Studien zum Ruodlieb: Ritterideal, Erzählstruktur und Darstellungsstil [Reprint 2018 ed.] 9783110833706, 9783110001983


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German Pages 123 [128] Year 1962

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Table of contents :
INHALT
EINLEITUNG
ZUR ÜBERLIEFERUNG DES TEXTES
DAS HANDLUNGSGERÜST UND SEINE QUELLEN
MENSCHENBILD UND ETHOS
DER AUFBAU DER HANDLUNG
DER DARSTELLUNGSSTIL
LITERATURVERZEICHNIS
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Studien zum Ruodlieb: Ritterideal, Erzählstruktur und Darstellungsstil [Reprint 2018 ed.]
 9783110833706, 9783110001983

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BRAUN STUDIEN ZUM RUODLIEB

QUELLEN UND FORSCHUNGEN ZUR SPRACH- UND KULTURGESCHICHTE DER GERMANISCHEN VÖLKER

BEGRÜNDET

VON

BERNHARD T E N BRINK U N D WILHELM

NEUE HERAUSGEGEBEN

SCHERER

FOLGE

VON HERMANN

KUNISCH

7 (131)

WERNER BRAUN STUDIEN ZUM RUODLIEB

WALTER DE GRUYTER & CO., BERLIN VORMALS G. J . GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG — J . GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG — GEORG REIMER — KARL J . TRÜBNER — VEIT & COMP.

STUDIEN ZUM RITTERIDEAL,

ERZÄHLSTRUKTUR

RUODLIEB U N D

DARSTELLUNGSSTIL

VON

WERNER BRAUN

WALTER DE GRUYTER & CO., BERLIN VORMALS G . J . G Ö S C H E N ' S C H E VERLAGSHANDLUNG J . G U T T E N T A G , VERLAGSBUCHHANDLUNG — K A R L J . TRÜBNER —

VEIT &



GEORG REIMER COMP.



Ardiiv-Nr. 43 30 62/7

© Copyright 1962 Verlagshandlung Karl J. Trübner des Nachdrucks,

by Walter de Gruyter Sc Co., vormals G. J. Göschen'sche — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — — Veit & Comp. — Printed in Germany. — Alle Rechte der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen, auch auszugsweise, vorbehalten.

Satz und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin SW 61 D. 30

INHALT Einleitung I

1 ZUR

ÜBERLIEFERUNG

DES

TEXTES

Datierung, Anordnung, Lücken II

5

D A S H A N DL U N GS G E R Ü S T

UND

SEINE

QUELLEN

Der Ruodlieb und die Sagas

9

Der Ruodlieb als Variante des Erzählungstypus von den guten Ratschlägen (Aarne 913 A.B) 11 III

M E N S C H E N B I L D

UND

ETHOS

Das Herrscherideal

18

Die Gestalt des Rex Maior und die geschichtliche V e i t um 1053 . . . .

18

Die geistesgescfcichtlichen Grundlagen des Herrscherideals im Ruodüeb

22

Das Ritterideal

28

Ruodlieb als christlicher Ritter

28

Kirche und Kriegerstand im Spiegel der Legende

31

Die Vita Sancti Geraldi Odos von Cluny

35

Hrotsviths Passio Sancti Gongolfi

38

Der Ruodlieb u n d die höfische Dichtung

41

IV

DER

AUFBAU

DER

H A N D L U N G

Bisherige Analysen des Handlungsaufbaus

45

Vom Exemplum zur epischen Dichtung

53

Ausfahrt und Königsdienst (I 1 — V 2 2 1 ) . Ruodlieb und V a l t h a r i u s . .

52

Die Lehren und ihre Bewährung (V 2 2 2 — X V I I 84)

58

C h a r a k t e r und Funktion der Lehren im Exemplum und im R u o d lieb 58 — Die Geschichten vom Iuvenis und der Ancilla (VI 8 — V I I I 129) 62



Die

V e r b u n g s a b e n teuer

( X I I 1 — X V I I 84) 67

des

Neffen

und

Ruodliebs

VI

Inhalt Ruodlieb und Heldensage (XVII 85—XVIII 32)

69

Die Träume der Mutter 70 — Der Zwerg im Ruodlieb 74 V

DER

DARSTELLUNGSSTIL

Zur Frage des „Realismus" im Ruodlieb

78

Die Herrscherbegegnung (V 1—221)

80

Die Gerichtsszene (VIII11—129)

82

Die Eheschließungsszene (XV 1—99)

84

Die „naturwissenschaftlichen" Stellen und die Schatzbeschreibung 86 „Höfisches" im Ruodlieb

91

Einflüsse benediktinischer Formkultur

92

Stilgeschkhtliche Berührungen (Venantius. Theodulf. Antike Dichtung)

96

Verzeichnis der in Text und Literaturverzeichnis verwandten Abkürzungen Literaturverzeichnis

109

EINLEITUNG Seit dem Erscheinen der Erstausgabe des Ruodlieb in den von Jacob Grimm und Andreas Schmeller edierten Lateinischen Gedichten des X . und X I . Jahrhunderts sind mehr als 120 Jahre vergangen. In vielen Beiträgen hat sich die Forschung seitdem mit diesem in der Geschichte unserer mittelalterlichen Dichtung so eigentümlich isoliert stehenden Werk auseinandergesetzt; aber die aus seiner literarhistorischen Sonderstellung sich ergebenden Fragen sind noch keineswegs zufriedenstellend beantwortet. Der Ruodlieb ist nach wie vor in vielem ein Rätsel. D a ß dies so ist, liegt nicht allein an der Eigenart des Werkes selbst, es ist nicht zuletzt die Folge der zu seiner Erforschung angewandten Untersuchungsmethoden, die bei aller Verschiedenheit im einzelnen zwei charakteristische Züge gemeinsam haben: Beschränkung auf Teilprobleme unter gleichzeitiger Ausklarnmerung der für das geschichtliche Verstehen zentralen Frage nach der Herkunft des den Ruodlieb kennzeichnenden neuen Ritterideals und mangelnde Berücksichtigung der von der klösterlichen Umwelt des Autors ausgehenden geistigen und literarischen Anregungen. Nachdem schon Grimm und Schmeller die ersten Schritte zu einer stoffgeschichtlichen Betrachtung getan hatten, stand die Quellenfrage lange Zeit im Mittelpunkt wissenschaftlicher Beschäftigung mit dem Ruodlieb. Anhand der reichhaltigen Variantennachweise Reinhold Köhlers zu dem der Handlung auf weite Strecken zugrundeliegenden Erzählungstyp von den guten Ratschlägen gab Friedrich Seiler in der Einleitung seiner Neuausgabe eine ausführliche „Analyse des Stoffes". Indem er den novellistischen Kernbestand von anderen, vermeintlich der Zeitgeschichte und der Heldensage entlehnten Elementen sonderte, suchte er erstmals auch die Stellung des Ruodlieb in der mutmaßlichen Entwicklungsgeschichte des Erzählstoffes von den guten Lehren näher zu bestimmen. Trotz hohen Lobes im einzelnen beurteilte er das Werk am Ende doch als einen zwar „großartig angelegten epischen Versuch, dem aber die Kraft der Ausführung noch nicht entsprach" (Ausgabe, 1882, 73). Ludwig Laistner ging einen Schritt weiter. Er bezeichnete den Schluß der Dichtung als das Werk eines anderen, dessen lateinischen „Ruod1 Braun,

Ruodlieb-Studien

2 liebus"

Einleitung der Autor

der vorangehenden

Erzählung vom Leben

eines

namenlosen Ritters seinem eigenen Werk — und zwar erst unter der Arbeit — anzufügen beschlossen habe, wodurch er zur Aufgabe seines ursprünglichen Aufbauplanes veranlaßt worden sei. Nachdem zunächst Paul von Winterfeld unter dem Eindruck der Mimus-Forschungen Hermann Reichs im Ruodlieb verschiedene Parallelen zu Stoffen des antiken Mimus zu finden geglaubt hatte, vertrat Samuel Singer die Ansicht, daß so gut wie alle stofflichen Elemente dem Autor aus der Welt der mittelalterlichen Spielleute zugekommen seien; der Ruodlieb sei nichts anderes als eine A r t episiertes Spielmannsrepertoire. Neben derartigen Untersuchungen zur Quellenfrage und zu den Wegen der stoffgeschichtlichen Tradition, die meist von dem Gedanken begleitet waren, daß der Dichter vielleicht das Beste seines Werkes gar nicht literarischer Anregung, sondern der Beobachtung des realen Lebens um ihn herum zu verdanken habe, widmete sich die Forschung immer wieder dem Verhältnis des Ruodlieb zur empirischen Geschichte des elften Jahrhunderts. Aus der Ansicht Wilhelm Giesebrechts, die Schilderung der Königsbegegnung im fünften Fragment ähnele den historischen Nachrichten vom Treffen Heinrichs I I . mit Robert von Frankreich im Jahre 1023 so sehr, daß man den Dichter als Augenzeugen dieser Zusammenkunft zu betrachten habe, zog Rudolf Kögel die weitergehende Folgerung, der R e x Maior sei nichts anderes als das dichterische Portrait des letzten Sachsenkaisers. Gustav Ehrismann knüpfte daran die weitere Erwägung, ob nicht der Ruodlieb überhaupt als „Biographie einer bestimmten Persönlichkeit", eine Art „poetisierte Familienchronik" aufzufassen sei. Obwohl Karl Langosch in der Festschrift für Karl Strecker vom Jahre 1941 die Beweiskraft der Beobachtung Giesebrechts erschüttert hatte, nahm Hans Naumann später den Gedanken einer geschichtlich-biographischen Deutung des Ruodlieb in modifizierter Gestalt wieder auf, indem er nachzuweisen suchte, daß er zusammen mit einer Reihe isländischer Sagas einem sippengeschichtlich orientierten gemeingermanischen Erzählungstyp vom Königsdienst eines Jünglings in der Fremde zugehöre. Audi Karl Hauck sah im Ruodlieb ein poetisches Dokument adeliger Hausüberlieferung, das in der „Schilderung des heilund glückbringenden Dienstes des Sippenhauptes bei einem großen Herrscher" den glückhaften Aufgang eines Geschlechtes darstellen wolle, während er in einer früheren Arbeit die enge Berührung des Ideengehalts, vor allem des ersten Teils der Dichtung, mit der Gedankenwelt Heinrichs I I I . nachzuweisen versucht hatte.

Einleitung

3

Abweichend von den um die Stoffgeschichte oder um die historischbiographische Deutung des Ruodlieb bemühten Arbeiten rückte Konrad Burdach in seinen Untersuchungen zur Entstehung des mittelalterlichen Romans das Problem des eigenartigen Erzählstils in den Vordergrund. D a m i t t r a t die u n t e r stoffgeschichtlichem Aspekt als buntes Gemisch heterogener Elemente erscheinende Dichtung wieder stärker als Einheit in den Blick, deren Stellung in der Geschichte des Darstellungsstils der lateinischen Dichtung näher zu bestimmen war. Burdach wies auf den Einfluß der Schule, auf die vom hellenistischen Roman angeregte Erzählkiunst der christlichen Legende und auf die idyllische Kleindichtung der Alexandriner hin, deren Traditionswege ins Mittelalter hinein im einzelnen aber noch nicht genügend bekannt seien. Hinsichtlich gewisser Elemente dachte er an orientalische Vermittlung, die über Byzanz oder Spanien gegangen sein könnte, doch blieb auch ihm der Ruodlieb am Ende ein „unfaßbares W u n d e r " . Bis heute sind in der von Burdach gewiesenen Richtung über seine eigenen H i n weise hinausgehende Parallelen von wirklicher Überzeugungskraft nicht nachgewiesen worden, zumal man diese im Gegensatz zu ihm weniger auf Stil- als stoffgeschichtlichem Felde zu finden hoffte. So wenig wie von der Stoffgeschichte her läßt sich allein vom D a r stellungsstil aus die innere Mitte einer Dichtung erschließen, die ihren Bezug zur geistigen Situation ihrer Zeit und ihr Verhalten gegenüber Quellen und Vorbildern bestimmt. Dazu bedarf es der Erfassung der vom Dichter in seinem Werk verfolgten Intention, unter deren formender Kraft sich die verschiedenen Bausteine zur äußeren und inneren Einheit des Kunstwerks zusammenschließen. Mit der eindringenden geschichtlichen Analyse des Herrscherbildes haben Julius Schwietering und Levin Schücking die Ruodlieb-Forschung als erste auf diesen Weg gewiesen. Ihnen und der f ü r die Entwicklungsgeschichte des christlichen Ritterideals grundlegenden Studie Carl Erdmanns zur Entstehung des Kreuzzugsgedankens verdankt die vorliegende Arbeit wesentliche Anregungen. Einer kurzen Erörterung der handschriftlichen Überlieferung des Ruodlieb läßt sie eine auf der Benutzung neuer Varianten basierende Analyse seines Verhältnisses zum Erzählungstyp von den guten R a t schlägen folgen, durch die Seilers und Laistners bis heute weithin als gültig erachteten Ergebnisse in einem wichtigen Punkte korrigiert werden. Ausgehend von Karl Haucks Hinweis auf die geistesgeschichtliche Parallelität des Ruodlieb u n d der Indulgenzakte Heinrichs III. behandelt das dritte Kapitel das Herrscherbild u n d seine Vorgeschichte, vor allem aber gibt es eine bisher fehlende ausführlichere Analyse des neuen Ritterideals und seiner geistigen und literarischen 1*

4 Ursprünge. untersuchte seiner Vita bis hin zum

Einleitung Dabei geht es hauptsächlich um die von Erdmann nicht literarische Nachwirkung des durch O d o von Cluny in Geraldi geschaffenen Bildes einer ritterlichen militia Christi Dichter des Ruodlieb.

Von dieser Basis aus wenden sich die beiden folgenden Kapitel der Untersuchung des Aufbaus, den Eigenheiten seines Verhältnisses zu den verschiedenen Stoffquellen und den Fragen des Darstellungsstils und seiner Muster zu. Dabei geht es nicht allein um die Ermittlung bloßer Abhängigkeiten, sondern mehr noch um das Abwägen der spezifischen Bedeutung der verschiedenen Vorbilder und die Feststellung der besonderen Art ihrer Anverwandlunig. Die Untersuchung dieser Fragen hält sich an den Leitgedanken, daß die Anregungen des Dichters zunächst in der Bildungswelt des Klosters zu suchen seien, ehe man sich zu der k a u m beweisbaren A n n a h m e unliterarischer, auf der Beobachtung des äußeren geschichtlichen Lebens beruhender Einflüsse entschließen dürfe.

Z U R Ü B E R L I E F E R U N G DES T E X T E S Im Gegensatz zur reichen Uberlieferung des Waltharius ist der Ruodlieb nur in Bruchstücken zweier Handschriften erhalten, die sich nicht ohne Mühe ordnen und zu einem Erzählkontinuum zusammenfügen lassen 1 ). Handschrift M (Clm. 19486), deren Reste in der Münchener Staatsbibliothek von Einbanddeckeln aus Kloster Tegernsee stammender Codices abgelöst wurden, gilt als Autograph des Dichters und bildet die Grundlage aller Ausgaben 2 ). Von Handschrift F aus der ehemaligen Stiftsbibliothek S. Florian bei Linz hat sich nur ein Doppelblatt erhalten, dessen Inhalt sich teilweise mit Bruchstücken des Münchener Originals deckt; F gilt als unmittelbar auf M zurückgehende Reinschrift. Für die Frage nach Entstehungszeit und -ort des Ruodlieb besitzt Handschrift M als Autograph des Dichters entscheidende Bedeutung. Nach dem Urteil von A. Ghroust und M. Tangl 3 ) gehört sie in die zweite H ä l f t e des elften Jahrhunderts, in die Abtszeit Siegfrieds (1048—1069) oder sogar erst Eberhards (1069—1091) 4 ). Alle von diesem Ansatz abweichenden Datierungsversuche nach inhaltlichen Kriterien 5 ) sind so lange nur von untergeordneter Bedeutung, wie H a n d schrift M als Manuskript des Autors gelten darf und keine Neudatierung ierfährt. Bis zum Erscheinen der von N . Fickermann für die Monumenta Germaniae vorbereiteten kritischen Ausgabe bildet der von Seiler ge*) Die Bemerkung James Westfall Thompsons, The Medieval Library. Reprinted with a Supplement by Blanche B. Boyer, N e w York 1959, S. 198: „In the library (des Klosters Tegernsee) was a small German book of Count Ernest which contained many selections from the Ruotlieb", die das Vorhandensein einer dritten und wesentlich jüngeren Handschrift voraussetzt, beruht auf einem Mißverständnis. 2 ) Seiler, Ausg. (1882) 1—21; Laistner, A f d A 9 (1883) 70 ff. u. ZfdA 29 (1885) 1 ff.; Zeydel, Ausg. (1959) 1 f. 3 ) Monumenta palaeographies II, I, 2. Lieferung (1909), Tafel 7; Tangls Ansicht wird zitiert von Karl Strecker, NJbb 24 (1921) 291. 4 ) K. Langosch, FS Strecker (1941) 267 f.; Verf.-Lex. III (1943) 1138 f., 1146; H. Gamer, A R V 11 (1955) 69 A. 1; E. Zeydel, Ausg. (1959) 2 u. 9. 5 ) Schmeller, Ausg. (1838) 224: „So führt vorerst die Form der im Text oder als Glossen vorkommenden deutschen Ausdrücke auf kein jüngeres Zeitalter desselben als höchstens den Anfang des zweiten Jahrtausends." Seiler, Ausg. (1882) 169, folgerte aus einem sprachlich-metrischen Vergleich des Ruodlieb mit den Gedichten Froumunds: „Der R. dürfte also etwa um 1030 anzusetzen sein." K. Hauck, PBB 70 (1948) 385 ff. u. 416 f., nennt aus geistesgeschichtlichen Gründen das Jahr 1043 als Terminus a quo.

6

Zur Überlieferung des Textes

botene Text in der von Laistner erschlossenen Anordnung der Fragmente 6 ), der Seiler nach anfänglichem Widerspruch zustimmte 7 ), den Ausgangspunkt jeder Beschäftigung mit dem Ruodlieb 8 ). Auch Laistners Textrekonstruktion läßt jedoch noch manche Frage ungelöst. Dies soll anhand der folgenden Tabelle veranschaulicht werden, die seine Anordnung der Fragmente, ihre Zählung bei Seiler und Schindler und die zwischen den einzelnen Bruchstücken bestehenden Lücken nach den Berechnungen Laistners verzeichnet 9 ): Seiler

Laistner I II III IV V VI VII VIII IX X

XI XII

6

I II III IV V VI VII VIII XII XIII

IX X

XIII

XI

XIV XV XVI XVII XVIII

XV XIV XVI XVII XVIII

1—141 1— 65 1— 70 1—252 1—621 1—123 1—129 1—129 1— 24 1— 58 59—112 113—132 1— 72 1— 32 33— 66 67— 90 1— 9 10— 81 1— 99 1— 70 1— 70 1—128 1— 32

Schmeller I Ib Id II III IV V VI XI XII/XIII XIII XIII VIII IX IX IX X X XIV VII XV XVI XVII

Lücken ca.

68 Verse

„ „

135 130

„ „

-

63 64

„ „

„ „ „ »

63 64 224 36 9'

„ „ „ „

11 78 99 27 9'

„ „ „ „ yy

33 32 102 213

„ „ „ „

»

„ „ „ „ »

„ „ „ „ „ „

»



»,

66 66

„ „

) AfdA 9 (1883) 70—106. ) ZfdA 27 (1883) 332 ff. u. ZfdPh 31 (1899) 422. ) K. Langoschs Text (1956) ruht ganz auf dieser Grundlage, berücksichtigt aber auch die textkritischen Ergebnisse der seitherigen Forschung. E. H . Zeydels Ausgabe (1959) verwertet überdies Ergebnisse eigenen Handschriftenstudiums und gibt eine Reihe neuer Ergänzungsvorschläge für fragmentarische Verspartien; vgl. dazu AfdA 72 (1961) 159—166. 9 ) Kleinere Lücken bis zu fünf Versen sind übergangen. Aus praktischen Gründen wird der Text auch weiterhin nach Seilers Zählung zitiert. 7

8

Zur Überlieferung des Textes

7

Von den nach Laistners Berechnungen (AfdA 9, 78) ursprünglich rund 3950 Versen des Ruodlieb sind uns nicht mehr als 2306 Verse ganz oder teilweise erhalten, jedoch verteilen sich die Lücken im allgemeinen so, daß Handlungsführung und Reihenfolge der Fragmente noch mit einiger Sicherheit zu erkennen sind. N u r hinter V I I I 129 und X V 99 scheinen größere Textstücke (nach Laistner etwa 224 bzw. 213 Verse) verloren zu sein. D a außerdem die zwischen diesen beiden Stellen liegenden Fragmente stärker als alle anderen in kleinere Partikeln aufgespalten sind, machte hier die richtige A n o r d n u n g besondere Mühe. Alle von Laistner vorgeschlagenen Umstellungen betreffen diesen Abschnitt. Einerseits bewirken sie eine spürbare Vereinfachung der Handlungsführung, da sie die Annahme eines zweiten Aufenthalts Ruodliebs und seines Neffen auf dem Schloß der Hera überflüssig machen, ferner beseitigen sie aus der f r ü h e r e n A n o r d n u n g resultierende inhaltliche Unstimmigkeiten. Was aber in den beträchtlichen Lücken zwischen V I I I und X I I , X V und X I V gestanden haben mag, bleibt nadi wie vor im Dunkeln; Laistners Ergänzungsvorschläge bieten jedenfalls kaum das Richtige. Er nahm an, daß Ruodlieb schon während des in Fragment V I I I geschilderten Gerichtsverfahrens mit seinem N e f f e n zusammentreffe. Dieser sei nämlich identisch mit einem der VI 123 genannten Liebhaber der jungen Bäurin. Sein H u n d (ille canis . . . furti proditor omnis, XIII 66) entlarve den R u f u s als Dieb von Ruodliebs Mantel. Nach der Verurteilung des Roten überrede Ruodlieb den Neffen, mit ihm zusammen nach der Heimat aufzubrechen. Diese Reise führe beide zunächst zur Burg der Hera, wo der N e f f e die Heriiis, seine künftige Frau, kennenlerne, deren Liebe ihn endgültig aus den Netzen der buhlerischen Bäurin befreie 10 ). Dieser scharfsinnig ausgedachten Ergänzung, nach der Ruodlieb den ohnehin härtester Strafe gewärtigen Rufus (VIII 121 iudicii certus necis) auch seinerseits noch verklagen müßte, widerspricht nicht nur das auf Güte und Verzeihen gestellte Ethos der Dichtung und ihres Helden; auch die X V 29 als scortum digne satis igne cremari bezeichnete Dirne, vor deren Verführungskünsten der N e f f e durch die Ehe mit dem Edelfräulein geschützt werden soll, kann keinesfalls mit der jungen Bäurin identisch sein, deren conversio und Büßerleben vom Dichter V I I I 89—117 so eindringlich geschildert werden. Mit Recht bleibt daher die Lücke hinter Fragment V I I I in P. von Winterfelds Übersetzung offen 1 1 ). 10

) ZfdA 29 (1885) 5 ff. und danach M . H e y n e , Übers. (1897) 56 f. " ) Deutsche Dichter (1922 3 ) 328; vgl. H. Gamer, A R V 11 (1955) 73.

Zur Überlieferung des Textes

8

Zwischen dem mit Vers X V 99, d. h. am Ende des Blattes 30 der Handschrift M, abschließenden Bericht von der Hochzeit des Neffen und dam X I V 1 bereits im Gange befindlichen Gespräch Ruodliebs mit seiner Mutter fehlt nach Laistners Berechnungen ein ganzes Blatt von rund 213 Versen, wenn man noch die wenigen am oberen R a n d von Blatt 25 (Fragment X I V ) weggeschnittenen Verse hinzuzählt. Über den mutmaßlichen Inhalt dieser Partie läßt uns der erhaltene Text völlig im unklaren: „Von da ( X V 99) bis zu jener Unterredung ( X I V 1 ff.) kann aber schwerlich viel zu berichten gewesen sein" (Laistner, A f d A 9, 78). D a sich aber Ruodliebs Gespräch mit der Mutter, die ihren Sohn unter Hinweis auf die unausweichlich nahenden Gebrechen des Alters zu baldiger Heirat drängt, mühelos dem Abschnitt von der Hochzeit des Neffen anfügen läßt, scheint es nicht ausgeschlossen, daß zwischen beiden nicht ein ganzes Blatt, sondern nur die drei ersten Hexameter des Fragment X I V enthaltenden Blattes verloren sind. Laistners später geäußerte Vermutung, daß hier vielleicht erzählt worden sei, wie Ruodlieb die ihm zur Ehe empfohlene Dominella als die heimliche Geliebte eines Klerikers entlarvt habe 1 2 ), trifft bestimmt nicht das Richtige. Einerseits widerspräche eine mit voller Kenntnis dieses Umstandes unternommene Scheinwerbung, die von Anfang an allein auf die Demütigung der D a m e abzielen könnte, der Art Ruodliebs, der sich — wie noch zu zeigen ist — gerade in dieser Episode vor den Helden anderer Versionen des gleichen Stoffes durch besondere Diskretion auszeichnet, anderseits beweisen die Verse X V I 63 ff., daß ihm die Dominella bis dahin noch ganz unbekannt ist. Beide hier besprochenen Fragen der Rekonstruktion des Handlungsablaufs sind mit den uns gegebenen Mitteln kaum mehr zu lösen. Sie verursachen nicht nur eine gewisse Unsicherheit in der Textanordnung, sondern sind auch einer der Gründe dafür, daß der im folgenden Kapitel noch näher zu erörternde Zusammenhang des in den Fragmenten X I V , X V I und X V I I Erzählten mit den Lehren des Großen Königs und bestimmten Versionen der Exempelerzählung von den guten Ratschlägen bisher unerkannt geblieben ist.

12

) ZfdA 29 (1885) 22.

DAS H A N D L U N G S G E R Ü S T U N D SEINE Q U E L L E N „Ein junger Mann aus bester Sippe, noch unverheiratet, verläßt seine Heimat, getrieben von Ehrgeiz, Wissenslust oder der Not heimischer Unannehmlichkeiten . . . In der Ferne nimmt er Dienste bei einem König . . ., wird dabei unentbehrlich, gelangt zu Ehren und macht sein Glück . . . Er führt mit Geschick des Königs Geschäfte, erringt dessen Siege . . ., wird beliebt bei den Leuten, kann Bannerträger, Heerführer, Gesandter werden. Er wohnt womöglich Königsbegegnungen bei . . . " Endlich folgt er dem Ruf der Sippe in die Heimat. Der mitgebrachte Gewinn an Reichtum und inneren Werten wird „ein konstitutives Element für den jungen Mann wie für seine Sippe". Zukunftweisende Träume der Mutter, Brautgewinnung und Erbe füllen den weiteren Verlauf der Erzählung. Mit diesen Worten umschrieb Hans Naumann den Inhalt eines von ihm postulierten gemeingermanischen Erzählungstyps vom Königsdienst eines Jünglings in der Fremde, der dem Ruodlieb ebenso wie einer ganzen Reihe isländischer Sagas zugrunde liege 1 ). Vergleicht man den Inhalt dieser Sagas mit dem Ruodlieb, so zeigt sich bald, auf welch schwankendem Grunde Naumanns Konstruktion errichtet ist: Ausfahrtmotiv und Königsdienst sind die einzigen durchgängigen stofflichen Gemeinsamkeiten, alle anderen Motive des Naumannschen Handlungsschemas teilt der Ruodlieb jeweils nur mit der einen oder anderen Saga; die zunächst so „überraschende ähnlichkeit" 2 )

kommt

allein dadurch zustande,

Familien-

daß hier wie

dort

für den Aufbau der jeweiligen Handlung so bedeutsame Züge unterdrückt werden wie das Motiv der Wahl zwischen Gold und Weisheit mit anschließender Bewährung der Lehren im Ruodlieb. So wird man W. Baetke zustimmen: „Bei näherem Zusehen ist allerdings die Ähnlichkeit nur oberflächlich und von einem ,altheimischen

Erzählungs-

besitz' wird man hier kaum reden können 3 )." 1) FS Genzmer (1954) 307 ff.; dazu: W . Mohr, W , 1. Sonderheft (1953) 37 ff.; K. Hauck, M Ö I G 62 (1954) 136; K. Halbach, Aufriß II (1954) 5 2 7 ; P . Schach, Monatshefte 46 (1954) 353 ff.; K. Langosch, Verf.-Lex. V (1955)

1019 f.

2) W . Mohr, W , 1. Sonderheft (1953) 37. 3 ) D L Z 75 (1954) 21.

Der Ruodlieb und die Sagas

10

Jeder Blick auf Erzählweise und Stil bestätigt dieses vom Stofflichen her

gefällte

Urteil.

Den

lateinischen

leoninischen

Hexametern

des

Ruodlieb steht die aus jahrzehntelanger mündlicher Tradition fast unverändert aufs Papier gekommene heimische Prosa der Sagas gegenüber, dem geistlich

und literarisch

gleichermaßen

gebildeten

Dichter

der bloße Aufzeichner des mündlich Überlieferten; denn zu dieser der Freiprosalehre gemäßen Hypothese von Ursprung und Traditionsform der von ihm herangezogenen Sagas müßte sich Naumann bekennen, um ihre mit dem Ruodlieb annähernd gleiche Entstehungszeit

darzutun 4 ).

„Die Saga begann als Chronik . . . U n d davon hat sie viel bewahrt; sie blieb Zwischenform von C h r o n i k und Unterhaltungsstück. Auch die besten ,ausgeschriebensten' Werke. Allen sind wichtig die Massen von Namen, Stammbäumen, örtlichkeiten

. . , 5 ) " . I m Ruodlieb

dagegen

bleiben alle handelnden Personen, außer dem Helden selbst, namenlos, und auch seinen Namen erfahren wir erst in der zweiten H ä l f t e der Dichtung 6 ). Allein das L a n d des Großen Königs trägt einen N a m e n , Africa

( X I 4 2 . 4 7 ; X V I 5), aber mit dem muselmanischen Afrika des

11. Jahrhunderts

hat es nicht das geringste zu tun 7 ).

Genealogische

Angaben fehlen im Ruodlieb völlig. Audi Naumann sah diese anhand der Darstellung des Sagastils in A. Heuslers Literaturgeschichte ( 1 9 4 1 2 ) 2 1 7 — 2 3 1 mühelos noch zu erweiternde Fülle stilistischer Diskrepanzen: „Es mag sich auch im Ruodlieb um ein Gegenwartsbegebnis handeln, vielleicht aus des Dichtermönches Verwandtschaft, und so vermeidet er in gewisser Scheu die N a m e n 8 ) . " Mit dieser bereits von G . Ehrismann 9 ) erwogenen Ansicht, die den Ruodlieb zu einem gleichsam chiffrierten historisch-realistischen

Roman

stempeln

und

dadurch

der

bei

aller

Fabulistik doch chronikhaften und aufs Geschichtliche gerichteten G a t tung der von ihm herangezogenen Sagas annähern möchte, verkennt Naumann, wie andere den kulturhistorischen Gehalt betonende

For-

scher vor ihm, daß es sich beim Ruodlieb keineswegs um ein von der Wirklichkeit der Welt und des ritterlichen Lebens um 1 0 5 0 inspiriertes Kunstwerk handelt, sondern um ein dem Adel dieser Zeit zur Nach4 ) Vgl. dazu Einar Öl- Sveinsson, Dating the Icelandic Sagas (1958) 7ff.; 74 f.: „Very much more difficult is the question of the age of the sagas. . . . On this question we must begin all over again"; W. Baetke, Über die Entstehung der Isländersagas (1956) 86; 94 ff. 5 ) A. Heusler, Die altgermanische Dichtung (1941 2 ) 219. 6 ) Die X V I I I 8 bzw. 11 genannten Immunch, Hartunch und Heriburg treten nicht selber auf. 7) Lukka (XIII 114), Cordoba (XIII 118) und Byzanz (V 314) taudien nur am Rande als Herkunftsorte für Kleidungsstücke oder Münzen auf. 8 ) FS Genzmer (1952) 320. ») LG 12 (1932) 414 A. 2.

D i e Stoffquellen des Ruodlieb

ahmung vor Augen gestelltes Idealbild lichem Geist.

ritterlichen

11

Lebens aus christ-

Aus welchen Stoffquellen, ideen- und stilgeschichtlichen Traditionen der Autor Anregungen empfing, in welcher Form er sie aufnahm und seinem Werke einverwandelte, ist nun im einzelnen zu untersuchen. Wie man seit dem Einsetzen der Forschung weiß, sind Aufbau und Inhalt des Ruodlieb weithin bestimmt durch den über große Teile der Erde verbreiteten Erzählungstyp von den guten Ratschlägen und ihrer Bewährung 1 0 ). Ihm ist der Dichter sogar in noch stärkerem Maße verpflichtet, als es die stoffgeschichtlichen Untersuchungen Seilers 11 ) und Laistners 12 ) erkennen lassen. Alle a u f g r u n d der Variantennachweise R. Köhlers 13 ) von Seiler u n d Laistner herangezogenen Erzählungen gehören mit nur einer Ausnahme 1 4 ) zum Typus Aarne 910 B (Die guten Ratschläge des Dienstherren). Ihm folgt der Ruodlieb im Abschnitt V 220 bis X 90 (Abschied vom Rex Maior mit Lehrenerteilung; Heimreise mit Herbergsabenteuern und Bewährung der Lehren 1 bis 3). Wie viel daneben auch der Typus Aarne 910 A (Durch Schaden klug: die Lehren des sterbenden Vaters) 1 5 ) zu Stoff und Anlage des Ruodlieb beigetragen hat, blieb infolge der fast ausschließlichen H e r a n ziehung von Varianten des Typus 910 B bisher ganz unbemerkt. Zum T y p 910 A gehört der erste Teil der 7. Lehre, wo vom rechten Verhalten bei der Wahl einer Ehefrau die Rede ist (V 484 ff.), samt dem darauf sich beziehenden Werbungsabenteuer Ruodliebs (XVI und X V I I 10 ) A . Aarne, Verzeichnis der Märdientypen, F F C 3 (1910) 39, N r . 9 1 0 A . B. C. " ) Ausg. (1882) 4 5 — 7 4 . 12 ) A f d A 9 (1883) 7 9 — 9 0 u. Z f d A 2 9 (1885) 4 4 3 — 4 6 5 . 13 ) Vgl. dazu: Seiler, Ausg. (1882) 47 u. 52. A u f ein dem Ruodlieb verwandtes Märchen aus C o r n w a l l wies schon A . Schmeller hin, Z f d A 1 (1841) 417. 14 ) Seiler, Ausg. (1882) 49 f., nach Martinus Polonus, Sermones de tempore et de sanctis, Argentinae 1484, und dem Promptuarium exemplorum (c. 18) v o m A n f a n g des 13. Jahrhunderts. 15 ) Walter Mapes, N u g a e curialium (1193), ed. Wright 2 (1850) 31; dazu: F. Liebrecht, Zur Volkskunde (1879) 36. Sacchetti (1335 — ca. 1410), N o v e l l e 16. Conrad Derrer, Gesdiichtenbuch N r . 18 (bei A . Wesselski, Märchen des Mittelalters, 1925, 90, N r . 31). Cent nouvelles nouvelles, N r . 52 (1. Druck nach einer französischen H a n d schrift v o n 1486). C. Malespini, D u c c n t o N o v e l l e (1609), N r . 14. Grundtvig, Gamie danske minder 3, 39. K e n n e d y , Legendary fictions of the Irish Celts (1866) 73. Langbein, Gedichte (1788) „Lobesans Schicksale". Bergström och Nordlander, Sagor, in: Svenska Landsmalen 5, 2 (1885) 3.

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Die Stoffquellen des Ruodlieb

1—84). Dieses regte dann nicht nur die kontrastierenden Szenen der Neffenhandlung ( X I I , X I I I , I X — X I , XV) und das Gespräch zwischen Mutter und Sohn über das Alter an, das mit der Mahnung zu baldiger Heirat ausklingt ( X I V u. X V I 1—23), es hatte auch zur Voraussetzung, daß Ruodlieb im Gegensatz zu den Helden der Erzählungen des Typs 910 B bei seinem Auszug noch unverheiratet sein mußte, so daß nun die Mutter anstelle der Gattin den Ausreitenden mit sehnsüchtigen Blicken verfolgt und den zehn Jahre lang Entfernten zur Heimkehr mahnt. In der von A. Wesselski abgedruckten Erzählung Conrad Derrers lautet die dritte, der siebenten Lehre des Ruodlieb entsprechende Mahnung des sterbenden Vaters: Heirate nie eine Frau aus der Fremde. Wie die vorangehenden erprobt der Sohn auch diesen R a t des Vaters durch die T a t : Er läßt also f ü r sich um die H a n d eines Mädchens anhalten, das er nur vom Hörensagen kennt. Doch der aus der Mißachtung von Lehre 1 und 2 entstandene Schaden hat ihn vorsichtig gemacht. Deshalb sucht er sich Gewißheit über die Braut zu verschaffen, indem er unerkannt in ihrem Hause um ein Nachtlager bittet. So entdeckt er ihr heimliches Stelldichein mit einem Kleriker, dem sie beim Abschied zwei Leinengewänder schenkt. Mit H i l f e dieser Beweisstücke, die er listig an sich zu bringen weiß, entlarvt er die Braut am Hochzeitstag vor allem Volk als Dirne 1 6 ). Die durch diese Parallele gesicherte Beziehung der Werbungsgeschichte Ruodliebs auf Lehre 7 wurde bisher, sofern man sie überhaupt in Erwägung zog, entweder bestritten 1 7 ) oder als Versuch des Autors mißdeutet, sich um des geplanten Einlenkens in die ihn von seinem ersten Entwurf abziehende Ruodliebus-Sage willen vom bisher den Gang der H a n d l u n g bestimmenden Lehrenkatalog zu lösen, indem er dessen Versagen am Beispiel der siebenten Lehre demonstriere 1 8 ). Diese Fehldeutungen sind nicht allein eine Folge der ungenügenden Beachtung des Erzählungstypus Aarne 910 A ; sie wurden begünstigt durch die seit Seiler übliche Umschreibung von cognoscibilis (V 486) mit .angesehen' oder verwandten Ausdrücken 19 ). Durch diese Über16 ) Die Mahnung, Freunde nicht zu oft zu besuchen, bildet bei Derrer den Inhalt der zweiten, im Ruodlieb der fünften Lehre (V 472 ff.). " ) Schmeller, Ausg. (1838) 215 f.; Seiler, Ausg. (1882) 45; Singer, FS Zwierzina (1924) 50; Ehrismann, LG I 2 (1932) 410; Haudc, PBB 70 (1948) 380 f. 18 ) Laistner, A f d A 9 (1883) 89 und ZfdA 29 (1885) 22; ihm schloß sich an: R.Kögel, LG I 2 (1887) 393. 1B ) Ausg. (1882) 311; vgl. Laistner, ZfdA 29 (1885) 22; M . H e y n e (1897) 35, übersetzt: „aus einem guten Hause", P. von "Winterfeld, Deutsche Dichter (1922 3 ) 310 „von gutem Haus", K. Langosch (1956) 143 „in einem angesehnen Haus", E. Zeydel (1959) 75 „worthy of knowing".

Die Stoffquellen des Ruodlieb

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Setzung wird der erste Teil der siebenten Lehre fast zu einer bloßen Tautologie (V 484 ff.): Si übet uxorem traducere nobiliorem ... Tunc cognoscibilem conquire tibi mulierem. Der durch die Parallele bei Conrad Derrer verdeutlichte Zusammenhang mit der Dominella-Episode fordert für cognoscibilis eindeutig die Übersetzung ,erkennbar, bekannt' (als Gegensatz von ,fremd, unbekannt'): Wenn du ein edles Eheweib heimführen willst, dann wähle eine Frau, die du kennst (die cognoscibilis, ,erkennbar' ist). Der Thesaurus Linguae Latinae I I I (1907) 1500 f. umschreibt cognoscibilis mit id, quod cognosci potestä0); für die Überzeugung mit ,angesehen' bietet er keine Stütze. In einer Übersetzung der Summa Theologica des heiligen Thomas von Aquin, die uns in einer Weingartner Handschrift des 14. Jahrhunderts überliefert ist, wird cognoscibilis durch, ,erken(t)lich, bekentlich, erkennelich, ,zebekennen' wiedergegeben 21 ), d. h. durch Wörter, deren Bedeutung ,erkennbar, bekannt' im Mittelhochdeutschen Wörterbuch durch eine Fülle von Belegen gesichert ist. Durch den Nachweis, daß außer dem bisher allein beachteten Typus Aarne 910 B auch der Typus 910 A den Ruodlieb stofflich stärker beeinflußt hat, werden Seilers und Laistners Versuche, seine Stellung im Rahmen der mutmaßlichen Entwicklungsgeschichte des Erzählstoffes von den guten Ratschlägen zu bestimmen 32 ), hinfällig, zumal seither so viel neues Material bekannt geworden ist, daß die Geschichte dieser weitverzweigten Gruppe von Erzählungen nach dem Urteil A.Wesselskis schon „bei oberflächlicher Bearbeitung einen starken Band füllen" müßte 2 3 ). Während diese Aufgabe hier keineswegs in Angriff genommen werden kann, scheint es doch geboten, den Text selbst nach Hinweisen zu untersuchen, in welchem literarisch-kulturellen Milieu der Stoff im 11. Jahrhundert lebendig gewesen und wie oder auf welchen Wegen er dem Dichter zugekommen sein könnte. 2 0 ) Vgl. ferner: L. Diefenbach, Glossarium (1857) 130; Baxter/Johnson, Medieval Latin Word-List (1947) 85; A. Souter, A Glossary of Later Latin to 6 0 0 A. D. (1949) 5 7 ; J. F. Niermeyer, Mediae Latinitatis lexicon minus, Fase. 3 (1956) 196. 2 1 ) Middle High German Translation of the Summa Theologica by Thomas Aquinas, ed. B . Q . M o r g a n u. F. W. Strothmann (1950) Glossar, S. 351. Die dort gegebenen Textverweise sind folgendermaßen zu berichtigen: erken(t)lich 2 8 4 . 3 0 0 ; bekentlich 2 9 6 ; erkennelich 2 8 5 ; zebekennen 299. 2 2 ) Ausg. (1882) 6 3 — 7 3 ; Laistner, AfdA 9 (1883) 81—90. 2 2 ) Märchen des Mittelalters (1925) 219.

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Zur Herkunft des Ruodlieb-Stoffes

Neben Geboten ethisch-religiöser Art enthält der Lehrenkatalog des Großen Königs Regeln rein praktischer Lebensklugheit, die den greifbaren Nutzen weisen Verhaltens in den Vordergrund stellen. Das entspricht so genau dem Charakter der biblischen Spruchbücher 24 ), jenem Hauptreservoir aller mittelalterlichen Sprichwörterweisheit und praktischen Lebenslehre, daß man von vornherein auch mit inhaltlichen Berührungen und Parallelen rechnen muß. So schließt die f ü n f t e Lehre des Großen Königs, Freunden durdi allzu häufige Besuche nicht lästig zu werden (V 472 ff.), an Prov. 25, 17 an: Subtrahe pedem tuum de domo proximi tui, nequando satlatus oderit ie 25 ). Die sechste Lehre rät davon ab, eine Magd zur Gattin zu nehmen (V 476 ff.); Prov. 30, 21—23 heißt es zum gleichen T h e m a : movetur terra ... per ancillam cum fuerit heres dominae suae. Beides läßt sich gut auf die unglückliche Ehe des alten Bauern mit seiner ehemaligen Magd beziehen, die in den Fragmenten VI bis V I I I geschildert wird 2 9 ). Auch vor der Ehe mit einer Frau aus der Fremde, einer mulier aliena et extranea, wird in den Proverbia an mehreren Stellen gewarnt (2, 16; 6, 25; 7, 5); dem entspricht der in Lehre 7 a gegebene Rat, nur eine mulier cognoscibilis zur Ehe zu nehmen (V 484 ff.). Lehre 7 b, bei aller Liebe und Verehrung f ü r die Gattin doch H e r r im Hause zu bleiben (V 488 ff.), erinnert an Eccli. 33, 20: mulieri... non des potestatem super te (vgl. auch 9, 2; 25, 30). Die achte Lehre (V 498 ff.) w a r n t vor unbedachtem H a n d e l n im Zorn wie Eccli. 11, 7: Priusquam interroges, ne vituperes quemquam. Nie mit dem Dienstherrn zu streiten und ihm lieber gleich zu schenken, was er leihen wolle, da es ohnehin verloren sei (Lehre 9; V 502 ff.), stammt vielleicht aus Eccli. 8, 1 und 15: Non litiges cum homine potente, ne forte incidas in manus illius... Noli faenerari homini fortiori te quod si faeneraveris, quasi perditum habe. Verwandt ist der Spruch N r . 43 a des lateinischen Dialogs des Salomon und Marcolfus: Contra hominem potentem et aquam currentem contendere noli27). Zu den dort erzählten Geschichten von Salomo und seinem listigen Ratgeber gehört auch eine Erzählung, die zur Illustrierung der Lehre 24 ) Vgl. dazu V. Ryssel, in: E. Kautzsch, Die Apokrypen und Pseudepigraphen des Alten Testaments I (1900) 230. — Die Spruchbüdier galten im Mittelalter allgemein als Schriften König Salomos. 25 ) H . N a u m a n n , FS Genzmer (1952) 322, verwies auf Havamal (Str. 26); K. Halbach, Aufriß II (1954) 527, erklärte ohne weitere Begründung sogar den gesamten Lehrenkatalog für germanischen Ursprungs. 2e ) D a ß die junge Bäurin einst nur Magd im Hause war, läßt sich aus den Worten des Richters folgern, der sie VIII 28 ancilla nennt. 27 ) Salomon et Marcolfus, hg. von Walter Benary, Sammlung mlat. Texte, hg. v. A. Hilka, Nr. 8 (1914) 10.

Zur H e r k u n f t des Ruodlieb-Stoffes

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dient, daß man einem Weibe kein Geheimnis anvertrauen solle (Lehre 7 c des Ruodlieb, V 494 ff.): U m dem König die Richtigkeit dieser Lehre zu demonstrieren, erzählt Marcolfus seiner Schwester Fusada unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit, er habe die Absicht, den König zu ermorden. Kaum hat er sie darauf vor Salomo eine Dirne genannt, die durch ihren Lebenswandel jedes Anrecht auf das gemeinsame väterliche Erbe verwirkt habe, d a offenbart sie dem H e r r scher, um ihr Erbteil zu retten, die angeblichen Mordpläne des Bruders. Damit hat Marcolf den König von der Wahrheit seiner Ansicht überzeugt 2 8 ). Die zwölfte Lehre des Großen Königs lautet (V 522 ff.): Si tibi sint segetes prope plateas generales, Non facias fossas, progressus ultiores In sata ne fiant.. . Audi dieser R a t wird durch eine Geschichte des ,Salomon et Marcolfus' illustriert: Pater mens facit de vno dampno duo dampna, sagt Marcolf zu Salomo und erläutert das dann folgendermaßen: Pater mens in campo est suo et semitam transeuncium occupare cupiens spinas in semitam ponit, hominesque venientes duas uias faciunt, et ita facit de vno dampno duo dampna29). Wenn die Ehebrecherin im Ruodlieb in ihrer Selbstanklage fordert, man möge sie an Mund und Nase verstümmeln ( V I I I 79: Nares truncate, quidquid sit et oris utrimque), so ist das die gleiche Strafe, die Salomos treulose Gattin von Marcolfus zu erleiden hat (Benary 51, 26 ff.). D a sich der Lehrenkatalog des Ruodlieb so eng mit den salomonischen Spruchbüchern verbunden zeigt, während zugleich mehrere seine Bewährung schildernde Episoden im Sagenkreis von Salomo und Marcolfus begegnen, darf man wohl schließen, daß die Erzählung von den guten Ratschlägen, deren Ursprung schon von der älteren Forschung im Orient gesucht wurde 3 0 ), in den Traditionskreis der Salomosage 28) Ebda. 2 7 — 3 0 . Vergleichbares bieten die bei Seiler, Ausg. (1882) 48, nach T e n d l a u , Fellmeiers A b e n d e (1856) N r . 34, erzählte Geschichte v o n den drei Brüdern im Dienste K ö n i g Salomos, die schon in der rabbinischen Sammlung ,Mesdialim schel schelomoh hammelech', Konstantinopel (1516), enthalten ist, die Gesta Romanorum, bei Grässe cap. 124 (mit weiteren Nachweisen), und die Hervararsaga; vgl. K. Liestol, FS M o g k (1924) 86. 29 ) Benary (1914) 23; vgl. Seiler, Ausg. (1882) 46 A . 1. 30 ) Schmeller, Z f d A 1 (1841) 421; Seiler, Ausg. (1882) 63; F. v o n der Leyen, G R M 10 (1922) 135; Burdach, Vorspiel I 1 (1925) 283; F. Goebel, Jüdische M o t i v e (1932) 2 3 3 ff.

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Die Umformung des Stoffes

gehört und mit dieser (wohl über Byzanz) nach Westeuropa gelangte 31 ). Diese Annahme wird dadurch gestützt, daß in mehreren Varianten unseres Erzählungstypus, die sämtlich dem Mittelmeerraum zugehören, König Salomo die Rolle des die Lehren erteilenden Weisen innehat 32 ). Auch die im Ruodlieb mit dem Typus Aarne 910 B (die Lehren des Dienstherrn) kombinierte Version 910 A (die Lehren des sterbenden Vaters) läßt an altjüdische Vorbilder denken (Liber Tobiae 4, 1 ff.). Wie der Salomostoff allmählich durch Reihung und steigernde Wiederholung der Motive zu immer größerem Umfang aufgeschwellt wurde, so weitete auch ider Dichter des Ruodlieb den anekdotenhaft engen Rahmen der Erzählung von den guten Ratschlägen, den die meisten anderen Versionen treu bewahrten, zu einem romanhaft bunten Erzählgefüge 33 ). Er tat dies nicht allein dadurch, daß er die durch das Motiv der Erteilung nützlicher Lehren verwandten und sich auch inhaltlich berührenden Erzählungstypen Aarne 910 A und B zu einem Ganzen zusammenfügte, wodurch die Zahl der Lehren und damit auch der daran geknüpften Abenteuer vermehrt wurde, sondern fügte noch eine Reiihe neuer Figuren und Nebenhandlungen, ausführliche Beschreibungen und gelehrte Exkurse (über die buglossa, den ligurius u. ä. Themen) ein. So kann es zunächst scheinen, als ob ihm über dem Streben nach Ausweitung des gegebenen Rahmens, die er außer durch Stoffvermehrung auch durch Anwendung stilistischer Mittel zu erreichen strebte 34 ), die ursprünglich einfache Grundstruktur seiner Geschichte schließlich ganz auseinander gefallen sei. Die Zeit des Aufenthalts seines Helden in der Fremde, der die anderen Varianten des Typus 910 B kaum mehr als einige Sätze widmen, füllt im Ruodlieb fast ein Drittel des an31 ) Zeugnisse für frühe Kenntnis der Geschichten von Salomo und Marcolfus im Abendland nennt Benary in seiner Ausgabe des lateinischen Dialoges (1914) VII f.; vgl. auch H. F. Rosenfeld, ,Salman und Morolf', Verf.-Lex. IV (1953) 4—21, besonders 13 ff. 32 ) So in der jüdischen Erzählung aus Byzanz bei Seiler, Ausg. (1882) 48; in drei spanischen Varianten, ebda. 56 ff.; in einem neugriechischen Märchen bei Palumbo, in: Muséon III (1884) 552—560 (vgl. Notes and Queries, 1885, 104); einer römischen Erzählung, Notes and Queries 11 (1880) 209; einer französischen, Revue des Traditions Populaires II 520 (vgl. Seymour, Tales of King Solomon, S. 42 f.) ; einem lateinischen Exempel aus Hs. Tours 468 der Compilatio singularis exemplorum (vgl. A. Wesselski, Märchen des Mittelalters (1925) 91, Nr. 32). 33 ) Zu dem dabei angewandten Kumulationsverfahren vgl. H. Fischer, Zur Gattungsform des .Pfaffen Amis', ZfdA 88 (1958) 291 ff., bes. 296. 34 ) Vor allem die nicht selten angewandte Variationstechnik verdiente eine genauere Untersuchung. Vgl. dazu: Leonid Arbusow, Colores rhetorici (1948) 21 ff.; 29 ff. (mit weiterer Lit.); E. Faral, Les arts poétiques (1923) 61 ff.; H . Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik (1960) Registerband S. 835 s. v.

Die Umformung des Stoffes

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nähernd 4000 Hexameter zählenden Gedichts. Der Inhalt dieser Partie (I 1 — V 447), die Geschichte vom Iuvenis (VI 31—116; V I I 1—25), die breit ausgeführte Gerichtsszene samt dem darin eingeschobenen Bericht vom Büßerleben der Ehebrecherin (VIII), die Neffen-Episode ( X I I ; X I I I ; I X ; X 22—32; XV) und die mit den Träumen der Mutter ( X V I I 85) einsetzende Schlußpartie entfernen sich weit vom Grundgefüge der Erzählung von den guten Lehren. Die Ratschläge haben ihre zentrale, den A u f b a u bedingende Stellung eingebüßt; nur einige werden im Verlauf der H a n d l u n g erprobt, andere (vor allem die vierte, fünfte, neunte und elfte Lehre) sind so abgefaßt, daß sie keiner weiteren Bestätigung bedürfen 3 3 ). Z w a r stellte dem gegenüber schon Seiler fest, daß „der Stoff im Ruodlieb durch ein bewußt schaffendes Dichteringenium umgebildet worden" sei (Ausg., S. 72), doch verharrte seine Betrachtung im ganzen so sehr in der stoffgeschichtlichen Perspektive, daß er zu dem Schluß kam, am Ende habe der Autor doch vor der selbstgewählten Aufgabe, derart heterogene Elemente zu integrieren, versagt und resignierend seinen ursprünglichen Plan fallen gelassen: „Demnach charakterisiert sich das Gesicht als ein großartig angelegter epischer Versuch, dem aber die K r a f t der Ausführung noch nicht entsprach" (ebda., S. 73) 36 ). Um die neue Gestalt, zu der sich die vorgegebenen Stoffe unter der H a n d des Dichters formten, in ihrer inneren Notwendigkeit zu erfassen, gilt es, den Blick von den Stoffquellen hinweg der alle Szenen bedingenden und prägenden Idee zuzuwenden. Erst von dort aus lassen sich die Wandlungen der äußeren Gestalt als sinnvoll erkennen und die Stufen und Formen der Abhängigkeit des Autors von literarischen Mustern und Anregern nach ihrer inneren Bedeutsamkeit genauer beurteilen.

3S

) Vgl. Seiler, Ausg. (1882) 46 u. 72. ) Auch Laistners Ruodliebus-Hypothese und Singers Versuch, den Ruodlieb als epischen Niederschlag eines Spielmannsrepertoires zu deuten, gehen vom Scheitern oder Fehlen einer einheitlichen Konzeption des Ganzen aus. 38

2 Braun,

Ruodlieb-Studien

MENSCHENBILD U N D E T H O S Alle bisher unternommenen Versuche, das Verhältnis des Ruodlieb zur geistigen und konkreten Welt des elften Jahrhunderts näher zu bestimmen und ihn von der Lebenswirklichkeit seines Autors her zu deuten, gehen nicht von Ruodlieb selber, sondern von der Gestalt des Großen Königs aus. Obwohl man damit der Akzentverteilung des Werkes, das dem Rex Maior nur eine — wenngleich sehr bedeutsame — Nebenrolle zuweist, kaum gerecht wird, hat die Forschung bis in jüngste Zeit an diesem Ansatz festgehalten 1 ). Audi das Bestreben, Handlung und Figuren des ersten „historischen" Teils { I I — V 219) mittelbar oder unmittelbar aus geschichtlichen Vorgängen herzuleiten, wirkt bis heute kräftig nach2). Am Anfang aller derartigen Untersuchungen steht die Beobachtung W. Giesebrechts, daß die Schilderung der Königsbegegnung im Ruodlieb (V 1—219) erstaunliche Parallelen zu zeitgenössischen Berichten3) vom Treifen Heinrichs II. mit Robert von Frankreich aufweise. Er folgerte daraus, daß es sich im Ruodlieb um eine „poetische Reproduktion" jenes Vorgangs handeln müsse4). Nachdem diese Ansicht, wenn auch mit geringen Modifikationen (Seiler, Ausg., S. 77), mehrere Jahrzehnte allgemein gegolten hatte, meldete K. Strecker, der ihr zunächst nodi zögernd zustimmte, erste Bedenken an: Da der Ruodlieb kaum vor 1050 entstanden sei, verliere der Gedanke eines Zusammenhangs mit der um mehr als ein Menschenalter früheren Begegnung von 1023 viel an Wahrscheinlichkeit5). Karl Langosch verglich alle uns aus jener Zeit erhaltenen historischen Berichte über deutsch-französische Herrscherzusammenkünfte und fand, daß sie ein im wesentlichen festes Zeremoniell erkennen lassen; daraus folgerte er, weder das Treffen von 1023 noch irgend ein anderes, sondern dieses allgemein übliche Zeremoniell habe K. Hauck, Heinrich III. und der Ruodlieb, PBB 70 (1948) 372 ff. 2) K. Burdach, Vorspiel I 1 (1925) 144; G. Ehrismann, LG I« (1932) 408; H . Naumann, FS Genzmer (1952) 320; K. Haudc, MÖIG 62 (1954) 134 ff. 3 ) Gesta episcoporum Cameracensium III 37, MG SS VII 393 ff.; Rodulfus Glaber, Historiae III 2, ebda. 48 ff. *) Gesch. d. dt. Kaiserzeit II® (1881 ff.) 625; R. Kögel, LG I 2 (1897) 406, sah in seinem Dichter sogar einen Augenzeugen der Begegnung von 1023. s) NJbb 24 (1921) 291; FS Kehr (1926) 214; vgl. auch F. Loewenthal, Z f d A 64 (1927) 132. J. Kelle, LG I (1892) 282, und S. Singer, FS Zwierzina (1924) 47, nahmen ein (freilich nirgends bezeugtes) historisches Lied als Vermittler an.

Der Ruodlieb und die Geschichte

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dem Dichter zum Vorbild gedient 6 ). Das entspreche seinem auch sonst zu beobachtenden Verfahren, „einen Vorgang oder Zustand, eine Person oder einen Gegenstand nur so" darzustellen, „wie sie in seiner Zeit geschehen, vorhanden sein oder angefertigt werden konnten" 7 ). Die Betonung dieser Bindung des Dichters, wenn nicht an den einmaligen u n d konkreten historischen Vorgang, so doch ans allgemein Übliche und Mögliche, (birgt die Gefahr, das überall spürbare erzieherische Hinausdrängen seiner Darstellung ins Ideale, Mustergültige, ja Utopische zu unterschätzen, eine Tendenz, die dadurdi nur noch unterstrichen wird, daß er seinen Stoff keineswegs zu märchenhafter Irrealität und Unverbindlichkeit entwirklidit, sondern zeigt, wie vorbildhaftes Handeln aus der Gnade des Glaubens mit fortzeugender Kraft den natürlichen Menschen zu ergreifen und zu verwandeln imstande ist. Eine soldie Art der Darstellung k a n n man weder als realistisch, noch als märchenhaft bezeichnen, wie es immer wieder geschehen ist 8 ), sie entspricht vielmehr recht genau dem Stil der christlichen Legende, an die man bisher noch kaum gedacht hat, wenn es galt, sich mit dem literaturhistorischen Rätsel des Ruodlieb auseinanderzusetzen. Wie sehr des Dichters Wunschtraum einer auf das neutestamentliche Ethos der Gnade gegründeten Welt alles überfliegt, was in seiner Zeit politisch möglich und denkbar war, zeigt gerade ein Vergleich der H e r r schaft des Rex Maior mit dem Kaisertum Heinrichs I I I . und dessen erstmals 1043 auf der Oktobersynode zu Konstanz zutage getretenen Bemühungen um die Verwirklichung des Indulgenzgedankens, in denen K. Hauck (PBB 70, 1948, 398 ff.) eine der entscheidenden geistigen Voraussetzungen des Ruodlieb sehen wollte. Während es der Dichter im allgemeinen sorgfältig vermied, Orten und Personen seines Werkes bestimmte Namen zu geben, nannte er das ringsum von mehreren christlichen Reichen umgebene Land des Großen Königs Ajrica (XI 42.47; X V I 5). Das läßt sich angesichts der realen Verhältnisse des elften Jahrhunderts wohl nur als Hinweis darauf deuten, d a ß dieses Land mit keinem konkreten Staatsgebilde, also auch nicht mit dem mittelalterlichen Imperium Romanum oder seinem Kerngebiet, dem Regnum Teutonicorum, identifiziert werden dürfe 9 ). «) F S Strecker ( 1 9 4 1 ) 2 6 6 ff.; K . H a u c i , P B B 7 0 ( 1 9 4 8 ) 3 8 6 ; S t u d . G e n . 3 ( 1 9 5 0 ) 6 1 7 ff. 7 ) V e r f . - L e x . I I I ( 1 9 4 3 ) 1 1 4 3 . Ä h n l i c h ä u ß e r t e sich schon G. E h r i s m a n n , Z f d P h 3 6 ( 1 9 0 4 ) 4 0 0 u. L G . ( 1 9 3 2 ) 4 1 1 A . 4. s ) Strecker, R e a l l e x i k o n I I ( 1 9 2 6 / 2 8 ) 3 8 7 spricht v o n M ä r c h e n m o t i v e n „in g a n z realistischer D a r s t e l l u n g " . 8 ) Z u r F r a g e , w a r u m d e r D i c h t e r g e r a d e d e n N a m e n Africa wählte, vgl. Schmeller, A u s g . ( 1 8 3 8 ) 2 2 2 ; L a i s t n e r , A f d A 9 ( 1 8 8 3 ) 7 3 ; S i n g e r , F S Z w i e r z i n a ( 1 9 2 4 ) 4 2 ; L o e w e n t h a l , Z f d A 6 4 ( 1 9 2 7 ) 1 3 0 f. 2'

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Der Ruodlieb und die Geschichte

Der Große König führt weder den Titel „Imperator", noch ¡besitzt oder beansprucht er eine rechtliche Vorrangstellung vor den Herrschern der Nachbarreiche. Die freiwillige Unterwerfung des Rex Minor weist er ausdrücklich zurück (V 5 4 f f . ) : Rex ait: „hoc absit, ego dum uiuam neque fiet, Vt tibi quid iuris aut adminuatur honoris; Es rex sicut ego, tibi me preponere nolo, Eiusdem iuris es, cuius sum, uel honoris ..." Anders als die Kaiser des Mittelalters fühlt er sich keineswegs als Oberhaupt der gesamten Christenheit, wiewohl ihn alle Könige der Nachbarreiche freiwillig als solches anerkennen (IV 151 ff.): „Vtque diu uiuas ualeas regnes et abundes, Nobis et cuntis affinibus undique regnis Est exoptandum communiter atque precandum. Nam columen nostri tu solus es in uice Christi Atque superstite te bene possumus imperitare Sub uestre fidei scuto diutissime tuti. . ." Die menschliches Maß fast schon übersteigende Großmut des Rex Maior findet ihren sichtbarsten Ausdrude in seinem Verhalten gegenüber dem als friedenstörender Räuber und Mörder in sein Land eingefallenen Grafen aus dem Nachbarreich, dessen Trotz er durch Liebe und Vertrauen zu überwinden sucht ( I V 108 ff.), um ihn schließlich reidi beschenkt und im Glanz neuer Waffen wie einen Freund in die Freiheit zu entlassen (IV 235 ff.; V 60 ff.). Heinrichs I I I . Indulgenzakte dagegen zielten zunächst allein auf die Beseitigung des Fehdewesens im Innern des Reiches. Hinsichtlich seiner äußeren Feinde bedeutete das Pathos des Friedensgedankens eher eine Verschärfung der Lage. So tat der Kaiser alles, um seinen Ungarnkrieg vom Jahre 1044 „nicht als eine profane Friedensstörung, sondern als ein heiliges Unternehmen erscheinen zu lassen. Vom Papst Benedikt I X . erwirkte er die Exkommunikation des Ungarnkönigs und die Ubersendung einer Siegesfahne im Namen des heiligen Petrus; nach erfochtenem Siege hielt er eine kirchliche Dankesfeier ab, indem er sich mit drei Fürsten und dem Heere barfuß vor einer Kreuzesreliquie niederwarf und wieder eine allgemeine Amnestie verkündete" 1 0 ). Ein von Hauck (PBB 70, 395 u. A. 1) als Zeugnis für Heinrichs Ruhm als Friedenskaiser herangezogener Brief des Abtes Bern von Reichenau vom Jahre 1044 vergleicht diesen Sieg mit dem Triumph Ezechias über 10

) C. Erdmann, Kreuzzugsgedanke (19552) 58.

21

Der Ruodlieb und die Geschichte

S a n h e r i b , w o der E n g e l des H e r r n 185 000 A s s y r e r in einer N a c h t erschlug, w ä h r e n d S a n h e r i b selbst v o n d e r H a n d

seiner eigenen

Söhne

fiel ( I I . R e g . 18, 1 3 — 1 9 , 37). Es b e d a r f k a u m eines H i n w e i s e s , w i e s t a r k sich dieses auf die S t i m m u n g d e r K r e u z u g s z e i t v o r a u s w e i s e n d e a l t t e s t a m-entliehe P a t h o s des gerechten Krieges z u m R u h m e G o t t e s v o n auf

das n e u t e s t a m e n t l i c h e

Ethos

der

Gnade

gestimmten

der

Darstellung

im R u o d l i e b unterscheidet. D i e I n d u l g e n z a k t e H e i n r i c h s I I I . zeigen d e n K a i s e r a n d e r

Spitze

einer aus der N o t d e r Z e i t g e b o r e n e n religiös-politisdhen B e w e g u n g z u r Beseitigung des v e r d e r b l i c h e n F e h d e w e s e n s , die v o n F r a n k r e i c h aus, w o sie v o n d e r K i r c h e g e f ü h r t w u r d e , n u n auch nach D e u t s c h l a n d h e r ü b e r z u w i r k e n n b e g a n n 1 1 ) . I m R u o d l i e b ist v o n einer solchen B e w e g u n g nicht die R e d e ; d e n n das L a n d des R e x M a i o r b e s i t z t in v o l l e m M a ß e , w a s diese —

o f t m i t keineswegs u n b l u t i g e n M i t t e l n



erst

erstrebte12):

U n t e r d e r H e r r s c h a f t seines v o r b i l d l i c h e n K ö n i g s e r f r e u t sich eines

nahezu

ungetrübten

inneren

und

äußeren Friedens;

,Africa'

mit

allen

N a c h b a r s t a a t e n b e s t e h t ein f r e u n d s c h a f t l i c h e s E i n v e r n e h m e n ( I I 51 ff.). D e r R a u b z u g des G r a f e n aus d e m L a n d e des R e x M i n o r ist im G r u n d e k a u m m e h r als eine E p i s o d e , die dieses heitere Bild nicht ernstlich z u trüben vermag, zumal

der K l e i n e K ö n i g nicht m i n d e r e i f r i g auf F r i e d e n

u n d V e r s ö h n u n g b e d a c h t scheint als d e r R e x M a i o r . So w e n i g d e m n a c h das Reich des G r o ß e n K ö n i g s als ein idealisiertes A b b i l d d e r geschichtlichen W i r k l i c h k e i t u m 1050, s o n d e r n eher als eine A r t G e g e n b i l d gelten k a n n , so w e n i g wahrscheinlich

ist es, d a ß

der

D i c h t e r d e n eigentlichen A n s t o ß z u seiner V i s i o n einer aus d e m Geist neutestamentlicher

Caritas v e r w a n d e l t e n

Welt,

die er überdies

durch

w e i t g e h e n d e V e r m e i d u n g v o n N a m e n u n d durch das d e m i n d i v i d u a l i s i e r e n d e n V e r f a h r e n des H i s t o r i k e r s g e r a d e e n t g e g e n g e s e t z t e M i t t e l d e r T y p i s i e r u n g u n d Stilisierung v o r j e d e r V e r w e c h s l u n g m i t d e r R e a l i t ä t z u schützen trachtete, d e r B e g e g n u n g m i t d e n bei aller I d e a l i t ä t

doch

s t a r k d e n B e d i n g t h e i t e n d e r Z e i t v e r h a f t e t e n B e s t r e b u n g e n des Kaisers zu verdanken habe. D a ß K . H a u c k die B e d e u t u n g d e r a r t i g e r

biographisch-erlebnishafter

F a k t o r e n w o h l v o n A n f a n g a n ü b e r s c h ä t z t z u h a b e n scheint, z e i g t die Wendung

seiner j ü n g s t e n B e i t r ä g e z u r R u o d l i e b - F o r s c h u n g .

Hatte

er

f r ü h e r e r w o g e n , o b nicht H e i n r i c h selbst A u f t r a g g e b e r u n d M ä z e n des Dichters

gewesen

sei, u m

durch

dessen

Werk

seiner

Friedenspolitik

den B o d e n b e r e i t e n z u h e l f e n (auch dies eine u n b e w i e s e n e u n d u

unbe-

) C. Erdmann, Kreuzzugsgedanke (1955 2 ) 53 ff. ) Ebda. 56: „Die in den Gottesfriedenssatzungen häufig vorgesehenen Maßnahmen gegen die Friedensbrecher laufen auf nichts anderes als einen neuen, diesmal v o n der Kirche selbst angeordneten Krieg hinaus." 12

22

,Edle Rache"

weisbare Annahme, die sich jedoch darauf stützen konnte, daß beider Ideale im Grunde verwandten Ursprungs sind) 1 3 ), so näherte er sich nun der ganz in die kaum verlassenen Bahnen realgeschichtlicher Deutung zurücklenkenden Anschauung H . Naumanns. Neben dem Ludwigslied sei der Ruodlieb der einzige deutsche Beleg einer aus adeliger Hausüberlieferung erwachsenen Literaturgattung, die durch „die Schilderung des heil- und glückbringenden Dienstes des Sippenhauptes bei einem großen Herrscher oder auch der Gottheit selbst" den glückhaften Aufgang eines Geschlechts darstelle. Erringung der Teilhabe am Königsglück, Erweis der eigenen „Heilhaftigkeit" des Helden durch normative Taten und genealogisches Interesse seien konstitutive Kennzeichen dieser Gattung 1 4 ). Von alledem kann jedoch hinsichtlich des Ruodlieb kaum gesprochen werden. Schon die Unbedenklichkeit, mit der Hauck das ein genau fixiertes geschichtliches Ereignis feiernde, ganze 59 Langzeilen umfassende Ludwigslied und den rund 4000 Hexameter zählenden Ruodlieb, dessen typenhafte Figuren jede historische Identifikation verbieten, der gleichen literarischen Gattung zuordnen möchte, zeigt vielmehr erneut die Brüchigkeit dieser These. Gegenüber allen an der empirischen Geschichte und der mutmaßlichen Biographie des Autors orientierten Deutungsversuchen wiesen J. Schwietering und L. Sdiücking schon f r ü h auf bis in die frühchristliche Zeit zurückreichende geistes- und literaturgeschichtliche Zusammenhänge hin, von denen aus das Herrscherideal des Ruodlieb zu verstehen sei15). Dieser Tradition gehört auch der f ü r das Handeln des Großen Königs so bedeutsame Gedanke der „edlen Rache" an (III 14: Magnum uindicte genus est, si parcitis ire), den Hauck zum Anlaß nahm, den Ruodlieb mit Kaiser Heinrich I I I . in Verbindung zu bringen. Ausgehend vom Gebot der Bergpredigt (Audistis quin dictum est: Oculum pro oculo, et dentem pro dente. Ego autem dico vobis, non resistere 13 ) PBB 70 (1948) 392 f.; 405. i->) M Ö I G 62 (1954) 134ff.; zustimmend äußerte sich K. Langosch, Verf.Lex. V (1955) 1020. — Es entspricht dieser Modifikation seiner früheren Ansicht, daß Hauck d«n unter Hinweis auf den Namen Dietmar in den RuodliebEpigrammen II und III schon Stud. Gen. 3 (1950) 617 erwogenen Gedanken, ob nicht Graf Thietmar II. von Formbach aus dem Kreis um Heinrich III. anstelle des Kaisers Auftraggeber des Ruodlieb sein könne, nun erneut in den Vordergrund rückte: Aufriß II (1954) 1883 f. Vgl. dazu: E. Zeydel, D V S 33 (1959) 264 ff. und dessen Ausgabe (1959) 7 f. 15 ) J. Schwietering, Deutsche Dichtung des Mittelalters (1932 ff.) 32; L. Schücking, Engl. Stud. 67 (1932 f.) 1—14, bes. 8 f.; L. Sandrock, Das Herrscherideal in der erzählenden Dichtung des deutschen Mittelalters (1931) 10 ff.

,Edle Rache"

23

malo . . ., Mt. 5, 38 f.), hat die Forderung verzeihende! Feindesliebe, deren Paulinische Formulierung {Noll vinci a malo sed vince in bono malum, Rom. 12, 21) im Ruodlieb anklingt (mala malo bono quam reddere uincere prauo, V 42), einen festen Platz im Kanon christlicher Herrschertugenden. So heißt es bei Venantius Fortunatus (De domno Sigiberctho rege et Brunichilde regina, VI 1, 91 ff.): pectore maturo culpas indulget acerbas: unde alii peccant, ignoscendo iste triumphat: doctus enim quoniam prima est in principe virtus esse pium . . . W a l a h f r i d Strabo variiert dieses Lob in einem Gedicht an Kaiser Lothar vom Jahre 841 (MG Poetae II 413, Vers 11 ff.), indem er den christlichen Grundgedanken in eine sprachlich an Vergil (Aen. VI 853: parcere subiectis et debellare superbos) erinnernde Fassung bringt: patientia mentem Perdocuit tolerando magis superare superbos Fastibus et tumidos humilem transcendere vanis. O d o von Cluny, nach dem Zeugnis seiner beiden Biographen selbst ein Muster der Feindesliebe 16 ), bedient sich in der Vita Geraldi, auf die im Zusammenhang mit dein Ritterideal des Ruodlieb noch näher einzugehen ist, mehrfach der Worte des Apostels Paulus, um diese Eigenschaft an seinem Heiligen zu rühmen: Igitur ad insolentiam violentorum reprimendam se jam exercebat, id imprimis certatim observans, ut hostibus pacem, facillimamque reconciliationeml promitteret. Quod utique studebat, ut vel in bono malum vinceret, vel si Uli dissiderent, jam ante Dei oculos suae parti justitia plenius favisset (Vita Geraldi I 8, MPL 133, 646 C). Sane ut pateat qualiter in bono malum vincere consueverat, juxta apostolicum praeceptum, hoc ejus factum sub exemplo commemoretur.., (ebda. I 29, MPL 133, 659 B). Die von Cluny inspirierte und von den Kreisen der Reformer getragene Gottesfriedensbewegung schließlich machte den Gedanken der „edlen Rache" zum Angelpunkt ihrer sittlichen Forderungen an den christlichen Adel Frankreichs. Ihre unter Heinrich III. erstmals das politische Leben auch unmittelbar berührende Ausstrahlung auf Deutschls ) Vita sancti Odonis, scripta a Joanne monacho, ejus discipulo, II 8 u. 9 (MPL 133, 66 AB); Sancti Odonis vita altera, auctore N a l g o d o Cluniacensi monacho saeculi X I I . , cap. 34 (MPL 133, 99 D).

24

Zur Geschichte des Herrscherideals im Ruodlieb

land 1 7 ) kündigt sich schon in der lateinischen Literatur der Ottonenzeit durch die stärkere Betonung des Indulgenzgedankens an, wie sie vor allem f ü r das "Werk Hrotsviths von Gandersheim charakteristisch ist 18 ). Wie die Feindesliebe, die das Böse in der Welt durch Vergebung statt Vergeltung zu überwinden trachtet, so entsprechen auch die übrigen Tugenden des Rex Maior dem traditionellen christlichen Herrscherbild, das von Augustin nicht nur entscheidend geprägt, sondern zugleich auch dadurch von den in manchem durchaus verwandten Idealen der Antike abgehoben wurde, daß er die Inhaber der weltlichen Macht nur dann als reges iusti anerkannte, si . . . omnia faciunt, non propter ardorem inanis gloriae, sed propter caritatem felicitatis aeternae, si pro suis peccatis humilitatis et miserationis et orationis sacrificium Deo suo vero immolare non neglegemnt (De civ. Dei V 19). D a ß das Ethos des Rex Maior nicht auf Streben nach Ruhm, sondern ganz auf Demut vor Gott gegründet ist, zeigt er gerade im Augenblick höchsten äußeren Glanzes, als ihm Ruodlieb die seine Tugenden bis zu den Sternen erhebende Ergebenheitsadresse des Kleinen Königs übermittelt (IV 173 ff.): Talis rumoris rex talis ouans et honoris Subridens modicum nil protulit ore superbum; Susspiciens laudat dominum, quo dante triumphat, Nil reputando sibi sed ei dans omnia,. .. Als vicarius Christi (IV 154) verwaltet er sein königliches Amt. So nimmt er sich vor allem der Schwachen, Armen und Landfremden an (I 104 ff.; 86 f.; 131) 19 ). Auch Ruodlieb bezeugt es beim Abschied ausdrücklich (V 304 f.): Huc postquam ueni, pie rex, tibi meque subegi Pascha fuit tecum mihi Semper cottidianum. Friede im vollen Augustinischen Sinne des Wortes (pax hominum: ordinata concordia, De civ. Dei X I X 13), nicht bloßes Fehlen von Krieg und Fehden kennzeichnet seine Herrschaft (II 51 ff.) als Abbild und irdische Vorwegnahme des himmlisdien Königtums Christi (IV 146 ff.): 17 ) Zu Heinrichs III. Beziehungen zur Reformbewegung vgl. K. Hallinger, Gorze-Kluny (1950/51), Register s.v.; W. Schröder, Cluny und das frühmhd. Schrifttum, PBB 72 (1950) 384; H. Rupp, Deutsche relig. Dichtungen des 11. u. 12. Jahrhunderts (1958) 284; W. Weisbach, Religiöse Reform u. mittelalterliche Kunst (1945) 29 f. 18 ) Vgl. dazu E. Auerbach, Literatursprache u. Publikum in d. lat. Spätantike u. im Mittelalter (1958) 116 ff. 19 ) Dieser Zug gehört schon bei Venantius Fortunatus zu den stehenden Formeln christlichen Herrscherlobs, s. u. S. 98.

Z u r Geschidite des Herrscherideals im Ruodlieb

25

Nonne deizare nobis mérito uideare Indulgens sponte peccantibus absque petente? Econtra nil nos simile prebere ualeamus, Rétribuât sed ut is rex post, quem sie imitaris, Nos exorare debemus corde uel ore. Mit vollem Recht kann man den Rex Maior als eine der reinsten literarischen Verkörperungen des Augustinischen Fürstenideals bezeichnen 2 0 ); denn der Autor des Ruodlieb brauchte weder — wie andere, historische Herrschergestalten preisende Dichter — seinem Idealbild die Bedingtheiten der geschichtlichen Wirklichkeit zu adaptieren 21 ), noch hatte er sich vom Stoff her mit antiken oder germanischen Anschauungen auseinanderzusetzen. Das bedeutet aber keineswegs, daß seine Darstellung von derartigen Einflüssen völlig frei sein müsse, hatte doch gerade Augustins typologische Scheidung heidnischen und christlichen Königtums, die der Antike eine, wenngleich nur bedingte Vorbildlichkeit zugestand, ihre Herübernahme ohne Gefährdung des Eigenen möglich gemacht 22 ). So hat die im Ruodlieb besonders hervorgehobene Herrschertugend der dementia 2 3 ) neben christlichen schon früh auch Elemente der antiken Kaiseridee (dementia Caesaris), deren christliche Umprägung bereits in der Vita Canstantini des Eusebius zutage tritt 2 4 ), in sich aufgenommen 25 ). Während die lateinische Dichtung der Spätantike das christliche Herrscherideal voll entfaltete, wofür die Preisgedichte des Venantius Fortunatus ein eindrucksvolles Zeugnis bieten, trat in den späteren Jahrhunderten ein gewisser Rückschlag im Verhältnis der Kirche zu den weltlichen Gewalten ein, der sich selbst an der Darstellung der christlichsten Könige dieser Epoche noch ablesen läßt 2 6 ). ) L . Sandrode, Herrscherideal ( 1 9 3 1 ) 12. ) Z u r Bedeutung Augustims f ü r die Stilisierung des Herrsdierbildes der mittelalterlichen Geschichtsschreibung vgl. E . Bernheim, Mittelalterliche Z e i t anschauungen ( 1 9 1 8 ) . 22) S o stellt zum Beispiel der Archipresbyter L e o im P r o l o g seiner H i s t o r i a d e preliis (ed. Pfister, 1 9 1 3 , 4 4 ) die T a t e n A l e x a n d e r s ganz unter diesen typologisdien Gesichtspunkt, um daraus ihre bedingte Vorbildlichkeit für den miles diristianus abzuleiten. 23) Vgl. d a z u : H . G a m e r , Z f d A 88 ( 1 9 5 8 ) 2 5 5 f. 24) H . von Campenhausen, Griech. Kirchenväter ( 1 9 5 5 ) 6 7 ff.; H . Dörries, K o n s t a n t i n der G r o ß e ( 1 9 5 8 ) . 25) Quellenbelege zur antiken d e m e n t i a Caesaris: E . Stauffer, Die Botschaft Jesu ( 1 9 5 9 ) 121 ff. Im Silvester K o n r a d s von W ü r z b u r g ist „ m i l t e " , im Sinne von d e m e n t i a , das bezeichnendste A t t r i b u t Konstantins, vgl. z. B. die Verse 1 0 1 8 — 1 1 6 7 . 1175. 1 2 1 8 . 2 8 5 7 . 3 9 4 1 . 4 9 8 9 (ed. P . Gereke, 1 9 2 5 ) . 26) C . E r d m a n n , Kreuzzugsgedanke ( 1 9 5 5 2 ) 2 8 f., weist in diesem Z u sammenhang a u f die älteste Fassung der Oswaldlegende in Bedas Kirchengeschichte ( I I 5 . 2 0 ; I I I 1 . 3 . 6 f. 9 — 1 3 ) hin, die den K ö n i g selbst z w a r als Heiligen zeichne, der in christlichem Geist regiere, ohne d a ß d a r u m aber dem H e r r s c h e r a m t als solchem christliche Weihe z u e r k a n n t werde. 20

21

Zur Geschichte des Herrsdierideals im Ruodlieb

26

Erst die Karolingerzeit erfüllte den spätantiken Gedanken eines christlichen Staates mit neuem Leben und schuf damit zugleich das für das hohe Mittelalter verbindliche Bild christlichen Herrschertums 27 ), wie es uns alsbald in den Formeln der Krönungsordines 28 ), in 'der nun aufblühenden Gattung der Fürstenspiegel 29 ) und in der Dichtung entgegentritt. Hier kam es einerseits zu erneuter Auseinandersetzung mit dem von den klassischen Autoren tradierten heidnisch-antiken und dem überkommenen Fürstenideal der germanischen Völker 30 ), anderseits traten jetzt unter dem Eindruck der Heidenkriege an allen Grenzen des Karolingerreiches härtere Züge alttestamentlichen Gottesstreitertums in den Vordergrund 31 ). Die in der Cambridger Liedersammlung erhaltenen Preisgedichte auf die ottonisdien und salischen Könige dagegen geben den Tugenden des Friedens wieder größeren Raum. So sagt der Dichter des Modus Ottinc von Kaiser Otto III., in dem er den Kriegsruhm des Großvaters und die Friedenstugenden des Vaters zum Bilde vollkommenen christlichen Herrschertums vereint sieht (Carmina Cantabrigiensia, ed. K. Strecker, 19552, Nr. 11, Str. 6 b, S. 34 f.): Bello fortis, pace potens, in utroque tarnen mitis, inter triumphos, bella, pacem Semper suos pauperes respexerat, inde pauperum pater fertur3-). Deutlicher als diese knappen Panegyrici der Cambridger Sammlung weisen Hrotsviths Gesta Oddonis 33 ) auf das Königsideal des Ruodlieb voraus. Wie die Dedikationsverse Otto II. als zweiten Salomo anreden (Vers 20 und 31), so erscheint sein Vater als ein anderer David, Gratia quem regis solita pietate perennis Rectorem plebi praevidit rite fideli (Vers 35 f.). Durch seine pietas überragt er alle Kaiser früherer Zeiten (Widmung an Otto I., Vers 4). Seine stete Sorge gilt dem Frieden der 27

) A. Dempf, Sacrum Imperium (1954 2 ) 133 ff. ) G. Waitz, Die Formeln der dt. Königs- u. d. röm. Kaiserkrönung (1872); E. Eichmann, Königs- u. Bischofsweihe (1928); P. E. Schramm, Zur Gesch. der mittelalterl. Königskrönung (1933) u.: Die Krönung in Deutschland (1935). 29 ) A. Wenninghof!, Die Fürstenspiegel der Karolingerzeit (1902); E. Booz, Fürstenspiegel des Mittelalters (1918); W.Berges, Die Fürstenspiegel des hohen und späten Mittelalters (1938). 30 ) Die Spiegelung dieses Vorgangs in der angelsächsischen Literatur schildert L. Sdiücking, Heldenstolz und Würde im Angelsächsischen (1933). 31 ) Vgl. das lateinische Preislied auf Pippins Awarensieg vom Jahre 796 (MG Poetae I 116) und das althochdeutsche Ludwigslied auf den Normannensieg Ludwigs III. von Westfranken im Jahre 881 (Braune, Ahd. Lb., 1928 9 , 154). 32 ) Vgl. ferner Nr. 17 und 9 zum Tod Heinrichs II., Nr. 3 und 33 auf Krönung und Tod Konrads II. und Nr. 16 zur Königskrönung Heinrichs III.; als Verfasser der beiden letztgenannten gilt Wipo, der Hofkaplan Konrads II. und Verfasser eines Fürstenspiegels, des sog. Tetralogus. 33 ) Hrotsvithae Opera, ed. K. Strecker (1906) 222 ff. 28

Zur Geschichte des Herrscherideals im Ruodlieb

27

C h r i s t e n h e i t , den er durch G ü t e und, w o es n o t t u t , unter Gottes

Bei-

s t a n d auch m i t den W a f f e n z u sichern w e i ß ( 1 4 1 f f . ) :

Nec solum gentes frenis moderat bonitatis, Quae prius imperio patris dederant sua colla, Sed multo plures certe sibi vindicat ipse, Subdens gentiles Christi servis nationes, Quo pax ecclesiae fieret Stabilita sacratae. Ad bellum certe quoties processerat ipse, Nort fuerat populus, quamvis virtute superbus, Laedere qui posset vel exsuperare valeret Ipsum caelestis fultum solamine regis . . . A l l e i n , durch die A r g l i s t des T e u f e l s ist i h m nicht e i n m a l R u h e

im

I n n e r n seines Reiches g e g ö n n t ( 1 6 3 f f . ) :

O quam tranquillum ridens deduceret aevum Fortunata satis nostrae res publica gentis, Quae nimis imperio regis regitur sapientis, Si non antiqui mala calliditas inimici Turbaret nostrum secreta fraude serenum!34) W i e D a v i d steht O t t o unter G o t t e s besonderem Schutz ( 1 3 6 ff.; 2 2 8 ff.; 2 3 7 ff.; 2 7 6 f f . ; 3 8 6 ; 6 9 3 ff.; 7 2 5 ) , w i e dieser um S a u l , so t r a u e r t er u m seine gefallenen F e i n d e ( 2 9 2 f f . ) ; nicht e i n m a l der G e d a n k e an den Sieg, den er nicht sich, sondern der G n a d e G o t t e s zuschreibt (wie der G r o ß e König

im

Ruodlieb,

IV

81 f f . ;

1 7 3 ff.),

vermag

diesen

Schmerz

zu

lindern (309 ff.):

•Qui nam, laetitiam vultu monstrans moderatam, Sed clam subtristem servans in corde dolorem, Reddebat grates imo de pectore Christo, Non dederat propriis ipsum quia tunc inimicis Praedam, sed dextra protegit superna; Ipsius titulum tanti clarumque triumphi Non sibi, sed Christi designavit pietati. Er

ist g r o ß

im V e r z e i h e n ,

nicht

nur

gegenüber

dem

eigenen B r u d e r

( 3 6 8 ff.), sondern auch gegenüber dem L a n d e s f e i n d ( 7 0 1 ff.). Eindringlicher Hrotsviths

in

als irgend ein

vielem

souverän

anderes D e n k m a l

jener Zeit

die

Wirklichkeit

geschichtliche

gierende D a r s t e l l u n g O t t o s des G r o ß e n , die keineswegs als

bezeugt korri-

charakter-

lose S c h ö n f ä r b e r e i m i ß d e u t e t w e r d e n d a r f , die n o r m e n s e t z e n d e

Macht

des christlichen Herrscherideals, das sich nicht nach der b l o ß e n R e a l i t ä t 34

) Vgl. Vers 202 ff.; 318 fr.; 727 ff. und Ruodlieb II 58 ff.

28

Das Ritterideal des Ruodlieb

modifizieren ließ, sondern dieser in Denken und Diditen seinen eigenen Stempel aufzudrücken wußte. Wie sich für Hrotsvith die historische Gestalt des Kaisers in diesem Licht verklärte, so kam von ihm auch der zündende Funke, der das Bild des R e x Maior entstehen ließ, nicht aber aus der empirischen Wirklichkeit. Während die ideale Herrschergestalt des Großen Königs seit dem Bekanntwerden des Ruodlieb die Aufmerksamkeit der Forschung immer wieder auf sich zog, sind die uns von seiner Hauptfigur aufgegebenen Fragen nach den geistigen und literarischen Grundlagen des in ihr sich darstellenden neuen Ritterideals noch kaum bewußt gestellt worden. Man sieht in Ruodlieb den einsamen Vorläufer der ritterlichen Helden höfischer Dichtung, wie sie in deutscher Sprache erst mehr als ein J a h r hundert später aufblühen sollte: „Solche Töne wurden in der Dichtung bisher nie gehört und sie sind wieder verklungen auf lange hin, bis sie in der Blütezeit der ritterlichen Kunst zu neuer und hoher Schönheit erweckt wurden 3 5 )." Gawan sei „die schönste Ausprägung des Ruodliebtypus in der volkssprachigen Dichtung des Mittelalters" 3 6 ). Zur Erklärung, warum der Ruodlieb durch einen so großen zeitlichen Abstand von jener Epoche getrennt sei, hatte man in der oft bemühten ,Weltfeindlichkeit' cluniazensischer Prägung ein bequemes Mittel zur Hand: „Aber das deutschem Boden entsprungene Reis konnte der neuen Strömung von Rom und Gallien aus nicht standhalten. Durch die Klerikalisierungspolitik der Päpste und die kirchliche Gedankensystematisierung der Scholastik wurde es erstickt 37 )." Eine Stellungnahme zu dieser Ansicht ist erst möglich, wenn im folgenden Abschnitt die charakteristischen Züge des neuen Ritterideals hinsichtlich ihrer Ursprünge genauer untersucht sind, als es bisher geschehen ist. Ausübung des Waffenhandwerks ist die genuine Aufgabe des Ritters. Sein Ansahen gründet vor allem aiuf der Bewährung im Kampf. Das gilt für den antiken Helden, den germanischen Recken und den Artusritter gleichermaßen. Kampfschilderungen sind daher ein kaum entbehrliches Requisit aller weltlichen Erzähldichtung von der Antike bis 35) G. Ehrismann, L G P (1932) 413; vgl. L. Wolff, Dt. Schrifttum I 2 (1951) 119; H . de Boor, L G I P (1955) 5. 3 «) W . Mohr, 1. Sonderheft (1953) 42; eine Zusammenstellung „höfischer" Züge im Ruodlieb gab K. Burdach, Vorspiel I 1 (1925) 146 ff. f?) G. Ehrismann, a.a.O. 4 1 4 ; H . de Boor, L G I* (1955) 134, kennzeichnet den angeblichen Unterschied der Welt Notkers, Ekkehards, Froumunds und des Ruodlieb-Diditers vom Geist des Cluniazensertums und der Reform mit den Worten: „Es war eine in sich ruhende Welt erwählter Geister . . . fern von dem Gedanken eines Wirkens und Werbens nach außen, wie er der Hirsauer Reform des späten 11. und 12. Jahrhunderts eigen war. Die Laienwelt lag jenseits ihrer geistigen Bemühungen und Freuden."

29

D a s Ritterideal des Ruodlieb

ins hohe Mittelalter, soweit ihre Gestalten dem Kriegerstande zugehören. Auch Ruodlieb ist ein bewährter Kriegsmann (I 9 f.): Sepius in mortem se pro dominis dat eisdem Seu hello sen nenatu seu quolibet actu (vgl. V 231 ff.). Aber diese Eigenschaft gehört hier nur zum selbstverständlichen Hintergrund des Geschehens, ohne in der Darstellung selbst hervorzutreten. Das ist um so erstaunlicher, als der Dichter doch Zeit findet, Ruodliebs sonstige Fähigkeiten, zum Beispiel als Jäger und Fischer (II 1—48; X I I I 10—49), recht eingehend zu schildern 38 ). Kein Zweifel, Ruodlieb soll nicht so sehr als unüberwindlicher Held, sondern vor allem als Anwalt, Hersteller und Wahrer von Frieden und Gerechtigkeit erscheinen. Nicht trotzige Selbstbehauptung in einer als feindlich erlebten "Welt, sondern Dienst zum Wohle anderer ist der bestimmende Inhalt seines Lebens 39 ). Wie er sich im Frieden durch seine Kunstfertigkeit bei Jagd und Fischfang am Hofe nützlich und beliebt zu machen weiß, so versteht es Ruodlieb nach dem Sieg über die Eindringlinge, den gefangenen Comes vor der Rache des Heeres zu bewahren ( I I I 7 ff.): „.. .rex noster non ita iussit, Aut se dedentem nel captum perdere quemquam,. Vincere uictorem, maiorem uult quis honorem? Sis leo pugnando par ulciscendo sed agno. Non honor est uobis, ulcisci damna doloris. Magnum uindicte genus est, si parcitis ire . .

..

Dieser Grundsatz der „edlen Rache" gilt für Ruodlieb im privaten wie im öffentlichen Leben. Obwohl er durch den König vor dem Rufus gewarnt ist (V 451 ff.), obwohl er sich von ihm bestohlen weiß (V 593 ff.) und sein rohes Betragen gegenüber den ihre Saatfelder vor den Hufen seines Pferdes verteidigenden Bauern zu tadeln hat (VI 1 ff.), warnt er den Bösewicht vor der gefahrdrohenden Herberge ( V I I 26 ff.); vielleicht legt er sogar vor dem Richter ein gutes Wort 3 8 ) Auch in der Lücke zwischen F r a g m e n t I I und I I I w a r nicht allzu viel R a u m , um von H e l d e n t a t e n Ruodliebs zu berichten. Die hier fehlenden rund 1 3 5 Verse hatten den Ausbruch der Feindseligkeiten, den Einfall des Comes ins L a n d des R e x M a i o r , die Aufbietung des Heeres, den V e r l a u f der Schlacht und die G e f a n g e n n a h m e des Friedensbrechers zu schildern. D a ß Ruodlieb die Verteidiger anführte, läßt sich aus seiner durch die Verse V 1 9 9 — 2 0 1 gesicherten Rolle als Friedensvermittler und seinem R u h m als columen speciale regni omnis ( V 2 7 7 , vgl. W a l t h a r i u s Vers 1 2 6 ) folgern. 3 9 ) Zur Bedeutung des Dienstgedankens im Ruodlieb vgl. P . Kluckhohn, A r d i . f. Kulturgesch. 11 ( 1 9 1 4 ) = D e r dt. Minnesang. W e g e der Forschung X V (1961) 76.

Das Ritterideal des Ruodlieb

30

für ihn ein. Wir wissen es nicht, weil der Text an dieser Stelle ( V I I I 129) verstümmelt ist. Audi gegenüber dem Dieb seiner Sporen verzichtet Ruodlieb auf Bestrafung ( X I I I 73 ff.). So ist es kein Wunder, daß er es sich gleichfalls versagt, die heuchlerische Dominella öffentlich als Geliebte eines Klerikers bloßzustellen, und ihr statt dessen nur ganz im stillen eine Lehre erteilt, die ihren Ruf nicht gefährdet ( X V I I 1 ff.). An Sanftmut fühlt sich ihm sogar der edelmütige König unterlegen (V 406 f.): „... A quo sum numquam minimam Quin irascentem ne mitem reddit ut

commotus in ag[num..."

[iram,

Wer wäre da besser als Friedensunterhändler geeignet als er? Er löst diese Aufgabe mit solchem Geschick, daß er sich nicht nur den Dank seines eigenen Königs ( I V 230), sondern auch, die Gunst des Rex Minor erwirbt (IV 160 ff.; V 199 ff.). Gerechtigkeit und Unbestechlichkeit als Riditer machen Ruodlieb zum Schützer der Schutzlosen, der Witwen und Waisen (V 238 ff.): „. . . in Qui uel Et qui Propter

consilio dando par est tibi nemo, tarn iuste ius dicat tarn uel honeste, sie uiduas defendat siue pupillos, auariciam cum damnabantur iniquam

..

Er hat ein Herz für das Gesinde seines Hauses, das seine Fürsorge durch Zuneigung und Dankbarkeit erwidert ( 1 4 8 ff.). Dem in der Fremde heruntergekommenen Neffen ist er Freund und Vater; er entreißt ihn den Verlockungen einer gemeinen Buhlerin ( X I I 1 ff.; X V 31), führt ihn in die Geborgenheit der Familie zurück und richtet seine Heirat mit der Heriiis aus ( X V 1 ff.). Ruodlieb kennt weder Ruhmsucht noch Geltungsdrang; wie er voll Verehrung und Dankbarkeit zum Großen König aufblickt (V 303 ff.; 579 ff.), wie er den inneren Schatz der Weisheit dem äußeren Glanz voranstellt (V 425 ff.), so ordnet er sich daheim voll Demut den Wünschen seiner Mutter unter ( X V I 20 ff.) und überläßt ihr freudig den Ehrenplatz an der Tafel ( X I 11 ff.). . . . honorando matrem dominum uel h[abendo A populis laudem sed ab omnipotente coronam Atque diuturnam uitam meruitue beaftam . . . ( X V I 32 ff.) Ruodliebs ritterliches Ethos fordert liebende Hinwendung zum Nächsten auf dem Grunde der Demut vor Gott, dem Quell und Ursprung aller Güter und Tugenden. Anders als der nur der Kraft seines

Kirche und Kriegerstand im Spiegel der Legende

31

Schwertes vertrauende Recke stellt Ruodlieb bei seinem Auszug im Gebet sein Geschick der Gnade Gottes anheim (I 69 ff.); ihm dankt er nach seiner glücklichen Heimkehr unter Tränen (XI 64 ff.); auf ihn lenkt die Mutter den Blick des Sohnes bei der Schilderung seiner ihr im Traum verheißenen glücklichen Zukunft ( X V I I 124 ff.): . . . timeo ualde, dominum sie retribuisse Nobis ambobus, ttmquam siquid faceremus Quod placuisset ei, caueas quod dicere fili; Nam quid possemus, qui nil, nisi quod dat, habemus? Seu berte seu male contingat tibi, da sibi grates. Wo liegen die Wurzeln dieses durch eine tiefe Kluft vom traditionellen Heldenbild antiker oder germanischer Prägung getrennten Ideals eines christlichen Rittertums, das über die härtere Züge tragende Dichtung der frühen Kreuzzugszeit hinweg auf die höfische Welt um 1200 vorauszuweisen scheint 40 )? Wie kam es zur Überbrückung des Abstandes, der Christentum und Waffenhandwerk durch so viele Jahrhunderte innerlich voneinander entfernt gehalten hatte, und welche Spuren hinterließ dieser Vorgang in der dem Ruodlieb vorangehenden Literatur 4 1 )? Wiewohl bereits Augustins Lehre vom bellum iustum die christliche Friedensethik mit der Tatsache in Einklang zu bringen gesucht hatte, daß auch der christliche Staat des Krieges nicht entraten konnte, so wurde dadurch doch die ablehnende Haltung der Kirche gegenüber dem Soldatenberuf an sich keineswegs überwunden; militia Christi und militia saecularis blieben in unüberbrückbarem Gegensatz 42 ). Reflexe dieses Zustandes sind noch bis ins 11. Jahrhundert hinein zu spüren 43 ), obwohl sich von der politischen Praxis her die Lage inzwischen entscheidend gewandelt hatte. Das Bündnis der Kirdie mit der fränkischen Vormacht Westeuropas seit Pippin hatte ihre Interessen eng mit denen dieses Staates verknüpft, der allein die Macht besaß, die Gläubigen vor dem über Spanien herandringenden Islam, 40 ) Vgl. dazu J. Schwietering, D e r W a n d e l des Heldenideals in der epischen Dichtung des 12. Jahrhunderts, Z f d A 64, 1927, 135 ff. 41 ) Vgl. dazu C. Erdmann, D i e Entstehung des Kreuzzugsgedankens, 1955 2 . Seine v o r allem auf Erfassung der Wirklichkeit des geschichtlichen Lebens gerichtete Fragestellung bezieht die Dichtung nur am Rande ein. 42 ) Vgl. die Bemerkung des Chronicon N o v a l i c i e n s e ( A n f a n g des 11. Jhs.) zu Walthers Eintritt ins Kloster, die hier als conversio militiae bezeichnet wird (Chron. N o v . II 12; Monum. N o v a l . vetust., ed. C. Cipolla, 1901, II 156). 43 ) Vgl. die Bußvorschriften für T ö t u n g eines Gegners im Kriege bei Burkhard v o n Worms ( + 1025), M P L 140, 770 u. 952; dazu Erdmann 71 f.

32

Kirche und Kriegerstand im Spiegel der Legende

vor Avaren und Normannen zu schützen. Damit erlangte der Adel als der eigentliche Wehrstand des Frankenreiches steigende Bedeutung für die Kirche. Angesichts des schnellen Verfalls der Königsmacht in Westfranzien fielen ihm bald auch im Innern das Leben der Kirche direkt berührende Schutzfunktionen zu, die Sicherung des Landfriedens und des kirchlichen Besitzstandes, die Wahrung der öffentlichen Ordnung und des Rechtes. Cluny und die von ihm ausgehende Reformbewegung waren die Wegbereiter dieser Entwicklung 44 ). Sie erfüllten das Lebensgefühl des französischen Adels mit christlichem Geist, lehrten ihn, seine Standespflichten in Analogie zur mönchischen militia Christi als eigenständige Form des Dienstes an der Christenheit, dem mystischen Leibe Christi, anzusehen und auszuüben, und schufen so die Grundlagen einer neuen ritterlichen Ethik, mit deren Hilfe sich das bis dahin vom christlichen ordo noch nicht umschlossene Rittertum als eigener Stand innerhalb der Gemeinschaft aller Gläubigen erkennen und formieren konnte. Alle diese Stufen des Verhältnisses von Kirche und Kriegerstand, sein allmählicher Wandel und die Herausbildung des neuen christlichen Ritterideals, das nach seiner frühen literarischen Ausformung in der Vita Geraldi Odos von Cluny mit dem Ruodlieb aus dem Bereich der Legende in die weltliche Dichtung hinübertritt, sieht Erdmann gespiegelt in der Geschichte der christlichen Legende des Abendlandes. Geistesgeschichtliche und gattungsgeschichtliche Vorgänge sind hier innerlich so fest miteinander verknüpft, daß beide nicht getrennt voneinander untersucht werden können. Die ältesten, auf Ereignissen der vorkonstantinischen Zeit fußenden Legenden von Heiligen aus dem Soldatenstand gehören ausnahmslos zum Typus der Passio. Darin offenbart sich der unüberbrückbare Gegensatz zwischen der jungen Kirche und dem heidnischen Staat. Innerer und äußerer Höhepunkt der Darstellung ist hier das Martyrium, der Triumph des Glaubens über die widergöttlichen Gewalten dieser Welt. Alle früheren Lebensstufen des Heiligen treten hinter diesem Ereignis zurück. Das gilt auch vom Dienst im Heere des Kaisers, dem nur dann eine größere kompositorische Bedeutung gegeben wird, wenn er den Anlaß des Martyriums liefert, als Prototyp einer gottabgewandten Lebensform zur Kennzeichnung der Sündenverfallenheit des Heiligen vor seiner conversio dient oder ihn unter dem Deckmantel des Verfolgers als Helfer und Tröster bedrängter Glaubensbrüder zeigt. « ) Vgl. G. Schreiber, Gemeinschaften des Mittelalters, 1948, 88.

Kirche und Kriegerstand im Spiegel der Legende

33

Der Soldatenberuf kann zum Martyrium führen, wenn der Heilige die Teilnahme an den dem Heer zur Pflicht gemachten O p f e r n f ü r den Kaiser und die Götter oder an der Verfolgung der Christen verweigert. Hierher gehören die Passio des h. Georg 45 ), der hh. Felix und Nabor 4 6 ), des h. Achatius und seiner 10 000 christlichen Soldaten, die auf dem Ararat das Martyrium erlitten 47 ), und als abendländisches Gegenstück das Martyrium des h. Mauritius und der thebaischen Legion bei Agaunum 4 8 ). Passionsbericht und Conversio verbinden sich, wenn geschildert wird, wie heidnische Soldaten durch die Standhaftigkeit gefangener und gefolterter Christen bekehrt werden, um dann — oft mit ihren Gefangenen und Bekehrern zusammen — das Martyrium zu erdulden wie der h. Romanus 4 9 ) und der h. Hippolytus 5 0 ), die beide durch den h. Laurentius dem Christentum gewonnen wurden, oder die hh. Adrianus 51 ) und Quirinus von Neuß 5 2 ). Viktor von Marseille 53 ) und der h. Sebastian 54 ) verblieben als Christen im Heer, um verfolgten Glaubensgenossen zu helfen, und fanden so ihrerseits den Märtyrertod. Während die Wandlung des Verhältnisses von Kirche und Staat unter Kaiser Konstantin der Entfaltung eines christlichen Herrscherideals sehr förderlich war, fehlt es in den Legenden dieser Zeit durchaus noch an sichtbaren Zeichen einer neuen Wertung des Kriegerstandes. Von der Ausbildung einer christlichen Standesethik f ü r den Soldaten konnte keine Rede sein. Dem Vollzugsorgan der weltlichen Obrigkeit fehlte nach wie vor eine feste und anerkannte Stellung im Rahmen der alle Gläubigen umschließenden kirchlichen Heilsordnung. Ein Blick auf die Vita des h. Martin von Tours 5 5 ) zeigt das in aller Deutlichkeit. Seit seinem fünfzehnten Lebensjahr war Martin Soldat gewesen, nicht aus freiem Entschluß, sondern aufgrund einer kaiserlichen Verordnung. Auch die inzwischen eingetretene Bindung zwischen Kirche und Staat vermochte es in den Augen des Heiligen aber nicht, den Zwiespalt zwischen dem auch den Feind einschließenden Liebesgebot des Neuen Testaments und den rauhen Pflichten des Kriegers 45

) AASS 23. Apr. III 119. « ) AASS 12. Jul. III 277. AASS 22. Jun. V 157. « ) AASS 22. Sept. VI 342; MG SS rer. Merov. III 34 ff. 4 ») AASS 9. Aug. II 410. 5 °) AASS 13. Aug. III 13. •«) AASS 8. Sept. III 219. ®ä) AASS 30. März III 808. 53) AASS 21. Jul. V 142. 54 ) AASS 20. Jan. II 629. 55) Sulpicius Severus, Vita s. Martini, MPL 20, 159 ff.; ed. K. CSEL I, 1866. 3 Braun,

Ruodlieb-Studien

Halm,

34

Kirche und Kriegerstand im Spiegel der Legende

zu überwinden. Um so eifriger war Martin daher schon als Soldat bemüht, sich in den Werken christlicher Barmherzigkeit zu üben. Er war gütig gegen seine Kameraden, behandelte seinen Diener nicht nach Art der übrigen Offiziere, sondern freundlich und wie einen Bruder, lebte äußerst genügsam, um mit dem so ersparten Gelde Arme und Kranke zu unterstützen. Man hätte ihn eher für einen Mönch als einen Soldaten halten können 56 ). Als eine unmittelbar bevorstehende Schlacht mit den Alemannen ihn ins allgemeine Blutvergießen hineinzuziehen drohte, machte der Heilige dem qualvollen Zustand seines erzwungenen Soldatenlebens ein Ende und forderte seine Entlassung aus dem Heere mit den Worten: Christi ego miles sum, pugnare mihi non licet. Um den Vorwurf der Feigheit zu entkräften, erklärte er sich jedoch bereit, dem Feinde allein und waffenlos entgegenzugehen. Aber dazu kam es nicht; denn am folgenden Tage baten die Alemannen durch Gesandte um Frieden. Sulpicius Severus deutet das als ein von Gott gewirktes Wunder, das den durch seinen Heiligen bezeugten Glauben bewähre, ein Christ, der sich des göttlichen Schutzes erfreue, bedürfe keiner irdischen Waffen 5 7 ). Im Gegensatz zur strengeren Form der Conversio zeigt die Vita s. Martini das Bestreben, die verschiedenen Stadien im Leben des Heiligen nicht als scharfen Kontrast, sondern als Stufenfolge von Verheißung und Erfüllung, als allmähliche Entfaltung des von Anfang an in ihm Angelegten erscheinen zu lassen. Zwar ist die Kluft zwischen Kriegshandwerk und Heiligkeit, die in den älteren das Thema der conversio militis behandelnden Legenden nur durch das Wunder vollkommener Umkehr überbrückbar schien, damit noch nicht geschlossen, hat aber doch manches von ihrer Schroffheit verloren. Aber noch sollte es Jahrhunderte dauern, bis der Gedanke möglich wurde, daß ein Ritter als solcher Heiligkeit erlangen könne. Selbst wenn er als Gottesstreiter zum Schutz der Christenheit die Waffen geführt hatte, wie der h. Wilhelm, dessen lateinische Vita im 11. Jahrhundert entstand 58 ), hielt die Legende am Motiv der conversio in Gestalt einer späteren Mönchwerdung des Heiligen fest 59 ). ) Ebda. cap. 2 und 3. Ebda. cap. 4. 58) AASS 28. Mai V I 802; vgl. Ehrismann, L G II 2. 1, 1927, 274. 5 9 ) In Wolframs Willehalm erst vollendet sich die Heiligkeit dieses Glaubenskämpfers in seinem Rittertum selbst, so daß die Mönchwerdung fehlen kann, weil sie funktionslos geworden ist. Vgl. dazu J . Schwietering, Die dt. Dichtung (1932 ff.) 174. Ulrich von Türheim dagegen kehrte in seiner Fortsetzung durch Wiederaufnahme des conversio-Motivs zur älteren Auffassung zurück, sei es aus bloßem Unverständnis oder in der Absicht, Wolfram zu überbieten, wie Ehrismann annimmt (LG II 2. 2, 1935, 6 7 ) : „Durch die Mönchwerdung der beiden Helden . . . stellt diese Fortsetzung . . . eine höhere Seinsstufe dar." 56

Odos Vita Sancti Geraldi

35

Wie Erdmanns Untersuchung zeigt, war O d o von Cluny der erste, der über diesen Status hinausführte. Seine Vita des h. Gerald von Aurillac 60 ) f u ß t auf dem Gedanken, die Erfüllung bestimmter Pflichten, nämlidi Schutz der Christenheit, Vogt der Witwen und Waisen, Wahrer des Rechts und des Friedens zu sein, sei die dem Adel zukommende Form der militia Christi, die auf andere Weise von den Märtyrern durch Standhaftigkeit im Glauben bis in den T o d , von den Bekennern d u r d i ihren Kampf f ü r die Wahrheit und von den Mönchen durch Gotteslob, Gebet und Heiligung ihres Lebens geleistet werde 61 ). Einer conversio militiae bedarf es hier also nur insofern, als der Ritter die Aufgaben seines Standes nicht um irdischer Ziele oder um seines eigenen Ruhmes, sondern um Gottes willen auf sich zu nehmen hat. Seine neue Auffassung vom ,schiltes ambet' macht O d o in einer Szene deutlich, die zeigt, wie geistes- und formgeschichtliche Wandlungen einander unmittelbar bedingen können. Als Gerald eines Tages einem ihm befreundeten Bischof seine Absicht kundtut, seine Güter der Kirche zu übereignen und dann in ein Kloster einzutreten, hält ihn dieser zurück: vir Domini Gausbertus altiori consilio causam inspiciens tandem suasit in saeculari habitu sese specie tenus pro communi salute provincialium retinerefi'-). Die militia Christi des Adels erfülle sich in ritterlichem Dienst an der Christenheit, nicht aber im Kloster. An die Stelle des Legendentypus von der conversio militis tritt die Vita des ritterlichen Heiligen. O d o schrieb die Legende des h. Gerald, um dem Adel seiner Zeit ein Beispiel zu geben: Quoniam vero hunc Dei hominem in exemplo potentibus datum credimus, viderint ipsi qualiter eum, Stent e vicino, et de suo ordine sibi praelatum imitenturfi3). Das brachte es mit sich, daß er der Darstellung des Wirkens seines Heiligen in der Welt, seiner Bewährung als christlicher Ritter, breitesten Raum gewähren mußte. Das erste und Teile des zweiten Buches, zusammen mehr als die H ä l f t e der gesamten Vita, sind fast ausschließlich diesem Thema gewidmet 64 ). 60 ) Sancti Odonis abbatis Cluniacensis D e V i t a sancti Geraldi Auriliacensis comitis libri quattuor, M P L 133, 639—704. 61 ) Zur Deutung des Heiligenlebens als eines geistigen Kriegsdienstes für den himmlischen K ö n i g vgl. G. Misch, Geschichte der Autobiographie II 1, 1955, 320 ff. Z u m Mönchsleben als militia Christi vgl. Regula Benedicti,

prol. 3: domino Christo uero regi militaturus oboedientiae fortissima atque

praeclara arma sutnis. Zum Ursprung dieser Vorstellung vgl. Epheser 6, 10 ff. 62) II 2; M P L 133, 670 C. 63) Praefatio, M P L 133, 642 A. 64 ) Buch II schildert außerdem Geralds geistliches Leben und seine W u n dertaten, Buch III sein Lebensende, Buch I V die miracula post mortem. 3*

Odos Vita Sancii Geraldi

36

Gerald war der Sproß eines der vornehmsten Geschlechter Galliens, das sich durch seine Sittenstrenge vor allen anderen hervortat M P L 133, 641 f . ) : Carnis Gallicanas

fatnilias

eius

generosior

videtur65).

nobilitate prosapia

tarn excellenter tarn

rebus,

illustris,

quam

(I 1,

ut

inter

probitate

Göttliche Zeichen vor der Geburt

morum

offenbarten

seine künftige Heiligkeit (I 2.3, M P L 133, 643 f.). Eine lange K r a n k heit hielt den Jüngling von ritterlichen Übungen, von J a g d und T u r nieren fern und förderte seine Neigung zu geistlicher Bildung. Schon glaubten ihn die Eltern für das Waffenhandwerk auf immer verloren und bestimmten ihn zum Priester, als seine Gesundheit zurückkehrte. Aber die Liebe zu den Studien und zu geistlichen Übungen bewahrte er sein ganzes Leben lang (I 4.5; M P L 133, 645). Geralid war gefeit gegen die Verlockungen der Macht, die ihm schon als Jüngling mit dem väterlichen Erbe zufiel (I 6 ; M P L 133, 645 D ) : Non

ut solent

adolescentes,

rald us intumuit, potestas

qui in matura

nec incoeptam

grandescebat,

cordis

dominatione

modestiam

sed mens humilis

superbiunt,

immutavit.

nequaquam

Ge-

Dominandi Eigen-

insolescebat.

süchtige Ziele lagen seinen kriegerischen Unternehmungen fern (I 8; M P L 133, 6 4 6 D ) : Cum vero nem irrideret;

qui, ut de dentibus ut plerisque laudis

eorum,

moris

illectus,

infervens.

inexplebilis

jam tunc cordis

sed

malitia

acrimoniam

juxta illud Job,

est, ulciscendi pauperum

libidine dilectione,

quorumdam exerens, auferret

homi-

molas

praedam.

percitus, qui

pacificum

conterebat

Non

aut vulgaris

seipsos

tueri

ini-

tarnen, amore nequibant

Lieber litt er selber Hunger und N o t , als sich an fremdem

Gut zu vergreifen, wie es sonst im Kriege üblich war (I 3 3 ; M P L 133, 661 f.). N i e befleckte er sein Schwert mit dem Blut eines Menschen; ja, er ¡befahl auch seinen Kriegsleuten, mit umgekehrten W a f f e n zu kämpfen, um das Leben seiner Feinde zu schonen (I 8; M P L

133,

6 4 6 f.). Als Sieger dachte er nicht an Rache und Strafe, sondern strebte danach, den Gegner durch Milde zu versöhnen (ebda. 6 4 6 C) 6 6 ). Weil Gerald niemals aus eigensüchtigen Motiven, sondern nur zur Sicherung von Recht und Ordnung zu den W a f f e n griff und dabei das Wohl seiner Feinde nicht aus dem Auge ließ, deshalb sieht O d o darin keine Minderung

seiner Heiligkeit,

daß er als Ritter

das

Schwert

führte, vielmehr gereiche ihm dies zum besonderen Ruhm (ebda. 647 C ) : Non

igitur

quin

potius

obscurat ad

eius

laudem

gloriam, ejus

quod

proficit,

pro quod

causa Semper

Dei sine

pugnavit... fraude

vel

6ä ) Vgl. Ruodlieb I 1 f., die Vita Odonis altera auctore Nalgodo (MPL 133, 85 C: Venerabiiis igitur Odo ex militari Francorum prosapia carnis originem duxit: sed magis luce fidei quam natalium claritate resplenduit) und die S. 99 gegebenen Belege dieses Topos bei Venantius Fortunatus. 68) s. o. S. 23; ferner Vita Geraldi I 40, MPL 133, 666.

Odos Vita Sancii Geraldi

37

insid.ia.rum interventi* palam vicerit, et tarnen ita protectus a Deo sit, ut gladium suum, sicut supra diximus, nunquam humano sanguine cruentaverit. Damit ist der Waffendienst des Ritters, soweit er im Sinne des göttlichen Gebotes zum Kampf gegen das Böse und mit dem Ziel der Friedenssicherung geleistet wird, in den christlichen ordo einbezogen (ebda. 647 C): Licuit igitur laico homini in ordine pugnatorum posito gladium portare, ut inerme vulgus velut innocuum pecus a lupis, ut scriptum est, vespertinis defensaret. Auch im Frieden nahm sich Gerald des Schutzes der Armen, der Witwen und Waisen an, ohne wie andere eine Gegenleistung f ü r seine Hilfe zu erwarten (I 17; M P L 133, 653 D): Erat autem pauperibus et iniuriam passis Uber ad eum Semper accessus, nec ad causam suam ei commendandam deferre munusculum aliquot indigebant. Strenge und Güte verbanden sich in seinem Wesen zu seltener Harmonie (I 18; 654 B) : Iustitiae sitis, ut esuries, ordinatim in eo flagrabat. Non enim aut simplicitas aut benignitas asperitatem zeli deserabat, aut asperitas zeli simplicitatis benignitatem. W a r ein Unrecht wieder gutgemadit, so entließ er die Übeltäter mit Ermahnungen zur Besserung, anstatt sie zu bestrafen 6 7 ). Nunquam. . . auditum est ut se praesente quilibet aut morte punitus sit, aut truncatus membris (I 20; 655 C). W a r irgend jemandem durch Geralds eigenes Versehen oder die Schuld seiner Dienstleute ein Schaden entstanden, so suchte er ihn nach K r ä f t e n zu ersetzen 68 ). Neben dem Schutz des Landes vor Friedensstörern und der Verteidigung des Rechtes der ohne seine Hilfe Wehrlosen nahm sich Gerald vor allem der Armen und Bedürftigen an (I 14; 651 D): Semper sedilia pauperibus coram se parabantur, et aliquoties mensae apponebantur eis, ut per seipsum videret quid vel quantum ad refectionem eis daretur.. . Nullus vero umquam ab ostio sine datu eleemosynae excludebatur. Ein Zehntel seiner Einkünfte verwandte er auf die Armenpflege (I 28, 658 C). Auf seinen Fahrten ließ er dafür besondere Vorräte mitführen, um überall w o es nottat, helfen zu können 6 9 ). So wurde seine Ankunft zum lang ersehnten Freudentag für die Armen der Orte, die er auf seinen häufigen Romfahrten zu durchziehen pflegte (II 17, 680 C). Auch Kirchen und Klöster bedachte Gerald mit reicher Gabe, vor allem der Peterskirche in Rom wandte er große Stiftungen zu (ebda.; vgl. II 4, 672 f.). Geralds H e r z hing nicht an den Gütern dieser Welt, vielmehr trachtete er danach, sie allein zur Mehrung seines ewigen Heils zu verwenden ( I I I , 670 B): Mundialem itaque potentiam, quae sibi affatim suppetebat, mentis despectu calcaverat. Sed I 19, 654 f.; I 20, 655 BC; I 26, 657 f.; I 29, 659 B; II 18. 680 D. ) G. Ehrismann, LG I 2 , 1932, 414; H . de Boor, LG I 2 , 1955, 134. e2 ) Vgl. dazu Max Wehrli, Roman alter. In: Worte und Werte, FS Bruno

Glunz, Literarästhetik, 1937, 49. L. Wolff, Dt. Schrifttum I 2 , 1951, 119; und Legende im deutschen HochmittelMarkwardt, 1961, 428—443.

42

Der Ruodlieb und die höfische Dichtung

Zeit zu betrachten, so darf man doch darüber anderseits jene Züge nicht aus dem Auge verlieren, durch die er sich von diesem abhebt und als der durch Odo und Hrotsvith markierten Frühstufe der Entwicklung näherstehend erweist. Für die dem Geist der Reform und ihrer Friedensidee noch unmittelbar verpflichteten Werke ist es kennzeichnend, daß sie jede ausführlichere Schilderung von Kriegstaten vermeiden, einerlei ob es sich um Massenkämpfe handelt, wie sie in der chanson de geste und der deutschen Kreuzzugsdichtung eine so bedeutende Rolle spielen, oder um ritterlichen Einzelkampf, wie ihn der höfische Roman immer wieder darzustellen weiß. Statt dessen stellen sie den Gedanken der Versöhnung des Gegners durch Schonung und Vergebung stärker als jene in den Vordergrund. Die Aufgaben, die Cluny dem Ritter stellte, waren wesentlich innerchristlicher und innerstaatlicher Art. Erst die mit dem Reformpapsttum heraufkommende Zeit der Kreuzzüge betonte die Notwendigkeit des Waffenkampfes zum Schutz der Christenheit gegen Heiden und Ketzer 8 3 ). Damit gewann das Bild des miles Christi jenen härteren Zug alttestamentlichen Gottesstreitertums, der ihm dann bis über die Mitte des 12. Jahrhunderts anhaftete. Ihn ohne Rückfall auf die angesichts der rauhen Wirklichkeit der Welt um 1200 doch allzu utopische Stufe des Ruodlieb aus dem Geist der von den jüngeren Mönchsorden vertieften und intensivierten religiösen Laienbewegung überwunden zu haben, ist das besondere Verdienst der hochhöfischen Generation 8 4 ). Außer in ihrer deutlich fühlbaren Abneigung gegen die Schilderung ritterlicher Waffentaten unterscheiden sich Odos Vita Geraldi, Hrotsviths Gangolf und der Ruodlieb auch durch ihre weithin im Negativen verharrende Auffassung der Geschlechtsliebe als eines bloß sinnlichen Phänomens vom späteren höfischen Roman. D a ß diese dem Mönchsstand ihrer Autoren so naheliegende Ansicht trotz aller auf die künftige Entwicklung vorausweisenden Freude an der Darstellung verfeinerter Formen des Umgangs zwischen Mann und Frau 8 5 ) auch noch für den Ruodlieb gilt, zeigen die Geschichten vom Rufus und der Bäurin ( V I I 26 ff.) und vom Neffen und der Magica ( X V 26 ff.) ebenso wie die Dominella-Episode ( X V I 63 ff.). Auch die Liebe des Neffen und der Heriiis ( I X 46 ff.; X V ) beruht trotz mancher Ansätze zu sittlicher Vertiefung ( X I I I 54; X V 28 ff.) doch wesentlich auf sinnlicher Anziehung ( I X 58; X 29 ff.). Die Ehe erscheint im Ruodlieb wie bei es) C. Erdmann, Kreuzzugsgedanke, 19552, 82 ff.; 128 f. M) J . Schwietering, Der Wandel des Heldenideals, Z f d A 64, 1927, 135 ff.; 141. s«) Vgl. Seiler, Ausg., 1882, 90 ff.

Der Ruodlieb und die höfische Dichtung

43

Hrotsvith als Institution zur Fortpflanzung der Sippe (XVI 1 ff.; 58 ff.) und als D a m m gegen das ungezügelte Ausleben der Sinnlichkeit (XV 32 ff.). Wo der Dichter einmal das Musterbild einer christlichen Ehe zeichnet, wie im Falle des jungen Bauern und seiner um Jahre älteren Frau und früheren Herrin (VI 108 ff.), da stilisiert er ihr Verhältnis zueinander nach Analogie der Liebe zwischen Mutter und Sohn, so daß das sinnliche Element fast ganz zurücktritt. Von der erzählenden volkssprachigen Ritterdichtung des 12. und 13. Jahrhunderts unterscheidet sich der Ruodlieb schließlich noch dadurch, daß weder der Kreis des Dargestellten, noch des Vorbildlichen ständisch begrenzt ist. Die H a n d l u n g führt Ruodlieb von der heimatlichen Burg an den Hof eines fremden Königs, bringt ihn mit einer so zwielichtigen Gestalt der Landstraße wie dem Rufus zusammen, um ihn schließlich über die Stationen der bäuerlichen Herberge und des Adelssitzes der H e r a ins Haus der Mutter zurückzugeleiten. Die Trennungslinie zwischen Gut und Böse geht mitten durch die Stände hindurch. Die Gleichheit der jeweiligen sittlich-religiösen Grundeinstellung stiftet über die äußere Differenzierung der Menschen durch Adel, Besitz und körperliche Schönheit hinausgreifende Gemeinsamkeiten. Auf der einen Seite stehen die dem christlichen Liebesgebot Gehorsamen und Demütigen: der die besiegten Gegner durch seine Großmut beschämende Rex Maior, Ruodlieb, der klingenden Lohn um der Weisheitslehren willen ausschlägt, um von diesem Schatz auch jenem mitzuteilen, der ihm feind ist (VI 1 ff.; V I I 28 ff.), der alte Bauer, ein Ausbund der Häßlichkeit (VII 99 ff.), der sterbend seinen Mördern ihre Freveltat verzeiht, und der Iuvenis, der N o t und Elend am eigenen Leibe erfuhr und als Besitzender zum Vater der Armen wurde. Auf der anderen Seite stehen die im N e t z ihrer Selbstsucht gefangenen Hochmütigen und Stolzen in ihrer Gottferne: der Comes (III 1 ff.), der ebenso geizige wie wohlhabende Bauer, bei dessen Tod alle aufatmen (VI 31 ff.), der Rufus, die heuchlerische Dominella ( X V I I ) und die leicht verführbare junge Bäurin, die später durch ein hartes Büßerleben die Mitschuld am Tod ihres Mannes zu sühnen sudit. Angesichts so tiefgreifender Unterschiede zwischen der früheren, zum Teil noch der Gattung der Legende zugehörigen, vom Kloster ausgehenden und der späteren höfischen Ritterdichtung wird man sich kaum der Ansicht W. Möhrs anschließen können, der Ruodlieb als den ersten Vertreter eines sich in der Gestalt des Wolframschen Gawan vollendenden Menschenbildes bezeichnete, das vor allem auf „Lebenskunst", „Geschick und Glück" und „glattem Aufeinandereingespieltsein edler Menschen, die einander kennen, schätzen und berück-

Der Ruodlieb und die höfische Dichtung

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sichtigen", basiere 86 ). Zwischen der Dichtung von Ruodlieb und W o l f ram liegen eineinhalb Jahrhunderte, die eine der innerlich und äußerlich bewegtesten Epochen der mittelalterlichen Geistesgeschichte umschließen. Der Ruodlieb bezeichnet den Punkt, wo das in der Legende zuerst literarisch gestaltete Bild ritterlicher militia Christi in den Bereich der weltlichen Dichtung hinübertrat. Treue Erfüllung der in Gottes Willen gegründeten Standespflichten im Geiste christlicher Liebe, so lehrt er, verheiße dem Ritter beides, A populis laudem sed ab omnipotente

coronam

Atque

diuturnam

uitam

( X V I 3 3 f . ) 8 7 ) ; rechte R i t t e r -

schaft sei Gottes-Dienst. Für Dichtung und Welt um 1200 aber wird gerade diese Einheit wieder um Problem, wie das Nebeneinander von Artus- und Gralsbereich im Parzival zeigt 88 ). W . Möhrs an Gawan orientierte Charakteristik wird nur der einen, weltzugewandten Seite von Ruodliebs Wesen und auch dieser durch das Absehen von ihrem Gegenpol, mit dem sie unauflöslich zusammengehört, nur bedingt gerecht. Die Gestalt Ruodliebs gründet in der innenren Einheit jener Kräfte, die bei W o l f r a m in die Figuren Parzivals und Gawans auseinandertreten.

««) W , 1. Sonderheft, 1953, 40 ff. a?) Nach der Luc. 2, 52 vorgepragten Formel: gratia apud Deutn et homines. 8«) Vgl. G. Weber, Parzival, 1948, 12 ff.; Walther von der Vogelweide 8, 9 ff.; Hartmann von Aue, MF 210, 7 ff., Erec 10, 124 ff.; Wolfram, Parz. 827, 19 ff.

DER AUFBAU DER HANDLUNG Die Frage nach dem Aufbau des Ruodlieb, sei es im Sinne der äußeren Gliederung, des inneren Bezugs der einzelnen Handlungsteile aufeinander oder seiner formalen Sonderstellung im Rahmen der Geschichte des Erzählstoffes von den guten Ratschlägen, sieht sich einer Reihe von Schwierigkeiten gegenüber, die nach Lage der Dinge kaum je befriedigend zu lösen sind. Wie der Zustand des letzten Blattes der Handschrift M erkennen läßt 1 ), die als Autograph des Dichters angesehen wird, scheint dieser sein Werk vor der Vollendung abgebrochen zu haben, und selbst von den annähernd 4000 Hexametern, die er aufs Pergament brachte, sind heute kaum drei Fünftel ganz oder teilweise erhalten. Ob und wie er das Ganze in größere Abschnitte, etwa in der Art der Gesänge oder Bücher des antiken Epos, zu gliedern gedachte, läßt sich aus der äußeren Form der beiden fragmentarischen Handschriften kaum mehr erschließen. Die in M sich findenden Absatzzeichen markieren allein die Untergliederung der einzelnen Episoden, nicht aber des Gesamtaufbaus 2 ). Ebenso verhält es sich mit der Paragrapheneinteilung der Handschrift F, die mit den Absatzzeichen von M großenteils übereinstimmt 3 ). Immerhin erlaubt ihre Numerierung den Schluß, daß etwa in der Mitte des Werkes die Zählung neu einsetzte, sofern die durchschnittliche Länge aller Paragraphen im wesentlichen der aus F ermittelten entsprochen hat 4 ). Die so sich ergebenden Abschnitte von jeweils etwa der doppelten Länge eines Buches der Aeneis 5 ) teilte Laistner vom Inhalt her in fünf Bücher ein: «) Seiler, Ausg., 1 8 8 2 , 7 2 f. 2) Vgl. z . B . die Anmerkungen Seilers zu V 78 ff. und V 1 3 0 ff. 3) Vgl. Seiler zu I X 7 2 und X I 78. 4 ) Seiler, Ausg., 2 0 f., entschied sich dafür, diesen Einschnitt bei Vers V 585 anzusetzen, d. h. bei Ruodliebs Auszug aus dem Reich des G r o ß e n Königs; Laistner, A f d A 9, 1 8 8 3 , 76 ff., verlegte ihn in die Lücke zwischen F r a g ment V I I I und X I I , wo Ruodlieb zuerst wieder heimischen B o d e n betrete. D a ß diese beiden Stellen um e t w a 7 0 0 Verse auseinander liegen, beweist die Unmöglichkeit jeder genaueren Festlegung. 5 ) Die Verszahlen der einzelnen Bücher in der Aeneis schwanken zwischen 7 0 5 und 9 5 2 , die der Ilias zwischen 4 2 4 und 9 0 9 , der Odyssee zwischen 331 und 8 4 7 H e x a m e t e r n .

46 1. 2. 3. 4. 5.

Bisherige Analysen des Aufbaus

Ruodlieb Ruodlieb Ruodlieb Ruodlieb Ruodlieb

exul ( I I — V 219), etwa 1144 Verse; revocatus (bis hinter VIII 129), etwa 1080 Verse; redux (bis XI 81), etwa 860 Verse; herus (bis XVII 84), etwa 721 Verse; heros (XVII 85 bis Ende), etwa 142 Verse6).

Moriz Heyne gliederte seine Übersetzung (1897, S. VII f.) nach dem jeweiligen Schauplatz der Handlung in drei Abschnitte: 1. Rudlieb in der Verbannung (I 1—V 584); 2. Rudliebs Heimkehr (V 585—X 32); 3. Rudlieb wieder zu Hause (X 33—XVIII 32). Karl Langoschs Einteilung ging von den verschiedenen Lebenskreisen aus, in denen sich Ruodlieb zu bewähren habe. Er unterschied folgende Partien 7 ); 1. Ruodlieb am Königshof ( I I — V 219); 2. die Lehren und ihre Bewährung im bäuerlichen Milieu (V 220—VIII129); 3. Ruodlieb auf dem Schloß der Hera (XII 1—X 32); 4. Ruodlieb daheim bei der Mutter (X 33—XVII 84); 5. der Heldensagenteil (XVII 85—XVIII 32). Im Gegensatz zu diesen sich teils deckenden oder ergänzenden, teils einander widersprechenden Versuchen, den Ruodlieb vom Inhalt her in wenige größere Abschnitte nach Art der Bücher des klassischen Epos zu gliedern, unterschied R. Kögel insgesamt 29 kleinere in sich abgerundete „Aventiuren", die er gemäß der von Seiler (Ausg. S. 20 f.) unter Hinweis auf die Paragraphenzählung in F vorgeschlagenen Zäsur hinter V 584 zu zwei Hauptteilen zusammenfaßte, der „Rahmenerzählung" (I 1—V 594 = Aventiure 1—13) und der „Binnenerzählung" (V 585—XVIII 32 = Aventiure 14—29)8). Karl Hauck übernahm Kögels Einteilung in Aventiuren, faßte diese aber auf andere Weise zu größeren Gruppen zusammen, indem er unter bewußtem Absehen von der Rahmen- und Binnenhandlung unterscheidenden Bauform des dem Ruodlieb zugrunde liegenden Erzählungstyps von den guten Ratschlägen allein von inhaltlichen Kriterien ausging9). Er gliederte den Ruodlieb in vier Abschnitte, von «) A f d A 9, 1883, 78; ZfdA 29, 1885, 11 erwog er, ob Buch drei nicht bis X V 99 auf insgesamt 1053 Verse zu erweitern, Buch vier mithin auf 528 Verse zu verkürzen sei. 7 ) Verf.-Lex. III, 1943, 1140 f.; vgl. auch J. Schwietering, Deutsche Dichtung, 1932 ff., 30 u. 33. 8) LG I 2, 1897, 345 ff. ») PBB 70, 1948, 374 ff.

Bisherige Analysen des Aufbaus

47

denen der erste bis dritte zusammen Kögels erstem und der vierte dessen zweitem Hauptteil entsprechen: Einleitungsteil A ( 1 1 — I I 50) . I. Hauptteil B (II 51—V 219) Mittelteil C (V 220—V 584) . II. Hauptteil und Schluß D (V 5 8 5 — X V I I I 32)

= Aventiure 1— 4; = Aventiure 5—10; = Aventiure 11—13; = Aventiure 14—29.

Dem Mittelteil C falle die kompositorische Funktion zu, den I. H a u p t teil B („von der edlen Rache") mit dem II. Hauptteil D („von der Brautwerbung") zu verknüpfen. Dies geschehe dadurch, „daß ein Teil des Lohnes f ü r die zukünftige Braut unseres Recken bestimmt ist und daß ein Teil der Lehren, die er erhält, sich auf dem Heimwege bewähren müssen 10 )." Auch in anderer Hinsicht verdiene gerade der Mittelteil besondere Aufmerksamkeit: „seine wohlbedachte Gliederung" sei „der stärkste Beweis gegen alle Behauptungen von der Planlosigkeit der Komposition des Ganzen" (ebda.). Im einzelnen seien hier 10 Abschnitte mit folgendem, offenbar sorgsam bemessenen U m f a n g zu erkennen: 30 (V 220—249); 14 (250—63); 84 (308—91); 28 (392—419); 27 (532—58); 26 (559—84).

14 (264—77); 28 (420—47);

30 (278—307); 84 (448—531);

Die schöne Symmetrie und damit auch die Beweiskraft dieses Schemas wird jedoch durch einige Gewaltsamkeiten bei der Gliederung der Abschnitte 6/7 (392—447) und 8/9 (448—558) erheblich gestört. Hauck teilte die Verse 392 ff. nicht gemäß ihrem Inhalt in die beiden Szenen vom R a t der Fürsten (392—414) mit 23 und von Ruodliebs Wahl zwischen Gold und Weisheit (415—447) mit 33 Versen; um gleich lange Partien zu erhalten, verlängerte er vielmehr seinen sechsten Abschnitt über die Zäsur des Szenenwechsels hinaus, so daß er nun mitten in der Ansprache des Königs an Ruodlieb endet. Abschnitt 8, in dem die Erteilung der Lehren berichtet wird, schließt sinngemäß nicht erst mit Vers 531, wie Hauck annimmt, sondern mit Vers 526, da mit der folgenden Zeile wiederum ein Szenenwechsel eintritt, was Seiler in seiner Ausgabe durch Einrücken anzudeuten suchte; Abschnitt 8 umfaßt also nicht 84, sondern nur 79, Abschnitt 9 demgemäß nicht 27, sondern 32 Verse. Die von Hauck angenommene Harmonie der Verszahlen innerhalb der Szenenfolge V 309—584 wird somit von den kaum zu übersehenden inhaltlichen Einschnitten dieser Partie her widerlegt. Auch er selbst scheint sich der Gültigkeit seines Gliederungsschemas nicht recht sicher gewesen zu sein: „Ganz gleich, ob man nun diese io) Ebda. 379; vgl. auch 384.

48

Bisherige Analysen des Aufbaus

.Zahlenkomposition' des Mittelteils anerkennt oder höchstens als heuristisches Prinzip gelten läßt, die klare Gestaltung dieses unversehrten Teils des Werkes ist unbestreitbar 1 1 )." Wie die von Hauck erschlossene Gliederung des von ihm so benannten Mittelteils C, so verliert auch seine Deutung des Gesamtaufbaus als eine Art von Zentralkomposition 12 ) bei näherem Zusehen manches von ihrer Überzeugungskraft. Sein Einleitungsteil A und der I. Hauptteil B (I 1 — V 2 1 9 ) zählen zusammen nur etwa 1144, der II. Hauptteil und Schluß D aber rund 2415 Verse, wenn man von Laistners Berechnungen des ursprünglichen Umfangs ausgeht; da D somit mehr als doppelt so groß ist wie A und B zusammen, steht der „Mittelteil" C keineswegs in der Mitte, sondern zum größten Teil noch im ersten Drittel des Ganzen. Karl Haucks Verfahren, den Ruodlieb von der jeweiligen Thematik der verschiedenen Partien her zu gliedern, unterscheidet sich methodisch kaum von den vor ihm unternommenen Versuchen, die von den einander ablösenden Stadien im Leben des Helden (Laistner), dem Wechsel des Schauplatzes (Heyne) oder den verschiedenartigen von Ruodlieb zu durchmessenden Lebenskreisen (Langosch) ausgingen. Sie alle können sehr wohl nebeneinander bestehen, wie auch Hauck in bezug auf Langosch ausdrücklich selber anmerkte 1 3 ). Hauck, dessen Analyse sich gegenüber ihren Vorgängern durch besondere Subtilität und Feinfühligkeit auszeichnet, und dem das Verdienst zukommt, die für das Ethos des Ruodlieb so bedeutsame Rolle des Gedankens der „edlen Rache" wenigstens hinsichtlich des ersten Teils mit aller Entschiedenheit in den Blick gerückt zu haben, wandte leider — darin der älteren Forschung ähnlich — seine Aufmerksamkeit allzu einseitig der Gestalt des Großen Königs zu, deren Konzeption er wesentlich aus des Dichters Ergriffenheit durch Person und Gedankenwelt Kaiser Heinrichs III. zu verstehen suchte. Mit Ruodlieb, der eigentlidien Hauptfigur dieser Dichtung, trat so auch die Behandlung jener Abschnitte in den Hintergrund, die ausschließlich ihn zum Mittelpunkt haben oder doch (z. B. als Kontrastszenen) eng auf ihn bezogen sind. D a ß weder der im vorigen Kapitel bis zu seinen neutestamentlichen Wurzeln zurückverfolgte Gedanke der „edlen Rache" an sich, noch das von ihrem Ethos geprägte Herrscherbild, das gleichfalls in einer langen Traditionskette steht, so aktuell beides unter Heinrich III. auch sein it) PBB 70, 1948, 379. 12) K. H . Halbach, Aufriß II 2 , 1960, 477, spricht im Anschluß an Haucks Formulierungen PBB 70, 385 von dem großartigen Beispiel eines „echt frühromanischen Zentral- oder doch Zirkel-Baus". « ) PBB 70, 1948, 385 A.

Bisherige Analysen des Aufbaus

49

mochte, sondern das aus demselben neutestamentlichen Geiste von O d o in seiner V i t a

Geraldi

geformte,

nun zuerst in weltlicher

Dichtung

begegnende Ritterideal die entscheidende Neuerung des Ruodlieb darstellt, durch die er eine christliche Ritterdichtung als eigene

Gattung

erst eigentlich konstituierte, daß ferner der G e d a n k e der „edlen R a c h e " im Ruodlieb in Vertretern aller Stände und in allen Teilen des Werkes lebendig ist, dies alles k o m m t bei Hauck infolge der seinem

Gegen-

stand nicht adäquaten K o n z e n t r a t i o n der Analyse auf die Szenen um den R e x M a i o r gar nicht oder doch nicht mit genügender Deutlichkeit zum Ausdruck 1 4 ). darin, d a ß Hauck

Diese Ungleichmäßigkeit allein

dem im Umkreis

zeigt sich äußerlich

schon

des G r o ß e n Königs

abspielenden I . H a u p t t e i l B eine seinen geistig-sittlichen

sich

Grundgehalt

kennzeichnende Überschrift („von der edlen R a c h e " ) gab, während umgekehrt die Benennung des I I . Hauptteils D („von der B r a u t w e r b u n g " ) das b l o ß Inhaltliche in den Vordergrund rückt. Noch weniger als die um Fragen des Aufbaus und der Gliederung des Ruodlieb bemühten Forscher vor ihm ging Hauck auf das V e r hältnis der von ihm erschlossenen B a u f o r m dieser Dichtung zur S t r u k tur des in weiten Teilen j a nicht erst von ihrem A u t o r

erfundenen,

sondern übernommenen Stoffes ein. Das aber wäre um so wünschenswerter gewesen, als man bisher — wie am E n d e des zweiten Kapitels angedeutet wurde —

diese Frage stets ganz einseitig allein von

Stoffgeschichte her zu beantworten man

der

versuchte, was dazu führte,

daß

das einheitliche Gebilde des Ruodlieb mehr und mehr in

eine

bloße Summe von Einflüssen

aufzulösen begann, deren

einziger

meinsamer Bezugspunkt ihre Verknüpfung mit der Gestalt

ge-

Ruodliebs

zu sein schien 1 5 ). War

Schmeller

noch

überzeugt,

daß

in

den Lehren

des

Großen

Königs das I n h a l t und Gliederung alles Folgenden bestimmende P r o gramm des Dichters zu sehen sei I ( i ), so sprach schon Seiler vom

Auf-

geben 1 7 ), Laistner vom Wechsel des Plans während der Arbeit 1 8 ), der dadurch veranlaßt worden sei, daß der Dichter seinem eigenen W e r k 11) So konnte K . H . Halbach, A u f r i ß I i s , i 9 6 0 , 4 7 8 , im Anschluß an H a u c k d a v o n sprechen, das „innerste E t h o s dieser Dichtung" sei „noch gebannt in das (allerbestenfalls) erste Drittel des W e r k e s ! " 15) Z u r grundsätzlichen K r i t i k eines derartigen V e r f a h r e n s vgl. J . Sdiwietering, Z f d A 81, 1 9 4 4 , 4 8 ff. " ) Ausg., 1 9 3 8 , 2 0 7 : „Diese seltsam durcheinandergemengten Ratschläge lassen uns ahnen, wie viel von der Dichtung verloren ist, denn ohne Zweifel müssen sie im V e r l a u f der Abenteuer sämtlich zur A n w e n d u n g gelangen." 17) Ausg., 1 8 8 2 , 7 2 f.; 1 8 9 f. is) Z f d A 2 9 , 1 8 8 5 , 22. 4 Braun,

Ruodlieb-Studien

50

Vom Exemplum zur epischen Dichtung

die Arbeit eines anderen, den sogenannten lateinischen „Ruodliebus" anzufügen beschlossen habe 19 ), f ü r dessen Existenz es jedoch nicht den geringsten Anhaltspunkt gibt 20 ). Singer schließlich betrachtete den Ruodlieb als ein die verschiedenen Themen und Nummern einer Variete-Aufführung mittelalterlicher Mimen geschickt um die Person eines Helden zusammenfügendes episches Potpourri: „Weder mit dem Ruodlieb-Märchen, noch mit der Heldensage, noch auch mit dem Mimus stellt man den Ruodlieb in das richtige literarische Milieu, sondern nur mit all dem zusammen, was ich eben das Variete genannt habe 2 1 )." Derartige aus einseitig stoffgeschichtlicher Betrachtung abgeleitete U r teile stehen bis heute neben den nach Methode und Ergebnissen völlig andersartigen, von den Indizien der Handschriften, von gehaltlidhen oder inhaltlichen Gesichtspunkten ausgehenden Analysen des Aufbaus, unter denen vor allem die Arbeit Haucks am hohen Grad der Bewußtheit der Komposition kaum einen Zweifel läßt, so sehr seine Ergebnisse im einzelnen auch anfechtbar sein mögen. Angesichts dieser Forschungssituation scheint es nicht ratsam, den Ruodlieb noch einmal unter neuem Aspekt auf seine äußere Gliederung, auf weitere, wegen seines doppelt fragmentarischen Überlieferungsstandes und ohne Rückbeziehung auf den Inhalt höchst unsichere Indizien f ü r Zahlenkomposition 2 2 ) oder allein auf seine stoffgeschichtlichen Bestandteile als solche hin 23 ) zu analysieren. Statt dessen soll im folgenden versucht werden, Gestaltung und Handlungsführung der erhaltenen Partien als Ergebnis der produktiven Auseinandersetzung des Dichters mit den verschiedenen von ihm aufgegriffenen Stoffen zu verstehen, denen er auf der Basis seiner im vorigen Kapitel auf ihre geistesgeschichtlichen und literarischen Ursprünge hin untersuchten sittlich-erzieherischen Grundidee eine neue, dieser gemäße Form zu geben wußte. Von hier aus wird sich dann auch die Bedeutung der einzelnen stofflichen und (im folgenden Kapitel) der stilistischen Muster und Anregungen nicht nur hinsichtlich ihres quantitativen Anteils, sondern auch nach ihrem inneren Gewicht genauer als bisher abschätzen lassen. i») A f d A 9, 1883, 89 f. so) J. Grimm, Ausg., 1838, X I I ; B. Symons, Grundriß III 2 , 1900, 631; Seiler, ZfdA 27, 1883, 338 ff.; E. Steinmeyer, Ergebnisse, 1902, 233; Strecker, Real-Lex. II, 1926/28, 387; Langosch, Verf.-Lex. III, 1943, 1142. 21) FS Zwierzina, 1924, 55. 22) Vgl. dazu die Bemerkung J. Schwieterings, PMLA 69, 1954, 1291 und A. 1. 23 ) Die verschiedenen Ansichten zusammenfassend und vorsichtig abwägend äußerte sich dazu zuletzt H . Gamer, A R V 11, 1955, 65—103.

V o m Exemplum zur epischen Dichtung

51

Die Erzählung von den guten Ratschlägen in ihrer ursprünglich straffen und unkomplizierten Gestalt dient zur Exemplifizierung der Lehre, Weisheit sei kostbarer als alle Schätze dieser Welt 2 4 ). Vor die Wahl zwischen beiden gestellt, entscheidet sich der Held f ü r die Weisheitslehren und sieht die Richtigkeit seines Entschlusses alsbald durch eine Reihe von Abenteuern bestätigt, die er durch kluge Befolgung der empfangenen Ratschläge glücklich besteht, während andere in gleicher Situation zu Schaden kommen. Die Exempelfunktion aller einzelnen Erzählphasen macht ihre Ausweitung zu umfangreicheren, in sich selbst ruhenden Episoden mit stärkerem eigenen Aussagewert unmöglich; sie führt zu einem strikt auf das Ende der Erzählung hin gespannten A u f b a u und verhindert so die Entfaltung aller im Stoff selbst gegebenen Möglichkeiten zur amplificatio durch stilistische Mittel oder durch Einfügung von Nebenhandlungen. Welcher Mittel bediente sich der Autor des Ruodlieb, um dieses seinem Wunsch nach möglichst umfassender Darstellung eines vorbildhaften christlichen Ritterlebens zunächst so wenig adäquate Erzählgefüge seinen Plänen gemäß umzugestalten? Dazu genügte die in K a pitel II erörterte Kontamination der verwandten Typen Aarne 910 B und A keineswegs; sie führte zwar zu einer beträchtlichen Erweiterung des Zeitgerüstes, ließ aber den exempelhaften Grundcharakter aller Episoden unverändert. Vor allem galt es, die mit der Lehrenerteilung gegebene Spannung auf den Ausgang des Geschehens so weit zu mindern, daß sich die H a n d l u n g auf jeder Stufe innerlich und äußerlich frei entfalten konnte. Wie der Dichter diese Aufgabe löste und in welch kunstvoller Weise er sich der kompositorischen Mittel der Steigerung und des Kontrastes bediente und die verschiedensten, der stofflichen Bereicherung dienenden Anregungen umzuformen und seinem Werk zu integrieren verstand, ist im folgenden zu untersuchen. Dabei verdienen gerade die Abweichungen von den vorgegebenen Mustern deshalb besondere Aufmerksamkeit, weil darin die Intentionen des Autors am sichtbarsten zum Ausdruck kommen. In allen an der ursprünglichen Konzeption des Erzählungstyp« Aarne 910 B festhaltenden Varianten beginnt die eigentliche H a n d l u n g mit dem Abschied des Helden von seinem Dienstherrn, der ihn dabei vor die Wahl zwischen Gold und Weisheit stellt; was vorausliegt, wird mit wenigen exponierenden Sätzen abgetan. Im Ruodlieb dagegen umf a ß t dieser Abschnitt, der vom Aufenthalt des Helden am H o f e des Großen Königs erzählt, fast ein Drittel des gesamten Werkes. 24 ) Vgl. Prov. 8, 11: Melior est enim sapientia cunctis pretiosissimis; ferner 16, 6. Zu weiteren Berührungspunkten mit der Salomosage vgl. Kap. II.

4*

52

Ruodlieb und Waithanus

Gegenüber allen von der empirischen Geschichte oder — wie Karl Hauck — von einem postulierten biographisch-erlebnishaften Zusammenhang des Autors mit der Ideenwelt Heinrichs I I I . ausgehenden Deutungen bestätigte der Gang der Untersuchung im vorigen Kapitel die Ansicht Langosdhs, daß der Dichter weder bei der Schilderung der Königsbegegnung, noch an anderer Stelle dieses Abschnitts von einem bestimmten geschichtlichen Ereignis angeregt worden sei. Ferner zeigte es sich, daß auch die spezifische Ausformung des Gedankens der „edlen Rache" im Ruodlieb beträchtliche Unterschiede gegenüber den Bestrebungen Heinrichts III. aufwies, die sich aus dem starken Einfluß der Ideen Clunys auf den Dichter ergaben. Damit ist aber die Frage noch unbeantwortet, ob und in welcher Weise er sich bei der Ausgestaltung dieser Szenengruppe, f ü r die die Erzählung von den guten Lehren ja nicht mehr als die allgemeinsten Umrisse lieferte, außerdem noch bestimmter stofflicher Anregungen bedient haben könnte und wo diese zu suchen seien. Schon R. Kögel erwog die Möglichkeit, daß der Waltharius dem Dichter des Ruodlieb bekannt gewesen und von ihm benutzt worden sei 25 ). Paul von Winterfeld schloß sich dieser Ansicht an: „Die Szenen der Rahmenhandlung sind möglichst nach dem Vorbilde des Waltharius komponiert 2 6 )." Karl Strecker führte in seinen beiden jüngsten Ausgaben des Waltharius 2 7 ) verschiedene Stellen des Ruodlieb an, die „stark an unser Epos (d. h. den Waltharius) erinnern" 2 8 ), und folgerte daraus, es „könnte vielleicht auch in Tegernsee ein Exemplar (des Waltharius) vorhanden gewesen sein" 29 ). Die meisten der von Strecker verzeichneten Anklänge betreffen allein das Vorkommen gleicher oder ähnlicher Wörter und Wendungen an derselben Stelle des Verses oder die Benutzung verwandter Ausdrücke zur Bezeichnung ähnlicher Sachverhalte. In zwei Fällen aber handelt es sich um komplette kleine Parallelszenen, die vor allem um des gleichen Inhalts willen Beachtung verdienen. 1. Nach der Niederwerfung einer aufständischen Völkerschaft eilt Walther mit der Siegesbotschaft zu Attila (215 ff.): 2

*) LG I 2, 1897, 364. «) Deutsche Dichter, 19223, 491. MG Poetae VI, 1, 1951, 1 ff.; kleine Ausgabe 1947. 28) W. 53 u. 14 : R . III 37 f.; 6 0 : 1 64; 8 1 : 1 X 5 9 ; 131ff.:V 402 ff.; 1 6 2 : IV 60; 215ff.: III 40ff.;260 : V 544; 262 : VII 60; 304 : V 76 u. VI 46; 376 u. 126 :V 277; 379 u. 508 : V 418; 4 5 0 : 1 1 1 6 0 ; 587 f. : I 77; 1063 : IV 5.161 u. V 165; 1282 : IV 234, V 6 1 , X V I I 97. Vgl. ferner 10 : I V 34; 135 : III 59 u. 68. 2 ») Poetae VI, 1, 4; kl. Ausg. S. 7. 2

Ruodlieb und W a i t h a n u s

53

Ecce palatini decurrunt arce ministri30) Illius aspectu hilares equitemque tenebant, Donec vir sella descenderet inclitus alta. Si bene res vergant, tum demum forte requirunt. llle aliquid modicum narrans intraverat aulam (Lassus enim fuerat), regisque cubile petebat. Die gleiche Situation wiederholt sich im Ruodlieb, als nach der Besiegung und Gefangennahme der räuberischen Eindringlinge aus dem Lande des Rex Minor ein reitender Bote in der Hauptstadt eintrifft ( I I I 40 ff.): Obueniujnt Uli multi rumoris auari Comprendujnt et equum, quid narret eumque requirunt. DicensJ omne bonum nec plus modicum neque multum, Dans pue]ro gladium regem properauit ad ipsum. 2. Als Hagen vom Hunnenhof in die Heimat entflohen ist, gibt Ospirin ihrem königlichen Gatten folgenden Rat, um wenigstens Walther seinem Reiche zu erhalten (125 ff.): Provideat caveatque, precor, sollertia regis, Ne vestri imperii labatur forte columna, Hoc est, Waltharius vester discedat amicus, In quo magna potestatis vis extitit huius; Nam vereor, ne fors fugiens Haganonem imitetur. Idcircoque meam perpendite nunc rationem: Cum primum veniat, hacc Uli dicite verba: yServitio in nostro magnos plerumque labores Passus eras ideoque scias, quod gratia nostra Prae cunctis temet nimium dilexit amicis. Quod volo plus factis te quam cognoscere dictis:u): Eltge de satrapis nuptam tibi Pannoniarum Et non pauperiem propriam perpendere eures. Amplificabo quidem valde te rure domique, Nec quisquam, qui dat sponsam, post facta pudebit.' Quod si completis, illum stabilire potestis. Als Ruodliebs Heimberufung durch die Briefe der Mutter und seiner früheren Dienstherren am Hofe 'des Rex Maior bekannt wird, herrscht 30) Vgl. Prudentius, Apotheosis 4 8 1 : Ecce Palatinus . . . minister, und Vergil, Aeneis I I 4 1 : summet decurrit ab arce. Diese A n k l ä n g e fehlen im Ruodlieb. 3 1 ) Vgl. Ruodlieb I I I 5 9 ; Rex grajtes dictis nobis demandai et actis; I I I 67 f . : Vobis injmanes rex inssit diccre grates Non sojlum dictis sed dicta sequentibus actis.

54

Ruodlieb und W a l t h a r i u s

allgemeine Trauer, und es werden Befürchtungen Ospirins sehr ähnlich sind (V 269 fi.):

laut,

die denen

Stant ubi uel resident, simul intime condoluerunt; Dicunt, quod nunquam uidissent huic similetn quem Moris honestate fidei uel in integritate Quod nec obest ulli sed, ubi quit, profuit omni. At qui seruimen eius nouere diurnum Dicunt: ,quid mir um, sibi si nunc est onerosum, Nil deseruisse ni pauper uiuere posse, Victum uel uestem, nullum plus emolumentum, Huius cum regni columen speciale sit omnis.' Auch was die Fürsten dem König raten, um Ruodlieb dem Lande und sich selbst zu erhalten, stimmt mit Ospirins Vorschlag überein (V 402 ff.): Et regi suadent, hunc ui prece seu reti[neret, Vxorem sibi det et honoribus hunc locuplfetet, Dicentes dignum comitatu quouis eund[em. Aber im Gegensatz zu Attila widersetzt sich der Rex Maior diesem eigensüchtigen Plan (V 405 ff.). Seinen Dank an Ruodlieb drückt er jedoch in ganz ähnlichen Worten aus, wie sie Attila von Ospirin in den Mund gelegt werden (V 297 ff.) : Nobis seruisti quam deuotissime scisti; Non obliuisci decet id nos sed reminisci, Et tibi prodesse, te sepe ned tribuisse Pro me pro populo pro cuncto denique regno32). In gleicher Bescheidenheit wehren Walther wie Ruodlieb dieses Lob als kaum verdient ab (Waith. 146 ff.): Vestra quidem pietas est, quod modici famulatus Causam conspicitis; sed quod mea segnia mentis Intuitu fertis, numquam meruisse valerem . . . (Ruodlieb V 303 ff.): Quod tibi seruiui, mihi quam bene retribuisti. Hue postquam ueni, pie rex, tibi meque subegi, Pascha fuit tecum mihi semper cottidianum, Semper habens multum uel honorum siue bonorum. 32) Vgl. auch V 4 1 9 ff.

Ruodlieb und Waltharius

55

Ruodlieb ist es ernst mit seinen Worten; Walther aber hat nichts anderes im Sinn, als den König in Sicherheit zu wiegen; er denkt bereits an seinen Fluchtplan, den er später ausführen wird (143 ff.). Außer in diesen Einzelszenen berühren sich Waltharius und Ruodlieb auch in ihrer Gesamtanlage. Von der Jugend ihrer Helden wird hier wie dort nur mit wenigen Worten berichtet; Ruodlieb wie Walther leben längere Zeit, wenn auch aus ganz verschiedener Veranlassung, am Hofe eines mächtigen Königs im Exil; beide erwerben sich dessen besondere Gunst und Zuneigung, erkämpfen als Heerführer entscheidende Siege und werden so zu „Säulen des Reichs", deren Verlust man mit allen Mitteln zu verhindern sucht. Die Schilderung dieses Lebensabschnittes der Helden umfaßt in beiden Werken etwa ein Drittel des Gesamtumfanges; anschließend berichten beide von den Abenteuern der Heimreise und schließen mit einem Ausblick auf Walthers bzw. Ruodliebs künftiges Königtum. Das Motiv der Gefährdung des Menschen durch Habgier und Neid findet sich in beiden Dichtungen an gleich bedeutsamer Stelle: Walthers vom Hunnenhof heimlich davongeführte Schätze werden für Gunther zum Anlaß, ihm mit Gewalt den Weg zu verlegen. Die daraus entstehenden Kämpfe drohen die Bande der Freundschaft zwischen Hagen und Walther zu sprengen. Da bricht Hagen in die Klage aus (857 ff.): , 0 vortex mundi, fames insatiatus habendi, Gurges avaritiae, cunctomm fibra malomm! O utinam solum gluttires dira metallum Divitiasque alias, homines impune remittens! Sed tu nunc homines perverso numine perfians Incendis, nullique suum iam sufficit, ecce Non trepidant mortem pro lucro ineurrere turpem. Quanto plus retinent, tanto sitis ardet habendi. Externis modo vi modo furtive potiuntur Et, quod plus renovat gemitus lacrimasque ciebit, Caeligenas animas Erebi fornace retrudunt.' Reichtum erweckt Habgier und Neid; er stiftet Zwietracht selbst zwischen Menschen, die einander Freunde sein sollten. Diese von Hagen in tiefster Seelenqual ausgesprochene Erfahrung läßt Ruodlieb — darin besonnener als Walther — die ihm vom König angebotenen Schätze zugunsten der Lehren verschmähen (V 425 ff.): ,Id33) cupijo, quod, ait, conponderat Census habejt multos, ubi noscitur,

usus honori. insidiantes

33 ) Langosch und Zeydel lesen nach Laistners Vorschlag ,Non der Sinn der Stelle im ganzen wird dadurch nicht verändert.

cupijo

. . .';

56

Ruodlieb und Waltharius

. . . ros cogit, pluros fore fures; In consanguineo]s parit inuidiam uel arnicos, Vel fratrem] stimulat, fidei quo federa rumpat. Est meliujs, censu careat quis quam quoque sensu, Et quicumjque pia satagit florere sophia, Ille uel argejnti Semper sat habebit et auri, Que uult] expugnat, quia telis intus abundat. Sprachliche Anklänge, Verwandtschaft des Gesamtaufbaus, Parallelen in der Gestaltung einzelner Szenen und Verwendung gleicher Motive sprechen f ü r die Richtigkeit der Annahme, daß der Dichter des R u o d lieb den Waltharius gekannt und benutzt habe. D a ß es sich dabei jedoch keineswegs um bloße Übernahmen handelt, zeigte sich schon bei den entsprechenden Gegenüberstellungen. Der Vergleich des Herrscherund Heldenbildes beider Dichtungen zeigt die Unterschiede in aller Deutlichkeit. Der Rex Maior verwaltet sein Königsamt in uice Christi (IV 154) als väterlicher Regent nicht zum eigenen Ruhm, sondern zum Wohle aller, auch der Nachbarvölker. Seine durch pietas agnellina und Sophia über die Herzen seiner Feinde errungenen Siege sind anderer und höherer Qualität als die Siege des Schwertes (IV 86 f.). Er ist das Idealbild eines christlichen rex iustus et pacificus. Audi Attila ist im Waltharius keineswegs der grausame Despot, den Gott der sündigen Christenheit zur Geißel sandte, wie ihn Legende und Historie zu zeichnen pflegten 34 ), sondern ein humaner, friedliebender und gerechter Herrscher (68 ff.): ,Foedera plus cupio quam proelia mittere vulgo. Pace quidem Huni malunt regnare, sed armis Inviti feriunt, quos cernunt esse rebelles.' Das Reich der Hunnen steht durch seine weltgeschichtliche Rolle als Ordner und Friedensbringer des orbis terrarum in Parallele zum heidnisch-antiken Imperium Romanum (6 ff.): Hic populus fortis virtute vigebat et armis, Non circumpositas solum domitans regiones, Litoris oceani sed pertransiverat oras, Foedera supplicibus donans sternensque rebelles. Ultra millenos fertur dominarier annos. 34 ) H. de Boor, das Attilabild Dichtung, 1932, 10 f.

in Geschichte, Legende und

Historischer

57

Ruodlieb und Waltharius

Attila ist der H ü t e r dieser pax terrena, die ebenso wie die pax Romana des Augustus auf dominatio, gewaltsamer Unterwerfung aller Völker des Erdkreises, beruht und die Anwendung härtester Mittel gegen jede Rebellion erfordert (203 ff.): Tunc imitata ducem gern maxima Pannoniarum Saevior insurgit caedemque audacior äuget, Deicit obstantes, fugientes proterit usque, Dum caperet plenum belli sub sorte triumphum Tunc super occisos ruit et spoliaverat omnes3-'). Nicht nur die Sprache der zitierten Stellen, auch die Konzeption der Gestalt Attilas und seines Reiches atmet antiken, vergilischen Geist 36 ). Das entspricht dem auch sonst im Mittelalter geübten Verfahren, das mittelalterliche nach dem antiken Heidentum zu stilisieren oder beide Zeitebenen ineinander fließen zu lassen 37 ). Lassen sich die Unterschiede des Herrscherbildes in Waltharius und Ruodlieb damit erklären, daß Attila als Heide im Gegensatz zum Rex Maior nur nach dem bei aller Größe doch bedingten und durch das qualitativ höhere christliche Ethos überwundenen antiken Ideal gezeichnet werden konnte, so gilt das nicht f ü r Walther selbst. Obwohl er vor allem als miles militaris, als Heerführer und Krieger, erscheint, läßt der Dichter die christlichen Züge seines Wesens deutlich hervortreten. Das alte heldische Ethos der H ä r t e und Selbstbehauptung ist im Begriff, weicheren Regungen Platz zu machen. Walther fleht Gott um Vergebung an f ü r die Sünde der superbia seiner Selbstberühmung im Angesicht der Feinde (564 f.): Necdum sermonem complevit, humotenus Corruit et veniatn petiit, quia talia dixit38).

ecce

Den erschlagenen Gegnern fügt er unter Seufzen und Klagen die Glieder wieder aneinander und bittet Gott für ihr und sein eigenes 35 ) Sucht man für diese Schilderung eines von Walther angeführten hunnischen Kriegszuges nach einer Parallele im Ruodlieb, so bietet sich nur das Vorgehen des Comes, des ethischen Gegenbildes Ruodliebs, an (IV 96 f.):

. . . sui nostros offendentes inopinos Occidunt, spoliant, captiuatosque cremabant.

Allerdings kämpft Walther nicht w i e jener um eigensüchtiger Ziele willen, sondern als Verteidiger der durch einen Aufstand bedrohten p a x Hunica. 3 «) Vgl. Aeneis V I 851 ff. 3r ) So bringt W o l f r a m im Parzival 101, 25 ff. Ipomidon, Pompeius, N a b u chodonosor, N i n u s und den Baruc von Baldac miteinander in Verbindung; im Willehalm und im Rolandslied verehren die Sarazenen Juppiter und A p o l l neben M a h o m e t und Tervigant. 38 ) Zur D e u t u n g dieser Stelle vgl. L. Schücking, H e l d e n s t o l z und Würde, 1933, 4 ff.

58

Charakter und Funktion der Lehren im Ruodlieb

Seelenheil (1159 ff.). So sehr der Dichter also auch bemüht war, seinen Helden als Christen zu zeigen und die härteren, archaischen Züge seines Wesens zu mildern, so wenig ging es ihm doch darum, ihn als christlichen Ritter (im Sinne Ruodliebs) darzustellen. Walther übt das Kriegshandwerk für den heidnischen Herrn des Erdkreises nicht als ein ihm von Gott verliehenes Amt, sondern um irdischer Ziele willen, so erhaben sie auch sein mögen, oder — im zweiten Teil der Dichtung — zur Behauptung seines (Attila geraubten) Schatzes, zur Wahrung seiner Ehre und Erhaltung seines Lebens. Nach begonnenem Kampf kommt bei ihm jede Bitte um Schonung zu spät 89 ). Im Charakter Walthers mischen und durchdringen sich Christliches und „Heldisches", aber es kommt noch nicht zur vollen inneren Überwindung des „heldischen" Ethos aus neutestamentlichem Geiste, wie sie im Ruodlieb auf der Basis des Ritterideals Odos gelungen ist. Dieser Unterschied im Menschenbild beider Werke ist für die genauere Bestimmung ihres Verhältnisses von entscheidender Bedeutung. Nur in der Gestaltung rein anschaulicher Momentbilder (wie bei der Schilderung der Ankunft des Siegesboten am Königshof III 40 ff., Waith. 215 ff.) konnte sich der Dichter des Ruodlieb vom Waltharius unmittelbar anregen lassen. Uberall dort aber, wo er Szenen und Motive übernahm, in denen das innerste Wesen der Handelnden sich offenbart (Ospirins Rat, der Rat der Fürsten im Ruodlieb; das SchatzMotiv; vgl. auch die bei der Betrachtung des Herrscher- und Heldenideals herangezogenen Reden, in denen das Ethos der Hauptfiguren unmittelbar zum Ausdruck kommt), gestaltete er sie aus dem Geiste seines Werkes in der Weise um, daß sie ihr stoffliches Vorbild zugleich überhöhen und überwinden. Nicht in der freien Erfindung seines Stoffes 40 ), sondern in der schöpferischen Auseinandersetzung mit dem Empfangenen liegt die wesentliche Leistung des Ruodlieb-Dichters. Stand im ersten, hinsichtlich des Handlungsverlaufs und der verwendeten Motive am Waltharius orientierten Abschnitt des Ruodlieb (I 1—V 219) die Bewährung des Helden im Dienste des Königs im Vordergrund, so schildert der folgende Teil (V 585—XVII 84) Ruodliebs vorbildliches Wirken in der engeren Sphäre von Sippe und Familie, Burg und Dorf. Die durch seine Heimberufung ausgelöste Szenenfolge (V 220—584), Haucks Mittelteil C, verbindet diese beiden Abschnitte und stellt zugleich den Anschluß an das Handlungsschema 3») Waith. 718 ff.; 750 ff.; 981. ) K. Burdach, Vorspiel I 1, 1925, 144, sprach vom ersten frei erfundenen mittelalterlichen Roman, der aus einem Märchenmotiv, zusammengefügten N o vellen und der Kunst spielmännischer Dichtung geboren sei. 40

Charakter und Funktion der Lehren im Ruodlieb

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der Erzählung von den guten Ratschlägen wieder her, von dem sich der Dichter nach der Ausfahrtsszene lösen mußte, um f ü r die breitere Entfaltung seines Herrscher- und Ritterideals Raum zu gewinnen. Aus dem gleichen Grunde mußte er auch im nun zu besprechenden Abschnitt bestrebt sein, die auf das Ende hin gespannte Erzählstruktur seiner Vorlage soweit wie möglich aufzulockern. Aus dieser Absicht erklären sich alle einschneidenderen Veränderungen, die er am A u f b a u seines Stoffes vornahm. Noch ehe erzählt wird, wie der König Ruodlieb vor die Wahl stellt zwischen dem greifbaren Wert des gebotenen Goldes und der höchst ungewissen Aussicht auf den N u t z e n der guten Ratschläge, wird der Leser Zeuge der Herstellung der Brote, die jene Schätze enthalten, von denen der König mit Sicherheit anzunehmen scheint, daß Ruodlieb sie um der Lehren willen ausschlagen werde (V 308—91). Der solchermaßen Eingeweihte kann Ruodliebs Entscheidung und allem Folgenden mit größter Ruhe entgegensehen, zumal auch der pragmatische Charakter einiger Lehren und die einer jeden vom König beigegebene Erläuterung ihres Nutzens keinen Zweifel an ihrer Brauchbarkeit aufkommen lassen (V 448—526) 41 ). Dadurch und durch die Erhöhung ihrer Zahl von drei auf zwölf 4 2 ) verlieren sie zugleich auch die ihnen üblicherweise zukommende Funktion des beherrschenden Dispositionsmittels f ü r alle weiteren Phasen des Geschehens, dem der Dichter so von Anfang an einen größeren Spielraum sichert, als ihn die Beibehaltung der vorgegebenen Form der Erzählung von den guten Ratschlägen gewährt hätte 4 3 ). Zur Beseitigung der dieser Geschichte genuinen Endgipfelspannung trägt nicht zuletzt auch Ruodliebs in Anlehnung an Stellen der Bergpredigt und der Proverbia Salomonis 44 ) gegebene ausführliche Begründung seiner vom König ganz richtig vorausgesehenen Entschei« ) s. o. S. 17. ) K. Hauck, PBB 70, 1948, 380, suchte diese Erweiterung aus kompositorischen Rücksichten des Autors zu erklären: „ U m die beiden Hauptscenen des Mittelteiles ,die Schatzbeschreibung' und ,die Darstellung der Weisheitslehren' in innerem Gleichgewicht zu halten, muß der Dichter die in dem Weltnovellenstoff . . . überlieferte Dreizahl der Lehren auf 12 erweitert haben." 43 ) W e n n aufgrund dieser inneren und äußeren U m f o r m u n g des Stoffes im Verlaufe der H a n d l u n g nur einige der Lehren durch entsprechende Abenteuer exemplifiziert werden und w e n n Ruodlieb entgegen den Wünschen des Königs (V 549 ff.) auch das z w e i t e ,Brot' im H a u s e der Mutter anstatt vor den Augen seiner künftigen Braut öffnet ( X I 57 ff.), so ist man also keineswegs genötigt, dies mit Laistner, A f d A 9, 1883, 73 u. 89 f., auf eine Veränderung des ursprünglichen Planes im Laufe der Arbeit zurückzuführen. 44 ) V 426 ff. erinnert an Matth. 6,19 ff.: Nolite thesaurizare vobis thesauros in terra: ubi aertigo, et tinea demolitur: et ubi fures effodiunt, et furantur . . zu V 430 ff. vgl. Prov. 3,14 ff.: Melior est acquisitio eins (sc. sapientiae) negotiatione argenti, et auri primi . . . et omnia, quae desiderantur huic non valent comparari; ferner Prov. 8,11; 16,16 und Eccli. 51,36. 42

Charakter und Funktion der Lehren im Ruodlieb

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dung bei. Sie verliert damit vollends den Anschein des U n g e w ö h n lichen, dessen Ausgang m a n mit U n g e d u l d erwartet, und gewinnt statt dessen nun k r a f t der A u t o r i t ä t der anklingenden Biibelstellen den C h a r a k t e r einer f ü r jeden Christen verpflichtendeil sittlichen N o r m . D i e auf die überleitenden Szenen v o n Ruodlieibs H e i m b e r u f u n g u n d Abschied v o m Rex M a i o r folgende Schilderung seiner Bewährung im engeren Kreise der ritterlichen Welt mit Burg, Dorf und L a n d s t r a ß e und im R a h m e n der eigenen Familie (V 5 8 5 — X V I I 84) zerfällt v o m Stoff her in zwei Teile. D e r erste (V 5 8 5 — V I I I 129) gehört wie das Vorhergehende zum Erzählungstyp A a r n e 910 B, w ä h r e n d sich der andere ( X I I 1 — X V I I 84) an den T y p u s 910 A anschließt. Alle von Seiler zusammengestellten Geschichten des T y p u s 910 B, die die zweite und dritte Lehre des Ruodlieb enthalten, niemals vom H a u p t w e g e abzuweichen und bei keinem Alten mit einem jungen Weibe Herberge zu suchen (V 457 ff. und 461 ff.), exemplifizieren den W e r t dieser Ratschläge an je einem positiven u n d einem negativen Beispiel 45 ). Die gegen die Lehren verstoßenden W e g g e f ä h r t e n des H e l den geraten durch ihre stultitia in höchste N o t , er aber bleibt durch deren genaue Befolgung vor G e f a h r und Schaden b e w a h r t . Diesen Gegensatz zwischen sorgloser Unbedachtsamkeit und kluger Besonnenheit, die den N u t z e n eines igiuten Rates w o h l zu schätzen weiß, verwandelte u n d vertiefte der Dichter des Ruodlieb zu einem sittlich-religiösen Spannungsverhältnis. Mehr noch als seine stultitia läßt die ihr zugrunde liegende superbia Ruodliebs Weggenossen, den R u f u s , nicht allein in G e f a h r , sondern in schwerste Schuld v o r G o t t und Menschen geraten. U m diese neue Akzentuierung herbeizuführen, b e d u r f t e es mehrerer Eingriffe in den überlieferten Stoff. W ä h r e n d die zweite Lehre nach Ausweis der zugehörigen Abenteuer normalerweise darauf abzielt, den H e l d e n vor der G e f a h r eines Raubüberfalls auf wenig befahrenem Wege zu bewahren, ist dieser R a t im Ruodlieb, vielleicht in Anlehnung an die dem Stoffkreis von Salomon u n d Morolf zugehörige z w ö l f t e Lehre 4 0 ), zu der W a r n u n g umgestaltet, sich nicht in eine Lage zu begeben, in der m a n sich durch blinden Zorn (eine der aus der superbia entspringenden H a u p t s ü n d e n ) schuldig machen k ö n n t e (V 457 ff.): Quamuis cenosa per uillam sit uia trita, Numquam deuites callem, quo per sata pergas, Ne male tracteris careasque tuis ibi frenis Correptus per quem responsum dando superbum. 45

) Es handelt sich um die Nummern C a. b. c. d. e. f. h

1832, 52—56.

« ) s. o. S. 15.

bei Seiler, Ausg.,

C h a r a k t e r und F u n k t i o n der Lehren im Ruodlieb

61

Obwohl R-uodlieb — eingedenk der ersten Lehre — nur widerwillig neben dem Rufus seines Weges zieht (V 590): ,Est nia] communis, quo uultis pergere quitis', und obwohl er weiß, daß dieser ihm seinen Reisemantel entwendete (V 610), sucht er ihn, freilich vergebens, vor jener Gefahr zu warnen ( V 6 1 1 — V I 7) 47 ). Auch das auf die dritte Lehre bezügliche Abenteuer, das in den anderen Versionen die unbesonnenen Weggefährten lediglich in den Verdacht des Ehebruchs und des Mordes geraten läßt, ist im Ruodlieb zuungunsten des Roten geändert. Wiederum warnt Ruodlieb vergebens ( V I I 26—34); vanitas und superbia (VI 117) treiben den Rufus dem sicheren Tode entgegen ( V I I 34; V i l i 121) 48 ). Die für den Ruodlieb kennzeichnende ethische Vertiefung der Spannung zwischen den ungleichen Weggefährten wurde im Gegensatz zu der hier dargelegten Auffassung von Seiler und Laistner schon der von ihnen erschlossenen Urform der Erzählung von den guten Ratschlägen zugeschrieben, von der aber alle anderen Varianten in diesem Punkt mehr oder weniger abgewichen seien, während nur der Ruodlieb das Ursprüngliche bewahrt habe 49 ). Dieser Ansicht stehen folgende den Charakter der Lehren und die Art ihrer Anwendung betreffende Eigenheiten des Ruodlieb entgegen, die nicht ursprünglich sein können: Normalerweise wird der Nutzen aller Ratschläge nacheinander an einem negativen und einem positiven Beispiel sichtbar gemacht. Allein im Ruodlieb umgreift die hier des negativen Exempels entbehrende Erprobung der ersten Lehre 00 ) die Anwendung der beiden folgenden Ratschläge. Die sonst überall gewahrte Einstimmigkeit der Lehren hinsichtlich ihrer Funktion, den heimreisenden Helden vor äußeren Gefahren (durch treulose Gefährten, unsichere Nebenstraßen und unpassende Herbergen) zu bewahren, ist im Ruodlieb durch die offensichtlich erst nachträglich eingeführte Zweigliedrigkeit der ersten und zweiten Lehre aufgehoben. Aber während die erste durch den Gedanken, der Umgang mit Pech beflecke auch den Reinen (V 455 f.), so geschickt ins Moralische hinübergeleitet wird, daß der Übergang kaum noch als solcher zu erkennen ist, erweist sich die in eine Warnung vor den schlimmen i?) V o n einer, wenn auch nur unfreiwilligen (Seiler, Ausg., 1882, 3 0 ) oder leichten Ü b e r t r e t u n g der ersten Lehre (Laistner, A f d A 9, 1 8 8 3 , 8 2 ) w i r d m a n also kaum sprechen d ü r f e n ; Ruodlieb sieht im Rufus ja keineswegs seinen Freund, w o v o r in der ersten Lehre g e w a r n t wird, sondern einen von superbia Verblendeten, den er a u f den rechten W e g zu bringen sucht wie der R e x M a i o r den Comes aus dem N a d i b a r l a n d e . 48) ,Base' «) 50) allzu

K . Langoschs Übersetzung von V I I 3 4 : hin, d a ß er m a n ja den T o d g e w i n n " , Ausg., 1 8 8 2 , 6 6 und 71 f.; A f d A 9, 1 8 8 3 , Vielleicht ist die Geschichte der jungen willig G e h ö r schenkt, als solches gedacht.

„Der R o t e . . . eilte zu der trifft k a u m den rechten T o n . 82. Bäurin, die dem Rufus nur

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Die Geschichten von Iuvenis und der Ancilla

Folgen ungerechten Zorns ausmündende zweite Lehre durch die Gesuchtheit ihrer Argumentation (V 459 f.) deutlich als sekundäre U m formung. N u r die dritte Lehre bewahrt den Charakter einer bloßen W a r n u n g vor äußerer Gefahr (V 463), der einst allen Ratschlägen eigen war. Den aus ihrem Wortlaut allein keineswegs abzulesenden moralischein Sinn eines warnenden Hinweises auf die verderblichen Folgen der concupiscentia empfängt sie erst nachträglich durch das in einer Bluttat endende und damit über den Wortlaut der dritten Lehre hinausgehende Abenteuer des Roten mit der jungen Bäurin, deren Leichtfertigkeit ihn um so stärker anzieht, je eindringlicher alle von 'der Einkehr in ihrem Hause abraten. So wenig man nach alledem an der Meinung Seilers und Laistners festhalten wird, daß der von den gängigen Versionen abweichende ethische Grundcharakter der Erzählung von den guten Ratschlägen im Ruodlieb auch schon der (ohnehin nur erschließbaren) U r f o r m dieses Stoffes eigen gewesen sei, so wenig kann man ihn als das natürliche Resultat seiner späteren Fortentwicklung betrachten; die kaum zu übersehende Künstlichkeit seiner Ausformung im Ruodlieb und das Fehlen aller weiteren Parallelen schließen eine solche Annahme aus. Die Eigenform des Ruodlieb ergibt sich also nicht wie von selbst aus seiner besonderen Stellung innerhalb der mutmaßlichen Geschichte des vom Dichter herangezogenen Stoffes; sie ist Folge und sichtbarer Ausdruck seines Bestrebens, durch die Umbildung seiner Vorlage zu den erzieherischen Musterszenen seines Werkes 51 ) auf eine Vertiefung des christlichen Lebensgefühls und die Schaffung eines vor allem den Adel seiner Zeit verpflichtenden Ethos auf der Grundlage des neutestamentlichen Gnadengedankens hinzuwirken. Auch die in keiner anderen Variante des Erzählungstypus Aarne 910 B näher ausgeführte Vorgeschichte der beiden Gastgeberfamilien, die der Dichter des Ruodlieb dem vornehmlich zu diesem Zweck in die Erzählung eingeführten Hirten in den Mund legte (VI 8 ff.), zeugt von dieser erzieherischen Absicht. Sie nimmt das bereits angeklungene Motiv eines sittlichen Gegensatzes zwischen Ruodlieb und dem Rufus auf neuer Ebene variierend auf, indem sie den nach dem Wortlaut der dritten Lehre zunächst nur äußerlichen Unterschied der beiden Paare (alter Mann — junge Frau; junger Mann — alte Frau) ins Ethisdie vertieft. Es genügt also keineswegs, hier mit Kögel n u r von einer den Fluß der H a u p t h a n d l u n g hemmenden novellistischen Einlage zu sprechen 52 ). «1) W. von Steinen, Z f d A 84, 1953, 21.

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Die Geschichten von Iuvenis und der Ancilla

Das Haus, in dem Ruodlieb herbergt, gehörte früher einem von Mißtrauen und Menschenhaß erfüllten Geizhals (VI 34 ff.): Quem] prius hec habuit, secum dirissime uixit, Nam fuit i[ngra]tus parcus rarissime letus; Nunquam ridentem uiderunt neue iocantem . . . Rar]o tarnen carnis proprie saturatur uteruis, Casjeolos comedunt duros seru[m]que biberunt, recondunt Quijcquid habent, uendunt, precium cauteque Aber nach seinem von niemandem beklagten Tode (VI 102 ff.) vermählte sich die Witwe einem einst als Bettler ins H a u s aufgenommenen jungen Knecht, der schon zu Lebzeiten seines hartherzigen H e r r n durch Selbstlosigkeit und Klugheit manches zum Guten z.u wenden verstanden hatte. N u n hielten Liebe und Eintracht ihren Einzug auf dem H o f e , ider so zur Freistatt f ü r alle Hilfsbedürftigen wurde (VI 108 ff.): ,Matrem] iam dominam uocat banc ast hunc ea Mox] famuli famule patrem suescunt uocitare, Ille suJos liberos econtra nominat illos. Nunqujam maiorem nos cernebamus amorem Nec co]ntectales sibi tarn bene conuenientes. lanua], que uiduis prius est et clausa pupillis, Hec

diuitibus

nu]nc

Während das von Hauses durch rechte wurde es bei den cupiscentia zerstört

Semper

patet

atque

natum.

pupillis.

der invidia des Alten zerstörte Glück dieses Einsicht und selbstlose Liebe neu begründet wird, Gastgebern des Rufus durch stultitia und con(VI 119 ff.):

Hic ajit: ,est senior, multum bona cui fuit uxor; Pro djolor, ah moritur. Is nupsit denuo nuper Et] duxit iuuenem stulta[m] nimiumque procacem. Censet] pro nihilo, contemnit eum quia, crebro Cum mechis] stultis Indens inhonestius Ulis . . Voller Mißtrauen hält der alte Bauer sein Anwesen vor jedem Fremden verschlossen (VII 35 ff.); denn sein junges Weib weiß sich ebenso klug zu verstellen (VII 81 ff.), wie sie im Taumel der Leidenschaft alle Pflichten gegenüber den ihrer Sorge anvertrauten Menschen und Tieren hintan zu setzen bereit ist. Auch das Pferd des Rufus bleibt sich selbst überlassen (VII 92 ff.): 52) L G I 2, 1897, 372.

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Die Geschichten von Iuvenis und der Ancilla Duxerat in stabulum properantius illa caballum; Non ea nec rufus reminiscuntur magis eius, Manducet, si quid ibi graminis is reperisset53).

Die Mahlzeit schiebt sie hinaus, um in ihrem Scherzen mit dem Roten, wobei sie sich durch die Anwesenheit des Alten kaum stören läßt (VII 107 ff.), nicht unterbrochen zu werden (VII 121 ff.). Obwohl gerade die hier besprochene Partie des Ruodlieb durch zwei größere Lücken von jeweils etwa 64 Versen verstümmelt ist 54 ), läßt das Erhaltene doch mit großer Wahrscheinlichkeit darauf schließen, daß sich die Geschichte von der jungen Bäurin und dem Rufus an der sechsten Lehre orientiert, in der es heißt (V 476 ff.): Ancillam proprium quamuis nimium speciosam Non uelut uxorem facias tibi consocialem, Ne contemnat te tibi respondendo süperbe.. .5ä). Wenn der Richter die Bäurin V I I I 28 ancilla nennt, so ist das ein deutlicher Hinweis auf ihre frühere Stellung als Magd. Diese Annahme wird dadurch bestätigt, daß auch der ihr in der ersten Bauerngeschichte als Kontrastfigur entsprechende Iuvenis durch Heirat aus einer dienenden Stellung zum Hausherrn aufstieg. Der Warnung der sechsten Lehre vor der Verführung durch die Schönheit einer Magd korrespondieren die Verse V I I 69, V I I I 46 f. und 83 f., in denen die verführerische Wirkung der jungen Bäurin geschildert wird. Audi die Hinweise auf ihr respektloses Verhalten gegenüber dem Alten 56 ) erscheinen wie eine Resonanz der dort ausgesprochenen Warnung. Die den Hauptteil des achten Fragments einnehmende Gerichtsszene, auf deren Verhältnis zur Rechtspraxis des 11. Jahrhunderts an späterer Stelle noch näher einzugehen ist, hat — ähnlich wie H a r t m a n n s Armer Heinrich — ein Bekehrungswunder zum Mittelpunkt 5 7 ). Wie dort das zum Opfer des eigenen Lebens bereite Erbarmen des Kindes mit dem Leiden seines H e r r n dessen innere Wandlung und damit auch seine 5 3) Vgl. dagegen das an biblische Szenen (Gen. 24, 10 ff.; Exod. 2, 15 ff.) erinnernde Verhalten des Iuvenis auf dem Hof des geizigen Alten (VI 56 ff.):

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Boujes sicut oues adaquat, porcosue capellas, Appjortat fenum quibus annonat parafredis, QueJ fecit sponte sibi nemine precipiente.

) Hinter Fragment VI und VII. ) Audi Laistner, A f d A 9, 1883, 90, und Singer, FS Zwierzina, 1924, 50, bringen die Geschichte der jungen Bäurin mit Lehre 6 in Verbindung, was Seiler, Ausg., 1882, 45, bestritten hatte. 5 «) Vgl. vor allem die Worte des Hirten (VI 122): CensetJ pro nihilo, 55

contemnit eum . . .

57 ) Burdach, Vorspiel I 1, 1925, 147, verglich die Bekehrung der Bäurin zu einem Leben der Buße mit der der Sünderin Maria in Hrotsviths Abraham.

Mimisches im Ruodlieb?

65

Heilung herbeiführt, so löst im Ruodlieb das Gebet des Sterbenden f ü r seine Mörder ( V I I I 6 ff.) die conversio seines schuldigen Weibes aus, die über die Stufen der contritio cordis 58 ) und der confessio oris 59 ) zur satisfaccio operis durch ein Leben strengster Buße führt. Die Schilderung dieses Vorgangs ( V I I I 89—117) unterbricht die D a r stellung der Gerichtsszene und verstößt damit zugunsten der stärkeren Hervorhebung des f ü r den Dichter zentralen Ereignisses gegen das von ihm sonst überall beachtete Aufbauprinzip des ordo naturalis 6 0 ). Der hier geführte Nachweis, daß sich die Geschichte vom Ehebruch der jungen Bäurin in ihrem ersten Abschnitt stofflich an der sechsten Lehre orientiert, während sie nach ihrer vor allem in der Gerichtsszene zutage tretenden inneren Form dem Legendentypus der Conversio verpflichtet ist, trägt entscheidend zur Widerlegung der von Paul von Winterfeld vertretenen Ansicht bei, daß diese Episode in ihren Grundzügen auf den antiken Mimus zurückgeführt werden könne 61 ). Winterfelds Annahme steht nicht nur in Widerspruch zum T o n der Darstellung, auch die zur ihrer Stützung beigebrachten Hinweise auf stoffliche Parallelen verlieren bei genauerer P r ü f u n g erheblich an Überzeugungskraft. D a sich offenbar kein mit den charakteristischen Einzelzügen der Handlungsfiihrung größerer Abschnitte dieser Ehebruchsgeschichte übereinstimmender Mimus nachweisen ließ, ging Winterfeld darauf aus, durch H ä u f u n g von Beobachtungen verschiedenster A r t wenigstens ihr Gesamtkolorit als mimisch ziu erweisein. Während er den Auftritt des vor verschlossener Tür bramarbasierenden Roten ( V I I 35 ff.) mit dem Miles gloriosus des Plautus (dessen Werk, wie H e r m a n n Reich noch zeigen werde, die Komödienstoffe in den Stil des Mimus umsetze) und mit ähnlichen Stellen bei Terenz verglich, erklärte er die Schilderung eines „cultus adulter" durch den Rufus (VII 65 ff.), die „sehr hand58 ) Sie ist äußerlich erkennbar an der typischen Gebärde unmäßigen Weinens (VIII 37 f.): Que tanturn fleuit, riuus lacrimis ibi quod fit. Ex oculis sanguis posthec fluxit sibi grandis. Vgl. dazu H . G. Weinand, Tränen, 1958, 28 ff. 59 ) Diese richtet sich hier gemäß ihrem konkreten Anlaß zunächst an den irdischen Richter und nur indirekt auch an Gott (VIII 42 f.): ludicium, rector, fieri differto parumper, Donec accusem memet, donec quoque damnem . . . Ihre innere Verwandtschaft mit den in viele Bekehrungslegenden eingefügten Sündenklagen zeigt sich u. a. darin, daß sie eher auf das Eingeständnis allgemeiner Sündhaftigkeit als auf die Enthüllung konkreter Verfehlungen abzielt. Audi die V I I I 58 und 62 ausgesprochene Hoffnung, durch irdische Sühne die Strafe im Jenseits zu mildern, gehört zum Formelbestand der Sündenklagen, vgl. z. B. die erste Benediktbeurer Beichte 36 f., Hartmanns Rede v o m glouven 1830 ff. und die Vorauer Sündenklage 642 ff. 80 ) Vgl. dazu Edmond Faral, Les arts poetiques, 1923, 55 ff. « ) Deutsche Dichter, 19223, 493 f.

5 Braun, Ruodlieb-Studien

66

Mimisches im Ruodlieb?

greiflichen Scherze des Pärchens" (VII 117 ff.) und das Motiv des durch ein Loch in der Wand beobachtenden Alten (VII 115 f., 120) aufgrund ihrer Bühnenwirksamkeit für „echt mimisch". Audi die Gerichtsszene bezeichnete er unter Hinweis auf einen von Reich92) aus den Metamorphosen des Apuleius (X 2—12) erschlossenen Giftmischermimus als „altes Mimeninventar"; ihr Ausgang stimme recht gut mit „der Natur des Mimus und seines mehr oder weniger heiteren Schlusses" zusammen, wenn man sich Kögels Vermutung anschließe, daß auch der Rote am Ende begnadigt werde. Was Winterfeld das typische Konterfei des im Mimus üblichen geschniegelten Liebhabers nennt, ist nun aber nichts anderes als das — nach Ausweis von Odos Vita Geraldi 63 ) — selbst für die Personenschilderung der Legende verbindliche Ideal männlicher Schönheit 64 ). Daß auch die „sehr handgreiflichen Scherze des Pärchens" ebensogut durch entsprechende Legendenszenen wie durch den Mimus angeregt sein können, beweist ein Blick auf die Dichtungen Hrotsviths, die Winterfeld allerdings gleichfalls vom Mimus her zu deuten versuchte65). Das Motiv des durch ein Loch in der Wand das Treiben eines Pärchens von der Art des Rufus und seiner „Neptis" beobachtenden Zuschauers begegnet auch bei Petronius 66 ), es braucht also ebensowenig wie die Schilderung des häßlichem Alten (VII 98 ff.), die wie alle anderen Personenbeschreibungen festen literarischen Traditionen verpflichtet ist, auf die Aufführung eines Mimus zurückgeführt zu werden, wie Singer im Anschluß an Winterfeld behauptete, weil diese beiden Züge ihre „komische Wirkung doch nur von der Bühne aus haben" könnten 47 ). Der von Reich erschlossene Giftmischermimus, den Winterfeld mit der Gerichtsszene in Beziehung setzte, hat eine Variante des PhädraMotivs zum Inhalt: Eine von ihrem Stiefsohn verschmähte Frau tötet 62) Der Mimus I 2, 1903, 589. 6S ) I 12, MPL 133, 650 CD: Geraldus igitur staturae mediocris, et totus, ut dicitur, euphormis, id est bene formatus. Et cum unumquodque membrum sua pulchritudo compsisset, Collum tarnen ita candidulum, et quasi ad normam vivendi decusatum habebat, ut vix aliud tarn gratiosum vidisse putares. 64 ) Die Frage nach den Darstellungs- und Stiltraditionen, denen der Ruodlieb hier und im allgemeinen verpflichtet ist, wird im folgenden Kapitel im Zusammenhang behandelt. «5) Deutsche Dichter, 1922 3 , 503 ff.; vgl. dagegen K. Dahinten, H V S 28, 1934, 508 f., und K. Burdach, Vorspiel I 1, 1925, 108 ff., die beide auf die (auf den hellenistischen Roman zurückweisenden) erotischen Bestandteile vieler Legenden hinwiesen. ««) Petronii Saturae, ree. F. Bücheler u. W. Heraeus 19125, S. 17 (c. 25,4). 67 ) FS Zwierzina, 1924, 51. Danach müßten wohl auch die Beschreibungen des "Waldmensdien in Hartmanns Iwein (425 ff.), Malcreatiures und Cundries im Parzival (517,16 ff. und 313,1 ff.) durch den Mimus angeregt worden sein.

Die Werbungsabenteuer im Ruodlieb

mit dem zu seiner Ermordung beschafften Gift versehentlich Kind. Anschließend bezichtigt sie ihn dieses Mordes und der Blutschande; aber ein zu den Richtern gehörender Arzt, Sklaven das vermeintliche Gift — in Wirklichkeit ist es nur

67 ihr eigenes versuchten der ihrem

ein starker Schlaftrunk — beschaffte, enthüllt den wahren Sachverhalt. Das Kind erwacht, der erzürnte Gatte verstößt sein treuloses Weib, der willfährige Sklave wird gehängt. Diese bei Apuleius in das kulturgeschichtliche Kolorit des antiken Griechenland getauchte Geschichte weist weder im Erzählton, noch in den stofflichen Einzelheiten der Gerichtsszene irgendeine für den Nachweis einer direkten oder indirekten Beziehung zum Ruodlieb geeignete Besonderheit auf. Da demnach keinem der Hinweise Winterfelds wirkliche Beweiskraft innewohnt und da die unliterarischen Wege der Mimentradition durch die Jahrhunderte kaum je mit genügender Sicherheit aufzuhellen sind, um seiner These eine allgemeinere tragfähige Grundlage zu bieten, begegnete man ihr von Anfang an mit Skepsis 68 ). Heute scheint sie kaum noch Zustimmung zu finden 69 ). An die dank der Lehren für den Helden glimpflich verlaufenden Reiseabenteuer schließt sich in den am Aufbauschema des Erzählungstypus Aarne 910 B festhaltenden Varianten die Heimkehr zu Weib und Kind, manchmal mit Bewährung einer weiteren Lehre™), und die Entdeckung des Schatzes in den Broten an. Allein im Ruodlieb ist die Schilderung der Heimkehr und der Auffindung des Schatzes in den vermeintlichen Broten ( X 3 3 — X I 81) mitten in die Erzählung einer neuen Kette von Abenteuern hineingelegt und so ihres ursprünglichen Charakters als Zielpunkt der Gesamthamdlunig beraubt. Wie sich aus der Heranziehung stoffgeschichtlicher Parallelen in K a pitel I I ergab, beziehen sich die durch die Unterredung zwischen Mutter und Sohn ( X I V 1 — X V I 23) eingeleiteten Werbungsabenteuer Ruodlielbs ( X V I 2 4 — X V I I 84) auf die Mahnung der siebenten Lehre, keine Frau zur Ehe zu nehmen, deren Wesen man nicht genau kenne ( V 484 ff.); sie gehören also zum Stoffkreis des Typus Aarne 910 A, in den einzulenken der Dichter dadurch ermöglichte, daß er seinen Helden im Gegensatz zu den sonstigen Varianten des Typs 910 B unverheiratet in die Fremde ziehen ließ. 08) F. Loewenthal, ZfdA 64, 1927, 132 f. «») H . Gamer, A R V 11, 1955, 91 f., weist darauf hin, daß die mimi im Ruodlieb nur als Tierbändiger und Spielleute (V 87 f. und I X 26), aber nicht in der Rolle von Schauspielern auftreten, die ihnen Winterfeld und Singer zuschreiben müssen, um sich als Vermittler des Ruodlieb-Stoffes ansprechen zu können. 7«) Vgl. Seiler, Ausg., 1882, 51 ff. 5*

68

Die Werbungsabenteuer im Ruodlieb

Die Geschichte von den Liebesabenteuern des Neffen (XII; X I I I ; I X ; X 1—32; XV), die ebenso wie die Erzählung vom luvenis im vorhergehenden Abschnitt freie Erfindung des Dichters zu sein scheint, ist gleich jener als Kontrasthandlung zu dem die Bewährung einer Lehre des Königs schildernden Hauptgeschehen angelegt 71 ): Beide Werbungsalbenteuer Ruodliebs und des Neffen verlaufen, sich steigernd, in je zwei wechselweise einander zugeordneten Phasen; ihre Gegensätzlichkeit ist aber zum Unterschied von den auf die sechste Lehre bezüglichen Episoden weniger ethisch akzentuiert, sondern stärker auf die Spannung zwischen stultitia und sophia abgestellt, von der Ruodlieb bei der Begründung seiner Entscheidung zugunsten der Lehren ausging (V 430 ff.). Die Begegnung mit dem Neffen gibt Ruodlieb Gelegenheit, sein Ethos der erbarmenden Liebe wie früher am Königshof gegenüber dem Landesfeind und dann in der Rufus-Episode gegenüber einem persönlichen Widersadier nun auch im Kreis der Sippe an dem der Verführungskunst einer Buhlerin erlegenen Jüngling zu bewähren. Durch gütiges Zureden weiß er 'den von Schatn und Reue Gepeinigten (XV 32 ff.) auf den rechten Weg zurückzuführen und zu gemeinsamer Fortsetzung der Reise in die Heimat zu ¡bewegen (XII 1 ff.). Wie sich der Neffe hier im Blick auf die Warnung des ersten Teils der siebenten Lehre (sich nie mit einer Frau einzulassen, deren Art man nicht näher kennt) als stultus erwies, so verstößt er später gegen die Mahnung ihres Schlußabschnittes, stets der Herr im eigenen Hause zu bleiben und seinem Weibe nicht alles anzuvertrauen. Noch unterwegs verliebt er sich erneut, aber diesmal in ein Edelfräulein, dessen Taufpatin Ruodliebs Mutter ist (X 10). Bei Tanz und Würfelspiel verliert er nicht nur Herz und Ring (IX 46 ff.; X 22 ff.), sondern plaudert wohl auch recht leichtfertig von seinem gerade beendeten Abenteuer, wie man vielleicht aus dem Fortgang der Handlung folgern darf. Jedenfalls ist es der Heriiis bei der Eheschließung bekannt und sie weiß diesen Vorteil mit Geschick zu nutzen: Als Sklave solle der Jüngling, den sie im Spiel gewonnen, ihr dienen (XV 52ff.); überhaupt aber werde sie nur dann seine Frau, wenn er, dessen Lebenswandel man ja kenne, sich unter Androhung gleicher Strafe zu gleicher Treue verpflichte, wie er sie jetzt von ihr fordere (XV 70 ff.). Das alles sdieint dem Dichter kein gutes Omen für die Ehe des Neffen zu sein; denn er schließt diesen Abschnitt mit der spöttischen Bemerkung (XV 99): Qualiter inter se concordent, quid mihi eure? 71 ) Aufgrund der starken Verstümmelung dieses Teiles der Handschrift bleibt hier allerdings manches recht unsicher, wie schon das Schwanken der Herausgeber bei der Anordnung dieser Fragmente beweist.

Ruodlieb und die Heldensage

69

Auch die dem ersten Abenteuer des N e f f e n korrespondierende Geschichte von Ruodliebs Werbung um die Dominella (XVI 24 ff.) erzählt er in diesem heiter-ironischen Ton. Eingedenk der Warnungen der siebenten Lehre geht Ruodlieb offenbar nur mit innerem Vorbehalt auf den Vorschlag des Familienrates ein, um eine ihm bis dahin gänzlich unbekannte Dame zu werben, und bleibt dadurch im Gegensatz zum N e f f e n vor Unheil bewahrt. Als er sich näher über Lebensart und Ruf der D a m e unterrichten will, erfährt er, sie sei die heimliche Geliebte eines Klerikers, und bringt ein Schappel und Kniebänder in seinen Besitz, die ihr einst beim Stelldichein entfallen waren ( X V I I 29 f.). In einem versiegelten Päckchen läßt er sie der Dominella bei der offiziellen Werbung überreichen und veranlaßt diese damit ebenso nachdrücklich wie diskret, seinen Antrag zurückzuweisen, den sie — in unbewußter Selbstironie — zunächst mit einem Liebesgruß beantwortet ( X V I 11—14), der ihre Vertrautheit mit den Gepflogenheiten des galanten Umgangs zwischen Klerikern und adeligen Damen erraten läßt 7 2 ).

Mit X V I I 85, dem Übergang zum zweiten und, wie es nach dem handschriftlichen Befund erscheinen muß, nur noch im Ansatz ausgeführten Werbungsabenteuer Ruodliebs, das offenbar als krönender Abschluß, nicht nur dieser Partie, sondern des Gesamtwerkes gedacht war, verschwindet der heiter scherzende Ton der Darstellung vollkommen. Seit Sdimeller in seiner Erstausgabe des Ruodlieb auf das Vorkommen eines Helden dieses Namens im Eckenlied (Strophe 79 ff.) und in der Thidrekssaga (Kapitel 98) hinwies 73 ), gilt es allgemein als ausgemacht, daß dieser Sdilußabschnitt des Ruodlieb in die Welt der Heldensage hinüberspiele 74 ). Wie weit diese Ansicht aufrechterhalten werden kann, ist im folgenden näher zu untersuchen. Vom A u f b a u der mit Werbungsabenteuern ausgefüllten großen Szenenfolge her, die mit Fragment X I I beginnt, fungiert der Schlußteil als Kontrastparallele zur Geschichte von der Eheschließung des N e f f e n und zugleich als positives Gegenbild zum Dominella-Abenteuer Ruodliebs, bleibt also insofern durchaus innerhalb des durch den Erzählungstyp Aarne 910 A abgsteckten Rahmens. Zur stofflichen Aus72 ) Zur literarischen Lebenssphäre des seine Vergleiche der Bibel und heidnisch-antiker Dichtung entlehnenden Liebesgrußes vgl. H. Brinkmann, Lat. Liebesdichtung, 1925, 4 ff.; 12 ff.; H. Walther, Z f d A 65, 1928, 257 ff. (mit Hinweisen auf die ältere Forschung); F. Ohly, ZfdA 87, 1956, 13 ff. « ) Ausg. 1838, 217 ff.; 220. 74 ) Vgl. das die Ansichten der bisherigen Forschung zusammenfassende Urteil K. Langoschs, Verf.-Lex. III, 1943, 1141.

Der Baumtraum im Ruodlieb

70 gestaltung denen Das

bediente sich der Dichter mannigfacher

aber

gilt

nur

auch

wenige

von

auf

die

Heldensage

den Träumen

Anregungen,

zurückzuführen

der Mutter,

in

denen

von sind.

Gott

das

künftige Glück ihres Sohnes offenbart, das sie durch selbstlosen Dienst an Witwen, Waisen und landfremden Pilgern mitbegründen half. Wie das Wunder der Vision in vielen Legenden, so drücken hier im R o m a n diese von G o t t gesandten Träume dem Leben des in allen ritterlicher

militia

Christi

bewährten

Helden

das

Siegel

Sphären göttlicher

Anerkennung und Begnadung auf 7 5 ); der Hinweis auf die Erringung einer irdischen Krone durch Ruodlieb entspricht dem der Legende gemäßen

Ausblick

auf

die

detm

Heiligen

zuteilwerdende

himmlische

Krone 7 6 ). Die schon im Alten Testament begegnende Vorstellung, daß Gott

dem Menschen

im Traum

die Zukunft

offenbare,

fand

„ihre

stärkste Ausprägung in den Legenden des 11. und beginnenden 12. J a h r hunderts" 7 7 ). Audi der Gedanke, daß die Verdienste des heiligmäßigen Lebens der Mutter dem Sohn zugerechnet würden ( X V I I 8 5 — 8 7 ) , gehört dem Umkreis der Legende zu; so führte Widukind von Corvey ( I I I 74) die Größe Ottos I. auf die mira

seiner Mutter M a -

sanctitas

thilde zurück 7 8 ), die zu eben jener Zeit in zwei als Heiligenleben stilisierten lateinischen Viten literarisch verherrlicht wurde 7 9 ). Herkunft aus dem Bereich der Legende wird man auch für den I n halt des zweiten Traums ( X V I I 9 4 ff.) annehmen dürfen, der Ruodlieb im Wipfel einer Linde thronend zeigt, während ihm eine weiße Taube eine edelsteingeschmückte K r o n e aufs H a u p t drückt. Paul Schach suchte die Herkunft der Motive dieses Tramms aus antiken Quellen wahrscheinlich zu machen 80 ), stellte dabei aber das Baumsymbol ganz einseitig

und

ohne

essential

part

of

weitere Begründung this

dream

is

in

the tree

den Mittelpunkt: as

a

symbol

of

"The future

g r e a t n e s s . . . Placing Ruodlieb in the tree an letting the dove crown and caress him are additions (but not the invention) of the a u t h o r " 7 5 ) Vgl. dazu Ingeborg Brüning, Das Wunder in der mittelalterlichen Legende, Diss. Frankfurt, 1953. 7 6 ) Daß audi Ruodlieb dereinst die Krone des ewigen Lebens erlangen werde, deuten die Verse X V I 32 ff. an. 7 7 ) W. Schmitz, Traum und Vision, Diss. Münster, 1934, 15. K. Hauck, MÖIG 62, 1954, 129 und A. 32; vgl. audi Thietmar von Merseburg, Chronicon 114: Venerabiiis autem regina Mabthildis . . . fideli erga Deum servitio promeruit, quod virtus filii in omnibus floruit. 7 ») Die ältere Vita wurde ediert von R. Köpke, MG SS 10, 573 ff., die jüngere von Pertz, ebda. 4, 282 ff.; zum Legendencharakter dieser Viten vgl. E.Auerbach, Literatursprache, 1958, 116. Zum Legendenmotiv von der der Mutter des Heiligen vorausverkündeten Auserwählung vgl. H. Günter, Psychologie der Legende, 1949, 94 ff. so) Monatshefte 46, 1954, 353 ff.

Der Baumtraum im Ruodlieb

71

(354). Als Prototyp des Baumtraums im Ruodlieb betrachtete Schach den zuerst bei Herodot (I 107 f.) überlieferten T r a u m des Perserkönigs Astyages, der eine Weinrebe aus dem Leib seiner Tochter Mandane hervorwachsen sah, die bis zum Himmel aufstrebte und bald ganz Asien überschattet. Dieses auf die künftige Größe des Cyrus gedeutete Bild sei vermutlich durch Plinius ( N a t hist. X V 36) und Sueton (De vita caes. V I I 1 und V I I I 5) in die lateinische Literatur gelangt; außer im Ruodlieb begegne es auch in Wolfheres Vita s. Godehardi (c. 15—17, M G SS X I 167 ff.) und — vielleicht durch beider Vermittlung — in mehreren isländischen Sagas. Die von Schach derart zu einer geschlossenen Traditionskette vereinigten Glieder gehören in Wirklichkeit völlig heterogenen Motivkreisen an. Außer den Belegen der Saemundar-Edda (Gudrunarkvida II emforma) und der Heimskringla (Magnussona saga) stimmen alle von ihm angeführten Träume der Sagas z w a r mit Herodot darin überein, daß der Träumende den durch seine ungeheure Größe den Ruhm des noch unigeborenen Helden vorausverkündenden Baum aus dem Leib der Mutter, dem H e r d , dem Bett oder aus einem anderen Gegenstand ähnlichen Symbolwertes herauswachsen sieht, doch fehlt gerade dieser Zug sowohl bei Plinius und Sueton als auch im Ruodlieb und der Godehardsvita, die damit sämtlich als Vermittler des Astyagestraumes ausscheiden. Sein Übergang in die verschiedenen europäischen Nationalliteraturen vollzog sich mit H i l f e folgender von Schach übersehener lateinischer Zwischenglieder: Valerius Maximus, Memorabilia 1 7 § 5 ; Tertullian, De anima c. 46, wo dieser angeblich durch die späteren Ereignisse bestätigte Traum als Beweis f ü r den von Epikur bestrittenen Wahrheitsgehalt der Träume herangezogen wird; Justinus, Epitoma historiarum Philippicarum Pompei Trogi I 4—6; Petrus Comestor, Historia scholastica, Liber Danielis c. 16 (MPL 198, 1470). Frühe Übertragung dieses Motivs auf andere Personen zeigen die Vergilvita des Donat, c. 1 § 3, und die Chronik Fredegars, M G SS rer. merov. II 78, wo von einem derartigen Traum der Eltern Theoderichs berichtet wird. Im Mittelalter findet er sich in Legenden 81 ) ebenso wie in profaner volkssprachiger Dichtung 82 ). si) Vgl. Odos Vita s. Geraldi I 2, MPL 133 643 AB: (Pater Geraldi) soporatus videbatur Uli, ut de pollice pedis eins (sc. matris Geraldi) dextri quaedam virgttla nasceretur, quae paulatim in magnam arborem succrescebat, ac subinde frondibus diffusis universim spatiabatur. Zur Übertragung auf Christus und Maria vgl. L. Uhland, Deutsdie Volkslieder, Nr. 319, und Ph. Wackernagel, Kirchenlied 2, 1867, Nr. 1213. 82 ) Wace, Le Roman de Rou et des Ducs de Normandie, ed. Pluquet, 1829, Vers 8021 ff. mit Übertragung auf Wilhelm den Eroberer, vgl. Schadi, a.a.O. 358.

72

Der Baumtraum im Ruodlieb

Plinius, Sueton, Saemundar-Edda und Godehardsvita bieten Varianten des weit verbreiteten Motivs vom Schicksalsbaum, dem in den beiden antiken Belegen aber jede Einkleidung in die Form des Traumes fehlt. Die Stelle der Godehardsvita erinnert an den Traum Nebdkadnezars im Buche Daniel (4,7—12). Mit dem Baumtraum des Ruodlieb oder dem Astyagestraum bei Herodot und seinen Nachahmungen hat das Motiv des Schicksalsbaumes, dessen Gedeihen und Welken das Auf und Ab im Leben eines (bestimmten Menschen oder Geschlechtes widerspiegelt, ebenso wenig zu tun wie die von Schach gleichfalls herangezogene Stelle der Magnussona saga, wo ein Traum die Landung Harald Gillis in Norwegen unter dem Bild einer Wolke voraussagt, die sich beim Herannahen wie ein Baum ausnimmt. Während beim Astyagestraum und seinen literarischen Abkömmlingen die Auserwähltheit des noch ungeborenen Helden allein durch das ungewöhnliche Größenwachstum des Baumes symbolisiert wird, geschieht das im Traum der Mutter Ruodliebs durch die von Schach als bloße „additions" zur Seite geschobenen Bildelemente. Die Mutter gewahrt ihren Sohn inmitten einer Schar Bewaffneter im Wipfel der Linde thronend, während eine schneeweiße Taube herbeifliegt, ihm eine edelsteingeschmückte Krone aufs Haupt setzt und ihn küßt. Alle diese dem Astyagestraum fehlenden Züge kehren auf vielen mittelalterlichen Wurzel-Jesse-Bildern wieder, deren älteste der Zeit um 1100 anzugehören scheinen®3). Diese Darstellungen verbinden die Genealogie Jesu (Matth. 1,1—17) mit der schon von Paulus (Rom. 15,12) christologisch gedeuteten Prophezeiung der Friedensherrschaft des Messias bei Jesaia (11,1 ff.). Sie zeigen Christus als Friedenskönig (manche Bilder auch als Kind im Schöße der Mutter, d. h. als flos virgae de radice Jesse) im Wipfel eines aus dem Körper des schlafenden Jesse hervorgehenden Baumes, in dessen unteren Zweigen die alttestamentlichen Könige seines Geschlechts zu sehen sind; über ihm schwebt der Heilige Geist in Gestalt einer Taube 8 4 ). W i e Jesaia im Bild von der Wurzel Jesse das endzeitliche Friedenskönigtum des Messias voirausverkündet, so scheint sich der Baumtraum der Mutter Ruodliebs, in dem sie selbst nur einen allgemeinen Hinweis auf die glänzende Zukunft ihres Sohnes sieht (XVII 123), ebenso wie der Ebertraum auf die in Fragment X V I I I sich abzeichnende Erringung der Königswürde durch Ruodlieb zu beziehen, dessen Herrschaft durch die Verwendung dieses die Assoziation des Lesers auf die Wurzel 83) A. Watson, The Early Iconography of the Tree of Jesse, 1934, 35. 8 4 ) Sie erscheint häufig in siebenfacher Gestalt, um die sieben Gaben des Heiligen Geistes zu symbolisieren.

Der Ebertraum im Ruodlieb

73

Jesse hinlenkenden Bildes damit zugleich als Friedenskönigtum in vice Christi nach A r t des Rex Maior gekennzeichnet wird. D a Polyvalenz zum Wesen dichterischer Symbolsprache gehört, braucht diese D e u t u n g die übliche Auffassung der Taube als Hinweis auf H e r i b u r g ( X V I I I 11) keineswegs auszuschließen 85 ). D a ß Ruodliebs in den Zweigen unter ihm erscheinende Begleiter alumni genannt werden ( X V I I 112), läßt d a r a n denken, d a ß neben der angesichts der weitgehenden I d e n t i t ä t der Bilidvorstellungen u n d der Analogie des Bildsinns k a u m zu bezweifelnden Anregung des Dichters durch die Wurzel Jesse vielleicht auch Darstellungen des Gleichnisses v o m Weinstock u n d den Reben (Joh. 15,1—8) eingewirkt haben. Diese zeigen Christus als Stamm des Weinstocks, die Apostel als dessen Reben, stellen also die geistige Filiation Christi dar 8 6 ), w ä h r e n d die W u r z e l Jesse seine irdische Deszendenz zum I n h a l t hat. M i t der Übertragung eines dem geistlichen Bereich angehörenden Bildtypus auf eine Gestalt weltlicher Dichtung steht der Ruodlieib keineswegs allein. W o l f r a m von Eschenbach n a h m sich f ü r den T r a u m Herzeloyides im P a r z i v a l (103,25—104,6) das Bild der A p o k a l y p s e von dem mit d e r Sonne umkleideten Weibe auf der Mondsichel (Apoc. 12,1 ff.) zum Muster, das v o n den mittelalterlichen Exegeten auf M a r i a gedeutet wurde 8 7 ). Ein weiteres Beispiel bietet seine Schilderung der mit dem toten Gelieibten im Schoß in den Zweigen einer Linde sitzenden Sigune (Parz. 249, 14—17); diese Bildvorstellung berührt sich eng mit mittelalterlichen Pietädarstellungen 8 8 ). Z u m Unterschied v o m B a u m t r a u m d e r M u t t e r scheint der Inhalt ihres ersten T r a u m s v o n den Ebern und Wildschweinen ( X V I I 89—93, 109 ff.) eine Herleitung aus der Heldensage geradezu herauszufordern; er erinnert an Kriemhilts E b e r t r a u m ( N L 921) u n d a n d e n B ä r e n t r a u m H a g e n s ( W a i t h . 621 ff.) 89 ). Doch w ä h r e n d es sich dort um unheilverkündende W a r n t r ä u m e handelt, verheißt der Ebertraum im 85 ) Zum alttestamentlichen Motiv der Taube als Zeichen göttlicher Erwählung zum König vgl. H. Gunkel, Das Märchen im Alten Testament, 1921, 150 und A. 6; zur Taube als Symbol der Frau vgl. E. Ploß, GRM 39, 1958, 222. 88 ) In diesen Zusammenhang gehört die von Schach (358) erwähnte Vision des heiligen Jakob von Massa (Fioretti di s. Francesco d'Assisi, ed. P. F. Sarri, 1926, c. 49, S. 195 ff.), dem Christus auf weißem Thron im Wipfel eines Baumes von Minoritenbrüdern umgeben erschien. Ihr läßt sich Hans Holbeins, des Älteren, Stammbaum der Dominikaner (im Städelschen Kunstinstitut zu Frankfurt/M.) zur Seite stellen. Vgl. RDK 2, 1948, 87 ff., und L. Bréhier, L'Art chrétien, 1918, 26 f. und 68. 8 H W. Deinert, Ritter und Kosmos im Parzival, 1960, 3 ff. 88) J. Schwietering, ZfdA 60, 1923, 113 ff. und ZfdA 57, 1920, 140 ff. S9 ) Nordische Parallelen bei Schach, Monatshefte 46, 1954, 353; altfranzösische bei R. Mentz, Die Träume in den afz. Karls- u. Artusepen, 1888, 53.

74

Der Zwerg im Ruodlieb

R'uodlieb dessen Sieg über seine grimmigen Feinde, unter denen man im Hinblick auf X V I I I 7 ff. wohl Immundi und Hartundi verstehen darf; seine Funktion unterscheidet ihn also von den Warnträumen der Sage. D a anderseits auch die Verwendung des Ebersymbols für menschliche Widersacher keineswegs auf die germanische Heldensage beschränkt ist, sondern sich schon aus dem Traumbuch des Artemidor ( I I 120) belegen läßt 9 0 ), darf auch der erste Traum des Ruodlieb nicht ohne weiteres zum Beweis eines Einlenkens in die Welt der Heldensage angeführt werden. Nur der Name des Helden und das Zwergenmotiv könnten nach dem Zeugnis des Edkenliedes und der Thidrekssaga mit einiger Sicherheit aus ihr abgeleitet werden. Von den drei weiteren in Fragment X V I I I genannten Namen begegnen nur Hartundi und Heriburg in der Heldensage, allerdings in andersartigen Zusammenhängen als im Ruodlieb, während Immunch in den erhaltenen deutschen Sagen überhaupt nicht erscheint 91 ). Dagegen sind alle vier im Ruodlieb vorkommenden Personennamen für die Zeit des Dichters in oberdeutschen Urkunden nachzuweisen 92 ). Was wir im Ruodlieb aus dem Munde des Zwerges über das Wesen seines Geschlechtes erfahren, läßt sich mit dem Zwergenfeild der altdeutschen Sagen kaum in Einklang bringen. „Ruodlieb wie Nibelungenlied haben an den Zwergen schon stark modernisiert" 9 3 ). Welches waren die Anregungen, denen der Dichter hier verpflichtet ist? Als Ruodlieb Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Nanus äußert, antwortet dieser mit einer Polemik gegen die Treulosigkeit der Menschen, der er das sittenstrenge, reine und naturgemäße Leben der Zwerge mit folgenden Worten gegenüberstellt ( X V I I I 18 ff.): ,Absit, ut inter nos umquam regnauerit hec fraus; Non tarn longeui tunc essemus neqtte sani. Inter MOS nemo loquitur, nisi corde doloso. Hinc nec ad etatem matu-ram peruenietis; Pro cuiusque fide sunt eitts tempora uite. Non aliter loqmmur, nisi sicut corde tenemus, Neue cibos uarios edimus tnorbos generantes, Longitts incolomes hinc nos durabimus ac MOS . ..' 90) E. Ploß, G R M 39, 1958, 222. 91) Sdimelier, Ausg., 1838, 2 2 1 ; W . Grimm, Deutsche Heldensage, ed. Steig, 1893 3 , 32 f. «2) R. Kögel, L G I 2, 1897, 4 0 2 ; H. Gamer, A R V 11, 1955, 84 und A. 3. 83) G. Baesecke, Vor- und Frühgeschichte I, 1940, 40. A. Lütjens, Der Zwerg in der deutschen Heldendichtung des Mittelalters (1911), rechnete den Nanus unbedenklich dem deutschen Zwergentypus zu. Zum Zwergenbild der nordischen Sagas vgl. H. de Boor, FS Eugen Mogk, 1924, 5 3 6 — 5 7 .

Der Zwerg im Ruodlieb

75

D a s stimmt nach T o n und Inhalt w e i t g e h e n d mit dem überein,

was

die unter anderem auch in der Bamberg er Handschrift der H i s t o r i a de preliis 9 4 ) enthaltenen, daneben aber schon seit der Antike separat verbreiteten Briefe des D i n d i m u s an A l e x a n d e r den G r o ß e n v o n der Lebensweise

der Bragmanen z u berichten haben 9 5 ). "Wie die

Zwerge

des Ruodlieb ( X V I I I 28) hausen die Bragmanen in H ö h l e n : Aut fossis

aut

in speluncis

babitamusm).

montium

I m Gegensatz zu

in den

ihren Begierden unterworfenen treulosen Griechen leben sie als w a h r haft Freie rein und anspruchslos: Cum

locuti

nisi

Vos

veritatem

debeant

fieri,

sordida

facta

implemus aliqua



et statirn

et non facitis97). ipsum

mensas

egritudine").

aerem

nostras,

tacemus. Subitam non

fuerimus autem

mortem

De et proinde

dicimus

multa,

non patimur,

corrumpimusM).

qui nos non nocent,

— non

dicitis

quae

quid

talibus sumus

per cibis sine

D i e ins A u g e fallenden Ubereinstimmungen dieses

Textes 1 0 0 ) mit den Äußerungen

des Zwerges im Ruodlieb lassen sich

k a u m anders als durch die A n n a h m e erklären, daß der jüngere Dichter sich hier v o n den Gedanken der Dindimusbriefe anregen ließ 1 0 1 ). D a s schließt z w a r nicht aus, daß die Anregung zur A u f n a h m e des Z w e r g m o t i v s v o n der H e l d e n s a g e ausging, die Ruodlieb mit einem Z w e r g in Verbindung brachte, zeigt aber mit aller Deutlichkeit, daß der Dichter auch diesem Abschnitt im Sinne der paränetischen G r u n d k o n z e p t i o n

seines

Werkes einen v o n der traditionellen Fassung der Sage beträchtlich abweichenden Gehalt z u geben versuchte. W i e w e i t er darin z u gehen 94 ) Sie wurde um das Jahr 1000 in Unteritalien geschrieben und wahrscheinlich 1022 nach Bamberg gebracht; eine Tegernseer Rezension der Historia aus dem 12. Jahrhundert befindet sich jetzt in Paris; vgl. dazu Fr. Pfister, Der Alexanderroman des Archipresbtyters Leo, 1913, 11—16. Schon im 11. Jahrhundert verzeichnet ein Tegernseer Bibliothekskatalog die Gesta Alexandri, vgl. H . Gamer, A R V 11, 1955, 94. 95 ) Zu der seit der Väterzeit zu belegenden apologetischen Verwendung dieser Schrift bei christlichen Autoren vgl. G. A. Cary, A Note on the Mediaeval History of the Collatio Alexandri cum Dindimo, Classica et Mediaevalia 15, 1954, 124—29. Zu der auch Isidor (Etymol. X I 3,7 und 26) und dem Liber monstrorum (11,7) bekannten Sage von den Zwergen Indiens, die in Handschrift E des Herzog Ernst Bricami, Prechami (vielleicht — Bragmani}), sonst pygmaei genannt werden, vgl. K. Bartsch (Hg.), Herzog Ernst, 1869, C L X X f. 96 ) Kleine Texte zum Alexanderroman, hg. v. Friedrich Pfister, 1910, S. 12, 30 f. »!•) Ebda. 8,6 ff., vgl. Ruodlieb X V I I I 20 und 23. »8) Ebda. 13,30 f., vgl. Ruodlieb X V I I I 22. 99 ) Ebda. 11,26 ff., vgl. Ruodlieb X V I I I 24 f. mo) Das von Pfister zusammen mit den Dindimusbriefen herausgegebene sogenannte Commonitorium Palladii, das einen Bericht über die Wunder Indiens und die Bragmanen gibt, erwähnt überdies noch einen auf der Insel Traprobane regierenden rex maior, ebda. 3,34. 101 ) Schon Laistner, den dann aber seine Ruodliebus-Hypothese in anderer Richtung führte, erwog die Möglichkeit einer Beeinflussung durch die ethnologischen Fabeleien der antiken Romane, A f d A 9, 1883, 106.

76

Ergebnis der Aufbau-Analyse

beabsichtigte und ob ihm dieses Vorhaben hier wie in den früheren Partien gelungen wäre, läßt sich angesichts des Abbrechens seiner Dichtung nicht entscheiden. So viel aber ist sicher, daß von einem bloßen Einmünden des Ruodlieb in die Heldensage keine Rede sein kann. Vielleicht war es dem Dichter bei der Wahl des Namens Ruodlieb und der Einbeziehung des von der Heldensage mit dieser Gestalt verknüpften Zwergenmotivs vor allem darum zu tun, der Phantasie des Hörers zum Fortspinnen der Fäden über das Ende des Werkes hinaus einige Nahrung zu geben, so wie auch Wolfram den Schluß des Parzival durch einen knapp andeutenden Ausblick auf die Schicksale Lohengrins und die Legende vom Priesterkönig Johannes wieder in die unübersehbare Weite der Sagenwelt zurückmünden läßt, deren Gestalten nur im überschaubaren Ausschnitt sinndeutender Dichtung Faßlichkeit und schärfere Kontur gewinnen. So mag die Annahme erlaubt sein, daß der Dichter sein mit Vers XVIII 32 mitten in der Zwergenszene abbrechendes Werk nicht allzu weit über diesen Punkt hinaus fortzuführen gedachte, zumal die durch göttliche Autorität verbürgten Verheißungen aus den Träumen der Mutter der Darstellung ihrer Erfüllung kaum mehr bedurften 102 ). Die im Blick auf die im vorigen Kapitel erörterte sittlich-religiöse und erzieherische Grundtendenz des Ruodlieb unternommene Analyse seines Verhältnisses zum Erzählstoff von den guten Lethren, der auf weite Strecken das Handlungsgerüst bildet, und der Vergleich mit den übrigen uns erkennbaren stofflichen Anregungen und Mustern widerlegen die Ansicht, daß man im Ruodlieib den ersten „frei erfundenen" Roman des Mittelalters zu sehen habe 103 ), aber auch die vor allem von Seiler und Laistner vertretenen Meinung, daß sein Dichter im Grunde an der Aufgabe gescheitert sei, die heterogenen Stoffquellen entnommenen Bestandteile seines Werkes zu einem in sich geschlossenen Ganzen zu integrieren. Die Leistung dieses Dichters liegt nicht im Finden und Erfinden, sondern im deutenden Umgestalten und Verknüpfen vorgegebener Stoffe zur vorbildlich gemeinten Vita eines ritterlichen miles Christi im Sinne des uns in Odos Vita Geraldi zuerst entgegentretenden neuen Ideals. „Die ersten Versuche . . d a s überkommene Erzählgut auf die ritterliche Welt zu beziehen und von ihr aus zu deuten", begegnen also keineswegs erst, wie Paul Böckmann annimmt 104 ), „in der frühhöfischen Zeit . . . seit der Mitte des zwölften Jahrhunderts etwa." Daß sich das i»2) Vgl. W. Schmitz, Traum und Vision, 1934, 13 f. los) K. Burdach, Vorspiel I 1, 1925, 144. to4) Formgeschichte der deutschen Dichtung, 1949, 103.

Ergebnis der A u f b a u - A n a l y s e

77

Rittertum als einen besonderen Stand mit eigener Ethik und spezifischen Pflichten im Rahmen des christlichen ordo verstehen lernte, war nicht Ursache, sondern Folge der nach dem Vorspiel auf dem Feld der Legende mit d e m Ruodlieb einsetzenden mittelalterlichen Ritterdichtung, die zunächst nicht von den Rittern selbst, sondern von Mönchen und Geistlichen für Ritter geschaffen wurde.

DER D A R S T E L L U N G S S T I L „Der Ruodlieb ist ein Rätsel nicht nur durch seinen einzigartigen Stoff, sondern noch mehr durch seine Behandlung, d. h. durch die Persönlichkeit des Dichters... Nicht woher dem Dichter der Stoff zufloß, ist die drängende Frage, sondern wo er gelernt hat, ihn so darzustellen." Mit diesen Worten kennzeichnet Hermann Schneider1) die Schwierigkeiten, die sich dem Versuch entgegenstellen, den in der Literatur Deutschlands im elften Jahrhundert ziemlich isoliert erscheinenden Darstellungsstil des Ruodlieb auf seine geistigen Voraussetzungen und literaturgeschichtlichen Vorbilder hin zu untersuchen. Der monumentalen Wucht und gedrängten Kürze des germanischen Heldenliedes, die uns im althochdeutschen Hildeibrandslied entgegentritt, steht die Erzähl weise des Ruodlieb diametral gegenüber2); aber wie das überaus spärliche Auftreten klassischer Wendungen und sprachlicher Reminiszenzen beweist3), läßt sie sich zum Unterschied vom Waltharius auch keineswegs unmittelbar auf die von Vergil ausgehende Stiltradition der antiken oder antikisierenden Epik lateinischer Sprache zurückführen. Trotz dieser für historisches Denken unbefriedigenden Dunkelheit ihres geschichtlichen Ursprungs fand die Erzählweise des Ruodlieb bei den Forschern vor allem seit der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts besonderes Lob, da sie hier ein frühes Beispiel des ihre eigene Zeit kennzeichnenden realistisch-naturalistischen Stilideals gefunden zu haben glaubten. Seiler, der sich einerseits durch manche Eigenheiten der Darstellung geradezu an Homer erinnert fühlte (Ausgabe, S. 194), erklärte die Tendenz zum Genrehaften als beherrschende Stileigentümlichkeit des Ruodlieb: „Der Dichter erzählt genau und verweilt gern auch beim Einzelnen und Kleinen . . . Diese Neigung zur Detailmalerei ist es, die dem Gedicht den idyllischen Stempel aufdrückt und es nach ! ) Heldendichtung, Geistlichendichtung, Ritterdichtung, 19432, 121 und 124. 2) Konrad Burdach, Vorspiel I 1, 1925, 150. 3 ) Manitius, L G 2, 1923, 553; die genauere Bestimmung des Umfangs solcher Entlehnungen aus älteren Autoren bleibt eine wichtige Aufgabe jeder kritischen Neuausgabe. Hans Ottinger, Zum Latein des Ruodlieb, H V S 26, 1931, 4 4 9 — 5 5 5 , zielte vor allem darauf ab, die von Seiler als Germanismen angesehenen sprachlichen Besonderheiten als schlechthin spät- und mittellateinisch zu erweisen, ohne den im Fortgang der Untersuchung naheliegenden Ubergang von der wort- zur stilgeschichtlichen Analyse zu vollziehen.

„Realismus" im Ruodlieb?

79

der realen Seite hin so wertvoll macht. Es geht gleichsam eine Reihe lebender Bilder an unseren Augen v o r ü b e r . . . So schildert das Gedicht die Zeit seines Entstehens mit pihotographischer Wahrheit" (Ausg., S. 193 f.). Dieses auf ein umfangreiches Kapitel über den kulturhistorischen Gehalt des Ruodlieb (Ausg., S. 81—111) gestützte Urteil verband sich leicht mit der weitergehenden Vermutung, daß sich der Dichter nicht allein durch die realen Lebensverhältnisse, sondern auch durch ganz bestimmte Gestalten und Ereignisse der empirischen Geschichte seiner Zeit habe anregen lassen, zu der auch heute noch vielfach vertretenen Ansicht vom „Realismus" des Werkes als einer f ü r die damalige Zeit ganz einzigartigen Darstellungsform: „Der Ruodlieb steht als realistischer Zeitroman, der als ein ganz individuelles Erzeugnis, und ohne irgendeiner Tradition zu folgen, gedichtet wurde, einzig da 4 )." Wie die Analyse des Herrscher- und des in früheren Arbeiten meist vernachlässigten Ritterideals in Kapitel III ergab, lassen sich beide keineswegs aus der den Dichter umgebenden Lebenswirklichkeit ableiten; sie weisen vielmehr auf deutlich sich abzeichnende geistesgeschichtliche und literarische Traditionen zurück, deren Einfluß sich über die Dichtung hinaus sowohl in den politischen Ideen jener Zeit (z. B. in den Indulgenzakten Heinrichs III.), als auch und vor allem in ihren dementsprechend stilisierten historischen Zeugnissen bemerkbar macht. Dieser Umstand förderte die Neigung der Forscher, die Dichtung unmittelbar auf die geschichtliche Realität, anstatt die in beiden — wenn auch in verschiedener Weise — sichebar werdenden Ideen auf eine gemeinsame geistesgeschichtliche Wurzel zurückzuführen. D a ß der Dichter des Ruodlieb nirgends danach strebte, kulturhistorisches Detail um seiner selbst willen auszubreiten und ein authentisches Kultur- und Sittenbild seiner Zeit zu entwerfen, wie es z. B. die «) Manitius, LG 2, 1923, 553. Vgl. ferner: Kögel, LG I 2, 1897, 409; Ehrismann, LG 12, 1932, 411, 413; Strecker, Real.-Lex. 2, 1926728, 387; Schneider, Heldendichtung, 1943«, 121; de Boor, LG 14 1960, 103. — Auch Karl Langosch steht trotz mancher Einschränkung, und obwohl gerade er der Verknüpfung des Ruodlieb mit bestimmten Ereignissen der Zeitgeschichte entschieden entgegentrat, noch im Banne dieser Anschauung: „Da der Dichter danach trachtet, das ritterliche Leben so vorzuführen, wie: es sein sollte, kann er nur dieses oder jenes Stückdien der Wirklichkeit nachgezeichnet haben . . . Im allgemeinen aber besteht die historische Treue nur darin, daß er einen Vorgang oder Zustand, eine Person oder einen Gegenstand so darstellt, wie so etwas in seiner Zeit geschehen, vorhanden sein oder angefertigt werden k o n n t e . . . W o der Dichter nicht die idealisierte Welt höfischen Rittertums aufbaute, stellte er seine Personen mitten in das Leben seiner Zeit, machte so den Realismus zu seiner Form und wurde ,der erste große und, reine Realist der deutschen Literatur'", Waltharius, Ruodlieb, Märchenepen, 1956, 370 f. (unter Anlehnung an die Formulierung Hermann Schneiders, Heldendichtung, 19432, 121).

80

Die Herscherbegegnung

gelehrten geschichtlichen Romane des neunzehnten Jahrhunderts mit ihren Mitteln zu gehen suchten, zeigen gerade solche Szenen, 'die am stärksten zeitgenössisches Kolorit zu tragen scheinen; denn gerade hier wird deutlich, daß äußere Umstände u n d Details nur dann in die Darstellung eingehen, wenn ihnen im Sinne der ethisch-erzieherischen Grundtendenz des Werkes exemplarische oder zeichenhafte Bedeutung innewohnt, wie sie der Dichter nicht nur dem Reden und Handeln, sondern auch den äußeren Formen des Umgangs zuschreibt, denen er eben darum besondere Aufmerksamkeit widmet. Zu diesen bisher vorwiegend unter kulturgeschichtlichem Aspekt betrachteten Szenen gehört die nach dem jetzigen Stand der Uberlieferung 221 Verse umfassende Schilderung der Herrscherbegegnung ( V I — 221) 5 ). Ihre Übereinstimmung mit den uns erhaltenen Berichten vom Treffen Heinrichs II. mit König Robert von Frankreich im Jahre 1023 schien so groß, daß man zunächst in ihr die direkte oder durch hypothetische Zwischenglieder vermittelte poetische Reproduktion dieses historischen Ereignisses vor sich zu haben glaubte, bis Karl Langosch 6 ) nachwies, daß die beobachteten Gemeinsamkeiten nur solche Punkte betreffen, die dem bei derartigen Anlässen allgemein üblichen diplomatischen Zeremoniell entsprechen, so daß ein 'bestimmtes historisches Vorbild nicht angenommen werden könne. Die realistische Tendenz der Schilderung war damit keineswegs in Abrede gestellt, Langoschs Untersuchungsergebnis schien sie vielmehr auf neue Weise zu bestätigen. Erst die genaue Analyse des Aufbaus dieser Szene im Blick auf die in der Verteilung der darstellerischen Akzente zum Ausdruck kommende Intention des Dichters vermag zu zeigen, daß hier von Realismus nur dann gesprochen werden kann, wenn dieses Wort nichts anderes 'bezeichnen soll, als daß — zum Unterschied vom späteren höfischen Roman — nur Dinge berichtet werden, die der damalige H ö r e r nicht grundsätzlich f ü r märchenhaft und unglaubwürdig halten mußte. Ehe der Dichter den Hergang der eigentlichen Königsbegegnung schildert, entwirft er mit wenigen Strichen ein Bild vom Lagerplatz des Großen Königs (V 1—12); dabei stellt er eine bestimmte, den Geist dieses Herrschers kennzeichnende Einzelheit so sehr in den Vordergrund, daß sie allein zwei Drittel der knappen Beschreibung (V 5—12) einnimmt: In dem f ü r Messe und Stundengeber des Königs am Ostende seines Pavillons errichteten Zelt sind Kreuz und Krone auf altargleichem Tische niedergelegt. Der Sym'bolcharakter dieses Bildes, das 5 ) Sie ist fast vollständig erhalten; denn zwischen I V 252 und V 1 fehlen nur etwa 63 Verse, die wohl in der Hauptsache die Versammlung der königlichen Vasallen und den Aufbruch zur Grenzmark zum Inhalt hatten. «) FS Strecker, 1941, 266—295.

Die Herscherbegegnung

81

der Auffassung des Königstums als eines von Christus verliehenen, in seinein Sinne zu verwaltenden und vor ihm zu verantwortenden Amtes sichtbaren Ausdruck gibt, wird dadurch noch unterstrichen, daß die Beschreibung der curtis des Kleinen Königs nichts Vergleichbares bietet und ihn schon damit dem Rex Maior gegenüber auf eine tiefere Stufe stellt. Die Verse V 13—26 schildern die Einladung des Rex Minor zur Zusammenkunft auf der Brücke des Grenzflusses. Vom äußeren Verlauf dieser Begegnung erfahren wir wieder nur wenige sinndeutende Einzelheiten: Bei der Begrüßung tauschen die Könige und ihr beiderseitiges Gefolge den Friedenskuß (V 27—33); der Rex Maior hindert den Kleinen König, der ihm gegenüber Platz genommen hat (V 34), sich durch das nur dem Vasall gebotene Erheben vor ihm zu demütigen ( V 4 3 f . ) ; die heimkehrenden Gefangenen, die wenige Wochen zuvor erst plündernd ins Land eingefallen waren, prangen im Schmuck neuer Waffen, mit denen sie der großmütige Sieger ausrüsten ließ ( V 6 0 — 6 3 ) ; heilige Eide besiegeln den Friedensschluß (V 71 ff.). Was der Dichter hier erstrebte, war keineswegs die Wiedergabe realer Vorgänge als solcher, sondern Sinnerhellung des Geschehens durch Hervorhebung weniger zeichenhafter Details. Auch die mit 30 Versen gegenüber den 17 berichtenden Hexametern die Szene beherrschenden Reden (V 35—42. 54—59. 64—70) dienen der gleichen Absicht. Im folgenden Abschnitt, der den inoffiziellen Teil der Königsbegegnung darstellt (V 74—221), stehen Bericht und direkte Rede gleichermaßen hinter den beschreibenden Partien zurück. 26 Verse schildern summarisch, was sich ereignet (V 74—77. 143—148. 153—157. 160—163. 202. 216—221); dabei werden drei Umstände besonders hervorgehoben: Nicht zu Pferde, wie es einem Könige geziemt, sondern auf einem Maultier reitet der Rex Minor zum Lager des Siegers (V 145). Sorgsam achtet er darauf, jenem nicht zur Unzeit beschwerlich zu sein (V 144). Dienstwillig eilen ihm die Leute des Großen Königs entgegen und werden freundlich empfangen (V 147 f.). 21 Verse geben die Worte der Könige in direkter Rede wieder (V 149—152. 158 f. 174 f. 203—215). Die Beschreibung der Geschenke des Rex Minor, die uns gleich zweimal vorgeführt werden, nimmt mit 101 Versen (V 78—142. 164—201) den größten Teil dieses Abschnittes ein. H a t hier bloße Freude an der bunten Wirklichkeit den Dichter mit sich davongetragen, oder läßt auch diese überraschende Verteilung der erzählerischen Gewichte eine mit dem bisher beobachteten Streben nach zeichenhafter Bedeutsamkeit zu vereinbarende künstlerische Absicht erkennen? 6 Braun, Ruodlieb-Studien

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Die Gerichtsszene

Die durch die beiden Digressionen von den Künsten des Tanzbärenpaares (V 86—98) und der Herstellungs-weise des ligurius (V 103—129) erweiterte und zugleich belebte Aufzählung der Geschenke und deren Wiederholung, die durch achtfache anaphorische Wiederkehr des Verbums stare (V 164 ff.) in ihrer Wirkung noch einmal gesteigert wird, sind keinesfalls bloße Ornamente, mit denen der Dichter sein Wissen und rhetorisches Geschick beweisen möchte; sie erfüllen eine f ü r die beabsichtigte Gesamtwirkung der Szene unerläßliche Funktion: Nachdem durch die 65 Verse umfassende erste Aufzählung der Geschenke Phantasie und Erwartung des Hörers zugleich aktiviert sind und sich schon der durch die Einladung an den Rex Maior vorbereiteten Ubergabe der Schätze zuzuwenden beginnen, wird er Zeuge, wie der Große König den Seinen verbietet, irgendeine Gabe anzunehmen (V 153—159) 7 ). Gleich darauf sieht er sich dann mit dem König und dessen Gefolge abermals den Schätzen gegenüber; aufgrund der gewiß nicht ohne Absicht Plan und Durchführung der Verteilung ineinander verwebenden Darstellung (V 176 ff.) mag er schon glauben, daß jenes Verbot angesichts der lockenden Gaben vergessen sei, da gibt die Rede des Großen Königs (V 203—215), in der er mit vollendeter Höflichkeit und unter rücksichtsvollster Schonung des Spenders alle Geschenke mit Ausnahme des Tanzbärenpaares u n d einiger sprechender Vögel als Gabe f ü r seine Tochter zurückweist, der Szene ihren wirkungsvollen Abschluß. So wenig die Schilderung der Herrscherbegegnung im ganzen mit der Wiedergabe eines konkreten historischen Ereignisses zu tun hat, so wenig darf m a n demnach die zweimalige, breiten Raum einnehmende Aufzählung der Königsgeschenke zum Beweis der „Wirklichkeitsfreude" des Dichters heranziehen. Sie dient dem Zweck, durch Erregung von Spannung bei gleichzeitiger Retardation die Anteilnahme des Hörers zu steigern und die exemplarische Bedeutsamkeit des geschilderten Vorgangs noch stärker hervortreten zu lassen: So und nicht anders handelt ein wahrer König. Auch die Gestaltung der Gerichtsszene 8 ), von der nicht mehr als 119 Verse erhalten sind ( V I I I 11—129), ist durch das Streben des Dichters gekennzeichnet, das Äußere und Faktische des Hergangs hinter ') Ut mos eins erat Semper, rogitando iubebat (V 155), heißt es bezeichnenderweise. s) Vgl. dazu J. Grimm, Ausg., 1838, X V I ; F. Seiler, Ausg., 1882, 95—97; F. Loewenthal, ZfdA 64, 1927, 133; H. Fehr, Das Recht in der Dichtung, 1931, 56—58. Die bisherigen Analysen zielen wesentlich auf Herausarbeitung der heimischem Rechtsbrauch entlehnten Züge der Darstellung, während sie einer Interpretation der den Geist des Ganzen kennzeichnenden Eigentümlichkeiten der Gestaltung aus dem Wege gehen.

Die Gerichtsszene

83

dem Zeichenhaften u n d Exemplarischen zurücktreten zu lassen. Ihm geht es um H a l t u n g und Gesinnung, nicht um die juristischen D a t a der Verhandlung. N u r in der einleitenden Schilderung v o m Zusammentritt des Gerichts ( V I I I 11—19) e r w ä h n t er einige Einzelheiten, die den Rechtsprechungsformen der Zeit entlehnt zu sein scheinen: D e r Gerichtsplatz liegt vor der Kirche ( V I I I 12), ein rector f ü h r t den V o r sitz; w ä h r e n d dieser samt den Schöffen (causidici V I I I 6 9 ) P l a t z nehmen darf ( V I I I 15), müssen Angeklagte ( V I I I 2 1 ) u n d Zeugen ( V I I I 1 2 8 ) der V e r h a n d l u n g stehend beiwohnen. D e r eigentliche p r o zessuale H e r g a n g t r i t t k a u m h e r v o r ; statt dessen legt der Dichter allen Nachdruck auf die Darstellung des Verhaltens der Beteiligten in Gesten u n d Reden, soweit in ihnen ihr Wesen zum Ausdruck k o m m t . D e r ermordete alte Bauer w a r einer der besten u n d angesehensten M ä n n e r im Dorf ( V I I I 17). So ist es kein W u n d e r , w e n n alle Nachb a r n einhellig und unter T r ä n e n härteste Strafen f ü r seine M ö r d e r fordern ( V I I I 18 f.), zumal das A u f t r e t e n des Roten keineswegs dazu angetan ist, Richter, Schöffen u n d Zuschauer milde zu stimmen. Mit herausforderndem Lachen stellt er sich seinem Richter ( V I I I 2 2 . 2 4 ) und b e a n t w o r t e t dessen Fragen nach dem A n l a ß f ü r sein Verbrechen ( V I I I 25. 28 f.) mit einer dreisten Beschuldigung des Ermordeten ( V I I I 26 f.) und seiner eigenen Komplizin ( V I I I 30 f.). Die junge Bäurin dagegen h ä l t den Blick gesenkt ( V I I I 2 2 ) . Bei seiner unrichtigen Anschuldigung bricht sie in Tränen aus ( V I I I 32 f.), aber sie verteidigt sich nicht u n d verlangt keine Genugtuung ( V I I I 39—41). In leidenschaftlicher Selbstanklage ( V I I I 42—64) wirft sie sich zu ihrem eigenen Richter auf ( V I I I 44: En mea iudex sto) u n d verlangt härteste Strafen, um durch freiwillige Buße der ewigen Verdammnis zu entrinnen ( V I I I 62) 9 ). Das W u n d e r ihrer inneren Umkehr 1 0 ) ergreift das H e r z des Richters ( V I I I 6 5 f.) u n d bewegt alle Umstehenden zu T r ä n e n des Mitleids ( V I I I 67). Die Schöffen sind bereit, ihr a u f g r u n d ihrer Reue das Leben zu schenken ( V I I I 6 9 f.); selbst ihre Stiefsöhne, die K i n d e r des E r mordeten, flehen zu Füßen des Richters f ü r sie um G n a d e ( V I I I 71—74). Doch sie selbst weist jede Milde zurück: W e n n m a n sie nicht mit dem T o d e bestrafen wolle, so möge man sie wenigstens durch Verstümmelung b r a n d m a r k e n , damit ihr Verbrechen nicht ungesühnt bleibe ( V I I I 9 ) Die von ihr genannten vier Todesarten stehen in deutlichem Bezug zu den vier Elementen Luft (VIII 45, Erhängen), Wasser (VIII 52, Ertränken), Feuer (VIII57, Verbrennen) und Erde (VIII59, Versenken im Sumpf). 10 ) Hinsichtlich der inhaltlichen und formalen Berührungen dieses Abschnitts mit der Bauform einer Bekehrungslegende vgl. S. 64 f.



84

Die Eheschließungsszene

76—86). Schließlich überantwortet sie der Richter den Stiefsöhnen mit der Ermahnung, künftig an ihnen wie eine Mutter zu handeln, für die sie bisher nichts als eine schlimme Stiefmutter war (VIII 87 f.) 11 ). Die Sache des Rufus scheint nach allem, was wir davon erfahren, einen negativen Ausgang zu nehmen. Er selbst jedenfalls sieht sich schon dem sicheren Tode preisgegeben (VIII121; VII 34). N u r einer kann ihm vielleicht noch helfen, Ruodlieb, den er am Tag zuvor bestohlen, in dessen Gesellschaft er sich gedrängt und dessen Warnungen und Ratschläge er hochmütig abgewiesen hatte. Nun tritt er als Zeuge vor den Richter; da bricht das achte Fragment ab, so daß der Ausgang für uns im Dunkeln bleibt. Die Verteilung der erzählerischen Akzente in der Gerichtsszene des achten Fragments läßt keinen Zweifel daran, wie wenig es dem Dichter hier um ein „realistisches" Genrebild zu tun war. Die kulturhistorischen Details, die den realen Hintergrund des Geschehens bilden, werden nur in knappen Strichen angedeutet. 83 der 119 erhaltenen Verse schildern die conversio der jungen Bäurin samt ihren Folgen für den Ausgang des Prozesses und für ihr künftiges Leben, weitere 14 Verse berichten von dem ihrer Büßerhaltung kontrastierenden hochmütigen Gelbaren des Rufus. Das hier geübte Verfahren, anstatt durch Ermahnung und Lehre durch die Darstellung des imitabile und des vitandum zum rechten Leben anzuleiten, ist der Heiligenlegende gemäß, deren erzieherische Absicht in der eigentlichen Erzählung nicht selten unausgesprochen bleibt, während sie in den häufig mit predigthaften Zügen durchsetzten Eingangs- und Schlußbetrachtungen und -gebeten deutlich hervortritt 12 ). Auch die Schilderung der Eheschließung des Neffen (XV 1—99) ist wesentlich auf exemplarisch-erzieherische Bedeutsamkeit angelegt, ohne darum lehrhaftes Gepräge zu haben. Dem Dichter war es nicht um die Darstellung der formalen Seite der Heirat zu tun 13 ). Ihm ging es vor allem um den seiner Zeit noch fremden Gedanken grundsätzlicher Gleichheit der moralischen und rechtlichen Pflichten beider Ehepartner n ) Hier folgt dann der summarische Bericht von ihrem späteren Büßerleben (VIII 89—117), zu dem die in der vorigen Anmerkung genannte Stelle zu vergleichen ist. 12 ) So heißt es z. B. in Odos Prolog seiner Vita Geraldi, MPL 133, 642 A: Quoniam vero hunc Dei hominem in exemplo potentibus datum credimus, viderint ipsi qualiter eum . . . imitentur. 13 ) Daß er zudem in einigen Punkten vom realen Hochzeitsbrauch seiner Zeit abzuweichen scheint, geht aus der Isoliertheit seiner Darstellung und den dadurch bedingten Schwierigkeiten ihrer rechtsgeschiditlichen Deutung hervor. Vgl. zu diesen Fragen E. Zeydel, Ausg., 1959, 18 f., wo die ältere Literatur herangezogen und genannt wird.

85

Die Eheschließungsszene ( X V 7 0 ) : Iudicium

parile

decet

ut patiatur

uterque.

Diese f ü r seine

Zeit alles andere als selbstverständliche Auffassung, die die Braut unter dem Beifall des Autors (XV 69) mit Geschick und H u m o r gegen den herkömmlichen Anspruch des Mannes auf eine bevorrechtete Stellung in der Ehe ( X V 66 ff.) durchzusetzen weiß, wurzelt im gleichen Denken, aus dem die Praxis des seit dem zehnten J a h r hundert urkundlich bezeugten kirchlichen Konsensgesprächs hervorging, das die freie Zustimmung der Braut zur Voraussetzung der Eheschließung machte und dem Dichter bei der Schilderung des weltlichen Rechtsaktes ( X V 46 ff.) zum Vorbild gedient haben mag 14 ). Demnach handelt es sich auch in der Eheschließungsszene gerade nicht um eine „realistische" Wiedergabe der Wirklichkeit, sondern (in den Worten der Braut) u m die kritische Auseinandersetzung mit ihr und (in der Übertragung des kirchlichen Konsensgesprächs auf den weltlichen Rechtsakt) um die der geschichtlichen Entwicklung vorauseilende Überwindung des mit den Anschauungen des Autors nicht zu vereinbarenden altheimischen Rechtsbrauchs durch die Dichtung. Die hier besprochenen Szenen lassen mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, wie wenig es dem Dichter bei der Darstellung politischer Ereignisse oder anderer öffentlich-rechtlicher Vorgänge auf bloße Abbildung der ihn umgebenden Lebenswirklichkeit ankam, wie sehr er alles nur Äußerliche hinter dem Exemplarischen zurücktreten Heß, ohne dabei in den Ton der Lehrhaftigkeit zu verfallen. Sie zeigen aber auch, wie sehr er gerade durch die Hervorhebung kleinster, unscheinbarster Züge im Gebaren eines Menschen dessen Wesensart unmittelbar anschaulich zu machen weiß 15 ). Wie kommt es aber, daß der Autor dem Habitus seiner Gestalten bis hinab zur Art, wie sie sich kleiden und bewegen, wie überhaupt allem Zeremoniellen, selbst in den alltäglichen u n d einfachen Verrichtungen, bei den Mahlzeiten, bei geselliger Zusammenkunft und Spiel so hohe Bedeutung beimißt, daß er gerade diese Dinge neben den Reden und Handlungen zu einem wesentlichen Instrument seiner Charakterisierungskunst macht? Welche Lebensideale liegen solcher Bewertung der 14 ) Otto Opet, Brauttradition und Konsensgespräch in mittelalterlichen Trauungsritualen, 1910, 99 ff. und 127 ff. glaubte umgekehrt das kirchliche Konsensgespräch anhand des Ruodlieb aus germanischem Rechtsbrauch ableiten zu können, doch ist diese Ansicht durch keinen weiteren Quellenbeleg zu stützen. is) Neben den bereits hervorgehobenen Stellen vergleiche man z. B. die Art, wie Ruodlieb und der Jäger einander begegnen (I 72 ff.), mit dem ersten Auftreten des Rufus (V 585 ff.), die Sorge des Iuvenis für Haus und Viehstand seines geizigen Herrn (VI 54 ff.) mit der Selbstsucht der jungen Bäurin (VII 92 ff.).

86

D i e „naturwissenschaftlichen"

Stellen

Form zugrunde, wo finden sich literarische Anknüpfungspunkte und Muster für den durch sie bedingten minutiösen Erzählstil? Konrad Burdach, der diesen Fragen seine Aufmerksamkeit widmete, wies auf drei den Stil des Ruodlieb prägende Einflußbereiche hin, die „Romantradition der christlichen Legende", den Unterricht als Vermittler antiken Wissens und antiker Darstellungstechnik und das Einströmen orientalischer Impulse durch Vermittlung der Mimen 19 ), deren Bedeutung er jedoch gegen H . Reich erheblich eingeschränkt wissen wollte (ebda. 285 A. 1). Schließlich aber blieb auch ihm das Auftauchen dieser in die Zukunft weisenden Erzählkunst ein ungelöstes Rätsel: „Woher dem Ruodiieb-Dichter seine zukunftsschwangere Romankunst gekommen ist, bedarf noch der sicheren Feststellung . . . Dieser Ruodlieb bleibt zunächst ein literarisches Unikum" (ebda. 283). Vielleicht läßt sich dadurch zur Aufhellung dieses Dunkels beitragen, daß man beharrlicher, als es bisher geschah, der Frage nachgeht, welche für unseren Zusammenhang bedeutsamen Anregungen die Lebens-, Geistes- und Bildungswelt des benediktinischen Mönch tums dem Autor zu gelben vermochte, jene Welt, der er selber zugehörte und aus der auch das für sein Werk bestimmende neue Ideal eines christlichen Rittertums auf der Grundlage des neutestamentlichen Ethos der Liebe und Vergabung hervorging, wie es in Odos Vita Geraldi zuerst literarische Gestalt gewann. Daß sich in der dem weltlichen Gefolge des Kleinen Königs versagten Auszeichnung der Geistlichkeit durch den Begrüßungskuß des Rex Maior (V 27 ff.) und in der nur den Mönchen zugestandenen Annahme der Geschenke des Rex Minor (V 209 ff.) der Dichter als Kleriker und Mönch zu erkennen gebe, gilt seit Seiler (Ausg., S. 179) als ausgemacht, doch hob man anderseits immer wieder lobend hervor, wie wenig sein Werk im ganzen — von der für jene Zeit selbstverständlichen Frömmigkeit der Hauptpersonen abgesehen — von geistlichen Gedankengängen bestimmt werde 17 ). D a man im Dichter des Ruodlieb weniger den Mönch als einen dem Leben in all seiner Buntheit zugewandten Welt- und Hofmann sehen zu dürfen meinte, kam man darauf, sogar die sogenannten naturwissenschaftlichen' Stellen seines Werkes nicht aus der im Kloster lebendigen Tradition antiken Wissens, sondern aus der unmittelbaren Anschauung oder der Anregung durch die Darbietungen von Mimen i«) Vorspiel I 1, 1925, 154. 284 f. 1 7 Vgl. z . B . L . W o l f f , D a s deutsche Schrifttum I, 19512, newski, Deutsche Literatur des Mittelalters, 1960, 23.

H7;

p.

Wap-

D i e „naturwissenschaftlichen" Stellen

87

herzuleiten, eine Ansicht, die besonders durch S. Singer 18 ) vertreten wurde. Die folgenden Beobachtungen sollen demgegenüber zeigen, daß die Zurückführung dieser Stellen auf die klösterliche Schultradition vor jeder anderen Deutung den Vorzug verdient. Alle f ü r unseren Zusammenhang relevanten naturwissenschaftlichen' Partien haben Parallelen in Isidors Etymologien, wenn sidi auch in den Einzelheiten hier und da einige Differenzen ergeben: Die im Ruodlieb (II 1—5) unter ausdrücklicher Berufung auf die medici (nicht auf die eigene Erfahrung!) als Betäubungsmittel für Fische genannte und an anderer Stelle (II 27 ff.) unter Berufung auf Plinius als nüchtern haltendes und blind geborene Tiere des Augenlichts beraubendes Mittel bezeichnete buglossa kennt Isidor ( X V I I 9,49, nach Plinius, nat. hist. 25,40) als eine Droge, die Wohlbehagen und Weisheit schenkt, wenn man sie im Wein zu sich nimmt 1 9 ). Von der H e r k u n f t des Edelsteins ligurius berichtet Isidor (XII 2,20, gleichfalls im Anschluß an Plinius) dasselbe wie der Ruodlieb (V 104—29. 384) 20 ); nur die Anweisung, wie der H a r n des Luchses zu gewinnen sei, scheint eine eigene Zutat des Dichters, die aber gegenüber Isidor im Grunde nichts Neues enthält. Die Geschichte von der Entstehung der Perlen (V 362—364) macht aufgrund des verstümmelten Zustands dieser Verse und der unsachgemäßen Ergänzungsvorschläge Seilers einige Schwierigkeiten. Seilers Text lautet: . . . lapides generosi cuncticolores, Inuenti] cocleis in maio mense marinis Lectis, ijnmixtis auro de more reclusis. Das würde heißen: Man findet Perlen in Muscheln, die im Mai gesammelt und durch Einführung von Gold zwischen die Schalen geöffnet werden 2 1 ). Laistner schlug unter Hinweis auf die Geschichte von der Erzeugung der Perlen aus Himmelstau bei Konrad von Megenberg folgende Ergänzung vor ( A f d A 9 , 1883, 109): »8) FS Zwierzina, 1924, 33 ff.; vgl. H . Gamer, A R V 11, 1955, 80—82. 86. 97. 19) D i e v o n Isidor nicht erwähnte Eignung der buglossa für den Fischf a n g ist sowohl dem spätmittelalterlichen Tegernseer Fisdibüchlein bekannt (Laistner, A f d A 9, 1883, 102, 106), als auch einem Kräuterbudi des 14. Jahrhunderts ( F . W i l h e l m , Münchner Museum 3, 1918, 153); sie mag einer N e b e n quelle entnommen sein; ihr V o r k o m m e n in diesen T e x t e n darf aber ebenso wenig wie die v o n Singer (a.a.O. 43 ff.) gegebenen jüngeren Parallelen ohne weiteres als Beweis für die Anregung des Dichters durch Fischfang-Praktiken seiner Zeit angeführt werden. 2») Vgl. Seiler, Ausg., 1882, 187; Gamer, A R V 11, 1955, 80 A. 1. 21 ) Vgl. Seiler, Ausg., 1882, 186 und die Anmerkung zur Stelle S. 241.

88

Die „naturwissenschaftlichen" Stellen

V 363 f. Orti de] cocleis in maio mense marinis Rorum cojnmixtis auro de more reclusis. Danach, wäre zu übersetzen: Steine, hervorgegangen aus Seemuscheln, die sich im Monat Mai mit dem Gold des Taus vermischten und nach ihrer Gewohnheit wieder schlössen22). Die Richtigkeit der Konjektur Laistners wird durch Isidor X I I 6,49 und X V I 10,1 (nach Plinius 9,107) bewiesen. Dort ist von Muscheln die Rede, in quarum carne pretiosus calculus solidatur. De quibus tradunt hi qui de animantium scripsere naturis (eo) quod nocturno tempore litora appetant, et ex caelesti rore margaritum concipiunt ( X I I 6,49). Margarita prima candidarum gemmarum, quam inde margaritum aiunt vocatum quod in conchulis maris hoc genus lapidum inveniatur . . . gignitur autem de caelesti rore, quem certo anni tempore cocleae hauriunt ( X V I 10,l) 2 3 ). Die im Ruodlieb IV 85 anklingende Vorstellung, daß Löwen offenen Auges schlafen, weist gleichfalls auf Isidor zurück; dort heißt es ( X I I 2,5) von ihnen: cum dormierint, vigilant oculi24). Von den fünf unter den Gaben des Kleinen Königs befindlichen Vögeln, die zur Nachahmung menschlicher Rede fähig sind (V 134 ff. 172 f. 207) erwähnt Isidor in seinem Kapitel de avibus nur drei; während er psittacus und pica unter Hinweis auf Martial 14,13 und 76 ausdrücklich als des Sprechens kundig bezeichnet ( X I I 7,1. 24. 46), läßt er diese Fähigkeit bei der monedula unerwähnt ( X V I 7,35). corvus und sturnus kommen bei ihm überhaupt nicht vor. Die Vierfüßler unter den Tiergeschenken des Ruodlieb (V 82 ff. 165 ff.) finden dagegen sich ausnahmslos auch bei Isidor, selbst ihre Anordnung richtet sich hier wie dort nach dem gleichen Prinzip. Die pecora oder iumenta (equi, muli, onagri, camsli) stehen voran (V 81 f. 166 f., (bei Isidor X I I 1 ) , dann folgen die bestiae (leopardi, leones, ursi, lincus, simia, catta marina V 83 ff. 168 ff), sogar in annähernd 2 2 ) Langosch, Ausg., 1956, 134, bietet ohne Begründung seiner Abweichung von Laistner folgende Lesart: Rerum cojnmixtis (V 364). Er übersetzt im Anschluß an Seiler: „Perlen . . . Wie sie in Meeresmuscheln sind, die man im Monat Mai gewinnt, Indem man, wie mans damals pflegte, Gold zwischen ihre Schalen legte." Zeydel übernahm in seiner Ausgabe, 1959, 68, Langoschs Text und übersetzte ihn ganz nach dessen Muster, obwohl sein Kommentar, ebda. S. 148, einen Hinweis auf die Geschichte von der Muschel und dem Himmelstau enthält, durch die Laistners Konjektur bestätigt, Seilers und Langoschs Auffassung der Stelle widerlegt wird. 2 3 ) Diese Ätiologie der Perlen findet sich schon im Physiologus, vgl. Otto Seel, Der Physiologus, 1960, 42 und 91 A. 187. 2 4 ) Fast ebenso heißt es im lateinischen Physiologus: Cum dormierit leo, vigilant oculi eius in aperiendo (Fr. Wilhelm, Denkmäler deutscher Prosa des 11. und 12. Jahrhunderts, Kommentarband, i960 2 , 18,15. Vgl. Otto Seel, a.a.O. S. 3 f.).

Die „naturwissenschaftlichen" Stellen

89

gleicher Reihenfolge wie bei Isidor (XII 2: leo, leopardus, linx, ursus, simia, sphinga = catta marina im Ruodlieb), u n d endlich die Vögel (bei Isidor X I I 7, hinter den Kleintieren, Schlangen, Weichtieren und Fischen). Z w a r erwähnt Isidor, daß die Bären sich aufzurichten vermögen ( X I I 2,22), doch fehlt bei ihm die im Ruodlieb daran anschließende Schilderung ihrer unter Anleitung von Mimen vorgeführten Dressurkunststücke 25 ). Von den achtzehn Fischnamen des Ruodlieb ( X I I I 39—47) nennt Isidors ausführliches Kapitel de piscibus allein den Aal (anguilla X I I 6,41), doch konnten gerade hier mehrere andere bereits in Versform gebrachte Namenskataloge Anregungen geben. Schon die Mosella des Ausonius enthält neben einer eingehenden Schilderung des Fischfangs (240—282) auch eine gleichfalls achtzehn N a m e n umfassende Liste von Fischen, die sich mit der des Ruodlieb näher berührt. Drei N a m e n sind beiden gemeinsam (capita, lucius, tinca = tinco), andere (perca = agapuz2s), salar = lahs, ambro, = asco) entsprechen sich insofern, als Ausonius die lateinische, der Ruodlieb die deutsche Namensform anführt. D a ß es im Ruodlieb zu einer so bunten Mischung von lateinischen und deutschen N a m e n kam, was in einem Falle sogar dazu führte, daß ein Fisch gleich zweimal, deutsch und lateinisch, angeführt wurde (alnt, capito), läßt sich am ehesten aus der Benutzung von Merkversen nach Art der hexametrischen Venus de volucribus, bestiis, arboribus, piscibus erklären, die in gekürzter Form auch in die Carmina Burana aufgenommen wurden 2 7 ). In den meisten Fällen sind solche Merkverse mit deutschen Glossen versehen überliefert 28 ), so auch in einer Tegernseer Handschrift des 12. Jahrhunderts (Clm 19 488). Von den acht lateinischen Fisdinamen des Ruodlieb gehören fünf (lucius, tincus, truta, capedo, anguilla)29) zum Grundbestand) der in ihren verschiedenen Fassungen hier und da voneinander abweichenden Versus de piscibus, einer (rubus = rufusf X I I I 39) findet sich nur in einer einzigen Fassung (Clm 12 665), zwei (barbatulus und rubeta) sind 25 ) Isidor kennt histriones und mimi nur als Schauspieler und Tänzer (XVIII 48. 49), aber nicht als Tierbändiger. 26) Vgl. dazu Althochdeutsche Glossen 3, 1895, 600, 1. 2 Ó Carmina Burana, hg. von Alfons Hilka und Otto Schümann, I 2, 1941, Nr. 133 und 134, S. 223 ff. 2 8) Die althochdeutschen Glossen, 3, 1895, 20—57 verzeichnen und benutzen 47 mit deutschen Glossen versehene Handschriften, doch sind die Versus in manchen von ihnen nur bruchstückhaft enthalten. 29 ) Die lateinischen (und deutschen) Namen der Versus werden nadi der von Steinmeyer/Sievers mit Y bezeichneten und im vierten Band, 1898, 574, beschriebenen Tegernseer Handschrift gegeben, soweit sie dort überliefert sind.

90

Die „naturwissenschaftlichen" Stellen

ohne sichere Entsprechung in den Versus, doch läßt sich gerade bei ihnen kaum mehr mit einiger Gewißheit sagen, welche Fische vom Dichter gemeint sind 30 ). Von den zöhn deutschen Fischnamen des Ruodlieb begegnen acht in den deutschen Glossen der Versus de piscibus, vier davon (lahs, allarttallnt, waler — walr, ascb) auch in der Tegernseer, 'die übrigen (prahs, carpho, nase, reinanch) nur in anderen Handschriften; lediglich der (immerhin aus sonstigen glossierten Fischkatalogen belegbare) agapuz'n) und der oruo scheinen in den Glossen zu den Versus de piscibus zu fehlen. Demnach könnte der lateinische u n d deutsche Bezeichnungen ohne Unterschied verwendende Dichter des Ruodlieb insgesamt vierzehn seiner achtzehn Fischnamen allein einem einzigen glossierten Exemplar dieser Merkverse entlehnt haben, wie auch der Katalog v o n Tier- und Vogelnamen vielleicht nicht direkt auf Isidor, sondern gleichfalls auf derartige, ihrerseits von Isidor abhängige Quellen zurückgehen mag» 2 ). Auch umfangreichere versifizierte Bestiarien und Lapidarien mögen als Anreger und Wissensvermittler in Frage kommen. So enthält zum Beispiel der nicht lange nach dem Ruodlieb entstandene Liber de gemmis des Marbod von Rennes (MPL 171, 1754 f.) eine sich eng an Isidor ( X I I 2,20) anschließende Ätiologie des ligurius i n zwölf H e x a metern, die sich gut mit Ruodlieb V 104 ff. vergleichen läßt 3 3 ). Angesichts der vielfältigen inhaltlichen Berührungen aller sogenannten „naturwissenschaftlichen" Stellen des Ruodlieb mit Isidor und anderen aus ihm oder verwandten Quellen schöpfenden Werken, in denen das dem Mittelalter aus der heidnischen und christlichen Antike überkommene Wissen bereits — wie im Ruodlieb — in poetischer Gestalt erscheint, liegt kein Grund vor, zu ihrer Erklärung auf außerliterarische Anregungen zurückzugreifen, die ihrer Art nach weder zu beweisen, noch zu widerlegen sind, zumal sie dem im Kloster lebenden und aus der klösterlichen Bildungswelt schöpfenden Dichter gewiß viel ferner lagen als jene literarischen Vorbilder. so) Barbatulus läßt an barbus (Ausonius 94. 134), die Barbe der althochdeutschen Glossen 3, 1895, 47,39, denken; mit rubeta könnte der (ebda. 46,22) durch rutte glossierte alopida oder der gobio (Ausonius 132 ff.) gemeint sein, der (Althochdt. Glossen, 3, 1895, 47,13) im Deutschen gleichfalls als rutte bezeichnet wird. 31) Vgl. Althochdeutsche Glossen 3, 1895, 600,1. 32 ) Diese Vermutung kann sich darauf stützen, daß sich auch die Kataloge der Tiere und Sprechvögel im Ruodlieb insofern mit den Versus berühren, als dort außer epuus, mulus und onager, den drei geläufigsten Tierarten, alle anderen Tiere und Vögel (allerdings ohne Hinweis auf ihr Sprechvermögen) gleichfalls erwähnt werden. 33 ) Hinweise auf Marbod, auf Ausonius und die Versusde piscibus gab bereits J.Grimm, Ausg., 1838, X V und 328 ff.

91

D i e Schatzbeschreibung

Vielleicht ist auch die auffallend ausführliche Beschreibung des dem heimkehrenden Ruodlieb vom Rex Maior zugedachten Schatzes (V 331—386) durch literarische Muster angeregt. Jedenfalls waren weder die dem Dichter vertrauten Einzelheiten der Herstellung (V 341 f. 368 ff.), noch seine detaillierten Materialkenntnisse (V 333 f. 343. 362 ff. 366 ff.) durch bloße Anschauung zu erlangen. Um sie zu erklären, muß man kunsthandwerkliche Übung des Autors bzw. seiner Umgebung annehmen 34 ) oder die Benutzung literarischer Hilfsmittel in Betracht ziehen. Zugunsten der zweiten Möglichkeit fällt ins Gewicht, daß alle im Ruodlieb beschriebenen Arten von Schmucksachen auch in Isidors Kapiteln

De

ornamentis

capitis

feminarum

und

De

anulis

( X I X 31. 32)

behandelt werden. Die von Karl Hauck beobachtete (weitgehende) Übereinstimmung der Gesamtkollektion mit der des Mainzer Goldfundes, in der er eine Stütze seiner Annahme sah, daß der Dichter diesen der Kaiserin Gisela zugeschriebenen Schatz bei seiner Schilderung vor Augen gehabt habe 35 ), könnte demnach auch davon herrühren, daß beide — der Dichter und der Meister der Mainzer Stücke — unabhängig voneinander durch verwandte literarische Quellen, Musterbücher oder Herstellungsanleitungen von der Art der Scbedula des Theophilus 3 6 ) angeregt werden, eieren Ursprünge wie die der obenerwähnten naturwissenschaftlichen Kompendien in der Antike zu suchen sind. Die Annahme einer derartigen Quelle würde nicht allein die erstaunliche Kenntnis technischer Einzelheiten, sondern auch den Umstand erklären, daß die Kollektion des Ruodlieb nicht allein mit der von Mainz, sondern auch mit dem Inhalt der genannten Kapitel Isidors weitgehend übereinstimmt, wobei allerdings ähnlich stark ins Auge fallende Parallelen wie die zwischen der Adlerfibel des Ruodlieb und denen des Mainzer Fundes schon darum nicht zu erwarten sind, weil die Etymologien wegen ihres enzyklopädischen Charakters alle Details übergehen mußten, die nicht einer ganzen Gattung von Schmuckstücken, sondern immer nur einzelnen Exemplaren eigen sein konnten. Nicht allein bei der Beschreibung materieller Kulturgüter, sondern überall dort, wo es galt, den adeligen H ö r e r n oder Lesern ein der 34 ) Zur Frage, welche Anregungen das Kunsthandwerk Tegernsees dem Dichter geboten haben könnte, vgl. F. v o n der Leyen, FS Muncker, 1916, 18 f. 35) PBB 70, 1948, 4 1 7 : „Schlagend ist nicht nur die Identität der den herrscherlichen R a n g kündenden Hauptstücke, sondern vor allem die Identität der Kollektion." Immerhin fehlen der Mainzer Sammlung die v o n Isidor w i e im Ruodlieb ( V 3 3 2 — 3 3 9 ) beschriebenen armille, unter denen doch wohl Armreifen zu verstehen sind. Zum Schwanken der Interpreten in dieser Frage vgl. Zeydel, Ausg., 1959, 69u. 147. 36) Theophilus, D e diversis artibus, ed C. R. D o d w e l l , 1961; vgl. dazu Hauck, a.a.O. 409.

Benediktinische Züge im Ruodlieb

92

Wirklichkeit vorauseilendes Musterbild

„höfisch" verfeinerten

Lebens

vor Augen zu stellen, bediente sich der Dichter in starkem Maße der von seiner eigenen klösterlichen Lebens- und Bildungswelt gebotenen Anregungen. W o sonst, wenn nicht in der durch Cluny noch gesteigerten benediktinischen Formkultur 3 7 )

hätten sich dafür geeignete

bilder finden lassen? So ist es kaum verwunderlich,

Vor-

daß im Ruod-

lieb vielfach Spuren einer umstilisierenden Übertragung

klösterlicher

Sitte und klösterlichen Lebensstils auf die idealen Vertreter der verschiedenen weltlichen Stände, keineswegs allein auf den Ritterstand, zu beobachten sind. Die Schilderung des Zeremoniells bei den Mahlzeiten, beim Empfang und der Verabschiedung von Gästen läßt den benediktinischen Hintergrund am ehesten erkennen 38 ). Wie wenig es dem Dichter hier um die realistische

Wiedergabe

sich schon

daraus,

(I

104—107)

daß

der

Sitten

der Ablauf

seiner

Zeit

zu

tun

der Mahlzeiten

und auf der Ritterburg

(XI

10—29;

am

war,

ergibt

Königshof

XIII

49—65.

1 0 5 — 1 1 2 ; X V I 2 4 — 3 5 ) das gleiche Gepräge zeigt wie auf dem Bauernhof (VII 1 — 2 1 ) , ja, daß sich gerade die Schilderung der Bewirtung Ruodliebs durch den jungen Bauern am engsten an die klösterliche Sitte hält. Nachdem der Iuvenis mit eigener H a n d ( V I I 1 ff.) ), 39

wendet er sich an Ruodlieb,

die Armen gespeist

hat

um ihn (ganz nach dem

3 7 ) Zur Bedeutung Clunys für die Herausbildung des „höfischen" Elementes der hochmittelalterlichen Ritterkultur vgl. F. Heer, Aufgang Europas, 1949, 387—421. 3«) Schon Ehrismann, ZfdPh 36, 1904, 400, erinnerte an die Verwandtschaft mit manchen Szenen der Casus s. Galli; K. Hauck, Stud.Gen. 3, 1950, 618, wies zu Ruodlieb VII 4—6 auf Regula Benedicti 53 hin, wo dem Gast die gleiche Segensfunktion zuerkannt werde, doch ging er davon aus, daß die Berührungen des Ruodlieb mit der Klostersitte aus gemeinsamer Abhängigkeit von älterem außerchristlidhem Brauchtum zu erklären seien, wie es außer der Schilderung der Mahlzeiten auch der Eheschließung am Ahnenstein ( X V 63), dem angeblich mimischen Tiertanz von Neffe und Fräulein ( I X 51) und dem magischen Schutzmittel der glöckchenbehängten Schenkelbinden ( X I I I 122) zugrunde liege. Zur Eheschließungszene s.o. S. 84 f.; Neffe und Heriiis werden vom Dichter zwar mit Falke und Schwalbe verglichen, doch ist nirgends gesagt, daß sie diese durch ihren Tanz darzustellen haben, wie es nach Haucks Auffassung der Fall ist; auch daß die Glöckchen der Schenkelbinden magischen Zwecken dienen, wird an keiner Stelle berichtet. Sie sind hier kaum mehr als modisches Attribut, wie es sich auch in Kostümbeschreibungen des 12. und 13. Jahrhunderts findet, z. B. Rolandslied 1619 f.; Parzival 286, 28 f.; Meier Helmbrecht 211 ff. 3 9 ) Das Gleiche berichtet Odo vom heiligen Gerald, Vita I 14, MPL 133,651 D : Semper sedilia pauperibus coram se parabantur . . . Ministri procurabant, ut ad manum Semper baberet fercula, quae ipse eis daret. Potus quoque afferebatur, quem inspectum ac praegustatum transmittebat, ut ipsi primo biberent (vgl. Ruodlieb V I I 20 f.), quibus et sui panis medietatem

93

Benediktinisdie Züge im Ruodlieb

Gebot der Benediktinerregel) willkommen zu heißen, als sei er ihm an Christi Statt gesandt (VII 4 ff.) 40 ). Das eigentliche Mahl, an dessen Anfang und Ende dem Gaste Wasser dargereicht wird ( V I I 1 9 ; X I 25; X I I I 59 und 107) 41 ), beginnt mit der feierlichen Austeilung der Eulogie pro sacramentis (VII 10) 42 ). D a n n folgen mehrere Gänge (VII 11; X I 16), zu denen Met oder Wein dargeboten wird (VII 11 ff.). An der Tafel der Hera gibt es noch Obst zum Nachtisch ( X I I I 108 ff.): Tempus pomorum non tunc fuit ulligenorum, Ni pueri ueniunt, de silua fraga ferebant, Quedam pars uasis, pars corticibus corilinis, Que singillatim legerunt undiqtte passim. Durch den Wegfall der Lesung bei Tisch, «inen großzügigeren Speisezettel 43 ) und die die Mahlzeiten begleitenden oder umrahmenden deliciaeu) entfernt sich die Schilderung der Tafelsitten im Ruodlieb vom Klosterbrauch, an dem Gerald nach Odos Darstellung noch viel eindeutiger festhielt (I 15, MPL 133,652): Refectionis tempore ingens illi reverentia servabatur. Non ibi loquacitas aut scurrilitas praevalebat, sed vel necessarii, vel honesti sermones, vel certe divini eloquii dicebantur. Per omne enim tempus semel in die prandebat (vgl. Regula 39,4). Ad eius mensam primo diutius legebatur (vgl. Regula 38,1); sed ut saecularibus condescenderet, lectionem interdum suspendens, quaerebat a clericis quid in eo diceretur. Noverat enim quod . . . Christianis iubeatur ut unusquisque cum silentio suum panem manducet. In

refectionis

autem

fine

lectionem

Semper

iterabat.

Odo

empfiehlt

dieses Verlhalten ausdrücklich all denen zur Nachahmung, qui,

contra

dabat. In bis utique Christum se suscipere credens . . . Vgl. auch Hrotsviths Passio Gongolfi 213 ff.: Sed prius invalidam iussit procedere turbarti, Quam suevit mansa pascere saepe sua, Ac propriis ipsa manibus piene saturata apposita Se tandem mensa applicai 40 ) Regula Benedicti 53,1 : Omnes supervenientes hospites tamquam Christus smcipìantur. Vgl. auch 53,15 und 53,10: Ieiunium a priore frangatur propter hospitem, eine Weisung, die in der elften Lehre des Großen Königs (V 519 ff.) wiederkehrt. Alle Zitate aus der Regula Benedicti sind der Ausgabe Rudolf Hansliks, CSEL 75, 1960, entnommen. « ) Vgl. Regula 53,12; E. Schröder, ZfVk. 27, 1917, 121 ff. 42 ) Zur Darreichung der Eulogie bei klösterlichen Mahlzeiten vgl. A. Franz, Benediktionen 1, 1909, 253 f.; K. Hauck, Stud. Gen. 3, 1950, 619. i n Regula (39,3) heißt es: duo pulmentaria cocta jratribus omnibus :iant; et si fuerit, unde poma aut nascentia leguminum, addatur et tertium. Der Weingenuß ist auf ein Mindestmaß beschränkt (40,3). 44 ) Vergnügungen mit sprechenden Vögeln vor oder bei Tisdi ( i X 1—24; X I 21—23), mit den Dressurkünsten eines Hundes (XIII 66—104), mit Fiedelspiel und Tanz (IX 25—57).

S

94 redargutionem viviis suis45).

Benediktinische Züge im Ruodlieb

propbetae,

citharam

et lyram

ludendo

habent

in

con-

Die Begrüßung mit dem Friedenskuß (Ruodlieb V 18. 28 ff. u. ö.) und die Verabschiedung des Gastes mit K u ß und Segen, wie ihn die Daribringung der Gertrudenminne verbürgen soll (IV 162 ff.), hält sich wieder eng an die Vorschriften der Regel und die Sitte des Klosters 46 ). Auch in die Schilderung der selbstlosen Tätigkeit des Iuvenis bei dem reichen Geizhals, dem er zunächst als Aufwärter, Hausknecht und Koch, sodann als provisor und Verwalter seines gesamten Vermögens dient, ist manches eingegangen, was in der Regula f ü r den Küchendienst der Mönche, die Pflege des Klosterinventars und die Tätigkeit des cellararius verordnet wird 4 7 ). D a ß der nach dem Tode des Alten zum Besitzer des Hofes gewordene Iuvenis das Gesinde seine Kinder nennt und sie in ihm ihren Vater sehein (VI 109 f.), daß der Große König, der seinen Gegnern mit siegreicher H a n d und zugleich mit väterlich verzeihender Güte entgegentritt (IV 51 f. 85 ff.), vom Rex Minor als der wahre Schirmherr aller Gläubigen an Christi Statt bezeichnet wird (IV 154), daß er voller Demut jede Erhebung über seinen unterlegenen Gegner verschmäht (V 54 ff.), Befehle an sein eigenes Gefolge in die Form eines Wunsches kleidet (V 155) und gerade dem einfachen Hofgesinde Ehre und Freundlichkeit erweist (I 104 ff. 131), daß der Kleine König in wichtigen Fragen den Rat seiner Hofleute sucht, die sich ihrerseits vertrauensvoll seiner Einsicht und Entscheidung beugen (IV 1—19), all das atmet durchaus den Geist, in dem die Regula Benedicti das Verhältnis des Abtes zu seinen Brüdern geordnet sehen wollte: Abbas, qui praeesse dignus est monasterio . . . Christi . . . agere vices in monasterio creditur (2,1 f.). . . miscens temporibus tempora, terroribus blandimenta, dirum magistri, pium patris ostendat affectum (2,24). Er heißt pater spiritalis seiner Mönche (49,9); unter den zu seinem Amt erforderlichen 45 ) Zur Frage, welchen literarischen Mustern der Ruodlieb verpflichtet sein könnte, so eine Schilderung über den Klosterbrauch hinausgeht, s. u. S. 101 ff. 46 ) Nach Regula Benedicti 53,3 ff. sollen Gäste durch Entgegengehen geehrt, mit Gebet und Kuß empfangen und in Demut aufgenommen, betreut und entlassen werden; vgl. dazu Seiler, Ausg., 1882, 88 und A. 1. Zur Gertrudenminne vgl. A. Franz, Benediktionen I, 1909, 289 f.; mit den von Hauck, Stud. Gen. 3, 1950, 611 ff., im Anschluß an Franz I, 286 ff. herangezogenen Zeugnissen für das Nachwirken robusterer heidnischer Formen des Minnetrinkens hat die Schilderung der Gertrudenminne im Ruodlieb kaum etwas gemein. 47 ) Regula cap. 31 De celiarono monasterii, qualis sit; cap. 32 De ferramentis vel rebus monasterii; cap. 35 De septimanariis coquinae.

Benediktinische Züge im Ruodlieb

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Tugenden gebührt der misericordia ein besonderer Platz: Oportet ergo eum esse doctum lege divina . . ., castum, sobrium, misericordem; et Semper superexaltet misericordia iudicio (64,9 f.). Nicht nur das Verhältnis von Hoch und Niedrig, auch alle anderen Formen zwischenmenschlicher Beziehungen gestaltet der Dichter, soweit sie vorbildlich gemeint sind, aus dem formstrengen und doch maßvollen Geist des Benediktinertums. Das gilt f ü r Ruodliebs auf Demut und Ehrerbietung gegründete Unterordnung unter den "Willen der Mutter (XI 10 ff.; X V I 26 ff.) 4 8 ) ebenso wie f ü r seine zuchtvolle Zurückhaltung gegenüber dem Jäger (I 74 ff.) 9 ) oder die bald strenge und mahnende, bald liebevolle und diskrete oder auch schalkhafte Art, in der er Gestrauchelte, wie den Rufus (V 590. 610; VI 1 ff.; V I I 27 ff.), den N e f f e n ( X I I 1 ff.; X V 18 ff.) 5 0 ) oder die Dominella ( X V I I 1—84) wieder auf den rechten Weg zu bringen sucht 51 ). Temperantia und discretio auf Unterscheidungsvermögen und Einsicht beruhende Bändigung jeden Übermaßes, sind Grundregeln für den Mönch, vor allem aber f ü r den Abt des Benediktinerklosters (54,19): Haec ergo aliaque testimonia discretionis, matris uirtutum, sumens sie omnia temperet, ut sit, et fortes quod cupiant et infirmi non refugiant. In dem auf temperantia gegründeten Geist des Benediktinertums liegen die Wurzeln der „christlichen H u m a n i t ä t " des Ruodlieb-Dichters 52 ) und seiner auf die höfische Dichtung vorausweisenden Freude an der Kultur der Form, die er mit feinem Gefühl bis herab zur unscheinbarsten Gebärde sichtbar zu machen weiß. Benediktinische temperantia kommt im Ruodlieb auch darin zum Ausdruck, daß sich die Darstellung trotz aller Betonung des Gefühls, die der heimischen Dichtungstradition ganz fremd, ja entgegengesetzt ist, an keiner Stelle in rhetorische und sentimentale Schwülstigkeit verliert, wie sie vielen Dichtungen der Übergangszeit von der christlichen Spätantike zum Frühmittelaiter mit ihrer Nachblüte lateinischer Kultur an den weltlichen und geistlichen H ö f e n Galliens das Gepräge gibt. Das bisher noch nicht untersuchte Verhältnis des Ruodlieb zur Dichtung dieser Zeit, die auf dem Weg über «») Vgl. dazu die Regula Benedicti 63, 7—12, 15—19 und 4,69 ff. gegebenen Regeln für den Umgang der jüngeren mit den älteren Brüdern. 49 ) Regula 7,60: Undecimus humilitatis gradus est, si, cum loquitur monachus, leniter et sine risu humiliter cum grabitate uel pauca uerba et rationauilia loquatur et non sit clamosus in uoce. Das Gegenbeispiel dazu bietet das Verhalten des Rufus bei seiner Begegnung mit Ruodlieb V 585 ff. 50 ) Vgl. dazu: Regula cap. 27 Qualiter debeat abbas sollicitus esse circa excommunicatos. si) Ähnlich rücksichtsvoll schont Gerald (Vita I 30, MPL 133, 660 AB) das Ansehen eines entlaufenen Eigenmannes, Gongolf (Hrotsvith, Passio 373 ff.) seine ehebrediische Frau und ihren Liebhaber. 52) W . Mohr, W , 1. Sonderheft, 1953, 42.

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Stilgesdiiditliche Berührungen: Venantius

die Literatur der Karolingerzeit, aber auch unmittelbar auf ihn eingewirkt zu haben scheint, soll anhand einiger Beispiele erörtert werden, wobei neben der Hervorhebung des Gemeinsamen auch dem Unterscheidenden und f ü r jede Seite Spezifischen besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist. Ein Vergleich der Darstellungsweise des Abschieds von einem nahestehenden Menschen im Ruodlieb und bei Venantius Fortunatus 5 3 ) läßt Gemeinsames und Unterscheidendes mit großer Deutlichkeit hervortreten. In seiner 370 Verse umfassenden Elegie auf die westgotische Königstochter Gelesuintha (VI, 5) schildert Fortunat den Abschied der von König Chilperich von Neustrien zu seiner Braut erkorenen Prinzessin von Mutter und Heimat in 186 Versen (VI 5,23—208), deren rhetorisch-sentimentaler Gefühlsüberschwang heute fast unerträglich wirken muß. Als Gelesuintha sieht, daß der T a g der Trennung gekommen ist, klammert sie sich an die Mutter wie eine Ertrinkende (29 ff.): tum matris collecta sinu male sana reclinans, ne divellatur se tenet ungue, manu, bracchia constringens nectit sine fune catenam et matrem amplexu per sua membra ligat. Mitleid und Wehklagen erfüllen das ganze Land (37 ff.): tum gemitu fit maesta domus, strepit aula tumultu, reginae ftetu plorat et omnis honor. in populi facie lacrimarum flumina sordent, infans, qui affectum nescit, et ipse gemit. Durch Aufschieben der Abreise zögern Mutter und Tochter die unvermeidbare Trennung immer wieder hinaus (40—47). In lang dahinströmender Klage äußert die Mutter ihren Schmerz (48—82); sie schließt mit den Worten (81 ff.): ,plorans perdam oculos, duc et mea lumina tecum: si tota ire vetor, pars mea te sequitur.' tum proceres famuli domus urbs rex ipse remugit, quaque petisses iter, vox gravis una gemit. Kaum hat der Reisewagen die Tore Toledos verlassen, bricht auch Gelesuintha in herzzerreißende Abschiedsklage aus (96—122), in die nicht nur die Schar der Begleiter, sondern sogar die N a t u r selber einzustimmen scheint (128 ff.): 53) Zitate nach der Ausgabe von Friedrich Leo, MG auctores antiquissimi IV, 1, 1881.

Stilgeschichtliche Berührungen: Venantius

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inplentur valles fletibus, alta tremunt, frangitur et densus vacuis ululatibus aer, ipsa repercusso murmure silva gemit. dat causas spatii genetrix, ut longius iret, sed fuit optanti tempus iterque breve. Als die Stunde der endgültigen Trennung gekommen ist, steigern sich die Schmerzensausbrüche von Mutter und Tochter noch einmal ins U n ermeßliche (138—168. 169—178): oscula sie rumpunt et fixa ori ora repellunt; dum se non possunt, aera lambit amor (179 f.). Die Mutter folgt der Davonziehenden mit den Augen und streckt verlangend die Arme nach ihr aus (183 f.; 187 f.; 191 f.): donec longe oculo spatioque evanuit amplo nec visum adtingit, dum tegit umbra diem (197 f.). In den Abschiedsszenen des Ruodlieb (148—71; V 559—584) begegnen z w a r im wesentlichen die gleichen Motive; aiber so wie diese Szenen hier nur einen Bruchteil des Umfangs haben, den Fortunat benötigte, so ist in ihnen auch die H a l t u n g der Scheidenden selbst bei aller Stärke des Gefühls doch maßvoll und gebändigt. Auch hier suchen die Freunde die ihnen verbleibende Zeit der gemeinsamen Fahrt zur Grenze dadurch auszudehnen, daß sie einander Tag und Nacht nicht von der Seite weichen und die Abendmahlzeit bis tief in die Nacht hinein verlängern (V 565 ff.), auch hier scheidet man unter Küssen und Tränen (I 48 f. 54 f. V 568 ff. 582), u n d Ruodliebs Mutter und ihr Gesinde schauen dem Davonreitenden vom Söller oder vom rasch erklommenen Zaune nach, bis er den Blicken entschwunden ist (152 ff.); aber keiner überläßt sich haltlos seinem Gefühl wie in der Abschiedsszene bei Fortunat. Die Freunde suchen ihren Schmerz voreinander zu verbergen (V 568); beim Abschied von der Heimat reißt sich Ruodlieb, wenn auch unter Tränen, los, gibt seinem Pferd die Sporen und jagt schnell wie eine Schwalbe davon (I 48 ff.); auch die Mutter weiß ihr Leid im Herzen zu verschließen, so daß sie selber jenen Trost und H o f f n u n g zu geben vermag, die ihr in ihrem Kummer beizustehen versuchen (I 56 ff.). Weder heldenliedhafte Kargheit und Verhaltenheit, noch sentimentales Schwelgen im Emotionalen wie bei Venantius, sondern durch den männlichen Geist benediktinisdier mäze und Zucht gebändigte, aber nicht unterdrückte Entfaltung eines reichen Gefühlslebens kennzeichnet die Darstellung der zwischenmenschlichen Beziehungen im Ruodlieb. Dieser Darstellungsstil ist zwar kaum ohne solche spätantik-frühmittelalterlichen Anreger wie Venantius zu 7 Braun, Ruodlieb-Studien

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Stilgeschichtliche Berührungen: Venantius

denken, doch handelt es sich dabei keinesfalls um eine bloße Kopie: Was hier der Tradition angehört, hat sich unter dem bestimmenden Einfluß einer gewandelten Geisteshaltung zu etwas Neuem und Eigenem umgestaltet. Einen weiteren Berührungspunkt des Ruodlieb mit Fortunat bilden die Preisreden auf den Rex Maior, die dem Kleinen König (IV 50—64. 130—159; V45—53), dem Jäger (1 95—107) und Ruodlieb selbst (IV 81—89. 95—111; X I 67—77) in den Mund gelegt sind. Sie ähneln sowohl im Inhalt wie auch im Tonfall den Panegyrici auf geistliche und weltliche Große, die Fortunat in so großer Zahl gedichtet hat 54 ). Immer wieder rühmt der selbst als Fremdling aus Italien nach Gallien gekommene Dichter darin die cura pauperum et peregrinorum als eine der wesentlichen Herrschertugenden. So sagt er von Königin Theudechilde (VI 3,17 ff.): si novus adveniat, recipis sie mente benigna, ac si servitiis iam placuisset avis, pauperibus fessis tua dextera seminat escas, ut segetes fruetu fertiliore metasss) Man vergleiche damit, was der Jäger (I 86 ff.) und Ruodlieb selbst (V 304 f. und X I 71 ff.) von der gütigen Aufnahme und liebevollen Fürsorge des Rex Maior für sie als Landfremde zu berichten haben. Im Hochzeitsgedicht De domno Sigiberctho rege et Brunichilde regina legt Fortunat dem Heidengott Cupido folgendes Idealbild christlichen Herrschertums in den Mund (VI 1,86 ff.): ,ut pater et rex sit, nullum gravet, erigat omnes. nulla dies sine fruge venit: nisi congrua praestet, perdere plura putat, si non concesserit ampla. gaudia diffundit radianti lumine vultus, nubila nulla gravant populum sub rege sereno; pectore maturo culpas indulget acerbas: unde alii peccant, ignoscendo iste triumphat: doctus enim quoniam prima est in principe virtus' 54 ) Vgl. z. B. I V 1 und 1 a auf König Sigibert und Königin Brunichilde, V I 2 auf König Charibert, I X 1 auf König Chilperich, I X 16 auf H e r z o g Chrodinus. M) Weitere Beispiele dieses T o p o s in Gedichten auf geistliche Herren: III 3,19 ff., 8,43 ff., 13,29 ff., 14,19, 15,29 ff., 23,19 f., 23 a, 27 ff., 24,15 ff.; I V 1,23 ff., 3,11 f., 5,15 f., 7,13 f., 8,17 ff., 9,19 ff., 10,13 ff., 13,9; I X 9,17 ff.; auf weltliche Große: I V 25,11 ff., 26,71 ff., 27,15 f.; V I 4,17 ff., 5,244. — I V 23,9 heißt es v o n einem gewissen Julianus, mercator quondam, conversus fine beato: pascere se credens Christum sub paupere forma (nach Mt. 25,40; vgl. Regula Benedicti 53,1 und Ruodlieb V I I 4 ff.).

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Stilgeschiditliche Berührungen: Venantius

esse pium, quia Semper habet qui parcere novit, corrigit ipse prius quod poscit ut alter emendet: qui sibi censura est, reliquos bene lege coercet. in quo digna manent quidquid de rege requiras, solus amat cunctos et amatur ab omnibus unus'. Die gedanklichen Parallelen zum Herrscherpreis im Ruodlieb sind hier so zahlreich und unüberhörbar, daß sie nicht einzeln aufgezeigt zu werden brauchen. Von der mit scheuer Ehrfurcht untermischten Liebe, die dem Rex Maior an den benachbarten Reichen entgegengebracht wird, heißt es (Ruodlieb IV 86 ff.): Quin agnellina pietate tuaque sophia Tu uincis melius, gladius quam uincat alius. Namque deo teste, qo mittebar modo de te, Nescio, plus ab eis adameris seu uerearis. Man vergleiche dazu folgende Verse aus Fortunats Gedicht Ad cum regem quando synodus Brinnaco habita est (IX 1,75 ff.):

Chilperi-

terror (es) extremis Fresonibus atque Suebis, qui neque bella parant, sed tua frena rogant. omnibus bis datus es timor ilio iudice campo, et terrore novo factus es altus amor. Audi sonst bietet die Topik beider Dichter manches Gemeinsame. So erfreut sich die Eingangsformel des Ruodlieb, mit der der Held dem Leser vorgestellt wird (I 1 f.): Quidam prosapia uir progenitus Moribus ingenitam decorabat

generosa nobilitatem

auch bei Venantius größter Beliebtheit; er verwendet sie z. B. in dem Gedicht De Launebode qui aedificavit templum S. Saturnini (II 8,39 f.): sed quamvis altum teneat de stirpe cacumen, moribus ipse suos amplificavit avosM). D a ß es sich hierbei um eine f ü r den Eingang von Heiligenviten charakteristische Wendung handelt, zeigen Odos Vita Geraldi (11, MPL 133,641 f.) und seine eigene, von Nalgodus von Cluny verfaßte Vita (ebda. 85 C). 56) Vgl. auch I 15,21 f.; I V 1,7 f., 2,5 f., 10,9 f., 27,11 f.; VI 3,5 f. Auf die Parallelen I V 8,11 f. und 9,11 machte schon Manitius, LG 2, 1923, 553, aufmerksam. 7*

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Stilgeschichtliche Berührungen: Venantius

Dem Gedanken, daß angesichts der Größe empfangener Wohltaten jeder Versuch, mit Worten zu danken, als unangemessen erscheinen müsse, begegnen wir zweimal bei Venantius wie im Ruodlieb 57 ). Auch metrisch-phraseologische Parallelen lassen sich nachweisen58). Nach alledem ist es durchaus denkbar, daß der Dichter des Ruodlieb die Carmina Fortunats kannte und seine Kunst an ihnen schulte. „Die Dichtungen Fortunats haben auf die späteren Jahrhunderte großen Einfluß geübt . . . Besonders aber ist Fortunat bei den Angelsachsen bekannt . . . Die Angelsachsen verbreiten ihn im Frankenreich, und die karolingischen Dichter werden in Ausdrucksweise und Wortschatz von ihm ganz abhängig. Seit dieser Zeit ist seine Verbreitung groß und er erscheint in den alten Bibliothekskatalogen (zuerst in York s. VIII, in einer französischen und fünf deutschen Bibliotheken s. IX). Nicht wenige von den karolingischen Prosaikern führen, ihn an, der Verfasser der Ecbasis captivi gebraucht ihn für seinen Cento und sein Ansehen bleibt ungeschmälert bis zum Schluß des elften Jahrhunderts 59 )." Fortunats Dichtungen sind Zeugnisse für die Rezeption des Urbanen Lebensstils der gallischen Oberschicht des vierten Jahrhunderts, wie ihn die Werke des Ausonius ¡bezeugen, durch den sich konsolidierenden merowingischen Adel des fünften Jahrhunderts 60 ). Wie die Regula Benedicti für den Bereich des mönchischen und geistlichen Lebens, wurde Fortunat für den Bereich des Hoflebens und der weltlichen Dichtung 57 ) In den Dankesreden des kleinen Königs an den Rex Maior (IV 131; V46) und am Schluß der Episteln Fortunats Ad Felicem episcopum Namneticum (III 4): Si veniant linguae pariter Graeca atque Latina, pro meritis nequeunt solvere cuncta tuis ... und Ad Lupum ducem (VII 9, 17 f.): munera quis poterit, rogo, tot memor ore referred affectum dulcem pandere linguam nequit. sed tibi restituat rex cuncta supernus ab alto. 58) R. I 2 moribus ingenitam . . . F. I 15, 105 moribus ingenio .. . I 82 . . . uirtutis opime IV 25, 13 . . . mercedis opirnae V 350 Addidit bijs ... 130 Adduntur donis... 100 Addiderat donis . . . X 10, 21 additur hie ... V 516 Kattholice paci... II 11, 11 catbolicae fidei... VI la, 29 catholico cultu ... VII 56 Gaudenjs arrisit. .. IV 1, 19 gaudet arrisit. . . VII 57 Omne bon]um... IV 26, 1 Omne bonum XV 25 Lege maritali... VI 1, 34 lege maritali... XV 29 . . . igne cremari IV 26, 111 . . . igne crematas XVII 94 . . . cacumine fulchro VI 5, 15 . . . cacumine pulchro 5») Manitius, LG 1, 1911, 178 f.; vgl. auch Adolf Ebert, Geschichte der Literatur des Mittelalters im Abendlande 2, 1880, 28 f. 32. 43. 52. 59. 73. 79. u. ö. 60 ) Richard Koebner, Venantius Fortunatus, 1915, 35 ff.

Stilgeschichtliche Berührungen: T h e o d u l f

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lateinischer Sprache f ü r das Mittelalter zu einem der großen Vermittler des Geistes der Spätantike und der in ihr besonders gepflegten Dichtungsarten wie Epigramm und Epistel. Es unterliegt keinem Zweifel, daß — wie die Sprache 61 ) — auch die f ü r den Erzählstil des Ruodlieb charakteristischen Züge, die dem heimischen Heldenlied ebenso fremd sind wie dem klassischen lateinischen Epos, dieser Traditionslinie angehören, mögen die Anregungen direkt von Fortunat ausgegangen oder durch die von ihm beeinflußte Dichtung der Karolingerzeit vermittelt sein 62 ). Die detaillierte Darstellung kultivierten „höfischen" Lebens, die Hochschätzung alles Zeremoniellen, die Betonung des Gefühlslebens, die warmherzige Schilderung zwischenmenschlicher Beziehungen und die Lust am Genrehaften entsprechen keineswegs, wie man im Anschluß an Seilers „realistische" Deutung des kulturhistorischen Gehalts (Ausg. 81—111. 194) immer wieder gesagt hat, dem Lebensstil des Rittertums im elften Jahrhundert, sie bezeugen vielmehr die Abhängigkeit des Dichters von jener literarischen Tradition, die in den Klöstern lebendig blieb und ihm gerade überall dort die Ausgestaltung seines erzieherisch gemeinten Zukunftsbildes eines nicht allein innerlich verchristlichten, sondern zugleich „höfisch" verfeinerten Rittertums erleichtern konnte, wo er sich nicht unmittelbar an der benediktinischen Formkultur des Klosters selbst zu orientieren vermochte. Theodulf von Orleans gibt (carmen X X V , 57—244) 63 ) in einer anschaulichen Schilderung ein ideales Wunschbild vom Leben am H o f e Karls des Großen, in dessen Mittelpunkt die Beschreibung eines festlichen Mahls gestellt ist, die lebhaft an die „höfischen" Züge der Tafelszenen im Ruodlieb erinnert: Nachdem der König den Kronrat verlassen und sein Gebet verrichtet hat, geht man zu Tisch (61 ff.). Die Türen schließen sich (65); als Schönster unter den Schönen steht der König im Kreise seiner Kinder (67 ff.). Als er sich niederläßt, eilen die Söhne herbei, ihm Mantel, Handschuhe und Schwert abzunehmen (91 ff.), während die Töchter unter Küssen Blumengebinde und Früchte darreichen (97 ff.). 61

) Vgl. d a z u die Bemerkungen H a n s Ottingers, H V S , 26, 1931, 4 5 0 und

485. 62

) Jacob Grimm, Ausg., 1838, X I Anm., machte als erster auf derartige Beziehungen aufmerksam, indem er darauf hinwies, daß, w i e der Ruodlieb (z. B. II 20 f.), so auch Ermoldus N i g e l l u s im D i a l o g zwischen Vosagus und Rhenus die N a m e n der Redenden am Rande der entsprechenden Verse vermerke. Weitere, jedoch ganz allgemein gehaltene H i n w e i s e auf die Bedeutung der karolingisdien Dichtung für den Ruodlieb gaben L. W o l f f , D a s deutsche Schrifttum, 1951 2 , 120, und R. Bezzola, Les origines II, i 9 6 0 , 135 f. «3) Theodulfi carmina, ed. Ernst D ü m m l e r , M G Poetae I 2, 1881, 437 ff.

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Stilgeschichtliche Berührungen: Hrotsvith Dulcibus baec verbis faveat regi, altera risu, Ista patrem gressu mulceat, illa ioco. Quod si forte soror fuerit sanctissima regis, Oscula det fratri dulcia, frater ei. Talia sie placido moderetur gaudia vultu, Ut sponsi aeterni gaudia mente gerat (107 if.).

Nach der Schriftlesung (113 f.) tritt in langem Zuge die Hofgesellschaft herein (115 ff.), darunter Alcuin (131 ff.), der Kanzler Ercambald (147 ff.) und Einhart (155 ff.). D a n n erscheint der Trudiseß (182 ff.): Sudorem abstergens frontis ab arce manu. •Quam saepe ingrediens, pistorum sive coquorum Vallatus cuneis, ins synodale gerit . . . Adveniat pincerna potens Eppinus et ipse, Pulchraque vasa manu, vinaque grata vehat. Iam circumsedeant regalia prandia iussi, Laetitiae detur munus ab axe poli (187 ff.) Unter gelehrten und erbaulichen Betrachtungen Alcuins (191 ff.) geht das Mahl bei Wein und Met (193 f.) dahin (197 ff.): Este proeul pultes, et lactis massa coacti, Sed pigmentati sis prope mensa eibi. Participent mensis epulas, et dulcia sumant Pabula, vina bibant stansque sedensque simul. Nachdem die Tische abgetragen sind, erfreut man sich am Vortrag der Gedichte Theodulfs (201 ff.); dann zieht sich der Kaiser zur Ruhe zurück (235 f.): Rex sua fulcra petat, babeat sua mansio quemque, Rex bene laetus eat, plebs bene laeta meet. Die ausführliche Schilderung des königlichen Gastmahls läßt kaum einen Zug vermissen, dem wir a n stofflich entsprechenden Stellen des Ru ad lieb begegnen. H i e r wie dort herrscht gleiches Behagen an der Entfaltung kultivierter Geselligkeit und am edlen, höfischen Zeremoniell. Auch Hrotsvith kennt diese Freude an der ins Einzelne gehenden Schilderung solcher genrehaften Szenen. In der Passio Gongolfi findet sich folgende Darstellung vom Tagesbeginn im Hause des Heiligen (225 ff.)84): Postquam nox scissis discessit victa tenebris (Et) lux orta plagam cinxerat aetheream, Venerum pueri tironum sorte potiti, a4

) Vgl. ferner die Schilderung des Quellkaufs, ebda. 89 ff.

Stilgeschichtliche Berührungen: Antike Dichtung

Portantes cari calciolas domini, Et pulsant aulam noctis pro tempore

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clausam,

Orantes, aditum iam fieri patulum. Sed dux paulisper siluit somnum quoque finxit; Post, velut e somno evigilans gravido, Solvere custodi vectes iubet interiores Pandere triclynium militibusque suum; His introductis, limpham manibus petit albis . . . Obwohl die Legende diese Morgenszene nicht um ihrer selbst willen als in sich ruhendes Bild vor uns hinstellt, sondern in ihr vor allem die heilige Demut Gongolfs sichtbar zu machen unternimmt, so erinnert sie doch der Art ihrer Darstellung nach lebhaft an die entsprechende Toilette-Szenen des Ruodlieb ( X I 1—9; X I I I 1—4. 113—130). W o Ursprung und Anregung zur poetischen Gestaltung solcher Genrebilder zu suchen sind, zeigt eine spätantike Parallele, die Ephemeris, Id est totius diei negotium, des Ausonius 65 ), namentlich deren zweiter, Parecbasis (digressio) überschriebener Abschnitt: Puer, eia, sarge et calceos et linteam da sindonem. da, quidqttid est, amictui quod iam parasti, ut prodeam. da rore fontano abluam manus et os et lumina, pateatque fac sacrarium nullo paratu extrinsecus. pia verba, vota innoxia rei divinae copia est... Nimmt man zu diesen Beispielen, deren Zahl sich ohne weiteres vervielfachen läßt, ihre bis in die klassische Zeit der lateinischen Dichtung zurückzuverfolgenden Vorbilder hinzu, so ergibt sich eine über Jahrhunderte reichende Traditionskette idyllisdi-satirisch-genrehaften Darstellungsstils von Ereignissen des täglichen Lebens in Vers oder Prosa, die von den Epigrammen Martials 66 ), in denen die Genüsse der Tafel und der Spott über geizige Gastgeber zu den immer wiederkehren65) Aussonii Opuscula, rec. Karl Schenkl, M G A A 5, 2, 1883, 3 ff. 66 ) Vgl. Ruth H o f m a n n , Aufgliederung der T h e m e n Martials, Wiss. Zs. d. U n i v . Leipzig, gesellsch.- u. spradrwiss. Reihe, 6, 1956/57, 4 3 3 — 4 7 4 . Es handelt sich hier vor allem um die — nach der Gliederung des deutschen Wortschatzes nach Sachgruppen v o n Franz DornseifF angeordneten — Zusammenstellungen unter den N u m m e r n 2. 27 und 16. 64.

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Stilgeschichtliche Berührungen: Antike Dichtung

den Themen gehören, u n d vom Satiricon Petrons mit der cena Trimalchionis im Mittelpunkt über die Dichtung des spätantiken und frühmittelalterlichen Galliens u n d der Karolingerzeit ins hohe Mittelalter hineinreicht 67 ). H i e r f a n d der Dichter neben stofflich-motivlichen Anregungen die darstellungstechnischen Mittel, deren er zur dichterischen Ausgestaltung der erzieherischen Musterszenen eines vorbildlichen Ritterlebens bedurfte, in dem er dem Adel seiner Zeit ein neues Standesideal vor Augen stellte, in dem sich das neutestamentliche Ethos der Gnade mit benediktinischer Freude an einer auf mäze gegründeten Stilisierung und Durchformung des Lebens zu einem Vorklang .höfischen' Lebensgefühls verbindet. K o n r a d Burdach schloß seine Darlegungen zum Erzählstil des R u o d lieb (Vorspiel I 1, 1925, 153) mit den Sätzen: „Antike Luft weht hier, wenn auch aus weiter Ferne und nicht u n v e r m i s c h t . . . Gewiß haben schon viele unter meinen verehrten Zuhörern bei meiner Analyse des Ruodlieb sich der Kleinmalerei, der idyllischen Manier der alexandrinischen Dichtung eines Kallimachos, Theokrit erinnert. U n d von dort stammt auch im letzten G r u n d e ein guter Teil der Kunst des Ruodlieb. Freilich nicht unmittelbar, sondern durch die zahlreichen Zwischenglieder des hellenistischen und sophistischen und frühmittelalterlichen griechischen Romans." Durch die Beobachtung des thematischen u n d darstellungstechnischen Zusammenhangs der Erzählkunst des Ruodlieb mit der sentimentalen, idyllischen und genrehaften Klein- und Gelegenheitsdichtung, die — in der Kaiserzeit wurzelnd — im spätantiken Gallien eine bedeutsame Nachblüte erleibte und über Fortunat auf die Hofdichtung der K a r o 67 ) Audi die immer wieder hervorgehobene Freude des Dichters an der Schilderung abgeriditeter Tiere (vgl. dazu Seiler, Ausg., 1882, 104—106) und seine Versuche auf dem Felde des Epigramms fügen sich dieser Traditionslinie ein: Am Eingang zum Speisesaal des Trimalchio (Satiricon, cap. 28) hängt ein Käfig, aus dem heraus eine Elster die Eintretenden begrüßt. Martial erwähnt nicht nur sprechende Vögel (XIV 73. 76), worauf sich Isidor (XII 7, 24. 46) beruft, auch abgerichtete Tiere gehören zu seinen Lieblingsthemen; so weiß er von Fischen zu berichten, die auf Zuruf herbei eilen, um dem Kaiser die Hände zu lecken (IV 30; X 30, 22). XI 69 gibt er eine auf den Tod eines Jagdhundes verfaßte Grabschrift (vgl. dazu die Zusammenstellungen Ruth H o f manns, a.a.O. Nr. 2.10 BC). Mittelalterliche Beispiele solcher auch bei Catull (in den carmina auf Lesbias Sperling) begegnenden sentimentalen Einstellung zum Tier bieten Alcuins Gedicht auf eine Nachtigall (Quae te dextra mihi. . ., MG Poetae I, 274 f.) und Theodorichs von St. Trond Klage um den Tod seines Hündchens (ed. Manitius, N A 39, 1914, 161 f.). Den Epigrammen des Ruodlieb-Dichters stellte Seiler (Ausg., 1882, 200) ein formal ganz ähnliches Gedicht Froumunds an die Seite. Wie sehr sich beide hier in den Bahnen antiker Epigraphik bewegen, zeigen Martials Epigramme auf Fliegenwedel (XIV 67 f.) und Weinflaschen (XIV 116—118), die in Form und Inhalt den Ruodlieb-Epigrammen Nr. 3 und 5 bzw. 6 und 7 eng verwandt sind.

Stilgeschichtliche B e r ü h r u n g e n : A n t i k e D i c h t u n g lingerzeit

und

die

lateinische

Dichtung

der

folgenden

105 Jahrhunderte

w e i t e r w i r k t e , w i r d dieses U r t e i l b e s t ä t i g t u n d z u g l e i c h auch m o d i f i z i e r t . Denn

obgleich

als

sicher

gelten

darf,

daß

dem

Dichter

sowohl

der

A l e x a n d e r - a l s auch d e r A p o l l o n i u s r o m a n b e k a n n t w a r 8 8 ) , scheint B u r dach doch den E i n f l u ß des s p ä t a n t i k e n

Prosaromans auf

den

Dichter

des e l f t e n Jahrhunderts i m g a n z e n e b e n s o überschätzt z u haben69) die Vermittlerrolle v o n Die vom

Eigenheiten Waltharius,

des D a r s t e l l u n g s s t i l s , dem

ihm

zeitlich

am

durch

d i e sich d e r

nächsten

stehenden

Ruodlieb Vertreter

der lateinischen weltlichen E p i k des Mittelalters, unterscheidet, nicht a l l e i n a u f

wie

Byzanz70).

dem Unterschied

in der G a t t u n g ,

d a r a u f , d a ß sich s e i n D i c h t e r i m G e g e n s a t z

beruhen

sondern vor

zum Verfasser

allem

des

Wal-

t h a r i u s nicht in u n m i t t e l b a r e m R ü c k g r i f f a n d i e k l a s s i s c h e n M u s t e r

der

g r o ß e n h e i d n i s c h e n u n d christlichen E p e n d e r r ö m i s c h e n A n t i k e a n s c h l o ß , sondern v o n der o b e n beschriebenen T r a d i t i o n s l i n i e spätantiker dichtung71)

ausging,

deren

Nachwirkung

in

vielfältiger

Klein-

Brechung

bis

in seine Zeit hineinreichte. 68) Z u r B e r ü h r u n g d e r Z w e r g e n d a r s t e l l u n g des R u o d l i e b ( X V I I I 1 m i t d e m in d e n Z u s a m m e n h a n g des A l e x a n d e r r o m a n s g e h ö r e n d e n A l e x a n d e r - D i n d i m u s Briefwechsel s. o. S. 74 f. An den A p o l l o n i u s r o m a n (cap. 16 u n d 23, ed. A . Riese, 1893, 30, 2 ff. u n d 42, 1 ff.) e r i n n e r n die H a r f e n s z e n e ( I X 25 ff.) u n d d e r F a m i l i e n r a t v o r d e r H o c h z e i t des N e f f e n ( X V 18 ff.); vgl. d a z u G . Schepss, Z f d P h 15, 1883, 431, u n d K . D a h i n t e n , H V S 28, 1934, 507 f. D i e bisher nachgewiesenen, v o n H . G a m e r , A R V 11, 1955, 9 2 — 9 5 z u s a m m e n g e s t e l l t e n inhaltlichen o d e r stilistischen P a r a l l e l e n zwischen R u o d l i e b u n d a n t i k e m R o m a n , die ü b e r die hier e r w ä h n t e n P u n k t e h i n a u s s e h e n , sind so allgemeiner N a t u r , d a ß sie f ü r d e n N a c h w e i s einer d i r e k t e n A b h ä n g i g k e i t k a u m geeignet scheinen. 69 ) D a ß auch T h e m a t i k , A u f b a u u n d K o m p o s i t i o n s w e i s e des R u o d l i e b v o r w i e g e n d a m a n t i k e n R o m a n o r i e n t i e r t seien, w i e B u r d a c h , Vorspiel I 1, 1925, 154 a n n a h m , w u r d e v o n H a n s N a u m a n n , F S G e n z m e r , 1952, 307 u n d 315. m i t Recht zurückgewiesen. ™) V g l . d a z u H . G a m e r . A R V 11, 1955, 102: „Fresh i m p r i n t s of E a s r e r n customs are n o t i c e a b l e here a n d t h e r e " , — h i e r ist v o r allem an die B e s d i r e i b n u g d e r B v z a n t i n e r M ü n z e n (V 314. 321 ff.1 u n d d ' e Schachepisode ( I V 194 ff.) zu d e n k e n — „ b o t h B v z a n t i n e a n d A r a b i c . W h i c h e v e r t h e influence w a s is n o t a l w a y s easy t o discern . . 71 ) Auch f ü r die P e r s o n e n d a r s t e l l u n g e r g a b e n sich hier v i e l f a c h e A n r e g u n g e n : D i e Schilderun!; d e r W i r k u n g e n des A l t e r s (XTV 1 ff.) b e r ü h r t sich eng m i t d e r ersten Elegie M a x i m i a n s , d e r im M i t t e l a l t e r — nach E. C u r t i u s , E u r o p . L i t e r a t u r , 1954 2 , 60 A . 3 — als M u s t e r f ü r die B e h a n d l u n g dieses T h e m a s galt. D a s Bild des a l t e n geizigen B a u e r n ( V I 34 ff.) e r i n n e r t a n M a r t i a l s satirische Schilderungen a l l z u s p a r s a m e r G a s t g e b e r ( z . B . I 4 3 . 9 9 . 103; I I I 6 0 ; X I 311. D i e D a r s t e l l u n g d e r Liebe zwischen N e f f e u n d H e r i i i s v e r w e n d e t einige M o t i v e , d i e O v i d e n t l e h n t sein k ö n n t e n : weiblich edler G a n g ( X I I I 55 ff., wie A r s a m a t o r i a I I I 297 ff., doch vgl. auch Aeneis I 494 ff., C a t u l l 61, 76 ff. u n d Ausonius, C c n t o n u p t i a l i s 33 ff., M G A A 5, 2, 1883, 142; d a z u : W e r n e r Fechter, Z f d A 89, 1958/59, 92), Geschicklichkeit im T a n z H X 46 ff. — A r s a m . ITI 349 ff.), B e r e i t w i l l i g k e i t , im W ü r f e l s p i e l zu u n t e r liegen, u n d B e d e u t u n g dieses Spiels f ü r die G e w i n n u n g d e r Liebe ( I X 62 ff.; X 22 ff. — A r s a m . I I 203 ff.; I I I 354 ff.).

106

Ergebnisse

Der Ruodlieb steht weder stofflich, .noch geistig oder erzähltedinisch im Banne der heimischen Heldensage oder der klassisch-antiken Epik. Während sein Stoff, die materia, dem Umkreis der Salomosage, d. h. einem spezifisch christlichen Überlieferungszusammenhang angehört, geht seine Grundidee 72 ) auf die auf Erziehung und Verchristlichung des weltlichen Adels gerichteten Bestrebungen des cluniazensischen Benediktinertums zurück, als deren früheste literarische Frucht Odos Vita Geraldi anzusehen ist. Wie die Sprache das Gepräge des klösterlichen Lateins seiner Zeit aufweist, so gehen alle wesentlichen, den Erzählstil bestimmenden Anregungen von der Lebens- und Bildungswelt des Klosters aus. Ihr, nicht aber den außerliterarischen Traditionen mimischer Darbietungen, verdankt der Dichter seine an vielen Stellen in die Erzählung eingeflochtenen ,naturwissenschaftlichen' und kunsthandwerklichen Kenntnisse; sie erzog ihn zur Hochschätzung eines auf mdze gegründeten Lebensstils und gab ihm zugleich die zu seiner Darstellung nötigen realen und literarischen Anregungen. Der Ruodlieb ist eine reife Frucht der benediktinischen Klosterkultur des elften Jahrhunderts. Nicht in der realistischen Schilderung des Lebens seiner Zeit oder in der Kraft und Fülle der eigenen Erfindung, sondern in der umformenden Zusammenfassung des in seiner Bildungswelt Leibendigen zu einem weit in die Zukunft hinausgreifenden Wunschbild eines christlich erneuerten und verwandelten Lebens liegt die wesentliche Leistung seines Dichters.

T2) d. h. die intentio oder voluntas materia, voluntas auctoris und intentio pretation, 1961, §§ 2 ff. und 10.

auctoris; zur Geschichte der Termini vgl, W . Babilas, Tradition und Inter-

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1930,

LITERATURVERZEICHNIS In der vorliegenden Arbeit nur vereinzelt herangezogene Untersuchungen sind an entsprechender Stelle mit vollem Titel genannt; sie werden in der folgenden Zusammenstellung ebenso übergangen wie die in vielen Ausgaben leicht und allgemein zugänglichen Werke antiker Autoren. Anderseits werden einige f ü r das behandelte Thema wichtige Arbeiten genannt, obwohl sie in den Anmerkungen nicht erscheinen. Ausgaben und Übersetzungen des Ruodlieb: H a u p t , Moritz (Hg.): Exempla poesis Latinae medii aevi. 1834 (Erstdruck der Hs. F). G r i m m , Jacob und Andreas S c h m e l l e r (Hgg.): Lateinische Gedichte des X . und X I . Jahrhunderts. 1838. S c h m e l l e r , Andreas (Hg.): Ruodlieb. Z f d A 1, 1841, 401—404 (Erstdruck der Fragmente II und III). S e i l e r , Friedrich (Hg.): Ruodlieb, der älteste R o m a n des Mittelalters, nebst Epigrammen, mit Einleitung, Anmerkungen und Glossar. 1882. H e y n e , Moriz (Übers.): Ruodlieb, Übertragung des ältesten deutschen Heldenromans. 1897. W i n t e r f e l d , Paul von (Ubers.): Rudlieb, in: Deutsche Dichter des lateinischen Mittelalters in deutschen Versen. 1913. 1922 3 , 287—361. L a n g o s c h , Karl (Hg. u. Übers.): Waltharius, Ruodlieb, Märchcnepen. Lateinische Epik des Mittelalters mit deutschen Versen. 1956, 85—215. 369—375. Z e y d e 1, Edwin H e r m a n n (Hg. u. Übers.): Ruodlieb. The Earliest Courtly N o v e l (after 1050). Introduction, Text, Translation, C o m m e n t a r y and Textual Notes. 1959. Texte

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