Subjektiv-rechtliche Ansätze im Völkerrecht zum Schutz biologischer Vielfalt [1 ed.] 9783428554690, 9783428154692

Die biologische Vielfalt und mit ihr zahlreiche Ökosystemleistungen sind heute weltweit stärker denn je bedroht. Ihr eff

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German Pages 754 Year 2018

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Subjektiv-rechtliche Ansätze im Völkerrecht zum Schutz biologischer Vielfalt [1 ed.]
 9783428554690, 9783428154692

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Schriften zum Umweltrecht Band 187

Subjektiv-rechtliche Ansätze im Völkerrecht zum Schutz biologischer Vielfalt

Von

Nils Wegner

Duncker & Humblot · Berlin

NILS WEGNER

Subjektiv-rechtliche Ansätze im Völkerrecht zum Schutz biologischer Vielfalt

Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Michael Kloepfer, Berlin

Band 187

Subjektiv-rechtliche Ansätze im Völkerrecht zum Schutz biologischer Vielfalt

Von

Nils Wegner

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Jahre 2018 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 978-3-428-15469-2 (Print) ISBN 978-3-428-55469-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-85469-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Familie und meinen Freunden

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde von der Juristischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Wintersemester 2017 / 2018 als Dissertation angenommen, ihre Veröffentlichung mit einem großzügigen Druckkostenzuschuss der Wissenschaftlichen Gesellschaft Freiburg unterstützt. Rechtsprechung und Literatur konnten im Wesentlichen noch bis Ende 2017, in Einzelfällen auch darüber hinaus berücksichtigt werden. Die Grundkonzeption der Arbeit und erste Untersuchungen habe ich noch während meiner Freiburger Zeit bis Mitte 2013 vornehmen können. Während meines Aufenthalts an der Universität Stockholm 2013 / 2014 folgten insbesondere vertiefte Arbeiten zur Rechtsstellung indigener Völker und lokaler Gemeinschaften im Nagoya-Protokoll. Diese flossen auch bereits in meine Masterarbeit zum Thema „Looking at Indigenous and Local Communities’ Rights in the Nagoya Protocol from the Perspective of Resilience Theory“ ein und stellen die Grundlage des dritten Teils der vorliegenden Arbeit, Unterabschnitt C. III., zum sozio-ökonomischen Ansatz des Nagoya-Protokolls dar. Zum größten Teil ist die Arbeit seit Mitte 2014 in Würzburg entstanden. Dank gilt zu allererst meinem Doktorvater Prof. Dr. Dietrich Murswiek. An dessen Lehrstuhl hatte ich zwischen 2008 und 2013 zunächst als ungeprüfte, dann als geprüfte wissenschaftliche Hilfskraft und schließlich als wissenschaftlicher Mitarbeiter die Gelegenheit, das universitäre Innenleben kennenzulernen und Interesse und Freude am wissenschaftlichen Arbeiten zu entwickeln. Ihnen, Prof. Murswiek, danke ich sehr für das mir entgegengebrachte Vertrauen und die mir gewährte Freiheit, meinen Ideen nachgehen zu können. Prof. Dr. Silja Vöneky danke ich herzlich für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens, Prof. Dr. Michael Kloepfer für die Aufnahme in die Reihe der „Schriften zum Umweltrecht“. Dank schulde ich zudem Prof. Dr. Jonas Ebbesson für die Betreuung meiner Masterarbeit an der Universität Stockholm und zahlreiche Einblicke in die Arbeit des Überwachungsausschusses der Aarhus-Konvention. Auch möchte ich mich bei all denjenigen bedanken, die meine Arbeit direkt oder indirekt gefördert und begleitet haben. Stellvertretend zu nennen sind meine Kolleginnen und Kollegen am Institut für Öffentliches Recht der Universität Freiburg, in deren Kreis ich mich stets zu Hause fühlte, alle Teil-

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Vorwort

nehmerinnen und Teilnehmer des Master Programms „Umweltrecht“, Jahrgang 2013 / 2014 an der Universität Stockholm, mit denen gemeinsam ich viel lernen und erleben durfte, sowie meine Kolleginnen und Kollegen bei der Stiftung Umweltenergierecht in Würzburg – nicht zuletzt für die Rücksichtnahme auf die zeitlichen Bedürfnisse meiner Promotion. Schließlich gebührt besonderer Dank all meinen Freunden, von denen ich viele in den letzten Jahren allzu selten gesehen habe, und nicht zuletzt meiner Familie für ihre geduldige und großzügige Untersützung. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Würzburg, im Frühjahr 2018

Nils Wegner

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Bedrohung und Zerstörung biologischer Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . II. Arbeitshypothese: Subjektiv-rechtliche Ansätze zum Schutz biologischer Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fragestellung und Untersuchungstiefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fragestellung, Untersuchungsgegenstände und Erkenntnisinteresse . . . 2. Untersuchungs- und Darstellungstiefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27 27 28 35 36 38

B. Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 C. Mit der Arbeit verfolgte Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 D. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Erster Teil Grundlagen  A. Biologische Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Naturwissenschaftliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedeutung und Wert biologischer Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Ökosystemdienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der ökonomische Wert biologischer Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der ethische Wert biologischer Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ursachen des Verlusts biologischer Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verlust natürlicher Lebensräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Belastung natürlicher Lebensräume mit Schadstoffen und Pathogenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Übernutzung natürlicher Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einfuhr gebietsfremder invasiver Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Klimawandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Sozio-ökonomische Ursachen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Mangel an und fehlerhafter Einsatz von ökologischem Wissen . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49 49 50 54 54 57 61 62 63 65 66 67 68 70 72 73

B. Subjektive Rechte Einzelner zum Schutz öffentlicher Interessen im deutschen und europäischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 I. Die begrenzte Verleihung subjektiver Rechte im deutschen öffentlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 1. Bedeutung subjektiver Rechte im positiven Recht  . . . . . . . . . . . . . . . 76

10 Inhaltsverzeichnis 2. Historische Entwicklung des subjektiv-öffentlichen Rechts . . . . . . . . . 3. Wandel des Verständnisses subjektiver Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die erweiterte Verleihung subjektiver Rechte im Recht der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Treiber der Entwicklung auf europäischer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anfängliche Prägung des Rechtsschutzsystems durch die französische Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schwäche zentraler Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Reformulierung der Rolle des Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Subjektive Berechtigungen als ein Instrument dezentraler Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schaffung allgemeiner Grundsätze und Gebote zur Stärkung der dezentralen Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gezielte Einbeziehung Einzelner in die dezentrale Durchsetzung von Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unklarheit über die Qualifizierung der „normativen Interessenten­ klage„ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81 85 95 95 96 97 99 100 100 103 106 111

C. Bedingungen für die Mobilisierung Einzelner und Gruppen zur Rechtsdurchsetzung im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 I. Staaten als Anspruchsgegner – der völkerrechtliche Status biologischer Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 II. Das Individuum im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 1. Allmähliche Anerkennung des Individuums in der Völkerrechts­ praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 2. Diskussion in der Völkerrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a) Ablehnung der Rechtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 b) Anerkennung partieller Rechtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 c) Diskussion und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 3. Völkerrechtsunmittelbare und völkerrechtsmittelbare Berechtigungen . 140 III. Wirkungsweise völkervertragsrechtlich begründeter subjektiver Rechte . 142 1. Geltungsvoraussetzungen völkervertragsrechtlicher Normen . . . . . . . . 143 2. Unmittelbare Anwendbarkeit völkervertragsrechtlicher Normen . . . . . 145 a) Die rechtstechnische Seite der unmittelbaren Anwendbarkeit . . . . 149 b) Die normative Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit . . . . . 149 3. Notwendigkeit staatlicher Umsetzung völkervertragsrechtlicher Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 IV. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154

Inhaltsverzeichnis11 Zweiter Teil

Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze zum Schutz biologischer Vielfalt im Völkerrecht 

156

A. Der Schutz biologischer Vielfalt mittels klassischer Menschenrechte . . . . 157 I. „Greening the Human Rights“ zum Schutz biologischer Vielfalt . . . . . . . 157 1. Charakteristika des Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 2. Grundsätzliche Eignung des Ansatzes zum Schutz biologischer Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 3. Verhältnis zur allgemeinen Diskussion um Umweltschutz durch die EMRK  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 II. Rechtsprechung des EGMR – Zwischen Individualrechtsschutz und Leitbildfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 III. Die evolutive und extensive Auslegung der Konventionsbestimmungen . 176 IV. (Un-)Mittelbarer Schutz biologischer Vielfalt durch die EMRK . . . . . . . 180 1. Schutzbereichseröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 a) Art. 8 und Art. 2 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 aa) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 bb) Schutzgüter und sachlicher Gewährleistungsbereich . . . . . . . . 182 cc) Voraussetzung gewisser Intensität der Beeinträchtigung . . . . . 191 dd) Voraussetzung der Unmittelbarkeit der Beeinträchtigung . . . . 193 b) Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 aa) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 bb) Schutzgut und sachlicher Gewährleistungsbereich . . . . . . . . . . 197 cc) Relevante Beeinträchtigungen von Eigentumsrechten . . . . . . . 198 dd) Voraussetzungen gewisser Intensität und Unmittelbarkeit von Beeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 c) Art. 10 EMRK  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 d) Art. 6 sowie 13 EMRK  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 2. Gewährleistungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 a) Die Doktrin vom Einschätzungsspielraum der Staaten . . . . . . . . . . 211 b) Die abwehrrechtliche Dimension der relevanten Rechte gegenüber Umweltphänomenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 c) Die schutz- und leistungsrechtliche Dimension der relevanten Rechte gegenüber Umweltphänomenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 aa) Materielle Schutzpflicht des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 bb) Informationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 cc) Gewährleistungspflichten bei Organisation und Verfahrensgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 (1) Pflicht zur Durchführung einer „Umweltverträglichkeitsprüfung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 (2) Beteiligungsrecht der Öffentlichkeit an staatlichen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228

12 Inhaltsverzeichnis (3) Zugang zu Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 3. Grenzen des durch die EMRK bewirkbaren Schutzes biologischer Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 V. Zusammenfassung und Zwischenfazit zur Rechtsprechung des EGMR  . 233 B. Der Schutz biologischer Vielfalt mittels prozeduraler Rechte . . . . . . . . . . 237 I. Entstehung, Steuerungskonzept und subjektiv-rechtlicher Charakter des prozeduralen Ansatzes der Aarhus-Konvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 1. Die Aarhus-Konvention als Kristallisationspunkt verschiedenster Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 2. Die prozedurale Ausrichtung der Aarhus-Konvention . . . . . . . . . . . . . 243 a) Das Steuerungskonzept der informierten Öffentlichkeit . . . . . . . . . 243 b) Umsetzung des Steuerungskonzepts mittels prozeduraler Rechte  . 251 3. Subjektive prozedurale Rechte zum Schutz biologischer Vielfalt . . . . 256 II. Überblick über die Regelungen der Aarhus-Konvention . . . . . . . . . . . . . . 260 III. Die Rechtsmacht Einzelner und Gruppen bei der Implementierung und Durchsetzung von durch die Aarhus-Konvention vermittelten Rechts­ positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 1. Geltung der AK innerhalb und außerhalb der Europäischen Union . . . 264 a) Geltung der AK als gemischtes Abkommen innerhalb der EU  . . . 265 aa) Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 bb) Einbeziehung der Vorschriften der AK ins Unionsrecht . . . . . 269 b) Geltung der AK in Staaten außerhalb der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 2. Implementierung und dezentrale Durchsetzung der Aarhus-Konven­ tion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 a) Das Compliance-Committee der Aarhus-Konvention . . . . . . . . . . . 277 aa) Berichte des ACCC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 bb) Annahme der Ergebnisse und Empfehlungen durch die Vertragsstaatenkonferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 cc) Aarhus Convention Implementation Guide . . . . . . . . . . . . . . . 284 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 b) Organe der europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 aa) Rechtsschutz vor EU-Gerichten gegen Maßnahmen der EU im gemeinschaftseigenen Vollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 (1) Implementierung von Art. 9 AK im Unionsrecht . . . . . . . 289 (2) Implementierungsunabhängige Wirkungen von Art. 9 AK im Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 (a) Art. 9 Abs. 1 AK und Art. 9 Abs. 2 AK . . . . . . . . . . . 296 (b) Art. 9 Abs. 3 AK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 (aa) Unmittelbare Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . 297 (bb) Tauglichkeit von Art. 9 Abs. 3 AK als Kon­ trollmaßstab für EU-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 (cc) Verpflichtung zu völkerrechtskonformer Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307

Inhaltsverzeichnis13 (3) Implementierungsunabhängige Wirkungen sonstiger Vorschriften der AK im EU-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 bb) Rechtsschutz vor EU-Gerichten bzgl. Maßnahmen des mitgliedstaatlichen Vollzugs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 c) Nationale Gerichte und Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 3. Zwischenfazit: Komplexes Mehrebenenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . 324 IV. Schutz biologischer Vielfalt mittels prozeduraler Rechte der AarhusKonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 1. Das „Recht auf Zugang zu Umweltinformationen“ . . . . . . . . . . . . . . . 329 a) Funktionen des reaktiven Informationsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 b) Mitglieder der Öffentlichkeit als Zugangsberechtigte . . . . . . . . . . . 335 aa) Natürliche Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 bb) Juristische Personen und sonstige Personenvereinigungen . . . 337 cc) Diskriminierungsverbot  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 c) Die zugangsverpflichteten Behörden  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 aa) Organisatorisch-funktionaler Behördenbegriff . . . . . . . . . . . . . 340 bb) Formell-funktionale Verwaltungstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 cc) Faktisch-funktionale Verwaltungstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 349 dd) Einbeziehung der Verwaltungsstellen der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 d) Art und Inhalt der Information – „Informationen über die Umwelt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 aa) Zustandsbezogene Umweltinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 bb) Tätigkeits- und umweltfaktorenbezogene Umweltinformation  357 cc) Information über menschliche Gesundheit und Sicherheit sowie Kulturstätten und Bauwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 e) Sonstige Modalitäten des Informationszugangs  . . . . . . . . . . . . . . . 363 f) Beschränkungen des Informationsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 aa) Schutz überwiegend öffentlicher Güter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 (1) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 (2) Insbesondere: Die Versagung von Umweltinformations­ begehren während laufender behördlicher Entscheidungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 (3) Insbesondere: Der Schutz von Vertragsverletzungsverfahren der EU gegenüber Mitgliedstaaten entsprechend Art. 4 Abs. 4 lit c) AK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 bb) Schutz überwiegend privater Interessen – insbesondere Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen . . . . . . . . . . 377 (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 (2) „Glyphosat“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 (3) „Bienensterben“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392

14 Inhaltsverzeichnis g) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das „Recht auf Öffentlichkeitsbeteiligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Normbefund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Implementierungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die zu Berechtigenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die differenzierte Anwendung unterschiedlicher Öffentlichkeitskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die betroffene Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Umweltvereinigungen als Teil der betroffenen Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Sonstige Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit . . . . . . cc) Ermittlung der Öffentlichkeit im Rahmen von Art. 7 S. 3 AK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die zu Verpflichtenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Abgrenzung der sachlichen Anwendungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . aa) Art. 6 – Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungen über bestimmte Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Art. 6 Abs. 1 lit. a) AK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Art. 6 Abs. 1 lit. b) AK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Umweltbezogene Pläne und Programme, Art. 7 AK . . . . . . . . cc) Exekutive Vorschriften und / oder allgemein anwendbare rechtsverbindliche normative Instrumente, Art. 8 AK . . . . . . . e) Strukturelemente der Öffentlichkeitsbeteiligung nach Aarhus . . . . aa) Vorgaben zu Zeitpunkt und zeitlicher Strukturierung der Öffentlichkeitsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verpflichtungen der Staaten zur Information der jeweiligen (Teil-)Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Informationspflichten nach Art. 6 AK . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Vorhabenbekanntmachung, Art. 6 Abs. 2 AK . . . . . . . (b) Information über die geplante Tätigkeit, Art. 6 Abs. 6 AK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Information über die Entscheidung, Art. 6 Abs. 9 AK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Informationspflichten gem. Art. 7 und 8 AK . . . . . . . . . . . cc) Recht zur Abgabe von Stellungnahmen, Art. 6 Abs. 7 AK, Art. 8 lit. c) AK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Berücksichtigung des Beteiligungsergebnisses, Art. 6 Abs. 8, Art. 7 S. 2 i. V. m. Art. 6 Abs. 8, Art. 8 S. 3 AK . . . . . . . . . . . . f) Völkerrechtsunmittelbare oder mittelbar völkerrechtlich vorzusehende Verfahrensrechte Einzelner? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Bewertung und Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das „Recht auf Zugang zu Gerichten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

395 396 401 401 402 405 405 406 407 410 413 414 415 415 415 418 422 424 425 425 430 431 431 433 435 436 436 440 445 447 449

Inhaltsverzeichnis15 a) Rechtsschutz gegen Verkürzungen des Informationsanspruchs, Art. 9 Abs. 1 AK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 b) Anfechtung von Entscheidungen im Anwendungsbereich von Art. 6 AK gem. Art. 9 Abs. 2 AK  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 aa) Zugangsberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 bb) Sachliche Reichweite der prozessualen Gewährleistung . . . . . 456 (1) Die Anknüpfung des Rechtsschutzes nach Art. 9 Abs. 2 AK an Art. 6 AK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 (2) Zu gewährleistendes Rügepotential im Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 AK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 (a) Art. 9 Abs. 2 AK – Textbefund und Genese . . . . . . . . 458 (b) Ausgangslage im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . 460 (c) Geltendmachung von Rechtsverstößen durch Umweltvereinigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 (aa) Materiell-rechtliche Rechtmäßigkeit . . . . . . . . . . 468 (bb) Verfahrensmäßige Rechtmäßigkeit . . . . . . . . . . . 472 (cc) Keine Beschränkung des Kontrollumfangs der Verbandsklage auf „dem Umweltschutz dienende Vorschriften“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 (dd) Zwischenfazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 (d) Geltendmachung von Rechtsverstößen durch sonstige Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit . . . . . . . 480 (aa) Beschränkter Zugang und objektives Beanstandungsverfahren (Vollkontrolle) . . . . . . . . . . . . . . 481 (bb) Beschränkter Zugang und eingeschränkte Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 (α) Bedeutung für den Rechtsschutz gegen materiell-rechtliche Verstöße . . . . . . . . . . . . 488 (β) Bedeutung für den Rechtsschutz gegen Verfahrensfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 (cc) Zwischenfazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 (3) Eigenständigkeit der Überprüfungsverfahren – Insbesondere zur Unzulässigkeit materieller Präklusion . . . . . . . . . 495 (4) Die Heilung von Verfahrensfehlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 cc) Art. 9 Abs. 2 AK als völkerrechtsunmittelbare Gewährleistung eines prozessualen subjektiven Rechts? . . . . . . . . . . . . . . 501 dd) Zwischenergebnis zu Art. 9 Abs. 2 AK . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 c) Anfechtungen sonstiger umweltrelevanter Handlungen, Art. 9 Abs. 3 AK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 aa) Art. 9 Abs. 3 AK – Textbefund, Genese, ursprünglicher Diskussionsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 bb) Normative Vorgaben gem. Art. 9 Abs. 3 AK im Lichte seiner institutionellen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 (1) Zugangsberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510

16 Inhaltsverzeichnis (2) Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Anfechtungsgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Anfechtung von einzelfallbezogenen Verwaltungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Anfechtung auch von nicht einzelfallbezogenen Verwaltungsentscheidungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Anfechtung von Plänen und Programmen . . . . . . . . . (d) Anfechtung von Handlungen und Unterlassungen von Privatpersonen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Prüfung auch rein objektiv-rechtlicher Vorschriften . . (b) Prüfung auch rein verfahrensrechtlicher Verstöße . . . cc) Weiterer Implementierungsbedarf aufgrund von Art. 9 Abs. 3 AK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Umsetzungsverpflichtung für die Europäische Union . . . . (2) Umsetzungsverpflichtung für das nationale Recht . . . . . . dd) Zwischenergebnis zu Art. 9 Abs. 3 AK . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

515 517 517 518 521 524 525 526 528 529 529 530 534 535

C. Der Schutz biologischer Vielfalt mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker und lokaler Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 I. Indigene Völker und lokale Gemeinschaften im Umweltvölkerrecht . . . . 547 1. Die Beziehung indigener Völker zu ihrer Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . 547 2. Die Anerkennung indigener und lokaler Gemeinschaften im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552 II. Verwirklichung des Greening-Ansatzes durch die Anerkennung kollektiver Menschenrechte indigener Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 1. Das inter-amerikanische und das afrikanische Menschenrechtssystem  555 2. Die evolutive und extensive Auslegung der Bestimmungen des interamerikanischen und des afrikanischen Menschenrechtssystems  . . . . . 560 a) Einfluss des allgemeinen Völkerrechts und „Conventionality Control“ im inter-amerikanischen Menschenrechtssystem . . . . . . . 561 b) Die Offenheit der ACHPR für die Berücksichtigung internationaler Trends . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569 3. Unmittelbarer Schutz biologischer Vielfalt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 4. Mittelbarer Schutz biologischer Vielfalt durch kollektive Rechte indigener Völker und nicht-indigener Stammesgesellschaften . . . . . . . 578 a) Indigene Völker als Rechtssubjekte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579 aa) Gebotenheit eines besonderen Schutzes indigener Völker . . . . 580 bb) Identifizierung schutzwürdiger Gemeinschaften . . . . . . . . . . . 583 b) Eigentums- und weitere Landnutzungsrechte indigener und nichtindigener Stammesgesellschaften in AMRK, American Declara­ tion und ACHPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587 aa) Art. 21 Abs. 1 AMRK, Art. XXIII American Declaration . . . . 587

Inhaltsverzeichnis17 bb) Gewährleistungen der ACHPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592 c) Die staatlichen Pflichten betreffend die Rechte indigener Völker und nicht-indigener Stammesgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 aa) Abwehr- und Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 bb) Staatliche Pflichten im Falle von Eingriffen in gewährleistete Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595 (1) Voraussetzung der effektiven Beteiligung und Konsultation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 (2) Voraussetzung der Aufteilung von Vorteilen . . . . . . . . . . . 602 (3) Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung . . . . . . . . . . . 605 d) Schutz biologischer Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606 5. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608 III. Verwirklichung eines sozio-ökonomischen Ansatzes – das NagoyaProtokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 611 1. Der Steuerungsansatz des Nagoya-Protokolls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 611 a) „Access and Benefit-Sharing“ in der CBD und der Weg nach Nagoya . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 612 b) Der integrierende Ansatz des Nagoya-Protokolls . . . . . . . . . . . . . . 620 2. Die rechtliche Position indigener und ortsansässiger Gemeinschaften im ABS-Mechanismus des Nagoya-Protokolls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624 a) Überblick über den ABS-Mechanismus des Nagoya-Protokolls . . . 624 b) Auslegung der relevanten Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625 aa) Personaler Anwendungsbereich  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626 (1) Anbieter: Indigene und ortsansässige Gemeinschaften . . . 626 (2) Nutzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631 bb) Sachlicher Anwendungsbereich  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632 (1) Nutzung genetischer Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632 (2) Auf genetische Ressourcen bezogenes traditionelles Wissen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635 cc) Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638 dd) Das Zugangs-Regime, Art. 6 Abs. 2, Art. 7 NP . . . . . . . . . . . . 641 (1) Zugang zu genetischen Ressourcen und hierauf bezogenem traditionellem Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 (2) PIC oder Billigung und Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . 643 ee) Regime über die ausgewogene und gerechte Aufteilung der Vorteile, Art. 5 Abs. 2, 5 NP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 648 (1) Sich aus der Nutzung der genetischen Ressourcen und hierauf bezogenem traditionellem Wissen ergebende Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649 (2) Ausgewogene und gerechte Aufteilung / einvernehmlich festgelegte Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 651 (3) Nutzung der Vorteile, Art. 9 NP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654 ff) Verbindlichkeitsgrad des ABS-Regimes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 (1) ABS-Regelungen betreffend traditionelles Wissen . . . . . . 656

18 Inhaltsverzeichnis (a) „Im Einklang mit dem innerstaatlichen Recht“ . . . . . 657 (b) „Soweit angebracht“, „mit dem Ziel sicherzustellen“ . 659 (2) ABS-Regelungen betreffend genetische Ressourcen . . . . . 660 c) Einordnung der rechtlichen Position von ILC im Nagoya-Protokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 666 3. Einfluss Einzelner und Gruppen auf die Implementierung des Nagoya-Protokolls? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 670 a) Einfluss über Mechanismen des Nagoya-Protokolls? . . . . . . . . . . . 670 b) Inanspruchnahme von Rechtsschutz vor internationalen und nationalen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673 4. Bewertung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 674 Dritter Teil

Ansatzübergreifender Vergleich 

679

A. Übergreifender Vergleich der untersuchten Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Rechtspositionen zum Schutz biologischer Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . 1. Die subjektiv-rechtlichen Rechtspositionen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Materielle Schutzrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Informations(zugangs)rechte und -pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Partizipationsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Prozessuale Zugangsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stärke der gewährleisteten Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Mobilisierung von Einzelnen und Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Auswirkungen auf die Souveränität der Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

679 679 680 680 682 684 686 687 690 693

B. Möglichkeit und Grenzen einer Fortentwicklung der Ansätze . . . . . . . . . I. Möglichkeiten der Fortentwicklung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fortentwicklung durch staatliche Rechtserzeugung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fortentwicklung durch Gerichte und Überwachungsausschüsse . . . . . II. Legitimatorische Grenzen der Fortentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

694 694 694 696 699

C. Ergänzungsbedürftigkeit der subjektiv-rechtlichen Ansätze . . . . . . . . . . . 705 Vierter Teil

Fazit und weiterer Forschungsbedarf  

708

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711 Entscheidungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 750

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. AbfBw-RL

andere Ansicht am angegebenen Ort Richtlinie 2008 / 98 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.  November 2008 über Abfälle und zur Auf­ hebung bestimmter Richtlinien, ABl.  EU L 312 / 3 vom 22.11.2008 Abl. Amtsblatt Abs. Absatz ABS-Mechanismus „Access and Benefit-Sharing“-Mechanismus oder auch Zugangs- und Vorteilsausgleichsmechanismus ACCC Aarhus Convention Compliance Committee, auch Überwachungskomitee oder -ausschuss ACHPR African Charter on Human and Peoples’ Rights, 27.6.1981, 21 ILM 58 (1982) / Afrikanische Charter der Menschenrechte und der Rechte der Völker, auch Banjul Charter genannt ACmHPR African Commission on Human and Peoples’ Rights ACtHPR African Court on Human and Peoples’ Rights AD American Declaration of the Rights and Duties of Man, April 1948 / Amerikanische Menschenrechtserklärung a. E. am Ende AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union a. F. alte Fassung AHRLJ African Human Rights Law Journal AHWG ad hoc working group / ad hoc Arbeitsgruppe AJIL American Journal of International Law AK Aarhus-Konvention / Convention on Access to Information, Public Participation in Decision-Making and Access to Justice in Environmental Matters, adopted June 28, 1998, 2161 UNTS 447; 38 ILM 517 (1999) AK-VO Verordnung (EG) Nr. 1367 / 2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. September 2006 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Århus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft

20 Abkürzungsverzeichnis Alt.

Alternative

AMRK

Amerikanische Menschenrechtskonvention / American Convention on Human Rights, 21.11.1969, 9 ILM 99 (1969)

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

Art. 

Artikel

AUR

Agrar- und Umweltrecht

AVR

Archiv des Völkerrechts

BayVBl

Bayerische Verwaltungsblätter

Bd. Band BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BMBF

Bundesministerium für Bildung und Forschung

BMU

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (heute: nukleare Sicherheit)

BNatSchG Bundesnaturschutzgesetz BReg. Bundesregierung BRJ

Bonner Rechtsjournal

bspw. beispielsweise BT Bundestag BUND

Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland

BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerwG Bundesverwaltungsgericht BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

BVL

Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit

bzgl. bezüglich bzw. beziehungsweise CBD

1992 Convention on Biological Diversity (CBD), Übereinkommen über die Biologische Vielfalt, 31 ILM 818 (1992)

CDM

Clean Development Mechanism

CETS

Council of Europe Treaty Series

CHOM

common heritage of mankind

CITES

Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora (CITES / Washingtoner Artenschutzabkommen) vom 03.03.1973, 993 UNTS 243

CJIL

Chinese Journal of International Law

COP

Conference of the Parties / Vertragsstaatenkonferenz

DE-IPCC

Deutsche IPCC Koordinierungsstelle

ders. derselbe

Abkürzungsverzeichnis21 dies. dieselbe(n) DNA Desoxyribonucleic Acid DNS Desoxyribonukleinsäure DÖV Die Öffentliche Verwaltung Drs. Drucksache DVBl Deutsches Verwaltungsblatt ECLAC Economic Commission for Latin America and the Caribean ECOSOC Economic and Social Council EG Europäische Gemeinschaft EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft E.I.P.R. European Intellectual Property Review EJIL European Journal of International Law elni Environmental Law Network International EMRK Europäische Menschenrechtskonvention (Convention on the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms, 4.11.1950, 213 UNTS 221 / Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten) EnWZ Zeitschrift für das gesamte Recht der Energiewirtschaft ETS European Treaty Series EU Europäische Union EuG Gericht der Europäischen Union EuGH Gerichtshof der Europäischen Union oder auch Europäischer Gerichtshof EuGHE Entscheidungssammlung des EuGH EUGrRChr Europäische Grundrechtecharta EuR Europarecht EUROSTAT Statistisches Amt der Europäischen Union EurUP Zeitschrift für Europäisches Umwelt- und Planungsrecht EUV Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft“, veröffentlicht im ABl. 2007 / C 306 /  01, zuletzt bekanntgemacht durch Abdruck der konsolidierten Textfassungen im ABl. 2012 / C 326 / 01 EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft FAO Food and Agriculture Organization of the United Nations FFH-RL RL 92 / 43 / EWG des Rates vom 21.  Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABl. EG L 206 / 7 FPIC Free prior informed consent

22 Abkürzungsverzeichnis FS Festschrift GA Generalanwalt / Generalanwältin GATT General Agreement on Tariffs and Trade, 15.4.1994, 1867 UNTS 187 GenTG Gentechnikgesetz GG Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ggf. gegebenenfalls ggü. gegenüber GoJIL Goettingen Journal of International Law GrK Große Kammer GVO genetisch veränderte Organismen h. M. herrschende Meinung Hs. Halbsatz IACmHR Inter-American Commission on Human Rights IACtHR / I /  Inter-American Court Human Rights A Court H.R. ibid. ebenda ICCPR International Covenant on Civil and Political Rights, 16.12.1966, 999 UNTS 171 / Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte ICESCR International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, 16.12.1966, 993 UNTS 3 / Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ICJ International Court of Justice ICLQ International & Comparative Law Quarterly idem derselbe, dieselbe, dasselbe i. d. S. in diesem Sinne i. E. im Ergebnis IE-RL RL 2010 / 75 / EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.11.2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung), ABl. 2010, L 334 / 17 IGH Internationaler Gerichtshof I.J.C.P. International Journal of Cultural Property ILC Indigenous and Local Communities / Indigene und ortsansässige (lokale) Gemeinschaften ILM International Law Materials ILO International Labor Organization ILO-Konvention 169 ILO Convention 169 of June 27, 1989: Convention Concern­ ing Indigenous and Tribal Peoples in Independent Countries, 28 ILM 1382 (1989)

Abkürzungsverzeichnis23 inkl. inklusive IPCC

Intergovernmental Panel on Climate Change („Weltklimarat“)

IPWSKR

Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

ITPGRFA

International Treaty on Plant Genetic Resources for Food and Agriculture (ITPGRFA) – Internationaler Vertrag über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft

IUCN

International Union for Conservation of Nature and Natural Resources

IVU-RL

RL 96 / 61 / EG des Rates vom 24.09.1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, ABl. 1996, L 257 / 26

JA

Juristische Arbeitsblätter

JEEPL

Journal of European Environmental & Planning Law

JhbRsoz

Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie

jM

juris – Die Monatszeitschrift

JuS

Juristische Schulung

JZ JuristenZeitung KRK / UNFCCC

Klimarahmenkonvention, United Nations Framework Convention on Climate Change, 9.5.1992, 1771 UNTS 107

MAT

mutually agreed terms

MERCOSUR

Mercado Común del Cono Sur

m. N.

mit Nachweis(en)

MOP

Meeting of the Parties / Vertragsstaatenkonferenz

MPEPIL

Max Planck Encyclopedia of Public International Law

m. z. N.

mit zahlreichen Nachweisen

m. z. w. N.

mit zahlreichen weiteren Nachweisen

n. F.

neue Fassung

NGO

Non Governmental Organization

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NP

Protokoll von Nagoya oder Nagoya Protokoll zur Biodiversitätskonvention

Nr. 

Nummer

NuR

Natur und Recht

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NW. U. J. Int’l Hum Rts

Northwestern University Journal of International Human Rights

OAS

Organization of American States

OECD

Organisation for Economic Co-operation and Development

24 Abkürzungsverzeichnis ÖffBeteil-RL

Richtlinie 2003 / 35 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinie 85 / 337 / EWG und 96 / 61 / EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten, ABl. EU L 156 / 17 vom 25.6.2003

OSPAR

Convention for the Protection of the North-East Atlantic, 32 ILM 2069 (1993)

OVG Oberverwaltungsgericht PAN Europe

Pesticide Action Network Europe

PIC

Prior informed consent

Plan-UP

Plan-Umweltprüfung / strategische Umweltprüfung

RdU

Recht der Umwelt

RECIEL

Review of European Community and International Environmental Law

REDD+

Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation and the role of conservation, sustainable management of forests and enhancement of forest carbon stocks in developing countries

Rn. 

Randnummer

RNA

ribonucleic acid = RNS

RNS

Ribonukleinsäure

ROG Raumordnungsgesetz Rs.

Rechtssache

Rz. Randzeichen S. 

Satz / Seite

StIGH / PCIJ

Ständiger Internationaler Gerichtshof / Permanent Court of ­International Justice

str. streitig SUP

Strategische Umweltprüfung

SUP-RL

Richtlinie 2001 / 42 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme, ABl. EG L 197 / 30 vom 21.7.2001

TEEB

The Economics of Ecosystems and Biodiversity

TFEU

Treaty on the Functioning of the European Union

TK

Traditional Knowledge

TRIPS

Agreement on trade-related aspects of intellectual property rights, 33 ILM 1197 (1994) / Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums

Abkürzungsverzeichnis25 u. a.

und andere / unter anderem

UBA Umweltbundesamt UI-RL1990

RL 90 / 313 / EWG des Rates vom 7. Juni 1990 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt, ABl. EG L 158, S. 56

UI-RL2003

Richtlinie 2003 / 4 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.  Januar 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richt­ linie 90 / 313 / EWG des Rates, Abl. EU L 41 / 26 vom 14.2.2003

Umgebungslärm-RL

Richtlinie 2002 / 49 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Juni 2002 über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm, ABl. EG L 189 / 12 vom 18.7.2002

UmwRG2006

Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in ­Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003 / 35 / EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz) vom 7. Dezember 2006, B ­ GBl. I 2006, S. 2816

UmwRG2013

Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. April 2013 (BGBl. I 2013, S. 753)

UmwRG2017

Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 8.  April 2013 (BGBl. I, S. 753) das durch Artikel 1 des Gesetzes vom 29. Mai 2017 (BGBl. I S. 1298) geändert worden ist

UNCESCR

UN Committee on Economic, Social and Cultural Rights

UNCLOS / SRÜ

UN Convention on the Law of the Sea (UNCLOS), 10.12.1982, 1833 UNTS 3 / Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen

UNDRIP

United Nations Declaration on the Rights of Indigenous ­Peoples, UNGA A / Res / 61 / 295 vom 13.09.2007

UNECE

United Nations Economic Commission for Europe

UNEP

United Nations Environment Programme

UNFCCC

United Nations Framework Convention on Climate Change, 9.5.1992, 31 ILM 849 (1992)

UNGA

United Nations General Assembly / Generalversammlung der Vereinten Nationen

UNHRC

United Nations Human Rights Council

UNPFII

United Nations Permanent Forum on Indigenous Issues

UNTS

United Nations Treaty Series

UP Umweltprüfung UPR

Umwelt- und Planungsrecht

USchadG

Gesetz über die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden Umweltschadensgesetz) vom 10. Mai 2007 (BGBl. I S. 666)

26 Abkürzungsverzeichnis UVP Umweltverträglichkeitsprüfung UVP-RL a. F. RL 85 / 337 / EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. EG Nr. L 175 / 40 UVP-RL n. F. RL 2011 / 92 / EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl.  EU L 26 / 1 vom 28.1.2012; soweit Änderungen durch RL 2014 / 52 / EU vorgenommen wurden, sind diese besonders gekennzeichnet VBlBW Verwaltungsblätter Baden-Württemberg VerwArch Verwaltungsarchiv VG Verwaltungsgericht VGH Verwaltungsgerichtshof vgl. vergleiche VVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer VwGO Verwaltungsgerichtsordnung Welterbekonvention Convention Concerning the Protection of the World Cultural and Natural Heritage, 1972 WHG Wasserhaushaltsgesetz WR-RL Richtlinie 2000 / 60 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, ABl. EG L 327 / 1 vom 22.12.2000 (Wasserrahmenrichtlinie). WÜK Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen /  Vienna Convention on diplomatic relations, 18.4.1961, 500 UNTS 95 WVK Wiener Vertragsrechtsübereinkommen / Vienna Convention on the Law of the Treaties, 23.5.1969, 8 ILM 679 (1969) WTO World Trade Organization ZaöRV Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht ZEuS Zeitschrift für Europarechtliche Studien ZfBR Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht Ziff. Ziffer ZNER Zeitschrift für Neues Energierecht ZP Zusatzprotokoll ZUR Zeitschrift für Umweltrecht

A. Einleitung I. Die Bedrohung und Zerstörung biologischer Vielfalt Die heute vorhandene biologische Vielfalt des Ökosystems Erde ist das Ergebnis eines Jahrmillionen währenden Evolutionsprozesses,1 der zur Ausbildung einer unvorstellbaren Vielzahl an Ökosystemen, Arten und Genen geführt hat. Der Mensch ist Teil des Ökosystems Erde und abhängig von dessen Leistungen. Ohne biologische Vielfalt gibt es weder saubere Luft zum Atmen, sauberes Wasser zum Trinken oder fruchtbare Böden zum Anbau von Nahrung. Die Staatengemeinschaft hat nicht nur den auf unterschiedliche Weise begründbaren Eigenwert biologischer Vielfalt, sondern gerade auch ihre Bedeutung für den Menschen in ökologischer, genetischer, sozialer, wirtschaftlicher, wissenschaftlicher, erzieherischer, kultureller und ästhetischer Hinsicht sowie als Quelle für Erholung anerkannt.2 Das Jahr 2010 erklärten die Vereinten Nationen gar zum internationalen Jahr für biologische Vielfalt, um deren Bedeutung für die Weltgemeinschaft zu unterstreichen.3 Gleichwohl stehen heute mehr denn je alle Bestandteile biologischer Vielfalt unter erheblichem Druck. So verschwinden Schätzungen zufolge jährlich etwa zwischen 25.000 und 100.000 Arten. Die Gründe hierfür sind vielfältig und fast ausschließlich auf den Menschen zurückzuführen. Bereits 1992 drückte nahezu die gesamte Staatengemeinschaft im Übereinkommen über die biologische Vielfalt ihre Besorgnis darüber aus, „daß die biologische Vielfalt durch bestimmte menschliche Tätigkeiten erheblich verringert wird“.4 Die Staaten sahen es schon damals als lebenswichtig an, dass es gelingt, den Ursprung der Ursachen der erheblichen Verringerung und des Verlustes bio-

1  A. Endres / R. Bertram, Nachhaltigkeit und Biodiversität, in: M. Führ / R. Wahl /  P. v. Wilmowsky, Umweltrecht und Umweltwissenschaft, FS für Eckard Rehbinder, 2007, 165 (173). 2  CBD, Präambel, am Anfang. 3  K. Mertens / A. Cliquet / B. Vanheusden, Ecosystem Services. What’s in it for a lawyer?, European Energy and Environmental Law Review 2012, 31 (31); M.-C. Gruber, Biodiversitätsschutz als Forderung intergenerationeller Gerechtigkeit, NuR 2011, 468 (468). 4  CBD, Präambel, fünfter Spiegelstrich. Vgl. auch bereits allgemein zum Zustand der globalen Umwelt Declaration of the United Nations Conference on the Human Environment, 1972, Ziff. 3.

28

A. Einleitung

logischer Vielfalt vorherzusehen, sie zu verhüten oder zu bekämpfen.5 Nichtsdestotrotz konnte der globale Trend der Abnahme biologischer Vielfalt bislang nicht gestoppt werden.6

II. Arbeitshypothese: Subjektiv-rechtliche Ansätze zum Schutz biologischer Vielfalt Völkerrechtliche Abkommen zum Schutz einzelner Bestandteile biologischer Vielfalt existieren bereits seit dem frühen 20. Jahrhundert.7 Sie und auch modernere multi-laterale Umweltabkommen stellen ganz überwiegend rein zwischenstaatliches Recht dar, die um einen Ausgleich zwischen staat­ licher Souveränität einerseits und dem gemeinsamen Interesse der Staatengemeinschaft und der Menschheit am Schutz der Bestandteile biologischer Vielfalt andererseits bemüht sind.8 Neben zahlreichen sektoralen Abkommen, die den Schutz bestimmter Ökosysteme9 oder bestimmter Tier- und Pflanzenarten10 bezwecken, existiert seit 1992 mit dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD)11 auch ein Abkommen zum Schutz der Biodiversität als solcher auf der Grundlage eines umfassenden Ökosystemansatzes. 5  CBD,

Präambel, siebenter Spiegelstrich. u. a., Global Biodiversity: Indicators of Recent Declines, Science 328 (2010), 1164 (1168); R. Adam, Missing the 2010 Biodiversity Target, Colorado Journal of International Environmental Law and Policy, 21 (2010), 123 ff.; N. Wolff / W. Köck, Einleitung, in: dies., 10 Jahre Übereinkommen über die biologische Vielfalt, 2004, S. 16; S. Schlacke, Das Übereinkommen über biologische Vielfalt: Steuerungskraft und Perspektiven, AVR 54 (2016), 524 (525). 7  Eine Übersicht über bestehende internationale Abkommen und ihre Entwicklung bieten U. Beyerlin / J. Grote Stoutenburg, Environment, International Protection, MPEPIL, 2015, Rn. 41 ff. Vgl. zu einzelnen zentralen Abkommen auch R. Wolf, Völkerrechtliche Grundlagen des deutschen Naturschutzrechts, ZUR 2017, 3 (5 ff.); N. Wolff / W. Köck, Einleitung, in: dies., 10 Jahre Übereinkommen über die biologische Vielfalt, S. 15; zuletzt auch W. Durner, Völkerrechtlicher Naturschutz und na­ tionales Naturschutzrecht, AVR 54 (2016), 355 (361 ff.) sowie T. Markus, Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Biodiversität, in: A. Proelß, Internationales Umweltrecht, 2017, Zehnter Abschnitt Rn. 5 ff. 8  U. Beyerlin / J. Grote Stoutenburg, Environment, International Protection, ­MPEPIL, 2015, Rn. 43. 9  Siehe nur Convention on Wetlands of International Importance especially as Waterfowl Habitat (Ramsar Konvention) vom 02. Februar 1971, 11 ILM 963 (1972). 10  Z. B. Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora (CITES / Washingtoner Artenschutzabkommen) vom 03.03.1973, 993 UNTS 243; Convention on the Conservation of Migratory Species of Wild Animals vom 23.06.1979, 19 ILM 15 (1980); Convention on the Conservation of European Wildlife and Natural Habitats (Bern Konvention), 19.09.1979, 1284 UNTS 209; International Convention for the Regulation of Whaling vom 02. Dezember 1946; UN Convention on the Law of the Sea (UNCLOS), 10.12.1982, 1833 UNTS 3. 6  S. H. M. Butchart



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Es entspricht dem überkommenen Verständnis vom Völkerrecht als koordinationsrechtlicher Rechtsordnung zwischen souveränen Staaten,12 dass internationale Umweltübereinkommen zum Schutz der Bestandteile biologischer Vielfalt oder dieser selbst gegenseitige Verpflichtungen der Staaten zur Beschränkung umweltschädigender Handlungen oder zum Ergreifen aktiver Schutzmaßnahmen enthalten, diese jedoch nicht auch subjektiv gewendet Einzelnen Ansprüche auf die Erfüllung der staatlichen Verpflichtungen vermitteln oder auch nur durch Umsetzung in nationales Recht vermitteln wollen. Die zu prüfende Arbeitshypothese der vorliegenden Untersuchung geht jedoch davon aus, dass auf völkervertraglicher Grundlage in jüngerer Zeit auch Instrumente geschaffen oder fortentwickelt wurden, die Individuen einzeln oder gemeinsam mit anderen als Vereinigungen oder als bestimmte Gemeinschaften völkerrechtsunmittelbar subjektive Rechte zuweisen oder Staaten zur Schaffung von Rechten in ihrer jeweiligen Rechtsordnung verpflichten, die sich unmittelbar oder mittelbar für den Schutz biologischer Vielfalt und ihrer Bestandteile durch die Berechtigten bzw. zu Berechtigenden einsetzen lassen. Bei der Suche nach solchen subjektiv-rechtlichen Instrumenten im Völkerrecht kommen zunächst die menschenrechtlichen Garantien universeller und regionaler Menschenrechtsinstrumente in den Blick. Gerade anhand letzterer hat sich bereits seit längerer Zeit nicht nur eine ausgiebige theoretische Diskussion um den Zusammenhang von Menschenrechten und dem Schutz der Umwelt entsponnen.13 Vielmehr können sowohl Versuche der Völkerrechtswissenschaft als auch der menschenrechtlichen (Gerichts-)Praxis beobachtet werden, klassischen Menschenrechtsgarantien im Wege ihrer Auslegung umweltrelevante Schutzgehalte zu entnehmen und so bis zu einem gewissen Grad auch für umweltschützerische Zwecke fruchtbar zu machen.14 Diese 11  1992 Convention on Biological Diversity (CBD, Übereinkommen über die Biologische Vielfalt), 05.06.1992, 1760 UNTS 79. 12  Zur fortwährenden Bedeutung der Souveränität von Staaten gerade auch als Bedingung für die Weiterentwicklung zwischenstaatlicher Kooperation K. Ipsen, in: ders., Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 2 Rn. 66 f. 13  Siehe nur Commission on Human Rights, F. Z. Ksentini, Special Rapporteur, Human Rights and the Environment, E / CN.4 / Sub.2 / 1994 / 9; UN Human Rights Council, Analytical study on the relationship between human rights and the environment, A / HRC / 19 / 34; A. Boyle, Human Rights and the Environment: Where Next?, EJIL 23 (2012), 613 ff.; ders., Environment and Human Rights, MPEPIL; ders. /  M. R. Anderson, Human Rights Approaches to Environmental Protection, 1996; F. Francioni, International Human Rights in an Environmental Horizon, EJIL 21 (2010), 41 ff.; D. K. Anton / D. L. Shelton, Environmental Protection and Human Rights, 2011; K. Wolfe, Greening the International Human Rights Sphere?, Appeal 9 (2003), 45 ff. 14  Neben den in der vorherigen Fußnote zitierten Fundstellen siehe nur für die umweltrelevante Rechtsprechung des EGMR die umfangreiche Darstellung bei K. Braig, Umweltschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013.

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plakativ unter der Überschrift des „Greening the Human Rights“15 zusammengefassten Versuche und der dahinter stehende Ansatz sollen vorliegend insbesondere anhand der Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) auf ihre Eignung hin untersucht werden, nicht nur Schutzgehalte zugunsten des Schutzgutes Umwelt allgemein, sondern auch der biologischen Vielfalt und ihrer Bestandteile im Besonderen hervorzubringen. Einzubeziehen sind hierbei auch die insoweit weniger umfangreichen Entwicklungen im Rahmen des inter-amerikanischen Menschenrechtssystems. Wegen ihrer geringen praktischen Bedeutung auf völkerrechtlicher Ebene16 wird dabei im Wesentlichen nur zum besseren Verständnis und zur Kontrastierung auch auf die Diskussionen um die Schaffung eines Menschenrechts auf eine gesunde Umwelt17 eingegangen werden. Mit dem 1998 in der dänischen Stadt Aarhus im Rahmen der Economic Commission for Europe der Vereinten Nationen (UNECE) vereinbarten Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die ÖffentlichkeitsbeEinen Überblick auch zur Rechtsprechung im Rahmen des inter-amerikanischen Menschenrechtssystems findet sich etwa bei R. Pavoni, Environmental Jurisprudence of the European and Inter-American Courts of Human Rights, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 ff. sowie C. Schall, Public Interest Litigation Concerning Environmental Matters before Human Rights Courts: A Promising Future Concept?, Journal of Environmental Law, 20:3 (2008), 417 ff. Siehe neuerdings auch S. Vöneky / F. Beck, Umweltschutz und Menschenrechte, in: A. Proelß, Internationales Umweltrecht, 2017, Fünfter Abschnitt, S. 133 ff. 15  Begriff etwa bei A. Boyle, Human Rights and the Environment: Where Next?, EJIL 23 (2012), 613 (614). 16  So wurde das Konzept eines eigenständigen Menschenrechts auf eine gesunde Umwelt zwar im sog. Ksentini Report anderen subjektiv-rechtlichen Ansätzen zum Schutz der Umwelt vorgezogen. Eine nachhaltige Wirkung hat dies jedoch nicht gezeigt, sodass es bis heute an einer Umsetzung dieses Konzepts tatsächlich fehlt, vgl. K. Wolfe, Greening the International Human Rights Sphere?, Appeal 2003, 45 (48). Wie die Untersuchung zeigen wird, sollte eine solche auch nicht in Art. 24 Banjul Charter erblickt werden. Vgl. hierzu unten: Zweiter Teil, C. II. 3. 17  Aus der reichhaltigen wissenschaftlichen Literatur zu einem Menschenrecht auf eine gesunde Umwelt auf völkerrechtlicher Ebene siehe nur S. Atapattu, The Right to a Healthy Life or the Right to Die Polluted?, Tulane Environmental Law Journal 16 (2002–2003), 65 ff.; M. Fitzmaurice / J. Marshall, The Human Right to a Clean Environment, Nordic Journal of International Law 76 (2007), 103 ff.; S. Giorgetta, The Right to a Healthy Environment, in: N. Schrijver / F. Weiss, International Law and Sustainable Development, 2004, S. 379 ff. Zur Bedeutung solcher Rechte auf natio­ naler Ebene vgl. D. R. Boyd, The Implicit Constitutional Right to Live in a Healthy Environment, RECIEL 20 (2011), 171 (171 ff.). Zu den hiervon zu unterscheidenden Eigenrechten der Natur siehe dagegen grundlegend C. Stone, Umwelt vor Gericht – Die Eigenrechte der Natur (im engl. Orginal: Should trees have standing?), 2. Aufl. 1974.



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teiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Konvention oder AK) findet sich aber auch außerhalb des Bereichs klassischer Menschenrechte18 eine originär umweltvölkerrechtliche Konvention, die dem ersten Anschein nach subjektive Berechtigungen schafft.19 Deren Besonderheit besteht darin, dass es sich bei ihnen nicht um materiell-rechtliche Gewährleistungen eines bestimmten Schutzniveaus für Umweltgüter handelt, sondern vielmehr mittels prozeduraler Garantien über die Gewährleistung des Zugangs zu Umweltinformationen, Öffentlichkeitsbeteiligung und einen Zugang zu Gerichten zum Schutz des Rechts eines jeden Menschen gegenwärtiger und künftiger Generationen auf ein Leben in einer seiner Gesundheit und seinem Wohlbefinden zuträg­ lichen Umwelt beigetragen werden soll.20 Dabei findet auch das Gut der biologischen Vielfalt im Rahmen der Definition der „Informationen über die Umwelt“ ausdrückliche Erwähnung.21 Neben ihrer Besonderheit eines (rein)22 prozeduralen Ansatzes ist sogleich bemerkenswert, dass die AK nicht lediglich Individuen als Berechtigte anspricht, sondern vor allen Dingen Umweltvereinigungen Gewährleistungen zuzuordnen scheint. Es handelt sich deshalb hier nicht um ein rein individualrechtliches Instrument. Die Untersuchung wird dabei vor allen Dingen auch die inzwischen umfangreiche Berichtstätigkeit des „Aarhus Convention Compliance Committee“ (ACCC) sowie die aarhus-relevante Rechtsprechungstätigkeit des EuGH einbeziehen. Rein kollektiv-rechtliche Berechtigungen könnte dagegen das Protokoll von Nagoya über den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Nagoya-Protokoll oder NP) enthalten, welches in mehreren Vorschriften des sog. „Access and Benefit-Sharing“-Mechanismus (ABS-Mechanismus) indigene und ortsansässige Gemeinschaften adressiert. Bei dem Protokoll handelt es sich um das im Jahr

18  Ob es sich bei der Aarhus-Konvention um ein menschenrechtliches Instrument handelt, wird nicht einheitlich beantwortet. Hiergegen etwa A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 397. 19  Vgl. nur Art. 1 AK: „[…], gewährleistet jede Vertragspartei das Recht auf Zugang zu Informationen, auf Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und auf Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten in Übereinstimmung mit diesem Abkommen.“ [Hervorhebung durch den Verfasser]. 20  Vgl. den zuvor nicht zitierten Teil von Art. 1 AK. 21  Art. 2 Abs. 3 a) AK. Die englische Fassung spricht ausdrücklich von „biological diversity and its components“. In der deutschen Übersetzung wird dies verengend mit „Artenvielfalt und ihre Bestandteile“ übersetzt. 22  Wie sich zeigen wird, enthalten auch die weiteren untersuchten Instrumente eine Reihe von prozeduralen Garantien, daneben aber vor allen Dingen materiell-rechtliche Gewährleistungen.

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2010 verabschiedete und mittlerweile in Kraft getretene Abkommen23 zur Konkretisierung und Operationalisierung der bereits in der CBD enthaltenen ABS-Vorschriften und des dritten Ziels der Biodiversitätskonvention.24 Nach der Zielbestimmung des Protokolls soll mithilfe der ausgewogenen und gerechten Aufteilung der sich aus der Nutzung der genetischen Ressourcen ergebenden Vorteile ausdrücklich zur Erhaltung der biologischen Vielfalt und zur nachhaltigen Nutzung ihrer Bestandteile und damit zur Erfüllung des ersten und zweiten Ziels der CBD beigetragen werden.25 Schon diese Verknüpfung der drei Ziele der Biodiversitätskonvention weist darauf hin, dass es sich hier weder um die Vereinbarung materieller Mindeststandards noch um die Schaffung prozeduraler Garantien handelt, sondern ein Konzept der Umverteilung ökonomischer Vorteile verfolgt wird, mit dessen Hilfe sozioökonomische Ursachen des Verlusts biologischer Vielfalt adressiert werden sollen. Obwohl offensichtlich in der Hauptsache auf die Ausgestaltung eines Mechanismus für den Zugang zu genetischen Ressourcen und die Aufteilung der aus ihrer Nutzung resultierenden Vorteile im zwischenstaatlichen Verhältnis fokussiert, könnte hier auch eine Rechtsposition indigener und lokaler Gemeinschaften geschaffen oder zumindest zur Schaffung vorgesehen worden sein. Zumindest indigene Völker waren bereits zuvor im Rahmen des interamerikanischen und auch des afrikanischen Menschenrechtssystems möglicherweise als kollektive Träger von Rechten bzgl. des von ihnen traditionell genutzten Landes und bestimmter dort befindlicher Ressourcen anerkannt worden. Die Untersuchung der hierzu ergangenen Rechtsprechung des InterAmerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte (IACtHR) sowie des ­Afrikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte und die Rechte der Völker (ACtHPR) und der Empfehlungen der Inter-Amerikanischen Menschenrechtskommission (IACmHR) sowie der Afrikanischen Kommission für Menschenrechte und die Rechte der Völker (ACmHPR), die dem ersten Anschein nach methodisch eine enge Verwandschaft zu der im Rahmen der EMRK beobachteten Auslegungspraxis aufweisen, soll zeigen, inwieweit die Menschenrechtsinstitutionen vor dem Hintergrund einer schon lange währenden Diskussion um den Zusammenhang gerade der Rechte indigener Völker und den Schutz der Umwelt insbesondere den Eigentumsgarantien der jeweiligen Menschenrechtsdokumente kollektive Rechte indigener Gemeinschaf23  Das NP ist am 12. Oktober 2014 in Kraft getreten und hat im Sommer 2017 97 Vertragsparteien. 24  Siehe IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 19. 25  Vgl. Art. 1 NP.



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ten entnommen haben und inwieweit diesen auch Schutzgehalte für die biologische Vielfalt und ihre Bestandteile zukommen. Diese ersten Überlegungen zeigen, dass die heutige Völkerrechtsordnung potentiell eine Reihe unterschiedlicher subjektiv-rechtlicher Ansätze aufweist, die sich für den Schutz biologischer Vielfalt fruchtbar machen lassen. Diese können schon auf den ersten Blick nicht nur anhand der unterschied­ lichen potentiellen Rechtsträger, sondern vor allen Dingen nach den verschiedenen ihnen zugrunde liegenden Steuerungskonzepten, die sie als Ansätze kennzeichnen, unterschieden werden. Zugleich dürfte aber die um erste Beobachtungen angereicherte, der vorliegenden Untersuchung zugrunde liegende Arbeitshypothese gleich in mehrerer Hinsicht Potential für produktive Irritationen bieten: Zwar ist heute weitgehend anerkannt, dass Individuen in der Völkerrechtsordnung eine partielle Rechtsfähigkeit zukommen kann. Weitgehend unumstritten ist dies jedoch nur für den Bereich des Menschenrechtsschutzes.26 Eine Prüfung der Arbeitshypothese wird deshalb als Vorfrage zu klären haben, unter welchen Voraussetzungen überhaupt von völkerrechtsunmittelbaren subjektiven Berechtigungen gesprochen werden kann.27 Dabei wird auch an die weitere Diskussion um die Stellung des Einzelnen im Völkerrecht anzuknüpfen sein.28 Die vorliegende Untersuchung kann dabei exemplarisch anhand des Bereichs des Umweltvölkerrechts die Fortentwicklung dieser Stellung aufzeigen. Selbst dort, wo Berechtigungen Einzelner nicht völkerrechtsunmittelbar begründet werden, ist zudem weiter der Frage nachzugehen, ob Staaten sich immerhin zur Schaffung entsprechender – völkerrechtlich veranlasster, d. h., mittelbar-völkerrechtlicher – Rechte verpflichtet haben.29 Da in beiden Fällen die völkerrechtlichen Vorgaben letztlich auf die Berechtigung bestimmter Rechtssubjekte auch im nationalen Rechtskreis abzielen, sollen beide Möglichkeiten unter dem Begriff des subjektiv-rechtlichen Ansatzes erfasst und anhand der im Einzelnen betrachteten Instrumente geklärt werden, welcher Fall jeweils vorliegt. Die jeweils unterschiedlichen Einwirkungen der völkerrechtlichen Normen auf das nationale Recht führten zu weiteren Irritationen: Gerade bei dem im deutschen Recht sozialisierten Juristen dürfte die in der Arbeitshypothese zum Ausdruck kommende Verknüpfung des Konzepts subjektiver Berechtigungen einerseits mit dem Schutz biologischer Vielfalt und ihrer Bestandteile andererseits nach wie vor auf Skepsis treffen. Gemeinhin wird der Schutz biologischer Vielfalt und ihrer Bestandteile, etwa der Arten- und Pflanzen26  Siehe zunächst nur V. Epping, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 7 Rn. 3. 27  Hierzu unten: Erster Teil, C. II. 2. und 3. 28  Hierzu unten: Erster Teil, C. II. 1. 29  Zu dieser Unterscheidung siehe Erster Teil, C. II. 3.

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schutz, im deutschen öffentlichen Recht als öffentliches Interesse eingeordnet,30 dessen Verwirklichung einzufordern im Rahmen der das deutsche Verwaltungsprozessrecht prägenden Verletztenklage und der diese kennzeichnenden Schutznormtheorie dem Einzelnen „nicht zusteht“.31 Diskussionen um die Notwendigkeit der Anpassung dieses überkommenen Systems wurden in den letzten Jahren insbesondere vor dem Hintergrund der Vorgaben der Aarhus-Konvention für einen Zugang zu Gericht in Umweltangelegenheiten und deren Umsetzung in Deutschland durch das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz geführt.32 Das Ausmaß der völkerrechtlich induzierten Herausforderungen und deren Einwirkungstiefe wurde zuletzt vielleicht am besten durch die Diskussionen um die drohende Überlastung des Verwaltungsrechtsschutzes in der Folge weitergehender Umsetzung völkerrechtlicher Vorgaben und deshalb zu ziehender Konsequenzen für die Prüftiefe verwaltungsgerichtlicher Kontrolle erkennbar.33 Gleichwohl war das Anwachsen des Anpassungsdrucks auf das deutsche Rechtsschutzsystem in der Folge lange währender gesetzgeberischer Verweigerung in die Einsicht völkerrechtlicher Vorgaben, die anhand zahlreicher Entscheidungen sowohl des EuGH34 als 30  K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (795); für die Artenvielfalt vgl. M. Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsraum, JZ 2012, 380 (382). 31  Vgl. J. Krüper, Neudefinition des „subjektiven öffentlichen Rechts“, in: M. Kloep­fer, Rechtsschutz im Umweltrecht, 2014, 163 (172). 32  Die hierzu erschienene Literatur ist kaum noch zu überblicken, siehe zunächst nur die monographischen Untersuchungen von A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013. Aus der Aufsatzliteratur J. Berkemann, Vollkontrolle der Umweltverbandsklage, DVBl 2015, 389 ff.; S. Schlacke, (Auf)Brüche des öffentlichen Rechts: von der Verletztenklage zur Interessentenklage, DVBl 2015, 929 ff.; I. Pernice, Umweltvölker- und europarechtliche Vorgaben zum Verbandsklagerecht und das System des deutschen Verwaltungsrechtsschutzes, JZ 2015, 967 ff.; R. Klinger, Erweiterte Klagerechte im Umweltrecht, NVwZ 2013, 850 ff.; A. Schink, Der slowakische Braunbär und der deutsche Verwaltungsprozess, DVBl 2012, 622 ff. 33  Siehe nur K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (798); C. Steinbeiß-Winkelmann, Verwaltungsgerichtsbarkeit zwischen Überlasten, Zuständigkeitsverlusten und Funktionswandel, NVwZ 2016, 713 (719 f.); V. Skouris, Auswirkungen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auf die Funktion der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl 2016, 937 (938). Skeptisch R. Klinger, Umweltverträglichkeitsprüfung und Rechtsschutz, ZUR 2014, 535 (535); kritisch auch B. W. Wegener, Nein, nein, nein!? – Kein Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit unter dem Einfluss des Unionsrechts? JZ 2016, 829 (831 f.). 34  Genannt seien hier nur die Urteile des EuGH in den Vorabentscheidungsverfahren Slowakischer Braunbär vom 08.03.2011  – C-240 / 09, Trianel vom 12.05.2011  – C-115 / 09 und Altrip vom 07.11.2013 – C-72 / 12 sowie zuletzt das Urteil im Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland vom 15.10.2015 – C-137 / 14.



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auch des Überwachungsausschusses der Aarhus-Konvention, dem ACCC,35 offenbar geworden waren, schon lange Zeit deutlich vernehmbar und etwa durch das Bundesverwaltungsgericht zum Anlass genommen worden, durch die Beschränkung sonst häufig geübter richterlicher Zurückhaltung zumindest übergangsweise für Entlastung zu sorgen.36 Dieses Beispiel zeigt, dass eine Untersuchung völkerrechtlicher subjektiver Ansätze – wenn auch auf diese fokussiert – nicht blind für die Konsequenzen internationaler Rechtssetzung auf nationaler und ggf. auch supranationaler Ebene sein darf.37 Dies gilt keineswegs nur für die Regelungen der Aarhus-Konvention, sondern für alle hier betrachteten Instrumente gleichermaßen. Soweit die Bundesrepublik Deutschland durch diese verpflichtet wird, sollen die Einwirkungen der völkerrechtlichen Regelungen, die auch eine Frage des nationalen Rechts sind, anhand Deutschlands illustriert werden. Ein Schwerpunkt bei der Betrachtung aller Instrumente ist zudem auf die spezifischen Implementierungs- und Durchsetzungsmechanismen der Instrumente zu legen, da diese entscheidend für die Verwirklichung völkerrechtlich präskribierter Regelungen im nationalen Rechtskreis sein können und hier zunehmend die Schaffung von zentralen und dezentralen Verfahren zu beobachten ist, mithilfe derer auch Individuen und Gruppen zur Verwirklichung des Völkerrechts beitragen können.

III. Fragestellung und Untersuchungstiefe Aus den hinführenden Gedanken des vorangehenden Abschnitts ergeben sich die Fragestellung der vorliegenden Arbeit und ihr Untersuchungsgegenstand (1.). Die Tiefe ihrer Untersuchung und der Darstellung der Ergebnisse ist an der zu den Teilfragen vorhandenen Forschung zu orientieren (2.).

35  Hier sei nur verwiesen auf den Bericht zum Compliance-Verfahren gegen Deutschland, ACCC / C / 2008 / 31, vom 20.12.2013 sowie  – bislang kaum beachtet  – gegen Österreich vom 16.12.2011, ACCC / C / 2010 / 48. Das Verfahren gegen Deutschland wurde mittlerweile abgeschlossen durch die Annahme des Berichts des ACCC zur Umsetzung der Verpflichtungen durch Deutschland während der Vertragsstaatenkonferenz der Aarhus-Konvention in Montenegro vom 11. bis 13.9.2017, Entscheidung VI / 8, ECE / MP.PP / 2017 / 2 / Add.1 Ziff. 9. Der Bericht des ACCC wird geführt unter dem Zeichen ECE / MP.PP / 2017 / 40 und findet sich in gekürzter Übersetzung in ZUR 2018, 23 ff. 36  Siehe BVerwG, Urteil vom 05.09.2013  – 7 C 21 / 12 (Luftreinhalteplan Darmstadt). 37  A. K. Mangold, The Persistence of National Peculiarities: Translating Representative Environmental Action from Transnational into German Law, Indiana Journal of Global Legal Studies 21 (2014), 223 (225).

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1. Fragestellung, Untersuchungsgegenstände und Erkenntnisinteresse Die Fragestellung dieser Arbeit ist, ob und inwieweit die in einem ersten Zugriff identifizierten völkerrechtlichen Ansätze subjektive Rechte völkerrechtsunmittelbar begründen oder Staaten jedenfalls mittelbar-völkerrechtlich die Begründung von Rechten in der nationalen Rechtsordnung aufgeben, die sich für den Schutz biologischer Vielfalt und ihrer Bestandteile durch die jeweils Berechtigten aufgrund der ihnen verliehenen Rechtsmacht einsetzen lassen. Zur Klarstellung sei darauf hingewiesen, dass die Beantwortung der Fragestellung es auch erfordert, mit den untersuchten Rechtspositionen konfligierende Rechte Dritter in den Blick zu nehmen, die der schlussendlichen Verwirklichung eines Schutzes biologischer Vielfalt ggf. entgegenstehen können. Obgleich auch solche Rechtspositionen in die Betrachtung einzubeziehen sind, wo sie die Reichweite der untersuchten Rechte für den Schutz biologischer Vielfalt wesentlich beschränken,38 so liegt auf ihrer Betrachtung doch nicht der Fokus dieser Arbeit, sodass ihre Berücksichtigung auf die auch praktisch bedeutsamsten Konstellationen zu begrenzen ist. Von der Betrachtung ausgeklammert werden zudem Konstellationen, in denen subjektive Rechte Dritter nicht die hier untersuchten Rechtspositionen begrenzen, sondern gegen rein objektiv-rechtliche staatliche Naturschutzmaßnahmen in Stellung gebracht werden. Hinsichtlich dieser ebenfalls wichtigen Dimension insbesondere völkerrechtlich gewährleisteter Freiheitsrechte gegen ein Übermaß an naturschutzrechtlichen Maßnahmen sei auf die Untersuchung von E. Louka verwiesen.39 Wegen der Vielzahl an völkerrechtlichen Instrumenten mit potentiell subjektiven Schutzgehalten zugunsten auch biologischer Vielfalt war hinsichtlich der dieser Arbeit zugrunde gelegten Untersuchungsgegenstände zudem insbesondere bei der Untersuchung menschenrechtlicher Instrumente eine Auswahl zu treffen. Mit der Konzentration auf die regionalen Menschenrechtssysteme der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), der Amerikanischen Menschenrechtskonvention (AMRK) sowie der Afrikanischen Charter der Rechte der Menschen und Völker (ACHPR) und der Ausklammerung etwa des universellen Menschenrechtsschutzes durch die internationalen Pakte über bürgerliche und politische Rechte sowie über ökonomische, soziale und kulturelle Rechte wurde nicht nur der Zweck verfolgt, den Umfang der Un38  Siehe etwa für Eigentumsrechte unter Zweiter Teil, A. IV. 1. b) cc) sowie für den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen gegenüber Umweltinforma­ tionsansprüchen unter Zweiter Teil, B. IV. 1. f) bb). Zur grundrechtlichen Bedeutung auch von Gerichtszugangsrechten siehe: Zweiter Teil, B. V. sowie Erster Teil, B. I. 3. 39  Siehe etwa E. Louka, Biodiversity and Human Rights, 2002, S. 19.



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tersuchung überhaupt noch handhabbar zu halten.40 Die Auswahl begründet sich vielmehr zum einen dadurch, dass die regionalen Menschenrechtssysteme die mit Abstand umfangreichste und am weitesten entwickelte Rechtsprechung und Berichtstätigkeit zur Umweltrelevanz klassischer Menschenrechte hervorgebracht haben41 und zum anderen dadurch, dass hier auch die am weitesten entwickelten institutionellen Durchsetzungssysteme existieren, die ihrerseits nach der oben beschriebenen Arbeitshypothese einen großen Einfluss auf die tatsächliche Verwirklichung völkerrechtlicher Vorgaben ­besitzen. Schließlich werden mit der Erfassung der regionalen Menschenrechtssysteme bereits unterschiedliche Schwerpunkte in der Auslegungsarbeit der Streitbeilegungsorgane abgebildet, die zum einen individualrechtliche (EGMR), zum anderen vor allen Dingen kollektivrechtliche Schutzgehalte (IACtHR, IACmHR, ACtHPR und ACmHPR) mit Bedeutung für die Umwelt allgemein und potentiell auch für den Schutz biologischer Viefalt im Besonderen begründet und dabei etwa auch spezielle Instrumente wie das Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern (ILO-Konvention 169)42 oder die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker (UNDRIP)43 in ihre Überlegungen einbezogen haben. Für die Untersuchung der Vorschriften der Aarhus-Konvention, die ggf. Rechtspositionen Einzelner und von Umweltvereinigungen begründen, ist zudem darauf hinzuweisen, dass der eigentliche Untersuchungsgegenstand der Arbeit lediglich die völkerrechlichen Vorschriften selbst sind. Dies stellt keinen Widerspruch zur oben betonten Notwendigkeit dar, auch die nationale Ebene – und im Falle der AK auch die supranationale – im Blick zu behalten. Da die dortigen Umsetzungsvorschriften jedoch nicht der eigentliche Untersuchungsgegenstand sind, werden sie nur insoweit in den Blick zu nehmen sein, wie dies für das Verständnis der völkerrechtlichen Regelungen und ihrer normativen Einwirkungen notwendig ist. 40  Dazu, dass schon die umweltrelevante Rechtsprechung des EGMR aufgrund ihres Umfangs kaum noch eine vollständige Erfassung zulässt, R. Pavoni, Environmental Jurisprudence of the European and Inter-American Courts of Human Rights, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 (69). 41  Zu der im Vergleich hiermit wenig umfangreichen Berichtstätigkeit im Rahmen der Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen F. Francioni, International Human Rights in an Environmental Horizon, EJIL 2010, 41 (53 f.); S. Vöneky / F. Beck, Umweltschutz und Menschenrechte, in: A. Proelß, Internationales Umweltrecht, 2017, Fünfter Abschnitt, Rn. 11 ff.; vgl. aber auch U. Beyerlin, Umweltschutz und Menschenrechte, ZaöRV 65 (2005), 525 (532 ff.). 42  ILO Convention 169 of June 27, 1989: Convention Concerning Indigenous and Tribal Peoples in Independent Countries, 28 ILM 1382 (1989). 43  United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples, A / RES / 61 / 295, 13.09.2007.

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Hinzuweisen ist schließlich darauf, dass mit der Auswahl der Vorschriften des Nagoya-Protokolls zur Rechtsstellung indigener und lokaler Gemeinschaften in dem zu schaffenden Zugangs- und Vorteilsausgleichsmechanismus als Untersuchungsgegenstand eine Entscheidung gegen die Untersuchung auch der sog. „farmers rights“ verbunden war, wie sie in Art. 9 ­ITPGRFA44 angesprochen sind. Dies ist sachlich dadurch gerechtfertigt, dass die Regelungen des Protokolls von Nagoya einen breiteren Anwendungsbereich besitzen und den letzten Stand der Rechtsentwicklung bzgl. des Umgangs mit der Nutzung und Aufteilung von Vorteilen aus der Nutzung von genetischen Ressourcen widerspiegeln. Die Begrenzung rechtfertigt sich zudem auch hier aus der Notwendigkeit, den Umfang der vorliegenden Untersuchung auf ein noch handhabbares Maß zu begrenzen. Bei der Untersuchung der Vorschriften des Nagoya-Protokolls waren aus demselben Grund weitgehend die bestehenden Probleme von Regimekollisionen der Regelungen des NP einerseits mit den Regelungen internationaler Abkommen über den Schutz intellektuellen Eigentums an genetischen Ressourcen sowie hierauf bezogenem traditionellen Wissen andererseits auszuklammern. Die durch die vorliegende Fragestellung und die Auswahl der Untersuchungsgegenstände bestimmte Untersuchung zielt auf die Erkenntnis gültigen Völkerrechts ab. Rein theoretische Diskussionen über eine Rechtslage de lege ferenda sind deshalb nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit, auch wenn diese punktuell im Rahmen der kritischen Bewertung der untersuchten Regelungen in die Überlegungen mit einbezogen werden. Die Betrachtung der tatsächlichen Wirksamkeit der rechtlichen Instrumente bleibt rechtssoziologischen Untersuchungen vorbehalten, die die Faktizität des Rechts zu erkennen versuchen. 2. Untersuchungs- und Darstellungstiefe Zu der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Umweltschutz gibt es bereits eine lange geführte Diskussion. Auch liegen sowohl kürzere als auch umfassende Untersuchungen zur Umweltrelevanz insbesondere der Rechtsprechung des EGMR vor. Auffallend ist dabei jedoch, dass die Untersuchungen sich zumeist vor allen Dingen der Frage nach dem Schutzgehalt menschenrechtlicher Garantien gegen schädliche Umweltveränderungen widmen und dabei die (menschliche) Umwelt und die Umweltmedien in erster Linie als Belastungspfade und damit Risiken für klassische Menschenrechtsgüter in den Blick geraten.45 Symptomatisch hierfür 44  International Treaty on Plant Genetic Resources for Food and Agriculture, 03.11.2011, UNTS 2400, 303.



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wird das Potenzial der Menschenrechte für den Schutz der Bestandteile biologischer Vielfalt, namentlich der Flora und Fauna, verneint und aus den Betrachtungen ausgeklammert. Dies geschieht nicht völlig zu unrecht, da in der Tat Skepsis angebracht ist ob des Potenzials menschenrechtlicher Ansätze einen Schutz von Biodiversität zu bewirken. Dies führt jedoch auch dazu, dass die Grenzen des Ansatzes eines „Greening the Human Rights“ nicht vollends sichtbar werden. Mit der Fokussierung der vorliegenden Untersuchung auf eben diesen bislang ausgeblendeten Aspekt soll nicht nur aufgezeigt werden, dass eine generelle Verneinung der Eignung des menschenrechtlichen Ansatzes zum Schutz biologischer Vielfalt nicht zutreffend ist. Vielmehr dient die Ausrichtung der Untersuchung mit der Wahl des Rechtsgutes Biodiversität auch dazu, die Grenzen und Schutzlücken eines menschenrechtlich fundierten Natur- und auch Umweltschutzes aufzuzeigen.46 Dafür ist es jedoch nicht notwendig, sämtliche Entscheidungen des EGMR mit Umweltbezug einzeln darzustellen. Ausreichend ist es vielmehr, Entwicklungslinien und deren vorläufige Endpunkte zusammenfassend aufzuzeigen und die normativen Aussagen anhand der vorliegenden Fragestellung zu prüfen. Die Ergänzung dieser Teiluntersuchung um individualrechtliche Vorgaben auch des inter-amerikanischen Menschenrechtssystems stellt zudem erste Zusammenhänge zwischen den regionalen Menschenrechtssystemen auf die vorliegend untersuchte Frage bezogen her, die gegenüber vorhandenen Untersuchungen ebenfalls einen gewissen Neuigkeitswert aufweisen.47 Auch zu den Rechten indigener Völker und nicht-indigener Stammesgesellschaften unter der AMRK sowie der ACHPR und dem Verhältnis von Rechten dieser Gemeinschaften und dem Schutz der Umwelt existieren bereits zahlreiche Untersuchungen. Hiervon unterscheidet sich die vorliegende Arbeit aber nicht nur in ihrem spezifischen Zuschnitt auf den Schutz biologi45  Insoweit gilt auch hier die Aussage K. Bosselmanns zur Konzeption des Umweltschutzes in Deutschland: „Umweltschutz […] müsste ehrlicherweise Menschenschutz genannt werden“, ders., Nichtanthropozentrische Erweiterung des Umweltrechts?, in: J. Nida-Rümelin / D.  v. d. Pforten, Ökologische Ethik und Rechtstheorie, 2. Aufl. 2002, 201 (209). 46  Dies erscheint vor allen Dingen auch deshalb notwendig, weil u. a. bisherige Einschätzungen der Leistungsfähigkeit des menschenrechtlichen Ansatzes dazu geführt haben, dass Vorschläge über ein „Umwelt-Protokoll“ zur Europäischen Menschenrechtskonvention nicht weiter verfolgt werden, vgl. Europarat, Committee of Experts for the Development of Human Rights, Final Activity Report on Human Rights and the Environment, DH-DEV(2005)006rev, Strasbourg, 10 November 2005, 2–3. 47  Dies gilt jedenfalls insoweit, als vorliegend auch jüngste Entwicklungen einbezogen werden, wie etwa die allmähliche Anerkennung der Informationsfreiheit als Teilgewährleistung der Meinungsfreiheit durch den EGMR, die ein Vorbild in der Rechtsprechung des IACtHR findet. Siehe hierzu unten: Zweiter Teil, A. IV. 1. c).

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A. Einleitung

scher Vielfalt, mit dessen Hilfe markante Unterschiede in der Eignung der kollektiven Rechte indigener Völker und individualrechtlicher Garantien, insbesondere im Rahmen der EMRK, zum Schutz biologischer Vielfalt he­ rausgearbeitet werden können. Vielmehr ermöglicht die gemeinsame Betrachtung der verschiedenen Menschenrechtssysteme in einer Arbeit auch die Erkenntnis von Parallelen beim methodischen Vorgehen der Rechtsprechungsorgane sowie von Gemeinsamkeiten und Unterschieden im normativen Verständnis äußerlich vergleichbarer Garantien48 und der institutionellen Durchsetzungsmechanismen der Menschenrechtssysteme. Zudem waren in der vorliegenden Untersuchung auch neueste Entscheidungen erstmals zu verarbeiten und in den Bestand an Rechtsprechung einzufügen.49 Gerade mit Blick auf die subjektive Berechtigung indigener Völker in AMRK und ACHPR besitzt die Teiluntersuchung zudem eine „Grund legende“ Funktion für die Teiluntersuchung zu den Vorschriften des Nagoya-Protokolls, die indigene und ortsansässige Gemeinschaften als zu Berechtigende vorsehen. Wie zu zeigen sein wird, existieren insoweit erste Versuche der Auslegung von Vorschriften des Nagoya-Protokolls im Lichte der menschenrechtlichen Rechtsprechung zu den Land- und Ressourcennutzungsrechten indigener Völker, deren kritische Bewertung insoweit ermöglicht wird. Zu den Vorschriften des Nagoya-Protokolls existieren trotz der Neuheit dieses Abkommens auch wegen der bereits in der CBD zum selben Gegenstand vorhandenen Vorschriften schon relativ viele wissenschaftliche Untersuchungen.50 Nur wenige Autoren haben sich jedoch bislang ausführlich mit der darin vorgesehenen Rechtsposition indigener und lokaler Gemeinschaften auseinandergesetzt,51 deren normativer Gehalt deshalb grundlegender zu erarbeiten und darzustellen ist. 48  Insoweit werden insbesondere Prozeduralisierungstendenzen in der Rechtsprechung aller Menschenrechtsorgane bei der vorliegend untersuchten Frage deutlich. Zu dieser Tendenz in der Rechtsprechung des EGMR siehe K. Braig, Umweltschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013, S. 268 ff. 49  Zuletzt I / A Court H.R., Case of the Kaliña and Lokono Peoples v. Suriname. Merits, Reparations and Costs. Judgment of November 25, 2015. Series C No. 309 sowie die sog. Ogiek-Entscheidung, ACtHPR, no. 006 / 2012: African Commission on Human and Peoples’ Rights / Republic of Kenya, Urteil vom 26. Mai 2017. 50  Nach S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources: background and analytical framework, in: dies., Global Governance of Genetic Resources, 2014, 1 (2) gilt es allerdings dennoch zu beachten, dass das Thema des „Access and Benefit-Sharing“ bislang eher ein Thema äußerst spezialisierter Aus­ einandersetzung war. 51  Zu nennen sind hier die ersten tiefergehenden Untersuchungen von A. Savaresi, The international Human Rights Law Implications of the Nagoya Protocol, in: M. Buck / E. Morgera / E. Tsioumani, The 2010 Nagoya Protocol on Access and Benefit-Sharing in Perspective, 2013, S. 53 ff.; S. K. Bavikatte, Stewarding the earth, 2014, 89 ff. sowie ders. / D. F. Robinson, Towards a People’s History of the Law,



A. Einleitung

41

Schließlich ist die vorliegende Arbeit zu den vorhandenen Untersuchungen der Regelungen der Aarhus-Konvention abzugrenzen. Es wurde bereits auf die umfangreiche Diskussion um deren Einwirkungen auf das deutsche Recht hingewiesen, die von zahlreichen ausführlichen Untersuchungen52 und einer nahezu unüberschaubaren Vielzahl kürzerer Stellungnahmen53 getragen wird. Gemeinsam haben der größte Teil der Betrachtungen ihre Fokussierung auf die Folgen der Vorgaben für das deutsche Verwaltungsrecht. Weitaus weniger Untersuchungen existieren zur Frage der Einwirkung auf das Eigenverwaltungsrecht der Europäischen Union. Die Durchführung der vorliegenden Untersuchung besitzt dennoch nicht nur aufgrund des spezifischen Zuschnitts ihrer Untersuchungsfrage einen Neuigkeitswert.54 Dieser besteht zudem vielmehr darin, dass gerade in den letzten Jahren – im Nachgang zu den meisten ausführlichen Untersuchungen – nicht nur zahlreiche Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs ergangen sind, denen Auslegungen von Vorschriften der AK zugrunde lagen, sondern vielmehr auch der Überwachungsausschuss der Konvention eine reichhaltige Berichtspraxis entwickelt hat, die zum Verständnis der Konvention in zahlreichen umstrittenen Fragen Stellung nimmt. Gerade diese Berichtspraxis ist bislang weder in ihrem Inhalt noch in ihrer rechtlichen Bedeutung ausführlicher untersucht worden.55 Erst in der Auseinandersetzung mit der völkerrechtlichen Praxis der AK kann es aber gelingen zu beantworten, auf welche Weise die in vielen Punkten scheinbar unbestimmten Vorschriften der Aarhus-Konvention, deren Auswirkungen auf die deutsche Rechtsordnung lange als begrenzt angesehen wurden, konkretisiert und somit zu kaum für möglich gehaltener Einwirkungsintensität auf hergebrachte Grundsätze nationalen Rechts gelangt sind. In der vorliegenden Zusammenschau gerade mit den menschenrechtlichen Ansätzen ergibt sich Law, Environment and Development Journal 35 (2011), 48 ff. und neuestens auch M. Buck / E. Morgeara / E. Tsioumani, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014. 52  Siehe insbesondere D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003; D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011; K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013; A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010; N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013; S. Pernice-Warnke; Effektiver Rechtsschutz, 2009. 53  Auf eine Auflistung wird hier verzichtet. Siehe stattdessen die Einzelnachweise unter: Zweiter Teil, B. 54  Vgl. nur die Äußerung bei K. Mertens / A. Cliquet / B. Vanheusden, Ecosystem Services. What’s in it for a lawyer?, European Energy and Evironmental Law Review, 2012, 31 (33), die bemerken, dass es interessant wäre zu sehen, wie die AK zum Schutz biologischer Vielfalt beitragen könnte. 55  Siehe jetzt aber neuerdings A. Epiney / S. Dilzig / B. Pirker / S. Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, die eine umfassende Auswertung der Berichtspraxis des ACCC ihrer Kommentierung zugrunde legen.

42

A. Einleitung

zudem die Möglichkeit, Unterschiede zwischen den jeweils bestehenden prozeduralen Rechtspositionen aufzuzeigen.56 Zuletzt ist es nicht ersichtlich, dass die verschiedenen hier einbezogenen subjektiv-rechtlichen Ansätze schon einmal in einer Zusammenschau untersucht worden sind. Erst eine solche vergleichende und zusammenführende Betrachtung erlaubt aber den Schluss auf eine allgemeinere Entwicklung und damit die Erkenntnis von der veränderten Rolle des Einzelnen und von Gruppen beim Schutz biologischer Vielfalt im Völkerrecht. Dabei leistet eine solche Betrachtung einen Beitrag zum besseren Verständnis des rechtlichen Status des Individuums im Völkerrecht und wird auch in diese Diskussion einzubetten sein.57 Wie bei der von A. Peters durchgeführten Untersuchung ist auch hier der Ausgangspunkt die Beobachtung der Zunahme an Berechtigungen des Einzelnen durch völkerrechtliche Normen58 – auch außerhalb des Bereichs der klassischen Menschenrechtsgarantien. Anders als dort soll dies aber nicht zum Anlass genommen werden der Frage nachzugehen, inwieweit sich aus der Zusammenschau der einzelnen, dem Individuum im Völkerrecht verbürgten Rechte und der ihm auferlegten Pflichten eine veränderte Bewertung der Rechtspersönlichkeit des Individuums im Völkerrecht und daraus ein Paradigmenwechsel hin zu einem individuumszentrierten System59 ergibt und wie dieser Wandel dogmatisch zu erfassen ist.

56  Siehe zudem zur Eignung einer Untersuchung der Aarhus-Konvention als Beispiel für globale Entwicklungen, da sie die Diskussionen auch außerhalb ihres Geltungsbereichs in Asien und Afrika sowie Mittelamerika stark beeinflusst J. Ebbesson, Public Participation and Privatisation in Environmental Matters, Erasmus Law Review, 4 (2011) 71 (74); R. Pavoni, Environmental Jurisprudence of the European and Inter-American Courts of Human Rights, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 (106). 57  Hierzu A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014. 58  A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 1. 59  C. Tomuschat, International Law: Ensuring the Survival of Mankind on the Eve of a New Century: General Course on Public International Law, Recueil des Cours 281 (1999), 11–438 (237, zitiert nach der Übersetzung von A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 1.

B. Methodik In methodischer Hinsicht wurde die vorliegende Untersuchung vor allen Dingen auf Grundlage der juristisch-dogmatischen Methode1 durchgeführt, um den spezifisch normativen Gehalt der analysierten Normen zu ermitteln. Dabei wurde ein besonderer Fokus auf die Erfassung und Berücksichtigung der völkerrechtlichen Praxis gelegt, wie sie im Rahmen der betrachteten völkervertragsrechtlichen Regime vor allen Dingen in der Rechtsprechungstätigkeit und Berichtspraxis der hierfür eingesetzten internationalen Organe zum Ausdruck kommt. Dies soll zum einen der Gefahr vorbeugen, in ein „völkerrechtliches Geschwafel“ zu verfallen,2 ist aber auch dem Umstand geschuldet, dass die Auseinandersetzung mit der Rechtsprechungs- und Berichtspraxis die erste Vermutung gestützt und genährt hat, dass gerade von diesen eine erhebliche Dynamik für die Fortentwicklung der völkervertraglich beschlossenen Regime und damit auch die hier untersuchten subjektiven Berechtigungen ausgeht und diese für ein adäquates Verständnis der Entstehung der Rechtspositionen zu erfassen ist. Auch die Untersuchung dieser institutionellen Dimension der Ansätze bedient sich aber fast ausschließlich der dogmatischen Methode, wenn sie die Vorschriften der Verfahrensordnungen oder die rechtlichen Grundlagen der Auslegungsarbeit der Organe in den Blick nimmt. Es wird also gerade keine Untersuchung mit den methodischen Mitteln der Governance-Forschung durchgeführt. Der Wahl der biologischen Vielfalt als perspektivgebendem Schutzobjekt kommt nicht nur Bedeutung wegen des auf seinen Schutz gerichteten Erkenntnisinteresses, sondern auch in methodischer Hinsicht zu. Seine Eigenschaft als Gemeingut verleiht der biologischen Vielfalt die Eignung, zum Lackmustest für die betrachteten subjektiv-rechtlichen Ansätze und Rechtspositionen zu werden und zu enthüllen, inwieweit diese über einen Schutz materiell-personaler Interessen hinausgehen. Gleichzeitig wird es vermieden, dass mithilfe dieses gegenüber dem Schutzgut „Umwelt“ konkreteren, obgleich weit gefassten Schutzguts lediglich ein Untersuchungsergebnis erzielt werden kann, das auf eine Aussage hinausläuft, dass ein bestimmter Ansatz eine irgendwie geartete Umweltrelevanz aufweise. Einen darüber hinausgeR. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 160. F. Lange, Wider das „völkerrechtliche Geschwafel“ – Hermann Mosler und die praxisorientierte Herangehensweise an das Völkerrecht im Rahmen des MaxPlanck-Instituts, ZaöRV 75 (2015), 307 (insbesondere 319 ff.). 1  Vgl.

2  Siehe

44

B. Methodik

henden Ertrag sicherzustellen wird jedoch nicht nur durch die Wahl des Schutzobjektes bzw. potentiellen Schutzgutes versucht. Die Betrachtung auch solcher völkerrechtlicher Ansätze, die nicht einen unmittelbaren rechtlichen Schutz vermitteln, sondern allenfalls auf einen mittelbaren Schutz biologischer Vielfalt mittels bestimmter Steuerungskonzepte abzielen, macht es vielmehr darüber hinaus erforderlich, auch die jeweiligen Steurungsannahmen zu betrachten und insoweit auch empirisches Erfahrungswissen in die Betrachtungen mit einzubeziehen. Als gleichwohl „juristische Untersuchung“ kann dies eigenständige empirisch ausgerichtete Arbeiten nicht ersetzen, soll aber die Anschlussfähigkeit der vorliegenden Arbeit für solcherlei Bemühungen sicherstellen. Um die Bedeutung der Untersuchungsergebnisse für den Schutz biologischer Vielfalt überhaupt einschätzen zu können, ist zudem eine Analyse der für ihre Zerstörung vorherrschenden Ursachen erforderlich, wie sie im Ersten Teil der Arbeit erfolgen wird. Aufgrund der Vielfalt der betrachteten Gegenstände und der Unterschiedlichkeit der Verwendung im Zusammenhang verschiedener Rechtsordnungen wurde der Untersuchung ein Begriff des subjektiven Rechts zugrunde gelegt, der all jene rechtlichen Normen einschließt, die sich überhaupt rechtstheoretisch als subjektive Rechte, das heißt mit Alexy, im Anschluss an Hohfeld als Rechte auf etwas, Freiheiten oder Kompetenzen erfassen lassen.3 Weder wurde also durch ein materielles Kriterium der Kreis möglicher subjektiver Rechte begrenzt, noch wurde die Klagbarkeit eines Rechts zur begrifflichen Voraussetzung seiner Anerkennung gemacht. Die Bedeutung der Klagbarkeit eines Rechts soll damit keineswegs geringgeschätzt werden, sondern nur eine zu starke Verengung der Betrachtungen verhindert werden. Erfasst werden sollten sowohl die einzelnen Individuen als auch Gruppen zugeordneten Rechte. Erst ein solch weiter Begriff macht es möglich, über die Begrenzungen der eigenen nationalen Rechtsordnung hinauszublicken und die Vielfalt an möglichen Konzepten subjektiver Rechte auch jenseits des nationalen Rechts zu erfassen. Für eine Rückbindung der Untersuchung an die im nationalen deutschen und auch europäischen und internationalen Recht geführten Diskussionen über die Voraussetzungen für die Annahme subjektiver Berechtigungen muss jeweils eine Auseinandersetzung mit den für den jeweiligen Rechtskreis vertretenen Ansichten stattfinden4. Dies erlaubt es auch, die aus den wechselseitigen Einwirkungen der Rechtsordnungen resultierenden Schwierigkeiten klarer zu sehen. Schließlich ermöglicht eine solche Befrei3  R. Alexy,

Theorie der Grundrechte, 1994, S. 171 ff. einer solchen Perspektive der „translation“ internationalen Rechts für den nationalen Rechtskreis als analytischem Werkzeug und zur Bedeutung des nationalen Rechts auch im Falle seiner völkerrechtlichen Überformung A. K. Mangold, The Persistence of National Peculiarities, Indiana Journal of Global Legal Studies 21 (2014), 223 (225). 4  Zu



B. Methodik

45

ung des Begriffs des subjektiven Rechts auch eine klarere Unterscheidung der durch das subjektive Recht geschützten rechtlichen Interessen einerseits und der von diesen zu unterscheidenden normativen Gründe für die Schaffung subjektiver Rechte andererseits.5 Hierbei dürfen auch empirische Fragen nach den Funktionen subjektiver Rechte in einer Gesellschaft nicht völlig ausgeblendet werden.6 Während die einzelnen völkerrechtlichen Ansätze weitestgehend getrennt voneinander betrachtet werden, soll auch eine abschließende vergleichende Betrachtung stattfinden7. Diese stellt keinen Vergleich im Sinne funktionaler Rechtsvergleichung dar, sondern versucht die Entwicklung konvergierender rechtlicher Strukturen bei funktional kaum vergleichbaren Rechten und so Gegenentwicklungen zur Fragmentierung des Völkerrechts aufzuzeigen.

5  R. Alexy,

Theorie derf Grundrechte, 1994, S. 164. hierzu unten: Zweiter Teil, B. I. 3. 7  Zum Wert einer solchen vergleichenden Betrachtung speziell für das Verständnis der Aarhus-Konvention K.-P. Sommermann, Transformative Effects of the Aarhus Convention in Europe, ZaöRV 2017, 321 (325). 6  Siehe

C. Mit der Arbeit verfolgte Ziele Mit der Ausrichtung der Untersuchung auf subjektiv-rechtliche Ansätze zum Schutz biologischer Vielfalt ist nicht das Ziel verbunden diese als gegenüber objektiv-rechtlichen Ansätzen überlegen darzustellen. Wie sich zeigen wird, können subjektiv-rechtliche Ansätze einen staatlich gelenkten systematischen Schutz biologischer Vielfalt lediglich ergänzen. Diese ergänzende Rolle aufzuzeigen, die Möglichkeiten dieser Ansätze, aber auch ihre Grenzen, ist das übergreifende Ziel dieser Arbeit. Dabei wurden die Ansätze bewusst nicht allein auf einer hohen Abstraktionsebene etwa durch die Analyse der wesentlichen rechtlichen Strukturen und ihrer Unterschiede, sondern auch die einzelnen Regelungen im Detail betrachtet und dargestellt, um der Arbeit auch einen Wert für die konkreten Umsetzungsaufgaben zu geben. Daneben werden mit der konkreten Ausrichtung der Untersuchung eine Reihe weiterer Ziele verfolgt: Die subjektiv-rechtlichen Ansätze sind eingebettet in eine inhaltlich wie institutionell weit entwickelte Völkerrechtsordnung, die sich im Bereich der menschenrechtlichen und umweltvölkerrecht­ lichen Regime zumindest als Kooperationsrechtsordnung begreifen lässt, teilweise aber auch Merkmale aufweist, die hierüber hinausgehen. Eine Folge hiervon ist die zunehmende Verflechtung der ehemals getrennt gedachten Rechtskreise internationalen und nationalen Rechts und die Zunahme wechselseitiger, insbesondere aber hierarchischer Einwirkungen von Rechtsregimen der Völkerrechtsordnung auf die europäische und die nationalen Rechtsordnungen. Die Untersuchung will einen Beitrag zum besseren Verständnis der Besonderheiten dieser Einwirkungsprozesse gerade seitens des Völkerrechts anhand der Teiluntersuchungen der gewählten Rechtsregime und den darin vorgsehenen subjektiv-rechtlichen Positionen leisten. Da dieser eine besondere Komplexität bei der Umsetzung der Vorgaben der Aarhus-Konvention1 in der Unionsrechtsordnung und den Rechtsordnungen ihrer Mitgliedstaaten erreicht hat, wird hier ein Schwerpunkt der Arbeit liegen. Dabei soll insbesondere die bislang völlig unzureichend erfasste Berichtstätigkeit des ACCC bekannt gemacht und ihre rechtliche Bedeutung aufgezeigt werden. Mit dem Fokus auf subjektiv-rechtliche Ansätze knüpft die Arbeit zudem an die langen Diskussionen um die völkerrechtliche Stellung von Indi1  Zur diesbezüglichen Rechtsentwicklung im Mehrebenenverbund I. Pernice, Umweltvölker- und europarechtliche Vorgaben zum Verbandsklagerecht und das System des deutschen Verwaltungsrechtsschutzes, JZ 2015, 967 (972 f.).



C. Mit der Arbeit verfolgte Ziele

47

viduen an. Die Untersuchung soll so einen Beitrag zur Diskussion über subjektive Rechte im Völkerrecht „jenseits der Menschenrechte“ erbringen, wie sie zuletzt insbesondere durch die Untersuchung von Peters fortgesetzt wurde.

D. Gang der Darstellung In einem ersten Teil der Darstellung sind zunächst die Grundlagen zu legen (Erster Teil: Grundlagen). In einer Realbereichsanalyse ist das Schutzgut der biologischen Vielfalt auf Basis naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zu beschreiben, ihr Eigenwert und ihre Bedeutung für den Menschen darzulegen und die Ursachen ihres Verlustes zu benennen, um die Eignung der im weiteren Verlauf untersuchten Ansätze für ihren Schutz bewerten zu können (A.). Im darauffolgenden Abschnitt sind die Rahmenbedingungen subjektivrechtlicher Ansätze im deutschen öffentlichen Recht sowie auf europäischer Ebene zu erkunden, um die Tragweite entsprechender Ansätze im Völkerrecht und deren Einwirkung auf nationale und supranationale Ebenen ermessen zu können (B.). Zudem sind Möglichkeit und Voraussetzungen subjektivrechlicher Ansätze im Völkerrecht selbst zu erfassen (C.). Der zweite Teil der Untersuchung stellt den Hauptteil der Arbeit dar (Zweiter Teil: Verwirk­ lichung subjektiv-rechtlicher Ansätze zum Schutz biologischer Vielfalt im Völkerrecht). Hier sind die einzelnen Ansätze und die ihnen zugeordneten Instrumente im Detail zu untersuchen und zu bewerten (A.–C.). Im dritten Teil der Arbeit (Dritter Teil: Ansatzübergreifender Vergleich) ist ein ansatzübergreifender Vergleich der im Einzelnen herausgearbeiteten Rechtspositionen vorzunehmen, um konvergierende Entwicklungen, Unterschiede, gemeinsame Probleme, Fortentwicklungsmöglichkeiten, aber auch die Ergänzungsbedürftigkeit subjektiv-rechtlicher Ansätze beim Schutz biologischer Vielfalt aufzuzeigen und die Ergebnisse des zweiten Teils zu sichern (A.–C.). Im beschließenden vierten Teil der Arbeit (Vierter Teil: Fazit und Forschungsbedarf) ist schließlich ein Fazit der Untersuchung zu ziehen und der weitere Forschungsbedarf aufzuzeigen.

Erster Teil

Grundlagen Als Grundlage für die weitere Untersuchung ist zunächst in einer Realbereichsanalyse das Gut der ökologischen Vielfalt zu betrachten (A.). Dem folgend sind die Rahmenbedingungen subjektiv-rechtlicher Ansätze im deutschen öffentlichen Recht sowie auf europäischer Ebene zu beschreiben (B.) und schließlich die Möglichkeit und Voraussetzungen solcher Ansätze im Völkerrecht selbst zu bestimmen (C.).

A. Biologische Vielfalt Der Begriff der biologischen Vielfalt war kaum als Begriff der Ökologie geprägt,1 da wurde er auch schon im Rahmen der auf der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro abgeschlossenen Biodiversitätskonvention zum politisch-rechtlichen Konzept ausgebaut. Er bezeichnete nun nicht mehr länger allein die Lehre von der Erforschung biologischer Vielfalt, ihren Gefährdungen und möglichen Schutzmaßnahmen, sondern verwies auch auf die in der CBD niedergelegten Ziele des Schutzes der biologischen Vielfalt, ihrer nachhaltigen Nutzung sowie die gerechte Verteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden wirtschaftlichen Vorteile.2 Im Folgenden sollen jedoch zunächst allein die naturwissenschaftlichen Bedeutungsgehalte des Begriffes und das Wesen biologischer Vielfalt für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung illustriert und entfaltet werden (I.). Der in unterschiedlicher Weise begründbare Eigenwert sowie der Wert biologischer Vielfalt für den Menschen verdeutlicht ihre Schutzwürdigkeit (II.), die maßgeblichen Ursachen ihres Verlusts und die aktuellen Gefährdungen ihre Schutzbedürftigkeit (III.). Ansatzpunkte für den Schutz biologischer Vielfalt sind zu benennen, denen im weiteren Verlauf der Arbeit die konkret untersuchten völkerrechtlichen Instrumente zugeordnet werden können (IV.). 1  Nach B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 7 findet sich der Begriff erstmals bei T. E. Lovejoy, Changes in biological diversity, in: O. G. Barney, The global 2000 report to the president, Vol. 2, 1980. Zur Begriffsentwicklung auch T. Markus, Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Biodiversität, in: A. Proelß, Internationales Umweltrecht, 2017, Zehnter Abschnitt Rn. 2 ff. 2  B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 8.

50

1. Teil: Grundlagen

I. Naturwissenschaftliche Grundlagen Biologische Vielfalt ist nach der Definition in Art. 2 des Übereinkommens über die biologische Vielfalt3 (CBD) – auf die auch naturwissenschaftliche Darstellungen verweisen4 – „die Variabilität unter lebenden Organismen jeglicher Herkunft, darunter unter anderem Land-, Meeres- und sonstige aquatische Ökosysteme und die ökologischen Komplexe, zu denen sie gehören; dies umfaßt die Vielfalt innerhalb der Arten und zwischen den Arten und die Vielfalt der Ökosysteme“. Biologische Vielfalt ist danach nicht nur die Summe ihrer Teile, sondern repräsentiert die Vielfalt innerhalb und zwischen diesen.5 Sie wird auch als die „Diversität des Lebens selbst“,6 „Vielfalt des Lebens“7 oder das „Maß der natürlichen Varietät“8 beschrieben. Der Begriff der biologischen Vielfalt umfasst damit die Teilbegriffe der Vielfalt der Ökosysteme, der Artenvielfalt, der genetischen Vielfalt sowie der funktionellen Diversität9 und verweist so auf alle Erscheinungen der biologischen Hierarchie, von Molekülen bis hin zu Ökosystemen.10 Die Vielfalt von Pflanzen und Tieren entsteht aufgrund von geringfügigen Unterschieden zwischen einzelnen Genen verschiedener Individuen einer Population.11 Ursächlich hierfür sind Evolutionsprozesse wie die spontan auftretende oder durch äußere Einflüsse verursachte Mutation von Genen, d. h. die Veränderung des genetischen Materials und die bei Charles Darwin12 im Vordergrund stehende natürliche Selektion.13 Genetische Variabiltät besteht bei allen Arten unabhängig von der Art ihrer Fortpflanzung, wenn diese 3  Nach der Übersetzung des BMU der Convention on Biological Diversity, CBD, 1992. 4  Vgl. nur B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 7. 5  IUCN, Glowka u. a., A Guide to the Convention on Biological Diversity, Environmental Policy and Law paper no. 30, 1994, S. 16: „within and among them“. 6  L. Loft, Erhalt und Finanzierung biologischer Vielfalt, 2009, S. 6. 7  V. Shiva, Biodiversität, S. 9. 8  N. Wolff / W. Köck, Einleitung, in: 10 Jahre Übereinkommen über die biologische Vielfalt, S. 15. 9  L. Loft, Erhalt und Finanzierung biologischer Vielfalt, 2009, S. 6 ff.; vgl. auch B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 7, der anhand der Definition drei Organisationsebenen unterscheidet, die genetische Ebene, die organismische Ebene sowie die ökosystemare Ebene. 10  L. Loft, Erhalt und Finanzierung biologischer Vielfalt, 2009, S. 6; A. Endres /  R. Bertram, Nachhaltigkeit und Biodiversität, in: M. Führ / R. Wahl / P. v. Wilmowsky, Umweltrecht und Umweltwissenschaft, FS für Eckard Rehbinder, 2007, 165 (171). 11  B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 10. 12  C. R. Darwin, On the origin of species by means of natural selection, or the preservation of favoured races in the struggle for life, 4. ergänzte Aufl. 1866. 13  B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 15.



A. Biologische Vielfalt51

auch von Bedeutung für den Grad der Variabilität ist.14 Sie besteht innerhalb von Individuen (Heterozygosität), zwischen Individuen innerhalb einer Population und zwischen Populationen.15 Je kleiner Populationen sind, umso häufiger gehen selten vorkommende Genvarianten (Allele) bei deren zufälliger Weitergabe an die nächste Generation (genetische Drift) wieder verloren.16 Je größer die genetische Vielfalt einer Art bzw. Population ist, umso größer ist ihre Chance, sich an veränderte Umweltbedingungen anpassen17 und einem bestehenden Selektionsdruck standhalten zu können. Die genetische Vielfalt kann insoweit als „Lebensversicherung“ einer Population bzw. Art bezeichnet werden.18 Die Vielfältigkeit natürlicher Lebensräume hat die biologische Vielfalt insoweit gefördert, als ein wichtiger Weg für die Entstehung neuer Arten die räumliche Isolation von Populationen ist, die sich im Verlauf der weiteren Evolution aufgrund der gegenüber anderen Populationen der gleichen Art unterschiedlichen Lebensbedingungen anders entwickelt.19 Die biologische Vielfalt unterlag in der Erdentwicklung erheblichen Schwankungen. Nach Schätzungen machen die heutigen Tier- und Pflanzenarten lediglich zwischen 1 % und 4 % der jemals auf der Erde existenten Arten aus.20 Anhand von Fossilienfunden lassen sich mindestens sechs relativ kurze Zeitabschnitte in der Erdentwicklung nachweisen, in denen es zu einem massenhaften Aussterben an Arten und damit auch einer erheblichen Verminderung der biologischen Vielfalt kam.21 Das gegenwärtige Massensterben von Arten, das mit einer Rate von etwa ein bis drei Arten pro Stunde verläuft,22 geht über die natürliche Hintergrundverlustrate von Arten etwa um das Tausendfache hinaus und ist insoweit – von den Massensterbeereignissen abgesehen – einzigartig.23 Von heute existierenden Arten sind etwa 1,8  Mil14  B. Baur,

Biodiversität, 2010, S. 10 f., 14. Biodiversität, 2010, S. 12, 16  B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 16. 17  B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 13 f. 18  B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 14; vorsichtiger bzgl. der diese These stützenden Erkenntnisse, Ecosystems and Human Well-Being, Biodiversity Synthesis, A Report of the Millennium Ecosystem Assessment, 2005, S. 5. 19  Hierzu sowie zum zweiten wichtigen Weg zur Entstehung neuer Arten, dem Prozess der Polyploidisierung (Vorgang der numerischen Vervielfachung von Chromosomen) E. O. Wilson, Der gegenwärtige Stand der biologischen Vielfalt, in: ders., Ende der biologischen Vielfalt?, 1992, 19 (22). 20  B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 27. 21  B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 27, 30. 22  Vgl. auch die Daten bei L. Loft, Erhalt und Finanzierung biologischer Vielfalt, 2009, S. 19. 23  B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 30; J. Rockström u. a., A safe operating space for humanity, nature (461) 2009, 472 (473 f.); Ecosystems and Human Well-Being, Biodiversity Synthesis, A Report of the Millennium Ecosystem Assessment, 2005, 3; 15  B. Baur,

52

1. Teil: Grundlagen

lionen bekannt.24 Schätzungen und Hochrechnungen, die jedoch mit großen Unsicherheiten belastet sind,25 gehen davon aus, dass die weltweite Gesamtzahl an heute existierenden Arten von Mikroorganismen, Pilzen, Pflanzen und Tieren im Bereich der Größenordnung von 10 bis 20 Millionen liegt.26 Dabei ist die Vielfalt der Arten allerdings global nicht gleich verteilt. Generalisierend kann davon ausgegangen werden, dass die Artenvielfalt von den Polen aus in Richtung der Tropen größer wird.27 Im Vergleich verschiedener Lebensräume an Land ist zudem eine Zunahme der Diversität in Richtung höher gelegener Ökosysteme gegenüber denen in Tiefländern zu verzeichnen, wobei innerhalb alpiner Zonen wiederum eine Abnahme der Vielfalt mit zunehmender Höhe auftritt.28 In aquatischen Ökosystemen liegt mit zunehmender Meerestiefe eine Abnahme des Artenreichtums vor.29 Regionen mit besonders großer Artenvielfalt, sog. Biodiversitäts-Hotspots, bedecken nur etwa 2,3 % der Erdoberfläche und sind exklusiver Lebensraum von etwa 50 % der bekannten Pflanzenarten und etwa 40 % der bekannten Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere.30 Entgegen naheliegender Vermutung weisen gerade diese Regionen eine weit überdurchschnittliche Bevölkerungsdichte mit ebenso überdurchschnittlichem Bevölkerungswachstum auf, was den Druck auf diese Lebensräume noch zunehmen lässt.31 Gerade in Südund Mittelamerika handelt es sich bei diesen Gebieten häufig auch um Siedlungs- und Lebensräume indigener Völker. vgl. auch E. O. Wilson, Der gegenwärtige Stand der biologischen Vielfalt, in: ders., Ende der biologischen Vielfalt?, 1992, 19 (29 f.); Parlamentarische Versammlung des Europarates, Empfehlung 1918 (2010), Rz. 1. 24  B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 33; in den 1980er Jahren waren es etwa 1,4 Millionen Arten, E. O. Wilson, Der gegenwärtige Stand der biologischen Vielfalt, in: ders., Ende der biologischen Vielfalt?, 1992, 19 (19). 25  Zu diesen Unsicherheiten vgl. auch B. Norton, Waren, Annehmlichkeiten und Moral – Die Grenzen der Quantifizierung bei der Bewertung biologischer Vielfalt, in: E. O. Wilson, Ende der biologischen Vielfalt, 1992, 222, (225): „Es ist glatte Hochstapelei, wenn wir dieses Maß an Unkenntnis als ‚Ungewissheit‘ bezeichnen“. 26  B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 33. 27  Vgl. L. Loft, Erhalt und Finanzierung biologischer Vielfalt, 2009, S. 17. 28  B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 51. 29  B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 51. 30  B. Baur, Biodiversität, 2010, S.  52. Mit leicht abweichenden Zahlen auch L. Loft, Erhalt und Finanzierung biologischer Vielfalt, S. 18; zu den Regenwäldern als „Zentren der Vielfalt“ E. O. Wilson, Der gegenwärtige Stand der biologischen Vielfalt, in: ders., Ende der biologischen Vielfalt?, 1992, 19 (25). 31  B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 53 f.; F. Berkes / G. P. Kofinas / F. S. III Chapin, Conservation, Community, and Livelihoods: Sustaining, Renewing, and Adapting Cultural Connections to the Land, in: F. S. III Chapin / G. P. Kofinas / C. Folke, Principles of Ecosystem Stewardship, 2009, 129 (129).



A. Biologische Vielfalt53

Lebensräume und die in ihr lebenden Tierpopulationen bilden zusammen Ökosysteme, deren Komponenten untereinander und die als solche mit anderen Ökosystemen in unterschiedlich starkem Austausch stehen und so Veränderungen unterliegen.32 Nach heutigem Verständnis auf Grundlage der Resilienztheorie besitzen Ökosysteme nicht lediglich einen stabilen Zustand, in dem sie sich „im Gleichgewicht befinden“ und zu dem sie auch nach intensiven Beeinträchtigungen letztlich immer wieder zurückkehren.33 Vielmehr ist davon auszugehen, dass ökologische Systeme in ständigem, wenn auch unterschiedlich starkem Wandel begriffen sind und in zahlreichen unterschiedlichen Zuständen stabil existieren können. Diese werden jeweils von unterschiedlichen Faktoren und Prozessen beherrscht. Werden bestimmte Schwellen durch in- oder externe Störungen des Systems überschritten, so kann eine Transformation des Systems in einen anderen – wiederum stabilen – Zustand stattfinden, der von neuen Faktoren bestimmt wird und andere Ökosystemfunktionen, Strukturen und Kopplungen aufweist.34 Wenn überhaupt möglich, verlangt die Rückkehr zu dem zuvor bestehenden Zustand vielfältige und umfangreiche Eingriffe in das Ökosystem.35 Die Fähigkeit des Ökosystems, Beeinträchtigungen in einem bestimmten Maß zu absorbieren und die seinen Zustand kennzeichnenden grundlegenden Funktionen und Strukturen dennoch beizubehalten wird als Resilienz des Ökosystems verstanden.36 Diese wird von der Artenvielfalt eines Ökosystems positiv beeinflusst. Unklar ist aber, ab welchem Rückgang der Biodiversität die Resilienz von Ökosystemen signifikant schwindet.37 Der neue Zustand wirkt auf die Populationen innerhalb des Ökosystems zurück, zwingt diese sich anzupassen oder das Ökosystem zu verlassen. Andere Populationen können nun für sie positivere Bedingungen in neu entstandenen ökologischen Nischen vorfinden und sich besser entfalten. Die Qualifizierung des neuen Zustandes als besser oder schlechter ist vollständig abhängig von der Einnahme der Per­ spektive einer bestimmten Art.38 32  Vgl.

auch die Definition des Begriffs „Ökosystem“ in Art. 2 CBD. noch das Verständnis der Ökosystemtheorie in den 1960ern, vgl. C. Folke, Resilience: The emergence of a perspective for social-ecological systems analyses, Global Environmental Change 2006, 253 (253 f.) sowie C. S. Holling, Resilience and stability of ecological systems, Annual Review of Ecology and Systematics, 4 (1973), 1 (1). 34  B. Walker / D. Salt, Resilience Practice, 2012, S. 3 ff. 35  B. Walker / D. Salt, Resilience Practice, 2012, S. 7. 36  B. Walker / D. Salt, Resilience Thinking, 2006, S. 1. 37  J. Rockström u. a., A safe operating space for humanity, nature (461) 2009, 472 (474), hierzu auch J. Ebbesson, Planetary Boundaries and the Matching of Interna­ tional Treaty Regimes, Scandinavian Studies in Law 59 (2014), 260 (274). 38  Es handelt sich danach nicht um eine rein objektive, sondern vor allen Dingen eine normative Bewertung. Vgl. zu entsprechender Kritik an der Übertragung der 33  So

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1. Teil: Grundlagen

II. Bedeutung und Wert biologischer Vielfalt Die heute (noch) existierende biologische Vielfalt bildet die Basis auch der menschlichen globalen Gesellschaft.39 Sie ist damit ein den Zustand der Menschheit bestimmender Faktor.40 Ihr weitgehender Verlust, so wird vemutet, würde in seinen Folgen einem nuklearen Winter gleichkommen41 und könnte dazu beitragen, dass das Ökosystem Erde den Zustand verlässt, der für die geologische Epoche des Holozän kennzeichnend ist und in dem die Menschheit sich in den letzten 10.000 Jahren entwickeln konnte.42 Die Bedeutung biologischer Vielfalt für die Menschheit erschließt sich am klarsten anhand des Konzepts der Ökosystemdienstleistungen (1.). Ökonomische (2.) und ethische (3.) Betrachtungen stellen weitere wichtige, einander ergänzende Perspektiven auf den Wert biologischer Vielfalt dar. 1. Die Ökosystemdienstleistungen Das Konzept der Ökosystemdienstleistung veranschaulicht von einer anthropozentrischen Perspektive aus den Wert biologischer Vielfalt für die Mensch­heit.43 Der Begriff bezeichnet die „Wertströme, die der Gesellschaft aufgrund von Qualität und Quantität des Naturkapitals zufließen.“44 Die zunaturwissenschaftlichen Resilienztheorie auf sozio-ökologische Zusammenhänge ohne hinreichende Reflexion der normativen Elemente dieser Übertragung K. Brown, Global environmental change I: A social turn for resilience?, Progress in Human Geography 38 (2014), 107 (109 f.). 39  P. R. Ehrlich, Der Verlust der Vielfalt, in: E. O. Wilson, Ende der biologischen Vielfalt?, 1992, 39 (39); Naturkapital Deutschland – TEEB DE, S. Marzelli u. a., Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft – Eine Einführung, 2012, S. 9. 40  Ecosystems and Human Well-Being, Biodiversity Synthesis, A Report of the Millennium Ecosystem Assessment, 2005, S. 1; vgl. Parlamentarische Versammlung des Europarates, Empfehlung 1918 (2010), Rz. 3. 41  P. R. Ehrlich, Der Verlust der Vielfalt, in: E. O. Wilson, Ende der biologischen Vielfalt?, 1992, 39 (40). 42  Aufbauend auf dem Konzept der „planetary boundaries“ wird nach J. Rockström u. a., A safe operating space for humanity, nature (461) 2009, 472 (472 ff.) die gerade noch für das Ökosystem Erde insoweit verträgliche Verlustrate an biologischer Vielfalt als eine „planetare Grenze“ derzeit wahrscheinlich um mehr als das Zehnfache überschritten. Vgl. hierzu auch J. Ebbesson, Planetary Boundaries and the Matching of International Treaty Regimes, Scandinavian Studies in Law 59 (2014), 260 (260 ff.). 43  Die wesentliche Ausarbeitung und Verbreitung dieses Konzepts geschah im Rahmen des Millenium Ecosystem Assessment 2005; vgl. auch L. Loft, Erhalt und Finanzierung biologischer Vielfalt, 2009, S. 11; Naturkapital Deutschland  – TEEB DE, S. Marzelli u. a., Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft – Eine Einführung, 2012, Kapitel 2, S. 41.



A. Biologische Vielfalt55

nächst wertneutralen Funktionen von Ökosystemen lassen sich aus dieser Perspektive in verschiedene Gruppen von dem Menschen nützlichen „Ökosystem-Dienstleistungen“ unterteilen.45 „Unterstützende Dienstleistungen“, auch als Basisleistungen bezeichnet,46 wie die Produktion von Biomasse und die damit einhergehende Erzeugung und Aufrechterhaltung von Kohlenstoffund Stickstoffkreisläufen, der Wasserkreislauf und die Bodenbildung sind Grundlage für alles Leben auf der Erde.47 „Bereitstellende Dienstleistungen“ umfassen bspw. die Produktion von Nahrung, die Bereitstellung sauberer Luft und Wasser, von Heilpflanzen, Baustoffen und Naturfasern, von Papier und Brennholz.48 Zu den „regulierenden Dienstleistungen“ als weitere Gruppe gehören bspw. die Klimaregulation, die Bestäubung von Blütenpflanzen durch Insekten, die Selbstreinigung von Ökosystemen sowie die Abdämpfung von Umweltkatastrophen wie Überschwemmungen oder Schädlingsausbrüchen.49 Neben diesen Funktionen mit unmittelbar „greifbarem Wert“ für den Menschen hat die biologische Vielfalt für ihn nicht zuletzt auch eine außerordentliche kulturelle Bedeutung. Sie ist Grundlage zahlreicher religiöser und spiritueller Riten, bietet Möglichkeiten zur Bildung und Freizeitgestaltung und spendet Erholung.50 Die Ökosystemfunktionen, die Ökosytem-Dienstleistungen hervorbringen, werden in zeitlicher Hinsicht umso stabiler, je mehr Arten vorhanden sind, da artenreiche Systeme besser in der Lage sind, Umweltveränderungen ohne Funktionsverlust zu widerstehen, d. h. eine höhere Resilienz aufwei44  TEEB, P. Sukhdev u. a., Die ökonomische Bedeutung der Natur in Entscheidungsprozesse integrieren – Ansatz Schlussfolgerungen und Empfehlungen von TEEB – Eine Synthese, 2010, S. 9. 45  Vgl. Ecosystems and Human Well-Being, Biodiversity Synthesis, A Report of the Millennium Ecosystem Assessment, 2005, S. 1 sowie Box  1.1., S. 19; B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 59. Für einen Überblick wichtiger Ökosystemleistungen spe­ ziell in Deutschland vgl. Naturkapital Deutschland – TEEB DE, S. Marzelli u. a., Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft – Eine Einführung, 2012, Kapitel 2, S. 22 ff.; A. Endres / R. Bertram, Nachhaltigkeit und Biodiversität, in: M. Führ / R. Wahl /  P. v. Wilmowsky, Umweltrecht und Umweltwissenschaft, FS für Eckard Rehbinder, 2007, 165 (171 f.). 46  Naturkapital Deutschland – TEEB DE, S. Marzelli u. a., Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft – Eine Einführung, 2012, Kapitel 2, S. 23. 47  Vgl. B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 59. 48  Vgl. B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 59. 49  Zu der Gefährdung dieser Ökosystemdienstleistungen auch P. R. Ehrlich, Der Verlust der Vielfalt, in: E. O. Wilson, Ende der biologischen Vielfalt?, 1992, 39 (42). 50  B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 59 sowie 59 ff. mit zahlreichen weiteren Beispielen. Zum sog. Annehmlichkeitswert auch B. Norton, Waren, Annehmlichkeiten und Moral – Die Grenzen der Quantifizierung bei der Bewertung biologischer Vielfalt, in: E. O. Wilson, Ende der biologischen Vielfalt, 1992, 222 (223).

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1. Teil: Grundlagen

sen.51 Existieren verschiedene Arten, denen innerhalb eines Systems die gleiche Funktion zukommt, so zeigt sich der Wert dieser Vielfalt dann, wenn Veränderungen des Ökosystems zum Wegfall einer der Arten führen und die Ökosystemfunktion durch die weiterhin vorhandene Art dennoch aufrecht erhalten werden kann.52 Ökosysteme, die lediglich von einzelnen oder wenigen Arten in ihren Funktionen abhängig sind, sind dagegen gefährdet, im Falle von Beeinträchtigungen in einen „unerwünschten“ Zustand überzugehen.53 Zwischen der Artenvielfalt eines Ökosystems und seiner „Produktivität“ lässt sich regelmäßig ein positiver Zusammenhang ­ nachweisen.54 Einzelne Ökosystem-Dienstleistungen lassen sich in der Regel nicht beliebig stark anreizen und ausnutzen, ohne dass dies auf Kosten anderer Systemfunktionen geschieht, die ihrerseits die Grundlage von Dienstleistungen für den Menschen bilden.55 Beispielhaft seien hier die enormen Ertragssteigerungen im Bereich der modernen Landwirtschaft angeführt, die (jedenfalls vorübergehend) durch veränderte Anbau- und Erntemethoden und insbesondere durch den intensiven Einsatz moderner Kunstdünger zu einer stark verbesserten Produktion von Nahrung durch Ökosysteme geführt haben. Die mit diesen Prozessen ebenfalls einhergehende starke Verminderung biologischer Vielfalt auf den intensiv landwirtschaftlich genutzten Flächen führt aber auch bspw. zu regelmäßigen Schädlingsausbrüchen, die mit Pestiziden begrenzt werden müssen, zu einer Verminderung der natürlichen Bodenfruchtbarkeit durch bestimmte Stoffkonzentrationen und die Begünstigung von Erosionsschäden durch die Zerstörung von Hecken und anderen Randstrukturen.56 Damit verbunden ist außerdem vielfach eine Verminderung des Hochwasserschutzes, wo Flächen durch Rodungen von Wäldern gewonnen wurden. Andere Beispiele sind die intensive künstliche Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen mithilfe von Grundwasser, die Überfischung bestimmter Arten oder die nicht nachhaltige Gewinnung von Holz. Gemeinsam ist diesen Prozessen, dass sie zwar einerseits zur Verbesserung der Ausnutzung von für den Men51  L. Loft, Erhalt und Finanzierung biologischer Vielfalt, 2009 S. 15, der auch auf die Schwierigkeiten des empirischen Nachweises dieser These verweist. 52  B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 65. 53  J. Rockström u. a., A safe operating space for humanity, nature (461) 2009, 472 (474). 54  B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 67. Zum umgekehrten Zusammenhang zwischen der Abnahme der Artenvielfalt und der „Produktivität“, S. 68. 55  B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 68 f.; C. Folke, Resilience: The emergence of a perspective for social-ecological systems-analyses, Global Environmental Change, 2006, 253 (254); Naturkapital Deutschland  – TEEB DE, S. Marzelli u. a., Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft – Eine Einführung, 2012, Kapitel 2, S. 24 f. 56  Naturkapital Deutschland – TEEB DE, S. Marzelli u. a., Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft – Eine Einführung, 2012, Kapitel 2, S. 25.



A. Biologische Vielfalt57

schen wichtigen Ökosystem-Funktionen führen, andererseits aber andere wichtige Ökosystem-Funktionen dadurch aufgehoben werden. 2. Der ökonomische Wert biologischer Vielfalt Es gibt zahlreiche Versuche,57 den ökonomischen Wert biologischer Vielfalt zu beziffern. Vorrangiger Zweck dieser Ansätze ist es, dem Schutz biologischer Vielfalt bei politischen Entscheidungen und den hierbei häufig mit ökonomischen Argumenten geführten Diskussionen ein größeres Gewicht zu verleihen.58 Die negative Veränderung von Ökosystemleistungen findet bei Handlungsentscheidungen von Politik, Verwaltung, Unternehmen und auch Konsumenten bislang auch deshalb häufig keine ausreichende Berücksichtigung, da sie sich nicht unmittelbar auf Bilanzen von Einnahmen und Ausgaben von Unternehmen und hierüber bei deren Angestellten auswirken, sondern ihre negative Wirkung erst mittelbar sichtbar wird59 und vielfach nicht beim Verursacher, sondern bei anderen Akteuren auftritt.60 Die Bewusstmachung des ökonomischen Wertes biologischer Vielfalt und seine stärkere Berücksichtigung durch politische Entscheidungsträger soll langfristig dazu führen, dass der rechtliche Rahmen von Märkten auf eine Weise umgestaltet wird, dass Anreize für Akteure entstehen, Beeinträchtigungen biologischer Vielfalt zu vermeiden.61 Nicht zuletzt soll durch die Erfassung des ökonomi57  Beispielhaft sei hier das von der deutschen Bundesregierung angestoßene TEEB (The Economics of Ecosystems and Biodiversity)-Projekt genannt, das im Projekt „Naturkapital Deutschland“ nun eine nationale Fortsetzung findet; vgl. zu solcherlei Unternehmungen auch A. Endres / R. Bertram, Nachhaltigkeit und Biodiversität, in: M. Führ / R. Wahl / P.  v. Wilmowsky, Umweltrecht und Umweltwissenschaft, FS für Eckard Rehbinder, 2007, 165 (177). 58  TEEB, P. Sukhdev u. a., Die ökonomische Bedeutung der Natur in Entscheidungsprozesse integrieren – Ansatz Schlussfolgerungen und Empfehlungen von TEEB  – Eine Synthese, 2010, S. 15 sowie S. 16 und 19 f. dazu, dass die Integration ökonomischer Bewertungen in Entscheidungsprozesse freilich ein weiterer, von der eigentlichen Bewertung biologischer Vielfalt getrennter Schritt ist; Naturkapital Deutschland – TEEB DE, S. Marzelli u. a., Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft  – Eine Einführung, 2012, S. 14 f., 41, sowie 62 f. mit anschaulichem Beispiel; K. Mertens / A. Cliquet / B. Vanheusden, Ecosystem Services. What’s in it for a lawyer?, European Energy and Environmental Law Review 2012, 31 (31, 35, 40); B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 75; Parlamentarische Versammlung des Europarates, Empfehlung 1918 (2010), Rz. 14.1. 59  Naturkapital Deutschland – TEEB DE, S. Marzelli u. a., Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft – Eine Einführung, 2012, S. 43. 60  TEEB, P. Sukhdev u. a., Die ökonomische Bedeutung der Natur in Entscheidungsprozesse integrieren – Ansatz Schlussfolgerungen und Empfehlungen von TEEB – Eine Synthese, 2010, S. 11 f. 61  Als notwendige Schritte sehen TEEB, P.  Sukhdev u. a., Die ökonomische Bedeutung der Natur in Entscheidungsprozesse integrieren – Ansatz Schlussfolgerun-

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1. Teil: Grundlagen

schen Wertes biologischer Vielfalt auch die Grundlage für eine Finanzierung ihres Schutzes durch Marktmechanismen – in Ergänzung zu fondsgestützer Finanzierung – gelegt werden.62 Wegen der Schwierigkeiten bei der Bezifferung des Wertes biologischer Vielfalt lassen sich anhand der vorgenommenen Schätzungen häufig nur Größenordnungen, nicht aber konkrete Werte einzelner Systemleistungen angeben.63 Neben einem direkten Wert von Ökosystemdienstleistungen und Arten, der insbesondere aus ihrer Ressourceneigenschaft erwächst,64 lässt sich – kategorial hiervon verschieden – ein Optionswert schätzen, d. h. ein Wert, der in der Möglichkeit künftiger, heute noch unbekannter Nutzungen besteht.65 Da­ rüber hinaus kann auch ein Existenzwert sowie ein Vermächtniswert biologischer Vielfalt begründet werden, der zum Gesamtwert biologischer Vielfalt zu rechnen ist.66 In konkreten Zahlen bedeutet dies, dass etwa die Erhaltung von Wäldern durch eine Halbierung der Entwaldungsrate bis 2030 durch Treibhausgasemissionen bedingte Schäden in Höhe von 3,7 Billionen US Dollar vermeiden könnte. Mithilfe einer nachhaltig betriebenen Fischerei könnten im Vergleich mit der heute praktizierten Überfischung weiter Teile der befischbaren Bestände Mehrerlöse von jährlich 50 Milliarden US Dollar erzielt werden. Schätzungen beziffern den ökonomischen Gesamtwert der Bestäubungsleistung durch Insekten auf ca. 153 Milliarden US Dollar pro Jahr, was ca. 9,5 % gen und Empfehlungen von TEEB – Eine Synthese, 2010, S. 16, „die Einführung von Zahlungen für Ökosystemdienstleistungen, die Reform umweltschädlicher Subventionen, Steuererleichterungen für Erhaltungsmaßnahmen oder die Schaffung neuer Märkte für nachhaltig erzeugte Güter und Ökosystemleistungen“ sowie eine geeignete Zuordnung von Rechten unterschiedlicher gesellschaftlicher Akteure bei der Nutzung natürlicher Ressourcen und ein klares Haftungsregime bei Umweltschäden. 62  BUNDhintergrund, Stand: August 2010, S. 5, abgerufen auf: www.bund.net / nc /  publikationen am 28.08.2015 – nicht länger abrufbar. 63  B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 75; zu den verschiedenen ökonomischen Methoden vgl. Naturkapital Deutschland – TEEB DE, S. Marzelli u. a., Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft – Eine Einführung, 2012, Infobox 20, S. 57 ff. 64  Ein weiteres Beispiel für den direkten ökonomischen Nutzen biologischer Vielfalt ist auch die Vorbildfunktion vieler ihrer Bestandteile für zahlreiche, insbesondere technische und medizinische Entwicklungen, vgl. B.  Baur, Biodiversität, 2010, S. 69. 65  Ecosystems and Human Well-Being, Biodiversity Synthesis, A Report of the Millennium Ecosystem Assessment, 2005, S. 6. Zu den hierbei bestehenden Schwierigkeiten B. Norton, Waren, Annehmlichkeiten und Moral – Die Grenzen der Quantifizierung bei der Bewertung biologischer Vielfalt, in: E. O. Wilson, Ende der biologischen Vielfalt, 1992, 222, (224 f.). 66  B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 71 ff.



A. Biologische Vielfalt

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des globalen landwirtschaftlichen Ertrags im Jahr 2005 entspricht.67 Jährliche weltweite finanzielle Schäden in Folge von Hochwasserereignissen in Höhe von ca. 36 Milliarden Euro verdeutlichen den ökonomischen Wert des Hochwasserschutzes, der durch Wälder, Moore und andere Feuchtgebiete bereitgestellt wird.68 Auch in Deutschland kommt den Versorgungsleistungen biologischer Vielfalt eine große wirtschaftliche Bedeutung zu. So wurden zwischen 2002 und 2008 durchschnittlich 70,5 Millionen m³ Holz in heimischen Wäldern eingeschlagen. Das holzverarbeitende Gewerbe hat einen Anteil von 3,4 % an der Bruttowertschöpfung in Deutschland. Auf etwa 2,28  Millionen Hektar wurden im Jahr 2011 Energiepflanzen angebaut. Pro Kopf wurden in Deutschland 2010 ca. 15,7 Kilogramm Fisch verzehrt. Nach der Berechnungsmethode des Konzepts des ökologischen Fußabdrucks verbraucht Deutschland etwa das 2,7-fache dessen, was den in Deutschland lebenden Menschen pro Jahr an natürlichen Ressourcen zur Verfügung steht.69 Kritiker solcher ökonomischen Bewertungsansätze weisen darauf hin, dass sich mit diesen Methoden allerdings nicht ein Schutz aller Bestandteile biologischer Vielfalt begründen lässt. Die Ansätze weisen danach eine Konzentration auf die Betrachtung derjenigen Bestandteile biologischer Vielfalt auf, die dem Menschen erkennbar wichtige Ökosystemleistungen erbringen. Während jedoch bereitstellende Ökosystemdienstleistungen relativ gut zu erfassen sind, ist die Bezifferung des ökonomischen Wertes im Falle der übrigen Typen an Dienstleistungen schwieriger möglich und vielfach umstritten.70 Auch ist das Konzept der Ökosystemdienstleistungen, an dem Ansätze zur Monetarisierung vielfach anknüpfen, nicht mit dem der biologischen Vielfalt identisch. Wird der Schutz allein auf die Dienstleistungen ausgerichtet, so geschieht dies dort zum Nachteil biologischer Vielfalt, wo es – wie bspw. bei der Kohlenstofffixierung – für die Dienstleistung nicht auf die Vielfalt, sondern nur auf die Menge an Biomasse ankommt.71 Die Methoden ökonomischer Bewertung biologischer Vielfalt sollen zudem die 67  Alle Beispiele sind entnommen aus TEEB, P. Sukhdev u. a., Die ökonomische Bedeutung der Natur in Entscheidungsprozesse integrieren – Ansatz Schlussfolgerungen und Empfehlungen von TEEB – Eine Synthese, 2010, Kasten 1, S. 10. 68  Naturkapital Deutschland – TEEB DE, S. Marzelli u. a., Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft – Eine Einführung, 2012, Kapitel 2, S. 32 f. 69  Naturkapital Deutschland – TEEB DE, S. Marzelli u. a., Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft – Eine Einführung, 2012, Kapitel 2, S. 30. 70  Ecosystems and Human Well-Being, Biodiversity Synthesis, A Report of the Millennium Ecosystem Assessment, 2005, S. 7. Zur Schwierigkeit der Bewertung von Basisdienstleistungen vgl. Naturkapital Deutschland – TEEB DE, S. Marzelli u. a., Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft – Eine Einführung, 2012, Kapitel 2, S. 41. 71  Kritisch deshalb gegenüber dem Ansatz aufgrund seiner Fixierung auf Ökosystem-Dienstleistungen BUND, TEEB – The Economics of Ecosystems and Biodiver-

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1. Teil: Grundlagen

Ungleichverteilung von Vor- und Nachteilen für verschiedene soziale Gruppen häufig nur unzureichend abbilden, da sich gerade für die unverhältnismäßig stark belasteten ökonomisch verarmten Gruppen mangels ökonomischer Leistungsfähigkeit nur schwer ein Wert für die gerade für sie wichtigen lokalen Systemleistungen ermitteln lässt.72 Zudem muss festgestellt werden, dass die ökonomische Abbildbarkeit des Wertes von ÖkosystemDienstleistungen in der Praxis von Wirtschaftssystemen heute noch vielfach keine Berücksichtigung findet.73 Gerade die Kosten der Zerstörung biologischer Vielfalt werden in vielen Fällen ökonomischer Betrachtung, in Staatsbudgets und Bruttoinlandsprodukten74 oder bei der Preisbildung von Waren und Dienstleistungen nicht oder nicht vollständig erfasst.75 Ökonomische Betrachtungen haben häufig einen zu geringen Zeithorizont, um langfristige Veränderungen in Ökosystemen sachgerecht zu erfassen. Daraus wird abgeleitet, dass ökonomische Betrachtungen – zumindest beim heutigen Stand ihrer Umsetzung in Entscheidungsprozessen – allein nicht geeignet sind, den Schutz aller Bestandteile biologischer Vielfalt zu begründen.76 Der Wert ökonomischer Betrachtungen als Beitrag zur Steigerung der Wertschätzung biologischer Vielfalt in Entscheidungsprozessen wird dadurch zwar relativiert, nicht aber aufgehoben. Werden solche Betrachtungen in konkrete Instrumente umgesetzt, ist zudem zu beachten, dass der Einsatz von Marktmechanismen zur Generierung von Geldaufkommen sehr viel stärker von den Schwankungen internationaler Märkte abhängig ist, sodass die Kontinuität marktbasierter Finanzierung nicht dauerhaft sichergestellt

sity, BUNDhintergrund, Stand: August 2010, S. 6, abgerufen auf: www.bund. net / nc / publikationen am 28.08.2015 – nicht länger abrufbar. 72  Ecosystems and Human Well-Being, Biodiversity Synthesis, A Report of the Millennium Ecosystem Assessment, 2005, S. 6. Zwar mag die Öknonomik zur Abbildung dieses Wertes durchaus in der Lage sein, vgl. Naturkapital Deutschland – TEEB DE, S. Marzelli u. a., Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft – Eine Einführung, 2012, S. 52, Infobox  18, in der sozialen Realität findet diese sich nicht auf einen Tauschwert stützende Wertschätzung dennoch keine Berücksichtigung in politischen Entscheidungen. 73  Naturkapital Deutschland – TEEB DE, S. Marzelli u. a., Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft – Eine Einführung, 2012, S. 55. 74  Naturkapital Deutschland – TEEB DE, S. Marzelli u. a., Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft – Eine Einführung, 2012, S. 46 zur Kritik an der mangelhaften Aussagekraft des BIP. 75  Ecosystems and Human Well-Being, Biodiversity Synthesis, A Report of the Millennium Ecosystem Assessment, 2005, S. 6. 76  So auch Naturkapital Deutschland – TEEB DE, S. Marzelli u. a., Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft – Eine Einführung, 2012, S. 53 sowie Ecosystems and Human Well-Being, Biodiversity Synthesis, A Report of the Millennium Ecosystem Assessment, 2005, S. 7 f.



A. Biologische Vielfalt61

werden kann.77 Auch dieser berechtigte Einwand spricht aber nicht gegen den Einsatz solcher Instrumente per se, sondern nur gegen deren alleinige Verwendung ohne die Ergänzung durch bspw. fondsbasierte Finanzierungsmechnismen.78 3. Der ethische Wert biologischer Vielfalt Neben den global vorherrschenden anthropozentrischen Betrachtungsweisen79 haben sich in der Ethik verschiedene Strömungen entwickelt,80 mit deren Hilfe sich Gründe auch für den Schutz solcher Bestandteile biologischer Vielfalt geben lassen, denen ein unmittelbarer Wert für den Menschen (nach heutigem Kenntnisstand) nicht zukommt.81 Sie begründen einen Eigenbzw. Selbstwert der Natur,82 den ökonomische Betrachtungen auf der Basis eines anthropozentrischen Umweltverständnisses nicht zu erfassen in der Lage sind. Auch die Konvention über die biologische Vielfalt hat an den Beginn ihrer Präambel die Anerkennung des „intrinsischen Wertes“ biologischer Vielfalt gestellt, den sie neben deren ökologischem, genetischem, sozi-

77  BUNDhintergrund, Stand: August 2010, S.  6, abgerufen auf: www.bund. net / nc / publikationen, am 28.08.2015 – nicht länger abrufbar. 78  Vgl. zu den nicht marktgestützten Finanzierungsmechanismen der Rio-Konventionen zum Schutz biologischer Vielfalt L. Loft, Erhalt und Finanzierung biologischer Vielfalt, 2009, S. 51 ff. 79  S. Eichhorn, Naturwissenschaftliche Erkenntnisse und die moralische Bewertung der lebendigen Natur, in: J. Friedrich / A. Halsband / L. Minkmar, Biodiversität und Gesellschaft, 2013, 17 (18, Fn. 2). 80  Ein Überblick zu den einzelnen nichtanthroporelationalen Begründungsansätzen findet sich bei D. v. d. Pforten, Ökologische Ethik: zur Rechtfertigung menschlichen Verhaltens gegenüber der Natur, 1996, 102 f.; kritisch zu diesen Ansätzen und im Ergebnis ablehnend M. Heidrich, Rechtsphilosophische Grundlagen des Ressourcenschutzes, 2004, S. 79 ff., 106; zur Diskussion (auch) im Rahmen der Rechtswissenschaften siehe überdies die Beiträge in J. Nida-Rümelin / D. v. d. Pforten, Ökologische Ethik und Rechtstheorie, 2. Aufl. 2002. 81  Dabei unterscheiden sich allerdings auch die nicht-anthroporelationalen Begründungsansätze erheblich. Während nach manchen Konzeptionen lediglich auf „emp­ findungsfähige Wesen“ Rücksicht genommen werden müsse, verlangen andere Konzeptionen dies auch für Pflanzen und Ökosysteme. Siehe hierzu überblicksartig J. Nida-Rümelin / D. v. d. Pforten, Einführung: Auf dem Weg zu einer ökologischen Rechtstheorie, 9 (12), in: dies., Ökologische Ethik und Rechtstheorie, 2. Aufl. 2002, 9 (12). 82  Zur Unterscheidung des von menschlicher Zuschreibung abhängigen Eigenwerts von Arten einerseits und der Anerkennung ihres Selbstwerts andererseits siehe S. Eichhorn, Naturwissenschaftliche Erkenntnisse und die moralische Bewertung der lebendigen Natur, in: J. Friedrich / A. Halsband / L. Minkmar, Biodiversität und Gesellschaft, 2013, 17 (18).

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1. Teil: Grundlagen

alem, ökonomischem, wissenschaftlichem,83 edukatorischem, kulturellem, der Erholung dienendem sowie ästhetischem Wert für den Menschen anerkennt.84 Im Rahmen der hier untersuchten subjektiv-rechtlichen Ansätze wird auch zu prüfen sein, in welchem Verhältnis diese zu den außerrechtlichen normativen Bewertungen der ethischen Wissenschaften stehen. Eine abstrakte Auseinandersetzung mit ihnen soll hier aber unterbleiben.

III. Ursachen des Verlusts biologischer Vielfalt Die Ursachen für den rapiden Verlust biologischer Vielfalt sind mannigfaltig. In seinem Ausmaß wird er nahezu vollständig menschlichen Aktivitäten zugeschrieben.85 Bemühungen im Rahmen der CBD zur Reduktion des Verlusts biologischer Vielfalt durch die Ausgabe der sog. „2010-Ziele“86 und deren Bestätigung als Teil der „United Nations Millennium Development 83  Vgl. zum Aspekt des wissenschaftlichen Wertes biologischer Vielfalt die bedenkenswerte Beobachtung bei S. Eichhorn, Naturwissenschaftliche Erkenntnisse und die moralische Bewertung der lebendigen Natur, in: J. Friedrich / A. Halsband /  L. Minkmar, Biodiversität und Gesellschaft, 2013, 17 (29 f.), dass die Menschheit offenbar einen „kulturell selektiven Anwendungsfilter“ besitzt, der sie zwar in die Lage versetzt Erkenntnisse der Naturwissenschaften über die biologische Vielfalt in technische Innovationen umzusetzen, es ihr aber zugleich erlaubt, sich der naturwissenschaft­lichen Erkenntnisse über das Wesen der menschlichen und außermenschlichen Natur weitgehend zu verschließen. 84  Siehe Präambel CBD, 2. Absatz. 85  B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 30; Ecosystems and Human Well-Being, Biodiversity Synthesis, A Report of the Millennium Ecosystem Assessment, 2005, S. 2, 8; S. Schlacke, Das Übereinkommen über biologische Vielfalt: Steuerungskraft und Perspektiven, AVR 54 (2016), 524 (525). Der Grad, mit dem menschliches Handeln mittlerweile das gesamte Ökosystem Erde beeinflusst und prägt, spiegelt sich am deutlichsten in der Diskussion um das Konzept des Anthropozän wider, in dem der menschliche Einfluss auf die Erde als bestimmender Faktor einer gegenwärtigen geologischen Epoche betrachtet wird. Vgl. zu Begriff und Konzept des Anthropozän J. Kersten, Das Anthropozän-Konzept, S. 15 ff.; J. Rockström u. a., A safe operating space for humanity, nature (461) 2009, 472 (474); Parlamentarische Versammlung des Europarates, Empfehlung 1918 (2010), Rz. 2; J. Ebbesson, Planetary Boundaries and the Matching of International Treaty Regimes, Scandinavian Studies in Law 59 (2014), 260 (261 f.); A. Endres / R. Bertram, Nachhaltigkeit und Biodiversität, in: M. Führ / R. Wahl / P.  v. Wilmowsky, Umweltrecht und Umweltwissenschaft, FS für Eckard Rehbinder, 2007, 165 (174) sowie zuletzt die Beiträge in der Zeitschrift für Umweltrecht (ZUR), Ausgabe 5 / 2017 von W. Köck (257 ff.), R. Leinfelder (259 ff.) und G. Winter (267 ff.). 86  Diese wurden durch die Entscheidung VI / 26 während COP 6 vom 7.–19. April 2002 in Den Haag durch die Vertragsstaaten der CBD als „Strategic Plan for the Convention on Biological Diversity“ beschlossen. Auf der Konferenz von Nagoya wurde 2010 durch COP Entscheidung X / 2 ein weiterer strategischer Plan einschließlich der sog. „Aichi Biodiversity Targets“ für die Jahre 2011–2020 verabschiedet.



A. Biologische Vielfalt63

Goals“87 auf dem „Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung“ 2002 in Johannesburg hatten bislang insgesamt keinen Erfolg. Im Gegenteil zeigen die Indikatoren global eine weitere Zunahme des Drucks auf die Biodiversität an.88 Im Folgenden werden mit dem Verlust und der Verschmutzung natürlicher Lebensräume (1. und 2.), der übermäßigen Ausbeutung natürlicher Ressourcen (3.), der Einfuhr gebietsfremder invasiver Arten (4.) und dem Klimawandel (5.) die wichtigsten direkten Treiber des Verlustes biologischer Vielfalt vorgestellt.89 Bei den sozio-ökonomischen Ursachen (6.) und dem Mangel an sowie dem fehlerhaften Einsatz von ökologischem Wissen (7.) handelt es sich dagegen um indirekte Treiber für den Verlust von Biodiversität, d. h. Faktoren, deren Einfluss diffuser ist und die ihrerseits eine Mehrzahl an direkten Treibern beeinflussen.90 In den seltensten Fällen lässt sich der Verlust biologischer Vielfalt auf nur eine Ursache zurückführen, vielmehr tritt dieser regelmäßig aufgrund einer Vielzahl miteinander verknüpfter Faktoren ein, die über verschiedene Zeithorizonte und unterschiedliche räumliche und politisch-organisatorische Ebenen hinweg interagieren.91 1. Verlust natürlicher Lebensräume Zu den Hauptursachen des Verlusts an Biodiversität gehören die Zerstörung und Veränderung, insbesondere die Fragmentierung von natürlichen Lebensräumen.92 Davon betroffen sind gerade auch die noch verbleibenden 87  Das Ziel der signifikanten Reduktion des Verlusts an Biodiversität bis zum Jahr 2010 wurde als Unterziel 7.B. zu Ziel 7, der Sicherung einer nachhaltigen Umwelt, aufgenommen. 88  Nach S. H. M. Butchart u. a., Global Biodiversity: Indicators of Recent De­ clines, Science (328) 2010, 1164 (1164 f., 1168) ist es deshalb sehr unwahrscheinlich, dass die 2010-Ziele erreicht wurden; messbarer Erfolg fand sich lediglich auf lokaler Ebene, nicht aber eine weltweite Abnahme der Verlustrate, vgl. dies., Science (328) 2010, 1164 (1167, Table 2). 89  Ecosystems and Human Well-Being, Biodiversity Synthesis, A Report of the Millennium Ecosystem Assessment, 2005, S. 47. Zu den Ursachen des Artenschwundes in Deutschland siehe BfN, Artenschutz-Report, 2015 – Tiere und Pflanzen in Deutschland, S.  21 f. 90  In diesem Sinne auch Ecosystems and Human Well-Being, Biodiversity Synthesis, A Report of the Millennium Ecosystem Assessment, 2005, S. 47. 91  Ecosystems and Human Well-Being, Biodiversity Synthesis, A Report of the Millennium Ecosystem Assessment, 2005, S. 47; zu den hieraus resultierenden Herausforderungen für Politiken zum Schutz biologischer Vielfalt A. Underdal, Complexity and challenges of long-term environmental governance, Global Environmental Change 20 (2010), 386 (386 f.). 92  J. Rockström u. a., A safe operating space for humanity, nature (461) 2009, 472 (474); P. R. Ehrlich, Der Verlust der Vielfalt, in: E. O. Wilson, Ende der biologischen Vielfalt?, 1992, 39 (39); L. Loft, Erhalt und Finanzierung biologischer Vielfalt, S. 20

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1. Teil: Grundlagen

sog. „Hotspots“ biologischer Vielfalt wie der tropische Regenwald und die Korallenriffe in den Küstengewässern der Ozeane.93 Relevante Treiber dieser Entwicklung sind insbesondere die Gewinnung von landwirtschaftlich nutzbaren, d. h. insbesondere auch maschienengerecht nutzbaren Flächen, wozu in vielen Gegenden der Welt riesige Primärwälder und Waldgebiete gerodet werden.94 Innerhalb von 30 Jahren wurde seit 1950 auf diese Weise mehr Ackerfläche durch Landumwandlung gewonnen als zwischen 1700 und 1850.95 Diese Prozesse führten zwar zur Steigerung der Versorgung der wachsenden Weltbevölkerung mit Getreiden, Früchten und Fleisch. Mit der Umwandlung von Grasland und der Abholzung tropischer Wälder für die Gewinnung landwirtschaftlicher Flächen, die heute etwa ein Viertel der Erde bedecken, sind zugleich aber auch die durch die ursprünglichen Ökosysteme zur Verfügung gestellten Ökosystemdienstleistungen nahezu vollständig verloren gegangen.96 Weitere Gründe für die Zerstörung natürlicher Lebensräume sind die Ausdehnung von Industrie- und Siedlungsgebieten, der Bau linienförmiger Infrastrukturen wie Straßen, Eisenbahnen oder Stromtrassen, die eine Zerschneidung der Landschaften bewirken,97 und auch der Bau von Infrastrukturen an Flüssen, insbesondere von Dämmen.98 So hat die Speicherung von Wasser mittels künstlicher Staudämme stark zugenommen und nicht nur zu einer starken Zerschneidung der Flusslebensräume geführt, sondern auch dazu, dass heute etwa die drei- bis sechsm.  w.  N. Speziell zum Aspekt der Fragmentierung R. Hassan / R. Scholes / N. Ash (Hrsg.), Ecosystems and Well-being: Current State and Trends, Volume 1, 2005, Kap. 4, S. 96. 93  Ecosystems and Human Well-Being, Biodiversity Synthesis, A Report of the Millennium Ecosystem Assessment, 2005, S. 2, 42. Hiernach waren zahlreiche Biodiversitätsschwerpunktregionenen unter den am stärksten von Landumwandlungen betroffenen Gebieten der letzten zwei Jahrzehnte – das Amazonasgebiet, Süd-Ostasien, Bangladesh, das Indus Tal, Teile des Mittleren Ostens, Zentralasien und die Region der großen Seen in Ostafrika. 94  Zur u. a. hierdurch bewirkten Gefahr des Aussterbens von ca. 60 % aller Primaten siehe A. Estrada / P. A. Garber u. a., Impending extinction crisis of the world’s primates, Science Advances 3 (2017). 95  Ecosystems and Human Well-Being, Biodiversity Synthesis, A Report of the Millennium Ecosystem Assessment, 2005, S. 42. 96  Nach dem Millenium Ecosystem Assessment wurden nur 4 der 24 untersuchten Ökosystemdienstleistungen verbessert, während 15 Dienstleistungen verschlechtert wurden, Ecosystems and Human Well-Being, Biodiversity Synthesis, A Report of the Millennium Ecosystem Assessment, 2005. 97  A. Schumacher / J. Schumacher, in: J. Schumacher / P. Fischer-Hüftle, BNatSchG, 2. Aufl. 2011, § 1 Rn. 157. 98  Ecosystems and Human Well-Being, Biodiversity Synthesis, A Report of the Millennium Ecosystem Assessment, 2005, S. 5; Parlamentarische Versammlung des Europarates, Empfehlung 1918 (2010), Rz. 14.10.



A. Biologische Vielfalt65

fache Menge des in Flüssen befindlichen Wassers hinter Dämmen zurückgehalten wird99 und anderen Ökosystemen deshalb fehlt. In marinen Ökosystemen gehen der Verlust und die Veränderung natürlicher Lebensräume insbesondere auf die intensive Be- und Überfischung zurück, die zu einer starken Veränderung der Artenzusammensetzung führt. Gleichzeitig werden durch destruktive Fangmethoden wie das Fischen mithilfe von Schleppnetzen dreidimensionale Unterseelandschaften eingeebnet und damit in einer Weise modifiziert,100 die für bislang dort heimische Arten zu einem Verlust ihrer ökologischen Nische führt. 2. Belastung natürlicher Lebensräume mit Schadstoffen und Pathogenen Eine weitere Ursache für die weltweite Abnahme von Biodiversität ist die vielerorts starke Verschmutzung von Gewässern – gerade auch der Ozeane – sowie der Böden durch menschliche Aktivitäten. Auch hier ist als Ursache nicht zuletzt der massive Einsatz von Dünger in der modernen industriellen Landwirtschaft zu nennen. Dies führt insbesondere zu einer Anreicherung von Nitraten und von Phosphor in den Böden101 und nach ihrer Auswaschung durch Regenfälle zur starken Eutrophierung von Binnen- und Küstengewässern.102 Durch in der Folge vermehrte Algenblüten und den Sauerstoffverlust in Fluss- und Meeresgewässern werden etwa die Ökosystemdienstleistungen der Bereitstellung sauberen Wassers und Fischs und anderer Meerestiere als Nahrung massiv beeinträchtigt.103 Auch beim Abbau natürlicher Ressourcen werden vielfach erhebliche Schäden an der lokalen biologischen Vielfalt angerichtet.104 99  Ecosystems and Human Well-Being, Biodiversity Synthesis, A Report of the Millennium Ecosystem Assessment, 2005, S. 42. 100  Ecosystems and Human Well-Being, Biodiversity Synthesis, A Report of the Millennium Ecosystem Assessment, 2005, S 51. 101  Trotz teilweise schlechter Datenlage kann hier von einer starken Zunahme in den letzten Jahrzehnten ausgegangen werden, wobei möglicherweise ein leichter weltweiter Rückgang der Einlagerung von Nitraten erkennbar ist, S. H. M. Butchart u. a., Global Biodiversity: Indicators of Recent Declines, Science (328) 2010, 1164 (1165, 1166 Table 1); J. Rockström u. a., A safe operating space for humanity, nature (461) 2009, 472 (474). 102  B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 88. 103  Ecosystems and Human Well-Being, Biodiversity Synthesis, A Report of the Millennium Ecosystem Assessment, 2005, S. 8 f., 51. 104  Vgl. die Illustration der Auswirkungen der Ölförderung im ecuadorianischen Regenwald in Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador, Inter-American Court of Human Rights, Judgment of June 27, 2012 (Merits and reparations), Rn. 59, 172. Zu Zerstörungen im Amazonasgebiet durch Ölförderung ebenfalls T. M. Antko-

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1. Teil: Grundlagen

Neben Schadstoffen stellt auch die starke Verbreitung von Pathogenen, die in einer globalisierten Welt erheblich zugenommen hat, eine wesentliche Ursache für den Artenschwund dar.105 3. Übernutzung natürlicher Ressourcen Bekanntestes Beispiel für die übermäßige Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen ist die weltweite Überfischung der Meere. So werden 87,3 % der weltweiten Fischbestände entweder vollständig oder übermäßig ausgebeutet, das heißt über das Maß der natürlichen Erholungsfähigkeit der Bestände hinaus beansprucht.106 Seit Ende der 1980er geht der weltweite Fischfang trotz stark vergrößerter Fischfangflotten und erhöhtem technischen Einsatz deshalb bereits zurück.107 Neben der übermäßigen Ausbeutung von Fischbeständen und anderen marinen Wirbeltieren sorgen vielfach die nicht nachhaltige Rodung von Wäldern, die Jagd bestimmter Tierarten zum Verzehr von Wildfleisch oder zur Nutzung für medizinische Zwecke, genauso die aus diesen Gründen erfolgende Sammlung von Pflanzen zu bedrohlichen Verminderungen lokaler Populationen oder Bedrohung ganzer Arten.108 Ein anderes Beispiel ist die in Teilen des Mittleren Ostens und Nordafrikas stattfindende Anbohrung von Grundwasserreserven zur Süßwassergewinnung und Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen, die weit über das Maß dessen hinaus geht, was an Süßwasser durch natürliche Regeneration der Quellen zurückgewonnen wird.109 Die Überbeanspruchung von Beständen ist dabei häufig auf den Mangel an Wissen über nachhaltige Nutzungsmengen und das oft schwierige Management der tatsächlich stattfindenden Nutzung zurückzufüh-

wiak, Rights, Resources and Rhetoric: Indigenous Peoples and the Inter-American Court, University of Pennsylvania Journal of International Law 35 (2013), 115 (im Text bei Fn. 6). 105  R. Hassan / R. Scholes / N. Ash (Hrsg.), Ecosystems and Well-being: Current State and Trends, Volume 1, 2005, Kap. 4, S. 98. 106  FAO Fisheries and Aquaculture Department, The State of World Fisheries and Aquaculture 2012, 2012, S. 53, verfügbar unter: http: /  / www.fao.org, zuletzt abgerufen am 18.07.2017; Ecosystems and Human Well-Being, Biodiversity Synthesis, A Report of the Millennium Ecosystem Assessment, 2005, S. 53. 107  Dies wird allerdings durch einen starken Zuwachs durch Fisch aus Aquakulturen bislang kompensiert, sodass beim weltweiten Konsum weiter ein deutlicher Zuwachs zu verzeichnen ist, FAO Fisheries and Aquaculture Department, The State of World Fisheries and Aquaculture 2012, 2012, S. 4. 108  R. Hassan / R. Scholes / N. Ash (Hrsg.), Ecosystems and Well-being: Current State and Trends, Volume 1, 2005, Kap. 4, S. 98. 109  Ecosystems and Human Well-Being, Biodiversity Synthesis, A Report of the Millennium Ecosystem Assessment, 2005, S. 51.



A. Biologische Vielfalt67

ren.110 Das Prinzip der Effizienzsteigerung, wie es verbreitet zum Einsatz kommt, führt in zahlreichen Fällen zu einer Nutzung von Ökosystemen, die diese an den Rand des ökologischen Kollapses führt.111 Nicht selten wird vorhandenes Wissen auch schlicht der Realisierung kurzfristiger Profitinteressen untergeordnet. Gerade die Erschöpfung lokaler natürlicher Ressourcen ist von unmittelbarem Einfluss auf das Leben dort ansässiger Menschen, soweit sie nicht in der Lage sind, den lokalen Verlust durch Importe aus anderen Gebieten auszugleichen. Eine allgemeinere Veranschaulichung der übermäßigen Nutzung der Ressourcen des Planeten durch den Menschen bietet das Konzept des „ökologischen Fußabdrucks“. Berechnungen des Verbrauchs zahlreicher Ressourcen haben ergeben, dass die Menschheit derzeit etwa die 1,4-fache Kapazität der Erde pro Jahr nutzt, d. h. die Erde etwa 1,4 Jahre benötigen würde, um den Ressourcenverbrauch der Menschheit innerhalb eines Jahres zu regenerieren.112 Diese im globalen Maßstab nicht nachhaltige Lebensweise spiegelt sich im Verlust biologischer Vielfalt auf lokaler Ebene wider. 4. Einfuhr gebietsfremder invasiver Arten Als ebenfalls in ihrer Bedeutung zunehmende Ursache für den Verlust biologischer Vielfalt wird die Einfuhr gebietsfremder invasiver Arten betrachtet,113 die zu einer Beeinträchtigung und gar einer Verdrängung heimischer Arten führen können, was häufig insgesamt eine Abnahme biologischer Vielfalt und eine Homogenisierung des Artenbestands nach sich

110  R. Hassan / R. Scholes / N. Ash (Hrsg.), Ecosystems and Well-being: Current State and Trends, Volume 1, 2005, Kap. 4, S. 98. 111  C. Folke, „Resilience: The emergence of a perspective for social-ecological systems analyses“ (2006) 16, Global Environmental Change 253 (254); für illustrative Bsp. der Fokussierung etwa der modernen Landwirtschaft auf die technologiegetriebene Effizienzsteigerung der Produktion und deren Folgen für die Resilienz lokaler Ökosysteme siehe B. Walker / D. Salt, Resilience practice, 2012, S. 15, 19, 94 sowie zusammenfassend S. 99. 112  B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 99; S. H. M. Butchart u. a., Global Biodiversity: Indicators of Recent Declines, Science (328) 2010, 1164 (1166, Table 1); die Menschheit verbraucht als eine unter Millionen von Arten schätzungsweise 2 / 5 der jährlichen Nettoprimärproduktion von Photoyntheseprodukten, P. R. Ehrlich, Der Verlust der Vielfalt, in: E. O. Wilson, Ende der biologischen Vielfalt?, 1992, 39 (41). 113  Die Staatengemeinschaft hat Gegenmaßnahmen im sog. Protokoll von Cartagena zur Biodiversitätskonvention im Jahr 2000 beschlossen. Inzwischen sind 170 Staaten Vertragsparteien des Protokolls. Einleitend hierzu siehe M. Buck, Das Cartagena Protokoll über biologische Sicherheit in seiner Bedeutung für das Verhältnis zwischen Umweltvölkerrecht und Welthandelsrecht, ZUR 2000, 319 ff.

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1. Teil: Grundlagen

zieht.114 In Süßwasserhabitaten und auf Inseln stellten invasive Arten in der jüngeren Vergangenheit sogar – gemeinsam mit der Lebensraumveränderung – den wesentlichen Treiber für das lokale Aussterben von Arten dar.115 Dabei versteht man unter gebietsfremden invasiven Arten solche, die außerhalb ihres üblichen Verbreitungsgebiets eingeführt werden und deren Etablierung und Verbreitung dort das Ökosystem, Habitate oder andere Arten modifizieren – mit oder ohne ökonomisch oder ökologisch feststellbaren Schäden.116 Wenn dieser Faktor auch nicht neu ist, so hat die Ausbreitung solcher Arten in einem globalisierten Wirtschaftssystem mit insbesondere global vernetzten Warentransportwegen um ein Vielfaches zugenommen. Etablieren sich gebietsfremde Arten innerhalb eines Ökosystems, so können sie eine Gefährdung einheimischer Arten als deren Jäger, Konkurrenten oder auch Überträger von Krankheiten darstellen.117 Gebietsfremde Arten werden und wurden teils absichtlich mit verschiedenen Motivationen in Ökosysteme eingeführt. Überwiegend handelt es sich aber um unabsichtliche Verbreitungen, etwa über Ballasttanks von Schiffen oder durch das unbewusste Mitführen „blinder Passagiere“ beim Transport von Waren.118 5. Klimawandel Schließlich ist als schon heute bedeutender Faktor mit immer stärkerem Gewicht der Klimawandel hin zu einer im Durchschnitt wärmeren Welt zu nennen.119 Auch dieser Faktor wird durch die Wissenschaft überwiegend auf menschliche Aktivitäten zurückgeführt.120 Dabei ist nicht der Klimawandel 114  S. H. M. Butchart u. a., Global Biodiversity: Indicators of Recent Declines, Science (328) 2010, 1164 (1166, Table 1). 115  Ecosystems and Human Well-Being, Biodiversity Synthesis, A Report of the Millennium Ecosystem Assessment, 2005, S. 53. 116  R. Hassan / R. Scholes / N. Ash (Hrsg.), Ecosystems and Well-being: Current State and Trends, Volume 1, 2005, Kap. 4, S. 97. 117  R. Hassan / R. Scholes / N. Ash (Hrsg.), Ecosystems and Well-being: Current State and Trends, Volume 1, 2005, Kap. 4, S. 97. 118  R. Hassan / R. Scholes / N. Ash (Hrsg.), Ecosystems and Well-being: Current State and Trends, Volume 1, 2005, Kap. 4, S. 97 mit anschaulichen Beispielen zur Verbreitung der dickstieligen Wasserhyazinthe und der europäischen Zebramuschel. 119  Parlamentarische Versammlung des Europarates, Empfehlung 1918 (2010), Rz. 4 ff.; für Deutschland siehe BfN, Artenschutz-Report, 2015  – Tiere und Pflanzen in Deutschland, S. 23 f. 120  Vgl. den fünften Sachstandsbericht des Intergovernmental Panels on Climate Change (IPCC), der den von Menschen verursachten Anstieg der Treibhausgaskonzentrationen als „äußerst wahrscheinliche“ (95–100 % Wahrscheinlichkeit) Hauptursache der seit Mitte des 20. Jahrhunderts beobachteten Erderwärmung bezeichnet, Fünfter Sachstandsbericht des IPCC, BMUB, BMBF, UBA und De-IPCC (Hrsg.)



A. Biologische Vielfalt

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an sich, sondern gerade die Geschwindigkeit des anthropogen verursachten Klimawandels, der insbesondere auf die Verbrennung fossiler Rohstoffe seit der Industrialisierung der vornehmlich westlichen Welt zurückgeführt wird, von vielen Arten und Ökosystemen nicht zu verkraften. Die Geschwindigkeit der vorhergesagten Klimaerwärmung übersteigt die Möglichkeit zahlreicher Arten und Ökosysteme sich hieran insbesondere durch eine Veränderung des eigenen Verbreitungsgebietes anzupassen. Dieser Prozess könnte etwa in Deutschland dazu führen, dass innerhalb der nächsten Jahrzehnte zwischen 5 und 30 % der heimischen Arten verschwinden werden.121 Gleichzeitig führt die Veränderung des Klimas dazu, dass sich nicht-heimische, invasive Arten leichter durchzusetzen vermögen und damit den Druck auf heimische Arten zusätzlich erhöhen.122 Während der prognostizierte Klimawandel zunächst in einigen Gebieten sogar zu einer Zunahme an biologischer Vielfalt bspw. durch vermehrtes Pflanzenwachstum oder eine Ausbreitung wärmeliebender Arten123 führen könnte, dürften im weiteren Verlauf der Entwicklung in den meisten Gegenden die Nachteile deutlich überwiegen.124 So sollen nach Schätzungen bis 2080 etwa 20 % der besonders artenreichen Küstenfeuchtgebiete durch den Anstieg des Meeresspiegels verschwinden.125 Die Zerstörung biologischer Vielfalt hat ihrerseits Rückwirkungen auf den Klimawandel. Dieser nimmt in dem Maße noch zusätzlich zu, wie die Fähigkeit von Ökosystemen sinkt, zur Absorption von CO2 beizutragen.126 Schon heute sind insbesondere ohnehin wirtschaftlich marginalisierte Teile von Gesellschaften von den Folgen des Klimawandels betroffen. Aufgrund der Abhängigkeit einiger Teile von Gesellschaften von den Ökosystemdienstleistungen der sie umgebenden Natur, wie es insbesondere für indigene Völker und nicht-indigene, aber traditionell lebende Gemeinschaften der Fall ist, dürfte es sich für

Synthesebericht, Stand: 30.05.2016, S. 1, abrufbar unter: www.de-ipcc.de, zuletzt abgerufen am 18.07.2017. 121  Global betrachtet werden ähnliche Verlustraten prognostiziert, vgl. J. Rockström u. a., A safe operating space for humanity, nature (461) 2009, 472 (474). 122  H. Seebens / T. M. Blackburn / E. E. Dyer u. a., No saturation in the accumulation of alien species worldwide, Nature Communications 8 (2017), Artikel 14435. 123  Ausführlich zu den unterschiedlichen Folgen des Klimawandels für verschiedene Tierarten D. E. Bowler / C. Hof / P. Haase u. a., Cross realm assessment of climate change impacts on species’ abundance trends, Nature Ecology & Evolution, 1 (2017), Artikel 0067. 124  Ecosystems and Human Well-Being, Biodiversity Synthesis, A Report of the Millennium Ecosystem Assessment, 2005, S. 10. 125  Parlamentarische Versammlung des Europarates, Empfehlung 1918 (2010), Rz. 5. 126  Parlamentarische Versammlung des Europarates, Empfehlung 1918 (2010), Rz. 7.

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1. Teil: Grundlagen

diese zunehmend schwierig gestalten, ihre traditionelle Lebensweise fortzusetzen.127 6. Sozio-ökonomische Ursachen Die Schwierigkeit der Bekämpfung der bislang aufgeführten direkten Ursachen für den Verlust biologischer Vielfalt liegt auch darin begründet, dass hinter diesen unmittelbaren Treibern indirekte Ursachen stehen, die ihrerseits eine erhebliche Komplexität aufweisen128 und bislang allenfalls eingeschränkt adressiert werden. Zu diesen gehört etwa das enorme Anwachsen der Weltbevölkerung auf mittlerweile über 7 Milliarden Menschen weltweit, deren Bedarf an Lebensmitteln schon für sich genommen zu einer Übernutzung zahlreicher natürlicher Ressourcen und den Verlust natürlicher Lebensräume geführt hat, die ihrerseits in landwirtschaftlich nutzbare Flächen umgewandelt wurden. Gleichwohl ist die Weltbevölkerung nicht allein aufgrund ihrer schieren Größe indirekte Ursache für den Verlust der Biodiversität. Beispielhaft sei dies daran verdeutlicht, das der Lebensmittelbedarf in den letzten Jahrzehnten nicht im selben Maße wie die Weltbevölkerung angewachsen ist, sondern vielmehr auch pro Kopf stark zugenommen hat.129 Hierhinter stehen individuelle Konsumentscheidungen, die in Summe den gesamten heute erreichten Verbrauch an natürlichen Ressourcen ausmachen und die ihrerseits durch die zunehmenden wirtschaftlichen Möglichkeiten eines wachsenden Teils der Erdbevölkerung und gesellschaftliche, teils kulturell tief verwurzelte Faktoren130 bedingt sind. In wachstumsbasierten Marktwirtschaften 127  Siehe zu den schon heute deutlich spürbaren Folgen für das in der Arktisregion in verschiedenen Staaten lebende Volk der Inuit, T. Thompson, Getting over the Hump, Journal of Transnational Law & Policy 19 (2009), 179 (182 ff.) unter Verweis auf die „Petition to the Inter American Commission on Human Rights Seeking Relief from Violations Resulting from Global Warmig Caused by Acts and Omissions of the U.S.“ vom 07.12.2005, insbes. S. 4; vgl. hierzu auch M. Janki, Draft paper on: Indigenous Peoples Rights and the Environment: issues and the future, verfügbar unter www.unep.org. 128  J. Ebbesson, Planetary Boundaries and the Matching of International Treaty Regimes, Scandinavian Studies in Law, 59 (2014), 259 (276). 129  So hat die Fleischproduktion pro Kopf B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 82 zufolge von 18 kg im Jahr 1950 auf 36 kg im Jahr 1999 zugenommen. Der damit verbundene Bedarf an Futtermittleln ist ein wesentlicher Faktor für den zunehmenden Flächen- und Wasserbedarf der globalen Landwirtschaft. 130  Insoweit sei noch einmal auf die heutige globale Vorherrschaft einer anthropozentrischen Weltsicht verwiesen, derzufolge allein auf Interessen von Menschen Rücksicht zu nehmen ist, vgl. hierzu S. Eichhorn, Naturwissenschaftliche Erkenntnisse und die moralische Bewertung der lebendigen Natur, in: J. Friedrich / A. Halsband / L. Minkmar, Biodiversität und Gesellschaft, 2013, 17 (18) sowie bereits oben: Erster Teil, A. II. 3.



A. Biologische Vielfalt71

scheint es zudem nicht möglich, die stetige Zunahme des Verbrauchs an Ressourcen aufzuhalten. Zudem gelingt es bislang allenfalls eingeschränkt Anreize innerhalb wirtschaftlicher Märkte zu vermeiden, dass Eigentums- und Nutzungsrechte in einer Weise ausgeübt werden, die zwar aus betriebswirtschaftlicher Sicht rentabel ist, allein oder auch erst in aggregierter Form mit ähnlich gelagerten Entscheidungen aber zum fortschreitenden Verlust biologischer Vielfalt beiträgt.131 Für zahlreiche Bestandteile biologischer Vielfalt, soweit es sich bei ihnen um sog. öffentliche Güter handelt, das heißt Güter, die weder durch das Ausschlussprinzip gekennzeichnet sind und deren Konsum auch nicht konkurriert (sog. Nichtrivalität),132 besteht zudem die Notwendigkeit spezieller regulatorischer Vorkehrungen.133 Soweit dem Staat die Aufgabe der Durchführung der Regulierung zukommt, wird er heute zudem in vielen Fällen nicht mehr als der „ehrliche Makler“ des öffentlichen Wohls betrachtet, sondern ist in vielen Fällen dem Verdacht ausgesetzt, Partikularinteressen zu befördern.134 Hinzu kommt der vielfach attestierte Steuerungsverlust der Staaten, der im Angesicht gerade auch globaler Umweltprobleme wie dem Verlust biologischer Vielfalt offenbar wird und eine Überforderung der Staaten bei der Lösung der hiermit auch verbundenen Gerechtigkeitsfragen135 131  TEEB, P. Sukhdev u. a., Die ökonomische Bedeutung der Natur in Entscheidungsprozesse integrieren – Ansatz Schlussfolgerungen und Empfehlungen von TEEB – Eine Synthese, 2010, S. 11. 132  Statt aller siehe nur A. Endres, Umweltökonomie, 4. Aufl. 2013, S. 236; C. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 80 ff.; W. Durner, Common Goods, 2001, S. 18. 133  Wie aus ökonomischer Sicht mit dem hieraus resultierenden sog. „Free-Rider“Problem umzugehen ist, das darin besteht, dass für den einzelnen Nutzer eine egoistische Nutzung von öffentlichen Gütern zunächst einmal rational sein kann, ist umstritten und nicht einheitlich zu beantworten, wie dies noch angenommen wird von G. Hardin, The Tragedy of the Commons, Science 162, 1968, S. 1243–1248. Insbesondere die Untersuchungen von E. Ostrom haben gezeigt, dass die Lösung nicht immer in der Privatisierung oder staatlicher Regulierung besteht, vgl. dies., Die Verfassung der Allmende, 1999. Jeweils lediglich zu den aus der Öffentlichkeit der Güter erwachsenden staatlichen Regulierungsaufgaben D. Murswiek, Freiheit und Freiwilligkeit im Umweltrecht, JZ 1988, 985 (991 f.); C. Calliess, Ansätze zur Subjektivierung von Gemeinwohlbelangen im Völkerrecht, ZUR 2000, 246 (246 f.). Zu den aus der Öffentlichkeit von Gütern zu ziehenden Schlussfolgerungen für die Verhandlungen internationaler Umweltabkommen, A. Endres, Umweltökonomie, 4. Aufl. 2013, S.  265 ff. 134  Ausführlicher hierzu C. Calliess, Ansätze zur Subjektivierung von Gemeinwohlbelangen im Völkerrecht, ZUR 2000, 246 (247) sowie ders., Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 366 f. Zu dieser in der Neuen Politischen Ökonomie wurzelnden Sichtweise A. Endres, Umweltökonomie, 4. Aufl. 2013, S. 260. 135  Zu Beispielen siehe Ecosystems and Human Well-Being, Biodiversity Synthesis, A Report of the Millennium Ecosystem Assessment, 2005, S. 6.

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1. Teil: Grundlagen

anzeigt. Vor diesem Hintergrund können die hier zu untersuchenden subjektiv-rechtlichen Ansätze jedenfalls als Ergänzung zu staatlicher Regulierung von Umweltgütern aufgefasst werden136 und so ggf. auch eine Rolle bei der Adressierung der hier nur angedeuteten sozio-ökonomischen Gründe für den Verlust biologischer Vielfalt spielen. 7. Mangel an und fehlerhafter Einsatz von ökologischem Wissen Die Wechselbeziehungen zwischen Ökosystemen, ihrer biologischen Vielfalt und Ökosystemfunktionen sind trotz erheblichen Wissenszuwachses vielfach heute noch nicht vollständig bekannt.137 Dieser Mangel an Wissen besteht keineswegs nur in Bezug auf globale Zusammenhänge wie bspw. die Wechselwirkungen von Klima und biologischer Vielfalt, sondern genauso auch für lokale kleinräumige Ökosysteme. Neben diesem generellen Mangel an Wissen ist zu beobachten, dass gerade das Wissen indigener Völker über ihre Umwelt (sog. traditionelles Wissen) in den letzten Jahrzehnten verloren ging138 und damit eine weitere wichtige Quelle an Informationen über das Vorhandensein und den Nutzen biologischer Vielfalt dabei ist zu verschwinden. Wo ein Wissen über diese Zusammenhänge besteht, wird es dennoch häufig nicht zur Grundlage von Handlungsentscheidungen gemacht, da aufgrund mangelhafter ökonomischer Abbildung der Folgen des Verlusts biologischer Vielfalt und der auf ihr aufbauenden Dienstleistungen vielfach der Anreiz fehlt, existentes Wissen heranzuziehen und zur Entscheidungsgrundlage zu machen.139 Wo das Wissen genutzt werden soll, stellt sich die Zersplitterung von Zuständigkeiten arbeitsteiliger Gesellschaften häufig als Hindernis dafür heraus, die Auswirkungen auf verschiedenste Ökosystemfunktionen insgesamt zu erfassen.140 Entscheidungen mit direktem oder indirektem Einfluss 136  Für eine Ergänzung der primär staatlichen Gemeinwohlverantwortung durch eine Verantwortung gesellschaftlicher Akteure und den Ausbau ihrer Rechte auch C. Calliess, Ansätze zur Subjektivierung von Gemeinwohlbelangen im Völkerrecht, ZUR 2000, 246 (247). 137  Allgemein zur Bedeutung von Informationen und Wissen im Umweltschutz N. Salzborn, Das umweltrechtliche Kooperationsprinzip auf unionaler Ebene, 2011, S. 34 ff. 138  Messbar waren lediglich Erfolge auf lokaler Ebene, nicht aber eine weltweite Abnahme der Verlustrate, S. H. M. Butchart u. a., Global Biodiversity: Indicators of Recent Declines, Science (328) 2010, 1164 (1168). 139  Naturkapital Deutschland – TEEB DE, S. Marzelli u. a., Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft – Eine Einführung, 2012, S. 63. 140  Naturkapital Deutschland – TEEB DE, S. Marzelli u. a., Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft – Eine Einführung, 2012, Kapitel 2, S. 45 f.



A. Biologische Vielfalt73

auf Ökosysteme geschehen unter anderem deshalb häufig auf ungenügender Informationsgrundlage.141

IV. Zwischenergebnis Die vorangehende Realbereichsanalyse hat gezeigt, dass die heute noch existierende biologische Vielfalt ein den Zustand der Ökosysteme der Erde bestimmender Faktor ist. Mit dem zunehmenden Verlust der Biodiversität steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Ökosysteme sich in weiter zunehmendem Maße erheblich verändern und neue stabile Zustände einnehmen, in denen bislang der Menschheit zur Verfügung gestellte Ökosystemdienstleistungen nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr in gleichem Umfang zur Verfügung gestellt werden würden. Obwohl für seine anthropozentrische Betrachtungsweise kritisiert, stellt das Konzept der Ökosystemdienstleistungen das gegenwärtig am weitesten verbreitete Konzept zur Erfassung des Wertes biologischer Vielfalt dar, auf dessen Grundlage mithilfe ökonomischer Berechnungsmethoden auch Versuche der Quantifizierung des Werts einzelner Leistungen unternommen werden. Auch wenn dies mitunter zu einer stärkeren Berücksichtigung der Notwendigkeit der Erhaltung biologischer Vielfalt in politischen Entscheidungen und zur vereinzelten Internalisierung bislang externalisierbarer Kosten beigetragen hat,142 konnten Maßnahmen zum Schutz biologischer Viefalt das heute stattfindende massenhafte Artensterben bislang nicht aufhalten und die aufgezeigten direkten und indirekten Ursachen des Verlusts der Biodiversität allenfalls lokal, nicht aber global erfolgreich bekämpfen. Aufgrund der Schwierigkeiten der Bekämpfung der nur selten mono-kausalen Ursachen für die Zerstörung biologischer Vielfalt und deren Verwobenheit in komplexen sozio-ökonomischen Zusammenhängen wird verbreitet Kritik an zentral gesteuerten top-down Ansätzen geübt.143 Die in der vorliegenden Arbeit zu untersuchenden subjektiv-rechtlichen Ansätze können vor diesem Hintergrund Elemente dezentral ausgerichteter bottom-up Strategien darstellen, indem sie zu einer breiteren Einbindung von einzelnen Mitgliedern oder Teilen der Gesellschaft in die Bemühungen um den Schutz

141  Naturkapital Deutschland – TEEB DE, S. Marzelli u. a., Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft – Eine Einführung, 2012, Kapitel 2, S. 43. 142  Zur Forderung nach einer umfassenden Internalisierung von Umweltkosten auch wegen ihrer Bedeutung für die Gleichheit der Wettbewerbschancen aller Marktteilnehmer siehe bereits D. Murswiek, Freiheit und Freiwilligkeit im Umweltrecht, JZ 1988, 985 (992, 993). 143  Siehe etwa S. K. Bavikatte, Stewarding the earth, 2014, S. 4 ff. Zur Notwendigkeit von Mehrebenenansätzen J. Ebbesson, Planetary Boundaries and the Matching of International Treaty Regimes, Scandinavian Studies in Law, 59 (2014), 259 (277).

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1. Teil: Grundlagen

der Biodiversität führen144 und Defizite staatlichen regulatorischen Handelns zu kompensieren helfen. Der Schutz biologischer Vielfalt ist nur durch die Erhaltung ihrer Bestandteile möglich.145 Die Analyse der Haupttreiber des Verlusts biologischer Vielfalt bietet einen Anknüpfungspunkt für die Identifizierung von Schutzmaßnahmen, da die Bekämpfung jeder einzelnen Ursache auch zur Erhaltung der Biodiversität an sich beiträgt. Daraus folgt eine ungeheure Vielzahl an möglichen unmittelbaren und mittelbaren Schutzmaßnahmen, wie sie sich in den rein zwischenstaatlichen sektoralen Abkommen zum Schutz von Bestandteilen der Biodiversität sowie der CBD widerspiegeln.146

B. Subjektive Rechte Einzelner zum Schutz öffentlicher Interessen im deutschen und europäischen Recht Trotz der Bedeutung der Biodiversität als Existenzgrundlage auch jedes einzelnen Menschen wird das Interesse am Schutz biologischer Vielfalt und ihrer Bestandteile aufgrund der regelmäßig nicht unmittelbaren Auswirkungen ihrer Beeinträchtigung auf Individuen gemeinhin als öffentliches, nicht aber materiell-personales Interesse angesehen. Es stellt sich deshalb die 144  Zur Unterscheidung der verschiedenen Governance-Modelle siehe auch A. Underdal, Complexity and challenges of long-term environmental governance, Global Environmental Change 20 (2010), 386, 389 f. 145  IUCN, Glowka u. a., A Guide to the Convention on Biological Diversity, En­ vironmental Policy and Law Paper no. 30, 1994, S. 16; T. Markus, Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Biodiversität, in: A. Proelß, Internationales Umweltrecht, 2017, Zehnter Abschnitt Rn. 5. 146  Vgl. nur die aufgrund der CBD bestehenden Verpflichtungen zum Ergreifen von in-situ Schutzmaßnahmen, Art. 8 lit. (a) (Schaffung eines Gebiets an Schutzgebieten), (b) (Maßnahmen zum Schutz außerhalb von Schutzgebieten), Art. 7 lit. c) i. V. m. Art. 8 Ziff. 1 (Regulierung umwelterheblicher Tätigkeiten); Art. 14 (Einführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen); Art. 8 lit. (f) Maßnahmen zur Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme und der Erholung der Bestände bedrohter Arten; Art. 8 lit. (g) Regulierung genetisch modifizierter Organismen; Art. 8 lit. (h) Prävention, Kontrolle und Entfernung nicht-heimischer invasiver Arten. Gem. Art. 9 sind verschiedene ex-situ Erhaltungsmaßnahmen gefordert. Darüber hinaus sieht die CBD zahlreiche Maßnahmen zur Mehrung und Verbreitung des Wissens über ökologische Zusammenhänge und die Möglichkeiten der nachhaltigen Nutzung von Naturbestandteilen vor, siehe nur die Überwachungspflichten nach Art. 7, Maßnahmen der Erforschung, Art. 9 lit. b), Art. 12; Maßnahmen der internationalen Zusammenarbeit gem. Art. 18 f., allgemein Art. 10 lit. d), e); Art 16, 19, 20, 21, 16; Maßnahmen der Aufklärung der Öffentlichkeit gem. Art. 13; Einbeziehung des Wissens indigener und ortsansässiger Gemeinschaften gem. Art. 8 lit. (j). Schaffung eines Vorteilsausgleichsmechanismus, Art. 15 Abs. 7.



B. Subjektive Rechte Einzelner im deutschen und europäischen Recht75

Frage, ob und wenn ja, in welcher Weise eine Verleihung subjektiver Rechte zum Schutz des öffentlichen Interesses an der Bewahrung biologischer Vielfalt und ihrer Bestandteile im deutschen öffentlichen Recht einerseits (I.) und in dem auf die nationale Ebene einwirkenden Recht der Europäischen Union andererseits (II.) durch die gesetzgebenden Institutionen möglich ist und unter welchen Voraussetzungen Gerichte von deren Vorliegen ausgehen (dürfen). Die bei der Beantwortung dieser Frage herauszuarbeitenden Gründe für den jeweiligen Umgang mit subjektiven Berechtigungen zum Schutz öffentlicher Interessen und die Bedeutung der Anerkennung solcher Rechte innerhalb einer Rechtsordnung sind einer Bewertung zu unterziehen (III.), anhand derer die im zweiten Teil der Arbeit zu untersuchenden subjektiv-rechtlichen Ansätze im Völkerrecht später gemessen werden können.

I. Die begrenzte Verleihung subjektiver Rechte im deutschen öffentlichen Recht Die Durchsetzung der Allgemeininteressen ist nach der deutschen Rechts­ tradition im Grundsatz der Exekutive anvertraut.147 Ihre Verpflichtung hierzu resultiert regelmäßig aus (nur) objektivem Recht, das der demokratische Gesetzgeber zur Gemeinwohlverwirklichung erlassen hat. In diesem Modell ist der Einzelne zur Beeinflussung der Verwirklichung von Allgemeininteressen grundsätzlich „auf den demokratischen Prozess der parlamentarischen Steuerung und Kontrolle“148 und damit auf den politischen Diskurs verwiesen. Nur ausnahmsweise soll der Einzelne über den Rechtediskurs gestaltenden Einfluss auf die Verwirklichung des Gemeinwohls nehmen können. Das wesentliche rechtliche Instrument zu diesem Zweck ist das subjektiv-öffentliche Recht, das als Institut des öffentlichen Rechts auch weiterhin Gegenstand von Kontroversen ist.149 Positiv-rechtlich kommt diesem zwar in der 147  S. Schlacke, (Auf) Brüche des Öffentlichen Rechts: von der Verletztenklage zur Interessentenklage, DVBl 2015, 929 (929); speziell für das Umweltrecht so auch M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (176); F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 68; A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 24 m. w. N. 148  M. Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (356) der an gleicher Stelle aphorisiert: „Was alle betrifft, soll auch von allen entschieden werden“. 149  A. A. wohl A. Funke, Perspektiven subjektiv-rechtlicher Analyse im öffent­ lichen Recht, JZ 2015, 369 (369). Wie hier dagegen einschränkend J. Krüper, Gemeinwohl im Prozess, 2009, S. 17, der das Institut zwar in seinen Grundstrukturen, nicht aber im dogmatischen Auf- und Ausbau für geklärt hält. Siehe auch ders., Neudefinition des „subjektiven öffentlichen Rechts“, in: M. Kloepfer, Rechtsschutz im

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1. Teil: Grundlagen

Form verfassungsrechtlich gewährleisteter Grundrechte sowie mannigfaltig existierender einfachgesetzlich ausgestalteter subjektiv-öffentlicher Rechte eine erhebliche Bedeutung zu (1.). Diese blieb jedoch im historisch überkommenen Recht auf die Verwirklichung materiell-personaler Interessen beschränkt (2.). Erst in jüngerer Zeit, insbesondere ausgelöst durch europa- und völkerrechtliche Einwirkungen, findet in verstärktem Maße ein Wandel im Verständnis subjektiver Rechte hinsichtlich ihres Einsatzes zum Schutz öffentlicher Interessen, wie auch dem Schutz biologischer Vielfalt, statt (3.). 1. Bedeutung subjektiver Rechte im positiven Recht Für die heutige deutsche Verwaltungsrechtswissenschaft sind subjektive Rechtspositionen zunächst einmal Gegenstand des positiven öffentlichen Rechts und zwar sowohl des Staats- als auch des Verwaltungsrechts. Als Grundrechte stehen sie nicht nur prominent am Beginn des Grundgesetzes und vermitteln dem Einzelnen Abwehr-, Schutz- und (ausnahmsweise) Leistungsansprüche gegenüber dem Staat.150 In ihrer Funktion als objektive Wert­entscheidungen des Verfassungsgebers151 strahlen sie zudem auf die gesamte Rechtsordnung aus152 und bewirken so eine vielfach diskutierte Konstitutionalisierung der gesamten Rechtsordnung, wenn sie über die Einfallstore unbestimmter Rechtsbegriffe auf das Verständnis und die Anwendung hergebrachter Rechtsinstitute einwirken. Nicht zuletzt bilden die Grundrechte so auch eine wesentliche Quelle für die Bestimmung subjektiver Rechte im Sinne des einfachgesetzlichen Verwaltungsrechts153 und gelten heute als Prototyp subjektiv-öffentlicher Rechte überhaupt.154 Umweltrecht, 2014, 163 (164). Vgl. auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 2. Aufl. 1994, S. 159. 150  Statt vieler mit etwas anderer Einteilung der Arten subjektiver Grundrechte, M. Sachs, in: ders. Grundgesetz, 7. Aufl. 2014, Vor Art. 1, Rn. 42 ff.; H. Dreier, in: ders., Grundgesetz, Bd. I, 3. Aufl. 2013, Vorb., Rn. 83 ff. 151  BVerfGE 7, 198 (205) – Lüth. 152  Statt vieler M. Sachs, in: ders. Grundgesetz, 7. Aufl. 2014, Vor Art. 1, Rn. 32; H. Dreier, in: ders., Grundgesetz, Bd. I, 3. Aufl. 2013, Vorb., Rn. 96 ff. 153  C. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 494; F. Schoch, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. III, 2. Aufl. 2013, § 50, Rn. 138; J. Krüper, Neudefinition des „subjektiven öffentlichen Rechts“, in: M. Kloepfer, Rechtsschutz im Umweltrecht, 2014, 163 (166); vgl. zur norminternen Wirkung von Grundrechten W.-R. Schenke / R. P. Schenke, in: F. O. Kopp / W.-R. Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 42 Rn. 118 ff. sowie zur normexternen Wirkung, d.  h. der selbständigen Begründung der Klagebefugnis im Verwaltungsprozess Rn.  121 ff. 154  Dieses Verständnis hatte sich bereits spätestens in der Weimarer Zeit durchgesetzt, H. Bauer, Subjektive öffentliche Rechte des Staates, DVBl 1986, 208 (211).



B. Subjektive Rechte Einzelner im deutschen und europäischen Recht77

Hinsichtlich des Schutzes des Interesses an der Erhaltung der Umweltgüter sind die nach h. M. vorhandenen Gewährleistungsgehalte (insbesondere der hier relevanten Schutzdimension) grundrechtlicher Garantien gleichwohl äußerst begrenzt155 und damit auch nur sehr bedingt in einer Rechtsschutz eröffnenden Weise zur Einwirkung auf das einfache Recht in der Lage. An dem attestierten Ungleichgewicht zugunsten von Umweltnutzern im Grundrechtsschutz156 hat sich auch nach langen Diskussionen über die Ökologisierung des Rechts157 wenig geändert. Nicht nur resultiert die Schwäche der Position von Betroffenen daraus, dass das Grundgesetz weder ein allgemeines Grundrecht auf ein Leben in einer gesunden Umwelt verbürgt,158 noch den einzelnen Grundrechtsgewährleistungen in größerem Umfang (Schutz-)Gehalte entnommen werden, die gegen die Ursachen des Verlusts biologischer Vielfalt in Stellung gebracht werden können, wenn nicht deren Beeinträchtigung unmittelbar zu Eigentums- oder Gesundheitsbeeinträchtigungen führt.159 Vielmehr kommt der ausnahmsweise durch Schutzpflichten des Staates vermittelten Rechtspositon von durch Umweltveränderungen Betroffenen nach h. M. auch noch eine schwächere Grundrechtsposition in der Abwägung mit der Position des sich auf seine Abwehrrechte berufenden Umweltnutzers zu.160 Folge des vorste155  Siehe nur D. Murswiek, Rechtsprechungsanalyse: Umweltrecht und Grund­ gesetz, Die Verwaltung 33 (2000), 241 (262 f.); zum individuellen Anspruch auf Sicherung von „Grundrechtsvoraussetzungen“ auch bereits ders., Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 228 f.; C. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 298 ff.; M. Eifert, Der Verfassungsauftrag zu ökologisch nachhaltiger Politik, in: Kritische Justiz (Hrsg.), Verfassungsrecht und gesellschaftliche Realität, 2009, 211 (213 f.). 156  D. Bruch, Zur grundrechtlichen Übermacht von Umweltbelastern, in: C. Franzius u. a., Beharren. Bewegen., FS Kloepfer, 2013, S. 333 (333 f.). 157  Siehe nur R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998; Ein Überblick der Diskussion findet sich bei C. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 30 ff.; zusammengefasst auch bei M. Eifert, Der Verfassungsauftrag zu ökologisch nachhaltiger Politik, in: Kritische Justiz (Hrsg.), Verfassungsrecht und gesellschaftliche Realität, 2009, 211 (212 f.). 158  Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat sich vielmehr bewusst gegen die Aufnahme eines solchen Rechts und für die Schaffung des Staatsziels Umweltschutz in Art. 20a GG entschieden. Siehe zur Vorgeschichte der Regelung D. Murswiek, in: M. Sachs, Grundgesetz, 7. Aufl. 2014, Art. 20a GG, Rn. 2 f.; zu der Diskussion um ein solches Menschenrecht im Völkerrecht siehe unten: Zweiter Teil, C. II. 3. 159  Kritisch F. Ekardt, Umweltverfassung und „Schutzpflichten“, NVwZ 2013, 1105 (1106). Gleichwohl hat es an Versuchen nicht gefehlt, die attestierte „Übermacht von Umweltbelastern“ entweder durch eine Reduktion deren grundrechtlichen Schutzes bzw. durch eine Effektuierung des Schutzes der Betroffenen zu beheben, siehe hierzu D. Bruch, Zur grundrechtlichen Übermacht von Umweltbelastern, in: C. Franzius u. a., Beharren. Bewegen, FS Kloepfer, 2013, S. 333 (335 ff.). 160  D. Murswiek, in: M. Sachs, Grundgesetz, 7. Aufl. 2014, Art. 2, Rn. 32; C. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 410 m. w. N.

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1. Teil: Grundlagen

hend geschilderten Rechtszustands auf grundrechtlicher Ebene ist es freilich nicht, dass in Deutschland der Umweltschutz rechtlich auf tönernen Füßen stünde. Der ablehnenden Haltung gegenüber der Begründung weiterreichender subjektiver Grundrechtsgehalte auf Umweltschutz steht eine ausführliche Diskussion über die objektiv-rechtlichen Möglichkeiten und den aus der Staatszielbestimmung Umweltschutz gem. Art. 20a GG folgenden Pflichten des Staates gegenüber, die Freiheit der Umweltnutzer und Umweltbelaster durch staatliche Maßnahmen zu beschränken.161 Unabhängig von und schon lange vor der großen Aufmerksamkeit, die der Grundrechtsdogmatik unter der Geltung des Grundgesetzes und durch ihre Entfaltung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und – vielfach akzessorisch162 – in der juristischen Literatur zugekommen ist, hat sich die Rechtsfigur des subjektiv-öffentlichen Rechts zu einem Kernelement des deutschen Verwaltungsrechts entwickelt und wird auch heute noch vielfach als ein solches betrachtet.163 Zentral ist ihre Bedeutung für die Rechtspraxis insbesondere aufgrund und im Rahmen der Fixierung einer im Grundsatz auf den Schutz eigener Rechte, d. h. auf das Modell der Verletztenklage ausgerichteten Prozessordnung, wie sie einfachrechtlich insbesondere für Gerichtszugang und gerichtlichen Kontrollumfang in den §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1, 5 VwGO festgelegt ist.164 Verfassungsrechtlich ist der Individualrechtsschutz 161  Vgl. den Überblick bei D. Bruch, Zur grundrechtlichen Übermacht von Umweltbelastern, in: C. Franzius u. a., Beharren. Bewegen, FS Kloepfer, 2013, S. 333 (335 ff.) und siehe D. Murswiek, Freiheit und Freiwilligkeit im Umweltrecht, JZ 1988, 985 ff. sowie zum Staatsziel Umweltschutz dens., Rechtsprechungsanalyse: Umweltrecht und Grundgesetz, Die Verwaltung 33 (2000), 241 (263 ff.) sowie dens., in: M. Sachs, Grundgesetz, 7. Aufl. 2014, Art. 20a Rn. 33 ff. 162  Insoweit treffend die Rede von der „Verfassungsrechtsprechungswissenschaft“ bei R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 2. Aufl. 1994, S. 17. 163  Als (problembehafteten) Schlüsselbegriff betrachtet ihn J. Krüper, Neudefinition des „subjektiven öffentlichen Rechts“, in: M. Kloepfer, Rechtsschutz im Umweltrecht, 2014, 163 (164). 164  Abweichend von § 113 Abs. 1, 5 VwGO enthält § 47 VwGO Elemente objektiven Rechtsschutzes („objektives Rechtsbeanstandungsverfahren“) – dies gilt insbesondere bei durch Behörden eingeleiteten Verfahren nach § 47 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 VwGO, aber auch in durch Individualkläger eingeleiteten Normenkontrollen auf Begründetheitsebene, W.-R.  Schenke, in: F. O.  Kopp / W.-R. Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 47 Rn. 3. Auch § 42 Abs. 2 Hs. 1 VwGO eröffnet hier Abweichungsmöglichkeiten von der Systementscheidung, worauf auch C.  Franzius, Objektive Rechtskontrolle statt subjektiver Rechtsschutz?, NuR 2009, 384 (385) hinweist. Dem Verfassungsprozessrecht sind diese Elemente objektiven Rechtsschutzes noch stärker zu eigen, J.  Krüper, Gemeinwohl im Prozess, 2009, S. 144. Die den Individualrechtsschutz gegen spezifische Verfassungsrechtsverletzungen verbürgende Verfassungs­ beschwerde ist hier gar Ausnahme, soweit man den Prüfungsmaßstab des BVerfG nicht auch im Organstreit als auf die Verletzung eigener sowie möglicher Organrechte beschränkt ansieht, BVerfGE 2, 347, 368; 73, 1, 28; 80, 188, 212; vgl. A.  Voß-



B. Subjektive Rechte Einzelner im deutschen und europäischen Recht

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nach Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG gefordert. Dabei kommt Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG der Charakter einer Systementscheidung zu.165 Gleichwohl handelt es sich nur um eine Vorgabe im Sinne einer Mindestgarantie. Über die Gewährleistung des Individualrechtsschutzes hinaus steht es dem einfachen Gesetzgeber offen, weitere Rechtsschutzmöglichkeiten vorzusehen.166 Aufgrund ihrer bisherigen einfachrechtlichen Ausformung erhält Zugang zu Gericht grundsätzlich167 nur, wer eine Verletzung durch einen Verwaltungsakt bzw. Realakt, seine Ablehnung oder Unterlassung „in seinen Rechten“ geltend machen kann, wobei es für Adressaten einer belastenden Entscheidung ausreichend ist, dass eine dadurch bewirkte Rechtsverletzung jedenfalls als möglich erscheint.168 Gem. § 113 Abs. 1, 5 VwGO findet zudem eine Beschränkung des Kontrollumfangs auf die Verletzung eigener Rechte des Klägers statt.169 Durch diese Begrenzung des Rechtsschutzes soll verhindert werden, dass sich Einzelne zum Sachwalter fremder Interessen machen.170 In diesem System subjektiven Rechtsschutzes ist die objektive Verwaltungskontrolle und damit der Schutz öffentlicher Interessen nicht Zweck, sondern lediglich kuhle, in: H. v. Mangoldt / F.  Klein / C.  Starck, Grundgesetz, 6. Aufl. 2010, Bd. 3, Art. 93 Rn. 115. 165  BVerfG (K), BayVBl 2009, 690; W. Krebs, in: I. v. Münch / P. Kunig, Grundgesetz, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 19 Rn. 64; J. Krüper, Gemeinwohl im Prozess, 2009, S. 143; M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (186); S. Schlacke, (Auf)Brüche des Öffentlichen Rechts: von der Verletztenklage zur Interessentenklage, DVBl 2015, 929 (929); A. Guckelberger, Entwicklungslinien im Umweltrechtsschutz, JA 2014 647 (647). 166  F.  Schoch, in: W.  Hoffmann-Riem / E.  Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, Gr­ VerwR, Bd. III, 2. Aufl. 2013, § 50, Rn. 5; R.  Wahl / P.  Schütz, in: F.  Schoch / J.-P. Schneider / W.  Bier, VwGO, § 42 Abs. 2, Rn. 37 f.; N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 285; S.  Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 62; J.  Masing, in: W.  Hoffmann-Riem / E.  Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. I, 2. Aufl. 2012, § 7 Rn. 95. Ob sich der Schutz des Art. 19 Abs. 4 GG auch auf Umweltvereinigungen im Rahmen einer Verbandsklage erstreckt, sieht eine Kammer des Bundesverfassungsgerichts als nicht geklärt an, vgl. BVerfG, 2. Kammer, 1. Senat, Beschl. v. 18.09.2017  – 1 BvR 361 / 12, Rn. 11. 167  Vorbehaltlich des Bestehens anderweitiger gesetzlicher Bestimmungen, § 42 Abs. 2 Hs. 1 VwGO. 168  Zur Möglichkeitstheorie vgl. statt aller nur W.-R. Schenke / R. P. Schenke, in: F. O. Kopp / W.-R. Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 42 Rn. 66. 169  Zum weiteren „zwingenden Rüstzeug der Verletztenklage“ wie der Disposi­ tionsmaxime im Verwaltungsprozess, siehe K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (794). 170  J. Held, Individualrechtsschutz bei fehlerhaftem Verwaltungsverfahren, NVwZ 2012, 461 (463); ders., Umweltrechtliche Verfahrensfehler im Lichte der neuesten Rechtsprechung, DVBl 2016, 12 (13); J. Krüper, Neudefinition des „subjektiven öffentlichen Rechts“, in: M. Kloepfer, Rechtsschutz im Umweltrecht, 2014, 163 (172).

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1. Teil: Grundlagen

(willkommene) Nebenfolge der Verfahren.171 Das oben bereits für den grundrechtlichen Schutz beschriebene Ungleichgewicht zwischen den Positionen des Umweltnutzers und derjenigen des Umweltschützers setzt sich im System der Verletztenklage im Verwaltungsprozessrecht fort.172 Nicht nur wird der Umweltbetroffene auf die Geltendmachung weniger anerkannter materiell-personaler Interessen und Rechtsgüter beschränkt. Vielmehr wird sein Rechtsschutz auch dadurch begrenzt, dass er die Verletzung von Vorsorgenormen173 und damit die Abwehr zeitlich weiter in der Ferne liegender oder ungewisser Schadenseintritte, wie sie auch mit dem Verlust an biologischer Vielfalt befürchtet werden müssen, gerade nicht geltend machen kann. Zudem stand das Konzept der materiellen Verletztenklage und das Verständnis von der dienenden Funktion des Verfahrensrechts auch der weitergehenden Anerkennung selbständig geltend zu machender subjektiver Verfahrensrechte weitgehend entgegen,174 in jedem Fall, soweit diese lediglich der Ermittlung und Bewertung nicht privatnütziger Schutzgüter wie Tiere, Pflanzen oder der biologischen Vielfalt dienen.175 Einer Ausweitung des verfahrensrechtlichen Denkens standen neben den Grundentscheidungen des Rechtsschutzssystems zudem noch die gesetzgeberischen Entscheidungen für eine Verfahrensbeschleunigung zu Beginn der 90er Jahre entgegen.176 Die tiefe Verankerung des bis zuletzt im Verwaltungsprozessrecht erreichten Rechtszustands ist eng mit den „eigenen Rechten“ i. S. v. § 42 Abs. 2 VwGO und damit mit dem sich hierhinter versteckenden subjektiv-öffent­ 171  K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (794). 172  C. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, 492 m. z. w. N.; einen Abbau dieser Asymmetrie sieht jedoch bereits durch die „Subjektivierungsschübe“ im nationalen besonderen Verwaltungsrecht der Nachkriegszeit K. F. Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (1). 173  S. Almeling, Die Aarhus-Konvention, 2008, S. 188 f.; kritisch hierzu auch unter Geltung der klassischen Schutznormtheorie, K. F. Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (1); K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (795). 174  Vgl. F. Schoch, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. III, 2. Aufl. 2013, § 50, Rn. 170; ders., Verwaltungsgerichtsbarkeit, quo vadis?, VBlBW 2013, 361 (368). Einschränkend hinsichtlich des Zusammenhangs des Rechtsschutzmodells und der Möglichkeit zur Geltendmachung von Verfahrensfehlern K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (796). 175  J. Held, Umweltrechtliche Verfahrensfehler im Lichte der neuesten Rechtsprechung, DVBl 2016, 12 (14). 176  Ausführlich zur Bedeutung der Beschleunigungsgesetzgebung K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 99 ff.; siehe auch J. Held, Individualrechtsschutz bei fehlerhaftem Verwaltungsverfahren, NVwZ 2012, 461 (461).



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lichen Recht als einem Schlüsselbegriff des Systems des Individualrechtsschutzes der Verwaltungsgerichtsordnung verbunden.177 Seine Entstehung ist im Folgenden nachzuzeichnen. 2. Historische Entwicklung des subjektiv-öffentlichen Rechts Während die noch heute gebräuchliche und auf O. Bühler zurückgehende Definition des subjektiv-öffentlichen Rechts178 durch die Begriffsmerkmale des „zwingenden Rechtssatzes“ sowie „der Rechtsmacht“ noch ganz verschiedene Problemlagen zu lösen sich anschickte,179 ist im Laufe der Zeit das Merkmal der „Schutznorm“ ganz in den Mittelpunkt des Interesses und der Auseinandersetzung um das Bestehen „eigener Rechte“ i. S. v. § 42 Abs. 2 VwGO gerückt, die über die Eröffnung des Zugangs zu Gericht (mit-)entscheiden.180 Ausgebaut zur sog. Schutznormtheorie wird, ebenfalls im Anschluss an O. Bühler181, vom Vorliegen einer Schutznorm bzw. einer drittschützenden Norm noch heute von der h. M. ausgegangen, wenn die fragliche gesetzliche Regelung „zugunsten bestimmter Personen oder Personenkreise, zur Befriedigung ihrer Individualinteressen und nicht nur im Interesse der 177  Vgl. F. Schoch, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. III, 2. Aufl. 2013, § 50, Rn. 134. 178  Vgl. hierzu im Einzelnen H. Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 76 ff. sowie zur nachhaltigen Wirkung der Definition H. Bauer, Subjektive öffentliche Rechte des Staates, DVBl 1986, 208 (212). 179  Während diesem insbesondere die Aufgabe zukam, das Verhältnis von objektivem und subjektivem Recht zu bestimmen und Fälle rein faktischer Betroffenheit ausscheiden sollte, charakterisierte jenes das Institut als Rechtsmacht über die öffentliche Gewalt, zeigte die enge Verbindung zum Rechtsschutz an und wurde vielfach herangezogen, um die gerichtliche Durchsetzbarkeit als Bestandteil des subjektiven öffentlichen Rechts zu begründen, H. Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 77 f. bzw. 78 f. Siehe zur Bedeutung beider Merkmale auch F. Schoch, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-Aßmann /  A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. III, 2. Aufl. 2013, § 50, Rn. 137. 180  J. Krüper, Gemeinwohl im Prozess, 2009, S. 112 f.; kritisch gegenüber Tendenzen der Vermischung von materieller Rechtsposition und Durchsetzbarkeit schon bei der Bildung des Begriffs vom subjektiv-öffentlichen Recht angesichts seiner rechtspraktischen Bedeutung im Prozessrecht M. Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (344); kritisch hingegen gegenüber der Vernachlässigung des Merkmals der Rechtsmacht C. Enders, Subjektiv-rechtliche Fundierung des Umweltschutzes, ZUR 2016, 387 (390). 181  O. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 224. Vgl. zum „modernen“ Verständnis des Begriffs als Sammelbezeichnung für „einen Kanon von Methoden und Regeln“ W. R. Schenke / R. P. Schenke, in: F. O. Kopp / W. R. Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 42 Rn. 83.

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Allgemeinheit erlassen“ wurde, bzw. „zum Schutz von Individualinteressen“ bestimmt ist.182 Nicht gelöst, sondern der dogmatischen Auslegungsarbeit aufgegeben wird hier die Unterscheidung öffentlicher und privater Interessen.183 Nicht zuletzt in diesem Punkt ist der zivilistische Ursprung des subjektiven öffentlichen Rechts deutlich sichtbar.184 So lässt sich der Zentralbegriff des Interesses auf die von R. v. Jhering185 begründete Interessentheorie zurückführen, die dieser in Abgrenzung zur unter anderem von F. C. v. Savigny186 geprägten Willenstheorie entwickelte. Diese wurde, insbesondere in ihrer zur sog. Kombinationstheorie weiterentwickelten Form auch bei der Ausarbeitung des Begriffs des subjektiven öffentlichen Rechts herangezogen.187 Trotz schon früh geäußerter Bedenken hinsichtlich der Belastbarkeit des wenig konturierten Interessenbegriffs als Grundlage für die weitergehende Unterscheidung öffentlicher und privater Interessen188 war der Schutz182  Vgl. aus der neueren Literatur M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (176) sowie aus der Rechtsprechung BVerwGE 52, 122 (128); 27, 297 (307); für Nachweise aus der älteren Literatur siehe B. W. Wegener, Vollzugskontrolle durch Klagerechte vor mitgliedstaatlichen Gerichten, in: G. Lübbe-Wolff, Der Vollzug des europäischen Umweltrechts, 1996, 145 (147, Fn. 11). 183  Aufgrund des Prinzips der „Normativität des subjektiven Rechts“ ist es grundsätzlich am Gesetzgeber über Bestehen und Inhalt eines subjektiv-öffentlichen Rechts zu entscheiden. Da sich der Gesetzgeber jedoch nur in wenigen Fällen ausdrücklich hierzu äußert, ist dies im Wege der Auslegung zu ermitteln, F. Schoch, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. III, 2. Aufl. 2013, § 50, Rn. 136; J. Held, Umweltrechtliche Verfahrensfehler im Lichte der neuesten Rechtsprechung, DVBl 2016, 12 (13); J. Krüper, Gemeinwohl im Prozess, 2009, S. 129, 212. 184  Zum historischen Prozess der Begründung einer materiell-rechtlichen Stellung des Einzelnen A. Scherzberg, Grundlagen und Typologie des subjektiv-öffentlichen Rechts, DVBl 1988, 129 (129 f.); in knapper Form hierzu auch J. Saurer, Der Einzelne im europäischen Verwaltungsrecht, 2014, S. 68 f. 185  R. v. Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, Bd. 2 / 2, 8. Aufl. 1954, S. 327 ff. 186  Vgl. F. C. v. Savigny zur Definition des subjektiven Rechts, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, 1840, S. 7. 187  Zur Rolle Savignys und Jherings im Prozess der Ausbildung einer materiellen Position des Einzelnen siehe A. Scherzberg, Grundlagen und Typologie des subjektivöffentlichen Rechts, DVBl 1988, 129 (131), der auch im Ansatz Kritik an der unbesehenen Übertragung der zivilistischen Begrenzung subjektiver Rechte auf individuelle Interessen übt (131). Zum Streit über den Begriff des subjektiven Rechts zwischen Vertretern der Willens- und der Interessenstheorie sowie seinem Pendant im angelsächsischen Sprachraum vgl. auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 164, Fn. 20. 188  Vgl. die bei H. Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 80 dokumentierten eindrücklichen Äußerungen von



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normbegriff im öffentlichen Recht bis in die jüngere Zeit hinein in seinem Kern kaum angefochten.189 Die zivilrechtliche Deutung des subjektiven Rechts als Instrument zur Sicherung von Individualinteressen190 blieb damit bis heute auch Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Systementscheidung für einen Rechtsschutz, der über die Schutznormtheorie im Grundsatz auf den Schutz materiell-personaler Interessen begrenzt wird.191 Die Wirkmächtigkeit des normativen Anspruchs der Schutznormtheorie dürfte nicht zuletzt auch auf ihren historischen Entstehungskontext zurückzuführen sein, spiegelte sie doch in ihren Dogmen den allgemeinen Prozess der Trennung von Staat und Gesellschaft in zwei strikt voneinander unterschiedene Sphären wider.192 In dieser Sphärentheorie erschienen die subjektiven Rechte des Einzelnen bei prägenden Stimmen der Verwaltungsrechtswissenschaft wie O. Mayer als Rechte des Untertanen gegenüber dem als unbegrenzt und mit rechtlicher Allmacht ausgestattet gedachten Staat.193 Die Begrenzung der Rechtsmacht des Einzelnen auf die Geltendmachung seiner Privatinteressen erschien so nicht allein als organisatorisch notwendige rechtstechnische Beschränkung des Zugangs zu Gerichten, sondern als zwingende Konsequenz des Verhältnisses zwischen Staat und Gesellschaft.194 Der K. Binding und E. Kaufmann sowie auf S. 82 von G. Jellinek, O. Bühler und F. Giese; von einer dennoch hinreichenden Legitimationswirkung des ausschließlichen Individualbezugs der Schutznormtheorie geht aus J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers zur Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 188. Mit Blick auf Drittschutzkonstellationen A. Blankenagel, Klagefähige Rechtspositionen im Umweltrecht, Die Verwaltung 26 (1993), 1 (6 f.). 189  Vgl. F. Schoch, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. III, 2. Aufl. 2013, § 50, Rn. 137, der auch auf die in neuester Zeit verstärkte Kritik hinweist, auf die hier noch zurückzukommen sein wird. 190  H. Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 81. 191  J. Krüper, Gemeinwohl im Prozess, 2009, S. 138 m. w. N., kritisch und mit von der Schutznormtheorie abweichender Konzeption auch A. Blankenagel, Klagefähige Rechtspositionen im Umweltrecht, Die Verwaltung 23 (1993), 1 (24 f.). 192  H. Bauer, Subjektive öffentliche Rechte des Staates, DVBl 1986, 208 (209); M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (183). Zur grundlegenden Bedeutung dieses Prozesses für die Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes vgl. auch die Arbeit von D. Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961 sowie hierzu N. Wegner, Dietrich Jesch – „Gesetz und Verwaltung“, in: E. M. Frenzel, Was bleibt. „Frühvollendete“ in der Wissenschaft vom Öffentlichen Recht, 2017, 23 (28 ff.); vgl. auch J. Krüper, Neudefinition des „subjektiven öffentlichen Rechts“, in: M. Kloepfer, Rechtsschutz im Umweltrecht, 2014, 163 (167). 193  H. Bauer, Subjektive öffentliche Rechte des Staates, DVBl 1986, 208 (212). 194  Zu recht kritisch gegenüber dem Einfluss solch staatstheoretischer Vorstellungen O. Mayers auf die Dogmatik des positiven Rechts H. Bauer, Subjektive öffent­ liche Rechte des Staates, DVBl 1986, 208 (211); zur Unterscheidung des subjektiven

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bourgeois, so M. Hong, gab sich nach der gescheiterten Revolution von 1848 in Deutschland mit der Begrenzung auf den Schutz seiner Privatheit mit einem „halbierten“ Freiheitsstatus zufrieden, anstatt die aktive demokratische Freiheit des citoyen einzufordern.195 Trotz auch inhaltlicher Anpassungen der Lehre unter der Geltung des Grundgesetzes blieb die Schutznormtheorie der Vorstellung einer strikten Trennung von Staat und Gesellschaft verhaftet, was die fortgesetzte Wahl des Staates als ihr antithetischer Fixpunkt bezeugt.196 Dies dürfte nicht zuletzt auch durch die in der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft lange Zeit vorherrschende sog. „juristische Methode“ – zumindest in ihrer kontroll- und rechtsaktbezogenen Variante – noch gestützt worden sein.197 Während aus ihrer Perspektive vor allen Dingen die Funktion subjektiv-öffentlicher Rechte der Gewährleistung institutioneller Rechtsschutzmöglichkeiten von Bedeutung ist,198 mussten andere Aspekte ihrer für eine liberale Gesellschaft so bedeutenden Rolle wie Formen der gesellschaftlichen Selbstregulierung verkannt oder zumindest unterschätzt werden.199 Die Bedeutung der schlichten Rechts einerseits und seiner ideologischen Grundlage andererseits ermahnt auch A. Blankenagel, KlagefähigeRechtspositionen im Umweltrecht, Die Verwaltung 23 (1993), 1 (21); auf die Bedeutung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft als Vorfrage für die Lehre vom subjektiven Recht weisen auch hin J. Krüper, Gemeinwohl im Prozess, 2009, S. 19; M. Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (356). 195  M. Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, 380 (383); B. W. Wegener, Rechtsschutz für gesetzlich geschützte Gemeinwohlbelange als Forderung des Demokratieprinzips?, HFR 2000, Beitrag 3, S. 6, 8. Vgl. auch J. Masing, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-­ Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. I, 2. Aufl. 2012, § 7 Rn. 95, 102; ders., Die ­Mobilisierung des Einzelnen für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 83 so­ wie  S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 51: „Sie [d. h., subjektive Rechte, Anmerk. des Verfassers] können als Errungenschaft des Bürgers, zugleich aber auch als eine Begrenzung seiner Bürgerrechte verstanden werden.“ 196  T. Vesting, Subjektive Freiheitsrechte als Elemente von Selbstorganisationsund Selbstregulierungsprozessen in der liberalen Gesellschaft, Die Verwaltung, Beiheft 4, 2000, S. 21 (36). 197  Zu dieser Charakterisierung der „juristischen Methode“ in Kontrast zur Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft A. Funke, Perspektiven subjektiv-rechtlicher Analyse im öffentlichen Recht, JZ 2015, 369 (374). 198  Wie gezeigt wird schon bei Bühler die Verleihung einer Rechtsmacht zum Bestandteil der Definition des subjektiv-öffenltichen Rechts. Die Vermischung von materiell-rechtlichem Anspruch und seiner Durchsetzbarkeit ist also keinesfalls ein Phänomen erst der jüngeren juristischen Diskussion. So aber M. Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (344); kritisch gegenüber der pathologieorientierten Betrachtungsweise der juristischen Methode auch A. Voßkuhle, in: W. Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 1 Rn. 10.



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Ausübung und Wahrnehmung – im Unterschied zur Kontrolle der Beeinträchtigung – von subjektiven Rechten für die Ordnungsbildung in einer Gesellschaft zu begreifen, bedurfte erst einer Perspektive, die nicht allein die gerichtliche Kontrolle fokussierte, sondern die gestaltende Wirkung des Rechts stärker in den Blick nahm.200 So betrachtet erschließt sich auch, dass subjektive Rechte keineswegs allein als Ausdruck eines befreiten zügellosen Individualismus gelten können, die den Einzelnen vom Öffentlichen trennen. Ihre Bedeutung für die moderne Gesellschaft als „Stabilitätsfaktoren transsubjektiver Beziehungen“201 und für die Bildung einer sich dezentral entwickelnden Ordnung verweist vielmehr auf die ausgeprägte soziale Dimension subjektiver Rechte202. 3. Wandel des Verständnisses subjektiver Rechte Diese Ausführungen, die die Diskussionen um das subjektiv-öffentliche Recht in der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft nur mit Blick auf einige wenige Grundlinien andeuten können,203 zeigen, dass die funktionale Begrenzung des Instituts des subjektiv-öffentlichen Rechts auf den Schutz materiell-personaler Interessen nicht zuletzt auf seine historische Genese unter den Bedingungen und im ideengeschichtlichen Umfeld des 19. Jahr199  T. Vesting, Subjektive Freiheitsrechte als Elemente von Selbstorganisationsund Selbstregulierungsprozessen in der liberalen Gesellschaft, Die Verwaltung, Beiheft 4, 2000, S. 21 (21); J. Krüper, Gemeinwohl im Prozess, 2009, S. 152, 294; ders., Neudefinition des „subjektiven öffentlichen Rechts“, in: M. Kloepfer, Rechtsschutz im Umweltrecht, 2014, 163 (167); J. Masing, in: W. Hoffmann-Riem / E. SchmidtAßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. I, 2. Aufl. 2012, § 7 Rn. 95; ders., Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 14; J. Martin, Das Steuerungskonezpt der informierten Öffentlichkeit, 2012, S. 29. 200  A. Funke, Perspektiven subjektiv-rechtlicher Analyse im öffentlichen Recht, JZ 2015, 369 (375), der darlegt, dass auch die status-orientierte Variante der juristischen Methode bereits eine Loslösung von einer reinen Kontrollperspektive beeinhaltet. Zur Betrachtung dieses Aspekts subjektiver Rechte aus rechtssoziologischer Perspektive N. Luhmann, Funktion subjektiver Rechte, JhbRsoz 1970, Bd.I, S. 322 ff.; zur Neuausrichtung der Verwaltungsrechtswissenschaft in Richtung einer Steuerungswissenschaft siehe auch A. Voßkuhle, in: W. Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 1; R. Sparwasser / R. Engel / A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 2 Rn. 6. 201  T. Vesting, Subjektive Freiheitsrechte als Elemente von Selbstorganisationsund Selbstregulierungsprozessen in der liberalen Gesellschaft, Die Verwaltung, Beiheft 4, 2000, S. 21 (22 f., vgl. weiterhin 39). 202  Vgl. zur sozialen Funktion von Individualität N. Luhmann, Zur Funktion der subjektiven Rechte, JhbRsoz 1970, Bd. I, 321 (323). 203  Ausführlich zu den historischen Bedinungen für das deutsche Individualrechtssystem Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 30 ff.

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hunderts begründet ist. Diese Konzeption muss unter den gewandelten Umständen eines durch weitergehende Entstaatlichung204 einerseits und die Existenz komplexer Herausforderungen wie die Bekämpfung des fortschreitenden Verlustes der biologischen Vielfalt im 21. Jahrhundert205 andererseits an Überzeugungskraft verlieren. Für das öffentliche Recht spiegelt sich die Veränderung zum einen in einer Zunahme kooperativer Handlungsformen zwischen Staat und Gesellschaft wider,206 welche die ehemals vorhandene strikte Trennung der staatlichen und gesellschaftlichen Sphären im Recht in nicht unerheb­licher Weise haben verblassen lassen. Zudem zeigt sich der Anstieg an Komplexität in der heute bestehenden Dominanz mehrpoliger öffentlich-recht­licher Rechtsverhältnisse.207 Adäquate Lösungen für hier auftretende Konflikte kann eine durch die Schutznormtheorie dominierte Lehre vom subjektiv-öffentlichen Recht, deren Konstruktion auf das bipolare Verhältnis zwischen den klar voneinander getrennten Sphären des Staates und der Gesellschaft zugeschnitten ist,208 nicht mehr zuverlässig bieten.209

204  Zur Verleihung (prozeduraler) subjektiver Rechte als Kompensation für die teilweise staatliche Rücknahme ordnungsrechtlicher Ansätze, F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 42; J. Masing, in: W. HoffmannRiem / E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. I, 2. Aufl. 2012, § 7 Rn. 104. 205  Allgemein zur Zunahme komplexer Aufgaben des Staates A. Voßkuhle, Beteiligung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und staatlicher Verantwortung, VVDStRL 62 (2003), 266 (268). 206  Zu Kooperationsinstrumenten im Umweltrecht siehe nur M. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 5 Rn. 1563 ff. Zur Ebene der Normsetzung F. Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005. 207  Zu den heute typischerweise vorherrschenden Dreiecksverhältnissen im vorliegenden Zusammenhang auch M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (183). Zum Begriff des Verwaltungsrechtsverhältnisses H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011 § 8 Rn. 17 ff., zu mehrpoligen Verwaltungsrechtsverhältnissen Rn. 23 f. sowie kritisch bzgl. der Erwartungen an die Diskussion um das Verwaltungsrechtsverhältnis als Grundlage einer neuen Verwaltungsrechtsdogmatik Rn. 25 ff. Kritisch zum letzten Punkt auch H. Sodan, in: ders. / J. Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 42 Rn. 390. 208  C. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 493; die Ungeeignetheit eines auf die Durchsetzung rein privater Interessen begrenzten Begriffs des subjektivöffentlichen Rechts für Problemlösungen unter den Bedingungen einer Gesellschaft mit einer „Dezentralisation der Rechtsproduktion“ betont T. Vesting, Subjektive Freiheitsrechte als Elemente von Selbstorganisations- und Selbstregulierungsprozessen in der liberalen Gesellschaft, Die Verwaltung, Beiheft 4, 2000, S. 21 (22). 209  J. Krüper, Gemeinwohl im Prozess, 2009, S. 153 spricht von einer „prozessökonomisch motivierten Simplifizierung öffentlich-rechtlicher Konfliktlagen“. Zu den resultierenden Schwierigkeiten ausführlich C. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 369 ff.



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Ungeachtet tiefer gehender Wandlungen hat der Gesetzgeber in der Vergangenheit nur punktuelle Weiterungen des Verwaltungsrechtsschutzes unter Beibehaltung des Systems der individualschützenden Verletztenklage zugelassen. So wurde nach Jahrzehnten kontroverser Diskussion210 mit der Schaffung zunächst landesrechtlicher und später auch einer im Bundesrecht verankerten naturschutzrechtlichen altruistischen Verbandsklage211 für den vorliegend interessierenden Bereich lediglich in einem eng begrenzten Teilausschnitt des rechtlichen Schutzes öffentlicher Interessen, namentlich der biologischen Vielfalt,212 die verfahrensmäßige und prozessuale Mitwirkung der (organisierten) Öffentlichkeit insbesondere durch die Schaffung eines isolierten Rechtsdurchsetzungsanspruchs213 zugelassen. Im Rahmen der Umsetzung der Vorgaben der Aarhus-Konvention und ihrer europarechtlichen Umsetzungsrichtlinien wurde zudem deutlich, dass auch weiterhin beim Gesetzgeber ganz erhebliche rechtspolitische wie rechtliche Vorbehalte gegen eine weitergehende Öffnung des Rechtsschutzsystems für die Mitwirkung Einzelner oder von Teilen der Öffentlichkeit bei der Verwirklichung öffent­ licher Interessen in Deutschland bestehen.214 Gleichwohl kann es nicht übersehen werden, dass sich inzwischen die Stimmen in der deutschen Rechtswissenschaft mehren, die eine Aufgabe der Engführung der Dogmatik vom subjektiv-öffentlichen Recht fordern.215 Unterschieden werden könnnen hier Ansätze, die auf Grundlage und im Rahmen der nationalen Rechtsordnung eine Ausweitung subjektiv-rechtlichen Schutzes auch auf Interessen der Allgemeinheit fordern,216 von solchen, die dies als notwendige Anpassung an europäische und internationale Vorgaben sehen.217 210  Zusammenfassend L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, 48 ff. 211  Zur Abgrenzung der altruistischen von der egoistischen Verbandsklage sowie der Verbandsverletztenklage, L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S.  33 ff. 212  BT-Drs. 14 / 6378, S. 1, 61. 213  M. Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (349). 214  Wie kaum bei einer anderen Frage wird hinsichtlich der Umsetzung der Vorgaben der Aarhus-Konvention in das deutsche Recht der große Einfluss von Wirtschaftslobbyisten auf den Gesetzgeber beklagt, vgl. K. F. Gärditz, Europäisierter Umweltrechtsschutz als Laboratorium des Verwaltungsprozessrechts, EurUP 2015, 196 (197). 215  Zu älteren, hier nicht weiter verfolgten Ansichten, die auf die Schaffung einer Popularklage abzielten vgl. C. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 495. 216  Insbesondere J. Krüper, Gemeinwohl im Prozess, 2009; siehe auch bereits A. Blankenagel, Klagefähige Rechtspositionen im Umweltrecht, Die Verwaltung 26 (1993), 1 (20 ff.), der eine weitergehende Zuordnung klagefähiger Rechtspositionen an Individuen durch Gesetzgeber und Gerichte fordert. 217  Siehe insbesondere M. Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, 380 (386); J. Masing, GrVerwR,

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Ein Anpassungsbedarf wird heute – wenn auch mit großen Unterschieden bei der Einschätzung des Umfangs notwendiger Änderungen218 – mithin kaum noch geleugnet.219 Zahlreiche Stimmen sprechen sich aber dafür aus, dabei die Grundentscheidung für den (begrenzten) Individualrechtsschutz der Verletztenklage nicht anzutasten. Weiterungen sollten deshalb nur über das Instrument der altruistischen Verbandsklage als hiervon separatem Rechtsschutzzweig zugelassen werden. Im Sinne des erstgenannten Ansatzes argumentiert Krüper auf Basis des geltenden Rechts für die Anerkennung eines funktionalen subjektiven Rechts auf Umweltvorsorge. Davon ausgehend, dass die Aufgabe der Schaffung des Gemeinwohls zwar primär, keinesfalls aber ausschließlich beim Staat liege,220 legt er dar, dass Defizite bei der staatlichen Erfüllung der Schaffung von Gemeinwohl, wie sie sich insbesondere auch im weithin anerkannten Vollzugsdefizit im Bereich des Umwelt- und Naturschutzrechts zeigten,221 zur Auflösung formell gestifteter Legitimationszusammenhänge führten, die der legitimatorischen Kompensation durch erweiterte partizipative Strukturen im Recht bedürften.222 Mit seiner hierauf aufbauenden Kritik an der herrschenden Schutznormtheorie richtet er sich insbesondere gegen die ScheinplausiBd. 1, 2. Aufl. 2012, § 7 Rn. 96; Enders, Subjektiv-rechtliche Fundierung des Umweltschutzes, ZUR 2016, 387 (390 f.); F. Schoch, in: W. Hoffmann-Riem / E. SchmidtAßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. III, 2. Aufl. 2013, § 50, Rn. 149 ff. 218  Von sanften Weiterungen des Rechtsschutzes in der Rechtsprechung des EuGH spricht etwa K. F. Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (1); vgl. zur Wahrnehmung solch internationaler Einflüsse als äußere Ingerenzen auch die Beobachtungen von J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers zur Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 179; I. Pernice, Umweltvölker- und europarechtliche Vorgaben zum Verbandsklagerecht und das System des deutschen Verwaltungsrechtsschutzes, JZ 2015, 967 (968); B. W. Wegener, Vollzugskontrolle durch Klagerechte vor mitgliedstaatlichen Gerichten, in: G. Lübbe-Wolff, Der Vollzug des europäischen Umweltrechts, 1996, 145 (173 f.) sowie A. K. Mangold, The Persistence of National Peculiarities, Indiana Journal of Global Legal Studies 21 (2014), 223 (233). 219  K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (795). 220  J. Krüper, Gemeinwohl im Prozess, 2009, S. 235, ausdrücklich auch S. 291; C. Calliess, Ansätze zur Subjektivierung von Gemeinwohlbelangen im Völkerrecht, ZUR 2000, 246 (246 f.). 221  So bereits G. Lübbe-Wolff, Vollzugsprobleme der Umweltverwaltung, NuR 1993, 217 ff.; B. W. Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 17 m. w. N.; C. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, 361 f.; L. Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, S. 26 ff.; zum Vollzugsdefizit als Unterfall des Steuerungsdefizits des Rechts F. Ekardt, Steuerungsdefizite im Umweltrecht, 2001, S. 37 ff. 222  J. Krüper, Gemeinwohl im Prozess, 2009, S. 249; ders., Neudefinition des „subjektiven öffentlichen Rechts“, in: M. Kloepfer, Rechtsschutz im Umweltrecht, 2014, 163 (172 ff.); eine Beeinträchtigung des Demokratieprinzips wegen des mit den



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bilität der Unterscheidung von personell-materialen und öffentlichen Interessen,223 die sich bei genauerem Hinsehen als ein am Einzelfall orientierter, subjektiv-normativer Zuschreibungsakt, nicht aber als eine mit den Mitteln des Rechts vorgenommene Abgrenzung darstelle.224 Dabei zielt er keineswegs auf eine grenzenlose Subjektivierung von Rechtspositionen ab, sondern betont vielmehr die Notwendigkeit eines behutsamen Vorgehens, u. a. um Totalisierungstendenzen einer solchen Rechtstechnik keinen Vorschub zu leisten.225 Gleichwohl spricht er sich für die Überwindung der bisherigen Striktheit der Trennung von öffentlicher und privater Sphäre aus, die zu einer Stilisierung des Merkmals der Selbstbetroffenheit als notwendige Voraussetzung eines funktionierenden Rechtsschutzssystems geführt habe,226 um eine stärkere Zuwendung zur materiellen und systematischen Funktion subjektiver Rechte als Konfliktlösungsmechanismus zu ermöglichen.227 Eintretend für die Schaffung eines funktionalen subjektiven Rechts auf Umweltvorsorge228 erinnert er zudem daran, dass die Möglichkeit der SubjektivieVollzugsdefiziten einhergehenden Steuerungsverlusts des Staates sieht auch C. Franzius, Modernisierung des subjektiven öffentlichen Rechts, UPR 2016, 281 (283). 223  Zu einer fundamentaleren Kritik an der Unterscheidung privater und öffentlicher Interessen sowie dem Begriff des Gemeinwohls siehe F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 72 ff.; trotz aller gerade mit dem Begriff des Gemeinwohls verbundenen Probleme lässt sich entgegen Ekardt jedoch ein völliger Verzicht auf dessen Gebrauch schon angesichts seiner Verwendung in der Verfassung (Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG) und der Rechtsprechung des BVerfG nicht durchführen. In den letzten Jahren widmeten sich diesem Begriff gleich mehrere Tagungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, vgl. VVDStRL Bd. 62 sowie 69. Zum unendlichen Diskurs über Gemeinwohl und Staatsaufgaben A. Voßkuhle, Beteiligung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und staatlicher Verantwortung, VVDStRL 62 (2003), 266 (273 ff.). 224  J. Krüper, Gemeinwohl im Prozess, 2009, S. 138; ders., Neudefinition des „subjektiven öffentlichen Rechts“, in: M. Kloepfer, Rechtsschutz im Umweltrecht, 2014, 163 (169 f.); C. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, 493; zu den Grenzen der Deduktion im hier betretenen Feld teleologischer Interpretation R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, 161; die Aufgabe der Begrenzung des subjektivrechtlichen Schutzes auf private Interessen forderte auch bereits A. Blankennagel, Klagefähige Rechtspositionen im Umweltrecht, Die Verwaltung 26 (1993), 1 (24 ff.); H. Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, 140 ff. 225  Zu diesen Bedenken J. Krüper, Gemeinwohl im Prozess, 2009, S. 282; ders., Neudefinition des „subjektiven öffentlichen Rechts“, in: M. Kloepfer, Rechtsschutz im Umweltrecht, 2014, 163 (180 f.) vgl. hierzu auch C. Enders, Subjektiv-rechtliche Fundierung des Umweltschutzes, ZUR 2016, 387 (392). 226  J. Krüper, Gemeinwohl im Prozess, 2009, S. 129. 227  J. Krüper, Gemeinwohl im Prozess, 2009, S. 294 auch mit Verweis auf die insoweit erhellende soziologische Perspektive. 228  Zu den Grenzen seines Vorschlags siehe vor allen Dingen auch J. Krüper, Neudefinition des „subjektiven öffentlichen Rechts“, in: M. Kloepfer, Rechtsschutz im

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1. Teil: Grundlagen

rung öffentlicher Güter durch die Anerkennung sog. formeller subjektiver Rechte229 immer schon Teil der Schutznormlehre war und es dem einfachen Gesetzgeber gestattet ist, auch andere als materiell-personale Interessen zu versubjektivieren.230 Anderen Autoren zufolge, welche die Notwendigkeit für eine erweiterte Anerkennung subjektiv-rechtlicher Positionen schon allein durch das Bedürfnis der angemessenen Verarbeitung europäischer und auch internationaler Vorgaben gegeben sehen,231 sei die Schutznormlehre dahingehend zu modifizieren, dass nicht nur solche Normen Schutznormen seien, „die zumindest auch Individualinteressen zu dienen bestimmt sind“, sondern auch solche, „die zur individuellen Durchsetzung öffentlicher Interessen ermächtigen sollen“.232 Auch hier wird mithin ausdrücklich ein Bruch mit der klassischen Lesart der auf Privatnützigkeit ausgerichteten Schutznormlehre gefordert und das „Individualinteresse an der Durchsetzung von Allgemeininteressen“ anerkannt.233 Entsprechende Verpflichtungen für Deutschland werden in erster Linie in den Regelungen der Aarhus-Konvention und mehr noch in den ihrer Umsetzung ins europäische Recht dienenden Richtlinien gesehen.234 Teilweise berufen sich die Stimmen jedoch auch auf ein von der deutschen Schutznormlehre abweichendes, deren Erweiterung forderndes Verständnis des Gerichtshofs der Europäischen Union bei der Begründung subjektiver Umweltrecht, 2014, 163 (183 f.), wonach er eine prozessuale Akzessorietät zu mate­ riellen subjektiven Rechten vorsieht. 229  Deren Anerkennung geht zurück auf G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 1892, 70 f.; vgl. hierzu auch S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 42; J. Masing, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. I, 2. Aufl. 2012, § 7 Rn. 103. Nach Jellinek sollte mit solchen formellen subjektiven Rechten allerdings gerade kein Anspruch auf gerichtliche Rechtsdurchsetzung verbunden werden. 230  So auch A. Blankennagel, Klagefähige Rechtspositionen im Umweltrecht, Die Verwaltung 26 (1993), 1 (21 f. sowie 24 f.). 231  J. Masing, Der Rechtsstatus des Einzelnen im Verwaltungsrecht, in: GrVerwR, Bd. I, 2. Aufl. 2012, § 7 Rn. 484); M. Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, 380 (380 ff.). 232  M. Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, 380 (384). 233  M. Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, 380 (380). 234  Siehe nur zur Bedeutung des Trianel-Urteils des EuGH für die nationale Schutznormlehre M. Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, 380 (386 f.); M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (186) sieht hier einen Verdienst der Aarhus-Konvention in der Aufbrechung der historisch bedingten Engführung der Dogmatik auf die Verletzung materiell-personaler Positionen.



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Rechte im europäischen Umweltrecht. Die Stimmen erkennen an, dass subjektive Rechte nicht nur zum Schutz der Selbstbestimmung und der Integrität Einzelner, sondern auch aufgrund steuerungswissenschaftlicher Erwägungen verliehen werden dürfen.235 Durch die Verleihung solcher nicht-privatnütziger, sondern im Allgemeininteresse liegender prokuratorischer Rechte wächst der Einzelne in eine Sachwalterstellung236 hinein und die Freiheit des bourgeois wird so doch noch um die eines citoyen ergänzt.237 Zahlreiche weitere Autoren238 erkennen zwar einen gewissen Anpassungsbedarf im deutschen Recht an, gehen aber davon aus, dass die europa- und völkerrechtlich notwendig gewordenen Anpassungen grundsätzlich im Rahmen des Systems der Verletztenklage bewältigt werden können239 und lehnen im Bereich des Individualrechtsschutzes eine Subjektivierung von Allgemein­ interessen auch weiterhin ab. Soweit die Eröffnung von Möglichkeiten zur gerichtlichen Geltendmachung von Allgemeininteressen in Umsetzung der Vorgaben der Aarhus-Konvention gefordert sei, solle dem allein durch eine 235  J. Masing, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. I, 2. Aufl. 2012, § 7 Rn. 102, 104. 236  Zur näheren Charakterisierung prokuratorischer Rechte J. Masing, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. I, 2. Aufl. 2012, § 7 Rn.  112 ff. 237  J. Masing, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. I, 2. Aufl. 2012, § 7 Rn. 102. 238  Vgl. insoweit nur die kritischen Beobachtungen bei K. F. Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 ff. sowie ders. Europäisierter Umweltrechtsschutz als Laboratorium des Verwaltungsprozessrechts, EurUP 2015, 196 ff.; K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 ff.; wohl auch S. Schlacke, Zur fortschreitenden Europäisierung des (Umwelt-)Rechtsschutzes, NVwZ 2014, 11 ff. 239  Dabei gehen diese Stimmen davon aus, dass der EuGH bei der Auslegung europäischen Umweltrechts ein mit der deutschen Schutznormtheorie grundsätzlich zu vereinbarendes Schutznormmodell vertritt, vgl. nur K. F. Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (1, 5); ders., Europäisierter Umweltrechtsschutz als Laboratorium des Verwaltungsprozessrechts, EurUP 2015, 196 (207 ff.). Gegen weitergehende Forderungen, die teilweise aus der Rechtsprechung des EuGH zu den aus der Aarhus-Konvention resultierenden Vorgaben abgeleitet werden, wenden sich die genannten Stimmen ausdrücklich, siehe nur K. F. Gärditz, a. a. O., 196 (209 f.). Hiergegen bzw. die entsprechende Argumentation im Gutachten von K. F. Gärditz, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit unter dem Einfluss des Unionsrechts – Umfang des Verwaltungsrechtsschutzes auf dem Prüfstand, Gutachten D zum 71. Deutschen Juristentag, in: Verhandlungen des 71. Deutschen Juristentages, Essen 2016, Band I, Gutachten, Teil D, 2016, wendet sich B. W. Wegener, Nein, nein, nein!? – Kein Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit unter dem Einfluss des Unionsrechts?, JZ 2016, 829 (829 f.), der durch die vorgetragenen Argumente eine neue Phase im defensiven Umgang von Teilen der deutschen Rechtswissenschaft mit dem Unionsrecht erreicht sieht.

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Ausweitung der Verbandsklage Rechnung getragen werden.240 Vor weiteren Subjektivierungen und der mit einer zu weitgehenden Aufgabe der Beschränkungen der traditionellen Schutznormlehre verbundenen „substanziellen Tektonikverschiebung“241 warnen diese Stimmen jedoch eindringlich. Nicht nur wird die Rechtfertigungsfähigkeit der grundrechtsrelevanten Eröffnung zusätzlicher Klagemöglichkeiten für Umweltbetroffene und -schützer bezweifelt, da diese in einem erheblichen Maße auch die Freiheitsentfaltung Dritter – und sei es nur in zeitlicher Hinsicht durch den Prozessbetrieb – beeinträchtige, soweit es sich um mehrpolige Verwaltungsverhältnisse handele.242 Vielmehr warnen die Stimmen auch vor einem allgemeinen „systemischen Verlust an subjektiver Freiheit“, die mit der Schaffung von Rechten zur Klagbarmachung von Allgemeinbelangen unabhängig von einer „subjektiv-freiheitlichen Substanz“ verbunden sei.243 Zudem wird befürchtet, dass durch eine zu starke Ausweitung des Rechtsschutzes im Umweltrecht die bisherigen Funktionsgrenzen der Verwaltungsgerichtsbarkeit gesprengt würden.244 Nicht nur müsse die befürchtete mengenmäßige Überfrachtung der Gerichte notwendigerweise zu einer Reduktion der bisherigen hohen Kon­ trolldichte – einem „Markenkern“ des deutschen Prozessrechts245 – führen.246 240  K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (800); kritisch jedoch auch hierzu K. F. Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (8 f.), der insbesondere Zweifel an einer hinreichenden Legitimation des Verbandsrechtsschutzes äußert. Hierzu auch ders., Europäisierter Umweltrechtsschutz als Laboratorium des Verwaltungsprozessrechts, EurUP 2015, 196 (204 ff.). 241  K. F. Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (4). 242  K. F. Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (6); K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (800 f.). 243  K. F. Gärditz, Europäisierter Umweltrechtsschutz als Laboratorium des Verwaltungsprozessrechts, EurUP 2015, 196 (211); damit wird implizit geleugnet, dass ­Steuerungsinteressen des Staates eine hinreichende Legitimation zur Verleihung subjektiver Rechtspositionen sein können, hierzu J. Masing, in: W. Hoffmann-Riem /  E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. I, 2. Aufl. 2012, § 7 Rn. 102. 244  K. F. Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (9). 245  K. Rennert, Wo steht die Verwaltungsgerichtsbarkeit?, BayVBl 2015, 73 (74). 246  K. F. Gärditz, Europäisierter Umweltrechtsschutz als Laboratorium des Verwaltungsprozessrechts, EurUP 2015, 196 (211); C. Steinbeiß-Winkelmann, Verwaltungsgerichtsbarkeit zwischen Überlasten, Zuständigkeitsverlusten und Funktionswandel, NVwZ 2016, 713 (720); K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (798), der dadurch einen insgesamt negativen Saldo für die Kontrolleffizienz sieht. Vor einem negativen „trade off“ warnt auch J. Saurer, Der Einzelne im europäischen Verwaltungsrecht, 2014, S. 379. Für die bislang überhaupt nicht erfassten Bereiche des Naturschutzes erscheint eine solche Gesamtsaldie-



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Vielmehr wandle sich die Funktion der Gerichtsbarkeit auch insgesamt von einer „streitentscheidenden Gewalt“ zu einer allgemeinen Aufsicht und es drohe eine nicht tragbare Belastung verwaltungsgerichtlicher Prozesse durch eigentlich politische und damit im demokratischen Prozeß und nicht im Rechtediskurs zu lösende Konflikte.247 Unabhängig davon, ob man die vorstehend wiedergegebene Kritik an einer stärkeren Öffnung des deutschen Verwaltungsprozessrechts für die Geltendmachung allgemeiner Interessen durch Einzelne oder Umweltvereinigungen teilt, macht sie auf die Erheblichkeit einer solchen Veränderung für das gesamte Rechtsschutzsystem und auch für das gesellschaftliche Zusammenleben an sich aufmerksam. Eine Entscheidung für oder gegen einen solchen Wandel ist deshalb durch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber zu treffen.248 Dieser darf sich seiner Verantwortung nicht entziehen.249 Dabei unterliegt der Gesetzgeber heute aber nicht nur den äußeren Grenzen des Grundgesetzes,250 sondern auch den Vorgaben der europäischen und internationalen Ebene. rung allerdings wenig aussagekräftig. Insoweit sei an die Äußerung der GA Sharpston im Trianel-Verfahren erinnert, beim deutschen Rechtsschutzsystem handele es sich mit seiner hohen Prüftiefe im Naturschutzbereich um einen „Ferrari mit geschlossenen Türen“. 247  K. F. Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (10); ders., Europäisierter Umweltrechtsschutz als Laboratorium des Verwaltungsprozessrechts, EurUP 2015, 196 (211), der hierdurch ein „freiheitliches Verwaltungsprozessrecht“ strukturell überfordert sieht; K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (793, 800). 248  BVerwG, Urteil vom 05.09.2013  – 7 C 21.12 (Luftreinhalteplan Darmstadt)  = BVerwGE 147, 312, Rn. 26 ff.; J. Masing, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. I, 2. Aufl. 2012, § 7 Rn. 100; K. Rennert, Funk­ tionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (796); K. F. Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (5 f.); F. Ekardt, Nach dem Altrip-Urteil, NVwZ 2014, 303 (396). 249  Tut er dies doch, so werden Gerichte unter Zugzwang gesetzt, bis an die Grenzen richterrechtlicher Rechtsfortbildung zu versuchen, das nationale Recht in Einklang mit den europäischen und völkerrechtlichen Vorgaben zu bringen. Im hier interessierenden Zusammenhang konnte dies vor allen Dingen beobachtet werden anhand der Entscheidung des BVerwG in der Rechtssache Luftreinhalteplan Darmstadt, BVerwG, Urteil vom 05.09.2013  – 7 C 21.12 = BVerwGE 147, 312, die für erheb­ liche Diskussionen sowohl innerhalb des Bundesverwaltungsgerichts, als auch in der Rechtswissenschaft sorgte. Vgl. nur die weiteren Entscheidungen des BVerwG, Urteil vom 19.12.2013 – 4 C 14 / 12; Urteil vom 12.11.2014 – 4 C 34 / 13 (Wannsee-Route) sowie C. Enders, Subjektiv-rechtliche Fundierung des Umweltschutzes, ZUR 2016, 387 ff. 250  Zu dem dabei dem Gesetzgeber zukommenden erheblichen Handlungsspielraum J. Masing, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. I, 2. Aufl. 2012, § 7 Rn. 100.

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1. Teil: Grundlagen

Bevor sich die vorliegende Untersuchung schließlich mit den völkerrechtlichen Ansätzen zum subjektiv-rechtlichen Schutz biologischer Vielfalt ihrem eigentlichen Gegenstand zuwendet, soll im nächsten Abschnitt zunächst dem europäischen Einfluss für das Verständnis subjektiver Berechtigungen nachgespürt und untersucht werden, ob und inwieweit das Europarecht bereits für sich genommen zu einer Anerkennung der Subjektivierung öffentlicher Interessen gekommen ist. Dass hier ggf. ein ganz anderes dogmatisches und auch funktionales Verständnis des Rechtsinstituts des subjektiven Rechts vorgefunden wird, würde jedenfalls aus rechtstheoretischer Sicht kaum verwundern. So handelt es sich danach bei der Subjektivierung doch lediglich um eine spezielle Rechtstechnik, eine mögliche Ausgestaltungsform objektivrechtlicher Normen, nicht aber um etwas von der objektiven Rechtsordnung Verschiedenes.251 Die konkrete inhaltliche Ausgestaltung subjektiver Rechte – d. h. die möglichen Gegenstände des geschützten Interesses oder Willens252 und damit dessen Zweckrichtung – unterliegt danach zumindest keinerlei rechtstheoretischen Restriktionen, sondern – auch – einem historisch bedingten und von den Problemlagen der jeweiligen Rechtsordnung abhängigen Wandel.253

251  H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 1. Aufl. 1934, S. 48, zitiert nach der von M. Je­ staedt herausgegebenen Studienausgabe von 2008; A. Scherzberg, Grundlagen und Typologie des subjektiv-öffentlichen Rechts, DVBl 1988, 129 (130); vgl. aus der neueren Literatur auch M. Kleiber, Der grundrechtliche Schutz künftiger Generationen, 2014, S. 86. 252  Vgl. zum Gegenstand subjektiver Rechte als Bestandteil einer dreiteiligen Relation zwischen Rechtsträger, Adresssaten oder Verpflichtetem und dem Gegenstand des Rechts R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 2. Aufl. 19, S. 171; hierzu zuletzt auch M. Kleiber, Der grundrechtliche Schutz künftiger Generationen, 2014, S. 84. 253  Vgl. H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 1. Aufl. 1934, S. 48 ff., zitiert nach der von M. Jestaedt herausgegebenen Studienausgabe von 2008; vgl. auch M. Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (357) der auf die unterschiedliche Abgrenzung von Rechtediskurs und politischem Prozess in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union hinweist; für das Völkerrecht siehe auch K. Parlett, The Individual in the International Legal System, 2011, die die Entstehung subjektiver Rechte des Einzelnen im internationalen Recht vor allen Dingen als Nebenprodukt der Verfolgung bestimmter politischer Ziele, nicht aber als Zweck an sich beschreibt, S. 348, 352, 354 und 367. In diesem Sinne auch ICJ, Reparations for Injuries Suffered in the Services of the United Nations, Advisory Opinion, (1949) ICJ Report S. 174, (178). Zum regimeorientierten Charakter dieser Rechtsprechung A. v. Bogdandy / I. Venzke, In wessen Namen?, 2014, S. 112.



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II. Die erweiterte Verleihung subjektiver Rechte im Recht der Europäischen Union Trotz des Ursprungs des Gemeinschaftsrechts in den zunächst rein völkerrechtlichen europäischen Verträgen zwischen den Mitgliedstaaten zeichnete sich der besondere, im Werden begriffene Charakter dieser Rechtsordnung nicht zuletzt auch durch die Anerkennung primär- wie sekundärrechtlich geschaffener Rechte Einzelner aus. Diese Fähigkeit wurde geradezu als qualifizierende Eigenschaft der Gemeinschaftsrechtsordnung und Abgrenzungskriterium gegenüber dem (allgemeinen) Völkerrecht betrachtet.254 Inwieweit europäischer Gesetzgeber und Europäischer Gerichtshof dabei ein von der deutschen Konzeption abweichendes Verständnis von Inhalt und Zweck subjektiver Rechte entwickelte, ist Gegenstand dieses Abschnitts. Zunächst sind die maßgeblichen Treiber für die Herausbildung eines originär europäischen Verständnisses zu identifizieren (1.). Die Herausbildung spezifischer Instrumente für eine dezentrale Rechtsdurchsetzung ist überblicksartig in Erinnerung zu rufen, bevor die Rolle subjektiver Berechtigungen für den Zweck der Rechtsdurchsetzung beleuchtet wird (2.). Im Ergebnis zeigt sich, dass sich der EuGH in der Vergangenheit255 nicht eindeutig für oder gegen eine funktionale Subjektivierung auch von Interessen ohne materiell-personales Sub­ strat positioniert hat (3.). 1. Treiber der Entwicklung auf europäischer Ebene Haupttreiber für die Entstehung eines Verständnisses von den zulässigen Zwecken für die Begründung und Annahme subjektiver Rechte auf EUEbene dürften zunächst ein eher rechtssoziologischer sowie ein auf die Organisationsstruktur der Union im Bereich der Rechtsdurchsetzung gestützter 254  J. Saurer, Der Einzelne im europäischen Verwaltungsrecht, 2014, S. 67; M. Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (334); B. W. Wegener, Die Rechte des Einzelnen, 1998, S. 59 mit Nachweisen aus der Rspr. des EuGH. Als weitere Absetzbewegung vom traditionellen Völkerrecht anerkannte der EuGH in der Folge in sehr viel weiterem Maße als bis dahin anerkannt die Möglichkeit einer Direktwirkung des Europarechts, J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 43 mit Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH in den Fällen Van Gend en Loos, EuGH, Slg. 1963, S. 1; Costa / E.N.E.L., EuGH, Slg. 1964, S. 1251 (Vorrang des Gemeinschaftsrechts). Zur nach wie vor nur zögerlichen Annahme subjektiver Rechte im Völkerrecht siehe unten: Erster Teil, C. II. 255  Ausgeblendet wird in diesem ersten Zugriff zunächst die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den die Aarhus-Konvention umsetzenden Richtlinien und dieser selbst. Sie bleibt dem zweiten Teil der Untersuchung vorbehalten. Siehe Zweiter Teil, B. III. und IV.

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1. Teil: Grundlagen

Befund sein [a) und b)].256 Die extensive Anerkennung funktionaler Subjektivierung wird auch durch eine normative Reformulierung der Rolle des Einzelnen im Gemeinschaftsrecht nicht in Frage gestellt [c)]. a) Anfängliche Prägung des Rechtsschutzsystems durch die französische Tradition Dass die mit der Schaffung subjektiv-rechtlicher Positionen verfolgten Zwecke und entsprechend auch die Dogmatik subjektiver Rechte im Unionsrecht von der deutschen Rechtstradition abweichen würden, war schon beim Blick auf die insoweit verschiedenen Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und später der Europäischen Union durchaus zu erwarten.257 Seine ersten nachhaltigen Impulse empfing die Entwicklung subjektiver Rechte auf europäischer Ebene von einer stark in der französischen Tradition objektiver Rechtskontrolle stehenden Gerichtsbarkeit, für die eine Begrenzung des Zugangs zu Gerichten im Ausgangspunkt die Ausnahme, nicht aber – wie im deutschen Prozessrecht – die Regel war.258 Vor diesem Hintergrund war eine Verengung des Rechtsschutzsystems auf eine Verletztenklage im Sinne der deutschen Tradition kaum zu erwarten. In der Folge zeigte sich der EuGH jedoch bemüht, sich nicht lediglich an ein Rechtssystem anzulehnen, sondern im Wege der wertenden Rechtsvergleichung die Einflüsse der verschiedenen Rechtsordnungen aufzunehmen und in der Herausbildung einer eigenen autonomen Dogmatik zu verarbeiten.259 Insoweit eröffnete sich durchaus die Möglichkeit, auch Lehren aus der deut256  J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers zur Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 176. 257  In der Anfangszeit der Gemeinschaft war die Anerkennung von Rechten Einzelner in der Unionsrechtsordnung vor dem Hintergrund ihres (noch) völkerrechtlichen Charakters allerdings schon für sich genommen eher fernliegend. Dies änderte sich erst durch EuGH, Slg. 1963, S. 1, Van Gend en Loos. 258  Vgl. hierzu J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 83 ff. Zu den Unterschieden zwischen französischer und europäischer Entwicklung bereits in ihrem Ausgangspunkt siehe S. 209; T. v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 516; M. Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, 380 (383). 259  M. Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (343, 374); J. Saurer, Der Einzelne im europäischen Verwaltungsrecht, 2014, S. 73. Auch auf dieses methodische Vorgehen des EuGH dürfte die heute beobachtete und unter europäischem Einfluss stattfindende Annäherung der einst als miteinander unvereinbar betrachteten Rechtsschutzsysteme zurückzuführen sein. Zu der beobachteten Annäherung A. K. Mangold / R. Wahl, Das europäisierte deutsche Rechtsschutzkonzept, Die Verwaltung 48 (2015), S. 1 (13 f.); zur Gegenthese von der Unvereinbarkeit von Verletzten- und Interessentenklagesystemen siehe noch V. Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen im Verwaltungsprozess, 1979.



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schen Diskussion um das subjektiv-öffentliche Recht stärker im Gemeinschaftsrecht zu verankern.260 b) Schwäche zentraler Rechtsdurchsetzung Als langfristig wirkungsvollerer Treiber für die Entwicklung subjektiver Rechtspositionen, die über solche nach deutscher Rechtstradition hinausgehen, dürfte sich allerdings die Schwäche der zentralen Rechtsdurchsetzung in der Europäischen Union darstellen, wie sie auch auf der Grundlage des Lissabonner Vertrages noch heute besteht. Wo die Europäische Union nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, heute geregelt in Art. 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 EUV, die Verbandskompetenz zum Erlass von Rechtsakten besitzt261 und von dieser Gebrauch macht, kommt dem europäischen Recht zwar Anwendungsvorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten zu.262 Für den Vollzug des supranationalen Rechts waren und sind nach dem Recht der Europäischen Union aber grundsätzlich die Mitgliedstaaten zuständig. Die Durchführung des europäischen Rechts geschieht entweder durch dessen unmittelbare Anwendung oder aber mittelbar durch Vollzug der ins nationale Recht umgesetzten europarechtlichen Vorgaben.263 Die mitgliedstaatlichen Behörden sind zum Vollzug des Gemeinschaftsrechts gem. Art. 291 Abs. 1 AEUV, Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet.264 Diese Verpflichtung kann auch im Einzelfall im Wege eines Vertragsverletzungsverfahrens i. S. v. Art. 258 Abs. 1 AEUV durch die für die Überwachung der Anwendung europäischen Rechts gem. Art. 17 Abs. 1 S. 3 EUV zuständige Europäische Kommission und ggf. durch Klage gem. Art. 258 f. AEUV vor dem EuGH durchgesetzt werden.265 Die Aufzählung dieser Durchsetzungsmöglichkeiten darf dabei nicht verdecken, dass sie nur für die Behandlung einer äußerst begrenzten 260  Zu dieser Möglichkeit und einem Beispiel für einen wenig erfolgreichen Versuch J. Saurer, Der Einzelne im europäischen Verwaltungsrecht, 2014, S. 76. 261  Vgl. hierzu T. v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 144 ff. 262  Grundlegend und seitdem ständige Rspr. EuGH, Rs. 6 / 64, Slg. 1964, 1251 (1270 f.) – Costa / E.N.E.L. 263  Der unionsunmittelbare Verwaltungsvollzug gegenüber Mitgliedstaaten oder Individuen stellt demgegenüber die Ausnahme dar, findet aber bspw. auf den wichtigen Gebieten des Kartellrechts und der Fusionskontrolle statt, A. Haratsch / C. Koenig / M. Pechstein, Europarecht, 10 Aufl. 2016, Rn. 456. 264  G. Sydow, Verwaltungsvollzugsordnung der Europäischen Union, in: A. Hatje /  P.-C. Müller-Graff, Europäisches Organisations- und Verfassungsrecht, EnzEuR, Bd. 1, 2014, § 12 Rn. 34. 265  Für den Fall der Nichtbefolgung von Entscheidungen des EuGH können den Mitgliedstaaten zudem Pauschalbeträge bzw. Zwangsgelder gem. Art. 260 Abs. 2, 280, 299 AEUV auferlegt werden, die allerdings nicht vollstreckbar sind, J. Schoo, in: J. Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 299 AEUV Rn. 8.

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1. Teil: Grundlagen

Anzahl an Fällen geeignet ist und noch in erheblichem Maße die Züge einer zwischenstaatlich organisiserten Rechtsdurchsetzung in sich trägt. Für die Vielzahl der „Normalfälle“ der Rechtsdurchsetzung266 besitzt die EU dagegen keinen flächendeckenden eigenen Verwaltungsunterbau, mit dessen Hilfe sie das von ihr gesetzte Recht in und gegenüber den Mitgliedstaaten im Einzelfall gleichmäßig vollziehen könnte.267 Schon aufgrund dieser strukturell bedingten Schwäche zentraler Rechtsdurchsetzung268 waren die Institutionen der Europäischen Union von Beginn ihres Bestehens an darum bemüht, Kompensationsmechanismen zur Stärkung eines überwiegend dezentralen Vollzugs des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten.269 Dabei ging es immer auch darum, den nationalen politischen Handlungseinheiten die Möglichkeit zu nehmen, die Verwirklichung abschließend auf europäischer Ebene getroffener Entscheidungen durch deren mangelhaften Vollzug zu verhindern oder hinauszuzögern.270 Die Zielrichtung der Ausbildung dezentraler Vollzugsmechanismen war mithin die Überwindung von Vollzugsdefiziten in einem Mehrebenensystem von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten. Deren praktische Notwendigkeit zeigte sich nicht zuletzt immer wieder auch im Umweltrecht der Gemeinschaft, für das ein ganz erhebliches Vollzugsdefizit – wie schon im rein nationalen Bereich – attestiert wurde.271 266  Zur Ungeeignetheit der Klageverfahren zur effektiven Kontrolle dieser Normalfälle C.-D. Ehlermann, Ein Plädoyer für die dezentrale Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten, in: F. Capotorti u. a., Du Droit international au droit de l’intégration: Liber Amicorum Pescatore, 1987, S. 205 (208 ff.). 267  A. Haratsch / C. Koenig / M. Pechstein, Europarecht, 10. Aufl. 2016, Rn. 455; zur allerdings zunehmenden EU-Eigenverwaltung M. Nettesheim, in: T. Oppermann / C. D. Classen / ders., Europarecht, 7. Aufl. 2016, § 12 Rn. 7. 268  Weiterführend B. W. Wegener, Die Rechte des Einzelnen, 1998, S. 22 ff. der auch auf die praktischen Schwierigkeiten dieser Aufgabe hinweist, die eine Kontrolle zehntausender von Rechtsakten in den verschiedenen Sprachen der Mitgliedstaaten voraussetzt. 269  J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers zur Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 19; allgemein zu dem als „Europäisierung des nationalen Verwaltungsrechts“ apostrophierten Prozeß M. Nettesheim, in: T. Oppermann / C. D. Classen / ders., Europarecht, 7. Aufl. 2016, § 12 Rn. 3; T. v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 516; die Programmatik dieses Prozesses formulierte frühzeitig C.-D. Ehlermann, Ein Plädoyer für die dezentrale Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten, in: F. Capotorti u. a., Du Droit international au droit de l’intégration: Liber Amicorum Pescatore, 1987, S. 205 (217 ff.). 270  J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers zur Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 20. 271  Eingehend auch zu den verschiedenen Ursachen B. W. Wegener, Die Rechte des Einzelnen, 1998, S. 17 f. sowie 21 f.; A. Epiney, Umweltrecht der Europäischen Union, 3. Aufl. 2013, 1. Teil, 5. Kap. S. 235; L. Krämer, Defizite im Vollzug des EG-



B. Subjektive Rechte Einzelner im deutschen und europäischen Recht

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c) Die Reformulierung der Rolle des Einzelnen Zu den beiden vorgenannten Treibern, die in Richtung einer extensiven Annahme subjektiver Rechte auf europäischer Ebene weisen, könnte inzwischen ein dieser Entwicklung stärker entgegengerichteter Trend im Gemeinschaftsrecht hinzugetreten sein. So wird u. a. in der Folge der Schaffung der Grundrechtecharta ein Prozess der „Neuverfassung des Integrationsverbands“ attestiert,272 der in stärkerem Maße als bislang den Unionsbürger in den Mittelpunkt des Handelns rücke und so – auf den ersten Blick paradox – zu einer geringeren Gewichtung rein funktionaler Überlegungen bei der Begründung subjektiver Berechtigungen führen könnte. Diese Überlegung nimmt auf den Prozess Bezug, dass, obgleich schon in der Frühzeit des Unionsrechts die Individualrechtsbegründung eine doppelpolige Zwecksetzung mit Funktionalisierung einerseits und Wahrung individueller Selbstbestimmung andererseits besaß,273 bis in die 1990er Jahre hinein der Funktionalisierungsgedanke bei der Ausbildung des Rechtsstatus des Einzelnen im Unionsrecht im Vordergrund stand, bevor durch die Verträge von Maastricht und Lissabon eine Akzentverschiebung stattfand.274 Mit der Aufnahme der Grundrechte im EUVertrag und der Einführung der Unionsbürgerschaft rückte der Einzelne zwar in der Tat stärker in den Mittelpunkt der Unionsrechtsordnung,275 wodurch diese sich weiter von ihren völkerrechtlichen Ursprüngen entfernte. Dass dieser Prozess allerdings darin münden soll, dass insbesondere der EuGH von einer funktionalen Begründung subjektiver Berechtigungen stärker Abstand nimmt, erscheint gleichwohl fraglich. Hiergegen spricht nicht zuletzt, dass zwischen dem Ansatz der funktionellen Subjektivierung und der stärkeren Ausrichtung des Handelns der EU auf den Einzelnen nach hier vertretener Ansicht überhaupt kein Widerspruch gesehen werden muss. Durch das Fehlen einer rechtlichen Verpflichtung des Einzelnen zur Wahrnehmung der ihm übertragenen Rechte zu bestimmten Zwecken stellt seine Berechtigung auch aus instrumentellen Motiven heraus stets eine Erweiterung seines Rechtskreises und eine Stärkung seiner Autonomie dar. Auch durch funktioUmweltrechts und ihre Ursachen, in: G. Lübbe-Wolff, Der Vollzug des europäischen Umweltrechts, 1996, 7 ff.; von einer Überschätzung des Vollzugsdefizits geht dagegen aus C. Franzius, Objektive Rechtskontrolle statt subjektiver Rechtsschutz?, NuR 2009, 384 (386). 272  M. Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (336). 273  Siehe hierzu EuGH, Rs. 26 / 62, Slg. 1963, 1, 24  – Van Gend en Loos sowie hierzu J. Saurer, Der Einzelne im europäischen Verwaltungsrecht, 2014, S. 28 f. Zur Entwicklung des Individualrechtsschutzes im Unionsrecht zuletzt auch U. Giera, Individualrechte im europäischen Umweltrecht, 2015, S. 48 ff. 274  J. Saurer, Der Einzelne im europäischen Verwaltungsrecht, 2014, S. 27 ff. 275  J. Saurer, Der Einzelne im europäischen Verwaltungsrecht, 2014, S. 32 f.; U. Giera, Individualrechte im europäischen Umweltrecht, 2015, S. 55 f.

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1. Teil: Grundlagen

nale Subjektivierung lässt sich mithin der Akzentverschiebung im Unionsrecht Rechnung tragen. Aus Sicht des EuGH dürfte freilich noch wichtiger sein, dass sich an der noch aufzuzeigenden Bedeutung funktionaler Berechtigungen für die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts vor mitgliedstaat­ lichen Gerichten durch die Beibehaltung der zweigliedrigen Struktur des Vollzuges des Gemeinschaftsrechts und des Rechtsschutzes in der Union auch unter Geltung des AEUV nichts geändert hat.276 2. Subjektive Berechtigungen als ein Instrument dezentraler Rechtsdurchsetzung Angesichts der trotz gewisser Ausweitungstendenzen bis heute nur sektoral vorhandenen zentralen Durchführung des europäischen Gemeinschaftsrechts haben der europäische Gesetzgeber und die europäische Rechtsprechung zahlreiche Instrumente und Mechanismen ausgebildet, die seinen dezentralen Vollzug sicherstellen sollen und die in vielfältiger Weise zu einer Mobilisierung des Bürgers zur Durchsetzung des Rechts277 führen oder diese zumindest abstützen.278 a) Schaffung allgemeiner Grundsätze und Gebote zur Stärkung der dezentralen Rechtsdurchsetzung Zu letzteren gehört, dass der EuGH schon früh den Geltungsvorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem Recht der Mitgliedstaaten begründete, womit er die normative Durchsetzung insbesondere der ohne weitere Umsetzungsakte auch im nationalen Rechtskreis wirksamen primärrechtlichen Regelungen sowie der unmittelbar geltenden europäischen Verordnungen si276  Vgl. J. Saurer, Der Einzelne im europäischen Verwaltungsrecht, 2014, S. 364 f. Wenn die mitgliedstaatlichen Gerichte häufig als „Transmissionsriemen“ bezeichnet werden, welche die Wirksamkeit des Unionsrechts gewährleisten sollen, dann ist der durch funktionale Berechtigungen ausgestattete Einzelne – um im Bild zu bleiben – der Antrieb dieses Riemens. 277  So auch der Titel des gleichnamigen und hier schon vielfach zitierten Werks von J. Masing, 1997. 278  Vgl. zu Direktwirkung, Vorrang und Zusammenwirken von nationalen Gerichten und EuGH bereits C.-D. Ehlermann, Ein Plädoyer für die dezentrale Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten, in: F. Capotorti u. a., Du Droit international au droit de l’intégration: Liber Amicorum Pierre Pescatore, 1987, S. 205 (217 ff.); M. Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, 380 (382). Zur Bedeutung der subjektiven Rechtspositionen im Rahmen der genannten Mechanismen A. Epiney, Umweltrecht der Europäischen Union, 3. Aufl. 2013, 1. Teil, 3. Kap. Rn. 66; 5. Kap. Rn. 132 sowie EuGH Rs. 26 / 62, Slg. 1963, 1 (24 f.) – van Gend en Loos.



B. Subjektive Rechte Einzelner im deutschen und europäischen Recht101

cherte. Wegen ihrer gem. Art. 288 Abs. 3 AEUV grundsätzlich erforderlichen Umsetzung in nationales Recht scheiterte der Vollzug europäischer Richt­ linien dagegen nicht selten schon daran, dass eine solche Umsetzung überhaupt nicht, nur teilweise oder fehlerhaft vorgenommen wurde.279 Der EuGH schaute dem jedoch nicht tatenlos zu und entwickelte die aus dem allgemeinen Völkerrecht bekannte Rechtsfigur der unmittelbaren Wirkung für das Europarecht fort280 und übertrug sie quasi als Sanktion bestimmter Fälle mitgliedstaatlicher Versäumnisse auf die Handlungsform der europäischen Richtlinie.281 Dabei kann die unmittelbare Wirkung ausschließlich dazu führen, dass Behörden die jeweilige Norm von Amts wegen zu berücksichtigen haben.282 Soweit in der Regelung aber auch auf die Verleihung eines Individualrechts abgezielt wird, erlaubt die direkte Wirksamkeit dem Einzelnen auch die Möglichkeit, sich auf dieses ohne vorherige Umsetzung der Richt­ linie zu berufen.283 Ohne dass die inzwischen sehr ausdifferenzierte Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu den Voraussetzungen der unmittelbaren Wirkung europäischer Richtlinien im Einzelnen dargestellt werden soll,284 ist auf die zahlreichen Beispiele gerade auch im Umweltbereich hinzuweisen,285 wo es zu einer Anwendung dieser Rechtsfigur gekom279  Für den Bereich des europäischen Umweltrechts vgl. B. W. Wegener, Die Rechte des Einzelnen, 1998, S. 18 f. 280  Diese Fortentwicklung stellte eine weitere Abgrenzung zur klassischen Lehre des Völkerrechts dar, die eine unmittelbare Wirkung völkerrechtlicher Normen im nationalen Recht nur im Ausnahmefall annahm. Siehe hierzu unten: Erster Teil, C. III. 2. 281  T. v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 516; zum Sanktionscharakter M. Ruffert, in: C. Calliess / M. Ruffert, EUV / AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 288 Rn. 49. 282  A. Haratsch / C. Koenig / M. Pechstein, Europarecht, 10. Aufl. 2016, Rn. 390. Insoweit setzt die direkte Wirkung von Richtlinien nicht voraus, dass diese ein Individualrecht vermitteln, A. Epiney, Umweltrecht der Europäischen Union, 3. Aufl. 2013, 1. Teil, 5. Kap. Rn. 159; T. v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 513 m. N. aus der Rechtsprechung des EuGH; M. Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (378). 283  Str., siehe wie hier M. Ruffert, in: C. Calliess / M. Ruffert, EUV / AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 288 Rn. 66 ff. T. v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 513. Über diese Frage herrscht in der Literatur eine offenkundige Verwirrung. Nach K. Kaiser, Treaties, Direct Applicability, MPEPIL, 2013, Rn. 5 rührt diese daher, dass der EuGH in seiner van Gend en Loos-Entscheidung die Institute der unmittelbaren Anwendbarkeit (direct applicability) und der unmittelbaren Anrufbarkeit einer Norm (invocability) miteinander vermengte. Zur hier befürworteten Unterscheidung auch B. Pirker, Access to Justice in Environmental Matters and the Aarhus Convention’s Effects in the EU legal order, RECIEL, 2016, 81 (82). 284  Zu den Voraussetzungen unmittelbarer Wirkung von Richtlinien siehe nur M. Ruffert, in: C. Calliess / M. Ruffert, EUV / AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 288 Rn. 51 ff. 285  Zu den gerade im Umweltbereich häufigen und mit Blick auf die unmittelbare Wirkung von Richtlinienbestimmungen str. Konstellationen mit „Dreiecksstruktur“, in

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men ist.286 Durch das ebenfalls von Amts wegen zu berücksichtigende Gebot der richtlinienkonformen Auslegung und Fortbildung nationalen Rechts287 wurde zudem sichergestellt, dass nationale Vorschriften zur Umsetzung europäischen Rechts auch tatsächlich im Sinne der europäischen Vorgaben vollzogen wurden. Institutionell-organisatorisch wurde der dezentrale Vollzug des Gemeinschaftsrechts zudem durch die immer stärkere Einbindung der mitgliedstaatlichen Behörden und Gerichte gestärkt. Nationale Behörden und Gerichte fungieren danach im Rahmen des indirekten Vollzugs des Gemeinschaftsrechts bzw. bei der Gewährleistung von Rechtsschutz als funktionale Gemeinschaftsorgane.288 Dies ist nicht auf diejenigen Bereiche beschränkt, für welche die Europäische Union im Bereich der mitgliedstaatlichen Durchführung des ­Unionsrechts Bereichs- und Teilregelungen des Verfahrensrechts vornimmt,289 sondern gilt auch dort, wo nationales Verfahrensrecht zur Anwendung kommt und wird durch die Begrenzungen des Grundsatzes der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten, namentlich die Gebote der Effektivität-290 und Äquiva­ lenz,291 abgesichert. Beide Gebote beschränken auch die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten im Bereich des Verwaltungsrechtsschutzes, soweit hier nicht ohnehin gemeinschaftsrechtliche Vorgaben bestehen.292 denen auch Private zumindest mittelbar betroffen sind A. Epiney, Umweltrecht der Europäischen Union, 3. Aufl. 2013, 1. Teil, 5. Kap. Rn. 159. Vgl. weiterhin zu den zahlreichen Konstellationen J. H. Jans / H. H. B. Vedder, European Environmental Law, 4. Aufl. 2012, S. 187 ff. 286  I. Appel, in: H.-J. Koch, Umweltrecht, 4. Aufl. 2014, § 2 Rn. 85 ff. 287  Zu den unterschiedlichen in der Literatur hierfür herangezogenen normativen Grundlagen M. Ruffert, in: C. Calliess / M. Ruffert, EUV / AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 288 Rn. 78 f. 288  Vgl. für die Gerichtsbarkeit J. Saurer, Der Einzelne im europäischen Verwaltungsrecht, 2014, S. 365; T. v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 580. 289  C. Krönke, Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, 2013, S. 50, eine Verbandskompetenz der EU zum Erlass einer Gesamtregelung des Verfahrensrechts im Anwendungsbereich des Unionsrechts besteht hingegen nicht, S. 53. 290  Danach darf die Verwirklichung der Regelung der Union durch die Anwendung nationalen Verfahrensrechts nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden, EuGH, Urteil vom 21.09.1983 – verb. Rs. 205 bis 215 / 82 (Deutsche Milchkontor / Deutschland) Rn. 22; A. Haratsch / C. Koenig / M. Pechstein, Europarecht, 10. Aufl. 2016, Rn. 463. 291  Dieses verbietet eine Schlechterbehandlung von unionsrechtlich geprägten Fällen im Vergleich zu gleich gelagerten rein nationalen Fällen, EuGH, Urteil vom 15.09.1998 – C-232 / 96 (Edis) Rn. 19; A. Haratsch / C. Koenig / M. Pechstein, Europarecht, 10. Aufl. 2016, Rn. 463. 292  T. v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 580 f.; A. Haratsch /  C. Koenig / M. Pechstein, Europarecht, 10. Aufl. 2016, Rn. 602; J. Saurer, Der Einzelne im europäischen Verwaltungsrecht, 2014, S. 368 ff.



B. Subjektive Rechte Einzelner im deutschen und europäischen Recht103

b) Gezielte Einbeziehung Einzelner in die dezentrale Durchsetzung von Gemeinschaftsrecht Während die vorstehenden Grundsätze und Gebote allgemein auf die Geltung und unionskonforme Anwendung europäischen Rechts auch entgegen nationaler Versäumnisse und Widerstände abzielten, schuf der europäische Gesetzgeber allgemein und vor allen Dingen auch im europäischen Umweltrecht eine Reihe an Instrumenten, die auf eine Einbindung des Einzelnen in deren Vollzug abzielten. Neueren Datums sind dabei Instrumente mit einem stark kooperativen Ansatz wie die Umwelt-Audit-Verordnung,293 die auf eine Einbindung des Bürgers in das betriebsbezogene Umweltrecht setzt. Sie zielt auf die Schaffung von Anreizen ab, die einen eigenverantwortlichen und auf Freiwilligkeit basierenden betrieblichen Umweltschutz in Unternehmen, die Umweltgüter in Anspruch nehmen, fördern soll.294 Auch hier ist eine Kontrolle durch die Öffentlichkeit – allerdings gegenüber den privaten Unternehmen – als zen­ traler Bestandteil des Instruments vorgesehen. Neben weiteren europäisch begründeten Pflichten der Mitgliedstaaten zur aktiven Information der Öffentlichkeit u. a. über die Emissionen gewisser industrieller Anlagen, wie sie bereits in der ursprünglichen IVU-RL295 und heute in Art. 65 Abs. 2 IE-RL296 vorgesehen sind, können auch die umfänglichen Berichtspflichten der Mitgliedstaaten gegenüber der EU-Kommission als Maßnahmen zur Stärkung des dezentralen Vollzugs verstanden werden. Auf die Schaffung subjektiver Berechtigungen zielen diese Instrumente allerdings nicht ab.297 293  Eingeführt durch Verordnung Nr. 1836 / 93 / EWG vom 29.06.1993, ABl. EG L 168 / 1 (EMAS-I) und im Anwendungsbereich erweitert durch Verordnung (EG) Nr. 761 / 2001 vom 19.03.2001, ABl. EG L 114 / 1 (EMAS-II). 294  B. W. Wegener, Die Rechte des Einzelnen, 1998, S. 32; U. Ramsauer, in: H.-J. Koch, Umweltrecht, 4. Aufl. 2014, § 3 Rn. 115. 295  Richtlinie 96 / 61 / EG des Rates vom 24.09.1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, ABl. 1996, L 257, S. 26. 296  Richtlinie 2010 / 75 / EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.11.2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung), ABl. 2010, L 334 / 17. 297  Zu diesen zählt allerdings die hier nicht eigens darzustellende Rechtsfigur der Haftung der Mitgliedstaaten für Verstöße gegen Europarecht gegenüber Privaten. Zu den Voraussetzungen entsprechender Staatshaftungsansprüche im Einzelnen EuGH Slg. 1991 I-5357 Rn. 33 ff. – Francovich, zusammenfassend EuGH Slg. 2007 I-1053, Rs. C-278 / 05 (Carol Marilyn Robins), Rn. 69 f.; allgemein hierzu A. Haratsch / C. Koe­ nig / M. Pechstein, Europarecht, 10. Aufl. 2016, Rn. 625 ff.; zu deren selbstverständlich subjektiv-rechtlicher Natur I. Appel, in: H.-J. Koch, Umweltrecht, 4. Aufl. 2014, § 2 Rn. 90. Mit der Voraussetzung eines Schadens dürften solche jedoch allenfalls bei Verstoß gegen Umweltrichtlinien in Frage kommen, die zumindest auch den Schutz der menschlichen Gesundheit bezwecken und soweit an diesem personalen Schutzgut

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Dem gegenüber standen schon Mitte der 80er und Anfang der 90er Jahre Rechtsakte im Bereich des Umweltrechts wie insbesondere die UVP-298 und auch die Umweltinformationsrichtlinie299. Ihrem Ursprung nach handelt es sich um originär europarechtliche, durch amerikanische Vorbilder inspirierte Instrumente, die erst später durch die ersten beiden Säulen der Aarhus-Konvention überformt wurden und in diesem Zusammenhang vorliegend zu vertiefen sind.300 Sie sollten eine Stärkung des dezentralen Gemeinschaftsrechtsvollzuges durch die Beteiligung von Mitgliedern der Öffentlichkeit an Verfahren zur Genehmigung von Aktivitäten mit erheblichen Umweltauswirkungen bzw. die Schaffung eines allgemeinen Zugangs für Bürger zu Umweltinformationen bewirken. Für das deutsche Recht brachten beide Rechtsakte erhebliche Neuerungen mit sich. So stellten die Regelungen der UVP-RL eine erhebliche Aufwertung des Verfahrensrechts gegenüber dem damaligen Verständnis in Deutschland dar, indem nicht auf einen vorverlagerten Rechtsschutz für die personalen Interessen des Einzelnen abgezielt wurde, um damit der verfassungsgerichtlich anerkannten verfahrensrechtlichen Dimension des Grundrechtsschutzes zu genügen, sondern vielmehr auf eine Kontrolle der Verwaltung bei der Vollziehung von objektiven Normen des Umweltrechts.301 Auf diese Kontrollfunktion zielte auch die erste UI-RL ab, die für Deutschland zudem einen Bruch mit dem Grundsatz der beschränkten Aktenöffentlichkeit bedeutete. Während der Informationszugang auch in Deutschland mithilfe eines subjektiv-öffentlichen Jedermann-Rechts ermöglicht wurde, blieb die Anerkennung der selbständigen Bedeutung und des subjektiv-rechtlichen Charakters den UVP-Vorschriften noch bis in die jüngste Zeit hinein durch die deutsche Rechtsprechung und weite Teile der Lehre vor dem Hintergrund des deutschen Verständnisses von der dienenden Funktion des Verfahrensrechts versagt. Nicht anders verfuhr der deutsche Gesetzgeber mit der auch in Art. 6 Abs. 3 S. 2 FFH-RL302 vorgesehenen Verein Schaden eintritt. Schäden an Gemeinschaftsgütern sind über diesen Anspruch dagegen regelmäßig nicht ersatzfähig, sodass auch der Vollzug entsprechender Normen hier nicht verbessert wird. 298  Richtlinie 85 / 337 / EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. EG Nr. L 175 S. 40. 299  Richtlinie 90 / 313 / EWG des Rates vom 7.  Juni 1990 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt, ABl. EG Nr. L 158, S. 56. 300  Siehe hierzu unten: Zweiter Teil, B. IV. 301  J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 23 (für die UVP-Richtlinie) sowie S. 33 (für die Umweltinformationsricht­ linie). 302  Richtlinie 92 / 43 / EWG des Rates vom 21.  Mai 1992 zur Erhaltung der natür­ lichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABl. EG L 206, S. 7.



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fahrensbeteiligung der Öffentlichkeit.303 Der deutsche Gesetzgeber verstand ihre Umsetzung in diesem Punkt nie als verbindlich geboten und sah von einer Normierung dieser Pflicht im heutigen § 34 BNatSchG entsprechend ab.304 Neben diesen ersten Ansätzen prozeduralen Umweltrechts beschäftigte gerade die deutsche Rechtswissenschaft aber vor allen Dingen die Diskussion um die subjektiv-rechtliche Umsetzung materiell-rechtlicher Vorgaben von Umweltrichtlinien ins deutsche Recht.305 Während auf dem Boden der klassischen Schutznormtheorie die Berechtigung Einzelner durch die Vorschriften verschiedener Richtlinien abgelehnt wurde, widerlegte der EuGH in einer ganzen Reihe von Entscheidungen306 die Annahme, dass das deutsche Verständnis unverändert aufrechterhalten werden könne.307 Es wurde deutlich sichtbar, dass der Europäische Gerichtshof weitergehend als deutsche Gerichte und das deutsche Schrifttum dazu bereit waren materiell-rechtliche Normen subjektiv zu wenden und den Einzelnen für die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts mittels funktioneller Subjektivierung308 objektiven Rechts einzusetzen. Der Einzelne wird so in die Lage versetzt, sich die subjektivierten Interessen zu Eigen zu machen und diese – soweit erforderlich – gerichtlich durchzusetzen. Soweit er dies tatsächlich tut, dient er stets auch der dezentralen Rechtsdurchsetzung von Gemeinschaftsrecht.309 Zur Erfüllung der Kontrollfunktion gegenüber der Verwaltung muss der Bürger die ihm zugeordnete Position vielfach nicht einmal unter Inkaufnahme des damit 303  B. W. Wegener,

Die Rechte des Einzelnen, 1998, S. 40. B. W. Wegener, Die Rechte des Einzelnen, 1998, S. 40; N. Koch, Die FFH-Richtlinie im Spannungsfeld ökologischer und nicht-ökologischer Belange, 2005, S. 69. 305  Dies ist in der deutschen Rechtswissenschaft schon früh ausführlich untersucht worden. Vgl. nur I. Pernice, Gestaltung und Vollzug des Umweltrechts im europäischen Binnenmarkt – Europäische Impulse und Zwänge für das deutsche Umweltrecht, NVwZ 1990, 414 (423) sowie weiterhin die fast zeitgleich erschienenen monografischen Untersuchungen von B. W. Wegener, Die Rechte des Einzelnen, 1998; J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997 und M. Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1996. 306  EuGH, Urteil vom 28.02.1991 – C-131 / 88 (Grundwasserrichtlinie); Urteil vom 30.05.1991  – C-361 / 88 (Luftqualitätsrichtlinie); Urteil vom 30.05.1991  – C-59 / 89 (Luftqualitätsichtlinie); Urteil vom 17.10.1991  – C-58 / 89 (Trinkwasserrichtlinie); Urteil vom 12.12.1996 – C-298 / 95 (Süßwasser- und Muschelgewässerrichtlinie). 307  Siehe zu einer Untersuchung der damaligen EuGH-Rechtsprechung aus neuerer Zeit A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 148 ff. 308  So die Begrifflichkeit bei M. Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der EG, 1996, S. 220 ff. 309  Nicht zu verkennen ist, dass auch subjektive Rechte im Sinne der deutschen Schutznormlehre zur dezentralen Rechtsdurchsetzung objektiven Rechts führen. 304  Kritisch

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verbundenen Kostenaufwands und Prozessrisikos tatsächlich gegenüber der Verwaltung, notfalls auf gerichtlichem Wege, ausüben. Vielmehr genügt häufig bereits die Möglichkeit der Geltendmachung als Anreiz für die stets unter den Bedingungen begrenzter Ressourcen arbeitende Verwaltung, den ihnen auferlegten Verpflichtungen nachzukommen.310 3. Unklarheit über die Qualifizierung der „normativen Interessentenklage“ Angesichts dessen, dass der europäische – nicht anders als der deutsche – Gesetzgeber in der ganz überwiegenden Zahl seiner Rechtssetzungsakte eine ausdrückliche Einordnung von Rechtsnormen als nur objektives Recht oder als subjektiv-berechtigende Regelung311 nicht vornimmt,312 stellt sich auch für das Recht der Europäischen Union die Frage danach, wie subjektive Rechte zu identifizieren sind. Erschwert wird dies dadurch, dass sich der EuGH diesbezüglich selbst nie festgelegt, d. h., die an eine Norm hierfür zu stellenden Anforderungen nie abschließend formuliert hat.313 Vor dem Hintergrund, dass dem für den EuGH zumindest mitbestimmenden Gedanken der Absicherung der dezentralen Rechtsdurchsetzung für die Begründung subjektiver Rechte eine Begrenzung derselben auf den Schutz nur bestimmter Interessen bzw. Schutzgüter nicht immanent ist,314 bestand gerade im deutschen Schrifttum in der Folge der extensiven Rechtsprechung des EuGH zu Umweltrichtlinien zu Beginn der 1990er Jahre die verbreitete 310  Auf diese rechtstatsächlichen Wirkungen verweist auch J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 182 sowie 223. 311  Wegen ihrer grundsätzlichen Umsetzungsbedürftigkeit zielen Richtlinien regelmäßig nur darauf ab, Mitgliedstaaten zur Schaffung individualberechtigender Positionen zu verpflichten. Diese können mit M. Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (349) als „mittelbare Individualberechtigung“ bezeichnet werden. Zu den Parallelbegriffen von der völkerrechtsunmittelbaren und der mittelbar völkerrechtlichen Berechtigung für das allgemeine internationale Recht siehe unten: Erster Teil, C. II. 3. 312  In diesem, etwa mit Art. 3 Umweltinformations-RL gegebenen Fall, bedarf es keiner weiteren Auslegung, M. Gellermann, in: H.-W. Rengeling / A. Middeke / M. Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 3. Aufl. 2014, § 37 Rn. 20. Auch der europäische Gesetzgeber ist frei darin, beliebige Interessen zu subjektivieren. Zum auch in der deutschen Lehre bekannten, aber vielfach verdrängten nur formellen subjektiv-öffentlichen Recht siehe bereits oben: Erster Teil, B. I. 2. 313  Zur hieran geübten Kritik J. Saurer, Der Einzelne im europäischen Verwaltungsrecht, 2014, S. 70. 314  M. Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, 380 (383); A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 183 sieht dadurch zumindest eine großzügige Zuerkennung klagbarer Rechte veranlasst.



B. Subjektive Rechte Einzelner im deutschen und europäischen Recht107

Überzeugung, dass der Gerichtshof auf jede subjektive Anforderung verzichten und letztlich allein die objektive Eignung von Normen, d. h. ihre hinreichende Klarheit und inhaltliche Unbestimmtheit,315 zur Begründung subjektiver Rechte könnte ausreichen lassen.316 Nach wohl bislang überwiegender Ansicht findet eine normative Anerkennung eines klagbaren Interesses aber auch durch den EuGH nur dann statt, wenn eine Norm dazu bestimmt ist, zumindest auch die Interessen Einzelner zu schützen, d. h. zumindest auch auf den Schutz personaler Schutzgüter abzielt.317 Dabei sei der Begriff der „Interessen Einzelner“ zwar weiter zu verstehen als nach überkommener deutscher Lehre. So soll es ausreichen, wenn der Schutz eines „typisierten Interesses der Gesamtheit“ wie das Funktionieren des gemeinsamen Marktes oder der Verbraucherschutz bezweckt wird.318 Nur insoweit aber, also keineswegs grenzenlos, habe eine extensive Anerkennung subjektiver Berechtigun315  Zu diesen rechtstechnischen Anforderungen an die unmittelbare Anwendbarkeit internationalen – auch europäischen – Rechts, T. v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 511. Ausführlicher hierzu unten im Rahmen der völkerrecht­lichen Diskussion: Erster Teil, C. III. 2. 316  Zur Diskussion im älteren Schrifftum ausführlich B. W. Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 133 ff.; vgl. auch M. Gellermann, in: H.-W. Rengeling / A. Middeke / M. Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 3. Aufl. 2014, § 37 Rn. 19 mit Blick auf die frühere Judikatur des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinien. Kritisch zur monokausalen Erklärung des erweiterten Verständnisses subjektiver Rechte im europäischen Recht allein mit dem Motiv der dezentralen Vollzugskontrolle K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 182 mit Fn. 475. 317  So etwa A. Epiney, Umweltrecht der Europäischen Union, 3. Aufl. 2013, 1. Teil, 5. Kap., Rn. 136; F. Schoch, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. III, 2. Aufl. 2013, § 50, Rn. 155; M. Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (360); K. F. Gärditz, Europäisierter Umweltrechtsschutz als Laboratorium des Verwaltungsprozessrechts, ­EurUP 2015, 196 (211); S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 92 f.; T. v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 513 f.; M. Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1996, S. 224. 318  T. v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 513 f.; F. Schoch, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. III, 2. Aufl. 2013, § 50, Rn. 155. Nach S. Schlacke, (Auf)Brüche des Öffentlichen Rechts: von der Verletztenklage zur Interessentenklage, DVBl 2015, 929 (933) und auch A. Guckelberger, Entwicklungslinien im Umweltrechtsschutz, JA 2014, 647 (653) soll es dagegen auf die hinreichende Individualisierbarkeit des Allgemeininteresses als maßgebliches Kritierium ankommen. Mit Blick auf das Gut der Volksgesundheit erscheint dieses Kriterium auch durchaus handhabbar. Hinsichtlich des Funktionierens des gemeinsamen Marktes dürfte der Gedanke der Individualisierbarkeit dagegen für den EuGH kaum im Vordergrund stehen. Insoweit ist auch das Bestehen spezifischer Grenzwerte zum Schutz eines Gutes nicht das maßgebliche Kriterium für den EuGH. Hierauf maßgeblich abstellend aber A. K. Mangold / R. Wahl, Das Europäisierte Deutsche Rechtsschutzkonzept, Die Verwaltung 48 (2015), S. 1 (7 f.).

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1. Teil: Grundlagen

gen zur Stärkung der dezentralen Vollzugskontolle stattgefunden.319 Befürworter dieses Konzepts einer „normativen Interessentenklage“320 sehen hier durchaus eine Annäherung an das deutsche Konzept der Schutznormlehre,321 wenn es auch im Ergebnis zu einer deutlichen Ausweitung des subjektiven Rechtsschutzes führt. Aufgrund der Voraussetzung zumindest einer mittelbaren Betroffenheit personaler Schutzgüter ist dieser Typus weitergehend auch als „qualifizierte normative Interessentenklage“ bezeichnet worden.322 Zu einer völligen Ersetzung der Individualbezogenheit des Rechtsschutzes durch das Ziel einer möglichst effektiven dezentralen Rechtsdurchsetzung sei es danach gerade nicht gekommen.323 Der Unterschied zwischen europäischem Recht und deutscher Schutznormtheorie bestünde danach lediglich in der Lage der Grenzziehung in einem qualitativ denselben Regeln folgenden Kontinuum mit striktem Individualrechtsschutz an dem einen und einer begrenzten Öffnung hin zum subjektiven Schutz auch typisierbarer Interessen der Allgemeinheit am anderen Ende.324 Die aus diesem Befund vorgenommenen Ableitungen für die Subjektivierung des Schutzes von Umweltgütern sind uneinheitlich. Teilweise 319  M. Nettesheim,

Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (360). Umweltrecht der Europäischen Union, 3. Aufl. 2013, 1. Teil, 5. Kap., Rn. 136 in Abgrenzung von Konzepten, die eine bloß tatsächliche Beeinträchtigung bereits zur Begründung des subjektiv-rechtlichen Charakters ausreichen lassen wollen. Vgl. auch dies., Rechte Einzelner im EU-Umweltrecht, EurUP 2017, 223 (225 ff.). 321  M. Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (359); A. Epiney, Umweltrecht der Europäischen Union, 3. Aufl. 2013, 1. Teil, 5. Kap., Rn. 136, 158; T. v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 513; F. Schoch, Individualrechtsschutz im deutschen Umweltrecht unter Einfluß des Gemeinschaftsrechts, NVwZ 1999, 457 (465); vgl. auch die weiteren Nachweise bei M. Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, 380 (382, Fn. 24). 322  M. Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, 380 (382). 323  So noch die Folgerung bei E. Klein, Unmittelbare Geltung, Anwendbarkeit und Wirkung von europäischem Gemeinschaftsrecht, 1988, S. 20 f. Den Verlust jeder begrenzenden Wirkung befürchtete auch J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 46. Zur Abkehr von dieser Debatte in der Folge der Großkrotzenburg-Entscheidung des EuGH M. Gellermann, in: H.-W. Rengeling / A. Middeke / M. Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 3. Aufl. 2014, § 37 Rn. 19. 324  Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch dies bereits erhebliche Unterschiede bedeutet. So findet nach europäischem Recht etwa auch eine Subjektivierung unabhängig davon statt, ob es sich um Verfahrensvorschriften oder Regelungen aus dem Bereich der Gefahrenvorsorge handelt, die nach traditionellem deutschem Verständnis gerade nicht zur Begründung subjektiv-öffentlicher Rechte geeignet sind, A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 183. 320  A. Epiney,



B. Subjektive Rechte Einzelner im deutschen und europäischen Recht

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wird angenommen, dass in diesem Rahmen nur insoweit deren Subjektivierung möglich sei, wie mit der konkreten Regelung zumindest auch der Schutz der Volksgesundheit als typisiertes Allgemeininteresse325 oder der Schutz des Eigentums verfolgt werde. Nach anderer Meinung solle dagegen der Zweck des Schutzes bestimmter Naturgüter Anknüpfungspunkt für eine Subjektivierung der Regelung auch dann noch sein können, solange deren Beeinträchtigung überhaupt unmittelbare Folgen für den Einzelnen – nicht aber zwingend dessen Gesundheit – haben kann.326 An einem hinreichend „personalen Charakter“ soll es hiernach nur dann fehlen, wenn die Einwirkungskette zwischen betroffenem Schutzgut und Einzelnem nicht lückenlos ist.327 Zum Schutz allein der biologischen Vielfalt oder ihrer Bestandteile wären deshalb auch nach dieser weiteren (Unter-)Ansicht allenfalls in engen Ausnahmen Individualrechte anzunehmen.328 Die Analyse der Rechtsprechung durch die Vertreter der vorstehenden Ansicht ist jedoch keinesfalls zweifelsfrei, selbst wenn man – wie hier – zunächst die Aarhus-relevante Rechtsprechung des Gerichtshofs außer Betracht lässt. Nicht nur hat es der EuGH auch dort in der Vergangenheit vermieden, die Anforderungen an die Begründung subjektiver Rechte eindeutig zu benennen, wo sich dies aufdrängte,329 was gegen die Annahme eines abschließenden Zweck-Katalogs und für ein Offenhalten der künftigen Entwicklung spricht. Dies wird zudem dadurch bestätigt, dass der Gerichtshof in einzelnen der von der Gegenansicht herangezogenen Urteilen ausdrücklich erklärt hat, dass der generelle Ausschluss der Geltendmachung von Verstößen durch Betroffene „ganz besonders“ bei Regelungen zum Schutz der öffentlichen 325  T. v. Danwitz,

Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 514. A. Epiney, Umweltrecht der Europäischen Union, 3. Aufl. 2013, 1. Teil, 5. Kap., Rn. 137 soll so der Schutz von Naturlandschaften, die auch als Erholungsgebiete dienen, einen hinreichenden personalen Charakter aufweisen. 327  A. Epiney, Umweltrecht der Europäischen Union, 3. Aufl. 2013, 1. Teil, 5. Kap., Rn. 137 nennt hierfür beispielhaft den allgemeinen Vogel- oder Waldschutz. In diese Richtung auch W. Frenz, Umweltklagen weiter effektuiert, NuR 2015, 832 (833), der einen real möglichen Geschehensablauf fordert, der sich auch örtlich auf den konkreten Kläger beziehen muss, sodass lediglich vage Gefährdungen ausgeschlossen seien. Explizit gegen die Voraussetzung einer konkreten Betroffenheit des Einzelnen mit Belegen aus der Rechtsprechung des EuGH K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 184. 328  K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (795). Für den Schutz der biologischen Artenvielfalt M. Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, 380 (382). 329  M. Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, 380 (382); M. Gellermann, in: H.-W. Rengeling / A. Middeke / M. Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 3. Aufl. 2014, § 37 Rn. 20. 326  Nach

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1. Teil: Grundlagen

Gesundheit nicht möglich ist, womit auch hier die Möglichkeit der Subjektivierung auch weiterer Zwecke gerade offen bleibt.330 Zudem findet sich mit der Entscheidung zur Herzmuschelfischerei331 ein Urteil, in dem der Gerichtshof den Schutz von wichtigen Allgemeingütern – wenn auch maßgeblich auf seine Rechtsprechung zur unmittelbaren Wirkung von Richtlinienbestimmungen gestützt332 – ohne jeden personalen Bezug zur Begründung subjektiver Rechte ausreichen lässt333 und dabei dem ausdrücklichen An­ sinnen der GA Kokott, eine Begrenzung der subjektivierbaren Interessen auszusprechen,334 gerade nicht folgte.335 Insgesamt muss mithin festgestellt werden, dass es jedenfalls bis zu den Aarhus-relevanten Entscheidungen des EuGH gerade an einer eindeutigen (expliziten oder impliziten) Stellungnahme des Gerichtshofs zu den Voraussetzungen und Grenzen der funktionalen Subjektivierung von Interessen der Allgemeinheit fehlte und insoweit abschließende Aussagen auf dieser Grundlage über notwendige Anpassungen des nationalen Rechts nicht zu treffen sind.336 330  EuGH, Urteil vom 25.07.2008  – C-237 / 07, Rn. 37. Entgegen F. Schoch, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. III, 2. Aufl. 2013, § 50, Rn. 155 Fn. 858 kann deshalb die der zitierten Stelle nachfolgende Randnummer des EuGH-Urteils gerade nicht als Beleg für die Gegenansicht herangezogen werden. Wie hier J. Kokott / C. Sobotta, Rechtsschutz im Umweltrecht, DVBl 2014, 132 (132). 331  EuGH GrK, Urteil vom 07.09.2004 – C-127 / 02 (Waddenzee oder Waddenver­ eniging oder auch Herzmuschelfischerei); mittlerweile bestätigt in EuGH, Urteil vom 08.11.2016 – C-243 / 15 (Slowakischer Braunbär II), Rn. 44. 332  Insoweit ist in der Tat vor zu weitgehenden Schlussfolgerungen aus dieser Entscheidung abzuraten, vgl. allgemein zur Unterscheidung der hier diskutierten Problematik der Umsetzung von Richtlinienrecht in nationales Recht mittels Individualrechten und der Berufung Einzelner auf nicht oder fehlerhaft umgesetzte Richtlinien­ bestimmungen M. Ruffert, in: C. Calliess / M. Ruffert, EUV / AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 288 Rn. 44, 66 ff.; A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 145 f.; D. Murswiek, Ausgewählte Probleme des allgemeinen Umweltrechts, Die Verwaltung 38 (2005), 243 (261 f.). 333  In diese Richtung auch M. Gellermann, in: H.-W. Rengeling / A. Middeke /  M. Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 3. Aufl. 2014, § 37 Rn. 20, der allerdings in seine Beurteilung bereits die Entscheidung des EuGH in der Rs. Slowakischer Braunbär mit einbezieht. 334  GA Kokott, Schlussanträge vom 29.01.2004, Rs. C-127 / 02, Slg. 2004, I-7409, Rn. 143. 335  M. Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, 380 (382); J. Kokott / C. Sobotta, Rechtsschutz im Umweltrecht, DVBl 2014, 132 (132). 336  M. Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, 380 (382); J. Held, Umweltrechtliche Verfahrensfehler im Lichte der neuesten Rechtsprechung, DVBl 2016, 12 (20); in diese Richtung auch J. Kokott / C. Sobotta, Rechtsschutz im Umweltrecht, DVBl 2014, 132 (132). Zu Zweifeln an der Ableitbarkeit eindeutiger Vorgaben aus der Rechtsprechung des



B. Subjektive Rechte Einzelner im deutschen und europäischen Recht111

III. Bewertung Erst die Anerkennung bestimmter Zwecke als Begründung für die Subjektivierung von Rechtspositionen gibt dem Institut des subjektiven Rechts in einer Rechtsordnung seine konkrete Richtung.337 Dem Gedanken funktionaler Subjektivierung im Recht der Europäischen Union, der darauf abzielt, Einzelne mit subjektiven Rechtspositionen zur Stärkung des dezentralen Vollzugs des Gemeinschaftsrechts auszustatten, ist eine Begrenzung des In­ stituts auf den Schutz nur bestimmter materiell-personaler Güter oder Inte­ ressen nicht inherent.338 Die Funktionalisierung des Rechtsinstituts weist vielmehr darüber hinaus auf eine Anerkennung der Verwendung subjektiver Rechte auch zur Durchsetzung von Allgemeininteressen hin. Der Zweck der Begründung subjektiver Rechte zum Schutz materiell-personaler Interessen wird dadurch nicht verdrängt, sondern ergänzt die Kreation von Rechten des Einzelnen um eine daneben stehende Zweckrichtung.339 Dies eröffnet die Möglichkeit des Einsatzes subjektiver Rechte zum Schutz biologischer Vielfalt und ihrer Bestandteile. Die darüber hinausgehende systemische Bedeutung dieser Ergänzung erschließt sich insbesondere vor dem Hintergrund der traditionellen Begrenzung subjektiver Rechte in der deutschen Verwaltungsrechtsordnung und den von den Kritikern einer solchen Entwicklung vorgetragenen Argumenten. Die subjektive Rechtsstellung des Einzelnen prägt die Freiheitlichkeit seiner Position in Relation zu anderen gesellschaftlichen Akteuren. Die Anerkennung subjektiver Rechte mit Zwecken, die über den Schutz der Privatheit des Einzelnen hinausgehen, müssen deshalb zwangsläufig einen erheblichen Einfluss nicht nur auf die Dogmatik der Rechtsfigur des subjektiven Rechts innerhalb einer Rechtsordnung, sondern auch auf das gesellschaftliche und politische Zusammenleben haben.340 Dieser Bedeutung scheint eine CharakEuGH bereits B. W. Wegener, Die Rechte des Einzelnen, 1998, S. 186 f.; weitergehend für die Anerkennung der Mobilisierung des Einzelnen zur Durchsetzung rein objektiven Rechts als Zweck für die Subjektivierung von Rechtspositionen U. Giera, Individualrechte im europäischen Umweltrecht, 2015, S. 68 f.; zuletzt auch A. Epiney, Rechte Einzelner im EU-Umweltrecht, EurUP 2017, 223 (223). 337  J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 175 f. 338  Vgl. die bereits in Fn. 314 genannten Quellen. 339  Zu den zwei nebeneinander bestehenden Polen der Rechtebegründung M. Hong Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, 380 (381). 340  Vgl. die aufgeworfenen Fragen bei J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 195 sowie dessen Illustration der faktischen Auswirkungen einer Neuzuordnung subjektiver Positionen in verwaltungsrechtlichen Dreieckskonstellationen, a. a. O., S. 223 sowie eindrücklich S. 176: „Es geht

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1. Teil: Grundlagen

terisierung des Weitungsprozesses als „funktionale Subjektivierung“341 nur teilweise gerecht zu werden. Sie fokussiert sich zu stark auf das Verhältnis des Einzelnen gegenüber dem Staat,342 aus dessen Perspektive der Einzelne zum Vollzugskontrolleur der Gemeinschaftsebene wird.343 Zwar wird durchaus richtig abgebildet, dass der Bürger aus seiner dem Staat gegenübergestellten Position ein Stück weit gelöst und an der Durchsetzung objektiven Rechts gezielt durch eine Ausstattung mit subjektiver Rechtsmacht beteiligt wird.344 Dies bringt den Bürger dem Staat ein gutes Stück näher345 und zeigt, dass ihr Verhältnis auf europäischer Ebene gerade in Kontrast zur deutschen Rechtstradition neu bestimmt wurde.346 Die Charakterisierung erfasst aber nur unzureichend die Beteiligung des Einzelnen an der Schaffung des Allgemeinwohls, d. h. die gestalterische Dimension, die der Übertragung subjektiver Rechte zur Verteidigung von Interessen der Allgemeinheit innewohnt.347 Während in der Schutznormtheorie deutscher Rechtstradition der „bourgeois“ auf die Verteidigung seiner Privatheit begrenzt wurde – um des Rechtsfriedens willen und auf Kosten der Möglichkeit, sich Allgemeininteressen im dabei sogleich um die Struktur des Gemeinwesens als Ganzes. Denn die Entscheidung über Grund und Funktion individueller Befugnisse ist eine Entscheidung über das Verhältnis vom Bürger zum Staat und von Bürger zu Bürger.“ 341  Zu dieser Begrifflichkeit siehe bereits M. Ruffert, Fn. 308, sowie im Anschluss hieran C. Franzius, Objektive Rechtskontrolle statt subjektiver Rechtsschutz?, NuR 2009, 384 (386). 342  Kritisch insoweit auch gegenüber der Untersuchung Masings T. Vesting, Subjektive Freiheitsrechte als Elemente von Selbstorganisations- und Selbstregulierungsprozessen in der liberalen Gesellschaft, Die Verwaltung 2000, Beiheft 4, 21 (36). 343  Hieraus resultieren auch Überlegungen, wonach der Einzelne insoweit gar Teil europäischer Verwaltung wird. 344  I. Pernice brachte dies in Anlehnung an P. Häberle auf den Begriff des „status activus processualis“, Gestaltung und Vollzug des Umweltrechts, NVwZ 1990, S. 414 (424); im Anschluss daran auch J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 51 f. Hier von einer Materialisierung der Mitverantwortung des Bürgers im Gemeinwesen zu sprechen, wie dies Pernice und Masing tun, erscheint aber insoweit verfehlt, als eine Verpflichtung des Bürgers aktiv zu werden gerade nicht geschaffen wird. Die Materialisierung in Rechtsform betrifft also nur eine Berechtigung, weist jedoch gerade keine Verantwortlichkeit i. S. e. Rechtspflicht zu. Diese bleibt vielmehr weiterhin vollständig beim Staat, der sich auf einen bürgerschaftlichen Vollzug objektiven Rechts nicht verlassen und aus diesem deshalb auch nur bedingt zurückziehen darf. 345  J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 238. 346  M. Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (355 f.). 347  Vgl. hierzu neuestens I. Pernice, Umweltvölker- und europarechtliche Vorgaben zum Verbandsklagerecht und das System des deutschen Verwaltungsrechtsschutzes, JZ 2015, 967 (968).



B. Subjektive Rechte Einzelner im deutschen und europäischen Recht113

Rechtediskurs zu Eigen zu machen – wird hier der Einfluss des Einzelnen auf die Durchsetzung allgemeiner Interessen ausgeweitet und die Stellung des bourgeois potentiell um die Freiheit eines citoyens ergänzt – um der Bewahrung allgemeiner Interessen willen und unter Inkaufnahme einer weitergehenden Politisierung348 des Rechtediskurses und des gesellschaftlichen Zusammenlebens insgesamt. Die Erweiterung führt so nicht nur zu einer Veränderung des Verhältnisses des Einzelnen zum Staat, sondern insbesondere auch zur Veränderung der Verhältnisse der Bürger untereinander.349 Dem Einzelnen kommt hier eine verantwortlichere Stellung zu, die Chancen für ein freiheitliches Zusammenleben bietet, dieses aber auch gefährden kann. Da der Einzelne nicht verpflichtet wird, von der ihm verliehenen Rechtsmacht auch Gebrauch zu machen, handelt es sich jedenfalls nicht um eine Funktionalisierung des Einzelnen, die ihn zum Mittel zum Zwecke der Stärkung dezentraler Rechtsdurchsetzung im Mehrebenenverbund degradiert.350 Der Wille des Einzelnen von der ihm übertragenen Rechtsmacht und den Handlungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen bleibt Voraussetzung und Grenze der Wirksamkeit des Prinzips der Mobilisierung des Einzelnen.351 Insoweit bleibt die durch die Verleihung prokuratorischer subjektiver Rechte mögliche Veränderung der Gesellschaft eine Veränderung im Potential, deren Realisierung vom Zusammenkommen freier Entscheidungen einzelner Berechtigter und ihrer Umsetzung abhängt. Der Einzelne wird zur Teilnahme am Gemeinwohlprozess im Rahmen des Rechtediskurses ermächtigt. Ein Zwang zur Teilnahme besteht nicht. Dies aber mildert nicht nur die befürchteten negativen Folgen einer solchen Ausweitung ab, vielmehr muss dies 348  J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 180; in diese Richtung auch M. Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (356), der der Schutznormtheorie einen Aussagegehalt über das Verhältnis von Gerichtsbarkeit und politischem Prozess im Verfassungsstaat entnimmt. 349  Zur möglichen Gefährdung von Werten wie Kooperation und Großzügigkeit im Falle der Überbetonung subjektiver Rechte in einer Gesellschaft J. G. Merrills, En­ vironmental Rights, in: D. Bodansky / J. Brunnée / E. Hey, International Environmental Law, 2007, Kap. 28, 663 (668). 350  A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 419 gegen die Kritik noch bei J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 176 ff, insbes. 179; anders wohl aber jetzt ders., in: W. Hoffmann-Riem / E. SchmidtAßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. I, 2. Aufl. 2012, § 7 Rn. 112, „eine in privater Freiheit ausgeübte Sachwalterstellung des Einzelnen“ sowie auch M. Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, 380 (381). 351  Zur Anknüpfung des Konzepts der funktionellen Subjektivierung an die freie Entscheidung des Einzelnen Allgemeininteressen zu verfolgen M. Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, 380 (381).

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1. Teil: Grundlagen

auch von ihren Befürwortern bei der Einschätzung der effektiven Erreichung von Steuerungszielen wie dem Schutz biologischer Vielfalt und ihrer Bestandteile und zur Steigerung der Effektivität bei der Konzeption von Steuerungsarrangements berücksichtigt werden. Aus der Steuerungsperspektive ist das Konzept aber keinesfalls darauf reduziert, die Durchsetzung objektiven Rechts in einem Mehrebenensystem wie dem zwischen Europäischer Union und Mitgliedstaaten oder Umweltvölkerrecht und Vertragsstaaten entsprechender Abkommen zu fördern, wenn dieses auch in der vorliegenden Untersuchung im Vordergrund steht. Vielmehr kann es einen Beitrag zur Kompensation schwindender Rechtsdurchsetzung überall dort leisten, wo der vielfach beschriebene Rückzug des Staates stattgefunden hat und stattfindet und die ehemals hoheitlich überwachte Gewährleistung und der Ausgleich von Interessen neuer oder ergänzender Mechanismen bedarf.352 In Mehrebenensystemen ist zudem zu beachten, dass die Umsetzung dieses Konzepts nicht auf die Schwächung exekutiver Steuerungs- und Handlungsfähigkeit abzielt.353 Ziel ist es vielmehr, es der ursprünglich kompetenten Ebene zugunsten der höheren, nun kompetenten Ebene zu erschweren, sich der Verwirklichung des Übergangs an Kompetenzen auf gesetzgeberischer Ebene durch Verschleppungsstrategien auf Verwaltungsebene zu entziehen.354 Am Beispiel der EU: Die staatlichen Gewalten der nationalen Ebene werden zum dezentralen Vollzug europäischen Rechts angehalten und daran gehindert, nur noch tatsächlich (nicht normativ) fortwirkenden Normbefehlen zu folgen. Die erhebliche Tragweite der Anerkennung zusätzlicher Zweckrichtungen subjektiver Rechte macht gleichwohl deutlich, dass eine extensive Subjektivierung keinesfalls Allheilmittel zu Wahrung von Allgemeininteressen sein kann.355 Die Grenzen des Rechtediskurses dürfen nicht ohne weiteres auf 352  Mit Blick auf den Einfluss der Aarhus-Konvention so auch I. Pernice, Verbandsklagerecht und System des deutschen Verwaltungsrechtsschutzes, JZ 2015, 967 (973). 353  J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 216. 354  Die Unterscheidung J. Masings von zögerlichem Zuwarten und Verschleppungsstrategien nationaler Verwaltungen einerseits und „übergreifend planende[n] Verwaltungsstrategien unter Einsatz von Opportunitätserwägungen“ andererseits soll offensichtlich den Schluss nahe legen, dass es in bestimmten Fällen der Verwaltung überlassen sein soll, Zeitpunkt, Modus und Tempo der Umsetzung europäischer Vorgaben zu einem gewissen Grade selbst zu bestimmen. Dies kann aber nur insoweit der Fall sein, wie die gesetzgebende Ebene in Ausübung ihrer Zuständigkeiten einen solchen Spielraum gewährt. Besteht dieser nicht, so sind entsprechende „Verwaltungsstrategien“ schlicht rechtswidrig. Vgl. ders., Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 216.



B. Subjektive Rechte Einzelner im deutschen und europäischen Recht115

Kosten des politischen aufgehoben werden.356 Die dadurch verursachte graduelle Verschiebung von Grenzen in der Gewaltenteilung muss sich insbesondere auch an den verfassungsrechtlichen Vorgaben messen lassen.357 Die Gefahr eines solchen Vorgehens besteht zudem darin, dass der Versuch der Mobilisierung der Bürger als Anwälte der Allgemeininteressen auch querulatorischen und gar denunziatorischen Verhaltensweisen Vorschub leisten kann.358 Im vorliegenden Zusammenhang, der Ergründung des Potenzials subjektiver Berechtigungen für den Schutz biologischer Vielfalt, mag insoweit nur auf die Gefahr verwiesen werden, dass etwa im Bereich innerökologischer Konflikte, wie bei der Aufstellung einerseits klimaschützender Windenergieanlagen, die andererseits zugleich einen erheblichen Eingriff in lokale Ökosysteme bedeuten, das Risiko besteht, durch eine zu weitgehende Subjektivierung Blockadehaltungen zu stützen und damit dem angestrebten Ziel mehr zu schaden als dieses zu fördern. Zudem kann die extensive Subjektivierung von Rechtspositionen auch zu einem partiellen Abbruch jeglichen gesellschaftlichen Diskurses überhaupt führen, da subjektiv Berechtigte auf einen Diskurs häufig überhaupt nicht mehr angewiesen sind.359 Zu warnen ist allerdings vor einer vorschnellen Kritik funktioneller Subjektivierung aufgrund heuristischer Annahmen über deren Auswirkungen auf die Rechtspositionen Dritter. Damit soll keinesfalls das Risiko geleugnet werden, dass die Ausweitung von Klagemöglichkeiten in mehrpoligen öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnissen zu einer wirtschaftlichen Belastung von durch Verwaltungsentscheidungen Begünstigten führen kann, wenn diese sich regelmäßig unberechtigten und missbräuchlichen Klagen ausgesetzt sehen.360 Zumindest im Bereich der Verbandsklage – die hiermit nicht mit den 355  J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 238; M. Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, 380 (385). 356  Vgl. zu den Auswirkungen subjektiver Rechte auf den demokratischen Diskurs W. Osiatyński, Beyond Rights, in: András Sajo (Hrsg.), Abuse: The Dark Side of Fundamental Rights, 2006, 309 (311 f.). 357  Im Einzelnen K. F. Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (10); vgl. auch J. Krüper, Neudefinition des „subjektiven öffentlichen Rechts“, in: M. Kloepfer, Rechtsschutz im Umweltrecht, 2014, 163 (166). 358  M. Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, 380 (385). 359  So W. Osiatyński, Beyond Rights, in: A. Sajo (Hrsg.), Abuse: The Dark Side of Fundamental Rights, 2006, 309 (311); siehe auch J. G. Merrills, Environmental Rights, in: D. Bodansky / J. Brunnée / E. Hey, International Environmental Law, 2007, Kap. 28, 663 (668). 360  Vgl. hierzu insbesondere die Diskussionen im Zusammenhang mit der Umsetzung der Aarhus-Konvention in Deutschland. Auf die Grundrechtssensibilität der

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1. Teil: Grundlagen

Klagemöglichkeiten Einzelner gleichgesetzt werden soll – zeigen empirische Untersuchungen bislang aber, dass ein nennenswerter Missbrauch dieser Rechtsbehelfe nicht stattfindet.361 Soweit aber kein Missbrauch der Rechtsbehelfe vorliegt, bedarf die Durchsetzung objektiven Rechts keiner besonderen Legitimation.362 Im Gegenteil bedarf vielmehr die Begrenzung der Rechtsdurchsetzung und damit die Duldung eines erheblichen Vollzugsdefizits, gerade auch im Umweltbereich, vor dem Hintergrund des rechtsstaat­ lichen Gebots der Gleichbehandlung der Rechtfertigung. Zwar muss verhindert werden, dass die Interessen einzelner einflussreicher und engagierter Bürger durch ihre Ermächtigung ein übermäßiges Gewicht in den Entscheidungen der Verwaltung erhalten.363 Dies ist jedoch keinesfalls eine Aufgabe, die auf die Rechtsdurchsetzung mittels subjektiver Rechte begrenzt ist. Chancen und Risiken des Konzepts funktionaler Subjektivierung unterscheiden sich nicht nur stark nach der je in Rede stehenden Rechtsposition,364 die Auswirkungen seiner Umsetzung etwa auf die Gewaltenteilung zwischen Rechtsprechung und Verwaltung sind vielmehr auch von dem jeweils betroffenen Rechtsschutzsystem und dessen Ausgestaltung abhängig. Sie fallen umso stärker aus – und insoweit werden die erheblichen Vorbehalte zahlreicher Stimmen gerade im deutschen Schrifttum verständlich – je engmaschiger die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der Verwaltungstätigkeit ausfällt. Sind, wie in Frankreich, die durch die Rechtsprechung der Verwaltung belassenen Spielräume traditionell dagegen groß, werden Bürger trotz individueller Berechtigung einen Anspruch häufig nicht geltend machen und durchsetVerteilung von Rechtsschutzchance weist auch hin K. F. Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (6). Gleichwohl ist in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, dass die hier dargestellte neuere Entwicklung von einem Zustand der Asymmetrie zu Gunsten der Umweltnutzer und -verbraucher aus begonnen hat, eine Verschiebung hin zu mehr Symmetrie aber keineswegs verfassungsrechtlich untersagt ist. 361  Für die Zeit bis 2012 M. Führ / J. Schenten / F. Schulze / S. Schütte, Verbandsklage nach UmwRG  – empirische Befunde und rechtliche Bewertung, NVwZ 2014, 1041 (1043 f.) sowie ausführlich M. Führ / J. Schenten / M. Schreiber / F. Schul­ze /  S. Schütte, Evaluation von Gebrauch und Wirkung der Verbandsklagemöglichkeiten nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, UBA Texte 14 / 2014. Hier bedarf es allerdings unbedingt weitere Studien, die auch neuere Entwicklungen aufnehmen. 362  M. Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, 380 (385); hiergegen K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (799 f.); in eine ähnliche Richtung auch K. F. Gärditz, Europäisierter Umweltrechtschutz als Laboratorium des Verwaltungsprozessrechts, EurUP 2015, 196 (211 f.). 363  J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 235. 364  J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 238.



B. Subjektive Rechte Einzelner im deutschen und europäischen Recht117

zen können, während dies im Rechtsschutzsystem Deutschlands mit relativ geringen, nur eingeschränkt überprüfbaren Ermessens- und Einschätzungsspielräumen sowie erheblich stärker systematisierten und für eine stringente Anwendung dogmatisierten Gesetzen365 gerade im Bereich des fehleranfälligen Umweltverwaltungsrechts weitaus häufiger der Fall sein wird. Die hohe Komplexität umweltrechtlicher und – hier von Interesse – naturschutzrecht­ licher materieller und prozeduraler Vorgaben birgt insoweit in der Tat die Gefahr einer Überlastung der Verwaltungsgerichte.366 Wegen seiner hohen Bedeutung für die Zulässigkeit jeder Form raumbedeutsamer Vorhaben würden selbst auf das Naturschutzrecht begrenzte Subjektivierungen eine erhebliche Breitenwirkung im Rechtsschutzsystem entfalten. Wenn man sich – wie hier – trotz der benannten Risiken und fraglos vorhandenen negativen Auswirkungen funktioneller subjektiver Rechte dennoch für eine – wenn auch vorsichtige – Umsetzung dieses Konzepts ausspricht, so geschieht dies nicht aus „Lust an der Entgrenzung und an einem Aufbruch zu neuen und unbekannten Ufern“,367 sondern aufgrund der Annahme der Erforderlichkeit einer substanziellen Korrektur des Ungleichgewichts zwischen der Stärke der Rechtspositionen von Umweltnutzern einerseits und Umweltbetroffenen sowie Umweltschützern andererseits.368 Es geht alsdann vielmehr um die Begrenzung umweltbeanspruchender Tätigkeiten und die Bewahrung bekannter Ufer als Teil vielfältiger Ökosysteme. Klammert man die neuere Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu den die Aarhus-Konvention umsetzenden europäischen Rechtsakten und zur Konvention selbst zunächst aus der Betrachtung aus, so war bislang jedenfalls nicht eindeutig erkennbar, wie weit der EuGH im Umweltbereich bereit ist, das Konzept der funktionalen Subjektivierung durchzusetzen. Während das Gericht eine Erweiterung des überkommenen deutschen Verständnisses jedenfalls überall dort verlangte, wo europäische Umweltrichtlinien dem Schutz personaler Rechtsgüter – und sei es in typisierter Form wie der Volksgesundheit – dienten, bestand keine Sicherheit darüber, ob er dies auch für Fälle verlangte, in denen die jeweilige Regelung gerade nicht ein als Ausdruck eines personalen Substrats zu verstehendes Interesse schützte. 365  J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 217. 366  K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (799); vgl. auch K. F. Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (9 f.). 367  K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (801). 368  Hierzu bereits oben: Erster Teil, B. I. 1.

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1. Teil: Grundlagen

Unabhängig davon, wie man die hier diskutierte Frage inhaltlich bewertet, ist doch die weitreichende Bedeutung ihrer Entscheidung nach den vorstehenden Ausführungen anzuerkennen. Diese macht auf nationaler Ebene eine gesetzgeberische Entscheidung über sie notwendig. Diese Tragweite wird auch im weiteren Verlauf der vorliegenden Untersuchung im Hinterkopf zu behalten sein, wenn es darum geht zu ermitteln, inwieweit völkerrechtliche Vorgaben bestehen, die eine funktionale Subjektivierung auf nationaler Ebene verlangen. Dem vorgeschaltet sind jedoch im letzten Abschnitt des ersten Teils der Untersuchung Überlegungen zur Möglichkeit derartiger Verpflichtungen und gar völkerrechtsunmittelbarer funktional subjektivierter Berechtigungen überhaupt.

C. Bedingungen für die Mobilisierung Einzelner und Gruppen zur Rechtsdurchsetzung im Völkerrecht Die Betrachtung des deutschen sowie des europäischen Rechts hat gezeigt, dass die Anerkennung subjektiver Rechte zum Schutz der Bestandteile biologischer Vielfalt hier bislang allenfalls im Einzelfall erfolgt ist. Im deutschen Recht steht einer weitergehenden Anerkennung von subjektiven, nicht ausdrücklich durch den Gesetzgeber als solche ausgewiesenen Rechten nach wie vor das restriktive Verständnis gegründet auf die Schutznormtheorie entgegen, soweit das Interesse am Erhalt des jeweiligen Bestandteils biologischer Vielfalt als öffentlich und nicht als materiell-personales qualifiziert wird. Ob und inwieweit dies auch für das europäische Recht gilt, und insoweit jedenfalls nur begrenzte Anpassungen des nationalen Rechts vorzunehmen wären, ist angesichts der insoweit schwankenden und unklaren Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs über die genaue Qualifizierung der durch das europäische Recht geforderten normativen Interessentenklage bislang nicht eindeutig zu entscheiden gewesen. Dass gerade das Völkerrecht hier weitergehende Impulse geben kann und Rechte Einzelner und Gruppen auch zum Schutz etwa des Arten- und Pflanzenschutzes begründen oder zu dessen Begründung verpflichten soll und auch deren prozessuale Durchsetzbarkeit verlangen könnte, erscheint, da dies tiefgreifende Eingriffe in die innere Souveränität der Staaten bedeuten würde,369 jedenfalls vor dem Hintergrund eines klassischen Verständnisses des Völkerrechts als souveränitätszentriertem Koordinationsrecht zwischen 369  Siehe allerdings zur Stoßrichtung gerade umweltvölkerrechtlicher Pflichten gegen einst unantastbare Reservate souveräner Staatlichkeit S. Besson, Sovereignty, MPEPIL, 2011, Rn. 44; W. Durner, Common Goods, 2000, S. 41. Zur Umweltpflichtigkeit der Souveränität siehe auch das gleichnamige Werk von K. Odendahl, 1998.



C. Mobilisierung Einzelner und Gruppen zur Rechtsdurchsetzung

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den Staaten370 zunächst einmal äußerst unwahrscheinlich. Die Beantwortung der Frage, ob es dennoch Rechte zum Schutz biologischer Vielfalt oder Pflichten zu ihrer Begründung kennt, bleibt dem zweiten Teil der Untersuchung vorbehalten. In diesem Abschnitt sollen zunächst die rechtlichen Voraussetzungen einer völkerrechtlichen Mobilisierung des Einzelnen und von Gruppen zur Rechtsdurchsetzung im Völkerrecht geklärt werden. Zunächst bedarf es hierfür einer Klärung des völkerrechtlichen Status biologischer Vielfalt (I.). Einem kurzen Überblick über die allmähliche Anerkennung der Rolle des Individuums in der Völkerrechtspraxis und einer Beleuchtung des Stands der hierauf bezogenen Diskussion in der Völkerrechtswissenschaft (II.) folgt schließlich eine Betrachtung der Wirkungsweise völkervertragsrechtlich begründeter subjektiv-rechtlicher Berechtigungen (III.), bevor die Ergebnisse der Betrachtung zusammengefasst werden (IV.).

I. Staaten als Anspruchsgegner – der völkerrechtliche Status biologischer Vielfalt Wenn völkerrechtlich begründete subjektive Rechte dem Schutz biologischer Vielfalt dienen sollen, so müssen sie sich gegen diejenigen Rechtssubjekte des Völkerrechts richten, denen die grundsätzliche Verfügungsmacht über deren Bestandteile zusteht. Bei den Bestandteilen biologischer Vielfalt handelt es sich um natürliche Ressourcen,371 über die Staaten in der räum­ lichen Reichweite ihrer territorialen Souveränität verfügen können.372 (Nach370  Zur fortgesetzten Bedeutung des Souveränitätsprinzips als fundamentales Prinzip auch des Umweltvölkerrechts, A. Nollkaemper, Sovereignty and environmental justice in international law, in: J. Ebbesson / P. Okowa, Environmental Law and Justice in Context, 2009, 253 (255 ff.); N. Schrijver, Sovereignty over Natural Resources, 1997, S. 395; S. Almeling, Die Aarhus-Konvention, 2008, S. 29 f. 371  So zumindest dann, wenn man Ressourcen nicht auf ihre wirtschaftliche Verwertbarkeit reduzieren will, die nicht für alle Bestandteile biologischer Vielfalt gegeben ist. Eine einheitliche rechtliche Definition des Begriffes existiert jedoch nicht. In der CBD wird stattdessen der Begriff der „biologischen Ressourcen“ gebraucht. In einem weiten Sinne sind aber unter beiden Begriffen die natürlichen im Gegensatz zu den menschgemachten Bestandteile der Umwelt einschließlich der Ökosysteme als solche gemeint. Vgl. zum Begriff der „natürlichen Ressourcen“ sowie dem teilweise gebrauchten Begriff des „natürlichen Reichtums“ („natural wealth“), N. Schrijver, Souvereignty over Natural Resources, 1997, S. 12 ff. 372  A. Epiney / M. Scheyli, Strukturprinzipien des Umweltvölkerrechts, 1998, S. 71; K. Odendahl, Die Umweltpflichtigkeit der Souveränität, 1998, S. 36 f., 38; zur hier nicht weiter zu verfolgenden Unterscheidung von Souveränität und Gebietshoheit, A. Verdross / B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, Rn. 1038 ff.; zu den mit der territorialen Souveränität verbundenen Befugnissen eines Staates, die eigenen Ressourcen zu nutzen, auszubeuten und auch zu zerstören W. Durner, Common Goods, 2001, S. 41.

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1. Teil: Grundlagen

folge-)Staaten beharren zudem regelmäßig darauf, dass hierzu nach der völkerrechtlichen Doktrin der terra nullius auch diejenigen Ressourcen zählen, die sich bei Errichtung von Staaten in den Gebieten indigener Völker befanden, die von den Kolonialstaaten als vermeintliches „Niemandsland“ okkupiert wurden.373 Dementsprechend unterfallen lediglich diejenigen Bestandteile biologischer Vielfalt nicht der Verfügungsgewalt der Staaten, die sich außerhalb staatlicher Hoheitsbereiche befinden, also insbesondere die Ökosysteme der hohen See oder der Antarktis.374 Nichts anderes ergibt sich auch aus dem im Übrigen in vielen Detailfragen umstrittenen Prinzip der permanenten Souveränität der Staaten über ihre natürlichen Ressourcen.375 Dieses war insbesondere im Zuge der Dekolonialisierungsbewegung in der Folge des Zweiten Weltkrieges durch neu entstandene Staaten in Stellung gebracht worden, um das Fortbestehen ihrer souveränen Verfügungsgewalt auch über diejenigen Ressourcen zu begründen, an denen ausländische Investoren von den Kolonialverwaltungen Eigentumsrechte erworben hatten und auf die diese sich auch nach der Unabhängigkeit der Staaten weiterhin beriefen.376 Diskussionen um die Anerkennung der permanenten Souveränität drehten sich dann auch vor allen Dingen um Fragen der Verpflichtungen von Staaten zur Entschädigung enteigneter Eigentümer,377 mithin um die völkerrechtsunmittelbaren Grenzen der inneren Souveränität der Staaten, ohne aber ihre äußere Souveränität in Frage zu stellen. Umweltvölkerrechtlich wurde die Souveränität der Staaten über ihre Ressourcen und das damit verbundene Recht zu ihrer Ausbeutung sowohl in Grundsatz 21 der Stockholm Erklärung von 1972378 und letztlich auch in 373  Die Legitimität dieser Doktrin wird heute freilich angezweifelt. Hierzu auch A. Mein, Der „Endorois-Fall“ und die neuere Entwicklung des Völkerrechts zur Sicherung von Land- und Ressourcenrechten indigener Gemeinschaften, BRJ 2011, 162 (164); allgemein zur Bedeutung der Doktrin für den Gebietserwerb durch Staaten im Wege der Okkupation K. Ipsen, in: ders., Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 5 Rn. 36 sowie M. Kau, in: W. G. Vitzthum / A. Proelß, Völkerrecht, 7. Aufl. 2016, Dritter Abschnitt Rn. 139; H.-J. Heintze, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 8 Rn. 35. 374  Den hier bestehenden und weiteren Detailfragen wie etwa die Diskussion über eine möglicherweise geteilte Souveränität von Staaten über wandernde Tierarten soll im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht weiter nachgegangen werden. 375  W. Durner, Common Goods, 2001, S. 38, 70; vgl. auch K. Odendahl, Die Umweltpflichtigkeit der Souveränität, 1998, S. 39 ff. Siehe neuerdings zu diesem Prinzip auch M. Bungenberg / S. Hobe (Hrsg.), Permanent Sovereignty over Natural Resources, 2015. 376  P. W. Bernie / A. Boyle / C. Redgwell, International Law and the Environmental, 3. Aufl. 2009, S. 191. 377  W. Durner, Common Goods, 2001, S. 43. 378  W. Durner, Common Goods, 2001, S. 39; ders., Völkerrechtlicher Naturschutz und nationales Naturschutzrecht, AVR 54 (2016), 355 (358); kritisch zum Spannungs-



C. Mobilisierung Einzelner und Gruppen zur Rechtsdurchsetzung121

Grundsatz 2 der Rio-Erklärung von 1992 anerkannt.379 Im Vorfeld der Konferenz von Rio, insbesondere im Rahmen der Verhandlungen der Biodiversitätskonvention, war noch diskutiert worden, ob Nutzung und Schutz biologischer Vielfalt der staatlichen Souveränität teilweise zu entziehen und dem Prinzip des „gemeinsamen Menschheitserbes“ (common heritage of mankind, kurz: CHOM) zu unterstellen sei.380 Das Prinzip381 hatte in der Vergangenheit in verschiedenen völkerrechtlichen, darunter auch umweltvölkerrecht­ lichen Regimen Anwendung gefunden. Rezeption von staatlicher Seite fand das Konzept erstmals durch den Vorstoß Maltas in der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Rahmen der Diskussionen über das UN-Seerechtsabkommen382 und bildete in dem schlussendlichen Dokument tatsächlich das grundlegende Prinzip zur Nutzung der Ressourcen des Tiefseebodens.383 Verankert wurde es in der Folge auch im Weltraum-384 und Mondverhältnis zwischen der Bestätigung staatlicher Souveränität über natürliche Ressourcen und den in Prinzip 1 der Stokholm Erklärung betonten „Rechten“ K. Wolfe, Greening the International Human Rights Sphere?, Appeal 2003, 45 (47). 379  Zur stärkeren Betonung des Entwicklungsaspekts des Rechts von Staaten zur Nutzung der eigenen Ressourcen im Grundsatz 2 der Erklärung von Rio im Vergleich mit Grundsatz 21 der Stockholm Erklärung einerseits sowie dessen beschränkender Qualifizierung durch die Inbezugnahme der Aspekte der intergenerationellen Gerechtigkeit und der Nachhaltigkeit in Grundsätzen 3 und 4 andererseits N. Schrijver, Sovereignty over Natural Resources, 1997, S. 136. 380  Das Prinip des CHOM war in diversen Vorarbeiten zu den später abgeschlossenen Konventionen noch verwandt worden, so in einem ersten Vermerk des Verwaltungsdirektors des UNEP, einem Entwurf einer Konvention über biologische Viefalt der IUCN oder auch im sog. Brundtland-Report. Vgl. hierzu W. Durner, Common Goods, S. 244 f. sowie C. Schweizer, Die Zugangs- und Teilhaberegelungen der Biodiversitätskonvention unter besonderer Berückschtigung der staatlichen Souveränität, 2011, S. 108. 381  Zum Prinzipiencharakter des CHOM zumindest im Bereich völkervertraglicher Regulierung nicht-staatlicher Räume R. Wolfrum, Common Heritage of Mankind, MPEPIL, 2009, Rn. 2. 382  Vgl. die Eingabe Maltas vom 18.08.1967, UNGA, „Malta: Request for Inclusion of a Supplementary Item in the Agenda of the Twenty-Second Session“, GAOR 22nd Session Annexes, Agenda Item 92, 1, Document A / 6695. 383  Siehe Art. 136 f. UNCLOS. Freilich wurde UNCLOS erst dann zu einem universellen Völkerrechtsregime, nachdem auf Druck der industrialisierten Staaten eine Vereinbarung über die Implementierung des Tiefseebodenregimes am 28.07.1994 zustande kam und das Prinzip des CHOM durch ein liberales marktwirtschaftliches System weitgehend seines Verteilungsaspektes entledigt wurde. Vgl. F. Biermann, „Common Concern of Humankind“: The Emergence of a New Concept of Interna­ tional Environmental Law, AVR 34 (1996), 426 (429); R. Wolfrum, Common Heritage of Mankind, MPEPIL 2009, Rn. 1 sieht dagegen den Kern des CHOM-Prinzips als erhalten an. 384  Vertrag über die Grundsätze zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer

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1. Teil: Grundlagen

vertrag385 sowie, in veränderter und abgeschwächter Form, auch im Antarktisvertrag.386 Das Prinzip des gemeinsamen Menschheitserbes, wie es in den vorgenannten Regimen vereinbart wurde, zielt zum einen – in einem negativen Sinne – auf die Verhinderung der durch Aneignung erfolgenden Ausdehnung staatlicher Souveränitätsrechte auf bis dahin staatenlosen Gebiete ab.387 In positiver Hinsicht strebt es die Verteilung von Vorteilen aus der Nutzung natürlicher Ressourcen in den Gebieten jenseits territorialer Souveränität an.388 Es stellt in seinem Kern damit ein Nutzungsregime für natürliche Ressourcen dar, dass dem Gebot der Gemeinnützigkeit verpflichtet ist, mithin Verteilungsfragen betrifft.389 Während das Prinzip also in seiner praktischen Nutzung in seinen bisherigen positiv-rechtlichen Anwendungsfällen nicht auf die Beschränkung vorhandener Souveränitätsrechte, sondern nur gegen die Ausdehnung territorialer Herrschaft auf noch souveränitätsfreie Gebiete gerichtet war, hätte seine Übertragung auf den Gegenstand der biologischen Vielfalt im Rahmen der Biodiversitätskonvention dem Prinzip eine veränderte Stoßrichtung verliehen. Es wäre nicht länger auf die Bewahrung des status quo,390 sondern auf die Beschränkung von Nutzungsrechten an natürlichen Ressourcen innerhalb von Gebieten unter staatlicher Souveränität gerichtet gewesen. Die aus den angeführten Anwendungsbeispielen abgeleiteten Kerngehalte des Prinzips, die Etablierung eines institutionalisierten Kooperationsregimes in Form eines die Interessen der gesamten Menschheit vertretenden internationalen Managementsystems, die Regulierung des Gebrauchs des erfassten Gebiets bzw. der erfassten Ressourcen und die Verteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile391 hätten im Falle ihrer VerankeHimmelskörper vom 27. Januar 1967, BGBl. 1969 II S. 1967 ff. Begrifflich wird hier in Art. 1 aber der Terminus „province of all mankind“ verwendet. 385  Siehe Art. 11 Agreement Governing the Activitites of States on the Moon and other Celestial Bodies, (Moon Treaty / Mondvertrag). Auch hier ist zu beachten, dass dieser und auch der Weltraumvertrag aufgrund der Verankerung des Common Heritage Prinzips von den in der Weltraumforschung führenden Nationen nicht akzeptiert wurde. Vgl. F. Biermann, „Common Concern of Humankind“: The Emergence of a New Concept of International Environmental Law, AVR 34 (1996), 426 (430). 386  Antarktis-Vertrag vom 1.  Dezember 1959. Der Antarktisvertrag enthält allerdings auch Besonderheiten, die gegen die Verwirklichung des Prinzips des gemeinsamen Menschheitserbes sprechen, W. Durner, Common Goods, 2001, S. 29 m. w. N. Zu den Anwendungsfeldern des Prinzips des CHOM siehe auch R. Wolfrum, Common Heritage of Mankind, MPEPIL, 2009, Rn. 1 und 4 ff. 387  R. Wolfrum, Common Heritage of Mankind, MPEPIL, 2009, Rn. 13. 388  R. Wolfrum, Common Heritage of Mankind, MPEPIL, 2009, Rn. 1. 389  C. Schweizer, Die Zugangs- und Teilhaberegelungen der Biodiversitätskonvention unter besonderer Berücksichtigung der staatlichen Souveränität, 2011, S. 114. 390  R. Wolfrum, Common Heritage of Mankind, MPEPIL, 2009, Rn. 13. 391  Zu den Kernelementen des Common Heritage Prinzips vgl. R. Wolfrum, Common Heritage of Mankind, MPEPIL, 2009, Rn. 11 ff.; C. Schweizer, Die Zugangs-



C. Mobilisierung Einzelner und Gruppen zur Rechtsdurchsetzung123

rung auch in der Konvention über die biologische Vielfalt, insbesondere aufgrund des damit verbundenen freien Zugangs zu solchen Ressourcen, einen Grad an Beschränkung nationaler Souveränität bedeutet, der für die Entwicklungsländer als Hauptherkunftsländer biologischer Vielfalt nicht hinnehmbar war.392 Auf deren Drängen nahmen die verhandelnden Staaten deshalb letztlich Abstand von der Verankerung des Prinzips und bestätigten in Absatz 4 der Präambel sowie in Art. 3 CBD die Souveränität der Staaten über ihre biologische Vielfalt. Mit dem wachsenden Widerstand der Entwicklungsländer in den Verhandlungen zur CBD gegen die Anwendung des common heritage-Prinzips erlangte dagegen das Prinzip des „gemeinsamen Menschheitsinteresses“ oder „common concern of humankind“ größere Bedeutung und wurde auch schließlich in Absatz 3 der Präambel der CBD als ein die Auslegung des operativen Teils der Konvention bestimmendes Prinzip verankert.393 Sein rechtlicher Bedeutungsgehalt kann jedoch nach wie vor nicht als geklärt angesehen werden.394 In der Literatur finden sich zahlreiche unterschiedliche Verständnisse, deren Spannweite vom völligen Fehlen eines rechtlichen Gehalts des Prinzips überhaupt395 bis zu Bedeutungen mit weitreichenden beund Teilhaberegelungen der Biodiversitätskonvention unter besonderer Berücksichtigung der staatlichen Souveränität, 2011, S. 111 ff. 392  Nichtsdestotrotz hatten sich zahlreiche Entwicklungsländer im Vorfeld der RioKonferenz ebenfalls für die Übertragung des Prinzips des gemeinsamen Menschheitserbes eingesetzt. Dieses war auch in der FAO im Rahmen des unverbindlichen „Undertaking on Plant Genetic Resources for Food and Agriculture“ (PGRFA) aufgegriffen worden. Nachdem jedoch in mehreren interpretierenden Beschlüssen auf Drängen der industrialisierten Staaten die Verwendung des Prinzips im konkreten Zusammenhang dahingehend ausgelegt wurde, dass es die Begründung intellektueller Eigentumsrechte an Informationen über die erfassten Ressourcen nicht hindere, wendeten sich die Entwicklungsländer gegen eine Verankerung des dann nur noch auf die Beschränkung ihrer Souveränität gerichteten Prinzips. Vgl. zu den Resolutionen 4 / 89 sowie 3 / 91 der FAO P.-T. Stoll, Access to GRs and Benefit Sharing – Underlying Concepts and the Idea of Justice, in: E. C. Kamau / G. Winter, Genetic Resources, Traditional Knowledge and the Law, 2009, 3 (6 f.) sowie S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources: background and analytical framework, in: dies., Global Governance of Genetic Resources, 2014, 1 (4); L. Wallbott / F. Wolff /  J. Pożarowska, The negotiation of the Nagoya Protocol, in: S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources, 2014, 33 (34). 393  Kritisch hierzu N. Schrijver, Sovereignty over Natural Resources, 1997, S. 246. 394  Statt vieler siehe nur P. W. Bernie / A. Boyle / C. Redgwell, International Environmental Law, 3. Aufl. 2009, S. 129. 395  Während W. Durner, Common Goods, 2001, S. 253 W. Heintschel von Heinegg noch als Vertreter dieser Ansicht aufführte, geht letzterer in der aktuellen 6. Aufl. des Völkerrechtslehrbuchs von Ipsen, 2014, § 49, Rn. 68 davon aus, dass sich der Inhalt des Prinzipis aus den Bestimmungen der Biodiversitätskonvention erschließen lasse, wonach die Staaten auch im Interesse der gesamten Menschheit und nicht le-

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1. Teil: Grundlagen

schränkenden Folgen für die staatliche Souveränität und einem weiten Anwendungsbereich des Prinzips396 reicht. Nach Durner lassen sich insgesamt acht unterschiedliche Theorien über die rechtlichen Implikationen des Prinzips unterscheiden.397 Am überzeugendsten scheint die auch von der herrschenden Meinung getroffene Annahme, wonach das Prinzip des „common concern“ jedenfalls in seiner positiv-rechtlichen Ausprägung den Status von Rechtspflichten und nicht den von Ressourcen qualifiziert, wie es bei den Statusprinzipien398 der Souveränität und des gemeinsamen Menschheitserbes der Fall ist. Sowohl Absatz 1 der Präambel der Klimarahmenkonvention als auch in Absatz 3 der Präambel der Biodiversitätskonvention zeigt der jeweilige Wortlaut, dass Anknüpfungspunkt des Prinzips nicht das Klima bzw. die Biodiversität ist, sondern deren Schutz und damit die diesbezüglichen Schutzpflichten der Staaten. Das Prinzip setzt danach anderweitig, insbesondere völkervertrags- oder gewohnheitsrechtlich begründete Schutzpflichten voraus399 und verleiht diesen dann lediglich einen Charakter als erga omnes Pflichten. Nach diesem Verständnis schafft das Prinzip eine Möglichkeit der Durchsetzung von Schutzpflichten für Umweltgüter in hoheitsfreien Räumen, die bislang mangels Betroffenheit konkreter Staaten nicht bestanden haben.400 Bezogen auf den Gegenstand der Biodiversität soll sie die Durchsetzung von staatlichen Pflichten zum Schutz der biologischen Vielfalt verbessern, da auch dritte Staaten berechtigt werden, gegen die Verletzung hierauf bezogener Pflichten in anderen Staaten im Rahmen der vorgesehenen Mechanismen der CBD vorzugehen. Für den vorliegenden Zusammenhang ist insbesondere von Bedeutung, dass die Qualifizierung biologischer Vielfalt als gemeinsames Menschheitsinteresse die Souveränität der Staaten über ihre biologischen Ressourcen nicht in Frage stellt401 und nicht weitergehend beschränkt, als dies mit dem Eingehen der Verpflichtungen der CBD ohnehin geschieht.402 diglich im eigenen Interesse Schutzmaßnahmen zu ergreifen hätten. Zwar scheint Heintschel von Heinegg damit das Prinzip des common concern als ein rechtliches anzuerkennen. Anscheinend schreibt er ihm jedoch keine über die operativen Regelungen eines Vertragswerks hinausgehende Bedeutung zu. 396  F. Biermann, „Common Concern of Humankind“: The Emergence of a New Concept of International Environmental law, AVR 34 (1996), 426–481. 397  W. Durner, Common Goods, 2001 auf den Seiten 253 ff. 398  Begriff bei W. Durner, Common Goods, 2001, S. 20 f. 399  W. Durner, Common Goods, 2001, S. 261. 400  Vgl W. Durner, Common Goods, 2001, S. 260 ff. m. w. N. 401  Vgl. P. W. Bernie / A. Boyle / C. Redgwell, International Law and the Environmental, 3. Aufl. 2009, S. 130, die allerdings durch die Verankerung des Prinzips eine gemeinsame Verantwortung der Staatengemeinschaft zum Schutz biologischer Vielfalt begründet sehen; S. Schlacke, Das Übereinkommen über biologische Vielfalt: Steuerungskraft und Perspektiven, AVR 54 (2016), 524 (533).



C. Mobilisierung Einzelner und Gruppen zur Rechtsdurchsetzung125

Verbleiben somit die einzelnen Staaten Inhaber der – wenn auch durch völkerrechtliche Pflichten beschränkten – Souveränität über die auf ihrem Staatsgebiet befindlichen Bestandteile biologischer Vielfalt, so sind sie auch potentielle Anspruchsgegner völkerrechtlich begründeter Rechte zum Schutz biologischer Vielfalt – nicht etwa die Weltgemeinschaft als solche,403 bzw. – genauer – eine zur Verwaltung eines gemeinsamen Menschheitserbes gegründete internationale Organisation.

II. Das Individuum im Völkerrecht Versuche zur Bestimmung der Rolle des Individuums im Völkerrecht auf der Grundlage eines universellen Naturrechts reichen bis ins 16. Jahrhundert zurück.404 Bis zur auch positiv-rechtlichen Anerkennung von Rechten Einzelner im – nunmehr deutlicher von den nationalen Rechtsordnungen getrennten und auf die Rechtsbeziehungen zwischen unabhängigen Staaten fokussierten – Völkerrecht405 sollte es gleichwohl noch bis ins 20. Jahrhundert dauern.406 Rückblickend lassen sich in der seitdem einsetzenden Rechtspraxis verschiedene Entwicklungsstränge identifizieren,407 die im Folgenden über402  Zur völkerrechtsunmittelbaren Beschränkung der Souveräniät durch die Ratifikation umweltrechtlicher Verträge N. Schrijver, Sovereignty over Natural Resources, 1997, S. 232; zu diesem „modernen“ Souveränitätsverständnis, das sich in der Folge der Überwindung der sog. Harmon Doktrin herausbildete siehe auch K. Ipsen, in: ders., Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 5 Rn. 138. Danach handelt es sich bei solcherlei Selbstbindungen der Staaten durch internationale Verpflichtungen nicht um eine Aufgabe, sondern gerade eine Ausübung der eigenen Souveränität, vgl. StIGH, Wimbledon-Entscheidung, 17.08.1923, PCIJ, Series A 01, S. 25; bestätigt durch die LotusEntscheidung vom 07.09.1927, PCIJ, Series A 10, S. 18; hierzu auch S. Besson, Sovereignty, MPEPIL, 2011, Rn. 37 f. 403  Zur Ablehnung der Subjektsqualität der „internationalen Gemeinschaft“ A. L. Paulus, Die internationale Gemeinschaft im Völkerrecht, 2001, S. 385 f. 404  Vgl. R. McCorquodale, The Individual and the International Legal System, in: M. D. Evans, International Law, 4. Aufl. 2014, S. 280 (280 ff.). 405  A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 7; R. McCorquodale, The Individual and the International Legal System, in: M. D. Evans, International Law, 4. Aufl. 2014, S. 280 (281). 406  Eine ausführliche Analyse der historischen Entwicklung findet sich bei K. Parlett, The Individual in the International Legal System, 2011. Zusammenfassend a. a. O., Kapitel 6. 407  Ausführlich A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 20 ff., die auch die hier kurz angeführten „Meilensteine“ dieser Entwicklung detailliert beschreibt. Siehe außerdem K. Parlett, The Individual in the International Legal System, 2011, S. 343 ff. sowie 354, wonach ein weiterer wichtiger Schritt, wenn auch nicht unmittelbar auf die Rechtsstellung von Individuen bezogen, in dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs zur Frage der „Reparations for Injuries“ gesehen werden kann, da der IGH hier ausdrücklich von der Möglichkeit von nicht-staatlichen Rechtsträgern

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1. Teil: Grundlagen

blicksartig skizziert werden sollen (1.). Im Anschluss hieran ist die nach wie vor stattfindende Diskussion in der Völkerrechtswissenschaft über die Rechtsfähigkeit und Existenz von Rechten Einzelner unmittelbar auf Ebene des Völkerrechts und damit die Anerkennung eines Rechtsstatus von Individuen, der nicht mehr vollständig auf der Mediatisierung durch seinen Heimatstaat beruht,408 zu behandeln (2.). Aus der hier vertretenen Ansicht ergibt sich für die weitere Arbeit die Notwendigkeit der Unterscheidung völkerrechtsunmittelbarer und mittelbar-völkerrechtlicher Berechtigungen (3.). 1. Allmähliche Anerkennung des Individuums in der Völkerrechtspraxis Als ein Meilenstein der Entwicklung ist ohne Frage das Danzig-Gutachten des Ständigen Internationalen Gerichtshofs (StIGH) von 1928409 anzusehen, in dem der StIGH nach verbreiteter Deutung – einer monistischen Interpretation des Völkerrechts folgend – nicht nur feststellte, dass in zwischenstaat­ lichen Verträgen überhaupt Rechte Einzelner begründet werden können, sondern auch, dass es möglich ist, dass solche Rechte vor nationalen Gerichten unmittelbar einklagbar sind.410 In dieser Lesart hatte der StIGH dem Grunde nach die Möglichkeit der Rechtsträgerschaft des Individuums im internationalen Recht und damit dessen Völkerrechtsfähigkeit anerkannt. Gleichwohl ließ sich der an den entscheidenden Stellen mehrdeutige Wortlaut des Gutachtens auch in dem gegenteiligen Sinne interpretieren, dass die Rechte des Individuums nicht völkerrechtsunmittelbar, sondern erst durch Umsetzungshandlungen des jeweiligen Staates begründet würden. In den gegenläufigen Interpretationsmöglichkeiten des Gutachtens des StIGH trat der Widerspruch zwischen monistischer und der damals herrschenden dualistischen Theorie zum Verhältnis des Völkerrechts und der nationalen Rechtsordnungen offen zu Tage.411 Zwar werden die extremen Varianten beider Theorien heute nicht im Völkerrecht ausging und beschrieb, wie die Anerkennung von Rechtssubjekten einer Rechtsordnung nicht zuletzt von den Bedürfnissen der internationalen Gemeinschaft abhängig sei, Reparation for Injuries Suffered in the Service of the United Nations, Advisory Opinion, ICJ Reports 1949, S. 174 (178). Hierzu auch A. v. Bogdandy / I. Venzke, In wessen Namen?, 2014, S. 112. 408  Zur Begrenzung der Diskussion auf völkerrechtsunmittelbare Rechte Einzelner K. Döhring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 245. 409  StIGH, Jurisdiction of the Courts of Danzig, PCIJ Ser. B, No. 15 (1928). 410  So die Deutung bei A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 24 f., die jedoch darauf hinweist, dass der mehrdeutige Wortlaut des Urteils auch gegenteilige Schlüsse zulässt. Ebenso R. McCorquodale, in: M. D. Evans, International Law, 4. Aufl. 2014, S. 280 (284 f.). 411  Maßgeblich wurde ein solches Verständnis propagiert vom damaligen Präsidenten des StIGH, D. Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts, 1929, S. 312; zum Danzig



C. Mobilisierung Einzelner und Gruppen zur Rechtsdurchsetzung127

mehr vertreten und in vielen Punkten haben die hierauf bezogenen Auseinandersetzungen ihre Brisanz auch verloren.412 Nichtsdestotrotz scheint die Un­ einigkeit über das Verhältnis von Völkerrecht und nationalen Rechtsordnungen auch heute noch ein kaum überwindbares Hindernis für einen Konsens bei der Frage der Rechtsstellung des Einzelnen im Völkerrecht zu sein. Neue Impulse bekam die Anerkennung der Rolle des Individuums im Völkerrecht im Rahmen der völkerrechtlichen Aufarbeitung des Zweiten Weltkrieges. Zunächst stand im Rahmen der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse von 1945 / 1946 die Pflichtenstellung des Individuums413 im Völkerrecht im Vordergrund. Ziel dieser Verfahren war es auch, dem Individuum den Schutzschirm der nationalen Rechtsordnung zu entziehen, hinter dem sich Kriegsverbrecher zu verstecken suchten, um so eine allgemeine Verantwortungslosigkeit zu verhindern und den gemeinsamen ethischen Standards zivilisierter Gesellschaften Wirksamkeit zu verschaffen.414 Erst in der Folgezeit fand auch der Schutz des Einzelnen durch die Positivierung von Menschenrechten Eingang in die Völkerrechtsordnung. Diese Materie sollte in der Folgezeit zur Domäne des Einzelnen im Völkerrecht werden.415 Neben den Instrumenten des universellen Menschenrechtsschutzes wie der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948416 sowie den späteren Pakten über bürgerliche und politische Rechte417 einerseits sowie wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte418 andererseits sind die für die vorliegende Darstellung näher untersuchten regionalen Menschenrechtssysteme zu nennen, die im Rahmen des Europarates (EMRK), der Organisation AmerikaniGutachten des StIGH siehe auch K. Parlett, The Individual in the International Legal System, 2011, S. 347. 412  T. Stein / C. v. Buttlar / M. Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. 2017, Rn. 175. 413  Weitergehend hierzu K. Parlett, The Individual in the International Legal System, 2011, S. 351 sowie A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 53 ff. 414  H. Lauterpacht, The Subjects of International Law, in: E. Lauterpacht (Hrsg.), International Law: Being the Collected Papers of Hersch Lauterpacht (1970–1978), Vol. I: The General Works, 1970, 279 (280 f.); hierzu und zur Verantwortlichkeit Einzelner nach der Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen 1373 (2001), erlassen in der Folge der Anschläge von New York vom 11. September 2001 R. McCorquodale, The Individual and the International Legal System, in: M. D. Evans, International Law, 4. Aufl. 2014, S. 280 (286 ff.). 415  A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 27; R. McCorquodale, The Individual and the International Legal System, in: M. D. Evans, International Law, 4. Aufl. 2014, S. 280 (285); K. Parlett, The Individual in the International Legal System, 2011, S. 350; vgl. auch J. Delbrück / R. Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 2, 2. Aufl. 2002, S. 261 f.; K. Döhring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 245. 416  UNGA Resolution 217 A (III) vom 10.12.1948, UN A / RES / 3 / 217 A. 417  International Covenant on Civil and Political Rights, 6 ILM 368 (1967). 418  International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, 6 ILM 368 (1967).

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1. Teil: Grundlagen

scher Staaten (Amerikanische Erklärung der Menschenrechte sowie AMRK) sowie der Afrikanischen Union (ACHPR) errichtet wurden. Gerade in institutioneller Hinsicht haben sie mit der Etablierung von Rechtsschutzmöglichkeiten vor internationalen Menschenrechtskommissionen und -gerichtshöfen der Anerkennung einer völkerrechtlichen Rechtsstellung Einzelner und in jüngster Zeit auch Gruppen enormen Auftrieb gegeben. Schließlich ist auch die Entscheidung des internationalen Gerichtshofs (IGH) im Fall LaGrand von 2001 als weiterer Entwicklungsschritt zu sehen,419 in welcher der IGH Art. 36 Abs. 1 Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen ein subjektives Recht des Einzelnen für den Fall seiner Festnahme auf Kontakt zur eigenen konsularischen Vertretung entnahm.420 Als Entwicklungsschritt für die zunehmende Anerkennung von Rechten Einzelner muss die Entscheidung deshalb gelten, weil der IGH sich für die Anerkennung subjektiver Rechte in der Entscheidungsbegründung deutlich vom historischen Willen der Vertragsparteien löste, wie er aus den travaux préparatoire hervorging und damit nicht in hergebrachter Manier einer souveränitätsschonenenden Auslegung421 des Übereinkommens folgte, sondern unter Bezugnahme auf den keineswegs eindeutigen Wortlaut422 der Vorschrift und Anwendung einer objektiv-teleologischen Methode zur An419  A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 27; siehe auch den insoweit vielsagenden Titel von K. Oellers-Frahm, Die Entscheidung des IGH im Fall LaGrand – ein Markstein in der Rechtsprechung des IGH, in: T. Marauhn, Die Rechtsstellung des Menschen im Völkerrecht, 2003, 21 ff. 420  Vgl. IGH, Urteil vom 27.06.2001, I.C.J. Reports 2001, S. 466 ff. Ausführlich hierzu M. N. Eckardt, Die Entwicklung des Individualrechtsschutzes im internationalen Investitionsschutzrecht, 2014, 155 ff.; B. Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, AVR 43 (2005), 312 ff. Der IGH hat seine Rechtsprechung in der sog. Avena-Entscheidung bestätigt, siehe Case concerning Avena and other Mexican na­ tionals, Urteil vom 31.03.2004, I.C.J Reports 2004, S. 12; für dem Entwicklungsstand des Völkerrechts völlig angemessen hält die LaGrand-Entscheidung etwa K. OellersFrahm, Die Entscheidung des IGH im Fall LaGrand – ein Markstein in der Rechtsprechung des IGH, in: T. Marauhn, Die Rechtsstellung des Menschen im Völkerrecht, 2003, 21 (36). 421  So noch beispielhaft StIGH, Wimbledon-Entscheidung, 17.08.1923, PCIJ, Series A 01 sowie die Lotus-Entscheidung vom 07.09.1927, PCIJ, Series A 10. 422  Mit K. Parlett, The Individual in the International Legal System, 2011, S. 347, 349 ist gerade dieser Verzicht des IGH auf eine ausdrückliche Gewährung von Rechten Einzelner, die klaren Niederschlag im Wortlaut eines internationalen Abkommens gefunden haben muss, zu betonen. Mit dem Verlust dieser durch Staaten im Rechtssetzungsprozess gut zu kontrollierenden Voraussetzung ist auch ihre Stellung als „exklusive Torwächter“ über die Einführung von Rechten, Pflichten und Kompetenzen im Völkerrecht zwar nicht verloren gegangen, wohl aber unsicherer und stärker dem gerichtlichen Zugriff geöffnet worden. An der Anforderung eines deutlichen Ausdrucks im Vertragstext halten dagegen fest J. Delbrück / R. Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 2, 2. Aufl. 2002, S. 261.



C. Mobilisierung Einzelner und Gruppen zur Rechtsdurchsetzung

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nahme einer subjektiven Berechtigung erstmals außerhalb des Bereichs des Menschenrechtsschutzes und des humanitären Völkerrechts gelangte.423 Gerade die zuletzt genannte Entscheidung des IGH spiegelt für den Bereich des allgemeinen Völkerrechts eine Abkehr von einem rein staats- und souveränitätszentrierten Verständnis des Völkerrechts wider, aufgrund dessen koordinationsrechtlicher Ausrichtung dem Einzelnen lange Zeit nur im eng umgrenzten (Sonder-)Bereich des Menschenrechtsschutzes eine Rolle zugestanden worden war.424 Im Verhältnis dazu wird noch zu zeigen sein, dass eine weitergehende Anerkennung der eigenständigen rechtlichen Rolle Einzelner – und auch von Gruppen – im Völkerrecht auch im Bereich des Schutzes biologischer Vielfalt durch die Begründung hierauf gerichteter Rechtspositionen stattgefunden hat. Die aus verschiedenen Feldern zusammengenommenen Entwicklungen sind zugleich Folge und Ausdruck der Weiterentwicklung des Völkerrechts von einem reinen Koordinationsrecht zu einer mit starken Elementen der Kooperation angereicherten Rechtsordnung, wie sie in der gesamten zweiten Hälfte des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts, in stärkerem Maße noch seit dem Ende des Kalten Krieges, gerade auch im Bereich des Umweltvölkerrechts beobachtet werden konnte.425 2. Diskussion in der Völkerrechtswissenschaft Die dargestellte Entwicklung der Völkerrechtspraxis hinsichtlich der An­ erkennung subjektiv-rechtlicher Positionen und die soeben angedeuteten allgemeineren Hintergründe der Fortenwicklung der Völkerrechtsordnung haben keineswegs zu einem Konsens über die Frage der Rechtsfähigkeit des Einzelnen und von Gruppen sowie die Voraussetzungen für die Anerkennung einzelner Rechte im Völkerrecht geführt.426 Teilweise wird die Rechtsfähigkeit Einzelner und Gruppen nach wie vor ganz grundsätzlich abgelehnt [a)], der überwiegende Teil der Völkerrechtswissenschaft geht heute jedoch von einer partiellen Rechtsfähigkeit jedenfalls von Einzelnen aus, wobei diese Aner423  B. Grzeszick, Die Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, AVR 43 (2005), 312 (313 f.); V. Epping, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 7 Rn. 9. 424  Zur Veränderung des völkerrechtlichen Grundsatzes der Mediatisierung im Lichte der LaGrand-Entscheidung des IGH B. Grzeszick, Die Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, AVR 43 (2005), 312 (313). 425  S. Besson, Sovereignty, MPEPIL, 2011, Rn. 44. Der hiermit in engem Zusammenhang stehenden Diskussion um die Konstitutionalisierung des Völkerrechts soll hier zunächst nicht weiter nachgegangen werden. Auf diese wird noch einmal im Rahmen der Diskussion der Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung zurückzukommen sein. 426  Für nach wie vor bereits in den Grundlagen umstritten hält diese Fragen V. Epping, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 7 Rn. 1.

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1. Teil: Grundlagen

kennung mit verschiedenen Beschränkungen versehen wird [b)].427 Wegen der grundlegenden Bedeutung des Begriffs des subjektiven Rechts und der Anerkennung der Rechtsfähigkeit des Einzelnen und von Gruppen im Völkerrecht für die vorliegende Untersuchung ist hierzu Stellung zu nehmen [c)]. a) Ablehnung der Rechtsfähigkeit Soweit auch heute noch die Rechtsfähigkeit Einzelner im Völkerrecht ganz grundsätzlich abgelehnt wird, geschieht dies – soweit die Gründe hierfür offen gelegt werden – regelmäßig unter Verweis auf den völkerrechtlichen Effektivitätsgrundsatz.428 Dieser beruht auf der Annahme, dass mangels einer zentralen Institution zur Rechtsdurchsetzung im Völkerrecht dessen reale Wirksamkeit bzw. die Wahrscheinlichkeit der Normverwirklichung sehr viel geringer als im nationalen Rechtskreis ist.429 Aus diesem Grund wird im internationalen Recht deshalb für zahlreiche Rechtsinstitute bereits auf Tatbestandsseite – unter Zurücknahme des Gestaltungsanspruchs des Völkerrechts – ein höherer Grad an Übereinstimmung mit der Wirklichkeit verlangt.430 Auf diese Weise soll ein zu weitgehendes Auseinanderfallen von Recht und Wirklichkeit, das die Geltungskraft des Völkerrechts als solches unterminieren würde, verhindert werden.431 Diese Gefahr aber – so die Verteter der vorliegenden Ansicht – bestünde bei der auch teilweisen Aufgabe der Mediatisierung des Einzelnen durch seinen jeweiligen Staat, der Anerkennung seiner Rechtsfähigkeit und der Trägerschaft einzelner Rechte, da nie der Einzelne selbst, sondern stets nur sein Staat die Rechtsverwirklichung garantieren könne. Die Rechtsfähigkeit wird selbst für den Bereich der völkervertraglich durch die Staaten geschaffenen432 Menschenrechte und hier gar dann abgelehnt, wenn neben die Schaffung materieller Menschenrechte 427  Nicht weiter nachgegangen wird der ebenfalls in der Vergangenheit teilweise vertretenen Ansicht, dass nicht Staaten, sondern Individuen die eigentlichen Subjekte des Völkerrechts seien, vgl. zu dieser richtigerweise zurückzuweisenden Ansicht nur R. McCorquodale, The Individual and the International Legal System, in: M.  D.  Evans, International Law, 4. Aufl. 2014, S. 280 (283); K. Döhring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 245 sowie J. Delbrück / R. Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 2, 2. Aufl. 2002, S. 260. 428  Vgl. B. Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, AVR 43 (2005), 312 (342); A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 41. 429  K. Ipsen, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 3 Rn. 13. 430  A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 41. 431  B. Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, AVR 43 (2005), 312 (342 f.); A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 41. 432  Auch vorliegend wird nicht von deren naturrechtlicher Begründung ausgegangen, sodass auch insoweit eine Abhängigkeit des Einzelnen von der staatlichen Rechtserzeugung besteht, so auch K. Döhring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 245.



C. Mobilisierung Einzelner und Gruppen zur Rechtsdurchsetzung131

auch die Einrichtung eines zu verbindlichen Entscheidungen berufenen Menschenrechtsgerichtshofes tritt. Dies ändere nichts daran, dass der Einzelne nur dann von seiner Begünstigung profitiere, wenn sich der jeweilige Staat zur Befolgung einer gerichtlichen Entscheidung entschließe und der Einzelne deshalb von der Mitwirkung des Staates abhängig bleibe. Überdies wird darauf hingewiesen, dass auch menschenrechtliche Garantien regelmäßig konsensual, unter bestimmten Bedingungen auch einseitig durch den jeweiligen Staat aufgehoben werden können.433 Insoweit wird jedoch dieser Ansicht bereits auf dogmatischer Ebene zu Recht entgegengehalten, dass letztere Annahme – die Möglichkeit der Rücknahme von Menschenrechtsgarantien – überwiegend jedenfalls für solche Normen als ausgeschlossen angesehen wird, die gewohnheitsrechtlich anerkannt sind oder denen gar der Charakter als zwingendes Recht, sog. jus cogens,434 zukomme435 und jedenfalls hier der Ausschluss der Rechtsfähigkeit deshalb nicht überzeugend dargelegt werde. In der Konsequenz dieser Ansicht liegt es, dass dem Einzelnen auf völkerrechtlicher Ebene selbst keine Rechte zukommen können, sondern, soweit Einzelne begünstigt werden sollen, eine subjektive Berechtigung erst durch entsprechende Umsetzungshandlungen im nationalen Recht entsteht.436 b) Anerkennung partieller Rechtsfähigkeit Überwiegend wird dagegen inzwischen von einer partiellen Rechtsfähigkeit des Einzelnen ausgegangen,437 wobei deren Beschränkung in verschiedener Weise bestimmt wird. Teilweise wird in positiver Wendung des bereits 433  Zu beiden vorstehenden Argumenten siehe V. Epping, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 7 Rn. 15, der jedoch selbst von einer partiellen Rechtsfähigkeit Einzelner ausgeht, vgl. a. a. O., § 7 Rn. 5. 434  Zu Begriff und Anwendungsfällen von jus cogens siehe W. Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 16 Rn. 37 ff., der auch darlegt, dass Menschenrechtsnormen keinesfalls zum unumstrittenen Bestand von jus cogens zählen, a. a. O., Rn.  51. 435  R. McCorquodale, The Individual and the International Legal System, in: M. D. Evans, International Law, 4. Aufl. 2014, S. 280 (286) etwa hinsichtlich dem Recht auf Freiheit von Folter; so auch K. Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, S. 112 f., der die Rechtsfähigkeit Einzelner im Völkerrecht aber auch dadurch als begrenzt ansieht; ihm grundsätzlich folgend T. Stein / C. v. Buttlar / M. Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. 2017, Rn. 504. 436  Vgl. J. Delbrück / R. Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 2, 2. Aufl. 2002, S. 259. 437  Siehe nur V. Epping, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 7 Rn. 3; M. Kau, in: W. Graf Vitzthum / A. Proelß, Völkerrecht, 7. Aufl. 2016, Dritter Abschnitt Rn. 17; K. Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 250; J. Delbrück / R. Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 2, 2. Aufl. 2002, S. 264; R. McCorquodale, The Individual and the International Legal System, in: M. D. Evans, International Law, 4. Aufl. 2014, S. 280 (286); K. Parlett, The Individual in the International Legal System,

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1. Teil: Grundlagen

gerade vorgetragenen Arguments davon ausgegangen, dass eine Rechtsfähigkeit des Einzelnen nur im Kernbereich der Menschenrechte anzunehmen sei, für die von einer gewohnheitsrechtlichen Geltung auszugehen und die in ihrer Geltung für die Staaten nicht disponibel sind.438 Andere Stimmen fassen die Rechtsfähigkeit des Einzelnen dadurch weiter, dass entscheidend darauf abgestellt wird, dass dem Einzelnen nicht nur eine materielle Befugnis zuerkannt wird, sondern auch ein völkerrechtlich ausgestaltetes Verfahren vor einem internationalen Gericht eröffnet wird, um den gewährten Anspruch gegenüber dem Staat durchzusetzen.439 Noch weiter gehen Stimmen, die auch das Merkmal der prozessualen Durchsetzbarkeit einer Befugnis vor einem internationalen Gericht nicht als maßgeblich für die Annahme eines subjektiven Rechts ansehen wollen und damit die Rechtsfähigkeit des Einzelnen auch auf solche Fälle erstrecken.440 Ausreichend soll es danach sein, dass es sich um eine Befugnisnorm handelt, der unmittelbare Anwendbarkeit im nationalen Rechtskreis zukommt, die also keiner weiteren Umsetzung durch den verpflichteten Staat bedarf. c) Diskussion und Stellungnahme Mit der grundsätzlichen Ablehnung der Rechtsfähigkeit Einzelner im Völkerrecht wird der oben geschilderten Entwicklung der Rechtspraxis und der Weiterentwicklung der Völkerrechtsordnung insgesamt letztlich jede Bedeutung für die vorliegenden Fragen abgesprochen441 und die Möglichkeit der 2011, S. 350. Für den Bereich des Menschenrechtsschutzes geht hiervon etwa auch der Bundesgerichtshof aus, vgl. BGHZ 169, 348 (351). 438  So etwa die vorgehend genannten K. Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 249 f. sowie ihm grundsätzlich folgend T. Stein / C. v. Buttlar / M. Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. 2017, Rn. 504. 439  V. Epping, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 7 Rn. 5 m. w. N.; vgl. zu dieser Ansicht auch T. Stein / C. v. Buttlar / M. Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. 2017, Rn. 500; B. Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, AVR 43 (2005), 312 (328); H. Kelsen, Principles of International Law, 2. Aufl. 1966, S. 143 f.; A. Verdross / B. Simma, Universelles Völkerrecht, 1984, S. 256; J. Crawford, Brownlie’s Principles of International Law 2012, S. 121. Zum weitgehenden Fehlen internationaler gerichtlicher Durchsetzungsmechanismen im Bereich des Umweltvölkerrechts J. Ebbesson, Planetary Boundaries and the Matching of International Treaty Regimes, Scandinavian Studies in Law, 59 (2014), 259 (282). 440  H.-J. Cremer, Fünf Thesen zur subjektiven Rechtsqualität völkerrechtlich gewährleisteter Menschenrechte, in: D. Hanschel u. a., Mensch und Recht, Festschrift für Eibe Riedel, 2013, S. 33 (36 ff.); M. N. Eckardt, Die Entwicklung des Individualrechtsschutzes im internationalen Investitionsschutzrecht, 2014, S. 68 ff.; K. Döhring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 247. 441  Nicht selten fehlt dabei eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Weiterentwicklung der Völkerrechtsordnung. Dass einzelne Völkerrechtswissenschaftler mit



C. Mobilisierung Einzelner und Gruppen zur Rechtsdurchsetzung133

Differenzierung beim Umfang von Rechtspositionen unterschiedlicher Rechtssubjekte im Völkerrecht442 negiert. Die Ansicht betont das hergebrachte Verständnis des Völkerrechts als Koordinationsrecht zwischen den Staaten, in dem Einzelne durch ihren jeweiligen Staat vollständig mediatisiert werden. Es überzeugt jedoch nicht, dass aus der Fortentwicklung der Völkerrechtsordnung, insbesonderer ihrer institutionellen Verdichtung im Bereich der Menschenrechte, aber auch anderer Bereiche staatlicher Kooperation, namentlich durch die Entstehung zahlreicher multilateraler Vertragssysteme im Bereich des Umweltvölkerrechts und der damit zumindest in manchen Bereichen insoweit gewachsenen Stabilität internationaler Beziehungen, keinerlei Folgerungen für die Einschätzung der Realisierungswahrscheinlichkeit von Individualrechten gezogen werden sollen. Trotz der enormen Ausweitung der auf völkerrechtlicher Ebene adressierten Fragen auf solche mit erheblicher Bedeutung für das Leben und die Rechte jedes einzelnen Menschen443 soll diesen im internationalen Recht auch weiterhin keinerlei eigene völkerrechtsunmittelbare Stellung zukommen, selbst wenn die Staaten eine solche Rolle explizit vorsehen, wie sie dies jedenfalls im Bereich der Menschenrechte getan haben und selbst wenn internationale Rechtsschutzmechanismen etabliert werden.444 Vielmehr sollen Einzelne auch weiterhin nur als Begünstigte bloßer Rechtsreflexe gelten.445 Ein solches Verständnis überspannt den völkerrechtlichen Effektivitätsgrundsatz und stellt den völkerrechtlichen Gestaltungsanspruch zu weitgehend zurück. Das Völkerrecht dient aber, wie Recht überhaupt, der normativen Stärkung der einem starken normativen Anspruch auftreten, mag auch dadurch unterstützt werden, dass zu den in Art. 38 IGH Statut anerkannten Rechtsquellen des Völkerrechts gem. lit. (d) auch die Lehrmeinung der fähigsten Völkerrechtler der verschiedenen Nationen als Hilfsmittel zur Feststellung von Rechtsnormen zählen. 442  So aber zu Recht K. Parlett, The Individual in the International Legal System, 2011, S. 354; R. McCorquodale, The Individual and the International Legal System, in: M. D. Evans, International Law, 4. Aufl. 2014, S. 280 (282) unter Verweis auf das Gutachten des IGH zu: Reparation for Injuries Suffered in the Service of the United Nations, Advisory Opinion, ICJ Reports 1949, S. 174 (178). 443  Aus dem bloßen Interesse Einzelner an der Rechtsverwirklichung folgt allerdings gleichwohl selbstverständlich noch nicht eine Anerkenung einer völkerrecht­ lichen Berechtigung Einzelner, vgl. hierzu K. Parlett, The Individual in the Interna­ tional Legal System, 2011, S. 362 f. 444  Zu deren tatsächlicher Wirksamkeit siehe R. McCorquodale, The Individual and the International Legal System, in: M. D. Evans, International Law, 4. Aufl. 2014, S. 280 (291). 445  Mit der Anerkennung der Rechtsfähigkeit Einzelner wird die Notwendigkeit der Abgrenzung völkerrechtsunmittelbarer Rechte zu Begünstigungen Einzelner durch bloße Rechtsreflexe gleichwohl keineswegs überflüssig, siehe nur V. Epping, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 7 Rn. 5; J. Delbrück / R. Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 2, 2. Aufl. 2002, S. 260 f.

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1. Teil: Grundlagen

Erwartung eines bestimmten Verhaltens.446 Seiner bedürfte es nicht, wenn das normierte Verhalten ohnehin stets einträte. Auch die dem Effektivitätsgrundsatz zugrunde liegende Annahme, dass nur Staaten notfalls die Durchsetzung der ihnen zugebilligten Rechte erreichen können, dürfte allenfalls für wenige Staaten mit hinreichender wirtschaftlicher oder militärischer Stärke zutreffen.447 Gegen ein alleiniges Abstellen auf die Möglichkeit nötigenfalls gewaltsamer Durchsetzung von Ansprüchen durch Staaten spricht zudem schon, dass eine solche Durchsetzung unter der Charta der Vereinten Nationen – von wenigen Ausnahmefällen abgesehen – gerade nicht gestattet ist.448 Auch Staaten sind regelmäßig vielmehr auf Verfahren der friedlichen Konfliktlösung verwiesen,449 die aber auch für diese durch das Völkerrecht keinesfalls umfassend zur Verfügung gestellt werden.450 Die in unterschiedlicher Weise erfolgende Anerkennung jedenfalls einer partiellen Rechtsfähigkeit Einzelner geht dagegen zumindest implizit von der Erheblichkeit der Fortentwicklung der Völkerrechtsordnung für die Stabilisierung der Verhaltenserwartung von Staaten auch gegenüber dem Einzelnen – wenn auch unter den genannten Vorbehalten – aus.451 Sie ermöglicht so die Annahme subjektiver Rechte nicht nur dort, wo der Einzelne unmittelbar geschützt werden soll, sondern auch dort, wo Staaten eine solche Position zur Erreichung bestimmter Steuerungsziele ausdrücklich oder implizit vor­ sehen und eröffnet so die grundsätzliche Möglichkeit ihrer Mobilisierung. Auch die von Vertretern dieser Ansicht formulierten Vorbehalte tragen dem völkerrechtlichen Effektivitätsgrundsatz Rechnung und sollen ein zu weit gehendes Auseinanderfallen von normativer Erwartung und Wirklichkeit verhindern. Soweit die Anerkennung der Rechtsfähigkeit auf den Kernbestand an absoluten, d. h. nicht für die Staaten disponiblen Menschenrechten begrenzt wird, erscheint jedoch fraglich, ob nicht auch dies den Effektivitätsgrundsatz überspannt. Auch im nationalen Recht führt die Möglichkeit der Beseitigung subjektiver Rechte Einzelner im Wege der Gesetzesänderung 446  Statt aller B. Rüthers / C. Fischer / A. Birk, Rechtstheorie, 9. Aufl. 2016, § 3 Rn. 87. 447  Siehe zur Effektivität des Völkerrechts im zwischenstaatlichen Bereich allgemein K. Ipsen, in: ders., Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 3 Rn. 10 ff. 448  Vgl. das umfassende Gewaltverbot in Art. 2 Nr. 4 UN-Charta und hierzu W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 51 Rn. 16 ff. 449  Art. 2 Nr. 3 UN-Charta enthält das Prinzip der friedlichen Streitbeilegung. 450  Grundsätzlich sind Staaten hierfür vielmehr auf gewöhnliche diplomatische Verfahren verwiesen. Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit und die internationale Gerichtsbarkeit basiert zudem auf dem Konsensprinzip, kann also nur dann tätig werden, wenn dem alle Streitparteien zugestimmt haben. Allgemein zur friedlichen Streitbeilegung siehe V. Epping, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 55. 451  Siehe auch die Einschätzung hinsichtlich der Effektivität des Menschenrechtsschutzes bei K. Ipsen, in: ders., Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 37 Rn. 56.



C. Mobilisierung Einzelner und Gruppen zur Rechtsdurchsetzung135

nicht zum Ausschluss der Annahme des subjektiv-rechtlichen Charakters einer Position. Auch diese Ansicht geht letztlich von einer dem Völkerrecht inherenten höheren Instabilität aus, der dogmatisch Rechnung zu tragen sei. Diese soll zwar nicht geleugnet werden, nur erscheint es nicht nötig daraus den Schluss zu ziehen, auch dann solche Rechtspositionen nicht als subjektive Rechte zu qualifizieren und dem Einzelnen insoweit die Rechtsfähigkeit abzusprechen, solange die seine Position begründenden Normen tatsächlich in Geltung sind.452 Auch gegen die Verknüpfung der Rechtsfähigkeit Einzelner mit dem Bestehen einer prozessualen Durchsetzungsmöglichkeit auf völkerrechtlicher Ebene werden erhebliche Bedenken angemeldet.453 In dieser traditionellen Sichtweise kann sicherlich mit Peters auch ein Fortwirken des römischen Aktionendenkens gesehen werden, das auch in zahlreichen westlichen nationalen Rechtsordnungen lange das Denken bestimmt hat,454 bevor sich doch zumeist eine Trennung von materiellem Anspruch und seiner prozessualen Durchsetzung etablierte455 und die Durchsetzung von Rechten nur noch als Rechtsfolge, nicht aber als Voraussetzung der subjektiven Rechtsposition angesehen wurde.456 Die Fortführung einer solchen Vermischung materiellrechtlicher und prozessualer Aspekte scheint aber schon deshalb nicht gerechtfertigt – wie Cremer bemerkt hat – weil der These letztlich eine zirkuläre Argumentation zugrunde liegt,457 die in einem infiniten Regress enden muss. So macht diese Argumentation das Bestehen eines wie auch immer gearteten subjektiven Rechts von dem Bestehen eines prozessualen subjekti452  Auch R. McCorquodale, The Individual and the International Legal System, in: M. D. Evans, International Law, 4. Aufl. 2014, S. 280 (286) weist auf die Abhängigkeit der Entstehung von Rechten Einzelner im Völkerrecht von den Staaten hin, ohne deshalb die Möglichkeit von Rechten Einzelner auszuschließen. Wie hier auch K. Parlett, The Individual in the International Legal System, 2011, S. 350. 453  Hierzu zuletzt auch M. N. Eckardt, Die Entwicklung des Individualrechtsschutzes im internationalen Investitionsschutzrecht, 2014, S. 68 ff.; K. Döhring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 247  – dessen Argumentation allerdings eher gegen eine Übertragung auf Individuen spricht, da er sich auf die Möglichkeit der Selbstdurchsetzung von Staaten bezieht, die Einzelnen gerade nicht zur Verfügung steht. 454  A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, 38 f., die auch auf den „Command Rechtspositivismus“ als Quelle eines solchen Denkens in der heutigen Zeit verweist. 455  A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, 38 f.; mit Verweis auf Art. 19 IV GG, dem ebenfalls eine solche Trennung zugrunde liegt. Zu letzterem auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 167. 456  J. Saurer, Der Einzelne im europäischen Verwaltungsrecht, 2014, S. 138. 457  H.-J. Cremer, Fünf Thesen zur subjektiven Rechtsqualität völkerrechtlich gewährleisteter Menschenrechte, in: D. Hanschel u. a., Mensch und Recht, Festschrift für Eibe Riedel, 2013, S. 33 ( 37 f.).

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1. Teil: Grundlagen

ven Rechts458 auf eine gerichtliche Streitentscheidung abhängig. Konsequent müsste ein solches prozessuales Recht seinerseits wiederum mit einem Recht zu seiner Durchsetzung verbunden werden, um von dieser Ansicht anerkannt zu werden.459 Bestätigt wird die hiesige Kritik an der Koppelungsthese zudem durch die Praxis internationaler Gerichte, die in mehreren Entscheidungen selbst ausdrücklich davon ausgehen, dass das Bestehen einer materiellen Rechtsposition und deren prozessuale Durchsetzung nicht notwendig miteinander verbunden sind.460 Schließlich würde eine solche Koppelung auch die Wirkungen von Rechten zu stark auf die institutionelle Verwirklichung der gewährleisteten Rechtsposition reduzieren.461 Die Ansicht erhebt letztlich den Problem- zum Normalfall und misst Fällen, in denen normverpflichtete Staaten den gewährleisteten Anspruch von sich aus gegenüber den normberechtigten Einzelnen und Gruppen erfüllen, keine entscheidende Bedeutung zu. Auch soweit es (noch) an institutionellen Durchsetzungsmöglichkeiten fehlt, sind Rechtsnormen gleichwohl nicht schon deshalb funktionslos,462 zudem liegt – unabhängig von der Normverwirklichung – die wichtige Funktion gerade neuer Rechtsnormen auch darin, einen bestimmten Wert in einer (globalen) Gesellschaft bekannt zu machen, ein Bewusstsein für ihn zu för458  Zur Qualität eines prozessualen Rechts auf Rechtsschutz als subjektives Recht, R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 166. 459  In diese Richtung geht auch der gegen die Koppelungsthese vorgetragene Einwand bei R. McCorquodale, The Individual and the International Legal System, in: M. D. Evans, International Law, 4. Aufl. 2014, S. 280 (290), der darauf hinweist, dass der Zugang zur internationalen Gerichtsbarkeit auch nur in Abhängigkeit von der freiwilligen Unterwerfung des jeweiligen Staates unter die jeweilige Gerichtsbarkeit besteht und der Einzelne hierauf wiederum keinen Anspruch hat. 460  So auch der ständige Internationale Gerichtshof, Appeal from a Judgment of the Hungaro / Czechoslovak Mixed Arbitral Tribunal, Judgment, 1933, PCIJ, Ser A / B, No 61, S. 208 (231) sowie der IGH, der in seinem LaGrand-Urteil offensichtlich zwischen dem materiell-subjektiven Recht aus Art. 36 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen (WÜK) und der prozessualen Durchsetzungsmöglichkeit unterscheidet. Das Gericht erkennt ein materielles Recht an und geht gleichzeitig davon aus, dass die Rechtsmacht zur gerichtlichen Durchsetzung ausschließlich dem Heimatstaat zusteht, vgl. IGH, Urteil vom 27.06.2001, I.C.J. Reports 2001, S. 466 (Rn. 77); bestätigt durch das Avena Urteil des IGH vom 31.03.2004 sowie hierzu B.  Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, AVR 43 (2005), 312 (328), der in der Entscheidung einen Wechsel von prozessualen zu materiellen Kriterien für die Bestimmung subjektiver Rechte Einzelner im Völkerrecht erblickt. 461  Vgl. zur Notwendigkeit der Unterscheidung der rechtlichen Durchsetzbarkeit subjektiver Rechte von anderen ihnen zukommenden Eigenschaften R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 164. 462  Zu den unabhängig von formalen Durchsetzungsmechanismen gegebenen Verwirklichungschancen von Rechten Einzelner im Völkerrecht siehe J. Delbrück / R. Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 2, 2. Aufl. 2002, S. 261.



C. Mobilisierung Einzelner und Gruppen zur Rechtsdurchsetzung137

dern und dadurch erst die Voraussetzungen seiner gesellschaftlichen Verwirklichung zu schaffen.463 Selbst wenn man die vorstehende Argumentation aber nicht für überzeugend hält, müsste doch zumindest erwogen werden, ob die Voraussetzung einer Verknüpfung einer begünstigenden Norm mit ihrer prozessualen Durchsetzungsmöglichkeit vor einem auf internationaler Ebene eingerichteten und zur verbindlichen Entscheidung berufenen Streitbeilegungsorgan zur Anerkennung eines völkerrechtsunmittelbaren subjektiven Rechts dem heute erreichten Stand an ausdifferenzierten Möglichkeiten der Durchsetzung völkerrechtlicher Rechte noch gerecht wird. Wie die vorliegende Untersuchung noch im Einzelnen exemplarisch anhand der untersuchten völkerrechtlichen Ansätze zum Schutz biologischer Vielfalt zeigen wird, existieren heute neben Formen gerichtlicher Rechtsdurchsetzung464 auch gerichtsähnliche Verfahren, die – obgleich sie lediglich zur Abgabe nicht förmlich bindender Empfehlungen führen – tatsächlich, in Abhängigkeit von ihrer institutionellen Ein­ bindung,465 eine erhebliche (rechtliche) Wirkung entfalten und zur Realisierung von Normbefehlen führen können. Zu nennen sind hier etwa die Menschenrechtskommissionen des inter-amerikanischen und des afrikanischen Menschenrechtssystems oder auch der Compliance-Mechanismus der Aarhus-Konvention. Gerade der letztgenannte Mechanismus spiegelt wider, dass das heutige Völkerrecht mangels Existenz allgemein zuständiger zentraler Institutionen zur Rechtsdurchsetzung gerade auf Formen der dezentralen Durchsetzung von Völkerrecht setzt und dabei supra-nationale und nationale Gerichte einbindet.466 Der Blick allein auf die Institutionalisierung einer Durchsetzungsmöglichkeit auf internationaler Ebene einerseits und ihre förmliche Verbindlichkeit andererseits verstellt den Blick darauf, dass die dezentrale Durchsetzung von Völkerrecht unter Umständen einen sehr viel höheren Grad an effektivem Rechtsschutz vermitteln kann.467

463  Darauf weist hin E. Brown Weiss, The Emerging Structure of International Environmental Law, in: N. Vig / R. S. Axelrod, The Global Environment: Institutions, Law, and Policy, 1999, 98 (102). 464  So die Urteile des europäischen, inter-amerikanischen sowie des afrikanischen Menschenrechtsgerichtshofs. 465  Siehe etwa zur bislang stets vollzogenen Annahme der Berichte und Empfehlungen des ACCC durch die Vertragsstaatenkonferenz der Aarhus-Konvention: Zweiter Teil, B. III. 2. a). 466  Vgl. hierzu B. Grzeszick, Die Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, AVR 43 (2005), 312 (337), der gerade hierin eine Parallele zur Mobilisierung des Einzelnen im Europarecht sieht. 467  Hiermit sei das bereits oben zitierte Argument von J. Delbrück / R. Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 2, 2. Aufl. 2002, S. 261 verstärkt, die neben den hier angesprochenen formalisierten, wenn auch nicht gerichtlichen Mechanismen auf die Durchsetzung

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1. Teil: Grundlagen

Aus den vorgenannten Gründen soll deshalb hier von einer partiellen Rechtsfähigkeit des Einzelnen und grundsätzlich auch von Gruppen und der Möglichkeit der Annahme von Rechten bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen zum einen unabhängig davon ausgegangen werden, ob die materielle Berechtigung allein völkervertraglicher Natur ist und von den Staaten auf­ gehoben werden kann und zum anderen auch dann, wenn es an einem förmlichen Verfahren zur Rechtsdurchsetzung auf internationaler Ebene fehlt. Die besseren rechtskonstruktiven Gründe sprechen zudem auch dagegen eine prozessuale Durchsetzungsmöglichkeit nicht wenigstens für die nationale Ebene und damit den Fall der dezentralen Rechtsdurchsetzung zu verlangen. Für die Annahme eines völkerrechtlichen subjektiven Rechts muss es vielmehr ausreichend sein, dass die Berechtigung völkerrechtsunmittelbar i. d. S. gewährleistet wird,468 dass für ihre Wirksamkeit im nationalen Rechtskreis keinerlei weitere inhaltliche Umsetzung erforderlich ist. Andernfalls handelt es sich nur um eine Verpflichtung von Staaten zur Einräumung eines subjektiven Anspruchs im nationalen Recht – auch dieser Fall wird aber in die vorliegende Untersuchung eingeschlossen. Einem solch weiten Verständnis der Rechtsfähigkeit Einzelner und Gruppen im Völkerrecht lässt sich letztlich auch nicht das vielfach vorgetragene Argument entgegenhalten, dass gerade dies zur leichtfertigen Annahme subjektiver Rechte führe, die keinerlei Chance auf Verwirklichung hätten und so die Geltungskraft des Völkerrechts an sich unterminiert werde.469 Diese von der leichtfertigen Behauptung subjektiver Rechte ausgehende Gefahr soll keineswegs geleugnet werden.470 Es ist aber darauf hinzuweisen, dass die Engführung des Begriffs der Rechtsfähigkeit dies keinesfalls verhindert hat.471 Gleichwohl befreit die Annahme des hier vertretenen weiten Begriffs von Rechten insbesondere durch den von nichtstaatlichen Organisationen erzeugten öffentlichen Druck verweisen. 468  Zusammenkommen muss also die Qualität der Norm als subjektives Recht sowie ihre unmittelbare Anwendbarkeit, vgl. zu diesem Punkt B. Grzeszick, Die Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, AVR 43 (2005), 312 (318). 469  Zur Gefahr der Banalisierung der Menschenrechte siehe nur A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, S. 393 ff. 470  Vgl. auch zur Gefahr entstehenden Widerstands der Staaten gegen solche Beschränkungen ihrer Souveränität B. Grzeszick, Die Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, AVR 43 (2005), 312 (338) sowie zu diesem Argument auch A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 483. Dass es sich hierbei keineswegs nur um eine theoretische Frage handelt, zeigte die zuletzt in Großbritannien geführte Diskussion über eine Aufkündigung der EMRK in der Folge einer extensiven Rechtsprechung des EGMR sowie der Kündigung der AMRK durch Venezuela. 471  Siehe die Nachweise für die teilweise eher abwegigen Annahmen subjektiver Rechte bei A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 395 f. sowie J. G. Merrills, Environmental Rights, in: D. Bodansky / J. Brunnée / E. Hey, International Envi-



C. Mobilisierung Einzelner und Gruppen zur Rechtsdurchsetzung

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der Rechtsfähigkeit Einzelner und Gruppen im Völkerrecht keinesfalls davon, die durch die abgelehnten Ansichten als notwendig angesehenen Voraussetzungen zu berücksichtigen. Wenn sie hier auch nicht zum Erfordernis für die Anerkennung subjektiver Rechte überhaupt gemacht werden, so kann ihr Vorliegen oder Nichtvorliegen doch erhebliche Unterschiede in der Durchsetzungsstärke subjektiv-rechtlicher Positionen markieren, die es bei ihrer Bewertung zu berücksichtigen gilt.472 Begrifflich soll dies zumindest dadurch zum Ausdruck gebracht werden, dass auch vorliegend nur von einer abgeleiteten und beschränkten bzw. partiellen Rechtssubjektivität des Einzelnen ausgegangen wird.473 Nicht weiter nachgegangen werden soll vorliegend der Frage, ob Einzelnen ggf. gar eine volle Rechtsfähigkeit im Völkerrecht zuzuerkennen ist, wie dies jüngst Peters gefordert hat.474 Die Frage der vorliegenden Untersuchung ist auf die Erkenntnis des subjektiv-rechtlichen Charakters spezifischer völkerrechtlicher Normen gerichtet, nicht aber auf die von Peters untersuchte Frage, ob die Gesamtheit an völkerrechtlich anerkannten Rechtspositionen des Einzelnen zu einer qualitativ neuen Stellung des Einzelnen im Völkerrecht geführt hat. Vorliegend wird der Begriff der Rechtsfähigkeit deshalb lediglich im Sinne Kelsens als ein künstlicher Denkbehelf verwandt, der nur die Möglichkeit der Rechtsträgerschaft ausdrückt, ohne dass dadurch auf das Bestehen bestimmer Rechte des Einzelnen oder von Gruppen geschlossen werden könnte.475

ronmental Law, 2007, Kap. 28, 663 (669). Der beschriebenen Gefahr kann nach hier vertretener Anischt vielmehr nur dadurch begegnet werden, dass schon bei der rechtsdogmatischen Begründung subjektiv-rechtlicher Garantien mit entsprechender Vorsicht und methodisch abgesichert vorgegangen wird und eine hiervon abweichende völkerrechtliche Praxis, sei es internationaler Institutionen einschließlich Gerichten und gerichtsähnlicher Einrichtungen und auch der Völkerrechtswissenschaft, kritisch zu hinterfragen ist. 472  K. Parlett, The Individual in the International Legal System, 2011, S. 357 f., 362 sowie R. McCorquodale, The Individual and the International Legal System, in: M. D. Evans, International Law, 4. Aufl. 2014, S. 280 (290, 294 f. und insbesondere 301), die beide auf die weiterhin bestehende Abhängigkeit und weitgehend aufrechterhaltende Mediatisierung des Einzelnen im Völkerrecht mehrfach hinweisen. 473  J. Delbrück / R. Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 2, 2. Aufl. 2002, S. 264; V. Epping, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 7 Rn. 3. 474  Zur Begründung der Staatsunabhängigkeit der Rechtspersönlichkeit des Individuums im Völkerrecht A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 361 ff.; diese Position wird gerade in der deutschen Rechtswissenschaft fast einhellig abgelehnt, siehe nur V. Epping, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 7 Rn. 3. 475  H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 1. Aufl. 1934, S. 52, zitiert nach der von M. Je­ staedt herausgegebenen Studienausgabe von 2008; vgl. außerdem K. Parlett, The Individual in the International Legal System, 2011, S. 354 f.; in diese Richtung auch

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1. Teil: Grundlagen

3. Völkerrechtsunmittelbare und völkerrechtsmittelbare Berechtigungen Eine Mobilisierung Einzelner und Gruppen zur Rechtsdurchsetzung im Völkerrecht mittels subjektiver Berechtigungen gegenüber Staaten ist nach dem Vorgesagten theoretisch auf zweierlei Weise denkbar, die im Folgenden auseinanderzuhalten sind.476 Das Völkerrecht kann subjektive Berechtigungen zum einen völkerrechtsunmittelbar verleihen, d. h., ein subjektives Recht eines Einzelnen oder einer Gruppe unmittelbar durch eine völkerrechtliche Norm begründen, ohne dass seine Entstehung eine weitere inhaltliche Umsetzung477 durch eine Vorschrift in einer nationalen Rechtsordnung voraussetzt.478 Daneben können völkerrechtliche Vorschriften, die für sich genommen objektiv-rechtliche Verpflichtungen von Staaten darstellen, aber auch mittelbar auf die Schaffung subjektiver Berechtigungen Einzelner und Gruppen abzielen, ohne diese bereits selbst zu begründen.479 In solchen Fällen soll von völkerrechtsmittelbaren Berechtigungen gesprochen werden (sog. non self-executing Normen480). Auch wenn in der vorliegenden Untersuchung sowohl völkerrechtsunmittelbare als auch völkerrechtsmittelbare Berechtigungen unter den Begriff des subjektiv-rechtlichen Ansatzes gefasst werden, darf dies dennoch nicht über die grundlegenden Unterschiede beider Figuren hinwegtäuschen, die u. a.481 in der unterschiedlichen Notwendigkeit der Mitwirkung von Staaten für die R. McCorquodale, The Individual and the international legal sytem, in: M. D. Evans, International Law, 4. Aufl. 2014, 280 (284). 476  Zur nachfolgenden Unterscheidung völkerrechtsunmittelbarer und völkerrechtsmittelbarer Berechtigungen siehe auch V. Epping, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 7 Rn. 7 ff. 477  Zur Voraussetzung eines Akts der Geltungsverschaffung im nationalen Rechtskreis in Staaten mit einer ihrem Ausgangspunkt nach dualistischen Konzeptioin siehe Teil 1, C. III. 1. 478  Sieht man allerdings zumindest eine innerstaatliche Rechtsschutzmöglichkeit als Voraussetzung für das Bestehen eines subjektiven Rechts, so bedürfen auch solche Normen jedenfalls der prozessrechtlichen Regelungen durch den nationalen Gesetzgeber, sodass insoweit auch in solchen Fällen nur mittelbar-völkerrechtliche Normen vorliegen, J. Delbrück / R. Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 2, 2. Aufl. 2002, S. 262. 479  V. Epping, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 7 Rn. 7 ff. 480  Vgl. P. Kunig, in: W. Graf Vitzthum / A. Proelß, Völkerrecht, 7. Aufl. 2016, Zweiter Abschnitt, Rn. 28, 33, 36; T. Stein / C. v. Buttlar / M. Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. 2017, Rn. 186. Zum parallelen Begriff der „mittelbaren Individualberechtigung“ im Europarecht siehe bereits oben: Erster Teil, B. II. 3. 481  Ein weiterer zentraler Unterschied besteht darin, dass nur völkerrechtsunmittelbare Rechte bereits auf völkerrechtlicher Ebene als Berechtigungen Geltung erlangen, während völkerrechtsmittelbare Rechte auf völkerrechtlicher Ebene nur als Verpflichtungen der Staaten gelten.



C. Mobilisierung Einzelner und Gruppen zur Rechtsdurchsetzung

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Verwirklichung der Rechte begründet sind. Gleichwohl ist zu beachten, dass gerade mit Blick hierauf, wenn auch ein erheblicher, so doch nur ein gradueller Unterschied gegeben ist. Wie im vorangehenden Abschnitt dargelegt, ist auch die Rechtserzeugung und -fortgeltung sowie die gerichtliche Durchsetzung völkerrechtsunmittelbarer Rechte Einzelner von der Mitwirkung von Staaten abhängig.482 D. h. auch, selbst wenn eine internationale Institution geschaffen wird, zu der auch Einzelne und Gruppen Zugang erhalten, um die Verletzung ihrer Rechte geltend zu machen und diese Institution durch die Staaten zur verbindlichen Entscheidung solcher Streitigkeiten ermächtigt wurde, so bedarf doch die Umsetzung solcher Entscheidungen – mangels Existenz internationaler Vollstreckungsorgane – der Mitwirkung des jeweiligen Staates und seiner Organe.483 Insoweit kommt im Falle völkerrechtsmittelbarer Berechtigungen mit der hier zusätzlich erforderlichen inhaltlichen Umsetzung der völkerrechtlichen Norm in das nationale Recht lediglich ein weiterer Schritt der notwendigen staatlichen Mitwirkung hinzu. Die in diesen Fällen außerdem durch das Fehlen einer unabhängigen internationalen Institution zur Gewährleistung einzelfallbezogenen Rechtsschutzes graduell erhöhte Abhängigkeit der Rechtsverwirklichung von staatlicher Mitwirkung kann aber dadurch relativiert werden, dass anstelle von Rechtsschutzverfahren auf internationaler Ebene Verfahren zur Überwachung der Implementierung der völkerrechtlich vorgesehenen Individualrechte geschaffen werden, und Einzelnen und Gruppen die Möglichkeit zur Initiierung solcher Verfahren gegeben wird.484 Soweit ein Mindestmaß an Achtung für diese Verfahren vorhanden ist, können sie auch die Verwirklichung der Rechte Einzelner – wenn auch nicht im Einzelfall im Sinne individuellen Rechtsschutzes, so doch als generelle Folge – fördern. In beiden Fällen sind die Staaten zudem dazu verpflichtet, den Rechten auch im nationalen Recht zur Geltung zu verhelfen,485 d. h., soweit nötig, 482  K. Parlett, The Individual in the International Legal System, 2011, S. 359 f., 371 sowie bereits oben: Erster Teil, C. II. 2. c). 483  Aus völkerrechtlicher Perspektive wird freilich stets der Staat als solcher verpflichtet. Der Einwand, einer völkerrechtlichen Verpflichtung aufgrund innerstaat­ licher Vorschriften nicht nachkommen zu können, ist den Staaten regelmäßig abgeschnitten, vgl. Art. 27 WVK. 484  Zu solcherlei Mechanismen vgl. die Ausführungen zum Compliance Mechanismus der Aarhus-Konvention unter Zweiter Teil, B. III. 2. a) sowie entsprechenden Überlegungen im Rahmen des NP unter Zweiter Teil, C. III. 3. 485  Auch in den Fällen völkerrechtsunmittelbarer Rechte kann eine Implementierung in die nationale Rechtsordnung konkretisierend erfolgen und sinnvoll sein, um dessen Anwendung durch nationale Stellen und dessen bruchlose Einpassung in die nationale Rechtsordnung sicherzustellen. Wie noch zu zeigen sein wird, steht das Gebot der Implementierung eines Rechts der Annahme seiner unmittelbaren Anwendbarkeit deshalb nicht entgegen.

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1. Teil: Grundlagen

entgegenstehendes nationales Recht zu ändern.486 Dies können Einzelne oder Gruppen letztlich in beiden Fällen faktisch nicht erzwingen. Zieht man jedoch – wie vorliegend – nicht schon hieraus den Schluss, dass deshalb eine Annahme subjektiver Rechte Einzelner im Völkerrecht überhaupt ausgeschlossen ist, so scheint es im Rahmen der Untersuchung von Möglichkeiten völkerrechtlicher Mobilisierung des Einzelnen gerechtfertigt, nicht nur völkerrechtsunmittelbare, sondern – unter Beachtung der dargestellten Unterschiede – genauso auch völkerrechtsmittelbare Berechtigungen in die Betrachtung mit einzubeziehen, da der jeweilige Ursprung bei beiden Arten von Berechtigungen im Völkerrecht liegt und (un-)mittelbar auch die Rechtsstellung des Einzelnen und von Gruppen betrifft.

III. Wirkungsweise völkervertragsrechtlich begründeter subjektiver Rechte Wenn eine völkerrechtliche Mobilisierung Einzelner und Gruppen aufgrund der Anerkennung jedenfalls ihrer partiellen Rechtsfähigkeit im internationalen Recht auch durch die völkervertragsrechtliche Begründung völkerrechtsunmittelbarer Rechte grundsätzlich möglich ist, so steht die völkerrechtliche Verleihung einer Rechtsmacht an Einzelne und Gruppen doch unter verschiedenen Vorbehalten. Zunächst müssen die Normen Geltung erlangen, was angesichts der hierfür notwendigen staatlichen Handlungen kurz skizziert werden soll (1.). Da die unmittelbare Anwendbarkeit einer subjektivvölkerrechtlichen Norm nach hier vertretener Ansicht den maßgeblichen Unterschied zwischen völkerrechtsunmittelbaren und mittelbar-völkerrecht­ lichen markiert, sind deren Voraussetzungen und die hierbei auftretenden Probleme weitergehend aufzuklären (2.). Da vorliegend unter das Konzept der Mobilisierung auch völkerrechtsmittelbare Berechtigungen gefasst werden, soll auch auf die Besonderheiten ihrer Wirkungsweise kurz eingegangen werden (3.).

486  Soweit der Umsetzung von Entscheidungen nationale Gesetze entgegenstehen, besteht aus völkerrechtlicher Sicht die Verpflichtung, deren Änderung herbeizuführen. Nach nationalem Recht sind hierzu regelmäßig die gesetzgebenden Organe berufen. Bleiben diese untätig, stellt sich die Frage, inwieweit auch andere staatliche Organe, insbesondere Fachgerichte, der völkerrechtlichen Entscheidung zur Durchsetzung verhelfen können, etwa indem sie entgegenstehendes nationales Recht unangewendet lassen. Vgl. hierzu unten zur Diskussion um die Doktrin der sog. „conventionality control“ des IACtHR sowie die Diskussion im deutschen Recht angesichts der lange nicht erfolgten Umsetzung von Art. 9 Abs. 3 AK und der hierauf bezogenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in der Rechtssache Luftreinhalteplan Darmstadt sowie nachfolgenden Entscheidungen anderer Senate desselben Gerichts.



C. Mobilisierung Einzelner und Gruppen zur Rechtsdurchsetzung

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1. Geltungsvoraussetzungen völkervertragsrechtlicher Normen Wirkungsvoraussetzung völkerrechtlicher Normen ist, wie von Rechtsnormen allgemein, ihre Geltung. Im Falle völkerrechtlicher Normen ist allerdings zwischen ihrer völkerrechtlichen Geltung und ihrer Geltung im nationalen Rechtskreis zu unterscheiden, weil beides auseinanderfallen kann. Völkerrechtlich erlangt ein Vertrag volle Geltung mit seinem Inkrafttreten, was in der Regel nach dem Ablauf einer bestimmten Frist nach der Hinterlegung einer bestimten Anzahl an Ratifikationsurkunden der Fall ist.487 Die Frage nach der Erlangung von Geltung völkerrechtlicher Normen in nationalen Rechtsordnungen berührt die Frage nach dem Verhältnis von Völkerrecht und nationalen Rechtsordnungen. Die hierzu bestehende klassische Kontroverse ist bestimmt von eher monistischen sowie eher dualistischen Erklärungsversuchen.488 Allerdings vermögen weder die Theorien von der monistischen Gesamtrechtsordnung noch die von der dualistischen Existenz der Völkerrechtsordnung und der einzelnen nationalen Rechtsordnungen die Frage nach der Geltung und Geltungserlangung völkerrechtlicher Normen im jeweiligen nationalen Recht tatsächlich vollständig zu erklären.489 Da das Völkerrecht die nationalen Rechtsordnungen in aller Regel nur zu einem bestimmten Ergebnis verpflichtet, nicht aber auch vorgibt, wie dieses zu erreichen ist, haben sich in den nationalen Rechtsordnungen auf der Grundlage beider Ausgangspunkte verschiedene Mechanismen herausgebildet, welche die Geltung völkerrechtlicher Normen im nationalen Recht sicherstellen sollen.490 Für Deutschland ist etwa nach Art. 59 Abs. 2 GG, der auf einem dua487  Zu Abschluss und Inkrafttreten völkerrechtlicher Verträge siehe W. Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 11. 488  Für die Überwindung beider Ansätze und die Fortentwicklung des Dualismus in eine Theorie des Pluralismus der Rechtsordnungen (legal pluralism) siehe etwa A. v. Bogdandy, Pluralism, direct effect, and the ultimate say: On the relationship between international and domestic constitutional law, International Journal of Constitutional Law, 6 (2008), 397 (399 ff.). 489  P. Kunig, Völkerrecht und staatliches Recht, in: W. Graf Vitzthum / A. Proelß, Völkerrecht, 7. Aufl. 2016, Zweiter Abschnitt Rn. 35 f.; A. v. Bogdandy, Pluralism, direct effect, and the ultimate say: On the relationship between international and domestic constitutional law, International Journal of Constitutional Law, 6 (2008), 397 (400). 490  Vgl. P. Kunig, Völkerrecht und staatliches Recht, in: Graf Vitzthum / Proelß, Völkerrecht, 7. Aufl. 2016, Zweiter Abschnitt Rn. 33 f.; H.-J. Cremer, Fünf Thesen zur subjektiven Rechtsqualität völkerrechtlich gewährleisteter Menschenrechte, in: D. Hanschel u. a., Mensch und Recht, Festschrift für Eibe Riedel, 2013, S. 33 (40). Unter den in den nationalen Rechtsordnungen vorhandenen Mechanismen zur Geltungsverschaffung hinsichtlich völkerrechtlicher Normen können im Wesentlichen Mechanismen der Transformation, Inkorporation, Adoption, Absorption oder Rezeption unterschieden werden. Hiervon kann noch die Lehre vom Vollzug des Völker-

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1. Teil: Grundlagen

listischen Grundverständnis beruht, ein Akt der Transformation völkervertragsrechtlicher Normen für ihre Einbeziehung in den nationalen Rechtskreis in der Form eines Bundesgesetzes notwendig.491 Staaten, die ein monistisches Verständnis ihrer Rechtsordnung zugrunde legen, benötigen einen solchen Mechanismus zur Geltungsverschaffung nicht.492 Völkerrechtliche Normen werden mit ihrem Inkrafttreten hier vielmehr automatisch auch Bestandteil der jeweiligen nationalen Rechtsordnung.493 Die Unterschiede in der Geltungsverschaffung für völkerrechtliche Normen besitzen etwa Auswirkungen auf ihren jeweiligen nationalen Geltungsrang. Dieser wiederum kann entscheidend dafür sein, ob nationale Fachgerichte in der Lage sind, völkerrechtliche Normen trotz entgegenstehenden nationalen Rechts anzuwenden und damit den völkerrechtlich verliehenen Rechten Einzelner und Gruppen Wirkung zu verleihen. Auf die hiermit verbundenen Fragen wird anhand der vorliegend untersuchten konkreten Konstellationen im Einzelnen zurückzukommen sein.494 Die Geltung völkerrechtlicher Rechtsnormen im nationalen Rechtskreis ist notwendige, jedoch nicht auch hinreichende Voraussetzung ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit im nationalen Recht.495 Beide Fragen rechts unterschieden werden, hierzu P. Kunig, a. a. O., Rn. 38 ff. sowie M. Will, Völkerrecht und nationales Recht, Jura 2015, 1164 (1167). Vgl. auch K. Kaiser, Treaties, Direct Applicability, MPEPIL, 2013, Rn. 10, wonach in Ländern, in denen eine Transformation des Rechts nicht lediglich als formaler Akt stattfindet, sondern stets eine inhaltliche Implementierung verlangt, und die völkerrechtliche Norm so ihre Geltung im nationalen Rechtskreis erst nach dem Verlust ihrer Eigenschaft als Völkerrecht erlangt, eine unmittelbare Anwendbarkeit von Völkerrecht deshalb nicht in Betracht kommt. Dies betrifft etwa das Vereinigte Königreich und ehemalige Staaten des Commonwealth sowie die skandinavischen Länder. Die genannten konstitutionellen Entscheidungen der Staaten haben die klassischen konstruktivistischen Theorien der Völkerrechtswissenschaft deshalb weitgehend überholt, A. v. Bogdandy, Pluralism, direct effect, and the ultimate say: On the relationship between international and domestic constitutional law, International Journal of Constitutional Law, 6 (2008), 397 (400). 491  Siehe nur P. Kunig, in: W. Graf Vitzthum / A. Proelß, Völkerrecht, 7. Aufl. 2016, Zweiter Abschnitt Rn. 119, der der Transformationstheorie insbesondere aus Gründen der Rechtssicherheit den Vorzug vor der sog. Vollzugstheorie einräumt. 492  Ein Überblick über die Entscheidung in den verschiedenen nationalen Rechtsordnungen findet sich bei K. Kaiser, Treaties, Direct Applicability, MPEPIL, 2013, Rn. 9. 493  T. Stein / C. v. Buttlar / M. Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. 2017, Rn. 178. 494  Zur Frage des Geltungsranges der EMRK und der Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR in Deutschland siehe Zweiter Teil, A. II. Zu Versuchen des IACtHR eine Verpflichtung nationaler Fachgerichte zur Beachtung seiner Rechtsprechung durch die sog. Doktrin der conventionality control zu begründen siehe Zweiter Teil, C. II. 2. a). Zur Bedeutung der Einbeziehung der Aarhus-Konvention als gemischtem völkerrechtlichem Vertrag unter Beteiligung der EU für ihren Geltungsrang in Deutschland siehe Zweiter Teil, B. III. 1. a). 495  P. Kunig, in: W. Graf Vitzthum / A. Proelß, Völkerrecht, 7. Aufl. 2016, Zweiter Abschnitt, Rn. 41; K. Kaiser, Treaties, Direct Applicability, 2013, Rn. 2.



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sind voneinander zu trennen.496 Bereits die Geltungserlangung einer völkerrechtlichen Norm im nationalen Rechtskreis führt aber dazu, dass grundsätzlich rangniedrigere Normen in ihrem Lichte und mit ihr im Einklang aus­ zulegen sind.497 Zudem kann sie – je nach Geltungsrang – den Gesetzgeber dazu verpflichten, die Norm bei seiner Gesetzgebungstätigkeit zu berücksichtigen.498 2. Unmittelbare Anwendbarkeit völkervertragsrechtlicher Normen Nach dem hier zugrundegelegten Verständnis bedeutet die unmittelbare Anwendbarkeit einer völkerrechtlichen Norm, dass diese von einem nationalen Gericht zur Entscheidung eines ihm vorgelegten Rechtsstreits herangezogen oder von einer Behörde der eigenen Entscheidung zugrundegelegt werden kann.499 International gebräuchlich wird dies damit ausgedrückt, dass eine Norm „self-executing“, teilweise auch damit, dass diese „directly applicable“ sei.500 Von einer solchen unmittelbaren Anwendung völkerrechtlicher Normen, die im nationalen Rechtskreis Geltung erlangt haben, ist ihre mittelbare Anwendung zu unterscheiden. Mittelbar angewendet wird eine völker496  Zur häufigen Vermischung der Frage der Einbeziehung von Völkerrechtsnormen in die nationale Rechtsordnung sowie ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit und dem Hintergrund dessen in der angelsächsischen Tradition vgl. A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 445 f.; siehe ferner M. Breuer / S. Riegger, Die Reichweite der Pflicht der EU zur Umsetzung der Aarhus-Konvention, EurUP 2014, 293 (301); K. Kaiser, Treaties, Direct Applicability, MPEPIL, 2013, Rn. 2 f. Dies bedeutet freilich nicht, dass zwischen den Fragen keinerlei Zusammenhang besteht, in diesem Sinne wohl auch J. Berkemann, NGO scheitern mit umweltrechtlicher Nichtigkeitsklage vor dem EuGH, ZUR 2015, 221 (226). 497  B. Pirker, Access to Justice in Environmental Matters and the Aarhus Convention’s Effects in the EU Legal Order, RECIEL 25 (2016), 81 (82); S. Vöneky / B. Beylage-Harrmann, in: E. Grabitz / M. Hilf / M. Nettesheim, Das Recht der europäischen Union, Bd. 2, 58. EL 2016, Art. 216 Rn. 46. 498  P. Kunig, in: W. Graf Vitzthum / A. Proelß, Völkerrecht, 7. Aufl. 2016, Zweiter Abschnitt Rn. 41; A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 446; R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 6. Aufl. 2013, § 34, S. 151, 152. 499  A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 442. 500  K. Kaiser, Treaties, Direct Applicability, MPEPIL, 2013, Rn. 1; T. Stein /  C. v. Buttlar / M. Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. 2017, Rn. 186 f. unterscheiden zwischen nicht vollzugsfähigen oder „non-self-executing“ Normen und Normen, die vollzugsfähig oder „self-executing“ sind; M. Herdegen, Völkerrecht, 15. Aufl. 2016, § 22 Rn. 5; vgl. zu den Begrifflichkeiten auch A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 442; B. Pirker, Access to Justice in Environmental Matters and the Aarhus Convention’s Effects in the EU Legal Order, RECIEL 25 (2016), 81 (82); für die europarechtliche Diskussion S. Vöneky / B. Beylage-Haarmann, in: E. Grabitz / M. Hilf /  M. Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Bd. 2, 58 EL. 2016, Art. 216 Rn. 42.

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1. Teil: Grundlagen

rechtliche Norm im nationalen Rechtskreis, wenn sie lediglich zur völkerrechtskonformen Auslegung einer nationalen Norm herangezogen wird, welche dann ihrerseits unmittelbar der gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung zugrunde gelegt wird.501 Das Konzept der unmittelbaren Anwendbarkeit gilt für Völkerrechtsnormen unabhängig davon, ob es sich um rein objektivrechtliche oder subjektiv-rechtliche Normen handelt.502 Es betrifft den materiell-rechtlichen Aspekt der Anwendbarkeit einer Norm in einer konkreten Entscheidung. Dieser Aspekt ist von der prozessualen Frage zu unterscheiden, wer sich auf die Verletzung der jeweiligen Norm berufen kann.503 Insoweit ist das Konzept der unmittelbaren Anwendbarkeit auch von dem europarechtlichen Konzept der unmittelbaren Wirkung oder des „direct effect“ von Normen zu unterscheiden, da hier vielfach materiell-rechtliche und prozessuale Fragen miteinander vermischt werden.504 So verstanden liegt die Bedeutung des Konzepts für die vorliegende Untersuchung insbesondere505 darin, dass nur beim Vorliegen der unmittelbaren Anwendbarkeit subjektiv-rechtlicher Normen vom Vorliegen eines völkerrechtsunmittelbaren subjektiven Rechts gesprochen werden soll, da in diesem Fall zumindest nicht eine inhaltliche Umsetzung der Norm durch den nationalen Gesetzgeber, sondern lediglich die staatliche Mitwirkungshandlung zur 501  A. Peters, 502  A. A.

Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 442. offenbar T. Stein / C. von Buttlar / M. Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. 2017,

Rn. 187. 503  A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 447 ff., die allerdings darauf hinweist, dass beide Problemkreise in der Praxis vielfach kaum auseinanderzuhalten sind. Die Nähe beider Fragen wird jedoch erst durch ihre vielfach vorkommende Verknüpfung durch das nationale Recht hergestellt, so z. B. in Deutschland durch § 42 Abs. 2 VwGO. Dies ist jedoch institutionell motiviert und soll in Deutschland bspw. den Primat der Verwaltung beim Schutz öffentlicher Interessen absichern. Vgl. hierzu bereits oben Erster Teil, B. I. 1. Einer dogmatischen Notwendigkeit entspringt dies aber nicht. So auch K. Kaiser, Treaties, Direct Applicability, MPEPIL, 2013, Rn. 2. Zur häufigen Vermischung der hier angedeuteten Fragen in der Rechtsprechung des EuGH siehe B. Pirker, Access to Justice in Environmental Matters and the Aarhus Conventions Effects in the EU Legal Order, RECIEL 25 (2016), 81 (82). 504  K. Kaiser, Treaties, Direct Applicability, MPEPIL, 2013, Rn. 3. Siehe zur Unsicherheit darüber, ob der direkte Effekt von europäischen Normen voraussetzt, dass diese Einzelne berechtigen oder ob dieser auch unabhängig hiervon möglich ist bereits oben: Erster Teil, B. II. 2. a). 505  Von sekundärer Bedeutung ist für die vorliegende Arbeit der systemische Aspekt der Doktrin von der unmittelbaren Anwendbarkeit, der darin begründet liegt, dass ihre Fassung und praktische Anwendung ganz wesentlich über die Offenheit einer Rechtsordnung für Einflüsse des Völkerrechts entscheidet, A. v. Bogdandy, Pluralism, direct effect, and the ultimate say: On the relationship between international and domestic constitutional law, International Journal of Constitutional Law, 6 (2008), 397 (402).



C. Mobilisierung Einzelner und Gruppen zur Rechtsdurchsetzung

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Geltungsverschaffung im nationalen Rechtskreis erforderlich ist.506 Die unmittelbare Anwendbarkeit eines Rechts ist dort von besonderer Bedeutung, wo eine Geltendmachung von Rechtsverletzungen vor einem internationalen Gericht nicht möglich ist.507 Für die Möglichkeit der Geltendmachung der Normverletzung vor einem nationalen Gericht müssen allerdings weiterhin auch die sich grundsätzlich nach nationalem Recht richtenden, hierfür notwendigen prozessualen Voraussetzungen – insbesondere die Klagebefugnis – gegeben sein.508 Gerade in dieser Abhängigkeit vom nationalen Prozessrecht liegt eine erhebliche Schwächung völkerrechtsunmittelbarer Rechte im nationalen Rechtskreis, da das nationale Prozessrecht so letztlich über den Umfang der dem Einzelnen oder Gruppen verliehenen Rechtsmacht entscheidet. Nach hier vertretener Ansicht ist zwar auch ohne Vorliegen der Möglichkeit einer prozessualen Geltendmachung von einem völkerrechtsunmittelbaren Recht zu sprechen. Im Sinne einer effektiven Durchsetzung von Völkerrecht müsste diese Frage jedoch ebenfalls völkerrechtlich adressiert werden, um zumindest eine Pflicht der Staaten zur Eröffnung prozessualer Möglichkeiten zu begründen.509 Für die Entscheidung über die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrecht­ licher Normen werden in Wissenschaft und Praxis ganz unterschiedliche Kriterien zugrunde gelegt. Gegenstand des vorliegenden Abschnitts ist nicht eine Bewertung dieser Unterschiede und die Entwicklung einer konsistenten 506  Zur Garantiefunktion der unmittelbaren Anwendbarkeit bzgl. der Rechte Einzelner K. Kaiser, Treaties, Direct Applicability, MPEPIL, 2013, Rn. 22. 507  A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 441; K. Kaiser, Treaties, Direct Applicability, MPEPIL, 2013, Rn. 22. 508  Neben den in Fn. 503 genannten Fundstellen siehe noch P. Kunig, in: W. Graf Vitzthum / A. Proelß, Völkerrecht, 7. Aufl. 2016, Zweiter Abschnitt Rn. 42; T. Stein /  C. v. Buttlar / M. Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. 2017, Rn. 187 der ebenfalls darauf verweist, dass es in Deutschland etwa an der hierfür erforderlichen Klagebefugnis fehlen kann. Kann der Einzelne sich auch vor staatlichen Behörden und Gerichten auf die jeweilige Norm berufen, so wird auch von unmittelbarer Anwendbarkeit im engeren Sinne gesprochen, so M. Herdegen, Völkerrecht, 10. Aufl. 2011, § 22 Rn. 5. Eine solche Vermischung der Fragen, wie sie auch im europarechtlichen Konzept der unmittelbaren Wirkung stattfindet, sollte jedoch um der begrifflichen Klarheit willen besser unterbleiben. Kritisch gegenüber dem durch die Verwendung des Begriffs der unmittelbaren Wirkung häufig angerichteten „semantischen Unheil“ auch J. Berkemann, Der slowakische Braunbär im deutschen Prozessrecht – Eine Analyse von EuGHE 2011 I-1255, DVBl 2013, 1137 (1138). 509  Von der innerstaatlichen Perspektive aus betrachtet gerät dies allerdings in ein Spannungsverhältnis mit dem Subsidiariätsgrundsatz und der daraus folgenden Verfahrensautonomie der Staaten, wonach Verfahrensfragen grundsätzlich durch die Staaten selbst zu entscheiden sind. Hierauf wird insbesondere im Rahmen der Untersuchung der 3. Säule der Aarhus-Konvention zurückzukommen sein, siehe hierzu: Zweiter Teil, B. IV. 3.

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1. Teil: Grundlagen

Theorie der unmittelbaren Anwendbarkeit510 – was jenseits auch des Ziels der vorliegenden Untersuchung selbst liegt. Ziel ist es vielmehr aufzuzeigen, was die Erwägungen hinter den verschiedenen Kriterien sind, um die Dimension der Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit für das Verhältnis von nationalen Rechtsordnungen und Völkerrecht zu verdeutlichen und eine spätere Einordnung der Völkerrechtspraxis bzgl. der vorliegend untersuchten Ansätze vornehmen zu können. Dafür ist zunächst einmal festzuhalten, dass sich die Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit von Völkerrecht auf konkrete Normen, nicht aber ganze Vertragswerke bezieht.511 Soweit völkervertraglichen Normen nicht ausnahmsweise eine eindeutige Aussage über ihre unmittelbare Anwendbarkeit entnommen werden kann, ist die Entscheidung im Wege der Auslegung durch die zur (potentiellen) Anwendung der Norm berufene nationale Stelle – seien es Gerichte, Behörden oder sonstige Rechtsanwender – vorzunehmen.512 Ob die unmittelbare Anwendbarkeit als Ausnahmefall oder als Normalfall anzusehen ist,513 von dem abzuweichen besonderer Rechtfertigung bedarf, ist genauso umstritten, wie die Frage, ob die zu treffende Entscheidung allein aufgrund nationalen Rechts oder unter Einnahme auch der völkerrechtlichen Perspektive zu entscheiden ist. Hier soll letzteres zugrunde gelegt werden.514 Klar ist dagegen, dass die Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit sowohl rechtstechnische Aspekte515 der hinreichenden Bestimmtheit und Unbedingtheit [a)] als auch wertende Aspekte [b)] einschließt.

510  Zur Notwendigkeit dessen im Rahmen der Neubestimmung des Verhältnisses nationaler Rechtsordnungen zur Völkerrechtsordnung A. v. Bogdandy, Pluralism, direct effect, and the ultimate say: On the relationship between international and domestic constitutional law, International Journal of Constitutional Law, 6 (2008), 397 (401 f.). 511  P. Kunig, Völkerrecht und staatliches Recht, in: W. Graf Vitzthum / A. Proelß, Völkerrecht, 7. Aufl. 2016, Zweiter Abschnitt Rn. 41; T. Stein / C. v. Buttlar / M. Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. 2017, Rn. 188. 512  Im Streitfall obliegt die Entscheidung letztlich in der Regel den Fachgerichten. Dies gilt für völkervertragliche Vorschriften auch in Deutschland. Besteht dagegen Uneinigkeit über Bestand und Inhalt allgemeiner Rechtsgrundsätze des Völkerrechts, so hat hierüber gem. Art. 100 Abs. 2 GG das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden, P. Kunig, in: W. Graf Vitzthum / A. Proelß, Völkerrecht, 7. Aufl. 2016, Zweiter Abschnitt Rn. 185. 513  Siehe einerseits T. Stein / C. v. Buttlar / M. Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. 2017, Rn. 187 sowie andererseits A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 463 ff. (insbesondere 466). 514  So auch A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 443 f. 515  Kritisch zu deren häufiger Betonung A. v. Bogdandy, Pluralism, direct effect, and the ultimate say: On the relationship between international and domestic constitutional law, International Journal of Constitutional Law, 6 (2008), 397 (403).



C. Mobilisierung Einzelner und Gruppen zur Rechtsdurchsetzung

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a) Die rechtstechnische Seite der unmittelbaren Anwendbarkeit Die rechtstechnische Seite der Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit völkerrechtlicher Normen betrifft insbesondere deren Bestimmtheit516 und Unbedingtheit, d. h., Vollständigkeit im Sinne von Perfektion.517 Bei dem erforderlichen Maß kann es notwendig sein danach zu unterscheiden, ob eine unmittelbare Anwendung der Norm durch eine Behörde oder ein Gericht vorgenommen werden soll. So wird etwa als Beispiel genannt, dass eine Norm zwar noch hinreichend bestimmt sein könne, um von einer Behörde zur Ausfüllung der zu ihren Gunsten bestehenden Entscheidungsspielräume herangezogen werden zu können, nicht aber von einem Gericht.518 Enthalten völkerrechtliche Regelungen lediglich unklare Konzepte und allgemeine Grundsätze, so fehlt es schon an der nötigen Bestimmtheit.519 An der Unbedingtheit einer Norm kann es etwa auch dann fehlen, wenn diese nicht auch die zuständigen Organe und Verfahren zur Anwendung der Vorschriften ­benennt. Darauf kann jedoch wiederum verzichtet werden, wenn sich die Zuständigkeit bereits klar aus dem nationalen Recht ergibt und es lediglich um die Anwendung der materiellen Norm geht. Fehlt es an einer dieser ­beiden Anforderungen – und deren Bewertung kann angesichts der großen Ungenauigkeit der Kriterien520 von Staat zu Staat durchaus unterschiedlich sein521 – so ist eine Anwendung der Völkerrechtsnormen ohne einen Umsetzungsakt nicht möglich. b) Die normative Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit Die Erfüllung der rechtstechnischen Anforderungen an eine Norm stellt zwar eine notwendige Voraussetzung für ihre unmittelbare Anwendbarkeit dar, reicht für sie jedoch alleine noch nicht hin. Die Zuerkennung der unmit516  P. Kunig, in: W. Graf Vitzthum / A. Proelß, Völkerrecht, 7. Aufl. 2016, Zweiter Abschnitt Rn. 41; K. Kaiser, Treaties, Direct Applicability, MPEPIL, 2013, Rn. 16. 517  A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 450 f. 518  So P. Kunig, in: W. Graf Vitzthum / A. Proelß, Völkerrecht, 7. Aufl. 2016, Zweiter Abschnitt Rn. 42. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen, da in beiden Fällen unterschiedliche normative Erwägungen auf das notwendige Maß an Normbestimmtheit zurückwirken. Entgegen Kunig handelt es sich allerdings bei der Ausfüllung von Entscheidungsspielräumen nicht um die unmittelbare, sondern lediglich um die mittelbare Anwendung einer Völkerrechtsnorm im Rahmen der völkerrechtskonformen Auslegung nationalen Rechts. 519  K. Kaiser, Treaties, Direct Applicability, MPEPIL, 2013, Rn. 16. 520  Kritisch deshalb A. v. Bogdandy, Pluralism, direct effect, and the ultimate say: On the relationship between international and domestic constitutional law, International Journal of Constitutional Law, 6 (2008), 397 (403). 521  K. Kaiser, Treaties, Direct Applicability, MPEPIL, 2013, Rn. 16.

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1. Teil: Grundlagen

telbaren Anwendbarkeit einer völkerrechtlichen Norm stellt nicht lediglich einen technischen, sondern vor allen Dingen einen normativen Vorgang dar. Nicht selten geht es deshalb auch weniger darum, ob staatliche Institutionen eine Norm anwenden können (rechtstechnisch), sondern ob sie es dürfen (sollen).522 Aus der Perspektive des Völkerrechts wird hierbei über die Offenheit einer innerstaatlichen Rechtsordnung für völkerrechtliche Einwir­ kungen, mithin die Effektivität von internationalem Recht523 entschieden. Aus innerstaatlicher Perspektive betrifft die unmittelbare Anwendbarkeit von Völkerrecht Fragen der Gewaltenteilung sowie des Legalitäts-524 und Demokratieprinzips.525 Die rechtstechnische Anwendbarkeit völkerrechtlicher Normen kann unter diesen Gesichtspunkten normativ zu begrenzen sein. Herkömmlicherweise wird von den nationalen Stellen bei der Entscheidung der Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit völkerrechtlicher Normen in erster Linie auf den Willen der vertragsschließenden Parteien sowie der am innerstaatlichen Vertragsschlussverfahren beteiligten Organe abgestellt.526 Soweit es an einer ausdrücklichen oder offensichtlichen Äußerung des maßgeblichen Willens jedoch fehlt, ist dieser anhand objektiver Umstände, insbesondere Wortlaut, Zweck und Inhalt der Vertragsvorschrift zu ermitteln. Der Adressat einer Norm, der Gegenstand des Vertrags, seine Entstehungsgeschichte und teilweise auch die Gesamtstruktur des Vertrages werden insoweit für bedeutsam gehalten.527 Werden dabei Erwägungen zu Auswirkungen auf das Legalitäts-, Demokratie- oder Gewaltenteilungsprinzip angestellt, so ist zu beachten, dass diese von der generellen Ausgestaltung des Verhältnisses der jeweiligen nationalen Rechtsordnung zum Völkerrecht abhängig und insoweit von Staat zu Staat verschieden sind. So können etwa die Grundsätze der Gewaltenteilung sowie das Demokratieprinzip dann besonderes Gewicht erhalten und gegen die Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit einer völkervertraglichen Norm sprechen, wenn aufgrund der 522  A. Peters,

Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 441. Treaties, Direct Applicability, MPEPIL, 2013, Rn. 22; A. v. Bogdandy, Pluralism, direct effect, and the ultimate say: On the relationship between international and domestic constitutional law, International Journal of Constitutional Law, 6 (2008), 397 (402). 524  P. Kunig, Völkerrecht und staatliches Recht, in: W. Graf Vitzthum / A. Proelß, Völkerrecht, 7. Aufl. 2016, Zweiter Abschnitt Rn. 183. 525  A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 441. Zu weiteren berührten Fragen siehe A. v. Bogdandy, Pluralism, direct effect, and the ultimate say: On the relationship between international and domestic constitutional law, International Journal of Constitutional Law, 6 (2008), 397 (403). 526  A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 450; Kaiser, Treaties, Direct Applicability, MPEPIL, 2013, Rn. 13. 527  Zu weiteren Kriterien auch K. Kaiser, Treaties, Direct Applicability, MPIPIL, 2013, Rn. 13. 523  K. Kaiser,



C. Mobilisierung Einzelner und Gruppen zur Rechtsdurchsetzung151

konkreten Verfassungsrechtslage dieser innerstaatlich ein Rang über dem der einfachen Bundesgesetze zukäme, da in diesem Fall der demokratisch legitimierte einfache Gesetzgeber keinerlei Möglichkeit hätte, die gerichtliche Entscheidung zu korrigieren und so eine Verschiebung des Gewaltenverhältnisses zugunsten der Judikative bewirkt würde.528 Erhält die völkerrechtliche Norm dagegen lediglich den innerstaatlichen Rang eines einfachen Gesetzes, so könnte der Gesetzgeber die gerichtliche Entscheidung durch den Erlass einer späteren Norm jedenfalls für die Zukunft korrigieren.529 Die genannten Grundsätze sowie auch der Vorbehalt des Gesetzes könnten zudem etwa dann besonders betroffen sein, wenn das einschlägige innerstaatliche Recht aus Sicht des Gesetzgebers eine weitergehende Implementierung der völkerrechtlichen Vorgaben notwendig macht, diese jedoch der zunächst vorgesehenen, bloß formalen Transformation der Völkerrechtsvorschrift erst nachfolgen soll.530 Auch das Verhältnis zwischen Gerichten und Regierung kann berührt und entsprechend zu berücksichtigen sein, da die Entscheidung für eine unmittelbare Anwendung völkerrechtlicher Normen deren Sanktionierung herbeiführt, über die ansonsten die Regierung ggf. gegenüber eigens geschaffenen Organen internationaler Vertragsregime auf zumeist eher diplomatischem Wege verhandeln könnte. Hiermit in engem Zusammenhang steht schließlich die gegen die Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit angeführte Erwägung, dass in diesem Fall dem nationalen Gesetzgeber die Möglichkeit genommen wird, sich gegen die Befolgung der völkerrechtlichen Vorgaben zu entscheiden und die gegenteilige Entscheidung nicht einfach durch die Judikative getroffen werden dürfe.531 Die vorstehenden Überlegungen machen deutlich, dass die Entscheidung über die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtsunmittelbarer Normen er528  Zur geringen Korrigierbarkeit von Entscheidungen des EuGH durch nationale Gesetzgeber, D. Murswiek, Paradoxa der Demokratie, JZ 2017, 53 (59). Allgemein zur Problematik im Falle internationaler Rechtsprechung A. von Bogdandy / I. Venzke, In wessen Namen?, 2014, S. 169 f. 529  Die Möglichkeit eines solchen sog. „Treaty Override“, der durch die Anwendbarkeit der lex posterior Regelung in solchen Fällen möglich würde, soll an späterer Stelle noch einmal aufgegriffen werden. Siehe hierzu: Zweiter Teil, B. III. 3. 530  A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 458 ff.; die Frage, ob ein Gericht mit der unmittelbaren Anwendung einer Norm in den Bereich des Gesetzgebers übergreift, weil die Anwendung der Norm zu gesetzgebungstypischen normativen Entscheidungen zwingt, kann kaum abstrakt beantwortet werden. Je weniger eine normative Entscheidung durch eine Norm vorstrukturiert ist und je weniger eine Entscheidung mit den Methoden der Jurisprudenz noch nachvollziehbar begründet werden kann, um so eher handelt es sich um der Politik vobehaltene Entscheidungen. Die Grenzen sind hier jedoch fließend und unterliegen in hohem Maße dem zeitlich bedingten Wandel. 531  A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 459 f.

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1. Teil: Grundlagen

hebliche Implikationen für innerstaatliche Verfassungsgrundsätze demokratisch verfasster Staaten hat. Würden nationale Stellen regelmäßig zugunsten dieser Prinzipien entscheiden und eine unmittelbare Anwendung völkerrechtlicher Normen ablehnen, bedeutete dies eine erhebliche Schwächung der Effektivität des Völkerrechts. Insoweit würde der Charakter des Völkerrechts als hartes Recht geleugnet und seine Geltungskraft unterminiert.532 Die vorliegende Untersuchung wird für die konkret untersuchten Ansätze zeigen, ob und inwieweit die Sanktionierung von Normverletzungen des Völkerrechts durch nationale Gerichte der Ausnahme- oder der Regelfall ist, bzw. mit welchen Mitteln völkerrechtliche Institutionen versuchen, die Durchsetzung des Völkerrechts sicherzustellen. Bleibt einer völkerrechtlichen Norm die unmittelbare Anwendbarkeit im nationalen Rechtskreis versagt, ist klar, dass der völkerrechtliche Vertrag insoweit nicht Quelle eines völkerrechtsunmittelbaren Rechts Einzelner oder von Gruppen ist. In diesem Fall kann deren Mobilisierung nur dann erreicht werden, wenn die Vertragsstaaten eines völkerrechtlichen Vertrages ihrer Verpflichtung zur Umsetzung des subjektiv-rechtlichen Ansatzes ins nationale Recht nachkommen. Diese Konstellation ist Gegenstand des nachfolgenden Abschnitts. 3. Notwendigkeit staatlicher Umsetzung völkervertragsrechtlicher Normen Soweit eine völkervertragsrechtliche Übereinkunft ein subjektives Recht Einzelner oder von Gruppen nicht völkerrechtsunmittelbar vorsieht, sondern lediglich zur Schaffung eines solchen Rechts im jeweiligen innerstaatlichen Recht verpflichtet, ist es von vorne herein ausgeschlossen, dass Einzelne oder Gruppen im Falle der Verletzung des völkerrechtlich vorgesehenen Rechts diese Verletzung vor einem (nationalen) Gericht auch geltend machen oder dass sie sich vor sonstigen staatlichen Stellen auf dieses berufen können, wenn nicht ausnahmsweise bereits eine auslegungsfähige nationale subjektiv-rechtliche Vorschrift besteht, die im Lichte des Völkerrechts ausgelegt werden kann.533 Dies setzt vielmehr notwendigerweise voraus, dass der 532  Kritisch insoweit A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 461 mit Blick auf die Diskussion um die unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts, die durch den EuGH abgelehnt wird. Sie steht in gewisser Parallelität zur Diskussion um die Anwendbarkeit der AK gegenüber der EU. Vgl. zu beidem unten: Zweiter Teil, B. IV. 533  Auch hier können einer solchen Auslegung allerdings die oben zur unmittelbaren Anwendbarkeit einer Völkerrechtsnorm angestellten Überlegungen entgegenstehen, A. v. Bogdandy, Pluralism, direct effect, and the ultimate say: On the relationship between international and domestic constitutional law, International Journal of



C. Mobilisierung Einzelner und Gruppen zur Rechtsdurchsetzung153

nationale Gesetzgeber das völkerrechtlich vorgesehene Recht in die nationale Rechtsordnung inhaltlich umsetzt, d. h. die Vorschriften im nationalen Recht implementiert.534 Dabei besteht kein Grundsatz, der den Staat allgemein zur Beachtung bestimmter Umsetzungsmodalitäten verpflichten würde. Vielmehr können sich diese nur im Einzelfall im Wege der Auslegung aus der völkervertraglichen Vereinbarung selbst ergeben. Damit unterscheidet sich die Lage im allgemeinen Völkerrecht und auch im Umweltvölkerrecht von der des Europarechts. Obwohl Art. 288 Abs. 3 AEUV für umsetzungsbedürftige Richtlinien des europäischen Rechts eine Verbindlichkeit nur hinsichtlich ihres Ziels, nicht aber bezüglich der Wahl der Form und der Mittel anordnet, hat der EuGH bestimmte Grundsätze auch dazu aufgestellt, welche Umsetzungsmodalitäten die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von Richtlinien einzuhalten haben.535 So sind diese etwa verpflichtet, außenwirksame Rechtsvorschriften für die Umsetzung zu wählen, soweit die Richtlinie auf die Verleihung von Individualrechten abzielt, da die Berechtigten nur so in hinreichender Weise von der Regelung Kenntnis nehmen und ihr Recht auch vor einem nationalen Gericht geltend machen können.536 Form und Mittel der Umsetzung müssen letztlich geeignet sein, das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen.537 Zwar besteht eine solche Verpflichtung nicht ohne weiteres auch nach allgemeinem Völkerrecht, Mitgliedstaaten der europäischen Union können diesen Anforderungen gleichwohl unterliegen, soweit die völkervertragliche Verpflichtung in der Form eines gemischten völkerrechtlichen Vertrages auch durch die Europäische Union eingegangen und Constitutional Law, 6 (2008), 397 (402 f.); auf diese Konstellation wird im Rahmen der Untersuchung der Verpflichtung nach Art. 9 Abs. 3 AK und die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in der Rs. Luftreinhalteplan Darmstadt zurückzukommen sein, siehe hierzu: Zweiter Teil, B. IV. 3. c) cc) (2). 534  Für die Möglichkeit der gerichtlichen Geltendmachung müssen auch hier freilich weiterhin die prozessualen Voraussetzungen für die gerichtliche Geltendmachung einer Verletzung des Rechts hinzutreten. 535  Ausführlich hierzu K. Meßerschmidt, Europäisches Umweltrecht, 2011, § 2 Rn. 402 ff.; B. Biervert, in: J. Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 288 Rn. 28; J. H. Jans / H. H. B. Vedder European Environmental Law, 4. Aufl. 2012, Kapitel 4, S. 144 f. 536  EuGH, Urteil vom 30.05.1991, C-361 / 88 (Kommission / Deutschland), Slg. 1991, I-2567 Rn. 20; hierzu und zu weiteren Entscheidungen des EuGH gegen Deutschland wegen der mangelhaften Umsetzung von Richtlinienrecht D. Murswiek, Mangelhafte Umsetzung von Umweltschutzrichtlinien durch die Bundesrepublik Deutschland, JuS Rechtsprechungsübersicht, JuS 1992, 428 ff. Zu Anforderungen an die Bestimmtheit und Klarheit der Umsetzung EuGH, Urteil vom 23.05.1984, C-29 / 84 (Kommission / Deutschland), Slg. 1985, 1661, Rn. 23; Urteil vom 25.07.1991, C-208 / 90 (Emmott), Slg. 1991, I-4269, Rn. 18 f.; hierzu auch J. H. Jans / H. H. B. Vedder European Environmental Law, 4. Aufl. 2012, Kapitel 4, S. 147 f. 537  B. Biervert, in: J. Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 288 Rn. 28.

154

1. Teil: Grundlagen

mittels Richtlinienrecht umgesetzt wurde, wie es etwa bei der Umsetzung der Aarhus-Konvention der Fall ist und noch im Einzelnen zu betrachten sein wird. Im Zusammenhang mit mittelbar völkerrechtlichen Berechtigungen kann sich zudem die Frage ergeben, inwieweit nationale Umsetzungsregelungen am Maßstab der völkerrechtlichen Vorschrift gemessen werden können. Diese Frage stellt sich überall dort, wo Mechanismen zur Überwachung der Implementierung eines internationalen Vertrags bestehen. Dies können sowohl Mechanismen auf internationaler als auch auf nationaler Ebene sein. Auch diese Frage stellt sich im Rahmen dieser Untersuchung insbesondere im Zusammenhang mit der Aarhus-Konvention und wird dort im Einzelnen zu betrachten sein.538

IV. Zwischenfazit Die Verfügungsmacht über die Bestandteile biologischer Vielfalt gehört zur Souveränität der Staaten. Werden zu deren Schutz im Völkerrecht subjektive Rechte begründet, so wird damit nicht nur ein der inneren Souveränität539 von Staaten zugehöriger Gegenstand adressiert. Vielmehr geschieht dies auch mittels einer Rechtstechnik, die in ganz besonders intensiver Weise in die Souveränität eingreift. Dies nicht nur, weil hiermit nicht nur ein Regelungsziel, sondern auch der Umsetzungsmodus vorgegeben wird, sondern auch, weil die Verleihung subjektiver Rechte – wie vorangehend insbesondere anhand der Diskussion in Deutschland dargestellt – rechtskulturell tief verwurzelte und für die Prägung einer Rechtsordnung wesentliche Fragen betrifft. Gespiegelt wird dies im Völkerrecht durch die erheblichen Vorbehalte gegen die Anerkennung völkerrechtsunmittelbarer Rechte des Einzelnen und seine Rechtsfähigkeit überhaupt. Heute ist jedoch eine partielle und beschränkte Rechtsfähigkeit des Einzelnen durch die Völkerrechtspraxis und den überwiegenden Teil der Völkerrechtswissenschaft anerkannt, womit grundsätzlich die Möglichkeit besteht, dass die eingangs dieser Untersuchung identifizierten völkervertraglichen Instrumente Einzelnen und ggf. Gruppen völkerrechtsunmittelbar Rechte einräumen. Soweit dies nicht der Fall ist, könnten sie jedenfalls Staaten dazu verpflichten, solche subjektiven Rechte im innerstaatlichen Recht zu begründen. Die Annahme dieser Möglichkeit darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Mediatisierung des Einzelnen im Völkerrecht zu einem erheblichen Teil fortbesteht, und Einzelne je nach Ausgestaltung des Schutzinstruments vollständig bzw. in erheblichem 538  Dazu

unten: Zweiter Teil, B. III. 2. b) aa). Unterscheidung innerer und äußerer Souveränität S. Besson, Sovereignity, MPEPIL, 2011, Rn. 69 ff. 539  Zur



C. Mobilisierung Einzelner und Gruppen zur Rechtsdurchsetzung155

Umfang hinsichtlich der Rechtserzeugung, der -fortgeltung sowie der Durchsetzung von Rechten von den Staaten abhängig bleiben. Für die Untersuchung der Instrumente der einzelnen Ansätze im nachfolgenden zweiten Teil dieser Arbeit folgt daraus nicht nur die Notwendigkeit der Unterscheidung danach, ob völkerrechtsunmittelbare oder lediglich mittelbar-völkerrechtlich Individualrechte gewährleistet werden sollen. Vielmehr ist auch im Rahmen völkerrechtsunmittelbarer Rechte weiter danach zu differenzieren, ob diese zwingenden Charakter besitzen und damit nicht zur Disposition der Staaten stehen und ob ein internationaler Rechtsschutzmechanismus zur Verfügung steht oder ob zumindest die Staaten zur Eröffnung nationaler Rechtsschutzmöglichkeiten verpflichtet werden.

Zweiter Teil

Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze zum Schutz biologischer Vielfalt im Völkerrecht Im zweiten Teil dieser Untersuchung sollen nun die im Rahmen der Arbeitshypothese identifizierten subjektiv-rechtlichen Ansätze untersucht werden. Zunächst sollen dafür jeweils die maßgeblichen Charakteristika der einzelnen Ansätze im Hinblick auf den zu bewirkenden Schutz biologischer Vielfalt vornehmlich aus einer Steuerungsperspektive heraus analysiert werden. Im Anschluss ist der subjektiv-rechtliche Charakter der betrachteten I­nstrumente in Auseinandersetzung insbesondere mit der völkerrechtlichen Praxis zu bestimmen. Nicht nur ist dabei zwischen völkerrechtsunmittelbaren und mittelbarvölkerrechtlichen Gewährleistungen zu unterscheiden, sondern auch zu beschreiben, was jeweils in sachlicher Hinsicht gewährleistet wird, wer Begünstigter und wer Verpflichteter ist sowie inwieweit die prima facie vermittelten Positionen beschränkbar sind. Anhand dessen lässt sich unter Heranziehung der Erkenntnisse des ersten Teils über die biologische Vielfalt – die Ursachen für ihren Verlust und die Ansatzpunkte für ihren Schutz1 – bestimmen, inwieweit jeweils ein Schutz biologischer Vielfalt rechtlich vermittelt wird. Um die Entwicklung der subjektiv-rechtlichen Ansätze zu erfassen und nicht ein insoweit täuschendes Bild zeitloser Geltung der ermittelten Rechte und Staatenpflichten zu vermitteln,2 wie es eine rein dogmatische Betrachtung hervorzubringen vermag, sind in die Untersuchung auch der institutionelle Rahmen, die Entstehungsbedingungen und die Entwicklung des jeweiligen Ansatzes in begrenztem Umfang miteinzubeziehen. Hinsichtlich des letzten Aspektes – der Entwicklung der Ansätze – wird der Fokus auf die rechtlichen Faktoren der zu beobachtenden dynamischen Prozesse zu richten sein und die normativen Regeln der Einwirkung der sich im Völkerrecht entwickelnden Instrumente auf die nationalen Rechtsordnungen im Vordergrund stehen. Die Grenzen der Einwirkungsmöglichkeiten werden auch durch die fortbestehende Abhängigkeit gewährleisteter Rechte Einzelner von der Mitwirkung der Staaten markiert, wie sie im vorangehenden Abschnitt herausgearbeitet wurde und nun ebenfalls zu berücksichtigen ist. Die Unter1  Siehe

hierzu oben: Erster Teil, A. III. C. Schönberger, Verwaltungsrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht, in: M. Stolleis, Das Bonner Grundgesetz, 2006, 53 (55). 2  Vgl.



A. Schutz mittels klassischer Menschenrechte157

suchung ergibt ein Gesamtbild dazu, inwieweit eine völkerrechtliche Mobiliserung Einzelner und Gruppen zum Schutz biologischer Vielfalt rechtlich möglich ist. Zunächst wird im Folgenden, vorwiegend am Beispiel der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR, untersucht, inwieweit mithilfe klassischer Menschenrechtsgarantien auch ein Schutz der Bestandteile biologischer Vielfalt erreicht werden kann (A.). Hieran schließt sich die Betrachtung des in der Aarhus-Konvention verwirklichten prozeduralen Ansatzes an (B.). Wegen ihrer engen Verknüpfung wird schließlich im letzten Abschnitt des zweiten Teils der Frage nachgegangen, inwieweit sich biologische Vielfalt mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker und nicht-indigener Gemeinschaften im Rahmen eines menschenrechtlichen Ansatzes der AMRK und der ACHPR sowie des sozio-ökonomischen Ansatzes des Nagoya-Protokolls schützen lässt (C.).

A. Der Schutz biologischer Vielfalt mittels klassischer Menschenrechte Um die Möglichkeiten, vor allen Dingen aber auch die Grenzen eines mithilfe klassischer Menschenrechte zu erreichenden Schutzes biologischer Vielfalt und ihrer Bestandteile aufzuzeigen, ist zunächst der zu diesem Zweck im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention verfolgte Ansatz herauszuarbeiten (I.). Da die Stärke der vermittelten Rechte auch von ihrer Durchsetzungsfähigkeit auf internationaler Ebene abhängt, sind die Rechtsschutzmöglichkeiten kurz darzulegen und die normativen Einwirkungen der EMRK auf die nationalen Rechtsordnungen sowie hiergegen gerichtete Wiederstände zu beschreiben (II.). Maßgeblich für die inhaltliche Entwicklung biodiversitätsrelevanter Teilgewährleistungen durch den EGMR ist die durch ihn angewandte Auslegungsmethode auf in der Konvention konkret verbürgte Rechte (III.). Durch ihre Anwendung wurden auch Gehalte zum unmittelbaren und mittelbaren rechtlichen Schutz biologischer Vielfalt begründet (IV.). Der verfolgte Ansatz ist in seiner konkreten Ausprägung zu bewerten (V.). Im Ergebnis zeigt sich, dass der Wert für den Schutz biologischer Vielfalt vor allen Dingen aus den zu beobachtenden Prozeduralisierungstendenzen in der Rechtsprechung des EGMR erwächst (VI.).

I. „Greening the Human Rights“ zum Schutz biologischer Vielfalt Der Ansatz des „Greening the Human Rights“ lässt sich beschreiben als eine Zusammenfassung von Versuchen der interpretatorischen Gewinnung

158

2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

eines Schutzgehaltes klassischer Menschenrechte wie dem Recht auf Leben, Gesundheit oder auch Eigentum gegen die Zerstörung der Umwelt.3 Seine wesentlichen Charakteristika sind zu analysieren und eine Abgrenzung zu anderen Ansätzen im Bereich des Menschenrechtsschutzes vorzunehmen (1.). Seine grundsätzliche Eignung zur Begründung von Schutzgehalten zugunsten biologischer Vielfalt im Rahmen der EMRK ist näher zu bestimmen (2.) und das Verhältnis zur allgemeinen Diskussion um Umweltschutz durch die EMRK zu klären (3.). 1. Charakteristika des Ansatzes Gedanklicher Ausgangspunkt des „Greening-Ansatzes“ ist die Erkenntnis der Abhängigkeit des Schutzes von Menschenrechten von einer Umwelt, die zumindest die grundlegenden Bedürfnisse des Menschen direkt oder indirekt zu befriedigen in der Lage ist und so die tatsächliche Grundlage für die Ausübung leztlich aller Menschenrechte bildet.4 Aus diesem Abhängigkeitsver3  K. Wolfe, Greening the International Human Rights Sphere?, Appeal 2003, 45 (47 f.); F. Francioni, International Human Rights in an Environmental Horizon, EJIL (2010), 41 (43 f.); vgl. auch A. Boyle, Human Rights and the Environment: Where Next?, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 201 (202 f.). 4  Vgl. hierzu ausführlich den sog. Ksentini Report, Human Rights and the Environment, UN doc E / CN.4 / Sub.2 / 1994 / 9; aus neuerer Zeit siehe die Analytical study on the relationship between human rights and the environment, Report of the United Nations High Commissioner for Human Rights, UN General Assembly A / HRC / 19 / 34. Aus der umfangreichen wissenschaftlichen Diskussion siehe etwa A. Boyle, Human Rights and the Environment: Where Next?, EJIL 23 (2012), 613 ff. sowie in überarbeiteter Fassung in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 201 (202 f.); ders., Environment and Human Rights, MPEPIL, 2009, Rn. 1 ff.; M. R. Anderson, Human Rights Approaches to Environmental Protection: An Overview, in: A. Boyle / M. R. Anderson, Human Rights Approaches to Environmental Protection, 1996, 1 (2 ff.); D. K. Anton / D. L. Shelton, Environmental Protection and Human Rights, 2011, S. 118 ff.; J. G. Merrills, Environmental Rights, in: D. Bodansky / J. Brunnée / E. Hey, International Environmental Law, 2007, Kap. 28, 663 (664); F. Francioni, International Human Rights in an Environmental Horizon, EJIL (2010), 41 (44); eindrücklich auch M. J. Rogge: „Environmental degradation erodes freedom because it limits the range of choices for people today and for future generations“, Human Rights, Human Development and the Right to a Healthy Environment: An Analytical Framework, 22 Canadian Jounal of Development Studies, 2001, 3 (46); zustimmend K. Wolfe, Greening the International Human Rights Sphere?, Appeal 2003, 45 (46); vgl. auch die Äußerung des Richters Weeramantry des IGH in seiner abweichenden Meinung zum Urteil Gabčikovo-Nagymaros Projekt (Ungarn gegen Slowakai), 1997, I.C.J. Reports 492: „The protection of the environment is … a vital part of contemporary human rights doctrine, for it is [an indispensable requirement] … for numerous human rights such as the right to health and the right to life itself.“, auf die auch N. de Sadeleer, Enforcing EUCHR Principles and Fundamental Rights



A. Schutz mittels klassischer Menschenrechte

159

hältnis der Menschenrechte von einer funktionierenden Umwelt folgt, dass ein effektiver Schutz der Menschenrechte nur dann gelingen kann, wenn auch der Schutz der Umwelt und somit auch der natürlichen Grundlagen, d. h. der tatsächlichen Voraussetzungen der Freiheit,5 hinreichend sichergestellt wird. Ein solcher Schutz muss, so hat auch die Betrachtung der Diskussion im deutschen Recht gezeigt, nicht zwingend mithilfe subjektiv-rechtlicher Berechtigungen zugunsten von Umweltbetroffenen geschehen. Ein solcher Ansatz stellt vielmehr eine Alternative und Ergänzung zur staatlichen Begrenzung der Rechte von Umweltnutzern dar.6 Da eine solche Beschränkung auch das Ergebnis der Ausübung von Menschenrechten mit umweltschützendem Gehalt ist – dann als gegenseitige Beschränkung konfligierender subjektiver Rechte – ist zu vergegenwärtigen, dass es sich auch bei dem Verhältnis zwischen Menschenrechten und dem Schutz der Umwelt keineswegs ausschließlich um ein Verhältnis gegenseitiger Komplementarität handelt. Sieht man etwa behauptete Menschenrechte wie das auf eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung als existent an, so ergeben sich bereits auf menschenrechtlicher Ebene erhebliche Spannungen, die sich nicht ohne Weiteres zugunsten sowohl der Umwelt als auch der wirtschaftlichen Entwicklung für jeden Menschen auflösen lassen,7 sondern allenfalls im Wege praktischer Konkordanz zu einem verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden können.8

in Environmental Cases, Nordic Journal of International Law 81 (2012), 39 (39 Fn. 2) hinweist; C. Sartoretti, The Aarhus Convention between protection of Human Rights and protection of the Environment, in: E. J. Lohse / M. Poto, Participatory Rights in the Environmental Decision-Making Process and the Implementation of the Aarhus Convention, 2015, 45 (48). 5  D. Murswiek, Freiheit und Freiwilligkeit im Umweltrecht, JZ 1988, 985 (993). 6  J. G. Merrills, Environmental Rights, in: D. Bodansky / J. Brunnée / E. Hey, International Environmental Law, 2007, Kap. 28, 663 (665) sowie bereits oben: Erster Teil, B. I. 1. 7  M. R. Anderson, Human Rights Approaches to Environmental Protection: An Overview, in: A. Boyle / M. R. Anderson, Human Rights Approaches to Environmental Protection, 1996, 1 (3). Selbst wenn man solche Menschenrechte nicht anerkennt, so besteht das Spannungsverhältnis doch gleichwohl – in diesem Fall zwischen dem Umweltschutz als Forderung des Menschenrechtsschutzes und der Staatsaufgabe der Sicherung der wirtschaftlichen Entwicklung bzw. mit den verfassungsrechtlichen oder einfachrechtlichen Gewährleistungen von Wirtschaftsfreiheiten auf nationaler Ebene. 8  Kritiker eines menschenrechtlichen Ansatzes zum Schutz der Umwelt knüpfen hieran an, wenn sie die Befürchtung äußern, dass die Realisierung der bürgerlichen und wirtschaftlichen und auch anderer sozialer Freiheiten unter Verweis auf die Notwendigkeit des Umweltschutzes verweigert werden könnte.

160

2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Der Verweis auf die Interpretation von klassischen Menschenrechtsgarantien, sozusagen deren „ökologische Tönung“9, als Methode des „GreeningAnsatzes“ grenzt diesen von anderen Versuchen der Nutzung des internationalen Menschenrechtsschutzes für die Zwecke des Umweltschutzes ab,10 wie sie sich im Rahmen der verschiedenen Stränge der Diskussion11 um das Verhältnis von Menschenrechtsschutz und Umwelt, die spätestens im Vorfeld der „United Nations Conference on the Human Environment“ im Jahr 1972 in Stockholm12 begonnen wurde und seitdem angehalten hat, entwickelt haben. Ein gemeinsamer Aspekt ihrer Attraktion besteht darin, dass der Bereich des Menschenrechtsschutzes zumindest in der Vergangenheit eine der wenigen Ausnahmen im internationalen Recht darstellte, der Einzelnen und Gruppen effektive Foren der Rechtsdurchsetzung eröffnete.13 Interpretation meint in diesem Zusammenhang die extensive richterliche Auslegung ehemals sehr viel enger verstandener und mit diesem Verständnis völkervertragsrechtlich vereinbarter Menschenrechtsgarantien. Daraus folgt ein dem methodischen Ansatz inherentes Spannungsverhältnis zwischen dem völkervertraglichen Konsensprinzip und richterlicher Rechtsschöpfung durch ein sich Entfernen vom historisch Vereinbarten. Dies wirft vordergründig Fragen nach den Grenzen der für das Völkerrecht gewohnheitsrechtlich anerkannten und in Art. 31 ff. WVK niedergelegten Auslegungsmethoden auf.14 Hierhinter stehen jedoch zudem schwierige Fragen der Legitimität von Entscheidungen internationaler Gerichte, auf die im Rahmen der Bewertung der Rechtsprechung des EGMR und der hierzu geführten Diskussion einzugehen ist.15 Eine wichtige Grenze der Auslegung ist auch im Völkerrecht der Wortlaut der jeweiligen Norm,16 der im Falle von Menschenrechtsgarantien insbeson9  R. Schmidt-Radefeldt,

Ökologische Menschenrechte, 2000, S. 198. sogleich. 11  Analytical study on the relationship between human rights and the environment, Report of the United Nations High Commissioner for Human Rights, UN General Assembly A / HRC / 19 / 34, Rz. 6 ff. 12  F. Francioni, International Human Rights in an Environmental Horizon, EJIL (2010), 41 (44); K. Wolfe, Greening the International Human Rights Sphere?, Appeal 2003, 45 (47). 13  K. Wolfe, Greening the International Human Rights Sphere?, Appeal 2003, 45 (53); A. Boyle, Human Rights and the Environment: Where Next?, EJIL, 23 (2012), 613 (613 f.). 14  W. Graf Vitzthum, in: ders. / A. Proelß, Völkerrecht, 7. Aufl. 2016, Erster Abschnitt Rn. 123. 15  Siehe hierzu unten: Zweiter Teil, A. V. 16  Siehe nur W. Graf Vitzthum, in: ders. / A. Proelß, Völkerrecht, 7. Aufl. 2016, Erster Abschnitt Rn. 123. 10  Hierzu



A. Schutz mittels klassischer Menschenrechte161

dere die Bezeichnung des jeweiligen Schutzgutes umfasst. Die Anknüpfung des „Greening-Ansatzes“ an bestehende Menschenrechtsgarantien bedeutet insoweit in erster Linie eine Anknüpfung an das jeweils umfasste Schutzgut, bzw. die jeweils umfassten Schutzgüter, deren Verständnis zwar in den Randbereichen der Auslegung zugänglich ist, im Kern aber unverändert bleibt. Der so zu erreichende Schutz der Umwelt, hier der biologischen Vielfalt und ihrer Bestandteile, ist deshalb schutzgutakzessorisch.17 Während das Schutzgut des Menschenrechtes im Kern unverändert bleibt, kann der sachliche Gewährleistungsbereich im Wege der Auslegung um einen Schutz gegen bestimmte Veränderungen der Umwelt erweiternd bestimmt werden. Der sachliche Gewährleistungsbereich der Menschenrechte ist so Dreh- und Angelpunkt für die Ausweitung des Schutzes.18 Mit der Anknüpfung an bestehende Menschenrechte wird zugleich deren persönlicher Anwendungsbereich übernommen, womit Berechtigte und Verpflichtete des jeweiligen Menschenrechts feststehen. Gerade in den vorgenannten Fragen unterscheidet sich der hier näher zu betrachtende Auslegungsansatz von bislang auf internationaler Ebene geführten theoretischen Diskussionen um die Ausformung und praktische Geltung eines eigenständigen Menschenrechts auf eine gesunde Umwelt.19 Obwohl die Diskussionen um ein solches Recht bereits in der „Erklärung der Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt des Menschen“ in Stockholm im Jahre 1972 und auch in zahlreichen weiteren Erklärungen in den folgenden Jahrzehnten einen gewissen Niederschlag gefunden haben,20 kann von 17  Insbesondere H. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in Environmental Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (83, 84, 87, 91) hebt mehrfach hervor, dass es sich bei dem durch die EMRK vermittelten Schutz der Umwelt deshalb nur um eine Form des indirekten Schutzes handeln kann und sieht in der Schutzgutakzessorietät die maßgebliche Beschränkung des Ansatzes des EGMR; so auch bereits C. Calliess, Ansätze zur Subjektivierung von Gemeinwohlbelangen im Völkerrecht, ZUR 2000, 246 (249). 18  C. Schall, Public Interest Litigation Concerning Environmental Matters before Human Rghts Courts: A Promising Future Concept?, Journal of Environmental Law, 20:3 (2008), 417 (445). 19  Allgemein hierzu S. Giorgetta, The right to a healthy environment, in: N. Schrij­ ver / F. Weiss, International Law and Sustainable Development  – Principles and Practices, 2004, 379 ff.; M. Fitzmaurice / J. Marshall, The Human Right to a clean environment – Phantom or Reality? Nordic Journal of International Law 76 (2007), 103 ff.; S. Atapattu, The right to a healthy life or the right to die polluted?, Tullane Environmental Law Journal 16 (2002–2003), 65 ff.; M. Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1996, S. 19 ff.; S. Hobe, Menschenrecht auf Umweltschutz, ZUR 1994, 15 (17 ff.). 20  Vgl. etwa den allerdings nicht verbindlichen Grundsatz 1 der Stockholm-Erklärung: „Man has the fundamental right to freedom, equality and adequate conditions of life, in an environment of a quality that permits a life of dignity and well-being, and

162

2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

einem Durchbruch des Ansatzes bis heute weder auf regionaler noch auf universeller völkerrechtlicher Ebene gesprochen werden.21 Ausdrücklich normierte, diesem Ansatz verpflichtete rechtsverbindliche Garantien finden sich bis heute ausschließlich in der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker in Art. 24 sowie im Protokoll zur Amerikanischen Menschenrechtskonvention auf dem Gebiet der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte in Art. 11.22 Bestrebungen, durch vertragliche Vereinbarungen dem Ansatz zu stärkerer Geltung zu verhelfen, waren bislang nicht erfolgreich. Bis heute gibt es daneben Versuche, die positive Geltung einer solchen Garantie als universelles Völkerrecht nachzuweisen. Neben naturrechtlichen Begründungsansätzen findet sich der Versuch einer Herleitung aus klassischen Menschenrechten wie dem Recht auf Leben und dem Recht auf Gesundheit, teilweise wird auch eine Geltung aufgrund Gewohnheitsrechts angenommen.23 Die Reichweite der positiv-rechtlichen wie auch der bislang theoretisch gebliebenen Entwürfe ist allerdings bis heute nicht nur im Detail, sondern auch in den Grundlagen umstritten. So ist bereits unklar, ob der Ansatz auf den Schutz der Rechte des Menschen ausgerichtet, mithin anthropozentrisch ist oder ob es sich um einen ökozentrischen Ansatz handelt bzw. handeln sollte.24 Neben diesen Unklarheiten über die grundsätzliche Fassung und Orientierung des Schutzgutes25 ist auch dessen Aushe bears a solemn responsibility to protect and improve the environment for present and future generations.“ Hierzu A. Boyle, Environment and Human Rights, MPEPIL, 2009, Rn. 2; vgl. auch S. Atapattu, The Right to a healthy life or the Right to Die Polluted?, Tulane Environmental Law Journal 16 (2002–2003), 65 (74 ff.). 21  A. Boyle, Human Rights and the Environment: Where Next?, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 201 (220); K. Wolfe, Greening the International Human Rights Sphere?, Appeal 2003, 45 (45); vgl. auch B. Goby, Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten im Lichte der Aarhus-Konvention, 2015, S. 34; C. Calliess, Ansätze zur Subjektivierung von Gemeinwohlbelangen im Völkerrecht, ZUR 2001, 246 (248). 22  J. G. Merrills, Environmental Rights, in: D. Bodansky / J. Brunnée / E. Hey, International Environmental Law, 2007, Kap. 28, 663 (664). Auf beide wird noch im Rahmen der Untersuchung des inter-amerikanischen und des afrikanischen Menschenrechtssystems eingegangen werden, siehe hierzu Zweiter Teil, C. II. 3. 23  Vgl. M. Anderson, Human Rights Approaches to Environmental Protection: An Overview, in: A. E. Boyle / M. R. Anderson, Human Rights Approaches to Environmental Protection 1998, 1 (13); ablehnend auch S. Vöneky / F. Beck, Umweltschutz und Menschenrechte, in: A. Proelß, Internationales Umweltrecht, 2017, Fünfter Abschnitt, Rn. 10. 24  M. R. Anderson, Human Rights Approaches to Environmental Protection: An Overview, in: A. E. Boyle / M. R. Anderson, Human Rights Approaches to Environmental Protection 1998, 1 (14). Zur Relativierung dieses Unterschiedes siehe aber unten Zweiter Teil, A. I. 3. 25  Während hinsichtlich der Setzung des Begriffs der Umwelt („environment“) noch Einigkeit besteht, sind seine Attribute zahlreich. So soll die Garantie bezogen



A. Schutz mittels klassischer Menschenrechte163

gestaltung im Einzelnen unter Verfechtern und Gegnern des Ansatzes nach wie vor ungeklärt.26 Während die Diskussion um ein Menschenrecht auf eine gesunde Umwelt bis heute nicht zu dessen allgemeiner Anerkennung im Völkerrecht geführt hat,27 ist der „Greening-Ansatz“ nicht nur Gegenstand theoretischer Diskussionen geblieben, sondern findet sich in der Rechtsprechungspraxis insbesondere verschiedener regionaler Menschenrechtsgerichtshöfe und -kommissionen wieder. Während die ebenfalls auf diesen methodischen Ansatz gestützte Rechtsprechung des IACtHR sowie der ACmHPR hinsichtlich gemeinschaftlicher Rechte indigener Völker und nicht-indigener Gemeinschaften an späterer Stelle zu untersuchen sein wird, geht es in den nächsten Abschnitten zunächst um die individualbezogene Konzeption des EGMR.

sein auf eine saubere („clean“), eine gesunde („healthy“ – so auch das Zusatzprotokoll zur Amerikanischen Menschenrechtskonvention in Art. 11 Ziff. 1), eine annehmbare („decent“) eine brauchbare oder entwicklungsfähige („viable“), eine befriedigende („satisfactory“), eine ökologisch ausgewogene („ecologically balanced“) oder eine Umwelt, die frei von Belastungen ist („free from contamination“), vgl. M. Anderson, Human Rights Approaches to Environmental Protection: An Overview, in: A. E. Boyle / M. R. Anderson, Human Rights Approaches to Environmental Protection 1998, 1 (10) sowie hierzu auch K. Wolfe, Greening the International Human Rights Sphere?, Appeal 2003, 45 (46). Teils findet auch bei der sprachlichen Abgrenzung des Schutzgutes bereits eine Verschränkung mit weiteren Gütern statt. So soll die Umwelt einen Zustand aufweisen, der angemessen für die Entwicklung des Menschen („suit­able for the development of the person“) oder schlicht nachhaltig („sustainable“) ist. 26  M. Anderson, Human Rights Approaches to Environmental Protection: An Overview, in: A. Boyle / M. Anderson, Human Rights Approaches to Environmental Protection 1998, 1 (10 f.). Neben der Fassung des Schutzgutes ist streitig, ob dem Recht nur eine abwehrrechtliche oder auch eine leistungsrechtliche Dimension zukommen soll, wer Berechtigter ist, unter welchen Voraussetzungen das Recht einschränkbar ist und auch ob die Verwirklichung des Rechts generell unter dem Vorbehalt der Verfügbarkeit hinreichender wirtschaftlicher Mittel stehen soll; kritisch gegenüber der Justiziabiliät eines solchen Rechts zu Recht A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 396 f.; vgl. zur wissenschaftlichen Diskussion weiterhin D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 83 f.; C. Sartoretti, The Aarhus Convention between protection of Human Rights and protection of the Environment, in: E. J. Lohse / M. Poto, Participatory Rights in the Environmental Decision-Making Process and the Implementation of the Aarhus Convention, 2015, 45 (49); C. Schall, Public Interest Litigation Concerning Environmental Matters before Human Rights Courts: A Promising Future Concept?, Journal of Environmental Law, 20:3 (2008), 417 (447). 27  Zum Niederschlag dieser Diskussion in der Schaffung konkreter Rechte und sonstiger Bestimmungen auf Ebene des nationalen Verfassungsrechts siehe D. R. Boyd, The implicit constitutional right to live in a healty environment, RECIEL 20 (2011), 171 ff.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

2. Grundsätzliche Eignung des Ansatzes zum Schutz biologischer Vielfalt Die einzelnen Garantien der europäischen Menschenrechtskonvention beziehen sich, vergleichbar mit den Grundrechten des deutschen Grundgesetzes, jeweils auf bestimmte Rechtsgüter und Interessen, deren Schutz sie gewährleisten. Die EMRK kennt ihrem Wortlaut nach kein Schutzgut der biologischen Vielfalt oder einer biologisch vielfältigen Umwelt und auch keines der Bestandteile biologischer Vielfalt wird eigens in seinem Bestand ausdrücklich gewährleistet. Auch hat der EGMR der Konvention kein solches Recht im Wege der evolutiven und extensiven Auslegung der einzelnen Normen entnommen, sondern, im Gegenteil, vielfach ausdrücklich festgestellt, dass die EMRK schon kein allgemeineres Recht auf eine „gesunde Um­welt“28 und auch kein „Recht auf Naturschutz“29 enthalte. Umweltbelange sollen deshalb grundsätzlich in keiner Form eine besondere Behandlung unter Verweis auf etwaige Umweltmenschenrechte in der Rechtsprechung des Gerichtshofs erfahren.30 Damit aber steht bereits fest, dass die EMRK einen unmittelbaren recht­ lichen Schutz biologischer Vielfalt nicht gewährleistet. Ein solcher liegt nur vor, wenn ein Menschenrechtsinstrument die biologische Vielfalt bzw. ihre Bestandteile als solche erfasst, d. h., diese Schutzgüter einer Menschenrechtsgarantie sind. Nur dann, was nicht der Fall ist, würden sie ganz unmittelbar rechtlich gewährleistet. Hiervon zu unterscheiden ist aber die dadurch nicht ausgeschlossene Möglichkeit eines mittelbar-rechtlichen Schutzes biologischer Vielfalt. Hierunter sollen Fälle verstanden werden, in denen die Beeinträchtigung biologischer Vielfalt stets oder in bestimmten Fällen zwingend auch zu einer relevanten Beeinträchtigung eines anderen Schutzgutes der EMRK führt und die hierauf bezogenen Gewährleistungspflichten auslöst. Insoweit würde auch die biologische Vielfalt mittelbar rechtlich geschützt, auch wenn nicht die Beeinträchtigung der biologischen Vielfalt, sondern die damit verbundene Beeinträchtigung des Schutzgutes der EMRK die Geltendmachung einer Rechtsverletzung ermöglichen würde.31 Hiervon wiederum zu 28  Vgl. nur EGMR, Urteil vom 22.05.2003  – 41666 / 98 (Kyrtatos / Griechenland), Rn. 52; EGMR, Urteil vom 09.06.2005  – 55723 / 00 (Fadeyeva / Russland) Rn. 68; zuletzt EGMR, Urteil vom 13.12.2012  – 3675 / 04, 23264 / 04 (Flamenbaum u. a. / Frankreich), Rn. 133. 29  EGMR, Entscheidung vom 26.11.2013  – 28852 / 05 (Ogloblina / Russland), Rn. 26: „no right to nature preservation“. 30  So bereits EGMR, Urteil vom 08.07.2003 – 36022 / 97 (Hatton u. a. / Vereinigtes Königreich), Rn. 122. 31  Dies wurde in der deutschen Grundrechtslehre von D. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 225 ff. treffend als „umwelt-



A. Schutz mittels klassischer Menschenrechte165

unterscheiden32 sind Formen allein mittelbar-faktischen Schutzes. Diese liegen vor, wenn die Erfüllung der nach der EMRK bestehenden Pflichten der Staaten rein tatsächlich zu einem Schutz biologischer Vielfalt führen, obwohl die Beeinträchtigung der biologischen Vielfalt selbst – auch wenn sie in diesen Fällen vielfach vorliegt – nicht einmal mittelbar zur Auslösung der Pflichten geführt hat. Hier stellt der Schutz biologischer Vielfalt einen reinen (nicht intendierten) Rechtsreflex dar. Die auch in dieser Fallgruppe vorliegende Beeinträchtigung biologischer Vielfalt stellt aber nicht nur nicht die rechtlich maßgebliche, sondern auch tatsächlich keine für die Beeinträchtigung des Schutzgutes kausale Ursache dar. Die Betrachtung dieser Fallgruppe – auch wenn sie zu einigen heuristischen Aussagen über tatsächliche Geschehnisse nötigt – erscheint dennoch auch im Rahmen einer juristischen Betrachtung sinnvoll. Es sind die Gründe aufzuzeigen, warum ggf. die Regelungsregime der Menschenrechtskonventionen diese Fallgruppe rechtlich nicht erfassen, d. h. welche Merkmale hier beim herrschenden Verständnis der Konvention nicht erfüllt werden, um so insbesondere auch Hinweise auf Möglichkeiten und Grenzen der Weiterentwicklung des Ansatzes zu erlangen. 3. Verhältnis zur allgemeinen Diskussion um Umweltschutz durch die EMRK Die hier gestellte Frage nach dem Schutz der biologischen Vielfalt durch die EMRK stellt zwar eine Teilfrage zur Diskussion um den durch die Europäische Menschenrechtskonvention vermittelten Umweltschutz dar.33 Gleichwohl sind die Folgen der vorgenommenen Fokussierung zu beachten. Zunächst geht es auch beim Schutz der Umwelt mangels Erfassung der Umwelt als Schutzgut der Konvention aufgrund der Schutzgutakzessorietät des Ansatzes allenfalls um einen mittelbar-rechtlichen Schutz.34 Aus der EMRK können schützende Teilgewährleistungen“ bezeichnet. Sich anschließend M. Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1996, S. 17; C. Calliess, Ansätze zur Subjektivierung von Gemeinwohlbelangen im Völkerrecht, ZUR 2000, 246 (249). 32  Und deshalb genügt es hier insoweit nicht, lediglich festzustellen, dass der Schutz der biologischen Vielfalt durch die EMRK allein ein Nebeneffekt des Menschenrechtsschutzes ist, da hierunter sowohl ein mittelbar-rechtlicher Schutz als auch ein reiner Rechtsreflex fallen kann. So aber bzgl. des Schutzes der Umwelt H. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in Environmental Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (83). 33  Siehe hierzu insbesondere die umfassende Auswertung der insoweit relevanten Rechtsprechung des EGMR bei K. Braig, Umweltschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013. 34  In der Indirektheit des vermittelten Schutzes der Umwelt wird auch von H. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in En­vironmental

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

deshalb nur solche Pflichten zum Schutz der Umwelt folgen, wie deren Beeinträchtigung zu einem Zustand der Umwelt führt, der zugleich eine hinreichende Beeinträchtigung von Schutzgütern der EMRK wie des menschlichen Lebens, des Eigentums oder des Privat- und Familienlebens darstellt. Im Ausgangspunkt geht es dem EGMR deshalb auch in seiner umweltrelevanten Rechtsprechung nicht um einen Schutz der Umwelt, sondern um einen Schutz der in der Konvention erfassten Güter vor den Auswirkungen von Umweltveränderungen. Die Umweltgüter werden also vor allen Dingen als mögliche Belastungspfade für Menschenrechtsgüter betrachtet. Unterhalb der Schwelle schutzgutrelevanter Verschlechterungen liegende Veränderungen der Umweltsituation geraten deshalb gar nicht erst ins Blickfeld des EGMR, da es schon an dem die Gewährleistungen der EMRK auslösenden Moment fehlt. Auf diese Beobachtung gestützt wird vielfach geäußert, dass gerade Flora und Fauna als Bestandteile der biologischen Vielfalt von vorne herein nicht durch die EMRK geschützt werden könnten.35 Dem stehe der anthropozentrische Charakter der Konvention entgegen, der nur die Erfassung solcher Umweltveränderungen erlaube, die die menschliche Gesundheit und Sicherheit beeinträchtigten. Der Begriff der Anthropozentrik als Gegenbegriff zur Ökozentrik Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (83, 84, 87, 91) die maßgebliche Beschränkung des Ansatzes des EGMR gesehen; so auch bereits C. Calliess, Ansätze zur Subjektivierung von Gemeinwohlbelangen im Völkerrecht, ZUR 2000, 246 (249). Die Ministerkonferenz des Europarates hat es bereits mehrfach abgelehnt, Vorschläge der Parlamentarischen Versammlung des Europarates aufzugreifen und ein zusätzliches Protokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention zur Anerkennung eines Rechts auf eine gesunde Umwelt zu entwerfen, vgl. Parlamentarische Versammlung, Empfehlungen 1885 (2009), 1614 (2003), 1431 (1999) sowie die jeweiligen Entgegnungen des Ministerrates unter Bezugnahme auf Äußerungen des Lenkungsausschusses für Menschenrechte des Europarates: Parlamentarische Versammlung, Dok. 12298, 19.06.2010, Antwort auf Empfehlung 1883 (2009) und Empfehlung 1885 (2009), Ministerrat, Dok., 10041, 24.01.2004, Antwort des Minsterrates zu Empfehlung 1614 (2003); Dok. 8892, 20.11.2000, Antwort des Minsterrates zu Empfehlung 1431 (1999). Alle Dokumente sind abrufbar unter: http: /  / web site-pace.net / en_GB / web / apce / documents, zuletzt abgerufen am 19.07.2017. Die Parlamentarische Versammlung scheint in ihren Vorschlägen auch ein gewisses ­Potenzial für den Schutz biologischer Vielfalt zu sehen, wie ein Verweis auf die Vorschläge zur Einführung eines Menschenrechts auf eine gesunde Umwelt in einer Empfehlung betreffend biologische Vielfalt und Klimawandel zeigt, vgl. Parlamentarische Versammlung, Empfehlung 1918 (2010) Rz. 11; zu diesbezüglichen Diskussionen bereits in den 1970er Jahren im Rahmen des Europarates vgl. C. Calliess, Ansätze zur Subjektivierung von Gemeinwohlbelangen im Völkerrecht, ZUR 2000, 246 (253); M. Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1996, S. 28 f. 35  Siehe nur H. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in Environmental Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (87); C. Calliess, Ansätze zur Subjektivierung von Gemeinwohlbelangen im Völkerrecht, ZUR 2000, 246 (253).



A. Schutz mittels klassischer Menschenrechte167

erscheint jedoch letztlich nicht geeignet, die Limitierungen der EMRK beim Schutz der Umwelt abzubilden. Beide Begriffe lassen sich nicht nur schwierig gegeneinander abgrenzen.36 Die Erkenntnis ökosystemarer Zusammenhänge und ihrer Bedeutung für grundlegende Ökosystemdienstleistungen, von denen die Menschheit in ihrer Existenz abhängig ist,37 führen zudem dazu, dass die Bedeutung des Schutzes zahlreicher Naturbestandteile für die Gesundheit und Sicherheit des Menschen immer deutlicher wird. Danach scheint kaum noch ein Naturbestandteil für die Gesundheit und Sicherheit des Menschen bedeutungslos und deshalb ausschließlich mit einem rein ökozentrischen Schutzinstrument erfassbar.38 Insoweit aber scheint es nicht möglich, von der Charakterisierung eines Instruments als anthropozentrisch auf die Einbeziehung oder den Ausschluss bestimmter Naturbestandteile von einem Schutzregime zu schließen. Erforderlich ist es vielmehr, das Charakteristikum der Anthropozentrik, wie es im vorliegenden Zusammenhang verwendet wird, zu dekonstruieren und die einzelnen für diese Bewertung relevanten Eigenschaften des durch die EMRK gewährleisteten Schutzes zu betrachten.39 Hierzu zählen insbesondere das Merkmal der Schutzgutakzessorietät der Garantien sowie die im Einzelnen geschützten Rechtsgüter selbst, ihre Anfälligkeit für Beeinträchtigungen durch die Zerstörung der Bestandteile biologischer Vielfalt sowie dieser selbst, die Anforderungen an die erforderliche Intensität einer Beeinträchtigung sowie die Kausalität von Beeinträchtigungen der Umwelt und den erfassten Schutzgütern. Gerade weil die Beeinträchtigung der Bestandteile biologischer Vielfalt regelmäßig allenfalls über mehrere Glieder einer Kausalkette vermittelt zu einer Beeinträchtigung von weit verstandenen Schutzgütern der EMRK führen wird und die hinreichende Intensität dessen fraglich sein dürfte, ist die hier vorzunehmende Untersuchung geeignet, auch die Grenzen des Schutzes der Umwelt durch die EMRK auszuloten und präziser als bislang zu bestimmen. 36  Kritisch gegenüber der Verwendung dieser Unterscheidung deshalb D. Murswiek, in: M. Sachs, Grundgesetz, 7. Aufl. 2014, Art. 20a Rn. 26; M. Anderson, Human Rights Approaches to Environmental Protection: An Overview, in: A. Boyle / M. Anderson, Human Rights Approaches to Environmental Protection 1998, 1 (14). 37  Hierzu bereits oben: Erster Teil, A. II. 1. 38  So auch K. Braig, Umweltschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013, S. 185 f.; für insgesamt wenig praktisch bedeutsam hält die Diskussion um Antropozentrik und Ökozentrik deshalb auch K. Meßerschmidt, Europäisches Umweltrecht, 2011, § 1 Rn. 16. 39  Hierfür spricht auch, dass es der EGMR grundsätzlich ablehnt, Erwägungen zum Schutze der Umwelt als besondere Kategorie zu verwenden, deren Betroffenheit spezifische Rechtsfolgen auszulösen vermag, vgl. EGMR, Urteil vom 8.07.2003  – 36022 / 97 (Hatton u. a. / Vereinigtes Königreich), Rn. 122 und hierzu auch H. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in Environmental Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (84).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Wie die Diskussion um den durch die EMRK vermittelten Umweltschutz hat auch die vorliegende Untersuchungsfrage ein gewisses utilitaristisches Moment insoweit, als sie vor allen Dingen am Nutzen des Menschenrechtsinstruments für die Umweltgüter bzw. die biologische Vielfalt interessiert ist. Dieses mit der Fokussierung auf die biologische Vielfalt und ihre Bestandteile noch verstärkte Moment ist allerdings eines der gewählten Untersuchungsperspektive, nicht aber des menschenrechtlichen Ansatzes selbst, der durch seine Schutzgutakzessorietät stets auf den Schutz derjenigen Menschenrechtsgüter abzielt, an die er anknüpft. Auch wenn ein Träger eines Menschenrechts aus freiem Entschluss dieses zum Schutz der Umwelt bzw. biologischen Vielfalt einzusetzen sucht, so scheint es von vorne herein ausgeschlossen, dass dies rechtlich weiter trägt, als auch sein personell-materiales Interesse an der Erhaltung des jeweils menschenrechtlich unmittelbar geschützten Gutes oder Interesses reicht.40

II. Rechtsprechung des EGMR – Zwischen Individualrechtsschutz und Leitbildfunktion Auch wenn heute kaum noch in Zweifel gezogen wird, dass die Europäische Menschenrechtskonvention subjektive Rechte des Einzelnen gewährleistet und überwiegend angenommen wird, dass zumindest die Garantien der Konvention selbst und auch die Garantie des Eigentums nach Art. 1 1. ZP EMRK unmittelbar anwendbar auch im nationalen Rechtskreis Deutschlands sind,41 muss auch hier beachtet werden, dass diese Rechte sowohl in ihrer völkervertragsrechtlichen Entstehung als auch in ihrem Bestand von den Vertragsstaaten abhängig sind. So sind gem. Art. 58 Abs. 1 EMRK die Mitgliedstaaten der Konvention ermächtigt, unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 6 Monaten „durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Notifikation“ die Konventionsmitgliedschaft mit Wirkung für die Zukunft zu kündigen.42

40  Insoweit scheinen Bedenken, dass der vorliegende Ansatz den hinter der Schaffung von Menschenrechten stehenden Gründen wiedersprechen könnte, unbegründet. 41  Zum Geltungsrang der Garantien im deutschen Recht sogleich. 42  Bislang hat hiervon einzig Griechenland Gebrauch gemacht und trat 1970 aus der Konvention aus, 1974 – nach dem Ende des Obristenregimes – trat das Land der Konvention jedoch wieder bei. Gem. Art. 58 Abs. 2 EMRK ist die Kündigungswirkung allerdings auf solche staatlichen Handlungen begrenzt, die der Staat nach dem Wirksamwerden der Kündigung vornimmt. Für zuvor stattfindende Handlungen entfällt die Bindung des Staates an die Konvention nicht rückwirkend. Gem. Art. 58 Abs. 3 EMRK scheidet ein Staat zudem auch dann als Vertragspartei aus, wenn seine Mitgliedschaft im Europarat endet.



A. Schutz mittels klassischer Menschenrechte

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Geschaffen wurde die Europäische Menschenrechtskonvention43 mit Vertragsunterzeichnung am 07.08.1950 im Rahmen des Europarates und trat als erstes regionales Menschenrechtssystem bereits am 03.09.1953 durch die zehnte Ratifikation des Vertrages in Kraft.44 Bereits 1954 wurden die inhaltlichen Garantien der Konvention u. a. um die Garantie des Eigentums in Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls ergänzt.45 Inzwischen sind alle 47 Mitgliedstaaten des Europarates zugleich auch Vertragsstaaten der Konvention. Der Beitrittsprozess der EU, der auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 2 EUV bereits weit fortgeschritten war, ist dagegen nach dem Rechtsgutachten durch das Plenum des EuGH, dass in seiner Einschätzung zu einer Unvereinbarkeit der beabsichtigten Mitgliedschaft der EU mit den Besonderheiten der Gemeinschaftsrechtsordnung kam,46 ins Stocken geraten. Bei den Schöpfern der Konvention verbanden sich ursprünglich mit der Schaffung der Konvention verschiedene Ansichten über den vornehmlichen Zweck der EMRK.47 Dabei wurde die Vorstellung einer gesamteuropäischen „Bill of Rights“ zum Schutze des Einzelnen zunächst noch überwogen von der Absicht der Errichtung eines primär zwischenstaatlichen Frühwarnsystems gegen jede Form staatlichen Totalitarismus.48 Der Schutz der Umwelt wurde, was nicht weiter überrascht, als Zweck der Konvention nicht auch 43  Ausführlich zur Entstehungsgeschichte und auch zu den verschiedenen Posi­ tionen der Gründungsstaaten A. Mowbray, Between the will of the Contracting Parties and the needs of today, in: E. Brems / J. H. Gerards, Shaping Rights in the ECHR, 2013, S.  17 ff. 44  C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6.  Aufl. 2016, § 1 Rn. 3. 45  Grund für das Fehlen dieser Garantie in der ursprünglichen Konvention war, dass bezüglich seines Inhalts nicht rechtzeitig eine Einigung erzielt werden konnte, B. W. Wegener, Property and Environmental Protection in the Jurisprudence of the European Court of Human Rights, in: G. Winter, Environmental and Property Protection in Europe, 2016, 27 (28). 46  EuGH, Plenum, Gutachten vom 18.12.2014 – 2 / 13, vgl. insbesondere Rn. 157 – 200; vgl. in diesem Zusammenhang auch bereits das Gutachten des EuGH vom 28.03.1996 – 2 / 94, ECR I-1759, als der EuGH die Möglichkeit des Beitritts noch vor allen Dingen aufgrund des damaligen Fehlens einer Grundlage in den Gemeinschaftsverträgen verneinte, darüber hinaus aber auch Voraussetzungen für einen künftigen Beitritt formulierte. 47  A. Mowbray, Between the will of the Contracting Parties and the needs of today, in: E. Brems / J. H. Gerards, Shaping rights in the ECHR, 2013, 17 (19). 48  M. Burbergs, How the right to respect for private and family life, home and correspondence became the nursery in which new rights are born, in: E. Brems / J. H. Gerards, Shaping rights in the ECHR, 2013, 315 (317); A. Mowbray, Between the will of the Contracting Parties and the needs of today, in: E. Brems / J. H. Gerards, Shaping rights in the ECHR, 2013, 17 (20); zum zunächst dominanten staatenorientierten Verständnis auch A. von Bogdandy / I. Venzke, In wessen Namen?, 2014, S. 86 ff.; siehe auch die abweichende Meinung des Richters Fitz-

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

nur in Erwägung gezogen. Als eigenes Rechtsgebiet hatte sich das interna­ tionale Umweltrecht zu dieser Zeit noch nicht etabliert.49 In dem vom Zweiten Weltkrieg gezeichneten Europa stand diese Problematik auch nicht auf der politischen Agenda. Im Laufe der 1990er Jahre wuchs die Mitgliederzahl auf 47 Staaten an. Da inzwischen eine Vielzahl der Staaten das Individualbeschwerderecht und damit die Zuständigkeit von Menschenrechtskommission und Gerichtshof anerkannt hatten, wurde mit dem 11. Zusatzprotokoll das Rechtsschutzsystem aufgrund der drohenden Überlastung50 reformiert und 1998 der Europäische Menschenrechtsgerichtshof zum praktisch alleinigen internationalen Rechtsschutzorgan im System der EMRK gemacht. Daneben kommt dem Ministerkomitee nur die Aufgabe der Überwachung der Einhaltung der Urteile des Gerichtshofs zu.51 Mit dem Inkrafttreten des 14. Zusatzprotokolls im Jahr 2010 wurde das Rechtsschutzsystem insbesondere durch die Schaffung einer Einzelrichterzuständigkeit sowie die Erweiterung der Zuständigkeit der sog. Dreier-Ausschüsse weitergehend auf die hohe Belastung des Gerichtshofs eingestellt.52 Mit dem 15. Zusatzprotokoll sind weitere Veränderungen zur Erhöhung der Effektivität der Gerichtsbarkeit des EGMR vorgesehen.53 Weitere Konferenzen zur Fortführung des Reformprozesses sind beabsichtigt.54 Der durch den EGMR gewährleistete, von den Staaten im Einzelfall unabhängige Individualrechtsschutz hat ganz wesentlich zur Entfaltung der Menschenrechtsgarantien der Konvention und ihrer Durchsetzungsstärke maurice, EGMR, Urteil vom 13.06.1979  – 6833 / 74 (Marckx / Belgium) Rn. 7 der abweichenden Meinung. 49  N. de Sadeleer, Enforcing EUCHR Principles and Fundamental Rights in Environmental Cases, Nordic Journal of International Law 81 (2012), 39 (61), der etwas zu weitgehend bemerkt, dass 1950 gar das Umweltrecht als Rechtsmaterie („environmental law“) noch nicht existierte. 50  Ein Überblick zur Entwicklung der Arbeitsbelastung der Rechtsschutzinstitu­ tionen der EMRK findet sich bei J. Meyer-Ladewig / M. Nettesheim / S. v.  Raumer, in: dies., EMRK, 4. Aufl. 2017, Einleitung Rn. 60. Hierzu auch A. von Bogdandy / I. Venz­ke, In wessen Namen?, 2014, S. 92 f. 51  J. Meyer-Ladewig / K. Brunozzi, in: J. Meyer-Ladewig / M. Nettesheim / S. v. Raumer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 46 Rn. 43. Gleichwohl liegt hierin eine Form der Funktionenteilung, die dem Gerichtshof die Aufgabe der Interpretation der Konvention und dem Ministerkomitee die Überwachung des Implementationsprozesses zuweist, J. Jahn, Ruling (In)directly through Individual Measures?, ZaöRV 74 (2014), 1 (10). 52  C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 5.  Aufl. 2012, § 1 Rn. 4. 53  Das 15. Zusatzprotokoll geht auf die Abschlusserklärung der Konferenz von Brighton, CDDH(2012)007, vom 19. und 20.04.2012 zurück. 54  Bislang wurden insbesondere keine Fortschritte hinsichtlich der seit Jahren beklagten zu geringen finanziellen Ausstattung der Konventionsorgane erzielt.



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beigetragen. Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass auch die EMRK grundsätzlich auf eine dezentrale Durchsetzung in den Vertragsstaaten ausgerichtet ist, wie sie auch von Art. 13 EMRK ausdrücklich verlangt wird, und die internationale Durchsetzung deshalb nur subsidiären Charakter hat.55 Zugang zum Individualbeschwerdeverfahren haben nach Art. 34 EMRK sowohl natürliche Personen als auch nichtstaatliche Organisationen oder Personengruppen. Für den vorliegenden Zusammenhang scheint es dabei von besonderem Interessse, dass damit grundsätzlich der Rechtsschutz vor dem EGMR auch für Umweltvereinigungen gilt, für die von einer Bündelung an Sachverstand und einer hohen Motivation für den Schutz biologischer Viefalt auszugehen ist. Erheblich beschränkt wird deren Zugang allerdings dadurch, dass der Beschwerdeführer für die Zulässigkeit seiner Beschwerde geltend machen muss, dass er selbst Opfer der Verletzung eines in der Konvention garantierten Rechts geworden ist.56 Die hier bestehende enge Verknüpfung des prozessualen Opferbegriffes mit dem materiellen Gehalt der Konven­ tionsrechte hat in der Vergangenheit regelmäßig dazu geführt, dass Umweltvereinigungen in umweltrelevanten Fällen eine eigene Verletzung nicht geltend machen und somit nicht als Beschwerdeführer auftreten konnten.57 Zwar lässt der EGMR auch weiterhin keine Popularklage zu.58 In jüngerer Zeit hat er jedoch eine Tendenz erkennen lassen, Umweltvereinigungen selbst dann eine Opfereigenschaft zuzusprechen, wenn diese nur öffentliche Interessen, nicht aber eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen können.59 Insoweit ist in der Tat eine Entwicklung zu erkennen, Umweltvereinigungen eine privilegierte Stellung zuzugestehen, wie dies auch im Rah55  J. Meyer-Ladewig / D. Renger, in: J. Meyer-Ladewig / M. Nettesheim / S. v. Raumer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 13 Rn. 2. 56  Siehe C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 13 Rn. 11, 16; R. Pavoni, Environmental Jurisprudence of the European and Inter-American Courts of Human Rights, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 (92). S. Theil, Der Umfang des Umweltschutzes in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, NuR 2014, 330 (333 f.). 57  C. Schall, Public Interest Litigation Concerning Environmental Matters before Human Rights Courts: A Promising Future Concept?, Journal of Environmental Law, 20:3 (2008), 417 (421 f.); F. Francioni, International Human Rights in an Environmental Horizon, EJIL (2010), 41 (50). Möglich bleibt hier nur die Vertretung Dritter, nicht aber die prozessstandschaftliche Geltendmachung fremder Rechte im eigenen Namen, siehe C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 13 Rn. 11. 58  C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6.  Aufl. 2016, § 13 Rn. 16. 59  So etwa in EGMR, Beschluss vom 12.05.2009  – 18215 / 06 (Greenpeace u. a. / Deutschland) und hierzu J. Meyer-Ladewig / A. Kulick, in: J. Meyer-Ladewig /  M. Nettesheim / S. v. von Raumer, Europäische Menschenrechtskonvention, 4. Aufl.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

men der Aarhus-Konvention geschieht und in diesem Rahmen auch noch ausführlich darzustellen sein wird. Wie die Vertragsstaaten die Durchsetzung der Konventionsrechte sicherstellen, ist ihnen im Grundsatz allerdings selbst überlassen.60 Die EMRK enthält keine Vorgaben dafür, wie die Konvention in das nationale Recht zu integrieren ist, insbesondere, mit welchem Geltungsrang. Entsprechend auch der Besonderheiten der jeweiligen nationalen Rechtsordnungen wurden in den Vertragsstaaten verschiedene Wege beschritten, um der EMRK auch national Geltung und Wirksamkeit zu verleihen.61 Für Deutschland geht das Bundesverfassungsgericht aufgrund der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grund­ gesetzes davon aus, dass auch Fachgerichte die Garantien der mit dem Rang eines einfachen Bundesgesetzes in das deutsche Recht integrierten EMRK62 und die Rechtsprechung des EGMR im Rahmen des methodisch Vertretbaren im Wege einer konventionskonformen Auslegung des einfachen aber auch des Verfassungsrechts63 zu berücksichtigen haben.64 Eine Verpflichtung zu einer so weitgehenden Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR folgt nicht bereits aus Art. 46 Abs. 1 EMRK, der die Urteile des Gerichtshofs nur in den zeitlichen, personellen und sachlichen Grenzen des Streitgegenstands für verbindlich erklärt.65 In personeller Hinsicht wirken die Entscheidungen deshalb nur zwischen den am Verfahren Beteiligten. Regelmäßig beschränkt sich der Gerichtshof zudem auf die Feststellung eines Konven­ tionsverstoßes. Nur in Einzelfällen spricht er eine konkrete Verpflichtung der Staaten zu bestimmten Abhilfehandlungen, häufiger die Verpflichtung zur 2017, Art. 34, Rn. 25; K. Braig, Umweltschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013, S. 224 f. m. w. N. 60  Vgl. dagegen zur Doktrin des IACtHR der sog. „conventionality control“ im inter-amerikanischen Menschenrechtssystem unten: Zweiter Teil, C. II. 2. a). 61  Vgl. R. Cammareri, Die Bedeutung der EMRK und der Urteile des EGMR für die nationalen Gerichte, JuS 2016, 791 (791); C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 3 Rn. 1 ff. 62  So die ganz überwiegende Ansicht, vgl. BVerfGE 128, 326 (367 ff.)  – Sicherungsverwahrung; J. Meyer-Ladewig / M. Nettesheim, in: dies. / S. v. Raumer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Einleitung Rn. 18; H. Sauer, Die neue Schlagkraft der gemeineuropäischen Grundrechtsjudikatur, ZaörV 2005, 35 (38). 63  Mit der Einschränkung, dass dies nicht zu einer von der Konvention nicht gewollten Einschränkung des Grundrechtsschutzes führt, BVerfGE 128, 326 (367). 64  Vgl. BVerfGE 111, 307 (317)  – Görgülü; BVerfGE 128, 326 (367)  – Sicherungsverwahrung; sowie P. Kunig, in: W. Graf Vitzthum / A. Proelß, Völkerrecht, 7. Aufl. 2016, Zweiter Abschnitt, Rn. 186 m. w. N.; eingehend auch zu den Grenzen der Berücksichtigungspflicht R. Cammareri, Die Bedeutung der EMRK und der Urteile des EGMR für die nationalen Gerichte, JuS 2016, 791 (792 ff.). 65  J. Meyer-Ladewig / K. Brunozzi, in: J. Meyer-Ladewig / M. Nettesheim / S. v. Raumer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 46 Rn. 13.



A. Schutz mittels klassischer Menschenrechte173

Leistung einer gerechten Entschädigung gem. Art. 41 EMRK aus.66 Die für den jeweiligen Mitgliedstaat aus einer Entscheidung erwachsende Verpflichtung ist auch deshalb nicht immer eindeutig zu bestimmen. Klar ist, die Pflicht umfasst sowohl individuelle als auch allgemeine Maßnahmen, die in der jeweiligen nationalen Rechtsordnung zur Beseitigung der Verletzung zu treffen sind. Bei der Wahl der Mittel kommt dem Mitgliedstaat im Grundsatz jedoch ein Spielraum zu.67 Basiert die Verletzung unmittelbar auf einer nationalen Vorschrift, kann der Staat aufgrund der Rechtswirkung des Art. 46 Abs. 1 EMRK gezwungen sein, seine Gesetze zu ändern, sofern die Konventionsverletzung nicht auf anderem Wege, insbesondere einer konventions­ konformen Auslegung des betreffenden Gesetzes, möglich ist.68 Wurde die Rechtsverletzung erst durch einen Umsetzungsakt, insbesondere ein Urteil oder einen Verwaltungsakt herbeigeführt, so sind deren Folgen im Rahmen von Wiederaufnahmeverfahren69 bzw. durch Rücknahme der jeweiligen Verwaltungshandlung zu beseitigen, soweit dies durch das nationale Prozessrecht zugelassen ist. Während die vorgenannten Rechtsfolgen der Urteile des EGMR auf den Rechtsschutz im Einzelfall zugeschnitten sind, entnimmt der Gerichtshof zur Effektuierung seiner Rechtsprechung seinen Entscheidungen auch Verpflichtungen zur Änderung der nationalen Rechtsordnungen, die nicht mehr auf den Einzelfall bezogen sind, sondern über diesen hinausweisen. Nicht nur geht der EGMR von einer Verpflichtung gem. Art. 1 EMRK aus, wonach der am Verfahren beteiligte Staat auch Maßnahmen zu ergreifen hat, um künftige

66  R. Cammareri, Die Bedeutung der EMRK und der Urteile des EGMR für die nationalen Gerichte, JuS 2016, 791 (792); J. Meyer-Ladewig / K. Brunozzi, in: J. Meyer-Ladewig / M. Nettesheim / S. v. Raumer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 46 Rn. 4. 67  R. Cammareri, Die Bedeutung der EMRK und der Urteile des EGMR für die nationalen Gerichte, JuS 2016, 791 (792). 68  J. Meyer-Ladewig / K. Brunozzi, in: J. Meyer-Ladewig / M. Nettesheim / S. v. Raumer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 46 Rn. 30. Damit nicht zu verwechseln ist die Konstellation, in der die Rechtsverletzung nicht von der Norm selbst ausgeht, sondern erst von einem diese konkretisierenden Einzelakt. Zwingt die Rechtsnorm aber zu dessen Erlass und kann einer Konventionsverletzung in zukünftigen Fällen auch nicht durch eine konventionskonforme Auslegung abgeholfen werden, so muss auch in diesem Fall eine Rechtsänderung erfolgen. Diese Pflicht folgt dann aber nicht aus Art. 46, sondern aus Art. 1 EMRK, J. Meyer-Ladewig / Brunozzi, a. a. O., Art. 46 Rn. 30. Hierzu sogleich. 69  Urteilen des EGMR fehlt die Gestaltungswirkung. Auch sind die Mitgliedstaaten nicht berechtigt, die Urteile unmittelbar aufzuheben und damit die Rechtskraft von Entscheidungen der unabhängigen Justiz zu durchbrechen. Eine Aufhebung ist deshalb nur im Rahmen von Wiederaufnahmeverfahren möglich, J. Meyer-Ladewig /  K. Brunozzi, in: J. Meyer-Ladewig / M. Nettesheim / S. v. Raumer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 46 Rn. 27.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Konventionsverletzungen in gleichgelagerten Fällen zu verhindern.70 Auch dies kann ggf. Gesetzesänderungen erforderlich machen.71 In personeller Hinsicht über den Streitgegenstand seiner Entscheidungen hinausgehend erkennt der EGMR seinen Urteilen zudem auf Grundlage von Art. 1 EMRK72 die Verpflichtungswirkung zu, dass auch nicht an dem Verfahren beteiligte Mitgliedstaaten und drittbeteiligte Staaten73 die Konventionsrechte in der Auslegung zu gewährleisten haben, die sie in der Rechtsprechung des EGMR erlangt haben und die insoweit den aktuellen Entwicklungsstand der Konvention widerspiegelt. Dies gilt zumindest für eine ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs, bei der nicht zu erwarten ist, dass der Gerichtshof in einem künftigen Verfahren gegenüber dem Drittstaat hiervon abweichen wird.74 Für die vorliegende Untersuchung bedeutet dies: Trotz der bei diesem Vorgehen unvermeidlichen Schwierigkeiten, den oft sehr fallbezogenen Entscheidungen des Gerichtshofs eindeutige Folgerungen zu entnehmen,75 erwächst gerade hieraus eine starke Leitfunktion der EMRK für die nationalen Rechtsordnungen sowie die Fähigkeit über den Einzelfall hinaus Maßstäbe zu entwickeln, die gerade auf die abstrakt-generelle Regelung des Umgangs mit der biologischen Vielfalt Einfluss nimmt.76

70  J. Meyer-Ladewig / K. Brunozzi, in: J. Meyer-Ladewig / M. Nettesheim / S. v. Raumer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 46 Rn. 30 für die Änderung von Gesetzen. 71  Diese Pflicht übersieht C. Schall, Public Interest Litigation Concerning Environmental Matters before Human Rights Courts: A Promising Future Concept?, Journal of Environmental Law, 20:3 (2008), 417 (445), wenn er eine Stärkung des nationalen umweltrechtlichen Rahmens durch Prozessführung vor Menschenrechtsgerichtshöfen nicht für möglich hält, nur weil hieraus keine unmittelbare Änderung nationalen Rechts folgt. 72  Zur Verankerung der Pflicht in Art. 1 EMRK J. Meyer-Ladewig / K. Brunozzi, in: J. Meyer-Ladewig / M. Nettesheim / S. v. Raumer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 46 Rn. 16 ff.; C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 16 Rn. 8: „Sie ist damit Teil der allgemeinen, durch den EGMR konkretisierten Konventionswirkung“. 73  Die Möglichkeit der Beteiligung von Drittstaaten, d. h. nicht durch den jeweiligen verfahrenseinleitenden Antrag zum Beteiligten gemachte Mitgliedstaaten, ergibt sich aus Art. 36 Abs. 1 und 2 EMRK. 74  J. Meyer-Ladewig / K. Brunozzi, in: J. Meyer-Ladewig / M. Nettesheim / S. v. Rau­mer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 46 Rn. 17. 75  N. de Sadeleer, Enforcing EUCHR Principles and Fundamental Rights in Environmental Cases, Nordic Journal of International Law 81 (2012), 39 (62). 76  Zur insoweit vorhandenen Orientierungs- und Leitfunktion der Rechtsprechung des EGMR siehe BVerwfGE 128, 326 (367); R. Cammareri, Die Bedeutung der EMRK und der Urteile des EGMR für die nationalen Gerichte, JuS 2016, 791 (792); C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 16 Rn. 8.



A. Schutz mittels klassischer Menschenrechte175

Jüngere Entscheidungen des Gerichtshofs zeigen zudem, dass der Gerichtshof noch um eine weitergehende Effektuierung seiner Rechtsprechung bemüht ist.77 Dabei beschränkt der Gerichtshof das Ermessen der Vertragsstaaten bei der Umsetzung der Entscheidungen des EGMR so weitreichend durch die Anordnung konkreter Maßnahmen,78 dass so quasi eine unmittelbare Wirkung der Urteile im nationalen Recht erzielt wird.79 Diese Tendenz des Gerichtshofs scheint keineswegs auf Fälle schwerster Menschenrechtsverletzungen beschränkt zu sein80 und birgt gerade auch deshalb erhebliches Potential für eine nachhaltige Veränderung des durch die EMRK konstituierten Verhältnisses zwischen Mitgliedstaaten, Ministerkomitee und Gerichtshof. Ob der Gerichtshof damit vor allem eine Hierarchisierung schafft und sich selbst an deren oberste Position setzt oder doch nur eine neue Ausbalancierung der Gewaltenteilung auch zur Stärkung der nationalen Ebene als Ebene der Durchsetzung der Konvention anstrebt,81 ist dabei noch keinesfalls geklärt. Wie dem auch sei, die Vertragsstaaten, die diese Rechtsprechung äußerst kritisch sehen dürften, haben bereits zuletzt im 15. Zusatzprotokoll mit einer expliziten Nennung des Subsidiaritätsprinzips sowie der Festschreibung der Doktrin über den Einschätzungsspielraum der Staaten in der Präambel einen deutlichen Widerstand gegen die weitere Ausweitung von Rechtsprechungsbefugnissen des EGMR zulasten der souveränen Rechte der Mitgliedstaaten zu erkennen gegeben.82

77  Dies ist auch als Reaktion des Gerichtshofs auf strukturelle Defizite der Umsetzung der EMRK und der daraus folgenden Belastung des EGMR mit Klagen Einzelner zu sehen, J. Jahn, Ruling (In)directly through Individual Measures?, ZaöRV 74 (2014), 1 (2). 78  Dies stellt eine zumindest relative Abkehr der hierbei durch den EGMR seit Marckx gegen Belgien geübten Zurückhaltung dar, vgl. EGMR, Urteil vom 13.06.1979 – 6833 / 74, Rn. 58. 79  J. Jahn, Ruling (In)directly through Individual Measures?, ZaöRV 74 (2014), 1 (11). 80  Siehe die Entscheidung EGMR, Urteil vom 30.06.2009  – 32772 / 02 (Verein gegen Tierfabriken Schweiz (VgT) gegen Schweiz), Rn. 90. Zu den weiteren in diese Richtung weisenden Entscheidungen siehe J. Jahn, Ruling (In)directly through Individual Measures?, ZaöRV 74 (2014), 1 (5 ff.). 81  So die Gegenthese bei J. Jahn, Ruling (In)directly through Individual Measures?, ZaöRV 74 (2014), 1 (3, 17 ff.). 82  Vgl. Brighton Declaration, CDDH(2012)007 Rz. 3, 11 f.; 15. Zusatzprotokoll zur EMRK, Council of Europe Treaty Series No. 213, Art. 1; Vgl. hierzu auch die Stellungnahme des EGMR vom 06.02.2013, Opinion of the Court on Draft Protocol No. 15 to the European Convention on Human Rights.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

III. Die evolutive und extensive Auslegung der Konventionsbestimmungen Für einen subjektiv-rechtlichen Ansatz zur interpretatorischen Gewinnung von Schutzgehalten zugunsten der biologischen Vielfalt und ihrer Bestandteile aus klassischen Menschenrechten ist die durch den EGMR zugrunde gelegte Auslegungsmethode von herausragender Bedeutung.83 Sie bestimmt über die Möglichkeit eines solchen Ansatzes und begrenzt ihn zugleich. Um den Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht zu überschreiten, soll hier nicht die Methode des EGMR im Detail untersucht werden. Die Betrachtung bleibt vielmehr auf das methodische Prinzip der evolutiven und extensiven Auslegung beschränkt. Dieses wird in schon existierenden Studien auch als ein Eckpfeiler der umweltrelevanten Rechtsprechung des EGMR bezeichnet.84 Sie steht in enger Verbindung mit den Prinzipien der autonomen Auslegung von Konventionsbegriffen einerseits und der Doktrin vom Einschätzungsspielraum der Staaten andererseits.85

83  M. Burbergs, How the right to respect for private and family life, home and correspondence became the nursery in which new rights are born, in: E. Brems / J. H. Gerards, Shaping rights in the ECHR, 2013, 315 (316); A. Mowbray, Between the will of the Contracting Parties and the needs of today, in: E. Brems / J. Gerards, Shaping rights in the ECHR, 2013, 17 (35). Auch die von verschiedenen Autoren als zentral erblickten positiven Verpflichtungen der Staaten wären ohne die Methodik einer evolutiven und extensiven Auslegung der Konvention dieser nicht enommen worden. Es handelt sich um insoweit typische Anwendungsbeispiele der hier in den Mittelpunkt gestellten Methodik des EGMR. Vgl. H. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in Environmental Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (86) sowie ausführlich K. Braig, Umweltschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013, 201 ff. 84  H. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in Environmental Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (86); R. Pavoni, Environmental Jurisprudence of the European and Inter-American Courts of Human Rights, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 (70); C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 5 Rn. 15 f.; F. C. Mayer, in: ders. / U. Karpenstein, EMRK, 2. Aufl. 2015, Einleitung Rn. 47, 49. Der EGMR selbst hat sein methodisches Vorgehen ausführlich dargestellt und zusammengefasst in EGMR, Urteil vom 12.11.2008 – 34503 / 97 (Demir u. Baykara / Türkei), Rn. 65–86. Hierzu C. Walter, Der internationale Menschenrechtsschutz zwischen Konstitutionalisierung und Fragmentierung, ZaöRV 2015, 753 (762 ff.). 85  Y. Arai-Takahashi, The margin of appreciation doctrine: a theoretical analysis of Strasbourg’s variable geometry, in: A. Føllesdal / B. Peters / G. Ulfstein, Constituting Europe: The European Court of Human Rights in a National, European and Global Context, 2013, 62 (87 ff.). Ausführlich zu dieser Doktrin unten: Zweiter Teil, A. IV. 2. a).



A. Schutz mittels klassischer Menschenrechte177

Die Entscheidung des EGMR für die Anwendung einer evolutiven und extensiven Auslegung der Bestimmungen der EMRK stellt eine Entscheidung gegen absolute Wortlauttreue86 und gegen die Maßgeblichkeit der Vorstellungen der Schöpfer der Konvention über den Bedeutungsgehalt der gewährleisteten Rechte dar.87 Sie baut auf der Vorstellung von dem Vertragswerk als „lebendigem Organismus“ auf, wie sie häufig in konstitutionellen Debatten vertreten wird.88 Diese Vorstellung kann als Antwort auf die Herausforderung verstanden werden, welche die stete Veränderung menschlichen Zusammenlebens für die Geltungskraft von Rechtsnormen birgt. Ziel ist die Gewährleistung eines effektiven, d. h. praktisch wirksamen, nicht lediglich theoretischen Menschenrechtsschutzes.89 Die Vorstellung eines lebendigen Organismus führt in methodischer Hinsicht zur Bereitschaft, eine Anpassung der recht­ lichen Grundlagen im Wege der Auslegung ihres Bedeutungsgehaltes vorzunehmen, der so von ihren ursprünglichen Schöpfern nicht beabsichtigt war, in seinen Konsequenzen aber auch weder abgesehen wurde noch abgesehen werden konnte.90 In institutioneller Hinsicht lässt diese Methodik den EGMR 86  Anschauliches Beispiel für die Bedeutung dieser Aussage ist der Vergleich des Wortlauts von Art. 8 EMRK mit seinem durch den EGMR entwickelten Verständnis bei M. Burbergs, How the right to respect for private and family life, home and correspondence became the nursery in which new rights are born, in: E. Brems /  J. H. Gerards, Shaping rights in the ECHR, 2013, 315 (315 f.). 87  Angesichts der natürlicherweise unterschiedlichen Vorstellungen der Schöpfer der Konvention ist eine eindeutige Bestimmung anhand nur dieser Methode in vielen Fällen ohnehin kaum möglich. Vgl. nur zu den verschiedenen Ansichten über den Zweck der Konvention A. Mowbray, Between the will of the Contracting Parties and the needs of today, in: E. Brems / J. H. Gerards, Shaping rights in the ECHR, 2013, 17 (19 f.); G. Letsas, The ECHR as a living instrument: its meaning and legitimacy, in: A. Føllesdal / B. Peters / G. Ulfstein, Constituting Europe: The European Court of Human Rights in a National, European and Global Context, 2013, 106 (122 f.). 88  G. Letsas, The ECHR as a living instrument: its meaning and legitimacy, in: A. Føllesdal / B. Peters / G. Ulfstein, Constituting Europe: The European Court of Human Rights in a National, European and Global Context, 2013, 106 (106); M. Burbergs, How the right to respect for private and family life, home and correspondence became the nursery in which new rights are born, in: E. Brems / J. H. Gerards, Shaping rights in the ECHR, 2013, 315 (319); J. Meyer-Ladewig / M. Nettesheim, in: dies. / S. von Raumer, Europäische Menschenrechtskonvention, 4. Aufl. 2017, Einleitung Rn. 24; C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 5 Rn. 15 ff.; F. C. Mayer, in: ders. / U. Karpenstein, EMRK, 2. Aufl. 2015, Einleitung Rn. 47. Zur Rechtfertigung der Weiterbildung des Rechts in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts siehe BVerfGE 34, 269 (287)  – Soraya sowie R. Zippelius, Juristische Methodenlehre, 11. Aufl. 2012, § 13 S. 68. 89  EGMR, Urteil vom 16.11.2004  – 4143 / 02 (Moreno Gomez / Spanien), Rn. 56; F. C. Mayer, in: ders. / U. Karpenstein, EMRK, 2. Aufl. 2015, Einleitung Rn. 48. 90  G. Letsas, The ECHR as a living instrument: its meaning and legitimacy, in: A. Føllesdal / B. Peters / G. Ulfstein, Constituting Europe: The European Court of ­Human Rights in a national, European and Global Context, 2013, 106 (106); stellte

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

zu einem Verdichter und Beschleuniger der europäischen Grundrechtsentwicklung werden.91 Die Befugnis für die häufig sehr weit gehende und mitunter die Grenze richterlicher Befugnisse berührende Rechtsfortbildung entnimmt der EGMR der Präambel zur EMRK, die auf das Ziel des Europarates, „eine engere Verbindung zwischen seinen Mitgliedern herzustellen“, Bezug nimmt und als hierfür zulässiges Mittel die „Wahrung und Fortentwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten“ benennt.92 Wenn der EGMR sich auch bereits frühzeitig zu diesem methodischen Prinzip bekannt hat,93 so ist doch auch ein Wandel in dessen Handhabung festzustellen,94 der in der umwelt- und damit auch hier relevanten Rechtsprechung des EGMR sich deutlich widerspiegelt und diese prägt. Während der Gerichtshof sich schon früh für die Berücksichtigung gegenwärtiger Standards für staatliches Handeln öffnete und sich hierfür auf die allgemeine Auslegungsregel des Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVK berief,95 so legte er zunächst gleichwohl ein hohes Gewicht auf den Nachweis gemeinsamer und geteilter Werte unter den Mitgliedstaaten der Konvention zur Rechtfertigung der Fortenwicklung des Bedeutungsgehalts ihrer Gewährleistungen – ohne freilich festzulegen, welchen Grades an Gemeinsamkeit es hier bedurfte. Auf die in den konkret im Verfahren betroffenen Staaten vorherrschenden Auffassungen wurde damit schon hier nur geringes Gewicht gelegt und die Berücksichtigung von Standards und Trends in anderen Mitgliedstaaten geradezu als Gegengewicht zu deren rechtlich-moralischen Vorstellungen eingesetzt. Konnte der Gerichtshof keine gemeinsamen Werte in den Mitgliedstaaten feststellen, so führte dies regelmäßig zur Anerkennung eines weiten Einder Gerichtshof dagegen fest, dass Gewährleistungen bewusst aus der Konvention augeklammert wurden, so respektierte dies der Gerichtshof in der Regel auch, M. Burbergs, How the right to respect for private and family life, home and correspondence became the nursery in which new rights are born, in: E. Brems / J. H. Gerards, Shaping rights in the ECHR, 2013, 315 (321) mit Verweis auf ebenso existente Ausnahmen zu dieser Regel. 91  C. Walter, Grundlagen und Rahmenbedingungen für die Steuerungskraft des Völkerrechts, ZaöRV 2016, 363 (375). 92  C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6.  Aufl. 2016, § 5 Rn. 14; F. C. Mayer, in: ders. / U. Karpenstein, EMRK, 2. Aufl. 2015, Einleitung Rn. 50. 93  G. Letsas, The ECHR as a living instrument: its meaning and legitimacy, in: A. Føllesdal / B. Peters / G. Ulfstein, Constituting Europe: The European Court of Human Rights in a National, European and Global Context, 2013, 106 (112). 94  G. Letsas, The ECHR as a living instrument: its meaning and legitimacy, in: A. Føllesdal / B. Peters / G. Ulfstein, Constituting Europe: The European Court of Human Rights in a National, European and Global Context, 2013, 106 (116). 95  EGMR, Urteil vom 12.11.2008 – 34503 / 97 (Demir u. Baykara / Türkei), Rn. 67 m. w. N.



A. Schutz mittels klassischer Menschenrechte

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schätzungsspielraums des konkret betroffenen Staates in der streitigen Frage und eine Verletzung der Konvention wurde zumeist abgelehnt.96 In neuerer Zeit kam der Frage nach den gemeinsamen Standards der Mitgliedstaaten jedoch für die Rechtfertigung evolutiver Auslegung immer geringeres Gewicht zu. Vielmehr verließ der Gerichtshof zunehmend den Rahmen der Konvention und ihrer Mitgliedstaaten und bezog in seine Betrachtung Entwicklungen und Trends auch des allgemeinen Völkerrechts ein.97 Diese sucht der Gerichtshof in einschlägigen internationalen Verträgen, allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts i. S. v. Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH-Statut, in den Prinzipien universell gültiger Völkerrechtsinstrumente, nicht verbindlichen Instrumenten des Europarats und auch völkerrechtlichen Regeln und Prinzipien, die den Hintergrund der konkreten Rechtsfrage bilden, soweit diese von einer großen Mehrheit der Weltgemeinschaft oder auch nur der europäischen Staaten98 anerkannt werden.99 Dies erlaubt dem EGMR gerade auch in seiner umweltrelevanten Rechtsprechung die Einbeziehung von Entwicklungen im universellen und regionalen Umweltvölkerrecht.100 Dabei ist für die Feststellung eines Trends zur Rechtfertigung der Weiterentwicklung der Rechtsprechung aus Sicht des EGMR offenkundig nicht erforderlich – wenn auch von Bedeutung – ob der jeweils konkret betroffene Staat sich der betrachteten völkerrechtlichen Entwicklung förmlich unterworfen hat oder dass es sich überhaupt um eine rechtlich verbindliche Völkerrechtsnorm und nicht um 96  Vgl. auch A. Mowbray, Between the will of the Contracting Parties and the needs of today, in: E. Brems / J. H. Gerards, Shaping rights in the ECHR, 2013, 17 (35). Umgekehrt sah sich der Gerichtshof bei Feststellung gemeinsamer Grundsätze zur Vornahme einer evolutiven Auslegung legitimiert, Y. Arai-Takahashi, The margin of appreciation doctrine: a theoretical analysis of Strasbourg’s variable geometry, in: A. Føllesdal / B. Peters / G. Ulfstein, Constituting Europe: The European Court of Human Rights in a National, European and Global Context, 2013, 62 (89). 97  M. Burbergs, How the right to respect for private and family life, home and correspondence became the nursery in which new rights are born, in: E. Brems / J. H. Gerards, Shaping rights in the ECHR, 2013, 315 (319 f.), der aber unspezifisch von „internationalen Trends“ spricht; kritisch C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 5 Rn. 13. Siehe im Einzelnen EGMR, Urteil vom 12.11.2008 – 34503 / 97 (Demir u. Baykara gegen Türkei), Rn. 67 ff. und insbesondere Rn. 86, wonach es dem Gerichtshof darum geht, einen „common ground in modern societies“ als Grundlage seiner Interpretation von Vorschriften der EMRK zu ermitteln. 98  Nicht eindeutig geht daraus hervor, ob damit die Vertragsstaaten der EMRK gemeint sind, was aber nahe liegt. 99  Siehe EGMR, Urteil vom 12.11.2008  – 34503 / 97 (Demir u. Baykara / Türkei), Rn. 69–76. 100  Siehe insbesondere die Entscheidungen EGMR, Urteil vom 18.06.2002  – 48939 / 99 (Öneryildiz / Türkei), Rn. 59; EGMR, Urteil vom 10.11.2004  – 46117 / 99 (Tașkin u. a. / Türkei), Rn. 99; EGMR, Urteil vom 27.01.2009 – 67021 / 01 (Tătar / Rumänien), dort unter II. B.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

„soft law“ handelt.101 Während dies in anderen Gebieten der Rechtsprechung des EGMR dazu führt, dass das Gericht unter Verweis auf derlei Trends von einer Verringerung des Einschätzungsspielraums des jeweils betroffenen Staates ausgeht,102 wird die weitere Untersuchung zeigen, dass das Gericht im Bereich seiner umweltrelevanten Rechtsprechung durch die Schöpfung insbesondere prozeduraler Pflichten hier einen speziellen Weg eingeschlagen hat.103 Dabei wird zu zeigen sein, dass die Prozeduralisierung der staatlichen Pflichten im Umweltbereich, deren Erfüllung ihrerseits in gewisser Weise die Handhabung des jeweils gewährten Einschätzungsspielraums der Staaten dirigiert,104 scheinbar (derzeit) eine Grenze für die evolutive Auslegung von Konventionsnormen zugunsten der Umwelt und auch der biologischen Vielfalt bildet und der Gerichtshof im Gegenzug auf die Fortentwicklung materieller Schutzstandards weitgehend verzichtet.

IV. (Un-)Mittelbarer Schutz biologischer Vielfalt durch die EMRK Zu klären ist danach, inwieweit der EGMR im Wege einer evolutiven und extensiven Auslegung der Konventionsbestimmungen tatsächlich eine „ökologische Tönung“ der EMRK vorgenommen und jedenfalls einen mittelbarrechtlichen Schutz biologischer Vielfalt bzw. einzelner ihrer Bestandteile begründet hat, den auch die Vertragsstaaten innerhalb der nationalen Rechtsordnungen umzusetzen haben und auf deren Wahrung sich Einzelne vor den nationalen Gerichten sowie – subsidiär – vor dem EGMR berufen können. In der umweltrelevanten Rechtsprechung des EGMR sind bislang insbesondere die Garantien der Art. 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens), 2 (Recht auf Leben), mehr am Rande auch des Art. 1 des ersten 101  Siehe die Verweise des EGMR auf die Aarhus-Konvention einerseits in EGMR, Urteil vom 10.11.2004 – 46117 / 99 (Tașkin u. a. / Türkei), Rn. 99; EGMR, Urteil vom 27.01.2009 – 67021 / 01 (Tătar / Rumänien), Rn. 118 sowie den Verweis in der zuletzt genannten Entscheidung auch auf die Erklärungen von Stockholm und Rio unter II.; ausdrücklich auch im hier genannten Sinne EGMR, Urteil vom 12.11.2008  – 34503 / 97 (Demir u. Baykara / Türkei), Rn. 78 ff. Vgl. hierzu G. Letsas, The ECHR as a living instrument: its meaning and legitimacy, in: A. Føllesdal / B. Peters / G. Ulfstein, Constituting Europe: The European Court of Human Rights in a National, European and Global Context, 2013, 106 (117 f.); C. Walter, Grundlagen und Rahmenbedingungen für die Steuerungskraft des Völkerrechts, ZaöRV 2016, 363 (375). 102  G. Letsas, The ECHR as a living instrument: its meaning and legitimacy, in: A. Føllesdal / B. Peters / G. Ulfstein, Constituting Europe: The European Court of Human Rights in a National, European and Global Context, 2013, 106 (119). 103  Siehe hierzu unten: Zweiter Teil, A. IV. 2. c). 104  Siehe hierzu unten: Zweiter Teil, A. IV. 2. a).



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Zusatzprotokolls (Schutz des Eigentums), Art. 10 (Freiheit der Meinungsäußerung), Art. 6 (Recht auf ein faires Verfahren) und Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Beschwerde) relevant geworden.105 Da die Frage nach dem Schutz biologischer Vielfalt durch die EMRK einen Teilausschnitt dieser Thematik darstellt, konnte die Auswertung der Rechtsprechung des EGMR auf die genannten Normen beschränkt werden. Zunächst soll untersucht werden, welche Schutzbereiche überhaupt durch die Beeinträchtigung der biologischen Vielfalt mittelbar betroffen sein können [1. a)–d)], wobei hierfür auch darauf geschaut wird, inwieweit Schutzgehalte gegen die typischen Ursachen für den Verlust biologischer Vielfalt bestehen.106 Im Anschluss sollen die durch den EGMR entwickelten umweltrelevanten Pflichten näher betrachtet (2.) und der bewirkte Schutz biologischer Vielfalt eingeschätzt werden (3.). 1. Schutzbereichseröffnung Für die Staaten können überhaupt nur dann bestimmte Pflichten aus den Vorschriften der EMRK zum Schutz biologischer Vielfalt erwachsen, wenn überhaupt einzelne Garantien Schutzgehalte aufweisen, die durch die Beeinträchtigung biologischer Vielfalt aktiviert werden können und so den Schutz der Konvention eröffnen. a) Art. 8 und Art. 2 EMRK Wegen des Fehlens einer Konventionsgarantie zum Schutz der mensch­ lichen Gesundheit, anhand derer etwa in Deutschland die verfassungsrecht­ liche Diskussion um mögliche Schutzpflichten des Staates gegen Umweltveränderungen geführt wurde und teilweise noch wird,107 steht im Zentrum der umweltrelevanten Rechtsprechung des EGMR das Recht auf Privat- und 105  Anders als in der noch darzustellenden Rechtsprechung des IACtHR hat der EGMR keine Rechte von Minderheiten in einem spezifisch umweltrechtlichen Sinne kreiert, vgl. F. Cittadino, Public Interest to Environmental Protection and Indigenous Peoples’ Rights; in: E. J. Lohse / M. Poto, Participatory Rights in the Environmental Decision-Making Process and the Implementation of the Aarhus Convention, 2015, 75 (80) sowie EGMR, Urteil vom 29.08.1990 – 11701 / 85 (G. and E. gegen Norway) und EGMR, Urteil vom 18.01.2005  – 42969 / 98 (Johtti Sapmelaccat Ry u. a. / Finnland); EGMR, Entscheidung vom 25.05.2000  – 46346 / 99 (Günther Noack u. a. /  Deutschland). 106  Vgl. zu diesen Ursachen für den Verlust biologischer Vielfalt bereits oben: Erster Teil, A. III. 107  Hierzu bereits oben: Erster Teil, B. I. 1.

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­ amilienleben gem. Art. 8 EMRK.108 Dem Recht auf Leben gem. Art. 2 F EMRK kommt demgegenüber nur untergeordnete Bedeutung zu. aa) Persönlicher Anwendungsbereich Berechtigt werden durch die Garantien zunächst alle natürlichen Personen, die der Hoheitsgewalt der Vertragsstaaten unterstehen.109 Auf die Staatsangehörigkeit der Personen, einen ständigen Aufenthalt oder gar Wohnort im jeweiligen Staat kommt es nicht an.110 Juristische Personen können sich auf die Garantien des Art. 8 und Art. 2 EMRK ihrem Wesen nach nicht berufen.111 Über die auch prozessuale Anforderung der Opfereigenschaft nach Art. 34 EMRK konnten in der Vergangenheit deshalb auch auf diese Rechte gestützte Individualbeschwerden durch Nichtregierungsorganisationen wie Umweltvereinigungen, jedenfalls soweit sie altruistisch und nicht etwa als Opfervereinigung auftraten,112 nicht in zulässiger Weise erhoben werden.113 Verpflichtet werden durch die Garantien der Art. 2 und 8 EMRK die Vertragsstaaten der Konvention im Rahmen ihrer Hoheitsgewalt.114 bb) Schutzgüter und sachlicher Gewährleistungsbereich Die hohe Bedeutung von Art. 8 EMRK für den Umweltbereich überrascht zunächst angesichts der Schutzgüter des Art. 8 EMRK. Art. 8 EMRK umfasst seinem Wortlaut nach das Privat- und Familienleben, die Wohnung und die Korrespondenz einer jeden Person. Es enthält mithin vier voneinander ver108  Vgl. auch A. Peters / T. Altwicker, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 2012, § 26 Rn. 25 ff. 109  C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 17 Rn. 1. 110  C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 17 Rn. 2. 111  C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 17 Rn. 5. 112  Zur Anerkennung einer Vereinigung von Betroffenen durch den EGMR S. Theil, Der Umfang des Umweltschutzes in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, NuR 2014, 330 (334). 113  So bezogen auf Gewährleistungen nach Art. 8 EMRK N. de Sadeleer, Enforc­ ing EUCHR Principles and Fundamental Rights in Environmental Cases, Nordic Journal of International Law 81 (2012), 39 (65). Zu Anhaltspunkten dafür, dass der EGMR in einer neueren Entscheidung möglicherweise hiervon ein Stück weit abgerückt ist siehe bereits oben: Zweiter Teil, A. II. 114  C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 17 Rn. 6.



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schiedene, aber sich überschneidende Garantien,115 von denen in der umweltrelevanten Rechtsprechung bislang nur die ersten drei Schutzgehalte relevant geworden sind und hier in den Blick genommen werden sollen.116 In den anerkannten Ausprägungen ihrer Gewährleistungsbereiche weisen die Schutzgüter zunächst kaum einen erkennbaren Bezug zu Veränderungen der Natur auf. Mit dem Privatleben wird die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Berechtigten geschützt. Die Gewährleistung lässt sich weiter untergliedern – wobei eine abschließende Bezeichnung der einzelnen Schutzgehalte nicht möglich ist117  – in ein durch Art. 8 Abs. 1 vermitteltes Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper, den Schutz der Privatsphäre, den Schutz der freien Gestaltung der persönlichen Lebensführung118 und auch die informationelle Selbstbestimmung119. Der Schutz des Familienlebens umfasst insbesondere das Recht der Familienmitglieder, ein gemeinsames Leben zu führen oder zumindest die persönlichen Kontakte zueinander zu halten.120 Am ehesten scheint der Schutz der Wohnung durch Veränderungen der Umwelt aktivierbar. Er kommt sowohl Mietern als auch Eigentümern von Wohnungen zugute. Da die Garantie die Wohnung121 als Ort des Familienlebens122 erfasst, werden hier gewissermaßen die Schutzgüter der Wohnung und des Familienlebens – letzteres in seiner räumlichen Dimension – mitei­ nander verknüpft. In den umweltrelevanten Fällen des EGMR unterbleibt jedoch häufig eine exakte Zuordnung von Beeinträchtigungen zu einem bestimmten Schutzgut von Art. 8.123 Geschützt wird die Wohnung dabei nicht nur als räumlich umgrenzter Bereich, sondern auch der ungestörte Besitz daran.124 115  C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 22 Rn. 5. 116  Da Beeinträchtigungen der Korrespondenz einer Person mittels Telefon, Briefen oder E-Mails durch einen Verlust biologischer Vielfalt fernliegend sind, konnte dieser Schutzgehalt auch vorliegend außer Betracht bleiben. 117  J. Pätzold, in: C. Mayer / U. Karpenstein, EMRK, 2. Aufl. 2015, Art. 8 Rn. 5. 118  C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 22 Rn. 6. 119  J. Pätzold, in: C. Mayer / U. Karpenstein, EMRK, 2. Aufl. 2015, Art. 8 Rn. 24. 120  J. Pätzold, in: C. Mayer / U. Karpenstein, EMRK, 2. Aufl. 2015, Art. 8 Rn. 52. 121  Auch Zweitwohnungen, in denen die Berechtigten eine gewisse Zeit verbringen oder zu denen die Betroffenen eine enge emotionale Verbindung haben und dieses als Heim erfahren, werden erfasst, vgl. EGMR, Urteil vom 31.07.2003 – 16219 / 90 (Demades / Türkei), bestätigt in: EGMR, Beschluss vom 26.02.2008 – 37664 / 04 (Fägerskiöld / Schweden). 122  J. Pätzold, in: C. Mayer / U. Karpenstein, EMRK, 2. Aufl. 2015, Art. 8 Rn. 57. 123  Urteil vom 09.12.1994  – 16798 / 90 (López Ostra / Spanien), Rn. 58 wo bspw. eine Abgrenzung des Rechts auf Wohnung und des Rechts auf Privat- und Familienleben unterbleibt. 124  EGMR, Urteil vom 16.11.2004 – 4143 / 02 (Moreno Gomez / Spanien), Rn. 53.

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Der Schutz richtet sich insoweit sowohl gegen körperliche als auch gegen unkörperliche Eingriffe wie Lärm, Emissionen, Gerüche oder andere Formen der Beeinträchtigung.125 Art. 2 Abs. 1 Satz 1 EMRK verbürgt seinerseits das Recht jedes Menschen auf Leben und dessen gesetzlichen Schutz. Satz 2 verbietet ausdrücklich die absichtliche Tötung eines Menschen, außer zur Vollstreckung eines Todesurteils, das ein Gericht wegen eines Verbrechens verhängt hat, für das die Todesstrafe gesetzlich vorgesehen ist.126 Art 2 Abs. 1 EMRK schützt mithin das menschliche Leben. Eine Garantie der körperlichen Unversehrtheit, wie sie Art. 2 Abs. 2 GG enthält, kennt die EMRK dagegen nicht. Wegen des bewussten Verzichts der Vertragsstaaten auf die Vereinbarung eines Schutzes vor reinen Gesundheitsschäden kann Art. 2 Abs. 1 S. 1 EMRK auch grundsätzlich nicht in einem solchen Sinne ausgelegt werden.127 Dieser soll Gesundheitsschäden lediglich dann erfassen, wenn sie durch Gewalt herbeigeführt wurden, die abstrakt dazu geeignet war, den Tod einer Person herbeizuführen und einem „Mordversuch“ gleichkam. Maßgeblich sollen Ausmaß und Absicht der Gewaltanwendung sein.128 Gerade diese Bestimmung des Schutzgutes von Art. 2 Abs. 1 S. 1 EMRK und sein nur schwach ausgeprägter Gewährleistungsgehalt gegen Gesundheitsschädigungen haben dazu geführt, dass umweltrelevante Entscheidungen des EGMR zumeist nicht auf diesen, sondern auf Art. 8 EMRK rekurrieren.129 Begründet dürfte dies auch 125  EGMR, Urteil vom 16.11.2004  – 4143 / 02 (Moreno Gomez / Spanien), Rn. 53, EGMR, Urteil vom 2.11.2006  – 59909 / 00 (Giacomelli / Italien), Rn. 76; EGMR, Urteil vom 03.07.2012  – 61654 / 08 (Martínez Martínez u. Pino Manzano / Spanien), Rn. 40; nach anderem Verständnis soll vor Umwelteinwirkungen nur das Schutzgut des Privat- und Familienlebens, nicht dagegen die Wohnung geschützt sein, EGMR, Urteil vom 09.06.2005  – 55723 / 00 (Fadeyeva / Russland), Sondervotum (concurring opinion) des Richters Kovler unter Bezugnahme auf das Sondervotum (dissenting opinion) der Richterin Greve in Hatton and Others v. the United Kingdom. 126  Vgl. aber zum Verbot der Todesstrafe Art. 1 und 2 6. ZP sowie das 13. ZP zur EMRK und hierzu C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 20 Rn. 10 f. 127  J. Meyer-Ladewig / B. Huber, in: J. Meyer-Ladewig / M. Nettesheim / S. v. Raumer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 2 Rn. 4 sowie 7 speziell für den Umweltbereich; soweit die Gesundheitsgefahren allerdings im privaten Bereich auftreten, werden sie vielfach durch Art. 8 EMRK erfasst, N. de Sadeleer, Enforcing EUCHR Principles and Fundamental Rights in Environmental Cases, Nordic Journal of International Law 81 (2012), 39 (65). 128  J. Meyer-Ladewig / B. Huber, in: J. Meyer-Ladewig / M. Nettesheim / S. v. Raumer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 2 Rn. 4. 129  Zum Auffangcharakter von Art. 8 in umweltrelevanten Fällen, K. Braig, Umweltschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013, S. 283 f.; Die Rechtsprechung ist hier aber nicht einheitlich. Vielfach unterbleibt zwar eine Prüfung auf der Grundlage von Art. 2 EMRK, wo der Gerichtshof bereits eine Verletzung von



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dadurch sein, dass der EGMR im Rahmen von Art. 2 EMRK seine „margin of appreciation“ Doktrin nicht anwendet,130 sodass er hier kaum die Möglichkeit zu flexiblen Lösungen besitzt, deren Notwendigkeit er in diesem Zusammenhang immer wieder betont.131 Eine Beeinträchtigung der Schutzgüter aus Art. 8 EMRK hat der Gerichtshof danach unter anderem im Falle von Umweltverschlechterungen aufgrund des Einsatzes von Sodium-Zyanid in einer Goldmine und die dadurch notwendig gewordener Umsiedlung von Menschen sowie deren vorausgegangener Belastung mit Lärm durch den Einsatz von Maschinen und Sprengstoff in dem Bergwerk angenommen.132 Ebenfalls als eröffnet sah der EGMR den Gewährleistungsbereich von Art. 8 im Falle von durch die Umweltbelastungen eines Stahlwerkes ausgelösten Gesundheitsschäden und der Beeinträch­ tigung des Wohlbefindens bei einer in der direkten Umgebung des Werkes lebenden Beschwerdeführerin,133 aufgrund direkter Beeinträchtigung von Art. 8 EMRK festgestellt hat, vgl. hierzu auch N. de Sadeleer, Enforcing EUCHR Principles and Fundamental Rights in Environmental Cases, Nordic Journal of International Law 81 (2012), 39 (62). Es finden sich aber auch Fälle, in denen der Gerichtshof nach Feststellung einer Verletzung von Art. 2 auf die Prüfung der Verletzung weiterer Garantien bzgl. desselben Tatbestandes verzichtet, vgl. EGMR, Urteil vom 18.06.2002  – 48939 / 99 (Öneryildiz / Türkei), Rn. 128; zur deutlich weitergehenderen Auslegung des Rechts auf Leben durch die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen hinsichtlich der Bestimmung des Gehalts von Art. 6 des Paktes über bürgerliche und politische Rechte vgl. H. Veinla, Precautionary Environmental Protection and Human Rights, Juridica International 2007, 91 (92) sowie UN Doc CCPR / C /  SR.222, para 59. 130  Diese fand bislang nur für Garantien der EMRK Anwendung, deren Beschränkung explizit im Vertragstext zugelassen wird, vgl. H. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in Environmental Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (86). Zum durch den EGMR gewährten „Einschätzungsspielraum“ der Staaten siehe unten: Zweiter Teil, A. IV. 2. a). 131  Der EGMR spricht in umweltrelevanten Konstellationen stets von einem weiten oder – unspezifisch – von einem gewissen Einschätzungsspielraum der Staaten, niemals aber, wie in anderen Bereichen, von einem nur engen Spielraum, H. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in Environmental Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (88). 132  EGMR, Urteil vom 10.11.2004 – 46117 / 99 (Tașkin u. a. / Türkei), Rn. 13 sowie 112 ff. 133  EGMR, Urteil vom 09.06.2005  – 55723 / 00 (Fadeyeva / Russland), Rn. 88; die Aktivierung des Schutzes von Art. 8 bei industriellen Emissionen behandelt ebenfalls EGMR, Urteil vom 09.12.1994 – 16798 / 90 (López Ostra / Spanien); die Relevanz von lungengängigen Staubpartikelemissionen des Straßenverkehrs wird bestätigt von EGMR, Beschluss vom 12.05.2009 – 18215 / 06 (Greenpeace u. a. / Deutschland), vgl. hierzu die Entscheidungsanalyse im Rahmen der Jus-Rechtsprechungsübersicht von D. Murswiek, Umweltrecht: Staubpartikelemissionen durch Dieselfahrzeuge, JuS 2011, 767 f.

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Menschen durch giftige Emissionen eines Düngemittel- und Caprolactam­ werkes,134 aufgrund mehrjähriger nächtlicher Beeinträchtigungen einer Anwohnerin durch beträchtlichen Lärm von Nachtclubs nahe ihrer Wohnung135 sowie der Beeinträchtigung von Anwohnern durch erheblichen Lärm von Flughäfen136 und Straßen137. Abgelehnt wurde eine hinreichende Beeinträchtigung und damit eine Eröffnung des Schutzbereiches von Art. 8 dagegen bei der Bebauung und damit einhergehenden Zerstörung eines Sumpfgebietes und der Beeinträchtigung darin lebender Vögel und anderer geschützter Arten in der Nähe eines Wohnhauses einer Beschwerdeführerin,138 bei nicht exzessiven Überschreitungen von Lärmgrenzwerten und dadurch verursachten Belästigungen von Anwohnern, deren Betriebswohnung sich entgegen planerischer Ausweisungen in einem industriellen Gebiet befand139 und auch bei nur sehr geringen Überschreitungen von nationalen Lärmgrenzwerten, aber gleichzeitiger Einhaltung von Empfehlungen der WHO durch die von Windrädern erzeugten Geräusche, sodass eine Störung den tolerablen Bereich in den Augen des EGMR nicht verließ140. Eine Eröffnung des Gewährleistungsbereichs des Art. 2 EMRK wurde dagegen bislang nur in wenigen Fällen mit Umweltrelevanz angenommen, so beim Tod von mehreren Familienangehörigen eines Beschwerdeführers durch eine Methan-Explosion in einer kommunalen Mülldeponie, um die herum sich Menschen in einer Armutssiedlung niedergelassen hatten,141 bei der Tötung eines Menschen durch eine Schlammlawine142 sowie bei Leukämieerkrankungen in der Folge von Atomversuchen143. Dies spiegelt wider, dass

134  EGMR, Urteil vom 19.02.1998  – 116 / 1996 / 735 / 932 (Guerra u. a. / Italien), Rn. 57. 135  EGMR, Urteil vom 16.11.2004 – 4143 / 02 (Moreno Gomez / Spanien), Rn. 60. 136  EGMR, Urteil vom 21.02.1990  – 9310 / 81 (Powell and Rayner / Vereinigtes Königreich), Rn. 40; EGMR, Urteil vom 08.07.2003 – 36022 / 97 (Hatton u. a. / Vereinigtes Königreich), Rn. 96. Die Betroffenheit von Art. 8 wurde auch in Zusammenhang mit der Verlängerung der Rollbahn des Flughafens Deauville und dem damit zunehmenden Fluglärm angenommen, EGMR, Urteil vom 13.12.2012  – 3675 / 04, 23264 / 04 (Flamenbaum u. a. / Frankreich), Rn. 140. 137  EGMR, Urteil vom 09.11.2010 – 2345 / 06 (Deés / Ungarn), Rn. 24. 138  EGMR, Urteil vom 22.05.2003 – 41666 / 98 (Kyrtatos / Griechenland), Rn. 53. 139  EGMR, Urteil vom 03.10.2012  – 61654 / 08 (Martínez Martínez u. Pino Manzano / Spanien), Rn. 47. 140  EGMR, Beschluss vom 22.10.2004 – 37664 / 04 (Fägerskiöld / Schweden). 141  EGMR, Urteil vom 18.06.2002 – 48939 / 99 (Öneryildiz / Türkei), Rn. 3. 142  EGMR, Urteil vom 20.03.2008  – 15339 / 02, 21166 / 02, 20058 / 02, 11673 / 02, 15343 / 02 (Budayeva u.a / Russland), Rn. 128 ff. 143  EGMR, Urteil vom 09.06.1998  – 23413 / 94 (L.C.B. / Vereinigtes Königreich), Rn. 36.



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der EGMR hier mehr als bloße Umweltbeeinträchtigungen zur Eröffnung des Schutzbereiches verlangt.144 Schon der schlagwortartige Überblick über die Rechtsprechung des EGMR in umweltrelevanten Fällen zeigt, dass die Zerstörung ökologischer Vielfalt bzw. ihrer Bestandteile bislang kaum eine unmittelbare oder auch nur mittelbare Rolle gespielt hat. Zwar drehten sich gleich mehrere Fälle um die Schadstoffbelastung der Umwelt, um Lärmimmissionen sowie Katastrophen­ ereignisse mit großflächigen Umweltzerstörungen, mithin um Fälle, die eine erhebliche Beeinträchtigung auch der biologischen Vielfalt nahelegen. Diese musste aber durch den Gerichtshof nicht aufgeklärt werden, da sie nicht notwendiger Bestandteil des zu subsumierenden Sachverhalts war. Die jeweiligen Immissionen führten vielmehr unmittelbar zu einer Beeinträchtigung der durch die Konvention geschützten Güter, ohne dass die Auswirkungen etwaiger Beeinträchtigungen biologischer Vielfalt der Erörterung bedurften. Eine Ausnahme bildet insoweit die Rechtssache Kyrtatos gegen Griechenland.145 In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall wandten sich die beiden Eigentümer eines Hauses auf einem an einen Sumpf angrenzenden Grundstück an ein nationales Verwaltungsgericht zur Verhinderung der Bebauung und damit einhergehenden Zerstörung eben jenes angrenzenden Feuchtgebietes. Trotz stattgebender Klage erließ die zuständige Behörde in der Folge eine Entscheidung, die bereits in dem Sumpfgebiet errichteten Häuser nicht wieder abzureißen. Die Bebauung des Sumpfes führte so nach den Feststellungen des Gerichtshofes zur Schädigung von Vögeln und anderen geschützten Arten, die in dem Sumpf lebten146 sowie zur Zerstörung des Sumpfes selbst147 und dem Verlust der landschaftlichen Schönheit um das Grundstück der Kläger herum. In ihrer Individualbeschwerde gem. Art. 34 EMRK machten die Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 8 EMRK, dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, geltend. Mit einem Verhältnis von 6:1 Stimmen148 lehnte die Kammer jedoch bereits die Betroffenheit von Art. 8 ab. Selbst bei Annahme einer ernsthaften Schädigung der Umwelt hätten die Antragsteller nicht dargelegt, dass die Schädigung der 144  L. Ferraris, Smaltini v. Italy: A Missed Opportunity to Sanction Ilva’s Polluting Activity Within the ECHR System, Journal for European Environmental & Planning Law 13 (2016), 82 (85). 145  EGMR, Urteil vom 22.05.2003 – 41666 / 98 (Kyrtatos / Griechenland). 146  EGMR, Urteil vom 22.05.2003  – 41666 / 98 (Kyrtatos / Griechenland), Rn. 52, diese Behauptung der Antragsteller wird letztlich durch das Gericht nicht weiter aufgeklärt, da es selbst bei ihrer Zugrundelegung nicht von einer Eröffnung des Schutzbereichs aus Art. 8 EMRK ausgeht. 147  EGMR, Urteil vom 22.05.2003 – 41666 / 98 (Kyrtatos / Griechenland), Rn. 51. 148  Vgl. die Urteilsformel, Ziffer 3, EGMR, Urteil vom 22.05.2003  – 41666 / 98 (Kyrtatos / Griechenland), Rn. 64.

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Vögel und anderer geschützter Arten die in dem Sumpf lebten, von einer solchen Natur war, dass ihre eigenen Rechte unter Art. 8 Abs. 1 EMRK hierdurch unmittelbar beeinträchtigt worden seien.149 Verneint wurde durch das Gericht demnach bereits die hinreichende Betroffenheit des Schutzgutes von Art. 8 EMRK.150 Dabei hatte das Gericht zunächst denkbar weit formuliert, dass das Schutzgut der Wohnung auch dadurch eröffnet sein könne, dass das individuelle Wohlbefinden in einer Weise beeinträchtigt und dadurch der Betroffene vom Genuss seines Heims in einer Weise abgehalten wird, die das Privat- und Familienleben beeinträchtigt.151 Eine solche Beeinträchtigung des individuellen Wohlbefindens setzt aber nicht notwendigerweise eine Beeinträchtigung der Gesundheit des Einzelnen voraus, sondern kann bereits erheblich unterhalb dieser Schwelle vorliegen. Gerade mit dem Blick auf den Schutz biologischer Vielfalt und ihrer Bestandteile scheint diese Formulierung insofern eine erhebliche Erleichterung darzustellen, da hiernach nicht die biologische Vielfalt in ihrer existenziellen Bedeutung für die Menschheit und damit auch für die Schutzgüter des Art. 8 EMRK angesprochen wird, sondern lediglich die Auswirkungen der Zerstörung eines artenreichen Feuchtgebietes und der landschaftlichen Schönheit auf das individuelle Wohlbefinden zu begründen ist. Zwar lehnte das Gericht es im Ergebnis ab, von einer so erheblichen Beeinträchtigung auszugehen, dass die Antragsteller vom Genuss ihres Heims so weitgehend abgehalten worden seien, dass ihr Privat- und Familienleben beeinträchtigt worden wäre. Überraschen musste aber der Hinweis des Gerichts, dass die Entscheidung in diesem Punkt z. B. dann hätte anders ausfallen 149  EGMR, Urteil vom 22.05.2003  – 41666 / 98 (Kyrtatos / Griechenland), Rn. 53; so auch in EGMR, Entscheidung vom 26.11.2013 – 28852 / 05 (Ogloblina / Russland), Rn. 21 und 28, wonach es der Antragstellerin nicht gelang darzulegen, dass die Abholzung eines Waldes für die Errichtung von Wohnhäusern sie persönlich ernsthaften und insbesondere unmittelbaren Gefahren aussetzte. Vgl. auch H. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in Environmental Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (87), die diese Entscheidung als Beleg dafür anführt, dass etwa die biologische Vielfalt durch die Konvention nicht geschützt werde – auf die Erwägungen hinsichtlich der Auswirkungen der Zerstörung eines Waldes und dessen Bedeutung für die Schutzgüter der Konvention geht sie allerdings nicht ein. 150  Insoweit vermochte auch die im konkreten Fall vorliegende Verletzung nationaler umweltrechtlicher Vorschriften nicht den Schutzbreich von Art. 8 EMRK zu eröffnen. Kritisch gegenüber diesem Umgang mit nationalen Rechtsverstößen F. Francioni, International Human Rights in an Environmental Horizon, EJIL 2010, 41 (51). 151  EGMR, Urteil vom 09.12.1994  – 16798 / 90 (López Ostra / Spanien), Rn. 51, ständige Rechtsprechung, vgl. nur EGMR, Urteil vom 10.11.2004 – 46117 / 99 (Tașkin u. a. / Türkei), Rn. 113; EGMR, Urteil vom 03.07.2012  – 61654 / 08 (Martínez Martínez u. Pino Manzano / Spanien), Rn. 41.



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können, wenn die Umweltverschlechterung in der Zerstörung eines Waldgebietes in der Nachbarschaft des Hauses der Antragsteller bestanden hätte, einer Situation, die das Wohlbefinden der Antragsteller direkter betroffen hätte.152 Insoweit scheint das Gericht die grundsätzliche Möglichkeit zu konzedieren, dass die Zerstörung eines Ökosystems in einem solchen Ausmaß Auswirkungen auf das Wohlbefinden von Menschen haben kann, dass eine Beeinträchtigung von Art. 8 EMRK gegeben ist und deren Schutz aktiviert wird.153 Dabei bleibt jedoch völlig unklar, was auch Richter Zagrebelsky im Rahmen seiner „abweichenden Meinung“ kritisiert,154 worin der Unterschied zwischen der Zerstörung eines Sumpfes (Feuchtgebietes) und der eines Waldes mit Blick auf die Auswirkungen auf das menschliche Wohlbefinden – welches ein kaum zu objektivierender Indikator ist155 – bestehen soll.156 Zu beachten ist, dass selbst bei Anerkennung einer hinreichenden Beeinträchtigung des individuellen Wohlbefindens, und damit der Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 8 EMRK die daraus prima facie folgenden Verpflich152  EGMR, Urteil vom 22.05.2003  – 41666 / 98 (Kyrtatos / Griechenland), Rn. 53. Nach Ansicht des Gerichts habe auch der im Laufe der Bauarbeiten entstandene Lärm und der nächtliche Lichtschein in der Nachbarschaft des Hauses der Beschwerdeführer nicht einen ausreichenden Grad an Erheblichkeit erlangt, um den Schutz von Art. 8 zu eröffnen, a. a. O. Rn. 54. 153  Dies bemerkt auch N. de Sadeleer, Enforcing EUCHR Principles and Fundamental Rights in Environmental Cases, 39 (64, Fn. 116). Fraglich erscheint aber, ob aus dieser Entscheidung eine Kategorisierung von Umweltbestandteilen durch den EGMR angenommen werden kann, wonach die Schädigung mancher Teile der Umwelt den Schutz der Konvention aktiviert, die Schädigung anderer hingegen nicht, so C. Schall, Public Interest Litigation Concerning Environmental Matters before Human Rights Courts: A Promising Future Concept?, Journal of Environmental Law, 20:3 (2008), 417 (428). 154  Auf die noch in Kyrtatos gegen Griechenland angestellten Erwägungen kam der Gerichtshof in der Entscheidung EGMR, Entscheidung vom 26.11.2013 – 28852 / 05 (Ogloblina gegen Russland), in der es um die Abholzung eines Waldes ging, nicht wieder zurück. Allerdings geht auch aus der Sachverhaltsschilderung nicht hervor, inwieweit die Erwägungen im Kyrtatos-Urteil hier tatsächlich zutreffend gewesen wären, da etwa unklar bleibt, wie nahe die Antragstellerin an dem abgeholzten Wald lebte. Soweit die Entscheidung in der Wissenschaft Erwähnung findet, wird – soweit ersichtlich – keine Verbindung zur Kyrtatos-Entscheidung hergestellt, vgl. K. Braig, Neuere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Bereich Umweltschutz, Agrar- und Umweltrecht, 2015, 410 (414). 155  Interessanterweise wurde jüngst die Diskussion um das Wohlbefinden als Anknüpfungspunkt zur Begründung subjektiver Rechte auch im Rahmen der Diskussion um die Umsetzung der Aarhus-Konvention  – konkret deren Art. 9 Abs. 3 AK  – geführt. Vgl. hierzu unten: Zweiter Teil, B. IV. 3. c) bb) (4) (a). 156  Für letztlich willkürlich hält dies auch C. Schall, Public Interest Litigation Concerning Environmental Matters before Human Rights Courts: A Promising Future Concept?, Journal of Environmental Law, 20:3 (2008), 417 (448).

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tungen157 des Staates kaum einen sinnvollen Schutz biologischer Vielfalt bewirken würden. Daraus ließen sich unmittelbar lediglich solche staatlichen Pflichten ableiten, die auf den Schutz von Bestandteilen biologischer Vielfalt gerichtet sind, deren Erhalt für das menschliche Wohlbefinden unmittelbar wichtig ist. Eine Pflicht zum Schutz vollständiger Ökosysteme lässt sich hieraus aber nur schwerlich ableiten. Hierfür wäre es vielmehr erforderlich gewesen, dass der Gerichtshof im konkreten Fall die durch das Ökosystem des Sumpfgebietes zur Verfügung gestellten Ökosystemleistungen in den Blick genommen und untersucht hätte, inwieweit deren Zerstörung zu einer Beeinträchtigung der Antragsteller führte. Dabei wären das durch den Anblick solcher Ökosysteme gestiftete Wohlbefinden und der Einfluss von Feuchtgebieten auf das Mikroklima sowie den Grundwasserhaushalt oder seine Fähigkeit zur Speicherung von klimawirksamem Kohlendioxid lediglich einige der zu betrachtenden Aspekte gewesen.158 Hätte man deren Beeinträchtigung für derart gewichtig gehalten, um daraus eine Eröffnung des Schutzbereichs der EMRK zu begründen, so wären hieraus staatliche Pflichten ableitbar, die zu einem weitergehenden Schutz biologischer Vielfalt führten. Vergleicht man den vorstehenden Befund mit der Rechtsprechung des IACtHR und der IACmHR, so zeigt sich, dass auch dort nur wenige Fälle ersichtlich sind, in denen dem Recht auf Leben gem. Art. 1 AD bzw. Art. 4 AMRK Schutzgehalte gegen Umweltveränderungen entnommen wurden.159 So erkannte die Menschenrechtskommission zwar etwa im Grundsatz den Schutzgehalt des Rechtes auf Leben gegen Rückstände von Giftmüll in unmittelbarer Nähe zu einer Siedlung an, lehnte in derselben Zulässigkeitsentscheidung jedoch die Annahme eines vergleichbaren Zusammenhangs mit dem Schutz des Familienlebens gem. Art. 4 AD ab.160 Im Vergleich zur Rechtsprechung des EGMR finden sich insoweit in der Entscheidungspraxis des inter-amerikanischen Menschenrechtssystems erst Ansätze für die interpretatorische Gewinnung von Schutzgehalten klassischer Individualmenschenrechte für den Schutz der Umwelt. Angesichts des mit dem EGMR in 157  Prima facie Verpflichtungen stehen noch unter dem Vorbehalt der Rechtfertigung von Pflichtenverstößen, besitzen also noch keine hohe Aussagekraft über den tatsächlichen Umfang staatlicher Verpflichtungen. 158  Zu den verschiedenen Ökosystemleistungen siehe bereits oben: Erster Teil, A. II. 1. 159  Vgl. hierzu L. Lixinski, Treaty Interpretation by the Inter-American Court of Human Rights: Expansionism at the Service of the Unity of International Law, EJIL 21 (2010), 585 (594 f.); vgl. zu weiteren möglichen Anknüpfungspunkten in der Amerikanischen Menschenrechtsdeklaration T. Thompson, Getting over the hump, Journal of transnational law & policy 19 (2009), 179 (194) sowie in der Inter-Amerikanischen Menschenrechtskonvention, 179 (195). 160  IACtHR, report n. 69 / 04, Petition 504 / 03, Admissibility, Community of San Mateo de Huanchor and its Members v. Peru, 15. October, 2004, Rn. 16.



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vielen Punkten vergleichbaren methodischen Ansatzes161 erscheint die Gewinnung weitergehender Schutzgehalte hier zwar ebenso möglich und angesichts des Austauschs zwischen den Gerichten auch durchaus wahrscheinlich. Diese würden jedoch, bei prinzipiell gleichem Ausgangspunkt – insbesondere der Schutzgutakzessorietät des rechtlich gewährleisteten Schutzes – vergleichbaren Beschränkungen unterliegen.162 Entscheidend für eine Fortentwicklung der Entscheidungspraxis dürfte die Frage sein, inwieweit eine Bereitschaft von Kommission und Gerichtshof besteht, unter den allgemeinen Lebensbedingungen im räumlichen Anwendungsbereich des inter-amerikanischen Menschenrechtssystems Zerstörungen der Umwelt als hinreichend gewichtige Beeinträchtigung von Menschenrechtsgarantien anzuerkennen.163 cc) Voraussetzung gewisser Intensität der Beeinträchtigung Dass der Gerichtshof etwa in der Rechtssache Kyrtatos die Zerstörung zahlreicher lokaler Ökosystemdienstleistungen gar nicht erst in Blick nahm, lässt sich dogmatisch auf die Anforderung einer gewissen Intensität von Beeinträchtigungen zurückführen, die notwendig ist, um den Schutzbereich der Konventionsrechte zu eröffnen.164 Hieraus hat der EGMR in seiner umweltrelevanten Rechtsprechung gefolgert, dass eine allgemeine Verschlechterung der Umwelt noch nicht genüge, um den Schutz des Art. 8 EMRK auszulösen.165 Diese müsste vielmehr eine gewisse Erheblichkeit besitzen, um den Schutz des Art. 8 EMRK zu aktivieren.166 Deshalb solle eine hinreichende 161  Auf

diesen ist noch ausführlich einzugehen, siehe hierzu: Zweiter Teil, C. II. 2. Environmental Jurisprudence of the European and Inter-American Courts of Human Rights, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 (100). 163  Eine Petition des Volks der Inuit, in der diese eine Verletzung ihrer Konventionsrechte durch die Vereinigten Staaten von Amerika geltend machen, deren CO2Ausstoß ein wesentlicher Treiber für die durch die Inuit zu erleidenden Folgen des Klimawandels sei, wurde durch die Inter-Amerikanische Menschenrechtskommission nicht zur Entscheidung angenommen, da auf Grundlage der dargestellten Fakten eine Entscheidung über das Vorliegen einer Verletzung von Rechten aus der Amerikanischen Menschenrechtserklärung nicht möglich sei. Inzwischen ist die Kommission aber zumindest einer weiteren Petition gefolgt, Anhörungen zu den zu grunde liegenden Fragen durchzuführen. Die Petition vom 07.12.2005 ist abrufbar unter www. inuitcircumpolar.com; vgl. hierzu auch T. Thompson, Getting over the Hump, Journal of Transnational Law & Policy 19 (2009), 179 (185). 164  Siehe nur: EGMR, Urteil vom 22.05.2003  – 41666 / 98 (Kyrtatos / Griechenland), Rn. 54. 165  EGMR, Urteil vom 22.05.2003  – 41666 / 98 (Kyrtatos / Griechenland), Rn. 52, EGMR, Urteil vom 03.07.2012  – 61654 / 08 (Martínez Martínez u. Pino Manzano /  Spanien), Rn. 42. 166  EGMR, Urteil vom 09.06.2005 – 55723 / 00 (Fadeyeva / Russland), Rn. 69. 162  R. Pavoni,

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Beeinträchtigung der Schutzgüter von Art. 8 erst dann gegeben sein, wenn, ohne dass eine ernsthafte Gefährdung der Gesundheit vorliegen müsse, schwerwiegende Umweltverschmutzungen, die das Wohlergehen Einzelner in einem Maße beeinträchtigen, dass die Nutzung ihrer Wohnung in einer das Privat- und Familienleben beschränkenden Weise beeinträchtigt ist, vorliegen167 oder wenn dies in hinreichend sicherer Weise prognostiziert werden könne.168 Die Feststellung der Erheblichkeit soll dabei allerdings ihrerseits relativ sein und von allen Umständen des Falles abhängen. Dazu gehörten die Intensität und Dauer der Beeinträchtigung sowie die körperlichen oder psychischen Auswirkungen.169 Auch der allgemeine Kontext der betroffenen Umwelt sei zu berücksichtigen.170 Als Beispiel für eine nicht ausreichende Beeinträchtigung nennt der EGMR Einwirkungen, die im Vergleich zu den Umwelteinflüssen, denen Menschen in modernen Städten ohnehin ausgesetzt sind, vernachlässigt werden können.171 Ein in dieser Weise erheblicher Einfluss der Zerstörung eines Feuchtgebietes auf die Schutzgüter der Wohnung und / oder des Privat- und Familienlebens erscheint aber in der Tat nur im Hinblick auf seine Wohlbefinden stiftende Wirkung, mithin seinen „Annehmlichkeitswert“ plausibel, wie es der EGMR in Kyrtatos gegen Griechenland zumindest erwogen hat. Der Wegfall aller weiteren durch ein Feuchtgebiet bereitgestellten Ökosystemdienstleistungen hingegen führt grundsätzlich überhaupt nicht oder allenfalls marginal zu einer Beeinträchtigung der Schutzgüter des Art. 8 EMRK bei einzelnen Betroffenen, was für die Eröffnung des Schutzbereiches nach den Maßstäben des EGMR gerade nicht ausreicht. Dies lässt sich auch über den entschiedenen Fall hinaus verallgemeinern. In modernen Industriegesellschaften besteht eine relativ geringe Abhängigkeit Einzelner von lokalen Ökosystemdienstleistungen, die nicht mithilfe von Eigentums- und anderen Nutzungsrechten kommodifiziert wurden und zum Erhalt der eigenen wirtschaftlichen Grundlage dienen. Die Zerstörung lokaler Tier- und Pflanzenpopulationen und auch lokaler Ökosysteme bleibt zumeist ohne (unmittelbare – 167  EGMR, Urteil vom 09.12.1994  – 16798 / 90 (López Ostra / Spanien), Rn. 51; bestätigt in EGMR, Urteil vom 22.05.2003  – 41666 / 98 (Kyrtatos / Griechenland), Rn. 52; EGMR, Urteil vom 10.11.2004  – 46117 / 99 (Tașkin u. a. / Türkei), Rn. 113; EGMR, Urteil vom 02.11.2006 – 59909 / 00 (Giacomelli / Italien), Rn. 77. 168  EGMR, Urteil vom 10.11.2004 – 46117 / 99 (Tașkin u. a. / Türkei), Rn. 113. 169  EGMR, Urteil vom 25.11.2010 – 43449 / 02 sowie 21475 / 04 (Mileva u. a. / Bulgarien), Rn. 90; zu weiteren Kriterien N. de Sadeleer, Enforcing EUCHR Principles and Fundamental Rights in Environmental Cases, Nordic Journal of International Law 81 (2012), 39 (66); K. Braig, Umweltschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013, S. 260. 170  Urteil vom 09.06.2005  – 55723 / 00 (Fadeyeva / Russland), Rn. 69; bestätigt in: EGMR, Beschluss vom 26.02.2008 – 37664 / 04 (Fägerskiöld / Schweden). 171  Urteil vom 09.06.2005 – 55723 / 00 (Fadeyeva / Russland), Rn. 69.



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hierzu sogleich) erhebliche Auswirkungen auf den Einzelnen, weil dieser in der Lage ist, entweder die lokal genutzte Ökosystemdienstleistung durch staatlicherseits oder privat angebotene Dienstleistungen zu substituieren oder von vorne herein auf diese zurückgegriffen hat. Wenn dies auch auf ein geringes Potenzial von Art. 8 und 2 EMRK für eine Eröffnung des Schutzes der EMRK hinweist, so dürfte dies gleichwohl nicht ausnahmslos gelten. Eine Ausnahme könnte insoweit etwa der vielerorts durch bestimmte Ökosysteme bereitgestellte Schutz vor Hochwasserereignissen (z. B. Flussauen) oder Murenabgängen (z. B. Bewaldung von Berghängen) darstellen. Auch diese Ökosystemdienstleistungen können zwar vielfach technisch kompensiert werden. Zahlreiche Fälle zeigen jedoch, dass dies tatsächlich häufig nicht geschieht und sich der Verlust der Ökosystemdienstleistung in Verbindung mit entsprechenden Wetterereignissen unmittelbar auf den Einzelnen und dessen durch Art. 8 EMRK und Art. 2 EMRK gewährleistete Rechtsgüter auswirken kann. Die dagegen vielfach in der Rechtsprechung des EGMR relevant gewordenen Verschmutzungen der Luft sowie die Lärmbelastungen der Umwelt sind zwar durchaus für den Schutz von Biodiversität von erheblicher Bedeutung, da sie auf die Tier- und Pflanzenwelt eine vergleichbare negative Wirkung haben können wie auf den Menschen. Auch partizipiert die Luft als Umweltmedium und unbelebter Bestandteil von Ökosystemen durchaus am Begriff der biologischen Vielfalt und ist insoweit auch für die vorliegende Untersuchung relevant. Zu beachten ist aber, dass diese Beeinträchtigungen für die Schutzgüter des Art. 8 und auch Art. 2 EMRK  – entsprechende Intensität vorausgesetzt – völlig unabhängig davon relevant sind, dass auch die belebten Teile der Ökosysteme hierdurch beeinträchtigt werden. Die belebten Bestandteile der Natur haben deshalb auch allenfalls mittelbar-faktisch an dem durch die EMRK gewährleisteten Schutz teil, dieser ist insoweit mithin reiner Rechtsreflex. Das Umweltmedium Luft (genauso auch Wasser und Boden) wird wegen seiner Eigenschaft als Belastungspfad für den Menschen geschützt. Soweit Flora und Fauna auf Luftveränderungen sensibler reagieren als der Mensch, kann aus dem schutzgutbezogenen Ansatz der EMRK ein Erfordernis der Schutzgewährleistung nicht geschlossen werden. dd) Voraussetzung der Unmittelbarkeit der Beeinträchtigung Wenn auch die unmittelbaren Beeinträchtigungen von Schutzgütern der EMRK durch den Verlust biologischer Vielfalt in den meisten Fällen mithin der nötigen Intensität entbehren, so erscheint doch fraglich, ob nicht die Folgen eines weitergehenden langfristigen Verlusts biologischer Vielfalt auf-

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

grund der Summation von Einzelereignissen172 durch das Schutzregime der EMRK im Rahmen von Art. 8 bzw. 2 zu erfassen sind. Insoweit ist daran zu erinnern, dass die Folgen eines weitgehenden Verlusts biologischer Vielfalt in seinen Auswirkungen plastisch mit den Folgen eines nuklearen Winters verglichen werden.173 Der Erfassung auch von Auswirkungen langfristiger Summationseffekte scheint nach der bisherigen Rechtsprechung des EGMR aber entgegenzustehen, dass der Gerichtshof neben einer gewissen Intensität der Beeinträchtigung – die hier unzweifelhaft gegeben wäre – auch verlangt, dass die durch die Umweltveränderungen herbeigeführten Beeinträchtigungen unmittelbar auftreten. Nicht ausgeschlossen erscheint es aber, dass diese Hürde durch die verstärkte Berücksichtigung des Vorsorgegrundsatzes genommen werden könnte, wie sie der Entwicklung der Rechtsprechung des EGMR zugrunde liegt.174 So hat der Gerichtshof in der Rechtssache Tătar gegen Rumänien wegen des Untätigbleibens der Behörden eine Verletzung des Vorsorgegrundsatzes festgestellt,175 aufgrund dessen der Mangel an Sicherheit über naturwissenschaftliche und technische Zusammenhänge keine Verzögerung beim Ergreifen effektiver und verhältnismäßiger Maßnahmen gegen Risiken schwerer und irreversibler Schäden rechtfertige. Durch Anwendung dieses Grundsatzes vermochte es das Gericht zunächst dahinstehen zu lassen, dass es dem Antragsteller nicht gelungen war, im konkreten Fall den Kausalzusammenhang zwischen dem bei einem Unfall in einer Goldmine ausgetretenen Sodium-Zyanid und seiner asthmatischen Erkrankung nachzuweisen. Der Gerichtshof ließ es genügen, dass ein hinreichend großes Risiko176 für die Gesundheit und das Wohlbefinden des Antragstellers ausreichend substanziiert dargelegt worden war und dieses durch den fortgesetzten 172  Derartige Summationseffekte sind zu unterscheiden von Langzeitrisiken, bei denen in der Gegenwart eine Ursache für einen erst nach einem langen Zeitraum eintretenden Schadenseintritt gesetzt wird und bereits in der Gegenwart eine hinreichende Bedrohung von Schutzgütern vorliegen kann, um eine Schutzpflicht des Staates auszulösen, vgl. zu den hiermit zusammenhängenden verfassungsrechtlichen Fragen D. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S.  206 ff. 173  Siehe noch einmal P. R. Ehrlich, Der Verlust der Vielfalt, in: E. O. Wilson, Ende der biologischen Vielfalt?, 1992, 39 (40). 174  Die Entwicklung der immer stärkeren Berücksichtigung des Vorsorgegrundsatzes durch den EGMR wird nachgezeichnet bei K. Braig, Umweltschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013, S. 211 ff. 175  EGMR, Urteil vom 27.01.2009  – 67021 / 01 (Tătar / Rumänien), Rn. 109, 112. Siehe hierzu S. Vöneky / F. Beck, Umweltschutz und Menschenrechte, in: A. Proelß, Internationales Umweltrecht, 2017, Fünfter Abschnitt, Rn. 26. 176  Wann ein Risiko als hinreichend groß zu bewerten ist, ist freilich noch weitgehend ungeklärt, obgleich maßgeblich für die Reichweite des Präventivschutzes unter der EMRK, vgl. hierzu R. Schmidt-Radefeldt, Ökologische Menschenrechte, 2000, 80 f.



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Betrieb der Goldmine auch fortbestand.177 Unter Rückgriff auf den Vorsorgegrundsatz lehnte es der EGMR mithin implizit ab, den sachlichen Gewährleistungsbereich der Konvention, in concreto von Art. 8 EMRK, auf die Abwehr von Gefahren im Sinne des klassischen Gefahrenbegriffes zu beschränken und weitete ihn vielmehr auf die Abwehr substanzieller Risiken für die Schutzgüter der EMRK aus, sodass schon bei deren Vorliegen die Schutzpflichten des Staates aktiviert werden können.178 Allerdings verlangt der EGMR für die Anwendung des Vorsorgegrundsatzes in diesem Sinne, dass zumindest ein gewisses Maß an wissenschaftlicher Sicherheit über die Gefährlichkeit von Handlungen besteht.179 Zwar ist die Anwendung des Vorsorgegrundsatzes in der durch den EGMR angewandten Form somit geeignet, gewisse Unsicherheiten über die Wirkzusammenhänge von riskanten Handlungen zu überwinden. Bei der Beeinträchtigung lokaler Biodiversität ist jedoch unzweifelhaft, dass deren Auswirkungen auf die Schutzgüter der Konvention regelmäßig180 erst durch das Hin­ zutreten weiterer Verursachungsbeiträge, d. h. die fortgesetzte Zerstörung biologischer Vielfalt, langfristig die notwendige Intensität erreicht, um die Schutzbereiche der Art. 8 und 2 EMRK zu eröffnen. Hier müsste mithin nicht lediglich die Unsicherheit über Wirkungszusammenhänge zwischen als solchen bekannten Ursachen und einem festgestellten oder befürchteten Schaden überwunden, sondern vielmehr auch die Unkenntnis von den noch hinzutretenden konkreten Verursachungsbeiträgen sowie den konkreten Scha177  Der Nachweis der Kausalität zwischen einer Umweltbeeinträchtigung und der Beeinträchtigung eines Schutzgutes der EMRK bleibt jedoch weiterhin ein nur schwer zu überwindendes Hindernis, siehe hierzu zuletzt EGMR, Entscheidung vom 16.04.2015  – 43961 / 09 (Smaltini / Italien), Rn. 56 ff. und hierzu auch L. Ferraris, Smaltini v. Italy: A Missed Opportunity to Sanction Ilva’s Polluting Activity within the ECHR System, Journal for European Envrionmental & Planning Law 13 (2016), 82 ff. 178  So auch D. L. Shelton, International Decision: Tatar c. Roumanie, App. No. 67021 / 01, European Court of Human Rights, Jan. 27, 2009, American Journal of International Law 247 (2010), 247 (252); zur bis dahin erfolgten Anwendung des klassischen Gefahrenbegriffs durch den EGMR vgl. auch H. Veinla Precautionary Environmental Protection and Human Rights, Juridica International 2007, 91 (93 f.). 179  Dieses sah der Gerichtshof etwa hinsichtlich der Gefährlichkeit von Mobilfunkstrahlung nicht als gegeben, EGMR, Entscheidung vom 17.01.2006 (Luginbühl / Schweiz); deutlich zurückhaltender deshalb gegenüber der Gewährleistung eines präventiven Schutzes durch den EGMR N. de Sadeleer, Enforcing EUCHR Principles and Fundamental Rights in Environmental Cases, Nordic Journal of International Law 81 (2012), 39 (67 f.); S. Theil, Der Umfang des Umweltschutzes in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, NuR 2014, 330 (334). 180  Zu erinnern ist noch einmal etwa an die Beeinträchtigung natürlichen Hochwasserschutzes als mögliche Ausnahmekonstellation.

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denseintritten bei konkreten Personen überbrückt werden.181 Dies aber ist auch mithilfe des Vorsorgeprinzips, zumindest wie es auf individualschützende Normen Anwendung finden kann, nicht möglich182 und schließt etwa die normative Beachtlichkeit des Klimawandels als Langzeitrisiko für die Zerstörung wesentlicher Teile biologischer Vielfalt aus. Das Vorsorgeprinzip vermag es mit Blick auf den Schutz biologischer Vielfalt deshalb nicht, den schutzgutbezogenen Ansatz der Konvention auszuhebeln und einen mittelbarrechtlichen Schutz von Biodiversitätsbestandteilen über Ausnahmekonstellationen hinaus herbeizuführen.183 Der Sache nach dürfte dieses Ergebnis mit der nach deutschem Verfassungsrecht bestehenden Rechtslage übereinstimmen, wonach aus Art. 2 Abs. 2 GG zwar eine staatliche Schutzpflicht zur Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge, nicht aber zur bloßen Risikovorsorge besteht.184 b) Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK Das Eigentumsrecht ist bislang in der umweltrelevanten Rechtsprechung des EGMR von eher untergeordneter Bedeutung gewesen. Ein Grund hierfür ist, dass die räumliche Dimension bei der Bestimmung des Schutzgutes der Wohnung nach Art. 8 EMRK zu einer gewissen Parallelität mit den ebenfalls

181  Insoweit handelt es sich auch nicht um eine bloße Beweisproblematik im Zusammenhang multikausaler Schadenseintritte. Hierfür hat der EGMR anerkannt, dass, um der multikausalen Natur moderner Pathologien gerecht zu werden, der Kausalitätsbeweis auch mithilfe probalistischer Aussagen in Verbindung mit vorhandenem, hinreichend aussagekräftigem statistischem Material in Fällen geführt werden kann, in denen es um die Verschlimmerung vorhandener Beeinträchtigungen durch eine zusätzliche Belastung geht, EGMR, Urteil vom 27.01.2009 – 67021 / 01 (Tătar / Rumänien), Rn. 105 f. Zur nach wie vor hohen Hürde des Kausalitätsnachweises in solchen Fällen L. Ferraris, Smaltini v. Italy: A Missed Oppotunity to Sanction Ilva’s Polluting Activity Within the ECHR System, Journal for European Environmental & Planning Law 13 (2016), 82 (90–92). Bei der hier interessierenden Frage sind vielmehr bislang weder alle notwendigen Verursachungsbeiträge bereits erfolgt, noch ist der konkret Geschädigte und der Schaden als solcher vorhersehbar. 182  Verneint wird hier mithin bereits die normative Einbeziehung solcher Risiken in den Gewährleistungsbereich der Normen der EMRK, konkret der Art. 8 und 2 EMRK. Dieser Frage sind konkrete Nachweisprobleme, insbesondere Fragen des Kausalitätsnachweises, nachgelagert. 183  Die Reichweite des Vorsorgeprinzips wird so stark begrenzt. In anderen Zusammenhängen, die einer Beschränkung auf den Schutz bestimmter Güter nicht unterliegen, wird das Vorsorgeprinzip ausdrücklich mit Blick auf den Schutz biologischer Vielfalt in Stellung gebracht, vgl. Parlamentarische Versammlung des Europarates, Empfehlung 1918 (2010), Rz. 8. 184  Statt vieler D. Murswiek, in: M. Sachs, GG, 7 Aufl. 2014, Art. 2 Rn. 198 f.



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räumlich umgrenzten Bezugsobjekten des Eigentumsrechts geführt hat,185 sodass der EGMR mitunter Fälle nur unter dem Gesichtspunkt des Art. 8, nicht aber zusätzlich auch des Art. 1 1. ZP EMRK betrachtet hat.186 aa) Persönlicher Anwendungsbereich Durch Art. 1 ZP EMRK werden nicht nur alle natürlichen Personen, sondern auch juristische Personen berechtigt, soweit diese nicht ein zu hohes Maß an Staatsnähe besitzen.187 Insoweit erfasst der persönliche Anwendungsbereich auch Nichtregierungsorganisationen. Aufgrund der Opfereigenschaft gem. Art. 34 EMRK ist aber auch insoweit eine altruistische Verbandsklage grundsätzlich ausgeschlossen. Verpflichtet werden auch insoweit die Vertragsstaaten der EMRK im Rahmen ihrer Hoheitsgewalt. bb) Schutzgut und sachlicher Gewährleistungsbereich Art. 1 Abs. 1 Satz 1 des ersten Zusatzprotokolls zur EMRK188 (ZP) gewährleistet jeder natürlichen oder einbezogenen juristischen Person das Recht auf Achtung ihres Eigentums. Entziehungen des Eigentums sind nach Art. 1 Abs. 1 Satz 2 ZP nur dann möglich, wenn das öffentliche Interesse es verlangt, und nur unter den durch Gesetz und durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen. Abs. 2 gibt den Staaten schließlich bei Beschränkungen von Eigentumsnutzungen einen weiteren Spielraum. Der Eigentumsbegriff, der durch den EGMR, wie alle anderen Konven­ tionsbegriffe auch, autonom von den Verwendungen im nationalen Recht ausgelegt wird, umfasst zunächst bestehende Eigentumsrechte an Sachen, geht aber darüber hinaus. Künftiges Eigentum fällt unter den Eigentumsbegriff, soweit es verdient wurde und bereits ein durchsetzbarer Anspruch auf

185  Siehe nur B. W. Wegener, Property and Environmental Protection in the Jurisprudence of the European Court of Human Rights, in: G. Winter, Environmental and Property Protection in Europe, 2016, 27 (38 f.). 186  Vgl. K. Braig, Umweltschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013, S. 331 f. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des EGMR; D. L. Shelton, International Decision: Tatar c. Roumanie, App. No. 67021 / 01, European Court of Human Rights, Jan. 27, 2009, American Journal of International Law 247 (2010), 247 (248, Fn. 3). 187  C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 17 Rn. 5. 188  Zusatzprotokoll zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 20.03.1952.

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die Eigentumsverschaffung besteht.189 Für die vorliegende Untersuchung genügt die Feststellung, dass neben dem Eigentum an beweglichen Sachen auch das Eigentum und andere dingliche Rechte an Grundstücken unter den Eigentumsbegriff fallen und ihr Schutz so durch die EMRK gewährleistet wird.190 Dabei beschränkt sich der Schutz der Konvention auf die Gewährleistung der Gegenstände selbst, ihre Nutzung und die Verfügungsbefugnis über diese. Hinsichtlich der Nutzung beschränkt sich der Schutz von Art. 1 1. ZP EMRK auf die Gewährleistung des friedlichen Genusses der Eigentumsgegenstände, umfasst aber nicht – wie der EGMR ausdrücklich festgestellt hat – auch ihren Genuss in einer schönen und unberührten ländlichen Umwelt.191 cc) Relevante Beeinträchtigungen von Eigentumsrechten Hinsichtlich der rechtlich relevanten Beeinträchtigungen von Eigentumsrechten wird in der umweltrelevanten Rechtsprechung des EGMR zwischen normativen Eingriffen (Art. 1 Abs. 2 ZP EMRK) einerseits und tatsächlichen Beeinträchtigungen (Art. 1 Abs. 1 S. 1 ZP EMRK) des Eigentums andererseits unterschieden. Für die vorliegende Untersuchung stehen Fälle faktischer Beinträchtigungen, in denen typischerweise keine staatlichen Eingriffe vorliegen,192 sondern sich entweder die Gefahren riskanter wirtschaftlicher Tätigkeiten193 in Schädigungen von Eigentumsobjekten durch die im Normalbetrieb verursachten Emissionen bzw. durch Störfälle realisieren oder aber Beeinträchtigungen durch Naturereignisse herbeigeführt werden, im Vordergrund.194 Gerade in 189  J. Meyer-Ladewig / S. v.  Raumer, in: J. Meyer-Ladewig / M. Nettesheim / S. v. Raumer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 1 1.  ZP Rn. 10; C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 25 Rn. 3. 190  J. Meyer-Ladewig / S. v.  Raumer, in: J. Meyer-Ladewig / M. Nettesheim / S. v. Rau­mer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 1 1. ZP Rn. 11. 191  EGMR, Zulässigkeitsentscheidung in der Rechtssache 40425 / 98 (James Moore / Vereinigtes Königreich). Damit wird auch für das Eigentumsrecht noch einmal explizit ausgesprochen, dass die EMRK den Schutz der Umwelt nicht zum unmittelbaren Gegenstand hat. 192  In der Dogmatik des EGMR werden derartige Beeinträchtigungen als sonstige Eingriffe bezeichnet, vgl. J. Meyer-Ladewig / S. v.  Raumer, in: J. Meyer-Ladewig /  M. Nettesheim / S. v. Raumer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 1 1. ZP Rn. 51 ff. 193  Ein solcher Fall liegt der Entscheidung des EGMR in der Rechtssache Öneryil­ diz / Türkei zugrunde, EGMR, Urteil vom 18.06.2002 – 48939 / 99. 194  Vgl. die Entscheidung des EGMR in der Rechtssache Budayeva u. a. / Russland, EGMR, Urteil vom 20.03.2008  – 15339 / 02, 21166 / 02, 20058 / 02, 11673 / 02, 15343 / 02 insbesondere auch im Hinblick auf die Unterscheidung der Reichweite positiver Schutzpflichten hinsichtlich Art. 2 EMRK einerseits und Art. 1 1. ZP EMRK



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diesen Konstellationen sollte nicht übersehen werden, dass es auch hier in allererster Linie um einen Schutz des Eigentums vor Umweltveränderungen geht und die Umweltmedien auch hier in erster Line als Belastungspfade in den Blick kommen, nicht aber um einen Schutz der Umwelt durch die Ausübung von Eigentumsrechten.195 Der durch das Eigentumsrecht geforderte Schutz kann zwar durch Maßnahmen gewährleistet werden, die bereits die Umweltbeeinträchtigung und -veränderung verhindern und insoweit würden auch die Umweltgüter selbst geschützt. Dieser Zusammenhang ist aber keinesfalls zwingend. Vielmehr wird den Vorgaben der EMRK etwa auch dadurch genügt, dass sichergestellt wird, dass bspw. hinreichende Schutzabstände zu Gefahrenquellen eingehalten werden. Gefordert ist nicht ein Schutz der Umweltgüter, sondern nur der Schutz vor den Auswirkungen ihrer Veränderungen. So sind verursachte Biodiversitätsschäden aus Sicht des Eigentumsschutzes regelmäßig bloße Nebenerscheinungen und kein Glied der zu den Eigentumsschädigungen führenden Verursachungsketten. Soweit gegen so herbeigeführte Eigentumsbeeinträchtigungen ein Schutz durch Art. 1 1. ZP EMRK gewährleistet wird, wird die biologische Vielfalt deshalb in aller Regel allenfalls mittelbar-faktisch durch bloßen Rechtsreflex mitgeschützt. Auch in solchen Fällen tatsächlicher Eigentumsbeeinträchtigungen ist ein mittelbar-rechtlicher Schutz von Bestandteilen der Biodiversität aber keineswegs ausgeschlossen, wenn auch bislang nicht in der Rechtsprechung des EGMR relevant geworden. So kann etwa die Freisetzung genetisch veränderter Organismen, z. B. landwirtschaftlich genutzter Pflanzen, zu einer Veränderung des Erbguts von durch Kreuzungen entstandenen Nutzpflanzen führen, die im Eigentum Dritter stehen.196 Diese Veränderung kann als relevante andererseits, Rn. 175. Siehe hierzu auch die Nachweise bei B. W. Wegener, Property and Environmental Protection in the Jurisprudence of the European Court of Human Rights, in: G. Winter, Environmental and Property Protection in Europe, 2016, 27 (36 ff.). 195  So aber etwa B. W. Wegener, Property and Environmental Protection in the Jurisprudence of the European Court of Human Rights, in: G. Winter, Environmental and Property Protection in Europe, 2016, 27 (36): „Property Protecting the Environment“. 196  Auch hier bedarf die früher str. Annahme einer hinreichenden Eigentumsbeeinträchtigung allerdings eines gewissen Begründungsaufwands, siehe B. Wolfers /  M. Kaufmann, Grüne Gentechnik: Koexistenz und Haftung, ZUR 2004, 321 (322 ff.). Während auf Grundlage des derzeitigen GenTG in Deutschland jedenfalls beim Eintrag von GVO-Pollen auf Grundstücken mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen von einer Eigentumsbeeinträchtigung auszugehen ist, dürfte der Eintrag bei der Beeinträchtigung allein von wilden Pflanzen nach allgemeinen Grundsätzen noch keine Eigentumsbeeinträchtigung darstellen. D. h. aber, dass nur ein ganz geringer Ausschnitt der biologischen – nämlich der kommerziell genutzten und insoweit überschaubaren – Vielfalt gegen Beeinträchtigungen durch GVO eigentumsrechtlich geschützt wird.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Beeinträchtigung des Eigentums betrachtet werden, der es auch an der notwendigen Erheblichkeit, jedenfalls im Falle ihrer kommerziellen Nutzung, nicht fehlen dürfte.197 Da hier die Eigentumsbeeinträchtigung gerade in der Veränderung genetischer Pflanzenressourcen besteht,198 würde die Gewährleistung des Eigentumsrechts mittelbar auch einen Schutz der Nutzpflanzen gegen eine unbeabsichtigte Kreuzung mit genveränderten Pflanzen gewährleisten. Hinsichtlich der normativen Eingriffe in Eigentumsrechte wurden für den EGMR insbesondere solche Fallgestaltungen relevant, in denen das Eigentumsrecht nicht zum Schutz der Umwelt oder der biologischen Vielfalt eingesetzt, sondern dieses vielmehr aus Gründen des Umwelt- und Naturschutzes beschränkt wurde.199 Diese Beschränkungen können sich als spiegelbild197  Im deutschen Recht ist diese Gefahr einfachrechtlich bei der Beeinträchtigung von Nutzpflanzen gem. § 36a GenTG i. V. m. §§ 1004, 906 BGB abwehrfähig. Die Beschränkung auf Nutzpflanzen wird dadurch erreicht, dass von einer wesentlichen Beeinträchtigung i. S. v. § 906 BGB nur dann auszugehen ist, wenn die Erzeugnisse „in Verkehr“ gebracht werden sollten. § 36a GenTG ist auch seinerseits mit dem Eigentumsrecht der Gentechniknutzer vereinbar, siehe BVerfG, Urteil vom 24.11.2010 – 1 BvF 2 / 05, Rn. 253 ff. = ZUR 2011, 133 (135 f.), wobei hier nur Art. 14 GG als Abwehrrecht der Gentechniknutzer geprüft wurde. Allerdings hätte das Gericht nach dem heutigen Stand der Schutzpflichtendogmatik auch keine Verletzung des Untermaßverbots des Gesetzgebers wegen eines nicht hinreichenden Schutzes der biologischen Vielfalt festgestellt. Siehe hierzu bereits oben: Erster Teil, B. I. 1. 198  Die materielle Beweislast obliegt insoweit – wie auch für die übrigen anspruchsbegründenden Voraussetzungen – in der Regel dem Antragsteller soweit Beweisbedürftigkeit besteht, J. Meyer-Ladewig / B. Ebert, in: J. Meyer-Ladewig / M. Nettesheim / S. v. Raumer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 38 Rn. 19, 33. Der EGMR kennt jedoch eine Reihe von Fällen, in denen es zu einer Verschiebung der Beweislast kommt, J. Meyer-Ladewig / B. Ebert, a. a. O., Rn. 33 ff.; der EGMR hat ausdrücklich anerkannt, dass das strenge Festhalten am Grundsatz affirmanti, non neganti, incumbit probatio dem nicht gerecht wird, EGMR, Urteil vom 09.06.2005  – 55723 / 00 (Fadeyeva / Russland), Rn. 79. Den Mitgliedstaaten obliegen außerdem weitreichende Mitwirkungspflichten hinsichtlich der Erlangung verfügbaren Beweismaterials, J. Meyer-Ladewig / B. Ebert, a. a. O., Art. 38 Rn. 21 ff. Das notwendige Beweismaß wird ebenfalls mit einer gewissen Flexibilität gehandhabt und soll abhängig sein von den Besonderheiten des Falles, der gerügten Beeinträchtigung und der in Frage stehenden Garantie. Siehe hierzu EGMR, Urteil vom 09.06.2005  – 55723 / 00 (Fadeyeva / Russland), Rn. 79, wo der EGMR als Ausgangspunkt den Maßstab des „beyond reasonable doubt“ angibt; siehe noch einmal J. Meyer-Ladewig / B. Ebert, a. a. O., Rn. 15. K. Braig, Umweltschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013, S. 263 ist darin zuzustimmen, dass die Frage nach dem nötigen Beweismaß insoweit als weitgehend offen betrachtet werden muss. Die angeführten Kriterien für dessen Bestimmung lassen sich nämlich kaum in rechtssicherer Weise vorherbestimmen. 199  Vgl. inbesondere EGMR, Urteil vom 18.02.1991  – 12033 / 86 (Fredin / Schweden); EGMR, Urteil vom 29.11.1991 (Pine Valley Developments Ltd u. a. / Irland); EGMR, Entscheidung vom 21.03.2006 (Valico S.R.L. / Italien); EGMR, Urteil vom



A. Schutz mittels klassischer Menschenrechte201

liches Gegenstück zu den Schutzansprüchen Dritter darstellen, soweit deren Ansprüche gerade auf einen Schutz ihrer Umwelt gerichtet sind. Es kann sich aber genauso auch um die Beschränkung von Eigentumsrechten aufgrund rein objektiven Umweltrechts handeln. Da diese Fallgruppe als solche aus dem Umfang der vorliegenden Untersuchung ausgeklammert wurde, soll den Fragen nach dem Umfang der Anerkennung des Umweltschutzes als Rechtfertigungsgrund für Eigentumsbeschränkungen nicht weiter nachgegangen werden. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass sich hier in der Rechtsprechung des EGMR ein Feld eröffnet, das auch in Zukunft erhebliche Bedeutung besitzen wird.200 Auf den ersten Blick erstaunlich erscheint, dass das Eigentumsrecht nur selten in seiner naheliegendsten Bedeutung für den Umweltschutz diskutiert wird. Als Freiheitsrecht steht es jedem Eigentümer (rechtlich) frei, sein Ei27.11.2007 (Hamer / Belgien); EGMR-GK, Urteil vom 29.03.2010 (Depalle / Frankreich sowie Brosset-Triboulet u. a. / Frankreich); R. Schmidt-Radefeldt, Ökologische Menschenrechte, 2000, S. 182, bezeichnet das Eigentumsrecht insoweit als „ökologiepflichtiges Freiheitsrecht“; K. Braig, Umweltschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013, S. 327; hierzu auch B. W. Wegener, Property and Environmental Protection in the Jurisprudence of the European Court of Human Rights, in: G. Winter, Environmental and Property Protection in Europe, 2016, 27 (31 ff.); weitere Verweise auf die Rechtsprechung des EGMR bei S. Theil, Der Umfang des Umweltschutzes in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, NuR 2014, 330 (333); vgl. auch N. de Sadeleer, Enforcing EUCHR Principles and Fundamental Rights in Environmental Cases, Nordic Journal of International Law 81 (2012), 39 (61); R. Pavoni, Environmental Jurisprudence of the European and Inter-American Courts of Human Rights, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 (97). 200  K. Braig, Umweltschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013, S. 330 weist hier völlig zu Recht etwa auf die Konflikte um den flächendeckenden Ausbau erneuerbarer Energien und die damit teilweise einhergehenden Beeinträchtigungen des Eigentums durch Wertverlust hin. Vgl. hierzu insbesondere die Entscheidung in der Rechtssache Fägerskiöld / Schweden. Hauseigentümer wehrten sich hier gegen den von einer Windenergieanlage ausgehenden „Lärm“ und machten zur Begründung einer Eigentumsverletzung den Wertverlust ihres Hauses geltend. Betrachtet man den Lärm als zentrales Charakteristikum des Falles, so wurde das Eigentumsrecht hier gegen eine Umweltbelastung in Stellung gebracht. Trägt man jedoch stärker der Tatsache Rechnung, dass dieser „Lärm“ von einer Anlage zur Erzeugung erneuerbarer Energien ausging, der eine potentiell klimaschützende Funktion zukommt, so wird hier das Eigentumsrecht zum Wohle der Umwelt beschränkt, EGMR, Beschluss vom 22.10.2004 – 37664 / 04 (Fägerskiöld / Schweden). Wegen der Genehmigung eines Windparks in räumlicher Nähe zu Wohnbebauung ist weiterhin anhängig beim EGMR die Rechtssache Vecbaštika und andere gegen Lettland – 52499 / 11. Zur Konstellation solcher inner-ökologischen Konflikte im Eigentumsrecht siehe auch G. Winter, Property and Environmental Protection, in: ders., Environmental and Property Protection in Europe, 2016, 1 (9 f.).  Die hier relevanten Fragen sind aber keinswegs auf den Eigentumsschutz beschränkt, sondern stellen sich genauso auch etwa im Rahmen von Art. 8 EMRK.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

gentum zum Schutz biologischer Vielfalt zu verwenden.201 Dies geschieht durchaus auch vielfach im kleinen wie im großen Maßstab. Insbesondere nach ökologischen Grundsätzen wirtschaftende Waldbesitzer und Landwirte tragen in Europa einen erheblichen Teil zum Erhalt der Artenvielfalt bei. Solche ökologisch verträglichen wirtschaftlichen Eigentumsnutzungen und – in noch stärkerem Maße – nicht wirtschaftliche Nutzungen,202 die auf den Schutz der Biodiversität gerichtet sind, verschwinden aber nahezu neben den ganz überwiegend bestehenden Eigentumsnutzungen, die aufgrund des mit ihnen verbundenen Ressourcen- und Flächenverbrauchs oder aufgrund der von ihnen ausgehenden Belastungen aus der Perspektive des Biodiversitätsschutzes eher kritisch betrachtet werden müssen.203 Dass diese Fallgruppe aus rechtlicher Sicht nicht weiter diskutiert wird, dürfte neben der geringeren praktischen Relevanz auch darin begründet sein, dass sich die umweltverträgliche, die biologische Vielfalt bewahrende Eigentumsnutzung aus recht­ 201  Diese Möglichkeit ist selbstverständlich dadurch begrenzt, dass der Gesetzgeber einzelne Bestandteile biologischer Vielfalt von der Eigentumsfähigkeit ausnehmen kann, wie dies in Deutschland etwa für das Wasser eines fließenden oberirdischen Gewässers und Grundwasser erfolgt ist, § 4 Abs. 2 WHG. Vgl. rechtsvergleichend hierzu die Untersuchungen in G. Winter, Environmental and Property Protection in Europe, 2016. 202  Hierzu zählt etwa auch der Erwerb sog. „Sperrgrundstücke“ durch Umweltvereinigungen, um eine prozessual bewehrte Rechtsposition gegen umweltbelastende Vorhaben zu erlangen, vgl. hierzu nur J. Krüper, Gemeinwohl im Prozess, 2009, 160 ff., der die Besonderheiten solcher Klagen zu Recht darin erblickt, dass hier der Sache nach Gemeinwohlbelange geltend gemacht werden, die aber rechtlich in unter der Schutznormtheorie wehrfähige Privatinteressen eingekleidet sind. Gerade hieraus erwächst für Kritiker dieser Praxis der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs. Zur Ausei­ nandersetzung um dieses Vorgehen in der Rechtsprechung siehe nur M. Kment, Keine unzulässige Rechtsausübung bei Erwerb so genannter Sperrgrundstücke?, NVwZ 2014, 1566 ff.; eine weitere zu nennende Konstellation stellt die Abwehr der Duldungspflicht bzgl. der Jagdausübung auf dem eigenen Grundstück dar, vgl. hierzu B. W. Wegener, Property and Environmental Protection in the Jurisprudence of the European Court of Human Rights, in: G. Winter, Environmental and Property Protection in Europe, 2016, 27 (38) m. N. aus der Rechtsprechung des EGMR. 203  Vertreter liberaler Eigentumstheorie dürften hierin eine Bestätigung ihrer Annahme sehen, dass Individuen zuallererst aus egoistischen Motiven handeln. Damit aus den einzelnen Handlungen insgesamt ein Mehr an gesellschaftlicher Wohlfahrt erwächst, bedarf es dann – jedenfalls mit Blick auf Gemeingüter wie die biologische Vielfalt – des staatlichen Eingriffs, um die Hardin’sche „tragedy of the commons“ zu verhindern. Wie gesehen, stehen die hiermit verbundenen Eigentumsprobleme ganz im Vordergrund auch der Rechtsprechung des EGMR. Im Rahmen der weiteren Untersuchung wird dieses Modell mit kollektivrechtlichen Eigentumsformen zu kontrastieren sein. Vgl. hierzu unten: Zweiter Teil, C. II. 4. b) sowie Zweiter Teil, C. III. 2. c). Eine prägnante Gegenüberstellung der unterschiedlichen Ansätze für den hier interessierenden Zusammenhang findet sich bei G. Winter, Property and Environmental Protection, in: ders., Environmental and Property Protection in Europe, 2016, 1 (2).



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licher Sicht als gewöhnliche Eigentumsnutzung und Freiheitsausübung darstellt. Gegen ihre Beschränkung kann das Eigentumsrecht in Stellung gebracht werden, ohne dass dabei die besondere Umweltrelevanz der Tätigkeit eine erhebliche, das Eigentumsrecht verstärkende Rolle spielte. Im Gegenteil dürfte gerade eine nicht-wirtschaftliche Nutzung von Grundeigentum, die zwar einen hohen Wert für die lokale biologische Vielfalt, ggf. aber keinen hohen wirtschaftlichen Wert besitzt, im Rahmen der Rechtsprechung des EGMR tendenziell einen geringeren Schutz genießen als wirtschaftliche Tätigkeiten.204 Soweit der Eigentumsschutz aber greift, besteht auch insoweit ein mittelbar-rechtlicher Schutz biologischer Vielfalt, also nicht lediglich ein reiner Rechtsreflex zu deren Gunsten. dd) Voraussetzungen gewisser Intensität und Unmittelbarkeit von Beeinträchtigungen Die Erfordernisse der gewissen Intensität der Beeinträchtigung sowie ihrer unmittelbaren Herbeiführung infolge von Umweltgeschehnissen werden vom EGMR auch im Rahmen von Art. 1 1. ZP EMRK verlangt.205 Insoweit sind auch im Rahmen des Eigentumsrechts langfristige Folgen einer Zerstörung und Modifikation biologischer Vielfalt (bspw. die Versalzung einst fruchtbarer Böden in der Folge exzessiver Bewässerung und damit einhergehende Veränderungen des Grundwasserspiegels und Senkungen des Bodens) schon deshalb in der Regel nicht erfassbar. Im Übrigen dürfte es in solchen Fällen zumeist kaum möglich sein, die Kausalität von Verursachungshandlungen darzulegen bzw. die Kausalität anderer Umstände auszuschließen. c) Art. 10 EMRK Gem. Art. 10 Abs. 1 S. 2 EMRK schließt das Recht auf freie Meinungsäußerung die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behörliche Eingriffe und ohne Rückischt auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Dass Art. 10 Abs. 1 S. 2 EMRK, anders als andere Menschenrechtsverträge, nicht auch das Informationsbegehren umfasst, hat den EGMR lange zu einer 204  K. Braig, Umweltschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013, S. 329 f. stellt in der Rechtsprechung des EGMR eine Fokussierung auf die wirtschaftlich-vermögensrechtliche Seite des Eigentums fest, will aber nicht ausschließen, dass sich das Verständnis des EGMR hier nicht künftig wandeln könnte. Zu derselben Bewertung kommt auch B. W. Wegener, Property and Environmental Protection in the Jurisprudence of the European Court of Human Rights, in: G. Winter, Environmental and Property Protection in Europe, 2016, 27 (40). 205  Zum Wesentlichkeitserfordernis siehe EGMR, Beschluss vom 22.10.2004  – 37664 / 04 (Fägerskiöld / Schweden).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

restriktiven Auslegung der Bestimmung und zur Ablehnung veranlasst, der Vorschrift positive Pflichten zu entnehmen, nach denen dem Staat die Verpflichtung zur Verbreitung umweltrelevanter Informationen zukomme206 oder es auch nur ein Recht auf Zugang zu nicht öffentlich zugänglichen Umweltinformationen umfasse.207 Die Bedeutung der Vorschrift in umweltrelevaten Fällen war deshalb bislang gering und beschränkte sich auf Fälle, in denen sich Umweltaktivisten gegen die Beschränkung ihrer Meinungsfreiheit zur Wehr setzten.208 Die auch innerhalb des EGMR von Anfang an umstrittene Rechtsprechung zu Art. 10 EMRK209 scheint sich neuerdings möglicherweise jedenfalls mit Blick auf Nichtregierungsorganisationen zu wandeln. Deren besondere Rolle für die Meinungsbildung in öffentlichen Debatten und ihre Rolle als „social watchdog“ hatte der Gerichtshof bereits seit längerem anerkannt.210 Bislang wirkte sich dies aber nur im Rahmen des unverändert eng bestimmten Gewährleistungsbereichs von Art. 10 EMRK auf der Stufe der Abwägung aus. 206  So die st. Rechtsprechung des EGMR seit EGMR, Urteil vom 26.03.1987  – (Leander / Sweden), Rn. 74; für den umweltrelevanten Bereich EGMR, Urteil vom 19.02.1998  – 116 / 1996 / 735 / 932 (Guerra u. a. / Italien), Rn. 52 f. Vgl. allgemein hierzu K. Braig, Umweltschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013, S. 305 ff.; R. Pavoni, Environmental Jurisprudence of the European and InterAmerican Courts of Human Rights, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 (79 f.); N. de Sadeleer, Enforcing EUCHR Principles and Fundamental Rights in Envrionmental Cases, Nordic Journal of International Law 81 (2012) 39 (71); C. Haas, Private als Auskunftsverpflichtete nach den Umweltinformations- und Informationsfreiheitsgesetzen, 2012, S. 23. 207  C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 23 Rn. 7. 208  Vgl. zu diesen allerdings nicht unter den Ansatz des „Greening the Human Rights“ fallenden Fällen R. Pavoni, Environmental Jurisprudence of the European and Inter-American Courts of Human Rights, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 (78 f.) m. N. aus der Rechtsprechung des EGMR. 209  Vgl. die teilweise abweichenden, teilweise konkurrierenden Begründungen mehrerer Richter im Anschluss an die Mehrheitsbegründung zu EGMR, Urteil vom 19.02.1998  – 116 / 1996 / 735 / 932 (Guerra u. a. / Italien), wo mehrere Richter darauf hinweisen, dass sie die Gewährleistung eines Rechts auf Informationszugang unter Art. 10 EMRK nicht generell ausschließen wollten. Siehe hierzu auch D. E. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 17. 210  Zuletzt EGMR, Urteil vom 14.04.09  – 37374 / 05 (Társaság A Szabadságjogokért / Ungarn), Rn. 27 (Menschenrechtsorganisation); Urteil vom 22.04.13 – 48876 / 08 (Animal Defenders International / Vereinigtes Königreich), Rn. 102 f. (Tierschutzvereinigung); Urteil vom 25.06.2013 – 48135 / 06 (Youth Initiative for Human Rights / Serbien), Rn. 20 (Menschenrechtsorganisation); Urteil vom 28.11.13 – 39534 / 07 (Österreichische Vereinigung zur Erhaltung, Stärkung und Schaffung / Österreich), Rn. 34 (regionale Interessengemeinschaft).



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Zwar geht der EGMR auch weiterhin davon aus, dass sich aus Art. 10 EMRK keine positive Pflicht des Staates zur aktiven Verbreitung von Informationen ergebe. Gleichwohl stellte er jüngst in einer Reihe von Entscheidungen fest, dass Art. 10 EMRK ein Recht auf Informationszugang umfasse und dessen Beschränkung rechtfertigungspflichtig sei.211 Dabei gab der EGMR sein bisheriges enges Verständnis, das er noch in der Rechtssache Guerra u. a. zugrundegelegt hatte, jedenfalls teilweise ausdrücklich auf.212 Die Reichweite des gewährleisteten Informationszugangs und damit seine Bedeutung für die vorliegende Frage kann gleichwohl noch nicht vollends als geklärt angesehen werden.213 Entgegen Schoch ist es allerdings keinesfalls so, dass der EGMR eindeutig nur in eng zu fassenden Ausnahmekon­ stellationen ein solches Recht auf Informationszugang anerkennt und das Bestehen eines weiteren allgemeinen Rechts selbst weiterhin ausdrücklich ausschließt.214 Gleichwohl ist es bislang etwa nicht eindeutig ersichtlich, ob es sich hier um einen Anspruch lediglich eines insoweit privilegierten Kreises, d. h. insbesondere von Nichtregierungsorganisationen handelt215 oder ob 211  Erstmals EGMR, Entscheidung vom 10.07.2006  – 19101 / 03 (Sdruženi Jihočeské Matky / Tschechische Republik) betreffend ein Informationsbegehren einer Umweltvereinigung bzgl. des Umbaus des tschechischen Atomkraftwerkes Temelín; EGMR Urteil vom 14.04.09  – 37374 / 05 (Társaság A Szabadságjogokért / Ungarn), Rn. 35; EGMR, Urteil vom 25.06.2013  – 48135 / 06 (Youth Initiative for Human Rights / Serbien), Rn. 20; EGMR, Urteil vom 28.11.13  – 39534 / 07 (Österreichische Vereinigung zur Erhaltung, Stärkung und Schaffung / Österreich), Rn. 41. 212  Siehe nur EGMR, Urteil vom 28.11.13  – 39534 / 07 (Österreichische Vereinigung zur Erhaltung, Stärkung und Schaffung / Österreich), Rn. 41. 213  So auch R. Pavoni, Environmental Jurisprudence of the European and InterAmerican Courts of Human Rights, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 (81 f.). 214  Nicht nur trägt der von F. Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, Einl. Rn. 191 angeführte Beleg diese Ansicht nicht. Die Stelle aus der Urteilsbegründung aus EGMR, Urteil vom 14.04.09  – 37374 / 05 (Társaság A Szabadságjogokért / Ungarn), Rn. 35 weist vielmehr in die entgegengesetzte Richtung. Der Zusammenhang lautet: „The Court recalls at the outset that ‚Article 10 does not … confer on the individual a right of access to a register containing information on his personal position, nor does it embody an obligation on the Government to impart such information to the individual‘ (Leander v. Sweden, 26 March 1987, § 74 in fine, Series A no. 116) and that ‚it is difficult to derive from the Convention a general right of access to administrative data and documents‘ [Loiseau v. France (dec.), no. 46809 / 99, ECHR 2003-XII (extracts)]. Nevertheless, the Court has recently advanced towards a broader interpretation of the notion of ‚freedom to receive information‘ (see Sdružení Jihočeské Matky c.  la République tchèque (dec.), no. 19101 / 03, 10 July 2006) and thereby towards the recognition of a right of access to information.“ [Hervorhebung durch den Verfasser]. Der hier hervorgehobene Teil der Begründung wird auch weggelassen durch BayVGH, Urteil vom 14.02.2014 – 5 ZB 13.1559, Rn. 11. 215  Ein starkes Argument hierfür ist aber die in den konkreten Entscheidungen erfolgte Hervorhebung der Rolle der NGOs als „Wächter der Öffentlichkeit“, die ihre

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

der Anspruch doch personell von allgemeiner Natur sein könnte. Auch ist nicht klar, ob jede Art von Umweltinformation grundsätzlich erfasst wird, oder ob der EGMR nur bestimmte Umweltinformationen hierunter fassen will. Gegen eine Beschränkung etwa auf zugleich gesundheitsrelevante Informationen spricht aber, dass für eine solche schutzgutakzessorische Begrenzung des Informationsbegriffs, wie er im Rahmen von Art. 2 bzw. Art. 8 EMRK gerechtfertigt ist, im Rahmen von Art. 10 EMRK gerade kein Anlass besteht, da dessen Funktion der Ermöglichung von Diskussionen über öffentlich relevante Fragestellungen gerade erst dann erfüllt wird, wenn auch weitere, ausschließlich öffentliche Interessen betreffende Umweltinformationen erfasst werden. Klar ist jedoch, dass das Gericht bei der Möglichkeit der Rechtfertigung von Beschränkungen etwa danach unterscheiden will,216 wie konkret der geltend gemachte Informationsanspruch ist und ob dieser sich auf Informationen bezieht, die ohne weitere Verarbeitung veröffentlicht werden können oder erst der aufwendigen Aufbereitung etwa zum Schutz persönlicher Daten bedürfen.217 Skeptisch ob der Reichweite des prima facie gewährleisteten Rechts muss schließlich auch stimmen, dass es der EGMR bislang vermieden hat, ausdrücklich auf andere, sachlich einschlägige völkerrechtliche Instrumente – namentlich die Aarhus-Konvention – zur Abstützung oder Illustration seiner neueren Rechtsprechung zu Art. 10 EMRK zu verweisen.218 Wie noch einmal näher zu zeigen sein wird, hat der EGMR diese im Rahmen seiner umweltrelevanten Rechtsprechung bereits in Bezug genommen,219 sodass es verPrivilegierung rechtfertigen könnte, so auch F. Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, Einl. Rn. 190. 216  Weitere Gesichtspunkte sind auch das Bestehen eines staatlichen Informationsmonopols und die Bedeutung der begehrten Informationen, F. Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, Einl. Rn. 190. Entgegen diesem, ist nach hier vertretener Ansicht jedoch davon auszugehen, dass es sich hierbei um rechtfertigende Erwägungen zur Beschränkung des prima facie weiteren Rechts handelt, nicht aber um Bedinungen für die ausnahmsweise Anerkennung des Zugangsrechts, offen gelassen von BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 – 6 A 2 / 12, Rn. 33; a. A. aber BayVGH, Urteil vom 14.02.2014 – 5 ZB 13.1559, Rn. 11. 217  EGMR, Urteil vom 28.11.13 – 39534 / 07 (Österreichische Vereinigung zur Erhaltung, Stärkung und Schaffung / Österreich), Rn. 44 ff. Solcherlei Umstände sollen aber wohl nicht die vorbehaltlose Versagung eines Anspruches, sondern lediglich dessen Beschränkung, etwa durch die Auferlegung von Verwaltungsgebühren, rechtfertigen. Zusätzlich will der Gerichtshof berücksichtigen, ob der notwendige Aufwand für die Verarbeitung von Daten etwa darauf zurückzuführen ist, dass der Staat sich für eine äußerst restriktive Informationspolitik entschieden hat und die Gründe für den Aufwand deshalb dem Staat zuzurechnen sind. 218  Ein Verweis auf andere völkerrechtliche Instrumente oder die Rechtsprechungsentwicklung in anderen Foren zur Frage der Informationszugangsfreiheit findet sich in keiner der hier aufgeführten Entscheidungen des EGMR.



A. Schutz mittels klassischer Menschenrechte207

wundert, dass eine ausdrückliche Inbezugnahme für die Auslegung von Art. 10 EMRK nicht stattfindet. Auffallend ist dies insbesondere im Vergleich mit der Rechtsprechung des Inter-Amerikanischen Menschenrechtsgerichtshofes. Dieser hat nicht nur das Recht auf Zugang zu Informationen des Staates von allgemeinem Interesse als Teilgewährleistung der Meinungsfreiheit nach Art. 13 AMRK anerkannt,220 was angesichts der Einbeziehung des Informationsbegehrens in den Wortlaut der Norm221 auch näher liegt als bei Art. 10 EMRK. Vielmehr hat dieser auch unter ausdrücklichem Verweis auf die Aarhus-Konvention222 sowohl das individuelle als auch das öffentliche Interesse an ungehindertem Informationszugang anerkannt und sieht darin eine Möglichkeit, eine Beteiligung an der öffentlichen Verwaltungstätigkeit zu gewährleisten und eine Form der Verwaltungskontrolle durch die Öffentlichkeit sicherzustellen. Dass der EGMR aber überhaupt – jedenfalls prima facie – mittlerweile einen Anspruch auf Informationszugang unter Art. 10 EMRK anerkennt, stellt eine bemerkenswerte Neuerung mit Bedeutung auch für den mittelbaren Schutz biologischer Vielfalt dar. Nicht nur kann dadurch auch ein Mindeststandard für den Informationszugang bzgl. umweltrelevanter Informationen in solchen Ländern erreicht werden, die nicht gleichzeitig auch Vertragsstaat der Aarhus-Konvention sind.223 Vielmehr dürfte in Zukunft auch im Rahmen von Abwägungsvorgängen dem primär öffentlichen Interesse am Umweltinformationszugang ein abstrakt höheres Gewicht zukommen. Dadurch kann sich dieses Interesse auch dort gegen entgegenstehende private Interessen, etwa an der Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, durchsetzen, wo, wie in der deutschen Rechtsordnung, eine verfassungsrechtliche Gewährleistung der Informationszugangsfreiheit nicht besteht.224

219  Siehe

hierzu unten: Zweiter Teil, A. IV. 2. c) bb). Court H.R., Case of Claude Reyes et al. v. Chile. Merits, Reparations and Costs. Judgment of September 19, 2006. Series C No. 151, Rn. 77. 221  Art. 13 Abs. 1 S. 2 AMRK: „This right includes freedom to seek, receive, and impart information […].“ 222  Vgl. I / A Court H.R., Case of Claude Reyes et al. v. Chile. Merits, Reparations and Costs. Judgment of September 19, 2006. Series C No. 151, Rn. 81; R. Pavoni, Environmental Jurisprudence of the European and Inter-American Courts of Human Rights, in: Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 (74 ff.). 223  Zum Informationszugang in deren Rahmen siehe unten: Zweiter Teil, B. IV. 1. 224  Zur Diskussion und ablehnenden herrschenden Meinung zur Informationszugangsfreiheit unter Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG siehe nur F. Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, Einl. Rn. 68 f.; B. W. Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 480 ff.; C. Haas, Private als Auskunftsverpflichtete nach den Umweltinformations- und Informationsfreiheitsgesetzen, 2012, S. 62; S. Wirtz / S. Brink, Die verfassungsrechtliche Verankerung der Informationszugangsfreiheit, NVwZ 2015, 1166 (1168) m. w. N. 220  I / A

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

d) Art. 6 sowie 13 EMRK Diskutiert wird mitunter schließlich die Umweltrelevanz von Art. 6 EMRK sowie 13 EMRK und beiden wird eine durchaus wachsende Relevanz bescheinigt.225 Dem soll hier jedoch nicht im Einzelnen nachgegangen werden, da die Bedeutung beider Garantien für den vorliegend allein interessierenden Schutz biologischer Vielfalt jedenfalls stark begrenzt ist.226 Für Art. 13 EMRK ist dies dadurch erklärbar, dass das dort gewährleistete Recht auf eine wirksame Beschwerde sich ausschließlich auf die durch die Konvention geschützten Rechte bezieht, mithin ebenso schutzgutakzessorisch ausgestaltet ist wie auch die übrigen Garantien. Hinsichtlich Art. 6 EMRK, der ein Recht auf ein faires Verfahren garantiert, liegt die Schwierigkeit seiner Anwendung in umweltrelevanten Fällen allgemein und in Fällen alleiniger Betroffenheit der Bestandteile biologischer Vielfalt im Besonderen darin, dass er die Eröffnung eines Zugangs zu Gerichten nur dort verlangt, wo u. a. eine Streitigkeit in Bezug auf zivilrechtliche Ansprüche besteht. Der Begriff des zivilrechtlichen Anspruchs wird zwar autonom und durch den EGMR derart ausgelegt, dass hierunter auch etwa die Durchsetzung eines innerstaatlich gewährleisteten Rechts auf eine gesunde Umwelt fällt.227 Ist ein solches aber nicht im nationalen Recht vorgesehen,228 kommen bei der Beeinträchtigung von Bestandteilen biologischer Vielfalt fast nur eigentumsrechtliche Ansprüche als möglicherweise unmittelbar beeinträchtigte Position in Frage. Im Falle deren möglicher Verletzung bestünde aber selbst nach dem strengen deutschen Modell der Verletztenklage ein Zugang zu Gerichten, sodass Art. 6 EMRK insoweit keine strukturelle Erweiterung anzustoßen vermag, wohl aber Verstöße im Einzelfall sanktionierbar macht. Die Bedeutung von Art. 6 EMRK wird zusätzlich 225  Siehe hierzu ausfürhlich K. Braig, Umweltschutz durch die europäische Menschenrechtskonvention, 2013, S. 312 ff. sowie auch R. Schmidt-Radefeldt, Ökologische Menschenrechte, 2000, S. 162 ff. 226  Vgl. auch zu vergleichbaren Garantien unter der AMRK die dortigen Art. 8 (Right to a Fair Trial) sowie Art. 25 (Right to Judicial Protection). Die ACHPR enthält eine mit Art. 6 EMRK vergleichbare, obgleich enger gefasste Garantie in Art. 7 Ziff. 1 sowie eine mit Art. 13 EMRK vergleichbare, aber sehr viel schwächere Gewährleistung in Art. 26. 227  Zur zunehmenden Einbeziehung von nach deutschem Verständnis öffentlichrechtlichen Streitigkeiten mit Umweltbezug K. Braig, Umweltschutz durch die europäische Menschenrechtskonvention, 2013, S. 313 f.; R. Schmidt-Radefeldt, Ökologische Menschenrechte, 2000, S. 163 f.; J. Meyer-Ladewig / S. Harrendorf / S. König, in: J. Meyer-Ladewig / M. Nettesheim / S.v. Raumer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 6 Rn. 5. 228  Zum innerstaatlichen materiellen Recht als Anknüpfungspunkt für das prozedurale Recht gem. Art. 6 EMRK R. Schmidt-Radefeld, Ökologische Menschenrechte, 2000, S. 163.



A. Schutz mittels klassischer Menschenrechte

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dadurch geschmälert, dass der Gerichtshof strenge Anforderungen an den nachzuweisenden Zusammenhang zwischen dem Ausgang von Genehmigungsverfahren – etwa der Zulassung einer industriellen Anlage229 – und dem geltend gemachten zivilrechtlichen Anspruch stellt.230 Danach genügen nicht bloß ein loser Zusammenhang oder möglicherweise entfernte Auswirkungen der Entscheidung auf den geltend gemachten Anspruch.231 Die Rechtsprechung des EGMR ist in diesem Bereich stark kasuistisch geprägt und Entscheidungen sind nicht leicht vorherzusehen. In der Vergangenheit hat der EGMR den von ihm verlangten Zusammenhang gerade bei zugrundeliegenden technisch anspruchsvollen Sachverhalten regelmäßig sogar dann nicht als erfüllt angesehen, wenn die potentiellen – wenn auch nicht hinreichend bestimmten und unmittelbaren – Gefahren gar Schutzgütern der Konvention galten. Mit Blick auf eine Streitigkeit um die Verletzung des Rechts auf eine gesunde Umwelt hat der Gerichtshof in einem Verfahren gegen Frankreich zudem festgestellt, dass der Streit sich eher auf das allgemeine Wohl der Umwelt und weniger auf einen konkreten zivilrechtlichen Anspruch und damit die persönliche Rechtsstellung beziehe.232 Schon in der allgemein umweltrelevanten Rechtsprechung des EGMR kommt mithin ein gewisser Unwille des Gerichtshofs zum Ausdruck, über Art. 6 EMRK auf das nationale Prozessrecht im Bereich des Umweltrechts einzuwirken. Dies dürfte für Fälle der alleinigen Beeinträchtigungen von Bestandteilen biologischer Vielfalt noch in verstärktem Maße gelten.233 229  In den bislang entschiedenen umweltrelevanten Fällen zu Art. 6 EMRK sollte zum einen gegen die Betriebsgenehmigung eines Atomkraftwerkes, zum anderen gegen die Lagerung radioaktiver Abfälle vor nationalen Gerichten vorgegangen werden, vgl. einerseits EGMR, Urteil vom 28.06.1997  – 22110 / 93 (Balmer-Schafroth u. a. /  Schweiz) und EGMR, Urteil vom 06.04.2000  – 27644 / 95 (Athanassoglou / Schweiz) sowie andererseits EGMR, Entscheidung vom 13.12.2011  – 55243 / 10 (Association Greenpeace France / Frankreich). 230  Zu dem geforderten unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Ausgang des Verfahrens und dem als verletzt behaupteten Recht siehe J. Meyer-Ladewig / S. Harrendorf / S. König, in: J. Meyer-Ladewig / M. Nettesheim / S. v. Raumer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 6 Rn. 18. 231  Hieran scheiterten jeweils die Klagen von Personen, die sich gegen die Betriebserlaubnis von Atomkraftwerken wendeten, da es nach Meinung des Gerichtshofs hier nur um die abstrakten Gefahren für die Bevölkerung, nicht aber um eine unmittelbar Gefahr für die geltend gemachten eigenen Rechte ging, siehe EGMR, Urteil vom 28.06.1997  – 22110 / 93 (Balmer-Schafroth u. a. / Schweiz), Rn. 40; EGMR, Urteil vom 06.04.2000 – 27644 / 95 (Athanassoglou / Schweiz), Rn. 43. 232  EGMR, Entscheidung vom 13.12.2011  – 55243 / 10 (Association Greenpeace France / Frankreich). 233  Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass auch die Nichtvollziehung umweltrelevanter Urteile nationaler Gerichte durch die zuständigen Behörden eine Verletzung von Art. 6 EMRK darstellen können. Auch in diesem Sinne kann Art. 6 EMRK zur Stärkung des Umweltrechtsschutzes beitragen, C. Schall, Public Interest Litigation

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

2. Gewährleistungsumfang Die bisherige Darstellung hat gezeigt, dass die Zerstörung der Biodiversität und ihrer Bestandteile und damit auch der mit ihr verbundenen Ökosystemdienstleistungen nur selten mit der erforderlichen Unmittelbarkeit zu einer hinreichend intensiven Beeinträchtigung von Schutzgütern der EMRK führt, um ihre Gewährleistungen zu aktivieren. In Einzelfällen234 erscheint dies allerdings durchaus vorstellbar. Eine pauschale Verneinung mittelbarrechtlichen Biodiversitätsschuztes235 erweist sich vor diesem Hintergrund als falsch. Hinzu kommt die Möglichkeit, dass die Bestandteile biologischer Vielfalt in zahlreichen Konstellationen, in denen sie zwar nicht zur kausalen Ursache der Beeinträchtigung von Schutzgütern der Konvention, wohl aber häufig in gleichem oder noch stärkeren Maße beeinträchtigt werden, von dem durch die Konvention gewährleisteten Schutz zumindest reflexartig profitieren können. Auf einen solchen mittelbar-faktischen Schutz bestehen aber freilich gerade keine subjektiv-rechtlichen Ansprüche. Maßgeblich für die Beurteilung des durch die EMRK bewirkten Schutzes biologischer Vielfalt ist allerdings nicht allein die Eröffnung der Schutzbereiche ihrer Garantien in biodiversitätsrelevanten Konstellationen, sondern vielmehr auch die sich daraus ergebenden Pflichten des Staates. Soweit der Schutzbereich einer Garantie der EMRK eröffnet ist, treffen den jeweiligen Staat sowohl negative [b)] als auch – und hier im Vordergrund stehend – positive Verpflichtungen [c)] zum Schutz der jeweiligen Güter und Interessen.236 Dennoch erfolgende Beeinträchtigungen der Rechte können jedoch

Concerning Environmental Matters before Human Rghts Courts: A Promising Future Concept?, Journal of Environmental Law, 20:3 (2008), 417 (450). 234  So beim Hochwasserschutz als Ökosystemleistung oder beim Schutz des Eigentums vor Beeinträchtigungen durch genetische Modifikationen. Vgl. hierzu bereits oben: Zweiter Teil, A. IV. 1. a) cc) sowie Zweiter Teil, A. IV. 1. b) cc). 235  Vgl. bereits oben die in Fn. 35 genannten Quellen. 236  Der Unterscheidung soll nach der Rechtsprechung des EGMR für die Rechtfertigung von Pflichtverletzungen allerdings keine wesentliche Bedeutung zukommen, sodass eine eindeutige Zuordnung teils unterbleibt, vgl. EGMR, Urteil vom 02.10.2001  – 36022 / 97 (Hatton u. a. / Vereinigtes Königreich), Rn. 96; Urteil vom 09.12.1994 – 16798 / 90 (López Ostra / Spanien), Rn. 51 sowie Urteil vom 16.11.2004 – 4143 / 02 (Moreno Gómez / Spanien), Rn. 55, teils wohl eher um der dogmatischen Klarheit willen erfolgt, vgl. EGMR, Urteil vom 30.11.2004  – 48939 / 99 (Öneryildiz / Türkei), Rn. 135 wo die große Kammer des Gerichtshofs, von der Kammerentscheidung abweichend, ausdrücklich vom Vorliegen einer Verletzung einer positiven Pflicht und nicht von einem Eingriff ausgeht. Vgl. hierzu auch C. Grabenwarter /  K. Pabel, Europäische Menschrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 19 Rn. 5 und 7, die auch auf Fälle positiver Pflichtverletzungen verweisen, in denen die staatlichen Spielräume weiter sein sollen.



A. Schutz mittels klassischer Menschenrechte211

gerechtfertigt sein.237 Bei dem hierfür insbesondere erforderlichen Ausgleich zwischen legitimen öffentlichen Interessen einerseits und den Erhaltungsinteressen der Betroffen andererseits gesteht der Gerichtshof den Staaten im Grundsatz einen weiten Einschätzungsspielraum zu, der die subsidiäre Rolle der Konvention unterstreicht und einleitend betrachtet werden soll [a)]. Erst aus der Betrachtung dieser weiteren Prüfungsschritte ergibt sich ein Bild des durch die EMRK vermittelten Schutzes und Schutzpotentials für die Bestandteile biologischer Vielfalt.238 a) Die Doktrin vom Einschätzungsspielraum der Staaten Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkennt in seiner Rechtsprechung an verschiedenen Stellen den Mitgliedstaaten einen mal engeren, mal weiteren Einschätzungsspielraum zu und nimmt insoweit seine eigene

237  Allgemeine Voraussetzungen für aktive staatliche Eingriffe sind das Vorliegen einer gesetzlichen Ermächtigung, eines legitimen Zieles sowie seine Erforderlichkeit in einer demokratischen Gesellschaft, was mit dem Gebot der Verhältnismäßigkeit gleichzusetzen ist, C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 18 Rn. 14. Der Sache nach kann das Unterlassen effizienter Schutzmaßnahmen sowohl im Rahmen von Art. 8 als auch des Art. 2 EMRK und auch Art. 1 1. ZP EMRK gerechtfertigt werden. Im Rahmen von Art. 8 EMRK prüft der Gerichtshof die Stufe der Rechtfertigung zumeist ausdrücklich, geht dabei von einem weitgehenden Gleichklang der anzuwendenden Grundsätze unabhängig von der Verletzung positiver oder negativer Pflichten aus, und will den in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zwecken auch in Schutzpflichten-Konstellationen eine gewisse Bedeutung beimessen, siehe EGMR, Urteil vom 16.11.2004  – 4143 / 02 (Moreno Gómez / Spanien), Rn. 55; Urteil vom 09.06.2005 – 55723 / 00 (Fadeyeva / Russland), Rn. 94; Urteil vom 09.12.1994  – 16798 / 90 (López Ostra / Spanien), Rn. 51; Urteil vom 02.10.2001  – 36022 / 97 (Hatton u. a. / Vereinigtes Königreich), Rn. 94. Bei den Ausführungen im Rahmen von Art. 2 EMRK, der keinen allgemeinen Gesetzesvorbehalt enthält, findet dagegen eine Rechtfertigungsprüfung häufig nicht ausdrücklich statt. Vielmehr erscheint mit der Erkenntnis der Verletzung einer Handlungspflicht des Staates zugleich die Verletzung der Garantie festzustehen. Zu beachten ist aber, dass der Gerichtshof in diesem Zusammenhang bereits bei der Formulierung der Pflichten darauf verweist, dass den Mitgliedstaaten nichts Unmögliches oder Unverhältnismäßiges aufgegeben werden dürfe und insoweit auch die Setzung von Prioritäten gestattet und die Begrenztheit der zur Verfügung stehenden Ressourcen zu berücksichtigen seien, EGMR, Urteil vom 30.11.2004  – 48939 / 99 (Öneryildiz / Türkei), Rn. 107; Urteil vom 20.03.2008  – 15339 / 02, 21166 / 02, 20058 / 02, 11673 / 02, 15343 / 02 (Budayeva u. a. /  Russland), Rn. 135. 238  Gerade hier wirkt der allgemeine Sprachgebrauch von den „gewährleisteten Rechten“ häufig verklärend. Gewährleistet wird ein Schutz der erfassten Rechtsgüter nur insoweit, als Beeinträchtigungen nicht gerechtfertigt werden können. Es besteht deshalb ein entscheidender Unterschied zwischen dem „prima facie“ gewährleisteten Recht in abstracto und dem Recht in concreto.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Kontrolle zugunsten der Mitgliedstaaten zurück.239 Die zugrundeliegende sogenannte Doktrin vom Einschätzungsspielraum der Staaten240 findet in verschiedensten Fallgestaltungen Anwendung und ist keinesfalls auf die umweltrelevante Rechtsprechung des Gerichtshofs beschränkt. Sie ist vielmehr Ausdruck des Versuchs einer Bestimmung der subsidiären Rolle241 des Gerichtshofs im europäischen Verfassungsgerichtsverbund242 sowie seiner ergänzenden Rolle gegenüber den primär für den Rechtsschutz zuständigen Gerichten der Vertragsstaaten und den zu allererst zur Entscheidung berufenen staatlichen Behörden.243 Der Gerichtshof behält sich eine Kontrolle der Beurteilung durch den Mitgliedstaat vor, ohne aber dabei die eigene Bewertung an die Stelle derjenigen der nationalen Behörden zu setzen.244 Begrifflich bereits Ende der 1970er Jahre geprägt,245 findet die Doktrin inzwischen 239  Die Diskussion um die Doktrin vom Einschätzungsspielraum der Staaten weist freilich gewisse Parallelen zu der innerstaatlichen Diskussion in Deutschland über die insbesondere durch Verwaltungsgrichte gegenüber Behörden einzuräumenden Einschätzungsspielräume auf. Dort liegt der Fokus jedoch auf der Abgrenzung horizontaler Gewaltenteilung, während hier Fragen der vertikalen Kompetenzverteilung zwischen EGMR und den souveränen Mitgliedstaaten betroffen sind. Vgl. Y. Arai-Takahashi, The margin of appreciation doctrine: a theoretical analysis of Strasbourg’s variable geometry, in: A. Føllesdal / B. Peters / G. Ulfstein, Constituting Europe: The European Court of Human Rights in a National, European and Global Context, 2013, 62 (64); P. Contreras, National Discretion and International Deference in the Restriction of Human Rights, Northwestern Journal of International Human Rights 2012, 28 (28). 240  In der Rechtsprechung und englischsprachigen Literatur regelmäßig als „doctrine of the margin of appreciation“ bezeichnet, in den französischsprachigen Urteilen und der französischsprachigen Literatur „marge d’appreciation“. 241  Y. Arai-Takahashi, The margin of appreciation doctrine: a theoretical analysis of Strasbourg’s variable geometry, in: A. Føllesdal / B. Peters / G. Ulfstein, Consti­ tuting Europe: The European Court of Human Rights in a National, European and Global Context, 2013, 62 (62, 66 und insbesondere 91); H. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in Environmental Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (84); S. Vöneky / F. Beck, Umweltschutz und Menschenrechte, in: A. Proelß, Internationales Umweltrecht, 2017, Fünfter Abschnitt, Rn. 29; kritisch gegenüber solchen „rechtspolitischen“ Begründungen E. Benvenisti, Margin of Appreciation, Consensus, and Universal Standards, International Law and Politics 31 (1999), 843 (846). 242  Zu diesem Begriff A. Voßkuhle, Der europäische Verfassungsgerichtsverbund, NVwZ 2010, 1 (3). 243  C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 18 Rn. 21. 244  EGMR, Urteil vom 21.02.1990  – 9310 / 81 (Powell and Rayner / Vereinigtes Königreich), Rn. 44; EGMR, Urteil vom 27.01.2009  – 67021 / 01 (Tătar / Rumänien), Rn. 108. 245  Zu den frühen Fällen in der Rechtsprechung des EGMR H. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in Environmental Jurispru-



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auf zahlreiche beschränkbare Grund- und Menschenrechte246 in verschiedenen Zusammenhängen247 Anwendung. Zwar hat die Doktrin vielfach Kritik erfahren, die sich gegen ihre unzureichende theoretische Grundierung ebenso richtet wie gegen ihre zumindest äußerlich undifferenzierte Anwendung auf verschiedene Problemlagen und die Tendenz des Gerichtshofs durch ihre Anwendung der Durchführung unzweifelhaft schwieriger, aber als notwendig empfundener Abwägungsentscheidungen zu entkommen.248 Ihre künftig explizite Verankerung in der Präambel der Konvention wird ihr Gewicht trotzdem eher noch erhöhen als verringern.249 Im Rahmen der umweltrelevanten Rechtsprechung des EGMR ist sie insbesondere bei der Bestimmung der positiven Schutzpflichten der Staaten gegen Umweltbeeinträchtigungen von Bedeutung, konkret bei der gem. Art. 8 Abs. 2 und Art. 1 Abs. 2 1.  ZP EMRK aufgeworfenen Frage, ob der Staat einen fairen Ausgleich zwischen den schutzwürdigen Interessen des Einzelnen und den Interessen der Öffentlichkeit vorgenommen hat. In Fällen mit Umweltbezug hat der Gerichtshof den Staaten regelmäßig im Ausgangsdence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (84 f.); Y. AraiTakahashi, The margin of appreciation doctrine: a theoretical analysis of Strasbourg’s variable geometry, in: A. Føllesdal / B. Peters / G. Ulfstein, Constituting Europe: The European Court of Human Rights in a National, European and Global Context, 2013, 62 (66). 246  H. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in Environmental Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (86). 247  Vgl. zu den verschiedenen Anwendungsbereichen der Doktrin Y. Arai-Takahashi, The margin of appreciation doctrine: a theoretical analysis of Strasbourg’s variable geometry, in: A. Føllesdal / B. Peters / G. Ulfstein, Constituting Europe: The European Court of Human Rights in a National, European and Global Context, 2013, 62 (69 ff.); kritisch gegenüber der Anwendung einer äußerlich einheitlichen Doktrin auf so unterschiedliche Fragestellungen H. Müllerová, Environment Playing Shorthanded: Margin of Appreciation in Environmental Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (85 f.). 248  H. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in Environmental Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (85); vgl insbesondere zum letzten Kritikpunkt auch Y. Arai-Takahashi, The margin of appreciation doctrine: a theoretical analysis of Strasbourg’s variable geometry, in: A. Føllesdal / B. Peters / G. Ulfstein, Constituting Europe: The European Court of Human Rights in a National, European and Global Context, 2013, 62 (75), der eine teilweise Rechtfertigung dieses Vorgehens jedoch im Anschluss an R. Alexy in der speziellen Struktur von Grund- und Menschenrechten sieht. E. Benvenisti, Margin of Appreciation, Consensus, and Universal Standards, International Law and Politics 31 (1999), 843 (843) wendet sich dagegen ganz grundsätzlich gegen die Theorie, da sie die Universalität von Menschenrechten gefährde. 249  Zu dieser durch das 15. Zusatzprotokoll zur EMRK vorgesehenen Ergänzung siehe bereits oben: Zweiter Teil, A. II.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

punkt einen weiten Einschätzungsspielraum zugebilligt und dies mit der besonderen Sensibilität und Komplexität von Entscheidungen über staatliche umweltrelevante Maßnahmen gerechtfertigt.250 Nationale Stellen seien insoweit außerdem zur Beurteilung lokaler Erfordernisse und Umstände grundsätzlich besser in der Lage als ein internationales Gericht.251 Zudem wird die Entscheidung mit Blick auf die positiven Pflichten der Staaten damit begründet, dass Staaten hier zwangsläufig Prioritäten setzen und Rücksicht auf die vorhandenen Ressourcen nehmen müssten.252 In erster Linie folgt hieraus eine Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle des von den Staaten unternommenen materiellen Schutzes.253 Insoweit beschränkt sich die Kontrolle vielfach auf das Vorliegen offensichtlicher Fehler bei der Herstellung eines fairen Ausgleichs der konkurrierenden Interessen.254 Damit wird in vielen Fällen nicht viel mehr als eine Willkürkontrolle durchgeführt. Gleichzeitig wird dieser Verlust an Kontrolle jedoch teilweise durch die Etablierung prozeduraler Vorgaben kompensiert,255 deren Erfüllung das Gericht als notwendige Vorbedingung für einen zu schaffenden fairen Ausgleich zwischen den Inte­ ressen des Betroffenen und denen der Öffentlichkeit ansieht.256 Dabei ist zu beachten, dass der Gerichtshof diese nicht als eigenständige Verpflichtungen der Staaten benennt, sondern ihre Erfüllung vielmehr maßgeblich für die Weite des letztlich den Staaten zukommenden Einschätzungsspielraums ist.257 Ausdrücklich hat der Gerichtshof diese Funktion prozeduraler Maß250  Vgl. nur EGMR, Urteil vom 10.11.2004  – 46117 / 99 (Tașkin u. a. / Türkei), Rn. 116; EGMR, Urteil vom 08.07.2003  – 36022 / 97 (Hatton und andere gegen Vereinigtes Königreich), Rn. 100; Y. Arai-Takahashi, The margin of appreciation doctrine: a theoretical analysis of Strasbourg’s variable geometry, in: A. Føllesdal / B. Peters / G. Ulfstein, Constituting Europe: The European Court of Human Rights in a National, European and Global Context, 2013, 62 (95); H. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in Environmental Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (88). 251  EGMR, Urteil vom 09.06.2005 – 55723 / 00 (Fadeyeva / Russland), Rn. 105. 252  EGMR, Urteil vom 20.03.2008  – 15339 / 02, 21166 / 02, 20058 / 02, 11673 / 02, 15343 / 02 (Budayeva u. a.  / Russland), Rn. 135. 253  H. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in Environmental Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (87). 254  EGMR, Urteil vom 09.06.2005 – 55723 / 00 (Fadeyeva / Russland), Rn. 105. 255  Allgemein zur Kompensationsfunktion prozeduraler Pflichten vgl. nur C. Calliess, Ansätze zur Subjektivierung von Gemeinwohlbelangen im Völkerrecht, ZUR 2000, 246 (255). 256  S. Vöneky / F. Beck, Umweltschutz und Menschenrechte, in: A. Proelß, Internationales Umweltrecht, 2017, Fünfter Abschnitt, Rn. 35. 257  Es handelt sich mithin nur um prozedurale Gewährleistungen insbesondere zum Schutz der Rechte aus Art. 8 und 2 EMRK, nicht aber um selbständige Rechte, R. Pavoni, Environmental Jurisprudence of the European and Inter-American Courts



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nahmen in der Rechtssache Giaccomelli bestimmt.258 Den Verfahrens- und Organisationspflichten kommt in der Rechtsprechung des EGMR insoweit eine Bedeutung als sekundäre Pflichten zu. Ihre Nichtbeachtung dürfte deshalb allenfalls dann zu einer selbständigen Konventionsverletzung führen, wenn sie im konkreten Fall von erheblichem Gewicht ist.259 Stellt der Gerichtshof dagegen Verstöße der Staaten gegen selbstgesetztes nationales (Verfahrens-)Recht260 und auch Verstöße gegen oder die Nichtbeachtung von Entscheidungen nationaler Gerichte261 fest, so nimmt er dies meist zum Anlass, eine Konventionsverletzung ohne weiteres festzustellen, da ein fairer Ausgleich der betroffenen Interessen in solchen Fällen offensichtlich nicht erfolgt ist. Der Gerichtshof hält die Staaten insoweit an ihren selbstgesetzten Anforderungen fest und sanktioniert überdies Verstöße gegen rechtsstaatliche Anforderungen. Zu beachten ist aber, dass dieser Zusammenhang in der Rechtsprechung des EGMR kein zwingender ist und damit nicht stets Konventionsverletzungen aus Verstößen gegen nationales Recht folgen.262 Insbesondere sind sie für sich genommen selbstverständlich nicht geeignet, den Gewährleistungsbereich von Konventionsnormen zu eröffnen.263

of Human Rights, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 (87). 258  EGMR, Urteil vom 02.11.2006  – 59909 / 00 (Giacomelli / Italien), Rn. 84; in diese Richtung auch bereits EGMR, Urteil vom 08.07.2003  – 36022 / 97 (Hatton u. a. / Vereinigtes Königreich), Rn. 103 f.; weniger deutlich, da die Verletzung prozeduraler Pflichten und der Schutzplicht in einem Zuge festgestellt wird EGMR, Urteil vom 27.01.2009 – 67021 / 01 (Tătar v. Rumänien), Rn. 112. 259  EGMR, Urteil vom 08.07.2003  – 36022 / 97 (Hatton u. a. / Vereinigtes Königreich), Rn. 129. 260  Vgl. EGMR, Urteil vom 27.01.2009 – 67021 / 01 (Tătar v. Rumänien), Rn. 109. 261  EGMR, Urteil vom 10.11.2004  – 46117 / 99 (Tașkin u. a. / Türkei), Rn. 117, 121 ff., EGMR, Urteil vom 28.03.2006  – 46771 / 99 (Öçkan u. a. gegen Türkei), Rn. 45 ff. 262  N. de Sadeleer, Enforcing EUCHR Principles and Fundamental Rights in Environmental Cases, Nordic Journal of International Law 81 (2012), 39 (67); H. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in Environmental Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (90, Fn. 59). 263  Vgl. EGMR, Urteil vom 22.05.2003  – 41666 / 98 (Kyrtatos / Griechenland), Rn. 51 ff., freilich führte die Nichtbeachtung des nationalen Urteils aber zu einer Verletzung von Art. 6 EMRK. Im konkreten Fall hätte dessen Beachtung mithin auch zu einem Schutz der Natur geführt, a. a. O., Rn. 32.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

b) Die abwehrrechtliche Dimension der relevanten Rechte gegenüber Umweltphänomenen Die rein abwehrrechtliche Dimension der hier untersuchten Menschenrechte bezeichnet die historisch ursprüngliche Stoßrichtung menschenrechtlicher Garantien allgemein und auch als Kern der Rechte der EMRK.264 Zu den Menschenrechten mit primär abwehrrechtlichem Charakter werden auch die hier näher betrachteten Gewährleistungen der Freiheitsrechte aus Art. 2, 8 sowie Art. 1 ZP gezählt.265 Sie verpflichten Staaten zuallererst zur Unterlassung von Eingriffen.266 Dem dogmatischen Begriff des Eingriffs kommt bei der Beurteilung von Sachverhalten auf das Vorliegen von Verletzungen der Unterlassungspflichten neben einer Konturierung der Schutzbereiche, auf die er bezogen ist,267 die Aufgabe zu, den Zurechnungszusammenhang zwischen der Beeinträchtigung eines in sachlicher und persönlicher Hinsicht gewährleisteten Rechts und dem verpflichteten Staat herzustellen. Fehlt es an einer eigenen oder dem Staat zurechenbaren Handlung, so scheidet eine Verletzung der Unterlassungspflicht aus und es verbleibt nur noch die Möglichkeit der Verletzung einer Schutz- oder Leistungspflicht. Die abwehrrechtliche Dimension der hier untersuchten Garantien der Art. 8, 2 EMRK sowie des Art. 1 1. ZP EMRK hat in der umweltrelevanten Rechtsprechung des EGMR bislang nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Zwar gibt es zahlreiche staatliche Handlungen, die zur unmittelbaren Zerstörung biologischer Vielfalt führen – insbesondere der gesamte Bereich staat­ lichen Infrastrukturbaus. Der Bau von Infrastrukturanlagen als solcher wird jedoch durch menschenrechtliche Gewährleistungen kaum in Frage gestellt. Relevant sind hier allenfalls Modalitäten des Baus, etwa Entschädigungsfragen oder das Treffen gewisser Vorkehrungen gegen unzumutbare Beeinträchtigungen betroffener Dritter während oder aufgrund der Errichtung selbst. Die Benutzung solcher Anlagen stellt zumindest regelmäßig keine abwehrrechtliche Konstellation dar, wenn die Belastungen von privaten Nutzern der Anlagen ausgehen.268 264  Der EGMR bezeichnet diese Dimension auch als essentiellen Gegenstand zahlreicher Verpflichtungen der Konvention, EGMR, Urteil vom 18.06.2002 – 48939 / 99 (Öneryildiz / Türkei), Rn. 144. 265  C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 18 Rn. 1. 266  C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 19 Rn. 1. 267  C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 18 Rn. 6. 268  Dies ist aber durchaus möglich, etwa bei der ausschließlichen Nutzung durch Staatsunternehmen. Da der Gerichtshof an die Rechtfertigung von Beeinträchtigungen



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c) Die schutz- und leistungsrechtliche Dimension der relevanten Rechte gegenüber Umweltphänomenen Der EGMR erkennt seit langer Zeit an, dass aus den Garantien der Konvention auch positive Pflichten des Staates folgen.269 Der Schritt hin zu dieser Anerkennung wird zu Recht als maßgeblich für die umweltschützende Bedeutung der Konvention bezeichnet.270 Es ist diese Dimension, die typischerweise betroffen ist in Fällen mit Umweltbezug.271 Die schutz- und leistungsrechtliche Dimension der Menschenrechte der EMRK verpflichtet die Mitgliedstaaten der Konvention zu aktiven Handlungen. Dabei ist der Staat gerade auch verpflichtet die Handlungen privater Dritter zu unterbinden, soweit diese zu nicht zu rechtfertigenden Beeinträchtigungen von Schutzgütern der Konvention führen.272 Vom EGMR mit dem Oberbegriff der positiven Verpflichtungen bezeichnet, lassen sich mit Grabenwarter / Pabel Schutzpflichten, Gewährleistungspflichten bei Organisation und Verfah-

keine wesentlich unterschiedlichen Anforderungen stellt, je nachdem ob es sich um eine abwehrrechtliche oder eine leistungsrechtliche Konstellation handelt, kann die genaue Zuordnung eines Falles aber zumeist dahinstehen. 269  Ausführlich zur Entwicklung der Rechtsprechung C. Dröge, Positive Verpflichtungen der Staaten in der Europäischen Menschenrechtskonvention, 2003; K. Braig, Umweltschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013, S. 201 ff.; Zur Herleitung positiver Pflichten durch den EGMR unter dem Gesichtspunkt eines effektiven Grundrechtsschutzes im Umweltbereich vgl. EGMR, Urteil vom 27.01. 2009 – 67021 / 01 (Tatar v. Rumänien), Rn. 87. 270  H. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in Environmental Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (86); K. Braig, Umweltschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013, S.  201 f. 271  So auch die Einschätzung der Richter Costa, Ress, Türmen, Zupancic und Steiner in ihrer abweichenden Meinung, in: EGMR, Urteil vom 08.07.2003  – 36022 / 97 (Hatton und andere gegen Vereinigtes Königreich), Rn. 6; M. Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1996, S. 20 f. 272  Teilweise wird dies, abweichend von der deutschen Grundrechtsdogmatik, auch als horizontale Wirkung der EMRK-Rechte bezeichnet, so H. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in Environmental Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (86); dagegen wird die dogmatische Begrifflichkeit der deutschen Grundrechtslehre verwendet bei C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 19 Rn. 8, der diese Wirkung als mittelbare Drittwirkung bezeichnet. In der grundrecht­lichen Dogmatik wird mit diesem Begriff die Wirkung von Grundrechten aufgrund ihrer Eigenschaft als „objektive Wertentscheidungen“ zwischen Privaten, insbesondere im Zivilrechtsverkehr, verstanden, die sich aus der Ausstrahlung der Grundrechte auf die gesamte Rechtsordnung ergibt, vgl. statt vieler R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 475 ff.; zur Ausstrahlungswirkung siehe auch D. Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz, 7. Aufl. 2014, Art. 2 Rn. 37.

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rensgestaltung, Informationspflichten und Verpflichtungen zur Gewährleistung von Teilhaberechten unterscheiden.273 Während nach der deutschen grundrechtlichen Dogmatik die Schutzpflichten einstufig geprüft werden, und in diesem Rahmen Erwägungen zum Handlungsspielraum des Staates ihren Platz finden, geht der EGMR zumindest bei solchen Garantien auch hinsichtlich der Prüfung der positiven Pflichten zweistufig vor, die, wie Art. 8 Abs. 2 EMRK, explizit Möglichkeiten ihrer Beschränkung enthalten. Eine einstufige Prüfung wird aber etwa bei Art. 2 EMRK angewandt, da hier auch der Konventionstext keine explizite Beschränkungsmöglichkeit enthält. aa) Materielle Schutzpflicht des Staates In allgemeiner Hinsicht formuliert der Gerichtshof die Verpflichtung der Staaten zum Ergreifen aller vernünftigen und angemessenen Maßnahmen gegen Umweltveränderungen, soweit diese relevante Beeinträchtigungen von Rechten der Konvention darstellen.274 Dies bedeutet zuallererst eine Verpflichtung zur Schaffung eines rechtlichen und verwaltungsmäßigen Rahmens, zur Regulierung privater wirtschaftlicher Aktivitäten, der eine effektive Prävention von Schutzgutsbeeinträchtigungen gewährleistet.275 Bei gefährlichen Aktivitäten mit Umweltbezug ist in besonderem Maße ein Augenmerk auch auf spezifische, der jeweiligen Aktivität und dem mit ihr verbundenen Risiko angepasste Regelungen zu legen.276 Diese müssen die Genehmigung solcher Aktivitäten ebenso zum Gegenstand haben wie auch deren Umsetzung und Betrieb, ihre Sicherheit und Überwachung.277 Neben der Schaffung eines angemessenen gesetzlichen Rahmens und der Anordnung der erforderlichen Maßnahmen im Einzelfall müssen die Staaten auch deren Vollzug sowie die Umsetzung nationaler Entscheidungen von Behörden und Gerichten sicherstellen.278

273  C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 19 Rn. 2. 274  H. M. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in Environmental Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (87); N. de Sadeleer, Enforcing EUCHR Principles and Fundamental Rights in Environmental Cases, Nordic Journal of International Law 81 (2012), 39 (69). 275  EGMR, Urteil vom 27.01.2009  – 67021 / 01 (Tătar v. Rumänien), Rn. 88; EGMR, Urteil vom 20.03.2008  – 15339 / 02; 21166 / 02, 20058 / 02, 11673 / 02, 15343 / 02 (Budayeva u. a. / Russland), Rn. 129–132. 276  EGMR, Urteil vom 27.01.2009 – 67021 / 01 (Tătar v. Rumänien), Rn. 88. 277  EGMR, Urteil vom 30.11.2004  – 48939 / 99 (Öneryildiz v. Türkei), Rn. 90; EGMR, Urteil vom 27.01.2009 – 67021 / 01 (Tătar v. Rumänien), Rn. 88.



A. Schutz mittels klassischer Menschenrechte

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Darüber hinaus besteht eine Verpflichtung zum Ergreifen auch praktischer Maßnahmen im Einzelfall, um einen effektiven Schutz der Bürger sicherzustellen, die von den Risiken betroffen sind.279 Diese umfassen bspw. die Einrichtung eines effektiven Systems zur Warnung vor Schlammlawinen oder die Errichtung und Instandhaltung eines Schutzdammes280 gegen Umweltereignisse oder aber die zumindest zeitweilige Abschaltung gefährlicher Betriebe.281 Mit dem Ergreifen bloß notdürftiger Maßnahmen im Angesicht schwerer Gefahren ist dieser Pflicht jedenfalls nicht genüge getan.282 Trotz eines Spielraums hinsichtlich der Mittelwahl müssen die Staaten doch solche Maßnahmen ergreifen, die in hinreichendem Maße den rechtlich geschützten Interessen der Betroffenen Rechnung tragen.283 Trotz der äußerst abstrakten Bestimmung der materiellen Schutzpflicht der Staaten ist doch festzuhalten, dass diese wegen des schutzgutakzessorischen Charakters der Gewährleistungen stets auf die Schutzgüter des jeweils in Frage stehenden Artikels bezogen sein müssen. Eine Schutzpflicht mit dem 278  Vgl. nur EGMR, Urteil vom 02.11.2006  – 59909 / 00 (Giacomelli / Italien), Rn. 94. Dies versteht sich eigentlich von selbst, da nur so die statuierten Pflichten Wirksamkeit erlangen können. Die gesonderte Formulierung dieser Pflicht ist jedoch auch deshalb wichtig, weil bei ihrer Verletzung der Gerichtshof in der Regel eine weitere Prüfung ablehnt und schon aufgrund der Nichtumsetzung nationaler Vorgaben zu einer Verletzung der EMRK kommt. Hierdurch können unter Umständen Staaten für die Nichtvollziehung nationaler Vorgaben sanktioniert werden, zu deren Erlass sie nach der EMRK gar nicht gezwungen waren. So kamen türkische Gerichte in der Rechtssache Tașkin auf Grundlage nationaler Regelungen über eine Umweltverträglichkeitsprüfung, die ausdrücklich auch die Auswirkungen auf Fauna und Flora erfasst, zu dem Ergebnis, dass die in Rede stehende Aktivität nicht durchgeführt werden durfte. Weil die türkische Exekutive diese Entscheidung nicht umsetzte, wurde die Türkei vom EGMR verurteilt. Zur gesetzlichen Regelung einer derart weitgehenden Umweltprüfung war sie allein aufgrund der EMRK und der Rechtsgutsbezogenheit der Verfahrens- und Organisationspflichten aber gar nicht verpflichtet. 279  EGMR, Urteil vom 30.11.2004  – 48939 / 99 (Öneryildiz v. Türkei), Rn. 90; EGMR, Urteil vom 27.01.2009  – 67021 / 01 (Tatar v. Rumänien), Rn. 88; K. Braig, Umweltschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013, nimmt eine weitere Untergliederung der Pflichten vor, ohne jedoch deren Gemeinsamkeiten als Schutzpflichten einerseits und verfahrens- und organisationsbezogene Pflichten andererseits zu benennen, vgl. C. II. 2. (zur Gesetzerlasspflicht), C. II. 3. (zu Überwachungs- und Kontrollpflichten), C. II. 5. (zu Sicherheitsvorkehrungen), C. II. 8. (zu A-posteriori-Schutzmechanismen vor Umweltbeeinträchtigungen, C. II. 10.) (zu staat­ lichem Unterlassen und ineffizienten Maßnahmen), S. 230 ff. 280  EGMR, Urteil vom 20.03.2008  – 15339 / 02; 21166 / 02; 20058 / 02; 11673 / 02; 15343 / 02 (Budayeva u. a. gegen Russland), Rn. 151. 281  EGMR, Urteil vom 27.01.2009 – 67021 / 01 (Tătar v. Rumänien), Rn. 120. 282  EGMR, Urteil vom 27.01.2009 – 67021 / 01 (Tatar v. Rumänien), Rn. 108; ausführlich und mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des EGMR K. Braig, Umweltschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013, S. 236 ff. 283  EGMR, Urteil vom 09.06.2005 – 55723 / 00 (Fadeyeva v Russland), Rn. 133.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Inhalt, dass der Staat bestimmte Bestandteile der biologischen Vielfalt zu bewahren habe, kommt deshalb nur dann in Frage, wenn deren Beeinträchtigung selbst Ursache für die Beeinträchtigung eines Schutzgutes der EMRK ist. In aller Regel ist dies aber nicht der Fall.284 Insoweit ist es auch nur folgerichtig, wenn das Interesse an einer intakten Umwelt vom Gerichtshof als privates Interesse behandelt wird.285 Ausdruck dessen ist es auch, dass der Schutzpflicht nicht nur dann genüge getan ist, wenn die Umweltbeeinträchtigung und dadurch auch die Schädigung oder Gefährdung der erfassten Menschenrechtsgüter abgestellt werden kann. Unter Umständen reicht es vielmehr aus, wenn die bedrohten Personen dem Einfluss der Umweltbeeinträchtigung räumlich, bspw. durch einen Umzug, entzogen werden.286 Je nach den Umständen müssen die Mitgliedstaaten dabei die Kosten eines solchen Umzuges tragen, um ggf. entstandene erhebliche Wertverluste287 oder eine Beeinträchtigung der Betroffenen auszugleichen288. Ein Schutz der Umweltgüter ist aber nicht verlangt.289

284  Zu weitgehend dürfte deshalb die Feststellung von K. Braig, Umweltschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013, S. 234 sein, dass Staaten aufgrund der EMRK Vorkehrungen gegen „Gefahren für eine gesunde und geschützte Umwelt“ zu treffen haben, „die keinen direkten Einfluss auf den Menschen haben“. Die von ihr in Bezug genommene Rn. 125 in EGMR, Urteil vom 27.01.2009  – 67021 / 01 (Tătar v. Rumänien), trägt diese Schlussfolgerung nicht. Zwar führt der EGMR an anderer Stelle aus, dass es Rumänien im konkreten Fall verpasst habe, die Maßnahmen zu ergreifen, die einen Schutz auch – allgemein – des Genusses einer gesunden Umwelt sichergestellt hätten, a. a. O. Rn. 112. Damit wird jedoch keine aus der EMRK fließende Verpflichtung formuliert, sondern festgestellt, dass Rumänien schon den aufgrund nationalen Verfassungsrechts bestehenden Verpflichtungen zum Schutz der Umwelt nicht nachgekommen sei. Unter diesen Umständen neigt der EGMR zur Annahme einer Konventionsverletzung, weil der Staat bei Missachtung des selbst gesetzten Rechts offensichtlich keinen fairen Ausgleich der relevanten Belange erreicht hat. Vgl. hierzu bereits oben: Zweiter Teil, A. IV. 2. a). 285  Kritisch H. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in Environmental Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (89). 286  Siehe EGMR, Urteil vom 09.06.2005  – 55723 / 00 (Fadeyeva / Russland), Rn. 133 sowie die in den folgenden Fußnoten genannten Entscheidungen. 287  EGMR (GK), Urteil vom 08.07.2003 – 36022 / 97 (Hatton u. a. / Vereinigtes Königreich), Rn. 127. Der EGMR bezieht die Fähigkeit Betroffener zum Verlassen des mit Fluglärm belasteten Gebietes bei der Beurteilung der Wirkung staatlicher Maßnahmen (Zulassung von Nachtflügen) mit ein. 288  EGMR, Urteil vom 09.12.1994 – 16798 / 90 (López Ostra / Spanien), Rn. 53, 57. Das Angebot einer neuen Wohnung versteht der EGMR hier als eine Form der Wiedergutmachung. 289  Vgl. zu den aus dem nur indirekten Schutz der Umweltgüter durch die EMRK resultierenden Schutzlücken unten: Zweiter Teil, A. IV. 3.



A. Schutz mittels klassischer Menschenrechte221

bb) Informationspflichten Über die allgemeine Begründung der Schutzpflichten hinaus hat der EGMR den hier betrachteten Garantien auch ganz konkret aktive Informa­ tionspflichten des Staates entnommen.290 Dabei sind jedoch zwei verschiedene Zweckrichtungen solcher Pflichten auseinanderzuhalten. Diese können sich zum einen als materielle Schutzpflicht im Sinne einer Leistungspflicht darstellen, soweit die Informationen den Einzelnen in die Lage versetzen sollen, für ihn bestehende Umweltrisiken einzuschätzen und ggf. erforderliche Schutzmaßnahmen selbst zu ergreifen. Zum anderen kann es sich um eine Informationspflicht handeln, die darauf abzielt, den Einzelnen in Genehmigungsverfahren einzubeziehen und einen gerechten Ausgleich zwischen dessen Interessen und den Interessen der Allgemeinheit herzustellen. Gemeinsam haben beide Pflichten, dass sie funktional auf den Schutz anderer Menschenrechte bezogen sind, mithin nur dann aktiviert werden, wenn der Schutzbereich dieser Rechte gem. Art. 8 bzw. 2 EMRK oder Art. 1 1.  ZP EMRK eröffnet ist.291 Ein Unterschied besteht aber darin, dass nur die Verletzung der Informationspflicht in ihrer Ausprägung als selbständige Schutzpflicht des Staates automatisch auch zu einer Verletzung der jeweiligen Garantie der EMRK führt, während eine Verletzung der Informationspflicht zur Gewährleistung einer hinreichenden Öffentlichkeitsbeteiligung lediglich Auswirkungen auf Rechtfertigungsebene besitzt, nicht aber eine selbständige Verletzung der Konvention begründet.292 Es handelt sich um Rechtsschutz durch Verfahren. Während erstere deshalb auch selbständig durchsetzbar sein muss, dürfte es bei letzterer zulässig sein – da sie rein verfahrensrechtlichen Charakter hat – ihre Durchsetzung an die Geltendmachung einer materiellen Rechtsverletzung zu knüpfen, wie dies in Deutschland etwa durch § 44a VwGO geschieht. Hier soll es zunächst nur um die Informationspflicht i. S. d. 290  Insoweit unterscheiden sie sich beide von der neuerdings im Rahmen von Art. 10 EMRK durch den EGMR anerkannten reaktiven Informationspflicht, d. h. der Pflicht zur Gewährleistung eines Informationszugangs, siehe hierzu bereits Zweiter Teil, A. IV. 1. c). 291  Insoweit bestehen auch keine Unklarheiten in der Rechtsprechung des EGMR. So R. Pavoni, Environmental Jurisprudence of the European and Inter-American Courts of Human Rights, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 (87 f.), der die hier nachvollzogene Unterscheidung des EGMR zwischen einer Informationspflicht als Schutzpflicht und einer solchen zur Gewährleistung einer hinreichenden Öffentlichkeitsbeteiligung nicht beachtet. 292  In dieser Unselbständigkeit der Informationspflicht im Rahmen der EMRK besteht ein maßgeblicher Unterschied zur Gewährleistung des Art. 4 Aarhus Konvention, R. Pavoni, Environmental Jurisprudence of the European and Inter-American Courts of Human Rights, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 (89), der dies allerdings mit Blick auf die Schutzgutakzessorietät der Konvention zu Unrecht kritisiert.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

materiellen Schutzpflicht gehen,293 die durch den EGMR mit dem effektiven Schutz des jeweils in Frage stehenden Menschenrechts begründet wird.294 In Guerra u. a. gegen Italien sah der Gerichtshof eine Verletzung der Informationspflicht gegenüber den Antragstellern, Bewohnern einer Ortschaft, die aufgrund ihrer Nähe zu einer Düngemittelfabrik und der besonderen topographischen Lage als hochgradig gefährdet eingestuft wurde,295 als gegeben an, da sie bis zur Einstellung der Produktion in der Fabrik keine essen­ tiellen Informationen erhalten hatten, die es den Antragstellern ermöglicht hätte, die Risiken zu beurteilen, die sie und ihre Familien eingingen, wenn sie weiterhin in der Ortschaft lebten.296 In Öneryildiz gegen die Türkei präzisierte der Gerichtshof die Verpflichtung des Staates zur Information Betroffener. Danach müssen den Betroffenen – ohne staatliche Ressourcen in un­ realistischem Maße zu beanspruchen297 – diejenigen Informationen unmittelbar zur Verfügung gestellt werden,298 die sie benötigen, um die ernsthaften Gefahren für sich selbst und die eigene Familie einschätzen zu können, die sich aus dem Leben an einem bestimmten Ort ergeben.299 Der Staat wird auch dann nicht von seiner Pflicht frei, selbst wenn Betroffene in der Lage sind, einige der Risiken einschätzen zu können, soweit es ihnen nicht möglich ist, die spezifischen Risiken der Vorgänge, bspw. chemischer Prozesse, zu erfassen.300 Auch darf der Staat nicht erst Beschwerden der Betroffenen über die Umweltrisiken abwarten.301 Bevor lebensbedrohliche Risiken entstehen und ein Informationsanspruch aus Art. 2 EMRK resultiert, können 293  Zu letzterer vgl. die Ausführungen im Rahmen der Pflichten zur Gewährleistung von Beteiligungsrechten der Öffentlichkeit. 294  Vgl. EGMR, Urteil vom 19.02.1998  – 116 / 1996 / 735 / 932 (Guerra u. a. / Italien), Rn. 58. Das Recht auf Information wird demnach nicht um seiner selbst, sondern um des effektiven Schutzes anderer Rechte gewährleistet und ist auf diese hin ausgerichtet. 295  EGMR, Urteil vom 19.02.1998  – 116 / 1996 / 735 / 932 (Guerra u. a. / Italien), Rn. 57. 296  EGMR, Urteil vom 19.02.1998  – 116 / 1996 / 735 / 932 (Guerra u. a. / Italien), Rn. 60. Ein rechtfertigender Grund war im genannten Fall nicht ersichtlich, sodass der EGMR im Ergebnis von einer Verletzung von Art. 8 EMRK ausging, eine daneben bestehende Verletzung von Art. 2 EMRK aber nicht prüfte, a. a. O. Rn. 60 und 62. In EGMR, Urteil vom 18.06.2002 – 48939 / 99 (Öneryildiz / Türkei), Rn. 82, bestätigt durch die Große Kammer in EGMR, GK, Urteil vom 30.11.2004  – 48939 / 99 (Öneryildiz / Türkei), Rn. 90, übertrug der Gerichtshof den Rechtssatz jedoch auch auf Art. 2 EMRK. 297  EGMR, Urteil vom 06. Juni 2002 – 48939 / 99 (Öneryildiz / Türkei), Rn. 87. 298  EGMR, Urteil vom 06. Juni 2002 – 48939 / 99 (Öneryildiz / Türkei), Rn. 85. 299  EGMR, Urteil vom 06. Juni 2002 – 48939 / 99 (Öneryildiz / Türkei), Rn. 87. 300  EGMR, Urteil vom 06. Juni 2002 – 48939 / 99 (Öneryildiz / Türkei), Rn. 85 f. 301  EGMR, Urteil vom 06. Juni 2002 – 48939 / 99 (Öneryildiz / Türkei), Rn. 86.



A. Schutz mittels klassischer Menschenrechte223

Risiken das Privatleben bereits in einer Weise betreffen, dass sich ein entsprechender Anspruch aus Art. 8 EMRK ergibt.302 Auch ordnete der Gerichtshof die Pflicht zur Information nun als präventive Pflicht ein, ohne jedoch seine bisherige ablehnende Haltung gegenüber der Begründung einer Pflicht des Staates zur aktiven Sammlung von Informationen aufzugeben.303 Gleichwohl, in Fällen, in denen der Staat anlässlich umweltgefährdender Aktivitäten eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchführt, ist er auch verpflichtet, die hier gewonnenen Erkenntnisse der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.304 Eine noch darüber hinaus gehende Verpflichtung des Staates kann sich dann ergeben, wenn er um das Bestehen eines Risikos grundsätzlich weiß. In solchen Fällen hat er mit größtmöglicher Sorgfalt die Information der betroffenen Bevölkerung sicherzustellen.305 Es kann erforderlich sein, durch weitere Beobachtung des Sachverhalts Daten zu erheben, um die Betroffenen über Zeit, Stärke und vermutliche Dauer von Beeinträchtigungen informieren zu können.306

302  EGMR, Urteil vom 06.  Juni 2002  – 48939 / 99 (Öneryildiz / Türkei), Rn. 86. Präzisierend führte der EGMR später aus, dass die Überschneidung von Pflichten nach Art. 2 und 8 EMRK im Kontext gefährlicher Aktivitäten gelte, EGMR, Urteil vom 20.03.2008  – 15339 / 02, 21166 / 02, 20058 / 02, 11673 / 02, 15343 / 02 (Budayeva u. a. / Russland), Rn. 133; dagegen verwarf der Gerichtshof ausdrücklich die von der Kommission für Menschenrechte geäußerte Ansicht, dass darüber hinaus eine aus Art. 10 EMRK folgende Pflicht des Mitgliedstaates bestünde, selbst aktiv Informationen zu sammeln und weiterzugeben, um einer präventiven Funktion von Art. 10 EMRK mit Blick auf potentielle Verletzungen der Konvention im Zuge schwerer Umweltschädigungen gerecht zu werden, EGMR, Urteil vom 19.02.1998  – 116 / 1996 / 735 / 932 (Guerra u. a. / Italien), Rn. 52 f.; kritisch hierzu R. Pavoni, Environmental Jurisprudence of the European and Inter-American Courts of Human Rights, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 (77 ff.), der aber auch auf die oben im Rahmen der Analyse von Art. 10 EMRK verwiesenen Zeichen einer Rechtsprechungsänderung des EGMR hinweist; N. de Sadeleer, Enforcing EUCHR Principles and Fundamental Rights in Environmental Cases, Nordic Journal of International Law 81 (2012), 39 (71); der IACtHR hat ein selbständiges Informationszugangsrecht dagegen jüngst unter ausdrücklichem Verweis auf die Aarhus-Konvention angenommen. Vgl. hierzu unten: Zweiter Teil, A. IV. 1. c). 303  EGMR, GK, Urteil vom 30. November 2004 – 48939 / 99 (Öneryildiz / Türkei), Rn. 90. 304  EGMR, Urteil vom 27.01.2009  – 67021 / 01 (Tătar v. Rumänien), Rn. 113 f., 124. Die rumänischen Behörden hatten hier trotz Vorhandenseins entsprechender Erkenntnisse die betroffene Bevölkerung weder vor noch nach einem schweren Betriebsunfall in einer Goldmine über die für sie bestehenden Risiken informiert. 305  EGMR, Urteil vom 20.03.2008  – 15339 / 02, 21166 / 02, 20058 / 02, 11673 / 02, 15343 / 02 (Budayeva u. a. / Russland), Rn. 152. 306  Urteil vom 20.03.2008 – 15339 / 02, 21166 / 02, 20058 / 02, 11673 / 02, 15343 / 02 (Budayeva u. a. / Russland), Rn. 154.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Die teleologische Ausrichtung der insbesondere im Rahmen von Art. 8 und 2 EMRK entwickelten Informationspflicht des Staates auf den Schutz der Rechtsgüter der Konvention begrenzt ihren Nutzen für den Schutz der biologischen Vielfalt und auch der Umwelt ganz allgemein.307 Die Ausrichtung der Pflicht bestimmt Inhalt und Zeitpunkt der zu gewährenden Informationen. Sie soll den Einzelnen in die Lage versetzen, seine höchstpersönlichen Schutzgüter zu sichern, nicht aber Maßnahmen zum Schutz der Natur zu ergreifen. In ihrer Ausprägung als Schutzpflicht unterscheidet sich die durch den EGMR begründete Informationsschutzpflicht deshalb grundlegend von der in Art. 4 Aarhus-Konvention statuierten reaktiven Umweltinformationspflicht.308 Insoweit ist es zwar bemerkenswert, dass der EGMR in seiner Tașkin-Entscheidung ausdrücklich auf die Aarhus-Konvention verweist. Angesichts der auch hier erfolgten Ausrichtung der Informationspflicht auf die Befähigung des Einzelnen zum Selbstschutz309 diente sie dem EGMR jedoch allenfalls als unverbindlich verstandene Inspirationsquelle. cc) Gewährleistungspflichten bei Organisation und Verfahrensgestaltung Wie bereits vorstehend mit Blick auf die verfahrensbezogene Informa­ tionspflicht angedeutet, hat der EGMR den hier untersuchten Menschenrechten der Art. 2, 8 EMRK und 1 1.  ZP EMRK auch positive Pflichten des Staates entnommen, gewisse Standards bei der Organisation und Verfahrensgestaltung einzuhalten, die dem Schutz der materiellen Freiheitsrechte dienen.310 Ihr unselbständiger Charakter unterscheidet sie von den ebenfalls in der EMRK enthaltenen selbständigen Verfahrensgarantien, bei denen die 307  So explizit auch D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 30 mit Verweis auf A. Kiss / D. L. Shelton, International Environmental Law, 2. Aufl. 2000, S. 174. 308  Vgl. hierzu ausführlich Zweiter Teil, B. IV. 1. Eine Vergleichbarkeit der Informationspflichten wird aber nahegelegt von H. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in Environmental Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 24 (1) 2015, 83 (87), nach der die prozeduralen Rechte durch den Ansatz eines nur indirekten Schutzes der Umwelt sehr viel weniger limitiert seien als die substantiellen Garantien. Die Unterschiede übersehen meiner Einsicht nach auch N. de Sadeleer, Enforcing EUCHR Principles and Fundamental Rights in Environmental Cases, Nordic Journal of International Law 81 (2012), 39 (70); R. Pavoni, Environmental Jurisprudence of the European and InterAmerican Courts of Human Rights, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 (83). 309  EGMR, Urteil vom 10.11.2004 – 46117 / 99 (Tașkin u. a. / Türkei), Rn. 119. 310  Zu dieser dogmatischen Verortung auch L. Ferraris, Smaltini v. Italy: A Missed Opportunity to Sanction Ilva’s Polluting Activity Within the ECHR System, Journal for European Environmental & Planning Law 13 (2016), 82 (87).



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entsprechenden Organisations- und Verfahrensgewährleistungen den Normzweck selbst ausmachen.311 Die Pflichten lassen sich in der Rechtsprechung des EGMR nicht zuletzt als Gegengewicht zur Zurückhaltung bei der Kontrolle materieller Schutzmaßnahmen verstehen. Trotz der (Selbst-)Beschränkung bei der inhaltlichen Kontrolle der nationalen Entscheidungen will der Gerichtshof so sicherstellen, dass das öffentliche Gemeinschaftsinteresse gegen das betroffene Recht des Einzelnen hinreichend abgewogen wird. Selbst wenn das in Frage stehende Recht seinem Wortlaut nach eine prozedurale Anforderung nicht enthalte,312 so müssten Entscheidungsprozesse, die zur Beeinträchtigung von Schutzgütern der EMRK führen, fair sein und eine angemessene Beachtung der geschützten Interessen ermöglichen.313 Der Gerichtshof nimmt deshalb grundsätzlich alle prozeduralen Aspekte eines Sachverhaltes in den Blick, so etwa die konkrete Politik bzw. Entscheidung, das Ausmaß, in dem während des gesamten Vorgangs die Sicht Betroffener einbezogen wurde und die verfahrensmäßigen Sicherungen im Allgemeinen.314 Nicht erforderlich ist es aber, wie der EGMR verschiedentlich betont hat, dass eine Entscheidung, die zu einer Beeinträchtigung von Konventionsrechten führt, nur dann vorgenommen wird, wenn umfassende und messbare Daten für jeden Aspekt des zu entscheidenden Vorgangs vorhanden sind.315 Der Gerichtshof ordnet die verfahrensmäßigen Pflichten so als Handlungs- und nicht als erfolgsbezogene Pflichten in dem Sinne ein, dass das durchgeführte Verfahren nicht zwingend eine bestimmte Informationslage schaffen muss, auf deren Grundlage die Entscheidung über Vornahme oder Unterlassen bestimmter Schutzmaßnahmen getroffen wird.316 Bei der gerichtlichen Kontrolle von Organisa311  C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 19 Rn. 10. 312  So bspw. Art. 8, vgl. EGMR, Urteil vom 10.11.2004  – 46117 / 99 (Tașkin u. a. / Türkei), Rn. 118; EGMR, Urteil vom 02.11.2006  – 59909 / 00 (Giacomelli / Italien), Rn. 82. 313  EGMR, Urteil vom 20.11.2004  – 46117 / 99 (Tașkin u. a. / Türkei), Rn. 118; EGMR, Urteil vom 02.11.2006  – 59909 / 00 (Giacomelli / Italien), Rn. 82; EGMR, Urteil vom 27.01.2009 – 67021 / 01 (Tătar v. Rumänien), Rn. 88. 314  EGMR, Urteil vom 20.11.2004  – 46117 / 99 (Tașkin u. a. / Türkei), Rn. 118; EGMR, Urteil vom 02.11.2006 – 59909 / 00 (Giacomelli / Italien), Rn. 82. 315  EGMR GK, Urteil vom 08.07.2003  – 36022 / 97 (Hatton u. a. / Vereinigtes Königreich), Rn. 128; EGMR, Urteil vom 20.11.2004 – 46117 / 99 (Tașkin u. a. / Türkei), Rn. 118; EGMR, Urteil vom 02.11.2006 – 59909 / 00 (Giacomelli / Italien), Rn. 83. 316  Von Bedeutung ist dies vor allen Dingen aus der Kontrollperspektive. Stellen sich im Nachhinein weitere Umstände heraus, die durch die Beteiligungsverfahren nicht zur Kenntnis der Behörde gelangt sind und auch nicht auf anderem Wege hätte gelangen müssen, so wird die Entscheidung nicht durch spätere Erkenntnisse rechtswidrig.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

tions- und Verfahrenspflichten hat der Gerichtshof seine Kontrolle vereinzelt ausdrücklich auf das Vorliegen fundamentaler prozeduraler Mängel beschränkt.317 Auch wenn er dies in neueren umweltrelevanten Entscheidungen nicht mehr formuliert hat, so lassen die häufig recht unbestimmt gelassenen Vorgaben und ihr enger Zusammenhang mit der Doktrin vom Einschätzungsspielraum der Staaten diesen einen weiten Spielraum bei der Gestaltung angemessener Verfahren. (1) Pflicht zur Durchführung einer „Umweltverträglichkeitsprüfung“ So fordert der Gerichtshof im Zusammenhang mit komplexen Entscheidungen über Sachverhalte im Umwelt- und Wirtschaftsbereich,318 die zur Schädigung der Umwelt und Beeinträchtigung der Rechte Betroffener führen können,319 zunächst die präventive Durchführung angemessener Untersuchungen und Studien sowie die Bewertung und Würdigung ihrer Ergebnisse.320 In der Rechtssache Giacomelli gegen Italien321 rügte es der EGMR entsprechend, dass erst lange Zeit nach der Aufnahme des Betriebes einer Abfallbehandlungsanlage deren Umweltverträglichkeit geprüft worden war und die so gewonnenen Erkenntnisse von den Behörden nicht zum Anlass für eine Stilllegung des Betriebes genommen wurden. In der Literatur wurde daraus teilweise abgeleitet, dass der Gerichtshof die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung als für die Mitgliedstaaten verpflichtend ansehe, ihr Fehlen entsprechend vor dem EGMR gerügt werden kann.322 Bei der Bewertung dieser Verpflichtung gilt es gleichwohl zwei Fälle zu unterscheiden. In der konkreten Rechtssache hatte der EGMR das Fehlen 317  EGMR, Urteil vom 08.07.2003  – 36022 / 97 (Hatton u. a. / Vereinigtes Königreich), Rn. 129. 318  „[…] concerning complex issues of environmental and economic policy“ […], EGMR, Urteil vom 02.11.2006  – 59909 / 00 (Giacomelli / Italien), Rn. 83. Anders als im Rahmen der Aarhus-Konvention und auch des europäischen UVP-Rechts kann hier wegen der Schutzgutakzessorietät der Gewährleistungen nicht an die Umwelterheblichkeit für die Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs für die geforderte Umweltverträglichkeitsprüfung angeknüpft werden. 319  EGMR, Urteil vom 20.11.2004 – 46117 / 99 (Tașkin u. a. / Türkei), Rn. 119; seitdem ständige Rspr., EGMR, Urteil vom 28.03.2006 – 46771 / 99 (Öckan u. a. / Türkei), Rn. 43; EGMR, Urteil vom 02.11.2006  – 59909 / 00 (Giacomelli / Italien), Rn. 83; EGMR, Urteil vom 05.06.2007  – 17381 / 02 (Lemke / Türkei), Rn. 41; EGMR, Urteil vom 27.01.2009 – 67021 / 01 (Tătar / Rumänien), Rn. 88. 320  EGMR, Urteil vom 27.01.2009 – 67021 / 01 (Tătar / Rumänien), Rn. 112. 321  EGMR, Urteil vom 02.11.2006 – 59909 / 00 (Giacomelli / Italien), Rn. 86 ff. 322  K. Braig, Umweltschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013, S. 231; skeptisch S. Vöneky / F. Beck, Umweltschutz und Menschenrechte, in: A. Proelß, Internationales Umweltrecht, 2017, Fünfter Abschnitt, Rn. 52.



A. Schutz mittels klassischer Menschenrechte227

einer Umweltverträglichkeitsprüfung ausdrücklich unter Verweis auf das nationale italienische Recht beanstandet, das ihre Durchführung in Umsetzung der Verpflichtung aus der damals gültigen Richtlinie 85 / 337 / EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten323 forderte.324 Der Vorwurf gegenüber dem Mitgliedstaat bestand mithin in der Nichteinhaltung nationalen Rechts, d. h. einem Verstoß gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes, den der EGMR als mittelbaren Verstoß gegen die EMRK wertete. Auch wenn man mit den Stimmen aus der Literatur davon ausgehen will, dass der EGMR auch der Konvention die Pflicht zur Prüfung der Umweltauswirkungen unmittelbar als positive staatliche Pflicht entnimmt,325 so dürfte sich diese doch im Umfang ganz erheblich von einer UVP i. S. d. Europarechts unterscheiden. So verfolgt diese gem. Erwägungsgrund 14 der aktuellen UVP-Richtlinie326 etwa auch „die Erhaltung der Artenvielfalt und Reproduktionsfähigkeit des Ökosystems als Grundlage allen Lebens […]“. Art. 3 lit. a) der Richtlinie fordert zudem ausdrücklich die Untersuchung der Auswirkungen der erfassten Aktivitäten nicht nur auf den Menschen, sondern auch auf Fauna und Flora. Diese Reichweite einer Umweltverträglichkeitsprüfung dürfte sich aber auf der Grundlage der EMRK und dem schutzgutbezogenen Verständnis des EGMR nicht begründen lassen. Vielmehr müssen auch prozedurale Vorgaben danach auf die verfahrensmäßige Absicherung des Schutzes von Gütern der EMRK beschränkt sein. Auch die bislang vom Gerichtshof gestellten Anforderungen an die Ausgestaltung von Untersuchungen der Auswirkungen von Umweltbe323  Richtlinie

vom 27. Juni 1985, ABL Nr. L 175 vom 05.07.1985, S. 0040–0058. Urteil vom 02.11.2006  – 59909 / 00 (Giacomelli / Italien), Rn. 93 f.; nicht anders gelagert war der dem Urteil in der Rechtssache Tașkin zu Grunde liegende Sachverhalt. Hier wurde zwar eine nach nationalem Recht vorgesehene Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt, eine auf deren Ergebnisse sich stützende gerichtliche Entscheidung zu Lasten der umweltgefährdenden Aktivität einer Goldmine aber von den nationalen Behörden nicht vollzogen. Trotz grundsätzlichen Vorhandenseins hinreichender prozeduraler Sicherungen konnten diese so letztlich nicht ihre dem materiellen Recht dienende Wirkung entfalten, EGMR, Urteil vom 10.11.2004  – 46117 / 99 (Tașkin u. a. / Türkei), Rn. 124 f.; vgl. auch die weitere Entscheidung zu dem insoweit gleichen Sachverhalt, EGMR, Urteil vom 28.03.2006  – 46771 / 99 (Öckan u. a. / Türkei), Rn. 48 sowie EGMR, Urteil vom 05.06.2007  – 17381 / 02 (Lemke / Türkei), Rn. 45. 325  Hierfür spricht, dass der EGMR in jüngeren Verfahren eine solche Pflicht auch ohne Bezug zu nationalen Vorschriften formuliert, EGMR, Urteil vom 27.01.2009  – 67021 / 01 (Tătar / Rumänien), Rn. 88. 326  Richtlinie 2011 / 92 / EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl EU 28.1.2012, L 26 / 1. Die Änderung der Richtlinie durch Änderungsrichtlinie 2014 / 52 / EU hat die Erwägungsgründe von RL 2011 / 92 / EU nicht geändert. 324  EGMR,

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

einträchtigungen zeigen, dass diese sich auf die durch die Konvention geschützten Rechtsgüter beschränken und nicht über diese hinausgehen.327 Eine Einbeziehung auch der biologischen Vielfalt wird aufgrund der Schutzgut­ akzessorietät der EMRK vielmehr nur dort erforderlich, wo diese mittelbarrechtlich mit geschützt wird oder sich aus deren Betrachtung ein Informa­ tionsgehalt ergibt, der bei der Einschätzung der bestehenden Gefahren insbesondere für die menschliche Gesundheit von Bedeutung ist.328 Ob der EGMR hier also tatsächlich die Schutzgutakzessorietät seines Ansatzes punktuell durchbricht scheint danach unklar und wäre erst dann eindeutig feststellbar, wenn der Gerichtshof nicht nur das Fehlen einer solchen Untersuchung überhaupt, sondern auch Fehler bei der Erhebung und Bewertung von Daten etwa über Flora und Fauna berücksichtigen würde.329 (2) Beteiligungsrecht der Öffentlichkeit an staatlichen Verfahren Bei der Frage, ob der Staat einen gerechten, d. h. verhältnismäßigen Ausgleich zwischen den schutzwürdigen Interessen des Einzelnen und den Inte­ ressen der Öffentlichkeit herbeigeführt hat, ist es nach der Rechtsprechung des EGMR zudem von Bedeutung, inwieweit die Ansichten Einzelner bei der Durchführung präventiver Untersuchungen der möglichen Auswirkungen berücksichtigt wurden.330 Fehlt sie, kann im Falle komplexer Entscheidungsprozesse zu ökonomisch-ökologischen Fragen regelmäßig nicht davon ausgegangen werden, dass der Staat einen fairen Interessenausgleich herstellen konnte.331 Die Beteiligung der Öffentlichkeit an Entscheidungsverfahren wird so regelmäßig zur Voraussetzung einer rechtmäßigen Beschränkung von 327  Vgl. nur die Entscheidungen in der Rechtssache Hatton, EGMR, Urteil vom 02.10.2001  – 36022 / 97, Rn. 106 sowie EGMR, GK, Urteil vom 08.07.2003  – 36022 / 97, Rn. 128. 328  So dürfte der Verweis in EGMR, Urteil vom 27.01.2009 – 67021 / 01 (Tătar v. Rumänien) Rn. 114 sowie 23 zu erklären sein. Generell kann hieraus aber nicht abgeleitet werden, dass sich Untersuchungen stets auf die Auswirkungen auf Flora und Fauna beziehen müssen. So aber K. Braig, Umweltschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013, S. 232. 329  Vgl. zu der entsprechenden Auseinandersetzung um den subjektiv-rechtlichen Charakter der UVP-Prüfung nach europäischem Recht unter: Zweiter Teil, B. IV. 3. b) bb) (2) (c) (bb) sowie Zweiter Teil, B. IV. 3. b) bb) (2) (d) und Zweiter Teil, B. IV. 3. c) bb) (4) (b). 330  EGMR-GK, Urteil vom 08.07.2003  – 36022 / 97 (Hatton u. a. / Vereinigtes Königreich), Rn. 128; EGMR, Urteil vom 10.11.2004 – 46117 / 99 (Tașkin u. a. / Türkei), Rn. 119; EGMR, Urteil vom Urteil vom 02.11.2006 – 59909 / 00 (Giacomelli / Italien), Rn. 82. 331  Vgl. EGMR-GK, Urteil vom 08.07.2003  – 36022 / 97 (Hatton u. a. / Vereinigtes Königreich), Rn. 128; so auch K. Braig, Umweltschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013, S. 234.



A. Schutz mittels klassischer Menschenrechte

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Konventionsrechten und mithin zur unselbständigen staatlichen Pflicht.332 Hierfür ist es nach dem EGMR auch grundsätzlich erforderlich, dass den Beteiligten die Ergebnisse einschlägiger Untersuchungen zugänglich gemacht werden und sie hierzu Stellung nehmen können.333 Die Pflicht zur Beteiligung beschränkt sich dabei nicht auf den jeweiligen Antragsteller. Gefordert ist vielmehr eine Einbeziehung der Öffentlichkeit, ohne dass dies näher präzisiert wird. Die Bestimmung des Kreises der zu Beteiligenden obliegt grundsätzlich dem Mitgliedstaat. Beschränkungen etwa auf eine betroffene Öffentlichkeit dürften gerade vor dem Hintergrund der Bezogenheit auch dieser prozeduralen Vorkehrung auf den Schutz der materiellen Rechte Betroffener danach ohne weiteres zulässig sein, soweit dadurch nicht ein fairer Interessenausgleich in Frage gestellt wird. Insoweit ist noch einmal hervorzuheben, dass auch die Pflicht zur Beteiligung der Öffentlichkeit darauf gerichtet ist und aufgrund der Schutzgutakzessorietät des Ansatzes gerichtet sein muss, dass der Einzelne in die Lage versetzt wird, die Risiken hinsichtlich seiner durch die EMRK geschützten höchstpersönlichen Güter einzuschätzen und durch die Einbringung der diesbezüglichen eigenen Einschätzung in den Entscheidungsprozess der Behörde einen fairen Ausgleich zu ermöglichen. Soweit Beeinträchtigungen der biologischen Vielfalt hierfür, d. h. dem oben dargelegten limitierten Verständnis des EGMR nach, nicht relevant sind, müssten sie – auch wenn der EGMR dies selbst nicht formuliert hat – nicht zum Gegenstand von Beteiligungen gemacht werden. Zwar dürften Untersuchungen von Auswirkungen auf die Biodiversität in vielen Fällen – etwa schädlicher Imissionen – auch Rückschlüsse auf die Beeinträchtigungen von Menschen zulassen und insoweit auch zum Gegenstand der Öffentlichkeitsbeteiligung zu machen sein. Die Zerstörung natür­ licher Lebensräume durch Flächenverbrauch oder die Erhöhung des Tötungs332  Eine eigenständige Pflicht zur Beteiligung der Öffentlichkeit an umweltrelevanten Verfahren hat der Gerichtshof dagegen bislang nicht anerkannt, so auch K. Braig, Umweltschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013, S. 236; so wohl auch das Verständnis der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, Empfehlung 1885 (2009), Rz. 9.2., wo eine Empfehlung zur Ermöglichung der Öffentlichkeitsbeteiligung ausgesprochen wird, „wo immer möglich“. Ist eine solche Pflicht allerdings im nationalen Recht vorgesehen, so ist dieser auch zu entsprechen, vgl. EGMR, Urteil vom Urteil vom 02.11.2006  – 59909 / 00 (Giacomelli /  Italien), Rn. 94. Ein Unterlassen der Beteiligung i. S. d. uneigenständigen Verfahrenspflicht dürfte jedoch ebenfalls nicht unmittelbar zur Annahme einer Verletzung des jeweiligen Rechts der EMRK führen. Vielmehr beeinflusst es – entsprechend dem Charakter der verletzten Pflicht als einer sekundären, auf die primäre Schutzpflicht bezogenen – den durch den EGMR gegenüber dem Mitgliedstaat zuerkannten Entscheidungsspielraum bei der Abwägung widerstreitender Interessen und der Suche nach einem fairen Ausgleich, EGMR, Urteil vom Urteil vom 02.11.2006 – 59909 / 00 (Giacomelli / Italien), Rn. 94 ff., insbes. Rn. 97. 333  EGMR, Urteil vom 27.01.2009 – 67021 / 01 (Tătar v. Rumänien), Rn. 113.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

risikos für bestimmte Tierarten, ohne dass daraus irgendeine Gefährdung von Menschenrechtsgütern erfolgt, dürften aber bspw. hiervon nicht erfasst werden. (3) Zugang zu Gerichten Bei der Prüfung, ob Staaten einen fairen Ausgleich zwischen den gegenläufigen Interessen hergestellt haben, berücksichtigt der EGMR schließlich auch, ob ein Zugang gegen die getroffene Entscheidung eröffnet wurde, um Betroffenen zu ermöglichen, die unzureichende Berücksichtigung ihrer Interessen geltend zu machen.334 Dass dies teils als Gewährleistung eines umfassenden „Zugang[s] zu Gerichten in Umweltbelangen“335 bezeichnet wird, erscheint angesichts der Unselbständigkeit der Pflicht aber nicht richtig und vor dem Hintergrund der Schutzgutsakzessorietät der aus der EMRK folgenden Verpflichtungen der Staaten einerseits und der Debatte um die Reichweite von Art. 9 Aarhus-Konvention336 andererseits auch zusätzlich irreführend. Auch die Frage der Gewährleistung eines Gerichtszugangs behandelt der Gerichtshof im Rahmen der Prüfung der materiellen Gewährleistungen der Art. 8, 2 EMRK und 1 ZP EMRK als prozedurale Sicherung zur Herstellung eines verhältnismäßigen Interessenausgleichs. Soweit es an einem Zugang für Betroffene zu Gerichten fehlt, begründet dies noch keine Verletzung des materiellen Rechts, sondern indiziert allenfalls das Misslingen des Ausgleichs. In diesem Fall aber verringert sich nur der dem Vertragsstaat eingeräumte Einschätzungsspielraum, sodass der EGMR ggf. den gefundenen inhaltlichen Ausgleich beanstandet. Für die Vertragsstaaten bedeutet dies aber, dass hieraus gerade kein selbständiges prozessuales subjektives Recht folgt,337 das ggf. gar noch während eines Genehmigungsverfahrens durchgesetzt werden können muss und dem etwa die Regelung gem. § 44a VwGO widersprechen würde.338 Hinzu kommt, auch hier kann nur insoweit ein Zu334  EGMR-GK, Urteil vom 08.07.2003  – 36022 / 97 (Hatton u. a. / Vereinigtes Königreich), Rn. 128; EGMR, Urteil vom 10.11.2004 – 46117 / 99 (Tașkin u. a. / Türkei), Rn. 119; EGMR, Urteil vom Urteil vom 02.11.2006 – 59909 / 00 (Giacomelli / Italien), Rn. 88; EGMR, Urteil vom 27.01.2009 – 67021 / 01 (Tătar / Rumänien), Rn. 114; Vgl. hierzu auch K. Braig, Umweltschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013, S. 235. 335  So K. Braig, Umweltschutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention, 2013, S. 235. 336  Ausführlich hierzu unten: Zweiter Teil, B. IV. 3. c). 337  Darin unterscheidet sich die aus der Verfahrensdimension der materiellen Rechte entnommene unselbständige Verpflichtung von den selbständigen Garantien der Art. 6 und 13 EMRK. 338  Dabei folgt aber aus einer etwaigen Selbständigkeit eines prozessualen Rechts auf Gerichtszugang noch nicht ohne weiteres eine Unvereinbarkeit mit einer Regelung entsprechend § 44a VwGO.



A. Schutz mittels klassischer Menschenrechte231

gang zu Gerichten gefordert sein, wie die Beeinträchtigung von Umweltgütern unmittelbar zu einer Beeinträchtigung von Schutzgütern der EMRK mit gewisser Intensität führt. Eine Eröffnung des Zugangs zu Gerichten gegen Beeinträchtigungen ausschließlich der biologischen Vielfalt und ihrer Bestandteile ist deshalb in aller Regel gerade nicht verlangt. 3. Grenzen des durch die EMRK bewirkbaren Schutzes biologischer Vielfalt Vertragsstaaten der EMRK haben die vorstehend beschriebenen Verpflichtungen nicht nur im Einzelfall zu beachten, sondern diese durch abstraktgenerelle Regelungen in den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen zu implementieren. Bzgl. des Schutzes biologischer Vielfalt und ihrer Bestandteile ergeben sich aber nur insoweit Unterlassens- und vor allen Dingen Gewährleistungsverpflichtungen, wie die Rechte der EMRK deren Schutz ganz ausnahmsweise mittelbar-rechtlich im Sinne rechtlicher Teilgewährleistungen – wie im Falle eigentumsrechtlich geschützter Bestandteile sowie weniger weiterer denkbarer Konstellationen – garantieren. In der ganz überwiegenden Zahl denkbarer Fälle kann die biologische Vielfalt durch die Verbürgungen allerdings lediglich reflexhaft und damit unkoordiniert und zufällig begünstigt werden. Diese Zufälligkeit macht auch eine systematische Erschließung dieser Fälle unmöglich. Auf die wesentlichen, hieraus resultierenden Schutzlücken sei jedoch hingewiesen: Ein Anspruch auf den Schutz biologischer Vielfalt besteht nicht, möglich ist nur die Geltendmachung von Ansprüchen zum Schutz der durch die Konvention erfassten Schutzgüter gegen diese hinreichend intensiv und unmittelbar beeinträchtigende Umweltveränderungen. In räumlicher Hinsicht folgt hieraus, dass, obwohl sich der räumliche Geltungsbereich der EMRK grundsätzlich auf das gesamte Staatsgebiet der Mitgliedstaaten der Konvention erstreckt,339 ein Schutz biologischer Vielfalt allenfalls dort möglich ist, wo ihre Beeinträchtigung geschieht – dies ist vor allen Dingen der urbane oder jedenfalls besiedelte Bereich. Wo sich Menschen nicht regelmäßig aufhalten, kann von ihrem Schutz auch die Natur allenfalls dann noch profitieren, soweit sich eigentumsrechtliche Abwehrmöglichkeiten ergeben.340 Nach der Kyrtatos-Entscheidung genügt es selbst 339  Vgl. hierzu C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 17 Rn. 12 ff. 340  Eine Ausweitung findet zudem dann auf ansonsten unbewohntes Gebiet statt, wo etwa die Schutzgüter von Menschen, die an den umweltbeeinträchtigenden Handlungen selbst beteiligt sind, in Mitleidenschaft gezogen werden, vgl. EGMR, Urteil vom 09.06.1988  – 21825 / 93, 23414 / 94 (McGinley and Egan / Vereinigtes Königreich), zur Beeinträchtigung von Soldaten während Atombombentests durch Großbritannien. Vgl. hierzu N. de Sadeleer, Enforcing EUCHR Principles and Fundamental

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

in besiedelten Gebieten aber nicht, dass lediglich ökologische Dienstleistungen wie die Bereitstellung von Erholungsmöglichkeiten entfallen.341 Menschliche Urbanität prägt nicht nur tatsächlich die Umwelt, sondern wirkt auch normativ auf die Schutzschwelle der Konvention zurück. Wo der Mensch lebt, kann er keine belastungsfreie Umwelt erwarten.342 Selbst in Fällen, in denen der Schutzbereich der Rechte gem. Art. 8 bzw. 2 EMRK eröffnet ist, kann den Beeinträchtigungen ihrer Schutzgüter auch durch Maßnahmen abgeholfen werden, die zwar diese, nicht aber die Umweltgüter und damit die biologische Vielfalt schützen. Maßnahmen zur Abhilfe sind nach Maßgabe der EMRK unabhängig davon geeignet, ob die Folgen für den Naturhaushalt bewältigt werden, lediglich eine Verlagerung von Belastungen auf andere Umweltgüter stattfindet oder diese gar nicht oder nur in dem Maße adressiert werden, wie es nötig ist, um die Auswirkungen auf die Schutzgüter auf ein Niveau unterhalb der maßgeblichen Schutzschwelle zu begrenzen. Kann ein gerechter Ausgleich wegen des öffentlichen Interesses an der umweltbelastenden Tätigkeit durch einen Umzug der betroffenen Person hergestellt werden, so wird dem Recht des Einzelnen Genüge getan.343 Die Schutzgutakzessorietät auch der durch den EGMR entwickelten prozeduralen Verpflichtungen führt zu vergleichbaren Beschränkungen in ihrem Wert für den Schutz biologischer Viefalt. Zunächst handelt es sich bei ihnen nicht um selbständige subjektive Rechte, sondern unselbständige objektivrechtliche Gehalte der jeweiligen Garantie der EMRK. Aktive Information der Öffentlichkeit, ihre Beteiligung an Entscheidungsverfahren und auch die Durchführung von Prüfungen der Umweltverträglichkeit von Vorhaben und anderen Maßnahmen bezwecken den Schutz der erfassten Schutzgüter. Diesem Zweck entsprechend sind sie auch inhaltlich zugeschnitten und damit nur in begrenztem Maße für eine allgemeine Information der Öffentlichkeit über die Umweltsituation und die Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage der Behörden mit Blick auch auf die nicht durch die EMRK erfassten Bestandteile biologischer Vielfalt geeignet.

Rights in Environmental Cases, Nordic Journal of International Law 81 (2012), 39 (65). 341  EGMR, Urteil vom 22.05.2003  – 41666 / 98 (Kyrtatos / Griechenland), Rn. 53. Hierzu vgl. bereits oben: Zweiter Teil, A. IV. 1. a) bb). 342  Vgl. nur EGMR, Urteil vom 09.06.2005  – 55723 / 00 (Fadeyeva / Russland), Rn. 69. 343  EGMR, Urteil vom 08.07.2003  – 36022 / 97 (Hatton u. a. / Vereinigtes Königreich), Rn. 127, Urteil vom 09.06.2005  – 55723 / 00 (Fadeyeva / Russland), Rn. 133, Urteil vom 09.12.1994 – 16898 / 90 (López Ostra / Spanien), Rn. 57.



A. Schutz mittels klassischer Menschenrechte233

V. Zusammenfassung und Zwischenfazit zur Rechtsprechung des EGMR Die Untersuchung der EMRK auf ihre Schutzgehalte zugunsten der Bio­ diversität und ihrer Bestandteile hat vor allen Dingen die Grenzen der indi­ vidualrechtlichen Form des Ansatzes vom „Greening the Human Rights“ deutlich gemacht. Übersetzt man die Gründe für das weitgehende Fehlen der Einbeziehung biologischer Vielfalt in den rechtlichen Schutz, so heißt dies nicht, dass die Menschen im räumlichen Anwendungsbereich nicht genauso existenziell von den Ökosystemdienstleistungen biologischer Viefalt abhängig sind wie überall sonst. Vielmehr bedeutet es, dass diese Abhängigkeit nicht hinreichend unmittelbar und hinreichend intensive Rückwirkungen, d. h. Beeinträchtigungen für die im Rahmen der EMRK einzig geschützten personell-materialen Güter zeitigt. Die Schutzgutakzessorietät, also die Bezogenheit des Schutzes auf die erfassten personell-materialen Güter, verhindert, wie auch in der Vergangenheit im deutschen Recht, einen weitergehenden subjektiv-rechtlichen Schutz des so als öffentlich, d. h., losgelöst vom Einzelnen betrachteten Gutes der Biodiversität. Lediglich die besondere Struktur des Eigentumsrechts erlaubt die „Privatisierung“ einzelner ihrer Bestandteile und damit auch die Eröffnung eines jedenfalls mittelbar-rechtlichen Schutzes. Dieser ist theoretisch äußerst weitreichend – wenn auch durch die Privilegierung wirtschaftlich genutzten Eigentums geschwächt – in seiner praktischen Bedeutung allerdings begrenzt. Selbständige (Art. 6 und 13 EMRK) prozedurale Rechte und unselbständige prozedurale Pflichten vermögen ebenfalls nur punktuell und lediglich mittelbar Schutz zu bewirken. Damit werden zwar die mit einer Ausweitung des subjektiv-rechtlichen Schutzes von öffentlichen Gütern verbundenen Gefahren vermieden. Mehr als punktuelle materielle Minimumstandards vermag die EMRK für den Schutz biologischer Vielfalt damit aber auch nicht zu garantieren.344 Die Ergebnisse der Untersuchung spiegeln wider, dass andere internationale Instrumente und die nationale Gesetzgebung weitaus besser für die Aufgabe des Umwelt- und Naturschutzes geeignet sind.345 Die Beschränkung des Schutzes durch die EMRK auf einen indirekten, d. h. schutzgutakzessorischen Schutz der Umwelt mit den vorstehend ge344  Bezogen auf den Schutz der Umwelt allgemein N. de Sadeleer, Enforcing ­ UCHR Principles and Fundamental Rights in Environmental Cases, Nordic Journal E of International Law 81 (2012), 39 (61). 345  EGMR, Urteil vom 22.05.2003  – 41666 / 98 (Kyrtatos / Griechenland), Rn. 52: „Neither Article 8 nor any of the other Articles of the Convention are specifically designed to provide general protection of the environment as such; to that effect, other international instruments and domestic legislation are more pertinent in dealing with this particular aspect.“

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

nannten Konsequenzen und mehr noch die innerhalb des so umrissenen Gewährleistungsbereichs festgestellte Zurücknahme der gerichtlichen Kontrolle in Anwendung der Doktrin vom Einschätzungsspielraum der Staaten ist in der Literatur vielfach auf Kritik gestoßen.346 Nicht nur werden der nur indirekt gewährte Schutz und der den Mitgliedstaaten belassene Einschätzungsspielraum als geradezu nachteilig für den Umweltschutz empfunden.347 Vielmehr wird auch gefordert, dass der Gerichtshof zu einem Vorreiter eines strengeren Umweltschutzes werden solle348 und die Etablierung prozeduraler Pflichten des Staates nicht zu einer Aufgabe der materiell-rechtlichen Kontrolle führen dürfe.349 Nach der vorstehenden Untersuchung erscheint dies aus Sicht des Umwelt- und Biodiversitätsschutzes vollauf gerechtfertigt. Gleichwohl dürfen dabei nicht die Gründe für die Begrenzung der Rechtsprechung übersehen werden, wie sie sich auch in der seit Jahren ebenfalls stattfindenden Debatte über den richterlichen Aktivismus des EGMR und dessen Auswirkungen auf die Souveränität der Staaten widerspiegeln. Kritiker stellen die Legitimität einer immer weiter in einst allein den Staaten vorbehaltenen Rechtsgebieten eingreifenden Rechtsprechung in Frage und fordern eine stärker souveränitätsschonende Rechtsprechung des EGMR.350 In diesem Spannungsfeld ist der Gerichtshof ersichtlich um einen Ausgleich der verschiedenen Interessen, d. h. zwischen der Souveränität der Vertragsstaaten einerseits 346  Vgl. nur H. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in Environmental Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (84, 90 f.); F. Francioni, International Human Rights in an Environmental Horizon, EJIL 21 (2010), 41 (44, 54 f.); N. de Sadeleer, Enforcing ­EUCHR Principles and Fundamental Rights in Environmental Cases, Nordic Journal of International Law 81 (2012), 69 (85, 89 f.); vgl. auch die abweichende Meinung im Urteil Hatton u. a. / Vereinigtes Königreich. 347  H. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in Environmental Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (84, 91): „margin of appreciation does the environment a disservice“; „margin of under-appreciation of the environment“ 348  H. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in Environmental Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (88, 92). 349  So die Kritik bei H. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in Environmental Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (91). 350  Vgl. hierzu nur die Abschlusserklärung der Konferenz von Brighton zur Zukunft des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 20. April 2012, Rz. 3 sowie 11 f. wo die Subsidiarität des EMRK-Systems und der Einschätzungsspielraum der Staaten bei der Umsetzung der Konventionsgarantien betont wird. Diese insbesondere auf das Drängen von Großbritannien aufgenommenen Passagen konnten zwar abgemildert werden, werden aber nach Inkrafttreten des 15. Zusatzprotokolls die Präambel der Konvention ergänzen. Großbritannien hatte ursprünglich gar ihre Aufnahme in den operativen Teil der Konvention gefordert.



A. Schutz mittels klassischer Menschenrechte235

und effektivem Schutz der natürlichen Grundlagen der Menschenrechtsgüter andererseits bemüht.351 Diesem Bemühen entspricht für die hier betrachtete umweltrelevante Rechtsprechung des Gerichtshofs das Spannungsverhältnis zwischen der Doktrin des Einschätzungsspielraums der Staaten und dem Prinzip der evolutiven und extensiven Auslegung der Konventionsnormen. Sie dienen dem Ausgleich der vorgehend benannten gegenläufigen Anforderungen an die Konvention und werden zu Recht als zwei Seiten derselben Medaille beschrieben.352 Beide Doktrinen besitzen bislang keine explizite Grundlage in der Konvention und stellen danach reines Richterrecht dar.353 Für die Umweltrelevanz der Rechtsprechung führen sie in ihrer konkreten Handhabung durch den Gerichtshof zwar einerseits zu einer durchaus starken Ausweitung des Anwendungsbereichs einzelner Normen, insbesondere von Art. 8 EMRK. Andererseits wird den Staaten in Fragen der Umweltpolitik und den zum Schutz der Umwelt und – soweit erfasst – biologischen Vielfalt bestehenden materiellen Pflichten ein weiter Einschätzungsspielraum eingeräumt. Die Berücksichtigung völkerrechtlicher Trends, insbesondere die Aufnahme der in der Aarhus-Konvention stattfindenen Prozeduralisierung subjektiver Umweltrechte im Rahmen der evolutiven Auslegung der Konvention hat hier also nicht zur Beschränkung dieses Spielraums der Mitgliedstaaten geführt, verlangt diesen aber nun die Einbeziehung Betroffener in relevante Verfahren ab, um die Schaffung eines fairen Ausgleichs der widerstreitenden Interessen verfahrensmäßig abzusichern. Dass dabei ganz erhebliche Schutzlücken für die Umwelt allgemein und in noch stärkerem Maße für die biologische Vielfalt verbleiben, kann dem EGMR deshalb nicht zum Vorwurf gemacht wer351  Zum Versuch der Balance zwischen richterlichem Aktivismus und richterlicher Zurückhaltung durch den EGMR allgemein A. Mowbray, Between the will of the Contracting Parties and the needs of today, in: E. Brems / J. H. Gerards, Shaping rights in the ECHR, 2013, 17 (36 f.); Y. Arai-Takahashi, The margin of appreciation doctrine: a theoretical analysis of Strasbourg’s variable geometry, in: A. Føllesdal / B. Peters / G. Ulfstein, Constituting Europe: The European Court of Human Rights in a National, European and Global Context, 2013, 62 (104). 352  Vgl. Y. Arai-Takahashi, The margin of appreciation doctrine: a theoretical analysis of Strasbourg’s variable geometry, in: A. Føllesdal / B. Peters / G. Ulfstein, Constituting Europe: The European Court of Human Rights in a National, European and Global Context, 2013, 62 (89). 353  P. Contreras, National Discretion and International Deference in the Restriction of Human Rights, Northwestern Journal of International Human Rights 2012, 28 (28). Dies wird sich nach Inkrafttreten des 15. Zusatzprotokolls zumindest für die Doktrin vom Einschätzungsspielraum der Staaten ändern. Der Gerichtshof hat in einer Stellungnahme hierzu allerdings erklärt, dass hieraus keine Änderungen gegenüber der bisherigen Handhabung dieser Doktrin folgen, vgl. Opinion of the Court on Draft Protocol no. 15 to the European Convention on Human Rights vom 06.02.2013, S. 2.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

den. Zur Ausfüllung der Rolle eines Vorreiters im Bereich des Umweltschutzes wurde das Instrument der EMRK nicht nur nicht geschaffen. Eine Anwendung seiner Gewährleistungen in diesem Sinne würde auch die Grenzen einer legitimen richterrechtlichen Fortentwicklung der Konventionsnormen überschreiten und die grundsätzliche Zustimmung der Staaten riskieren.354 Soweit man die evolutive und extensive Auslegung von völkerrechtlichen Menschenrechtsverträgen grundsätzlich durch die freiwillige Einsetzung einer gerichtlichen Instanz zur verbindlichen Streitentscheidung durch die Vertragsstaaten355 für legitimiert hält,356 so versteht sich dennoch, dass diese Legitmität nicht grenzenlos weit reichen kann. Sieht man mit Letsas ein legitimes Vorgehen des EGMR grundsätzlich gerade darin begründet, dass im Rahmen der evolutiven Auslegung von Konventionsnormen bereits entwickelte Rechtsprinzipien auf veränderte Umstände angewandt werden,357 insoweit mithin vorhandenes Recht lediglich neu konkretisiert wird, so stellte sich der Bruch mit vorhandenen Prinzipien auch im Rahmen evolutiver Auslegung als besonders problematisch und jedenfalls begründungsbedürftig dar. Nicht zu legitimieren wäre deshalb eine Loslösung des Gerichtshofs im Bereich seiner umweltrelevanten Rechtsprechung vom Prinzip der Schutzgutakzessorietät des Schutzes der Umwelt, da diese Schutzgutbezogenheit ein prägendes Charakteristikum der Menschenrechte an sich ist. Ohne diese Bezogenheit würden die Menschenrechte völlig konturenlos werden und 354  Auf die Erforderlichkeit der grundsätzlichen Zustimmung der Staaten weist auch hin Y. Arai-Takahashi, The margin of appreciation doctrine: a theoretical analysis of Strasbourg’s variable geometry, in: A. Føllesdal / B. Peters / G. Ulfstein, Constituting Europe: The European Court of Human Rights in a National, European and Global Context, 2013, 62 (63). 355  Vgl. zu den „autoritäts- und verpflichtungsbasierten“ Ansätzen zur Legitimierung einer evolutiven und extensiven Auslegung der EMRK durch den Gerichtshof G. Letsas, The ECHR as a living instrument: its meaning and legitimacy, in: A. Føllesdal / B. Peters / G. Ulfstein, Constituting Europe: The European Court of Human Rights in a National, European and Global Context, 2013, 106 (126). Der EGMR selbst bestreitet regelmäßig in seiner umweltrelevanten Rechtsprechung, dass er zur materiellen Beurteilung besser in der Lage sei – mithin seine autoritätsbasierte Legitimität und begründet damit die Weite des Einschätzungsspielraums der Staaten. 356  Dies ist freilich nicht unbestritten, da insbesondere schon grundlegend hinterfragt werden könnte, warum die Kompetenz zur Fortentwicklung beim EGMR und nicht bei den Mitgliedstaaten liegen soll, vgl. nur G. Letsas, The ECHR as a living instrument: its meaning and legitimacy, in: A. Føllesdal / B. Peters / G. Ulfstein, Constituting Europe: The European Court of Human Rights in a National, European and Global Context, 2013, 106 (106 f.). 357  G. Letsas, The ECHR as a living instrument: its meaning and legitimacy, in: A. Føllesdal / B. Peters / G. Ulfstein, Constituting Europe: The European Court of Human Rights in a National, European and Global Context, 2013, 106 (140) unter Verweis auf R. Dworkin, Law’s Empire, 1986, Kapitel 6.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte237

könnten den Staaten keinerlei Orientierung bei der Ausrichtung ihres Handelns geben. Dem Menschenrechtsschutz wäre damit kein Dienst erwiesen.358 Als weitere, wenn auch weniger starre Grenze stellt sich die Doktrin vom Einschätzungsspielraum der Staaten dar. Zwar ist es hierin angelegt, dass der EGMR mit einer weiteren Fortentwicklung gerade internationaler Standards eine evolutive Fortentwicklung auch der Konventionsbestimmungen vornehmen wird. Da aber schon die Erfassung von Beeinträchtigungen biologischer Vielfalt aufgrund der Schutzgutakzessorietät der EMRK nur in Ausnahmefällen möglich erscheint, dürfte sich eine solche Fortentwicklung kaum positiv auf deren Schutz auswirken können. Dies scheint auch bei einer Fortentwicklung und Präzisierung der prozeduralen Verpflichtungen aufgrund des auch hier wirksamen Prinzips der Schutzgutakzessorietät der Fall. Eine in Folge von deren Weiterentwicklung befürchtete völlige Aufgabe der materiellrechtlichen zugunsten einer rein prozeduralen Kontrolle scheint aber auch in der Rechtsprechung des Gerichtshofs keinen Rückhalt zu finden.359

B. Der Schutz biologischer Vielfalt mittels prozeduraler Rechte Die sog. Aarhus-Konvention besitzt, ihrem offiziellen Titel entsprechend, drei regulatorische Säulen „über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten“. Der in ihr verwirklichte subjektiv-rechtliche Ansatz, der auf die Verleihung subjektiver Rechtspositionen an Einzelne und Umweltvereinigungen abzielt, kann als prozedural bezeichnet werden und steht im Kontrast zu dem materiellen Ansatz menschenrechtlicher Instrumente sowie zum ökonomisch fundierten Ansatz des Nagoya-Protokolls. In 358  Problematisch deshalb die Losung für künftige Forschung bei H. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in Environmental Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (92) angesichts der mehrfach gescheiterten Aufnahme eines Umweltrechts auf eine gesunde Umwelt in die EMRK nach Wegen eines direkten und stärkeren Schutzes der Umwelt durch die Konvention zu suchen. 359  Zwar wird diese Befürchtung geäußert bei H. Müllerová, Environment Playing Short-handed: Margin of Appreciation in Environmental Jurisprudence of the European Court of Human Rights, RECIEL 2015, 83 (91). Sie selbst führt jedoch Ausführungen des Gerichtshofs an, nach denen dieser sich eine materiell-rechtliche Kontrolle vorbehält, selbst wenn ein Entscheidungsverfahren grundsätzlich allen prozeduralen Anforderungen entsprochen hat. Vgl. EGMR, Urteil vom 10.02.2011  – 30499 / 03 (Dubetska u. a. v. Ukraine), Rn. 107; in die gleiche Richtung auch R. Pavoni, Environmental Jurisprudence of the European and Inter-American Courts of Human Rights, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 (85 f.).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

die historischen Hintergründe der Entstehung der Konvention sowie die ihr zugrundeliegenden rechtlichen Konzepte ist einzuführen (I.) und ein Überblick über die Regelungen der Konvention zu geben (II.). Die Konvention verleiht dem Einzelnen sowohl eine Rechtsmacht für die individuelle Durchsetzung der durch sie gewährleisteten Rechtspositionen als auch – in einem weiter verstandenen Sinne – bei ihrer Implementierung in nationales Recht (III.). Die Bestimmung der Reichweite der einzelnen Rechte ist vorzunehmen (IV.), die Ergebnisse der Teiluntersuchung schließlich zusammenzufassen und zu bewerten (V.).

I. Entstehung, Steuerungskonzept und subjektiv-rechtlicher Charakter des prozeduralen Ansatzes der Aarhus-Konvention Mit der Unterzeichnung der Konvention über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten am 25.  Juni 1998 durch die Vertragsparteien im dänischen Aarhus und dem sich anschließenden Ratifikationsprozess wurden zahleiche, bereits lange zuvor begonnene Entwicklungen in verschiedenen Foren auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene aufgenommen und zu einem verbindlichen völkerrechtlichen Instrument zusammengeführt. Die historischen Hintergründe der Entstehung der Konvention sind zu skizzieren (1.), da sie einen ersten Zugang zum Verständnis der spezifisch prozeduralen Ausrichtung des Steuerungskonzepts und dessen konkreter Umsetzung in der Konvention bieten (2.). Diese Umsetzung ist gerade auch durch ihren subjektiv-rechtlichen Charakter geprägt (3.). 1. Die Aarhus-Konvention als Kristallisationspunkt verschiedenster Entwicklungen Die einzelnen Entwicklungsstränge, die in der Konvention selbst zu Regelungen verwoben wurden, und für welche die Aarhus-Konvention gewissermaßen einen Endpunkt360 darstellt, sind am besten noch in ihrer Präambel erkennbar, auch wenn hier lediglich einige wesentliche Stationen der tatsächlich noch umfangreicheren Entwicklung aufgenommen wurden.361 So nimmt 360  S. Schlacke,

Überindividueller Rechtsschutz 2008, S. 247. zu der hier nur grob skizzierten Entwicklung A.  Epiney / S.  Dilzig / B.  Pirker / S.  Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Einführung Rn. 6 ff.; A.  Schwerdt­feger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 5 ff.; D.  Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung 361  Ausführlicher



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

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die Präambel zunächst verschiedene internationale Dokumente in Bezug, mit der sich die Vertragsstaaten die dort enthaltenen Problembeschreibungen zu eigen machen: Mit den Verweisen auf Grundsatz 1 der Erklärung von Stockholm, die Resolutionen 37 / 7 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 28.10.1982 über die Weltcharta für die Natur362 und Resolution 45 / 94 vom 14.12.1990 sowie die Europäische Charta zu Umwelt und Gesundheit von 1989363 wird die dort jeweils in unterschiedlicher Form zum Ausdruck gebrachte Abhängigkeit des Menschen und seiner Gesundheit vom Funktionieren der natürlichen Systeme als Energie- und Nahrungslieferanten und deren Bedeutung für die volle Verwirklichung der Menschenrechte betont. Diesen Ausgangspunkt hat die Aarhus-Konvention mit dem „GreeningAnsatz“ gemeinsam.364 Mit dem Hinweis auf Grundsatz 10 der Rio-Erklärung verweist die AK weitergehend auf eine – allerdings unverbindliche365 – Vorgängerregelung, die die Unterzeichnerstaaten bereits dazu aufrief, den Zugang zu den im Besitz öffentlicher Stellen befindlichen Informationen über die Umwelt sicherzustellen sowie Gelegenheit zur Teilhabe an Entscheidungsprozessen zu geben und einen wirksamen Zugang zu Gerichts- und

von Umweltinformationen, 2003, S. 49 ff.; J.  Ebbesson, in: D.  Bodansky / J.  Brunnée /  E.  Hey, The Oxford Handbook International Environmental Law, 2007, Kapitel 29, S. 685 f.; K.  Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 114 ff. Ein Überblick findet sich zudem bei M.  Scheyli, Aarhus-Konvention über Informationszugang, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten, AVR 38 (2000), 217 (222 ff.); F.  Rinke, Der Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen  – die Richtlinie 2003 / 4 / EG und deren Umsetzung in deutsches Recht, 2009, S. 10 ff. Zum Ursprung des prozeduralen Ansatzes in der Diskussion um ein Menschenrecht auf eine gesunde Umwelt M.  Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1996, S. 23 f. 362  Resolution 37 / 7 vom 28.  Oktober 1982, UN Doc. A  / 37 / 5 (1982), Vgl. zu deren hier relevanten Grundsätzen 16 und 23 D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 50. 363  Vgl. Absätze 1 und 3 der Präambel der AK. Dies wird noch einmal in den Absätzen 5 und 6 bekräftigt. 364  Siehe hierzu bereits oben: Zweiter Teil, A. I. 1. 365  Zur Unverbindlichkeit von UN-Deklarationen allgemein E. Klein / S. Schmahl, in: W. Graf Vitzthum / A. Proelß, Völkerrecht, 7. Aufl. 2016, Vierter Abschnitt Rn. 138 m. w. N. Die Bedeutung dieser soft-law Instrumente besteht mithin in der Ebnung des Wegs für politische Entscheidungen zum Abschluss rechtlich verbindlicher Instrumente wie der Aarhus-Konvention, D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 58 f.; A.-M. Schlecht Die Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern im deutschen Umweltrecht, 2010, S. 139. Die Erwähnung von Grundsatz 10 der Rio-Deklaration in der Präambel der Aarhus-Konvention kommt wiederum – gem. Art. 31 Abs. 2 WVK hohe Bedeutung für die teleologische Interpretation der operativen Bestimmungen der Konvention zu, vgl. auch insoweit D. Thurnherr, a. a. O. S.  77.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Verwaltungsverfahren zu gewährleisten und damit das Säulenmodell der Aarhus-Konvention bereits vorzeichnete.366 Schon bevor der Prozess zum Abschluss eines völkerrechtlichen Abkommens zur verbindlichen Umsetzung von Grundsatz 10 der Rio-Erklärung initiiert wurde, war dies in der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch die 1990 erlassene erste Umweltinformationsrichtlinie,367 sowie die bereits 1985 erlassene Umweltverträglichkeitsprüfungs-RL,368 US-amerikanischer Gesetzgebung folgend,369 hinsichtlich der ersten beiden Forderungen nach einem Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und ihrer Teilhabe an Entscheidungsprozessen zumindest teilweise gemeinschaftsrechtlich geschehen. Nicht nur auf diese umweltrechtlichen Vorbilder konnte nun also in den weiteren Enwicklungen aufgebaut werden. Begünstigt wurden derlei Bestrebungen zu Beginn der 1990er Jahre nach dem Ende des OstWest Konfliktes insbesondere in den jungen osteuropäischen demokratischen Staaten zudem durch den verbreiteten Entschluss, insgesamt eine weitreichende Demokratisierung staatlicher Tätigkeit zu erreichen.370 Die Informa366  Der Zugang des Einzelnen zu Informationen wurde bereits zuvor empfohlen im Abschlussdokument der Stockholmer UN-Konferenz von 1972, Report of the United Nations Conference on the Human environment held at Stockholm, 5–16 June 1972, Action taken by the Conference (United nations, General Assembly, Doc. A / Conf. 48 / 14 of 3 July 1972), II. Action Plan for the Human Environment, Recommendation 7; T. Bunge, in: S. Schlacke / C. Schrader / T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht – Aarhus-Handbuch, 2010, Einleitung Rn. 6. 367  Richtlinie 90 / 313 / EWG des Rates vom 7.  Juni 1990 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt, Abl. EU L 158 vom 23.6.1990, S. 56. Zur Vorbildfunktion dieser Richtlinie für die AK M. Scheyli, Aarhus-Konvention über Informationszugang, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz in Umweltbelangen, AVR 38 (2000), 217 (221); S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 235; R. Müller-Terpitz, Beteiligungs- und Handlungsmöglichkeiten nichtstaatlicher Organisationen im aktuellen Völker- und Gemeinschaftsrecht, AVR 43 (2005), 466 (475); zu den Unterschieden zwischen dem hier geregelten Informationsanspruch und dem in Art. 4 AK gewährleisteten siehe D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 59–61; F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 118. 368  Siehe hierzu N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 117 f. 369  Nach der UVP-RL 85 / 337 / EWG stellte die Umweltinformationsrichtlinie bereits die zweite Richtlinie prozeduralen Rechts nach amerikanischem Vorbild dar, R. Hallo, Access to Environmental Information, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 55 (58). 370  Siehe zum Ziel der Förderung der Demokratie in der Region der ECE durch die Aarhus-Konvention Absatz 21 ihrer Präambel; M. Zschiesche, Öffentlichkeitsbeteiligung in umweltrelevanten Zulassungsverfahren, 2015, S. 82 f. sowie zur Skepsis demgegenüber in der deutschen verfassungsrechtlichen Diskussion unten, Zweiter Teil, B. IV. 2.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

241

tion der Bürger und die Schaffung von Transparenz galten hier als eine Vorbedingung für die demokratische Kontrolle der Staatsgewalten und wichtige Rahmenbedingungen für ein verstärktes gesellschaftliches Engagement.371 Auch für eine Verstärkung der Öffentlichkeitsbeteiligung zur Verbesserung des Umweltschutzes konnte der Verhandlungsprozess zur Konvention sich auf bereits vorhandene Bestrebungen stützen, durch eine verstärkte Partizipation der Bürger in Entscheidungsverfahren das Verhältnis der Bürger zum Staat insgesamt zu wandeln und eine stärkere demokratische Teilhabe zu erreichen.372 Die umweltrechtliche Entwicklung und die historischen Umstände einer sich öffnenden Staatenwelt in Europa boten zudem die Gelegenheit, Konsequenzen aus der vielfach bereits seit den 1970er Jahren bescheinigten Krise gerade des klassischen Ordnungsrechts als Mittel gesellschaftlicher Steuerung373 zu ziehen. Angesichts der immer stärkeren Ausdifferenzierung der Gesellschaften in hoch spezialisierte Teilbereiche wurde die Überforderung einer personell und finanziell unzureichend ausgestatteten Verwaltung beim Erwerb des für deren Beeinflussung notwendigen Steuerungswissens und seiner Anwendung offenbar.374 Die rein hierarchisch konzipierte ordnungsrechtliche Steuerung arbeitete zudem in den Augen ihrer Kritiker in zu hohem Maße mit Freiheitsbeschränkungen und wurde im Gegensatz zur kooperativen Einbeziehung gesellschaftlicher Akteure375 bei der Erreichung politisch gesetzter Ziele vielfach (auch volkswirtschaftlich) als ineffektiv betrachtet.376 Wie auch im Rahmen der auf nationaler Ebene geführten Diskussion wurde hierfür als Beleg gerade auch das für das Umweltrecht allenthalben beklagte und empirisch nachgewiesene Defizit beim Vollzug 371  T. Bunge, in: S. Schlacke / C. Schrader / T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht – Aarhus-Handbuch, 2010, Einleitung Rn. 4. 372  Vgl. zu dieser Motivation insbesondere ost-europäischer Nichtregierungsorganisationen in den Verhandlungen zur Aarhus-Konvention M. Poto, Strengths and Weaknesses of Environmental Participation under the Aarhus Convention, in: E. J. Lohse / M. Poto, Participatory Rights in the Environmental Decision-Making Process and the Implementation of the Aarhus Convention, 2015, 93 (94). 373  A. Voßkuhle, in: W. Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 1 Rn. 10 m. w. N.; U. Ramsauer, in: H.-J. Koch, Umweltrecht, 4. Aufl. 2014, § 3 Rn. 55; siehe statt vieler den Überblick über die Diskussion bei G.-P. Calliess, Prozedurales Recht, 1999, S. 73 ff. sowie ausführlich zur Steuerungskraft von Gesetzen F. Reimer, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 9 Rn. 84 ff. 374  J. Martin, Das Steuerungskonzept der informierten Öffentlichkeit, 2012, S. 17. 375  Zur Steuerung durch Kooperation J. Martin, Das Steuerungskonezpt der informierten Öffentlichkeit, 2012, S. 29 ff. 376  Vgl. U. Ramsauer, in: H.-J. Koch, Umweltrecht, 4. Aufl. 2014, § 3 Rn. 57.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

ordnungsrechtlicher Vorschriften angeführt.377 Der zur Entstehung der Aarhus-Konvention führende Prozess konnte insoweit auch an die begonnene Suche nach neuen Steuerungsansätzen anknüpfen und die bereits vorhandenen ersten Umsetzungen auf europäischer Ebene versuchen zu stärken und hierbei auftretende praktische Hemmnisse zu überwinden.378 Unter den Auspizien der Economic Commission for Europe (UNECE), einer regionalen Organisation der Vereinten Nationen, entstanden vor diesem Hintergrund auf der zweiten paneuropäischen Ministerkonferenz „Umwelt für Europa“ 1993 zunächst nicht verbindliche Leitlinien über den Zugang zu Informationen über die Umwelt und die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren im Umweltbereich.379 Diese wurden sodann zur Grundlage für den bereits auf der dritten Ministerkonferenz in Sofia beschlossenen und Anfang 1996 eingeleiteten Verhandlungsprozess für ein verbindliches völkerrechtliches Abkommen, der zunächst mit der Ausarbeitung eines Konventionsentwurfes durch eine ad-hoc Arbeitsgruppe des Komitees für Umweltpolitik der ECE begann. Gerade die Europäische Gemeinschaft, die sich selbst, wie dargestellt, um die Mobilisierung des Bürgers zur Durchsetzung des Unionsrechts mittels verschiedenster Instrumente bemühte,380 tat sich bei den Verhandlungen der Aarhus-Konvention, deren Instrumente in dieselbe Richtung weisen und so der EG eine Stärkung ihres Ansatzes versprach, als treibende Kraft hervor.381 Nach zweijährigen Verhandlungen wurde die Konvention am 25. Juni 1998 in Aarhus verabschiedet. In Kraft trat die Konven377  Siehe hierzu bereits oben, Erster Teil, B. I. 3. sowie ergänzend R. Mayntz u. a., Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, 1978; weitere Nachweise bei U. Ramsauer, in: H.-J. Koch, Umweltrecht, 4. Aufl. 2014, § 3 Rn. 55. 378  Vgl. etwa zur Rolle von nicht-staatlichen Umweltorganisationen in den Vorarbeiten zur Aarhus Konvention und deren Bemühen, die praktischen Erfahrungen beim Umgang mit der ersten Umweltinformationsrichtlinie, einzubringen R. Hallo, Access to Environmental Information, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 55 (60 ff.); allgemein zur Rolle von NGOs in den Verhandlungen auch M. Poto, Strengths and Weaknesses of Environmental Participation under the Aarhus Convention, in: E. J. Lohse / M. Poto, Participatory Rights in the Environmental DecisionMaking Process and the Implementation of the Aarhus Convention, 2015, 93 (94 f.). 379  Ausführlich hierzu D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 61 ff.; vgl. weiterhin M. Scheyli, Aarhus-Konvention über Informationszugang, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz in Umweltbelangen, AVR 38 (2000), 217 (221), J. Martin, Das Steuerungskonzept der informierten Öffentlichkeit, 2012, S. 83; T. Bunge, in: S. Schlacke / C. Schrader / T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht – Aarhus-Handbuch, 2010, Einleitung Rn. 8. 380  Siehe hierzu bereits oben: Erster Teil, B. II. 381  J. Martin, Das Steuerungskonzept der informierten Öffentlichkeit, 2012, S. 84; zur Rolle der Europäischen Union als Initiator für die Aarhus-Konvention auch S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 249.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

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tion schließlich am 30. Oktober 2001. Anfang 2018 hatte die Konvention 47 Vertragsparteien,382 davon waren 33 auch Vertragspartei des Kiew-Protokolls über das Schadstofffreisetzungs- und Verbringungsregister383 sowie 28 auch der Konvention in der durch die Vertragsänderung zur Öffentlichkeitsbeteiligung an geplanten Freisetzungen genetisch veränderter Organismen384 veränderten Form vom 27. Mai 2005.385 2. Die prozedurale Ausrichtung der Aarhus-Konvention Vor dem Hintergrund veränderter gesellschaftlicher Strukturen und He­ rausforderungen wurde das Steuerungskonzept der informierten Öffentlichkeit entwickelt [a)], das den Regelungen der Aarhus-Konvention in spezifischer Weise zugrundegelegt wurde [b)]. a) Das Steuerungskonzept der informierten Öffentlichkeit Bei der Zusammenführung der vorstehend skizzierten Entwicklungslinien in den drei Säulen der Information, Öffentlichkeitsbeteiligung und dem Zugang zu Gerichten wurde im Rahmen der Aarhus-Konvention ein Konzept gesellschaftlicher Steuerung zugrundegelegt, das mit dem Begriff der „informierten Öffentlichkeit“ schlagwortartig bezeichnet worden ist386 und auf grundlegendere Konzepte der regulierten Selbstregulierung387 zurückgeführt werden kann.388 Den unter diesen Begriff fallenden systemtheoretisch inspi382  Siehe die Übersicht auf http: /  / www.unece.org / env / pp / aarhus / map.html, zuletzt abgerufen am 25.03.2018. 383  Protocol on Pollutant Release and Transfer Registers to the Convention on Access to Information, Public Participation in Decision-Making and Access to Justice in Environmental Matters vom 21.05.2003, UN Doc. MP.PP / 2003 / 1. 384  Siehe zu Vertragsänderung der Aarhus-Konvention Decision II / 1 der Vertragsstaatenkonferenz on genetically modified organisms, ECE / MP.PP / 2005 / 2 / Add.2 vom 05. Juni 2005. 385  Die Vereinbarung wird allerdings erst 90 Tage nach ihrer Ratifizierung durch drei Viertel derjenigen Mitglieder in Kraft treten, die zur Zeit der Vertragsänderung bereits Vertragsstaaten der Aarhus-Konvention waren. Im Sommer 2017 waren lediglich 25 der damaligen Vertragsstaaten der Änderung beigetreten, zwei weniger als benötigt. 386  Vgl. hierzu die Untersuchung von J. Martin, Das Steuerungskonezpt der informierten Öffentlichkeit, 2012. 387  Siehe etwa zum hierauf bezogenen damaligen Forschungsprogramm des MPI für Gesellschaftsforschung R. Mayntz / F. W. Scharpf, Steuerung und Selbstorganisation in staatsnahen Sektoren, in: dies., Gesellschaftliche Selbstregelung und politische Steuerung, 1995, 9 (19 ff.). 388  J. Martin, Das Steuerungskonzept der informierten Öffentlichkeit, 2012, S. 29 f.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

rierten389 Überlegungen zu Möglichkeiten der gesellschaftlichen Steuerung durch Recht unter den Bedingungen stark fortgeschrittener Ausdifferenzierung der Gesellschaft390 in autopoietische, d. h. selbstreferentielle und relativ autonom agierende Teilsysteme391 ist gemein, dass sie staatlichen Interven­ tionen mit den klassischen Mitteln des vornehmlich materiell-rechtlich programmierten Ordnungsrechts, d.  h. mit den Mitteln einer hierarchischen Steuerung, in vielen Bereichen keine hinreichenden Erfolgschancen beimessen.392 Als Ausweg aus der Steuerungskrise des Rechts legen diese Ansätze dagegen solche Regelungsarrangements nahe, die staatliche Interventionen nicht entgegen der Logik gesellschaftlicher Teilsysteme vorsehen, sondern diese vielmehr aufnimmt, überformt und so die Teilsysteme mit den Inte­ ressen des Gesamtsystems, d. h. den öffentlichen Interessen, kompatibel macht.393 Das Steuerungskonzept der informierten Öffentlichkeit der Aarhus-Konvention nimmt insbesondere das gesellschaftliche Teilsystem der Wirtschaft in den Blick. Adressiert werden aber im Wesentlichen nicht Wirtschaftsunternehmen als dessen bestimmende Akteure, sondern zum einen Einzelpersonen in ihrer Rolle als Konsumenten und damit ebenfalls Akteure des Wirtschaftssystems sowie in ihrer Rolle als Umweltschützer, ggf. als Mitglieder von Umweltvereinigungen und damit als Teile der größeren Öffentlichkeit.394 Zum anderen betrifft das Steuerungskonzept das Teilsystem der VerwalE. Hagenah, Prozeduraler Umweltschutz, 1996, S. 51. Recht als autopoietisches System, 1989, S. 87; G.-P. Calliess, Prozedurales Recht, 1999, S. 128. 391  Zu dieser und anderen Metaphern zur Beschreibung der Gesellschaft G.-P. Calliess, Prozedurales Recht, 1999, S. 122 ff. Kritisch gegenüber dem Steuerungspessimismus der soziologischen Systemtheorie R. Mayntz / F. W. Scharpf, Steuerung und Selbstorganisation in staatsnahen Sektoren, in: dies., Gesellschaftliche Selbstregelung und politische Steuerung, 1995, 9 (11). 392  Vgl. nur F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 20 f. sowie ausführlich G.-P. Calliess, Prozedurales Recht, 1999, S. 73 ff.; M. Böhm, Der Normmensch, 1996, S. 6; E. Hagenah, Prozeduraler Umweltschutz, 1996, S. 50; S. M. Kim, Verdrängung der materiellen Regelungsdichte zugunsten einer Prozeduralisierung des Verwaltungsverfahrens – ein sinnvoller Vorschlag? EurUP 2017, 233 (234). 393  G.-P. Calliess, Prozedurales Recht, 1999, S. 122. 394  Es kommt vorliegend nicht darauf an, ob sich Menschen in ihrer Eigenschaft als Umweltschützer ggf. einem von der allgemeinen Gesellschaft verschiedenen Subsystem des Umweltschutzes zuordnen lassen. Dass hier die für eine solche Zusammenfassung nötige Verdichtung an sozialen Beziehungen und die Herausbildung einer Eigenlogik und hinreichenden Autonomie gegeben ist, erscheint eher fraglich. Ihre derartige Zusammenfassung als eigenes Teilsystem würde insbesondere Gefahr laufen, die im Bereich des Umweltschutzes zahlreich vorhandenen relativ unorganisierten und heterogenen ad hoc-Zusammenschlüsse auszublenden. 389  Vgl.

390  G. Teubner,



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

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tung.395 Sie wird adressiert in ihrer Eigenschaft als Trägerin der Kompetenz zur Entscheidung über die Genehmigung bestimmter Tätigkeiten (Art. 6 AK), zur Ausarbeitung und / oder zum Erlass umweltbezogener Pläne, Programme und Politiken (Art. 7 AK) und als Inhaber von Informationen über die Umwelt (Art. 4, 5 AK; Absatz 17 Präambel). Der Eröffnung des Zugangs zu Umweltinformationen als erstem Baustein des Steuerungskonzepts kommt in zweierlei Hinsicht Bedeutung zu.396 Zum einen soll der Bürger durch zusätzliche umweltrelevante Informationen Kenntnis von Umweltproblemen und ein Bewusstsein für deren Ursachen und so die Möglichkeit erlangen, nachhaltige, die Umweltressourcen und damit die biologische Vielfalt schonende Konsumentscheidungen zu treffen.397 Zum anderen soll der Bürger durch die Informationen in die Lage versetzt werden, sich qualifiziert in gesellschaftliche Entscheidungsprozesse, sei es auf politischer oder Verwaltungsebene, einzubringen oder diese anzustoßen398 und sich für Lösungen einzusetzen, welche die Umweltgüter schonen und damit ebenfalls zum Schutz oder gar zur Wiederherstellung biologischer Vielfalt beitragen. Die der Rolle der Umweltinformationen zugeschriebene Bedeutung zeigt, dass das Konzept auf der Grundannahme basiert, dass Einzelne, wenn sie hinreichend Kennntnis von einem gesellschaftlichen Problem besitzen – hier vom Verlust biologischer Vielfalt – alleine oder in Zusammenarbeit mit anderen Personen Aktivitäten entfalten, um zur Lösung des gesellschaftlichen Problems zum eigenen,399 aber auch zum allgemeinen400 Nutzen beizutragen. 395  Der Gesetzgeber wird dagegen in den Steuerungsansatz der AK nicht eingebunden, vgl. Art. 2 Nr. 2 a. E. AK. Intern sind die in völkerrrechtlicher Hinsicht an die Vertragsparteien als völkerrechtliche Einheiten gerichteten Verpflichtungen der AK gem. Art. 3 AK natürlich insbesondere durch die Gesetzgebungsorgane zu erfüllen. 396  Zu den Funktionen der weiteren allgemeinen Informationszugangsfreiheit F. Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, Einl. Rn. 45 ff. 397  Vgl. Abs. 9 sowie 19 Präambel AK. 398  Allein mithilfe entsprechender Umweltinformationen wird der Bürger in die Lage versetzt, Umweltnutzer in gewissem Umfang zu kontrollieren und Verwaltungsverfahren im Falle von Verfehlungen anzustoßen. Zu diesem Aspekt von Umwelt­ informationen siehe F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S.  111 f. 399  Dies zeigt die Zielbestimmung in Art. 1 Hs. 1 AK, die auf das materielle Grundrecht eines jeden auf ein Leben in einer gesunden Umwelt verweist. 400  Dies ergibt sich aus der Einbeziehung auch künftiger Generationen in Art. 1 Hs. 1 AK sowie – wie noch zu zeigen ist – auch daraus, dass die durch die AK geschaffenen Instrumente gerade nicht auf eine Verbesserung nur der eigenen Rechtsposition abzielen, sondern zu einer Verbesserung von Verwaltungsentscheidungen und der Durchsetzung umweltrechtlicher Vorschriften allgemein führen soll, auch soweit diese nicht die Interessen eines Einzelnen schützen.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Die Richtigkeit dieser Grundannahme des Steuerungskonzepts der informierten Öffentlichkeit und ihre Eignung zur Erzielung der gewünschten Steuerungseffekte ist vielfach kritisch aus Sicht der Handlungstheorie und auf Grundlage empirischer Erkenntnisse der Verhaltenswissenschaften hinterfragt und relativiert worden.401 Dabei kann zwischen der motivationsfördernden Wirkung von Wissen über Umweltzusammenhänge hinsichtlich der persön­ lichen Konsumentscheidungen von Menschen einerseits und ihrer Fähigkeit, die Bereitschaft zu befördern, sich in politischen oder behördlichen Entscheidungsverfahren für umweltverträgliche, die biologische Vielfalt wahrende Entscheidungen einzusetzen, andererseits, unterschieden werden. Dagegen, dass allein die Kenntnis der negativen Konsequenzen des eigenen Konsumverhaltens regelmäßig ausreichend für die Motivation seines Unterlassens ist, scheint schon die allgemeine Lebenserfahrung zu sprechen. Viele Menschen wissen sehr wohl um die konkreten, wie auch die abstrakteren negativen Folgen ihres Lebensstils für den Naturhaushalt und die biologische Vielfalt und ändern ihn dennoch nicht, weil sich ihr Wille zur Befriedigung gegenwärtiger Bedürfnisse insoweit gegen ethisch oder anderweitig begründete Wertvorstellungen vom Wert der Natur und ihrer Erhaltung402 durchsetzt.403 Zumeist ist das Hinzutreten weiterer Umstände zur bloßen Kenntnis von der Problembeladenheit des eigenen Verhaltens erforderlich, um einen hinreichenden Anlass für dessen Änderung darzustellen.404 Zwar können Informationen auch hier zu einer Verbesserung der Motivationslage und damit einer Erhöhung der Wahrscheinlichkeit für Änderungen des Konsumverhaltens führen. Sie können etwa den Zusammenhang zwischen dem eigenen Konsum an einem Ort und dem Verlust an biologischer Vielfalt am Ort der Produktion der konsumierten Güter aufgrund der damit verbundenen Umweltauswirkungen hinreichend begreifbar machen. Nichtsdestotrotz verbleibt eine ungünstige Anreizstruktur, wenn für den Einzelnen ungewiss bleibt, ob die Veränderung seines eigenen Konsums irgendeinen positiven Effekt auf den Zustand biologischer Vielfalt zeitigen wird,405 solange nicht auch andere Konsumenten diesem Beispiel folgen.406 Dies gilt in verstärktem Maße noch dann, wenn positive Effekte der eigenen Verhaltensänderungen erst nach langer 401  Instruktiv hierzu F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 40 ff. sowie 112 f. 402  Zu den verschiedenen Begründungen der Wertigkeit biologischer Vielfalt bereits oben, Erster Teil, A. II. 403  Vgl. F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 43 f. 404  Zu einzelnen Faktoren F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 44. 405  Diese Unsicherheit über den Eintritt künftiger positiver Effekte lässt Menschen regelmäßig eine Bedürfnisbefriedigung in der Gegenwart höher gewichten, als eine künftige. Zu dieser sog. Diskontierung zukünftiger Ereignisse siehe A. Endres, Umweltökonomie, 4. Aufl. 2013, S. 392.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

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Zeit zu erwarten sind und diese allenfalls für künftige Generationen spürbar werden könnten.407 Auch soweit der Einzelne nicht zu umweltverträglichen Konsumentscheidungen, sondern (zunächst nur) zu einem Einsatz zugunsten umweltverträglicher politischer oder behördlicher Entscheidungen durch Informationen mobilisiert werden soll, ist die motivatorische Ausgangslage eher ungünstig. Zwar hat auch jeder Einzelne ein Interesse daran, dass natürliche Ressourcen und sonstige Naturbestandteile als Allgemeingüter nicht zugunsten eines einzelnen privaten Nutzers verbraucht werden, sondern für die Allgemeinheit genutzt oder erhalten bleiben. Auch in Entscheidungssituationen, wie etwa behördlichen Genehmigungsverfahren, in denen der Einzelne als Teil der Öffentlichkeit nicht der unmittelbar durch eine Genehmigung Begünstigte ist, werden jedoch nicht selten die aus einer positiven Entscheidung erwachsenden gesellschaftlichen Vorteile in der Form der Schaffung von Arbeitsplätzen, der Erhöhung des Steueraufkommens und anderer mehr den eigenen abstrakten Nutzen aus den zu schützenden Naturgütern in der Gegenwart überwiegen. Dies jedenfalls dann, wenn nicht eine unmittelbare eigene Betroffenheit gegeben ist oder andere Umstände hinzutreten, welche die eigene Entscheidung zugunsten des Einsatzes – unter Aufwendung von Zeit und nicht selten auch finanziellen Mitteln – zum Erhalt der Umwelt tragen.408 Diese Einsicht in die relativ ungünstige Motivationsstruktur der Entscheidungssituation des Einzelnen spricht jedoch nicht gegen den Einsatz des vorstehend skizzierten Steuerungskonzepts, sie zeigt lediglich dessen Grenzen auf und macht seine Ergänzungsbedürftigkeit ersichtlich.409 Die Ver406  Zur Rationalität der Übernutzung von Gemeinschaftsressourcen aus Sicht des Einzelnen siehe klassisch G. Hardin, The Tragedy of the Commons, Science 162, 1968, S. 1243–1248. 407  Vgl. F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 36 f., 143. 408  Siehe insoweit auch die skeptische, durch empirische Untersuchungen unterlegte Einschätzung bei M. Böhm, Bürgerbeteiligung nach Stuttgart 21, NuR 2011, 614 (615) sowie S. M. Kim, Verdrängung der materiellen Regelungsdichte zugunsten einer Prozeduralisierung des Verwaltungsverfahrens – ein sinnvoller Vorschlag? EurUP 2017, 233 (240). Vgl. zu einem anschaulichen Negativbeispiel aus der nationalen Rechtsprechung OVG Schleswig, Urteil vom 15.01.2015  – 1 KN 6 / 13. In dem zugrundeliegenden Fall sollte die Akzeptanz der Bürger für den Bau von Windenergieanlagen gerade dadurch erreicht werden, dass von diesen nicht gewollte, wohl aber naturschutzfachlich geeignete Standorte für Windenergieanlagen aufgegeben und stattdessen naturschutzfachlich ungeeignete Standorte festgesetzt werden sollten. Siehe hierzu auch N. Wegner, Aktuelle Entwicklungen in der Rechtsprechung zur Planung von Windkonzentrationszonen, ZUR 2015, 468 (474 f.). 409  Wie sogleich zu zeigen sein wird, setzt das Konzept der Aarhus-Konvention deshalb keineswegs auf eine völlige Ersetzung ordnungsrechtlicher Steuerung, sondern lediglich auf deren Ergänzung durch prozedurale Rechte.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

tragsstaaten der Aarhus-Konvention selbst scheinen sich der Schwäche der natürlichen Motivationslage des Einzelnen durchaus bewusst gewesen zu sein, wenn in Absatz 7 der Präambel der Konvention auf die Pflicht jedes Menschen als Einzelperson und in Gemeinschaft verwiesen wird, die Umwelt zum Wohle gegenwärtiger und künftiger Generationen zu schützen und zu verbessern und damit der Einzelne auch normativ zum Handeln aufgerufen wird.410 Implizit wird die relative Schwäche der Anreize für den Einzelnen zum passiven (durch veränderte Konsumentscheidungen) oder aktiven (hier durch Öffentlichkeitsbeteiligungen und ggf. die Durchsetzung der Rechte in Rechtsschutzverfahren) Schutz der Umwelt auch dadurch berücksichtigt, dass das Konzept der AK lediglich eine Unterstützung staatlicher Stellen bei der Durchsetzung materieller Entscheidungsmaßstäbe vorsieht. Das Steuerungskonzept zielt insoweit insbesondere ab auf eine stärker kooperative Einbindung411 Einzelner und zivilgesellschaftlicher Gruppen412 insbesondere in die komplexe Verwaltungsaufgabe des staatlichen Normvollzugs, konkret in die Verfahren der Entscheidungsfindung.413 Die Gewährleistung von Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung als zweiter Baustein des Steuerungskonzepts adressiert die Durchsetzungsdefizite rein ordnungsrechtlicher Ansätze414 und ergänzt das Ordnungsrecht, ohne es zu verdrängen. Im Unterschied zu der oben beschriebenen klassischen Vorstellung von regulierter Selbstregulierung wird hier ersichtlich, dass das Konzept der AarhusKonvention nicht allein darauf abzielt, die Eigenlogik des Teilsystems Wirtschaft durch gesetzgeberische Intervention in einer Weise zu überformen, dass seine Kompatibilität mit dem Allgemeininteresse an umweltverträg­ 410  Der nicht bindende Appellcharakter dieses Verweises („Ferner in der Erkenntnis, dass …“) wird allerdings daraus ersichtlich, dass der operative Teil des Übereinkommens hierzu keine weiteren Regelungen enthält. 411  Das hier beschriebene Konzept kann gerade als Gegenentwurf zu den vielfach zu Recht gerade unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten kritisierten Formen informeller Kooperation im Vorfeld von Verwaltungsentscheidungen unter Ausschluss der allgemeinen Öffentlichkeit gesehen werden, das in der Verwaltungsrechtslehre unter dem Begriff des „informalen“ oder „informellen Verwaltungshandelns“ diskutiert wird, vgl. nur H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 15 Rn. 14 ff.; G.-P. Calliess, Prozedurales Recht, 1999, S. 133 f. m. w. N. 412  Siehe Abs. 13 der Präambel. 413  Die eigentliche Vollzugsebene, d. h. die Verwaltungsvollstreckung, ist hiervon dagegen ausgenommen. M. Zschiesche, Öffentlichkeitsbeteiligung in umweltrelevanten Zulassungsverfahren, 2015, S. 81 zeigt sich insoweit zu Recht skeptisch, ob sich die Ziele der Aarhus-Konvention umsetzen lassen, wenn er konstatiert, dass ihre Regelungen zwar einerseits als Reaktion auf den teilweisen Rückzug des Staates zu verstehen sind, sie aber zugleich weiterhin auf den Staat als „Transmissionsriemen“ für die Um- und Durchsetzung der Konventionsregeln vertraut. 414  J. Martin, Das Steuerungskonzept der informierten Öffentlichkeit, 2012, S. 13.



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lichem Verhalten erhöht wird.415 Neben der Motivation der Bürger zu einer Änderung ihres Konsumverhaltens sollen diese vielmehr auch zu einer aktiven Teilnahme an Entscheidungsprozessen der Verwaltung mobilisiert werden und sowohl als Kontrolleure416 gegenüber der Verwaltung agieren als auch mithilfe der Verwaltung und diese unterstützend eine Übereinstimmung des Handelns von Umweltnutzern mit den materiell-rechtlichen Vorgaben zum Schutz der Umwelt soweit notwendig erzwingen.417 Die materiellen Vorgaben, d. h. die Umwelt- und Biodiversitätsschutzstandards selbst, werden durch die Aarhus-Konvention nicht berührt.418 Das Modell zielt vielmehr allein auf eine stärkere Dezentralisierung der Verwaltungskontrolle und greift damit einen Gedanken auf, der bereits für die Europäische Union herausgearbeitet wurde419 und in starkem Kontrast zum traditionellen Verständnis in 415  Dies ist etwa der Fall, soweit der Normvollzug in Kooperation mit den Normadressaten erfolgen soll, wie dies etwa bei dem europäischen EMAS-Regime oder anderen Formen der Eigenüberwachung der Fall ist, vgl. hierzu G.-P. Calliess, Prozedurales Recht, 1999, S. 131 sowie allgemein zu diesen Instrumenten U. Ramsauer, in: H.-J. Koch, Umweltrecht, 4. Aufl. 2014, § 3 Rn. 111 ff. 416  R. Müller-Terpitz, Beteiligungs- und Handlungsmöglichkeiten nichtstaatlicher Organisationen im aktuellen Völker- und Gemeinschaftsrecht, AVR 43 (2005), 466 (473); während das Grundgesetz die Kontrolle der Verwaltung in erster Linie Judikative und Legislative zuweist, findet in diesem Modell zusätzlich eine Kontrolle in Kooperation mit den Bürgern statt. Zum grundgesetzlichen Modell siehe nur M. Sachs, in: ders., Grundgesetz, 7. Aufl. 2014, Art. 20 Rn. 31 ff. und 82 ff. 417  Damit findet gerade keine Anpassung von Regulierung an die Eigenlogik des Teilsystems Wirtschaft statt, vielmehr wird einer noch stärkeren autopoietischen Geschlossenheit des Teilsystems Wirtschaft mithilfe der Bürger entgegengewirkt. Es findet keine Zurücknahme materieller Vorgaben zugunsten prozeduraler Steuerung statt. Vielmehr soll über die prozedurale Einbindung der Bürger die Durchsetzung der materiellen Vorgaben gegenüber dem Teilsystem Wirtschaft sichergestellt werden. Vgl. dagegen zur „reinen Lehre“ der Steuerung durch Selbststeuerung G.-P. Calliess, Prozedurales Recht, 1999, S. 129. 418  Diese werden weiterhin allein durch zuständige innerstaatliche Organe gesetzt, C. Sartoretti, The Aarhus Convention between protection of Human Rights and protection of the Environment, in: E. J. Lohse / M. Poto, Participatory Rights in the Environmental Decision-Making Process and the Implementation of the Aarhus Convention, 2015, 45 (53); der Staat ist deshalb gerade nicht beschränkt auf eine Schiedsrichterrolle in einem allein gesellschaftlichen Prozess der Problemlösung, er macht vielmehr nach wie vor materielle Vorgaben für die Problemlösung, zu weitgehend daher G. Parola, Ecological Interest as a Leading Rationale, in: E. J. Lohse / M. Poto, Participatory Rights in the Environmental Decision-Making Process and the Implementation of the Aarhus Convention, 2015, 15 (24). 419  A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 24; U. Giera, Individualrechte im europäischen Umweltrecht, 2015, S. 42; R. Müller-Terpitz, Beteiligungs- und Handlungsmöglichkeiten nichtstaatlicher Organisationen im aktuellen Völker- und Gemeinschaftsrecht, AVR 43 (2005), 466 (473); W. Durner, Rechtspolitische Spielräume im Bereich der dritten Säule, in: W. Durner / C. Walter, Rechtspolitische Spielräume bei der Umset-

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Deutschland420 steht. Bürger als Einzelne oder – in verstärktem Maße – als Mitglieder von Umweltvereinigungen können auf Grundlage der ihnen rechtlich eröffneten und sonst auf anderem Wege zur Verfügung stehenden Umweltinformationen ihren besonderen, der Verwaltung vielfach fehlenden Sachverstand über lokale Gegebenheiten oder abstraktere Fachexpertise in die Verfahren einbringen und so zu einer Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage und einer Rationalisierung von umweltrelevanten Entscheidungen führen421 und so auch ihre Effektuierung fördern.422 Die Eröffnung von Öffentlichkeitsbeteiligungen trägt überdies durch die Öffnung von Verfahren für Mitglieder der Allgemeinheit zur Erhöhung der Transparenz von Verwaltungsentscheidungen bei, beugt so der Außerachtlassung von Interessen der Allgemeinheit bzw. der einseitigen Ausrichtung von Entscheidungen an Partikularinteressen oder sachfremden Erwägungen423 vor und kann dadurch einen Beitrag zur Verbesserung der Akzeptanz staatlicher Entscheidungen424 leisten.425 zung der Århus-Konvention, 2005, 64 (68); T. v. Danwitz, Aarhus-Konvention: Umweltinformationen, Öffentlichkeitsbeteiligung, Zugang zu den Gerichten, NVwZ 2004, 272 (273); N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 38 f. die auch auf die Ausweitung dieses Prinzips auf nicht-EUStaaten durch die AK hinweist; siehe hierzu bereits oben: Erster Teil, B. II. 2. 420  Siehe hierzu bereits oben: Erster Teil, B. I. 1. 421  Vgl. statt vieler nur D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 94; T. v. Danwitz, Aarhus-Konvention: Umweltinformatio­ nen, Öffentlichkeitsbeteiligung, Zugang zu den Gerichten, NVwZ 2004, 272 (273 f.). 422  M. Scheyli, Aarhus-Konvention über Informationszugang Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten, AVR 38 (2000), 217 (220); zum Aspekt der Effektivität auch N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 37. 423  Vgl. J. Ebbesson, Public Participation and Privatisation in Environmental Matters, Erasmus Law Review, 4 (2011), 71 (73), N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 37 f.; zum hierin zum Ausdruck kommenden Misstrauen gegenüber dem Staat U. Giera, Individualrechte im europäischen Umweltrecht, 2015, S. 37. 424  T. v. Danwitz, Aarhus-Konvention: Umweltinformationen, Öffentlichkeitsbeteiligung, Zugang zu den Gerichten, NVwZ 2004, 272 (273); zum Aspekt der Akzeptanz durch Verwaltungsverfahren aus der älteren Literatur T. Würtenberger, Akzeptanz durch Verwaltungsverfahren, NJW 1991, 257 ff.; vgl. zu den unterschiedlichen Zielen der AK außerdem die Absätze 10 und 11 der Präambel der AK sowie N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 40. 425  Zur ebenfalls hierdurch angestrebten Erfüllung der rechtsstaatlichen Funktion vorgezogenen Rechtsschutzes siehe statt vieler T. Bunge, in: S. Schlacke / C. Schrader / T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht  – Aarhus-Handbuch, 2010, Einleitung Rn. 4; T. v. Danwitz, AarhusKonvention: Umweltinformationen, Öffentlichkeitsbeteiligung, Zugang zu den Gerichten, NVwZ 2004, 272 (274).



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte251

Der Eröffnung des Zugangs zu Gerichten als drittem Baustein des Steuerungskonzepts kommt schließlich zunächst eine Durchsetzungsfunktion bezogen auf die ersten beiden Aspekte der Information und Öffentlichkeitsbeteiligung zu. Die Eröffnung hierauf bezogener Rechtsschutzmöglichkeiten bewirkt eine Bewehrung der im Rahmen der anderen Säulen vorgesehenen Positionen.426 Hiervon zu unterscheiden ist die Funktion der Durchsetzung auch materieller Schutzstandards gegenüber den Umweltnutzern. Während das Steuerungskonzept hier für eine möglichst weitreichende Eröffnung der Rechtskontrolle streitet, wird, wie auch hinsichtlich der übrigen Säulen, zu ermitteln sein, inwieweit das Steuerungskonzept – dem selbst natürlich keine normativen Wirkungen zukommen – in den Regelungen der Aarhus-Konvention mittels prozeduraler Rechte Einzelner und Gruppen umgesetzt wurde. b) Umsetzung des Steuerungskonzepts mittels prozeduraler Rechte Der vorstehende Überblick über die steuerungskonzeptionelle Ausgestaltung der drei Säulen der Aarhus-Konvention deutet den prozeduralen Charakter der in der AK geschaffenen bzw. aufgrund ihrer zu schaffenden rechtlichen Positionen an. Prozedurales Recht stellt eine Möglichkeit zur Um­ setzung von Konzepten der regulierten Selbstregulierung und so auch des hierauf basierenden Konzepts der informierten Öffentlichkeit dar,427 und soll einen Ausweg aus der Steuerungskrise des Rechts ermöglichen.428 Der rechtstheoretische Begriff des „prozeduralen Rechts“429 verweist auf eine tendenzielle Abkehr von ergebnisorientierten Maßstäben und eine stärkere Gewichtung der Verfahrensgestaltung für die Lösung gesellschaftlicher Konflikte.430 Prozedurales Recht dient der Koordination von Handlungen sozialer Akteure431 und beinhaltet eine Aufwertung des Verfahrensrechts ohne mit diesem gleichgesetzt werden zu können.432 Unter prozeduralem Recht sollten 426  In Anlehnung an G. Dürig, hätte man diese dritte Säule der AK auch treffend als Schlussstein im Gewölbe ihres Steuerungskonzepts bezeichnen können. Die Architekten der AK wussten es besser. 427  J. Martin, Das Steuerungskonzept der informierten Öffentlichkeit, 2012, S. 31; vgl. hierzu auch G.-P. Calliess, Prozedurales Recht, 1999, S. 122. 428  G.-P. Calliess, Prozedurales Recht, 1999, S. 122. 429  Umfänglich hierzu G.-P. Calliess, Prozedurales Recht, 1999. 430  F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 13, 20 f.; K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 114; vgl. auch zur älteren Diskussion der 80er Jahre E. Hagenah, Prozeduraler Umweltschutz, 1996, S. 52. 431  F. Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 52. 432  F. Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 52.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

vielmehr diejenigen Normen verstanden werden, die einen Teil oder ein gesamtes Entscheidungssystem konstituieren, ohne dass die Richtigkeit und Gerechtigkeit der zu treffenden Entscheidungen durch die Normierung inhaltlicher Entscheidungsmaßstäbe, sondern durch die Ausgestaltung von Verfahren und Verleihung rechtlicher Positionen zur Nivellierung faktischer Wissens- und sonstiger Machtungleichgewichte zwischen den einzubeziehenden Akteuren geschieht. So verstanden sollen unter den Begriff des prozeduralen Rechts nicht nur diejenigen Normen des formellen Rechts über Kompetenz, Organisation, Form und Verfahren gefasst werden, welche als Entscheidungsregeln die inhaltliche Richtigkeit und Gerechtigkeit, d. h. die Rationalität von Entscheidungen fördern oder gewährleisten,433 sondern auch materiell-rechtliche Normen, soweit sie funktional Teil des vorgenannten Regelungsarrangements sind,434 in dessen Rahmen eine inhaltliche Entscheidung (nicht zwingend auch die Entscheidungsmaßstäbe) erst auf Grundlage eines kommunikativen Prozesses zwischen den Akteuren ermittelt werden soll.435 Im Unterschied zu dem auf Normen des formellen Rechts beschränkten Begriff prozeduralen Rechts bei G.-P. Calliess,436 sollen mit der hier vorgenommenen Erweiterung insbesondere auch materiell-rechtliche Normen zur Gewährleistung eines Zugangs zu Umweltinformationen, wie sie auch durch die Aarhus-Konvention vorgegeben sind, einbezogen werden. Diese stellen geradezu ein Musterbeispiel prozeduralen Rechts dar,437 soweit die Erlangung der Information durch einen Akteur nicht Selbstzweck der Norm ist, sondern diese funktional darauf ausgerichtet ist, die Fähigkeit des Informationsempfängers zur Teilnahme an einem Rechtsdiskurs zu stärken, die 433  So hinsichtlich prozeduralem Recht im engeren Sinne G.-P. Calliess, Prozedurales Recht, 1999, S. 176. 434  K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 114 spricht insoweit nicht von Verfahrensrecht i. S. formellen Rechts, sondern von „verfahrensbezogenen Rechtselementen“. Zur Zwitterstellung prozeduralen Rechts zwischen formellem und materiellem Recht E. Hagenah, Prozeduraler Umweltschutz, 1996, S. 55. 435  Nach E. Hagenah, Prozeduraler Umweltschutz, 1996, S. 55 hat prozedurales Recht, anders als rein formelles, eine materielle Zielrichtung und soll die inhaltliche Entscheidung mitkonstituieren. 436  Die Ausklammerung materiell-rechtlicher Normen zur Gewährleistung von Informationen in der Definition G.-P. Calliess ist allerdings durchaus überraschend, da er selbst die Rolle von Informationsansprüchen in seiner Arbeit ausdrücklich, wenn auch nur kurz, thematisiert, vgl. G.-P. Calliess, Prozedurales Recht, 1999, S. 133. 437  Entsprechend werden die Regelungen der Aarhus-Konvention über Informa­ tionsrechte und -pflichten durchweg unter den Begriff des prozeduralen Rechts gefasst, vgl. etwa K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 114 f.; S. M. Kim, Verdrängung der materiellen Regelungsdichte zugunsten einer Prozeduralisierung des Verwaltungsverfahrens – ein sinnvoller Vorschlag? ­EurUP 2017, 233 (236).



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte253

Entscheidungsgrundlage zu verbessern und dadurch das Ergebnis des Diskurses, etwa eine Genehmigungsentscheidung, stärker zu rationalisieren. Prozedurales Recht kann sowohl durch rein objektiv-rechtliche als auch subjektiv-rechtliche Normen umgesetzt werden. Der rechtstheoretische Begriff des prozeduralen Rechts verhält sich gegenüber den rechtstechnischen Formen seiner Umsetzung neutral.438 Das bedeutet, dass die Umsetzung des Steuerungskonzepts mithilfe der Konstituierung subjektiver Rechtspositionen keineswegs ausgeschlossen ist.439 Subjektive Rechte und das stark verfahrensrechtlich ausgerichtete prozedurale Recht stellen keineswegs einen ­Widerspruch dar, wie ein Schluss vom traditionellen deutschen Verständnis von der lediglich dienenden Funktion des Verfahrensrechts für die Gewährleistung materiell-rechtlicher subjektiver Rechte und die nur äußerst restriktive Anerkennung eigenständiger subjektiver Verfahrensrechte440 nahelegen könnten. Auch in der deutschen Verwaltungsrechtsdogmatik finden sich zudem mit der Figur des absoluten Verfahrensfehlers bzw. -rechts erhebliche Durchbrechungen des vorgenannten Grundsatzes.441 Soweit der prozedurale Ansatz zudem darauf abzielt, faktische Machtungleichgewichte zu nivellieren, liegen der funktionelle Einsatz subjektiv-rechtlicher Positionen und ihre prozessuale Bewehrung aufgrund der dadurch geschaffenen Durchsetzungsstärke nahe. Dies gilt vor allen Dingen dann, wenn die Regelung prozeduraler Rechtspositionen auch in der Stärkung von Rechtspositionen gegenüber dem Widerstand staatlicher Stellen begründet ist.442 Während in der rechtstheoretischen Auseinandersetzung prozedurales Recht nicht selten mit dem Ordnungsrecht und dessen Instrumenten recht­ 438  Soweit ersichtlich wird auf diese Frage von G.-P. Calliess, Prozedurales Recht, 1999 nicht eingegangen. Wie hier aber C. Quabeck, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 96. 439  Vgl. etwa A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 108 f. 440  Ausführlich hierzu zuletzt C. Quabeck, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010. Zu den absoluten Verfahrensrechten a. a. O., S. 54 ff. 441  Siehe hierzu A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 73; A.-M. Schlecht, Die Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern im deutschen Umweltrecht, 2010, S. 54 f. 442  K. F. Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (8); T. v. Danwitz, Aarhus-Konvention: Umweltinformationen, Öffentlichkeitsbeteiligung, Zugang zu den Gerichten, NVwZ 2004, 272 (274). Gemeint sind hier sowohl Widerstände gegen die Preisgabe staatlichen Wissens, weil es als Herrschaftswissen betrachtet wird und im gesellschaftlich gelebten Staat-Bürger Verhältnis dem Staat vorbehalten ist oder auch weil die Preisgabe des Wissens die berechtigten Interessen Dritter betrifft und diese bei Fehlen einer ausdrücklich anders lautenden Normierung als schützenswert gelten.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

licher Ge- und Verbote kontrastiert wird,443 ist die rechtspraktische Umsetzung des prozeduralen Ansatzes im Rahmen der Aarhus-Konvention auf eine enge Verzahnung der vorgesehenen prozeduralen Positionen mit dem jeweiligen nationalen Ordnungsrecht angelegt.444 Diese Einbettung der prozeduralen Positionen im nationalen Recht wird zwar durch die Konvention nicht ausdrücklich vorgesehen, implizit aber als selbstverständlich vorausgesetzt und spiegelt sich auch in einzelnen Regelungen, wie etwa Art. 9 Abs. 2 AK wider, wenn dort die Möglichkeit der Kontrolle der materiell-rechtlichen Rechtmäßigkeit von Entscheidungen verlangt wird, ohne dass die Konvention selbst irgendwelche materiell-rechtlichen Vorgaben an umweltrelevante Entscheidungen enthält. Der Ansatz der Aarhus-Konvention zielt – wiederum in teilweisem Kontrast zu der rechtstheoretischen Auseinandersetzung mit prozeduralem Recht – in ihrem normativen Kern gerade nicht darauf ab, dass die materiellen Entscheidungsmaßstäbe erst im Rahmen eines prozedural ausgestalteten kommunikativen Verfahrens zwischen den beteiligten Akteuren ermittelt werden.445 Ihr Bestehen in abstrakter gesetzlicher Form wird vielmehr vorausgesetzt und lediglich ihr – insbesondere durch genehmigungsrechtliche Verbote mit Erlaubnisvorbehalt abgesicherter – Vollzug bei bestimmten umweltrelevanten Tätigkeiten (Art. 6 AK) im Rahmen von Genehmigungsverfahren prozedural überformt. Auch hier ist die zu ermöglichende Öffentlichkeitsbeteiligung primär aber auf die Verbesserung der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage der inhaltlich im Rahmen ihrer Gesetzesbindung entscheidenden Behörden gerichtet, auch wenn die Vorschriften der AK Äußerungen der Öffentlichkeit zu Rechtsfragen und auch deren Berücksichtigung in den Entscheidungen nicht ausschließen.446 In den Vertragsstaaten der AK gelten auf dieser Ebene der Gesetzesausführung, nicht zuletzt zum Schutz von Umweltgütern, zahlreiche materiell-rechtliche Anforderungen, sodass die Entscheidungsmaßstäbe hier größtenteils gerade nicht zur Debatte stehen447 und der inhaltliche Gestaltungsanspruch des Rechts entge443  Aus der teilweise propagierten völligen Ersetzung materieller Vorgaben durch Verfahrensrecht erwachsen jedoch auch berechtigte Zweifel an dessen umfassendem Problemlösungspotenzial, vgl. nur M. Böhm, Der Normmensch, 1996, S. 15 ff. 444  Auf diese Funktion weist hin F. Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 52. 445  F. Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 53. 446  Vgl. Art. 6 Abs. 7 AK, der als Teil der durch die Öffentlichkeit vorzutragenden Stellungnahmen in vorhabenbezogenen Beteiligungsverfahren explizit auch Meinungen zählt, worunter auch Rechtsansichten fallen können. Art. 6 Abs. 8 AK beschränkt die Pflicht zur Berücksichtigung des Ergebnisses der Öffentlichkeitsbeteiligung ebenfalls nicht auf tatsächliche Fragen. 447  K.-P. Sommermann, Transformative Effects of the Aarhus Convention in Europe, ZaöRV 2017, 321 (325 f.). Insoweit unterscheiden sich die von Art. 6 AK adres-



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gen den Einsichten der Steuerungstheorie auch gegenüber dem autopoietischen System der Wirtschaft aufrechterhalten wird. Der Einfluss der prozeduralen Verfahren hinsichtlich der Herausbildung materieller Entscheidungsmaßstäbe bleibt mithin auf deren einzelfallbezogene Konkretisierung bzw. auf die Ausübung verbleibender Ermessensspielräume beschränkt. Ihre weitaus größere Bedeutung liegt dagegen in ihrer die Verwaltungsarbeit unterstützenden Funktion bei der Verarbeitung der Komplexität umweltrelevanter Sachverhalte und damit der Formung des der inhaltlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalts im Verfahren.448 Lediglich soweit nach der AK der Öffentlichkeit auch Möglichkeiten der Beteiligung an Verfahren über die Aufstellung umweltbezogener Pläne, Programme und Politiken (Art. 7 AK) sowie während der Vorbereitung exekutiver Vorschriften und allgemein anwendbarer rechtsverbindlicher normativer Instrumente (Art. 8 AK) zu eröffnen sind, beziehen sich die Beteiligungsverfahren und die in ihrem Verhältnis im Vorfeld angesiedelten Informationsrechte und -pflichten auf Verfahren der Rechtssetzung, deren Produkte ihrerseits Maßstabsqualität für behördliche Entscheidungen im Einzelfall oder anderweitige Rechtssetzungen haben. Nur insoweit soll also ein kommunikativer Prozess zwischen staatlichen Stellen und der Öffentlichkeit über die Normierung materieller Entscheidungsmaßstäbe stattfinden, die auch in diesem Prozess gebildet werden sollen.449 In den der Aarhus-Konvention beigetretenen Staaten sind die Möglichkeiten zur Festlegung von inhaltlichen Entscheidungsparametern gleichwohl vielfach durch höherrangiges, insbesondere Verfassungsrecht beschränkt.

siertenVerfahren der Vorhabenzulassung gerade von Konstellationen wie der Tarif­ autonomie von Arbeitnehmer und Arbeitgeber, bei deren näherer Ausgestaltung sich der Gesetzgeber weitgehend materieller Vorgaben enthält. Zu diesem Beispiel für die Anwendung prozeduralen Rechts F. Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 53 und auch G.-P. Calliess, Prozedurales Recht, 1999, S. 131. Wie noch zu zeigen ist, wird auch im Rahmen des Nagoya-Protokolls die Aushandlung der inhaltlichen Voraussetzungen für den Zugang zu genetischen Ressourcen und traditionellem Wissen weitestgehend den ILCs und Zugangsinteressierten überlassen und lediglich durch verschiedene prozedurale Regelungen abgesichert. Siehe hierzu unten, Zweiter Teil, C. III. 2. b) cc) sowie dd). 448  Zu dieser den Eigenwert von Verfahren begründenden Erkenntnisfunktion K. F. Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (2); siehe hierzu auch S. M. Kim, Verdrängung der materiellen Regelungsdichte zugunsten einer Prozeduralisierung des Verwaltungsverfahrens – ein sinnvoller Vorschlag? EurUP 2017, 233 (236 f.). 449  Kritisch zu diesem Teil der „Aarhus-Konzeption“ T. v. Danwitz, Aarhus-Konvention: Umweltinformationen, Öffentlichkeitsbeteiligung, Zugang zu den Gerichten, NVwZ 2004, 272 (274).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

3. Subjektive prozedurale Rechte zum Schutz biologischer Vielfalt Schon ein erster Blick auf Art. 1 Hs. 2 AK legt – zumindest dem Grunde nach – den subjektiv-rechtlichen Charakter des hier zur Anwendung kommenden Ansatzes offen,450 wirft aber zugleich Fragen über dessen genaue Umsetzung auf. Danach gewährleistet jede Vertragspartei das Recht auf Zugang zu Informationen, auf Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und auf Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten in Übereinstimmung mit diesem Übereinkommen. Während es dem Wortlaut nach mithin um die Gewährleistung von „Rechten“ geht,451 sind hier zunächst die Vertragsstaaten und die EU452 als deren Garanten, d. h. als durch die Konvention Verpflichtete angesprochen. Insoweit bleibt es zunächst unklar und wird im Laufe der Untersuchung aufzuklären sein, ob die angesprochenen Rechte bereits durch die Konvention selbst – völkerrechtsunmittelbar – geschaffen werden und lediglich ihre Ausübung durch die Vertragsstaaten gewährleistet werden soll, oder ob die Rechte erst durch die Staaten selbst zu schaffen sind und das Völkerrecht in der AK nur eine entsprechende Verpflichtung hierzu begründet. Gem. Art. 1 Hs. 1 AK geschieht die Gewährleistung der genannten Rechte zu dem Zweck, zum Schutz des Rechts jeder männlichen / weiblichen Person gegenwärtiger und künftiger Generationen auf ein Leben in einer seiner / ihrer Gesundheit und seinem / ihrem Wohlbefinden zuträglichen Umwelt beizutragen. Der Verweis stellt die AK in einen Kontext mit menschenrechtlichen Instrumenten, ohne jedoch selbst einen menschenrechtlichen Charakter der Konvention zu begründen.453 Der Schutz der vereinfachend als Recht auf 450  Dem stehen die Formulierungen etwa in Art. 4 und 6 AK, welche die Pflichtenseite der Rechte in den Vordergrund stellen, nicht entgegen, so auch A. Tanzi / C. Pitea, The Interplay between EU Law and International Law Procedures in Controlling Compliance with the Aarhus Convention by EU Member States, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, S. 368 (371 f.), die zudem auch auf die entsprechende Argumentation des IGH im LaGrand-Fall bzgl. Art. 36 Abs. 1 lit. a) des Konsularrechtsübereinkommens verweisen. Gemeint sein dürfte allerdings Abs. 1 lit. b), siehe LaGrand Case (Germany v. United States of America), Urteil vom 27. Juni 2001, ICJ Reports 2001, 466, Rn. 77. 451  „Da es Rechte anerkennt, die Umweltschutzzielen dienen, hat das Übereinkommen prozeduralen Rechtscharakter“, GA N. Jääskinen, Schlussanträge vom 08.05. 2014 – C-401 / 12, Rn. 87. 452  Die Möglichkeit des Abschlusses der AK durch die EU ergab sich aus der in Art. 17 AK für Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration aus souveränen Staaten, welche Mitglieder der Wirtschaftskommission für Europa sind, eröffneten Möglichkeit der Vertragsunterzeichnung. 453  Um die Kategorie der Menschenrechte nicht überzustrapazieren und damit zu entwerten, sollten die Garantien der AK im Anschluss an A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 397 als einfache subjektiv-internationale Rechte eingeordnet



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte257

eine gesunde Umwelt bezeichneten Garantie454 wird hier als materielles Ziel der Konvention in Bezug genommen, ohne dass es selbst gewährleistet oder seine Gewährleistung den Vertragsstaaten als Verpflichtung aufgegeben wird.455 Dieselbe Zweck-Mittel-Relation zwischen dem Recht auf eine gesunde Umwelt als Garantie primär eines materiellen Umweltstandards und den prozeduralen Rechten auf Information, Öffentlichkeitsbeteiligung und Zugang zu Gerichten als Mittel zur Wahrnehmung dieses Rechts kommt auch bereits in den Absätzen 7 und 8 der Präambel zum Ausdruck456 und grenzt die Gewährleistungen der Aarhus-Konvention so von Gewährleistungen materieller Umweltstandards anderer Instrumente ab. Die Konvention umschreibt nicht einen Schutzstandard, keine zu erreichende Umweltqualität, sondern sie beschränkt sich auf die Gewährleistung prozeduraler Positionen, werden. Eine nur ihrer Struktur nach gegebene Vergleichbarkeit der Rechte der AK mit Menschenrechten sieht dann auch K.-P. Sommermann, Transformative Effects of the Aarhus Convention in Europe, ZaöRV 2017, 321 (323). 454  Hierzu bereits ausführlich oben: Zweiter Teil, A. I. 1. 455  Zu weitgehend ist dagegen die Feststellung, dass hier das Recht auf eine gesunde Umwelt „ausdrücklich und verbindlich vorgesehen werde“, so A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 22 m. w. N.; an anderer Stelle spricht auch sie jedoch lediglich von einer „Anerkennung“ dieses Rechts und stellt klar, dass eine Verpflichtung zur Umsetzung des Rechts nicht begründet wird, S. 32. Zu weit auch U. Giera, Individualrechte im europäischen Umweltrecht, 2015, S. 38. Davon, dass das Recht hier erstmalig im Völkerrecht verankert werde spricht A.-M. Schlecht, Die Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern im deutschen Umweltrecht, 2010, S. 138. Tatsächlich dürfte hier lediglich die rechtliche Überzeugung der Vertragsstaaten formal zum Ausdruck gebracht werden, dass ein solches Recht – anderweitig begründet – existiert. In diese Richtung auch UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 42 mit einer relativen Abschwächung der Deutung gegenüber der Vorauflage des Implementation Guide, siehe UNECE, S. Stec / S. Casey-Lefkowitz u. a., The Aarhus-Convention – An Implementation Guide, 1. Aufl. 2000, S. 29; C. Sartoretti, The Aarhus Convention between protection of Human Rights and protection of the Environment, in: E. J. Lohse / M. Poto, Participatory Rights in the Environmental Decision-Making Process and the Implementation of the Aarhus Convention, 2015, 45 (49). Diese Äußerung einer Rechtsauffassung kann rechtlich etwa im Rahmen der Feststellung der gewohnheitsrechtlichen Geltung des Rechts auf eine gesunde Umwelt zu berücksichtigen sein, vermag das Recht für sich genommen aber gerade nicht „verbindlich“ vorzusehen. Insoweit handelt es sich allerdings auch nicht um eine rein deklaratorische Aussage, so aber K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 127 Fn. 350; wohl auch D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 90. Von dieser Wirkung außerhalb der Konvention ist die Wirkung des Ziels „nach innen“ gem. Art. 31 Abs. 1 WVK zu unterscheiden. Siehe hierzu sogleich. 456  Hier freilich ergänzt um eine Pflichtendimension jedes Menschen als Einzelperson oder in Gemeinschaft, die Umwelt zum Wohle gegenwärtiger und künftiger Generationen zu schützen und zu verbessern.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

die sich für den Schutz der Umwelt einsetzen lassen457 und für die reale Bewirkung eines Schutzes von den Berechtigten auch aktiv eingesetzt werden müssen.458 Das Übereinkommen adressiert die Voraussetzungen für den Schutz der Umwelt durch Einzelne oder Gruppen von Umweltschützern, nicht das Ziel eines bestimmten Zustandes der Umwelt. Der Schutz der Umwelt soll, entsprechend dem zugrundeliegenden Steuerungskonzept, mittelbar erreicht werden. Aus rechtlicher Sicht stellt er aber nur einen – wenn auch bezweckten – Rechtsreflex dar. Entsprechend der allgemeinen Auslegungsregel des Art. 31 Abs. 1 WVK kommt der Zielformulierung in Art. 1 Hs. 1 AK Bedeutung bei der Auslegung des Vertrages zu,459 die in ihrem Lichte sowie nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung zu erfolgen hat, sodass sein Gehalt mit Blick auf den Schutz biologischer Vielfalt zu ermitteln ist. Mit der Inbezugnahme der Umwelt ist im Grundsatz ein umfassender Schutz von Umweltgütern bezweckt, der nicht auf bestimmte Umweltmedien oder Sachverhalte beschränkt ist.460 Die Verknüpfung des Begriffs der Umwelt mit der Gesundheit und dem Wohlbefinden eines jeden Menschen461 offenbart eine dem Grunde nach anthropozentrische Ausrichtung des Übereinkommens,462 sodass es bezweifelt werden könnte, ob ein Schutz auch solcher Bestandteile biologischer Vielfalt überhaupt zum Ziel des Übereinkommens gehört, deren Schädigung oder Zerstörung alleine sich noch nicht auf das Wohlbefinden oder die Gesundheit von Menschen auswirkten, etwa weil die Abholzung von Wäldern in Gebieten geschieht, die für Menschen nicht zugänglich sind und diesem keinen sein Wohlbefinden steigernden Freizeitwert vermitteln oder weil eine mit 457  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, 33 f. Die AK schützt das Recht auf eine gesunde Umwelt insoweit nur in seiner prozeduralen Dimension, so C. Sartoretti, The Aarhus Convention between protection of Human Rights and protection of the Environment, in: E. J. Lohse / M. Poto, Participatory Rights in the Environmental Decision-Making Process and the Implementation of the Aarhus Convention, 2015, 45 (49). 458  Siehe auch die hieran anknüpfende Kritik an der dadurch bewirkten Bevorzugung derjenigen, die sich in solchen Verfahren durchzusetzen wissen G.-P. Calliess, Prozedurales Recht, 1999, S. 139. 459  D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 91; insoweit kann die Zielbestimmung ihrer Wirkung nach mit einer Staatszielbestimmung verglichen werden, so B. Goby, Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten im Lichte der Aarhus-Konvention, 2015, S. 34. 460  A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwalungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 22. 461  A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwalungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 31. 462  B. Goby, Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten im Lichte der Aarhus-Konvention, 2015, S. 32.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

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der Zerstörung von Naturbestandteilen verbundene Ökosystemdienstleistung substituiert werden kann, ohne dass dies mit Nachteilen für die Gesundheit von Menschen verbunden ist. Insoweit könnte aus der Zielformulierung in Art. 1 AK eine Begrenzung des beabsichtigten Schutzes durch die Begründung des Erfordernisses eines Unmittelbarkeitszusammenhangs zwischen der Beeinträchtigung oder Zerstörung von Naturbestandteilen und dem Wohlbefinden oder der Gesundheit von Menschen folgen. Gegen eine solche Verkürzung des bezweckten Schutzes spricht jedoch in systematischer Hinsicht die dem Nachhaltigkeitsgrundsatz entsprechende Einbeziehung nicht nur von Menschen gegenwärtiger, sondern gerade auch künftiger Generationen.463 Deren durch die AK ebenfalls anerkanntes Recht auf eine gesunde Umwelt kann, da ihre Lebensumstände in der Zukunft, die ihnen zur Verfügung stehenden Substitutionsmöglichkeiten, und auch der für sie bestehende Wert etwa von bestimmten genetischen Ressourcen und damit schließlich die Abhängigkeit ihres Wohlbefindens und ihrer Gesundheit von bestimmten Bestandteilen biologischer Vielfalt nicht bekannt sind,464 nicht allein durch den Schutz solcher Bestandteile der Biodiversität gewährleistet werden, deren Zerstörung bereits heute unmittelbare Auswirkungen hat. Dem bezweckten Schutz des Rechts künftiger Generationen wird insoweit vielmehr nur ein umfassender und nachhaltiger Schutz der Bestandteile biologischer Vielfalt mithilfe der in dem Übereinkommen gewährleisteten prozeduralen Rechte gerecht. Die durch die Einbeziehung auch künftiger Generationen eingenommene Zukunftsperspektive des Nachhaltigkeitsprinzips465 hebt die in ihrer Reichweite ohnehin zweifelhaften Beschränkungen der anthropozentrischen Ausrichtung466 der Zielbestimmung auf und macht so einen umfassenden Schutz der Bestandteile biologischer Vielfalt zum Ziel auch der Aarhus-Konvention. Entsprechend zielen die prozeduralen Rechte nicht nur auf einen Schutz materiell-personaler Interessen, sondern gerade auch auf den Schutz öffentlicher Interessen ab.467 463  A. Epiney / M. Scheyli, Strukturprinzipien des Umweltvölkerrechts, 1.  Aufl. 2000, S. 45 f.; siehe außerdem Grundsatz 3 der Rio-Erklärung. Vgl. auch die Definition nachhaltiger Entwicklung im sog. Brundtland-Bericht: Our Common Future, Report of the World Commission on Environment and Development, Annex zu UNGA A / 42 / 427 vom 04.08.1987, Rn. 27. 464  Hierauf verweisen auch D. Murswiek, in: M. Sachs, Grundgesetz, 7.  Aufl. 2014, Art. 20a Rn. 32; A. Epiney / M. Scheyli, Strukturprinzipien des Umweltvölkerrechts, 1. Aufl. 2000, S. 51. 465  Vgl. nur D. Murswiek, in: M. Sachs, Grundgesetz, 7. Aufl. 2014, Art. 20a Rn. 32. 466  Siehe hierzu bereits oben, Zweiter Teil, A. I. 3. sowie A. Epiney / M. Scheyli, Strukturprinzipien des Umweltvölkerrechts, 1. Aufl. 2000, S. 51 m. w. N. 467  A. Epiney / M. Scheyli, Die Aarhus-Konvention: Rechtliche Tragweite und Implikationen für das schweizerische Recht, 2000, S. 94; A. Peters, Jenseits der Menschenrechte, S. 419.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

II. Überblick über die Regelungen der Aarhus-Konvention Das Steuerungskonzept der informierten Öffentlichkeit468 spiegelt sich in den drei Säulen des Informationszugangs, der Öffentlichkeitsbeteiligung und des Gerichtszugangs der Aarhus-Konvention wider, deren Umsetzung auf die Erfüllung des in Art. 1 AK formulierten Ziels, einen Beitrag zum Schutz des Rechts gegenwärtiger und zukünftiger Generationen auf ein Leben in einer gesunden Umwelt zu leisten, gerichtet ist. Primärer Adressat der völkerrechtlichen Regelungen sind nach Art. 3 AK die Vertragsstaaten, die sich zur Umsetzung der im Einzelnen geregelten Instrumente insbesondere durch die „erforderlichen Gesetzgebungs-, Regelungs- und sonstigen Maßnahmen“ verpflichten. Dabei ist die Verpflichtung zur Implementierung der Instrumente im Kern gem. Art. 3 Abs. 1 AK verbindlich vorgesehen („Jede Vertragspartei ergreift die erforderlichen […] Maßnahmen, […]“) und wird von weiteren Regelungen gem. Art. 3 Abs. 2–8 AK mit teilweise geringerem Verbindlichkeitsgrad lediglich flankiert. Die erste Säule des Informationszugangs wird insbesondere469 in den Artikeln 4 und 5 AK verbindlich und mit nur relativ geringen Umsetzungsspielräumen gegenüber den Vertragsstaaten geregelt. Während Art. 5 AK seinem Wortlaut nach Verpflichtungen der Staaten zur objektiv-rechtlichen Ausgestaltung aktiver behördlicher Umweltinformationspflichten (Erhebung und Verbreitung von Informationen über die Umwelt) aufstellt, formuliert Art. 4 Abs. 1 AK seinem Wortlaut nach die Pflicht der Vertragsparteien zur Umsetzung eines antragsbezogenen Jedermannsrechts auf Zugang zu Umweltinformationen.470 Die zweite Säule der Öffentlichkeitsbeteiligung wird in den Art. 6-8 AK getrennt nach Gegenständen der Beteiligungsverfahren ausgestaltet. Die Vorschriften weisen ihrem Worlaut nach einen sehr unterschiedlichen Verbindlichkeitsgrad und unterschiedlich weite Umsetzunsgspielräume auf. Während Art. 6 AK über die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungen über bestimmte Tätigkeiten weitestgehend verbindlich formuliert ist und den Vertragsstaaten nur im Einzelnen Spielräume eröffnet werden, ist Art. 7 AK über die Öffentlichkeitsbeteiligung bei umweltbezogenen Plänen, Programmen und Politiken nur in seinem Kern als bindend vorgesehen. Art. 8 AK über die 468  Hierzu

bereits oben: Zweiter Teil, B. I. 2. aktive Informationspflichten der Vertragsstaaten finden sich etwa in Art. 6 Abs. 2 AK gegenüber der betroffenen Öffentlichkeit im Rahmen ihrer Verfahrensbeteiligung sowie in Art. 6 Abs. 9, Art. 7 S. 1 und Art. 8 lit. b) AK gegenüber der allgemeinen Öffentlichkeit. Ein weiteres reaktives Informationsrecht der betroffenen Öffentlichkeit enthält Art. 6 Abs. 6 AK. 470  Zum subjektiv-rechtlichen Gehalt siehe Zweiter Teil, B. IV. 1. 469  Weitere



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte261

Öffentlichkeitsbeteiligung während der Vorbereitung exekutiver Vorschriften und / oder allgemein anwendbarer rechtsverbindlicher normativer Instrumente verlangt von den Vertragsstaaten schon seinem Wortlaut nach lediglich ein Bemühen um die hierauf bezogene Öffentlichkeitsbeteiligung.471 Die dritte Säule über den Zugang zu Gerichten findet sich schließlich in Art. 9 AK geregelt. Während Art. 9 Abs. 1 AK den Rechtsschutz bzgl. des reaktiven Informationsrechts in Art. 4 AK betrifft, eröffnet Art. 9 Abs. 2 AK der betroffenen Öffentlichkeit einen Zugang zu einem Rechtsschutzverfahren für die Anfechtung von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen im Anwendungsbereich von Art. 6 AK bzw. – soweit dies durch nationales Recht vorgesehen ist – anderen Bestimmungen des Übereinkommens. In drei Unterabsätzen wird den Vertragsstaaten auf den ersten Blick ein beträcht­ licher Spielraum bei der nationalen Implementierung der Vorschriften eingräumt.472 Art. 9 Abs. 3 AK sieht zusätzliche Verpflichtungen zur Rechtsschutzeröffnung vor, deren genaue Reichweite angesichts zahlreicher, die volle Verbindlichkeit einschränkender Formulierungen wohl zu den umstrittensten Fragen der Aarhus-Konvention gehört.473 Die Vorschriften über die einzelnen Säulen der Aarhus-Konvention werden ergänzt durch Regelungen über die Vertragsstaatenkonferenz (Art. 10 f.) und die weiteren vertraglich begründeten Organe der Konvention (Sekretariat, Art. 12 AK; Compliance Committee, Art. 15 AK) sowie sonstige allgemeine Vorschriften über das Inkrafttreten des Vertrages, die Vertragsdurchführung, seine Änderung sowie die Möglichkeit des Rücktritts durch eine Vertrags­ partei von dem Vertrag. Betrachtet man die Regelungen der AK isoliert, muss man hinsichtlich des potentiellen Ertrags ihrer näheren Untersuchung unter der gestellten Forschungsfrage ein wenig skeptisch werden. Die Teils erheblichen Spielräume schon im Wortlaut der Regelungen  – sieht man einmal von Art. 4 AK ab  – sowie die ausdrückliche Adressierung der Vertragsstaaten in Art. 3 AK und ihre Verpflichtung zur Umsetzung der Regelungen begründen vorläufige Zweifel daran, ob hier völkerrechtsunmittelbare Rechte Einzelner und Gruppen zuerkannt werden. Insoweit scheinen hier allenfalls mittelbar-völkerrechtliche Berechtigungen geschaffen worden zu sein, deren Stärke zusätzlich dadurch geschwächt scheint, dass gerade kein international unabhängiges Gericht zur Gewährleistung unabhängigen Rechtsschutzes, sondern lediglich ein die Implementierung der Regelungen überwachender Ausschuss geschaf471  Zum

2. f).

subjektiv-rechtlichen Gehalt der zweiten Säule siehe Zweiter Teil, B. IV.

472  Zum subjektiv-rechtlichen Gehalt der dritten Säule siehe Zweiter Teil, B. IV. 3. a) bzw. b) cc). 473  Hierzu unter Zweiter Teil, B. IV. 3. c).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

fen wurde. Ruft man sich jedoch die Diskussionen der letzten Jahre über die Umsetzung der Konvention und ihre Bedeutung in der gerichtlichen Praxis in Erinnerung, so liegt es nahe, dass der erste Anblick der Regelungen nicht ihren gesamten rechtlichen Gehalt enthüllt.

III. Die Rechtsmacht Einzelner und Gruppen bei der Implementierung und Durchsetzung von durch die Aarhus-Konvention vermittelten Rechtspositionen Soweit die in der Aarhus-Konvention vorgesehenen oder aufgrund der Verpflichtungen der AK zu schaffenden Rechtspositionen Einzelner und von Umweltvereinigungen vollständig in die jeweilige nationale Rechtsordnung implementiert wurden, lässt sich die relative, d. h. rechtliche Stärke der gewährleisteten Rechtspositionen durch die Ermittlung der inhaltlichen Reichweite ihrer Umsetzung und die Untersuchung der Möglichkeiten zu ihrer prozessualen Durchsetzung feststellen. Fehlt es aber an einer vollständigen Implementierung der Rechtspositionen, so hängt die Stärke der bereits auf völkerrechtlicher Ebene bestehenden Positionen für Einzelne und Gruppen davon ab, inwieweit sie ihre Implementierung erzwingen können474 oder inwieweit eine Berufung auf die Vorschriften der Aarhus-Konvention auch ohne deren Implementierung gegenüber nationalen oder supranationalen Stellen unmittelbar möglich ist oder diese zumindest anderweitige Wirkungen entfalten.475 Ganz allgemein kommen für eine Durchsetzung der aufgrund der AK bestehenden Pflichten der Vertragsstaaten zur Implementierung der Rechtspositionen Einzelner und Gruppen Verfahren vor dem auf Grundlage von Art. 15 AK i. V. m. Entscheidung I / 7 des MOP476 agierenden Compliance Committee der Aarhus-Konvention oder – wegen der Mitgliedschaft auch der EU – vor den europäischen Gerichten in Frage, für die 474  So auch A. Tanzi / C. Pitea, The Interplay between EU Law and International Law Procedures in Controlling Compliance with the Aarhus Convention by EU Member States, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 367 (369). Mit dem danach zu untersuchenden Einfluss Einzelner auf die Implementierung von Regelungen als Voraussetzung ihrer Geltendmachung wird einer Rechtsmacht nachgespürt, die nicht mit derjenigen zu verwechseln ist, die durch subjektive Rechte gewährleistet wird. Jene ist dieser vielmehr vorgeordnet und soll diese erst zur Entstehung bringen. Zur „Normerzeugungsinitiative“ Einzelner und Nichtregierungsorganisationen im Völkerrecht auch C. Walter, Grundlagen und Rahmenbedingungen für die Steuerungskraft des Völkerrechts, ZaöRV 2016, 363 (370 f.). 475  Auch das Vorliegen unmittelbarer Wirkungen der Konvention befreit nicht von der Verpflichtung zu ihrer Implementierung im nationalen Recht, ACCC / C / 11 (Belgium), Rn. 43. 476  Decision I / 7 betreffend Review of Compliance, adopted at the first meeting of the Parties, 21.–23. Oktober 2002, ECE / MP.PP / 2 / Add.8.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte263

Durchsetzung unmittelbar bestehender Wirkungen477 im nationalen Rechtskreis zudem auch Verfahren vor nationalen Gerichten oder Behörden in Betracht.478 Während der zweite Fragenkreis, insbesondere die Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit einzelner Normen der Aarhus-Konvention, erst nach deren näherer Betrachtung beantwortet werden kann,479 ist die Klärung der Frage nach Möglichkeiten des Einzelnen und von Gruppen zur Durchsetzung der Implementierungspflichten auch abstrakt von der detaillierten Analyse einzelner Vertragsvorschriften möglich. Hinsichtlich der Möglichkeit der unmittelbaren Anwendbarkeit einzelner Vorschriften soll hier nur bereits festgehalten werden, dass diese nicht etwa allein durch Art. 3 Abs. 1 AK generell ausgeschlossen ist, aufgrund dessen die Vertragsparteien allgemein zur Implementierung der Konventionsvorschriften mittels „Gesetzgebungs-, Regelungs- und sonstigen Maßnahmen“ verpflichtet sind. Vor allen Dingen soweit die Verpflichtung zur Implementierung der Regelungen in die eigene Rechtsordnung auch auf ihre bessere Verständlichkeit und Konkretisierung abzielt, steht sie der Annahme der Voraussetzungen für die unmittelbare Anwend­ barkeit der völkerrechtlichen Normen, insbesondere deren hinreichende Bestimmtheit und Unbedingtheit, nicht per se entgegen. Diese werden auch nicht generell durch die teilweise schon anhand des Wortlauts von Regelungen der AK deutlich erkennbaren Umsetzungsspielräume der Vertragsparteien ausgeschlossen.480 Diese bestätigen vielmehr die Notwendigkeit einer Betrachtung im Einzelnen. Bevor die Möglichkeiten zur Durchsetzung der Implementierung der AK auf völkerrechtlicher und europäischer und der Geltendmachung unmittelbarer Wirkungen auch auf nationaler Ebene näher betrachtet werden (2.), sind zunächst noch diejenigen Besonderheiten zu betrachten, die aus dem Abschluss der Konvention auch durch die Europäische Union resultieren und die innerhalb der Europäischen Union zu einem komplexen Mehrebenensys477  Wie gesehen, setzt auch das Bestehen unmittelbarer Wirkungen im nationalen Rechtskreis in Staaten mit einem dualistischen Verständnis der Verfassungsordnung zunächst irgendeine Art von innerstaatlichem Anwendungsbefehl voraus. Auch sie sind mithin in ihrem Ursprung nicht unabhängig von der Mitwirkung der Staaten. 478  Offensichtlich nicht zugänglich sind natürlichen Personen oder deren Vereinigungen dagegen die den Vertragsstaaten in Art. 16 AK vorbehaltenen Streitbeilegungsmechanismen. 479  A. Tanzi / C. Pitea, The Interplay between EU Law and International Law Procedures in Controlling Compliance with the Aarhus Convention by EU Member States, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 367 (371). 480  A. Tanzi / C. Pitea, The Interplay between EU Law and International Law Procedures in Controlling Compliance with the Aarhus Convention by EU Member States, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 367 (372 f.).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

tem führen,481 das – wie sich zeigen wird – in institutioneller Hinsicht erhebliche Chancen für eine Durchsetzung der Implementierung der AK eröffnet (1.). Insoweit ist auch zu klären, inwieweit die europäischen Gerichte für die Auslegung der völkerrechtlichen Vorschriften zuständig sind.482 1. Geltung der AK innerhalb und außerhalb der Europäischen Union Die Aarhus-Konvention ist nicht nur von souveränen Staaten, sondern auch von der EU (damals noch EG483) als Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration i. S. v. Art. 17 AK unterzeichnet, nach Vornahme der notwendigen Handlungen gem. Art. 19 AK i. V. m. Art. 14 Abs. 1 lit. a) WVK auch für diese völkerrechtlich verbindlich geworden484 und nach Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 20 Abs. 1 AK i. V. m. Art. 24 Abs. 1 WVK am 30. Oktober 2001 völkerrechtlich in Kraft getreten. Für die EU selbst und diejenigen Vertragsstaaten, die zugleich Mitgliedstaaten der EU sind, handelt es sich bei der AK in der Folge des jeweils vorgenommenen Abschlusses um ein sog. gemischtes völkerrechtliches Abkommen.485 Der Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags in dieser Form 481  Ohne dies weiter zu konkretisieren, wird auf dieses in der Literatur immer wieder hingewiesen, vgl. A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 35; S. Pernice-Warnke, Effektiver Zugang zu Gericht, 2009 S. 146; „doppelte Umsetzungsprobleme“ sieht auch J. Berkemann, Vollkontrolle der Umweltverbandsklage!, DVBl 2015, 389 (389); A. K. Mangold, The Persistence of National Peculiarities, Indiana Journal of Global Legal Studies 21 (2014), 223 (224). Vgl. zuletzt ausführlicher K.-P. Sommermann, Transformative Effects of the Aarhus Convention in Europe, ZaöRV 2017, 321 (328 ff.). Wie zu zeigen sein wird, entsteht diese Komplexität bereits durch die bloße Einbeziehung der Vorschriften ins europäische Recht selbst, nicht erst durch die auf den verschiedenen Ebenen erlassenen Umsetzungsakte. Auf letzteren Punkt stellt maßgeblich ab N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 62. 482  Soweit dem EuGH die Zuständigkeit für die Auslegung fehlt, könnten von diesem dennoch vorgenommene Äußerungen allenfalls als sonstiger Beitrag zum Rechtsdiskurs gewertet werden. 483  Die EU ist nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon als Rechtsnachfolgerin der EG Vertragsstaat der AK geworden. 484  Derzeit hat die Aarhus-Kovention 47 Mitglieder. Diese setzen sich zusammen aus 46 Staaten, darunter die 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sowie der Union selbst. 485  Allgemein hierzu siehe E. Neframi, Mixed Agreements as a Source of European Union Law, in: E. Cannizzano, International Law as a Law of the European Union, 2011, 325 ff.; speziell zur AK A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 35; M. Breuer /  S. Riegger, Die Reichweite der Pflicht der EU zur Umsetzung der Aarhus-Konvention, EurUP 2014, 293 (293); S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008,



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte265

kommt in Frage, soweit Sachfragen teilweise in die alleinige Regelungszuständigkeit der Union fallen, teilweise geteilte Zuständigkeiten und teilweise der alleinige Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten betroffen sind.486 Zumindest soweit der alleinige Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten berührt ist, ist der Abschluss eines Abkommens in der Form eines gemischten Abkommens rechtlich zwingend.487 Vielfach findet dies jedoch auch dann statt, wenn die Zuständigkeit der Union bloß bezweifelt wird, um ein rechtssicheres Vorgehen zu gewährleisten. Gemischte Übereinkommen besitzen insbesondere hinsichtlich ihrer Geltung im Unionsrecht Besonderheiten, die sich über den Geltungsvorrang europäischen Rechts auch auf die innerstaatliche Geltung der AK in den Mitgliedstaaten der EU auswirken. a) Geltung der AK als gemischtes Abkommen innerhalb der EU aa) Allgemeine Grundsätze Die Einbeziehung der völkerrechtlichen Regelungen in das jeweilige na­ tionale Recht, d. h. die Herbeiführung der innerstaatlichen Geltung ist grundsätzlich eine Frage der jeweiligen nationalen Verfassung und kann, wie gesehen,488 auf unterschiedliche Weise erfolgen. Für Deutschland etwa wurde die bereits am 25. Juni 1998 durch die Signatarstaaten unterzeichnete Konvention489 nach Erlass eines Zustimmungsgesetzes gem. Art. 59 Abs. 2 S. 250; T. v. Danwitz, Aarhus-Konvention: Umweltinformation, Öffentlichkeitsbeteiligung, Zugang zu den Gerichten, NVwZ 2004, 272 (276 f. ). 486  K. Schmalenbach, in: C. Calliess / M. Ruffert, EUV / AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 216 Rn. 5. 487  R. Mögele, in R. Streinz, EUV / AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 216 Rn. 40. 488  Vgl. hierzu bereits oben: Erster Teil, C. III. 1. 489  Hierzu gehörte Deutschland freilich nicht. Deutschland unterzeichnete die Aarhus-Konvention erst am letzten Tag der hierfür vorgesehenen Frist, konkret am 21.12.1998. Dies mag sich auch dadurch erklären, dass die oben geschilderten und in der AK zusammengeführten Entwicklungsstränge in der rechtspolitischen Diskussion Deutschlands zur damaligen Zeit deutlichen Gegenwind erfuhren, da sie mit dem durch zahlreiche Gesetzgebungsvorhaben verfolgten Ziel der Verfahrensbeschleunigung als unvereinbar aufgefasst wurden, vgl. T. Bunge, in: S. Schlacke / C. Schrader / T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht – Aarhus-Handbuch, 2010, Einleitung Rn. 2; zur Debatte um die Verfahrensbeschleunigung als Gegenbewegung zur „Partizipationseuphorie“ auch F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 69; M. Zschiesche, Öffentlichkeitsbeteiligung in umweltrelevanten Zulassungsverfahren, 2015, S. 25 sowie ausführlich K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht – Europa- und völkerrechtliche Bürgerfreundlichkeit versus nationale Verfahrensbeschleunigung – insbesondere zur Aarhus-Konvention, 2013.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

S. 1 GG im Dezember 2006490 am 15.  Januar 2007 entsprechend Art. 19 Abs. 1 AK ratifiziert und trat gem. Art. 20 Abs. 3 AK 90 Tage nach dem Tag der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde am 15. April 2007 in Deutschland in Kraft.491 Entsprechend dem Rang des innerstaatlichen Transformationsakts besitzt die Konvention in Deutschland den Rang einfachen Bundesrechts.492 Unabhängig hiervon gilt die Aarhus-Konvention in Deutschland und allen anderen Staaten der Europäischen Union aber auch insoweit, als das Übereinkommen durch die Hinterlegung der Genehmigungsurkunden493 seitens der Europäischen Union am 17. Februar 2005 nach Art. 20 Abs. 3 AK am 18.  Mai 2005  – gestützt auf die geteilte Außenkompetenz nach Art. 175 EG i. V. m. Art. 174 EG  – auch für diese in Kraft getreten ist und soweit die Vorschriften des Übereinkommens damit nach der Rechtsprechung des EuGH – wegen der nach h. M. monistischen Konzeption des Unions- und Völkerrechts unmittelbar, d. h. ohne weiteren Transformationsakt494 – aufgrund der unionsrechtlichen Anordnung nach Art. 216 Abs. 2 AEUV integrierender Bestandteil des Unionsrechts geworden sind.495 Gem. Art. 216 Abs. 2 AEUV bindet die AK auf europäischer Ebene die Organe der Union. Sie hat Geltungsvorrang vor den durch sie erlassenen Sekundärrechtsakten496 – nicht 490  Gesetz zu dem Übereinkommen vom 25. Juni 1998 über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Übereinkommen), BGBl. II 2006, Nr. 31, 15. Dezember 2006, S. 1251. 491  Vgl. T.  Bunge, in: S.  Schlacke / C.  Schrader / T.  Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht – Aarhus-Handbuch, 2010, Einleitung Rn. 9; M.  Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (173 f.). 492  Dies gilt jedenfalls auf dem Boden der Transformationslehre, vgl. P.  Kunig, in: W.  Graf Vitzthum / A.  Proelß, Völkerrecht, 7. Aufl. 2016, Zweiter Abschnitt Rn. 118. 493  Vgl. zur Genehmigung durch die damalige EG Beschluss 2005 / 370 / EG vom 17.02.2005, OJ L 124, 17.05.2005. 494  R. Mögele, in R. Streinz, EUV / AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 216 Rn. 45; GA N. Jääskinen, Schlussanträge vom 08.05.2014 – C-401 / 12, Rn. 30; B. Pirker, Access to Justice in Environmental Matters and the Aarhus Convention’s Effects in the EU legal order, RECIEL, 2016, 81 (82); zu hiervon abweichenden Ansichten siehe S. Vöneky / B. Beylage-Haarmann, in: E. Grabitz / M. Hilf / M. Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Bd. 2, 58 EL. 2016, Art. 216 Rn. 27; M. Nettesheim, in: T. Oppermann / C. D. Classen / ders., Europarecht, 7. Aufl. 2016, § 38 Rn. 34. 495  St. Rspr. EuGH, Urteil vom 08.03.2011 – C-240 / 09 (Slowakischer Braunbär), Rn. 30 m. w. N.; Schlussanträge GA Kokott vom 30.06.2016  – C-243 / 15, Rn. 50; M. Breuer / S. Riegger, Die Reichweite der Pflicht der EU zur Umsetzung der AarhusKonvention, EurUP 2014, 293 (302). 496  EuGH, Urteil vom 16.07.2015  – C-612 / 13 P, Rn. 33; EuGH, Urteil vom 13.01.2015 – Rs. C-401 / 12 P bis C-403 / 12 P, Rn. 52 jeweils mit weiteren Nachwei-



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aber auch vor primärrechtlichen Vorschriften497. Gemäß derselben Vorschrift, nach Art. 216 Abs. 2 AEUV, binden die in das Unionsrecht einbezogenen Vorschriften der AK, die dadurch am Vorrang des EU-Rechts teilhaben, auch die Mitgliedstaaten der EU.498 Daraus folgt: Sekundärrechtliche EU-Rechtsakte wie auch nationale Bestimmungen sind möglichst in Übereinstimmung mit den völkerrechtlichen Bestimmungen auszulegen.499 Schon durch die Einbeziehung der Aarhus-Konvention ins Recht der Europäischen Union und ihrer daraus folgenden Teilhabe am Geltungsvorrang europäischen Rechts500 gegenüber nationalem Recht folgt mithin eine Wirkungsverstärkung der völkerrechtlichen Vorschriften im nationalen Rechtskreis.501 Das „Spiel über die sen aus der Rechtsprechung; R. Mögele, in R. Streinz, EUV / AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 216 Rn. 52; J. Berkemann, NGO scheitern mit umweltrechtlicher Nichtigkeitsklage vor dem EuGH, ZUR 2015, 221 (225); B. Pirker, Access to Justice in Environmental Matters and the Aarhus Convention’s Effects in the EU legal order, RECIEL, 2016, 81 (82); die Anordnung der Bindungswirkung ist allerdings aus völkerrechtlicher Sicht deklaratorischer Natur, da sie bereits aus dem in Art. 26 WVK positivierten Grundsatz „pacta sunt servanda“ folgt, M. Nettesheim, in: T. Oppermann / C. D. Classen / ders., Europarecht, 7. Aufl. 2016, § 38 Rn. 33; S. Vöneky / B. Beylage-Haarmann, in: E. Grabitz / M. Hilf / M. Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Bd. 2, 58 EL. 2016, Art. 216 Rn. 25. 497  R. Mögele, in R. Streinz, EUV / AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 216 Rn. 52; S. Vöneky / B. Beylage-Haarmann, in: E. Grabitz / M. Hilf / M. Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Bd. 2, 58 EL. 2016, Art. 216 Rn. 40; M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (192 f.); GA N. Jääskinen, Schlussanträge vom 08.05.2014 – C-401 / 12, Rn. 33; a. A. ohne nähere Begründung B. Peters, Die Auslegung von Art. 6-8 der Aarhus-Konvention durch das Aarhus Compliance Committee und die Auswirkungen im europäischen Umweltrecht, EurUP 2014, 185 (186). Die Annahme eines dem Primärrecht gleichkommenden Status widerspricht aber der Rechtsprechung des EuGH, Urteil vom 03.09.2008  – C-402 / 05 P und C-415 / 05 P (Yassin Abdullah Kadi, Al Barakaat Foundation / Rat), Slg. 2008, I-6351, Rn. 286, 308; EuG, Beschluss vom 06.09.2011 – T-18 / 10 (Inuit Tapiriit Kanatami), Rn. 54 f. 498  Diese unionale Verpflichtung der Mitgliedstaaten gilt in Bereichen innerunionaler Zuständigkeit der Gemeinschaft gar für solche Staaten, die ihrerseits (noch) keine Ratifizierung des völkerrechtlichen Abkommens vorgenommen haben, siehe M. Breuer / S. Riegger, Die Reichweite der Pflicht der EU zur Umsetzung der AarhusKonvention, EurUP 2014, 293 (299 f.). 499  R. Mögele, in R. Streinz, EUV / AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 216 Rn. 52. Diese Wirkung hat auch das ACCC ausdrücklich hervorgehoben, ACCC / C / 2005 / 17 (European Community), Rn. 35. 500  Vgl. GA J. Kokott, Schlussanträge vom 30.06.2016 – C-243 / 15, Rn. 71. 501  Vgl. hierzu auch A. Tanzi / C. Pitea, The Interplay between EU Law and International Law Procedures in Controlling Compliance with the Aarhus Convention by EU Member States, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 368 (370); von einem kaum erwarteten „Biss“ der Aarhus-Konvention durch ihre Implementierung im Europarecht spricht auch C. Franzius, Stärkungen des Verfahrensrechtsschutzes im Umweltrecht, EurUP 2014, 283 (284).

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europäische Bande“ führt dabei nicht zur Nichtigkeit widersprechender ­nationaler Normen, sondern lediglich ggf. zu deren Nichtanwendbarkeit und dem entsprechenden Anwendungsvorrang der völkerrechtlichen Normen als Teil des europäischen Rechts.502 Ihnen kommt – zumindest im Falle ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit – Anwendungsvorrang vor entgegenstehenden nationalen Normen auch dann zu, wenn diese spezieller sind oder später erlassen wurden und nach den allgemeinen lex specialis- und lex posteriorKollisionsregeln der älteren bzw. allgemeineren Norm vorgehen würden. Diese Wirkungsverstärkung bezieht sich allerdings potentiell nicht auf alle Normen der Aarhus-Konvention als gemischtem Übereinkommen. Entgegen dem durch Art. 216 Abs. 2 AEUV erzeugten Anschein einer umfassenden Bindung der Organe der Union sowie der Mitgliedstaaten ist diese begrenzt. Sie besteht nur in der Reichweite, wie die Vorschriften gemischter Übereinkommen tatsächlich integrierender Bestandteil der Unionsrechtsordnung werden. Eine Einbeziehung der völkerrechtlichen Vorschriften in die Unionsrechtsordnung erfolgt zunächst insoweit, als die Regelungen der AK in den Bereich einer internen ausschließlichen Zuständigkeit der Union fallen.503 Richtigerweise abgelehnt wird eine unionsrechtliche Einbeziehung von Vorschriften und die daraus resultierende Bindungswirkung dagegen für Bereiche der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten,504 da die Begründung einer unionsrechtlichen Bindungswirkung von in die EURechtsordnung einbezogenen völkerrechtlichen Vorschriften ohne das Bestehen einer Handlungskompetenz der EU eine Verschiebung von Zuständigkeiten zu Lasten der Mitgliedstaaten ohne die dafür nötige Änderung der EU-Verträge bedeutete.505 Nicht einheitlich wird dagegen die Frage nach der Einbeziehung solcher Regelungen beantwortet, die in den Bereich geteilter Zuständigkeit zwischen EU und Mitgliedstaaten fallen.506 Teilweise wird vertreten, dass sich die Frage eindeutig nur anhand von in dem 502  R. Mögele, in R. Streinz, EUV / AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 216 Rn. 54; zu den konkurrierenden Begründungen des Anwendungsvorrangs siehe T. v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 151 ff. 503  R. Mögele, in R. Streinz, EUV / AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 216 Rn. 67. 504  R. Mögele, in R. Streinz, EUV / AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 216 Rn. 68; vgl. auch S. Vöneky / B. Beylage-Haarmann, in: E. Grabitz / M. Hilf / M. Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Bd. 2, 58 EL. 2016, Art. 216 Rn. 32 f. sowie 52; K. Schmalenbach, in C. Calliess / M. Ruffert, EUV / AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 216 Rn. 43. 505  S. Vöneky / B. Beylage-Haarmann, in: E. Grabitz / M. Hilf / M. Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Bd. 2, 58 EL. 2016, Art. 216 Rn. 33; K. Schmalenbach, in: C. Calliess / M. Ruffert, EUV / AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 216 Rn. 43. 506  Die hier bestehenden Unsicherheiten gehen auch auf die nicht selten unklare Rechtsprechung des EuGH zu den hier berührten Fragen zurück. Vgl. zur Kritik hieran J. Berkemann, NGO scheitern mit umweltrechtlicher Nichtigkeitsklage vor dem EuGH, ZUR 2015, 221 (226).



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völkerrechtlichen Vertrag selbst vorgenommenen Zuordnungen oder bei dessen Ratifikation abgegebenen Erklärungen bestimmen lasse.507 In Zweifelsfällen solle aber eine Einbeziehung all jener Teile angenommen werden, für die überhaupt eine Unionskompetenz besteht.508 Nach anderer Ansicht findet eine Einbeziehung der Vorschriften im Bereich geteilter Zuständigkeit zwischen Union und Mitgliedstaaten nur insoweit statt, wie der Union nicht nur eine Kompetenz zusteht, sondern diese auch tatsächlich ausgeübt wurde und damit von einer nur potentiellen oder latenten Kompetenz der Union in eine aktuelle gewandelt wurde.509 Dieser letzten Ansicht ist zu folgen.510 bb) Einbeziehung der Vorschriften der AK ins Unionsrecht Unstreitig ist, dass die Vorschriften betreffend die ersten beiden Säulen der Aarhus-Konvention in das Unionsrecht einbezogen und damit deren integrierender Bestandteil geworden sind. Der Union steht insoweit eine geteilte interne Unionskompetenz zum Erlass entsprechender Umsetzungsakte, von der sie auch Gebrauch gemacht hat, zu.511 Auch hinsichtlich der Umsetzung von Art. 9 Abs. 1 und 2 AK wurden angesichts des engen sachlichen Zusammenhangs der Regelungen über den Gerichtszugang mit den inhaltlichen Ansprüchen aus Art. 4 und Art. 6 AK keine durchgreifenden kompetenzrechtlichen 507  R. Mögele, in R. Streinz, EUV / AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 216 Rn. 69, der in Zweifelsfällen dafür plädiert eine Bindungswirkung gem. Art. 216 Abs. 2 für all diejenigen Regelungen anzunehmen, für deren Umsetzung der Union eine Kompetenz zusteht. 508  R. Mögele, in R. Streinz, EUV / AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 216 Rn. 69. 509  Vgl. zu dieser Unterscheidung von potenzieller und tatsächlicher Zuständigkeit die Schlussanträge von GA Sharpston, C-240 / 09 Fn. 46 zu Rn. 58 mit Verweis auf die Schlussanträge des GA Cosmas vom 11.07.2000 in der Rechtssache Dior u.a  – C-300 / 98, Rn. 43. So wohl auch U. Giera, Individualrechte im europäischen Umweltrecht, 2015, S. 139 f. 510  Als Erklärung für die insoweit bedingte Einbeziehung von völkerrechtlichen Vorschriften im Bereich geteilter Zuständigkeiten in die Unionsrechtsordnung kommt zum einen die Vorstellung in Betracht, dass diese gar nicht in die Gemeinschaftsrechtsordnung einbezogen sind, soweit die Union eine ihr für deren Umsetzung zustehende geteilte Zuständigkeit noch nicht ausgeübt hat. Zum anderen wäre die Erklärung möglich, dass eine Einbeziehung zwar stattgefunden hat, die Vorschriften aber mangels Ausübung der Binnenzuständigkeit der Union noch keine unionsrechtlichen Bindungswirkungen entfalten. Insoweit bestünden einbezogene völkerrechtliche Vorschriften mit latent unionsrechtlichem Charakter. Sie wären quasi noch im Transitbereich zwischen Völkerrecht und Unionsrecht gefangen. 511  T. v. Danwitz, Aarhus-Konvention: Umweltinformation, Öffentlichkeitsbeteiligung, Zugang zu Gerichten, NVwZ 2004, 272 (277); S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 251.

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Bedenken erhoben.512 Äußerst umstritten war dagegen das Bestehen einer Gemeinschaftskompetenz zur Umsetzung auch von Art. 9 Abs. 3 AK im Bereich des mitgliedstaatlichen Vollzugs von Umweltrecht. Hiergegen wurde insbesondere eingewandt, dass dieser keinerlei Sachzusammenhang zu anderen inhaltlichen Regelungen der AK aufweise, sondern sich vielmehr auf das gesamte objektive Umweltrecht beziehe. Insoweit aber bestehe kein Unterschied zwischen der Regelung des Art. 9 Abs. 3 AK und der gemeinschaftsrechtlich allgemein geforderten Möglichkeit einer gerichtlichen Geltendmachung des Umweltrechts der Union, deren Ausgestaltung aber aufgrund des Grundsatzes von der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie den Mitgliedstaaten zugewiesen und gerade nicht Teil der umweltpolitischen Sachkompetenz der Art. 174, 175 EGV (heute Art. 191, 192 AEUV) sei.513 Der EuGH hat jedoch (nicht nur) diese Auseinandersetzung in der Rechtssache Slowakischer Braunbär dahingehend entschieden, dass der Gemeinschaft nicht nur eine latente Verbandskompetenz auch für die Umsetzung von Art. 9 Abs. 3 AK zusteht, sondern dass Art. 9 Abs. 3 AK insgesamt  – also nicht lediglich als Vorgabe für das Eigenverwaltungsrecht der Union – integrierender Teil der Gemeinschaftsrechtordnung geworden ist, obwohl eine sekundärrechtliche Umsetzung der Vorschrift auch für den mitgliedstaatlichen Vollzug bislang nicht stattgefunden hat. Daraus folgt nicht nur für die Praxis die Teilhabe auch von Art. 9 Abs. 3 AK an den Rechtswirkungen europäischen Rechts, vielmehr sprach sich der Gerichtshof auch selbst – und nicht den mitgliedstaatlichen Gerichten – die Zuständigkeit für die Auslegung von Art. 9 Abs. 3 AK insgesamt zu.514

512  T. v. Danwitz, Aarhus-Konvention: Umweltinformation, Öffentlichkeitsbeteiligung, Zugang zu Gerichten, NVwZ 2004, 272 (277). 513  T. v. Danwitz, Aarhus-Konvention: Umweltinformation, Öffentlichkeitsbeteiligung, Zugang zu Gerichten, NVwZ 2004, 272 (277 f.); differenzierend aber S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 250 ff., insbesondere S. 258; eine Unionskompetenz zur Umsetzung von Art. 9 Abs. 3 AK nahmen auch etwa an I. Pernice / V. Rodenhoff, Die Gemeinschaftskompetenz für eine Richtlinie über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, ZUR 2004, 149 (149 ff.); zustimmend K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 268. 514  Nicht gemeint ist hiermit die Frage nach der Zuständigkeit des EuGH, die Verpflichtungen eines gemischten Übereinkommens insgesamt zu betrachten, um über die Aufteilung der Verpflichtungen zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten zu bestimmen. Eine in dieser Frage erforderliche einheitliche Entscheidung kann nur der EuGH vornehmen, vgl. hierzu erstmals EuGH, Urteil vom 11.09.2007 – C-431 / 05 (Merck Genéricos Produtos Farmacêuticos), Rn. 33–38 sowie zustimmend GA Sharpston, Schlussanträge zu C-240 / 09, Rn. 54 ff.; M. Breuer / S. Riegger, Die Reichweite der Pflicht der EU zur Umsetzung der Aarhus-Konvention, EurUP 2014, 293 (303).



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Die in Deutschland vornehmlich diskutierte Frage nach der Verbandskompetenz der Union war dem Gerichtshof dabei keine nähere Begründung wert. Vielmehr nahm er diese unter Hinweis auf Art. 175 i. V. m. Art. 174 Abs. 2 EG (heute Art. 192 AEUV i. V. m. Art. 191 Abs. 2 AEUV) ohne weiteres an.515 Der Gerichtshof fokussierte sich vielmehr auf die Frage, ob die Union von ihrer Zuständigkeit auch Gebrauch gemacht hat. Der EuGH gibt insoweit zu erkennen,516 dass er im Bereich geteilter Zuständigkeit nur dann von der Einbeziehung von Vorschriften ins Unionsrecht und der dadurch erfolgenden Schaffung einer unionsrechtlichen Bindungswirkung ausgeht, wenn die in Latenz bestehende Verbandskompetenz der Union durch den Erlass von Umsetzungsakten aktiviert und so von einer potenziellen zu einer tatsächlichen Kompetenz der Union gewandelt wird.517 Bis hierhin erscheint die Entscheidung des EuGH jedenfalls insoweit überzeugend, als so erreicht wird, dass eine unionsrechtliche Bindungswirkung gegenüber den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten auch bei gemischten völkerrechtlichen Abkommen nicht weiter reicht, als der Union intern eine Rechtssetzungskompetenz tatsächlich zukommt. Eine faktische interne Kompetenzerweiterung der Union allein durch den Abschluss gemischter Übereinkommen, der völkerrechtlich grundsätzlich zu einer umfassenden Bindung der Union im Außenverhältnis zu dritten Vertragsparteien folgt, wird so vermieden.518 Insoweit 515  In der Sache zustimmend S. Schlacke, Stärkung individuellen Rechtsschutzes zur Durchsetzung des Umweltrechts, ZUR 2011, 312 (313 ff.), deren Urteilsanmerkung jedoch an den eigentlichen Problemen der Entscheidung vorbeigeht, da sie sich ausschließlich auf die Frage des Bestehens einer Verbandskompetenz der Gemeinschaft fokussiert, nicht aber thematisiert, ob die Gemeinschaft diese auch ausgeübt hat. Das Bundesverwaltungsgericht hat es – ohne die Frage nach der Verbandszuständigkeit der EU in der Sache selbst aufzuklären – zumindest abgelehnt, das Urteil des EuGH als sog. ausbrechenden Rechtsakt zu betrachten, sodass die nationalen Gerichte es in jedem Fall zu beachten haben, BVerwG, Urteil vom 05.09.2013  – 7 C 21 / 12 (Luftreinhalteplan Darmstadt), Rn. 22. 516  EuGH, GrK, Urteil vom 08.03.2011  – C-240 / 09 (Slowakischer Braunbär), Rn. 31 mit Verweis auf die Urteile Dior u. a.  – C-308 / 98, Rn. 33 sowie Merck Genéricos – Produtos Farmacêuticos – C-431 / 05, Rn. 33. 517  Siehe hierzu bereits die Nachweise in Fn. 509 sowie zustimmend insoweit auch J. Berkemann, Der slowakische Braunbär im deutschen Prozessrecht – Eine Analyse von EuGHE 2011 I-1255, DVBl 2013, 1137 (1139); J. Kokott / C. Sobotta, Rechtsschutz im Umweltrecht – Weichenstellungen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Euroäischen Union, DVBl 2014, 132 (134); M. Breuer / S. Riegger, Die Reichweite der Pflicht der EU zur Umsetzung der Aarhus-Konvention, EurUP 2014, 293 (304), wobei diese zunächst etwas unklar auf die Ausübung der Außenkompetenz der Union durch den Vertragsschluss abstellen, dann aber doch eine Ausübung durch den Erlass von Sekundärrecht für maßgeblich halten. 518  Etwas anders gewendet findet sich diese Bewertung auch bei U. Seifert, Fortschritte beim Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten nach Art. 9 Abs. 3 AarhusKonvention? – Jüngste Lösungsansätze von EuGH und BVerwG, ZEuS 2016, 49 (61).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

lag es zunächst auch nicht nahe, dass der Gerichtshof eine Einbeziehung von Art. 9 Abs. 3 AK auch insoweit annehmen würde, als dass dieser nicht nur auf den Rechtsschutz gegen unionseigene Rechtsakte abzielt.519 In einer anlässlich der Genehmigung der AK durch die Union abgegebenen Erklärung520 hatte die Gemeinschaft dargelegt, dass sie zum Zeitpunkt der Genehmigung hinsichtlich Art. 9 Abs. 3 AK noch keine Umsetzung durch Gemeinschaftsrecht vorgenommen habe und dass für die Erfüllung der in Art. 9 Abs. 3 AK vorgesehenen Verpflichtungen zum Zeitpunkt der Genehmigung die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft zuständig seien.521 Diese Zuständigkeit würden sie auch behalten, „es sei denn, dass – bzw. bis – die Gemeinschaft in Ausübung ihrer Zuständigkeiten nach dem EG-Vertrag Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts zur Umsetzung dieser Verpflichtungen annimmt“. Ein entsprechender Erlass eines Sekundärrechtsaktes über den Zugang zu Gemeinschaftsgerichten in Umweltangelegenheiten – die sog. Klagerechtsrichtlinie522 – ist aber bis heute am Widerstand des Rates der EU gescheitert523 519  Im Ergebnis ebenso Schlussanträge GA Sharpston, C-240 / 09, Rn. 79 f.; M. Breuer / S. Riegger, Die Reichweite der Pflicht der EU zur Umsetzung der AarhusKonvention, EurUP 2014, 293 (304); J. Berkemann, Der slowakische Braunbär im deutschen Prozessrecht – Eine Analyse von EuGHE 2011 I-1255, DVBl 2013, 1137 (1139). 520  Vgl. den entsprechenden Auftrag zur Abgabe der Erklärung in Art. 2 sowie die Erklärung selbst im Anhang des Beschlusses vom 17.02.2005, 2005 / 370 / EG, Abl EU L 124 / 1. 521  Mit Blick auf diese Erklärung muss zwischen ihren völkerrechtlichen Rechtswirkungen und ihrer Eigenschaft als Ausdruck einer Rechtsansicht betreffend die innerunionale Kompetenzverteilung unterschieden werden. Völkerrechtlich kann sie entweder als Erklärung i. S. v. Art. 19 Abs. 4 oder Abs. 5 AK verstanden werden, vgl. hierzu M. Breuer / S. Riegger, Die Reichweite der Pflicht der EU zur Umsetzung der Aarhus-Konvention, EurUP 2014, 293 (295 f.). Dieser Frage soll hier nicht weiter nachgegangen werden. Jedenfalls wurde mit der Erklärung kundgetan, dass die beschließenden Organe zum Zeitpunkt der Genehmigung nicht von einer aktuellen internen Kompetenz der Union ausgingen. 522  KOM(2003) 624 endg., Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten. 523  Ausführlich hierzu M. Breuer / S. Riegger, Die Reichweite der Pflicht der EU zur Umsetzung der Aarhus-Konvention, EurUP 2014, 293 (269 f. und Fn. 46) sowie U. Seifert, Fortschritte beim Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten nach Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention? – Jüngste Lösungsansätze von EuGH und BVerwG, ZEuS 2016, 49 (55 f.), die auch auf einen möglichen neuen Anlauf der Kommission hinweisen. Hierzu auch T. Bunge, Rechtsbehelfe in Umweltangelegenheiten: Vorgaben der Aarhus-Konvention und deutsches Recht, NuR 2014, 605 (611). Die EU Kommission hat jedoch inzwischen bestätigt, dass sie die Umsetzung von Art. 9 Abs. 3 AK im EU-Recht nicht weiter verfolgt, siehe Mitteilung der Kommission vom 28.4.2017 über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, C(2017) 2616 final, Rn. 10. Ausführlich zu dieser Mitteilung, der Kommission „on Access to Justice in Environmental Matters“ J. Darpö, On the Bright Side (of the EU’s Janus Face) –



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und wird durch die Europäische Kommission auch nicht weiter verfolgt.524 Lediglich für den gemeinschaftseigenen Vollzug wurde mit VO (EG) Nr. 1367 / 2006 eine Umsetzung von Art. 9 Abs. 3 AK vorgenommen.525 Dass eine sekundärrechtliche Umsetzung von Art. 9 Abs. 3 AK für den mitgliedstaatlichen Vollzug des Umweltrechts aber nicht erfolgt ist – aus welchem Grund auch immer – wollte der Gerichtshof gleichwohl nicht als Argument gegen die Einbeziehung der Vorschrift ins Unionsrecht anerkennen.526 Bereits in einem früheren Vertragsverletzungsverfahren gegenüber Frankreich hatte der EuGH bzgl. der Frage nach der Einbeziehung von Vorschriften in die Gemeinschaftsrechtsordnung festgestellt527 – und wiederholte dies nun528 – dass „eine spezielle Frage, zu der noch keine Rechtsvorschriften der Union ergangen sind, dem Unionsrecht dennoch unterliegt, wenn sie in Übereinkommen geregelt wird, die von der Union und ihren Mitgliedstaaten geschlossen wurden, und einen weitgehend von Unionsrecht erfassten Bereich betrifft. In der Entscheidung gegen Frankreich529 hatte der GerichtsThe EU Commission’s Notice on Access to Justice in Environmental Matters, JEEPL 14 (2017), 373 ff. 524  Vgl. zunächst die Mitteilung der KOM OJ C / 2014 / 153 / 3 sowie hierzu Schlussanträge GA Sharpston, C-240 / 09, Rn. 76 f. die darauf hinweist, dass, würde der EuGH diese Tatsache ignorieren, der Gerichtshof sich an die Stelle des Gesetzgebers setzen würde; im Nachgang zu der Entscheidung kommt zu dieser Bewertung auch J. H. Jans, Who is the referee? Access to Justice in a Globalised Legal Order, Review of European Administrative Law, 2011, 87 (94 und 98). 525  U. Seifert, Fortschritte beim Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten nach Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention? – Jüngste Lösungsansätze von EuGH und BVerwG, ZEuS 2016, 49 (63 f.). 526  EuGH, GrK., Urteil vom 08.03.2011  – C-240 / 09 (Slowakischer Braunbär), Rn. 39–40; kritisch hierzu J. H. Jans, Who is the referee? Access to Justice in a Globalised Legal Order, Review of European Administrative Law, 2011, 87 (93). Diesbezüglich interessant ist die von J. Kokott / C. Sobotta, Rechtsschutz im Umweltrecht – Weichenstellungen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Euroäischen Union, DVBl 2014, 132 (135) angebotene Deutung des Urteils des EuGH, auch wenn es sich dabei tatsächlich nicht um eine Deutung, sondern um eine Ersetzung der Begründung des EuGH handeln dürfte: So wollen die Autoren die unionsrechtlichen Prinzipien vom effektiven Rechtsschutz als Teilumsetzung von Art. 9 Abs. 3 AK verstehen, sodass zumindest hinsichtlich europäischen Umweltrechts von einer Einbeziehung des Art. 9 Abs. 3 AK auszugehen wäre. Nur hinsichtlich nationalen Umweltrechts verbliebe es dann bei der alleinigen Zuständigkeit nationaler Gerichte, über die Einwirkungen des Völkerrechts zu befinden. 527  EuGH, Urteil vom 07.10.2004 – C-293 / 03 (Kommission / Frankreich), Rn. 29– 31. 528  EuGH, GrK., Urteil vom 08.03.2011  – C-240 / 09 (Slowakischer Braunbär), Rn. 36. 529  Vgl. näher hierzu U. Seifert, Fortschritte beim Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten nach Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention?  – Jüngste Lösungsansätze von

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

hof seine Auslegungsbefugnis so auch auf originär völkerrechtliche Vorschriften erstreckt, die sich auf eine materielle Frage des Meeresumweltschutzes bezog, deren Behandlung im Rahmen der bestehenden materiellen Regelungen der Union zum Gewässerschutz mehr zufällig bislang unter­ blieben war, für die also die geteilte Zuständigkeit der Gemeinschaft zwar bislang nicht durch ihre Ausübung auf die im konkreten Fall relevante Frage aktualisiert worden war, es bei der ungeregelten wie auch bei den geregelten Fragen aber um materiell-rechtliche Fragen ging, die in engem Zusammenhang zueinander standen. In der Entscheidung Slowakischer Braunbär legte der Gerichtshof nun aber ein weiteres Verständnis des insofern bereits früher als ausreichend betrachteten „weitgehend vom Unionsrecht erfassten Bereich(s)“ zugrunde. Anders als noch GA Sharpston in ihren Schlussanträgen stellt der EuGH schon im Ausgangspunkt dabei aber nicht auf die in Art. 9 Abs. 3 AK geregelte Frage der Eröffnung des Zugangs zu Gerichten ab,530 sondern auf die im Ausgangsrechtsstreit zwischen der vor dem slowakischen Gericht klagenden Umweltvereinigung und der slowakischen Zulassungsbehörde aufgeworfenen inhaltlichen Frage der Pflicht zur Beteiligung der Umweltvereinigung.531 Daraus folgt ein materiell geprägtes Verständnis des Gerichtshofs vom maßgeblichen „Bereich“, bei dem prozessuale Regelungen der Rechtsschutzgewährleistung als Regelungsannex zu dem allein durch inhaltliche Fragen geprägten Bereich schlicht hinzugerechnet werden.532 Gegen ein solches Verständnis hatte sich GA Sharpston ausdrücklich ausgesprochen.533 Nicht nur würde ein solches Abstellen auf die konkret betroffenen materiell-rechtlichen Fragen dazu führen, dass Art. 9 Abs. 3 AK in fragmentierter Weise Eingang ins Unionsrecht findet und seine Auslegung zersplittert würde, weil seine Einbeziehung und die hiervon abhängige Auslegungszuständigkeit des EuGH insoweit stets abhängig von den zugrunde liegenden materiell-rechtlich bedeutsamen Fragen, etwa der Betroffenheit einer bestimmten, durch das europäische Artenschutzrecht erfassten Tierart wäre.534 Vielmehr – und dies ist entscheidend – hat die FFH-RL für EuGH und BVerwG, ZEuS 2016, 49 (62); zustimmend insoweit M. Ruffert, Verwaltungsrecht im europäischen Verwaltungsverbund, Die Verwaltung 48 (2015), 547 (562). 530  Schlussanträge GA Sharpston, C-240 / 09, Rn. 65 unter Verweis auf das Urteil des EuGH in der Rs. Merck Genéricos Produtos Farmacêuticos. 531  EuGH, GrK., Urteil vom 08.03.2011  – C-240 / 09 (Slowakischer Braunbär), Rn. 36. 532  Dies ablehnend J. H. Jans, Who is the referee? Access to Justice in a Globalised Legal Order, Review of European Administrative Law, 2011, 87 (94). 533  Schlussanträge GA Sharpston, C-240 / 09, Rn. 67–71. 534  Schlussanträge GA Sharpston, C-240 / 09, Rn. 70; anders U. Seifert, Fortschritte beim Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten nach Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention?  – Jüngste Lösungsansätze von EuGH und BVerwG, ZEuS 2016, 49 (63), der



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte275

die vom EuGH zu entscheidende Frage schlicht keine „unmittelbare Bedeutung“, sie ist insoweit „ohne Belang“.535 Ohne auf diese Gegenargumente einzugehen, stellte der Gerichtshof jedoch auf die Anwendbarkeit der FFHRL im Ausgangsrechtsstreit ab und kam zu dem Schluss, dass die spezielle Frage des verwaltungsrechtlichen Ausgangsfalls – noch einmal: diese betrifft gerade nicht den durch Art. 9 Abs. 3 AK geregelten Zugang zu Gerichten  – dem Unionsrecht unterliege.536 Da die Möglichkeit bestehe, dass Art. 9 Abs. 3 AK537 sowohl im innerstaatlichen als auch im unionsrechtlichen Zusammenhang Anwendung finde, bestehe zudem ein klares Interesse an der einheitlichen Auslegung der Vorschrift.538 Es lässt sich insoweit von einer durch den EuGH zu seinen Gunsten begründeten „Auslegungsprärogative“ sprechen.539 Die Entscheidung war und ist zu Recht starker Kritik ausgesetzt. Selbst wenn man den durch die Entscheidung bewirkten Fortschritt für die Implementierung von Art. 9 Abs. 3 AK begrüßt, muss man doch sehen, dass der Gerichtshof sich mit der Entscheidung über die bei der Hinterlegung der Genehmigungsurkunden durch die Union abgegebene Erklärung über die unionsinterne Zuständigkeitsverteilung hinweggesetzt540 und – was noch schwerer wiegt – das bisherige unter Bezugnahme auf Sharpston deren Argument – offenbar irrtümlich – dahingehend wendet, dass es beim Vorgehen des EuGH zu einer Fragmentierung des Anwendungsbereichs von Art. 9 Abs. 3 AK komme. Der Anwendungsbereich ist aber weiterhin einheitlich, durch die Zuständigkeit teils nationaler Gerichte, teils des EuGH besteht lediglich die Gefahr, dass die Bestimmung in voneinander abweichender Weise vorgenommen wird. 535  So auch J. H. Jans, Who is the referee? Access to Justice in a Globalised Legal Order, Review of European Administrative Law, 2011, 87 (93). 536  EuGH, GrK., Urteil vom 08.03.2011  – C-240 / 09 (Slowakischer Braunbär), Rn. 38. 537  Interessanterweise stellt der Gerichtshof hier anscheinend nun wieder auf Art. 9 Abs. 3 AK und nicht länger auf die zuvor noch für maßgeblich gehaltenen Vorschriften der FFH-RL ab. 538  EuGH, GrK., Urteil vom 08.03.2011  – C-240 / 09 (Slowakischer Braunbär), Rn. 42; überzeugend auch gegen dieses Argument J. H. Jans, Who is the referee? Access to Justice in a Globalised Legal Order, Review of European Administrative Law, 2011, 87 (95); M. Ruffert, Verwaltungsrecht im europäischen Verwaltungsverbund, Die Verwaltung 48 (2015), 547 (562), der anmerkt, dass  – träfe dieses Argument zu – man sich über punktuelle Modifikationen des nationalen Verwaltungsrechts in nicht durch das Unionsrecht geregelten Bereichen jedenfalls keine Gedanken mehr machen brauchte. 539  K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (793); J. Berkemann, Der slowakische Braunbär im deutschen Prozessrecht, DVBl 2013, 1137 (1143) betont insoweit, dass den nationalen Gerichten eine eigene, autonome Interpretation von Art. 9 Abs. 3 AK danach nicht zusteht. 540  A. A. M. Breuer / S. Riegger, Die Reichweite der Pflicht der EU zur Umsetzung der Aarhus-Konvention, EurUP 2014, 293 (305), die der von der Union abgegebenen

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Scheitern einer Umsetzung von Art. 9 Abs. 3 AK für den mitgliedstaatlichen Vollzug durch eine Klagerechtsrichtlinie in einem Akt richterlicher Rechtsschöpfung übergangen hat. Dies wird weder der vertikalen Gewaltenteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten, noch der horizontalen Gewaltenteilung zwischen EuGH und den zur Gesetzgebung auf Unionsebene berufenen Institutionen gerecht.541 Gleichwohl ist die Kritik folgenlos geblieben. Auch die deutsche Rechtsprechung hat die Bindungswirkung des Judikats anerkannt542 und zum Anlass für eine erweiternde Auslegung des nationalen Rechts über den Zugang von Umweltvereinigungen zu Gerichten in Umweltangelegenheiten genommen. Mit der Anerkennung der Einbeziehung von Art. 9 Abs. 3 AK ins Unionsrecht erklärte sich der EuGH auch bzgl. deren im Unionsrecht verbindliche Auslegung für zuständig. Für die Praxis bedeutet dies im Ergebnis, dass damit die gesamte Aarhus-Konvention ins Recht der EU einbezogen ist543 und ihr insgesamt die unionsrechtlich gem. Art. 216 Abs. 2 AEUV begründete Bindungswirkung zukommt.

Erklärung nur insoweit Bedeutung beimessen wollen, als dadurch eine Spezifizierung des Anspruchsgegners im Verhältnis zu Drittstaaten stattgefunden hat. A. A. J. Berkemann, Der slowakische Braunbär im deutschen Prozessrecht – Eine Analyse von EuGHE 2011 I-1255, DVBl 2013, 1137 (1137), der die Erklärung i. S. e. völkerrechtlich beachtlichen Vorbehalts einordnet. Breuer / Riegger ist zwar darin zuzustimmen, dass die von der Union abgegebene Erklärung nicht die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Union beschränkt hat. Der gegen den EuGH erhobene Vorwurf bezieht sich jedoch auch nicht auf die hier angesprochene Außenkompetenz der EU, sondern die Überspielung der internen Zuständigkeitsverteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten. 541  Zur Kritik an der Entscheidung vgl. statt vieler U. Seifert, Fortschritte beim Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten nach Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention?  – Jüngste Lösungsansätze von EuGH und BVerwG, ZEuS 2016, 49 (60 ff.) sowie J. H. Jans, Who is the referee? Access to Justice in a Globalised Legal Order, Review of European Adminstrative Law, 2011, 87 (94 und 98); B. W. Wegener, Die europäische Umweltverbandsklage, ZUR 2011, 363 (366). 542  So BVerwG, Urteil vom 05.09.2013  – 7 C 21 / 12 (Luftreinhalteplan Darmstadt), Rn. 22; U. Seifert, Fortschritte beim Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten nach Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention?, ZEuS 2016, 49 (68); J. Berkemann, Der slowakische Braunbär im deutschen Prozessrecht, DVBl 2013, 1137 (1143 f.). 543  Wie hier M. Breuer / S. Riegger, Die Reichweite der Pflicht der EU zur Umsetzung der Aarhus-Konvention, EurUP 2014, 293 (304); unklar insoweit J. Berkemann, NGO scheitern mit umweltrechtlicher Nichtigkeitsklage vor dem EuGH, ZUR 2015, 221 (226: „Art 9 Abs. 3 AK wurde alsdann nur zum Teil in Unionsrecht einbezogen, […]“) einerseits und ders., Der slowakische Braunbär im deutschen Prozessrecht – Eine Analyse von EuGHE 2011 I-1255, DVBl 2013, 1137 (1141 „Art. 9 Abs. 3 AK als „integralem“ Teil des Unionsrechtes“) andererseits.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte277

b) Geltung der AK in Staaten außerhalb der EU Für die Staaten außerhalb der EU gelten dagegen keine Besonderheiten gegenüber den dargestellten Grundsätzen über die Geltungserlangung völkerrechtlicher Vorschriften im nationalen Rechtskreis. Während die völkerrechtliche Verbindlichkeit der AK für diese Staaten nach erfolgter Ratifikation mit ihrem Inkrafttreten oder späteren Beitritt erfolgt ist, bestimmt sich die jeweilige innerstaatliche Gültigkeit der AK nach den ggf. nach nationalem (Verfassungs-)Recht bestehenden Maßgaben. Der nationale Geltungsrang wird ebenfalls durch das jeweilige nationale Recht bestimmt. 2. Implementierung und dezentrale Durchsetzung der Aarhus-Konvention Die Durchsetzungskraft subjektiv-rechtlicher Positionen muss sich gerade im Streitfall erweisen. Anders als bei den untersuchten menschenrechtlichen Systemen existiert für die Gewährleistungen der Aarhus-Konvention auf völkerrechtlicher Ebene kein Verfahren für die gerichtsförmliche verbindliche Streitbeilegung zwischen begünstigten Individuen und den verpflichteten Staaten. Wie gesehen genügt dies für verbreitete Stimmen im völkerrecht­ lichen Schrifttum – was hier nicht geteilt wird – unter Berufung insbesondere auf den völkerrechtlichen Effektivitätsgrundsatz, die Annahme unmittelbar anwendbarer subjektiver Berechtigungen in einer völkerrechtlichen Vereinbarung wie der Aarhus-Konvention generell abzulehnen.544 Wie zu zeigen sein wird, ist die effektive Um- und Durchsetzung der in der AarhusKonvention gewährleisteten Positionen jedoch auf dezentrale Weise gewährleistet, die einer Durchsetzung durch internationale Streitbeilegungsorgane nahe kommen kann. Allein deshalb sollte der subjektiv-rechtliche Charakter einzelner Gewährleistungen der Aarhus-Konvention deshalb nicht bestritten werden. a) Das Compliance-Committee der Aarhus-Konvention Das Compliance Committee der Aarhus-Konvention (ACCC) ist gem. Art. 15 AK i. V. m. Entscheidung I / 7 der Vertragsstaatenkonferenz545 dazu bestimmt, die Überprüfung der Einhaltung der Bestimmungen der Konvention in einem freiwilligen, nichtstreitigen, außergerichtlichen und auf Kon-

544  Vgl.

hierzu bereits oben: Erster Teil, C. II. 2. Enscheidung 1 / 7 der Vertragsstaatenkonferenz vom Oktober 2002, UN Doc. ECE / MP.PP / 2 / Add.8, 02.04.2004. 545  Siehe

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

sultationen beruhenden Verfahren durchzuführen.546 Dieses ist nicht auf die Feststellung staatlicher Verantwortlichkeit für Rechtsbrüche oder die Gewährleistung kompensatorischer Ansprüche Einzelner, sondern auf die Feststellung gerichtet, ob sich das innerstaatliche bzw. innergemeinschaftliche Recht von Vertragsparteien im Einklang mit den Anforderungen der AK befindet oder nicht.547 Die Einzigartigkeit548 des Kontrollmechanismus der Aarhus-Konvention im Vergleich zu den in anderen multilateralen Umweltabkommen vorgesehenen Mechanismen besteht insbesondere darin, dass als Initiatoren von Verfahren vor dem ACCC nicht nur die Vertragsparteien selbst oder das Sekretariat der AK, sondern auch Mitglieder der Öffentlichkeit, d. h. natürliche Personen oder Umweltvereinigungen549 in Frage kom546  Siehe allgemein zur rechtlichen Grundlage und Struktur des ACCC V. Koester, The Compliance Committee of the Aarhus Convention, Environmental Policy and Law, 2007, 83 ff.; J. Jendrośka, Aarhus Convention Compliance Committee: Origins, Status and Activities, JEEPL 2011, 301 ff.; M. Fitzmaurice, Environmental Justice through international complaint procedures?, in: J. Ebbesson / P. Okowa, Environmental Law and Justice in Context, 2009, 211 (213 ff.); zusammenfassend T. Bunge, Rechtsbehelfe in Umweltangelegenheiten: Vorgaben der Aarhus-Konvention und deutsches Recht, NuR 2014, 605 (606–608). 547  A. Tanzi / C. Pitea, The Interplay between EU Law and International Law Procedures in Controlling Compliance with the Aarhus Convention by EU Member States, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 368 (369); J. Jendrośka, Aarhus Convention Compliance Committee: Origins, Status and Activities, JEEPL 2011, 301 (311, 312). Nach dem Grundsatz der völkerrechtlichen Unbeachtlichkeit der innerstaatlichen Zuständigkeitsverteilung können Compliance-Verfahren gegen die EU auch auf die Feststellung gerichtet sein, dass Umsetzungsmängel in Mitgliedstaaten bestehen und nicht durch die EU – etwa mithilfe der Durchführung von Vertragsverletzungsverfahren – abgestellt werden. Das ACCC hat eine solche Feststellung jedoch – entgegen dem genannten völkerrechtlichen Grundsatz – bislang abgelehnt, soweit die Verpflichtungen der Konvention im Wesentlichen in das EU-Sekundärrecht implementiert wurden und der Mangel allein auf Ebene der Mitgliedstaaten liegt. Das ACCC hat damit signalisiert, dass es bereit ist, auf die besondere interne Struktur der Union Rücksicht zu nehmen, vgl. ACCC / C / 17 (European Community), Rn. 50, 57. Hierzu J. Jendrośka, Public Participation in Environmental Decision-­Making, in: M. Palle­ maerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 92 (106 f.). Kritik an diesem wohl in der Tat eher pragmatisch als dogmatisch motivierten Vorgehen des ACCC bei M. Breuer / S. Riegger, Die Reichweite der Pflicht der EU zur Umsetzung der AarhusKonvention, EurUP 2014, 293 (298 f.) sowie B. Peters, Die Auslegung von Art. 6-8 der Aarhus-Konvention durch das Aarhus Compliance Committee und die Auswirkungen im europäischen Umweltrecht, EurUP 2014, 185 (190). 548  M. Breuer / S. Riegger, Die Reichweite der Pflicht der EU zur Umsetzung der Aarhus-Konvention, EurUP 2014, 293 (297); M. Fitzmaurice, Environmental Justice through international complaint procedures?, in: J. Ebbesson / P. Okowa, Environmental Law and Justice in Context, 2009, 211 (214); M. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 8 Rn. 187. 549  „VI. Communications from the Public“, Ziff. 18 Annex der Enscheidung 1 / 7 der Vertragsstaatenkonferenz vom Oktober 2002, UN Doc. ECE / MP.PP / 2 / Add.8,



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men.550 Diese Besonderheit spiegelt Zweck und Gegenstand der Konvention selbst wider:551 Die von der Konvention geforderten Beteiligungsmöglichkeiten in Umweltangelegenheiten auf nationaler und supranationaler Ebene wer­ den so ergänzt durch eine Beteiligungsmöglichkeit im Völkerrecht selbst – eine Beteiligung, die im Übrigen nicht auf die Förderung der Implementierung ggf. vorhandener völkerrechtsunmittelbarer subjektiver Rechte Einzelner und Umweltvereinigungen begrenzt ist. Ihre praktische Bedeutung wird klar, wenn man betrachtet, dass Verfahren vor dem ACCC bislang nahezu ausschließlich durch Mitteilungen der Öffentlichkeit initiiert wurden.552 Verfahren vor dem ACCC werden abgeschlossen durch einen Bericht des Komitees an die Vertragsstaatenkonferenz über die Einhaltung und Implementierung durch den jeweils betroffenen Staat bzw. die EU.553 Gegebenenfalls spricht das Komitee darin Empfehlungen für die Abhilfe von Verstößen gegen die Konvention aus.554 Die Ergebnisse und Empfehlungen des ACCC können dann durch die Vertragsstaatenkonferenz (COP) angenommen und von dieser zum Anlass für den Beschluss von Maßnahmen genommen werden.555 Bis2.04.2004. M. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 8 Rn. 187 sieht deshalb hier einen der wenigen Fälle einer partiellen Völkerrechtsfähigkeit Einzelner verwirklicht. Ob er daneben auch den völkerrechtsunmittelbaren Charakter einzelner prozeduraler Rechte der AK anerkennt, ist dagegen unklar, vgl. a. a. O., Rn. 181 ff. 550  Im Übrigen weist der Compliance-Mechanismus der Aarhus-Konvention zahlreiche Parallelen zu den unter dem Montreal Protokoll zum Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht geregelten Möglichkeiten auf. Diese waren die ersten ihrer Art, die praktisch umgesetzt wurden. Hierzu sowie zu weiteren Bsp. für solche Mechanismen in multilateralen Umweltübereinkommen R.  R.  Churchill /  G. Ulfstein, Autonomous Institutional Arrangements in Multilateral Environmental Agreements: A little-noticed phenomenon in international law, AJIL, 94 (2000), 623 (644, 647). 551  T. Bunge, Rechtsbehelfe in Umweltangelegenheiten: Vorgaben der AarhusKonvention und deutsches Recht, NuR 2014, 605 (607). 552  Nach der Auswertung von B. Peters ist eine zwischenstaatliche Beschwerde bislang erst einmal vorgekommen. Von bislang 96 erhobenen Individualbeschwerden hatte das ACCC 51 in der Sache entschieden, weitere 18 Beschwerden waren noch nicht abgeschlossen. Inzwischen ist eine erhebliche Anzahl neuer Beschwerden hinzugekommen. Vgl. dies., Die Auslegung von Art. 6-8 der Aarhus-Konvention durch das Aarhus Compliance Committee und die Auswirkungen im europäischen Umweltrecht, EurUP 2014, 185 (187); T.  Bunge, Rechtsbehelfe in Umweltangelegenheiten: Vorgaben der Aarhus-Konvention und deutsches Recht, NuR 2014, 605 (607). 553  Ziff. 13 (b), 35 Annex der Enscheidung 1 / 7 der Vertragsstaatenkonferenz vom Oktober 2002, UN Doc. ECE / MP.PP / 2 / Add.8, 2.04.2004. 554  Ziff. 14 Annex der Enscheidung 1 / 7 der Vertragsstaatenkonferenz vom Oktober 2002, UN Doc. ECE / MP.PP / 2 / Add.8, 2.04.2004. 555  Ziff. 37 Annex der Enscheidung 1 / 7 der Vertragsstaatenkonferenz vom Oktober 2002, UN Doc. ECE / MP.PP / 2 / Add.8, 2.04.2004.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

lang wurden sämtliche Ergebnisse des ACCC durch die Vertragsstaatenkonferenz übernommen.556 Nicht einheitlich bewertet wird in der völkerrechtswissenschaftlichen Literatur die rechtliche Bedeutung der Ergebnisse und Empfehlungen der Compliance-Verfahren des ACCC.557 Es ist diesbezüglich jedenfalls zwischen den Berichten des ACCC einerseits und der Annahme der Ergebnisse und Empfehlungen durch die Vertragsstaatenkonferenz andererseits zu unterscheiden. aa) Berichte des ACCC Für die Beurteilung der rechtlichen Bedeutung der Berichte des ACCC ist zunächst zu berücksichtigen, dass diesen schon gemäß der das Komitee ermächtigenden Entscheidung der Vertragsstaatenkonferenz nur Empfehlungscharakter zukommt.558 Weiterhin ist das Verfahren nach Art. 15 AK ausdrücklich als „freiwillige, nichtstreitig angelegte, außergerichtliche und auf Konsultationen beruhende Überprüfung der Einhaltung der Bestimmungen“ der Aarhus-Konvention vorgesehen. Es soll sich insoweit gerade von einem gerichtlichen Verfahren unterscheiden. Hierzu gehört es auch, dass eine Verbindlichkeit der Ergebnisse und Empfehlungen der Compliance-Verfahren – jedenfalls aus sich heraus – gerade nicht beabsichtigt ist.559 In der Literatur wird den Berichten deshalb auch in erster Linie ein hoher persuasiver 556  T. Bunge, Rechtsbehelfe in Umweltangelegenheiten: Vorgaben der AarhusKonvention und deutsches Recht, NuR 2014, 605 (607); J. Jendrośka, Aarhus Convention Compliance Committee: Origins, Status and Activities, JEEPL 2011, 301 (304). 557  Davon unabhängig ist jedenfalls die Bezeichnung des ACCC als „völkerrechtliches Schiedsgericht der AK“ durch F. Ekardt, Verbandsklage vor dem EuGH: Mitgliedstaaten verklagen, EU-Institutionen verschonen?, NVwZ 2015, 772 (772) schon deshalb irreführend, weil die AK neben dem Compliance Verfahren auch die Möglickeit der Streitbeilegung durch ein Schiedsverfahren kennt. Dies richtet sich allerdings nach Art. 16 Abs. 2 lit b) i. V. m. Anhang II der Konvention. 558  Ziff. 14, Annex der Enscheidung 1 / 7 der Vertragsstaatenkonferenz vom Oktober 2002, UN Doc. ECE / MP.PP / 2 / Add.8, 2.04.2004. 559  A. Epiney / S. Dilzig / B. Pirker / S. Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Einführung Rn. 34; B. Peters, Die Auslegung von Art. 6-8 der Aarhus-Konvention durch das Aarhus Compliance Committee und die Auswirkungen im europäischen Umweltrecht, EurUP 2014, 185 (187); M. Breuer / S. Riegger, Die Reichweite der Pflicht der EU zur Umsetzung der Aarhus-Konvention, EurUP 2014, 293 (298); in diese Richtung auch T. Bunge, Rechtsbehelfe in Umweltangelegenheiten: Vorgaben der AarhusKonvention und deutsches Recht, NuR 2014, 605 (611), wobei nicht ganz klar ist, ob er sich auf den Bericht des ACCC oder auf dessen Annahme durch die Vertragsstaatenkonferenz bezieht.



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Wert,560 vereinzelt aber auch eine mittelbare Bindungswirkung in dem Sinne beigemessen, dass sie eine Erörterungspflicht auslösen.561 Auch das Bundesverwaltungsgericht misst den Entscheidungen des ACCC für seine eigene Rechtsprechung „bedeutendes Gewicht“ bei, ohne dass dies näher substan­ tiiert wird.562 bb) Annahme der Ergebnisse und Empfehlungen durch die Vertragsstaatenkonferenz Fraglich erscheint aber, ob die Berichte des ACCC nicht dadurch auch eine originär rechtliche Bedeutung erlangen, dass sie bislang allesamt durch die Vertragsstaatenkonferenz im Nachgang durch Beschluss angenommen wurden.563 Diese Annahme der Ergebnisse und Empfehlungen durch die Vertragsstaatenkonferenz als Organ der Aarhus-Konvention könnte eine Berücksichtigungspflicht der durch die AK gebundenen Parteien auslösen.564 Für eine solche Berücksichtigung hatte sich der IGH mit Blick auf die Aus­ legungen der Bestimmungen internationaler Menschenrechtspakte durch deren Konventionsorgane ausgesprochen.565 Obwohl der IGH selbst betonte, hierzu nicht rechtlich verpflichtet zu sein,566 hielt es der Internationale Ge560  M. Breuer / S. Riegger, Die Reichweite der Pflicht der EU zur Umsetzung der Aarhus-Konvention, EurUP 2014, 293 (298); A. Schwerdtfeger, Implementation and Separation of Powers, in: E. J. Lohse / M. Poto, Participatory Rights in the Environmental Decision-Making Process and the Implementation of the Aarhus Convention, 2015, 173 (186 f.). 561  J. Berkemann, Vollkontrolle der Umweltverbandsklage! – „Empfehlung“ des Compliance Committee 2013 / 2014 der Aarhus-Konvention, DVBl 2015, 389 (399), der zwar meint, dass dies erst recht gelte, wenn ein Bericht durch die Vertragsstaatenkonferenz angenommen wird. Zu einer qualitativen Veränderung der Bindungswirkung soll dies aber nach seiner Ansicht wohl nicht führen. 562  BVerwG, Urteil vom 05.09.2013  – 7 C 21 / 12 (Luftreinhalteplan Darmstadt), Rn. 33. 563  Siehe die Nachweise in Fn. 556. 564  Der derzeitige Vorsitzende des ACCC, J. Ebbesson, hat sich hierzu nur recht unspezifisch geäußert, geht aber offensichtlich von einer rechtlich erheblichen Bedeutung aus: „The endorsement of the Committee findings by the Meeting of the Parties gives weight to the Committees work, and adds normative status to its findings.“, ECE, Working Group of the Parties, Genf, 15.–17.06.2016 – AC / WGP-20 / Inf.4, S. 3. 565  IGH, Urteil vom 30.11.2010, Ahmadou Sadio Diallo (Republic of Guinea v. Democratic Republic of the Congo), Merits, Judgment, I.C.J. Reports 2010, S. 639 Rn. 66 f.; zur Bedeutung dieser Rechtsprechung für den vorliegenden Zusammenhang auch A. Epiney / S. Dilzig / B. Pirker / S. Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Einführung Rn. 35. 566  Ibid., Rn. 66; insoweit scheint es problematisch, aus der Entscheidung zwingende Konsequenzen auch für den Umgang mit den Berichten des ACCC ableiten zu wollen, so aber B. Peters, Die Auslegung von Art. 6-8 der Aarhus-Konvention durch

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

richtshof gleichwohl für geboten, den Entscheidungen unabhängiger Organe internationaler Vertragswerke zur Gewährleistung der notwendigen Klarheit und Konsistenz des internationalen Rechts und der Rechtssicherheit sowohl für die berechtigten Individuen als auch die Verpflichteten hohes Gewicht beizumessen und nicht seine eigene Auslegung an deren Stelle zu setzen.567 Die genannten Belange sind auch bei der Auslegung der AK von Gewicht, gilt diese doch nicht nur für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Eine einheitliche Auslegung der völkerrechtlichen Normen könnte deshalb durch den EuGH allein nicht garantiert werden. Der EuGH hat zu der Frage der Beachtlichkeit der Auslegungen des ACCC – infolge ihrer Annahme durch die Vertragsstaatenkonferenz – noch nicht ausdrücklich Stellung genommen, obwohl er hierzu Gelegenheit hatte.568 GA Kokott hatte sich in ihren Schlussanträgen zur Rechtssache Edwards u. a. mit den Berichten des ACCC auseinandergesetzt und damit zumindest allgemein deren Bedeutung anerkannt.569 Indem der Gerichtshof jedoch in seiner Entscheidung, ohne sich zu den Ausführungen der Generalanwältin zu äußern, selbst eine Auslegung der Vorschriften der AK vornahm, gab er implizit zu erkennen, dass er für sich die Zuständigkeit zur verbindlichen Auslegung der AK in Anspruch nimmt.570 Dies spricht dafür, dass der EuGH die Berichte des ACCC auch nach deren Annahme durch die Vertragsstaatenkonferenz damit nicht als verbindlich ansieht. Zwar hatte er in der das Aarhus Compliance Committee und die Auswirkungen im europäischen Umweltrecht, EurUP 2014, 185 (187). 567  IGH, Urteil vom 30.11.2010, Ahmadou Sadio Diallo (Republic of Guinea v. Democratic Republic of the Congo), Merits, Judgment, I.C.J. Reports 2010, S. 639 Rn.  66 f. 568  In der Literatur wird teilweise trotz fehlender ausdrücklicher Stellungnahme des EuGH von einem „teils unausgesprochenen Zusammenwirken“ des EuGH mit dem Compliance Committee ausgegangen. So B. W. Wegener, Die Aarhus-Konvention in der Rechtsprechung des EuGH, EurUP 2014, 226 (240); vgl. auch T. Bunge, Rechtsbehelfe in Umweltangelegenheiten: Vorgaben der Aarhus-Konvention und deutsches Recht, NuR 2014, 605 (611) sowie ders., Der Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten in Deutschland, ZUR 2015, 531 (534). Nach anderer Ansicht haben sich Organe der Union zumindest nach Treu und Glauben mit den Entscheidungen auseinanderzusetzen, ohne dass aber auch eine Befolgungspflicht bestehe, M. Breuer / S. Riegger, Die Reichweite der Pflicht der EU zur Umsetzung der AarhusKonvention, EurUP 2014, 293 (307). 569  Dabei ist allerdings nicht zu erkennen, welchen Grad der Verbindlichkeit Kokott den Auslegungen beimisst, vgl. Schlussanträge GA Kokott vom 18.10.2012  – C-260 / 11, Rn. 8, 36, 44 f. Anders B. Peters, Die Auslegung von Art. 6-8 der AarhusKonvention durch das Aarhus Compliance Committee und die Auswirkungen im europäischen Umweltrecht, EurUP 2014, 185 (187), die meint, Kokott halte die Ausführungen des ACCC für „maßgeblich“. 570  EuGH, Urteil vom 11.04.2013 – Rs. C-260 / 11 (Edwards u. a.), Rn. 26, 30.



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Vergangenheit Organbeschlüsse internationaler Abkommen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Durchführung solcher Abkommen stehen – wie deren Regelungen selbst auch – als integrierenden Bestandteil des Gemeinschaftsrechts angesehen.571 Während dem Gerichtshof diese Annahme in der Vergangenheit dazu diente, seine eigene Auslegungszuständigkeit für die Durchführungsbestimmungen der Abkommen zu begründen,572 würde der EuGH diese bei entsprechender Behandlung der verabschiedeten Berichte des ACCC gerade weitgehend einbüßen. Allerdings wäre dies jedenfalls dann kaum nachvollziehbar,573 wenn selbst völkerrechtlich den verabschiedeten Ergebnissen und Empfehlungen des ACCC keine Verbindlichkeit zukommt. Allein ihre Einbeziehung ins Europarecht würde nicht ihre Verbindlichkeit als Maßstab gegenüber dem EuGH begründen. Für die völkerrechtliche Bewertung ist aber zu beachten, dass den Beschlüssen der Vertragsstaatenkonferenz nach der Aarhus-Konvention nur im Bereich der Vertragsänderung gem. Art. 14 Abs. 3 AK eine Kompetenz zur Rechtssetzung zusteht. Eine solche setzt aber gem. Art. 14 Abs. 2 AK eine Änderung des Übereinkommens im Wortlaut voraus, sodass Beschlüsse über die Ergebnisse der Compliance-Verfahren keinesfalls etwa als implizite Vertragsänderung aufgefasst werden können. Im Übrigen bedürften solche Änderungen für ihre Wirksamkeit dem Konsensprinzip folgend gem. Art. 14 Abs. 4 AK der Ratifikation durch die Vertragsstaaten. Eine echte Rechtssetzungskompetenz der Vertragsstaatenkonferenz, wie sie in anderen internationalen Abkommen etwa für die Änderung technisch geprägter Anhänge zu Vertragsvorschriften vorgesehen ist,574 kennt die Aarhus-Konvention dagegen nicht. Ebensowenig wird der Vertragsstaatenkonferenz der AK eine Kompetenz zur verbindlichen Auslegung von Vorschriften des Übereinkommens zugewiesen.575 Nichtsdes571  EuGH, Urteil vom 20.09.1990  – 192 / 89 (Sevince), Slg. 1990, I-3461, Rn. 9; Urteil vom 21.1.1993 – C-188 / 91 (Deutsche Shell), Slg. 1993, I-363, Rn. 17, 19. Vgl. hierzu S. Vöneky / B. Beylage-Haarmann, in: E. Grabitz / M. Hilf / M. Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Bd. 2, 58 EL. 2016, Art. 216 Rn. 3; eine Übertragung der Rechtsprechung auf den vorliegenden Zusammenhang hält offenbar für möglich T. Alge, Der Aarhus Convention Compliance Mechanismus, RdU 2011, 136 (140). 572  EuGH, Urteil vom 20.09.1990  – 192 / 89 (Sevince), Slg. 1990, I-3461, Rn. 10; EuGH, Urteil vom 21.1.1993 – C-188 / 91 (Deutsche Shell), Slg. 1993, I-363, Rn. 19. 573  In eine andere Richtung weist dagegen der Verweis auf die genannte ältere Rspr. des Gerichtshofs bei T. Bunge, Rechtsbehelfe in Umweltangelegenheiten: Vorgaben der Aarhus-Konvention und deutsches Recht, NuR 2014, 605 (611, Fn. 49), ohne dass jedoch eine nähere Einordnung erfolgt. 574  Beispiele bei R. R. Churchill / G. Ulfstein, Autonomous Institutional Arrangements in Multilateral Environmental Agreements: A little-noticed phenomenon in international law, AJIL, 94 (2000), 623 (638). 575  Vgl etwa die Kompetenz der Vertragsstaatenkonferenz des Montreal Protokolls gem. dessen Art. 10 Abs. 1 und hierzu R. R. Churchill / G. Ulfstein, Autonomous Ins-

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

totrotz sind die Annahmebeschlüsse der Vertragsstaatenkonferenz nicht ohne rechtliche Bedeutung. Diese erlangen sie als „spätere Übung“ der Vertragsparteien i. S. v. Art. 31 Abs. 3 lit. b) WVK, die bei der Auslegung der Bestimmungen der AK zu berücksichtigen ist.576 Ihrer Wirkung nach stehen die verabschiedeten Ergebnisse des ACCC damit zwischen „soft law“ und bindenden völkerrechtlichen Normen.577 Die wiedergegebenen Ausführungen des IGH in der Diallo-Entscheidung scheinen hier gar noch darüber hinaus zu weisen, scheinen sie doch nicht lediglich auf eine einfache Berücksichtigung von Entscheidungen von Organen internationaler Menschenrechtsverträge abzuzielen, sondern diese dahingehend zu qualifizieren, dass sie grundsätzlich maßgeblich sein sollen. Da der IGH insoweit aber das Fehlen einer Rechtspflicht selbst betont hat, lässt sich hieraus eine solche auch nicht konstruieren. cc) Aarhus Convention Implementation Guide Keine rechtliche Bindungskraft kommt demgegenüber selbstverständlich den Ausführungen des „Implementation Guides“ zu, der inzwischen in aktualisierter Fassung durch die ECE herausgegeben wurde.578 Dies hat auch der titutional Arrangements in Multilateral Environmental Agreements: A little-noticed phenomenon in international law, AJIL, 94 (2000), 623 (638). 576  R. R. Churchill / G. Ulfstein, Autonomous Institutional Arrangements in Multilateral Environmental Agreements: A little-noticed phenomenon in international law, AJIL, 94 (2000), 623 (638); A. Tanzi / C. Pitea, The Interplay between EU Law and International Law Procedures in Controlling Compliance with the Aarhus Convention by EU Member States, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 367 (380); A. Epiney / S. Dilzig / B. Pirker / S. Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Einführung Rn. 33 ff.; in diese Richtung weist auch die vorsichtigere Andeutung Bunges, der die Qualifizierung der verabschiedeten Ergebnisse und Empfehlungen als authentische Interpretation der Vertragsparteien erwägt, T. Bunge, Rechtsbehelfe in Umweltangelegenheiten: Vorgaben der Aarhus-Konvention und deutsches Recht, NuR 2014, 605 (611). Eine authentische Auslegung erfolgt aber gerade auf dem in Art. 31 Abs. 3 lit. a) und b) vorgesehenen Wege, W. Heintschel v.  Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 12 Rn. 2. 577  T. Bunge, Rechtsbehelfe in Umweltangelegenheiten: Vorgaben der AarhusKonvention und deutsches Recht, NuR 2014, 605 (610). Vgl. auch ders., Der Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten in Deutschland, ZUR 2015, 531 (534): „Billigt die Tagung der Vertragsparteien solche Schlussfolgerungen einstimmig, interpretiert sie damit das Aarhus-Übereinkommen gewissermaßen in authentischer Weise“. Von einer Verbindlichkeit gegenüber Deutschland scheint auch die Bundesregierung auszugehen, vgl. den Gesetzesentwurf zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetztes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben, BT-Drs. 18 / 9526, S. 23; in dieselbe Richtung K.-P. Sommermann, Transformative Effects of the Aarhus Convention in Europe, ZaöRV 2017, 321 (329 f.). 578  Gegen die Einordnung auch als Mittel ergänzender Auslegung nach Art. 31, 32 AK ebenso R. Müller-Terpitz, Beteiligungs- und Handlungsmöglichkeiten nichtstaat-



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

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EuGH verschiedentlich festgestellt.579 Angesichts der mangelnden allgemeinen Zugänglichkeit der „travaux préparatoire“ der Aarhus-Konvention580 und des aufwändigen Verfahrens zur Erstellung der Schrift unter Beteiligung nationaler Stellen und sonstiger betroffener Akteure581 stellt sie dennoch eine wichtige Auslegungshilfe582 dar.583 Nachdem die mittlerweile zweite Auflage der Schrift inzwischen in großem Umfang die Berichtspraxis des ACCC wiedergibt, wird es künftig von Interesse sein zu beobachten, ob der EuGH den Implementation Guide auch weiterhin heranzieht und damit über diesen Umweg auch die Beachtlichkeit der Einschätzungen des ACCC anerkennt. dd) Zwischenergebnis Mitgliedern der Öffentlichkeit steht mit dem Compliance-Mechanismus der Aarhus-Konvention zwar kein Individualrechtsbehelf im Völkerrecht zur Verfügung, um individuelle Rechtsverletzungen geltend zu machen und Abhilfe zu erlangen. Nichtsdestotrotz ist so ein Weg eröffnet, generelle Implementierungsfehler und Fehler in der Anwendung der Vorschriften der AK zu rügen und einerseits den jeweiligen Staat bzw. die EU mit Empfehlungen zu deren Abhilfe zu konfrontieren sowie andererseits eine fortlaufende Konkretisierung der Vorschriften durch die Berichtspraxis des ACCC anzustoßen,584 licher Organisationen im aktuellen Völker- und Gemeinschaftsrecht, AVR 43 (2005), 466 (488). 579  Siehe nur EuGH, Urteil vom 11.04.2013  – Rs. C-260 / 11 (Edwards u. a.), Rn. 34; GrK, Urteil vom 19.12.2013 – C-279 / 12 (Fish-Legal), Rn. 38; EuGH, Urteil vom 16.02.2012  – C-182 / 10 (Solvay u. a.), Tenor 1 sowie Rn. 28. Soweit sich der EuGH in seiner Auslegung durch den Anwendungsleitfaden bestätigt sieht, verweist er zur Unterstützung der eigenen Argumentation aber immer wieder auf ihn, vgl. etwa noch einmal dasselbe Urteil des EuGH, GrK, Urteil vom 19.12.2013  – C-279 / 12 (Fish-Legal), Rn. 46. 580  Vgl. J. Berkemann, Vollkontrolle der Umweltverbandsklage! – „Empfehlung“ des Compliance Committee 2013 / 2014 der Aarhus-Konvention, DVBl 2015, 389 (392). 581  Siehe das Vorwort zu UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch / J. Jendrośka, The Aarhus Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 4. 582  So auch A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 270, Fn. 637; M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (180). 583  Vgl. etwa den Verweis der Bundesregierung in der Begründung des Gesetzesentwurfs zum Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, BT-Drs. 18 / 9526, S. 32. 584  Auf die einzelfallbezogene Konkretisierung der Vorschriften für alle Vertragsparteien verweist auch T. Bunge, Rechtsbehelfe in Umweltangelegenheiten: Vorgaben der Aarhus-Konvention und deutsches Recht, NuR 2014, 605 (611); eine „rechtsfortbildende Vertragsauslegung“ sieht T. Alge, Der Aarhus Convention Compliance-Me-

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

die durch ihre Annahme durch die Vertragsstaatenkonferenz als Vertragspraxis i. S. v. Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVK zumindest eine gewisse Bindungswirkung gegenüber den Vertragsstaaten entfaltet. Ihre Beachtung spiegelt sich auch in der Praxis nationaler Gerichte und Äußerungen jedenfalls des deutschen Gesetzgebers wider.585 Explizite Bezugnahmen des EuGH auf die Berichte des ACCC fehlen dagegen bislang. Der Einzelne wird so auch für die Durchsetzung der Aarhus-Konvention im Rechtskreis der Vertragsparteien mobilisiert. b) Organe der europäischen Union Nach hier vertretener Ansicht ist die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Slowakischer Braunbär dahingehend zu verstehen, dass die Vorschriften der Aarhus-Konvention insgesamt, d. h. einschließlich Art. 9 AK und insbesondere auch dessen Absatz 3, integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung geworden sind. Hieraus folgt nicht nur eine unionsrechtliche Wirkungsverstärkung der Vorschriften der AK im nationalen Rechtskreis. Vielmehr ergeben sich hieraus auch eine Auslegungszuständigkeit der europäischen Gerichte und eine Zuständigkeit auch der Europäischen Kommission für die Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften der AK.586 D. h., aus der Begründung einer unionalen Bindungswirkung der AarhusKonvention gegenüber den Mitgliedstaaten folgt die Möglichkeit der Sanktionierung ihrer Verletzung mithilfe von Verfahren vor den europäischen Gerichten.587 Es ist zu klären, ob und inwieweit Einzelnen und Umweltvereinichanismus, RdU, 2011, 136 (141); einen möglicherweise „wesentlichen Impuls für die Fortentwicklung des Umweltvölkerrechts“ sieht M. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 8 Rn. 187, der auch auf die in diesem Zusammenhang geäußerte Kritik der US-amerikanischen Delegation während der ersten Vertragsstaatenkonferenz hinweist, vgl. UN ECE / MP.PP / 2 vom 17.12.2002, Annex Rn. 1 ff., wonach diese ausdrücklich einer etwaigen Präzedenzwirkung eines solchen Mechanismus widerspricht. Hierzu nun auch A. Epiney / S. Dilzig / B. Pirker / S. Reitenmeyer, AarhusKonvention, 2018, Einführung Rn. 38. 585  Vgl. noch einmal BVerwG, Urteil vom 05.09.2013 – 7 C 21 / 12 (Luftreinhalteplan Darmstadt), Rn. 33 sowie den Entwurf des Gesetzes zur Anpassung des UmweltRechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben, BT-Drs. 189526, S. 1, 32, 44. 586  Wenn Art. 9 Abs. 3 AK trotz fehlender sekundärrechtlicher Umsetzung im Bereich des mitgliedstaatlichen Vollzugs integrierender Teil des Gemeinschaftsrechts geworden ist, so folgt daraus zwingend auch, dass die Kommission seine Einhaltung kontrollieren darf, Art. 17 Abs. 1 S. 3 EUV. 587  M. Breuer / S. Riegger, Die Reichweite der Pflicht der EU zur Umsetzung der Aarhus-Konvention, EurUP 2014, 293 (302); zur Bedeutung der Rechtsprechung von EU-Gerichten auch A. Epiney / S. Dilzig / B. Pirker / S. Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Einführung Rn. 40 f.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

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gungen danach nicht nur vor einem EU-Gericht als internationalem Gericht Rechtsschutz gegenüber Maßnahmen im Anwendungsbereich der AK gewährt wird, sondern sie so auch auf die Implementierung der AK einwirken können, da im Falle des Vorliegens von Rechtsverletzungen diesen durch die Mitgliedstaaten nicht nur im Einzelfall abzuhelfen ist, sondern Rechtsverletzungen vielmehr auch für die Zukunft in gleich gelagerten Fällen durch geeignete Maßnahmen – d. h. die vollständige Umsetzung der Rechtspositionen Einzelner und Gruppen im jeweiligen nationalen Recht – verhindert werden müssen. Bei seiner Rechtsprechung hat der EuGH bzw. das Gericht erster Instanz nach hier vertretener Ansicht die Auslegungspraxis des ACCC zu berücksichtigen. Im Interesse einer konsistenten Auslegung der AK auch über den Bereich der EU hinaus sollte er sich gar in äußerster Zurückhaltung hinsichtlich Abweichungen von der Praxis des ACCC üben. Bei der weiteren Betrachtung ist zwischen der gemeinschaftseigenen Verwaltung [aa)] und dem mitgliedstaatlichen Vollzug von Unionsrecht [bb)] zu unterscheiden. aa) Rechtsschutz vor EU-Gerichten gegen Maßnahmen der EU im gemeinschaftseigenen Vollzug Die Fähigkeit Einzelner und Gruppen, die Implementierung und dezentrale Durchsetzung der Aarhus-Konvention auch im Bereich des gemeinschafts­ eigenen Vollzugs vor europäischen Gerichten zu fördern, hängt davon ab, inwieweit ihnen hier Zugänge eröffnet sind. Zwar ist grundsätzlich auch Einzelnen und Umweltvereinigungen588 gegenüber Maßnahmen des gemeinschaftseigenen Vollzugs das Verfahren der Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV eröffnet. Blendet man zunächst einmal die möglicherweise aus Art. 9 AK fließenden Anforderungen auch an den primärrechtlich gewährleisteten Rechtsschutzzugang aus, so ist aber festzustellen, dass es trotz vorsichtiger Weiterungen der Rechtsprechung des EuGH zur Klagebefugnis nicht-privilegierten Individualklägern, also Einzelnen und Umweltvereinigungen, gleichwohl durch die weitgehende Aufrechterhaltung der sog. „Plaumann-Formel“ hinsichtlich der im gemeinschaftseigenen Vollzug erlassenen Rechtsakte mit Bedeutung für die Umwelt regelmäßig an der notwendigen individuellen Betroffenheit und damit auch an der Klagebefugnis für eine Nichtigkeitsklage fehlt. Entsprechend der nach wie vor gültigen589 Rechtsprechung des EuGH stellt das Verfahren der Nichtigkeitsklage deshalb 588  Zu den Voraussetzungen für die aktive Parteifähigkeit von Umweltvereinigungen als juristische Personen i. S. v. Art. 263 Abs. 4 AEUV W. Cremer, in: C. Calliess / M. Ruffert, EUV / AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 263 Rn. 27. 589  Ob diese Rechtsprechung auch mit den Verpflichtungen der EU aus der Aarhus-Konvention vereinbar ist, wird noch zu untersuchen sein. Siehe hierzu Zweiter Teil, B. III. 2. b) aa) (2) sowie Zweiter Teil, B. IV. 3. c) bb). Hier geht es zunächst

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für natürliche oder juristische Personen regelmäßig keinen unmittelbar offen stehenden Weg dar, auf eine Implementierung der Verpflichtungen der Union aus der AK hinzuwirken. Hiervon abweichend dürften lediglich Klagen gegen Ablehnungen von Anträgen betreffend Umweltinformationen regelmäßig möglich sein, da hier die Kläger unmittelbar Adressaten einer ablehnenden Entscheidung und deshalb auch unmittelbar und individuell betroffen sind.590 In Kenntnis und aufgrund der restriktiven Rechtsprechung des EuGH zur Klagebefugnis natürlicher und juristischer Personen hat die EU mit dem Erlass der sog. Aarhus-Verordnung Nr. 1367 / 2006 / EG591 (AK-VO) und speziell in deren Art. 10–13 zur Umsetzung von Art. 9 AK eine weitere Möglichkeit der Kontrolle von Rechtsakten im Bereich des unionseigenen Verwaltungsvollzuges eröffnet. Sie steht allerdings gem. Art. 10 Abs. 1 i.  V. m. Art. 11 AK-VO nur bestimmten Nichtregierungsorganisationen, nicht aber auch natürlichen Personen offen. Die erfassten Vereinigungen können Antrag auf die Überprüfung von Verwaltungsakten oder dessen Unterlassen bei den jeweils für die Vornahme zuständigen Organen oder der Einrichtung der Gemeinschaft stellen. Wird der Antrag nicht im Sinne der Antragsteller beschieden oder führt das Organ oder die Stelle die Überprüfung nicht entsprechend der Anforderungen von Art. 10 durch, so ist für Nichtregierungsorganisation laut Art. 12 AK-VO, vorbehaltlich der Bestimmungen des Art. 263 Abs. 4 AEUV, der Weg einer Nichtigkeitsklage beim EuGH eröffnet. Seiner Konzeption nach erinnert das Verfahren stark an das nach deutschem Verwaltungsprozessrecht als Prozessvoraussetzung durchzuführende Widerspruchsverfahren gem. §§ 68 ff. VwGO.592 Nicht abschließend geklärt ist aber, ob ein solches Verfahren überhaupt sekundärrechtlich eingeführt werden durfte bzw. die beabsichtigten Wirkungen erzielt,593 da es letztlich den Zweck hat, nur darum, die der Rechtspraxis nach Einzelnen und Umweltvereinigungen zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten auf europäischer Ebene aufzuzeigen. 590  Hiervon wiederum abweichend dürfte ein Widerspruchsverfahren erforderlich sein, wenn etwa eine Umweltvereinigung gegen die Ablehnung eines von einem Dritten gestellten Informationsantrags vorgehen möchte, vgl. Art. 10, 12 AK-VO. Zu dieser sogleich. 591  Verordnung (EG) Nr. 1367 / 2006 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 06.09.2006 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Århus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft, Abl. EU L 264 / 13. 592  A. Guckelberger, Die EG-Verordnung zur Umsetzung der Aarhus-Konvention auf der Gemeinschaftsebene, NuR 2008, 78 (85). 593  Vgl. die Zweifel etwa bei M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (202 f.); E. Rehbinder, Die Aarhus-Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs und die Verbandsklage gegen Rechtsakte der Europäischen Union, EurUP 2012,



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trotz der engen Anforderungen des Art. 263 Abs. 4 AEUV in der Rechtsprechung des EuGH aufgrund eines abschlägig beschiedenen Antrags auf Überprüfung einer Gemeinschaftshandlung eine individuelle Betroffenheit einer Nichtregierungsorganisation und damit eine Klagebefugnis zu begründen. Die hier zunächst in Grundzügen präsentierte bisherige Implementierung von Art. 9 AK durch die EU für den Bereich des gemeinschaftseigenen Verwaltungsvollzuges ist näher auszuführen [(1)]. Angesichts der bereits angedeuteten Zweifel an der Gangbarkeit des durch die EU mit der AK-VO gewählten Weges wird darüber hinaus zu klären sein, welche Wirkungen die Regelungen des Art. 9 AK im Gemeinschaftsrecht entfalten und so möglicherweise auf die bislang restriktive Rechtsprechung des EuGH zum Zugang Einzelner und Umweltvereinigungen zu Gerichten in Umweltangelegenheiten zurückwirken [(2)]. Schließlich könnten auch die Wirkungen weiterer Vorschriften der AK im EU Recht Möglichkeiten der Einwirkung auf ihre vollständige Umsetzung vor EU-Gerichten eröffnen [(3)]. (1) Implementierung von Art. 9 AK im Unionsrecht Anders als Art. 9 Abs. 2 AK, dem durch die Anknüpfung seines sachlichen Anwendungsbereichs an umweltrelevante Tätigkeiten nach Art. 6 AK594 und angesichts der Aufteilung der Verwaltungskompetenzen zwischen Europäischer Union und Mitgliedstaaten ausschließlich für den mitgliedstaatlichen Vollzug von Gemeinschaftsrecht sowie die Ausführung nationalen Umweltrechts Bedeutung zugemessen wurde,595 besitzt Art. 9 Abs. 3 AK mit seiner weiten Formulierung potentieller Anfechtungsgegenstände sowohl für den mitgliedstaatlichen als auch den gemeinschaftseigenen Vollzug umweltrechtlicher Vorschriften potentiell erhebliche Relevanz.596 Nach Art. 9 Abs. 3 AK 23 (26); M. Pallemaerts, Access to Environmental Justice at EU Level, in: ders., The Aarhus Convention at Ten, 2011, 271 (295 f.); differenzierend J. Kokott / C. Sobotta, Rechtsschutz im Umweltrecht, DVBl 2014, 132 (136). 594  Siehe hierzu auch unten: Zweiter Teil, B. IV. 3. b) bb) (2). 595  E. Rehbinder, Die Aarhus-Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs und die Verbandsklage gegen Rechtsakte der Europäischen Union, EurUP 2012, 23 (24); A. Guckelberger, Die EG-Verordnung zur Umsetzung der Aarhus-Konvention auf der Gemeinschaftsebene, NuR 2008, 78 (84). 596  A. Guckelberger, Die EG-Verordnung zur Umsetzung der Aarhus-Konvention auf der Gemeinschaftsebene, NuR 2008, 78 (84); M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (187). Vgl. allerdings insoweit die abweichende Ansicht der beschwerdeführenden Vereinigung in ACCC / C / 2008 / 32 (EU) (Part I), Rn. 47 ff. die auch für Art. 9 Abs. 2 AK einen Anwendungsbereich im gemeinschaftseigenen Vollzug des EU-Rechts gegeben sah. Kritisch auch D. Obradovic, EU Rules on Public Participation in Environmental Decision-Making Operating at the European and Na-

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hat jede Vertragspartei zusätzlich und unbeschadet der in den Absätzen 1 und 2 genannten Überprüfungsverfahren sicherzustellen, „daß Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen, Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen.“ Ohne dass bereits hier der sachliche Verpflichtungsbereich von Art. 9 Abs. 3 AK in seiner Reichweite abschließend geklärt werden soll, kämen als möglicherweise erfasste Handlungen der EU-Kommission neben Beschlüssen über die Zulassung von Wirkstoffen in Pflanzenschutzmitteln und Verordnungen über die zulässigen Gesamtfangmengen im Fischereisektor597 auch Entscheidungen der Kommission über eine Verschiebung des Zeitpunkts des Eintritts der Bindungswirkung von Grenzwerten für Stickstoffdioxid598 in Betracht, gegen die ggf. Rechtsschutzmöglichkeiten zu eröffnen sind. Auch für die Gemeinschaftsebene stellt sich deshalb zunächst die Frage, ob mit den primärrechtlichen Klagemöglichkeiten, namentlich der Möglichkeit der Nichtigkeitsklage gem. Art. 230 Abs. 4 EGV, nicht bereits hinreichende Rechtsschutzmöglichkeiten i. S. d. Art. 9 Abs. 3 AK zur Verfügung standen oder zumindest inzwischen durch das Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages mit der modifizierten Vorschrift des Art. 263 Abs. 4 AEUV bestehen.599 Schon gem. Art. 230 Abs. 4 EGV war es jeder natürlichen und juristischen Person erlaubt, unter den gleichen Voraussetzungen wie die sog. privilegiert klagebefugten Akteure nach den Absätzen 1 und 2 des Artikels 230 EGV sowohl gegen die an sie ergangenen (1. Alt.) sowie gegen diejenigen Entscheidungen Klage zu erheben, die, obwohl sie als Verordnung oder als tional Level, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 149 (159 f.). Hierauf wird noch einmal zurückzukommen sein, siehe Zweiter Teil, B. IV. 3. c) bb). 597  Beispiele bei M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (187). 598  Letzteres Beispiel liegt zugrunde EuG, Urteil vom 14.06.2012  – T-396 / 09 sowie nachfolgend EuGH, Urteil vom 13.01.2015  – C-401 / 12P, C-402 / 12P, C-403 / 12P; zu weiteren möglichen Anwendungsbeispielen aus dem Stoff- und Gentechnikrecht siehe E. Rehbinder, Die Aarhus-Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs und die Verbandsklage gegen Rechtsakte der Europäischen Union, EurUP 2012, 23 (25 f.). 599  Vgl. hierzu ausführlich M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (188 ff.); M. Pallemaerts, Access to Environmental Justice at EU Level, in: ders., The Aarhus Convention at Ten, 2011, 271 (insbes. 291 ff.); H. Schoukens, Access to Justice in Environmental Cases after the Rulings of the Court of Justice of 13 January 2015: Kafka Revisited?, Utrecht Journal of International and European Law 31 (2015), 46 ff. sowie zuletzt L. Krämer, Access to Environmental Justice: the Double Standards of the ECJ, JEEPL 14 (2017), 159 (163 ff.).



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eine an eine andere Person gerichtete Entscheidung ergangen sind, sie unmittelbar und individuell betreffen (2. Alt.). Da in Fällen, in denen Umweltvereinigungen die Verletzung von umweltbezogenen Bestimmungen durch Handlungen der EG-Organe geltend machen wollten, nahezu stets ausschließlich an andere Personen gerichtete Entscheidungen vorlagen, war mithin regelmäßig die unmittelbare und individuelle Betroffenheit des klagenden Einzelnen bzw. der Umweltvereinigung Voraussetzung der Klagebefugnis.600 Insbesondere das Merkmal der individuellen Betroffenheit im Verständnis der bereits erwähnten Plaumann-Entscheidung des EuGH verhinderte in der Folge fast immer die erfolgreiche Geltendmachung einer Klagebefugnis von Umweltvereinigungen im Verfahren der Nichtigkeitsklage.601 Individuell betroffen ist danach nämlich nur, wer durch die angegriffene Vorschrift „wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und ihn daher in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten einer Entscheidung“.602 Die Betroffenheit einer Umweltvereinigung allein in ihren satzungsmäßigen Zielen soll für die Begründung der individuellen Betroffenheit in diesem Sinne danach gerade nicht ausreichen.603 Spätere Vorstöße des EuG oder der Generalanwaltschaft in den Rechtssachen UPA sowie Jégo-Quéré, von dieser restriktiven Linie abzuweichen, wies der EuGH zurück und verwies für weitergehenden Rechtsschutz auf die Möglichkeiten eines Vorgehens vor nationalen Gerichten.604 Vor diesem Hintergrund entschied sich der Gemeinschaftsgesetzgeber zum Erlass der Verordnung 1367 / 2006605 (AK-VO) und dem in deren Art. 10 f. geregelten und bestimmten Umweltvereinigungen zugänglichen internen 600  M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (189). 601  H. Schoukens, Access to Justice in Environmental Cases after the Rulings of the Court of Justice of 13 January 2015: Kafka Revisited?, Utrecht Journal of International and European Law 31 (2015), 46 (47). 602  EuGH, Urteil vom 15.07.1963 – C-25 / 62 (Plaumann / Kommission), Slg. 1963, S. 213 (238). 603  E. Rehbinder, Die Aarhus-Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs und die Verbandsklage gegen Rechtsakte der Europäischen Union, EurUP 2012, 23 (27). Dies wurde spätestens bestätigt durch EuGH, Urteil vom 02.04.1998  – C-321 / 95 P (Greenpeace Council / Kommission), Rn. 28 f.; vorgehend ebenfalls in diesem Sinne EuG, Urteil vom 09.08.1995 – Rs. T-585 / 93, Rn. 47 ff. 604  EuGH, Urteil vom 25.07.2002  – Rs. C-50 / 00 P (Union de Pequeňos Agricultores / Rat), Rn. 41; EuGH, Urteil vom 01.04.2004  – C-263 / 02 P (Jégo Quéré / Kommission), Rn. 31. 605  Verordnung (EG) Nr. 1367 / 2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. September 2006 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Århus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Überprüfungsverfahren für Verwaltungsakte von Unionsorganen nach dem Umweltrecht.606 Art. 12 AK-VO sieht zudem vor, dass Nichtregierungsorganisationen, die das interne Überprüfungsverfahren durchlaufen haben oder mangels Entscheidung des jeweilgen Organs der EU nicht abschließen konnten, Klage beim Gerichtshof nach den Bestimmungen des AEUV erheben können.607 Die schlussendliche Eröffnung des Zugangs zum EuGH für Umweltvereinigungen war dabei ausdrückliches Ziel der AK-VO.608 Bis heute ist jedoch unklar, inwieweit der Gerichtshof bereit sein wird, diesem Ziel tatsächlich Rechnung zu tragen.609 Da – formal betrachtet – Gegenstand eines Rechtsbehelfs nach Art. 12 AK-VO i. V. m. Art. 263 Abs. 4 AEUV lediglich die mit Gründen versehene „schriftliche Antwort“ gem. Art. 10 Abs. 2 AK-VO ist, kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Gerichtshof auch nur bzgl. dieses Klagegegenstands wegen der insoweit gegebenen Adressatenstellung der klagenden Umweltvereinigung einen Antrag im Verfahren der Nichtigkeitsklage als zulässig anerkennt, im Übrigen – d. h. bzgl. der Ausgangsentscheidung der Organe oder Einrichtungen der Union – jedoch am Erfordernis der individuellen Betroffenheit in der Fassung der PlaumannFormel festhält.610 In diesem Fall wäre das Verfahren vor dem Gerichtshof Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft, ABl EU vom 25.09.2006, L 264 / 13. 606  Zur Entstehungsgeschichte der Verordnung siehe M. Pallemaerts, Access to Environmental Justice at EU Level, in: ders., The Aarhus Convention at Ten, 2011, 271 (287 ff.). 607  In Betracht kommen sowohl die Erhebung einer Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV als auch der Untätigkeitsklage nach Art. 265 Abs. 3 AEUV. Im Fließtext soll hier vereinfachend nur auf die Nichtigkeitsklage eingegangen werden. Die Ausführungen gelten entsprechend aber auch für die Untätigkeitsklage. 608  Vgl. insbesondere Erwägungsgrund 19 der AK-VO sowie KOM(2003) 622 endgültig, S. 17 f.; B. Pirker, Access to Justice in Environmental Matters and the Aarhus Convention’s Effects in the EU legal order, RECIEL 2016, 81 (86 f.). 609  Dies übersehen B. Goby, Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten im Lichte der Aarhus-Konvention, 2015, S. 248, 287, 288 sowie S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 416, die offensichtlich davon ausgehen, dass die Adressierung der schriftlichen Antwort nach Art. 10 Abs. 2 AK-VO ohne weiteres auch die Kontrolle des Ausgangsverwaltungsakts im Rahmen des Verfahrens nach Art. 12 AK-VO i. V. m. Art. 263 Abs. 4 AEUV ermöglichen wird. Zu den Stimmen, welche die hiesigen Zweifel teilen, siehe bereits Fn. 593. 610  M. Pallemaerts, Access to Environmental Justice at EU Level, in: ders., The Aarhus Convention at Ten, 2011, 271 (295 f.); E. Rehbinder, Die Aarhus-Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs und die Verbandsklage gegen Rechtsakte der Europäischen Union, EurUP 2012, 23 (27 f.); M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (203). Zwar war auch EuG, Urteil vom 14.06.2012 – T-396 / 09, ausschließlich auf die Kontrolle der „schriftlichen Antwort“ nach Art. 10 Abs. 2 AK-VO gerichtet, nicht also auf die Kontrolle des Ausgangsverwaltungsakts, nichtsdestotrotz



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

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letztlich nur auf die prozessuale Absicherung der nach Art. 10 f. AK-VO eingräumten prozeduralen Rechte von Umweltvereinigungen, nicht aber auf eine materielle und verfahrensrechtliche Kontrolle der Ausgangsentscheidungen gerichtet. Eine Entscheidung des Gerichtshofs zu dieser Frage steht weiterhin aus.611 Hinzu kommt, dass mit der Begrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs des Überprüfungsverfahrens in Art. 10 AK-VO auf Verwaltungsakte612 gerade die auf Unionsebene häufig praktizierte Form konkret-genereller Entscheidungen jedenfalls nach dem engen Verständnis der Kommission gar nicht erfasst wird und damit wesentliche umwelt- und biodiversitätsrelevante Handlungen im unionseigenen Vollzug von vorne herein nicht über diesen Umweg zum Gegenstand gerichtlicher Kontrolle gemacht werden können.613 Währenddessen behielt der Gerichtshof aber auch im Übrigen seine restriktive Linie bei der Auslegung des Merkmals der individuellen Betroffenheit bei. Trotz der bestehenden Spielräume im Wortlaut des Art. 230 Abs. 4 EG wich er von seiner bisherigen Rechtsprechung auch nach Inkrafttreten der Aarhus-Konvention nicht zugunsten einer konventionskonformen Aus­ legung der Vorschrift ab.614 Auch soweit durch den Lissabonner Vertrag in kann der Verweis des Gerichts auf die Geltung der Anforderungen des Art. 230 Abs. 4 EGV bzw. heute Art. 263 Abs. 4 AEUV durchaus im Sinne der vorgehend zitierten Ansicht verstanden werden, so auch H. Schoukens, Access to Justice in Environmental Cases after the Rulings of the Court of Justice of 13 January 2015: Kafka Revi­ sited?, Utrecht Journal of International and European Law 31 (2015), 47 (54); J. H. Jans / H. H. B. Vedder, European Environmental Law, 4. Aufl. 2012, S. 249 f. 611  Siehe aber nun ACCC / C / 2008 (EU) (Part II), Rn. 118 f., wo das ACCC deutlich macht, dass eine entsprechend restriktive Deutung durch den EuGH zur Unvereinbarkeit des Überprüfungsverfahrens mit den Vorgaben von Art. 9 Abs. 3 AK führen würde. 612  Gem. Art. 2 lit. g) VO 1367 / 2006 sind Verwaltungsakte „jede Maßnahme des Umweltrechts zur Regelung eines Einzelfalls, die von einem Organ oder einer Einrichtung der Gemeinschaft getroffen wird, rechtsverbindlich ist und Außenwirkung hat“. 613  Kritisch gegenüber der Beschränkung der AK-VO auf Verwaltungsakte E. Rehbinder, Die Aarhus-Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs und die Verbandsklage gegen Rechtsakte der Europäischen Union, EurUP 2012, 23 (24 f.) mit zahlreichen Beispielen; für mit Art. 9 Abs. 3 AK vereinbar hielt dagegen die Beschränkung A. Guckelberger, Die EG-Verordnung zur Umsetzung der Aarhus-Konvention auf der Gemeinschaftsebene, NuR 2008, 78 (85). 614  Siehe insbesondere EuGH, Beschluss vom 05.05.2009  – C-355 / 08 P, Slg. 2009, I-73 (WWF-UK / Rat) und hierzu M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (194). Vorgehend EuG, Beschluss vom 02.06.2008 – T-91 / 07 und hierzu M. Till, Individual- und Verbandsklagebefugnisse gegen Rechtsakte der Gemeinsamen Europäischen Fischereipolitik, ZUR 2009, 194 ff. Gestützt wird der EuGH in seiner Fortführung der Rechtsprechung etwa auch durch einzelne Entscheidungen des

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Art. 263 Abs. 4 Alt. 3 AEUV eine Änderung der Regelung über die Nichtigkeitsklage vorgenommen wurde, die den Zugang auch für Umweltvereinigungen zum EuGH hätte potentiell vereinfachen können, ist eine klare Ausweitung des Gerichtszugangs gegen Rechtsakte im gemeinschaftseigenen Vollzug des Umweltrechts der Union bislang ausgeblieben.615 Danach ist die Nichtigkeitsklage nun zusätzlich für jede natürliche oder juristische Person auch ohne die im Verständnis der Plaumann-Formel zum unüberwindlichen Hindernis gewordene Anforderung der individuellen Betroffenheit gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter eröffnet, soweit diese sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen. Zwar hat der EuGH inzwischen entschieden, dass unter den Begriff der „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ keine Legislativ-, im Übrigen aber alle Rechtsakte abstrakter Geltung fallen616 und insoweit durchaus einen weiten Anwendungsbereich der Vorschrift anerkannt.617 Unklar ist aber, ob diese potentielle Weiterung des Rechtsschutzes letztlich nicht doch an einem engen Verständnis des Begriffs der unmittelbaren Betroffenheit scheitern wird.618 EuG, das die Rechtsprechungspraxis als mit den Anforderungen des Art. 9 Abs. 3 AK in Einklang sieht, EuG, Beschluss vom 01.07.2008, Rs. T-37 / 04 (Região autonoma dos Açores / Rat), hierzu H. Schoukens, Access to Justice in Environmental Cases after the Rulings of the Court of Justice of 13 January 2015: Kafka Revisited?, Utrecht Journal of International and European Law 31 (2015), 47 (49) sowie Rehbinder, Die Aarhus-Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs und die Verbandsklage gegen Rechtsakte der Europäischen Union, EurUP 2012, 23 (28). 615  Zurückhaltend hinsichtlich der Annahme einer Verbesserung der Klagemöglichkeiten für Umweltvereinigungen jedoch bereits M. Pallemaerts, Access to Environmental Justice at EU Level, in: ders., The Aarhus Convention at Ten, 2011, 271 (293). 616  EuGH, Urteil vom 03.10.2013 – C-583 / 11 P (Inuit Tapiriit Kanatami u. a. / Europäisches Parlament u. Rat), Rn. 60; EuG, Urteil vom 25.10.2011 – T-262 / 10, (Microban International and Microban (Europe) / Kommission), Rn. 21 f.; für den Ausschluss von Legislativakten aus dem Begriff der Rechtsakte mit Verordnungscharakter auch die h. M. in der Literatur, siehe nur E. Rehbinder, Die Aarhus-Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs und die Verbandsklage gegen Rechtsakte der Europäischen Union, EurUP 2012, 23 (30) m. w. N., der auch darauf hinweist, dass dies mit der AK vereinbar ist, da nach dem dortigen Art. 2 Nr. 2 ebenfalls legislative Handlungen ausgenommen werden. So tendenziell auch – wenn auch auf die Notwendigkeit der autonomen Bestimmung der Begriffe der AK hinweisend M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (199). 617  H. Schoukens, Access to Justice in Environmental Cases after the Rulings of the Court of Justice of 13 January 2015: Kafka Revisited?, Utrecht Journal of International and European Law 31 (2015), 47 (64). 618  So E. Rehbinder, Die Aarhus-Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs und die Verbandsklage gegen Rechtsakte der Europäischen Union, EurUP 2012, 23 (31); B. Goby, Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten im Lichte der Aarhus-Konvention, 2015, S. 273 f.; skeptisch auch M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umwelt-



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Zuletzt hatte der EuGH hier eine äußerst restriktive Linie zu erkennen gegeben.619 Vorläufig ist mithin festzuhalten, dass nach der derzeitigen Rechtsprechung des EuGH Umweltvereinigungen und Individuen lediglich eine theoretische Möglichkeit besitzen gegen umweltrelevante Handlungen der Unionsorgane unmittelbar vor dem EuGH vorzugehen, praktisch der Zugang aber verschlossen ist. Zwar bietet die AK-VO zumindest bestimmten Umweltvereinigungen einen Zugang zu einem internen Überprüfungsverfahren gegen „Ver­ waltungsakt(e) nach dem Umweltrecht“ bzw. deren Unterlassung und ggf. – woran jedoch Zweifel angebracht sind – auch weitergehend immerhin einen Umweg zum EuGH. Untersuchungen zufolge hat aber jedenfalls das interne Verfahren bis zuletzt zu keiner einzigen Abhilfe geführt, soweit ein Überprüfungsverfahren nicht ohnehin als unzulässig abgelehnt wurde.620 (2) Implementierungsunabhängige Wirkungen von Art. 9 AK im Unionsrecht Vor diesem Hintergrund stellt sich mit Blick auf Art. 9 AK, insbesondere für dessen Abs. 3, die Frage, inwieweit die vorgenannte Rechtsprechung und die damit einhergehende Begrenzung des Zugangs zum EuGH für Einzelne und Umweltvereinigungen hiermit im Einklang stehen. Da es hier um die implementationsunabhängigen Wirkungen der Konvention geht, bleiben die Aussagen des ACCC über die Erfordernisse der Vorschriften zunächst außer Betracht, soweit sie sich auf Umsetzungsdefizite beziehen.621

verbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (201); H. Schoukens, Access to Justice in Environmental Cases after the Rulings of the Court of Justice of 13 January 2015: Kafka Revisited?, Utrecht Journal of International and European Law 31 (2015), 47 (64). Siehe hierzu EuG, Urteil vom 25.10.2011  – T-262 / 10, (Microban International and Microban (Europe) / Kommission) und hierzu jetzt auch ACCC / C / 2008 (EU) (Part II), Rn. 71 ff. 619  Vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 03.10.2013  – C-583 / 11 P (Inuit Tapiriit Kanatami u. a. / Europäisches Parlament u. Rat), Rn. 16 f.; hierzu jetzt auch ACCC / C / 2008 (EU) (Part II), Rn. 68 ff. 620  Siehe M. Pallemaerts, Access to Environmental Justice at EU Level, in: ders. The Aarhus Convention at Ten, 2011, 271 (281 ff.); H. Schoukens, Access to Justice in Environmental Cases after the Rulings of the Court of Justice of 13 January 2015: Kafka Revisited?, Utrecht Journal of International and European Law 31 (2015), 47 (51). 621  Zur Bestimmung der normativen Inhalte des Art. 9 Abs. 3 AK durch das ACCC siehe unten: Zweiter Teil, B. IV. 3. c).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

(a) Art. 9 Abs. 1 AK und Art. 9 Abs. 2 AK Wie bereits einleitend erwähnt,622 ist der Zugang zu Gericht wegen der Ablehnung von Informationsbegehren auch unter der restriktiven Rechtsprechung des EuGH bereits über Art. 230 Abs. 4 AEUV gewährleistet.623 Auf die Wirkungsweise von Art. 9 Abs. 1 AK im EU-Recht kommt es deshalb insoweit nicht an. Ebenfalls nicht näher betrachtet wird auf dieser Ebene Art. 9 Abs. 2 AK, da dieser lediglich Rechtsschutz gegen Handlungen im Anwendungsbereich von Art. 6 AK fordert und solche (ganz überwiegend) nicht im Eigenvollzug der Union stattfinden.624 (b) Art. 9 Abs. 3 AK Angesichts der jedenfalls bestehenden Zweifel an der Konventionskonformität des Gerichtszugangs in Umweltangelegenheiten im Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 AK stellt sich jedoch die Frage, ob Einzelne und Umweltvereinigungen sich vor dem EuGH auf Wirkungen von Art. 9 Abs. 3 AK im EU-Recht berufen können, um eine Erweiterung des Gerichtszugangs gegen Maßnahmen des gemeinschaftseigenen Vollzugs zu erreichen. Dies wäre zum einen möglich, wenn Art. 9 Abs. 3 AK vor dem EuGH unmittelbar anwendbar wäre [(aa)] oder zumindest als Prüfungsmaßstab für die Kontrolle von EU-Recht durch den EuGH taugte [(bb)]. Schließlich könnte zumindest für den EuGH eine Verpflichtung zur völkerrechtskonformen Auslegung des der Umsetzung der AK dienenden EU-Rechts bestehen [(cc)]. Fehlt es an diesen Wirkungen, könnte zwar mithilfe der an späterer Stelle erfolgenden inhaltlichen Untersuchung von Art. 9 Abs. 3 AK noch belegt werden, dass die EU konventionswidrig agiert und zur Anpassung ihres Rechts völkerrechtlich verpflichtet ist. Die Umsetzung dieser Verpflichtung könnte jedoch durch Einzelne und Umweltvereinigungen nicht vor EU-Gerichten angestoßen werden.

622  Vgl.

bereits oben: Zweiter Teil, B. III. 2. b) aa). auch A. Epiney, Zu den Anforderungen der Aarhus-Konvention an das europäische Gemeinschaftsrecht, ZUR Sonderheft 2003, 176 (181); vgl. auch M. Pallemaerts, Access to Environmental Justice at EU Level, in: ders. The Aarhus Convention at Ten, 2011, 271 (294). 624  Siehe zu möglichen Ausnahmen A. Epiney, Zu den Anforderungen der AarhusKonvention an das europäische Gemeinschaftsrecht, ZUR Sonderheft 2003, 176 (180) sowie unten, Zweiter Teil, B. IV. 3. c) bb) (3). 623  So



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

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(aa) Unmittelbare Anwendbarkeit Wie bereits im ersten Teil dieser Arbeit erläutert,625 ermöglicht es die unmittelbare Anwendbarkeit einer völkerrechtlichen Vorschrift im unionsund nationalstaatlichen Recht den durch die Norm Berechtigten, sich vor unions- und mitgliedstaatlichen Gerichten unmittelbar auf diese zu berufen und verpflichtet das Gericht diese unmittelbar bei seiner Entscheidung anzuwenden. Diese Wirkungsweise ist für Fälle von Bedeutung, in denen es an einer Umsetzung völkerrechtlicher Normen vollständig fehlt oder diese jedenfalls fehlerhaft erfolgt ist. Die Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit ist nicht nur eine rechtstechnische. Da ihre Annahme dazu führt, dass ein Unterlassen des Gesetzgebers ersetzt oder eine Handlung korrigiert wird, hat sie aus innerstaatlicher Sicht erhebliche Bedeutung für die Gewaltenteilung und das Prinzip des Gesetzesvorbehalts.626 Die Annahme unmittelbarer Anwendbarkeit kann diese Prinzipien überspielen, um dem Wirkungsanspruch völkerrechtlicher Normen zur Durchsetzung zu verhelfen. Ihre Ablehnung kann dagegen die innerstaatliche Gewaltenteilung wahren – allerdings um den Preis einer ggf. dauerhaften Unwirksamkeit völkerrechtlicher Normen im nationalen bzw. supranationalen Rechtskreis. Der EuGH hatte über die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 9 Abs. 3 AK in der Rechtssache Slowakischer Braunbär zu entscheiden, nachdem sich eine slowakische Umweltvereinigung zur Begründung ihrer Klagebefugnis vor einem slowakischen Gericht unmittelbar auf Art. 9 Abs. 3 AK berufen hatte, und dieses den Gerichtshof im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV anrief.627 Nach der Rechtsprechung des EuGH ist von einer unmittelbaren Anwendbarkeit einer völkerrechtlichen Norm auszugehen, wenn sie ihrem Wortlaut nach und im Hinblick auf den Zweck und die Natur eines Übereinkommens eine klare und präzise Verpflichtung enthält, deren Erfüllung und deren Wirkungen nicht vom Erlass eines weiteren Rechtsakts abhängen.628 Danach scheint der Gerichtshof die innergemeinschaftlichen Folgen einer unmittelbaren Anwendbarkeit gar nicht in den Blick zu nehmen. Die zuletzt genannte Anforderung, die geforderte Unbedingtheit der Norm und auch ihre hinreichende Bestimmtheit, sah der 625  Siehe

hierzu bereits oben: Erster Teil, C. III. 2. bereits ebenfalls oben: Erster Teil, C. III. 2. b). 627  EuGH, Urteil vom 08.03.2011 – C-240 / 09 (Slowakischer Braunbär), Rn. 20 ff., insbesondere Rn. 22. 628  EuGH, Urteil vom 08.03.2011  – C-240 / 09 (Slowakischer Braunbär), Rn. 44 m. w. N. Nach J. H. Jans, Who is the referee? Access to Justice in a Globalised Legal Order, Review of European Administrative Law, 4 (2011), 87 (95) wurde diese Rechtsprechung auf einen umweltvölkerrechtlichen Vertrag erstmals angewandt in EuGH, Urteil vom 15.07.2004 – C-213 / 03 (Pêcheurs de l’étang de Berre). 626  Hierzu

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

EuGH jedoch im Falle von Art. 9 Abs. 3 AK nicht als gegeben. Obwohl sich Art. 9 Abs. 3 AK auch nach Ansicht des Gerichtshofs trotz seiner allgemeinen Formulierung das Ziel der Gewährleistung eines effektiven Umweltschutzes entnehmen lasse,629 solle die Vorschrift wegen des gleichwohl den Vertragsstaaten für die Zielerreichung eingeräumten Spielraums nicht die notwendige klare und präzise Verpflichtung enthalten, welche die rechtliche Situation Einzelner unmittelbar regeln könnte.630 Da den Vertragsstaaten die Entscheidung über diejenigen Kriterien belassen sei, die Mitglieder der Öffentlichkeit erfüllen müssen, um Zugang zu Gerichten nach Art. 9 Abs. 3 AK zu erhalten,631 bedürfe die Durchführung der Vorschrift vielmehr des Erlasses eines weiteren Rechtsaktes.632 In der Vergangenheit hatte der EuGH zwar die unmittelbare Anwendbarkeit von Normen auch dann anerkannt, wenn noch festzulegende Kriterien lediglich in eng begrenztem Umfang verfahrensrechtliche Fragen betrafen.633 Angesichts des materiell-rechtlichen Charakters und der Weite der vorliegend den Vertragsstaaten überlassen Fragen hatte aber auch GA Sharpston die Annahme einer Ausnahme vorliegend richtigerweise abgelehnt.634 Bereits hier lässt sich deshalb auch feststellen, dass auch im nationalen Recht eine unmittelbare Anwendung der Norm ausscheidet.635 In diesem Punkt636 hat die Entscheidung des EuGH fast ausschließlich Zustimmung erhalten.637 Aus ihr folgt, dass einzelne sich vor Gericht nicht unmit629  EuGH,

Urteil vom 08.03.2011 – C-240 / 09 (Slowakischer Braunbär), Rn. 46. Urteil vom 08.03.2011 – C-240 / 09 (Slowakischer Braunbär), Rn. 45. 631  Vgl. Art. 9 Abs. 3 AK: „[…] etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen […]“. 632  EuGH, Urteil vom 08.03.2011 – C-240 / 09 (Slowakischer Braunbär), Rn. 45. 633  EuGH, Urteil vom 08.05.2003  – C-438 / 00, Slg. 2003, I-4135-4174, Rn. 29 sowie Urteil vom 12.04.2005 – C-265 / 03, Slg. 2005, I-2579-2612, Rn. 24 f. 634  GA E. Sharpston, Schlussanträge vom 15.07.2010 – C-240 / 09, Rn. 90. 635  Soweit ersichtlich hatten deutsche Verwaltungsgerichte eine solche Anwendung vor dem Urteil des EuGH nicht auch nur erwogen. Im Nachgang folgte man dem EuGH dann jedenfalls in der Ablehnung der unmittelbaren Anwendung, vgl. die Nachweise bei R. Klinger, Erweiterte Klagerechte im Umweltrecht?, NVwZ 2013, 850 (850, Fn. 1); für Frankreich vgl. J. Bétaille, The direct effect of the Aarhus Convention as seen by the French „Conseil d’Etat“, elni 2009, 63 (69) sowie J. Jendrośka, Public Participation in Environmental Decision-Making, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 91 (109) mit Verweisen auch auf die Rechtsprechung in Polen und Tschechien. 636  Zur kompetenzbezogenen Kritik an der Einbeziehung von Art. 9 Abs. 3 AK in das Unionsrecht und der Annahme einer Auslegungskompetenz des Gerichtshofs siehe bereits oben: Zweiter Teil, B. III. 1. a) bb). 637  Siehe nur J. Berkemann, Der slowakische Braunbär im deutschen Prozessrecht, DVBl 2013, 1137 (1140); U. Seifert, Fortschritte beim Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten nach Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention?, ZEuS 2013, 49 (65); J. H. Jans, Who is the referee? Access to Justice in a Globalised Legal Order, Review of European Administrative Law, 4 (2011), 87 (96); F. Schoch, Verwaltungsgerichtsbarkeit, 630  EuGH,



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telbar auf Art. 9 Abs. 3 AK berufen können, um etwa ihre Klagebefugnis gegen Maßnahmen im gemeinschaftseigenen Vollzug des Umweltrechts zu begründen, die Einbeziehung bestimmter Klagegegenstände in die gericht­ liche Prüfung zu fordern und die Anwendung eines Art. 9 Abs. 3 AK zu entnehmenden Prüfungsmaßstabes zu erreichen. Insoweit bleibt die Entscheidung darüber, Art. 9 Abs. 3 AK Geltung zu verleihen, beim EU-Gesetzgeber. (bb) Tauglichkeit von Art. 9 Abs. 3 AK als Kontrollmaßstab für EU-Recht Auch wenn eine unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 9 Abs. 3 AK in dem Sinne nicht gegeben ist, dass sich Einzelne oder Umweltvereinigungen vor nationalen oder Gemeinschaftsgerichten auf die Norm berufen können, stellt sich dennoch weitergehend die Frage, ob Art. 9 Abs. 3 AK nicht zumindest von den Gerichten selbst als Teil objektiven Rechts als Maßstab für die Prüfung der Gültigkeit innerstaatlichen bzw. -gemeinschaftlichen Rechts herangezogen werden kann und muss.638 Soweit ersichtlich ist diese Differenzierung bislang nur für das Unionsrecht diskutiert worden. In Ansehung fehlender speziellerer Vorgaben des europäischen Sekundärrechts für die Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 3 AK und des weitgehenden Fehlens einer gesetzlichen Umsetzung in zahlreichen Vertragsparteien, da­ runter insbesondere auch in Deutschland, stellt sich die Frage aber genauso auch für die nationalen Rechtsordnungen. Da ihre Beantwortung sich jedoch quo vadis?, VBlBW 2013, 361 (367); grundsätzlich so auch K. F. Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (5, 7); wohl auch C. Franzius, Stärkungen des Verfahrensrechtsschutzes im Umweltrecht, EurUP 2014, 283 (284 f.), der zwar keine ausdrückliche Bewertung vornimmt, die Entscheidung des EuGH insoweit aber zur Grundlage seiner Ausführungen macht; F. Bruckert, Die Ausweitung der Klagebefugnis im Umweltrecht, NuR 2015, 541 (543) der jedoch fälschlicherweise mehrere Entscheidungen deutscher Verwaltungsgerichte als Bsp. für die Annahme einer unmittelbaren Wirkung von Art. 9 Abs. 3 AK angibt. Auch hier wurde jedoch nur die str. völkerrechtskonforme Auslegung nationalen Rechts vorgenommen; bereits zuvor im Sinne der EuGH-Entscheidung GA E. Sharpston, Schlussanträge vom 15.07.2010  – C-240 / 09 Rn. 84 ff.; S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 247. Kritisch jedoch L. Krämer, Comment on Case C-240 / 09 Lesoochranárske zoskupenie VLK: Access to Justice in Environmental Matters: New Perspectives, Journal of European Environmental and Planning Law (2011), 445 (447), der kritisiert, dass auch gegenüber denjenigen Staaten nicht von einer unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 9 Abs. 3 AK ausgegangen wird, die von dem ihnen eingeräumten Umsetzungsspielraum keinen Gebrauch gemacht haben. J. Kokott / C. Sobotta, Rechtsschutz im Umweltrecht, DVBl 2014, 132 (135) erwägen zudem eine unmittelbare Anwendbarkeit, soweit der dem nationalen Spielraum unterliegende Aspekt bereits gesetzlich geregelt wurde. 638  B. Pirker, Access to Justice in Environmental Matters and the Aarhus Convention’s Effects in the EU legal order, RECIEL, 2016, 81 (82).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

nicht allein aus Art. 9 Abs. 3 AK ergibt, sondern vielmehr mit der Fähigkeit und Bereitschaft der jeweiligen Rechtsordnung zur Öffnung für Einwirkungen des Völkerrechts abhängt,639 soll sie hier für das nationale (deutsche) und das europäische Recht getrennt voneinander vorgenommen werden.640 Die Frage nach der Maßstabsfunktion einer völkerrechtlichen Norm stellt sich im Unionsrecht mit Blick auf die Aarhus-Konvention nur gegenüber gemeinschaftsrechtlichem Sekundärrecht. Hinsichtlich primärrechtlicher Normen kommt dagegen allenfalls eine Verpflichtung zur völkerrechtskonformen Auslegung in Frage.641 Da in das Unionsrecht einbezogenen Normen nach der Rechtsprechung des EuGH ein Geltungsrang oberhalb des sekundären Europarechts zukommt,642 können völkerrechtliche Normen grundsätzlich als Maßstab ihrer Kontrolle dienen. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist jedoch neben der Höherrangigkeit einer völkerrechtlichen Norm weiterhin Voraussetzung für ihre Maßstabsfunktion, dass dieser Funktion Art und Struktur des völkerrechtlichen Vertrages nicht entgegenstehen und die Vorschriften inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind.643 Dies aber entspricht den Anforderungen für die Annahme der unmittelbaren Anwendbarkeit völkervertragsrechtlicher Normen im Unionsrecht, die der EuGH in der Rechtssache Slowakischer Braunbär hinsichtlich Art. 9 Abs. 3 AK gerade abgelehnt hatte.644 Der EuGH behandelt damit regelmäßig den Fall, dass sich ein Einzelner vor einem Gericht unmittelbar auf eine völkerrechtliche Norm beruft, in gleicher Weise, wie den Fall, dass ein Gericht selbst die Gültigkeit einer sekundärrechtlichen Norm 639  Zur Relevanz der richterlichen Haltung gegenüber dem Völkerrecht siehe auch GA N. Jääskinen, Schlussanträge vom 08.05.2014  – C-401 / 12, Rn. 28, dortige Fn. 21. 640  Für das nationale Recht vgl. Zweiter Teil, B. III. 2. b) bb). 641  Vgl. dazu unten: Zweiter Teil, B. III. 2. b) aa) (2) (b) (cc). 642  Siehe hierzu bereits oben unter Zweiter Teil, B. III. 1. a) aa) sowie auch ACCC / C / 2005 / 17 (European Community), Rn. 35. 643  EuGH, Urteil vom 03.06.2008  – C-308 / 06 (Intertanko), Rn. 45; EuGH, Urteil vom 09.09.2008 – C-120 / 06 P und C-121 / 06 P (FIAMM u. a. / Rat und Kommission), Rn. 110; zuletzt auch EuG, Urteil vom 14.06.2012  – T-396 / 09, Rn. 53; EuGH, Urteile vom 13.01.2015  – C-401 / 12 P, C-402 / 12 P, C-403 / 12 P (Rat u. a. / Vereniging Milieudefensie und Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht), Rn. 54 sowie C-404 / 12 P, C-405 / 12 P (Rat u. a. / Stichting Natuur en Milieu and Milieu and Pesticide Action Network Europe), Rn. 46. 644  Siehe hierzu bereits oben unter Zweiter Teil, B. III. 2. b) aa) (2) (b) (aa) sowie EuGH, GK, Urteil vom 08.03.2011  – C-240 / 09 (Slowakischer Braunbär), Rn. 45; bestätigt in EuGH, Urteile vom 13.01.2015  – C-401 / 12 P, C-402 / 12 P, C-403 / 12 P (Rat u. a. / Vereniging Milieudefensie und Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht), Rn. 55 sowie C-404 / 12 P, C-405 / 12 P (Rat u. a. / Stichting Natuur en Milieu and Milieu and Pesticide Action Network Europe), Rn. 47.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte301

an einer völkerrechtlichen Regelung messen will, um über deren Anwendbarkeit zu entscheiden. Eine genauere Analyse ergibt jedoch, dass diese Rechtsprechung des EuGH in der Vergangenheit keineswegs frei von Schwankungen war,645 und sich jedenfalls zwei unterschiedliche Begründungsvarianten für die Rechtfertigung von Abweichungen feststellen lassen.646 Die eine, sie kann als Nakajima / Fediol-Linie bezeichnet werden, war in den zwei gleichnamigen Entscheidungen647 herangezogen worden, um die Maßstäblichkeit völkerrechtlicher Normen des GATT sowie des Übereinkommes zur Errichtung der WTO zu begründen, obgleich diese keineswegs unbedingt formuliert sind und der Umsetzung bedürfen. Danach sollte die Maßstäblichkeit völkerrechtlicher Normen ausnahmsweise für solche sekundärrechtlichen Regelungen gegeben sein, mit denen der Gemeinschaftsgesetzgeber eine bestimmte, im Rahmen eines internationalen Übereinkommens übernommene Verpflichtung habe erfüllen wollen oder soweit der Rechtsakt ausdrücklich auf spezielle Bestimmungen des Übereinkommens verweise.648 Einen anderen Weg beschritt hingegen die sog. Biotech-Entscheidung des Gerichtshofs, in welcher der EuGH auf die Voraussetzung der Unbedingtheit einer Norm als Teilvoraussetzung der Maßstäblichkeit gänzlich verzichtete, um der Unterschiedlichkeit der Prüfungskonstellation im Vergleich zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Normen hinreichend Rechnung zu tragen.649 Dass das EuG im Jahr 2012 in den Rechtssachen Stichting Natuur en Milieu und Pesticide Action Network Europe / Kommission650 sowie Vereniging 645  Vgl. die umfangreiche Auswertung von GA N. Jääskinen in seinen Schlussanträgen vom 08.05.2014  – C-401 / 12, insbesondere Rn. 60 ff.; eine Zusammenstellung aller vom Generalanwalt angeführten Entscheidungen findet sich bei J. Berkemann, NGO scheitern mit umweltrechtlicher Nichtigkeitsklage vor dem EuGH, ZUR 2015, 221 (224, Fn. 14). 646  Zu beiden Ausnahmen siehe auch H. Schoukens, Access to Justice in Environmental Cases after the Rulings of the Court of Justice of 13 January 2015: Kafka Revisited?, Utrecht Journal of International and European Law 31 (2015), 47 (57). Zum Ganzen auch B. Pirker, Access to Justice in Environmental Matters and the Aarhus Convention’s Effects in the EU legal order, RECIEL, 2016, 81 (84 f.). 647  Siehe EuGH, Urteil vom 22.06.1989  – 70 / 87 (Fediol / Kommission), Slg. 1989, 1781–1837 sowie EuGH, Urteil vom 07.05.1991  – C-69 / 89 (Nakajima / Rat), Slg. 1991, I-2069-2204. 648  EuG, Urteil vom 14.06.2012  – T-396 / 09, Rn. 54; zur Einordnung dieses sog. Implementierungsgrundsatzes in die Rechtsprechungsentwicklung des EuGH siehe GA N. Jääskinen, Schlussanträge vom 08.05.2014 – C-401 / 12, Rn. 45 ff. 649  EuGH, Urteil vom 09.10.2001  – C-377 / 98 (Niederlande / Parlament und Rat), Rn. 54  – der dortige Verweis des EuGH auf die Rechtssache Racke lässt sich allerdings nicht zweifelsfrei als weiterer Beleg anführen, da dort der Sonderfall der Frage der Maßstäblichkeit von Völkergewohnheitsrecht im Raum stand. 650  EuG, Urteil vom 14.06.2012 – T-338 / 08.

302

2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Milieudefensie und Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht / Kommis­ sion,651 konfrontiert mit der Rechtsfrage der Maßstäblichkeit von Art. 9 Abs. 3 AK im Hinblick auf Art. 10 AK-VO, für deren Annahme den Begründungsweg der Nakajima / Fediol-Linie wählte652 und damit den Weg für die Überprüfung der inhaltlichen Übereinstimmung der Aarhus-Verordnung mit den völkerrechtlichen Vorgaben öffnete, nahm der Gerichtshof zum Anlass, um den hiergegen eingelegten Rechtsmitteln mit nur knapper Begründung stattzugeben und eine Überprüfung der sekundärrechtlichen Aarhus-Verordnung am Maßstab von Art. 9 Abs. 3 AK abzulehnen.653 Im Kern folgt dies bereits daraus, dass die Ausnahmen in den Entscheidungen Nakajima und Fediol den Besonderheiten des GATT und der WTO-Übereinkünfte geschuldet sind, die eine Übertragung auf andere völkerrechtliche Verträge nicht erlauben.654 Ohne sich ausdrücklich mit der bislang vereinzelt gebliebenen Entscheidung in der Rechtssache Biotech auseinanderzusetzen, wie dies die Argumentation von GA Jääskinen durchaus nahegelegt hätte, legt die knappe Argumentation des EuGH jedoch einen weiteren Grund dafür offen, warum der Gerichtshof dem EuG nicht dennoch mit anderer Begründung folgte. Anstatt nämlich lediglich der klaren Begründungslinie von GA Jääskinen zu folgen, führte der EuGH zur Ablehnung der Übertragung der NakajimaRegel – durchaus kryptisch655 – unter Verweis auf die Entscheidung in der 651  EuG,

Urteil vom 14.06.2012 – T-396 / 09. Urteil vom 14.06.2012  – T-396 / 09, Rn. 54–59 sowie Urteil vom 14.06.2012  – T-338 / 12, Rn. 54–59. In dieselbe Richtung argumentierten auch die Rechtsmittelführer in EuGH, Urteil vom 16.07.2015 – C-612 / 13 P, Rn. 27, was ebenfalls durch den Gerichtshof mit nicht unproblematischer Begründung zurückgewiesen wurde. So legte der Gerichtshof dar, dass die angeführte Rechtsprechung schon deshalb nicht einschlägig sei, weil die angegriffene VO 1049 / 2001 weder einen ausdrücklichen Verweis auf die AK enthalte, noch eine bestimmte Verpflichtung aus ihr erfülle. Dass im konkreten Fall die Bestimmungen der VO 1049 / 2001 über die AKVO angewandt wurden und diese und damit mittelbar auch die so in Bezug genommene VO 1049 / 2001 gerade die Verpflichtungen der Union aus der Konvention umsetzen soll, erwähnte der Gerichtshof nicht. 653  EuGH, Urteile vom 13.01.2015  – C-401 / 12 P, C-402 / 12 P, C-403 / 12 P (Rat u. a. gegen Vereniging Milieudefensie und Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht), Rn. 57–61 sowie C-404 / 12 P, C-405 / 12 P (Rat u. a. gegen Stichting Natuur en Milieu and Milieu and Pesticide Action Network Europe), Rn. 49–53. 654  Vgl. auch die ausführlichere Begründung bei GA N. Jääskinen, Schlussanträge vom 08.05.2014  – C-401 / 12, Rn. 51 ff.; gleichwohl, wenn auch aus übergeordneter Perspektive kritisch hierzu H. Schoukens, Access to Justice in Environmental Cases after the Rulings of the Court of Justice of 13 January 2015: Kafka Revisited?, Utrecht Journal of International and European Law 31 (2015), 47 (58); a. A. auch L. Krämer, Access to Environmental Justice: the Double Standards of the ECJ, JEEPL 14 (2017), 159 (174 ff.) mit interessanten Ansatzpunkten für eine Öffnung der Plaumann-Doktrin. 655  Falsch wiedergegeben allerdings bei J. Berkemann, NGO scheitern mit umweltrechtlicher Nichtigkeitsklage vor dem EuGH, ZUR 2015, 221 (229). Der EuGH 652  EuG,



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte303

Rechtssache Slowakischer Braunbär aus, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Union mit der AK-VO die sich aus Art. 9 Abs. 3 AK „ergebenden Verpflichtungen in Bezug auf die nationalen verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren umsetzen wollte, die im Übrigen nach dem gegenwärtigen Stand des Unionsrechts im Wesentlichen dem Recht der Mitgliedstaaten unterliegen“.656 Im Zusammenhang mit der NakajimaEntscheidung lässt sich dies sinnvoll nur als Verweis auf die vom EuGH schon in der Vergangenheit auch zur Rechtfertigung der restriktiven Plaumann-Formel im Rahmen der primärrechtlichen Nichtigkeitsklage immer wieder hervorgehobene Zweispurigkeit des Rechtsschutzes in der Europäischen Union lesen.657 Angesichts dessen, dass die AK-VO gem. ihrem 18. Erwägungsgrund ausdrücklich zur Umsetzung der Verpflichtungen der Union aus Art. 9 Abs. 3 AK erlassen wurde658 und das EuG auch deshalb vom Vorliegen der Voraussetzungen der Nakajima-Regel ausgegangen war, konnte der EuGH – da er sich offensichtlich nicht wie der Generalanwalt für die Ablehnung der Übertragung der Rechtsprechung auf die Aarhus-Konvention schlicht auf den besonderen Charakter des GATT stützen wollte – nur so die Entscheidung des EuG zurückweisen. Mit Verweis auf die arbeitsteilige Gewährleistung des Rechtsschutzes in der EU durch die Gerichte der Union einerseits sowie die mitgliedstaatlichen Gerichte andererseits hatte der Gerichtshof, wie gesehen, bereits in der Vergangenheit jede Bestrebung zur Ausweitung des Rechtsschutzes im Rahmen von Art. 263 Abs. 4 AEUV zurückgewiesen. Diese Argumentation scheint er nun auch für Art. 9 Abs. 3 AK fruchtbar zu machen. Das durch Art. 9 Abs. 3 AK eröffnete Ermessen  – so wird man den EuGH verstehen müssen – bezieht sich nicht nur auf die Umbestreitet gerade nicht, wie Berkemann meint, dass die AK-VO der Umsetzung von Art. 9 Abs. 3 AK für die Organe der Union gedient habe. Die Bedeutung dieses Verweises verkennt auch F. Ekardt, Verbandsklage vor dem EuGH: Mitgliedstaaten verklagen, EU-Institutionen verschonen?, NVwZ 2015, 772 (774). Kritisch zur Argumentation des EuGH in diesem Punkt auch B. Pirker, Access to Justice in Environmental Matters and the Aarhus Convention’s Effects in the EU legal order, RECIEL, 2016, 81 (88 f.). 656  EuGH, Urteil vom 13.01.2015  – C-401 / 12 P, C-402 / 12 P, C-403 / 12 P (Rat u. a. gegen Vereniging Milieudefensie und Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht), Rn. 60. 657  Siehe die bereits oben zitierten EuGH, Urteil vom 25.07.2002  – Rs. C-50 / 00 P (Union de Pequeňos Agricultores / Rat), Rn. 41; EuGH, Urteil vom 01.04.2004  – C-263 / 02 P (Jégo Quéré / Kommission), Rn. 31 sowie hierzu H. Schoukens, Access to Justice in Environmental Matters on the EU Level, Nordic Environmental Law Journal 2014, 7 (14 f.) sowie ders., Access to Justice in Environmental Cases after the Rulings of the Court of Justice of 13 January 2015: Kafka Revisited?, Utrecht Journal of International and European Law 31 (2015) 46 (54). 658  Dies hatte der EuGH in der Rechtssache Slowakischer Braunbär selbst betont, EuGH, Urteil vom 08.03.2011 – C-240 / 09, Rn. 41.

304

2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

setzung innerhalb der Unionsrechtsordnung. Die Union kann vielmehr auch entscheiden, ob seine Umsetzung hinsichtlich Handlungen im gemeinschaftseigenen Vollzug ausschließlich auf Unionsebene erfolgt – insoweit müssten die Bestimmungen der AK-VO Art. 9 Abs. 3 AK voll und ganz gerecht werden – oder ob zumindest für einen Teil der Unionshandlungen ein Rechtsschutz nur auf mitgliedstaatlicher Ebene gegen die jeweiligen Umsetzungsakte der Handlungen der europäischen Organe und Einrichtungen eröffnet wird, um so den Verpflichtungen aus Art. 9 Abs. 3 AK zur Gewährleistung von Rechtsschutz im Bereich des Umweltrechts der Union jedenfalls in der Gesamtbetrachtung zu genügen.659 Folgt man dieser These, so wäre die Ablehnung der Maßstäblichkeit von Art. 9 Abs. 3 AK tatsächlich richtig gewesen: Wollte der Unionsgesetzgeber mit der AK-VO nämlich tatsächlich keine abschließende Regelung zur Gewährleistung von Rechtsschutz gegen Handlungen im Bereich des Eigenverwaltungsrechts der Union schaffen, sondern lediglich hierzu einen Beitrag leisten, so könnte der Gerichtshof eine Beurteilung einzelner Regelungen der Verordnung am Maßstab von Art. 9 Abs. 3 AK in der Tat nicht vornehmen, da jedes potenzielle Zurückbleiben hinter dessen Anforderungen theoretisch durch Rechtsschutz auf mitgliedstaatlicher Ebene aufgefangen und ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 AK dadurch ausgeschlossen werden könnte. Dieses Problem haftet freilich auch dem von GA Jääskinen und zuvor bereits durch den EuGH in der Biotech-Entscheidung660 beschrittenen argumentativen Weg an, wonach bei der Überprüfung einer sekundärrechtlichen Norm am Maßstab einer völkervertragsrechtlichen Regelung von der Voraussetzung der Unbedingtheit der Maßstabsnorm generell abgesehen werden könne.661 Der Generalanwalt plädierte für diese Lösung, um die Unions(sekundär) rechtsordnung stärker dem Völkerrecht zu öffnen und kontrollfreie Räume bei der Umsetzung von Völkerrecht zu verhindern.662 Das Festhalten an den strengen Anforderungen, die für die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Normen gelten, würde der Eigenschaft der EU als Rechtsgemeinschaft demgegenüber nicht gerecht, weil es eine solche Kontrolle verhindere und keinen angemessenen Ausgleich zwischen den internationalen Verpflichtungen der Union einerseits und der Einhaltung des Unionsrechts andererseits herbeiführe.663 Für die Maßstäblichkeit einer völkerrechtlichen Norm müsse es deshalb genügen, dass sie hinreichend klare, allgemein verständliche und genaue Ele659  B. Pirker, Access to Justice in Environmental Matters and the Aarhus Conven­ tion’s Effects in the EU legal order, RECIEL, 2016, 81 (89). 660  EuGH, Urteil vom 09.10.2001 – C-377 / 98 (Niederlande / Parlament und Rat). 661  GA N. Jääskinen, Schlussanträge vom 08.05.2014 – C-401 / 12, Rn. 10 f.; 58 ff. 662  GA N. Jääskinen, Schlussanträge vom 08.05.2014 – C-401 / 12, Rn. 78. 663  GA N. Jääskinen, Schlussanträge vom 08.05.2014 – C-401 / 12, Rn. 70, 74.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte305

mente enthalte. Der Unbedingtheit bedürfe sie dagegen nicht. Ausreichend sei es auch, wenn die Anforderungen zumindest durch abgrenzbare Teile einer Norm mit insoweit „gemischtem Charakter“ erfüllt seien.664 Daneben seien schließlich auch die Besonderheiten des Abkommens für die Nutzung seiner Normen als Prüfungsmaßstab entscheidend.665 Die Aarhus-Konvention und speziell Art. 9 Abs. 3 AK erfüllen diese Anforderungen. Zunächst beruht die Aarhus-Konvention, anders als etwa WTOÜbereinkommen, nicht strikt auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit zum beiderseitigen Nutzen der Vertragsparteien,666 sodass bei einer Anerkennung der Maßstäblichkeit von Art. 9 Abs. 3 AK auch nicht die Gefahr bestünde, Organe der Union einseitig die erforderliche Handlungsfreiheit in Verhandlungen mit anderen Vertragsparteien zu nehmen.667 Hinsichtlich der inhalt­ lichen Struktur von Art. 9 Abs. 3 AK hat der EuGH zwar in der Rechtssache Slowakischer Braunbär ausgeführt, dass dieser „keine klare und präzise Verpflichtung enthalte, die die rechtliche Situation Einzelner unmittelbar regeln könnte.“668 Dies bedingt jedoch nur die Notwendigkeit der Entscheidung der Vertragsparteien über die maßgeblichen Kriterien für die Mitglieder der Öffentlichkeit, die klagebefugt sein sollen,669 ändert aber nichts daran, dass Art. 9 Abs. 3 AK, worauf der EuGH ebenfalls hingewiesen hat, gleichzeitig hinreichend klar identifizierbar auf das Ziel der Gewährleistung eines effektiven Umweltschutzes ausgerichtet ist und es sich insoweit um eine Vorschrift mit gemischtem Charakter handelt.670 Trotz des den Vertragsstaaten eingeräumten Spielraums hielt auch GA Jääskinen die Verpflichtung, Zugang zu den Gerichten zu gewähren, für hinreichend klar, „um einer Vorschrift entgegenzustehen, deren Gegenstand oder Wirkung darin besteht, bestimmte nicht legislative Entscheidungen der öffentlichen Behörden dem Bereich der durch die nationalen Gerichte auszuübenden Kontrolle zu entziehen“,671 wie dies bei Art. 10 AK-VO der Fall ist. 664  GA

N. Jääskinen, Schlussanträge vom 08.05.2014 – C-401 / 12, Rn. 79 f. N. Jääskinen, Schlussanträge vom 08.05.2014 – C-401 / 12, Rn. 81. 666  GA N. Jääskinen, Schlussanträge vom 08.05.2014 – C-401 / 12, Rn. 88. 667  Vgl. zu dieser Argumentation EuGH, Urteil vom 23.11.1999 – C-149 / 96 (Portugal / Rat), Rn. 42–46. 668  EuGH, Urteil vom 08.03.2011 – C-240 / 09 (Slowakischer Braunbär), Rn. 45. 669  GA N. Jääskinen, Schlussanträge vom 08.05.2014 – C-401 / 12, Rn. 91. 670  GA N. Jääskinen, Schlussanträge vom 08.05.2014  – C-401 / 12, Rn. 92 f.; zustimmend H. Schoukens, Access to Justice in Environmental Cases after the Rulings of the Court of Justice of 13 January 2015: Kafka Revisited?, Utrecht Journal of International and European Law 31 (2015), 46 (60 f.) sowie B. Pirker, Access to Justice in Environmental Matters and the Aarhus Convention’s Effects in the EU legal order, RECIEL, 2016, 81 (88). 671  GA N. Jääskinen, Schlussanträge vom 08.05.2014 – C-401 / 12, Rn. 94. B. Pirker, Access to Justice in Environmental Matters and the Aarhus Convention’s Effects 665  GA

306

2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Dass der EuGH die Maßstäblichkeit von Art. 9 Abs. 3 AK für sekundärrechtliche Umsetzungsregelungen im Bereich des EU-Eigenverwaltungsrechts dennoch ablehnte, wiegt schwer. Da Art. 9 Abs. 3 AK nicht unmittelbar anwendbar ist, verlangt die Vorschrift zwingend eine Umsetzung ins Sekundärrecht der Union, um die Mitglieder der Öffentlichkeit mit denjenigen prozeduralen Rechten auszustatten, die sie nach der Aarhus-Konvention benötigen, um ihrer Pflicht genügen zu können,672 einen Beitrag zum Schutz und zur Verbesserung der Umwelt für das Wohlergehen jetziger und künftiger Generationen zu leisten.673 Mit seiner Entscheidung lehnt der Gerichtshof insoweit eine gerichtliche Kontrolle des Unionsgesetzgebers bei den notwendigen Umsetzungshandlungen ab und verweist auf Rechtsschutzmöglichkeiten auf mitgliedstaatlicher Ebene. Dass für viele Handlungen im unionseigenen Vollzug des Umweltrechts Umsetzungsakte gar nicht erfolgen, die ihrerseits vor mitgliedstaatlichen Gerichten angegriffen werden könnten,674 dass nach jetzigem Entwicklungsstand Art. 9 Abs. 3 AK auf mitgliedstaatlicher Ebene ebenfalls nicht hinreichend umgesetzt ist675 und dass selbst für diesen Fall nur die vage Möglichkeit besteht, über das Verfahren der Vorabentscheidung gem. Art. 267 AEUV doch noch Zugang zum Europäischen Gerichtshof zu finden,676 nimmt dieser dabei hin. Der Gerichtshof begibt sich insoweit der in the EU legal order, RECIEL, 2016, 81 (89); J. Berkemann, NGO scheitern mit umweltrechtlicher Nichtigkeitsklage vor dem EuGH, ZUR 2015, 221 (229). Völlig zu Recht weist auch A. Epiney darauf hin, dass auch der EuGH hinsichtlich der Frage der Maßstäblichkeit von nur ihrem Ziel nach verbindlichen Richtlinienbestimmungen gegenüber dem Recht der Mitgliedstaaten davon ausgeht, dass eine Prüfung möglich ist, ob sich das nationale Recht in den Grenzen der europäischen Richtlinie hält, dies., Zur Rechtsprechung des EuGH im Umweltrecht im Jahr 2015, EurUP 2016, 2 (6). Vgl. auch A. Epiney / S. Dilzig / B. Pirker / S. Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Art. 9 Rn. 36. Kritisch auch E. Hoffmann, Ausgewählte Probleme des allgemeinen Umweltrechts, Die Verwaltung 50 (2017), 247 (259). 672  Vgl. Erwägungsgrund 8 AK. 673  GA N. Jääskinen, Schlussanträge vom 08.05.2014 – C-401 / 12, Rn. 87. 674  Vgl. zur Forderung einer Öffnung der Plaumann-Doktrin gerade für diese Fälle J. Darpö, On the Bright Side (of the EU’s Janus Face) – The EU Commission’s Notice on Access to Justice in Environmental Matters, JEEPL 14 (2017), 373 (398). 675  Dies ist keineswegs nur in Deutschland der Fall. Vgl. die von J. Darpö verfasste Synthese von Untersuchungen zur Umsetzung der dritten Säule der AarhusKonvention in den bisherigen 28 Mitgliedstaaten der EU, ders., Effective Justice?, abrufbar unter: http: /  / ec.europa.eu / environment / aarhus / access_studies.htm, zuletzt abgerufen am 19.07.2017. 676  Dazu, dass in den meisten Mitgliedstaaten ein Anspruch auf die Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV nicht anerkannt ist, siehe M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (195). In diesem Sinne auch M. v. Wolferen, Case C-243 / 15 Lesoochranárske zoskupenie VLK v Obvodný úrad Trenčín, JEEPL 14 (2017), 136 (150).



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte307

Möglichkeit, den Unionsgesetzgeber zur Erfüllung seiner Pflichten nach Art. 9 Abs. 3 AK anzuhalten.677 Im Spannungsfeld zwischen der Bewahrung der Eigenständigkeit des Unionsrechts und der Garantie der Erfüllung der durch die Union in völkerrechtlichen Verträgen übernommenen Verpflichtungen678 entscheidet sich der Gerichtshof gegen eine stärkere Öffnung der Unionsrechtsordnung. Für das Verhältnis zwischen EuGH und ACCC mag dies ein Konfliktfeld beseitigen, da so die Gefahr unterschiedlicher inhalt­ licher Einschätzungen gebannt wird. Sind insoweit keine Verurteilungen durch den EuGH zu erwarten, muss der Unionsgesetzgeber sich nun dazu positionieren, inwieweit er bereit ist, allein aufgrund der Berichte und Empfehlungen des ACCC und deren Annahme durch die Vertragsstaatenkonferenz der Aarhus-Konvention Veränderungen an der AK-VO vorzunehmen. Mit der Eröffnung (gerichts-)kontrollfreier Räume auf Unionsebene unter Verweis auf die Rechtsschutzmöglichkeiten in den Mitgliedstaaten erhöht der Gerichtshof zudem den Druck auf sich selbst, die Implementierung von Art. 9 Abs. 3 AK auf mitgliedstaatlicher Ebene voranzutreiben.679 Dies zu tun, hatte der Gerichtshof sich bereits mit der Entscheidung in der Rechtssache Slowakischer Braunbär ermöglicht. (cc) Verpflichtung zu völkerrechtskonformer Auslegung Während der EuGH in seiner Braunbär-Entscheidung zwar die unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 9 Abs. 3 AK ablehnte,680 versagte er der ­Vorschrift nämlich nicht jede rechtliche (indirekte) Wirkung ohne vorher­ gehende legislative Umsetzung. Vielmehr leitete das Gericht aus einer ­Zusammenschau des in Art. 9 Abs. 3 AK trotz seiner allgemeinen Formulierung zum Ausdruck kommenden Ziels der Gewährleistung eines effektiven Umweltschutzes681 sowie dem europarechtlichen Effektivitätsgrund677  B. Pirker, Access to Justice in Environmental Matters and the Aarhus Convention’s Effects in the EU legal order, RECIEL, 2016, 81 (82): „[…] an incorrect implementation will be able to persist without an effective judicial remedy to correct the situation.“ So nun auch ACCC / C / 2008 (EU) (Part II), Rn. 54. 678  GA N. Jääskinen, Schlussanträge vom 08.05.2014  – C-401 / 12, Rn. 1; B. Pirker, Access to Justice in Environmental Matters and the Aarhus Convention’s Effects in the EU legal order, RECIEL, 2016, 81 (90). 679  Vgl. insoweit auch M. v. Wolferen, Case C-243 / 15 Lesoochranárske zoskupenie VLK v Obvodný úrad Trenčín, JEEPL 14 (2017), 136 (150 f.). Das ACCC hat allerdings zuletzt deutlich gemacht, dass auch mittels einer vollständigen Umsetzung der 3. Säule der AK auf mitgliedstaatlicher Ebene ein Verstoß der EU selbst nicht beseitigt werden kann, ACCC / C / 2008 (EU) (Part II), Rn. 56 f. 680  Siehe hierzu bereits oben: Zweiter Teil, B. III. 2. b) aa) (2) (b) (aa). 681  EuGH, Urteil vom 08.03.2011 – C-240 / 09 (Slowakischer Braunbär), Rn. 46.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

satz682 die Pflicht des nationalen Richters zur völkerrechtskonformen Auslegung des nationalen Prozessrechts ab: Die nationalen Vorschriften seien soweit wie möglich im Einklang mit dem Ziel des Art. 9 Abs. 3 AK sowie dem Effektivitätsgrundsatz auszulegen, um es – im konkreten Fall einer Umweltschutzvereinigung – zu ermöglichen, eine Verwaltungsentscheidung anzufechten, die möglicherweise im Widerspruch zum Umweltrecht der Union stehe.683 Voraussetzung ist hierfür aber das Vorliegen von Auslegungsspielräumen im anzuwendenden nationalen Prozessrecht. Eine Auslegung entgegen des Wortlauts einer nationalen oder europäischen Vorschrift ist hiernach nicht verlangt.684 In dieser Begrenzung der rechtlichen Wirkung liegt auch der maßgebliche Unterschied zur – durch den EuGH abgelehnten – Maßstäblichkeit der Vorschrift.685 Diese Begründung ist in sich stimmig, gleichwohl nur dadurch möglich, dass der EuGH zu Unrecht von der Einbeziehung von Art. 9 Abs. 3 AK ins Unionsrecht ausgeht. Die grundsätzliche Anerkennung einer Pflicht zur Auslegung nationalen Rechts im Lichte von Art. 9 Abs. 3 AK steht insbesondere auch nicht im Widerspruch zur Ablehnung seiner unmittelbaren Wirkung.686 GA Jääskinen hatte richtigerweise in seinen Schlussanträgen zu den oben analysierten Entscheidungen im Bereich des gemeinschaftseigenen Vollzugs darauf hingewiesen, dass Art. 9 Abs. 3 AK einen gemischten Charakter mit bestimmten und unbestimmten, unbedingten und bedingten Regelungselementen sowie eine eindeutige Ausrichtung auf die Sicherung effektiven Rechtsschutzes 682  EuGH,

51.

Urteil vom 08.03.2011 – C-240 / 09 (Slowakischer Braunbär), Rn. 47 f.,

683  EuGH, Urteil vom 08.03.2011  – C-240 / 09 (Slowakischer Braunbär), Rn. 51. Zustimmend J. Kokott / C. Sobotta, Rechtsschutz im Umweltrecht, DVBl 2014, 132 (135). 684  A. Schink, Der slowakische Braunbär und der deutsche Verwaltungsprozess, DVBl 20122, 622 (629); a. A. B. Pirker, Access to Justice in Environmental Matters and the Aarhus Convention’s Effects in the EU legal order, RECIEL, 2016, 81 (90). Weitergehend nun aber EuGH, Urteil vom 20.12.2017  – C-664 / 15 (Protect Natur-, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation / Bezirkshauptmannschaft Gmünd), Rn. 55 ff., wonach der EuGH im Falle der Unmöglichkeit der konventions- bzw. unionskonformen Auslegung verlangt, Art. 9 Abs. 3 AK i. V. m. Art. 47 GrRChr unmittelbar anzuwenden. Vgl. zu diesem Aspekt der Entscheidung die Urteilsanmerkung von R. Klinger, NVwZ 2018, 231 (231 f.), der zu Recht von einer faktischen unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 9 Abs. 3 AK spricht. 685  Zur Bewertung dieses Aspekts der Braunbär-Entscheidung siehe unten: Zweiter Teil, B. III. 2. b) aa) (2) (b) (cc). 686  Wie hier B. Pirker, Access to Justice in Environmental Matters and the Aarhus Convention’s Effects in the EU legal order, RECIEL, 2016, 81 (82); wohl A. A. J. H. Jans, Who is the referee? Access to Justice in a Globalised Legal Order, Review of European Administrative Law, 2011, 87 (98); A. Schink, Der slowakische Braunbär und der deutsche Verwaltungsprozess, DVBl 2012, 622 (626).



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

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aufweist.687 Eine Auslegung im Lichte zumindest der hinreichend bestimmten und unbedingten Bestandteile der Norm ist aber ohne weiteres möglich. Diese Verpflichtung gilt jedoch nicht nur für die mitgliedstaatliche, sondern genauso auch für die Unionsebene.688 Auch der EuGH ist deshalb dazu verpflichtet zu prüfen, ob eine völkerrechtskonforme Auslegung des unionalen Prozessrechts notwendig und ggf. möglich ist, um den Anforderungen von Art. 9 Abs. 3 AK zu genügen. Zu erwägen wäre ein solches Vorgehen zunächst für die sekundärrechtlichen Vorschriften der AK-VO, insbesondere für deren Art. 10 Abs. 1, um so zu einer Erweiterung der möglichen Antragsgegenstände im internen Überprüfungsverfahren nach den Art. 10 ff. AK-VO zu gelangen. Zwar wäre eine solche Erweiterung im Ergebnis angesichts des recht klaren Wortlauts von Art. 10 Abs. 1 AK-VO und dessen Begrenzung der zulässigen Antragsgegenstände auf Verwaltungsakte i. S. v. Art. 2 lit. g) AK-VO eher fragwürdig.689 Das völlige Fehlen entsprechender Erwägungen des EuGH in seinen Entscheidungen vom 13. Januar 2015 hat diesem gleichwohl den Vorwurf der Ungleichbehandlung von Union und Mitgliedstaaten eingetragen.690 Überdies wird auch erwogen, ob nicht der EuGH auch 687  Siehe noch einmal GA N. Jääskinen, Schlussanträge vom 08.05.2014  – C-401 / 12, Rn. 79 f. 688  So jetzt auch ausdrücklich ACCC / C / 2008 (EU) (Part II), Rn. 81; zuvor bereits i. d. S.  GA J. Kokott, Schlussanträge vom 30.06.2016 – C-243 / 15, Rn. 50; E. Rehbinder, Die Aarhus-Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs und die Verbandsklage gegen Rechtsakte der Europäischen Union, EurUP 2012, 23 (30); B. Pirker, Access to Justice in Environmental Matters and the Aarhus Convention’s Effects in the EU legal order, RECIEL, 2016, 81 (89 f.). Dies folgt überdies auch aus der Argumentation des EuGH in der Rs. Slowakischer Braunbär, wonach die Auslegungszuständigkeit des Gerichtshofs unter anderem mit dem Argument begründet wird, dass ansonsten die Gefahr unterschiedlicher Auslegungen auf den verschiedenen Ebenen bestünde. Diese Gefahr wird aber nur dann abgewehrt, wenn alle Ebenen der Verpflichtung gleichermaßen unterliegen, so auch J. H. Jans, Who is the referee? Access to Justice in a Globalised Legal Order, Review of European Administrative Law, 2011, 87 (98); i. E. ebenso J. Kokott / C. Sobotta, Rechtsschutz im Umweltrecht, DVBl 2014, 132 (135). 689  So auch GA N. Jääskinen, Schlussanträge vom 08.05.2014  – C-401 / 12, Rn. 136. 690  Siehe J. Berkemann, NGO scheitern mit umweltrechtlicher Nichtigkeitsklage vor dem EuGH, ZUR 2015, 221 (230); F. Ekardt, Verbandsklage vor dem EuGH: Mitgliedstaaten verklagen, EU-Institutionen verschonen?, NVwZ 2015, 772 (774); so auch bereits E. Rehbinder, Die Aarhus-Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs und die Verbandsklage gegen Rechtsakte der Europäischen Union, EurUP 2012, 23 (30). Berücksichtigt man allerdings den einer solchen Auslegung eher entgegenstehenden Wortlaut von Art. 10 Abs. 1 AK-VO, so scheint der Vorwurf allenfalls in einem allgemeineren, ergebnisbezogenen Sinne verständlich, da der EuGH in den ­Entscheidungen vom 15. Januar 2015 nicht die Möglichkeit genutzt hat, den primärrechtlich durch die Aufrechterhaltung der Plaumann-Rechtsprechung beschränkten

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Art. 230 Abs. 4 AEUV völkerrechtskonform auszulegen und die bestehenden Spielräume im Lichte von Art. 9 Abs. 3 AK zu einer Aufgabe der PlaumannRechtsprechung nutzen müsste.691 Dies begegnet freilich nicht nur deshalb Bedenken, da Art. 9 Abs. 3 AK als integrierender Bestandteil des Gemeinschaftsrechts nur einen Geltungsrang unterhalb des primärrechtlichen Art. 230 Abs. 4 AEUV einnimmt.692 Vielmehr dürfte der EuGH auch einem solchenVorgehen unter Verweis auf die auf mitgliedstaatlicher Ebene zur Verfügung zu stellenden Rechtsschutzmöglichkeiten eine Absage erteilen. Im Lichte seiner wiederholt vorgetragenen Argumentation zur Begründung der Plaumann-Rechtsprechung kann nicht davon ausgegangen werden, dass der EuGH eine Revision der allgemein gültigen Begrenzung des primärrecht­ lichen Rechtsschutzes wegen der sektoral begründeten Forderung nach einer Ausweitung des Rechtsschutzes im Umweltbereich aufgibt.693 Gerichtszugang nach Art. 263 Abs. 4 AEUV über den Umweg einer Feststellung der Unvereinbarkeit der eng gefassten Art. 10 Aarhus-VO und der daraufhin wahrscheinlichen legislatorischen Änderung zu erweitern. In diesem Sinne H. Schoukens, Access to Justice in Environmental Cases after the Rulings of the Court of Justice of 13 January 2015: Kafka Revisited?, Utrecht Journal of International and European Law 31 (2015), 46 (62). Zu einer Ungleichbehandlung bei der Eröffnung des Gerichtszugangs in umweltrelevanten Fällen einerseits und solchen, in denen Wirtschaftsinteressen im Mittelpunkt stehen andererseits L. Krämer, Access to Environmental Justice: the Double Standards of the ECJ, JEEPL 14 (2017), 159 (161 ff., 167 ff.). 691  Ausdrücklich fordert dies im Lichte der Braunbär-Entscheidung E. Rehbinder, Die Aarhus-Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs und die Verbandsklage gegen Rechtsakte der Europäischen Union, EurUP 2012, 23 (29 f.); M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (193); C. Walter, Internationalisierung des deutschen und Europäischen Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts – am Beispiel der Aarhus-Konvention, EuR 2005, 302 (321); J. H. Jans, Who is the referee? Access to Justice in a Globalised Legal Order, Review of European Administrative Law, 4 (2011), 87 (99). In diese Richtung auch das ACCC, ACCC / C /  2008 / 32 (EU) (Part I), Rn. 82. 692  M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (193), der aber auch auf die Rechtsprechung des BVerfG zur Auslegung des Grundgesetzes im Lichte der EMRK als mögliches Vorbild für den EuGH verweist. Zu dieser Rechtsprechung siehe bereits oben: Zweiter Teil, A. II. Von einer Anwendbarkeit des Grundsatzes völkerrechtskonformer Auslegung im Verhältnis der AK zum Primärrecht der EU geht aus B. Peters, Die Auslegung von Art. 6-8 der Aarhus-Konvention durch das Aarhus Compliance Committee und die Auswirkungen im europäischen Umweltrecht, EurUP 2014, 185 (187); für eine entsprechende Auslegung auch E. Rehbinder, Die AarhusRechtsprechung des europäischen Gerichtshofs und die Verbandsklage gegen Rechtsakte der Europäischen Union, EurUP 2012, 23 (30). 693  M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (195), der auch auf neuere Entscheidungen von EuG und EuGH verweist, die in diese Richtung deuten.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte311

(3) Implementierungsunabhängige Wirkungen sonstiger Vorschriften der AK im EU-Recht Auch die implementierungsunabhängigen Wirkungen anderer als der Vorschriften der dritten Säule der Aarhus-Konvention im Gemeinschaftsrecht haben Einfluss darauf, inwieweit es Mitgliedern der Öffentlichkeit möglich ist, über die Gerichte der Union Einfluss auf die Implementierung der Vorschriften der Konvention im Bereich des gemeinschaftseigenen Vollzugs zu nehmen. Konkret diskutiert wurde dies auch für den Ablehnungsgrund des Art. 4 Abs. 4 lit. c) AK694 und die inhaltliche Frage, ob es der Europäischen Kommission möglich ist, die Herausgabe von Informationen über Vertragsverletzungsverfahren betreffend die Einhaltung umweltrechtlicher Vorschriften der Union durch die Mitgliedstaaten wegen eines berechtigten Geheimhaltungsinteresses abzulehnen.695 Hier soll es jedoch zunächst nur um die Ablehnung der Maßstäblichkeit auch dieser Vorschrift durch den EuGH gehen.696 Wie bereits einführend erläutert697 und wie noch zu vertiefen sein wird,698 gewährleistet Art. 4 Abs. 1 AK einen allgemeinen Zugang zu Informationen über die Umwelt. Art. 4 Abs. 3 und 4 AK sehen jedoch verschiedene fakultative Gründe für die Ablehnung eines solchen Anspruchs vor, wobei Abs. 4 lit. c) AK dies u. a. zulässt, wenn die Bekanntgabe der Informationen negative Auswirkungen hätte auf „[…] die Möglichkeit einer Behörde, Untersuchungen strafrechtlicher oder disziplinarischer Art durchzuführen“. Trotz dieser engen Formulierung in der Aarhus-Konvention hatte die Kommission in der Vergangenheit Ablehnungen von Anträgen betreffend Informationen über Vertragsverletzungsverfahren immer wieder auf den Versagungsgrund nach Art. 4 Abs. 2 3. SpStr. VO 1049 / 2001 gestützt. Danach ist der Zugang zu verweigern, soweit die Verbreitung der begehrten Informationen eine BeHierzu nun auch ACCC / C / 2008 (EU) (Part II), Rn. 58 ff. und bereits oben: Zweiter Teil, B. III. 2. b) aa) (1). 694  EuG, Urteil vom 13.09.2013  – T-111 / 11; nachfolgend EuGH, Urteil vom 16.07.2015  – C-612 / 13 P; EuG, Urteil vom 09.09.2011  – T-29 / 08; nachfolgend EuGH, Urteil vom 14.11.2013 – C-514 / 11 P, C-605 / 11 P. 695  Auch hierbei handelt es sich um Umweltinformationen i. S. d. weiten Begriffes gem. Art. 2 Nr. 3 lit. b) AK, da mit dem Vertragsverletzungsverfahren „Verwaltungsmaßnahmen“ betroffen sind, die – soweit sie die Einhaltung und Implementierung europäischen Umweltrechts betreffen – „sich auf die unter Buchstabe a genannten Umweltbestandteile auswirken oder wahrscheinlich auswirken“. 696  Zur Diskussion der inhaltlichen Frage siehe unten: Zweiter Teil, B. IV. 1. f) aa) (3). 697  Siehe den Überblick über die Vorschriften der Aarhus-Konvention unter Zweiter Teil, B. II. 698  Ausführlich zum Recht auf Umweltinformationen siehe Zweiter Teil, B. IV. 1.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

einträchtigung des Schutzes des Zwecks insbesondere von „Untersuchungstätigkeiten“ bedeutet. Dabei erscheint allerdings schon fraglich, ob der Begriff der Untersuchungstätigkeiten eine zulässige Konkretisierung von Art. 4 Abs. 4 lit. c) AK darstellt und als solche auch Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten von dieser erfasst werden können, sieht die AarhusKonvention doch nur den Schutz strafrechtlicher oder disziplinarischer Untersuchungen vor.699 Gleichwohl kommt eine Überprüfung des Ausnahmegrundes nach Art. 4 Abs. 2 3. SpStr. VO 1049 / 2001 anhand der Vorgaben der Aarhus-Konvention nur dann durch europäische Gerichte in Betracht, wenn die durch den EuGH formulierten Voraussetzungen der Maßstäblichkeit internationalen Rechts gegeben sind. Legt man aber den bereits oben wiedergegebenen strengen Maßstab des EuGH an, wonach dieser nur dann eine solche Prüfung vornimmt, wenn die konkrete Regelung der AK neben ihrer grundsätzlichen Eignung als Prüfungsmaßstab auch hinreichend bestimmt und unbedingt ist,700 so sind angesichts der Weite der in Art. 4 Abs. 4 lit. c) AK verwandten Begriffe und den dadurch verbleibenden Umsetzungsspielräumen Zweifel an der Maßstabstauglichkeit der Vorschrift angebracht. GA Cruz Villalón verneinte diese entsprechend in seinen Schlussanträgen im Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union.701 Der EuGH folgte dem im Ergebnis, beschränkte sich aber bemerkenswerterweise auf die Darlegung, dass die Vorschrift jedenfalls nicht für die Union als unbedingt anzusehen sei.702 Dabei zeigt die Argumentation von GA Cruz Villalón noch einmal exemplarisch, dass die Übertragung der ursprünglich für die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Vorschriften im EU-Recht formulierten Anforderungen auf die Frage der Maßstäblichkeit solcher Vorschriften wenig sinnvoll ist.703 Und allein um letztere ging es auch hier. So behauptete er in seinen Schlussanträgen zwar zu prüfen, ob der Ablehnungsgrund der AK hinreichend 699  Obwohl sich diese Frage in beiden hier untersuchten Verfahren stellte, ging ihr das EuG, und im Anschluss hieran auch der EuGH nur in dem Verfahren T-111 / 11 Rn. 84 ff. bzw. C-612 / 13P, Rn. 25 ff. auf den Grund. Vgl. dagegen EuGH, Urteil vom 14.11.2013 – C-514 / 11 P, C-605 / 11 P, Rn. 84 f. 700  Dass der EuGH grundsätzlich von der Eignung der AK ihrer Art nach ausgeht, hat er allerdings nie explizit erklärt, B. Pirker, Access to Justice in Environmental Matters and the Aarhus Convention’s Effects in the EU legal order, RECIEL, 2016, 81 (88). 701  GA P. Cruz Villalón, Schlussanträge vom 14.04.2015 – C-612 / 13 P, Rn. 66 ff. 702  EuGH, Urteil vom 16.07.2015 – C-612 / 13 P, Rn. 39 ff. 703  Vgl. hierzu bereits oben unter Zweiter Teil, B. III. 2. b) aa) (2) (b) (bb) und siehe erneut A. Epiney, Zur Rechtsprechung des EuGH im Umweltrecht im Jahr 2015, EurUP 2016, 2 (6); kritisch auch für den vorliegenden Zusammenhang B. W. Wegener, Die Aarhus-Konvention in der Rechtsprechung des EuGH, EurUP 2014, 226 (239).



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bestimmt und unbedingt sei, tatsächlich prüfte er dann aber, ob eine Auslegung des Versagungsgrundes gem. Art. 4 Abs. 4 lit. c) AK möglich ist, nach der eine Ablehnung aufgrund einer möglichen Beeinträchtigung eines Vertragsverletzungsverfahrens noch die Grenzen der Aarhus-Konvention einhält.704 Dies bejahte er letztlich705 und schlussfolgerte daraus, dass der Ausschluss dieser von ihm als möglich erkannten Auslegungsvariante eine Konkretisierung der Norm durch den Unionsgesetzgeber erforderlich mache und die Eignung als Prüfungsmaßstab für EU-Sekundärrecht nach der Rechtsprechung des EuGH zu verneinen sei. Das Vorgehen verwundert: In der Sache argumentiert der Generalanwalt, dass der Ablehnungsgrund gem. Art. 4 Abs. 2 3. SpStr. VO 1049 / 2001 mit der AK vereinbar ist und zieht daraus den Schluss, dass die Vorschrift des EU-Sekundärrechts nicht an der völkerrecht­ lichen Vorschrift des Art. 4 Abs. 4 lit. c) AK gemessen werden kann. Der EuGH, nach erneuter Zurückweisung der Möglichkeit der Anwendung der Fediol / Nakajima Rechtsprechung zur Begründung der Maßstäblichkeit von Art. 4 Abs. 4 lit. c) AK gegenüber Art. 4 Abs. 2 3. SpStr. VO 1049 /  2001,706 prüfte ebenfalls anhand des von ihm formulierten Maßstabs, ob die Vorschrift der Konvention hinreichend bestimmt und unbedingt sei. Dabei folgte das Gericht jedoch nicht der Argumentation des Generalanwalts – möglicherweise in Anerkennung der Problematik des eigenen Maßstabs im vorliegenden Fall – sondern schlug einen anderen, wenn auch nicht minder problematischen Weg ein. So führte das Gericht aus, dass die Aarhus-Konvention „offensichtlich auf die nationalen Rechtsordnungen zugeschnitten“ sei, nicht aber auf „die rechtlichen Besonderheiten von Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration wie der Union“, obwohl diese es unterzeichnen und ihm beitreten können.707 Diesen Schluss stützt der EuGH auf zwei Argumente: Zum einen ergebe sich die Ausrichtung auf die staatlichen Vertragsparteien aus dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 AK, wo von „den innerstaatlichen Rechtsvorschriften“ die Rede ist,708 zum anderen verweist das Gericht auf die von der EU (damals noch EG) bei Unterzeichnung der Kon704  Vgl. GA P. Cruz Villalón, Schlussanträge vom 14.04.2015  – C-612 / 13 P, Rn. 68 f. Dass er hiermit eigentlich implizit die Möglichkeit bejahte, dass Art. 4 Abs. 4 lit. c) AK als Maßstab fungieren kann, scheint er dabei zu übersehen. 705  Die verschiedenen Übersetzungen der Schlussanträge weisen in diesem Zusammenhang allerdings eine Uneinheitlichkeit auf. Während es in der deutschen und französischen Übersetzung an dieser Stelle heißt, dass die Vorschrift „zu allgemein“ bzw. „trop générale“ sei, heißt es in der englischen Sprachfassung, die hier zugrunde gelegt wird, „sufficiently general“, d. h., dass die Vorschrift hinreichend allgemein sei. 706  Vgl. bereits oben im Rahmen der Prüfung der unmittelbaren Anwendbarkeit bzw. Maßstäblichkeit von Art. 9 Abs. 3 AK und siehe nun EuGH, Urteil vom 16.07.2015 – C-612 / 13 P, Rn. 36 f. 707  EuGH, Urteil vom 16.07.2015 – C-612 / 13 P, Rn. 40. 708  EuGH, Urteil vom 16.07.2015 – C-612 / 13 P, Rn. 40.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

vention abgegebene und bei ihrer Genehmigung bekräftigte Erklärung, dass „die Organe der Gemeinschaft das Übereinkommen im Rahmen ihrer bestehenden und künftigen Vorschriften über den Zugang zu Dokumenten und im Rahmen anderer einschlägiger Vorschriften des Gemeinschaftsrechts in dem unter das Übereinkommen fallenden Bereich anwenden werden“.709 Daraus folgert der Gerichtshof weiter, dass weder das spezifische Abstellen des Versagungsgrundes nach Art. 4 Abs. 4 lit. c) AK auf Untersuchungen „strafrechtlicher oder disziplinarischer Art“, noch das Gebot in Art. 4 Abs. 4 UAbs. 2 AK, die Ablehnungsgründe eng auszulegen, bedeuteten, dass für die Union eine ganz bestimmte Verpflichtung begründet werde, und – „erst recht“ – daraus nicht hergeleitet werden könne, dass eine Auslegung des Ablehnungsgrundes unzulässig sei, die den Besonderheiten der Union Rechnung trage,710 sprich eine Anwendung auf Vertragsverletzungsverfahren erlaubt. Im Ergebnis bedeutet dies, dass Art. 4 Abs. 2 3. SpStr. VO 1049 / 2001 sich nicht an der Aarhus-Konvention messen lassen muss. Der EuGH hat damit ein weiteres Mal711 die Autonomie der Unionsrechtsordnung im Bereich des gemeinschaftsrechtlichen Vollzugs gegenüber der Aarhus-Konvention trotz des auch in dieser Entscheidung erneut angeführten Dogmas betont, dass die AK aufgrund ihrer Einbeziehung in die Unionsrechtsordnung grundsätzlich dazu geeignet sei, die Gültigkeit eines Unionsrechtsaktes zu berühren.712 Nachdem der EuGH nun aber auch die Maßstäblichkeit der AK im Bereich der ersten Säule jedenfalls in der speziell betroffenen Frage abgelehnt hat, erscheint es fraglich, ob der Gerichtshof überhaupt zur Einlösung seiner wiederholten Ankündigung bereit ist. Zweifel hieran sind nach der vorliegenden Entscheidung vor allen Dingen deshalb angebracht, weil sich der Gerichtshof von einer normbasierten Argumentation löst und sich zur Begründung seines Vorgehens vielmehr auf den generellen Charakter der Konvention bezieht. Während das Gericht äußerlich seine Prüfung zwar an den Anforderungen der Unbedingtheit und hinreichenden Bestimmtheit anknüpft, formuliert es inhaltlich mit der Behauptung der Staatenbezogenheit der Aarhus-Konvention einen Vorbehalt zur Ablehnung ihrer Maßstäblichkeit, der nicht auf die konkret geprüfte Norm begrenzt ist. Seiner Übertragung auch auf andere Normen der AK sind vor allen Dingen deshalb kaum Grenzen gesetzt, weil der EuGH in keiner Weise spezifiziert, was die rechtlichen Besonderheiten der Union 709  EuGH, Urteil vom 16.07.2015 – C-612 / 13 P, Rn. 41 mit Verweis auf den Anhang zu Beschluss 2005 / 370 / EG, ABl EU vom 17.05.2005, L 124 / 1. 710  EuGH, Urteil vom 16.07.2015 – C-612 / 13 P, Rn. 42. 711  Zuvor bereits in den oben besprochenen Urteilen des EuGH vom 13.01.2015 – C-401 / 12 P, C402 / 12 P, C-403 / 12 P (Rat u. a. gegen Vereniging Milieudefensie und Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht) sowie C-404 / 12 P, C-405 / 12 P (Rat u. a. gegen Stichting Natuur en Milieu and Milieu and Pesticide Action Network Europe). 712  EuGH, Urteil vom 16.07.2015 – C-612 / 13 P, Rn. 33 f.



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sind, auf die die Aarhus-Konvention nicht zugeschnitten sei.713 Das Argument lässt sich als „Passepartout“ dem normativen Anspruch der AK, alle Vertragsparteien gleichermaßen zu binden, durch die Union stets entgegenhalten und durch den EuGH nahezu beliebig einsetzen. Damit soll nicht geleugnet werden, dass die Union tatsächlich Besonderheiten aufweist, die gerade im Prozess der Implementierung der AK der Berücksichtigung bedürfen. Auf deren Konkretisierung hatte auch die Argumentation des Generalanwalts abgezielt714 und dies hat auch das ACCC selbst verschiedentlich, wenn auch auf die Implementierung und nicht den Inhalt der Pflichten der Konvention bezogen, anerkannt und in den ComplianceVerfahren gegenüber der Union berückichtigt.715 Dem Argument, dass die AK den Besonderheiten der Union als Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration keine Rechnung trage, steht gleichwohl in seiner Allgemeinheit nicht nur entgegen, dass diese, wie der EuGH selbst anführt,716 ausdrücklich in Art. 17 und 19 AK erwähnt werden, sondern insbesondere auch die Entstehungsgeschichte der Konvention, auf deren Ausgestaltung gerade die Vertreter der Union in den Verhandlungen ganz maßgeblichen Einfluss genommen haben.717 Dass dabei einzelne Regelungen ihrem Wortlaut nach nur Mitgliedstaaten und nicht auch Wirtschaftsorganisationen ausdrücklich in Bezug nehmen, kann vor diesem Hintergrund nicht als Staatsbezogenheit der inhaltlichen Regelungen verstanden werden, sondern als bloße sprachliche Vereinfachung zur besseren Lesbarkeit – einer Qualität, um die man bei der Formulierung der Konvention ersichtlich bemüht war718 und die man von den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Konvention ins nationale und unionale Recht auch ausdrücklich einfordert.719 Insbesondere mit 713  Vgl. EuGH, Urteil vom 16.07.2015 – C-612 / 13 P, Rn. 40. Kritisch hierzu auch B. W. Wegener, Die Aarhus-Konvention in der Rechtsprechung des EuGH, E ­ urUP 2014, 226 (240), der auf vergleichbare Aufsichtsverfahren in den Mitgliedstaaten verweist, deren Geheimhaltung die AK ebenfalls nicht zulässt. 714  Den Schlussanträgen des GA P. C. Villalón vom 14.04.2015  – C-612 / 13 P ist insoweit zumindest zu entnehmen, dass die Eigenschaft als Union von Staaten die maßgebliche Besonderheit sein soll, aus der folge, dass auch Verfahren gegenüber Staaten als Verfahren mit disziplinarischem Charakter zu verstehen seien, Rn. 69. 715  Siehe hierzu bereits oben bei und in Fn. 547. 716  EuGH, Urteil vom 16.07.2015 – C-612 / 13 P, Rn. 40. 717  Vgl. hierzu bereits oben unter Zweiter Teil, B. I. 1. sowie J. Martin, Das Steuerungskonzept der informierten Öffentlichkeit, 2012, S. 84; zur Rolle der Euro­ päischen Union als Initiator für die Aarhus-Konvention auch S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 249. 718  Zu dieser Qualität der Aarhus-Konvention M. Zschiesche, Öffentlichkeitsbeteiligung in umweltrelevanten Zulassungsverfahren, 2015, S. 87. 719  Vgl. etwa Art. 3 Abs. 1 AK („klaren, transparenten und einheitlichen Rahmen“), Art. 3 Abs. 2 AK, der Unterstützung und Orientierungshilfe durch öffentliche

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Blick auf die konkrete (Ausnahme-)Regelung des Art. 4 Abs. 4 lit. c) AK kann kaum eine Gedankenlosigkeit des Konventionsgebers bei deren Formulierung unterstellt werden. Mit der gewählten Formulierung wollte man sich offensichtlich von der weiten Fassung des entsprechenden Grundes in der UI-RL 1990720 abgrenzen. Der Unionsgesetzgeber selbst übernahm die Fassung der Aarhus-Konvention in der neuen UI-RL im Jahr 2003, um etwa verwaltungsrechtliche Vorverfahren vom Gegenstand des Ablehnungsgrundes auszuklammern.721 Nachdem sich schon der europäische Gesetzgeber von Anfang an damit schwer tat, die Regelungen der ersten Säule der AarhusKonvention auch für den Bereich der unionseigenen Verwaltung um­ zusetzen,722 zeigt sich dies in vergleichbarer Weise nun auch für die Kon­ trollperspektive des EuGH.  Auch die vom Gerichtshof in Bezug genommene Erklärung der Union bei Vornahme der Ratifikation der AK vermag seine auf die Ablehnung der Maßstäblichkeit von Art. 4 Abs. 4 lit. c) AK gerichtete Argumentation nicht zu tragen. Bei genauerem Hinsehen misst er dieser selbst jedenfalls im vorliegenden Zusammenhang keine unmittelbare rechtliche Bedeutung zu, sondern führt sie vielmehr als faktischen Beleg dafür an, dass die Union selbst ihren besonderen Charakter betone und hieraus Folgerungen für die Anwendung der Konvention ableiten will. Eine solche Selbsteinschätzung durch die Unionsorgane ist aber nicht nur für sich genommen ohne Bedeutung, im konkreten Fall kommt vielmehr noch hinzu, dass die dem EuGH angetragene und von ihm unhinterfragt wiedergegebene Deutung der Erklärung nicht überzeugt. Der dargestellte Wortlaut stellt nur einen Teil der abgegebenen Erklärung dar und folgt der ebenfalls bereits problematisierten723 (Teil-)Erklärung der Union nach, wonach diese ihre Unzuständigkeit für den Bereich des Art. 9 Abs. 3 AK ausdrückt. Dies berücksichtigend ist der hier zitierte Teil der Erklärung aber nicht als Einforderung einer Sonderbehandlung, sondern – im Gegenteil – als Bestätigung der grundsätzlichen (mit der Ausnahme von Art. 9 Abs. 3 AK) Umsetzungszuständigkeit der Union zu verstehen. An Bedienstete und Behörden für den Zugang zu Informationen verlangt sowie Art. 6 Abs. 6 lit d), der eine nichttechnische Zusammenfassung der tätigkeitsbezogenen Informationen verlangt, die nach Art. 6 Abs. 6 AK der betroffenen Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen sind. 720  Siehe Art. 3 Abs. 2 3. SpStr.: „Sachen, die bei Gericht anhängig oder Gegenstand von Ermittlungsverfahren (einschließlich Disziplinarverfahren) sind oder waren oder die Gegenstand von Vorverfahren sind“. 721  Zu dem hierzu unter der UI-RL 1990 bestehenden Streit vgl. D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 383. 722  Vgl. zur Entstehungsgeschichte von VO 1049 / 2001 sowie VO 1367 / 2006 R. Hallo, Access to Environmental Information, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 55 (63). 723  Siehe oben: Zweiter Teil, B. III. 1. a) bb).



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der völkerrechtlichen Verbindlichkeit der Konvention vermag diese nicht als völkerrechtlicher Vorbehalt zu verstehende Erklärung ohnehin nichts zu ändern.724 Löst sich also die Argumentation des EuGH weitestgehend auf, so verbleibt in der Tat nicht mehr als die Behauptung, dass „nicht sein kann, was nicht sein darf“725. Die Entscheidung schwächt die Wirkung der AarhusKonvention gegenüber der Union – interessanterweise aber nur dieser gegenüber. Der EuGH hält sich mit seiner unionsspezifischen Argumentation nämlich gerade offen, die Maßstäblichkeit derselben Norm für die Vertragsstaaten aufrecht zu erhalten. Die normbezogene Argumentation des Generalanwalts hätte dies nicht erlaubt und auch den Mitgliedstaaten Spielräume verschafft. Über deren Ziel – die Ablehnung der Maßstäblichkeit des konkreten Ablehnungsgrundes – kann man zwar ebenso geteilter Meinung sein. Aufgrund ihrer inherenten Begrenzung auf Art. 4 Abs. 4 lit. c) AK und – umgekehrt – des Verdachts, dass der Gerichtshof vor allen Dingen einer Ungleichbehandlung von Union und Mitgliedstaaten das Wort redet, ist sie der Argumentation des EuGH jedoch vorzuziehen. bb) Rechtsschutz vor EU-Gerichten bzgl. Maßnahmen des mitgliedstaatlichen Vollzugs Im Bereich des mitgliedstaatlichen Vollzugs ist ein direkter Weg für Einzelne und Umweltvereinigungen zu den europäischen Gerichten im Recht der EU nicht vorgesehen.726 Mittelbar sind ihnen aber dennoch zwei Wege eröffnet, die Umsetzung solcher Vorschriften der Aarhus-Konvention auf nationaler Ebene zu fördern, die durch europäisches Sekundärrecht vollständig umgesetzt wurden727 oder denen auch eine implementationsunabhängige 724  Wollte man diese Passage wie der EuGH als allgemeinen Vorbehalt bzgl. Besonderheiten der Gemeinschaft lesen, so handelte es sich dabei mitnichten um eine Erklärung i. S. v. Art. 19 Abs. 5 AK, sondern vielmehr um die Erklärung eines Vertragsvorbehalts gem. Art. 19 WVK. Einen solchen schließt die Aarhus-Konvention zwar nicht, wie nach Art. 19 lit a) WVK möglich, generell aus, da die Passage der Erklärung bei einer solchen Lesart jedoch einem allgemeinen Gesetzesvorbehalt gleichkäme, wäre sie aber gem. Art. 19 lit. c) WVK ungültig, da ihre Weite mit Ziel und Zweck des Vertrags unvereinbar wäre. 725  Vgl., allerdings zur weitgehend parallelen Argumentation des EuG, B. W. Wegener, Die Aarhus-Konvention in der Rechtsprechung des EuGH, EurUP 2014, 226 (240). 726  A. Tanzi / C. Pitea, The Interplay between EU Law and International Law Procedures in Controlling Compliance with the Aarhus Convention by EU Member States, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 367 (374); A. Ha­ ratsch / C. Koenig / M. Pechstein, Europarecht, 10. Aufl. 2016, Rn. 600. 727  In Einzelfällen könnte sogar die Umsetzung der Konvention auf Unionsebene gefördert werden, wenn nämlich der EuGH aufgrund implementationsunabhängiger Wirkungen einer Vorschrift der AK zum Ergebnis kommt, dass das zu überprüfende

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Wirkung durch ihre bloße Einbeziehung in die Unionsrechtsordnung in den nationalen Rechtsordnungen zukommt. Zum einen können Einzelne und Umweltvereinigungen die Kommission auf Verstöße gegen die ins europäische Recht einbezogene bzw. implementierte Aarhus-Konvention hinweisen.728 Der Kommission steht dann die Möglichkeit der Initiierung eines Vertragsverletzungsverfahrens gem. Art. 258 Abs. 1 AEUV gegen den betreffenden Mitgliedstaat und schließlich – soweit keine Abhilfe erfolgt – einer Vertragsverletzungsklage gem. Art. 258 Abs. 2 AEUV vor dem EuGH offen. Ein Anspruch auf die Einleitung eines vorgerichtlichen Verfahrens oder auch des sich anschließenden gerichtlichen Verfahrens besteht jedoch nicht.729 Einzelne und Umweltvereinigungen haben aber überdies die Möglichkeit, im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens vor nationalen Gerichten die Aussetzung des Verfahrens und die Vorlage von für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Rechtsfragen bzgl. der Auslegung oder Gültigkeit des Unionsrechts im Wege der Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV zu beantragen.730 Das Vorabentscheidungsverfahren kann sich dann entweder unmittelbar auf die Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem zur Umsetzung der AK erlassenen Sekundärrecht der Union beziehen. Wo es, wie bei Art. 9 Abs. 3 AK aber an einer Umsetzung fehlt, kann auch unmittelbar die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem ebenfalls ins Unionsrecht einbezogenen Art. 9 Abs. 3 AK selbst zum Gegenstand des Vorabentscheidungsverfahrens gemacht werden, soweit die Verletzung von seinem Ursprung nach unionsrechtlichem Umweltrecht in Rede steht.731 Ein solches Vorgehen ist gar dann möglich, wenn selbst die Ratifizierung des völkerrechtlichen Vertrags durch den jeweiligen MitUnionsrecht ungültig ist und damit der Unionsgesetzgeber – wenn auch nicht verbindlich – zur Nachbesserung aufgerufen wird. 728  Zu dieser Möglichkeit auch A. Tanzi / C. Pitea, The Interplay between EU Law and International Law Procedures in Controlling Compliance with the Aarhus Convention by EU Member States, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 367 (374). 729  M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umwelverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (196). Auch sind natürliche und juristische Personen in diesem Verfahren nicht selbst klagebefugt, A. Haratsch / C. Koenig / M. Pechstein, Europarecht, 10. Aufl. 2016, Rn. 488. 730  A. Haratsch / C. Koenig / M. Pechstein, Europarecht, 10. Aufl. 2016, Rn. 565. Zwar erfolgt das verfahrensabschließende Urteil im Ausgangsstreitverfahren hier letztlich durch die mitgliedstaatlichen Gerichte, die also den Rechtsschutz des Einzelnen gewähren. Dies hat aber unter Beachtung der Auslegung europäischen Rechts durch den EuGH zu erfolgen, der deshalb eine maßgebliche Rolle für die konkrete Form der Rechtsschutzgewährung innehat, vgl. B. W. Wegener, in: C. Calliess /  M. Ruffert, EUV / AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 267 AEUV Rn. 49. Zu den über den Einzelfall hinaus gehenden Wirkungen vgl. a. a. O., Rn. 51. 731  J. Berkemann, Der slowakische Braunbär im deutschen Prozessrecht – Eine Analyse von EuGHE 2011 I-1255, DVBl 2013, 1137 (1140); J. Kokott / C. Sobotta



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gliedstaat noch nicht erfolgt ist, da durch die Einbeziehung des Völkerrechts in das Unionsrecht eine eigenständige unionsrechtliche Bindungswirkung gegenüber dem Mitgliedstaat und dessen Einbeziehung über den Geltungsvorrang europäischen Rechts geschieht.732 Zwar steht die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens durch das jeweilige nationale Gericht entweder in dessen Ermessen (Art. 267 Abs. 2 AEUV) oder es ist diesbezüglich nur objektiv-rechtlich verpflichtet (Art. 267 Abs. 3 AEUV).733 Soweit eine objektivrechtliche Pflicht des nationalen Gerichts auf Einleitung besteht, ist diese jedoch – zumindest in Deutschland – über das Recht auf den gesetzlichen Richter teilweise subjektiviert.734 Soweit die Verletzung in willkürlicher Weise geschieht, d. h. eine unhaltbare Nichtvorlage darstellt,735 kann sie im Wege der Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht angegriffen und so die Durchführung eines solchen Verfahrens in begrenztem Maße auch erzwungen werden. Zudem kommt – ebenfalls begrenzt auf willkürliche Fälle der Nichtvorlage  – eine Individualbeschwerde vor dem EGMR nach Art. 34 EMRK, gestützt auf eine Verletzung von Art. 6 EMRK in Frage.736 Dass dieser Weg, obgleich seine Beschreitung nur in Ausnahmefällen durch Einzelne und Umweltvereinigungen erzwungen werden kann, gleichwohl im Einzelfall zur effektiven Umsetzung der Aarhus-Konvention in den Mitgliedstaaten auch außerhalb des Bereichs der sekundärrechtlich umgeRechtsschutz im Umweltrecht – Weichenstellungen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, DVBl 2014, 132 (135). 732  Siehe den Nachweis in Fn. 498. Nachdem aber auch Irland 2012 die AK ratifiziert hat, ist diese Frage inzwischen rein theoretischer Natur. 733  Diese Einschränkung betont auch H. Schoukens, Access to Justice in Environmental Cases after the Rulings of the Court of Justice of 13 January 2015: Kafka Revisited?, Utrecht Journal of Internatioanl and European Law, 31 (2015), 46 (63). Gleichwohl wird die individualschutzverstärkende Funktion des Verfahrens betont, siehe A. Haratsch / C. Koenig / M. Pechstein, Europarecht, 10. Aufl. 2016, Rn. 565. 734  Dazu, dass eine solche Möglichkeit jedoch in den meisten europäischen Ländern nicht vorgesehen ist M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umwelverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (195). Zwar begründet das Unterlassen einer Vorlage durch ein nationales Gericht bei objektiver Vorlagepflicht gem Art. 267 Abs. 3 AEUV einen Verstoß gegen die Pflicht zur Unionstreue gem. Art. 4 Abs. 3 UAbs. 3 EUV, auf die Geltendmachung der Pflichtverletzung im Wege eines Vertragsverletzungsverfahrens besteht jedoch wiederum kein Anspruch Einzelner. Bislang hat die Kommission von der Einleitung solcher Verfahren abgesehen, B. W. Wegener, in: C. Calliess / M. Ruffert, EUV / AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 267 AEUV Rn. 35. 735  B. W. Wegener, in: C. Calliess / M. Ruffert, EUV / AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 267 AEUV Rn. 36, auch zum Streit über die Frage der Bestimmung der Willkürlichkeit. 736  B. W. Wegener, in: C. Calliess / M. Ruffert, EUV / AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 267 AEUV Rn. 39.

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setzten Normen737 beitragen kann, konnte insbesondere in der bereits in Teilen weiter oben analysierten Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Slowakischer Braunbär beobachtet werden.738 Wie gesehen, begründete der Gerichtshof darin (immerhin) eine Pflicht mitgliedstaatlicher Gerichte zur völkerrechtskonformen Auslegung nationalen Prozessrechts, um den nach Art. 9 Abs. 3 AK geforderten weiten Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten im Bereich des mitgliedstaatlichen Vollzugs sicherzustellen.739 Nicht nur wurde damit das im konkreten Fall vorlegende slowakische Gericht zu einer Gewährleistung des Gerichtszugangs für die im Ausgangsverfahren klagende Umweltvereinigung auf diesem Weg verpflichtet. Auch in Deutschland suchte das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung zum Luftreinhalteplan Darmstadt740 den Vorgaben des EuGH gerecht zu werden,741 indem es eine erweiternde, die hergebrachten Grenzen der Schutznormtheorie überwindende Auslegung des Begriffs der „eigenen Rechte“ in § 42 Abs. 2 VwGO vornahm742 und so schließlich zur Annahme der Klagebefugnis einer Umweltvereinigung gegen einen Luftreinhalteplan nach § 47 Abs. 1 BImSchG gelangte. Der Begründung des Urteils743 und den nachfol737  Diesen den Normalfall darstellenden Konstellationen soll hier nicht weiter nachgegangen werden. 738  Zuletzt hatte der EuGH in einem weiteren Vorabentscheidungsverfahren, das erneut durch die slowakische Umweltvereinigung Lesoochranárske zoskupenie VLK angestoßen worden war, die Gelegenheit seine Rechtsprechung aus der Rs. Slowakischer Braunbär zu bestätigen. GA J. Kokott, hatte ein solches Vorgehen in ihren Schlussanträgen zu diesem Verfahren (von R. Klinger, Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 8.11.2016  – C-243 / 15, ZUR 2017, 90 ff. inzwischen als „Slowakischer Braunbär II“ betitelt) skizziert. Der EuGH folgte der Generalanwältin allerdings auf dem zweiten von ihr erwogenen Weg und löste den Fall über Art. 9 Abs. 2 AK. 739  Zur Reichweite und den Grenzen dieser Verpflichtung sowie zur neuerlichen Entscheidung in der Rechtssache Protect siehe bereits oben: Zweiter Teil, B. III. 2. b) aa) (2) (b) (cc). 740  BVerwG, Urteil vom 05.09.2013 – 7 C 21 / 12 (Luftreinhalteplan Darmstadt). 741  Zwar ist das Bundesverwaltungsgericht nicht unmittelbar durch das Urteil im Vorabentscheidungsverfahren Slowakischer Braunbär gebunden. Gleichwohl hätte das Bundesverwaltungsgericht, hätte es der Entscheidung nicht folgen wollen, zwingend seinerseits das Verfahren aussetzen und ein Vorabentscheidungsverfahren zum EuGH über die Auslegung von Art. 9 Abs. 3 AK im konkreten Fall gem. Art. 267 AEUV einleiten müssen, vgl. noch einmal B. W. Wegener, in: C. Calliess / M. Ruffert, EUV / AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 267 AEUV Rn. 51. 742  BVerwG, Urteil vom 05.09.2013  – 7 C 21 / 12 (Luftreinhalteplan Darmstadt), Rn. 38 ff. Der analogen Anwendung des bisherigen § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG erteilte das Gericht wegen dessen ausdrücklicher Begrenzung auf bestimmte Klagegegenstände dagegen eine Absage, a. a. O., Rn. 30 ff., insoweit bestätigt durch BVerwG, Urteil vom 19.12.2013 – 4 C 14 / 12, Rn. 20. 743  Ausführlich hierzu S. Schlacke, Zur fortschreitenden Europäisierung des (Umwelt-)Rechtsschutzes, NVwZ 2014, 11 (12 ff.); C. Enders, Subjektiv-rechtliche Fun-



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genden relativierenden Entscheidungen des 4. Senats744 des Bundesverwaltungsgerichts soll hier zunächst nicht weiter nachgegangen werden.745 Die Entscheidungen zeigen aber die Effektivität der durch den EuGH begründeten Verpflichtung zur völkerrechtskonformen Auslegung für die Durchsetzung der Aarhus-Konvention – hier Art. 9 Abs. 3 AK – deutlich auf. Dies zeigte sich auch zuletzt in der EuGH-Entscheidung „Slowakischer Braunbär II„746, als dieser, den Schlussanträgen von GA Kokott folgend,747 Art. 6 Abs. 1 lit. b) AK weitgehend für unmittelbar anwendbar erklärte.748 Dieselbe slowakische Umweltvereinigung wie schon im Fall der ersten Braunbärentscheidung erreichte so über das Vorlageverfahren zum EuGH eine Ausweitung ihrer in den Augen des Gerichts nur unvollständig umgesetzten Beteiligungs- und Klagerechte auf nationaler Ebene im Bereich des mitgliedstaatlichen Vollzugs von EU-Umweltrecht, konkret der FFH-RL. Art. 6 Abs. 1 AK bestimmt den Anwendungsbereich der Regelungen über die Öffentlichkeitsbeteiligung bei Entscheidungen über bestimmte Tätigkeiten und  – wegen der Verknüpfung des Anwendungsbereichs von Art. 9 Abs. 2 AK mit derselben Vorschrift – auch die Reichweite dieser Teilgarantie der dritten Säule der AK. Dabei sieht Art. 6 Abs. 1 lit. a) AK eine Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungen über bestimmte im Anhang I der Konvention aufgeführte Tätigkeiten vor, die durch die UVP-RL bzw. die IE-RL mit ihren entsprechenden Anhängen ins europäische und durch Anlage 1 zum UVPG und § 4 BImSchG i. V. m. Anhang 1 zur 4. BImSchV ins deutsche Recht umgesetzt wurden. Art. 6 Abs. 1 lit. b) AK sieht allerdings eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Öffentlichkeitsbeteiligungsvorschriften dierung des Umweltschutzes, ZUR 2016, 387 (389 ff.); kritisch K. Rennert, Funk­ tionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl 2015, 793 (796 f.); K. F. Gärditz, Europäisierter Umweltrechtsschutz als Laboratorium des Verwaltungsprozessrechts, EurUP 2015, 196 (210). 744  Siehe insbesondere die Urteile des 4. Senats des BVerwG, vom 12.11.2014  – 4 C 34 / 13 (Wannsee-Route), Rn. 23 f. sowie vom 18.12.2014 – 4 C 35 / 13 (Müggelsee-Route), Rn. 61 f.; kritisch hierzu C. Franzius, Modernisierung des subjektiven öffentlichen Rechts, UPR 2016, 281 (289); zustimmend dagegen K. F. Gärditz, Europäisierter Umweltrechtsschutz als Laboratorium des Verwaltungsprozessrechts, Eur­UP 2015, 196 (210); M. Ruffert, Verwaltungsrecht im europäischen Verwaltungsverbund, Die Verwaltung 48 (2015), 547 (564 f.). 745  Hierauf wird aber im Rahmen der Untersuchung der Reichweite von Art. 9 Abs. 3 AK noch einmal zurückzukommen sein, siehe Zweiter Teil, B. IV. 3. c) cc) (2). 746  EuGH, Urteil vom 08.11.2016 – C-243 / 15, vgl. zur Namensgebung Fn. 738. 747  Siehe den zweiten Argumentationsstrang der GA J. Kokott, Schlussanträge vom 30.06.2016 – C-243 / 15 Rn. 54 ff. 748  EuGH, Urteil vom 08.11.2016  – C-243 / 15 (Slowakischer Braunbär II), Rn. 45 ff.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

auf weitere nicht durch Anhang I erfasste Tätigkeiten vor, die eine erhebliche Auswirkung auf die Umwelt haben können. Wegen des hier ebenfalls enthaltenen Verweises auf das nationale Recht749 war jedoch bislang stets davon ausgegangen worden, dass den Vertragsstaaten hier ein erheblicher Spielraum zukomme, der einer Überprüfung durch den EuGH entzogen sei. Anders aber die nun ergangene Entscheidung,750 auf deren Argumentation noch einzugehen sein wird.751 Hier reicht es zunächst festzuhalten, dass der EuGH mit der Annahme der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 lit. b) AK für potentiell umwelterhebliche Tätigkeiten,752 für die das nationale Recht wenigstens bereits ein Genehmigungsverfahren vorsieht, den bisherigen Umsetzungen in europäischem und mitgliedstaatlichem Recht ihren abschließenden Charakter nimmt und die Mitgliedstaaten zu Prüfungen der Umwelterheblichkeit im Einzelfall und – gesetzt den Fall ihrer Feststellung – zur Gewährleistung einer Öffentlichkeitsbeteiligung zwingt. Hieran knüpft dann wiederum – ebenfalls soweit notwendig in unmittelbarer Anwendung – jedenfalls ein Recht von Umweltvereinigungen753 auf Zugang zu Gerichten an. Neben den hier genannten Fällen der Anerkennung implementationsunabhängiger Wirkungen von Vorschriften der AK existieren zahlreiche weitere Entscheidungen, in denen der EuGH unmittelbar die ordnungsgemäße Um749  „wendet diesen Artikel in Übereinstimmung mit ihrem innerstaatlichen Recht […]“ an. 750  Nach EuGH, Urteil vom 08.11.2016  – C-243 / 15 (Slowakischer Braunbär II), Rn. 48 bezieht sich der Spielraum lediglich auf die Modalitäten der Öffentlichkeitsbeteiligung, ohne das Recht auf Beteiligung an sich in Frage zu stellen. 751  Siehe hierzu unten: Zweiter Teil, B. IV, 2. d) aa) (2). 752  Im konkreten Fall ging es um die nicht in Anhang I AK aufgeführte Tätigkeit der Errichtung einer Einzäunung als Erweiterung eines Wildgeheges innerhalb eines FFH-Gebietes, EuGH, Urteil vom 08.11.2016  – C-243 / 15 (Slowakischer Braunbär II), Rn. 19, 47. Nach deutscher Rechtslage wären bei der hier notwendigen Ausnahmeerteilung gem. § 34 Abs. 3 BNatSchG anerkannte Naturschutzvereinigungen allerdings schon nach bestehendem Recht gem. § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG zu beteiligen gewesen. Nach Maßgabe des § 64 BNatSchG stünde diesen auch bereits ein Klagerecht zu. Vgl. aber zu den Auswirkungen der Entscheidung fürs deutsche Recht OVG Magdeburg, Beschluss vom 23.03.2017  – 2 K 127 / 15, ZUR 2017, 552 (553 f.); VG Neustadt, Beschluss vom 09.05.2017  – 3 L 504 / 17.NW, ZUR 2017, 566 (566 f.) sowie diesen Entscheidungen entgegengerichtet und eine unmittelbare Anwendung von Art. 9 Abs. 2 AK i. V. m. Art. 6 Abs. 1 lit. b AK für die konkrete Konstellation ablehnend VGH München, Urteil vom 14. März 2017 – 22 B 17.12, ZUR 2017, 555 ff mit seinerseits ablehnender Anmerkung von Kremer, a. a. O. S. 559 ff. 753  Überdies sieht ein Recht Einzelner begründet R. Klinger, Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 08.11.2016 – C-243 / 15, ZUR 2017, 90 (90). Dies erscheint angesichts des in Art. 9 Abs. 2 AK eingeräumten Spielraums der Mitgliedstaaten nicht zweifelsfrei und scheint auch von der Argumentation des Gerichtshofs nicht getragen zu werden, vgl. a. a. O. Rn. 58 ff., wo der Gerichtshof den Zugang zu Gerichten ausdrücklich nur für Umweltvereinigungen zwingend fordert.



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setzung sekundärrechtlicher Vorschriften, die zur Umsetzung der AarhusKonvention erlassen wurden, durch das mitgliedstaatliche Recht kontrolliert. Da viele der Vorschriften der AK durch das EU-Sekundärrecht nahezu wortlautidentisch umgesetzt wurden, kommt dies letztlich einer unmittelbaren Anwendung der AK nahe, zumal der Gerichtshof vielfach deren Vorschriften und Entstehungszusammenhänge zur Bestimmung des Inhalts des EU-Rechts heranzieht. Gleichwohl soll dieser Form der Durchsetzung der AK hier nicht weiter nachgegangen werden,754 da es sich formal hierbei um die bekannte und vielfach untersuchte Durchsetzung von EU-Sekundärrecht gegenüber den Mitgliedstaaten handelt. c) Nationale Gerichte und Behörden Schließlich können Einzelne und Umweltvereinigungen in der überwiegenden Zahl der (Normal-)Fälle von den ihnen durch die Aarhus-Konvention eingeräumten prozeduralen Rechtspositionen auf nationaler Ebene Gebrauch machen und dadurch ihren durch Absatz 8 der Präambel der AK geforderten Beitrag zur Verwirklichung des Rechts eines jeden Menschen gegenwärtiger oder künftiger Generationen auf ein Leben in einer der Gesundheit und dem Wohlbefinden zuträglichen Umwelt i. S. v. Art. 1 AK leisten. Soweit die Konvention vollständig und ordnungsgemäß in nationales Recht oder unmittelbar anwendbares europäisches Recht umgesetzt wurde, haben die Behörden ­dieses aufgrund des Vorrangs des Gesetzes zu beachten. Bei Verstößen hiergegen erlangen Einzelne und Umweltvereinigungen Rechtsschutz nach Maßgabe der ins nationale Recht umgesetzten Artikel 9 Abs. 1, 2 und 3 AK. Gegen Maßnahmen der Union im gemeinschaftseigenen Vollzug kann auf nationaler Ebene dagegen nicht vor nationalen Gerichten vorgegangen werden. Wurden dagegen einzelne Vorschriften nicht vollständig umgesetzt, so ist danach zu unterscheiden, ob die maßgeblichen umweltrechtlichen Regelungen europäischen Ursprungs oder rein national geregelt sind. Im weitaus häufigeren ersten Fall europäisch induzierten Umweltrechts haben nationale Stellen die europarechtlichen Wirkungen für Fälle nationaler Umsetzungsmängel wie etwa die unmittelbare Wirkung von Richtlinienrecht zu beachten.755 Weist auch die europäische Ebene Umsetzungslücken oder Mängel 754  Diese Rechtsprechung ist allerdings bei der Bestimmung der einzelnen durch die AK vermittelten Rechtspositionen einzubeziehen. 755  Dies hätte etwa die zuständige Behörde in dem der Trianel-Entscheidung des EuGH zugrunde liegenden Fall tun müssen, nachdem die Regelungen des damaligen § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG fehlerhaft Art. 10a UVP-RL a. F. umsetzten, dieser aber seinerseits die Anforderungen für eine unmittelbare Wirkung erfüllte, vgl. EuGH, Urteil vom 12.05.2011 – C-115 / 09, Rn. 57.

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auf, können die durch den EuGH begründeten und bereits dargestellten implementationsunabhängigen Wirkungen der AK im Europarecht auch auf nationaler Ebene zu beachten sein, wenn diese durch die Teilhabe der AK am Anwendungsvorrang des Europarechts auch auf die nationale Ebene durchschlagen756 oder aber im Rahmen nationaler Gerichtsverfahren ist eine Vorabentscheidung des EuGH über die Gültigkeit des ggf. fehlerhaften Europarechts einzuholen.757 Bei Fällen außerhalb des Umwelteuroparechts und in Vertragsstaaten der AK außerhalb der EU liegen die Dinge anders: Da die Wirkungsverstärkung über das Europarecht hier nicht stattfindet,758 kommt es hier maßgeblich darauf an, mit welchem Geltungsrang die Vorschriften der AK ins nationale Recht einbezogen wurden und inwieweit das nationale (Verfassungs-)Recht und auch die nationalen Institutionen bereit sind, implementationsunabhängige Wirkungen der Konvention anzuerkennen759 und damit die eigene Rechtsordnung für völkerrechtliche Einwirkungen zu öffnen.760 3. Zwischenfazit: Komplexes Mehrebenenverhältnis Es ist festzuhalten, dass durch den gemeinsamen Abschluss der AarhusKonvention durch die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten ein kom756  So das BVerwG, Urteil vom 05.09.2013  – 7 C-21 / 12 (Luftreinhalteplan Darmstadt). 757  Trotz vorhandener Zweifel entschied sich das BVerwG in der Rechtssache Luftreinhalteplan Darmstadt – entgegen der Anregung des Vertreters des Bundesinteresses – gegen ein solches Vorgehen, vgl. Urteil vom 05.09.2013 – 7 C-21 / 12, Rn. 12, 22. 758  Zur Einbeziehung der Vorschriften der AK in die Unionsrechtsordnung nur im Rahmen des europäischen Umweltrechts, EuGH, Urteil vom 12.05.2011  – C-115 / 09 (Trianel), Rn. 46, 48. 759  Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines „treaty override“ durch nachfolgende Bundesgesetze BVerfG, Beschluss vom 15.12.2015  – 2 BvL 1 / 12 mit kritischer Anmerkung M. Sachs, JuS 2016, 571 ff. Im – freilich begrenzten – Bereich des rein nationalen Umweltrechts würden mithin selbst Aarhus-widrige Umsetzungsgesetze deren möglicherweise bestehende völkerrechtsunmittelbare Wirkungen verdrängen. Vgl. hierzu nun VGH München Urteil vom 14. März 2017 – 22 B 17.12, Rn. 34 = ZUR 2017, 555 (557). 760  Im deutschen Recht sind aufgrund des Geltungsrangs der Aarhus-Konvention entsprechend einfachen Bundesrechts nationale Rechtsvorschriften ebenfalls in deren Lichte auszulegen, so auch J. Berkemann, NGO scheitern mit umweltrechtlicher Nichtigkeitsklage vor dem EuGH, ZUR 2015, 221 (229); A. Guckelberger, Entwicklungslinien im Umweltrechtsschutz, JA 2014 647 (654); F. Ekardt, Verbandsklage vor dem EuGH: Mitgliedstaaten verklagen, EU-Institutionen verschonen?, NVwZ 2015, 772 (775). Anders als nach Ekardt ergibt sich dies nach hier vertretener Ansicht aber nicht aus einer grundrechtsorientierten, sondern einer völkerrechtskonformen Auslegung nationalen Prozessrechts.



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plexes Mehrebenenverhältnis aus nationaler, supranationaler und internationaler Rechtsebene entstanden ist, das durch die Einbindung von Rechtsschutz- und Überwachungsorganen auf allen drei Ebenen und die jeweils vorgesehenen Möglichkeiten Einzelner und Umweltvereinigungen zur Verteidigung oder jedenfalls Förderung ihrer in der Konvention vorgesehenen Rechtspositionen gekennzeichnet ist. In seiner Komplexität, aber auch in seinen Möglichkeiten für Einzelne und Umweltvereinigungen geht dieses Verhältnis weit über die übliche Beziehung zwischen internationalem und nationalem Recht hinaus, das für die Staaten außerhalb der EU und auch für die EU-Mitgliedstaaten im Bereich rein nationalen Umweltrechts auch zu den Regelungen der Aarhus-Konvention besteht. Mit dem ACCC besteht ein unabhängiges völkerrechtliches Organ, bei dem Einzelne und Umweltvereinigungen zwar nicht um Rechtsschutz nachsuchen können,761 sehr wohl aber durch die Initiierung von ComplianceVerfahren zu einer vollständigen Um- und Durchsetzung der Aarhus-Konvention beitragen können. Nach hier vertretener Ansicht kommen zwar den Berichten und Empfehlungen des ACCC selbst noch keine, wohl aber den Entscheidungen der Vertragsstaatenkonferenz über ihre Annahme rechtliche Wirkungen i. S. v. Art. 31 Abs. 3 lit. b) WVK zu. Während Gerichtsbarkeit und Gesetzgeber in Deutschland (auch) die (rechtliche) Bedeutung der Tätigkeit des Überwachungsausschusses jedenfalls dem Grunde nach anerkennen, hat der Europäische Gerichtshof sein Verhältnis zum ACCC bislang nicht geklärt. Entgegen tendenziell anderslautender Bekundungen762 kann deshalb jedenfalls nicht von einem umfassenden Kooperationsverhältnis zwischen ACCC und EuGH gesprochen werden. Wie die bisherige Darstellung bereits zeigt, sorgt der EuGH mit seiner Aarhus-relevanten Rechtsprechung vor allen Dingen im Bereich des mitgliedstaatlichen Vollzugs für eine Öffnung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen für völkerrechtsunmittelbare Einflüsse der AK durch die extensive Anerkennung auch implementationsunabhängiger Wirkungen ihrer Vorschriften, die durch die mitgliedstaatlichen Gerichte unmittelbar innerhalb der nationalen Rechtsordnungen zu verarbeiten sind. Es darf zwar nicht vergessen werden, dass dies nur deshalb möglich ist, weil nationale Gesetzgeber eine vollständige Umsetzung der völkerrechtlichen Vorgaben der Aarhus-Konvention nicht vorgenommen haben. Gerade die Anerkennung unionsrechtlich verstärkter völkerrechtsunmittelbarer Wirkungen des Art. 9 Abs. 3 AK unter Missachtung dessen, dass der europäische Gesetzgeber sich zu seiner Umset761  Zu Entwicklungsperspektiven für das ACCC A. Epiney / S. Dilzig / B. Pirker /  S. Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Einführung Rn. 48. 762  Vgl. B. W. Wegener, Die Aarhus-Konvention in der Rechtsprechung des EuGH, EurUP 2014, 226 (240).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

zung bislang gerade nicht durchringen konnte und die Auswirkungen auf die ebenfalls durch gesetzgeberische Untätigkeit gekennzeichnete, insoweit bestehende nationale Rechtslage, führt aber zu einer erheblichen Verschiebung, wenn nicht Überschreitung der auf europäischer und nationaler Ebene vorgesehenen Gewaltenteilung zwischen Legislative und Judikative bei der Geltungsverschaffung zugunsten von Völkerrecht.763 Auf der anderen Seite hat der EuGH so einen erheblichen Anteil an der Stärkung der in der AarhusKonvention vorgesehenen Rechtspositionen Einzelner und Umweltvereinigungen, deren völkerrechtsunmittelbare Geltung so in nicht unerheblichem Umfang anerkannt wurde. In durchaus starkem Kontrast hierzu steht die Rechtsprechung des EuGH zum Bereich des Aarhus-relevanten unionseigenen Vollzugs des Umweltrechts. In sehr viel stärkerem Maße setzt sich hier – jedenfalls im Ergebnis – der Autonomieanspruch des Unionsrechts und auch der unionalen Rechtsprechung selbst durch. In durchaus angreifbarer und hier auch kritisierter Weise hat der EuGH Forderungen nach Weiterungen des primärrechtlichen Rechtsschutzsystems, in dem Einzelne und Umweltvereinigungen unter der fortgeführten Geltung der Plaumann-Formel nahezu vollständig von der Möglichkeit effektiven Rechtsschutzes durch eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 Abs. 4 AEUV gegen umwelt- und biodiversitätsrelevante Maßnahmen der Organe und Einrichtungen der Union ausgeschlossen sind, zurückgewiesen. Auch eine mittelbare Erweiterung des Rechtsschutzes über das in der AKVO vorgesehene interne Verfahren und dem anschließenden Klageverfahren vor dem Gerichtshof selbst hat dieser nicht vorgenommen.764 Zwar ist das Vorgehen des unter den Gesichtspunkten der primärrechtlichen Natur dieses Verfahrens und der Geltung eines nur beschränkten Zugangs für Einzelne und juristische Personen auch außerhalb des Umweltbereichs nachvollziehbar.765 Gleichwohl überzeugt es nicht, wenn der Gerichtshof die Rechtsschutzsuchenden auch für solche Maßnahmen im unionseigenen Vollzug auf die mitgliedstaatlichen Gerichte verweist, bei denen überhaupt keine nationalen Umsetzungsmaßnahmen erfolgen, die ihrerseits hier angegriffen werden könnten. Überdies konnte auch bereits gezeigt werden, dass der Gerichtshof auch in anderen Bereichen des unionseigenen Vollzugs, konkret bei der Relativierung von Umweltinformationsansprüchen durch die Anerkennung ­ von völkerrechtlich fragwürdigen Versagungsgründen, um eine Wahrung der 763  A. Schwerdtfeger, Implementation and Separation of Powers, in: E. J. Lohse /  M. Poto, Participatory Rights in the Environmental Decision-Making Process and the Implementation of the Aarhus Convention, 2015, 173 (187). 764  Siehe hierzu unter Zweiter Teil, B. III. 2. b) aa) (2) (b) (bb). 765  Zu letzterem Argument auch GA N. Jääskinen, Schlussanträge vom 08.05.2014 – C-401 / 12, Rn. 36; M. Pallemaerts, Access to Environmental Justice at EU Level, in: ders., The Aarhus Convention at Ten, 2011, 271 (297 ff.).



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte327

Freiräume der EU-Organe bemüht ist.766 Insofern ist es zumindest aus Sicht des vorliegend untersuchten Biodiversitätsschutzes bedauerlich, dass sich der EuGH im Spannungsfeld der Wahrung der Eigenständigkeit des Unionsrechts einerseits sowie dem Willen, die der Union obliegenden völkerrechtlichen Verpflichtungen einzuhalten andererseits,767 zu stark nach der Autonomie des Unionsrechts strebt und es insoweit verpasst, das Unionsrecht für die Belange biologischer Vielfalt und der Umwelt allgemein, wie es für die Mitgliedstaaten erfolgt ist, stärker völkerrechtlichen Einflüssen zu öffnen.

IV. Schutz biologischer Vielfalt mittels prozeduraler Rechte der Aarhus-Konvention Nachdem vorstehend dargelegt wurde, welche prozessualen Möglichkeiten Einzelne und Umweltvereinigungen mit Blick auf die Durch- und Umsetzung der Vorschriften der Aarhus-Konvention besitzen, sollen nun Gegenstand, Reichweite und subjektiv-rechtlicher Charakter der einzelnen durch die Aarhus-Konvention vermittelten bzw. aufgrund ihrer durch die Vertragsstaaten zu vermittelnden Rechtspositionen näher beleuchtet und deren Ausrichtung auf den Schutz auch der biologischen Vielfalt erhellt werden. Dabei sind insbesondere diejenigen Aspekte hervorzuheben, die das Potential der Konvention und ihrer Rechte zum Schutz biologischer Vielfalt aufzeigen – andere Aspekte sind dagegen notwendigerweise kürzer zu fassen. Es wird sich zeigen, dass gerade die ersten beiden Säulen der Umwelt­ information und der Öffentlichkeitsbeteiligung im europäischen und deutschen Umweltrecht nicht so sehr grundlegende, prinzipienstürzende Neuerungen mit sich bringen, sondern sie vielmehr bereits vorhandene Ansprüche ausweiten und deren Durchsetzung gegen praktisch relevante Behinderungen absichern (1. und 2.).768 Die dritte Säule über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten führt dagegen zu einem erheblichen Anpassungsdruck auf die Rechtsschutzsysteme der Vertragsstaaten, der umso höher ist, je stärker diese – wie in Deutschland – einen restriktiven Gerichtszugang i. S. d. Modells der Verletztenklage für Einzelne und Umweltvereinigungen in Umweltangelegenheiten vorhalten (3.).

766  Siehe

hierzu unter Zweiter Teil, B. III. 2. b) aa) (3). N. Jääskinen, Schlussanträge vom 08.05.2014 – C-401 / 12, Rn. 1. 768  A.-M. Schlecht, Die Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern im deutschen Umweltrecht, 2010, S. 141; für die Bedeutung der Vorschriften zur Öffentlichkeitsbeteiligung nach der AK im deutschen Recht N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 220, die auch auf deren Wert für die Effektuierung der Öffentlichkeitsbeteiligung hinweist, S. 333. 767  GA

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Ein besonderes Augenmerk wird die Untersuchung dabei auch auf die Frage legen, warum – jenseits des offensichtlichen Einflusses lobbyistischer Interessenpolitik auf den Gesetzgeber769 sowie rechtssoziologisch und -psychologisch zu erklärender Beharrungskräfte – die Auswirkungen der AarhusKonvention auf das nationale Recht gerade in ihrer subjektiv-rechtlichen Dimension lange Zeit geradezu strukturell unterschätzt wurden. Dies lässt sich sicherlich mit der auch in Deutschland nach wie vor weit verbreiteten, nur äußerst restriktiven Anerkennung von völkerrechtsunmittelbaren Positionen Einzelner und Gruppen im Völkerrecht erklären,770 die den Blick auf diesbezügliche Wandelungsprozesse in der Völkerrechtspraxis ein Stück weit verstellt haben könnte und sich Kommentatoren deshalb zu sehr auf die Vorgaben allein der europarechtlichen Umsetzungsgesetzgebung konzentrierten. Konkret auf die Aarhus-Konvention bezogen dürfte allerdings noch stärker zum einen eine Rolle gespielt haben, dass der subjektiv-rechtliche Charakter der durch ihre Regelungen vermittelten Positionen nicht auf den ersten Blick erkennbar ist, bedient sich der Vertragstext der AK doch weit weniger hierauf deutlich verweisender Ausdrücke, wie es in menschenrechtlichen Konventionen wie der EMRK der Fall ist.771 Zudem lassen insbesondere die allgemeinen Bestimmungen des Art. 3 AK, welche die Vertragsparteien ganz generell zum Ergreifen der erforderlichen Implementierungsmaßnahmen verpflichten und auch die zahlreichen sprachlichen Spielräume772 der einzelnen Vertrags769  In für den rechtswissenschaftlichen Diskurs ungewöhnlicher Deutlichkeit werden die Einflüsse auf den Gesetzgeber bei der Schaffung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes im Jahr 2005 / 2006 benannt und kritisiert. Gegenstand der Kritik ist insbesondere das von T. von Danwitz im Auftrag des Verbandes der Elektrizitätswirtschaft e. V. verfasste Gutachten „Zur Ausgestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten bei Ein­ führung der Verbandsklage anerkannter Umweltschutzverbände nach Vorgaben der Richtlinie 2003 / 35 / EG und der so genannten Aarhus-Konvention, 2005“, dem ein maßgeblicher Einfluss auf die Entscheidung der damaligen Koalition aus CDU / CSU und SPD für eine schutzgutakzessorische Ausgestaltung der ersten Fassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes zugeschrieben wird, M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012) 171 (180); J. Berkemann, Die unionsrechtliche Umweltverbandsklage des EuGH, DVBl 2011, 1253 (1258); S. Schlacke, Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, NuR 2007, 8 (9); A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 273, Fn. 650; H. J. Koch, Die Verbandsklage im Umweltrecht, NVwZ 2007, 369 (377). 770  Hierzu bereits oben: Erster Teil, C. II. 2. 771  J. Ebbesson, Public Participation and Privatisation in environmental matters, Erasmus Law Review 4 (2011), 71 (74). Zwar spricht auch die AK in Art. 1 ausdrücklich von Rechten, unklar bleibt gleichwohl ihr völkerrechtsunmittelbarer oder mittelbar völkerrechtlicher Charakter. 772  Nichtsdestotrotz ist im Vergleich der Aarhus-Konvention mit anderen umweltvölkerrechtlichen Abkommen der hohe Detaillierungsgrad der Regelungen und die hohe Bestimmtheit der Regelungen gerade der ersten Säule der AK zu bemerken, vgl.



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regelungen vermeintlich darauf schließen, dass ihre weitere inhaltliche gesetzgeberische Umsetzung in unionales und nationales Recht conditio sine qua non der meisten ihrer rechtlichen Wirkungen im nationalen Rechtskreis ist. Es wird zu zeigen sein, wie diese Spielräume insbesondere aufgrund der aufgezeigten Einwirkungsmöglichkeiten Einzelner und Umweltvereinigungen auf die Um- und Durchsetzungsmechanismen vor allen Dingen auf europäischer und internationaler Ebene und die dadurch angestoßene Rechtsprechungs- und Berichtstätigkeit einen Konkretisierungsprozess ausgelöst hat, der zur weitgehenden Schließung ursprünglich vorhandener Spielräume der Vertragsparteien und der – in Ansätzen bereits demonstrierten – Anerkennung völkerrechtsunmittelbarer Wirkungen geführt hat. Soweit in diesem Zuge nicht lediglich Entscheidungen des ACCC, sondern gerade auch des EuGH für die Ermittlung der Inhalte der Aarhus-Konvention herangezogen werden, ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich der EuGH, selbst soweit sekundärrechtliche Umsetzungsregelungen weitestgehend wortlautidentisch mit den Vorschriften der Konvention sind,773 einer eigenen europarechtlichen Auslegungsmethode bedient.774 Gleichwohl muss auch der EuGH, wenn er die Umsetzungsregelungen im Lichte der AK prüft, zunächst den Inhalt dieser völkerrechtlichen Vorschriften bestimmen und hierbei die allgemeinen völkerrechtlichen Auslegungsmittel anwenden.775 1. Das „Recht auf Zugang zu Umweltinformationen“ Im Steuerungskonzept der informierten Öffentlichkeit776 ist das Recht auf Zugang zu Umweltinformationen neben deren aktiver staatlicher Verbreitung zentral für die Aktivierung der Öffentlichkeit auch zum Schutz biologischer D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 74. 773  Kritisch zum „copy and paste“-Ansatz der Europäischen Union bei der Überführung der Vorgaben der AK in das europäische Sekundärrecht C. Franzius, Objektive Rechtskontrolle statt subjektiver Rechtsschutz?, NuR 2009, 384 (385). 774  Vgl. M. Nettesheim, in: T. Oppermann / C. D. Classen / ders., Europarecht, 7. Aufl. 2016, § 9 Rn. 165 sowie 168 zum Unterschied zur Methode im allgemeinen Völkerrecht; vgl. zudem EuGH, Urteil vom 14.02.2012  – C-204 / 09 (Flachglas Torgau), Rn. 37 sowie EuGH, Urteil vom 19.12.2013  – C-279 / 12 (Fish-Legal), Rn. 42, beide zur autonomen Auslegung von Begriffen, soweit nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verwiesen wird. 775  A. Tanzi / C. Pitea, The Interplay between EU Law and International Law Procedures in Controlling Compliance with the Aarhus Convention by EU Member ­States, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 367 (380); J. Berkemann, Vollkontrolle der Umweltverbandsklage!, DVBl 2015, 389 (394 f.). 776  Hierzu bereits oben: Zweiter Teil, B. I. 2. a).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Vielfalt, indem es einen Zugang zu Umweltinformationen als dem „Rohstoff für gesellschaftliches Engagement und Rechtsschutzbegehren“777 schafft. Auf völkerrechtlicher Ebene enthält Art. 4 AK in seinen acht Absätzen eine detaillierte Ausgestaltung eines anlasslosen Rechts der Öffentlichkeit auf Zugang zu Umweltinformationen. Dieses ist reaktiver Natur, d. h., es begründet eine Pflicht des Staates, auf die Anfrage eines Berechtigten hin diesem Umweltinformationen i. S. v. Art. 2 Nr. 3 AK zur Verfügung zu stellen.778 Es steht im Unterschied zu aktiven Informationspflichten, bei denen der Staat von sich aus bei Vorliegen eines bestimmten Tatbestands, bspw. dem Bestehen akuter Umweltgefahren779 oder auch anlasslos, Informationen verbreiten muss. Das Recht selbst ist dabei in Art. 4 Absatz 1 AK geregelt. Aufgrund der klaren Konturierung der Regelung780 und der daraus resultierenden Bestimmtheit und Unbedingtheit sowie der durch die Antragsgebundenheit des Rechts klar zum Ausdruck kommenden Absicht der Verleihung einer individuellen Rechtsmacht781 wurde schon frühzeitig der völkerrechtsunmittelbar begründete subjektiv-rechtliche Charakter der Regelung an­ erkannt,782 der auch durch den in Absatz 1 befindlichen Verweis auf das Recht der Vertragsstaaten nicht in Frage gestellt wird.783 Absatz 2 betrifft 777  M. Eifert, Umweltschutzrecht, in: F. Schoch, Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, 5. Kap., Rn. 161. 778  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 237; zu weiteren Informationsrechten im Völkerrecht vgl. dens., a. a. O., S.  62 ff. sowie UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch, The Aarhus-Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 75 f.; zur Unterscheidung von verfahrensabhängigen und verfahrensunabhängigen Informationsrechten im Europarecht N. Salzborn, Das umweltrechtliche Kooperationsprinzip auf unionaler Ebene, 2011, S. 203. 779  Vgl. insoweit die Untersuchung im Rahmen der EMRK: Zweiter Teil, A. IV. 2. c) bb). 780  D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 84. 781  Eine Indizwirkung eines Antragserfordernisses auf europäischer Ebene sieht auch, wenn auch mit Einschränkung, M. Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (365 und dort Fn. 110). 782  Siehe nur S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 246; M. Scheyli, Aarhus-Konvention über Informationszugang, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz in Umweltbelangen, AVR 38 (2000), 217 (250 f.); in Deutschland hatte man zu diesem Zeitpunkt allerdings auch bereits zahlreiche ehemals vorhandene Widerstände, die noch der ersten Umweltinformationsrichtlinie der EWG von 1990 und dem dort geregelten Informationsanspruch entgegengebracht wurden, überwunden. Zu den hierfür nötigen Interventionen deutscher Gerichte sowie des EuGH siehe C. Schrader, in: S. Schlacke / C. Schrader / T. Bunge, Aarhus-Handbuch, 2010, § 1 Rn. 60. 783  A. Tanzi / C. Pitea, The Interplay between EU Law and International Law Procedures in Controlling Compliance with the Aarhus Convention by EU Member States, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 367 (372), sowie



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Vorgaben hinsichtlich der Modalitäten der Bereitstellung der Informationen. Die Absätze 3 und 4 enthalten fakultative Ablehnungsgründe, deren Umfang maßgeblich über die Reichweite des Informationsrechts entscheidet.784 Die Absätze 5–8 enthalten weitere Vorgaben, welche für die effektive Geltendmachung des Informationsanspruchs von herausragender Bedeutung sind. Seine prozessuale Absicherung erfährt Art. 4 AK im Rahmen der dritten Säule der Konvention in Art. 9 Abs. 1 AK, die auch in diesem Zusammenhang zu behandeln sein wird. Neben dem reaktiven Informationsrecht des Art. 4 AK enthält die AarhusKonvention rein objektiv-rechtliche aktive informationsbezogene Pflichten der Vertragsstaaten in Art. 5 AK, deren Erfüllung – wie etwa die Anlegung von Umweltdatensammlungen785 – überhaupt erst die Grundlage für die Erfüllung des Anspruchs nach Art. 4 AK schaffen786 und diesen Anspruch durch aktive Informationspflichten ergänzen.787 Überdies kennt die Konvention weitere unselbständige Informationsrechte und -pflichten, die im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung aktuell werden. Trotz der völkerrechtsunmittelbaren Gewährleistung des Umweltinforma­ tionsrechts in Art. 4  AK haben die Vertragsstaaten, entsprechend ihrer Verpflichtung nach Art. 3 AK, dieses in die nationalen Rechtsordnungen sowie das Recht der EU implementiert. Im Europarecht wurde es im Bereich des unionseigenen Vollzugs durch Verordnung 1367 / 2006788 umgesetzt, die insoweit teils die Regelungen der Verordnung 1049 / 2001789 erläuternde, teils modifizierende und teils ergänzende Regelungen enthält. Im Bereich des D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 100, die ebenfalls nur von einer Freiheit der Vertragsstaaten der Mittelwahl bei der Umsetzung der im Übrigen unbedingten Verpflichtung ausgeht. 784  C. Schrader, in: S. Schlacke / C. Schrader / T. Bunge, Aarhus-Handbuch, 2010, § 1 Rn. 86. 785  Vgl. hierzu auch das in Konkretisierung der Pflicht nach Art. 5 Abs. 2 AK vereinbarte sog. Kiew Protokoll (Protocol on Pollutant Release and Transfers Registers), das am 08.  Oktober 2009 in Kraft getreten ist und derzeit 35 Vertragsparteien hat. 786  S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 236. 787  F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 119. 788  Verordnung (EG) Nr. 1367 / 2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. September 2006 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Århus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft, ABl. EU L 264 / 13 vom 25.9.2006. 789  Verordnung (EG) Nr. 1049 / 2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission, ABl. EG L 145 / 43 vom 31.5.2001.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

mitgliedstaatlichen Vollzugs erfolgte die Umsetzung durch Richtlinie 2003 / 4 / EG,790 die sog. 2. Umweltinformationsrichtlinie, welche die erste Umweltinformationsrichtlinie von 1990 ablöste. In Deutschland wurden die neuen europa- und völkerrechtlichen Anforderungen durch eine Novellierung des Umweltinformationsgesetzes – allerdings als reines Bundesrecht – sowie Landesumweltinformationsgesetze implementiert.791 Trotz der starken Orientierung von Art. 4 AK an dem schon in der ersten Umweltinformationsrichtlinie der EWG vorgesehenen Umweltinformationsanspruch weist die Ausgestaltung in der AK und deren konkretisierende Fortentwicklung im Detail zahlreiche Änderungen auf, die eine ausführliche Darstellung erforderlich machen. Nach einer teils wiederholenden Darstellung der Funktionen des reaktiven Informationsrechts im Steuerungsmodell der Aarhus-Konvention [a)] sind die Zugangsberechtigten [b)] und -verpflichteten [c)] näher zu betrachten. Art und Inhalt der zu gewährenden Informationen entscheiden darüber, inwieweit der einzelne Anspruchsteller durch sie theoretisch befähigt wird, zum Schutz biologischer Vielfalt beizutragen [d)], einzelne Modalitäten des Informationszugangs über die praktische Verwirklichung dieses Ansinnens [e)]. Die Reichweite des gewährleisteten Zugangs wird erst nach einem Abgleich des prima facie gewährleisteten Rechts mit seinen Beschränkungsmöglichkeiten ersichtlich [f)] und erlaubt schließlich ein Zwischenfazit [g)]. a) Funktionen des reaktiven Informationsrechts Das reaktive Informationsrecht nach Art. 4 AK soll die verschiedenen bereits erwähnten Zwecke, wie sie in der Präambel der Aarhus-Konvention aufgeführt sind,792 erfüllen und dient letztlich auch dem Erreichen des in Art. 1 AK formulierten Ziels, einen Beitrag zum Schutz des Rechts eines 790  Ausführlich zu RL 2003 / 4 / EG und ihrer Umsetzung ins deutsche Recht F. Rinke, Der Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen – die Richtlinie 2003 / 4 / EG und deren Umsetzung in deutsches Recht, 2009. 791  Vgl. K. Meßerschmidt, Europäisches Umweltrecht, 2011, S. 578 sowie zum Hintergrund für die Aufteilung in bundes- und landesrechtliche Regelungen C. Schrader, in: S. Schlacke / C. Schrader / T. Bunge, Aarhus-Handbuch, 2010, S. 40 f.; ein Überblick über die Umweltinformationsansprüche im deutschen Recht findet sich auch bei M. Eifert, Umweltschutzrecht, in: F. Schoch, Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, 5. Kap., Rn. 161 ff. sowie U. Ramsauer, Allgemeines Umweltverwaltungsrecht, in: H.-J. Koch, Umweltrecht, 4. Aufl. 2014, § 3 Rn. 105 ff.; zu den Informationszugangsrechten des Bürgers auch M. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 5 Rn. 1364 ff. 792  Siehe hierzu bereits oben unter Zweiter Teil, B. I. 2. a) sowie die Literatur zu den weitgehend identischen Motiven der Umweltinformationsrichtlinie wie etwa K. Meßerschmidt, Europäisches Umweltrecht, 2011, S. 575 ff.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte333

jeden Mitglieds gegenwärtiger und künftiger Generationen auf ein Leben in einer der Gesundheit und dem Wohlbefinden zuträglichen Umwelt zu leisten. Das nach Art. 4 AK durch die Vertragsparteien zu gewährleistende Recht besitzt hierfür sowohl eigenständige als auch – mit Blick auf die zweite und dritte Säule der AK – unselbständige vorbereitende Bedeutung. Als anlassloses Informationsrecht erlaubt die Gewährleistung nach Art. 4 AK in Ergänzung der anlass-, nämlich verfahrensbezogenen Informationsregelungen innerhalb der Art. 6 bis 8 AK793 jedermann sich über den Zustand der Umwelt zu informieren. Dies allein wird durch Art. 4 AK rechtlich garantiert.794 Dass dies zur Erreichung des in Art. 1 AK formulierten Ziels beitragen kann, ist eine durch die Konventionsgeber ausgedrückte Annahme, die rechtlich nur teilweise, nämlich durch die in der zweiten und dritten Säule verbürgten Gewährleistungen abgesichert wird. Dass aber Mitglieder der Öffentlichkeit – allein oder vereint in Umweltvereinigungen – aktiv werden und von dem reaktiven Informationsrecht überhaupt Gebrauch machen, die erlangten Informationen nicht für private Interessen, sondern das öffentliche Interesse am Umweltschutz durch einen Dialog mit den staatlichen Stellen oder einen Beitrag zum öffentlichen politischen Diskurs fördern, bleibt – trotz der Erwähnung der Pflichtendimension des Rechts auf eine gesunde Umwelt in der Präambel der Konvention795 – der freien Entscheidung der Mitglieder der Öffentlichkeit überlassen. Hinter der Regelung des Informationsrechts nach Art. 4 AK steht danach das Bild einer aktiven, intrinsisch motivierten Zivilgesellschaft, die zumindest in Umweltfragen ohne konkreten äußeren Anstoß einen Beitrag zum Ziel der AK leisten will und hierfür nur der richtigen rechtlichen Instrumente bedarf.796 Dies kommt in den in der Präambel aufgeführten Erwägungsgründen nur unvollständig heraus, da diese sich ohne genauere Differenzierung zumeist auf mehrere der drei Säulen oder zumindest Garantien der Konvention beziehen, folgt jedoch aus der Abgrenzung der verschiedenen Gewährleistungen zueinander. Art. 4 AK kommt so im Rahmen ihres Zwecks der Förderung des Umweltbewusstseins797 die Rolle zu, bereits sensibilisierten Teilen der Öffentlichkeit die weitere Schärfung ihres Bewusstseins und die Vertiefung ihres Wissens zu ermöglichen. Mitglieder der Öffentlichkeit sind insoweit also, anders als beim Empfang staatlich verbreiteter allgemeinerer Umweltinformationen nach Art. 5 AK, nicht lediglich passiver Empfänger 793  Siehe

hierzu unten: Zweiter Teil, B. IV. 2. e) bb). Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 92 f. 795  Siehe Absatz 7 Präambel AK. 796  Siehe Absatz 8 Präambel AK. 797  Siehe Absätze 9, 14 Präambel AK. 794  D. Thurnherr,

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

von Informationen, sondern gezielt Suchende. Die Öffentlichkeit soll so selbst dort für Transparenz der Verwaltungstätigkeit in Umweltfragen sorgen, wo sie vermisst wird, und damit die Grundlage für die Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen und staatlicher Tätigkeit insgesamt mit absichern.798 Art. 4 AK begrenzt so auch die vorhandenen Arkanbereiche staatlicher umweltrelevanter Tätigkeit durch die Herstellung von Öffentlichkeit799 und erlaubt eine Kontrolle der Verwaltungstätigkeit800 gerade auch dort, wo die Verwaltung ein Handeln gegenüber Umweltnutzern unterlässt oder dieses jedenfalls nicht im Rahmen von Zulassungs- und Planaufstellungs- oder Norm­erlassverfahren abläuft, wie sie durch Art. 6-8 AK erfasst sind. Die Verwaltungskontrolle ist dabei nicht individualrechtsbezogen, sondern soll die konsequente Anwendung gerade auch des objektiven Umweltrechts ab­ sichern.801 Über das Recht auf Information soll außerdem ein Rückfluss an Wissen zur Verwaltung angestoßen werden, der deren Entscheidungsgrundlage verbreitern und die Qualität von behördlichen Entscheidungen verbessern soll.802 Die Stärkung der (partizipativen) Demokratie, auf die die AK insgesamt,803 stärker aber noch durch die Partizipationsrechte ihrer zweiten Säule abzielt,804 soll durch das Informationsrecht des Art. 4 AK schließlich zumindest insoweit erfolgen,805 als es einer informierten Öffentlichkeit rechtlich den Weg bereitet, um Herrschaftskontrolle806 aktiv zu fördern und diese 798  Siehe Absatz 10 Präambel AK. Hieraus folgt freilich auch eine gewisse Willkürlichkeit der Transparenzschaffung, die eben nicht durch eine bestimmte Systematik, sondern vom Willen einzelner Antragsteller gesteuert wird. 799  T. v. Danwitz, Aarhus-Konvention: Umweltinformationen, Öffentlichkeitsbeteiligung, Zugang zu den Gerichten, NVwZ 2004, 272 (273). 800  Siehe Absatz 10 Präambel AK sowie D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 95. Zur Verwaltungskontrolle als erstes Ziel der allgemeinen Informationszugangsfreiheit F. Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, Einl. Rn. 49. 801  D. Murswiek / L. Ketterer / O. Sauer / H. Wöckel, Ausgewählte Probleme des allgemeinen Umweltrechts, Die Verwaltung 44 (2011), 235 (261). 802  Siehe Absatz 9 der Präambel der AK sowie D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 94. 803  Siehe Absatz 21 Präambel AK. 804  D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 94. Zur Funktion der „Stärkung der Demokratie“ durch die AK aus Sicht des deutschen Grundgesetzes siehe unten: Zweiter Teil, B. IV. 2. 805  Auch wird die Information der Öffentlichkeit bereits als schwache Form der Öffentlichkeitsbeteiligung betrachtet, D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 94. Zum parallelen Motiv im Europarecht K. Meßerschmidt, Europäisches Umweltrecht, 2011, S. 576 sowie hinsichtlich der allgemeinen Informationszugangsfreiheit F. Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, Einl. Rn. 51. 806  Zur Bedeutung der Informiertheit der Bürger für die Legitimation staatlichen Handelns gerade bei Abnahme der gesetzlichen Programmierung der Verwaltung siehe zudem C. Gusy, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle,



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte335

nicht lediglich abwehrrechtlich mithilfe der Meinungsfreiheit zu schützen, ihre Existenz im Übrigen aber voraussetzt.807 b) Mitglieder der Öffentlichkeit als Zugangsberechtigte Die Rechte der Aarhus-Konvention sind jeweils spezifischen Berechtigten zugewiesen bzw. diesen zuzuweisen. Art. 4 Abs. 1 AK über den Zugang zu Informationen über die Umwelt benennt schlicht „die Öffentlichkeit“ als Aktivlegitimierte und ermöglicht deren Mitgliedern die Antragstellung gem. Art. 4 Abs. 1 lit. a) AK ohne Nachweis eines besonderen Interesses. Der weite Begriff der Öffentlichkeit umfasst nach Art. 2 Nr. 4 AK „eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen und in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder der innerstaatlichen Praxis deren Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen“. Der allgemeine Umweltinformationsanspruch nach Art. 4 AK unterscheidet sich gerade hierin von den Informationsrechten nach Art. 6 und 7 AK, die ihrerseits ausschließlich Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit bzw. einem durch die Vertragsparteien näher zu bestimmenden Kreis an Mitgliedern der Öffentlichkeit zugewiesen werden. aa) Natürliche Personen Hinsichtlich natürlicher Personen lässt die Definition keinerlei Beschränkungen durch die Vertragsparteien zu und zwingt diese so unbedingt zur Schaffung eines Popularrechts,808 wie es in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft bereits durch die erste Umweltinformationsrichtlinie 90 / 313 gem. Art. 3 Abs. 1 einzuführen war. Da das Vorhandensein eines besonderen Interesses nicht verlangt ist, kann das Recht auch zur Verfolgung rein privater Interessen geltend gemacht werden. Ihr Vorliegen hindert die GrVerwR, Bd. II, 2. Aufl. 2012, Rn. 20 f.; vgl. auch F. Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, Einl. Rn. 51. 807  M. Jestaedt, Das Geheimnis im Staat der Öffentlichkeit, AöR 126 (2001), 204 (218). Insoweit hat sich seit Inkrafttreten der Aarhus-Konvention mit der verbreiteten Geltung von Informationsfreiheitsrechten allerdings viel geändert. Zur Diskussion um Informationszugangsrechte als Menschenrechtsgarantie in EMRK und AMRK siehe bereits oben: Zweiter Teil, A. IV. 1. c). 808  M. Scheyli, Aarhus-Konvention über Informationszugang, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz in Umweltbelangen, AVR 38 (2000), 217 (233); D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 101; C. Walter, Internationalisierung des deutschen und europäischen Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts, EuR 2005, 302 (328); R. Müller-Terpitz, Beteiligungs- und Handlungsmöglichkeiten nichtstaatlicher Organisationen im aktuellen Völker- und Gemeinschaftsrecht, AVR 43 (2005), 466 (475).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Aktivlegitimation nicht, mag aber in der Abwägung mit konfligierenden Belangen weitergehende Beschränkungen erlauben.809 Gerade in der Voraussetzungslosigkeit des Anspruchs liegt ein Bruch mit der deutschen Rechtstradition der beschränkten Aktenöffentlichkeit, nach der nur bei Vorliegen eines rechtlichen Interesses Einblicke in die bei Behörden vorhandenen Umweltinformationen gestattet war.810 Mit Blick auf die Entkoppelung des Umweltinformationsanspruchs vom Bestehen eines besonderen, insbesondere materiell-personalen Interesses wurde bereits im Zusammenhang mit dem älteren, allein europarechtlich begründeten Informationsanspruch dessen Einordnung als subjektiv-öffent­ liches Recht in Frage gestellt.811 Die Diskussion812 versteht sich insbesondere vor dem Hintergrund der im deutschen Verwaltungsprozessrecht verankerten Schutznormtheorie und der damit einhergehenden Verengung des Begriffs des subjektiven Rechts, wonach dieses stets auch eine Selektionsfunktion aufweisen muss, um einen spezifisch umschriebenen Personenkreis aus der Masse der Allgemeinheit herauszuheben.813 Der Einordnung von Art. 4 AK als subjektives Recht im hier verstandenen weiten Sinne kann dies nicht entgegenstehen. Zudem hat Schwerdtfeger zu Recht darauf hingewiesen, dass die AK durch die Ausrichtung auch des Informationsanspruchs gem. Art. 1 AK auf einen Beitrag zur Verwirklichung des materiellen Rechts eines jeden auf ein Leben in einer der Gesundheit und dem Wohlbefinden zuträglichen Umwelt eine Personalisierung und Subjektivierung des nach deutschem Verständnis öffentlichen Interesses am Umweltschutz bewirkt, sodass sich der zu seiner Erfüllung gewährte Anspruch nach Art. 4 Abs. 1 AK auch nach deutschem Verständnis als ein subjektiv-öffentlicher i. S. v. § 42 Abs. 2 2. Hs. VwGO einordnen lässt.814 809  Vgl. hierzu unten unter Zweiter Teil, B. IV. 1. f) sowie D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 101. 810  C. Schrader, in: S. Schlacke / C. Schrader / T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, 2010, § 1, Rn. 65; S. Almeling, Die Aarhus-Konvention, 2008, S. 87 ff.; C. Haas, Private als Auskunftsverpflichtete nach den Umweltinformations- und Informationsfreiheitsgesetzen, 2012, S. 50; vgl. auch D. Murswiek / L. Ketterer / O. Sauer / H. Wöckel, Ausgewählte Probleme des allgemeinen Umweltrechts, Die Verwaltung 44 (2011), 235 (261 m. w. N.); T. v. Danwitz, Aarhus-Konvention: Umweltinformationen, Öffentlichkeitsbeteiligung, Zugang zu den Gerichten, NVwZ 2004, 272 (273). 811  R. Wahl / P. Schütz, in: F. Schoch / J.-P. Schneider / W. Bier, 30. EL 2016, VwGO, § 42 Abs. 2 Rn. 216 m. w. N. 812  Siehe A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 104 ff. 813  Hierzu bereits oben: Erster Teil, B. I. 1. 814  A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 108.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte337

bb) Juristische Personen und sonstige Personenvereinigungen Neben allen natürlichen Personen umfasst der Begriff der Öffentlichkeit nach Art. 2 Nr. 4 AK zudem alle juristischen Personen sowie auch Vereinigungen, die keine juristischen Personen sind – mithin auch die im Bereich der politischen und öffentlichkeitswirksamen Arbeit zugunsten des Umweltschutzes besonders aktiven Umweltvereinigungen. Mit ihrer weitgehenden Erfassung von Personenvereinigungen geht die Aarhus-Konvention gar über die Forderung von Prinzip 10 der Rio-Deklaration hinaus, die einen angemessenen Informationszugang nur für „jedes Individuum“ gefordert hatte.815 Während juristischen Personen des Privatrechts, auch soweit die Privatrechtsform rein formal besteht, danach ebenso der Zugang zu Umweltinformationen allgemein zu eröffnen ist, wurde die Aktivlegitimation für juristische Personen des öffentlichen Rechts bestritten.816 Ihr genereller Ausschluss von der Legitimation wurde insbesondere teleologisch begründet, da Zweck der Vorschrift die Herstellung von Transparenz und die Ermöglichung von Machtkontrolle im Bürger-Staat-Verhältnis sei, während die Informationsströme im Binnenbereich des Staates durch die Regelung nicht erfasst werden sollten.817 Textlich konnte sich diese Ansicht auf die Absätze 8 und 13 der Präambel der AK stützen, welche die Bürger, nicht-staatliche Organisa­ tionen und den privaten Sektor als Akteure hervorheben und insoweit dem Staat gegenüberstellen.818 Zwar spricht viel dafür, dass zumindest solche juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu den Berechtigten nach Art. 4 Abs. 1 AK zu zählen sind, wenn und soweit ihnen eine gewisse organisatorische Selbständigkeit zu Eigen und Aufgaben zur eigenen Erledigung zugewiesen sind und sie deshalb mit ihrem Auskunftsinteresse „wie Dritte“ dem anspruchsverpflichteten Staat gegenüberstehen.819 Letztlich kommt es hierauf aber rein praktisch zumeist nicht an, da auch die Angehörigen nicht aktiv­ 815  D. R. Klein,

Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 316. diesem Streit schon unter Geltung der ersten UI-RL D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 317. 817  D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S.  101 f. 818  D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 101 f.; D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 318. 819  D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 102; D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 319. In diesem Sinne auch BVerwGE 130, 223, Rn. 23 = NVwZ 2008, 791–794, in dem es die UI-RL im Lichte der Aarhus-Konvention auslegte. Vgl. hierzu auch D. Murswiek / L. Ketterer / O. Sauer / H. Wöckel, Ausgewählte Probleme des allgemeinen Umweltrechts, Die Verwaltung 44 (2011), 235 (263 f.) sowie M. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 5 Rn. 1382. 816  Zu

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legitimierter juristischer Personen von dem Recht für natürliche Personen Gebrauch machen und so die begehrten Umweltinformationen erlangen können.820 Vor diesem Hintergrund ist auch die Bedeutung der Frage nach dem Spielraum der Vertragsparteien gem. Art. 2 Nr. 4 AK hinsichtlich der Einbeziehung von Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen durch den in der Regelung enthaltenen Verweis auf die innerstaatlichen Vorschriften oder der innerstaatlichen Praxis gering. Selbst wenn man danach nicht rechtsfähige Zusammenschlüsse, insbesondere ad-hoc Bürgervereinigungen821 nur dann als erfasst ansehen wollte, soweit ihnen nach innerstaatlichem Recht eine Antrags- oder Beschwerdebefugnis in staatlichen Verfahren zuerkannt wird,822 so wäre es auch deren Mitgliedern ohne weiteres möglich, im eigenen Namen einen entsprechenden Antrag zu stellen und so die Informationen zu erlangen. cc) Diskriminierungsverbot Ökosysteme werden nicht durch Staatsgrenzen begrenzt. Umweltbeeinträchtigungen in einem Staat wirken sich häufig auch auf anderen Staatsgebieten aus. Grenzüberschreitende Umweltbeeinträchtigungen waren die Keimzelle der Entstehung des Umweltvölkerrechts.823 Sollen die Zwecke der Aarhus-Konvention und des zu gewährleistenden Informationsrechts, insbesondere die Verbesserung von umweltrelevanten Verwaltungsentscheidungen auch insoweit erreicht werden, als sie eine grenzüberschreitende Dimension besitzen, so setzt dies einen ungehinderten Informationsfluss auch über Staatsgrenzen hinweg voraus. Art. 3 Abs. 9 Hs. 1 AK legt zu diesem Zweck für das Bestehen des Zugangs zu Informationen und damit auch für die Berechtigung nach Art. 4 AK fest, dass dieser unabhängig vom Wohnsitz einer natürlichen Person zu erfolgen hat.824 Juristische Personen dürfen gem. Art. 3 Abs. 9 Hs. 2 AK nicht aufgrund ihres eingetragenen Sitzes oder des tatsäch820  D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 102. 821  Vgl. hierzu UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 55; A. Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), 31 (38). 822  So A. Epiney / M. Scheyli, Die Aarhus-Konvention, 2000, S. 29; D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 100. 823  Siehe nur W. Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, 11. Kap. Rn. 4. 824  UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 55; A. Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit



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lichen Mittelpunktes ihrer Tätigkeit benachteiligt werden.825 Darüber hinaus muss aber auch bei rein inländischen Sachverhalten das Informationsrecht unabhängig von der Staatsangehörigkeit oder der Volkszugehörigkeit einer Person gewährleistet werden. Gerade insoweit ergibt sich dieses Gebot der Nicht-Diskriminierung mittelbar zwar schon aus dem Fehlen jeder einschränkenden Formulierung bei der Definition der Öffentlichkeit in Art. 2 Nr. 4 AK,826 die Regelung stellt dies aber noch einmal ausdrücklich klar und zeigt überdies, dass es auch nicht von der Existenz einer reziproken Regelung eines anderen Staates abhängig ist.827 c) Die zugangsverpflichteten Behörden Art. 4 Abs. 1 AK bezeichnet als essentielles Element der subjektiven Informationsberechtigung828 „Behörden“ als Adressaten der Informationszugangsanträge und Verpflichtete des Umweltinformationsanspruchs der zugangsberechtigten Öffentlichkeit. Definiert wird der – nach Sinn und Zweck des Informationsanspruchs weit auszulegende829 – Begriff der „Behörde in Art. 2 Nr. 2 a) – d) der Konvention. Er umfasst nicht lediglich Behörden in einem organisatorisch-funktionalen Sinne [Art. 2 Nr. 2 a) – hierzu unter aa)] – wie es noch in Art. 2 lit. b) UI-RL 1990 der Fall war, sondern trägt den Privatisierungen der letzten Jahrzehnte im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge durch die Einbeziehung formell-funktionaler [Nr. 2 b) – hierzu unter bb)] – sowie faktisch-funktionaler Erledigung [Nr. 2c) – hierzu unter cc)] – öffentlicher Aufgaben durch natürliche oder juristische Personen des Privatrechts Rechnung.830 Hinzu kommen als Verpflichtete Einrichtungen von Organisa­ und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), 31 (38). 825  D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 101. 826  Und insoweit bestand auch bei Vorgängerregelungen trotz des Fehlens eines ausdrücklichen Diskriminierungsverbots kein grundsätzlicher Streit über dessen Geltung, D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 322. 827  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 323. 828  N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 46. 829  UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus-Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 46; D. R. Klein, Umweltinformation im Völkerund Europarecht, 2011, S. 329 f. 830  J. Ebbesson, Public Participation and Privatisation in Environmental Matters, Erasmus Law Review 4 (2011), 71 (74); F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 118; UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The AarhusConvention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 46; S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 235 f.

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tionen der regionalen Wirtschaftsintegration [Nr. 2 d) – hierzu unter dd)] – namentlich der damaligen Europäischen Gemeinschaft und heutigen Union. Ausdrücklich von dieser Definition ausgeschlossen werden Gremien oder Einrichtungen, die in gerichtlicher oder gesetzgebender Eigenschaft handeln, Art. 2 Nr. 2 a. E. aa) Organisatorisch-funktionaler Behördenbegriff Art. 2 Nr. 2 lit. a) AK erfasst seinem Wortlaut nach alle Stellen der öffentlichen Verwaltung unabhängig von ihrer Zuordnung zu einer bestimmten administrativen Ebene und unabhängig davon, ob die Behördentätigkeiten einen Umweltbezug besitzen.831 Der Begriff ist hier nicht rein organisatorisch zu verstehen, erfasst also nicht nur Behörden im verwaltungsorganisatorischen Sinne,832 sondern auch Stellen, die organisatorisch der Judikative, der Legislative oder der Gubernative zuzuordnen sind, soweit diese Verwaltungstätigkeiten ausführen. Dieses organisatorisch-funktionale Begriffsverständnis folgt systematisch aus dem in Art. 2 Nr. 2 AK enthaltenen Ausschluss von Gremien oder Einrichtungen aus dem Behördenbegriff, soweit sie in gerichtlicher oder gesetzgebender Eigenschaft handeln. Auch hier wird auf die konkrete Funktion der handelnden staatlichen Stelle abgestellt.833 Dies folgt einer Notwendigkeit, die nur deshalb besteht, weil die organisatorische Trennung von Judikative und Legislative von Stellen der Exekutive diese allein nicht aus der Definition ausschließt. Erst durch die Ergänzung des Behördenbegriffs des Art. 2 Nr. 2 lit. a) AK um eine funktionale Komponente lassen sich auch Stellen mit vornehmlich legislativen und judikativen Tätigkeiten als Stellen der öffentlichen Verwaltung einordnen und umgekehrt 831  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 330 mit Verweis auf den unter der UI-RL 1990 bestehenden Streit; N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 46; UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus-Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 46. 832  Der EuGH versteht hierunter generell alle juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die staatlicherseits errichtet wurden und nur durch diesen aufgelöst werden können, EuGH, GrK, Urteil vom 19.12.2013  – C-279 / 12 (Fish-Legal), Rn. 51. 833  Der Begriff ist damit bereits in den Normtexten der AK sowie der UI-RL 2003 funktional definiert. So auch GA Sharpston, Schlussanträge vom 22.06.2011 zu EuGH, C-204 / 09 (Flachglas Torgau), Rn. 59; S. Much, Der Zugang zu Umweltinformationen nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache C-204 / 09, ZUR 2012, 288 (289). Die vom EuGH in seiner Flachglas Torgau-Entscheidung in Rn. 49 vorgenommene funktionelle Auslegung erscheint deshalb etwas gekünstelt. Zum funktionellen Charakter der Begriffsdefinition siehe auch J. Ebbesson, Public Participation and Privatisation in Environmental Matters, Erasmus Law Review, 4 (2011), 71 (77).



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Stellen der Exekutive ausklammern soweit sie gesetzgeberische oder judikative Tätigkeiten ausführen, je nachdem, welche Tätigkeit sie ausüben. Nur so wird ein möglichst weiter Informationszugang sichergestellt.834 Die Möglichkeit der Ausklammerung von Gremien oder Einrichtungen, die in gerichtlicher oder gesetzgebender Eigenschaft handeln, birgt dabei freilich die Gefahr, dass die Vertragsstaaten hierüber den Informationszugang wieder deutlich beschränken könnten. Zwar werden die Vertragsparteien in Absatz 11 der Präambel dazu aufgerufen, die Grundsätze der Informationsfreiheit in allen Bereichen der öffentlichen Verwaltung inklusive Gesetzgebungsverfahren zu verwirklichen. Dabei handelt es sich jedoch lediglich um fakultative Erweiterungsmöglichkeiten des nach den operativen Vorschriften begrenzten Behördenbegriffes.835 Tragende Gedanken für die He­rausnahme von Legislativtätigkeiten aus dem Behördenbegriff und damit dem Informationsanspruch gem. Art. 4 AK sind, dass im legislativen Bereich zum einen die hinreichende Information der Öffentlichkeit zumeist auf andere Weise – insbesondere den Grundsatz der Parlamentsöffentlichkeit836 – sichergestellt wird. Zudem findet hier eine verstärkte demokratische Kontrolle der Staatstätigkeit über regelmäßige Wahlen statt, die eine direkte Verantwortlichkeit der Abgeordneten gegenüber der Öffentlichkeit begründet.837 Judikative Tätigkeiten sollen ihrerseits durch die Herausnahme möglichst frei von öffentlichem Druck ausgeführt werden, damit das Recht unvoreingenommen angewendet und Rechtsstreitigkeiten objektiv entschieden werden können.838 Während für den Bereich originär judikativer Tätigkeit auch die Erforderlichkeit eines generellen Ausschlusses von Informationsrechten zum Schutz der Verfahrensbeteiligten und der Funktion der Rechtspflege anerkannt ist, 834  Versteht man den Behördenbegriff der AK wie hier organisatorisch-funktional, so zeigt sich, dass der AK gerade nicht ein „Idealbild einer klaren gewaltenteiligen Trennung“ zugrundeliegt, sondern vielmehr bewusst in Rechnung gestellt wird, dass in modernen Staaten eine solche klare Trennung vielfach nicht besteht, vgl. die nach hier vertretener Ansicht zu Unrecht geäußerte Kritik bei M. Scheyli, Informationszugang, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten, AVR 38 (2000), 217 (231). 835  Daniel R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 331; UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus-Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 49. 836  Für das deutsche (Verfassungs-)Recht siehe S. Magiera, in M. Sachs, Grundgesetz, 7. Aufl. 2014, Art. 42 Rn. 1 ff. 837  Daniel R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 330; UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus-Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 49. 838  Daniel R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 330; insofern werden zahlreiche Bestimmungen der AK als nicht passend für die judikative Tätigkeit angesehen, UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus-Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 49.

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war die Frage nach der Notwendigkeit einer Ausnahme im legislativen Bereich jedenfalls in ihrer Reichweite umstritten839 und beschäftigte den EuGH in der Vergangenheit gleich mehrfach. In den beiden Rechtssachen Flachglas Torgau840 und Deutsche Umwelthilfe841 zugrunde liegenden Sachverhalten hatten sich deutsche Bundesministerien zur Verweigerung der Herausgabe beantragter Umweltinforma­tionen jeweils auf die vorgenannte Ausnahmemöglichkeit für legislative Tätigkeiten berufen, die in der Umweltinformationsrichtlinie in Art. 2 Nr. 2 S. 2 RL 2003 / 4 / EG nahezu wortgleich mit der Regelung der AK enthalten ist. Das deutsche UIG hatte hierfür in § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) eine allgemeine Ausnahme für oberste Bundesbehörden geschaffen, soweit diese im Rahmen der Gesetzgebung oder beim Erlass von Rechtsverordnungen tätig werden. In der Rechtssache Flachglas Torgau war das Bundesumweltministerium842 an der Ausarbeitung des Gesetzes über den nationalen Zuteilungsplan für Treibhausgas-Emissionsberechtigungen durch Mitwirkungsrechte bei der Einbringung des Gesetzentwurfes und durch Äußerungsrechte im Gesetzgebungsverfahren beteiligt worden, nicht aber zur Mitwirkung an der abschließenden Entscheidung über das allein durch den deutschen Bundestag zu beschließende Gesetz berechtigt gewesen. Soweit Informationen über das Gesetzgebungsverfahren selbst beantragt wurden,843 verweigerte das Ministerium 839  Vgl. M. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 5 Rn. 1386 mit Nachweisen auch zu der bereits unter der ersten UI-RL geführten Diskussion sowie auch zu den im Folgenden analysierten Entscheidungen. 840  EuGH, Urteil vom 14.02.2012  – C-204 / 09 (Flachglas Torgau); vgl. hierzu sowie zu den vorangehenden Verfahren vor den deutschen Gerichten ausführlich J. Martin, Das Steuerungskonzept der informierten Öffentlichkeit, 2012, S. 139 ff. sowie zusammenfassend B. W. Wegener, Aktuelle Fragen der Umweltinformationsfreiheit, NVwZ 2015, 609 (611 f.) sowie ders., Die Aarhus-Konvention in der Rechtsprechung des EuGH, EurUP 2014, 226 (238). 841  EuGH, Urteil vom 18.07.2013  – C-515 / 11 (Deutsche Umwelthilfe), Rn. 36. Vgl. zum politisch durchaus delikaten zugrunde liegenden Sachverhalt C. Sobotta, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 18.07.2013  – C-515 / 11, EuZW, 2013, 708 (710) sowie R. Klinger, Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 18.7.2013, ZUR 2013, 538 (541); J. H. Hoffmann, Anmerkung, EuGH Urt. V.  18.7.2013  – Rs. C-515 / 11 („DUH“), UPR 2014, 60 (60 und 61). 842  Damals noch: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktor­ sicherheit. 843  EuGH, Urteil vom 14.02.2012  – C-204 / 09 (Flachglas Torgau), Rn. 23, darüber hinaus hatte die Flachglas Torgau GmbH auch Informationen über die Ausführung des Gesetzes inkl. ministeriumsinternen Vermerken und Stellungnahmen und dem internen E-Mailverkehr mit dem ausführenden Umweltbundesamt begehrt. Diese wurden jedoch nicht aufgrund eines Zusammenhangs zum Gesetzgebungsverfahren, sondern unter Berufung auf eine insoweit bestehende Vertraulichkeit der Beratungen i. S. v. Art. 4 Abs. 4 lit. a) AK verweigert. Siehe hierzu unten: Zweiter Teil, B.  IV. 1. f) aa) (2).



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auch nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens noch unter Berufung auf die vorgenannte Befreiung nach dem UIG die Herausgabe der Informationen. In der Rechtssache Deutsche Umwelthilfe hatte dieselbe die Herausgabe eines Schriftwechsels des Bundeswirtschaftsministeriums mit Vertretern der Autoindustrie verlangt, der während der durch das Ministerium verantwor­ teten Vorbereitung einer Änderung der Pkw-Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung844, mithin einer untergesetzlichen Norm,845 stattgefunden hatte.846 Zur Entscheidung der Frage über die Reichweite der ausdrücklich als parallel anerkannten Ausnahmeregelungen in Art. 2 Nr. 2 UAbs. 2 AK847 sowie Art. 2 Nr. 2 S. 2 RL 2003 / 4 / EG stellte der Gerichtshof maßgeblich auf deren Telos ab und differenzierte entsprechend für die beiden ihm vorgelegten Fallgestaltungen. Dass sich in systematischer Hinsicht bereits aus Art. 8 AK ergebe, dass, wie in der Rechtssache Flachglas Torgau, selbst Behörden, die an der Vorbereitung von förmlichen Gesetzen beteiligt seien, vom Behördenbegriff in Art. 2 Nr. 2 AK erfasst werden müssten, da sie in Art. 8 AK ausdrücklich erwähnt würden und deshalb im Umkehrschluss nicht vom Behördenbegriff des Übereinkommens ausgenommen sein könnten, wies der EuGH demgegenüber zurück. Entgegen des durch den unverbindlichen848 Implementation Guide der Aarhus-Konvention gestützten Vorbringens zeigte das Gericht zutreffend auf, dass Art. 8 AK gerade nicht, wie im Leitfaden suggeriert, auch von der Vorbereitung von förmlichen Gesetzen (laws), sondern nur von exekutiven Vorschriften („executive regulations“) und sonstigen allgemein anwendbaren rechtsverbindlichen Bestimmungen („other generally 844  Pkw-Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung vom 28. Mai 2004, BGBl. I, S. 1037. 845  Die Zulässigkeit von Ausnahmen auch in Verfahren zur Aufstellung untergesetzlicher Normen war in der Flachglas Torgau-Entscheidung noch ausdrücklich offen gelassen worden, EuGH, Urteil vom 14.02.2012  – C-204 / 09 (Flachglas Torgau), Rn. 34. Da die deutsche Regelung in dem inzwischen neu gefassten § 2 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 lit. a Var. 2 UIG a. F. eine Ausnahme ausdrücklich auch für Tätigkeiten einer obersten Bundesbehörde im Rahmen des Erlasses einer Rechtsverordnung vorsah, hatte das mit dem Ausgangsverfahren betraute VG Berlin dem EuGH die hier diskutierten Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. 846  Vgl. hierzu C. Sobotta, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 18.07.2013  – C-515 / 11, EuZW 2013, 708 (710) sowie R. Klinger, Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 18.7.2013, ZUR 2013, 538 (541); J. H. Hoffmann, Anmerkung, EuGH Urt. v. 18.7.2013 – Rs. C-515 / 11 („DUH“), UPR 2014, 60 (60 und 61). 847  Dass das Urteil des EuGH an dieser Stelle von „Art. 2 Abs. 2“ des Übereinkommens spricht, dürfte eine bloße Ungenauigkeit sein, vgl. EuGH, Urteil vom 14.02.2012  – C-204 / 09 (Flachglas Torgau), Rn. 41, vgl. ebenfalls Rn. 48. Zur Notwendigkeit der Auslegung europäischen Rechts im Lichte der AK siehe auch EuGH, Urteil vom 18.07.2013 – C-515 / 11 (Deutsche Umwelthilfe), Rn. 23, 29. 848  Vgl. hierzu bereits oben: Zweiter Teil, B. III. 2. a) cc).

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applicable legally binding rules“) spreche. Für die Entscheidung der Rechtssache DUH wies dieser systematische Zusammenhang dagegen bereits die richtige Richtung.849 Entscheidend stellt der Gerichtshof jedoch auf den oben bereits wiedergegebenen Grundgedanken der Ausnahmebestimmung ab, wonach damit den Mitgliedsaaten allein der Erlass von Regelungen zur ordnungsgemäßen Durchführung des förmlichen Gesetzgebungsverfahrens ermöglicht werden soll, auch weil in solchen Verfahren die Information der Bürger regelmäßig auf anderem Wege als durch individuelle Informationsansprüche gewährleistet wird.850 Hieraus aber folgen Grund und Grenzen der möglichen Ausnahme. Dies rechtfertigt es nämlich nur, dass Ministerien, soweit sie nach nationalem Recht mit der Vorbereitung von Gesetzentwürfen, ihrer Vorlage an das Parlament und der Beteiligung durch Stellungnahmen im Gesetzgebungsverfahren betraut sind,851 sich auf ihre Funktion im Rahmen eines förmlichen Gesetzgebungsverfahrens und damit auf die Ausnahme vom Behördenbegriff der Aarhus-Konvention und der zu ihrer Umsetzung ergangenen Umweltinformationsrichtlinie berufen können. Umgekehrt ist die Ausnahme schon dem Grunde nach nicht gerechtfertigt, soweit ein Ministerium nur am Zustandekommen untergesetzlicher Vorschriften beteiligt wird, da die Schutzwürdigkeit solcher Verfahren in jedem Fall geringer ist und ggf. auch die anderweitige Information der Öffentlichkeit nicht im selben Maße sichergestellt wird.852 Einer auch von GA Sharpston vorgeschlagenen inhaltlichen Unterscheidung danach, ob das Verfahren zum Erlass der untergesetzlichen Norm eine hinreichende Information der Bürger sicherstelle, folgte der Gerichtshof nicht, sondern wählte eine auf Rechtssicherheit bedachte formellere Lösung. Auch bei Verfahren betreffend förmliche Gesetze trägt dann aber, auch wenn weder die Konvention noch die Richtlinie zur zeitlichen Anwendbarkeit der Ausnahme Angaben machen,853 der vorgenannte Zweck des Schutzes des Gesetzgebungsverfahrens nur bis zu seinem Abschluss durch die Verkündung des Gesetzes, sodass eine Fortgeltung der Befreiung 849  EuGH, Urteil vom 18.07.2013  – C-515 / 11 (Deutsche Umwelthilfe), Rn. 33. Ggü. diesem Argument zu Unrecht ablehnend J. H. Hoffmann, Anmerkung, EuGH Urt. v. 18.7.2013 – Rs. C-515 / 11 („DUH“), UPR 2014, 60 (61), dem zwar zuzugeben ist, dass Art. 8 AK sich auf die zweite Säule der Öffentlichkeitsbeteiligung bezieht. Dennoch legt die Verwendung der unterschiedlichen Begrifflichkeiten nahe, dass exekutive Normsetzung auch nur dort gemeint ist, wo sie explizit genannt ist, zumal die Öffnung exekutiver Normsetzung für die Öffentlichkeitsbeteiligung dadurch gefördert wird, wenn die Öffentlichkeit sich auch umfassend über das Verfahren informieren kann. 850  EuGH, Urteil vom 14.02.2012 – C-204 / 09 (Flachglas Torgau), Rn. 43. 851  EuGH, Urteil vom 14.02.2012 – C-204 / 09 (Flachglas Torgau), Rn. 49. 852  Vgl. EuGH, Urteil vom 18.07.2013  – C-515 / 11 (Deutsche Umwelthilfe), Rn. 23. 853  EuGH, Urteil vom 14.02.2012 – C-204 / 09 (Flachglas Torgau), Rn. 53.



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nicht angezeigt ist – zumal es den Behörden unbenommen bleibt, sich hinsichtlich bestimmter Informationen auch weiterhin für eine Ablehnung eines Gesuchs auf anderweitige Ausnahmegründe des nationalen Umsetzungsrechts zu berufen.854 Das durch den EuGH in den beiden Entscheidungen insgesamt herausgearbeitete, in zeitlicher und sachlicher Hinsicht enge Verständnis der mit der Regelung in Art. 2 Nr. 2 S. 2 AK identischen fakultativen Begriffsausnahme des Art. 2 Nr. 1 S. 2 RL 2003 / 4 / EG beschränkt die Möglichkeiten des intransparenten einseitigen Einflusses von Lobbygruppen auf die Vorbereitung von gesetzlichen und untergesetzlichen Normen855 und fördert insoweit die Verwirklichung des Gemeinwohls.856 Die Entscheidungen folgen einer Entscheidungsmaxime der Gewährleistung eines möglichst weiten Informationszugangs auch in Normsetzungsverfahren und einer entsprechend engen ­Auslegung von Ausnahmebestimmungen.857 Der durch den EuGH herausgestellte tragende Gedanke der Begriffsausnahme, dass im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren die Information der Bürger regelmäßig anderweitig als durch subjektiv-rechtliche Umweltinformationsansprüche sichergestellt werde, überzeugt, da er anerkennt, dass das parlamentarische Verfahren in seiner Funktion geschützt werden kann, ohne dass vom Ziel der Information der Bürger durch Anerkennung eines Arkanbereichs staatlicher Tätigkeit wesentliche Abstriche gemacht werden müssen. Die direkte demokratische Verantwortlichkeit der Abgeordneten in Wahlen und der Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit sorgen hier für hinreichende Transparenz,858 sodass weitergehende Umweltinformationsansprüche schon nicht erforderlich sind. Der gewährte Umsetzungsspielraum soll eben gerade nicht eine (undifferenzierte) Ausnahme aufgrund eines behaupteten öffentlichen Interesses am Schutz der Funktionalität der ministeriellen Beteiligung im Normsetzungsverfahren gewährleisten. Systematisch hätte eine solche Ausnahme auch eher im Rahmen des Art. 4 Abs. 2 RL 2003 / 4 / EG bzw. Art. 4 Abs. 4 AK geregelt werden 854  EuGH,

Urteil vom 14.02.2012 – C-204 / 09 (Flachglas Torgau), Rn. 56 f. Das Steuerungskonzept der informierten Öffentlichkeit, 2012, S. 142 f.; R. Klinger, Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 18.7.2013, ZUR 2013, 538 (541); vgl. außerdem J. H. Hoffmann, Anmerkung, EuGH Urt. V.  18.7.2013  – Rs. C-515 / 11 („DUH“), UPR 2014, 60 (61). 856  J. Martin, Das Steuerungskonzept der informierten Öffentlichkeit, 2012, S. 143. 857  S. Much, Der Zugang zu Umweltinformationen nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache C-204 / 09), ZUR 2012, 288 (289 sowie 290). 858  R. Klinger, Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 18.7.2013, ZUR 2013, 538 (540); i. E. ebenfalls zustimmend W. Kahl / C. Dubber, Der Begriff der „informationspflichtigen Stelle“ (§ 2 Abs. 1 UIG) im Lichte der neueren Judikatur aus Luxemburg, EurUP 2014, 215 (216). 855  J. Martin,

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müssen.859 Diese enthalten aber bereits hinreichende Möglichkeiten auch für an Normsetzungsverfahren beteiligte Stellen, Umweltinformationsansprüche aufgrund schutzwürdiger öffentlicher oder privater Belange Dritter abzulehnen. Die Maßgeblichkeit des Abstellens auf die Ausgestaltung des Normsetzungsverfahrens860 wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Gerichtshof die Begriffsausnahme auch dann nicht zulassen will, wenn untergesetzliche Normen in einem Verfahren mit parlamentarischer Beteiligung erlassen werden. Anscheinend wird hier der Normrang zum entscheidenden Unterscheidungskriterium, tatsächlich ist dieser jedoch nur Anknüpfungspunkt für die Vermutung entsprechend transparenter Normsetzungsverfahren in den Mitgliedstaaten. Wenn der Gerichtshof der Unterscheidung von GA Sharpston nicht folgt, dann nicht um dem Kritierum des Normranges höhere Bedeutung beizumessen, sondern um eine unionsweit einheitliche Auslegung der Richtlinie zu garantieren, die nicht anhand der Besonderheiten untergesetzlicher Normsetzungsverfahren in den einzelnen Staaten ausdifferenziert wird.861 Diese „schlank-formelle Lösung“,862 für deren Begründung sich der Gerichtshof ausdrücklich auf die Systematik der Aarhus-Konvention aus

859  Vgl. in Bezug auf die schutzwürdigen Belange Dritter auch C. Sobotta, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 18.07.2013  – C-515 / 11, EuZW, 2013, 708 (710); vgl. auch den zutreffenden Hinweis bei R. Klinger, Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 18.7.2013, ZUR 2013, 538 (540), dass der EuGH eben nicht auf die Perspektive der Ministerien abstellt, für die es keinen Unterschied macht, ob sie an einem Verfahren zum Erlass eines förmlichen Gesetzes oder eines nur materiellen Gesetzes beteiligt sind, sondern rein teleologisch auf die Gewährleistung der Information der Bürger blickt. 860  W. Kahl / C. Dubber, Der Begriff der „informationspflichtigen Stelle“ (§ 2 Abs. 1 UIG) im Lichte der neueren Judikatur aus Luxemburg, EurUP 2014, 215 (216). 861  Für schwer begründbar halten dies W. Kahl / C. Dubber, Der Begriff der „informationspflichtigen Stelle“ (§ 2 Abs. 1 UIG) im Lichte der neueren Judikatur aus Luxemburg, EurUP 2014, 215 (216) sowie R. Klinger, Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 18.7.2013, ZUR 2013, 538 (541), die aber i. E. dennoch der Lösung des EuGH aus den auch hier angeführten Gründen zustimmen. 862  Begriff bei R. Klinger, Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 18.7.2013, ZUR 2013, 538 (541). Diese Lösung widerspricht auch Versuchen wie etwa bei F. Ekardt, Ausnahmen vom Informationszugang vor dem EuGH: Ist Verordnungsgebung Gesetzgebung, NVwZ 2013, 1591 (1592 f.), im Nachgang zu der Entscheidung, die damalige Regelung des UIG unter Verweis auf das deutsche Verständnis von Rechtsverordnungen als „materielle Gesetze“ doch noch zu erhalten. Der EuGH hatte zwar einen Freiraum der Mitgliedstaaten bei der Konkretisierung des Gesetzesbegriffs festgestellt. Dieser Freiraum darf aber nicht in einer Weise ausgefüllt werden, dass er die praktische Wirksamkeit der Richtlinie beeinträchtigt, EuGH, Urteil vom 18.07.2013  – C-515 / 11 (Deutsche Umwelthilfe), Rn. 35; W. Kahl / C. Dubber, Der Begriff der „informationspflichtigen Stelle“ (§ 2 Abs. 1 UIG) im Lichte der neueren Judikatur aus Luxemburg, EurUP 2014, 215 (217).



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Art. 2 Nr. 2 S. 2 sowie Art. 8 AK beruft,863 ist zu begrüßen, da sie Vorwänden zur Verschleppung des Umweltinformationszugangs vorbeugt.864 Umgekehrt hätte die weitergehende Differenzierung keinen großen Gewinn gebracht, da Informationsansprüche an Ministerien auch jetzt ohne großen Aufwand durch Verweis auf bereits anderweitig veröffentlichte Daten bearbeitet werden können, wenn dies im Rahmen eines parlamentarischen Verfahrens erfolgt ist.865 Dennoch ist festzuhalten, dass der EuGH insoweit eine stärkere innergemeinschaftliche Vereinheitlichung bewirkt, als sie durch die Aarhus-Konvention zwingend vorgeschrieben scheint. bb) Formell-funktionale Verwaltungstätigkeit Gem. Art. 2 Nr. 2 lit. b) AK gelten auch solche natürlichen oder juristischen Personen als Behörden, die aufgrund innerstaatlichen Rechts (formelle Komponente) Aufgaben der öffentlichen Verwaltung (funktionale Komponente), einschließlich bestimmter Pflichten, Tätigkeiten oder Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Umwelt wahrnehmen. In Übereinstimmung mit der Begriffsbestimmung nach lit. a) kommt es nicht darauf an, dass die Tätigkeit im Umweltbereich liegt, da solche Tätigkeiten nur beispielhaft („einschließlich“) in der Definition aufgeführt sind.866 Hinreichend ist es vielmehr, dass es sich überhaupt um Aufgaben der öffentlichen Verwaltung handelt. Während früher davon ausgegangen wurde, dass sich die Bestimmung dessen, was als Aufgabe der öffentlichen Verwaltung zu qualifizieren ist, nach nationalem Recht richte,867 hat der EuGH zur im Wesentlichen inhaltsgleichen868 Regelung in Art. 2 Nr. 2 lit. b) RL 2003 / 4 / EG entschieden, dass dies dem Ziel zuwiderliefe zu verhindern, durch Unterschiede in den nationalen Vorschriften ungleichen Zugang zu Umweltinformationen in den Mitgliedstaaten zu schaffen und so auch Ungleichheit in den Wettbewerbsbe-

863  Zustimmend W. Kahl / C. Dubber, Der Begriff der „informationspflichtigen Stelle“ (§ 2 Abs. 1 UIG) im Lichte der neueren Judikatur aus Luxemburg, EurUP 2014, 215 (216). 864  C. Sobotta, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 18.07.2013 – C-515 / 11, EuZW, 2013, 708 (710). 865  C. Sobotta, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 18.07.2013 – C-515 / 11, EuZW, 2013, 708 (710). 866  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 334; A. Epiney / S. Dilzig / B. Pirker / S. Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Art. 2 Rn. 15; J. Martin, Das Steuerungskonzept der informierten Öffentlichkeit, 2012, S. 88. 867  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 333, Fn. 408. 868  EuGH, GrK, Urteil vom 19.12.2013 – C-279 / 12 (Fish-Legal), Rn. 41.

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dingungen zu erzeugen.869 Dabei berief sich der Gerichtshof auf die seine Auslegung stützende verbindliche französische Sprachfassung der Richtlinie sowie der Aarhus-Konvention und gab dieser in Einklang mit Art. 33 Abs. 4, 31 Abs. 1 WVK den Vorzug vor dem englischen Wortlaut, der einen Verweis aufs nationale Recht nahe legt.870 Nach nationalem Recht richtet sich deshalb ausschließlich die Übertragung der Tätigkeit auf die natürliche oder juristische Person (formelle Komponente).871 Die Entscheidung über das Vorliegen einer Aufgabe der öffentlichen Verwaltung soll dagegen anhand der Kriterien des Unionsrechts sowie der Aarhus-Konvention einheitlich für alle Mitgliedstaaten der EU getroffen werden. Hinsichtlich der Charakteristika der erfassten Aufgaben bleibt der Gerichtshof dann aber äußert unspezifisch872 und verweist zum einen auf den Umsetzungsleitfaden der Aarhus-Konvention, wonach es sich um Aufgaben handeln müsse, die üblicherweise durch Regierungsbehörden wahrgenommen werden, zum anderen auf den unionsrecht­ lichen Begriff der „Dienstleistungen im öffentlichen Interesse“. Weiterhin sei zu prüfen, ob die Einrichtung nach nationalem Recht mit Befugnissen ausgestattet ist, die über das hinausgehen, was im Verhältnis zwischen Privatrechtspersonen gilt.873 Angesichts der in den verschiedenen Mitgliedstaaten vorhandenen Unterschiede hinsichtlich des Fortschritts bei der Privatisierung ehemals durch Verwaltungsbehörden wahrgenommener Aufgaben dürfte das 869  EuGH, GrK, Urteil vom 19.12.2013  – C-279 / 12 (Fish-Legal), Rn. 45 unter Berufung auf Erwägungsgrund 7 RL 2003 / 4 / EG. 870  Vgl. EuGH, GrK, Urteil vom 19.12.2013  – C-279 / 12 (Fish-Legal), Rn. 43– 45. Zur Authentizität sowohl der französischen als auch der englischen Wortlautfassungen der Aarhus-Konvention vgl. Art. 22 AK; für RL 2003 / 4 / EG folgt dies aus Art. 4, 5 VO Nr. 1 zur Regelung der Sprachenfrage für die europäische Wirtschaftsgemeinschaft, ABl. L 17 vom 6.10.1958, S. 358, R.  Priebe, in: J. Schwarze, EUKommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 342 AEUV Rn. 8. Zur Unterstützung seiner Argumentation berief sich der Gerichtshof zudem auf die 1. Aufl. des Anwendungsleit­ fadens zur Aarhus-Konvention, S. 32. Das Verständnis der betreffenden Passage erscheint aber als äußerst eigenwillig, wenn der Gerichtshof kurzerhand feststellt, dass der explizite Hinweis des Leitfadens, dass „das, was nach dem innerstaatlichen Recht als öffentliche Aufgabe anzusehen ist, von Staat zu Staat verschieden sein kann“ seine Auslegung nicht in Frage stelle. Gleichwohl ist der Auslegung in der Sache zuzustimmen. 871  EuGH, GrK, Urteil vom 19.12.2013 – C-279 / 12 (Fish-Legal), Rn. 48. Diesbezüglich bleibt aber unklar, ob der Gerichtshof hier einen formalen ausdrücklichen Rechtsakt zur Übertragung verlangt oder nicht, vgl. W. Kahl / C. Dubber, Der Begriff der „informationspflichtigen Stelle“ (§ 2 Abs. 1 UIG) im Lichte der neueren Judikatur aus Luxemburg, EurUP 2014, 215 (218 f.). 872  Kritisch auch W. Kahl / C. Dubber, Der Begriff der „informationspflichtigen Stelle“ (§ 2 Abs. 1 UIG) im Lichte der neueren Judikatur aus Luxemburg, EurUP 2014, 215 (218). 873  EuGH, GrK, Urteil vom 19.12.2013  – C-279 / 12 (Fish-Legal), Rn. 56 sowie Tenor 1.



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letzte Kriterium, welches auf das Vorhandensein einer Art öffentlichen Sonderrechts abstellt, künftig von entscheidenderer Bedeutung sein. Der Verzicht auf eine stärkere materielle Konturierung des Begriffs birgt freilich die Gefahr, dass Informationen bei Stellen, denen es an solchen Sonderbefugnissen fehlt, nicht erfasst werden. Liegt aber eine Behörde i. S. v. Art. 2 Nr. 2 lit. b) AK vor, so bezieht sich der Anspruch nach Art. 4 AK auf sämtliche bei ihr vorhandenen Umweltinformationen unabhängig davon, ob diese gerade bei der Wahrnehmung der öffentlichen Aufgabe oder der Durchführung der öffentlichen Dienstleistung angefallen sind.874 cc) Faktisch-funktionale Verwaltungstätigkeit Weiterhin erfasst Art. 2 Nr. 2 lit. c) AK sonstige natürliche oder juristische Personen, die unter der Kontrolle einer unter Buchstabe a (Behörden im organisatorisch-funktionalen Sinne) oder Buchstabe b (Behörden im formellfunktionalen Sinne) genannten Stelle oder einer dort genannten Person im Zusammenhang mit der Umwelt öffentliche Zuständigkeiten haben, öffentliche Aufgaben wahrnehmen oder öffentliche Dienstleistungen erbringen. Mit der Einbeziehung dieser natürlichen und juristischen Personen soll insbesondere verhindert werden, dass der europaweite Trend zur Privatisierung von Aufgaben im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge875 zu einer faktischen Entwertung des gewährleisteten Umweltinformationsrechts führt.876 „Die öffentliche Gewalt soll dort identifiziert werden, wo sie sich tatsächlich befindet, um sie wirksam den Verpflichtungen aus der [Umweltinformationsrichtlinie] unterwerfen zu können.“877 Anders als die organisatorisch- und formell-funktional gefassten Begriffe stellt lit. c) auf ein faktisches Element der Kontrolle der erfassten natürlichen und juristischen Personen durch die in lit. a) und b) erfassten Einheiten und Personen ab. Auf eine rechtliche Er874  EuGH, GrK, Urteil vom 19.12.2013  – C-279 / 12 (Fish-Legal), Rn. 79 bzgl. der entsprechenden Vorschrift der RL 2003 / 4 / EG. 875  Allgemein zu diesem Trend und dem Einfluss auf die hier untersuchten prozeduralen Rechte J. Ebbesson, Public Participation and Privatisation in Environmental Matters, Erasmus Law Review 4 (2011), 71 (73 ff. sowie 80 ff.). 876  Vgl. die in Fn. 830 genannten Nachweise sowie D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 335; J. Martin, Das Steuerungskonzept der informierten Öffentlichkeit, 2012, S. 88; UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus-Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 47; F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 118. Weitergehend für die Einführung eines direkten Informationsanspruchs gegen Private daher auch C. Schrader, Neue Umweltinformationsgesetze durch die Richtlinie 2003 / 4 / EG, ZUR 2004, S. 135, zu den Gegenargumenten D. R. Klein, a. a. O., S. 329. 877  Schlussanträge GA Cruz Villalón vom 05.09.2013 zu C-279 / 12, Rn. 92.

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mächtigung kommt es hier also gerade nicht an.878 Eine Begrenzung erfährt die Einbeziehung sonstiger natürlicher und juristischer Personen jedoch dadurch, dass diese nur dann und nur insoweit879 erfasst werden, als ihre öffentliche Zuständigkeit bzw. Aufgabe oder Dienstleistung einen Umweltbezug aufweist.880 Diese muss jedoch keineswegs alleinige, Haupt- oder auch nur Nebenaufgabe der Einheit oder Person sein.881 Soweit aber feststeht, dass bestimmte Informationen bei der Stelle vorhanden sind, die nicht aus ihrer Erfüllung der öffentlichen Dienstleistung mit Umweltbezug stammen, besteht diesbezüglich deshalb auch kein Umweltinformationsanspruch.882 Aus der Erfassung öffentlicher Dienstleistungen folgt zudem, dass die Kon­ trolle nicht über ein öffentlich-rechtliches Weisungsverhältnis seitens der unter lit. a) und b) fallenden Stellen und Personen ausgeübt werden muss, sondern dass auch eine rein privatrechtlich begründete Einwirkungsmöglichkeit hierfür genügen kann.883 Nach dem Urteil des EuGH in der Rs. Fish-Legal zum insoweit inhaltsgleichen Art. 2 Nr. 2 lit. c) RL 2003 / 4 / EG884 soll eine hinreichende Kon­ trolle durch eine in lit. a) bzw. b) erfasste Person oder Stelle ausgeübt werden, wenn deren entscheidender Einfluss der Annahme entgegensteht, dass die sonstige natürliche oder juristische Person die öffentliche Aufgabe oder Dienstleistung mit Umweltbezug in echter Autonomie erfüllt.885 Ein solcher Einfluss sei nicht erst dann gegeben, wenn die kontrollierende Stelle quasi die laufende Verwaltung selbst bestimme, ausreichend sei vielmehr eine ihr zustehende Weisungsbefugnis etwa als Anteilseigner,886 ordnungsrechtliche 878  UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus-Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 47. 879  UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus-Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 48. 880  UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus-Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 47. 881  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 335. 882  Eine solche hybride Auslegung des Behördenbegriffs für Art. 2 Nr. 2 lit. c RL 2003 / 4 / EG ablehnend W. Kahl / C. Dubber, Der Begriff der „informationspflichtigen Stelle“ (§ 2 Abs. 1 UIG) im Lichte der neueren Judikatur aus Luxemburg, EurUP 2014, 215 (220). Bei Unsicherheiten über die Zuordnung einer Information ist diese aber zur Verfügung zu stellen, EuGH, GrK, Urteil vom 19.12.2013 – C-279 / 12 (FishLegal), Rn. 82. 883  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 334. 884  Die Neufassung der Definition gegenüber Art. 6 RL 90 / 313 / EWG erfolgte gerade zu ihrer Anpassung an die Aarhus-Konvention, UNECE, J. Ebbesson / H. Gau­ gitsch u. a., The Aarhus-Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 47. 885  EuGH, GrK, Urteil vom 19.12.2013 – C-279 / 12 (Fish-Legal), Rn. 68. 886  Insoweit sind auch alle Fälle von Unternehmen in öffentlichem Eigentum erfasst, vgl. zu einem solchen Fall ACCC / C / 2004 / 04 (Hungary), Rn. 10.



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Eingriffsmöglichkeiten bzgl. der Entscheidungen der kontrollierten Stelle, Befugnisse zur Bestellung von Mitgliedern der Leitungsorgane oder zur Entziehung wesentlicher Anteile der Finanzierung der Einheit.887 Bei entsprechender Ausgestaltung könne ein solch bestimmender Einfluss auch durch die Kontrolle von Regulierungsbehörden ausgeübt werden.888 Während das so umschriebene Kontrollverhältnis noch die Subsumtion konkreter Fallgestaltungen erlaubt, ist bislang relativ unklar, was eine „öffentliche Aufgabe“ i. S. v. Art. 2 Nr. 2 lit. c) AK alles umfasst. Dies ist zweifelsohne die entscheidende Frage.889 Der EuGH hat sich hierzu bislang nicht geäußert und lediglich die Wasserver- und -entsorgung als öffentliche Dienstleistung und damit öffentliche Aufgabe wie selbstverständlich behandelt.890 In der Literatur werden zudem Energieversorger als typisches Anwendungsbeispiel genannt.891 Das ACCC hat seinerseits etwa solche privaten Akteure hierunter gefasst, die Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren im Anwendungsbereich von Art. 6 AK (teilweise) selbst durchführen.892 Der Zweck der Vorschrift, eine Entwertung des Informationsrechts durch Privatisierungsvorgänge zu verhindern, spricht für ein weites Verständnis des Begriffs der öffentlichen Aufgabe und sollte zumindest immer dann als erfüllt angesehen werden, wenn ein tatsächlicher Privatisierungsvorgang nachgewiesen werden kann. Nur so kann das Informationsrecht der Aarhus-Konvention gegen Privatisierungen hinreichend robust gemacht werden.893 Durch die Begrenzung auf Stellen, die öffentliche Aufgaben durchführen, bestehen ohnehin erhebliche Schutzlücken, da so die gesamte rein privat-wirtschaftliche Tätig-

887  EuGH, GrK, Urteil vom 19.12.2013 – C-279 / 12 (Fish-Legal), Rn. 69. Die genaue Art und Weise der Kontrolle ist damit unerheblich, W. Kahl / C. Dubber, Der Begriff der „informationspflichtigen Stelle“ (§ 2 Abs. 1 UIG) im Lichte der neueren Judikatur aus Luxemburg, EurUP 2014, 215 (219). 888  EuGH, GrK, Urteil vom 19.12.2013  – C-279 / 12 (Fish-Legal), Rn. 70 f.; tendenziell weitergehnd A. Epiney / S. Dilzig / B. Pirker / S. Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Art. 2 Rn. 19. 889  J. Ebbesson, Public Participation and Privatisation in Environmental Matters, Erasmus Law Review, 4 (2011), 71 (81). 890  EuGH, GrK, Urteil vom 19.12.2013 – C-279 / 12 (Fish-Legal), Rn.73. 891  M. Mason, Information Disclosure and Environmental Rights: The Aarhus Convention, Global Environmental Politics, 10 (2010), Heft 3, 10 (14); A. Epiney /  S. Dilzig / B. Pirker / S. Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Art. 2 Rn. 18. 892  ACCC / C / 2009 / 37 (Belarus), Rn. 68 f. Soweit eine Verantwortlichkeit der juristischen Person durch innerstaatliches Recht begründet wird, kann es sich jedoch hierbei auch um eine Behörde im Sinne des formell-funktionalen Behördenbegriffs nach Art. 2 Nr. 4 lit. b) AK handeln. 893  J. Ebbesson, Public Participation and Privatisation in Environmental Matters, Erasmus Law Review 4 (2011), 71 (74).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

keit bereits ausgeklammert wird.894 In diesem Bereich ist die Herstellung von Öffentlichkeit deshalb auch weiterhin auf die sehr viel schwächeren Instrumente wie etwa das freiwillige Öko-Audit begrenzt, wie es auch Art. 5 Abs. 6 AK erwähnt.895 dd) Einbeziehung der Verwaltungsstellen der Europäischen Union Schließlich werden gem. Art. 2 Nr. 2 lit. d) AK auch die Einrichtungen aller in Artikel 17 näher bestimmten Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration, die Vertragsparteien dieses Übereinkommens sind, durch den Behördenbegriff erfasst. Dies ist bislang und vermutlich auch zukünftig einzig die EU, sodass insbesondere die Europäische Kommission, das EUParlament und der Rat, aber auch die europäische Umweltagentur oder EUROSTAT, der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss oder der Ausschuss der Regionen erfasst werden,896 soweit sie nicht, wie teilweise Parlament, Rat und Kommission, in gesetzgeberischer Funktion i. S. v. Art. 2 Nr. 2 UAbs. 2 AK tätig sind. Die in gerichtlicher Eigenschaft handelnden EuGH und EuG sind demgegenüber nach dieser Vorschrift ausgenommen.897 d) Art und Inhalt der Information  – „Informationen über die Umwelt“ Art. 2 Nr. 3 AK, der den Begriff der „Informationen über die Umwelt“898 definiert und damit den Gegenstand des reaktiven Informationsrechts festlegt, unterscheidet zwischen Informationen betreffend den Umweltzustand [a)], tätigkeits- und maßnahmenbezogenen Umweltinformationen [b)] sowie Informationen über die menschliche Gesundheit und Sicherheit, Kulturstätten, Bauwerke und weiteren Bedingungen für menschliches Leben [c)].899 Der Begriff der Information wird seinerseits nicht definiert und unterliegt 894  J. Ebbesson, Public Participation and Privatisation in Environmental Matters, Erasmus Law Review 4 (2011), 71 (81 f.). 895  J. Ebbesson, Public Participation and Privatisation in Environmental Matters, Erasmus Law Review 4 (2011), 71 (78); M. Mason, Information Disclosure and Environmental Rights: The Aarhus Convention, Global Environmental Politics, 10 (2010), Heft 3, 10 (14, 17). 896  UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 48. 897  D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 107. 898  Als Synonym wird im Weiteren der Begriff der Umweltinformationen verwendet. 899  Begrifflichkeiten bei D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 249 f.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte353

deshalb keinen Beschränkungen.900 Die Definition lässt schon durch diese Gliederung deutlich ihre Herkunft aus den sog. Sofia-Guidelines von 1995901 und der Umweltinformationsrichtlinie 1990902 erkennen und findet sich mit leichten Veränderungen (Modifikationen der Gliederung sowie konkretisierenden Beispielen) in der Umweltinformationsrichtlinie von 2003 wieder.903 Der Begriff ist umweltsektorenübergreifend formuliert und erfasst alle Informationen unabhängig davon, ob sie in visueller, akustischer, elektronischer oder sonstiger materieller Form vorhanden sind. Maßgeblich ist nur, dass sie überhaupt in irgendeiner Form gespeichert sind, was die Erfüllung der behördlichen Aktenführungspflicht voraussetzt.904 Die Definition des Art. 2 Nr. 3 AK folgt in ihrer Gliederung in gewissem Maße einer kausalen Betrachtungsweise, bei der die erfassten Tätigkeiten905 als Ursachen für Umweltveränderungen erscheinen, die auf die Umweltbestandteile einwirken und so die menschliche Gesundheit und Sicherheit sowie Sachgüter beeinträchtigen können. Damit geht jedoch keine Verengung des Begriffs einher, wie eine solche Ausrichtung auf Rechtsgüter des Menschen vermuten ließe. Vielmehr wird hiervon ausdrücklich auch die biologische Vielfalt erfasst.906

900  D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 108; C. Schrader, in: S. Schlacke / C. Schrader / T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, 2009, § 1 Rn. 67 zur entsprechenden Formulierung in der UI-RL 2003. 901  Draft Guidelines on Access to Environmental Information and Public Participation in Environmental Decision-Making, Sofia-Guidelines, ECE / CEP / 24. 902  Allerdings geht er über den dort verwendeten Begriff deutlich hinaus, S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 236; F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 118. 903  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 248. 904  D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 109. 905  Diese Betrachtungsweise ist allerdings insoweit vereinfachend, als Art. 2 Nr. 3 lit. b) auch Faktoren, also nicht handlungsbezogene Einflüsse, erfasst. 906  Wie gesehen war im Rahmen der EMRK der Grund darfür, dass die Biodiversität und wesentliche ihrer Bestandteile nicht erfasst wurden nicht darin begründet, dass sich ihre Beeinträchtigung nicht auf die materiell-personalen Menschenrechtsgüter auswirkt, sondern dass dies regelmäßig nicht hinreichend unmittelbar und / oder mit der notwendigen Intensität geschieht, vgl. oben Zweiter Teil, A. IV. 1. a) cc) und dd). Eine entsprechende Ausklammerung auch im vorliegenden Zusammenhang wäre aber mit der Ausrichtung der AK auf den Schutz des Rechtes auf ein Leben in einer gesunden Umwelt auch für zukünftige Generationen nicht vereinbar, da für diese gerade die Auswirkungen sich über lange Zeit aufbauender Summationseffekte beachtlich sind.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

aa) Zustandsbezogene Umweltinformation Gem. Art. 2 Nr. 3 lit. a) sind alle Informationen umfasst, „die den Zustand von Umweltbestandteilen wie Luft und Atmosphäre, Wasser, Boden, Land, Landschaft und natürliche Lebensräume, die Artenvielfalt und ihre Bestandteile, einschließlich gentechnisch veränderter Organismen, sowie die Wechselwirkungen zwischen diesen Bestandteilen“ umfassen. Die einzelnen Umweltbestandteile sind grundsätzlich weit zu verstehen, um dem Bürger eine umfassende Information zu ermöglichen und die von der Konvention beabsichtigte Stärkung von Partizipation und öffentlicher Kontrolle und so den Schutz der Umwelt zu erreichen.907 Während die nicht verbindliche deutsche Übersetzung908 von „Artenvielfalt und ihre Bestandteile“ spricht, heißt es in der gem. Art. 22 verbindlichen englischen Sprachfassung „biological di­ versity and its components“, in der ebenfalls verbindlichen französischen Sprachfassung „la diversité biologique et ses composantes“. Üblicherweise werden die dort verwandten Begriffe mit dem deutschen Begriff der biologischen Vielfalt übersetzt, wie er auch im Rahmen der Konvention über die biologische Vielfalt von 1992 gebraucht wird und bereits erläutert wurde.909 Aus dieser Bestimmung wird ersichtlich, dass der Begriff keineswegs, wie die deutsche Übersetzung des Textes der Aarhus-Konvention vorgibt, lediglich die Vielfalt der Arten und ihrer Bestandteile, sondern gerade auch die Vielfalt der Ökosysteme umfasst, die nicht allein durch ihre Arten geprägt sind, sondern gerade auch durch die unbelebten Bestandteile der Umwelt eines bestimmten Raumes sowie die Wechselwirkungen dieser funktionellen Einheiten.910 Zwar erscheint es fraglich, ob diese Auslegung tatsächlich zu einer umfassenderen Definition von Umweltinformationen führt, da die Fassung des Begriffs in Art. 2 Nr. 3 lit. a) AK im Übrigen alle Umweltbestandteile sowie deren Wechselwirkungen einschließlich gentechnisch veränderter Organismen einschließt. Den Begriff der Artenvielfalt mit dem der biologischen Vielfalt synonym zu setzen,911 erscheint jedoch zumindest im recht­ lichen Kontext angesichts der dargelegten Unterscheidung in der Konvention über die biologische Vielfalt nicht unproblematisch.912 907  D. R. Klein,

Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 253. Österreich und der Schweiz abgestimmte Fassung 105-9903303, abrufbar unter: www.unece.org, zuletzt geprüft am 19.02.2015. 909  Siehe hierzu oben: Erster Teil, A. I.  910  So die Definition des Begriffs „Ökosystem“ gem. Art. 2 CBD. 911  So D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 254; zu der Unterscheidung aus naturwissenschaftlicher Sicht B. Baur, Biodiversität, 2010, S. 7. 912  Der Gegenmeinung ist aber zuzugeben, dass es bei einer Verwendung des Begriffs der biologischen Vielfalt angesichts dessen Weite einer weiteren Aufzählung 908  Mit



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte355

Auch für die übrigen Bestandteile legt die Aarhus-Konvention weite Begriffe zugrunde. Sie stellt gegenüber älteren Regelungen mit der Verwendung des Begriffs „Wasser“ – im Unterschied zu „Gewässer“913 – klar, dass hier nicht nur natürliche Oberflächengewässer und das Grundwasser, sondern insbesondere auch das Trinkwasser und Wasser in Leitungen allgemein erfasst werden. Mit dem Begriffspaar „Luft und Atmosphäre“ werden deut­ licher als bislang auch alle Aspekte des Klimas erfasst.914 Die Begriffsbestandteile „Boden, Land, Landschaft und natürliche Lebensräume“ besitzen nicht nur für sich bereits eine erhebliche Weite. Gerade auch ihre Kombination zeigt die Absicht, eine lückenlose Erfassung diesbezüglicher Umwelt­ informationen sicherzustellen. Mit den „natürlichen Lebensräumen“ wird auf einen Begriff zurückgegriffen, der schon im Übereinkommen über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und ihrer natürlichen Lebensräume von 1979915 Verwendung fand und in der FFH-RL schließlich als „durch geographische, abiotische oder biotische Merkmale gekennzeichnete, völlig natürliche oder naturnahe terrestrische oder aquatische Gebiete“ definiert wird.916 An das Merkmal der Natürlichkeit sind dabei keine hohen Anforderungen zu stellen, vielmehr auch besiedelte Bereiche hierunter zu fassen.917 Durch die Kombination mit „Boden, Land und Landschaft“ sollen natürliche Ressourcen genauso erfasst werden wie auch „Schutzgebiete, Kulturlandschaften und sonstige Naturräume und -objekte von spezifischem Wert“.918 Mit der ausdrücklichen Nennung auch der Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Bestandteilen wird deutlich, dass der Definition ein Verständnis von der Welt als globalem Ökosystem919 zugrunde gelegt wird

der übrigen Umweltbestandteile eigentlich nicht mehr bedurft hätte. Insoweit kommt dem Begriffsbestandteil nach dem hier vertretenen Verständnis aber auch eine Auffangfunktion zu, die er als bloße „Artenvielfalt“ so nicht hätte. 913  In Deutschland war dies zuvor angesichts der unglücklichen Übersetzung von Art. 2 a UI-RL 1990 umstritten. Der englische Begriff „water“ wurde dort als „Gewässer“ wiedergegeben und teilweise in einem engeren Sinne verstanden. Vgl. hierzu D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 253. 914  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 254, Fn. 58. 915  Siehe den Nachweis in Fn. 10. 916  Art. 1 lit. b) FFH-RL. 917  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 254 f. 918  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 255 unter Verweis auf UNECE, S. Stec / S. Casey-Lefkowitz u. a., The Aarhus Convention: An Implementation Guide, 2000, S. 36. Hinsichtlich des spezifischen Wertes seien aber keine besonderen Anforderungen zu stellen. 919  Vgl. D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 256.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

und der Unterschied zu medienbezogenen Ansätzen noch einmal deutlich herausgestellt. Gegenstand der Information über die aufgeführten Umweltbestandteile ist ihr Zustand. Der Begriff ist als zeitlich neutral zu verstehen, umfasst also nicht lediglich deren Ist-Zustand, sondern muss mit Blick auf den Konventionszweck auch auf Daten über den vergangenen Zustand und auch Prognosen über seine zukünftige Entwicklung verstanden werden.920 Entscheidend hierfür ist, dass sich regelmäßig erst aus dem Vergleich der Zustände zu verschiedenen Zeitpunkten ein Informationsgehalt ergibt, der es ermöglicht, einen Missstand festzustellen und auf Vollzugs- oder Regelungsdefizite zurückzuführen.921 Anders als bei Informationen der dritten Gruppe [lit. c)], betreffend insbesondere die menschliche Gesundheit, gibt die Betrachtung bloßer Umweltbestandteile noch keine Auskunft darüber, ob ein „guter“ oder „schlechter“ Zustand vorliegt, vielmehr lassen sich solche Bewertungen erst anhand der Betrachtung von Veränderungen durchführen. Streit über die Einbeziehung insbesondere auch vergangener Daten besteht nur insoweit, als dass teilweise davon ausgegangen wird, dass Daten dann nicht erfasst sein sollen, wenn sie lediglich historische Bedeutung haben, nicht aber für die Bewertung des gegenwärtigen Umweltzustands von Bedeutung sind.922 Dies überzeugt jedoch nicht. Die Bedeutung von Daten ergibt sich erst nach ihrer Auswertung und das auch nur mit Blick auf bereits bekannte Phänomene. Scheinbar irrelevante Daten können mit Blick auf noch unbekannte Erscheinungen ex-post betrachtet große Relevanz besitzen. Zudem böte eine solche Unterscheidung ein Einfallstor für eine weitgehende Ausklammerung vergangenheitsbezogener Daten, deren Bewertung als bedeutungslos wohl nur mithilfe eben dieser Daten möglich wäre. Jede Begrenzung wäre hier willkürlich und kann nicht einfach unter Verweis auf einen möglichen Verwaltungsaufwand gerechtfertigt werden.923

920  D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 111; D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S.  256 f. 921  T. Schomerus / C. Schrader / B. W. Wegener, Umweltinformationsgesetz Handkommentar, 2002, § 3 Rn. 102; D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 257. 922  R. Röger, Die europarechtlichen Vorgaben der Umweltinformationsrichtlinie, in: D. Hegele / R. Röger, Umweltschutz durch Umweltinformation, 1993, S. 8 f. zur UI-RL 1990; D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinforma­ tionen, 2003, S. 111 f. 923  Daniel R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 257 Rn. 76 verweist mit Recht darauf, dass sich alle Befürchtungen bzgl. des drohenden Verwaltungsaufwands aufgrund der Umweltinformationsansprüche nicht erfüllt haben.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte357

bb) Tätigkeits- und umweltfaktorenbezogene Umweltinformation Gem. Art. 2 Nr. 3 lit. b) AK umfassen Umweltinformationen weiterhin sämtliche Informationen über „Faktoren wie Stoffe, Energie, Lärm und Strahlung sowie Tätigkeiten oder Maßnahmen, einschließlich Verwaltungsmaßnahmen, Umweltvereinbarungen, Politiken, Gesetze, Pläne und Programme, die sich auf die unter Buchstabe a gennannten Umweltbestandteile auswirken oder wahrscheinlich auswirken, sowie Kosten-Nutzen-Analysen und sonstige wirtschaftliche Analysen und Annahmen, die bei umweltbezogenen Entscheidungsverfahren verwendet werden“. Vereinfachend lässt sich sagen, dass also alle Faktoren und Tätigkeiten oder Maßnahmen erfasst werden, die sich zumindest mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf die Umwelt auswirken, wobei an die Wahrscheinlichkeit der Beeinflussung nur geringe Anforderungen zu stellen sind.924 Bei den als Ursprünge von Umweltauswirkungen erfassten Faktoren, Tätigkeiten und Maßnahmen ist eine genaue Zuordnung einzelner relevanter Erscheinungen nur von untergeordneter Bedeutung, da die Konvention in den weiteren Regelungen hieran keinerlei Folgen knüpft.925 Schon mit Blick auf das in der UI-RL 1990 ebenfalls verwandte Begriffspaar der Maßnahmen und Tätigkeiten hatte der EuGH festgestellt,926 dass dieses so zu verstehen sei, dass keine Form von Behördentätigkeit hiervon ausgeklammert sei. Obwohl diese beiden Begriffe überwiegend so verstanden werden, dass sie ein menschliches Handeln voraussetzen, wird nicht bestritten, dass sich der Informationsbegriff auch auf Strahlungen, Stoffe, Energie oder Lärm bezieht, die ihrerseits unmittelbar oder zumindest mittelbar auf eine menschliche Handlung, auch unbeabsichtigte, wie Betriebsstörungen und -unfälle und auch ein Unterlassen zurückzuführen sind.927 Unter der Aarhus-Konvention werden sie nun klarstellend dem Begriff der „Faktoren“ zugeordnet. Dass trotz der sich insbesondere auf staatliche Maßnahmen und Tätigkeiten beziehenden Beispiele auch private Maßnahmen und Tätigkeiten und auf diese rückführbare Faktoren von der Begriffsbestimmung erfasst werden, ergibt sich zumindest im Wege der systematischen Auslegung mit Blick auf die Ausnahmeregelungen des Art. 4 Abs. 4 AK, insbesondere lit. d)–g), nach denen einen Antrag auf Informationen über die Umwelt abgelehnt werden kann. Diese beziehen sich auf Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, Rechte 924  D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 112. 925  Eine solche findet sich aber bei D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 114 f. 926  EuGH, Urteil vom 17.06.1998  – C 321 / 96 (Mecklenburg / Kreis Pinneberg), Rn. 19 f. 927  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 266 f.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

geistigen Eigentums, die Vertraulichkeit personenbezogener Daten sowie die Interessen derjenigen, die Daten ohne hierzu bestehende Verpflichtungen herausgegeben haben. Hierbei handelt es sich um Tatbestände, die überwiegend auf private Tätigkeiten und Maßnahmen Anwendung finden und zeigen, dass die Erfassung der dabei anfallenden Umweltinformationen im Rahmen der Definition des Umweltbegriffs mithin vorausgesetzt wird.928 In der Aarhus-Konvention findet sich, anders als in älteren Regelungen, keine Unterscheidung zwischen Handlungen und Faktoren mit positiven und solchen mit negativen Auswirkungen auf die Umwelt.929 Erforderlich ist allein, dass sie objektiv dazu geeignet sind, die Umwelt in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Mehr als ein Ursache-Wirkungs-Zusammenhang wird nicht vorausgesetzt, sodass sowohl „umweltschädliche“ als auch „umweltschützende“ Maßnahmen erfasst werden.930 Allein aus der Abwesenheit dieser Unterscheidung folgt zwar noch nicht auch die Aufgabe der Voraussetzung einer gewissen Intensität der Beeinflussung,931 wohl aber aus dem Zweck der durch die Konvention gewährleisteten Konventionsrechte, gerade auch dort eine Kontrollfunktion der öffentlichen Verwaltung zu ermöglichen, wo Sachverhalte noch gar nicht als Umweltbeeinträchtigungen wahrgenommen ­worden sind.932 Zudem offenbart sich hier das abgestufte Verhältnis von ­Informationszugangsrechten einerseits und Beteiligungsrechten andererseits. Während die Beteiligungsrechte nicht nur in der Aarhus-Konvention eine Beschränkung auf Handlungen mit potentiell erheblichen Auswirkungen kennen933 – womit auch dem weitaus größeren Aufwand solcher Beteiligungen Rechnung getragen wird – ist dies den Informationszugangsrechten ihrem Zweck nach fremd. Eine Filterfunktion kommt hier nicht bereits dem Umweltinformationsbegriff, sondern erst den Ausnahmen gem. Art. 4 Abs. 3 und 4 AK zur Wahrung überwiegender öffentlicher und privater Interessen zu.934 928  So auch D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 266 f.; i. E. ebenso D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 115. 929  D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 113; D. Murswiek / L. Ketterer / O. Sauer / H. Wöckel, Ausgewählte Probleme des Allgemeinen Umweltrechts, Die Verwaltung 44 (2011), 235 (262). 930  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 271 f.; deutlicher insoweit die Definition in Art. 2 Nr. 1 lit. c) UI-RL 2003 / 4 / EG, die ausdrücklich auch Schutzmaßnahmen aufführt. 931  In diese Richtung aber D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 271 f. 932  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 272 f. 933  Vgl. zum Merkmal der „erheblichen Auswirkung“ nach Art. 6 Abs. 1 AK unten: Zweiter Teil, B. IV. 2. d) aa) (2). 934  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 272.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

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Schließlich erfasst Art. 2 Nr. 2 lit. b) AK ausdrücklich auch Informationen über „Kosten-Nutzen-Analysen und sonstige wirtschaftliche Analysen“. Einschränkend sind diese nur insoweit erfasst, wie sie „bei umweltbezogenen Entscheidungsverfahren verwendet werden“. Binnensystematisch ist bei diesen Informationen nicht gefordert nachzuweisen, dass sie sich auf die erfassten Umweltbestandteile auswirken oder wahrscheinlich auswirken. Diese Anforderung ist nur auf die im ersten Satzteil genannten Faktoren, Tätigkeiten und Maßnahmen, mithin gerade nicht auf die Informationen hierüber oder die wirtschaftlichen Informationen des zweiten Satzteils bezogen.935 Streitig war dieser Bezug und in der Folge die Erfassung von Daten über umweltrelevante Tätigkeiten mit rein oder überwiegend wirtschaftlichem Bezug insbesondere hinsichtlich des Umweltbegriffs der OSPAR-Konvention936 gem. Art. 9 Abs. 2 2. Alt., der dem Begriff der UI-RL 1990 weitgehend nachgebildet war.937 Der Permanent Court of Arbitration (PCA) hatte in seiner Entscheidung vom Juli 2003 im Streit zwischen Irland und Großbritannien über den Zugang zu Informationen über die geplante Wiederaufbereitungsanlage im britischen Sellafield (sog. MOX-Plant – Mixed Oxide Plant) nur solche Informationen als erfasst angesehen, die ihrerseits einen Bezug zur Umwelt haben.938 Es konnte folglich nicht genügen, dass sich Informationen auf die Tätigkeit als solche bezog, die Umweltrelevanz besaß – wovon auch wirtschaftliche Informationen über diese Tätigkeit erfasst worden wären – vielmehr musste sich die Information auf Auswirkungen dieser Tätigkeit beziehen und so direkte Umweltrelevanz besitzen.939 Unter der AarhusKonvention jedoch kann eine solche Bestimmung wegen des klaren Bezuges der Umweltrelevanz auf die Tätigkeiten und Faktoren als solche und auch der Einbeziehung von Kosten-Nutzen-Analysen und sonstigen wirtschaft­ lichen Analysen – d. h. Informationen ohne einen direkten Umweltbezug – nicht aufrecht erhalten werden.940 Vielmehr werden unter der AK wirtschaft935  So auch das Bundesverwaltungsgericht zur insoweit entsprechenden Definition der UI-RL 2003, BVerwGE 130, 223 Rn. 13 = NVwZ 2008, 791–794. Vgl. hierzu auch D. Murswiek / L. Ketterer / O. Sauer / H. Wöckel, Ausgewählte Probleme des Allgemeinen Umweltrechts, Die Verwaltung 44 (2011), 235 (262). 936  Convention for the Protection of the Marine Environment of the North-East Atlantic, 32 ILM 1069 (1993). 937  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 294. 938  Dispute concerning Access to information under Art. 9 of the OSPAR Convention between Irleand and the United Kingdom of Great Britain and Norther Ireland, Final Award (OSPAR Case – Final Award), Entscheidung vom 02.07.2003, Reports of international arbitral awards, Vol. XXIII, S. 59 ff., § 167 f. 939  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 299. 940  Str. ist in der Literatur, ob dies tatsächlich eine Neuerung der AK darstellt, vgl. einerseits die Ausführungen Großbritanniens im OSPAR-Case Verfahren, Counter-Memorial United Kingdom vom 06.06.2002, § 4.13. und andererseits D. R. Klein,

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

liche Informationen über Tätigkeiten, die ihrerseits objektiv geeignet sind, sich auf die erfassten Umweltbestandteile auszuwirken schon immer dann erfasst, wenn sie „bei umweltbezogenen Entscheidungsverfahren verwendet werden“, Art. 2 Nr. 3 lit. b) AK a. E.941 Streiten lässt sich hier nur darüber, ob dies auch Informationen umfasst, welche die Entscheidung über die umweltrelevante Tätigkeit nur faktisch beeinflussen können942 oder lediglich solche, die formal in dem Entscheidungsprogramm zu berücksichtigen sind. Hier­ gegen spricht aber schon, dass das Informationsrecht des Art. 4 AK gerade nicht verfahrensbezogen ist, auch wenn es hier neben den verfahrensbezogenen Rechten der Art. 6 – 8 AK anwendbar bleibt. Erfasst werden aber jedenfalls diejenigen wirtschaftlichen Informationen, die für die Entscheidung darüber erforderlich sind, ob im konkreten Fall die Nachteile für die Umwelt die Vorteile in wirtschaftlicher Hinsicht überwiegen oder nicht. Nur wenn diese Informationen erfasst sind, wird es der Öffentlichkeit ermöglicht, eine Kontrolle der Verwaltung bei diesen Entscheidungen vorzunehmen.943 cc) Information über menschliche Gesundheit und Sicherheit sowie Kulturstätten und Bauwerke Der Begriff der Umweltinformation gem. Art. 2 Nr. 3 lit c) AK umfasst schließlich auch in Erweiterung der in der ersten UI-RL verwandten Definition diejenigen Informationen, die „den Zustand der menschlichen Gesundheit und Sicherheit“ und die „Bedingungen für menschliches Leben“ betreffen, sowie solche, die sich auf Kulturstätten und Bauwerke beziehen. Beide Gruppen von Informationen sind „in dem Maße“ umfasst, „in dem sie vom Zustand der Umweltbestandteile oder – auf dem Weg über diese Bestandteile – von den unter Buchstabe b) genannten Faktoren, Tätigkeiten oder Maßnahmen betroffen sind oder betroffen sein können“. Hier wird deutlich, dass weder der Mensch selbst, noch die von ihm geschaffenen Sachgüter im vorliegenden Zusammenhang als Teil der Umwelt angesehen werden.944 Erst Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 304 unter Verweis auf die Präambel zur UI-RL 2003, die bzgl. der Einbeziehung wirtschaftlicher Daten nicht von einer Neuerung, sondern nur einer Präzisierung spricht, UI-RL 2003, Präambel, 10. Erwägungsgrund. 941  Hierzu können auch etwa Informationen über vorhabenbezogene Finanzierungsvereinbarungen fallen, hierzu ACCC / C / 2007 / 21 (EU), Rn. 30 (b). Auch werden etwa Pachtverträge, bspw. über die Nutzung von Wald, erfasst, ACCC / C / 2008 / 30 (Republic of Moldova), Rn. 29. 942  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 305. 943  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 304. 944  D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 110.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte361

dies ermöglicht es, eine sinnvolle Begrenzung des Informationszugangs vorzunehmen und eine uferlose Ausweitung des Anspruchs zu verhindern.945 Eine Begrenzung auf die Natur unter Ausklammerung des Menschen ist dem Umweltinformationsbegriff der AK allerdings ebenso fern.946 Hinsichtlich der ersten Untergruppe an Informationen vollzieht diese Beschränkung eine Unterscheidung zwischen allgemeinen menschlichen Gesundheitsdaten, die nicht erfasst werden, und solchen mit (passivem) Umweltbezug.947 Erfasst werden hier also Fälle von Einwirkungen von Umweltbestandteilen in bestimmtem Zustand auf die menschliche Gesundheit und Sicherheit, unter lit. b) war es dagegen die Einwirkung von Faktoren und menschlichen Handlungen auf die Umweltbestandteile.948 Eine eindeutige Abgrenzung von relevanten und nicht relevanten Daten dürfte hier jedoch schon deshalb schwierig sein, weil sich der umweltrelevante Informationsgehalt häufig nicht aus der Betrachtung eines einzelnen Datums, sondern erst aus der Zusammenschau einer Vielzahl von Daten ergibt. Es muss insoweit schon ausreichen, dass ein Antrag gerade mit dem Zweck gestellt wird, durch die Auswertung der beantragten Daten einen solchen Zusammenhang herauszufinden.949 Nur so kann das Informationsrecht in diesen Fällen genutzt werden, um bislang unbekannte Zusammenhänge aufzudecken und dem Staat einen Regelungsbedarf oder die Bedeutung eines Vollzugsdefizits überhaupt erst bewusst zu machen. Mit der Wendung der „Bedingungen für mensch­ liches Leben“ werden schließlich auch soziale Umstände in Bezug genommen, auf die der Zustand von Umweltbestandteilen und über sie vermittelte umweltrelevante Faktoren und menschliche Handlungen von Einfluss sein können. Neben der Erweiterung des Informationsgegenstands auf soziale Tatbestände lässt sich dem Begriffsbestandteil auch eine Auffangfunktion zuschreiben.950 Der Begriff der „Kulturstätte“ ist nicht auf Plätze und Objekte von außergewöhnlichem Wert beschränkt, wie es im UNESCO-Weltkulturerbe-Über945  D. R. Klein,

310.

Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 306,

946  J. Martin, Das Steuerungskonzept der informierten Öffentlichkeit, 2012, S. 89. Gleiwohl zeigt dies auch, dass, anders als in vielen anderen Zusammenhängen, der Begriff der Umwelt hier also nicht in seinem Bedeutungsgehalt auf die menschliche Umwelt reduziert, sondern umfassender verwendet wird. 947  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 307; zu solchen Daten auch D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umwelt­ informationen, 2003, S. 117. 948  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 307. 949  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 309. 950  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 312.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

einkommen951 der Fall ist, sondern muss, dem weitergehenden Schutzzweck der AK entsprechend, alle Stätten von irgendeiner kulturellen Bedeutung erfassen.952 Auch der Begriff der „Bauwerke“ muss in einem weiten Sinne als bauliche Anlagen verstanden werden, ist also keinesfalls auf Gebäude beschränkt. Als Beispiele hierdurch erfasster Informationen können insbesondere Daten über durch Umweltverschmutzung, Erosion oder Überschwemmungen hervorgerufene Schäden betrachtet werden. dd) Zwischenergebnis Im Ergebnis ist die Begriffsbestimmung des Art. 2 Abs. 3 AK damit denkbar weit und erfasst nahezu jede vorstellbare Information mit Umweltbezug.953 Die ausführliche Aufzählung erfasster Informationen soll gerade die unter der ersten UI-RL häufig angewandte restriktive Auslegung und Rechtsunsicherheiten über die Reichweite verhindern.954 So verstanden kann sie einen wesentlichen Beitrag zur umfassenden und systematischen Verfügbarkeit von Umweltinformationen und der Herstellung einer weiten Informa­ tionsöffentlichkeit leisten.955 Eine Abgrenzung des Gegenstandes, insbesondere zu solchen Informationen, die sich ausschließlich auf wirtschaftliche Sachverhalte oder auf die menschliche Gesundheit als solches beziehen, wird in Art. 2 Nr. 3 lit. b) und c) AK durch qualifizierende Voraussetzungen vorgegeben, ohne aber eine abschließende Lösung zu bieten. Diese erscheint auch insbesondere vor dem Hintergrund schwierig, dass, isoliert betrachtet, bedeutungslose Informationen in Kombination mit anderen Informationen einen Bedeutungsgehalt erhalten, auf den über die Informationszugangsrechte zugegriffen werden können sollte. Die Bestimmung des erforderlichen Um951  Art. 1 Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt (World Heritage Convention), ILM 11 (1972) 1358. 952  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 311; a. A. D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 118 sowie UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus Convention  – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 55, die jeweils auf die Definition der Welterbekonvention abstellen. Die Verengung des Begriffs auf ausgewählte Stätten von besonderem Wert findet aber in der AK keinen Anhaltspunkt und ist deshalb abzulehnen. 953  M. Scheyli, Aarhus-Konvention über Informationszugang, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz in Umweltbelangen, AVR 38 (2000), 217 (231); A. Epiney, Zu den Anforderungen der Aarhus-Konvention an das europäische Gemeinschaftsrecht, ZUR Sonderheft 2003, 176 (176). 954  Vgl. C. Schrader, in: S. Schlacke / C. Schrader / T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, 2010, § 1 Rn. 68 zur weitgehend entsprechenden Definition in der UI-RL 2003; N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 45. 955  J. Martin, Das Steuerungskonzept der informierten Öffentlichkeit, 2012, S. 88.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte363

weltbezuges im konkreten Fall muss deshalb auch mit Blick auf das jeweilige Informationsinteresse geprüft werden. Soweit dieses auf die Erkenntnis der Umweltrelevanz von Daten gerichtet ist, wird dies nur selten vor der Auswertung der begehrten Daten zu beurteilen sein. Das Vorsorgeprinzip, das solcherlei Ungewissheiten berücksichtigt, spricht in solchen Fällen dafür, solche Informationen im Zweifel als erfasst anzusehen und erst auf Ebene der vorgesehenen Ausschlussgründe Restriktionen zuzulassen. Die Weite des Informationsbegriffs ist geeignet einen Zugang zu Informationen über alle Bestandteile biologischer Vielfalt selbst und die mannigfaltigen Ursachen für ihre Zerstörung zu ermöglichen, soweit diese bei Behörden verfügbar sind. Durch die Ausführlichkeit der hier vorgenommenen Darstellung wird ersichtlich, wie groß der Unterschied ist, ob ein Informationsrecht lediglich die auf die materiell-personalen Menschenrechtsgüter bezogenen Umweltinformationen (im Wesentlichen Art. 2 Nr. 3 lit c) AK) erfasst oder – wie in der Aarhus-Konvention – umfassend ausgestaltet ist. Erst durch diese weite Fassung kann die Berechtigung des Art. 4 AK seine Funktion im Rahmen des Steuerungsansatzes der Konvention und damit einen effektiven (mittelbaren) Beitrag zum Schutz biologischer Vielfalt leisten. e) Sonstige Modalitäten des Informationszugangs Aufgrund der Erfahrungen mit dem häufig restriktiven Umgang von Behörden mit den Informationsanliegen unter der Geltung der ersten gemeinschaftsrechtlichen UI-RL956 drängten vor allen Dingen die an den vorbereitenden Verhandlungen der AK beteiligten Vertreter von Umweltvereinigungen auf die Adressierung auch praktischer Hindernisse bei der Verwirklichung von Informationsbegehren.957 Dieses Bemühen spiegelt sich in zahlreichen Regelungen der Konvention wie der Verpflichtung der Staaten wider, die Informationen grundsätzlich in der gewünschten Form (Art. 4 Abs. 1 lit. b) AK) und unter Einhaltung bestimmter – sehr ambitionierter – Fristen (Art. 4 Abs. 2 AK)958 bereit zu stellen. Zudem sind die Behörden in gewissem Um956  R. Hallo, Access to Environmental Information, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 55 (58 ff.); hierzu auch F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 115; N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 109; vgl. auch für Deutschland  – wenn auch stärker unter dem Gesichtspunkt der Legitimation staatlichen Handelns betrachtet – C. Gusy, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. II, 2. Aufl. 2012, Rn. 90. 957  R. Hallo, Access to Environmental Information, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 55 (60 f.). 958  Siehe hierzu auch ACCC / C / 2008 / 24 (Spain), Rn. 115 sowie ACCC / C / 2009 / 36 (Spain), Rn. 59 ff. Bei diesen Regelungen handelt es sich auch um Neuerungen ge-

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

fang zur Unterstützung der Antragsteller beim Auffinden der Informationen verpflichtet, wenn die adressierte Behörde nicht selbst über diese verfügt (Art. 4 Abs. 5 AK). Zur Vorbereitung effektiven Rechtsschutzes sind Ablehnungen zudem schriftlich zu erteilen (Art. 4 Abs. 7 AK). Als eine erhebliche Verbesserung erweist es sich zudem, dass die AK in Art. 4 Abs. 8 eine ­Begrenzung der zulässigerweise zu erhebenden Verwaltungsgebühren959 auf angemessene Höhe vorsieht.960 f) Beschränkungen des Informationsrechts Art. 4 AK kennt in den Absätzen 3 und 4 verschiedene Gründe, die den Vertragsstaaten die Ablehnung von Anträgen auf das Zurverfügungstellen von Umweltinformationen ermöglichen sollen.961 Die Ausnahmetatbestände legen beredtes Zeugnis über das Konfliktpotenzial von Umweltinformationsansprüchen ab962 und kennzeichnen das Recht auf Informationszugang als nur relativ zu gewährleistendes Recht. Die Regelungen sorgen dafür, dass auch im Bereich des Umweltinformationsrechts die Transparenz primär staatlichen Handelns nicht absolut gesetzt wird und ein Mischungsverhältnis zwischen Offenheit und Geschlossenheit, von Öffentlichkeit und Vertraulichkeit, das für offene Gesellschaften kennzeichnend ist, auch hier zu gewährleisten ist.963 genüber der ersten UI-RL, siehe N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 111. 959  Eine solche Regelung kann auch als Recht auf die Nichthinderung von Handlungen, hier der Geltendmachung und des Erhalts der Umweltinformationen, verstanden werden, vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 176. 960  ACCC / C / 2008 / 24 (Spain), Rn. 25 ff. zum Sachverhalt sowie 75 ff. zur Einschätzung des Komitees, dass jedenfalls eine Gebühr in Höhe von 2,05 € pro einseitig bedrucktem Blatt nur für die Erstellung der Kopie weit oberhalb der noch zulässigen Verwaltungsgebühr liege. Im konkreten Fall sollte der Antragsteller ca. 1200 € für die begehrten Informationen in Kopie bezahlen. Von negativen Erfahrungen mit unverhältnismäßig hohen Kostenforderungen aus den 90er Jahren in Deutschland berichtet F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 126. 961  Es handelt sich hierbei um optionale Beschränkungsmöglichkeiten, von denen seitens der Vertragsstaaten in sehr unterschiedlichem Maße Gebrauch gemacht wird, UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 84, 86. Innerhalb der EU-Staaten geht die Umsetzungspraxis allerdings dahin, dass nahezu alle Staaten alle Ausnahmen umgesetzt haben, D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 358 mit Blick auf die Vorgaben Art. 3 II und III der ersten UI-Richtlinie. 962  R. Müller-Terpitz, Beteiligungs- und Handlungsmöglichkeiten nichtstaatlicher Organisationen im aktuellen Völker- und Gewohnheitsrecht, AVR 43 (2005), 466 (474). 963  Allgemein hierzu M. Jestaedt, Das Geheimnis im Staat der Öffentlichkeit, AöR 126 (2001), 204 (205).



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte365

Um zu verhindern, dass die konkrete Anwendung der acht Ausnahmetat­ bestände in Art. 4 Abs. 4 AK das prima facie äußerst weit gefasste Informa­ tionszugangsrecht letztlich doch entwertet, und damit auch seinen Einsatz zum Schutz der Biodiversität unterminiert, ordnet Abs. 4 S. 2 explizit die enge Auslegung der Ausnahmegründe an.964 Einer Auslegung der Ausnahmegründe, wonach bereits bei der bloßen Beeinträchtigung der dort geschützten Interessen eine Ablehnung des Informationsanspruchs möglich wäre, hat das Compliance Committee der AK eine Absage erteilt.965 Die Konzeption der AK ist danach als bewusste Abwendung von den noch in der UI-RL 1990 enthaltenen absoluten Ablehnungsgründen zu verstehen.966 Vielmehr muss im konkreten Fall eine Entscheidung getroffen werden, die das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe der Information genauso berücksichtigt wie auch einen etwaigen Bezug der beantragten Informationen zu Emissionen in die Umwelt.967 Verlangt ist von den Vertragsparteien mithin eine Abwägungsentscheidung, für die lediglich die genaue Art und Weise ihrer Durchführung durch die Konvention nicht vorgegeben wird.968 Die Verstärkung des öffentlichen Interesses, wenn im konkreten Fall ein Bezug zu Emissionen besteht, die nach Art. 4 Abs. 4 S. 2 Hs. 2 AK aufgrund der Unmittelbarkeit ihrer Auswirkungen auf den Umweltzustand in besonderer Weise Berücksichtigung finden müssen,969 ist den Vertragsstaaten aber wiederum vorgege964  J. Martin, Das Steuerungskonzept der informierten Öffentlichkeit, 2012, S. 89; D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 358 f., 361 f. 965  ACCC / C / 2007 / 21 (Europäische Union), Rn. 30 (c). 966  R. Müller-Terpitz, Beteiligungs- und Handlungsmöglichkeiten nichtstaatlicher Organisationen im aktuellen Völker- und Gewohnheitsrecht, AVR 43 (2005), 466 (476); demgegenüber meint D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 362, Fn. 2, dass das Erfordernis der Abwägung bereits gem. Art. 3 II 4 SpStr. UI-RL 1990 bestanden habe. Aus dem Richtlinientext geht dies nicht hervor. 967  Deutlicher insoweit die Umsetzung in RL 2003 / 4 / EG in Art. 4 Abs. 2 S. 3, die ausdrücklich eine Abwägung im Einzelfall vorsieht. 968  UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus-Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 90 mit Verweis auf die Sofia-Guidelines und der dort unter I, Ziff. 6 vorgeschlagenen Interessenabwägung im Einzelfall, Draft Guidelines on Access to Environmental Information and Public Participation in Environmental Decision-Making, ECE / CEP / 24, S. 4; auch M. Scheyli, Aarhus-Konvention über Informationszugang, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz in Umweltbelangen, AVR 38 (2000), 217 (233) sieht hierin eine Bezugnahme auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip, womit er wohl nicht nur eine Abwägungsentscheidung, sondern auch das Gebot zur Schaffung praktischer Konkordanz als vorgegeben ansieht. 969  Neben der Unmittelbarkeit der Auswirkungen von Emissionen auf die Umwelt und dem damit erhöhten öffentlichen Interesse an ihren Eigenschaften werden sie, da sie bereits in die öffentliche Sphäre gelangt sind, als weniger schutzwürdig angesehen, da so ihr eigentumsähnlicher Charakter verloren gehe, D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 364.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

ben.970 Auf die Verhinderung einer ungerechtfertigt weiten Handhabung der Versagensgründe zulasten des Informationszugangs zielt zudem Art. 4 Abs. 6 AK ab, wonach bei teilbaren Informationsgegenständen zumindest die nicht von einem Versagungsgrund erfassten Informationen herauszugeben sind.971 Wegen der Voraussetzungslosigkeit des in Art. 4 AK gewährleisteten Informationsanspruchs, insbesondere des Fehlens der Notwendigkeit ein berechtigtes Interesse am Informationszugang vorzutragen, ergibt sich zudem eine faktische Verschiebung hin zur Zugänglichkeit der Information, da nun – anders als früher – von behördlicher Seite zu begründen ist, warum im konkreten Fall der Grundsatz der Geheimhaltung sich durchsetzen soll.972 Während die in Art. 4 Abs. 3 AK aufgezählten Gründe stärker formeller Natur sind und generell eine Ablehnung eines Informationsgesuchs rechtfertigen, sollen die in Abs. 4 geregelten Ausnahmen vom Grundsatz der freien Zugänglichkeit von Informationen über die Umwelt den Schutz bestimmter, teils öffentlicher, teils privater Interessen gewährleisten. Entsprechend setzen sie zunächst voraus, dass eine Informationsbekanntgabe negative Auswirkungen auf das jeweils geschützte Gut hat.973 Die Ausnahmen unter lit. a)–c) sowie h) schützen dabei überwiegend originär öffentliche Interessen, während lit. d)-g) Interessen zum Schutzgegenstand haben, die in erster Linie privater Natur sind. Die regelungssystematisch nicht klar erfolgte Trennung des Schutzes öffentlicher und privater Interessen, welche die teilweise Auf­ lösung dieser beiden Sphären in der AK widerspiegelt, darf nicht über die ­unterschiedliche Natur der hier erfassten Interessenkonflikte hinwegtäuschen, die sich anhand des ihnen jeweils eigenen Rechtfertigungsgefälles zumindest verfassungstheoretisch unterscheiden lassen.974 Soweit sich der Staat gegenüber aktiv legitimierten Antragstellern auf einen Ablehnungsgrund gem. 970  Der Bezug von Umweltinformationen zu Emissionen findet über die allgemeine Gewichtungsklausel in Art. 4 Abs. 4 S. 2 AK hinaus noch besondere Berücksichtigung im Rahmen der Ausnahme zum Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen in Art. 4 Abs. 4 lit. d). Hierzu sogleich. 971  Zu einem solchen Fall siehe EuGH, Urteil vom 15.01.2013  – C-416 / 10 (Križan), Rn. 83 f., wo es allerdings um die Offenlegung von Informationen im Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 6 AK geht. 972  So bereits R. Engel zur entsprechenden Regel unter der UI-RL 1990, Der freie Zugang zu Umweltinformationen nach der Informationsrichtlinie der EG und der Schutz von Rechten Dritter, NVwZ 1992, 111 (111); eine Schwierigkeit für vorzunehmende Abwägungsentscheidungen sieht dadurch auch begründet R. Müller-Terpitz, Beteiligungs- und Handlungsmöglichkeiten nichtstaatlicher Organisationen im aktuellen Völker- und Gemeinschaftsrecht, AVR 43 (2005), 466 (477). 973  Zur Unterscheidung der Ablehnungsgründe in Art. 4 Abs. 3 und 4 AK N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 110. 974  So überzeugend M. Jestaedt, Das Geheimnis im Staat der Öffentlichkeit, AöR 126 (2001), 204 (220 f.).



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte367

Art. 4 Abs. 3, 4 AK beruft, ist er ihnen gegenüber für die Durchsetzung von Geheimhaltung rechtfertigungspflichtig. Soweit es sich allein um den Schutz öffentlicher Interessen handelt, ist die Rechtfertigungskonstellation allein bipolar. Beruft sich der Staat hierbei jedoch auf den Schutz privater Interessen, so handelt es sich um eine Dreieckskonstellation, in welcher der Staat in doppelter Hinsicht rechtfertigungsbedürftig ist – gegenüber dem den Informationszugang begehrenden Bürger, soweit er den Zugang ablehnen möchte und gegenüber dem Dritten, soweit er den Zugang trotz der Betroffenheit dessen privater Interessen gestatten will. In diesem Verhältnis ist das Rechtfertigungsgefälle also genau umgekehrt, ist die Herstellung von Öffentlichkeit rechtfertigungspflichtig.975 aa) Schutz überwiegend öffentlicher Güter (1) Überblick Die Aarhus-Konvention kennt in Art. 4 Abs. 3 und 4 eine Reihe von Versagungsgründen, die, obgleich durchaus von hoher Relevanz, keinerlei spezifische Bedeutung für den Schutz biologischer Vielfalt oder überhaupt den Schutz der Umwelt besitzen, üblichen Versagungsgründen für die Offenlegung von Informationen entsprechen und als solche vielfach ausführlich dargestellt wurden976 und hier deshalb nur überblicksartig behandelt werden. Hierzu gehören insbesondere Art. 4 Abs. 3 lit b) 1. Var. AK, wonach offensichtlich rechtsmissbräuchliche Anträge zurückgewiesen werden können, was Behörden eine Handhabe gegen querulatorische Verhaltensweisen geben soll,977 nicht aber in einer Weise ausgelegt werden darf, die letztlich quasi durch die Hintertür doch zu einer Einführung einer Prüfung der Berechtigung der Interessen des Antragstellers führt, die Art. 4 Abs. 1 AK gerade nicht verlangt. Soweit gem. Art. 4 Abs. 3 lit. b) 2. Var. AK auch Anträge abgelehnt werden können, weil sie zu allgemein formuliert sind, soll dies zudem lediglich sicherstellen, dass die Anträge überhaupt sinnvoll bearbeitbar sind, nicht 975  M. Jestaedt, Das Geheimnis im Staat der Öffentlichkeit, AöR 126 (2001), 204 (221). Zu dem in Deutschland lange vorherrschenden und hiermit in engem Zusammenhang stehenden Ungleichgewicht zwischen grundrechtlich begründetem Datenschutz einerseits und lediglich einfachgesetzlich gewährtem, konzeptionell lange als Ausnahme gedachtem Informationszugang andererseits F. Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, Einl. Rn. 45. 976  Siehe die umfassende Darstellung bei A. Epiney / S. Dilzig / B. Pirker / S. Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Art. 4 Rn. 24 ff.; C. Schrader, in: S. Schlacke /  C. Schrader / T. Bunge, Aarhus-Handbuch, 2010, § 1 Rn. 94 ff. zu den Ablehnungsgründen im UIG des Bundes sowie F. Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, § 3 ff., S. 387 ff. zu den Ablehnungsgründen des Informationsfreiheitsgesetzes. 977  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 373.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

aber weitreichende Informationsbegehren unterbinden.978 Auch bei den in Art. 4 Abs. 4 lit. a)-c) AK vorgesehenen Versagungsgründen zum Schutz der Vertraulichkeit von Beratungen, internationalen Beziehungen, der Landesverteidigung, der öffentlichen Sicherheit, laufender Gerichtsverfahren, der Möglichkeit einer Person, ein faires Verfahren zu erhalten oder der Möglichkeit einer Behörde, Untersuchungen strafrechtlicher oder disziplinarischer Art durchzuführen, handelt es sich um Tatbestände zum Schutz anerkannter Arkanbereiche staatlicher Tätigkeit.979 Die AK verhindert deren ungerechtfertigte Ausweitung zu Lasten der Umweltinformationsfreiheit insbesondere durch die bereits erwähnte Auslegungsmaxime in Art. 4 Abs. 4 S. 2 AK sowie die Notwendigkeit, stets – und das heißt im Einzelfall980 – eine Abwägung der betroffenen Interessen mit dem Interesse an der Herstellung von Öffentlichkeit vorzunehmen. Dass gem. Art. 4 Abs. 3 lit. a) AK ein Informationsbegehren abgelehnt werden kann, weil die adressierte Behörde nicht über die beantragte Information über die Umwelt verfügt, bedeutet, dass eine allgemeine Informationsbeschaffungspflicht durch die AK gerade nicht subjektiv gewendet wird, sondern Informationsbeschaffung nur im Rahmen von Art. 5 AK durch die Vertragsparteien den Behörden aufzugeben ist.981 Gem. Art. 4 Abs. 4 lit. h) AK kann zudem ein Informationsbegehren zurückgewiesen werden, soweit durch die Veröffentlichung der Informationen der Umwelt, auf die sich diese Informationen beziehen, negative Auswirkungen drohen. Die Konvention selbst führt beispielhaft Informationen bzgl. der Brutstätten seltener Tiere an und zeigt damit die Zielrichtung des Versagungsgrundes auf. Das Informationsrecht soll so vor Missbrauch durch solche Personen – namentlich Wilderern – geschützt werden, welche die Infor978  D. R. Klein,

Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 373. ausführlicher hierzu D.  R.  Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 377 ff. sowie bereits D.  Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 124 ff.; zu dem nach Art. 4 Abs. 4 lit. a) AK bestehenden Erfordernis, dass die Vertraulichkeit von Beratungen nach innerstaatlichem Recht vorgesehen sein muss EuGH, Urteil vom 14.02.2012  – C-204 / 09 (Flachglas Torgau), Rn. 65; vgl. hierzu auch S.  Much, Der Zugang zu Umweltinformationen nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache C-204 / 09), ZUR 2012, 288 (290). 980  EuGH, Urteil vom 16.12.2010  – C-266 / 09 (Kommission / Niederlande), Rn. 52, 55 zur insoweit parallelen Bestimmung in Art. 4 UI-Rl 2003 / 4. 981  Gleichwohl führt die Unverfügbarkeit nicht zu einem endgültigen Scheitern des Informationsbegehrens. Vielmehr sind die Vertragsstaaten gem. Art. 4 Abs. 5 AK verpflichet Regelungen vorzusehen, wonach die Behörden den Antragsteller über das Nichtvorliegen der Informationen informieren und den Antrag an eine Behörde weiterleitet, die voraussichtlich die begehrten Informationen besitzt oder jedenfalls darüber informiert. 979  Vgl.



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mationen nutzen würden, um werthaltige Umweltbestandteile illegal auszuplündern. Der Versagungsgrund soll mithin verhindern, dass das Umwelt­ informationsrecht nicht zum Schutz der Umwelt, sondern zu ihrem Schaden eingesetzt wird.982 (2) Insbesondere: Die Versagung von Umweltinformationsbegehren während laufender behördlicher Entscheidungsverfahren Die Aarhus-Konvention strebt durch die Gewährleistung sowohl des allgemeinen Umweltinformationsrechts nach Art. 4 Abs. 1 AK als auch durch die verfahrensbezogenen Informationspflichten gem. Art. 6 Abs. 2, 6 sowie Art. 7 S. 1 AK gerade eine frühzeitige Information der (betroffenen)983 Öffentlichkeit über zulassungsbedürftige umweltrelevante Tätigkeiten an, da nur in einem frühzeitigen Stadium noch effektiv Einfluss auf die Verfahren genommen werden kann.984 Dabei handelt es sich für die Behörden um ein Verfahrensstadium, in dem der entscheidungserhebliche Sachverhalt noch nicht voll ermittelt und allenfalls der rechtliche Rahmen der zu treffenden Entscheidung bekannt, nicht aber Einzelfragen entschieden oder häufig auch nur bereits diskutiert worden sind. Die Aarhus-Konvention anerkennt deshalb gerade auch für diesen Bereich spezielle Versagungsgründe, die den behördlichen Entscheidungsprozess gegen unzulässige Störungen schützen sollen.985 Hierzu zählen insbesondere zum einen Art. 4 Abs. 4 lit. a) AK, der eine Ablehnung eines Informationsbegehrens zum Schutz der Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden zulässt sowie Art. 4 Abs. 3 lit. c) AK, wonach eine Ablehnung möglich ist, soweit Material betroffen ist, das noch fertiggestellt werden muss, oder die Herausgabe interner Mitteilungen begehrt wird. Zwar dürfen die Versagungsgründe jeweils nur dann zur Anwendung kommen, soweit sie nach innerstaatlichem Recht vorgesehen sind oder – was allein im Falle von Art. 4 Abs. 3 lit. c) AK ausreichend ist – gängiger Praxis entsprechen986 und wenn 982  C. Schrader, in: S. Schlacke / C. Schrader / T. Bunge, Aarhus-Handbuch, 2010, § 1 Rn. 110 hinsichtlich der Umsetzungsvorschrift des § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UIG. 983  Im Gegensatz zum allgemeinen Informationsrecht nach Art. 4 AK sind die aktiven behördlichen Informationspflichten nach Art. 6 Abs. 2 sowie Art. 7 S. 1 AK auf die betroffene Öffentlichkeit begrenzt. Art. 6 Abs. 6 AK enthält ein auf die betroffene Öffentlichkeit bezogenes reaktives Informationsrecht. 984  Vgl. hierzu ausführlich unten: Zweiter Teil, B. IV. 2. e) aa). 985  Einen unspezifischen Ablehnungsgrund zum Schutz laufender Verwaltungsverfahren anerkennt die Konvention dagegen gerade nicht, vgl. M. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 5 Rn. 1411 zum zwischenzeitlichen Wegfall eines solchen Ausnahmetatbestands auch im UIG. 986  Zu dem insoweit vorhandenen Spielraum bei der Anerkennung einer „gängigen Praxis“ nach nationalem Recht UNECE, J. Ebesseon / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 84.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

im konkreten Fall das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe der begehrten Information nicht das Geheimhaltungsinteresse überwiegt. Ihr Potenzial, das Ziel der AK, eine frühzeitige Information der (betroffenen) Öffentlichkeit über umweltrelevante Zulassungsverfahren zu gewährleisten, erheblich zu beeinträchtigen, wird zudem dadurch geschmälert, dass die Versagungsgründe zumindest auf den verfahrensbezogenen Informationsanspruch gem. Art. 6 Abs. 2 AK nicht anwendbar sind. Für den Anspruch nach Art. 4 Abs. 1 AK, aber auch den Anspruch gem Art. 6 Abs. 6 AK sind die Versagungsgründe gem. Art. 6 Abs. 6 S. 1 Hs. 2 AK jedoch anwendbar. Die genannten Ausnahmegründe schützen im Kern alle den ungestörten und reibungslosen Ablauf der Verwaltung.987 Anders als noch nach der ersten UI-RL muss nach der AK schon für die Anwendung der Ausnahmegründe eine Beeinträchtigung dieses Schutzguts zu befürchten sein, seine Berührung alleine genügt nicht.988 Die bewusste Abkehr von der weiten Fassung von Ausnahmegründen noch in der UI-RL 1990 und mehr noch die Auslegungsmaxime des Art. 4 Abs. 4 S. 2 AK gebieten zudem eine enge Auslegung der durch die Konvention selbst nicht definierten Begriffe der Ausnahmetatbestände. Danach ist unter den Begriff der behördlichen Beratungen nach Art. 4 Abs. 4 lit. a) AK nur ein spezifischer Teil  bzw. Aspekt eines Zulassungsverfahrens zu verstehen. Die Regelung soll den Schutz des Beratungsprozesses ermöglichen, um die Unbefangenheit der Behördenmitarbeiter beim Prozess der behördeninternen Entscheidungsfindung sicherzustellen, insbesondere das offene Abwägen verschiedener Optionen sowie die Austragung interner Meinungsverschiedenenheiten zu ermöglichen, ohne dass Außenstehende hierauf Einfluss gewinnen und Gegenreaktionen bereits vor Abschluss dieses Prozesses erfolgen können.989 Dem aber kann bereits hinreichend dadurch genügt werden, dass unter behördlichen Beratungen lediglich die unmittelbar zu einer Sachentscheidung führenden Besprechungen erfasst werden, nicht aber jede Besprechung überhaupt oder die den Besprechungen zugrunde liegenden Entscheidungsvorlagen.990 Zudem kann der Schutz der Vertraulichkeit überhaupt nur insoweit eine Versagung rechtfertigen, wie der Entscheidungsprozess noch nicht abgeschlossen ist, da mit dessen Ende ein Einfluss auf das Ergebnis auch nicht mehr zu befürchten 987  D. R. Klein,

Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 376. Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 378. 989  D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 124 f. 990  C. Schrader, in: S. Schlacke / C. Schrader / T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, 2009, § 1 Rn. 101. In diese Richtung nun auch EuGH, Urteil vom 13.07.2017  – C-60 / 15P (Saint-Gobain Glass Deutschland GmbH / Kommission), Rn. 79 ff. 988  D. R. Klein,



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ist.991 Da das Geheimhaltungsinteresse auch im Einzelfall das Informationsinteresse überwiegen muss, werden in aller Regel nur solche Beratungen eine Geheimhaltung beanspruchen können, für die bereits gesetzlich vorgesehen ist, dass nur bestimmte Personen an ihnen teilnehmen dürfen.992 Nur schwierig hiervon überhaupt abgrenzbar ist der Schutz interner Mitteilungen von Behörden nach Art. 4 Abs. 3 lit. c) AK.993 Der Begriff der „Behördeninterna“ hilft hier genauso wenig weiter wie die Annahme, dass es sich dabei um die Weitergabe rein faktenbezogener Informationen, nicht aber wertender Stellungnahmen handele.994 Vielmehr sollte der Tatbestand auch angesichts seiner Bezogenheit auf Mitteilungen einer bestimmten Behörde, nicht aber zwischenbehördliche Mitteilungen, dahingehend ausgelegt werden, dass er lediglich die Arbeits- und Kommunikationsprozesse zwischen einzelnen Mitarbeitern als solche den Blicken der Öffentlichkeit entziehen soll, nicht aber die ausgetauschten Informationen selbst, soweit diese nicht ihrerseits den Kern des Entscheidungsprozesses betreffen und damit unter Art. 4 Abs. 4 lit. a) AK fallen. Zumeist werden die Informationen aber nicht lediglich in der Form einer internen Mitteilung zwischen Behördenmitarbeitern, sondern auch in anderweitiger Form vorhanden sein, sodass der Ausnahmegrund in aller Regel nicht zur Ablehnung des Gesuchs, sondern lediglich zu einer Abweichung von der gewünschten Form i. S. v. Art. 4 Abs. 1 lit. b) i) AK führen darf. Damit schließlich der Ablehnungsgrund bzgl. noch nicht abgeschlossener Dokumente gem. Art. 4 Abs. 3 lit. c) 1. Var. AK nicht in einer Weise angewandt wird, der die Veröffentlichung von Dokumenten vor Abschluss eines Verwaltungsverfahrens verhindert, ist dessen Auslegung eng am englischen authentischen Wortlaut der AK zu orientieren, wonach nur „materials in the course of completion“ abgelehnt werden dürfen.995 Dies bringt besser als die deutsche Übersetzung zum Ausdruck, dass es hier nur darum geht, den Behörden die notwendige Zeit zu verschaffen, gerade im Bearbeitungsprozess befindliche Dokumente abzuschließen, nicht aber nicht 991  C. Schrader, in: S. Schlacke / C. Schrader / T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, 2009, § 1 Rn. 104. 992  C. Schrader, in: S. Schlacke / C. Schrader / T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, 2009, § 1 Rn. 101. 993  Verbreitet wird deshalb die Streichung dieses Ausnahmegrundes bzw. seine Nicht-Umsetzung gefordert, so D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 124; zustimmend D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 379. 994  So aber D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 379. 995  D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 123; D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 374.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

abgeschlossene Dokumente – wie dies die UI-RL 2003 weiterhin zulässt – dauerhaft bis zum Ende eines Verfahrens zurückzuhalten. Andernfalls würde das hier befürwortete enge Verständnis der Vertraulichkeit behördlicher Beratungen nach Art. 4 Abs. 4 lit. a) AK überspielt werden. Mit dem Abstellen auf einen gerade laufenden Bearbeitungsprozess ist es auch nach Ansicht des ACCC nicht vereinbar, wenn nach Art. 4 Abs. 1 lit. d) UI-RL 2003 auch sog. Rohdaten („noch nicht aufbereitete Daten“) von der Veröffentlichung ausgenommen werden können.996 Diese stellen ihrerseits Umweltinformationen dar und müssen – ggf. mit dem Hinweis auf ihre Eigenschaft als Rohdaten – ohne weiteres auf Antrag nach Art. 4 Abs. 1 AK veröffentlicht werden.997 (3) Insbesondere: Der Schutz von Vertragsverletzungsverfahren der EU gegenüber Mitgliedstaaten entsprechend Art. 4 Abs. 4 lit c) AK Von besonderem Interesse für die Öffentlichkeit können auch Informationen über Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Union gegen einzelne Mitgliedstaaten, konkret der im außergerichtlichen Vorverfahren anfallende Schriftverkehr, die begründete Stellungnahme des Mitgliedstaats und auch die ggf. eingereichte Klageschrift der Union und eine etwaige Klage­ erwiderung des betroffenen Mitgliedstaats sein.998 Hinsichtlich der hier untersuchten Fragestellung sind solcherlei Informationen insbesondere für Umweltvereinigungen von Interesse, wenn sich aus ihnen Hinweise auf die fehlerhafte Umsetzung von Umweltrecht – Recht zum Schutz biologischer Vielfalt – oder über dessen fehlerhafte Anwendung ergibt. Solche Informa­ tionen können Grundlage für die politische Arbeit von Umweltvereinigungen bilden, um gegenüber den staatlichen Institutionen eine verbesserte Umsetzung oder einen verbesserten Vollzug einzufordern oder Ansatzpunkte für ein rechtliches Vorgehen, abzielend auf die Behebung der festgestellten Defizite, bilden.

996  ACCC / C / 2010 / 53 (UK), Rn. 77; vgl. auch die insoweit gerechtfertigte Kritik bei D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 375. 997  Entgegen D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 375 ordnet die UI-RL 2003 jedoch in ihrem Art. 4 Abs. 2 S. 2 allgemein an, dass eine Interessenabwägung im Einzelfall bei allen in Abs. 1 und 2 aufgezählten Ausnahmegründen und damit auch bei der Versagung der Herausgabe noch fertig zu stellender Materialien zu erfolgen hat. Dies wurde auch durch EuGH, Urteil vom 16.12.2010 – C-266 / 09 (Kommission gegen Niederlande), Rn. 59 bestätigt. Insoweit stimmt die UI-RL 2003 also mit der AK überein. 998  So auch B. W. Wegener, Ein strategischer Umgang mit Herrschaftswissen?, in: M. Kment, FS-Jarass, 2015, 159 (160).



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte373

In konkret entschiedenen Fällen,999 die bereits oben unter dem Aspekt der ablehnenden Haltung des EuGH zur Maßstäblichkeit der AK im Bereich des gemeinschaftseigenen Vollzugs diskutiert wurden,1000 hatte zum einen eine portugiesische Umweltschutzorganisation Zugang zu einer Reihe von Dokumenten über ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Portugal begehrt, dass die Kommission wegen möglicher EU-Rechtsverstöße gegen die FFH- und Vogelschutzrichtlinie beim Bau eines Staudamms1001 eingeleitet hatte. In dem zweiten Sachverhalt hatte eine britische Umweltschutzorganisation Zugang zu Dokumenten der Generaldirektion Umwelt bei der EU Kommission beantragt, die Auftragsstudien eines externen Unternehmens über die Vereinbarkeit der Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten mit den umweltrechtlichen Vorschriften der Union umfassten.1002 Zur Erinnerung: Auf der Grundlage von Art. 3 AK-VO (VO 1367 / 2006) i. V. m. Art. 2 Abs. 1 VO 1049 / 2001 geltend gemachte Informationsansprüche auf die Herausgabe der genannten Unterlagen über Vertragsverletzungsverfahren sind in der Vergangenheit mehrfach unter Verweis auf den Ablehnungsgrund nach Art. 4 Abs. 2 3. SpStr VO 1049 / 2001 abgelehnt worden. Danach kann der Informationszugang verweigert werden, wenn dieser den „Schutz des Zwecks von Inspektions-, Untersuchungs- und Audittätigkeiten“ beeinträchtigen würde. Dies wurde in den entschiedenen Fällen mit der Begründung angenommen, dass die Veröffentlichung der begehrten Dokumente das für eine erfolgreiche gütliche Streitbeilegung in einem Verhandlungsund Kompromissprozess nötige Klima gegenseitigen Vertrauens beschädigt hätte.1003 Dass der Ablehnungsgrund gem. Art. 4 Abs. 2 3. SpStr VO 1049 /  2001 in dieser Form der Aarhus-Konvention jedenfalls dem Wortlaut nach unbekannt und es streitig ist, ob es sich hierbei um eine zulässige Konkretisierung des Versagungsgrundes nach Art. 4 Abs. 4 lit. c) AK handelt, wurde bereits ausgeführt. Da der EuGH insoweit jedoch bereits die Maßstäblichkeit der Ausnahmevorschrift der Konvention ablehnte, unterließ er eine nähere Prüfung. Folgt man jedoch nicht dieser hier für verfehlt gehaltenen Ansicht 999  Vgl. hierzu jeweils EuG, Urteil vom 09.09.2011  – T-29 / 08; EuGH, Urteil vom 14.11.2013  – C-514 / 11 P u. a.; EuG, Urteil vom 13.09.2013  – T-111 / 11 sowie nachfolgend EuGH, Urteil vom 16.07.2015 – C-612 / 13 P. 1000  Siehe hierzu bereits Zweiter Teil, B. III. 2. b) aa) (3). 1001  EuGH, Urteil vom 14.11.2013 – C-514 / 11 P u. a., Rn. 7. 1002  Vgl. EuG, Urteil vom 13.09.2013 – T-111 / 11, Rn. 17. 1003  EuGH, Urteil vom 14.11.2013  – C-514 / 11 P u. a., Rn. 9. Zwar entschied die Kommission später, das Verfahren gegen Portugal nicht weiter zu verfolgen und kam nach Wegfall des bislang bestehenden Ausnahmegrundes zumindest teilweise dem Informationsbegehren der Antragstellerin nach. Das Verfahren vor dem EuGH bezog sich dennoch allein auf die erste ablehnende Entscheidung, a. a. O., Rn. 12 f.; EuGH, Urteil vom 16.07.2015 – C-612 / 13 P, Rn. 7 ff.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

des EuGH, der von der Maßstäblichkeit von Vorschriften der AK nur für den Fall ausgehen will, dass diese auch die für die Annahme einer unmittelbaren Anwendbarkeit formulierten Anforderungen aufweisen, so lässt sich durchaus prüfen, ob der Ablehnungsgrund des Art. 4 Abs. 2 3. SpStr VO 1049 / 2001 den durch die AK gezogenen Rahmen überschreitet oder sich als Konkretisierung von Art. 4 Abs. 4 lit. c) AK darstellt1004 und die Geheimhaltung von Informationen zum Zwecke des Schutzes von Vertragsverletzungsverfahren unter den Ablehnungsgrund der Aarhus-Konvention subsumiert werden können. Während eine solche Subsumtion unter den nicht weiter qualifizierten Begriff der Untersuchungstätigkeit gem. Art. 4 Abs. 2 3. SpStr. VO 1049 / 2001 problemlos möglich ist, erscheint dies angesichts der den Begriff der Untersuchungen beschränkenden attributiven Adjektive „strafrechtlicher oder diziplinarischer Art“ in Art. 4 Abs. 4 lit. c) AK fraglich. Diese weisen eher darauf hin, dass nur solche Verfahren erfasst werden sollen, die sich gegen Einzelpersonen richten, nicht aber gegen Staaten, wie es bei Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission nach Art. 258 ff. AEUV der Fall ist. Die hinter dem Ablehnungsgrund stehende teleologische Erwägung dürfte die besondere Sensibilität strafrechtlicher und disziplinarischer Verfahren sein, die etwa aus der Gefahr resultiert, dass ein solches Verfahren nicht mehr durchführbar ist für den Fall, dass dieses vor Abschluss der notwendigen Untersuchungen bekannt wird, etwa weil dadurch die Erhebung von Beweisen etc. vereitelt wird.1005 Dass eine solche Gefahr bei Vertragsverletzungsverfahren bestünde, wird aber auch nicht von den Befürwortern ihrer Regelgeheimhaltung behauptet. Dies erschiene auch zweifelhaft, sind sie doch auf die Feststellung entweder mangelhafter rechtlicher Umsetzung durch die Mitgliedstaaten der EU oder den Vorgaben widersprechender Gerichts- und Behördenpraxis gerichtet, sodass hier Verschleierungsmaßnahmen kaum sinnvoll möglich sein sollten. Dass es auch der Kommission nicht um die Verhinderung solcherlei Gefahren geht, wird daraus ersichtlich, dass, wie B. W. Wegener dar- und belegt hat, die Informationen über Vertragsverletzungsverfahren für bestimmte Kreise zumeist fast beliebig zugänglich sind,1006 mithin durch die 1004  Dies entspricht der Sache nach dem Vorgehen von GA P. Cruz Villalón in seinen Schlussanträgen zu EuGH, Urteil vom C-612 / 13 P. Wie hier auch die in Fn. 703 genannten Stimmen. 1005  Genauso sind in solchen Verfahren die Persönlichkeitsrechte der beschuldigten Personen sehr viel sensibler. Siehe auch UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch, The Aarhus Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 87, wo darauf hingewiesen wird, dass Informationen über zivile oder behördliche Untersuchungen hier nicht notwendigerweise erfasst sind. 1006  B. W. Wegener, Ein strategischer Umgang mit Herrschaftswissen?, in: M. Kment, FS-Jarass, 2015, 159 (160 f.); ders., Die Aarhus-Konvention in der Recht-



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte375

Kommission nur der weiten Öffentlichkeit gegenüber eine Politik der Geheimhaltung betrieben wird und es so zu nicht gerechtfertigten Informationsasymmetrien kommt.1007 Eingedenk dessen begegnet es starken Bedenken, das Vertragsverletzungsverfahren und die ihrer förmlichen Einleitung vorausgehenden Untersuchungen in einem weiten Sinne als „diziplinarisches“ Verfahren im oben genannten Sinne zu betrachten, nur weil diese Möglichkeiten die Kommission in die Lage versetzten, „die Einhaltung des Unionsrechts durch Wahrnehmung der Sanktionsbefugnis sicherzustellen, die ihr die Verträge zu diesem Zweck verleihen“.1008 Die Zulassung der Geheimhaltung durch die AK ist nicht durch die Disziplinierungsfunktion von Verfahren an sich gerechtfertigt, sondern deren besondere Sensibilität, die bei Vertragsverletzungsverfahren gerade nicht vorliegt. Insoweit verstößt es auch kaum gegen „Denkgesetze, wenn das Übereinkommen von Aarhus Ausnahmen zugunsten bestimmter Vertragsparteien, nämlich der Mitgliedstaaten, vorsähe und gleichzeitig die Anwendung ähnlicher Ausnahmen durch andere Vertragsparteien, nämlich die Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration, zu denen im Sinne des Übereinkommens die Union gehört, ausschlösse“.1009 Vielmehr gebieten die Unterschiede zwischen strafrechtlichen und disziplinarrechtlichen Verfahren, bezogen auf Einzelpersonen einerseits und Vertragsverletzungsverfahren gegen Staaten andererseits, die Annahme, dass diese auch unterschiedlich zu behandeln sind. Dass der Schutz eines Verhandlungsklimas gegenseitigen Vertrauens zwischen EU-Kommission und Mitgliedstaaten, um einen Verhandlungsprozess zur Erreichung einer gütlichen Einigung und einer Verhinderung von Vertragsverletzungsklagen nach Art. 258 Abs. 2, 260 AEUV eine vergleichbare Sensibilität der Verfahren widerspiegelt, wie durch den EuGH angenommen, überzeugt nicht.1010 Eine Information der Öffentlichkeit über die Verfahren und ihre Hintergründe könnte vielmehr zu einer für die Streitbeilegung wertvollen sachlichen Debatte führen, was gerade die Grundvorsprechung des EuGH, EurUP 2014, 226 (239) sowie ders. Licht und Schatten in der (Umwelt-)Information, ZUR 2016, 153 (155). A. A. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.09.2015 – OVG 12 B 11.14, Rn. 47, wonach die Bundesregierung versuche, solchem Fehlverhalten einzelner Mitarbeiter entgegenzuwirken, dies also jedenfalls nicht gefördert werde. 1007  B. W. Wegener, Ein strategischer Umgang mit Herrschaftswissen?, in: M. Kment, FS-Jarass, 2015, 159 (170). 1008  So GA P. Cruz Villalón, Schlussanträge vom 14.04.2015 – C-612 / 13 P, Rn. 69. 1009  So EuG, Urteil vom 13.09.2013  – T-111 / 11, Rn. 98 und kritisch hierzu B. W. Wegener, Die Aarhus-Konvention in der Rechtsprechung des EuGH, EurUP 2014, 226 (240). 1010  Zu dieser Argumentation des Gerichtshofs vgl. B. W. Wegener, Ein strategischer Umgang mit Herrschaftswissen?, in: M. Kment, FS-Jarass, 2015, 159 (170): „pauschal, hypothetisch und insgesamt wenig plausibel“.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

stellung der Aarhus-Konvention ist. Die Veröffentlichung würde zudem der Gefahr vorbeugen, dass eine Einigung aufgrund sachfremder Erwägungen stattfindet und zu Lasten der Durchsetzung von Umweltvorschriften geschieht. Die Gegenansicht folgt dem Verständnis des EuGH, der auch die vorprozessuale Phase des Vertragsverletzungsverfahrens typologisch dem Bereich der Rechtsprechungstätigkeit zuordnet1011 und die Geheimhaltung als zur Bewahrung der Waffengleichheit und der geordneten Rechtspflege erforderlich ansieht. Dass der AK dieses Verständnis nicht zugrunde liegt wird schon daraus ersichtlich, dass das ACCC alle Schriftsätze im Rahmen von Compliance-Verfahren veröffentlicht, ohne dass es irgendwie ersichtlich wäre, dass dies der Kooperation zwischen Konventionsorganen und Vertragsparteien abträglich ist. Ein entsprechendes Verständnis liegt im Übrigen im Grundsatz auch der Verfahrensordnung des EGMR zugrunde.1012 Dem folgend widerspricht Art. 4 Abs. 2 3. SpStr. VO 1049 / 2001, soweit er durch Art. 6 Abs. 1 VO 1367 / 2006 in Bezug genommen wird, Art. 4 Abs. 4 lit. c) AK und dürfte nicht angewandt werden. Eine Geheimhaltung wäre dann nur zum Schutz laufender Gerichtsverfahren gem. Art. 4 Abs. 2 2. SpStr. VO 1049 / 2001 statthaft, was auch Art. 4 Abs. 4 lit. c) AK anerkennt.1013 Hierzu dürften auch Klageschrift und Klageerwiderungsschrift zählen, nicht aber der Schriftverkehr aus dem vorprozessualen Verfahren und diesem zugrunde liegende externe Gutachten. Anders jedoch der EuGH, der auch bereits solche Gutachten, die überhaupt erst zur Einleitung eines vorprozessualen Vertragsverletzungsverfahrens führen, als Untersuchungstätigkeit i. S. v. Art. 4 Abs. 2 3. SpStr. VO 1049 / 2001 einordnet und auch im Anwendungsbereich der Aarhus-Konvention vom Grundsatz der Regelgeheimhaltung ausgeht, um die von ihm für schutzbedürftig gehaltenen Verfahrenszwecke zu wahren. Hinzu kommt, und damit stellt der Gerichtshof das Regel-Ausnahme-Verhältnis von Transparenz und Geheimhaltung auf den Kopf,1014 dass der Gerichtshof ab Beginn der vorprozessualen Phase eine Vermutung für eine beeinträchtigende Wirkung der wesentlichen verfahrensbezogenen Dokumente anerkennt und es deshalb für zulässig hält, dass die Kommission auf eine Prüfung im Einzelfall verzichtet.1015 Zwar könne auch hier noch von 1011  EuGH,

Urteil vom 21.09.2010 – C-514, 528, 532 / 07 P, Rn. 75. Art. 33 VerfO-EGMR. 1013  Auch hier ist allerdings eine Auslegung im Lichte der Aarhus-Konvention erforderlich, da der entsprechende Ablehnungsgrund der AK sich auf „laufende Gerichtsverfahren“ beschränkt, während VO 1049 / 2001 allgemeiner auf den Schutz von „Gerichtsverfahren“ abstellt. 1014  B. W. Wegener, Ein strategischer Umgang mit Herrschaftswissen?, in: M. Kment, FS-Jarass, 2015, 159 (163). 1015  EuGH, Urteil vom 16.07.2015  – C-612 / 13 P, Rn. 76; EuGH, Urteil vom 14.11.2013 – C-514 / 11 P u. a., Rn. 65. 1012  Vgl.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte377

Antragstellern die Vermutungsregel widerlegt und ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Veröffentlichung begründet werden.1016 Bislang sind jedoch keine Fälle bekannt, wo dies gelungen ist.1017 Auch ein Ausweichen auf den Informationszugang bei den jeweils betroffenen nationalen Stellen ist nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kaum mehr möglich, wonach nationale Stellen unter Berufung auf eine andernfalls drohende Beeinträchtigung der internationalen Beziehungen gem. § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UIG zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der EU Informationen bzgl. Vertragsverletzungsverfahren nach den oben aufgeführten Grundsätzen ablehnen können.1018 bb) Schutz überwiegend privater Interessen – insbesondere Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen Neben Tatbeständen zum Schutz überwiegend öffentlicher Interessen anerkennt die AK in Art. 4 Abs. 4 lit. d)  – g) auch Gründe zur Versagung von Informationsbegehren, die dem Schutz überwiegend privater Interessen dienen. Auch diese sollen hier nicht insgesamt, sondern nur insoweit dargestellt werden, wie sie für den Biodiversitätsschutz besondere Relevanz aufweisen. Besondere Aufmerksamkeit hat der Ausnahmegrund gem. Art. 4 Abs. 4 lit. d) zu erfahren. (1) Allgemeines Nach diesem in Art. 4 Abs. 4 lit. d) AK vorgesehenen Versagungsgrund kann der Antrag auf Informationen abgelehnt werden, wenn die Bekanntgabe der Informationen negative Auswirkungen hätte auf Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, sofern diese rechtlich geschützt sind, um berechtigte wirtschaftliche Interessen zu schützen. Die Ausnahme vom Grundsatz der öffentlichen Zugänglichkeit von Umweltinformationen enthält in Satz 2 eine Gegenaus­ nahme,1019 wonach Informationen über Emissionen, die für den Schutz der Umwelt von Bedeutung sind, stets bekanntzugeben sind. 1016  Zur Obliegenheit der Antragsteller dies zu tun D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 325. 1017  B. W. Wegener, Ein strategischer Umgang mit Herrschaftswissen?, in: M. Kment, FS-Jarass, 2015, 159 (163). 1018  BVerwG, Urteil vom 29.06.2016 – 7 C 32 / 15, Rn. 19 ff.; kritisch zur vorangehenden Entscheidung des OVG Berlin-Brandenburg B. W. Wegener, Licht und Schatten in der (Umwelt-)Information, ZUR 2016, 153 (155); zuvor waren die Kläger auch auf europäischer Ebene entsprechend der dargestellten Rechtsprechung mit einem Informationsbegehren gescheitert, vgl. EuG, Beschluss vom 02.09.2014 – T-538 / 13. 1019  UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus-Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 88.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Die Ausnahme soll nicht nur auf den Schutz privater, sondern auch staat­ licher Geheimnisse Anwendung finden, soweit sie kommerzieller bzw. betrieblicher Natur sind. Ihr Schutz kann mithin unabhängig von der privatrechtlichen oder öffentlichen Natur ihrer Inhaber erfolgen.1020 Eine genaue Definition von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen sieht die AK aber nicht vor, sodass hier ein gewisser Umsetzungsspielraum besteht,1021 wie auch für die Feststellung im Einzelfall, wann ein wirtschaftliches Interesse als berechtigt gilt1022 und der Schutz des Geschäfts- und Betriebsgeheimnisses tatsächlich erforderlich ist. Es entspricht jedoch der Maßgabe der engen Auslegung des Ausnahmegrundes nach Art. 4 Abs. 4 S. 2 AK, für seine Geltendmachung zu verlangen, dass drei Voraussetzungen kumulativ gegeben sind: Erstens muss schon nach dem Wortlaut der Ausnahme der Schutz der geltend gemachten Interessen innerstaatlich rechtlich geregelt sein. Dabei dürfte es nicht genügen, dass in allgemeinster Form ein Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen angeordnet wird, vielmehr muss die Regelung insoweit spezifiziert sein, dass der konkret betroffene Typ an Information geschützt wird.1023 Zweitens müssen die Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse im Einzelfall gerade deshalb schützenswert sein, weil sie ihrerseits notwendig sind für den Schutz berechtigter wirtschaftlicher Interessen. Hieran fehlt es zum einen, wenn aufgrund einer besonderen Wettbewerbssituation, etwa bei staatlichen Monopolisten, 1020  UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus-Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 87; die wesentliche Bedeutung der Ausnahme besteht aber im Schutz der Rechte Privater, D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 357. Eine andere Frage ist es, ob der Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen staatlicher oder ehemals staatlicher, aber inzwischen privatisierter Einheiten nicht per se niedriger angesetzt werden muss. In diese Richtung J. Ebbesson, Public Participation and Privatisation in Environmental Matters, Erasmus Law Review 4 (2011), 71 (83). 1021  Es liegt insoweit nahe, den Begriff entsprechend seiner wettbewerbsrecht­ lichen Herkunft und Prägung auszulegen, D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 359 f.; M. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 5 Rn. 1416; vgl. auch R. Müller-Terpitz, Beteiligungs- und Handlungsmöglichkeiten nichtstaatlicher Organisationen im aktuellen Völker- und Gewohnheitsrecht, AVR 43 (2005), 466 (478). 1022  Von diesem Spielraum macht etwa Richtlinie 2003 / 4 / EG in Art. 4 Abs. 2 lit. d) dahingehend Gebrauch, dass hierzu ausdrücklich auch das öffentliche Interesse an der Wahrung der Geheimhaltung von statistischen Daten und des Steuergeheimnisses gerechnet wird. Vgl. hierzu D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 360 f. 1023  UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus-Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 88; a. A. D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 361, der eine Typisierung zwar aus Sicht der Antragsteller auf ein Umweltinformationsbegehren für wünschenswert, aufgrund der Anforderung der AK aber nicht für zwingend hält.



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ein Schutz vor Konkurrenz gar nicht nötig ist.1024 Zum anderen auch dann, wenn die Informationen ohnehin bereits öffentlich geworden sind oder der Inhaber keinerlei Vorkehrungen getroffen hat, um die Geheimhaltung der Informationen zu wahren.1025 Schließlich ist es drittens auch erforderlich festzustellen, dass die Veröffentlichung der Information zu einer signifikanten Schädigung der geltend gemachten wirtschaftlichen Interessen führt. Eine Abwägung mit den ggf. entgegenstehenden öffentlichen Interessen ist hier für die Feststellung der Berechtigung des Interesses noch nicht erforderlich.1026 Eine Abwägung müsste vielmehr erst in einem nächsten Schritt zwischen dem Interesse an der Zugänglichkeit der Information und dem berechtigten Interesse an der Wahrung des Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses vorgenommen werden. Dazu wird aber gleichwohl teilweise vertreten, dass eine Abwägung hier auszuscheiden habe und das Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis eine unüberwindliche Hürde für den Zulassungsanspruch darstelle, weil die Veröffentlichung des Geheimnisses stets deren gesamten wirtschaftlichen und eigentumsrechtlich geschützten Wert nehme. Bei der Veröffent­ lichung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen gehe es mithin stets um ein „alles oder nichts“. In solchen Fällen aber sei der Wesensgehalt des Eigentums verletzt, weshalb eine Veröffentlichung stets zu unterbleiben habe.1027 Dies überzeugt jedoch nicht. Es ist keineswegs eine Besonderheit von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen, dass ein Konflikt mit gegenläufigen Interessen nur durch das völlige Zurücktreten eines der widerstreitenden Interessen im Einzelfall aufgelöst werden kann. Dadurch aber wird keineswegs bereits der Wesensgehalt der Eigentumsgarantie beeinträchtigt. Zwar sind die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse aufgrund ihres eigentumsrechtlichen 1024  Vgl UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus-Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 88, wo für diesen Fall die Schutzwürdigkeit verneint wird. Tatsächlich dürfte es hier bereits an der Schutzbedürftigkeit fehlen, da ein Schutz hier schlicht nicht erfordlich ist – unabhängig von der Berechtigung der geltend gemachten Interessen. 1025  UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus-Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 88. 1026  So auch R. Müller-Terpitz, Beteiligungs- und Handlungsmöglichkeiten nichtstaatlicher Organisationen im aktuellen Völker- und Gewohnheitsrecht, AVR 43 (2005), 466 (478) m. w. N. Die Funktion dieses Merkmals wird richtigerweise vornehmlich im Willkürausschluss erblickt, D. R. Klein, Umweltinformation im Völkerund Europarecht, 2011, S. 360. 1027  So im Ergebnis R. Müller-Terpitz, Beteiligungs- und Handlungsmöglichkeiten nichtstaatlicher Organisationen im aktuellen Völker- und Gewohnheitsrecht, AVR 43 (2005), 466 (480 ff., 482). Dieser geht auch von der Vereinbarkeit eines solchen Verständnisses mit Art. 4 Abs. 4 S. 1 lit. d) AK aus, da die Abwägungsklausel in S. 2 noch immer auf die übrigen Ausnahmetatbestände Anwendung fände, a. a. O., 483, Fn. 65.

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Schutzes1028 im Rahmen der Abwägung mit besonderem abstraktem Gewicht einzustellen. Für die Gewichtung ist aber auch ihr konkretes Gewicht im Einzelfall zu berücksichtigen, das sich etwa in der Höhe der getätigten Investitionen und der Konkretheit der Gefahr eines wirtschaftlichen Schadens ausdrückt. Das auf diese Weise konkret gewichtete Interesse ist dann mit dem ebenfalls konkret zu gewichtenden öffentlichen Interesse an der Veröffentlichung der Umweltinformationen abzuwägen. Insoweit ist daran zu erinnern, dass auch der Informationszugang nach Art. 10 Abs. 1 EMRK jedenfalls in Einzelfällen eines besonderen Informationsinteresses als vom Schutz der EMRK umfasst angesehen wird.1029 Damit aber könnte dem Informa­ tionsinteresse unter Umständen schon ein ebenso hohes abstraktes Gewicht zukommen wie auch dem Eigentumsschutz. Zudem sind ohne weiteres Fälle denkbar, in denen aufgrund der konkreten Gewichtung der Interessen das wirtschaftliche Interesse an der Wahrung des Geheimnisses zurücktreten muss.1030 Eine solche Abwägung könnte gar gem. Art. 4 Abs. 4 lit. d) S. 2 AK entfallen,1031 wenn es sich um Informationen über Emissionen handelt, die für den Schutz der Umwelt von Bedeutung sind. Da der Beschränkung auf umweltbedeutsame Emissionen keine praktische Wirkung beigemessen wird,1032 kommt dem Begriff der Emission insoweit erhebliche Bedeutung zu, da dessen Reichweite den Geheimnisschutz absolut begrenzt. Der Ver1028  Eingehend zur Begründung des eigentumsrechtlichen Schutzes von Geschäftsund Betriebsgeheimnissen R. Müller-Terpitz, Beteiligungs- und Handlungsmöglichkeiten nichtstaatlicher Organisationen im aktuellen Völker- und Gewohnheitsrecht, AVR 43 (2005), 466 (480 f.); siehe auch D. R. Klein, Umweltinformation im Völkerund Europarecht, 2011, S. 363. 1029  Vgl. hierzu schon oben: Zweiter Teil, A. IV. 1. c). Dies müsste auch im nationalen Recht berücksichtigt werden, selbst wenn dort, wie in Deutschland, die Informationszugangsfreiheit nicht grundrechtlich geschützt ist. Trotz des bislang nicht erfolgten Beitritts der EU zur EMRK sind die dort vorgesehenen Rechte in ihrer durch den EGMR herausgearbeiteten Form auch im Unionsrecht als allgemeine Grundsätze zu berücksichtigen, Art. 6 Abs. 3 EUV. 1030  Zu weitgehend aber D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 363 f., der bei entsprechendem Gewicht des Veröffentlichungsinteresses bei erkennbar umwelt- und gesundheitsgefährdenden Produkten nur existenzielle Interessen des Inhabers des Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses für eine Versagung ausreichen lassen will. 1031  Hierzu sogleich unten unter Zweiter Teil, B. IV. 1. f) bb) (2) und (3). 1032  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 364; die dem Wortlaut nach gegebene Beschränkung wird nicht einmal erwähnt bei C. Schrader, Neue Umweltinformationsgesetze durch die Richtlinie 2003 / 4 / EG, ZUR 2004, 130 (132); R. Müller-Terpitz, Beteiligungs- und Handlungsmöglichkeiten nichtstaatlicher Organisationen im aktuellen Völker- und Gewohnheitsrecht, AVR 43 (2005), 466 (Fn. 66); UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus-Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 88.



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zicht auf die Abwägung wird teilweise damit erklärt, dass die Aarhus-Konvention hier eine unwiderlegliche Vermutung für das überwiegende Interesse an der Veröffentlichung emissionsbezogener Informationen aufstelle.1033 Teilweise werden auch Emissionen als Nicht-Geheimnisse qualifiziert,1034 sodass sie schon nicht in den Anwendungsbereich der Ausnahmevorschrift fallen. Jüngst hatte der EuGH sich gleich in zwei Verfahren mit unmittelbarer Relevanz für den Schutz biologischer Vielfalt mit dem Begriff der Emission auseinanderzusetzen.1035 (2) „Glyphosat“ In einem ersten Fall hatten Greenpeace Niederlande und das Pesticide Action Network Europe (PAN Europe), beides nicht-staatliche Umweltschutzorganisationen, sowohl bei einer deutschen Behörde als auch der EUKommission beantragt, Informationen über die genaue Zusammensetzung von Wirkstoffkombinationen und deren jeweilige Verunreinigungen zu erhalten, die im Genehmigungsverfahren für das Inverkehrbringen des Wirkstoffs Glyphosat getestet worden waren.1036 Bei Glyphosat handelt es sich um einen Wirkstoff in Pflanzenschutzmitteln, der bereits seit den 1950er Jahren Anwendung findet und heute Basis der meistverkauften Herbizide weltweit ist. Er findet insbesondere auch in Kombination mit gentechnisch veränderten Nutzpflanzen Anwendung, die gegen den Wirkstoff resistent sind und tötet alle anderen Pflanzen auf den Feldern zuverlässig ab.1037 Die Umweltschutz1033  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 364; C. Schrader, Neue Umweltinformationsgesetze durch die Richtlinie 2003 / 4 / EG, ZUR 2004, 130 (132), der aber zugleich auch die Geheimniseigenschaft von Emis­ sionen bestreitet. 1034  R. Müller-Terpitz, Beteiligungs- und Handlungsmöglichkeiten nichtstaatlicher Organisationen im aktuellen Völker- und Gewohnheitsrecht, AVR 43 (2005), 466 (483, Fn. 66). 1035  Eine vollständige Aufarbeitung der einschlägigen Rechtsprechung des EuG sowie des EuGH kann an dieser Stelle nicht erfolgen. Siehe hierzu etwa G. Garçon, Public Access to Information in the Area of Product Legislation – All in Balance Now?, EurUP 2017, 31 ff. 1036  Zum genauen Antragsgegenstand des Verfahrens vor dem EuG siehe EuG, Urteil vom 08.10.2013  – T-545 / 11, Rn. 22–24. Zum Bestehen von Informationsansprüchen gegenüber den deutschen bzw. den europäischen Behörden liegt sowohl eine Entscheidung des VG Braunschweig vom 12.12.2012 – 2 A 1033 / 12 als auch die vorgenannte Entscheidung des EuG vor. Vgl. hierzu B. W. Wegener, Umweltinformationsfreiheit – ernst genommen: Der Fall Glyphosat, ZUR 2014, 32 ff. Im Berufungsverfahren vor dem EuGH ist das Urteil des EuGH am 23.11.2016 ergangen. 1037  Ausführlicher zu Wirkungsweise, Anwendung und Stand der Risikobewertung bzgl. glyphosatbasierter Herbizide B. W. Wegener, Umweltinformationsfreiheit – ernst genommen: Der Fall Glyphosat, ZUR 2014, 32 (32 f.) sowie ders., Kein „Mund auf –

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

organisationen beantragten die Informationen, um eine kritische Prüfung der nach wie vor umstrittenen toxikologischen Bewertung solcher Herbizide durchführen zu können.1038 Nachdem sowohl das in dem transnationalen Zulassungsverfahren federführende deutsche Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) als auch die EU-Kommission sowie das für die Klage gegen das BVL zuständige VG Braunschweig das Begehren der Antragsteller unter Berufung auf die entgegenstehenden geschäftlichen Interessen der Herstellerfirmen überwiegend abgelehnt hatten, entschied das EuG im Sinne der Umweltorganisationen und hob den Beschluss der EU-Kommission insoweit auf, als damit der Zugang zu Umweltinformationen auch insoweit verweigert wurde, als sie einen Bezug zu Emissionen aufwiesen.1039 Das Recht auf Zugang zu Umweltinformationen gegen Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft wird durch VO 1367 / 20061040 (AK-VO) umgesetzt. Darin ist jedoch keine abschließende Regelung der Materie enthalten. Vielmehr enthält die AK-VO teils die VO 1049 / 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission1041 erläuternde, teils modifizierende und teils ergänzende Regelungen. Gem. Art. 4 Abs. 2 1. SpStr. VO 1049 / 2001 verweigern die Organe den Zugang zu einem Dokument, durch dessen Verbreitung der Schutz der geschäftlichen Interessen einer natürlichen oder juristischen PerAugen zu“ – Der freie Zugang zu Informationen über Emissionen in die Umwelt, ZUR 2017, 146 (147). Vgl. auch den Hinweis der GA Kokott in ihren Schlussanträgen zur Nachweisbarkeit des Wirkstoffes in der Nahrungskette, etwa in deutschem Bier, Schlussanträge vom 07.04.2016 – C-673 / 13, Rn. 1. 1038  B. W. Wegener, Umweltinformationsfreiheit – ernst genommen: Der Fall Glyphosat, ZUR 2014, 32 (33). Dabei ist insbesondere auch die Frage umstritten, ob der Stoff krebserregend ist, vgl. GA Kokott, Schlussanträge vom 07.04.2016 – C-673 / 13, Rn. 1. 1039  EuG, Urteil vom 08.10.2013 – T-545 / 11, Rn.75 f. 1040  Siehe hierzu bereits: Zweiter Teil, B. III. 2. b) aa). 1041  Verordnung (EG) Nr. 1049 / 2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission, Abl. EU L 145 / 43 vom 31.5.2001. Gem. dem ersten Erwägungsgrund der Verordnung soll sie dazu beitragen, den in Art. 1 Abs. 2 des Vertrages von Amsterdam zum Ausdruck gekommenen Willen zu verwirklichen, eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas zu erreichen, in der die Entscheidungen möglichst offen und möglichst bürgernah getroffen werden. Damit lassen sich die in der Verordnung gewährleisteten Rechte als Verwirklichung der reformulierten Rolle des Einzelnen im europäischen Recht einordnen, siehe oben: Erster Teil, B. II. 1. e). Sie sind mithin nicht rein funktional auf die Durchsetzung europäischen Rechts gegen nationale Widerstände ausgerichtet, wie dies noch in der Anfangszeit des Europarechts bei der Gewährleistung von Rechten Einzelner begründet wurde.



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son einschließlich des geistigen Eigentums beeinträchtigt würde, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung. Art. 6 Abs. 1 S. 1 AK-VO bestimmt, dass jene Vorschrift in VO 1049 / 2001 dahingehend auszulegen ist, „dass ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung besteht, wenn die angeforderten Informationen Emissionen in die Umwelt betreffen. Damit waren im Kern für das zunächst angerufene EuG zwei Rechtsfragen aufgeworfen: Zum einen war zu klären, wie der Begriff der Emission i. S. v. Art. 6 Abs. 1 AK-VO und auch in Art. 4 Abs. 4 lit. d) AK zu bestimmen ist und ob die im konkreten Fall geltend gemachten Informationen einen Emissionsbezug aufweisen. Der EuGH hatte sich zu einem solchen Konnex in der Vergangenheit noch nicht geäußert.1042 Soweit dies der Fall ist, würde die vorgenannte Regelung des Art. 6 Abs. 1 S. 1 AK-VO Anwendung finden und die Frage aufwerfen, ob eine Abwägung der gegenläufigen Veröffentlichungsbzw. Geheimhaltungsinteressen dann überhaupt noch möglich ist. Das VG Braunschweig hatte in Anwendung des deutschen UIG bereits das Vorliegen eines Emissionsbezugs abgelehnt und deshalb auf die darauf aufbauende Rechtsfrage nicht mehr eingehen müssen, sondern eine Abwägung der widerstreitenden Interessen durchgeführt und die Klage schließlich als unbegründet abgewiesen, da ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung der Informationen nicht festgestellt wurde.1043 Unter Verweis auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ging das VG davon aus, dass Emissionen nur bei Freisetzungen aus „Anlagen“ in die Umwelt vorlägen,1044 was bei der Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln nicht der Fall sei. Für ein solches Verständnis spreche insbesondere, dass sich der deutsche Gesetzgeber bei Erlass des UIG das Verständnis des Begriffes nach Art. 2 Nr. 5 RL 96 / 61 / EG über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung – IVU-Richtlinie, der einen klaren Anlagenbezug aufweist, zu eigen gemacht habe. Dem entspreche es, wenn das UIG in § 2 Abs. 3 Nr. 2 Emissionen als Unterbegriff von „Freisetzungen von Stoffen in die Umwelt“ verstehe. Systematisch würde dem ein weites Verständnis von Emissionen widersprechen, das auch nicht von Anlagen ausge1042  Trotz der vorgebrachten Argumentation der GA J. Kokott in der Rechtssache C-266 / 09 (Kommission / Niederlande), Rn. 93 ff. hatte der EuGH in seiner Entscheidung vom 16.12.2010 von einer Stellungnahme abgesehen. Hierzu auch G. Garçon, Public Access to Information in the Area of Product Legislation – All in Balance Now?, EurUP 2017, 31 (38 f.). 1043  Siehe VG Braunschweig, Urteil vom 12.12.2012  – 2 A 1033 / 12, Rn. 28. In gleicher Weise hatte auch die Europäische Kommission in Anwendung von Art. 4 Abs. 2 1. SpStr. VO 1049 / 2001 und Art. 6 Abs. 1 AK-VO argumentiert, vgl. hierzu EuG, Urteil vom 08.10.2013 – T-545 / 11, Rn. 6 ff. 1044  VG Braunschweig, Urteil vom 12.12.2012 – 2 A 1033 / 12, Rn. 28–31.

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hende Freisetzungen einbezöge, da in diesem Fall kein Anwendungsbereich für den ebenfalls verwandten Begriff der „sonstigen Freisetzungen“ verbliebe.1045 Um dieses Argument zu verstärken bezog sich das Bundesverwaltungsgericht – angeführt nun durch das VG Braunschweig – darauf, dass sich auch der Anwendungsleitfaden zur Aarhus-Konvention bei der Erklärung des Begriffes der Emissionen auf die IVU-RL beziehe, mithin von einem Anlagenbezug des Begriffes ausgehe.1046 Das EuG legte dagegen zunächst dar, dass eine enge Auslegung des Emissionsbegriffs, wie auch durch die Kommission vertreten, nicht durch die europäischen Vorschriften über den Zugang zu Dokumenten der Ogane der Union gem. VO 1049 / 2001 und der AK-VO geboten sei. Der engen Auslegung bedürften vielmehr lediglich die Ausnahmetatbestände der genannten Verordnungen als Abweichung vom Grundsatz, der Öffentlichkeit möglichst umfassenden Zugang zu den im Besitz der Organe befindlichen Dokumenten zu gewähren,1047 wie er durch Art. 6 Abs. 1 S. 1 AK-VO konkret umgesetzt werde.1048 Das einengende Merkmal des Anlagenbezugs von Emissionen, wie es in Art. 2 Nr. 5 IVU-RL Verwendung findet und auf deren Bezugnahme im Implementationsleitfaden der Aarhus-Konvention auch die Kommission hingewiesen hatte, lehnte das EuG ebenfalls ab. Dabei verweist das Gericht nicht nur auf die normative Unverbindlichkeit des Implementationsleitfadens für die Auslegung der AK und erst recht für die AK-VO.1049 Anders als die IVU-RL sei auch weder die Aarhus-Konvention selbst noch die AK-VO auf die in der IVU-Richtlinie erfassten Tätigkeiten beschränkt, weshalb ein ­Anlagenbezug des Emissionsbegriffes dort, nicht aber auch im Anwendungsbereich der Aarhus-Konvention sinnvoll sei.1050 GA Kokott trat in ihren 1045  Gegen dieses Argument jetzt zu Recht auch EuGH, Urteil vom 23.11.2016 – C-673 / 13 (Glyphosat), Rn. 67 sowie 61 ff. 1046  VG Braunschweig, Urteil vom 12.12.2012  – 2 A 1033 / 12, Rn. 31 unter Verweis auf UNECE, S. Stec / S. Casey-Lefkowitz / J. Jendroska, The Aarhus Convention: An Implementation Guide, 2000, S. 60. Der Verweis auf die IVU-RL findet sich auch in der zweiten Auflage des UNECE-Implementation Guide von J. Ebbesson /  H. Gaugitsch u. a. von 2014, S. 88. 1047  EuG, Urteil vom 08.10.2013  – T-545 / 11, Rn. 50; zustimmend das nachfolgende Urteil des EuGH vom 23.11.2016 – C-673 / 13 (Glyphosat), Rn. 51 ff. 1048  EuG, Urteil vom 08.10.2013 – T-545 / 11, Rn. 51. 1049  EuG, Urteil vom 08.10.2013  – T-545 / 11, Rn. 55. Vgl. oben: Zweiter Teil, B. III. 2. a) cc). Zustimmend B. W. Wegener, Kein „Mund auf – Augen zu“ – Der freie Zugang zu Informationen über Emissionen in die Umwelt, ZUR 2017, 146 (149) sowie C. Wagner, Ringen um Umweltinformationen – EuGH-Urteile zu grundlegenden Fragen der Århus-Bestimmungen, EuZW 2017, 95 (96). Kritisch dagegen G. Garçon, Public Access to Information in the Area of Product Legislation – All in Balance Now?, EurUP 2017, 31 (46). 1050  EuG, Urteil vom 08.10.2013 – T-545 / 11, Rn. 56; zustimmend B. W. Wegener, Aktuelle Fragen der Umweltinformationsfreiheit, NVwZ 2015, 609 (614) sowie



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Schluss­anträgen im Rechtsmittelverfahren vor dem EuGH der Argumentation des EuG insoweit bei1051 und wies ergänzend darauf hin, dass die Kommission es versäumt habe zu begründen, warum gerade die IVU-RL zu den Vorschriften betreffend die Umsetzung der Aarhus-Konvention eine relevante Beziehung haben solle. Völlig zutreffend führte sie aus, dass genauso auch auf den Emissionsbegriff der Umweltschadensrichtlinie hätte verwiesen werden können, die einen Anlagenbezug ebenfalls nicht kennt.1052 Von dem notwendigen Emissionsbezug der Umweltinformationen gehen das EuG und auch die Generalanwältin bereits dann aus, wenn ein hinreichend unmittelbarer Bezug der Informationen zu Emissionen in die Umwelt besteht.1053 Dafür genüge nicht jeder Zusammenhang zwischen der Information und der Freisetzung des Stoffes. Die Informationen müssen sich vielmehr auf die Freisetzung beziehen, was aber etwa Informationen einschließe, die die Folgen der Freisetzung betreffen.1054 Da der Wirkstoff Glyphosat in Pflanzenschutzmitteln Verwendung finde und diese unstreitig – zumeist in pulverisierter ders., Umweltinformationsfreiheit – ernst genommen: Der Fall Glyphosat, ZUR 2014, 32 (33 f.). Zustimmend nun auch EuGH, Urteil vom 23.11.2016  – C-673 / 13 (Glyphosat), Rn. 56 ff. sowie Urteil vom 23.11.2016  – C-442 / 14 (Bienenstiftung), Rn. 74 ff. 1051  Schlussanträge GA Kokott vom 07.04.2016  – C-673 / 13, Rn. 45, wo zudem darauf hingewiesen wird, dass auch in der zweiten Auflage des Anwendungsleitfadens zur Aarhus-Konvention zwar noch immer der Verweis auf den engen Emissionsbegriff  – jetzt allerdings des Art. 3 Nr. 4 IE-RL  – erfolge, zuvor aber ausdrücklich klargestellt wird, dass der Emissionsbegriff sich aufgrund seiner Bedeutung für die Umwelt auf Emissionen jeder Art beziehen sollte, UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 88. Dies übersieht G. Garçon, Public Access to Information in the Area of Product Legislation – All in Balance Now?, EurUP 2017, 31 (46). 1052  Schlussanträge GA Kokott vom 07.04.2016  – C-673 / 13, Rn. 46. In ihren Schlussanträgen betreffend C-442 / 14 (Bienenstiftung) vom 07.04.2016 legt die Generalanwältin zudem dar, dass die Begrenzung der Emissionsbegriffe in der jeweiligen Richtlinie auf deren jeweiligen Anwendungsbereich zurückzuführen sei, jedoch nichts mit der Beschränkung auf „Emissionen, die für den Schutz der Umwelt von Bedeutung sind“ gemein hat, wie es die Aarhus-Konvention gem. Art. 4 Abs. 4 lit. d) vorsieht. Sie schlägt deshalb vor, Informationen in die Emissionsklausel einzubeziehen, die „über die Freisetzung von Stoffen, Organismen, Mikroorganismen, Erschütterungen, Wärme oder Lärm in die Umwelt, insbesondere in die Luft, das Wasser oder den Boden, infolge menschlicher Tätigkeiten“ gelangen, Rn. 78. Dem EuG schließt sich auch in diesem Punkt an EuGH, Urteil vom 23.11.2016  – C-673 / 13, (Glyphosat), Rn. 64. 1053  EuG, Urteil vom 08.10.2013  – T-545 / 11 Rn. 53; Schlussanträge GA Kokott vom 07.04.2016 – C-673 / 13, Rn. 34 ff. Hiergegen wendet sich nun allerdings EuGH, Urteil vom 23.11.2016 – C-673 / 13 (Glyphosat), Rn. 78 ff. 1054  Schlussanträge GA Kokott vom 07.04.2016  – C-673 / 13, Rn. 35; so bereits auch in ihren Schlussanträgen vom 23.09.2010 betreffend C-266 / 09, Rn. 95 und erneut in den Anträgen betreffend C-442 / 14 vom 07.04.2016, Rn. 85 ff.

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Form – in die Umwelt ausgebracht würden, besäßen auch die beantragten Informationen über Verunreinigungen des Wirkstoffs sowie das analytische Profil von getesteten Chargen einen hinreichenden Emissionsbezug, da diese Rückschlüsse auf die Höhe der in die Umwelt gelangten Emissionen dieser Verunreinigungen erlaubten.1055 Damit aber hatte das EuG auch die zweite Frage nach der Möglichkeit einer Abwägung der gegenläufigen Interessen zu beantworten, deren Brisanz im konkreten Fall darin besteht, dass die geforderten Informationen über Verunreinigungen des Wirkstoffs auch Rückschlüsse auf dessen Herstellung erlauben, mithin nach Einschätzung des EuG werthaltige Betriebsgeheimnisse betreffen. Nach dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 VO 1367 / 2006 ist gleichwohl stets ein überwiegendes öffentliches Interesse für die Veröffent­ lichung der Umweltinformationen bei Emissionsbezug anzunehmen („dass ein überwiegendes öffentliches Interesse […] besteht“). Dem Wortlaut nach handelt es sich hierbei um eine Fiktion, nicht lediglich um eine Vermutung und kann deshalb auch nicht widerlegt werden. Trotzdem argumentierte die Kommission in diesem Sinne und verwies hierfür unter anderem darauf, dass anderenfalls weder der Schutz der unternehmerischen Freiheit und des Eigentums, wie sie in Art. 16, 17 EUGrRChr gewährleistet seien, hinreichend sichergestellt werden,1056 noch dass die EU ihren Verpflichtungen aus dem TRIPS-Abkommen nachkomme, das seinerseits integrierender Bestandteil europäischen Rechts sei und deshalb zu einer hiermit konformen Auslegung der Vorschriften der AK-VO zwinge.1057 Das EuG verwarf jedoch beide Argumente, da sie nicht auf eine harmonisierende Auslegung gegenläufiger Vorschriften hinausliefen, sondern zu einer Nichtanwendung von Art. 6 Abs. 1 AK-VO führten, der eben gerade keine Abwägung vorsehe, sondern eine unbedingte Pflicht zur Veröffentlichung von Umweltinformationen aufstelle, soweit sie einen Bezug zu Emissionen aufweisen.1058 Im Ergebnis wird dies von GA Kokott geteilt.1059 Diese stellte zudem fest, dass eine un1055  EuG, Urteil vom 08.10.2013 – T-545 / 11, Rn. 61 ff., 69; GA Kokott tritt in ihren Schlussanträgen zudem dem Argument der Kommission entgegen, es handele sich hier lediglich um „hypothetische Emissionen“, da hiervon bei Pflanzenschutzmitteln, die gerade bestimmungsgemäß in die Umwelt ausgebracht würden, nicht die Rede sein könne, Schlussanträge vom 07.04.2016 – C-673 / 13, Rn. 39–41. Kritisch gegenüber den vom EuGH in der nachfolgenden Berufungsentscheidung gemachten Einschränkungen B. W. Wegener, Kein „Mund auf – Augen zu“ – Der freie Zugang zu Informationen über Emissionen in die Umwelt, ZUR 2017, 146 (150). 1056  EuG, Urteil vom 08.10.2013 – T-545 / 11, Rn. 44. 1057  EuG, Urteil vom 08.10.2013 – T-545 / 11, Rn. 45. 1058  EuG, Urteil vom 08.10.2013 – T-545 / 11, Rn. 44 f. 1059  Schlussanträge GA Kokott vom 07.04.2016 – C-673 / 13, Rn. 52, die zudem in Rn. 50 darauf verweist, dass die etwas schroffe Formulierung dieser Passage auf eine Formulierung des Gerichtshofs in der Rechtssache Interseroh Scrap and Metals Trad­



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widerlegliche Vermutungsregel auch in der Sache gerechtfertigt sei und das EU-Sekundärrecht nicht gegen die durch die Grundrechtecharta geschützten Eigentümerinteressen und die unternehmerische Freiheit oder völkerrechtliche Pflichten der Union verstoße, da das Interesse der Öffentlichkeit zu erfahren, wie sie von den Emissionen berührt werden könne und insbesondere welche Risiken für die Gesundheit des Menschen und die Umwelt bestehen, in der Regel die geschäftlichen Interessen von Unternehmen überwögen.1060 Der europäische Gesetzgeber habe insoweit die Abwägung im Einzelfall antizipieren und deren erneute Durchführung durch die entscheidenden Behörden ausschließen dürfen, um zu verhindern, dass Informationen im Einzelfall erst nach langwierigen Klageverfahren herausgegeben werden könnten und viele Antragsteller deshalb von Informationsbegehren absehen würden. Solche allgemeinen Vermutungen seien in der Vergangenheit für die Verweigerung des Zugangs zu Informationen verwandt und durch den EuGH hingenommen worden, sie müssten aber auch für die Zulassung des Zugangs Anwendung finden dürfen.1061 Nichtsdestotrotz plädiert GA Kokott im konkreten Fall dafür, das Urteil des EuG aufzuheben, da dieses bei der Bestimmung der Reichweite der Emis­ sionsklausel die Besonderheiten des Pflanzenschutzrechtes nicht beachtet habe.1062 Dabei sei zu beachten, dass die Pflanzenschutzverordnung 1107 /  20091063 – was zutrifft – erst zeitlich nach den Bestimmungen über den Informationszugang erlassen worden sei und in Art. 63 Abs. 3 der Verordnung eben jene durch den Antrag im konkreten Fall betroffenen Interessen als besonders schützenswert definiert seien.1064 Obwohl auch die Pflanzenschutzverordnung den Schutz der geschäftlichen Interessen nur „unbeschadet der Umweltinformationsrichtlinie“ gewährleiste und die Frage nach ihrer Herausgabe aufgrund überwiegender öffentlicher Interessen nicht präjudiziere, könne die Emis­ ing zurückgehe, EuGH, Urteil vom 29.03.2012 – C-1 / 11, Rn. 44; zu den „ein wenig hemdsärmelig[en]“ aber im Ergebnis geteilten Ausführungen des Gerichts in diesem Punkt auch B. W. Wegener, Umweltinformationsfreiheit – ernst genommen: Der Fall Glyphosat, ZUR 2014, 32 (34). In ähnlicher Weise hierzu bereits GA Kokott, Schluss­ anträge, vom 23.09.2010 – C-266 / 09, Rn. 95. 1060  Schlussanträge GA Kokott vom 07.04.2016 – C-673 / 13, Rn. 52. 1061  Schlussanträge GA Kokott vom 07.04.2016  – C-673 / 13, Rn. 54 f. A. A. G. Garçon, Public Access to Information in the Area of Product Legislation – All in Balance Now?, EurUP 2017, 31 (53), die insoweit eine Abwägung im Einzelfall für erforderlich hält. 1062  Schlussanträge GA Kokott vom 07.04.2016 – C-673 / 13, Rn. 56 ff. 1063  Verordnung (EG) Nr. 1107 / 2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79 / 117 / EWG und 91 / 414 / EWG des Rates (ABl. L 309, S. 1). 1064  Schlussanträge GA Kokott vom 07.04.2016 – C-673 / 13, Rn. 60.

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sionsklausel in Art. 6 Abs. 1 AK-VO nicht rein formal angewandt werden, da der besondere Schutz geschäftlicher Interessen in der Pflanzenschutzverordnung sonst völlig leerlaufen würde. Wegen des Bezugs zu Pflanzenschutzmitteln wäre bei den in Art. 63 Abs. 3 der Verordnung erfassten Informationen nämlich stets von einem Emissionsbezug auszugehen, sodass Art. 6 Abs. 1 AK-VO stets eine unwiderlegliche Fiktion für das Bestehen überwiegender öffentlicher Interessen begründete. Davon, dass der europäische Gesetzgeber hier aber eine inhaltslose Regelung geschaffen habe, könne nicht ausgegangen werden. Vielmehr liege in Art. 63 Abs. 3 Pflanzenschutzverordnung eine Neubewertung der in Art. 6 Abs. 1 AK-VO antizipierten Abwägung und eine einschränkende Präzisierung der Emissionsklausel vor, sodass die in Art. 63 Abs. 3 Pflanzenschutzverordnung erfassten und im konkreten Fall beantragten Informationen durch die in diesem Sinne modifizierte Emissionsklausel nicht erfasst würden1065 und die Klage vor dem EuG aufgrund der Unbegründetheit des Klageantrages hätte abgewiesen werden müssen.1066 Zwar hat der EuGH die Entscheidung des EuG tatsächlich inzwischen aufgehoben.1067 Abgeschlossen ist die Auseinandersetzung damit aber noch nicht endgültig. Während der Gerichtshof dem EuG bei den meisten Argumenten folgte,1068 wies er doch das von diesem niedergelegte Verständnis der Wendung „Informationen über Emissionen“ zurück und hob schon deshalb die Entscheidung unter Zurückverweisung der Sache auf.1069 Nach der Ent1065  Schlussanträge GA Kokott vom 07.04.2016  – C-673 / 13, Rn. 63–67. Zustimmend G. Garçon, Public Access to Information in the Area of Product Legislation – All in Balance Now?, EurUP 2017, 31 (52). 1066  Ablehnend hierzu B. W. Wegener, Kein „Mund auf – Augen zu“ – Der freie Zugang zu Informationen über Emissionen in die Umwelt, ZUR 2017, 146 (148 f.). Die Schlussanträge von GA Kokott enthalten sodann eine weitere Wendung, die sie für den Fall vorträgt, dass der Gerichtshof nach Aufhebung der Entscheidung des EuG in der Sache selber entscheide – was Kokott allerdings mangels Entscheidungsreife nicht für zulässig hält. Für diesen Fall legt sie dar, dass das Gericht nicht geprüft habe, ob den beantragten Informationen überhaupt noch ein wirtschaftlicher Wert zukomme und diese noch Geheimnischarakter besäßen, da die fraglichen Daten bereits über 20 Jahre alt seien und über aktuelle Methoden der Herstellung kaum Aufschluss geben dürften oder aber Konkurrenten genügend Zeit hatten, die Methoden anderweitig zu entschlüsseln. Dies könnte bei einer zu treffenden Entscheidung die Interessenabwägung doch noch zugunsten der Antragsteller ausgehen lassen, vgl. Schlussanträge vom 07.04.2016  – C-673 / 13, Rn. 75. Zur negativen Voraussetzung fehlender allgemeiner Bekanntheit für die Möglichkeit der Beeinträchtigung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen auch F. Rinke, Der Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen – die Richtlinie 2003 / 4 / EG und deren Umsetzung in deutsches Recht, 2009, S. 70 f. 1067  EuGH, Urteil vom 23.11.2016 – C-673 / 13 (Glyphosat). 1068  Vgl. die Nachweise in den vorangehenden Fußnoten. 1069  EuGH, Urteil vom 23.11.2016 – C-673 / 13 (Glyphosat), Rn. 83.



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scheidung des Gerichtshofs sind unter „Informationen über Emissionen“ nur solche erfasst, die Informationen über Emissionen in die Umwelt betreffen, nicht aber auch solche, die lediglich einen mittelbaren oder auch unmittelbaren Bezug zu Emissionen in die Umwelt aufweisen.1070 Das Gericht kommt damit den Berufungsführern insoweit entgegen, als dass diese beklagt hatten, dass die Einbeziehung auch solcher Informationen durch das EuG keine rechtliche Grundlage besäße. In systematischer Hinsicht will es dadurch sicherstellen, dass die Weite des durch das EuG formulierten Begriffs nicht dazu führt, dass letztlich eine Deckungsgleichheit der so erfassten Informa­ tionen mit dem allgemeinen Begriff der Umweltinformation besteht und so der Ausnahmegrund des Schutzes von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen keinen Anwendungsbereich mehr hätte.1071 Teleologisch sollen damit die Zwecke der einschlägigen Rechtsvorschriften erreicht werden, einen möglichst umfassenden Zugang zu Umweltinformationen und ihre systematische Verfügbarkeit zu gewährleisten, das Umweltbewusstsein der Öffentlichkeit zu schärfen und die Teilnahme der Öffentlichkeit an Entscheidungsverfahren zu ermöglichen.1072 Trotz dieser überzeugenden Argumentation lässt sich auch aus dem nun verwandten Begriff keinesfalls deduzieren, welche Informationen hiervon erfasst sind. Auch deshalb konkretisiert der Gerichtshof seine Formel durch weitere positive1073 wie negative1074 Beispiele.1075 Sollte das nun wieder zur Entscheidung berufene EuG dazu kommen, dass zumindest Teile der beantragten Informationen auch unter den engeren, nichtsdestotrotz weiten Emissionsbegriff des EuGH fallen, so wird das EuG sich auch zu den durch die Generalanwältin Kokott aufgeworfenen Fragen zur Maßgeblichkeit der Pflanzenschutzverordnung einerseits und der Geheimnis­ eigenschaft der betroffenen Daten andererseits zu verhalten haben, und möglicherweise auch zu dem durch die Rechtsmittelführer vor dem EuGH erneut vorgetragenen Konflikt einer Offenlegung der begehrten Informationen mit Art. 16, 17 GrCharta sowie dem TRIPS-Abkommen Stellung neh1070  EuGH,

Urteil vom 23.11.2016 – C-673 / 13 (Glyphosat), Rn. 78. Urteil vom 23.11.2016  – C-673 / 13 (Glyphosat), Rn. 78; zustimmend C. Wagner, Ringen um Umweltinformationen – EuGH-Urteile zu grundlegenden Fragen der Århus-Bestimmungen, EuZW 2017, 95 (97). Zu dem vom EuGH gefundenen Kompromiss auch E. Hoffmann, Ausgewählte Probleme des allgemeinen Umweltrechts, Die Verwaltung 50 (2017), 247 (271). 1072  So die ausführlichere Begründung in der insoweit parallelen Entscheidung EuGH, Urteil vom 23.11.2016  – C-442 / 14 (Bienenstiftung), Rn. 85 sowie 83 zur Auslegung der teilweise voneinander abweichenden Sprachfassungen des dort einschlägigen Art. 4 Abs. 2 UAbs. 2 UI-RL. 1073  EuGH, Urteil vom 23.11.2016 – C-673 / 13 (Glyphosat), Rn. 79 f. 1074  EuGH, Urteil vom 23.11.2016 – C-673 / 13 (Glyphosat), Rn. 81. 1075  Hierzu auch mit restriktiver Linie G. Garçon, Public Access to Information in the Area of Product Legislation – All in Balance Now?, EurUP 2017, 31 (46 ff.). 1071  EuGH,

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

men. Allerdings wird es sich dabei weitestgehend auf die Ausführungen des Gerichtshofs in der im Folgenden noch kurz zu beleuchtenden Entscheidung stützen können. (3) „Bienensterben“ In einem ähnlich gelagerten, allerdings in einem Vorabentscheidungsverfahren1076 verhandelten Sachverhalt hatte die niederländische Stiftung De Bijenstichting (zu Deutsch: „die Bienenstiftung“), die sich mit den Ursachen des vor allen Dingen in Europa und Nordamerika auftretenden Phänomens des Bienensterbens1077 auseinandersetzt, bei der zuständigen niederländischen Behörde die Herausgabe von Dokumenten mit Informationen zu einer Reihe von Pflanzenschutzmitteln sowie eines Biozidproduktes beantragt. Nur so könnten die Gründe für die Zulassung der Mittel nachvollzogen und geprüft werden, ob etwaige Risiken für Bienen hinreichend berücksichtigt worden sind.1078 Nachdem die Anträge zu einem wesentlichen Teil abgelehnt wurden, soweit sich die Informationen in den beantragten Dokumenten nicht auf Emissionen bezögen und ein die Geschäftsgeheimnisse der betroffenen Bayer CropScience SA-NV überwiegendes öffentliches Interesse nicht gegeben sei, reichten Antragsteller und – wegen der teilweisen Stattgabe – die Inhaberin der betroffenen Geschäftsgeheimnisse Klage gegen die Entscheidung ein.1079 Das niederländische Verwaltungsgericht legte dem EuGH sodann insbesondere1080 die in verschiedenen Unterfragen präzisierte Frage zur Entscheidung vor, wie der Begriff „Emissionen in die Umwelt“ in Art. 4 Abs. 2 UI-RL auszulegen sei.1081 GA Kokott wiederholte in ihren Schlussanträgen im Wesentlichen ihre bereits in der Rechtssache Glyphosat vorgetragenen Argumente1082 und wendet sich zudem noch gegen das zu diesem Fall bereits vom VG Braunschweig 1076  EuGH,

Urteil vom 23.11.2016 – C-442 / 14 (Bienenstiftung). gibt es inzwischen eine reichhaltige Literatur, vgl. nur V. Mosbrugger u. a., Klimawandel und Biodiversität, 2012, S. 239 ff. zur Bestäubung als Ökosystemdienstleistung sowie zum Bienensterben als Teil eines Rückgangs bestäubender Insekten insgesamt, S. 241 f. 1078  Schlussanträge GA Kokott vom 07.04.2016 – C-442 / 14, Rn. 87. 1079  Schlussanträge GA Kokott vom 07.04.2016 – C-442 / 14, Rn. 26 ff. 1080  Neben der hier im Mitteplunkt stehenden Problematik ging es auch um die Auswirkungen eines unterbliebenen Antrags auf Wahrung der Vertraulichkeit der im Rahmen der Zulassung eingereichten Unterlagen. Dem soll hier nicht weiter nachgegangen werden. 1081  Vgl. Schlussanträge der GA Kokott vom 07.04.2016 – C-442 / 14, Rn. 29, Fragen 3–9. 1082  Gegen die Maßgeblichkeit der Ausführungen des Anwendungsleitfadens der Aarhus-Konvention bei der Bestimmung des Emissionsbegriffes siehe Schlussanträge 1077  Hierzu



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vertretene systematische Argument einer Unterscheidung von Emissionen einerseits und Ableitungen und sonstigen Freisetzungen andererseits, wie es dem Wortlaut nach in Art. 2 Nr. 1 b) Umweltinformationsrichtlinie entnommen wird.1083 Von diesem sei nicht auf ein enges Verständnis von Emissionen im Rahmen der Ausnahmevorschriften zugunsten von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen zu schließen. Zur Begründung verweist Kokott auf Art. 4 Abs. 4 lit. d) AK, wonach trotz des Schutzes von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen Informationen über Emissionen, „die für den Schutz der Umwelt von Bedeutung sind“, bekanntzugeben sind. Eine Unterscheidung zwischen Emissionen einerseits und Ableitungen und sonstigen Freisetzungen andererseits habe dafür aber keinen erkennbaren Wert. Zudem sei die Differenzierung zwischen sich inhaltlich überschneidenden Begriffen bei der Definition von Umweltinformationen dem Bemühen geschuldet, diesen möglichst umfassend auszugestalten, nicht aber um unterschiedliche Rechtsfolgen bzgl. des Informationszugangs an diese nicht trennscharfen Unterscheidungen anzuknüpfen.1084 Auch in diesem Fall plädiert GA Kokott gleichwohl schlussendlich dafür, dass die Rechtslage durch die auch in diesem Fall anwendbare Pflanzenschutzverordnung dadurch modifiziert werde, dass nach einer Neubewertung der antizipierten Abwägungsentscheidung in Art. 4 Abs. 2 S. 3 UI-RL durch den europäischen Gesetzgeber die hier beantragten Umweltinformationen aus der Reichweite der Emissionsklausel ausgeschlossen worden seien und über ihre Veröffentlichung deshalb im Wege der Einzelfallabwägung zu entscheiden sei.1085 Ihrem hierfür vorgebrachten Argument, dass ansonsten die Wertung des Art. 63 Abs. 2 der Pflanzenschutzverordnung keinen Anwendungsbereich mehr hätte, folgte der EuGH allerdings nicht. Nicht nur weist der EuGH mit dem schon im Rahmen der Analyse der Glyphosat-Entscheidung wiedergegebenen Emissionsbegriff dem vorlegenden Gericht voraussichtlich den Weg zu einer weitgehenden Stattgabe des Informationsantrags der Bienenstif­ tung,1086 vielmehr zeigt der Gerichtshof auch auf, dass entgegen der Ansicht der GA Kokott vom 07.04.2016 – C-442 / 14, Rn. 68 ff.; für die Einbeziehung von Informationen über die Folgen einer Freisetzung, a. a. O., Rn. 48. 1083  Siehe GA Kokott, Schlussanträge vom 07.04.2016 – C-442 / 14, Rn. 56. 1084  GA Kokott, Schlussanträge vom 07.04.2016 – C-442 / 14, Rn. 59 ff. 1085  GA Kokott, Schlussanträge vom 07.04.2016 – C-442 / 14, Rn. 89 ff. (97). Prima facie meint Kokott jedoch, dass auch die durch das vorlegende niederländische Gericht zum Gegenstand des Verfahrens gemachten spezifischen Informationen unter die von ihr bestimmte Emissionsklausel fallen, ohne dass sie dabei von der Pflanzenschutzverordnung wiederum ausgeschieden werden würden. Dies sei jedoch bei entsprechenden Einwänden vor dem nationalen Gericht zu klären, a. a. O., Rn. 104. 1086  Dies deckt sich mit der in der vorangehenden Fußnote wiedergegebenen Einschätzung Kokotts.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Kokotts der Katalog schützenswerter Informationen in Art. 63 Abs. 2 Pflanzenschutzverordnung gleichwohl einen Anwendungsbereich behält, da dieser die Genehmigungsbehörden bei hiervon erfassten Informationen dazu veranlasst, diese grundsätzlich als vertraulich zu behandeln und vor ihrer Herausgabe in jedem Einzelfall zu prüfen, ob es sich dabei um Informationen über Emissionen handelt.1087 Während sich der EuGH in der Glyphosat-Entscheidung nicht zu möglichen Konflikten seiner Bestimmung des Umweltinformationszugangs mit der in Art. 16, 17 EU-Grundrechtecharta gewährleisteten unternehmerischen Freiheit und der Eigentumsgarantie einerseits und dem TRIPS-Übereinkommen andererseits mangels Entscheidungsrelevanz geäußert hatte, tat er dies in der vorliegenden Entscheidung zumindest in knapper Form. Dabei wies er auf die in beiden Regimen vorgesehenen Beschränkungsmöglichkeiten der Rechte hin und akzeptierte die durch den Unionsgesetzgeber vorgenommene Abwägung zwischen den dort geschützten Interessen einerseits und dem ­Interesse an einer möglichst umfassenden Verbreitung von Umweltinforma­ tionen andererseits als verhältnismäßig, da auch im Lichte des durch den Gerichtshof formulierten Emissionsbegriffs keineswegs jede Information zu veröffentlichen sei und damit ein hinreichender Schutz der durch das Unionsrecht immerhin vorgesehenen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ­ stattfinde.1088 cc) Bewertung Die Aarhus-Konvention sieht gem. Art. 4 Abs. 3 und 4 Beschränkungen des jedermann zustehenden Umweltinformationszugangsrechts zum Schutz bestimmter öffentlicher wie auch privater Interessen vor. Die anerkannten Ausnahmegründe sind dabei durchaus zahlreich und zeigen die enge Anlehnung der Konzeption der AK an die erste UI-RL auf.1089 Ihre klarere Umschreibung, das Gebot der engen Auslegung der in Absatz 4 vorgesehenen Ausnahmen nach Art. 4 Abs. 4 S. 2 AK sowie die Berücksichtigung eines etwaigen Emissionsbezugs von Informationen über die Umwelt zur Begründung eines absoluten (gegenüber Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen gem. Art. 4 Abs. 4 S. 1 lit. d) AK) bzw. eines relativen (gegenüber den übrigen 1087  EuGH,

Urteil vom 23.11.2016 – C-442 / 14 (Bienenstiftung), Rn. 102. B. W. Wegener, Kein „Mund auf – Augen zu“ – Der freie Zugang zu Informationen über Emissionen in die Umwelt, ZUR 2017, 146 (148). Kritisch G. Garçon, Public Access to Information in the Area of Product Legislation – All in Balance Now?, EurUP 2017, 31 (52 ff.). 1089  N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 110. 1088  Zustimmend



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Ausnahmegründen nach Art. 4 Abs. 4 S. 2 Hs. 2 AK) Vorrangs des Publizitätsgebots gegenüber Geheimhaltungsinteressen1090 führen gleichwohl zu einer deutlichen Ausweitung des Umweltinformationszugangs. Die Berichtstätigkeit des ACCC hat gerade hinsichtlich praktisch relevanter Modalitäten des Informationszugangs, welche die AK nach den Erfahrungen des Umgangs nationaler Gesetzgeber und Behörden mit den Vorgaben der ersten UI-RL in verschiedenen Regelungen adressierte, eine große Konkretisierungsleistung erbracht, die durch die Vertragsstaten bei der Umsetzung und Anwendung zu berücksichtigen ist.1091 Durch eine enge Orientierung der Auslegung der europäischen Vorschriften an den Regelungen und insbesondere an Ziel und Zweck der AK hat auch der EuGH zur Durch- und Umsetzung seiner Vorschriften – vielfach initiiert durch Einzelne und Umweltvereinigungen – beigetragen. Im Falle des EuGH verfestigt sich gleichwohl der Eindruck, dass dieser mit zweierlei Maß misst, je nachdem, ob es um die Umsetzung der völkerrechtlichen Vorgaben im Bereich des unionalen oder des mitgliedstaatlichen Vollzugs geht. Nachdem dies bereits für die Anerkennung implementationsunabhängiger Wirkungen aufgezeigt werden konnte,1092 zeigt auch die inhaltliche Analyse des Konflikts zwischen den Geheimhaltungsinteressen der Union im Falle von Vertragsverletzungsverfahren und dem Publikationsinteresse an den hier anfallenden Informationen, dass der EuGH den Schutz der Arkanbereiche europäischer Verwaltung sehr viel höher gewichtet als er dazu gegenüber den Mitgliedstaaten bereit ist.1093 Im unionalen Vollzug erscheint danach das Völkerrcht eher als rechtspolitische Leitlinie, denn als überstaatliches und auch überunionales Recht. Wie Nettesheim ausführt, erscheint die EU gerade in diesem Zusammenhang als staatsähnlicher Akteur, dessen Positionierung gegenüber dem Recht der Völker primär als politische Frage betrachtet wird.1094 Sein Wille zur konsequenten Umsetzung der Vorgaben der AK hat sich dagegen zuletzt auch bei seiner völkerrechtskonformen Auslegung der europäischen Regelungen zu emissionsbezogenen Umweltinformationen gegenüber den privaten Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen agrochemischer Unternehmen gezeigt. Durch die Formulierung eines durchaus weiten Emis­ sionsbegriffs in den Rechtssachen Glyphosat und Bienenstiftung mussten die 1090  F. Ekardt,

Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 119. insbesondere die Nachweise unter: Zweiter Teil, B. IV. 1. e). 1092  Dazu bereits oben: Zweiter Teil, B. III. 2. b) aa) (2) und (3). 1093  Erinnert sei insoweit an die Entscheidungen EuGH, Urteil vom 18.07.2013 – C-515 / 11 (Deutsche Umwelthilfe) sowie EuGH, Urteil vom 14.02.2012  – C-204 / 09 (Flachglas Torgau). Hierzu oben unter Zweiter Teil, B. IV. 1. c) aa). 1094  M. Nettesheim, in: T. Oppermann / C. Classen / ders., Europarecht, 7. Aufl. 2016, § 38 Rn. 34. 1091  Siehe

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

betroffenen Unternehmen es letztlich hinnehmen, dass die von ihnen für Genehmigungsverfahren vorgelegten Daten wohl der Öffentlichkeit zugänglich zu machen sind, damit diese Kenntnis davon erlangt, welche Stoffe bei der Anwendung von Pflanzenschutzprodukten tatsächlich in die Umwelt gelangen1095 und wie diese sich auf die Umwelt auswirken und es der Öffentlichkeit so ermöglicht wird, eine Überprüfung der von den Zulassungsbehörden vorgenommenen Bewertungen im Rahmen von Öffentlichkeitsbetei­ ligungen an solchen Zulassungsverfahren vorzunehmen.1096 Dies umfasst „Angaben über Art, Zusammensetzung, Menge, Zeitpunkt und Ort der „Emissionen in die Umwelt“ der Pflanzenschutzmittel und Biozid-Produkte und der in diesen Produkten enthaltenen Stoffe sowie die Daten über die mehr oder weniger langfristigen Auswirkungen dieser Emissionen auf die Umwelt, insbesondere Informationen über die Rückstände in der Umwelt nach der Anwendung des betreffenden Produkts und Studien zur Messung der Stoffdrift bei dieser Anwendung, unabhängig davon, ob diese Daten aus (Semi-)Feldstudien, aus Laboruntersuchungen oder Translokationsstudien stammen […].“1097 Die durch die Veröffentlichung solcher Daten mögliche Enthüllung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen ist von den Unternehmen im öffent­ lichen Interesse hinzunehmen. Dabei ist zu betonen, dass das öffentliche ­Interesse gerade nicht darin besteht, dass überhaupt die möglicherweise von solchen Stoffen ausgehenden Gefahren für die Umwelt und auch den Menschen geprüft werden können – dies ist in erster Linie nach wie vor Aufgabe der Genehmigungsbehörden – sondern dass die Öffentlichkeit die Möglichkeit hat, diesen Vorgang zu kontrollieren. Die hohe Gewichtung des Inte­ resses an öffentlicher Kontrolle resultiert aus ihrer Bedeutung für die Korruptionsbekämpfung,1098 die Sicherung der Qualität behördlicher Entscheidungen und der Ermöglichung bürgerlicher Teilhabe am Staatsgeschehen.1099 Die Eröffnung dieser Möglichkeit im Verwaltungsvollzug ist damit aber zugleich auch Ausdruck für ein verbreitetes Misstrauen gegenüber staatlichen und unionalen Institutionen, der gesetzmäßigen Erfüllung der ihnen aufgegebenen Verwaltungsaufgaben und dem Funktionieren behördlicher 1095  EuGH, Urteil vom 23.11.2016  – C-673 / 13 (Glyphosat), Rn. 79; zustimmend B. W. Wegener, Kein „Mund auf – Augen zu“ – Der freie Zugang zu Informationen über Emissionen in die Umwelt, ZUR 2017, 146 (146); vgl. auch A. Epiney / S. Dilzig / B. Pirker / S. Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Art. 4 Rn. 56. 1096  EuGH, Urteil vom 23.11.2016 – C-673 / 13 (Glyphosat), Rn. 80. 1097  EuGH, Urteil vom 23.11.2016 – C-442 / 14 (Bienenstiftung), Rn. 96. 1098  Skeptisch ob der Leistungsfähigkeit des Informationszugangs insoweit F. Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, Einl. Rn. 50. 1099  Vgl. die Funktionen der Informationszugangsfreiheit F. Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, Einl. Rn. 49 ff.



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und parlamentarischer Aufsichtsverfahren.1100 Ob Vertrauen auch in so komplexen Bereichen wie der Zulassung agrochemischer Produkte und Stoffe durch einen Informationszugang der Öffentlichkeit wieder hergestellt werden kann oder ob die Steuerungsleistung dieses Instruments hier überschätzt wird, hängt auch von der Fähigkeit der von solchen Rechten besonders Gebrauch machenden Umweltvereinigungen zur Übersetzung der komplexen Zusammenhänge für die allgemeine Öffentlichkeit ab. g) Zwischenfazit Trotz vorhandener Beschränkungsmöglichkeiten bleibt mithin die völkerrechtsunmittelbare Gewährleistung eines äußerst weiten Zugangsrechts, das durch den seine Weite prägenden Umweltinformationsbegriff gem. Art. 2 Nr. 3 AK dazu geeignet ist, Zugang sowohl zu Informationen über den Zustand aller Bestandteile biologischer Vielfalt als auch über deren Bedrohungen zu ermöglichen. Rechtlich steht der Zugang jedermann offen. Gleichwohl dürfte er gerade in den vielen Bereichen komplexer umweltrelevanter wirtschaftlicher Tätigkeiten und Zusammenhänge, wie dies vorliegend anhand der Rechtsprechung des EuGH für die Zulassung und den Gebrauch agrochemischer Stoffe illustriert werden konnte, vor allen Dingen von Umweltvereinigungen genutzt werden, welche die notwendige Fachexpertise zum Verständnis der zugänglich gemachten Daten mitbringen und als Übersetzer und Multiplikatoren für die allgemeine Öffentlichkeit dienen können. Durch die Einbeziehung auch gewisser privater Akteure in den Behördenbegriff gem. Art. 2 Nr. 2 AK beugt die Konvention einem Unterlaufen des Informationszugangs durch Privatisierungsvorgänge vor. Obwohl natürliche Personen oder rein privat bestimmte juristische Personen damit nicht zum Adressat des Informationszugangsanspruchs werden, darf nicht verkannt werden, dass auch ihre umweltrelevanten Daten insoweit zugänglich gemacht werden, als sie etwa im Rahmen von Genehmigungsverfahren Behörden vorgelegt werden und so in die behördliche Sphäre gelangen. Bereits die Einführung des allgemeinen Umweltinformationsanspruchs durch die erste UI‑RL innerhalb der damaligen EWG und dessen Stärkung durch die Aarhus-Konvention und die entsprechenden Umsetzungsgesetze hat gerade auch in Deutschland zu einer Veränderung des Mischungsverhältnisses zwischen Offenheit und Geschlossenheit, von Öffentlichkeit und Vertraulichkeit geführt und dabei das Interesse an Öffentlichkeit und Transparenz 1100  Vgl. insoweit auch B. W. Wegener, Kein „Mund auf – Augen zu“ – Der freie Zugang zu Informationen über Emissionen in die Umwelt, ZUR 2017, 146 (152). Ablehnend G. Garçon, Public Access to Information in the Area of Product Legislation – All in Balance Now?, EurUP 2017, 31 (46).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

staatlicher Tätigkeit neu und erheblich stärker gerade gegenüber wirtschaft­ lichen Interessen Einzelner gewichtet. Dies ist Ausdruck für ein verändertes Verständnis des Stellenwertes von Umweltbelangen für die Öffentlichkeit, aber auch Ausdruck von Misstrauen gegenüber der hinreichenden Wahrnehmung des öffentlichen Interesses an der Erhaltung der Umwelt durch staat­ liche Stellen. Die damit einhergehende Verlagerung von Kompetenzen auf Private im Allgemeinen sowie nichtstaatliche Umweltvereinigungen im Speziellen geschieht gleichwohl unter hinreichender Wahrung der betroffenen öffentlichen und privaten Interessen. Zu weitgehend ist diese Kompetenzverlagerung deshalb nicht.1101 2. Das „Recht auf Öffentlichkeitsbeteiligung“ Die zweite Säule der Aarhus-Konvention sieht in den Art. 6-8 AK Verpflichtungen der Vertragsparteien vor, Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung an behördlichen Entscheidungsverfahren bzgl. Tätigkeiten mit erheblichen Umweltauswirkungen (Art. 6 AK), umweltbezogenen Plänen und Programmen sowie Politiken (Art. 7 AK) und bei der Vorbereitung exekutiver Vorschriften und / oder allgemein anwendbarer rechtsverbindlicher normativer Instrumente (Art. 8 AK) im nationalen Recht zu implementieren. Den großen Unterschieden bei den Gegenständen der Öffentlichkeitsbeteiligung entsprechen die erheblichen Unterschiede bei der Ausgestaltung der jeweiligen Vorgaben im Einzelnen.1102 Anders als die in der ersten und dritten Säule gewährleisteten Rechtsposi­ tionen sind die der zweiten Säule nur schwierig zu erfassen. Die Regelungen zielen auf die Schaffung von Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung ab, die ihrerseits in bestehende Zulassungs-, Planungs- und Rechtssetzungsverfahren zu integrieren sind.1103 Regelungen zur Ausgestaltung der Öffentlichkeitsbeteiligung sind dabei zu verstehen als Teil der Vorgaben „für den Ablauf eines 1101  So die hier gegebene Antwort auf die Fragestellung bei R. Müller-Terpitz, Beteiligungs- und Handlungsmöglichkeiten nichtstaatlicher Organisationen im aktuellen Völker- und Gewohnheitsrecht, AVR 43 (2005), 466 (474). 1102  Insoweit bezeichnet der Sammelbegriff der Öffentlichkeitsbeteiligung tatsächlich recht unterschiedliche Vorgänge, die unter Beteiligung recht verschiedener Personenkreise stattfinden, siehe A. Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), 31 (31 f.). 1103  Insbesondere enthalten auch die Art. 6-8 AK keine Vorgaben darüber, unter welchen Voraussetzungen einer Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist. Vielmehr wird das Bestehen einer solchen Pflicht von der AK teils implizit vorausgesetzt, teils explizit, wie in Ziff. 20 Anhang I, zum Anknüpfungspunkt für die Beteiligungsvorgaben der AK gemacht. Vgl. hierzu J. Jendrośka, Public Participation in Environmental Decision-Making, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 92 (100 f.).



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auf die Herstellung einer Entscheidung gerichteten Verfahrens“.1104 Sie bezwecken Teilhabe am Zustandekommen von Entscheidungen.1105 Die Vorgaben der AK zielen insoweit auf die frühzeitige Eröffnung eines öffentlichen Diskurses über die Folgen umweltrelevanter Tätigkeiten auf verschiedenen Verwaltungsebenen ab. Dieser Diskurs soll entsprechend Art. 8 und 7 AK bereits dort begonnen werden, wo noch nicht über die Zulassung konkreter Vorhaben entschieden, wohl aber bereits maßgebende rechtliche (Vor-)Entscheidungen über deren Ausgestaltung getroffen werden.1106 Ziel der Schaffung solcher Beteiligungsmöglichkeiten ist gem. Art. 1 AK auch hier letztlich die Leistung eines Beitrags zur Verwirklichung des Rechts eines jeden Angehörigen der gegenwärtigen und künftiger Generationen auf ein Leben in einer der Gesundheit und dem Wohlbefinden zuträglichen Umwelt. Den unmittelbarsten Nutzen bei der Erfüllung dieses Konventionsziels sollen die Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung insoweit erfüllen, als sie zur Verbesserung der Verwaltungsentscheidungen in Umweltfragen und ihrer Umsetzung bei­tragen,1107 indem sie die Einspeisung von Wissen aus der Öffentlichkeit in den Entscheidungsprozess ermöglichen und so die Entscheidungsgrundlage der Behörde verbreitern und qualitativ verbessern.1108 Die Schaffung von Öffentlichkeit in den Verwaltungsverfahren dient zudem umgekehrt auch der Information der Beteiligten sowie der Erhöhung der Transparenz der Verwaltungstätigkeit1109 1104  B. Müller, Die Öffentlichkeitsbeteiligung im Recht der Europäischen Union und ihre Einwirkungen auf das deutsche Verwaltungsrecht, 2010, S. 3. 1105  Vgl. A. Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), 31 (35); insoweit geht es hier um Partizipation, nicht lediglich einfache Beteiligung. Siehe zu dieser Unterscheidung, H. Rossen-Stadtfeld, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. II, 2. Aufl. 2012, § 29 Rn. 65. 1106  Vgl. für das entsprechende EU-Sekundärrecht J. H. Jans / H. H. B. Vedder, European Environmental Law, 4. Aufl. 2012, S. 354. Das bereits hier zum Ausdruck kommende Prinzip der Frühzeitigkeit der Öffentlichkeitsbeteiligung ist bestimmend für zahlreiche Regelungen der zweiten Säule der Konvention, vgl. nur Art. 6 Abs. 4 AK sowie Art. 7 i. V. m. Art. 6 Abs. 4 AK. Siehe hierzu ACCC / C / 2009 / 41 (Slovakia), Rn. 64, 65 sowie B. Peters, Die Auslegung von Art. 6-8 der Aarhus-Konvention durch das Aarhus Compliance Committee und die Auswirkungen im europäischen Umweltrecht, EurUP 2014, 185 (188). Da gerade Pläne und Programme und Vorhabenzulassungen in einem Konkretisierungsverhältnis zueinander stehen, wird so überdies eine Abschichtung unterschiedlich abstrakter Sachfragen und deren strukturierte Abarbeitung angestrebt, siehe zum Verhältnis von UVP und SUP K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 146 sowie bereits F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 165. 1107  Absatz 9 Präambel AK. 1108  Absatz 16 Präambel AK. 1109  Absätze 10, 11 Präambel AK; vgl. hierzu A. Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), 31 (32).

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und beugt damit der einseitigen Berücksichtigung von Privatinteressen vor. Insoweit besteht eine Überschneidung mit den durch das Informationszugangsrecht der ersten Säule verfolgten Zielen. Soweit die Schaffung von Öffentlichkeit auf eine Rationalisierung von Verwaltungstätigkeit abzielt und tatsächlich bewirkt, vermittelt die Beteiligung der Öffentlichkeit den Verwaltungsentscheidungen überdies auch eine sachlich-inhaltliche Legitimation. Entsprechend Erwägungsgrund 10 der Präambel der AK soll gerade die zweite Säule der Konvention1110 so auch zu einer Stärkung demokratischen Handelns in den Vertragsstaaten und der EU führen.1111 Während die vorangehend genannten Zwecke der Öffentlichkeitsbeteiligung auch bereits vor Inkrafttreten der Aarhus-Konvention im rechtswissenschaftlichen Diskurs in Deutschland, wenn auch mit einem stärker staatszentrierten und weniger rechtsschutzbezogenen Fokus,1112 anerkannt waren,1113 so begegnete und begegnet die demokratiefördernde Funktion von Öffentlichkeitsbeteiligungen vor dem Hintergrund des Modells repräsentativer Demokratie des Grundgesetzes vielfältigen Vorbehalten. Teilweise wird dieses als unvereinbar mit dem stärker partizipativen Demokratieverständnis der Aarhus-Konvention angesehen.1114 Grund hierfür ist die weitgehende Ablehnung einer durch Verfahren der Öffentlich1110  Zu Recht weist A. Fisahn, Effektive Beteiligung solange noch alle Optionen offen sind, ZUR 2004, 136 (137) darauf hin, dass diese Funktion auch den beiden anderen Säulen der AK zukommen soll, dass sie jedoch im Bereich der Öffentlichkeitsbeteiligung sicherlich den stärksten Niederschlag findet; hinsichtlich der ersten Säule vgl. auch D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 92. 1111  Absatz 21 Präambel AK; hierzu A. Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), 31 (32); D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 93 f. Zur Gefahr, dass sich an solchen Verfahren nur bestimmte Kreise einer Gesellschaft einbringen und so gerade keine Demokratisierung von Verfahren erreicht wird L. Squintani, The Aarhus Paradox: Time to Speak about Equal Opportunities in Environmental Governance, JEEPL 14 (2017), 3 (4). 1112  Dessen Bedeutung hatte seit der Mühlheim-Kärlich Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts freilich immer stärker zugenommen, vgl. BVerfGE 53, 30 sowie H. Rossen-Stadtfeld, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, Gr­ VerwR, Bd. II, 2. Aufl. 2012, § 29 Rn. 39 m. z. N. Der Aspekt des vorgelagerten Rechtsschutzes wird auch durch das ACCC explizit anerkannt, ACCC / C / 2009 / 41 (Slovakia), Rn. 64 f. 1113  Vgl. zu den in der seit den 70er Jahren geführten Diskussion herausgestellten Motiven für mehr Partizipationsmöglichkeiten an Verwaltungsentscheidungen F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 139 ff. 1114  Auf die Abhängigkeit der konkreten Bedeutung dieses Motivs der AK vom jeweils herrschenden Demokratieverständnis in den Vertragsstaaten weist hin D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 93; zur kritischen Diskussion in Deutschland allgemein V. M. Haug, „Partizipa­ tionsrecht“  – Ein Plädoyer für eine eigene juristische Kategorie, Die Verwaltung 47 (2014), 221 (234 m. z. N.); zur Partizipationsdiskussion allgemein auch F. Ekardt, In-



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keitsbeteiligung vermittelten organisatorisch-personellen demokratischen Legitimation mangels der hierfür als notwendig betrachteten Repräsentanz des Staatsvolkes.1115 Richtig ist hieran, dass die allein sachlich-inhaltliche Legitimation, die auch durch das Bundesverfassungsgericht anerkannt wird1116 und durch Partizipation an Verwaltungsentscheidungen vermittelt werden kann, auf dem Boden des grundgesetzlichen Demokratieverständnisses nicht jede personell-organisatorische Legitimation ersetzen, wohl aber insoweit bestehende Schwächen insbesondere im Falle weiter Ermessensspielräume der Verwaltung ausgleichen kann, um das im Einzelfall rechtlich erforderliche oder auch nur wünschenswerte Legitimationsniveau zu erreichen1117 und so auch der verbreitet diagnostizierten Krise der Repräsentation entgegenzusteuern. Hiermit in engem Zusammenhang steht dann auch, dass die AK durch die Eröffnung der Öffentlichkeitsbeteiligung nicht zuletzt auch eine Erhöhung der Akzeptanz von umweltrelevanten Entscheidungen bezweckt.1118 Hinzu tritt die Absicht, eine Verbesserung der Umwelterziehung zu bewirken1119 und das Umweltbewusstsein der Öffentlichkeit ganz allgemein zu stärken. Insoweit geht es nicht nur um die Beeinflussung von Zulassungs- und anderen umweltformation, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 146. Eingehend A. Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002. 1115  K. F. Gärditz, Angemessene Öffentlichkeitsbeteiligung bei Infrastrukturplanungen als Herausforderung an das Verwaltungsrecht im demokratischen Rechtsstaat, GewArch 2011, 273 (275) sowie T. Mann, Referat zum 4. Beratungsgegenstand: Großvorhaben als Herausforderung für den demokratischen Rechtsstaat, VVDStRL 72 (2012), 544 (563 m. w. N.). 1116  Vgl. insoweit BVerfGE 83, 60 (72). I. E. wird der legitimatorische Eigenwert der Öffentlichkeitsbeteiligung dennoch vielfach abgelehnt. Solche Verfahren beträfen nur den „freiheitlichen Nährboden“ der Demokratie, T. Mann, Referat zum 4. Beratungsgegenstand: Großvorhaben als Herausforderung für den demokratischen Rechtsstaat, VVDStRL 72 (2012), 544 (570); K. F. Gärditz, Angemessene Öffentlichkeitsbeteiligung bei Infrastrukturplanungen als Herausforderung an das Verwaltungsrecht im demokratischen Rechtsstaat, GewArch 2011, 273 (275). 1117  H. Rossen-Stadtfeld, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. II, 2. Aufl. 2012, § 29, Rn. 70; F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 148 f.; K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 261 f.; vgl. außerdem C. Fraenkel-Haeberle, Participatory Democracy and the Global Approach in Environmental Legislation, in: E. J. Lohse / M. Poto, Participatory Rights in the Environmental Decision-Making Process and the Implementation of the Aarhus Convention, 2015, 33 (34); C. Sartoretti, The Aarhus Convention between protection of Human Rights and protection of the Environment, in: E. J. Lohse / M. Poto, Participatory Rights in the Environmental Decision-Making Process and the Implementation of the Aarhus Convention, 2015, 45 (54). 1118  Absatz 10 Präambel AK; vgl. zu dieser Zielarchitektur der Öffentlichkeitsbeteiligung nach der Aarhus-Konvention insgesamt M. Zschiesche, Öffentlichkeitsbeteiligung in umweltrelevanten Zulassungsverfahren, 2015, S. 88 ff. 1119  Absatz 14 Präambel AK.

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relevanten Umweltentscheidungen, sondern auch um die Veränderung des individuellen Verhaltens Einzelner.1120 Der Beteiligung der allgemeinen oder einer Teilöffentlichkeit an Verwaltungsverfahren kommt eine wichtige Rolle im Steuerungskonzept der informierten Öffentlichkeit beim Abbau von Vollzugsdefiziten im Umweltrecht zu.1121 Sie verwirklicht insoweit das Konzept der Mobilisierung des Bürgers zur Durchsetzung des Rechts.1122 Soweit dabei auch der Vollzug von Vorschriften gestärkt wird, die den Schutz biologischer Vielfalt betreffen, trägt die Öffentlichkeitsbeteiligung auch zu deren Erhaltung bei. Der Konzeption der Aarhus-Konvention insgesamt und insbesondere ihrer zweiten Säule über die Öffentlichkeitsbeteiligung liegt dabei ein Verfahrensverständnis zugrunde, das den Eigenwert des Verfahrens anerkennt.1123 Dies meint nicht, dass das Verfahren völlig für sich steht, negiert also nicht seine Bezogenheit auf die in dem jeweiligen Verfahren zu treffende inhaltliche Entscheidung. Dieses Verständnis geht aber über die für Deutschland klassische Auffassung von einer nur dienenden Funktion des Verfahrens insoweit hinaus, als es anerkennt, dass die inhaltliche Entscheidung erst im Verfahren geschaffen wird und sich nicht allein aus den davon unberührten Entscheidungsmaßstäben ableiten lässt.1124 Es anerkennt den Einfluss des Verfahrens auf die Ausformung des der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts sowie den maßgeblichen Einfluss auf die konkrete Gewichtung der von der Entscheidung berührten Interessen.1125 Nicht präjudiziert ist damit die hiervon zu unterscheidende Frage nach dem subjektiv-rechtlichen Charakter der hier gewährleisteten bzw. durch die Vertragsstaaten zu gewährleistenden Postionen. Deren Aufklärung ist Ziel der nachfolgenden Untersuchung. Um dies zu ermöglichen, sollen im Folgenden zunächst die einschlägigen Normen der Aarhus-Konvention näher betrachtet werden [a)]. Als konstitu1120  G. Parola, Ecological Interest as a Leading Rationale, in: E. J. Lohse / M. Poto, Participatory Rights in the Environmental Decision-Making Process and the Implementation of the Aarhus Convention, 2015, 15 (18). 1121  A. Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), 31 (32). 1122  S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, S. 485; A. Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, Verw­ Arch 103 (2012), 31 (47). 1123  W. Frenz, Umweltklagen weiter effektuiert: Subjektive Rechte, Präklusion und Entscheidungserheblichkeit von Verfahrensfehlern, NuR 2015, 832 (834). 1124  So auch mit Bezug zum weiten Verfahrensbegriff des Umwelteuroparechts J. Heldt, Individualrechtsschutz bei fehlerhaftem Verwaltungsverfahren, NVwZ 2012, 461 (462). 1125  Zum Vorstehenden K. F. Gärditz, Europäisierter Umweltrechtsschutz als Laboratorium des Verwaltungsprozessrechts, EurUP 2015, 196 (197 f.).



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tive Elemente der zu gewährleistenden Positionen sind die nach den verschiedenen Vorschriften zu Berechtigenden [b)] und die jeweils zu Verpflichtenden [c)] zu identifizieren. Anschließend sind die sachlichen Anwendungsbereiche der Art. 6-8 gegeneinander abzugrenzen [d)], bevor auf die inhalt­ lichen, teilweise normübergreifenden Strukturelemente der verschiedenen Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung einzugehen ist [e)]. Auf dieser Grundlage soll schließlich versucht werden zu klären, ob die AK völkerrechtsunmittelbar ein Recht oder Rechte zur Öffentlichkeitsbeteiligung enthält oder diese jedenfalls mittelbar-völkerrechtlich gewährleistet [f)]. Der Abschnitt schließt mit einer Bewertung der Untersuchungsergebnisse [g)]. a) Normbefund Zur besseren Orientierung sind ein kurzer Überblick über die wichtigsten Regelungen der Aarhus-Konvention in den Art. 6-8 zu geben [aa)] und die erfolgten Implementierungsmaßnahmen aufzuzeigen [bb)]. aa) Überblick Die Art. 6-8 AK unterscheiden sich in ihrer Ausgestaltung schon rein äußerlich ihrem Umfang nach und auch darüber hinaus in der Regelungsdichte und ihrer normativen Verbindlichkeit. Während Art. 6 AK über die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungen über bestimmte Tätigkeiten in seinen elf Absätzen ausführliche Regelungen über seinen Anwendungsbereich sowie die Ausgestaltung der durch die Vertragsparteien im Einzelnen vorzusehenden Beteiligungsmodalitäten umfasst, beschränkt sich insbesondere Art. 8 AK auf die relativ knappe Formulierung von Vorgaben für die Öffentlichkeitsbeteiligung während der Vorbereitung exekutiver Vorschriften und / oder allgemein anwendbarer rechtsverbindlicher normativer Instrumente. Art. 7 AK, der Vorgaben für die Beteiligung der Öffentlichkeit bei umweltbezogenen Plänen, Programmen und Politiken formuliert, ist zwar ebenfalls äußerlich recht knapp gehalten, erhält aber über den in seinem Satz 2 enthaltenen Verweis auf Art. 6 Abs. 3, 4 und 8 AK ebenfalls einen detaillierteren Regelungsgehalt. Neben den Regelungen über den sachlichen Anwendungsbereich (Art. 6 Abs. 1 AK) umfasst Art. 6 detaillierte Vorschriften über die frühzeitige Information der betroffenen Öffentlichkeit (Abs. 2), den zeitlichen Rahmen für die einzelnen Verfahrensschritte (Abs. 3), eine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung (Abs. 4), eine Regelung über die Einbindung Privater (Abs. 51126), 1126  Diese Regelung, die allerdings ihrer Formulierung nach kaum als verbindlich bezeichnet werden kann, wurde bislang jedenfalls von der EU nicht umgesetzt. Zu Umsetzungsbemühungen in Deutschland durch § 25 Abs. 3 VwVfG sowie § 12b

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einen Informationsanspruch für den Zeitraum während des Beteiligungsverfahrens (Abs. 6), ein Recht der allgemeinen Öffentlichkeit zur Abgabe von Stellungnahmen (Abs. 7) und deren Berücksichtigung bei der zu treffenden Verwaltungsentscheidung (Abs. 8). Schließlich haben die Behörden die Öffentlichkeit über die Entscheidung zu informieren (Abs. 9).1127 Die Abs. 10 und 11 enthalten darüber hinaus Geltungsanordnungen für Fälle der Überprüfung oder Aktualisierung der Betriebsbedingungen sowie für Entscheidungen über die absichtliche Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen. Während Art. 6 und 7 AK nahezu1128 durchweg ihrer Formulierung nach rechtlich verbindlich gefasst sind, wenn auch die Bestimmungen an verschiedenen Stellen den Vertragsparteien auf den ersten Blick Umsetzungsspielräume einräumen, so verlangt Art. 8 AK ausdrücklich lediglich ein Bemühen der Vertragsparteien um eine effektive Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Vorbereitung umwelterheblicher exekutiver oder sonstiger allgemein anwendbarer rechtsverbindlicher Bestimmungen. Während die Unverbindlichkeit des Art. 8 AK bis heute zu dessen weitgehender Wirkungslosigkeit geführt hat, wird sich zeigen, dass die zunächst vorhandenen Umsetzungsspielräume der Art. 6 und 7 AK durch die Rechtsprechung des EuGH und die Berichtstätigkeit des ACCC hinsichtlich vieler Fragen fast vollständig geschlossen wurden. bb) Implementierungsmaßnahmen Die Öffentlichkeitsbeteiligung ist nicht erst mit den Vorgaben der AarhusKonvention ins europäische Recht gelangt. Vielmehr haben die europäischen Erfahrungen etwa mit der ersten UVP-RL 85 / 337 / EWG und der dort vorgesehenen Beteiligung der Öffentlichkeit in Art. 6 Abs. 2 ganz maßgeblichen Einfluss auf die Ausgestaltung der zweiten Säule der AK – insbesondere das tätigkeitsbezogene Beteiligungsverfahren nach Art.  6 AK – gehabt.1129 Gleichwohl wurden mit den Anforderungen der AK erhebliche VeränderunAbs. 3 EnWG siehe R. Hendler / M. Wu, Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltrecht der Europäischen Union, DVBl 2014, 78 (84). Da sie eine vorverlagerte Pflicht der Antragsteller betrifft, nicht aber auf die Ausgestaltung der Rechtsposition der Öffentlichkeit abzielt, soll auf sie hier nicht weiter eingegangen werden. 1127  Vgl. hierzu B. Peters, Die Auslegung von Art. 6-8 der Aarhus-Konvention durch das Aarhus Compliance Committee und die Auswirkungen im europäischen Umweltrecht, EurUP 2014, 185 (193) mit Verweis auf hierzu ergangene Entscheidungen des ACCC. 1128  Eine Ausnahme stellen insoweit Art. 6 Abs. 5 sowie Art. 7 S. 4 AK dar. A. A. N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 56 f. wonach nur Art. 6 AK eine Rechtspflicht enthalte. 1129  Zum Entstehungszusammenhang siehe bereits oben: Zweiter Teil, B. I. 1.



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gen der bestehenden sowie der Erlass neuer Regelungen notwendig. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat die Art. 6-8 AK für den Bereich des mitgliedstaatlichen Vollzugs des europäischen Umweltrechts in zahlreichen Richtlinienbestimmungen umgesetzt. Vorschriften, die entweder unmittelbar auf die Vorgaben der Aarhus-Konvention zurückgehen oder nach deren Inkrafttreten in ihrem Lichte auszulegen sind, finden sich in den aktuellen Fassungen der UVP-RL, der IE-RL, der Öffentlichkeitsbeteiligungs-RL1130, der SUP-RL1131 sowie der Wasserrahmen-RL,1132 der Umgebungslärm-RL1133 und auch der AbfBw-RL1134.1135 Die Vorgaben der AK sind durch die Mitgliedstaaten der EU auch dort zu beachten, wo ihnen unionsrechtliche Bestimmungen Konkretisierungsspielräume einräumen1136 oder diese keine eigenen Begriffsdefinition enthalten1137 und insoweit den nationalen Gesetzgebern Umsetzungsspielräume zukommen.1138 In Deutschland wurden die Vorgaben der AarhusKonvention entsprechend ihrer Konkretisierungen im Richtlinienrecht der EU in verschiedenste Gesetze implementiert. Die Ausweitung von Beteiligungsrechten bilden hier rechtspolitisch einen deutlichen Gegentrend zur Beschleunigungsgesetzgebung der 1990er Jahre.1139 1130  Richtlinie 2003 / 35 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinie 85 / 337 / EWG und 96 / 61 / EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten, ABl. EU L 156 / 17 vom 25.6.2003. 1131  Richtlinie 2001 / 42 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme, ABl. EG Nr. L 197 / 30 vom 21.7.2001. 1132  Richtlinie 2000 / 60 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, ABl. EG L 327 / 1 vom 22.12.2000. 1133  Richtlinie 2002 / 49 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Juni 2002 über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm, ABl. EG L 189 / 12 vom 18.7.2002. 1134  Richtlinie 2008 / 98 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.  November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien, ABl. EU L 312 / 3 vom 22.11.2008. 1135  A. Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), 31 (33); R. Hendler / M. Wu, Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltrecht der Europäischen Union, DVBl 2014, 78 (79). 1136  Vgl. Art. 6 Abs. 1, 2, 4 SUP-RL sowie Art. 2 Abs. 1, 2, 3 UAbs. 1 ÖffB-RL. 1137  Vgl. Art. 2 WR-RL, der keine Definition des in Art. 14 WR-RL verwendeten Begriffs der Öffentlichkeit enthält. 1138  R. Hendler / M. Wu, Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltrecht der Europäischen Union, DVBl 2014, 78 (80). 1139  M. Zschiesche, Öffentlichkeitsbeteiligung in umweltrelevanten Zulassungsverfahren, 2015, S. 79. Eingehend zur Entwicklung der Öffentlichkeitsbeteiligung im deutschen Recht bis zum Einsetzen dieser gesetzgeberischen Gegenbewegung N. Wie-

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Im Bereich des unionseigenen Vollzugs hat die EU mit dem Erlass von Art. 9 AK-VO ihre Verpflichtungen aus Art. 7 AK umgesetzt.1140 Von einer Umsetzung von Art. 6 AK hat die Union, da sie nach eigener Ansicht selbst keine Handlungen in dessen Anwendungsbereich vornimmt, insoweit abgesehen.1141 Die in Art. 8 für die Vorbereitung exekutiver Rechtsvorschriften vorgesehene Öffentlichkeitsbeteiligung hat dagegen weder im europäischen Sekundärrecht noch im deutschen Recht eine Umsetzung erfahren.1142 Die EU selbst wendet seit 2002 „allgemeine Grundsätze und Mindeststandards für die Konsultation betroffener Parteien durch die Europäische Kommission“ an und führt danach eine Öffentlichkeitsbeteiligung im Einklang mit Art. 8 AK durch.1143 Trotz des erheblichen Einflusses der EU auf die konkrete Ausgestaltung der zweiten Säule der AK und das Bestehen einer längeren Erfahrung mit vergleichbaren Regelungen wird sich hinsichtlich einzelner Strukturelemente der durch die AK vorgesehenen Beteiligung zeigen, dass die sekundärrechtliche Umsetzung im Gemeinschaftsrecht keineswegs allen Anforderungen gerecht wird. Zuletzt ist schließlich fraglich geworden, ob die Gemeinschaft ihren Standpunkt bzgl. der Irrelevanz von Vorgaben des Art. 6 AK für den gemeinschaftseigenen Vollzug wird aufrechterhalten können.

singer, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 199 ff. sowie K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht – Europaund völkerrechtliche Bürgerfreundlichkeit versus nationale Verfahrensbeschleunigung – insbesondere zur Aarhus-Konvention, 2013. 1140  N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 86 f. 1141  N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 86; kritisch hierzu D. Obradovic, EU Rules on Public Participation in Environmental Decision-Making Operating at the European and National Level, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 149 (159 f.). 1142  M. Zschiesche, Öffentlichkeitsbeteiligung in umweltrelevanten Zulassungsverfahren, 2015, S. 100; kritisch auch F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 137 f. 1143  Vgl. hierzu M. Zschiesche, Öffentlichkeitsbeteiligung in umweltrelevanten Zulassungsverfahren, 2015, S. 100 f.; diese Umsetzung übersieht B. Peters, Die Auslegung von Art. 6-8 der Aarhus-Konvention durch das Aarhus Compliance Committee und die Auswirkungen im europäischen Recht, EurUP 2014, 185 (195); kritisch jedoch wegen des unverbindlichen Charakters der Umsetzung und dadurch bestehender Zweifel, inwieweit die Union das Konzept von einer transparenten Union selbst ernst nimmt N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 88.



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b) Die zu Berechtigenden Soll es sich bei den in der AK vorgesehenen Positionen um subjektive prozedurale Rechte handeln, so müssen zunächst die Berechtigten bzw. zu Berechtigenden ermittelt werden. Die AK kennt allerdings zwei verschiedene Konzepte der Öffentlichkeit, die sie mittels Definitionsbestimmungen zu hinreichend bestimmten Begriffen verdichtet und so als Anknüpfungspunkt für Rechtspositionen der Öffentlichkeitsbeteiligung ausgestaltet.1144 Da der Begriff der Öffentlichkeit bereits im Rahmen des Rechts auf Zugang zu Umweltinformationen erläutert wurde, kann hier auf diese Ausführungen verwiesen werden.1145 Hier ist lediglich aufzuzeigen, in welchem Zusammenhang auch die Vorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung auf das Konzept der (allgemeinen) „Öffentlichkeit“ abstellen [aa)]. Ausführlicher ist dagegen der Begriff der „betroffenen Öffentlichkeit“ zu bestimmen [bb)]. Art. 7 S. 3 AK sieht zudem vor, dass Behörden die zu beteiligende Öffentlichkeit bei der Vorbereitung umweltbezogener Pläne und Programme erst ermitteln [cc)]. aa) Die differenzierte Anwendung unterschiedlicher Öffentlichkeitskonzepte Die Vorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung sehen nicht einheitlich einen bestimmten Adressatenkreis vor, sondern verpflichten die Staaten teils zur Beteiligung der allgemeinen, teils zur enger gefassten betroffenen Öffentlichkeit. Dabei ist bei der Beteiligung nach Art. 6 AK, d. h. im Rahmen von tätigkeitsbezogenen Zulassungsverfahren, je nach den einzelnen Beteiligungsschritten zu unterscheiden. Während lediglich der beschränkte Kreis der betroffenen Öffentlichkeit i. S. v. Art. 2 Nr. 5 AK über das durchzuführende umweltbezogene Entscheidungsverfahren als solches zu informieren (Art. 6 Abs. 2 AK) und nur dieser eingeschränkte Kreis auch innerhalb des tätigkeitsbezogenen Entscheidungsverfahrens (Art. 6 Abs. 6 AK) zu beteiligen ist,1146 sehen Art. 6 Abs. 7–9 AK und damit Kernvorschriften der Öffentlichkeitsbeteiligung doch auch zahlreiche Verpflichtungen der Staaten gegenüber dem unbeschränkten Kreis der allgemeinen Öffentlichkeit nach Art. 2 Nr. 4 AK vor. Hieraus folgt die Ver1144  Zu dieser Funktion der Definition von Öffentlichkeit A. Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), 31 (36). 1145  Siehe hierzu oben Zweiter Teil, B. IV. 1. b). 1146  Insoweit kann die betroffene Öffentlichkeit kaum als „Hauptbegünstigter“ von Art. 6 AK gelten, so B. Peters, Die Auslegung von Art. 6-8 der Aarhus-Konvention durch das Aarhus Compliance Committee und die Auswirkungen im europäischen Umweltrecht, EurUP 2014, 185 (188).

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pflichtung der Vertragsstaaten, Stellungnahmen nicht nur der betroffenen, sondern der allgemeinen Öffentlichkeit entgegenzunehmen (Art. 6 Abs. 7) und diese auch bei der zu treffenden Zulassungsentscheidung angemessen zu berücksichtigen (Art. 6 Abs. 8).1147 Gem. Art. 6 Abs. 9 AK ist die allgemeine Öffentlichkeit auch Bezugspunkt für die behördliche Information über die in einem Verfahren getroffene konkrete Entscheidung. Auch Art. 7 und 8 AK sehen für Entscheidungsverfahren über die auf abstrakterer Ebene angesiedelten Instrumente der umweltbezogenen Pläne, Programme und Politiken bzw. der exekutiven Vorschriften oder allgemein anwendbaren rechtsverbindlichen normativen Instrumente ausschließlich die Anwendung des Konzepts der allgemeinen Öffentlichkeit gem. Art. 2 Nr. 4 AK vor. bb) Die betroffene Öffentlichkeit Der Begriff der „betroffenen Öffentlichkeit“, dessen Hauptanwendungsbereich neben den beteiligungsbezogenen Verpflichtungen der Staaten im Rahmen der Rechtsschutzeröffnung nach Art. 9 Abs. 2 AK liegt,1148 ist gegenüber dem der allgemeinen Öffentlichkeit enger gefasst und meint gem. Art. 2 Nr. 5 AK „die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran.“ Grundgedanke für die Abgrenzung ist hier das Vorliegen einer besonders verdichteten Beziehung zwischen der Verwaltung und den von Verwaltungsentscheidungen Betroffenen.1149 Es ähnelt dem im deutschen Recht bereits vor Inkrafttreten der AK angewandten Konzept der „Interessentenbeteiligung“,1150 ist jedoch weiter gefasst, indem es bei der Abgrenzung der einzubeziehenden Öffentlichkeit nicht nur auf die faktische Betroffenheit, sondern auch das normative Element eines (berechtigten) Interesses abstellt und dies für Umweltvereinigungen stets für gegeben erachtet. So bestimmt Art. 2 Nr. 5 Hs. 2 AK, dass „im Sinne dieser Begriffsbestimmung“ „nichtstaatliche Organisationen, die sich für den Umweltschutz ein1147  Zu diesen beiden Strukturelementen der Öffentlichkeitsbeteiligung siehe unten: Zweiter Teil, B. IV. 2. e) cc) und dd). 1148  Insoweit werden im Folgenden teilweise auch bereits Beispiele aus dem Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 AK zur näheren Bestimmung des Begriffes herangezogen. 1149  A. Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), 31 (38); hier wird auch der Ursprung der Öffentlichkeitsbeteiligung gesehen, vgl. G. Parola, Ecological Interest as a Leading Rationale, in: E. J. Lohse / M. Poto, Participatory Rights in the Environmental Decision-Making Process and the Implementation of the Aarhus Convention, 2015, 15 (17). 1150  A. Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), 31 (39).



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setzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, ein Interesse“ haben. Das Vorliegen eines Interesses wird für Umweltvereinigungen mithin fingiert.1151 Voraussetzung ist nur die Anerkennung der Umweltvereinigung nach nationalem Recht, nicht aber ein weiteres faktisches Element, das eine besondere Beziehung zu den durch die Vorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung erfassten konkreten Verfahren begründet. (1) Umweltvereinigungen als Teil  der betroffenen Öffentlichkeit Obwohl das bestimmende Zuordnungssubjekt für die Rechtspositionen der Aarhus-Konvention,1152 gibt der Vertrag doch nur in ganz rudimentärer Weise vor, dass es sich bei Umweltvereinigungen i. S. v. Art. 2 Nr. 5 AK um nichtstaatliche Organisationen handelt, die sich für den Umweltschutz einsetzen.1153 Im Übrigen aber wird auf die nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen verwiesen, den Vertragsparteien so augenscheinlich eine weitreichende Definitionsmacht eingeräumt. Dass diese nicht unbegrenzt sein kann, versteht sich – mittlerweile ist sie jedoch durch konkretisierende Auslegungen durch EuGH und ACCC recht weitgehend begrenzt worden. Einigkeit besteht darüber, dass Anforderungen an die Anerkennung einer Vereinigung nicht zu hoch1154 oder rein politisch motiviert1155 sein dürfen. Zudem müssen sie sich mit den Zielen der Aarhus-Konvention vereinbaren lassen1156 und dürfen nicht unnötige technische und finanzielle Hindernisse errichten.1157 Das ACCC verlangt insoweit, dass die Anforderungen klar de1151  Vgl. nur N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 53; K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 133. 1152  Vgl. zur Rolle von Umweltvereinigungen unter der Aarhus-Konvention auch ACCC / C / 2004 / 05 (Turkmenistan), Rn. 16. 1153  C. Walter, Internationalisierung des deutschen und europäischen Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts, EuR 2005, 302 (328). 1154  M. Wu, Öffentlichkeitsbeteiligung an umweltrechtlichen Fachplanungen, 2013, S. 99. 1155  UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 58. 1156  ACCC / C / 2008 / 31 (Germany), Rn. 71 unter Verweis auf ACCC / C / 2005 / 11 (Belgium), Rn. 27; ACCC / C / 2009 / 43 (Armenia), Rn. 81; N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 53. Da der Begriff der betroffenen Öffentlichkeit auch im Rahmen von Art. 9 Abs. 2 AK Anwendung findet und Art. 9 Abs. 2 AK auch auf Art. 6 AK verweist, ist hier auch das primär im Rahmen von Art. 9 AK relevante Ziel der Schaffung eines weiten Gerichtszugangs zu berücksichtigen. 1157  UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 58; F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 159.

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finiert werden, keine unzumtbare Belastung darstellen und nicht in einer Weise angewendet werden, die den Zugang solcher Organisationen zu Gerichten in signifikanter Weise verkürzen.1158 Hiermit hielt es der Überwachungsausschuss allerdings für vereinbar, dass die Fiktion des für einen Gerichtszugang erforderlichen Interesses durch eine nationale Regelung, konkret § 2 Abs. 1 Nr. 2 des deutschen UmwRG2006, davon abhängig gemacht wird, dass die Vereinigung geltend macht in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Föderung der Ziele des Umweltschutzes durch eine Zulassungsentscheidung bzw. deren Unterlassen berührt zu sein – es sei denn, sie kann eine Verletzung in eigenen Rechten schlüssig behaupten.1159 Die Bundesrepublik Deutschland hatte sich zur Rechtfertigung einer solchen Regelung darauf berufen, dass es sich hierbei um eine Anforderung handele, die eine möglichst hohe Kompetenz der Organisation sicherstellen solle, die in einem etwaigen gerichtlichen Verfahren das öffentliche Interesse vertrete.1160 Gleichzeitig solle damit auch ein Missbrauch der Klagemöglichkeit im Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 AK verhindert werden.1161 Das ACCC hielt diese Regelung für hinreichend klar, ihre Anforderungen für mit hinreichender Leichtigkeit nachweisbar,1162 sodass eine unzumutbare Belastung nicht vorliege.1163 Insoweit durfte also tatsächlich ein verbleibender Spielraum durch den deutschen Gesetzgeber genutzt werden. Auch in der Rechtsprechung des EuGH, entwickelt an der mit Art. 2 Nr. 5 AK identischen Regelung des Art. 1 Abs. 2 RL 85 / 337 / EWG (heute: Art. 1 Abs. 2 lit. e) RL 2011 / 92 / EU1164),1165 ist anerkannt, dass der Verweis auf die nationalen Kriterien nicht dazu führen darf, dass mithilfe nationaler Regelungen Gemeinschaftsvorschriften, respektive Vorschriften der Aarhus-Konvention, gegenstandslos gemacht werden. GA Sharpston hatte in ihren Schluss1158  ACCC / C / 2008 / 31

(Germany), Rn. 71. die Mitteilungsführer in ACCC / C / 2008 / 31 (Germany), Rn. 44. 1160  ACCC / C / 2008 / 31 (Germany), Rn.45 mit dem Verweis darauf, dass eine auf den Küstenschutz spezialisierte NGO kaum zur Vertretung öffentlicher Interessen im Verfahren betreffend eine inländische Abfallbeseitigungsanlage kompetent sei. 1161  ACCC / C / 2008 / 31 (Germany), Rn. 45. 1162  Der Ausschuss verweist außerdem auf die Möglichkeit von NGO’s ihre satzungsmäßigen Ziele von Zeit zu Zeit anzupassen. 1163  Dass sich eine solche aus der Anwendungspraxis der Gerichte ergebe, hatten die Beschwerdeführer nach Ansicht des Ausschusses zudem nicht dargetan, ACCC / C / 2008 / 31 (Germany), Rn. 72. 1164  Unberührt durch UVP-Änderungsrichtlinie 2014 / 52 / EU. 1165  Zur Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auf die Aarhus-Konvention ­UNECE, J. Ebbesson, Access to Justice at the National Level, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 245 (259). Auch die 2. Aufl. des Implementation Guides verweist auf die Entscheidung, vgl. J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 58. 1159  Hiergegen



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anträgen in der Rechtssache Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening auf die Wichtigkeit der Definition für die effektive Wahrnehmung der in der AK vorgesehenen Rechte hingewiesen und die Definition der betroffenen Öffentlichkeit anschaulich als Schlussstein des Gewölbes des durch die Aarhus-Konvention und die europäische Richtlinie errichteten Gebäudes bezeichnet.1166 Mit seiner Entscheidung erklärte der Gerichtshof eine Regelung des schwedischen Rechts für mit Art. 1 Abs. 2 UVP-RL a. F. unvereinbar, wonach lediglich Umweltvereinigungen mit mindestens 2000 Mitgliedern anerkannt, das notwendige Interesse fingiert und diese somit automatisch zur betroffenen Öffentlichkeit gezählt werden konnten. Dies hatte dazu geführt, dass landesweit überhaupt nur zwei Vereinigungen anerkannt worden waren. Schweden hatte sich zwar darauf berufen, dass es kleinen Umweltvereinigungen offen stehe, sich an große Vereinigungen zu wenden, um so insbesondere die Möglichkeit zu Rechtsschutz gegen umweltrelevante Vorhaben zu erhalten. Der Gerichtshof wies diese Möglichkeit jedoch als unzureichend zurück.1167 Als Beispiel für eine zulässige Beschränkung führte der Gerichtshof explizit die Anforderung an, dass die Vereinigung überhaupt ein naturund umweltschutzbezogenes Ziel hat.1168 Auch die Forderung einer Mindestzahl an Mitgliedern, um sicherzustellen, dass die Vereinigung wirklich existiert und tätig ist, erklärte der Gerichtshof nicht für generell unzulässig. Diese dürfe aber nicht derart hoch sein, dass das Ziel der Richtlinie vereitelt werde. In diesem Zusammenhang betonte das Gericht im Anschluss an die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston,1169 dass gerade nur regional tätige, kleine Organisationen nicht durch eine solche Regelung vom Zugang zu Gerichten ausgeschlossen werden dürften, da die Richtlinie – und dies gilt genauso auch für die AK – gerade auch Sachverhalte von nur lokaler Bedeutung betreffe.1170 Nicht möglich sei es zudem, zwar eine weitgehende Beteiligungsmöglichkeit im Vorhinein einer Verwaltungsentscheidung zu ermöglichen, dafür aber dann die gerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten stärker zu beschränken,1171 d. h. für die Rechtspositionen der verschiedenen Säulen 1166  GA E. Sharpston, Schlussanträge vom 02.07.2009 im Verfahren C-263 / 08, Rn. 71 f. Auf die hohe Bedeutung der Vorschrift weist auch hin F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 159. 1167  EuGH, Urteil vom 15.10.2009 – C-263 / 08 (Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening), Rn. 51. 1168  EuGH, Urteil vom 15.10.2009 – C-263 / 08 (Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening), Rn. 46. 1169  GA Sharpston, Schlussanträge vom 02.07.2009 im Verfahren C-263 / 08. 1170  EuGH, Urteil vom 15.10.2009 – C-263 / 08 (Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening), Rn. 50. 1171  EuGH, Urteil vom 15.10.2009 – C-263 / 08 (Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening), Rn. 48 f.; GA E. Sharpston hatte weitergehend noch strengere Anforderungen an solche Regelungen formuliert, die den neuralgischen Punkt der Tätigkeit

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letztlich zwei unterschiedliche Konzepte der betroffenen Öffentlichkeit zu nutzen. Die hier wiedergegebene Rechtsprechung schließt es damit ausdrücklich aus, lediglich überregional organisierte Umweltvereinigungen anzuerkennen, um etwa einen Missbrauch der durch die AK vorgesehenen Beteiligungsund Klagemöglichkeiten zu verhindern, wie er häufig gerade Zusammenschlüssen auf lokaler Ebene unterstellt wird, die sich nicht selten aus Anlass eines bestimmten Vorhabens zusammenfinden und jedenfalls nicht immer nur oder auch nur vorwiegend die Wahrung der Umweltgüter im Blick haben.1172 Etwaig vorhandenem Missbrauch muss deshalb mithilfe der hierfür allgemein vorgesehenen, praktisch allerdings kaum relevanten Instrumente abgeholfen werden. Damit verbleibt folglich zwar ein gewisser Spielraum der Vertragsstaaten bei der Anerkennung von Umweltvereinigungen, ein weitgehender Ausgestaltungsvorbehalt – wie auf den ersten Blick angenommen – existiert gleichwohl nicht. EuGH und ACCC haben so die hohe Bedeutung von Umweltvereinigungen für die Verwirklichung der Ziele der AK1173 rechtlich gesichert und verhindert, dass die ihnen zuerkannte Privilegierung durch Restriktionen bei ihrer Anerkennung durch die Vertrags- und Mitgliedstaaten unterminiert wird. (2) Sonstige Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit Nicht privilegierte Mitglieder der Öffentlichkeit müssen dagegen von Entscheidungsverfahren betroffen oder wahrscheinlich betroffen sein oder ein berechtigtes Interesse hieran besitzen, um zur betroffenen Öffentlichkeit i. S. v. Art. 2 Nr. 5 AK zu zählen. Die Vertragsparteien haben beide Möglichkeiten zu eröffnen.1174 Trotz dieser beschränkenden Kriterien geht das ACCC auch insoweit im Ausgangspunkt von einem weiten Begriffsverständnis von Umweltvereinigungen sowie das Bindeglied, das zwischen ihnen und der legitimen Verteidigung von Umweltschutzinteressen besteht, betreffen, vgl. Schlussanträge vom 02.07.2009 im Verfahren C-263 / 08, Rn. 73. Der EuGH hatte sich in seinem Urteil dieser Differenzierung bzgl. der Anforderungen, welche ausschließlich die Eintragung der Vereinigungen betreffen, aber nicht angeschlossen. 1172  Eine Beschränkung der Rechte lokal agierender Vereinigungen, die eher Bürgerinitiativen darstellen, war zuletzt vor allen Dingen auch im Zusammenhang mit der Errichtung von Windenergieanlagen von Projektiererseite mit Blick auf die Novellierung des UmwRG in Deutschland gefordert und auch unter Verweis auf den innerökologischen Konflikt zwischen Landschafts- und Klimaschutz begründet worden. 1173  Vgl. Absatz 13 der Präambel der AK. 1174  A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 201.



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aus.1175 Dabei versteht es den Begriff der Betroffenheit als faktisches Element, das sich objektiv bestimmen lassen soll.1176 Es soll in Abhängigkeit von der Natur und dem Ausmaß einer Aktivität gegeben sein, sodass bspw. eine Betroffenheit von weitaus mehr Menschen beim Betrieb eines Atomkraftwerkes als einer Färberei oder einer Schlachterei vorliege.1177 Für die Konkretisierung verbleibt den Staaten aber ein gewisser Umsetzungsspielraum.1178 Eine subjektive Bestimmung des Kreises der betroffenen Öffentlichkeit liegt dagegen dem Merkmal des „Interesses“ nach Art. 2 Nr. 5 Hs. 1 2. Alt. AK zugrunde, wobei insoweit streitig ist, ob das Interesse normativ begründet sein muss oder ob auch rein faktisch begründete Interessen, wie insbesondere ein Interesse am Umweltschutz, ausreichen.1179 Letzteres, was angesichts des unbeschränkten Wortlauts von Art. 2 Nr. 5 AK durchaus möglich erscheint, würde insbesondere solchen nationalen Regelungen entgegenstehen, die Einzelne nur insoweit einbeziehen wollen, als sie in eigenen (rechtlichen) Belangen berührt sind, wie dies im deutschen Recht üblich ist. Eine Berührung in rechtlichen Belangen und ein entsprechendes Interesse liegen danach zwar vor, wenn etwa eine Beeinträchtigung von Eigentumsund verwandten oder auch anderen sozialen Rechten möglich ist.1180 Dage1175  Vgl.

ACCC / C / 2010 / 50 (Czech Republic), Rn. 66. Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), 31 (41); eine eindeutige Abgrenzung zum Kriterium des Interesses hält das ACCC jedoch offensichtlich nicht für nötig. Dies spiegelt sich etwa in der Argumentation des ACCC bzgl. der Erfassung von Mietern als Teil der „betroffenen Öffentlichkeit“ wider. Hebt der Überwachungsausschuss hier zunächst auf die Rechtsposition von Mietern ab, stellt er schließlich heraus, dass trotz der stets über die Eigentümer vermittelten Rechtsposition auch bei kurzfristigen Mietern von einer tatsächlichen Betroffenheit von Mietern durch entsprechende Aktivitäten ausgegangen werden kann und Mieter deshalb zumindest unter diesem Gesichtspunkt als Teil der „betroffenen Öffentlichkeit“ i. S. v. Art. 2 Nr. 5 AK zu erfassen sind, ACCC / C / 2010 / 50 (Czech Republic), Rn. 67. 1177  ACCC / C / 2010 / 50 (Czech Republic), Rn. 66. 1178  B. Peters, Die Auslegung von Art. 6-8 der Aarhus-Konvention durch das Aarhus Compliance Committee und die Auswirkungen im europäischen Umweltrecht, EurUP 2014, 185 (189). 1179  Für eine Berücksichtigung auch rein faktischer Interessen N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 53; UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 57 f. 1180  ACCC / C / 2010 / 50 (Czech Republic), Rn. 66. Dabei dürfte das Mietrecht an sich nicht ein solches soziales Recht sein. So anscheinend B. Peters, Die Auslegung von Art. 6-8 der Aarhus-Konvention durch das Aarhus Compliance Committee und die Auswirkungen im europäischen Umweltrecht, EurUP 2014, 185 (189). Bei dem vom ACCC verwandten Begriff der „social rights“ dürften vielmehr Rechte im Sinne der einschlägigen Menschenrechtsinstrumente gemeint sein. Hierzu gehört zwar auch bspw. nach Art. 25 der universellen Menschenrechtsdeklaration das Recht auf eine 1176  A. Guckelberger,

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gen soll es aber für die Begründung eines Partizipationsrechts nicht aus­ reichen, wenn lediglich ein Interesse am Umweltschutz i. S. d. Allgemein­ interesses behauptet wird. Dessen Berücksichtigung dürfte es zwar nicht entgegenstehen, dass dieses Interesse nach überkommener deutscher und – entsprechend verbreiteter Ansicht – auch europäischer Sichtweise nicht individualisierbar ist, da die Aarhus-Konvention eine funktionale Betrachtung zugrunde legt und gerade nicht auf die materiell-personale Zuordnung eines Interesses abstellt.1181 Maßgeblich ist vielmehr, dass bei einer Anerkennung des bloßen Interesses am Umweltschutz als Allgemeininteresse letztlich eine Abgrenzung der betroffenen Öffentlichkeit zur allgemeinen Öffentlichkeit nicht mehr stattfände. Damit diese möglich bleibt, muss vielmehr für Einzelne ein objektivierbares Interesse gefordert werden, das sich aus konkreten Umständen ableiten lässt.1182 Dies ist bei Feststellung entsprechender Umstände, etwa die Teilnahme als Experte an öffentlichen Diskussionen oder anderweitigen Verfahren, auch bei rein faktischen Umweltschutzinteressen möglich, nicht aber stets gegeben.1183 Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs der Tatbestandsalternative des Interesses auf die Gleichstellung von Umweltvereinigungen erscheint vor diesem Hintergrund zumindest fraglich.1184

angemessene Unterkunft als Unterfall des Rechts auf einen angemessenen Lebensstandard. Dieses ist jedoch natürlich nicht mit der Position eines Mieters identisch. Daneben umfasst der Begriff der sozialen Rechte auch die Rechte auf einen angemessenen Lebensstandard oder das Recht auf Gesundheit. 1181  A. A. A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 200. 1182  R. Hendler / M. Wu, Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltrecht der Europäischen Union, DVBl 2014, 78 (80). 1183  Dies entspricht einem Verständnis von der „interessierten Öffentlichkeit“, wie es etwa dem Beteiligungsmodell des § 3 Abs. 6 BNatSchG zugrunde liegt, vgl. hierzu A. Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), 31 (42). 1184  So aber A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 200; zweifelnd A. Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), 31 (41 f.); J.-P. Schneider, in: W. Hoffmann-Riem / E. SchmidtAßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. II, 2. Aufl. 2012, § 28 Rn. 88; ausdrücklich für die Einbeziehung rein faktischer Interessen – allerdings ohne die hier vorgeschlagene Einschränkung N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 53; UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 57 f.



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cc) Ermittlung der Öffentlichkeit im Rahmen von Art. 7 S. 3 AK Zu klären ist schließlich der durch Art. 7 S. 3 AK festgelegte personale Anwendungsbereich der Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Vorbereitung umweltbezogener Pläne und Programme. Während Art. 7 Satz 1 die Informa­ tionspflicht noch auf die (Jedermanns-)Öffentlichkeit bezieht,1185 überlässt Satz 3 scheinbar den nationalen Behörden die Auswahl der (Teil-)Öffentlichkeit, die sich letztlich aktiv beteiligen kann. Hierbei sind die Behörden zwar keineswegs frei, sodass die Gefahr einer zu weitgehenden Beschränkung zumindest begrenzt wird.1186 Gem. Art. 7 Satz 3 AK haben die Behörden nämlich bei der Ermittlung der zu beteiligenden Öffentlichkeit die Ziele dieses Übereinkommens zu berücksichtigen, womit auch auf die in der Präambel der Konvention, insbesondere auf die in den Absätzen 14., 11., 13., 16., 17. sowie 21. enthaltenen Beweggründe für die Implementierung der Verpflichtung nach Art. 7 Satz 3 AK verwiesen wird.1187 Zwar wird vertreten, dass Art. 7 Satz 3 AK nicht auf eine Begrenzung des Kreises an Beteiligten abziele. Hätte diese Absicht bestanden, so die Argumentation, hätte es näher gelegen, das Konzept der betroffenen Öffentlichkeit in der Regelung zu verankern.1188 Dabei wird aber übersehen, dass dieses Konzept gem. Art. 2 Nr. 5 AK lediglich eine Beschränkung insbesondere gegenüber natürlichen Personen und Organisationen ohne besondere Nähe zum Umweltschutz vornimmt, für Nichtregierungsorganisationen im Bereich des Umweltschutzes aber gerade ein Interesse fingiert wird und sie deshalb zum Kreis der betroffenen Öffentlichkeit zu zählen sind. Während dieses Konzept mithin nicht geeignet ist, um auch den Kreis an Umweltorganisationen zu begrenzen, ist dies aufgrund der Regelung des Art. 7 Satz 3 AK durchaus möglich. Versuche, das Konzept lediglich i. S. e. Rationalisierung der Beteiligung zu deuten,1189 um diese effektiver zu machen und die Anwendung des Konzepts durch klare 1185  Entsprechende Regelungen sieht auch die EU in ihren sekundärrechtlichen Umsetzungsregelungen vor, vgl. insbesondere Art. 6 Abs. 1 SUP-RL sowie R. Hendler / M. Wu, Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltrecht der Europäischen Union, DVBl 2014, 78 (81) m. w. N. 1186  Unbedenklich ist es aber, wenn das einschlägige EU-Sekundärrecht es den Mitgliedstaaten ermöglicht, eine Begrenzung der Beteiligung auf die betroffene Öffentlichkeit vorzunehmen, vgl. Art. 2 Abs. 2, 3 ÖffBeteil-RL; Art. 6 Abs. 2, 4 SUPRL; R. Hendler / M. Wu, Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltrecht der Europäischen Union, DVBl 2014, 78 (81 f.). 1187  UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus Convention: An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 179 f. 1188  UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus Convention: An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 179. 1189  UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus Convention: An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 179.

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gesetzliche Regelungen und nationale Definitionen der beteiligten Kreise einzuhegen, können die hier bestehende Gefahr einer zu weitgehenden Beschränkung der Öffentlichkeit begrenzen, ändern aber an der den Vertragsstaaten eingeräumten Möglichkeit letztlich nichts. c) Die zu Verpflichtenden Verpflichtet werden durch Art. 6 AK einzig die Vertragsstaaten, nicht auch die Projektträger erfasster umweltrelevanter Aktivitäten.1190 Es steht den Mitgliedstaaten aber offen, Projektträger im Rahmen der nationalen Umsetzung der Verpflichtungen aus Art. 6 AK zu bestimmten Handlungen zu verpflichten. Dies findet nach Ansicht des ACCC seine Grenze erst dort, wo die Übertragung von Aufgaben der Öffentlichkeitsbeteiligung so weitgehend auf den Projektträger oder von diesem beauftragte Dritte erfolgt, dass der notwendige Grad an Unparteilichkeit für eine funktionierende Öffentlichkeitsbeteiligung nicht mehr erreicht wird.1191 Dies ergibt sich auch aus Art. 6 Abs. 2 lit. d) iv-v und Art. 6 Abs. 6 AK, wonach bestimmte Handlungen ausdrücklich von staatlichen Behörden vorzunehmen sind.1192 Möglich ist aber die Übertragung selbst auf Privatpersonen – wie dies nach Feststellung durch das ACCC vielfach in Vertragsstaaten der Konvention geschieht – soweit diese in die staatliche Organisation eingebunden werden und so deren Unabhängigkeit von den Interessen der Vorhabenträger garantiert werden kann.1193 Staaten können sich überdies von der Anwendung der Vorgaben nicht dadurch freizeichnen, dass sie die Entscheidungen über die Zulassung von Tätigkeiten im Anwendungsbereich von Art. 6 AK schlicht auf private Akteure verlagern. Eine solche Übertragung ist zwar nicht grundsätzlich – zumindest nicht nach der Aarhus-Konvention – ausgeschlossen, in diesem Fall wären die Vorgaben der Konvention jedoch ausnahmsweise auch auf die Entscheidungen privater Akteure anzuwenden.1194 1190  So aber B. Peters, Die Auslegung von Art. 6-8 der Aarhus-Konvention durch das Aarhus Compliance Committee und die Auswirkungen im europäischen Umweltrecht, EurUP 2014, 185 (189). Soweit Mitwirkungshandlungen der Projektträger nötig sind, etwa die Herausgabe von Informationen, hat die Verpflichtung vielmehr durch nationales Recht zu erfolgen, um einer etwaigen Geltung eines Gesetzesvorbehalts Rechnung zu tragen. 1191  ACCC / C / 2009 / 37 (Belarus), Rn. 80. 1192  So bereits ACCC / C / 2006 / 16 (Lithuania), Rn. 78. 1193  ACCC / C / 2009 / 37 (Belarus), Rn. 78 und 81; vgl. auch ACCC / C / 2006 / 16 (Lithuania), Rn. 78. 1194  Vgl. ACCC / C / 2009 / 37 (Belarus), Rn. 78 sowie J. Ebbesson, Public Participation and Privatisation in Environmental Matters, Erasmus Law Review 4 (2011), 71 (83).



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d) Abgrenzung der sachlichen Anwendungsbereiche Aufgrund der Unterschiedlichkeit der jeweiligen Vorschriften über die vorzusehende Öffentlichkeitsbeteiligung hinsichtlich ihres Verpflichtungsgrades sowie auch in inhaltlicher Hinsicht bzgl. einzelner Strukturelemente der Beteiligung sind die sachlichen Anwendungsbereiche der Art. 6-8 AK gegeneinander abzugrenzen. aa) Art. 6 – Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungen über bestimmte Tätigkeiten Während Art. 6 Abs. 1 lit. a) sowie lit. b) AK eine Öffentlichkeitsbeteiligung an Verfahren zur erstmaligen Zulassung umweltrelevanter Tätigkeiten nach Maßgabe von Art. 6 Abs. 2–9 AK zwingend verlangen, sieht Art. 6 Abs. 10 AK eine Ausweitung der grundsätzlichen Pflicht zur Durchführung einer Öffentlichkeitsbeteiligung auch für Verfahren vor, in denen Behörden eine Überprüfung oder Aktualisierung von Betriebsbedingungen bereits genehmigter Tätigkeiten durchführen. Welche Verfahrensmodalitäten dabei aber durch die Staaten geregelt werden, wird in ihr Ermessen gestellt.1195 Auch bei der Ausweitung des Anwendungsbereichs der Öffentlichkeitsbeteiligungsvorschriften auf die absichtliche Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen nach Art. 6 Abs. 11 AK wird den Vertragsparteien ein erheblicher Umsetzungsspielraum zugestanden.1196 Zwar wurde inzwischen entschieden, diesen Absatz aufzuheben und durch „Art. 6 bis“ im Wege der Vertragsänderung zu ersetzen.1197 Mangels der notwendigen Zahl an Ratifizierungen ist die Änderung jedoch bislang nicht in Kraft getreten.1198 (1) Art. 6 Abs. 1 lit. a) AK Gem. Art. 6 Abs. 1 lit. a) AK sind die Staaten verpflichtet, eine Öffentlichkeitsbeteiligung den Vorgaben der Konvention entsprechend in den Zulassungsverfahren für all jene Tätigkeiten vorzusehen, die in Anhang I der 1195  Vgl.

Art. 6 Abs. 10: „soweit dies angemessen ist“. wendet nach ihrem innerstaatlichen Recht im machbaren und angemessenen Umfang Bestimmungen dieses Artikels bei Entscheidungen darüber an, […]. 1197  Siehe Entscheidung II / 1, ECE / MP.PP / 2005 / 2 / Add.2 der Vertragsstaatenkonferenz vom 20.06.2005. Die Vorschriften sind als verbindlich gefasst und regeln in „Annex I bis“ ausführlich die festzulegenden Verfahrensmodalitäten. Neben Regelungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung enthalten sie auch Vorschriften über die Information der Öffentlichkeit. 1198  Informationen zum aktuellen Ratifikationsstand finden sich auf der Homepage der UNECE. 1196  „[…]

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Konvention aufgeführt sind. Die Konzeption von Annex I der Konvention steht ihrer Entstehungsgeschichte nach in enger Verbindung mit den Anhängen der Espoo-Konvention sowie den ursprünglichen UVP- und IVU-Richtlinien.1199 Zentrales Kriterium für die Aufnahme der hier erfassten Vorhaben war jeweils die (wahrscheinliche) Umwelterheblichkeit der jeweiligen Tätigkeit.1200 Gemäß Abs. 20 des Anhangs I gelten die Vorgaben der Konvention aber weiterhin auch bei denjenigen Tätigkeiten, die zwar nicht durch die vorangehende enumerative Aufzählung erfasst sind, aber für die nach innerstaatlichen Vorschriften eine Umweltverträglichkeitsprüfung einschließlich Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen ist.1201 Gem. Abs. 22 Annex 1 AK finden die Vorschriften zur Öffentlichkeitsbeteiligung schließlich auch auf Änderungen und Erweiterungen von Vorhaben Anwendung. Dabei kommt es auf das Erreichen bestimmter Schwellenwerte nur dann an, wenn diese auch bei der erstmaligen Genehmigung eines Vorhabens für die Anwendbarkeit der AK gem. deren Anhang 1 verlangt werden. Wo dies, wie beispielsweise bei Kernkraftwerken, nicht der Fall ist, löst entsprechend jede Änderung oder Erweiterung grundsätzlich die Verpflichtungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung der AK aus.1202 Zwar muss es sich bei Entscheidungen nach Art. 6 Abs. 1 lit. a) AK grundsätzlich um Entscheidungen einer Behörde i. S. v. Art. 2 Nr. 2 AK handeln – Legislativakte werden also eigentlich nicht erfasst – hiervon ist jedoch sowohl nach Einschätzung des ACCC als auch nach der Rechtsprechung des EuGH – allerdings mit je unterschiedlicher Begründung – eine Ausnahme zu 1199  J. Jendrośka, Public Participation in Environmental Decision-Making, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 92 (95). 1200  Vgl. etwa Art. 2 Nr. 2 Espoo-Convention; Art. 1 Abs. 1 UVP-RL n. F.; Art. 1 IVU-RL, heute: Art. 1 Abs. 1 IE-RL. 1201  Es muss mithin insoweit eine nationale Vorschrift vorliegen, die eine UVP anordnet, in deren Rahmen eine Öffentlichkeitsbeteiligung stattfindet. Die bloße Anordnung einer Öffentlichkeitsbeteiligung genügt danach nicht für die Erstreckung des Anwendungsbereiches der AK gem. Abs. 20 Annex I AK. Anders B. Peters, Die Auslegung von Art. 6-8 der Aarhus-Konvention durch das Aarhus Compliance Committee und die Auswirkungen im europäischen Umweltrecht, EurUP 2014, 185 (188), die auch die bloße Anordnung einer Öffentlichkeitsbeteiligung unter Verweis auf ACCC / C / 2008 / 35 (Georgia), Rn. 43 ausreichen lassen will. Das ACCC verlangt aber im Einklang mit dem Vertragstext das kumulative Vorliegen einer nationalen Anordnung sowohl einer UVP als auch eine in deren Rahmen vorgesehene Öffentlichkeitsbeteiligung. Danach ist es auch im nationalen Recht möglich eine UVP ohne eine solche Beteiligung zu regeln, ohne dass dem die AK entgegenstünde. 1202  ACCC / C / 2009 / 41 (Slovakia), Rn. 58. Danach finden die Vorschriften aber nur entsprechende Anwendung, wie es Art. 6 Abs. 10 ausdrücklich für Überprüfungen und Aktualisierungen der Betriebsbedingungen erfasster Tätigkeiten anordnet, da auch bei Veränderungen und Erweiterungen bereits erteilte Genehmigungen die Grundlage des Verfahrens bilden.



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machen. So hat der EuGH in den Rechtssachen Boxus und Solvay entschieden, dass durch Legislativakte genehmigte Projekte nur dann dazu führen, dass sie nicht mehr in den Anwendungsbereich des dort noch einschlägigen Art. 1 Abs. 5 UVP-RL a. F.1203 fallen und mithin keine UVP durchzuführen ist, wenn in dem Gesetzgebungsverfahren die Ziele der Richtlinie erfüllt wurden.1204 Daraus folgert der Gerichtshof nicht nur, dass der Gesetzgebungsakt das Projekt bereits hinreichend genau und abschließend genehmigen und dem Projektträger das Recht zur Durchführung des Projekts geben muss,1205 da ansonsten in den weiteren notwendigen Verfahrensschritten eine UVP stattfinden muss, sondern auch, dass der Gesetzgeber im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens auf hinreichender Informationsgrundlage eine Prüfung der Umweltauswirkungen vorgenommen hat. Eine bloße „Ratifikation“ eines vorangehenden Verwaltungsaktes durch Gesetz genügt also gerade nicht, um die Anwendung der UVP-RL auszuschließen.1206 Während sich der Gerichtshof in der Rechtssache Boxus für seine Begründung noch ausschließlich auf die UVP-RL und dessen Art. 1 Abs. 5 bezog, stützte er sich in der Solvay-Entscheidung zugleich auch ausdrücklich auf Art. 2 Nr. 2 AK und legte diesen entsprechend aus. Dies dürfte auch dem ACCC eine entsprechende Auslegung erleichtert haben,1207 gleichwohl ist sie weniger überzeugend. Auf das Anliegen des EuGH zu verhindern, dass durch ein bloß formales „Einspringen“ des Gesetzgebers eine Prüfung der Umweltrelevanz des konkreten Projektes unterbleibt, kann sich das ACCC nämlich nicht berufen. Die Aarhus-Konvention selbst verpflichtet nicht zur Durchführung einer UVP, sondern lediglich zu einer Öffentlichkeitsbeteiligung.1208 Die Ausklammerung des Gesetzgebers vom Behördenbegriff des Art. 2 Nr. 2 AK basiert aber gerade auf dem Gedanken, dass in einem Gesetzgebungsverfahren die Beteiligung der Öffentlichkeit und ihre Information etwa mit dem Mittel der parlamentarischen Öffentlichkeit sichergestellt wird und es der Vorgaben des Art. 6 AK insoweit nicht bedarf. Wenn das ACCC gleichwohl die Auslegung 1203  Entsprach bislang Art. 1 Abs. 4 RL 2011 / 92 / EU, nun gestrichen durch Art. 1 Nr. 1 lit. c) UVP-Änderungsrichtlinie 2014 / 52 / EU. 1204  EuGH, Urteil vom 18.10.2011  – C-128 / 09 u. a. (Boxus u. a.), Rn. 37; EuGH, Urteil vom 16.02.2012 – C-182 / 10 (Solvay), Rn. 31. 1205  EuGH, Urteil vom 18.10.2011  – C-128 / 09 u. a. (Boxus u. a.), Rn. 39; EuGH, Urteil vom 16.02.2012 – C-182 / 10 (Solvay), Rn. 33. 1206  EuGH, Urteil vom 18.10.2011  – C-128 / 09 u. a. (Boxus u. a.), Rn. 45; EuGH, Urteil vom 16.02.2012 – C-182 / 10 (Solvay), Rn. 35 ff. 1207  ACCC / C / 2011 / 61 (UK), Rn. 56 unter Verweis auf die hier dargestellte Rechtsprechung des EuGH. 1208  Dies gilt, auch wenn die durch eine UVP geschaffene Datengrundlage die effektive Öffentlichkeitsbeteiligung selbstverständlich erleichtert, J. Jendrośka, Public Participation in Environmental Decision-Making, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 92 (101).

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des EuGH unter Verweis darauf übernimmt, dass auch die Genehmigung einer Tätigkeit mittels Legislativakt wegen dessen funktionaler Vergleichbarkeit mit den unter Art. 6 AK erfassten Handlungen einzubeziehen ist, verkennt es den Telos von Art. 2 Nr. 2 AK. (2) Art. 6 Abs. 1 lit. b) AK Darüber hinaus bestimmt Art. 6 Abs. 1 lit. b) AK, dass Art. 6 AK in Übereinstimmung mit dem innerstaatlichen Recht auch bei Entscheidungen über nicht in Anhang I aufgeführte geplante Tätigkeiten Anwendung finden muss, die eine „erhebliche Auswirkung auf die Umwelt haben können“. Auch hier werden nur Entscheidungen mit Genehmigungscharakter für Tätigkeiten erfasst, die potentiell unmittelbare Auswirkungen auf die Umwelt haben.1209 Hierzu, so lit. b) S. 2 in der deutschen Übersetzung des Vertragstextes, bestimmen allerdings die Vertragsparteien, ob dieser Artikel Anwendung auf eine derartige geplante Tätigkeit findet oder nicht. Damit scheint ein Spielraum der Vertragsparteien eröffnet, den diese durch Festlegungen darüber in ihrem jeweiligen Recht auszufüllen haben, welche der nicht in Annex I der Konvention erfassten Vorhaben erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit. b) S. 1 AK haben können. Dieses Verständnis zu grunde gelegt ist es ohne Weiteres konventionskonform, dass etwa die heutige Fassung der UVP-RL, die auch der Umsetzung von Art. 6 AK dient, in ihrem Anhang II eine abgeschlossene Liste an Vorhaben vorsieht, bei denen die Mitgliedstaaten der EU durch Einzelfallprüfung (Art. 4 Abs. 2 lit. a) UVP-RL) oder durch die Festlegung von Schwellenwerten bzw. Kriterien (Art. 4 Abs. 2 lit. b) UVP-RL) zu bestimmen haben, ob eine UVP-Pflicht vorliegt.1210 Trotz des grundsätzlich verbindlichen Charakters von Art. 6 Abs. 1 lit. b)1211 würde es die Konvention so letztlich zulassen, dass bei bestimmten Tätigkeiten eine Öffentlichkeitsbeteiligung nicht deshalb nicht stattfindet, weil diese nicht im Einzelfall umwelterheblich sein könnten, sondern weil die mögliche Umwelterheblichkeit gar nicht 1209  Dies gilt entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers in ACCC / C /  2008 / 32 (EU) (Part I), Rn. 45, da Art. 6 Abs. 1 lit. b) AK eine Auffangbestimmung nur insoweit darstellt, als sie Genehmigungsentscheidungen auch dann erfassen soll, wenn die zu genehmigende Tätigkeit jedenfalls im Einzelfall umweltrelevante Auswirkungen besitzen kann. Sie soll aber nicht gänzlich andere Verfahren erfassen. Hinsichtlich des Erfordernisses der Unmittelbarkeit vgl. ACCC / C / 2007 / 21 (EU), Rn. 36. 1210  Hieran hat auch Änderungsrichtlinie 2014 / 52 / EU nichts gerändert. 1211  Vgl. Art. 6 Abs. 1 lit. b): „wendet … an“ bzw. im englischen authentischen Vertragswortlaut: „shall … apply“, J. Jendrośka, Public Participation in Environmental Decision-Making, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 92 (95).



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geprüft wird.1212 Die Anwendung der Beteiligungsvorschriften des Art. 6 AK würde in diesen Fällen von vorne herein ausscheiden, die Umsetzungsfreiheit wäre insoweit auch nicht lediglich auf die Einschätzung der Erheblichkeit der Auswirkungen bestimmter Tätigkeiten, sondern auf das „Ob“ der Betrachtung bestimmter Tätigkeiten gerichtet. Wie bereits oben unter dem Aspekt der Anerkennung der implementationsunabhängigen Wirkung dieser Vorschrift berichet, hat gegen dieses soweit ersichtlich bislang nie in Zweifel gezogene Verständnis1213 kürzlich GA Kokott eingewandt,1214 dass der authentische französische Wortlaut der AarhusKonvention gem. Art. 6 Abs. 1 lit. b) S. 2 eine Entscheidung der Vertragsstaaten über die Erheblichkeit von Umweltauswirkungen, mithin über die Durchführung einer Öffentlichkeitsbeteiligung gem. Art. 6 Abs. 1 lit. b) AK, in jedem Einzelfall verlange.1215 Auch der englische und russische Wortlaut der Konvention gingen zumindest in diese Richtung.1216 Ein Spielraum dafür, ob die Vertragsstaaten diese Prüfung überhaupt durchführten, und nicht lediglich hinsichtlich der Bestimmung der jeweiligen Erheblichkeitsschwelle, bestünde deshalb nicht.1217 Insbesondere sei diese Pflicht nicht abhängig da1212  So wohl auch ACCC / C / 2008 / 27 (UK), Rn. 40 f.  – GA J. Kokott, auf deren Schlussanträge sogleich zu kommen ist, verwies zwar in Rn. 66, Fn. 29 ihrer Schluss­ anträge in der Rs. C-243 / 15 auf Rn. 44 f. der Feststellungen und Empfehlungen des ACCC, dies dürfte aber ein redaktioneller Fehler sein. 1213  Dass die Implementierung von Art. 6 Abs. 1 lit. b) AK durch die Anknüpfung der Öffb-RL an die abschließend aufgeführten UVP-pflichtigen Vorhaben hinter den Anforderungen der AK zurückbleiben könnte, wurde bislang in einschlägigen Darstellungen – soweit ersichtlich – nicht erörtert, vgl. etwa K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 136, 249; M. Zschiesche, Öffentlichkeitsbeteiligung in umweltrelevanten Zulassungsverfahren, 2015, S. 95; J. Jendrośka, Public Participation in Environmental Decision-Making, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 92 (95) oder es wird insoweit davon ausgegangen, dass die Vertragsstaaten darin frei seien zu entscheiden, welche Aktivitäten hierunter fielen und entsprechende Rechtsvorschriften zu erlassen haben, so T. Bunge, in: S. Schlacke /  C. Schrader / T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht  – Aarhus-Handbuch, 2010, Einleitung, Rn. 22; N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 53; M. Scheyli, Aarhus-Konvention über Informationszugang, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz in Umweltbelangen, AVR 38 (2000), 217 (235). Kritisch nun aber A. Epiney / S. Dilzig / B. Pirker / S. Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Art. 6, 6bis Rn. 16. 1214  Schlussanträge GA J. Kokott vom 30.06.2016 zu EuGH, C-243 / 15 (Slowakischer Braunbär II). 1215  Art. 6 Abs. 1 lit. b): „(…) „dans chaque cas (…)“. 1216  Schlussanträge GA Kokott vom 30.06.2016 zu EuGH, C-243 / 15, Rn. 68. Der englische Wortlaut lautet: „To this end, Parties shall determine, whether such a proposed activity is subject to these provisions.“ 1217  Schlussanträge GA Kokott vom 30.06.2016 zu EuGH, C-243 / 15, Rn. 69. Das ACCC scheint dagegen von einer Pflicht zur Durchführung einer Prüfung der Um-

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von, dass eine solche Einzelfallprüfung für die jeweilige Tätigkeit bereits im nationalen Recht vorgesehen sei.1218 Zwar sehe Art. 6 Abs. 1 lit. b) S. 1 AK eine Anwendung der Vorschrift „in Übereinstimmung mit ihrem [der Vertragsparteien] innerstaatlichen Recht“ vor. Dies könne aber nicht auf die Einzelfallprüfung bezogen sein, da ansonsten S. 2 der Vorschrift überflüssig wäre.1219 Soweit die Prüfung einer Tätigkeit auf ihre mögliche Umwelterheblichkeit nicht vorgesehen sei, könne insoweit unmittelbar Art. 6 Abs. 1 lit. b) Abs. 2 AK angewandt werden, da die Vorschrift hinreichend bestimmt und unbedingt ist und bereits durch seine Einbeziehung ins Unionsrecht auch Teil des Rechts der Mitgliedstaaten geworden sei.1220 Voraussetzung sei insoweit nur, dass im jeweiligen Recht überhaupt ein Genehmigungsverfahren vorgesehen ist, innerhalb dessen eine Einzelfallprüfung stattfinden könne. Hier finde die implementationsunabhängige Wirkung der Verpflichtung des Art. 6 Abs. 1 lit. b) S. 2 AK seine Grenze. Insoweit komme auch dem Verweis auf das nationale Recht in S. 1 Bedeutung zu.1221 Im Ergebnis hat die Ansicht der Generalanwältin, der sich der EuGH angeschlossen hat,1222 erhebliche Auswirkungen. Sie öffnet die bislang als abschließend verstandene Aufzählung von potentiell umwelterheblichen ­Tätigkeiten nach Anhang II UVP-RL und erfordert von den Behörden auch bei hier nicht erfassten Tätigkeiten für die Zukunft eine Einzelfallprüfung, soweit nur überhaupt ein Genehmigungsverfahren nach nationalem Recht durchgeführt wird. Soweit hier eine Umwelterheblichkeit festgestellt würde, wäre – da GA Kokott von der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 6 AK ausgeht1223 – eine Öffentlichkeitsbeteiligung selbst dann durchzuführen, wenn eine solche Verfahrensvorschrift im Sekundärrecht der Union für die Zulassung der konkreten Tätigkeit gar nicht (verbindlich) vorgesehen

welterheblichkeit in jedem Einzelfall nicht auszugehen. Wenn Vertragsstaaten eine solche Prüfung aber vorsehen, so müsse diese auch im Rahmen von Art. 9 Abs. 2 AK anfechtbar sein, ACCC / C / 2010 / 50 (Czech Republic), Rn. 82. 1218  Schlussanträge GA Kokott vom 30.06.2016 zu EuGH, C-243 / 15, Rn. 70. 1219  Siehe mit leicht abweichender Argumentation nun auch EuGH, Urteil vom 08.11.2016 – C-243 / 15 (Slowakischer Braunbär II), Rn. 48. 1220  Schlussanträge GA Kokott vom 30.06.2016 zu EuGH, C-243 / 15, Rn. 71. 1221  Schlussanträge GA Kokott vom 30.06.2016 zu EuGH, C-243 / 15, Rn. 72. 1222  EuGH, Urteil vom 08.11.2016 – C-243 / 15 (Slowakischer Braunbär II), insbesondere Rn. 45 ff. Zur Einordnung dieser Entscheidung nun auch A. Epiney, Rechte Einzelner im EU-Umweltrecht, EurUP 2017, 223 (225) sowie M. v. Wolferen, Case C-243 / 15 Lesoochranárske zoskupenie VLK v Obvodný úrad Trenčín, JEEPL 14 (2017), 136 ff. Die Entscheidung wurde inzwischen bestätigt durch EuGH, Urteil vom 20.12.2017 – C-664 / 15 (Protect Natur-, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation / Bezirkshauptmannschaft Gmünd), Rn. 35 ff. 1223  Schlussanträge GA Kokott vom 30.06.2016 zu EuGH, C-243 / 15, Rn. 77.



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ist.1224 Wenn auch das vorgebrachte Wortlautargument nicht zwingend erscheint, da etwa der englische Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 lit. b) AK – anders als von Kokott insinuiert – nicht für ihre These spricht, ihr gleichwohl aber auch nicht entgegensteht; in teleologischer Hinsicht überzeugt die Argumentation durchaus, da die vorgenommene Auslegung das Ziel von Art. 6 Abs. 1 lit. b) AK fördert, eine Öffentlichkeitsbeteiligung bei allen umwelterheblichen Tätigkeiten vorzusehen. Da der den Vertragsstaaten auch hiernach verbleibende Spielraum bei der Frage, ob im Einzelfall denn erheb­ liche Umweltauswirkungen gegeben sind, im Anwendungsbereich europäischen Umweltrechts unter Beachtung dort vorhandener Wertungen ausgeübt werden muss, verkleinert sich der Einschätzungsspielraum zusätzlich.1225 Darüber hinaus gilt es zu beachten, dass diese Entscheidung möglicherweise nicht nur Auswirkungen auf den mitgliedstaatlichen Vollzug hat. Obwohl nicht Gegenstand der konkreten Entscheidung, könnte diese vielmehr auch dazu führen, dass auch im Eigenvollzug der Union vorgenommene Entscheidungen künftig in den Anwendungsbereich von Art. 6 AK fallen und deshalb auch die Union – anders als bislang nach h. M. angenommen1226 – Öffentlichkeitsbeteiligungen nach Art. 6 AK durchführen muss.1227 Die Union könnte insoweit jedenfalls nicht mehr auf ihren Umsetzungsspielraum im Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 lit. b) AK verweisen, sondern müsste vielmehr bei jeder Entscheidung über eine Tätigkeit mit – ermessensgerecht eingeschätzter – Umwelterheblichkeit Art. 6 AK wegen dessen unmittelbarer Anwendbarkeit unabhängig davon anwenden, dass es für den unionalen Vollzug an einer Umsetzungsvorschrift fehlt. Voraussetzung bleibt allerdings, dass es sich bei Entscheidungen im unionalen Vollzug um „Entscheidungen über (…) geplante Tätigkeiten“ i. S. v. Art. 6 Abs. 1 lit. b) AK handelt.1228 1224  Wie gesehen begründete die Generalanwältin und ihr folgend der EuGH im konkreten Fall so die Pflicht einer slowakischen Behörde zur Durchführung einer Öffentlichkeitsbeteiligung vor der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL, obwohl diese in Absatz 3 eine solche gerade nicht zwingend vorsieht. Im deutschen Recht hätte sich eine solche Pflicht freilich bereits aus § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG ergeben. 1225  Im konkreten Fall war der Spielraum der Slowakei wegen der Möglichkeit nachteiliger Auswirkungen auf Erhaltungsziele eines europäischen Schutzgebietes nach Ansicht der GA gar auf Null reduziert. 1226  Siehe hierzu die Nachweise in Fn. 596. 1227  Daneben könnten sich hieraus auch erhebliche Weiterungen für den im Bereich des Eigenvollzugs zu gewährleistenden Rechtsschutz nach Art. 9 Abs. 2 AK ergeben. Hierzu siehe unter Zweiter Teil, B. IV. 3. b). 1228  Dies dürfte allerdings vor allen Dingen für solche Entscheidungen anzunehmen sein, die ohne weiteren Umsetzungsakt im nationalen Recht unmittelbar eine bestimmte umwelterhebliche Tätigkeit gestatten. Dies müsste im Einzelnen etwa für

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bb) Umweltbezogene Pläne und Programme, Art. 7 AK Neben den auf Verfahren der Zulassung umweltrelevanter Tätigkeiten bezogenen Vorgaben nach Art. 6 AK enthält Art. 7 AK Verpflichtungen der Staaten zur Durchführung auch von Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Vorbereitung umweltbezogener Pläne und Programme (S. 1–3) und schließlich auch für umweltbezogene Politiken (S. 4). Eine genaue Abgrenzung der Begriffe ist zum einen dadurch erschwert, dass die Konvention insoweit keine Begriffsbestimmungen enthält. Das ACCC geht im Zweifel zudem häufig pragmatisch vor und lässt eine genaue Einordung bestimmter Entscheidungen vielfach dahinstehen, soweit über den Verweis in Art. 7 AK auf die Vorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 und 8 AK ohnehin dieselben Anforderungen Anwendung finden.1229 Eine Klärung der Begrifflichkeiten erfolgt hierdurch häufig nicht. Auch der EuGH hat bislang wenig zur Klärung beigetragen.1230 Gewisse Eckpunkte für die Vornahme der Abgrenzung haben sich dennoch ergeben. So kann die Abgrenzung jedenfalls nicht anhand der jeweiligen Bezeichnung von Rechtsakten aufgrund nationalen Rechts vorgenommen werden. Vielmehr sind die Begriffe autonom zu bestimmen.1231 Ebenfalls hat das ACCC herausgestellt, dass hinter den verwendeten Begriffen sich teilweise überschneidende Konzepte verbergen, diese mithin gar nicht klar gegeneinander abgegrenzt werden können. Erforderlich ist es deshalb, das konkrete Rechtsinstitut der jeweiligen Rechtsordnung zu analysieren und im Wege der Gesamtbetrachtung anhand der vorgefundenen Charakteristika, d. h. insbesondere der Funktion und Rechtswirkungen, zu entscheiden, welchem Konzept der AK das jeweilige Institut zuzuordnen ist.1232 die auf Unionsebene getroffenen Entscheidungen über die Zulassung von Chemikalien und Wirkstoffen von Pflanzenschutzmitteln oder etwa die Festlegung von Fangquoten für die Fischerei bestimmt werden. Zur bislang allenfalls ausnahmsweisen Erfassung solcher Entscheidungen als Pläne und Programme i. S. v. Art. 7 S. 1 AK siehe J. Ebbesson, Public Participation and Privatisation in Environmental Matters, Erasmus Law Review 4 (2011), 71 (76). 1229  Siehe etwa ACCC / C / 2005 / 12 (Albania), Rn. 70 sowie hierzu J. Jendrośka, Public Participation in Environmental Decision-Making, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 92 (118). Zu Konstellationen, in denen aber durchaus erhebliche Unterschiede bestehen, T. Schomerus, Der Ausbau erneuerbarer Energien im Lichte der Aarhus-Konvention, EurUP 2014, 196 (201). 1230  Siehe zur jüngsten Rechtsprechung des EuGH N. Wegner, Keine SUP-Pflicht für Windenergieerlasse, NuR 2017, 605 ff. 1231  ACCC / C / 2005 / 11 (Belgium), Rn. 29. 1232  Vgl. ACCC / C / 2004 / 8 (Armenia), Rn. 28; ACCC / C / 2010 / 53 (UK), Rn. 82; siehe weiterführend A. Epiney / S. Dilzig / B. Pirker / S. Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Art. 6, 6bis Rn. 4.



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Während es sich danach bei individuellen Behördenentscheidungen zur Zulassung konkreter Tätigkeiten an einem bestimmten Ort auf Antrag eines bestimmten Vorhabenträgers um Entscheidungen nach Art. 6 AK handelt,1233 setzen Entscheidungen nach Art. 7 AK typischerweise zwar einen verbind­ lichen Rahmen für konkrete Aktivitäten, gestatten diese aber selbst noch nicht und behalten insoweit wesentliche Regelungen weiteren Entscheidungen vor.1234 Hierunter fallen typischerweise verschiedenste Arten von Raumplänen, Wasserbewirtschaftungs- oder Abfallpläne, aber auch Agrar- und Forst-, Fischerei-, Energie- oder sonstige Pläne.1235 Eine Abgrenzung von „Plänen“ zu „Programmen“ erübrigt sich insoweit, da an beide Konzepte dieselben Rechtsfolgen anknüpfen. Anders ist dies jedoch beim Konzept der umweltbezogenen Politiken, da hier die Vertragsparteien gem. Art. 7 AK lediglich ein Bemühen in angemessenem Umfang um Möglichkeiten zur ­ ­Beteiligung der Öffentlichkeit schulden. Als ein Abgrenzungskritierium wird insoweit die Konkretheit der vorgenommenen Festlegungen, die bei Plänen und Programmen höher sein soll als bei umweltbezogenen Politiken, vorgeschlagen.1236 Zwar müssen auch Pläne danach keine unmittelbare Außenwirkung aufweisen. Sie müssen jedoch bereits Festlegungen enthalten, die für konkrete umweltrelevante Tätigkeiten einen verbindlichen Rahmen abstecken.1237 Fehlt dies, so kann es sich allenfalls um eine umweltrelevante Po-

1233  Wie gesehen, sind aber auch ausnahmsweise Legislativakte umfasst, vgl. oben: Zweiter Teil, B. IV. 2. d) aa) (1). 1234  ACCC / C / 2006 / 16 (Lithuania), Rn. 58. Vgl. auch die Unterscheidungskriterien bei J. Jendrośka, Public Participation in Environmental Decision-Making, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 92 (117 f.). Insoweit fallen planfeststellungsersetzende und vorhabenbezogene Bebauungspläne nicht in den Anwendungsbereich des Art. 7 AK, sondern, wegen ihrer auf die Zulassung konkreter Vorhaben gerichteten Funktion, potentiell in den Anwendungsbereich von Art. 6 AK, K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 146. 1235  Vgl. J. H. Jans / H. H. B. Vedder, European Environmental Law, 4. Aufl. 2012, S. 355 m. w. N. und einer Einordnung hinsichtlich der Vorschriften der SUP-RL 42 / 2001 / EG. 1236  Anders ist dies im Rahmen des europäischen Sekundärrechts nach RL 42 / 2001 / EG, der sog. SUP-RL, da diese den Begriff der umweltbezogenen Politiken nicht kennt. Auch dort ist eine Bestimmung der Begriffe der Pläne und Programme aber mit großen Schwierigkeiten verbunden. Die tautologische Definition des Art. 2 lit. a) SUP-RL hilft insoweit kaum weiter. Erklärt wird dieser Mangel an Präzision damit, dass der Unionsgesetzgeber bei der Ausgestaltung der RL selbst die möglichen Anwendungsfälle nicht absehen konnte und auch der EuGH deshalb vor einer konkretisierenden Eingrenzung bislang zurückgeschreckt ist, vgl. Schlussanträge GA Kokott vom 14.07.2016 – C-290 / 15, Rn. 30 sowie N. Wegner, Keine SUP-Pflicht für Windenergieerlasse, NuR 2017, 605 (607). 1237  Siehe ACCC / C / 2011 / 58 (Bulgaria), Rn. 62, 64.

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litik i. S. v. Art. 7 S. 4 AK handeln.1238 Im Verhältnis zu Art. 8 AK sind Pläne und Programme dadurch abzugrenzen, dass diese konkreten Projekten unmittelbar vorgelagert sein müssen, mithin auf eine Rahmensetzung für diese ausgerichtet sind.1239 cc) Exekutive Vorschriften und / oder allgemein anwendbare rechtsverbindliche normative Instrumente, Art. 8 AK Art. 8 AK empfiehlt schließlich eine Öffentlichkeitsbeteiligung auch während der Vorbereitung exekutiver Vorschriften und / oder allgemein anwendbarer rechtsverbindlicher normativer Instrumente, die erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben können.1240 Solcherlei Vorschriften sollen sich nach den Feststellungen des ACCC insbesondere dadurch auszeichnen, dass sie selbst rechtliche Verpflichtungen unmittelbar begründen, also nicht lediglich weitere Verwaltungsentscheidungen determinieren.1241 Es handelt sich hierbei nicht um legislative Vorschriften, sondern exekutives Recht, mithin insbesondere um Rechtsverordnungen und Satzungen.1242 Eine Einbeziehung auch von Verwaltungsvorschriften ist aufgrund ihres rein binnenrechtlichen Charakters demgegenüber abzulehnen.1243 Auch Art. 8 AK stellt auf „rechtsverbindliche Bestimmungen“ als Oberbegriff ab, was hier i. S. einer Erforder1238  Auf deren detaillierte Behandlung soll vorliegend verzichtet werden. Nach N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 56, soll es sich hierbei um binnenrechtliche Instrumente handeln. 1239  K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 143 f. m. w. N. 1240  Zur Abgrenzung der Instrumente i. S. v. Art. 6 und 7 AK ACCC / C / 2010 / 53 (UK), Rn. 83. 1241  ACCC / C / 2010 / 53 (UK), Rn. 83. 1242  K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 148 f. 1243  A. A. F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 166 sowie K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 148, jeweils ohne nähere Begründung. Damit soll zwar nicht geleugnet werden, dass auch Verwaltungsvorschriften erhebliche Bedeutung für die Umwelt erlangen können. Dies kann etwa für die sog. Windenergieerlasse der Bundesländer in Deutschland zur Steuerung der Verwaltungspraxis im Bereich des Ausbaus erneuerbarer Energien angenommen werden. Jedoch handelt es sich hierbei vielfach nur um ein Bindeglied zwischen zwei durch die AK erfasste, und damit den Anforderungen der Art. 6-8 unterliegende Instrumente, in diesem Fall die Raumplanung und die vorhabenbezogenen Zulassungsverfahren. Die Forderung eines weiteren Verfahrens der Öffentlichkeitsbeteiligung würde hier keinen erkennbaren Mehrwert bringen, zumal die Verwaltungsvorschriften nur innerhalb der Spielräume von Gesetz und verbindlichen Vorgaben der Raumplanung gestalten können. Vgl. zu dieser Frage bereits N. Wegner, Keine SUP-Pflicht für Windenergieerlasse, NuR 2017, 605 (605 f.).



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lichkeit von Außenrechtsverbindlichkeit verstanden wird. Dabei dürfen sie jedoch nicht auf die Zulassung eines konkreten Vorhabens gerichtet sein, da in diesem Fall Art. 6 AK zur Anwendung käme. e) Strukturelemente der Öffentlichkeitsbeteiligung nach Aarhus Die Vorgaben der Aarhus-Konvention zur Öffentlichkeitsbeteiligung zeichnen sich durch verschiedene Strukturelemente aus,1244 die im Folgenden darzustellen sind. Dabei zeigt sich deutlich auch der Kompromisscharakter der Regelungen. In der AK wurde kein „ideales“ Beteiligungsverfahren nor­ miert,1245 sondern das politisch Mögliche in rechtliche Formen gegossen. Dies bedingt, dass hinsichtlich wichtiger Fragen, wie nach dem Umgang mit dem Ergebnis der Öffentlichkeitsbteiligung, nur sehr vage Vorgaben vereinbart werden konnten. Gleichwohl finden sich Vorgaben, die bis heute nicht im Unionsrecht und auch nicht in Deutschland umgesetzt wurden. aa) Vorgaben zu Zeitpunkt und zeitlicher Strukturierung der Öffentlichkeitsbeteiligung Die Aarhus-Konvention sieht zahlreiche Vorgaben zur zeitlichen Strukturierung von Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligungen vor. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass die zeitliche Strukturierung solcher Verfahren entscheidend für das Erreichen der mit der Beteiligung verfolgten Zwecke ist.1246 Im Rahmen von Art. 6 AK finden sich insoweit sowohl Vorgaben zur zeitlichen Strukturierung des Verfahrens insgesamt (Absatz 3) als auch hinsichtlich der Wahl des Zeitpunktes für einzelne Beteiligungsschritte (Absätze 2 und 4). Auf die Absätze 3 und 4 verweist auch Art. 7 S. 2 AK, sodass diese Vorgaben auch für die Öffentlichkeitsbeteiligung bei Plänen und Program1244  Begriff bei R. Hendler / M. Wu, Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltrecht der Europäischen Union, DVBl 2014, 78 (80). 1245  So weist etwa M. Zschiesche, Öffentlichkeitsbeteiligung in umweltrelevanten Zulassungsverfahren, 2015, S. 87 f., darauf hin, dass etwa eine Ergebnisoffenheit von Verfahren zum Zeitpunkt der Öffentlichkeitsbeteiligung durch die AK nicht verlangt wird. Auch sieht die Konvention keine hinreichenden Sicherungen dafür vor, dass jedermann die zur Verfügung gestellten Informationen in Beteiligungsverfahren auch tatsächlich verstehen kann. Kritisch hierzu L. Squintani, The Aarhus Paradox: Time to Speak about Equal Opportunities in Environmental Governance, JEEPL 14 (2017), 3 (4). 1246  Als „bedeutsamer (Erfolgs-)Faktor“ bezeichnet bei A. Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, Verw­ Arch 103 (2012), 31 (51); M. Zschiesche, Öffentlichkeitsbeteiligung in umweltrelevanten Zulassungsverfahren, 2015, S. 96.

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men gelten.1247 Art. 8 AK spricht demgegenüber unspezifischer von der Durchführung der Öffentlichkeitsbeteiligung bei exekutiven Vorschriften zu einem „passenden Zeitpunkt“ und verlangt weniger präzise, dass ausreichende zeitliche Rahmen festgelegt werden sollen [Art. 8 lit. a)]. Gemein haben die Vorschriften damit jedoch alle, dass sie eine Öffentlichkeitsbeteiligung zu einem Zeitpunkt fordern, zu dem noch alle Optionen offen sind, damit eine effektive Öffentlichkeitsbeteiligung stattfinden kann (Art. 6 Abs. 4 AK, Art. 7 S. 2 AK i. V. m. Art. 6 Abs. 4 AK; Art. 8 AK).1248 Das in diesem Sinne zu verstehende Frühzeitigkeitserfordernis1249 findet sich sowohl in Art. 6 Abs. 2 AK für die erstmalige Bekanntgabe des Vorhabens und wird entsprechend seiner allgemeinen Geltung in der Konvention1250 vom ACCC auch auf die gesamte Kette an Zulassungs- und vorangehenden Planungsverfahren und auf jeden einzelnen Verfahrensabschnitt selbst bezogen.1251 Es soll verhindern, dass eine Beteiligung der Öffentlichkeit erst zu einem Zeitpunkt stattfindet, in dem bereits wesentliche Vorfestlegungen erfolgt sind, von denen wieder abzurücken entweder rechtlich oder auch nur faktisch – schon aus psychologischen Gründen – häufig für die Entschei-

1247  Auch wenn Art. 6 Abs. 2 AK durch Art. 7 S. 2 AK nicht in Bezug genommen wird, können dessen Vorgaben für den zeitlichen Vorlauf zwischen der ersten Planbekanntmachung und der Konsultation der Öffentlichkeit doch auch hier entsprechend herangezogen werden. Widersprüchlich insoweit R. Hendler / M. Wu, Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltrecht der Europäischen Union, DVBl 2014, 78 (83 und 84), die zunächst überzeugend das Frühzeitigkeitsgebot bereits aus dem Gebot der effektiven Beteiligung entnehmen wollen, dann aber für Art. 7 AK darauf hinweisen, dass hier keine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen sei. Wegen des Verweises in Art. 7 S. 2 auf Art. 6 Abs. 4 AK kann dies jedoch nicht richtig sein. 1248  Siehe hierzu A. Fisahn, Effektive Beteiligung solange noch alle Optionen offen sind, ZUR 2004, 136 ff. 1249  Zur Bedeutung dessen vgl. auch J. Jendrośka, Public Participation in Environmental Decision-Making, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 92 (133). 1250  Das Prinzip der frühzeitigen Beteiligung findet in der AK auch in der ersten Säule seinen Niederschlag, vgl. Art. 4 Abs. 2 AK, der fordert, dass die beantragten Umweltinformationen „so bald wie möglich“ zur Verfügung gestellt werden. Zum Niederschlag des Prinzips der frühzeitigen Beteiligung in der AK M. Zschiesche, Öffentlichkeitsbeteiligung in umweltrelevanten Zulassungsverfahren, 2015, S. 86 f. 1251  ACCC / C / 2006 / 16 (Lithuania), Rn. 71. Die Beteiligung bezieht sich allerdings auf die inhaltlich zu entscheidende Frage. Festlegungen des Verfahrens selbst, etwa im Rahmen des Scoping als Teil der UVP, sind ihrereits nicht nach der AK beteiligungspflichtig, auch wenn das ACCC eine entsprechende Praxis begrüßt, J. Jendrośka, Public Participation in Environmental Decision-Making, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 92 (135 f.). Zum Gebot der Frühzeitigkeit in der Berichtspraxis des ACCC auch A. Epiney / S. Dilzig / B. Pirker / S. Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Art. 6, 6bis Rn. 30.



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dungsträger kaum möglich sein wird.1252 Sinn dessen ist es sicherzustellen, dass die Wahl unter den verschiedenen Möglichkeiten einer Vorhabenrealisierung durch die betroffene Öffentlichkeit auch tatsächlich noch beeinflusst werden kann.1253 Verlangt wird damit freilich nicht, dass auf jeder Entscheidungsebene, auf der die Öffentlichkeit beteiligt wird, eine völlige Entscheidungsoffenheit gegeben ist. Vorfestlegungen sind danach aber nur insoweit gestattet, als bei der abschließenden Regelung einer Frage auf vorangehender (Planungs-)Ebene auch eine Öffentlichkeitsbeteiligung stattgefunden hat.1254 Ist dies etwa hinsichtlich der abschließenden Entscheidung der Standortfrage unterblieben, so soll auch eine auf späterer Stufe durchgeführte vollständige UVP unter Beteiligung der Öffentlichkeit dem Frühzeitigkeitserfordernis nicht mehr genügen, da es hier dann nur noch um eine Minderung der Umweltfolgen des konkreten Vorhabens geht, die Öffentlichkeit sich aber gerade nicht mehr auch zu der Standortfrage selbst effektiv äußern kann.1255 In diesem Zusammenhang hat das ACCC auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch Vorfestlegungen durch informelle Absprachen und Verträge etwa mit Vorhabenträgern – ohne dass diese ihrerseits eine Öffentlichkeitsbeteiligung verlangen – mit Art. 6 AK unvereinbar sein können.1256 Ein Verstoß gegen das Frühzeitigkeitserfordernis stellt es zudem auch dar, wenn die bauliche Realisierung des Vorhabens bereits vor Abschluss der Öffentlichkeitsbeteiligung beginnt, soweit dies dazu führt, dass die Genehmigungsbehörde rechtlich oder faktisch nicht mehr die Möglichkeit besitzt, sich auch für die vollständige Versagung der Genehmigung zu entscheiden.1257 1252  A. Fisahn, Effektive Beteiligung solange noch alle Optionen offen sind, ZUR 2004, 136 (138 f.); F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 162; K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 253 f.; siehe auch H. Rossen-Stadtfeld, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. II, 2. Aufl. 2012, § 29, Rn. 31. 1253  Neben den Nachweisen in der vorstehenden Fußnote siehe auch N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 54. 1254  ACCC / C / 2006 / 16 (Lithuania), Rn. 71 f.; ACCC / C / 2007 / 22 (France), Rn. 38; J. Jendrośka, Public Participation in Environmental Decision-Making, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 92 (134); K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 255. 1255  ACCC / C / 2005 / 12 (Albania), Rn. 79 mit Verweis auf ACCC / C / 2004 / 04 (Hungary), Rn. 11 und ACCC / C / 2004 / 08 (Armenia), Rn. 29, wonach das Komitee eine Nachholung der Öffentlichkeitsbeteiligung ohne neue offene Entscheidung über den jeweiligen Punkt unter keinen Umständen für geeignet hält, dem Frühzeitigkeitsgebot noch zu genügen. 1256  ACCC / C / 2008 / 24 (Spain), Rn. 119 a) iii) und hierzu J. Jendrośka, Public Participation in Environmental Decision-Making, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 92 (135). 1257  ACCC / C / 2005 / 17 (European Community), Rn. 54; vgl. außerdem ACCC / C /  2007 / 22 (France), Rn. 39.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Das Frühzeitigkeitsgebot der Aarhus-Konvention ist im Sekundärrecht der Union auf verschiedene Art und Weise umgesetzt worden und dürfte mit den Vorgaben der AK in Einklang stehen.1258 Im deutschen Recht findet sich das Frühzeitigkeitsprinzip jedoch nur entsprechend den oben geschilderten Anforderungen für das Bauplanungsrecht in § 3 Abs. 1 BauGB verwirklicht.1259 Im Bereich des Anlagenzulassungsrechts, für den Art. 6 AK gilt, findet eine Beteiligung nach deutschem Recht, insbesondere gem. § 10 Abs. 3 BImSchG, jedoch erst mit der Vollständigkeit der Antragsunterlagen und damit zumeist erst dann statt, wenn bereits wesentliche Vorabsprachen zwischen Vorhabenträger und Zulassungsbehörde getroffen sind, sodass die Offenheit der Beteiligten für die Suche nach Alternativen faktisch schon vielfach stark eingeschränkt sein dürfte1260 und damit die Voraussetzungen für eine effektive Öffentlichkeitsbeteiligung vielfach nicht mehr vorliegen. Art. 6 Abs. 3 AK fordert zudem einen angemessenen zeitlichen Rahmen für die einzelnen Phasen der Öffentlichkeitsbeteiligung und macht damit Vorgaben für deren zeitliche Strukturierung. Auf die Regelung wird durch 1258  Dies erscheint jedoch nicht zweifelsfrei und ergibt sich jedenfalls für Art. 24 Abs. 1 i. V. m. Anhang IV IE-RL nur dann, wenn man die dortige Formulierung im Lichte des in Art. 24 IE-RL angesprochenen Gebots der effektiven Beteiligung auslegen will, so überzeugend R. Hendler / M. Wu, Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltrecht der Europäischen Union, DVBl 2014, 78 (83). Anderenfalls wären bereits bei Art. 24 Abs. 1 i. V. m. Anhang IV IE-RL Zweifel an der Völkerrechtskonformität angebracht, da hiernach die Stellungnahme allein zu ermöglichen ist, „bevor eine Entscheidung getroffen ist“. Anders als nach Art. 2 Abs. 2 lit. b) ÖffBeteil-RL wird in der IE-RL diese Wendung aber nicht um den Zusatz ergänzt, „wenn noch alle Optionen offen sind“. Entgegen der Systematik dürfte diese Anforderung sich für die IE-RL erst im Wege einer völkerrechtskonformen Auslegung ergeben. Vgl. hinsichtlich der Auslegung der Wendung nach Art. 2 Abs. 2 lit. b) ÖffBeteil-RL A. Fisahn, Effektive Beteiligung solange noch alle Optionen offen sind, ZUR 2004, 136 (139); zum Frühzeitigkeitsgebot noch im Rahmen der IVU-RL 96 / 61 EuGH, Urteil vom 15.01.2013 – C-416 / 10 (Križan), Rn. 79, 91. 1259  M. Zschiesche, Öffentlichkeitsbeteiligung in umweltrelevanten Zulassungsverfahren, 2015, S. 95; K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 147. Entgegen ihrer Äußerung auf S. 257 gilt das Erfordernis der Öffentlichkeitsbeteiligung nach dem auch zur Umsetzung der Vorgaben der Aarhus-Konvention erlassenen § 10 Abs. 1 ROG auch für die Aufstellung von Raumordnungsplänen ganz allgemein und nicht lediglich bei der Durchführung eines Raumordnungsverfahrens, vgl. P. Runkel, in: W. Spannowsky / P. Runkel / K. Goppel, ROG, 2010, § 10 Rn. 12. Allerdings findet hiernach eine Beteiligung der Öffentlichkeit erst nach Erstellung des ersten Planentwurfs statt, § 10 Abs. 1 S. 1 ROG. 1260  K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 255; A. Fisahn, Effektive Beteiligung solange noch alle Optionen offen sind, ZUR 2004, 136 (138); N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 218; M. Zschiesche, Öffentlichkeitsbeteiligung in umweltrelevanten Zulassungsverfahren, 2015, S. 95; kritisch auch S. Almeling, Die Aarhus-Konvention, 2008, S. 155.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

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das Rechtzeitigkeitsgebot in Art. 6 Abs. 2 AK und auch den Verweis in Art. 7 S. 2 AK und auch in Art. 8 lit. a) AK Bezug genommen. Es gilt also ebenfalls für alle Formen der Beteiligung in der Konvention. In Art. 6 Abs. 2 AK bezieht sich das Gebot auf den erforderlichen zeitlichen Vorlauf der Bekanntmachung des Vorhabens zu der ersten Konsultation der Öffentlichkeit und bedeutet konkret, dass der Vorlauf zu den Konsultationen der Bürger so lang sein muss, dass die betroffene Öffentlichkeit die Informationen aufnehmen und sich effektiv auf die Beteiligung vorbereiten kann. Entsprechendes gilt auch für die Bestimmung des Zeitraums zwischen der Information der Öffentlichkeit über die Aufstellung eines umweltbezogenen Plans oder Programms und der Beteiligung ihrer näher bestimmten Teile nach Art. 7 AK bzw. für den Zeitraum zwischen Information über und Beteiligung an der Vorbereitung umweltbezogener exekutiver Vorschriften. Nach den Feststellungen des ACCC1261 ist dem in der Regel genügt, wenn die erste Information 30 Tage vor den Konsultationen stattfindet. Es befürwortet allerdings das Bestehen der Möglichkeit, die Zeitspanne entsprechend der Natur der Angelegenheit, ihrer Komplexität oder der Größe des Vorhabens zu verlängern.1262 Eine entsprechende Differenzierung kann aber auch bereits im Gesetz fixiert sein.1263 Während eine bloß einwöchige Frist für die Kenntnisnahme und das Einreichen einer Stellungnahme offensichtlich nicht ausreichend ist,1264 können auch längere Zeitspannen ungenügend sein, wenn diese Phasen zahlreiche Feiertage oder typische Urlaubszeiträume einschließen, während denen nicht mit Kenntnisnahme oder Reaktionen gerechnet werden kann.1265 Art. 6 Abs. 3 AK verlangt zudem, dass auch für die Information der 1261  Vgl. zu den nachfolgenden Nachweisen UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus Convention: An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 136 f.; siehe hierzu auch B. Peters, Die Auslegung von Art. 6-8 der Aarhus-Konvention durch das Aarhus Compliance Committee und die Auswirkungen im europäischen Umweltrecht, EurUP 2014, 185 (189) sowie A. Epiney / S. Dilzig / B. Pirker / S. Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Art. 6, 6bis Rn. 28. 1262  ACCC / C / 2009 / 37 (Weißrussland), Rn. 89. 1263  UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus Convention: An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 143. Auch wenn eine solche Möglichkeit im deutschen Recht etwa in § 10 Abs. 3 S. 4 BImSchG nicht vorgesehen ist, steht die Regelung dennoch in Einklang mit den Anforderungen des Art. 6 Abs. 2 AK, da der zeit­ liche Vorlauf bis zur letztmöglichen Einreichung einer Einwendung mit insgesamt einem Monat und zwei Wochen von vorne herein länger bemessen ist, als durch die AK im Mindestmaß gefordert. 1264  ACCC / C / 2009 / 43 (Armenia), Rn. 67, im konkreten Fall ging es um die Unterlagen einer UVP für ein Bergbauprojekt. 1265  Vgl. ACCC / C / 2008 / 24 (Spain), Rn. 92. Hierzu gehört es auch, dass ein Erörterungstermin in Gebieten mit mehrheitlich Werktätigen nicht an einem einzigen Werktag während der üblichen Arbeitszeiten durchgeführt wird, ACCC / C / 2009 / 44 (Belarus), Rn. 83. Vgl. aber auch ACCC / C / 2004 / 04 (Hungary), Rn. 12, wo der

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Öffentlichkeit und die Stellungnahme nach Abs. 7 eine hinreichend lange Zeit vorgesehen wird.1266 bb) Verpflichtungen der Staaten zur Information der jeweiligen (Teil-)Öffentlichkeit Das allgemeine Umweltinformationsrecht der ersten Säule der AarhusKonvention wird in den Vorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung durch verfahrensbezogene Regelungen ergänzt. Die Information der Öffentlichkeit wird als Garantie ihrer effektiven Beteiligung angesehen und stellt das zweite wichtige Strukturelement der Verfahrensbeteiligung nach der Aarhus-Konvention dar. Die Vertragsparteien werden zur Implementierung verfahrensbezogener staatlicher Informationspflichten sowohl nach Art. 6 Abs. 2, 6 und 9 AK für vorhaben- bzw. tätigkeitenbezogene Zulassungsverfahren als auch nach Art. 7 S. 1 AK für die Öffentlichkeitsbeteiligung bei umweltbezogenen Plänen, Programmen und Politiken verpflichtet. Auch Art. 8 lit. b) AK über die Öffentlichkeitsbeteiligung während der Vorbereitung exekutiver Vorschriften und / oder allgemein anwendbarer rechtsverbindlicher normativer Instrumente verlangt ein hierauf gerichtetes Bemühen. Im Gegensatz zu den detaillierten Vorgaben für die Information nach Art. 6 Abs. 2, 6 und 9 AK belassen die Regelungen nach Art. 7 S. 1 AK sowie Art. 8 lit. b) AK den Vertragsstaaten jedoch einen weitreichenden Umsetzungsspielraum hinsichtlich Form und Umfang der gebotenen Zugänglichkeit von Informationen. Die Verpflichtungen unterscheiden sich zudem darin, dass unterschiedliche Kreise an Begünstigten adressiert werden.

Überwachungsausschuss es ersichtlich vermeidet, eine Grenze für noch zulässige Zeiträume zu benennen und anstatt dessen die im jeweiligen Recht des Mitgliedstaates ansonsten vorgesehenen Zeiträume mit in den Blick nahm. Nicht unähnlich dem Vorgehen des EuGH bei der Überprüfung nationalen Rechts am Maßstab des Effektivitäts- und Äquivalenzprinzips lässt das ACCC den Vertragsparteien bei der Umsetzung der Verpflichtungen aus der AK mithin einen Spielraum, dem nur im Einzelfall äußere Grenzen gesetzt werden. 1266  Zu einem Beispiel mit angemessenen Fristen für die Ausübung des Informa­ tionsrechts aus Art. 6 Abs. 6 sowie der eigentlichen Beteiligung nach Art. 6 Abs. 7 AK ACCC / C / 2007 / 22 (France), Rn. 44. Vgl. hierzu J. Jendrośka, Public Participation in Environmental Decision-Making, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 92 (139), der darauf hinweist, dass die Trennung der Zeiträume zwar nicht nach der Konvention erforderlich, sehr wohl aber hilfreich ist.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

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(1) Informationspflichten nach Art. 6 AK (a) Vorhabenbekanntmachung, Art. 6 Abs. 2 AK Die Verpflichtungen zur Information im Rahmen von Art. 6 AK richten sich zum einen gem. Abs. 2 auf die Vorhabenbekanntmachung, um den Einzelnen überhaupt über die Absicht der Durchführung eines Zulassungsverfahrens und die Möglichkeit einer hierauf bezogenen Öffentlichkeitsbeteiligung zu informieren. Sie ist ausdrücklich auf die betroffene Öffentlichkeit begrenzt. Dies gilt auch für die Verpflichtung nach Art. 6 Abs. 6 AK, die den Zugang der betroffenen Öffentlichkeit zu allen für die Entscheidungsverfahren relevanten Informationen bis zum Abschluss der Konsultation absichert. Demgegenüber statuiert Art. 6 Abs. 9 AK eine Verpflichtung gegenüber der allgemeinen Öffentlichkeit. Da sie die Information der Öffentlichkeit nach Erlass der Zulassungsentscheidung über dieselbe betrifft, sollen hiermit nicht mehr Einzelne in die Lage versetzt werden sich zu beteiligen. Durch die Schaffung von Transparenz hinsichtlich Entscheidungsinhalt und -begründung sichert sie jedoch die inhaltliche Berücksichtigung des Ergebnisses der Öffentlichkeitsbeteiligung nach Art. 6 Abs. 8 AK ab und bildet die notwendige Informationsgrundlage für Überlegungen, ggf. Rechtsschutz gegen die Entscheidung zu suchen. Bei der Pflicht zur Vorhabenbekanntmachung nach Art. 6 Abs. 2 AK handelt es sich um eine aktive Informationspflicht der Behörden, deren Auslösung also nicht erst eines Antrags eines Berechtigten bedarf. Sie ist nicht nur recht- und frühzeitig,1267 sondern auch sachgerecht und in effektiver Weise zu erfüllen. Je nach Zweckmäßigkeit soll die Übermittlung der erfassten Informationen entweder durch öffentliche Bekanntmachung oder dem Einzelnen gegenüber erfolgen.1268 Neben Informationen über die geplante Tätigkeit (Art. 6 Abs. 2 lit. a) sind insbesondere auch Informationen über das durchzuführende Verwaltungsverfahren (Art. 6 Abs. 2 lit. a-d), dabei bestehende Beteiligungsmöglichkeiten [Art. 6 Abs. 2 lit. d) ii)] und Möglichkeiten weitergehender Informationserlangung [Art. 6 Abs. 2 lit. d) iv), vi)] und über das Vorliegen einer grenzüberschreitenden Dimension einer Tätigkeit bekannt zu machen [Art. 6 Abs. 2 lit. e)].

1267  Siehe

hierzu bereits oben: Zweiter Teil, B. IV. 2. e) aa). leitet etwa K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 249 ff., ab, dass insbesondere Umweltvereinigungen wegen der ihnen nach der AK zukommenden Rolle zwingend entweder individuell benachrichtigt werden müssen oder ihre Mitwirkungslast zumindest dadurch gering zu halten ist, dass eine Bekanntmachung von Vorhaben auch über überregionale Medien, insbesondere im Internet stattfindet. 1268  Hieraus

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Damit die Informationen als gem. Art. 6 Abs. 2 AK in „effektiver Weise“ zugänglich gemacht angesehen werden können, verlangt das ACCC,1269 sofern eine öffentliche Bekanntmachung der Zweckmäßigkeit entspricht und nicht die ebenfalls mögliche Bekanntmachung gegenüber Einzelnen angezeigt ist, dass die konkrete Form der öffentlichen Bekanntmachung an den Informationsgewohnheiten der betroffenen Öffentlichkeit orientiert wird. So muss etwa im eher ländlichen Raum, soweit nur eingeschränkte Möglichkeiten zur Nutzung des Internets bestehen, eine Veröffentlichung in weit verbreiteten Tageszeitungen erfolgen, während in Ballungsräumen mit ausreichenden Internetzugängen eine Onlineveröffentlichung in Betracht kommt.1270 Auch wenn den Vertragsstaaten bei der Frage der Effektivität der Zugänglichmachung einer Information sicherlich ein Einschätzungsspielraum zusteht, erscheint es doch fraglich, ob dieser erst dann überschritten und eine Verletzung der Pflicht anzunehmen ist, wenn die Art der Veröffentlichung zur Information der betroffenen Öffentlichkeit völlig ungeeignet ist.1271 Über das Kriterium der Geeignetheit erscheint zumindest nicht ohne weitere Konkretisierung eine sachgerechte Begrenzung des Spielraums möglich. Der Überwachungsausschuss verlangt hier, dass die Veröffentlichung in einer Art und Weise erfolgt, die allen möglicherweise Betroffenen eine angemessene („reasonable“) Chance gibt, von den Informationen Kenntnis zu nehmen und konkretisiert diese Anforderung weiter dadurch, dass bspw. eine Veröffentlichung in einer täglich erscheinenden populären Zeitung der wöchentlich erscheinenden offiziellen1272 Zeitung und die auflagenstarke der auflagenschwachen Zeitung vorzuziehen ist.1273 Gegebenenfalls müssen auch mehrere aufeinanderfolgende öffentliche Bekanntmachungen erfolgen.1274

1269  Entgegen B. Peters, Die Auslegung von Art. 6-8 der Aarhus-Konvention durch das Aarhus Compliance Committee und die Auswirkungen im europäischen Umweltrecht, EurUP 2014, 185 (189), wird die Form der Veröffentlichung durch das ACCC nicht unter die Anforderung der Sachgerechtigkeit, sondern der Effektivität der Veröffentlichung subsumiert. Vgl. ACCC / C / 2006 / 16 (Lithuania), Rn. 67; ACCC / C / 2009 /  37 (Belarus), Rn. 84; ACCC / C / 2009 / 43 (Armenia), Rn. 70. 1270  ACCC / C / 2009 / 43 (Armenia), Rn. 70. 1271  B. Peters, Die Auslegung von Art. 6-8 der Aarhus-Konvention durch das Aarhus Compliance Committee und die Auswirkungen im europäischen Umweltrecht, EurUP 2014, 185 (190). 1272  Aus den Ausführungen des ACCC wird letztlich nicht völlig klar, was in diesem Zusammenhang mit „offiziell“ gemeint ist. Nicht gemeint sein dürfte hier aber eine Art Amtsblatt, das extra der Veröffentlichung amtlicher Bekanntmachungen dient und die Voraussetzungen einer effektiven Veröffentlichung bei entsprechender Verbreitung ohne Weiteres erfüllen dürfte. 1273  ACCC / C / 2006 / 16 (Lithuania), Rn. 67. 1274  ACCC / C / 2009 / 43 (Armenia), Rn. 70.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

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Für eine sachgerechte Übermittlung der Informationen nach Art. 6 Abs. 2 lit. a)-e) AK ist es schließlich erforderlich, dass die veröffentlichten Informationen nicht nur korrekt sind, sondern die Informationsgehalte auch angemessene Beschreibungen übermitteln.1275 Dies dürfte regelmäßig eine gewisse Ausführlichkeit der Beschreibung (bspw. der Art möglicher Entscheidungen gem. Art. 6 Abs. 2 lit. b) AK) voraussetzen.1276 Obwohl die EU die Anforderung der „sachgerechten Information“ nicht sekundärrechtlich umgesetzt hat, kam das ACCC unter Berücksichtigung der besonderen Struktur der EU nicht zur Feststellung eines Verstoßes gegen die Konvention.1277 (b) Information über die geplante Tätigkeit, Art. 6 Abs. 6 AK Art. 6 Abs. 6 AK betrifft demgegenüber die Information der betroffenen Öffentlichkeit über die geplante Tätigkeit als Gegenstand des Zulassungsverfahrens sowie ihre Auswirkungen auf die Umwelt. Die Ausgestaltung der Informationspflicht als reaktive, d. h. antragsgebundene oder aktive Informationspflicht wird den Vertragsparteien ausdrücklich freigestellt. Gegenüber dem allgemeinen Umweltinformationsrecht nach Art. 4 AK stellt Art. 6 Abs. 6 AK die speziellere Regelung dar, verdrängt Art. 4 AK aber nicht,1278 der insoweit auch der allgemeinen Öffentlichkeit einen antragsgebundenen Informationszugang verschafft. Die große Nähe der Rechte zueinander wird auch durch den Verweis in Art. 6 Abs. 6 Satz 1 2. Hs. AK auf die Ablehnungsgründe des Art. 4 Abs. 3, 4 AK deutlich. Auch der Anspruch aus Art. 4 AK kann während des Verfahrens der Öffentlichkeitsbeteiligung – allerdings durch jedermann – geltend gemacht werden und umfasst aufgrund der Weite des Begriffs der Umweltinformation auch die in Art. 6 Abs. 6 AK nicht abschließend aufgezählten Informationen.1279 Während Art. 4 Abs. 1 AK jedoch auf ein „zur Verfügung stellen“ von Informationen abzielt, verlangt Art. 6 Abs. 6 AK die Eröffnung des Zugangs zu allen Informationen zu deren Einsichtnahme zu gewähren, die für die in diesem Artikel genannten Entscheidungsverfahren relevant sind und zum Zeitpunkt der Öffentlichkeitsbeteili1275  ACCC / C / 2006 / 16

(Lithuania), Rn. 66. (Armenia), Rn. 71. 1277  ACCC / C / 2006 / 17 (European Union), Rn. 48. Kritisch hierzu B. Peters, Die Auslegung von Art. 6-8 der Aarhus Konvention durch das Aarhus Compliance Committee und die Auswirkungen im europäischen Umweltrecht, 2014, 185 (190) sowie M. Breuer / S. Riegger, Die Reichweite der Pflicht der EU zur Umsetzung der AarhusKonvention, EurUP 2014, 293 (298). 1278  Art. 6 Abs. 6 Satz 2: „unbeschadet des Artikels 4“. 1279  M. E. Butt, Die Ausweitung des Rechts auf Umweltinformation durch die Aarhus Konvention, 2001, S. 108; N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 55. 1276  ACCC / C / 2009 / 43

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

gung zur Verfügung stehen.1280 Während dem Anspruch des Art. 4 AK durch die Übermittlung von behördlichen Zusammenstellungen von Informationen grundsätzlich genügt werden kann und nur bei entsprechendem Antrag auch Kopien der eigentlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen sind, wenn gem. Art. 4 Abs. 1 lit. b) i) AK der Behörde nicht eine andere Form als angemessen erscheint,1281 verlangt Art. 6 Abs. 6 AK also grundsätzlich einen Zugang zu den eigentlichen Unterlagen als Informationsträger.1282 Zudem ist diese behördliche Informationspflicht gebührenfrei zu erfüllen.1283 Die Erstreckung des Zugangs auf alle für das Entscheidungsverfahren relevanten Informationen erübrigt insbesondere eine Spezifizierung des im Rahmen von Art. 4 AK erforderlichen Antrags und damit das Risiko, dass Informationen von Behördenseite deshalb zurückgehalten werden können, weil sie von dem Antrag nicht ausdrücklich umfasst waren. Die Informationsbereitstellung nach Art. 6 Abs. 6 AK muss sich stets zwingend auf alle der in Art. 6 Abs. 6 lit. a)-f) umschriebenen Informationen beziehen, soweit diese für das jeweilige Entscheidungsverfahren relevant sind. Der Begriff der Verfahrensrelevanz belässt hier den Vertragsstaaten aber ebenfalls einen gewissen Umsetzungsspielraum. Wegen der Vorhabenbezogenheit des nach Art. 6 Abs. 6 AK zu erteilenden Informationszugangs sind hier nicht selten – insbesondere aus Sicht der Vorhabenträger – sensible, wirtschaftlich relevante Informationen betroffen. Zudem ist die Verfahrensbezogenenheit potenziell geeignet, die Entscheidungsfähigkeit der jeweils zuständigen Behörde zu beeinträchtigen. Entsprechend sieht Art. 6 Abs. 6 S. 1 Hs. 2 AK die Möglichkeit der Ablehnung von Informationsgesuchen entsprechend Art. 4 Abs. 3 und 4 AK vor. Bzgl. der Ablehnungsgründe kann auf die Ausführungen im Rahmen von Art 4 Abs. 3 und 4 AK bzw. allgemeine Darstellungen verwiesen werden.1284 Hervorzuheben ist hier bloß, dass damit auch der Ablehnungsgrund des Art. 4 Abs. 4 lit. a) AK im Rahmen von Art. 6 Abs. 6 AK Anwendung findet, wonach der Zugang zu Informationen verweigert werden kann, wenn dies negative Auswirkungen hätte auf die Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden, sofern eine derartige Vertraulichkeit nach innerstaatlichem Recht vorgesehen

1280  Auf die Unterschiede weist hin N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 55. 1281  Wobei ein solches Abweichen vom Antrag zu begründen ist. 1282  Dabei genügt eine Veröffentlichung auf einer Internetseite des Vorhabenträgers den Anforderungen nicht, ACCC / C / 2011 / 59 (Kazakhstan), Rn. 53. 1283  N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 55. 1284  Zu deren Auslegung im Rahmen von Art. 4 AK siehe bereits oben: Zweiter Teil, B. IV 1. f).



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ist.1285 Zwar sind Ablehnungsgründe auch im Rahmen von Art. 6 Abs. 6 AK restriktiv auszulegen. Gerade im Rahmen von Art. 6 Abs. 6 AK ist es jedoch wichtig festzuhalten, dass nicht bereits der Verweis auf ein laufendes Verfahren einen Ausschlussgrund begründen kann, da ansonsten jeder Antrag im Rahmen von Art. 6 Abs. 6 AK bei entsprechender nationaler Regelung des Ausschlussgrundes abgelehnt werden könnte. Dies zeigt noch einmal, dass der Ausschlussgrund des Art. 4 Abs. 4 lit. a) AK das Schutzgut der Arbeitsfähigkeit der Verwaltung nur in seinem absoluten Kern schützen kann und nur insoweit eine Ausnahme vom Grundsatz der Transparenz und Freiheit der Behördeninformation gerechtfertigt ist. Es müssen deshalb im Einzelfall ernsthafte Nachteile für die Behördenarbeit mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu befürchten sein.1286 Ebenso restriktiv ist auch der hiermit eng verwandte Ausschlussgrund der Vertraulichkeit „interner Mitteilungen“ gem. Art. 4 Abs. 3 lit. c) AK zu behandeln. (c) Information über die Entscheidung, Art. 6 Abs. 9 AK Wie bereits ausgeführt, ist die Verpflichtung nach Art. 6 Abs. 9 AK, anders als diejenigen nach Art. 6 Abs. 2 und 6 AK, auf eine Information der allgemeinen Öffentlichkeit gerichtet und bezweckt nicht deren Befähigung zur Beteiligung auf breiter Informationsgrundlage, sondern die Herstellung von Transparenz bzgl. des Entscheidungsergebnisses, um Erwägungen über Rechtsschutzgesuche auf sachlicher Grundlage zu ermöglichen. Die unverzüglich nach Ergehen der Zulassungsentscheidung zugänglich zu machende Information hat den Wortlaut der Entscheidung sowie die sie tragenden Gründe und Erwägungen zu umfassen.1287

1285  Zur Geltung dieses Ausschlussgrundes in allen internationalen Informationszugangsbestimmungen mit abschließend aufgezählten Ausschlussgründen seit der UIRL 1990 D. R. Klein Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 377. 1286  D. R. Klein, Umweltinformation im Völker- und Europarecht, 2011, S. 377 f. mit Verweis auf die bereits im Rahmen der UI-RL geführten Diskussionen sowie den im Vergleich zu Art. 3 II UI-RL 1990 strengeren Wortlaut der AK, die eine Berührung entgegenstehender Interessen nicht für ausreichend erachtet, sondern jedenfalls negative Auswirkungen verlangt. 1287  Diese Verpflichtung hat auch der europäische Gesetzgeber weitestgehend umgesetzt. Für die IE-RL folgt dies aus Art. 24 Abs. 2, 3 IE-RL, die AbfBw-RL sieht dagegen in Art. 8 Abs. 6 Hs. 2 eine unzulässige Beschränkung der Verpflichtung auf die betroffene Öffentlichkeit vor, R. Hendler / M. Wu, Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltrecht der Europäischen Union, DVBl 2014, 78 (82).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

(2) Informationspflichten gem. Art. 7 und 8 AK Art. 7 S. 1 AK sieht zwar vor, dass die allgemeine Öffentlichkeit vor einer möglichen Beteiligung an der Vorbereitung umweltbezogener Pläne und Programme informiert wird. Die Verpflichtung ist jedoch recht unspezifisch auf die „erforderlichen“ Informationen gerichtet, sodass den Vertragsparteien ein relativ großer Umsetzungsspielraum zukommt, auch wenn man diesen als durch die Ziele der Aarhus-Konvention beschränkt ansieht.1288 Die in Art. 7 S. 4 AK enthaltene Pflicht zum Bemühen um eine Öffentlichkeitsbeteiligung zur Vorbereitung umweltbezogener Politiken enthält keinerlei explizite Informationspflichten. Art. 8 lit. b) AK sieht als Teil  des geforderten Bemühens um eine Öffentlichkeitsbeteiligung während der Vorbereitung umweltbezogener exekutiver Vorschriften zudem eine Information durch die Veröffent­ lichung oder anderweitige Zugänglichmachung von Vorschriftenentwürfen vor. Während weder Art. 7 AK noch Art. 8 AK eine Pflicht zur Information der Öffentlichkeit über das jeweilige Entscheidungsergebnis vorsehen,1289 hat das ACCC der Aufforderung nach Art. 8 S. 3 AK zur möglichst weitgehenden Berücksichtigung des Ergebnisses einer Öffentlichkeitsbeteiligung entnommen, dass auch hier im Rahmen der Begründung der erlassenen Norm eine Erörterung des Umgangs mit den Ergebnissen der Öffentlichkeitsbeteiligung erfolgen sollte.1290 Insgesamt ist zudem zu berücksichtigen, dass der Öffentlichkeit auch insoweit jedenfalls der in Art. 4 AK geregelte allgemeine Umweltinformationsanspruch zusteht. cc) Recht zur Abgabe von Stellungnahmen, Art. 6 Abs. 7 AK, Art. 8 lit. c) AK Während die bislang betrachteten Regelungen den Informationsfluss vonseiten der Behörden hin zur (betroffenen) Öffentlichkeit betrafen, gestaltet Art. 6 Abs. 7 und auch Art. 8 lit. c) AK für die Vorbereitung exekutiver Vorschriften die umgekehrte Richtung des Informationsflusses durch die Statuie1288  A. A. K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 143, wonach über den Verweis in Art. 7 S. 2 AK auf Art. 6 Abs. 3 AK auch der dort enthaltene Verweis auf Art. 6 Abs. 2 AK in Bezug genommen wird. Dagegen spricht jedoch, dass die Informationspflicht für Art. 7 bereits in deren S. 1 angesprochen wird, ohne dass hier, was systematisch näher gelegen hätte, ein Verweis auf Art. 6 Abs. 2 AK erfolgt. Dass dieser auch in S. 2 gemeinsam mit den übrigen Verweisen nicht stattfindet, spricht ebenfalls gegen eine solche mittelbare Einbeziehung. 1289  Hinsichtlich Art. 7 AK R. Hendler / M. Wu, Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltrecht der Europäischen Union, DVBl 2014, 78 (82), die entsprechend auch das Bestehen lediglich einer Bemühenspflicht nach Art. 2 Abs. 2 UAbs. 2 lit. d ÖffB-RL für unbedenklich halten. 1290  ACCC / C / 2010 / 53 (UK), Rn. 86.



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rung eines Rechts, unmittelbar oder mittelbar (Art. 8 lit. c) AK) Stellungnahmen abgeben zu können, aus. Zwar enthält Art. 7 AK keine entsprechende ausdrückliche Gewährleistung einer solchen Möglichkeit. Als deren zentrales Element ist es jedoch implizit in der Verpflichtung zur Öffentlichkeitsbeteiligung enthalten.1291 Die Regelungen weisen über den Beteiligungszweck der Verfahrenstransparenz hinaus und ermöglichen die Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage der Zulassungsbehörde. Der als Oberbegriff zu verstehende Begriff der Stellungnahme umfasst nach Art. 6 Abs. 7 AK die Möglichkeit der Vorlage von Informationen, Analysen oder Meinungen.1292 Hervorzuheben ist, dass Art. 6 Abs. 7 AK die Öffentlichkeit nicht beschränkt und damit jedermann zu den entsprechenden Handlungen berechtigt.1293 Es handelt sich insoweit um eine Popular- oder Jedermannsbeteiligung.1294 Die Umsetzungsmaßnahmen der EU, insbesondere die Regelungen der Art. 6 Abs. 5 UVP-RL n. F.1295 sowie Art. 24 Abs. 1 1291  Ohne dies ausdrücklich zu thematisieren gehen hiervon offensichtlich ebenfalls aus R. Hendler / M. Wu, Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltrecht der Europäischen Union, DVBl 2014, 78 (81). 1292  Der Begriff der „Stellungnahme“ ist weiter als der im deutschen Recht häufig verwandte Begriff der „Einwendung“ und umfasst insbesondere auch positive Äußerungen, vgl. M. Zschiesche, Öffentlichkeitsbeteiligung in umweltrelevanten Zulassungsverfahren, 2015, S. 97 f.; A. Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), 31 (53 f.). 1293  C. Walter, Internationalisierung des deutschen und europäischen Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts, EuR 2005, 302 (329); UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 153; M. Scheyli, Aarhus-Konvention über Informationszugang, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz in Umweltbelangen, AVR 38 (2000), 217 (230); K. Schenderlein Rehtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 137, 139; N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 127; F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 158; dies übersieht etwa A. Epiney, Zu den Anforderungen der Aarhus-Konvention an das europäische Gemeinschaftsrecht, ZUR 2003, 176 (177), die allgemein in Bezug auf Art. 6 AK nur von einer Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit spricht. Siehe jetzt aber A. Epiney / S. Dilzig / B. Pirker / S. Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Art. 6, 6bis Rn. 36. 1294  Vgl. zu diesen Begriffen in der älteren deutschen Diskussion A. Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), 31 (36). Insoweit verwundert es, wenn das ACCC in einem Compliance Verfahren gegen Weißrussland im Zusammenhang mit der Möglichkeit zur Stellungnahme davon spricht, dass das Verfahren nach Art. 6 AK grundsätzlich allen Teilnehmern der „betroffenen Öffentlichkeit („public concerned“) offen stehen müsste, nachdem es zuvor noch den Anwendungsbereich von Art. 7 AK generell auf die Öffentlichkeit („public“) bezogen hatte, ACCC / C / 2009 / 44 (Belarus), Rn. 84, 81. 1295  Eine Ausweitung von Art. 6 Abs. 5 UVP-RL n. F. ist insoweit auch nicht durch RL 2014 / 52 / EU erfolgt.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

i. V. m. Ziff. 3 Anhang IV IE-RL, die beide eine Eröffnung des Rechts zur Stellungnahme nur für die betroffene Öffentlichkeit vorsehen, sind insoweit offensichtlich völkerrechtswidrig. Auch die gegen die Regelungen der AK vorgebrachte inhaltliche Kritik kann nicht überzeugen. So ist es keineswegs ersichtlich, warum den völkerrechtswidrigen EU-Regelungen zumindest ein überlegenes verfahrensrechtliches Konzept zugrunde liegen soll,1296 wonach eine Information der allgemeinen Öffentlichkeit erfolgt, Stellungnahmen dagegen nur durch die betroffene Öffentlichkeit möglich sind. Zwar ist zuzugeben, dass Stellungnahmen der (auch) behördlich informierten Öffentlichkeit mit größerer Wahrscheinlichkeit sachlich fundiert sein werden. Aus dieser Überlegung folgte aber allenfalls eine Parallelisierung des Kreises der zu informierenden und der anzuhörenden Öffentlichkeit. Dies geschieht aber durch die EU-Regeln gerade nicht. Vielmehr werden von der Möglichkeit, Stellungnahmen abzugeben, auch alle diejenigen ausgeschlossen, die kraft eigener Sachkunde zur Abgabe fundierter Stellungnahmen in der Lage, jedoch im konkreten Fall nicht selbst betroffen sind. Die Begrenzung der Informationspflicht nach Art. 6 Abs. 2 AK geht auf den Gedanken des Schutzes der Arbeitsfähigkeit der Verwaltung zurück und berücksichtigt auch die Geheimhaltungsinteressen betroffener Vorhabenträger. Während diese Gedanken hier aber eine Begrenzung der Informationspflicht nahe legen, liegt im Rahmen des Rechts der Öffentlichkeit zur Stellungnahme eine eindeutige Entscheidung des Konventionsgebers zugunsten der Beteiligung der weiten allgemeinen Öffentlichkeit vor, auch wenn dies im Einzelfall zu einer erheblichen Arbeitsbelastung der Behörden führen kann. Im Regelfall dürfte zudem die Überlegung zutreffend sein, dass den Aufwand einer eigenen Stellungnahme lediglich eine geringere Anzahl an Personen und insbesondere diejenigen auf sich nehmen, die auch in der Sache relevante Informationen mitzuteilen haben. Es liegt insoweit ein auch in der Sache nicht gerechtfertigter Verstoß der europäischen Regelungen gegen die Vorgaben gem. Art. 6 Abs. 7 AK vor.1297 Die Skepsis gegenüber diesen Regelungen könnte nicht zuletzt 1296  So aber R. Hendler / M. Wu, Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltrecht der Europäischen Union, DVBl 2014, 78 (81). Kritisch gegenüber der Regelung in Art. 6 Abs. 7 AK auch J.-P. Schneider, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. 2, 1. Aufl. 2008, § 28 Rn. 87. 1297  In einem Compliance-Verfahren gegen Litauen hat das ACCC eine Beschränkung des Rechts zur Stellungnahme auf die betroffene Öffentlichkeit für nicht mit der Konvention vereinbar erklärt, ACCC / C / 2006 / 16 (Lithuania), Rn. 80. Zu Recht kritisch zur Umsetzung der Regelung im Rahmen von Art. 6 Abs. 4 UVP-RL n. F. bzw. Art. 24 Abs. 1 i.Vm. Anhang IV Nr. 3 IE-RL (RL 2010 / 75 / EU) B. Peters, Die Auslegung von Art. 6-8 der Aarhus-Konvention durch das Aarhus Compliance Committee und die Auswirkungen im europäischen Umweltrecht, EurUP 2014, 185 (192); C. Walter, Internationalisierung des deutschen und europäischen Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts, EuR 2005, 302 (330); von einem Verstoß gegen



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auch in einer befürchteten Ausweitung der Rechtsschutzmöglichkeiten nach Art. 9 Abs. 2 AK begründet sein, da Mitglieder der Öffentlichkeit, die sich durch eine Stellungnahme an einem Verfahren beteiligen, zwingend zu den Betroffenen i. S. v. Art. 9 Abs. 2 AK zu zählen sind.1298 Während die Bezogenheit des Stellungnahmerechts auf die allgemeine Öffentlichkeit klar zeigt, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung nach der AarhusKonvention nicht unter dem Vorbehalt hinreichender Verfahrensbeschleunigung steht, verlangt Art. 6 Abs. 7 AK im Einklang mit entsprechenden politischen Vorstellungen gerade der 1990er Jahre nicht zwingend die Durchführung einer öffentlichen Anhörung, die der Möglichkeit zur Stellungnahme nachfolgt. Diese ist vielmehr nur als Option den Vertragsparteien anheim gestellt.1299 Die generell nur auf ein Bemühen der Vertragsparteien um eine Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Vorbereitung umweltbezogener exekutiver Vorschriften bezogene Vorschrift des Art. 8 AK sieht in lit. c) optional die Möglichkeit mittelbarer Stellungnahmen der Öffentlichkeit durch sie vertretende und beratende Stellen vor. Gerade das Element der Vertretung impliziert aber, dass ein entsprechender Informationsfluss der Öffentlichkeit zu den vertretungsbefugten Stellen sichergestellt ist und diese dazu verpflichtet sind, das gesamte Spektrum an vorhandenen Informationen und Einwänden in das Verfahren einzubringen.1300 Dass Art. 7 AK die Möglichkeit zur Stellungnahme nicht erwähnt, verwundert, zumal über den Verweis des Art. 7 S. 2 AK auf die völkerrechtlichen Vorgaben gehen auch aus R. Hendler / M. Wu, Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltrecht der Europäischen Union, DVBl 2014, 78 (81); M. Wu, Öffentlichkeitsbeteiligung an umweltrechtlichen Fachplanungen, 2013, S. 126 f. 1298  UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 153. Dies hat jedoch in Systemen, die der Verletztenklage verschrieben sind, für sich genommen noch keinerlei Auswirkungen, da Art. 9 Abs. 2 AK hier die Aufstellung weiterer Voraussetzungen erlaubt und insoweit die Betroffenheit gerade noch nicht zur Begründung einer Klagebefugnis ausreicht. Siehe hierzu unten: Zweiter Teil, B. IV. 3. b) aa). 1299  A. Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), 31 (56); M. Zschiesche, Öffentlichkeitsbeteiligung in umweltrelevanten Zulassungsverfahren, 2015, S. 97; kritisch K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 259 f. sowie bereits F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 163, Fn. 353. 1300  Insoweit handelt es sich dann nicht um eine Umsetzung der Regelungen gem. Art. 8 lit. c) AK, soweit lediglich das Fachwissen „beteiligter Kreise“ in das Verfahren eingebracht werden soll, ohne dass es um eine echte Partizipation im Sinne einer Beeinflussung des Verfahrens geht, vgl. zu entsprechenden Regelungen im deutschen Recht T. Bunge, in: S. Schlacke / C. Schrader / T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, 2010, § 2 Rn. 527 ff.; ungenau insoweit N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisie-

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Art. 6 Abs. 8 AK auch auf die Pflicht zur Berücksichtigung des Beteiligungsergebnisses verwiesen wird. Ein Beteiligungsergebnis zu berücksichtigen ist aber nur dann möglich, wenn dieses überhaupt an die Entscheidungsträger herangetragen werden kann. Die Pflicht zur Berücksichtigung des Beteiligungsergebnisses impliziert insoweit die Möglichkeit der Öffentlichkeit zum umweltbezogenen Plan oder Programm Stellung zu nehmen. dd) Berücksichtigung des Beteiligungsergebnisses, Art. 6 Abs. 8, Art. 7 S. 2 i. V. m. Art. 6 Abs. 8, Art. 8 S. 3 AK Art. 6 Abs. 8 AK verlangt eine „angemessene Berücksichtigung“ des Ergebnisses der Öffentlichkeitsbeteiligung bei der zu treffenden umweltbezogenen Verwaltungsentscheidung und betrifft damit nicht die Pflicht der Behörden zur Entgegennahme des Vorbringens der Öffentlichkeit, auf diese zielt bereits Art. 6 Abs. 7 ab, sondern deren inhaltliche Berücksichtigung.1301 Die Verpflichtung gilt über den Verweis in Art. 7 S. 2 auch für die Öffentlichkeitsbeteiligung bei Plänen und Programmen. Soweit die Vertragsparteien auch bei der Vorbereitung exekutiver Vorschriften i. S. v. Art. 8 AK eine ­Öffentlichkeitsbeteiligung vorsehen, sind auch deren Ergebnisse so weit wie möglich zu berücksichtigen.1302 Der offene Wortlaut der Verpflichtungen lässt die Frage, wie genau eine inhaltliche Berücksichtigung des Ergebnisses von Öffentlichkeitsbeteiligungen stattzufinden hat, weitestgehend unbestimmt.1303 Bezugspunkt der Pflicht sind die durch die allgemeine Öffentlichkeit gem. Art. 6 Abs. 7 AK vorgerung, 2013, S. 207, die sich zu Unrecht auf T. Bunge, a. a. O., beruft, um die genannten Regelungen als Umsetzung von Art. 8 lit. c) AK einzuordnen. 1301  Insbesondere ist diese Frage auch nicht mit der in der deutschen Diskussion seit langem thematisierten Frage zu verwechseln, inwieweit eine Berücksichtigung des Ergebnisses einer UVP bei der materiellen Zulassungsentscheidung zu erfolgen hat. Obwohl diese beiden Fragen auseinanderzuhalten sind, besteht im deutschen Recht doch dadurch eine gewisse Verquickung, dass bei UVP-pflichtigen Vorhaben, die nicht zugleich auch ein immissionsschutzrechtliches Verfahren durchlaufen müssen, eine Öffentlichkeitsbeteiligung nur in der UVP stattfindet und die Berücksichtigung der Öffentlichkeitsbeteiligung nur über die Berücksichtigung der zusammenfassenden Bewertung der Umweltauswirkungen gem. § 12 UVPG bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens stattfindet. Zur Diskussion um die Berücksichtigungsfähigkeit des Ergebnisses der UVP bei der Zulassungsentscheidung siehe nur M. Beckmann, in: W. Hoppe / M. Beckmann, UVPG, § 12, Rn. 70 ff. 1302  J. Jendrośka, Public Participation in Environmental Decision-Making, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 92 (142). 1303  B. Peters, Die Auslegung von Art. 6-8 der Aarhus-Konvention durch das Aarhus Compliance Committee und die Auswirkungen im europäischen Umweltrecht, EurUP 2014, 185 (192); M. Zschiesche, Öffentlichkeitsbeteiligung in umweltrelevanten Zulassungsverfahren, 2015, S. 87.



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brachten Stellungnahmen. Eine Beschränkung der Berücksichtigung auf das Vorbringen bestimmter betroffener Kreise ist damit nicht vereinbar.1304 Hinsichtlich der Qualität der Berücksichtigung versteht das ACCC die Bestimmung dahingehend, dass die Beteiligung der Öffentlichkeit dieser weder eine Veto-Position i. S. e. Letztentscheidungsrechts gibt,1305 noch dass das Ergebnis vollkommen unberücksichtigt bleiben kann. Dies bedeutet, die AK verändert nicht die Entscheidungskompetenz, die bei den jeweils vorgesehenen Stellen verbleibt. Die Regelung stellt klar, dass es bei der Partizipation der Öffentlichkeit nach der AK nicht um einen (Bürger-)Entscheid geht, sondern um die diskursive Beeinflussung des Zustandekommens von Entscheidungen.1306 Dies begrenzt den durch die AK angestrebten partizipativen Einfluss maßgeblich und sichert zugleich die Geltungskraft der materiellen gesetzgeberischen Entscheidungen, die etwa in Deutschland repräsentativ-demokratisch legitimiert sind, davor ausgehebelt zu werden.1307 Die AK verlangt nur, aber immerhin, dass sich die Behörde mit jeder empfangenen Information ernsthaft auseinandersetzt und grundsätzlich in der Lage ist zu begründen, warum eine bestimmte Stellungnahme nicht im Ergebnis berücksichtigt wurde.1308 Eine Diskussion, wie mit den Stellungnahmen der Öffentlichkeit umgegangen wurde, ist in die gem. Art. 6 Abs. 9 AK zu veröffentlichende Entscheidung aufzunehmen.1309 Zwar zielt Art. 6 Abs. 9 S. 2 AK seinem Wortlaut 1304  ACCC / C / 2004 / 2

(Kazakhstan), Rn. 25. (UK), Rn. 93; ACCC / C / 2008 / 24 (Spain), Rn. 98; vgl. auch J. Jendrośka, Public Participation in Environmental Decision-Making, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 92 (143) zu einem ComplianceVerfahren betreffend Polen. 1306  Vgl. F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 138. 1307  Vgl. F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 149. 1308  UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus Convention: An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 155. Eine nähere Prüfung und sachliche Auseinandersetzung fordern auch R. Hendler / M. Wu, Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltrecht der Europäischen Union, DVBl 2014, 78 (82); nach M. Zschiesche, Öffentlichkeitsbeteiligung in umweltrelevanten Zulassungsverfahren, 2015, S. 98, muss sich die vorangegangene inhaltliche Auseinandersetzung auch irgendwie sichtbar in der Zulassungsentscheidung manifestieren. Die Pflicht nach Art. 6 Abs. 8 AK obliegt freilich den Behörden selbst. Es genügt nicht, wenn sich lediglich der Vorhabenträger hiermit auseinandersetzt, ACCC / C / 2009 / 37 (Belarus), Rn. 96. 1309  ACCC / C / 2008 / 24 (Spain), Rn. 99 f.; vgl. dagegen aber M. Zschiesche, Öffentlichkeitsbeteiligung in umweltrelevanten Zulassungsverfahren, 2015, S. 87 und 98, der meint, dass die Genehmigungsbehörde ihre Erwägungsgründe „nicht offen und transparent darlegen“ müsse, insbesondere aus Art. 6 Abs. 9 S. 2 AK keine Notwendigkeit für einen speziellen Bericht über den Umgang mit den Stellungnahmen folge (S. 87). Zwar müsse auch nach seiner Ansicht erkennbar sein, dass eine Auseinandersetzung mit Stellungnahmen, Hinweisen und Kritiken der Öffentlichkeit stattgefunden habe (S. 98). Für die Manifestation dieser Auseinandersetzung in der Entscheidungsbegründung sollen jedoch Hinweise hierauf ausreichend sein. 1305  ACCC / C / 2012 / 68

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

nach nur auf die Verpflichtung der entscheidenden Behörde ab, diejenigen Gründe und Erwägungen offen zu legen, auf welche die Entscheidung gestützt wurde. Das Ziel der AK, transparente Verwaltungsentscheidungen zu schaffen, spricht jedoch gegen ein Verständnis dieser Formulierung, wonach die zurückgewiesenen Stellungnahmen völlig unerwähnt bleiben können. Da das Vorziehen bestimmter und das Zurückweisen anderer Gründe vielmehr regelmäßig zusammenhängen, ergibt auch Art. 6 Abs. 9 S. 2 AK, dass genau dieser Prozess des Erwägens in der zu veröffentlichenden Begründung der Entscheidunng abzubilden ist. Auch bei Art. 6 Abs. 8 AK handelt es sich dann aber um eine prozedurale, nicht eine materielle Pflicht.1310 Aus ihr folgen gerade keine inhaltlichen Vorgaben für die letztendlich von der Behörde zu treffende Entscheidung.1311 Aus ihr folgen auch keinerlei Gewichtungsvorgaben für eine abwägende Berücksichtigung. Art. 6 Abs. 8 AK gibt lediglich vor, dass die Behörde die Stellungnahmen inhaltlich gewichten muss. Das dabei anzulegende Gewicht selbst ergibt sich aber aus ihrer Bedeutung im konkreten Fall und den Gewichtungsvorgaben des einschlägigen materiellen Rechts. Von der AarhusKonvention werden diese Fragen selbst nicht thematisiert.1312 Dies mit Folgenlosigkeit der Öffentlichkeitsbeteiligung gleichzusetzen, würde das Konzept prozeduralen Rechts nicht hinreichend Ernst nehmen.1313 Der Gebrauch dieses Instruments als bloßes Feigenblatt bedeutet erhebliche Gefahren für die Identifikationsbereitschaft von Bürgern mit ihrem Staat. Insbesondere von Schenderlein, weniger ausführlich auch von anderen Autoren,1314 wurde aber die Frage aufgeworfen, ob es mit der Verpflichtung nach Art. 6 AK vereinbar sei, wenn aufgrund der Implementierungsmaßnahmen im europäischen Recht für solche Vorhaben, die nur der UVP-RL, nicht aber gleichzeitig auch der IE-RL unterliegen, eine Öffentlichkeitsbeteiligung 1310  A. A. J. Jendrośka, Public Participation in Environmental Decision-Making, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 92 (145). 1311  Dies sieht auch das ACCC so, wenn es erklärt, dass die Konvention nicht etwa eine Prüfung des Nutzens des Vorhabens oder die Erfüllung ähnlicher materieller Kriterien verlange, ACCC / C / 2007 / 22 (France), Rn. 38. 1312  ACCC / C / 2007 / 22 (France), Rn. 38. 1313  Gleichwohl dürfte damit ein erheblicher Effektivitätsverlust verbunden sein. Zur entsprechenden Diskussion um die Berücksichtigung von Ergebnissen von Umweltverträglichkeitsprüfungen siehe bereits E. Hagenah, Prozeduraler Umweltschutz, 1996, S. 100 f. 1314  K. Schenderlein Rehtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 140 ff. sowie 145 hinsichtlich der Umsetzung von Art. 7 AK durch die Plan-UP; in diese Richtung auch F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 162; J. Jendrośka, Public Participation in Environmental Decision-Making, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 92 (144), der zumindest die Berücksichtigungspflicht nach Art. 6 Abs. 8 AK in einem weiteren Sinne interpretiert.



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nur im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung stattfindet und damit auf die umweltrelevanten Aspekte eines Vorhabens begrenzt wird. Nach teilweise vertretener Ansicht verlangt Art. 6 AK demgegenüber eine auf sämtliche Aspekte einer umweltrelevanten Tätigkeit bezogene Öffentlichkeitsbeteiligung, nicht lediglich für die Umweltaspekte selbst. Die Ansicht scheint insbesondere mit Blick auf Art. 6 Abs. 7, 8 AK berechtigt, wonach weder die Möglichkeit der Öffentlichkeit zur Abgabe von Stellungnahmen noch die Berücksichtigungspflicht eine inhaltliche Beschränkung aufweist. Dies findet sich jedoch durchaus auch entsprechend in Art. 6 Abs. 4, Art. 8 UVP-RL n. F.1315 wieder. Lediglich das deutsche Recht sieht in § 12 UVPG vor, dass lediglich die Umweltauswirkungen durch die zuständige Behörde bewertet und anschließend bei der Entscheidung über die Zulassung des Vorhabens berücksichtigt werden. Dies schließt es zwar unter der Geltung des Unter­ suchungsgrundsatzes im Verwaltungsverfahrensrecht gem. § 24 VwVfG nicht aus, dass nicht auch anderweitige Stellungnahmen der Öffentlichkeit Berücksichtigung finden. Eine explizite Anordnung im deutschen Recht fehlt jedoch insoweit. Auch ist unklar, ob dem entgegengehalten werden kann, dass die Aarhus-Konvention ihrem Wesen nach nur auf eine Berücksichtigung von Umweltaspekten abzielt und deshalb jedenfalls eine teleologische Reduktion der Vorschriften zulässig ist. Eine entsprechende Argumentation, die den deutschen Gesetzgeber im Bereich der dritten Säule der AK zur Beschränkung des Rechtsschutzes von Umweltvereinigungen auf umweltrelevante Vorschriften bewogen hatte, wurde jedenfalls vom EuGH zurückgewiesen.1316 Hierhinter steht die Überlegung, dass umweltrelevante Tätigkeiten auch dann, wenn sie im Einklang mit umweltrechtlichen Vorschriften stattfinden, die Umwelt belasten und sie deshalb insgesamt und nicht lediglich in ihrer unmittelbar umweltrelevanten Dimension der Öffentlichkeitsbeteiligung bedürfen.1317 Selbst wenn man diese Argumentation aber für die Rechtsschutzvorschriften der AK für überzeugend hält, so ist ihre Übertragung auf die Öffentlichkeitsbeteiligung dennoch abzulehnen. Zunächst kann Art 6 Abs. 8 AK, der lediglich eine „angemessene Berücksichtigung“ des Beteiligungsergebnisses verlangt, durchaus so gedeutet werden, dass eine Beschränkung der Berücksichtigung allein auf die umweltbezogenen Aspekte einer Tätigkeit immer noch „angemessen“ ist. Insoweit belässt die Konvention den Vertragsparteien durchaus einen Umsetzungsspielraum. Hinzu kommt die systematische Er1315  Siehe auch die nun erfolgte Änderung von Art. 8 RL 2011 / 92 / EU durch Art. 1 Nr. 8 RL 2014 / 52 / EU, wonach nun die Ergebnisse der Konsultationen beim Genehmigungsverfahren „gebührend zu berücksichtigen sind“. 1316  Siehe dazu unten: Zweiter Teil, B. IV. 3. b) bb) (2) (e) (cc). 1317  T. Bunge, Der Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten in Deutschland, ZUR 2015, 531 (534).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

wägung, dass auch die Informationspflichten der Art. 6 Abs. 2 und 6 AK nicht über jeden Aspekt einer Tätigkeit, sondern über die umweltrelevanten Aspekte informieren sollen. Soweit zudem Schenderlein die Pflicht zur Verwirklichung einer nicht allein auf die UVP-Prüfung bezogenen Öffentlichkeitsbeteiligung aus Nr. 20 des Anhangs I AK der Konvention ableiten will,1318 geht dies von der falschen Annahme aus, dass Nr. 20 des Anhangs I AK eine Öffentlichkeitsbeteiligung nach Aarhus-Standards zusätzlich zu einer nach nationalem Recht vorgesehenen Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen einer UVP-Prüfung verlangt. Nach Nr. 20 des Anhangs I der AK soll jede nicht sonst durch den Anhang erfasste Tätigkeit in den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 lit. a) AK fallen, wenn für sie eine Öffentlichkeitsbeteiligung aufgrund eines Verfahrens zur Umweltverträglichkeitsprüfung nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehen ist. Damit verlangt die Vorschrift aber lediglich die Anwendung der Aarhus-Standards auf eben diese Prüfung. Sie soll mithin zu einer Vereinheitlichung von nationalen und völkerrechtlichen Verfahrensstandards i. S. e. Mindestmaßes führen, nicht jedoch zu einer Verdopplung von Öffentlichkeitsbeteiligungen als Teil einer UVP sowie zusätzlich hierzu. Insoweit weist Nr. 20 des Anhang I vielmehr darauf hin, dass die AK eine Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen einer UVP-Prüfung für ausreichend erachtet. Mehrere Berichte des ACCC weisen zudem auf die Richtigkeit der hier entwickelten Ansicht hin, da dort auch das Compliance Committee nur die Anwendung der Standards zur Öffentlichkeitsbeteiligung für zwingend ansieht, soweit eine (faktische) UVP durchgeführt wurde, nicht aber umgekehrt auch die UVP als zwingenden Teil einer Öffentlichkeitsbeteiligung betrachtet.1319 Dieses Verständnis spiegelt sich schließlich inzwischen auch im Implementation Guide zur Aarhus-Konvention wider.1320 Nach alldem ist der Ansicht von Schenderlein zwar zuzugeben, dass zwar die Implementierung der Öffentlichkeitsbeteiligung als Teil einer UVP durchaus zur Beschränkung ihrer Tragweite führt, dies jedoch durch die AK gebilligt wird.

1318  K. Schenderlein,

S. 141.

Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013,

1319  ACCC / C / 2008 / 24 (Spain), Rn. 82; ACCC / C / 2009 / 37 (Belarus), Rn. 74 ff. Anders jedoch ACCC / C / 2010 / 50 (Czech Republic), Rn. 70 und hierzu A. Epiney / S. Dilzig / B. Pirker / S. Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Art. 6, 6bis Rn. 27. 1320  UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus Convention: An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 122.



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f) Völkerrechtsunmittelbare oder mittelbar völkerrechtlich vorzusehende Verfahrensrechte Einzelner? Auf der Grundlage der vorangehenden Untersuchung soll nun versucht werden zu beantworten, ob es sich bei den in Art. 6-8 AK gewährleisteten Positionen um subjektive prozedurale Berechtigungen handelt, oder ob diese jedenfalls mittelbar-völkerrechtlich die Staaten zur Implementierung solcher subjektiver Rechte verpflichten. In beiderlei Hinsicht kann dies ausgeschlossen werden für Art. 7 S. 4 AK, wonach ohnehin nur ein Bemühen um die Beteiligung der Öffentlichkeit an der Vorbereitung umweltbezogener Politiken geschuldet ist. Das Gleiche gilt für die Öffentlichkeitsbeteiligung nach Art. 8 AK. In beiden Fällen folgt dem geringen Grad an Verbindlichkeit bereits hinsichtlich des „Ob“ einer Gewährleistung auch ein weiter Umsetzungsspielraum bei der innerstaatlichen Umsetzung und der Entscheidung für eine rein objektiv- oder subjektiv-rechtliche Umsetzung. Die Frage stellt sich nach hier vertretener Ansicht aber durchaus für die Beteiligung an der Vorbereitung umweltbezogener Pläne und Programme nach Art. 7 S. 1–3 AK einerseits und an Entscheidungen über bestimmte Tätigkeiten nach Art. 6 AK andererseits und zwar bereits ohne Betrachtung ihrer prozessualen Bewehrung nach Art. 9 Abs. 2, 3 AK. Dies folgt aus der hier angenommenen Trennbarkeit der Fragen nach einem materiellen subjektiven Recht und seiner prozessualen Durchsetzbarkeit1321 und eröffnet die Möglichkeit, Art. 9 Abs. 2, 3 AK nicht lediglich als prozessuale Vervollständigung prozeduraler Rechte, sondern ggf. als eigenständige subjektive prozessuale Garantien mit oder ohne materiell-subjektive Rechte als Basis und damit möglicherweise als reinen Durchsetzungs- oder Kontrollanspruch zu betrachten.1322 Zwar spricht der Wortlaut von Art. 1 AK,1323 wonach jede Vertragspartei „das Recht […] auf Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren“ gewährleistet, scheinbar klar für die Qualifikation der in Art. 6 und 7 S. 1–3

1321  Siehe

hierzu bereits oben: Erster Teil, C. II. 2. die Unterscheidung von möglichen Umsetzungsmodellen bei der Umsetzung allgemeinbegünstigender Richtlinienbestimmungen bei M. Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (365 f.) sowie U. Giera, Individualrechte im europäischen Umweltrecht, 2015, S. 218. Siehe auch J. Masing, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, Bd. I, 2. Aufl. 2012, § 7 Rn. 119. Diese Differenzierung ist freilich vor allen Dingen dogmatischer Natur und dürfte praktisch von geringer Bedeutung sein, so auch M. Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsraum, JZ 2012, 380 (388). 1323  Vgl. zudem Absatz 8 der Präambel der AK. 1322  So

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

AK gewährleisten Positionen als prozedurale subjektive Rechte,1324 berücksichtigt man aber die Unsicherheit in der Völkerrechtslehre über dieses Konzept und die hierzu vertretenen konträren Meinungen, so erscheint im Lichte der Auslegungsregel des Art. 31 Abs. 1 WVK fraglich, ob allein hieraus auf das Bestehen einer subjektiven prozeduralen Berechtigung geschlossen werden kann. Der völkerrechtliche Grundsatz der souveränitätsschonenden Auslegung1325 fordert es vielmehr, auch teleologisch-funktionale Überlegungen einfließen zu lassen, und danach zu fragen, ob die Umsetzung mittels subjektiver Rechte für die Erreichung des mit der Rechtsposition verfolgten Zweckes zwingend erforderlich ist.1326 Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die hier betrachteten Regelungen  – anders als Art. 4 Abs. 1 AK  – gerade keine Antragsgebundenheit vorsehen,1327 diese mithin auch nicht auf eine Anstoßfunktion gegenüber der Verwaltung abzielen,1328 die sie von Rechts wegen nur mittels subjektiver Rechte erfüllen könnten. Selbst die in Art. 6 Abs. 7 vorgesehene Möglichkeit der Öffentlichkeit Stellungnahmen abzu­ geben und auch die Verpflichtung zur angemessenen Berücksichtigung der Öffentlichkeitsbeteiligung nach Art. 6 Abs. 8  – auf den auch Art. 7 S. 2 AK Bezug nimmt – sieht keine individualbegünstigenden Behördenhandlungen gegenüber Mitgliedern der Öffentlichkeit, sondern vielmehr rein behördenseitige Handlungen vor. Insoweit spricht viel dafür, dass die Aarhus-Konvention bei der Umsetzung der Art. 6, 7 S. 1–3 AK den Vertragsstaaten hinsichtlich der Wahl des Umsetzungskonzepts einen Spielraum belässt und damit auch Rücksicht auf das unterschiedliche Verständnis subjektiv-rechtlicher Garantien nimmt. Für das deutsche Recht bedeutet dies, dass sowohl eine Umsetzung mittels absoluter Verfahrensrechte möglich ist, aber dass es ebenfalls ausreicht, wenn die Verfahrenspositionen rein objektiv-rechtlich ausgestaltet werden. Wie zu zeigen sein wird, müsste aber auch in diesem Fall 1324  Hierauf verweist auch GA J. Kokott, Schlussanträge vom 30.06.2016 – C-243 / 15, Rn. 74. 1325  Grundsatz des „in dubio mitius“. 1326  So auch hinsichtlich der Umsetzung allgemeinbegünstigender europäischer Richtlinienbestimmungen M. Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (364). 1327  Auch die Informationsverpflichtung nach Art. 6 Abs. 6 AK ist nur fakultativ als antragsgebundenes Recht umzusetzen. Soweit dieses vorgesehen wird, zielt es zudem seinem binnensytematischen Kontext nach nicht auf eine Begründung subjektiver Rechtsmacht, sondern auf die Einräumung der Möglichkeit zur Beschränkung der objektiv-rechtlichen Pflicht von Behörden ab. Der hier ebenfalls eingeräumte Spielraum spricht gerade für die hier vertretene These, dass eine Umsetzung mittels subjektiver Berechtigung nicht verbindlich vorgesehen ist. 1328  Die Anstoßfunktion für die Verfahrenseinleitung geht vielmehr, wovon offensichtlich auch die AK ausgeht, von den Vorhabenträgern durch das Einreichen eines Genehmigungsantrages aus.



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gem. Art. 9 Abs. 2, 3 AK ein Zugang derjenigen zu Gericht gewährleistet werden, denen gegenüber die Pflicht zur Verfahrensbeteiligung möglicherweise verletzt wurde.1329 g) Bewertung und Zwischenfazit Aus der vornehmlich rechtlichen Untersuchung der Vorschriften der AK über die Öffentlichkeitsbeteiligung bei den erfassten umweltrelevanten Verfahren lässt sich nicht ohne weiteres auf deren Bedeutung für den Schutz biologischer Vielfalt schließen. Trotz des bisherigen Bestehens vor allen Dingen von Beteiligungslücken im Bereich des unionseigenen Vollzugs1330 hat die Umsetzung der Vorschriften im mitgliedstaatlichen Vollzug europäischen Umweltrechts und auch beim Vollzug rein nationalen Umweltrechts durch die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Vorbereitung umweltrelevanter Pläne und Programme und auch bei Entscheidungen über bestimmte umweltrelevante Tätigkeiten eine große Zahl an Fällen abgedeckt. Hier bestand jedenfalls die Möglichkeit einer auch inhaltlichen Verbesserung der getroffenen Entscheidungen sowie des Erreichens der übrigen mit der Öffentlichkeitsbeteiligung verfolgten Ziele.1331 Durch die begrenzende Bestimmung des Spielraums nach Art. 6 Abs. 1 lit. b) AK könnten in der Zukunft zudem weitere Lücken sowohl im mitgliedstaaltlichen als auch insbesondere im unionalen Vollzug geschlossen werden. Ob dadurch aber tatsächlich auch ein verbesserter Schutz der Bestandteile biologischer Vielfalt und dieser selbst bewirkt wird, hängt nicht zuletzt von der Effektivität des Steuerungsinstruments der Öffentlichkeitsbeteiligung ab, die nur auf der Grundlage empirischer Analysen, nicht aber der vorliegenden, vorwiegend normativen Untersuchung eingeschätzt werden kann. Nicht selten wird die Steuerungsleistung eher als gering bewertet.1332 Aus rechtlicher Sicht ist dies sicherlich auch darin begründet, dass das Instrument der Öffentlichkeitsbeteiligung allein auf eine Wirkung in Akzessorietät zu dem vorhandenen und durch die AarhusKonvention nicht veränderten materiell-rechtlichen Schutz biologischer Vielfalt abzielt.1333 Dessen normative Maßstäbe sollen nicht ersetzt, sondern le1329  Eine solche Umsetzung ist auch nach der VwGO nicht ausgeschlossen, § 42 Abs. 2 Alt. 1 VwGO. 1330  Vgl. J. Ebbesson, Public Participation and Privatisation in Environmental Matters: An Assessment of the Aarhus Convention, Erasmus Law Review 4 (2011), 71 (76). 1331  So für Deutschland M. Zschiesche, Öffentlichkeitsbeteiligung in umweltrelevanten Zulassungsverfahren, 2015, S. 25. 1332  F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 152 f.; kritisch auch M. Böhm, Bürgerbeteiligung nach Stuttgart 21, NuR 2011, 614 (615). 1333  F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 154.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

diglich ihre fallbezogene Anwendung prozeduralisiert und ihre Durchsetzung so effektuiert werden. Neben den insoweit bestehenden Unsicherheiten wird gleichwohl zu Recht die Bedeutung solcher Verfahren für einen gesamtgesellschaftlichen Umdenkprozess und damit den notwendigen kulturellen Wandel beim Umgang mit den Naturgütern hervorgehoben.1334 Hinzu kommt, viel stärker als die Bestimmungen der ersten und dritten Säule der Konvention unterliegen die Regelungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung der Gefahr, dass diese nur der Form nach in nationale Rechtsordnungen implementiert werden, ihre Anwendung aber ineffektiv bleibt. Dies spiegelt sich auch in der Berichtspraxis des ACCC wider, das sich deshalb vielfach nicht mit Fragen der grundsätzlichen Umsetzung der Vorschriften zur Öffentlichkeitsbeteiligung, sondern mit Detailfragen wie der Frühzeitigkeit ihrer Durchführung, der vollständigen Information der betroffenen Öffentlichkeit oder den Anforderungen an eine angemessene Berücksichtigung befasst, die für das Erreichen der mit der Öffentlichkeitsbeteiligung verfolgten Zwecke elementar sind. Die Vorgaben der AK sind umso weniger für die Vertragsstaaten bindend, je höher die Beteiligung in der normativen Kaskade von Genehmigungsentscheidung bis Gesetzgebung angesiedelt ist.1335 Gerade bei den Vorgaben für die tätigkeitsbezogene Öffentlichkeitsbeteiligung hat sich aber gezeigt, dass den Vertragsstaaten, nach Konkretisierung der Vorgaben durch EuGH und ACCC,1336 allenfalls geringe Spielräume bei der Ausgestaltung der Öffentlichkeitsbeteiligung verbleiben.1337 Nach hier vertretener Ansicht besteht aber jedenfalls ein Spielraum in der Frage, ob die Verfahrenspositionen als subjektiv-rechtliche auszugestalten sind. Wo jedoch keine Spielräume bestehen, verwundert es doch, dass es in der unionsrechtlichen Umsetzung bis heute nicht gelungen ist, diese vollständig und fehlerfrei herbeizuführen.1338 Der hier nach wie vor bestehende Umsetzungsbedarf zeigt, dass die AK trotz der Orientierung der zweiten Säule an der ersten europäischen UVP-RL normativ auch von den Mitgliedstaaten der Union und dieser selbst – ganz zu schweigen von den Vertragsstaaten außerhalb der Union – weitaus mehr 1334  F. Ekardt,

Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 154. Public Participation in Environmental Decision-Making, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 92 (95). 1336  Kritisch noch zur fehlenden Konkretisierung bestimmter Vorgaben A. Fisahn, Effektive Beteiligung solange noch alle Optionen offen sind, ZUR 2004, 136 (139). 1337  A. A. N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 55. 1338  Vgl. die deutliche Kritik bei R. Hendler / M. Wu, Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltrecht der Europäischen Union, DVBl 2014, 78 (85): „Es drängt sich daher die Frage auf, ob es als überflüssig erachtet wird, bei der Normierung beteiligungsrechtlicher Anforderungen einen Blick in die Aarhus-Konvention zu werfen.“ 1335  J. Jendrośka,



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

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fordert als lediglich eine begriffliche Vereinheitlichung von schon bestehenden Verfahrenskonzepten.1339 3. Das „Recht auf Zugang zu Gerichten“ Während die ersten beiden Säulen der Aarhus-Konvention wegen der im europäischen Recht vorhandenen Vorgängerregelungen der ersten Umweltinformations- und UVP-Richtlinien und der konzeptionellen Orientierung an diesen für die Mitgliedstaaten der Union vor allen Dingen im Detail – wenn auch durchaus erhebliche – Änderungen brachten, so halten die völkerrechtlichen Vorgaben der in Art. 9 normierten dritten Säule der Aarhus-Konvention über den Zugang zu Gerichten An- und Herausforderungen für die Vertragsstaaten bereit, die etwa in Deutschland aber auch im Unionsrecht bis heute nicht abschließend bewältigt sind und zur Hinterfragung grundlegender Prinzipien des subjektiven Rechtsschutzes zwingen. Die Anforderungen gehen auch für das schon vor Inkrafttreten der Konvention unionsrechtlich eingebundene und europäisierte deutsche Prozessrecht weit über das hinaus, was das Gemeinschaftsrecht auf begrenzter kompetenzieller Grundlage über punktuelle Regelungen, die Grundsätze der Unionstreue und die Beschränkung der Verfahrens- und Prozessautonomie den Mitgliedstaaten schon in der Vergangenheit an Anpassungen abverlangt hatte. Insgesamt kommt auch den Vorgaben des Art. 9 AK die Funktion zu, einen Beitrag zur Verwirklichung des in Art. 1 AK anerkannten Rechts eines jeden Angehörigen der gegenwärtigen und künftiger Generationen auf ein Leben in einer der Gesundheit und dem Wohlbefinden zuträglichen Umwelt zu leisten. Dies soll erreicht werden durch die in Art. 9 Abs. 1 AK normierte prozessuale Bewehrung des Informationszugangsrechts nach Art. 4 Abs. 1 AK und der Öffentlichkeitsbeteiligung der zweiten Säule nach Art. 9 Abs. 2 AK. Schon hier war lange Zeit umstritten, inwieweit diese Bewehrung über die Rechte nach Art. 6 AK hinausgeht und auch Beteiligungsverfahren nach Art. 7 S. 1–3 AK umfasst. Schließlich zielen Art. 9 Abs. 2 und 3 AK ihrem Wortlaut nach daneben auch auf einen hiervon unabhängig zu gewährleistenden Gerichtszugang für die Überprüfung umweltrelevanter Tätigkeiten und möglicherweise auch sonstiger Handlungen ab. Die Regelungen des Art. 9 AK sind insoweit also teils akzessorisch zu den Vorgaben der ersten beiden Säulen und dienen deren prozessualer Bewehrung, teils sind sie selbständiger Natur.

1339  Vgl. zu Beispielen der begrifflichen Anpassung des deutschen Rechts an die Terminologie der AK A. Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), 31 (33 f.).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Die Absätze 4 und 5 des Artikels 91340 enthalten daneben keine selbständigen Gewährleistungen, sondern betreffen das für die Verfahren nach Abs. 1–3 durch die Vertragsstaaten einzuhaltende Mindestmaß an Rechtsschutzeffek­ tivität. Während Abs. 5 hierfür von den Vertragsstaaten eine Aufklärung der Öffentlichkeit über die Rechtsschutz- und Überprüfungsverfahren verlangt und daneben zur Prüfung und Beseitigung ggf. weiterer vorhandener Hindernisse auffordert, verlangt Abs. 4 zusätzlich und unbeschadet weiterer Anforderungen nach Abs. 1 eine Ausgestaltung der Verfahren nach Art. 9 Abs. 1–3 AK, die angemessenen und effektiven Rechtsschutz und, soweit angemessen, auch vorläufigen Rechtsschutz1341 sicherstellen. Danach müssen diese Verfahren insbesondere fair, gerecht und zügig und dürfen nicht übermäßig teuer sein. Insbesondere die Vorgabe eines nicht übermäßig teuren Verfahrens, die eine Beschränkung der in Art. 3 Abs. 8 S. 2 AK enhaltenen Klarstellung der grundsätzlichen Zulässigkeit von Verfahrensgebühren darstellt und eine für die Aarhus-Konvention typische Adressierung eines tatsächlichen Verwirk­ lichungshindernisses darstellt,1342 hat sowohl das ACCC1343 als auch den EuGH1344 bereits mehrfach beschäftigt und zur Entwicklung von Kriterien zur Bestimmung der höchstzulässigen Gebühren geführt.1345

1340  Auf die Darstellung der danach im Einzelnen geltenden Anforderungen wird hier verzichtet, siehe hierzu etwa B. Goby, Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten im Lichte der Aarhus-Konvention, 2015, S. 172 ff.; UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus Convention: An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 199 ff. sowie A. Epiney / S. Dilzig / B. Pirker / S. Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Art. 9 Rn. 40 ff. 1341  Siehe hierzu, jedenfalls für Verfahren im Anwendungsbereich des Europarechts, EuGH, Urteil vom 15.01.2013 – C-416 / 10 (Križan), Rn. 105 ff. 1342  Siehe hierzu bereits oben unter Zweiter Teil, B. I. 1. sowie zum konkreten Zusammenhang J. Berkemann, Das „nicht übermäßig teure“ gerichtliche Verfahren im Umweltrecht, jM 2014, 470 (470). 1343  Siehe ACCC / C / 2008 / 33 (UK), Rn. 34 ff. sowie ACCC / C / 2011 / 57 (Denmark), Rn.  51 f. 1344  Siehe zum EuGH, Urteil vom 16.07.2009  – C-427 / 07 (Kommission gegen Irland); EuGH, Urteil vom 11.04.2013  – C-260 / 11 (Edwards) sowie EuGH, Urteil vom 13.02.2014 – C-530 / 11 (Kommission gegen Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland). 1345  Auf die vollständige Darstellung der die aktive Rolle Einzelner und Umweltvereinigungen für den Umweltschutz absichernden Entscheidungen wird hier verzichtet. Siehe hierzu insbesondere J. Berkemann, Das „nicht übermäßig teure“ gericht­ liche Verfahren im Umweltrecht, jM 2014, 470 ff. insbesondere auch S. 471 und 474 zur Frage der Zulässigkeit von Sicherheitsleistungen als Voraussetzung für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, wie es im englischen Recht möglich ist und für das deutsche Recht von K. Rennert für Verfahren im Umweltbereich mit Drittbeteiligung gefordert wurde. Vgl. ders.,  Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl 2015, 793 (800, Fn. 52).



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

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Der Reichweite der prozessualen Gewährleistungen des Art. 9 Abs. 1 und 2 AK kommt eine erhebliche Bedeutung für die dezentrale Durchsetzung des Umweltinformationszugangsrechts nach Art. 4 AK und die Beteiligung der Öffentlichkeit in Umweltangelegenheiten nach Art. 6 sowie 7 S. 1–3 AK zu. Mit der teilweisen Ausrichtung von Art. 9 Abs. 2 AK auf die prozessuale Durchsetzung von Verfahrenspositionen in der Öffentlichkeitsbeteiligung stellen sich gerade für das deutsche Recht Fragen der Vereinbarkeit eines weitgehenden Ausschlusses der selbständigen Klagbarkeit von Verfahrensrechten auf der Grundlage der Schutznormlehre sowie § 44a VwGO, der Beschränkung des prozessualen Aufhebungsanspruches nach § 46 VwVfG oder der weitreichenden Zulässigkeit der Heilung von Verfahrensfehlern etwa nach § 45 VwVfG. Soweit Art. 9 Abs. 2 und 3 AK die Durchsetzung rein objektiven – formellen und materiellen – Umweltrechts ermöglichen, bedeutete dies aus Sicht des deutschen Rechts zudem eine Durchbrechung der Grundsätze der Schutznormlehre und würde dazu zwingen, die zuvor nur im Anwendungsbereich der naturschutzrechtlichen Verbandsklage vorgesehene Durchsetzung rein objektiv-rechtlicher Umweltschutzvorschriften durch Umweltvereinigungen und ggf. Einzelne und damit die Anwendung des Konzepts der Funktionalisierung subjektiver Rechte zur Durchsetzung von Allgemeininteressen erheblich auszuweiten und zur Begründung einer weiterreichenden prokuratorischen Rechtsstellung führen.1346 Die Anforderungen der Art. 9 Abs. 1–3 AK sind im Folgenden in der Reihenfolge ihrer Nennung in der AK zu untersuchen [a)–c)]. Auch hier ist ein Augenmerk auf die Frage zu legen, wie es kam, dass die scheinbar weiten Umsetzungsspielräume der Regelungen den Vertragsstaaten heute tatsächlich kaum noch einen Umsetzungsspielraum geben. a) Rechtsschutz gegen Verkürzungen des Informationsanspruchs, Art. 9 Abs. 1 AK Die Implementierung der in Art. 9 Abs. 1 AK vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten in die Rechtsordnungen der Vertragsstaaten hat angesichts der Klarheit des geforderten Mindeststandards1347 bislang keine größeren Schwierigkeiten verursacht.1348 Dies hängt freilich auch damit zusammen, 1346  Vgl. J. Held, Umweltrechtliche Verfahrensfehler im Lichte der neuesten Recht­ sprechung, DVBl 2016, 12 (12 f.). 1347  J. Ebbesson, Access to Justice at the National Level, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 245 (256). 1348  Entsprechend kurz fallen auch die einschlägigen Analysen der Regelung aus, vgl. nur S. Schlacke, in: dies. / C. Schrader / T. Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, 2010, § 3 Rn. 102; N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 58 f., 281 f.;

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

dass sich die Anforderungen insoweit auch in Rechtsschutzsysteme wie das deutsche Verletztenklagesystem mit einem restriktiven Gerichtszugang relativ unproblematisch einfügen lassen.1349 Art. 9 Abs. 1 UAbs. 1 AK verpflichtet die Vertragsparteien im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicherzustellen, dass „jede Person, die der Ansicht ist, dass ihr nach Artikel 4 gestellter Antrag auf Informationen nicht beachtet, fälschlicherweise ganz oder teilweise abgelehnt, unzulänglich beantwortet oder auf andere Weise nicht in Übereinstimmung mit dem genannten Artikel bearbeitet worden ist, Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle hat“. Unterabsätze 2 und 3 enthalten weitere konkretisierende Verpflichtungen über die Ausgestaltung der Überprüfungsverfahren und ihre Rechtswirkung. Die Verpflichtungen sind durch die Europäische Union für den mitgliedstaatlichen Vollzug durch Richtlinie 2003 / 4 / EG (UI-RL), in Deutschland für die Bundesebene in § 6 UIG sowie für die Länderebene durch die Landesumweltinformationsgesetze jeweils i. V. m. den allgemeinen Vorschriften über den Gerichtszugang bzw. das Widerspruchsverfahren der VwGO umgesetzt worden. Für den unionalen Vollzug ist sie bereits durch die Regelung des Art. 263 Abs. 4 AEUV hinreichend gewährleistet. Art. 9 Abs. 1 UAbs. 1, 2 AK verlangt zumindest die Implementierung eines Überprüfungsverfahrens vor einer unabhängigen und unparteiischen Stelle.1350 B. Goby, Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten im Lichte der Aarhus-Konvention, 2015, S. 152; D. Thurnherr, Öffentlichkeit und Geheimhaltung von Umweltinformationen, 2003, S. 143 f.; A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 102. 1349  Hinzu kommt zumindest für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, dass bereits unter Geltung der ersten UI-RL1990 ein weitgehend entsprechendes Informationszugangsrecht und dessen Rechtsschutz im jeweiligen nationalen Recht umzusetzen war. Die gleichwohl vereinzelt in der deutschen Diskussion geäußerten Zweifel am Charakter des Umweltinformationsanspruchs als subjektiv-öffentliches Recht i. S. v. § 42 Abs. 2 2. Hs. VwGO scheinen insoweit von der falschen Prämisse auszugehen, dass der Gesetzgeber nicht auch jedermann ein subjektives Recht i. S. e. Popularrechts zuweisen könne und führt insoweit die Schutznormtheorie als Beleg der eigenen These an. Diese dient aber keineswegs der Definition subjektiver Rechte, sondern stellt lediglich eine Theorie über deren Auffinden im Wege der Normauslegung bei Fehlen einer eindeutigen gesetzgeberischen Äußerung dar. Bestehen aber an dem subjektiv-rechtlichen Charakter einer Norm keine Zweifel, so bedarf es auch nicht ihrer weiteren Auslegung. Auch bei § 3 UIG ist der subjektiv-rechtliche Charakter des Informationsanspruchs aber eindeutig zu erkennen, sodass es seiner Auslegung insoweit gar nicht bedarf. Wie hier J. Held, Umweltrechtliche Verfahrensfehler im Lichte der neuesten Rechtsprechung, DVBl 2016, 12 (13). 1350  Damit erhebt die Regelung die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit zu den maßgeblichen Anforderungen, J. Ebbesson, Access to Justice at the National Level, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 245 (253).



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

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Dies kann, muss aber kein gerichtliches Verfahren sein.1351 Sehen die Vertragsparteien aber ein gerichtliches Verfahren vor, so muss gem. UAbs. 2 dem noch ein weiteres gesetzlich festgelegtes schnelles und gebührenfreies oder nicht kostenaufwendiges Überprüfungsverfahren vorgeschaltet werden.1352 Dies kann vor einer unabhängigen und unparteiischen Stelle oder aber auch vor ­einer Behörde stattfinden. Unabhängig davon, welche Überprüfungsmöglichkeiten im nationalen Recht vorgesehen sind, verlangt Art. 9 Abs. 1 UAbs. 3 AK zudem, dass die am Ende eines solchen Rechtsschutzverfahrens stehende Entscheidung für die informationsverpflichtete Stelle verbindlich ist. Die Aarhus-Konvention verpflichtet damit nicht zwingend zu einer prozessualen Bewehrung des in Art. 4 AK vorgesehenen Informationsanspruches durch die Eröffnung eines Zugangs zu einem Gericht. Soweit seine Durchsetzung gerade über den Zugang zu Gerichten stattfindet, wie dies im europäischen und – dem folgend – auch im deutschen Recht der Fall ist, verpflichtet Art. 9 Abs. 1 UAbs. 2 AK zudem nicht zur Einrichtung einer Popularklage. Der dem Informationsbegehrenden eröffnete Gerichtszugang wird insbesondere nicht dadurch zum Popularrechtsbehelf, dass er sich auf den jedermann zustehenden Umweltinformationsanspruch nach Art. 4 Abs. 1 AK bezieht. Nicht jedermann muss danach nämlich die Verletzung des vorzusehenden Umweltinformationsanspruchs geltend machen können, sondern lediglich derjenige, dessen Begehren aus seiner Sicht nach der Stellung eines entsprechenden Antrags1353 nicht vollständig befriedigt wurde. Diese Person befindet sich aber in der typischen Adressatensituation als Empfänger einer belastenden Verwaltungsentscheidung bzw. als eines durch Unterlassen Belasteten. Seinem Prüfungsumfang nach muss der Rechtsschutz sowohl materielle als auch formelle Rechtsfehler umfassen.1354

1351  Insoweit ist die Überschrift von Art. 9 AK „Zugang zu Gerichten“ wenig treffend. Die Überschrift in der authentischen englischen Fassung erscheint mit „Access to Justice“ aufgrund der Doppeldeutigkeit des Begriffs „Justice“ passender. 1352  Vgl. hierzu ACCC / C / 2004 / 01 (Kazakhstan), Rn. 26. 1353  Dieser stellt nach Art. 9 Abs. 1 AK eine objektive Klagevoraussetzung dar, A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 102. Insoweit handelt es sich auch nicht um einen „voraussetzungslosen“ Rechtsbehelf, so U. Giera, Individualrechte im europäischen Umweltrecht, 2015, S. 40. Wie hier A. Epiney / S. Dilzig / B. Pirker / S. Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Art. 9 Rn. 14. 1354  J. Ebbesson, Access to Justice at the National Level, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 245 (254 f.).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

b) Anfechtung von Entscheidungen im Anwendungsbereich von Art. 6 AK gem. Art. 9 Abs. 2 AK Art. 9 Abs. 2 AK verpflichtet Staaten zur Eröffnung eines Zugangs zu Gerichten oder auf gesetzlicher Grundlage errichteter unabhängiger und unparteiischer Stellen1355 für bestimmte Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit gegen umwelterhebliche Tätigkeiten i. S. v. Art.  6 AK1356 und – sofern Vertragsstaaten dies nach dem jeweiligen Recht vorsehen – gegen die Verletzung sonstiger einschlägiger Bestimmungen der Aarhus-Konvention. Die Bestimmung stand lange Zeit im Fokus der Bemühungen um die Implementierung der 3. Säule der AK. Sie ist heute in europäisches Recht durch die Vorgaben der Art. 25 IE-RL sowie Art. 11 UVP-RL n. F. für den mitgliedstaatlichen Vollzug umgesetzt.1357 Für den unionalen Vollzug hat eine Umsetzung bislang – wie gesehen – nicht stattgefunden. Wie die Entscheidung Slowakischer Braunbär II nahe legt, zu Unrecht.1358 Der deutsche Gesetzgeber ist dem mit der nationalen Umsetzung der völker- und nahezu wortgleichen unionsrechtlichen Vorgaben bis heute nicht vollends gerecht geworden.1359 Von großer Schwierigkeit hat sich in diesem Prozess die Vereinbarung der Vorgaben mit dem in Deutschland realisierten Modell der Verletztenklage und den restringierenden Anforderungen der auf den Schutz individueller materieller Interessen ausgerichteten Schutznormtheorie sowie einem Verständnis von Verfahrensrecht erwiesen, das dessen dienende Funktion in den Vordergrund stellt. Hinzu kam als weiteres Hindernis die lange Zeit dominante rechtspolitische Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung. Der heute maßgebliche völkerrechtliche Entwicklungsstand lässt sich keineswegs länger allein dem Konventionstext der Aarhus-Konvention entnehmen. Seine Erfassung setzt vielmehr eine vertiefte Auseinandersetzung mit den zahlreichen ergangenen EuGH-Entscheidungen sowie den Ergebnissen der Compliance-Verfahren des Überwachungs-Komitees der Aarhus-Konvention1360 vor dem Hintergrund der in der Literatur geführten Diskussionen voraus. Im Folgenden ist zunächst zu untersuchen, wer nach Art. 9 Abs. 2 1355  Letztere Alternative, die auch das europäische Transformationsrecht in Art. 25 Abs. 1 IE-RL bzw. Art. 11 Abs. 1 UVP-RL vorsehen, ist in Deutschland freilich nicht relevant, da sich der deutsche Gesetzgeber für das gerichtliche Verfahren entschieden hat. Vgl. M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 2012, 171 (177). 1356  Siehe hierzu bereits oben unter Zweiter Teil, B. IV. 2. d) aa) sowie sogleich. 1357  Art. 11 UVP-RL n. F. wurde durch RL 2014 / 52 / EU nicht verändert. 1358  Siehe hierzu bereits oben unter Zweiter Teil, B. IV. 2. d) aa) (2). 1359  Auch nach der zuletzt vorgenommenen umfangreichen Reform des UmweltRechtsbehelfsgesetzes bleiben insoweit etwa aufgrund der Ausweitung von Heilungsvorschriften Zweifel zurück.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

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AK Zugangsberechtigter ist [aa)], bevor der Frage der sachlichen Reichweite der prozessualen Gewährleistung nachgegangen wird [bb)], um auf dieser Grundlage schließlich den subjektiv-rechtlichen Charakter der Gewährleistung und seine Völkerrechtsunmittelbarkeit zu ergründen [cc)]. Die Untersuchungsergebnisse sind schließlich zu bewerten [dd)]. aa) Zugangsberechtigte Wie auch zahlreiche Regelungen im Rahmen der 2. Säule der AK über die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungen über bestimmte Tätigkeiten gem. Art. 6 AK, knüpft Art. 9 Abs. 2 für die Bestimmung der zum Zugang zu Gericht Berechtigten am Begriff der „betroffenen Öffentlichkeit“ i. S. v. Art. 2 Nr. 5 AK an. Auf oben hierzu gemachte Ausführungen kann entsprechend verwiesen werden.1361 Zu beachten ist aber: Anders als im Rahmen von Art. 6 AK dient diese Anknüpfung in Art. 9 Abs. 2 AK systematisch bedingt nicht dem Ausschluss derjenigen Teile der allgemeinen Öffentlichkeit vom Zugang zum Gericht, die nicht selbst auch tasächlich oder wertungsmäßig durch die Zulassung einer konkreten Tätigkeit betroffen sind1362 – im Rahmen von Art. 9 Abs. 2 AK wird diese Anforderung ohnehin noch einmal durch selbständige engere Gerichtszugangsvoraussetzungen in UAbs. 1 verschärft1363 – sondern vielmehr nur der Übernahme der ebenfalls in Art. 2 Nr. 5 AK vorgesehenen Definition von Umweltvereinigungen und ihrer Unterscheidung von der betroffenen Öffentlichkeit im Übrigen, d. h. Einzelnen oder sonstigen Personenvereinigungen. Schon diese Regelungssystematik legt es nahe, dass die Unterscheidung von Umweltvereinigungen einerseits und der sonstigen betroffenen Öffentlichkeit andererseits zum Anknüpfungspunkt für unterschiedliche Rechtspositionen gemacht werden soll. Aus der doppelten Bedingtheit des Gerichtszugangs für Mitglieder der Öffentlichkeit nach Art. 9 Abs. 2 AK  – ihre Betroffenheit i. S. v. Art. 2 Nr. 5 AK einerseits und die Erfüllung der sich teilweise hiermit überschneidenden Anforderungen nach Art. 9 Abs. 2 UAbs. 1 lit. (a) oder (b) AK andererseits – folgt, dass hier zunächst der negative Schluss dahingehend möglich ist, dass jedenfalls Mitglieder der nicht betroffenen Öffentlichkeit keinen Gerichtszugang erhalten müssen und auch nicht solche Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, 1360  Der Schwerpunkt der Untersuchung lag dabei auf die Deutschland betreffenden Verfahren, punktuell wurden aber auch andere Verfahren in die Betrachtungen miteinbezogen. 1361  Siehe hierzu oben unter Zweiter Teil, B. IV. 2. b) bb). 1362  Siehe hierzu bereits oben: Zweiter Teil, B. IV. 2. b) bb) (2). 1363  Vgl. Art. 9 Abs. 2 UAbs. 1 lit (a) und (b), die ein ausreichendes Interesse oder alternativ die Geltendmachung einer Rechtsverletzung verlangen, sofern das Verwaltungsprozessrecht einer Vertragspartei dies als Voraussetzung erfordert.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

die nicht wenigstens ein „ausreichendes Interesse“ i. S. v. Art. 9 Abs. 2 UAbs. 1 lit. (a) AK besitzen. bb) Sachliche Reichweite der prozessualen Gewährleistung Die Bestimmung der sachlichen Reichweite der prozessualen Gewährleistung des Art. 9 Abs. 2 AK hat sich in den letzten Jahren als äußerst komplex herausgestellt. Die sachliche Reichweite ergibt sich zunächst aus der Verknüpfung von Art. 9 Abs. 2 AK mit dem sachlichen Anwendungsbereich des Art. 6 AK. Dort stattgefundene Erweiterungen sind auch hier zu berücksichtigen (1). Die genaue Bestimmung des Rügepotentials (2), die auch durch die Eigenständigkeit der vorgesehenen Überprüfungsverfahren und damit die Frage nach der Zulässigkeit materieller Präklusionen geprägt wird (3), klärt die wichtigsten Fragen. Im Anschluss hieran soll kurz auf die auch in der Rechtsprechung bislang nicht abschließend geklärte Frage nach der Zulässigkeit von Heilungsvorschriften (4) eingegangen werden. (1) Die Anknüpfung des Rechtsschutzes nach Art. 9 Abs. 2 AK an Art. 6 AK Neben der den Vertragsstaaten überlassenen Ausweitung des Anwendungsbereichs von Art. 9 Abs. 2 AK auf weitere Vorschriften der Konvention1364 sieht Art. 9 Abs. 2 AK obligatorisch die Eröffnung einer Rechtsschutzmöglichkeit zur Anfechtung von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen vor, für die Artikel 6 AK gilt. Diese Anknüpfung führt zur Beschränkung des (obligatorischen) sachlichen Anwendungsbereichs, d. h. der tauglichen Verfahrensgegenstände der Vorschrift, auf die durch Art. 6 AK erfassten Entscheidungen über umweltrelevante Tätigkeiten. Eine Beschränkung auf die Rügefähigkeit bestimmter verfahrensrechtlicher Vorschriften, wie es mit der Betonung der Bezogenheit von Art. 9 Abs. 2 AK auf Art. 6 AK vielfach angedeutet wird,1365 ist damit aber schon dem Wortlaut nach nicht verbunden1366 und erscheint bei einem systematischen Vergleich mit Art. 9 Abs. 1 1364  UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch, The Aarhus Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 193. 1365  In diese Richtung etwa noch T. v. Danwitz, Aarhus-Konvention: Umweltinformation, Öffentlichkeitsbeteiligung, Zugang zu den Gerichten, NVwZ 2004, 272 (276); C. Walter, Beteiligungsrechte im Verwaltungsverfahren und Zugang zu Gerichten, in: W. Durner / C. Walter, Rechtspolitische Spielräume bei der Umsetzung der Århus-Konvention, 2005, 7 (9) sowie ders., Grundlagen und Rahmenbedingungen für die Steuerungskraft des Völkerrechts, ZaöRV 2016, 363 (381). 1366  J. Darpö, Article 9.2 of the Aarhus Convention and EU Law, Journal of European Environmental & Planning Law 11 (2014), 367 (376); S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 243; A.-M. Schlecht, Die Unbeachtlichkeit von Ver-



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

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AK ausgeschlossen.1367 Art. 9 Abs. 2 AK regelt die Vorgaben hinsichtlich des zu gewährenden Rügepotentials für solche Verfahren vielmehr eigenständig und abschließend. Hervorzuheben ist, dass es für die Zuordnung nationaler Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen zum Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 AK nicht auf die im nationalen Recht vorgefundene Kategorisierung ankommt. Maßgeblich sind allein ihre jeweilige rechtliche Funktion und ihre Wirkungen. Soweit diese die Ausführung einer Aktivität gestattet, ist von einer durch Art. 9 Abs. 2 AK erfassten Handlungsform auszugehen.1368 Nach den Entscheidungen des EuGH und den Erkenntnissen des ACCC zum Anwendungsbereich von Art. 6 AK1369 können dementsprechend ausnahmsweise auch vorhabenzulassende Gesetzgebungsakte zu erfassen sein, die zumindest insoweit einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich gemacht werden müssen, als es um die Frage geht, ob durch die Wahl der Form eines Legislativaktes die Anwendbarkeit der Vorschriften des Art. 6 AK bzw. der UVP-RL wirksam ausgeschlossen worden ist oder nicht.1370 Auch Verwaltungsentscheidungen, welche die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung und damit auch einer Öffentlichkeitsbeteiligung für nicht erforderlich erklären, sind einer gerichtlichen Prüfung zugänglich zu machen.1371 fahrensfehlern im deutschen Umweltrecht, 2010, S. 150 f. die zwar den Wortlaut zunächst insoweit für unklar hält, dann aber doch konzediert, dass sich ein solches Verständnis nicht mit der expliziten Forderung nach einer Kontrolle der materiellrechtlichen Rechtmäßigkeit verträgt; M. Grunow / N. Salzborn, Zum Prüfungsumfang der Umweltverbandsklage, ZUR 2015, 156 (157). 1367  ACCC / C / 2008 / 33 (UK), Rn. 123; ACCC / C / 2010 / 50 (Czech Republic), Rn. 79 ff.; A.-M. Schlecht, Die Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern im deutschen Umweltrecht, 2010, S. 151 f. m. w. N., die darauf hinweist, dass Art. 9 Abs. 2 AK  – anders als Art. 9 Abs. 1 AK  – gerade nicht den Gerichtszugang nur zugunsten der Geltendmachung eines Verfahrensrechts nach Art. 6 AK eröffnet; S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 241 f.; W. Durner, Rechtspolitische Spielräume im Bereich der dritten Säule: Prüfungsumfang, Kontrolldichte, prozessuale Ausgestaltung und Fehlerfolgen, in: W. Durner / C. Walter, Rechtspolitische Spielräume bei der Umsetzung der Århus-Konvention, 2005, 64 (71 f.); M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (175); A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 112 m. z. w. N. 1368  ACCC / C / 2005 / 11 (Belgium), Rn. 29. 1369  Siehe hierzu bereits oben: Zweiter Teil, B. IV. 2. b) bb). 1370  EuGH, Urteil vom 18.10.2011  – C-128 / 09 u. a. (Boxus u. a.), Rn. 53 ff.; EuGH, Urteil vom 16.02.2012 – C-182 / 10 (Solvay), Rn. 48 ff. 1371  Vgl. EuGH, Urteil vom 30.04.2009 – C-75 / 08 (Mellor), Rn. 58. sowie EuGH, Urteil vom 16.02.2012  – C-182 / 10 (Solvay), Rn. 58 f. Zwar zieht der Gerichtshof hier nicht auch die Vorschriften der AK heran. Ein entsprechendes Gebot dürfte sich gleichwohl aus Art. 9 Abs. 2, 4 AK ergeben, da nur so die Effektivität des gewährleisteten Rechtsschutzes sichergestellt werden kann, so auch ACCC / C / 2010 / 50 (Czech Republic), Rn. 82.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

(2) Zu gewährleistendes Rügepotential im Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 AK Die Ermittlung der Vorgaben des Art. 9 Abs. 2 AK hinsichtlich des zu gewährleistenden Rügepotentials müssen bei dem insoweit auslegungsoffenen Konventionstext ansetzen (a). Bevor getrennt nach Umweltvereinigungen und sonstigen Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit das jeweilige Rügepotential ermittelt wird [(c)–(d)], ist die Ausgangslage im deutschen Recht zur Illustration der durch Art. 9 Abs. 2 AK gestellten Herausforderungen kurz zu skizzieren [(b)]. (a) Art. 9 Abs. 2 AK  – Textbefund und Genese Art. 9 Abs. 2 AK verlangt schon wegen der Beschränkung seines personellen Anwendungsbereichs auf die betroffene Öffentlichkeit nach Art. 2 Nr. 5 AK von den Vertragsstaaten keine Zulassung einer allgemeinen Popularklage gegen umweltrelevante Verstöße bei der Zulassung von Tätigkeiten im Anwendungsbereich von Art. 6 AK.1372 Seinem Wortlaut nach eröffnet Art. 9 Abs. 2 UAbs. 1 AK den Vertragsstaaten zudem einen Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung der Gerichtszugangsregeln, um die Berücksichtigung der jeweiligen Eigenheiten der vertragsstaatlichen Prozessordnungen, die entweder mehr dem Modell der Interessentenklage oder dem Modell der Verletztenklage zuneigen, zu ermöglichen. Art. 9 Abs. 2 AK zwingt danach zur Öffnung des Zugangs zu Gerichten für Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit nur, soweit diese entweder gem. lit. (a) ein ausreichendes Interesse oder – alternativ – gem. lit. (b) eine Rechtsverletzung geltend machen können. Im Folgenden soll auf die für Deutschland relevante Alternative (b) fokussiert werden. Gerade die Eröffnung letzterer Alternative erscheint nämlich in besonderem Konflikt mit dem Ziel der Erreichung eines weiten Gerichtszugangs, wie es auch Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 S. 1 AK formuliert und der Ausweitung der Anfechtungsmöglichkeiten umweltrelevanter Zulassungen gerade durch Umweltvereinigungen i. S. d. Absätze 8 und 18 der Präambel der AK. Im deutschen Prozessrecht hat, wie gesehen,1373 die auf Grundlage der Schutznormtheorie vorgesehene Koppelung der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO an die Geltendmachung der Möglichkeit einer Verletzung materiell-personaler subjektiver Rechte die Rüge der Verletzung solcher umweltschützender Normen ausgeschlossen, die – nach diesem Verständnis – nur dem Schutz von Allgemeininteressen dienen. Eine altruistische Verbandsklage widerspricht 1372  GA

E. Sharpston, Schlussanträge vom 16.12.2010 – C-115 / 09, Rn. 41. hierzu bereits oben: Erster Teil, B. I. 1.

1373  Siehe



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diesem Dogma geradezu und war, wie gesehen, in Deutschland vor Umsetzung der Aarhus-Konvention und der entsprechenden europäischen Vorgaben auch nur für einen relativ eng begrenzten Anwendungsbereich zugelassen worden.1374 Sollen die Ziele der Konvention erreicht werden, kann der Verweis in Art. 9 Abs. 2 UAbs. 1 lit. (b) AK deshalb kaum als grenzenlos angesehen werden. Eine solche Grenzenlosigkeit scheint zwar zunächst durch den Verweis auf die Erfordernisse des innerstaatlichen Prozessrechts in Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 S. 1 AK bei der Bestimmung dessen, was als Rechtsverletzung gilt, gestützt zu werden. Die Sätze 2 und 3 desselben Unterabsatzes formulieren jedoch sodann zugunsten von Umweltvereinigungen Fiktionen1375 ihres ausreichenden Interesses i. S. v. UAbs. 1 lit. (a) bzw. ihrer Eigenschaft „als Träger von Rechten“, die gem. lit. (b) „verletzt werden kön­ nen“.1376 Auch für den hiervon nicht berührten Bereich des Individualrechtsschutzes verlangt Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 S. 1 AK zudem, dass die Bestimmung der genannten Zulassungsschranken im Einklang mit dem „Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit im Rahmen dieses Übereinkommens einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren“, vorzunehmen ist. Der erste Eindruck eines textlich unaufgelösten Spannungsverhältnisses zwischen den Zielen der Aarhus-Konvention im Bereich der dritten Säule einerseits und dem den Vertragsstaaten eingeräumten Spielraum wird noch durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift des Art. 9 Abs. 2 AK weiter verstärkt. Auch wenn die Verhandlungsdokumente bis heute nicht vollständig freigegeben sind,1377 lässt sich nicht nur anhand der zugänglichen Sitzungsberichte nachvollziehen, wie die zunächst noch sehr weit formulierten Anforderungen an den zu gewährleistenden Rechtsschutz nach und nach eingeschränkt wurden,1378 vielmehr ist es auch bekannt, dass sich gerade Deutschland in der Endphase der Verhandlungen dafür einsetzte, den Vertragsstaaten einen erheblichen Handlungsspielraum zu belassen und so für das Einfügen 1374  Siehe

hierzu ebenfalls bereits oben: Erster Teil, B. I. 1. Public Interest Litigation Concerning Environmental Matters before Human Rights Courts: A Promising Future Concept?, Journal of Environmental Law, 20:3 (2008), 417 (433); zu dieser „Kompromissformel“ auch J. Berkemann, Querelle d’Allemand. Deutschland verliert die dritte Runde im Umweltverbandsrecht vor dem EuGH, DVBl 2016, 205 (209). 1376  Zu den Auslegungsmöglichkeiten dieser Fiktionen R. Alleweldt, Verbandsklage und gerichtliche Kontrolle von Verfahrensfehlern: Neue Entwicklungen im Umweltrecht, DÖV 2006, 621 (625 f.). 1377  J. Berkemann, Querelle d’Allemand. Deutschland verliert die dritte Runde im Umweltverbandsrecht vor dem EuGH, DVBl 2016, 205 (209). 1378  A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 126 f. unter Verweis auf die einzelnen Berichte der mit den Verhandlungen beauftragten Arbeitsgruppe. Siehe auch A. Epiney / S. Dilzig / B. Pirker / S. Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Art. 9 Rn. 3 ff. 1375  C. Schall,

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

der oben benannten Passagen sorgte, die scheinbar aus deutscher Sicht eine weitgehende Beibehaltung eines eng gefassten Gerichtszugangs in Modellen der Verletztenklage ermöglichen sollten.1379 Anhand des Beispiels Deutschland sollen im Weiteren die Anforderungen des Art. 9 Abs. 2 untersucht werden.1380 (b) Ausgangslage im deutschen Recht Mit Blick auf das unter anderem in Deutschland umgesetzte Verletztenklagemodell, das auch in Art. 9 Abs. 2 AK ausdrücklich eine – wenn auch in ihren Wirkungen unsichere – Berücksichtigung fand, wurden anlässlich der Umsetzung der über das europäische Sekundärrecht nahezu wortlautidentisch vermittelten Vorgaben der Aarhus-Konvention in das deutsche Recht ganz unterschiedliche Ansichten über die geforderte Weite einer zu schaffenden Umweltverbandsklage vertreten. Von Veränderungen im Bereich des Individualrechtsschutzes wollte der deutsche Gesetzgeber ohnehin weitestgehend absehen. In einem sehr restringtiven Sinne wurde argumentiert, es sei ausreichend, Umweltvereinigungen lediglich einige bestimmte Rechte zuzuweisen, da Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 S. 3 AK – d. h. der Verweis auf das nationale Recht zur Bestimmung des Begriffs der Rechtsverletzung – so verstanden wurde, dass dort lediglich die Eigenschaft von Umweltvereinigungen als Rechtsträger fingiert, nicht aber Vorgaben hinsichtlich der ihnen zukommenden Rechte gemacht wurden.1381 Nach anderer Ansicht sollte die Regelung dagegen in einem weiteren, gleichwohl begrenzten Sinne so zu verstehen sein, dass Umweltvereinigungen im Rahmen des Verletztenklagemodells mit Individual­ klägern gleichzustellen seien und Umweltvereinigungen deshalb ebenfalls 1379  M. Zschiesche, Die Aarhus-Konvention – mehr Bürgerbeteiligung durch umweltrechtliche Standards?, ZUR 2001, 177 (181) sowie allgemein zur Rolle Deutschlands bei den Verhandlungen a. a. O., S. 178; A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 127. 1380  Dies bedingt es zwar, dass die Erkenntnisse der Untersuchung für Rechtsschutzsysteme, die der Interessentenklage näher stehen, von geringerem Wert sind. Da hier ohnehin von einem deutlich geringeren Konfliktpotential auszugehen ist, scheint dies aber gerechtfertigt, vgl. S. Pernice-Warnke, Effektiver Zugang zu Gericht, 2009, S. 138. 1381  Vgl. T. v. Danwitz, Aarhus-Konvention: Umweltinformation, Öffentlichkeitsbeteiligung, Zugang zu den Gerichten, NVwZ 2004, 272 (279); W. Durner, Rechtspolitische Spielräume im Bereich der dritten Säule, in: ders. / C. Walter, Rechtspolitische Spielräume bei der Umsetzung der Århus-Konvention, 2005, 64 (72); weitgehende Freiheit der Vertragsstaaten sah auch M. Schmidt-Preuß, Gegenwart und Zukunft des Verfahrensrechts, NVwZ 2005, 489 (495 f.), der etwa auch die Regelung einer rein egoistischen Verbandsklage für mit Art. 9 Abs. 2 AK vereinbar ansah.



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die Berufung auf die Verletzung von Schutznormen im Sinne der deutschen Lehre gestattet werden sollte. Diese Beschränkung wurde durch verschiedene Stimmen als von Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 S. 3 AK gedeckt angesehen, dar dieser nur die Fiktion der Trägerschaft von Rechten für Umweltvereinigungen insoweit verlangte, als es sich um Rechte handele, die „verletzt werden können“. Dies aber war nach der Schutznormlehre eben auf solche drittschützenden Normen beschränkt.1382 Obwohl auch damals bereits eine beachtliche Meinung in der rechtswissenschaftlichen Literatur davon ausging, dass die Fiktionsregelung umfassend in dem Sinne zu verstehen sei, dass Umwelt­ vereinigungen stets, d. h. unabhängig vom drittschützenden Charakter einer möglicherweise verletzten Vorschrift, eine Klagebefugnis gegen Zulassungen im Anwendungsbereich von Art. 6 AK zuzuerkennen sei, um gerade den durch die AK bezweckten Schutz der Umwelt im Allgemeininteresse wesentlich zu verbessern,1383 schloss sich der deutsche Gesetzgeber dem nicht an und konzipierte die im Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz vorgesehene Umweltverbandsklage als schutznormakzessorisch.1384 Da sich diese nicht nur auf die Stufe der Zulässigkeit beschränkte, wurde zugleich einer Vollkontrolle angreifbarer Entscheidungen eine Absage erteilt.1385

1382  In diese Richtung auch T. v. Danwitz, Aarhus-Konvention: Umweltinformation, Öffentlichkeitsbeteiligung, Zugang zu den Gerichten, NVwZ 2004, 272 (279); S. Almeling, Die Aarhus-Konvention, 2008, S. 215 ff.; C. Schall, Public Interest Litigation Concerning Environmental Matters before Human Rights Courts: A Promising Future Concept?, Journal of Environmental Law, 20:3 (2008), 417 (437). 1383  Siehe nur H.-J. Koch, Die Verbandsklage im Umweltrecht, NVwZ 2007, 369 (379); J. Ziekow, Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz im System des deutschen Rechtsschutzes, NVwZ 2007, 259 (260); J. Berkemann, Die unionsrechtliche Umweltverbandsklage des EuGH, DVBl 2011, 1254 (1257) m. z. w. N. aus der damaligen Diskussion; A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 267; inzwischen haben sich dieser Position angeschlossen N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013 S. 60; B. Goby, Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten im Lichte der AarhusKonvention 2015, S. 101; K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 170. Abweichend hiervon lehnte es S. Pernice-Warnke, Effektiver Zugang zu Gericht, 2009, S. 139 f. angesichts des Wortlauts von Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 S. 3 AK zwar ab, von der Verpflichtung zu einer umfassenden Privilegierung von Umweltvereinigungen auszugehen, sah aber ihre Reduktion auf ein schutznormakzessorisches Verständnis angesichts der in Art. 9 Abs. 2 UAbs. 1 AK auch geforderten Kontrolle der verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit nicht als möglich an. 1384  Als „eigentümliche Kombination aus Verbandsklage und Schutznormtheorie“ sieht dies treffend M. Ruffert, Verwaltungsrecht im europäischen Verwaltungsverbund, Die Verwaltung 48 (2015), 547 (559). 1385  Zu dieser Funktion der Schutznormakzessorietät vgl. nur J. Berkemann, Die Umweltverbandsklage nach dem Urteil des EuGH vom 12. Mai 2011, NuR 2011, 780 (785).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Während der Gesetzgeber mithin hinsichtlich des materiellen Rechtsschutzes trotz Warnungen eine Minimallösung verfolgte, sah er sich beim Rechtsschutz gegen Verfahrensfehler dagegen schon damals gezwungen, die bisherigen Grundsätze des deutschen Verwaltungsprozessrechts zu modifizieren. Bislang hatte in Deutschland auch im Bereich des Umweltrechts der Grundsatz der rein dienenden Funktion des Verwaltungsverfahrens für die Gewährleistung eines Schutzes materiell-personaler Interessen vorgeherrscht.1386 Eine eigenständige Funktion des Verfahrensrechts, wie im europäischen Recht,1387 wurde hingegen nur ganz ausnahmsweise anerkannt. Aus dieser Vorstellung von der primären Unselbständigkeit des Verfahrensrechts waren durch Gesetzgeber und Rechtsprechung bedeutsame Folgerungen für die Ausgestaltung des Rechtsschutzes, d. h. konkret für den Zugang zu Gerichten, die Erfolgsbedingungen von Rechtsbehelfen und die Aufhebung angegriffener Handlungen als Regelfolge erfolgreicher Rechtsbehelfe1388 gezogen worden.1389 Unter Geltung der Schutznormtheorie1390 wurden Verfahrensnormen grundsätzlich nicht als geeignet angesehen subjektive Rechte zu begründen.1391 Ausnahmen wurden nur insoweit hiervon gemacht, als der Eigenwert bestimmter Verfahrenspositionen ausnahmsweise anerkannt und ihr subjektiv-rechtlicher Charakter mit dem Begriff der absoluten Verfahrensrechte1392 1386  Ausführlich hierzu C. Quabeck, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 8 ff. sowie zu den gesetzlichen Erscheinungsformen de lege lata im deutschen Recht S. 52 ff.; J. Greim, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht, 2013, S. 24; zur Bedeutung des Verfahrensverständnisses für die bisherige Verfahrensfehlerlehre A.-M. Schlecht, Die Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern im deutschen Umweltrecht, 2010, S. 26 ff. 1387  F. Schoch, Verwaltungsgerichtsbarkeit, quo vadis?, VBlBW 2013 361 (369 m. z. w. N.). Zu einem Abgleich der Gemeinsamkeiten und Unterschiede der europäischen und deutschen Verfahrensverständnisse K. F. Gärditz, Europäisierter Umweltrechtsschutz als Laboratorium des Verwaltungsprozessrechts, EurUP 2015, 196 (197 f.). 1388  Dazu, dass sich diese Frage unabhängig vom jeweiligen Rechtsschutzkonzept stellt K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl 2015, 793 (796). 1389  Hierzu C. Quabeck, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 52 ff. 1390  Zu deren Geltung auch für Verfahrensnormen J. Held, Umweltrechtliche Verfahrensfehler im Lichte der neuesten Rechtsprechung, DVBl 2016, 12 (14) sowie bereits ders., Individualrechtsschutz bei fehlerhaftem Verwaltungsverfahren, NVwZ 2012, 461, (463); W.-R. Schenke / R. P. Schenke, in: F. O. Kopp / W.-R. Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 42 Rn. 95. 1391  J. Greim, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht, 2013, S. 32; W.-R. Schenke / R. P. Schenke, in: F. O. Kopp / W.-R. Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 42 Rn. 95; vgl. hierzu auch F. Schoch, Verwaltungsgerichtsbarkeit, quo vadis?, VBlBW 2013 361 (368). 1392  Allgemein zur Figur der absoluten Verfahrensrechte J. Greim, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht, 2013, S. 33 ff.; zur korrespondierenden Form



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zum Ausdruck gebracht wurde.1393 Darüber hinaus wurden – zunächst aufbauend auf Erkenntnissen der grundrechtlichen Dimension des Verfahrensrechts, d. h. ihrer grundrechtsschützenden Funktion,1394 jedoch im Weiteren nicht auf diese beschränkt – Verfahrensnormen mit relativ drittschützendem Charakter als sog. relative Verfahrensrechte anerkannt, soweit sie dem Schutz materiell-personaler Interessen zu dienen bestimmt waren.1395 Während die Möglichkeit der Verletzung solcher Normen zumindest die Substantiierungslast für die Begründung einer Klagebefugnis verringerte1396 und damit den Zugang zu Gerichten häufig ermöglichte, konnten Verstöße gegen sonstige Verfahrensnormen, die ausschließlich die Berücksichtigung allgemeiner Interessen sichern sollten und allein dem Zustandekommen einer Entscheidung dienten, für sich genommen weder mittelbar zu einer Verletzung in eigenen Rechten und damit zur Begründung einer Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO, noch zur Begründetheit einer Anfechtungsklage nach § 113 Abs. 1 VwGO oder eines anderen Verwaltungsrechtsbehelfs führen. Selbst wenn aber in den für den Umweltschutz nicht zentralen Adressatenkonstellationen bereits die Verletzung einer beliebigen Verfahrensnorm zur Rechtswidrigkeit und damit zur Begründetheit von Anfechtungsrechtsbehelfen führte,1397 hindes absoluten Verfahrensfehlers und seine Bedeutung für die Anwendung von § 46 VwVfG A.-M. Schlecht, Die Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern im deutschen Umweltrecht, 2010, S. 54 f.; J. Held, Individualrechtsschutz bei fehlerhaftem Verwaltungsverfahren, NVwZ 2012, 461, (464); A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 73 ff.; S. Emmenegger, in: T. Mann / C. Sennekamp / M. Uechtritz, VwVfG, 2014, § 46 Rn. 102 ff. 1393  J. Greim, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht, 2013, S. 32. 1394  Vgl. insbesondere den Mühlheim-Kärlich-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 53, 30 ff.; vgl. hierzu A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 77 ff.; J. Held, Individualrechtsschutz bei fehlerhaftem Verwaltungsverfahren, NVwZ 2012, 461 (461), der darauf hinweist, dass eine weitere Aufwertung des Verfahrensrechts in der Folge dennoch auch wegen der gesetzgeberischen Entscheidungen für eine Beschleunigung von Genehmigungs- und Planungsverfahren ausblieb. 1395  J. Held, Individualrechtsschutz bei fehlerhaftem Verwaltungsverfahren, NVwZ 2012, 461 (464); A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 76. 1396  A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 76 m. N. aus der Rechtsprechung. 1397  Trotz der subjektiven Rechtsschutzkonzeption hat der Adressat eines belastenden Verwaltungsaktes einen Vollüberprüfungsanspruch, J. Held, Individualrechtsschutz bei fehlerhaftem Verwaltungsverfahren, NVwZ 2012, 461, (463). Dies ist letztlich Ausfluss der Elfes-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 6, 32 (36 f.). Zur hierauf beruhenden Adressatentheorie W.-R. Schenke / R. P. Schenke, in: F. O. Kopp / W.-R. Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 42 Rn. 70 sowie R. Wahl / P. Schütz, in: F. Schoch / J.-P. Schneider / W. Bier, VwGO, 31. EL Juni 2016, § 42 Rn. 70.

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derte § 46 VwVfG die Aufhebung der rechtswidrigen Handlungen doch, soweit der Verfahrensverstoß offensichtlich ohne Auswirkungen auf das Ergebnis der Verwaltungsentscheidung geblieben war. Insbesondere in der fachplanungsrechtlichen Rechtsprechung wurde dabei der Nachweis der nach § 46 VwVfG für einen Sanktionsanspruch geforderten Kausalität zwischen Verfahrensfehler und Entscheidungsergebnis den durch umweltrelevante Vorhaben betroffenen Klägern auferlegt,1398 den zu erbringen Klägern angesichts der Komplexität der solchen Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalte häufig nicht gelang.1399 Zudem wurden umfangreiche Heilungsmöglichkeiten von Verfahrensfehlern auch nach dem Abschluss von Verwaltungsverfahren gem. § 45 VwVfG anerkannt1400 und die selbstständige Anfechtbarkeit von Verfahrensfehlern nach Maßgabe des § 44a VwGO regelmäßig ausgeschlossen.1401 Auch wenn das deutsche Verwaltungsprozessrecht mithin durchaus Möglichkeiten zur Geltendmachung von Verletzungen von Verfahrensnormen insoweit zuließ, als diese dem Schutz materiell-personaler Interessen dienten,1402 führte die strenge Handhabung des zu erbringenden Kausalitätsnachweises nach § 46 VwVfG durch die Rechtsprechung im Ergebnis doch zu einer weitgehenden Folgenlosigkeit von Verfahrensfehlern gerade auch soweit sie Umweltverträglichkeitsprüfungen und die in deren Rahmen stattfindenden Öffentlichkeitsbeteiligungen betrafen.1403 Zu der Bedeutung des Verfahrensrechts im europäischen Umweltrecht, wie sie nicht zuletzt in der Entscheidung Wells des EuGH1404 anhand der Vorschriften der UVP-RL a. F. 1398  Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 19.03.2003  – 9 A 33 / 02, Rn. 18 f. = NVwZ 2003, 1120; BVerwG, Urteil vom 29.10.2008  – 6 C 38 / 07, Rn. 42 = NVwZ 2009, 653 und hierzu F. Schoch, Verwaltungsgerichtsbarkeit, quo vadis?, VBlBW 2013, 361 (369) sowie M. Ludwigs, Bausteine des Verwaltungsrechts auf dem Prüfstand des EuGH, NJW 2015, 3484 (3486); weitere Nachweise und grundsätzliche Zustimmung zur Rechtsprechung bei S. Emmenegger, in: T. Mann / C. Sennekamp / M. Uechtritz, VwVfG, 2014, § 46 Rn. 72 f. 1399  A.-M. Schlecht, Die Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern im deutschen Umweltrecht, 2010, S. 61 f. 1400  C. Quabeck, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 64 ff. 1401  C. Quabeck, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 62 f.; A.-M. Schlecht, Die Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern im deutschen Umweltrecht, 2010, S. 56 ff. 1402  J. Held, Umweltrechtliche Verfahrensfehler im Lichte der neuesten Rechtsprechung, DVBl 2016, 12 (15). 1403  T. Bunge, UmwRG, 2013, § 4 Rn. 2; F. Schoch, Verwaltungsgerichtsbarkeit, quo vadis?, VBlBW 2013 361 (369); R. Klinger, Umweltverträglichkeitsprüfung und Rechtsschutz, ZUR 2014, 535 (536). 1404  EuGH, Urteil vom 07.01.2004 – C-201 / 02 (Wells), Slg. 2004, I-723. Ausführlich zu dieser Entscheidung und ihren Folgen für die Bedeutung von Verfahrensfeh-



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betont worden war, vermochte dies bereits vor der Ratifikation der AarhusKonvention durch Deutschland und ihrer Umsetzung ins EU-Sekundärrecht nicht zu passen.1405 In diesem Urteil unterstrich der Gerichtshof die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur loyalen Zusammenarbeit und konkret dazu, alle allgemeinen oder besonderen erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen nach der UVP-RL a. F. sicherzustellen.1406 Auch wenn der Gerichtshof insoweit nicht explizit von der Notwendigkeit einer Subjektivierung der Verfahrensnormen der UVP-RL a. F. sprach,1407 so konnte die in Deutschland weitestgehend fehlende Sanktionierung selbst vollständig unterbliebener Umweltverträglichkeitsprüfungen doch kaum als noch im Rahmen der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten erfolgte und damit europarechtskonforme Umsetzung der UVP-RL a. F. angesehen werden. Zwar war das Bundesverwaltungsgericht in der Folge dieser Entscheidung des EuGH zunächst von seiner bis dahin so strengen Kausalitätsrechtsprechung im Bereich der UVP1408 abgerückt und hatte – methodisch durch eine richtlinienkonform einschränkende Auslegung des Kausalitätserfordernisses in § 46 VwVfG und der Annahme der Ergebniskausalität auf der Grundlage einer „allgemeingültige(n) unwiderlegliche(n) Vermutung“ – eine Sanktionierung von Verfahrensfehlern jedenfalls in den Fällen vorgesehen, in denen wesentliche Teile einer UVP der Sache nach unterblieben waren, und damit ihr Ziel einer umfassenden Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Projekte vor Genehmigungserteilung nicht erlern bei Umweltverträglichkeitsprüfungen D. Murswiek / L. Ketterer / O. Sauer / H. Wöckel, Ausgewählte Probleme des allgemeinen Umweltrechts, Die Verwaltung 44 (2011), 235 (250 ff.); zusammenfassend R. Klinger, Umweltverträglichkeitsprüfung und Rechtsschutz, ZUR 2014, 535 (537 m. w. N.). 1405  Zur europarechtlichen Diskussion bereits vor der Wells-Entscheidung B. W. Wegener, Die Rechte des Einzelnen, 1998, S. 189 f. 1406  EuGH, Urteil vom 07.01.2004 – C-201 / 02 (Wells), Rn. 65. 1407  So aber die verbreitete Deutung des Urteils. Unterschiedliche Ansichten bestanden allerdings hinsichtlich des Umfangs der gebotenen Subjektivierung: Für einen Vollüberprüfungsanspruch des Einzelnen auch bzgl. der verfahrensmäßigen Rechtmäßigkeit F. Ekardt, Verwaltungsgerichtliche Kontrolldichte unter europäischem und internationalem Einfluss, NuR 2006, 221 (224); für einen Überprüfungsanspruch jedenfalls derjenigen verfahrensrechtlichen Anforderungen, die einen individualschützenden Charakter im erweiterten gemeinschaftsrechtlichen Sinne haben D. Murswiek, Ausgewählte Probleme des allgemeinen Umweltrechts, Die Verwaltung 38 (2005), 243 (266 m. w. N.); S. Schlacke, Zum Drittschutz bei Nichtdurchführung einer geboetenen Umweltverträglichkeitsprüfung, ZUR 2006, 360 (361 ff.); S. Almeling, Die Aarhus-Konvention, 2008, S. 204; J. Held, Individualrechtsschutz bei fehlerhaftem Verwaltungsverfahren, NVwZ 2012, 461 (465). 1408  Vgl. Nachweise bei D. Murswiek / L. Ketterer / O. Sauer / H. Wöckel, Ausgewählte Probleme des allgemeinen Umweltrechts, Die Verwaltung 44 (2011), 235 (251, Fn. 83). Siehe auch J. Berkemann, Die Umweltverbandsklage nach dem Urteil des EuGH vom 12. Mai 2011 – Die „noch offenen“ Fragen, NuR 2011, 780 (787).

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reicht wurde.1409 Eine Deutung der Vorschriften des UVP-Rechts i. S. absoluter Verfahrensrechte hatte aber auch das BVerwG nicht vorgenommen.1410 Durch Erlass des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes, konkret § 4 UmwRG 2006, erteilte der deutsche Gesetzgeber zudem schon kurze Zeit später selbst diesem vorsichtigen Schwenk der Rechtsprechung eine teilweise Absage.1411 § 4 UmwRG 2006, der eine punktuelle Sonderregelung zum im Übrigen anwendbaren1412 § 46 VwVfG sowohl für Umweltverbandsklagen als auch  – gem. § 4 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 UmwRG 2006 – für den Bereich des Individualrechtsschutzes darstellt,1413 begrenzte die Erheblichkeit von Verfahrensfehlern auf die Fälle des völligen Unterbleibens einer UVP bzw. einer Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit sowie des Unterbleibens ihrer Nachholung,1414 während für (auch schwerwiegende) Fehler in einer UVP bzw. Vorprüfung weiterhin die strengen Kausalitätsanforderungen des § 46 VwVfG  – und zwar in der durch die Rechtsprechung vorgenommenen sanktionsbegrenzenden Auslegung1415 – maßgeblich sein sollten. Daneben wurde klargestellt, dass die Möglichkeit der Heilung von Formfehlern nach wie vor möglich bleiben sollte.1416 Die gesetzgeberische Erstreckung der Vorschrift auf den Bereich des Individualrechtsschutzes in § 4 Abs. 1 S. 3 UmwRG 2006 wurde zudem in der Folge durch die Rechtsprechung dahingehend einschränkend ausgelegt, dass sie ausschließlich für die Begründetheitsebene Bedeutung habe, mithin die erfassten Verfahrensfeher von Einzelnen auch nur dann erfolgreich geltend gemacht werden konnten, wenn ihr Zugang zu Gericht, d. h. ihre Klagebefugnis, durch die Geltendmachung einer 1409  So die Deutung von BVerwGE 130, 83, Rn. 43 bei D. Murswiek / L. Ketterer / O. Sauer / H. Wöckel, Ausgewählte Probleme des allgemeinen Umweltrechts, Die Verwaltung 44 (2011), 235 (253 ff.). 1410  So die Forderung der Literatur zur Vermeidung eines Verstoßes gegen die europarechtlichen Vorgaben, J. Held, Individualrechtsschutz bei fehlerhaftem Verwaltungsverfahren, NVwZ 2012, 461 (467); F. Schoch, Verwaltungsgerichtsbarkeit, quo vadis?, VBlBW 2013 361 (369). 1411  D. Murswiek / L. Ketterer / O. Sauer / H. Wöckel, Ausgewählte Probleme des allgemeinen Umweltrechts, Die Verwaltung 44 (2011), 235 (257). 1412  BVerwG, Urteil vom 24.11.2011  – 9 A 23.10 = BVerwGE 141, 171, Rn. 17; hierzu R. Klinger, Umweltverträglichkeitsprüfung und Rechtsschutz, ZUR 2014, 535 (539). 1413  T. Bunge, UmwRG, 2013, § 4 Rn. 2. 1414  § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 UmwRG 2006; kritisch hierzu D. Murswiek / L. Ketterer / O. Sauer / H. Wöckel, Ausgewählte Probleme des allgemeinen Umweltrechts, Die Verwaltung 44 (2011), 235 (259); A.-M. Schlecht, Die Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern im deutschen Umweltrecht, 2010, S. 223 ff.; F. Schoch, Verwaltungsgerichtsbarkeit, quo vadis?, VBlBW 2013, 361 (370); M. Kment, Das neue UmweltRechtsbehelfsgesetz und seine Bedeutung für das UVPG, NVwZ 2007, 274 (277 f.). 1415  Zu dieser siehe die Nachweise in Fn. 1398. 1416  § 4 Abs. 1 S. 3 UmwRG 2006.



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anderweitig begründeten Verletzung in eigenen Rechten gelungen war.1417 Obwohl das gesetzgeberische Handeln vielfach mit dem Verdikt der Europaund Völkerrechtswidrigkeit versehen wurde,1418 sahen sich die Gerichte angesichts der gesetzgeberischen Entscheidung zur weitergehenden Anerkennung der Erheblichkeit von Verfahrensfehlern nicht in der Lage. (c) Geltendmachung von Rechtsverstößen durch Umweltvereinigungen EuGH1419 und auch das ACCC erhielten schließlich gleich mehrfach die Gelegenheit, zur Zulässigkeit von Restriktionen der Umweltverbandsklage, wie sie das deutsche Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz in seiner Fassung von 2006 für die materiell- wie formell-rechtliche Kontrolle von Zulassungsentscheidungen im Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 AK sowohl auf Zulässigkeits- als auch Begründetheitsebene vorsah, Stellung zu nehmen.

1417  BVerwG, Urteile vom 20.12.2011  – 9 A 30.10, Rn. 20; 02.10.2013  – 9 A 23.12, Rn. 21 ff.; 17.12.2013  – 4 A 1.13, Rn. 41; T. Bunge, UmwRG, 2013, § 4 Rn. 58; J. Held, Umweltrechtliche Verfahrensfehler im Lichte der neuesten Rechtsprechung, DVBl 2016, 12 (18); a. A. S. Schlacke, Die Novelle des Umweltrechtsbehelfsgesetzes  – EuGH ante portas?, ZUR 2013, 195 (199). In der Rechtsprechung wurde die Gegenansicht vertreten von OVG Münster, Urteil vom 25.02.2015  – 8 A 959 / 10, Rn. 53, 73 ff.; vgl. zu diesem Punkt auch D. Murswiek / L. Ketterer / O. Sauer /  H. Wöckel, Ausgewählte Probleme des allgemeinen Umweltrechts, Die Verwaltung 44 (2011), 235 (250). Inzwischen hat das OVG Münster um den Willen der Einheitlichkeit der Rechtsprechung seine Rechtsprechung allerdings aufgegeben und sich dem Bundesverwaltungsgericht angeschlossen, vgl. OVG Münster, Urteil vom 11.12.2017 – 8 A 926 / 16, Rn. 45 ff. 1418  Neben den bereits genannten Quellen siehe hinsichtlich der Schutznormakzessorietät der Verbandsklage nach der ersten Fassung des UmwRG A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 285 f.; hinsichtlich der Notwendigkeit der Anerkennung absoluter Verfahrensrechte dies., a. a. O., S. 232 f.; zur Unvereinbarkeit von § 46 VwVfG in seiner bisherigen Auslegung mit den Anforderungen des Art. 9 Abs. 2 AK dies., a. a. O., S. 246 sowie A.-M. Schlecht, Die Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern im deutschen Umweltrecht, 2010, S. 145 m. z. w. N. 1419  Da der durch den EuGH unmittelbar als Maßstab herangezogene Art. 10a UVP-RL 85 / 337 / EG in der Fassung aufgrund RL 2003 / 35 / EG. – heute Art. 11 UVPRL n. F. – in den relevanten Punkten mit Art. 9 Abs. 2 identisch ist, können die Auslegungsergebnisse des Gerichtshofs auf die Bestimmung von Art. 9 Abs. 2 AK, dem das europäische Sekundärrecht zu genügen hat, grundsätzlich übertragen werden. Dem steht es auch nicht entgegen, dass der Gerichtshof seine Auslegungsergebnisse in einzelnen Punkten zusätzlich mithilfe originär europarechtlicher Rechtsfiguren abgesichert hat.

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(aa) Materiell-rechtliche Rechtmäßigkeit Mit seiner Vorabentscheidung in der Rechtssache Trianel Kohlekraftwerk Lünen (Trianel) widersprach der EuGH bekanntlich der schutzgutakzessorischen Deutung der Privilegierungsklausel der Art. 10a Abs. 1 UVP-RL a. F.1420 / Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 S. 3 AK und stellte sich damit auf die Seite derjenigen Stimmen, nach denen Umweltvereinigungen aufgrund der völkerund europarechtlichen Vorgaben uneingeschränkt in die Lage zu versetzen seien, auch die Verletzung solcher materiell-rechtlicher Normen bei der Zulassung von umwelterheblichen Tätigkeiten geltend zu machen, die die Umwelt allein im Interesse der Allgemeinheit schützen. Der Gerichtshof gab damit einer Auslegungsvariante des durchaus mehrdeutigen Wortlauts des Art. 10a Abs. 1 UVP-RL a. F. den Vorzug, die es Umweltvereinigungen ermöglichen soll, der ihnen durch die Richtlinie genauso wie die Aarhus-Konvention zugedachten Rolle gerecht zu werden.1421 Insoweit unterscheidet der EuGH bei der Anerkennung des mitgliedstaatlichen Spielraums streng zwischen den Rechtsbehelfsmöglichkeiten von Umweltvereinigungen einerseits und Einzelnen und sonstigen Vereinigungen und juristischen Personen andererseits. Nur für letztere sieht der EuGH letztlich eine weitgehende Freiheit der Mitgliedstaaten, die es diesen erlaubt, innerhalb der durch das Ziel der Schaffung eines weiten Gerichtszugangs gesteckten Grenzen den Zugang zu Rechtsschutzverfahren im Rahmen von Art. 10a Abs. 1 UVP-RL a. F. von der Geltendmachung drittschützender Normen abhängig zu machen.1422 Dies auch auf Umweltvereinigungen zu übertragen würde aber nach Ansicht des Gerichtshofs bedeuten, dass dann in der überwiegenden Zahl umweltrechtlich geprägter Fälle die umfassende inhaltliche Prüfung von Zulassungsentscheidungen, wie sie Art. 10a Abs. 1 UVP-RL a. F. vorsieht, angesichts der Bezogenheit der meisten umweltrechtlichen Bestimmungen auf den Schutz allgemeiner Interessen, nicht mehr möglich wäre.1423 Art. 10 Abs. 1 UVP-RL a. F., so das bereits einleitend durch den EuGH eingeführte textliche 1420  Entsprechendes gilt auch sowohl für Art. 11 UVP-RL n. F. als auch Art. 25 IE-RL, J. Berkemann, Die Umweltverbandsklage nach dem Urteil des EuGH vom 12. Mai 2011, NuR 2011, 780 (782). 1421  EuGH, Urteil vom 12.05.2011  – C-115 / 09 (Trianel), Rn. 44. Ausführlich hierzu bereits GA E. Sharpston, Schlussanträge vom 16.12.2010 – C-115 / 09, Rn. 51 f. 1422  EuGH, Urteil vom 12.05.2011  – C-115 / 09 (Trianel), Rn. 45; so auch J. Ebbesson, Access to Justice at the National Level, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 245 (257); S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 242 f.; H.-J. Koch, Die Vebandsklage im Umweltrecht, NVwZ 2007, 369 (377); K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 169. 1423  EuGH, Urteil vom 12.05.2011  – C-115 / 09 (Trianel), Rn. 42; so auch bereits GA E. Sharpston, Schlussanträge vom 16.12.2010  – C-115 / 09, Rn. 77; bestätigt durch EuGH, Urteil vom 15.10.2015 – C-137 / 14, Rn. 33.



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Argument, sieht nämlich eine Beschränkung der zulässigen Klagegründe bei der Eröffnung eines Überprüfungsverfahrens zur Kontrolle der materiellrechtlichen wie verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit selbst nicht vor.1424 Eine schutzgutakzessorische Beschränkung der Umweltverbandsklage – die im deutschen Prozessrecht ja durchaus noch eine Erweiterung der Klagemöglichkeiten bedeutet hatte – lehnte der EuGH insoweit also bereits hier sowohl für die Zulässigkeits- als auch die Begründetheitsebene ab.1425 Mit seiner Begründung leugnet der Gerichtshof also nicht, dass die Fiktion des Art. 10a Abs. 1 UAbs. 3 UVP-RL a. F. ihrem Wortlaut nach durchaus verschiedene Auslegungsvarianten besitzt.1426 Vertreter, die ein schutzgutakzessorisches Verständnis von den Vorgaben als gedeckt ansahen, hatten die Umsetzungsspielräume der Mitgliedstaaten aus Sicht des Gerichtshofs aber unter Verkennung der den Umweltvereinigungen in Richtlinie wie AK gleichermaßen zugewiesenen besonderen Rolle reklamiert. Dass Verteter der gegenteiligen Ansicht zu ihrer Bestätigung die wenig eindeutigen Ausführungen1427 des ohnehin unverbindlichen Implementation Guides der AK herangezogen hatten, überzeugte zu Recht auch den EuGH nicht. Angesichts eines ebenso unklaren genetischen Befunds1428 zu der völkerrechtlichen Regelung, deren Umsetzung die vom Gerichtshof unmittelbar betrachtete Richtlinienvorschrift diente und – so betonte das Gericht – in deren Lichte die Auslegung des Richtlinienrechts vorzunehmen sei, setzte der Gerichtshof zu Recht den Schwerpunkt auf teleologische Erwägungen. Damit lehnte sich der Ge1424  EuGH,

Urteil vom 12.05.2011 – C-115 / 09 (Trianel), Rn. 37. Ausführungen des Gerichtshofs bezogen sich zwar unmittelbar nur auf die Klagebefugnis, gelten jedoch genauso auch für die Begründetheit, so auch GA Cruz Villalón, Schlussanträge vom 20.06.2013  – C-72 / 12, Rn. 79, dessen Verweis auf Rn. 60 der Trianel-Entscheidung ist allerdings offensichtlich nicht richtig, vermutlich ist Rn. 50 der Entscheidung gemeint; J. Berkemann, Die Umweltverbandsklage nach dem Urteil des EuGH vom 12. Mai 2011, NuR 2011, 780 (781); vgl. auch W. Frenz, Umweltklagen weiter effektuiert: Subjektive Rechte, Präklusion und Entscheidungserheblichkeit von Verfahrensfehlern, NuR 2015, 832 (834). 1426  Die Offenheit des Wortlauts anerkennt auch GA E. Sharpston, Schlussanträge vom 16.12.2010 – C-115 / 09, Rn. 49. 1427  J. Ziekow, Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz im System des deutschen Rechtsschutzes, NVwZ 2007, 259 (260) unter Verweis auf den Wortlaut des Implementation Guide, S. 129. Wenig überraschend beziehen sich deshalb auch Vertreter beider Ansichten zur Begründung ihres Standpunkts mit unterschiedlicher Akzentuierung auf dieselben Passagen, vgl. nur T. v. Danwitz Aarhus-Konvention: Umweltinformation, Öffentlichkeitsbeteiligung, Zugang zu den Gerichten, NVwZ 2004, 272 (279) sowie S. Pernice-Warnke, Effektiver Zugang zu Gericht, 2009, S. 141 einerseits und A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 270 f. andererseits. 1428  In diesem Sinne auch A.-M. Schlecht, Die Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern im deutschen Umweltrecht, 2010, S. 158. 1425  Die

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richtshof eng an die Argumentation der GA Sharpston an. Diese hatte ihren Vortrag aus dem Verfahren Djurgården-Lilla Värtans Miljöskydsförening1429 zur besonderen Bedeutung der mit spezialisiertem Sachverstand ausgestatteten Umweltvereinigungen für die Bündelung und rationale Formulierung allgemeiner Interessen in ihren Schlussanträgen im Trianel-Verfahren wiederholt1430 und die Anerkennung derer Privilegierung für das Erreichen des erstrebten weiten Gerichtszugangs – der zugleich die Grenze des mitgliedstaatlichen Umsetzungsspielraums markiert1431 – betont. In der Sache verhalf der EuGH damit einer Deutung der Genese des Art. 9 Abs. 2 AK zur Durchsetzung, wonach sich insbesondere die deutsche Verhandlungsdelegation zwar bei der Beachtung eines hinreichenden Umsetzungsspielraums der Vertragsstaaten für die Berücksichtigung der Eigenheiten der Verletztenklage im Bereich des Individualrechtsschutzes durchgesetzt hatte,1432 dafür aber die Formulierung einer Privilegierung von Umweltvereinigungen hinnehmen musste, die deren Klagebefugnis für die Anfechtung von Entscheidungen über umweltrelevante Tätigkeiten unabhängig vom zugrunde liegenden Rechtsschutzsystem auch bei alleiniger Geltendmachung der Möglichkeit der Verletzung von Vorschriften im Interesse der Allgemeinheit begründet.1433 Dies führt auch in Systemen der Verletztenklage zu einem größeren Grad an Waffengleichheit zwischen Umweltnutzern und Umweltschützern und ermöglicht den Zugang zu gerichtlichen Verfahren auch dort, wo umweltrelevante Tätigkeiten fernab von Menschen stattfinden und nicht diese, wohl aber zahlreiche Bestandteile biologischer Vielfalt unmittelbar beeinträchtigen.1434 Die dadurch erreichte Gleichbehandlung von Umwelt1429  GA

E. Sharpston, Schlussanträge vom 02.07.2009 – C-263 / 08, Rn. 61. E. Sharpston, Schlussanträge vom 02.07.2009 – C-263 / 08, Rn. 51; hierzu auch J. Darpö, Article 9.2 of the Aarhus Convention and EU Law, Journal of European Environmental & Planning Law 11 (2014), 367 (382). 1431  GA E. Sharpston, Schlussanträge vom 16.12.2010  – C-115 / 09, Rn. 71; vgl. auch zu entsprechenden Erwägungen des ACCC bei der Bestimmung der notwendigen Weite des Gerichtszugangs für Umweltvereinigungen ACCC / C / 2005 / 11 (Belgium), Rn. 33 sowie J. Ebbesson, Access to Justice at the National Level, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 245 (258). 1432  A.-M. Schlecht, Die Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern im deutschen Umweltrecht, 2010, S. 157 f. m. w. N. Vgl. auch A. K. Mangold, The Persistence of National Peculiarities, Indiana Journal of Global Legal Studies 21 (2014), 223 (241 f.). 1433  A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 269 f.; zu dieser Konnexität zwischen der Beschränkung des Individualrechtsschutzes einerseits und der Ausweitung eines Rechtsschutzes von Umweltvereinigungen andererseits J. Darpö, Article 9.2 of the Aarhus Convention and EU Law, Journal of European Environmental & Planning Law 11 (2014), 367 (381). 1434  Vgl. hierzu das Bsp. von GA E. Sharpston, Schlussanträge vom 02.07.2009 – C-263 / 08, Rn. 72. Dieses zeigt deutlich die im Rahmen der vorliegenden Untersu1430  GA



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vereinigungen in Systemen der Interessenten- und der Verletztenklage1435 vermag vor allen Dingen auch systematisch zu überzeugen: Die in Deutschland vertretene restriktive Auslegung zu Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 S. 3 AK lässt sich nämlich auf dessen zweiten Satz und damit auf Vertragsstaaten mit Interessentenklagesystem nicht übertragen. Anders als in Satz 3 liegt hier schon dem klaren Wortlaut nach ein Spielraum der Mitgliedstaaten für die Einführung weiterer Restriktionen zur Begrenzung des Zugangs zu Gerichten nicht vor. Die Annahme aber, dass lediglich manchen Vertragsstaaten – denjenigen mit einem Verletztenklagesystem – ein Handlungsspielraum eingeräumt werden sollte, anderen hingegen nicht, kann nicht überzeugen.1436 Das ACCC selbst sah schließlich in Folge der Trianel-Entscheidung keine Notwendigkeit mehr, sich zu den dort für die Auslegung von Art. 9 Abs. 2 AK geklärten Fragen zu äußern. Angesichts der in der Folge der EuGHEntscheidung vorgenommenen Änderungen des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes wurde ein gegen Deutschland geführtes Compliance-Verfahren nach Zustimmung des Mitteilungsführers entsprechend begrenzt.1437 In einem Complianceverfahren gegen Belgien1438 war das Komitee aber bereits zu dem Ergebnis gekommen, dass es den Anforderungen des Art. 9 Abs. 2 AK und dem Ziel der Konvention der Gewährleistung eines weiten Zugangs zu Gerichten1439 nicht genügt, wenn Umweltvereinigungen, die Umweltschutz allein im allgemeinen Interesse betreiben, regelmäßig vom Zugang zu Gerichten ausgeschlossen sind.1440 Schon hieraus hätte die Völkerrechtswidrigkeit auch der deutschen Rechtslage leicht gefolgert werden können, hätte man den Berichten des ACCC denn schon damals Aufmerksamkeit geschenkt. chung auch für den schutzgutakzessorischen Ansatz der EMRK aufgezeigten Schutzlücken auf. 1435  S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 242 f.; A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 267 m. z. w. N.; N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 60; B. Goby, Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten im Lichte der Aarhus-Konvention 2015, S. 95; K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 166 f. m. z. w. N.; R. Müller-Terpitz, Beteiligungs- und Handlungsmöglichkeiten nichtstaatlicher Organisationen im aktuellen Völker- und Gemeinschaftsrecht, AVR 43 (2005), 466 (488). 1436  D. Murswiek / L. Ketterer / O. Sauer / H. Wöckel, Ausgewählte Probleme des allgemeinen Umweltrechts, Die Verwaltung 44 (2011), 235 (249); A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 266, Fn. 620; K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 168. 1437  ACCC / C / 2008 / 31 (Germany), S. 7 Fn. 13. 1438  ACCC / C / 2005 / 11 (Belgium). 1439  Ibid., Rn. 33. 1440  Ibid., Rn. 33 und 15.

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Aus dieser (neben den Stimmen der Literatur zusätzlichen) mittelbaren Bestätigung der europäischen Rechtsprechung folgt zudem, dass die ausdrück­ liche Begrenzung der Trianel-Entscheidung auf Fälle der gerichtlichen Geltendmachung von Verletzungen europarechtlicher (umweltbezogener) Normen1441 für den Gesetzgeber in Deutschland angesichts der ebenbürtigen völkerrechtlichen Verpflichtung aus Art. 9 Abs. 2 AK, die genauso auch für rein nationales Umweltrecht gilt,1442 keine Bedeutung haben durfte. (bb) Verfahrensmäßige Rechtmäßigkeit Aus der Unzulässigkeit einer schutznormakzessorischen Gestaltung der Umweltverbandsklage entsprechend der Entscheidung in der Rechtssache Trianel lässt sich zudem – zumindest rückblickend – auch für den Rechtsschutz von Umweltvereinigungen gegen Verfahrensverstöße folgern, dass diese sich zur Begründung ihrer Klagebefugnis grundsätzlich auf alle Verfahrensverstöße berufen können, ohne dass es auf die subjektiv-rechtliche Qualität der Verfahrensvorschrift in irgendeiner Weise ankommt.1443 Das tatsächliche Vorliegen eines Verfahrensverstoßes muss zudem auch für die Begründetheit einer Klage genügen.1444 Fraglich war damit im Rahmen des Rechtsschutzes von Umweltvereinigungen gegen Verfahrensfehler auch nach der Trianel-Entscheidung vor allen Dingen, ob es den Vertragsstaaten der AK erlaubt ist, auch bei Vorliegen ei1441  Zahlreiche Stimmen in der Literatur zogen aus dieser an sich schon umstrittenen Beschränkung des EuGH die Folgerung, dass der deutsche Gesetzgeber bei einer Novellierung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes nur die Geltendmachung europäischer Umweltschutznormen zulassen sollte. Zu dieser Diskussion sowie den damit verbundenen Abgrenzungsproblemen J. Greim, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht, 2013, S. 164 f. sowie 167 ff. 1442  So bereits D. Murswiek / L. Ketterer / O. Sauer / H. Wöckel, Ausgewählte Probleme des allgemeinen Umweltrechts, Die Verwaltung 44 (2011), 235 (250) sowie D. Murswiek, Umweltrecht: Verbandsklage, JuS Rechtsprechungsübersicht, JuS 2011, 1147 (1149); M. Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsraum, JZ 2012, 380 (386); J. Greim, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht, 2013, S. 167 m. w. N. 1443  So jedenfalls die Interpretation der durch die 4. Kammer des EuGH getroffenen Trianel-Entscheidung durch die 2. Kammer in EuGH, Urteil vom 07.11.2013 – C-72 / 12 (Altrip), Rn. 36; zuvor war eine so weitreichende Schlussfolgerung über­ wiegend abgelehnt worden, vgl. J. Greim, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht, 2013, S. 171 oder wurde zumindest mit Skepsis betrachtet. Von der Offenheit der Frage nach der Trianel-Entscheidung ging etwa aus J. Berkemann, Die Umweltverbandsklage nach dem Urteil des EuGH vom 12. Mai 2011, NuR 2011, 780 (785). 1444  Auch dies lässt sich für Umweltvereinigungen bereits aus der Trianel-Entscheidung ableiten.



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nes Verfahrensfehlers und damit der Begründetheit eines Rechtsbehelfs gleichwohl von dessen Sanktionierung durch die Aufhebung der betroffenen Verwaltungsentscheidung abzusehen.1445 In seiner Entscheidung in der Rechtssache Altrip1446 erklärte der Gerichtshof der Europäischen Union unter Verweis auf das Fehlen expliziter Rechtsschutzbeschränkungen in Art. 10a UVP-RL a. F. sowie unter Verweis auf dessen Ziel der Eröffnung eines weiten Zugangs zu Gericht die bloß punktuell im deutschen Recht gem. § 4 Abs. 1, 3 UmwRG vorgesehene Befreiung von dem Nachweis der Kausalität des Verfahrensfehlers für das -ergebnis nach § 46 VwVfG für europarechtswidrig.1447 Eine solche Beschränkung der Umsetzungsvorschriften, die selbst Fälle schwerwiegender Fehler in einer UVP nicht erfasst, würde den Bestimmungen über die Beteiligung der Öffentlichkeit nach Einschätzung des Gerichtshofs weitgehend ihre praktische Wirksamkeit nehmen.1448 Gleichwohl verlangte der EuGH keine ausnahmslose Aufhebung verfahrensfehlerbehafteter Entscheidungen.1449 Er hielt es vielmehr mit dem Ziel der Schaffung eines weiten Zugangs zu Gerichten und auch dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar, dass eine nationale Regelung wie § 46 VwVfG den im Grundsatz bestehenden Aufhebungsanspruch nur in solchen Fällen ausschließt, in denen nach den Umständen des konkreten Falles nachweislich die Möglichkeit besteht, dass die Entscheidung auch ohne den Verfahrensfehler nicht anders ausgefallen wäre.1450 Damit relativiert der EuGH seine zuvor getroffene Aussage, wonach die besondere Bedeutung von Verfahrensgarantien im Rahmen der UVP-RL a. F. eine Möglichkeit zur Geltendmachung grundsätzlich jedes Verfahrensfehlers verlange und der europäische Normgeber entsprechend keine Beschränkung der zur Stützung eines Rechtsbehelfs vorzubringenden Gründe und folglich auch kein Erfordernis eines Kausalzu1445  Insoweit ist J. Berkemann, Die Umweltverbandsklage nach dem Urteil des EuGH vom 12.  Mai 2011, NuR 2011, 780 (786 f.) sowie J. Greim, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht, 2013, S. 167 m. w. N. zuzustimmen, dass sich auch der Trianel-Entscheidung des EuGH hierzu keine Aussage entnehmen lässt. 1446  EuGH, Urteil vom 07.11.2013  – C-72 / 12 (Altrip). Zwar bezog sich die Entscheidung unmittelbar nicht auf den Rechtsschutz von Umweltvereinigungen, die Ausführungen zur Möglichkeit der Begrenzung des Sanktionsanspruchs gelten jedoch unabhängig vom konkreten Rechtsbehelfsführer. 1447  EuGH, Urteil vom 07.11.2013 – C-72 / 12 (Altrip), Rn. 38. 1448  EuGH, Urteil vom 07.11.2013  – C-72 / 12 (Altrip), Rn. 37; in diesem Sinne auch ACCC / C / 2008 / 31 (Germany), Rn. 83. 1449  Dies hätte auch einen Widerspruch zur Anerkennung der Unbeachtlichkeit der Verletzung unwesentlicher Formvorschriften nach Art. 263 Abs. 2 AEUV auch im europäischen Recht bedeutet, so auch F. Schoch, Verwaltungsgerichtsbarkeit, quo vadis?, VBlBW 2013, 361 (369) sowie M. Böhm, Die gerichtliche Kontrolle von UVP-Fehlern, UPR 2014, 201 (202, 204). 1450  EuGH, Urteil vom 07.11.2013 – C-72 / 12 (Altrip), Rn. 45–49.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

sammenhangs zwischen Verfahrensfehler und -ergebnis in Art. 10a UVP-RL a. F. vorgesehen habe.1451 Angesichts des insgesamt prozeduralen Steuerungsansatzes ist dies genauso auch auf die Aarhus-Konvention übertragbar. Allerdings, und damit schränkt der Gerichtshof diese Ausnahme sogleich wieder ein, darf dem Rechtsbehelfsführer hierbei in keiner Weise die Beweislast für die Feststellung obliegen, dass die angegriffene Entscheidung ohne den geltend gemachten Verfahrensfehler anders ausgefallen wäre,1452 da dies die Ausübung der ihm zugewiesenen Position angesichts der Komplexität der betroffenen Verfahren und des technischen Charakters der Umweltverträglichkeitsprüfungen übermäßig erschweren würde. Auch das ACCC sah hierin kurze Zeit später im Compliance-Verfahren betreffend Deutschland kein übermäßiges Hindernis für Umweltvereinigungen, die prozessuale Fehlerhaftigkeit einer Entscheidung geltend zu machen.1453 Bei der durch das nationale Gericht vorzunehmenden Prüfung des Zusammenhangs verlangt der Gerichtshof zudem, dass nicht eine reine Kausalitätsüberlegung für den hypothetischen Fall des rechtmäßigen Verfahrensablaufs angestellt, sondern normativ die Schwere des Verfahrensfehlers berücksichtigt und dabei geprüft werde, inwieweit der betroffenen Öffentlichkeit dadurch eine der Garantien genommen worden sei, die gerade zur Gewährleistung ihrer Information und Beteiligung am Entscheidungsprozess geschaffen worden war.1454 (cc) K  eine Beschränkung des Kontrollumfangs der Verbandsklage auf „dem Umweltschutz dienende Vorschriften“ Während der deutsche Gesetzgeber bereits in der Folge der Trianel-Entscheidung die limitierende Schutzgutakzessorietät der Umweltverbandsklage 1451  EuGH,

Urteil vom 07.11.2013 – C-72 / 12 (Altrip), Rn. 47. ist insoweit, ob dies auch die Frage der Beweislast umfasst, T. Bunge, Weiter Zugang zu Gerichten nach der UVP- und der Industrieemissions-Richtlinie, NuR 2016, 11 (14); C. Mayer, Neues aus Luxemburg in Sachen Gerichtszugang in Umweltangelegenheiten, NuR 2016, 106 (107); als bloße terminologische Schwäche versteht dagegen R. Klinger, Umweltverträglichkeitsprüfung und Rechtsschutz, ZUR 2014, 535 (538), die Entscheidung auf die Darlegungslast bezogen. 1453  ACCC / C / 2008 / 31 (Deutschland), Rn. 87 unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 07.11.2013  – C-72 / 12 (Altrip), Rn. 57. Trotz vorhandener Zweifel an der Adäquanz des deutschen Rechtsschutzsystems insoweit sowie an dessen hinreichender Klarheit lehnte es das ACCC schließlich ab, ein Umsetzungsdefizit Deutschlands festzustellen, da der Mitteillungsführer nicht hinreichend substantiiert dargelegt hatte, dass auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung der deutschen Gerichte in der Folge der Altrip-Entscheidung Verfahrensfehler nicht erfolgreich geltend gemacht werden könnten. 1454  EuGH, Urteil vom 07.11.2013  – C-72 / 12 (Altrip), Rn. 54. Hierzu auch A. Epiney / S. Dilzig / B. Pirker / S. Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Art. 6, 6bis Rn. 57. 1452  Unklar



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im Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz aufhob, behielt er die Beschränkung der Verbandsrechtsbehelfe auf die Geltendmachung der Verletzung von „dem Umweltschutz dienenden Vorschriften“ nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 sowie Abs. 5 S. 1 Nr. 1 UmwRG 2013 bei.1455 Der EuGH hatte sich zur Zulässigkeit dieser Beschränkung nicht geäußert.1456 Die Anforderung schließt eine vollum­ fassende gerichtliche Prüfung angegriffener Handlungen der Verwaltung in materiell-rechtlicher und verfahrensrechtlicher Hinsicht aus,1457 da diese es auch Umweltvereinigungen weiterhin verwehrt, gegen Entscheidungen, Hand­lungen und Unterlassungen im Anwendungsbereich von Art. 6 AK insoweit vorzugehen, als nicht die Verletzung einer „dem Umweltrecht dienenden“, sondern irgendeiner anderen Regelung im Raum steht.1458 Die Relevanz der damit aufgeworfenen Frage nach der Zulässigkeit der Beschränkung von Klagebefugnis und Begründetheitsprüfung in den durch Art. 9 Abs. 2 AK geforderten Verfahren wird auch nicht dadurch aufgehoben, dass das in Deutschland vorherrschende Verständnis von den Begriffen der Regelungen, die „dem Umweltschutz dienen“ äußerst weit ist. Neben Zweifelsfällen ist ein gerichtlicher Rechtsschutz insbesondere gegenüber solchen Handlungen der Verwaltung ausgeschlossen, deren Rechtswidrigkeit sich lediglich durch Verstöße gegen offensichtlich nicht der Umwelt dienende Vorschriften begründet.1459 1455  Etwas irreführend wurde die Umweltverbandsklage auch nach Beseitigung der Schutznormakzessorietät der Verbandsklage wegen der Begrenzung des Rügepoten­ zials auf dem Umweltrecht dienende Normen als „umweltschutznormakzessorisch“ bezeichnet, so M. Grunow / N. Salzborn, Zum Prüfungsumfang der Umweltverbandsklage, ZUR 2015, 156 (156). 1456  Angesichts der allein auf umweltrechtliche Vorschriften abstellenden Vorlagefragen des OVG Münster hatte der Gerichtshof hierzu auch keinen Grund. Auch wenn der EuGH sich seinerseits für Beispiele rügefähiger Rechtsverletzungen nur auf die Verletzung von nationalen Vorschriften zur Umsetzung von Unionsrecht „im Bereich der Umwelt“ sowie unmittelbar anwendbare Vorschriften des Umweltrechts der Union bezog, EuGH, Urteil vom 12.05.2011  – C-115 / 09 (Trianel), Rn. 48, so dürfte dies allein darauf zurückzuführen sein, dass der EuGH seine Entscheidung anhand des Maßstabs der UVP-RL zu treffen hatte. Zu weitgehend daher die Deutung von K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 170, die von der Billigung der Einschränkung im damaligen deutschen Recht durch den EuGH ausgeht. So auch VGH Mannheim, Urteil vom 20.07.2011  – 10 S 2102 / 09, Rn. 68; BVerwG, Urteil vom 24.10.2013 – 7 C 36 / 11, Rn. 27; hiergegen zu Recht T. Bunge, UmwRG, 2013, § 2 Rn. 15. 1457  J. Berkemann, Vollkontrolle der Umweltverbandsklage! – „Empfehlung“ des Compliance Committee 2013 / 2014 der Aarhus-Konvention, DVBl 2015, 389 (390). 1458  So auch die Behauptung der Mitteilungsführer in ACCC / C / 2008 / 31 (Deutschland), Rn. 48; ablehnend bislang das BVerwG, Urteil vom 10.10.2012  – 9 A 18 / 11, Rn. 18. 1459  J. Berkemann, Vollkontrolle der Umweltverbandsklage! – „Empfehlung“ des Compliance Committee 2013 / 2014 der Aarhus-Konvention, DVBl 2015, 389 (390).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Vordergründig spricht gegen eine solche Beschränkung bereits der systematische Vergleich von Art. 9 Abs. 2 und 3 AK. Nur letzterer sieht eine Beschränkung der Gewährleistungen auf „umweltbezogene Bestimmungen“ vor, ersterer gerade nicht.1460 Art. 9 Abs. 2 AK enthält vielmehr nur eine Anknüpfung an den sachlichen Anwendungsbereich von Art. 6 AK und führt so eine Beschränkung der angreifbaren Entscheidungen herbei – eine Beschränkung des zu gewährleistenden Prüfungsumfangs fehlt dagegen. Deutsche Gerichte gingen in der Vergangenheit gleichwohl von der Europa- und auch Völkerrechtskonformität der einschränkenden Vorgabe des UmweltRechtsbehelfgesetzes aus.1461 In Anwendung der sog. „acte-clair“-Doktrin hatte es das Bundesverwaltungsgericht gar unterlassen, den EuGH mit der Vorabentscheidung über die Vereinbarkeit der deutschen Regelungen mit dem Richtlinienrecht der EU, mittelbar dem Völkerrecht, zu befassen.1462 Anders als die aufgegebene Schutzgutakzessorietät der Verbandsklage war die Beschränkung auf die Geltendmachung von Rechtsverstößen gegen Umweltschutzvorschriften auch in der Literatur auf breitere, wenn auch keineswegs einhellige Zustimmung gestoßen.1463 Befürworter sahen die Notwendigkeit, den zu weit geratenen unbeschränkten Wortlaut der europäischen Richtlinienvorschriften und auch des Art. 9 Abs. 2 AK im Wege der teleologischen Reduktion einschränkend auszulegen. Da der Zweck der Aarhus-Konvention insgesamt auf die Verbesserung allein des Umweltschutzes gerichtet sei und sich dieses Ziel nicht nur in der Entstehungsgeschichte der Konvention und in ihrer Überschrift, sondern vor allen Dingen auch in den Erwägungsgründen der Präambel widerspiegele, sei das Erfordernis der Gewährleistung einer materiell- wie formell-rechtlichen 1460  J. Berkemann, Vollkontrolle der Umweltverbandsklage! – „Empfehlung“ des Compliance Committee 2013 / 2014 der Aarhus-Konvention, DVBl 2015, 389 (391 und ausdrücklich 392 sowie 395). Vgl. in Bezug auf den wortgleichen Art. 10a RL 85 / 337, der seinerseits Art. 11 UVP-RL n. F. entspricht, EuGH, Urteil vom 07.11.2013 – C-72 / 12 (Altrip), Rn. 36 sowie bereits EuGH, Urteil vom 12.05.2011 – C-115 / 09 (Trianel), Rn. 37. 1461  Vgl. insbesondere BVerwGE 148, 155, Rn. 22 f.; VGH Mannheim, Urteil vom 20.07.2011 – 10 S 2102 / 09 = NuR 2012, 204. 1462  Kritisch J. Berkemann, Vollkontrolle der Umweltverbandsklage! – „Empfehlung“ des Compliance Committee 2013 / 2014 der Aarhus-Konvention, DVBl 2015, 389 (393), der die sog. CILFIT-Kriterien des EuGH als Voraussetzung für die Annahme eines „acte-clair“ nicht gegeben sieht. 1463  A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 280 f. m. z. w. N.; vgl. ebenfalls die Nachweise bei M. Grunow / N. Salzborn, Zum Prüfungsumfang der Umweltverbandsklage, ZUR 2015, 156 (157, Fn. 13 f.); S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 243. A. A. dagegen T. Bunge, UmwRG, 2013, § 2 Rn. 14 ff.; J. Berkemann, Die Umweltverbandsklage nach dem Urteil des EuGH vom 12. Mai 2011, NuR 2011, 780 (785 f.); K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 167 f.



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Überprüfung der erfassten Handlungen in Art. 9 Abs. 2 AK nicht im Sinne eines Erfordernisses einer Vollüberprüfung zu verstehen.1464 Geltend gemacht wurde auch, dass bei der Annahme einer Vollkontrolle die privilegierten Umweltvereinigungen nicht mehr lediglich in der ihnen zugedachten Rolle als „Anwälte der Natur“ tätig, sondern als allzuständige Sachwalter des Interesses der Allgemeinheit agieren würden.1465 Trotz dieser durchaus beachtlichen Argumente lehnte das ACCC in Auseinandersetzung mit der Beschränkung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes jede Limitierung der Zulässigkeit von Rechtsbehelfen, d. h. der rügefähigen Vorschriften, auf solche, „die der Umwelt dienen“, „sich auf die Umwelt beziehen“ oder solche, „die den Schutz der Umwelt unterstützen“, ab.1466 Dies muss genauso dann auch für die Begründetheitsebene gelten.1467 Das Komitee sah für solche Beschränkungen in der Konvention keine Basis, da diese den Vertragsstaaten lediglich in Bezug auf die Fragen des persönlichen Anwendungsbereichs des Art. 9 Abs. 2 AK, nicht aber auch hinsichtlich der zulässigerweise vorzubringenden Argumente einen Umsetzungsspielraum zugestehe.1468 Dies aber überzeugt durchaus. Die für die Rechtfertigung einer teleologischen Reduktion1469 notwendige Feststellung einer verdeckten Lücke im Konventionstext wird von der Gegenauffassung nicht dargelegt. Der Konventionsgeber hat nämlich durchaus Beschränkungen des Zugangs zu Gerichten nach Art. 9 Abs. 2 AK vorgesehen, nur eben nicht beim zulässigen 1464  VGH Mannheim, Urteil vom 20.07.2011 – 10 S 2102 / 09, Rn. 68 = NuR 2012, 204–221; bestätigt durch BVerwG, Urteil vom 24.10.2013  – 7 C 36 / 11, Rn. 22 ff. beide ebenso auch in Bezug auf das insoweit parallele europäische Richtlinienrecht; A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 280 f. Neben den hier wiedergegebenen Argumenten wurden insbesondere auch kompetenzrechtliche Zweifel gegenüber einer europäisch vorgegebenen Vollkontrolle geltend gemacht, siehe VGH Mannheim, a. a. O., Rn. 69 sowie BVerwG, a. a. O., Rn. 26. Für die vorliegende Untersuchung der völkerrecht­ lichen Fragen interessieren diese freilich nicht, da solche Erwägungen eine Begrenzung völkervertragsrechtlicher Vorgaben nicht zu begründen vermögen. 1465  BVerwG, Urteil vom 24.10.2013 – 7 C 36 / 11, Rn. 23; R. Allewedt, Verbandsklage und gerichtliche Kontrolle von Verfahrensfehlern, DÖV 2006, 621 (626); A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 281 die auf die besondere Sachkenntnis von Umweltvereinigungen als Grund und Grenze ihrer Privilegierung verweist. 1466  ACCC / C / 2008 / 31 (Deutschland), Rn. 78 (Übersetzung durch den Verfasser). 1467  T. Bunge, Der Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten in Deutschland, ZUR 2015, 531 (535). 1468  ACCC / C / 2008 / 31 (Deutschland), Rn. 78. 1469  Vgl. J. Berkemann, Vollkontrolle der Umweltverbandsklage! – „Empfehlung“ des Compliance Committee 2013 / 2014 der Aarhus-Konvention, DVBl 2015, 389 (391) sowie bereits ders., NuR 2011, Die Umweltverbandsklage nach dem Urteil des EuGH vom 12. Mai 2011, 780 (786).

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Rügepotential. Neben der akzessorischen Anknüpfung an die von Art. 6 AK erfassten Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen, die den sachlichen Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 AK begrenzen, wird auch der persönliche Anwendungsbereich durch die Anforderungen an den Verbandskläger als Teil der „betroffenen Öffentlichkeit“ i. S. v. Art. 2 Nr. 5 AK bereits eingeschränkt.1470 Mit Berkemann liegt es deshalb angesichts des klaren Wortlauts nahe  – insbesondere im Vergleich mit Art. 9 Abs. 3 AK  – davon auszugehen, dass auf diese Weise aus Sicht des Konventionsgebers eine ­Popularklage hinreichend verhindert und gleichzeitig sichergestellt wird, dass es den Antragstellern in den Verfahren auch wirklich um das Ziel des Umweltschutzes geht.1471 Zudem ist auch zu beachten, dass natürlich auch die Versagung eines umweltrelevanten Vorhabens wegen eines Verstoßes gegen eine andere als eine „dem Umweltschutz dienende“ Vorschrift tatsächlich zum Schutz der Umwelt führt. Nur beim Verzicht auf die im deutschen Recht geregelte Begrenzung des Rechtsschutzes kann auch gegen in diesem Sinne objektiv rechtswidrige Vorhaben ein Schutz der Umwelt sichergestellt werden.1472 (dd) Zwischenfazit Zunächst haben vor allen Dingen die Entscheidungen des EuGH, dann auch der Bericht des ACCC zu einer Aufbrechung der zunächst in Deutschland äußerst restriktiv ausgestalteten Umweltverbandsklage geführt. Mit der jüngsten Reform des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes Mitte 2017 sind die Entscheidungen auch weitestgehend ins deutsche Recht umgesetzt.1473 1470  J. Berkemann, Vollkontrolle der Umweltverbandsklage! – „Empfehlung“ des Compliance Committee 2013 / 2014 der Aarhus-Konvention, DVBl 2015, 389 (396); ausdrücklich gegen diese Argumente BVerwG, Urteil vom 24.10.2013  – 7 C 36 / 11, Rn. 25, da auch eine insoweit im Anwendungsbereich begrenzte Vollkontrolle eine überschießende Tendenz besitze. 1471  J. Berkemann, Die Umweltverbandsklage nach dem Urteil des EuGH vom 12. Mai 2011, NuR 2011, 780 (786). 1472  T. Bunge, UmwRG, 2013, § 2 Rn. 14; ders.,  Der Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten in Deutschland  – Stand und offene Fragen, ZUR 2015, 531 (534). Ausdrücklich gegen dieses Argument VGH Mannheim, Urteil vom 20.07.2011 – 10 S 2102 / 09, Rn. 69. 1473  Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz in der Fassung vom der Bekanntmachung vom 8. April 2013 (BGBl. I S. 753), das durch Artikel 1 des Gesetzes vom 29.  Mai 2017 (BGBl. I S. 1298) geändert worden ist. Zu den im Gesetzgebungsverfahren geäußerten Zweifeln an der Völkerrechtsmäßigkeit des teilweise allerdings noch geänderten Gesetzentwurfes siehe die Ausschussdrucksachen zur Expertenanhörung im Bundestag, Drs. 18(16)417-A bis F sowie S. Schlacke, Die Novelle des UmwRG 2017, NVwZ 2017, 905 ff.



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Die Bedeutung der rückblickend wenig überraschenden Entscheidungen des EuGH1474 liegt darin begründet, dass nun alle Entscheidungen, Handlungen und Unterlassungen im Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 AK durch Umweltvereinigungen einer umfassenden Vollkontrolle zugeführt werden können. Damit ist es jedenfalls insoweit Umweltvereinigungen auch möglich die Verletzung sowohl materiell-rechtlicher als auch rein verfahrensrecht­ licher Vorschriften zu rügen, die allein dem Allgemeininteresse dienen und damit auch all jene, die in irgendeiner Verbindung zum Schutz biologischer Vielfalt stehen. Durch die Aufgabe auch der Begrenzung des Rügepotentials auf umweltschützende Vorschriften können zudem auch solche umweltrelevanten Entscheidungen angefochten werden, die gegen irgendeine objektivrechtliche Vorschrift verstoßen.1475 Vom Bestehen solcher Vorschriften bleibt der rein prozedurale Schutzansatz gleichwohl auch insoweit abhängig. Ihre Schaffung oder Ausweitung ist durch die Aarhus-Konvention nicht gefordert. Die Forderung des Art. 9 Abs. 2 AK nach einer Vollkontrolle der erfassten Gegenstände verleiht den Umweltvereinigungen nichtsdestotrotz aber eine prokuratorische Stellung zum Schutz auch der biologischen Vielfalt. Dies hat allerdings nicht die Aufhebbarkeit auch jeder objektiv rechtswidrigen Entscheidung zufolge. Für verfahrensfehlerhafte Entscheidungen hat der EuGH durch die grundsätzliche Anerkennung des europa- und völkerrechtskonform ausgelegten § 46 VwVfG hiervon eine Ausnahme zugelassen, die zu Recht weitestgehend auf Zustimmung gestoßen ist.1476 Hiermit ist die Anerkennung verbunden, dass trotz der eigenständigen Bedeutung des Verwaltungsverfahrens dieses immer noch auf die Herstellung einer richtigen Verwaltungsentscheidung bezogen und i. d. S. dienend ist. Eine Aufhebung von Entscheidungen trotz Vorliegens der Voraussetzungen nach § 46 VwVfG in der Auslegung des EuGH würde diesem Zusammenhang nicht gerecht und wäre insoweit auch ein unverhältnismäßiger Eingriff in die einfach- und vielfach auch grundrechtlich geschützte Freiheit der Umweltnutzer.

1474  F. Schoch, Verwaltungsgerichtsbarkeit, quo vadis?, VBlBW 2013, 361 (367); M. Ruffert, Verwaltungsrecht im europäischen Verwaltungsverbund, Die Verwaltung 48 (2015), 547 (559). 1475  Grundsätzlich zustimmend auch K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (795, 796); K. F. Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (7). 1476  Statt vieler M. Ruffert, Verwaltungsrecht im europäischen Verwaltungsverbund, Die Verwaltung 48 (2015), 547 (561 m. w. N.). Zu den mit der Anerkennung der Differenzierung nach relativen und absoluten Verfahrensfehlern verbundenen weiteren Umsetzungsschwierigkeiten angesichts der Vagheit der vorgegebenen Kriterien R. Klinger, Umweltverträglichkeitsprüfung und Rechtsschutz, ZUR 2014, 535 (537).

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(d) G  eltendmachung von Rechtsverstößen durch sonstige Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit Wie gesehen, liegt Art. 9 Abs. 2 AK sowie der entsprechenden europäischen Sekundärgesetzgebung in der Auslegung durch EuGH und ACCC eine Unterscheidung von Umweltvereinigungen einerseits und sonstigen Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit andererseits zugrunde.1477 Für erstere hat sie sich als Grundlage des ihnen gegenüber zu gewährleistenden Vollüberprüfungsanspruchs von Entscheidungen, Handlungen und Unterlassungen im Anwendungsbereich von Art. 6 AK herausgestellt. Zu untersuchen bleibt, wie sich das Fehlen einer entsprechenden (Fiktions-)Regelung auf die Verpflichtungen nach Art. 9 Abs. 2 AK hinsichtlich des Gerichtszugangs für sonstige Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit auswirkt. Das Fehlen indiziert einen größeren Umsetzungsspielraum der Vertragsstaaten. Auch dieser wird aber durch das einheitliche Ziel des Art. 9 Abs. 2 AK, einen weiten Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten zu schaffen, begrenzt. Um die Grenzen des vertragsstaatlichen Spielraums sichtbar zu machen, bietet sich auch hier eine exemplifizierende Auseinandersetzung insbesondere mit der deutschen Rechtslage und Diskussion an. Der deutsche Gesetzgeber hatte im Bereich des Individualrechtsschutzes als Reaktion auf Konvention und EU-Sekundärrecht lediglich im Bereich des Rechtsschutzes gegen Verfahrensfehler mit der Schaffung von § 4 Abs. 3, 1 UmwRG 2006 die nach § 46 VwVfG herkömmlich geltende Beschränkung des Sanktionsanspruchs bei Verfahrensfehlern punktuell im oben beschriebenen Umfang gelockert. Im Übrigen aber hat er am System der Verletztenklage mit seiner schutznormakzessorischen Ausgestaltung der Klagebefugnis und der Anforderung eines Rechtswidrigkeitszusammenhangs auf Begründetheitsebene sowohl für den Rechtsschutz gegen materiell-rechtliche als auch verfahrensrechtliche Rechtsverstöße festgehalten. Der Gesetzgeber tut dies bis heute.1478 Zu den dadurch aufgeworfenen Fragen sind auf völker- und europarecht­ licher Ebene bereits zahlreiche Entscheidungen ergangen, die im Folgenden analysiert und bewertet werden sollen. Dabei kann zunächst grob zwischen solchen Ansichten unterschieden werden, die nach Art. 9 Abs. 2 AK nur auf Zulässigkeitsebene, d. h. beim Gerichtszugang, nicht aber für die Begründetheitsebene eine Beschränkung des Individualrechtsschutzes auf Verletzungen in subjektiv-öffentlichen Rechten für konventionskonform halten [(aa)] sowie solchen, die es als konventions- und europarechtskonform betrachten, dass 1477  Siehe hierzu oben: Zweiter Teil, B. IV. 3. B) bb) (2) (a) sowie Zweiter Teil, B. IV. 3. B) bb) (2) (c). 1478  Siehe die Begründung zum Gesetzentwurf zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes, BT-Drs. 18 / 9526, S. 32 f.



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auch für die Begründetheitsebene eine derartige Begrenzung vorgesehen wird [(bb)]. Die Ergebnisse der Betrachtung sind in einem Zwischenfazit zusammenzufassen [(cc)]. (aa) B  eschränkter Zugang und objektives Beanstandungsverfahren (Vollkontrolle) Zu den Vertretern der erstgenannten Ansicht muss letztlich auch das Überwachungs-Komitee der Aarhus-Konvention gerechnet werden. Dieses hat sich bislang zwar nicht1479 – jedenfalls nicht ausdrücklich1480 – zur Vereinbarkeit der im deutschen Recht vorgesehenen Beschränkung von Zulässigkeit und Begründetheit im Bereich des Individualrechtsschutzes nach §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 VwGO bzw. § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO mit Art. 9 Abs. 2 AK, wohl aber hinsichtlich der in vielen Punkten parallelen Beschränkungen des österreichischen Verwaltungsrechts geäußert.1481 Danach hält das ACCC den Umsetzungsspielraum der Staaten im Rahmen von Art. 9 Abs. 2 AK dort für überschritten, wo die Kriterien des ausreichenden Interesses bzw. der Rechtsverletzung nach dessen UAbs. 1 lit. (a) und (b) in einer Weise bestimmt werden, welche die Klagebefugnis wesentlich beschränkt und so gegen die allgemeinen Verpflichtungen aus Art. 1, 3 und 9 AK verstoßen wird.1482 Für sich genommen ist dies noch wenig aussagekräftig. Da das Komitee jedoch im Ergebnis keinen konventionswidrigen Zustand feststellen konnte, zeigt dies bereits, dass das ACCC die im österreichischen Recht vorgesehenen Beschränkungen der Klagebefugnis auf der Grundlage der öster1479  Das Compliance Verfahren ACCC / C / 2008 / 31 (Germany) gegen Deutschland bezog sich ausschließlich auf die Möglichkeiten von Umweltvereinigungen. 1480  In Deutschland war die Konventionswidrigkeit der deutschen Rechtslage insoweit teils bereits unter Verweis auf die Entscheidung des ACCC gegen Deutschland, ACCC / C / 2008 / 31 (Germany), angenommen worden, da die dort angeführten Gründe, obwohl ausdrücklich nur gegen die Beschränkung des Rechtsschutzes auf „dem Umweltschutz dienende Vorschriften gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 S. 1 Nr. 1 UmwRG 2013 gerichtet, für eine Unzulässigkeit jeder Beschränkung der Begründetheitsebene sprächen, so J. Berkemann, Querelle d’Allemand. Deutschland verliert die dritte Runde im Umweltverbandsrecht vor dem EuGH, DVBl 2016, 205 (211). Ganz überwiegend wurde in der deutschen Literatur aber für den Bereich des Individualrechtsschutzes kein Anpassungsbedarf gesehen, vgl. nur statt vieler N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 277. Angesichts der auf europäischer und völkerrechtlicher Ebene hierzu geführten und sogleich darzustellenden Diskussion ist dies doch ein wenig überraschend. 1481  ACCC / C / 2010 / 48 (Austria), ECE / MP.PP / C.1 / 2012 / 4, Rn. 60 ff. Vgl. auch Rn. 15 f. hinsichtlich der österreichischen Variante der Schutznormtheorie und ihrem Niederschlag im österreichischen Umweltrecht. 1482  ACCC / C / 2010 / 48 (Austria), ECE / MP.PP / C.1 / 2012 / 4, Rn. 61.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

reichischen Variante der Schutznormtheorie grundsätzlich als mit der Konvention vereinbar ansieht.1483 Während das ACCC mithin Beschränkungen auf Zulässigkeitsebene, konkret der Klagebefugnis Einzelner und vergleichbar denen des deutschen Rechts dem Grunde nach als mit der Konvention vereinbar ansieht, führte das Komitee im selben Bericht – anscheinend von der deutschen Rechtswissenschaft weitgehend unbemerkt1484 – hinsichtlich des Prüfungsumfangs auf Begründetheitsebene nicht nur aus, dass die Vertragsstaaten verpflichtet seien, Anfechtungsmöglichkeiten bzgl. sowohl der materiell-rechtlichen als auch der verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit von Entscheidungen im Anwendungsbereich von Art. 6 AK zu gewährleisten,1485 sondern vielmehr auch, dass es Einzelnen gestattet sein müsse, die Verletzung auch solcher umweltrechtlichen Normen geltend zu machen, deren Verletzung Rechte Einzelner im Sinne der österreichischen Variante der Schutznormtheorie nicht zu berühren geeignet seien.1486 Zwar kam das ACCC auch insoweit1487 mangels hinreichenden Nachweises einer entsprechend restriktiven Praxis in Österreich nicht zur Feststellung eines Zustands der Konventionswidrigkeit, die rechtlichen Ausführungen weisen nichtsdestotrotz in der Sache eindeutig auf die Gebotenheit eines objektiven Beanstandungsverfahrens auf Begründetheitsebene auch im Bereich des Individualrechtsschutzes hin.1488 Zu beachten ist aber, dass dieser Punkt mangels Feststellung der Konventionswid1483  Das ACCC äußerte zwar dahingehend Zweifel, ob die konkrete Handhabung der österreichischen Regelungen mit der Konvention vereinbar seien, mangels hinreichender Belege für eine konventionswidrige Rechtsanwendungspraxis konnte das Komitee aber letztlich keinen konventionswidrigen Rechtszustand feststellen, ACCC / C / 2010 / 48 (Austria), Rn. 62 f. 1484  So meint etwa J. Berkemann, Querelle d’Allemand, DVBl 2015, 205 (205) dass „man sich kaum vorstellen“ könne, „dass sich der EuGH im Streitfall in Widerspruch zu den „Empfehlungen“ des Compliance Committee setzen wird“. Nach hier vertretener Ansicht hat der EuGH in seiner Entscheidung vom 15.10.2015 – C-137 / 14 genau das getan. Soweit ersichtlich hat bislang lediglich das Bundesverwaltungsgericht von dem Bericht des ACCC, allerdings hinsichtlich der Reichweite von Art. 9 Abs. 3 AK, Kenntnis genommen, vgl. BVerwG, Urteil vom 05.09.2013  – 7 C 21 / 12 (Luftreinhalteplan Darmstadt), Rn. 34. Aus der österreichischen Literatur U. Giera, Individualrechte im europäischen Umweltrecht, 2015, S. 142 f. Siehe neuerdings auch A. Epiney / S. Dilzig / B. Pirker / S. Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Art. 9 Rn. 24. 1485  ACCC / C / 2010 / 48 (Austria), Rn. 65 unter Verweis auf ACCC / C / 2008 / 33 (UK), Rn. 123. 1486  ACCC / C / 2010 / 48 (Austria), Rn. 66. 1487  Vgl. Fn. 1483. 1488  Dass die Ausführungen insoweit unklar sind, kann hier nicht festgestellt werden, so aber A. Epiney / S. Dilzig / B. Pirker / S. Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Art. 9 Rn. 30, Fn. 106.



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rigkeit nicht zum Gegenstand der Annahme des Berichts durch die Vertragsstaatenkonferenz gemacht wurde.1489 Nach hier vertretener Ansicht hat dies Einfluss auf seine rechtliche Bedeutung, da dieser demnach nicht als nachfolgende Vertragspraxis der Vertragsstaaten i. S. v. Art. 31 Abs. 3 lit. (b) WVK betrachtet werden kann.1490 Nichtsdestotrotz verwies auch GA Cruz Villalón auf diese Ansicht des ACCC zur Unterstützung seiner im Ergebnis parallelen Schlussanträge in der Rechtssache Altrip.1491 Dieser war bei der Auslegung von Art. 10a UVP-RL a. F. ebenfalls zu dem Ergebnis gekommen, dass den Mitgliedstaaten angesichts des Fehlens detaillierter Vorgaben des Unionsrechts zwar ein erheblicher Umsetzungsspielraum bei der Frage der Bestimmung einer Rechtsverletzung nach Art. 10a Abs. 1 UAbs. 1 lit. b) UVP-RL a. F. im Rahmen ihrer Verfahrensautonomie zukomme und dieser auch lediglich durch das Ziel der Schaffung eines weiten Zugangs zu Gerichten begrenzt werde.1492 Bezugspunkt des gewährten Spielraums sei aber dem Wortlaut des Art. 10a UVP-RL a. F. nach – was auch Ausführungen im Implementation Guide zur AK bestätigten1493 – allein der „Zugang zu einem Überprüfungsverfahren“ und insoweit lediglich die Zulässigkeit, nicht aber der Prüfungsumfang auf Begründetheitsebene, der deshalb durch die Mitgliedstaaten nicht beschränkt werden dürfe.1494 Insoweit bleibe es dabei, wie auch der EuGH bereits in der Rechtssache Trianel bestimmt habe, dass ein verfahrensrechtlicher Rechtsschutz gewährleistet werden müsse, in dessen Rahmen die zur Stützung einer Verletzung vorzubringenden Gründe in keiner Weise beschränkt worden seien.1495 Nur ein umfassender Rechtsschutz gerade auch gegen Verfahrensfehler wird mithin aus Sicht des Generalanwalts dem Sinn und Zweck des Rechts auf einen Zugang zu Gericht gerecht. Dieser Zugang, wie auch bestimmte Verfahrenspositionen, werde dem einzelnen Bürger – im Lichte von 1489  Vgl. Decision V / 9b, Decisions adopted by the meeting of the parties, ECE / MP.PP / 2014 / 2 / Add. 1, S. 56 ff. 1490  Zur Rechtsqualität der Berichte des ACCC durch ihre Annahme durch die Vertragsstaatenkonferenz siehe bereits oben: Zweiter Teil, B. III. 2. a) bb). 1491  GA Cruz Villalón, Schlussanträge vom 20.06.2013 – C-72 / 12, Rn. 101. Siehe hierzu J. Darpö, Article 9.2 of the Aarhus Convention and EU Law, Journal of European Environmental & Planning Law 11 (2014), 367 (179 f.) sowie C. Franzius, Stärkungen des Verfahrensrechtsschutzes im Umweltrecht, EurUP 2014, 283 (289). 1492  GA Cruz Villalón, Schlussanträge vom 20.06.2013 – C-72 / 12, Rn. 86. 1493  GA Cruz Villalón, Schlussanträge vom 20.06.2013 – C-72 / 12, Rn. 89. 1494  GA Cruz Villalón, Schlussanträge vom 20.06.2013 – C-72 / 12, Rn. 88. 1495  GA Cruz Villalón, Schlussanträge vom 20.06.2013 – C-72 / 12, Rn. 66, 85, 91. An letzterer Stelle will der Generalanwalt offensichtlich Raum für gewisse Differenzierungen zwischen unterschiedlichen Verfahrensfehlern lassen. Angesichts fehlender Informationen über die konkret vorliegenden Fehler geht er jedoch weder hier noch später erneut darauf ein.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Art. 1 AK betrachtet – nämlich gerade zu dem Zweck gewährt, dass er sein Recht auf ein Leben in einer gesunden Umwelt wahrnehmen und seine Pflicht, die Umwelt zum Wohl gegenwärtiger und künftiger Generationen zu schützen und zu verbessern,1496 erfüllen könne. Hierin spiegele sich zum einen die wesentliche Funktion von Verfahrensvorschriften im Umweltrecht zum Schutz des Rechts auf eine gesunde Umwelt wider, was die gleichberechtigte Nennung des Rechtsschutzes gegen Verfahrensfehler und dem gegen materiell-rechtliche Fehler erkläre. Zum anderen verbiete die Pflichtenstellung jedes einzelnen Bürgers nach der Präambel der AK, die jeden Einzelnen als Durchsetzungsinstanz für das Umweltrecht in den Blick nehme, die Schlussfolgerung, dass der Rechtsschutz Einzelner gerade mit dem Argument beschränkt werden dürfe, dass die Wahrnehmung dieser Rechte ja durch die speziell hierfür vorgesehenen Umweltvereinigungen stattfinden könnte. Aufgrund dessen kommt GA Cruz Villalón sodann zu der auch durch das ACCC gezogenen Schlussfolgerung, dass es auch Einzelnen möglich sein müsse, die Verletzung von (unionsrechtlichen) Umweltvorschriften unabhängig von ihrem im nationalen Recht anerkannten subjektiven Charakter vor Gericht im Rahmen der Begründetheit geltend zu machen.1497 Auch GA Wathelet stellte zuletzt in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Kommission gegen Deutschland1498 fest, dass eine Beschränkung der Begründetheitsprüfung eines Rechtsbehelfs auf die Verletzung subjektiver Rechte nicht mit den Vorgaben des europäischen Rechts vereinbar sei, da diese ein weiteres Hindernis für die Reichweite und den Nutzen einer gerichtlichen Überprüfung neben den für die Zulässigkeit möglichen Beschränkungen gerade nicht zuließen1499 und schloss sich der Auslegung Cruz Villalóns und mithin auch des ACCC unter Verweis auf den Leitgedanken der Schaffung eines weiten Zugangs zu Gerichten1500 an.1501 1496  Vgl. Absatz 8 Präambel AK. Vgl. zu dieser Argumenation auch J. Kokott /  C. Sobotta, Rechtsschutz im Umweltrecht, DVBl 2014, 132 (136). 1497  GA Cruz Villalón, Schlussanträge vom 20.06.2013  – C-72 / 12, Rn. 95 ff. So auch U. Giera, Individualrechte im europäischen Umweltrecht, 2015, S. 143. 1498  Dass GA M. Wathelet dabei auf die ausführliche Auslegung von Art. 9 Abs. 2 durch GA Cruz Villalón in der Rechtssache Altrip verweist und insoweit sich selbst zu Recht kürzer fasst, übersieht J. Berkemann, Querelle d’Allemand. Deutschland verliert die dritte Runde im Umweltverbandsrecht vor dem EuGH, DVBl 2016, 205 (209) bei seiner Kritik an der „Interpretationsarbeit“ des Generalanwalts. 1499  GA Wathelet, Schlussanträge vom 21.05.2015  – C-137 / 14, Rn. 56–58; i. E. zustimmend J. Berkemann, Querelle d’Allemand. Deutschland verliert die dritte Runde im Umweltverbandsrecht vor dem EuGH, DVBl 2016, 205 (209); T. Bunge, Weiter Zugang zu Gerichten nach der UVP- und der Industrieemissions-Richtlinie: Vorgaben für das deutsche Verwaltungsprozessrecht, NuR 2016, 11 (14). 1500  GA Wathelet, Schlussanträge vom 21.05.2015 – C-137 / 14, Rn. 47 mit Verweis auf GA Sharpston, Schlussanträge vom 16.12.2010 – C-115 / 09, Rn. 70.



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(bb) Beschränkter Zugang und eingeschränkte Prüfung In der Rechtssache Kommission gegen Deutschland entschied der Europäische Gerichtshof nun,1502 dass den Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung des Rechtsschutzes sonstiger Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit nicht nur für den Bereich der Zulässigkeit,1503 sondern auch hinsichtlich der Begründetheitsebene die Freiheit zukomme, die Geltendmachung von Verletzungen materiellen Rechts auf solche Normen zu beschränken, die dem Einzelnen subjektive Rechte vermitteln. Hatte es der Gerichtshof bislang vermieden zu dieser Frage Stellung zu nehmen,1504 so wies er nun die vorstehende Argumentation zurück und billigte die in Deutschland gem. § 113 Abs. 1 VwGO geltende Beschränkung des verwaltungsprozessualen Aufhe1501  Entsprechend der vorgebrachten Rüge beschränkte sich der Generalanwalt dabei nicht lediglich auf den Rechtsschutz gegen Verfahrensfehler, sondern zog diesen Schluss ganz allgemein. Speziell zum Rechtsschutz gegen Verfahrensfehler siehe aber GA Wathelet, Schlussanträge vom 21.05.2015 – C-137 / 14, Rn. 90. 1502  EuGH, Urteil vom 15.10.2015 – C-137 / 14 (Kommission / Deutschland). 1503  So bereits EuGH, Urteil vom 12.05.2011 – C-115 / 09 (Trianel), Rn. 45. 1504  In der Altrip-Entscheidung hatte der EuGH die durch das BVerwG vorgelegte und von GA Cruz Villalón behandelte Frage noch ausdrücklich offen gelassen, vgl. hierzu C. Meitz, Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 7. November 2013 – Rs. C-72 / 12 (Altrip), ZUR 2014, 40 (43); R. Klinger, Umweltverträglichkeitsprüfung und Rechtsschutz, ZUR 2014, 535 (538). Nach J. Berkemann, Querelle d’Allemand. Deutschland verliert die dritte Runde im Umweltverbandsrecht vor dem EuGH, DVBl 2016, 205 (210), hätte der EuGH bei seiner Entscheidung vom 15.10.2015 dagegen die durch eine andere Kammer des Gerichtshofs in der Rechtssache Karoline Gruber, C-570 / 13 am 16.04.2015 getroffene Entscheidung beachten müssen, da das Gericht dort, so Berkemann, a. a. O., entschieden habe, „dass eine nach anderen Gründen zulässige Klage sich darauf richten könne, dass eine UVP nicht durchgeführt worden sei, und zwar ohne dass es darauf ankommt, ob die RL 2011 / 95 / EU selbst subjektive Rechte vermittelt.“ Nach hier vertretener Ansicht hat der Gerichtshof von einer Bezugnahme jedoch zu Recht abgesehen. In der Entscheidung Karoline Gruber wird nämlich die Voraussetzung subjektiver Rechte deshalb für unzulässig erklärt, weil hier Rechtsschutz in Fällen betroffen ist, in denen Behörden sich gerade gegen die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung entscheiden, sodass die Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit von den ihnen innerhalb der UVP zukommenden subjektiven Rechten tatsächlich gar keinen Gebrauch machen können. Die Einbeziehung solcher Entscheidungen in den Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 AK ist insoweit besonders gelagert und reiht sich in die Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen Mellor, C-75 / 08 und Solvay, C-182 / 10 sowie die Feststellungen des ACCC in den Verfahren ACCC / C / 2008 / 33 (United Kingdom), Rn. 83 sowie ACCC / C / 2010 / 50 (Czech Republic), Rn. 82 ein. Vgl. hierzu J. Darpö, Article 9.2 of the Aarhus Convention and EU Law, Journal of European Environmental & Planning Law 11 (2014), 367 (377 f.). Ein Schluss von dieser Entscheidung auf den gebotenen Prüfungsumfang betreffend Zulassungsentscheidungen nach Durchführung einer UVP ist aber nicht möglich.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

bungsanspruchs.1505 Soweit eine Begrenzung der Zulässigkeit von Rechtsbehelfen auf die Geltendmachung von Verletzungen subjektiver Rechte i. S. des jeweiligen nationalen Rechts erfolgen dürfe, könne deren tatsächliche Verletzung auch in zulässiger Weise zur Voraussetzung der Begründetheit von Rechtsbehelfen gemacht werden.1506 Insoweit sei auch eine Beschränkung der inhaltlichen Prüfung der Begründetheitsstufe und damit auch der Verzicht auf eine umfängliche Prüfung der materiell-rechtlichen Rechtmäßigkeit i. S. v. Art. 9 Abs. 2 UAbs. 1 AK gestattet.1507 Die Begründung der Entscheidung fällt – gerade vor dem Hintergrund der durch mehrere Generalanwälte sowie das ACCC vertretenen abweichenden Ansicht – denkbar knapp aus und erschöpft sich im wesentlichen in der Behauptung einer Übertragbarkeit des in der Trianel-Entscheidung für die Zulässigkeitsebene aufgestellten Rechtssatzes über die Möglichkeit der Beschränkung des Rechtsschutzes Einzelner auf die Begründetheitsebene.1508 Die Beschränkbarkeit des Rechtsschutzes anerkennt der Gerichtshof ausdrücklich sowohl mit Blick auf die materiell-rechtliche wie auch die verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen und Unterlassungen im Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 2 AK umsetzenden EU-Sekundärrechts. 1505  Zu dem durch § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO im deutschen Verwaltungsprozessrecht begründeten Junktim zwischen objektiver Rechtswidrigkeit und subjektiv-rechtlicher Rechtsverletzung V. Skouris, Auswirkungen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auf die Funktion der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit – Zur Reichweite des Urteils des EuGH vom 15.10.2015 in der Rechtssache C-137 / 14, DVBl 2016, 937 (941); T. Bunge, Weiter Zugang zu Gerichten nach der UVP- und der Industrieemissions-Richtlinie: Vorgaben für das deutsche Verwaltungsprozessrecht, NuR 2016, 11 (14). 1506  Zu diesem „Erst-Recht-Schluss“ C. Mayer, Neues aus Luxemburg in Sachen Gerichtszugang in Umweltangelegenheiten, NuR 2016, 106 (107); kritisch gegenüber der Zirkularität der Argumentation J. Berkemann, Querelle d’Allemand. Deutschland verliert die dritte Runde im Umweltverbandsrecht vor dem EuGH, DVBl 2016, 205 (210). 1507  EuGH, Urteil vom 15.10.2015  – C-137 / 14 (Kommission / Deutschland), Rn. 32 f.; wie hier M. Ludwigs, Bausteine des Verwaltungsrechts auf dem Prüfstand des EuGH, NJW 2015, 3484 (3485) sowie K. Keller / C. Rövekamp, Anmerkung NVwZ 2015, 1672 (1672); zweifelnd ob der Gerichtshof nicht lediglich die Beschränkung der Aufhebung der Verwaltungsentscheidung, nicht aber auch einen Verzicht ihrer vollständigen materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Prüfung gebilligt habe E. Hofmann, Der Abschied von der (ohnehin meist falsch verstandenen) Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten?, EuR 2016, 188 (191 f.). 1508  EuGH, Urteil vom 15.10.2015  – C-137 / 14 (Kommission / Deutschland), Rn. 32 f., 63 f.; kritisch J. Berkemann, Querelle d’Allemand, DVBl 2016, 205 (210), der darauf hinweist, dass der EuGH hier den Eindruck erwecke, bereits die TrianelEntscheidung habe sich auf die Begründetheitsebene bezogen. Kritisch auch E. Hoffmann, Ausgewählte Probleme des allgemeinen Umweltrechts, Die Verwaltung 50 (2017), 247 (264).



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Das weitestgehende Fehlen einer Begründung der Entscheidung wird auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur kritisiert.1509 Problematisch scheint dies insbesondere mit Blick auf die Abweichung des Gerichts von dem Bericht des ACCC zum Compliance-Verfahren gegen Österreich. Zwar entfaltet dieser Bericht im hier interessierenden Punkt, da er insoweit nicht zum Gegenstand einer Annahmeentscheidung der Vertragsstaatenkonferenz des AK gemacht wurde, keinerlei Rechtswirkungen. Nichtsdestotrotz spiegelt er die abweichende Ansicht des Überwachungsausschusses wider, sodass ein größeres Bemühen des Gerichtshofes der Europäischen Union um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Entscheidung des ACCC schon deshalb wünschenswert gewesen wäre, um der Gefahr eines institutionellen Konflikts, der durch die Einleitung eines Compliance-Verfahrens angesichts der Rechtsprechung des EuGH gegen die EU1510 oder auch gegen einen Vertragsstaat1511 entstehen könnte, vorzubeugen. In der Bewertung des Ergebnisses bestehen dagegen unterschiedliche Ansichten. Die in der Anerkennung des mitgliedstaatlichen Umsetzungsspielraums zum Ausdruck kommende Zurückhaltung des EuGH wird insbesondere von denjenigen positiv aufgenommen, die weder im europäischen Sekundärrecht noch in Art. 9 Abs. 2 AK eine eindeutige Entscheidung für eine objektiv-rechtliche Rechtskontrolle im Bereich des umweltrechtlichen Individualrechtsschutzes, sondern vielmehr einen weiten Umsetzungsspielraum der Vertrags- bzw. Mitgliedstaaten eingeräumt sehen.1512 In der Folge gehen diese Stimmen davon aus, dass es angesichts der Tragweite einer solchen systembestimmenden Entscheidung1513 für zahlreiche Mitgliedstaaten an ei1509  J. Berkemann, Querelle d’Allemand. Deutschland verliert die dritte Runde im Umweltverbandsrecht vor dem EuGH, DVBl 2016, 205 (209); T. Bunge, Weiter Zugang zu Gerichten nach der UVP- und der Industrieemissions-Richtlinie: Vorgaben für das deutsche Verwaltungsprozessrecht, NuR 2016, 11 (14); C. Sobotta, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 15.10.2015  – C-137 / 14 (Kommission. / .Deutschland), EuZW 2016, 66 (72). 1510  J. Berkemann, Querelle d’Allemand. Deutschland verliert die dritte Runde im Umweltverbandsrecht vor dem EuGH, DVBl 2016, 205 (211). 1511  C. Mayer, Neues aus Luxemburg in Sachen Gerichtszugang in Umweltangelegenheiten, NuR 2016, 106 (107). 1512  Zustimmend etwa V. Skouris, Auswirkungen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auf die Funktion der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl 2016, 937 (942); W. Frenz, Umweltklagen weiter effektuiert: Subjektive Rechte, Präklusion und Entscheidungserheblichkeit von Verfahrensfehlern, NuR 2015, 832 (833); M. Ludwigs, Bausteine des Verwaltungsrechts auf dem Prüfstand des EuGH, NJW 2015, 3484 (3485); S. Missling, Präklusion hält europarechtlicher Prüfung nicht stand  – Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 15.10.2015  – C-137 / 14, EnWZ 2016, 78 (83). 1513  Zu den im Vorhinein gehegten Befürchtungen ob dieser Entscheidung F. Schoch, Verwaltungsgerichtsbarkeit, quo vadis?, VBlBW 2013, 361 (368); M. Lud-

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ner hinreichenden Grundlage für eine entsprechende Entscheidung des Gerichtshofs gefehlt habe.1514 Eine gegenteilige Entscheidung hätte zudem, so wird weiter angeführt, von dem in der Trianel-Entscheidung für die Zulässigkeitsebene anerkannten Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten praktisch nichts übrig gelassen.1515 Dieses Argument beruht auf der Annahme einer weitgehenden Subjektivierung europäisch gewährleisteter Verfahrensrechte,1516 die Einzelnen nahezu stets die Möglichkeit böten, die Hürde der Zulässigkeit durch die schlüssige Behautpung von Verfahrensfehlern zu überspringen. Hätte der EuGH nicht auch die Übertragung der Beschränkung auf die Begründetheitsebene anerkannt, wäre mithin im Ergebnis stets eine Vollkon­ trolle von Zulassungsentscheidungen auch im Bereich des Individualrechtsschutzes eröffnet worden.1517 Die Wirksamkeit der Beschränkung der Stufe der Zulässigkeit soll danach ihre Fortsetzung auf Begründetheitsebene bedingen. Nach anderer Ansicht kann die Entscheidung dagegen gerade in ihrer Begründung nicht überzeugen.1518 (α) Bedeutung für den Rechtsschutz gegen materiell-rechtliche Verstöße Aus der Entscheidung des EuGH folgt zunächst nur, dass keine europarechtliche Pflicht besteht, Rechtsschutz gegen Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen im Anwendungsbereich von Art. 6 AK auch insoweit zu wigs, Bausteine des Verwaltungsrechts auf dem Prüfstand des EuGH, NJW 2015, 3484 (3484); S. Missling, Präklusion hält europarechtlicher Prüfung nicht stand – Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 15.10.2015  – C-137 / 14, EnWZ 2016, 78 (83), der allerdings zu Unrecht meint, dass in der Folge einer Beanstandung von § 113 Abs. 1 VwGO durch den EuGH als „logische Folge“ auch die Voraussetzung einer Verletzung in eigenen Rechten für die Annahme einer Klagebefugnis gem. § 42 Abs. 2 aufzuheben gewesen wäre. Vielmehr wäre die Folge schlicht auch für die Anfechtungsklage und weitere Verwaltungsrechtsbehelfe zumindest hinsichtlich der Beanstandung von Verstößen gegen europäisches Umweltrecht ein Auseinanderfallen der subjektiven Zulässigkeitsschranke und der objektiv-rechtlichen Rechtskontrolle auf Begründetheitsebene entsprechend § 47 Abs. 2, 5 S. 2 VwGO gewesen. 1514  V. Skouris, Auswirkungen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auf die Funktion der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit – Zur Reichweite des Urteils des EuGH vom 15.10.2015 in der Rechtssache C-137 / 14, DVBl 2016, 937 (942). 1515  C. Sobotta, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 15.10.2015 – C-137 / 14 (Kommission. / .Deutschland), EuZW 2016, 66 (72). 1516  Zu dem insoweit keineswegs einheitlichen Verständnis der Rechtsprechung des EuGH sogleich. 1517  So C. Sobotta, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 15.10.2015  – C-137 / 14 (Kommission. / .Deutschland), EuZW 2016, 66 (72). 1518  J. Berkemann, Querelle d’Allemand. Deutschland verliert die dritte Runde im Umweltverbandsrecht vor dem EuGH, DVBl 2016, 205 (210).



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gewährleisten, wie materiell-rechtliche Normverstöße sonstige Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit nicht in ihren eigenen subjektiven Rechten verletzen. Dies befreit die Mitgliedstaaten der EU gleichwohl aber nicht von ihrer Pflicht, zumindest in den Fällen einen Aufhebungsanspruch bzgl. rechtswidrigen Verwaltungshandelns auch im Bereich des Individualrechtsschutzes prozessual auf Zulässigkeits- und Begründetheitsebene bewehren zu müssen, in denen eine Verletzung von europarechtlich anerkannten subjektiven Berechtigungen besteht.1519 Dies kann, wie im Falle Deutschlands, über die nach rein nationalem Verständnis anzuerkennenden subjektiv-öffentlichen Rechtspositionen hinausgehen und schließt beim derzeitigen Entwicklungsstand der europäischen Gesetzgebung und Rechtsprechung jedenfalls die Möglichkeit zur Geltendmachung der Verletzung solcher Normen ein, die zumindest auch den Schutz hinreichend typisierter Interessen der Gesamtheit, wie insbesondere der Volksgesundheit, bezwecken.1520 Insoweit wäre es zwar derzeit danach regelmäßig nicht geboten, auch bei der möglichen Verletzung von Normen, die ausschließlich den Schutz biologischer Vielfalt bezwecken, einen Zugang zu Gerichten zu eröffnen. Angesichts der Entwicklungsoffenheit der europäischen Rechtsprechung in diesem Punkt und einzelnen in diese Richtung weisenden Entscheidungen1521 erscheint auch eine insoweit bestehende sektorale Pflicht aufgrund der Auslegung entsprechender sekundärrechtlicher Regelungen für die Zukunft aber nicht ausgeschlossen.1522 1519  Vgl. A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 140 ff.; K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, 181 ff., die aber weitergehend noch versucht, den zu gewährleistenden Mindeststandard mithilfe europäischer und deutscher Grundrechte zu bestimmen. So auch D. Murswiek / L. Ketterer / O. Sauer / H. Wöckel, Ausgewählte Probleme des allgemeinen Umweltrechts, Die Verwaltung 44 (2011), 235 (259): „Was das materielle Umwelteuroparecht gewährt, dürfen die Mitgliedstaaten gemäß dem Effektivitätsgrundsatz nicht über verfahrensrechtliche Regelungen entwerten“; C. Sobotta, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 15.10.2015  – C-137 / 14 (Kommission. / .Deutschland), EuZW 2016, 66 (72); W. Frenz, Umweltklagen weiter effektuiert: Subjektive Rechte, Präklusion und Entscheidungserheblichkeit von Verfahrensfehlern, NuR 2015, 832 (833); E. Hofmann, Der Abschied von der (ohnehin meist falsch verstandenen) Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten?, EuR 2016, 188 (192). 1520  Siehe hierzu bereits oben unter Erster Teil, B. II. 3. sowie zuletzt E. Hofmann, Der Abschied von der (ohnehin meist falsch verstandenen) Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten?, EuR 2016, 188 (192). 1521  Siehe insbesondere die sog. Herzmuschelfischerei-Entscheidung des EuGH, Urteil vom 07.09.2004, C-127 / 02, Rn. 62 ff.; hierzu bereits oben: Erster Teil, B. II. 3. 1522  Kritisch W. Frenz, Umweltklagen weiter effektuiert: Subjektive Rechte, Präklusion und Entscheidungserheblichkeit von Verfahrensfehlern, NuR 2015, 832 (833), nach dessen Ansicht eine so weitreichende Anerkennung subjektiver Rechte die vom EuGH gebilligte Möglichkeit der Mitgliedstaaten zur Beschränkung des nationalen Rechtsschutzes „ad absurdum“ führen würde. Gleichwohl könnte die Feststellung

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(β) Bedeutung für den Rechtsschutz gegen Verfahrensfehler Sehr viel umstrittener scheint das richtige Verständnis der Aussagen des EuGH in seiner Entscheidung Kommission gegen Deutschland vom 15.10.2015 dagegen für die Frage des gebotenen Rechtsschutzes sonstiger Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit gegen Verfahrensfehler. Zwar spricht der Gerichtshof darin ausdrücklich aus, dass auch beim Rechtsschutz gegen Verfahrensfehler eine Aufhebung einer verfahrensfehlerhaften Verwaltungsentscheidung nur dann zu erfolgen hat, wenn der Verfahrensfehler den Kläger in eigenen Rechten verletzt.1523 Die aus dieser Aussage gezogenen Schlussfolgerungen sind jedoch höchst verschieden. So wird teilweise mit Blick auf die deutsche Rechtslage davon ausgegangen, dass die Billigung der Anforderung eines Rechtswidrigkeitszusammenhangs i. S. v. § 113 Abs. 1 VwGO dazu führe, dass, da nach deutschem Verständnis Verfahrensfehler eine Verletzung in eigenen Rechten grundsätzlich nicht selbständig zu begründen in der Lage sind, ein Rechtsschutz hier weitgehend zurückgenommen werden könne.1524 Jedenfalls müssten nicht auch Verletzungen solcher Verfahrensnormen zur Begründetheit von Rechtsbehelfen führen, die ausschließlich den Schutz von Allgemeininteressen bezweckten.1525 Eine prokuratorische Stellung sonstiger Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit hätte der EuGH danach gerade nicht anerkannt. Andere Stimmen betonen dagegen, dass die durch den EuGH zweifellos anerkannte Rechtsschutzbeschränkung für Verfahrensfehler aber jedenfalls dort nicht gelten kann, wo nach der Rechtsprechung des EuGH Einzelnen ausdrücklich ein Recht auf die Durchführung eines bestimmten Verfahrens zuerkannt wurde.1526 Dies aber sei bei der UVP für alle wesentlichen VerfahF. Fellenbergs, Weiter frischer Wind aus Luxemburg, NVwZ 2015, 1721 (1722), dass auch künftig nur Umweltvereinigungen die Verletzung objektiven Rechts rügen könnten, verfrüht sein. 1523  EuGH, Urteil vom 15.10.2015  – C-137 / 14 (Kommission / Deutschland), Rn. 63–65. 1524  In diese Richtung weisen etwa die Zweifel des BVerwG, Urteil vom 22.10.2015  – 7 C 15.13, Rn. 23 ob der Gebotenheit der Erstreckung von § 4 Abs. 1 UmwRG a. F. über Abs. 3 auch auf Rechtsbehelfe von Beteiligten nach § 61 Nr. 1, 2 VwGO. 1525  In diesem Sinne J. Held, Umweltrechtliche Verfahrensfehler im Lichte der neuesten Rechtsprechung, DVBl 2016, 12 (21, Fn. 92 sowie 22, Fn. 103); K. Keller, Drittanfechtungen im Umweltrecht durch Umweltvereinigungen und Individualkläger, NVwZ 2017, 1080 (1083). Aus der Rechtsprechung siehe weiter OVG Lüneburg, Urteil vom 16.11.2016 – 12 ME 132 / 16, Rn. 62; VG Arnsberg, Urteil vom 17.10.2017 – 4 K 2130 / 16, Rn. 225. 1526  C. Sobotta, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 15.10.2015 – C-137 / 14 (Kommission. / .Deutschland), EuZW 2016, 66 (72 f.); von einem Widerspruch innerhalb



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rensvorschriften betreffend die Information und Öffentlichkeitsbeteiligung der Fall. Der Begriff des subjektiven Rechts sei in diesem Zusammenhang gerade nicht im Sinne hergebrachter deutscher Dogmatik, sondern entsprechend des erweiterten europäischen Verständnisses zu bestimmen,1527 wie es in den Rechtssachen Wells,1528 Leth,1529 Gruber1530 und auch in der Entscheidung Kommission gegen Deutschland1531 zum Ausdruck gekommen sei. Eben deren Bedeutung ist aber umstritten.1532 Teilweise wird insoweit vertreten, dass diese Entscheidungen nicht nur eine Subjektivierung derjenigen Verfahrenspflichten verlangten, die dem Schutz materiell-personaler Interessen des Einzelnen im Sinne der deutschen Schutznormlehre dienten, sondern vielmehr auch reinen Allgemeininteressen wie der Ermittlung und Bewertung rein artenschutzrechtlicher Betroffenheiten.1533 Nach anderer Ansicht soll zumindest unklar sein, ob der EuGH in diesen Entscheidungen wirklich auch Einzelnen habe eine echte prokuratorische Stellung zur Verteidigung rein objektiver Interessen der Allgemeinheit

der Urteilsbegründung geht dagegen aus T. Bunge, Weiter Zugang zu Gerichten nach der UVP- und der Industrieemissions-Richtlinie, NuR 2016, 11 (15), der in der Folge meint, dass Einzelne deshalb gerade nicht jeden Fehler einer UVP gerichtlich geltend machen können; E. Hoffmann, Ausgewählte Probleme des allgemeinen Umweltrechts, Die Verwaltung 50 (2017), 247 (265). 1527  So die inzwischen um den Willen der Einheitlichkeit der Rechtsprechung aufgegebene Rechtsprechung des OVG Münster, Urteil vom 25.02.2015  – 8 A 959 / 10, Rn. 59 f. und hierzu J. Held, Umweltrechtliche Verfahrensfehler im Lichte der neuesten Rechtsprechung, DVBl 2016, 12 (20). 1528  EuGH, Urteil vom 07.01.2004  – C-201 / 02 (Wells). Hierzu bereits oben: Zweiter Teil, B. IV. 3. B) bb) (2) (b). 1529  EuGH, Urteil vom 14.03.2013 – C-420 / 11 (Leth). 1530  EuGH, Urteil vom 16.04.2015  – C-570 / 13 (Gruber). Vgl. hierzu bereits die Einordnung in Fn. 1504. 1531  Hierauf, konkret auf die Formulierungen des Gerichtshofs in den Rn. 55, 59, 62, verweist C. Sobotta, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 15.10.2015  – C-137 / 14 (Kommission. / .Deutschland), EuZW 2016, 66 (72). 1532  Siehe einerseits BVerwG, NVwZ 2012, 573, Rn. 20; BVerwGE 148, 353, Rn. 41 und andererseits noch OVG Münster, Urteil vom 25.02.2015  – 8 A 959 / 10, Rn.  53 ff. 1533  OVG Münster, Urteil vom 25.02.2015 – 8 A 959 / 10, Rn. 53 ff., insbesondere 57. Hiernach würde die Möglichkeit der Verletzung einer solchen Norm auch regelmäßig zur Begründung der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO genügen. So auch A. Epiney, Rechte Einzelner im EU-Umweltrecht, EurUP 2017, 223 (226 f.). Grundsätzliche Bedenken gegen eine Differenzierung nach einzelnen Umweltmedien mit größerer oder geringerer unmittelbarer Bedeutung für die subjektiv-materiellen Güter Betroffener bei der Bestimmung der Auswirkungen von Fehlern in einer Umweltverträglichkeitsprüfung äußert K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (796).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

einräumen wollen.1534 Etwas anderes folgt insoweit auch nicht mit Bestimmtheit aus der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache Gruber. Zwar betonte der EuGH auch in diesem Vorabentscheidungsverfahren auf Vorlage des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs gleich an zwei Stellen den weiten Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Bestimmung dessen, was als Rechtsverletzung gelte,1535 Ausführungen zur genauen Reichweite dieses Spielraums machte der EuGH, obwohl GA Kokott in ihren Schlussanträgen hierzu durchaus ausgeführt hatte,1536 aber keine. Klar ist bei alldem nur, dass, soweit ein Rechtsschutz gegen Verfahrensfehler zu gewährleisten ist, eine Beschränkung des Sanktionsanpruchs nur nach den bereits oben dargestellten, in der Altrip-Entscheidung entwickelten und in der Rechtssache Kommission gegen Deutschland bestätigten Grundsätzen erfolgen darf.1537 (cc) Zwischenfazit Die Diskussion hat gezeigt, dass die Anforderungen des Art. 9 Abs. 2 AK an die vertragsstaatliche Ausgestaltung des nationalen Prozessrechts für die Begründetheitsprüfung im Bereich des Individualrechtsschutzes höchst umstritten sind und auch nach der Entscheidung des EuGH vom 15.10.2015 keinesfalls als geklärt gelten können. Im Gegenteil, scheint hier doch ein Konflikt zwischen Gerichtshof und ACCC über die Bestimmung der Reichweite des Art. 9 Abs. 2 AK offenbar zu werden, den zu lösen sich der EuGH 1534  Die verbleibende Unklarheit wird auch beklagt von C. Sobotta, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 15.10.2015  – C-137 / 14 (Kommission. / .Deutschland), EuZW 2016, 66 (72); J. Held, Umweltrechtliche Verfahrensfehler im Lichte der neuesten Rechtsprechung, DVBl 2016, 12 (20). 1535  EuGH, Urteil vom 16.04.2015 – C-570 / 13 (Gruber), Rn. 40, 45. 1536  Siehe GA Kokott, Schlussanträge vom 13.11.2014 – C-570 / 13, Rn. 48 ff. Auch ihre Ausführungen zeigen aber nicht eindeutig, ob sie sich für eine umfassende Subjektivierung aller Untersuchungspflichten ausspricht. Dass sie danach fragt, „welche Rechte ein einzelner danach geltend machen kann“ spricht für eine Beschränkung. Allerdings bleibt insoweit unklar, ob die Unterscheidung von Naturbelangen und materiell-personalen Interessen des Einzelnen ihrer Ansicht nach dabei das maßgebliche Unterscheidungskriterium sein soll. Eine wissenschaftliche Äußerung von J. Kokott / C. Sobotta, Rechtsschutz im Umweltrecht, DVBl 2014, 132 (136), allerdings im Kontext von Art. 9 Abs. 3 AK, weist aber durchaus in die Richtung eines Verständnisses, wonach zugunsten jedes Einzelnen auch rein objektiv-rechtliche UVP-Verfahrensschritte zu subjektivieren sind. 1537  Vgl. hierzu bereits oben: Zweiter Teil, B. IV. 3. b) bb) (2) (c) (bb). Zur diesbezüglich inzwischen auf nationaler Ebene ergangenen Rechtsprechung siehe nur BVerwG, Beschluss vom 21.06.2016 – 9 B 65 / 15, Rn. 5.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

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in seiner Entscheidung leider gar nicht erst bemüht hat.1538 Es besteht insoweit in der Tat die Möglichkeit, dass zukünftige Compliance-Verfahren des Überwachungsausschusses zu gegenteiligen Ergebnissen wie der EuGH kommen und dies zur Nagelprobe für die normative Bedeutung der Berichte des ACCC werden könnte. Eine wechselseitige Beachtung der jeweils anderen Auslegung von EuGH und ACCC ist nicht zuletzt deshalb erstrebsam, da nun die Mitgliedstaaten der EU zwar nach der Rechtsprechung des EuGH unionsrechtlich nicht zur Aufgabe der hier untersuchten Beschränkung des Prüfungsumfangs gezwungen sind, eine entsprechende völkerrechtliche Verpflichtung nach der Auslegung durch das ACCC jedoch durchaus im Raum steht und insoweit auch weitere Compliance-Verfahren möglich sind. Auch für die Vertragsstaaten der AK außerhalb der EU stellt sich bei der Implementierung von Art. 9 Abs. 2 AK die Frage, ob sie sich insoweit an der Rechtsprechung des EuGH oder trotz der in diesem Punkt fehlenden Feststellung des Berichts des ACCC zu einer Konventionswidrigkeit des österreichischen Rechts an der Auslegung durch das Überwachungskomitee orientieren sollten. Ob EuGH und ACCC allerdings tatsächlich in der Sache so weit auseinanderliegen, wie es auf den ersten Blick scheint, bedarf weiterer Klärung. Der Gerichtshof ist insoweit konsequent geblieben, als dass er der Deutung von Art. 9 Abs. 2 AK als Kompromissformel zwischen unterschiedlichen Positionen in den Verhandlungen zur Aarhus-Konvention auch nun wieder zur Geltung verholfen hat, indem er einen Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten für die Begründetheitsebene anerkannte, obwohl die sprachliche Fasssung von Art. 9 Abs. 2 UAbs. 1 AK auf einen solchen nicht hindeutet.1539 Unklar ist aber, ob dieser Spielraum auch im Lichte der sonstigen Rechtsprechung des Gerichtshofs wirklich so groß ist. Nicht nur im Bereich des Rechtsschutzes Einzelner ist es nach wie vor nicht abschließend geklärt, inwieweit eine 1538  Kritisch zum Umgang des EuGH mit der Berichtspraxis des ACCC auch J. Berkemann, Querelle d’Allemand. Deutschland verliert die dritte Runde im Umweltverbandsrecht vor dem EuGH, DVBl 2016, 205 (211). 1539  Zum Wortlautargument wie hier T. Bunge, Weiter Zugang zu Gerichten nach der UVP- und der Industrieemissions-Richtlinie, NuR 2016, 11 (14); C. Mayer, Neues aus Luxemburg in Sachen Gerichtszugang in Umweltangelegenheiten, NuR 2016, 106 (107); J. Berkemann, Querelle d’Allemand, DVBl 2016, 205 (209); a. A. M. Ludwigs, Bausteine des Verwaltungsrechts auf dem Prüfstand des EuGH, NJW 2015, 3484 (3485); S. Missling, Präklusion hält europarechtlicher Prüfung nicht stand – Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 15.10.2015  – C-137 / 14, EnWZ 2016, 78 (83). Zustimmend zur Betonung der textlichen Differenzierung nach privilegierter und nicht privilegierter betroffener Öffentlichkeit auch V. Skouris, Auswirkungen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auf die Funktion der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit – Zur Reichweite des Urteils des EuGH vom 15.10.2015 in der Rechtssache C-137 / 14, DVBl 2016, 937 (942).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Geltendmachung von Verletzungen auch solcher Normen möglich ist, die nicht materiell-personale Interessen Einzelner oder aggregierte Interessen der Gesamtheit, sondern allein Allgemeininteressen schützen. Vielmehr gibt es gerade auch in der Rechtsprechung des EuGH zum europäischen Umweltverfahrensrecht Anhaltspunkte dafür, dass hier betroffene Einzelne Verfahrensfehler auch dann geltend machen können müssen, wenn diese nur reine Natur- und Artenschutzbelange betreffen, etwa deren korrekte Erhebung und Bewertung im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung. Trifft dies zu, so können diese Rechte auch bei Anerkennung eines Umsetzungsspielraums im Rahmen von Art. 9 Abs. 2 AK durch die Mitgliedstaaten der EU nicht durch Verfahrensgestaltungen im nationalen Prozessrecht entwertet werden. Die Entscheidung des EuGH vom 15.10.2015 würde sich auch insoweit nicht einmal als Pyrrhussieg herausstellen. Umgekehrt ist aber zu beachten, dass auch diejenigen Stimmen, wie das ACCC und Teile der Generalanwaltschaft beim EuGH, die dafür eintreten Art. 9 Abs. 2 AK in einer Weise auszulegen, dass er zwar eine Beschränkung des Gerichtszugangs gestattet, auf Begründetheitsebene aber eine objektive Rechtskontrolle fordert, ebenfalls einer Popularklage nicht das Wort reden.1540 Auch hiernach ist lediglich die betroffene Öffentlichkeit zur Klage berechtigt, wobei die Betroffenheit mit einer besonderen räumlichen Nähe identifiziert wird,1541 die in immissionsschutzrechtlichen Zusammenhängen etwa anhand des Einwirkungsbereichs einer Anlage bestimmt werden kann.1542 Gefordert wäre hier deshalb weniger eine Ausweitung des Kreises an Klageberechtigten als vielmehr eine Ausdehnung der Klagerechte in sachlicher Hinsicht.1543 Welche Position sich hier letztlich durchsetzt, bleibt abzuwarten.

1540  F. Fellenberg, Weiter frischer Wind aus Luxemburg, NVwZ 2015, 1721 (1723); J. Kokott / C. Sobotta, Rechtsschutz im Umweltrecht, DVBl 2014, 132 (136); OVG Münster, Urteil vom 25.02.2015 – 8 A 959 / 10, Rn. 80–84; ablehnend J. Greim, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht, 2013, S. 217 f. 1541  J. Kokott / C. Sobotta, Rechtsschutz im Umweltrecht, DVBl 2014, 132 (136); eine stärker am Schutzzweck der jeweiligen Umweltrechtsnorm orientierte Bestimmung der Betroffenheit vertritt dagegen A. Epiney, Rechte Einzelner im EU-Umweltrecht, EurUP 2017, 223 (227 ff.), die jedoch im Falle allgemein dem Umweltschutz dienender Vorschriften ebenfalls auf das Kriterium der räumlichen Nähe abstellt, a. a. O. S. 229. 1542  J. Held, Umweltrechtliche Verfahrensfehler im Lichte der neuesten Rechtsprechung, DVBl 2016, 12 (20). 1543  J. Held, Umweltrechtliche Verfahrensfehler im Lichte der neuesten Rechtsprechung, DVBl 2016, 12 (20).



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

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(3) Eigenständigkeit der Überprüfungsverfahren  – Insbesondere zur Unzulässigkeit materieller Präklusion Das deutsche allgemeine Verwaltungsrecht sieht nach § 73 Abs. 4 S. 3 VwVfG sowie auch in zahlreichen Fachgesetzen, bislang etwa auch in § 2 Abs. 3 UmwRG 2013,1544 eine sog. materielle Präklusion verspätet vorgebrachter Einwendungen vor. Nur wer bereits im Verwaltungsverfahren bestimmte Einwendungen zur Begründung von Rechtsverstößen geltend gemacht hat, kann diese danach im späteren gerichtlichen Verfahren auch für die Begründung der etwa nach § 113 Abs. 1 VwGO für den Klageerfolg notwendigen subjektiven Rechtsverletzung vorbringen. Wer materiell mit einem Einwand präkludiert ist, wird wegen des gleichwohl gegebenen objektiv-rechtlichen Verstoßes vor Gericht nicht mehr gehört. Das materielle subjektive Recht geht zwar nicht verloren, wohl aber die Rechtsschutzmöglichkeit.1545 Aus der Sicht von Behörden und Vorhabenträgern schafft die materielle Präklusion frühzeitig, d. h. mit dem Ablauf der Einwendungsfristen im Verwaltungsverfahren, insoweit Rechtssicherheit für Antragsteller, als sie von diesem Zeitpunkt an wissen, aufgrund welcher Umstände ihr Vorhaben noch gerichtlich angegriffen werden kann.1546 Sie haben mithin ab diesem Zeitpunkt Klarheit über die möglichen Klagegründe. Mit Ablauf der Rechtsbehelfsfrist kann die Rechtssicherheit durch den Eintritt der Bestandskraft einer erteilten Genehmigung weiter erstarken. Aus der Sicht von Klägern stellt die Präklusion dagegen eine jedenfalls partielle Beschränkung derjenigen Gründe dar, die im Rahmen des verwaltungsrechtlichen Prozesses zur Stützung der Klage geltend gemacht werden können. Die Präklusion bewirkt eine Verklammerung von Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, indem an das Verhalten eines Verfahrensbeteiligten in diesem Konsequenzen für jenes geknüpft werden. Wie gesehen, sieht Art. 9 Abs. 2 UAbs. 1 AK in einem Spannungsverhältnis hierzu die Anfechtung sowohl der materiell-rechtlichen und auch der verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit erfasster Gegenstände vor, ohne die anführbaren Anfechtungsgründe zu beschränken. Während die Rechtsprechung in Deutschland gleichwohl bis zuletzt von der Vereinbarkeit der Präklusionsregelungen nicht nur mit Grundrechten,1547 sondern auch den euro1544  Vgl. den Überblick über materielle Präklusionsregelungen bei A. Széchényi, EuGH locuta – Präklusion finita?, BayVBl 2016, 366 (367). 1545  T. Lieber, in: T. Mann / C. Sennekamp / M. Uechtritz, VwVfG, 2014, § 73 Rn. 259. 1546  So insbesondere die Rechtsprechung, BVerwG, 11.11.2009 – 4 B 57 / 09; T. Lieber, in: T. Mann / C. Sennekamp / M. Uechtritz, VwVfG, 2014, § 73 Rn. 247 m. z. w. N. 1547  BVerfG, Beschluss vom 08.07.1982  – 2 BvR 1187 / 80 (Sasbach), juris Rn. 88 ff. = BVerfGE 61, 82.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

parechtlichen Vorschriften zur Umsetzung der Aarhus-Konvention1548 und dieser selbst ausgingen, hatten zahlreiche Stimmen in der rechtswissenschaftlichen Literatur dies ausdrücklich bezweifelt.1549 Entsprechender Kritik der europäischen Kommission schloss sich in dem zuletzt gegen Deutschland geführten Vertragsverletzungsverfahren auch GA M. Wathelet an. Auch dieser hatte in seinen Schlussanträgen die Unionsrechtswidrigkeit insbesondere damit begründet, dass die mit Art. 9 Abs. 2 AK insoweit parallelen Art. 11 UVP-RL n. F. sowie Art. 25 IE-RL – eine Beschränkung der Klagegründe nicht vorsehe und damit die bereits aus der Rechtssache Trianel bekannte Argumentation nun auch auf die Frage der Zulässigkeit von Präklusionsregelungen übertragen.1550 Die dadurch bewirkten Beschränkungen sah weder der Generalanwalt noch – ihm folgend – der Gerichtshof als gerechtfertigt an. Insbesondere wurden auch die Belange der Rechtssicherheit und der Verwaltungseffizienz zurückgewiesen.1551 So sah es der Gerichtshof schon nicht als erwiesen an, dass eine umfassende gericht­liche Kontrolle der 1548  BVerwG, Urteil vom 03.03.2011 – 9 A 8.10 = BVerwGE 139, 150; BVerwG, NuR 2014, 638, Rn. 16 ff.; erst mit der Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland zog die Rechtsprechung dies nun in Zweifel, vgl. hierzu H. Johlen, Die Präklusion auf dem Prüfstand, NuR 2015, 513 (514) m.V.a. BVerwG, Beschluss vom 5.1.2015  – 7 B 4.14; BVerwG, Beschluss vom 7.1.2015  – 4 C 13.14.; BVerwG, Beschluss vom 3.1.2015 – 7 VR 6.14. 1549  Der umfangreichen Diskussion soll hier angesichts der nun erfolgten Entscheidung durch den EuGH nicht im Einzelnen nachgegangen werden. Vgl. bereits S. Almeling, Die Aarhus-Konvention, 2008, S. 200; A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 283 f.; K. Schenderlein, Rechtsschutz und Partizipation im Umweltrecht, 2013, S. 245 f., die unter Verweis auf die Rspr. des EuGH in der Rechtssache Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening sowie das Effektivitätsgebot in Art. 9 Abs. 4 AK die Zulässigkeit von Präklusionsregelungen im Anwendungsbereich der Aarhus Konvention für „höchst fraglich“ hält und zumindest Änderungen der Regelungen fordert; ausführlich zur Diskussion um die Entscheidung Djurgården-Lilla auch J. Greim, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht, 2013, S. 172, 191 f.; hierzu auch T. Siegel, Die Präklusion im europäisierten Verwaltungsrecht, NVwZ 2016, 337, (339); A. Guckelberger / F. Geber, Präklusion unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, EurUP 2014, 167 m. w. N. in Fn. 10; P. Kremer, Zur Unionsrechtswidrigkeit der immissionsschutzrechtlichen Präklusionsvorschriften, ZUR 2013, 89 ff. Zur weitgehend parallelen österreichischen Debatte siehe B. Goby, Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten im Lichte der Aarhus-Konvention, 2015, S. 158 ff. 1550  Schlussanträge GA M. Wathelet vom 21.05.2015 – C-137 / 14, Rn. 113 f. 1551  EuGH, Urteil vom 15.10.2015  – C-127 / 14, Rn. 77–79; Schlussanträge GA M. Wathelet vom 21.05.2015  – C-137 / 14, Rn. 118 f. Daneben wurde auch zurückgewiesen, dass die Zulässigkeit etwa daraus folge, dass das europäische Recht, ebenso wie Art. 9 Abs. 2 UAbs. 3 AK, die Vorschaltung eines verwaltungsinternen Überprüfungsverfahrens vor ein gerichtliches Verfahren erlaube, da dies gerade nicht zwingend auch deren inhaltliche Verklammerung bedingt, wie es durch Präklusionsregelungen erfolgt, Schlussanträge GA M. Wathelet vom 21.05.2015 – C-137 / 14, Rn. 115 f.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

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sachlichen Richtigkeit einer Entscheidung dem Grundsatz der Rechtssicherheit überhaupt abträglich sein könne.1552 Der Generalanwalt hatte insoweit noch auf deren hinreichende Sicherung durch Klagefristen verwiesen.1553 Mit Blick auf die Verwaltungseffizienz anerkannte der Gerichtshof zwar, dass diese durch die Möglichkeit des erstmaligen Vortrags von Einwendungen im gerichtlichen Verfahren durchaus beeinträchtigt werden könne,1554 hielt dies aber gleichwohl nicht für hinreichend, da der Unionsgesetzgeber mit den Vorschriften zur Umsetzung der Aarhus-Konvention den Zielen der Schaffung eines weiten Gerichtszugangs und dem Schutz und der Verbesserung der Umweltqualität eindeutig den Vorrang vor dem Ziel der Verwaltungseffizienz gegeben habe.1555 Zur Wahrung des Gesichtspunkts der Verwaltungseffizienz hielt das Gericht es vielmehr lediglich für zulässig, Verfahrensvorschriften zur Verhinderung missbräuchlichen oder unredlichen Vorbringens zu erlassen, um so die Wirksamkeit des gerichtlichen Verfahrens zu gewährleisten.1556 Die Feststellungen des Gerichts sind zwar lediglich auf die materielle Präklusion im Sinne von § 73 Abs. 4 S. 3 VwVfG, § 2 Abs. 3 UmwRG 2013 bezogen, schließen also eine verfahrensinterne rein formelle Präklusion nicht aus.1557 Keine Begrenzung besteht aber etwa nur auf den Rechtsschutz von Umweltvereinigungen. Das Verbot materieller Präklusionen gilt vielmehr auch im Bereich des Individualrechtsschutzes im Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 AK1558 und seinen europäischen Umsetzungsvorschriften und ggf. nach Maßgabe von Art. 6 Abs. 1 lit. b) AK darüber hinaus.1559 Auch 1552  EuGH, Urteil vom 15.10.2015  – C-127 / 14, Rn. 79; kritisch hierzu W. Frenz, Umweltklagen weiter effektuiert, NuR 2015, 832 (833). 1553  Zustimmend T. Bunge, Weiter Zugang zu Gerichten nach der UVP- und der Industrieemissions-Richtlinie, NuR 2016, 11 (15). 1554  EuGH, Urteil vom 15.10.2015 – C-127 / 14, Rn. 80. 1555  EuGH, Urteil vom 15.10.2015  – C-127 / 14, Rn. 80; deutlicher noch Schlussanträge GA M. Wathelet vom 21.05.2015  – C-137 / 14, Rn. 119 unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 07.11.2013  – C-72 / 12 (Altrip), Rn. 27–29. Insoweit begegnet es Bedenken, wenn in der Diskussion um die Konsequenzen aus der Entscheidung erneut allein das Ziel in den Blick genommen wird, „rechtssichere und zügige Verfahren zu ermöglichen“, C.-W. Otto, Rechtsschutz im Umweltrecht nach dem EuGHUrteil vom 15.10.2015 – C-137 / 14, NVwZ 2016, 292 (293). 1556  EuGH, Urteil vom 15.10.2015 – C-127 / 14, Rn. 80 f. 1557  F. Fellenberg, Weiter frischer Wind aus Luxemburg, NVwZ 2015, 1721 (1723); T. Siegel; Die Präklusion im europäisierten Verwaltungsrecht, NVwZ 2016, 337 (339); M. Ludwigs, Bausteine des Verwaltungsrechts auf dem Prüfstand des EuGH, NJW 2015, 3484 (3486); T. Bunge, Weiter Zugang zu Gerichten nach der UVP- und der Industrieemissions-Richtlinie, NuR 2016, 11 (17); J. Berkemann, Querelle d’Allemand, DVBl 2016, 205 (213). 1558  A. Széchényi, EuGH locuta – Präklusion finita?, BayVBl 2016, 366 (368). 1559  Zur Erweiterung des Anwendungsbereichs von Art. 9 Abs. 2 AK durch die Entscheidung des EuGH, Urteil vom 08.11.2016 – C-243 / 15 (Slowakischer Braunbär

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

kann nach oben Gesagtem die Präklusion nicht doch auf Vorschriften angewandt werden, die nicht dem Schutz der Umwelt dienen.1560 Da die Auslegung des EuGH zudem nicht europarechtlichen Besonderheiten geschuldet ist,1561 kann das Verbot der Präklusion schließlich auch nicht lediglich auf unionsrechtlich geprägte Fälle angewandt werden. Die Entscheidung des EuGH vom 15.10.2015 stellt vielleicht bislang am deutlichsten die Eigenlogik der 3. Säule der Aarhus-Konvention heraus, die dem Umweltschutz ein enormes Gewicht beimisst und einer Logik der Verfahrensbeschleunigung jedenfalls insoweit entgegensteht, als diese zu Beschleunigungszwecken auch bei der Überprüfung umweltrelevanter Handlungen das Außerachtlassen der durch die Konvention vorgesehenen prozeduralen Sicherungen, konkret das Anstoßen einer grundsätzlich umfassenden gerichtlichen Kontrolle,1562 verlangt.1563 Mit der umfassenden Zurückweisung der materiellen Präklusion könnte das Urteil gleichwohl ein wenig zu weit gegangen sein. So wird eingewandt, dass mit dem völligen Wegfall jeder Präklusion auch der Anreiz sinkt, bereits im Verwaltungsverfahren alle bekannten umweltrelevanten Einwendungen vollständig vorzutragen und gewisse Punkte für ein nachfolgendes gerichtliches Verfahren quasi „auf­ zusparen“.1564 Hierdurch besteht die Gefahr, dass dann auch nicht alle mit II) siehe bereits oben unter Zweiter Teil, B. IV. 2. d) aa) (2). Dies lässt auch die von T. Bunge, Weiter Zugang zu Gerichten nach der UVP- und der IndustrieemissionsRichtlinie, NuR 2016, 11 (18), erwogene Beschränkung der Reichweite des Verbots der materiellen Präklusion zweifelhaft erscheinen, der dies aus europarechtlichen Gründen für möglich hält. Es muss vielmehr im Einzelfall entschieden werden, ob der Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 AK nicht über die durch die UVP- und IE-RL erfassten Fälle hinaus nach Art. 6 Abs. 1 lit. b) AK eröffnet ist. Ist dies der Fall, darf auch keine materielle Präklusionsregelung Anwendung finden. 1560  T. Bunge, Weiter Zugang zu Gerichten nach der UVP- und der Industrieemissions-Richtlinie, NuR 2016, 11 (18); T. Siegel, Die Präklusion im europäisierten Verwaltungsrecht, NVwZ 2016, 337 (339 f.). 1561  Dies gilt, obwohl der EuGH die Aarhus-Konvention in der Entscheidung mit keinem Wort, auch nicht als relevantes internationales Recht, erwähnt. 1562  Insoweit weist J. Berkemann, Querelle d’Allemand, DVBl 2016, 205 (213) zu Recht auf einen gewissen Widerspruch der Entscheidung des EuGH zur Zulässigkeit der Beschränkungen nach § 113 Abs. 1 VwGO hin. 1563  Wohlgemerkt geht es grundsätzlich auch bei der Präklusion nicht um einen Verzicht auf materielle Richtigkeit, da Behörden auch solche Belange berücksichtigen müssen, die nicht besonders eingewandt werden. 1564  BVerwG, Beschluss vom 06.03.2014  – 9 C 6 / 12 = NuR 2014, 638, Rn. 18; T. Siegel, Die Präklusion im europäisierten Verwaltungsrecht, NVwZ 2016, 337 (441); F. Fellenberg, Weiter frischer Wind aus Luxemburg, NVwZ 2015, 1721 (1723); C. Steinbeiß-Winkelmann, Verwaltungsgerichtsbarkeit zwischen Überlasten, Zuständigkeitsverlusten und Funktionswandel, NVwZ 2016, 713 (718 f.); a. A. T. Bunge, Weiter Zugang zu Gerichten nach der UVP- und der Industrieemissions-Richtlinie, NuR 2016, 11 (16).



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

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den Beteiligungsverfahren i. S. v. Art. 6 AK verfolgten Zwecke wie die Verbreiterung der behördlichen Entscheidungsgrundlage voll erreicht werden. Kritikern ist deshalb insoweit Recht zu geben, als dass eine (weitgehende) Begrenzung der Präklusion ihrem völligen Verbot vorzuziehen gewesen wäre. Eine solche abwägende Entscheidung hätte auch mit Art. 9 Abs. 2 AK in Einklang gestanden. Auch das ACCC hat in der Vergangenheit zu erkennen gegeben, dass es Beschränkungen insoweit für zulässig erachtet, als diese gerechtfertigte Anliegen verfolgen und nicht zu einem übermäßigen Hindernis für die Verfolgung der mit Art. 9 Abs. 2 AK verliehenen Rechts­ position führen.1565 Insoweit hätte auch das der Rechtsfigur der Präklusion inherente Spannungsverhältnis mit dem auf den Schutz objektiver Interessen ausgerichteten Art. 9 Abs. 2 AK1566 hinreichend gelöst werden können. Insoweit hat es allerdings auch der deutsche Gesetzgeber verpasst, auf die schon lange Zeit bekannte Kritik an den Präklusionsregelungen und ihrer regiden Handhabung durch die Rechtsprechung gerade gegenüber Umweltvereinigungen zu reagieren,1567 denen aufgrund ihres höheren Sachverstands ganz erhebliche Substantiierungslasten aufgebürdet wurden, um eine Präklusion einzelner Einwendungen zu verhindern.1568 (4) Die Heilung von Verfahrensfehlern Nicht im Einzelnen nachgegangen werden soll vorliegend der Frage nach der Möglichkeit der Heilung von Verfahrensverstößen, wie sie im deutschen Recht auch für umweltrelevante Verfahren gem. § 4 Abs. 1 S. 3 UmwRG 2013 i. V. m. § 45 Abs. 2 VwVfG möglich ist.1569 Soweit ersichtlich, liegen bislang zu der Frage der Vereinbarkeit solcher Möglichkeiten mit Art. 9 1565  Vgl. oben zur Billigung der Anforderung nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 UmwRG 2013: Zweiter Teil, B. IV. 2. b) bb) (1). In diesem Sinne nun auch die Entscheidung des EuGH vom 20.12.2017  – C-664 / 15 (Protect Natur-, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation / Bezirkshauptmannschaft Gmünd), Rn. 88 zur Frage der Zulässigkeit von Regelungen ähnlich der deutschen Präklusionsvorschriften im österreichischen Recht im Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 3 AK i. V. m. Art. 47 GrRChr. 1566  J. Berkemann, Querelle d’Allemand, DVBl 2016, 205 (213). 1567  Tendenziell so auch F. Fellenberg, Weiter frischer Wind aus Luxemburg – Zu den Klagemöglichkeiten im Umweltrecht, NVwZ 2015, 1721 (1723). 1568  BVerwGE 118, 15 (17 f.); BVerwGE 140, 149; BVerwG, Urteil vom 29.09.2011  – 7 C 21 / 09 = NVwZ 2012, 176, Rn. 34 ff.; vgl. hierzu auch T. Bunge, Weiter Zugang zu Gerichten nach der UVP- und der Industrieemissions-Richtlinie, NuR 2016, 11 (19) sowie J. Berkemann, Querelle d’Allemand, DVBl 2016, 205 (212) jeweils m. w. N. 1569  Zu den Heilungsmöglichkeiten bei vollständig unterlassener bzw. fehlerhafter UVP nach deutschem Recht J. Greim, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht, 2013, S. 179 ff.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Abs. 2 AK keine explizite Äußerung des ACCC und lediglich vereinzelte Entscheidungen des EuGH vor.1570 Da die Heilung von Verfahrensfehlern nicht auf deren Unbeachtlichkeit abzielt,1571 sondern vielmehr die Nachholung der zunächst versäumten Handlung anstrebt, ist sie grundsätzlich nicht ausgeschlossen.1572 Angesichts des höheren Stellenwerts von Verfahrenshandlungen im prozeduralen Konzept der Aarhus-Konvention ist jedoch Vorsicht vor einer vorschnellen Übertragung der im deutschen Recht geltenden Grundsätze geboten. Angesichts des mit dem prozeduralen Konzept der Aarhus-Konvention weitaus stärker kompatiblen Verfahrensverständnisses des Unionsrechts erscheint eine Orientierung an den dort geltenden Grundsätzen nahe zu liegen.1573 Maßgeblich für die Anerkennung einer gesetzlich vorgesehenen Heilungsmöglichkeit dürfte es jeweils sein, ob durch die Nachholung der Verfahrenshandlung die mit ihr verfolgten Ziele zum Zeitpunkt der Nachholung noch zu erreichen sind. Kritisch erscheint deshalb eine Heilung gerade solcher Verfahrensschritte, für welche die Beteiligungsvorschriften in Art. 6 AK das Frühzeitigkeitserfordernis bestimmen. Hinsichtlich dieser Schritte, für welche die AK gerade davon ausgeht, dass diese besonders zeitkritisch sind, dürfte eine Nachholung jedenfalls im gerichtlichen Verfahren regelmäßig ausgeschlossen sein, da hier eine Wiederherstellung eines Zustandes, in dem noch alle Optionen offen sind, kaum möglich sein dürfte.1574 Soweit das Verwaltungsverfahren bereits abgeschlossen ist und eine Entscheidung getroffen wurde, kann zudem eine Berücksichtigung des Er1570  EuGH, Urteil vom 15.01.2013 – C-416 / 10 (Križan); tendenziell so auch bereits EuGH, Urteil vom 07.01.2004, C-201 / 02 (Wells), Rn. 69 f. und hierzu A. Schwerdt­ feger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 258; J. Greim, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht, 2013, S. 182 f.; EuGH, Urteil vom 03.07.2008 – C-215 / 06 (Kommission / Irland) und hierzu K. F. Gärditz, in: Landmann / Rohmer, Umweltrecht, Bd. 1, Vor § 14a, 62. EL 2011, Rn. 39. 1571  Zur Problematik der Vereinbarkeit von Unbeachtlichkeitsvorschriften mit Art. 9 Abs. 2 AK bzw. Art. 11 UVP-RL n. F. vgl. den Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich § 215 Abs. 1 BauGB, BVerwG, Beschluss vom 14.3.2017 – 4 CN 3.16 = ZfBR 2017, 468 ff. 1572  Zur Diskussion um die europa- und völkerrechtliche Vereinbarkeit des deutschen Rechts J. Greim, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht, 2013, S. 182 ff.; A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 255 m. z. w. N. 1573  A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 257 f.; vgl. auch F. Schoch, Verwaltungsgerichtsbarkeit, quo vadis?, VBlBW 2013 361 (369); hierzu auch J. Greim, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht, 2013, S. 182 ff. 1574  Auf diese Aspekte stellt auch ab EuGH, Urteil vom 15.01.2013  – C-416 / 10 (Križan), Rn. 89. Zu der diesbezüglichen Zurückhaltung im Europarecht auch M. Kment, Das neue Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz und seine Bedeutung für das UVPG, NVwZ 2007, 274 (278); J. Greim, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte501

gebnisses der Öffentlichkeitsbeteiligung i. S. v. Art. 6 Abs. 8 AK nicht mehr stattfinden, sodass jedenfalls ab diesem Zeitpunkt die Heilung von die Öffentlichkeitsbeteiligung betreffenden Verfahrensfehlern ausscheidet.1575 cc) Art. 9 Abs. 2 AK als völkerrechtsunmittelbare Gewährleistung eines prozessualen subjektiven Rechts? Obwohl etwa in Deutschland in der Folge der Urteile des EuGH sowie dem Compliance-Verfahren gegen Deutschland eine Änderung des UmweltRechtsbehelfsgesetzes stattgefunden hat und damit insbesondere eine echte altruistische Verbandsklage eingeführt wurde, kann sich auch für deutsche Gerichte weiterhin die Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 9 Abs. 2 AK stellen. Nach der Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 lit. b) AK durch den EuGH1576 könnte dies insbesondere für nicht durch die Anwendungsbereiche der UVP- und IE-RL erfasste Fälle aktuell werden, die nicht durch die dort vorgesehenen Regelungen über den Gerichtszugang erfasst werden, sodass ein Rückgriff auf Art. 9 Abs. 2 AK auch bei anderweitig europäisch geprägten Sachverhalten notwendig wird. Überdies sind auch rein nationale Sachverhalte denkbar, die entsprechend der Entscheidung des Gerichtshofs zu Art. 6 Abs. 1 lit. b) AK – unmittelbar ist sie nicht übertragbar, da auf Sachverhalte mit unionsrecht­ lichem Bezug beschränkt – zu behandeln und für die – soweit nicht etwa über die naturschutzrechtliche Verbandsklage geschehen1577 – ein Gerichtszugang durch deutsche Gerichte unmittelbar oder mittelbar nach Art. 9 Abs. 2 AK eröffnet werden müsste. Daneben stellt sich die Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 9 Abs. 2 AK entsprechend natürlich auch für andere Unionsmitglieder und – in verstärktem Maße – für Vertragsstaaten der Aarhus-Konvention, die nicht zugleich Mitglieder der Union sind und insoweit auch dem europäischen Sekundärrecht und den Entscheidungen des EuGH nicht unterliegen. Zuletzt ist schließlich auch an eine mögliche unmittelbare Anwendbarkeit im Rahmen des Eigenvollzugs der Union oder auch die Überprüfung der relevanten Vorschriften der AK-VO am Maßstab des Art. 9 Abs. 2 AK zu denken. Umweltrecht, 2013, S. 184, die auch auf die durch Nachholung kaum zu erreichenden Verfahrenszwecke der Akzeptanz und Transparenz verweist. 1575  Dies schließt es freilich nicht aus, dass ein Verfahrensfehler für unbeachtlich erklärt wird, vgl. J. Greim, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht, 2013, S. 184. 1576  EuGH, Urteil vom 08.11.2016 – C-243 / 15 (Slowakischer Braunbär II), Rn. 49. 1577  Vgl. den zugrundeliegenden Sachverhalt in EuGH, Urteil vom 08.11.2016  – C-243 / 15 (Slowakischer Braunbär II) und hierzu §§ 63 Abs. 2 Nr. 5, 64 Abs. 1 BNatSchG. Soweit diese Vorschriften allerdings als Teilumsetzung der Verpflichtungen der Aarhus-Konvention fungieren müssen, dürfte die Beschränkung von § 63 Abs. 2 BNatSchG auf landesweit tätige Naturschutzvereinigungen problematisch sein.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Das Verständnis von Art. 9 Abs. 2 AK, welches dieser durch die Entscheidungen von EuGH und den Berichten des ACCC erhalten hat, bringt klar zum Ausdruck, dass Umweltvereinigungen und sonstige Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit die Rechtsmacht erhalten sollen, antragsgebundene gerichtliche Verfahren zur Überprüfung der erfassten Gegenstände in Gang zu setzen. Die Vorschrift zielt deshalb jedenfalls auf die Schaffung prozessualer subjektiver Rechte1578 im nationalen Recht ab. Dem Recht der Begünstigten entspricht die Pflicht der Gerichte, sich mit den ihnen vorgelegten Fällen zu befassen und diese zu entscheiden. Art. 9 Abs. 2 AK schreibt insoweit jedenfalls die Schaffung eines subjektiv-prozessualen Rechts auf Zugang zu Gerichten zur Anfechtung von Entscheidungen, Handlungen und Unterlassungen im Anwendungsbereich von Art. 6 AK vor. Da nach hier vertretener Ansicht die Regelungen der Öffentlichkeitsbeteiligung nach Art. 6 AK nicht zwingend als subjektive prozedurale Rechte umzusetzen sind – was aber natürlich möglich ist – die im nationalen Recht zu statuierenden Beteiligungspflichten aber sehrwohl gerichtlich durchsetzbar sein müssen, obliegt es den Vertragsstaaten der AK zu entscheiden, ob sie das Recht aus Art. 9 Abs. 2 AK als prozessuale Vervollständigung der subjektiv-prozeduralen Rechte i. S. v. Art. 6 AK oder aber als reine Durchsetzungsansprüche1579 objektiver Beteiligungspflichten i. S. v. Art. 6 AK ausgestalten. Dafür, weitergehend zumindest eine teilweise völkerrechtsunmittelbare Geltung von Art. 9 Abs. 2 AK anzunehmen, spricht zudem, dass der EuGH die weitgehend wortlautidentische Regelung des Art. 10a UVP-RL a. F. hinsichtlich seines Abs. 3 S. 2 und 3 für Umweltvereinigungen ausdrücklich für unmittelbar anwendbar erklärt hat.1580 Die Übertragung auf die entsprechen1578  Vgl. hierzu H.-J. Cremer, Fünf Thesen zur subjektiven Rechtsqualität völkerrechtlich gewährleisteter Menschenrechte, in: D. Hanschel / S. Graf Kielmansegg /  U. Kischel / C. Koenig / R. A. Lorz, Mensch und Recht, Festschrift für Eibe Riedel, 2013, 33 (43); J. Masing, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle, GrVerwR, 2. Aufl. 2012, § 7 Rn. 119. 1579  Zu dieser Unterscheidung siehe bereits oben unter Zweiter Teil, B. IV. 2. f). Hiergegen M. Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsraum, JZ 2012, 380 (388), der aus der Fiktionsanordnung des Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 S. 3 bzw. Art. 10a Abs. 3 S. 3 UVP-RL a. F. ableitet, dass die Umweltvereinigungen zukommenden materiellen Positionen als materielle Rechte auszugestalten sind und die Vereinigungen gerade nicht nur Inhaber prozessualer Klagerechte sind. Gegen diese Schlussfolgerung spricht aber, dass hier lediglich die Trägerschaft dieser Rechte fingiert wird, nicht aber diese selbst. Die Fiktion soll damit gerade bewirken, dass die Vereinigungen unabhängig davon einen Zugang zu Gericht finden, wie die materielle Position im jeweiligen nationalen Recht konkret ausgestaltet ist. 1580  EuGH, Urteil vom 12.05.2011  – C-115 / 09 (Trianel), Rn. 55; J. Berkemann, Die unionsrechtliche Umweltverbandsklage des EuGH, DVBl 2011, 1253 (1259); M. Ruffert, Verwaltungsrecht im europäischen Verwaltungsverbund, Die Verwaltung 48 (2015), 547 (560). Eine unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 10a UVP-RL a. F.



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den Sätze von Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 und 3 AK liegt nahe.1581 Dies bedarf aber der Annahme, dass auch völkerrechtliche Normen, die für sich genommen nicht unbedingt sind, wie dies auch bei Art. 9 Abs. 2 AK der Fall ist,1582 gleichwohl jedenfalls in Teilen unmittelbar anwendbar sein können, wenn das jeweilige nationale Recht bereits die notwendigen Entscheidungen getroffen hat und lediglich in nicht geregelten Punkten durch die insoweit unbedingte und hinreichend bestimmte völkerrechtliche Norm ergänzt wird.1583 Dem rechtstechnischen Teil der Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit dürfte dies auch durchaus gerecht werden, da eine solche ergänzende Anwendung ein Ineinandergreifen der verschiedenen Normen bewirkt, die eine richterliche Entscheidung auf der so entstandenen normativen Grundlage erlauben. Übersehen werden darf aber nicht, dass ein solches Vorgehen erhebliche normative Implikationen hat, die ebenfalls bei der Entscheidung über die unmittelbare Anwendbarkeit einer Norm zu berücksichtigen sind.1584 Zu beachten ist nämlich, dass hier zur Vervollständigung der an und für sich unvollständigen völkerrechtlichen Norm1585 nationales Recht und damit Entscheidungen herangezogen werden, die der nationale Gesetzgeber gerade nicht zur Umsetzung der völkerrechtlichen Norm getroffen hat. Diese Umsetzung ist ja gerade unterblieben. Dass das gesetzgeberische Unterlassen hier überspielt wird, öffnet die Rechtsordnung zwar stark für völkerrechtliche Einflüsse und effektuiert die Umsetzung der jeweiligen Vorschrift, hier Art. 9 Abs. 2 AK, da diese somit zumindest teilweise von der wurde früher überwiegend abgelehnt, vgl. nur W. Durner, Direktwirkung europäischer Verbandsklagerechte?, ZUR 2005, 285 (288 ff.); R. Alleweldt, Verbandsklage und gerichtliche Kontrolle von Verfahrensfehlern, DÖV 2006, 621 (629 f.). 1581  So auch GA J. Kokott, Schlussanträge vom 30.06.2016  – C-243 / 15, Rn. 62. Allgemein gegen eine unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 9 Abs. 2 AK S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 247. 1582  Hierauf verweist insoweit zu Recht S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 247. 1583  Diese Annahme kommt sowohl in den Schlussanträgen der Generalanwältin J. Kokott vom 30.06.2016  – C-243 / 15, Rn. 62 als auch bei J. Kokott / C. Sobotta, Rechtsschutz im Umweltrecht – Weichenstellungen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, DVBl 2014, 132 (136) zum Ausdruck. 1584  Hierzu bereits oben: Erster Teil, C. III. 2. b). 1585  So ist das Verbandsklagerecht schon insoweit nur unvollständig in Art. 9 Abs. 2 AK geregelt, als dass der durch den Begriff der betroffenen Öffentlichkeit in Bezug genommene Art. 2 Nr. 5 AK einen Verweis auf die nach innerstaatlichem Recht für die Anerkennung von Vereinigungen geltenden Voraussetzungen enthält. Hierauf verwiesen auch in der Vergangenheit diejenigen Stimmen, die eine unmittelbare Anwendbarkeit der entsprechenden Regelungen in Art. 10a UVP-RL a. F. ablehnten, siehe W. Durner, Direktwirkung europäischer Verbandsklagerechte?, ZUR 2005, 285 (289); R. Alleweldt, Verbandsklage und gerichtliche Kontrolle von Verfahrensfehlern, DÖV 2006, 621 (630).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Notwendigkeit nationaler Umsetzungsgesetzgebung befreit und insoweit implementationsunabhängig wirkt. Die Erweiterung der Möglichkeit unmittelbarer Anwendung völkerrechtlicher Normen führt jedoch zu einer entsprechenden Verschiebung der staatlichen Gewalt zwischen Legislative und Judiaktive. Dies schließt die Annahme einer unmittelbaren Anwendung einer solch ergänzungsbedürftigen völkerrechtlichen Norm im Einzelfall nicht aus. In aller Regel sollte jedoch eine Umsetzung durch den Gesetzgeber erfolgen. Die Problematik des hier skizzierten Vorgehens liegt mithin nicht so sehr bei der Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit einer einzelnen Norm – insoweit sind deren Auswirkungen nicht anders als bei für sich genommen unbedingten völkerrechtlichen Normen – erhebt man dieses Vorgehen jedoch zum Prinzip, ist damit eine sehr viel weitreichendere unmittelbare Anwendung völkerrechtlicher Normen möglich. Dies vor allen Dingen dann, wenn deren vielleicht anfänglich gegebene Unbestimmtheit mithilfe eines Compliance-Mechanismus, wie vorliegend dem der Aarhus-Konvention, oder durch die Auslegung durch den EuGH weitgehend geschlossen werden können. Da die unmittelbare Anwendung von Art. 9 Abs. 2 AK jedenfalls in Deutschland nach dessen weitgehender Umsetzung allerdings tatsächlich eher im Randbereich seines Anwendungsfeldes zur Ergänzung des nationalen Rechts führen soll, scheint das Vorgehen weniger problematisch. In anderen Staaten könnte man aber zu einem hiervon abweichenden Ergebnis gelangen. dd) Zwischenergebnis zu Art. 9 Abs. 2 AK Die Untersuchung von Art. 9 Abs. 2 AK und seiner Auslegung durch das ACCC sowie den Gerichtshof der Europäischen Union veranschaulicht, dass von den ursprünglich vielfach angenommenen weiten Umsetzungsspielräumen durch den inzwischen durchlaufenen Konkretisierungsprozess nur wenig übrig geblieben ist. Der EuGH hat hinsichtlich der Eröffnung des Gerichtszugangs eine strenge Differenzierung zwischen dem Zugang von Umweltvereinigungen und dem sonstiger Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit vorgenommen1586 und danach nur für Umweltvereinigungen einen nahezu unbeschränkten Zugang eröffnet.1587 Für sonstige Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit akzeptierten dagegen sowohl der EuGH als auch das ACCC weitergehende Beschränkungen, sodass hier etwa Deutschland insoweit die 1586  Kritisch gegenüber dieser Entwicklung V. Skouris, Auswirkungen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auf die Funktion der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl 2016, 937 (942). 1587  Verbleibende, ihrerseits eng umgrenzte Spielräume der Staaten beziehen sich lediglich auf die Festlegung der Anforderungen für die Anerkennung von Umweltvereinigungen.



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Grundsätze seines Verletztenklagemodells erhalten könnte. Während der EuGH mit der Billigung des für das deutsche Recht typischen Junktims zwischen objektiver Rechtswidrigkeit und subjektiver Rechtsverletzung in § 113 Abs. 1 VwGO1588 auf Begründetheitsebene sonstigen Betroffenen auch insoweit eine prokuratorische Stellung zur Verteidigung von Allgemeininteressen scheinbar – und insoweit im Gegensatz zum ACCC – vorenthält, könnte dieser Eindruck durch die extensive Rechtsprechung zur Anerkennung subjektiver materieller und Verfahrensrechte gleichwohl widerlegt werden. Hier scheint allerdings das letzte Wort noch nicht gesprochen. Festzuhalten ist aber, dass jedenfalls Umweltvereinigungen im Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 AK eine umfassende prokuratorische Stellung zukommt und diese mithilfe des subjektiven prozessualen Rechts des Art. 9 Abs. 2 AK nicht nur die ihnen durch Art. 6 AK zugewiesenen prozeduralen Rechte geltend machen können, sondern auch die objektive Rechtswidrigkeit der erfassten umweltrelevanten Entscheidungen, Handlungen und Unterlassungen überhaupt. Abzuwarten bleibt, ob der EuGH auch bereit sein wird, nach der Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 lit. b) AK dies nun auch für Art. 9 Abs. 2 AK zu tun und an diesem jedenfalls die Regelungen der AK-VO zu messen. Insoweit besteht hier doch noch die Möglichkeit einer Ausweitung auch des Rechtsschutzes von Umweltvereinigungen im unio­ nalen Vollzug1589. Die Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit von für sich genommen nicht unbedingten Vorschriften der AK bleibt gleichwohl zweischneidig. Die mit ihr erreichte Effektuierung der Durchsetzung der Konvention bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die innerstaatliche und ggf. innerunionale Gewaltenteilung. Sie sollte deshalb allenfalls in Randbereichen zur Abrundung bereits grundsätzlich getroffener normativer Entscheidungen durch die gesetzgebenden Organe anerkannt werden. c) Anfechtungen sonstiger umweltrelevanter Handlungen, Art. 9 Abs. 3 AK Die vorangehende Untersuchung des sich primär als Verpflichtung zur Implementierung eines prozessualen subjektiven Rechts darstellenden Art. 9 Abs. 2 AK hat gezeigt, dass der danach zu gewährleistende Rechtsschutz wegen der Verknüpfung seiner sachlichen Reichweite mit Art. 6 AK hinsichtlich der erfassten Klagegegenstände begrenzt ist. Es stellt sich insofern die Frage, ob und inwieweit die so verbleibenden prozessualen Schutzlücken 1588  V. Skouris, Auswirkungen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auf die Funktion der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl 2016, 937 (940 f.). 1589  Skeptisch M. v. Wolferen, Case C-243 / 15 Lesoochranárske zoskupenie VLK v Obvodný úrad Trenčín, JEEPL 14 (2017), 136 (149 f.).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

durch eine weitergehende Verpflichtung der Vertragsstaaten gem. Art. 9 Abs. 3 AK geschlossen werden. Während bereits die implementationsunabhängige Wirkung von Art. 9 Abs. 3 AK in der Rechtsprechung des EuGH eingehend betrachtet wurde,1590 soll es hier um die Bestimmung der inhaltlichen Reichweite der gleichwohl bestehenden Umsetzungsverpflichtung der Vertragsstaaten der Konvention nach Art. 3 AK sowie der auch durch den EuGH anerkannten Verpflichtung zur völkerrechtskonformen Auslegung nationalen bzw. unionalen Rechts gehen. Auch hier setzt die Betrachtung bei einem Textbefund sowie dem ursprünglichen Diskussionsstand an [aa)], um anschließend näher zu untersuchen, welche normativen Vorgaben der Bestimmung inzwischen insbesondere durch die Völkerrechtspraxis des ACCC entnommen wurden [bb)]. Hierauf aufbauend ist schließlich der weitere Implementierungsbedarf aufzuzeigen [cc)] und ein Zwischenfazit zu ziehen [dd)]. aa) Art. 9 Abs. 3 AK  – Textbefund, Genese, ursprünglicher Diskussionsstand Gemäß Art. 9 Abs. 3 AK sind die Vertragsstaaten dazu verpflichtet, „zusätzlich und unbeschadet der in den Absätzen 1 und 2 genannten Überprüfungsverfahren“ sicherzustellen, „daß Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen, Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen.“ Ihrem Worlaut nach („stellt […] sicher“) zielt die Norm auf die Begründung einer echten Rechtspflicht der Vertragsstaaten zur Sicherstellung des umschriebenen Zugangs zu Rechtsbehelfsverfahren ab, offenbart dabei aber zugleich eine erhebliche Unvollständigkeit in der inhaltlichen Determinierung der Vertragsstaaten. Diese besteht darin, dass ein Zugang hiernach nur solchen Mitgliedern der Öffentlichkeit zu eröffnen ist, die „etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen“. Anders als nach Art. 9 Abs. 2 AK werden hier auch Umweltvereinigungen weder in Art. 9 Abs. 3 AK unmittelbar noch durch Inbezugnahme ihrer Privilegierung im Rahmen der Definition des Begriffs der betroffenen Öffentlichkeit nach Art. 2 Nr. 5 1590  Siehe hierzu oben: Zweiter Teil, B. III. 2. b) aa) (2) (b). Siehe hierzu neuerdings auch EuGH, Urteil vom 20.12.2017  – C-664 / 15 (Protect Natur-, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation / Bezirkshauptmannschaft Gmünd), Rn. 55 ff., wonach faktisch eine unmittelbare Anwendung von Art. 9 Abs. 3 AK eingefordert wird.



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AK besonders hervorgehoben.1591 Anknüpfungspunkt des personalen Anwendungsbereichs ist der Begriff der allgemeinen Öffentlichkeit, der verknüpft wird mit einem Verweis auf das innerstaatliche Recht, in dem mithin die endgültige Determinierung vorzunehmen ist.1592 Ein weiterer Spielraum wird den Staaten dadurch eröffnet, dass ihnen die Wahl überlassen wird, ob sie den Rechtsschutz durch die Eröffnung eines verwaltungsbehördlichen oder eines gerichtlichen Verfahrens gewährleisten. Die so umschriebenen Spielräume stellen die grundsätzliche Verpflichtung der Staaten zur Gewährleistung eines Rechtsschutzverfahrens gleichwohl nicht in Frage.1593 Hinsichtlich der möglichen Anfechtungsgegenstände wird dagegen zwar weit, aber dadurch nicht unbestimmbar, ganz allgemein auf Handlungen und Unterlassungen1594 sowohl von Privatpersonen als auch von Behörden abgestellt. Mit dieser Weite des sachlichen Anwendungsbereichs geht Art. 9 Abs. 3 AK auch über die Gewährleistungen von Art. 9 Abs. 2 AK hinaus, was die sprachliche Einleitung der Regelung („Zusätzlich […]“) erklärt. Eine limitierende Anknüpfung an eine andere Säule der Konvention besteht hier gerade nicht.1595 Insoweit kommt Abs. 3 gegenüber Abs. 2 auch eine auf den Anwendungsbereich bezogene Auffangfunktion zu.1596 Art. 9 Abs. 3 besitzt insoweit eine eigenständige Funktion für die Stärkung des Umweltschutzes durch eine Gewährleistung des Rechtsschutzes in Umweltfragen ganz allgemein.1597 Beim Prüfungsmaßstab und damit dem inhaltlich im Einzelfall gewährleiste1591  A. A. K. F. Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (7), der dies daraus schließen will, dass Art. 9 Abs. 3 AK zusätzliche Klagerechte gewähre und insoweit offensichtlich meint, dass dieses „Mehr an Klagerechten“ dann auch denselben Begünstigten zukommen muss. Wäre dieses Ergebnis gewollt gewesen, hätte man es aber sehr einfach sehr deutlich zum Ausdruck bringen können. 1592  S. Pernice-Warnke, Effektiver Zugang zu Gericht, 2009, S. 143; A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 287. 1593  M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (188). 1594  Die deutsche – unverbindliche – Übersetzung spricht hier von „begangenen Unterlassungen“, was jedoch sprachlich weder schön ist noch durch den Originalvertragstext, der schlicht von „omissions“ spricht, angezeigt war. 1595  L. Radespiel, Zur unmittelbaren Wirkung von Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention im Unionsrecht sowie zur Auslegung dieser Norm im Sinne eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes, EurUP 2011, 238 (238 f.); R. Klinger, Erweiterte Klagerechte im Umweltrecht?, NVwZ 2013, 850 (850); C. Calliess, Europarechtliche Vorgaben für ein Umweltgesetzbuch, NuR 2006, 601 (613). 1596  H.-J. Koch / C. v. Haaren u. a. SRU, Rechtsschutz für die Umwelt – die altruistische Verbandsklage ist unverzichtbar, Stellungnahme, 2005, S. 10; a. A. S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 245. 1597  A. Guckelberger / F. Geber, Präklusion unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, EurUP 2014, 167 (171).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

ten Schutz bleibt Art. 9 Abs. 3 seinem Wortlaut nach dagegen hinter Abs. 2 zurück. Anders als dort, wird hier der Maßstab auf „umweltbezogene Bestimmungen“ des jeweiligen „innerstaatlichen Rechts“ begrenzt. Dies schließt es zwar dem Wortlaut und der Systematik nach aus, dass hier die Gewährleistung einer Vollkontrolle der angreifbaren Handlungen und Unterlassungen von den Vertragsstaaten verlangt wird,1598 eine Begrenzung des Prüfungsmaßstabes auf originär innerstaatliches Umweltrecht ist damit jedenfalls für die Mitgliedstaaten der EU gleichwohl nicht verbunden.1599 Wenn Art. 9 Abs. 3 AK auf die EU angewandt wird, ist der Begriff des „nationalen Rechts“ als Recht der EU zu lesen.1600 Dieses ist zugleich auch Bestandteil der nationalen Rechtsordnungen und muss, soweit es sich um umweltbezogene Bestimmungen handelt, ebenfalls als Maßstab fungieren. Von den Verhandlungen der Aarhus-Konvention wird berichtet, dass die Vorschrift des Abs. 3, ähnlich wie im Falle von Art. 9 Abs. 2 AK, gerade gegen Ende – wohl auf deutsches Betreiben hin – noch erheblich durch den Verweis auf nationales Recht für die Bestimmung des personalen Anwendungsbereichs aufgeweicht wurde.1601 Zahlreiche frühe Stellungnahmen sahen wohl auch deshalb allenfalls einen minimalen Verpflichtungsgehalt der Vorschrift, jedenfalls aber einen denkbar weiten Umsetzungsspielraum der Vertragsstaaten.1602 In der wissenschaftlichen Diskussion fristete Art. 9 1598  Für ein insgesamt gegenüber Art. 9 Abs. 2 AK niedrigeres Schutzniveau unter Art. 9 Abs. 3 AK spricht zudem auch die in Art. 9 Abs. 2 eröffnete Möglichkeit, dessen Anwendungsbereich auf weitere Vorschriften über den Anwendungsbereich von Art. 6 AK hinaus auszuweiten. Dessen bedürfte es nicht, wenn diese Fälle ohnehin durch Art. 9 Abs. 3 AK erfasst würden und einen gleichwertigen Schutz böten. Kein systematisches Argument für weniger weit reichende Pflichten nach Abs. 3 ist jedoch für sich genommen der Umstand der Wahl eines weiteren Absatzes, so aber A. Schwerdt­feger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 287. 1599  Zumindest irreführend aber N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, S. 61. 1600  ACCC / C / 2008 / 32 (EU) (Part I), Rn. 76; M. Pallemaerts, Access to Environmental Justice at EU Level, in: ders., The Aarhus Convention at Ten, 2011, 271 (275); J. Ebbesson, Access to Justice at the National Level, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 245 (264); B. Goby, Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten im Lichte der Aarhus-Konvention, 2015, S. 74 f. 1601  M. Zschiesche, Die Aarhus-Konvention – mehr Bürgerbeteiligung durch umweltrechtliche Standards, ZUR 2001, 177 (182); A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 287 f.; den Gedanken der Gleichwertigkeit aller drei Absätze des Art. 9 AK sehen dagegen bei den Konventionsvätern C. Calliess, Europarechtliche Vorgaben für ein Umweltgesetzbuch, NuR 2006, 601 (613); H.-J. Koch / C. v. Haaren u. a. SRU, Rechtsschutz für die Umwelt – die altruistische Verbandsklage ist unverzichtbar, Stellungnahme, 2005, S. 9. 1602  Vgl. exemplarisch mit unterschiedlichen Nuancen aber gleicher Tendenz S. Pernice-Warnke, Effektiver Zugang zu Gericht, 2009, S. 143; S. Almeling, Die



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Abs. 3 AK in der Folge für lange Zeit ein Schattendasein.1603 Da weder der EuGH die primärrechtlichen Zugangsbestimmungen i. S. v. Art. 9 Abs. 3 AK für eine stärkere gerichtliche Kontrolle des unionalen Eigenvollzuges öffnete1604 noch im europäischen Sekundärrecht1605 oder eine über punktuelle Regelungen hinausgehende Umsetzung des Art. 9 Abs. 3 AK im deutschen Recht erfolgte,1606 blieb die Bestimmung zudem lange Zeit tatsächlich weitestgehend wirkungslos. Der EuGH verwies insoweit stets auf die Rechtsschutzmöglichkeiten auf nationaler Ebene, der deutsche Gesetzgeber etwa glaubte durch die Regelungen betreffend die naturschutzrechtliche Verbandsklage gem. § 64 BNatSchG und des Klagerechts nach § 11 USchadG bereits für eine hinreichende Umsetzung gesorgt zu haben, sodass eine Fortgeltung der allgemeinen Vorschriften im Übrigen konventionsgemäß sei. Auch in zahlreichen anderen Vertragsstaaten unterblieb eine vollständige Umsetzung der Vorgaben.1607 Obwohl der normative Gehalt des Art. 9 Abs. 3 AK bereits frühzeitig in ersten Berichten des ACCC erhellt wurde1608 – und die VerAarhus-Konvention, 2008, S. 54; M. Scheyli, Aarhus-Konvention über Informationszugang, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz in Umweltbelangen, AVR 38 (2000), 217 (246); T.  von Danwitz, NVwZ 2004, Aarhus-Konvention: Umweltinformation, Öffentlichkeitsbeteiligung, Zugang zu den Gerichten, 272 (276); S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008 S. 245 m. w. N.; A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 287, 292 die Art. 9 Abs. 3 AK deshalb ausschließlich „tendenzielle Aussagen“ entnehmen will; C. Walter, Internationalisierung des deutschen und europäischen Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts, EuR 2005, 302 (332); frühzeitig gegen ein solches reduktives Verständnis von Art. 9 Abs. 3 AK H.-J. Koch / C. v.  Haaren u. a.  SRU, Rechtsschutz für die Umwelt – die altruistische Verbandsklage ist unverzichtbar, Stellungnahme, 2005, S. 9 f.; M. Dross, Access to Justice in EU Member States, JEEPL 2005, 22 (22 f.); C. Calliess, Europarechtliche Vorgaben für ein Umweltgesetzbuch, NuR 2006, 601 (613). 1603  K. F. Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (5); M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (187); A. Schwerdt­ feger, Implementation and the Separation of Powers, in: E. J. Lohse / M. Poto, Participatory Rights in the Environmental Decision-Making Process and the Implementation of the Aarhus Convention, 2015, 173 (175). 1604  Hierzu ausführlich bereits oben: Zweiter Teil, B. III. 2. b) aa) (2) (b). 1605  Zum Scheitern der sog. Klagerechtsrichtlinie siehe bereits oben unter Zweiter Teil, B. III. 1. a) bb). Einen Überblick über die Regelungen der gescheiterten Richtlinie findet sich bei A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 289 ff. 1606  M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (187). 1607  Siehe J. Darpö, Effective Justice?, 2013, S. 10 ff. 1608  Siehe bereits ACCC / C / 2005 / 11 (Belgium), Rn. 28 ff. sowie ACCC / C / 2006 / 18 (Denmark), Rn. 28 ff. Auch das Verfahren ACCC / C / 2008 / 31 gegen Deutschland war bereits durch Mitteilung vom 01.12.2008 initiiert worden.

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tragsstaaten die dort enthaltenen Empfehlungen auch einstimmig annahmen – erhielt die Vorschrift erst mit der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Slowakischer Braunbär schlagartig größere Aufmerksamkeit. bb) Normative Vorgaben gem. Art. 9 Abs. 3 AK im Lichte seiner institutionellen Auslegung Nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Slowakischer Braunbär besteht zwar Klarheit darüber, dass nationale Gerichte im Wege völkerrechtskonformer Auslegung nationalen Prozessrechts Art. 9 Abs. 3 AK zu effektuieren haben.1609 Zur Klärung der inhaltlichen Reichweite der prozeduralen Garantie hat die Entscheidung aber freilich wenig beigetragen.1610 Neben einzelnen Hinweisen in der Rechtsprechung des EuGH bietet die Berichtspraxis des ACCC hier weiterreichende Anhaltspunkte für ein Verständnis der Vorschrift, das sich von der ursprünglich verbreiteten Auslegung von Art. 9 Abs. 3 AK als einer weitestgehend ins Belieben der Vertragsstaaten gestellten Regelung deutlich entfernt hat. (1) Zugangsberechtigte Wie bereits anhand des Wortlauts des Art. 9 Abs. 3 AK klar festgemacht, gewährt dieser für die Konkretisierung des persönlichen Anwendungsbereichs des zu schaffenden Gerichtszugangs durch die Zulassung nationaler Kriterien zur Begrenzung des Kreises an Berechtigten einen erheblichen Umsetzungsspielraum. Art. 9 Abs. 3 AK sieht für diese zudem bemerkenswerterweise keinerlei ausdrückliche Qualifikation vor.1611 Dies hat auch das ACCC im Ausgangspunkt ausdrücklich anerkannt.1612 Zugleich hat es jedoch festgestellt, dass der gewährte Spielraum keineswegs grenzenlos ist1613 und vielmehr durch das Konventionsziel der Schaffung eines Zugangs zu Gerichten begrenzt wird. Daraus folgert der Ausschuss, dass die Vertragsstaaten den Spielraum nicht in einer Weise nutzen dürften, der einen Ausschluss aller 1609  Zu dieser implementationsunabhängigen Wirkung siehe bereits oben: Zweiter Teil, B. III. 2. b) aa) (2) (b) (cc). 1610  J. Berkemann, Die unionsrechtliche Umweltverbandsklage des EuGH, DVBl 2011, 1254 (1257). 1611  ACCC / C / 2005 / 11 (Belgien), Rn. 29–37; ACCC / C / 2006 / 18 (Dänemark), Rn. 29–31; ACCC / C / 2008 / 32 (EU) (Part I), Rn. 77. 1612  ACCC / C / 2008 / 32 (EU) (Part I), Rn. 77; ACCC / C / 2008 / 31 (Deutschland), Rn. 92. 1613  So aber etwa S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008 S. 245, die den Spielraum der Vertragsstaaten weder durch „Sinn und Zweck noch aus der Systematik“ der Aarhus-Konvention heraus als begrenzt ansieht.



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oder fast aller Mitglieder der Öffentlichkeit einschließlich Nichtregierungsorganisationen zur Folge habe. Der Zugang zu den Gerichten müsse vielmehr auch dann die Regel, dürfte nicht lediglich Ausnahme sein.1614 Die Einführung einer Popularklage sei gleichwohl nicht gefordert.1615 Zwar ist richtig bemerkt worden, dass Art. 9 Abs. 3 AK nicht wie Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 S. 1 AK einen eigenständigen Verweis auf das Ziel der Schaffung gar eines weiten Zugangs zu Gerichten enthält.1616 An der Notwendigkeit der Auslegung auch von Art. 9 Abs. 3 AK im Lichte des allgemeineren und demgegenüber leicht abgeschwächten Ziels der Schaffung eines Zugangs zu Gerichten ändert dies jedoch nichts.1617 Die Auslegung des Überwachungsausschusses steht insoweit im Einklang mit dem Auslegungsgrundsatz gem. Art. 31 Abs. 1 WVK, der zudem auch auf den in diesem Sinne getroffenen Beschluss der Vertragsstaatenkonferenz verweisen kann.1618 Das ACCC versteht den Einschub in Art. 9 Abs. 3 AK im Lichte seines Ziels demnach nicht nur als den Vertragsstaaten gewährter Spielraum, sondern auch i. S. e. Verpflichtung zur Selbstbeschränkung, nicht zu strenge Kriterien anzuwenden.1619 Ausdrücklich für mit Art. 9 Abs. 3 AK vereinbar hält es das Überwachungskomitee, wenn in der jeweiligen Rechtsordnung bspw. allgemeine Anforderungen eines rechtlichen Interesses oder der Darlegung einer unmittelbaren oder individuellen Betroffenheit zur Voraussetzung für den Rechtsschutzzugang gemacht werden, soweit die vorausgesetzte Regelhaftigkeit des Gerichtszugangs damit nicht ausgeschlossen wird.1620 Auf der Grundlage dieser Einschätzung hielt das ACCC weder den im Rahmen von Art. 263 Abs. 4 AEUV entsprechend der restriktiven Auslegung gewährleisteten Zugang zum Verfahren der Nichtigkeitsklage im Bereich des unionalen Eigenvollzugs noch den in Deutschland auf der Grund1614  ACCC / C / 2008 / 31 (Deutschland), Rn. 92 mit Verweis auf ACCC / C / 2005 / 11 (Belgium), Rn. 34–36; ACCC / C / 2006 / 18 (Denmark), Rn. 29–30; ACCC / C / 2008 / 32 (EU) (Part I), Rn. 77; ACCC / C / 2010 / 48 (Austria), Rn. 68–70. 1615  ACCC / C / 2008 / 32 (EU) (Part I), Rn. 77. 1616  S. Pernice-Warnke, Effektiver Zugang zu Gericht, 2009, S. 143. 1617  So auch A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 288. 1618  Siehe Entscheidung II / 2 der Vertragsstaatenkonferenz, ECE / MP.PP / 2005 /  2 / Add.3 vom 08. Juni 2005, S. 4, Ziff. 16, wonach die Staaten dazu eingeladen werden, bei der Wahl etwaiger nationaler Kriterien stets das Ziel der Konvention, Zugang zu Gerichten zu garantieren, zu berücksichtigen. 1619  ACCC / C / 2005 / 11 (Belgium), Rn. 36 „self-restraint on the parties not to set too strict criteria“. Auch Entscheidung II / 2 der Vertragsstaatenkonferenz, ECE / MP. PP / 2005 / 2 / Add.3 vom 08. Juni 2005, S. 4, Ziff. 16 lädt die Staaten dazu ein, bei der Wahl etwaiger nationaler Kriterien stets das Ziel der Konvention, Zugang zu Gerichten zu garantieren, zu berücksichtigen. 1620  ACCC / C / 2008 / 32 (EU) (Part I), Rn. 80.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

lage der Schutznormtheorie sowohl für Einzelne als auch für Umweltvereinigungen weitgehend beschränkten Gerichtszugang für mit Art. 9 Abs. 3 AK vereinbar. Dabei kritisierte der Ausschuss insbesondere, dass aufgrund der zugrunde liegenden Unterscheidung privater und öffentlicher Interessen der Zugang in umweltrelevanten Fällen wegen der dort zumeist nur berührten öffentlichen Interessen gerade den im Bereich der „public interest litigation“ tätigen Umweltvereinigungen verschlossen bleibe.1621 Auch lehnte er ausdrücklich die punktuellen Eröffnungen des Gerichtszugangs in Naturschutz- und Umweltschadensrecht und auch die Weiterungen der Schutznormtheorie in der Folge der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in der Rechtssache Luftreinhalteplan Darmstadt als unzureichend ab, da diese Handhabung nicht allgemein sichergestellt1622 und zudem auf euro­ päisches Umweltrecht begrenzt gewesen sei, rein nationales Recht also außen vor bleibe.1623 Obwohl das ACCC im Compliance-Verfahren gegenüber der EU erwog, aufgrund deren besonderer Struktur für die Beurteilung der Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Maßnahmen im unionseigenen Vollzug auch ggf. vorhandene Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Umsetzungsakte auf mitgliedstaatlicher Ebene einzubeziehen,1624 hielt das ACCC – nach dessen Erfahrungen mit der mangelhaften Implementierung der Vorgaben wenig überraschend – anders als der EuGH die insoweit nur beschränkten Möglichkeiten in den nationalen Rechtsordnungen sowie die Ausgestaltung des Vorabent­ scheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV jedoch letztlich nicht für geeignet, einen völligen Ausschluss an Rechtsschutzmöglichkeiten auf EU-Ebene zu kompensieren.1625 Insoweit kritisierte der Ausschuss das Festhalten des EuGH an seiner Plaumann-Rechtsprechung auch nach Inkrafttreten der Aar1621  ACCC / C / 2008 / 31

(Deutschland), Rn. 95. (Deutschland), Rn. 99. 1623  ACCC / C / 2008 / 31 (Deutschland), Rn. 98. 1624  ACCC / C / 2008 / 32 (EU) (Part I), Rn. 89 f. Vgl. hierzu auch die Argumentation der EU im fortgesetzten Verfahren vor dem ACCC, Observations by the European Union to the Communicant’s commentary, 11.06.2015, Rn. 23 ff., abrufbar auf der Homepage des ACCC, zuletzt geprüft am 04.03.2017. 1625  ACCC / C / 2008 / 32 (EU) (Part I), Rn. 90; so auch M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (195); H. Schoukens, Access to Justice in Environmental Cases after the Rulings of the Court of Justice of 13 January 2015: Kafka Revisited?, Utrecht Journal of International and European Law 38 (2015), 46 (63) sowie bereits ders., Access to Justice in Environmental Matters on the EU Level after the Judgements of the General Court of 14 June 2012: Between Hope and Denial?, Nordic Environmental Law Journal 2014, 7 (29); gegen die entsprechende Argumentation des EuGH auch GA N. Jääskinen, Schlussanträge vom 08.05.2014  – C-401 / 12, Rn. 120 sowie EuG, Urteil vom 14.06.2012 – T-396 / 09, Rn. 74 f. 1622  ACCC / C / 2008 / 31



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hus-Konvention,1626 da das Merkmal der individuellen Betroffenheit in Art. 263 Abs. 4 AEUV in umweltrelevanten Fällen aufgrund der Difusität von Umweltauswirkungen niemals erfüllt ist.1627 Dabei hatte es das ACCC zunächst gleichwohl noch vermieden, eine abschließende Einschätzung abzugeben, um abzuwarten, ob die Handhabung des internen Überprüfungsverfahrens gem. Art. 10 ff. AK-VO und die in Art. 12 AK-VO eröffnete anschließende Rechtsschutzeröffnung vor dem EuGH den Rechtsschutz nicht doch hinreichend verbessern würden und ggf. bereits für sich genommen den Anforderungen des Art. 9 Abs. 3 AK genügen.1628 Wie gesehen, hat der EuGH eine Kontrolle der AK-VO am Maßstab des Art. 9 Abs. 3 AK jedoch abgelehnt,1629 sodass eine Ausweitung der dort nur begrenzt vorgesehenen Möglichkeiten bis heute nicht eingetreten ist. Nach dem inzwischen durch das ACCC veröffentlichten Abschlussbericht zum Compliance-Verfahren gegen die EU1630 kommt der Ausschuss in der Konsequenz dazu, dass weder die jetzige Auslegung des primärrechtlich gewährleisteten Gerichtszu1626  ACCC / C / 2008 / 32 (EU) (Part I), Rn. 87. Zum Zeitpunkt des Berichts war noch keine Entscheidung des EuGH zur Auslegung der unter dem Vertrag von Lissabon modifizierten Regelungen in Art. 263 Abs. 4 AEUV vorhanden, sodass die Ergebnisse des ACCC insoweit unter Vorbehalt standen, J. Jendrośka, Recent Case-Law of the Aarhus Convention Compliance Committee, JEEPL 8 (2011), 375 (391). Inzwischen hat der EuGH – wie bereits dargestellt – zwar entschieden, dass „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ i. S. v. Art. 263 Abs. 4 AEUV alle Rechtsakte von allgemeiner Gültigkeit erfassen, soweit es sich dabei nicht um legislative Akte handelt, EuGH, Urteil vom 03.10.2013 – C-583 / 11 P, Rn. 58–60. Gleichzeitig hat er jedoch die insoweit geltende Voraussetzung der unmittelbaren Betroffenheit eng ausgelegt, sodass es äußerst fraglich erscheint, ob die Veränderungen des Art. 263 Abs. 3 AEUV auch tatsächlich eine Ausweitung des Rechtsschutzes in umweltrelevanten Fällen bewirken, so auch H. Schoukens, Access to Justice in Environmental Cases after the Rulings of the Court of Justice of 13 January 2015: Kafka Revisited?, Utrecht Journal of International and European Law 38 (2015), 46 (64). Siehe zur Entwicklung der Rechtsprechung bereits oben: Zweiter Teil, B. III. 2. b) aa) (1). 1627  Zur Einschätzung des ACCC siehe ACCC / C / 2008 / 32 (EU) (Part I), Rn. 86; vgl. hierzu auch die Argumentation von Client Earth im fortgesetzten Verfahren vor dem ACCC vom 23.02.2015 Rn. 33 ff. 1628  Deren Betrachtung wurde im ersten Teil des Compliance-Verfahrens gegen die EU ausdrücklich ausgeklammert, um noch das Urteil des EuGH in der Rechtssache Stichting Natuur en Milieu abzuwarten, siehe ACCC / C / 2008 / 32 (EU) (Part I), Rn. 10. Falsch ist deshalb die gegenteilige Behauptung von J. Berkemann, NGO scheitern mit umweltrechtlicher Nichtigkeitsklage vor dem EuGH, ZUR 2015, 221 (230), dessen Beleg in Fn. 67 auch nicht – wie angegeben – auf eine Äußerung des Compliance-Committee, sondern auf die „Communication“ des Beschwerdeführers im Verfahren gegen die EU verweist. 1629  Siehe EuGH, Urteil vom EuGH, Urteile vom 13.01.2015,  – C-401 / 12 P  – C-403 / 12 P sowie C-404 / 12 P und C-405 / 12 P und hierzu bereits ausführlich oben: Zweiter Teil, B. III. 2. b) aa) (2) (b) (bb). 1630  ACCC / C / 2008 / 32, (EU) (Part II) vom 17.3.2017.

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gangs1631 durch den EuGH noch das sekundärrechtlich eröffnete Verfahren entsprechend der AK-VO1632 den Anforderungen des Art. 9 Abs. 3 AK genügen.1633 Während das ACCC mit Blick auf die nach Art. 9 Abs. 3 AK Zugangsberechtigten lediglich in einem allgemeineren Sinne ausgeschlossen hatte, dass die Vertragsparteien diesbezüglich Kriterien verwenden, die den Gerichtszugang regelmäßig hinderten und es weder im Verfahren gegenüber Deutschland noch gegenüber der EU zugleich ausgeschlossen hatte, dass es den Anforderungen etwa genügen könnte, wenn der Zugang entweder lediglich Einzelnen oder aber nur Umweltvereinigungen eröffnet wäre, wies schon die Braunbär-Entscheidung des EuGH insoweit in eine andere Richtung und legte nahe, dass Umweltvereinigungen in jedem Fall Rechtsschutzmöglichkeiten eröffnet werden müssten.1634 Dies ist jedoch mit dem Fehlen jeder Privilegierung von Umweltvereinigungen im Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 3 AK und dem den Vertragsstaaten gewährleisteten Spielraum nicht vereinbar.1635 Während die Rigidität der Braunbär-Entscheidung in diesem Punkt noch damit erklärt werden kann, dass der EuGH es in dem konkreten Fall nicht zulassen wollte, dass der betroffene Mitgliedstaat seine ihm durch Art. 9 Abs. 3 AK eingeräumte Freiheit dazu nutzt, schlicht untätig zu bleiben und der Gerichtshof deshalb die Aussprache der Verpflichtung auf den konkreten Ausgangsfall hin formulierte, in dem eine Umweltvereinigung geklagt hatte, ist die hierauf bezogene Berichtspraxis abzulehnen. Diese geht überdies noch einen Schritt weiter. Nicht nur hatte das ACCC in der Vergan­ genheit mehrfach ebenfalls deutlich zum Ausdruck gebracht, dass jeden­ falls  Umweltvereinigungen eine Zugangsmöglichkeit im Rahmen von Art. 9 Abs. 3 AK erhalten müssten,1636 in dem nun ergangenen abschließenden 1631  ACCC / C / 2008 / 32,

(EU) (Part II), Rn. 58 ff. (EU) (Part II), Rn. 90 ff. 1633  ACCC / C / 2008 / 32, (EU) (Part II), Rn. 121. 1634  So auch das Verständnis bei T. Bunge, Rechtsbehelfe in Umweltangelegenheiten, NuR 2014, 605 (613); M. Ruffert, Verwaltungsrecht im europäischen Verwaltungsverbund, Die Verwaltung 48 (2015), 547 (562 f. m. w. N.). Auch das BVerwG ist in seiner Entscheidung zum Luftreinhalteplan Darmstadt (7 C 21 / 12), Rn. 34 f. in der Folge davon ausgegangen, dass Art. 9 Abs. 3 AK in der Auslegung des ACCC zwingend die Ermöglichung eine Verbandsklage verlangt. 1635  Dies beachtet nicht hinreichend J. Ebbesson, Access to Justice at the National Level, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 245 (266 f.); eine Privilegierung von Umweltverbänden auch im Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 3 AK sieht aber K. F. Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (7). 1636  ACCC / C / 2010 / 48 (Austria), Rn. 69; ACCC / C / 2005 / 11 (Belgium), Rn. 35; anders dagegen noch ACCC / 2008 / 32 (Part I, EU), Rn. 77; ACCC / C / 2006 / 18 (Denmark), Rn. 29. 1632  ACCC / C / 2008 / 32,



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­ ericht im Compliance-Verfahren gegen die Europäische Union kommt das B ACCC vielmehr zum Ergebnis, dass das nach Art. 10 Abs. 1, 11 AK-VO auf bestimmte Umweltvereinigungen beschränkte interne Überprüfungsverfahren1637 auch bereits hinsichtlich seines personalen Anwendungsbereichs der Aarhus-Konvention nicht genüge.1638 Dies aber bedeutet, dass auch im na­ tionalen Recht die Eröffnung des Gerichtszugangs nur für Umweltvereinigungen – so wie es auch nach der neuesten Fassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes vorgesehen ist – im Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 3 AK nicht ausreichend sein soll. Das ACCC hat auf die gegen den Entwurf seines Abschlussberichts vorgebrachte Kritik in diesem Punkt1639 nicht reagiert. In der Folge war es auf der Vertragsstaatenkonferenz 2017 in Montenegro erstmals nicht möglich, hinsichtlich des Compliance-Berichts betreffend die Europäische Union1640 Übereinstimmung unter den Mitgliedern der Vertragsstaatenkonferenz zu erzielen. Eine Entscheidung wurde auf die nächste ordentliche Sitzung im Jahr 2021 vertagt und eine informelle Kontaktgruppe zwecks weiterer Diskussionen eingesetzt.1641 (2) Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren Art. 9 Abs. 3 AK verlangt von den Vertragsstaaten sicherzustellen, dass diejenigen Mitglieder der Öffentlichkeit, welche die etwaigen innerstaatlich festgelegten Kriterien erfüllen, entweder Zugang zu verwaltungsbehördlichen („administrative procedures“) oder gerichtlichen Verfahren erhalten. Es können in den nationalen Rechtsordnungen auch verschiedene Rechtsschutz1637  Konkretisiert durch den auf Art. 11 Abs. 2 A-VO gestützten Beschluss der EU-Kommission 2008 / 401 / EG, Euratom, ABl. EU 2008 Nr. L 140 / 22. 1638  ACCC / C / 2008 (EU) (Part II), Rn. 93. Für eine Vereinbarkeit der AK-VO mit Art. 9 Abs. 3 AK insoweit noch E. Rehbinder, Die Aarhus-Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs und die Verbandsklage gegen Rechtsakte der Europäischen Union, EurUP 2012, 23 (24); A. Guckelberger, Die EG-Verordnung zur Umsetzung der Aarhus-Konvention auf der Gemeinschaftsebene, 78 (86) m. w. N.; B. Goby, Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten im Lichte der Aarhus-Konvention, 2015, S. 291; gegen eine Vereinbarkeit M. Pallemaerts, Access to Environmental Justice at EU Level, in: ders., The Aarhus Convention at Ten, 2011, S. 277 m. w. N. 1639  Comments by the European Commission, on behalf of the European Union to the draft findings and recommendations by the Aarhus Convention Compliance Committee with regard to Communication ACCC / C / 2008 / 32 (Part II) concerning compliance by the European Union in connection with access by members of the public to review procedures, ACCC / C / 2008 / 32 vom 18.10.2016, Rn. 58 ff., abrufbar auf der Homepage des ACCC, zuletzt geprüft am 04.03.2017. 1640  Siehe die Draft Decision VI / 8(f) on Compliance by European Union, ECE / MP.PP / 2017 / 25. 1641  Report of the sixth session of the Meeting of the Parties, ECE / MP.PP / 2017 / 2, Rn. 6.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

verfahren je nach umweltrelevanter Handlung etabliert werden.1642 Zwar war die generelle Alternativität auch durch das ACCC im Compliance-Verfahren gegenüber der Europäischen Union anerkannt worden, soweit der Ausschuss davon ausging, dass die festgestellten Mängel beim Gerichtszugang im Primärrecht noch durch das zunächst durch das Komitee nicht abschließend in den Blick genommene Verfahren nach der Aarhus-VO kompensiert werden können.1643 Umstritten, und insoweit auch durch das ACCC zunächst nicht erörtert, war aber, ob die qualifizierenden Regelungen des Art. 9 Abs. 2 UAbs. 1 AK auch auf Verwaltungsbehörden als Rechtsschutzeinrichtung im Rahmen von Art. 9 Abs. 3 AK Anwendung finden und damit insbesondere die verwaltungsbehördlichen Verfahren durch unabhängige und unparteiische Stellen durchgeführt werden müssen. Dies schlösse es etwa aus, dass die Ausgangsbehörde ihre Entscheidung selbst oder eine ihr unterstehende weisungsabhängige Stelle die Ausgangsentscheidung überprüft. Systematisch spricht gegen die Übertragung der Anforderungen aber, dass Art. 9 Abs. 2 UAbs. 3 ebenfalls von „Überprüfungsverfahren vor einer Verwaltungsbehörde“ (engl. „review procedure before an administrative authority“) spricht und diese sich so von den in Art. 9 Abs. 2 UAbs. 1 AK vorgesehenen Überprüfungsverfahren vor einer unabhängigen und unparteiischen Stelle (engl.: „review procedure before an independent and impartial body established by law“) unterscheidet. Diese Anforderungen ergeben sich für Art. 9 Abs. 3 AK auch nicht über den Umweg des Absatzes 4, der gleichwohl verlangt, dass mittels Überprüfungsverfahren vor einer Verwaltungsbehörde angemessener und effektiver Rechtsschutz gewährleistet wird und dieser insbesondere fair und gerecht ablaufen muss.1644 Es dürfte keine Frage sein, dass dies am besten mithilfe der für Gerichte typischen Sicherungen der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit gelingen kann und deshalb auch für eine Implementierung der Regelung empfehlenswert ist – von der Aarhus-Konvention gefordert ist dies im Anwendungsbereich von Art. 9

1642  J. Ebbesson, Access to Justice at the National Level, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 245 (264). 1643  Diese Frage wurde etwa auch bereits aufgeworfen von M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (202, Fn. 173), der jedoch weitergehende Überlegungen unterlässt. Nach dem inzwischen ergangenen Abschlussbericht zu ACCC / C / 2008 / 32 (EU) (Part II) kommt das ACCC jedoch dazu, dass dies aufgrund der Begrenzungen dieses Verfahrens nicht der Fall ist. Siehe bereits oben: Zweiter Teil, B. IV. 3. c) bb) (1). 1644  Vgl. J. Ebbesson, Access to Justice at the National Level, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 245 (264), der der Voraussetzung der Verfahrensgerechtigkeit in Art. 9 Abs. 4 AK gewisse Anforderungen auch an die Struktur verwaltungsrechtlicher Überprüfungsverfahren entnehmen will.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte517

Abs. 3 AK aber nicht.1645 Das ACCC hat in seinem inzwischen abgeschlossenen Bericht zur Compliance der EU die hier vertretene Ansicht bestätigt.1646 (3) Anfechtungsgegenstände Anders als gem. Art. 9 Abs. 2 AK werden in Art. 9 Abs. 3 AK die Anfechtungsgegenstände nicht durch eine Anknüpfung an andere Vorschriften der Konvention bestimmt. Art. 9 Abs. 3 AK erfasst seinem Wortlaut nach „die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen“, „die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen“. Während der Begriff der Behörde in Art. 2 Nr. 2 AK näher definiert wird1647 und im Begriff der Privatperson seinen Gegenbegriff findet, fehlt eine Konkretisierung der Begriffe der Handlungen und Unterlassungen. Die wichtigsten hierdurch aufgeworfenen Fragen sind im Folgenden zu beantworten. (a) Anfechtung von einzelfallbezogenen Verwaltungsentscheidungen Art. 9 Abs. 3 AK bezieht seinem Wortlaut nach Handlungen und Unterlassungen von Behörden als Rechtsschutzgegenstände ein. Anders als in Art. 9 Abs. 2 AK werden „Entscheidungen“ als Anfechtungsgegenstände nicht explizit genannt, sodass ein systematischer Vergleich dafür sprechen könnte, dass hier lediglich Realakte einbezogen werden sollen. Die unterschiedliche Formulierung lässt sich jedoch auch dadurch erklären, dass Art. 9 Abs. 3 AK einheitlich sowohl Handlungen von Privatpersonen als auch von Behörden erfasst, die „Entscheidung“ als Unterfall einer „Handlung“ aber nur auf Be-

1645  Wie hier bezieht auch der Implementation Guide der AK die besonderen Anforderungen des Art. 9 Abs. 2 UAbs. 1 AK nur auf den Rechtsschutz nach Abs. 2, UNECE, J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a., The Aarhus Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 196, 198; ebenso M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (202); A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 287; a. A. ohne nähere Begründung E. Rehbinder, Die Aarhus-Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs und die Verbandsklage gegen Rechtsakte der Europäischen Union, EurUP 2012, 23 (26); B. Goby, Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten im Lichte der Aarhus-Konvention, 2015, S. 128. 1646  ACCC / C / 2008 (EU) (Part II), Rn. 114. Im konkreten Fall hat das ACCC jedoch weitere Bedingungen formuliert, damit das Verfahren in Art. 10, 12 AK-VO den Vorgaben des Art. 9 Abs. 3 AK entspricht, siehe a. a. O., Rn. 118 f. 1647  Siehe hierzu oben: Zweiter Teil, B. IV. 1. c).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

hörden angewandt werden soll.1648 Dass aber Art. 9 Abs. 3 AK selbstverständlich auch Entscheidungen von Behörden erfasst, die nicht bereits in den Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 AK fallen, ergibt sich schon aus dem Zweck der Eröffnung eines Gerichtszugangs in Umweltangelegenheiten, nachdem die Gruppe der Entscheidungen für Behörden die bedeutendste Handlungsform darstellt. Hiervon geht offensichtlich auch der EuGH in seiner Braunbär-Entscheidung aus, wenn er ausdrücklich die Ermöglichung der Kontrolle von Entscheidungen fordert.1649 (b) A  nfechtung auch von nicht einzelfallbezogenen Verwaltungsentscheidungen? Fraglich erscheint weiterhin, ob Art. 9 Abs. 3 AK zwingend auch die Anfechtbarkeit von nicht einzelfallbezogenen Verwaltungsentscheidungen verlangt. Wie bereits gesehen, hatte der EuGH diese Frage in seinen Entscheidungen vom 13. Januar 2015 nicht beantwortet, da er schon die Maßstäblichkeit von Art. 9 Abs. 3 AK ablehnte.1650 Diese hat jedoch sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene ganz erhebliche Auswirkungen auf den Anwendungsbereich des im Rahmen von Art. 9 Abs. 3 AK zu eröffnenden Rechtsschutzes und auf die Möglichkeit Handlungen und Unterlassungen anzufechten, die negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt haben können. Auf europäischer Ebene existieren kaum umweltrelevante Entscheidungen, die sich als einzelfallbezogene Verwaltungsakte qualifizieren lassen.1651 Mittels nicht einzelfallbezogener konkret-genereller Entscheidungen wird dagegen im Bereich der unionseigenen Verwaltung etwa über die Zulassung von Wirkstoffen in Pflanzenschutzmitteln1652 oder die zulässige Ge-

1648  Insoweit ist zu beachten, dass der Behördenbegriff der AK gem. Art. 2 Nr. 2 lit. c) ohnehin bereits Private unter bestimmten Voraussetzungen einbezieht, sodass darüber hinaus ein Anwendungsbereich für Rechtsschutz gegen umweltrelevante Entscheidungen Privater nicht verbleiben dürfte. 1649  EuGH (GK), Urteil vom 08.03.2011  – C-240 / 09 (Slowakischer Braunbär), Rn. 46 ff. (insbesondere 52). 1650  Zur Erinnerung siehe Zweiter Teil, B. III. 2. b) aa) (2) (b) (bb). 1651  Vgl. GA N. Jääskinen, Schlussanträge vom 08.05.2014  – C-401 / 12, Rn. 129, der darauf verweist, dass auch die Kommission nur die Genehmigung über das Inverkehrbringen eines genetisch veränderten Organismus als konkretes Beispiel habe nennen können. 1652  Siehe Art. 4 sowie 13 Abs. 4 VO 1107 / 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79 / 117 / EWG und 91 / 114 /  EWG des Rates. Hierzu J. H. Jans / H. H. B. Vedder, European Environmental Law, 4. Aufl. 2012, S. 457 ff.; noch zur Vorgängerrichtlinie K. Meßerschmidt, Europäisches Umweltrecht, 2011, § 19 Rn. 243 ff.



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samtfangmenge an Fisch pro Mitgliedstaat1653 diesen gegenüber entschieden.1654 Auch in den Mitgliedstaaten ergehen zahlreiche umweltrelevante Entscheidungen in anderen Formen als denen konkret individueller Einzel­ fallentscheidungen.1655 Gegen eine Reduktion des Begriffs der Handlungen nach Art. 9 Abs. 3 AK auf Einzelfallentscheidungen wurde entsprechend der vielfältig vorkommenden anderen Handlungsformen eingewandt, dass diese Auslegung nicht dem Ziel der Konvention entsprechen würde, das gem. Art. 1 AK auf den Schutz eines Menschenrechts auf ein Leben in einer der Gesundheit und dem Wohlbefinden zuträglichen Umwelt sowohl gegenwärtiger als auch zukünftiger Generationen bezogen ist.1656 Diese Auslegung des Wortlauts im Lichte des Konventionsziels entsprechend Art. 31 Abs. 1 WVK1657 muss auch nicht begrenzt werden, da den Vertragsstaaten durch Art. 9 Abs. 3 AK bei der Frage der erfassten Anfechtungsgegenstände, anders als hinsichtlich der Zugangsberechtigten, kein Umsetzungsspielraum eingeräumt ist.1658 Eine solche begrenzende Auslegung kann insbesondere auch nicht aus Art. 2 Nr. 2 AK hergeleitet werden, der Gremien oder Einrichtungen, die in gerichtlicher oder gesetzgebender Eigenschaft handeln, vom dort definierten Behördenbegriff ausschließt.1659 Die hierfür vorausgesetzte Korrelation zwischen der Hand1653  Siehe Art. 7, 8 VO 1342 / 2008 des Rates vom 18.12.2008 zur Festlegung eines langfristigen Plans für die Kabeljaubestände und die Fischereien, die diese Bestände befischen sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 423 / 04 zur Festlegung der „TACs“ (total allowable catches) für Kabeljau in verschiedenen Gewässern. 1654  M. Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 45 (2012), 171 (187); zu letzterem Beispiel auch H. Schoukens, Access to Justice in Environmental Cases after the Rulings of the Court of Justice of 13. January 2015: Kafka Revisited?, Utrecht Journal of international and European Law 31 (2015), 46 (51). 1655  Die besonderen Fälle der Pläne und Programme sind allerdings sogleich noch Gegenstand eines gesonderten Abschnitts. 1656  Vgl. die parallelen Argumentationen der später durch den EuGH aufgehobenen Entscheidungen in EuG, Urteil vom 14.06.2012  – T-396 / 09, Rn. 63–65 sowie EuG, Urteil vom 14.06.2012 – T-338 / 08, Rn. 74–76. 1657  So auch GA N. Jääskinen, Schlussanträge vom 08.05.2014  – C-401 / 12, Rn. 111; H. Schoukens, Access to Justice in Environmental Matters on the EU Level after the Judgements of the General Court of 14 June 2012: Between Hope and Denial?, Nordic Environmental Law Journal 2014, 7 (22, 26); tendenziell auch J. Berkemann, NGO scheitern mit umweltrechtlicher Nichtigkeitsklage vor dem EuGH, ZUR 2015, 221 (229). 1658  So ausdrücklich auch zuletzt ACCC / C / 2008 (EU) (Part II), Rn. 52 und 78 sowie bereits EuG, Urteil vom 14.06.2012  – T-396 / 09, Rn. 66; EuG, Urteil vom 14.06.2012 – T-338 / 08, Rn. 77. 1659  Diese Ausnahme übersieht anscheinend T. Markus, Individual- und Verbandsklagebefugnisse gegen Rechtsakte der Gemeinsamen Europäischen Fischereipolitik,

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

lung von Unionsorganen in gerichtlicher oder gesetzgebender Eigenschaft und Handlungen mit allgemeiner Geltung besteht hier gerade nicht.1660 Es lassen sich so  – anders als der EuGH meint  – zumindest insoweit Art. 9 Abs. 3 AK durchaus bestimmte Anforderungen entnehmen. Dass die Ablehnung dessen durch den EuGH in seinen Entscheidungen vom 13.01.2015 und damit verbunden auch die Zurückweisung der vorstehenden, auf die Entscheidungen des EuG zurückgehenden Argumentation keinesfalls zwin­ gend,1661 sondern eher institutionell motiviert war, zeigt sich hier noch einmal deutlich.1662 Schon aufgrund der zunächst bereits zugänglichen Entwürfe zum Abschlussbericht gegenüber der EU erwartbar,1663 hat das Komitee auch insoweit eine Beschränkung des Gerichtszugangs unter Art. 9 Abs. 3 AK für mit der Aarhus-Konvention unvereinbar erklärt.1664 ZUR 2009, 194 (199), wenn er seine Verwunderung darüber ausdrückt, dass sich in dem von ihm besprochenen Verfahren die NGOs ihrerseits nicht auf Vorschriften der AK berufen hatten, um ihre Klagebefugnis gegen die angegriffenen Fangverordnungen zu begründen, obwohl die Behörden auch nach Ansicht von Markus hier „insofern als Gesetzgeber“ gehandelt haben. 1660  EuG, Urteil vom 14.06.2012  – T-396 / 09, Rn. 67; EuG, Urteil vom 14.06.2012  – T-338 / 08, Rn. 78; zustimmend H. Schoukens, Access to Justice in Environmental Matters on the EU Level after the Judgements of the General Court of 14 June 2012: Between Hope and Denial?, Nordic Environmental Law Journal 2014, 7 (28); umgekehrt lässt sich aus dieser Vorschrift vielmehr gar im Gegenschluss entnehmen, dass eine weitergehende Einschränkung des Begriffs der Handlungen in Art. 9 Abs. 3 AK gerade nicht gewollt war, so GA N. Jääskinen, Schlussanträge vom 08.05.2014 – C-401 / 12, Rn. 109 f.; J. Berkemann, NGO scheitern mit umweltrechtlicher Nichtigkeitsklage vor dem EuGH, ZUR 2015, 221 (229). 1661  An der Unverbindlichkeit der Entscheidungen im konkreten Fall vermag dies freilich nichts zu ändern. 1662  So auch J. Berkemann, NGO scheitern mit umweltrechtlicher Nichtigkeitsklage vor dem EuGH, ZUR 2015, 221 (229); A. Epiney, Zur Rechtsprechung des EuGH im Umweltrecht im Jahr 2015, EurUP 2016, 2 (6). Die umgekehrte Einschätzung des EuGH vermag insbesondere auch das ACCC nicht zu binden, eine Überprüfung der Implementierungshandlungen der EU nicht am Maßstab von Art. 9 Abs. 3 AK vorzunehmen. A. A. die EU-Kommission im fortgesetzten Compliance-Verfahren ACCC / C / 2008 / 32 im Schriftwechsel mit dem ACCC, Observations by the European Union to the Communicant’s commentary on the judgements by the Court of Justice of the European Union of 13 January 2015 in joined cases C-401 / 12 P, C-402 / 12 P, C-403 / 12 P, and joined cases C-404 / 12 P and C-405 / 12 P, Rn. 21, abrufbar als „Comments on the CJEU judgements of 13 January 2015“ vom 11.06.2015 als Verfahrensdokument unter http: /  / www.unece.org / env / pp / cc / com.html, zuletzt geprüft am 21.07.2017. 1663  Vgl. den Entwurf des ACCC zum Abschluss des Compliance-Verfahrens ACCC / 2008 / 32 (Part II, EU), ACCC / C / 2008 / 32 (EU) (Part II) – Draft findings for parties’ comment vom 27.06.2016, Rn. 46 f., 87, abrufbar auf der Homepage des ACCC, zuletzt geprüft am 21.07.2017. 1664  ACCC / C / 2008 (EU) (Part II), Rn. 94.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte521

(c) Anfechtung von Plänen und Programmen Das weite Verständnis des Handlungsbegriffes in Art. 9 Abs. 3 AK wirft zudem die Frage auf, ob damit auch zwingend die Anfechtung von Plänen und Programmen ermöglicht werden muss, sofern diese nicht im Rahmen der Ausübung einer gesetzgeberischen Tätigkeit erlassen worden sind. Im Rahmen eines Compliance Verfahrens vor dem ACCC hatte ein Beschwerdeführer gar vertreten, dass Rechtsschutz gegen solcherlei Handlungen im Rahmen von Art. 9 Abs. 2 AK zu gewährleisten sei.1665 Der hierfür in Bezug genommene Verweis auf Art. 6 AK ist dergestalt formuliert, dass der Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 AK alle Handlungen umfasst, „für die Artikel 6“ gilt. Zwar fallen Pläne und Programme selbst nicht unmittelbar unter Art. 6 AK, sondern vielmehr unter Art. 7 AK. Dieser ordnet jedoch seinerseits in Satz 2 an, dass „Artikel 6 Absätze 3, 4 und 8 [im Rahmen von Artikel 7] Anwendung“ finden. Da Art. 6 AK insoweit zumindest in Teilen auch für Pläne und Programme gilt, könnte Art. 9 Abs. 2 AK für die Gewährleistung des hierauf bezogenen Rechtsschutzes seinem Wortlaut nach tatsächlich auch einschlägig sein. Angesichts der nur teilweisen Erstreckung der Vorschriften des Art. 6 AK auf Pläne und Programme nach Art. 7 S. 2 AK ist dies jedoch bereits dem Wortlaut nach nicht ohne Zweifel. Systematisch spricht hiergegen außerdem, dass nur ein enges Verständnis die klare Unterscheidung beim Rechtsschutz zwischen UVP-pflichtigen und sonstigen Tätigkeiten wahrt und in der Abstufung beim Rechtsschutz sich nur so auch die Abstufung bei der Dichte der Verpflichtungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung zwischen Art. 6 und 7 AK widerspiegeln würde. Dieses engere Verständnis entspricht zudem auch der Fassung des Anwendungsbereichs von Art. 9 Abs. 2 AK als Mindeststandard, was auch der Implementation Guide zur Aarhus-Konvention betont, wenn er die Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf Pläne und Programme nach Art. 7 AK explizit als eine Möglichkeit zu dessen Ausweitung nennt.1666 Fasst man aber Pläne und Programme unter Handlungen i. S. v. Art. 9 Abs. 3 AK, so stellt sich weitergehend die Frage, ob dies ganz allgemein gilt oder nur für solche Pläne und Programme, denen zumindest rechtliche Außenwirkung zukommt. Die Erstreckung der Garantie auf rein binnenrecht­ liche Planungen und Programme erschiene insbesondere dort fraglich, wo 1665  ACCC / C / 2008 / 32

(EU) (Part I), Rn. 47. J. Ebbesson / H. Gaugitsch u. a. The Aarhus Convention – An Implementation Guide, 2. Aufl. 2014, S. 193; so auch die Argumentation der EU im Compliance-Verfahren, ACCC / C / 2008 / 32 (EU) (Part I), Bericht vom 14.04.2011, Rn. 50. Das ACCC selbst hat sich im Compliance-Verfahren zu der insoweit aufgeworfenen Frage nicht klar geäußert, sondern eine Erörterung unmittelbar unter der Überschrift des Art. 9 Abs. 3 AK vorgenommen, vgl. aber insoweit a. a. O., Rn. 63, 74, 76 ff. 1666  UNECE,

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

zeitlich nachfolgend planerische Zulassungsentscheidungen getroffen werden, gegen die ihrerseits nach der AK Rechtsschutz zu gewährleisten ist und dadurch eine aufwändige Rechtsschutzverdoppelung drohte. Für die deutsche Rechtslage stellt sich insoweit etwa die Frage, ob Rechtsschutz nur gegen unmittelbar außenwirksame Bebauungspläne im Sinne von § 1 Abs. 2 2. Alt. BauGB1667 oder darüber hinaus auch gegen Flächennutzungs- und Raumordnungspläne gem. § 1 Abs. 2 1. Alt. BauGB bzw. § 8 Abs. 1 Satz  1 ROG zu gewähren ist.1668 In einem Verfahren vor dem ACCC betreffend Bulgarien hatte der Ausschuss über die Anwendbarkeit von Art. 9 Abs. 3 AK auf „allgemeine“ und „detaillierte“ Raumpläne1669 nach bulgarischem Recht zu entscheiden. Ohne hier eine vertiefte Rechtsvergleichung durchzuführen, scheint es so, als ähnelten die betrachteten Instrumente in den relevanten rechtlichen Aspekten Flächennutzungs- und Bebauungsplänen nach deutschem Planungsrecht. Das ACCC lässt es für eine Anwendbarkeit von Art. 9 Abs. 3 AK dabei genügen, dass es sich bei den allgemeinen Raumplänen – die nach Feststellung des Ausschusses die Basis für die weitere räumliche Entwicklung eines gesamten Gemeindegebietes oder Teilen hiervon bilden, dessen generelle Struktur und den allgemeinen Zweck der Landnutzung festlegen und den Rahmen für die künftige Entwicklung bereitstellen – um verbindliche Akte der Verwaltung insofern handelt, als sie die künftige Entwicklung eines Gebietes bestimmen, die verbindliche Grundlage der detaillierten Raumpläne bilden und insoweit auch mittelbar für Vorhabenentscheidungen relevant werden.1670 Das ACCC hält es insoweit für unvereinbar mit Art. 9 Abs. 3 AK, wenn Mitgliedern der Öffentlichkeit, eingeschlossen Umweltvereinigungen, Rechtsschutz gegen solche Planungen vollständig versagt wird und dadurch auch die Feststellungen der im Rahmen des Aufstellungsverfahrens durchzuführenden strategischen Umweltprüfung nicht angefochten werden können.1671 Bemerkenswert ist es insoweit, dass diese Beurteilung für sich steht, das ACCC nicht etwa in Betracht zieht, dass ein gegen die detaillierten Raum1667  Vgl. hierzu ACCC / C / 2011 / 58 (Bulgaria), Rn. 67 ff., zu „detailed spatial plans“ mit unmittelbarer Verbindlichkeit im Rahmen von Genehmigungsverfahren. 1668  Im Bereich umweltrelevanter Programme stellt sich diese Frage etwa für Maßnahmenprogramme nach § 82 WHG. In der Folge der Entscheidung des EuGH vom 27.10.2016  – C-290 / 15 (D’Oultremont u. a. / Wallonie) stellt sich diese Frage überdies auch für die sog. Windenergieerlasse der Länder, in denen diese den jeweiligen Behörden Vorgaben machen und Hinweise geben. Hierzu bereits N. Wegner, Keine SUP-Pflicht für Windenergieerlasse, NuR 2017, 605 ff. 1669  Vgl. ACCC / C / 2011 / 58 (Bulgaria), Rn. 62 ff. zu „general spatial plans“ sowie Rn. 67 ff. zu „detailed spatial plans“. 1670  ACCC / C / 2011 / 58 (Bulgaria), Rn. 62, 64. 1671  ACCC / C / 2011 / 58 (Bulgaria), Rn. 66.



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pläne eröffneter Rechtsschutz, in dessen Rahmen eine inzidente Kontrolle auch der allgemeinen Raumpläne stattfinden kann, eine Versagung des Rechtsschutzzugangs auf vorgelagerter Stufe rechtfertigen würde. Vielmehr kommt der Ausschuss auch hinsichtlich der detaillierten Planungen, die verbindliche Grundlage für die Zulassung von Vorhaben sind, zum Ergebnis, dass auch hier Art. 9 Abs. 3 AK verlangt, dass nicht lediglich Eigentümern im betroffenen Gebiet, sondern auch Mitgliedern der Öffentlichkeit, insbesondere Umweltvereinigungen, Rechtsschutz zu eröffnen sei, u. a. um das Fehlen einer strategischen Umweltprüfung oder auch die Missachtung von darin getroffenen Feststellungen angreifen zu können.1672 Sodann lässt sich feststellen, dass nach der Berichtspraxis des ACCC Rechtsschutz gegen Planungen gem. Art. 9 Abs. 3 AK zu gewährleisten ist, auch wenn es Planungen an einer rechtlichen Außenwirkung fehlt. Es genügt vielmehr, wenn die Planungen für nachfolgende Planaufstellungen und schließlich auch für Zulassungsverfahren mittelbar zur verbindlichen Grundlage werden und so auch einen Einfluss auf die Umwelt haben. Dies trifft nach deutschem Recht auf Flächennutzungs-1673 und auf die aus ihnen zu entwickelnden Bebauungspläne ohne weiteres zu. Dies gilt aber auch etwa für Ziele der Raumordnung in Regional- und Landesraumordnungsplänen,1674 da sie gem. § 4 Abs. 1 S. 1 ROG in nachfolgenden Planungsverfahren nicht mehr der Abwägung zugänglich sind. Der Verweis des ACCC auf die strategische Umweltprüfung zur Begründung der Relevanz einer Planung unter Art. 9 Abs. 3 AK zeigt zudem, dass neben Raumplänen auch zahlreiche andere Formen von Plänen erfasst werden, wie Luftreinhaltepläne i. S. v. § 47 BImSchG1675 oder Lärmaktionspläne nach § 47 d BImSchG. Nicht abschließend geklärt erscheint insoweit lediglich, ob tatsächlich auf jeder einzelnen 1672  ACCC / C / 2011 / 58

(Bulgaria), Rn. 70. können zudem ausnahmsweise auch dann für Vorhaben von unmittelbarer Bedeutung sein, wenn eine weitere Konkretisierung durch einen Bebauungsplan nicht erfolgt. In diesem Fall wirken die Darstellungen eines F-Plans über § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BauGB in einem negativen Sinn. Ausschließende Wirkung kommt dabei allerdings nur qualifiziert standortbezogenen Aussagen eines Flächennutzungsplans zu, S. Mitschang / O. Reidt, in: U. Battis / M. Krautzberger / R.-P. Löhr, BauGB, 13. Aufl. 2016, § 35 Rn. 74. 1674  Entsprechend der Rechtsprechung des EuGH in den Rs. Boxus und Solvay und der Berichtspraxis des ACCC dürfte dies zudem auch dann für Landesentwicklungspläne gelten, wenn diese, wie in einigen Bundesländern, in Gesetzesform erlassen werden. Zur genannten Rechtsprechung und Berichtspraxis siehe oben: Zweiter Teil, B. IV. 3. b) bb) (1). 1675  Siehe insoweit noch einmal die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Möglichkeit der völkerrechtskonformen Auslegung von § 42 Abs. 2 VwGO in BVerwG, Urteil vom 05.09.2013 – 7C 21 / 12 (Luftreinhalteplan-Darmstadt) einerseits und die Urteile des 4. Senats des BVerwG, vom 12.11.2014 – 4 C 34 / 13 (Wannsee-Route) sowie vom 18.12.2014 – 4 C 35 / 13 (Müggelsee-Route) andererseits. 1673  Flächennutzungspläne

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Planungsstufe Rechtsschutz gewährt werden muss oder ob es vielmehr genügt, wenn Rechtsschutz auf der konkretesten Planungsstufe eröffnet wird und vorangegangene Festlegungen noch inzident angegriffen werden können. Derzeit weist die Berichtspraxis des ACCC auf die erste Alternative hin.1676 (d) Anfechtung von Handlungen und Unterlassungen von Privatpersonen Art. 9 Abs. 3 verlangt schließlich auch Rechtsschutz gegen die von Privatpersonen vorgenommenen Handlungen, die gegen umweltbezogene Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts verstoßen. Die Reichweite dieser Verpflichtung erscheint unklar. Auch der Implementation Guide zur Aarhus-Konvention enthält hierfür keinen näheren Anhaltspunkt. Die Einbeziehung von Handlungen Privater zielt insbesondere darauf ab, Rechtsschutzlücken aufgrund der Privatisierung ehemals öffentlicher Güter, Serviceleistungen oder Funktionen zu verhindern.1677 Private werden damit im Rahmen von Art. 9 Abs. 3 AK unabhängig davon einbezogen, ob sie als Behörde i. S. der Konvention handeln.1678 Ihrem Wortlaut nach werden aber keinesfalls nur umweltrelevante Tätigkeiten erfasst, die ehemals durch staatliche Stellen ausgeführt wurden. Vielmehr erfasst Art. 9 Abs. 3 AK grundsätzlich jedes umweltrelevante Handeln Privater, das möglicherweise gegen nationales Umweltrecht, d. h. jedes innerstaatlich gültige Umweltrecht, verstoßen kann und verlangt nach der Eröffnung hiergegen gerichteten Rechtsschutzes. Da sämtliche umweltrelevante Handlungen unter Genehmigungsvorbehalt bereits ohnehin durch Art. 9 Abs. 2 bzw. Art. 9 Abs. 3 AK erfasst werden, dürfte der Rechtsschutz gegen Handlungen Privater insbesondere diejenigen Handlungen betreffen, die nicht unter Genehmigungsvorbehalt stehen oder unter Verstoß gegen behördliche Genehmigungen vorgenommen werden. Genannt werden insoweit etwa auch Verstöße gegen die Bestimmungen von Naturschutzgebieten oder sonstige unmittelbar wirkende umweltschützende Ge- und Verbote.1679 Diese teilweise Überschneidung der 1676  Siehe aber zuletzt den Bericht des ACCC zur Compliance by Germany with its obligations under the Convention, ECE / MP.PP / 2017 / 40, Rn. 39, 43, wonach unter bestimmten Umständen die Gewährleistung bloßer Inzidentprüfungen von Plänen auf nachfolgenden Planungs- und Zulassungsstufen ausreichen können. 1677  J. Ebbesson, Public Participation and Privatisation in Environmental Matters: An Assessment of the Aarhus Convention, Erasmus Law Review 4 (2011), 71 (87). 1678  J. Ebbesson, Public Participation and Privatisation in Environmental Matters: An Assessment of the Aarhus Convention, Erasmus Law Review 4 (2011), 71 (87). 1679  J. Ebbesson, Access to Justice at the National Level, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 245 (263); vgl. auch die ausführliche Auflistung unmittelbar wirksamer Verhaltensnormen für das österreichische Recht, E. Schulev-



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Anwendungsbereiche unterstreicht die Auffangfunktion von Art. 9 Abs. 3 AK gegenüber Art. 9 Abs. 1 und 2 AK, die mit der Maßgabe, dass Absatz 3 die Vertragsparteien „zusätzlich und unbeschadet der in den Absätzen 1 und 2 genannten Überprüfungsverfahren“ zur Gewährleistung von Rechtsschutz verpflichtet, umzusetzen ist. (4) Prüfungsmaßstab Fraglich erscheint schließlich welche Normverletzungen im Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 3 AK in Rechtsschutzverfahren zur Anfechtung der erfassten Gegenstände durch die Rechtsschutzberechtigten geltend gemacht werden können und auch grundsätzlich sanktioniert werden müssen. Art. 9 Abs. 3 AK verlangt seinem Wortlaut nach die Anfechtbarkeit der erfassten Anfechtungsobjekte wegen Verstoßes gegen „umweltbezogene Bestimmungen“ des innerstaatlichen bzw. unionalen Rechts. Im Gegensatz zu Art. 9 Abs. 2 AK wird der Prüfungsmaßstab hier ausdrücklich beschränkt.1680 Eine Vollkontrolle der erfassten Prüfungsgegenstände ist mithin durch die Staaten nicht zu gewährleisten. Jenseits dessen erscheint jedoch etwa fraglich, ob Art. 9 Abs. 3 AK die Vertragsparteien dazu verpflichtet, die Verletzung jeg­ lichen Umweltrechts als Aufhebungsgrund für Entscheidungen und als hinreichenden Grund für ein Einschreiten von Behörden auszugestalten, mithin auch bei Verletzung rein objektiven Umweltrechts – insbesondere von Artenund Landschaftsschutzrecht – den Zugang zu Gericht nicht nur zu eröffnen, sondern an die Verletzung auch entsprechende Sanktionsansprüche zu knüpfen.1681 Oder genügt es vielmehr, Rechtsschutz nur bei der Verletzung von Umweltrecht vorzusehen, das – wenn auch im erweiterten europäischen Steindl, Rechtliche Optionen zur Verbesserung des Zugangs zu Gerichten im österreichischen Umweltrecht gemäß der Aarhus-Konvention (Art. 9 Absatz 3), S. 44 f.; B. Goby, Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten im Lichte der Aarhus-Konvention, 2015, S. 163 f. Es erscheint insoweit fraglich, ob § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 UmwRG 2017 diesen Anforderungen genügt, da die darin vorgesehenen Überwachungs- oder Aufsichtsmaßnahmen sich auf die Umsetzung oder Durchführung von Entscheidungen nach den Nummern 1 bis 5 desselben Paragraphen beschränken, nicht aber genehmigungsfreie Tätigkeiten erfassen. 1680  Vgl. zur Unzulässigkeit der Beschränkungen von Überprüfungen nach Art. 9 Abs. 2 AK auf der Umwelt dienende Vorschriften bereits oben: Zweiter Teil, B. IV. 3. b) bb) (2) (c) (cc). 1681  Gegen jegliche Bindung der Vertragsparteien hinsichtlich des anzusetzenden Kontrollmaßstabs sprechen sich konsequent diejenigen Stimmen aus, die aufgrund von Art. 9 Abs. 3 AK ohnehin allenfalls das generelle Ziel der Rechtsschutzgewährleistung gegen die Verletzung innerstaatlichen Umweltrechts als verbindlich ansehen. So aber auch B. Goby, Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten im Lichte der Aarhus-Konvention, 2015, S. 169.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Verständnis – Einzelnen Rechte zuerkennt?1682 Ist hier lediglich eine Kon­ trolle der materiell-rechtlichen oder auch der verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit vorbehaltlich der möglichen Heilung bzw. Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern geboten?1683 Anknüpfungspunkt für die Beantwortung dieser Fragen in Art. 9 Abs. 3 AK ist der Begriff der „umweltbezogenen Bestimmung“ des jeweiligen innerstaatlichen Rechts.1684 (a) Prüfung auch rein objektiv-rechtlicher Vorschriften Art. 9 Abs. 3 grenzt die „umweltbezogenen Bestimmungen“ in keiner Weise ein. Eine Eingrenzung ergibt sich auch nicht daraus, dass die Verpflichtung des Art. 9 Abs. 3 AK insgesamt „zusätzlich und unbeschadet der in den Ab­ sätzen 1 und 2 genannten Überprüfungsverfahren“ sichergestellt werden soll. Zwar ist hier eine Abgrenzung des Anwendungsbereichs zu Art. 9 Abs. 1 und 2 AK vorgesehen, diese erfolgt jedoch nicht über den Prüfungsmaßstab,1685 sondern über die erfassten Handlungen und Unterlassungen. Nur hierauf bezogen kommt Art. 9 Abs. 3 AK eine Auffangfunktion zu. Einer Begrenzung des 1682  Diesen letzteren Weg hält anscheinend für ausreichend F. Ekardt, Verbandsklage vor dem EuGH: Mitgliedstaaten verklagen, EU-Institutionen verschonen?, NVwZ 2015, 772 (774 f.); weitergehend aber J. Ebbesson, Access to Justice at the National Level, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 245 (263 f.); zu einem umfassenden Rechtsschutz tendieren auch H.-J. Koch / C. von Haaren u. a., SRU Stellungnahme 2005, S.  12 sowie GA J. Kokott, Schlussanträge vom 30.06.2016  – C-243 / 15, Rn. 49 f. Innerhalb des BVerwG scheint dies umstritten zu sein. In BVerwG, Urteil vom 05.09.2013 – 7 C 21 / 12 (Luftreinhalteplan Darmstadt) finden sich durchaus Äußerungen, die auf ein weiterreichendes Verständnis im Sinne echter prokuratorischer Rechte schließen lassen. Nachfolgende Entscheidungen anderer Senate sowie einzelner Oberverwaltungsgerichte folgen jedoch einer restriktiveren Linie und suchen eine Begrenzung durch die europarechtlich anerkannten subjektiven Rechte vorzunehmen. 1683  Von letzterem geht aus T. Bunge, Rechtsbehelfe in Umweltangelegenheiten, NuR 2014, 605 (613). Der von ihm vorgenommene Verweis auf ACCC / C / 2008 / 31 (Germany), Rn. 90 trägt dies jedoch nicht, da die angegebene Stelle sich explizit auf den Rechtsschutz nach Art. 9 Abs. 2 AK, nicht aber Abs. 3 bezieht. In diesem Sinne aber auch J. Ebbesson, Access to Justice at the National Level, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 245 (267); wohl auch E. Rehbinder, Die Aarhus-Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs und die Verbandsklage gegen Rechtsakte der Europäischen Union, EurUP 2012, 23 (26). 1684  Vgl. neben den hier angestellten Überlegungen auch die Ausführungen in ACCC / C / 2008 (EU) (Part II), Rn. 95 ff., die sich an den Begrenzungen von Art. 2 Abs. 1 (g) und (f) AK-VO orientieren. 1685  Unklar insoweit B. Goby, Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten im Lichte der Aarhus-Konvention, 2015, S. 168 f. die zunächst auf den Anfechtungsmaßstab abstellt, dann aber doch wohl eine Unterscheidung anhand der jeweils erfassten Handlungen und Unterlassungen vornimmt.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte527

Begriffs der „umweltbezogenen Bestimmungen“ auf solche, denen sich mithilfe der europarechtlich überformten Schutznormtheorie Rechte Einzelner entnehmen lassen, widerspräche dagegen dem Anliegen der Aarhus-Konvention, wie es sich in Art. 1 AK ausdrückt, „zum Schutz des Rechts jeder männlichen / weiblichen Person gegenwärtiger und künftiger Generationen auf ein Leben in einer seiner / ihrer Gesundheit und seinem / ihrem Wohlbefinden zuträglichen Umwelt beizutragen“. Der Bezug auf das reine Wohlbefinden der Angehörigen der jetzigen, vor allen Dingen aber der künftigen Generationen schließt es aus, nicht auch rein objektives Naturschutzrecht in den Begriff der „umweltbezogenen Bestimmung“ mit einzubeziehen.1686 Gegen eine Anknüpfung an das Gut des Wohlbefindens hatte Rennert zwar völlig zu Recht eingewandt, dass dieses bereits seiner Qualität nach untauglich sei, um als Anknüpfungspunkt für subjektive Rechte zu dienen.1687 Das Wohlbefinden selbst dürfte tatsächlich zu unbestimmt, überdies von rein subjektiver Natur sein und insoweit nicht zur Umgrenzung eines Rechts taugen.1688 Dies übersieht aber, dass Art. 9 Abs. 3 AK auch bei der Ausweitung des Rechtsschutzes auf rein objektiv-rechtliche Vorschriften des Naturschutzrechts ohne unmittelbare Beziehung zur Gesundheit des Menschen gerade nicht ein subjektives Recht auf das eigene Wohlbefinden, sondern lediglich die Möglichkeit eröffnet, die Durchsetzung der durch den Gesetzgeber festgelegten materiellen Schutzstandards und so mittelbar auch das Wohlbefinden der gegenwärtigen Generation – und damit ggf. auch das eigene – und zukünftiger Generationen zu fördern. Die Steigerung des Wohlbefindens kann auch nach der Zielformulierung des Art. 1 AK und der hier befürworteten Auslegung von Art. 9 Abs. 3 AK nur bloßer Rechtsreflex sein. Der Einzelne bleibt insoweit auf ein Streben nach Wohlbefinden1689 verwiesen. Zur Unterstützung dieses Strebens sollen jedoch Mitglieder der Öffentlichkeit i. S. v. Art. 9 Abs. 3 AK die gerichtliche Kon­ trolle auch rein naturschutzrechtlicher Vorschriften initiieren können. Dieses Ergebnis wird durch den Bezug auf die Angehörigen künftiger Generationen in Art. 1 AK bestätigt. Da völlig unklar ist, von welchen Ressourcen künftige 1686  J. Kokott / C. Sobotta, Rechtsschutz im Umweltrecht – Weichenstellungen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, DVBl 2014, 132 (136). 1687  K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (795 f.). 1688  Siehe zu dieser Frage auch bereits oben die Diskussion der Entscheidung des EGMR in der Rechtssache Kyrtatos, Zweiter Teil, A, IV. 1. a) bb), in der es der EGMR unterließ über eine Anknüpfung an das Wohlbefinden Einzelner letztlich die Schutzgutakzessorietät des menschenrechtlichen Ansatzes zu überwinden und so den Anwendungsbereich des umweltrelevanten Schutzbereichs des Art. 8 EMRK erheblich auszuweiten. 1689  Siehe den Verweis bei K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (796), auf die amerikanische Unabhängigkeitserklärung.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Generationen einst leben müssen, mithin unklar ist, welche Ressourcen auch für ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden in Zukunft entscheidend sind,1690 darf der Schutz in der Gegenwart nicht auf diejenigen Ressourcen begrenzt werden, die uns heute lebensnotwendig sind und deren Beeinträchtigung deshalb unsere materiell-personalen Interessen unmittelbar mit hinreichender ­Intensität berührt. Da nach hier vertretener Ansicht aber die Vertragsstaaten die Möglichkeit haben, den Gerichtszugang auf Umweltvereinigungen zu begrenzen, würde insoweit lediglich eine Gleichstellung mit Art. 9 Abs. 2 AK erfolgen.1691 (b) Prüfung auch rein verfahrensrechtlicher Verstöße Weiterhin scheint Art. 9 Abs. 3 AK nur die Möglichkeit der Anfechtung von Handlungen und Unterlassungen durch die Geltendmachung der Verletzung umweltbezogener Bestimmungen ganz allgemein zu fordern, nicht aber, wie Art. 9 Abs. 2 AK, die Anfechtung sowohl ihrer materiell-rechtlichen als auch ihrer verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit.1692 Eine solche Auslegung wäre aber schon wegen des prozeduralen und damit vor allen Dingen auf Verfahrensaspekte abzielenden Konzepts der Konvention fragwürdig. Hinzu kommt, dass Art. 9 Abs. 3 AK insoweit schon seinem Wortlaut nach nicht ein größeres Maß an Spielraum für die Vertragsparteien eröffnet, sondern vielmehr mit anderen Kategorien als denen von materieller und formeller Rechtmäßigkeit operiert.1693 Art. 9 Abs. 3 AK knüpft danach an die Unterscheidung umweltbezogener und nicht-umweltbezogener Bestimmungen an. Die Differenzierung in materielle und formelle Normen ist dieser Kategorie nachgeordnet, weshalb auch umweltbezogene Bestimmungen beide Formen umfassen. Anderenfalls, da Pläne und Programme nach hier vertretener Ansicht ausschließlich in den Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 fallen, würde auch das kaum überzeugende Ergebnis erzielt, dass die prozeduralen Vorgaben des Art. 7 S. 1–3 AK, wie sie im Rahmen der strategischen Umweltprüfungen ihre Umsetzung gefunden haben, nicht überprüfbar wären. Auch ein nur M. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 1 Rn. 67. hat der Gesetzgeber auch die Freiheit Bedenken Rechnung zu tragen, die mit der Ausstattung jedes Einzelnen mit Gerichtszugangsrechten verbunden sind. Seien dies Bedenken hinsichtlich der Belastungsfähigkeit der Verwaltungsgerichte oder aber Bedenken hinsichtlich des gesellschaftlichen Zusammenlebens allgemein. 1692  A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 289; S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 245; B. Goby, Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten im Lichte der Aarhus-Konvention, 2015, S. 169. 1693  ACCC / C / 2008 / 31 (Germany), Rn. 94; wie hier A. Epiney / S. Dilzig / B. Pirker / S. Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Art. 9 Rn. 37. 1690  Vgl.

1691  Insoweit



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solches Verständnis wahrt zudem noch das seinem Wortlaut und der Systematik nach vorhandene Stufenverhältnis zwischen Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 AK dadurch, dass auch auf diese Weise gerade keine Vollkontrolle der erfassten Handlungen und Unterlassungen verlangt wird, sondern diese auf umweltrechtliche Vorschriften beschränkt bleibt. Hinsichtlich der Zulässigkeit von Heilungsvorschriften, der Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern und der Unzulässigkeit materieller Präklusion1694 kann hier grundsätzlich nichts anderes gelten als im Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 AK. cc) Weiterer Implementierungsbedarf aufgrund von Art. 9 Abs. 3 AK Auch wenn die Umsetzung der Vorgaben der AK auf nationaler und euro­ päischer Ebene nicht im Fokus dieser Arbeit stehen, soll der aufgrund von Art. 9 Abs. 3 AK bestehende weitere Implementierungsbedarf gleichwohl kurz zunächst für die Unionsebene (1) und schließlich für das deutsche Recht (2) betrachtet und damit auch die Ergebnisse der vorangehenden Untersuchung zusammengefasst werden. (1) Umsetzungsverpflichtung für die Europäische Union Der Abschlussbericht des ACCC zum Compliance-Verfahren gegen die Europäische Union1695 zeigt, dass zwischen dem ACCC und dem EuGH auch in der Frage der notwendigen Umsetzung von Art. 9 Abs. 3 AK für den unionalen Eigenvollzug ein institutioneller Konflikt besteht.1696 Bislang hat es der EuGH sowohl abgelehnt die primärrechtlichen Vorschriften des Art. 263 Abs. 4 AEUV, konkret das dortige Merkmal der individuellen Betroffenheit, in einer Weise auszulegen, dass ein Gerichtszugang in Umwelt­ angelegenheiten in einem Umfang eröffnet würde, welcher Art. 9 Abs. 3 AK in der weitgehend1697 auch hier vertretenen Auslegung des ACCC gerecht 1694  Ausdrücklich zur materiellen Präklusion A. Guckelberger / F. Geber, Präklusion unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, EurUP 2014, 167 (174); B. Goby, Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten im Lichte der Aarhus-Konvention, 2015, S. 170. 1695  ACCC / C / 2008 / 32, (EU) (Part II). 1696  Zur unterschiedlichen Ansicht beider hinsichtlich der Notwendigkeit der Gewährleistung einer unbeschränkten Überprüfung im Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 AK auch im Individualrechtsschutz siehe bereits oben: Zweiter Teil, B. IV. 3. b) bb) (2) (d). Durch die auf Drängen der EU vorläufig nicht zustande gekommene Annahme des Compliance Berichts des ACCC zur Europäischen Union durch die Vertragsstaatenkonferenz hat sich dies nun noch einmal manifestiert. 1697  Auf einen sich andeutenden Unterschied hinsichtlich der den Vertragsstaaten gewährten Freiheit bei der Bestimmung des personalen Anwendungsbereichs von Art. 9 Abs. 3 AK wurde bereits hingewiesen, siehe Zweiter Teil, B. IV. 3. c) bb) (1).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

würde, als auch eine Überprüfung der Vorschriften der Aarhus-Verordnung über das interne Überprüfungsverfahren am Maßstab des Art. 9 Abs. 3 AK zu prüfen und für unwirksam zu erklären bzw. – soweit möglich – völkerrechtskonform auszulegen. Während es aus den oben genannten Gründen, insbesondere der über den Umweltbereich hinausgehenden Geltung von Art. 263 Abs. 4 AEUV unwahrscheinlich erscheint, dass der EuGH seine diesbezügliche Plaumann-Rechtsprechung ändert, sollte die Union eine Novellierung der Aarhus-Verordnung vornehmen und dabei insbesondere die zulässigen Überprüfungsgegenstände auch auf solche konkret-genereller Natur erweitern.1698 Zweifel bestünden allerdings auch bei einer Änderung der AK-VO darüber, ob der EuGH eine solche sekundärrechtliche Erweiterung der primärrechtlich vorgesehenen Klagemöglichkeiten akzeptiert und eine vollständige Überprüfung der Ausgangsentscheidungen vornimmt. (2) Umsetzungsverpflichtung für das nationale Recht In erster Linie sind auch auf der nationalen Ebene selbstverständlich die Gesetzgeber zur Umsetzung der völkerrechtlichen Vorgaben berufen.1699 Deren Handeln erscheint etwa in Deutschland aufgrund der mit der Implementierung der Vorgaben des Art. 9 Abs. 3 AK verbundenen erheblichen Veränderungen für das verwaltungsrechtliche Rechtsschutzsystem von umso größerer Bedeutung. Nach bereits erfolgten Anpassungen des Umwelt-Rechts­ behelfsgesetzes in der Folge der Trianel- sowie der Altrip-Entscheidung des EuGH wurde nun als Reaktion insbesondere auf das Compliance-Verfahren des ACCC sowie die Entscheidung des EuGH vom 15.10.2015 gegen Deutschland eine umfangreichere Reform des Gesetzes durchgeführt, um den Anforderungen des Art. 9 Abs. 3 AK gerecht zu werden. Während das Gesetz eine erhebliche Ausweitung der Anfechtungsgegenstände der altruistischen Verbandsklage vorsieht, soll der Individualrechtsschutz auch weiterhin auf Grundlage der europäisierten deutschen Schutznormdoktrin fortgelten. Ob dies den Anforderungen der AK genügt,1700 kann nach den Ausführungen des 1698  Vgl. ACCC / C / 2008 / 32, (EU) (Part II), Rn. 123 sowie etwa J. H. Jans /  H. H. B. Vedder, European Environmental Law, 4. Aufl. 2012, S. 249. 1699  T. Bunge, Rechtsbehelfe in Umweltangelegenheiten, NuR 2014, 605 (612 m. w. N. aus der Literatur); explizit auch BVerwG, Urteil vom 5.9.2013  – 7 C 21.12 (Luftreinhalteplan Darmstadt), Rn. 32 ff.; hinsichtlich des nach der Entscheidung des BVerwG verbleibenden Anpassungsbedarfs I. Pernice, Umweltvölker- und europarechtliche Vorgaben zum Verbandsklagerecht und das System des deutschen Verwaltungsrechtsschutzes, JZ 2015, 967 (972). 1700  Die h. M. in Deutschland geht davon aus, dass den Anforderungen des Art. 9 Abs. 3 AK durch eine Ausweitung der Verbandsklagebefugnis genügt werden kann,



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ACCC im Verfahren gegen die EU bezweifelt werden. Angesichts der hierzu stattfindenden weiteren Diskussionen im Rahmen der Vertragsstaatenkonferenz dürfte eine klare Antwort in diesem Punkt jedoch auf absehbare Zeit auf sich warten lassen. Insoweit und auch in weiteren Punkten1701 bleiben solange Zweifel an der Völkerrechtskonformität auch des neuen UmweltRechtsbehelfsgesetzes zurück. Der deutsche Gesetzgeber hat sich mit der nun erfolgten Reform erheblich Zeit gelassen, obwohl bereits spätestens mit der Braunbär-Entscheidung des EuGH und schließlich der Entscheidung des ACCC im Compliance-Verfahren gegen Deutschland und deren Annahme durch die Vertragsstaatenkonferenz der Aarhus-Konvention1702 die Augen vor der Völkerrechtswidrigkeit des deutschen Rechts nicht mehr verschlossen werden konnten. Für eine nicht unerhebliche Zeit waren deshalb zunächst die deutschen Verwaltungsgerichte dazu aufgerufen, im Rahmen der ihnen verliehenen judikativen Gewalt den völkerrechtlichen Anforderungen im Wege der durch den EuGH in der Braunbär-Entscheidung umrissenen – gleichwohl nicht auf unionale umweltrecht­ liche Vorschriften beschränkten – völkerrechtskonformen Auslegung nationalen Rechts Wirkung zu verleihen.1703 In dieser Situation mussten die Gerichte letztlich entscheiden, wie weit die ihnen gegebenen Spielräume für eine K. F. Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (7); K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl 2015, 793 (795); vgl. auch die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben“, Stand Kabinettsbeschluss vom 22.06.2016, S. 30; für die Umsetzung in Österreich B. Goby, Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten im Lichte der Aarhus-Konvention, 2015, S. 366; frühzeitig bereits in diesem Sinne H.-J. Koch / C. v.  Haaren u. a.  SRU, Rechtsschutz für die Umwelt  – die altruistische Verbandsklage ist unverzichtbar, Stellungnahme, 2005, S. 9 f. Zweifelnd allerdings C. Franzius, Genügt die Novelle des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes den unionsrechtlichen Vorgaben, NVwZ 2018, 219 (221 f.). Für eine Ausweitung auch des Individualschutzes im Lichte von Art. 9 Abs. 3 AK dagegen J. Kokott / C. Sobotta, Rechtsschutz im Umweltrecht, DVBl 2014, 132 (136), die eine Popularklage allerdings dadurch ausschließen wollen, dass etwa durch eine Anknüpfung an das Merkmal einer besonderen Nähe des Einzelnen zum jeweils betroffenen Schutzgut eine Begrenzung des jeweiligen Kreises der Berechtigten erreicht wird. 1701  Hierzu im Einzelnen A. Brigola / F. Heß, Die Fallstricke der unions- und völkerrechtlichen Metamorphose des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes (UmwRG) im Jahr 2017, NuR 2017, 729 (730 ff.). 1702  Decision V / 9h on Compliance by Germany, ECE / MP / PP / 2014 / 2 / Add.1 vom 15. Oktober 2014, S. 66. 1703  Zur Beförderung der Tendenz der Verschiebung der Umsetzungslast auf nationale Gerichte durch das ACCC siehe A. Schwerdtfeger, Implementation and the Separation of Powers, in: E. J. Lohse / M. Poto, Participatory Rights in the Environmental Decision-Making Process and the Implementation of the Aarhus Convention, 2015, 173 (184 f.).

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richterrechtliche Rechtsfortbildung reichten, um völkerrechtswidrige Entscheidungen im Einzelfall trotz der Untätigkeit des Gesetzgebers zu verhindern.1704 Auf die umfangreiche Diskussion zu der durch den siebten Senat des Bundesverwaltungsgerichts in der Rechtssache Luftreinhalteplan Darmstadt gewählten Lösung soll hier nicht im Einzelnen eingegangen werden.1705 Die danach erfolgte Anerkennung von § 47 Abs. 1 BImSchG als subjektives Recht einer Umweltvereinigung i. S. v. § 42 Abs. 2 Alt. 2 VwGO („in seinen Rechten) bleibt nach der hier vorgenommenen Auslegung von Art. 9 Abs. 3 AK einerseits hinter dessen Anforderungen zurück, da die Beschränkungen des § 113 Abs. 1 VwGO hinsichtlich des Prüfungsumfangs auf die als verletzt geltend gemachten Rechte bestehen bleiben1706 und geht andererseits über diese hinaus. Art. 9 Abs. 3 AK stellt sich nach hier vertretener Ansicht – wie bereits auch für Art. 9 Abs. 2 AK im Einzelnen dargelegt – als Verpflichtung zur Implementierung eines subjektiv-prozessualen Rechts, d. h. eines reinen Durchsetzungsanspruchs dar.1707 Es zielt auf die Durchsetzung umweltrechtlicher Vorschriften unabhängig von ihrem subjektiv-rechtlichen Charakter ab. Ziel der durch den EuGH angemahnten völkerrechtskonformen Auslegung nationalen Rechts ist vor diesem Hintergrund nicht die Anerkennung subjektiver materieller Rechte, sondern die Eröffnung eines Zugangs zu Gerichten. Dass das eine nicht ohne das andere geschieht, ist eine Verknüpfung, die erst durch das deutsche Verwaltungsprozessrecht, konkret § 42 Abs. 2 VwGO, hergestellt wird. Vor diesem Hintergrund kann die Beschränkung des Gerichtszu1704  Eine richterliche Notkompetenz erwogen J. Berkemann, Der slowakische Braunbär im deutschen Prozessrecht, DVBl 2013, 1137 (1147 f.); K. Rennert, Funk­ tionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (797); a. A. F. Schoch, Verwaltungsgerichtsbarkeit, quo vadis?, VBlBW 2013, 361 (367). 1705  Siehe nur C. Franzius, Stärkungen des Verfahrensrechtsschutzes im Umweltrecht, EurUP 2014, 283 (285 ff.); A. Schwerdtfeger, Implementation and the Separation of Powers, in: E. J. Lohse / M. Poto, Participatory Rights in the Environmental Decision-Making Process and the Implementation of the Aarhus Convention, 2015, 173 (179 ff.); K. F. Gärditz, Europäisierter Umweltrechtsschutz als Laboratorium des Verwaltungsprozessrechts, EurUP 2015, 196 (210); S. Schlacke, Zur fortschreitenden Europäisierung des (Umwelt-)Rechtsschutzes, NVwZ 2014, 11 ff.; M. Sauer, Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten im Umbruch?, ZUR 2014, 195 ff.; F. Bruckert, Die Ausweitung der Klagebefugnis im Umweltrecht, NuR 2015, 541 (543 ff.); K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (796 f.). 1706  A. Schwerdtfeger, Implementation and the Separation of Powers, in: E. J. Lohse / M. Poto, Participatory Rights in the Environmental Decision-Making Process and the Implementation of the Aarhus Convention, 2015, 173 (181 f.); C. Franzius, Stärkungen des Verfahrensrechtsschutzes im Umweltrecht, EurUP 2014, 283 (291 f.). 1707  Ob F. Ekardt, Verbandsklage vor dem EuGH: Mitgliedstaaten verklagen, EUInstitutionen verschonen?, NVwZ 2015, 772 (774) zu einem solchen Verständnis tendiert, wenn er Art. 9 Abs. 3 AK mit dem Begriff der „Klagebefugnisnorm“ kennzeichnet, wird leider nicht klar.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte533

gangs auf Fälle, in denen umweltrechtliche Normen mit einem materiell-personalen Anknüpfungspunkt vorhanden sind, zwar die nach nationalem Verfassungsrecht zu bestimmende Grenze markieren, die den Gerichten bei einer richterrechtlichen Rechtsfortbildung gesetzt ist, den Anforderungen des Art. 9 Abs. 3 AK würde gleichwohl nur eine Umsetzung gerecht, die entweder einen Durchsetzungsanspruch wie nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz eröffnet, oder eine Subjektivierung auf funktioneller Grundlage anerkennt und insoweit den bislang geltenden Begriff des subjektiv-öffentlichen Rechts i. S. d. mate­ riell-personalen Verständnisses überwindet.1708 Das hier vertretene Verständnis wird zudem auch der durch den EuGH formulierten Verpflichtung zur völkerrechtskonformen Auslegung in der Braunbär-Entscheidung gerecht und scheint auch der Entscheidung selbst zugrunde zu liegen. Neben den bereits diskutierten Kritikpunkten1709 hatten Kommentatoren der Entscheidung dem Gerichtshof insbesondere vorgeworfen, dass er bei der Formulierung der Verpflichtung zur völkerrechtskonformen Auslegung jeden Bezug zu dem zuvor in der Entscheidung noch in Bezug genommenen Art. 6 FFH-RL verliere1710 und die Entscheidung insoweit endgültig „in der Luft hänge“.1711 Mit dem hier niedergelegten Verständnis von Art. 9 Abs. 3 AK erklärt sich dies damit, dass es auf diese konkrete Vorschrift und ihre Eigenschaft als Recht Einzelner im europarechtlich verstandenen Sinne gar nicht ankommt.1712 Funktional ermöglichen es Art. 9 Abs. 2 und 3 AK damit für den Bereich des unionalen Umweltrechts im mitgliedstaatlichen Vollzug stets einen Gerichtszugang sicherzustellen, ohne dass es 1708  Dogmatisch kann dies zwar auch schon bislang als nur-formelles Recht verarbeitet werden. Mit dessen Anerkennung als subjektiv-öffentlichem Recht verliert dieser Begriff aber seine ihm eigene Begrenzungsfunktion. 1709  Vgl. hierzu bereits oben: Zweiter Teil, B. III. 1. a) bb) sowie Zweiter Teil, III. 2. b) aa) (2) (b). 1710  EuGH, Urteil vom 08.03.011 – C-240 / 09 (Slowakischer Braunbär), Rn. 49 ff. 1711  U. Seifert, Fortschritte beim Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten nach Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention?, ZEuS 2016, 49 (67); vgl. auch A. Schink, Der slowakische Braunbär und der deutsche Verwaltungsprozess, DÖV 2012, 622 (625). Als lediglich fallbezogenes Beispiel sieht dagegen den Verweis auf die FFH-RL J. Berkemann, Der slowakische Braunbär im deutschen Prozessrecht, DVBl 2013, 1137 (1147), der gleichwohl das Bemühen des Gerichtshofs darin sieht, eine klagefähige Position zu begründen. Ders., Die unionsrechtliche Umweltverbandsklage des EuGH, DVBl 2011, 1253 (1257). 1712  Die hier formulierte These steht freilich im Widerspruch dazu, dass der EuGH selbst mehrfach von den aus der Habitatrichtlinie erwachsenden Rechten spricht, EuGH, Urteil vom 08.03.011 – C-240 / 09 (Slowakischer Braunbär), Rn. 47. Angesichts dessen, dass der EuGH aber bis heute keine schlüssige Dogmatik über die Rechte Einzelner im Europarecht entwickelt hat, vermag dies nicht zwingend gegen den hier gemachten Erklärungsvorschlag zu sprechen. Vgl. zum wechselhaften dogmatischen Umgang nur J. Saurer, Der Einzelne im europäischen Verwaltungsrecht, 2014, S. 70 ff.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

insoweit noch auf das Vorliegen eines Rechts Einzelner i. S. d. europäischen Verständnisses ankommt.1713 dd) Zwischenergebnis zu Art. 9 Abs. 3 AK Die Untersuchung hat gezeigt, dass auch in der konkretisierenden Auslegung von Art. 9 Abs. 3 AK durch das ACCC sowie in der eher andeutungsvollen als klaren Auslegung durch den EuGH die Verpflichtung nicht auf die Gewährleistung einer „ultimative[n] Popularklage in Umweltangelegen­ heiten“1714 gerichtet ist. Auch lässt sich nicht ohne Weiteres davon sprechen, dass im Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 AK ein weitergehender Rechtsschutz als im Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 AK geschuldet sei.1715 Das Bild ist vielmehr ambivalent: Zunächst bleibt der Rechtsschutz nach Art. 9 Abs. 2 AK von den Weiterungen des Abs. 3 unberührt. Dieser begründet vielmehr einen eigenständigen Anwendungsbereich hinsichtlich weiterer Anfechtungsgegenstände. Insoweit handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen umweltrelevante Handlungen stark ausweitet. In deren Rahmen ist aber eine weitreichende Beschränkung der Antragsberechtigung genauso zulässig, wie die Zulassung eines Rechtsschutzes nur vor Verwaltungsbehörden, solange dieser noch den Anforderungen des Art. 9 Abs. 4 AK genügt. Auch der Prüfungsmaßstab ist gegenüber dem Rechtsschutz gem. Art. 9 Abs. 2 AK weitergehend auf umweltbezogene Bestimmungen beschränkbar. Ob die Empfehlungen des ACCC hinsichtlich der Notwendigkeit auch des Individualrechtsschutzes doch noch durch die Vertragsstaatenkonferenz angenommen werden, bleibt abzuwarten. Das Compliance-Verfahren ACCC / C / 2008 / 31 gegen Deutschland, dessen Abschluss durch die Vertragsstaatenkonferenz1716 von Klinger bereits tref1713  In einem anderen Sinne sehen auch J. Kokott / C. Sobotta, Rechtsschutz im Umweltrecht, DVBl 2014, 132 (136) perspektivisch eine Auflösung der Frage nach einer Schutznorm durch Art. 9 Abs. 3 AK. 1714  R. Müller-Terpitz, Beteiligungs- und Handlungsmöglichkeiten nichtstaatlicher Organisationen im aktuellen Völker- und Gemeinschaftsrecht, AVR 43 (2005), 466 (489), der in Art. 9 Abs. 3 jedoch nur eine grundsätzliche Verpflichtung zur Schaffung einer Anfechtungsmöglichkeit sieht. 1715  Wie hier J. Ebbesson, Access to Justice at the National Level, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 245 (269); a. A. A. Schwerdtfeger, Implementation and Separation of Powers, in: E. J. Lohse / M. Poto, Participatory Rights in the Environmental Decision-Making Process and the Implementation of the Aarhus Convention, 2015, 173 (176), die dies als Folge der Braunbär-Entscheidung des EuGH annimmt und kritisiert. 1716  Entscheidung VI / 8, ECE / MP.PP / 2017 / 2 / Add.1 Ziff. 9, der Vertragsstaatenkonferenz der Aarhus-Konvention, getroffen während der Konferenz in Montenegro vom 11. bis 13.9.2017.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte535

fend als Freispruch auf Bewährung bezeichnet wurde,1717 könnte sodann hinsichtlich der vorgenannten aber auch weiteren verbleibenden Zweifelsfragen eine Fortsetzung in künftigen Verfahren vor dem ACCC finden.

V. Zusammenfassung und Bewertung Die Untersuchung der Aarhus-Konvention in ihrer Auslegung insbesondere durch den EuGH und das ACCC hat gezeigt, dass vermeintlich weite Umsetzungsspielräume der Vertragsstaaten, wie sie vielfach gerade in Deutschland in der Vergangenheit angenommen wurden, von der Völker- und Europarechtspraxis nicht anerkannt bzw. in einem Prozess der Normkonkretisierung und -implementierung geschlossen wurden.1718 Die Konvention hat auf diese Weise eine normative Dichte erlangt, die partiell gar ihre unmittelbare Anwendbarkeit durch Gerichte und Behörden erlaubt und über diese und weitere implementationsunabhängige Wirkungen Umsetzungsmängel der nationalen legislativen Gewalten überwunden hat. Gleichwohl darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Wirksamkeit der Regelungen der Konvention und damit auch der völkerrechtsunmittelbaren und mittelbar völkerrechtlichen Rechtspositionen von (einfachen) Mitgliedern der Öffentlichkeit und auch Umweltvereinigungen in ihrer Entstehung und ihrem Fortbestand von ihrer auch inhaltlichen Umsetzung durch die Vertragsparteien abhängig war bzw. bleibt.1719 Innerhalb der Europäischen Union ist durch den Abschluss der Konvention sowohl durch die EU selbst als auch die Mitgliedstaaten ein komplexes Mehr­ebenenverhältnis entstanden, in dem Mitgliedern der Öffentlichkeit auf allen Ebenen rechtliche Wege eröffnet sind, die Durchsetzung der Vorgaben der Aarhus-Konvention zu fördern. Die erlangte Durchsetzungsstärke der Konventionsbestimmungen innerhalb der Europäischen Union, aber auch die Grenzen ihrer Wirksamkeit, können zunächst vor allen Dingen auf die Rechtsprechung des EuGH zurückgeführt werden, der Konventionsbestimmungen immer wieder mittelbar für eine völkerrechtskonforme Bestimmung des vielfach im Wortlaut identischen europäischen Sekundärrechts heranzog und 1717  R. Klinger, Freispruch auf Bewährung: Der Umweltrechtsschutz im Fokus des Völkerrechts, ZUR 2017, 577 (577 f.). 1718  B. Goby, Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten im Lichte der AarhusKonvention, 2015, S. 366. Vgl. auch die Bezeichnung der Aarhus-Konvention als ein „living instrument“ in Anlehnung an die Methodik regionaler Menschenrechtsgerichtshöfe bei K.-P. Sommermann, Transformative Effects of the Aarhus Convention in Europe, ZaöRV 2017, 321 (327). 1719  Nach hier vertretener Ansicht steht dies der Möglichkeit der Annahme selbst völkerrechtsunmittelbar gewährleisteter Rechte Einzelner und Gruppen nicht entgegen, siehe oben: Erster Teil, C. II. 2.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

dabei auch deren Inhalt konkretisierend bestimmte. Da die Aarhus-Konvention auf ein Konzept der dezentralen Rechtsdurchsetzung aufbaut, fand der Gerichtshof nach anfänglichem Zögern1720 in den Vorschriften der Konvention eine Möglichkeit, das auch von ihm in verschiedener Form verwandte Konzept zusätzlich argumentativ abzustützen. Die Anwendung einer stark teleologisch geprägten Auslegungsmethode auch bei Heranziehung der völkerrechtlichen Bestimmungen der AK durch den EuGH hat ebenfalls erheblich zur normativen Verdichtung der Vorgaben geführt.1721 Während sich der Gerichtshof in methodischer Hinsicht zudem vielfach noch des unverbindlichen Implementation Guides der Aarhus-Konvention bediente,1722 ist es bemerkenswert, obgleich nicht verwunderlich, dass der EuGH es bis heute vollständig unterlassen hat, auch die Berichtspraxis des ACCC bei seinen Entscheidungen ausdrücklich zu berücksichtigen. Während bislang mitunter von einem unausgesprochenen Zusammenwirken von EuGH und ACCC bei der Durchsetzung der Aarhus-Konvention ausgegangen wurde,1723 hat die vorliegende Untersuchung einen teilweise sich anbahnenden, teilweise bereits voll ausgeprägten institutionellen Konflikt zwischen ACCC und EuGH sichtbar gemacht. Dieser ist weder auf eine bestimmte Säule der Konvention beschränkt noch besteht er nur in Bezug auf die Vorgaben an das unionale Eigenverwaltungsrecht.1724 Die Verweigerung des Gerichtshofs, die normative Bedeutung der Berichtspraxis des ACCC, welche diese durch die Annahme von Ergebnissen und Empfehlungen durch die Vertragsstaatenkonferenz der Konvention erhält, anzuerkennen und in der 1720  J. Jendrośka, Public Participation in Environmental Decision-Making, in: M. Pallemaerts, The Aarhus Convention at Ten, 2011, 92 (147). 1721  Insbesondere zur Vorgabe eines weiten Zugangs zu Gericht K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (797), der deren Behandlung als Optimierungsgebot der Aarhus-Konvention attestiert, die für den Umweltschutz die parallele Funktion erfülle, wie der Grundsatz des effet utile im Europarecht. 1722  Siehe hierzu bereits oben: Zweiter Teil, B. III. 2. c) cc). 1723  B. W. Wegener, Die Aarhus-Konvention in der Rechtsprechung des EuGH, EurUP 2014, 226 (240); A. Epiney / S. Dilzig / B. Pirker / S. Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Einführung Rn. 42 f.; vgl. auch T. Bunge, Rechtsbehelfe in Umweltangelegenheiten: Vorgaben der Aarhus-Konvention und deutsches Recht, NuR 2014, 605 (611) sowie ders., Der Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten in Deutschland, ZUR 2015, 531 (534). 1724  Während ein sich anbahnender Konflikt für die Auslegung von Art. 4 Abs. 4 S. 1 lit. c) AK und die Anerkennung von spezifischen Versagungsgründen für die EU gegenüber Informationsbegehren in laufenden Vertragsverletzungsverfahren herausgearbeitet wurde, konnten bereits bestehende Konflikte bei der Bestimmung des erforderlichen Prüfungsumfangs nach Art. 9 Abs. 2 AK für den mitgliedstaatlichen Vollzug sowie den Anforderungen an den auf Gemeinschaftsebene im unionalen Vollzug zu gewährleistenden Rechtsschutz nach Art. 9 Abs. 3 AK aufgezeigt werden.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte537

eigenen Rechtsprechung zu berücksichtigen, ist dem Gerichtshof dabei Mittel zur Bewahrung seiner eigenen Suprematie in Fragen der Auslegung (auch) europäischen Rechts sowie der Unabhängigkeit der Unionsrechtsordnung gegenüber als für zu weitgehend befundenen völkerrechtlichen Vorgaben.1725 Im Ergebnis führt dies bislang dazu, dass im Bereich des EU-Eigenverwaltungsrechts nach wie vor erhebliche Umsetzungsmängel beim Zugang zu Umweltinformationen aus laufenden Vertragsverletzungsverfahren und im Bereich des Zugangs zu Gerichten bestehen. Durch die vorläufige Nichtannahme der Empfehlungen des ACCC im Compliance-Verfahren gegen die EU durch die Vertragsstaatenkonferenz dürfte sich hieran auch so schnell nichts ändern. Wie gezeigt werden konnte, hat man sich gerade in Deutschland in jüngerer Zeit – gezwungenermaßen – stärker mit der Berichtspraxis des ACCC auseinandergesetzt und aus den auf die deutsche Rechtslage bezogenen Empfehlungen mit der Novellierung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes auch Konsequenzen gezogen. Eine Anerkennung der normativen Bedeutung der angenommenen Ergebnisse der Berichte des ACCC kann hieraus aber wohl noch nicht geschlussfolgert werden.1726 In inhaltlicher Hinsicht konnte gezeigt werden, dass die Regelungen der Aarhus-Konvention teils völkerrechtsunmittelbar Rechte Einzelner gewährleisten,1727 teilweise auf deren Implementierung im Recht der Vertragsparteien abzielen1728 und teilweise den Vertragsstaaten zwar die Möglichkeit verbleibt, Rechtspositionen rein objektiv-rechtlich auszugestalten,1729 das aber auch diese durch prozessuale subjektive Rechte zu bewehren sind.1730 In dieser konsequenten subjektiven Wendung prozeduraler Pflichten liegt die Besonderheit der Konvention.1731 Hinter den so begründeten Rechtspositionen steht ein Konzept der funktionalen Subjektivierung, dass, anders 1725  Vgl. J. Berkemann, NGO scheitern mit umweltrechtlicher Nichtigkeitsklage vor dem EuGH, ZUR 221 (230). 1726  Als Nagelprobe kann man hier Auslegungsfragen betrachten, in denen zwischen ACCC und EuGH inhaltliche Unterschiede bestehen, wie dies für den Prüfungsumfang nach Art. 9 Abs. 2 AK auf Begründetheitsebene festgestellt werden konnte. 1727  So für Art. 4 Abs. 1 sowie Art. 9 Abs. 1 AK. 1728  So für Art. 9 Abs. 2, 3 AK. 1729  So für Art. 6 und auch Art. 7 S. 1–3 AK. 1730  Weitergehend jetzt C. Walter, Grundlagen und Rahmenbedingungen für die Steuerungskraft des Völkerrechts, ZaöRV 2016, 363 (381 f.), der in allen drei Säulen „echte individuelle Rechtspositionen“ auf völkerrechtlicher Ebene begründet sieht. 1731  M. Scheyli, Aarhus-Konvention über Informationszugang, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz in Umweltbelangen, AVR 38 (2000), 217 (227); M. Zschiesche, Öffentlichkeitsbeteiligung in umweltrelevanten Zulassungsverfahren, 2015, S. 80; C. Sartoretti, The Aarhus Convention between protection of Human Rights and protection of the Environment, in: E. J. Lohse / M. Poto, Participatory Rights in the

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

als in der deutschen Rechtstradition des subjektiv-öffentlichen Rechts, subjektive Rechtspositionen nicht allein zur Durchsetzung materiell-personaler Interessen und Rechtsgüter anerkennt,1732 sondern um es Einzelnen und Umweltvereinigungen in abgestufter Weise1733 zu ermöglichen, einen Beitrag zur Verwirklichung des Rechts eines jeden Angehörigen der gegenwärtigen und auch künftiger Generationen auf ein Leben in einer der Gesundheit und dem Wohlbefinden zuträglichen Umwelt zu leisten. Die Ausgestaltung der konkreten Rechtspositionen folgt damit nicht einer Unterscheidung privater und öffentlicher Interessen. Den Begünstigten werden vielmehr Rechtsposi­ tionen verliehen, mit deren Hilfe gerade auch die Verwirklichung traditionell als öffentlich verstandener Interessen wie der Natur- und Artenschutz unterstützt werden soll. Nicht diese Interessen selbst, wohl aber das Interesse an ihrer Durchsetzung wird den Begünstigten zugewiesen und so ihr status procuratoris mit subjektiver Rechtsmacht ausgestattet. Art. 9 Abs. 2 und 3 AK reichen hierbei am weitesten und erlauben jedenfalls Umweltvereinigungen die prozessuale Geltendmachung der Verletzung auch solcher umweltbezogener Interessen und Rechtsgüter, deren Subjektivierung nach bestrittener, aber überwiegender Ansicht selbst im Modell der europarechtlichen Interessentenklage bislang nicht vorgesehen war.1734 In negativer Sicht bleibt gleichwohl festzuhalten, dass die prozeduralen Regelungen der Aarhus-Konvention kein materielles Recht auf den Schutz biologischer Vielfalt gewährleisten oder überhaupt ergebnisorientierte Maßstäbe vorgeben.1735 Der Staat wird nicht verpflichtet Maßnahmen zu ergreifen, die unmittelbar zum Schutz biologischer Vielfalt führen. Mithilfe der durch die Aarhus-Konvention völkerrechtsunmittelbar gewährleisteten und den durch die Vertragsstaaten der Konvention zu implementierenden prozeduralen Regelungen und Rechten kann nur ein mittelbar-faktischer Schutz der Biodiversität und ihrer Bestandteile erreicht werden. Dieser ist im doppelten Sinne bedingt: Zum einen wird er nur dann und nur insoweit bewirkt, Environmental Decision-Making Process and the Implementation of the Aarhus Convention, 2015, 45 (54). 1732  Hierzu unter Erster Teil, B. I. 1733  Wie genau diese Abstufung zwischen Umweltvereinigungen und sonstigen Mitgliedern der (betroffenen) Öffentlichkeit vorzunehmen ist, so konnte gezeigt werden, ist freilich noch nicht endgültig entschieden. 1734  Vgl. auch M. Ruffert, Verwaltungsrecht im europäischen Verwaltungsverbund, Die Verwaltung 48 (2015), 547 (558), der meint, dass mit der Rechtsprechung des EuGH zur Umsetzung der AK eine zweite Phase der funktionalen Subjektivierung eingeleitet worden sei. Vgl. nun auch A. Epiney, Rechte Einzelner im EU-Umweltrecht, EurUP 2017, 223 (225 ff., 232) unter besonderer Berücksichtigung der EuGHEntscheidung Slowakischer Braunbär II. 1735  Dies entspricht der rechtstheoretischen Konzeption prozeduralen Rechts, dazu oben: Zweiter Teil, B. I. 2.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

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wie die dem Steuerungskonzept der Konvention zugrunde liegenden steuerungstheoretischen Annahmen zutreffen.1736 Zum anderen – wo es nicht um individuelle Verhaltensänderungen aufgrund eines verbesserten Umweltbewusstseins geht, sondern um die Einwirkung auf das Verhalten Dritter durch die Stärkung des Gesetzesvollzugs – nur insoweit, wie das jeweilige nationale Recht einen materiellen Schutz biologischer Vielfalt bereits vorschreibt und die Durchsetzung dieser Normen durch die Einbeziehung der Öffentlichkeit verbessert werden kann. Die Umsetzung des Steuerungskonzepts bringt es mit sich, dass ein tatsächlich bewirkter Biodiversitätsschutz aus rechtlicher Sicht stets nur Rechtsreflex der allein gewährleisteten prozeduralen Rechte sein kann. Weder statuiert die Aarhus-Konvention Verpflichtungen der Berechtigten bzw. zu Berechtigenden,1737 die ihnen gewährten Positionen zum Schutze der Umwelt zu nutzen,1738 um so die steuerungstheoretischen Annahmen normativ zu stärken, noch verpflichtet die Konvention die Vertragsstaaten zur Regelung bestimmter materieller Schutzstandards. Die Konvention adressiert so das im deutschen Verwaltungsprozessrecht bestehende Ungleichgewicht zu Lasten von Umweltschützern, nicht aber das materiellrechtliche Ungleichgewicht, das durch die nur beschränkte Anerkennung materieller umweltrelevanter Schutzgehalte der Grundrechte einerseits und der starken grundrechtlichen Stellung von Umweltnutzern andererseits begründet wird.1739 Auch mit diesen Einschränkungen ist das Potenzial der prozeduralen Rechte für einen Schutz biologischer Vielfalt in seiner Breite gleichwohl ganz erheblich, wenn auch allein aus rechtlicher Perspektive nicht zu erfassen.1740 Die Zugänglichkeit von Umweltinformationen über den Zustand und die Gefährdungsfaktoren biologischer Vielfalt können zu einem allgemeinen 1736  Zu den diesbezüglich geäußerten Vorbehalten oben: Zweiter Teil B. I. 2. a). Vgl. nun auch A. Epiney / S. Dilzig / B. Pirker / S. Reitenmeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Art. 1 Rn. 4. 1737  Lediglich die Präambel verweist, wie bereits erwähnt, in ihrem Absatz 7 auf die Pflicht jedes Menschen, die Umwelt zum Wohle gegenwärtiger und künftiger Generationen zu schützen und zu verbessern. 1738  Dass die Nutzung von Umweltinformationen nicht zulasten der Umwelt erfolgt, wird ebenfalls nur vereinzelt mittels eines Ablehnungsgrundes bzgl. des Umweltinformationsanspruchs nach Art. 4 Abs. 1 AK gem. Art. 4 Abs. 4 lit. h) adressiert. Die Ablehnung ist danach möglich, wenn die Bekanntgabe der Informationen negative Auswirkungen auf die Umwelt, etwa auf die Brutstätten seltener Tiere, auf die sich diese Informationen beziehen, hätte. Vgl. die Umsetzung in § 8 Abs. 1 Nr. 4 UIG. 1739  Hierzu oben: Erster Teil, B. I. 1. 1740  Eine anschauliche Verdeutlichung des Wertes prozeduraler Garantien findet sich bei U. Beyerlin, Umweltschutz und Menschenrechte, ZaöRV 65 (2005), 525 (537).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Bewusstseinswandel hinsichtlich ihrer Bedeutung führen und so zu individuellen Verhaltensänderungen bei Konsumentscheidungen, zum Ausgangspunkt von Verschärfungen des gesetzlichen Biodiversitätsschutzes oder zur Grundlage für die effektive Ausübung der prozeduralen Rechte der zweiten und dritten Säule der AK werden. Mit der Anerkennung der Verpflichtungen der Vertragsstaaten nach Art. 6 Abs. 1 lit. b) AK könnte der Anwendungsbereich der Regelungen über die Öffentlichkeitsbeteiligungen noch einmal erheblich auch auf nicht UVP-pflichtige Vorhabenzulassungen ausgeweitet werden. Insgesamt können sich so Einzelne und Umweltvereinigungen an einer Vielzahl von Zulassungs- und Planungsverfahren beteiligen und bei diesen zu einer Verbreiterung der behördlichen Entscheidungsgrundlage und der Kon­ trolle der behördlichen Objektivität bei umweltrelevanten Entscheidungen beitragen. Mithilfe der prozessualen Rechte der dritten Säule wird schließlich nicht nur eine effektive Durchsetzung der Rechtspositionen der ersten beiden Säulen sichergestellt. Vielmehr kann darüber hinaus auch bei einer Vielzahl erfasster behördlicher und gem. Art. 9 Abs. 3 AK auch privater Handlungen eine Kontrolle und gerichtliche Durchsetzung objektiver Normen des Biodiversitätsschutzes initiiert werden. Auf diese Weise können nur, aber immerhin, im Rahmen des geltenden materiellen Rechts alle Ursachen des Verlusts biologischer Vielfalt adressiert und darüber hinausgehende gesellschaftliche und auch rechtliche Veränderungen1741 angestoßen werden. Nicht nur ist der zu erreichende Schutz biologischer Vielfalt aber mehrfach bedingt. Die Schaffung prozeduraler Rechte stellt vielmehr auch keineswegs allein eine Freiheitserweiterung der Begünstigten dar, sondern bringt notwendigerweise auch Freiheitsbeschränkungen mit sich. Zunächst steht nach dem Modell juristischer Relationen nach Hohfeld1742 dem Recht stets auch eine Pflicht korrelierend gegenüber. Der Freiheitserweiterung auf der einen entspricht die Freiheitsbeschränkung auf der anderen Seite. Dies ist keine Besonderheit der prozeduralen Rechte der Aarhus-Konvention. Bei diesen ist Verpflichteter in der Regel der Staat, beim Informationszugang aber auch Private, die in ihrer Freiheit beschränkt werden. Bei der Einbeziehung der Öffentlichkeit in staatliche Verfahren im Rahmen der zweiten Säule und mehr noch bei der Eröffnung eines Gerichtszugangs in Umweltangelegenheiten zur Durchsetzung objektiven (Umwelt-)Rechts nach der 1741  Dazu, dass insbesondere der sensible Bereich der Gesetzgebung in der Aarhus-Konvention weitestgehend ausgespart wird, obwohl hier die relevanten Abwägungsentscheidungen zwischen ökologischen und ökonomischen Interessen getroffen werden A. E. Boyle, Human Rights and the Environment: A Reassessment, Fordham Environmental Law Review 18 (2007), 471 (471). 1742  W. N. Hohfeld, Fundamental Legal Conceptions as Applied in Judicial Rea­ soning, The Yale Law Journal 26 (1917), 710–770; siehe hierzu auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, 187 ff.



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

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dritten Säule der Konvention ist, obgleich allein der Staat rechtlich zum Handeln verpflichtet wird, regelmäßig in umweltrelevanten Fällen auch der Umweltnutzer in einem dreiseitigen Verwaltungs- bzw. Prozessrechtsverhältnis beteiligt. Obgleich nicht unmittelbar durch das Recht der Begünstigten verpflichtet, ist es geradezu das Ziel der Verfahren, dass der Staat zur Konkretisierung und Aktualisierung der Verpflichtungen des Umweltnutzers angehalten und damit die Freiheitsschranken des Umweltnutzers durchgesetzt werden. Soweit dies geschieht, wird nur der demokratisch legitimierte Normbefehl vollzogen.1743 Besondere Fragen der Legitimation stellen sich hier nur mit Blick auf die Einbeziehung Privater in diesen Prozess. Wurde eine solche Einbeziehung Privater über das Modell der altruistischen Verbandsklage in der Vergangenheit ausgiebig kritisch diskutiert, kann sie heute wohl als weitgehend akzeptiert angesehen werden.1744 Die Diskussionen kreisen inzwischen sehr viel stärker um die Legitimation funktionaler subjektiver Rechte Einzelner bzw. die Legitimation der solche Rechte durchsetzenden gerichtlichen Entscheidungen.1745 Deren Legitimation stellt sich als umso problematischer dar, je stärker man an einer eindeutigen Trennbarkeit privater und öffentlicher Interessen festhält und das legitimatorische Modell von Rechtsschutz an diese Unterscheidung und an die sich hierauf stützende Konzeption des subjektiv-öffentlichen Rechts anknüpft. Gegen ein Festhalten an dieser Unterscheidung sprechen jedoch nicht nur ihre hohe Ungenauigkeit und Anfälligkeit für willkürliche Grenzziehungen,1746 sondern auch, dass ein solches Modell den Bedinungen einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft, in welcher der Einzelne für die Bewahrung seiner Selbstbestimmung nicht nur in ungeheurem Maße auf staatliche Leistungen, sondern der Staat genauso auch zur Erfüllung seiner Aufgaben auf die Mitwirkung seiner Bürger und deren Kooperation angewiesen ist, nicht gerecht wird. Wenn die Konzeption der Aarhus-Konvention insoweit auch ein Eingeständnis ist, dass staatliche Einheiten allein mit der Bewältigung von Umweltpro1743  M. Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsraum, JZ 2012, 380 (385). 1744  J. Krüper, Neudefinition des „subjektiven öffentlichen Rechts“, in: M. Kloep­ fer, Rechtsschutz im Umweltrecht, 2014, 163 (174); K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (796, 800). Vgl. aber aus neuester Zeit die kritischen Überlegungen bei K. F. Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (8) sowie ders.,  Europäisierter Umweltrechtsschutz als Laboratorium des Verwaltungsprozessrechts, EurUP 2015, 196 (204 ff.). 1745  J. Krüper, Neudefinition des „subjektiven öffentlichen Rechts“, in: M. Kloep­ fer, Rechtsschutz im Umweltrecht, 2014, 163 (175 ff.); K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (799 ff.); K. F. Gärditz, Europäisierter Umweltrechtsschutz als Laboratorium des Verwaltungsprozessrechts, EurUP 2015, 196 (211 ff.). 1746  Hierzu bereits oben: Erster Teil, B. I. 3.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

blemen überfordert sind,1747 und der mangelnde Vollzug objektiven Um­ weltrechts zu einer Beeinträchtigung von Legitimationszusammenhängen führt,1748 so begründet dies einen Bedarf an (ergänzender) legitimationskompensatorischer Funktion, welche auch durch die Partizipation Einzelner an der Gemeinwohlproduktion im Verwaltungsprozess erbracht werden kann.1749 Der einzelne Bürger erbringt insoweit eine Leistung im Interesse der Allgemeinheit, indem er eine gerichtliche Kontrolle anstößt und gewisse Prozessrisiken übernimmt. Dabei wird nicht das Verhältnis des Staates zu seinem Bürger als bourgeois verhandelt, der Bürger nimmt vielmehr als politisch bewusster citoyen eine Rolle im Prozess wahr, ohne dass ihm das Ergebnis zum unmittelbaren Vorteil gereicht.1750 Es kann so auf Umwegen eine Verbesserung des von Einzelinteressen abstrakten Ausgleichs zwischen den Interessen von Umweltnutzern und Umweltbetroffenen bzw. -schützern ­ stattfinden,1751 den Vollzugsdefizite bislang verhinderten. Problematischer scheint die Situation freilich, soweit zeit- und kostenaufwändige Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung nicht zu einer Erweiterung der Entscheidungsgrundlagen von Behörden und damit auch nicht zu einer umfassenderen Berücksichtigung der Umwelt führen oder am Ende langwieriger gerichtlicher Verfahren eine Verletzung objektiven (Umwelt-)Rechts letztlich nicht festgestellt und (unmittelbar oder mittelbar) auf die Rechte der Konvention gestützte Klagen deshalb abgewiesen werden. In diesen Fällen 1747  Vgl. M. Zschiesche, Öffentlichkeitsbeteiligung in umweltrelevanten Zulassungsverfahren, 2015, S. 81, der die Feststellung der Überforderung explizit auf demokratische Staaten westlicher Prägung bezieht. Mit dieser „Prägung“ dürfte vor allen Dingen auch die Gewährleistung von Grund- und Menschenrechten des Einzelnen gemeint sein. Darin schwingt die verbreitete Überlegung mit, dass Staaten, die solcherlei Rechte nicht in gleichem Maße anerkennen, die notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen, die für die Bewältigung existenzieller Umweltprobleme notwendig sind, effektiver herbeiführen können – wohlgemerkt auf Kosten der Freiheit des Einzelnen. Vgl. zu solchen Überlegungen auch J. Randers, 2052 – A global forecast for the next forty years, 2012. 1748  Siehe noch einmal die bereits oben zitierten Stellen bei J. Krüper, Gemeinwohl im Prozess, 2009, S. 249; ders., Neudefinition des „subjektiven öffentlichen Rechts“, in: M. Kloepfer, Rechtsschutz im Umweltrecht, 2014, 163 (172 ff.) sowie C. Franzius, Modernisierung des subjektiven öffentlichen Rechts, UPR 2016, 281 (283). 1749  In dieselbe Richtung weisen auch die differenzierten Überlegungen bei J. Krüper, Neudefinition des „subjektiven öffentlichen Rechts“, in: M. Kloepfer, Rechtsschutz im Umweltrecht, 2014, 163 (175 ff.). 1750  Mit Luhmann kann hier ein Verzicht auf den Leitgedanken konkreter Reziprozität im Rechtsinstitut des subjektiven Rechts festgestellt werden, N. Luhmann, Zur Funktion der „subjektiven Rechte“, JhbRSoz 1 (1970), 321 (329). 1751  Vgl. N. Luhmann, Zur Funktion der „subjektiven Rechte“, JhbRSoz 1 (1970), 321 (329).



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

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steht den faktischen Freiheitsbeschränkungen des Umweltnutzers in spe kein verbesserter Schutz der Umweltgüter gegenüber. Es findet deshalb kein nach hier vertretener Ansicht legitimer Interessenausgleich, sondern eine letztlich unnötige Belastung des Umweltnutzers mit den Mühen des Verfahrens statt. Die möglichen Gründe für einen solchen Verfahrensausgang sind vielfältig und müssen keineswegs auf ein missbräuchliches Gebrauchmachen von den in der Aarhus-Konvention vorgesehenen Rechten hindeuten. Ist die Verfahrensinitiierung jedoch allein oder überwiegend durch die dadurch zu bewirkenden Verfahrensverzögerungen motiviert, so liegt ein offensichtlicher Missbrauch der Rechte vor. Dieser kann in Einzelfällen dazu führen, dass ein betroffenes Vorhaben letztlich nicht umgesetzt wird. Kommen solche Fälle in einer größeren Zahl vor, so kann dies durchaus die Legitimation prokuratorischer Rechte in Frage stellen, da sie ihre Berechtigung aus der Annahme eines Interessenausgleichs beziehen, der durch eine größere Zahl an Missbräuchen vereitelt würde. Zudem würde ein solcher Fall auch eine grundrechtliche Schutzpflicht des Staates zugunsten der Umweltnutzer aktivieren, derlei Missbrauch zu verhindern. Bisherige empirische Untersuchungen von Verbandsklagen haben allerdings in keiner Form bestätigt, dass ein Missbrauch gerade der Gerichtszugangsrechte in einer größeren Zahl von Fällen vorkommt. Nicht nur halten sich solche Verfahren bislang schon rein mengenmäßig in Grenzen und haben nicht zur vielfach befürchteten Überfrachtung der Verwaltungsgerichte geführt,1752 entsprechende Klagen weisen vielmehr auch im Vergleich mit sonstigen Klagen eine signifikant erhöhte Erfolgshäufigkeit auf, sodass sich der Missbrauchseinwand jedenfalls bislang nicht bestätigt hat.1753 Gleichwohl ist es nicht zuletzt im Interesse auch des Biodiversitätsschutzes, dass hier weitergehende empirische Untersuchungen stattfinden. Mit der vollstän1752  M. Ruffert, Verwaltungsrecht im europäischen Verwaltungsverbund, Die Verwaltung 48 (2015), 547 (560 m. w. N.); für die Rechtspraxis zwischen Ende 2006 und April 2012 siehe M. Führ / J. Schenten / F. Schulze / S. Schütte, NVwZ 2014, 1041 (1042 f.) sowie ausführlich M. Führ / J. Schenten / M. Schreiber / F. Schulze / S. Schütte, Evaluation von Gebrauch und Wirkung der Verbandsklagemöglichkeiten nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG), UBA Texte 14 / 2014, 50 ff.; J. Krüper, Neudefinition des „subjektiven öffentlichen Rechts“, in: M. Kloepfer, Rechtsschutz im Umweltrecht, 2014, 163 (175); M. Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsraum, JZ 2012, 380 (385 m. w. N.); gegen die Befürchtung einer drohenden Prozessflut bereits E. Hagenah, Prozeduraler Umweltschutz, 1996, S. 105. Gleichwohl skeptisch K. F. Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (9), der eine Gefahr der Überforderung von Gerichten bei der Kontrolle prozeduraler Vorgaben „auf Kosten rechtssicher einklagbarer materieller Standards“ sieht. 1753  Zur im Untersuchungszeitraum bis 2012 überdurchschnittlichen Erfolgsquote von Rechtsbehelfen nach dem UmwRG M. Führ / J. Schenten / F. Schulze / S. Schütte, NVwZ 2014, 1041 (1043).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

digen Umsetzung insbesondere von Art. 9 Abs. 3 AK, aber auch durch die Handhabung von Art. 6 Abs. 1 lit. b) AK im Sinne der Rechtsprechung des EuGH, findet eine erhebliche Ausweitung des Anwendungsbereichs der zweiten und dritten Säule der AK statt, sodass hier schon deshalb neue Untersuchungen erforderlich sind. Im Interesse des Biodiversitätsschutzes sind diese, weil ihr Missbrauch keineswegs nur zur Verhinderung allein umweltschädlicher – gleichwohl rechtlich zulässiger – sondern auch solcher Vorhaben führen kann, die zwar unbestreitbar auch einen negativen lokalen Effekt auf Naturhaushalt und Landschaftsbild besitzen und deshalb auch zu den Ursachen für den Verlust biologischer Vielfalt gehören, gleichzeitig aber dem Klimawandel entgegenwirken sollen und damit auch eine Ursache für den Verlust biologischer Vielfalt adressieren, deren Bedeutung stetig zunimmt. Gemeint sind hier alle Formen von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien, insbesondere Windenergieanlagen, die jedenfalls in Deutschland einen erheblichen Anteil zum künftigen Energiemix nach den Vorstellungen der Bundesregierung beitragen sollen.1754 Sollten prokuratorische Rechte aber im Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 3 AK nicht nur zugunsten von Umweltvereinigungen, sondern, entgegen der hier vertretenen Ansicht, auch zugunsten einzelner Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit einzuführen sein, ließe sich ein erhöhtes Risiko des Missbrauchs kaum von der Hand weisen.1755 Schließlich gilt es auch zu beachten, dass der Staat als durch die prozeduralen Rechte Verpflichteter die notwendigen Kapazitäten zur Verwirklichung der Rechte vorhalten muss. Dies betrifft zum einen die staatlichen Behörden. Zur Gewährleistung des Informationszugangs müssen diese nicht nur die entsprechenden Anträge bearbeiten, sondern auch als Vorbedingung für deren Erfüllung Umweltinformationen sammeln und bereithalten. Auch die Durchführung von Öffentlichkeitsbeteiligungen führt in vielen Fällen zu einer großen Zahl an Stellungnahmen der Öffentlichkeit, die es rechtssicher zu bearbeiten gilt. Auch dies verlangt erhebliche Verwaltungskapazitäten.1756 Zur Gewährleistung der prozessualen Rechte der dritten Säule der AarhusKonvention müssen schließlich auch die Gerichte erhebliche Kapazitäten 1754  Siehe BReg., Energiekonzept für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung, Oktober 2011, S. 6, 9 sowie den in § 4 Nr. 1 EEG2017 festgelegten Ausbaupfad für die Windenergie an Land. 1755  Zu diesem etwa auch M. Böhm, Bürgerbeteiligung nach Stuttgart 21, NuR 2011, 614 (616). Für insoweit grundsätzlich weniger anfällig erachtet wird insoweit die altruistische Verbandsklage als eine Art „vorstrukturierte Popularklage mit organisiertem Ernsthaftigkeitsnachweis“, K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (798). 1756  Hierauf verweist auch M. Böhm, Bürgerbeteiligung nach Stuttgart 21, NuR 2011, 614 (616).



B. Schutz mittels prozeduraler Rechte

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einsetzen. Für Deutschland ist der hiermit verbundene Wandel gerade deshalb von so großem Ausmaß, da in den enstprechenden Verfahren die sonst für das Verletztenklagesystem übliche und in § 113 Abs. 1 VwGO vorgesehene Beschränkung der gerichtlichen Prüfung auf Verletzungen des Klägers in eigenen Rechten in den Anwendungsbereichen von Art. 9 Abs. 2 und 3 AK jedenfalls bei altruistischen Verbandsklagen nicht zulässig und deshalb eine umfassende Prüfung der Vorhaben angezeigt ist. Neben der reinen Arbeitsbelastung ist hiermit zudem für die deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit auch ein Funktionswandel verbunden, dessen legitimatorische Dimension bereits kurz angesprochen wurde.1757 Zur Abmilderung beider Erscheinungen wird insbesondere eine Absenkung der verwaltungsgerichtlichen Prüftiefe vorgeschlagen.1758 Da deren Niveau durch die Aarhus-Konvention nicht ausdrücklich vorgeschrieben wird, würde sich aus ihr diesbezüglich allenfalls eine Untergrenze entnehmen lassen.1759 Geschieht dies, könnte sich in der Tat die Frage stellen, ob die mit einer Absenkung der Prüftiefe erkaufte Ausweitung des gerichtlichen Rechtsschutzes in Umweltangelegenheiten „per saldo“ überhaupt noch zu einem Mehr an Umweltschutz führt.1760 Zwar ist dieses Risiko durchaus real, es dürfte gleichwohl von der Ausgestaltung einer solchen Absenkung abhängen. In seiner Allgemeinheit hatte jedenfalls bereits GA E. Sharpston in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache Trianel das von Deutschland auch dort vorgebrachte Argument zurückgewiesen und da1757  Dessen Intensität ist freilich davon abhängig, inwieweit letztlich nicht nur eine Ausweitung der Rechtsbehelfe von Umweltvereinigungen, sondern auch Einzelner durch die Aarhus-Konvention notwendig ist, vgl. J. Krüper, Neudefinition des „subjektiven öffentlichen Rechts“, in: M. Kloepfer, Rechtsschutz im Umweltrecht, 2014, 163 (175). 1758  C. Steinbeiß-Winkelmann, Verwaltungsgerichtsbarkeit zwischen Überlasten, Zuständigkeitsverlusten und Funktionswandel, NVwZ 2016, 713 (719 f.); vgl. auch V. Skouris, Auswirkungen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auf die Funktion der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl 2016, 937 (938). Für eine sektorale Ausdifferenzierung von Kontrollfunktion und Kontrolldichte plädiert K. F. Gärditz, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit unter dem Einfluss des Unionsrechts – Umfang des Verwaltungsrechtsschutzes auf dem Prüfstand, Gutachten D zum 71. Deutschen Juristentag, in: Verhandlungen des 71. Deutschen Juristentages, Essen 2016, Band I, Gutachten, Teil D, 2016, D 101. Skeptisch gegenüber der Notwendigkeit der Absenkung der Prüftiefe angesichts der zahlreichen Spielräume der Verwaltung R. Klinger, Umweltverträglichkeitsprüfung und Rechtsschutz, ZUR 2014, 535 (535). 1759  S. Almeling, Die Aarhus-Konvention, 2008, S. 55. 1760  K. Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DVBl 2015, 793 (798). Gegen diese Argumentation wird allerdings bereits grundlegend eingewandt, dass es an belastbaren Studien über die sektoral unterschiedliche Prüftiefe im deutschen Verwaltungsrechtsschutz im Vergleich zu anderen Ländern fehlt, B. W. Wegener, Nein, nein, nein!? – Kein Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit unter dem Einfluss des Unionsrechts? JZ 2016, 829 (831 f.).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

bei den deutschen Verwaltungsrechtsschutz mit seiner gerade im Vergleich zum Rechtsschutz in anderen Ländern erheblich weiterreichenden Prüftiefe wegen der Beschränkungen des Gerichtszugangs insoweit als „Ferrari mit geschlossenen Türen“ bezeichnet.1761 Auch wenn den vorstehenden Diskussionen hier nicht im Einzelnen nachgegangen werden soll, beziehen sie sich doch in erster Linie auf die Umsetzung der Vorgaben der Aarhus-Konvention im nationalen Recht, veranschaulichen sie doch die Erheblichkeit der Einwirkungen der Konventionsvorschriften nicht nur auf das nationale Recht, sondern auch die mit der Ausführung und Durchsetzung befassten Institutionen. Dabei ist der vielfach als negativ wahrgenommene Veränderungsdruck zugleich auch – positiv gewendet – Ausdruck ihrer Innovationsleistung.1762 Ihre Umsetzung hat zu einer nicht dagewesenen Öffnung staatlicher Tätigkeit im Umweltbereich für die Mitwirkung der Öffentlichkeit geführt, bei der die Konvention nicht nur an bereits zuvor im europäischen Recht begonnene Wandelungsprozesse angeknüpft, sondern gerade mit den Regelungen der dritten Säule erhebliche Neuerungen mit geradezu umstürzender Wirkung mit sich gebracht hat. Sie ersetzt nicht die politische Auseinandersetzung über das richtige Maß an Umwelt- und Biodiversitätsschutz im Verhältnis zu anderen gesellschaftlichen Belangen. Die Definition des Gemeinwohls verbleibt so beim demokratisch legitimierten Gesetzgeber, eine Privatisierung des Gemeinwohls findet nicht statt. Gerade dies unterscheidet den prozeduralen vom materiell-rechtlichen, weitestgehend theoretisch gebliebenen Ansatz eines Rechts auf eine gesunde Umwelt. Chancen und Risiken der prozeduralen Rechte liegen in ihrer Mobilisierungsfunktion begründet. Die Chancen sollten nicht wegen eines historisch gewachsenen Misstrauens gegenüber der Verantwortlichkeit bürgerschaftlichen Handelns verpasst werden. Es muss jedoch auch weitergehend über Wege nachgedacht werden, die ebenfalls vorhandenen Risiken im Einklang mit der Aarhus-Konvention zu begrenzen.

1761  GA

E. Sharpston, Schlussanträge vom 16.12.2010 – C-115 / 09, Rn. 77, 80. innovative Stärkung der Wächterfunktion zivilgesellschaftlicher Akteure nicht nur für das Umweltvölkerrecht betont M. Zschiesche, Öffentlichkeitsbeteiligung in umweltrelevanten Zulassungsverfahren, 2015, S. 79 f. Zusammenfassend zu den (historischen) Innovationsfaktoren im Rahmen des Aarhus-Prozesses N. Wiesinger, Innovation im Verwaltungsrecht durch Internationalisierung, 2013, 340 ff. 1762  Die



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker

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C. Der Schutz biologischer Vielfalt mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker und lokaler Gemeinschaften In Abschnitt C. des zweiten Teils sollen nun die kollektivrechtlichen Ansätze des inter-amerikanischen sowie des afrikanischen Menschenrechtssystems einerseits (II.) sowie des Nagoya-Protokolls zur Biodiversitätskonvention andererseits (III.) näher betrachtet werden. Gemeinsam ist ihnen, dass sie Rechtspositionen von indigenen und lokalen Gemeinschaften betreffen, deren Lebensweise durch eine besondere Beziehung zu der sie umgebenden Natur gekennzeichnet ist. Diese Beziehung und ihre Rezeption durch die Völkerrechtsordnung ist zunächst näher darzulegen (I.).

I. Indigene Völker und lokale Gemeinschaften im Umweltvölkerrecht Weltweit leben ca. 370 Millionen Angehörige indigener Völker.1763 Für die vorliegende Untersuchung weiterhin von Bedeutung sind zudem solche nicht-indigenen und lokalen Gemeinschaften, deren Lebensweise, vergleichbar mit der indigener Völker, durch ein besonders enges Verhältnis zu der sie umgebenden Natur geprägt ist. Viele dieser Gemeinschaften leben seit langer Zeit inmitten von Landschaften großer Biodiversität. Das Verhältnis zu ihrer Umwelt und die daraus für sie durch den Verlust biologischer Vielfalt erwachsenden Gefahren (1.) sowie die zunehmende Anerkennung der Bedeutung solcher Gemeinschaften für den Schutz biologischer Vielfalt im internationalen Recht (2.) legen die Basis für das Verständnis der spezifischen, auf sie bezogenen rechtlichen Instrumente. 1. Die Beziehung indigener Völker zu ihrer Umwelt Trotz der erheblichen Unterschiede zwischen den weltweit über 4.000 verschiedenen indigenen sowie den nicht-indigenen lokalen Gemeinschaften gilt ihr besonders enges Verhältnis zu der sie umgebenden Natur als eine diese Gemeinschaften verbindende Gemeinsamkeit. Diese Beziehung wird als ein Kernbestandteil ihrer Gesellschaften und Kulturen beschrieben, die bedeutende Auswirkungen auf ihr soziales, kulturelles, spirituelles, ökonomisches 1763  H. A. Strydom, Environment and Indigenous Peoples, MPEPIL, 2013, Rn. 1; abweichend hiervon H.-J. Heintze, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 8 Rn. 35, nach dem Schätzungen von 100–200 Millionen Menschen in mehr als 40 Staaten ausgehen.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

und politisches Leben hat.1764 Die Ökosysteme der traditionellen Siedlungsgebiete und Lebensräume indigener Völker sind danach nicht nur Grundlage der von ihnen in vielen Varianten betriebenen Subsistenzwirtschaft, ohne dass eine Möglichkeit bestünde, deren Funktion im Falle ihrer Zerstörung zu substituieren. Die Bedeutung ihres Landes geht für diese Gemeinschaften vielmehr regelmäßig über eine rein wirtschaftliche Bedeutung hinaus1765 und ist Quelle ihrer Spiritualität, Religiosität und Bezugsobjekt ihres traditionellen Wissens, mithin Grundlage ihrer spezifischen Kultur überhaupt.1766 Dem aus dieser Beziehung gespeisten, zumeist mündlich von Generation zu Generation weitergegebenen Wissen (sog. traditionelles Wissen)1767 und den hierauf zurückgehenden Bewirtschaftungspraktiken wird attestiert, dass auf ihrer Grundlage für Jahrtausende eine nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen betrieben werden konnte.1768 Zu solcherlei Techniken gehören etwa der bewusste Einsatz kleinerer Buschfeuer, welche lokale Ökosysteme in einer 1764  Erica-Irene A., Daes, UN Special Rapporteur, Sub-Commission on the Promotion and Protection of Human Rights, Indigenous peoples and their relationship to land, Final working paper, 2001, E / CN.4 / Sub.2 / 2001 / 21, Rn. 12 f.; ACtHPR, no. 006 / 2012: African Commission on Human and Peoples’ Rights / Republic of Kenya, Urteil vom 26. Mai 2017, Rn. 109. 1765  D. L. Shelton, The Inter-American Human Rights Law of Indigenous Peoples, University of Hawaii Law Review 35 (2013), 937 (937). 1766  Erica-Irene A., Daes, UN Special Rapporteur, Sub-Commission on the Promotion and Protection of Human Rights, Indigenous peoples and their relationship to land, Final working paper, 2001, E / CN.4 / Sub.2 / 2001 / 21, Rn. 12; diese Erkenntnis ist inzwischen vielfach durch die Streitbeilegungsorgane des inter-amerikanischen Menschenrechtssystems rezipiert worden, siehe I / A Court H.R., Case of the Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua. Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 31, 2001. Series C No. 79, Rn. 149; IACmHR, Report No. 40 / 04, Case No. 12.053, Belize, 12.10.2004 (Maya indigenous community of the Toledo District v. Belize), Rn. 114 f.; I / A Court H.R., Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and reparations. Judgment of June 27, 2012. Series C No. 245, Rn. 148 m. w. N. und speziell zum Volk der Sarayaku Rn. 150 ff.; für das afrikanische Menschenrechtssystem African Commission on Human and Peoples’ Rights (ACHPR), Indigenous Peoples in Africa: The Forgotten Peoples?, 2006, S. 10; Report of the African Commission’s Working Group on Indigenous Populations / Communities, 2003, DOC / OS(XXXIV) / 345, S. 11 sowie 27. 1767  Ausführlicher hierzu unten: Zweiter Teil, C. III. 2. b) bb) (2). 1768  F. Berkes / C. Folke / J. Colding, Linking social and ecological systems, 1998, S. 99; F. Berkes / G. P. Kofinas / F. S. Chapin III, Conservation, community, and Livelihoods: Sustaining, Renewing, and Adapting Cultural Connections to the Land, in: dies., Principles of Ecosystem Stewardship, 2009, 129 (134); K. Koutouki / K. Rogalla von Bieberstein, The Nagoya Protocol: Sustainable Access and Benefit-Sharing for Indigenous and Local Communities, Vermont Journal of Environmental Law 13 (2012), 513 (520); siehe auch die zahlreichen Nachweise bei I. Ruiz-Mallén / E. Corbera, Community-Based Conservation and Traditional Knowledge, Ecology and Society 18 (2013), Nr. 4, Artikel 12, S. 1.



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker

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Weise aus ihrem Gleichgewicht bringen, dass Erneuerungsprozesse natür­ licher Kreisläufe in Gang gesetzt werden und so das Fortbestehen der biologischen Vielfalt gesichert wird.1769 Eine Weitergabe dieses für den Bestand der Kulturen zentralen Wissens ist gleichwohl nur dann möglich, wenn die verschiedenen Aspekte der Beziehung dieser Gemeinschaften zu ihrem Land von ihren Mitgliedern unmittelbar erfahren werden können.1770 Grundiert wird die Beziehung zu ihrer Umwelt und ihren Wissenssystemen in vielen indigenen Kulturen von einem Verständnis der Welt als einem einheitlichen, miteinander verbundenen und voneinander abhängigen lebenden Gebilde,1771 das in vielen Punkten dem modernen Ökosystemverständnis nahe kommt. Angesichts ihrer Lebensweise werden indigene und lokale Gemeinschaften verbreitet als „Beschützer verwundbarer Ökosysteme“1772 und als „Wächter weitläufiger Lebensräume“1773 wahrgenommen. Ihre Lebensweise wird dabei kontrastiert mit den nicht nachhaltigen Lebensmodellen in industrialisierten Gesellschaften,1774 ihre Ethik der treuhänderischen Verantwortung für die Erhaltung der Natur1775 der „jüdisch-christlichen Kosmologie von der Hoheit des Menschen über die Natur“ gegenübergestellt.1776 Gleichzeitig 1769  F. Berkes / G. P. Kofinas / F. S. Chapin III, Conservation, community, and Livelihoods: Sustaining, Renewing, and Adapting Cultural Connections to the Land, in: dies., Principles of Ecosystem Stewardship, 2009, 129 (134) illustriert anhand verschiedener Fallstudien; A. Meyer, International Environmental Law and Human Rights: Towards the Explicit Recognition of Traditional Knowledge, RECIEL 10 (2001), 37 (38 f.). 1770  D. L. Shelton, The Inter-American Human Rights Law of Indigenous Peoples, University of Hawaii Law Review 35 (2013), 937 (937); Maya indigenous community of the Toledo District v. Belize, Case 12.053, Report No. 40 / 04, Inter-Am. C.H.R., OEA / Ser.L / V / II.122 Doc. 5 rev. 1 at 727 (2004), Rn. 114; hierzu auch E. C. O. Alanís, Indigenous Peoples’ Rights and the Extractive Industry: Jurisprudence From the InterAmerican System of Human Rights, GOJIL 5 (2013), 187 (194 f.). 1771  Sahtouris, E. Earthdance, Living Systems in Evolution, Chapter 19, The Indigenous Way, verfügbar unter: www.ratical.org / LifeWeb / Erthdnce / chapter19.html, zuletzt abgerufen am 29.03.2018. 1772  Note from the Workshop on Traditional Knowledge and Biological Diversity, Report of the Workshop, UNEP / CBD / TKBD / 1 / 3, 1997, S. 2. 1773  IUCN Inter-Commission Taskforce on Indigenous Peoples, Indigenous peoples and sustainability: cases and actions (1997), S. 35. 1774  L. Heinämäki, Protecting the Rights of Indigenous Peoples – Promoting the Sustainability of the Global Environment?, International Community Law Review 11 (2009), 3 (8) m. w. N. 1775  Im Englischen wird dies zumeist als „ethics of stewardship“ bezeichnet, für die sich eine gleichwertige Übersetzung in der deutschen Sprache nicht findet. 1776  L. Heinämäki, Protecting the Rights of Indigenous Peoples – Promoting the Sustainability of the Global Environment?, International Community Law Review 11 (2009), 3 (13); in diesem Sinne auch S. K. Bavikatte, Stewarding the earth, 2014, S. 17.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

aber gelten sie aufgrund ihrer engen Beziehung zu ihrer natürlichen Umwelt und ihrer Abhängigkeit von lokalen natürlichen Ressourcen als besonders verletzbar durch den Verlust biologischer Vielfalt.1777 Da viele der noch existierenden indigenen Völker die Gebiete mit der weltweit höchsten Artenvielfalt bewohnen, leiden beide gleichermaßen unter den Umweltveränderungen in diesen Gegenden.1778 Die als Ursachen für den Verlust biologischer Viefalt herausgearbeiteten Gründe wie insbesondere die Übernutzung natürlicher Ressourcen, der Verlust natürlicher Lebensräume durch ihre Zerstörung und auch die Belastung natürlicher Lebensräume mit Schadstoffen und Pathogenen gefährden genauso auch das Fortbestehen der Kulturen indigener Völker1779 und ihres traditionellen Wissens.1780 Aus diesem Befund wird nicht nur gefolgert, dass ein Schutz der Bestandteile biologischer Vielfalt unmittelbar auch solchen Gemeinschaften helfen würde. Vielmehr wird auch umgekehrt davon ausgegangen, dass eine Stärkung der Rechte indigener und nicht-indigener lokaler Gemeinschaften diesen helfen würde, ihre Rolle als „Hüter der Natur“ weiterhin wahrzunehmen und damit einen aktiven Beitrag zur Erhaltung der Biodiversität zu leisten. Dabei wird dem traditionellen 1777  M. Janki, Draft Paper on: Indigenous Peoples Rights and the Environment: issues and the future, zuletzt verfügbar unter: www.unep.org, nicht länger abrufbar, S. 2; F. Berkes / G. P. Kofinas / F. S. Chapin III, Conservation, community, and Livelihoods: Sustaining, Renewing, and Adapting Cultural Connections to the Land, in: dies., Principles of Ecosystem Stewardship, 2009, 129 (129). 1778  Insoweit handelt es sich bei den umweltrelevanten Aspekten der Rechtsprechung der Menschenrechtsgerichtshöfe zu den Landnutzungsrechten Indigener nicht lediglich um Zufälligkeiten, so zu Recht R. Pavoni, Environmental Jurisprudence of the European and Inter-American Courts of Human Rights, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 (97). Siehe auch die Ziele 14 und 18 der im Rahmen der CBD verabschiedeten „Aichi biodiversity targets“, wonach bis 2020 die für das Leben lokaler Gemeinschaften essentiellen Ökosysteme zu sanieren und zu erhalten sind und das traditionelle Wissen indigener und lokaler Gemeinschaften auf internationaler und nationaler Ebene rechtlich zu schützen ist. 1779  Dies spiegelt sich nicht zuletzt auch in den Entscheidungen der inter-amerikanischen Menschenrechtsorgane und der Afrikanischen Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker wider, in denen sich indigene und nicht-indigene Stammesgesellschaften vielfach gegen den Abbau von Rohstoffen wie Gold, Bauxit, Holz und Öl oder die Realisierung von Infrastrukturprojekten und die damit einhergehenden Umweltzerstörungen in den von ihnen traditionell genutzten Gebieten wenden, vgl. E. C. O. Alanís, Indigenous Peoples’ Rights and the Extractive Industry: Jurisprudence from the Inter-American System of Human Rights, GOJIL 5 (2013), 187 (196). 1780  Zur Gefährdung des Fortbestandes traditionellen Wissens indigener Völker durch den Verlust von Land, Ressourcen, Umweltverschmutzung und nicht angepasste Entwicklungspolitiken B. Tobin, Setting Protection of TK to Rights – Placing Human Rights and Customary Law at the Heart of TK Governance, in: E. C. Kamau / G. Winter, Genetic Resources, Traditional Knowledge, and the Law, 2009, 101 (109).



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker551

Wissen dieser Völker über ihre Umwelt und die dort vorherrschenden Bedingungen eine Schlüsselrolle für den potentiellen Beitrag indigener Völker für einen nachhaltigen Umgang mit der Umwelt zugeschrieben.1781 Gleichwohl gilt es zu beachten, dass die vorgenannten Zuschreibungen keineswegs ohne Widerspruch geblieben sind. So wird etwa die vorstehend dargestellte Beschreibung der Beziehung indigener Völker und ihrer Umwelt als romantische Generalisierung kritisiert und die Wichtigkeit betont zu berücksichtigen, dass keineswegs alle indigenen Lebensweisen mit dem Schutz der Umwelt kompatibel seien.1782 So beeinträchtige auch die Nutzung natürlicher Ressourcen für Zwecke der Subsistenzwirtschaft und kulturelle Zwecke die Umwelt – wenn auch in weitaus geringerem Maße als dies durch industrialisierte „moderne“ Gesellschaften stattfinde.1783 Historische Befunde legten zudem nahe, dass auch traditionell von indigenen Völkern bewohnte Ökosysteme durch die Anwendung ihrer Bewirtschaftungspraktiken erheblich transformiert worden seien.1784 Beispielhaft wird angeführt, dass das Überleben gefährdeter Tierarten durchaus auch durch traditionelle und mehr noch durch technisch fortschrittliche Jagdtechniken, die auch von indigenen und örtlichen Gemeinschaften angewandt werden, gefährdet werden können.1785 Schließlich sei zu berücksichtigen, dass kommerziell geprägter Konsum, die Ausbeutung natürlicher Ressourcen und Formen der eigennützigen 1781  N. Kuei-Jung, Traditional Knowledge and Global Lawmaking, Northwestern University Journal of International Human Rights, 2011, 85 (86, 90 f.); I. Ruiz-Mallén / E. Corbera, Community-Based Conservation and Traditional Ecological Knowledge: Implications for Social-Ecological Resilience, Ecology & Society 18 (2013), Ausgabe 4, Nr. 12, S. 1. 1782  B. J. Richardson, Indigenous Peoples, International Law and Sustainability, RECIEL 10 (2001), 1 (3). 1783  Vgl. hierzu die Sachverhalte der Entscheidungen in der Rechtsprechung des IACtHR: I / A Court H.R., Case of the Kaliña and Lokono Peoples v. Suriname. Merits, Reparations and Costs. Judgment of November 25, 2015. Series C No. 309, Rn. 169 ff., insbesondere 173 ff. zum Ansatz des IACHR zur Herstellung eines Ausgleichs, der auf der Annahme der wichtigen Rolle Indigener beim Schutz der Natur beruht. Vgl. weiterhin ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009. Hierzu auch E. Morgera, Against all odds: The contribution of the convention on biological diversity to international human rights law, in: D. Alland /  V. Chetail / u. a., Unity and Diversity of international law, 2014, 983 (989, Fn. 41). 1784  B. J. Richardson, Indigenous Peoples, International Law and Sustainability, RECIEL 10 (2001), 1 (4); L. Heinämäki, Protecting the Rights of Indigenous Peo­ ples – Promoting the Sustainability of the Global Environment?, International Community Law Review 11 (2009), 3 (13), jeweils m. w. N. 1785  Mit Bezug auf Regime, die verschiedene Formen der Jagd durch indigene Völker gestatten B. J. Richardson, Indigenous Peoples, International Law and Sustainability, RECIEL 10 (2001), 1 (8).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Bereicherung, selbst wenn diese in der Vergangenheit nicht Teil indigener Kultur waren,1786 in der Zukunft einer sich immer schneller verändernden und bereits veränderten Welt und durch die voranschreitende Assimilierung indigener Gemeinschaften in die Mehrheitsgesellschaften Teil auch dieser Gemeinschaften werden könnten. Eine eigene Bewertung der Richtigkeit der jeweiligen Annahmen kann hier nicht geleistet werden. Für die Zwecke der vorliegenden rechtlichen Untersuchung ist es jedoch auch ausreichend festzustellen, welche Sichtweise im internationalen Recht (hierzu sogleich) und den hier konkret untersuchten Instrumenten (hierzu unter II. und III.) ihren normativen Niederschlag gefunden hat. 2. Die Anerkennung indigener und lokaler Gemeinschaften im Völkerrecht Trotz der zuletzt dargestellten Einwände gegen eine jedenfalls ungetrübte Erwartung allein positiver Auswirkungen auf die biologische Vielfalt durch die stärkere Einbindung indigener und nicht-indigener Gemeinschaften kann der überaus positive Blick auf die mögliche Rolle solcher Gemeinschaften im globalen Schutz der Biodiversität zweifelsohne als die dominante Annahme des gegenwärtigen umweltvölkerrechtlichen Diskurses angesehen werden.1787 Gleichwohl hatten insbesondere indigene Völker in der Vergangenheit nicht zu allererst die Bühne des Umweltvölkerrechts betreten. Vielmehr waren sie bereits zuvor – im wahrsten Sinne des Wortes – zum Gegenstand anderer Instrumente des Völkerrechts geworden.1788 Erstmals anerkannt in verschiedenen Instrumenten zum Schutz von Minderheiten und historisch eingebettet in den Prozess der Dekolonialisierung entfernten sich die Ansätze dabei nur langsam von einer Philosophie der Assimilierung1789 und zielten, 1786  Kritisch jedoch bereits zu dieser Annahme J. P. Kastrup, The Internationalization of Indigenous Rights from the Environmental and Human Rights Perspective, Texas International Law Journal 32 (1997), 97 (114); B. J. Richardson, Indigenous Peoples, International Law and Sustainability, RECIEL 10 (2001), 1 (3). 1787  L. Heinämäki, Protecting the Rights of Indigenous Peoples – Promoting the Sustainability of the Global Environment?, International Community Law Review 11 (2009), 3 (3). 1788  Siehe allgemein hierzu H.-J. Heintze, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 8 Rn. 35 ff. 1789  So etwa noch ILO Convention No. 107 Concerning the Protection and Integration of Indigenous and Other Tribal and Semi-tribal Populations in Independent Countries, 26 June 1957, 328 UNTS 247, vgl. hierzu E. C. O. Alanís, Indigenous Peoples’ Rights and the Extractive Industry: Jurisprudence from the Inter-American



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker553

wie ILO-Übereinkommen 169 über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern von 1989, auf die Förderung ihrer eigenen Entwicklung – jedoch unter ausdrücklichem Ausschluss des völkerrecht­ lichen Rechts auf Selbstbestimmung – und die Kontrolle indigener Völker über die Länder ihrer Vorfahren und die dort befindlichen Ressourcen ab (Art. 13 ff. ILO 169).1790 Eine breitere Annahme in der Staatenwelt im Wege der Ratifikation blieb der Konvention allerdings versagt.1791 Im Bereich des Umweltvölkerrechts betonte zunächst Grundsatz 22 der Rio-Erklärung die „grundlegende Rolle“ indigener und ortsansässiger Gemeinschaften bei der Bewirtschaftung der Umwelt wegen „ihres Wissens und ihrer überlieferten Bräuche“ und rief Staaten – rechtlich unverbindlich – dazu auf, die Identität, die Kultur und die Interessen dieser Gruppen und Gemeinschaften anzuerkennen und ihre Teilhabe an der Herbeiführung einer nachhaltigen Entwicklung zu ermöglichen. Während so die positive Rolle indigener Gemeinschaften für den Schutz der Umwelt erstmals im rechtlichen Zusammenhang prominent skizziert wurde, unterstrich Kapitel 26 der ebenfalls auf der Konferenz in Rio de Janeiro 1992 beschlossenen Agenda 21 die wirtschaftliche und kulturelle Abhängigkeit indigener Völker von den sie umgebenden Ökosystemen. Im hier relevanten Kontext des Schutzes biologischer Vielfalt wurden zudem in Art. 8 lit. (j) CBD1792 – wenn auch auf äußerst unbestimmte und wenig verbindliche Weise – erstmals rechtliche Verpflichtungen der Staaten begründet,1793 biodiversitätsbezogene Kenntnisse, Sitten und Gebräuche indigener und lokaler Gemeinschaften zu achten, zu bewahren und die Teilung der aus der Nutzung dieses traditionellen Wissens entstehenden Vorteile zu fördern.1794 System of Human Rights, GOJIL 5 (2013), 187 (189). Diese Konvention sollte insbesondere Mindeststandards gegen die Ausbeutung der Arbeitskraft Angehöriger indigener Völker schaffen, H.-J. Heintze, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 8 Rn. 35. 1790  H.-J. Heintze, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 8 Rn. 36; B. J. Richardson, Indigenous Peoples, International Law and Sustainability, RECIEL 10 (2001), 1 (5); E. C. O. Alanís, Indigenous Peoples’ Rights and the Extractive Industry: Jurisprudence from the Inter-American System of Human Rights, GOJIL 5 (2013), 187 (190). 1791  Derzeit haben 22 haupstächlich süd- und mittel-amerikanische Staaten die Konvention ratifiziert, H.-J. Heintze, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 8 Rn. 36. 1792  Weitere, wenn auch weniger prominente Regelungen mit Bedeutung für indigene und ortsansässige Gemeinschaften finden sich in Art. 10 lit. c) und d) CBD. 1793  S. K. Bavikatte, Stewarding the earth, 2014, S. 17. 1794  Darauf, dass Art. 8 lit. (j) CBD die Keimzelle für die späteren Regelungen des Nagoya-Protokolls betreffend die ABS-Regelung für traditionelles Wissen indigener und lokaler Gemeinschaften darstellt, wird zurückzukommen sein.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Als nicht-staatliche Akteure hatten Vertreter indigener Interessen sich bereits längere Zeit aktiv darum bemüht, dass ihren auf nationaler Ebene vielfach missachteten Belangen jedenfalls vor der internationalen Staatengemeinschaft Gehör verschafft wurde.1795 Diskussionen über die Situation indigener Völker wurden schließlich in verschiedenen Foren institutionalisiert. Neben dem ständigen Forum für indigene Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UNPFII), einem Beratungsgremium des UN Wirtschafts- und Sozialausschusses (ECOSOC), wurden Diskussionen im Rahmen der Menschenrechtskommission anlässlich der Arbeiten am Entwurf zu einer Erklärung über die Rechte indigener Völker im Jahr 1993 geführt.1796 Diese enthielt unter anderem Verweise auf die Rechte indigener Völker, ihre traditionellen Gebiete zu besitzen, entwickeln, kontrollieren und zu nutzen (Art. 26). Im Jahr 2007, parallel zu und mit Auswirkungen auf die Verhandlungen des Nagoya-Protokolls,1797 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen schließlich die Erklärung der Rechte indigener Völker (UNDRIP) und anerkannte in Art. 3 ausdrücklich auch das Selbstbestimmungsrecht indigener Völker.1798 In jüngerer Zeit haben auch der IACtHR1799 1795  H. A. Strydom, Environment and Indigenous Peoples, MPEPIL, 2013, Rn. 1; H.-J. Heintze, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 8 Rn. 37; R. McCorquodale, The Individual and the International Legal System, in: M. D. Evans, International Law, 4. Aufl. 2014, 280 (296); vgl. auch Erica-Irene A., Daes, UN Special Rapporteur, Sub-Commission on the Promotion and Protection of Human Rights, Indigenous peoples and their relationship to land, Final working paper, 2001, E / CN.4 / Sub.2 /  2001 / 21, Rn. 12; ausführlich zur Teilhabe indigener Völker an völkerrechtlichen Rechtssetzungsprozessen L. A. Miranda, Indigenous Peoples as international law­ makers, U. Pa J. Int’l L. 32 (2010), 203 ff. 1796  UN Doc E / CN4 / Sub2 / 1994 / 2 / Add1. 1797  Vgl. den Verweis auf UNDRIP in der Präambel des Nagoya-Protokolls. Die Bedeutung dieses erstmaligen Verweises auf UNDRIP in einem internationalen Vertrag wird betont von K. Koutouki / K. Rogalla von Bieberstein, The Nagoya Protocol: Sustainable Access and Benefit-Sharing for Indigenous and Local Communities, Vermont Journal of Environmental Law 13 (2012), 513 (525). 1798  UNGA A / Res / 61 / 295 vom 13.09.2007, United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples; H.-J. Heintze, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 8 Rn. 37; UNDRIP wurde zunächst durch Australien, Kanada, die USA sowie Neuseeland nicht angenommen. Mittlerweile haben diese Staaten jedoch ihre Unterstützung signalisiert, R. McCorquodale, The Individual and the International Legal System, in: M. D. Evans, International Law, 4. Aufl. 2014, 280 (296); siehe nur zur veränderten Haltung der USA U.S. Department of State vom 16.12.2010 Announcement of U.S. support for the United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples, abrufbar unter https: /  / www.state.gov / r / pa / prs / ps / 2010 / 12 / 153027.htm, zuletzt abgerufen am 05.01.2017. Seit der Übernahme der Trump-Administration in den USA ist das Dokument nicht mehr abrufbar. 1799  I / A Court H.R., Case of the Kaliña and Lokono Peoples v. Suriname. Merits, Reparations and Costs. Judgment of November 25, 2015. Series C No. 309, Rn. 177 ff. Dabei scheint das Gericht den Regelungen der in Bezug genommenen Instrumente in



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker555

und die ACmHPR1800 und zuletzt auch der ACtHPR1801 die auf diese Weise rechtlich anerkannte Rolle Indigener für den Schutz der Umwelt zur Grundlage seiner Rechtsprechung gemacht und der Möglichkeit von Staaten Grenzen gesetzt, unter Berufung auf den Schutz der Umwelt Landnutzungsrechte Indigener zu beschränken. Kann somit gezeigt werden, dass insbesondere die Rechte indigener Völker bereits breitere Anerkennung in unterschiedlichen völkerrechtlichen Foren und rechtlichen Instrumenten gefunden haben, aber auch die Rolle nichtindigener ortsansässiger Gemeinschaften für den Schutz biologischer Vielfalt völkerrechtlich generell positiv konnotiert wurde, ist im Folgenden zu untersuchen, welche konkreten Rechte solcher Gemeinschaften völkerrechtlich anerkannt wurden.

II. Verwirklichung des Greening-Ansatzes durch die Anerkennung kollektiver Menschenrechte indigener Gemeinschaften Anders als der EGMR haben die Rechtsprechungsorgane des inter-amerikanischen und des afrikanischen Menschenrechtssystems eine umweltre­ levante Rechtsprechung insbesondere bei der Bestimmung der kollektiven Rechte indigener Völker entwickelt. Diese soll im Folgenden näher betrachtet werden. 1. Das inter-amerikanische und das afrikanische Menschenrechtssystem Sowohl das inter-amerikanische als auch das afrikanische Menschenrechtssystem sehen Verfahren der Individualbeschwerde gegen die Verletzung von Garantien der jeweiligen Menschenrechtsgewährleistungen vor. Auf diesem Wege soll den Berechtigten insbesondere Rechtsschutz gewährt werden. Über den Einzelfall hinaus erlauben die Entscheidungen jedoch auch allgemeine Rückschlüsse auf die Verpflichtungen der Staaten zur Implementierung der ihnen obliegenden Verpflichtungen, um künftige Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Rn. 181 dergestalt Bedeutung beimessen zu wollen, dass die dortigen Anforderungen etwa zur effektiven Beteiligung oder zur Aufteilung von Vorteilen erfüllt werden sollten, um einen Ausgleich zwischen den Naturschutzinteressen einerseits und den Rechten Indigener andererseits herzustellen. 1800  ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009. 1801  ACtHPR, no. 006 / 2012: African Commission on Human and Peoples’ Rights / Republic of Kenya, Urteil vom 26. Mai 2017.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Das inter-amerikanische Menschenrechtssystem ist im Rahmen der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) institutionalisiert. Die hier zu betrachtenden vertraglichen Bestimmungen, denen die Rechtsprechungsorgane umweltrelevante Rechte indigener Völker entnommen haben, entstammen der Amerikanischen Erklärung der Rechte und Pflichten des Menschen1802 (American Declaration, AD) sowie der Amerikanischen Menschenrechtskonvention (Pakt von San Jose, AMRK). Konkret sollen die in beiden Verträgen vorkommenden Garantien des Eigentums betrachtet werden.1803 Ein Seitenblick wird schließlich auch auf Art. 11 des Protokolls von San Salvador als Positivierung des Menschenrechts auf eine gesunde Umwelt zu werfen sein. Als Organe der OAS obliegt gem. Art. 106 der Charter der OAS der InterAmerikanischen Kommission für Menschenrechte (Kommission, IACmHR) und dem Inter-Amerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte (Gericht, Gerichtshof, IACtHR) die Überwachung der Einhaltung der Verträge.1804 Die Rechte der Menschenrechtskonvention und auch ihr Rechtsschutzsystem sind in vielen Punkten der EMRK nachgebildet.1805

1802  Dieses ursprünglich unverbindliche Menschenrechtsinstrument wird inzwischen als Quelle verbindlicher rechtlicher Verpflichtungen betrachtet, Maya Indigenous Communities in the Toledo District v. Belize, IACHR Case 12.053, 12. Oktober 2004, Report Nr. 4004, Rn. 85; E. C. O. Alanís, Indigenous Peoples’ Rights and the Extractive Industry: Jurisprudence from the Inter-American System of Human Rights, GOJIL 5 (2013), 187 (194). 1803  Siehe Art. XXIII der Amerikanischen Erklärung der Rechte und Pflichten des Menschen sowie Art. 21 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention. 1804  Art. 106 Charter der OAS benennt freilich nur die Inter-Amerikanische Menschenrechtskommission ausdrücklich. Bzgl. des Gerichtshofes wird lediglich festgelegt, dass in einer zu schaffenden Menschenrechtskonvention auch über die Kompetenzen und Organisation anderer für die Einhaltung der Menschenrechte verantwort­ licher Organe zu entscheiden ist. Dem wurde schließlich mit den Art. 52 ff. AMRK sowie dem Statut des Inter-Amerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte nachgekommen, Statute of the Inter-American Court on Human Rights, O.A.S. Res. 448 (IX-0 / 79), O.A.S. Off. Rec. OEA / Ser.P / IX.0.2 / 80, Vol. 1, S. 98, Annual Report of the Inter-American Court on Human Rights, OEA / Ser.L / V.III.3 doc. 13 corr. 1, S. 16 (1980), abgedruckt in: Basic Documents Pertaining to Human Rights in the InterAmerican System, OEA / Ser.L.V / II.82 doc.6 rev.1, S. 133 (1992); vgl. zum institu­ tionellen System des inter-amerikanischen Menschenrechtsschutzes auch T. Thompson, Getting over the hump, Journal of Transnational Law & Policy 19 (2009), 179 (190 ff.) sowie D. L. Shelton, The Inter-American Human Rights Law of Indigenous Peoples, University of Hawaii Law Review 35 (2013), 937 (943 ff.). 1805  Mit Blick auf das Rechtsschutzsystem stand allerdings noch das alte EMRKSystem aus Menschenrechtskommission und Gerichtshof Pate, K. Ipsen, in: ders., Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 37 Rn. 17 f.



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker557

Gem. Art. 44 AMRK, Art. 23 der Verfahrensordnung der Inter-Amerikanischen Menschenrechtskommission1806 können natürliche und juristische Personen grundsätzlich nach Erschöpfung der nationalen Rechtsschutzmöglichkeiten1807 eine Individualbeschwerde gegen einen Staat vor die Kommission bringen. Darüber hinaus steht dieses Recht auch Nichtregierungsorganisationen zu, die in mindestens einem Mitgliedstaat der OAS rechtlich anerkannt sind. Die Beteiligten können im Wege der Prozessstandschaft auch die Verletzung von Rechten Dritter geltend machen,1808 was deutlich über ihre Möglichkeiten im Rahmen der EMRK hinausgeht.1809 Zwar ist eine actio popularis auch hier nicht zulässig, denn auch hier muss grundsätzlich die Verletzung eines Menschenrechts konkret identifizierbarer Personen geltend gemacht werden.1810 Die Rechtsprechungsorgane machen hiervon jedoch im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Gruppenrechten wie den Landnutzungsrechten indigener Völker offensichtlich eine Ausnahme und lassen hier die Identifizierbarkeit der Gruppe als solche ausreichen.1811 Ein direkter Weg zum Gerichtshof fehlt dagegen nach Art. 61 AMRK. Die Kommission muss vielmehr zunächst über die eingereichte Petition entscheiden und, soweit sie vom Vorliegen einer Menschenrechtsverletzung ausgeht, eine formell nicht bindende Empfehlung über die zur Abhilfe zu ergreifenden Maßnahmen an den betroffenen Staat richten. Erst wenn aus Sicht der Kommission eine Abhilfe nicht in ausreichendem Maße geschieht,1812 kann sie den Fall dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen. 1806  Rules of Procedure of the Inter-American Commission on Human Rights, 2009 in der Fassung aufgrund der Änderung vom März 2013. 1807  Art. 31 der Prozessordnung der Menschenrechtskommission. 1808  Art. 23 der Prozessordnung der Menschenrechtskommission; C. Schall, Public Interest Litigation Concerning Environmental Matters before Human Rights Courts: A Promising Future Concept?, Journal of Environmental Law 20:3 (2008), 417 (422). 1809  R. Pavoni, Environmental Jurisprudence of the European and Inter-American Courts of Human Rights, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 (93). 1810  Siehe nur Metropolitan Nature Reserve v Panama, Case 1.533, Report no 88 / 03, IACtHR, Rn. 3, 28 ff., OEA / SerL / V / II.118 Doc 70 Rev 2 (2003); R. Pavoni, Environmental Jurisprudence of the European and Inter-American Courts of Human Rights, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 (93 ff.), der jedoch die Entscheidung des IACHR für nicht verallgemeinerbar hält; C. Schall, Public Interest Litigation Concerning Environmental Matters before Human Rights Courts: A Promising Future Concept?, Journal of Environmental Law, 20:3 (2008), 417 (423). 1811  R. Pavoni, Environmental Jurisprudence of the European and Inter-American Courts of Human Rights, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 (95 f.). 1812  Die Voraussetzungen einer solchen Vorlage sind nicht im Einzelnen bestimmt. Der Gerichtshof hat sich hierzu aber in einem Gutachten geäußert, IACtHR, advisory

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Während der Gerichtshof ausschließlich auf Grundlage der AMRK und dem Protokoll von San Salvador entscheidet und damit nur gegenüber denjenigen Staaten Entscheidungsgewalt besitzt, die gem. Art. 62 AMRK diesen Vertragswerken beigetreten sind und – weiterhin – seine Gerichtsbarkeit anerkannt haben,1813 judiziert die Kommission in erster Linie auf Grundlage der für alle Mitglieder der OAS verpflichtenden Menschenrechtserklärung. Die Kommission kann darüber hinaus aber auch die Konvention in Fällen heranziehen, in denen der im Verfahren beteiligte Staat dieser beigetreten ist. Formale Verbindlichkeit erlangen gem. Art. 68 AMRK gleichwohl nur die Entscheidungen des Gerichtshofs, die textlich zudem auf die an dem Verfahren beteiligten staatlichen Parteien begrenzt wird. In Anwendung der sog. Doktrin der „conventionality control“ hat der Gerichtshof seinen Entscheidungen jedoch sehr viel weiterreichende Wirkungen beigemessen.1814 Der Menschenrechtsschutz auf dem afrikanischen Kontinent stützt sich demgegenüber auf die Afrikanische Charter zum Schutz von Menschenrechten und Rechten der Völker (ACHPR oder auch Banjul Charter). Sie wurde von den Mitgliedstaaten der Afrikanischen Union 1981 angenommen und trat 1986 in Kraft.1815 Ihre Besonderheit besteht darin, dass sie nicht nur Rechte Einzelner statuiert, sondern daneben auch zahlreiche Rechte von Gruppen, insbesondere Völkern, ausdrücklich begründet.1816 Die Überwachung der Charter war zunächst allein der Afrikanischen Menschenrechtskommission überlassen. Diese hat, aufgrund der teilweise nur rudimentären Vorschriften der Charter zu prozessualen Fragen, ihren Umgang mit Eingaben weitgehend selbst ausgestalten müssen. Neben einem Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Staaten über die Verletzung von Garantien der Charter in Art. 47 ff. ist auch ein Verfahren zur Behandlung anderer Eingaben gem. Art. 55 ff. vorgesehen. Hier ist auch ein Individualbeschwerdeverfahren dem Grunde nach angelegt. Art. 58 ACHPR beschränkt dieses aber eigentlich insoweit, als die Kommission lediglich Fälle mit einer Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen zur Kenntnis der Versammlung der Staats- und Regierungschefs der Afrikanischen Union bringen soll, die dann ihrerseits eine opinion OC-5 / 85, 13.11.85 (Compulsory membership in an association prescribed by law for the practice of journalism), Rn. 25. 1813  Dies sind hinsichtlich der Menschenrechtskonvention derzeit 25 der insgesamt 35 Staaten der OAS. Dem Protocoll von San Salvador sind dagegen bislang nur 14 Staaten beigetreten. Ein Überblick hierzu findet sich unter http: /  / www.oas. org / dil / treaties_B-32_American_Convention_on_Human_Rights_sign.htm. 1814  Siehe hierzu sogleich: Zweiter Teil, C. II. 2 a). 1815  M. Kau, in: W. Graf Vitzthum / A. Proelß, Völkerrecht, 7. Aufl. 2016, Dritter Abschnitt Rn. 277. 1816  Zu dieser Besonderheit auch T. Buergenthal, The evolving human rights system, AJIL 100 (2006), 783 (798).



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker

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weitergehende Untersuchung anfordern kann. In jüngerer Zeit hat die Kommission jedoch  – entgegen Art. 58 ACHPR  – auch Eingaben zu einzelnen Verletzungen bestimmter Menschenrechte angenommen1817 und diese ohne Aufforderung durch die Konferenz der Staats- und Regierungschefs der AU behandelt. In dieser Selbstermächtigung durch die Kommission liegt eine erhebliche Ausweitung ihrer Tätigkeit gegenüber dem eigentlich engeren Mandat.1818 Für zulässig erachtet die Kommission im Rahmen des Individualbeschwerdeverfahrens grundsätzlich auch Eingaben durch Nichtregierungsorganisationen, in denen diese nicht die Verletzung eigener, sondern fremder, in der Charter enthaltener Rechte geltend machen.1819 Dabei bedarf es jedenfalls bei der Geltendmachung von Verletzungen von Gruppenrechten nicht der Angabe spezifischer Opfer. Insoweit lässt die ACHPR eine actio popularis durch Nichtregierungsoranisationen zu.1820 Nichtsdestotrotz leidet die Durchsetzung der Garantien der Charter insbesondere darunter, dass die Kommission keine verbindlichen Entscheidungen trifft, sondern lediglich Empfehlungen an die Staaten ausspricht, die in der Vergangenheit vielfach von den Staaten unbeachtet blieben.1821

1817  D. K. Anton / D. L. Shelton Environmental Protection and Human Rights, 2011, S. 352. In der deutschen Literatur findet diese entscheidende Abweichung von den normativen Vorgaben der Charter wenig Beachtung, vgl. M. Kau, in: W. Graf Vitzthum / A. Proelß, Völkerrecht, 7. Aufl. 2016, Dritter Abschnitt Rn. 278; K. Ipsen, in: ders., Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 37 Rn. 22. 1818  Für den ACtHPR stellt dieses Vorgehen der Kommission insoweit keinen Grund dar, ein zu ihr gelangtes Verfahren für unzulässig zu erklären, vgl. ACtHPR, no. 006 / 2012: African Commission on Human and Peoples’ Rights / Republic of Kenya, Urteil vom 26. Mai 2017, Rn. 53. 1819  Vgl. etwa ACmHPR, no. 155 / 96: Social and Economic Rights Action Center (SERAC) and Center for Economic and Social Rights (CESR) / Nigeria, 2002, Rn. 49; C. Schall, Public Interest Litigation Concerning Environmental Matters before Human Rights Courts: A Promising Future Concept?, Journal of Environmental Law 20:3 (2008), 417 (424). 1820  ACmHPR, no. 155 / 96: Social and Economic Rights Action Center (SERAC) and Center for Economic and Social Rights (CESR) / Nigeria, 2002, Rn. 49: „Such is a demonstration of the usefulness to the [African] Commission and individuals of action poplularis, which is wisely allowed under the African Charter.“ 1821  Vgl. N. J. Udombana, Toward the African Court on Human and Peoples’ Rights: Better late than never, Yale Human Rights and Development Journal 3 (2000), 45 (63 ff.), der die Kommission als „zahnlose Bulldogge“ beschreibt, a. a. O., 64.; auf das Fehlen einer effektiven Umsetzung der Entscheidungen verweist auch C. Schall, Public Interest Litigation Concerning Environmental Matters before Human Rghts Courts: A Promising Future Concept?, Journal of Environmental Law 20:3 (2008), 417 (432).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Mit dem 2004 in Kraft getretenen und bereits 1998 verabschiedeten Protokoll zur Banjul Charter1822 wurde schließlich ein Afrikanischer Menschenrechtsgerichtshof geschaffen.1823 Obwohl er bereits 2006 seine Arbeit aufgenommen hat, waren zunächst nur wenige Entscheidungen des Gerichtshofs ergangen. Inzwischen wächst die Zahl an Entscheidungen jedoch stetig an. Der Gerichtshof kann durch im Einzelnen zu bestimmende Nichtregierungsorganisationen und Individuen Individualbeschwerden zulassen.1824 Vergleichbar mit dem inter-amerikanischen Menschenrechtssystem ist es aber insbesondere die Afrikanische Menschenrechtskommission, die Fälle zur Entscheidung durch den Gerichtshof vorlegen kann.1825 Urteile des Gerichtshofs sind für die Mitgliedstaaten zum Protokoll zur Banjul Charter verbindlich.1826 Erst jüngst hat der Afrikanische Gerichtshof für Menschenrechte und die Rechte der Völker mit seiner Entscheidung im sog. Ogiek-Fall auch eine für das vorliegende Thema relevante Entscheidung erlassen.1827 2. Die evolutive und extensive Auslegung der Bestimmungen des inter-amerikanischen und des afrikanischen Menschenrechtssystems Eine Analyse der Methodik der Rechtsprechungsorgane des inter-amerikanischen wie auch des afrikanischen Menschenrechtssystems zeigt zahlreiche 1822  Protocol to the African Charter on Human and Peoples’ Rights on the Establishment of an African Court on Human and Peoples’ Rights. 1823  Mittlerweile wurde in einem Protokoll zur ACHPR die Zusammenlegung des Afrikanischen Menschenrechtsgerichtshofs mit dem Afrikanischen Gerichtshof beschlossen. Dieses ist jedoch bislang mangels hinreichender Anzahl an Ratifizierungen nicht in Kraft getreten. Siehe Protocol on the Statute of the African Court of Justice and Human Rights (Malabo Protocol). 1824  Die Zulässigkeit von Eingaben von Nichtregierungsorganisationen bedarf jedoch gem. Art. 6, 34 Abs. 6 des Protokolls über die Errichtung des Afrikanischen Gerichtshofes der gesonderten Anerkennung durch die einzelnen Staaten. Diese wurde bislang nur von wenigen Staaten erteilt. 1825  Art. 5 Nr. 1 a) Protocol to the African Charter on Human and Peoples’ Rights on the Establishment of an African Court on Human and Peoples’ Rights. Vgl. aber Art. 5 Nr. 3 des Protokolls zur Möglichkeit Nichtregierungsorganisationen und Individuen im Einklang mit Art. 34 Abs. 6 des Protokolls die Fähigkeit zuzuerkennen, Fälle unmittelbar vor das Gericht zu bringen. 1826  Art. 30 Protocol to the African Charter on Human and Peoples’ Rights on the Establishment of an African Court on Human and Peoples’ Rights. 1827  ACtHPR, no. 006 / 2012: African Commission on Human and Peoples’ Rights / Republic of Kenya, Urteil vom 26. Mai 2017. Auch die hier untersuchte Entscheidung ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, wurde zwar dem Afrikanischen Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt. Bislang hat dieser in der Sache aber noch nicht entschieden.



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Parallelen in ihrem methodischen Vorgehen auf. Trotz unterschiedlicher Bestimmungen in den Menschenrechtsverträgen etwa zur Möglichkeit der Einbeziehung auch anderer völkerrechtlicher Bestimmungen in die Entscheidungsfindung lässt sich eine Annäherung in der Vorgehensweise und auch des inhaltlichen Gehalts der Entscheidungen betreffend die Rechte indigener Völker feststellen. Hier soll zunächst der methodische Aspekt näher beleuchtet werden, da dieser bestimmend ist für die Zuordnung der betrachteten Rechtsprechungslinien zum Ansatz eines „Greening of Human Rights“. a) Einfluss des allgemeinen Völkerrechts und „Conventionality Control“ im inter-amerikanischen Menschenrechtssystem Sowohl die Inter-Amerikanische Menschenrechtskommission als auch der Inter-Amerikanische Gerichtshof für Menschenrechte haben unter Berufung auf die allgemeinen Vorschriften über die Auslegung völkerrechtlicher Verträge nach Art. 31 WVK,1828 in vergleichbarer Weise wie der EGMR,1829 einer allein am Wortlaut der vertraglichen Grundlagen und ihrem historischen Verständnis durch die vertragsschließenden Parteien orientierten Auslegung eine Absage erteilt.1830 Vielmehr wird die Grundausrichtung der Methodik von dem Verständnis der Verträge als „lebendigem Instrument“ bestimmt, die im Lichte heutiger Umstände1831 und deren Konzepte autonom von nationa1828  Deren Anwendung auf Menschenrechtsverträge ist allgemein anerkannt und konnte bereits in der Rechtsprechung des EGMR nachgewiesen werden. Hierzu M. Casals, Die Auslegungsmethoden bei Menschenrechtsverträgen, 2010, S. 84. Zur gewohnheitsrechtlichen Geltung von Art. 31 WVK vgl. IGH, Case Concerning Oil Platforms – Preliminary Objections [Iran v. USA], ICJ Reports 1996, S. 803, Nr. 23; W. Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 12 Rn. 11. 1829  Mitunter finden unmittelbare Bezugnahmen auf die Rechtsprechung des EGMR statt, siehe etwa I / A Court H.R., Case of the Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs. Judgment of June 17, 2005. Series C No. 125, Rn. 125. 1830  L. Lixinski, Treaty Interpretation by the Inter-American Court of Human Rights: Expansionism at the Service of the Unity of International Law, EJIL 21 (2010), 585 (588). Vgl. ausführlich hierzu die Menschenrechtskommission in IACmHR, Report No. 40 / 04, Case No. 12.053, Belize, 12.10.2004 (Maya indigenous community of the Toledo District v. Belize), Rn. 85 ff. 1831  I / A Court H.R., Case of the Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua. Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 31, 2001. Series C No. 79, Rn. 146; I / A Court H.R., Case of the Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs. Judgment of June 17, 2005. Series C No. 125, Rn. 125; I / A Court H.R., Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and reparations. Judgment of June 27, 2012. Series C No. 245, Rn. 161; L. Lixinski, Treaty Interpretation by the Inter-American Court of Human Rights: Expansionism at the Service of the Unity of International Law, EJIL 21

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

lem Recht1832 auszulegen sind. Erhebliches Gewicht kommt dabei dem Telos der Dokumente zu, dem Schutz der Rechte des Einzelnen zu dienen und diesen in effektiver Weise zu garantieren.1833 Daraus folgt in zahlreichen Fällen eine Auslegung der relevanten Bestimmungen „pro homine“, dh. in derjenigen Weise, wie sie am förderlichsten für den Schutz des jeweiligen Menschenrechts ist.1834 Im Ergebnis führt dies, wie bereits für die EMRK festgestellt, zu einem dynamischen Verständnis der gewährleisteten Garantien und ermöglicht die Lösung neuer und veränderter Konfliktlagen auf Grundlage der bestehenden Garantien.1835 Zugleich bedeutet das Vorgehen jedoch auch eine starke Abkehr vom ursprünglichen Willen der vertragsschließenden Staaten und damit eine nicht unerhebliche Schwächung einer wesentlichen Legitimationsquelle der Entscheidungen von Kommission und Gericht. Neben den in der WVK enthaltenen Regelungen über die Auslegung ­völkerrechtlicher Verträge besitzt die AMRK spezielle Regelungen über die Methodik ihrer Auslegung. Art. 29 AMRK formuliert hierzu in einem negativen Sinne Auslegungsrestriktionen.1836 So sollen gem. Art. 29 lit. b) AMRK die Regelungen der Konvention gerade nicht so verstanden werden, dass die in der Konvention enthaltenen Rechte Gewährleistungen nationaler Gesetze der Mitgliedstaaten oder jeder anderen Konvention, deren Mitglied einer der (2010), 585 (589); D. L. Shelton, The Inter-American Human Rights Law of Indigenous Peoples, University of Hawaii Law Review 35 (2013), 937 (944 f.). 1832  So etwa in I / A Court H.R., Case of the Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua. Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 31, 2001. Series C No. 79, Rn. 146. 1833  Dieses Vorgehen stimmt auch mit Art. 31 WVK überein. Auch der IACtHR wählt zum Ausgangspunkt seiner Auslegung das übliche Verständnis des Wortlauts, wie es Art. 31 Abs. 1 WVK vorsieht. Vgl. auch L. Lixinski, Treaty Interpretation by the Inter-American Court of Human Rights: Expansionism at the Service of the Unity of International Law, EJIL 21 (2010), 585 (603 f.), der meint, dass das Gericht in Absetzung von den Vorgaben der WVK den eigenständigen Charakter von Menschenrechtsverträgen gegenüber dem allgemeinen Völkerrecht betone. 1834  L. Lixinski, Treaty Interpretation by the Inter-American Court of Human Rights: Expansionism at the Service of the Unity of International Law, EJIL 21 (2010), 585 (588). Dies gehe zurück auf die Überlegung, dass, anders als sonst im internationalen Recht, die Auslegung nicht zuallererst der Rechtssicherheit über die gegenseitigen Verpflichtungen der Staaten, sondern dem effektiven Schutz der Menschenrechte dienen soll. Vgl. hierzu auch D. L. Shelton, The Inter-American Human Rights Law of Indigenous Peoples, University of Hawaii Law Review 35 (2013), 937 (943). 1835  L. Lixinski, Treaty Interpretation by the Inter-American Court of Human Rights: Expansionism at the Service of the Unity of International Law, EJIL 21 (2010), 585 (590). 1836  Entsprechend ist die Vorschrift überschrieben mit „Restrictions Regarding Interpretation“.



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker563

Vertragsstaaten der AMRK ist, beschränkt würden. Eine entsprechende Regelung dieses sog. Günstigkeitsprinzips findet sich auch in Art. 53 EMRK.1837 Auf den ersten Blick wird damit lediglich bestimmt, dass es sich bei den Gewährleistungen der AMRK um Mindeststandards handelt, welche die Staaten sowohl mittels nationalen Rechts als auch durch das Eingehen anderweitiger völkerrechtlicher Verpflichtungen ausweiten dürfen. Daraus folgt zunächst nur, dass der AMRK kein Verbot gegenüber den Staaten entnommen werden kann, sich zu weitergehenden Gewährleistungen zu verpflichten. In der Rechtsprechung des IACtHR hat die Vorschrift jedoch eine weitergehende, die Auslegung der Vorschriften der AMRK dynamisierende Bedeutung erlangt, auf die sich der Gerichtshof ergänzend zu seiner Methodik der evolutiven Auslegung beruft. Der IACtHR folgert nämlich hieraus auch eine Absage an eine streng historische Auslegung der Konventionsvorschriften und folgert aus der Vorschrift die Erforderlichkeit, Normen der AMRK im Lichte anderer relevanter Verträge – im vorliegenden Zusammenhang der Rechte indigener Völker etwa ILO-Konvention 1691838 – oder aber im Lichte progressiver nationaler Vorschriften auszulegen,1839 um ein Auslegungs­ ergebnis zu erhalten, das nicht im Widerspruch zu diesen weitergehenden Vorschriften steht. Damit aber wird Art. 29 lit. b) AMRK nicht i. S. e. Vor1837  Hierzu C. Grabenwarter / K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 2 Rn. 14 ff. Insoweit ist auch die Feststellung von P. Contreras, National Discretion and International Deference in the Restriction of Human Rights: A Comparison Between the Jurisprudence of the European and the Inter-American Court of Human Rights, Northwestern Journal of International Human Rights 11 (2012), 28 (76), unzutreffend, der im spezifischen Gebrauch von Art. 29 (b) AMRK einen Beleg dafür sehen will, wie ein textlicher Unterschied zwischen der EMRK und der AMRK zu einem unterschiedlichen Anwendungsbereich der Konventionen führt. 1838  Vgl. etwa I / A Court H.R., Case of the Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs. Judgment of June 17, 2005. Series C No. 125, Rn. 125 ff., wo der Gerichtshof ILO-Konvention 169 heranzieht, um zu begründen, warum Art. 21 AMRK in einer Weise auszulegen ist, die die kulturellen Besonderheiten indigener Völker – insbesondere mit Blick auf ihre besonderen Beziehungen zur Natur ihrer traditionellen Siedlungsgebiete – berücksichtigt. Siehe auch I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 92 ff. Zwar hatte Suriname ILO-Konvention 169 nicht ratifiziert. Der Gerichtshof gelangt gleichwohl letztlich zu ihrer Berücksichtigung, indem er die auf die ILOKonvention bezogenen Auslegungen von common Art. 1 der UN-Menschenrechtspakte durch das Komitee des UN-Sozialpakts heranzieht, da Suriname jedenfalls diese ratifiziert hat. 1839  Vgl. I / A Court H.R., Case of the Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua. Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 31, 2001. Series C No. 79, Rn. 148, wo der Gerichtshof Bestimmungen der Verfassung Nicaraguas heranzieht, um die Gewährleistung auch kommunalen Eigentums im Rahmen von Art. 21 AMRK zu begründen.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

rangregelung zugunsten günstigerer Regelungen verstanden, sondern vielmehr für eine Angleichung des inter-amerikanischen Schutzstandards an die progressiven Regelungen des jeweiligen Vertragsstaats herangezogen. Auf diese Weise werden progressive nationale Regelungen und die Vorschriften anderer internationaler Abkommen in gewissem Umfang auch über den IACt­HR durchsetzbar. Dabei bezieht der Gerichtshof auch solche normativen Grundlagen in seine Überlegungen mit ein, die im Zeitpunkt des Abschlusses der inter-amerikanischen Menschenrechtsverträge noch nicht existierten. Maßgeblich ist für den Gerichtshof allein der Zeitpunkt der Auslegung.1840 Dieser temporäre Aspekt der Auslegung ist etwa im Rahmen von Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVK, der in anders gelagerten Fällen die Einbeziehung einschlägiger Völkerrechtssätze gestattet, umstritten,1841 wird aber, soweit ersichtlich, durch den Gerichtshof für Art. 29 lit. b) AMRK nicht weiter hinterfragt. Demgegenüber hat die Regelung des Art. 29 lit. d) AMRK in den vorliegend untersuchten Entscheidungen keine größere Bedeutung erlangt. Diese untersagt es, Vorschriften der Konvention in einer Weise auzulegen, die zu einem Ausschluss oder einer Beschränkung der Wirkungen von Vorschriften der Amerikanischen Erklärung der Rechte und Pflichten des Menschen oder internationaler Akte derselben Natur führen würden. Die Vorschrift bewirkt mithin allgemein, dass vergleichbare Garantien der inter-amerikanischen Menschenrechtsverträge auch eine weitgehend parallele Auslegung erfahren.1842 Insoweit ist es auch von Bedeutung, dass auch die Menschenrechtskommission weitgehend zur Berücksichtigung von Trends im Bereich des internationalen Menschenrechtsschutzes bereit ist,1843 was über Art. 29 lit d) AMRK wiederum auf die Auslegungsarbeit des Gerichtshofs zurückwirken kann. Vor dem Hintergrund schwerster Menschenrechtsverletzungen unter den Militärdiktaturen Lateinamerikas in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts 1840  Vgl. L. Lixinski, Treaty Interpretation by the Inter-American Court of Human Rights: Expansionism at the Service of the Unity of International Law, EJIL 21 (2010), 585 (588 f.); T. Thompson, Getting over the hump, Journal of transnational law & policy 19 (2009), 179 (196). 1841  O. Dörr, in: ders. / K. Schmalenbach, Vienna Convention on the Law of the Treaties, 2012, Art. 31 Rn. 103. 1842  Vgl. zu dieser Vorgehensweise auch durch die inter-amerikanische Menschenrechtskommission IACmHR, Report No. 40 / 04, Case No. 12.053, Belize, 12.10.2004 (Maya indigenous community of the Toledo District v. Belize), Rn. 87 und Rn. 116 f. 1843  IACmHR, Report No. 40 / 04, Case No. 12.053, Belize, 12.10.2004 (Maya indigenous community of the Toledo District v. Belize), Rn. 87 f., was im konkreten Fall ebenfalls zu einer Berücksichtigung der ILO-Konvention 169 und weiterer Entwicklungen in anderen Foren internationalen Rechts führte, a. a. O. Rn. 97.



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker565

und vielfachen Verletzungen auch in den inzwischen demokratisch verfassten Staaten hat der Gerichtshof im Bemühen um die effektive Durchsetzung menschenrechtlicher Garantien zudem eine deutlich aktivere Rolle entwickelt, als es in der Rechtsprechung des EGMR beobachtet werden konnte, die weniger auf die Bewahrung ihrer Subsidiarität gegenüber den in erster Linie zuständigen souveränen Staaten bedacht ist.1844 Nicht nur wurden die Grenzen evolutiver Auslegung weitaus seltener zum expliziten Gegenstand der Ausführungen von Kommission und Gerichtshof gemacht als dies im Rahmen der Rechtsprechung des EGMR der Fall ist.1845 Auch wenn die Gefahren einer zu extensiven Bestimmung der Konventionsgehalte im Rahmen des inter-amerkanischen Menschenrechtssystems im Grunde ähnlich gelagert sind,1846 ist eine Doktrin zum Umgang mit dieser Problematik vergleichbar mit der Doktrin vom Einschätzungsspielraum der Staaten im Recht der EMRK für die AMRK bislang allenfalls in Ansätzen vorhanden.1847 Neben der menschenrechtlichen Situation in den Staaten Lateinamerikas dürfte hierfür auch verantwortlich sein, dass der IACtHR erst im Jahr 1988 sein erstes Urteil traf,1848 für seinen Prozess der Rechtsfindung mithin von Beginn an auf die Menschenrechtspraxis in anderen Foren verweisen konnte, ohne in 1844  P. Contreras, National Discretion and International Deference in the Restriction of Human Rights: A Comparison between the Jurisprudence of the European and the Inter-American Court of Human Rights, Northwestern Journal of International Human Rights 11 (2012), 28 (56 f.); A. Dulitzky, An Inter-American Constitutional Court?, Texas International Law Journal 50 (2015), 45 (54 f.); in diese Richtung auch M. Casals, Die Auslegungsmethoden bei Menschenrechtsverträgen, 2010, S. 139. 1845  P. Contreras, National Discretion and International Deference in the Restriction of Human Rights: A Comparison between the Jurisprudence of the European and the Inter-American Court of Human Rights, Northwestern Journal of International Human Rights 11 (2012), 28 (62); M. Casals, Die Auslegungsmethoden bei Menschenrechtsverträgen, 2010, S. 139. 1846  L. Lixinski, Treaty Interpretation by the Inter-American Court of Human Rights: Expansionism at the Service of the Unity of International Law, EJIL 21 (2010), 585 (604). 1847  Vgl. P. Contreras, National Discretion and International Deference in the Restriction of Human Rights: A Comparison between the Jurisprudence of the European and the Inter-American Court of Human Rights, Northwestern Journal of International Human Rights 11 (2012), 28 (28 f., 55), nach dessen Analyse der Rechtsprechung des IACtHR dieser bislang lediglich in zwei Fällen ausdrücklich Gebrauch von dieser Doktrin gemacht hat. Zur rechtswissenschaftlichen Diskussion dieses Konzepts vgl. ebenfalls P. Contreras, a. a. O., 61 ff. 1848  Zwar war die Menschenrechtskonvention bereits 1978 in Kraft getreten und der Gerichtshof hatte bereits 1979 seine Arbeit aufgenommen. Bis zur ersten Entscheidung vergingen dann aber noch 9 Jahre, P. Contreras, National Discretion and International Deference in the Restriction of Human Rights: A Comparison between the Jurisprudence of the European and the Inter-American Court of Human Rights, Northwestern Journal of International Human Rights 11 (2012), 28 (55).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

gleichem Maße eine Rechtfertigungslast zu besitzen, wie dies noch bei der erstmaligen Fortentwicklung von Garantien durch den EGMR während der drei vorausgehenden Dekaden der Fall war.1849 In der wissenschaftlichen Bewertung hat diese Entwicklung sowohl Zustimmung1850 als auch Kritik erfahren, die insbesondere betont, dass den inzwischen demokratisch getroffenen Entscheidungen der lateinamerikanischen Staaten ein höheres Gewicht beigemessen werden und der Gerichtshof sich entsprechend stärker zurücknehmen müsste.1851 Zwar kommt der Gerichtshof auch ohne die Entwicklung einer eigenständigen Doktrin nicht umhin, durch die inhaltliche Dichte der von ihm durchgeführten Kontrolle fallbezogen über die den Staaten zu gewährleistenden Spielräume zu entscheiden. Das Fehlen einer hierauf bezogenen Doktrin zeigt jedoch, dass der IACtHR nicht in gleicher Weise wie der EGMR bereit ist, sich auf eine Reservefunktion beim Schutz der Menschenrechte zu beschränken. Ganz im Gegenteil hierzu hat der IACtHR in den letzten Jahren durch die Entwicklung der nur dürftig an die Regelungen der AMRK und allgemeines Völkervertragsrecht rückgebundenen1852 Doktrin der „control of conventionality“ seine Rolle als subsidiäres internationales Gericht recht weitgehend verlassen und sich in Richtung eines lateinamerikanischen Verfassungsgerichtes fortentwickelt.1853 Gem. Art. 1 AMRK ist den Vertragsstaaten grund1849  Vgl. P. Contreras, National Discretion and International Deference in the Restriction of Human Rights: A Comparison between the Jurisprudence of the European and the Inter-American Court of Human Rights, Northwestern Journal of International Human Rights 11 (2012), 28 (56). 1850  Ansicht wiedergegeben nach P. Contreras, National Discretion and International Deference in the Restriction of Human Rights: A Comparison between the Jurisprudence of the European and the Inter-American Court of Human Rights, Northwestern Journal of International Human Rights 11 (2012), 28 (62), mit Verweis auf A. A. Cançado Trindade, Reflexiones sobre el Futuro del Sistema Interamericano de Protección de los Derechos Humanos, in: Méndez / Cox, El Futuro del Sistema Interamericano de Proteccion a los Derechos Humanos, 1998, 582 f. 1851  Vgl. die Wiedergabe der Diskussion bei P. Contreras, National Discretion and International Deference in the Restriction of Human Rights: A Comparison between the Jurisprudence of the European and the Inter-American Court of Human Rights, Northwestern Journal of International Human Rights 11 (2012), 28 (61 ff.). 1852  C. Binder, The Prohibition of Amnesties by the Inter-American court of Human Rights, German Law Journal 12 (2011), 1203 (1216). Der Gerichtshof beruft sich hier vielmehr fast ausschließlich auf den Gedanken des „effet utile“, so ausdrücklich I / A Court H.R., Case of the Dismissed Congressional Employees (Aguado – Alfaro et al.) v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Judgment of November 24, 2006. Series C No. 158, Rn. 128 und O. Ruiz-Chiriboga, The Conventionality Control, Inter-American and European Human Rights Journal 3 (2010), 200. 1853  A. Dulitzky, An Inter-American Constitutional Court?, Texas International Law Journal 50 (2015), 45 (64 ff.); C. Binder, The Prohibition of Amnesties by the Inter-American court of Human Rights, German Law Journal, 12 (2011), 1203 (1212).



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker567

sätzlich nur allgemein die Einhaltung der Konventionspflichten aufgegeben. Art. 2 AMRK belässt den Staaten seinem Wortlaut nach zudem bei der Umsetzung der Rechte und Freiheiten der Konvention ins nationale Recht einen erheblichen Spielraum, der es den Staaten erlaubt, ihren Pflichten im Einklang mit den Bestimmungen der eigenen Verfassung nachzukommen. Eine Verpflichtung, den Konventionsrechten einen bestimmten Rang innerhalb des nationalen Rechts zuzuweisen, besteht danach gerade nicht.1854 Dennoch verlangt der Gerichtshof in Anwendung der kontrovers diskutierten1855 Doktrin der „control of conventionality“, dass nationale Stellen, insbesondere Gerichte,1856 bei der Anwendung ihres nationalen Rechts dessen Konventionskonformität zu prüfen haben und im Falle der Unvereinbarkeit mit der AMRK nationales Recht unangewendet lassen müssen. Der IACtHR geht damit nicht nur von der unmittelbaren Anwendbarkeit der Konventionsrechte im nationalen Rechtskreis aus, sondern weist diesen implizit auch einen Rang zu, der oberhalb des einfachen und gar des nationalen Verfassungsrechts liegt. Nicht eindeutig ist, ob die hierdurch ermöglichte dezentrale Durchsetzung der Konventionsrechte auch von Gerichten oder gar Behörden ausgeführt werden soll, selbst wenn diese nach nationalem Recht – etwa aufgrund einer exklusiven Normverwerfungskompetenz eines nationalen Verfassungsgerichts – als nicht berechtigt angesehen werden, nationales Recht auch nur unangewendet zu lassen.1857 Da der Gerichtshof die Ausführung der Kontrolle nationaler Normen am Maßstab der Vorschriften der AMRK in seiner eigenen Auslegung verlangt, positioniert das Gericht diese an der Spitze der nationalen Normenhierarchie und setzt sich selbst als höchstes Gericht ein.1858 Obwohl es sich bei der OAS nicht um eine Rechtsgemeinschaft wie die der Europäischen Union handelt, diese mithin nicht auf zunehmende Integration durch die Übertragung von Hoheitsrechten ausgerichtet ist, weist die Doktrin der „conventionality control“ große Ähnlichkeit zum 1854  A. Dulitzky, An Inter-American Constitutional Court?, Texas International Law Journal 50 (2015), 45 (53, 57 f.). 1855  Aus der englischsprachigen Literatur siehe etwa O. Ruiz-Chiriboga, The Conventionality Control, Inter-American and European Human Rights Journal 3 (2010), 200 ff.; A. Dulitzky, An Inter-American Constitutional Court?, Texas International Law Journal 50 (2015), 45 ff.; C. Binder, The Prohibition of Amnesties by the InterAmerican court of Human Rights, German Law Journal 12 (2011), 1203 ff. 1856  Zur Einbeziehung aller staatlichen Stellen A. Dulitzky, An Inter-American Constitutional Court?, Texas International Law Journal 50 (2015), 45 (51). 1857  Vgl. C. Binder, The Prohibition of Amnesties by the Inter-American court of Human Rights, German Law Journal 12 (2011), 1203 (1216 f.); A. Dulitzky, An InterAmerican Constitutional Court?, Texas International Law Journal 50 (2015), 45 (60 f.). 1858  A. Dulitzky, An Inter-American Constitutional Court?, Texas International Law Journal 50 (2015), 45 (47).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Grundsatz des Anwendungsvorrangs von Europarecht in der Rechtsprechung des EuGH auf und steht im scharfen Kontrast zu der durch den EGMR geübten (relativen) Zurückhaltung gegenüber so weitreichenden Eingriffen in die Souveränität der Vertragsstaaten der EMRK.1859 Begründung und Kritik der Doktrin soll hier nicht im Einzelnen nachgegangen werden. Für den vorliegenden Zusammenhang ist sie insofern von Bedeutung, als sie jedenfalls aus der Perspektive der AMRK Geltungsrang und Wirkung der Rechte der AMRK in der Auslegung durch den IACtHR in den Vertragsstaaten determiniert und damit auch für die hier untersuchten Rechte indigener Völker maßgeblich ist.1860 Diese können, soweit nationale Gerichte der Doktrin folgen, ihre Rechte aus der AMRK auch dann vor nationalen Gerichten durchsetzen, wenn der jeweilige Gesetzgeber eine Anpassung des nationalen Rechts bislang versäumt hat.1861 Dies scheint unter legitimatorischen Gesichtspunkten umso problematischer, als die hier untersuchten Fragestellungen gerade aus der Sicht der Staaten nicht nur eine menschenrechtliche Dimension haben, sondern, wegen der räumlichen und wirtschaftlichen Dimension der Landund Ressourcennutzungsrechte und zudem ihres minderheitenrechtlichen Aspektes Kernfragen nationaler Souveränität berührt werden. Die Akzeptanz der Doktrin des IACtHR dürfte bei solchen Fragen sehr viel geringer,1862 die Wahrscheinlichkeit ihrer Befolgung durch nationale Gerichte dadurch beschränkt sein.1863 1859  A. Dulitzky, An Inter-American Constitutional Court?, Texas International Law Journal 50 (2015), 45 (59, 61). 1860  Dies ist nicht völlig zweifelsfrei. Nach teilweise vertretener Ansicht soll die Doktrin nur für schwerste Menschenrechtsverletzungen zur Anwendung kommen, soweit es sich um Garantien mit jus cogens-Charakter handelt, so C. Binder, The Prohibition of Amnesties by the Inter-American court of Human Rights, German Law Journal 12 (2011), 1203 (1215). Nach anderer Ansicht kommt der Doktrin dagegen generelle Gültigkeit unabhängig von den (rechtlichen) Besonderheiten des Einzelfalls zu, so A. Dulitzky, An Inter-American Constitutional Court?, Texas International Law Journal 50 (2015), 45 (51). 1861  Ob ein solcher Gesetzgeber sich dann aber auch an die Urteile seines nationalen Gerichts gebunden fühlt und diesem auch nachkommt, steht auf einem anderen Blatt. 1862  C. Binder, The Prohibition of Amnesties by the Inter-American court of Human Rights, German Law Journal 12 (2011), 1203 (1227 f.) verweist darauf, dass bei solch kontroversen Themen die Anwendung der Doktrin weitaus kritischer betrachtet wird und ihre Akzeptanz geringer sein dürfte. 1863  Insoweit erscheint es etwa fraglich, ob die Doktrin der „conventionality control“ etwa ein Mittel gegen die Hartnäckigkeit Paraguays, den Urteilen des IACtHR betreffend Fragen der Landrechte Indigener nicht zu folgen, sein kann. Dies ist insbesondere davon abhängig, ob die nationalen Gerichte unabhängig agieren können und sich nicht ihrerseits an möglicherweise entgegenstehende Vorgaben ihres Verfassungsrechts gebunden sehen. Zu den Urteilen gegen Paraguay vgl. O. Ruiz-Chiriboga,



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker

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b) Die Offenheit der ACHPR für die Berücksichtigung internationaler Trends Die Entscheidungspraxis der ACmHPR, die sich im Vergleich zur interamerikanischen Rechtsprechung auf einem völlig anderen Entwicklungsstand befindet, war demgegenüber ihrerseits lange dadurch gekennzeichnet, dass Entscheidungen nur mit einer äußerst knappen Begründung ergingen, sodass Rückschlüsse auf die methodische Basis der Kommission kaum möglich ­waren. Dies aber hat sich in den letzten Jahren ganz erheblich geändert, was sich gerade auch an den beiden für die vorliegende Untersuchung relevanten Entscheidungen ablesen lässt. Auch die hier betrachtete Entscheidung des ­ACtHPR ist mit einer ausführlichen Begründung versehen. Art. 60 und 61 Banjul Charter gestatten Kommission und Gerichtshof eine weitreichende Einbeziehung internationalen und nationalen Rechts in die Auslegung der Bestimmungen der ACHPR. Gem. Art. 60 ACHPR sollen sich Kommission und Gerichtshof bei der Rechtsfindung ganz allgemein von internationalem Recht betreffend die Rechte der Menschen und Völker inspirieren lassen. Beispielhaft zählt die Bestimmung als Inspirationsquellen insbesondere die Instrumente der Vereinten Nationen, aber auch deren spezialisierter Unterorganisationen auf. Art. 61 Banjul Charter gestattet es darüber hinaus u. a. auch, andere als Menschenrechtsinstrumente als subsidiäre Quellen zur Bestimmung der anwendbaren Rechtsgrundsätze heranzuziehen, soweit deren Regeln ausdrücklich durch Mitgliedstaaten der Afrikanischen Union anerkannt werden, sowie schließlich Präzedenzfälle und wissenschaftliche Dok­trin. Während die Kommission in der Ogoni-Entscheidung von 2002 bereits auf wissenschaftliche Vorarbeiten etwa zum Menschenrecht auf eine gesunde Umwelt1864 und punktuell gar auf eine Entscheidung des IACtHR sowie zwei „General Comments“ des Komitees für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Bezug nahm,1865 übertrug die Kommission in ihrer Endorois-Entscheidung von 2009 in wesentlichen Teilen die Rechtsprechung der Rechtsprechungsorgane des inter-amerikanischen Menschenrechtssystems zu den Eigentumsrechten indigener Völker auf die Vorschriften der Banjul-Charter. In der Art von Verweisen auf Präzedenzfälle zitierte die Kommission zahlreiche Entscheidungspassagen, um im Anschluss hieran vielfach nur knapp die The Conventionality Control, Inter-American and European Human Rights Journal 3 (2010), 200 (208 f.). 1864  ACmHPR, no. 155 / 96: Social and Economic Rights Action Center (SERAC) and Center for Economic and Social Rights (CESR) / Nigeria, 2002, Rn. 51 mit Verweis auf die Untersuchungen von Alexander Kiss. 1865  Vgl. Fn. 7, 13 und 17 des Berichtes der ACmHPR, no. 155 / 96: Social and Economic Rights Action Center (SERAC) and Center for Economic and Social Rights (CESR) / Nigeria, 2002.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Übertragbarkeit auf den von ihr zu entscheidenden Fall festzustellen.1866 Daneben bezog sie auch verschiedene Urteile des EGMR sowie verschiedene Völkerrechtsinstrumente, u. a. ILO-Konvention 169, in ihre Entscheidung mit ein.1867 Auch der ACtHPR hat nun ausdrücklich von der Ermächtigung nach Art. 60 und 61 Banjul Charter Gebrauch gemacht.1868 Der zu beobachtende Kommunikationsprozess zwischen den Menschenrechtsgerichtshöfen und Kommissionen führt bei den hier untersuchten Fragen zu einer starken Angleichung der Auslegungsergebnisse trotz der teils erheblichen Unterschiede in den textlichen Grundlagen. 3. Unmittelbarer Schutz biologischer Vielfalt? Anders als das Menschenrechtssystem des Europarats kennen sowohl das inter-amerikanische als auch das afrikanische Menschenrechtssystem Positivierungen des „Menschenrechts auf eine gesunde Umwelt“,1869 sodass sich die Frage stellt, ob hier ein unmittelbarer Schutz biologischer Vielfalt gewährleistet wird. Entsprechende Gewährleistungen sind in Art. 11 des Protokolls von San Salvador1870 und auch in Art. 24 Banjul Charter1871 enthalten.1872 Während Art. 11 Protokoll von San Salvador seinem Wortlaut nach jedermann ein Leben in einer gesunden Umwelt (healthy environment) garantiert,1873 berechtigt Art. 24 Banjul Charter alle Völker zu einem Leben in einer grundsätzlich zufriedenstellenden und für ihre Entwicklung förder­ 1866  Siehe nur ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 158 ff. zur Identifikation indigener Völker; Rn. 190 ff. zur Gewährleistung auch kommunalen Eigentums. 1867  Siehe ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 188, 201 f. sowie 237 hinsichtlich der Rechtsprechung des EGMR sowie Rn. 154 f. hinsichtlich ILO-Konvention 169. 1868  ACtHPR, no. 006 / 2012: African Commission on Human and Peoples’ Rights / Republic of Kenya, Urteil vom 26.  Mai 2017, Rn. 108. Zur Inbezugnahme auch der Rechtsprechung des IACtHR siehe a. a. O., Rn. 147 und 153. 1869  Zur theoretischen Diskussion um ein solches Recht siehe bereits oben: Zweiter Teil, A. I.  1. Für Art. 24 ACHPR siehe ACmHPR, no. 155 / 96: Social and Eco­ nomic Rights Action Center (SERAC) and Center for Economic and Social Rights (CESR) / Nigeria, 2002, Rn. 52. 1870  Im Original: „Everyone shall have the right to live in a healthy environment and to have access to basic public services.“ 1871  Im Original: „All peoples shall have the right to a general satisfactory environment favorable to their development.“ 1872  Hierzu knapp S. Hobe, Menschenrecht auf Umweltschutz, ZUR 1994, 15 (16). 1873  Obwohl es sich mithin um ein Individualrecht handelt, soll es gleichwohl hier im Zusammenhang mit Art. 24 ACHPR kurz betrachtet werden.



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker571

lichen Umwelt. Schon der Wortlaut der Normen weist damit erhebliche Unterschiede mit Blick auf die Schutzgüter der Gewährleistungen auf. Insbesondere ist bei Art. 24 Banjul Charter zu beachten, dass hier bereits in der Formulierung des Schutzguts der zu gewährleistende Umweltzustand mit Blick auf und in Abhängigkeit von der Entwicklung der Völker formuliert wird. Während Art. 11 Protokoll von San Salvador auf Schutzbereichsebene weit formuliert ist und über den Begriff einer „gesunden Umwelt“ auch zahlreiche Bestandteile biologischer Vielfalt ohne weiteres in den Schutzbereich einzubeziehen sind, scheint dies im Fall des Art. 24 Banjul Charter nur insoweit zweifelsfrei, wie Bestandteile biologischer Vielfalt auch eine unmittelbar positive Auswirkung auf die Entwicklung der Völker haben. Insgesamt bleiben die Begriffe jedoch weitestgehend unbestimmt. Diese Unbestimmtheit spricht aber nicht per se gegen ihre Justiziabilität, auch wenn den Gerichten hier schwierigste Abwägungsfragen zwischen den Entwicklungsbelangen und Umweltinteressen von Völkern bzw. den wirtschaftlichen Interessen der Allgemeinheit und dem Interesse Einzelner an einer gesunden Umwelt aufgegeben würden, die im Sinne der Gewaltenteilungslehre eher der politischen als der juridischen und gerichtlichen Sphäre zuzuordnen sind. Nichtsdestotrotz erschiene es nicht ausgeschlossen, dass der notwendige Grad an Bestimmtheit durch Wissenschaft und Rechtsprechung im Laufe der Zeit hergestellt werden könnte. Zu beachten ist aber, dass Art. 11 Protokoll von San Salvador seinerseits weiteren Beschränkungen unterliegt, die jedenfalls eine Konkretisierung in seiner gerichtlichen Anwendung ausschließen. Zunächst erscheint es überhaupt fraglich, ob Art. 11 Abs. 1 verbindliche und damit justiziable Unterlassungs- und Schutzpflichten enthält. Gegen ein solches Verständnis spricht, dass Art. 11 Abs. 2 ausdrücklich die Verpflichtung der Staaten darauf begrenzt, Schutz, Erhaltung und Verbesserung der Umwelt zu fördern („to promote“). Zwar sind die Staaten gem. Art. 2 des Protokolls dabei auch dazu verpflichtet – soweit noch nicht vorhanden – legislative oder andere notwendige Maßnahmen zu ergreifen, um die Rechte aus Art. 11 zu verwirklichen. Dabei ist diese Verpflichtung jedoch äußerst weich formuliert. So werden Staaten hierzu nicht strikt verpflichtet, vielmehr haben sie sich auch hierum lediglich zu bemühen („undertake to adopt“). Noch weitergehend abgeschwächt wird die Verpflichtung aber gem. Art. 1 des Protokolls, wonach die Staaten sich zwar bemühen sollen – national und durch internationale Bemühungen – die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Diese Verpflichtung wird jedoch ausdrücklich beschränkt auf das für den jeweiligen Staat wirtschaftlich leistbare und ihrem Entwicklungsstand entsprechende Maß.1874 1874  S. Vöneky / F. Beck, Umweltschutz und Menschenrechte, in: A. Proelß, Internationales Umweltrecht, 2017, Fünfter Abschnitt, Rn. 63.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Außerdem werden die Verpflichtungen hier ausdrücklich unter den Vorbehalt der schrittweisen Verwirklichung der Rechte gestellt. Selbst soweit trotz dieser Relativierungen im konkreten Fall eine Verpflichtung eines Staates zur Gewährleistung einer gesunden Umwelt bestehen würde, ist es den Staaten gem. Art. 5 des Protokolls erlaubt, die prima facie gewährleisteten Rechte durch Gesetz zum Erhalt des allgemeinen Wohlstands in einer demokratischen Gesellschaft zu beschränken, soweit dies nicht mit dem Zweck des zu beschränkenden Rechts unvereinbar ist. Nicht nur besteht damit aber allenfalls eine unter zahlreiche äußerst unbestimmte Vorbehalte gestellte, bereits in ihrem eigenen Gehalt unklare Verpflichtung der Staaten zum Schutz biologischer Vielfalt. Hinzu kommt vielmehr auch, dass die hiermit aufgeworfenen Fragen einer gerichtsförmigen Klärung gem. Art. 19 Abs. 6 des Protokolls entzogen sind, wonach lediglich die Rechte aus Art. 8 lit. a) (Gewerkschaftsfreiheit) und Art. 13 (Recht auf Bildung), nicht aber Art. 11 des Protokolls, im Falle des Vorliegens unmittelbarer staatlicher Eingriffe vor der Inter-Amerikanischen Menschenrechtskommission und – die Anerkennung seiner Gerichtsbarkeit durch den betroffenen Staat vorausgesetzt – dem InterAmerikanischen Gerichtshof geltend gemacht werden können.1875 Als Implementations- und Erfüllungsmechanismen für die Verpflichtungen aus Art. 11 sieht das Protokoll lediglich gem. Art. 19 Abs. 1 die Übermittlung von Staatenberichten über die schrittweise ergriffenen Maßnahmen zur Gewährleistung der im Protokoll enthaltenen Garantien vor.1876

1875  R. Pavoni, Environmental Jurisprudence of the European and Inter-American Courts of Human Rights, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 (70); C. Schall, Public Interest Litigation Concerning Environmental Matters before Human Rights Courts: A Promising Future Concept?, Journal of Environmental Law 20:3 (2008), 417 (429). 1876  Gem. Art. 19 Abs. 2 des Protokolls werden die Berichte an den Generalsekretär der Vereinigung Amerikanischer Staaten übermittelt, der sie an den Inter-Amerikanischen Ökonomie- und Sozialrat und den Inter-Amerikanischen Bildungs-, Wissenschafts- und Kulturrat weiterleitet. Eine Kopie der Berichte geht überdies an die InterAmerikanische Menschenrechtskommission und gem. Art. 19 Abs. 3 ganz bzw. teilweise an weitere spezialisierte Organisationen innerhalb der OAS. Letztere verfassen wiederum Berichte zu Fragen der Implementierung innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs und übermitteln diese an den Inter-Amerikanischen Ökonomie- und ­Sozialrat sowie den Inter-Amerikanischen Bildungs-, Wissenschafts- und Kulturrat. Diese schließlich senden gem. Abs. 5 einen Bericht an die Generalversammlung der OAS mit allgemeinen für angemessen befundenen Empfehlungen. Auch die InterAmerikanische Menschenrechtskommission kann ihrerseits einen Bericht über Beobachtungen und Empfehlungen zur Verbesserung der Implementierung der Rechte des Protokolls von San Salvador als Teil ihres Jahresberichts verfassen und der Generalversammlung der OAS vorlegen. Bei der Abfassung der Berichte sollen die einzelnen Organe gem. Art. 19 Abs. 8 aber auch berücksichtigen, dass die Staaten lediglich eine schrittweise Realisierung der Verpflichtungen schulden.



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker573

Die Banjul Charter enthält derlei Beschränkungen für den seinem Wortlaut nach verbindlich formulierten Art. 24 nicht. Zudem ist dieser bereits durch die ACmHPR tatsächlich angewandt worden. Diese hatte in ihrer OgoniEntscheidung1877 erstmals1878 unter anderem eine Verletzung von Art. 24 Banjul Charter festgestellt. Die Entscheidung der Afrikanischen Menschenrechtskommission, in der diese ausdrücklich die Justiziabilität der Vorschrift bejahte1879 und damit hiergegen geäußerten Vorbehalten entgegentrat, wurde in der Folge auch als Meilenstein für die Durchsetzung der sog. Drittgenerationenrechte gepriesen. Sie sei eine Blaupause für die Verbindung von Umweltschutz, ökonomischer Entwicklung und Menschenrechten.1880 Eine solche Schlussfolgerung auf der Grundlage der Ogoni-Entscheidung scheint jedoch zweifelhaft. Im konkreten Fall war nach den Annahmen der Kommission eine staat­ liche nigerianische Ölgesellschaft im Konsortium mit einer Tochtergesellschaft von Royal Dutch Shell verantwortlich für die Ölförderung im NigerDelta und hatte durch zahlreiche Öllecks Gewässer, Böden und die Luft mit der Folge akuter und langwieriger Gesundheitsschäden bei der lokalen Bevölkerung – dem Volk der Ogoni – verursacht. Untersuchungen der Situation durch Nichtregierungsorganisationen verhinderte die damalige nigerianische Militärregierung, die auch sonst keinerlei Maßnahmen ergriff, um die Situation der betroffenen Bevölkerung zu verbessern. Vielmehr hatte sie zugleich eigene staatliche militärische Einheiten den Ölgesellschaften unterstellt, die die lokale Bevölkerung angriffen und mehrere Dörfer niederbrannten oder anderweitig zerstörten. Angesichts der Feststellung u. a. schwerster Umweltzerstörungen und Gesundheitsschädigungen und der völligen Abwesenheit 1877  Siehe ACmHPR, no. 155 / 96: Social and Economic Rights Action Center ­(SERAC) and Center for Economic and Social Rights (CESR) / Nigeria, 2002. 1878  Bei anderer Gelegenheit vermied es die Kommission zuvor zu Art. 24 auszuführen, vgl. Communication 25 / 98, 47 / 90, 56 / 91 und 100 / 93: Free Legal Assistance Group and others v Zaire, und hierzu M.  van der Linde / L. Louw, Considering the interpretation and implementation of article 24 of the African Charter on Human and Peoples’ Rights in light of the SERAC communication, AHRLJ 3 (2003), 167 (177). 1879  So auch M. van der Linde / L. Louw, Considering the interpretation and implementation of article 24 of the African Charter on Human Rights in light of the ­SERAC communication, AHRLJ 3 (2003), 167 (171). Dies wird auch betont von D. L. Shelton, Decision regarding communication 155 / 96 (Social and Economic Rights Action Center / Center for Economic and Social Rights v. Nigeria). Case No. ACHPR / COMM /  A044 / 1, AJIL 96 (2002), 937 (941). 1880  D. L. Shelton, Decision Regarding Communication 155 / 96 (Social and Economic Rights Action Center / Center for Economic and Social Rights v. Nigeria). Case No. ACHPR / COMM / A044 / 1, AJIL 96 (2002), 937 (942); vgl. auch M.  van der Linde / L. Louw, Considering the interpretation and implementation of article 24 of the African Charter on Human Rights in light of the SERAC communication, AHRLJ 3 (2003), 167 (171).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

rechtfertigender Umstände konnte die ACmHPR eine Verletzung von Art. 24 ACHPR feststellen, ohne der Vorschrift zuvor mehr als relativ allgemein gehaltene Verplichtungen des Staates in Anlehnung an internationale Menschenrechtsprechung zu entnehmen.1881 Vor diesem Hintergrund aber muss die verkündete volle Justiziabilität der Vorschrift als ein Versprechen betrachtet werden, das erst noch eingelöst werden muss, keinesfalls aber bereits in der Ogoni-Entscheidung unter Beweis gestellt wurde.1882 Dabei ist insbesondere zu beachten, dass die Kommission Art. 24 nicht isoliert, sondern in enger Verbindung mit dem Recht auf den besten verfügbaren Zustand physischer und psychischer Gesundheit des Einzelnen gem. Art. 16 der Charter betrachtete. Aus dieser gemeinsamen Betrachtung entnahm die Kommission unter Verweis auf internationale Standards zunächst die negative Pflicht von Staaten, nicht aktiv die Gesundheit und Umwelt seiner Bürger zu bedrohen oder auch nur Handlungen, Politiken oder Rechtshandlungen zu befördern oder zu tolerieren, die die Integrität des Einzelnen verletzten.1883 In positiver Hinsicht seien Staaten zudem verpflichtet, vernünftige und weitere Maßnahmen1884 zu ergreifen, um die Verschmutzung und die Verschlechterung des Zustandes der Umwelt zu verhindern, die Erhaltung der Umwelt zu fördern und eine ökologisch nachhaltige Entwicklung sowie einen ökologisch nachhaltigen Gebrauch natürlicher Ressourcen zu sichern.1885 Bei der weiteren Konkretisierung legt die Kommission den Schwerpunkt hier auf Verfahrens- und Organisationspflichten:1886 Um – wie die Kommission formuliert – 1881  So auch J. G. Merrills, Environmental Rights, in: D. Bodansky / J. Brunnée /  E. Hey, International Environmental Law, 2007, Kap. 28, 663 (669). 1882  A. A. auch C. Schall, Public Interest Litigation Concerning Environmental Matters before Human Rights Courts: A Promising Future Concept?, Journal of Environmental Law 20:3 (2008), 417 (430), der offensichtlich davon ausgeht, dass mit der Ogoni-Entscheidung die Justiziabilität von Art. 24 ACHPR anzunehmen ist. 1883  ACmHPR, no. 155 / 96: Social and Economic Rights Action Center (SERAC) and Center for Economic and Social Rights (CESR) / Nigeria, 2002, Rn. 52. 1884  „Reasonable and other measures“, der zweite Teil wird – wohl zu Recht – weggelassen von M. van der Linde / L. Louw, Considering the interpretation and implementation of article 24 of the African Charter on Human Rights in light of the SERAC communication, AHRLJ 3 (2003), 167 (178). 1885  ACmHPR, no. 155 / 96: Social and Economic Rights Action Center (SERAC) and Center for Economic and Social Rights (CESR) / Nigeria, 2002, Rn. 52. 1886  In der deutschen Grundrechtslehre werden solche Pflichten überwiegend der leistungsrechtlichen Dimension der Grundrechte zugeordnet, die sich in der Entscheidung der afrikanischen Kommission in der Pflicht zur Erfüllung der Rechte ausdrückt. Entsprechend ordnet B. R. Konne, Inadequate Monitoring and Enforcement in the Nigerian Oil Industry: The Case of Shell and Ogoniland, Cornell International Law Journal 47 (2014), 181 (189) diese Verfahrenspflichten auch dieser Kategorie zu. Angesichts dessen, dass Pflichten zur Erfüllung der Rechte durch die Kommission jedoch in einem sehr „weichen“ Sinne und begrenzt auf materielle Leistungsrechte



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mit dem Geist von Art. 16 und 24 in Einklang zu sein, müssten Staaten eine unabhängige wissenschaftliche Überwachung gefährdeter Teile der Umwelt (monitoring) verlangen oder zumindest erlauben,1887 Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfungen vor jeder erheblichen industriellen Entwicklung anordnen und veröffentlichen,1888 die Auswirkungen auf diejenigen Gemeinschaften untersuchen und diese mit Informationen versorgen, die gefährlichen Materialien und Aktivitäten ausgesetzt sind und Individuen hinreichende Möglichkeiten gewähren, gehört zu werden,1889 um an Entwicklungsentscheidungen teilzuhaben, die ihre Gemeinschaften beeinträchtigen.1890 Gleichzeitig betont die Kommission aber, dass den Staaten ein Recht zur Rohstoffförderung zusteht. Das dabei erzielte Einkommen sei dazu zu verwenden, die ökonomischen und sozialen Rechte der Nigerianer zu erfüllen.1891 Die hier durch die ACmHPR statuierten staatlichen Pflichten gehen im Wesentlichen nicht über das hinaus, was auch im Rahmen des europäischen und inter-amerikanischen Menschenrechtssystems durch die extensive Auslegung klassischer Menschenrechtsgarantien an umweltbezogenen Verpflichtungen des Staates anerkannt wurde und an denen sich die ACmHPR in der Ogoni-Entscheidung orientierte. Da auch die Kommission Art. 24 nicht isoliert, sondern in Verbindung mit Art. 16 Banjul Charter betrachtete, wird von kritischen Stimmen bezweifelt, ob Art. 24 überhaupt einen hierüber hinausgehenden justiziablen Anwendungsbereich besitzt.1892 Auch wenn die Menformuliert wurden, scheint es jedoch richtiger, die Verfahrensrechte hier als verfahrensmäßige Ausprägung der Schutzpflichten anzusehen. 1887  Trotz der positiven Formulierung dieser Pflicht kann diese auch der negativen Dimension des Rechts zugeordnet werden. Der Sache nach geht es hier darum, dass der Staat es unterlässt, die Vornahme von Untersuchungen zu unterbinden. 1888  Dabei wird nicht auf die Unterscheidung der Antragsteller zwischen potentiellen und tatsächlichen Risiken eingegangen, vgl. ACmHPR, no. 155 / 96: Social and Economic Rights Action Center (SERAC) and Center for Economic and Social Rights (CESR) / Nigeria, 2002, Rn. 50. Leider wird der Umfang der Verpflichtung überhaupt nicht näher konkretisiert, wie es bspw. der Inter-Amerikanische Gerichtshof für Menschenrechte durch Verweis auf die AkweKon Guidelines tat. Vgl. hierzu unten, Zweiter Teil, C. II. 4. c) bb) (3). 1889  M. van der Linde / L. Louw, Considering the interpretation and implementation of article 24 of the African Charter on Human Rights in light of the SERAC communication, AHRLJ 3 (2003), 167 (178) beziehen dies sowohl auf den Fall, in dem das eigene Recht aus Art. 24 beeinträchtigt wird, als auch diejenigen Fälle, in denen nur die Möglichkeit hierzu besteht. 1890  ACmHPR, no. 155 / 96: Social and Economic Rights Action Center (SERAC) and Center for Economic and Social Rights (CESR) / Nigeria, 2002, Rn. 53. 1891  ACmHPR, no. 155 / 96: Social and Economic Rights Action Center (SERAC) and Center for Economic and Social Rights (CESR) / Nigeria, 2002, Rn. 54. 1892  Vgl. M. van der Linde / L. Louw, Considering the interpretation and implementation of article 24 of the African Charter on Human Rights in light of the SERAC

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

schenrechtskommission scheinbar auch spezifisch umweltbezogene Verpflichtungen ohne unmittelbaren Bezug zur Gesundheit Einzelner formulierte, so fällt doch auf, dass Ausführungen zum Schutzgut des Art. 24 selbst nahezu vollständig fehlen1893 und auch eine Eingriffsschwelle zur Begrenzung der Reichweite der Garantie nicht formuliert wurde.1894 Dies aber wäre Voraussetzung für ihre Anwendung auch in Fällen, in denen nicht ohnehin auch durch Umweltveränderungen schwerste Gesundheitsschädigungen verursacht werden. Hier erst müsste sich die Justiziabilität von Art. 24 Banjul Charter erweisen. Mit der Verbindung des Zustandes der Umwelt und den Entwicklungsbelangen von Völkern wurde aber bei der Fassung des Schutzgutes ein Verknüpfungsakt vollzogen, dessen Auflösung mit juristischen Mitteln allein kaum möglich sein dürfte1895 und zu einem illegitimen Übergreifen in die communication, AHRLJ 3 (2003), 167 (176 und 178) unter Verweis auf die Rechtsprechung des EGMR. So auch E. P. Amechi, Enhancing Environmental Protection and Socio-Economic Development in Africa, Law Environment and Development Journal 2009, 58 (61). Das Spannungsverhältnis wird auch angedeutet bei D. L. Shelton, Decision regarding communication 155 / 96 (Social and Economic Rights Action Center / Center for Economic and Social Rights v. Nigeria). Case No. ACHPR / COMM /  A044 / 1, AJIL 96 (2002), 937 (942), die von „a human rights violation in itself because of its impact on the quality of life“ spricht. Kritisch ebenfalls S. Attapatu, The Right to a Healthy Life or the Right to Die Polluted?, Tullane Environmental Law Journal 16 (2002), 65 (85). 1893  M. van der Linde / L. Louw, Considering the interpretation and implementation of article 24 of the African Charter on Human Rights in light of the SERAC communication, AHRLJ 3 (2003), 167 (176). So auch E. P. Amechi, Enhancing environmental protection and socio-economic development in Africa, Law Environment and devlopment Journal 2009, 58 (65). Für in diesem Punkt offen sehen die Entscheidung S. Vöneky / F. Beck, Umweltschutz und Menschenrechte, in: A. Proelß, Internationales Umweltrecht, 2017, Fünfter Abschnitt, Rn. 58. Wenig hilft hier auch der Verweis der ACmHPR auf die theoretische Diskussion um ein „Menschenrecht auf eine gesunde Umwelt“ weiter, no. 155 / 96: Social and Economic Rights Action Center (SERAC) and Center for Economic and Social Rights (CESR) / Nigeria, Rn. 52, da diese gerade nicht zu einem klaren Verständnis des zugrundeliegenden Schutzgutes geführt hat. Im Übrigen wird mit diesem Verweis ausgeblendet, dass Art. 24 Banjul Charter gerade nicht eine gesunde Umwelt schützt, sondern schon das Schutzgut in Abhängigkeit zur Entwicklung der Völker formuliert ist. 1894  E. P. Amechi, Enhancing environmental protection and socio-economic development in Africa, Law Environment and development Journal 2009, 58 (66). Dies sollte allerdings nicht als Kritik an der Kommission verstanden werden. Zum einen ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass die afrikanische Menschenrechtskommission zunächst keinerlei Tradition in der ausführlichen rechtlichen Begründung festgestellter Verletzungen besaß und dieser Prozess erst eingeleitet wurde. Zum anderen lud der zu entscheidende Fall aufgrund der Intensität der angenommenen Be­ einträchtigungen nicht zu feingeistigen Differenzierungen ein. 1895  Die Begründung einer bestimmten Auslegung wird weitergehend dadurch erschwert, dass der Formulierung der Garantie wohl keine ausführlichen Diskussionen vorausgingen, die einer historischen Analyse zugänglich wären, vgl. M.  van der



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Sphäre rein subjektiv gewillkürter politischer Wertungen führen würde. Ausführungen der Kommission zu dieser Frage fehlen.1896 Um solche Übergriffe zu vermeiden wurden für einen künftigen Umgang mit der Garantie des Art. 24 Banjul Charter verschiedene Vorschläge gemacht, die auf die Begrenzung ihrer Anwendung gerichtet sind. Neben einem Vorschlag zur kontextbezogenen Konkretisierung der Vorschrift,1897 der sich teilweise an die „margin of appreciation doctrine“ des EGMR anlehnt,1898 wurde seine Anwendung im Sinne des Konzeptes des Minimalschutzes erwogen, wie es in der breiteren Diskussion über die Justiziabilität von ökonomischen, sozialen und kulturellen Rechten als Möglichkeit gerichtlicher Kontrolle unter Achtung der Grenzen der Legitimität von Entscheidungen internationaler Streitbeilegungsorgane formuliert wurde.1899 Dadurch wird ein Schutz der Umwelt insoweit erreicht, wie ihre Zerstörung unmittelbare Auswirkungen auch auf die Gesundheit von Menschen hat. Eine solche Begrenzung der Justiziabilität der Vorschrift steht zwar in einem Spannungsverhältnis dazu, dass, anders als viele andere soziale Menschenrechte, Art. 24 ACHPR gerade nicht unter dem Vorbehalt der zur Verfügung stehenden Ressourcen gestellt und auf eine Verpflichtung zur progressiven Umsetzung begrenzt wurde.1900 Sie ist jedoch zur Wahrung der Legitimität der Entscheidungen der ACmHPR erforderlich. Linde / L. Louw, Considering the interpretation and implementation of article 24 of the African Charter on Human Rights in light of the SERAC communication, AHRLJ 3 (2003), 167 (169). 1896  M. van der Linde / L. Louw, Considering the interpretation and implementation of article 24 of the African Charter on Human Rights in light of the SERAC communication, AHRLJ 3 (2003), 167 (176). So auch E. P. Amechi, Enhancing environmental protection and socio-economic development in Africa, Law Environment and Development Journal 2009, 58 (65). 1897  M. van der Linde / L. Louw, Considering the interpretation and implementation of article 24 of the African Charter on Human Rights in light of the SERAC communication, AHRLJ 3 (2003), 167 (176). 1898  E. P. Amechi, Enhancing environmental protection and socio-economic devel­ opment in Africa, Law Environment and Development Journal 2009, 58 (64). Die Übertragbarkeit der Doktrin des EGMR auf Art. 24 Banjul Charter erscheint allerdings nicht ohne weiteres möglich. Während die Doktrin des EGMR erst auf Rechtfertigungsebene Anwendung findet, ist für Art. 24 Banjul Charter bereits der Schutzbereich unklar. Hier den Staaten einen Einschätzungsspielraum zu überlassen, würde aber schon die Aktivierung der Garantie und ihrer Gewährleistungen – jedenfalls in ihren Randbereichen – ins Belieben der Staaten stellen. 1899  S. A. Yeshanew, Approaches to the justiciability of economic, social and cultural rights in the jurisprudence of the African Commission on Human and Peoples’ Rights: Progress and perspectives, African Human Rights Journal 11 (2011), 317 (320 ff., 323). 1900  M. van der Linde / L. Louw, Considering the interpretation and implementation of article 24 of the African Charter on Human Rights in light of the SERAC communication, AHRLJ 3 (2003), 167 (186); vgl. bspw. Art. 2 Abs. 1 IPWSKR.

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Angesichts dessen, dass den Entscheidungen der Kommission ohnehin vielfach keine Folge geleistet wird, ist es umso nötiger, dass die Grenzen gerichtlicher Entscheidungen beachtet und die Gewährleistungen der Charter jedenfalls in ihrem Kern gestärkt werden. Für den Schutz biologischer Vielfalt bedeutet dies allerdings auch, dass er nur insoweit gewährleistet würde, als die Zerstörung von Naturbestandteilen zugleich auch zu Gesundheitsgefährdungen führt. Trotz der unmittelbaren Erfassung der Umwelt durch Art. 24 ACHPR würde der Schutz mithin nicht weiter als im Rahmen der durch den EGMR entwickelten Rechtsprechung reichen. 4. Mittelbarer Schutz biologischer Vielfalt durch kollektive Rechte indigener Völker und nicht-indigener Stammesgesellschaften Ist aber für die Inter-Amerikanische Menschenrechtskommission sowie den Inter-Amerikanischen Menschenrechtsgerichtshof hinsichtlich der Gewährleistung des Schutzes biologischer Vielfalt der Rückgriff auf Art. 11 Abs. 1 des Protokolls von San Salvador gem. Art. 19 Abs. 6 des Protokolls ausdrücklich ausgeschlossen, und ist jedenfalls äußerst fraglich, ob Art. 24 Banjul Charter durch die Afrikanische Kommission zum Schutz der Menschenrechte und der Rechte der Völker oder den Afrikanischen Gerichtshof für Menschenrechte und die Rechte der Völker weitergehend als im Sinne einer Minimalgarantie angewendet werden wird, so stellt sich die Frage, ob im Wege evolutiver und extensiver Interpretation justiziabler Garantien der inter-amerikanischen und der afrikanischen Menschenrechtsdokumente, d. h. durch ihr „Greening“, zumindest ein mittelbarer Schutz biologischer Vielfalt – vergleichbar dem Befund im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention – gewonnen wird.1901 Gerade im Rahmen des inter-amerikanischen Menschenrechtssystems wurden inzwischen eine Vielzahl an Entscheidungen getroffen, in denen indigenen Gemeinschaften und auch nichtindigenen Stammesgesellschaften Rechte gegen die Entziehung ihrer traditionell genutzten Länder, die Ausbeutung der dort befindlichen natür­ lichen Rohstoffe oder die Beeinträchtigung und Zerstörung der sie umgebenden Ökosysteme zuerkannt wurden.1902 Die ACmHPR hat sich dieser Recht1901  Vgl. J. D. Taillant, Environmental Advocacy and the Inter-American Human Rights System, Februar 2001, Arbeitspapier Nr. 31, S. 29 f. Hierauf aufbauend unterscheidet Taillant drei unterschiedliche Ansätze für Umweltaktivisten, um Umweltfälle vor die Organe des Inter-Amerikanischen Menschenrechtssystems zu bringen, vgl. zum Ansatz der Transformation, der bei der Darstellung des Sachverhalts ansetzt, sowie zu den Ansätzen der Reinterpretation und der Interpretation, die bei der Auslegung der Konventionsnormen ansetzen S. 31 f. 1902  Vgl. etwa I / A Court H.R., Case of the Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua. Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 31, 2001.



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sprechungslinie zuletzt in seiner Endorois-Entscheidung angeschlossen.1903 Jüngst ist dem nun auch in den wesentlichen Fragen der ACtHPR in seiner Ogiek-Entscheidung1904 gefolgt. a) Indigene Völker als Rechtssubjekte? Vor der Anerkennung der Fähigkeit indigener Völker durch die Menschenrechtsorgane, selbst Träger von Rechten der inter-amerikanischen bzw. afrikanischen Menschenrechtsinstrumente zu sein, stand zunächst einmal der textliche Befund, dass weder in der Amerikanischen Menschenrechtskonvention noch in der Banjul Charter indigene Völker ausdrücklich als Träger von Rechten bezeichnet werden. Während die Banjul Charter immerhin noch zahlreiche Garantien enthält, in denen nicht Einzelne, sondern ausdrücklich Völker berechtigt werden, finden sich in der Amerikanischen Menschenrechtskonvention solche Gruppenrechte jedenfalls nicht ausdrücklich. Hinzu kommt, dass zahlreiche Vertragsstaaten im Anwendungsbereich beider Menschenrechtssysteme einer solchen Anerkennung ablehnend gegenüberstehen. Gerade Staaten, in denen indigene Völker leben, widersetzten sich in der Vergangenheit vielfach deren Anerkennung auch in der Angst, Unabhängigkeitsbestrebungen zu fördern und damit die Einheit ihrer Staaten zu gefährden. Vor diesem Hintergrund bedurfte es der bewussten Entscheidung der Menschenrechtsorgane, entsprechende Garantien den Konventionen im Wege ihrer evolutiven Auslegung zu entnehmen und so neues Recht zu schöpfen. Die beteiligten Rechtsprechungsorgane rechtfertigten ihr Vorgehen mit der Gebotenheit eines besonderen Schutzes indigener Völker. Dabei mussten sie sich auch zu dem Problem verhalten, dass eine allgemein anerkannte und auch durch die überwiegende Anzahl der Staaten akzeptierte Definition des Begriffs der „indigenen Völker“ nicht existiert.

Series C No. 79; IACmHR, Report No. 40 / 04, Case No. 12.053, Belize, 12.10.2004 (Maya indigenous community of the Toledo District v. Belize); I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172 sowie in der gleichen Sache die interpretierende Entscheidung des Gerichtshofs vom 12. August 2008, Series C No. 185; I / A Court H.R., Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and reparations. Judgment of June 27, 2012. Series C No. 245. Zuletzt I / A Court H.R., Case of the Kaliña and Lokono Peoples v. Suriname. Merits, Reparations and Costs. Judgment of November 25, 2015. Series C No. 309. 1903  ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009. 1904  ACtHPR, no. 006 / 2012: African Commission on Human and Peoples’ Rights / Republic of Kenya, Urteil vom 26. Mai 2017.

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aa) Gebotenheit eines besonderen Schutzes indigener Völker Sowohl die Institutionen des inter-amerikanischen als auch des afrikanischen Menschenrechtssystems gehen von einer besonderen Schutzbedürftigkeit indigener Völker im Geltungsbereich der von ihnen überwachten ­Menschenrechtsinstrumente aus, die sich aus ihrer jeweiligen Situation innerhalb der von den Mehrheitsgesellschaften dominierten Staaten ergibt. Dabei weist die Menschenrechtssituation der indigenen Völker Amerikas und in Afrika durchaus – trotz aller Unterschiede – Parallelen auf. Innerhalb beider Menschenrechtssysteme wurden umfangreiche Untersuchungen über die Menschenrechtslage indigener Völker durchgeführt,1905 auf die sich die Menschrechtskommissionen und -gerichte in ihren Entscheidungen stützen.1906 Hier wie dort leben indigene Völker vielfach in empfindlichen Ökosystemen mit sehr hoher biologischer Vielfalt und reichen natürlichen Vorkommen mineralischer und nicht-mineralischer Ressourcen.1907 An der Ausbeutung dieser Ressourcen besteht in vielen der Staaten, in denen die indigenen Völker leben, aufgrund mangelnder anderweitiger kurzfristiger Entwicklungsperspektiven ein erhebliches wirtschaftliches Interesse.1908 Entsprechend groß ist der Druck, Zugang zu den Gebieten indigener Gemeinschaften und damit zu den natürlichen Ressourcen zu erhalten.1909 Vielfach führt dies zur – nicht selten gewaltsamen – Vertreibung der indigenen Bevölkerung von ihrem 1905  Vgl. nur Inter-American Commission on Human Rights, The Human Rights Situation of Indigenous People in the Americas, 2000, OEA / Ser.L / V / II.108 Doc. 62; Report of the African Commission’s Working Group on Indigenous Populations / Communities, 2003, DOC / OS(XXXIV) / 345, zusammengefasst in African Commission on Human and Peoples’ Rights (ACHPR), Indigenous Peoples in Africa: The Forgotten Peoples?, 2006. 1906  Siehe nur ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 157, 187; ACtHPR, no. 006 / 2012: African Commission on Human and Peoples’ Rights / Republic of Kenya, Urteil vom 26. Mai 2017, Rn. 109. 1907  D. L. Shelton, The Inter-American Human Rights Law of Indigenous Peoples, University of Hawaii Law Review 35 (2013), 937 (937 f.); T. Thompson, Getting over the Hump, Journal of Transnational Law & Policy 19 (2009), 179 (188); vgl. auch die Feststellungen des Inter-Amerikanischen Gerichtshofs in: Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and reparations. Judgment of June 27, 2012. Series C No. 245, Rn. 52. 1908  Siehe etwa zur wirtschaftlichen Bedeutung in Ecuador, I / A Court H.R., Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and reparations. Judgment of June 27, 2012. Series C No. 245, Rn. 60; T.  M.  Antkowiak, Rights, Resources and Rhetoric: Indigenous Peoples and the Inter-American Court, University of Pennsylvania Journal of International Law 35 (2013), 115 (im Text bei Fn. 3). 1909  T. Thompson, Getting over the Hump, Journal of Transnational Law & Policy 19 (2009), 179 (188).



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traditionell besetzten Land oder aber zur Verschmutzung oder Zerstörung der ihre Siedlungen umgebenden Natur im Zuge der Erschließung und Ausbeutung der Ressourcen.1910 Die dadurch verursachte Beschädigung oder Aufhebung der Beziehung indigener Gemeinschaften zu ihrem Land1911 ist für diese gleichbedeutend mit der Zerstörung der Grundlagen ihrer physischen und kulturellen Existenz.1912 Da die verschiedenen Formen indigenen Gemeinschaftseigentums durch die nationalen Rechtsordnungen der betroffenen Länder häufig nicht anerkannt wurden und werden, stehen ihnen hier rechtlich kaum Abwehrmöglichkeiten gegen Eingriffe zur Verfügung.1913 Gleichzeitig ist es Merkmal fast aller indigenen Gemeinschaften, dass sie eine Bevölkerungsminderheit in den von ihnen bewohnten Staaten darstellen und dass ihre politischen Partizipationsmöglichkeiten, ihre Repräsentation und ihre politische Durchsetzungsfähigkeit und damit die Berücksichtigung ihrer Interessen nicht gewährleistet werden. In der Folge befinden sie sich vielfach in Situationen politischer Marginalisierung. Möglichkeiten zur Herbeiführung gesellschaft1910  Hiervon legen zahlreiche Staatenberichte der Inter-Amerikanischen Menschenrechtskommission beredtes Zeugnis ab, vgl. die Nachweise bei D. L. Shelton, The Inter-American Human Rights Law of Indigenous Peoples, University of Hawaii Law Review 35 (2013), 937 (948, Fn. 70, 71); zu Auswirkungen der Ölförderung in Gebieten indigener Völker vgl. insbesondere den Report on the Situation of Human Rights in Ecuador, Inter-Amerikanische Menschenrechtskommission, OEA / Ser.L / V /  II.96, doc. 10 rev. 1 (Apr. 24, 1997); sowie zuletzt Inter-American Commission on Human Rights, Indigenous Peoples, Afro-Descendent Communities, and Natural Resources, 2015, OEA / Ser.L / V / II. Doc 47 / 15; für die Situation in Afrika: Report of the African Commission’s Working Group on Indigenous Populations / Communities, 2003, DOC / OS(XXXIV) / 345 S. 10 f.; African Commission on Human and Peoples’ Rights, Indigenous Peoples in Africa: The Forgotten Peoples?, 2006, S. 17 sowie speziell für Kenia ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 245. 1911  Zu dieser bereits oben: Zweiter Teil, C. I. 1. 1912  Vgl. D. L. Shelton, The Inter-American Human Rights Law of Indigenous Peoples, University of Hawaii Law Review 35 (2013), 937 (938 sowie die Nachweise bei 948 f.); T. Thompson, Getting over the Hump, Journal of Transnational Law & Policy 19 (2009), 179 (188 m. w. N.); für Afrika vgl. African Commission on Human and Peoples’ Rights, Indigenous Peoples in Africa: The Forgotten Peoples?, 2006, S. 17. Vgl. allerdings ACtHPR, no. 006 / 2012: African Commission on Human and Peoples’ Rights / Republic of Kenya, Urteil vom 26.  Mai 2017, Rn. 153 ff., wonach diese Verbindung nicht zu einem Automatismus dergestalt führt, dass eine Vertreibung von Indigenen von ihrem traditionellen Land stets auch eine Verletzung des Rechts auf Leben bedeutet. 1913  Zu den vielfach vorhandenen Problemen Indigener siehe ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 187.

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licher Veränderungen in einem traditionellen demokratisch-politischen Prozess stehen ihnen zumeist nicht zur Verfügung.1914 Aus der besonderen Schutzbedürftigkeit der Beziehung indigener Gemeinschaften zu den von ihnen traditionell bewohnten Gebieten und den in der Vergangenheit erfahrenen massiven Diskriminierungen hat die Inter-Amerikanische Menschenrechtskommission schon seit längerem gefolgert, dass den Gemeinschaften auch ein besonderer Schutz zukommen müsse und den Staaten insoweit besondere Pflichten oblägen.1915 Ihren Niederschlag hat dieser Gedanke insbesondere im Rahmen der Rechtsprechung des Gerichtshofs und der IACmHR zum Schutz der Land- und Ressourcenrechte indi­ gener Gemeinschaften durch die Garantien des Eigentums gefunden.1916 Die Afrikanische Menschenrechtskommission und auch der Afrikanische Menschenrechtsgerichtshof haben sich dem nun angeschlossen und hieraus besondere Verpflichtungen der Vertragsstaaten hinsichtlich verschiedener Rechte indigener Völker abgeleitet.1917 Grundgedanke ist in beiden Fällen, dass eine bloße Gewährleistung der Gleichbehandlung indigener Gemeinschaften mit den Angehörigen der Mehrheitsgesellschaften, wie sie Art. 1 Ziff. 1 AMRK und auch Art. 2 Banjul Charter vorsehen, nicht ausreichend wäre, da sie der besonderen Situation indigener Gemeinschaften nicht gerecht würde. Es wäre vielmehr eine Gleichbehandlung von wesentlich ungleichen Bevölkerungsgruppen, die an dem Zustand der rechtlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Marginalisierung der indigenen Völker nichts zu ändern vermochte. Die Institutionen der Menschenrechtssysteme halten es deshalb vielmehr für erforderlich und geboten, dass die 1914  T. Thompson, Getting over the Hump, Journal of Transnational Law & Policy 19 (2009), 179 (189); African Commission on Human and Peoples’ Rights (ACHPR), Indigenous Peoples in Africa: The Forgotten Peoples?, 2006, S. 19; Report of the African Commission’s Working Group on Indigenous Populations / Communities, 2003, DOC / OS(XXXIV) / 345, S. 32 f. 1915  D. L. Shelton, The Inter-American Human Rights Law of Indigenous Peoples, University of Hawaii Law Review 35 (2013), 937 (948); aus der neueren Spruchpraxis der Kommission vgl. IACmHR, Report No. 40 / 04, Case No. 12.053, Belize, 12.10.2004 (Maya indigenous community of the Toledo District v. Belize), Rn. 95 f. Wenn Staaten dem nachkommen, stellt dies deshalb auch nicht notwendigerweise eine unzulässige Ungleichbehandlung mit der übrigen Bevölkerung dar, I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 103. 1916  St. Rspr. seit I / A Court H.R., Case of the Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua. Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 31, 2001. Series C No. 79, Rn. 149. 1917  ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 148; ACtHPR, no. 006 / 2012: African Commission on Human and Peoples’ Rights / Republic of Kenya, Urteil vom 26. Mai 2017, Rn. 112.



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Gewährleistungen der Menschenrechtsinstrumente selbst mit Blick auf die kulturell bedingt unterschiedliche Lebensweise indigener Bevölkerungsteile interpretiert und garantiert werden, um einen effektiven Schutz der Rechte dieser Gemeinschaften sicherzustellen.1918 In methodischer Hinsicht ist hier nun der ACtHPR in seiner Ogiek-Entscheidung noch einen Schritt weiter gegangen, indem er den Gewährleistungsgehalt der betrachteten Garantien der Banjul Charter für indigene Völker, insbesondere die Eigentumsgarantie des Art. 14 BC, explizit im Lichte der jeweiligen Garantien der UN Erklärung über die Rechte Indigener Völker vornahm.1919 bb) Identifizierung schutzwürdiger Gemeinschaften Sollen „indigene Völker“, um ihnen den gebotenen Schutz zu vermitteln, mit besonderen Rechten ausgestattet werden, bedarf der Begriff des indigenen Volkes näherer Bestimmung. Eine Definition findet sich insoweit weder in der Amerikanischen Menschenrechtserklärung noch in der Banjul Charter selbst und auch im sonstigen Völkerrecht existiert keine verbindliche oder unumstrittene Definition.1920 Auf sie kann jedoch auch nicht verzichtet wer1918  IACmHR, Report No. 40 / 04, Case No. 12.053, Belize, 12.10.2004 (Maya indigenous community of the Toledo District v. Belize), Rn. 96; hierzu L. Lixinski, Treaty Interpretation by the Inter-American Court of Human Rights: Expansionism at the Service of the Unity of International Law, EJIL 21 (2010), 585 (597), mit Verweis auf I / A Court H.R., Case of the Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs. Judgment of June 17, 2005. Series C No. 125, Rn. 51; hierzu auch P. Contreras, National Discretion and International Deference in the Restriction of Human Rights: A Comparison between the Jurisprudence of the European and the Inter-American Court of Human Rights, Northwestern Journal of International Human Rights 11 (2012), 28 (74, 75 f.); D. L. Shelton, The Inter-American Human Rights Law of Indigenous Peoples, University of Hawaii Law Review 35 (2013), 937 (948); ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 196. 1919  ACtHPR, no. 006 / 2012: African Commission on Human and Peoples’ Rights / Republic of Kenya, Urteil vom 26. Mai 2017, Rn. 125 ff., 209. 1920  Statt vieler H.-J. Heintze, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 8 Rn. 35; A. Savaresi, The International Human Rights Law Implications of the Nagoya Protocol, in: M. Buck / E. Morgera / E. Tsioumani, The 2010 Nagoya protocol on access and benefit-sharing in perspective, 2013, 53 (75); M. Janki, Draft Paper on: Indigenous Peoples Rights and the Environment: issues and the future, S. 6, zuletzt abrufbar unter www.unep.org, nicht länger abrufbar; Art. 33 Abs. 1 UNDRIP betont etwa das Recht indigener Völker, selbst entsprechend ihrer Bräuche und Traditionen über die eigene Identität und Zugehörigkeit zu entscheiden. Dieses Element der Selbstidentifikation enthielt bereits Art. 1 Nr. 2 ILO-Konvention 169, die neben dem Begriff der indigenen Völker auch den der Stammesgesellschaften in Art. 1 Nr. 1 näher bestimmt. Hiervon zu unterscheiden ist weiterhin der Begriff der ortsansässigen Gemeinschaf-

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den.1921 Zwar hatte der IACtHR, obwohl er sich im Rahmen seiner Rechtsprechung zum besonderen Schutz des Eigentums indigener Völker und Stammesgesellschaften schon länger einer Rhetorik bedient, die weniger dem Schutz von Individualrechten als vielmehr dem Schutz der Rechte von Völkern verschrieben war,1922 in den operativen Teilen der Entscheidungsbegründungen die Rechte und ihre Verletzungen doch letztlich den einzelnen Mitgliedern der indigenen Völker und Stammesgesellschaften zugeordnet.1923 In der jüngst ergangenen Entscheidung Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador hat der Gerichtshof nun aber erstmals auch dem expliziten Wortlaut der Entscheidung nach das indigene Volk selbst als Verletzten angesehen und so Art. 21 AMRK hinsichtlich der Gewährleistung des Schutzes kommunalen Eigentums als Gruppenrecht definiert.1924 Auch die EndoroisEntscheidung der ACmHPR und die Ogiek-Entscheidung des ACtHPR stellt ausdrücklich auf das Bestehen von Gruppenrechten ab.1925 ten, wie er im Nagoya-Protokoll und auch bereits in Grundsatz 22 der Rio Erklärung gebraucht wurde. 1921  Vgl. hierzu auch ACHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 147; ACtHPR, no. 006 / 2012: African Commission on Human and Peoples’ Rights / Republic of Kenya, Urteil vom 26. Mai 2017, Rn. 102. 1922  R. Pavoni, Environmental Jurisprudence of the European and Inter-American Courts of Human Rights: Comparative Insights, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 (95). 1923  Dies unterstreicht das Erfordernis der Verletzteneigenschaft, dass aufgrund des grundsätzlich individualistischen Ansatzes der AMRK auch hier besteht, R. Pavoni, Environmental Jurisprudence of the European and Inter-American Courts of Human Rights: Comparative Insights, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 (94). 1924  I / A Court H.R., Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and reparations. Judgment of June 27, 2012. Series C No. 245, Rn. 341, Ziff. 2; D. L. Shelton, The Inter-American Human Rights Law of Indigenous Peoples, University of Hawaii Law Review 35 (2013), 937 (968); T. M. Antkowiak, Rights, Resources and Rhetoric: Indigenous Peoples and the Inter-American Court, University of Pennsylvania Journal of International Law 35 (2013), 115 (137 sowie im Text bei Fn. 199). Selbst wenn man davon ausgeht, dass diese Entscheidungspraxis der Besonderheit indigener Gruppen geschuldet ist, die aufgrund ihrer spezifischen Merkmale abgegrenzt werden können, stellt dies ein Abrücken von der bisher geltenden Forderung dar, dass stets dargelegt werden müsse, dass die geltend gemachten Verletzungen individuellen Mitgliedern einer Gruppe widerfahren sind, ohne dass dabei jedes einzelne Opfer aus der Gruppe benannt werden müsse, vgl. IACmHR, Report No. 88 / 03, Petition No. 11.533, Panama, 22.10.2003 (Metropolitan Nature Reserve), Inadmissibility, Rn. 32. 1925  ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 187; ACtHPR, no. 006 / 2012: African Commission on Human and Peoples’ Rights / Republic of Kenya, Urteil vom 26. Mai 2017, Rn. 123, 169, 201.



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Um den durch den IACtHR als geboten erkannten Schutz gewährleisten zu können und gleichzeitig nicht der Gefahr zu erliegen, angesichts der Vielfalt der Lebensweisen indigener Völker eine unterkomplexe oder aber eine zu weitreichende Definition indigener Völker zu formulieren, stellte der Gerichtshof in Ansehung bestimmter klagender Gruppen nicht auf deren Eigenschaft als indigenes Volk, sondern auf deren Unterscheidbarkeit von anderen Gruppen innerhalb des jeweiligen Staates und ihre besondere Schutzbedürftigkeit aufgrund ihrer besonderen Beziehung zu dem traditionell von ihnen genutzten Land ab. Die Fokussierung auf das Merkmal einer besonderen Beziehung zwischen einer Gruppe und ihrem Land zeigte sich insbesondere in der Einbeziehung1926 auch solcher Stammesgesellschaften in den persönlichen Anwendungsbereich des zugebilligten Eigentumsschutzes nach Art. 21 AMRK, die in den betroffenen Gebieten nicht einheimisch waren, bevor (europäische) Siedler nach Südamerika gelangten, sondern als Nachfahren afrikanischer Sklaven nach ihrer Flucht aus der Gefangenschaft Gemeinschaften nach dem Vorbild ihrer Vorfahren bildeten (sog. Maroons) und bis heute als nicht-indigene Stammesgesellschaften leben.1927 Dies macht es deutlich, dass der IACtHR den besonderen rechtlichen Schutz gerade nicht nur solchen Gruppen zuerkennen will, deren Vorfahren bereits vor der Besiedlung durch europäische Siedler in Südamerika einheimisch waren und in diesem Sinne indigen sind. Der Gerichtshof legt seiner Rechtsschutzkonzeption gerade nicht ein solch enges Konzept von Indigenität zugrunde. Auf diese Erwägungen griffen zuletzt auch die ACmHPR in ihrer Endorois-Entscheidung, teilweise auch der ACtHPR in seiner Ogiek-Entscheidung zurück. Obwohl die Banjul Charter zahlreiche Rechte von Völkern und gerade nicht nur von Individuen enthält, findet sich auch dort keinerlei Definition des Begriffs des Volkes oder gar des indigenen Volkes.1928 Zur näheren Bestimmung des Begriffs verweisen die afrikanischen Menschenrechtsorgane 1926  I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 83 f. und 86. 1927  Vgl. hierzu die Entscheidungen des Inter-Amerikanischen Gerichtshofs in den Rechtssachen Case of the Moiwana Community v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Judgment of June 15, 2005. Series C No. 124, Rn. 132 f. sowie I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 79 ff. sowie L. Brunner, The Rise of Peoples’ Rights in the Americas: The Saramaka People Decision of the Inter-American Court of Human Rights, Chinese Journal of International Law (2008), 699 (700). Vgl. auch zu den Definitionen indigener Völker und Stammesgesellschaften in Art. 1 Nr. 1 ILO-Konvention 169. 1928  ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009,

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deshalb auf Diskussionen sowohl innerhalb des afrikanischen Menschenrechtssytems als auch – gem. Art. 61 Banjul Charter ausdrücklich zugelassen – auf Quellen außerhalb dieses Systems. Letztlich stellen ACmHPR und ACtHPR auf das Vorliegen ganz verschiedener Bedingungen in einer Zusammenschau ab,1929 insbesondere aber – im Anschluss an die Rechtsprechung des IACtHR – auf das Vorliegen einer besonderen Beziehung einer Gruppe an Menschen zu dem von ihr traditionell besetzten Land.1930 Dieses Kriterium hatte etwa die Kommission nicht nur als allen Definitionsversuchen gemeinsames Element erkannt,1931 sondern es entsprach auch ihrer eigenen Auffassung, dass der Begriff des indigenen Volkes weniger eine bestimmte Klasse an Menschen innerhalb eines Staates als vielmehr der Adressierung historischer und gegenwärtiger Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten dienen soll. Gerade zur Begründung der Unterscheidbarkeit der Gruppe von anderen Teilen der Gesellschaft stellen Kommission und Gerichtshof zudem ergänzend auf das Kriterium der Selbst-Identifikation ab, wonach es gerade die Gruppe selbst ist, die sich über ein Zusammengehörigkeitsgefühl, ein Volksbewusstsein, bestimmte Bräuche und Regelungen identifiziert. Die Unterscheidbarkeit einer Gemeinschaft von anderen Gruppen innerhalb der Gesellschaft werde auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass sich einzelne Mitglieder der Gruppe inzwischen nicht mehr in der hergebrachten Weise mit der eigenen Kultur, den eigenen Bräuchen und Regelungen identifiziere oder einzelne Mitglieder außerhalb der Gruppe lebten und nur noch eine abgeschwächte Beziehung zu dieser besitzen. Problematisch sind vor diesem Hintergrund die Einordnung etwa nomadischer Stämme, deren traditionelles Leben gerade darin besteht, nicht stets am selben Ort zu verweilen und die dennoch häufig eine enge, nicht rein wirtschaftliche Beziehung zu den von ihnen aufgesuchten Orten aufweisen.1932 Rn. 147; ACtHPR, no. 006 / 2012: African Commission on Human and Peoples’ Rights / Republic of Kenya, Urteil vom 26. Mai 2017, Rn. 105. 1929  ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 147 ff.; ACtHPR, no. 006 / 2012: African Commission on Human and Peoples’ Rights / Republic of Kenya, Urteil vom 26. Mai 2017, Rn. 105 ff. 1930  ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 156; ACtHPR, no. 006 / 2012: African Commission on Human and Peoples’ Rights / Republic of Kenya, Urteil vom 26. Mai 2017, Rn. 107. 1931  ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 154. 1932  L. Brunner, The Rise of Peoples’ Rights in the Americas: The Saramaka ­People Decision of the Inter-American Court of Human Rights, Chinese Journal of International Law (2008), 699 (705).



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Neben der Anerkennung von indigenen Völkern und nicht-indigenen Stammesgesellschaften werden auch Forderungen danach erhoben, auch andere, nicht-indigene lokale Gemeinschaften als Träger von kollektiven Landnutzungsrechten anzuerkennen.1933 Eine klare Rechtsprechung existiert hierzu bislang jedoch nicht. b) Eigentums- und weitere Landnutzungsrechte indigener und nicht-indigener Stammesgesellschaften in AMRK, American Declaration und ACHPR Neben Eigentumsrechten haben IACtHR und IACmHR auch anderen Garantien der AMRK bzw. der American Declaration umweltrelevante Schutzgehalte entnommen.1934 Soweit diese Individualrechte betrafen, sind sie bereits im Rahmen der Untersuchung der EMRK nachgewiesen worden. Landnutzungsrechte indigener Völker wurden im inter-amerikanischen Menschenrechtssystem dagegen ganz überwiegend auf die Eigentumsgarantien der beiden Menschenrechtsinstrumente gestützt, die im folgenden ausschließlich betrachtet werden sollen. ACmHPR und ACtHPR haben dagegen neben der Eigentumsgarantie der ACHPR auch anderen Normen der Banjul-Charter indigene Landnutzungsrechte entnommen, die hier zumindest am Rande ebenfalls in die Betrachtung einbezogen werden sollen. aa) Art. 21 Abs. 1 AMRK, Art. XXIII American Declaration Das inter-amerikanische Menschenrechtssystem enthält sowohl in Art. 21 AMRK als auch in Art. XXIII AD Garantien des Rechts auf Eigentum. Trotz ihres unterschiedlichen Wortlauts1935 wurden sie mit Blick auf die hier rele1933  Siehe P. Manirakiza, Loyola University Chicago International Law Symposium Keynote Address Towards an African Human Rights Perspective on the Extractive Industry, Loyola University Chicago International Law Review, 11 (2013), Heft  1, Artikel 2, S. 8, die darauf hinweist, dass es sich bei den Ogoni nicht um ein indigenes Volk handelt, dieses aber gleichwohl von der ACmHPR als Rechtsträger anerkannt wurde. 1934  So etwa noch in der Yanomami-Resolution: IACmHR, Resolution No. 12 / 85, Case No. 7615, Brazil, 5.3.1985 (Yanomami), Considerations, vgl. hierzu E. C. O. Alanís, Indigenous Peoples’ Rights and the Extractive Industry: Jurisprudence From the Inter-American System of Human Rights, GOJIL 5 (2013), 187 (195). 1935  Art. XXIII AD ist seinem Wortlaut nach weniger weitreichend, da hiernach lediglich das Recht auf solches Eigentum gewährleistet wird, welches erforderlich ist, die grundlegenden Bedürfnisse für ein annehmbares („decent“) Auskommen zu befriedigen und hilft, die Würde („dignity“) des Einzelnen und seines Heims zu bewahren. Da der Schutz indigener Landrechte hierüber nicht hinausgeht, haben sich diese Beschränkungen für den vorliegenden Zusammenhang nicht niedergeschlagen.

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vanten Fragen von IACtHR und IACmHR parallel zueinander entwickelt, sodass die Darstellung im Folgenden allein anhand von Art. 21 AMRK erfolgen kann. Gem. Art. 21 Abs. 1 AMRK hat jede Person das Recht sein Eigentum zu nutzen und zu genießen.1936 Das Konzept Eigentum wird durch IACtHR und IACmHR autonom1937 und unter Berücksichtigung der besonderen Schutzbedürftigkeit indigener Völker, wie sie bereits geschildert wurde, evolutiv ausgelegt. Danach wird der Eigentumsbegriff des Menschenrechtssystems nicht lediglich durch das innerstaatliche Recht der Mitgliedstaaten,1938 sondern vielmehr auch durch indigene Bräuche und Traditionen normgeprägt1939 und umfasst insoweit auch verschiedene Formen traditionellen kommunalen Eigentums.1940 Diese Anerkennung sehen Kommission und Gerichtshof auch durch Trends im internationalen Recht bestätigt,1941 wie sie sich etwa in Konvention 169 der internationalen Arbeitsorganisation (ILO), UNDRIP so1936  Das Gericht bemerkt in I / A Court H.R., Case of the Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua. Merits, Reparations and Costs. Judgment of August  31, 2001. Series C No. 79, Rn. 145, ausdrücklich, dass bei der Entstehung der Norm bewusst nicht der engere Begriff des Privateigentums gebraucht worden sei. 1937  I / A Court H.R., Case of the Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua. Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 31, 2001. Series C No. 79, Rn. 146; IACmHR, Report No. 40 / 04, Case No. 12.053, Belize, 12.10.2004 (Maya indigenous community of the Toledo District v. Belize), Rn. 117 m. w. N. aus der Rechtsprechung des EGMR. 1938  So ausdrücklich die Kommission in IACmHR, Report No. 40 / 04, Case No. 12.053, Belize, 12.10.2004 (Maya indigenous community of the Toledo District v. Belize), Rn. 131; I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 93. 1939  I / A Court H.R., Case of the Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua. Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 31, 2001. Series C No. 79, Rn. 148; IACmHR, Report No. 40 / 04, Case No. 12.053, Belize, 12.10.2004 (Maya indigenous community of the Toledo District v. Belize), Rn. 117; I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 92 ff. (96); I / A Court H.R., Case of the Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs. Judgment of March 29, 2006. Series C No. 146, Rn. 119 f. unter Verweis auf Art. 13 ILO-Convention 169. Die Frage nach dem Bestehen von Eigentumsrechten indigener Völker unabhängig von deren Anerkennung durch die jeweilige nationale Rechtsordnung soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Diese Diskussion bildet aber auch den rechtlichen Hintergrund für die nur eingeschränkte Bereitschaft der an den Verhandlungen des Nagoya-Protokolls beteiligten Staaten, indigenen und lokalen Gemeinschaften eine vom nationalen Recht unabhängige Position beim Zugang zu genetischen Ressourcen zu gewähren. Vgl. Art. 6 Abs. 2 NP, hierzu unten: Zweiter Teil, C. III. 2. b) ff) (2). 1940  St. Rspr. seit IACmHR, Report No. 40 / 04, Case No. 12.053, Belize, 12.10.2004 (Maya indigenous community of the Toledo District v. Belize), Rn. 115.



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wie im Entwurf der Amerikanischen Erklärung der Rechte indigener Völker widerspiegelten.1942 Nur so halten es die inter-amerikanischen Menschenrechtsorgane für möglich, dass dem besonderen Verhältnis indigener Völker zu ihrem traditionellen Land Rechnung getragen und so die physische wie kulturelle Basis dieser Gesellschaften geschützt wird.1943 Neuere Entscheidungen stellen zudem darauf ab, dass dieser Schutz instrumentell für den Schutz des Rechts solcher Gemeinschaften auf ihre eigene Kultur sei.1944 Diese Formen des Eigentums nicht zu schützen bedeutete überdies, den Schutz von Art. 21 AMRK Millionen Menschen zu versagen, was, so betonte der Gerichtshof mehrfach, nicht akzeptabel sei.1945 In räumlicher Hinsicht erstreckt sich der Schutz auf dasjenige Gebiet, welches das indigene Volk traditionsgemäß genutzt und beansprucht hat.1946 Im Ergebnis wird damit 1941  Diese wurden unter Verweis insbesondere auf Art. 29(b) AMRK für die Auslegung von Art. 21 herangezogen, vgl. zu diesem methodischen Vorgehen bereits oben: Zweiter Teil, C. II. 2. a). 1942  IACmHR, Report No. 40 / 04, Case No. 12.053, Belize, 12.10.2004 (Maya indigenous community of the Toledo District v. Belize), Rn. 118. In I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 93 ff., stellt der Gerichtshof dagegen mangels Ratifizierung der vorgenannten Instrumente durch Suriname auf Entwicklungen der Entscheidungspraxis des Überwachungsausschusses des internationalen Paktes für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19.  Dezember 1966 ab. Eine Wechselwirkung zwischen der Entscheidungspraxis der Menschenrechtsorgane einerseits und vertragsrechtlicher Initiativen zur Verfestigung der Rechte indigener Völker andererseits etwa im Entwurf der amerikanischen Erklärung der Rechte indigener Völker beobachtet L. Brunner, The Rise of Peoples’ Rights in the Americas, Chinese Journal of International Law (2008), 699 (701). 1943  I / A Court H.R., Case of the Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs. Judgment of March 29, 2006. Series C No. 146, Rn. 118; I / A Court H.R., Case of the Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs. Judgment of June 17, 2005. Series C No. 125, Rn. 137; I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 90. 1944  I / A Court H.R., Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and reparations. Judgment of June 27, 2012. Series C No. 245, Rn. 171 und 212 ff. 1945  Siehe I / A Court H.R., Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and reparations. Judgment of June 27, 2012. Series C No. 245, Rn. 145; I / A Court H.R., Case of the Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs. Judgment of March 29, 2006. Series C No. 146, Rn. 120; I / A Court H.R., Case of the Xákmok Kásek Indigenous Community. v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 24, 2010. Series C No. 214, Rn. 85; zuletzt I / A Court H.R., Case of the Kaliña and Lokono Peoples v. Suriname. Merits, Reparations and Costs. Judgment of November 25, 2015. Series C No. 309, Rn. 129. 1946  I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 96.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Eigentum indigener Völker geschützt, auch soweit dieses durch das jeweilige nationale Recht keine Anerkennung gefunden hat1947 und insoweit nicht geprägt ist durch staatliche, sondern lediglich den gemeinschaftlichen Traditionen und Bräuchen indigener Völker entspringenden Normen. Unmittelbares Schutzgut des Eigentumsrechts indigener Völker und nichtindigener Stammesgesellschaften gem. Art. 21 AMRK sind die Formen kommunalen Eigentums, wie sie sich aus den Traditionen und Bräuchen indigener Völker und nicht-indigener Stammesgesellschaften ergeben haben. Diese umfassen nicht nur das Recht zur Nutzung des traditionell besetzten Landes. Der Gerichtshof geht vielmehr davon aus, dass der Zweck des Schutzes des Eigentums indigener Völker und Stammesgesellschaften, nämlich der Schutz ihrer physischen1948 und kulturellen Basis nur dann möglich ist, wenn die Gemeinschaften auch Zugriff auf die von ihnen traditionell genutzten natürlichen Ressourcen haben. Deshalb – weil das Recht auf die Nutzung des Landes ohne Recht auch zur Nutzung der dort vorkommenden natürlichen Ressourcen bedeutungslos wäre – sei zugleich auch das Recht auf Nutzung und Genuss der traditionell1949 von den indigenen Völkern genutzten natürlichen Ressourcen – einschließlich der Ressourcen unterhalb der Erde – innerhalb des vom Eigentum umfassten Gebietes von Art. 21 AMRK erfasst, soweit sie nötig sind für das Überleben, die Entwicklung und die Fortsetzung der Lebensweise eines solchen indigenen Volks.1950 Die 1947  Zum Schutz des Eigentums, selbst wenn dieses aus nicht zu vertretenden Gründen von den Indigenen verlassen werden musste und zur Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs, siehe nur I / A Court H.R., Case of the Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs. Judgment of June 17, 2005. Series C No. 125, Rn. 131, 137 und zuletzt I / A Court H.R., Case of the Kaliña and Lokono Peoples v. Suriname. Merits, Reparations and Costs. Judgment of November 25, 2015. Series C No. 309, Rn. 131, 155 ff. 1948  Hierzu siehe etwa I / A Court H.R., Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and reparations. Judgment of June 27, 2012. Series C No. 245, Rn. 147. 1949  Die Beschränkung auf die traditionell genutzten Ressourcen findet sich ausdrücklich bereits in der allerdings nicht verbindlichen Entscheidung IACmHR, Report No. 40 / 04, Case No. 12.053, Belize, 12.10.2004 (Maya indigenous community of the Toledo District v. Belize), Rn. 115. 1950  I / A Court H.R., Case of the Kaliña and Lokono Peoples v. Suriname. Merits, Reparations and Costs. Judgment of November 25, 2015. Series C No. 309, Rn. 164; I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 120 und 122. Vgl. auch bereits I / A Court H.R., Case of the Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs. Judgment of June 17, 2005. Series C No. 125, Rn. 124 und 137 sowie I / A Court H.R., Case of the Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs. Judgment of March 29, 2006. Series C No. 146, Rn. 118 und 121; hierzu auch E. C. O.



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker

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Bestimmung dieser so abstrakt gekennzeichneten Ressourcen muss anhand des Einzelfalls erfolgen. In der Festlegung ihrer Merkmale kommt deutlich der Versuch eines Ausgleichs zwischen den Interessen indigener Völker und Stammesgesellschaften einerseits und den öffentlichen Interessen der Mehrheitsgesellschaften andererseits zum Ausdruck.1951 Typischerweise umfassen die Ressourcen jedenfalls sauberes Wasser, aber auch die Bäume auf dem von dem Eigentumsrecht umfassten Gebiet. Dies gilt jedenfalls insoweit, als die Ernte und Verarbeitung von Holzprodukten zu den traditionellen Nutzungen des Volkes gehören. Schließlich sind auch traditionell genutzte Pflanzen und Tiere erfasst.1952 Von erheblicher Bedeutung für die vorliegende Untersuchung ist es aber in diesem Zusammenhang, dass nicht nur und erst die gezielte Beeinträchtigung der unmittelbar von Art. 21 AMRK erfassten Ressourcen zur Eröffnung des Schutzbereichs der Garantie führt. Vielmehr ist es ausreichend, wenn etwa der Abbau von im konkreten Fall nicht erfassten Ressourcen zur Beeinträchtigung erfasster Ressourcen, etwa die Ölexploration oder der Abbau von Gold zur Verschmutzung des Wassers führt, das die Gemeinschaft als Trinkwasser und zum Fischen nutzt, wenn die Wälder zerstört werden, und dies die Tiere vertreibt, die gejagt werden.1953 Unklar erscheint aber, ob der Gerichtshof auch den Gegenschluss aus der Beschränkung des Eigentumsrechts auf traditionell genutzte Ressourcen in dem Sinne ziehen will, dass auch indigene Gemeinschaften zum Abbau anderer, nicht von ihrem Eigentumsrecht umfasster Ressourcen Genehmigungen benötigen. Diesen Schluss hatte der betroffene Staat in seinem Antrag auf gerichtliche Interpretation der Saramaka-Entscheidung nach Alanís, Indigenous Peoples’ Rights and the Extractive Industry: Jurisprudence from the Inter-American System of Human Rights, GOJIL 5 (2013), 187 (204); Eine Anerkennung solcher Rechte fand bereits in Art. 15 ILO Convention 169 statt und wurde in Art. 8(b) UNDRIP bestätigt. Vgl. auch D. L. Shelton, The Inter-American Human Rights Law of Indigenous Peoples, University of Hawaii Law Review 35 (2013), 937 (940). 1951  L. Brunner, The Rise of Peoples’ Rights in the Americas: The Saramaka ­People Decision of the Inter-American Court of Human Rights, Chinese Journal of International Law (2008), 699 (703). 1952  I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 126, 144. 1953  I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 155 mit Blick auf erteilte Schürfrechte für Gold, das als natürliche Ressource im vorliegenden Fall nicht vom Eigentumsrecht der Saramaka erfasst war und ganz allgemein bei allen Ressourcen, deren Abbau solche Ressourcen beeinträchtigt, die von dem Eigentumsrecht umfasst sind. Vgl. insoweit auch ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 266.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Art. 67 der Konvention ausdrücklich gezogen.1954 Der Gerichtshof hat sich hierzu jedoch nicht geäußert.1955 bb) Gewährleistungen der ACHPR Anders als die Organe des inter-amerikanischen Menschenrechtsregimes hat die ACmHPR bislang nur wenige Entscheidungen zu Landnutzungsrechten indigener Völker erlassen. Während die Kommission in der Ogoni-Entscheidung von 2002 insbesondere auf das Recht auf eine gesunde Umwelt abstellte, um die Rechtsposition der Beschwerdeführer zu begründen, schloss sie sich in ihrer zuletzt ergangenen Endorois-Entscheidung in vielen Punkten der Rechtsprechung von IACtHR und IACmHR bzgl. der eigentumsrechtlich begründeten Landnutzungsrechte indigener Völker an, stützte sich für die Begründung einzelner Teilgewährleistungen jedoch auch auf andere Garantien. Der ACtHPR ist dem inzwischen gefolgt. Während die ACmHPR mit weitestgehend entsprechender Argumentation wie der IACtHR auf der Grundlage eines autonomen Verständnisses des Eigentumsbegriffs1956 davon ausgeht, dass Art. 14 ACHPR auch kommunale Formen indigenen Eigentums an dem von indigenen Völkern traditionell besetzten und genutzten Land erfasst, die im jeweiligen nationalen Recht nicht anerkannt werden1957 und insoweit dem Staat die Pflicht zu dessen förmlicher Anerkennung zukommt,1958 ist Art. 14 ACHPR, dieser Auslegung entsprechend, darauf begrenzt, den ungestörten Besitz und die Nutzung der Gebiete selbst zu gewährleisten.1959 Das Recht zur Nutzung auch der tradi­ 1954  I / A Court H.R., Case of the Saramaka People v. Suriname. Interpretation of the Judgment on Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 12, 2008. Series C No. 185, Rn. 44. 1955  I / A Court H.R., Case of the Saramaka People v. Suriname. Interpretation of the Judgment on Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 12, 2008. Series C No. 185, Rn. 44 ff. (57). 1956  ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 185. 1957  ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 196 ff. 1958  ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 205 f. Es ist gerade nicht ausreichend, den Völkern rein faktisch den Zugang zu ermöglichen, da dies jederzeit geändert werden kann, vgl. a. a. O. Rn. 204. 1959  Vgl. ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 186.



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tionell durch die indigenen Völker verwandten natürlichen Ressourcen entnimmt die Kommission dagegen der Garantie des freien Genusses des ­Wohlstands und der natürlichen Ressourcen durch alle Völker gem. Art. 21 ­ACHPR.1960 Der ACtHPR hat dagegen Art. 14 ACHPR auch das Recht zur Fruchtziehung entnommen und insoweit eine Konkurrenz zu Art. 21 ACHPR angenommen.1961 Analog zur Rechtsprechung des IACtHR anerkennt die ACmHPR aber, dass auch der Erlass von Konzessionen zum Abbau hiervon nicht erfasster Ressourcen zur Beeinträchtigung des Rechts eines indigenen Volkes aus Art. 21 ACHPR führen kann, wenn ein solcher Abbau zur Beeinträchtigung der dort erfassten natürlichen Ressourcen führt.1962 Dem Recht auf Entwicklung gem. Art. 22 ACHPR entnimmt die Kommission zudem insbesondere prozedurale Garantien zugunsten indigener Gemeinschaften für Fälle der Durchführung von Entwicklungsprojekten auf ihrem Land.1963 Soweit der Zugang zu den traditionell genutzten Gebieten zum Zwecke der Ausübung religiöser Rituale oder anderer kultureller Praktiken1964 betroffen ist, entnehmen Kommission und Gerichtshof zudem der durch Art. 8 Alt. 3 ACHPR gewährleisteten Religionsfreiheit und den durch Art. 17 Abs. 2, 3 ACHPR geschützten kulturellen Rechten die Pflicht, den Zugang und die Nutzung der religiösen Stätten zur Durchführung religöser Riten zu gewährleisten.1965 1960  ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 256 mit Verweis auf die entsprechende Rechtsprechung des IACtHR zu Art. 21 AMRK. So auch bereits ACmHPR, no 155 / 96, SERAC, CESR / Nigeria, 2002, Rn. 56–58. 1961  ACtHPR, no. 006 / 2012: African Commission on Human and Peoples’ Rights / Republic of Kenya, Urteil vom 26. Mai 2017, Rn. 124, 127, 201. 1962  ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 266. 1963  ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 277, 289 ff. Die von der Kommission ebenfalls angegebene substanzielle Dimension des Rechts bleibt dagegen sowohl in seinem Anwendungsbereich als auch in seinem Gewährleistungsgehalt weitgehend unklar. 1964  Nicht eindeutig scheint, was für die Kommission alles hierunter fällt. Während manche Ausführungen dafür sprechen, dass diese Rechte ebenso allenfalls ein Zugangsrecht zu bestimmten Stätten gewähren, spricht die abschließende Feststellung für ein weiterreichendes Verständnis, wonach auch hiernach Besitz und Nutzungsrechte gewährleistet werden könnten, auf welche das Volk der Endorois als Pastoralisten, d. h. Viehhalter, angewiesen sind. Vgl. ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 250 f. 1965  ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009,

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c) Die staatlichen Pflichten betreffend die Rechte indigener Völker und nicht-indigener Stammesgesellschaften aa) Abwehr- und Schutzpflichten Der IACtHR hat aus der Anerkennung des Schutzes kommunalen Eigentums indigener Völker und Stammesgesellschaften unabhängig von nationalen Rechtsvorschriften unter Art. 21 AMRK i. V. m. Art. 2 AMRK zunächst die allgemeine Pflicht der Staaten abgeleitet Maßnahmen zu ergreifen, die zur formalen Anerkennung der Rechte führen,1966 diese zu respektieren, zu schützen und zu garantieren. Damit besteht sowohl die Pflicht zur Unterlassung staatlicher Eingriffe als auch – in positiver Hinsicht – die Pflicht zum effektiven Schutz der Rechte.1967 Die ACmHPR und auch der ACtHPR gehen vom Bestehen beider Pflichtendimensionen ganz allgemein aus1968 und sehen diese ebenfalls durch Art. 14 Banjul Charter als gewährleistet an.1969 Nach ihrem parallelen Verständnis wird darunter nicht nur die Pflicht zum Erlass der zum effektiven Schutz notwendigen Rechtsvorschriften und die organisatorische Umsetzung innerhalb des Verwaltungsapparates und aller zur Ausübung staatlicher Macht vorgesehenen Einheiten verstanden, sondern auch das Erfordernis der tatsächlichen Anwendung der Gesetze und ihre effektive Rn. 166; ACtHPR, no. 006 / 2012: African Commission on Human and Peoples’ Rights / Republic of Kenya, Urteil vom 26.  Mai 2017, Rn. 164, 176 ff., insbesondere Rn. 190. 1966  Die bloße Möglichkeit der Anerkennung dieser Rechte vor nationalen Gerichten genügt auch in Common Law Systemen nicht, I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 105. 1967  Siehe bereits frühzeitig IACmHR, Resolution No. 12 / 85, Case No. 7615, Brazil, 5.3.1985 (Yanomami), Considerations, Rn. 11 „timely and effective measures to protect the human rights of the Yanomamis“. Zuletzt I / A Court H.R., Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and reparations. Judgment of June 27, 2012. Series C No. 245, Rn. 221. Anders als etwa im Rahmen der EMRK oder auch in der deutschen Grundrechtsrechtsprechung und -lehre ist für die erst seit den 1980er Jahren stattfindende Rechtsprechung des IACtHR nie umstritten gewesen, dass aus den in der AMRK geschützten Rechten auch positive Schutzpflichten des Staates folgen. 1968  Allgemein anerkannte die Kommission das Bestehen verschiedener Pflichtendimensionen bereits in ACmHPR, no. 155 / 96: Social and Economic Rights Action Center (SERAC) and Center for Economic and Social Rights (CESR) / Nigeria, 2002, Rn. 44 ff. Für den Gerichtshof siehe ACtHPR, no. 006 / 2012: African Commission on Human and Peoples’ Rights / Republic of Kenya, Urteil vom 26.  Mai 2017, Rn. 179, allerdings in Bezug auf Art. 17 ACHPR. 1969  ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 191.



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Durchsetzung.1970 Immer wieder betont hat der Inter-Amerikanische Gerichtshof diesbezüglich die Notwendigkeit der Festlegung der Reichweite der Eigentumsrechte indigener Völker und Stammesgesellschaften im nationalen Recht, die tatsächliche (physische) Abgrenzung der jeweils von den Eigentumsrechten erfassten Gebiete und die Verleihung formeller Eigentums­ titel.1971 bb) Staatliche Pflichten im Falle von Eingriffen in gewährleistete Rechte Sowohl das Eigentumsrecht der AMRK als auch die hier betrachteten Gewährleistungen der ACHPR stellen keine absoluten Rechte dar, sondern sind Beschränkungen zugänglich. Teils lassen die Normen dies, wie etwa Art. 21 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 AMRK,1972 Art. XXVIII American Declaration oder Art. 14 S. 2, Art. 21 ACHPR ausdrücklich zu, teils sind entsprechende Beschränkungen jedenfalls anerkannt.1973 Der IACtHR bzw. die IACmHR haben in einer ganzen Reihe von Entscheidungen betreffend Beschränkungen von Landnutzungen indigener Völker durch Entwicklungs-, insbesondere Infrastrukturprojekte1974 Anforderun1970  I / A Court H.R., Case of the Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs. Judgment of June 17, 2005. Series C No. 125, Rn. 141; I / A Court H.R., Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and reparations. Judgment of June 27, 2012. Series C No. 245, Rn. 166. Eine Unterscheidung zwischen einer primären und einer sekundären Schutzpflicht mit Blick auf einen Einschätzungsspielraum nationaler Gesetzgeber wird hier nicht vorgenommen. 1971  IACmHR, Resolution No. 12 / 85, Case No. 7615, Brazil, 5.3.1985 (Yanomami), Resolve, Rn. 3b); I / A Court H.R., Case of the Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua. Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 31, 2001. Series C No. 79, Rn. 153a); IACmHR, Report No. 40 / 04, Case No. 12.053, Belize, 12.10.2004 (Maya indigenous community of the Toledo District v. Belize), Rn. 130, 132; I / A Court H.R., Case of the Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs. Judgment of June 17, 2005. Series C No. 125, Rn. 143; I / A Court H.R., Case of the Kaliña and Lokono Peoples v. Suriname. Merits, Reparations and Costs. Judgment of November 25, 2015. Series C No. 309, Rn. 133, auch bei diesem Prozess sind Konsultationen mit den Indigenen durchzuführen. 1972  Siehe etwa I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 127. Die nach der AMRK zulässigen Beschränkungen sind stets in Zusammenschau mit deren Art. 30 auszulegen. 1973  Vgl. ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 172 (hinsichtlich der in Art. 8 Alt. 3 ACHPR gewährleisteten Religionsfreiheit), Rn. 249 (hinsichtlich der in Art. 17 ACHPR gewährleisteten kulturellen Rechte), Rn. 267 (hinsichtlich des Rechts an natürlichen Ressourcen gem. Art. 21 ACHPR). 1974  Erfasst sind grundsätzlich alle Entwicklungs-, Investment-, Aufsuchungs- oder Ressourcengewinnungsvorhaben, welche die Integrität des Landes oder der Ressour-

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gen herausgearbeitet, denen Staaten für die Rechtfertigung von Eingriffen in die Eigentumsrechte indigener Völker genügen müssen. Art. 21 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 AMRK sieht insoweit vor, dass der Staat das Recht auf Eigentum im Interesse der Allgemeinheit einschränken kann, wenn und soweit die Beschränkungen zuvor rechtlich normiert wurden, sie notwendig sind, verhältnismäßig und mit dem Zweck verfolgt werden, ein legitimes Ziel in einer demokratischen Gesellschaft zu erreichen. Legitimes Ziel kann insbesondere die wirtschaftliche Entwicklung der Staaten sein.1975 Der IACtHR sieht jedoch auch eine absolute Grenze für die Rechtfertigungsfähigkeit von ­ ­Beschränkungen. Diese ist erreicht, wenn die Beschränkung sich zu einer Leugnung der Traditionen und Bräuche indigener Völker in einer Weise auswächst, die das Überleben der Gruppe selbst und ihrer Mitglieder gefährdet.1976 Dabei geht es nicht ausschließlich um ein physisches Überleben, sondern die Möglichkeit der Fortsetzung ihrer Lebensweise und das Fortbestehen ihrer besonderen kulturellen Identität, sozialen Struktur, ihrer ökonomischen Systeme, Bräuche, ihres Glaubens und darum, dass ihre Traditionen respektiert, garantiert und geschützt werden.1977 Eine generelle Bestimmung cen Indigener beeinträchtigen können, vgl. I / A Court H.R., Case of the Kaliña and Lokono Peoples v. Suriname. Merits, Reparations and Costs. Judgment of November 25, 2015. Series C No. 309, Rn. 2026. 1975  I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 127; I / A Court H.R., Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and reparations. Judgment of June 27, 2012. Series C No. 245, Rn.  156 f. 1976  I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 128 unter Hinweis auf UNHRC, Länsman et  al. v. Finland (52. Sitzungsperiode 1994), Communication Nr. 511 / 1992, U.N. Doc. CCPR / C / 52 / D / 511 /  1994, 8.  November 1994, § 9.4; kritisch zu dieser Inbezugnahme T. M. Antkowiak, Rights, Resources and Rhetoric: Indigenous Peoples and the Inter-American Court, University of Pennsylvania Journal of International Law 35 (2013), 115 (im Text bei Fn. 193); siehe auch IACmHR, Report No. 40 / 04, Case No. 12.053, Belize, 12.10.2004 (Maya indigenous community of the Toledo District v. Belize), Rn. 149 f. mit Bezug auf die Ogoni-Entscheidung der Afrikanischen Menschenrechtskommission. 1977  Die aus dem ersten Urteil des I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 91, 129, 121, stammenden Wendungen wollte das Gericht entsprechend seiner Interpretation im Urteil vom 12. August 2008, Rn. 37, als nähere Bestimmung von „survival“ verstanden wissen. Zu sehr im Sinne physischen Überlebens wird der Begriff dann auch von M. A. Orellana, Saramaka People v. Suriname, AJIL 102 (2008), 841 (846 f.) verstanden. Seine zugespitzte Kritik: „Stated bluntly, if the natural resource affected is essential for survival, then payment of compensation quantifies the price of the group’s existence“, dürfte deshalb nicht zutreffen, weil Fälle der Gefährdung der physischen Existenz indigener



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des noch zulässigen Maßes an Beeinträchtigung hält das Gericht nicht für möglich.1978 Schon vor dem Erreichen dieser Grenze muss im Rahmen der im Einzelfall vorzunehmenden Abwägung zudem das verfolgte öffentliche Interesse das Interesse der indigenen Gemeinschaft am unbeschränkten Genuss ihres Eigentumsrechts deutlich überwiegen.1979 Dabei sind auch die Besonderheiten des kommunalen Eigentums der Gemeinschaften und deren Funktion als Grundlage nicht nur der physischen, sondern auch kulturellen Existenz der Gemeinschaften zu berücksichtigen.1980 Mitunter kann die Verhältnismäßigkeit auch dadurch gewahrt werden, dass der Gemeinschaft alternative Gebiete überlassen werden,1981 was mit dem Blick auf den Schutz biologischer Vielfalt eine Schutzlücke eröffnet. Die ACmHPR hat sich dieser Rechtsprechung in ihrer Endorois-Entscheidung im Wesentlichen angeschlossen. Sie und auch der ACtHPR erkennen Beschränkungen der Land- und Ressourcennutzungsrechte indigener Völker unabhängig davon an, aus welcher Norm der Banjul-Charter diese abgeleitet werden. Gemeinsame Voraussetzung dieser Beschränkungen ist das Bestehen eines Gesetzesvorbehalts sowie die Wahrung der Verhältnismäßigkeit und seiner Teilgrundsätze.1982 Die Kommission hat sich darüber hinaus auch die im Rahmen des inter-amerikanischen Menschenrechtssystems etablierten Völker die Voraussetzung der bedeutenden Beeinträchtigung ihrer Rechte erfüllen, sodass für die Durchführung des Vorhabens das vorherige und informierte Einverständnis des indigenen Volkes nötig ist. 1978  I / A Court H.R., Case of the Saramaka People v. Suriname. Interpretation of the Judgment on Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 12, 2008. Series C No. 18, Rn. 42. 1979  I / A Court H.R., Case of the Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs. Judgment of June 17, 2005. Series C No. 125, Rn. 145. Hierzu auch E. C. O. Alanís, Indigenous Peoples’ Rights and the Extractive Industry: Jurisprudence From the Inter-American System of Human Rights, GOJIL 5 (2013), 187 (202). 1980  I / A Court H.R., Case of the Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs. Judgment of June 17, 2005. Series C No. 125, Rn. 146 ff. 1981  Eingehender zu den Voraussetzungen hierfür I / A Court H.R., Case of the Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs. Judgment of June 17, 2005. Series C No. 125, Rn. 151. 1982  Vgl. ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 172 f. für Art. 8 ACHPR, Rn. 211 ff. für Art. 14 ACHPR, Rn. 249 für Art. 17 ACHPR sowie Rn. 267 für Art. 21 ACHPR, wonach die Kommission hier dieselben Rechtfertigungsanforderungen heranzieht wie für Art. 14 ACHPR. ACtHPR, no. 006 / 2012: African Commission on Human and Peoples’ Rights / Republic of Kenya, Urteil vom 26.  Mai 2017, Rn. 129 für Art. 14 ACHPR, Rn. 167 für Art. 8 ACHPR und Rn. 187 ff. hinsichtlich Art. 17 unter Verweis auf die allgemeine Bestimmung des Art. 27 ACHPR.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

prozeduralen Anforderungen zu eigen gemacht.1983 Der ACtHPR hat sich zu diesen Fragen in seiner Ogiek-Entscheidung bedauerlicherweise nicht geäußert.1984 (1) Voraussetzung der effektiven Beteiligung und Konsultation Der IACtHR aber hat schon mehrfach die grundlegende Bedeutung des Rechts auf Konsultationen für eine effektive Beteiligung hervorgehoben, wie es auch Art. 15 Abs. 2 ILO-Konvention 1691985 garantiert. Dieses will der Gerichtshof inzwischen nicht mehr nur im Einzelfall über Art. 29(b) AMRK bzw. Art. 31 Abs. 3 WVK bei der Bestimmung der Reichweite der Verpflichtungen im Rahmen von Art. 21 AMRK heranziehen. Vielmehr ging der ­IACtHR zuletzt gar davon aus, dass es sich dabei inzwischen um einen allgemeinen Grundatz des Völkerrechts handele.1986 Dabei durfte sich der ­IACtHR auch durch die inzwischen ergangene Endorois-Entscheidung der ACmHPR bestätigt fühlen, auf die er auch ausdrücklich verwies.1987 Die ACmHPR hatte die Frage der Erforderlichkeit von Konsultationen selbst im Rahmen von Art. 22 Banjul Charter, dem Recht der Völker auf Entwicklung, geprüft. Bereits in der Vergangenheit hatte die Kommission die staatliche Pflicht zur Durchführung von Konsultationen mit Indigenen ausgesprochen, 1983  ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 227 f. sowie Rn. 289 ff. 1984  Hierfür sah der Gerichtshof wohl keinen Anlass, obwohl die antragstellende Kommission eine hierauf bezogene Rechtsmeinung vorgetragen hatte, ACtHPR, no. 006 / 2012: African Commission on Human and Peoples’ Rights / Republic of Kenya, Urteil vom 26. Mai 2017, Rn. 191. Auf prozedurale Garantien kommt der Gerichtshof lediglich beiläufig in Bezug auf Art. 14 sowie Art. 22 ACHPR (Recht auf Entwicklung) zu sprechen, vgl. a. a. O., Rn. 131 bzw. 210. 1985  Art. 15 Abs. 2 lautet: „In cases in which the State retains the ownership of mineral or sub-surface resources or rights to other resources pertaining to lands, governments shall establish or maintain procedures through which they shall consult these peoples, with a view to ascertaining whether and to what degree their interests would be prejudiced, before undertaking or permitting any programmes for the exploration or exploitation of such resources pertaining to their lands. The peoples concerned shall wherever possible participate in the benefits of such activities, and shall receive fair compensation for any damages which they may sustain as a result of such activities.“ 1986  I / A Court H.R., Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and reparations. Judgment of June 27, 2012. Series C No. 245, Rn. 164; allgemein zur Bedeutung allgemeiner Grundsätze des Völkerrechts siehe nur W. Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 17 Rn. 43. 1987  I / A Court H.R., Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and reparations. Judgment of June 27, 2012. Series C No. 245, Rn. 216, Fn. 285.



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wenn etwa Landnutzungsrechte betroffen waren. In der Endorois-Entscheidung konkretisierte sie nun die Anforderungen und bezog sich dafür vielfach auf die im Rahmen des inter-amerikanischen Menschenrechtssystems entwickelte Rechtsprechung.1988 In der neuesten Entscheidung des IACtHR scheint der Prozess der Verselbständigung dieser Garantie sich weiter dadurch fortzusetzen, dass der Gerichtshof das Recht konsultiert zu werden unmittelbar auch aus Art. 23 AMRK entnimmt, der gem. seiner Ziffer 1 lit. a. das Recht jedes Einzelnen verbürgt, an öffentlichen Angelegenheiten selbst oder durch einen Vertreter teilzunehmen.1989 Der Staat ist danach – unabhängig von der konkreten Größe eines Vorhabens1990 – zu direkten Konsultationen mit der jeweiligen Gemeinschaft im Einklang mit deren Bräuchen und Traditionen verpflichtet.1991 In einem Prozess permanenter Kommunikation muss der Staat zur Aufnahme von Informationen genauso bereit sein wie zur Information der Gemeinschaften selbst. Dabei muss die Verständigung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben durch kulturell auf die Bedürfnisse indigener Völker angepasste Verfahren geschehen und jedenfalls mit dem Ziel einer Einigung betrieben werden.1992 1988  ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 284, 287 und insbesondere 289. 1989  I / A Court H.R., Case of the Kaliña and Lokono Peoples v. Suriname. Merits, Reparations and Costs. Judgment of November 25, 2015. Series C No. 309, Rn. 202. Zusätzlich stützt sich das Gericht hier auf Art. 18 und 32 UNDRIP. 1990  Dies betont D. L. Shelton, The Inter-American Human Rights Law of Indigenous Peoples, University of Hawaii Law Review 2013, 937 (966). 1991  I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 133; diese Pflicht ist nicht auf Fälle der Beschränkung von Eigentumsrechten begrenzt, sondern besteht auch hinsichtlich der erstmaligen konstitutiven Bestimmung der Reichweite dieses Rechts auf Grundlage der Bräuche und Traditionen der Gemeinschaften, IACmHR, Report No. 40 / 04, Case No. 12.053, Belize, 12.10.2004 (Maya indigenous community of the Toledo District v. Belize), Rn. 132; I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 101; hierzu auch F. Cittadino, Public Interest to Environmental Protection and Indigenous Peoples’ Rights; in: E. J. Lohse / M. Poto, Participatory Rights in the Environmental Decision-Making Process and the Implementation of the Aarhus Convention, 2015, 75 (83). 1992  IACmHR, Report No. 40 / 04, Case No. 12.053, Belize, 12.10.2004 (Maya indigenous community of the Toledo District v. Belize), Rn. 143; I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 133; I / A Court H.R., Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and reparations. Judgment of June 27, 2012. Series C No. 245, Rn. 177 sowie ausführlich zu den notwendigen Anpassungen der Verfahren im Einzelfall Rn. 201 f. Zur Frage, ob

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Dies meint auch, dass es an der indigenen Gemeinschaft selbst ist, den oder die Repräsentanten der Gruppe für die Konsultationen auszuwählen.1993 Dies muss zu einem frühen Zeitpunkt bei der Verwirklichung eines Entwicklungsoder Investmentplans geschehen,1994 der der betroffenen Gemeinschaft genügend Zeit für einen internen Diskussionsprozess lässt1995 und einen effektiven Einfluss auf die Entscheidungsfindung ermöglicht.1996 Dazu muss insbesondere sichergestellt werden, dass die Mitglieder der Gemeinschaft sich über potenzielle Risiken einschließlich Umwelt- und Gesundheitsrisiken bewusst sind, damit eine Zustimmung zum Entwicklungs- oder Investmentplan bewusst und freiwillig geschieht.1997 Dies hat durch Konsultationen über die Ergebnisse der ebenfalls durchzuführenden Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung sowie die Darlegung der in Betracht gezogenen Beschränkungen der Eigentumsrechte zu geschehen.1998 Schließlich müssen die Konsultationen auf die traditionellen Wege solcher Gemeinschaften bei der Entscheidungsfindung Rücksicht nehmen. Soweit eine Kompensation des Verlusts der traditionellen Gebiete durch das Bereitstellen anderweitiger Gebiete erfolgen soll, muss auch hierzu ein Konsultationsprozess durchlaufen werden.1999 darüber hinaus auch eine Zustimmung der betroffenen Gemeinschaft erforderlich ist, sogleich. 1993  I / A Court H.R., Case of the Saramaka People v. Suriname. Interpretation of the Judgment on Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 12, 2008. Series C No. 185, Rn. 17. 1994  Insoweit auch ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 281. 1995  In der Interpretationsentscheidung I / A Court H.R., Case of the Saramaka People v. Suriname. Interpretation of the Judgment on Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 12, 2008. Series C No. 185, Rn. 17 wird dies noch einmal bestätigt. Danach müssen die Konsultationen „from the onset of the proposed activitiy“ an stattfinden. So auch I / A Court H.R., Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and reparations. Judgment of June 27, 2012. Series C No. 245, Rn. 180. 1996  I / A Court H.R., Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and reparations. Judgment of June 27, 2012. Series C No. 245, Rn. 167. 1997  I / A Court H.R., Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and reparations. Judgment of June 27, 2012. Series C No. 245, Rn. 208. Hierzu auch bereits das erläuternde Urteil des Gerichtshofs, I / A Court H.R., Case of the Saramaka People v. Suriname. Interpretation of the Judgment on Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 12, 2008. Series C No. 185, Rn. 16; vgl. auch ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 282 sowie 292. 1998  I / A Court H.R., Case of the Saramaka People v. Suriname. Interpretation of the Judgment on Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 12, 2008. Series C No. 185, Rn. 16 unter (5) und (6).



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In der Vergangenheit war zudem lange Zeit fraglich, ob eine Pflicht des Staates nicht nur dazu besteht, Konsultationen mit der betroffenen Gemeinschaft zu führen, sondern überdies auch die freiwillige und auf Kenntnis der Sachlage gegründete Zustimmung (Konzept des „free, prior and informed consent“)2000 der Gemeinschaft zu erhalten. Diese Pflicht wäre nicht mehr von rein prozeduralem, sondern auch materiellem Charakter und würde der Gemeinschaft ein Veto-Recht gegen sie beeinträchtigende geplante Entwicklungs- bzw. Investitionsvorhaben geben.2001 Ein solches Recht bzw. die entsprechende Pflicht des Staates hatte der Gerichtshof in seiner SaramakaEntscheidung für Fälle großer Entwicklungsprojekte in Erwägung gezogen, in denen von bedeutenden Auswirkungen2002 innerhalb des Territoriums der betroffenen Gemeinschaft auszugehen ist. Zwar scheint in der englischen Originalfassung unsicher, ob das Gericht diese Pflicht tatsächlich statuierte oder diese vielmehr nur erwog,2003 so sprach das Gericht auffälligerweise in diesem Zusammenhang mehrfach von, „the court considers […].2004 Aus der später nach Art. 67 AMRK durch den Gerichtshof erlassenen Interpretation der Entscheidung geht jedoch klar hervor, dass es sich um die Statuierung einer Pflicht handelt,2005 bei der lediglich durch den unbestimmten Rechtsbegiff der „bedeutenden Auswirkungen“ unscharf bleibt, wann ein Veto-Recht 1999  I / A Court H.R., Case of the Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs. Judgment of June 17, 2005. Series C No. 125, Rn. 152. 2000  Auf dieses Konzept wird noch im Rahmen der Untersuchung der Rechtsposition von ILC im Nagoya-Protokoll zurückzukommen sein. Siehe hierzu unten: Zweiter Teil, C. III. 2. b) dd) (2). 2001  Hierzu auch F. Cittadino, Public Interest to Environmental Protection and Indigenous Peoples’ Rights, in: E. J. Lohse / M. Poto, Participatory Rights in the Environmental Decision-Making Process and the Implementation of the Aarhus Convention, 2015, 75 (84). 2002  I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 134: „major impact“, teils werden auch die Begriffe des „significant impact“ oder des „profound impact“ verwendet. 2003  Eine solche Unklarheit sieht auch D. L. Shelton, The Inter-American Human Rights Law of Indigenous Peoples, University of Hawaii Law Review 35 (2013), 937 (975). 2004  I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 134 f., auch im Rahmen der Subsumtion wird dies nicht klar, Rn. 147, da im zugrunde liegenden Fall schon keine den Anforderungen entsprechende Konsultation stattgefunden hatte. 2005  I / A Court H.R., Case of the Saramaka People v. Suriname. Interpretation of the Judgment on Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 12, 2008. Series C No. 185, Rn. 17; so auch R. Pavoni, Environmental Jurisprudence of the European and Inter-American Courts of Human Rights, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 (102); vgl. auch

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der betroffenen Gemeinschaft tatsächlich besteht und wann nicht. Die ACmHPR hat sich dem in ihrer Endorois-Entscheidung  – leider ohne Konkretisierung des unbestimmten Begriffes der „bedeutenden Auswirkung“ – angeschlossen.2006 Bemerkenswert ist allerdings, dass der IACtHR in zwei neueren Entscheidungen sich zu diesem Punkt nicht erneut geäußert hat.2007 (2) Voraussetzung der Aufteilung von Vorteilen Staaten sind weiterhin verpflichtet, im Rahmen des Vernünftigen eine Aufteilung der sich aus den Entwicklungs- und Investitionsplänen ergebenden Vorteile sicherzustellen und hierfür einen entsprechenden Rechtsrahmen vorzusehen. Auch bezüglich dieses Teilhabekonzepts beruft sich der Gerichtshof auf dessen Verwendung in zahlreichen internationalen Dokumenten, insbesondere Art. 15 Abs. 2 ILO-Konvention 169. Auch insoweit hat sich die ACmHPR der Rechtsprechung des IACtHR angeschlossen.2008 Dogmatisch angeknüpft wird die Pflicht durch den IACtHR an das Kompensationsgebot des Art. 21 Abs. 2 AMRK.2009 Sie besteht nicht nur für Fälle des vollständigen Entzugs der Eigentumsposition, bspw. durch Enteignung, E. C. O. Alanís, Indigenous Peoples’ Rights and the Extractive Industry: Jurisprudence from the Inter-American System of Human Rights, GOJIL 5 (2013), 187 (206). 2006  ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 291. 2007  I / A Court H.R., Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and reparations. Judgment of June 27, 2012. Series C No. 245, hierzu auch T. M. Antkowiak, Rights, Resources and Rhetoric: Indigenous Peoples and the InterAmerican Court, University of Pennsylvania Journal of International Law 35 (2013), 115 (im Text bei Fn. 206). Kein Abrücken von dieser Anforderung sieht aber E. C. O. Alanís, Indigenous Peoples’ Rights and the Extractive Industry: Jurisprudence from the Inter-American System of Human Rights, GOJIL 5 (2013), 187 (212 f.). Die von ihr angeführten Belege tragen dies allerdings nicht. Erneut findet sich hierzu nichts in I / A Court H.R., Case of the Kaliña and Lokono Peoples v. Suriname. Merits, Reparations and Costs. Judgment of November 25, 2015. Series C No. 309, Rn. 202, allerdings gab der zugrunde liegende Sachverhalt hierfür auch keinen Anlass. 2008  ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 294. 2009  I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 138; I / A Court H.R., Case of the Kaliña and Lokono Peoples v. Suriname. Merits, Reparations and Costs. Judgment of November 25, 2015. Series C No. 309, Rn. 227; J. M. Pasqualucci, International Indigenous Land Rights, Wisconsin International Law Journal 2009–2010, 51 (93).



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sondern auch für Fälle des Entzugs der gewöhnlichen Nutzung und des Genusses solchen Eigentums.2010 Gerechte Kompensation i. S. v. Art. 21 Abs. 2 AMRK bedeutet in einer solchen Konstellation die angemessene (finanzielle) Beteiligung an den Vorteilen, die auf die Beschränkung oder den Entzug der Rechte der indigenen Gemeinschaft zur Nutzung und zum Genuss ihrer traditionellen Gebiete sowie der zum Überleben notwendigen Ressourcen ­ zurückzuführen sind.2011 Nach seiner neuesten Entscheidung müssen die zu gewährenden Vorteile zudem in einem Einigungsprozess zugewiesen werden,2012 bedarf die Festsetzung des Ausgleichs also hierauf bezogener Konsultationen. Damit verwischt der Gerichtshof allerdings jeden Unterschied zwischen dem Kompensationsgebot für erlittene Beeinträchtigungen und dem nach vorne gerichteten Gebot der Teilhabe an künftigen Erträgen, mithin der Generation neuer Einkünfte.2013 Es zeigt sich hier die bestimmende Rationalität des Eigentumsschutzes.2014 Der Gedanke der Anreizung eines nachhaltigen Verhaltens der Profiteure einer solchen Teilhabe mittels dieses Instruments, wie er im Rahmen seines Einsatzes in spezfisch für den Schutz biologsicher Vielfalt entwickelten Instrumenten wie dem NagoyaProtokoll zum Ausdruck kommt,2015 fehlt hier. Auch die ACmHPR widmete sich dieser zukunftsgerichteten Dimension des Konzepts des „benefit-­

2010  I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 139. 2011  I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 139. 2012  I / A Court H.R., Case of the Kaliña and Lokono Peoples v. Suriname. Merits, Reparations and Costs. Judgment of November 25, 2015. Series C No. 309, Rn. 229. 2013  J. M. Pasqualucci, International Indigenous Land Rights, Wisconsin International Law Journal 2009–2010, 51 (92 f.); E. Morgera, An International Legal Concept of Fair and Equitable Benefit-sharing, University of Edinburgh, School of Law, Research Paper Series No 2015 / 20, S. 16; diesen Unterschied übersieht R. Pavoni, Environmental Jurisprudence of the European and Inter-American Courts of Human Rights, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 (104). 2014  E. Morgera, An International Legal Concept of Fair and Equitable Benefitsharing, University of Edinburgh, School of Law, Research Paper Series No 2015 / 20, S. 19; vgl. auch M. A. Orellana, Saramaka People v. Suriname, The American Journal of International Law, 102 (2008), 841 (847), der zwar hervorhebt, dass sich in der Tatsache, dass der Gerichtshof eine Entschädigung für die Umweltzerstörungen zuspreche, die enge Verbindung zwischen Umwelt- und Menschenrechtsschutz zeige, andererseits aber auch kritisiert, dass die Entschädigungshöhe angesichts der festgestellten Umweltschäden äußerst gering sei. 2015  Dazu unten im Rahmen der Untersuchung des Nagoya Protokolls: Zweiter Teil, C. III. 1. sowie Zweiter Teil, C. III. 2. b) ee).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

sharing“ nicht, obwohl sie diese Frage im Rahmen des durchaus zukunftsgerichteten Rechts auf Entwicklung gem. Art. 22 Banjul Charter diskutierte.2016 Die genauen Modaliäten des festzulegenden Rechtsrahmens bleiben insoweit den Staaten überlassen, sind aber jedenfalls hinreichend offen zu halten, um den Besonderheiten indigener Völker und nicht-indigener Stammesgesellschaften gerecht werden zu können.2017 Die Empfänger der Vorteile sind in Konsultationen mit den indigenen Gemeinschaften nicht einseitig durch den Staat zu bestimmen.2018 Dabei auftretende Konflikte innerhalb der indigenen Gemeinschaften sind von diesen in Übereinstimmung mit ihren Bräuchen und Traditionen, nicht von Staaten oder dem Gerichtshof zu lösen.2019 Die Beziehung der Verpflichtung zur Ermöglichung der Teilhabe an sich ergebenden Vorteilen mit der bereits erläuterten Verpflichtung zur effektiven Beteiligung indigener Völker und nicht-indigener Stammesgesellschaften ist nicht abschließend geklärt. Die Teilhabe Betroffener kann als Gegenstand eines Angebots zur Erlangung des Einverständnisses der betroffenen Gesellschaft verstanden werden. Insoweit wäre die materielle Partizipation auf die effektive Verfahrensbeteiligung bezogen und würde diese unterstützen.2020 Gleichzeitig kann die Vereinbarung über eine Teilhabe aber gerade auch das Ergebnis einer Beteiligung und insoweit Zeugnis von der Zustimmung Betroffener auf Grundlage ihrer eigenen Wertvorstellungen sein.2021 Unklar bleibt aber etwa, ob eine Teilhabe auch dann erforderlich ist, wenn zwar eine 2016  Siehe ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 294. Obwohl nur im Rahmen des Rechts auf Entwicklung geprüft, will die ACmHPR der Aufteilung von Vorteilen auch für die Rechtfertigung des Eingriffs in das Eigentumsrecht aus Art. 14 ACHPR Bedeutung beimessen. Vgl. aber L. Brunner, The Rise of Peoples’s Rights in the Americas: The Saramaka People Decision of the Inter-American Court of Human Rights, Chinese Journal of International Law 7 (2008), 699 (707 und Fn. 58). 2017  So auch E. Morgera, An International Legal Concept of Fair and Equitable Benefit-sharing, University of Edinburgh, School of Law, Research Paper Series No 2015 / 20, S. 12 mit Verweis in Fn. 123 auf die im Sarayaku-Fall erfolgten Versuche eines Ölunternehmens, durch Angebote zur Teilhabe die indigenen Gruppen zu spalten. 2018  I / A Court H.R., Case of the Saramaka People v. Suriname. Interpretation of the Judgment on Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 12, 2008. Series C No. 185, Rn. 25. 2019  I / A Court H.R., Case of the Saramaka People v. Suriname. Interpretation of the Judgment on Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 12, 2008. Series C No. 185, Rn. 26. 2020  E. Morgera, Fair and Equitable Benefit-Sharing at the Cross-Roads of the Human Right to Science and International Biodiversity Law 2015, 803 (824 f.); zur allmählichen Anerkennung dieses Konzepts im Rahmen von Menschenrechtsforen dies., An International Legal Concept of Fair and Equitable Benefit-sharing, University of Edinburgh, School of Law, Research Paper Series No 2015 / 20, S. 9.



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Beteiligung der indigenen Gesellschaft durch Konsultationen erfolgen muss, ihre Zustimmung aber im konkreten Fall nicht erforderlich ist, ihr mithin gerade kein Veto-Recht zukommt.2022 (3) Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung Die weitere Verpflichtung von Staaten, vor der Beschränkung des Eigentumsrechts indigener Gemeinschaften aufgrund von Entwicklungs- und Investitionsprojekten mit potentiellen Auswirkungen auf traditionell genutzte natürliche Ressourcen des jeweiligen indigenen Volks die Durchführung von Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfungen sicherzustellen, bleibt relativ unbestimmt.2023 Geklärt ist lediglich, dass der Staat den Anforderungen entweder durch eine eigene Untersuchung oder durch die Aufsicht über eine Untersuchung unabhängiger und technisch fähiger Einheiten gerecht werden kann.2024 Die nähere Ausgestaltung der Prüfung muss mit den internationalen Standards und den „best practices“ für derartige Prüfungen übereinstimmen.2025 Der Gerichtshof verweist in einer Fußnote hierfür auf die Akwé:Kon Richtlinien, die im Rahmen der Biodiversitätskonvention erarbeitet wurden.2026 Ein besonderes Augenmerk sei dabei von den Staaten auf kumulative Effekte von gegenwärtigen und zukünftigen Vorhaben zu richten. Insoweit ist 2021  E. Morgera, An International Legal Concept of Fair and Quitable Benefitsharing, University of Edinburgh, School of Law, Research Paper Series No 2015 / 20, S. 20. 2022  E. Morgera, An International Legal Concept of Fair and Equitable Benefitsharing, University of Edinburgh, School of Law, Research Paper Series No 2015 / 20, S. 20 mit Verweis auf J. M. Pasqualucci, International Indigenous Land Rights, Wisconsin International Law Journal 2009–2010, 51 (91), der jedoch die Frage nicht offen lässt, sondern davon ausgeht, dass die Teilhabe unabhängig vom Bestehen eines Veto-Rechts zu erfolgen hat, ohne dies allerdings näher zu begründen. 2023  Die ACmHPR hat die Rechtsprechung des IACtHR – ohne weitere Spezifikationen  – auch insoweit übernommen, ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 266. 2024  I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 129, 155. 2025  So auch zuletzt in I / A Court H.R., Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and reparations. Judgment of June 27, 2012. Series C No. 245, Rn. 206. Hinsichtlich der Ogoniland-Entscheidung der ACmHPR bereits B. R. Konne, Inadequate Monitoring and Enforcement in the Nigerian Oil Industry: The Case of Shell and Ogoniland, Cornell International Law Journal 47 (2014), 181 (193). 2026  I / A Court H.R., Case of the Saramaka People v. Suriname. Interpretation of the Judgment on Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 12, 2008. Series C No. 185, Rn. 41.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

bei ihrer Durchführung eine Vorsorgeperspektive einzunehmen. Neben der so statuierten Verfahrenspflicht, die auch den Indigenen helfen soll, im Rahmen der Konsultationen auf informierter Grundlage eine Entscheidung über die zu erteilende Einwilligung zu geben,2027 verlangt der Gerichtshof von den Staaten auch – nach Erlangung des notwendigen Wissens durch die Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung – das Ergreifen adäquater Schutzmaßnahmen und Mechanismen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Ausnutzung erteilter Genehmigungen nicht zu bedeutenden2028 Schäden an den vom Eigentum umfassten Gebieten und der Gemeinschaft selbst führt,2029 bzw. eine Minimierung der schädlichen Effekte solcher Projekte auf das soziale, ökonomische und kulturelle Überleben der indigenen Gemeinschaft erreicht wird.2030 In diesem letzten Bezug auf die Gemeinschaft selbst kommt noch einmal zum Ausdruck, dass der Schutz mittels Art. 21 AMRK nicht allein auf den Schutz des Eigentums als Produktionsfaktor beschränkt ist, sondern auf seine Erhaltung als Grundlage des kulturellen Lebens indigener Gemeinschaften abzielt. d) Schutz biologischer Vielfalt Die Anerkennung von Rechten indigener Völker auf die Nutzung ihres traditionell bewohnten Landes sowie der dort befindlichen traditionell von der Gemeinschaft genutzten natürlichen Ressourcen führt unmittelbar rechtlich nur zum Schutz der insoweit anerkannten Rechte, insbesondere der kommunalen Formen des Eigentums und ihrer Schutzgegenstände, wie sie durch die Sitten und Bräuche dieser Gemeinschaften begründet sind. Mittelbar kann der so anerkannte Schutz aber auf verschiedene Weise auch zu einem tatsächlichen Schutz biologischer Vielfalt führen: Durch das den indigenen Völkern zugestandene Veto-Recht gegen Entwicklungsprojekte mit be2027  I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 133; I / A Court H.R., Case of the Saramaka People v. Suriname. Interpretation of the Judgment on Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 12, 2008. Series C No. 185, Rn. 185; zuletzt I / A Court H.R., Case of the Kaliña and Lokono Peoples v. Suriname. Merits, Reparations and Costs. Judgment of November 25, 2015. Series C No. 309, Rn. 214. 2028  Der Gerichtshof formuliert bei der Umschreibung der Schadensintensität uneinheitlich, benutzt einmal das Adjektiv „major“ und einmal „significant“. 2029  I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 154. 2030  I / A Court H.R., Case of the Saramaka People v. Suriname. Interpretation of the Judgment on Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 12, 2008. Series C No. 185, Rn. 39.



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker607

deutenden Auswirkungen innerhalb ihrer traditionell beanspruchten Gebiete ist diesen Völkern die Rechtsmacht verliehen, Entwicklungsprojekte im Einzelfall ganz zu stoppen und so auch die Ökosysteme auf ihrem Gebiet zu bewahren. Auch sonst sind die indigenen Völker jedenfalls in effektiver Weise zu konsultieren. Diese können in einem solchen Prozess darauf hinwirken, dass die Verwirklichung von Entwicklungsprojekten in möglichst verträglicher Weise mit ihren Gebieten und den für sie existenziellen Ökosystemen geschieht. Auch insoweit besteht die berechtigte Erwartung, dass die Einbindung indigener Völker in den Genehmigungsprozess von Entwicklungsvorhaben zur deren größerer Naturverträglichkeit führt. Hierauf ist auch die prozedurale Verpflichtung der Staaten gerichtet, vor einer Projektzulassung Umweltverträglichkeitsprüfungen durchzuführen. Die Spielräume der Vertragsstaaten für die genaue Durchführung solcher Prüfungen sind aber relativ weit. Ein Schutz biologischer Vielfalt scheint schließlich auch insoweit möglich, als dass indigene Völker stärker an den Vorteilen aus Entwicklungsprojekten beteiligt werden. Soweit sie dies in die Lage versetzt, ihre auf nachhaltiges Wirtschaften ausgerichtete Lebensweise fortzusetzen und die sozio-ökonomischen Ursachen für die Zerstörung biologischer Vielfalt bekämpft werden, insbesondere die indigenen Völker dabei unterstützt, die materiellen wie immateriellen Grundlagen ihrer Lebensweise zu sichern und damit den Druck zu einer (weiteren) Assimilierung und Anpassung an die Lebensweise der Mehrheitsgesellschaft zu reduzieren, kommt dies auch der Biodiversität zugute. Insoweit würde tatsächlich der Zweck erreicht, über den Schutz kommunalen Eigentums das physische und kulturelle Überleben indigener Völker und sonst erfasster Stammesgesellschaften zu erreichen2031 und so die gesellschaftlichen Grundlagen eines nachhaltigen Gebrauchs der Grundlagen biologischer Vielfalt zu bewahren. Unsicherheiten über die Operationalisierung der Rechte bleiben mit Blick auf den Schutz biologischer Vielfalt aber insoweit, als abstrakt nicht bestimmt werden kann, welche natürlichen Ressourcen überhaupt von den Nutzungsrechten umfasst werden2032 und ob etwa die relativ unbestimmt bleibende Verpflichtung hinsichtlich einer Aufteilung wirtschaftlicher Vorteile auf die im Einzelfall erfassten natürlichen Ressourcen beschränkt bleibt.2033 Zudem bleibt relativ unklar, unter welchen Voraussetzungen indigenen Völkern ein Veto-Recht gegen Vorhaben zukommt und ihre Position verstärkt, da dies von den äußerst unbestimmten Begriffen der „großen Ent2031  I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 90. 2032  M. A. Orellana, Saramaka People v. Suriname, AJIL 102 (2008), 841 (846). 2033  M. A. Orellana, Saramaka People v. Suriname, AJIL 102 (2008), 841 (846).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

wicklungsprojekte“ mit „bedeutenden Auswirkungen“ abhängig gemacht wird.2034 Schließlich erscheint die Befürchtung nicht unbegründet, dass das Konzept des „benefit-sharing“ in der hier verwandten, stark auf den Gedanken der Kompensation gestützten Form, in den Staaten in einer Weise umgesetzt werden könnte, die letztlich nur ein Preisschild an die Menschenrechte indigener Völker heftet.2035 Weiterhin ist zu beachten, dass die Entwicklung der hier untersuchten Rechtsprechung im Rahmen des inter-amerikanischen und auch des afrikanischen Menschenrechtssystems in erster Linie nicht einen Schutz der Natur, sondern den Schutz indigener Völker als Minderheiten bezweckt. Dies drückt sich konkret darin aus, dass die den Völkern zuerkannten Rechte als Ausdruck ihrer Selbstbestimmung zu verstehen sind und nicht ihrerseits funktional auf die Erreichung bestimmter Ziele wie den Schutz biologischer Vielfalt verpflichtet sind. Mithilfe der entwickelten Rechte soll indigenen Völkern ein Freiheitsraum garantiert werden, damit diese etwa den von ihnen verfolgten Formen der Subsistenzwirtschaft nachgehen können. Auch diese können mit erheblichen Eingriffen in Ökosysteme verbunden sein und zur Zerstörung von Naturbestandteilen, etwa der Tötung von Exemplaren seltener Tierarten führen. Auch umfassen die den indigenen Völkern gewährten Rechte die Freiheit, auf den Schutz der von ihnen traditionell besessenen Gebiete zu verzichten und etwa gegen eine entsprechende Entschädigung diese Gebiete zugunsten der Durchführung eines Entwicklungsprojekts zu verlassen. Insoweit wird deutlich, dass der Schutz biologischer Vielfalt nicht einmal ein zwingend eintretender Rechtsreflex des gewährleisteten Schutzes indigener Landrechte darstellt, sondern davon abhängt, inwieweit die Annahme einer nachhaltigen Lebensweise indigener Völker und die Erwartung ihres Festhaltens hieran tatsächlich zutrifft. Damit soll keine Einschätzung über den tatsächlich bewirkten Schutz biologischer Vielfalt abgegeben, sondern lediglich ausgedrückt werden, dass dieser rechtlich in keiner Weise abgesichert ist, sondern völkerrechtlich allein in die Willkür der berechtigten indigenen Völker gestellt wird. 5. Zwischenfazit Die hier untersuchte Rechtsprechung im Rahmen des inter-amerikanischen und afrikanischen Menschenrechtssystems zu Landnutzungsrechten indigener 2034  Kritisch auch M. A. Orellana, Saramaka People v. Suriname, AJIL 102 (2008), 841 (846). 2035  M. A. Orellana, Saramaka People v. Suriname, AJIL 102 (2008), 841 (847); E. Morgera, Fair and Equitable Benefit-Sharing at the Cross-Roads of the Human Right to Science and international Biodiversity Law, Laws 2015, 803 (810).



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker

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Völker und nicht-indigener Stammesgesellschaften weist eine erhebliche raumbedeutsame Wirkung auf und stellt eine beträchtliche Beschränkung der inneren Souveränität der betroffenen Staaten dar. Soweit die anerkannten Rechte auch die Nutzung der traditionell von den Gemeinschaften beanspruchten Ressourcen umfassen, stellen die Rechte zudem eine unmittelbare Beschränkung des Rechts der permanenten Souveränität der Staaten über ihre natürlichen Ressourcen dar2036 und zeigen den Staaten für ihre weitere wirtschaftliche Entwicklung Grenzen auf. Dabei handelt es sich jedoch nur im Extremfall um absolute Grenzen. Entwicklungsmaßnahmen, auch wenn sie zur Beeinträchtigung von Landnutzungsrechten indigener Völker führen, können – soweit dabei nicht Grenzen überschritten werden – weiterhin gerechtfertigt werden. Dies setzt jedoch eine Einbeziehung der indigenen Völker in die Entscheidungsprozesse, die sorgfältige Untersuchung der sozialen und Umweltfolgen und ggf. die Beteiligung der indigenen Völker an den erzielten wirtschaftlichen Vorteilen vo­ raus. Dass dies bislang vielfach nicht geschah und auch weiterhin nicht geschieht und viele indigene Völker in eine Lage der existenziellen Bedrohung und politischen wie wirtschaftlichen und kulturellen Marginalisierung geführt hat, haben IACtHR, IACmHR sowie ACtHPR und ACmHPR zum Anlass genommen, mithilfe einer extensiven und evolutiven Auslegung insbesondere der jeweiligen Eigentumsgarantien, ihrer Schutzgüter und ihres persönlichen Anwendungsbereichs, Rechte indigener Völker zu schöpfen. Solche Gruppenrechte waren in der AMRK bislang überhaupt nicht, in der Banjul Charter jedenfalls nicht speziell für indigene Völker vorgesehen. Die Entscheidungsorgane waren auch deshalb ersichtlich darum bemüht, ihr Vorgehen umfassend argumentativ abzusichern. Nicht nur wiesen sie umfassend die Menschenrechtssituation indigener Völker im Anwendungsbereich der von ihnen ausgelegten Verträge nach und begründeten die Notwendigkeit und Gebotenheit positiver Fördermaßnahmen gegenüber indigenen Völkern. Vielmehr bezogen sie sich dabei auch auf breitere Trends im internationalen Recht, was insbesondere die Banjul Charter gem. Art. 61 ausdrücklich zulässt. Während sich die Entscheidungen aufgrund ihrer Abkehr vom vertragsrechtlich Vereinbarten nur sehr bedingt auf den Konsens der Staaten stützen lassen, beziehen sie ihre Legitimation vor allen Dingen aus dem durch sie er2036  M. A. Orellana, Saramaka People v. Suriname, AJIL 102 (2008), 841 (846 und 847); D. L. Shelton, The Inter-American Human Rights Law of Indigenous Peoples, University of Hawaii Law Review 35 (2013), 937 (973); L. Brunner, The Rise of Peoples’ Rights in the Americas: The Saramaka People Decision of the Inter-American Court of Human Rights, Chinese Journal of International Law (2008), 699 (707 ff.).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

möglichten effektiven Menschenrechtsschutz. Demgegenüber ist es gleichwohl abzulehnen, wenn vereinzelt weitergehend gefordert wird, dass IACmHR und IACtHR die bislang gewahrte Schutzgutakzessorietät ihrer Berichtstätigkeit und Rechtsprechung aufgeben und – gegen den ausdrücklich erklärten Willen der Vertragsstaaten, wie er sich in den Beschränkungen von Art. 11 Protokoll von San Salvador zeigt – ein allgemeines Menschenrecht auf ein Leben in einer gesunden Umwelt als Richterrecht schaffen sollten.2037 Da es gerade indigene Völker sind, die an den verbleibenden Orten hoher biologischer Vielfalt leben, stellt die Stärkung ihrer Rechtsstellung gegenüber Entwicklungsprojekten, insbesondere Infrastrukturvorhaben und Vorhaben des Rohstoffabbaus, einen großen Fortschritt dar, der durch die extensive Auslegung von Menschenrechtsgarantien erreicht werden konnte. Die Rechtsprechungsentwicklung im Rahmen des inter-amerikanischen und afrikanischen Menschenrechtssystems spiegelt so wider, dass der „Greening-Ansatz“ keinesfalls ungeeignet ist, auch einen Schutz biologischer Vielfalt zu bewirken. Es ist gerade die existenzielle Verbindung indigener Völker mit ihrem traditionell genutzten Land und den sie umgebenden Ökosystemen sowie die daraus folgende Verletzlichkeit dieser Völker für Umweltzerstörungen, die eine Anwendung menschenrechtlicher Instrumente gegen Eingriffe in und Zerstörungen (auch) der Natur und der Bestandteile biologischer Vielfalt rechtlich ermöglicht. Die Öffnung menschenrechtlicher Instrumente für die spezifischen Belange indigener Völker zeigt aber auch deren kulturelle Relativität:2038 Dass ein vergleichbarer Schutz von Ökosystemen im Rahmen der EMRK unter Anerkennung der durch das Prinzip der Schutzgutakzessorietät dem EGMR auferlegten Grenzen nicht möglich ist, wird nicht durch den verwandten rechtlichen Ansatz, sondern die im Allgemeinen durch Entfremdung von ihrer konkreten Umwelt gekennzeichnete Lebensweise von Menschen im Geltungsbereich der EMRK bedingt.2039 2037  A. A. offensichtlich T. Thompson, Over the hump, Journal of Transnational Law & Policy 19 (2009), 179 (200). Auch dessen Begründung, dass im Völkerrecht auch insoweit ein klarer Trend bestehe, den der IACtHR über Art. 29 AMRK aufnehmen könne, überzeugt nicht. Die von ihm in Bezug genommenen post-Kyoto Instrumente, UNDRIP oder auch der Entwurf einer Amerikanischen Erklärung der Rechte Indigener Völker mögen zwar Ausdruck für eine zunehmende Anerkennung der Rechtspositionen indigener Völker auch mit Blick auf ihre Abhängigkeit von ihrer Umwelt und dem Einfluss des Klimawandels auf ihr Leben sein. Die Instrumente sind aber entweder ausdrücklich unverbindlich gehalten, haben bislang keinerlei Verbindlichkeit erlangt oder beeinhalten jedenfalls keine subjektiv-rechtlichen Garantien, sondern lediglich objektives Recht. Eine Legitimation zur Überwindung der Grenzen des im inter-amerikanischen Menschenrechtssystem verfolgten Ansatzes zum Schutz der Umwelt und biologischen Vielfalt kann so kaum begründet werden. 2038  Vgl. hierzu D. L. Shelton, The Inter-American Human Rights Law of Indigenous Peoples, University of Hawaii Law Review 35 (2013), 937 (948).



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker611

III. Verwirklichung eines sozio-ökonomischen Ansatzes – das Nagoya-Protokoll Anders als bei den bislang untersuchten Ansätzen geht es bei dem durch das Protokoll von Nagoya über den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile zum Übereinkommen über die biologische Viefalt nicht um die Ausgestaltung von Ansprüchen insbesondere zum Schutz der Bestand­ teile biologischer Vielfalt vor unmittelbar schädigenden Handlungen2040 oder Rechtspositionen zur Beeinflussung des Vollzugs naturschützender Vorschriften etwa bei der Genehmigung umweltrelevanter Vorhaben,2041 sondern um die Adressierung sozio-ökonomischer Ursachen für den Verlust biologischer Vielfalt. Profitieren sollen hiervon insbesondere die noch nicht voll indus­ trialisierten Länder der Erde mit noch hoher Biodiversität durch die Inwertsetzung genetischer Ressourcen und des traditionellen Wissens indigener und sog. ortsansässiger oder lokaler Gemeinschaften. Entsprechend der Ausgangsfrage der vorliegenden Untersuchung konzen­ triert sich die Darstellung auf die für die kollektive Rechtsposition indigener und lokaler Gemeinschaften relevanten Vorschriften (2.). Auch der Einfluss der hiernach Berechtigten bzw. zu Berechtigenden auf die Implementierung der Vorschriften in die jeweiligen nationalen Rechtsordnungen soll betrachtet werden, um ein umfassendes Bild der normativ vorgesehenen Rechtsmacht indigener und lokaler Gemeinschaften zu erhalten (3.). Zunächst sollen jedoch einleitend der Steuerungsansatz des Nagoya-Protokolls und die Ursprünge der hier untersuchten Regelungen in der CBD näher betrachtet werden (1.). 1. Der Steuerungsansatz des Nagoya-Protokolls Ein profundes Verständnis der Rechtsposition indigener und lokaler Gemeinschaften im Rahmen des Nagoya-Protokolls setzt eine knappe Beschreibung des bereits in der Biodiversitätskonvention enthaltenen Mechanismus des Zugangs und Vorteilsausgleichs für genetische Ressourcen als sozio2039  Damit soll freilich nichts darüber ausgesagt sein, ob nicht auch unter der Geltung der EMRK die Entwicklung eines besonderen Schutzes für die letzten noch in Europa lebenden Indigenen geboten ist. 2040  So der grundsätzlich materiell-rechtliche Schutzansatz etwa des EGMR, hierzu oben: Zweiter Teil, A.  2041  So der prozedurale Ansatz, wie er im Rahmen der Rechtsprechung von EGMR und IACtHR, vor allen Dingen aber im Rahmen der Untersuchung der Aarhus-Konvention vorgefunden wurde.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

ökonomischem Ansatz2042 zum Schutz biologischer Vielfalt voraus [a)]. Vor diesem Hintergrund sind die Besonderheiten des integrativen Ansatzes des NP zu erläutern [b)]. Insgesamt ergibt sich hieraus das Koordinatensystem des Nagoya-Protokolls, in dem anschließend die Rechtsposition indigener und lokaler Gemeinschaften zu bestimmen ist. a) „Access and Benefit-Sharing“ in der CBD und der Weg nach Nagoya Das (Rahmen-)Übereinkommen über die biologische Vielfalt enthält in Art. 1 drei formal gleichwertige Ziele. Neben der Erhaltung der biologischen Vielfalt und der nachhaltigen Nutzung ihrer Bestandteile soll in Übereinstimmung mit seinen maßgeblichen Bestimmungen eine ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus der Nutzung der genetischen Ressourcen ergebenden Vorteile insbesondere durch angemessenen Zugang zu genetischen Ressourcen erreicht werden. Das zuletzt genannte Ziel soll mithilfe des im Wesentlichen durch Art. 15 Abs. 2, 7 CBD vorgesehenen Zugangs- und Vorteilsausgleichsmechanismus umgesetzt werden. Dieses dritte, die Ent­ wicklungsdimension der Konvention betonende Ziel, diente in erster Linie der Adressierung eines bereits vor den Verhandlungen zur CBD offenbar gewordenen Verteilungs- und Gerechtigkeitsproblems im sog. Nord-Süd Konflikt.2043 Während die Nutzung genetischer Ressourcen schon damals eine enorme Bedeutung sowohl für Forschungseinrichtungen als auch private Wirtschaftsunternehmen vor allen Dingen in den industrialisierten Staaten des Nordens erhalten hatte2044 und diese für Bereiche wie die Pharma-, Kosmetik-, Nahrungsmittel- und Agarindustrie stetig zunahm,2045 war die Verteilung der aus ihrer Nutzung entstehenden Vorteile im internationalen Recht überhaupt nicht und auf nationaler Ebene nur in einigen wenigen Rechtsord2042  Begriff auch bei S. Schlacke, Das Übereinkommen über biologische Vielfalt: Steuerungskraft und Perspektiven, AVR 54 (2016), 524 (524). 2043  Ausführlich zur Gerechtigkeitsdimension des ABS-Mechanismus P. Cullet, Environmental justice in the use, knowledge and exploitation of genetic resources, in: J. Ebbesson / P. Okowa, Environmental Law and Justice in Context, 2009, 371 ff. 2044  K. Koutouki / K. Rogalla von Bieberstein, The Nagoya Protocol: Sustainable Access and Benefits-Sharing for Indigenous and Local Communities, Vermont Journal of Environmental Law 13 (2012), 513 (514 f.). 2045  Schätzungen zufolge liegt der Gesamtwert der auf natürlichen genetischen Ressourcen basierenden Produkte weltweit zwischen 500 und 800 Milliarden US$ pro Jahr, K. T. Kate / S. A. Leird, Biodiversity and business: coming to terms with the grand „bargain“, International Affairs 76 (2000), 241 (241). Hinzu kommen für den Gesamtwert der Wertschöpfung Forschungsetats staatlicher und privater Forschungseinrichtungen in Milliardenhöhe, E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 4.



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker613

nungen geregelt.2046 Die Herkunftsstaaten der natürlichen Ressourcen partizipierten in den meisten Fällen in keiner Weise an den aus Forschung oder Kommerzialisierung entstehenden immateriellen bzw. materiellen Vorteilen.2047 Unternehmen wurden zunehmend der „Biopiraterie“2048 bezichtigt und Herkunftsländer begannen damit, den bis dahin vielfach freien Zugang zu genetischen Ressourcen zu verweigern.2049 Während der Verhandlungen zur Biodiversitätskonvention im Vorfeld der UN Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 wurde sodann frühzeitig deutlich, dass die Staaten mit einer großen Zahl an „Biodiversitäts-Hotspots“ sowohl im Bereich der ersten beiden Ziele der Konvention, d. h. strengeren Anforderungen an den Schutz der Biodiversität und die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile, als auch der Fortsetzung der Gewährleistung des Zugangs zu genetischen Ressourcen nur dann zustimmen würden, wenn die entwickelten Industrienationen sich gleichzeitig zur Aufnahme eines Mechanismus bereiterklärten, der in angemessener Weise die Vorteile aus der Nutzung der bereitgestellten genetischen Ressourcen für die Herkunftsländer sicherte.2050 In der Biodiversitätskonvention einigten sich die Staaten schließlich auf einen Ausgleich der Interessen mithilfe eines Mechanismus, der den Zugang zu genetischen Ressourcen und die Verteilung der aus ihrer Nutzung entstehen2046  IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 4 f. 2047  IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 6. 2048  IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 12; vgl. auch die angeführten Beispiele bei A. Jacanimijoy, Initiatives for the Protection of the Rights of the Possessors of Traditional Knowledge, Indigenous Peoples and Local Communities, WIPO / INDIP / RT / 98 / 4E, 4, July 23 et seq., 1998; N. KueiJung, Traditional Knowledge and Global Lawmaking, Northwestern University Journal of International Human Rights 10 (2011), 85 (Rn. 33). 2049  E. Morgera / E. Tsioumani, The Evolution of Benefit Sharing: Linking Biodiversity and Community Livelihoods, RECIEL 19 (2010), 150 (152); E. Morgera /  E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 17; zur restriktiven Ausgestaltung durch Herkunftsländer und das völlige Unterbleiben von Regelungen in den Nutzerstaaten G. Winter / E. C. Kamau, Von Biopiraterie zu Austausch und Kooperation, AVR 49 (2011), 373 (374 f.); P. Cullet, Environmental justice in the use, knowledge and exploitation of genetic resources, in: J. Ebbesson / P. Okowa, Environmental Law and Justice in Context, 2009, 371 (373). 2050  IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 4; IUCN, L. Glowka u. a., A Guide to the Convention on Biological Diversity, IUCN Environmental Policy and Law Paper no. 30, 1994, S. 5.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

den Vorteile eng miteinander verknüpfte.2051 Um den Herkunftsländern zunächst überhaupt eine Kontrolle über ihre Ressourcen zu ermöglichen, wurde dem zuvor teilweise allgemein als maßgeblich für die Zugangsgestaltung zu genetischen Ressourcen behaupteten Völkerrechtsprinzip des gemeinsamen Menschheitserbes eine Absage erteilt2052 und auf Drängen der Herkunftsstaaten2053 genetische als natürliche Ressourcen selbst sowie die Berechtigung, Zugang zu ihnen zu erteilen, ausdrücklich gem. Art. 15 Abs. 1 CBD der Souveränität der Staaten unterstellt.2054 Während die Herkunftsländer nach Art. 15 Abs. 2 CBD verpflichtet wurden, den Zugang zu genetischen Ressourcen zu garantieren und diesen aktiv zu fördern,2055 wurden Nutzerstaaten gem. Art. 15 Abs. 7 CBD dahingehend gebunden – soweit angemessen – Maßnahmen zu ergreifen, um das Ziel einer fairen und gerechten Verteilung der aus der Nutzung genetischer Ressourcen erwachsenden Vorteile zu erreichen.2056 Dieser allein die zwischenstaatliche Ebene betreffende Mechanismus sollte in erster Linie die Ungleichgewichte zwischen Herkunfts- und Nutzerstaaten ausgleichen und die Entwicklung der Herkunftsländer sowie die Fairness und Gerechtigkeit in den zwischenstaatlichen Beziehungen fördern.2057 2051  K. Koutouki / K. Rogalla von Bieberstein, The Nagoya Protocol: Sustainable Access and Benefits-Sharing for Indigenous and Local Communities, Vermont Journal of Environmental Law 13 (2012), 513 (519). 2052  E. Morgera / E. Tsioumani, The Evolution of Benefit Sharing: Linking Biodiversity and Community Livelihoods, RECIEL 19 (2010), 150 (152); P.-T. Stoll, Access to GRs and Benefit Sharing – Underlying Concepts and the Idea of Justice, in: E. C. Kamau / G. Winter, Genetic Resources, Traditional Knowledge and the Law, 2009, 3 (5); G. Winter / E. C. Kamau, Von Biopiraterie zu Austausch und Kooperation, AVR 49 (2011), 373 (373). Bis dahin war das Prinzip des gemeinsamen Menschheitserbes im Zusammenhang mit genetischen Ressourcen allein im Rahmen des Undertaking on Plant Genetic Resources for Food and Agriculture (PGRFA) der FAO aufgegriffen worden, siehe jedoch zur Abschwächung dieses Prinzips auch hier bereits oben: Erster Teil, C. I., Fn. 392. 2053  Zur Unzufriedenheit der Herkunftsstaaten mit dem vielfach ungeregelten freien Zugang P. Cullet, Environmental justice in the use, knowledge and exploitation of genetic resources, in: J. Ebbesson / P. Okowa, Environmental Law and Justice in Context, 2009, 371 (373). 2054  Vgl. E. Morgera / E. Tsioumani, The Evolution of Benefit Sharing: Linking Biodiversity and Community Livelihoods, RECIEL 19 (2010), 150 (152); E. Morgera / M. Buck / E. Tsioumani, Introduction, in: dies., The 2010 Nagoya Protocol on Access and Benefit-Sharing in Perspective, 2013, S. 3 f. 2055  Entgegen P. Cullet, Environmental justice in the use, knowledge and exploitation of genetic resources, in: J. Ebbesson / P. Okowa, Environmental Law and Justice in Context, 2009, 371 (373), der diese Pflicht scheinbar schon daraus herleiten will, dass die CBD genetische Ressourcen in ihrer Präambel dem Prinzip des gemeinsamen Interesses der Menschheit unterstellt, wird die Rechtspflicht von Herkunftsstaaten erst durch Art. 15 Abs. 2 CBD begründet. 2056  Art. 15 II, VII CBD.



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker615

Stand damit der Interessenausgleich zwischen Herkunfts- und Nutzerstaaten ganz im Mittelpunkt der Verhandlungen der Biodiversitätskonvention, war es kaum überraschend, dass die Rechtsposition indigener und lokaler Gemeinschaften in der CBD nur eine relativ randständige Berücksichtigung fand.2058 Während der Nutzen ihres traditionellen Wissens für den Schutz und die nachhaltige Nutzung der Bestandteile biologischer Vielfalt anerkannt war, und dieses in vielen Fällen auch als Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer Anwendungen für genetische Ressourcen diente,2059 änderte die CBD durch das Unterlassen seiner Einbeziehung in den ABS-Mechanismus und dessen Fokussierung auf die zwischenstaatliche Ebene wenig daran, dass die Inhaber dieses Wissens – die indigenen und lokalen Gemeinschaften – nur selten von seiner Nutzung profitierten.2060 In vielen Fällen wurden sie gar von der Fortsetzung der Anwendung ihres Wissens aufgrund des Schutzes der entwickelten Anwendungen durch die Anerkennung intellektueller Eigentumsrechte privater Unternehmen ausgeschlossen.2061 Gleichwohl blieb die CBD nicht völlig blind für die Belange indigener und lokaler Gemeinschaften und gestaltete das Verhältnis zwischen Staaten und Gemeinschaften2062 insbesondere in Art. 8 lit. (j) CBD, wenn auch mithilfe äußerst weich formulierter Verpflichtungen der Staaten, aus. Diese Schwäche in der Verbindlichkeit stieß zwar zu Recht bereits frühzeitig auf scharfe Kritik. Rückblickend kann diese Vorschrift jedoch als Quelle für die weitere Integration der drei Ziele der Biodiversitätskonvention und die Rolle indigener Völker und lokaler Gemeinschaften im ABS-Mechanismus des Nagoya-Protokolls betrachtet werden. Wenn auch ohne Verweis auf den Zu2057  E. Morgera / E. Tsioumani, The Evolution of Benefit Sharing: Linking Biodiversity and Community Livelihoods, RECIEL 19 (2010), 150 (153). 2058  Siehe nur G. F. Maggio, Recognizing the Vital Role of Local Communities in International Legal Instruments for Conserving Biodiversity, UCLA Journal of Environmental Law and Policy 16 (1997), 179 (211 ff.). 2059  S. Laird / R. Wynberg, Access and Benefit-Sharing in Practice: Trends in Partnerships Across Sectors (2008), S. 11–20, ausdrücklich auf S. 20, siehe unter www. cbd.int / doc / publications / , zuletzt abgerufen am 29.03.2018; P. Cullet, Environmental justice in the use, knowledge and exploitation of genetic resources, in: J. Ebbes­ son / P. Okowa, Environmental Law and Justice in Context, 2009, 371 (374); E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 28. 2060  Kritisch hierzu unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten P. Cullet, Environmental justice in the use, knowledge and exploitation of genetic resources, in: J. Ebbesson / P. Okowa, Environmental Law and Justice in Context, 2009, 371 (374). 2061  E. Morgera / E. Tsioumani, The Evolution of Benefit Sharing: Linking Biodiversity and Community Livelihoods, RECIEL 19 (2010), 150 (152). 2062  Ibid., S. 152; M. Buck / C. Hamilton, The Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the Fair and Equitable Sharing of Benefits Arising from their Utilization to the Convention on Biological Diversity RECIEL 20 (2011), 47 (48).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

gang zu genetischen Ressourcen, so wird hier – im Gegensatz zur Regelung des Art. 15 CBD – das Konzept des gerechten Vorteilsausgleichs für die Nutzung traditionellen Wissens von ILC mit dessen Wert für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung biologischer Vielfalt in Zusammenhang gebracht.2063 Gestärkt wurde dieser, die bislang relativ unverbundenen Ziele der Konvention stärker integrierende Ansatz durch die in der Folgezeit stattfindenden Arbeiten in den Foren der Biodiversitätskonvention. Nicht nur wurde trotz des Fehlens eines klaren textlichen Anhaltspunktes in Art. 8 lit. (j) CBD der Wert traditionellen Wissens für die Entdeckung neuer Eigenschaften genetischer Ressourcen ausdrücklich anerkannt2064 und so eine klare Verbindung zwischen traditionellem Wissen einerseits und der Nutzung genetischer Ressourcen andererseits und damit auch zwischen Art. 8 lit. (j) und Art. 15 CBD hergestellt. Vielmehr wurde auch allgemein die Rolle des gerechten Vorteilsausgleichs im Rahmen von Implementierungsmaßnahmen der Konvention nicht auf die Förderung von Gerechtigkeit beschränkt, sondern seine Bedeutung auch für den Schutz biologischer Vielfalt als erstes Ziel der CBD verschiedentlich betont.2065 Durch die Schaffung eines Mechanismus zur Sicherung einer gerechten Verteilung aller aus dem Management biologischer Vielfalt entstehenden materiellen und immateriellen Kosten und Nutzen zwischen betroffenen Akteuren auf allen Ebenen sollte denjenigen sozioökonomischen Gründen insbesondere in den Ländern mit noch heute hoher biologischer Vielfalt entgegenwirkt werden, die in der Vergangenheit und Gegenwart zu Entscheidungen führten, die einen Verlust biologischer Vielfalt zur Folge haben.2066 Aufbauend auf dem Konzept der Ökosystemdienstleistungen2067 sollte der Vorteilsausgleich die Bestandteile biologischer Vielfalt 2063  E. Morgera / E. Tsioumani, The Evolution of Benefit Sharing: Linking Biodiversity and Community Livelihoods, RECIEL 19 (2010), 150 (159). 2064  Vgl. den Report of the Sixth Meeting of the Ad Hoc Open-Ended Inter-Sessional Working Group on Article 8(j) and Related Provisions of the Convention on Biological Diversity (UNEP / CBD / COP / 10 / 2, 21 November 2009), S. 36 wo auch die von indigenen und lokalen Gemeinschaften seit langem geltend gemachte Untrennbarkeit von genetischen Ressourcen und hierauf bezogenem traditionellem Wissen anerkannt wird. 2065  Idem. 2066  E. Morgera / E. Tsioumani, The Evolution of Benefit Sharing: Linking Biodiversity and Community Livelihoods, RECIEL 19 (2010), 150 (161), vgl. auch W. Michael Hanemann, Die Wirtschaftswissenschaften und die Erhaltung der biologischen Vielfalt, in: E. O. Wilson, Das Ende biologischer Vielfalt?, 1992, 215 (221): „Wenn wir wollen, daß die Entwicklungsländer ihre Ressourcen erhalten, dann sollten wir bereit sein, sie dafür zu bezahlen“. 2067  E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 11 und zum Konzept der Ökosystemdienstleistungen bereits oben: Erster Teil, A. II. 1.



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker617

in Wert setzen (Gedanke der „payments for ecosystem services“) und materielle und immaterielle Anreize erzeugen, biologische Vielfalt in den Herkunftsländern zu schützen und zu verhindern, dass diese zugunsten kurzfristiger Gewinne – etwa durch die Abholzung von Wäldern und sonstige Landnutzungsänderungen – zerstört würden.2068 Trotz fehlender Verknüpfung der drei Ziele der CBD war der auf der (neo-)liberalen ökonomischen Theorie aufbauende Gedanke,2069 den Schutz biologischer Vielfalt nicht mithilfe rechtlicher Ge- und Verbote, sondern im Wege der ökonomischen Anreizsteuerung zu erreichen, auch schon hier präsent.2070 Es wurde erwartet, dass die Implementierung des Mechanismus zur Generierung umfangreicher Mittel für den Biodiversitätsschutz führen und quasi automatisch die Herkunftsstaaten zu einem verbesserten Schutz veranlassen würde.2071 Nachdem sich diese hohen Erwartungen jedoch nicht erfüllten,2072 wurde parallel zur Implementierung der relevanten Artikel der Biodiversitätskon2068  S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of genetic resources: background and analytical framework, in: dies., Global Governance of Genetic Resources, 2014, 1 (1, 5); E. Morgera / M. Buck / E. Tsioumani, Introduction, in: The 2010 Nagoya protocol on access and benefit-sharing in perspective, 2013, S. 2; dies., Unravel­ ing the Nagoya protocol, 2014, S. 10; zur Funktion des ABS-Mechanismus, allerdings bezogen auf die Regelungen der CBD, auch G. Winter / E. C. Kamau, Von Biopiraterie zu Austausch und Kooperation, AVR 49 (2011), 373 (373). 2069  A. Borggiato / T. Dedeurwaerdere / F. Batur / B. Coolsaet, Introduction, in: dies. / J. Pitseys, Implementing the Nagoya Protocol, 2015, 1 (20 f.). 2070  Vgl. E. Morgera / E. Tsioumani, The Evolution of Benefit Sharing: Linking Biodiversity and Community Livelihoods, RECIEL 19 (2010), 150 (173); G. Winter / E. C. Kamau, Von Biopiraterie zu Austausch und Kooperation, AVR 49 (2011), 373 (373). Vgl. auch bereits Ziff. 48 S. 3 der Bonn Guidelines. Die CBD und das Nagoya-Protokoll sind keineswegs die einzigen Abkommen, die auf die Implementierung derartiger Mechanismen abzielen, sondern folgen damit einem breiteren Trend, vgl. zum multilateralen ABS-Mechanismus des ITPGR, des CDM-Marktes für Aufforstung und Wiederaufforstung sowie des REDD+-Mechanismus F. Wolff, The Nagoya Protocol and the diffusion of economic instruments for ecosystem services in international environmental law, in: S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources, 2014, 132 (139 ff.). 2071  Kritisch hierzu S. Oberthür / G. K. Rosendal, Conclusions, in: dies., Global Governance of Genetic Resources, 2014, 231 (245); K. R. Srinivas, Protecting traditional knowledge holders’ interests and preventing misappropriation, I.J.C.P. 19 (2012), 401 (404). 2072  P.-T. Stoll, Access to GRs and Benefit Sharing – Underlying Concepts and the Idea of Justice, in: E. C. Kamau / G. Winter, Genetic Resources, Traditional Knowledge and the Law, 2009, 3 (3 f.); G. Winter / E. C. Kamau, Von Biopiraterie zu Austausch und Kooperation, AVR 49 (2011), 373 (395); G. Winter / H.-P. Fricker / P. Knoepfel, Die biotechnische Nutzung genetischer Ressourcen und ihre Regulierung, ZUR 2015, 259 (269); K. R. Srinivas, Protecting traditional knowledge holders’ interests and preventing misappropriation, I.J.C.P. 19 (2012), 401 (404); zu Recht wird aber darauf hingewiesen, dass insoweit bislang kaum empirisch belastbares Material vorliegt, so

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

vention, die aus unterschiedlichen Gründen jedoch ebenfalls wenig zufriedenstellend verlief,2073 ein formaler Prozess zur Aushandlung eines Dokuments, das den ABS-Mechanismus der CBD genauer ausgestalten sollte, durch die Vertragsstaaten initiiert.2074 Nachdem ein Expertengremium zu ABS die Arbeit zu einem solchen Dokument formal im Rahmen der Konvention nach CBD COP 4 (1998, Bratislava, Slowakei) begonnen hatte,2075 wurde eine ad hoc Arbeitsgruppe (AHWG) zu diesem Thema auf CBD COP 5 (Nairobi, Kenia) mandatiert, in einem ersten Schritt der Zusammenführung von Art. 8 lit. (j) und 15 CBD Richtlinien und andere Zugänge zu zentralen Themenkomplexen des künftigen Instruments auszuarbeiten.2076 Zunächst entstanden so auch die 2002 verabschiedeten sog. Bonn Guidelines2077 zur Unterstützung der Staaten bei ihren Implementierungsbemühungen. Formal entscheidend für die weitere Zusammenführung der Ziele der CBD und die Stärkung der Position indigener Völker und lokaler Gemeinschaften in dem künftigen ABS-Mechanismus wurde aber schließlich die gemeinsame ManF. Wolff, The Nagoya Protocol and the diffusion of economic instruments for ecosystem services in international environmental governance, in: S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources, 2014, 132 (138). 2073  S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources: background and analytical framework, in: dies., Global Governance of Genetic Resources, 2014, 1 (6); bei M. Buck / C. Hamilton, The Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the Fair and Equitable Sharing of Benefits Arising from their Utilization to the Convention on Biological Diversity, RECIEL 20 (2011), 47 (48), heißt es hierzu: „by 2007, only 39 of the then 189 contracting Parties had established domestic legislation or were in the process of doing so.“; siehe hierzu auch G. Winter / E. C. Kamau, Von Biopiraterie zu Austausch und Kooperation, AVR 49 (2011), 373 (374 f.). 2074  Dies geschah insbesondere auf Drängen zahlreicher Entwicklungsländer, K. Koutouki / K. Rogalla von Bieberstein, The Nagoya Protocol, Vermont Journal of Environmental Law 13 (2012), 513 (523); siehe zu diesem Prozess auch G. Winter / E. C. Kamau, Von Biopiraterie zu Austausch und Kooperation, AVR 49 (2011), 373 (375 f.); ausführlich hierzu auch L. Wallbott / F. Wolff / J. Pożarowska, The negotiation of the Nagoya Protocol, in: S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources, 2014, 33 (33 ff., eine tabellarische Übersicht zu den relevanten Treffen findet sich auf S. 47). 2075  IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 18. 2076  CBD, COP Decision V / 26; IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 18 f. 2077  Bonn Guidelines on Access to Genetic Resources and Fair and Equitable Shar­ing of the Benefits Arising out of their Utilization, CBD COP 6, Annex zu Decision VI / 24. Zu deren fortgesetzter Bedeutung auch für Staaten, die dem NagoyaProtokoll beitreten E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Introduction, in: dies., Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 24.



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker

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datierung der AHWG und der ad hoc Arbeitsgruppe zu Art. 8 lit. (j) und verwandten Regelungen2078 während CBD COP 7 (2004, Kuala Lumpur, Malaysien).2079 Diese sollten unter Beteiligung indigener Völker und lokaler Gemeinschaften sowie Nicht-Regierungsorganisationen ein internationales Regime über den Zugang zu genetischen Ressourcen und den gerechten Vorteilsausgleich ausarbeiten und Verhandlungen mit dem Ziel der Verabschiedung eines Instruments zur effektiven Implementierung der Regelungen in Art. 15 und Art. 8 lit. (j) CBD und ihren drei Zielen beginnen. Den weiteren Verhandlungsschritten bis COP 10 der CBD 2010 im japanischen Nagoya soll hier nicht im Einzelnen weiter nachgegangen werden.2080 Von erheblicher Bedeutung für die Auslegung der einzelnen Vorschriften des Protokolls sind jedoch die Umstände des Zustandekommens der schließlich im japanischen Nagoya verabschiedeten Fassung. Nachdem bis zuletzt zahlreiche grundlegende Punkte wie der zeitliche Anwendungsbereich des Protokolls, sein Verhältnis zu anderen internationalen Konventionen oder die Regelung eines ergänzenden multilateralen Vorteilsausgleichsmechanismus2081 zwischen den verhandelnden Staaten streitig war und das Zustandekommen einer Einigung unwahrscheinlich schien, bereitete Japan als mit der Verhandlungsleitung betraute gastgebende Nation nach Konsultationen mit nur wenigen Verhandlungsstaaten einen Kompromissvorschlag vor, in dem streitige Fragen teilweise ungelöst blieben, teilweise einer Kompromisslösung zugeführt wurden.2082 Das Zustandekommen dieses schlussendlich verabschiedeten „package deals“ bringt es mit sich, dass zum Teil zentrale Vorschriften in der nun verbindlichen Form nie Gegenstand ausführlicher Verhandlungen waren. Neben den Auswirkungen eines solchen Vorgehens auf die systemati2078  Insbesondere

Art. 10 (c) CBD. COP 8, decision VII / 19, Access and benefit-sharing as related to genetic resources (Art. 15), D.1. Vgl. hierzu auch S. K. Bavikatte, Stewarding the earth, 2014, S. 97. 2080  Siehe hierzu ausführlich L. Wallbott / F. Wolff / J. Pożarowska, The negotiation of the Nagoya Protocol, in: S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources, 2014, 33 (45 ff.). 2081  L. Wallbott / F. Wolff / J. Pożarowska, The negotiation of the Nagoya Protocol, in: S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources, 2014, 33 (49); E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Introduction, in: dies., Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 23. 2082  L. Wallbott / F. Wolff / J. Pożarowska, The negotiations of the Nagoya Protocol, in: S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources, 2014, 33 (49); E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Introduction, in: dies., Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 21 f.; G. Winter / E. C. Kamau, Von Biopiraterie zu Austausch und Kooperation, AVR 49 (2011), 373 (376); G. S. Nijar, The Nagoya Protocol on Access and Benefit Sharing of Genetic Resources, South Centre, Research Papers No. 36, März 2011, S. 1. 2079  CBD

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

sche Stimmigkeit des Dokuments kann deshalb für die ergänzende Auslegung der Bestimmungen kaum auf die vorbereitenden Arbeiten, die sog. travaux préparatoire, zurückgegriffen werden, wie dies Art. 32 lit. a) und b) WVK für Fälle vorsieht, in denen nach Anwendung der primären Auslegungsmittel die Bedeutung mehrdeutig oder dunkel bleibt oder zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis führt.2083 b) Der integrierende Ansatz des Nagoya-Protokolls Da die Vorschriften des Nagoya-Protokolls primär eine Konkretisierung der einschlägigen Vorschriften der CBD darstellen, wird auch im NP in aller erster Linie der bereits oben beschriebene Verteilungskonflikt zwischen Herkunfts- und Nutzerstaaten hinsichtlich der aus der Nutzung genetischer Ressourcen erwachsenden Vorteile adressiert.2084 Der Schwerpunkt auch der Vorschriften des Nagoya-Protokolls liegt entsprechend ebenfalls auf der Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Herkunfts- und Nutzerstaaten bzw. privaten Nutzern. Nichtsdestotrotz ist die erhebliche Modifikation der Ausrichtung des ABSMechanismus des Nagoya-Protokolls gegenüber dem der CBD nicht zu verkennen, die hier als integrierender Ansatz des Nagoya-Protokolls gekennzeichnet werden soll. Dieser zeichnet sich zunächst dadurch aus, dass, anders als in der CBD selbst, Art. 1 NP das dritte Ziel der Biodiversitätskonvention – die ausgewogene und gerecht Aufteilung der sich aus der Nutzung der genetischen Ressourcen ergebenden Vorteile – ausdrücklich auf die Erhaltung der biologischen Vielfalt und die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile bezieht.2085 Obgleich bislang kaum mittelbare Stärkungen des Schutzes biologischer Vielfalt aufgrund des Einsatzes von durch den ABSMechanismus der CBD erlangten Vorteilen nachgewiesen werden konnten,2086 erfährt diese Verknüpfung durch das Nagoya-Protokoll jedenfalls eine normative Verstärkung. Zwar wird nicht auch der Schutz traditionellen Wissens 2083  Vgl. E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Introduction, in: dies., Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 43 f. 2084  G. Winter / E. C. Kamau, Von Biopiraterie zu Austausch und Kooperation, AVR 49 (2011), 373 (377). 2085  G. Winter / E. C. Kamau, Von Biopiraterie zu Austausch und Kooperation, AVR 49 (2011), 373 (377), die dafür plädieren diese normative Verschiebung ernst zu nehmen, auch wenn der tatsächliche Schwerpunkt von ABS auf der Regulierung eines Verteilungskonflikts liege; E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Art. 1 NP, in: dies., Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 48, 54 ff.; S. Schlacke, Das Übereinkommen über biologische Vielfalt: Steuerungskraft und Perspektiven, AVR 54 (2016), 525 (535). 2086  Hierzu bereits oben: Zweiter Teil, C. III. 1. a).



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker621

formal zum Ziel des Protokolls erklärt,2087 gleichwohl erfahren die Regelungen über das Staat-Gemeinschafts-Verhältnis, die ehemals allein in Art. 8 lit. (j) CBD angesprochen wurden, eine erhebliche Ausweitung. Nicht nur zahlreiche Vorschriften des operativen Teils beziehen sich auf dieses Verhältnis,2088 vielmehr wird ihre Bedeutung für die Erreichung der Ziele des NP auch in der Präambel ausführlich gewürdigt. Am deutlichsten weist Absatz 232089 der Präambel auf die wechselseitige Beziehung zwischen genetischen Ressourcen und traditionellem Wissen, ihren untrennbaren Charakter für die indigenen und ortsansässigen Gemeinschaften und die Bedeutung des traditionellen Wissens für die Erhaltung der biologischen Vielfalt und die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile sowie für die nachhaltige Sicherung der Existenzgrundlage dieser Gemeinschaften hin. Dies zeigt, dass auch das Nagoya-Protokoll auf dem bereits oben geschilderten Verständnis von der Rolle indigener und lokaler Gemeinschaften als Hüter ­lokaler Ökosysteme aufbaut, deren Lebensweise insgesamt geschützt werden muss.2090 In den operativen Bestimmungen des Protokolls kommt dies vor allen Dingen dadurch heraus, dass der integrative Ansatz des Art. 8 lit. (j) CBD durch eine Einbeziehung der Belange indigener und lokaler Gemeinschaften gem. Art. 5 Abs. 2, 5, Art. 6 Abs. 2, Art. 7 NP in den ABS-Mechanismus – und zwar nicht lediglich hinsichtlich ihres traditionellen Wissens, sondern, wenn auch unter erheblichen Vorbehalten, hinsichtlich genetischer Ressourcen ausgeweitet wird. Bislang zumeist außer Acht gelassen2091 sollte beachtet werden, dass der sozio-ökonomische Ansatz des ABS im Rahmen des Nagoya-Protokolls ebenfalls starken Modifikationen unterliegt, je nachdem, ob er im StaatStaat / Nutzer-Verhältnis oder in dem durch das NP gestärkten Staat-Gemeinschafts-Verhältnis zur Anwendung gelangt. Wie gesehen lässt sich der ABS2087  E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, in: dies., Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 48, 53 f. 2088  Vgl. Art. 3, 5 II, V; 6 II, 7, Art. 11 Abs. 2, Art. 12 NP. 2089  Weitere Verweise finden sich in Präambelabsatz 22 sowie 24–28. 2090  E. Morgera / E. Tsioumani, The Evolution of Benefit Sharing: Linking Biodiversity and Community Livelihoods, RECIEL 19 (2010), 150 (167); K. R. Srinivas, Protecting traditional knowledge holders’ interests and preventing misappropriation, I.J.C.P. 19 (2012), 401 (406 f.). 2091  Soweit in der juristischen Literatur eine Auseinandersetzung mit dem ökonomischen Ansatz des ABS-Mechanismus stattfindet, beziehen sich die Erwägungen zumeist ausschließlich auf das Staat-Staat-Verhältnis während das Verhältnis zu Gemeinschaften außer Betracht bleibt, vgl. etwa F. Wolff, The Nagoya Protocol and the diffusion of economic instruments for ecosystem services in international environmental law, in: S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources, 2014, 132 (135 ff.); E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Introduction, in: dies., Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 10 ff.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Ansatz allgemein auf die liberale ökonomische Theorie zurückführen.2092 Bei dem bilateralen ABS-Mechanismus der CBD2093 handelt es sich um ein marktbasiertes Instrument, bei dem die Preise für Ökosystemdienstleistungen – konkret genetische Ressourcen oder hierauf bezogenes traditionelles Wissen – nicht staatlich reguliert, sondern zwischen den an der Transaktion beteiligten Parteien ausgehandelt werden.2094 Bei einer solchen Ausgestaltung scheinen die Sorgen gerade indigener und lokaler Gemeinschaften durchaus berechtigt, dass genetische Ressourcen und traditionelles Wissen als Kernbestandteile ihrer Kultur zur reinen Handelsware gewandelt und ihres kulturellen Gehaltes beraubt werden könnten.2095 Gleichwohl ist zu bedenken, dass der Anreizgedanke im Staat-Gemeinschafts-Verhältnis eine sehr viel geringere Bedeutung haben dürfte als im Staat-Nutzer-Verhältnis. Soweit die dem NP zugrunde liegende Annahme über die Rolle indigener und lokaler Gemeinschaften als Hüter von Ökosystemen zutrifft und man diese ernst nimmt,2096 so bedarf es grundsätzlich nicht erst der ökonomischen Anreizung mittels immaterieller oder materieller Vorteile,2097 damit diese Gemeinschaften ihre Rolle ausfüllen. Zwar könnten sie dabei durchaus in Einzelfällen durch den Erhalt solcher Vorteile unterstützt werden. Nichtsdestotrotz liegt in ihrem Verhältnis der Schwerpunkt des ABS-Mechanismus weniger auf dem Aspekt des Benefit-Sharing, sondern mehr auf der Zugangskontrolle.2098 Während die zugrunde liegende ökonomische Theorie davon ausgeht, dass 2092  Siehe

hierzu bereits oben: Zweiter Teil, C. III. 1. a). steht im Kontrast zu multi-lateralen Mechanismen, wie sie etwa im Rahmen des TPGRFA verwirklicht sind und für die Zukunft – nach Umsetzung der Verpflichtung gem. Art. 11 NP durch die Vertragsstaaten – auch stärker im Rahmen der CBD Einsatz finden könnten. 2094  F. Wolff, The Nagoya Protocol and the diffusion of economic instruments for ecosystem services in international environmental law, in: S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources, 2014, 132 (134). 2095  Zu solchen Einwänden E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Introduction, in: dies., Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 13; F. Wolff, The Nagoya Protocol and the diffusion of economic instruments for ecosystem services in international environmental law, in: S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources, 2014, 132 (133). 2096  Zur Anerkennung dieser Rolle als Teil indigener Identität im Rahmen der CBD S. K. Bavikatte, Stewarding the earth, 2014, S. 14 unter Verweis auf die Akwé Kon Guidelines sowie den Tkarihwaié:ri Code of ethical conduct. Siehe etwa Grundsatz 20. 2097  Im Vergleich materieller und immaterieller Vorteile wird zudem ein besonderes Gewicht bei letzteren für ILC gesehen, E. Morgera, An International Legal Concept of Fair and Equitable Benefit-sharing, University of Edinburgh, School of Law, Research Paper Series No 2015 / 20, S. 15. 2098  Vgl. auch P. Cullet, Environmental justice in the use, knowledge and exploitation of genetic resources, in: J. Ebbesson / P. Okowa, Environmental Law and Justice in Context, 2009, S. 371 (386 f.) mit illustrativem Beispiel. 2093  Dieser



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker623

Staaten ein Interesse am Erhalt der Vorteile haben und deshalb in der Regel den Zugang zu genetischen Ressourcen in Abhängigkeit vom vereinbarten Preis gewähren werden, würden ILC durch die Zugangskontrolle besser in die Lage versetzt, genetische Ressourcen und ihr kulturelles Wissen vor Zugriff zu schützen und deren Missbrauch zu verhindern. Die Zugangskontrolle ist hier weniger Voraussetzung für die Handelbarkeit einer Ware als vielmehr Instrument für die Garantie der Selbstbestimmung indigener und lokaler Gemeinschaften hinsichtlich der ihnen ggf. außerhalb des NP zugewiesenen Rechte bzgl. genetischer Ressourcen und traditionellen Wissens2099 und damit der Bewahrung ihres existenziellen Verhältnisses zu der sie umgebenden Natur.2100 Sichert aber die Rechtsposition von ILC im ABS-Mechanismus vor allen Dingen dieses Verhältnis ab, so ist die Förderung des Schutzes biologischer Vielfalt weniger von der tatsächlichen Generierung materieller und immaterieller Vorteile abhängig. Vielmehr ist die Zugangskontrolle insoweit bereits Selbstzweck und ergänzt die im Rahmen der Untersuchung des menschenrechtlichen Greening-Ansatzes herausgearbeiteten Rechtspositionen indigener Völker und nicht indigener Gemeinschaften bzgl. ihres Landes und der traditionell genutzten Ressourcen. ABS dient hier vornehmlich nicht der Anreizsteuerung, sondern der Sicherung der Selbstbestimmung von ILC.2101 Die Erwartung positiver Effekte für den Schutz biologischer Vielfalt und die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile lässt sich hier vielmehr auf Theorien der Commons-Bewegung, wie sie insbesondere von Elinor Ostrom entwickelt wurden, stützen.2102 Zwar ist auch hier eine Prüfung im Einzelfall nötig. Die Erwartung geht jedoch im Allgemeinen dahin, dass im Falle von ILC Voraussetzungen vorliegen, unter denen eine dauerhaft nachhaltige Bewirtschaftung biologischer Vielfalt gelingen kann – die Tragik der Allemende sich also gerade nicht verwirklicht.2103 Die weitere Analyse der Regelungen des Protokolls wird aufzeigen, inwieweit der integrierende Ansatz des Protokolls im Einzelnen umgesetzt wurde und die aufgrund der Vorgaben des Protokolls zu schaffende rechtliche Position von ILC diese zu einer Wahrnehmung und Verteidigung ihrer eigenen Interessen und Besitztümer und wieweit zum Schutz biologischer Vielfalt rechtlich befähigt und ggf. auch verpflichtet.

2099  Hierzu

unten: Zweiter Teil, C. III. 2. b) bb) (2). Stewarding the earth, 2014, S. 30. 2101  Vgl. S. K. Bavikatte, Stewarding the earth, 2014, S. 45, 48. 2102  Siehe insbesondere E. Ostrom, Die Verfassung der Allmende, 1999. 2103  S. K. Bavikatte, Stewarding the earth, 2014, S. 10 f. 2100  S. K. Bavikatte,

624

2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

2. Die rechtliche Position indigener und ortsansässiger Gemeinschaften im ABS-Mechanismus des Nagoya-Protokolls Wurde bislang die Fortentwicklung des ABS-Mechanismus der Biodiversitätskonvention zu dem die Ziele der Konvention und die Belange indigener und lokaler Gemeinschaften stärker integrierenden Ansatz des Nagoya-Protokolls aufgezeigt, soll in diesem Unterabschnitt nun die Rechtsposition, die ILC durch die Vertragsstaaten einzuräumen ist, herausgearbeitet werden. Einem kurzen Überblick über den ABS-Mechanismus des Nagoya-Protokolls und die maßgeblichen Vorschriften2104 [a)] folgt deren Auslegung und Diskussion im Einzelnen [b)]. a) Überblick über den ABS-Mechanismus des Nagoya-Protokolls Der ABS-Mechanismus des Nagoya-Protokolls unterscheidet sich in seinen wesentlichen Elementen zunächst nicht von dem Mechanismus der CBD. Während aber im Rahmen der CBD die Position von ILC noch weitgehend durch die Souveränität der Vertragsstaaten überlagert wurde, stellt sich durch die Stärkung der Position von ILC die Frage, inwieweit das NP möglicherweise eine völkerrechtsunmittelbare Beschränkung der staatlichen Souveränität herbeiführt. Aufgrund ihrer verschiedenen Behandlung wird insoweit zwischen genetischen Ressourcen einerseits und hierauf bezogenem traditionellen Wissen andererseits zu unterscheiden sein. Soweit völkerrechtsunmittelbar oder aufgrund nationalen Rechts ILC zugewiesen, erfordert der Zugang zu genetischen Ressourcen und traditionellem Wissen das Durchlaufen eines grundsätzlich bilateralen – ggf. auch multilateralen – Zugangsprozesses,2105 der durch Art. 6 Abs. 2 NP für genetische Ressourcen bzw. Art. 7 NP für traditionelles Wissen reguliert wird und eine noch näher zu bestimmende Form der Konsultation von ILC bedingt. Bereits in diesem Rahmen ist nicht nur über den Zugang zu den begehrten Ressourcen bzw. dem verlangten Wissen zu entscheiden, sondern auch eine Vereinbarung einvernehmlich festgelegter Bedingungen2106 i. S. v. Art.  5 2104  Ein anschaulicher Beispielsfall zur Illustration des Mechanismus sowie regelmäßig auftretender Probleme findet sich bei E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Introduction, in: dies., Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 18 f. Für eine knappe Einführung siehe auch T. Ebben, Das Nagoya-Protokoll und seine Umsetzung in der EU und in Deutschland, NuR 2017, 612 ff. 2105  IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 12. 2106  Im Folgenden auch mit der international gebräuchlichen Abkürzung „MAT“ – „mutually agreed terms“ bezeichnet.



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker625

Abs. 2 bzw. Art. 5 Abs. 5 NP über die Zulässigkeit deren späterer Nutzungen zu schließen.2107 Gegebenenfalls kann anschließend der Zugang zu genetischen Ressourcen und / oder hierauf bezogenem traditionellen Wissen unter dem Vorbehalt weiterer Anforderungen der jeweiligen nationalen ABS-Gesetzgebung2108 erfolgen und Ressourcen und Wissen in der Folge auf der Grundlage der festgelegten Bedingungen genutzt werden.2109 Soweit der Nutzung der Ressourcen Vorteile entspringen, deren Aufteilung gem. Art. 5 Abs. 2 bzw. Art. 5 Abs. 5 NP vereinbart wurde, ist deren Verteilung auf Grundlage der MAT vorzunehmen. Diese können ILC in verschiedener Form dabei unterstützen ihre Rolle als Hüter von Ökosystemen auszufüllen. Noch einmal ist aber darauf hinzuweisen, dass in dem hier betrachteten Nutzer-Gemeinschaftsverhältnis dies entsprechend der dem Nagoya-Protokoll zugrunde liegenden Annahmen weniger eine Anreiz-, sondern vielmehr eine Unterstützungsfunktion hat. b) Auslegung der relevanten Vorschriften Die operativen Regelungen des NP, die den ABS-Mechanismus ausgestalten, befinden sich in den Artikeln 5, 6 und 7 NP und werden im Folgenden näher dargestellt. Die Regelungen betreffend die Position indigener und lokaler Gemeinschaften hinsichtlich des Zugangs zu und der Aufteilung der aus der Nutzung genetischer Ressourcen entstehenden Vorteile finden sich in Art. 6 Abs. 2 sowie 5 Abs. 2 NP, hinsichtlich des Zugangs zu und der Aufteilung der aus der Nutzung traditionellen Wissens entstehenden Vorteile in Art. 5 Abs. 5 und 7 NP.

2107  In praktischer Hinsicht wird die verlangte Form der Zustimmung und MAT häufig innerhalb eines einzigen Dokuments einer bi- oder multilateralen Zugangsvereinbarung umgesetzt, vgl. IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 9; siehe außerdem die Formular-Zugangsvereinbarungen auf der Internetseite des BfN von G. Winter, Universität Bremen, http: /  / www.bfn. de / 23922.html, zuletzt geprüft am 17.07.2017. 2108  Da das Nagoya-Protokoll etwa die Eigentumsfrage hinsichtlich genetischer Ressourcen als solche nicht berührt, kann auch die Zustimmung eines Eigentümers notwendig sein. 2109  IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 9; M. Buck / C. Hamilton, The Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the Fair and Equitable Sharing of Benefits Arising from their Utilization to the Convention on Biological Diversity, RECIEL 20 (2011), 47 (52).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

aa) Personaler Anwendungsbereich (1) Anbieter: Indigene und ortsansässige Gemeinschaften Die hier untersuchten Vorschriften verpflichten Vertragsstaaten nicht dazu, einzelnen Angehörigen von indigenen und ortsansässigen Gemeinschaften, sondern die jeweilige Gemeinschaft selbst mit einer rechtlichen Position innerhalb des ABS-Mechanismus im nationalen Recht auszustatten. Die Gemeinschaften werden als eigenständige Rechtssubjekte im Rahmen der Zugangsmechanismen für genetische Ressourcen (Art. 6 Abs. 2 NP) und tradi­ tionelles Wissen (Art. 7 NP) sowie auch im jeweiligen Regelungsregime zur Aufteilung der Vorteile in ihrer Funktion als Bereitsteller angesprochen (Art. 5 Abs. 2, 5 NP).2110 Trotz der besonderen Rolle des Konzepts innerhalb der Regelungen des Protokolls wird der zusammengesetzte und stets als Einheit gebrauchte Begriff2111 der indigenen und ortsansässigen Gemeinschaften weder im Protokoll von Nagoya2112 noch im Übereinkommen über die biologische Vielfalt definiert. Wie bereits im Rahmen der Betrachtung des inter-amerikanischen und afrikanischen Menschenrechtssystems gesehen, findet sich eine Definition auch in keinem anderen völkerrechtlich bindenden Dokument, und so wundert es kaum, dass eine unumstrittene Definition auch in der Völkerrechtslehre nicht existiert. Dass die Termini innerhalb des Nagoya Protokolls und auch bereits in den im Rahmen der CBD verabschiedeten nicht bindenden2113 Bonn Guidelines, den Akwé Kon Guidelines2114 und den Addis Ababa Prinzipien und Richtlinien zur nachhaltigen Nutzung2115 stets als Einheit 2110  Gleichwohl erhalten sie diesen Subjektstatus nicht bereits auf völkerrechtlicher Ebene, sondern die Vertragsstaaten werden verpflichtet, im nationalen Recht die Rechtsträgerschaft von ILC zu begründen. 2111  Kritisch gegenüber der Verbindung der unterschiedlichen Gemeinschaften aufgrund deren nicht notwendigerweise identischen Interessen K. R. Srinivas, Protecting traditional knowledge holders’ interests and preventing misappropriation, I.J.C.P. 19 (2012), 401 (402). 2112  Die Notwendigkeit einer definitorischen Bestimmung wird auch nicht etwa durch die Anerkennung des Rechts von ILC in Absatz 25 der Präambel des Protokolls obsolet, „die rechtmäßigen Träger ihres sich auf genetische Ressourcen beziehenden traditionellen Wissens innerhalb ihrer Gemeinschaften zu bestimmen“, da die dort angesprochene Frage einer gemeinschaftsinternen Bestimmung eines Rechteinhabers der Identifizierung der Gemeinschaft als ILC logisch nachgeordnet ist. 2113  So auch A. Savaresi, The International Human Rights Law Implications of the Nagoya Protocol, in: M. Buck / E. Morgera / E. Tsioumani, The 2010 Nagoya protocol on access and benefit-sharing in perspective, 2013, 53 (77). 2114  CBD COP 7, Decision VII / 16 F, UNEP / CBD / COP / DEC / VII / 16 vom 13. April 2004.



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker627

verwendet werden, spricht zwar in der Tat zunächst einmal dafür, dass die unter die Teilbegriffe fallenden Gemeinschaften im Rahmen des NP einheitlich behandelt werden sollen.2116 Damit kann jedoch nur gemeint sein, dass staatliche Pflichten aufgrund des Protokolls dem Grunde nach stets auf beide Arten von Gemeinschaften bezogen sind. In ihrem Umfang können die zu implementierenden Rechtspositionen gleichwohl im Einzelnen erheblich voneinander abweichen. Dies muss jedenfalls insoweit gelten, wie Vorschriften des Protokolls Vorbehalte zugunsten des nationalen Rechts formulieren, das bzgl. der unterschiedlichen Gemeinschaften seinerseits unterschiedliche Vorgaben enthalten kann.2117 Der Teilbegriff der indigenen Gemeinschaft ist zunächst zu unterscheiden von dem des indigenen Volkes. Dass letzterer weder in der CBD noch im Protokoll von Nagoya verwendet wird, hat seinen Grund allerdings weniger darin, dass unter beide Begriffe unterschiedliche Gemeinschaften zu fassen wären. Vielmehr wurde der Begriff des indigenen Volkes aufgrund der Sorge zahlreicher Vertragsstaaten vermieden, dass mit der Verwendung dieses stark menschenrechtlich konnotierten Begriffes eine allgemeine Anerkennung oder gar Ausweitung der in anderen völkerrechtlichen und nationalen Foren teils verbindlich festgestellten, teils rechtlich nicht bindend erklärten Rechte indigener Völker verbunden sein könnte.2118 In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass die Vertragsstaatenkonferenz der CBD zuletzt2119 zwar entschied, in zukünftigen Entscheidungen innerhalb des Vertragssystems den Terminus des indigenen Volkes zu verwenden, dabei aber ausdrücklich feststellte, dass damit keine Änderung der einzig verbindlichen rechtlichen Dokumente verbunden sei und diese Entscheidung weder zum „Zusammenhang 2115  CBD COP 7, Decision VII / 12 Annex II, UNEP / CBD / COP / DEC / VII / 12 vom 13. April 2004. 2116  So A. Savaresi, The International Human Rights Law Implications of the Nagoya Protocol, in: E. Morgera / M. Buck / E. Tsioumani, The 2010 Nagoya Protocol, 2013, 53 (77). 2117  A. A. A. Savaresi, The International Human Rights Law Implications of the Nagoya Protocol, in: E. Morgera / M. Buck / E. Tsioumani, The 2010 Nagoya Protocol, 2013, 53 (77), die eine Unterscheidung nicht für erforderlich hält. Zu unterschied­ lichen völkerrechtlichen Vorgaben siehe sogleich. 2118  E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Introduction, in: dies., Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 32. 2119  Die Diskussionen werden schon seit längerer Zeit geführt, jedoch wurde in der Vergangenheit eine Entscheidung immer wieder verschoben, siehe CBD Decision 10 / 43, „Multi-year programme of work on the implementation of Article 8 (j) and related provisions of the Convention on Biological Diversity“ (20 January 2011), UN Doc UNEP / CBD / COP / 10 / 27, Rn. 21 und hierzu A. Savaresi, The International Human Rights Law Implications of the Nagoya Protocol, in: E. Morgera / M. Buck /  E. Tsioumani, The 2010 Nagoya Protocol, 2013, 53 (78).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

des Vertrages“ i. S. v. Art. 31 Abs. 2 WVK gehört, noch als spätere Übereinkunft gem. Art. 31 Abs. 3 lit. a) WVK, spätere Übung i. S. v. Art. 31 Abs. 3 lit. b) WVK oder als Begründung einer „besonderen Bedeutung“ nach Art. 31 Abs. 4 WVK des in der Konvention und auch im Protokoll von Nagoya weiterhin gültigen Begriffs der indigenen Gemeinschaft verstanden werden könne.2120 Damit bringen die Vertragsstaaten einerseits zum Ausdruck, dass sie die Übertragung der indigenen Völkern in anderen Zusammenhängen zukommenden Rechtspositionen auf die in der CBD geregelten Fragen weiterhin nicht unterstützten wollen, gleichzeitig aber dokumentiert dies, dass mit dem unterschiedlichen Begriff keine anderen Gemeinschaften gemeint sind, als sie herkömmlich unter den Begriff des indigenen Volkes gefasst werden. Insoweit können auch im Rahmen des Nagoya-Protokolls und bei der Implementierung seiner Vorgaben die zu deren Identifizierung entwickelten Kriterien der „Selbst-Identifikation, historischen Kontinuität, der besonderen Beziehung zum Land der eigenen Vorfahren, der Einzigartigkeit sowie der nicht-Dominanz“ zur Identifizierung indigener Völker2121 herangezogen werden. Während der Begriff der indigenen Gemeinschaft so durch die prinzipielle Übertragbarkeit der im Laufe der Zeit für die Bestimmung indigener Völker entwickelten Grundsätze klarere Konturen erhält, fehlt es an einer solchen Möglichkeit für den Begriff der ortsansässigen oder auch lokalen Gemeinschaft. Zwar findet sich dieser Begriff auch in anderen internationalen Dokumenten,2122 definiert wird er allerdings nie.2123 Im Rahmen ihrer Arbeiten zu Art. 8 lit. (j) CBD haben die Vertragsparteien der CBD Kriterien zu ihrer Identifizierung angenommen,2124 die in vielen Punkten vergleichbar 2120  Decision XII / 12 Article 8(j) and related provisions, F. Terminology „indigenous peoples and local communities“, UNEP / CBD / COP / DEC / XII / 12 vom 13. Oktober 2014. 2121  UN Permanent Forum on Indigenous Issues, Fact Sheet, 21 October 2007; hierzu mit zahlreichen Nachweisen M. Kotzur, Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt und die Rechte indigener Völker, ZUR 2008, 225 (226 f.). 2122  Siehe insbesondere Grundsatz 22 der Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung; UNGA Statement of Forest Principles, A / CONF.151 / 26 (Vol. III) 14.08.1992, Preamble lit. (f), Principles 2 lit. (d), 5 lit. (a), 9 lit. (b), 12 lit. (d) sowie Agenda 21 Ziff. 5.6 lit. b), 5.10, 5.14, 5.38, 5.39, 6.1, 11.3 lit. g), 11.13, 11.13 lit. i), 11.30 lit. b), 12.23, 12.24, 12.25, 12.57 lit. c) etc. Siehe hierzu G. F. Maggio, Recognizing the Vital Role of Local Communities in International Legal Instruments for Conserving Biodiversity, UCLA Journal of Environmental Law and Policy 16 (1997), 179 (207 ff.). 2123  Auch der durch den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen vorgelegte Entwurf einer „Declaration on the Rights of Peasants and Other People working in Rural Areas“ sieht eine solche Definition nicht vor, vgl. Art. 1 der Draft Declaration UNGA A / HRC / WG.15 / 1 / 2.



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker

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sind mit denen zur Bestimmung indigener Völker. Insbesondere findet sich auch das für indigene Gemeinschaften zentrale Kriterium der Selbst-Identifikation2125 wieder und genauso wird auch die enge, symbiotische oder abhängige Beziehung solcher Gemeinschaften zu ihrer Umwelt und den natürlichen Kreisläufen betont,2126 aus der heraus auch in solchen Gemeinschaften das auf genetische Ressourcen bezogene traditionelle Wissen2127 entsteht, auf dessen Regulierung das Nagoya-Protokoll abzielt. Ein wesentlicher Unterschied besteht erkennbar allein darin, dass es sich hier nicht um indigene Gemeinschaften handelt, deren Mitglieder von Bewohnern einer spezifischen geographischen Gegend aus präkolonialer Zeit abstammen.2128 Darüber hinaus bestehende Unterschiede zu indigenen Gemeinschaften sind jedenfalls in ihrer Erfassung durch die Vertragsstaatenkonferenz nicht eindeutig feststellbar. Trotz des Fehlens einer verbindlichen Begriffsbestimmung der Wendung „indigene und ortsansässige Gemeinschaften“ im Nagoya-Protokoll bleibt die Umsetzung des personalen Anwendungsbereichs im nationalen Recht nicht der freien Willkür der Vertragsstaaten überlassen, auch wenn diesen ein nicht unbeträchtlicher Einschätzungsspielraum verbleibt.2129 Dieser ist im Einklang mit Art. 31 ff. WVK auszuüben. Hinsichtlich des Teilbegriffs der indigenen Gemeinschaft müssen dabei auch die Beschlüsse der Vertragsstaaten über die grundsätzliche Identität der Begriffe der indigenen Gemeinschaft einerseits und des indigenen Volkes andererseits als spätere Übereinkunft i. S. v. Art. 31 Abs. 3 lit. a) WVK Berücksichtigung finden. Dies stellt keinen Widerspruch zur dargelegten ausdrücklichen Einwendung der Vertragsstaaten da. Diese bezieht sich lediglich darauf, dass mit der Verwendung des Begriffs des indigenen Volkes eine Übernahme der mit diesem verbundenen rechtlichen Implikationen insbesondere menschenrechtlicher Art abgelehnt wird und keine Wirkung i. S. d. Art. 31 Abs. 3 WVK entfalten soll. An der Anerkennung der personalen Identität der so umgrenzten Gemeinschaften ändert dies aber nichts. Andernfalls wäre der künftige Gebrauch des Begriffs des indigenen Volkes im Rahmen der CBD und damit auch des Nagoya-Protokolls ganz 2124  Siehe CBD, Decision XI / 14 Article 8(j) and related provisions, UNEP / CBD /  COP / Dec / XI / 14 vom 05. Dezember 2012, S. 5 Rn. 18 mit Verweis auf UNEP / CBD /  WG8J / 7 / 8 / Add.1, S. 12 f. 2125  Siehe UNEP / CBD / WG8J / 7 / 8 / Add.1, S. 12 lit. (a). 2126  Siehe UNEP / CBD / WG8J / 7 / 8 / Add.1, S. 12 lit. (b). 2127  Siehe UNEP / CBD / WG8J / 7 / 8 / Add.1, S. 13 lit. (g), aber auch lit. (l), (m), (p), (q), (u). 2128  C. Riffel, Traditional Knowledge, MPEPIL, 2014, Rn. 1. 2129  A. Savaresi, The International Human Rights Law Implications of the Nagoya Protocol, in: M. Buck / E. Morgera / E. Tsioumani, The 2010 Nagoya protocol on access and benefit-sharing in perspective, 2013, 53 (73).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

und gar ohne jede Bedeutung, was kaum unterstellt werden kann. Dann aber haben die Vertragsstaaten für die Bestimmung des Teilbegriffs der indigenen Gemeinschaft auch auf die völkerrechtlich anerkannten Bedeutungsgehalte des Begriffs des indigenen Volkes zurückzugreifen. Dabei legt der ausdrückliche Verweis auf die inzwischen allgemein akzeptierte2130 UNDRIP in der Präambel des Protokolls eine systematische Auslegung i. S. v. Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVK, insbesondere die Anerkennung des auch in Art. 3 UNDRIP anerkannten Rechts zur Selbst-Identifikation nahe.2131 Hinsichtlich des Teilbegriffs der ortsansässigen Gemeinschaften haben die Vertragsstaaten ebenfalls nach Art. 31 Abs. 3 lit. a) WVK die im Rahmen der CBD verabschiedeten Kriterien zu beachten. Im Rahmen der Umsetzung kann für die Vertragsstaaten trotz der einheitlichen Verwendung des zusammengesetzten Begriffs im Nagoya-Protokoll eine Notwendigkeit zur Unterscheidung von indigenen Gemeinschaften einerseits und lokalen Gemeinschaften andererseits bestehen. Diese kann etwa daraus erwachsen, dass bei der Implementierung einzelner Positionen unterschiedliche Vorgaben weiterer völkerrechtlicher, insbesondere menschenrechtlicher Instrumente zu beachten sind, die aber etwa nur zugunsten der indigenen Gemeinschaften verpflichtend sein können.2132 Ob dies der Fall ist oder eine Übertragung der Rechtsposition auch auf lokale Gemeinschaften angezeigt ist, haben die Vertragsstaaten im Einzelnen zu prüfen.2133 Auf diese grundsätzliche Möglichkeit weist die bereits festgestellte Tendenz der Rechsprechung sowohl des IACtHR als auch der ACmHPR hin, die Rechtfertigung eines besonderen menschenrechtlichen Schutzes nicht am Kriterium der Indigenität festzumachen, sondern an dem historisch erfahrenen Unrecht und der gegenwärtigen Verletzlichkeit solcher Gemeinschaften aufgrund ihrer besonderen Lebensweise und ihrer engen Verbindung zu dem von ihnen genutzten traditionellen Land und den dort befindlichen natürlichen Ressourcen. Hierauf wird noch einmal zurückzukommen sein.2134 2130  Siehe

hierzu bereits oben: Zweiter Teil, C. I. 2. A. Savaresi, The International Human Rights Law Implications of the Nagoya Protocol, in: M. Buck / E. Morgera / E. Tsioumani, The 2010 Nagoya protocol on access and benefit-sharing in perspective, 2013, 53 (65); E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Introduction, in: dies., Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 36. 2132  Zur Ungeklärtheit des menschenrechtlichen Status lokaler Gemeinschaften siehe P. Manirakiza, Loyola University Chicago International Law Symposium Keynote Address Towards an African Human Rights Perspective on the Extractive Industry, Loyola University Chicago International Law Review, 11 (2013), Heft 1, Artikel 2, S. 8. 2133  In diesem Sinne IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 91. 2134  Siehe hierzu unten: Zweiter Teil, C. III. 2. b) ff) (1) (a). 2131  Vgl.



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker631

Während diese Richtlinien für die Auslegung der Begriffe der ILC zwar die Vertragsstaaten zu einem gewissen Grad davon abhalten können, ILC faktisch um ihre im NP vorgesehenen rechtlichen Positionen zu bringen,2135 resultiert aus dem Mangel an Bestimmtheit der verwendeten Begriffe doch eine deutliche Begrenzung der Stärke der Verpflichtungen der Staaten und damit auch der Position von ILC im NP. Zwar konnte im Rahmen der Betrachtung der regionalen Menschenrechtssysteme festgestellt werden, dass das Fehlen einer allgemein akzeptierten Definition die Menschenrechtsorgane nicht daran hinderte, einzelfallbezogen indigene und nicht-indigene Gemeinschaften als solche anzuerkennen und ihnen einen besonderen Schutz zukommen zu lassen.2136 Es ist aber zu beachten – und wird noch aufzuzeigen sein – dass ein solcher effektiver Mechanismus von durch Einzelne und Gruppen zu initiierenden Rechtsschutzverfahren für die Durchsetzung der Vorgaben des Nagoya-Protokolls gerade nicht existiert und es deshalb weitgehender in der Hand der Vertragsstaaten liegt, die bei der Implementierung der Regelungen notwendige Identifizierung der zu berechtigenden Gemeinschaften durchzuführen. (2) Nutzer Neben den in erster Linie adressierten privaten Nutzern wie Forschungs­ instituten und Unternehmen,2137 sind auch Staaten potenziell als Nutzer genetischer Ressourcen und auf dieses bezogene traditionelle Wissen anzusehen. Während sie als Vertragsparteien dazu verpflichtet sind Maßnahmen, soweit angebracht und im Einklang mit dem innerstaatlichen Recht, mit dem Ziel zu ergreifen, das Funktionieren des Zugangs-Regimes sicherzustellen, können sie als Nutzer auch Adressat der das Protokoll im nationalen Recht umsetzenden Bestimmungen sein.

2135  So auch die Sorge bei A. Savaresi, The International Human Rights Law Implications of the Nagoya Protocol, in: M. Buck / E. Morgera / E. Tsioumani, The 2010 Nagoya protocol on access and benefit-sharing in perspective, 2013, 53 (73). 2136  Siehe hierzu oben unter Zweiter Teil, C.  II. 4. a). Auch gerade in der menschenrechtlichen Anerkennung von Rechten indigener Völker liegt es begründet, dass dieser Begriff im Rahmen des Nagoya Protokolls und auch der CBD selbst durch die Staaten vermieden wird, E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 32. 2137  A. Savaresi, The International Human Rights Law Implications of the Nagoya Protocol, in: M. Buck / E. Morgera / E. Tsioumani, The 2010 Nagoya protocol on access and benefit-sharing in perspective, 2013, 53 (74).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

bb) Sachlicher Anwendungsbereich Der sachliche Anwendungsbereich des ABS-Regimes des Nagoya-Protokolls reicht weiter als noch unter den entsprechenden Regelungen der Biodiversitätskonvention. Eine Ausweitung hat er in zweierlei Hinsicht erfahren: Hinsichtlich der Erfassung genetischer Ressourcen kommt diese zum einen darin zum Ausdruck, dass der sachliche Anwendungsbereich insoweit nicht mehr allein über den Begriff der genetischen Ressource, sondern auch über den auf sie bezogenen Begriff der Nutzung definiert wird.2138 Noch auffallender ist gleichwohl die Integration auch des auf genetische Ressourcen bezogenen traditionellen Wissens indigener und lokaler Gemeinschaften in den Anwendungsbereich des Protokolls. In räumlicher Hinsicht beschränkt sich das NP auf die Erfassung von Ressourcen in Gebieten unter staatlicher Souveränität.2139 (1) Nutzung genetischer Ressourcen Der Begriff der genetischen Ressource ist im Protokoll von Nagoya nicht eigenständig definiert. Eine Definition findet sich aber in Art. 2 CBD, die gem. Art. 2 NP auch im Rahmen des Protokolls Anwendung findet. Danach versteht man hierunter „genetisches Material von tatsächlichem oder poten­ tiellem Wert“. Genetisches Material wird seinerseits umschrieben als „jedes Material pflanzlichen, tierischen, mikrobiellen oder sonstigen Ursprungs, das funktionale Erbeinheiten enthält“. Gemeinsam unterfallen sie dem Begriff der biologischen Ressource, der neben genetischen Ressourcen auch „Organismen oder Teile davon, Populationen oder einen anderen biotischen Bestandteil von Ökosystemen“ umfasst, „die einen tatsächlichen oder potentiellen Nutzen oder Wert für die Menschheit haben“. Das Zugangsregime des Art. 15 CBD hatte bislang keine weitergehende Konkretisierung für die Frage enthalten, unter welchen Voraussetzungen ein Zugang zum Zwecke der Verwendung des genetischen Programms einer Ressource erfolgte und damit dem Regime unterfallen sollte, und wann ein Zugang zu anderen, von dem genetischen Programm unabhängigen Zwecken stattfand, etwa der Verwendung als Heizmaterial oder Nahrungsmittel.2140 2138  E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, in: dies., Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 59 f. 2139  L. Wallbott / F. Wolff / J. Pożarowska, The negotiation of the Nagoya Protocol, in: S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources, 2014, 33 (49). 2140  G. Winter / E. C. Kamau, Von Biopiraterie zu Austausch und Kooperation, AVR 49 (2011), 373 (379); zu dem Hintergrund von Versuchen verschiedener Ver-



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker633

Unter dem Protokoll von Nagoya wird der Anwendungsbereich des ABSRegimes nun zusätzlich durch den Nutzungsbegriff des Art.  2 lit.  c) umgrenzt,2141 wonach hierunter lediglich das „Durchführen von Forschungsund Entwicklungstätigkeiten an der genetischen und / oder biochemischen Zusammensetzung genetischer Ressourcen, einschließlich durch die Anwendung von Biotechnologie“ verstanden wird. Erfasst werden sowohl Formen der nicht-kommerziellen Grundlagenforschung wie auch der kommerziellen, auf die Entwicklung neuer Produkte ausgerichteten Forschung und Entwicklung.2142 Mit dieser Begrenzung auf Nutzungen zum Zwecke von Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten werden anderweitige Nutzungen sehr viel deutlicher als bislang vom Anwendungsbereich der ABS-Regelungen ausgeschieden.2143 Auch die dem Stadium der Forschung und Entwicklung nachgelagerte ökonomische Verwendung und Kommerzialisierung fällt damit nicht unter den Nutzungsbegriff. Da aber insbesondere hierdurch erst gerade materielle Vorteile aus der vorangehenden Phase erwachsen, werden diese Tätigkeiten jedenfalls in den Vorteilsausgleich gem. Art. 5 Abs. 1 NP einbezogen. Der Nutzungsbegriff führt jedoch nicht nur zu einer Begrenzung des ­ nwendungsbereichs. Mit dem im Rahmen des politischen GesamtkomproA misses durch die Industriestaaten akzeptierten Nutzungsbegriff2144 ist es den Herkunftsstaaten2145 vielmehr gelungen, dass nunmehr auch die Nutzung von tragsparteien der CBD, mithilfe eines weiten Verständnisses erfasster Nutzungen, Umgehungsmöglichkeiten zu verhindern, E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 72 f. 2141  Ursprünglich hatte man hier eine Auflistung erfasster Tätigkeiten erwogen, hiervon jedoch angesichts der hohen Geschwindigkeit technologischen Fortschritts in diesem Bereich Abstand genommen, E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 62. 2142  E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 62 f. Das Protokoll enthält für nicht-kommerzielle Forschung lediglich spezielle Vorschriften zur Zugangserleichterung in Art. 8 lit. a). Die Abgrenzung der verschiedenen Formen der Forschung kann jedoch in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten bereiten. 2143  Siehe G. S. Nijar, The Nagoya Protocol on Access and Benefit Sharing of Genetic Resources: Analysis and Implementation Options for Developing Countries, Research Papers 36, South Centre 2011, S. 22. 2144  Zu den hierauf bezogenen Verhandlungen vgl. E. Morgera / E. Tsioumani /  M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 66 f. 2145  Insbesondere drangen hierauf die Gruppe der sog. „Like-Minded Megadiverse Countries“ – eine Gruppe von Staaten mit besonders hoher biologischer Vielfalt und insoweit gleichgerichteten Interessen – sowie die afrikanische Gruppe von Staaten, siehe L. Wallbott / F. Wolff / J. Pożarowska, The negotiation of the Nagoya Protocol, in: S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources, 2014, 33 (43 f.).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

wirtschaftlich besonders bedeutsamen Derivativen2146 erfasst wird, wie es anhand der Definitionskette des Art. 2 lit. e), d), c) NP deutlich wird.2147 Unter die erfassten Nutzungen genetischer Ressourcen fällt gem. Art. 2 lit c) NP auch die Anwendung von Biotechnologie, wozu nach Art. 2 lit. d) NP auch jede technologische Anwendung fällt, die – u. a. – Derivate biologischer Systeme oder lebender Organismen benutzt, um Erzeugnisse oder Verfahren für eine bestimmte Nutzung herzustellen oder zu verändern. Mit der Einbeziehung von Derivaten i. S. v. Art. 2 lit. e) NP unterfallen dem Anwendungsbereich damit nun durch Genexpression oder den Stoffwechselprozess biologischer oder genetischer Ressourcen entstandene natürlich vorkommende biochemische Verbindungen, auch wenn sie keine funktionalen Erbeinheiten enthalten, d. h., sie nicht Träger von Genen (DNA), sondern etwa lediglich RNA (RNS = Ribonukleinsäure), Proteine oder Enzyme enthalten.2148 Mit Blick auf die Rechtspositionen indigener und lokaler Gemeinschaften erscheint hierüber hinaus jedoch zweierlei bemerkenswert: Während der Zugang zu genetischen Ressourcen auf Ebene des zwischenstaatlichen Ansatzes gem. Art. 6 Abs. 1 NP tatsächlich auf die Nutzung genetischer Ressourcen abstellt und damit die Definitionen des Art. 2 NP deutlich in Bezug genommen werden, fehlt eine Beschränkung auf Fälle der „Nutzung“ in Art. 6 Abs. 2 NP, der den Zugang zu genetischen Ressourcen im Staat-Gemeinschafts-Verhält2146  Zu deren wirtschaftlicher Bedeutung als ein Hauptgegenstand moderner BioWissenschaften siehe M. Buck / C. Hamilton, The Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the Fair and Euqitable Sharing of Benefits Arising from their Utilization to the Convention on Biological Diversity, RECIEL 20 (2011), 47 (56 f.); E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 66; G. S. Nijar, The Nagoya Protocol on Access and Benefit Sharing of Genetic Resources: Analysis and Implementation Options for Developing Countries, Research Papers 36, South Centre 2011, S. 14; S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources: background and analytical framework, in: dies., Global Governance of Genetic Resources, 2014, 1 (7). 2147  G. Winter / E. C. Kamau, Von Biopiraterie zu Austausch und Kooperation, AVR 49 (2011), 373 (379); IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 67; E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 65; M. Buck / C. Hamilton, The Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the Fair and Euqitable Sharing of Benefits Arising from their Utilization to the Convention on Biological Diversity, RECIEL 20 (2011), 47 (57). 2148  Vgl. zu einer ausführlichen Erläuterung des Begriffes des Derivats und zu weiteren Fragen der Reichweite des so bestimmten Anwendungsbereichs E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, in: dies., Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 65 ff.; zur Verhandlungsgeschichte im Vorfeld des Abschlusses des Nagoya-Protokolls a. a. O., S. 66 Fn. 49 sowie M. Buck / C. Hamilton, The Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the Fair and Euqitable Sharing of Benefits Arising from their Utilization to the Convention on Biological Diversity, RECIEL 20 (2011), 47 (56 f.).



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker635

nis ausgestaltet. Die Regelung des hierauf bezogenen Vorteilsausgleichs in Art. 5 Abs. 2 NP umfasst zwar seinerseits ausdrücklich Vorteile aus der Nutzung genetischer Ressourcen, lässt aber seinerseits, anders als die entsprechende Regelung für die zwischenstaatliche Variante nach Art. 5 Abs. 1 NP, Vorteile aus der späteren Verwendung und Vermarktung der Forschungs- und Entwicklungsergebnisse außen vor.2149 Nimmt man diese Auslassungen ernst, so müsste man im Verhältnis zu ILC im Umkehrschluss wohl davon ausgehen, dass der Zugang zu genetischen Ressourcen zur Nutzung von Derivaten ohne funktionale Erbeinheiten durch die Zugangsbeschränkung genauso nicht erfasst werden sollte wie auch die aus der Kommerzialisierung von Forschungsund Entwicklungsergebnissen entstehenden – insbesondere materiellen – Vorteile im Rahmen des Vorteilsausgleichsmechanismus. Damit aber wäre die Reichweite des ABS-Mechanismus betreffend indigene und lokale Gemeinschaften stark verkürzt. Gegen diese dem Wortlaut nach naheliegende Auslegung spricht zudem, dass sich in der Entstehungsgeschichte der Vorschriften keinerlei Hinweise darauf finden, dass im Staat / Nutzer-Gemeinschafts-Verhältnis eine solche Verkürzung der Reichweite des Anwendungsbereichs vorgenommen werden sollte. Vielmehr liegt es nahe, dass die hier genannten ­Vorschriften, die nicht im Fokus der Verhandlungen standen, nach Aushandlung des Gesamtkompromisses nicht entsprechend angepasst wurden.2150 Entsprechend sollten auch die Vorschriften im Staat / Nutzer-Staat- sowie im Staat / Nutzer-Gemeinschafts-Verhältnis insoweit vielmehr anhand der oben dargestellten Grundsätze ausgelegt werden. (2) Auf genetische Ressourcen bezogenes traditionelles Wissen Der zusammengesetzte Begriff „sich auf genetische Ressourcen beziehendes traditionelles Wissen“ wird sowohl in Art. 5 Abs. 5 NP als auch in Art. 7 NP verwandt. Wie schon der Begriff der „indigenen und ortsansässigen Gemeinschaften“ wird auch dieser zweite Zentralbegriff für die Bestimmung der Reichweite der Rechtsposition dieser Gruppen im NP weder in seiner zusammengesetzten Form noch auch nur der isolierte Begriff des traditionellen Wissens definiert.2151 Auch andere völkerrechtliche Instrumente enthalten 2149  Soweit ersichtlich wird diese Abweichung im Wortlaut der Vorschriften bislang nicht in der Literatur problematisiert, vgl. etwa IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 64, 99 ff.; E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, in: dies., Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 145 ff. 2150  Zu den Umständen des Zustandekommens des Nagoya-Protokolls siehe bereits oben: Zweiter Teil, C. III. 1. a). 2151  IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 90.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

keine solche Definition.2152 Lediglich der Begriffsteil der „genetischen Ressourcen“ wird, wie gesehen, durch die Inbezugnahme von Art. 2 CBD näher bezeichnet. Während traditionelles Wissen als Rechtsbegriff und Gegenstand des ABS-Mechanismus erstmals im Protokoll von Nagoya auftaucht,2153 wurde es aber bereits in Art. 8 lit. (j) CBD umschrieben als „Kenntnisse, Innovationen und Gebräuche eingeborener und ortsansässiger Gemeinschaften mit traditionellen Lebensformen, die für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt von Belang sind“. Da eine eigene Definition im NP auch unter Verweis auf die Umschreibung in Art. 8 lit. (j) CBD unterblieb, liegt es durchaus nahe, jedenfalls als Orientierung für die Implementierung der Vorschriften des NP hierauf zurückzugreifen.2154 Weiterhin wird der durch das Fehlen einer förmlichen Definition den Vertragsstaaten des NP zukommende Umsetzungsspielraum dadurch begrenzt, dass auch sie bei der Ausfüllung des Spielraums gem. Art. 31 Abs. 1 WVK die gewöhnliche, dem Begriff in seinem Zusammenhang zukommende Bedeutung zu berücksichtigen und diese auch im Lichte des Ziels und Zweckes des Nagoya-Protokolls zu verstehen haben. Allgemein werden, über die Umschreibung in Art. 8 lit. (j) CBD hinausgehend, unter dem Begriff des traditionellen Wissens sowohl das Wissen, aber auch Innovationen und Praktiken indigener und lokaler Gemeinschaften verstanden.2155 Der Begriff bezieht sich auf den Wissensgehalt, wie er in einem Kontext traditioneller Lebensweise durch intellektuelle Tätigkeit entstanden ist und zumeist mündlich von Generation zu Generation weitergegeben wird.2156 Seine Entstehung, Anwendung und Bewahrung ist eng mit der Lebensweise indigener und lokaler Gemeinschaften verbunden, da dieses ­ 2152  M. Buck / C. Hamilton, The Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the Fair and Euqitable Sharing of Benefits Arising from their Utilization to the Convention on Biological Diversity, RECIEL 20 (2011), 47 (54); K.-J. Ni, Traditional Knowledge and global Lawmaking, Nw. U. J. Int’l Hum. Rts. 10 (2011), 85 (85); E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Art. 2 NP, in: dies., Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 62; B. Tobin, Biopiracy by law: European Union draft law threatens indigenous peoples’ rights over their traditional knowledge and genetic resources, E.I.P.R. 2014, 124 (126). 2153  E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, in: dies., Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 24. 2154  Vgl. IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 91, Box 16, Rn. 1. 2155  K.-J. Ni, Traditional Knowledge and global Lawmaking, Nw. U. J. Int’l Hum. Rts. 10 (2011), 85 (85). 2156  K.-J. Ni, Traditional Knowledge and global Lawmaking, Nw. U. J. Int’l Hum. Rts. 10 (2011), 85 (86); C. Riffel, Traditional Knowledge, MPEPIL, 2014, Rn. 1; A. Meyer, International Environmental Law and Human Rights: Towards the Explicit Recognition of Traditional Knowledge, RECIEL 10 (2001), 37 (38).



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Wissen – wie bereits dargestellt – integral mit der existenziellen Beziehung dieser Gemeinschaften zu der sie umgebenden Natur verbunden ist. Durch seine Bezogenheit auf die Umwelt unterliegt es zudem ständigen Veränderungen und bedarf der fortlaufenden Aktualisierung.2157 Typische Gegenstände des traditionellen Wissens sind medizinische Eigenschaften von Pflanzen, landwirtschaftliches und allgemein umweltbezogenes Wissen,2158 wie auch der Schutz, die Pflege und die Nutzung biologischer Vielfalt.2159 Das Attribut „traditionell“ bezieht sich dabei nicht auf das Alter des Wissens, sondern auf dessen kulturellen Ursprung.2160 Der Gehalt traditionellen Wissens kann dabei in höchst unterschiedlichsten Formen auftreten. Genannt werden beispielhaft die Formen der Geschichte, des Gesangs, der Folklore, Sprichwörter, Glaubenslehren, Riten, des kommunalen Rechts, der lokalen Sprachen oder der agrarkulturellen Techniken.2161 Zwar erfasst das NP das immaterielle Gut des traditionellen Wissens2162 nur insoweit, als es auf genetische Ressourcen bezogen ist. Gleichwohl legt die Ratio der Einbeziehung dieses Gegenstandes in den ABS-Mechanismus keinesfalls eine dadurch induzierte Verengung des Begriffes nahe. Soll mit der Einbeziehung all jenes traditionelle Wissen erfasst werden, das von potenziellem Wert für die Entdeckung neuer Nutzungsmöglichkeiten genetischer Ressourcen ist,2163 so muss der Begriff – allein schon aufgrund der Ungewissheit zukünftiger Erkenntnisse – möglichst umfassend verstanden werden. Zur Umgrenzung sollte deshalb allein auf den kulturellen Ursprung des Wissens und nicht etwa auf bestimmte Erscheinungsformen abgestellt werden. Insbesondere sollten nicht bestimmte Wissensinhalte ausgeschlossen werden, soweit nur irgendein Bezug auf Naturelemente besteht, die Träger 2157  C. Riffel,

Traditional Knowledge, MPEPIL, 2014, Rn. 2. Traditional Knowledge, MPEPIL, 2014, Rn. 1. 2159  B. Tobin, Setting Protection of TK to Rights – Placing Human Rights and Customary Law at the Heart of TK Governance, in: E. C. Kamau / G. Winter, Genetic Resources, Traditional Knowledge, and the Law, 2009, 101 (102); A. Meyer, International Environmental Law and Human Rights: Towards the Explicit Recognition of Traditional Knowledge, RECIEL 10 (2001), 37 (38). 2160  IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 91; C. Riffel, Traditional Knowledge, MPEPIL, 2014, Rn. 2. 2161  K.-J. Ni, Traditional Knowledge and global Lawmaking, Nw. U. J. Int’l Hum. Rts. 10 (2011), 85 (86). 2162  M. Buck / C. Hamilton, The Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the Fair and Euqitable Sharing of Benefits Arising from their Utilization to the Convention on Biological Diversity, RECIEL 20 (2011), 47 (48). 2163  IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 90. 2158  C. Riffel,

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

genetischer Ressourcen sind. Nichts anderes legt auch die Verbindung der Begriffsbestandteile nahe. Der hier verwendete Begriff eines „sich beziehens auf“2164 markiert nur eine relativ lockere Verbindung, die einen weit verstandenen Wissenszusammenhang nicht ausschließt. Nur ein solch weites Verständnis stellt sicher, dass alle Vorteile aus der Nutzung genetischer Ressourcen unter Verwendung von Informationen aus dem Besitz indigener und ortsansässiger Gemeinschaften auch schließlich dem Vorteilsausgleichsmechanismus des Art. 5 Abs. 5 NP unterstellt werden müssen. cc) Zeitlicher Anwendungsbereich Während der Verhandlungen um das ABS-Protokoll hatte sich die Frage seines zeitlichen Anwendungsbereichs als bis zuletzt äußerst umstritten herausgestellt.2165 Zur Debatte standen verschiedene Alternativen mit ganz unterschiedlichen Auswirkungen auf die Reichweite der rechtlichen Regelungen.2166 Während nach der restriktivsten Alternative nur die Nutzungen solcher genetischer Ressourcen und hierauf bezogenen traditionellen Wissens in den Vorteilsausgleich einbezogen werden sollten, die erst nach Inkrafttreten des Nagoya-Protokolls in den Besitz der Nutzer gelangt waren, plädierten andere Stimmen insbesondere unter Verweis auf die bereits unter der CBD seit ihrem Inkrafttreten im Jahr 1993 gem. Art. 15 bestehenden Verpflichtungen dafür, jedenfalls diejenigen Vorteile in den Mechanismus miteinzubeziehen, die aus Nutzungen stammen, die zwar bereits vor Inkrafttreten des Protokolls, aber erst nach Inkrafttreten der Konvention über die biologische Vielfalt stattfanden und ggf. mit Ressourcen und traditionellem Wissen nach Infkrafttreten des Protokolls fortgesetzt wurden.2167 Von maßgeblicher Bedeutung ist die Bestimmung des zeitlichen Anwendungsbereichs insbesondere mit Blick auf die in großer Zahl in den Industriestaaten vorhandenen ex-situ Sammlungen an Proben von Bestandteilen biologischer Vielfalt und 2164  In

der verbindlichen englischen Fassung: „associated with“. G. Winter / E. C. Kamau, Von Biopiraterie zu Austausch und Kooperation, AVR 49 (2011), 373 (377 f.); E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 77; M. Buck / C. Hamilton, The Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the Fair and Equitable Sharing of Benefits Arising from their Utilization to the Convention on Biological Diversity, RECIEL 20 (2011), 47 (50); G. S. Nijar, The Nagoya Protocol on Access and Benefit Sharing of Genetic Resources: Analysis and Implementation Options for Developing Countries, Research Papers 36, South Centre 2011, S. 19. 2166  Zu weiteren Vorschlägen siehe G. Winter / E. C. Kamau, Von Biopiraterie zu Austausch und Kooperation, AVR 49 (2011), 373 (377 f.). 2167  E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 77. 2165  Vgl.



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker

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ihren genetischen Ressourcen, die in den allermeisten Fällen bereits lange vor Infkrafttreten des Nagoya-Protokolls angelegt wurden.2168 Trotz der großen Bedeutung des zeitlichen Anwendungsbereichs enthält das Protokoll zu dieser Fragestellung keinerlei explizite Regelung.2169 Sie war zwar zunächst im Verhandlungstext während der abschließenden Beratungen noch vorhanden, wurde dann aber aus dem von der japanischen Verhandlungsleitung unterbreiteten Kompromissvorschlag2170 herausgestri­ chen.2171 Hinsichtlich der Konsequenzen dessen besteht allerdings nur Einigkeit dahingehend, dass jedenfalls solche Vorteile nicht in den Anwendungsbereich des Protokolls einbezogenen sind, die bereits vor Inkrafttreten der Mutterkonvention entstanden sind.2172 Davon abgesehen wird teilweise angenommen, dass aufgrund von Art. 28 WVK, der allgemein die Nichtrückwirkung von Verträgen im Völkerrecht regelt, weder retroaktiv eine Zustimmungspflicht für die vor dem Inkrafttreten des Protokolls erlangten Ressourcen bzw. das zuvor erlangte Wissen statuiert, noch, dass an zuvor entstandene Vorteile eine Pflicht zum Vorteilsausgleich angeknüpft werden könne.2173 Allenfalls soll es nach Art. 28 WVK möglich sein, die fortgeführte Nutzung von Ressourcen und Wissen nach diesem Zeitpunkt als eine neue Handlung 2168  E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 78; G. Winter, Die Kompromisse von Nagoya, und wie es weitergeht, ZUR 2011, 57 (58); G. S. Nijar, The Nagoya Protocol on Access and Benefit Sharing of Genetic Resources: Analysis and Implementation Options for Developing Countries, Research Papers 36, South Centre 2011, S. 21. 2169  L. Wallbott / F. Wolff / J. Pożarowska, The negotiation of the Nagoya Protocol, in: S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources, 2014, 33 (49 f.). Diese wollen jedoch mittelbar aus Art. 10 NP den Ausschluss der Anwendung auf in der Vergangenheit gesammelte genetische Ressourcen folgern, da für diese eine Einwilligung nicht mehr eingeholt werden könne und sie einen Fall für einen zukünftigen multilateralen Verteilungsmechanismus darstellen. 2170  Siehe hierzu bereits oben: Zweiter Teil, C. III. 1. a). 2171  E. Morgera / M. Buck / E. Tsioumani, Introduction, in: dies., The 2010 Nagoya Protocol on Access and Benefit-Sharing in Perspective, 2013, 1 (9); IUCN, T. Greiber u. a., An explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-shar­ ing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 72. 2172  E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 79; IUCN, T. Greiber u. a., An explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 72. 2173  G. Winter / E. C. Kamau, Von Biopiraterie zu Austausch und Kooperation, AVR 49 (2011), 373 (378); so auch M. Buck / C. Hamilton, The Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the Fair and Equitable Sharing of Benefits Arising from their Utilization to the Convention on Biological Diversity, RECIEL 20 (2011), 47 (57), die dies auch damit begründen, dass die maßgeblichen Vorschriften des NP, Art. 5, 6, 15, ihrem Wortlaut nach Verpflichtungen nur für „Vertragsparteien“, d. h. Parteien des NP begründen, was für den Zeitraum vor seinem Inkrafttreten nicht der Fall ist.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

oder Tatsache bzw. die Fortsetzung ihres Besitzes nicht als eine Lage, die vor dem genannten Zeitpunkt zu bestehen aufgehört hat, zu behandeln, sodass diese in den Vorteilsausgleich zwingend einzubeziehen sind.2174 Nach anderer Ansicht soll es dagegen zumindest offen sein, ob nicht jedenfalls die Verpflichtung des Vorteilsausgleichs für solche Vorteile greife, die aus der Nutzung genetischer Ressourcen zwar vor dem Inkrafttreten des Protokolls, aber erst nach Inkrafttreten der Biodiversitätskonvention entstanden sind.2175 Danach soll es den Vertragsstaaten des Protokolls möglich sein, in Zukunft durch eine Entscheidung im Rahmen der Vertragsstaatenkonferenz eine interpretative Entscheidung in diesem Sinne vorzunehmen. Die letztgenannte Ansicht überzeugt jedoch nicht. Zwar wäre es durchaus zu begrüßen gewesen, hätte das NP einen weiter zurückreichenden temporalen Anwendungsbereich erhalten. Eine solche Regelung wurde jedoch unterlassen, weshalb Art. 28 WVK anzuwenden ist. Damit aber liegt eine eindeutige, wenn auch keine ausdrückliche Regelung vor, für deren Änderung den Organen des NP keine Vertragsänderungskompetenz zukommt. Die Ausübung einer solchen aber würde es darstellen, wenn durch eine Entscheidung nicht nur festgestellt werden sollte, dass Art. 28 WVK die Einbeziehung derjenigen Vorteile zulasse, die durch die nach Inkrafttreten des NP fortgesetzte Nutzung auch solcher Ressourcen und traditionellen Wissens entstehen, die bereits vor dem Inkrafttreten des NP erlangt wurden, sondern auch an die aus bereits zuvor abgeschlossenen Nutzungen entstandenen Vorteile angeknüpft werden müsste. Hiervon zu unterscheiden ist lediglich die (zu bejahende) Frage, ob es den Vertragsstaaten erlaubt ist, auf freiwilliger Basis einen weiterreichenden Vorteilsausgleich in ihrem nationalen Recht zu verlangen.2176 2174  G. Winter / E. C. Kamau, Von Biopiraterie zu Austausch und Kooperation, AVR 49 (2011), 373 (378); IUCN, T. Greiber u. a., An explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 75; siehe auch G. S. Nijar, The Nagoya Protocol on Access and Benefit Sharing of Genetic Resources: Analysis and Implementation Options for Developing Countries, Research Papers 36, South Centre 2011, S. 20, der zu Recht auf die praktischen Probleme einer solchen Einbeziehung hinweist, dar solcherlei Ressourcen und Wissen häufig ohne Vereinbarung über einen späteren Vorteilsausgleich gesammelt worden sein dürften. Er hält eben solche Konstellationen für einen potentiellen Anwendungsbereich des multilateralen Ausgleichsmechanismus, den Art. 10 NP nur rudimentär in den Blick nimmt. 2175  E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 79. Zu beachten ist allerdings, dass sich diese Ansicht nur auf genetische Ressourcen, nicht aber auch traditionelles Wissen bezieht. Ihren Grund hat dies darin, dass Art. 15 CBD, auf den sich diese Ansicht stützt, gerade noch keinen Vorteilsausgleich für die aus der Nutzung von traditionellem Wissen entstandenen Vorteile vorsah. 2176  M. Buck / C. Hamilton, The Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the Fair and Equitable Sharing of Benefits Arising from their Utilization to the Convention on Biological Diversity, RECIEL 20 (2011), 47 (57).



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker

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Hinsichtlich dessen Verwirklichungschancen ist allerdings zu bedenken, dass kaum zu erwarten ist, dass gerade die sich als Nutzerstaaten begreifenden Vertragsparteien des NP die ihnen obliegenden Verpflichtungen zur Überwachung der Nutzung genetischer Ressourcen und traditionellen Wissens in ihrem Hoheitsbereich gem. Art. 15, 16 NP ebenfalls über den verbindlichen zeitlichen Geltungsbereich des Protokolls hinaus freiwillig ausdehnen werden, sodass eine Erweiterung allein durch die Herkunftsstaaten wenig erfolgversprechend scheint.2177 Im Ergebnis ist deshalb festzustellen, dass der temporale Anwendungsbereich des Protokolls und damit auch die Reichweite der zu implementierenden Rechtsposition von indigenen und lokalen Gemeinschaften bezogen auf die Vergangenheit äußerst begrenzt ist und dies durch die Einbeziehung fortgesetzter bzw. neuer Nutzungen nur teilweise kompensiert werden könnte. Hierbei wird insbesondere darauf zu achten sein, dass etwa die Nutzung der umfangreich vorhandenen genetischen Ressourcen in ex-situ Sammlungen effektiv erfasst wird, um ein weitgehendes Leerlaufen des ABS-Mechanismus zu verhindern.2178 dd) Das Zugangs-Regime, Art. 6 Abs. 2, Art. 7 NP Das Zugangsregime für genetische Ressourcen und hierauf bezogenes traditionelles Wissen wird für das Staat / Nutzer-Gemeinschafts-Verhältnis durch Art. 6 Abs. 2, Art. 7 NP erstmals im internationalen Recht verbindlich ausgestaltet.2179 Dem Zugangsregime kommt, wie bereits ausgeführt, in diesem Verhältnis aufgrund seiner Bedeutung für die Sicherung der Selbstbestimmt2177  Siehe etwa zur Umsetzung in der Europäischen Union durch Art. 2 Abs. 1 VO 511 / 20144 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.  April 2014 über Maßnahmen für die Nutzer zur Einhaltung der Vorschriften des Protokolls von Nagoya über den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile in der Union und hierzu mit deutlicher Kritik B. Tobin, Biopiracy by law: European Union draft law threatens indigenous peoples’ rights over their traditional knowledge and genetic resources, E.I.P.R. 2014, 124 (128). Siehe allerdings insoweit relativierend auch S. Ober­ thür / F. Rabitz, The role of the European Union in the Nagoya protocol negotiations, in: S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources, 2014, 79 (92), die darauf hinweisen, dass es ohne die Bemühungen der EU vermutlich überhaupt nicht zum Abschluss des NP gekommen wäre. 2178  Hierauf weist hin G. S. Nijar, The Nagoya Protocol on Access and Benefit Sharing of Genetic Resources: Analysis and Implementation Options for Developing Countries, Research Papers 36, South Centre 2011, S. 21. 2179  L. Glowka / V. Normand, The Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing: Innovations in International Environmental Law, in: E. Morgera / M. Buck / E. Tsioumani, The 2010 Nagoya Protocol, 2013, 19 (40).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

heit indigener und lokaler Gemeinschaften besonders hohe Bedeutung zu. Nach einer näheren Bestimmung der Reichweite des Regimes über den Begriff des Zugangs (1) ist auf seine zentralen inhaltlichen Elemente (2) näher einzugehen. (1) Zugang zu genetischen Ressourcen und hierauf bezogenem traditionellem Wissen Während der „Zugang“ zu genetischen Ressourcen schlicht den physischen Akt der Extrahierung, des Sammelns oder andere Formen des sichBemächtigens biologischer Ressourcen aufgrund ihres genetischen Materials meint,2180 verlangt der Begriff des „Zugangs“ in Bezug auf traditionelles Wissen, dessen Träger indigene und ortsansässige Gemeinschaften sind, angesichts dessen immateriellen Charakter, das seinen physischen Zugang ausschließt, weiterer Konkretisierung. Zwar scheint Art. 7 NP – im Kontrast zu Art. 6 Abs. 1 NP – zunächst dahingehend weiter zu sein, dass das Zugangsregime nicht lediglich auf den Zugang zu traditionellem Wissen zum Zwecke seiner Nutzung beschränkt ist,2181 sondern vielmehr ganz generell gilt. Zu beachten ist aber, dass es nur so weit reicht, wie ILC noch Träger dieses Wissens sind. Danach könnte etwa solches Wissen, das bereits in der Vergangenheit ohne spezifischen Anlass in Datenbanken gespeichert wurde, dem Zugangsregime entzogen sein, soweit man mit der Trägerschaft ein notwendiges Element der Kontrolle verbindet. Bezogen auf den Begriff des Zugangs könnte solcherlei gespeicherte Information vom Regime ausgenommen sein, wenn darunter schon ein einfaches Erkennen oder nur die erstmalige Kenntnisnahme gefasst würde, da in diesem Fall ein Zugang bereits in der Vergangenheit stattgefunden hätte, auf den sich der zeitliche Anwendungsbereich des NP nicht erstreckte. Der Anwendungsbereich wäre in diesem Fall auf solches traditionelle Wissen beschränkt, das nicht bereits in der Vergangenheit in irgendeiner Form öffentlich zugänglich gemacht wurde.2182 Auch wenn dies eine wesent2180  IUCN, L. Glowka u. a., A Guide to the Convention on Biological Diversity, IUCN Environmental Policy and Law Paper no. 30, 1994, S. 76. 2181  Wie bereits gesehen, findet eine solch allgemeine Erfassung zwar auch im Rahmen von Art. 6 Abs. 2 NP hinsichtlich der ILC zugewiesenen genetischen Ressourcen statt. Gleichwohl wird zu zeigen sein, dass diese Weite hier ohne Auswirkungen auf die Verpflichtungen der Vertragsstaaten bleibt, da diese es letztlich in der Hand haben, die Reichweite der Verpflichtung mittels nationalen Rechts selbst zu bestimmen. Siehe hierzu unten unter Zweiter Teil, C. III. 2. b) ff) (2). 2182  IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 114.



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liche Schmälerung des Anwendungsbereichs des Zugangsmechanismus für TK bedeutet, spricht gegen die Einbeziehung auch bereits öffentlich gemachten Wissens in historisch-genetischer Sicht, dass entsprechende Formulierungen zur Erweiterung des Anwendungsbereichs des Protokolls aus der schließlich verabschiedeten Version gestrichen wurden.2183 Da die Frage aber jedenfalls nicht eindeutig im Protokoll entschieden ist, kommt den Vertragsstaaten auch insoweit zumindest ein großer Umsetzungsspielraum zu.2184 (2) PIC oder Billigung und Beteiligung Kern beider Regimes betreffend den Zugang zu genetischen Ressourcen einerseits und das auf genetische Ressourcen bezogene traditionelle Wissen andererseits ist das Konzept der auf Kenntnis der Sachlage gegründeten vorherigen Zustimmung („Prior informed Consent“, PIC). Dabei ist zu beachten, dass das Zugangs-Regime für genetische Ressourcen in Art. 6 Abs. 2 NP nur für die Fälle Anwendung finden soll, in denen ILC das bestehende Recht haben, den Zugang zu diesen Ressourcen zu gewähren.2185 Für die Anwendbarkeit auf traditionelles Wissen setzt Art. 7 NP dagegen lediglich voraus, dass dieses auf eine oder mehrere ILC2186 zurückgeführt werden kann.2187 2183  G. S. Nijar, The Nagoya Protocol on Access and Benefit Sharing of Genetic Resources: Analysis and Implementation Options for Developing Countries, Research Papers 36, South Centre 2011, S. 28 f. 2184  Zu beachten ist aber, dass die Verpflichtung zum Vorteilsausgleich bei tradi­ tionellem Wissen in Art. 5 Abs. 5 NP an die Nutzung des Wissens anknüpft. Verortet man die hier geltend gemachten Bedenken hinsichtlich der Einbeziehung auch in Datenbanken gespeicherten Wissens ebenfalls beim Merkmal des Zugangs und nicht bei dem der Trägerschaft, so könnte der Anwendungsbereich des Vorteilsausgleichsmechanismus also über den des Zugangsregimes hinausgehen, in diese Richtung auch E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 175. 2185  Soweit es an einem entsprechenden Recht von ILC fehlt, bedeutet dies gleichwohl nicht, dass die Ressourcen ohne jede Zustimmung erlangt werden können. Vielmehr besteht in einem solchen Fall jedenfalls das PIC-Erfordernis gem. Art. 6 Abs. 1 NP, E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 146. 2186  In beiden hier erfassten Fällen muss aber eine konkrete Zuordnung des Wissens möglich sein. Nicht erfasst wurde mithin der in den Verhandlungen thematisierte Fall, dass traditionelles Wissen genutzt werden soll, dass keiner konkreten Gemeinschaft mehr zugeordnet werden kann, siehe hierzu L. Wallbott / F. Wolff / J. Pożarowska, The negotiation of the Nagoya Protocol, in: S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources, 2014, 33 (44). Insoweit handelt es sich um einen potentiellen Anwendungsfall eines in der Zukunft auszuhandelnden multilateralen Mechanismus i. S. v. Art.  10 NP. 2187  IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 88.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Damit wird hier nicht eine normative, sondern eine tatsächliche, auf die Entstehung des Wissens Bezug nehmende Voraussetzung aufgestellt. Das Konzept der „auf Kenntnis der Sachlage gegründeten vorherigen Zustimmung“ wird im internationalen Recht in verschiedenen Zusammenhängen gebraucht. Es findet sowohl in rein zwischenstaatlichen umweltvölkerrechtlichen Instrumenten Anwendung2188 als auch in Instrumenten betreffend die Rechte von indigenen Völkern.2189 Neben seiner Aufnahme in Art. 16 Abs. 2 ILO-Konvention 169 sowie in Art. 10, 11 Abs. 2, 19, 28 Abs. 1 und 29 Abs. 2 UNDRIP wurde es, wie bereits dargestellt, inzwischen auch durch den IACtHR und die ACmHPR rezipiert.2190 Der Gebrauch des Konzepts in unterschiedlichen Zusammenhängen zeigt sich auch im Rahmen des NP. Auch hier findet das Konzept nicht nur Anwendung auf die Position indigener und ortsansässiger Gemeinschaften,2191 sondern auch auf die Position der Herkunftsstaaten.2192 Als Rechtsgedanke findet es allerdings keineswegs nur im umweltvölkerrechtlichen Bereich Anwendung. Vielmehr liegt dieser etwa auch den Einwilligungsvorbehalten im medizinrechtlichen und anderen Rechtsbereichen zugrunde, mit deren Hilfe dort die Autonomie von Patienten geschützt wird. Auch dort wird eine wirksame Einwilligung in Behandlungsmaßnahmen von einer vorangehenden umfangreichen Aufklärung abhängig gemacht.2193 Im Rahmen des NP dienen die Regelungen dem Schutz der Autonomie der betroffenen ILC. Funktional dienen sie im Rahmen des ökonomischen Ansatzes des NP auch dazu, ILC durch den Vorbehalt ihrer Einwilligung eine robuste Verhandlungsposition für die Aushandlung der einvernehmlich festgelegten Bedingungen für den durchzuführenden Vorteilsausgleich zu gewährleisten. Aufgrund der Verbreitung des Konzepts im Völkerrecht erscheint es angemessen, es jedenfalls als im Kern feststehend und mit einem bestimmten Bedeutungsgehalt versehen zu verstehen.2194

2188  Eine Analyse verschiedener Regime findet sich bei D. Langlet, Prior and Informed Consent and Hazardous Trade, 2007. 2189  Vgl. Art. 16 Abs. 2 ILO 169; Art. 10, 11 Abs. 2, 19, 28 Abs. 1, 29 Abs. 2 UNDRIP. Eine ausführliche Analyse dieser Dimension von PIC findet sich bei T. Ward, The Right to free, prior, and informed consent, Northwestern Journal of International Human Rights, 10 (2011), 54 ff. 2190  Siehe hierzu bereits oben: Zweiter Teil, C. II. 4. c) bb) (1). 2191  Art. 7, 6 Abs. 2 NP. 2192  Art. 6 I NP. 2193  K. R. Srinivas, Protecting traditional knowledge holders’ interests and preventing misappropriation, I.J.C.P. 19 (2012), 401 (404). 2194  IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 111.



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Ausschließlich in den beiden auf indigene und lokale Gemeinschaften bezogenen Anwendungsfällen in Art. 6 Abs. 2 sowie 7 NP findet sich neben der Verpflichtung zur Implementierung des Instruments des PIC beim Zugang zu ILC zugewiesenen genetischen Ressourcen sowie zu traditionellem Wissen die Möglichkeit vorzuschreiben, dass der Zugang jeweils nur mit „Billigung und Beteiligung“ der indigenen oder lokalen Gemeinschaft stattfindet. Ausweislich der semantischen Verknüpfung in beiden Normen steht diese Anforderung im Alternativverhältnis zum Konzept des PIC und belässt damit den Vertragsstaaten eine Wahlmöglichkeit für die weitere Implementierung der Vorgaben in ihr nationales Recht. Hintergründe der Aufnahme dieses alternativen Konzeptes waren zum einen Bedenken von Staaten, dass von der ausschließlichen Verwendung des stark menschenrechtlich konnotierten Konzeptes des PIC auf das Bestehen oder die Erweiterung von ressourcenbezogenen Rechten geschlossen werden könnte, die mit der jeweiligen nationalen Verfassung nicht in Einklang stünden.2195 Andererseits sollte hiermit schlicht auch den Vertragsstaaten eine größere Flexibilität eingräumt werden.2196 Sie sollten die Möglichkeit erhalten, entweder auf die Bedeutung des Konzeptes des PIC aufzubauen, die es in den unterschiedlichen Kontexten des interna­ tionalen Rechts erworben hat oder diese gerade zu vermeiden, soweit diese im internationalen Kontext erlangte Bedeutung mit dem in der nationalen Rechtsordnung herausgebildeten Bedeutungsgehalt in Konflikt stünde.2197 Während diese Motive grundsätzlich einleuchten, erscheint eine inhaltliche Abgrenzung der beiden Konzepte nur schwierig möglich. Dass zwischen beiden ein substanzieller Unterschied liegen soll,2198 wird insbesondere dadurch in Frage gestellt, dass trotz der während den Verhandlungen zum NP zum Ausdruck gekommenen Vorbehalte gegen die Verwendung des Konzeptes des PIC das Konzept der „Billigung und Beteiligung“ in den Entscheidungen der Organe der CBD regelmäßig als inhaltsgleich behandelt wird.2199 2195  E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 152, Fn. 89; E. Morgera, Against all odds: The contribution of the convention on biological diversity to international human rights law, in: D. Alland / V. Chetail / u. a., Unity and Diversity of international law, 2014, 983 (984). 2196  M. Buck / C. Hamilton, The Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the Fair and Euqitable Sharing of Benefits Arising from their Utilization to the Convention on Biological Diversity, RECIEL 20 (2011), 47 (55). 2197  IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 111. 2198  R. Mafuratidze, Critical Review of the Nagoya Protocol on Access & Benefit Sharing, RAEIN-Africa, S. 12, abgerufen auf: www.ctdt.co.zw – inzwischen jedoch nicht länger abrufbar. 2199  G. S. Nijar, The Nagoya Protocol on Access and Benefit Sharing of Genetic Resources: Analysis and Implementation Options for Developing Countries, Research

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Die auf Kenntnis der Sachlage gegründete vorherige Zustimmung wird im Allgemeinen i. S. d. Voraussetzung einer Einwilligung verstanden, die freiwillig erteilt, d. h. nicht erzwungen und nicht auf betrügerische Weise erschlichen wird.2200 Dies gilt auch für das NP, selbst wenn die Zustimmung hier nicht durch das Adjektiv „frei“ qualifiziert wird, wie dies in anderen Zusammenhängen geschieht.2201 Grundsätzlich muss die Zustimmung zudem zeitlich vor der Nutzung des traditionellen Wissens erreicht werden.2202 Weitaus unklarer ist dagegen die Reichweite der Verpflichtung von Staaten, vor der Einwilligung die hinreichende Kenntnis der Sachlage von ILC zu gewährleisten. Das Nagoya-Protolkoll enthält insoweit selbst keine weiteren Konkretisierungen der Verpflichtung. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Vertragsstaaten die vollständige und objektive Information der Gemeinschaften sicherzustellen haben.2203 Hinsichtlich der konkret bereitzustellenden Informationen kann auf die in den Bonn Guidelines enthaltenen Spezifizierungen in Ziff. 36 zurückgegriffen werden, wobei zu beachten ist, dass diese sich ausdrücklich nur auf den Zugang zu genetischen Ressourcen im Staat / Nutzer-Staat-Verhältnis beziehen.2204 Die Guidelines enthalten da­ rüber hinaus weitere allgemeine Prinzipien (Ziff. 26 ff.), Grundsätze zur Bestimmung des adäquaten Zeitpunkts eines solchen Verfahrens (Ziff. 33), Ausführungen zur Notwendigkeit der Bestimmung der geplanten Nutzung der Ressource (Ziff. 34) sowie zum Verfahren selbst (Ziff. 38 ff.). Soweit diese für die Implementierung von PIC im jeweiligen nationalen Recht he­ rangezogen werden, müssen die Besonderheiten von Konsultationen mit ILC berücksichtigt werden. Hierauf zielt auch Art. 12 NP im Hinblick jedenfalls Papers 36, South Centre 2011, S. 25 mit Nachweisen zu einzelnen Entscheidungen der Organe der CBD. Vgl. auch die Verwendung der alternativen Konzepte in den Bonn Guidelines, während in den Akwé Kon Guidelines von 2004 ausschließlich das Konzept des PIC zur Anwendung kommt. 2200  IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 110. 2201  So auch E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 149. 2202  Nach M. Buck / C. Hamilton, The Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the Fair and Euqitable Sharing of Benefits Arising from their Utilization to the Convention on Biological Diversity, RECIEL 20 (2011), 47 (55), sollte dies der Regelfall sein. 2203  E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 149, die weitergehend unter Verweis auf die Rechtsprechung des IACtHR sowie der ACmHPR davon ausgehen, dass die Staaten die Durchführung einer Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung zu gewährleisten hätten. 2204  Dies erklärt sich dadurch, dass die Bonn Guidelines zur Konkretisierung von Art. 15 CBD vereinbart wurden, der das traditionelle Wissen von ILC nicht erfasst.



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker

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auf traditionelles Wissen ab, wenn er die Staaten – wenn auch in wenig verbindlicher Form – dazu anhält, bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem NP im Einklang mit ihrem innerstaatlichen Recht gegebenenfalls Gewohnheitsregeln, Gemeinschaftsvereinbarungen2205 und -verfahren von ILC zu berücksichtigen.2206 Dies dürfte es jedenfalls erfordern, dass Fristen so bemessen werden, dass ILC hinreichend Zeit für eine interne Willensbildung entsprechend der eigenen Regelungen bleibt, dass für die Information von ILC kulturell angemessene Verfahren gewählt werden, dass die Gemeinschaften selbst bestimmen, wer sie in einem solchen Verfahren vertritt und die Entscheidung nach eigenen Praktiken getroffen wird. Entsprechende Anforderungen wurden für Konsultationen mit ILC über die Durchführung von Vorhaben auf dem von ihnen traditionell genutzten Land sowohl durch den IACtHR, die ACmHPR und auch im Rahmen der CBD in Ziff. 11 des Tkarihwaié:ri Code of Ethical Conduct2207 anerkannt. Im Gegensatz zur Verwendung des PIC-Konzepts in anderen Zusammenhängen wird es im Protokoll von Nagoya schließlich nicht etwa durch weitere Zusätze abgeschwächt, wie dies etwa in Art. 32 II UNDRIP mit der Klausel „in order to obtain“ der Fall ist. Danach sind Staaten nur zum Versuch der Herbeiführung eines Konsenses verpflichtet. So formuliert beinhaltet das Konzept aber gerade kein Veto-Recht der begünstigten ILC.2208 Umgekehrt folgt daraus, dass das Konzept des PIC, wie es in Art. 7 NP positiviert ist, auch ein „Recht nicht zuzustimmen oder nein zu sagen“2209 beinhaltet. Ob das Konzept der „Billigung und Beteiligung“ möglicherweise gerade in diesem entscheidenden Punkt abweichen könnte und ein solches Recht indigener und lokaler Gemeinschaften nicht umfasst, ist Gegenstand anhaltender Debatten und nicht abschließend geklärt.2210 Die Freiheit der Staaten, dieses 2205  Sog.

„community protocols“. Setting Protection of TK to Rights – Placing Human Rights and Customary Law at the Heart of TK Governance, in: E. C. Kamau / G. Winter, Genetic Resources, Traditional Knowledge, and the Law, 2009, 101 (111). 2207  Tkarihwaié:ri ist ein Ausdruck des indigenen Volkes der Mohawk und bedeutet „der richtige Weg“. Die Mohawk hüten traditionell das Gebiet des heutigen Montreal, wo die Regeln verhandelt wurden, vgl. www.cbd.int / traditional / code.shtml, zuletzt abgerufen am 14.01.2017. 2208  M. Barelli, Free, prior and informed consent in the aftermath of the UN Declaration on the Rights of Indigenous Peoples: developments and challenges ahead, The International Journal of Human Rights 16 (2012), 1 (11). 2209  M. Buck / C. Hamilton, The Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the Fair and Euqitable Sharing of Benefits Arising from their Utilization to the Convention on Biological Diversity, RECIEL 20 (2011), 47 (55): „Right to disagree or to say no“. 2210  Vgl. E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 153 f. 2206  B. Tobin,

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

alternative Konzept zu implementieren, lässt ihnen zumindest die Möglichkeit, sich auch auf dessen inhaltliche Unterschiedlichkeit zu berufen. Welchen Beschränkungen sie hierbei unterliegen, bedarf der weitergehenden Klärung, die eigenen Untersuchungen vorbehalten bleiben muss. Angesichts der Verwendung des Konzeptes des PIC auch in anderen Foren ist zu erwarten, dass sich eine immer stärkere Konvergenz bei seiner Anwendung herstellen wird, an denen sich auch die Vertragsstaaten des NP werden zu orientieren haben. ee) Regime über die ausgewogene und gerechte Aufteilung der Vorteile, Art. 5 Abs. 2, 5 NP Der spezifische Vorteilsausgleichsmechanismus des Nagoya-Protokolls2211 wird für das Staat / Nutzer-Gemeinschafts-Verhältnis in Art. 5 Abs. 2, 5 NP geregelt.2212 Er stellt den zweiten zentralen Bestandteil des ABS-Mechanismus des NP dar und soll zur Partizipation von ILC an materiellen und immateriellen Vorteilen führen, die mittelbar auch dem Erhalt und der nachhaltigen Nutzung biologischer Vielfalt zugute kommen. Die Normierung des Vorteilsausgleichsmechanismus zugunsten von ILC wurde im NP gegenüber den Regelungen im Rahmen von Art. 8 lit. (j) CBD wesentlich erweitert und nun in den ABS-Mechanismus integriert. Während ein Vorteilsausgleich in der CBD lediglich in wenig verbindlicher und mit erheblichen Vorbehalten versehener Weise hinsichtlich der aus der Nutzung traditionellen Wissens entstehenden Vorteile vorgeschrieben wurde, umfassen die Regelungen des NP Bestimmungen nicht nur in Art. 5 Abs. 5 NP bzgl. Vorteilen aus der Nutzung traditionellen Wissens, sondern verpflichten Staaten gem. Art. 5 Abs. 2 NP erstmals zur Ausweitung des Ausgleichs auf Vorteile aus der Nutzung genetischer Ressourcen, deren Träger indigene und ortsansässige Gemeinschaften sind.2213 Während IACtHR und ACmHPR das Konzept des „benefit sharing“ eher im Sinne einer Entschädigungsregelung verwendet haben,2214 ist dessen Be2211  Zur Verbreitung des Konzepts des „benefit-sharing“ im internationalen Recht E. Morgera, An International Legal Concept of Fair and Equitable Benefit-sharing, University of Edinburgh, School of Law, Research Paper Series No 2015 / 20. 2212  E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 117. Diese erwägen darüber hinaus, ob auch Inter- und Intra-Gemeinschaftsverhältnisse durch die Regelung berührt werden, a. a. O., S. 122. 2213  E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 117, die darin eine Belohnung solcher Gemeinschaften für die Hüterschaft über genetische Ressourcen und dem daraus folgenden Beitrag zum wissenschaftlichen Fortschritt zugunsten der Weltgemeinschaft erblicken. 2214  Siehe hierzu bereits oben: Zweiter Teil, C. II. 4. c) bb) (2).



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker

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deutung im NP im nachfolgenden Abschnitt zu erhellen. Dabei sind zunächst die in den Mechanismus einzubeziehenden Vorteile zu identifizieren (1) und anschließend die Maßstäbe für das Zustandekommen eines fairen und gerechten Vorteilsausgleichs zu bestimmen (2). (1) Sich aus der Nutzung der genetischen Ressourcen und hierauf bezogenem traditionellem Wissen ergebende Vorteile Auf der Staat / Nutzer-Gemeinschafts-Ebene umfasst der Vorteilsausgleichsmechanismus des Art. 5 NP verschiedene voneinander zu unterscheidende Vorteile. Normativ sieht Art 5 NP eine klare Unterscheidung von Vorteilen aus der Nutzung genetischer Ressourcen in Art. 5 Abs. 2 NP einerseits und solchen aus der Nutzung hierauf bezogenen traditionellen Wissens gem. Art. 5 Abs. 5 NP andererseits vor. Allerdings wird diese binnensystematisch klare Trennung mit Blick auf die Anerkennung des untrennbaren Charakters von genetischen Ressourcen und traditionellem Wissen auch in der Präambel des NP in Absatz 232215 in Frage gestellt. Eine klare Zuordnung von Vorteilen ist nur dann möglich, wenn entweder allein genetische Ressourcen oder allein traditionelles Wissen genutzt wird. Führt dagegen, wie häufig, traditionelles Wissen erst zur Entdeckung bestimmter Eigenschaften genetischer Ressourcen, deren Nutzung dann ihrerseits die Schaffung neuer Produkte und die Entstehung materieller Vorteile oder aber neuen Wissens und immaterieller Vorteile bedingt, so kann der Anteil des traditionellen Wissens hieran kaum objektiv festgestellt werden. Hierauf könnte es aber insbesondere in Fällen ankommen, in denen ILC gerade kein Recht an den verwandten genetischen Ressourcen zukommt, wohl aber ihr traditionelles Wissen für das Auffinden der gesuchten Eigenschaften von Bedeutung war. Solcherlei für die Implementierung und Durchführung des Vorteilsausgleichs mit ILC relevante Fragen hätten zumindest teilweise in einer Definition von der „Nutzung traditionellen Wissens“ adressiert werden können. Diese ist aber, im Gegensatz zu einer Definition der Nutzung genetischer Ressourcen in Art. 2 (c) NP, unterblieben.2216 Das Nagoya-Protokoll enthält zudem keine Definition des Begriffs des „Vorteils“. In seinem Anhang zählt es lediglich in nicht abschließender 2215  Absatz 23; siehe weiterhin G. S. Nijar, The Nagoya Protocol on Access and Benefit Sharing of Genetic Resources: Analysis and Implementation Options for Developing Countries, Research Papers 36, South Centre 2011, S. 25. 2216  M. Buck / C. Hamilton, The Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the Fair and Euqitable Sharing of Benefits Arising from their Utilization to the Convention on Biological Diversity, RECIEL 20 (2011), 47 (55).  Auch dies dürfte vor allen Dingen darauf zurückzuführen sein, dass das Staat / Nutzer-GemeinschaftsVerhältnis bei den Verhandlungen des NP nicht im Mittelpunkt des Interesses stand.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Form – in weitgehender Übernahme der Aufzählung der Bonn Guide­ lines2217 – verschiedene mögliche materielle (z. B. Zugangsgebühren je gesammelter oder auf andere Weise erlangter Proben, Vorauszahlungen, Meilensteinzahlungen, Entrichtung von Lizengebühren etc.) und immaterielle Vorteile (Teilhabe an Forschungs- und Entwicklungsergebnissen, Zusammenarbeit und Kooperation bei sowie Mitwirkung an wissenschaftlichen Forschungs- und Entwicklungsprogrammen, Beteiligung an der Entwicklung von Produkten etc.) auf, die zum Gegenstand des Ausgleichs gemacht werden können. Dabei finden sich keine Vorteile, die speziell an der Nutzung traditionellen Wissens anknüpfen. Art. 5 Abs. 2 NP erfasst – anders als Art. 5 Abs. 1 NP für das Staat / Nutzer-Staat-Verhältnis  – seinem Wortlaut nach allein Vorteile aus der Nutzung genetischer Ressourcen, nicht aber solche, die sich aus der späteren Verwendung und Vermarktung ergeben.2218 Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift lässt sich diese Beschränkung des Ausgleichsmechanismus gegenüber ILC nicht erklären. Gegen eine zu stark auf den Wortlaut fokussierte Auslegung wird zudem in systematischer Hinsicht vorgetragen, dass der Vorteilsausgleich nach Art. 5 Abs. 2 NP als Unterfall des Art. 5 Abs. 1 NP zu betrachten und in paralleler Weise zu verstehen sei.2219 In teleologischer Hinsicht wird zudem angeführt, dass erst durch die erweiternde Auslegung dem Ziel des NP eines gerechten Vorteilsausgleichs mit ILC und dem dadurch zu erreichenden Schutz biologischer Vielfalt voll Rechnung getragen wird. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass diese Ansicht trotz fehlenden ausdrücklichen Hinweises auf ILC in der Zielformulierung nach Art. 1 NP, den mit diesen Gemeinschaften zu erreichenden fairen und gerechten Vorteilsausgleich als formales Ziel des Protokolls betrachtet.2220 Insoweit argumentiert die Ansicht in teleologischer Hinsicht konsequent. Teilt man dieses erweiternde Verständnis der Zielformulierung des Protokolls jedoch nicht, so lässt sich die Verengung des Ausgleichsmechanismus in Art. 5 Abs. 2 NP auch dahingehend verstehen, dass die Vertragsstaaten gerade die wirtschaftlich besonders relevanten Vorteile aus der Verwendung und Vermarktung von Nutzungen genetischer Ressourcen für sich beanspruchen und allein zum Gegenstand des Vorteilsausgleichs im Staat / Nutzer-Staat-Verhältnis machen wollten. Wegen der insoweit bestehen2217  Vgl. Bonn Guidelines, Appendix II, Monetary and non-monetary benefits; G. Winter / E. C. Kamau, Von Biopiraterie zu Austausch und Kooperation, AVR 49 (2011), 373 (381). 2218  E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S.  126 f. 2219  Idem. 2220  E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 127. Der dortige Verweis auf die Kommentierung von Art. 1 NP überzeugt allerdings nicht, da dort die Frage des Vorteilsausgleichs mit ILC als Zielbestandteil des NP gar nicht adressiert wird.



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den Unklarheiten sollte im Rahmen der Vertragsstaatenkonferenz eine Klärung in diesem Punkt für die weitere Implementierung der Vorschriften herbeigeführt werden. Die vorstehende Analyse hat vor allen Dingen gezeigt, dass das Protokoll mit Blick auf die in den Vorteilsausgleichsmechanismus nach Art. 5 Abs. 2, 5 NP einzubeziehenden Vorteile erhebliche Unbestimmtheiten und nur wenig normativ verdichtete Vorgaben enthält. Im nachfolgenden Abschnitt wird jedoch aufzuzeigen sein, dass dieser Befund nur bedingt auch zu einem weiteren erheblichen Umsetzungsspielraum der Vertragsstaaten führt, und dass die Lösung dieser Fragen vielmehr der Ebene des individuellen Vorteilsausgleichs auf der Grundlage einvernehmlich festgelegter Bedingungen zugewiesen ist. (2) Ausgewogene und gerechte Aufteilung / einvernehmlich festgelegte Bedingungen Art. 5 Abs. 2, 5 NP verlangt eine ausgewogene und gerechte Aufteilung der aus der Nutzung genetischer Ressourcen sowie hierauf bezogenen traditionellen Wissens entstandenen Vorteile. Bereits hieran wird deutlich, dass das Konzept des „benefit-sharing“ im Rahmen des Nagoya Protokolls – anders als im Rahmen des menschenrechtlichen Ansatzes beobachtet – nicht im Sinne einer Entschädigungsregelung zur Anwendung kommt. Da es am Vorliegen eines Schadens fehlt, kann der Restitutionsgedanke hier ohnehin keine Anwendung finden.2221 Es geht vielmehr darum, ILC für ihre Verdienste um die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Bestandteile biologischer Vielfalt in der Vergangenheit zu belohnen, sie an der erst dadurch möglichen Wertschöpfung teilhaben zu lassen und durch die Aufteilung der Vorteile schließlich die Voraussetzungen für die Fortsetzung ihrer Erhaltungsarbeit zu legen. Es geht mithin nicht um die Kompensation verlorener, sondern um die Ermöglichung neuer Chancen auf wirtschaftliches Einkommen und Kontrolle über traditionelles Wissen und traditionell genutzte Ressourcen.2222 Eine besondere Rolle wird dabei denjenigen immateriellen, insbesondere wissensbe2221  Siehe allerdings zu einem weiten Verständnis des Restitutionsgedankens, der nicht lediglich konkrete Schadensposten, sondern darüber hinausgehend Unrechts­ erfahrungen materieller und immaterieller Natur erfassen soll E. Morgera, An International Legal Concept of Fair and Equitable Benefit-sharing, University of Edinburgh, School of Law, Research Paper Series No 2015 / 20, S. 16. 2222  E. Morgera, An International Legal Concept of Fair and Equitable Benefitsharing, University of Edinburgh, School of Law, Research Paper Series No 2015 / 20, S. 10, 15. Vgl. aber auch a. a. O., S. 16, wonach durchaus eine Verbindung zum Kompensationsgedanken anerkannt wird, benefit-sharing in seiner Ausprägung durch das NP aber über die Anwendung im Rahmen von Menschenrechtsinstrumenten hinaus-

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

zogenen Vorteilen zugeschrieben, die ILC in die Lage versetzen, ihre Gemeinschaften durch eine sich auch für sie rasant verändernde Welt neuer Technik, Politiken und neuen Rechts zu manövrieren.2223 Die genauen Bedingungen des Ausgleichs werden jedoch durch das Protokoll weitgehend offengelassen. Der Begriff der „ausgewogenen und gerechten Aufteilung“ wird weder im Nagoya-Protokoll noch in der CBD definiert.2224 Vielmehr findet ein Verweis auf das Konzept der einvernehmlich festgelegten Bedingungen statt [im engl. authentischen Wortlaut: „mutually agreed terms“ (MAT)], der offenlegt, dass die Konkretisierung der Ausgewogenheit und Gerechtigkeit der Aufteilung im Einzelfall den am Vorteilsausgleich beteiligten und verhandelnden Parteien überlassen wird. Mit den Verweisen auf das vertragsrechtliche Instrument des MAT stützt sich das Protokoll auf ein formales Verständnis von Gerechtigkeit und Ausgewogenheit.2225 Zweifelhaft erscheinen deshalb Versuche, allgemeine materielle Kritierien zur Konkretisierung der durch das Protokoll geforderten Ausgewogenheit und Gerechtigkeit des Vorteilsausgleichs zu entwickeln und Vereinbarungen hieran zu messen.2226 Die danach zu berücksichtigenden Kriterien wie etwa ein ggf. vorhandener Marktpreis einer Ressource, externe Effekte, die mit der Ausbeutung einer Ressource verbunden sind oder die Bedürfnisse der jeweiligen Staaten2227 scheinen jedoch von solcher Allgemeinheit, dass sie – sieht man von den Problemen ihrer Operationalisierbarkeit einmal ab – sich kaum als Maßstab für die befürwortete Gerechtigkeitskontrolle eignen dürften. Soweit etwa auf den sich am Markt bildenden Preis als Gerechtigkeitsmaßstab abgestellt wird, würde zudem auf ein Kriterium verwiesen, das seinergeht und unabhängig von konkreten Schäden in einem breiteren Sinne historische Ungerechtigkeiten adressiert. 2223  E. Morgera, An International Legal Concept of Fair and Equitable Benefitsharing, University of Edinburgh, School of Law, Research Paper Series No 2015 / 20, S. 15. 2224  G. Winter / E. C. Kamau, Von Biopiraterie zu Austausch und Kooperation, AVR 49 (2011), 373 (393); C. Schweizer, Die Zugangs- und Teilhaberegelungen der Biodiversitätskonvention unter besonderer Berücksichtigung der staatlichen Souveränität, 2011, S. 153. 2225  Kritisch hierzu wegen der Auswirkungen von Verhandlungsungleichgewichten E. Morgera, An International Legal Concept of Fair and Equitable Benefit-sharing, University of Edinburgh, School of Law, Research Paper Series No 2015 / 20, S. 11, 24. 2226  So aber etwa in Bezug auf die CBD C. Schweizer, Die Zugangs- und Teilhaberegelungen der Biodiversitätskonvention unter besonderer Berücksichtigung der staatlichen Souveränität, 2011, S. 154 ff. sowie G. Henne, Genetische Vielfalt als Ressource, 1998, S. 175 ff., beide mit z.w.N. 2227  C. Schweizer, Die Zugangs- und Teilhaberegelungen der Biodiversitätskonvention unter besonderer Berücksichtigung der staatlichen Souveränität, 2011, S. 154 ff.



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker653

seits keinesfalls an materieller Gerechtigkeit orientiert sein muss, sondern Ausfluss faktischer Marktverhältnisse ist und zudem keinerlei Schutz etwa gegen strukturelles Marktversagen und eine davon beeinflusste Preisbildung bieten würde. Die Diskussion zeigt vielmehr, dass universelle Gerechtigkeitsmaßstäbe kaum aufzufinden sein dürften, die der Vielfalt an Umständen, unter denen gerade die genetischen Ressourcen und das hierauf bezogene Wissen von ILC existieren und entstehen, gerecht werden können. Die Bedeutung des ABS-Mechanismus für die Selbstbestimmung dieser Gemeinschaften spricht vielmehr dafür, ihnen die Beurteilung der Gerechtigkeit und Ausgewogenheit eines Ausgleichs zu überlassen. Die Entstehung gerechter und ausgewogener Vereinbarungen wird lediglich durch Regelungen im NP abgesichert, die gewisse strukturelle Ungleichheiten zwischen den Vertragsparteien etwa durch die Gewährleistung hinreichender Information und Fähigkeiten (capacities) verhindern sollen.2228 Vertragsstaaten werden etwa nach Art. 12 Abs. 3(b) NP dazu angehalten, ILC dabei zu unterstützen, „Mindestanforderungen für einvernehmlich festgelegte Bedingungen zur Gewährleistung der ausgewogenen und gerechten Aufteilung der sich aus der Nutzung von sich auf genetische Ressourcen beziehendem traditionellem Wissen ergebenden Vorteile“ sowie gem. Abs. 3 lit. c) Mustervertragsklauseln zu entwickeln. Zur Stärkung der Position von ILC in solchen Verhandlungen soll auch die Schaffung von Bewusstsein für die Bedeutung von genetischen Ressourcen und traditionellem Wissen führen, wie sie Art. 21 NP von den Vertragsstaaten verlangt. Die MAT sollen in einem bilateralen Vertrag zwischen ILC und den potenziellen Nutzern genetischer Ressourcen und / oder hierauf bezogenem tradi­ tionellen Wissen erfolgen. Regelmäßig soll die einvernehmliche Festlegung der Bedingungen der Erteilung des Einverständnisses zum Wissenszugang vorangehen. Eine Umkehrung der Reihenfolge ist aber möglich. In praktischer Hinsicht, wie bereits erwähnt, werden beide Voraussetzungen häufig im selben Dokument schriftlich fixiert werden.2229 Der Inhalt der jeweils vereinbarten Bedingungen wird für das Funktionieren des gesamten ABS-Mechanismus entscheidend sein. Die Zugangshürde des Mechanismus gewährleistet keinen umfassenden Schutz genetischer Ressourcen und traditionellen Wissens, sondern dient dem Ziel der Vorteils­ aufteilung, das in den MAT zu spezifizieren ist. Hierbei werden ILC die Möglichkeit haben, den Zugang zu genetischen Ressourcen und traditionellem Wissen effektiv auf der Grundlage ihrer ökologischen, kulturellen und 2228  Vgl.

Art. 12; 19; 21(b); 22 Abs. 4(b), Abs. 5(j) NP. T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 9, 86. 2229  IUCN,

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

spirituellen Werte und traditionellen Gesetze zu regulieren.2230 Die Förderung interner Kooperation zwischen verschiedenen Personen innerhalb der Gemeinschaften im Rahmen eines kommunitarischen Entscheidungsprozesses2231 kann hier für ILC ebenso erreicht werden, wie die Erlangung eines gerechten Anteils an Vorteilen, der die Selbstbestimmung der Gemeinschaften fördert, bei der weiteren Entwicklung ihres traditionellen Wissens hilft und einen Teil zum Ausgleich der Aufwendungen und Opfer von ILC in ihren täglichen Bemühungen um den Schutz und die nachhaltige Nutzung der sie umgebenden biologischen Vielfalt beiträgt.2232 (3) Nutzung der Vorteile, Art. 9 NP Das Nagoya-Protokoll enthält schließlich in Art. 9 eine Regelung über die Verwendung der durch den Vorteilsausgleich umverteilten Vorteile. Bemerkenswert ist an der Regelung zunächst, dass sie sich auf diejenigen Vorteile beschränkt, die sich aus der Nutzung der genetischen Ressourcen ergeben, nicht also auch Vorteile umfasst, die aus der Nutzung traditionellen Wissens resultieren.2233 Dies zeigt zunächst, wie sehr der Fokus der Verhandlungen auf der Nutzung genetischer Ressourcen lag.2234 Auch hinsichtlich der erfassten Vorteile werden die Staaten aber nur verpflichtet, zu deren Einsatz für die 2230  S. K. Bavikatte / H. Jonas, Bio-Cultural Community Protocols – A Community Approach to Ensuring the Integrity of Environmental Law and Policy, verfügbar auf: https: /  / wedocs.unep.org, zuletzt abgerufen am 17.07.2017, S. 9; zu einem diesbezüglichen Beispiel aus Peru siehe B. Tobin, Setting Protection of TK to Rights – Placing Human Rights and Customary Law at the Heart of TK Governance, in: E. C. Kamau /  G. Winter, Genetic Resources, Traditional Knowledge, and the Law, 2009, 101 (112 ff.). 2231  Vgl. R. A. Barnes, The Capacity of Property Rights to Accommodate SocialEcological Resilience, Ecology and Society 18 (2013), Nr. 6, S. 9. 2232  E. Morgera / E. Tsioumani, The Evolution of Benefit Sharing: Linking Biodiversity and Community Livelihoods, RECIEL 19 (2010), 150 (160). 2233  E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 195. Dass das NP keine weitergehenden Verpflichtungen zur Verwendung erlangter Vorteile zum Schutz biologischer Vielfalt vorsieht, zeigt, wie sehr der ABS-Ansatz in erster Linie auf die Herstellung von Gerechtigkeit abzielt. Diese Fokussierung dürfte auch dadurch begünstigt worden sein, dass bei der Verhandlung des NP keine einzige Umweltvereinigung beteiligt war, A. Orsini, The role of non-state actors in the Nagoya Protocol negotiations, in: S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources, 2014, 60 (74). 2234  IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 113; ein weiteres Beispiel hierfür ist die Verdoppelung der Verweise auf MAT im ABS-Mechanismus betreffend traditionelles Wissen in Art. 5 Abs. 5 sowie Art. 7 NP. Anscheinend hat dieser Unterschied zur Struktur des Staat-Staat-Verhältnisses in Art. 5 Abs. 1 und 6 Abs. 1 keinerlei Konsequenz.



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Erhaltung der biologischen Vielfalt und die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile Nutzer und Bereitsteller der Ressourcen zu ermutigen. Auch insoweit bleibt die Verpflichtung damit äußerst schwach. Zwar steht es den Vertragsstaaten frei, innerstaatlich mehr als bloße Ermutigungen vorzusehen. Das NP selbst überlässt es damit aber nahezu vollständig den Vertragsstaaten, dass mit dem Erreichen eines gerechten Vorteilsausgleichs – dem ersten Ziel des Protokolls gem. Art. 1 – auch tatsächlich ein Beitrag zur Erfüllung der beiden übrigen Ziele – der Erhaltung der biologischen Vielfalt und der nachhaltigen Nutzung ihrer Bestandteile – geleistet wird. Dass ein solcher Beitrag tatsächlich erfolgt, hängt damit vollständig davon ab, dass die ökonomische Rationalität des NP zutrifft und die Aussicht auf den langfristigen Erhalt materieller und immaterieller Vorteile die Empfänger bereits kurzfristig dazu motiviert, jedenfalls einen Teil der Vorteile zum Erhalt biologischer Vielfalt zu verwenden. Für die mit indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften geteilten Vorteile beruht diese Erwartung ausschließlich auf der ihnen zugeschriebenen Eigenschaft als Hüter der sie umgebenden Ökosysteme.2235 Dass diese Zuschreibung nicht ihrerseits rechtlich abgesichert wird – in diesem Fall mittels völkerrechtlich begründeter Pflichten dieser Gemeinschaften – muss aus Sicht des Biodiversitätsschutzes als erhebliches Versäumnis gelten.2236 Es zeigt aber vor allen Dingen wie sehr die Regelungen des NP betreffend ILC deren Selbstbestimmung betonen.2237 ff) Verbindlichkeitsgrad des ABS-Regimes Auch wenn angesichts der zahlreichen Klauseln, welche die Verbindlichkeit der hier betrachteten Regelungen des NP beschränken, eine völkerrechtsunmittelbare Begründung von Rechten von ILC nicht in Frage steht, so ist doch der Frage nach dem Verbindlichkeitsgrad der untersuchten Regelungen gleichwohl näher nachzugehen, um die Qualität des auf Umsetzung angelegten mittelbar-völkerrechtlichen subjektiv-rechtlichen Ansatzes näher zu bestimmen. Während bislang der Versuch unternommen wurde, die Verpflichtungen der Vertragsstaaten in inhaltlicher Hinsicht herauszuarbeiten, so ist 2235  E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 195 f. 2236  Kritisch auch S. Schlacke, Das Übereinkommen über biologische Vielfalt: Steuerungskraft und Perspektiven, AVR 54 (2016), 524 (541); ein knapper Verweis auf die hier fehlenden rechtlichen Sicherungen im Rahmen von Konzepten des „payment for ecosystem services“ findet sich bei, K. Mertens / A. Cliquet / B. Vanheusden, Ecosystem Services. What’s in it for a lawyer?, European Energy and Environmental Law Review 2012, 31 (36 f.). 2237  In diese Richtung auch E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 195.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

doch zu bedenken, dass die dadurch erkennbare inhaltliche Dimension der Vorgaben des NP noch keine abschließende Beurteilung des normativen Verbindlichkeitsanspruches der Regelungen ermöglicht. Dieser hängt vielmehr davon ab, dass die inhaltlich ausgestalteten Regelungen auch formell verbindlich sind. Grundsätzlich folgt der verbindliche Charakter des NP als völkerrecht­ licher Vertrag im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. a) WVK nach seinem Inkrafttreten gem. Art. 24 WVK, Art. 33 NP aus dem Grundsatz „pacta sunt servanda“, wie er in Art. 26 WVK enthalten ist.2238 Da gem. Art. 34 NP eine Anbringung von Vorbehalten im Rahmen der Ratifizierung des Vertrages nach Art. 19 WVK ausdrücklich ausgeschlossen ist, kann seine Verbindlichkeit auch nicht für einzelne Staaten in Frage gestellt werden.2239 Gleichwohl wird die Verbindlichkeit der hier untersuchten Regelungen über die Rechtsstellung von ILC im ABS-System des Protokolls nicht nur durch die bereits aufgezeigten zahlreichen inhaltlichen Umsetzungsspielräume der Vertragsstaaten in Frage gestellt,2240 sondern mehr noch durch verschiedene in den Regelungen enthaltene Klauseln, die im Folgenden betrachtet werden sollen. (1) ABS-Regelungen betreffend traditionelles Wissen Die den ABS-Mechanismus bzgl. traditionellem Wissen konstituierenden Vorschriften der Art. 7 sowie 5 Abs. 5 NP enthalten in unterschiedlichem Umfang Klauseln, die ihre grundsätzliche, aus der Formulierung hervorgehende Verbindlichkeit („Jede Vertragspartei ergreift […]“; typisch auch der im englischsprachigen Original in beiden Regelungen verwandte Ausdruck „shall“)2241 erheblich abschwächen oder gänzlich in Frage stellen könnten.2242 So werden die Vertragsstaaten des NP zur Umsetzung des Zugangs2238  Zur scheinbaren Tautologie in Art. 26 WVK: „treaties in force have binding force“ K. Schmalenbach, in: O. Dörr / K. Schmalenbach, Vienna Convention on the Law of the Treaties, 2012, Art. 26 Rn. 29. 2239  Zur Erfassung auch eines generellen Ausschlusses durch Art. 19 lit. (a) C. Walter, in: O. Dörr / K. Schmalenbach, Vienna Convention on the Law of the Treaties, 2012, Art. 19 Rn. 55. 2240  Die Unbestimmtheit von Begriffen hindert an und für sich aber die Verbindlichkeit von Regeln noch nicht, soweit der Regelungsgehalt noch mithilfe der Auslegungsmethoden der Art. 31  ff. WVK ermittelt werden kann, i.  d.  S. auch IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 112. 2241  IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 100 konkret bezogen auf Art. 6 Abs. 2 NP. 2242  Vgl. auch die nicht zuletzt auf diese Klauseln zurückzuführende Bezeichnung des NP insgesamt als „masterpiece of ambiguity“ durch S. Oberthür / G. K. Rosendal,



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mechanismus in Art. 7 nur „im Einklang mit dem innerstaatlichen Recht“ verpflichtet, „soweit angebracht“ Maßnahmen zu ergreifen, „mit dem Ziel sicherzustellen“, dass der Zugang zu traditionellem Wissen nur mit der auf Kenntnis der Sachlage gegründeten vorherigen Zustimmung oder Billigung und Beteiligung der ILC erfolgt und dass einvernehmlich festgelegte Bedingungen vereinbart worden sind. Auch Art. 5 Abs. 5 NP verlangt von den Vertragsstaaten ein Ergreifen von Gesetzgebungs-, Verwaltungs- oder politschen Maßnahmen nur „wie jeweils angebracht“, um die Aufteilung der hier erfassten Vorteile sicherzustellen. (a) „Im Einklang mit dem innerstaatlichen Recht“ Die in Art. 7 NP2243 enthaltene Beschränkung der Verpflichtung auf Maßnahmen „im Einklang mit dem innerstaatlichen Recht“ („in accordance with domestic law“) lässt ihrem Wortlaut nach zunächst eine Deutungsmöglichkeit unter Betonung staatlicher Souveränität zu, wonach das Ergreifen von Umsetzungsmaßnahmen in die Willkür der Vertragsparteien gestellt wird.2244 Eine solches Verständnis begegnet jedoch erheblichen Bedenken: Eine solche Auslegung würde zunächst die Genese der Vorschrift ignorieren, die durch die Fortentwicklung der einstigen Fassung von Art. 8 lit. (j) CBD zu der jetzt erhaltenen Formulierung in Art. 7 NP gekennzeichnet ist. Während Art. 8 lit. (j) CBD noch Achtungs-, Bewahrungs-, und Erhaltungspflichten für die Vertragsparteien nur „im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften“ („subject to its national legislation“) begründete und die Reichweite der Verpflichtungen selbst damit in der Tat vollständig unter den Vorbehalt nationalen Rechts stellte, bezieht sich die Klausel in Art. 7 NP nur noch auf die zu ergreifenden Umsetzungsmaßnahmen und stellt klar, dass den Vertragsparteien bei deren konkreter Gestaltung ein Spielraum zukommt, der ihnen deren Einpassung in das eigene Rechtssystem ermöglichen soll.2245 Dieses Global Governance of Genetic Resources: background and analytical framework, in: dies., Global Governance of Genetic Resources, 2014, 1 (2). 2243  Art. 5 Abs. 5 NP enthält keine entsprechende Wendung. 2244  In diesem Sinne N. Kuei-Jung, Traditional Knowledge and Global Law­ making, Northwestern University Journal of International Human Rights 10 (2011), 85, Rn. 45; wohl auch G. Winter / E. C. Kamau, Von Biopiraterie zu Austausch und Kooperation, AVR 49 (2011), 373 (392), die zwischen den Regelungen zum Zugang zu genetischen Ressourcen und TK insoweit keinen Unterschied machen. 2245  Allerdings finden sich weder im Wortlaut der Klausel noch in ihrer Genese Anhaltspunkte dafür, dass – wie vereinzelt vertreten – die Formulierung gar eine zusätzliche Verpflichtung der Staaten zur Vornahme von ILC unterstützenden Handlungen begründete, so aber S. K. Bavikatte / D. F. Robinson, Towards a people’s history of the Law, Law, Environment and Development Journal (2011), 35 (45). Skeptisch demgegenüber auch IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Verständnis wird auch davon gestützt, dass gerade die restriktive Formulierung in Art. 8 lit. (j) CBD eine wesentliche Motivation für die Aushandlung des Nagoya-Protokolls aus Sicht gerade von ILC darstellte und davon auszugehen ist, dass mit der in den Verhandlungen erreichten Änderung der Klausel in Wortlaut und binnensystematischer Stellung – von einer Qualifikation der allgemeinen vertragsstaatlichen Pflichten zur Qualifikation der Umsetzungsmaßnahmen – auch eine Änderung ihrer Auswirkungen auf die Verbindlichkeit der Vorschrift an sich verbunden ist. Hinzu kommt, dass dieselbe Formulierung („im Einklang mit dem innerstaatlichen Recht“) auch in Art. 6 Abs. 2 zur Ausgestaltung des Zugangs zu genetischen Ressourcen, deren Träger indigene und ortsansässige Gemeinschaften sind, Anwendung gefunden hat. Würde man aber die Verwendung dieser Klausel bereits für ausreichend halten, um einen Vorbehalt nationalen Rechts zu begründen, so ließe sich nicht erklären, warum im Rahmen von Art. 6 Abs. 2 NP zusätzlich eine Beschränkung auf bestehende Rechte von ILC an genetischen Ressourcen stattfindet und auch in Art. 5 Abs. 2 NP die Umsetzungsverpflichtung nicht nur lediglich im Einklang mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu erfolgen hat, sondern zusätzlich auf Fälle bestehender Rechte von ILC beschränkt wird. Vielmehr ist gerade im Wege des Gegenschlusses aus dem Fehlen eines solchen Zusatzes in Art. 7 NP zu folgern, dass hier nicht ein Vorbehalt zugunsten nationalen Rechts begründet werden soll, sondern lediglich die Einschränkung staatlicher Souveränität näher ausgestaltet und ihrerseits beschränkt wird.2246 Präzisierend bedeutet dies, dass die Klausel lediglich die Art und Weise der zulässigen Pflichterfüllung durch die Vertragsparteien qualifiziert, nicht aber das Bestehen einer substanziellen Verpflichtung überhaupt in Zweifel zieht.2247 Danach sind die Vertragsparteien darin frei, zwischen Maßnahmen legislativer, administrativer oder politischer Natur zu wählen, um das verbindliche Ziel – „dass der Zugang zu sich auf genetische Ressourcen beziehendem traditionellem Wissen, dessen Träger indigene und Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 112. 2246  G. S. Nijar, The Nagoya Protocol on Access and Benefit Sharing of Genetic Resources: Analysis and Implementation Options for Developing Countries, Research Papers 36, South Centre 2011, S. 26. Die sachliche Berechtigung wird teilweise darin erblickt, dass sich die staatliche Souveränität auf traditionelles Wissen als Produkt und Teil der Identität und der traditionellen Lebensweise einer Gemeinschaft nicht beziehe, vgl. E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 172. 2247  IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 112; E. Morgera, Against all odds: The contribution of the convention on biological diversity to international human rights law, in: D. Alland / V. Chetail / u. a., Unity and Diversity of international law, 2014, 983 (986); i. E. auch B. Tobin, Biopiracy by law, E.I.P.R. 2014, 124 (124).



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker

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ortsansässige Gemeinschaften sind, mit der auf Kenntnis der Sachlage gegründeten vorherigen Zustimmung oder Billigung und Beteiligung dieser indigenen und ortsansässigen Gemeinschaften erfolgt und dass einvernehmlich festgelegte Bedingungen vereinbart worden sind“ – zu erreichen.2248 Dieses Verständnis trägt auch den Bedenken von Vertragsparteien Rechnung, die sich angesichts des hohen Grades an Unbestimmtheit verschiedener, den Anwendungsbereich des Protokolls bestimmender Schlüsselbegriffe des Vertragstextes wie „ILC“ oder „traditionelles Wissen“ für die Aufnahme von die Verbindlichkeit beschränkenden Formulierungen ausgesprochen hatten.2249 Schließlich bietet die hier befürwortete Auslegung die erforderliche Flexibilität für die weitere Implementierung der Regelungen in Rechtsordnungen verschiedener Staaten mit je unterschiedlichen Wegen der Regulierung traditionellen Wissens.2250 (b) „Soweit angebracht“, „mit dem Ziel sicherzustellen“ Die Verpflichtung der Vertragsparteien zur Implementierung von Zugangsregelungen betreffend das traditionelle Wissen indigener und lokaler Gemeinschaften wird nach Art. 7 NP weitergehend dadurch qualifiziert, dass Maßnahmen nur zu ergreifen sind, „soweit angebracht“ und „mit dem Ziel sicherzustellen“, dass der Zugang entsprechend der bereits dargestellten Vorgaben erfolgt. Auch insoweit handelt es sich um Formulierungen, die sich nicht auf das „Ob“ der Verpflichtung, sondern auf das „Wie“ der Implementierung der Vorgaben in das nationale Recht, mithin auf die zu ergreifenden Maßnahmen, beziehen.2251 Auch insoweit sind die Vertragsparteien jedoch nicht völlig frei. Wenn auch die Wendung des „soweit angebracht“ recht 2248  In dieser Hinsicht ist es auffallend, dass Staaten allein solche Maßnahmen zu treffen haben, die in Übereinstimmung mit dem sind, was nationales Recht gestattet, vgl. IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 100 sowie 112. Allerdings können sie auch konfligierende Normen durch legislative Maßnahmen ändern. 2249  M. Buck / C. Hamilton, The Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the Fair and Euqitable Sharing of Benefits Arising from their Utilization to the Convention on Biological Diversity, RECIEL 20 (2011), 47 (55). 2250  G. S. Nijar, The Nagoya Protocol on Access and Benefit Sharing of Genetic Resources: Analysis and Implementation Options for Developing Countries, Research Papers 36, South Centre 2011, S. 26. 2251  IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 87 mit Blick auf die entsprechende Klausel in Art. 5 Abs. 2, 3, 5 NP sowie S. 111, wo festgestellt wird, dass den Formulierungen in Art. 5 und 7 NP ein identischer Gehalt zukommt.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

unbestimmt ist, so erfährt sie doch durch die Ausrichtung der angebrachten Maßnahmen auf das Ziel der Sicherstellung des Zugangs zu traditionellem Wissen unter Einbindung von ILC weitere Konkretisierung. Anders als im Rahmen der Beschränkung auf Maßnahmen „im Einklang mit dem innerstaatlichen Recht“ besitzt die Beschränkung auf angebrachte Maßnahmen jedoch weiterhin ein Element der Zweck-Mittel-Relation, sodass die Verpflichtung der Vertragsparteien auf Maßnahmen begrenzt ist, deren Aufwand in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel steht. Blickt man zudem auf die Verwendung der identischen Klausel2252 auch im Rahmen von Art. 5 Abs. 5 NP, so wird deutlich, dass sie sich vor allen Dingen auf die Frage der Formenwahl erstreckt und den Vertragsparteien insoweit die Möglichkeit zugesteht, die Umsetzung nicht nur durch Gesetzgebungs-, sondern auch durch Verwaltungs- oder politische Maßnahmen vorzunehmen. Sowohl in Art. 7 als auch in Art. 5 Abs. 5 NP sind die zu ergreifenden Maßnahmen jeweils zielbezogen. Die entsprechenden Formulierungen („damit …“, Art. 5 Abs. 5 NP; „mit dem Ziel sicherzustellen, dass …“, Art. 7 NP) führen aber nicht zu einer weiteren Beschränkung der handlungsbezogenen Verpflichtungen, sondern machen vielmehr deutlich, dass es sich hier nicht um erfolgs- sondern handlungsbezogene Pflichten der Vertragsparteien handelt. Eine Pflichtverletzung von Vertragsparteien könnte mithin nicht bereits dann festgestellt werden, wenn die zu gewährleistende Partizipation von ILC beim Zugang zu traditionellem Wissen nach Art. 7 NP oder die Aufteilung von aus der Nutzung dieses Wissens resultierenden Vorteilen im Einzelfall ausbliebe,2253 sondern nur dann, wenn auch die Handlungspflicht zum Ergreifen von Umsetzungsmaßnahmen verletzt würde. (2) ABS-Regelungen betreffend genetische Ressourcen Die Regelungen betreffend die Position von ILC im ABS-Mechanismus für genetische Ressourcen in Art. 6 Abs. 2 sowie 5 Abs. 2 NP weisen zunächst die gleichen, auch schon im Rahmen des ABS-Mechanismus betreffend traditionelles Wissen betrachteten Formulierungen auf, die auch hier zu einer entsprechenden Qualifizierung der Verpflichtung zum Ergreifen von Implementationsmaßnahmen führen. Entscheidend kommt jedoch hinzu, dass sowohl Art. 6 Abs. 2 NP als auch Art. 5 Abs. 2 NP ihrem Wortlaut nach Umsetzungsmaßnahmen nur für diejenigen Fälle verlangen, in denen indigene 2252  Die deutsche Übersetzung des Vertragstextes verdeckt dies. Im Englischen wird jedoch jeweils die Formulierung „as appropriate“ verwendet und diese auf die zu ergreifenden Maßnahmen bezogen. 2253  IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 112.



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und ortsansässige Gemeinschaften in der jeweiligen innerstaatlichen Rechtsordnung Rechte an den genetischen Ressourcen zukommen, zu denen Zugang begehrt wird, bzw. aus deren Nutzung Vorteile aufzuteilen sind. Im Falle von Art. 6 Abs. 2 NP geschieht diese Beschränkung durch die Schlusswendung, dass die Pflicht zum Ergreifen von Maßnahmen zur Absicherung der Partizipation von ILC beim Zugang zu genetischen Ressourcen nur besteht, „sofern diese [ILC, Anmerk. des Verfassers] das bestehende Recht haben, den Zugang zu diesen Ressourcen zu gewähren.“ In Art. 5 Abs. 5 NP scheint die entsprechende Beschränkung ihrer Stellung im Satzgefüge und ihrem Wortlaut nach zwar zunächst nur die Art der gebotenen Umsetzungsmaßnahmen zu qualifizieren und nicht deren Bestehen als solches von nationalen Regelungen abhängig zu machen: So heißt es, dass Umsetzungsmaßnahmen zur Gewährleistung des Vorteilsausgleichs „im Einklang mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften über die bestehenden Rechte dieser indigenen und ortsansässigen Gemeinschaften an diesen genetischen Ressourcen“ zu ergreifen sind. Fehlen jedoch innerstaatliche Rechtsvorschriften, die solche Rechte begründen, so greift auch insoweit die Verpflichtung zum Ergreifen von Umsetzungsmaßnahmen ins Leere. Überwiegend wird aus diesen Formulierungen gefolgert, dass die Position von ILC im ABS-Mechanismus des NP betreffend genetische Ressourcen vollständig abhängig von den gesetzgeberischen Handlungen der jeweiligen Vertragspartei des NP ist.2254 Erst infolge einer solchen Handlung würde das NP eine Schutzverpflichtung des jeweiligen Staates,2255 d. h. eine Verpflichtung zur Gewährleistung der Partizipationsrechte von ILC bei der Zugangsgewährung gem. Art. 6 Abs. 2 NP sowie eine Verpflichtung zur Aufteilung der Vorteile aus der Nutzung erfasster genetischer Ressourcen nach Art. 5 Abs. 2 NP auslösen.2256 Diese Verpflichtung würde sich dann hinsichtlich 2254  So etwa IUCN, T. Greiber u. a., An Explanatory Guide to the Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing, IUCN Environmental Policy and Law Paper No. 83, 2012, S. 87; kritisch gegenüber dieser Auslegung G. S. Nijar, The Nagoya Protocol on Access and Benefit Sharing of Genetic Resources: Analysis and Implementation Options for Developing Countries, Research Papers 36, South Centre 2011, S. 25 f.; E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, in: dies., Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 124. 2255  A. Savaresi, The international Human Rights Law Implications of the Nagoya Protocol, in: M. Buck / E. Morgera / E. Tsioumani, The 2010 Nagoya Protocol on Access and Benefit-Sharing in Perspective, 2013, 53 (69); G. S. Nijar, The Nagoya Protocol on Access and Benefit Sharing of Genetic Resources: Analysis and Implementation Options for Developing Countries, Research Papers 36, South Centre 2011, S. 25, der darauf hinweist, dass diese Rechte auch durch vorstaatliches Gewohnheitsrecht oder durch internationales Gewohnheitsrecht begründet werden können. 2256  G. S. Nijar, The Nagoya Protocol on Access and Benefit Sharing of Genetic Resources: Analysis and Implementation Options for Developing Countries, Research

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

ihrer Verbindlichkeit nicht von den Verpflichtungen nach Art. 7 sowie 5 Abs. 5 NP unterscheiden. Soweit ersichtlich wird auch von anderen Stimmen nicht in Frage gestellt, dass das Nagoya-Protokoll selbst kein Recht indigener und ortsansässiger Gemeinschaften an genetischen Ressourcen begründet. Von Morgera, Tsioumani und Buck wird aber die Frage aufgeworfen, inwieweit nicht das Nagoya-Protokoll in Art. 6 Abs. 2 und 5 Abs. 2 auf anderweitig begründete Rechte von ILC an genetischen Ressourcen Bezug nimmt, diese jedenfalls implizit anerkennt und sich hieraus ein Anwendungsbereich dieser Vorschriften ergibt, der, wenn auch nicht durch das NP selbst determiniert, so doch auch nicht abhängig allein von der gewillkürten Tätigkeit nationaler Gesetzgeber ist.2257 Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist ein weites Verständnis des Verweises der genannten Vorschriften auf „die bestehenden Rechte“ von ILC an genetischen Ressourcen.2258 Damit solle nicht nur auf nationales Gesetzesoder Richterrecht, sondern potentiell auch auf das Gewohnheitsrecht indigener und ortsansässiger Gemeinschaften sowie insbesondere den internationalen Menschenrechtsschutz als Quelle entsprechender Rechte verwiesen sein.2259 Im Rahmen von Art. 5 Abs. 2 NP begegnet allerdings schon dies Bedenken, da dort ausdrücklich auf die „innerstaatlichen Rechtsvorschriften über die bestehenden Rechte dieser indigenen und ortsansässigen Gemeinschaften“ abgestellt wird. Ausgeschlossen ist das weite Verständnis dadurch jedoch nicht zwingend, da nationale Vorschriften in der Regel dem interna­ tionalen Menschenrechtsschutz ausdrücklich oder implizit ihrerseits auch einen Rechtsstatus im nationalen Rechtskreis zuerkennen. Gleiches kann auch für das Gewohnheitsrecht indigener und lokaler Gemeinschaften geschehen. Für ein das Gewohnheitsrecht von ILC einbeziehendes Verständnis hat sich gerade auch das UN Permanent Forum on Indigenous Issues ausgesprochen.2260 Hiergegen spricht jedoch nicht nur in systematischer Hinsicht, dass das NP mit Art. 12 eine Vorschrift besitzt, die das Gewohnheitsrecht von ILC ausdrücklich in Bezug nimmt,2261 ein solcher Verweis in Art. 5 Abs. 2 und 6 Papers 36, South Centre 2011, S. 26; E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 124. 2257  E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 118 ff., 145 f. 2258  Vgl. zur Verhandlungsgeschichte K. Bavikatte / D. F. Robinson, Towards a people’s history of the Law, Law, Environment and Development Journal (2011), 35 (47). 2259  E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 124 f. 2260  UNPFII, Report on the tenth session, E / 2011 / 43-E / C.19 / 2011 / 14, Rn. 6. 2261  Art. 12 NP bezieht sich ausschließlich auf das traditionelle Wissen indigener und lokaler Gemeinschaften. Dies zeigt, dass die Vertragsstaaten des NP hinsichtlich



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker663

Abs. 2 NP aber gerade fehlt. Vielmehr gibt es auch weder im Wortlaut der Vorschrift noch in ihrer Genese Anhaltspunkte dafür, dass die späteren Vertragsparteien eine solche Einbeziehung von Gewohnheitsrecht vornehmen wollten. Ganz im Gegenteil waren Klauseln wie der Verweis auf das nationale Recht gerade auch wegen des Mangels an Einigkeit über zentrale Begriffe des Protokolls, so auch über den Begriff der indigenen und ortsansässigen Gemeinschaften, aufgenommen worden, um nicht in völliger Unsicherheit über die Reichweite der internationalen Vorgaben zu sein.2262 Insoweit scheint lediglich das internationale Recht als (unmittelbare) Quelle von Rechten indigener und lokaler Gemeinschaften an genetischen Ressourcen in Frage zu kommen,2263 auf die sich dann – für den Fall des Vorliegens entsprechender Rechte, was von Staat zu Staat unterschiedlich sein kann – die Verpflichtungen nach Art. 5 Abs. 2, Art. 6 Abs. 2 NP beziehen würden. Morgera, Buck und Tsioumani erwägen insoweit insbesondere die Regelungen von UNDRIP, ILO-Konvention 169 sowie regionale Menschenrechtsverträge als Instrumente mit Gewährleistungen zugunsten von ILC über die von ihnen genutzten genetischen Ressourcen. So enthält etwa UNDRIP in der Tat ihrer Formulierung nach Rechte indigener Völker an den von ihnen traditionell besessenen Ressourcen, die nach Art. 26 Abs. 2 Besitz, Nutzung, Entwicklung und Kontrolle über diese gewährleisten. Selbst wenn man jedoch davon ausgeht, dass der Begriff der „Ressourcen“ auch genetische Ressourcen umfasst,2264 so bestehen doch erhebliche Bedenken, allein hieraus auf das Bestehen von Rechten indigener und lokaler Gemeinschaften zu schließen, aufgrund derer die Vertragsstaaten des Protokolls von Nagoya den Verpflichtungen nach Art. 6 Abs. 2, Art. 5 genetischer Ressourcen nicht in gleichem Maße bereit waren die Selbstbestimmung der betroffenen Gemeinschaften ausdrücklich anzuerkennen. 2262  Dies bemerken auch E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 123. Gleichwohl nehmen sie auf S. 125 auf der Basis des NP eine Verpflichtung der Staaten an, wonach entsprechende Gewohnheitsrechte nach Konsultationen mit den Gemeinschaften auf nationaler Ebene aufzuzeichnen, diese anzuerkennen und schließlich entsprechende Maßnahmen zur Gewährleistung des hierauf gestützten ABS-Systems zu ergreifen seien. 2263  Nicht weiter nachgegangen wird hier der Frage, ob nicht auf dem Umweg über den internationalen Menschenrechtsschutz das Gewohnheitsrecht von ILC doch mittelbar zu berücksichtigen sein könnte. 2264  Dies wird etwa vertreten von F. Lenzerini, Indigenous Peoples’ Cultural Rights and the controversy over Commercial Use of their Traditional Knowledge, in: F. Francioni / M. Schenin, Cultural Human Rights, 2008, 119 (140). Gegen diese Annahme spricht aber jedenfalls in systematischer Hinsicht, dass UNDRIP den Begriff der genetischen Ressourcen in Art. 31 Abs. 1 ausdrücklich verwendet, sodass es fraglich erscheint, ob diese auch dort, wo sie nicht explizit bezeichnet werden, von Vorschriften der Deklaration umfasst sein sollen.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Abs. 2 NP unterliegen. Diese Bedenken folgen zum einen aus der rechtlich unverbindlichen Natur von UN Resolutionen, in deren Form UNDRIP verabschiedet wurde. Hieran ändert auch die inzwischen nahezu einhellige Zustimmung zur Resolution nichts, da diese gerade auch deshalb so groß sein dürfte, weil gerade keine verbindlichen Rechtspflichten hieraus folgen.2265 Zum anderen ist zu beachten, dass UNDRIP lediglich Garantien zugunsten indigener Völker enthält. Abgesehen von den insoweit vorhandenen Schwierigkeiten der Identifikation indigener Völker könnten sich jedenfalls ortsansässige Gemeinschaften i. S. d. Nagoya-Protokolls nicht ohne weiteres auf die Gewährleistungen durch UNDRIP berufen.2266 Zwar handelt es sich bei ILO-Konvention 169 um verbindliches Völkervertragsrecht, dessen personaler Anwendungsbereich auch nicht nur indigene Völker [Art. 1 Abs. 1 lit. (b)], sondern auch nicht-indigene Stammesvölker [Art. 1 Abs. 1 lit. (a)] erfasst und damit durchaus auch in vielen Fällen ortsansässige Gemeinschaften i.  S.  d. Nagoya-Protokolls einbeziehen dürfte. Ebenso wie schon im Rahmen von UNDRIP erscheint es jedoch nicht eindeutig, ob der Begriff der „natürlichen Ressourcen“ („natural resources“), wie er in Art 15 ILO 169 gebraucht wird, auch genetische Ressourcen umfasst und insoweit indigenen und nicht-indigenen Stammesvölkern an genetischen Ressourcen, die sich auf von diesen Gemeinschaften traditionell besetztem oder anderweitig genutztem Land i. S. v. Art. 13 ILO 169 befinden, Rechte zur Teilhabe an deren Nutzung, Verwaltung und Erhaltung zusprechen. Den um die Gewährleistungen in UNDRIP und ILO-Konvention 169 kreisenden Fragen kann hier nicht abschließend nachgegangen werden. Einer kurzen Betrachtung soll jedoch schließlich noch der von Morgera, Buck und Tsioumani unternommene Versuch unterzogen werden, Rechte von indigenen und lokalen Gemeinschaften an genetischen Ressourcen unter Verweis auf die Rechtsprechung insbesondere des Inter-Amerikanischen Menschenrechtsgerichtshofes sowie der Afrikanischen Kommission für Menschenrechte und 2265  Insoweit ist es auch nicht möglich, allein wegen der Verabschiedung von UNDRIP auf das Bestehen entsprechenden Völkergewohnheitsrechts zu schließen. Vgl. hierzu auch E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 36, die wohl von widersprüchlichem Verhalten ausgehen wollen, wenn Staaten zwar die Resolution verabschieden, diese dann aber nicht umsetzen. 2266  Eine zumindest teilweise Übertragung erscheint allerdings auch nicht ausgeschlossen. Eine entsprechende Übertragung seiner Rechtsprechung auf nicht-indigene Stammesgesellschaften hat, wie gesehen, etwa der IACtHR in seiner Saramaka-Entscheidung vorgenommen und auch die ACmHPR hat in ihrer Endorois-Entscheidung deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie ihrer Begründung kein enges Verständnis von Indigenität zugrunde legen wolle. Vgl. zu entsprechenden Überlegungen auch E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 39.



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die Rechte der Völker zu begründen.2267 In der Tat hat auch die vorliegende Untersuchung gezeigt, dass sowohl der IACtHR als auch die ACmHPR Land- und Ressourcennutzungsrechte indigener Völker und nicht-indigener Stammesgesellschaften anerkennen.2268 Dabei erscheint es aber keinesfalls als gesichert, dass diese Gewährleistungen sich auch auf genetische Res­ sourcen beziehen, soweit diese etwa Pflanzen entnommen werden können, ohne dass erhebliche Beeinträchtigungen der Land- und Ressourcennutzung durch die berechtigten Gemeinschaften stattfinden. Die Analyse einschlägiger Rechtsprechung hat nämlich zum einen gezeigt, dass es hinsichtlich der Reichweite der Anerkennung indigener Gewohnheitsrechte an natürlichen Ressourcen darauf ankommt, dass die konkrete Ressource auch traditionell genutzt wurde. Auch bei genetischen Ressourcen muss deshalb zumindest danach unterschieden werden, ob die solche genetischen Ressourcen beinhaltenden Organismen traditionell verwendet wurden oder nicht. Überdies könnte man aber bezweifeln, dass die menschenrechtlich begründeten Garantien bereits jede Entnahme genetischen Materials mit in den Gewährleistungsbereich der entwickelten Garantien einbeziehen. In diesem Zusammenhang muss beachtet werden, dass es in den entschiedenen Fällen zumeist um erhebliche Eingriffe durch Rohstoffabbau oder durch erhebliche Umweltverschmutzungen, nicht aber um die Entnahme einzelner Pflanzen oder Pflanzenteile ging. Insoweit könnte es allerdings weniger auf die (subsistenz-) wirtschaftliche Bedeutung von Eingriffen und stärker auf ihre Relevanz für die zunehmend anerkannten kulturellen Rechte dieser Gemeinschaften ankommen, da insoweit der Umfang des Eingriffs in substanzieller Hinsicht von geringerer Bedeutung erscheint. Diese hier nur angedeuteten offenen Fragen wurden durch das NagoyaProtokoll nicht entschieden, ihre Klärung vielmehr den weiteren Diskussionen und möglichen rechtsverbindlichen Entscheidungen in anderen völkerrechtlichen Foren überlassen. Es scheint insoweit plausibel, mit Morgera, Buck und Tsioumani angesichts des durchaus vorhandenen verbindlichen Gehalts von Art. 6 Abs. 2 und 5 Abs. 2 NP jedenfalls vom Bestehen der Verpflichtung der Vertragsstaaten auszugehen, dass diese auf nationaler Ebene in 2267  E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck,

S. 125.

Unraveling the Nagoya Protocol, 2014,

2268  E. Morgera / E. Tsioumani / M. Buck, Unraveling the Nagoya Protocol, 2014, S. 123 unter Verweis auf I / A Court H.R., Case of the Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua. Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 31, 2001. Series C No. 79, Rn. 153; ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 140 (d), 196, 207; I / A Court H.R., Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and reparations. Judgment of June 27, 2012. Series C No. 245, Rn. 165.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Konsultation mit indigenen und lokalen Gemeinschaften untersuchen, ob Rechte dieser Gemeinschaften – sei es aufgrund der nationalen Anerkennung ihrer Gewohnheitsrechte, oder aufgrund inernationaler Vorgaben – an genetischen Ressourcen bestehen, diese ggf. aufzeichnen und anerkennen. In der Folge wären dann auch die weiterreichenden Verpflichtungen der Art. 6 Abs. 2 und 5 Abs. 2 NP zu beachten. c) Einordnung der rechtlichen Position von ILC im Nagoya-Protokoll Das Protokoll von Nagoya schafft keine Rechte indigener Völker und l­okaler Gemeinschaften, sondern verpflichtet Staaten zur Ausgestaltung der vorstehend untersuchten Rechtspositionen. Um die volle Bedeutung der durch die Vorschriften des NP präskribierten rechtlichen Position von ILC zu begreifen ist es wichtig zu sehen, wie die in den vorangehenden Abschnitten analysierten Regelungen zusammenwirken, auf welche Art von Recht sie insgesamt abzielen und wie sich diese Position im Verhältnis zu anderen Ansätzen verhält. Wie bereits erwähnt, verpflichten die Regelungen betreffend die auf Kenntnis der Sachlage gegründete vorherige Zustimmung oder Billigung und Beteiligung die Vertragsparteien nicht nur dazu, ILC mit einem prozeduralen, sondern auch mit einer substantiellen Position auszustatten. Diese Verpflichtung ist allerdings auf den Zugang zu traditionellem Wissen sowie solcher genetischer Ressourcen beschränkt, bzgl. derer ILC aufgrund innerstaatlichen Rechts ein Recht zur Zugangsgewährung zusteht.2269 Während Vertragsparteien des Nagoya-Protokolls die Beteiligung von ILC im ABS-Mechanismus garantieren müssen, um ihren Verpflichtungen in prozeduraler Hinsicht zu genügen, müssen sie in materieller Hinsicht gewährleisten, dass die von ILC getroffenen Entscheidungen durch die Nutzer auch inhaltlich respektiert werden.2270 Die für ILC so vorgesehene Position kann in der Folge als Recht zum Ausschluss Dritter vom Zugang zu genetischen Ressourcen (wo anwendbar und nur bzgl. des Zwecks ihrer Nutzung) und traditionellem Wissen bezeichnet werden. Wie bereits gezeigt, hat diese Position primär instrumentellen Charakter, verleiht sie ILC doch eine Position zur Aushandlung einvernehmlich festgelegter Bedingungen, die einen Erwerb monetärer und nicht monetärer Vorteile und die Beachtung der Werte dieser Gemeinschaften im Umgang mit den erfassten Gegenständen sicherstellen können. In Kombination geben PIC und MAT indigenen und ortsansässigen 2269  Insoweit gewährleistet das NP also keineswegs nur „some built in participation requirements“, so aber A. Savaresi, The international Human Rights Law Implications of the Nagoya Protocol, in: M. Buck / E. Morgera / E. Tsioumani, The 2010 Nagoya Protocol on Access and Benefit-Sharing in Perspective, 2013, 53 (62). 2270  Vgl. insoweit die innovativen Compliance-Mechanismen der Nutzer- und Bereitstellerstaaten gem. Art. 13–18 NP.



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker667

Gemeinschaften die Möglichkeit genetische Ressourcen und ihr traditionelles Wissen auf der Basis eines ökonomischen Ansatzes zu „verwalten“. Während das Protokoll die rechtliche Position von ILC bzgl. ihres traditionellen Wissens anerkennt, baut die Position hinsichtlich genetischer Ressourcen erst auf einem innerstaatlich etablierten Recht von ILC zur Zugangsgewährung auf. Nimmt man dies zusammen, formen die Merkmale der Inhaberschaft, der Ausschließbarkeit, der Sicherstellung von Einkommen und Verfügung das Bild eines Eigentumsrechts2271 – wenn auch nicht im klassischen Sinne liberaler Eigentumstheorie. Im Gegensatz zu liberalen Eigentumsrechten ist Berechtigter der vorgesehenen Position eine Gemeinschaft, nicht ein Individuum. Die rechtliche Position dient deshalb nicht dem Schutz der Interessen oder der Freiheit einer individuellen Person, sondern soll einen wesentlichen und identitätsbildenden Teil indigener Kultur schützen, welche den Einzelnen dazu inspiriert, sich mit der Gemeinschaft zu identifizieren und an ihr teilzunehmen.2272 Es soll den gemeinschaftlichen Interessen der Bewahrung und Kontrolle als Verwalter ihres traditionelles Wissens und ihrer Lebensumwelt dienen.2273 Der ­Gedanke der Verwaltung (stewardship) wird in der Rechtsposition bzgl. des traditionellen Wissens sichtbar. Auch wenn das Element des Besitzes Teil dieser Position ist, so ist sie doch nicht durch die Eigenschaft universeller Übertragbarkeit gekennzeichnet, die traditionelles Wissen in eine reguläre Ware verwandeln würde. Noch deutlicher aber wird der Gedanke des „Stewardship“ in der Position betreffend genetische Ressourcen, der das Element des Besitzes oder der Inhaberschaft vollständig fehlt. Der kommunitaristische Charakter kann durch die Vertragsstaaten weitergehend im Rahmen der Implementierung durch eine sorgfältige Berücksichtigung von Gewohnheitsrechten von ILC, wie sie durch diese etwa in sog. „Community Protocols“ niedergelegt werden können sowie kulturell sensiblen Verfahrensgestaltungen gestärkt werden.2274 Zweitens, und ebenfalls im Kontrast zu liberalen Eigentumsrechten, die in der Tradition des liberalen Individualismus gegründet 2271  Vgl. zu den allgemeinen Eigenschaften von Eigentumsrechten, R. A. Barnes, The Capacity of Property Rights to Accommodate Social-Ecological Resilience, Ecology and Society 18 (2013), Nr. 6, S. 6. 2272  Vgl. K. Carpenter / S. K. Katyal / A. R. Riley, In Defense of Property, The Yale Law Journal 118 (2009), 1022, (1053 f.), die solche Gruppeneigenschaften als „people­ hood“ bezeichnen unter Verweis auf das sog. „personhood model“ von M. J. Radin, Property and Personhood, Stanford Law Review 34 (1982), 957 (1013–15). 2273  Das so nur angedeutete sog. „stewardship model“ wird im Kontrast zu liberalen Eigentumskonzepten entwickelt bei K. Carpenter / S. K. Katyal / A. R. Riley, In Defense of Property, The Yale Law Journal 118 (2009), 1022, (1022). 2274  Art. 12 I NP. Zur Bedeutung sog. „Community Protocols“, vgl. S. K. Bavikatte / D. F. Robinson, Towards a people’s history of the Law, Law, Environment and Development Journal (2011), 35 ff.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

sind und entsprechend auf den Schutz der Rechte des Eigentümers zur Übertragbarkeit und der Ausschließbarkeit Dritter für Zwecke individueller Wohlstandsmaximierung2275 fokussieren und die Eigenschaft universeller Kommensurabilität (Vergleichbarkeit im Wert) und Kommodifikation2276 für die Marktgängigkeit der Position fördern, zielt der Ansatz im Nagoya-Protokoll auf die Schaffung einer Position mit einem stark fiduziarischen Charakter ab. Er baut auf der (vermuteten) Übereinstimmung der Interessen von ILC, ihre Lebensweise zu bewahren und dem Interesse der Menschheit, unter Einschluss künftiger Generationen die biologische Vielfalt und die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile zu schützen, auf. Um ILC ein Handeln als treuhänderische Verwalter zu ermöglichen, betont der Ansatz die Nützlichkeit von Märkten Interessen zu dienen, die – in Märkten, die nicht in hinreichender Weise den Wert von Ökosystemen widerspiegeln – ökonomisch unerklärlich sind.2277 Die Position, welche die Vertragsstaaten zugunsten von ILC zu schaffen haben, kann insoweit auf Theorien des „stewardship“ zurückgeführt werden, die liberalen Theorien wie der „agency theory“, die menschliches Verhalten zuallererst als „individualistisch, opportunistisch und egoistisch“ begreifen, entgegengesetzt werden.2278 Für die rechtliche Einordnung bedeutet dies: Während ihre Gruppenbezogenheit ihre Einordnung als sog. „Drittgenerationenrechte“ nahelegen, wurden sie aufgrund ihrer expliziten Verbindung zum Schutz der Umwelt auch als „bio-kulturelle Rechte“2279 oder Umweltmenschenrecht2280 bezeichnet. Als solche sind sie als Teil einer Entwicklung von Rechten indigener Völker betrachtet worden, die nicht nur darauf abzielen, entweder die Umwelt oder 2275  K. Carpenter / S. K. Katyal / A. R. Riley, In Defense of Property, The Yale Law Journal 118 (2009), 1022, (1027 f.). 2276  S. K. Bavikatte / D. F. Robinson, Towards a people’s history of the Law, Law, Environment and Development Journal (2011), 35 (49). 2277  K. Carpenter / S. K. Katyal / A. R. Riley, In Defense of Property, The Yale Law Journal 118 (2009), 1022, (1046). 2278  Ausführlich zum Kontrast dieser entgegengesetzten Konzepte K. Carpenter /  S. K. Katyal / A. R. Riley, In Defense of Property, The Yale Law Journal 118 (2009), 1022, (1071). 2279  K. Bavikatte / D. F. Robinson, Towards a people’s history of the Law, Law, Environment and Development Journal (2011), 35 (49). 2280  So E. Morgera, Against all odds: The contribution of the convention on biological diversity to international human rights law, in: D. Alland / V. Chetail u. a., Unity and Diversity of international law, 2014, 983 (986), die in dem NP den ersten multilateralen umweltvölkerrechtlichen Vertrag mit substantiellen Regelungen zu Umweltmenschenrechten sieht; auf die beim Schutz von TK bestehende Verbindung von Umweltvölkerrecht und Menschenrechtsschutz wies auch bereits frühzeitig hin A. Meyer, International Environmental Law and Human Rights: Towards the Explicit Recognition of Traditional Knowledge, RECIEL 10 (2001), 37 (36).



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker

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ein Volk zu schützen, sondern das gesamte sozio-ökologische System als Einheit. Soweit die rechtliche Position im Nagoya-Protokoll dagegen traditionelles Wissen betrifft, ist sie als eine Form intellektuellen Eigentums mit den oben beschriebenen Eigenschaften zu bezeichnen. Zwar zielt diese, anders als herkömmliche Formen intellektuellen Eigentums, nicht auf die Begründung von Anreizen für die Schaffung von Innovationen ab, gleichwohl kann sie auch nicht allein als Belohnung für Leistungen in der Vergangenheit begriffen werden,2281 da die Position von ILC gerade auch die Fortenwicklung des Wissensbestandes durch den Empfang gerade immaterieller Vorteile unterstützen soll. Dies sollte allerdings nicht zu der Annahme eines harmonischen Zusammenspiels mit anderen Instrumenten zum Schutz intellektuellen Eigentums verleiten. Das Nagoya-Protokoll umfasst lediglich äußerst rudimentäre Regeln hinsichtlich seiner Beziehung zu anderen internationalen Regelungsregimen, unter anderem dem TRIPS-Übereinkommen.2282 Art. 27 Abs. 1 TRIPS enthält beispielsweise keine Anforderung der Offenlegung eines Ursprungslandes von traditionellem Wissen oder der Konformität mit nationaler ABS-Gesetzgebung für die Patentierbarkeit von Produkten, die auf traditionellem Wissen basieren.2283 In der Folge müssen Patente im Anwendungs­ bereich von TRIPS gewährt werden, soweit nicht Ausnahmen nach Art. 27 Abs. 3 TRIPS möglich sind, selbst wenn ein Verstoß gegen nationale ABSGesetzgebung offensichtlich ist. Dieses fundamentale Problem bleibt im Nagoya-Protokoll ungelöst2284 und vermindert die Durchsetzungsfähigkeit der Position von ILC bzgl. ihres traditionellen Wissens beträchtlich. 2281  So aber P.-T. Stoll, Access to GRs and Benefit Sharing – Underlying Concepts and the Idea of Justice, in: E. C. Kamau / G. Winter, Genetic Resources, Traditional Knowledge and the Law, 2009, 3 (8). 2282  Die Problematik des Rangverhältnisses zwischen CBD und TRIPS resultiert aus der Ausdehnung des Anwendungsbereichs des TRIPS-Abkommens auf den Bereich der Biotechnologie, S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources: background and analytical framework, in: dies., Global Governance of Genetic Resources, 2014, 1 (4). 2283  Zu den laufenden Verhandlungen im Rahmen der WIPO etwa L. Wallbott / F. Wolff / J. Pożarowska, The negotiations of the Nagoya Protocol, in: S. Ober­ thür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources, 2014, 33 (54). Im Oktober 2017 wurde das Mandat des Intergovernmental Committee on Intellectual Property and Genetic Resources, Traditional Knowledge and Folklore u. a. dahingehend ausgeweitet, seine Arbeit fortzusetzen, um einen Konsens über die Schaffung eines rechtlichen Instruments zum Schutz genetischer Ressourcen, traditionellem Wissen und traditionellen kulturellen Formen zu erreichen. Zum aktuellen Stand siehe unter www.wipo.int. 2284  Das NP verweist gem. Art. 4 Abs. 3 NP lediglich auf die andauernden Diskussionen im „WIPO Intergovernmental Committee on Intellectual Property and Genetic Resources, Traditional Knowledge and Folklore“.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

3. Einfluss Einzelner und Gruppen auf die Implementierung des Nagoya-Protokolls? a) Einfluss über Mechanismen des Nagoya-Protokolls? Wie die bisherige Untersuchung gezeigt hat, enthält das Nagoya-Protokoll keinerlei unmittelbar anwendbare subjektiv-rechtliche Garantien, sondern verpflichtet ausschließlich die Vertragsstaaten, solche im nationalen Recht zu schaffen. Die durch das NP vorgesehenen Rechtspositionen bedürfen der Umsetzung, um für die zu berechtigenden Gemeinschaften im nationalen Rechtskreis anwendbar zu sein. Insoweit stellt sich die Frage nach der Existenz von rechtlichen Möglichkeiten, auf die Implementierung durch die Vertragsstaaten Einfluss zu nehmen, wie dies bereits in unterschiedlichem Maße im Rahmen der menschenrechtlichen Instrumente sowie der Aarhus-Konvention festgestellt werden konnte. Das Nagoya-Protokoll sieht zahlreiche Instrumente vor, um die Implementierung seiner Vorschriften und ihre Anwendung zu fördern. Anderen multilateralen Umweltvölkerrechtsabkommen vergleichbar sind diese nicht auf eine Sanktionierung von Vertragsparteien für konventionswidriges Handeln, sondern auf deren Unterstützung durch kooperatives Tätigwerden ausgerichtet. So sieht das NP in Art. 13 die Einrichtung nationaler Informationsstellen und die Benennung zuständiger nationaler Stellen für den Zugang und die Aufteilung der Vorteile vor. Die nationalen Stellen sollen nach Art. 14 NP auf internationaler Ebene durch das sog. „Access and Benefit-Sharing Clearing House“ ergänzt werden, um so den Informationszugang und -austausch zu verbessern. Art. 15 und 16 NP richten sich speziell an Nutzerstaaten von genetischen Ressourcen und hierauf bezogenem traditionellem Wissen. Art. 15 NP sieht vor, dass diese durch angemessene, effektive und verhältnismäßige gesetzliche, administrative oder politische Maßnahmen, soweit angemessen, sicherstellen, dass innerhalb der eigenen Jurisdiktion der Zugang zu genetischen Ressourcen und hierauf bezogenem traditionellem Wissen im Einklang mit einer auf Kenntnis der Sachlage gegründeten Zustimmung oder – als Alternative für traditionelles Wissen – mit Billigung und Beteiligung der indigenen und ortsansässigen Gemeinschaften erfolgt ist, und dass einvernehmlich festgelegte Bedingungen vereinbart worden sind. Auch sollen die Nutzerstaaten gem. Art. 15 Abs. 2 bzw. 16 Abs. 2 NP Vorkehrungen treffen, um mit der Nichteinhaltung der vorgenannten Pflichten umzugehen und gem. Art. 15 Abs. 3, Art. 16 Abs. 3 NP im Falle möglicher Verletzungen nationaler Gesetzgebung oder regulatorischer Vorgaben zusammenarbeiten. Art. 17 NP sieht weitere Überwachungsmaßnahmen auf nationaler Ebene vor, welche die Vertragsparteien zu ergreifen haben. Diese sind allerdings ausschließlich auf die Nutzung genetischer Ressourcen bezogen, nicht aber



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker671

auch auf die Nutzung traditionellen Wissens.2285 Die Vertragsstaaten werden zudem gem. Art. 18, 19, 20 NP verpflichtet, ganz konkrete und praktische Maßnahmen zu ergreifen, um die Einhaltung der Vorgaben des NP zu fördern, insbesondere durch die Bereitstellung von vorgefertigten Vertragsklauseln. Orientierung soll mithilfe von Verhaltenskodizes, Richtlinien und der Sammlung bewährter Verfahren geboten werden. Schließlich verlangt das NP auch in Art. 21 NP allgemeine Maßnahmen zur Steigerung des Bewusstseins für die Regelungen des Protokolls und die Bedeutung ihrer Regelungsgegenstände. Die Fähigkeit der Staaten zur Umsetzung der Regelungen soll zudem mithilfe zahlreicher Regelungen zur Verbesserung der Kapazität der Staaten (Art. 22), insbesondere durch den Transfer von Technologien, Zusammen­ arbeit und Kooperation zwischen den Vertragsparteien (Art. 23) und einen ­Finanzierungsmechanismus (Art. 25) gesteigert werden. Auch der Vertragsstaatenkonferenz kommen in diesem Prozess zahlreiche Aufgaben zu (Art. 26). Alle hier wiedergegebenen Maßnahmen setzen jedoch ihre vorangehende Implementierung voraus und verpflichten die Staaten auch nicht, subjektive Rechte innerhalb ihrer Rechtsordnung, etwa auf den Erhalt von Informationen, vorzusehen. Art. 30 NP sieht daneben jedoch die Einrichtung eines Compliance-Mechanismus vor. Dieser wurde durch das NP jedoch nur ganz allgemein vorgesehen, seine nähere Ausgestaltung aber ganz überwiegend künftigen Verhandlungen der Vertragsparteien überlassen.2286 Den Vertragsparteien wurden die Diskussion der möglichen Ausgestaltung eines solchen Mechanismus und die Verabschiedung entsprechender Regelungen für die erste COP / MOP durch Art. 30 NP aufgegeben. Um hierzu in der Lage zu sein, wurde zur Vorbereitung der ersten COP / MOP bereits 2010 das intergouvernementale Komitee für das Nagoya-Protokoll mit der Ausarbeitung entsprechender Vorschläge mandatiert.2287 Hierzu wurde insbesondere eine umfassende Untersuchung vorhandener Compliance-Mechanismen anderer multilateraler Umweltrechtskonventionen – unter anderem auch der Aarhus-Konvention – 2285  M. Buck / C. Hamilton, The Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the Fair and Equitable Sharing of Benefits Arising from their Utilization to the Convention on Biological Diversity, RECIEL 20 (2011), 47 (56); G. Winter /  E. C. Kamau, Von Biopiraterie zu Austausch und Kooperation, AVR 49 (2011), 373 (385); E. Morgera, Against all odds: The contribution of the convention on biological diversity to international human rights law, in: D. Alland / V. Chetail u. a., Unity and Diversity of international law, 2014, 983 (986). 2286  Vgl. T. R. Young, An International Cooperation Perspective on the Implementation of the Nagoya Protocol, in: E. Morgera / M. Buck / E. Tsioumani, The 2010 Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing in Perspective, 2013, 451 (487). 2287  Siehe Entscheidung X / 1, Annex II, Sektion A, Rn. 4, abrufbar unter: https: /  /  www.cbd.int / doc / decisions / cop-10 / cop-10-dec-01-en.pdf, zuletzt abgerufen am 17.07.2017.

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

durchgeführt2288 und Vertragsparteien des NP, internationale Organisationen, indigene und lokale Gemeinschaften und relevante Interessenträger zur Stellungnahme aufgefordert.2289 Nachdem verschiedene Stellungnahmen auch die Möglichkeit erwogen hatten, unter bestimmten Bedingungen Mitgliedern der Öffentlichkeit, einschließlich indigener und lokaler Gemeinschaften, die Möglichkeit zur Initiierung von Compliance-Verfahren zu geben,2290 wurde diese Möglichkeit in ersten Entwürfen für eine Entscheidung der COP / MOP eingefügt2291 und gelangte so auch noch als Diskus­ sionsgrundlage zur ersten COP / MOP des Nagoya-Protokolls.2292 Die Vertragsparteien übernahmen diese Möglichkeit jedoch letztlich nicht und setzten einen Compliance-Mechanismus ein, der nur durch Vertragsparteien betreffend die eigene Implementierungsarbeit oder die einer anderen Vertragspartei sowie durch die COP / MOP, nicht aber durch Mitglieder der Öffentlichkeit und / oder indigene und lokale Gemeinschaften initiiert werden kann.2293 Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit Compliance-Mechanismen, die lediglich vergleichbare Möglichkeiten zur Initiierung von Compliance-Verfahren vorsehen, ist Skepsis darüber angebracht, ob dem Komitee

2288  Siehe Open-ended ad hoc intergovernmental committee for the Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the fair and equitable sharing of benefits arising from their utilization, Montreal, 5.–10. Juni 2011, UNEP / CBD / ICNP / 1 / INF  / 1, 26.  April 2011, S. 2, Rn. 7 ff. Speziell zum Compliance-Mechanismus unter der Aarhus-Konvention, S. 11, Rn. 67. 2289  Vgl. Open-ended ad hoc intergovernmental committee for the Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the fair and equitable sharing of benefits arising from their utilization, Montreal, 5.–10. Juni 2011, UNEP / CBD / ICNP / 1 / 6 / R ev. 1, 09. Juni 2011, S. 1, Rn. 2 f. 2290  Vgl. Expert Meeting on Cooperative Procedures and institutional mechanisms to promote compliance with the Nagoya Protocol on Access and Benefit-Sharing and to address cases of non-compliance, Montreal, 28.  Februar  – 01.  März 2012, UNEP / CBD / ABS / EM-COMP / 1 / 2, 20. Februar 2012, S. 7, Rn. 56. 2291  Siehe Open-ended ad hoc intergovernmental committee for the Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the fair and equitable sharing of benefits arising from their utilization, Neu Dehli, 2.–6. Juli 2012, UNEP / CBD / ICNP / REC / 2  / 7, 26. Juli 2012, S. 5, D. Procedures, 1 (f), (g). 2292  Vgl. Conference of the Parties to the Convention on Biological Diversity, 11. Treffen, Hyderabad, Indien, 8.–19.  Oktober 2012, UNEP / CBD / COP / DEC / XI / 1, 5. Dezember 2012, S. 7 sowie Annex IV. 2293  Conference of the parties to the Convention on Biological Diversity serving as the meeting of the parties to the Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the Fair and Equitable Sharing of Benefits arising from their Utilization, 13.– 17.  Oktober 2014, UNEP / CBD / NP / COP-MOP / DEC / 1 / 4, 20.  Oktober 2014, NP-1 / 4, Cooperative procedures and institutional mechanisms to promote compliance with the Nagoya protocol and to address cases of non-compliance., D. Procedures, Ziff. 1. 



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker673

hinreichend Fälle vorgelegt werden, um einen effektiven Beitrag zur Implementierung des Protokolls zu leisten.2294 b) Inanspruchnahme von Rechtsschutz vor internationalen und nationalen Gerichten Eine Anrufung internationaler Gerichte durch ILC zur unmittelbaren Geltendmachung von Rechten aus dem Nagoya-Protokoll scheitert nicht nur bereits daran, dass das Protokoll keine völkerrechtsunmittelbaren Gewährleistungen enthält, sondern auch daran, dass internationale Gerichte, soweit sie für Einzelne und nicht-staatliche Gruppen zugänglich sind, auf den Rechtsschutz bzgl. bestimmter Gewährleistungen bestimmter Konventionen beschränkt sind. Eine allgemeine Gerichtsbarkeit existiert auf völkerrecht­ licher Ebene gerade nicht. Insoweit wäre es ILC lediglich möglich, sich etwa vor den Menschenrechtsgerichtshöfen der regionalen Menschenrechtskonventionen oder – soweit vorhanden – in Verfahren des universellen Menschenrechtsschutzes auf Rechte an genetischen Ressourcen oder traditionellem Wissen aus den jeweiligen Menschenrechtsdokumenten zu berufen. Dabei kann durch das jeweilige Menschenrechtsorgan im Wege einer systematischen Auslegung der anzuwendenden Vorschriften auch das Nagoya-Protokoll mittelbar in Bezug genommen werden, und so zur Stärkung von Menschenrechten führen. Soweit etwa im Rahmen des inter-amerikanischen, afrikanischen oder auch europäischen Menschenrechtssystems Gewährleistungsgehalte bzgl. genetischer Ressourcen in den Gebieten von ILC ausdrücklich anerkannt würden,2295 wäre dies auch nicht ohne Rückwirkungen auf die Verpflichtungen des Nagoya-Protokolls, da es ggf. Umsetzungsspielräume schließen würde, die das Protokoll selbst unter dem Vorbehalt anderweitiger völkerrechtlicher Regelungen anerkennt. Auch eine Inanspruchnahme etwa von Rechtsbehelfen vor dem EuGH zur Durchsetzung der mittelbar-völkerrechtlich zu begründenden Rechtspositionen von ILC scheidet aus. Der Umsetzungsrechtsakt der Union betrifft aus2294  Insoweit ist es auch bedauerlich, dass ein während der Verhandlungen gemachter Vorschlag zur Institutionalisierung eines Ombudsmanns zwar auch in den Diskussionen um den Compliance-Mechanismus aufgegriffen, im Ergebnis aber ebenfalls nicht berücksichtigt wurde, vgl. hierzu E. Morgera, Against all odds: The contribution of the convention on biological diversity to international human rights law, in: D. Alland / V. Chetail u. a., Unity and Diversity of international law, 2014, 983 (987 mit Fn. 29). 2295  Zur Diskussion darüber, ob die Rechtsprechung des IACtHR und der ACmHPR zu den Ressourcennutzungsrechten indigener Völker und nicht-indigener Stammesgesellschaften auch genetische Ressourcen erfasst, siehe bereits oben: Zweiter Teil, C. III. 2. b) ff) (1) (b).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

schließlich die Compliance-Regelungen für Nutzer-Staaten,2296 nicht aber die Rechtspositionen von ILC, die auf mitgliedstaatlicher Ebene umzusetzen sind, soweit in Mitgliedstaaten der Union, wie etwa in Schweden und Finnland, mit den Samen indigene oder ortsansässige Gemeinschaften leben. Gem. Art. 18 Abs. 3 lit. (a) NP sind hier effektive Maßnahmen, soweit angemessen, zu ergreifen, um einen Zugang zu Gerichten zu eröffnen. Die Reichweite dieser Verpflichtung bleibt denkbar unbestimmt und belässt den Vertragsstaaten einen entsprechenden Umsetzungsspielraum.2297 4. Bewertung Die vorliegende Darstellung hat sich um die Identifikation der Vorgaben des Nagoya-Protokolls gegenüber den Vertragsstaaten für die Schaffung von Rechtspositionen indigener und lokaler Gemeinschaften bemüht. Die Vorschriften zielen auf die Schaffung von Positionen im ABS-Mechanismus ab, die zusammengenommen inhaltlich als eigentumsähnliche Rechte an genetischen Ressourcen und hierauf bezogenem traditionellem Wissen bezeichnet werden können und von anderen Autoren auch als bio-kulturelle Rechte bezeichnet wurden. Aus der Sicht indigener und lokaler Gemeinschaften kann das Nagoya-Protokoll insoweit durchaus als Erfolg gelten, spiegelt es doch auch den durch sie über nicht-staatliche Interessenverbände in den Verhandlungen geltend gemachten Einfluss wider.2298 Es wurde zudem gezeigt, in2296  Vgl. B. Tobin, Biopiracy by law: European Union draft law threatens indigenous peoples’ rights over their traditional knowledge and genetic resources, E.I.P.R. 2014, 124 (132). Insoweit hat das EuG auch die unmittelbare Betroffenheit i. S. v. Art. 263 Abs. 4 AEUV eines Saatzuchtherstellers durch VO (EU) 511 / 2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.  April 2014 über Maßnahmen für die Nutzer zur Einhaltung der Vorschriften des Protokolls von Nagoya über den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile in der Union verneint. Siehe EuG, Beschluss vom 18.05.2015  – T-559 / 14. Der EuGH hat die gegen die Entscheidung des EuG gerichteten Rechtsmittel zurückgewiesen, EuGH, Urteil vom 24.11.2016 – C-408 / 15 P und C-409 / 15 P. 2297  Eine Orientierung von Art. 18 Abs. 3 Lit. (a) NP an den Vorgaben der dritten Säule der Aarhus-Konvention sieht V. Koester, The Nagoya-Protocol on ABS, IDDRI, Study 03 / 12, S. 14 f. 2298  Ausführlich zur Rolle nicht-staatlicher Interessenverbände mit direkter Verbindung zu indigenen Gemeinschaften in den Verhandlungen des NP A. Orsini, The role of non-state actors in the Nagoya Protocol negotiations, in: S. Oberthür / S. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources, 2014, 60 (69 ff.), die vor allen Dingen eine erfolgreiche Kooperation dieser Interessengruppen mit nationalen Delegationen beobachtet, zugleich aber auch darauf hinweist, dass eine Rückführung konkreten Inhalts des Protokolls auf die Lobbyarbeit der Interessengruppen nicht möglich ist.



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker675

wieweit die zahlreichen abschwächenden Wendungen zwar zu erheblichen Umsetzungsspielräumen der Vertragsstaaten bei der Implementierung der Regelungen des NP führen, zum anderen aber auch, inwieweit der Verbindlichkeitsanspruch der Regelungen gleichwohl reicht und von den Vertragsparteien zu beachten sein wird.2299 Während sich die Vertragsparteien danach hinsichtlich des traditionellen Wissens indigener und lokaler Gemeinschaften verbindlich zur Ausgestaltung einer Rechtsposition im ABS-Mechanismus verpflichtet haben, ist die entsprechende Verpflichtung hinsichtlich genetischer Ressourcen jedenfalls nach Art. 6 Abs. 2, Art. 5 Abs. 2 NP von einem Zuweisungsakt bzgl. dieser Ressourcen gegenüber ILC im jeweiligen nationalen Recht abhängig. Ob sich diesbezüglich eine Verpflichtung anderweitig völkerrechtlich begründen lässt, ist nicht abschließend geklärt. Entsprechende Begründungsversuche wurden hier jedoch kritisch betrachtet.2300 Ohne Frage ist der sozio-ökonomische Ansatz des Inwertsetzens von Bestandteilen biologischer Vielfalt mittels eines ABS-Mechanismus ein weiteres interessantes Werkzeug im Instrumentenkasten des Schutzes biologischer Vielfalt.2301 Wenn es gelingt, die auf traditionellem Wissen basierenden Techniken auch in modernen Umweltnutzungen zu implementieren, kann zudem auch die Erhaltung biologischer Vielfalt außerhalb der traditionellen Gebiete indigener und lokaler Gemeinschaften profitieren.2302 Dies setzt es jedoch voraus, dass solches Wissen aus seinen kulturellen Zusammenhängen gelöst und im Rahmen der organisatorischen Strukturen industrialisierter Gesellschaften mit ihren eigenen Verfahren der Entscheidungsfindung einsetzbar ist2303 und nicht etwa die ideologischen Elemente traditionellen Wissens dessen Übertragung verhindern.2304 2299  Insoweit wird die Berücksichtigung indigener Interessen im NP teils als ungenügend kritisiert, United Nations General Assembly (UNGA), Report of the Special Rapporteur on the Rights of Indigenous Peoples to the General Assembly, UN Doc, A / 67 / 301, Aug. 2012, Rn. 58. 2300  Unabhängig vom Schutz genetischer Ressourcen durch Menschenrechte ist jedoch klar, dass diese Instrumente eine notwendige Ergänzung zum lediglich punktuellen Schutz des Nagoya-Protokolls darstellen. Dies betont auch B. Tobin, Setting Protection of TK to Rights – Placing Human Rights and Customary Law at the Heart of TK Governance, in: E. C. Kamau / G. Winter, Genetic Resources, Traditional Knowledge, and the Law, 2009, 101 (101, 109). 2301  S. Oberthür / G. K. Rosendal, Conclusions, in: S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources, 2014, 231 (244). 2302  E. Morgera / E. Tsioumani, The Evolution of Benefit Sharing: Linking Biodiversity and community Livelihoods, RECIEL 19 (2010), 150 (161). 2303  B. J. Richardson, Indigenous Peoples, International Law and Sustainability, RECIEL 10 (2001), 1 (4). 2304  L. Heinämäki, Protecting the Rights of Indigenous Peoples – Promoting the Sustainability of the Global Environment?, 11 (2009) International Community Law Review 3 (13).

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2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

Trotz der aufgezeigten rechtlichen Verpflichtungen bestehen gleichwohl weitere Vorbehalte gegen die Annahme, dass die Vorgaben des Nagoya-Protokolls bzgl. der Rechtspositionen indigener und lokaler Gemeinschaften im Ergebnis zu einer erheblichen Verbesserung des Schutzes biologischer Vielfalt führen. Diese Vorbehalte beziehen sich zum einen auf die Implementa­ tionsabhängigkeit der Vorgaben, aber auch auf die Konzeption des ABSMechanismus selbst sowie die in dessen Rahmen im Staat / Nutzer-Gemeinschafts-Verhältnis zu begründenden Rechtspositionen von ILC. Die Vorgaben des Nagoya-Protokolls bedürfen nicht nur in den Herkunftsstaaten der indigenen und lokalen Gemeinschaften, sondern auch in den Nutzerstaaten der umfassenden Implementierung, damit diese auch effektiv geschützt, Ansprüche effektiv durchgesetzt2305 werden können. Während in den Herkunftsstaaten neben dem nationalen Recht auch eine Einbeziehung indigener Normen2306 verlangt wird, muss etwa in den Mitgliedstaaten der europäischen Union eine Umsetzung nicht nur auf Gemeinschafts- sondern auch mitgliedstaatlicher Ebene erfolgen. Insgesamt könnte sich die Voraussetzung des Zusammenwirkens verschiedenster rechtlicher Ordnungen auf unterschiedlichen Ebenen als zu komplex herausstellen.2307 Hinzu kommt, dass die Vorgaben durch die eigentümliche Verbindung öffentlich-rechtlicher und privat-rechtlicher Institute zusätzliche Herausforderungen bereithalten.2308 Die dabei bestehende Abhängigkeit von der konstruktiven Mitwirkung der nationalen Gesetzgeber muss angesichts der traditionell ablehnenden Haltung vieler Staaten gegenüber den Anliegen indigener Gemeinschaften2309 zusätzlich skeptisch stimmen. Entsprechend wurden auch die Rege2305  Vgl. G. Winter / E. C. Kamau, Von Biopiraterie zu Austausch und Kooperation, AVR 49 (2011), 373 (398). 2306  Für unzureichend berücksichtigt hält indigene Normen etwa im europäischen Umsetzungsrecht B. Tobin, Biopiracy by Law, E.I.P.R. 2014, 124 (130 f.). Zur EUVerordnung Nr. 511 / 2014 sowie S. Schlacke, Das Übereinkommen über biologische Vielfalt: Steuerungskraft und Perspektiven, AVR 54 (2016), 524 (537 f.). 2307  Die Abhängigkeit von der Implementierung der Vorschriften gerade auch in den Nutzerstaaten betonen L. Wallbott / F. Wolff / J. Pożarowska, The negotiation of the Nagoya Protocol, in: S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources, 2014, 33 (53 f.). Eine ausführliche Darstellung des Standes der ABS-Gesetzgebung in Europa – sowohl in EU-Mitgliedstaaten als auch anderen europäischen Staaten – bieten B. Coolsaet u. a., Implementing the Nagoya Protocol, 2015. Siehe in diesem Werk auch auf S. 115 ff. zur bisherigen Rechtslage in Deutschland L. O. Ro­ driguez / M. Dross / K. Holm-Müller, Access and Benefit-Sharing in Germany. 2308  S. Oberthür / G. K. Rosendal, Conclusions, in: S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources, 2014, 231 (238). 2309  A. Orsini, The role of non-state actors in the Nagoya Protocol negotiations, in: S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources, 2014, 60 (75).



C. Schutz mittels subjektiver Berechtigungen indigener Völker677

lungen des Art. 8 lit. (j) CBD bislang nur unzureichend umgesetzt.2310 Die vielfach entmutigenden Sachverhaltsfeststellungen internationaler Menschenrechtsorgane, welche die Missachtung selbst grundlegenster Menschenrechte von Angehörigen indigener Gemeinschaften und Rechte der Gemeinschaften selbst widerspiegeln, geben hier wenig Grund für höhere Erwartungen. Hinzu kommt, dass nach verbreiteter Ansicht bislang weder die Entstehungsgeschichte der CBD noch die Praxis von ABS Belege dafür geliefert haben, dass durch ABS wirklich Biodiversitätsschutz erreicht wird, sei es durch den Gebrauch empfangener Vorteile für den Schutz biologischer Vielfalt oder durch die Beeinflussung von Handlungsentscheidungen zugunsten der Bewahrung biologischer Vielfalt.2311 Die Hoffnungen auf eine Förderung nachhaltiger Entwicklung haben sich insoweit bislang nicht bestätigt2312 und es wird in Zweifel gezogen, ob sich dies unter Geltung des Nagoya-Protokolls ändern wird. Insoweit erscheint es tatsächlich wenig wahrscheinlich, dass die ausdrückliche normative Verknüpfung des ABS-Ziels mit dem Schutz biologischer Vielfalt in Art. 1 NP eine wesentliche Veränderung herbeiführen kann.2313 Während dies jedoch vor allen Dingen für die zwischenstaatliche Ebene gilt,2314 hängt der positive Effekt für den Schutz biologischer Vielfalt durch die Umsetzung der Vorgaben hinsichtlich des Staat / Nutzer-Gemeinschaftsverhältnis insbesondere von der Richtigkeit der Annahmen über die Rolle indigener und lokaler Gemeinschaften ab. Aufgrund des Fehlens jeder 2310  Skeptisch mit Blick auf die Umsetzung der CBD auch S. Oberthür / G. K. Rosendal, Conclusions, in: S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources, 2014, 231 (239). 2311  P.-T. Stoll, Access to GRs and Benefit Sharing – Underlying Concepts and the Idea of Justice, in: E. C. Kamau / G. Winter, Genetic Resources, Traditional Knowledge and the Law, 2009, 3 (4); G. Winter / E. C. Kamau, Von Biopiraterie zu Austausch und Kooperation, AVR 49 (2011), 373 (395); in diese Richtung auch E. Morgera, An International Legal Concept of Fair and Equitable Benefit-sharing, University of Edinburg, School of Law, Research Paper Series No 2015 / 20, S. 3; T. Markus, Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Biodiversität, in: A. Proelß, Internationales Umweltrecht, 2017, Zehnter Abschnitt Rn. 42; zu Recht wird aber darauf hingewiesen, dass insoweit bislang kaum empirisch belastbares Material vorliegt, so F. Wolff, The Nagoya Protocol and the diffusion of economic instruments for ecosystem services in international environmental governance, in: S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources, 2014, 132 (138). 2312  P.-T. Stoll, Access to GRs and Benefit Sharing – Underlying Concepts and the Idea of Justice, in: E. C. Kamau / G. Winter, Genetic Resources, Traditional Knowledge and the Law, 2009, 3 (3). 2313  Zur mangelhaften Verknüpfung noch unter der CBD P.-T. Stoll, Access to GRs and Benefit Sharing – Underlying Concepts and the Idea of Justice, in: E. C. Kamau / G. Winter, Genetic Resources, Traditional Knowledge and the Law, 2009, 3 (4). 2314  S. Oberthür / G. K. Rosendal, Conclusions, in: dies., Global Governance of Genetic Resources, 2014, 231 (245).

678

2. Teil: Verwirklichung subjektiv-rechtlicher Ansätze

normativen Sicherung der Verwendung ggf. empfangener Vorteile aus dem ABS-Mechanismus ist es entscheidend, dass hier tatsächlich Gemeinschaften gestärkt werden, für die eine Erhaltung der sie umgebenden Ökosysteme Teil ihrer kulturellen Identität ist2315 und deshalb im Regelfall keiner (externen) normativen Absicherung bedarf. Es zeigt sich, dass die Regelungen des Nagoya-Protokolls weit davon entfernt sind, bereits alle Fragen der Ausgestaltung der Rechtspositionen indigener und lokaler Gemeinschaften in einem ABS-Mechanismus gelöst zu haben. Dies zu tun, ist vielmehr dem weiteren Implementierungsprozess und damit den Vertragsstaaten allein, aber auch als Gemeinschaft der Vertragsstaaten im Rahmen der CBD und des Nagoya-Protokolls aufgegeben. Dabei eröffnet das Nagoya-Protokoll auch selbst die Möglichkeit über den bislang bilateral ausgestalteten Vorteilsausgleichsmechanismus hinaus zu gehen und diesen zu einem multilateralen Mechanismus weiterzuentwickeln.2316 Dieser würde es ermöglichen, die bereits jetzt adressierten Gerechtigkeits- und ­Legitimitätsfragen des Schutzes biologischer Vielfalt2317 umfassender etwa auch in Konstellationen zu lösen, in denen genetische Ressourcen an mehr als nur einem Ort und vielfach in den Gebieten verschiedener indigener und ortsansässiger Gemeinschaften vorkommen und deshalb bei rein bilateralen Vereinbarungen ggf. nur eine einzelne Gemeinschaft an den Vorteilen aus deren Nutzung profitieren würde. Eine auf die Bewahrung (und Wiederherstellung) der Selbstbestimmung der Gemeinschaften gerichtete Umsetzung muss zudem sicherstellen, dass den grundsätzlichen Bedenken gegen die Kommodifizierung indigenen Wissens hinreichend Rechnung getragen wird.2318

2315  Die grundsätzliche Richtigkeit dieser Annahme soll hier in keiner Weise bezweifelt werden. 2316  Als grundsätzliche Fehlkonstruktion sieht den bilateralen Mechanismus G. Winter, Die Kompromisse von Nagoya, und wie es weitergeht, ZUR 2011, 57 (58). 2317  J. Ebbesson, Planetary Boundaries and the Matching of International Treaty Regimes, Scandinavian Studies in Law 59 (2014), 260 (275); noch stärker wird dies betont bei S. Oberthür / F. Rabitz, The role of the European Union in the Nagoya protocol negotiations, in: S. Oberthür / G. K. Rosendal, Global Governance of Genetic Resources, 2014, 79 (92). Deshalb wurde das NP auch als „strange animal in global environmental governance“ bezeichnet. 2318  B. Tobin, Setting Protection of TK to Rights – Placing Human Rights and Customary Law at the Heart of TK Governance, in: E. C. Kamau / G. Winter, Genetic Resources, Traditional Knowledge, and the Law, 2009, 101 (105 f.).

Dritter Teil

Ansatzübergreifender Vergleich Zum Zwecke der Erkenntnis der Konvergenz rechtlicher Strukturen bei den vorliegend untersuchten subjektiv-rechtlichen Ansätzen im Völkerrecht zum Schutz biologischer Vielfalt sollen im dritten Teil der Untersuchung die herausgearbeiteten Rechtspositionen Einzelner und Gruppen ansatzübergreifend verglichen werden (A.), bevor die Fortentwicklungsmöglichkeiten der subjektiv-rechtlichen Ansätze beleuchtet (B.) und ihre Ergänzungsbedürftigkeit näher betrachtet wird (C.). Es zeigt sich, dass sich die Ansätze keinesfalls in Isolation voneinander entwickeln, was einer zu starken Fragmentierung des Völkerrechts entgegenwirkt.

A. Übergreifender Vergleich der untersuchten Ansätze Die vorzunehmende vergleichende Betrachtung muss mit der Unterschiedlichkeit der im zweiten Teil der Arbeit untersuchten Ansätze zum Schutz biologischer Vielfalt umgehen – einer Unterschiedlichkeit, die nicht lediglich hinsichtlich eines bestimmten Merkmals, sondern bereits in den Ansatzpunkten besteht. Dies verhindert zwar ihren unmittelbaren Vergleich, eine vergleichende Betrachtung kann gleichwohl zumindest hinsichtlich einzelner der prägenden Charakteristika der in ihrem Rahmen hervorgebrachten Rechtspositionen stattfinden (I.). Hiervon gesondert soll der Aspekt der (theoretischen) Mobilisierungsleistung durch die Verleihung der jeweiligen Rechtsposition betrachtet werden (II.). Schließlich sind die betrachteten Rechtspositionen noch unter dem Gesichtspunkt der Beeinträchtigung staatlicher Souveränität (III.) nebeneinanderzustellen.

I. Die Rechtspositionen zum Schutz biologischer Vielfalt Trotz der Unterschiede lassen sich in der rechtstechnischen Umsetzung der analysierten Ansätze auch vergleichbare Aspekte finden. Zu allererst verbindet die Ansätze, dass sie alle auf die völkerrechtsunmittelbare bzw. mittelbar völkerrechtliche Begründung subjektiver Rechte Einzelner oder Gruppen gerichtet sind, die sich für den Schutz biologischer Vielfalt einsetzen lassen. Darüber hinaus ist der menschenrechtliche „Greening-Ansatz“ zwar durch

680

3. Teil: Ansatzübergreifender Vergleich

den vornehmlich materiell-rechtlichen Charakter der identifizierten Rechtspositionen – die zudem ihrerseits höchst unterschiedlich sind – und die besondere Methodik der richterrechtlichen Rechtsfortbildung und -schöpfung im Wege dynamischer Auslegung klassischer Menschenrechte gekennzeichnet. Gleichwohl ist ein Vergleich mit den durch die Aarhus-Konvention gewährleisteten Rechtspositionen doch über den Aspekt des subjektiv-recht­ lichen Charakters hinaus insoweit möglich, als auch die menschenrechtlichen Ansätze eine prozedurale Dimension aufweisen und insoweit jedenfalls objektiv-rechtliche (Verfahrens-)Pflichten der Staaten begründet haben. Daneben können aber auch die institutionelle Um- und Durchsetzung der jeweiligen Rechte sowie diesbezüglich bestehenden Einflussmöglichkeiten Einzelner miteinander verglichen werden. Obwohl für die Aarhus-Konvention keine unabhängige internationale Gerichtsbarkeit besteht, die – wie die europäischen Gerichte – nicht selbst auch organisatorischer Teil einer der verpflichteten Vertragsparteien ist, wurde mit der Schaffung eines komplexen Mehr­ ebenenverhältnisses jedenfalls im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein hoher Grad an Unabhängigkeit der gewährleisteten Rechtspositionen erreicht, der in mancher Hinsicht über die Unabhängigkeit der betrachteten menschenrechtlichen Positionen hinausgeht. Entsprechende institutionelle Durchsetzungsmöglichkeiten auf völkerrechtlicher Ebene sieht das Nagoya-Protokoll für indigene und lokale Gemeinschaften nicht vor. Die danach vorgesehenen eigentumsähnlich gefassten Positionen indigener und lokaler Gemeinschaften bzgl. der diesen innerstaatlich zugewiesenen genetischen Ressourcen und ihres traditionellen Wissens zur Adressierung der sozio-ökonomischen Gründe für den Verlust biologischer Vielfalt können aber immerhin mit den Eigentumsrechten der menschenrechtlichen Ansätze verglichen werden. 1. Die subjektiv-rechtlichen Rechtspositionen Die nachfolgende vergleichende Betrachtung erfolgt getrennt nach materiellen Rechten [a)], Informations- [b)], Partizipations- [c)] und prozessualen Zugangsrechten [d)]. a) Materielle Schutzrechte Die Untersuchung der Völkerrechtspraxis zur interpretatorischen Gewinnung von materiellen (nicht eigentumsbezogenen) Rechten zum Schutz biologischer Vielfalt vornehmlich anhand der EMRK, aber auch der AMRK, der Amerikanischen Menschenrechtserklärung sowie der ACHPR hat gezeigt, dass die Schutzgutbezogenheit des in den regionalen Menschenrechtsinstrumenten gewährleisteten Rechtsschutzes einer unmittelbaren Erfassung der



A. Übergreifender Vergleich der untersuchten Ansätze

681

Bestandteile biologischer Vielfalt entgegensteht.1 Für die klassischen Garantien zum Schutz des Lebens oder der Gesundheit sowie des Privat- und Famlienlebens geraten einzelne Umweltgüter nur in ihrer Eigenschaft als Belastungspfade bzgl. der durch die Garantien unmittelbar geschützten Rechtsgüter in den Blick. Erst deren Beeinträchtigung, nicht bereits die häufig lange im Vorfeld hierzu stattfindende Beeinträchtigung von Bestandteilen der Biodiversität, aktivieren die auf Abwehr- und Schutzansprüche gerichteten Garantien.2 Zukünftige Folgen eines fortschreitenden Verlusts biologischer Vielfalt werden wegen der durch die Schutzgutakzessorietät des Ansatzes induzierten Voraussetzung einer unmittelbaren Beeinträchtigung eines erfassten Schutzgutes nicht berücksichtigt.3 Der im Falle der Aktivierung der materiellen Garantien auch der Biodiversität gegebenenfalls zukommende Schutz ist in aller Regel rein mittelbar-faktischer Natur und damit bloßer Reflex des rechtlich allein gewährleisteten Schutzes der Menschenrechtsgüter.4 Ein darüber hinausgehender Schutz lässt sich allerdings über die in Art. 1 1. ZP EMRK, Art. 21 AMRK bzw. Art. 23 der Amerikanischen Menschenrechtserklärung und Art. 14 ACHPR enthaltenen Eigentumsgarantien erreichen. Praktische Relevanz hat das Eigentumsrecht für den Schutz biologischer Vielfalt dabei jedoch in der Praxis der Menschenrechtsgerichtshöfe und -kommissionen bislang vornehmlich nicht als liberales Eigentumsrecht im Sinne eines Individualrechts,5 sondern als Gewährleistung kommunalen Eigentums in der Form eines Gruppenrechts zugunsten indigener Völker und nicht-indigener Stammesgesellschaften erlangt,6 das mit der Gewährleistung von Land- und Ressourcennutzungsrechten an den traditionell von diesen Gemeinschaften genutzten Gebieten und Ressourcen nicht allein auf den Schutz deren wirtschaftlicher Grundlage, sondern auf den Schutz ihrer physischen und mehr noch kulturellen Existenz, mithin ihre Selbstbestimmung, gerichtet ist.7 Die Zerstörung oder erhebliche Schädigung von den durch 1  Siehe hierzu jeweils im Zweiten Teil der Arbeit: A. I. 2.; A. IV. 2. c) aa); A. V.; C. II. 3.; C. II. 4. 2  Hierzu: Zweiter Teil, A. I.  3.; Zweiter Teil, A.  IV. 1. a) cc); Zweiter Teil, A. IV. 1. b) cc). 3  Hierzu insbesondere: Zweiter Teil, A. IV. 1. a) dd) sowie Zweiter Teil, A. IV. 1. b) dd). 4  Zu denkbaren Ausnahmen siehe Zweiter Teil, A. IV. 1. a) cc) sowie Zweiter Teil, A. IV. 2. 5  So im Rahmen der EMRK: Zweiter Teil, IV. 1. b). 6  Hierzu Zweiter Teil  C.  II. 4. b); zur Einordnung der ILC zugedachten Rechts­ positionen im Rahmen des NP siehe Zweiter Teil, C. III. 2. c). 7  Für die Gewährleistungen von AMRK / AD und ACHPR siehe Zweiter Teil, C. II. 4. d). Für die Rechtspositionen von ILC im Rahmen des NP siehe Zweiter Teil, C. III. 1. b) sowie Zweiter Teil, C. III. 4.

682

3. Teil: Ansatzübergreifender Vergleich

die berechtigten Völker traditionell genutzten Bestandteilen biologischer Viefalt führt unmittelbar zur Aktivierung des Eigentumsschutzes – sei es als Abwehr- oder Schutzrecht. Dass dadurch nicht lediglich ein Ressourcennutzungsrecht, sondern auch ein Schutz der biologischen Vielfalt in den umfassten Gebieten gewährleistet wird, beruht aber auf der Annahme, dass indigene Völker überwiegend einer Lebensweise folgen, die mit den Kreisläufen der Natur und den Grundsätzen der Nachhaltigkeit eng verbunden ist.8 Auf dieser Annahme über die Lebensweise indigener und lokaler Gemeinschaften beruht auch die potentielle Eignung der im Nagoya-Protokoll zugunsten von ILC vorgesehenen eigentumsähnlichen Position bzgl. genetischer Ressourcen, die diesen Gemeinschaften im Rahmen des jeweiligen innerstaatlichen Rechts zugewiesenen sind sowie ihres traditionellen Wissens. Anders als bei den in AMRK, Amerikanischer Menschenrechtserklärung und ACHPR enthaltenen Land- und Ressourcennutzungsrechten geht es hier nicht um die unmittelbare Abwehr von physischen Beeinträchtigungen der Bestandteile biologischer Vielfalt, wie sie etwa durch die Realisierung von Infrastrukturprojekten, Landnutzungsänderungen oder bergbaulichen Vorhaben wie der Ölförderung verursacht werden, sondern um die Gewährleistung der Partizipation von ILC an den aus der Nutzung genetischer Ressourcen und traditionellen Wissens stammenden materiellen und immateriellen Vorteilen. Ein Schutz biologischer Vielfalt soll auf diese Weise mittelbar dadurch erreicht werden, dass der Vorteilsausgleich den indigenen und lokalen Gemeinschaften die Fortsetzung ihrer nachhaltigen Lebensweise ermöglicht und zur Erhaltung und Fortentwicklung des für die nachhaltige Nutzung biologischer Viefalt wichtigen traditionellen Wissens beiträgt.9 b) Informations(zugangs)rechte und -pflichten Ausdruck der mehrfach festgestellten Prozeduralisierungstendenz10 im subjektiv-völkerrechtlichen Schutz biologischer Vielfalt sind zunächst die im Rahmen aller untersuchten Ansätze vorgefundenen Informationsansprüche. Von zentraler Bedeutung ist der allgemeine Umweltinformationsanspruch gem. Art. 4 AK im Rahmen des prozeduralen Schutzkonzepts der AarhusKonvention und dem diesem zugrundeliegenden Steuerungskonzept einer informierten Öffentlichkeit, der aufgrund der Weite des Begriffs der Um­ 8  Zu dieser dominierenden Annahme im völkerrechtlichen Diskurs und Grundlage der hier untersuchten Instrumente und Gewährleistungen siehe Zweiter Teil, C. I. 1. Hinsichtlich AMRK und ACHPR siehe Zweiter Teil, C. II. 5. 9  Siehe Zweiter Teil, C. III. 1. b) sowie Zweiter Teil C. III. 4. 10  Zweiter Teil, A. IV. 2 c) sowie Zweiter Teil, A. V. und Zweiter Teil B I. 2. sowie Zweiter Teil, C. II. 4. c) bb) und Zweiter Teil, C. III. 2. c).



A. Übergreifender Vergleich der untersuchten Ansätze

683

weltinformation auch den Zugang zu sämtlichen Daten bei Behörden über die Bestandteile biologischer Vielfalt ermöglicht.11 Hiervon zu unterscheiden ist das etwa in der Rechtsprechung des EGMR entwickelte Informationsrecht Einzelner, um diesen die Einschätzung von ihrem Leib, Leben oder Eigentum drohenden unmittelbaren Gefahren zu ermöglichen. Die durch die Schutzgutakzessorietät des menschenrechtlichen Ansatzes bedingte Schutzrichtung dieses Informationsrechts begrenzt dessen Reichweite in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht und kann deshalb kaum als geeignet für einen Schutz biologischer Viefalt bezeichnet werden.12 Von insoweit größerer Bedeutung scheint es dagegen, dass der EGMR seine noch in der älteren umweltrelevanten Rechtsprechung vertretene Ablehnung der Annahme eines selbständigen Rechts auf Informationszugang aus Art. 10 EMRK inzwischen stark relativiert hat und sich der Linie des IACtHR zumindest teilweise annähert, der einen selbstständigen Informationzugang schon seit längerer Zeit Art. 13 AMRK entnimmt.13 Neben diesen selbständigen Informationsrechten konnten zudem unselbständige umweltbezogene Informationspflichten etwa in der Rechtsprechung des EGMR nachgewiesen werden, die dieser der verfahrensrechtlichen Dimension des Schutzes der umweltrelevanten materiellen Garantien der ­ EMRK entnommen hat und deren Verletzung jedenfalls zu einer Beschränkung des üblicherweise in Umweltfragen bestehenden weiten Einschätzungsspielraums der Vertragsstaaten bei der Schaffung eines Ausgleichs konfligierender Güter führt.14 Funktional lassen sich diese verfahrensbezogenen ­Informationspflichten mit denen der Art. 6 Abs. 2, 6 AK vergleichen, auch wenn sie in der Regelungsdichte hinter diesen zurückbleiben.15 Die entscheidende Bedeutung der Frühzeitigkeit der Information für die Durchführung einer hierauf aufbauenden effektiven Öffentlichkeitsbeteiligung hat auch der IACtHR – und inzwischen auch die ACmHPR – in seiner auf indigene Völker und nicht indigene Stammesgesellschaften bezogenen Rechtsprechung aufgenommen und das hier angewandte Konzept des „prior and informed consent“ detailliert ausbuchstabiert.16 Dieses stellt nun auch einen wesentlichen Baustein der Rechtsposition von ILC im Zugangsregime des Nagoya-Protokolls für genetische Ressourcen und traditionelles Wissen dar.

11  Zweiter

Teil, B. IV. 1. d). Teil, A. IV. 2. c) bb). 13  Zweiter Teil, A. IV. 1. c). 14  Zweiter Teil, A. IV. 2. c) bb). 15  Zu den Informationspflichten gem. Art. 6 Abs. 2, 6 AK siehe Zweiter Teil, B. IV. 2. e) (1). 16  Zweiter Teil, C. II. 4. c) bb) (1). 12  Zweiter

684

3. Teil: Ansatzübergreifender Vergleich

c) Partizipationsrechte Für die vorliegend untersuchten Partizipationsrechte ist zwischen solchen der Verfahrensteilhabe einerseits und der Partizipation an materiellen oder immateriellen Vorteilen von Vorhaben oder aus Nutzungen genetischer Ressourcen oder traditionellen Wissens zu unterscheiden. Zudem wurden auch hier sowohl selbständige Rechte als auch unselbständige Beteiligungspflichten vorgefunden. Während Art. 6 AK sowie Art. 7 S. 1–3 i. V. m. Art. 6 Abs. 3, 4 und 8 AK isoliert betrachtet nach hier vertretener Ansicht nicht zwingend eine Umsetzung mittels subjektiver Verfahrensrechte im nationalen Recht verlangen, sind sie gleichwohl nach Art. 9 Abs. 2 bzw. 3 AK mittels subjektiver prozessualer Rechte zu bewehren,17 was Berechtigten eine auf ihre Durchsetzung gerichtete Rechtsmacht verleiht. Im Gegensatz hierzu handelt es sich bei den in der Rechtsprechung des EGMR begründeten Beteiligungspflichten um solche unselbständiger Natur, deren Verletzung nicht zwingend eigenständig angreifbar sein muss und vielmehr ebenfalls, wie schon bei den insoweit vergleichbaren Informationspflichten, bei der Frage zu berücksichtigen ist, ob ein verhältnismäßiger Ausgleich zwischen den geschützten Menschenrechtsgütern und einem diese beeinträchtigenden Infrastruktur- oder sonstigen Vorhaben gefunden wurde.18 Trotz dieser relativen Schwäche der menschenrechtlich begründeten Beteiligungspflicht im Einzelfall darf ihre Wirkung zugunsten der Umwelt nicht unterschätzt werden. Diese erwächst daraus, dass die Pflicht durch innerstaatliches Recht zu implementieren und allgemein anzuwenden ist. Soweit eine Beteiligung hier in Verfahren der Umweltverträglichkeitsprüfung integriert wird, kommt dies regelmäßig auch den Bestandteilen biologischer Vielfalt zugute. Gefordert ist die Untersuchung ihrer Beeinträchtigung und ggf. das Ergreifen von Schutzvorkehrungen freilich aus Sicht der schutzgutakzessorischen menschenrechtlichen Instrumente grundsätzlich nur, soweit deren mögliche Beeinträchtigung auch Rückschlüsse auf unmittelbare Gefahren für Menschenrechtsgüter zulässt.19 Während die Beteiligungsrechte der Aarhus-Konvention und auch die ­ erfahrensrechtliche Dimension des menschenrechtlichen Individualschutzes v nur auf die Begründung formeller Verfahrenspositionen abzielen,20 haben 17  Siehe Zweiter Teil, B. IV. 2. f) einerseits sowie Zweiter Teil, B. IV. 3. b) cc) und Zweiter Teil, B. IV. 3. c) cc) andererseits. 18  Zweiter Teil, A. IV. 2. a) sowie Zweiter Teil, A. IV. 2. c) cc). 19  Siehe im Einzelnen Zweiter Teil, A. IV. 2. c) cc). 20  Dies bedeutet, dass die materiell-rechtlichen Schutzanforderungen von den jeweiligen prozeduralen Anforderungen unberührt bleiben, vgl. etwa Zweiter Teil, B. IV. 2. e) dd).



A. Übergreifender Vergleich der untersuchten Ansätze

685

I­ACtHR und ACmHPR den durch sie anerkannten Schutz kommunalen ­Eigentums und wurde auch in der Diskussion um den Gehalt des PIC-Konzepts im Rahmen von Art. 6, 7 NP zusätzlich unter bestimmten Voraussetzungen das Recht entnommen, Eingriffe in eigentumsrechtlich geschützte Güter abzulehnen und dadurch einen Abwehr- bzw. Schutzanspruch geltend zu machen.21 Der ACtHPR hat sich hierzu in seiner Ogiek-Entscheidung leider nicht geäußert. Während das Beteiligungsrecht der Aarhus-Konvention und auch des menschenrechtlichen Individualschutzes mithin keinen Einfluss auf den staatlicherseits zu bestimmenden materiellen Ausgleich der betroffenen Rechtspositionen hat, geben die zuletzt genannten Rechtspositionen den Berechtigten die Rechtsmacht – bzw. zielen auf deren Verleihung ab – selbst über einen materiellen Ausgleich zu entscheiden oder diesen und damit den potenziellen Eingriff abzulehnen. Von der Ausübung des hierin zum Ausdruck kommenden Selbstbestimmungsrechts der berechtigten indigenen und nicht indigenen Gemeinschaften hängt dann auch der letztlich bewirkte Schutz biologischer Viefalt in den betroffenen Gebieten ab.22 Neben verfahrensbezogenen Beteiligungsrechten hat die Untersuchung zudem gezeigt, dass auch das partizipatorische Konzept des Vorteilsausgleichs (benefit-sharing) zunehmend an Bedeutung gewinnt. Während es als Kernbestandteil des ABS-Mechanismus des Nagoya-Protokolls auch in der untersuchten Staat-Gemeinschafts-Beziehung jedoch um eine Beteiligung der berechtigten ILC an den aus Nutzungen erwachsenden Vorteilen geht, das Konzept mithin wertschöpfungsbezogen ist, haben es die sich ebenfalls auf dieses Konzept beziehenden Entscheidungen von IACtHR und ACmHPR bislang ausschließlich im Sinne eines Kompensationsgebots für die durch die Beeinträchtigung der eigenen Rechtsposition erlittenen Einbußen angewandt.23

21  Zweiter Teil, C.  II. 4. c) bb) (1) einerseits sowie Zweiter Teil, C.  III. 2. b) dd) (2) andererseits. 22  Zu beachten ist insoweit die Gegensätzlichkeit der Ansätze. Während im Rahmen des Schutzes der Land- und Ressourcennutzungsrechte indigener und nicht-indigener Stammesgesellschaften gerade die Ablehnung von Eingriffen zu einem höheren Schutz biologischer Vielfalt führen würde, verhindert die Ablehnung des Zugangs zu genetischen Ressourcen bzw. hierauf bezogenem traditionellen Wissen nach dem Ansatz des Nagoya-Protokolls gerade auch die Entstehung immaterieller und materieller Vorteile, die ihrerseits erst zum Schutz biologischer Vielfalt eingesetzt werden sollen. 23  Vgl. hierzu bereits oben sowie E. Morgera, An International Legal Concept of Fair and Equitable Benefit-Sharing, No. 2015 / 20, S. 19 f.

686

3. Teil: Ansatzübergreifender Vergleich

d) Prozessuale Zugangsrechte Zu den umstrittensten Problemen der gesamten Untersuchung zählt die Frage nach dem Bestehen von prozessualen subjektiven Rechten auf Zugang zu Gerichten zur Geltendmachung der Verletzung von Rechtsvorschriften, welche Bestandteile biologischer Vielfalt schützen. Im Rahmen der menschenrechtlichen Ansätze wird diese Frage auf dreierlei Weise relevant und wurde anhand der EMRK dargestellt.24 Ein allgemeiner Zugang zu Gerichten zur Geltendmachung von Verletzungen bio­ diversitätsschützender Gesetze besteht danach nicht. Dieser wird weder eigenständig durch Art. 13 oder 6 EMRK gewährleistet, noch entnimmt der EGMR eine entsprechende sekundäre subjektiv-rechtlich gewendete Pflicht den ausnahmsweise einschlägigen materiell-rechtlichen Gewährleistungen der Art. 2, 8 EMRK und Art. 1 ZP EMRK. Insoweit will der Europäische Gerichshof für Menschenrechte das Bestehen eines Gerichtszugangs im na­ tionalen Recht ebenfalls lediglich berücksichtigen, wenn es um die Bemessung des Einschätzungsspielraums bei der Schaffung eines angemessenen Ausgleichs zwischen den betroffenen rechtlich geschützten Interessen geht. Auch vor diesem Hintergrund wird noch einmal die Besonderheit des nach Art. 9 Abs. 2, 3 AK zu gewährleistenden Gerichtszugangs deutlich. Nach hier vertretener Ansicht handelt es sich bei diesen um subjektive prozessuale Gerichtszugangsrechte, die insoweit reine Durchsetzungsrechte darstellen, als sie die gerichtliche Geltendmachung der Verletzung auch solcher materiellund formell-rechtlicher Normen ermöglichen, die ihrerseits rein objektivrechtlicher Natur sind.25 Das Nagoya-Protokoll verpflichtet die Vertragsstaaten schließlich, wie gesehen, gem. Art. 18 Abs. 3 lit. a) NP dazu, effektive Maßnahmen soweit angemessen zu ergreifen, einen Zugang zu Gerichten auch für indigene und lokale Gemeinschaften für die Durchsetzung der Ansprüche aus den vertraglich einvernehmlich festgelegten Bedingungen sowohl in den Nutzer- als auch den Bereitstellerstaaten zu gewährleisten.

24  Siehe hierzu Zweiter Teil, A. IV. 1. d) sowie Zweiter Teil, A. IV. 2. c) cc) (3) und Zweiter Teil, A. IV. 2. a). 25  Siehe hierzu sowie zum streitigen personalen Anwendungsbereich der zu gewährleistenden Zugangsrechte im nationalen Recht: Zweiter Teil, B. IV. 3. b) cc) sowie Zweiter Teil, B. IV. 3. c) cc).



A. Übergreifender Vergleich der untersuchten Ansätze

687

2. Stärke der gewährleisteten Position Mit der Stärke einer Rechtsposition sollen hier diejenigen Voraussetzungen in Bezug genommen werden, die für ihre effektive Durchsetzung bestimmend sind und einen hohen Grad an Realisierungswahrscheinlichkeit implizieren. In der überwiegenden Völkerrechtswissenschaft wird von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit effektiver Rechtsdurchsetzung einer völkerrechtlich gewährleisteten Rechtsposition von Individuen ausgegangen – und in der Folge deren subjektiv-rechtlicher Charakter anerkannt – wenn die subjektive Rechtsposition durch ein völkerrechtlich geregeltes Verfahren vor einem zu verbindlichen Entscheidungen berufenen unabhängigen internationalen Gericht bewehrt ist.26 Die normative Maßgeblichkeit dieses Krite­ riums für die Anerkennung der subjektiv-rechtlichen Eigenschaft eines ­völkerrechtsunmittelbar gewährleisteten Rechts wurde abgelehnt, die Bedeutung des Vorhandenseins internationaler Durchsetzungsverfahren aber durchaus anerkannt.27 Die vorliegend auch mit Blick auf die jeweils vorhandenen Rechtsschutzmöglichkeiten und Implementierungsmechanismen durchgeführte Untersuchung verschiedener Instrumente unterstreichen zwar die Wichtigkeit dieses Faktors, zeigen jedoch auch, dass die Realität des Völkerrechts im Bereich der subjektiv-rechtlichen Ansätze zum Schutz biologischer Vielfalt weitaus komplexer ist und deshalb nach einem erweiterten Verständnis effektiver Rechtsdurchsetzung verlangt. Dieses soll hier durch vergleichende Betrachtung herausgearbeitet werden. In unterschiedlichem Umfang wurden sowohl der EMRK und ihrem 1. ZP als auch der AMRK und der Amerikanischen Menschenrechtsdeklaration sowie auch der ACHPR Rechte mit Bedeutung für den Schutz der Bestandteile biologischer Vielfalt entnommen. Ihre Durchsetzung soll primär vor nationalen Gerichten stattfinden, welche die gewährleisteten Garantien unmittelbar oder mittelbar anzuwenden haben. Als subsidiäre Rechtsschutzinstitutionen besitzen jedoch EMRK und AMRK – inzwischen auch die ACHPR – zu verbindlichen Entscheidungen berufene Gerichtshöfe, AMRK und ACHPR zusätzlich noch die zur Abgabe förmlich nicht bindender Empfehlungen kompetenten Menschenrechtskommissionen. Trotz der Ähnlichkeit der institutionellen Gegebenheiten indiziert die vorliegende Untersuchung jedoch erhebliche Unterschiede bei der effektiven Durchsetzung der gewährten Rechte. So offenbart sich gerade im Lichte der verbreiteten Ablehnung der Entwicklung einer Doktrin vom Einschätzungsspielraum der Staaten im inter-amerikanischen Menschenrechtssystem28 deren Bedeutung unter der 26  Erster

Teil, C. II. 2. b). Teil, C. II. 2. c). 28  Zweiter Teil, C. II. 2. a). 27  Erster

688

3. Teil: Ansatzübergreifender Vergleich

EMRK29 nicht nur für die Subsidiarität des Rechtsschutzes durch den EGMR als Rechtsprinzip, sondern verweist auch auf das grundsätzliche Funktionieren der dezentralen Durchsetzung der Konventionsrechte auf der Ebene der Vertragsstaaten. Umgekehrt spiegelt gerade die Formulierung der Doktrin der „conventionality control“, die auf eine stärkere Einbindung nationaler Gerichte und Behörden in die Durchsetzung der AMRK gerichtet ist, die erheblichen Schwierigkeiten des IACtHR, bei den Staaten überhaupt Gehör und Rechtsgefolgschaft zu finden. Auch wenn sich bei der Umsetzung der Endorois-Entscheidung der ACmHPR inzwischen erste Erfolge zeigen, darf dies dennoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Empfehlungen der Kommission häufig ohne jede Resonanz verhallen und den festgestellten Rechtsverletzungen häufig nicht abgeholfen wird. Dass sich dies unter dem Afrikanischen Gerichtshof für Menschenrechte und die Rechte der Völker ändern wird, muss bezweifelt werden. Mit der Ogiek-Entscheidung liegt nun ein erster „Prüfstein“ vor. Anders als im Falle der menschenrechtlichen Instrumente fehlt es für die durch das Nagoya-Protokoll zugunsten indigener und lokaler Gemeinschaften vorgesehene Rechtsposition schon an einem internationalen Rechtsschutzverfahren. Da das Protokoll zudem lediglich mittelbar-völkerrechtliche Berechtigungen vorsieht, bedarf die Rechtsposition zunächst der inhaltlichen Umsetzung ins jeweilige nationale Recht. Auch bei dem deshalb notwendigen Implementierungsprozess steht den zu berechtigenden Gemeinschaften keinerlei rechtliche Einwirkungsmöglichkeit zu, da der vorgesehene Compliance-Mechanismus ausschließlich durch die Vertragsstaaten selbst sowie durch die COP / MOP initiiert werden kann.30 Dies schwächt die Aussicht auf die Verwirklichung der Rechtsposition von ILC und schließlich auch deren Durchsetzung zusätzlich vor allen Dingen deshalb, weil die Verpflichtungen der Staaten unter einem erheblichen Mangel an Bestimmtheit leiden. Dies wird vorhersehbar zu erheblichen Schwierigkeiten führen, die Staaten an ihren im Nagoya-Protokoll eingegangen Verpflichtungen bzgl. der Schaffung von Rechtspositionen von ILC – die nach wie vor in vielen Ländern auf erhebliche politische Widerstände treffen – festzuhalten.31 29  Zweiter

Teil. A. IV. 2. a). Teil, C. III. 3. 31  Trotz der hiermit benannten Schwächen hinsichtlich der Möglichkeiten der zu berechtigenden Gemeinschaften auf die Umsetzung der für sie relevanten Vorschriften einzuwirken, kann hier keine abschließende Beurteilung der Umsetzungswahrscheinlichkeit vorgenommen werden. Das Nagoya-Protokoll enthält zahlreiche Vorschriften zur Unterstützung des Implementationsprozesses, der überdies durch die Vertragsstaatenkonferenz und die Arbeit im Rahmen des Vertragssystems der CBD gefördert werden soll. Siehe insbesondere die umfassenden Regelungen der Art. 22, 23 sowie 25 NP. 30  Zweiter



A. Übergreifender Vergleich der untersuchten Ansätze

689

Die Bewertung der Stärke der durch die Aarhus-Konvention gewährleisteten subjektiven prozeduralen Rechte auf einen Zugang zu Umweltinforma­ tionen, Öffentlichkeitsbeteiligung und auf Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten muss zwischen Vertragsstaaten außerhalb und innerhalb der Europäischen Union differenzieren. Während erstere auf internationaler Ebene lediglich dem Compliance-Mechanismus der Konvention unterliegen,32 bestehen in Staaten, die zugleich Mitglieder der Europäischen Union sind, neben der Möglichkeit der dezentralen Rechtsdurchsetzung und des Rechtsschutzes durch innerstaatliche Gerichte zusätzlich zum Mechanismus der Aarhus-Konvention verschiedene Wege zur supranationalen Rechtsschutzgewährleistung und Überwachung des Implementierungsstandes auch durch den Gerichtshof der Europäischen Union zu gelangen.33 Dabei hat die vorliegende Untersuchung allerdings gezeigt, dass eine Durchsetzungsverstärkung bzgl. der Rechtspositionen der Konvention mithilfe des EuGH nur für den Bereich des mitgliedstaatlichen Vollzugs festzustellen ist, während der Gerichtshof in seinen bisherigen Entscheidungen zum gemeinschaftseigenen Vollzug der Bewahrung der Selbständigkeit des Unionsrechts regelmäßig unter Berufung auf Besonderheiten des Unionsrechts den Vorzug vor der effektiven Durchsetzung der Garantien der Konvention gegeben hat und so die rechtliche Wirkung der Aarhus-Konvention erheblich begrenzte.34 Teilt man die in der Sache vorgebrachten Argumente des EuGH zur Maßgeblichkeit der Besonderheiten der Unionsrechtsordnung nicht, kann man diese Zweiteilung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs durchaus als Beleg dafür nehmen, wie sehr die Durchsetzung von Völkerrecht von der institutionellen Unabhängigkeit eines Rechtsprechungsorgans von der verpflichteten Rechtsordnung abhängig ist. Eine erhebliche Bedeutung für die – wenn auch nicht einzelfall-, mithin rechtsschutzbezogene – Durchsetzung der Rechtspositionen Einzelner und von Umweltvereinigungen hat auch der Compliance-Mechanismus der AK entwickelt, dessen Ergebnissen und Empfehlungen durch ihre Annahme durch die Vertragsstaatenkonferenz der Konvention nach hier vertretender Ansicht nicht lediglich politische, sondern über Art. 31 Abs. 3 lit. b) WVK vermittelte rechtliche Bedeutung zukommt.35 Gerade die Möglichkeit der Initiierung von Compliance-Verfahren durch Einzelne und Umweltvereinigungen hat zu einer Fülle an Berichten des ACCC geführt, dessen unablässige Auslegungs- und Konkretisierungsarbeit in teilweisem Zusammenspiel mit den Entscheidungen des EuGH Interpretationsspielräume beseitigt hat. 32  Zweiter

Teil, Teil, 34  Zweiter Teil, 35  Zweiter Teil, 33  Zweiter

B. III. B. III. B. III. B. III.

2. 2. 2. 2.

a) sowie c). b). b). aa) (2) und (3). a). bb).

690

3. Teil: Ansatzübergreifender Vergleich

Die unzureichende Beachtung dieser Mechanismen dürfte in der rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Konvention zu einer erheblichen Unterschätzung ihres Einwirkungspotenzials auf die nationalen Rechtsordnungen geführt haben. In den Mitgliedstaaten der EU hat die vielfach wortlautidentische Umsetzung der Aarhus-Konvention für den mitgliedstaatlichen Vollzug von Unions­ umweltrecht schließlich die Grundlage für eine effektive dezentrale Durchsetzung der Konventionsrechte als Unionsrecht gelegt. Über die wenn auch begrenzte Pflicht zur Einleitung von Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 Abs. 2, 3 AEUV werden die mitgliedstaatlichen Gerichte zusätzlich zur unions- und konventionskonformen Anwendung des nationalen Umsetzungsrechts oder dessen Vorlage angehalten. Die nationalen Gerichte agieren hier nicht nur als funktionale Gemeinschafts-, sondern auch Konventionsgerichte. Durch die Selbstermächtigung des EuGH zur Kontrolle der Einhaltung auch von Art. 9 Abs. 3 AK, trotz des Fehlens dessen ausdrücklicher europarechtlicher Umsetzung, werden die mitgliedstaatlichen Gerichte selbst für dessen mittelbare Anwendung unmittelbar eingebunden.36

II. Die Mobilisierung von Einzelnen und Gruppen Durch die Schaffung subjektiver Rechte wird Einzelnen und Gruppen die Rechtsmacht verliehen, die Befriedigung des konkret geschützten Interesses von einem Verpflichteten zu verlangen. Soweit die zu einem Recht gebündelten Rechtspositionen auch ein prozessuales Zugangsrecht umfassen, verleihen sie zudem die Macht, soweit erforderlich, das geschützte materiell-rechtliche subjektive Recht oder auch rein objektives Recht gerichtlich durchzusetzen. Wie die vorliegende Untersuchung gezeigt hat, sieht das Völkerrecht sowohl Berechtigungen vor, die ein materiell-personales Interesse schützen und gleichzeitig dem Schutz biologischer Vielfalt dienen können bzw. sollen,37 als auch solche, die Einzelnen oder Gruppen die Bewahrung biologischer Vielfalt unabhängig davon rechtlich zuweisen, ob deren Beeinträchtigung zugleich auch ein materiell-personales Interesse der Berechtigten berührt.38 Aus einer Steuerungsperspektive betrachtet zeigt es sich, dass in beiden Fällen Einzelne und Gruppen zum rechtlichen Schutz biologischer Vielfalt mo36  Zweiter

Teil, B. III. 2. c). die schutzgutakzessorischen Gewährleistungen der EMRK, aber auch die gruppenbezogenen Rechte der AMRK und der ACHPR und auch – soweit man den Aspekt des Schutzes der Selbstbestimmung Ernst nimmt – die vorgesehenen Rechtspositionen durch das NP. 38  So (auch) die durch die Aarhus-Konvention gewährleisteten und zu gewährleistenden Rechte. 37  So



A. Übergreifender Vergleich der untersuchten Ansätze

691

bilisiert werden, ohne diese aber hierzu zu verpflichten.39 Die theoretische Moblisierungsleistung der Ansätze ist damit abhängig davon, dass die Berechtigten sich aufgrund außerrechtlicher Umstände wie einer existenziellen Abhängigkeit von bestimmten Bestandteilen der Biodiversität, einer moralischen Motivation, ökonomischen Anreizen oder auch sonstigen altruistischen wie egoistischen Motiven dazu entscheiden, sich der ihnen verliehenen Rechte zugunsten des Schutzes biologischer Vielfalt zu bedienen. Der Gewährleistungsgehalt der betrachteten menschenrechtlichen Instrumente ist schutzgutakzessorisch ausgestaltet. Es wurde gezeigt, dass die relevanten individuenbezogenen Garantien der EMRK allein materiell-personale Schutzgüter zum Gegenstand haben und insoweit nur sehr begrenzt einen Schutzgehalt zugunsten biologischer Vielfalt gewährleisten, was auch ihre rechtlich begründete Mobilisierungsleistung begrenzt.40 Von einer solchen kann insbesondere dann nicht gesprochen werden, soweit ein lediglich mittelbar-faktischer Schutz vermittelt wird. Da dieser bloßer Rechtsreflex ist, kann er nicht rechtlich geltend gemacht werden. Soweit Nichtregierungsorganisationen wie Umweltvereinigungen nicht selbst in ihrer Eigentumsposition betroffen sind, verhindert die prozessuale Voraussetzung der Verletzteneigenschaft weitestgehend auch die prozessstandschaftliche Geltendmachung der Verletzung Dritter in ihren Konventionsrechten, sodass die Mobilisierung nahezu vollständig auf die Berechtigten der Garantien selbst beschränkt ist, die lediglich ihrerseits in einer Rechtsverfolgung unterstützt werden können. Die Gewährleistungen von Landrechten indigener Völker und nicht-indigener Stammesgesellschaften durch AMRK und ACHPR dient dagegen dem Schutz nicht materiell-personaler, sondern materiell-gruppenbezogener Interessen41 39  Eine Ausnahme bilden insoweit die Pflichten der Art. 27 ff. ACHPR. EMRK und AMRK adressieren die menschenrechtliche Pflichtendimension dagegen nicht. Die Aarhus-Konvention enthält lediglich einen programmatischen Appell an die Pflichten jedes Menschen zum Schutz der Umwelt, ohne diese auch rechtlich verbindlich auszugestalten. Art. 9 NP beschränkt eine Verpflichtung auf das Staat-Staat Verhältnis des Nagoya-Protokolls, begründet aber keine Verpflichtungen indigener und lokaler Gemeinschaften. 40  Gleichwohl werden Menschenrechtsforen von Nichtregierungsorganisationen vielfach unabhängig davon für politische Arbeit zweckfremd genutzt, selbst wenn der Mangel an rechtlicher Fundierung von Forderungen zunächst offen zu Tage zu treten scheint. Angesichts der Entwicklungsoffenheit der Menschenrechtsregime und ihrer Offenheit für die Aufnahme gesellschaftlichen Wertewandels, der sich auch in solcher Arbeit ausdrücken kann, ist diese Arbeit jedoch vielfach ein Antrieb rechtlicher Weiterentwicklung. 41  D. h. aus staatlicher Sicht die Interessen einer menschenrechtlich konstituierten Teilöffentlichkeit. Aus dem Schutz von Gemeinschaftsinteresen folgt auch, dass die Mobilisierung solcher Gemeinschaften auch davon abhängig ist, ob das rechtlich anerkannte Gemeinschaftsinteresse auch tatsächlich mit den Individualinteressen der Angehörigen dieser Gemeinschaften übereinstimmt.

692

3. Teil: Ansatzübergreifender Vergleich

und kann auf der Grundlage der Annahme einer weitreichenden Interessen­ parallelität an der Bewahrung der Lebensweise der erfassten Gemeinschaften einerseits und der Bewahrung biologischer Viefalt andererseits wegen der existenziellen Betroffenheit der Gemeinschaften zu einem hohen Mobilisierungsgrad führen. Dabei ermöglichen die Rechtspositionen nicht nur eine Mobilisierung der indigenen und nicht-indigenen Gemeinschaften selbst, sondern auch von Vereinigungen, welche diese Rechtspositionen vor ­IACtHR und IACmHR sowie ACtHPR und ACmHPR prozessstandschaftlich geltend machen können.42 In anderer Form sollen auch die im Nagoya-Protokoll vorgesehenen Rechtspositionen primär die Selbstbestimmtheit indigener und lokaler Gemeinschaften und damit gruppenbezogene Interessen schützen und sekundär diesen den Zugang zu Vorteilen aus der Nutzung ihnen zugewiesener genetischer Ressourcen und hierauf bezogenem traditionellem Wissen eröffnen. Anders als im Falle der menschenrechtlichen Rechtspositionen ist hier der Anspruch also nicht auf den Schutz biologischer Vielfalt gerichtet, sondern auf die Bewahrung hierauf bezogener Vorbedingungen. Allein die Mobilisierung zur Ausübung der völkerrechtlich vorgesehenen Rechte genügt mithin noch nicht, damit ein Schutz der Biodiversität bewirkt wird, sondern setzt weiteres aktives Tun der Gemeinschaften voraus. Am stärksten auf die Mobilisierung der Öffentlichkeit ausgerichtet sind die Rechtspositionen der drei Säulen der Aarhus-Konvention. Die weite, obgleich gestufte Fassung der personalen Anwendungsbereiche der verliehenen Rechte, die Privilegierung von Umweltvereinigungen und auch die Adressierung praktischer Hindernisse der Rechtsausübung unterstützen jedenfalls über das Instrument des Informationszugangs jedermann in der Möglichkeit, sich aktiv für den Schutz biologischer Vielfalt einzusetzen. Umweltvereinigungen werden so auch bewusst als Multiplikatoren für eine Verbreitung von Informationen und die öffentliche Meinungsbildung zur Förderung des Bewusstseinswandels hinsichtlich des Wertes der Umwelt allgemein und der biologischen Vielfalt im Besonderen eingesetzt. Während Umweltinformation zunächst nur eine Mobilisierung zu umweltbewusstem eigenen Verhalten bewirken kann, zielen die Partizipations- und Gerichtszugangsrechte auf eine Mobilisierung zur Kontrolle der Verwaltung und der Durchsetzung auch objektiven Rechts zur Aktualisierung der Freiheitsschranken von Umweltnutzern ab.

42  Zweiter

Teil, C. II. 1.



A. Übergreifender Vergleich der untersuchten Ansätze

693

III. Auswirkungen auf die Souveränität der Staaten Biologische Ressourcen unterfallen gem. Art. 3 CBD der Souveränität der Staaten.43 Die Qualifizierung des Schutzes biologischer Vielfalt als gemeinsames Anliegen der Menschheit hat hieran nichts geändert.44 Nicht nur wurde aber bereits in der Präambel der Biodiversitätskonvention die Pflicht der Staaten zur Erhaltung der biologischen Vielfalt innerhalb staatlicher Territorien allgemein gefasst45 und im operativen Teil dieser und zahlreicher weiterer Konventionen mittels objektiv-rechtlicher wechselseitiger Verpflichtungen der Staaten konkretisiert. Vielmehr hat die vorliegende Untersuchung gezeigt, dass die Staaten auf völkervertraglicher Grundlage ihre Souveränität durch die Schaffung verschiedener völkerrechtsunmittelbarer Rechte Einzelner und Gruppen sowie Verpflichtungen zur Umsetzung subjektiver Rechtspositionen zum Schutz biologischer Vielfalt im nationalen Recht beschränkt haben. Dabei stellen die hier untersuchten Rechtspositionen Einzelner und Gruppen und die Verpflichtung zu deren Umsetzung deshalb besonders weitgehende Souveränitätseinschnitte dar, da sie Staaten nicht nur zur Erreichung eines bestimmten Ziels, sondern dabei auch auf die Wahl bestimmter Mittel und den Modus subjektiv-rechtlicher Umsetzung verpflichten. Damit aber wird nicht nur die äußere, sondern auch die innere Souveränität der Staaten teils völkerrechtsunmittelbar, teils mittelbar-völkerrechtlich beschränkt. Mit der Begründung von Rechten indigener Völker und lokaler Gemeinschaften zum Schutz ihrer Selbstbestimmung werden überdies besonders sensible Bereiche staatlicher Souveränität berührt.46 Zwar mögen im Vergleich mit den materiellen Rechten der menschenrechtlichen Ansätze die prozeduralen Garantien der Aarhus-Konvention noch insoweit als souveränitätsschonend betrachtet werden können, als dass sie den Staaten eine Entscheidung über das Maß materiellen Schutzes biologischer Vielfalt überlassen. Dies würde aber nicht nur den ergänzenden Charakter prozeduraler Pflichten bezogen auf die bereits vorhandenen Verpflichtungen zur Garantie eines bestimmten materiellen Schutzniveaus übersehen.47 Vielmehr hat die vorliegende Untersu43  Erster

Teil, C. I.  Teil, C. I. 45  Absatz 4 Präambel CBD. 46  Auch deshalb dürfte der IACtHR in der Vergangenheit die Herstellung des Zusammenhangs zwischen Landnutzungsrechten und dem Selbstbestimmungsrecht indigener Völker vermieden und den Bezug zum Recht auf Leben betont haben, L. Brunner, The Rise of Peoples’ Rights in the Americas, CJIL 7 (2008), 699 (707). 47  Zu isoliert deshalb die Betrachtung bei M. R. Anderson, in: A. E. Boyle /  M. R. Anderson, Environmental Protection, S. 1 (9 f.), im Anschluss hieran auch ­A.-M. Schlecht, Die Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern im deutschen Umweltrecht, 2010, S. 156. 44  Erster

694

3. Teil: Ansatzübergreifender Vergleich

chung auch gezeigt, wie tiefgehend die Einwirkung prozeduraler Rechte auf das innerstaatliche Recht und die Verwaltungs- und Gerichtstätigkeit reicht. Die Dimension der Einwirkung auf die innere Souveränität der Staaten wird überdies anhand der vorstehend betrachteten theoretischen Mobilisierungsleistung gerade der prozeduralen Rechtspositionen der Aarhus-Konvention und normativ bedeutsamen Wandelungsprozessen deutlich, die hier nur noch einmal mittels Verweis auf die Begriffspaare „Arkantradition – Öffentlichkeit der Verwaltung“, „Freiheit des bourgeois – Freiheit des citoyen“ angedeutet werden sollen und die durch die Aarhus-Konvention erheblich verstärkt, wenn nicht teilweise erst initiiert wurden.

B. Möglichkeit und Grenzen einer Fortentwicklung der Ansätze Die Untersuchung hat insbesondere für die menschenrechtlichen Instrumente und auch für die Aarhus-Konvention zeigen können, dass deren Umund Durchsetzung zu einer Dynamik im Verständnis des normativen Gehalts der jeweils vorgesehenen Rechtspositionen geführt hat, die keineswegs bereits in allen Fragen an ihr Ende gelangt scheint. Eine weitere Fortentwicklung ist vielmehr – trotz aller Unterschiede der Instrumente schon in ihren Ansatzpunkten – aufgrund teils konvergierender rechtlicher Strukturen wahrscheinlich. Die unterschiedlichen Fortentwicklungsmöglichkeiten, die im Rahmen der Untersuchung bereits an verschiedener Stelle angesprochen wurden, sollen hier noch einmal übergreifend betrachtet werden (I.). Da diesen Möglichkeiten, wie zu zeigen sein wird, eine interne Begrenzung kaum zu entnehmen ist bzw. in der Völkerrechtspraxis scheinbar keine Beachtung findet, sollen auch die externen legitimatorischen Grenzen einer Fortentwicklung der Ansätze aufgezeigt werden (II.).

I. Möglichkeiten der Fortentwicklung 1. Fortentwicklung durch staatliche Rechtserzeugung In allererster Linie haben die Vertragsstaaten der hier betrachteten völkerrechtlichen Regime konsensbasierte Möglichkeiten zu deren Weiterentwicklung. Neben Vereinbarungen der Vertragsparteien über die Auslegung der jeweiligen Verträge i. S. v. Art. 31 Abs. 3 lit. a) WVK können von unmittelbarer rechtlicher Bedeutung hierfür auch für sich genommen unverbindliche Äußerungen der Staaten sein, wenn die Umstände ihrer Verlautbarung dafür sprechen, dass es sich um eine spätere Übung bei der Anwendung des jeweiligen Vertrages handelt, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien



B. Möglichkeit und Grenzen einer Fortentwicklung der Ansätze

695

über seine Auslegung hervorgeht [Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK)].48 Soweit man implizite Vertragsänderungen auf diesem Wege nicht für möglich hält, müssen über die Grenzen der authentischen Vertragsinterpretation hinausgehende Fortentwicklungen die für einen solchen Fall vorgesehenen Formen des jeweiligen Vertrages einhalten.49 Wie gesehen, scheint für die EMRK etwa die Annahme eines Protokolls mit einem Recht auf ein Leben in einer gesunden Umwelt angesichts der mehrfachen Zurückweisung entsprechender Vorschläge durch die Ministerkonferenz des Europarates50 allerdings als äußerst unwahrscheinlich.51 Auch eine sonstige Erweiterung biodiversitätsrelevanter Garantien steht nicht auf der politischen Agenda. Weder im Rahmen der Organisation Amerikanischer Staaten noch auch des Europarats oder der Afrikanischen Union scheint zudem eine Ausweitung der rechtlichen Garantien indigener Völker und lokaler Gemeinschaften erwartbar. Diesbezüglich dürfte es mittelfristig vielmehr darum gehen, die – allerdings nicht verbindlichen – Aussagen der UNDRIP in den staatlichen Rechtsordnungen umzusetzen. Auf der Implementierungsarbeit wird auch der Fokus der Arbeit der Vertragsstaaten des Nagoya-Protokolls liegen. Abzuwarten bleibt hier gleichwohl, inwieweit die Vertragsparteien der Aufforderung in Art. 10 NP nachkommen und die Notwendigkeit und Modalitäten eines globalen multilateralen Mechanismus über die Aufteilung der sich aus der Nutzung bestimmter genetischer Ressourcen und hierauf bezogenem traditionellem Wissen ergebenden Vorteile prüfen und ggf. die Verhandlung etwa eines entsprechenden Protokolls zur CBD beginnen. Eine vertragliche Änderung der Aarhus-Konvention ist ebenfalls nicht zu erwarten. Nicht ausgeschlossen erscheint aber, dass diese als Vorbild für entsprechende oder ähnliche Konventionen auch in anderen Weltregionen dient und ihr prozeduraler Ansatz so weitergehende Verbreitung findet.52 48  Nach hier vertretener Ansicht ist dies auch der in der Aarhus-Konvention bei der Annahme von Empfehlungen und Ergebnissen des ACCC relevante rechtliche Mechanismus. 49  Siehe Art. 14 AK, Art. 76 f. AMRK, Art. 66 ACHPR, Art. 26 Abs. 4 lit. e) NP. Im Falle der EMRK ist zwar keine Vorschrift vorhanden, die Konventionsänderungen vorsieht. Insoweit kann aber auf Art. 39 WVK zurückgegriffen werden. Protokolle der EMRK, die deren Text ändern, bedürfen deshalb der Zustimmung aller Konven­ tionsstaaten. 50  Zweiter Teil, A. I. 3., Fn. 34. 51  Die Schaffung eines solchen Rechts in anderem Rahmen scheint – obgleich hier kritisch betrachtet – gleichwohl nicht ausgeschlossen. Zu einer neuesten Initiative siehe den durch den französischen Präsidenten Macron unterstützten „Global Pact for the Environment“ und hierzu www.pactenvironment.org. 52  Siehe R. Pavoni, Environmental Jurisprudence of the European and Inter-American Courts of Human Rights, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 (106), der auf Verhandlungen über eine ähnliche Konvention

696

3. Teil: Ansatzübergreifender Vergleich

2. Fortentwicklung durch Gerichte und Überwachungsausschüsse Neben möglichen aber eher unwahrscheinlichen Weiterentwicklungen der hier untersuchten Ansätze durch die Staaten als die Herren der jeweiligen Verträge ist eine Weiterentwicklung durch die jeweils eingesetzten Gerichtshöfe und Überwachungsausschüsse weitaus näherliegend. So sind im Rahmen der menschenrechtlichen Ansätze weitere Entwicklungsschübe allein durch die Anwendung der in allen drei betrachteten Menschenrechtssystemen präsenten Methodik einer evolutiven und extensiven Auslegung der einschlägigen Regelungen zu erwarten,53 soweit den Gerichten und Kommissionen entsprechende Fälle vorgelegt werden. Unabhängig davon, ob sich die Menschenrechtsorgane zur Rechtfertigung ihres Vorgehens allein auf die allgemeine Auslegungsvorschrift des Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVK oder aber spezielle Auslegungsvorschriften wie Art. 29 lit. b) und d) AMRK oder Art. 60, 61 ACHPR stützen können, beziehen diese die Vorschriften neuer völkerrechtlicher Verträge und allgemeine Rechtsgrundsätze auch dann ein, wenn diese erst lange nach dem Zustandekommen der Menschenrechtsinstrumente in Geltung erwachsen sind und entfernen sich so von dem historischen Willen der jeweiligen Konventionsgeber.54 Dabei ist es in der Praxis aller drei Menschenrechtssysteme nicht entscheidend, dass jeweils alle Vertragsstaaten des Menschenrechtsvertrags ihrerseits entsprechende Verträge ratifiziert haben. Während Art. 60 ACHPR eine Einbeziehung ohnehin unabhängig hiervon ausdrücklich zulässt, ist es für den IACtHR durch sein eigentümliches Verständnis von Art. 29 lit. b) AMRK ausreichend, dass der jeweils durch ein Verfahren betroffene Staat ein bestimmtes Instrument ratifiziert hat oder dieses zumindest durch die Organe eines anderen Vertragsregimes in Bezug genommen wird, dessen Mitglied der Staat ist.55 Der EGMR hat die Bindung des betroffenen Staates an das auslegungsrelevante Instrument gar weitgehend für bedeutungslos erklärt, solange er für deren Heranziehung nur eine hinreichende gemeinsame Basis in der Völkerrechtsgemeinschaft ausmachen

für die Karbik und Lateinamerika verweist. Diese finden im Rahmen der ECE „UNSchwester-Organisation“ ECLAC statt. Siehe auch bereits U. Beyerlin, Umweltschutz und Menschenrechte, ZaöRV 65 (2005), 525 (539) sowie zuletzt zur Rezeption der AK durch nationale Gerichte K.-P. Sommermann, Transformative Effects of the Aarhus Convention in Europe, ZaöRV 2017, 321 (322). 53  Vgl. N. de Sadeleer, Enforcing EUCHR Principles and Fundamental Rights in Environmental Cases, Nordic Journal of International Law 81 (2012), 39 (61) hinsichtlich der Rechtsprechung des EGMR. 54  Zur Methodik der dynamischen und evolutiven Auslegung in der Rechtsprechung bzw. Berichtstätigkeit von EGMR und IACtHR einerseits und IACmHR und ACmHPR andererseits siehe Zweiter Teil, A. III. sowie Zweiter Teil, C. II. 2. 55  Zweiter Teil, C. II. 2. a).



B. Möglichkeit und Grenzen einer Fortentwicklung der Ansätze

697

kann.56 All dies führt dazu, dass der begrenzenden Anforderung der „Anwendbarkeit“ einzubeziehender Völkerrechtssätze „in den Beziehungen zwischen den Parteien“ nach Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVK keine limitierende Bedeutung zukommt57 und die gerichtliche Weiterentwicklung der Vertragsregime so weitergehend möglich ist, als dies für die authentische Interpretation der Vertragsgrundlagen i. S. v. Art. 31 Abs. 3 lit. b) AK, die eine spätere Übung aller Vertragsparteien erfordert,58 der Fall ist. Soweit die Menschenrechtsorgane vor die Bewältigung vergleichbarer Sachfragen gestellt sind wie etwa der IACtHR, die IACmHR, der ACtHPR sowie die ACmHPR führt schon das vergleichbare methodische Vorgehen zu einer Angleichung der Rechtsprechungen der Gerichte unabhängig von den textlichen Unterschieden der jeweiligen Vertragswerke. Ob dies dazu führen wird, dass auch der EGMR in Zukunft Formen kommunalen Eigentums einen Schutz unter Art. 1 ZP EMRK zukommen lässt oder IACtHR und ­ ­ACtHPR sowie ACmHPR sich an der umwelt- und biodiversitätsrelevanten Rechtsprechung des EGMR bzgl. des Schutzes Einzelner orientieren werden, bleibt abzuwarten. Soweit dies bereits heute beobachtet werden kann, ist dies maßgeblich darauf zurückzuführen, dass sich die Menschenrechtsorgane, insbesondere ACmHPR und IACtHR – nun auch der ACtHPR – in ihrer Entscheidungsfindung maßgeblich auch von den Entwicklungen in anderen Menschenrechtssystemen leiten lassen und diesen kommunikativen Austausch zwischen den Gerichten auch dokumentieren.59 Sowohl in der Ein56  Zweiter Teil, A. III. mit Blick auf die Darlegungen des Gerichtshofes in der Rechtssache Demir u. Baykara / Türkei. 57  O. Dörr, in: ders. / K. Schmalenbach, Vienna Convention on the Law of the Treaties, 2012, Art. 31 Rn. 100. 58  O. Dörr, in: ders. / K. Schmalenbach, Vienna Convention on the Law of the Treaties, 2012, Art. 31 Rn. 86, 100. 59  I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172, Rn. 130, 140; IACmHR, Report No. 40 / 04, Case No. 12.053, Belize, 12.10.2004 (Maya indigenous community of the Toledo District v. Belize), Rn. 87 u. 149; I / A Court H.R., Case of the Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua. Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 31, 2001. Series C No. 79, Rn. 146, 148; ACmHPR, no. 155 / 96: Social and Economic Rights Action Center (SERAC) and Center for Economic and Social Rights (CESR) / Nigeria, 2002, Rn. 49; hierzu auch Van der Linde / Louw, Considering the interpretation and implementation of article 24 of the African Charter on Human Rights in light of the SERAC communication, AHRLJ 3 (2003), 167 (179). I / A Court H.R., Case of Kawas Fernández v. Honduras. Merits, Reparations and Costs. Judgment of April 3, 2009. Series C No. 196, Rn. 148, hierzu Pavoni, Environmental Jurisprudence of the European and Inter-American Courts of Human Rights, in: B. Boer, Environmental Law Dimensions of Human Rights, 2015, 69 (74). ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois

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3. Teil: Ansatzübergreifender Vergleich

beziehung der Vorgaben weiterer menschenrechtlicher Foren als auch in der durch den kommunikativen Austausch dokumentierten wechselseitigen Orientierung der Gerichte und Kommissionen kommt eine Rolle als Organe einer wertbasierten internationalen Gemeinschaft zum Ausdruck, deren Anliegen nicht allein in der fallbezogenen Streitentscheidung, sondern auch in der Universalisierung der Menschenrechte besteht.60 Insoweit ist es im Rahmen der vorliegenden Untersuchung weiterhin bemerkenswert, dass die Menschenrechtsorgane auch die Entwicklungen in nicht originär menschenrechtlichen Foren in die Fortentwicklung ihrer Rechtsprechung miteinbeziehen. So wurde die Begründung prozeduraler umweltrelevanter Pflichten, d. h. Informations-, Beteiligungspflichten sowie die Pflicht zur Eröffnung von Rechtsschutzmöglichkeiten sowohl im Rahmen der EMRK als auch der AMRK unter ausdrücklichem Verweis von EGMR und IACtHR auf die Aarhus-Konvention entwickelt.61 Da die Prozeduralisierung in beiden Vertragssystemen nach hier vertretener Ansicht auch als Versuch der Gerichte zu interpretieren ist, einen Ausgleich zwischen der Souveränität der Vertragsstaaten einerseits und der effektiven Gewährleistung eines Schutzes gegen Umweltveränderungen und – soweit hier in den Blick genommen – deren Auswirkungen auf die biologische Vielfalt vorzunehmen, bleibt es abzuwarten, ob eine Orientierung der Menschenrechtsgerichtshöfe an den Umsetzungsentwicklungen der Aarhus-Konvention auch in Zukunft stattfindet. Auch im Rahmen der EMRK wäre dies – obwohl im Kreis der Vertragsstaaten zwischen EMRK und AK eine weitgehende Deckungsgleichheit besteht – von großer Bedeutung, da so etwa die Konkretisierungsleistung für Vorschriften der Aarhus-Konvention seitens des EuGH auch auf Staaten außerhalb der Europäischen Union ausgedehnt werden könnte. Für die Vertragsstaaten der AMRK und auch der ACHPR gilt dies ohnehin. Überdies würde die Beachtung der Berichtstätigkeit des ACCC durch Menschenrechtsorgane zu seiner weiteren Aufwertung führen. Zu beachten ist aber, dass Welfare Council) / Kenya, 2009, Rn. 158 ff., 190 ff., 237; ACtHPR, no. 006 / 2012: African Commission on Human and Peoples’ Rights / Republic of Kenya, Urteil vom 26.  Mai 2017, Rn. 147, 153. Siehe auch den Untersuchungsbericht des Europarates: „References to the Inter-American Court of Human Rights in the Case-law of the European Court of Human Rights“, 2016, abrufbar unter www.echr.coe.int, zuletzt abgerufen am 21.07.2017; R. Higgins, A Babel of Judicial Voices?, 55 ICLQ 2006, 791 ff. sowie knapp F. Cittadino, Public Interest to Environmental Protection and Indigenous Peoples’ Rights; in: E. J. Lohse / M. Poto, Participatory Rights in the Environmental Decision-Making Process and the Implementation of the Aarhus Convention, 2015, 75 (87). 60  Zum Verständnis internationaler Gerichte als „Organe der wertbasierten internationalen Gemeinschaft“ A.  von Bogdandy / I. Venzke, In wessen Namen?, 2014, S.  66 ff. 61  Zweiter Teil, A. IV. 2. c) bb) sowie Zweiter Teil, A. IV. 1. c).



B. Möglichkeit und Grenzen einer Fortentwicklung der Ansätze

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zwar die grundsätzliche Anerkennung prozeduraler Pflichten durch die Menschenrechtsgerichtshöfe und der Verzicht auf eine Fortentwicklung materiellrechtlicher Pflichten durchaus souveränitätsschonende Bedeutung hat. Würden die Menschenrechtsorgane aber die unter der Aarhus-Konvention begründeten Rechtspositionen Einzelner und Umweltvereinigungen weiter­ gehend als bislang auch als Verpflichtungen im Rahmen des jeweiligen men­schenrechtlichen Vertragssystems anerkennen62 und womöglich gar subjektiv-rechtlich wenden, so wäre dies ein weiterer erheblicher Eingriff in die souveränen Rechte der Vertragsstaaten, der gleichwohl angesichts des methodischen Vorgehens der Organe und ihrer Suche nach einer hinreichenden gemeinvölkerrechtlichen Basis für eine Fortentwicklung ihrer Rechtsprechung nicht ausgeschlossen erscheint. Überdies besteht auch zwischen den Rechtsregimen des Nagoya-Protokolls und der danach vorgesehenen Rechtsposition indigener und lokaler Gemeinschaften einerseits und der Rechtsprechung von IACtHR, ACmHPR und ACtHPR zu den Landrechten dieser Gemeinschaften andererseits ein erhebliches Konvergenzpotential.63 Ob dieses allerdings gehoben wird, hängt zumindest hinsichtlich der Regelungen des Nagoya-Protokolls weitgehend an den zu seiner Umsetzung verpflichteten Staaten und davon ab, inwieweit sich diese eine Auslegung der vertraglichen Vorgaben im Lichte der Rechtsprechung der Menschenrechtsorgane zu Eigen machen.64 Umgekehrt konnte gezeigt werden, dass die Verpflichtung zum gerechten Vorteilsausgleich, wie sie sich maßgeblich im Rahmen zunächst der CBD und nun des Nagoya-Protokolls entwickelt hat, inzwischen auch – wenn auch in veränderter Form – in der Rechtsprechung des IACtHR Beachtung gefunden hat.65

II. Legitimatorische Grenzen der Fortentwicklung Mag eine Fortentwicklung der hier untersuchten Ansätze im vorgenannten Sinne unter dem Gesichtspunkt eines effektiven Biodiversitätsschutzes 62  Für unwahrscheinlich hält dies C. Schall, Public Interest Litigation Concern­ing Environmental Matters before Human Rights Courts: A Promising Future Concept?, Journal of Environmental Law, 20:3 (2008), 417 (443). 63  Zur Notwendigkeit der Ergänzung der Rechtsposition indigener und lokaler Gemeinschaften nach dem Nagoya-Protokoll durch menschenrechtlich garantierte Landrechte B. Tobin, Setting Protection of TK to Rights – Placing Human Rights and Customary Law at the Heart of TK Governance, in: E. C. Kamau / G. Winter, Genetic Resources, Traditional Knowledge, and the Law, 2009, 101 (104). 64  Vgl. Zweiter Teil, C. III. 2. b) ff). 65  Siehe hierzu bereits oben unter Zweiter Teil, C.  II. 4. c) bb) (2) sowie noch einmal E. Morgera, An International Legal Concept of Fair and Equitable Benefitsharing, No 2015 / 20, S. 19 f.

700

3. Teil: Ansatzübergreifender Vergleich

durchaus wünschenswert sein und die Vertragsstaaten aus dieser Perspektive vielfach als „Verhinderer“ einer wünschenswerten Entwicklung erscheinen, so wurde doch bereits verschiedentlich auf die mit einer allzu weitgehenden Fortentwicklung verbundenen legtitimatorischen Probleme hingewiesen,66 soweit diese nicht durch Vertragsänderungen unter Zustimmung der Staaten, sondern durch eine Fortentwicklung der Vertragsregime durch die Rechtsprechung oder Berichtstätigkeit der jeweils eingesetzten Organe erfolgt.67 Damit soll nicht der Eindruck erweckt werden, dass die Menschenrechtsorgane im Bereich ihrer vorliegend allein betrachteten biodiversitätsrelevanten Rechtsprechung einer solchen Weiterentwicklung das Wort reden. Insbesondere der EGMR hat selbst mehrfach festgestellt, dass andere Instrumente des internationalen und nationalen Rechts weitaus besser geeignet sind, der Aufgabe eines Schutzes der Umwelt gerecht zu werden.68 Die begrenzte Eignung des menschenrechtlichen Ansatzes für Zwecke des Umwelt- und Biodiversitätsschutzes wird prinzipiell auch in der wissenschaftlichen Literatur anerkannt, wenn betont wird, dass ein universelles Verständnis davon, welcher Zustand der Umwelt für die Verwirklichung der Menschenrechte notwendig ist, soziokulturell bedingt kaum möglich ist.69 Gleichwohl sollen die auch durch eine Weiterentwicklung der Rechtsregime unterhalb dieser Grenze aufgeworfenen Fragen nach der Legitimation internationaler Gerichte und Überwachungsausschüsse, wenn auch nicht systematisch beantwortet,70 so doch zumindest in ihrer Dimension angedeutet werden.

66  Siehe zu den geäußerten Bedenken oben: Zweiter Teil, A. V, Zweiter Teil, B. III. 1. a) bb), Zweiter Teil, C. II. 2. a) sowie Zweiter Teil, C. II. 5. 67  Vgl. auch zum Spannungsverhältnis zwischen völkerrechtlichem Konsens­ prinzip und richterrechtlicher Rechtsfortbildung anhand der LaGrand-Entscheidung des IGH M. N. Eckardt, Die Entwicklung des Individualrechtsschutzes im internationalen Investitionsschutzrecht, 2014, S. 183. 68  So ausdrücklich EGMR, Urteil vom 22.05.2003  – 41666 / 98 (Kyrtatos / Griechenland), Rn. 52 sowie EGMR, Urteil vom 03.07.2012  – 61654 / 08 (Martínez und Pino Manzano / Spanien), Rn. 42. So auch K. Wolfe, Greening the International Human Rights Sphere?, Appeal 2003, 45 (45 und 58). Deren Schlussfolgerung, dass der Menschheit mit einem ökozentrischen Konzept besser gedient sei, wird hier jedoch nicht geteilt. 69  M. R. Anderson, Human Rights Approaches to Environmental Protection: An Overview, in: A. E. Boyle / M. R. Anderson, Human Rights Approaches to Environmental Protection, 1 (9). 70  Für einen solchen Versuch siehe A.  von Bogdandy / I. Venzke, In wessen Namen?, 2014. Ohne dies hier im Einzelnen auseinandersetzen zu können, orientiere ich mich im Folgenden eng an deren Konzeption eines demokratieorientierten Grundverständnisses der Tätigkeit internationaler Gerichte und versuche deren Anwendung auf die hier gefundenen Ergebnisse sowie seine Übertragung – soweit möglich – auch auf die Ergebnisse zur Berichtspraxis des ACCC sowie der ACmHPR.



B. Möglichkeit und Grenzen einer Fortentwicklung der Ansätze701

Die hier untersuchten völkerrechtsunmittelbar oder mittelbar völkerrechtlich vorgesehenen Rechtspositionen Einzelner beschränken nicht lediglich die Souveränität von Staaten, sie zielen vielmehr auf die Verleihung einer Rechtsmacht an Einzelne und Gruppen ab, deren Ausübung auch zu Beeinträchtigungen Dritter in ihrer persönlichen Freiheit führt, wenn, wie in den meisten hier betrachteten Konstellationen dreigliedriger Rechtsverhältnisse, der durch die Rechte Einzelner verpflichtete Staat zur Erfüllung seiner Verpflichtungen die Freiheit Dritter beschränkt. Sowohl die Beschränkungen staatlicher Souveränität als auch die Freiheitsbeschränkungen mittels völkerrechtlicher Regelungen bedürfen ihrerseits der Legitimation,71 aus der Sicht des Demokratieprinzips der demokratischen Legitimation.72 Dabei geht es im Folgenden nicht um die Legitimation der im Einzelnen vorgesehenen Rechtspositionen,73 sondern um die Legitimation des Rechtserzeugungsprozesses auf völkerrechtlicher Ebene als solchen. Da alle hier betrachteten Instrumente völkervertragsrechtlicher Natur sind, beruht ihre Entstehung auf dem völkerrechtlichen Konsensprinzip. Die demokratische Rückbindung ihrer Geltung erfolgt hier in vielen demokratisch verfassten Staaten, so auch in Deutschland, über die innerstaatlichen Zustimmungsakte des demokratisch gewählten Gesetzgebers.74 Auch wenn die Zustimmung erst zu einem bereits fertig ausgehandelten Vertrag ohne vorangehende Einwirkungsmöglichkeiten der Parlamentarier auf die Verhandlungen geschieht75 und die Legitimation u. a. dadurch abgeschwächt wird,76 reicht ihr Niveau doch hin, um die Selbstbeschränkungen der Souveränität und die Einwirkungen auf die Freiheit Dritter zu legitimieren. Soweit völkerrechtliche Vereinbarungen innerstaatlich umgesetzt werden, bevor diese zu Freiheitsbeeinträchtigungen führen, liegt ohnehin ein nationales Gesetz als 71  Nicht eingegangen werden kann hier auf die dadurch ebenfalls aufgeworfenen und von C. Walter, Grundlagen und Rahmenbedingungen für die Steuerungskraft des Völkerrechts, ZaöRV 2016, 363 (388), formulierten Fragen nach einer rechtsstaat­ lichen und grundrechtlichen Einhegung völkerrechtlicher Steuerung. 72  S. Besson, Sovereignty, MPEPIL, 2011, Rn. 52. Die folgenden Ausführungen gelten insoweit nur für demokratisch verfasste Staaten, in denen die Legitimation staatlicher Gewalt vom Volk ausgeht. 73  Zur Legitimation der durch die Aarhus-Konvention vermittelten Rechte siehe bereits oben: Zweiter Teil, B. V.  74  Vgl. P. Kunig, in: W. Graf Vitzthum / A. Proelß, Völkerrecht, 7. Aufl. 2016, Zweiter Abschnitt Rn. 104 ff. 75  Zur grundsätzlich alleinigen Kompetenz der Bundesregierung nach dem Grundgesetz zur Aushandelung völkerrechtlicher Verträge, P. Kunig, in: W. Graf Vitzthum / A. Proelß, Völkerrecht, 7. Aufl. 2016, Zweiter Abschnitt Rn. 81. Zu Mitwirkungsmöglichkeiten des Bundestages bei Rechtssetzungsakten der Europäischen Union vgl. dagegen Art. 23 Abs. 2, 3 GG. 76  A. von Bogdandy / I. Venzke, In wessen Namen?, 2014, S. 165 f.

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3. Teil: Ansatzübergreifender Vergleich

Ermächtigungsgrundlage vor, dessen Rückbindung an den Willen des Volkes deutlich enger ist. Anders ist es aber in Fällen der unmittelbaren Anwendbarkeit von Völkerrecht, da diese gerade implementationsunabhängig erfolgt. Wie gesehen, führt die Annahme der unmittelbaren Anwendbarkeit einer völkerrechtlichen Norm zwar zu einem höheren Grad an Unabhängigkeit der gewährleisteten subjektiven Rechtsposition gegenüber einem Staat, da dieser ihre Geltung im nationalen Rechtskreis gerade nicht durch ein Unterlassen eines inhaltlichen Umsetzungsaktes verhindern kann. Durch das Ausschalten der Einwirkungsmöglichkeit des demokratischen Gesetzgebers wird in diesen Fällen aber zugleich auch der Legitimationszusammenhang abgeschwächt. Auch die Legitimation der im Rahmen dieser Untersuchung näher betrachteten internationalen Gerichte und Überwachungsausschüsse muss sich ganz wesentlich aus ihrer völkervertraglichen Grundlage speisen. Ihre Existenz und ihr Rechtsprechungs- bzw. Überwachungsauftrag erhält so funktionellinstitutionelle Legitimation, in sachlich-inhaltlicher Hinsicht wird diese durch die Verpflichtung auf die Regelungen des jeweiligen Vertragswerks begründet.77 Durch die Wahl der Mitglieder der Spruchkörper und Ausschüsse durch politisch verantwortliche Personen oder Gremien erlangen diese zudem auch eine personell-organisatorische Legitimation.78 Ist die vermittelte demokratische Legitimation damit ausreichend, um die Tätigkeit von EGMR, IACtHR, ACtHPR, ACmHPR und ACCC auch von einem demokratietheoretischen Standpunkt aus betrachtet als „akzeptanzwürdig“79 erscheinen zu lassen? Für die Berichtspraxis der ACmHPR ist dies jedenfalls der Fall, da ihre Tätigkeit keine rechtlich-verbindlichen Wirkungen, sondern lediglich eine politische Wirkung entfaltet. Auch im Falle des ACCC ist zu berücksichtigen, dass dessen Berichte mit Empfehlungen und Ergebnissen zunächst lediglich politische Wirkungen entfalten können. Eine nach hier vertretener Ansicht anzunehmende rechtliche Bedeutung erlangen diese erst durch ihre Annahme durch die Tagung der Vertragsparteien.80 Die dort abstimmenden Vertreter der Vertragsstaaten sind ihrerseits aber wiederum demokratisch legitimiert, sodass die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung herausgestellte Tendenz des ACCC, methodisch über eine Betonung der teleologi77  A. von

Bogdandy / I. Venzke, In wessen Namen?, 2014, S. 206, 215 f. Bogdandy / I. Venzke, In wessen Namen?, 2014, S. 216. Für den EGMR siehe Art. 22 EMRK, für den IACtHR siehe Art. 53 ACHR, für die ACmHPR sowie den ACtHPR siehe Art. 34 ACHPR, für das ACCC Art. 15 AK i. V. m. MOP Decision I / 7 – Review of Compliance, ECE / MP.PP / 2 / Add. 8 vom 2. April 2004, Ziff. 7. 79  A. v. Bogdandy, Demokratie, Globalisierung, Zukunft des Völkerrechts – eine Bestandsaufnahme, ZaöRV 2003, 853 (865). 80  Hierzu oben: Zweiter Teil, B. III. 2. a) bb). 78  A.  von



B. Möglichkeit und Grenzen einer Fortentwicklung der Ansätze703

schen Auslegungsmethode zu einer Schließung von Umsetzungsspielräumen der Vertragsstaaten zugunsten der Weiterentwicklung des Vertragsregimes81 zu gelangen, jedenfalls bislang von einem Konsens der Staaten getragen wurde.82 Abzuwarten bleibt, wie man mit der nun im Compliance-Verfahren gegenüber der EU erstmals eingetretenen Situation der Nichtannahme von Empfehlungen des ACCC im Weiteren umgehen wird. Problematisch ist hier gleichwohl zweierlei: In Frage könnte das Vorliegen eines Staatenkonsenses nämlich zum einen dadurch gestellt sein, dass die rechtliche Bedeutung der Annahme der Ergebnisse und Empfehlungen des ACCC durch die Vertragsstaatenkonferenz bislang nicht allgemein anerkannt ist und den Staatenvertretern insoweit das hierauf bezogene notwendige Bewusstsein bei ihrer Zustimmung fehlen könnte.83 Zum anderen erscheint es jedenfalls für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union zweifelhaft, ob eine Verweigerung ihrer Zustimmung an der fortschreitenden Konkretisierung und damit einhergehenden normativen Verdichtung der Vorgaben der Konvention zu Lasten der staatlichen Souveränität etwas ändern würde. Da der EuGH nämlich bislang die Berichtspraxis des ACCC nicht ausdrücklich als rechtlich relevant anerkennt, würde den Gerichtshof ggf. auch die Verweigerung einer Zustimmung der Vertragsstaatenkonferenz zu Ergebnissen des ACCC nicht 81  Vgl. in Parallele hierzu zum Verständnis internationaler Gerichte als Institu­ tionen globaler Rechtsregime A.  von Bogdandy / I. Venzke, In wessen Namen?, 2014, S.  107 ff. 82  Überdies ist die ausführliche Begründung der Ergebnisse sowie die Ausgestaltung der Compliance-Verfahren als nichtstreitige Konsultationsverfahren, deren Durchführung hohen Transparenzanforderungen genügt und die Partizipation von Mitgliedern der Öffentlichkeit erlaubt, darauf angelegt, eine – allerdings lediglich ergänzende – Legitimation zu erlangen. Vgl. A.  von Bogdandy / I. Venzke, In wessen Namen?, 2014, S. 210 ff. Zu den einzelnen Verfahrensgrundsätzen des ComplianceVerfahrens siehe MOP Decision I / 7 – Review of Compliance, ECE / MP.PP / 2 / Add. 8 vom 2. April 2004. 83  Fraglich ist weiterhin, ob die sachlich-inhaltliche Legitimation, die durch das innerstaatliche Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG vermittelt wurde, auch die Weiterentwicklung der völkervertraglichen Regelungen umfasst. Dass dies bei der Aarhus-Konvention angesichts der dieser gegenüber gehegten Vorbehalte in der deutschen Politik der Fall gewesen sein soll, dürfte weitgehend einer Fiktion gleichkommen, ihre Annahme pragmatischer Natur sein, vgl. zu dieser Problematik allgemein P. Kunig, in: W. Graf Vitzthum / A. Proelß, Völkerrecht, 7. Aufl. 2016, Zweiter Abschnitt Rn. 82. Diese Annahme kann zudem allenfalls bis zur Grenze der Vertragsänderung reichen, wobei eine Abgrenzung zwischen der Weiterentwicklung als authentischer Auslegung und einer Vertragsänderung schwierig ist, zumal im Rahmen von Art. 31 Abs. 3 lit. b) WVK auch eine implizite Vertragsänderung für zulässig gehalten wird, O. Dörr, in: ders. / K. Schmalenbach, Vienna Convention on the Law of the Treaties, 2012, Art. 31 Rn. 76. Für die Aarhus-Konvention ergibt sich die Notwendigkeit einer Abgrenzung jedoch daraus, dass die Vertragsänderung gem. Art. 14 AK einem besonderen Verfahren unterliegt.

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3. Teil: Ansatzübergreifender Vergleich

davon abhalten, eine entsprechende Auslegung der sekundärrechtlich umgesetzten Vorschriften oder auch des Art. 9 Abs. 3 AK vorzunehmen.84 Als erheblich schwerwiegender stellt sich die Legitimationsproblematik im Falle der biodiversitätsrelevanten Rechtsprechung von EGMR, IACtHR und ACtHPR dar. Die Rechtsprechungstätigkeit der internationalen Gerichte kann kaum allein als einzelfallbezogene Streitbeilegung verstanden werden.85 Sie zielen vielmehr über den Einzelfall hinaus auf eine normative Fortentwicklung der jeweiligen vertragsrechtlichen Grundlagen ab, die inhaltlich durch eine Rechtserzeugung durch Rechtsanwendung86 geschieht und über eine weitergehende Selbstzuschreibung der Wirkungen der eigenen Entscheidungen gegen Widerstände der Staaten abgesichert werden soll. Diese Tendenz spiegelt sich zum einen in der Bekenntnis der Menschenrechtsgerichtshöfe zu einer Methodik der evolutiven Auslegung und der Beachtung von Entwicklungen unabhängig von ihrer rechtlichen Verbindlichkeit für einzelne Vertragsstaaten wider. Der IACtHR hat darüber hinaus in einzigartiger Weise unter dem Begriff der Doktrin der Control of Conventionality Wirkungen für seine Entscheidungen in Anspruch genommen, die ihn institutionell in Richtung eines mittel- und lateinamerikanischen Verfassungsgerichts weiterentwickeln. Obgleich auch der EGMR Versuche der Stärkung seiner Entscheidungswirkungen vorgenommen hat, bleiben diese doch deutlich hinter der Dynamik im inter-amerikanischen Menschenrechtssystem zurück. Die hiermit noch einmal angedeuteten Entwicklungen lassen sich nicht auf den Konsens der Staaten zurückführen, und sind deshalb nicht demokratisch rückgebunden, selbst wenn man richtigerweise in der Ratifizierung der Verträge auch eine Ermächtigung zur richterlichen Rechtsfortbildung sieht. Die Gerichte sind für die legitimatorische Problematik keineswegs blind und versuchen eine Rechtfertigung unter Verweis auf die Notwendigkeit eines effektiven Schutzes der Menschenrechte unter den jeweiligen vorherrschenden Bedingungen und damit die „out-put Legitimation“87 ihrer Entscheidungen. Zudem versucht etwa der EGMR eine Balance zwischen den staatlichen Souveränitätsinteressen und dem effektiven Menschenrechtsschutz über die 84  Zu Recht kritisch gegenüber dem Aktivismus des EuGH, der auch in der vorliegenden Untersuchung insbesondere anhand der ersten Braunbär-Entscheidung offenbar wurde D. Murswiek, Paradoxa der Demokratie, JZ 2017, 53 (59). 85  Zum Selbstverständnis des EGMR als Hüter des Konventionswandels, der deren Umfang und Geschwindigkeit bestimmt C. Walter, Grundlagen und Rahmenbedingungen für die Steuerungskraft des Völkerrechts, ZaöRV 2016, 363 (375). Zum Verständnis des EGMR als einem Organ der wertbasierten internationalen Gemeinschaft A. von Bogdandy / I. Venzke, In wessen Namen?, 2014, S. 85 ff. 86  C. Walter, Grundlagen und Rahmenbedingungen für die Steuerungskraft des Völkerrechts, ZaöRV 2016, 363 (375). 87  Vgl. A. v. Bogdandy, Demokratie, Globalisierung, Zukunft des Völkerrechts – eine Bestandsaufnahme, ZaöRV 2003, 853 (866).



C. Ergänzungsbedürftigkeit der subjektiv-rechtlichen Ansätze705

Doktrin der „margin of appreciation“ zu erreichen. Auch die Tendenz des Europäischen wie des Inter-Amerikanischen Gerichtshofs im Bereich ihrer biodiversitätsrelevanten Rechtsprechung eine Fortentwicklung vor allen Dingen prozeduraler Pflichten vorzunehmen, kann als Bemühen um einen Ausgleich verstanden werden. Dieser Linie hat sich auch der Afrikanische Gerichtshof zuletzt angeschlossen. Den Mangel an demokratischer Legitimation vermag dies freilich nicht bzw. nur sehr begrenzt zu lindern. Umso wichtiger ist es deshalb, jedenfalls äußere Grenzen der vertraglichen Grundlagen, das Normprogramm, zu beachten, und etwa über die Schutzgutakzessorietät des Menschenrechtsschutzes nicht hinaus zu gehen. Eine darüber hinausgehende Weiterentwicklung der subjektiv-rechtlichen Ansätze zum Schutz der Biodiversität und ihrer Bestandteile ist beim jetzigen Entwicklungsstand der Völkerrechtsordnung und insbesondere der hier betrachteten Bereiche als einem internationalen Recht der Kooperation nur bei einem Handeln der Staaten selbst hinreichend demokratisch legitimiert. Dies bestreitet nicht das eigenständige demokratische Potenzial, das gerade in der Öffnung der Staaten gegenüber völkerrechtlichen Einflüssen liegt, sondern betont dieses vielmehr, obgleich der (demokratisch verfasste) Nationalstaat bis auf Weiteres als der notwendige Angelpunkt des internationalen Systems betrachtet wird, um eine hinreichende demokratische Rückbindung zu gewährleisten.88

C. Ergänzungsbedürftigkeit der subjektiv-rechtlichen Ansätze Mit Blick auf den effektiven Schutz biologischer Vielfalt und ihrer Bestandteile resultiert die Ergänzungsbedürftigkeit der vorliegend untersuchten subjektiv-rechtlichen Ansätze im Völkerrecht aus der Unvollständigkeit des jeweils und in Summe vermittelten Schutzes. Ergänzungsbedürftigkeit meint die Notwendigkeit der Vervollständigung des jeweils gewährleisteten Schutzes mittels anderer subjektiv-rechtlicher, vor allen Dingen aber objektivrechtlicher Instrumente. Dass der materiell-rechtliche Schutz biologischer Vielfalt auch eine verfahrensrechtliche Dimension hat, ist nach der langen Diskussion in der deutschen Rechtswissenschaft über die verfahrensrechtliche Dimension des Grundrechtsschutzes keine Neuheit. Die Feststellung verdeutlicht aber die Ergänzungsbedürftigkeit des vornehmlich materiellen Schutzes der menschenrechtlichen Ansätze, den diese auch über die beobachtete Prozeduralisierung und Aufnahme der Anstöße der Aarhus-Konvention erreichen. Auch 88  Vgl. A. v. Bogdandy, Demokratie, Globalisierung, Zukunft des Völkerrechts – eine Bestandsaufnahme, ZaöRV 2003, 853 (871 f.).

706

3. Teil: Ansatzübergreifender Vergleich

die Ergänzungsbedürftigkeit der durch das Nagoya-Protokoll vorgesehenen Rechtsposition indigener und lokaler Gemeinschaften durch menschenrechtlich gewährleistete Landrechte wurde bereits genannt. Trotz der Möglichkeit der gegenseitigen Ergänzung der verschiedenen subjektiv-rechtlichen Ansätze – die Überschneidung ihres räumlichen und personellen Anwendungsbereichs vorausgesetzt – bleibt der vermittelte Schutz gleichwohl lückenhaft, wenn nicht gar punktuell. Auch wenn der durch AMRK und ACHPR vermittelte Schutz der Biodiversität bei vorausgesetzter nachhaltiger Landnutzung durch die berechtigten indigenen Völker und nicht-indigenen Stammesgesellschaften gerade auch Gebiete sog. Biodiversitäts-Hotspots umfasst und flächenmäßig über den punktuell vermittelten Schutz der EMRK und der individualbezogenen Bestimmungen auch des inter-amerikanischen und afrikanischen Menschenrechtssystems hinausgehen dürfte, umfasst er global betrachtet doch nur eine geringe Fläche. Hinzu kommt in beiden Fällen, dass es sich um prima facie gewährleistete Rechte handelt, die einer weitgehenden Beschränkung bei entsprechend schwergewichtigen öffentlichen (Entwicklungs-)Interessen zugänglich sind. Auch der prozedurale Ansatz bleibt selbst im Falle seiner weiteren Verbreitung lückenhaft hinsichtlich der Adressierung der Ursachen für den Verlust biologischer Vielfalt.89 Die weitreichendste Wirkung würde dieser Ansatz entfalten, führte er zu einem allgemeinen Bewusstseinswandel hinsichtlich der Wichtigkeit biologischer Vielfalt, da dies die tieferliegenden sozio-kulturellen Ursachen des Verlusts biologischer Vielfalt in den industrialisierten Gesellschaften zumindest positiv beeinflussen könnte. Die hier betrachteten Vorschriften des Nagoya-Protokolls adressieren mithilfe des herausgearbeiteten sozio-ökonomischen Ansatzes schließlich die sozio-kulturellen Ursachen des Verlusts biologischer Vielfalt bei indigenen und lokalen Gemeinschaften. Abgesehen von der Punktualität des durch die betrachteten Ansätze vermittelten Schutzes ist dessen Effktivität zudem in höchstem Maße schon von ihrer jeweiligen spezifischen Mobilisierungsleistung abhängig. Nur wenn von den Rechtspositionen durch die jeweils Berechtigten im Sinne des Schutzes biologischer Vielfalt auch tatsächlich Gebrauch gemacht wird, können die Instrumente ihre intendierte Wirkung entfalten. Da dies von vielfältigen subjektiven Voraussetzungen, nicht zuletzt von der moralischen Entwicklung der einzelnen Berechtigten, abhängig ist, dürfte die intendierte Nutzung der gewährleisteten Positionen, jedenfalls soweit kein eigenes materiell-personales Interesse auf dem Spiel steht, eher die Ausnahme als die Regel sein. Für einen gewissen Ausgleich sorgen hier aber die Ermächtung von Umweltvereinigungen oder anderen Nichtregierungsorganisationen. 89  Zudem wurde die Fragwürdigkeit der dem Ansatz zugrunde liegenden Steuerungsannahmen thematisiert.



C. Ergänzungsbedürftigkeit der subjektiv-rechtlichen Ansätze707

Alles dies führt dazu, dass sujektiv-rechtliche Ansätze zwar eine wertvolle Ergänzung staatlich gesteuerter systematischer90 Bemühungen um einen objektiv-rechtlichen Schutz biologischer Vielfalt sein können, die Effektivität des Schutzes jedoch insgesamt ganz maßgeblich von den darüber hinausgehenden Anstrengungen der Staaten abhängig ist.91 Auch diese können durch jeden Einzelnen in demokratisch verfassten Staaten auf vielfältige Weise beeinflusst werden.

90  Diese hält auch für notwendig F. Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2010, S. 154 f., der zu Recht die Einzelfallbezogenheit subjektivrechtlicher Ansätze für unzureichend hält, um das Mengenproblem der Übernutzung der natürlichen Ressourcen der Erde und mithin auch der Ökosystemdienstleistungen biologischer Vielfalt insgesamt anzugehen. 91  Zur Notwendigkeit der Kombination verschiedener Ansätze auch Ecosystems and Human Well-Being, Biodiversity Synthesis, A Report of the Millennium Ecosystem Assessment, 2005, S. 16.

Vierter Teil

Fazit und weiterer Forschungsbedarf Auch wenn die naturwissenschaftliche Resilienztheorie1 nur unter Modifikationen auf soziale Sachverhalte angewandt werden kann, um für diese einen Erklärungswert zu besitzen, so legt die Theorie mit ihren systemtheoretischen Grundannahmen doch nahe, dass nicht nur ökologische Systeme erst unter Aufwendung erheblicher Energien in einen neuen stabilen Zustand mit neuen bestimmenden Treibern versetzt werden können, sondern dass dies auch für sozio-ökologische Systeme von Menschen und ihrer Umwelt und die Veränderung maßgeblicher gesellschaftlicher Werte gilt. Anschaulich wurde das Maß notwendiger Veränderungen menschlicher, vor allen Dingen industrialisierter Gesellschaften zur Erhaltung der noch vorhandenen biologischen Vielfalt damit umschrieben, dass es einer quasi-religiösen Umorientierung der Menschheit in ihrer Einstellung gegenüber anderen Spezies, dem Bevölkerungswachstum, dem Sinn des menschlichen Lebens und dem Wert biologischer Vielfalt bedürfte.2 Trotz aller Anstrengungen gerade auch im rechtlichen Bereich kann von einer solchen Veränderung bislang keine Rede sein. Ob man angesichts dessen resignieren und deshalb dem Rat des norwegischen Forschers Jørgen Randers folgen und in den nächsten Jahren die verbliebenen Orte mit außergewöhnlicher biologischer Vielfalt zum eigenen Gefallen besuchen sollte, bevor sie für immer von der Erde verschwinden werden,3 ist eine andere Frage. Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass und in welchem Umfang das Völkerrecht heute Rechtspositionen Einzelner und Gruppen vorsieht, welche die Mobilisierung von Kräften der Zivilgesellschaft anstreben, um das staatliche Bemühen um den Schutz biologischer Vielfalt zu unterstützen und destruktiven staatlichen und privaten Verhaltensweisen entgegenzuwirken.4 Dabei wurden zahlreiche noch offene Fragen der Implementierung be1  Siehe

hierzu oben: Erster Teil, A. I. Der Verlust der Vielfalt, in: E. O. Wilson, Ende der biologischen Vielfalt?, 1992, 39 (44). 3  J. Randers, 2052 – A global forecast for the next forty years, 2012, S. 333. 4  Vgl. zur Notwendigkeit der Einbeziehung breiterer gesellschaftlicher Kräfte in die Bewältigung globaler Umweltprobleme J. Ebbesson, Planetary Boundaries and the Matching of International Treaty Regimes, Scandinavian Studies in Law 59 (2014), 259 (283). 2  P. R. Ehrlich,



4. Teil: Fazit und weiterer Forschungsbedarf

709

nannt, die der weiteren Erforschung bedürfen. Ganz am Beginn des Implementierungsprozesses stehen etwa die Vorschriften des Nagoya-Protokolls allgemein sowie auch die vorgesehenen Rechtspositionen indigener und lokaler Gemeinschaften im Besonderen. Die im Rahmen dieser Arbeit nur angedeuteten Regimekonkurrenzen etwa mit Verträgen über den Schutz intellektuellen Eigentums bedürfen nach wie vor der näheren Erkundung. Zudem sind die Entwicklungspotenziale durch ihre Anbindung an die Entwicklungen in menschenrechtlichen Foren weitergehend zu ergründen. Neben offenen Fragen auch aller weiteren betrachteten Ansätze sollte in Zukunft auch die Pflichtendimension umwelt- und biodiversitätsbezogener subjektiver Rechtspositionen stärker in den Blick genommen werden. Es bedarf insoweit Mechanismen, die verhindern, dass die Ausübung der gewährleisteten Rechte letztlich nicht zum Schaden biologischer Vielfalt geschieht, indem sie zur Durchsetzung rein egoistischer Interessen missbraucht werden. Die vorliegende Untersuchung bietet zudem auch einen zusätzlichen Beleg für die These der Herausbildung einer eigenständigen Rechtsschicht subjektiver Berechtigungen „jenseits der Menschenrechte“, die mit Peters als „einfache“ subjektiv-internationale Rechte benannt werden können.5 Die Begrenztheit der Untersuchung auf den Bereich des Umweltvölkerrechts erlaubt keine Aussage darüber, inwieweit diese Herausbildung als Teil eines breiteren völkerrechtlichen Konstitutionalisierungsprozesses zu begreifen ist. Für den hier betrachteten speziellen Bereich des (Umwelt-)Völkerrechts konnte jedoch etwa für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein Integrationsprozess aufgezeigt werden, der auf völkerrechtlicher Ebene durch die EMRK und die Aarhus-Konvention befördert wird und auf die supra-nationale Rechtsschicht genauso wie die nationalen Rechtsordnungen einwirkt, und der weder mit den Kategorien eines bloßen Koordinations- noch auch denen eines Kooperationsrechts hinreichend beschrieben werden kann. Für die betrachteten menschenrechtlichen Garantien konnte zudem eine erhebliche Annäherung der verschiedenen Menschenrechtssysteme nachgewiesen werden, die zu einer Universalisierung von Menschenrechtsstandards führt. Unabhängig davon, ob man einen solchen Prozess für wünschenswert hält, ist 5  Gleichwohl findet auch zu den nach hier vertretenem Verständnis nicht menschenrechtlichen Rechtspositionen eine Diskussion über deren menschenrechtliche Qualität statt. Siehe für die in der Aarhus Konvention gewährleisteten Rechte bereits oben unter Zweiter Teil, B. I. 3. Abgelehnt, aber immerhin erwogen wird auch die menschenrechtliche Qualität der durch das Nagoya-Protokoll vermittelten mittelbarvölkerrechtlichen Rechtspositionen, A. Savaresi, The international Human Rights Law Implications of the Nagoya Protocol, in: M. Buck / E. Morgera / E. Tsioumani, The 2010 Nagoya Protocol on Access and Benefit-Sharing in Perspective, 2013, 53 ff. sowie S. K. Bavikatte / D. F. Robinson, Towards a people’s history of the law: Biocultural Jurisprudence and the Nagoya Protocol on Access and Benefit Sharing, Law, Environment and Development Journal 7 (2011), 35.

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4. Teil: Fazit und weiterer Forschungsbedarf

aber auch deutlich geworden, dass die zumindest sektoral und regional stattfindende zunehmende Integration völkerrechtlicher Normen einer stärkeren demokratischen Legitimation bedarf, die derzeit allein durch die Staaten als nach wie vor bestimmende Akteure der Völkerrechtsordnung vermittelt werden kann.

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Entscheidungsverzeichnis Bundesverfassungsgericht BVerfGE 2, 347 BVerfGE 6, 32 – Elfes BVerfGE 7, 198 – Lüth BVerfGE 34, 269 – Soraya BVerfGE 53, 30 – Mühlheim-Kärlich BVerfGE 61, 82 – Sasbach = Beschluss vom 08.07.1982 – 2 BvR 1187 / 80 BVerfGE 73, 1 BVerfGE 80, 188 – Wüppesahl BVerfGE 83, 60 – Ausländerwahlrecht II BVerfG (K), BayVBl 2009, 690 = 1 BvR 198 / 08 BVerfGE 111, 307 – Görgülü BVerfGE 128, 1 – Gentechnikgesetz = Urteil vom 24.11.2010 – 1 BvF 2 / 05 BVerfGE 128, 326 – Sicherungsverwahrung BVerfGE 141, 1 – Treaty Override = Beschluss vom 15.12.2015 – 2 BvL 1 / 12 BVerfG (K), NVwZ 2018, 406 = Beschluss vom 18.09.2017 – 1 BvR 361 / 12 Bundesverwaltungsgericht BVerwGE 118, 15 Urteil vom 19.03.2003 – 9 A 33 / 02 = NVwZ 2003, 1120 BVerwGE 130, 83 BVerwGE 130, 223 Urteil vom 29.10.2008 – 6 C 38 / 07 = NVwZ 2009, 653 Urteil vom 11.11.2009 – 4 B 57 / 09 = ZUR 2010, 382 BVerwGE 139, 150 = Urteil vom 03.03.2011 – 9 A 8.10 BVerwGE 140, 149 BVerwGE 141, 171 = Urteil vom 24.11.2011 – 9 A 23.10 Urteile vom 20.12.2011 – 9 A 30.10 = NVwZ 2012, 573 BVerwGE 144, 243 = Urteil vom 10.10.2012 – 9 A 18 / 11 BVerwG, NVwZ 2012, 176 = 7 C 21 / 09 BVerwG, NVwZ 2012, 573 = 9 A 30 / 10 BVerwGE 146, 56 = Urteil vom 20.02.2013 – 6 A 2 / 12

742 Entscheidungsverzeichnis BVerwGE 147, 312 = Urteil vom 05.09.2013  – 7 C 21 / 12 (Luftreinhalteplan Darmstadt) Urteil vom 02.10.2013 – 9 A 23.12 = NVwZ 2014, 367 BVerwGE 148, 155 = Urteil vom 24.10.2013 – 7 C 36 / 11 BVerwGE 148, 353 = Urteil vom 17.12.2013 – 4 A 1.13 BVerwGE 149, 17 = Urteil vom 19.12.2013 – 4 C 14 / 12 Beschluss vom 06.03.2014 – 9 C 6 / 12 = NuR 2014, 638 BVerwGE 150, 294 = Urteil des 4. Senats des BVerwG, vom 12.11.2014 – 4 C 34 / 13 (Wannsee-Route) Urteil vom 18.12.2014 – 4 C 35 / 13 (Müggelsee-Route) = NVwZ 2015, 656 BVerwG, Beschluss vom 3.1.2015 – 7 VR 6.14. = ZUR 2015, 348 Beschluss vom 5.1.2015 – 7 B 4.14. 7 B 4.14, (7 C 1 / 15) (unveröffentlicht) Beschluss vom 7.1.2015 – 4 C 13.14. = DVBl 2015, 434 BVerwG, Urteil vom 22.10.2015 – 7 C 15.13 = NVwZ 2016, 308 BVerwG, Urteil vom 29.06.2016 – 7 C 32 / 15 = NVwZ 2016, 1566 BVerwG, Beschluss vom 21.07.2016 – 9 B 65 / 15 = NVwZ 2016, 1257 Bundesgerichtshof BGHZ 169, 348 Verwaltungsobergerichte VGH Mannheim, Urteil vom 20.07.2011 – 10 S 2102 / 09 = NuR 2012, 204 VGH München, Urteil vom 14.02.2014 – 5 ZB 13.1559 = NJW 2014, 1687 OVG Münster, Urteil vom 25.02.2015 – 8 A 959 / 10 = ZUR 2015, 492 OVG Lüneburg, Urteil vom 16.11.2016 – 12 ME 132 / 16 = ZNER 2017, 70 VGH München, Urteil vom 14.03.2017 – 22 B 17.12 = ZUR 2017, 555 OVG Magdeburg, Beschluss vom 23.03.2017 – 2 K 127 / 15 = ZUR 2017, 552 OVG Münster, Urteil vom 11.12.2017 – 8 A 926 / 16 Verwaltungsgerichte VG Braunschweig, Urteil vom 12.12.2012 – 2 A 1033 / 12 = AUR 2014, 270 VG Neustadt, Beschluss vom 09.05.2017 – 3 L 504 / 17.NW = ZUR 2017, 566 VG Arnsberg, Urteil vom 17.10.2017 – 4 K 2130 / 16 Europäischer Gerichtshof Urteil vom 5.2.1963 – 26 / 62 (Van Gend en Loos), Slg. 1963, 1 Urteil vom 15.07.1963 – 25 / 62 (Plaumann / Kommission), Slg. 1963, 213 Urteil vom 15.7.1964 – 6 / 64 (Costa / E.N.E.L.), Slg. 1964, 1251

Entscheidungsverzeichnis

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Urteil vom 21.09.1983  – verb. Rs. 205-215 / 82 (Deutsche Milchkontor), Slg. 1983, S. 2633 Urteil vom 23.5.1985 – 29 / 84 (Kommission / Deutschland), Slg. 1985, 1661 Urteil vom 22.06.1989 – 70 / 87 (Fediol / Kommission), Slg. 1989, 1781–1837 Urteil vom 20.09.1990 – C-192 / 89 (Sevince), Slg. 1990, I-3461 Urteil vom 28.02.1991 – C-131 / 88 (Grundwasserrichtlinie), Slg. 1991, I-825-882 Urteil vom 07.05.1991 – C-69 / 89 (Nakajima / Rat), Slg. 1991, I-2069-2204 Urteil vom 30.05.1991 – C-361 / 88 (Luftqualitätsrichtlinie), Slg. 1991, I-2567-2606 Urteil vom 30.05.1991 – C-59 / 89 (Luftqualitätsichtlinie), Slg. 1991, I-2607-2636 Urteil vom 25.7.1991 – C-208 / 90 (Emmott), Slg. 1991, I-4269-4300 Urteil vom 17.10.1991 – C-58 / 89 (Trinkwasserrichtlinie), NVwZ 1992, 459–461 Urteil vom 19.11.1991 – C-6 / 90, C-9 / 90 (Francovich), Slg. 1991 I-5357-5418 Urteil vom 21.1.1993 – C-188 / 91 (Deutsche Shell), Slg. 1993, I-363-392 Urteil vom 11.8.1995 – C-431 / 92 (Großkrotzenburg), Slg. 1995, I-2189-2227 Gutachten vom 28.03.1996 – 2 / 94, Slg. 1996, I-1759 Urteil vom 12.12.1996  – C-298 / 95 (Süßwasser- und Muschelgewässerrichtlinie), Slg. 1996, I-6747-6764 Urteil vom 02.04.1998 – C-321 / 95 P (Greenpeace Council / Kommission), Slg. 1998, I-1651-1717 Urteil vom 17.06.1998  – C 321 / 96 (Mecklenburg / Kreis Pinneberg), Slg. 1998, I-3809-3837 Urteil vom 15.09.1998 – C-231 / 96 (Edis), Slg. 1998, I-4951 Urteil vom 23.11.1999 – C-149 / 96 (Portugal / Rat), Slg. 1999, I-8395-8452 Urteil vom 09.10.2001  – C-377 / 98 (Niederlande / Parlament und Rat), Slg. 2001, I-7079-7173 Urteil vom 25.07.2002  – C-50 / 00 P (Union de Pequeňos Agricultores / Rat), Slg. 2002, I-6677-6737 Urteil vom 08.05.2003 – C-438 / 00, Slg. 2003, I-4135-4174 Urteil vom 07.01.2004 – C-201 / 02 (Wells), Slg. 2004, I-723-771 Urteil vom 01.04.2004  – C-263 / 02 P (Jégo Quéré / Kommission), Slg. 2004, I-34253464 Urteil vom 15.07.2004 – C-213 / 03 (Pêcheurs de l’étang de Berre), Slg. 2004, I-7357 Urteil vom 07.09.2004  – C-127 / 02 (Waddenzee oder Waddenvereniging oder auch Herzmuschelfischerei), Slg. 2004, I-7405-7476 Urteil vom 07.10.2004  – C-293 / 03 (Kommission / Frankreich), Slg. 2004, I-1201312054 Urteil vom 12.04.2005 – C-265 / 03, Slg. 2005, I-2579-2612 Urteil vom 25.1.2007 – C-278 / 05 (Carol Marilyn Robins), Slg. 2007 I-1053-1106 Urteil vom 11.09.2007  – C-431 / 05 (Merck Genéricos Produtos Farmacêuticos), Slg. 2007, I-7001-7040

744 Entscheidungsverzeichnis Urteil vom 03.06.2008 – C-308 / 06 (Intertanko), Slg. 2008, I-4057-4128 Urteil vom 03.07.2008 – C-215 / 06 (Kommission / Irland), Slg. 2008, I-4911-4950 Urteil vom 25.07.2008 – C-237 / 07 (Janecek), Slg. 2008, I-6221-6240 Urteil vom 03.09.2008  – C-402 / 05 P und C-415 / 05 P (Yassin Abdullah Kadi, Al Barakaat Foundation / Rat), Slg. 2008, I-6351-6512 Urteil vom 09.09.2008  – C-120 / 06 P und C-121 / 06 P (FIAMM u. a. / Rat und Kommission), Slg. 2008, I-6513-6618 Urteil vom 30.04.2009 – C-75 / 08 (Mellor), Slg. 2009, I-3799-3840 Beschluss vom 05.05.2009 – C-355 / 08 P, (WWF-UK / Rat), Slg. 2009, I-73 Urteil vom 16.07.2009  – C-427 / 07 (Kommission gegen Irland), Slg. 2009, I-62776353 Urteil vom 15.10.2009  – C-263 / 08 (Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening), Slg. 2009, I-9967-10018 Urteil vom 21.09.2010 – C-514, 528, 532 / 07 P u. a., Slg. 2010, I-8533-8605 Urteil vom 16.12.2010  – C-266 / 09 (Kommission / Niederlande), Slg. 2010, I-1311913178 Urteil vom 08.03.2011 – C-240 / 09 (Slowakischer Braunbär), Slg. 2011, I-1255-1308 Urteil vom 12.05.2011 – C-115 / 09 (Trianel), Slg. 2011, I-3673-3726 Urteil vom 18.10.2011 – C-128 / 09 u. a. (Boxus u. a.), Slg. 2011, I-9711-9771 Urteil vom 14.02.2012 – C-204 / 09 (Flachglas Torgau), NVwZ 2012, 491 Urteil vom 16.02.2012 – C-182 / 10 (Solvay u. a.), NVwZ 2012, 617 Urteil vom 29.03.2012 – C-1 / 11, NVwZ 2012, 615 Urteil vom 15.01.2013 – C-416 / 10 (Križan), NVwZ 2013, 347 Urteil vom 14.03.2013 – C-420 / 11 (Leth), NVwZ 2013, 565 Urteil vom 11.04.2013 – C-260 / 11 (Edwards u. a.), NVwZ 2013, 424 Urteil vom 18.07.2013 – C-515 / 11 (Deutsche Umwelthilfe), NVwZ 2013, 1069 Urteil vom 03.10.2013 – C-583 / 11 P (Inuit Tapiriit Kanatami u. a. / Europäisches Parlament u. Rat), NVwZ 2014, 53 Urteil vom 07.11.2013 – C-72 / 12 (Altrip), NVwZ 2014, 49 Urteil vom 14.11.2013 – C-514 / 11 P, C-605 / 11 P, Abl. EU 2014, C 9, 3–4 Urteil vom 19.12.2013 – C-279 / 12 (Fish-Legal), ZUR 2014, 230 Urteil vom 13.02.2014 – C-530 / 11 (Kommission gegen Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland), ZUR 2014, 344 Plenum, Gutachten vom 18.12.2014 – 2 / 13, JZ 2015, 773 Urteil vom 13.01.2015  – C-401 / 12 P bis C-403 / 12 P (Milieudefensie), ZUR 2015, 160 Urteil vom 13.01.2015 – C-404 / 12 P, C-405 / 12 P (Natuur en Milieu), NuR 2015, 112 Urteil vom 16.04.2015 – C-570 / 13 (Gruber), NuR 2015, 321 Urteil vom 16.07.2015 – C-612 / 13 P, NVwZ 2015, 1273

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Urteil vom 15.10.2015  – C-137 / 14 (Kommission / Deutschland), NJW 2015, 3495– 3500 EuGH, Urteil vom 08.11.2016  – C-243 / 15 (Slowakischer Braunbär II), ZUR 2017, 86 Urteil vom 23.11.2016 – C-673 / 13 (Glyphosat), NVwZ 2017, 388 Urteil vom 23.11.2016 – C-442 / 14 (Bienenstiftung), NVwZ 2017, 380 Urteil vom 13.07.2017  – C-60 / 15P (Saint-Gobain Glass Deutschland GmbH / Kommission), NVwZ 2017, 1276 Urteil vom 20.12.2017  – C-664 / 15 (Protect Natur-, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation / Bezirkshauptmannschaft Gmünd), ZUR 2018, 225 Gericht der Europäischen Union EuG, Beschluss vom 06.09.2011 – T-18 / 10 (Inuit Tapiriit Kanatami) Urteil vom 14.06.2012 – T-396 / 09 EuG, Urteil vom 09.08.1995 – Rs. T-585 / 93 Beschluss vom 02.06.2008 – T-91 / 07 Beschluss vom 01.07.2008, Rs. T-37 / 04 (Região autonoma dos Açores / Rat) Urteil vom 09.09.2011 – T-29 / 08 EuG, Urteil vom 25.10.2011 – T-262 / 10, (Microban International and Microban (Europe) / Kommission) Urteil vom 14.06.2012 – T-396 / 09 Urteil vom 14.06.2012 – T-338 / 12 Urteil vom 13.09.2013 – T-111 / 11 Urteil vom 08.10.2013 – T-545 / 11 Beschluss vom 02.09.2014 – T-538 / 13 Beschluss vom 18.05.2015 – T-559 / 144 Ständiger Internationaler Gerichtshof Jurisdiction of the Courts of Danzig, PCIJ Ser. B, No. 15 (1928) Wimbledon-Entscheidung vom 17.08.1923, PCIJ, Series A 01 Lotus-Entscheidung vom 07.09.1927, PCIJ, Series A 10 Appeal from a Judgment of the Hungaro / Czechoslovak Mixed Arbitral Tribunal, Judgment, 1933, PCIJ, Ser A / B, No 61 Internationaler Gerichtshof Advisory Opinion, (1949) ICJ Report, S. 174 ff. (Reparations for Injuries Suffered in the Services of the United Nations) IGH, Case Concerning Oil Platforms – Preliminary Objections [Iran v. USA], ICJ Reports 1996

746 Entscheidungsverzeichnis Urteil vom 27.06.2001, I.C.J. Reports 2001, S. 466 ff. Urteil vom 25.9.1997, Gabčikovo-Nagymaros Projekt (Ungarn gegen Slowakai), I.C.J. Reports 1997, S. 7 Urteil vom 30.11.2010, Ahmadou Sadio Diallo (Republic of Guinea v. Democratic Republic of the Congo), Merits, Judgment, I.C.J. Reports 2010 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Urteil vom 13.06.1979 – 6833 / 74 (Marckx / Belgium) Urteil vom 26.03.1987 – 9248 / 81 (Leander / Sweden) Urteil vom 09.06.1988 – 21825 / 93, 23414 / 94 (McGinley and Egan / Vereinigtes Königreich) Urteil vom 21.02.1990 – 9310 / 81 (Powell and Rayner / Vereinigtes Königreich) Urteil vom 29.08.1990 – 11701 / 85 (G. and E. gegen Norway) Urteil vom 18.02.1991 – 12033 / 86 (Fredin / Schweden) Urteil vom 29.11.1991 – 12742 / 87 (Pine Valley Developments Ltd u. a. / Irland) Urteil vom 09.12.1994 – 16798 / 90 (López Ostra / Spanien) Urteil vom 28.06.1997 – 22110 / 93 (Balmer-Schafroth u. a. / Schweiz) Urteil vom 19.02.1998 – 116 / 1996 / 735 / 932 (Guerra u. a. / Italien) Urteil vom 09.06.1998 – 23413 / 94 (L.C.B. / Vereinigtes Königreich) Urteil vom 06.04.2000 – 27644 / 95 (Athanassoglou / Schweiz) Entscheidung vom 25.05.2000 – 46346 / 99 (Günther Noack u. a. / Deutschland) Urteil vom 18.06.2002 – 48939 / 99 (Öneryildiz / Türkei) Urteil vom 28.11.2002  – 25701 / 94 (der frühere König von Griechenland / Griechenland) Urteil vom 22.05.2003 – 41666 / 98 (Kyrtatos / Griechenland) Urteil vom 08.07.2003 – 36022 / 97 (Hatton u. a. / Vereinigtes Königreich) Urteil vom 31.07.2003 – 16219 / 90 (Demades / Türkei) Urteil vom 10.11.2004 – 46117 / 99 (Taskin u. a. / Türkei) Urteil vom 16.11.2004 – 4143 / 02 (Moreno Gomez / Spanien) Urteil vom 18.01.2005 – 42969 / 98 (Johtti Sapmelaccat Ry u. a. / Finnland) Urteil vom 09.06.2005 – 55723 / 00 (Fadeyeva / Russland) Entscheidung vom 21.03.2006 – 70074 / 01 (Valico S.R.L. / Italien) Entscheidung vom 10.07.2006 – 19101 / 03 (Sdruženi Jihočeské Matky / Tschechische Republik) Urteil vom 02.11.2006 – 59909 / 00 (Giacomelli / Italien) Urteil vom 27.11.2007 – 21861 / 03 (Hamer / Belgien) Beschluss vom 26.02.2008 – 37664 / 04 (Fägerskiöld / Schweden) Urteil vom 20.03.2008  – 15339 / 02, 21166 / 02, 20058 / 02, 11673 / 02, 15343 / 02 (Budayeva u.a / Russland)

Entscheidungsverzeichnis

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Urteil vom 12.11.2008 – 34503 / 97 (Demir und Baykara / Türkei) Urteil vom 27.01.2009 – 67021 / 01 (Tătar / Rumänien) Urteil vom 14.04.2009 – 37374 / 05 (Társaság A Szabadságjogokért / Ungarn) Beschluss vom 12.05.2009 – 18215 / 06 (Greenpeace u. a. / Deutschland) Urteil vom 29.03.2010 – 34044 / 02 (Depalle / Frankreich sowie Brosset-Triboulet u. a. / Frankreich) Urteil vom 09.11.2010 – 2345 / 06 (Deés / Ungarn) Urteil vom 25.11.2010 – 43449 / 02 sowie 21475 / 04 (Mileva u. a. / Bulgarien) Urteil vom 10.02.2011 – 30499 / 03 (Dubetska u. a. / Ukraine) Entscheidung vom 13.12.2011  – 55243 / 10 (Association Greenpeace France / Frankreich) Urteil vom 03.07.2012 – 61654 / 08 (Martínez Martínez u. Pino Manzano / Spain) Urteil vom 13.12.2012 – 3675 / 04, 23264 / 04 (Flamenbaum u. a. / Frankreich) Urteil vom 22.04.13 – 48876 / 08 (Animal Defenders International / Vereinigtes Königreich) Urteil vom 25.06.2013 – 48135 / 06 (Youth Initiative for Human Rights / Serbien) Entscheidung vom 26.11.2013 – 28852 / 05 (Ogloblina / Russland) Urteil vom 28.11.13  – 39534 / 07 (Österreichische Vereinigung zur Erhaltung, Stärkung und Schaffung / Österreich) Entscheidung vom 16.04.2015 – 43961 / 09 (Smaltini / Italien) Zulässigkeitsentscheidung in der Rechtssache 40425 / 98 (James Moore / Vereinigtes Königreich) noch anhängig: Rechtssache Vecbaštika und andere gegen Lettland – 52499 / 11 Inter-Amerikanische Kommission für Menschenrechte IACmHR, Resolution No. 12 / 85, Case No. 7615, Brazil, 5.3.1985 (Yanomami) IACmHR, Report No. 88 / 03, Petition No. 11.533, Panama, 22.10.2003 (Metropolitan Nature Reserve), Inadmissibility IACmHR, Report No. 40 / 04, Case No. 12.053, Belize, 12.10.2004 (Maya indigenous community of the Toledo District v. Belize) Inter-Amerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte I / A Court H.R., Case of the Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua. Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 31, 2001. Series C No. 79 IACtHR, report n. 69 / 04, Petition 504 / 03, Admissibility, Community of San Mateo de Huanchor and its Members v. Peru, 15. October, 2004 I / A Court H.R., Case of the Moiwana Community v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Judgment of June 15, 2005. Series C No. 124 I / A Court H.R., Case of the Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs. Judgment of June 17, 2005. Series C No. 125

748 Entscheidungsverzeichnis I / A Court H.R., Case of the Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs. Judgment of March 29, 2006. Series C No. 146 I / A Court H.R., Case of Claude Reyes et al. v. Chile. Merits, Reparations and Costs. Judgment of September 19, 2006. Series C No. 151 I / A Court H.R., Case of the Dismissed Congressional Employees (Aguado  – Alfaro et al.) v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Judgment of November 24, 2006. Series C No. 158 I / A Court H.R., Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs. Judgment of November 28, 2007 Series C No. 172 I / A Court H.R., Case of the Saramaka People v. Suriname. Interpretation of the Judgment on Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 12, 2008. Series C No. 185 I / A Court H.R., Case of Kawas Fernández v. Honduras. Merits, Reparations and Costs. Judgment of April 3, 2009. Series C No. 196 I / A Court H.R., Case of the Xákmok Kásek Indigenous Community. v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs. Judgment of August 24, 2010. Series C No. 214 I / A Court H.R., Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and reparations. Judgment of June 27, 2012. Series C No. 245 I / A Court H.R., Case of the Kaliña and Lokono Peoples v. Suriname. Merits, Reparations and Costs. Judgment of November 25, 2015. Series C No. 309 Afrikanische Kommission für Menschenrechte und die Rechte der Völker ACmHPR, no. 155 / 96: Social and Economic Rights Action Center (SERAC) and Center for Economic and Social Rights (CESR) / Nigeria, 2002 ACmHPR, no. 276 / 03: Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minor­ ity Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) / Kenya, 2009 ACmHPR, no. 25 / 98, 47 / 90, 56 / 91 und 100 / 93: Free Legal Assistance Group and others v Zaire, 1996 Afrikanischer Gerichtshof für Menschenrechte und die Rechte der Völker ACtHPR, no. 006 / 2012: African Commission on Human and Peoples’ Rights / Republic of Kenya, Urteil vom 26. Mai 2017 Aarhus Convention Compliance Committee ACCC / C / 2004 / 04 (Hungary), (ECE / MP.PP / C.1 / 2005 / 2 / Add.4) ACCC / C / 2004 / 05 (Turkmenistan), (ECE / MP.PP / C.1 / 2005 / 2 / Add.5) ACCC / C / 2004 / 8 (Armenia), (ECE / MP.PP / C.I / 2006 / 2 / Add.1) ACCC / C / 2006 / 11 (Belgium), ECE / MP.PP / C.1 / 2006 / 4 / add.2 ACCC / C / 2005 / 12 (Albania), (ECE / MP.PP / C.1 / 2007 / 4 / Add.1) ACCC / C / 2006 / 16 (Lithuania), (ECE / MP.PP / 2008 / 5 / Add.6) ACCC / C / 2005 / 17 (European Community), (ECE / MP.PP / 2008 / 5 / Add.10)

Entscheidungsverzeichnis

749

ACCC / C / 2007 / 21 (EU), (ECE / MP.PP / C.1 / 2009 / 2 / Add.1) ACCC / C / 2007 / 22 (France), (ECE / MP.PP / C.1 / 2009 / 4 / Add.1) ACCC / C / 2008 / 24 (Spain), (ECE / MP.PP / C.1 / 2009 / 8 / Add.1) ACCC / C / 2008 / 27 (UK), (ECE / MP.PP / C.1 / 2010 / 6 / Add.2) ACCC / C / 2008 / 30 (Republic of Moldova), (ECE / MP.PP / C.1 / 2009 / 6 / Add.3) ACCC / C / 2008 / 31 (Germany), (ECE / MP.PP / C.1 / 2014 / 8) ACCC / C / 2008 / 32 (EU) (Part I), (ECE / MP.PP / C.1 / 2011 / 4 / Add.1) ACCC / C / 2008 / 32 (EU) Part II), (ECE / MP.PP / C.1 / 2017 / 7) [advanced edited ver­ sion] vom 02. Juni 2017 ACCC / C / 2008 / 33 (UK), (ECE / MP.PP / C.1 / 2010 / 6 / Add.3) ACCC / C / 2008 / 35 (Georgia), (ECE / MP.PP / C.1 / 2010 / 4 / Add.1) ACCC / C / 2009 / 36 (Spain), (ECE / MP.PP / C.1 / 2010 / 4 / Add.2) ACCC / C / 2009 / 37 (Belarus), (ECE / MP.PP /  / 2011 / 11 / Add.2) ACCC / C / 2009 / 41 (Slovakia), (ECE / MP.PP / 2011 / 11 / Add.3) ACCC / C / 2009 / 43 (Armenia), (ECE / MP.PP / 2011 / 11 / Add.1) ACCC / C / 2009 / 44 (Belarus), (ECE / MP.PP / C.1 / 2011 / 6 / Add.1) ACCC / C / 2010 / 48 (Austria), (ECE / MP.PP / C.1 / 2012 / 4) ACCC / C / 2010 / 50 (Czech Republic), (ECE / MP.PP / C.1 / 2012 / 11) ACCC / C / 2010 / 53 (UK), (ECE / MP.PP / C.1 / 2013 / 3) ACCC / C / 2011 / 57 (Denmark), (ECE / MP.PP / C.1 / 2012 / 7) ACCC / C / 2011 / 58 (Bulgaria), (ECE / MP.PP / C.1 / 2013 / 4) ACCC / C / 2011 / 59 (Kazakhstan), (ECE / MP.PP / C.1 / 2013 / 9) ACCC / C / 2011 / 61 (UK), (ECE / MP.PP / C.1 / 2013 / 13) ACCC / C / 2012 / 68 (UK), (ECE / MP.PP / C.1 / 2014 / 5) UNHRC UNHRC, Länsman u. a. / Finland (52. Sitzungsperiode 1994), Communication Nr. 511 / 1992, U.N. Doc. CCPR / C / 52 / D / 511 / 1994, 8. November 1994

Stichwortverzeichnis Abkommen, gemischtes  264, 265, 271 ABS-Mechanismus  31, 612, 615, 617, 618, 620–626, 635–637, 641, 648, 653, 654, 656, 660, 661, 666, 674, 676, 678, 685 acte-clair-Doktrin  476 actio popularis  siehe Popularklage Aktenöffentlichkeit –– beschränkte  104, 336 Anthropozän  62 anthropozentrisch  54, 61, 70, 73, 162, 166, 258 Anwendungsvorrang  97, 268, 324, 568 Auslegung –– evolutive und extensive Auslegung  164, 176, 179, 180, 235, 236, 560, 563, 565, 578, 579, 609, 696, 704 –– konventionskonforme  172, 173, 293, 690 –– souveränitätsschonenende Auslegung  128, 446 –– völkerrechtskonforme  146, 149, 296, 299, 300, 307, 309, 310, 320, 324, 393, 428, 506, 510, 523, 531, 533, 535 Auslegungsmethode  157, 160, 176, 329, 536, 703

Commons-Bewegung  623 Conventionality Control  142, 144, 172, 558, 561, 566, 568, 688, 704

Biodiversitäts-Hotspot  52, 64, 613, 706 bio-kulturelle Rechte  668, 674 Braunbär II-Entscheidung  320, 321, 419, 420, 454, 498, 501

gemeinsames Menschheitserbe  121, 123, 125, 614 gemeinsames Menschheitsinteresse  28, 123, 124, 614, 693 gemeinschaftseigener Vollzug  273, 287, 289, 294, 296, 299, 304, 308, 311, 323, 373, 393, 404, 421, 447, 452, 454, 505, 509, 511, 529, 536, 689 Gemeinwohl  88, 112, 345, 542, 546

common concern of humankind  siehe gemeinsames Menschheitsinteresse common heritage of mankind (CHOM)  siehe gemeinsames Menschheitserbe

Demokratie  334, 398 Demokratieprinzip  88, 150, 701 Derivativ  634 Drittgenerationenrechte  573, 668 ecosystem services  siehe ÖkosystemDienstleistung Effektivitätsgrundsatz, völkerrechtlicher  130, 133, 134, 277 Eigentum, intellektuelles  38, 358, 383, 615, 669, 709 Einschätzungsspielraum der Staaten  175, 176, 179, 180, 185, 212, 214, 226, 230, 234, 235, 237, 421, 432, 565, 577, 595, 629, 683, 686, 687 Evolution  27, 50, 51 ex-situ Sammlungen  638, 641 Frühzeitigkeit  369, 370, 397, 401, 426–428, 431, 448, 500, 683 funktionale Subjektivierung  95, 96, 100, 110, 111, 116, 117, 451, 537, 538 funktionales subjektives Recht  88, 89, 541

Stichwortverzeichnis751 Gemeinwohlprozess  113 Gemeinwohlverantwortung  72 Generationen, künftige  245, 247, 248, 257, 259, 353, 519, 527, 538, 539, 668 Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse  357, 366, 377–379, 380, 386, 388, 389, 391–394 Gewaltenteilung  115, 116, 150, 175, 212, 276, 297, 326, 505, 571 Glyphosat  381, 385, 390–393 Greening-Ansatz  siehe Greening the Human Rights Greening of Human Rights  siehe Greening the Human Rights Greening the Human Rights  30, 39, 157, 158, 160, 163, 204, 233, 239, 555, 561, 578, 610, 623, 679 Holozän  54 ILO-Konvention 169  37, 553, 563, 570, 588, 598, 602, 644, 663, 664 Implementation Guide  284, 285, 343, 444, 469, 483, 517, 521, 524, 536 Interessentenbeteiligung  406 Interessentenklage  458, 460, 471, 538 –– normative  106, 108, 118 Interessentheorie  82 jus cogens  131, 568 Justiziabilität  571, 573, 574, 576, 577 Klagerechtsrichtlinie  272, 276, 509 Klimawandel  63, 68, 69, 166, 191, 196, 544, 610 Konsensprinzip  134, 160, 283, 700, 701 Konstitutionalisierung  76, 129, 709 Konsum  66, 246, 551 Konsument  57, 244 Konsumentscheidung  70, 246, 247, 540 Konsumverhalten  246, 249 Kontrolldichte  92

LaGrand-Entscheidung  128, 129, 136, 256, 700 Legitimation  88, 92, 116, 334, 363, 399, 541, 543, 609, 700–702, 704, 705, 710 –– funktionell-institutionelle  702 –– out-put Legitimation  704 –– personell-organisatorische  399, 702 –– sachlich-inhaltliche  398, 399 Legitimationsniveau  399 Legitimationsquelle  562 margin of appreciation  siehe Einschätzungsspielraum der Staaten Maßstäblichkeit  siehe Maßstabsfunk­ tion Maßstabsfunktion  300–302, 304–306, 308, 311–314, 316, 373, 374, 518 Mediatisierung  126, 129, 130, 139, 154 Mehrebenensystem  98, 113, 114, 264 Mehrebenenverbund  siehe Mehrebenensystem Mehrebenenverhältnis  325, 535, 680 Menschenrecht auf eine gesunde Umwelt  30, 161, 163, 164, 208, 209, 257, 259, 333, 484, 546, 556, 569, 570, 592 Nachhaltigkeitsgrundsatz  121, 259, 682 Nichtigkeitsklage  145, 267, 268, 276, 287, 288, 290–292, 294, 301–303, 306, 309, 324, 326, 511, 513, 519, 520, 537, 712 öffentliche Güter  71 Ogiek-Entscheidung  560, 579, 583–585, 598, 685, 688 Ökosystem-Dienstleistung  55, 56, 60, 617 Ökosystemfunktion  53, 55, 72 ökozentrisch  162, 167, 700 Pläne und Programme  357, 397, 403, 405, 413, 422, 423, 424, 436, 445, 447, 521, 528

752 Stichwortverzeichnis planetary boundaries  54 Plaumann-Entscheidung  287, 291, 292, 294, 303, 310, 326, 512, 530 Plaumann-Formel  siehe PlaumannEntscheidung Popularbeteiligung  437 Popularklage  87, 171, 453, 458, 478, 494, 511, 531, 534, 544, 557, 559 Popolarrecht  335, 452 Population  50, 51, 53, 66, 192, 632 Präklusion  456, 495–499, 529 prior informed consent (PIC)  643, 645–648, 666, 685 prokuratorisches Recht  91, 113, 451, 479, 490, 491, 505, 543, 544 Protect-Entscheidung  308, 420, 499, 506 prozedurales Recht  251, 253 Rechtsfähigkeit  126, 129–133, 135, 138, 139, 142, 154 –– partielle  33, 129, 131, 134, 138, 154 –– Völkerrechtsfähigkeit  126 –– volle  139 Rechtsfortbildung  93, 178, 532, 533, 680, 700, 704 Rechtsmacht  36, 81, 83, 112, 113, 136, 142, 147, 238, 262, 330, 446, 502, 538, 607, 611, 684, 685, 690, 701 Resilienz  53, 55 Resilienztheorie  53, 708 Rügepotential  456–458, 478, 479 Schutzgutakzessorietät  161, 165, 167, 168, 191, 221, 226, 228, 229, 232, 233, 236, 474, 476, 527, 610, 681, 683, 705 Schutzlücke  39, 220, 231, 235, 351, 471, 505, 524, 597 schutznormakzessorisch  461, 472, 475, 480 Schutznormlehre  siehe Schutznorm­ theorie

Schutznormtheorie  92, 105, 108, 112, 118, 320, 336, 451, 454, 458, 461, 462, 482, 491, 512, 527, 530 Selbst-Identifikation  586, 628–630 Souveränität  28, 29, 118–125, 138, 154, 234, 568, 609, 614, 624, 632, 652, 657, 658, 679, 693, 698, 701, 703 –– äußere Souveränität  120 –– innere Souveränität  118, 693 –– permanente Souveränität  120, 609 –– souveränitätsschonend  234, 693, 699 –– souveränitätszentriert  118, 129 Souveränitätsinteressen  704 Souveränitätsrechte  122 Sphärentheorie  83 Steuerungskonzept  33, 44, 238, 243, 244, 246–248, 251, 253, 258, 260, 329, 400, 539, 682 Steuerungstheorie  255 Steuerungswissenschaft  85, 91 subjektiv-öffentliches Recht  75, 76, 78, 81, 84–87, 97, 104, 336, 480, 489, 533, 538, 541 Subsidiarität  175, 234, 565, 688 terra nullius  120 traditionelles Wissen  38, 72, 548, 550, 551, 553, 611, 615, 616, 620, 622, 624–626, 629, 631, 635, 637, 638, 640–643, 645, 647, 649–651, 653, 654, 656, 658–660, 666, 667, 669–671, 673–675, 680, 682–684, 692, 695 Transparenz  241, 250, 334, 337, 345, 364, 376, 395, 397, 431, 435, 437, 501, 703 travaux préparatoire  128, 285, 620 Umweltverträglichkeitsprüfung  223, 226, 227, 240, 396, 416, 443, 444, 457, 464, 474, 485, 491, 494, 607, 684 UNDRIP  37, 554, 583, 588, 591, 599, 610, 630, 644, 647, 663, 664, 695

Stichwortverzeichnis753 unionaler Vollzug  siehe gemeinschaftseigener Vollzug unmittelbare Anwendbarkeit  132, 138, 142, 144, 145, 147–149, 151, 152, 263, 297, 298, 299, 304, 307, 312, 501, 503, 535 Verfahrensautonomie  102, 147, 270, 465, 483 Verfahrensbeschleunigung  80, 403, 439, 454, 498 Verfahrensfehler –– absoluter  253 –– Heilung  451, 464, 499, 526, 529 –– Kausalität  464, 473, 474 –– Rechtsschutz  80, 462, 464, 465, 467, 472, 473, 480, 483, 484, 488, 490, 492, 494 Verfassungsbeschwerde  78, 319 Verletztenklage  34, 78, 79, 87, 88, 91, 96, 208, 327, 439, 452, 454, 458, 460, 470, 471, 480, 505, 545

Vertragsverletzungsverfahren  34, 97, 273, 278, 311, 313, 314, 318, 319, 372–376, 393, 496, 536, 537 Verwaltungs- und Verfahrensgebühr  206, 364, 450, 453 Verwaltungsprozess  542 Verwaltungsprozessrecht  34, 80, 93, 288, 336, 455, 462, 464, 484, 486, 487, 532, 539, 715 –– verwaltungsprozessualer Aufhebungsanspruch  486 Veto-Recht  441, 601, 605–607, 647 Vollkontrolle  461, 477, 479, 481, 488, 508, 525, 529 Vollzugsdefizit  88, 89, 98, 116, 361, 400, 542 Vorabentscheidungsverfahren  34, 297, 306, 318–320, 390, 492, 512, 690 Willenstheorie  82 Wohlbefinden (als Schutzgut)  185, 188–190, 192, 194, 258, 527