezug auf Personen (man denke an die viel diskutierten split-brain Szenarios). Die philosophische Literatur ist voll von Diskussionen dieser Fälle; ich wüßte daher nicht, mit welchem Recht man diese Fragen als weniger problematisch als die entsprechenden Fragen über Adhärenzen bezeichnen könnte. Vielleicht kann man hierfür gute Gründe mobilisieren - doch Lowe ist dies, soweit ich es ersehe, nicht gelungen. Vor allem aber, und dies übersieht Lowe schlicht, würde sein Argument in jedem Fall auch Ereignisse betreffen - obgleich Lowe Er-
Der Adhärenzbegriff im Alltag
215
eignisse durchaus als objects einordnet und von ihnen also meint, sie hätten klar bestimmte Identitätsbedingungen. 78 Das oben geschilderte Szenario, mit dem Lowe Adhärenzen als objects in Mißkredit bringen will, kann problemlos auch auf Ereignisse übertragen werden: Man stelle sich eine rotierende Kugel vor; die Kugel ist wie zuvor vom Atomhaufen, der sie konstituiert, zu unterscheiden. Die nun problematische Frage ist: Ist die Rotation der Kugel dasselbe Ereignis wie die Rotation des Atomhaufens, oder sind hier zwei Rotationen im Spiel? Die problematischen Aussagen hinsichtlich der Identität haben klare Gegenstücke in ebenso problematischen Aussagen über die Identität von Ereignissen - was nicht sonderlich verwundern sollte, wenn Ereignisse, wie ich meine, tatsächlich eine spezielle Art von Adhärenzen sind. Also sollte Lowe, wenn er sein eigenes Argument ernst nimmt, allemal auch Ereignissen den Objektstatus entziehen.
4. Der Adhärenzbegriff und sein Niederschlag im alltäglichen Diskurs a. Ein Resümee Mit den vorangegangenen Paragraphen habe ich die angekündigten Prolegomena einer Ontologie der Adhärenzen vorgelegt. Ich habe verschiedene Kernpunkte eines Verständnisses von Adhärenzen diskutiert; zum Schluß will ich noch etwas zu ihrer Bedeutung für eine deskriptive Metaphysik von Adhärenzen festhalten. Wenn die Kategorie der Adhärenz, wie angenommen, eine Rolle in der Alltagsontologie spielt, sollte sich das freilich im Alltagssprechen und -denken irgendwie niederschlagen. Es tut dies in gewissen Sprachfragmenten, auf die ich bei der obigen Diskussion wiederholt zurückgegriffen habe. In diesen Redeweisen schlägt sich ein Verständnis dieser Kategorie nieder. Es wäre dabei zuviel verlangt, daß man, um Begriffe von Adhärenzen zu haben, diese Prinzipien freien Stückes ausformulieren kann. Wahrscheinlich verbringt niemand, der kein Philosoph ist, mit solchen Dingen Zeit; entsprechend kann man 78
Man siehe etwa Lowes Kategorienbaum in seinem Categories: 181.
216
Kapitel 2: Adhärenzen
keine detaillierten Antworten erwarten. Aber die Erwartung wäre auch fehlgeleitet; denn die Prinzipien (beispielsweise das der Trägerspezifität) sind ja gerade dazu da, sich auf vorhandene Sprachpraktiken einen Reim zu machen. Nicht diesen Reim braucht die Alltagssprecherin, um manchmal an Adhärenzen zu denken - wohl aber braucht sie die Sprachpraktiken. Während ich im Kapitel über Attribute eine Analyse des Begriffs eines Attributs vorschlagen konnte, will ich hier den Adhärenzbegriff durch eine Reihe der Prinzipien, die ich in diesem Kapitel diskutiert habe, charakterisieren: 1. Adhärenzen haben (notwendigerweise) Träger: (PT)
• Va (α ist eine Adhärenz
3x (α inhäriert x)).
2. Adhärenzen sind (notwendigerweise) trägerspezifisch (wobei ich hier der Deutlichkeit halber den technischen Terminus „inhärieren" verwende, der eine nicht-derivative Relation signifiziert): (TSM-1*) • Für alle Adhärenzen a, b und alle Dinge x, y: (α inhäriert χ & b inhäriert у & χ * у) а Φ b. 3. Der Träger einer Adhärenz ist dieser essentiell; anders gesagt, eine Adhärenz kann keinem Gegenstand inhärieren, der verschieden ist von demjenigen, dem sie inhäriert:79 (ET)
• Für alle Adhärenzen α und alle Gegenstände x: α inhäriert* -ι О 3 y ( y * x & a inhäriert^).
4. Adhärenzen sind prädikativ, d. h. ihre Existenz geht damit einher, daß eine bestimmte Aussage über ihren Träger wahr ist: (PA)
• Va (a ist eine Adhärenz 3F (α existiert der Träger von α ist F)).
Mit diesen Prinzipien ist der Begriff einer Adhärenz mindestens weitgehend abgesteckt. Man beachte, daß ich hier kein Prinzip der Trägerabhängigkeit formuliert habe. Der Grund ist, daß sich ein solches aus den Prinzipien 1. und 3. ergibt. Denn nach 1. haben Adhärenzen 79
Die Aussage (ET) isoliert den Aspekt der Essentialität der Inhärenz, der in Prinzip (TSM-2) integriert ist (vgl. Abschnitt 3.a.).
Der Adhärerabegriff
im Alltag
217
essentiell einen Träger und nach 3. können sie keinen anderen als ihren faktischen haben. Zusammengenommen ergibt sich, daß eine Adhärenz nur dann existieren kann, wenn ihr faktischer Träger existiert. Damit ist sie in einem wichtigen (wie ich später sagen werde: modalexistentiellen) Sinne von diesem abhängig.80 Damit halte ich dafür, daß die Abhängigkeit einer Adhärenz zwar eine direkte begriffliche Folge aus dem AdhärenzbegrifF ist, aber nicht definierend für diesen. Was ihn wirklich festlegt, sind Prinzipien, die in engerer Verbindung zur Natur von Adhärenzen stehen und daher insbesondere von der Relation der Inhärenz handeln. Die zentrale Rolle, die das Verständnis dieser Relation für das Verständnis von Adhärenzen spielt, hat eine klare Parallele in der Bedeutung des Begriffes der Exemplifikation, des Habens eines Attributs, für den kategorialen Begriff eines Attributs. b. Existenzbedingungen für Adhärenzen Was zu einer vollständigen Theorie von Adhärenzen gehören würde, wäre die Angabe von Existenzbedingungen für Adhärenzen, die ich bisher unterlassen habe. Ich will dieses Kapitel mit ein paar Bemerkungen darüber beschließen, wie solche Existenzbedingungen aussehen könnten - diese Bemerkungen sind aber beileibe nicht als definitive Diskussion dieses Themas intendiert. Adhärenzen sind partikularisierte Eigenschaften-, die Existenz einer Adhärenz geht damit einher, daß ihr Träger auf eine bestimmte Weise beschaffen ist. Diesen Umstand habe ich damit umschrieben, daß Adhärenzen prädikativer Natur sind. Ihr prädikativer Charakter steht nun in enger Verbindung zu ihren Existenzbedingungen; dafür, daß eine Adhärenz vom Typ F-heit existiert, ist es eine notwendige Bedingung, daß der Träger dieser Adhärenz F ist. Ist es auch ein hinreichende Bedingung? 80
In Kapitel 4 unterscheide ich verschiedene Sinne von model-existentieller Abhängigkeit; Adhärenzen sind sogar in einem sehr starken, permanenten Sinn von ihren Trägern abhängig (zu jedem Zeitpunkt setzt ihre Existenz die ihres Trägers voraus). Diese Abhängigkeit ergibt sich zwar nicht aus den obigen Prinzipien, da ich in diesen die zeitliche Dimension durchweg ausgeblendet habe, aber sie ergibt sich aus zeitlich modifizierten Varianten von ihnen.
218
Kapitel 2: Adhärenzen
Zumindest eines scheint klar: Wann immer wir zu Recht sagen, ein bestimmter Gegenstand χ sei so und so beschaffen, dann scheint es sprachlich zulässig zu sein, von x's Beschaffenheit, so und so zu sein, zu sprechen; oder, wenn F der generelle Term ist, mit dem wir χ charakterisieren, den Ausdruck »je's F-heit« zu verwenden. Es gilt also: (SD - Sprachliches Datum) Wenn man zu Recht sagen kann, χ sei F, dann kann man auch mit Sinn von x's F-heit reden. Man könnte dieses sprachliche Datum nun in Existenzbedingungen für Adhärenzen ummünzen, und erhielte: (EA - Existenzbedingungen für Adhärenzen) Wenn man zu Recht sagen kann, χ sei F, dann existiert eine Adhärenz a, deren Träger χ ist.81 Aber es ist wichtig zu sehen, daß kein direkter Weg von dem angeführten sprachlichen Datum zu diesen Existenzbedingungen fuhrt. In (SD) wird etwas über die sprachliche Legitimität gewisser Sprachformen gesagt. Gegen die Verwendung von Termen wie „x's F-heit" scheint man allenfalls dann und wann stilistische Bedenken ins Feld fuhren zu können. Nun lassen aber Ausdrücke der Form „x's F-heit", wie ich zu Beginn des Kapitels festgestellt habe, verschiedene Lesarten zu - nur in einer von mehreren möglichen Lesarten bezeichnet man mit solchen Termen Adhärenzen; in einer anderen Verwendung kann man mit ihnen Attribute, in einer weiteren Verwendung Tatsachen bezeichnen (und möglicherweise gibt es weitere Verwendungen). Um aus der Legitimität der Verwendrag eines solchen Terms auf die Existenz einer von ihm bezeichneten Adhärenz zu schließen, muß man den Term also in einer bestimmten Weise interpretieren. Der Schritt von (SD) zu (EA) setzt voraus, daß eine Interpretation besagter Terme als Bezeichnungen für Adhärenzen in allen Fällen zulässig ist. Doch das ist eine zusätzliche Annahme, die mit (SD) alleine nicht gestützt werden kann.
81
Ein derart uneingeschränktes Prinzip scheint tatsächlich Chisholm (1986: 99) zu propagieren.
Der Adhärenzbegriff
im Alltag
219
Es mag nun Gründe geben, (EA) nicht in dieser Allgemeinheit zu akzeptieren; falls es sie gibt, und man (EA) ihretwegen aufgibt, sollte man aber keineswegs auch (SD) aufgeben - zumindest dann nicht, wenn man seine Ontologie von Adhärenzen in den Dienst deskriptiver Metaphysik stellen will und nicht an einer philosophisch motivierten Sprachreform interessiert ist. Ich will hier kurz einige Fälle ansprechen, die manchen Philosophen geneigt machen, (EA) nur in einer eingeschränkten Version zu vertreten. 1. Adhärenzen von nicht (mehr) existenten Entitäteril - Für die Frage nach der Korrektheit von (EA) sind einerseits die Einsetzungen des Platzhalters „F", der einen generellen Term vertritt, entscheidend. Adhärenzen werden meist als permanent trägerabhängige Entitäten begriffen; zu jedem Zeitpunkt, zu welchem eine Adhärenz existiert, existiert auch ihr Träger.82 Doch gibt es korrekte Aussagen, die man über dahingeschiedene Dinge machen kann. Bischof Berkeley ist seit über 300 Jahren tot, was man vor 200 Jahren noch nicht zu Recht von ihm behaupten konnte. Gibt es daher seine Adhärenz vom Typ seit über dreihundert Jahren tot zu sein? Kaum einer würde dies annehmen; gäbe es sie, wäre sie jedenfalls in ihrer Existenz gerade nicht permanent abhängig von der Existenz Berkeleys (freilich ist das Totsein einer Person, um was immer es sich dabei nun handelt, mindestens in einem historischen Sinn von ihr abhängig;83 hätte es Berkeley nie gegeben, so könnte es auch seine Beschaffenheit, tot zu sein, nicht geben). Negative singulare Existenzaussagen, deren Semantik Gegenstand langer und ausgefeilter Kontroversen ist, bergen weiteres Problempotential für (EA): Der Astronom Urbain Leverrier ist unter anderem dafür bekannt, daß er aufgrund theoretischer Berechnungen die Existenz des bis dahin unentdeckten Planeten Neptuns angenommen hat (diese Annahme sollte gewisse, von der Erwartung abweichende Daten bezüglich der Umlaufbahn des Planeten Uranus erklären). Nachdem Leverriers Annahme durch die Entdeckung Neptuns bestätigt worden war, stellte er zur Erklärung weiterer abweichender Daten (diesmal bezüglich des Merkurs) erneut die Hypothese der Existenz eines Pla-
82 83
Siehe das obige Prinzip (TAA) in Abschnitt 3.f. Zum Begriff der historischen Abhängigkeit vgl. Kapitel 4, Abschnitt 3.f.
220
Kapitel 2: Adhärenzen
netens auf. Er taufte seine vermeintliche zweite Entdeckung auf den Namen „Vulkan" - doch seine Theorie erwies sich als fehlerhaft; Vulkan existiert nicht. Gibt es nun an seiner Statt eine besondere Adhärenz, seine Nichtexistenz^ Im Gegensatz zur oben angesprochenen Eigenschaft, verstorben zu sein, ist die Nichtexistenz eines Gegenstandes, verstanden in einem absoluten Sinn (also nicht als Nichtexistenz bloß zu diesem oder jenen Zeitpunkt sondern zu allen), offenbar in keinem Sinne abhängig von ihm - auch nicht in einem historischen. Die Annahme solcher Nichtexistenzen würde zudem eine Reihe eigentümlicher Fragen aufwerfen: worin unterscheiden sich die Nichtexistenz von Vulkan und die Nichtexistenz von, sagen wir einmal, Sherlock Holmes? Die Antwort kann schlechterdings nicht lauten: darin, daß ihre Träger verschieden sind - denn solche Träger gibt es ja gerade nicht. Es scheint gute Gründe zu geben, keine solchen Adhärenzen der Nichtexistenz anzunehmen, und also nicht alle Instanzen von (EA) zu akzeptieren. Doch wenn also einige Einsetzungen für das „F" in (EA) keine wahre Aussage erzeugen, stellt sich natürlich die Preisfrage, welche genau dies sind. Und leider ist es nicht eben einfach, generelle Terme hierbei nach einem schlichten Muster in Töpfchen und Kröpfchen zu sortieren. Die obigen Beispiele mögen eine Idee vorgeben. Es handelt sich bei atomaren Aussagen der Form „Fo", für deren Wahrheit es keine Voraussetzung ist, daß der enthaltene singulare Term tatsächlich etwas bezeichnet, allemal nicht um prototypische Aussagen dieser Form. Denn solche sind, so kann man guten Gewissens vertreten, nur dann wahr, wenn ihr Subjektterm etwas bezeichnet, wenn also die Existenzaussage wahr ist, die man aus ihm und dem Prädikat „existiert" bilden kann.84 Doch einige Aussagen, die man anscheinend über ein Individuum in Hinblick auf einen Zeitpunkt t macht, sind, wie gesehen, gerade dann wahr, wenn besagtes Individuum zu t nicht existiert. Sagen wir, daß generelle Terme, die das folgende Schema erfüllen, (momentane) Nichtexistenz implizieren-.
84
So auch Evans (1982: 344).
Der Adhärenzbegriff im Alltag
221
(Schema: momentane Nichtexistenz) χ ist zu t F
χ existiert nicht zu t.
Beispiele solcher Terme sind „vaporisiert", „verstorben", „nicht mehr existent" etc. Absolute negative Existenzaussagen zeigen, daß es auch Terme gibt, welche absolute Nichtexistenz implizieren; sie erfüllen das Schema: (Schema: absolute Nichtexistenz) χ ist F
-i E!x.85
Es scheint nun plausibel, für die Gültigkeit des Schemas (EA), das Existenzbedingungen für Adhärenzen formuliert, solche Instanzen des Platzhalters „F" auszuschließen, die (momentane oder absolute) Nichtexistenz implizieren. Doch damit ist es leider nicht getan; denn es gibt berühmte Personen, Menschen, die in aller Munde sind, und manche solcher Menschen sind quicklebendig und stehen in der Blüte ihrer Existenz. Demnach wäre es falsch anzunehmen, daß der generelle Term „berühmt" (momentane oder gar absolute) Nichtexistenz impliziert. Doch kann man Berühmtheit zu Recht auch diversen dahingeschiedenen Personen nachsagen. Bischof Berkeley ist ein berühmter Philosoph, und er ist heute womöglich berühmter, als er es in vierhundert Jahren sein wird. Dennoch will kaum einer eine Berühmtheits-Adhärenz annehmen, die dem nicht mehr vorhandenen Berkeley inhäriert (wiederum könnte eine solche nicht permanent trägerabhängig von ihm sein). Ähnliches gilt für „ist (physisch) abwesend". Bleibt Belmondo einer Veranstaltung fern, kann man sich über seine Abwesenheit mokieren, Spekulationen über ihre Gründe anstellen, sie zur Kenntnis nehmen etc. Nun impliziert „ist abwesend" aber keine Nichtexistenz Belmondo muß nicht erst verscheiden, um irgendeine Feierlichkeit zu meiden. Allerdings kann man eben auch die Abwesenheit einer verstorbenen Person bemerken, über sie reden etc. Wiederum ist es nicht verlockend, eine Adhärenz vom Typ Abwesenheit anzunehmen; was zeigt, daß der Ausschluß von Termen, die Nichtexistenz implizieren, nicht ausreicht, um das (EA) in ein gültiges Prinzip zu verwandeln.
85
„E!x" ist das Existenzprädikat (gelesen: „x existiert"), definierbar durch: (Df.E!)
EU
" wird. So ist ζ. В. „Frank kicked John" diesem Modell zufolge zu verstehen wie „there is a kick which Frank kicked John". Siehe Davidson, Logical Form: 135 und vgl. 118f.
Sind Adhärenzterme relationale Kennzeichnungen?
229
Zu Recht mag man diese Paraphrasen zunächst einfach undurchsichtig finden. Sicherlich gibt es einige Prädikate, die grammatikalisch sowohl in monadischer wie auch in relationaler Verwendung auftauchen können. Bei einem solchen Prädikat mag es plausibel sein, daß seine monadische Verwendung durch seine relationale erklärt werden kann, so daß die logisch transparente Wiedergabe eines Satzes, in dem das Prädikat monadisch verwendet wird, dasselbe Prädikat in der relationalen Verwendung enthält. Beispielsweise scheint man mit „Jean ist verheiratet" im wesentlichen soviel zu meinen wie mit „Es gibt jemanden, mit dem Jean verheiratet ist".11 Doch auch wenn diese Paraphrase einiges für sich hat, so sollte man den entscheidenden Unterschied zum Fall der Handlungsverben nicht übersehen. Die Paraphrase macht Gebrauch vom Prädikat „x ist verheiratet m i t / ' , einem relationalen Prädikat mit einer etablierten Verwendung. Genau deswegen ist die Paraphrase so verständlich und naheliegend, wie sie ist. Bei vielen hier einschlägigen Handlungsverben ist das aber gerade nicht der Fall.12 Es scheint keine übliche Verwendung von Verben wie „vor sich hin träumen", „aufwachen" oder „fallen" als relationale Prädikate zu geben. Wie also sollen wir ihren relationalen Gebrauch ä la Davidson dann verstehen? Als Modell bietet sich (und bietet Wiggins uns)13 das grammatische Phänomen interner Akkusative an. Es gibt durchaus Wendungen der von Davidson beschworenen Form „to φ a φ-ing": Einem Alltagssprecher verständliche Beispiele aus dem Englischen wären etwa „to fight a fight", „to walk a walk", „to dream a dream"; das Deutsche erlaubt unter anderem „einen (tiefen) Schlaf schlafen", „einen Tanz tanzen" und „einen Kampf kämpfen". Während hier die internen Akkusative tatsächlich (im Englischen vollständig und Deutschen nahezu) homophon mit den entsprechenden Verben sind, gibt es verwandte Wendungen, bei denen Akkusativ und Verb unterschiedliche Wörter sind: „to win a victory", „to fight a battle", „to strike a blow" sind Beispiele des Englischen, und im Deutschen gibt es „einen Heldentod sterben", „einen Walzer tanzen", „eine Schlacht schlagen",
11
12 13
Ob man tatsächlich dasselbe damit meint, sei dahin gestellt - die Frage muß hier jedenfalls nicht entschieden werden. Das betonen Williams (1989: 144) und Künne (1993: 16f.). Wiggins 1986: 292.
Appendix zu Kapitel 2
230
„einen doppelten Rittberger springen" und andere mehr (man entschuldige die martialischen Beispiele). Das mag einen Weg vorgeben, sich den relationalen Gebrauch auch von solchen Verben, die keine etablierte relationale Verwendung haben, durch Analogie mit internen Akkusativen zu erklären. Wie die Unterschiede zwischen den drei Formen (LF-1) bis (LF-3) nun theoretisch zu bewerten sind, und ob Davidsons Ansatz überhaupt auf der richtigen Fährte ist, will ich hier nicht weiter verfolgen. Denn dieser kurze Abriß von Davidsons Theorie sollte für seinen Zweck, nämlich die Diskussion von Hymans und Williams' Argument gegen (KT), bereits genügen.
c. Das Hauptargument
von Hyman & Williams
Nun also zurück zu Williams und Hyman sowie ihren Bedenken gegen (KT). Hyman meint wie folgt nachweisen zu können, daß der Genitiv in kanonischen Ereignistermen keine Relation signifiziert: [...] if we claim that "the death of Socrates" is a relational description, we imply that the verb "died" in the sentence "Socrates died" expresses a relation. If we choose being the subject of, the paraphrase of "Socrates died" which makes this explicit packs more information into the noun: "Socrates was the subject of a death". If we choose dying, the paraphrase packs more information into the verb: "Socrates died something". But either way, we can decide whether "the death of Socrates" is a relational description by deciding whether the verb "died" in the sentence "Socrates died" expresses a relation. (Hyman 2001: 303)14 Hymans Hauptargument (P-l)
14
15
16
ist das folgende: 15
Wenn kanonische Ereignisterme der Form „as φ-ing" relationale Kennzeichnungen sind, dann signifiziert das Verb „to φ" in „a φ-s" eine Relation. 16
Vgl. auch folgende Stelle: „[...] the verb 'died' in the sentence 'Socrates died' does not express a relation; and hence [...] 'the death of Socrates' is not a relational description." (Hyman 2001: 305). Man kann Hymans Argument als Ausbuchstabierung einer weniger expliziten Argumentation von Williams (1992: 143-145) ansehen. Ich benutze „signiflzieren", wo Hyman von „express" redet, und gehe davon aus, daß meine Terminologie seinen Intentionen gerecht wird.
Sind Adhärenzterme relationale Kennzeichnungen?
231
(P-2) Das Verb in „to φ" in „a φ-s" signifiziert keine Relation. (K)
Also sind kanonische Eigenschaftsterme keine relationalen Kennzeichnungen.
Im weiteren präsentiert Hyman zwei Argumente dafür, daß das Verb „to die" keine Relation signifziert. Ob sie überhaupt für die Frage der Wahrheit von (KT) relevant sind, hängt davon ab, ob man das gerade dargestellte Argument für gut befindet. Betrachten wir es also einmal genauer: die angekündigte Verknüpfung von (KT) und einem Aspekt von Davidsons Auffassung von Handlungssätzen wird in Prämisse (P-l) hergestellt. Die beiden von Hyman angegebenen Paraphrasen des Satzes „Socrates dies" entsprechen den oben angegeben Vorschlägen zur logischen Form solcher Sätze; „Socrates was the subject of a death" entspricht der Form (LF-1), „Socrates died something" hingegen der Form (LF-3). Nun faßt Hyman das Konsequenz von (P-l) offenbar als einen der Eckpfeiler von Davidsons Position auf.17 Strenggenommen tut er wohl nicht gut daran, da es sich bestenfalls um eine irreführende Formulierung eines solchen Eckpfeilers handelt. Die Irreführung mag freilich von Davidson selbst herrühren, der wiederholt seine Position in Worte verpackte, wie „I suggest [...] that we think of 'kicked' as a three-place predicate"18. Doch man sollte Prädikate offenbar nicht als etwas behandeln, das sie nicht sind; und wenn ein Satz der Art „a φ-s" wohlgeformt ist und eine Proposition ausdrückt, dann kann „φ-s" keine Relation signifizieren. Denn wie sollte ein Relationsausdruck, der das Verb „φ-s" somit wäre, zusammen mit einem singulären Term hinreichen, um eine Proposition auszudrücken? Was man im Sinne Davidsons sagen könnte und sollte, braucht daher mehr Atem: das Prädikat in „a φ-s" signifiziert eine relationale Eigenschaft, eine Eigenschaft, die zu haben darin besteht, daß man in einer bestimmten Relation zu einem anderen Gegenstand steht. In diesem Fall ist es kein bestimmter anderer Gegenstand, da laut Davidson die Form des Satzes die einer Existenzquantifikation ist. Also signifiziert das Prädikat die relationale
17
18
So schreibt Hyman (2001: 303): „If Davidson is right, the sentence 'Socrates died' is similar. The verb 'died' expresses a relation between Socrates and an event." Davidson, Logical Form: 118.
232
Appendix zu Kapitel 2
Beschaffenheit, zu irgendeinem Gegenstand in einer gewissen Relation zu stehen. Diese Relation kann nun durch einen relationalen Gebrauch des Verbs „to φ" signifiziert werden; aber ein solcher ist eben nicht dieselbe Verwendung wie die monadische im ursprünglichen Satz.19 Ebenso verhält es sich bei dem monadischen Gebrauch von ,jc ist verheiratet". Auch wenn ist verheiratet" soviel meint wie )Tx ist mit jemandem verheiratet", bleibt bestehen, daß „verheiratet" im ersten Fall eine Eigenschaft (aber eben eine relationale) und keine Relation signifiziert. Doch nun zur wichtigeren Frage: wieso sollten wir Hyman bei Prämisse (P-l) (in einer bereinigten Version, in der von einer relationalen Eigenschaft statt einer Relation die Rede ist) folgen? Wenn „a's φ-ing" eine relationale Kennzeichnung ist, dann darum, weil der enthaltene Genitiv eine Relation signifiziert, die zwischen dem Ereignis des φ-ens und α besteht. Warum soll dies nicht unabhängig davon der Fall sein können, ob das Prädikat in „a φ-s" eine relationale oder nicht-relationale Beschaffenheit signifiziert? Leider liefert Hyman keinerlei Begründung für (P-l) sondern präsentiert diese These als eine Selbstverständlichkeit. Doch offenbar ist sie keine: man kann Ereignisterme durchaus fur relationale Kennzeichnungen halten, ohne nur einen Schimmer von Davidsons Auffassung über Ereignissätze zu haben. Auch scheint (P-l) allenfalls so evident wie ihr folgender Verwandter: (R) Wenn „das Rot der Kacheln" eine relationale Kennzeichnung ist, dann signifiziert das Prädikat „ist rot" in „Die Kacheln sind rot" eine Relation. Und ich kenne niemanden, der behaupten würde, es handele sich bei (R) um eine Trivialität (ich kenne tatsächlich niemanden, der (R) oder eine analoge These je vertreten hätte). Hyman braucht also argumentative Stützung für Prämisse (P-l). Vielleicht schwebt ihm, wenn er die Prämisse vertritt, in etwa die fol19
Eventuell will Hyman das „x expresses a relation" gewissermaßen „partiell" verstanden wissen; so daß beispielsweise der Ausdruck ist verheiratet mit Marilyn Monroe" sowohl eine relationale Eigenschaft signifiziert wie auch die durch den Relationsausdruck Jrx ist verheiratet mit У signifizierte Relation. Dann wäre seine Formulierung nicht falsch, sondern nur wenig präzise.
Sind Adhärenzterme relationale Kennzeichnungen?
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gende Begründung vor: Ereignisterme wie „a's φ-ing" sind Nominalisierungen von zugrundeliegenden Sätzen der Form „a φ-s". Sie sind durch gewisse systematische Transformationsregeln aus ihnen zu bilden. Daher können in ihnen keine Elemente vorkommen, die nicht bereits im zugrundeliegenden Satz enthalten wären.20 Doch die Formulierung dieser Überlegung ist vage gehalten (was genau zählt hier als Element?), und sie zu präzisieren fällt schwer. Vor allem scheint sie einfach eine Möglichkeit außer Acht zu lassen; die Transformationsregeln selbst könnten ja durchaus neue „Elemente" ins Spiel bringen, die im zugrundeliegenden Satz nicht vorhanden waren. Daß die relevanten Transformationsregeln dies tatsächlich tun, wird an einem unkontroversen Fall deutlich: Gewiß enthält der zugrundeliegende Satz „a φ-s" keinen generellen Term für Ereignisse, und natürlich auch keinen singulären. Aber es ist unbestritten (von Hyman und von Williams zumindest), daß die Nominalisierung „a's φ-ing" erstens selber ein singulärer Term für Ereignisse ist und zweitens einen generellen Term für Ereignisse, nämlich „φ-ing", enthält. Es wäre unsinnig, dies aufgrund der Tatsache zu leugnen, daß der zugrundeliegende Satz keine Terme dieser Art enthält. Es folgt aber somit auch, daß in der Nominalisierung eine Eigenschaft signifiziert wird, die im zugrundeliegenden Satz von keinem Ausdruck signifiziert wurde; nämlich die Eigenschaft, die vom enthaltenen generellen Ereignisterm signifiziert wird, also die Eigenschaft, ein φ-en zu sein. Ähnliches gilt für das relationale Element in „das Rot dieser Kacheln"; Farben kann man haben oder besitzen, und auf ein solches Besitzverhältnis wird in der eben genannten Kennzeichnung abgehoben, um auf eine bestimmte Farbe Bezug zu nehmen. Doch dieses Verhältnis spielt keine Rolle im Satz „Diese Kacheln sind rot", von dem die 20
Dieser Gedankengang mag hinter Williams' folgender Feststellung stehen: In the case of direct nominalizations [...] the genitive [...] does not signify any relation at all. It is simply part of the transformation which converts a proposition into a noun phrase. (Williams 1989: 145, meine Hervorhebung) Auch Hyman betont den Umstand, daß „we can form a nominalization of a sentence by a simple procedure" (Hyman 2001: 301). Trotzdem verbleibt der obige Vorschlag spekulativ - es macht eben keiner der beiden Autoren explizit, wieso man Prämisse (P-l) des Hauptarguments plausibel finden sollte.
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Appendix zu Kapitel 2
Kennzeichnung „das Rot dieser Kacheln" eine Nominalisierung darstellt. Genau so kann es sich nun bei der Subjektrelation verhalten; sie ist ein neues Element, das bei der systematischen Transformation eines Handlungssatzes in seine Nominalisierung erst ins Spiel kommt. Diese Überlegungen beweisen zwar nicht im strengen Sinne die Falschheit von Hymans Prämisse (P-l); aber sie zeigen auf, daß ein Vertreter von (P-l) in jedem Fall ein starkes Argument bräuchte, um die These zu etablieren. Da ein solches weder bei Hyman noch bei Williams zu finden ist, kann ihr Hauptargument nicht überzeugen. Ihre Bemühungen, Prämisse (P-2) zu stützen, etablieren somit, selbst wenn man sie für erfolgreich hält, keineswegs die Falschheit von (KT) - auch wenn sie möglicherweise für Davidsons Analyse der logischen Form von Handlungssätzen problematisch wären. Doch (KT) kann man eben auch dann getrost vertreten, wenn man Davidson Programm ablehnt oder ihm gegenüber Epoche übt. Dennoch will ich mir eine dieser Bemühungen noch anschauen. Wenn man sie getrennt vom nicht erfolgreichen Hauptargument betrachtet, ist sie im gegenwärtigen Kontext doch von einem gewissen Interesse.
d. Williams über interne Akkusative Im Abschnitt über Davidson habe ich dargelegt, wie Wiggins bei der Schilderung von Davidsons Auffassung über Handlungssätze mindestens zu illustrativen Zwecken auf die grammatische Konstruktion interner Akkusative zurückgreift (ich bezeichne im folgenden, um Atem zu sparen, die gesamten Konstruktionen bisweilen als „interne Akkusative"; dies sollte stets aus dem Kontext klar hervorgehen). Williams hingegen lehnt ein relationales Verständnis solcher Konstruktionen ab, und deshalb auch Davidsons semantische These über Handlungssätze. Er argumentiert anscheinend wie folgt: (P-l) Davidsons These zur logischen Form von Handlungssätzen impliziert, daß einfache Verben implizit relational sind. (P-2) Nur wenn interne Akkusative Relationen signifizieren, könnte man einfache Verben als implizit relational begreifen (indem man diejenigen Verben, die interne Akkusative erlauben, als Modell für alle Verben nimmt).
SindAdhärenzterme
relationale Kennzeichnungen?
235
(P-3) Interne Akkusative signifizieren keine Relationen. (K)
Also scheitert Davidsons These zur logischen Form von Handlungssätzen.
Die Argumentation setzt voraus, daß die einzige Möglichkeit, wie man einfache Verben als implizit relational begreifen könnte, über den Umweg interner Akkusative läuft. Ob tatsächlich eine dermaßen starke Kopplung von Davidsons Theorie an das Verständnis interner Akkusative besteht, will ich offenlassen - es geht mir hier nicht um eine Verteidigung Davidsons. Was mich interessiert, ist Williams' Argument gegen ein relationales Verständnis interner Akkusative; denn das ist, unabhängig von seiner Bedeutung für Davidsons Programm, in Hinsicht auf (KT) von Interesse. Denn für das Verständnis von Ereignistermen als Kennzeichnungen kann man Gebrauch von der Konstruktion interner Akkusative machen. Die Russellsche Analyse von: (1)
Rockys Kampf gegen Drago ging über zwölf Runden,
kann umgangssprachlich formuliert werden durch: (1*)
Es gibt genau einen Kampf, den Rocky gegen Drago ausgetragen hat, und dieser ging über zwölf Runden.
In vielen Fällen kann man die relationale Struktur von Kennzeichnungen für Ereignisse am besten durch die Konstruktion interner Akkusative wiedergeben. Wenn diese tatsächlich relational zu verstehen sind, so stützt dies (KT) und legitimiert die Zuschreibung eines Wissens um die Subjektrelation bei gewöhnlichen Sprechern. Und so versuche ich im folgenden darzulegen, daß man interne Akkusative durchaus relational verstehen kann - entgegen Williams' Meinung. Kann man nun also Konstruktionen der Form „x φ-t ein ψ-en", wenn es sich bei „ψ-en" um einen internen Akkusativ handelt, so verstehen, daß der Akkusativ ein Relatum einer mittels des Verbs „φ-t" signifizierten Relation bezeichnet? Das folgende Argument von Williams soll eine negative Antwort etablieren:21 [Davidson's theory] suggests that "Jack fell e" or "Sebastian strolled x" are to be understood by analogy with "Mary danced a dance" or "Joseph dreamed a dream" or "Henry hit a six". The accusatives are internal accu21
Hyman (2001: 304) übernimmt das Argument in eben dieser Form.
236
Appendix zu Kapitel 2
satives. But we get into trouble if we take such accusatives as specifying terms of genuine relations, as external accusatives do. "Bonzo fights only what he hates; Bonzo has fought many cats; ergo Bonzo hates cats" is a valid argument. Not so "Bonzo fights only what he hates; Bonzo has fought many fights; ergo Bonzo hates fights". (Williams 1989: 144) Williams argumentiert also wie folgt: (P-l) Wenn das Verb „to fight" in Wendungen der Art „to fight a fight" eine Relation signifiziert, so ist das folgende Argument schlüssig: (A-l) Bonzo fights only what he hates; Bonzo has fought many fights; ergo: Bonzo hates fights. (P-2) Argument (A-1) ist nicht schlüssig. (К)
Also signifiziert das Verb „to fight" in Wendungen der Art „to fight a fight" keine Relation.
Die Konklusion, die Williams zieht, folgt zwar zwingend aus seinen Voraussetzungen, aber die erste Prämisse kann mit gutem Grund bezweifelt werden. Betrachten wir sie einmal genauer: Wenn in (A-l) eine Äquivokation hinsichtlich des Verbs „to fight" vorliegt, so wie es in den beiden Prämissen verwendet wird, dann ist das Argument sicherlich nicht schlüssig. Denn das Argument ist nur daher diskutabel, weil es scheinen kann, als habe es eine gültige Struktur. Nun ist diese leider nicht ohne weiteres präzise wiederzugeben; insbesondere könnte man darüber streiten, wie genau die Konklusion aufzufassen ist.22 Aber man kann ein analoges Argument bilden, welches klarerweise innerhalb der Quantorenlogik erster Ordnung darstellbar ist: (A-2)
Bonzo fights only those things which he hates. Bonzo has fought some fights. ergo: Some fights are such that Bonzo hates them.
Um unnötige Komplikationen mit der Struktur von (A-l) zu vermeiden werde ich mich auf (A-2) konzentrieren. Oberflächlich betrachtet 22
Handelt es sich um eine implizite Quantifikation? Wenn ja, welche? Geht man von einer Allquantifikation aus, schwächt dies den Eindruck der formalen Gültigkeit des Arguments.
SindAdhärenzterme relationale Kennzeichnungen?
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scheint dieses Argument das folgende Argumentschema zu instantiieren (wobei ich die Tempora der Verben vernachlässige): (A-2S) Vx (Rax ->· Qax) 3x (Rax & Fx) ergo 3x (Qax & Fx) Doch (A-2S) gibt nur dann die Struktur von (A-2) korrekt wieder, wenn das Verb „to fight" in beiden Prämissen in derselben Bedeutung verwendet wird und somit die Repräsentation durch denselben Prädikatbuchstaben gerechtfertigt ist. Nun gilt sicherlich, daß „to fight" in der ersten Prämisse eine Relation signifiziert. Wenn es dies in der zweiten Prämisse, wie Williams behauptet, nicht tut, so liegt eine Äquivokation im Gebrauch vor, und das Argument ist daher nicht schlüssig. Doch könnte eine Äquivokation ja durchaus auch dann vorliegen, wenn das Verb in beiden Prämissen eine Relation signifiziert, nur jeweils eine andere. Und auch dann wäre (A-2) keine Instanz des Schemas (A-2S) und nicht schlüssig, und eben dasselbe gilt auch für (A-l). Mithin kann man Prämisse (1) von Williams' Argument zurückweisen. Daß „to fight" in der ersten Prämisse eine Relation signifiziert, reicht nicht für die Schlüssigkeit des Arguments hin. Bisher habe ich lediglich festgestellt, daß eine Äquivokation erklären würde, warum das Argument nicht schlüssig ist - doch liegt eine solche denn nun vor, und wenn ja, welcher Art? Ein Übersetzungstest liefert hier die Antwort: Man scheitert bei dem Versuch, Argument (A-l) im Deutschen so wiederzugeben, daß die Form des Arguments ebenso wie im Englischen zunächst schlüssig aussieht. Denn es gibt kein Verb, das sowohl für die Übersetzung der ersten wie auch der zweiten Prämisse in Frage kommt. Die erste kann man mit „Bonzo bekämpft nur das, was er haßt" oder „Bonzo kämpft nur gegen etwas, das er haßt" übersetzen, die zweite hingegen mit „Bonzo hat schon viele Kämpfe gekämpft / ausgefochten / ausgetragen". Im ersten Fall ist das Verb „gegen (etwas) kämpfen" oder „bekämpfen", im zweiten „kämpfen", „austragen", „ausfechten". Daher wird das Verb „to fight" tatsächlich ambig gebraucht, was aber nichts darüber aussagt, ob es in der zweiten Prämisse ein echt relationales Prädikat ist oder nicht. Ein Befürworter von (KT), der These, daß kanonische Ereignisterme relationale Kennzeichnungen sind, kann nun nachlegen. Ausgehend von Williams' fehlerhaftem Argument kann man sogar Stützung
238
Appendix zu Kapitel 2
für die These gewinnen, daß „to fight" in der zweiten Prämisse von (A-l) bzw. (A-2) eine Relation signifiziert. Denn das folgende ist ein schlüssiges Argument: (A-3)
Bonzo fights only long and bloody fights. The fight which has been fought behind the house has been fought by Bonzo. ergo The fight which has been fought behind the house has been a long and bloody fight.
Die offensichtliche Gültigkeit von (A-3) kann wünschenswert einfach durch die Annahme erklärt werden, daß das Verb „to fight" hierin eine Relation signifiziert. Denn dann instantiiert (A-3) das Schema (A-3S) Vx (Rax -> Lx) Rab ergo Lb. Etliche ähnliche Argumente sind gültig; ein weiteres Beispiel wäre (A-4)
Whoever has fought this fight must have lost some feathers. Bonzo and Bela have fought this fight. ergo Bonzo and Bela must have lost some feathers.
Und wiederum ist die Gültigkeit des Arguments hervorragend erklärbar unter der Annahme, „to fight" signifiziere eine Relation. Williams' Argument enthält nicht bloß eine begründungsbedürftige Prämisse, sondern liefert obendrein den Stoff für Argumente, welche die These seiner Gegner stützen. Daß interne Akkusative mindestens manchmal relational gebraucht werden, zeigt sich schließlich auch an der Möglichkeit, mit Sätzen wie dem folgenden etwas Wahres zu sagen: (1)
Er hat den Kampf nur gesehen, aber er hat ihn nicht ausgefochten.
Hier findet sich eine Verschränkung eines internen Akkusativs („den Kampf ausfechten") mit einem prototypischen Vertreter eines externen Akkusativs („den Kampf sehen"). Die Möglichkeit des anaphorischen Rückbezugs zwischen beiden Kontexten verlangt, auch den internen Akkusativ als aufspaltbar zu lesen, aufspaltbar in einen sortalen Ereignisterm und ein „echt" relationales Bindeverb. Williams'
Sind Adhärenzterme relationale Kennzeichnungen?
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Auffassung erweist sich als falsch, da sie die angeführten Konstruktionen nicht erklären könnte. Interne Akkusative, so habe ich argumentiert, sind, was sie ihrer Grammatik nach zu sein scheinen: nämlich relational. Nun ist es aber zugleich plausibel, daß zwischen jedem Handelnden χ und einer seiner Handlungen, h, ein und dieselbe Relation besteht - nämlich die Relation, daß χ das Subjekt von h ist. Postuliert dann nicht die relationale Interpretation interner Akkusative, die ja mit einer Vielzahl verschiedener Verben operieren, eine Vielzahl verschiedener Relationen, wo eine solche nicht wirklich einsichtig ist? Die Antwort fällt negativ aus; denn man muß nicht zu jedem der verschiedenen Verben auch gleichzeitig eine eigene signifizierte Relation annehmen, wie Bennett klar sieht: It is more natural to say "He took a walk" than to say "He took a dance", but obviously a walker's relation to his walk is the same as the dancer's to his dance. (Bennett 1991b: 647) Es ist attraktiv, die von internen Akkusativen begleiteten Verben einfach als Ausdruck derselben Relation, nämlich der Subjektrelation, zu nehmen, und die Unterschiede zwischen den Verben allein auf der sprachlichen Ebene zu verbuchen (demnach würde das „to fight" in „to fight a fight" einfach die Subjektrelation signifizieren, ebenso wie das „to dream" in „to dream a dream", oder wie „ausführen", „verüben", etc. in anderen Konstruktionen). Wir kleiden die Subjektrelation einfach in mannigfaltige sprachliche Gewänder. An dieser Stelle beende ich meine Beschäftigung mit Williams und Hyman. Sie vermögen es mit den geschilderten Ausführungen nicht, mich davon zu überzeugen, daß kanonische Ereignisterme wie „der Ausbruch des Vesuv" nicht genau das sind, was sie augenfälligerweise zu sein scheinen - Kennzeichnungen, und genauer, relationale Kennzeichnungen. Nicht nur gibt es keine guten Argumente gegen den Augenschein, ich habe zudem durch die präsentierte semantische Analyse kanonischer Adhärenzterme in Kapitel 2, Abschnitt 2 gezeigt, daß und wie er angemessen ausbuchstabieren ist. Mehr bedarf es nicht, um die Kennzeichnungsthese vertreten zu können.
Teil II: Substanzen
Kapitel 3:
Substanzen (eine Einleitung) Kapitelaufbau'.
1. Substanzbegriffe a. Begriffliche Vielfalt b. Der hier einschlägige Substanzbegriff c. Substanzen, ihre Teile und ihre Eigenschaften 2. Substanzen und Unabhängigkeit
Einleitendes Mit den Kapiteln 1 und 2 ist meine Beschäftigung mit den beiden Eigenschaftskategorien vorläufig abgeschlossen. In den restlichen Kapiteln meiner Untersuchung werden zwar Eigenschaften (insbesondere Adhärenzen) noch immer eine wichtige Rolle spielen, doch mein Augenmerk wird vorrangig auf bestimmten Trägem von Eigenschaften liegen. Ich sage bestimmte, denn natürlich kommt kein Gegenstand, welcher Kategorie er auch immer angehören mag, ohne Eigenschaften aus. Diejenigen Eigenschaftsträger, um die es mir gehen wird, nenne ich Substanzen. In diesem Kapitel will ich grundlegende Vorklärungen leisten, mit denen ich die Weichen für die weiteren Kapitel stelle. Insbesondere werde ich (in Abschnitt 1) ausführen, welche Entitäten von mir den Titel „Substanz" verliehen bekommen und was ich mit der Titulierung verbinde. Die anschließenden Kapitel sind sodann der Suche nach einer Definition des von mir präsentierten Substanzbegriffs gewidmet; in Abschnitt 2 gebe ich einen kurzen Ausblick auf den weiteren Verlauf meiner Untersuchung.
244
Kapitel 3: Substanzen (eine Einleitung) 1. S u b s t a n z b e g r i f F e a. Begriffliche
Vielfalt
Der Begriff der Substanz, so könnte man sagen, hat durch die Jahrhunderte eine prominente Rolle in der Metaphysik gespielt. Könnte man - doch es gibt gute Gründe, es zu lassen. Man suggeriert so, es gäbe da einen Begriff, den Philosophinnen mit diesem Terminus auszudrücken pflegen. Und das ist sicherlich falsch. Eine Begründung im Kurzen und in drei Argumenten: Erstens: Das Wort „Substanz" ist ein Kunstausdruck der Philosophie, ein Terminus technicus. (Im Alltag findet er kaum Gebrauch, und wenn doch, dann meint man mit „Substanz" üblicherweise einen schwerwiegenden Gehalt oder chemische Ingredienzen. Beide Verwendungen sind in der philosophischen Debatte nicht eben zentral.) Solche Termini kann man auf zwei verschiedene Weisen einführen, (a) kann man durch Hinweise und Beispiele klarmachen, auf welche Dinge sie zutreffen sollen, (b) kann man eine begriffliche Definition vornehmen, bei der man den Sinn des Ausdrucks festlegt (üblicherweise, indem man ihn als ein Synonym für einen anderen einführt). Je nachdem, auf welche Weise man einen Ausdruck einführt, können unterschiedliche Fragestellungen interessant werden. Im ersten Fall, (a), kann man nach einem gemeinsamen Merkmal der bezeichneten Dinge suchen (insbesondere, wenn man einen intuitiven Zusammenhalt der Extension auszumachen meint). Im zweiten Fall, (b), hingegen kann man nach den Dingen zum Merkmal suchen (wenn nämlich die Extension der zur Definition angeführten Wendung unklar genug ist). Beides sind grundverschiedene Projekte. Daher sollte man sich für einen der Ansätze entscheiden; denn hat man bei der Einführung eines Ausdrucks sowohl eine feste Vorstellung seiner Extension wie auch seiner begrifflichen Definition, läuft man Gefahr, ihm gleich zu Beginn eine Inkohärenz zu verleihen. Es mag sein, daß entgegen der eigenen Überzeugung die Extension und die Definition nicht übereinstimmen, und dann hat man einen begrifflichen Schlamassel. Ein solcher zeichnet die Substanzdebatte aus, denn in ihr sind die beiden beschriebenen grundverschiedenen Ansätze im Spiel: Einerseits wird versucht, eine Definition zu finden, die eine bestimmte als zusammengehörig erfaßte Menge von Entitäten zusammenhält. Ari-
Substanzbegriffe
245
stoteles' Behandlung des Substanzbegriffs in der Kategorienschrift trägt diesen Zug. Andererseits wird nach der Extension von mehr oder weniger klaren Merkmalen gesucht. So läßt sich Spinozas Substanzmonismus verstehen - Spinoza versucht mit seinen Ausführungen zur Substanz eben nicht zu erklären, was gewöhnliche Objekte der Alltagswelt gemeinsam haben. Er versucht vielmehr zu zeigen, daß der Begriff eines in einem starken Sinne unabhängigen Seienden nur von einem einzigen Wesen erfüllt wird. Zweitens·. Neben den beiden unterschiedlichen Fragestellungen, die mit dem Ausdruck „Substanz" verbunden sind, gibt es aber noch andere Gründe, die Substanzdebatte nicht als Debatte um einen Begriff aufzufassen. Als Charakterisierung von Substanzen wurde und wird eine beachtliche Anzahl verschiedener Merkmale angeführt: Substanzen, so kann man lesen, sind ontologisch unabhängige Entitäten, sie sind primäre Bezugsobjekte unseres Begriffssystems, sie sind die eigentlichen Subjekte der Prädikation, sie sind die identisch bleibenden Objekte von Veränderungen.1 Sicherlich werden mit diesen Beschreibungen verschiedene Begriffe ausgedrückt. Geht man also den zweiten der beschriebenen Wege, den der begrifflichen Definition, dann erhält man verschiedene Substanzbegriffe, je nachdem, auf welche Charakterisierung man nun zurückgreift. Drittens·. Bleiben wir noch einen kurzen Moment bei den obigen Charakterisierungen. Die meisten von ihnen sind alles andere als klar und präzise. Man kann Verschiedenes unter ihnen verstehen. Sind sich nun zwei Philosophen in einer Charakterisierung einig, haben aber eingestandenermaßen ein verschiedenes Verständnis von ihr, so liegen wiederum verschiedene Substanzbegriffe vor. Alle drei Faktoren, häufig unbeachtet von den Streitenden, haben zu einer diffusen Diskussionslage und vielem Streit um Worte geführt.2 Eine Voraussetzung für eine klare Auseinandersetzung mit Ideen und Beiträgen des langen Streits um Substanzen ist die Trennung der verschiedenen involvierten Fragestellungen und damit die 1
2
Für einen hilfreichen Überblick verschiedener historisch prominenter Ideen siehe Ayers 1991. Und nicht nur das: die undurchsichtige Lage war auch dazu angetan, schwankende Begriffsbestimmungen innerhalb der Werke ein und desselben Philosophen zu veranlassen (siehe beispielsweise Markie 1994, der verschiedene Substanz-Bestimmungen bei Descartes diskutiert).
246
Kapitel 3: Substanzen (eine Einleitung)
Erkenntnis, daß tatsächlich ein Streit um mehrere, auf interessante Weise verknüpfte Begriffe lange als Streit um einen einzigen Begriff, den der Substanz, geführt wurde.3 Die weitere Untersuchung ist nicht der Versuch einer Klärung des Feldes. Sie ist stattdessen ein Beitrag zu (nur) einem Substanzbegriff. Zu welchem genau, werde ich sogleich erläutern.
3
Zu der verwirrenden Lage um die philosophische Verwendung des Wortes „Substanz" (und der anderssprachigen Entsprechungen des Wortes) haben gewiß zahlreiche Faktoren beigetragen. Einen wichtigen und frühen Ursprung der Mißlichkeiten kann man wohl in der Aristoteles-Rezeption ausmachen, in der häufig nicht zwischen den beiden verschiedenen SubstanzKonzeptionen unterschieden wurde, die Aristoteles in den Kategorien bzw. der Metaphysik verfolgte (sicherlich haben auch andere Faktoren die Lage verschlimmert). Während der Substanzbegriff der Kategorien dem hier untersuchten Begriff zumindest nahesteht und eher in den Bereich der deskriptiven Metaphysik gehört, ist der Begriff aus der Metaphysik genuin anders geprägt (siehe Wedin 2000: insbesondere Kap. 5, für eine detaillierte Diskussion der beiden verschiedenen aristotelischen Begrifflichkeiten).
Substanzbegriffe b. Der hier einschlägige
247
Substanzbegriff
Substanzen, in meinem Sinne, sind dem Alltagsverstand im wesentlichen vertraute Feld-, Wald- und Wiesendinge. Es sind:4 (a)
materielle Gegenstände, nämlich -
-
(b)
Körper, sowohl organische (ζ. B. menschliche) wie anorganische (ζ. B. Wecker oder Berge), Teile von Körpern, sowohl organische (ζ. B. Zehen und Schultergürtel) wie anorganische (ζ. B. ein Zifferblatt oder ein Berggipfel), Stoffportionen (wie Rauchwolken, Ölteppiche, Wasserlachen) und ihre Teile, sowie Gruppen von den bisher genannten Gegenständen (so etwa Volleyballteams, Kronkorkensammlungen, der Besitz von König Kroisos, Undines Tränenregen, die Milchstraße oder auch das Universum). 5
Personen.
Was Personen genau sind, darüber streiten sich Philosophinnen von je her. Einige nun meinen, Personen seien immaterielle, geistige Entitä-
4
5
Vgl. Hoffman und Rosenkrantz (1994: 22-28), die einen mit meinem weitgehend übereinstimmenden Substanzbegriff charakterisieren. Damit, daß ich bereit bin, auch derartig lose Ansammlungen von Substanzen, wie es Kronkorkensammlungen zugegebenermaßen sind, unter meinen Substanzbegriff zu subsumieren, werfe ich mein begriffliches Netz weiter aus, als es viele Philosophen tun würden. Häufig wird von Substanzen eine gewisse Art der Einheit bzw. des einheitlichen Zusammenhangs gefordert. Nur ist es schwierig, die möglicherweise intuitiv vorhandene Idee von Einheit präzise auszubuchstabieren (für entsprechende Versuche siehe z.B. Ayers 1991: 72-82 sowie Hoffman & Rosenkrantz 1997: Kap. 3 und 4). Meine Entscheidung zugunsten eines so großzügigen Substanzbegriffs ist teilweise dadurch motiviert, daß ich auf diese Weise Diskussionen über den notorisch schwierigen Begriff der Einheit vermeiden kann. In jedem Fall denke ich, daß an der Entscheidung nicht sonderlich viel hängt, da Vertreter eines engeren Substanzbegriffs sich leicht einen Reim auf meinen weiteren machen können, indem sie ihn aus ihrem engeren Begriff konstruieren: etwas ist eine Substanz in meinem Sinne, wenn es (i) eine Substanz in ihrem Sinne ist oder (ii) eine Ansammlung von Substanzen in ihrem Sinn.
Kapitel 3: Substanzen (eine Einleitungj
248
ten, Seelen. Dieser Position zolle ich Tribut und nehme einen weiteren Eintrag in meine Liste auf: (c)
immaterielle Gegenstände (genauer gesagt: Seelen), sowohl kontingenterweise existierende als auch notwendigerweise existierende (sprich, eine, oder eher die, Gottheit).
Diesen letzten Eintrag sollte man nicht falsch verstehen. Ich vertrete nicht etwa einen Substanzdualismus und setze schon gar nicht die Existenz Gottes voraus. Daß Seelen (wie sie ein Dualist sich und uns vorstellt), sowohl menschliche wie die göttliche, Substanzen sind, soll unter dem Vorbehalt ihrer Existenz gelten. Möglicherweise existieren keine solchen Entitäten; aber wenn sie es tun, so sind es Substanzen in meinem Sinne. Bei den anderen Gegenständen habe ich zwar keine Zweifel hinsichtlich ihrer Existenz und nehme diese von daher einfach an, aber auch hier ist der hypothetische Aspekt mindestens genauso wichtig. Wollte jemand daherkommen und den Beweis antreten, daß es allem Anschein zum Trotz in Wirklichkeit keine Körper gibt, würde das zwar mich bekümmern, aber nicht meinen Substanzbegriff. Es gibt kein landläufiges Wort für das, was ich Substanz nenne. „Ding" weist immerhin in die Richtung, und wenn ich irgendwie kommunizieren möchte, wieso ich einen Zusammenhang zwischen meinen Listeneinträgen auszumachen meine, dann am ehesten so: Was auf meiner Liste steht, sind „Dinge" in einem starken Sinn, Entitäten, die eher „dinghaft" sind als andere, wie beispielsweise ein Lachen, eine Blässe oder ein Sonnenaufgang. Das ist nun freilich nicht mehr als ein Wink, auf den man auch nicht viel geben muß und an den ich nichts hänge. Letztendlich ist auch klar, daß man „Ding" eben doch anders verwendet (insbesondere nur Unbelebtes so tituliert), und insbesondere auch als neutralen Ausdruck für alles, was es gibt, verwenden kann. 6
6
Mill (System, Buch 1, Kap. iii, §2) weist daraufhin, daß man wohl jeden Term, den man in der Philosophie bisweilen bemüht, um mit ihm alles, was existiert abzudecken (wie etwa: „Ding", „Objekt", „Gegenstand", „Sache" etc.), auch in Verwendungen findet, in denen mit ihm nur Substanzen gemeint sind.
Substanzbegriffe с. Substanzen, ihre Teile und ihre
249 Eigenschaften
Ich meine mit „Substanz" also Dinge, mit denen wir häufig zu tun haben. Substanzen in meinem Sinne sind nichts hinter den Dingen, keine Prinzipien derselben, nicht irgend etwas Fundamentaleres als diese es sind schlicht die Dinge selbst. Es gibt, wie erwähnt, andere Substanzbegriffe, oder besser, andere Verwendungen des Ausdrucks „Substanz". Damit, daß ich den Ausdruck verwende, wie ich ihn verwende, will ich in keiner Weise die Legitimität anderer Verwendungen in Abrede stellen und ebenso wenig die Legitimität der Projekte, die sich mit den anderen Substanzbegriffen verbinden mögen, wie beispielsweise die Suche nach den basalen Bestandteilen der Wirklichkeit. Was mich interessiert, ist der ontologische Status von Alltagsdingen, und ich nenne diese Entitäten einer Tradition folgend Substanzen. Doch es verbindet sich in meinem Munde nichts Geheimnisvolles mit diesem Wort, abgesehen von dem, was eben an Alltagsdingen geheimnisvoll sein mag. Ich will an dieser Stelle einige Grundannahmen über Substanzen ausführen, fllr die ich im weiteren nicht argumentieren werde, sondern sie für mein Unterfangen einfach voraussetze. Wer einige von ihnen nicht teilt, mag die folgende Untersuchung als eine Studie zur hypothetischen Metaphysik lesen, die der Frage nachgeht: „Wären Substanzen so beschaffen, wie ich es voraussetze, was würde dann von ihnen gelten?" Die Annahmen, die ich mache, sind freilich weder bizarr noch, wenn ich nicht sehr irre, in irgendeiner Weise extravagant - es sind im Gegenteil Auffassungen des common sense, die ich ernst nehmen will. Damit verpflichte ich mich, wie schon zuvor bei meinen Studien zu Eigenschaften, einer deskriptiven Metaphysik, die ihren Ausgangspunkt von gewissen verbreiteten Grundüberzeugungen nimmt und versucht, den begrifflichen Rahmen, der in diesen zum Ausdruck kommt, zu klären und zu präzisieren. Nun also zu meinen Annahmen: (Sub-1) Substanzen haben Eigenschaften; sie exemplifizieren Attribute und ihnen inhärieren Adhärenzen. Die Feststellung, daß Substanzen Träger von Eigenschaften sind, mag Assoziationen mit verworrenen Debatten zu Substraten von Eigenschaften wecken. Ist eine Substanz (Sub-1) zufolge nicht ein mysteriö-
250
Kapitel 3: Substanzen (eine Einleitung)
ses man-weiß-nicht-was, etwas Wesenloses, das für die Alltagsdinge ihre Eigenschaften trägt?7 Die schlichte Antwort hierauf lautet „Nein". Substanzen in meinem Sinne sind Alltagsdinge und nichts hinter diesen oder über diese hinaus. Solche Dinge haben offenbar Eigenschaften: Meine Kaffeetasse beispielsweise hat welche, denn sie hat eine Farbe, ein Gewicht, eine Form etc. Um diese zu haben, bedarf die Tasse keines Trägers für sie; die Tasse ist selber der Träger ihrer Eigenschaften. „Aber wenn Du etwas als Substanz bezeichnest, dann schreibst Du ihm doch nichts weiter zu, als daß es Träger von Eigenschaften ist. Du redest also doch von einem wesenlosen Ding, einem bloßen Eigenschaftsträger." - Gewiß, wenn ich über irgend etwas nicht mehr sage, als daß es sich bei ihm um eine Substanz handelt, so bin ich wenig informativ; ich schreibe diesem Ding keine Eigenschaften zu, außer eben vielleicht der, ein konkreter Eigenschaftsträger zu sein. Aber welche Eigenschaften ein Ding hat, hängt glücklicherweise nicht davon ab, welche ich oder wer auch immer ihm zuschreibt. Nur weil man das Wesen eines Dinges, über das man redet, nicht benennt, folgt nicht die Wesenlosigkeit des Dinges; es folgt nicht, daß etwas ein bloßer Eigenschaftsträger ist, weil es bloß als ein solcher beschrieben wird. Wer dies nicht einsieht, verwechselt vielleicht, was Wiggins elegant als den bloßen Begriff eines Subjekts und den Begriff bloßen Subjekts unterscheidet:
eines
The bare idea of a subject is one thing. To have such an idea is to conceive of an ordinary subject while leaving it entirely open what the subject is. [...] The idea of a bare subject is an altogether different thing; no reader of Aristotle's Categories will ever agree to make sense of it. By subject (hupokeimenon) Aristotle had meant the visible, palpable subject that has qualities - not a substratum that is in itself quality-less, or has no qualities. (Wiggins 1995: 227)
(Sub-2) Die Eigenschaften einer Substanz sind keine Teile derselben. Weder die Attribute, die eine Substanz exemplifiziert, noch die Adhärenzen, die ihr inhärieren, sind Teile der Substanz. Einige Substanzen haben freilich Teile: Teetassen haben welche, Henkel zum Beispiel, 7
Die Frage ist ein Nachhall von Lockes Substanzkritik, siehe beispielsweise seinen Essay, Buch II, Kapitel 23, §§lff.
Substanzbegriffe
251
Lebewesen haben welche (Körperteile ebenso wie kleinere Teile, Organe, Teile von Organen, Zellen etc.) und Kronkorkensammlungen auch. Die Teile einer Substanz sind freilich wiederum Substanzen. Es mag vorkommen, daß man doch einmal eine Eigenschaft als einen Teil seiner selbst oder eines anderen bezeichnet. Wenn seine Eltern einen fleißigen jungen Mann aus ihrem Sprößling machen wollen und ihn auffordern, doch endlich seine Faulheit zu überwinden, so mag er entgegnen: „Auch wenn ihr es nicht versteht, ich kann das nicht - meine Faulheit gehört zu mir, sie ist ein Teil von mir." So kann man gewiß reden (auch wenn die Eltern sich damit ebenso gewiß nicht zufrieden geben werden) - doch hat eine solche Aussage einen deutlich metaphorischen Klang. Sie ist der larmoyanten Aussage des Verlassenen vergleichbar: „Auch wenn Ihr es nicht versteht, ich kann ohne sie einfach nicht leben - sie gehört zu mir, sie ist ein Teil von mir." Niemand würde aus der Verständlichkeit dieser Rede den Schluß ziehen, daß es neben einem engen Sinn von „Teil" einen weiteren gibt, in welchem andere Personen Teil von einem selber sein können. Ich halte den analogen Schluß in bezug auf Eigenschaften für genauso abwegig - es gibt keinen Sinn von „Teil", in welchem Eigenschaften ebenso Teile von Menschen sind wie ihre Körperteile. Dadurch, daß ich dieses intuitive Datum ernst nehme, trennen sich meine Wege von denen gewisser revisionärer Ontologen, die Eigenschaften als (vielleicht besonders feine) Teile der Dinge begreifen wollen, denen sie zukommen.8 Insbesondere werden Adhärenzen manchmal als „Grundbausteine der Welt" angesehen, so daß alles, was existiert, entweder eine Adhärenz ist, oder sich aus ihnen zusammensetzt (Adhärenzen sind hierfür in der Hinsicht besser geeignet als Attribute, daß sie mit Fug und Recht einen Platz im kausalen und raumzeitliche Gefüge beanspruchen können). Gewöhnliche Dinge der Alltagswelt, Kinos, Kaffeetassen und Kinder werden dann als Zusammensetzungen (oder Bündel) von Adhärenzen betrachtet; wer so über Alltagsdinge denkt, den nenne ich einen Bündeltheoretiker.9
8
9
Wir sind dieser Rede bereits bei Williams begegnet; vgl. Kapitel 2, Abschnitt l.b. Namhafte Bündeltheoretiker sind beispielsweise Campbell (1990) und Simons (1994; 1998).
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Kapitel 3: Substanzen (eine Einleitung)
Da Substanzen eingestandenermaßen Adhärenzen haben, bin ich sofort bereit, auch von dem Bündel aller Adhärenzen einer Substanz zu reden. Aber ein solches Bündel ist noch immer von der Substanz zu unterscheiden; denn die Teile des Bündels sind Adhärenzen, und Substanzen sind keine Zusammensetzungen aus Adhärenzen. Bündeltheoretiker ignorieren die eben ausgeführte Unterscheidung zwischen Teilen und Eigenschaften eines Dings zugunsten einer eleganteren, sparsameren oder aus anderen Gründen vorzuziehenden Ontologie. Sie arbeiten daher mindestens in diesem Punkt revisionär. Eine solche Einstellung drückt beispielsweise Simons aus, wenn er als Reaktion auf Hoffman und Rosenkrantz, die (Sub-2) ebenso wie ich ernst nehmen, schreibt: It is true that Hoffman and Rosenkrantz take as part of their pre-analytic data that a thing's properties are not parts of it, but this datum is defeasible if theory presses hard enough. (Simons 1998: 245)
Ich will ein solches Vorgehen hier weder diskutieren noch diskreditieren, es ist lediglich nicht meines. Ich verpflichte mich, wie bereits mehrfach betont, für diese Untersuchung einem deskriptiven Ansatz, ich versuche Teile eines alltäglichen Begriffssystems zu verstehen und zu erklären. In ihm spielen Adhärenzen zwar eine Rolle, aber nicht diejenige, die ihnen Bündeltheoretiker zuweisen. Nun haben Philosophen Substanzen bisweilen nicht bloß Adhärenzen als Teile zugeschrieben, sondern auch andere ungewöhnliche Dinge, Zeitscheiben nämlich. 10 Es ist unstrittig, daß einige Entitäten zeitliche Teile haben; zeitlich ausgedehnte Ereignisse und Prozesse haben Phasen oder Abschnitte, Teilereignisse. Doch Substanzen haben, dies nehme ich als eine Ausgangsthese, keine solchen Teile: (Sub-3) Substanzen haben, im Gegensatz zu Ereignissen, keine zeitlichen Teile. Substanzen sind Dinge, die eine fortdauernde Existenz haben können, ohne daß sie dadurch in zeitliche Teile zerfallen. Kurzum gilt einfach: (Sub-4)
10
Die Teile von Substanzen sind wiederum Substanzen.
Ich habe in einem früheren Kapitel bereits David Lewis als Proponenten dieser Ansicht angeführt; vgl. Kapitel 1, Abschnitt 3.e.
Substanzbegriffe
253
Oder mindestens ist dies eine Annahme, unter der ich arbeiten werde. Adhärenzen sind nun zwar keine Teile von Substanzen, aber sie haben mit diesen einen ontologisch wichtigen Zug gemein; Substanzen und Adhärenzen (zu denen ich ja Ereignisse zähle) decken einen bestimmten Bereich der Ontologie ab (möglicherweise tun sie dies zusammen mit einigen weiteren Entitäten wie Löchern oder Oberflächen, die allerdings in meiner Diskussion, wie bereits vermerkt, allenfalls am Rande eine Rolle spielen). Es gibt verschiedene Versuche einer ontologischen Grenzziehung zwischen Substanzen und Adhärenzen auf der einen Seite, und beispielsweise Zahlen, Begriffen, Attributen und Propositionen auf der anderen Seite. Um nur drei zu nennen: (a) Substanzen und Adhärenzen sind konkret, die anderen genannten Entitäten abstrakt(b) Substanzen und Adhärenzen sind particulars, nicht so die anderen genannten Entitäten.12 (c) Substanzen und Adhärenzen sind wirkliche Entitäten (hier höre man „wirken" mit, gemeint ist also ihre Kausalität), die anderen sind unwirklich (kausal impotent).13 Alle drei Ansätze sind gewiß mit Schwierigkeiten verbunden und verdienen längere Erörterungen, als ich sie ihnen hier zukommen lassen kann. Daher bekunde ich lediglich meine Sympathie für die Auffassung, man könne mit diesen Begriffen eine wichtige Grenze ziehen - wie auch immer das genau geschehen mag. Ich füge somit eine letzte These zum Korpus meiner Grundannahmen hinzu: (Sub-5) Substanzen sind (wie auch Adhärenzen) wirkliche bzw. konkrete Entitäten. 11
12
13
Zur Problematik des Begriffs-Paares abstrakt-konkret siehe z.B. Haie (1987: Kapitel 3) und Künne (1983: Kapitel 2). Unglücklicherweise ist der Gebrauch der Termini „abstrakt" und „konkret" sehr uneinheitlich und es gibt grundsätzlich gegenläufige Traditionen desselben: Wie angemerkt (vgl. Kapitel 2, Abschnitt l.b.) werden gerade Adhärenzen von Stout, Williams, Campbell und anderen „abstract particulars" genannt. Eine der nicht eben zahlreichen ausführlicheren Erörterungen von „particular" findet man bei Helen Steward (1997, 35-40), wobei Steward allerdings gerade Zweifel an der Partikularität von Adhärenzen äußert. Der hier beschworene Begriff des Wirklichen war in der deutschsprachigen Philosophie des 19. Jahrhunderts recht verbreitet. Gebrauch von ihm (oder engen Verwandten von ihm) machen unter anderem Bolzano (siehe ζ. B. Athanasia: 21, 85, 95 und vgl. Schnieder 2002a: 2 1 - 26), Meinong (1877: 49, 1915: 169), Frege (1884: 97; 1903: §74, S. 86) und, unter dem Titel „real", Husserl (LU: Band II, Teil II: § 8).
254
Kapitel 3: Substanzen (eine Einleitung)
Die Voraussetzung, daß Alltagsdinge die Annahmen (Sub-1) bis (Sub-5) erfüllen, ist ein guter Start für eine deskriptive Ontologie derselben; denn alle genannten Annahmen scheinen wesentlich im alltäglichen Weltbild verankert.
2. Substanzen und Unabhängigkeit Meine Erklärung des Substanzbegriffs gibt das Projekt für das Folgende vor. Ich habe durch eine Liste klar gemacht, welche Entitäten unter den Begriff fallen sollen, ohne auf eine ihnen gemeinsame Eigenschaft zu referieren. Ob es so eine gibt, ist die eigentliche Frage meiner Untersuchung. Die Frage hat eine schnelle und langweilige Antwort - Substanzen haben gemeinsam, entweder Körper, Teile von Körpern, Stoffportionen, Gruppen der bisherigen oder auch Personen oder Seelen zu sein. Das stimmt zwar, ist aber natürlich nicht das Gesuchte. Gesucht ist ein Begriff von größerem philosophischen Interesse. Er sollte nach Möglichkeit (a)
nicht-disjunktiv sein.
In ihn sollten (b)
nicht die bei der Einführung genannten Begriffe (ζ. B. [Körper]) eingehen.
Und schließlich sollten Substanzen in meinem Sinne (c)
notwendigerweise unter ihn fallen (was ζ. B. nicht für den ihnen gemeinsamen Begriff [wird in meiner Liste erwähnt] gilt).
Es mag noch immer viele, und viele uninteressante, Begriffe geben, die diese Bedingungen erfüllen. Es könnte verschiedene mögliche Substanzdefmitionen geben. Ich werde mich im weiteren auf eine bestimmte Idee (vielleicht die prominenteste in der Philosophiegeschichte), wie eine solche Definition aussehen könnte, beschränken ich werde diskutieren, inwiefern Substanzen eine ontologische Unabhängigkeit genießen, die sie von anderen Entitäten unterscheidet.
Substanzen und
Unabhängigkeit
255
Mit dem Term „Abhängigkeit" können je nach Kontext verschiedenartige Beziehungen gemeint sein. Die Unabhängigkeitsidee, die Ansicht, daß Substanzen in einer wichtigen Hinsicht ontologisch unabhängig sind und daß sie dies von Entitäten anderer Kategorien unterscheidet, kann daher auf vielfache Art und Weise ausbuchstabiert werden. In den folgenden Kapiteln diskutiere ich drei wichtige Ansätze aus jüngerer Zeit:14 (1.) In Kapitel 4 gehe ich anhand von Peter Simons' Ausführungen verschiedenen modal-existentiellen Unabhängigkeitsbegriffen nach. Die Unabhängigkeit eines Gegenstands χ von anderen gewissen Gegenständen wird hier im wesentlichen als die Möglichkeit von χ verstanden, auch dann zu existieren, wenn die anderen Gegenstände es nicht tun. Allerdings gibt es verschiedene Ausprägungen von Unabhängigkeit, die unter diese generelle Charakterisierung fallen. Ich diskutiere verschiedene Versionen und zeige ein letales Problem des Versuchs auf, unter Rückgriff auf einen modal-existentiellen Unabhängigkeitsbegriff den Substanzbegriff zu definieren: der Ansatz ist inkompatibel damit, daß es zu einigen Substanzen andere Entitäten gibt, die notwendigerweise mit den Substanzen koexistieren. Doch der begriffliche Rahmen von Adhärenzen macht die Existenz solcher Entitäten plausibel. (2.) In Kapitel 5 befasse ich mich zunächst mit Kit Fines Theorie der Essenz. Fine plädiert für eine partielle Entkoppelung des Begriffs der Essentialität von dem der Notwendigkeit. Während beide Begriffe in der analytischen Philosophie üblicherweise aneinander assimiliert werden, und Essentialität als eine besondere Form der Notwendigkeit begriffen wird, verläuft ein adäquates Verständnis dieser Begriffe laut Fine gerade anders herum: Essentialität ist als grundlegender Begriff zu akzeptieren. Innerhalb dieses Rahmens definiert Fine einen Begriff 14
Meine Dissertation, aus der dieses Buch hervorgegangen ist, enthielt zusätzlich die Besprechung eines vierten Ansatzes, nämlich desjenigen von Hoffman und Rosenkrantz. Da deren Substanzdefinition äußerst komplex ist, aber - wenn ich Recht habe - ihr Ziel frappant verfehlt, ohne daß ihr Fehlschlag sonderlich lehrreich wäre, habe ich das Kapitel aus Platzgründen gestrichen (die wesentlichen Ergebnisse meiner Diskussion kann man in „How Not to Define Substance - A Comment upon Hoffman and Rosenkrantz" nachlesen).
256
Kapitel 3: Substanzen (eine Einleitung)
ontologischer Abhängigkeit, der asymmetrische Abhängigkeiten zwischen notwendigerweise koexistenten Entitäten zulassen soll. Obgleich Fines Ziel meinem Anliegen vollauf entspricht, halte ich sein Programm für unbefriedigend. Ich versuche zu zeigen, daß dessen Erklärungspotential äußerst gering ist. (3.) Attraktiver scheint mir die in Kapitel 6 diskutierte Idee von Lowe, die Ebene begrifflicher Erklärung in die Definition von Abhängigkeit zu integrieren. Lowe bringt den Erklärungsaspekt in einer von ihm vorgeschlagenen Abhängigkeitsdefinition ins Spiel, indem er den explanatorischen Junktor „weil" verwendet. Abhängig sind Entitäten, die aus einem bestimmten Grund existieren (die also existieren, weil dies und jenes der Fall ist). Doch Lowes Definition hat meines Erachtens das Problem, daß er auf ein falsches Explanans setzt: Was Lowe als den für eine Abhängigkeit relevanten Existenzgrund ausmacht, erweist sich bei näherem Hinsehen als Pseudogrund. Aber mit Lowes Idee ist das Material für eine bessere Position vorgegeben. In meinem positiven Vorschlag, mit dem ich das Kapitel und damit meine Ausführungen zum Substanzbegriff beenden werde, setze ich wie Lowe auf die Karte der explanatorischen Abhängigkeit. Allerdings verschiebe ich den Fokus des Explanans: während nach Lowe eine Entität von einer anderen dann abhängig ist, wenn die Existenz der anderen die Existenz der einen erklärt, sehe ich eine Abhängigkeit gegeben, wenn der Umstand, daß eine Entität so und so beschaffen ist, die Existenz einer anderen Entität erklärt. Ich präsentiere eine Definition von Unabhängigkeit, die diesem Gedanken geschuldet ist, und versuche mit dieser auch die Unabhängigkeitsidee zu verteidigen: Substanzen sind in einem explanatorischen Sinne unabhängig, in dem andere konkrete Entitäten ein abhängiges Dasein fristen.
4. Kapitel:
Modal-existentielle Unabhängigkeit Kapitelaufbau: 1. Generische Abhängigkeit 2. Individuelle Abhängigkeit 3. Substanzen als (modal-existentiell) unabhängige Entitäten a.
Eine Definition des Substanzbegriffs
b. Probleme mit der Definition: Mereologischer Universalismus c.
Probleme mit der Definition: Notwendig existierende Substanzen
d. Probleme mit der Definition: Mengen e.
Probleme mit der Definition: Essentielle Adhärenzen
f.
Eine kurze Zusammenfassung
Einleitendes Mit einer kurzen Bemerkung in seiner Kategorienschrift hat Aristoteles der Idee, Substanzen seien - im Gegensatz zu Adhärenzen - in einem wichtigen Sinne unabhängige Entitäten, zu einer langen Karriere verholfen. Adhärenzen und Substanzen unterscheiden sich Aristoteles zufolge darin, daß Adhärenzen in etwas anderem sind. Als in etwas anderem, erklärt Aristoteles, bezeichnet er, „was in etwas ist, nicht als ein Teil, und nicht getrennt von dem existieren kann, worin es ist". Substanzen betrachtet er also als Entitäten, die nicht in etwas anderem sind, die somit unabhängig von anderen Dingen existieren können.1 Descartes knüpft an Aristoteles' Idee an, wenn er erklärt: 1
In den Kategorien nimmt Aristoteles eine Einteilung mittels zweier Begriffe vor, als da wären: „in etwas sein" und „von etwas ausgesagt wer-
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Kapitel 4: Modal-existentielle
Abhängigkeit
Unter „Substanz" können wir nur ein Ding verstehen, das so existiert, daß es zu seiner Existenz keines anderen Dinges bedarf. СPrinzipien I, § 51, S. 17)2
Läßt sich diese Idee so ausarbeiten, daß mit ihr eine Definition für die Kategorie der Substanz zu gewinnen ist? Was bei Aristoteles' Formulierung zentral erscheint, ist einerseits der Rekurs auf den Existenzbegriff und andererseits die modale Komponente (was in etwas ist, kann nicht unabhängig von diesem existieren).3 Arten von ontologischer Abhängigkeit, die dieses Merkmal teilen, kann man daher als modalexistentielle Abhängigkeiten bezeichnen. Wenn nun ontologische Unabhängigkeit tatsächlich als definitorisches Merkmal von Substanzen herhalten soll, wäre der Begriff einer Unabhängigkeit wünschenswert, welche alle Substanzen genießen und die keine Entität einer anderen Art aufweist (ein solcher Begriff ist tatsächlich vonnöten, wenn die Definition des Substanzbegriffes ausschließlich über den Begriff der Unabhängigkeit verläuft). Begeben wir uns also auf die Suche nach einem Verständnis von Unabhängigkeit, bei dem (mindestens) die folgenden zwei Desiderate erfüllt sind: (DO
Adhärenzen sind in diesem Sinne abhängig von ihren Trägern.
(D2)
Substanzen sind in diesem Sinne (schlechthin) unabhängig.
Die vielleicht am detailliertesten ausgearbeitete Konzeption modalexistentieller Abhängigkeiten findet sich in Peter Simons' Studie Parts/ Ich werde im weiteren Verlauf Simons' Konzeption textnah rekonstruieren und sodann einige ernste Probleme für sie aufwerfen.
2
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den". Der zweite Begriff ist an dieser Stelle nicht von Belang, da weder Adhärenzen noch Substanzen von etwas ausgesagt werden. Die Unabhängigkeitsidee schlägt sich (insbesondere in der rationalistischen Tradition) in einer ganzen Reihe von Bestimmungen des Substanzbegriffs nieder, wenn auch mit feinen Unterschieden. Vgl. beispielsweise Spinozas Ethik, Teil 1, Definition 3 und Baumgartens Metaphysica § 191. Die modalen Begriffe sollten hier und im folgenden stets im Sinne absoluter Möglichkeit bzw. Notwendigkeit verstanden werden. Simons 1987: Kapitel 8. Ähnliche Ansätze finden sich bei Johansson (1989: Kap. 9) und Thomasson (1999: Kap. 2).
Generische Abhängigkeit
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1. Generische Abhängigkeit Zunächst soll klargestellt werden, wie Aristoteles und Descartes gewiß nicht zu verstehen sind. Sollten sie tatsächlich meinen, daß eine Substanz existieren kann, auch wenn kein einziges anderes Ding existiert? Daß kein einziges anderes Ding existiert, würde insbesondere meinen, daß auch keine Adhärenz existiert, und die betreffende Substanz müßte dann bar aller Merkmale ihr Dasein fristen. Das wäre nicht bloß eine karge Existenz, sie scheint nicht einmal begreiflich zu sein. Jedes Ding hat Eigenschaften (d. i. Attribute, wenn man diese akzeptiert), jede Substanz Adhärenzen (wenn man diese überhaupt in seine Ontotogie aufnimmt), und anders kann es auch nicht sein. 5 Das festzuhalten bedeutet aber beileibe nicht, die Unabhängigkeitsidee zu verwerfen, sondern zeigt nur, daß hier ein Mißverständnis darüber vorliegt, was für eine Unabhängigkeit gemeint ist. Substanzen können nicht ohne Adhärenzen existieren, womit sie von ihnen generisch abhängig sind. Dinge der Art α sind von solchen der Art b generisch abhängig, wenn es kein Exemplar von α geben kann, solange es keines von b gibt. In diesem Sinne sind beispielsweise Wälder von Bäumen abhängig und eben Substanzen von Adhärenzen. Allerdings braucht es für einen bestimmten Wald, beispielsweise den Hexenwald, keinen bestimmten, in ihm wachsenden Baum. Auch wenn es die hohe Tanne am Ostende des Hexenwaldes nie ans Tageslicht geschafft hätte, hätte es den Hexenwald geben können. Ein Wald, das ist die Pointe dieses Gedankens, ist nicht von diesem oder jenem individuellen Baum abhängig, sondern nur davon, daß irgendwelche Bäume (am geeigneten Ort, freilich) existieren. Und eben auf diese Weise könnte man die Unabhängigkeit von Substanzen begreifen. Eine Substanz, sagen wir Johanna, braucht zwar Adhärenzen, aber sie ist nicht von einer bestimmten ihrer Adhärenzen, wie ihrem Mut oder ihrer Glaubensstärke, abhängig - Johanna hätte es auch mit einem weniger festen Glauben oder mutlos geben können, wenn nur ihr Lebensweg entscheidend anders verlaufen wäre. Nun sind Adhärenzen von Substanzen zwar auch generisch abhängig (eine Welt voll des Lä-
5
Dies ist der sicherlich richtige Kern der Kritiken an „bare particulars" (wobei leider häufig mit einiger Sorglosigkeit vorschnell Positionen der Annahme solcher Entitäten bezichtigt werden).
260
Kapitel 4: Modal-existentielle
Abhängigkeit
chelns, des Großmuts und der Langsamkeit, doch ohne Lächelnde, Großmütige oder Langsames, gibt es nur in carrollschen Phantasien), aber eben nicht nur generisch. Eine jede Adhärenz ist von der Substanz, der sie inhäriert, individuell abhängig. Johannas Mut hätte nicht statt ihrer Parmenides angehören können, das Blau der Tankstelle in unserer Straße hätte nicht statt ihres das meiner Teetasse sein können. (Einige Adhärenzen, wie die Breite des Grinsens der Cheshire-Katze, mögen anderen Adhärenzen inhärieren. Diese sind dann von den Adhärenzen, denen sie inhärieren, individuell abhängig.) Es sei abschließend noch einmal betont, daß das Eingeständnis der generischen Abhängigkeit zwischen Substanzen und Adhärenzen keinesfalls die Aufgabe der Unabhängigkeitsidee bedeutet. Eine Substanzdefinition über den Begriff der Unabhängigkeit benötigt ein Verständnis von Unabhängigkeit, nach welchem Substanzen sich durch eine solche Unabhängigkeit auszeichnen; dabei ist es irrelevant, daß Substanzen in einem anderen Sinn abhängig sein mögen.6
6
Daraus erklärt sich, warum beispielsweise Mills Kritik an der Unabhängigkeitsidee fehlging; Mill bemerkte zu Recht, daß es keine Substanz ohne Eigenschaften geben könne - womit er die generische Abhängigkeit von Substanzen hervorhob (.System of Logic, Book I, Chapter iii, § 6). Doch die ficht, contra Mill, die Unabhängigkeitsidee nicht an. Mill war freilich nicht der Letzte, der diesen Fehler begehen sollte. Jüngst tat es ihm beispielsweise Max Bordes gleich, als er zunächst zwar individuelle und generische Abhängigkeit unterschied, dann aber seine Diskussion der Unabhängigkeit von Substanzen wie folgt zu einem negativen Ergebnis brachte: But even disbelievers in individual essences have to recognize the generic dependence of substances from determinable tropes [...] Therefore, the asymmetric dependence relation required does not hold between tropes and substances, given that substances are not completely independent of tropes: there are no property less substances any more than there are objectless properties. (Bordes 1998: 7) Daß Substanzen nicht „vollständig" unabhängig von Adhärenzen sind, d. h. daß sie in mindestens einem Sinn (einem generischen) von diesen abhängig sind, sagt einfach nichts darüber aus, ob es eine Form der asymmetrischen Abhängigkeit gibt, in welcher Adhärenzen zu Substanzen stehen - und eine solche Form reicht für das Projekt der Unabhängigkeitsdefmition eben hin.
Individuelle
Abhängigkeit
261
2. Individuelle Abhängigkeit Man könnte nun versuchen, die Idee der individuellen Abhängigkeit mit der folgenden Definition präzise festzuhalten:7 (Df. Abh-1 - (Individuelle) Abhängigkeit-1) χ ist abhängig von у
• (Е!х-»ЕГу).
Dieser Definition zufolge hängt χ von у ab, wenn die Existenz von χ notwendigerweise mit der Existenz von у einhergeht. Daß ein Ding χ von einem anderen у unabhängig ist, ist bloß die Negation davon, daß es von у abhängig ist: (Df. Unabh-Rel) χ ist unabhängig von у >).10
Definition (Df. Abh-2) erweist sich als unglücklich, sofern man die Existenz von notwendigen Entitäten zulassen will (wie zum Beispiel Zahlen oder der Gottheit). Denn existiert ein Ding у notwendigerweise, dann gilt für jedes andere Ding χ notwendigerweise, daß у existiert, wenn χ existiert (da у eben in jedem Falle existiert). Dann aber sind Substanzen nicht unabhängige Entitäten im Sinne von (Df. Abh2), da sie von jedem notwendig Seienden abhängig sind. Simons nimmt daher eine Klausel in seine Definition auf, welche die Abhängigkeit von notwendigen Entitäten ausschließt: (Df. Abh-3)
χ ist abhängig von у ζ = χ). Was Lowe hier zur Verteidigung dieser These anführt, die mit der „after all ..."-Bemerkung angedeutete Begründung, gibt freilich nicht
2 3
Sie wird ζ. B. von Descartes aufgegriffen (Prinzipien, Buch 1, § 62). Lowe erwägt tatsächlich, alle essentiellen Adhärenzen einer Substanz mit der Substanz zu identifizieren; siehe dazu das folgende Zitat von Lowe.
280
Appendix zu Kapitel 4
viel her. Die Existenz eines Gegenstandes χ geht notwendigerweise mit der Existenz der Menge {x} einher. Wer aber käme auf die Idee, die beiden deshalb miteinander zu identifizieren?4 Lowe legt, um die von ihm vorgeschlagene Identifikation schmackhafter zu machen, die folgende Überlegung nach: [...] because the notion of an essential particularised property is a somewhat arcane one, it does not appear that we can cite uncontentious examples of predicates true of such a property but false of the substance possessing it, or vice versa. Nor does any problem arise from identifying both Socrates' humanity and his animality, say, with Socrates himself, despite these particularized properties being instances of different universals, for this entirely parallels the fact that Socrates himself is an instance both of human-kind and of animal-kind [...] (Lowe, Dependence: 142f.)
Aber gibt es nicht ein ganz naheliegendes Prädikat, das mit Wahrheit von Belmondos Adhärenz, ein Mensch zu sein, ausgesagt werden kann, nicht aber von Belmondo - nämlich das Prädikat ist eine Adhärenz"? Eine Adhärenz ist eine partikularisierte Eigenschaft, aber ein Mensch ist keine Eigenschaft, gleichviel, ob partikularisiert oder nicht, und also ist er keine Adhärenz. Folglich ist ein Mensch auch nicht identisch mit irgendeiner seiner essentiellen Adhärenzen.5 Lowes hier bestenfalls mager begründete Position ist ein merkwürdiger ontologischer Spagat: Wenn Belmondo identisch ist mit seiner Adhärenz, ein Mensch zu sein, so gibt es Substanzen, die Adhärenzen sind und umgekehrt. Die Unterscheidung der Kategorien von Substanz und Adhärenz selbst verliert damit einen wesentlichen Teil ihrer ontologischen Bedeutung, denn zwischen Substanzen und Adhärenzen 4
5
Freilich wurde eine solche Identifikation schon einmal vorgenommen; wenngleich nicht auf der Basis von Lowes oben angeführter Überlegung. Penelope Maddy (1990: 150-153) schlägt im Rahmen ihres extremen mathematischen Realismus vor, Urelemente (gewöhnliche materielle Gegenstände) mit ihren Einermengen zu identifizieren (für eine Kritik an Maddys Position siehe Kremer 1991). Diese Idee findet sich auch bei Quine (1937: 81 f.), bei dem sie aber eine weniger tragende Rolle spielt. Und es gibt weitere Fälle, die mindestens mir unkontrovers erscheinen: Belmondos Adhärenz, ein Mensch zu sein, kommt ihm zu; aber er selber kommt sich nicht zu. Andererseits kann man Belmondo sehen oder hören, ohne aber seine Adhärenz, ein Mensch zu sein, zu sehen oder zu hören. Auch schüttelt man Adhärenzen nicht die Hand, kann das mit Belmondo aber durchaus machen, etc.
Essentielle Adhärenzen
281
bestünde kein kategorialer Unterschied mehr. Die Position bedeutet einfach die Aufgabe des ontologischen Rahmens, für den sie hier bestimmt sein soll. Vergleicht man die diskutierte These Lowes mit anderen Ausführungen, die er macht, so fällt auch eine eigentümliche Unverträglichkeit mit ihnen auf; Adhärenzen, die er modes nennt, tauchen beispielsweise in seiner Kategorientafel auf und bilden eine eigene, von der Kategorie der Substanzen unterschiedene Kategorie. 6 Auch vertritt Lowe die These, daß Adhärenzen im Gegensatz zu Substanzen keine klar festgelegten Identitätsbedingungen haben; 7 ob diese These nun haltbar ist oder nicht, 8 wer sie vertritt, sollte zumindest nicht gleichzeitig behaupten, einige Adhärenzen seien Substanzen und umgekehrt. Angesichts dieser Überlegungen ist Lowes Manöver der Identifikation von Substanzen und ihren essentiellen Adhärenzen nicht überzeugend - weder hat er uns einen guten Grund liefern können, ihm hier zu folgen, noch scheint seine Position kohärent zu sein. Wollte man an irgendeiner Art modal-existentieller Unabhängigkeit von Substanzen festhalten, müßte man daher die Existenz essentieller Adhärenzen gerade heraus leugnen. Warum man meinen könnte, dafür gute Gründe zu haben, diskutiere ich in den folgenden Abschnitten. b. Arten und artkorrelierte
Eigenschaften
Betrachtet man die beiden Beispiele essentieller Adhärenzen, die Lowe erwägt, mag auffallen, daß es sich bei ihnen um Instanzen einer besonderen Sorte von Eigenschaften handelt. Lowe spricht einerseits von „Socrates' humanity', andererseits von „Socrates' animality". Beide genannten Adhärenzen sind Instanzen von Eigenschaften (den Eigenschaften, ein Mensch bzw. ein Tier zu sein), die ich artkorreliert nennen möchte. Um zu verstehen, was ich mit dieser Benennung im Sinn habe, ist ein kurzer Ausflug zum Begriff einer Art vonnöten. Dinge gehören bestimmten Arten (Gattungen, Sorten, Typen etc.) an (beziehungsweise: sie sind Exemplare von bestimmten Arten, sind 6 7 8
Lowe, Categories: 181. Lowe 1998: 78ff., Categories: 182. Vgl. hierzu Kapitel 2, Abschnitt 3.g.
282
Appendix zu Kapitel 4
Dinge einer bestimmten Art etc.). Belmondo beispielsweise ist ein Exemplar der Art Mensch, der Art Lebewesen, etc. Thomas Bernhards Gehen hingegen ist ein Exemplar der Gattung Erzählung, der Art Kunstwerk etc. Singulare Terme für Arten können, wie man sieht, aus sortalen Termen durch die Hinzufügung des bestimmten Artikels und eines passenden kategorialen Terms, wie „Art" oder „Gattung", gebildet werden. Doch bedarf es eines solchen kategorialen Zusatzes nicht; der bestimmte Artikel reicht aus, um aus dem sortalen Term einen Artterm zu generieren.9 So kann man von dem Pottwal, dem Schachspiel oder der Owen-Verteidigung als Arten reden, wie in den folgenden Sätzen: (1)
Der Pottwal ist der größte unter den Zahnwalen.
(2)
Das Schachspiel ist ein Gesellschaftsspiel.
(3)
Die Owen-Verteidigung wird nur noch selten gespielt.
Angenommen, man nimmt die Rede von Arten ontologisch ernst; mit was für Entitäten hat man es dann zu tun, wenn man von Arten spricht? Man kann solche Entitäten als Universalien bezeichnen; eine Art hat einen universalen Zug, insofern als ihr verschiedene Exemplare angehören können.10 9
10
Vgl. Wolterstorff 1970: 236ff., wo er zudem darauf hinweist, daß einige Artterme im Englischen keinen bestimmten Artikel verlangen und vertragen (so spricht man von der Art Mensch mit „man" und nicht mit „the man"), und auch die lateinischen Namen biologischer Arten nicht zusätzlich mit dem bestimmten Artikel (des Englischen) versehen werden. David Hull hat wiederholt die These vertreten, daß man sich, wenn man von biologischen Arten redet, auf Entitäten bezieht, die eine zeitliche Existenz führen (siehe ζ. B. Hull 1978). Man kann ζ. B. mit Sinn sagen: Zwar existiert die Gattung Mensch schon seit Jahrtausenden, doch geben sich ihre Mitglieder redliche Mühe, der eigenen Art zum Aussterben zu verhelfen. Etwas, das seit Jahren existiert und vom Aussterben bedroht sein kann, führt eine zeitliche Existenz. Lowe (1998: 53) akzeptiert dieses Datum und zieht deswegen den Schluß, daß man nicht immer, wenn man von Arten redet, von Universalien redet,- weil, wie er meint, Universalien atemporale Entitäten sind. Die Rede von einigen Arten könnte dann kontextabhängig auf zweierlei Weisen interpretiert werden (entweder es sind Universalien gemeint, oder zeitliche Entitäten, wie etwa Gruppierungen von Exemplaren
Essentielle
Adhärenzen
283
Diesen universalen Zug teilen Arten mit Eigenschaften - und nicht nur den. Sowohl Arten wie auch Eigenschaften sind Entitäten, die man angeben kann, um Dinge zu charakterisieren (einerseits gibt man Arten an, denen die Dinge angehören, andererseits Eigenschaften, die sie haben). Daher stellt sich die Frage, wie Arten sich zu Eigenschaften einer bestimmten Sorte verhalten, die ich zu Beginn dieses Abschnitts erwähnt habe: artkorrelierte Eigenschaften. Darunter verstehe ich einfach Eigenschaften der Artzugehörigkeit, wie die Eigenschaft, ein Mensch zu sein, die Eigenschaft, eine Statue zu sein etc. Generell kann man bei einer gegebenen Art φ auch von der ihr korrelierten Eigenschaft reden, ein Exemplar der Art φ zu sein (oder einfacher: ein φ zu sein). Ich weiß um keinen guten Grund, die Existenz solcher Eigenschaften zu leugnen; vielmehr gibt es eine einfache Beobachtung, die für ihre Existenz spricht: Mindestens im Deutschen (wie auch im Englischen) sind Konstruktionen der Bauart „die Eigenschaft, ein φ zu sein" legitim, wobei für ,,φ" ein sortaler Term substituiert wird. Wir können ebenso sinnvoll, wie von anderen Eigenschaften, von der Eigenschaft, ein Mensch zu sein, sprechen, oder von der Beschaffenheit, ein Kreis zu sein, und es bräuchte gewichtige und starke Gründe, um dennoch die Illegitimität solcher Redeweisen darzutun. Wie also stehen Arten zu solchen artkorrelierten Eigenschaften? Gibt es die artkorrelierte Eigenschaft zusätzlich zur Art? Arten und artkorrelierte Eigenschaften stehen in einer äußerst innigen Beziehung zueinander (wer immer zur Art φ gehört, hat die Eigenschaft, ein φ zu sein, und umgekehrt). Angesichts dessen wird die Unterscheidung zwischen Arten und Eigenschaften vielen Ontologen eher wie ein kleinliches Festhalten an puren Phänomenen der Grammatik anmuten. Häufig findet sich in Kategoriensystemen nicht mehr als ein Eintrag für Universalien, meist betitelt als Eigenschaften;n implizit scheint damit die Auffassung verbunden, man könne Arten unter Eigenschaften subsumieren.
11
einer Art). Ich will den Punkt hier nicht vertiefen und nur anmerken, daß man aus dem Beispiel eine alternative Lehre ziehen könnte: daß nämlich einige Universalien eine zeitliche Existenz haben (vgl. Künne 1983: 45ff.). Wobei sich hinter dem Eintrag „Eigenschaft" verschiedenes anfinden kann, Eigenschaften und Begriffe (vgl. Kapitel 1, Abschnitt 3).
284
Appendix zu Kapitel 4
Eine konkrete Idee, wie man Arten auf Eigenschaften reduzieren könnte, ist schnell bei der Hand; Loux formuliert sie so: Since there is a property associated with every kind and since talk about objects and their kinds can always be recast in the form of talk about those same objects and the relevant properties, kinds seem to be eliminable in favour of properties. Sentences incorporating the kind-name, man, for example, are replaceable, without loss of content, by sentences incorporating the property-name, 'humanity', so that it seems plausible to interpret 'man' as a mere stand-in for 'humanity'. (Loux 1978: 162)
Von der Art φ zu sprechen, könnte man also meinen, ist nur eine sprachliche Variante der Bezugnahme auf die Eigenschaft, ein φ zu sein. Nach einer solchen Position wären demnach die Art und die artkorrelierte Eigenschaft identisch. Oder gibt es gute Gründe, die Identifikation von Arten und den ihnen korrelierten Eigenschaften zu unterlassen? Sicherlich gilt: Belmondo hat (besitzt) die Eigenschaft, ein Mensch zu sein, und teilt sie mit anderen Angehörigen seiner Art. Aber man sagt keineswegs, daß Belmondo die Art Mensch hat (oder besitzt); auch teilt er diese Art nicht mit anderen Angehörigen seiner Art. Zeigt das nicht bereits die Verschiedenheit von Art und Eigenschaft? Nein, denn man könnte dies als bloßen sprachlichen Unterschied abtun wollen:' 2 Wir haben einfach zwei parallele Sprachformen; gebrauchen wir das Art-Idiom, so nutzen wir „angehören" o.ä. als relationalen Term, wo wir im Eigenschaftsdiskurs „haben" oder „besitzen" verwenden. Nun sind dies freilich nicht die einzigen relevanten Unterschiede zwischen den beiden Redeweisen. Wolterstorff bemerkt, daß vieles, was man unter Verwendung von Arttermen sagen kann, keinen Sinn macht, wenn man die Artterme durch Bezeichnungen artkorrelierter Eigenschaften ersetzt:13 (1)
Der Pottwal ist der größte unter den Zahnwalen.
(2)
Bei jedem ihrer Treffen wurde die Internationale gesungen.
12
13
Vgl. die Diskussion ähnlicher Unterschiede hinsichtlich der Verwendung von „Begriff" und „Eigenschaft" in Kapitel 1, Abschnitt 3.b. Wolterstorff 1970: 243, 260.
Essentielle
Adhärenzen
(3)
Das Schachspiel ist ein Gesellschaftsspiel.
(4)
Die Owen-Verteidigung wird nur noch selten gespielt.
(5)
Der Löwe ist ein Symbol der Stärke.
285
Die Eigenschaft, ein Pottwal zu sein, ist weder groß noch ein Wal, die Eigenschaft, ein Löwe zu sein, scheint kein Symbol für Stärke zu sein, und die Eigenschaft, eine (Instanz der) Internationale zu sein, kann man nicht singen. Man könnte allerdings noch immer versucht sein, durch leichte Umformulierungen Entsprechungen dieser Aussagen zu bilden, in denen statt Arttermen Eigenschaftsterme verwendet werden. Aber die Übersetzungen liegen zumindest nicht auf der Hand.14 Ob man Arten und artkorrelierte Eigenschaften unterscheiden muß (und wie schwer für diese Frage die angesprochenen sprachlichen Unterschiede wiegen), kann ich hier nicht erschöpfend erörtern. Mich interessiert an dieser Thematik vor allem eines: ob eine Entscheidung zugunsten der Identität von Art und artkorrelierter Eigenschaft gegen die Existenz artkorrelierter Adhärenzen sprechen könnte. Man mag durchaus meinen, daß dem so ist. Das folgende Argument, so die Idee, zeigt warum: (1)
Die Art Mensch wird instantiiert, und zwar (nur) von Menschen.
(2)
Die Art Mensch ist nach unserer Hypothese identisch mit der Eigenschaft, ein Mensch zu sein.
(K) Ergo gilt für die Eigenschaft, ein Mensch zu sein, eben das, was für die Art gilt - sie wird (nur) von Menschen instantiiert (und also nicht von Adhärenzen). Das Argument sieht plausibel aus. Doch bei näherer Betrachtung ergibt sich ein anderes Bild. Die folgenden beiden Punkte sind (zumindest, wenn man nicht Adhärenzen und/oder Arten generell ablehnt) unkontrovers: (i) Sokrates' Blässe und die (im Norden weit verbreitete Eigenschaft) Blässe, Johannas Mut und der Mut, sowie Belmondos Charme und der Charme stehen jeweils in einem interessanten Verhältnis zu-
14
Es ist ohnehin eher kniffelig, zu sagen, wie (5) zu verstehen ist: Ist tatsächlich die Art Löwe ein Symbol für Stärke?
286
Appendix zu Kapitel 4
einander. Überdies stehen die Entitäten der drei genannten Paaren in jeweils ein und demselben Verhältnis zueinander. Geben wir diesem Verhältnis einen Namen und sprechen wir von Instantiierung. (ii) Bernhards Gehen und die Gattung der Erzählung, Belmondo und die Art Mensch, sowie der zu einem bestimmten Zeitpunkt erklungene Kammerton Α und der Kammerton Α stehen jeweils in einem interessanten Verhältnis zueinander. Überdies stehen die Entitäten der drei genannten Paaren in jeweils ein und demselben Verhältnis zueinander. Geben wir diesem Verhältnis einen Namen und sprechen wir von Artzugehörigkeit. Nun mag es naheliegen, das exemplarisch beschriebene Verhältnis der Instantiierung und das ebenfalls exemplarisch beschriebene Verhältnis der Artzugehörigkeit für ein und dasselbe zu halten. Doch man sollte das besser unterlassen, wenn man Arten und artkorrelierte Eigenschaften miteinander identifiziert. Belmondo steht offenbar zu allen seinen Eigenschaften in einem und demselben Verhältnis: er hat bzw. besitzt sie. Belmondo hat die Eigenschaften, charmant zu sein, ein Schauspieler zu sein, und ein Mensch zu sein. Wenn nun die Art Mensch nichts anderes ist, als die Eigenschaft, ein Mensch zu sein, dann ist Artzugehörigkeit nichts anderes als der Besitz oder das Haben einer Eigenschaft, die Beziehung der Exemplifikation. Und das ist offenbar nicht die in (i) erwähnte Beziehung der Instantiierung: denn Sokrates' Blässe hat keineswegs die Eigenschaft Blässe, auch hat Johannas Mut keinen Mut und Belmondos Charme ist selber nicht charmant. Wenn also Arten nichts anderes sind als artkorrelierte Eigenschaften, dann signifizieren die gemeinsprachlichen Prädikate „x gehört der Art у an" oder auch ist ein Exemplar der Art nicht die Relation, die ich in (i) Instantiierung genannt habe. Dann aber scheitert das obige Argument; die Art Mensch wird, wenn sie identisch ist mit der Eigenschaft, ein Mensch zu sein, von Menschen exemplifiziert, nicht instantiiert (in dem Sinne, in dem Johannas Mut den Mut instantiiert). Ob es Adhärenzen gibt, von denen sie instantiiert wird, ist eine unabhängige Frage. Diese Überlegung bedeutet zweierlei: zum einen zeigt sie, daß die Gleichsetzung von Art und artkorrelierter Eigenschaft keine Entscheidung der Frage nach der Existenz artkorrelierter Adhärenzen präjudiziert. Zum anderen gibt sie meines Erachtens weitere Gründe gegen besagte Gleichsetzung ab. Denn es spricht einiges dafür, Exemplifika-
Essentielle Adhärenzen
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tion (Eigenschaftsbesitz) und Artzugehörigkeit zu unterscheiden; da mit der Identifikation von Art und artkorrelierter Eigenschaft eine Identifikation der soeben genannten Relationen einhergeht, sind Gründe für eine Unterscheidung im ersten Fall zugleich Gründe für eine Unterscheidung im zweiten Fall. Die Unterscheidung von Exemplifikation und Artzugehörigkeit drängt sich auf, sobald man denn Adhärenzen akzeptiert - und das schon dann, wenn man nur eine Unterklasse von Adhärenzen, Ereignisse nämlich, akzeptiert. An einem Beispiel kann man sich das klarmachen: Geht Oehler die Straße entlang, so findet etwas statt, sein Gang. Sowohl Oehler wie auch sein Gang stehen offenbar in einem wichtigen Verhältnis zur Tätigkeit, zu gehen. Oehler übt diese Tätigkeit aus - er hat (oder exemplifiziert) die Beschaffenheit, zu gehen. Sein Gang hat diese Beschaffenheit nicht; sein Gang geht nicht und übt auch keinerlei Tätigkeit aus. Er ist ein konkretes Vorkommnis der Tätigkeit, zu gehen. Mit anderen Worten: er gehört dieser Art der Tätigkeit (nämlich: zu gehen) an. Bricht, um ein zweites Beispiel zu nennen, der Vesuv aus, so sind wiederum zwei wichtige Relationen zwischen konkreten Einzeldingen und einem Universale involviert. Denn sowohl der Vesuv wie auch sein Ausbruch stehen in einem ontologisch bedeutsamen Verhältnis zur Beschaffenheit, auszubrechen - aber offenbar nicht in demselben. Wer immer konkrete Ereignisse anerkennt, der sollte bereit sein, zwei verschiedene Relationen zu unterscheiden, die zwischen universalen Gegenständen und konkreten bestehen können. Analoges gilt für nicht-dynamische Adhärenzen: Belmondo und Belmondos Charme stehen beide in einem interessanten Verhältnis zum Attribut Charme, aber eben in einem verschiedenen. Doch sobald man die Unterscheidung macht, ist es nicht mehr schwer zu sehen, welche Relation zwischen einer Art und ihren Exemplaren besteht - diejenige, die auch zwischen einer Art der Tätigkeit und einer konkreten Durchführung derselben besteht, oder zwischen einem Ereignistyp und einem konkreten Ereignis. Es ist Instantiierung und nicht Exemplifikation. Arten und Eigenschaften zu identifizieren, verwischt zugleich den Unterschied zwischen diesen Relationen. Doch es gibt ihn (vorsichtiger gesagt: doch man muß einen solchen eingestehen, wenn man eine Ontologie von Adhärenzen akzeptiert). Deswegen bilden Arten tatsächlich keine Unterklasse der Eigenschaften, auch wenn sie in einer engen Weise mit einer solchen Unterklasse korreliert sind.
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Appendix zu Kapitel 4
с. Artkorrelierte Adhärenzen Genug davon; Arten sind nicht mein hauptsächliches Thema. Es bleibt festzuhalten: Ob es nun Arten zusätzlich zu artkorrelierten Eigenschaften gibt, oder man sie gleichsetzt, die Frage, ob artkorrelierte Eigenschaften durch Adhärenzen instantiiert werden, harrt in jedem Fall noch einer Antwort. Gehen wir sie also an: Wenn man Adhärenzen überhaupt einen Platz in seiner Ontologie zubilligt, dann scheint es mindestens begründungsbedürftig, warum artkorrelierte Eigenschaften keine Instanzen haben sollten.15 Wie könnte eine solche Begründung aussehen? Ich kenne keine Antwort, die mich wirklich überzeugen würde. Am ehesten könnten die folgenden Beobachtungen eine Rolle spielen: (i) Wie ich im Kapitel über Adhärenzen vermerkt habe, enthalten prototypische singulare Terme für Adhärenzen (wie „Eulenspiegels Durchtriebenheit" oder „die Röte dieses Apfels") Eigenschaftsterme, die abgeleitete und einzelne Substantive sind - Terme wie „Durchtriebenheit", „Röte" etc. Solche Terme rühren in der Regel von Adjektiven her; Substantive wie „Mensch" oder „Tiger" dienen in den seltensten Fällen als Grundlage einer solchen Ableitung. Hat man im Englischen immerhin noch „humanity", einen Ausdruck der als Eigenschaftsterm ebenso wie als Artterm passiert, so gibt es im Deutschen nur „Menschlichkeit" als abgeleiteten Ausdruck, doch der bezeichnet eben nicht die Eigenschaft, ein Mensch zu sein. Zudem stammt er zwar von „Mensch", doch dies nur über den Umweg des Adjektivs „menschlich", welches bereits die abweichende Bedeutung aufweist.16 15
16
Vgl. Hoffman und Rosenkrantz (1994: 41), die schreiben: „[...] extremely plausible considerations of ontological parity imply that if Socrates' wisdom exists then there also exists Socrates' humanity." Das scheint mir, solange die „considerations of ontological parity" nicht ein bißchen näher ausbuchstabiert werden, zu stark. Man sollte lieber sagen, daß jemand, der die Kategorie der Adhärenz akzeptiert, für die Ungleichbehandlung verschiedener Attribute in Hinsicht auf ihre Instantiierbarkeit Gründe vorbringen sollte. Das ist tatsächlich eine faire Forderung. Allerdings nicht immer: stellt in einer Science Fic/i'o/j-Geschichte der technische Offizier an Bord eines Raumschiffs fest, daß sich auf dem umkreisten Planet menschliche Lebensformen befinden, ist damit etwas über die Artzugehörigkeit der Planetenbewohner, nicht über ihre Humanität gesagt.
Essentielle
Adhärenzen
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Man müßte also, wenn man von artkorrelierten Adhärenzen sprechen wollte, in der Regel auf Infinitivwendungen mit kategorialer Apposition zurückgreifen - wie ich es selber getan habe, als ich von Belmondos Eigenschaft, ein Mensch zu sein, redete.17 Diese Infinitivwendungen sind nun in der Regel weniger zur Bildung von Adhärenztermen geeignet als selbständige Substantive, und entsprechende komplexe Ausdrücke begünstigen eher eine Lesart, in welcher sie Tatsachen bezeichnen, als Ausdrücke, in denen der Eigenschaftsterm ein einzelnes Substantiv ist. Doch ist zu bedenken, daß die semantische Interpretation von Adhärenztermen ohnehin gewisse Transferleistungen erfordert und keinesfalls so geradlinig vonstatten geht, wie es bei Ereignistermen der Fall ist - denn auch die selbständigen Eigenschaftsterme wie „Weisheit" tragen nicht die Züge eines sortalen Terms.18 Mag also die Analogiebildung, derer es bedarf, um Ausdrücke wie „die Eigenschaft, ein Mensch zu sein" als Bezeichnungen von instantiierbaren (und nicht bloß exemplifizierbaren) Entitäten zu verstehen, auch besonders groß sein - eine derartige Analogiebildung ist fiir eine Konzeption von Adhärenzen in jedem Fall erforderlich. Mir scheint hier allenfalls ein gradueller Unterschied vorzuliegen, von dem ich nicht weiß, ob man ihn stark genug machen kann, um den gewünschten ontologischen Unterschied zu fundieren. (ii) Die vielleicht stärkste Evidenz für die Relevanz von Adhärenzen im Alltagsdenken liefern Wahmehmungskontexte.19 Adhärenzterme, die als grammatische Objekte von Wahrnehmungsverben auftreten, sperren sich notorisch gegen eine Tatsachenlesart. Aber auch die anscheinende Akzeptanz von Adhärenzen als kausalen Relata überhaupt (also das Vorkommen von Adhärenztermen in kausalen Kontexten, von denen Wahrnehmungskontexte eine besondere Form darstellen) wird für eine Konzeption von Adhärenzen ins Feld geführt. Vielleicht könnte man Gründe ausmachen, warum man ausschließlich solche Adhärenzen akzeptieren sollte, die wahrgenommen werden können und/oder solche, die eine Rolle im kausalen Gefüge spielen können. Dann kann man zugleich die Frage aufwerfen, ob art17
18 19
Oder auf substantivierte Infinitive wie „Menschsein", was aber bereits auf Kosten der sprachlichen Eleganz geht. Vgl. Kapitel 2, Abschnitt 2.a. Vgl. Kapitel 2, Abschnitt I.e.
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Appendix zu Kapitel 4
korrelierte Adhärenzen als Objekte der Wahrnehmung herhalten können, und vielleicht sogar, ob sie in irgendeiner Art der kausalen Beziehung zu anderen Dingen stehen können. Kann man Belmondos Eigenschaft, ein Mensch zu sein, sehen, hören, riechen etc.? Was kann eine solche Eigenschaft bewirken? Ich weiß nicht genau, wie diese Fragen zu beantworten sind. Jedenfalls scheint mir die erste Frage allemal zu eingeschränkt, um im Falle einer negativen Antwort fur ein Argument gegen die Existenz essentieller Adhärenzen herhalten zu können; denn man sollte sein ontologisches Weltbild wohl kaum von dem kontingenten Umstand abhängig machen, mit welcher Art von Wahrnehmungsapparat man gesegnet ist (und dies täte man, wenn tatsächlich die Frage, ob man die Eigenschaft, ein Mensch zu sein, sehen, hören, riechen kann, als Prüfstein der Existenz einer solchen Adhärenz nähme) - ein solches Vorgehen könnte man mit Fug und Recht als anthropozentrisch abtun. Allenfalls könnte die prinzipielle Wahrnehmbarkeit eine Rolle bei solchen Überlegungen spielen - aber prinzipielle Wahrnehmbarkeit fällt nach meinem Dafürhalten mit kausaler Potenz zusammen (wenn ein Gegenstand nur irgendwelche Wirkungen zeitigen kann, dann könnte es ein Sensorium geben, welches auf eben diese Wirkungen anspricht).20 Damit wäre die zweite Frage die allein wichtige. Doch weder weiß ich, wie sie zu beantworten ist, noch, wieviel Gewicht eine solche Antwort haben kann. Vielleicht könnte es, um noch einmal die Science Fiction geschulte Phantasie zu bemühen, so etwas wie einen Artendetektor geben, welcher die Artzugehörigkeit der Probanden feststellt, auf die er gerichtet ist. Insofern könnte eine artkorrelierte Beschaffenheit, wie die Eigenschaft, ein Mensch zu sein, mindestens anscheinend in kausale Beziehungen eintreten. Doch sie wird wohl kaum als basales kausales Glied auftauchen; wenn man sie durch irgendwelche Mittel wahrnehmen könnte, dann wahrscheinlich, indem man gewisse andere Merkmale wahrnähme, welche sie fundieren (den genetischen Code o.ä.). Nun gilt dasselbe freilich für viele Standardbeispiele von Adhärenzen - wenn diese eine Rolle in der Alltagsontologie spielen sollen, dann beschränken sie sich gewiß nicht auf diejenigen Eigenschaften, die in einer entwickelten naturwissenschaftlichen Theorie die grundle20
Vgl. Künne 1983: 63f.
Essentielle Adhärenzen
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genden kausalen Relata stellen, wie etwa Eigenschaften der Mikrophysik. Doch sobald man die Gruppe der kausalen Relata groß genug faßt, um dem Alltagsdenken gerecht zu werden, sehe ich zunächst nicht mehr, wieso man artkorrelierten Adhärenzen kausale Potenz prinzipiell abstreiten soll (etwas, das bei einigen Eigenschaften, wie zum Beispiel formalen, sicherlich größere Plausibilität hat). Wie gesagt, ich sehe mich nicht in der Lage, diese Thematik klar zu entscheiden; ich neige allerdings dazu, für ein in dubio pro reo zu plädieren - die Ablehnung artkorrelierter Adhärenzen bei gleichzeitiger Akzeptanz der Kategorie partikularisierter Eigenschaften bedarf meines Erachtens guter Argumente. Besserer jedenfalls, als sie mir bekannt sind. Bis auf weiteres verbleibe ich daher bei meiner Annahme solcher Entitäten. d. Essentielle und artkorrelierte Eigenschaften Ich habe darauf hingewiesen, daß die Beispiele, die Lowe bei seiner Diskussion essentieller Adhärenzen erwägt, gemeinsam haben, daß es sich bei ihnen um Instanzen von artkorrelierten Eigenschaften im zuvor erläuterten Sinne handelt. Aber man sollte nicht übersehen, daß auch einige Eigenschaften, die nicht artkorreliert sind, Chance auf den Status essentieller Eigenschaften haben: Es ist eine essentielle Eigenschaft einer geraden Zahl, gerade zu sein, und diese Beschaffenheit macht nicht den Anschein, in einem Boot mit den von Lowe behandelten Eigenschaften zu sitzen. Ähnliches gilt für die essentiellen Eigenschaften eines Menschen, vernunftbegabt zu sein oder die essentielle Eigenschaft eines Körpers, ausgedehnt zu sein. Schließlich habe ich auf verschiedene Positionen eines genetischen Essentialismus hingewiesen. Die Eigenschaft, Kind seiner aktuellen Eltern zu sein, ist vielen Philosophen zufolge eine essentielle Eigenschaft, aber sie ist keine artkorrelierte Eigenschaft. Selbst wenn man also artkorrelierte Adhärenzen ablehnt, wäre es kurzsichtig, auf Grundlage dessen bereits die Idee essentieller Adhärenzen zu verabschieden. Denn da es essentielle Attribute gibt, die keine Eigenschaften der Artzugehörigkeit sind, müßte man prüfen, ob nicht einige (oder alle) der sie instantiierenden Adhärenzen ihren Trägern essentiell sind. Gibt es solche nicht-artkorrelierten, aber essentiellen Adhärenzen?
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Appendix zu Kapitel 4
Betrachten wir die obigen drei Beispiele von Kandidaten für essentielle Eigenschaften, die Substanzen zukommen können. Die zuletzt genannte Eigenschaft, Kind seiner faktischen Eltern zu sein, ist eine relationale Eigenschaft; nun sind relationale Adhärenzen nicht unumstritten, und da ich sie bisher in meinen Diskussionen ausgespart habe, will ich das Beispiel hier nicht weiter diskutieren.21 Wie steht es also um die Vemunftbegabtheit eines Menschen? Sie scheint mir in mindestens einer Hinsicht suboptimal für die Diskussion zu sein. Denn reflektiert man ein wenig über sie, so wird schnell unklar, was genau diese Eigenschaft eigentlich ist. Ist Vernunftbegabung dasselbe wie Vernünftigkeit (eine determinierbare Eigenschaft, die in determinierten Graden daherkommt)? Eher wirkt es, als handele es sich um eine Anlage zum Besitz von Vernunft. Vielleicht ist eine solche Eigenschaft nun mindestens indirekt artkorreliert; denn diese Anlage zu haben, könnte man argumentieren, meint ein Exemplar einer Art zu sein, deren typische Vertreter die angelegte Eigenschaft besitzen. Freilich würden diese Fragen einer längeren Diskussion bedürfen, als ich sie hier führen will. Das dritte Beispiel, ausgedehnt zu sein, hat wiederum Probleme einer eigenen Art. Ausdehnung ist eine determinierbare Eigenschaft; was immer ausgedehnt ist, ist auf eine bestimmte Weise ausgedehnt und hat damit eine ganz spezielle (determinierte) Ausdehnung. Solche determinierten Ausdehnungen sind nun allemal tauglich, Adhärenzen als Instanzen zu haben. Doch ob auch determinierbare Attribute dazu im selben Sinne geeignet sind, ist weniger klar. Im selben Sinn: Gewiß gibt es, wenn es Instanzen bestimmter Rottöne gibt, auch Instanzen von Rot. Das abzustreiten scheint mir schlicht absurd; aber einige Philosophen halten dafür, daß es keine Instanzen von determinierbaren
21
Wobei angemerkt sei, daß derjenige, der relationale Adhärenzen akzeptiert, unter diesen eben auch essentielle antreffen könnte. Neben dem erwähnten Beispiel der Nachkommenschaft stellen Beziehungen der Repräsentation eine interessante Klasse von Fällen dar. Manch ein Philosoph würde vertreten, daß eine Heine darstellende Statue notwendigerweise Heine darstellt - die Statue könnte einen Verlust ihrer repräsentationalen Eigenschaft nicht überleben. Wenn es also eine entsprechende Repräsentations-Adhärenz gibt, so wäre sie ein Anwärter auf den Status einer essentiellen Adhärenz.
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Attributen gibt, die nicht zugleich Instanzen von determinierten sind.22 Die Ausdehnung dieses Tisches ist, so die Idee, eine Ausdehnung, und sie ist zugleich eine Ausdehnung bestimmter Maße. Über diese hinaus hat der Tisch nicht zusätzlich eine nicht determinierte Adhärenz vom Typ Ausdehnung. Unser Umgang mit Farbprädikaten gibt dieser Position Rückhalt: Die Farbe dieses Apfels ist nichts anderes als das Rot dieses Apfels, welches wiederum nichts anderes ist als sein Tiefrot etc. Das zeigt, daß die Adhärenzterme „die Farbe des Apfels", „das Rot des Apfels", „das Tiefrot des Apfels" dieselbe Referenz haben, eine Instanz einer determinierten Eigenschaft, die aber eben zugleich Instanz determinierbarer Eigenschaften ist. Wenn es überdies auch Adhärenzen gibt, die lediglich Instanzen determinierbarer Eigenschaften sind, aber nicht Instanzen determinierter Eigenschaften, so haben wir keine direkten Wege, über diese zu sprechen (außer mit einer Beschreibung, wie ich sie gerade gebraucht habe). Kanonische Adhärenzterme scheinen sich auf Instanzen determinierter Adhärenzen zu beziehen.23 Gehen wir also einmal davon aus, daß man über Adhärenzen, die Instanzen determinierbarer Eigenschaften sind, ohne zugleich Instanzen determinierter Eigenschaften zu sein, nicht bloß schwerlich reden kann, son22
23
Einige Philosophen (darunter Ehring, 1996: 462ff.), aber nicht alle; Mulligan beispielsweise hält die Annahme (nicht-determinierter) determinierbarer Adhärenzen für Bündeltheoretiker für attraktiv (Mulligan 1993: 13). Cleland (1991) versucht, mit Hilfe solcher Adhärenzen Aussagen über die Veränderungen von Beschaffenheiten („the temperature of the oven is 100 degree and rising") zu deuten; wobei ihr Ansatz (vgl. op. cit. 243) mit dem weiter unten geschilderten sprachlichen Datum konfligiert, daß man sich mit kanonischen Adhärenztermen auf determinierte Eigenschaften bezieht. Bei Ereignistermen ist dies offensichtlich; die Aufführung gestern war eine Inszenierung eines Romans, und zwar eine Inszenierung von Alte Meister. Wenn kein anderes Stück aufgeführt wurde, lautet die korrekte Antwort auf die Frage „Wieviele Aufführungen fanden statt?": „Eine." Da die Inszenierung von Alte Meister eine Aufführung war, genauso wie die gestrige Inszenierung eines Romans eine Aufführung war und natürlich die Aufführung gestern eine war, müßte die Antwort „drei" lauten - wenn sich nicht die Ausdrücke „die gestrige Aufführung", „die gestrige Inszenierung eines Romans" und „die gestrige Inszenierung von Alte Meister" sich allesamt auf dasselbe Ereignis beziehen würden. Vgl. die Kontroverse zwischen Bennett und Kim (Bennett 1991b: 658-662 und Kim 1991), in welcher Bennett diesen Umstand betont und damit die Nase vorne hat.
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Appendix zu Kapitel 4
dem daß es sie tatsächlich nicht gibt.24 In diesem Fall geben determinierbare, essentielle Eigenschaften nur dann essentielle Adhärenzen ab, wenn ihre Träger zugleich notwendigerweise eine bestimmte determinierte Ausprägung der determinierbaren Eigenschaft haben. Aber selbst wenn dies bei den meisten Fällen determinierbarer Eigenschaften nicht der Fall ist, so doch vielleicht bei einigen. Mancher Essentialist würde vertreten, daß beispielsweise ein Proton notwendigerweise (einfach) positiv geladen ist. (Einfach) positiv geladen zu sein ist aber eine determinierte Eigenschaft. Die Überlegungen zeigen folgendes: Die These, daß nur Adhärenzen vom Typ artkorrelierter Eigenschaften essentielle Adhärenzen sein können, kann begründet bezweifelt werden. Man muß, wenn man nicht ausgefeilte Argumente auffährt, mit essentiellen Eigenschaften rechnen, die nicht artkorreliert sind, aber Adhärenzen als Instanzen haben, die ihren Trägern essentiell sind (man beachte, daß in solchen Fällen Lowes Vorschlag, eine Substanz mit ihren essentiellen Adhärenzen zu identifizieren, gänzlich abwegig wird): (1)
Wenn es relationale Adhärenzen gibt, dann gibt es unter ihnen gute Kandidaten auf den Status essentieller Adhärenzen.
(2)
Wenn es determinierbare, nicht-determinierte Adhärenzen gibt, dann sind darunter ebenfalls gute Kandidaten zu finden.
(3)
Aber auch unter determinierten Adhärenzen, deren Existenz außer Frage steht, gibt es solche, die als essentielle Adhärenzen in Frage kommen.
Mein Fazit: Man kann begründet mit der Existenz essentieller Adhärenzen rechnen. Die Definition von Substanzen als modal-existentiell unabhängigen Entitäten ist mithin problematisch.
24
Womit ich nicht suggerieren will, die Frage ihrer Existenz entschieden zu haben. Wenn es sie gibt, umso besser für die Annahme essentieller Adhärenzen und umso schlimmer für die modal-existentielle Unabhängigkeit der Substanzen. Doch hier soll gezeigt werden, daß es ohnehin schlimm genug um diese bestellt ist.
Kapitel 5:
Essentielle Abhängigkeit
Kapitelaufbau: 1. Kit Fine über den Begriff der Essenz 2. Abhängigkeit und Essentialität 3. Substanzen als (essentiell) unabhängige Entitäten 4. Essenz und Erklärung
1. Kit Fine über den Begriff der Essenz In verschiedenen Aufsätzen hat Kit Fine eine Kritik an der (in der analytischen Philosophie üblichen) Gleichsetzung von Essentialität und Notwendigkeit formuliert. Er plädiert für die Trennung dieser Begriffe: The notion of essence which is of central importance to the metaphy-sics of identity is not to be understood in modal terms or even to be regarded as extensionally equivalent to a modal notion. The one notion is, if I am right, a highly refined version of the other; it is like a sieve which performs a similar function but with a finer mesh. (Fine, Essence: 3)
Den von ihm vorgestellten Essenzbegriff verwendet er auch zur Definition eines Begriffs ontologischer Abhängigkeit. Dabei ist eines seiner zentralen Anliegen, gewisse Intuitionen über asymmetrische Abhängigkeit zu erklären, denen man mit modalen Begriffen allein nicht beikommen kann. Das macht sein Projekt für unsere Diskussion immens interessant. Der schwerwiegendste Einwand gegen die Möglichkeit, den Substanzbegriff mittels modal-existentieller Abhängigkeit zu definieren, basiert ja gerade auf der Unmöglichkeit, eine asymmetrische Abhängigkeit zwischen bestimmten notwendig koexistierenden Gegenständen zu rechtfertigen.
296
Kapitel 5: Essentielle Abhängigkeit
Zunächst werde ich Fines Position zu den Begriffen der Essenz und der Abhängigkeit in ihren entscheidenden Zügen vorstellen. Im anschließenden Paragraphen wende ich sie auf die gegenwärtige Problematik an und zeige, wo sie in dieser Hinsicht Mängel aufweist. Fine erklärt den Begriff der Essenz mittels einer bestimmten Relation, die zwischen beliebigen Gegenständen einerseits und Propositionen andererseits bestehen kann. Eine Proposition kann wahr sein aufgrund des Wesens1 eines Gegenstands. Um diese Relation auszudrücken, verwendet er das Symbol „nxp" (zu lesen als: aufgrund des Wesens von χ ist es wahr, daß p). Die Essenz eines Dinges ist nun einfach die Gesamtheit der Propositionen, die aufgrund des Wesens dieses Dinges wahr sind (unter der Gesamtheit kann man hier entweder eine mereologische Summe oder eine Menge verstehen, wobei von der Wahl nichts abhängt): (Df. Essenz) у ist die Essenz von χ Df у enthält genau die Propositionen p, so daß gilt: axp. Die hierbei zentrale Wendung des Wahrseins einer Proposition aufgrund des Wesens eines Objekts setzt Fine dabei als intuitiv verständlich und primitiv voraus: Although the form of words 'it is true in virtue of the identity of x' might appear to suggest an analysis of the operator into the notions of the identity of an object and of a proposition being true in virtue of the identity of an object, I do not wish to suggest such an analysis. The notation should be taken to indicate an unanalyzed relation between an object and a proposition. Thus we should understand the identity or being of the object in terms of the propositions rendered true by its identity rather than the other way round. (Fine, Dependence: 273)2
1
2
„Wesen" übersetzt Fines „nature"; neben diesem Ausdruck benutzt Fine auch „identity" für denselben Zweck, wie man im folgenden Zitat sieht. Fines Mitteilung ist einigermaßen klar, seine Formulierung aber zumindest unglücklich: (i) Die Rede einer sich aufdrängenden Analyse des Operators („an analysis of the operator") ist gewiß ein Flüchtigkeitsfehler (bei der Analyse eines sprachlichen Symbols käme man kaum zu interessanten Ergebnissen). (ii) Aber auch die Analyse des vom Operator ausgedrückten Begriffes in die Begriffe des Wesens eines Gegenstands einerseits, und des Wahrseins einer Proposition aufgrund des Wesens eines Gegenstandes andererseits wäre eher eigenartig, da in den zweiten Begriff der erste (Wesen) mit eingeht. Fine sollte daher eher von den Begriffen des Wesens einerseits
Kit Fine über den Begriff der Essenz
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Gestehen wir Fine diese unanalysierte Relation und eine gewisse Einsicht in sie zu. Die folgenden Beispiele machen seine Intention und die Abgrenzung zu modalen Begriffen klarer: (a) Daß die Menge {Belmondo} Belmondo als Element enthält, so plädiert Fine, ist wahr aufgrund des Wesens dieser Menge - und nicht aufgrund des Wesens von Belmondo. Insofern gehört es zur Essenz dieser Menge, Belmondo zu enthalten, aber nicht zur Essenz von Belmondo, Element dieser Menge zu sein. Anders gesagt ist es eine essentielle Eigenschaft von {Belmondo}, Belmondo zu enthalten, während Belmondo nicht essentiell Element von {Belmondo} ist. Die hier intuitiv unterstellte Asymmetrie ist mit modalen Begriffen nicht zu haben. Rufen wir uns dazu die übliche, modal-existentielle Definition von Essentialität ins Gedächtnis 3 (zur Abgrenzung rede ich bei diesem Begriff fortan nicht mehr von essentiellen, sondern von notwendigen Eigenschaften): (Df. NE - Notwendige Eigenschaft) Eigenschaft e ist eine notwendige Eigenschaft von χ .;chate). 4 Es ist damit ebenso eine notwendige Eigenschaft der Menge {Belmondo}, Belmondo zu enthalten, wie es eine notwendige Eigenschaft Belmondos ist, zu dieser Menge zu gehören. (b) Daß die Zahl 2 eine Primzahl ist, ist wahr aufgrund des Wesens der Zahl 2, und nicht aufgrund des Wesens von Belmondo. Daß die Zahl 2 prim ist, gehört also zur Essenz dieser Zahl, nicht aber zur Essenz von Belmondo. Aber da 2 notwendigerweise eine Primzahl ist, ist jeder Gegenstand notwendigerweise derart, daß 2 eine Primzahl ist. Es ist also eine notwendige Eigenschaft von Belmondo, so zu sein, daß 2
3 4
und des Wahrseins aufgrund von etwas andererseits reden, (iii) Ähnlich schief ist der letzte Satz des Zitats; wie sollte die Identität eines Objekts verstanden werden durch die Propositionen, die durch dessen Identität wahr gemacht werden? Vgl. Kapitel 4, Abschnitt 3 .e. Hier ist eine Bemerkung zu einer kleinen Ungenauigkeit meinerseits angebracht: Ich habe von der verbreiteten Gleichsetzung von Essentialität und Notwendigkeit geredet. Dabei ist aber nicht absolute Notwendigkeit gemeint, sondern eben die hier definierte konditionalisierte Notwendigkeit.
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Kapitel 5: Essentielle
Abhängigkeit
prim ist. Wiederum ist die einsichtige Asymmetrie durch modale Verhältnisse nicht zu klären. Fines Begriff einer essentiellen Eigenschaft ist somit enger als der einer notwendigen, wobei Essentialität Notwendigkeit impliziert was seine Bemerkung erklärt, der Begriff der Essentialität sei „like a sieve which performs a similar function [as the concept of necessity] but with a finer mesh" (a. a. O.).
2. Abhängigkeit und Essentialität Um mittels dieses Essenzbegriffs einen Abhängigkeitsbegriff zu definieren, benutzt Fine die Redeweise, daß ein Gegenstand Konstituent einer Proposition sein kann: [...] propositions [...] may intelligibly be said to contain objects as constituents. This is an assumption which, for better or worse, I shall just accept, although without any definite commitment as to what the objectual structure of propositions [...] might be. (Fine, Dependence, 276) 5
Wer Russellsche, singulare Propositionen schätzt, wird keine Probleme mit dieser Art zu sprechen haben. Solche Propositionen können (nicht-propositionale) Gegenstände als Teile enthalten, so daß „Konstituent" hier einfach als „Teil" zu verstehen wäre. Aber Fine will sich nicht auf eine bestimmte Sichtweise von Propositionen festlegen.6 Vielleicht braucht er es auch tatsächlich nicht. Man kann die Redeweise zumindest verständlich machen ohne Rekurs auf die Struktur von Propositionen. Eine Annäherung bringt die folgende Konvention:7 5
6
7
Eine Bemerkung zur zweiten Auslassung im Zitat: Nicht nur Propositionen sondern auch Eigenschaften können nach Fine Gegenstände als Konstituenten haben (beispielsweise wäre Sokrates ein Konstituent der Eigenschaft, mit Sokrates identisch zu sein, und Benjamin ein Konstituent der Eigenschaft, eine Schwester von Benjamin zu sein). Da Konstituenten von Eigenschaften im weiteren keine besondere Rolle spielen, übergehe ich diesen Punkt im Haupttext. Seine eigene Auffassung von strukturierten Propositionen und ihren Konstituenten breitet Fine in (Fine 1980) aus. Die Konvention spiegelt Aspekte von Fines eigener Position wieder; vgl. hierzu Fine 1980: 162f. und insbesondere seine Sätze (3) und (6).
Abhängigkeit und Essentialität
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(PK - Propositionale Konstituenten) Verwendet man bei der Äußerung eines Satzes s einen in s enthaltenen, singulären Term t für eine nicht-deskriptive Bezugnahme, so sagen wir fortan von dem Referenten von t (sofern t denn einen solchen hat), er sei ein {Constituent der Proposition, die man bei dieser Verwendung von s ausdrückt. 8 Singulare Terme, die sich für nicht-deskriptive Bezugnahmen eignen, sind insbesondere Eigennamen und demonstrative bzw. anaphorische Pronomina (sowie deren formale Pendants, Variablen), aber auch Kennzeichnungen in einer referentiellen Verwendung sind hier einschlägig. Durch (PK) kann jemand, der es für unverständlich hält, wie eine Proposition einen Gegenstand enthalten solle, dennoch von Konstituenten einer Proposition reden - sofern er denn die Möglichkeit nichtdeskriptiver Bezugnahmen eingesteht. So hat z.B. die Proposition, daß Belmondo charmant ist, Belmondo als Konstituenten - denn es wird hier in einer nicht-deskriptiven Weise auf ihn Bezug genommen, und auf mehr legt man sich mit dieser Wendung nach (PK) ja nicht fest. 9 Mit diesen begrifflichen Mitteln definiert Fine seinen Abhängigkeitsbegriff. Ein Gegenstand x, so die Idee, ist von einem Gegenstand у abhängig, wenn у in der Essenz von χ involviert ist:10 (Df. Abh-Fine)
8 9
10 11
χ ist abhängig von >> because of a's F-ness." bzw.
because of a's φ-ing".
Essenz und Erklärung
(SB)
313
ρ because a is F.
So kann sich die Wahrheit der Aussage (2)
I am crying because of her,
etwa in der Wahrheit der folgenden Aussage gründen: (2*)
I am crying because of her having hurt me.
Und diese ergibt sich eben aus der Wahrheit von (2**)
I am crying because she has hurt me.
Freilich sind Aussagen der Art because of α" sicher nicht bloße Ellipsen für informativ reichere Gegenstücke der Art „p because of a's F-ness". Denn dies würde verlangen, daß bei der Verwendung einer Aussage ,p because of α" eine bewußte Auslassung einer Wortgruppe erfolgt. Doch häufig, wenn man eine solche Aussage macht, sieht man sich nicht ohne weiteres in der Lage, eine korrekte reichhaltigere Variante anzugeben. Man denke an Konversationen wie die folgende: Warum weinst Du? - Ich weine ihretwegen. - Was hat sie denn getan? Sie hat nicht wirklich etwas getan. - Weinst Du, weil sie immer so kühl ist? - Nein, nicht deshalb ...
Das Gespräch könnte noch lange weitergehen, bis herauskommt, was genau den Sprecher weinen macht. Aber auch wenn der Zusammenhang der Phrase „because o f und dem Junktor „because" nicht ganz so gradlinig ist, er besteht zweifelsohne.25 Der Junktor „because" signalisiert nun klar, daß man das Feld der Erklärungen betreten hat. Und philosophische Erklärungen werden in der Regel begrifflicher Natur sein. Meines Erachtens ist Fine hier also mindestens teilweise mit begrifflichen Phänomenen und insbesondere solchen begrifflicher Erklärungen beschäftigt; die Verbindung zu diesen ist auch in seinem zentralen Operator „p is true in virtue of the nature of χ" angelegt. Ich will meine Beschäftigung mit Fine jetzt zwar beenden, aber ich werde im weiteren den gerade ange25
Siehe hierzu auch Stewards (1997: 140-167) umsichtige und interessante Beobachtungen zum Zusammenhang von singulären Kausalerklärungen (wie beispielsweise „Der Brand brach wegen des Versagens der Sprinkleranlage aus") und Kausalerklärungen durch Satzverbindungen (wie „Der Brand brach aus, weil die Sprinkleranlage versagte").
314
Kapitel 5: Essentielle
Abhängigkeit
sprochenen Strang weiterverfolgen. Dazu betrachte ich zunächst einen Vorschlag Lowes zu einer Definition eines für eine Substanzdefinition geeigneten Unabhängigkeitsbegriffs. Dieser erweist sich zwar in seiner präsentierten Form als untauglich, er ist aber ein near miss. Lowe hat meines Erachtens die richtige Idee, fuhrt sie nur nicht auf die richtige Art und Weise aus. Im zweiten Abschnitt des folgenden Kapitels formuliere ich einen positiven Vorschlag, der Erkenntnisse aus der Diskussion von Lowes Ansatz integriert und mit dem man, so versuche ich zu zeigen, die Unabhängigkeitsidee auf ein angemessenes Fundament stellen kann.
Kapitel 6:
Explanatorische Abhängigkeit
Kapitelaufbau: 1. Ein abgebrochener Pfad: Lowes Begriff explanatorischer Abhängigkeit a. b. c. d. e. f.
Eine Definition mittels des Junktors „weil" Kausale Erklärungen der Existenz eines Gegenstandes Nicht-kausale Erklärungen des Stattfindens von Ereignissen Erklärungen der Existenz von Adhärenzen Interkategoriale Erklärungen der Existenz gewisser Entitäten Aussagen der Form weil q" und solche der Form ,j>, nur weil q"
2. Ein besserer Ansatz a. Ein Erklärungsschema: Prädikativität und Existenz b. Verfeinerungen c. Anwendung der Einsichten für eine Substanzdefinition 3. Einwände und Ergänzungen a. b. c. d.
Verbleibende Probleme: Kausale Extravaganzen Verbleibende Probleme: Göttliche Extravanganzen Verbleibende Probleme: Konstitutionsbeziehungen Verbleibende Probleme: Begriffliche Erklärungen und determinierbare Eigenschaften e. Relata der Erklärungsbeziehung 4. Ein Rückblick auf Fine
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Kapitel 6: Explanatorische
Abhängigkeit
1. Ein abgebrochener Pfad: Lowes Begriff explanatorischer Abhängigkeit a. Eine Definition mittels des Junktors „weil" Wie bereits im Appendix zu Kapitel 4 erwähnt, erkennt Lowe klar die Problematik, die sich aus der Möglichkeit essentieller Adhärenzen ftlr die Definition von Substanzen als modal-existentiell unabhängigen Entitäten ergibt: zwischen Substanzen und ihren essentiellen Adhärenzen (seien diese dynamisch, also Ereignisse, oder nicht-dynamisch) besteht eine starke, wechselseitige Abhängigkeit im modal-existentiellen Sinn. Doch um an der Unabhängigkeitsidee (der Idee, daß der Substanzbegriff über einen Unabhängigkeitsbegriff definierbar ist) festzuhalten, bedarf es einer einseitigen Abhängigkeit. Lowe schlägt daher vor, bei der Definition des einschlägigen Abhängigkeitsbegriffs durch Rückgriff auf den Satzjunktor „weil" eine erklärende Ebene ins Spiel zu bringen. Ist eine Einsetzung von )У?Ь weil s2" korrekt, so besteht zwischen den von den verbundenen Sätzen ausgedrückten Wahrheiten eine Erklärungsbeziehung. Und diese Beziehung ist eine (mindestens) antisymmetrische (und vielleicht sogar asymmetrische) Relation.1 Deshalb verspricht die Einbindung des Junktors „weil" in eine Abhängigkeitsdefinition von Vorteil zu sein; Asymmetrie ist ja gerade erwünscht, bisher aber nicht erreicht. Lowe erwägt daher die folgende Definition: χ depends for its existence upon у =df. Necessarily, χ only exists because у exists. (Dependence: 145)
Halten wir also fest: (Df. AW - Abhängigkeit definiert mithilfe des Junktors „weil") χ ist abhängig von у Df • (x existiert nur, weil у existiert). Lowe läßt (Df. AW) eine eher stiefmütterliche Behandlung angedeihen; er kommentiert diese Definition nur kurz und geht sodann zu sei1
Wie Lowe (Dependence: 145) richtig bemerkt; die Antisymmetrie kommt im folgenden Prinzip zum Ausdruck (vgl. auch Kap. 1, Fn. 173): (Antisymmetrie)
Ist die Wahrheit ρ eine Erklärung von der Wahrheit q, und q zugleich eine Erklärung von p, so gilt p=q.
Lowes Begriff explanatorischer Abhängigkeit
317
nem eigentlichen Vorschlag über.2 Zuvor erwähnt er zwei Bedenken, die man gegenüber (Df. AW) haben könnte: There are perhaps two sources of worry here: first, that this approach invites a confusion between metaphysics and epistemology; and secondly (but relatedly) that contexts governed by the conjunction "because" are opaque (in the technical sense of the term, in which it implies the non-applicability of Leibniz's law). (Lowe, Dependence: 146) Lowes Formulierungen sind arg knapp gehalten; das Folgende stellt den Versuch dar, die in ihnen angedeuteten Bedenken näher auszubuchstabieren. Das erste Bedenken·. Der Junktor „weil" wird verwendet, um Erklärungen zu geben. Daher, so Lowe, könnte sich der Verdacht einstellen, „that this approach invites a confusion between metaphysics and epistemology". Lowe erwähnt dieses Bedenken, ohne es weiter zu kommentieren. Woher genau sollte die angesprochene Gefahr rühren? Der Kern der Befürchtung scheint darin zu bestehen, daß es sich beim Erklärungsbegriff um einen epistemischen Begriff handelt. Ein solcher, könnte man meinen, darf nun keine zentrale Rolle in einer ontologischen oder metaphysischen Definition spielen (sondern allenfalls in einer epistemologischen). Doch diese lapidare Feststellung mag etwas dogmatisch klingen. Man ist allemal gerechtfertigt, weiter zu fragen, wieso ein epistemischer Begriff partout nichts in einer metaphysischen Definition zu suchen hat. Das Folgende könnte eine Antwort darstellen:
2
Sein eigentlicher Vorschlag zur Definition eines Abhängigkeitsbegriffs greift auf den Begriff der Essenz zurück und ähnelt (wie Lowe selbst betont; siehe Dependence: 149 Fn.) dadurch dem von Fine: The identity of χ depends upon the identity of у =,«· Necessarily, there is a function F such that it is part of the essence of x that χ is the F of y. (Lowe, Dependence: 149) Ein ins Auge springender Unterschied besteht darin, daß Lowe sich nicht nur auf den Essenzbegriff stützt, sondern zudem einen Modaloperator verwendet. Zumindest, wenn Essentialität Notwendigkeit impliziert, wie Fine es ja vertritt, scheint der Modaloperator aber überflüssig zu sein und das Definiens könnte verkürzt werden zu: „There is a function F such that it is part of the essence of χ that χ is the F of / ' . Dies kommt dem fineschen Definiens in der Tat sehr nahe, weswegen ich diesen Vorschlag auch nicht eigens thematisiere.
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Kapitel 6: Explanatorische Abhängigkeit
Etwas ist nicht schlechthin eine Erklärung, sondern nur relativ zu epistemischen Subjekten. Dieselbe Aussage mag dem einen etwas erklären, während sie den anderen in dem Dunkel beläßt, in dem er sich befindet. Daher kann unter Einbezug des Erklärungsbegriffs keine Definition eines nicht subjektrelativen Begriffs gewonnen werden.
Wäre der für (Df. AW) relevante Erklärungsbegriff in dem beschriebenen Sinn subjektrelativ, hätte der Einwand Biß. Jedoch muß er das nicht sein. Auch wenn jeder Erklärungsversuch, verstanden als sprachlicher Akt, in Hinsicht auf seine Erfolgsaussichten (und häufig auch auf seinen Erfolg) subjektrelativ sein mag, so kann es doch zugleich eine objektive Beziehung geben, die beispielsweise zwischen Propositionen besteht und die man als eine Relation der Erklärung bezeichnen kann.3 Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff der Information. Es gibt einen subjektrelativen Informationsbegriff. Denn was für den einen informativ ist, mag für den anderen kalter Kaffee sein. Doch kann man sich auch auf einen objektiven Informationsbegriff einen Reim machen, so daß man einer Aussage einen gewissen Informationsgehalt unter Absehung von dem epistemischen Hintergrund eventueller Hörer zubilligt (als subjektiver Umstand verbleibt dann nur, ob ein Hörer sich durch die Aussage informiert fühlt, ob ihm die enthaltene Information neu, dienlich etc. ist). Der Verweis auf einen objektiven Erklärungsbegriff bleibt freilich etwas schwach, solange dieser in keiner Weise erläutert wird. Eine solche Erläuterung sollen allerdings die folgenden Seiten zumindest ansatzweise leisten. Das zweite Bedenken·. Lowe weist darauf hin, daß der Junktor „weil" anscheinend einen referentiell opaken Kontext erzeugt. Substituiert man in einem solchen Kontext einen singulären Term für einen anderen mit demselben Referenten, ist die Wahrheitswertkonstanz des ganzen Satzes nicht garantiert; dann aber könnte es im Prinzip sein, daß sich ein und derselbe Gegenstand nach (Df. AW) als abhängig erweist, wenn man ihn auf die eine Weise bezeichnet, aber als un-
3
Eine frühe, aber detaillierte Theorie einer solchen objektiven Erklärungsbeziehung (die bei ihm unter dem Titel „Abfolge" firmiert), hat Bolzano ausgearbeitet (siehe insbesondere WL II, § 198; eine sorgfältige Rekonstruktion von Bolzanos Theorie liefert Tatzel 2002).
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abhängig, wenn man ihn auf die andere Weise bezeichnet. Und „weil" bringt in der Tat Opakheit mit sich, wie das folgende Beispiel zeigt: (1)
Weil Robert Burke der Hauptdarsteller von Simple Men ist, schätze ich ihn als Schauspieler.
(2)
Der Hauptdarsteller von Simple Men ist aber zugleich der Hauptdarsteller von Robocop 3.
(3)
Keineswegs aber schätze ich Robert Burke als Schauspieler, weil er der Hauptdarsteller von Robocop 3 ist.
Ein analoges Beispiel ist: (1)
Tobias ist mein Neffe, weil ich der Bruder seiner Mutter bin.
(2)
Der Bruder von Tobias' Mutter ist niemand anderes als ich.4
(3)
Aber es gilt nicht: Tobias ist mein Neffe, weil ich ich bin.
Nun ist es eine Sache, einzuräumen, daß der Junktor „weil" einen opaken Kontext erzeugt, und eine andere, tatsächliche Probleme aufzuzeigen, die wegen seiner Opakheit für Definitionen wie diejenige Lowes erwachsen. Solange keine konkreten Problemfälle auftreten, kann man den Junktor erst einmal verwenden. Während auch Lowe hinsichtlich der beiden obigen Bedenken Zuversicht kundgibt, daß sie sich letztlich als nicht entscheidend erweisen würden, läßt er seine Definition schließlich mit der folgenden Begründung zurück: I accept that [(Df. AW)] as it stands does not constitute anything like a satisfactory definition of existential dependency, conceived as an objective metaphysical relation between entities, because it is insufficiently perspicuous. (Lowe, Dependence: 146)
Die mangelnde Transparenz der Definition soll wohl gerade in der Einbeziehung des Junktors „weil" liegen. Ihr wäre also durch entsprechende Überlegungen zur Funktionsweise dieses Junktors beizukommen, und daher werde ich im folgenden verschiedene derartige Überlegungen anstellen; tatsächlich meine ich, damit doch zumindest eini4
Satz (2) ist eigentlich redundant, weil die Information bereits im Nachsatz von (1) enthalten ist; ich liste ihn dennoch auf, um deutlich zu machen, welche koreferentiellen Terme hier gemeint sind.
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Kapitel 6: Explanatorische Abhängigkeit
ge Klarheit in den Gebrauch des Junktors zu bringen. Allerdings wird sich Lowes Definition trotzdem als defizitär erweisen, wobei das wichtigste Defizit aber keines der von Lowe erwähnten ist. b. Kausale Erklärungen der Existenz eines Gegenstandes Mit „weil" geben wir Erklärungen, und von denen kann es verschiedene Arten geben, beispielsweise kausale: „Weil die Maschine an Materialschwäche litt, ging sie schließlich in Flammen auf." oder solche, die auf einer begrifflichen Ebene funktionieren: „Weil 5 weder durch 2, 3 noch durch 4 teilbar ist, ist 5 eine Primzahl." Betrachten wir also einmal das Definiens von (Df. AW): (A*)
• (x existiert nur, weil у existiert).
Lowe erwägt (Df. AW) mit dem Gedanken, daß Instanzen von (A*) korrekt sind, in welchen man für die Bezeichnung einer Adhärenz oder eines Ereignisses einsetzt und für , y die Bezeichnung der Substanz, die Träger der betreffenden Adhärenz bzw. Subjekt des betreffenden Ereignisses ist. Welcher Art könnten die mit Instanzen von (A*) gegebenen Erklärungen sein? Das Explanans ist das Faktum der Existenz eines Dinges. Die Art der Erklärung, die man hier erwartet, scheint zunächst eine kausale zu sein (dieses Bild existiert, weil Leonardo Farbe auf diese Leinwand befördert hat).5 Doch soll (Df. AW) eine Abhängigkeitsbeziehung von Ereignissen und anderen Adhärenzen zu den Substanzen, die ihre Subjekte bzw. Träger sind, etablieren. Und gewiß gibt man mit dem Verweis auf die Existenz einer Substanz im allgemeinen keine kausale Erklärung der Existenz einer ihrer Adhärenzen bzw. eines Ereignisses, dessen Subjekt sie ist. Denn eine kausale Erklärung setzt natürlich das Vorhandensein einer kausalen Beziehung voraus; doch die Existenz einer Adhärenz ist in der Regel nicht durch die ihres Trägers verursacht (und die eines Ereignisses nicht durch die seines Subjekts). Es mag Ausnahmen geben: Manche Philosophin läßt Objektkausalität zu, akzeptiert also Substanzen als kausale Relata. Insbesondere 5
Die Kausalität des Produzierens spielt in Kausalitätsdebatten eher eine Nebenrolle; siehe aber ζ. B. Sosa 1980.
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Handlungsaussagen können eine solche Konzeption nahelegen, da man sie als Behauptung einer kausalen Beziehung zwischen dem Handelnden und seinen Handlungen oder deren Wirkungen verstehen kann. Wenn beispielsweise Edgar die Tür öffnet, so ist Edgar dieser Position zufolge zumindest eine der Ursachen des Öfihens der Tür. Nimmt man nun eine solche Form der Kausalität an, so kann es auch vorkommen, daß eine Substanz eine ihrer eigenen Adhärenzen bzw. ein Ereignis, dessen Subjekt sie ist, verursacht. Man kann sich selber zum Lachen bringen und ein Lächeln auf sein Gesicht zaubern; man ist dann selbst eine Teilursache seines Lächelns. Gibt man sich, auf dem Zehnmeterbrett zitternd, den entscheidenden Ruck, so ist man selber Teilursache des eigenen Falls etc. Ob mit solchen Überlegungen auch einige Instanzen von (A*) (bei denen man, wie gesagt, für ir x" die Bezeichnung einer Adhärenz/eines Ereignisses, für )t y" die Bezeichnung der entsprechenden Substanz einsetzt) zu rechtfertigen sind, hängt an modalen Überlegungen zur Notwendigkeit des kausalen Ursprungs. 6 Denn solche Instanzen verlangen j a nicht nur das Bestehen der Erklärungsbeziehung, sondern das notwendige Bestehen derselben - man beachte die Notwendigkeitsbox in (A*). Doch möchte ich solchen Überlegungen hier nicht weiter nachgehen. Denn auch wenn man Objektkausalität akzeptiert, ist man gewiß nicht an der Existenz jeder seiner Adhärenzen und aller
6
Beispielsweise vertritt van Inwagen (1983: 169f.), daß einem Ereignis dessen Ursachen essentiell sind. Hughes (1994) diskutiert und kritisiert van Inwagens Position ausführlich; für eine weitere Kritik an der These siehe Lombard 1986: 195-197. Die These, daß einem Ereignis seine Ursachen essentiell sind, ist von Davidsons bekanntem Vorschlag zur Individuierung von Ereignissen zu unterscheiden (Davidson, Individuation: 179): (Identitätsbedingungen für Ereignisse nach Davidson) Ve V / ( e und/sind Ereignisse —> (e =/ e und/haben alle Ursachen und Wirkungen gemeinsam)). Dieses Prinzip der Individuierung ist frei von modalen Termen und damit verträglich, daß ein Ereignis andere Ursachen und/oder Wirkungen hätte haben können, als es sie de facto hat (tatsächlich wäre es auch höchst kontraintuitiv, daß einem Ereignis auch seine Wirkungen essentiell sind). Auf die These zur Essentialität der Ursachen hat sich Davidson meines Wissens nie explizit festgelegt (allerdings scheint er bisweilen mit ihr zu liebäugeln; siehe beispielsweise Davidson, Causal: 151).
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Kapitel 6: Explanatorische
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Ereignisse, die einem widerfahren, ursächlich beteiligt. Insbesondere ist man keinesfalls an der Existenz eigener essentieller Adhärenzen (wie Belmondos Adhärenz, ein Mensch zu sein) beteiligt, die sich als die hartnäckigsten Störenfriede für die Unabhängigkeitsdefinition von Substanzen erwiesen haben. Keine Handlung der Substanz kann an der Entstehung solcher Adhärenzen ursächlich beteiligt sein, da ihre Existenz gemeinsam mit der ihres Trägers beginnt und endet. (Df. AW) hat also keine Aussicht auf Erfolg, wenn man das vorkommende „weil" kausal verstehen will. Doch muß man dies ja nicht, denn es gibt ja auch nicht-kausale, begriffliche Erklärungen. Nur ist es nicht leicht zu sehen, was für eine Art begrifflicher Erklärung hier gegeben werden soll; die naheliegende Lesart von „Warum"-Fragen nach der Existenz eines Dinges (oder dem Stattfinden eines Ereignisses) ist sicherlich eine kausale. c. Nicht-kausale Erklärungen des Stattfindens von Ereignissen Zumindest was Ereignisse betrifft, hält David Lewis sogar dafür, daß alle Erklärungen, die man für ihre Existenz geben kann, kausaler Natur sind: Besides the causal explanation that I am discussing, is there also any such thing as non-causal explanation of particular events? My main thesis says, there is not. (Lewis, Explanation: 221)
Die Hauptthese, auf die Lewis hier referiert, lautet: To explain an event is to provide some information about its causal history. (Lewis, Explanation: 217) 7
Eine kurze terminologische Anmerkung: Wenn Lewis davon redet, daß man ein Ereignis erklärt, so ist dies als Verkürzung dafür zu lesen, daß man sein Stattfinden erklärt, bzw. noch expliziter, daß man erklärt, warum das fragliche Ereignis stattfindet. Unter einer Erklärung sei eine (passende und nicht-ausweichende, nicht aber unbedingt korrekte) Antwort auf eine „Warum"-Frage verstanden.8 Nun kann 7 8
Vgl. Lewis, Events: 242. So konstatiert Lewis: „A why-question, I said, is a request for explanatory information." (Lewis, Explanation: 229; vgl. beispielsweise Lewis, Explanation: 218). Ich werde im weiteren als eine Erklärung die grammatisch
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man eine solche üblicherweise nicht ohne ein geeignetes Prädikat formulieren - „Warum diese Hochzeit?" und „Warum dieser Tumult?" können einem zwar, zumindest im Zustand der Erregung, durchaus über die Lippen kommen, aber es sind sicherlich nicht die Fragen, die Lewis hier im Sinn hat. Bar eines Prädikates sind sie offensichtlich Abkürzungen von grammatikalisch vollständigen Fragen. Ein Prädikat, das beide Fragen sinnvoll ergänzt, wäre aber gerade „stattfinden": „Warum findet diese Hochzeit statt?". (Manchmal wird man auch „geschehen", „passieren" oder ähnliche Prädikate verwenden können.) Jetzt aber zu Lewis' These; ihr zufolge kann es keine nicht-kausale, also mithin keine begriffliche Erklärung des Stattfindens von Ereignissen geben: (LEE - Lewis über Erklärungen von Ereignissen) Jede zutreffende Erklärung dafür, daß ein gegebenes Ereignis e stattfindet (bzw. stattfand), ist eine kausale Erklärung. (Dasselbe metasprachlich gewendet: Jede korrekte Einsetzung für das Schema „e findet statt, weil p" stellt eine kausale Erklärung dar.) Wenn (LEE) zutrifft, dann hat (Df. AW) wohl keine Aussichten auf die erwünschten Resultate. Um unter Verwendung dieser Definition zu etablieren, daß Adhärenzen und Ereignisse von ihren Substanzen abhängig sind, bedarf es nicht-kausaler Erklärungen der Existenz von Adhärenzen bzw. des Stattfindens von Ereignissen. Doch Lewis' These scheint einfachen Gegenbeispielen ausgesetzt zu sein.9 Als Sokrates verstarb, wurde Xanthippe Witwe. Es fand also im Augenblick von Sokrates' Dahinscheiden auch Xanthippes Verwitwung statt (man erlaube mir diese Wortschöpfung). Warum fand sie statt? Gewiß hatte ihr Stattfinden viele Ursachen, das Leeren des Schierlingsbechers durch Sokrates, die chemischen Reaktionen, die seinen Tod bewirkten etc., und die Angabe solcher Ursachen bietet die Möglichkeit einer Antwort auf die vorangehende „Warum"-Frage. Doch es gibt eine viel planere, weniger informative, aber nichtsdestotrotz korrekte Antwort,
9
vollständige Antwort auf eine solche Frage, also eine Antwort der Form ,p, weil q" nehmen, und bisweilen den Vordersatz „p" als Explanandum und den Nachsatz „q" als Explanans bezeichnen. Das folgende Beispiel stammt von Kim (siehe Kim 1974: 22-25)
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die keine kausale Erklärung liefert: Xanthippes Verwitwung trat ein, weil Sokrates starb. Denn eine Frau wird zur Witwe, wenn ihr Ehegatte verstirbt, und Sokrates war Xanthippes Ehegatte. Also wurde Xanthippe Witwe, weil Sokrates starb (und er bis dato ihr Gatte gewesen war). Die hier gegebene Erklärung ist begrifflicher Art, und sie betrifft das Stattfinden eines Ereignisses. Man findet in der Literatur viele ähnliche Beispiele. Meistens sind sie freilich nicht mit Hilfe von singulären Ereignistermen formuliert, da eine solche Formulierung in vielen Fällen sprachlich ungewöhnlich und gestelzt anmutet. Stattdessen ist es der natürliche Weg, eine einfache Prädikation (also eine Aussage der Form „a φ-t") über das Ereignissubjekt heranzuziehen, deren Prädikat den entsprechenden Ereignistyp, also eine dynamische Eigenschaft, signifiziert. Man verwendet also statt des relativ unnatürlichen as cp-en findet statt, weil bs ψ-en stattfindet die entsprechende Erklärung mit zwei einfachen Prädikationen: a φ-t, weil b ψ-t. Zwei weitere Beispiele begrifflicher Erklärungen für gewisse Ereignisse, diesmal formuliert im letztgenannten Stil, sind: 10 (1)
NN hat das Gesetz gebrochen, weil er falsch geparkt hat.
(2)
Neulich wurde ich zum Onkel, weil meine Schwester ihren Sohn zur Welt brachte.
Angesichts solcher Fälle scheint (LEE) revisionsbedürftig. Doch tatsächlich akzeptiert Lewis ähnliche Beispiele, ohne seine These betroffen zu sehen. Denn er zieht sich angesichts solcher Beispiele einfach auf einen speziellen Ereignisbegriff zurück. 11 Daß sein Ereignisbegriff nicht mit dem alltäglichen zusammenfällt, verkündet er explizit: A causal history is a relational structure. Its relata are events: Local matters of particular fact, of the sorts that may cause or be caused. I have in mind events in the most ordinary sense of the word: flashes, battles, con10
11
Vgl. wiederum Kim 1973. Für eine Diskussion der Beispiele und die Schwierigkeiten einiger Kausalitätstheorien, sie als nicht-kausale Erklärungen auszuweisen, siehe Owens 1992: 43ff. So Lewis' Vorgehen in Lewis, Explanation: 223f.
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versations, impacts, strolls, deaths, touchdowns, falls, kisses,.... But also I mean to include events in a broader sense: a moving object's continuing to move, the retention of a trace, the presence of copper in a sample. (Lewis, Explanation: 216)
Lewis' Ereignisbegriff ist mithin weiter als der alltägliche und schließt Entitäten ein, die man für gewöhnlich eher als Eigenschaften oder Zustände klassifizieren würde;12 aber er ist nicht nur weiter, sondern er ist zugleich partiell enger als der Ereignisbegriff der Umgangssprache. Xanthippes Verwitwung ist ein Ereignis im alltäglichen Verständnis des Wortes: sie findet zu einer bestimmten Zeit statt, sie ereignet sich (und daß man dies zu Recht sagen kann, weist sie als Ereignis aus). Doch an den Anforderungen, die Lewis an Ereignisse stellt, scheitert die Verwitwung. Die entscheidende Mitteilung im obigen Zitat ist hierbei, daß Lewis solche und nur solche Entitäten zu den Ereignissen zählt, die Ursachen und Wirkungen sein können. Zusammen mit bestimmten Ansichten zur Kausalität rechtfertigt es dieser Begriff, einigen Entitäten, die man für gewöhnlich als Ereignisse ansehen würde, den Status eines Ereignisses in Lewis' Sinne vorzuenthalten. Ursachen und Wirkungen müssen nach Lewis gewisse Anforderungen der Basalität erfüllen. Für den gegenwärtigen Zweck reicht das Folgende als Ausbuchstabierung der hier intendierten Basalität: Ereignisse betrachtet Lewis als (bestimmte) Eigenschaften von Raumzeitregionen.13 Diese Eigenschaften müssen seiner Auffassung nach im wesentlichen intrinsische Eigenschaften sein. Nun findet eine Verwitwung einer Person NN in einer Raumregion r zu einer Zeit t statt, wenn sich NN zu t in r aufhält und zu / jemand verstirbt, der bis dahin NNs Ehemann gewesen ist. Die letztgenannte Bedingung spezifiziert aber klarerweise eine extrinsische Eigenschaft der fraglichen Region r, weswegen die Verwitwung kein Ereignis ä la Lewis darstellt.14 Eine Verwitwung genügt also diesen Anforderungen nicht, weil sie stets auf dem (räumlich getrennten) Eintreten eines Ereignisses in Lewis' Sinne, nämlich dem Tod eines bestimmten Mannes, basiert.15 12 13 14 15
Vgl. auch Lewis, Events: 261. Lewis, Events: 243ff. Für weitere Details siehe Lewis, Events: 262ff. Die räumliche Distanz mag freilich gering sein, aber eine Verwitwung findet in jedem Fall nicht allein an der Position statt, die vollständig von der zur Witwe werdenden Frau eingenommen wird.
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Der von mir bisher vorausgesetzte Ereignisbegriff ist nun allerdings nicht den lewisschen Zwecken geschuldet und entspricht dem landläufigeren, dem zufolge eine Verwitwung ebenso Recht auf den Titel eines Ereignisses hat, wie ein Erröten, die Immunisierung gegen eine bestimmte Krankheit etc. Doch auch diese Entitäten fallen durch die Maschen von Lewis' Ereigniskriterien.16 Lewis erklärt, daß Immunität gegen eine bestimmte Krankheit kein Ereignis in seinem Sinne ist: Immunität ist lediglich eine von ihm so genannte existentielle Tatsache („existential fact"), da Immunität der Besitz irgendeiner Eigenschaft ist, welche gegen die fragliche Krankheit schützt.17 Eine solche schützende Eigenschaft ist beispielsweise der Besitz von Antikörpern einer bestimmten Sorte. Diese Eigenschaft akzeptiert Lewis als ein Ereignis.18 Nun zeigt eine parallele Argumentation, daß das erwähnte Erröten und die Immunisierung keine lewisschen Ereignisse sind: (i) Wenn jemand errötet, so nehmen verschiedene Partien seines Gesichts bestimmte Rottöne an. Das Annehmen eines bestimmten Rottons durch eine bestimmte Gesichtspartie ist ein lewissches Ereignis. Doch das gesamte Erröten ist dann nur eine existentielle Tatsache in Lewis' Sinn; es basiert auf dem Annehmen bestimmter Rottöne durch bestimmte Gesichtspartien und ist selber kausal impotent, (ii) Da Immunität kein lewissches Ereignis ist, ist das Erwerben von Immunität, eine Immunisierung, ebenfalls keine; Analoges gilt offenbar von vielen alltäglichen Ereignissen.
16 17
18
Zur folgenden Argumentation siehe Lewis, Explanation: 223. Es ist fraglich, ob Lewis seinen sogenannten existentiellen Tatsachen durch das oben angesprochene Kriterium der Basalität, daß Ereignisse nämlich intrinsische Eigenschaften von Raum-Zeit-Regionen sein müssen, den Status von Ereignissen verwehren kann. Er braucht wohl weitere Kriterien (hier würde er wahrscheinlich auf die Supervenienz und daraus resultierende kausale Impotenz existentieller Tatsachen abheben). Es mag, nebenbei bemerkt, scheinen, daß Lewis seinen eigenen Maßstäben nicht gerecht wird; denn der Besitz von Antikörpern einer bestimmten Sorte ist eine Eigenschaft, die wiederum auf einer spezifischeren Eigenschaft basiert (nämlich auf dem Besitz dieser und jener einzelnen Antikörper, also individueller Zellen). Sie scheint einiges mit den Entitäten gemein zu haben, denen Lewis als existential facts den Titel eines Ereignisses vorenthält.
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Nun sind die genannten Beispiele von nicht-kausalen Erklärungen des Stattfindens bestimmter Ereignisse im Lichte eines gewöhnlicheren Ereignisbegriffs durchaus ernst zu nehmen. Sie zeigen also, daß Lewis' These allenfalls für seinen besonderen Ereignisbegriff Chance auf Korrektheit hat, nicht aber für einen alltäglichen Ereignisbegriff. Wir können also (LEE), verstanden als Prinzip für den alltäglichen Ereignisbegriff, aufgeben und haben mit den obigen Beispielen bereits Fälle der nicht-kausalen, begrifflichen Erklärung des Stattfindens einzelner Ereignisse gesehen.
d. Erklärungen der Existenz von Adhärenzen In den obigen Beispielen wird das Stattfinden eines Ereignisses durch das Stattfinden eines (anderen) Ereignisses nicht-kausal erklärt.19 Ebenso kann man nun leicht Beispiele konstruieren, in welchen die Existenz einer statischen Adhärenz durch die Existenz einer oder mehrerer anderer statischer Adhärenzen nicht-kausal erklärt wird: (1)
Johannas Tugendhaftigkeit existiert, weil Johannas Mut, ihre Frömmigkeit und ihre Ehrlichkeit existieren.
(2)
Das grelle Brat dieser Villa existiert, weil ihr Babyrosa, ihr schreiendes Orange und ihr Quietschgrün existieren.
19
Angesichts einiger der obigen Beispiele begrifflicher Erklärungen des Stattfindens von Ereignissen würde manch eine Philosophin vertreten, daß im Vorder- und Nachsatz der Erklärung ein und dasselbe Ereignis, aber auf verschiedene Weisen, spezifiziert wird. So würde dies beispielsweise aus der (von Bennett so getauften) Anscombe-These folgen: (AT) Wenn χ φ-t, indem er ψ-t, so ist x's φ-en identisch mit x's ψ-en. (Siehe Bennett 1988: Kap. 12; für Anscombes eigene Position siehe insbesondere Anscombe 1979.) Die Wahrheit von (AT) sollte aber der Korrektheit der Erklärungen offenbar keinen Abbruch tun und würde daher nur unterstreichen, daß „weil" opake Kontexte erzeugt. Denn wenn es wahre Instanzen des Schemas „e, findet statt, weil e2 stattfindet" gibt, wobei die Instanzen von „e" und „e2" auf dasselbe Ereignis referieren, so müßte man wohl noch lange nicht die entsprechende Instanz von „ex findet statt, weil e] stattfindet" akzeptieren. Doch diese Instanz wäre eine Folge der Instanz des erstgenannten Schemas, wenn „weil" einen gewöhnlichen transparenten Kontext erzeugen würde; denn man erhält sie aus der ersten durch die Ersetzung eines singulären Terms durch einen koreferentiellen.
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(3)
Serges Vaterschaft existiert, weil Serge der Vater von Charlotte ist (umständlicher: weil seine Eigenschaft, Vater von Charlotte zu sein, existiert).
Es gibt also durchaus Beispiele für begriffliche Erklärungen der Existenz einer Entität über die Existenz einer anderen. Nun sind aber alle bisherigen Beispiele /«fr-akategorial: in ihnen wird die Existenz von Entitäten einer Kategorie К durch die Existenz von anderen Entitäten derselben Kategorie erklärt. Für (A*) und (Df. AW) bedarf es allerdings wtferkategorialer Erklärungen; es soll schließlich gezeigt werden, daß Adhärenzen und Ereignisse von Substanzen abhängig sind. e. Interkategoriale Erklärungen der Existenz gewisser Entitäten Es kann interkategoriale begriffliche Erklärungen der Existenz einer gegebenen Entität sicherlich geben. Beispielsweise kann man das Stattfinden von gewissen Ereignissen, genauer von gewissen Veränderungen, begrifflich durch die Existenz von gewissen statischen Adhärenzen erklären. Stellen wir uns einen Monitor mit einem der gängigen Screentester vor; der Bildschirm ist erst durchgängig rot gefärbt und wechselt dann zur blauen Farbe. Es hat eine Veränderung, ein Farbwechsel stattgefunden. Und daß dieser Farbwechsel stattfand, erklärt sich aus dem Vorhandensein des Bildschirmrots bis zu dem Zeitpunkt des Wechsels und dem anschließenden Vorhandensein des Bildschirmblaus: (1)
Der Farbwechsel fand statt, weil aufeinanderfolgend das Rot des Bildschirms und das Blau des Bildschirms existierten.
Doch ist dies keine Erklärung der Art, wie sie Lowe für (Df. AW) benötigt, denn diese Definition basiert, wie schon gesagt, auf der Annahme, die Existenz eines Ereignisses oder einer anderen Adhärenz lasse sich durch das Faktum der Existenz einer Substanz erklären. Betrachten wir zwei entsprechende Fälle: (2)
Johannas Mut existiert, weil Johanna existiert.
(3)
Belmondos Kletterpartie fand statt, weil Belmondo existiert.
Beide Beispiele provozieren raschen Widerspruch; denn bei zwei gegebenen Sätzen ρ und q suggeriert die komplexe Aussage der Form
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»p, weil q«, daß mit dem Nachsatz q eine hinreichende Bedingung für den Vordersatz ρ formuliert wird. In dem schwächstmöglichen Sinn von „hinreichende Bedingung" ist das hier freilich auch der Fall. Denn manchmal sagt man schon dann, wenn ein Konditional der Form »wenn q, dann p«, wahr ist, daß mit q eine hinreichende Bedingung für den Vordersatz ρ formuliert ist. Und sicherlich impliziert eine Aussage »ρ, weil q« auch die entsprechende »wenn q, dann p«, da die Verknüpfung zweier Aussagen mittels des Junktors „weil" nur dann wahr ist, wenn beide verknüpften Aussagen wahr sind. Doch scheint die Wahrheit von »p, weil q« vorauszusetzen, daß mit q eine hinreichende Bedingung für ρ in einem stärkeren Sinn gegeben ist. Einen solchen auszubuchstabieren ist allerdings schwierig. Einen Ansatz bietet eine Reflexion über die Unzufriedenheit, die (2) und (3) hervorrufen. Es könnte doch ohne weiteres, wird man sagen, Belmondo existieren, und zugleich nicht die besagte Kletterpartie. Und Johanna könnte auch ganz unmutig existieren. Zwar denke ich, daß diese Beobachtung viel mit dem Gefühl der Inadäquatheit von (2) und (3) zu tun hat, doch sie erklärt sie nicht vollends. Sie scheint dann darauf hinauszulaufen, daß (2) und (3) Instanzen des Schemas „p, weil q" sind, die nicht die entsprechenden Instanzen von ,,-ι О (q & p)" implizieren. Die Wahrheit der Instanz von „q" hinsichtlich einer möglichen Welt verbürgt also nicht die Wahrheit der Instanz von „p" hinsichtlich derselben möglichen Welt. Doch dies ist ein Zug, den viele korrekte Instanzen von „ρ, weil